Theologische Realenzyklopädie: Band 13 Gesellschaft /Gesellschaft und Christentum VI - Gottesbeweise [Reprint 2020 ed.] 9783110867954, 9783110085815

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Theologische Realenzyklopädie: Band 13 Gesellschaft /Gesellschaft und Christentum VI - Gottesbeweise [Reprint 2020 ed.]
 9783110867954, 9783110085815

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Theologische Realenzyklopädie Band XIII

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Theologische Realenzyklopädie In Gemeinschaft mit Horst Robert Balz • Stuart G. Hall Brian L. Hebblethwaite • Richard Hentschke Wolfgang Janke • Günter Lanczkowski Joachim Mehlhausen • Carl Heinz Ratschow Knut Schäferdiek • Henning Schröer Gottfried Seebaß • Clemens Thoma herausgegeben von Gerhard Müller

Band XIII Gesellschaft/Gesellschaft und Christentum VI - Gottesbeweise

Walter de Gruyter • Berlin • New York 1984

Redaktion: Dr. Christian Uhlig Lieferung 1 / 2 Gesellschaft - Glaube ersch. N o v e m b e r 1984 Lieferung 3 / 4 Glaube - Gott ersch. Dezember 1984 Lieferung 5 Gott - Gottesbeweise ersch. Februar 1985

ClP-Kurztitelaufnahme

der Deutschen

Bibliothek

Theologische Realenzyklopädie / in Gemeinschaft mit Horst Robert Balz . . . hrsg. von Gerhard Müller. - Berlin ; New York : de Gruyter Teilw. hrsg. von Gerhard Krause u. Gerhard Müller NE: Krause, Gerhard [Hrsg.]; Müller, Gerhard [Hrsg.] Bd. 13. Gesellschaft, Gesellschaft und Christentum VI - Gottesbeweise. 1984. ISBN 3-11-008581-X

© 1984 by Walter de Gruyter &C Co. Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Photokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert werden. Printed in Germany. Satz und Druck: Tutte Druckerei G m b H , Salzweg-Passau Bindearbeiten: Lüderitz & Bauer, Berlin 61

Gesellschaft/Gesellschaft und Christentum VI

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VI. Reformationszeit 1. Gesellschaft u n d Konfessionalisierungsprozeß 2. Die Sozialgestalt der Kirche 3. Soziale B e d i n g u n g e n u n d W i r k u n g e n der K o n f e s s i o n a l i s i e r u n g 4. Soziallehren 5. D e u t u n g e n mittlerer R e i c h w e i t e (Literatur S. 10)

1. Gesellschaft

und

Konfessionalisierungsprozeß

Im Zuge der Konfessionalisierung bildeten die Kirchen unterschiedliche soziale Profile ihrer Geistlichkeit aus, legten verschiedene Schwerpunkte ihres Handelns in bezug auf die Gesellschaft fest, ließen andere Beteiligungschancen der Laien zu. Die Reformation veränderte die „Sozialgestalt" der Kirchen wie deren Soziallehren. Gemeinsame Entwicklungsrichtungen werden in einer die Gesellschaft betonenden Perspektive und in einem Horizont mittlerer Reichweite wahrnehmbar: Konfessionalisierung erscheint als Teil von „christianisation" oder „Akkulturation" oder als „Modernisierungspotential". Daß Gesellschaft im 16. Jh. noch durch Herrschaft verfaßt war, erweist sich gerade im Ergebnis der Parzellierung der universalen Kirche: Sieht man von Minoritäten ab (z.B. Täufer, Hugenotten), so bestimmten herrschaftliche (historische oder nationale) Grenzen die Bruchlinien der Kirchenorganisationen (cuius regi'o-Grundsatz, Church of England etc.). Die Machtkonzentration auf die Obrigkeiten („Verstaatung") dürfte nicht, wie es das Stichwort erzwingt, eliminiert werden, weil Konfession auch ständische Oppositionen förderte. Aber im Ergebnis faßten staatliche, nicht soziale Einheiten die Konfessionskirchen ein. Die Kirche, sieht man von Böhmen sowie der griechisch- und russisch-orthodoxen Kirche ab, trat in dieses Jahrhundert einheitlich organisiert und sich auf ihre hierarchische Spitze reorientierend ein. Mit dem Ende der Konzilien war der Reformdiskussion die gesamtkirchliche Plattform genommen. Der universale Anspruch griff auf die Neue Welt aus. Die Organisation dieser Einheitskirche spannte sich freilich über heterogene Strukturelemente, selbstkritische Potentiale und rivalisierende Schulen. Sie übergriff divergente religiöse Lebensweisen, Eliten- und Volkskultur. Die Komplexität umfaßte Dimensionen, die sich in unterschiedlichem Tempo veränderten und die dem Leben der Gesellschaft ferner oder näher standen, wie die theologische Reflexion, die normierend danach griff, wie die sich an ihrem eigenen Recht orientierende Kirchenorganisation oder die Religion mit Wurzeln im Alltag. Das Reformverlangen lief weiter; Papst, auch Bischöfe öffneten sich der Renaissance und dem Humanismus - erstarrt war diese Kirche nicht. Doch wuchs die Entfremdung von Laien gegenüber der Klerikerkirche. Zugleich stiegen der Wille zur und der Anteil der materiellen Wertschöpfung an der Vergewisserung kirchlich vermittelten Heils, so daß sich die Gesellschaft um 1500 als „religiöse Leistungsgesellschaft" (Moeller) darstellen kann. Wenn mit dem Einsetzen der reformatorischen Bewegung diese Leistungsbereitschaft abfiel oder zusammenbrach, deckte dies zwar auf, daß ihre Legitimationsgrundlage nicht mehr tragfähig war, stellte aber den prinzipiellen Anspruch nicht in Frage, daß soziales Handeln sich religiös legitimierte oder ausdrückte und sich Reflexion über Gesellschaft noch im Medium von Theologie vollzog. Religion wurde weder aus rein gesellschaftlichen Bedürfnissen abgeleitet, noch gaben die Kirchen ihren Öffentlichkeitsanspruch auf. Dissenter wurden gesellschaftlich ausgestoßen. Christentum leistete für Gesellschaft wie Herrschaft Integration, eine organisationsfähige Alternative zur Deutung aller Äußerungen des Daseins gab es auch am Ende dieses Jahrhunderts nicht, wenn auch nun innerhalb des „Christentums" die in ihren Grundpositionen sich gegenseitig ausschließenden Konfessionslehren neben individuelle Resignation auf Innerlichkeit traten. Der Konsens bestand fort, daß eine einheitliche Religion für gesellschaftliche und staatliche Stabilität unentbehrlich sei. Das Jahrhundert liegt vor der Säkularisierung. Die Konflikte zwischen den Konfessionen bildeten eine Erfahrungsgrundlage für den alten Grundsatz religiös-politischer Einheit, wie sie auch einem neuen Denken Vorschub leisteten, das der Obrigkeit die Integration der Gesellschaft zuweisen wollte. Doch Herrschaft legitimierte sich noch religiös; gerade die Monarchie konnte sich

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als gottebenbildlich definieren und daraus wachsende Ansprüche auf Gesellschaft und Kirche ableiten. Daneben förderte ungestörtes Zusammenleben von Gläubigen verschiedener Konfessionen, in Minderheitssituationen schon erträglich, Argumente für Toleranz. Rechtliche Regelungen, in denen Dissent als strikt begrenzte Ausnahmeerscheinung (Frankreich) zugelassen war, wurden ebenso durch Unlösbarkeit von Konflikten erzwungen wie solche, bei denen Konformität der Religion unteren Ebenen der Staatlichkeit zugewiesen wurde (Deutsches Reich, Schweiz, Polen). Sie liefen dem gesellschaftlichen Selbstverständnis voraus, wie steigende Spannungen belegen. Lediglich die niederländische Öffentlichkeitskirche (Heinz Schilling) verwies auf eine zukünftige offene Gesellschaft, konnte sich aber am Ende des 16. Jh. noch nicht als pluralistisch verstehen. 2. Die Sozialgestalt

der

Kirche

Die Sozialgestalt der Kirche nimmt an der Gesellschaft teil, indem sie ihr Personal aus ihr rekrutiert und Positionen der Versorgung und des Aufstiegs bietet, sich so sozialen Schichten und Positionen zuordnen läßt. Und insofern alles kirchliche Handeln in bezug auf Gesellschaft und soziale Kontexte erfolgt, konkretisiert es sich als soziales Handeln, auch wenn es sich nicht als Funktion gesellschaftlicher Bedürfnisse versteht. Dies wie auch d a s Verhältnis von Klerus und Laien sowie die Handlungsmöglichkeiten von Laien in der Kirche bilden ihre „ S o z i a l g e s t a l t " .

Die ,katholische' Kirche behielt ihre hierarchische Gliederung, doch die Dominanz des Papsttums stärkte sich. Die Herkunft der Päpste des 16. Jh. vorwiegend aus dem italienischen (toskanischen) Stadtpatriziat änderte sich nicht, sie rekrutierten sich jedoch häufiger aus aufsteigenden Familien. Eine Tendenz zu Professionalisierung, zur Wahl von Juristen-Kanonisten, hatte schon früher angesetzt. Bei den Karrierefaktoren gewinnen neben Nepotismus zunehmend Protektion, die Laufbahnkriterien und in der Laufbahn erworbene Verdienste an Bedeutung. Für den italienischen Episkopat gilt: Er wird vom Stadtadel und in der Stadt lebendem Landadel gestellt. Familie und Protektion spielen eine dominante Rolle. Ungebrochen rekrutierten sich die deutschen Bischöfe und Domkapitel aus dem Adel, die Reichskirche blieb Adelskirche. Bischöfe aus dem Bürgertum blieben Ausnahmen, die Kapitel erhöhten ihre ständische Exklusivität. Einige akzentuierten sie nach dem Hochadel hin, andere auf Reichsritterschaft und landsässigen Adel. Reich und Reichskirche trug die gleiche Elite. Nur der Bildungsgrad des deutschen Episkopats stieg. Ebenso dominierte der Adel im französischen Episkopat, trotz der im Konkordat von 1516 bestätigten Einsetzungsrechte der Monarchie; nur der Anteil der noblesse de robe erhöhte sich. Ein anderes Rekrutierungsmuster zeigte England: hier galt episkopales Amt als Belohnung für Krondienste. Es waren bürgerliche Juristen, die über den Krondienst ins bischöfliche Amt gelangten. Die elisabethanischen Bischöfe setzten die Tradition bürgerlicher Herkunft fort, bei herabgesetztem sozialen Status und verminderten Einkünften. Ebenso hielt sich im Pfarr- und Niederklerus die soziale Herkunft konstant: Das Bürgertum herrschte vor, Unterschichten fehlten, Bauern stellten einen geringen Anteil. Die Forschungslage erlaubt kaum, dem Säkular- oder Regularklerus genauere soziale Merkmale zuzuschreiben. Weder numerische Größe der Gruppe noch ihre Relation zur Gesamtbevölkerung, Altersaufbau, Stadt-Land-Verteilung sind erhoben. Pfarr- und Niederklerus scheinen in höherem Maße als andere gesellschaftliche Gruppen mobil gewesen zu sein, sowohl geographisch als auch vertikal: die klerikale Laufbahn bot ein differenziertes, wenn auch begrenztes und auf Städte konzentriertes Aufstiegsspektrum an. In den reformatorischen Kirchen reduzierten sich sowohl die Zahl der verfügbaren als auch die differenzierenden Positionen: Bischofsstühle, Stifter und Orden entfielen ganz, daher fiel der Adel aus. Die protestantischen Pfarrgeistlichen rekrutierten sich aus dem Bürgertum, das allein die geforderte steigende Bildungsqualifikation finanzieren konnte. Bürgerliche Wirtschaftseliten hielten sich vom Studium eher zurück. Die reformatorische Geistlichkeit konzentrierte ihr soziales Handeln auf Predigt und Katechese. Über Seelsor-

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ge und Kasualien blieb sie mit den Übergangssituationen des Lebens verbunden. Auch der Fortfall der Kaplaneien sowie aller außerparochialen Institutionen (Orden, Stifter) homogenisierte die Funktionen. Die Einkommen der Geistlichen blieben jedoch unterschiedlich, daher die Positionen verschieden attraktiv. Sie setzten sich weiterhin aus Natural- und Geldleistungen der Laien zusammen, im lutherischen Bereich blieben auch die Stolgebühren erhalten. Lediglich die Tendenz setzte an, die variablen Einkünfte auf fixe Gehälter umzustellen, besonders in Städten. Der protestantische Pfarrgeistliche verfügte also nur über ein relativ sicheres, von klimatischen Schwankungen und Marktlagen in geringerem M a ß abhängiges Einkommen, zumal er auf dem Lande oft auch Eigenwirtschaft betrieb. Über die Höhe der Einkommen lassen sich kaum gültige Aussagen machen: der Schwerpunkt der breit gestreuten Jahreseinkommen lag bei 30 bis 40 Gulden (Deutschland). Die lutherische und anglikanische Kirche behoben die Abschichtung zwischen Pfarr- und Niederklerus nicht. Da jedoch die Inkorporationen entfielen, hatte der niedere Klerus wohl höhere Chancen, in Pfarrstellen aufzusteigen. Lokal differenzierte Einkünfte führten zu hoher geographischer Mobilität, die in der zweiten Hälfte des 16. Jh. durch die Lehrkontroversen verstärkt wurde. Das Sozialprofil der Geistlichkeit der reformatorischen Kirchen veränderte sich, weil die Rekrutierung auf das Bürgertum verengt war, das Bauerntum oder gar Unterschichten nicht einbezogen wurden. Überdies wurde Universitätsausbildung zur Eingangsqualifikation, zunächst als theologische Elementarausbildung; gegen Ende des Jahrhunderts hob sich der geforderte Standard auf die H ö h e von humanistischer Grundlagenkenntnis und theologischer vollakademischer Ausbildung. Gravierender war, daß an die Stelle des zölibatär normierten katholischen Klerikers (mit hochgradiger Neigung zur Realehe, deren Aufgabe dann die tridentinische Reform erzwang) der legal verheiratete Pfarrer mit Familie trat. Der evangelische Klerus konnte sich in immer höherem Grade selbst rekrutieren, was das soziale Spektrum weiter verengte. Neben rechtlicher Verbürgerlichung bildete seine Familie für den Pfarrer eine soziale Wirklichkeit, in der er sich der Lebenswelt der Laien gleichstellte. Dazu kam, daß die durch sakramentale Weihe geschaffene Distanz entfiel, die freilich im Luthertum und in der anglikanischen Kirche erneut durch die Ordination in das Amt geschaffen wurde. Das Amt hob den Geistlichen in seinem Selbstverständnis von allen Getauften ab, um so stärker, je enger kirchliches Amt und Obrigkeit sich stützten und der Bildungsgrad stieg. Die Funktion des Geistlichen für die Gesellschaft, die Leistung religiöser Sinngebung, blieb voll erhalten. Die zu erwartende Verschiebung von amtscharismatischen Qualitäten in Richtung auf persönliches Charisma (wie es sich bei den Täufern realisierte) verhinderte das reformatorische Amtsverständnis. Die Geistlichen ordneten sich in die ständische Welt als Berufsgruppe ein. Diese Tendenz zur Professionalisierung verstärkte sich im 16. Jh. Auch im calvinistisch-niederländischen Raum erhielten sich trotz des Postulats des gleichen geistlichen Amtes nach Einkommen und Funktionen differenzierte Positionen, und ein Stadt-Land-Gefälle bildete sich aus. Kriterien der Auswahl der Geistlichen waren Universitätsausbildung und pastorale Eignung. Im traditionalen Patronagesystem verblieb die anglikanische Geistlichkeit, doch auch hier setzte sich die Eingangsqualifikation auf den Standard der Universitätsausbildung herauf. Entgegen frühreformatorischer Erwartung verschob sich der Ansatz zur Reform der Kirche in den lutherischen Landeskirchen wieder auf die Ebene des Klerus. Die starke Teilnahme der Laien in den ersten Jahren der Reformation hielt sich nicht durch, noch zahlte sie sich aus. Die Lehre vom Priestertum aller Gläubigen veränderte in Luthers Kirche die Stellung der Priester, kaum die der Gläubigen, wenn auch die Laienobrigkeiten, die Landesherren und reichsstädtischen Magistrate, die bischöflichen Leitungsrechte an sich zogen. Das von Luther zunächst der Gemeinde zugesprochene Pfarrwahlrecht wurde den Fürsten übereignet, auch die Patronate beibehalten. Die Parochianen blieben Gegenstand kirchlichen Handelns. Sie erlangten Gleichwertigkeit vor Gott, nicht aber Äquivalenz in der Kirche: Sie hörten die Predigt, wurden in der Katechese unterwiesen, empfingen das Abendmahl nun sub utraque. Predigt und Katechese verschoben im Spek-

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trum des gottesdienstlichen Handelns das Gewicht auf kognitive Prozesse, werteten Gesten und visuelle Teilnahme ab. Nur im Singen der Kirchenlieder handelten die Laien kollektiv, auch hierbei sprachen sie gebunden an vorgegebene Texte. Die Chancen der Laien, am kirchlichen Handeln aktiv teilzunehmen, blieben so beschränkt. Die in der frühreformatorischen Bewegungsphase erfolgreichen Medien, Öffentlichkeit zu agitieren, stumpften bei ihrer Institutionalisierung ab, erwiesen sich bei niedrigem Bildungsgrad zur Dauerreflexion ungeeignet. Predigtgottesdienste entsprachen zwar den Erwartungen gebildeter Laien im Spätmittelalter, überforderten die Laienschaft jedoch weithin. Lehre und ethische Anweisungen in Katechese schufen kaum Zugang zu kollektiven Sozialformen des Alltags. Trotz großer Anstrengungen in Kirche und Schule fielen hergebrachte Verhaltensweisen der Veralltäglichung von Religion (Aberglaube, Magie) nur langsam ab. Weil kirchliches Handeln nicht mehr prinzipiell sakramental war, konnten Lektüre des Wortes Gottes und Katechese in das ->,Haus' einziehen. Sie stärkten dort die patriarchalische Rolle der hausväterlichen Autorität, stießen aber auf mangelnde Aufnahmefähigkeit. Zudem minderte sich die Möglichkeit wirksamer Sozialkontrolle. Die Ohrenbeichte hatte wenigstens die Chance einer periodischen Sozialbilanz einer Gemeinde geboten, ob sie nun effektiv wahrgenommen wurde oder nicht, und der Kleriker konnte das Gemeinschaftsverhalten durch kontrollierbare Bußanweisungen lenken. Nun, auch wenn die Einzelbeichte, wie im Luthertum, erhalten blieb, nahm die effektive Autorität des Geistlichen ab, wenn er nur Trost spenden sollte und nur mit dem Wort strafte. Wirksame Kontrolle kollektiven Verhaltens war dann nur durch Zwang der Obrigkeit zu erreichen. Die in den lutherischen Landeskirchen beklagte Ignoranz und Indifferenz der Laien blieben im reformierten Raum aus, wenn dort die bürgerliche Elite ergriffen und so der Anschluß an das alteuropäische Muster der Verhaltensformierung erreicht wurde, die in Kirchenzucht wirksam praktiziert wurde. Die Laienpartizipation setzte die reformierten Kirchen markant von der lutherischen und anglikanischen Kirche ab. Calvin ordnete die Leitungsämter der Gemeinde formal gleich und sicherte den Laien dauernde Mitwirkung. Der Vorsitz im Ältestengremium hob die Leitung durch den Geistlichen heraus, sie war aber in die Beteiligung von Laien eingebunden und zu Kooperation gezwungen. Trotz der egalitär-brüderlichen Organisationsnorm rekrutierten sich de facto Älteste und Diakone aus den bürgerlichen Eliten, den Notablen und Kaufleuten. Das M a ß gemeindlicher Selbstverwaltung bestimmte sich durch die Intensität obrigkeitlichen Zugriffs: Anders als bei den Hugenotten setzten deutsche reformierte Landeskirchen den Laienaktivitäten Grenzen und dämmten sie zurück: „C'est le régime politique qui explique la différence majeure entre les deux systèmes" (Estèbe/Vogler 365). Im Vergleich der Konfessionskirchen kontrastiert die reformierte Laienpartizipation nicht nur zur katholischen Klerikerkirche, sondern auch zu frühen Erwartungen Luthers, die er auf geistliches Amt, Dauerkatechese und obrigkeitliche Kirchenlenkung resignierte. Im Luthertum blieb der Laienpatronat erhalten, wichtig, um Adlige für die neue Kirche zu gewinnen; doch die vielen Patronatsrechte aus kirchlicher Hand fielen wie die Kirchengüter den Obrigkeiten zu. In England wurden solche Rechte an Laien rückübertragen, die Patronatsherrschaften aufbauen konnten, z.T. zugunsten des puritanischen Dissents. In der römischen Kirche erhielt sich die traditionale Sozialgestalt. Die katholische Reform stärkte ihre hierarchische Ordnung. Die Neugründungen von Orden und Laienbruderschaften differenzierten weiter, mobilisierten kirchliches Handeln in flexiblerem Zugriff auf die Laien. Alle Konfessionskirchen begleiteten weiterhin die rites de passage: Geburt, Hochzeit, Sterben. 3. Soziale Bedingungen

und Wirkungen

der

Konfessionalisierung

Die Sozialgeschichte der Kirche im 16. Jh. kann nicht auf das die Forschung beherrschende Thema „Sozialgeschichte der Reformation" enggeführt bleiben, weil der Konfessionalisierungsprozeß durch das ganze Jahrhundert läuft und seine Wirkungen im folgenden erreicht. Mentalitätsmutationen bauen sich zudem langsam auf. Weil sich aber

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im Vorgang der R e f o r m a t i o n geistige und soziale Energien in bisher einmalig w i r k s a m e r Weise v e r b a n d e n und dies gesellschaftsgeschichtlich langfristige Folgen zeitigte, m u ß sie besonders beachtet w e r d e n . Ü b e r w u n d e n ist eine weitere E n g f ü h r u n g der Diskussion, bei der m a n von einer „Einheitskirche" des Mittelalters und ihren M i ß s t ä n d e n ausging, R e f o r m a t i o n mit der Tat Luthers identifizierte und so eine einheitliche Ursache und einen alleinwirksamen Satz von Leitmotiven fixierte. Konsensual ist die A b k e h r von M o n i s m e n zugunsten komplexer Perspektiven: „ . . . religious a n d secular aspects were m o r e varied and complicated t h a n the neat c o m p a r t i m e n t a l i z a t i o n s ,religious' a n d ,social' i m p l y " (B. Scribner: Social History 4,499); ,,le peuple est resté catholique ou est passé à la R é f o r m e p o u r des raisons plus complexes q u e la simple r é v o l t e " (Le Brun). Die im Vergleich zu früheren religiösen R e f o r m b e w e g u n g e n raschere Entwicklung der R e f o r m a t i o n in Deutschland u n d der Schweiz sowie deren D a u e r w i r k u n g e n im west- und osteuropäischen R a u m , insbesondere im England des 17. Jh., lassen sich nicht allein mit negativen Motiven erklären. Bei diesen steht die D i s t a n z des Laien zum Klerus im Vorderg r u n d , die die Konfliktbereitschaft steigerte. Sie zeigt sich in den verschiedenen F o r m e n des Antiklerikalismus. Der Übergang von Distanz, die d u r c h Willen zur Identifikation und Partizipation ausbalanciert w u r d e , zu Aggression, zur Einstellung materieller Leistungen f ü r die alte Kirche und zum Z u s a m m e n b r u c h des Stiftungseifers ließe sich als Folge eines langfristig angelaufenen Legitimationsschwundes und einer Krise der kirchlichen Autoritäten erklären. Die neue r e f o r m a t o r i s c h e T h e o l o g i e k o n n t e dies zugleich radikalisieren und die selbstkritische R e f o r m d i s k u s s i o n überbieten. Das Orientierungsdefizit schlug in eine Ausrichtung auf das Wort Gottes in der Heiligen Schrift u m und setzte eine Bewegung frei, die weithin, w e n n auch zunächst o h n e klar definierte Absicht, den Boden der alten Kirche verließ. So w a r R e f o r m a t i o n keine bloß soziale Revolution (mit Wohlfeil 83), aber weder o h n e tragende soziale M o t i v i e r u n g , noch p r i m ä r durch Heilsverlangen motiviert. Eine präzise Analyse der E n t w i c k l u n g der öffentlichen Mein u n g m ü ß t e die Schwerpukte d e r manifesten M o t i v e feststellen k ö n n e n . Eine mit diesen Sachverhalten interferierende Ebene w a r die E n t w i c k l u n g der Bildung. In den Eliten stiegen Bildungsniveau und die E r w a r t u n g , Bildung k ö n n e R e f o r m bewirken. Die Alphabetisierung w a r gesamtgesellschaftlich m i n o r i t ä r und wesentlich auf die Städte beschränkt. Aber die D r u c k s c h r i f t e n k o n n t e n die M e i n u n g s f ü h r e r erfassen, die literaten Städter, auch die leicht zu mobilisierenden Studenten und die niederen Kleriker, die Ideen an illiterate S t a d t b e w o h n e r und Bauern weitergeben k o n n t e n . Luther d u r c h stieß die Schranken akademischer lateinischer Publizistik und nutzte wie seine A n h ä n g e r ein differenziertes M e d i e n s p e k t r u m : -»Flugschriften, Bilder, bebilderte Einblattdrucke, Lied und Predigt. D a s diversifizierte Medienprofil schloß auch die mündliche K o m m u n i kation des Alltags f ü r r e f o r m a t o r i s c h e N a c h r i c h t e n auf und agitierte die bisher stark segmentierte Öffentlichkeit so, d a ß sich zeitweise eine überlokale u n d auf die r e f o r m a t o rische Botschaft orientierte Öffentlichkeit herstellte, die die K o m m u n i k a t i o n s k a n ä l e verb a n d . Diese H o c h p h a s e r e f o r m a t o r i s c h e r Öffentlichkeit ü b e r d a u e r t e k a u m das dritte J a h r z e h n t . Langfristig w i r k s a m e r und sozialgeschichtlich bedeutender w a r , d a ß sich Ref o r m a t i o n wie katholische R e f o r m an die Bildungsbewegung anschlössen. Die Konfessionalisierung verstärkte die Institutionalisierung von Bildung, kanonisierte die Inhalte auf religiöse Lehre hin, übte dabei elementare Bildungstechniken ein. Die reformatorische Bewegung k o n n t e auch an Protestbewegungen a n k n ü p f e n , sich deren ritualisierte Bewegungsformen v e r f ü g b a r m a c h e n und so in ein „social m o v e m e n t " (Scribner) überfließen. Dabei w u r d e n die aktuellen Inhalte dieser politisch-sozialen Proteste eingebracht, ebenso wie die G r a v a m i n a R e f o r m a t i o n auf Reichsebene weitertrugen. Die f r ü h r e f o r m a t o r i s c h e Bewegung w a r von Luther angestoßen, lebte aber von Impulsen, die Ideen mit Interessen in verschiedenen Lagerungen v e r b a n d e n . Ihre D e u t u n g bleibt daher kontrovers und ungeklärt, o b sie variierende M o t i v e e n t b a n d (Wohlfeil), lediglich soziale Motive legitimierte oder o b sie eine längst in den F a k t o r e n bereitstehende Konfliktbereitschaft zur Explosion b r a c h t e (Chaunu).

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Rezeption reformatorischer Ideen b e m a ß sich nach dem G r a d der Verflechtung von Personen und Interessen mit der alten Kirche. Für die durch je andersgelagerte soziale M o t i v e und Interessen bestimmten Stände und sozialen Gruppen bezog sich auch christliches Heil auf je anders qualifizierte soziale Wirklichkeiten. Beim Adel im Deutschen Reich bestimmten deutlich standespolitische Interessen sein Verhalten zu Reformation und Konfessionalisierung. Er konnte sich von Luthers Adelsschrift zum Träger der Reform der Kirche ernannt fühlen, obwohl sie eigentlich die Fürsten und Obrigkeiten ansprach. Bleibende Förderung der Reformation durch den Adel folgte daraus nicht, denn er erfaßte bald, daß die lutherische Reformation Landesherren und Magistrate stärkte, den Einfluß der gelehrten bürgerlichen Räte hob und so schon bestehende Bedrohungen erhöhte. Zwingiis antiaristokratischer Affekt, sodann Calvins Presbyter befremdeten ihn. Als nach 1525 der Druck von unten abfiel, konnte der Adel eine Entscheidung aufschieben. Er fand keine einheitliche, klare Standeshaltung für oder gegen die Reformation. Erst die Territorialisierung der Konfessionskirchen aufgrund des Reichsrechts 1555 zwang dem Adel eine Option gegen einen Teil seiner sozialen Interessen auf. Da fürstlicher Hof wie alte Kirche Positionen und Einfluß vermittelten, riskierte der Adel in den protestantischen Territorien den Verlust sorgfältig gehegter Pfründpositionen. Zudem verstärkte sich die Gefahr, daß er in die durch die Landeskirche intensivierte Territorialstaatlichkeit eingefügt wurde. Zugleich drohte der Verlust eines Gegengewichtes, weil der Kaiser altgläubig blieb. Da aber die Patronatsrechte im lutherischen Bereich erhalten blieben, war über Kirchengüter und Stiftspositionen ein Arrangement mit der fürstlichen Landeskirche möglich, das mindestens die soziale Stellung nach unten erhielt. So schloß sich der landsässige Adel, ebenso wie in England, der Reformation an. Im Süden des Reiches wie im stiftischen Westen wirkten altgläubige Landesherren und die in der alten Kirche verbliebenen Positionen für das Verharren im alten Glauben. In den mainfränkischen Hochstiften hielt sich während des 16. Jh. eine Opposition gegen den geistlichen Landesherrn durch, die den Übergang zum Luthertum erleichterte. Ein höheres M a ß an Autonomie gegen den schwächeren Landesherrn gewann der österreichische Adel, der sich auch die Bildungsbewegung zunutze machte. Der Gewinn an Eigenständigkeit ließ sich in der Gegenreformation nicht halten. Die Haltung des Adels in Deutschland zeugt von beharrlicher Kraft ständischer Motive, die auch die Spaltung in Konfessionen aushalten konnten. Das Bürgertum in Deutschland, West-, auch Osteuropa öffnete sich am frühesten, intensivsten und angemessensten den reformatorischen Ideen, die in den Städten die Bewegungszentren fanden. Denn die Bildung war hier fortgeschritten, die Nutzbarkeit kirchlicher Pfründen weniger erheblich, der psychische und materielle Entlastungseffekt der Reformation ebenso greifbar wie die Identität von bürgerlicher und religiöser Gemeinde in der Lokalkirche konkret erfahrbar. Doch auch in den Städten bemaßen sich Zeitpunkt und Intensität der Rezeption nach dem Grad der Verflechtung mit der alten Kirche, der notwendigen Rücksicht auf obrigkeitliche Positionen und bei den Reichsständen auf politische Risiken infolge der kaiserlichen Religionspolitik, sowie schließlich nach der Neigung, auf Konfliktpotentiale, die die reformatorische Bewegung aktualisierte, abwehrend zu reagieren. Die politischen Führungsgruppen mit ihren oligarchischen Tendenzen hielten sich gegenüber dem neuen Glauben zurück, bis sie sich, gestützt durch sekundäre Motive, bürgerlichen Mehrheiten anschlössen. Daß Luther seit 1525 prononciert auf die Autorität der Obrigkeit setzte, erlaubte es, eine Situation zu stabilisieren, die die frühreformatorische Bewegung geschaffen hatte. Handwerker und aufstrebende Honoratiorengruppen hatten mit der religiösen Botschaft zugleich den Impuls zur Kommunalisierung aufgenommen und erhöhten Anteil an der Magistratsherrschaft gefordert. Langfristig jedoch konnten die infolge der Reformation aufsteigenden Gruppen in den Städten ihre Positionen nicht steigern. Die Reformation bewirkte auch hier keine soziale Umschichtung. Wohl aber setzte sie der Bildungsbewegung neue Energien zu, die sozialen Aufstieg beförderte. Die Verschiebung des Schwerpunkts im sozialen Handeln der nun auf die Stadt lokalisierten Kirche ließ sich mit dem Alltagsleben eher in Einklang bringen als auf dem Land. Das städtische Bürgertum blieb der soziale Schwerpunkt zumal in den reformierten Kirchen. Unterbürgerliche Städter schlössen sich dem frühreformatorischen Protest an, sind aber weder dann noch später als Trägergruppe zu identifizieren. Luthers Verdikt, daß die aufständischen Bauern das Evangelium „ins Fleisch zögen", bezeichnet präzise und kraß die in der bäuerlichen Gesellschaft auftretende Tatsache, daß reformatorische Ideen und soziale Wirklichkeit sich genuin amalgamierten. Dabei ist die Rezeptionsgeschichte der Reformation auf dem Land schwer zu erfassen und wenig erforscht. Im Moment der gescheiterten Revolution von 1525 erscheint, was auch Visitatoren befanden: daß die religiös-soziale Welt der Bauern das neue Evangelium, dessen reflektierter, schriftlicher und bürgerlicher Charakter ihnen fremd bleiben mußte, zunächst als Entlastung, als Aufforderung zu Freiheit von Herrschaftsbindungen und als Legitimierung ihres lokalen Gemeindelebens auffaßte. War dieser Impuls frustriert, blieb „Ignoranz" gegenüber abstrakter Lehre und „Indifferenz" gegenüber neuen Lasten materieller und psychi-

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scher N a t u r . Die V i s i t a t i o n s b e f u n d e des 16. J h . ergeben auch d e s h a l b ein weithin negatives Bild, weil sie von N o r m e n a u s g e h e n , die der bäuerlichen Welt l e b e n s f r e m d w a r e n . D a ß die Bauern m a s s e n h a f t an der E r s c h ü t t e r u n g d e r klerikalen A u t o r i t ä t beteiligt w a r e n , bleibt ein Beitrag z u m Erfolg der R e f o r m a t i o n . Die r e f o r m i e r t e Kirche leugnete nie ihren städtischen U r s p r u n g u n d bürgerlichen Kern, w e n n sie auch in landeskirchlicher O r g a n i s a t i o n auf d a s D o r f d r a n g u n d d o r t sich etablierte, z u m a l w e n n sie die Dorfeliten erfassen k o n n t e .

Als Ergebnis der z.T. kontrovers geführten, z.T. mit Forschungslücken belasteten Diskussion läßt sich vorläufig festhalten, d a ß eine Aussage, die Rezeption der reformatorischen Ideen sei quer durch die sozialen Schichten gelaufen, die differenzierte soziale Wirklichkeit ebenso unscharf erfaßt, wie ein Ansatz, die Rezeption bei einer Schicht festzumachen. Schicht- und gruppenspezifische Motive und Interessen waren im Gemenge mit Herrschafts- und Öffentlichkeitsstrukturen f ü r die Rezeption reformatorischer Ideen so wirksam, d a ß im M e d i u m des neuen Evangeliums eine Implosion des gesellschaftlichen Systems drohte. Das M a ß des Einsatzes f ü r das Evangelium war sozial divergent, b e m a ß sich nach Stärke und Schwäche gesellschaftlich und politisch bedingter Rezeptions- und Resistenzfaktoren. Das Evangelium bildete in diesem Prozeß einen eigenständigen Faktor, der divergente Interessen überbrückte und zum Konsens verband, weil er die Spannungen und Divergenzen auf den Konflikt zwischen Kirche und Gesellschaft konzentrierte, die spezifischen Interessen aus ihrer Segmentierung herausführte, gegenläufige Interessen als Konfliktgegner verdichtete und so die Fronten vereinfachend klärte. Das Evangelium gewann Mächtigkeit an den Spannungen sozialer und politischer Wirklichkeit. Die gesellschaftlichen Folgen der Reformation waren darin fundamental, d a ß sie die bisher in Sozialgruppen gegliederte Gesellschaft in zwei sich gegenseitig als häretisch diskriminierende (nicht etwa konkurrierende) Teile zerlegte, sieht man von den T ä u f e r n ab, die durch staatliche M a ß n a h m e n ausgestoßen, von der Gesellschaft nicht absorbiert w u r d e n . Die Konfessionskirchen beanspruchten weiterhin, d a ß ihre religiöse Wahrheit die politische und soziale Welt normiere. D a ß sich die Spaltung der Kirche in Konfessionen nicht in gleichem M a ß in der Gesellschaft fortsetzte, ist den Optionen zuzuschreiben, die die Herrschaftsträger vornahmen. So konnten territoriale und nationale staatliche Einheiten den drohenden Religionskonflikt in der Gesellschaft durch konfessionell abgegrenzte Uniformität neutralisieren. Staat und Wirtschaft erwiesen sich als Potenzen, die konfessionelle Spaltung einzugrenzen oder zu unterlaufen. Am Ende der Konfessionskonflikte w a n d t e n sich die Energien der Konfessionskirchen nach innen. In den der alten Kirche verbliebenen und den ihr restaurierten Gebieten festigte das ->Tridentinum die Klerikerkirche. Die Erneuerung des katholischen Klerus w u r d e generell erst im 17. Jh. voll und allgemeiner wirksam. Die intensivierte Propagation kirchlicher Lehre benutzte charakteristischerweise eine Mischung von althergebrachten und modernen Verfahren: N e u f o r m i e r u n g des Klerus, aber auch Einsatz des Buches und der Katechese, Ordenstätigkeit in Kampagnen innerer Missionierung, die Predigt instrumental benutzten, um die Laien auf die sakramentalen H a n d l u n g e n , Messe und Beichte, zu reorientieren. Im 16. Jh. w a r dies alles erst in Ansätzen vorhanden, weil größere Energien für innere Stabilisierung der Klerikerkirche und territoriale Bereinigung von anderskonfessionellen Einbrüchen aufgewandt werden mußten. 4.

Soziallehren

Während das durch die Beschlüsse des Tridentinums fortgeschriebene kanonische Recht der katholischen Kirche und die Kirchenordnungen der Reformationskirchen das soziale H a n d e l n der Kirche ordneten, sollten die kirchlichen Soziallehren das Handeln in der Gesellschaft selbst normieren. Für die Einrichtung der Lehren in der Gesellschaft standen unterschiedlich wirkende Instrumente zur Verfügung: f ü r die Ehelehren die Ehegerichtsbarkeit und die staatlichen Zucht- und Sittenordnungen, im reformierten R a u m die Konsistorien, flankiert durch ein sich an H a u s wie Individuum wendendes Erbauungs-

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Schrifttum; für die Sozialfürsorge die staatliche und k o m m u n a l e G e s e t z g e b u n g , unterstützt d u r c h Predigt. D i e Berufs- und E i g e n t u m s l e h r e n dagegen k o n n t e n lediglich über Einstellungsänderungen steuern, die d u r c h soziale und wirtschaftliche G e g e b e n h e i t e n konditioniert waren. Die konfessionellen Ehelehren (-»Ehe) weisen Kontinuitäten mit dem Mittelalter, daher interkonfessionelle Gemeinsamkeiten auf, aber auch unterscheidende Wertungen. Luthers aus theologischer Überzeugung begründete Anschauung, Ehe sei göttliche Ordnung, popularisierte die Flugschriftenpolemik gegen den Zölibat. Die Ehe blieb auch in reformatorischem Verständnis an ihre Zwecke gebunden. Luther (wie Zwingli) wertete aber den sozialen Zweck der Ehe (gegenseitige Hilfe) auf und setzte ihn denen der Zeugung, der Erziehung und remedialen Wirkung gleich. Er betonte den Fruchtbarkeitsbefehl uneingeschränkt als von Gott gewollt. Die aus solchem Akzent sich empfehlende Frühheirat trat real nicht ein. Die Kirchenordnungen banden, im Einklang mit dem 4. Gebot und um elterliche Autorität zu stärken, die Eheschließung an die Zustimmung der Eltern, in der Regel bis zum Alter von 18 bis 20 Jahren. Übereinstimmung zwischen den Konfessionen herrschte darin, daß Ehe das die Sexualität ordnende Institut sei. Das Tridentinum nannte erstmals im kanonischen Recht die Liebe in der Ehe (Matrimonii perpetuum, sessio X X I V ) ; der Catechismus Romanus stellte gegenseitige Hilfe und remedialen Zweck gleich. Das Tridentinum schrieb aber die höhere Wertung von Virginität und Zölibat fort. Die Sozialfürsorgeordnungen (-»Armut) werden nicht mehr als der Reformation zuzuschreibende Innovation bewertet. Im Spätmittelalter begannen die Städte, die Almosenverwaltung in die öffentliche Hand zu übernehmen, das Verhalten der Almosenempfänger zu überwachen und ihre Bedürftigkeit festzustellen. Der Humanismus förderte Armenfürsorge in gleicher Richtung. In reformatorischen Kommunen läßt sich ein verstärkter Schub solcher Ordnungen beobachten, da die neue Theologie eine Haltung verwarf, die in den Armen ein Objekt guter Werke sah, um Heil zu gewinnen. Ob in protestantischen Gebieten die Armenfürsorge auf Dauer an mangelnden Spenden litt, wäre zu untersuchen. Daß die Dualität Kirche - Kommune in der Verwaltung der Armenfürsorge zugunsten der Kommunen aufgehoben wurde, ließ dem bürgerlichen Geist in der Armenfürsorge freien Lauf. Bettel wurde aus den Grenzen der Gemeinden verbannt, womöglich die arbeitsfähigen Bettler zur Arbeit herangezogen und verhindert, daß sich Bettel in Familien fortpflanzte. Die Weiterentwicklung der Bettelbekämpfung durch Arbeitshäuser entstand im niederländischen Raum, war aber im Grundsatz mit einem katholischen Ansatz vereinbar. Am deutlichsten läßt sich die Ablenkung sozialer Spannungen auf die alte Kirche in der Eigentumsfrage (-»Eigentum) beobachten. Die Eigennutzung kirchlicher Einkünfte durch Kleriker und Kirche wurde als „Geiz" und „Wucher" in den frühreformatorischen polemischen Kontext eingerückt. Dies und die Monopoldiskussion konzentrierten eine breitere Kritik an Eigentumsmißbrauch und wirtschaftlichem Handeln, das dem gemeinen Nutzen und dem Nahrungsprinzip zuwiderlief, auf Klerus und frühkapitalistischen Handel. Die Zehntfrage nötigte die Reformatoren, zugunsten des privaten Eigentums Stellung zu nehmen. Bei der verbreiteten Entfremdung der einst an kirchliche Zwecke und Armenfürsorge gebundenen Zehnten in weltliche und private Hände lag es an sich nahe, daß die Diskussion auf alle Eigentumsnutzung, die nicht dem -»Gemeinnutz entsprach, übergriff und die Frage in das Spannungsfeld von arm und reich geriet. Im -»Bauernkrieg geriet der Adel in den Bereich des Wucherverdikts. Luther selbst hatte sich gegen den Wucher der Monopolisten eindeutig geäußert, allerdings, ebenso wie Zwingli, einen Angriff auf das Eigentum in Laienhand nicht zugelassen. So stand Eigentum und seine Verteilung, außer in jenen Täufergruppen, die Gütergemeinschaft praktizierten, grundsätzlich nicht zur Disposition. Freilich bedeutete die Übertragung des Kirchenguts in weltliche Hand, an der die reformatorischen Landesherren festhielten, obwohl dadurch die Religionsfrage erheblich belastet wurde, eine gewaltige Eigentumsumschichtung, die in ihren sozialen Konsequenzen in England voll zum Tragen kam, während in den deutschen Territorien das kirchliche Eigentum verstaatlicht und nicht reprivatisiert wurde. Daß die „tote Hand" in den katholischen Gebieten weiterlebte, muß in seinen wirtschaftlichen Auswirkungen überdacht werden: Ein hoher Prozentsatz von Grund und Boden blieb in kirchlichem Obereigentum, ohne Möglichkeit, ihn zu mobilisieren. Die Ambivalenz der mittelalterlichen Bewertung von -»Arbeit tradierte das Luthertum weiter, insofern hat Luther keinen entscheidenden Schritt auf die Moderne zu getan. Arbeit war Sorge und Askese, positiv als Dienst am Nächsten ein Gebot Gottes. Die schon bei Augustin vorfindliche Ranggleichheit aller Arbeit haben die reformatorischen Schriften in zwei polemischen Kontexten betont: gegen den Stand der Mönche und gegen Bettel. Arbeit war an Gottes Gebot gebunden. Menschliche Tätigkeit hatte nichts mit Heilsgewinnung zu tun und konnte letztlich ihren Erfolg nicht aus sich selbst gewinnen. Arbeit und Beruf waren vor Gott gleichwertig, weil letztlich gldch unwert, aber weltliche Verantwortung vor Gott stellte die Stände in höheren oder tieferen Rang: nicht mehr die vita contemplativa galt der vita activa als höherrangig, wohl standen Wortverkündi-

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gung und Regierung unter Gottes Auftrag höher als Handarbeit. Daraus und aus der Bindung der Arbeit an den ->Beruf ergab sich eine sozialkonservative Nutzung der lutherischen Lehre. Sie förderte weder vertikale Mobilität, noch Gewinnstreben oder Arbeit um ihrer selbst willen. Das Ethos der Bemächtigung der Welt durch Arbeit und Technik lag den Reformatoren fern. Doch entwerteten sie die guten Werke, die Heilsgewinnung leisten sollten, zugunsten des Dienstes am Nächsten. Erst als die Motivation zur Arbeit zu sich selbst-motivierender Pflicht säkularisierte und geänderte soziale Kontexte diese Haltung abstützten, geriet das Luthertum, wie der Calvinismus, ins Licht, einem solchen Ethos Vorschub geleistet zu haben. Luthers und Calvins Begriffe von Arbeit und Beruf waren weder bürgerlich im Sinne des 19. Jh. noch im Grundsatz weltzugewandt. Calvins Pathos der Disziplinierung der Gesellschaft war außerweltlich auf die Ehre Gottes orientiert. Die Vorstellung einer Analogie von Gottes Weltschöpfung und menschlicher Arbeit, die sich bei Zwingli findet, blieb im Gesamt reformatorischer Arbeitsethik isoliert. 5. Deutungen

mittlerer

Reichweite

Die Bedeutung von - » R e f o r m a t i o n , - » k a t h o l i s c h e r R e f o r m und Konfessionalisierung in den Bewegungen, die v o m Spätmittelalter auf die moderne Industriegesellschaft zulaufen, in der „ C h r i s t e n t u m " in den privaten Bereich verwiesen wird und rational legitimierte staatliche Ordnung und demokratische Partizipation, technische Bewältigung der Welt und pluralistische Öffentlichkeit ein rein weltliches Gefüge bilden, das bestenfalls als Säkularisat des Christentums verstanden werden kann, wird in zwei über die Grenzen des 16. J h . laufenden Deutungen diskutiert: R e f o r m a t i o n und katholische R e f o r m seien zwei Schübe einer Bewegung der christianisation (Delumeau), oder sie werden in eine theoretische Perspektive gestellt, die die Bewegung der Modernisierung verfolgt. Die beiden Deutungsansätze schließen sich gegenseitig nicht aus. Christianisation, die Durchdringung der Gesellschaft durch genuin christliche Kultur, bewirkte Entmagisierung der veralltäglichten Religion, ermöglichte so eine kognitivem Denken offene M e n t a l i t ä t ; insofern sie Durchsetzung einer Elitenkultur gegen Volkskultur bedeutet, förderte sie R a t i o nalisierung, und da der Prozeß auf methodischer Planung beruhte und kirchliche und staatliche Hierarchien zusammenwirkten, stellte christianisation ein weiteres Signum der M o d e r n e ein: Bürokratisierung. Die Deutungen beziehen sich jedoch auf unterschiedliche Zeiträume: christianisation umfaßt die letzte Periode „Alteuropas", setzt im Spätmittelalter ein und erhält mit Reformation und katholischer Reform die entscheidenden Impulse, die sich erst im 17. Jh. voll durchsetzen. Modernisierung sucht in der frühen Neuzeit diejenigen Elemente, die der modernen Gesellschaft vorliefen oder auf sie vorwiesen, und greift so über das Ende des Ancien Régime hinaus. Die beiden Theorien sehen auch die gesamtgesellschaftliche Struktur, innerhalb derer die Bewegungen abliefen, anders. Christianisation setzt im Bereich von Religion und Kirche einen Leitsektor an, dessen Veränderungen in den anderen Lebensbereichen Wandel stimulierte oder provozierte. Modernisierung geht von einem offenen Modell interdependenter Sektoren aus, wobei offensteht, wieweit das frühneuzeitliche Gewicht kirchlich gebundener Religion die Funktion eines Leitsektors konstitutierte, der aber erst entmächtigt werden mußte, um Modernisierung zu gewährleisten. In den Sektoren können Prozesse parallel oder mit unterschiedlichem Tempo ablaufen. In beiden Deutungen spielt das 16. Jh. die Rolle eines Zeitraums, in dem Impulse gegeben wurden, die sich jedoch erst in den folgenden Jahrhunderten voll verwirklichten und durchsetzten. Beachtet werden muß, daß die jeweiligen Deutungen empirisch durch unterschiedliche regionale Schwerpunkte abgedeckt sind: christianisation anhand wenn auch generalisierbarer französischer Befunde; „Modernisierung" ist an der Entwicklung im Bereich der Vereinigten Niederlande exemplifiziert worden (Schilling) und ist in dem im Industrialisierungsprozeß führenden England deutlicher nachweisbar. Daß die nordwesteuropäischen Untersuchungsfelder sowohl protestantisiert als auch relativ hoch urbanisiert wie kleinräumig sind, ist bei der Bewertung der Ergebnisse zu beachten. Auch die katholische Reform zeitigte modernisierende Wirkungen. Sie erhöhte individuelle Sensibilität, plante methodisch, disziplinierte, nahm an der wissenschaftlichen Theoriebildung teil und stellte mit Rationalisierung und Bürokratisierung zwei zentrale Leitbegriffe der Modernisierung ein (W. Reinhard). Frühere F o r m e n protestantischer Modernisierungstheorie waren die liberale Deutung Luthers als eines Befreiers des Individuums und - gewichtiger und wissenschaftsgeschichtlich heute noch wirksam — die sogenannte „ W e b e r " - T h e s e . Deren empirische

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Auffüllung kann man ebenso einfordern wie die der auf den Protestantismus fokussierten Anschauungen von Ernst Troeltsch. Troeltsch hatte auf die Frage nach dem Verhältnis von Protestantismus und Moderne eine komplexe und differenzierende Antwort entworfen. Luthers von sozio-ökonomischem Wandel unableitbare „Initiative des religiösen Gedankens" setzte die ursprünglichen Ideen der Reformation aus sich heraus, die sowohl eine neue Anwort auf eine mittelalterliche Frage gaben als auch formativ für die sozialen Gestaltungen wurden. Diese ursprünglichen Ideen - Unabhängigkeit des Glaubens von menschlicher Autorität und Erwählungsgedanke, d.h. Abhängigkeit von Gott im Glauben - band der Altprotestantismus an Traditionen, die aus dem Mittelalter weiterwirkten und es so sozialgeschichtlich konservierten: Die Kirche blieb göttlich begründete Heilsanstalt, die bürgerliche Ordnung war ohne Einheit des Glaubens nicht beständig. Die Konsequenz der protestantischen „Gründungsurkunde" - Glaubensreligion, religiöser Individualismus, Gesinnungsethik - wurden erst infolge der unabhängig vom Protestantismus laufenden Bewegungen in Wissenschaft, Philosophie und Staatsdenken freigesetzt. Diese Bewegungen wurden einerseits durch die Ergebnisse der Reformation unmittelbar befördert, besonders durch die Losreißung vom römischen universalen Anspruch, die zur Verselbständigung der Nationen führte, andererseits mittelbar, indem der Dissent gegen die Staatskirchen den reformatorischen charter myth reklamierte. Protestantismus war dem modernen Geist anpassungsfähiger. Troeltsch nahm nicht in Anspruch, eine Modernisierungstheorie formuliert zu haben. Seine synthetisierende Zusammenschau enthielt naturgemäß theoretische Elemente: Der Prozeß vom Mittelalter und der dort ausgestalteten Einheitskultur zur Moderne verlief nicht gradlinig und eindimensional, sondern mehrsträngig und in differenzierter Interdependenz der Potenzen und in Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen. Protestantismus blieb als Übergangserscheinung widersprüchlich in sich. Das Neue der Antwort Luthers kam erst in einem rational-diesseitigen Kontext zu einer un-eigentlichen Geltung, die der Protestantismus doch wesentlich ermöglicht hatte. Die Entwicklungen in der katholischen Welt sind freilich nur negativ beleuchtet, sie kann sich nur durch Katastrophen der Moderne nähern. Dem 16. Jh. kommt in dieser Synthese die Stellung eines Knotenpunkts zu, in dem die mittelalterliche Religion neu belebt und so der moderne Geist angeregt wurde. Ersterem ist zuzuschreiben, daß die ständische Gesellschaftsordnung als die christliche übernommen und eine Gesellschaftsreform von Grund auf nicht gewollt wurde. Letzteres führte zunächst nur zur Beseitigung des Priestertums, des Klosters und des Bettels, positiv zur Auffassung, daß die Familie der zentrale Beruf sei und die weltlichen Berufe mit christlicher Gesinnung beseelt würden. Die weltoffene Gesinnungsethik, die dem Kapitalismus selbst fernstand, bereitete doch durch den Pflichtgedanken einer Haltung den Weg, die Arbeit um der Arbeit willen vollzieht. Die sozialgeschichtlichen Nachwirkungen der Reformation waren nach Troeltsch beschränkt. Der Altprotestantismus hemmte die Entwicklung eher, als er sie förderte. Erst die fern wirkenden Mutationen gliedern sich in den Kontext der Moderne ein. Aus der Genese der Moderne ist die Reformation als Anreger nicht wegzudenken. 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Gesellschaft/Gesellschaft und Christentum VII

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Rublack

Soziologisch/Ethisch/Fundamental-theologisch

1. Die Begriffe ,Gesellschaft' und , C h r i s t e n t u m ' 2. Das Verhältnis von Gesellschaft und Christentum 3 . Christentum und Gesellschaft (Literatur jeweils zu den einzelnen Abschnitten)

1. Die Begriffe Gesellschaft'

und

,Christentum'

W e n n f e s t s t ü n d e , w a s G e s e l l s c h a f t , w a s C h r i s t e n t u m ist, d a n n w ä r e n n u r ihre Bezieh u n g e n G e g e n s t a n d des F o l g e n d e n . J e d o c h zeigt die G e s c h i c h t e der beiden H a u p t b e g r i f fe, d a ß g e r a d e ihre B e z i e h u n g e n ihren G e h a l t wechselseitig b e s t i m m e n . A n der gesells c h a f t l i c h e n B e s t i m m u n g d e s C h r i s t e n t u m s ist a b z u l e s e n , i n w i e w e i t es i n n e r g e s e l l s c h a f t l i c h z u v e r s t e h e n ist o d e r d i e G e s e l l s c h a f t t r a n s z e n d i e r t . A n d e r S t e l l u n g d e r z u r R e l i g i o n kann

sich

zeigen,

Gesellschaft

w a s d i e e i n z e l n e n in d i e G e s e l l s c h a f t u n d d e r e n S t r u k t u r e n

einbindet. 1.1.

D e r B e g r i f f d e r „ G e s e l l s c h a f t " g e w i n n t in e i n e m P r o z e ß k o l l e k t i v e n B e w u ß t w e r -

d e n s sein P r o f i l . U r s p r ü n g l i c h b e d e u t e t e

KOivavia

KOXITIKT]

(societas civilis)

-»Staat,

G e s e l l s c h a f t u n d - » G e m e i n s c h a f t in e i n e m . E r s t a m E n d e d e s 1 8 . u n d a m A n f a n g d e s

14

Gesellschaft/Gesellschaft und Christentum VII

19. Jh. treten Staat und Gesellschaft, dann auch Gesellschaft und Gemeinschaft auseinander. Diese Differenzierung spiegelt einen sozialen Vorgang. W i e überhaupt bei Themen der Gesellschaftswissenschaften, so zeigt sich auch hier, daß mit veränderten Begriffen eine Änderung des „kollektiven L e r n n i v e a u s " (Schluchter) verbunden ist: Gesellschaftliche und ö k o n o m i s c h e Veränderungen gehen nur in systemartiger Rückkoppelung mit dem Gemeinbewußtsein vieler Menschen und mit ihren Einstellungsmustern vor sich. Der Terminus „Gesellschaft" hat ursprünglich weite Geltung (z.B. tierische Gesellschaften); näher bestimmt als Gesellschaft der Bürger (societas civilis) wird er zum Anstoß, den im 20. Jh. geläufigen, geradezu inflatorisch benutzten Gesellschaftsbegriff hervorzubringen. M. Riedel unterscheidet vier Stadien seines Werdens: (1) Die ältere Sprachtradition bezeichnet damit den umfassenden Herrschaftsverband der Bürgergemeinde und deren politisch-öffentliche Verfassung. Gesellschaft ist also mit dem „Staat" synonym (Aristoteles, Pol. 1252a 6f; -»Gemeinschaft). Die politische Gesellschaft setzt sich aus „Häusern" zusammen, sie teilt den Status des Freien bzw. des Unfreien zu und gewährleistet geordnete Herrschaft durch die Freien. Der politische Sinn von Gesellschaft dominiert, da ökonomisches Wissen als zufällig gilt (die Disziplin der Nationalökonomie ist neuzeitlich). Normen für die Herrschaft werden erst später, unter dem kosmopolitischen Einfluß der -»Stoa, zum Thema (Gedanke des Naturrechts). (2) Neuzeitliche Staatstheorien stellen das Verhältnis von höchster Gewalt und gesellschaftlicher Organisationsform mit Hilfe von Vertragskonstruktionen heraus: Vorgesellschaftliche Individuen schließen sich zusammen und delegieren einen Teil ihrer Gewalt an den Staat. Die bürgerliche Gesellschaft bildet im Prinzip einen staatsfreien, politikfreien Raum, in dem bürgerliches Privateigentum (-»Eigentum) und ökonomische Betätigung gewährleistet sind (z.B. bei Locke). Seit dem Aufstreben des Bürgertums werden ökonomische Fragen selbständig behandelt, werden Gesellschaftsordnung und Freiheit auf das Problem des Eigentums ausgerichtet. Die Freiheit wird zum Schlüssel des neuzeitlichen Gesellschaftsverständnisses. Als unveräußerliche, d. h. auf den Staat nicht zu delegierende, ist sie ambivalent: Wird sie auf miteinander konkurrierende Individuen zurückgeführt, birgt sie in sich die Gefahr, die Freiheit des anderen anzugreifen. Seit der Französischen Revolution wird die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft geläufig (Recht, den Bürgervertrag zu ändern und die Regierungsform zu wechseln). Sowohl konservative Reaktion wie Marxismus empfinden die so bestimmte Freiheit als selbstzerstörerisch. Der Marxismus versucht, die Freiheit auf anderem Wege zu verwirklichen, der Konservatismus möchte die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft zumeist rückgängig machen. (3) -*Hegel sucht die substantielle Vernunft in der bürgerlichen Gesellschaft so zu entfalten, daß sie in den Staat der Vernunft einmündet (durch Stufen der Arbeitsteilung, der Bildung des Individuums zur Allgemeinheit, zur Rechtsgesellschaft). Eine wichtige Rolle spielt in diesem Zusammenhang das System der Bedürfnisse, bei dessen Konstruktion Hegel sich auf die frühe bürgerliche Ökonomie beruft. An Hegel kann der die deutsche Staats- und Gesellschaftslehre stark bestimmende L. von Stein anschließen, vor allem aber K. —>Marx. Sein Werk bezeichnet ein neues Stadium der Bestimmung von Gesellschaft. Ihm gilt die bürgerliche Gesellschaft als Assoziation freier Privateigentümer, die durch ihr Handeln in ökonomischer Konkurrenz ihre eigene Freiheit widerlegen. Der Begriff des Bourgeois enthält das negative Urteil über diese Gesellschaft und ihren Staat (als Ausschuß der herrschenden Klasse). Eine neue Gesellschaft soll jedoch die Postulate der Freiheit und der bürgerlichen Gesellschaft - beide überbietend - einlösen. Die proletarische Klasse erkennt die Gesetze der Geschichte von Gesellschaft und führt damit zum Ende der Klassenherrschaft. Der Staat wird endlich in die Gesellschaft zurückfallen. (4) Ein vierter Ansatz, Gesellschaft zu bestimmen, kann im nachbürgerlichen Bezugssystem der bürgerlichen Gesellschaft gefunden werden. Gesellschaft wird in „Immunisierungsstrategien der politischen Parteien des europäischen Klassen- und Bürgerkonflikts in .konservativer' oder ^evolutionärer' Absicht" (Riedel 721) verstanden, ihr Begriff als theoretisches Konstrukt entfaltet. Nun kommt eine Wissenschaftsdisziplin namens Soziologie auf. Gesellschaft kann nicht mehr als Aggregat einzelner, bereits fertiger Individuen verstanden werden. Eine Lehre von der Gesellschaft als Realität sui generis entsteht erst dort, wo sich aufklärerische und konservative Komponenten zu einer neuen Sicht verbinden. Aufklärerisches Fortschrittsdenken sieht die Menschheit auf dem Weg zur Einheit und bindet die Wahrheit (auch wissenschaftlicher Aussagen) an sich realisierende universale, vernünftige Einsichten. Was von allen Menschen gilt, wird fiktiv in ein vorgesellschaftliches Stadium projiziert (Naturzustand; z. B. —»Hobbes). Aus dem alten, in der teleologischen Struktur des Kosmos gründenden Naturrecht wird ein Vernunftrecht (-»Menschenrechte). Dieser Ansatz bedarf der Arbeitshypothese „ G o t t " nicht mehr. Während sich in der aufklärerischen Tradition die Gesellschaft aus partikularen Individuen

Gesellschaft/Gesellschaft und Christentum VII

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zusammensetzt, ist sie in der konservativen ihnen vorgeordnet (im Gefälle einer Autoritätshierarchie, die sich von Gott über den Staat bzw. die Gesellschaft zum einzelnen hin erstrecken kann). Gesellschaftslebre im prägnanten Sinn durchschaut das vorgesellschaftliche Individuum als Konstrukt und schreibt der Gesellschaft eine Realität eigener Art zu (vgl. Comte - ohne den Kirchen die Sorge um das Ganze zuzugestehen - daher: „Katholizismus ohne Glauben" oder „religion civile"). Aus (1) —(4) ergibt sich: Gesellschaft ist nicht nur ein wissenschaftlicher Terminus, etwa die allumfassende soziale Beziehung v o n Menschen, sondern stellt zugleich einen Entwurf dar, mit dem bestimmte Geschichtsauffassungen und Antworten auf die Sinnfrage verbunden sind. In Gesellschaftskonzeptionen äußern sich bestimmte Selbstauslegungen kollektiven menschlichen Lebens (populär als Menschenbilder); die Auffassung von Gesellschaft hängt mit dem einzigartigen Wandel der europäischen Gesellschaft zusammen und gehört in weitestem Sinne zur —•Hermeneutik (die damit allerdings eine entscheidende N e u b e s t i m m u n g erfährt). 1.2. Der Begriff des Christentums ist weniger umfassend entfaltet worden, weil es keine der Soziologie analoge Christentumswissenschaft gibt. Seine theoretischen Implikate fallen deswegen weniger auf. Er gewinnt erst im 17. Jh. eine eigenständige Bedeutung (besonderer Wert der Frömmigkeit gegenüber der Schultheologie). Die Aufklärungstheologie des 18. Jh. stellte die Frage nach dem Wesen des Christentums. Es kann sich als bestimmte Lebensform kritisch gegenüber anderen Formen, christliches Leben zu realisieren (z.B. in der Institution der Kirche), darstellen (Grundzug der Perfektibilität). Da diese Auffassung auch auf ihre moralischen Folgen achtet, hat sie ein Interesse an den sozialen Gestaltungen (innerhalb und außerhalb der verfaßten Kirche). Im 19. Jh. versucht man, das Verhältnis von sittlichem Staat und Kirche zu bestimmen und in beiden das Christentum zu finden (-»Rothe, ->Hundeshagen). Die Geschichte des Begriffs geht mit dem 19. Jh. ihrem Ende zu. Übrig bleibt die kritische Analyse der wechselnden Gehalte und Gestaltungen christlicher Impulse aus Bibel- und Kirchengeschichte. In diesem Sinne soll hier vom Christentum die Rede sein. Es wird anfangs phänomenologisch (im trivialen Sinne) als Beschreibung der sozialen Gestaltung christlicher Lebensformen aufgefaßt. Aber in ihnen werden Ansprüche mittradiert, die sie übersteigen und zur Veränderung drängen. Die verwandelte Auffassung des Gesellschaftlichen fordert den christlichen Glauben heraus, seine Wirkungen in Lebensformen, Interaktionsstrukturen, Institutionen usw. zu befragen. 1.3. D a die Gesellschaft und das Christentum in ihrer Bedeutung streuen, ist ihr Verhältnis auf verschiedenen Ebenen zu erörtern: auf der phänomenologisch-deskriptiven (Integration b z w . Desintegration sozialer Gestaltungen des Christentums in einer als Tatbestand vorauszusetzenden Gesellschaft); auf der ethischen (Verantwortung des Christentums in Individuen, Gruppen, Institutionen für die Bestimmung gesellschaftlichen Lebens); auf der systematisch-theologischen: Hier geht es um die Bedeutung der Ansichten von Gesellschaft für das Selbstverständnis des Christentums (z.B. auch in den mitlaufenden Sinn- und Geschichtstheorien, die erst die Entfaltung von Soziologie ermöglichten). D e s h a l b führt der ethische Ansatz über sich hinaus zu fundamentaltheologischen Grundlagenfragen. Literatur Karl-Wilhelm Dahm/Volker Drehsen/Günter Kehrer, Das Jenseits der Gesellschaft. Religion im Prozeß sozialwiss. Kritik, München 1975. - International Encyclopedia of the Social Sciences, hg. v. David Sills, 17 Bde., New York 1968. - Joachim Matthes, Religion u. Gesellschaft. Einf. in die Religionssoziologie, 2 Bde., Reinbek 1967-69. Zu 1.1.: Theodor W. Adorno, Gesellschaft: EStL 2 1975, 836-842. - Raymond Aron, Dt. Soziologie der Gegenwart, Stuttgart 1953. - Kingsley Davis, Human Society, New York 1949. - Günter Dux, Die Logik der Weltbilder. Sinnstrukturen im Wandel der Gesch., Frankfurt a . M . 1982. - Amitai Etzioni, The Active Society, New York 1968. - Peter Gross, Reflexion, Spontaneität u. Interaktion. Zur Diskussion soziologischer Handlungstheorien, Stuttgart 1972. - Jürgen Habermas, Zur Logik der Sozialwiss., 1967 (PhR. B5). - Ders., Theorie des kommunikativen Handelns, 2 Bde., Frankfurt a. M. 1981. - Heinz Hartmann, Empirische Sozialforschung, München 1970. - A History of Sociological Analysis, hg. v. Tom Bottomore/Robert Nisbet, London 1979 (Lit.). - Thomas Hobbes, The English Works of Thomas Hobbes, hg. v. William Molesworth, 11 Bde., London 1839—45. - Ders., Opera Latina, hg. v. William Molesworth, 5 Bde., London 1839-45. - George Homans, Social Behavior: Its Elementary Forms, New York 1961. - Friedrich Jonas, Gesch. der Soziologie, 4 Bde.,

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Gesellschaft/Gesellschaft und Christentum VII

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und Christentum

- Verschiedene

Ansätze,

ihr

Ver-

Zwar enthält auch die ältere ethische Tradition Verhältnisbestimmungen von Staat und Kirche; als jedoch Gesellschaft und Staat auseinandertraten und soziale Gestalten des Christentums zum selbständigen Thema wurden, hat sich vor allem die historische Theologie darum bemüht und der Ethik Schlußfolgerungen nahegelegt. Wenn diese grundlegenden Fragen heute nicht von der Fundamentaltheologie aufgenommen werden, dann wird eine „ethische Theorie" an ihre Stelle treten. Im folgenden werden wichtige Ansätze, Gesellschaft aufzufassen, zu Typen zusammengefaßt und jeweils mit Folgerungen für die Auffassung von Christentum konfrontiert. Ein Ausblick auf ethische oder auch dogmatische Konsequenzen folgt jedem Ansatz. 2.1.

Gesellschaft

als eigenständige

Realität

2.1.1. D e r Gesellschaftsbegriff der a u f k e i m e n d e n Soziologie des 19. und a n f a n g e n d e n 2 0 . J h . g e h ö r t e zu einer W i s s e n s c h a f t , die sich ihrem G e g e n s t a n d gegenüber als empirisch und in ihrer G r u n d l e g u n g und M e t h o d e als a n t i m e t a p h y s i s c h und rationalistisch verstand. Ihre grundlegende Einsicht w a r , d a ß Gesellschaft kein Aggregat v o n vorgesellschaftlich ausdefinierten Individuen, sondern eine Realität sui generis ist. Comte als Priester eines wissenschaftlichen Z e i t a l t e r s beschreibt die Gesellschaft als „ G r a n d Être"; sie prägt das B e w u ß t s e i n ihrer Glieder und e r m ö g l i c h t m o r a l i s c h e n wie wissenschaftlichen F o r t s c h r i t t . Durkheim, dieser T r a d i t i o n v e r b u n d e n , b e t o n t das nicht zu hintergehende „fait social"; die O r g a n i s a t i o n der G e s e l l s c h a f t geht voran und f o r m t jene kognitive S t r u k t u r , die es M e n s c h e n e r m ö g l i c h t , soziale P h ä n o m e n e w a h r z u n e h m e n . G e r a d e desh a l b n i m m t sich D u r k h e i m des T h e m a s der Religion an; ihr G e h a l t an T r a n s z e n d e n z , von den T h e o l o g e n und M e t a p h y s i k e r n fälschlicherweise a u f ein J e n s e i t s projiziert, e r s c h ö p f t sich im kollektiven B e w u ß t s e i n , in dem sich das „fait social" artikuliert. Seine Einwirkungen auf das Verhalten des einzelnen zeigt Durkheim an sozialen Gründen des Selbstmordes und der Religion des Totemismus; primitive Religionen ließen die soziale Bedeutung der Religion am eindeutigsten empirisch erkennen. Die empirische Orientierung ist ihm nicht als Oberflächlichkeit zuzurechnen; im Gegenteil, er versucht, -»Kants Antworten auf die Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit unserer Erkenntnis neu zu strukturieren: Die Grundlagen unserer Erkenntnis sind sozial bedingt; die Grundlagen unserer Moralität liegen nicht im Vernunft-Ich, sondern in Institutionen; sie sollen neu gestaltet werden und die Gesellschaft vor moralischer Anarchie oder kirchlich-autoritärer Steuerung bewahren. Der moralische Impuls findet sich auch in den Anfängen der nordamerikanischen Soziologie. Ihre Vertreter waren oft aus dem Pfarrerstand in die neue Disziplin übergewechselt, vielleicht weil sie den alten Glauben verloren oder ihn in die Hoffnung auf moralische Erneuerung und Fortschritt übersetzten. Bei ihnen ist der empirisch-klassifikatorische Anspruch stärker. Z. B. versucht Sumner, das Verhalten der Menschen und dessen Grundlagen auf verschiedenen Stufen festzustellen: Folkways, Sitten, Gewohnheits- und kodifiziertem Recht. Gerade im alltäglichen, so selten von der Ethik wahrgenommenen Verhalten sind die Menschen sozial festgelegt. Die bekannte Chicago-School hat

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diesen Ansatz erweitert; am bekanntesten geworden ist das sogenannte Thomas-Theorem: Wenn die Menschen Situationen als real definieren, so sind auch ihre Folgen real. Diese empirische und zugleich rationale Sicht der Gesellschaft eröffnet neue Ausblicke auf Religion (als ein die Gesellschaft zusammenhaltendes Kollektivbewußtsein) und Ethos der Menschen. Es befolgt keineswegs nur bewußte Normen, die eine Autorität ausspricht und für die man sich entscheidet; sondern der größte Teil menschlichen Verhaltens ist ohne bewußte Distanz zu den Vorgaben und bereits im vorhinein kollektiv bestimmt. 2.1.2. Was folgt aus der Eigenständigkeit des Sozialen f ü r das Verständnis des Christentums? D a sich rationalistische Ansätze leichter „ p r i m i t i v e n " Religionen zuwandten, soll diese Frage exemplarisch an die aus anderer Tradition erwachsenen „Soziallehren der christlichen Kirchen und G r u p p e n " von E. -* Troeltsch gestellt werden. Z w a r w a r vor ihm schon ein bestimmtes Wissen von sozialen Bedingungen des Christentums vorhanden, aber ein zureichender Begriff vom Sozialen w a r bislang k a u m benutzt worden. Als Nathusius das Christentum als Prinzip des sozialen Lebens allen anderen Formen der Vergesellschaftung gegenüberstellte, sah sich Troeltsch zu dieser A n t w o r t genötigt. Sein (nicht naturwissenschaftlich gemeinter) Gesellschaftsbegriff ist der eines Ganzen, das wissenschaftlich nicht zu überblicken ist. Einzelne Formen des Sozialen (als Ausschnitt des unerschöpflichen gesellschaftlichen Gesamtlebens) lassen sich wissenschaftlich studieren. So ist es auch möglich, die aus religiösen Z w e c k e n hervorgehenden Formen von Vergesellschaftung mit anderen Formen zu vergleichen, die aus innerweltlichen Z w e c k e n hervorgehen. Troeltschs Ansatz ist in gewisser Weise revolutionär. Seine liberal-theologischen Lehrer hatten die absolute Wahrheit des Christentums in der verinnerlichten Sittlichkeit und Religiosität einzelner Glaubender, angestoßen von Jesu Persönlichkeit, finden wollen. Troeltsch weist in seinen Soziallehren nach, wie starken Umformungen sich der (angebliche) Geist Jesu (wie er von der religionsgeschichtlichen Schule dargestellt wurde) unterwerfen mußte. Das Christentum ging mannigfache Kompromisse ein, die ihrerseits Bewegungen der Selbstreinigung hervorriefen. Das will er mit dem T h e m a des Naturrechts und der Typologie von Kirche, Sekte und mystischer Bewegung beweisen. Das - » N a t u r r e c h t gehört zu den besonderen Ausgestaltungen der „christlichen I d e e " , mit der die Christenheit ihren universalen Anspruch begründen wollte. Absolute Gleichheit aller Menschen, Freiheit v o m Eigentum und unbedingte Z u w e n d u n g zueinander (als absolutes Naturrecht) waren nur im Urständ möglich, während das relative Naturrecht nur ein wenig in diese Richtung gehen kann, weil es unter den jeweiligen gesellschaftlichen Bedingungen den geeigneten Weg finden muß (von Aristoteles beeinflußte Sozialphilosophie im Mittelalter, die das Corpus christianum sich im R a h m e n von Z w e c k s t u f e n auf das Übernatürliche hin entfalten läßt; säkularisierte Reste dieses Gedankens im individualistischen Naturrecht des Liberalismus der Neuzeit oder im patriarchalisch-positivistischen Verständnis von Gesellschaftshierarchie und der Souveränitätslehre des Absolutismus). Troeltsch beschreibt die - » K i r c h e als konservative Anstalt, die Welt bejahend, vom relativen Naturrecht beeinflußt und die Massen beherrschend. Die Erlösung gilt als abgeschlossen und wird durch Priester und Sakramente weitervermittelt. J e mehr die Christenheit auf die Perspektive eschatologischer Vollendung verzichtet, desto mehr möchte sie den objektiv-anstaltlichen Besitz sichern. Da jedoch der Gegensatz zu dem von Troeltsch als personal, gesinnungsgebunden und weitabgewandt beschriebenen Evangelium selbst zu groß ist, entfaltet sich der Widerstand immer wieder in ->Sekten. Sie sind verhältnismäßig klein, erstreben persönlich-unmittelbare Verknüpfung mit dem Glaubensgegenstand und verhalten sich in aller Regel gegenüber Gesellschaft und Staat indifferent bis feindlich. Ihre Gesellschaftsethik schreckt vor Besitz, M a c h t , Recht und Eid zurück; sie betont das Ethos der Bergpredigt und die H o f f nung auf das Gottesreich. Bei dieser Konfrontation darf nicht übersehen werden, daß Troeltschs Sympathie bei den mystischen Bewegungen ( - » M y s t i k ) ist. In ihnen läßt sich nach dem Verfall der objektiven Seite der Religion ein radikaler religiöser Individualismus finden, der keine organisierte Gemeinschaft hervorbringt, auf „ G e s e t z C h r i s t i " und

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Naturrecht weitgehend verzichten kann und sich an das persönliche Beispiel Jesu Christi hält. In seiner protestantischen Form mündet er in die spontan handelnde Liebe und die Selbstmitteilung an die Brüder ein; dazu erstrebt er eine universale -»• Toleranz, wie sie weder Kirche noch Sekte hervorbringen konnten. Von den mystischen Bewegungen der Reformation geht Troeltsch zu Schleiermacher und zur neuzeitlichen Situation weiter. Denn Troeltsch behauptet, daß die mystische Verinnerlichung der christlichen Ideen in der neueren Religionsphilosophie zur Wirkung gekommen ist. Für die gebildeten protestantischen Christen sei die spiritualistische Mystik die einzige Brücke vom naturwissenschaftlichen Denken zur Religion. Und diese neue Religion könne sich dem naturalistischen Monismus und sogar brahmanistischen und buddhistischen Ideen öffnen. Die anstaltliche Kirche des 20. Jh. könne sich nur bewahren, wenn sie sich mit den Weltanschauungsinstinkten großer Völkergruppen verbinde. Ein Relativismus droht auch hier, wie im Werke Max Webers (s.u.). Religiöses Denken und Fühlen lassen sich jedoch im letzten nicht aus einem ökonomischen Prozeß ableiten, jedes Moment historischer Erfahrung ist - Rationalismus und Empirismus übersteigend (vgl. 2.1.1) - eine unwiederholbare Synthese der Idee mit der historisch-sozialen Wirklichkeit und auf diese Weise unmittelbar zu Gott. Aber weil diese Erkenntnis vor allem Intellektuellen offensteht, bleibt die Frage, was die Massen bewegt. Werden sie Opfer der Weltanschauungen (oder überrumpeln diese sogar die sich selbst täuschenden Intellektuellen)? 2.1.3. Der Begriff der Gesellschaft als eigenständiger Wirklichkeit enthält zugleich Entwürfe vom Ganzen dieser Wirklichkeit. In religiöser Erkenntnis und im Gefühl der Menschen soll dieses Ganze als eine Art Religion wirken - die Religion des säkularen Menschen, dem ein Sinn- und Moralsystem plausibel werden muß (civil religion, religion civile). Aber kann für den, der die Funktionen der civil religion herausstellt, dieses Ganze auch verbindlich sein? Die empirische Soziologie steht (wie alle empirischen Wissenschaften) vor der Spaltung von „is" und „ought" (Deskription und sittlicher Verpflichtung). Deswegen wird sie dort, wo der Zusammenhang des Gesellschaftlichen den Fortgang nicht mehr garantiert, zur Entscheidung aufrufen (Dezisionismus). Troeltsch hat in einer späteren Phase seines Wirkens zwar kein Absolutum, aber ein relatives, über alle anderen hinaus fortgeschrittenes Ziel in der europäischen Kulturentwicklung gefunden. Ob sich das Christentum der Funktion, fortgeschrittenste civil religion zu sein, fügen will? Anders als in der religionskritischen -»dialektischen Theologie findet sich heute vielfach Bereitschaft, auf dieses Angebot einzugehen. 2.2. Konstruktion

der Gesellschaft

aus dem Problem

der

Handlung

Weil die unter 2.1 vorgestellten Soziologien E n t w ü r f e vom Ganzen mittradieren, stellt sich eine erkenntnistheoretische Frage: W i e k o m m e n Wissenschaftler zu dieser Erkenntnis; ist sie nicht ihrerseits sozial bedingt? D a s ganze G e w i c h t dieser Frage fällt im Z u g e der Entfaltung der Soziologie zunächst noch nicht auf sie selbst zurück, weil ihre Vertreter versuchen, die Gesellschaft aus Elementen zu rekonstruieren, aus Handlungen oder Handlungsträgern, die jedoch nicht vorsozial wie in Vertragstheorien, sondern nur aus sozialem Z u s a m m e n h a n g zu verstehen sind. Als Beispiel sei M a x Webers Soziologie angeführt.

2.2.1. M. Webers Denken, systematisch in der posthumen Edition von Wirtschaft und Gesellschaft zu finden, entfaltet drei fundamentale Aspekte: Die Rationalität des sozialen Handelns, die Rolle des Verstehens (gegenüber dem Erklären) und den Idealtypus. Sozialwissenschaft (als Wirklichkeitswissenschaft) hat das menschliche Handeln zum Gegenstand. Um es zu erklären, muß man es verstehen, d. h. nicht nur wie bei der empirischen Beobachtung auf eine äußere Ursache und einen allgemeinen Gesetzeszusammenhang zurückführen, sondern die zweckhafte Absicht seines Subjekts angeben (die behavioristischen Wissenschaften streichen dieses Moment als Spekulation aus). Ebenso sollen Gewohnheiten, Institutionen und historische soziale Erscheinungen von ihrem Zweck her erfaßt werden. Denn vom Zweck her lassen sich soziale Erscheinungen vernünftig

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deuten, obwohl sie historisch (und deshalb nicht nach naturwissenschaftlichen Maßstäben zu verallgemeinern) sind. Sie müssen sich subjektiv - nach Meinung der Handelnden - und objektiv - in der sozial definierten Realität - zum vorgesetzten Zweck eignen. Weber vertrat einen kausalen Pluralismus und wollte durch den Zweckgedanken eine Art kausaler Zurechnung sozialer Phänomene herstellen (Zweckrationalität). Handlungen lassen sich allerdings auch aus traditionellen Motiven herleiten; oder sie unterliegen einer Wertrationalität. Handlungen fungieren nicht nur in ausdefinierten Zweckzusammenhängen, sie verändern auch die soziale Realität. Im Blick darauf müssen die Intentionen der Handelnden von Wertideen geleitet sein, die zur Erklärung alter und neuer Zwecksetzungen dienen. Unter diesem Gesichtspunkt ist Handeln wertrational. Fällt die vom Soziologen vorausgesetzte Rationalität des Zweckhandelns auch unter die Wertrationalität? Eigentlich ist das nicht der Fall, denn die Zweckrationalität (vor allem der abendländischen Neuzeit) kann keine neuen Werte hervorbringen, sie zieht Werte höchstens begründend heran. Wenn die Menschen jedoch neue Zwecke konzipieren, können sie ihnen alle geeigneten Mittel unterwerfen; aber einen letzten objektiven und rationalen Grundsatz für die Wahl der Zwecke gibt es nicht; ein jeder wählt sich selbst seine Götter. Die bekannte Gegenüberstellung von Gesinnungsethik und Verantwortungsethik gehört in diesen Zusammenhang hinein. Gesinnungsethik wollte Weber dem Evangelium in seiner Radikalität zuschreiben; sie frage nicht nach den Folgen der Handlung. Deshalb lebe sie ganz aus der Wertbeziehung (dem Wert des Handelns selbst ohne Rücksicht auf seine Konsequenzen). Die Verantwortungsethik denke voraus und wäge Zweck und Folgen ab. Der Politiker sei Verantwortungsethiker. Zu selten jedoch wurde beachtet, daß Weber für den Politiker auch Ideen als notwendig erachtetc; ohne letzte Wertsetzungen könne ein Politiker nicht zweckrational entscheiden. Webers Postulat wissenschaftlicher Wertfreiheit entzieht zwar den Werten die objektiv-wissenschaftliche Kulturbedeutung, aber sie sieht in ihnen Bezugspunkte für menschliche Wahlakte.

Webers Entwurf versteht sich als Kulturwissenschaft: Idealtypen respektieren die individuellen Erscheinungen sozialen Lebens, aber rekonstruieren in ihnen die oben aufgewiesene Rationalität. Sie sind genetische, nicht klassifikatorische Begriffe; sie konstituieren den Gegenstand der Soziologie. Gesellschaft als ganze ist ein Zusammenhang sozialer Handlungsermöglichungen (der Interessen, Werte und Zwecke umschließt). Idealtypisch zeigt Weber, wie verschieden motivierte Handlungen miteinander vermittelt werden, etwa durch die sozialen Beziehungen in Brauch, Sitte und Interessenlage und durch juristische Institutionen, denen es um Ordnung und Legitimität geht. Tradition, Charisma (von Führergestalten) und wertrationale Einstellungsmuster münden schließlich in positive Satzungen ein, die soziale Beziehungen regulieren. Eine Vielzahl sozialer Beziehungen bündelt sich in Formen der Vergemeinschaftung (—»Gemeinschaft) (subjektiv gefühlte, durch Affekte geleitete oder von Traditionen bestimmte Zusammengehörigkeit der Beteiligten) und Vergesellschaftung (zweck- oder wertrational motivierte Interessenlagen und deren Ausgleich). Ihre Erscheinungsformen untersucht Weber anhand der Haus-, Nachbarschafts-, Wehr- und Wirtschaftsgemeinschaften, der ethnischen Gemeinschaftstypen, der Religionen, Rechtsgemeinschaften und Herrschaftstypen. Erst die moderne Gesellschaft läßt Zweckrationalität umfassend dominieren und bringt durch den Rationalismus der abendländischen Kultur das einzigartige Phänomen des kapitalistischen Wirtschaftens hervor. Webers Schüler T. Parsons rekonstruiert diesen Ansatz funktionalistisch (Weiteres s.u.). Der Handelnde ist bereits Produkt vieler sozialer Situationen. Gesellschaft ist für ihn nicht mehr eine hochkomplexe Verkettung individueller Ereignisse, die an Idealtypen zu erkennen ist, sondern besteht in einem strukturierten Zusammenhang, dessen Elemente nicht in einem kausalen, sondern in einem funktionalen Verhältnis zueinander stehen. Andere Konstruktionen der Gesellschaft greifen auf die Tauschtheorie zurück. Allerdings sind diese Entwürfe oft nur auf bestimmte soziale Konstellationen (z.B. Gruppen) beschränkt. Sie legen manchmal sozial Handelnde auf „Outputs" fest (z.B. Informationen, Gewährenlassen, Verweigerung gegenseitiger Unterstützung und Belohnungen, die soziale Beziehungen verstärken oder schwä-

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chen). Selbst der Konflikt kann als eine Art sozialer Beziehungen wahrgenommen werden. Eine extreme Form der Tauschtheorie ist der Behaviorismus, dessen Vertreter die Innenwelt für obskur halten. Ein Gegengewicht stellt der Interaktionismus dar, der voluntaristisch denkt und deswegen (wie Weber) Absichten einzelner Handelnden zugrunde legen muß. Er geht nicht von einem fertigen Ich aus, sondern von der Beziehung zwischen Ego et Alter (dem „inter-agere"). Am bekanntesten geworden ist G. H. Meads Unterscheidung vom „ I " als dem organischen Substrat der Bedürfnisse und dem „ M e " als dem sozial geformten Ich, das sich an den Reaktionen des signifikanten (persönlich wichtigen) und des generalisierten (des typischen) anderen kristallisiert.

2.2.2. Ein starkes Echo der zweckorientierten Gesellschaftssicht findet sich in der -»Religionssoziologie. Nach Weber entstehen Religionen (erfaßt als Typen religiöser Vergemeinschaftung) zunächst aus religiös-magischen Zwecksetzungen (vgl. Comte, der schon die erste, die magische Phase der Menschheit mit dem säkularisierten Zeitalter der Wissenschaft vergleichen konnte). Komplexere Religionen entwerfen Reiche übernatürlicher Mächte, die zu bestimmten Bedürfnissen und Interessen der Vergemeinschaftung und Vergesellschaftung in Beziehung stehen (z. B. Götter, die der Legitimation des Status bestimmter Gruppen oder ganzer politischer Gebilde dienen). Sonderformen der Vergemeinschaftung, Gemeinden im strengeren Sinn, leiten sich vom Charisma eines Propheten her. Gefühlslagen und kognitive Gehalte der Religionen entsprechen Klassenlagen und Ständen. Wer gut davongekommen ist, will sein Glück (religiös) rechtfertigen; die anderen versuchen, ihr Unglück zu rationalisieren und es durch erwartete Erlösung (—>Heil und Erlösung) zu kompensieren (Erlösungsreligionen). Wer seine Erlösung sucht, kann zum religiösen Virtuosen (als besonderes Werkzeug Gottes) und zum Asketen (-»Askese) werden, der die Welt flieht oder der inmitten der Welt asketisch lebt, weil er sich seiner Erlösung vergewissern will - mit den Folgen, daß er Kapital akkumuliert und damit unfreiwillig Wegbereiter moderner Produktionsstrukturen wird. Diese bekannte Protestantismusthese (inzwischen historisch teils bestritten, teils erheblich modifiziert) wollte den nicht beabsichtigten Anstoß puritanischer innerweltlicher Askese zum -•Kapitalismus herausstellen; sie hat vor allem auf die amerikanische Religionssoziologie gewirkt. Unterschiedlich orientieren sich die Kirchen: In den Großkirchen findet Weber das Ethos eines Kompromisses, in den kleinen Gruppen oft eine akosmistische (der Welt absagende) Einstellung der Brüderlichkeit, die als Extremfall in Gewalt gegen Andersdenkende umschlagen kann (vgl. Troeltsch 2.1.2). Demgegenüber ist die funktionalistisch beeinflußte Religionsanalyse fast trivial, oft auf die Bedürfnisse von Befragten oder von Auftraggebern reduziert. Während Weber noch agnostisch den Kampf der G ö t t j r in dem Ringen um die Werte im 20. Jahrhundert konstatierte, versteht Parsons die Christenheit als systemintegratives Element.

2.2.3. Ethische und theologische Fragestellungen liegen auf der Hand: Die Ethik wird zunächst fragen, welchen Beitrag sie zu den Menschheitsfragen überhaupt erbringen kann, wenn das Ethos des Christentums (und seine Reflexion in der Ethik) standes- oder klassenbedingt ist und dessen weltverändernde Wirkung oft gar nicht seiner Absicht entspricht. Läßt sich in der historisch-sozialen Vielfalt überhaupt etwas Universales finden? Wird nicht z.B. ökumenische Ethik nur den Kampf einer partikularen Gruppe um Menschheitsgeltung repräsentieren? Der abendländische Anspruch, universal akzeptable Menschenrechte vorzuschlagen, könnte im Relativismus der Werte untergehen. Soziale Bedingungen für ein universalistisches Ethos scheinen nicht gegeben zu sein. Dürfen Europäer denn die zum Kapitalismus verdichtete Form des abendländischen Rationalismus exportieren, so daß er zum Weltgeschick wird? Ebenso schwer wiegen fundamentaltheologische Fragen. Da Weber die Theodizee (->Theodizeeproblem) als Herz der Religionen bestimmt (und behauptet, daß die Gläubigen im religiösen Vollzug eine Rechtfertigung für ihr Glück oder nach Erlösung suchten), sieht sich die Dogmatik, mit ihr die Fundamentaltheologie, vor das Problem gestellt, ob die Theologie den Christen einen in diesem Sinne rationalen Entwurf anbieten kann. Eine ernstgenommene Kreuzestheologie ebnet die Spannung von Sinnlosigkeit des Kreu-

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zes (aus menschlicher Perspektive) und durch Gott gestiftetem Sinn in der Auferstehung nicht ein. Die neuerliche Faszination indischer religiöser Anschauungen, etwa der Wiedergeburtslehre, gewinnt demgegenüber eine Erklärung: Die rationale Zurechnung des Glücks (im Blick auf ein früheres Leben) spricht wohl den Rationalismus des abendländischen Menschen an und antwortet auf seine Frage, w a r u m dieses Leben so und nicht anders sei. Der christlichen Theologie hingegen ist Widerstand gegen solche rationalen Konstruktionen des Weltganzen und gegen den Selbstbezug der Vernunft im Fortschrittsgedanken aufgegeben. Angesichts dessen wird ernsthafte Theologie fragen: Soll die -+Eschatologie Sinnfülle schon jetzt präsentieren oder steht sie im Schatten der Verborgenheit Gottes am Kreuz? Soll die Rechtfertigungslehre (-»Rechtfertigung) Gottes rechtfertigendes Handeln allein auf d a s Individuum ausgerichtet sehen oder hat es Bedeutung für die gesamte Welt Gottes, die sozialen Strukturen des Lebens einschließend? Kann die Sinngebung des christlichen Glaubens im sozialen Z u s a m m e n h a n g nach dem Muster der Legitimation der Religionen geschehen? Ist christliche Ethik legitimationsverstärkend oder legitimationskritisch? Ein markantes Beispiel, R o m 13,1-7, w u r d e durch viele Jahrhunderte zur religiösen Absicherung bestehender politischer Instanzen gelesen. Erst neuere Exegese zeigt, daß mit ihr der Anspruch des Gottes Israels gegenüber den sonst Legitimation gewährenden Lokalgottheiten zum Ausdruck k o m m t .

D a n n stellt sich der Kirche eine Entscheidungsfrage: Will sie dem Angebot der Religionssoziologie folgen und sich selbst als die besondere christliche Ausformung von Religion oder religiöser Idee verstehen, oder will sie - anders als Troeltsch und Weber - nicht die Umsetzung der religiösen „ I d e e " in das soziale Leben zum Ziel haben, sondern kritische Auseinandersetzung mit dem Bestehenden? Glaube und Religion zu unterscheiden, wie es die dialektische Theologie exzessiv tat, bekäme einen neuen Sinn. 2.3. Gesellschaftsentwürfe

mit Hilfe des

Systemgedankens

Wissenschaften verändern sich durch zentrale Fragestellungen. D a s gilt auch für die Gesellschaftswissenschaften mit ihren Fragen: Was ist der Sinn, der d a s G a n z e einer Gesellschaft zusammenhält (vgl. die Tradition C o m t e s und Dürkheims)? Wohin zielt die Perspektive einer handlungstheoretischen Rekonstruktion von Gesellschaft, welcher Wert gilt nach der Wertrelativierung, etwa d a s M a ß abendländischer Rationalität? Läßt sich Gesellschaft erklären oder nur durch Zweckbeziehungen verstehen? D a r a u f erfolgten neue Antworten; z.B. auf die dritte Frage, daß statt einliniger Ursache-Wirkung-Beziehungen ein funktionaler G e s a m t z u s a m m e n h a n g anzunehmen sei. Die zweite wurde insofern aufgegriffen, als die Wertproblematik in die Beschreibung der Gesellschaft integriert wurde. (Eine sittliche Verpflichtung läßt sich allerdings d a r a u s nicht herleiten; Gesellschaftsmodelle können deshalb nur analytisch verstanden werden.) Die erste Frage nötigt, noch einmal Z u s a m m e n hang und Z u s a m m e n h a l t von Gesellschaften zur Debatte zu stellen.

2.3.1. Ein Anstoß, den gesellschaftlichen Z u s a m m e n h a n g aus sich heraus zu rekonstruieren, kam aus der ethnologischen Forschung: Dürfen fremde Kulturen auf der M a trix abendländischer Entwürfe betrachtet werden? Malinowski und Radcliffe-Brown regten die strukturfunktionale Theorie an: Jegliche Kultur sei in ihrem eigenen Zusammenhang zu betrachten und nicht moralisch aus fremder Sicht zu werten. Ein „ S y s t e m " ist zunächst ein mehr oder minder geordneter Z u s a m m e n h a n g von (gesellschaftlichen) Funktionen. In seinem Z u s a m m e n h a n g werden die Handlungen der Menschen nun nicht mehr zweckrational, sondern funktional verstanden. Im Entwurf von T. Parsons greifen drei Systeme ineinander: das personale, das kulturelle, das soziale. D a s personale System erlaubt, das Hobbesianische Problem der Ordnung erneut aufzunehmen: Aus analytischen Beweggründen setzt Parsons ein vorsoziales Individuum an. Es hat einen Organismus mit physikalisch-biologisch bedingten Bedürfnissen; sie müssen sowohl befriedigt wie auch sozial geordnet werden. D a s Verlangen nach Befriedigung hängt mit Interessenlagen, mit Interpretationen, mit L o b und Tadel und eigenen Bewertungen zusammen. Deswegen tritt die Fiktion eines vorsozialen Individiums vor den sozialen Bedingungen der Bedürfnisbefriedigung zurück. D a s Individuum (als personales System) ist (unmittelbar oder vermittelt durch Werte und Orientierungsmuster) auf andere ausgerichtet (Er-

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Wartungen). Das kulturelle System enthält symbolische Elemente der kulturellen Tradition, in denen sich Werte, Glaubensvorstellungen und Ideologien so auskristallisieren, daß sie Sprache und Wissen durchziehen. Sie werden in Sozialisationsprozessen (Rollenübernahme) internalisiert. Der mögliche Spielraum des Rollenspiels wird mit Hilfe der „pattern variables" beschrieben: Handlungen können affektiv geladen oder neutral sein, sich auf sich selbst beziehen oder kollektiv ausrichten, im Rahmen partikularistischer oder universalistischer Orientierung erfolgen, vorgegebene Muster nachvollziehen oder eigenständige Leistungen herausstellen oder sich auf eine (funktional) spezifizierte bzw. auf eine diffuse Situation erstrecken. Diese Alternativen hängen von der Handlungssituation ab; sie muß im Zusammenhang des sozialen Systems beschrieben werden. Zwischen den drei Systemen vermittelt die Rolle. Sie enthält kulturelle Wertungen, denen individuelles Verhalten entsprechen soll; sie gehört zugleich in die Strukturen des Sozialen hinein, das die jeweilige Situation für Rollen bestimmt - seien das Familienkonstellationen oder ökonomische, bürokratische, politische „Subsysteme". Trotzdem bleibt die Frage, was Einheit und Synchronismus der Systeme verbürgt. T. Parsons' Ansatz ist ein Dokument des Strukturfunktionalismus, weil Strukturen bereits feststehen, wenn von Funktionen die Rede ist. Anders steht es mit dem Entwurf N. Luhmanns, der seine Theorieproduktion mit einer Kritik dieses Ansatzes begann; sein Äquivalenzfunktionalismus hebt damit an, daß Funktionen in ihrem Zusammenspiel erst Systeme ermöglichen. Funktionen haben Vorrang. Systeme leisten Reduktion und Steigerung von Komplexität (des Funktionenzusammenhangs) zugleich - Reduktion, indem aus der unendlichen Fülle der Möglichkeiten des Zusammenspiels nur bestimmte realisiert werden; Steigerung, indem ein System aufgrund der so gewonnenen Sicherheit lernfähig wird und komplexere Möglichkeiten verarbeiten kann. Luhmann betont, daß seine Theorie des sozialen Systems dem alteuropäischen, von Aristoteles ererbten Gedanken der Koivmvia noXiTiKi) den Abschied gebe. Die alteuropäische Gesellschaftsphilosophie suchte Pax und Iustitia unter den Bedingungen politischer Kontingenz (das Politische kann anders sein, als es ist); die moderne Systemtheorie des Sozialen überbietet diesen Ansatz durch soziologische Kontingenz. (Das Gegebene, z. B. die von Aristoteles als tragend angenommene Größe des —»Hauses ist unter Berücksichtigung anderer Möglichkeiten des Zusammenlebens zu betrachten.) Luhmann greift Ashby's Systembegriff auf; ein System stabilisiert sich nach innen, indem es sich durch unterschiedliche Komplexität von außen, der Umwelt, ausgrenzt. Im Beziehungsgefüge innerhalb des sozialen Systems in Abgrenzung von der Umwelt erkennt Luhmann „Sinn"; er führt dabei Max Webers Sinnkategorie und T. Parsons' subjektiv gemeinten Sinn über sich hinaus und funktionalisiert ihn grundsätzlich: Gesellschaft ist dasjenige umfassende Sozialsystem, das letzte, grundlegende Reduktionen institutionalisiert. Denn die Strukturen gesellschaftlichen Zusammenlebens erwachsen aus dem Bedürfnis, nicht alle Möglichkeiten der sozialen Welt wahrzunehmen, sondern nur bestimmte zu verwirklichen. Aber wer leistet diese Reduktion, wer stellt dieses Sinnmuster her? Es kann kein Subjekt im alteuropäischen Denkstil sein. Zwar ist Sinn die Ordnungsform menschlichen Erlebens; aber Erleben wird zuerst nicht einzelnen zugeschrieben, sondern realisiert Erlebensmöglichkeiten im gesellschaftlichen Zusammenhang. Soziale Strukturen repräsentieren Erwartungserwartungen, die sozial Handelnde in doppelter Kontingenz miteinander verbinden: Alle Menschen erwarten von anderen, daß andere etwas von ihnen erwarten; sie räumen sich gewisse Spielräume ein, aber setzen voraus, daß die Möglichkeiten dieser Spielräume grundsätzlich reduziert sind. Ebenso steht es mit dem gesellschaftlichen Wissen. Es ist nicht auf ein einzelnes Subjekt zurückzuführen. Der kontingente Zusammenhang von ausgewählten und realisierten Möglichkeiten (Selektionen) gehört zur „Selbstthematisierung der Gesellschaft". Luhmanns Entwurf, obwohl so abstrakt, bezeichnet jenen Bruch im Nachdenken über Gesellschaft am deutlichsten, der am Anfang 1.1.(4) zur Sprache kam. Obendrein scheint er am genauesten die Realität einer hochkomplexen, bürokratischen, auf Informationsverarbeitung gründenden Gesellschaft im späten 20. Jh. zu bezeichnen: „Fast alles könnte anders sein und fast nichts kann ich ändern" (Politische Planung 44). Luhmanns Entwurf kann sogar das Thema der Evolution (als Steigerung von Komplexität und System lernen) einbeziehen, ja, geradezu zum Thema machen, während der Strukturalismus die diachronische (d.h. Zeitabläufe berücksichtigende) von der synchronen Perspektive unterscheiden muß. (Dem Strukturalismus wäre aus der Perspektive Luhmanns eher eine alteuropäische, eine revidierte kantische Sicht zuzuschreiben; er zeigt die Strukturmuster der Erkenntnis als sozial bedingt und bezieht das menschliche Verhalten auf die Matrix von möglichen Verwandlungen und Kombinationen zurück, die bereits im Unbewußten des menschlichen Geistes durch sozialen Einfluß vorgeformt sind [Durkheim, Halbwachs, Lévi-Strauss, Piaget]). 2.3.2.

Da diese Gesellschaftsmodelle auf ihre Weise besonders eindrückliche Aspekte

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der sozialen W i r k l i c h k e i t der a b e n d l ä n d i s c h e n Neuzeit spiegeln, h a b e n sie ihre K o n s e quenzen für Religion bzw. C h r i s t e n t u m . P a r s o n s b e t o n t (mit D ü r k h e i m ) die integrative Kraft der Religion-, a b e r er weiß (auf dem H i n t e r g r u n d des Ansatzes von Weber) zwischen empirischer Verursachung ( z . B . dem Bedürfnis e m o t i o n a l e r Stabilisierung im T o d e s f a l l als einem A n l a ß religiöser R i t e n ) und d e m S i n n p r o b l e m (z. B . d e m Sinn des T o d e s ) zu unterscheiden. J e d e s Gesellschaftssystem b r a u c h t ein Wertsystem, das die soziale I n t e g r a t i o n verbürgt. D e n n nicht alle Gesellschaftsglieder erreichen jene Erfüllung, die in ihren A n s p r ü c h e n angelegt ist; und die G e s e l l s c h a f t e n selbst g e w ä h r e n nicht den vollen Sinn jener Ideale, die sie p r o k l a m i e r e n . R e l i g i o n legitimiert das W e r t s y s t e m , sie stiftet S i n n , w o Verzicht und Ergebnislosigkeit d r o h e n , sie g e w ä h r t F l u c h t w e g e , w o W i d e r s p r ü c h e verstricken w o l l e n , k u r z u m : sie k o m pensiert. G e g e n ü b e r aufklärerischer und m a r x i s t i s c h e r Kritik p r o k l a m i e r t Parsons den sozialintegrativen Wert der R e l i g i o n , weil die A u f k l ä r u n g selbst den Z u s a m m e n h a n g des gesellschaftlichen G a n z e n nicht aus sich h e r a u s gewährleisten k o n n t e . D a s P r o b l e m des Wandels (und d a m i t a u c h die e s c h a t o l o g i s c h e D y n a m i k des Christentums) k o m m t nicht in den B l i c k p u n k t . P a r s o n ' s S c h ü l e r M e r t o n hebt eher a u f (interne wie e x t e r n e ) S p a n n u n g e n und K o n f l i k t e ab. M i t L u h m a n n s E n t w u r f j e d o c h wird Evolution selbst zum P r o b l e m - als K o m p l e x i t ä t s s t e i g e r u n g i n n e r h a l b des Systems. Religion j e d o c h o r g a n i s i e r t sich in S u b s y s t e m e n , die angesichts der w a c h s e n d e n K o m p l e x i t ä t m o derner Sozialsysteme veraltet sind und deren Steigerung nicht n a c h k o m m e n . In einer frühen P h a s e hat L u h m a n n T h e o l o g e n geraten, das - » G e l d zum theologischen T h e m a zu m a c h e n ; d a m i t meint er, d a ß die F o r m e l „ G o t t " in der m o d e r n e n Gesellschaft nicht m e h r zureiche, den universalen A n s p r u c h allgemeiner sozialer G e l t u n g und jeweils individuelle L e b e n s l a g e n miteinander zu vermitteln (Universalität und K o n t i n g e n z [Die Organisierb a r k e i t 2 8 1 ] ) . G e l d als Austauschmittel hat viel h ö h e r e F l e x i b i l i t ä t und R e i c h w e i t e , weil es fast alles m i t allem verrechenbar m a c h t . Erst spät meldet sich eine zaghafte H o f f n u n g , R e l i g i o n k ö n n e gegen die sinnlose übersteigerte Steigerungsstrategie W i d e r s t a n d s p o t e n tial sein ( F u n k t i o n der R e l i g i o n 2 0 8 ) . An S t r u k t u r f u n k t i o n a l i s m u s und Ä q u i v a l e n z f u n k t i o n a l i s m u s k n ü p f e n also religionssoziologische und theologische E r w ä g u n g e n an. A u c h die eher landläufigen empirischen religionssoziologischen U n t e r s u c h u n g e n bedienen sich gewisser F o r m e n des F u n k t i o n a lismus (meist n i c h t so herausgearbeitet wie bei P a r s o n s , der b e k a n n t l i c h nicht E m p i r i k e r , sondern T h e o r e t i k e r sein wollte und daher k e i n e u n m i t t e l b a r umzusetzenden Anweisungen für e m p i r i s c h e F o r s c h u n g gibt). N e u e r e U m f r a g e - E r g e b n i s s e werden häufig so interpretiert, d a ß b e s t i m m t e Bedürfnisse der K i r c h e n m i t g l i e d e r Priorität verlangen; weil sie D i a k o n i e und L e b e n s b e r a t u n g w o l l e n , m ü ß t e n politisches und sozialethisches E n g a g e m e n t z u r ü c k t r e t e n . Eine stabilisierende W i r k u n g läßt sich deshalb nicht übersehen. Mit höherem theoretischen Anspruch stellt sich T. Kendtorff dem Zusammenhang von Religion und Gesellschaft. Indem er Luhmann und Habermas vergleicht, tritt er auf die Seite des ersten; denn er habe die umfassendere Evolutionstheorie. Er bestimmt das religiöse Subjekt (als Individuum) zur „inneren Umwelt" des Systems; hier haben die Erfahrungen der Kontingenz ihren eigensten Ort. Ihm wenden sich die Kirchen zu; ihre Wahrheit gilt „vorsozialen" Individuen. Allerdings deutet die reflektorische Ebene der Theologie und deren Integration des Programmes der Aufklärung (sowie der historischen Wissenschaften) auf eine Allgemeinheit, die nur systematisch zu erfassen ist. Sie kann sich nicht in Individuen als „Umwelt" des Systems erschöpfen. Wenn dann immer noch von Kontingenzerfahrung die Rede sein, wenn sie systematisch erfaßt und verallgemeinerbar interpretiert werden soll, dann muß ihr Subjekt umfassender verstanden werden. Das Thema der Religion erstreckt sich deshalb nicht nur auf das Individuum als einzelnes, sondern auch auf den Gesamtentwurf von Gesellschaft. Rendtorff findet das deutlicher in Luhmanns als in Habermas' Ansatz; denn Luhmann vermöge Grundfragen der Religion aufzugreifen, wenn er die Konstitution der Gesellschaft als umfassenden Systems in der Selektion von Möglichkeiten und der Reduktion von Komplexität beschreibe. Das sei eine Frage, die einst Schöpfungstheologie in etwas anderer Form stellte: Welche Möglichkeiten realisierte Gott, an welchen ging er vorüber? Aber das Subjekt dieses Prozesses heißt „Selbstthematisierung" (vielleicht der funktionalen und nicht personalen Autorität amerikanischer Soziologie ähnlich); die Gesellschaft artikuliert vermittels des Wissens ihrer Glieder jene

Gesellschaft/Gesellschaft und Christentum VII

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Tätigkeit, der sich alle Wirklichkeit verdankt. Sie gehört in einen Evolutionsprozeß, der größtmögliche Allgemeinheit mit schärfster Kontingenz vermittelt und für Theologen Gottes Wirken erkennen läßt. Rendtorff tritt dafür ein, Religion so zu verstehen, daß im sozialen Zusammenhang dieselben Themen wie in der Frömmigkeit des Individuums zur Sprache kommen. 2.3.3. Ethische Folgerungen liegen auf der Hand. Die Botschaft der Kirchen richtet sich zunächst an das Individuum (als Umwelt des Systems), während die Gesellschaft selbst schon ähnliche Themen wie die Theologie bewegt und deswegen gar nicht direkter Einrede der Kirche bedarf. Eine Art von -»Zweireichelehre in systemtheoretischer Gestalt kommt zur Geltung. Ihr zufolge darf das „Theologische" nicht „politisiert" und das „Politische" nicht „theologisiert" werden. Aber die vorausgehenden Ausführungen wiesen auf die sozialen Bedingungen gerade individueller Erfahrungen hin. Es fragt sich, ob mit dieser Ehrenrettung der Religion nicht Themen bürgerlicher (theologischer) Selbstwahrnehmung des 19. Jh. abseits vom Gesellschaftsverständnis des 20. Jh. zur Sprache kommen. Gibt es nicht eine christliche Verantwortung für jene Strukturen, die das Geschick jenes Individuums (als „Umwelt des Systems") entscheiden? 2.4.

Gesellschaft

als Prozeß

der

Selbstauslegung

Die geisteswissenschaftliche Hermeneutik stützt sich auf den Gegensatz des Verstehens gegen das Erklären. Während Erklären sich auf kausale Herleitung bezieht, auf Gesetze zurückführen will, funktionelle Beziehungen systematisch rekonstruieren möchte, soll Verstehen auf Einfühlung in die inneren Einstellungen eines anderen gründen bzw. den objektiven Sinn von alten Texten im Spiel der Auslegung wieder zur Geltung zu bringen. Diese überkommene Frontstellung läßt sich in der verstehenden Soziologie nicht mehr halten. Sie befaßt sich aber nicht mit einem Ich, das seine Eigentlichkeit sucht, sondern mit einem Ausschnitt gesellschaftlichen Verstehens, dessen linguistische Grundlagen mit sozialen Grundmustern zusammenhängen (Winch, Habermas). 2.4.1. Diese Gesellschaftsanalyse geht nicht den Weg, subjektiv gemeinte Orientierungen und Sinnaussagen im H o r i z o n t anderer subjektiver Orientierungen und Sinnaussagen zu interpretieren, sondern fragt n a c h dem sozialen R a h m e n , in dem sich einzelne und Gesellschaften selbst verstehen. Vor allem ist die phänomenologische Soziologie (unbeschadet ihres oft deskriptiven Ansatzes) der Frage nach den gesellschaftlichen F u n d a m e n ten des Wissens nachgegangen. Gesellschaften tradieren Wissen; sie werden von Wissensund Deutungssystemen zusammengehalten; so ermöglichen sie es einzelnen M e n s c h e n , sich im Prozeß der Sozialisation mit gesellschaftlichen Wissens- und Ordnungsvorgaben zu identifizieren (bzw. sie zu modifizieren). Gesellschaft „ k o n s t r u i e r t " ein Wissen; und dieses Wissen konstruiert wieder den Begriff von der Gesellschaft. Vor allem A. Schütz verdankt eine „ v e r s t e h e n d e " Sozialphilosophie wesentliche Anregungen. Sie stellt fest, d a ß die Welt der Beobachtungen nicht einfach außen (vor d e m Subjekt) liegt, sondern v o m G a n g historischer Ereignisse und Ideensysteme beeinflußt wird. Der einzelne F o r s c h e r läßt sich nicht nur auf die Perspektiven des erforschten Gesellschaftsausschnittes ein, sondern tradiert im mitgebrachten Wissen (in sprachlicher Artikulation, in Kategorien, in Leitfiguren des c o m m o n sense) bereits Schemata, mit deren Hilfe soziale Ereignisse interpretiert werden können. A u c h in der Wissenschaftslogik als der Bedingung möglicher F o r s c h u n g liegt eine vorgängige Interpretation der W i r k lichkeit verborgen. A. Schütz, Cicourel, Goffman u. a. haben mit N a c h d r u c k hervorgehoben, daß die bisherige verstehende Soziologie ( s . o . Abschn. 2 . 2 . ) nur einen typischen sozialen Handelnden kannte, der selbst ohne Biographie ist. Lediglich der objektive H o r i zont seines Handelns prägte die Auffassung von Gesellschaft. Jetzt wird der subjektive, der innere H o r i z o n t des Handelnden (und mit ihr die Biographie) zum Z e n t r u m des Interesses. Phänomenologische Soziologie, Alltagswissenforschung und kritische Sozialphilosophie fragen d a n a c h , wie M o t i v e und Wissen der M e n s c h e n im R a h m e n ihrer Biographie gesellschaftlich bedeutsam werden. Im Werke A. Schütz' wirkt E.-*Husserh Anstoß nach, die oft verdrängte Frage nach den Bedingungen der Erkenntnis der Wissenschaften zu stellen. Während jedoch Husserl die Erkenntnis im transzendentalen Ego fundiert, läßt A. Schütz an dessen Stelle eine ausgedehnte Konstitutionsanalyse treten. Sie gilt nicht einem von seiner Lebenswelt getrennten Ego, sondern einem biographischen Ich, das seiner Lebenswelt Regeln für den Umgang mit Dingen, für Verhaltensweisen und MittelErgebnis-Beziehungen entnimmt. Sie sind sozial gebilligt und in sprachliche Uberlieferung eingebet-

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tct. Wenn sich ein Handelnder rechtfertigt, dann wird er auf die Vergangenheit blicken und ihr jene Weil-Motive entnehmen, die er im Kontext anderer Handelnder als seine Um-Zu-Motive wirksam werden läßt. Jeder hat beide Arten von Motiven; in Biographien setzen sie sich allerdings verschieden zusammen. Deswegen müssen die verschieden sozialisierten Menschen ihre Perspektiven zur Uberschneidung bringen (Reziprozität der Perspektiven). So entsteht das „Wir". Um-Zu-Motive eines Handelnden werden zu Weil-Motiven eines anderen. Der Nahbereich der Beziehungen und der Fernbereich gesellschaftlicher Verhaltensfelder sind zu unterscheiden. Je weiter sich Verhaltensorientierung vom Nahbereich entfernt, desto anonymer werden ihre Grundlagen, desto mehr werden die Funktionen menschlichen Handelns standardisiert, desto eher tritt das Individuum dahinter zurück. Allerdings sind schon die nächsten Beziehungen der Menschen mehr standardisiert, als es manche auf Nahbeziehung festgelegte Theologen (der „unverwechselbare einzelne") wahrhaben möchten. So gibt es verschiedene Sub-Welten subjektiven Sinns, der sich selbst in objektiven, gesellschaftlichen Sinn überführt. Es w ä r e verfehlt, diesen A n s a t z nur als einen Beitrag zur erkenntnistheoretischen F u n d i e r u n g von S o z i o l o g i e anzusehen. Es wirft ein L i c h t a u f das soziale Selbst als eine eigenständige R e a l i t ä t , die subjektive und o b j e k t i v e Verstehensprozesse übergreift und auf diese Weise erst S o z i a l w i s s e n s c h a f t e r m ö g l i c h t . Auch konfligierende G r u p p e n , Klassen usw. müssen a u f g e m e i n s a m e B e s t ä n d e sozialer Symbolisierung zurückgreifen, die sie im K a m p f um ihre Interessen benutzen; denn sie müssen ihre Interessen auch in der K o n f r o n t a t i o n verständlich m a c h e n . 2 . 4 . 2 . D e r p h ä n o m e n o l o g i s c h - w i s s e n s s o z i o l o g i s c h e A n s a t z erlaubt neue A u s b l i c k e auf die Rolle der Religion in der Gesellschaft. E x e m p l a r i s c h sei das a n h a n d des Ansatzes von P. Berger und Th. Luckmann gezeigt. Beide verstehen W i s s e n s s o z i o l o g i e nicht nur als soziale H e r l e i t u n g des in der Gesellschaft v o r h a n d e n e n W i s s e n s , sondern auch umgek e h r t : W i e wird eine v o n M e n s c h e n verstandene Gesellschaft (ja, die gesellschaftliche W i r k l i c h k e i t insgesamt) aus gesellschaftlichen W i s s e n s b e s t ä n d e n aufgebaut? D e r M e n s c h ist ein gesellschaftliches P r o d u k t , a b e r zugleich ist die Gesellschaft ein menschliches P r o d u k t ( B e r g e r / L u c k m a n n 6 5 ) . Religion leistet bei diesem gegenseitigen Definit i o n s p r o z e ß einen wichtigen Beitrag zur Legitimation (vgl. M . W e b e r , s . o . 2 . 2 . ) . Legitim a t i o n e n sind s e k u n d ä r e O b j e k t i v a t i o n e n von Sinn, die institutionellen O r d n u n g e n der Gesellschaft kognitive G ü l t i g k e i t zuschreiben, und das a u f vier E b e n e n : 1. im G e n e r a t i o nen- und V e r w a n d t e n v e r h ä l t n i s ; 2. durch E i n b a u theoretischer E l e m e n t e in das Alltagswissen ( z . B . durch S p r i c h w ö r t e r ) ; 3 . durch explizite T h e o r i e n (wie ehrwürdige „ K u n d e n " ) ; 4 . durch den A u f b a u s y m b o l i s c h e r Sinnwelten (die sich als M y t h o l o g i e n , R e l i g i o n e n oder W i s s e n s c h a f t entfalten k ö n n e n ) . D i e symbolischen Sinnwelten bilden die M a t r i x aller gesellschaftlich objektivierten und subjektiv wirklichen Sinnhaftigkeit (103); v o r allem verknüpfen sie soziales H a n d e l n und N o r m e n und werden an den G r e n z e n des einzelnen L e b e n s w i r k s a m ( O r t s b e s t i m m u n g des Todes) (108). R e l i g i o n ist aus der konstitutionellen Weltoffenheit des M e n s c h e n herzuleiten ( U l f ) . 2.4.3. Spätestens h i e r a n wird deutlich, wie wenig das Verhältnis des C h r i s t e n t u m s zur Gesellschaft allein als ethisches P r o b l e m verstanden werden k a n n - es sei d e n n , E t h i k ü b e r n ä h m e als T h e o r i e einen Teil der f u n d a m e n t a l t h e o l o g i s c h e n P r o b l e m e . D i e G e schichte der K i r c h e zeigt allerdings, d a ß ihr theologisches W i s s e n nicht nur v o r h a n d e n e s y m b o l i s c h e Sinnwelten stützen oder a u s b a u e n wollte, sondern oft die tragenden D e u tungssysteme der G e s e l l s c h a f t ( z . B . S y m b i o s e n von R e l i g i o n und Staatsverfassung) angriff. T h e o l o g i e heute m u ß sich d a r a u f besinnen, o b sie das A n g e b o t , (sozial zugelassenen oder geförderten) Sinn in die P h a s e n a b f o l g e des Lebens und in seine G r e n z e r f a h r u n g e n zu bringen, einfach ü b e r n e h m e n m ö c h t e . H i n z u k o m m t , d a ß viele S o z i o l o g e n ( z . B . L u c k m a n n ) der christlichen R e l i g i o s i t ä t w e n i g Vertrauen s c h e n k e n , sondern R e l i g i o n s e r s a t z für w i r k s a m e r halten (z. B . den Kult u m die S e x u a l i t ä t ) . A u c h hier drängt die schon einmal gestellte F r a g e n a c h der T h e o d i z e e auf: Ist es m ö g l i c h , mit H i l f e isolierter S c h ö p f u n g s und V o r s e h u n g s t h e o l o g i e solchen soziologischen Aufforderungen zu willfahren; o d e r sind die drei A r t i k e l des G l a u b e n s b e k e n n t n i s s e s in- und m i t e i n a n d e r zu interpretieren -

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mit der Folge, daß ein am Kreuz orientierter theologischer Aussagenzusammenhang höchstens eine gebrochene Legitimation einer bestimmten gesellschaftlichen Verfassung erlaubt und kirchliche Theologie und Verkündigung davon abhält, auf das verführerische Angebot, einen von der Gesellschaft diktierten Beitrag zur symbolischen Sinnwelt zu leisten, leichtfertig einzugehen. Mit der Wissenssoziologie neuen Stils ist die Wirklichkeitsauffassung in christlicher Frömmigkeit und Daseinshaltung, in kirchlicher Verkündigung und theologischer Deutung zu prüfen. Zeugnisse alltäglicher Daseinsäußerungen oder gemeindlicher Frömmigkeit werden hermeneutisch ausgewiesener Interpretation unterzogen. Hermeneutisches Verstehen selbst ist ein Prozeß, der forschungssemantischen Bedingungen unterliegt, die mit Hilfe von erklärenden Wissenschaften und Wissenschaftstheorie herausgearbeitet werden sollen. Wenn sie als gesellschaftlich bedingt verstanden werden, dann können sie nicht in einer isolierten transzendentalen Sphäre rekonstruiert werden, sondern müssen sich auf die empirisch zu verstehende Realität alltäglicher Sprachlichkeit und ihr verbundener Erfahrung beziehen lassen. Dieser umfassende Ansatz, gesellschaftliches Leben und Verstehen als sich selbst bedingend aufzufassen, kann als eine neue Version einer Hermeneutik verstanden werden, die nach den Bedingungen von interSubjektivität fragt (vgl. Giddens). Sie nötigt die Theologie, von Zwei-Sphären-Theorien (Übernatur - Natur) oder Zwei-Reiche-Schemata naiver Art abzugehen und Gott von seinem Konkretwerden in der Inkarnation her zu denken.

2.5.

Problemstellungen

Die unterschiedlichen Profile der Gesellschaftsbegriffe (vgl. 2.1.-2.4.) erlauben einen jeweils verschiedenen Blick auf das Verhältnis von Gesellschaft und Christentum. Aber sie erschöpfen den Gesellschaftsbegriff (als subjektives und objektives Wissen der Menschen von ihrer sozialen Verfassung) nicht. Die Soziologie als Konstruktion gerät selbst in eine Krise; damit zeigt sie an, daß sie das Soziale nicht erschöpfend bestimmt und die sozialen Möglichkeiten des Christentums nicht zu Ende gedacht sind. Offene Flanken zeigen sich, wenn Soziologie über das Problem der Geschichte (bzw. des Fortschritts) und über den Konflikt als sozialen Grundvorgang nachdenkt. Der Gedanke des Fortschritts wurde aus der Aufklärung übernommen; er äußert sich in der Annahme zunehmender Verwissenschaftlichung und wachsender (allerdings beliebiger) Freiheit menschlichen Zusammenlebens. Zwar arbeiten Ideen der Romantik gegen ihn; aber sein Impuls ist nicht grundsätzlich gebrochen. Gründlich in Frage gestellt wird er vom weltweiten Konflikt zwischen Armen und Reichen wie vom Verhältnis des menschlichen Produzierens zu den Ressourcen der Erde. Wachstum in Exponentialraten hat soziale Folgen; einige Bereiche menschlichen Lebens können sich fortentwickeln, andere zurückbleiben (cultural lag - W. F. Ogburn); Wandlungsprozesse können zu Fehlanpassungen führen (Freud), die aus der Individualisierung entstandenen Institutionen gestatten individuelle Bedürfnisbefriedigung immer weniger (Fromm). Der Fortschritt führt in weltweite gesellschaftliche Konflikte, angesichts deren funktionalistische Gesellschaftsrekonstruktion meist als statisch erscheint - als Versuch, das Bestandsproblem der Gesellschaft über konfligierenden Interessen in der Gesellschaft anzusetzen. Der Äquivalenzfunktionalismus (Luhmann) kann jedoch den Fortschrittsgedanken so aufgreifen, daß er lernende Systeme mit innerer Steigerung annimmt. Überleben werde nur ein System, das Informationsfülle verarbeiten könne. Steigerung, als Beschreibung geschichtlicher Prozesse, kann als Quantifizierung gedeutet werden; im strengen Sinne jedoch träfe das nicht einmal die Ökonomie, wenn sie die sich erschöpfenden Interessen an Produkten erörtert (Grenznutzentheorie) und Anstöße zu veränderter Produktion (mit verfeinerter Technik, für differenziertere Bedürfnisse) als notwendig ansieht. Trotzdem bleibt die gesellschaftlich produzierte Gesellschaft ohne Ziel ihrer Selbststeigerung.

Ob Gesellschaft als Ganzes oberhalb von Spannungen und Konflikten verstanden werden darf, ist anhand des Themas des Konflikts zu prüfen. Sowohl Liberale (R. Dahrendorf), Funktionalisten (L. A. Coser), als auch Marxisten stellen das zur Diskussion nicht primär im Blick auf das Eigentum, sondern auf die Ausübung von -»Autorität, von Herrschaft und ihrer Asymmetrie. Marxisten versuchen, den Konflikt von produktiver und unproduktiver Arbeit (Poulantzas, Sweezy) wieder ins Gespräch zu bringen. Allerdings ist die Marxsche Unterscheidung von Produk-

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tionsmitteleigentümern und anderen, die ihre Arbeitskraft verkaufen, nicht mehr den Macht- und Herrschaftsverhältnissen angemessen, weil Angestellte mit unternehmerischen Funktionen dem Kapitalinteresse zugerechnet werden müssen, während die sich immer mehr verbreiternde Schicht des Dienstleistungssektors (Angestellte) nicht ohne weiteres mehr als eine nach Marx definierte Klasse angesehen werden kann. Schon M . Weber versuchte zu zeigen, daß Konflikte der Klassenpolitik und der Statusgruppenpolitik einander ablösen (ethnische Konflikte scheinen das zweite zu belegen). Weil funktionalistisch ausgerichtete Gesellschaftstheorien dazu neigen, in die Rolle der alten Ontologien einzutreten und die Position des Gesellschaftsganzen über die Negation durch sozialen Konflikt zu stellen, kehren marxistische Ansätze trotz deutlicher Krise der sich auf sie berufenden Staats- und Gesellschaftssysteme hartnäckig wieder. Sie nähren Zweifel am wissenschaftlichen Anspruch, ein Modell des Sozialen insgesamt zu entwerfen und mit seiner Hilfe die partikularen Erfahrungen der Menschen einordnen zu können. Z u R e c h t halten kritische Ansätze fest, d a ß die einzelnen Glieder einer Gesellschaft an ihren O r t e n mit ihren eigenen Erfahrungen eine viel beschränktere, oft jedoch originellere Perspektive haben, die mit dem Konstrukt eines Ganzen nicht ohne weiteres übereinstimmt. N e u e r e E n t w ü r f e versuchen zwar, einem modifizierten Prozeß politisch-sozialen F o r t schritts Zielperspektiven zu setzen und dann den unaufgelösten Konflikt zwischen einzelnem und G a n z e m in ein Gleichgewicht zu bringen. Aber sind die fiktive „original position" der „ m u t u a l l y disinterested selves" (Rawls) oder der herrschaftsfreie Diskurs der idealen Sprechsituation (Habermas) schon zureichende Lösungen für die hier angedeuteten Probleme? Unausgeschöpft bleiben deshalb bis heute Anregungen der sogenannten Frankfurter Schule, der -*Kritischen Theorie. Sie sucht nach vernünftigen Zuständen menschlich-gesellschaftlichen Seins, die weder im geschlossenen System traditioneller Theorie begriffen noch durch ökonomische Beherrschung der Welt der Dinge erreicht werden können. So gesehen richtet sich die kritische Theorie gegen einen Marxismus, der sich auf ökonomische Kritik reduziert und die Materialität, die Gegenständlichkeit der Gegenstände, nicht hinreichend bedenken kann (ökologische Problematik). Eine negative Dialektik soll den Selbststand des Gegenstands festhalten, indem sie das Denken in Systemzwängen abwehrt. Jedoch müßte nun erklärt werden, wie die Synthesis (von Wissen, Theorie und Gegenständen durch Arbeit an ihnen, in der Praxis) zustande kommt, wer ihre Subjekte sind und wer das vernünftige Interesse der Subjekte dabei festhält. Deswegen kann nicht Arbeit allein zum konstitutiven Medium der Gesellschaft erklärt werden; Sprache (zur Verständigung vernünftiger Individuen) und Interaktion (zur kooperativen Freiheit) müssen hinzutreten (Habermas). Wenn diese Synthesis nicht gelingt, flüchtet sich dieser revidierte Marxismus in den Appell. Er deckt Resignation angesichts der Frage nach dem Ganzen menschlicher Gesellschaft und ihres Ziels auf. Sie hängt mit konkreter Wahrnehmung des Sozialen zusammen: Soziologie trat im Zeichen jenes Menschen an, der seine sozialen Bedingungen selbst steuern wollte und steuern zu können meinte. Irrationale Folgen zerschlugen wie Zufälle die mehr und mehr geplante Welt. Wenn sich konservative Theoretiker des Sozialen gegen den aufklärerischen Optimismus wendeten (und den einzelnen in das soziale Ganze einordnen wollten), so scheiterten sie, weil sie irrationalen, nicht harmonisierbaren Zielen faktisch, oft jedoch unfreiwillig dienten. Gesellschaftsethik reicht unter diesen Umständen in fundamentaltheologische Auseinandersetzungen hinein: Was ist der Mensch? Welche Wirklichkeit nimmt kirchliche Lehre wahr, welche Wirklichkeit setzt der Glaube? Wieweit ist eine Theologie, die sich auf biblische Verkündigung beruft, legitimiert, den Sinn eines umfassenden Ganzen zu konstruieren und kognitiv festzuhalten? Literatur Zu 2.1.1.: Auguste Comte, Cours de philosophie positive, 6 Bde., Paris 1830—42. - Ders., Système de politique positive ou Traité de sociologie instituant la religion de l'Humanité, 4 Bde., Paris 1851-54. - Émile Dürkheim, Le Suicide, Paris 1897. - William G. Sumner, Folkways, Boston 1907. William I. Thomas/Florian Znaniecki, The Polish Peasant in Europe and in America, 5 Bde., Chicago 1918-20. Zu 2.1.2.: Émile Dürkheim, De la division du travail social, Paris 1893. - Ders., Les Règles de la méthode sociologique, Paris 1895. - Martin von Nathusius, Die Mitarbeit der Kirche an der Lösung der sozialen Frage, Leipzig 1895. - Ernst Troeltsch, Politische Ethik u. Christentum, Göttingen 1904. - Ders., Die Soziallehren der christl. Kirchen u. Gruppen, Tübingen 1912 (GS I).

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Gesellschaft/Gesellschaft und Christentum VII

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und

Gesellschaft

Theologien und Kirchen nahmen das Verhältnis von Christentum und Gesellschaft oft unzureichend wahr, weil ihnen ein differenzierter Gesellschaftsbegriff fehlte. Sie konzentrierten sich auf zwei Schwerpunkte: a) auf Legitimationstheorien (Säkularisierung, Legitimität der Neuzeit); b} auf eine nur in geringem Maße theoriegeleitete Beschreibung gesellschaftlicher Prozesse, z.B. der Industrialisierung, der Klassenbildung und deren Verhältnis zu den Kirchen. Sozialethik, selten von Grund auf in theologische Lehre integriert, diente als Alibi für Versäumnisse. WirVerstärkte Bemühungen wären jedoch notwendig im Blick auf: c) die sozialpsychologischen kungen des Christentums (als Lebensform) und dessen Verhältnis zu politischen Systemen (Folgebereitschaft von Christen, Widerstandspotential); d) die Alltagsgeschichte des Christentums, die elementaren Wirkungen seiner Frömmigkeit, seine Anpassung an gesellschaftliche Prozesse, seine Beiträge, gesellschaftliche Zustände erneuernd zu überschreiten. 3.1.

Grundzüge

gesellschaftlicher

Entwicklung

der

Neuzeit

Wenn die Bildung bestimmter Gesellschaftskonzeptionen auch bestimmten sozialen Entwicklungen korrespondiert („kollektives L e r n n i v e a u " [vgl. 1.1.]), dann läßt sich am Verhältnis von Christentum und Gesellschaft in der Neuzeit Folgendes beobachten: 3.1.1. Staat und soziales Gesamtleben stellen sich vor der Heraufkunft der neuzeitlichen Gesellschaft als umfassender Herrschaftsverband dar, dessen G a r a n t die Kirche ist. Erst am Ende des 16. J h . wird die mittelalterliche societas civilis cum imperio definitiv durch den neuzeitlichen Staat abgelöst. Seine Kennzeichen sind u. a.: Zentralisierung der Finanzen, Entstehung von Bürokratien, stehende Heere, Konzentration der G e w a l t beim Fürsten, Souveränitätstheorien, die das legitimieren. D a m i t ist die Ständegesellschaft auf die Dauer zum Absterben verurteilt. (Allerdings läßt die lutherische Ethik nicht davon ab, nach wie vor in Ständen zu denken, die jedoch auch die jeweilige Situation des Menschen in seinem alltäglichen Beruf bezeichnen und nicht nur eine bestimmte gesellschaftliche Gruppe umreißen. Im 19. J h . wird das anachronistisch.) M i t der neuzeitlichen Zentralisierung schrumpfen die Spielräume der - » „ A u t o n o m i e " . Bis zu —»Kant hin bezeichnet sie die Gesetzgebungsgewalt von Zwischeninstanzen, z . B . Z ü n f t e n ; erst Kants Philosophie überführt den Begriff in die praktische Vernunft. Diese begriffliche Veränderung dokumentiert zugleich, daß die A u t o n o m i e mittlerer Instanzen (zwischen Zentralgewalt und einzelnen Beherrschten) ans E n d e g e k o m m e n ist. 3.1.2. Entscheidend ist nicht allein die Oberflächenansicht gesellschaftlicher Z u s t ä n de und institutionellen Kirchentums, sondern die begleitende Veränderung kollektiven Bewußtseins, des sozialen Selbst. M i t der Neuzeit schichtet sich auch die Innenansicht der

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Gesellschaft/Gesellschaft und Christentum VII

abendländischen Seele um; Entwürfe von Menschsein werden wichtig, die - zwar erst auf dem Wege der Durchsetzung - sich seismographisch in philosophischen (und gelegentlich in theologischen) Gedankengängen ankünden: Der Mensch wird Träger und Exekutor von M a c h t (Hobbes). Während noch der reformatorische Berufsgedanke den Menschen in einen Gesamtzusammenhang gegenseitig hilfreicher Beziehungen (der Stände, in denen der Christ ein Amt hat) einfügt, wird Arbeit nun Selbstdarstellung des Menschen als eines physikalisch gedeuteten Machtträgers. Sie will nicht mehr Gott in der Welt bezeugen. Das Verhältnis der Menschen zur Welt kommt unter eine neue Perspektive, es wird empirisch-induktiv angeleitet (F. Bacon). Hielt das aus der Antike überlieferte Modell von Theorie und Praxis fest, daß der verändernde Wille des Menschen den durch die Theorie zuvor eingesehenen Strukturen der Welt folgt, so stellt jetzt der handelnde Eingriff in die Welt deren Strukturen auf die Probe. Die Theorie will die Naturgesetze erfassen, um die Natur mit ihrer Hilfe systematisch zu verändern. Von metaphysischer Unsicherheit befallene Menschen (die kopernikanische Wende entzieht dem Menschen den Mittelpunktstatus und fordert seine Vernunft zur Selbstverteidigung heraus) wollen sich ihr Dasein durch Erfolge ihrer Weltbeherrschung und ihrer Arbeit sichern. Weber hat diese Einstellung zur Welt auf die Prädestinationsängste des Puritaners zurückgeführt. Seine Theorie ist heute zu differenzieren, aber nicht völlig zu verwerfen. Sie läßt sich mit Blumenberg als Umbesetzung theologischer Motivation oder mit Löwith als Säkularisat theologischer Impulse fassen. Das Selbstbild des mächtig werdenden Bürgers läßt sich an den Modellen des Menschen im Urzustände (in Vertragstheorien) ablesen. Unbeschadet der durch Verträge hergestellten Vernünftigkeit menschlichen Zusammenlebens gelten Menschen als Konkurrenten der anderen, die ihr individuelles Leben im Streben je für sich selbst zur Erfüllung bringen möchten (vgl. Locke, der den natürlichen Menschen als Eigentümer ansieht und das Geld im Naturzustand einführt). Im Hintergrund solcher Aussagen zusammen verändert sich die Gesellschaft selbst. Aber die Folgen werden erst nach Jahrzehnten oder Jahrhunderten und regional verschieden sichtbar. Sie zeigen sich besonders prägnant an der Industrialisierung. 3.1.3. Die Wandlungen der europäischen Gesellschaft gehen je nach Regionen verschieden vor sich: Katholische Länder bewahren länger eine ständische Gliederung: Adel, Klerus, Stadtbewohner in gottgefügten Gesellschaftsbereichen; Handwerker und Bauern fügen sich in die konservative Lebensweise, die zum Teil erst im 20. Jh. von der Industrialisierung ergriffen werden wird. Hier kann sich der Absolutismus am stärksten durchsetzen und nationale Einheit wie einheitliche Religion zum obersten Gesichtspunkt erheben. Trotzdem ermöglicht der Absolutismus wichtige Umbrüche, etwa zur ökonomischen Steuerung der Gesellschaft (Merkantilismus, vor allem in Frankreich). Der angelsächsische (und niederländische) Pluralismus führt das neuzeitlich-bürgerliche Dasein herauf. Trotz religiöser Kämpfe setzt sich allmählich eine Pluralität geduldeter oder zugelassener Konfessionen durch. Keine Form institutionalisierten Christentums vermag dann noch die politische Autorität theologisch zu begründen. Angesichts konkurrierender Wahrheit möchte Hobbes die Macht des Souveräns selbst zur Quelle von Souveränität erheben. Der berüchtigte Satz „auctoritas, non veritas facit legem" will auf diese Notwendigkeit hinweisen. Die reformatorischen Länder sind zu kleine politische Einheiten, um die Entwicklung der großen europäischen Gesellschaften eigenständig auszurichten. Sie folgen einem abgeflachten Ständemodell bzw. Absolutismus oder nehmen Züge eines religiösen Pluralismus an (Preußen). Die östlichen (europäischen) Gesellschaften bleiben dagegen bis ins 19. und 20. Jahrhundert mit geringen Ausnahmen (Toleranz in Siebenbürgen, Ungarn, zeitweise in Polen) vormodern. Die außereuropäische Christenheit kann bis ins 19. Jahrhundert so gut wie kein dem europäischen Einfluß entwachsenes Modell des Verhältnisses von Christentum und Gesellschaft vorstellen.

Ökonomisierung, Technisierung und Industrialisierung gehen auf verschiedene Wurzeln zurück. Ihre Ursachen werden bis heute diskutiert. Vorrangig sind ökonomische Notwendigkeiten zu nennen; die Bevölkerung Europas stieg seit der zweiten Hälfte des 18. J h . steil an. Das politische Interesse vor allem absolutistischer Herrscher trat hinzu;

Gesellschaft/Gesellschaft und Christentum VII

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sie wollten politische M a c h t durch ökonomische Erfolge unterstreichen (Merkantilismus). Da Länder mit religiöser Toleranz wirtschaftlich besonders erfolgreich waren (Aufnahme der Hugenotten in Preußen, wirtschaftliche Vormachtstellung der Niederlande), kollidierten religiöse M o n o k u l t u r und wirtschaftliche Erfordernisse bald. Eine Entwicklung hat aber keine C h a n c e n , wenn sie nicht durch Lern- und Umstellungsbereitschaft der Bevölkerung unterstützt wird. Deswegen sind wesentliche Wurzeln des Wandlungsprozesses sozialpsychologisch zu verstehen. Im 16. J h . bereitet das Berufsethos der R e f o r m a toren auf eine systematische Berufsdisziplin vor. (Nichtwestliche Gesellschaften sehen sich heute stattdessen zu einer Art Erziehungsdiktatur gezwungen, um Entwicklung zu forcieren.) Im 17. J h . , vor allem in Zeiten der N o t , wollen chiliastische Erwartungen Gottes Schöpfung und deren Strukturen angesichts eines nahen Endes der Zeiten wiederbringen (->Chiliasmus); gerade Naturwissenschaftler möchten eine nach den Gesetzen der Schöpfung Gottes gesteuerte Veränderung in G a n g setzen (Bacon, - » N e w t o n ) . Erst als mit dem 18. J h . die N o t vieler Bevölkerungsschichten nachläßt, können sich Gedanken der Aufklärung wirklich durchsetzen; in der Bildungsschicht und in Teilen des Bürgertums bricht eine rationale Einstellung zur Welt durch. Auch im Christentum unterscheiden sich nun Gebildete und Ungebildete. Hinzu treten latente oder offene soziale Konflikte. D a s Bürgertum bestimmt sich gegenüber dem Adel als jene Schicht, die ihre soziale Geltung nicht aus Geburt und M u ß e ableiten kann, sondern durch ihren Erfolg erwirbt. Sie nutzt den Aufbau bürokratischer Systeme zur Organisation kollektiver Ziele und rechtfertigt Geld- und Marktsysteme. Zugleich stellt der Bevölkerungsüberschuß auf dem Lande (vereint mit Veränderungen landwirtschaftlicher Strukturen) eine traditional gestimmte, sonst chancenlose Schicht als Industrieproletariat zur Verfügung. Alle genannten Faktoren allein würden jedoch nicht ausreichen, wenn nicht kontingente Faktoren wie Erfindungen (die allerdings in bestimmten anderen Kulturkreisen prinzipiell ebenso möglich gewesen wären) hinzugetreten wären (z.B. Dampfmaschine und Kunstdünger). Die volle Wirkung der Industrialisierung ist in England schon in der ersten Hälfte des 19. J h . , in Frankreich, Belgien, Deutschland in der zweiten Hälfte zu spüren; dort koinzidiert sie mit dem Zeitalter des Imperialismus, mit der Ausdehnung der politisch-ökonomischen Sphäre über das eigene Land hinaus. Konservative T h e o r e t i k e r (z.B. Le Play, Riehl), schärfer als sie aber M a r x und Engels registrieren und analysieren die Folgen. Waren bis in die 40er J a h r e des 19. J h . noch Schwankungen der agrarischen Produktion für das Wohlergehen der gesamten Bevölkerung entscheidend, so sind es seit den 50er Jahren des 19. J h . die ökonomischen Krisen- und Wachstumszyklen, deren Bewältigung die Politik bis heute lernen muß. G r o ß e Erfindungs- und Entwicklungsschübe stimulieren wirtschaftlich-gesellschaftliche Entwicklungen (Eisen- und Stahlherstellung und Eisenbahn, Elektroindustrie, Chemie, Automobile, Elektronik - unterbrochen von Zyklen der Kriegswirtschaft). Die Proportionen von Land- und Stadtbevölkerung kehren sich im 19. J h . binnen weniger Jahrzehnte um und führen zu einer Verstädterung ungeheuren Ausmaßes. Die osteuropäischen Länder werden in diese rasante Entwicklung z . T . erst durch den Staatssozialismus (als Folge des Zweiten Weltkriegs) hineingezogen. Die Länder der südlichen Hemisphäre und des Mittleren und Fernen Ostens (Ausnahme: Japan) erfahren die Folgen der schon in E u r o p a und Nordamerika turbulenten Entwicklung noch weniger in sich synchron. Während nördliche Industriegesellschaften Bevölkerungswachstum, Bildung, Infrastrukturen, politisches System und Industrialisierung in wenigen Jahrzehnten leidlich koordinieren lernten (allerdings auf Kosten der Umwelt), rechnet man für das J a h r 2 0 0 0 in der Dritten Welt mit Z e h n - oder Zwanzig-MillionenStädten, die größtenteils Elendsviertel sein und jeglicher urbaner Struktur entbehren werden.

3.1.4. Stellt die kapitalistisch-industrialisierte Wirtschaftsform ein unentrinnbares Geschick (M. Weber) oder eine aufzuhebende Phase der Gesellschaftsentwicklung ( M a r x ) dar? Die traditionellen „Ideologien" des 19. J h . reichen spätestens im 20. J h . angesichts dieser Frage nicht mehr zu. Der die Emanzipation des Bürgertums begleitende Liberalismus halbierte sich selbst bereits im 19. J h . Aus dem —»Utilitarismus hervorge-

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Gesellschaft/Gesellschaft und Christentum VII

gangen, bestimmte er den Menschen von zwei Seiten: Zum einen muß er sein Glück kennen, ihm entsprechend seine Bedürfnisse hierarchisch ordnen und der Reihe nach erfüllen können. Zum anderen soll sein Erfolg - ohne es direkt zu planen - die Erfordernisse des allen Menschen geltenden Wohlwollens erfüllen (J. Bentham). Wenn Sympathie nicht mehr als natürliche Daseinsäußerung gelten kann, organisiert der Markt (die Konkurrenz aller gegen alle) sie auf wunderbare Weise im Sinne universalen Nutzens (A. Smith: the invisible band— ein verschwiegener Gott des Theismus oder ein Mechanismus, der traditionale Herrschaft ersetzt?). Da diese erhoffte Kompensation nicht von selbst eintrat, wurde jedoch gezielte staatliche Sozialpolitik notwendig. Der Konservatismus meinte, seine sittlichen, gesellschaftlichen, politischen Ziele mehr oder minder aus voraufgeklärtem Geist beziehen zu können. Allerdings täuschte er sich, da seine Ordnungsgedanken, oft aufs Mittelalter zurückgeführt, mehr der Symbiose von institutionellem Christentum und Gottesgnadentum des Absolutismus entsprachen; auf industriellem Gebiet ließ er trotz agrarisch-handwerklicher Leitbilder meist der Entwicklung der Wirtschaft freien Lauf, um deren Individualismus politisch teils zu stützen, teils aufzufangen. Das 20. Jh. läßt die Ideologien triumphieren. Um die Wende zum 19. Jh. galt Ideologie als exakte Wissenschaft von handlungsleitenden Idealen. Bald nahm Ideologie die Gestalt einer Betrugstheorie an. Wer in ihr lebt, lebt in einer Als-Ob-Welt. Diesen Betrug braucht das Volk selbst zur Kompensation, oder mächtige Interessenten schwätzen ihn auf; schließlich gilt Ideologie als notwendiger Betrug, an den man selbst glaubt, um die gesellschaftliche Gesamtlage zu bestehen (Lübbe, L u h m a n n in verschwiegenem Rückgriff auf Nietzsche). Anders steht es im angelsächsischen Sprachbereich: „ideology" wird z. B. in der ökumenischen Bewegung positiv rezipiert und bedeutet ein System von Ideen, das zur systematischen Veränderung gesellschaftlicher Wirklichkeit anleitet. Ideologien können jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß sie zur nachaufgeklärten, von Technik und exakten Wissenschaften geprägten Welt gehören, die kein so evidentes Ziel mehr kennt, wie es die Teleologie der antiken und mittelalterlichen Philosophie oder die natürliche Theologie an der bestehenden Welt ablesen wollte.

3.1.5. Die größte Herausforderung stellen jedoch die Lehren des sogenannten Marxismus-Leninismus dar. In ihnen verbinden sich erfolgreich organisatorisches Bewußtsein, anthropologische Motive (dem Arbeitenden gehört sein Produkt, Humanität verwirklicht sich in der Arbeit an den Gegenständen der Umwelt; Arbeit muß kooperativ und selbstverantwortet sein) und Wissenschaftsgläubigkeit (die ökonomische Analyse der Gesellschaft entwickelt sich bis in mechanistische Theorien gesellschaftlicher Entwicklung und zur Notwendigkeit revolutionärer Veränderung). Bei allen Unterschieden treten zwei Linien heraus: Eine, eher praktisch ausgerichtet, macht Veränderungen vom Appell, von Willen und Einsicht der Beteiligten mit abhängig; die andere, auf die Zwangsläufigkeit der Entwicklung setzend, kann Einsicht und Entscheidung der Beteiligten nur als Folge der umfassenden ökonomischen Entwicklung verstehen. Der eher praktisch orientierte Marxismus mobilisiert Funktionäre und Massen, während der mechanistisch inspirierte der wissenschaftlichen Legitimation dieser Bewegung dient. Da ihre Ergebnisse nicht den Voraussagen entsprechen, sind auch die Beziehungen zum Christentum verschiedenartig. Wo der Marxismus revisionistisch und schließlich sozialdemokratisch wird, verliert die Theorie vom notwendigen Niedergang der Religionen ihre Bedeutung. Es kommt zur Kooperation. An anderen Stellen jedoch, wo die marxistische Bewegung Übergangssysteme (auf dem Wege zum Kommunismus) schafft, bleibt das Christentum wie die anderen Religionen - der geschichtlichen Entwicklung ausgeliefert; es ist eine Frage der Opportunität, ob man seinem angeblich notwendigen Absterben vorgreifen und es bekämpfen will oder ob man sein Ende abwarten kann. Ähnlich wie das Bürgertum mit seinen Theorien und seinen ökonomischen Anstrengungen sich Geltung gegenüber dem Feudaladel und den absolutistischen Systemen verschaffte, so bewerkstelligt es der Marxismus, daß Teile einer vom bürgerlichen Aufstieg weitgehend ausgeschlossenen Klasse Positionen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Einflusses erreichen können. D a m i t produzieren

Gesellschaft/Gesellschaft und Christentum V I I

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staatssozialistische Systeme wieder neue Herrschafts- und Privilegienstrukturen und drängen eine jahrhundertelang bevorzugte Christenheit in soziale Randzonen.

3.2. Kircheninstitution,

Kirchlichkeit

und Christentum

in neuzeitlicher

Gesellschaft

3.2.1. W i e stellte sich das Christentum a u f diese B e w e g u n g e n ein? Im 16. und 17. J h . litt es v o r allem an der konfessionellen Spaltung, die auf die D a u e r viele M e n s c h e n von institutioneller Kirchlichkeit a b k e h r t e . N e u e r e F o r s c h u n g e n deuten a n , d a ß E u r o p a s G e sellschaften im 16. und 17. J h . oft nur o b e r f l ä c h l i c h christianisiert w a r e n . Z a u b e r und M a g i e , H e x e n w a h n und J u d e n v e r f o l g u n g zeigen, w i e schwierig es w a r , die häufig von N o t , S e u c h e n und T o d gezeichneten Z e i t e n zu b e w ä l t i g e n . O b w o h l die konfessionelle S p a l t u n g das C h r i s t e n t u m in den Augen vieler diskreditierte, konsolidierte sie doch die K i r c h e n t ü m e r und führte sogar dazu, d a ß christliche F r ö m m i g k e i t sich dort verstärkte, w o sich bislang ein G e m i s c h aus Z a u b e r e i , A b e r g l a u b e n und christlichen M o t i v e n fand. D e r Katholizismus der G e g e n r e f o r m a t i o n baute ein System der K o n t r o l l e und Anleitung a u f ( B e i c h t p r a x i s ) und bildete seine Priester und O r d e n so aus, d a ß sie bildend und seelsorgend auf die A n h ä n g e r e i n w i r k t e n . D i e Kirchen der Reformation brachten den auf der U n i v e r s i t ä t ausgebildeten Pfarrer hervor und versuchten - durch V i s i t a t i o n e n , K a t e c h i s m u s usw. - , das Leben der Christen zu gestalten. Vor allem ist das A m t des H a u s v a ters als religiösen Erziehers zu n e n n e n . A b e r jene kleinen Gruppen, die nur in einzelnen L ä n d e r n T o l e r a n z fanden und sonst emigrieren m u ß t e n , b a n d e n ihre A n h ä n g e r n o c h intensiver als die G r o ß k i r c h e n . D a s 17. J h . stellt eine Art Z w i s c h e n p e r i o d e d a r ; die K i r c h e n bringen nun eine Fülle von F r ö m m i g k e i t s t y p e n hervor, die zum Teil erst unter K ä m p f e n integriert o d e r wieder ausgeschieden werden k ö n n e n (der C h i l i a s m u s , e t w a bei - » A n d r e a e und - » N e w t o n ; der - • J a n s e n i s m u s im französischen K a t h o l i z i s m u s , p u r i t a n i s c h e und mystische Bewegungen in E n g l a n d ; - » E r b a u u n g s l i t e r a t u r e n im L u t h e r t u m und im K a t h o l i z i s m u s ) . D a n a c h geraten die meisten K i r c h e n unter die B o t m ä ß i g k e i t absolutistischer H e r r s c h e r ; sie b ü r o k r a t i sieren sich und dienen aus dem B l i c k w i n k e l der H e r r s c h a f t s s y s t e m e vor allem deren L e g i t i m a t i o n . D e r m i t t e l e u r o p ä i s c h e P r o t e s t a n t i s m u s bringt den - » P i e t i s m u s hervor, w ä h r e n d sich von Westeuropa aus aufgeklärte D i s t a n z vor allem G e b i l d e t e r gegenüber der K i r c h e ausbreitet. Die englische Industrialisierung fördert den - » M e t h o d i s m u s . Aus dem L a g e r der N o n k o n f o r m i s t e n k o m m e n C h a r t i s t e n , G e w e r k s c h a f t l e r , ja sogar K ü n d e r eines christlichen Sozialismus. D e n christlichen A b s e t z b e w e g u n g e n ist es oft eigen, d a ß sie M i t g l i e d e r aus sozial deklassierten G r u p p e n s a m m e l n , aber durch die K r a f t ihrer Bindungen deren Lebensstil und Einstellungen so verändern, d a ß sie schnell verbürgerlichen. U n t e r den sogenannten „disinherited" (den E n t e r b t e n ) entsteht das Bedürfnis nach neuen S e p a r a t i o n s b e w e g u n g e n (vgl. H . R i c h a r d - » N i e b u h r ) . D i e K r a f t dieser Bewegung von unten läßt erst im 19. J h . n a c h , flackert bis ins 2 0 . J h . i m m e r wieder auf und wird in der zweiten H ä l f t e des 2 0 . J h . umgeleitet: F u n d a m e n t a l i s t i s c h e S e k t e n dringen in eine k o n s e r v a t i v e , defensiv eingestellte M i t t e l s c h i c h t ein (USA - » F u n d a m e n t a l i s m u s ) . 3.2.2. Weil der Absolutismus über die Kirchen verfügte, gerieten private Frömmigkeit und Institution in eine Spannung, an der Kirchen zwar bis ins 20. Jh. leiden, aber die zugleich (und paradoxerweise) aber den institutionellen Fortbestand großer europäischer Volkskirchen bewirkt, weil das „Christentum außerhalb der Kirche" und die privatisierte Frömmigkeit immer weniger zur Eigenorganisation neigen und deshalb von der Institution religiöse Dienstleistungen erwarten. Ob von Entkirchlichung (oder gar Entchristlichung) die Rede sein kann, hängt vom Parameter von Kirchlichkeit (bzw. Christlichkeit) ab. Gemessen am Aberglauben und an Projektionen des 16. und 17. Jh. gilt eher, daß sich eine gewisse christliche Sittlichkeit durchsetzen konnte; gemessen an den Kirchlichkeitsziffern vom Anfang des 19. Jh. läßt sich eher von Entkirchlichung sprechen. Je diffuser die religiöse Erwartungshaltung wird, je weniger sich eine besondere Christlichkeit in Lebensweisen und Gruppen ausprägt, desto mehr Gewicht fällt auf die institutionellen, bürokratisierten Kirchensysteme. Besonders fällt die Rolle der westdeutschen Kirchen nach 1945 auf; als nahezu einzige Institution überstanden sie ohne jeden Bruch das Dritte Reich und konnten stark auf die Gestaltung der bundesdeutschen Nachkriegsgesellschaft einwirken. Aber das institutionelle Gewicht läßt sich ebenso an nicht revidierten Kirchengrenzen in der DDR ablesen, schließlich auch am Umgang

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Gesellschaft/Gesellschaft und Christentum VII

staatssozialistischer Regierungen mit orthodoxen Kirchentümern, in dem sich nationale Interessen spiegeln. Die bis ins 20. Jh. hohe formale Kirchlichkeit im denominationellen System der USA (Steigerung vor allem auch in der Zeit des Kalten Krieges) hängt mit der Tatsache zusammen, daß es sowohl der civil religioti der weißen, angelsächsisch geprägten Mehrheit entgegenkam als auch die Identität von Minoritäten stützen half. Anders steht es mit der lateinamerikanischen Christenheit. Der aus spanischer oder portugiesischer Kolonisation hervorgegangene, zum Teil aus barbarischer Unterdrükkung erwachsene Katholizismus tat sich schwer, den häufig aus Nichteuropäern und Mischlingen entstammenden Unterschichten gerecht zu werden. Vor allem Impulse des französischen Katholizismus bewirkten eine Wende, die allerdings zu tiefen Spannungen und Spaltungen zwischen traditionellen und progressiven Katholiken führten, Spannungen, wie sie neuerdings auch im lateinamerikanischen Protestantismus auftreten, in dem sich allerdings manche endogene, enthusiastische Gruppe auf dem Weg zu Mittelklassenstandards befindet. Umfangreiche und genaue Untersuchungen zu den sogenannten -»Jungen Kirchen sind erst noch zu erstellen. Obwohl sich mit der Unabhängigkeit ihrer Länder auch ein Wille zur kirchlichen Eigenständigkeit zeigte, der in der Ökumene für neue Diskussionen sorgte, halten sie meist an Stilelementen europäisch-amerikanischer Mutterkirchen fest, überwinden sie ihre finanzielle Abhängigkeit oft nicht und überwinden sie importierte Denominationsmuster nur selten. Manchmal ist es zu vermuten, gelegentlich läßt es sich sogar nachweisen, daß den ehemaligen kolonialen Missionskirchen die neuen Mittelschichten oder Oberschichten zuwachsen, einheimische Kirchen aber die Vernachlässigten sammeln und dabei sogar viel größere Missionserfolge aufweisen.

3.2.3. Ist für Gesellschaften, die durch die Industrialisierungsphase geschritten sind, n o c h ein Klassenmodell oder nur ein Schichtmodell angemessen? Als M a r x im 19. J h . seine K l a s s e n t h e o r i e entfaltete, e n t s p r a c h das im wesentlichen der L a g e der damaligen G e s e l l s c h a f t . W i e verhalten sich K i r c h e b z w . C h r i s t e n t u m i n n e r h a l b einer Schichtenbzw. Klassengesellschaft? D i e oft b e k l a g t e E n t f r e m d u n g des Arbeiters von der K i r c h e ist (gegenüber anderen Ansätzen) so zu interpretieren, d a ß die K i r c h e traditionellen Leb e n s f o r m e n verbunden blieb und nicht mit einer an und für sich traditionell eingestellten Bevölkerungsgruppe, den proletarisierten L a n d a r b e i t e r n , K l e i n b a u e r n , H a n d w e r k e r n , w u c h s , als diese in die Städte s t r ö m t e n . U n d wenn sie sich u m sie k ü m m e r t e , dann häufig aus p a t r i a r c h a l i s c h e r G e s i n n u n g , für sie h a n d e l n d , nicht mit ihnen, o h n e bei aller Distanz die meisten je ganz zu verlieren. D e r G r a d der E n t f r e m d u n g hing d a v o n a b , o b K i r c h e n o d e r christliche G r u p p e n in der L a g e w a r e n , die b e s o n d e r e Identität einer sozialen G r u p pe zu interpretieren - zeitweise gelang das dem M e t h o d i s m u s , zum Teil auch k a t h o l i s c h e n G r u p p e n , in besonderer Weise sogar im deutschen K a t h o l i z i s m u s , der, durch die Säkularisierung eines g r ö ß e r e n Teils seiner R e s s o u r c e n b e r a u b t , in defensiver Einstellung gegen einen eher p r o t e s t a n t i s c h e n S t a a t eine neue Identität a u f b a u t e . Protestantisches religiöses B e w u ß t s e i n wurde dagegen w o h l zum letztenmal in den Befreiungskriegen g e s t ä r k t . Die N e i g u n g , K i r c h e n d i s t a n z zum K i r c h e n a u s t r i t t werden zu lassen, w ä c h s t heute eher in einer S c h i c h t , die dem traditionellen K l a s s e n m o d e l l m e h r entgegenläuft, den Angestellten des Dienstleistungssektors. B e i m Ü b e r g a n g zur sogenannten nachindustriellen G e s e l l s c h a f t (Bell) wird dieser S e k t o r breiter; er a b s o r b i e r t auch die kirchlichen M i t a r beiter und wiederholt in sich selbst ein D r e i - S c h i c h t e n - M o d e l l von U n t e r - , M i t t e l - und O b e r s c h i c h t . D e r Anteil der in der p r i m ä r e n P r o d u k t i o n beschäftigten A r b e i t e r s c h a f t (mit ihren z u m Teil recht traditionellen Einstellungen und Bindungen) an der Gesellschaft s c h r u m p f t . M i t d e m W a c h s e n des Dienstleistungssektors werden sich die K i r c h e n i m m e r m e h r a u f ein M a r k t m o d e l l ihres A n g e b o t s umstellen müssen. Diese A r t von Ö k o n o m i s i e r u n g fällt gerade dann leichter, wenn eine verinnerlichte F r ö m m i g k e i t relativ losgelöst von ä u ß e r e r G e s t a l t u n g und Institutionalisierung lebt und sich mit s t a r k e n Aversionen gegen soziologische D e n k w e i s e n und politisches E n g a g e m e n t verbindet. D a ß evangelikale F r ö m m i g k e i t sich oft vorzüglich organisiert, bestätigt das. Eine in vielen K i r c h e n w a c h s e n d e S p a n n u n g läßt v e r m u t e n , d a ß in der S p ä t p h a s e kapitalistischen W i r t s c h a f t e n s und t e c h n o l o g i s c h e n T r i u m p h e s kein verbindliches D e n k - und L e b e n s m o d e l l so stark wird, d a ß die A u f k l ä r u n g und ihre Folgen n o c h einmal aufgeklärt und so bewältigt werden k ö n n e n .

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3.3. Aufgaben für die Theologie

(Fundamentaltheologie

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und Ethik)

„Gesellschaft" ist kein eindeutiger Begriff {s.o. 2). Seine Bedeutung läßt unterschiedliche Aspekte am Verhältnis von Christentum und Gesellschaft entdecken: - Gesellschaft als moralische Tatsache bestimmt als Bürgerreligion den Gesamtzusammenhang sozialen Lebens (vgl. 2.1.3.). - Religionen nehmen Legitimationsfunktionen wahr (vgl. 2.2.2.; 3.1; 3.2.). - Religionen wird integrative Kraft oder aber organisatorische Rückständigkeit zugesprochen (vgl. 2.3.2.). - Religionen gehören zu sozialen Biographien und sollen die zum sozialen Leben notwendigen Symbolisationen leisten (vgl. 2.4.2.). 3.3.1. O b F o r m e n des C h r i s t e n t u m s , der K i r c h e bzw. ihrer T h e o l o g i e auch in der Neuzeit legitim sind, wird mit H i l f e des K o n z e p t s der „Säkularisierung" diskutiert. Ursprünglich bezeichnete dieser Begriff die E n t e i g n u n g kirchlichen G u t e s ; d a n a c h ist er in die Ideenpolitik e i n g e w a n d e r t (Lübbe); so stützt er ein P r o g r a m m , einst christlich geprägte L e b e n s b e r e i c h e und N o r m e n s y s t e m e - vor a l l e m der Politik - zu verweltlichen. T h e o logen k o n n t e n zwei e x t r e m e Positionen beziehen. Einerseits w u r d e „ S ä k u l a r i s m u s " mit Abfall v o m w a h r e n C h r i s t e n t u m gleichgesetzt. D i e s e r sehr geläufigen Auslegung widersprach F. -*Gogarten-, er sah die E n t z a u b e r u n g der m o d e r n e n Welt als legitime K o n s e quenz der christlichen Freiheit an, o h n e deren zwiespältige F o l g e n zu übersehen. Seine Anregungen w i r k t e n fort: D i e Welt neuzeitlicher W i s s e n s c h a f t e n und gesellschaftlicher Deutungssysteme läßt sich in einer F o l g e i m m e r u m f a s s e n d e r e r Stufen von Sinnintegrationen verstehen (W. P a n n e n b e r g ) , die auf eine letzte, alles integrierende Fülle gelebten und e r d a c h t e n Sinns weist. Eine andere Variante interpretiert den Wandel (im Verhältnis von Gesellschaft und C h r i s t e n t u m ) als R ü c k z u g des d o g m a t i s c h e n C h r i s t e n t u m s a u f innere B a s t i o n e n der K i r c h e , während ein ethischer Impuls in die Sittlichkeit der abendländischen G e s e l l s c h a f t und die sie konstituierende Freiheit einmündet (T. R e n d t o r f f ) . Die erste T h e s e lädt ein, das Verhältnis des G l a u b e n s zur R e l i g i o n neu zu b e d e n k e n , die zweite, Christlichkeit nicht nur an den von K i r c h e n etablierten F o r m e n zu messen. In beiden Fällen werden Versionen der s o g e n a n n t e n R e i c h s - und R e g i m e n t e n l e h r e (ob in Luthers F a s s u n g o d e r in neulutherischer A u s f o r m u n g , m ü ß t e diskutiert werden) wieder lebendig: L ä ß t sich a u c h der Sinn des Weltganzen antizipieren, so ist G o t t e s R e i c h d o c h n o c h nicht so präsent, d a ß sich politische E n t s c h e i d u n g e n auf religiöse A r g u m e n t e berufen k ö n n t e n . Stellt das politische Selbst eine F o l g e der zur L e b e n s w i r k l i c h k e i t g e w o r d e nen christlichen Freiheit d a r , die einst Paulus und die R e f o r m a t o r e n b e t o n t e n , d a n n d a r f es nicht von der T h e o l o g i e vereinnahmt w e r d e n , aus der es gerade entlassen wurde. Diese sublime Art von Apologetik des Christentums hat ihre Probleme, da sie vielen Fragestellungen neuzeitlicher Gesellschaftsgeschichte nicht entspricht (Erweiterung der Öffentlichkeit, Ursprung der modernen Welt in nonkonformistischen Gruppen, Rolle von Naturwissenschaft und Technik usw.). H. Blumenberg verteidigt die „Legitimität der Neuzeit" als berechtigten Weg der Vernunft zu sich selbst gegen die theologischen Deutungen der Neuzeit. Die Diskussion um eine christliche Legitimation der Neuzeit übersieht allerdings (wie ihr Gegenpart auch), daß die leitenden Gedanken von Epochen im Austausch mit sozialen Lebensformen und gesellschaftlichen (besonders ökonomischen) Bewegungen stehen. Eine reine ideengeschichtliche Rekonstruktion kann diesem Anliegen nicht gerecht werden. Deshalb ist der Beitrag des Christentums zum Leben der Neuzeit nicht abstrakt zu benennen, sondern in Leitperspektiven gelingenden Lebens zu übersetzen und mit sozial eingeübten bzw. aufgezwungenen Lebensweisen und ihren Vorstellungen vom guten Leben zu konfrontieren. Einen Ansatz bietet die Anthropologie des Utilitarismus, die sich in soziale Selbstverwirklichung (Konkurrenzindividualismus) und ideologische Legitimation (allen das möglichst Beste) aufspaltet (vgl. 3.1.4.). Welche Leitlinien gelingenden Lebens impliziert demgegenüber das Liebesgebot (die Freiheit des anderen „Selbst", seine Würde einschließend), welche Folgen haben neutestamentliche Freiheitszusagen für das Leben heute, welche Resonanz findet die Gleichheit nach Gal 3,28 außerhalb der Gemeinde? 3.3.2. V o r allem wird sich T h e o l o g i e mit der A l s - O b - W e l t neuzeitlich-konservativer Ideologien (vgl. 3 . 1 . 4 . ) auseinandersetzen müssen. W ä h r e n d linke G e s e l l s c h a f t s k r i t i k aus ihrer D i s t a n z zur (bzw. A b l e h n u n g der) R e l i g i o n in aller Regel keinen H e h l m a c h t ,

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schätzt der Konservatismus die Religiosität meist als gesellschafts- und biographieintegrierendes Element, allerdings unabhängig von ihrem Wirklichkeitssinn und Wahrheitsanspruch. (Gerade im -»Faschismus wurde Religion ähnlich nutzbar gemacht; der Nationalprotestantismus war gegen die Hitlerbewegung nicht immun.) Dieses Übereinkommen ist auf dem Hintergrund einer um sich greifenden gesellschaftlichen Funktionalisierung möglich, die ihrerseits die Kontingenz des einzelnen Menschen mißachtet oder nur als Umwelt des sozialen Systems ansieht. 3.3.3. In diesem Zusammenhang gewinnt die (allerdings theologisch oft verzeichnete) Unterscheidung von Religion und Christusglauben neue Bedeutung. Religion als Sinnstiftung von gesellschaftlicher Relevanz machte das Christentum zu einem ihrer Sonderfälle. Als die Wort-Gottes-Theologie die Religion angriff, wollte sie gegen die gesellschaftliche Funktionalisierung des Christentums protestieren. Da sie keine zureichenden Begriffe hatte, führte sie sich selbst irre; ihr Angriff kann heute nur unter anderen Gesichtspunkten wiederholt werden. Ein Schlüssel liegt im Anliegen der Humanität. Gelangt ihre universale Geltung erst durch kontingente geschichtliche Impulse zur Bestimmung, dann läßt sich der Anspruch des Christentums, aufgrund kontingenter Offenbarung dem Menschen im Glauben neue Perspektiven zu öffnen, nicht mit einem theoretisch vorausdefinierten allgemeinen Begriff (heiße er Religion, Sinn, Legitimation oder Freiheit) ausschöpfen. Sondern dann fordert er heraus, das Christsein in seiner Vielfalt von den nicht erschöpften Anstößen biblischer Verkündigung her zu beschreiben und mit den gesellschaftlich sedimentierten Angeboten guten Lebens heute (in Ideologien und gesellschaftlichen Lebensvollzügen) zu konfrontieren. Er fordert weiter heraus, gegenüber soziologischen Vorstellungen von der Ganzheit des Sozialen abzurücken und soziologische Erklärungsmuster in ihrer Relativität zu begreifen. Heute liegen die Chancen der Kirche nicht in ihrer Willfährigkeit gegenüber den Angeboten, Sinn zu stiften, sondern in ihrer kritischen, die Menschen begleitenden Erörterung, was Sinn in einer Welt bedeuten kann, die aus sich heraus ohne objektives Ziel ist (vgl. 2.4.3.). 3.3.4. Das Verhältnis von Christentum und Gesellschaft in der Neuzeit wird primär als ethisches Problem aufgefaßt. Wenn nämlich die Gesellschaft der Neuzeit empirisch oder phänomenologisch beschrieben wird, dann steht das Handeln der Kirche bzw. einzelner Christen (und mit ihm die handlungsleitenden Begriffe beider) im Vordergrund. Dabei sieht sich die Kirche selbst häufig als über der Gesellschaft stehend an; sie sorgt sich um ihre Eingriffe in die gesellschaftlichen Zusammenhänge und will als sittliche Kraft in die Gesellschaft eingehen. Aber diese Art ethischer Verhältnisbestimmung greift zu kurz. Das Verhältnis von Gesellschaft und Christentum ist auch eine fundamentaltheologische Frage — es sei denn, die Ethik würde zu einer so umfassenden Theorie ausgeweitet, daß sie mit gleichem Anspruch wie die zur Fundamentaltheologie erweiterte Dogmatik eine Theorie gegenwärtiger Lebenswirklichkeit darstellte (in diesem Sinne: T. Rendtorff). -> Dogmatik will die Wirklichkeit aus der Perspektive des Glaubens erfassen. Das heißt aber nicht, der traditionellen Dogmatik wieder die theologische Führungsrolle anzuvertrauen. Wenn es ihr um die Wahrheit christlichen Bekenntnisses angesichts gegenwärtiger Wirklichkeit geht, so muß sie lernen, daß diese Wirklichkeit von Grund auf durch Menschen verändert wird und sie so zugleich auf den Menschen zurückwirkt. Dogmatik wird dann auf die Ethik hören, um überhaupt die bewegte Realität, in der die Wahrheit des Bekenntnisses entfaltet werden soll, zu verstehen. Deswegen konvergieren die Interessen von Dogmatik und Ethik in einer Fundamentaltheologie, die vom dritten Artikel des Glaubensbekenntnisses her zu entwerfen ist: Gottes Gegenwart im Geist muß in der Auseinandersetzung mit den vielfältigen Begriffen von Religion, von Lebenssinn, von gesellschaftlich eingeübten Lebensformen und der verfaßten Gestalt der Kirche zum Verständnis kommen. Die Ethik wird durch Auseinandersetzung mit E n t w ü r f e n von Gesellschaft auf ihr W i r k l i c h k e i t s verständnis verwiesen. Welche Sicht der menschlichen sozialen W i r k l i c h k e i t tradieren neuere ethi-

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sehe bzw. moraltheologische Entwürfe? Nur Hinweise können den komplexen Sachverhalt andeuten: (a) Die katholische Soziallehre (v.a. als päpstliche Verlautbarung) hält im 19. und 20. Jh. zunächst an einer teleologischen Welt- und Ordnungsperspektive (oft in hierarchischen Modellen) fest. Neuerdings betonen verschiedene Moraltheologen die neuzeitliche Entfaltung der bereits von -*Thomas von Aquin entfalteten Autonomie menschlicher Vernunft. (b) Protestantische Entwürfe desselben Zeitraums wählen verschiedene Schlüssel zur Wirklichkeit: Ordnungsethiken einen Dualismus von Recht und Liebe, Außen und Innen, Schöpfung (bzw. Erhaltung) und Erlösung, gesellschaftlicher Chaosbewältigung und gemeindlicher Heiligung (zwei Sphären bzw. zwei Reiche); Neuprotestantische Entwürfe eine von Positivismus und Naturwissenschaften geschiedene Sphäre sittlicher Zwecksetzung (geistiges Reich Gottes); das Social Gospel und einige Strömungen des Religiösen Sozialismus die in der Immanenz transzendente und umwälzende Kraft des Reiches Gottes; die Wort-Gottes-Theologie die Unabgeschlossenheit menschlicher Wirklichkeitsbestimmungen (die entweder das Gesellschaftliche unter dem Eindruck der Offenbarung in Christus neu bestimmt oder naturrechtliche Ansätze wiederbelebt); geschichtstheologische Modelle die Perspektive der Befreiung oder des eschatologisch orientierten Überschreitens gegebener verfestigter Strukturen. Die verschiedenen Gesellschaftsbegriffe ( 2 . 1 . - 2 . 4 . ) zeigen jedoch, daß die Wahrnehmung der sozialen Wirklichkeit nicht beliebig ist, sondern zum sozialen Wissen selbst gehört. Deshalb wird sich die Kraft einer theologischen Gesellschaftsethik d a r a n erweisen, wie sie diese Bedingungen im Blick auf das Leben der Menschen aufdecken hilft. Der Schlüssel dazu liegt in der gegenwärtigen Verkündigung des Reiches Gottes, das weder die von M e n s c h e n w a h r g e n o m m e n e Wirklichkeit überhöht noch die jeweils geltenden, sozial eingeübten Hierarchien des Guten auf ein summum bonum ausrichtet, sondern sie in der Weise ernst nimmt, daß es die davon betroffenen M e n s c h e n zum Überschreiten und zur A n n a h m e dessen zugleich bereit m a c h t . Literatur Wilhelm Abel, Massenarmut u. Hungerkrisen im vorindustriellen Europa, Göttingen 1974. Otto Brunner, Neue Wege der Verfassungs- u. Sozialgesch., Göttingen 2 1968. - Werner Eiert, Morphologie des Luthertums, 2 Bde., München 1931. - Martin Greschat, Das Zeitalter der industriellen Revolution. Das Christentum vor der Moderne, Stuttgart 1980 (Christentum u. Gesellschaft 11). Friedrich Wilhelm Kantzenbach, Christentum in der Gesellschaft, Hamburg, II 1976. - Henri Lefebvre, La vie quotidienne dans le monde moderne, Paris 1968. - Hartmut Lehmann, Das Zeitalter des Absolutismus. Gottesgnadentum u. Kriegsnot, Stuttgart 1980 (Christentum u. Gesellschaft 9). — Andreas Lindt, Das Zeitalter des Totalitarismus. Politische Heilslehren u. ökum. Aufbruch, Stuttgart 1981 (Christentum u. Gesellschaft 13). - Helmut Pleßner, Die verspätete Nation, Stuttgart 4 1966. - Franz Schnabel, Dr. Gesch. im 19. Jh. VII. Die kath. Kirche in Deutschland, Freiburg 1965; VIII. Die prot. Kirchen in Deutschland, Freiburg 1965. - Wilhelm Treue, Gesellschaft, Wirtschaft u. Technik Deutschlands im 19. Jh. (Gebhardt, Hb. der dt. Gesch. 17), Stuttgart ®1970. - Ders., Wirtschaft, Gesellschaft u. Technik in Deutschland vom 16. bis zum 18. Jh. (Gebhardt, Hb. der dt. Gesch. 12), Stuttgart ®1970. Zu 3.1.1.: Shlomo Avineri, Hegel's Theory of the State, Cambridge 1974. - Ernst-Wilhelm Böckenförde, Staat, Gesellschaft, Freiheit, Frankfurt a. M. 1976. - Jean Bodin, Les six livres de la république, l'nris 1583. - Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Grundlinien der Phil, des Rechts, hg. v. Johannes Hoffmeister, Hamburg 1955 (SW XII). - Immanuel Kant, Die Metaphysik der Sitten, Königsberg 1797 (2. Aufl.: Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, Königsberg 1797). Reinhard Koselleck, Kritik u. Krise. Ein Beitr. zur Pathogenese der bürgerlichen Welt, Freiburg/München 1959. Zu 3.1.2.: Philippe Ariès, L'enfant et la vie familiale sous l'ancien régime, Paris 1960. - Ders., L'homme devant la mort, Paris 1978. - Norbert Elias, Über den Prozeß der Zivilisation, 2 Bde., Basel 1939, Nachdr. Frankfurt a. M . 1976. - Erich Fromm, Analytische Sozialpsychologie u. Gesellschaftstheorie, Frankfurt a . M . 1970. - Bernhard Groethuysen, Die Entstehung der bürgerlichen Welt- u. Lebensanschauung in Frankreich, 2 Bde., Halle/Saale 1927. - Rupert A. Hall, Die Geburt der naturwiss. Methode 1630-1720. Von Galilei bis Newton, Gütersloh 1965. - Thomas S. Kuhn, The Structure of Scientific Révolutions, Chicago 1970. - Craxford Brough MacPherson, The Political Theory of Possessive Individualism. Hobbes to Locke, Oxford 1962. Zu 3.1.3.: David C. McClelland, The Achieving Society, Princeton, N . J . 1 9 6 1 . - T h e Economy of Expanding Europe in the 16 lh and 17 th Centuries, hg. v. E . E . Rich/C.H. Wilson, Cambridge 1967

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Gesenius

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Christofer Frey Gesellschaftswissenschaften -»• Sozialwissenschaften Gesenius, Wilhelm

(1786-1842)

1. Leben Gesenius wurde am 3.2.1786 als Sohn eines Arztes in Nordhausen geboren. Er studierte seit 1803 Theologie in Helmstedt, wurde 1806 Repetent an der theologischen Fakultät in Göttingen, 1809 Gymnasiallehrer in Heiligenstadt, 1810 außerordentlicher und 1811 ordentlicher Professor der Theologie in —»Halle. Bis zu seinem Tode am 23.10.1842 konnte er hier mit außerordentlich großem Erfolg und Einfluß lehren. Ohne Wirkung blieb eine 1830 gegen ihn eingeleitete Untersuchung, nachdem er zusammen mit seinem Kollegen Julius A. L. Wegscheider von Ludwig von Gerlach in der Evangelischen Kirchenzeitung (—»Hengstenberg) als Rationalist denunziert worden war. 2. Werk und

Wirkung

Gesenius gilt als der eigentliche Begründer der exakten hebräischen Philologie und semitischen Epigraphik. In den ersten Jahren seiner Forschungstätigkeit hatte er sich auch lateinischen und griechischen Klassikern gewidmet, wovon eine Untersuchung zu Ovids Fasti zeugt, mit der er 1806 in Göttingen die philosophische Doktorwürde erwarb. Später verlagerte sich sein Interesse ganz auf die Beschäftigung mit den semitischen Sprachen und der Exegese des Alten Testaments. Seine Untersuchungen des biblischen -»Hebräisch gründeten durchweg auf einer genauen und systematischen Heranziehung der ihm verwandten Sprachen. Die hebräische Sprachforschung sollte als selbständige wissenschaftliche Disziplin unabhängig von theologischer Voreingenommenheit sein, der historische Entwicklungsgang der Sprache nur aus sich selbst ergründet werden. Die wichtigsten Beiträge Gesenius' zur Kunde des biblischen Hebräisch sind seine lexikographischen Werke und die Grammatik. 1810-1812 erschien in 2 Bänden das Hebräisch-deutsche Handwörterbuch ..., das 1823 in zweiter Auflage den Titel Hebräisches und chaldäisches Handwörterbuch über das Alte Testament erhielt. Bis zum Tode des Verfassers wurde es von ihm in mehreren Auflagen herausgebracht, in den folgenden Jahrzehnten von anderen immer wieder überarbeitet (seit 10 1886 unter dem Titel Hebräisches und aramäisches Handwörterbuch ...; letzte Bearbeitung von Frants Buhl 1 7 1915). Bis heute ist es - wenn auch in seinem Forschungsstand sehr veraltet - ein noch viel verwendetes Wörterbuch des biblischen Hebräisch. Zum Standardwerk der hebräischen Lexikographie wurde der Thesaurus philologicus criticus linguae Hebraeae et Chaldaeae Veteris Testamenti, der von Gesenius seit 1829 herausgebracht und nach dessen Tode von Emil Rödiger zu Ende geführt wurde (vollendet 1858). In diesem Werk, ein Niederschlag der umfassenden linguistischen, historischen und geographischen Kenntnisse seines Verfassers, wurden u.a. auch talmudische Quellen und jüdische Bibelkommentare des Mittelalters berücksichtigt. Die Hebräische Grammatik erschien zum ersten Mal 1813 und wurde bis 1842 nicht weniger als 13 mal neu aufgelegt. Auch sie ist danach mehrfach überarbeitet worden (zuletzt von Emil Kautzsch 28 1909 bzw. von Gotthelf Bergsträßer 29 1918/1929), wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt und ist bis heute ein für die hebräische Grammatik grundlegendes Werk geblieben. Neben der Beschäftigung mit dem biblischen Hebräisch galt ein weiterer Schwerpunkt der Forschungstätigkeit Gesenius' anderen semitischen Sprachen. 1810 wies er zur maltesischen Sprache nach, daß es sich hierbei um einen verdorbenen arabischen Dialekt handelt. Andere Untersuchungen galten der phönizischen Sprache und Epigraphik, dem samaritanischen Pentateuch und der samaritanischen Theologie.

Gesenius

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S t r o h m , Göttingen 1975. - H o r s t Zilleßen, P r o t e s t a n t i s m u s u. politische F o r m , G ü t e r s l o h 1971.

Christofer Frey Gesellschaftswissenschaften -»• Sozialwissenschaften Gesenius, Wilhelm

(1786-1842)

1. Leben Gesenius wurde am 3.2.1786 als Sohn eines Arztes in Nordhausen geboren. Er studierte seit 1803 Theologie in Helmstedt, wurde 1806 Repetent an der theologischen Fakultät in Göttingen, 1809 Gymnasiallehrer in Heiligenstadt, 1810 außerordentlicher und 1811 ordentlicher Professor der Theologie in —»Halle. Bis zu seinem Tode am 23.10.1842 konnte er hier mit außerordentlich großem Erfolg und Einfluß lehren. Ohne Wirkung blieb eine 1830 gegen ihn eingeleitete Untersuchung, nachdem er zusammen mit seinem Kollegen Julius A. L. Wegscheider von Ludwig von Gerlach in der Evangelischen Kirchenzeitung (—»Hengstenberg) als Rationalist denunziert worden war. 2. Werk und

Wirkung

Gesenius gilt als der eigentliche Begründer der exakten hebräischen Philologie und semitischen Epigraphik. In den ersten Jahren seiner Forschungstätigkeit hatte er sich auch lateinischen und griechischen Klassikern gewidmet, wovon eine Untersuchung zu Ovids Fasti zeugt, mit der er 1806 in Göttingen die philosophische Doktorwürde erwarb. Später verlagerte sich sein Interesse ganz auf die Beschäftigung mit den semitischen Sprachen und der Exegese des Alten Testaments. Seine Untersuchungen des biblischen -»Hebräisch gründeten durchweg auf einer genauen und systematischen Heranziehung der ihm verwandten Sprachen. Die hebräische Sprachforschung sollte als selbständige wissenschaftliche Disziplin unabhängig von theologischer Voreingenommenheit sein, der historische Entwicklungsgang der Sprache nur aus sich selbst ergründet werden. Die wichtigsten Beiträge Gesenius' zur Kunde des biblischen Hebräisch sind seine lexikographischen Werke und die Grammatik. 1810-1812 erschien in 2 Bänden das Hebräisch-deutsche Handwörterbuch ..., das 1823 in zweiter Auflage den Titel Hebräisches und chaldäisches Handwörterbuch über das Alte Testament erhielt. Bis zum Tode des Verfassers wurde es von ihm in mehreren Auflagen herausgebracht, in den folgenden Jahrzehnten von anderen immer wieder überarbeitet (seit 10 1886 unter dem Titel Hebräisches und aramäisches Handwörterbuch ...; letzte Bearbeitung von Frants Buhl 1 7 1915). Bis heute ist es - wenn auch in seinem Forschungsstand sehr veraltet - ein noch viel verwendetes Wörterbuch des biblischen Hebräisch. Zum Standardwerk der hebräischen Lexikographie wurde der Thesaurus philologicus criticus linguae Hebraeae et Chaldaeae Veteris Testamenti, der von Gesenius seit 1829 herausgebracht und nach dessen Tode von Emil Rödiger zu Ende geführt wurde (vollendet 1858). In diesem Werk, ein Niederschlag der umfassenden linguistischen, historischen und geographischen Kenntnisse seines Verfassers, wurden u.a. auch talmudische Quellen und jüdische Bibelkommentare des Mittelalters berücksichtigt. Die Hebräische Grammatik erschien zum ersten Mal 1813 und wurde bis 1842 nicht weniger als 13 mal neu aufgelegt. Auch sie ist danach mehrfach überarbeitet worden (zuletzt von Emil Kautzsch 28 1909 bzw. von Gotthelf Bergsträßer 29 1918/1929), wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt und ist bis heute ein für die hebräische Grammatik grundlegendes Werk geblieben. Neben der Beschäftigung mit dem biblischen Hebräisch galt ein weiterer Schwerpunkt der Forschungstätigkeit Gesenius' anderen semitischen Sprachen. 1810 wies er zur maltesischen Sprache nach, daß es sich hierbei um einen verdorbenen arabischen Dialekt handelt. Andere Untersuchungen galten der phönizischen Sprache und Epigraphik, dem samaritanischen Pentateuch und der samaritanischen Theologie.

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Gesetz I

Schließlich ist die exegetische Arbeit Gesenius' a m Alten Testament zu erwähnen. 1 8 2 0 - 1 8 2 1 veröffentlichte er das dreiteilige Werk Der Prophet Jesaja übersetzt und mit einem philologisch-kritischen und historischen Commentare begleitet. Eine vollständige Bibliographie der Werke Gesenius' ist nicht erschienen, doch sind alle wichtigen Werke in den Artikeln von Eckstein, Redslob und Reuß/Kraetzschmar (s. u.) zusammengestellt. Literatur Thomas Kelly Cheyne, Founders of Old Testament Criticism, London 1893, 53-65. - Friedrich August Eckstein, Gesenius (Wilhelm): AEWK 1/24 (1857) 3 - 9 . - Otto Eißfeldt, Von den Anfängen der phönizischen Epigraphik. Nach einem bisher unveröffentlichten Brief von Wilhelm Gesenius, 1948 (HM 5). - Ders., Wilhelm Gesenius als Archäologe: FuF 18 (1942) 297-299 = ders., KS, Tübingen, II 1963, 430-434. - Ders., Wilhelm Gesenius u. die Palästinawissenschaft: ZDPV 65 (1942) 105-112 = ders., KS, Tübingen, II 1 9 6 3 , 4 3 5 ^ 4 0 . - Ders., Wilhelm Gesenius 1786-1842: 250 Jahre Universität Halle, Halle 1944,88-90 = ders., KS, Tübingen, II 1963,441^t42. - Gesenius. Eine Erinnerung für seine Freunde, anonym Berlin 1842 (Verf. wohl Robert Haym). - Hermann Gesenius, Wilhelm Gesenius, ein Erinnerungsblatt an den 100jährigen Geburtstag, Halle 1886. - Hans Joachim Kraus, Gesch. der hist.-kritischen Erforschung des AT, Neukirchen-Vluyn 2 1969, 162f u.ö. - Edward Frederick Miller, The Influence of Gesenius in Hebrew Lexicography, 1927 (COPH 11) (Lit.). Gustav Moritz Redslob, Gesenius: ADB 9 (1879) 89-93 (Lit.). - Eduard Reuß/Richard Kraetzschmar, Gesenius: R E 3 6 (1899) 624-627 (Lit.). Joachim Hahn

Gesetz I. Altes Testament II. J u d e n t u m III. Neues Testament

52 58 75

IV. Alte Kirche V. Reformationszeit VI. Neuzeit

82 90

I. Altes Testament 1. Außerbiblisches Altertum 2. Alttestamentliche Forschungsgeschichte 3. Rechtliche Gattungen der Frühzeit - Bundesbuch 4. Propheten 5. Deuteronomium 6. Priesterschrift und Heiligkeitsgesetz 7. Esra und der Chronist 8. Spätisraelitische Strömungen 9. Septuaginta und hellenistische Diaspora (Literatur S. 51) 1. Außerbiblisches

Altertum

1.1. Babylonier und Hethiter. W ä h r e n d aus dem alten Ägypten keine Gesetze überliefert sind und die Rechtspflege anscheinend durch Richterkollegien mit charismatischen Entscheiden erledigt wurde (vgl. A N E T 212ff), verhält es sich in den Keilschriftkulturen anders. Ein beträchtlicher Anteil der dort erhaltenen T e x t e besteht aus Rechtsurkunden; sie bezeugen die H o c h s c h ä t z u n g der Rechtspraxis, beziehen sich aber weder auf irgendwelche Gesetze noch auf göttliche Legitimation. Welche Bedeutung dennoch Gesetzen z u k o m m t , lassen die von den Königen U r n a m m u (21. J h . ; A N E T 5 2 3 - 5 2 5 ; T U A T I, 1 7 - 2 3 ) , Lipitischtar (19. J h . ; A N E T 1 5 9 - 1 6 1 ; T U A T I, 2 3 - 3 1 ) und H a m m u r a p i (um 1700; A N E T 1 6 3 - 1 8 0 ; A O T 3 8 0 - 4 1 0 ; T U A T 1, 3 9 - 8 0 ) erlassenen Codices erkennen. Sie enthalten drei Teile, die zwar in der Sprache variieren, aber dennoch eine „organische Einheit" (H. Petschow, RLA 3, 244) bilden: a) Prolog mit Hinweis auf eine Setzung der Götter und Selbstvorstellung des Königs in seiner Relation zu Göttern und Menschen, b) Gesetzesvorschriften mit kasuistischen W e n n . . . (Schuldtatbestand); so . . . (Rechtsfolge-) Sätzen, c) Epilog mit Betonung der Übereinstimmung mit dem Gotteswillen sowie -»Segen und Fluch. Hammurapis Stele steht dabei späteren alttestamentlichen Regelungen näher als die früheren Sammlungen, z.B. durch Einführung des Talionsprinzips (§§ 1 9 6 - 2 0 5 ) . Die Gesetzgebung wird jeweils metahistorisch legitimiert durch Berufung auf eine Bestimmung der Geschicke des Alls durch

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Gesetz I

Schließlich ist die exegetische Arbeit Gesenius' a m Alten Testament zu erwähnen. 1 8 2 0 - 1 8 2 1 veröffentlichte er das dreiteilige Werk Der Prophet Jesaja übersetzt und mit einem philologisch-kritischen und historischen Commentare begleitet. Eine vollständige Bibliographie der Werke Gesenius' ist nicht erschienen, doch sind alle wichtigen Werke in den Artikeln von Eckstein, Redslob und Reuß/Kraetzschmar (s. u.) zusammengestellt. Literatur Thomas Kelly Cheyne, Founders of Old Testament Criticism, London 1893, 53-65. - Friedrich August Eckstein, Gesenius (Wilhelm): AEWK 1/24 (1857) 3 - 9 . - Otto Eißfeldt, Von den Anfängen der phönizischen Epigraphik. Nach einem bisher unveröffentlichten Brief von Wilhelm Gesenius, 1948 (HM 5). - Ders., Wilhelm Gesenius als Archäologe: FuF 18 (1942) 297-299 = ders., KS, Tübingen, II 1963, 430-434. - Ders., Wilhelm Gesenius u. die Palästinawissenschaft: ZDPV 65 (1942) 105-112 = ders., KS, Tübingen, II 1 9 6 3 , 4 3 5 ^ 4 0 . - Ders., Wilhelm Gesenius 1786-1842: 250 Jahre Universität Halle, Halle 1944,88-90 = ders., KS, Tübingen, II 1963,441^t42. - Gesenius. Eine Erinnerung für seine Freunde, anonym Berlin 1842 (Verf. wohl Robert Haym). - Hermann Gesenius, Wilhelm Gesenius, ein Erinnerungsblatt an den 100jährigen Geburtstag, Halle 1886. - Hans Joachim Kraus, Gesch. der hist.-kritischen Erforschung des AT, Neukirchen-Vluyn 2 1969, 162f u.ö. - Edward Frederick Miller, The Influence of Gesenius in Hebrew Lexicography, 1927 (COPH 11) (Lit.). Gustav Moritz Redslob, Gesenius: ADB 9 (1879) 89-93 (Lit.). - Eduard Reuß/Richard Kraetzschmar, Gesenius: R E 3 6 (1899) 624-627 (Lit.). Joachim Hahn

Gesetz I. Altes Testament II. J u d e n t u m III. Neues Testament

52 58 75

IV. Alte Kirche V. Reformationszeit VI. Neuzeit

82 90

I. Altes Testament 1. Außerbiblisches Altertum 2. Alttestamentliche Forschungsgeschichte 3. Rechtliche Gattungen der Frühzeit - Bundesbuch 4. Propheten 5. Deuteronomium 6. Priesterschrift und Heiligkeitsgesetz 7. Esra und der Chronist 8. Spätisraelitische Strömungen 9. Septuaginta und hellenistische Diaspora (Literatur S. 51) 1. Außerbiblisches

Altertum

1.1. Babylonier und Hethiter. W ä h r e n d aus dem alten Ägypten keine Gesetze überliefert sind und die Rechtspflege anscheinend durch Richterkollegien mit charismatischen Entscheiden erledigt wurde (vgl. A N E T 212ff), verhält es sich in den Keilschriftkulturen anders. Ein beträchtlicher Anteil der dort erhaltenen T e x t e besteht aus Rechtsurkunden; sie bezeugen die H o c h s c h ä t z u n g der Rechtspraxis, beziehen sich aber weder auf irgendwelche Gesetze noch auf göttliche Legitimation. Welche Bedeutung dennoch Gesetzen z u k o m m t , lassen die von den Königen U r n a m m u (21. J h . ; A N E T 5 2 3 - 5 2 5 ; T U A T I, 1 7 - 2 3 ) , Lipitischtar (19. J h . ; A N E T 1 5 9 - 1 6 1 ; T U A T I, 2 3 - 3 1 ) und H a m m u r a p i (um 1700; A N E T 1 6 3 - 1 8 0 ; A O T 3 8 0 - 4 1 0 ; T U A T 1, 3 9 - 8 0 ) erlassenen Codices erkennen. Sie enthalten drei Teile, die zwar in der Sprache variieren, aber dennoch eine „organische Einheit" (H. Petschow, RLA 3, 244) bilden: a) Prolog mit Hinweis auf eine Setzung der Götter und Selbstvorstellung des Königs in seiner Relation zu Göttern und Menschen, b) Gesetzesvorschriften mit kasuistischen W e n n . . . (Schuldtatbestand); so . . . (Rechtsfolge-) Sätzen, c) Epilog mit Betonung der Übereinstimmung mit dem Gotteswillen sowie -»Segen und Fluch. Hammurapis Stele steht dabei späteren alttestamentlichen Regelungen näher als die früheren Sammlungen, z.B. durch Einführung des Talionsprinzips (§§ 1 9 6 - 2 0 5 ) . Die Gesetzgebung wird jeweils metahistorisch legitimiert durch Berufung auf eine Bestimmung der Geschicke des Alls durch

Gesetz I

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die großen Götter, bei der das Königtum über Sumer und Akkad (für eine bestimmte Frist) einer Stadtgottheit (z. B. M a r d u k ) und einem mit ihr verbundenen König zugeteilt wurde, mit der M a ß g a be, ausgleichende Gerechtigkeit (akk. misarum) auf Erden herzustellen. Eine solche Ausgleichsaktion, die in altbabylonischer Zeit bei Regierungsantritt und bei außergewöhnlichen Anlässen durch schriftlichen Erlaß als „Befreiung" und „Zerbrechen von (Urkunden) Tafeln" vollzogen wurde, zielt auf eine Neuordnung der Gesellschaftsordnung und umfaßt vor allem die Annullierung von fiskalischen und privaten Schulden, die Freilassung von einheimischen Sklaven (ANET 5 2 6 - 5 2 8 ) , die Rückgabe von Ländereien an frühere Eigentümer (RLA 3, 2 6 9 - 2 7 9 ) . In diesem Zusammenhang, der an Anordnungen zum alttestamentlichen - » J u b e l j a h r erinnert, wird bisweilen zusätzlich eine Gesetzgebung erlassen, die anscheinend den erreichten gesellschaftlichen Ausgleich für die Folgezeit gegenüber virtueller Beeiträchtigung durch Delikte sichern soll. Der König formuliert sie in Anlehnung an überkommene Rechtssätze als „Urteilssprüche ( d i t i u m ) der ausgleichenden Gerechtigkeit" (Cod. Hammurapi XLVII, 2) bzw. in Übereinstimmung „mit dem wahren Wort des Sonnengottes" (ANET 161.523), und die Götter sichern die Gültigkeit durch Segen und Fluch. Es ist deshalb fraglich, ob man die Gesetze, wie es oft geschieht, als „completely secular" (Driver/Miles, Babylonian Laws I, 39) ansprechen sollte. Solche Gesetzgebung hat freilich mehr programmatischen als praktischen Erfolg, jedenfalls zeigen die keilschriftlichen Rechtsurkunden oft andersartige Regelungen, selbst zur Regierungszeit des entsprechenden Königs. Vermutlich von Babylonien aus hat sich das Keilschriftrecht nach Assyrien und Hethitien (ANET 1 8 0 - 1 9 7 ; AOR 4 1 2 - 4 3 1 ; T U A T I, 8 0 - 9 2 ) und wohl auch nach Syrien-Palästina verbreitet, obwohl dort noch einschlägige Funde fehlen (vgl. aber Alt, KS III, 1959, 141-157). Eine eigentümliche Form von Gesetzgebung entsteht durch die kultisch verankerten Bündnisstatuten hethitischer (Mitte 2. Jt.) oder assyrischer (8./7. Jh.) Großkönige, die gewöhnlich mißverständlich Vasallenverträge genannt werden, o b w o h l es sich um keine A b m a c h u n g e n v o n Gleichberechtigten, sondern Setzungen eines Höherstehenden handelt (G. Tucker: V T 15 [1965] 4 8 7 - 5 0 3 , anders M . Buss: V T 16 [1966] 5 0 2 - 5 0 4 ) , f ü r die bisher keine zivilrechtlichen Analogien bestehen. Die etwa 50 erhaltenen hethitischen Verträge weisen in den ausführlicheren Fassungen einen gleichförmigen Aufbau auf: a) Überschrift und Selbstvorstellung, „Dies sind die Worte der Sonne N N . . . Ich, die Sonne" oder „So spricht die Sonne", b) Historischer Prolog, der das heilvolle Wirken des Großkönigs für die Dynastie des Vasallen herausstellt, c) Grundsatzerklärung über künftige gegenseitige enge Bindung, z.B. „Ich will dir treu sein, bleibe du dem Großkönig treu!..., „Wende deine Augen zu keinem anderen!", d) Beistandsverpflichtung in kasuistischer Formulierung, e) Anrufung der beidseitigen Götter als Zeugen, f) Segen und Fluch (ANET 199-206). Auf das Statut wird der Vasall durch -»Eid verflichtet, es wird an einem Heiligtum deponiert und ist regelmäßig zu verlesen. Die assyrischen und später aramäischen Belege (ANET 6 5 9 - 6 6 1 ; KAI Nr. 2 2 2 - 224; T U A T 1 , 1 5 5 - 1 8 9 ) verzichten auf den historischen Abriß, können dafür aber die Eidesleistung durch das Ritual des Zerschneidens eines Tierkörpers als Selbstverfluchung des Niedrigstehenden konkretisieren (ANET 532; TUAT 1,155f; zu M a r i : M . Noth, GSt I, 3 1 9 6 6 , 1 4 2 - 1 5 4 ) . Hier wird meistens c) und f) so verbunden, daß ein kasuistisches Gefüge entsteht (ANET 5 3 2 - 5 4 1 ) . Diese Statuten werden oft zur Erklärung der alttestamentlichen Verbindung von Bund und Gesetz herangezogen (s.u. Abschn. 3.9). 1.2. Perser. Im Alten Testament ist das unumstößliche „Gesetz der M e d e r und Perser" sprichwörtlich (Dan 6 , 1 3 ; Est 1,19). Von der Gesetzgebung der Achaimeniden ist uns z w a r nichts m e h r erhalten, doch betonen ihre Königsinschriften, d a ß die H a u p t a u f g a b e des G r o ß k ö n i g s darin besteht, nach dem Willen (?) A h u r a m a z z d a s den V ö l k e r n „das Gesetz" {data) aufzuerlegen. Solche Gesetze dienen der Durchsetzung der Wahrheit (arta) als dualistischem Gegenwert zum Bösen ( A N E T 3 1 6 f ) . Sie w e r d e n jeweils dem Landesbrauch entsprechend abgewandelt, so f ü r Ä g y p t e n nach 13jähriger Sammeltätigkeit (E. M e y e r , Gesch. des Altertums IV/1, 5 1 9 5 4 , 1 5 3 f ) . Von da aus versteht man auch die Entsendung —»Esras nach Palästina mit dem f ü r Israel geltenden Gesetz des Himmelsgottes. Neu am persischen Gesetzesbegriff ist nicht nur eine pointierte Stellung innerhalb der Weltordnung (Peter Frei/Klaus K o c h , Reichsidee u. Reichsorganisation im Perserreich, 1 9 8 4 [OBO 5 5 ] 6 0 - 7 0 ) , sondern auch die A b z w e c k u n g auf genaue D u r c h f ü h r u n g in der Rechtspraxis, die über den programmatischen C h a r a k t e r älterer mesopotamischer (und alttestamentlicher?) Gesetzessammlungen hinausreicht (z.B. Esr 7,26).

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1.3. Griechen. Für das archaische Hellas faßt vöfiog das gesellschaftliche und politische Brauchtum einer Polis bzw. eines barbarischen Ethnos zusammen, das auf den jeweiligen Schutzgott zurückgeführt wird, u. U. vermittelt durch Gesetzgeber wie Minos, Charondas oder Lykurg. In Athen lassen soziale Spannungen 5 9 4 / 3 den von Reisen in den O r i e n t z u r ü c k k o m m e n d e n Solon eine Verfassungsreform durchführen, die an den bybylonischen misarum erinnert, besteht sie doch aus a) Annulierung öffentlicher und privater Schulden, b) F r e i k a u f und Freilassung versklavter Athener, c) Neuverteilung des Bodens, d) N e u o r d n u n g von M a ß e n und G e w i c h t e n und handelt es sich e) um eine Gesetzgebung, die auf hölzernen Stelen öffentlich aufgestellt wird. E t w a ab dieser Z e i t wird VÖßOg auch im engeren Sinne für „schriftlich fixierte R e c h t s o r d n u n g " g e b r a u c h t , die durch Volksabstimmung beschlossen wird. D a m i t wird aber der göttliche Ursprung und die selbstverständliche Gültigkeit des „ G e s e t z e s " zweifelhaft. Die Sophisten behaupten einen Gegensatz von nomos als wandelbarer menschlicher Satzung und physis als Naturgegebenheit: Selbst die G ö t t e r geraten dadurch in Verdacht, nur Produkt eines willkürlichen nomos zu sein. In der T r a g ö d i e (z. B . Antigone bei Sophokles) tritt ein tragischer Gegensatz vom B r a u c h t u m der Polis und dem ungeschriebenen nomos, der alle M e n s c h e n bindet, zutage. Die Geistmetaphysik eines - > P l a t o und -»Aristoteles versucht, den Gegensatz mit der Behauptung zu überwinden, d a ß die menschliche Seele in gleicher Weise wie eine Polis, aber auch wie der K o s m o s organisiert sei mit dem vovg als höchstem Vermögen, das auf abwägende Gerechtigkeit hin ausgerichtet und damit die vernünftige und natürliche Quelle aller echten Gesetze sei; von dieser Voraussetzung aus entwerfen sie das Bild eines Idealstaates. D o c h vertreten beide daneben die Ansicht, daß wirkliche Gesetze nicht durch Volksabstimmung zustande k o m m e n ; es sei vielmehr wünschenswert, wenn ein an Tugend überragender M a n n , der an kein bestehendes Gesetz gebunden ist, den vößog selbst verkörpere (Plato, Politeia 2 9 4 a). Der G e d a n k e wird zum P r o g r a m m hellenistischer Könige, die sich als vöpog fyiyvxog und als Abglanz des k o s m i schen Gesetzes fühlen. Einflußreicher noch wird eine stoische Auffassung, nach der es darauf ank o m m t , das mit dem Xöyoq identische Naturgesetz zu erkennen und d e m g e m ä ß das menschliche Leben zu führen.

Dem Hellenismus erscheint das Gesetz wieder als etwas Göttliches, doch ebensosehr als Voraussetzung wie als Frucht menschlichen Verhaltens, mehr als ein Sein denn als ein Sollen. 2. Alttestamentliche

Forschungsgeschichte

J a h r h u n d e r t e l a n g galt bei Juden und Christen das Alte T e s t a m e n t als D o k u m e n t einer von G o t t dem M o s e offenbarten Religion des Gesetzes, wobei die Christen seit - » P a u l u s mehr als die J u d e n den legalistischen C h a r a k t e r herauszustreichen pflegten. N a c h d e m die historische Forschung aber die mosaische Verfasserschaft entsprechender T e x t e in Frage gestellt hatte, gelangte J . - > Wellhausen in seinen Prolegomena zum Ergebnis, daß das vorexilische Israel und das Gesetz als „zwei verschiedene W e l t e n " auseinanderklaffen. Die geschichtlichen Bücher lassen von diesem nichts erkennen, für die Propheten gar gilt: „ E s ist eine B a r b a r e i , einer solchen Erscheinung mit dem Gesetz die Physiognomie zu verderben" (3. Aufl., 417). Das Gesetz entpuppt sich als „das Erzeugnis des J u d e n t u m s " , dessen Gründer Esra und N e h e m i a sind; es setzt voraus, d a ß der geborene J u d e sich hinfort durch Befolgung erst selbst zum Juden m a c h t und fordert „leere F o r m e n , tote Werke, die nicht an sich, sondern dadurch Sinn und Wert h a b e n , daß sie von G o t t befohlen s i n d " (Israelit.-jüd. Gesch. 9 1 9 5 8 = 1981, 175). Viel nachgesprochen, ist die Behauptung von der bloßen O b s e r v a n z einer heteronomen Gesetzlichkeit an den T e x t e n nicht belegt worden (es sei denn, an neutestamentlichen). D e n n o c h ist die durch Wellhausen hervorgerufene Unterscheidung, welche die h e r k ö m m l i c h e christliche Sicht des Alten T e s t a m e n t s auf die nachexilischen J a h r h u n d e r t e einschränkt, bis heute in der Bibelwissenschaft herrschend. Sie führt dazu, Israel einerseits und das J u d e n t u m andererseits als zwei verschiedene religionsgeschichtliche E p o c h e n zu begreifen. In der Folge haben B o u s s e t - G r e ß mann (97 ff; Bousset, —»Greßmann) darauf verwiesen, daß ein großer Teil des nachexilischen Alten Testamentes von der behaupteten „ F r ö m m i g k e i t der O b s e r v a n z " nichts erkennen lasse, vielmehr „die Verdrängung des Kultus durch das G e s e t z " erst in die M a k k a b ä e r z e i t falle und damit erst eine „in ihrer Struktur wesentlich verschiedenere F r ö m m i g k e i t " a u f k o m m e (108), was dazu nötige, von da an vom S p ä t j u d e n t u m als einer eigenen E p o c h e zu reden. D o c h ihre Beweisführung hat weniger auf Alt- als auf Neutestamentier Eindruck g e m a c h t , und auch bei diesen nur so lange, bis die Vorliebe für den Begriff - » F r ü h j u d e n t u m in den 60er J a h r e n das Interesse an Differenzierung schwinden ließ. Nun hätte schon die Auffindung des alttestamentlichen Gesetzen verwandten C o d e x H a m m u r a pi 1902 den ersten Pfeiler der T h e s e Wellhausens, nämlich die Behauptung eines gesetzesfreien Israel, erschüttern können. Konservative F o r s c h e r haben zwar die mosaische A u t o r s c h a f t des Gesetzes von

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dort her verteidigt (J.M.P. Smith, The Origin and History of Hebrew Law, Chicago 1931 = 1960; H . D . Bracker, Das Gesetz Israels verglichen mit den drei altorientalischen Gesetzen, Hamburg 1962). Doch eine wirksame Revision innerhalb der kritischen Forschung wird erst 1934 durch -»Alt vorbereitet mit seiner Unterscheidung von kasuistischen Rechtssätzen, die aus Kanaan übernommen sind, und apodiktischen, die er als genuin israelitisches Sakralrecht begreift (s. Abschn. 3.1 u. 3.4). Im Anschluß daran hat Noth 1940 eine grundsätzliche Neubesinnung vorgelegt, Die Gesetze im Pentateuch, mit dem bemerkenswerten Untertitel Ihre Voraussetzungen und ihr Sinn, was herausstreicht, daß nicht das Vorhandensein gesetzlicher Formulierung, sondern ihr sprachlicher und historischer Beziehungsrahmen über den religiösen Rang Aufschluß gibt. Nach Noth hat Israel von Anfang an Rechtssätze gekannt. Doch im Unterschied zum Alten Orient werden sie nicht von Königen erlassen, sondern haben ihren Ursprung in Bundesfesten des sakralen Stämmeverbandes. Von da aus erhalten sie den eingeschränkten Zweck, die von Gott gestifteten Heilsetzungen für das Volk zu bewahren. Insofern wird der erste Teil der Wellhausenschen Argumentation korrigiert, aber nicht umgestoßen. Was die nachexilische Entwicklung betrifft, so bleibt -»Noth in den Bahnen seines Vorgängers. Indem er die Idee des -»Bundes als Zentrum bestimmt, dem alle Gebote funktional zugeordnet sind, greift er eine Interpretation auf, die Eichrodt schon 1933 mit seiner Theologie des Alten Testamentes vertreten hatte und die in der gegenwärtigen angelsächsischen (vgl. McCarthy) und französischen Exegese (L'Hour) dominiert. Ab -»Esra taucht ein Gottesgesetz als „absolute Größe von voraussetzungsloser, zeit- und geschichtsloser Gültigkeit" auf; nicht die Gott gestiftete Gemeinschaft bildet hinfort die Voraussetzung für das Halten der Gesetze, das Verhältnis kehrt sich vielmehr um, der Gedanke von göttlichem Lohn und göttlicher Strafe tauchen nun auf, „ein Abgehen von den alten echten Grundlagen des Glaubens und des Lebens" (Ges. Stud. 89). Noths Sicht ist durch G. v. -»Rad aufgegriffen worden, für den selbst die deuteronomische Paränese „ja nicht mit dem Gesetz verwechselt werden" darf (Theol. AT II, 419). Die Absolutsetzung des Gesetzes läßt er, da die Anfechtungen der nachexilischen Frommen nicht vom Gesetz ausgehen, erst später, vielleicht mit dem Chronisten anheben; was dann die verhängnisvolle Folge zeitigt, daß Israel aus seiner Geschichte mit seinem Gott heraustritt (ebd. I, 104 f). Entschlossener noch äußert Westermann (175); „im Alten Testament selbst wird das Gesetz niemals als Heilsweg verstanden". Die begrenzte Diskussion der letzten Jahrzehnte hat sich allein der Frage nach dem chronologischen Zeitpunkt der Anfänge der Gesetzlichkeit in Israel gewidmet. Rössler hat 1960 für die letzten vorchristlichen Jahrhunderte zwei auseinanderstrebende Bewegungen unterschieden, einerseits eine pharisäische Torafrömmigkeit, die mit dem Chronisten anhebt und auf Kasuistik beruht, zum anderen die Apokalyptik, der es einzig auf das Bekenntnis zum Gesetz als heilsgeschichtlicher Setzung ankommt und die an Einzelgeboten desinteressiert ist. Die Entdeckungen der Qumranschriften haben Braun u.a. das Bild eines jüdischen rigorosen gesetzlichen Radikalismus bestätigt, während Limbeck zum entgegengesetzten Ergebnis gelangt. Nach ihm wird in der Apokalyptik wie in Qumran das Gesetz als Gottes Himmel und Erde umfassende Schöpfungsordnung verstanden, die den Menschen davor bewahren will „Gottes unverdienbares Wohlwollen nicht durch Nachlässigkeit und Eigenwilligkeit... zu verlieren (193). Nach der anderen Seite, nämlich zu ausgesprochener Frühansetzung, schlägt das Pendel bei denjenigen Alttestamentlern aus, welche aus dem Deuteronomistischen Geschichtswerk eine „nomistische" Redaktion ausgliedern wollen (Dtr N , s. T R E 8 , 5 4 6 f), die sie der Exilszeit zuweisen, wobei allerdings der Gebrauch des disqualifizierten Begriffs Nomismus weder exegetisch noch gar semantisch begründet wird.

3. Rechtliche

Gattungen

der Frühzeit



Bundesbuch

D a s H e b r ä i s c h e hat für das g ö t t l i c h e G e s e t z keinen einheitlichen Begriff v e r w e n d e t . V i e l m e h r g e b r a u c h t es für die F o r d e r u n g e n G o t t e s eine A n z a h l von L e x e m e n m i t je verschiedenen B e d e u t u n g s n u a n c e n . Als in deuteronomischer Zeit zusammenfassende Ausdrücke geprägt werden, umfassen sie mehr als Gesetz im modernen Sinn; so begreift miswa „Setzung" neben Verhaltensvorschriften auch Schöpfungsakte und prophetische Weissagungen ein, und Tora meint die gesamte „Willensoffenbarung" Gottes (G. v. Rad, Theol. des AT, 4 I , 234f). Man kann das als Mangel beklagen, so daß im Alten Testament noch „verschwommen" ineinanderlicgt, was die Dogmatik notwendigerweise als Gesetz und Evangelium unterscheidet (G. Ebeling: Z T h K 55 [1958] 289 Anm. 2). Man kann darin aber auch ein Kennzeichen hebräischen Denkens sehen, das mit einem anderen theologischen „Koordinatennetz" arbeitet als das abendländische. Jedenfalls erscheint es ratsam, nach den Gattungsformen und dem darin zur Sprache kommenden Verständnis Ausschau zu halten. 3.1. Kasuistische Fallrechtsgesetze. E x 2 1 , 2 - 1 1 . 1 8 - 2 2 , 1 6 ; Lev 19ff; D t n 1 9 f f enthalten B e s t i m m u n g e n : „ W e n n (das und das g e s c h i e h t ) . . . , so (ist so und so zu v e r f a h r e n ) "

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Gesetz I

über S k l a v e n h a l t u n g , K ö r p e r v e r l e t z u n g , E i g e n t u m s h a f t u n g u . a . N a c h Stil wie Inhalt e n t s t a m m e n sie dem K e i l s c h r i f t r e c h t (vgl. E x 2 1 , 2 6 f. 2 8 ff mit C o d e x H a m m u r a p i §§ 1 9 6 - 2 0 1 . 2 5 0 - 2 5 2 ; weitere E n t s p r e c h u n g e n I D B 5 3 3 f ) , die w o h l über das frühe K a n a a n an Israel vermittelt w o r d e n sind. Verglichen mit b a b y l o n i s c h e n R e c h t s s ä t z e n , erscheint die zugrundeliegende G e s e l l s c h a f t s a u f b a u e i n f a c h e r , die Stellung des Sklaven h ö h e r , die S a n k t i o n e n oft härter. H e b r ä i s c h werden die Sätze als mispatim eingestuft, w a s sie w o h l als M i t t e l für „ d a s w a s e i n e m z u k o m m t " im Sinn der Vollstreckung eines T u n E r g e h e n s - Z u s a m m e n h a n g s ausweist (Liedtke 9 4 - 1 0 0 ) . Sie regeln Konfliktfälle i n n e r h a l b der agrarisch b e s t i m m t e n O r t s g e m e i n d e und berühren nur indirekt das G o t t e s v e r h ä l t n i s . 3.2. Gesetze über todeswürdige Verbrechen. Partizipial- oder R e l a t i v s ä t z e beschreiben E x 19,12; 2 1 , 1 2 - 1 7 ; 2 2 , 1 8 f; Lev 2 0 , 2 - 2 7 u . ö . T a b u v e r l e t z u n g e n , die für den T ä t e r die R e c h t s f o l g e h a b e n , d a ß er „ g e w i ß l i c h in den T o d geschickt w i r d " , u . U . mit zusätzlicher V e r w ü n s c h u n g „sein Blut bleibe auf seinem H a u p t " ( K o c h : V T 12 [ 1 9 6 2 ] ) ; gleicher A r t ist vielleicht die F o r m e l „ h e r a u s g e s c h n i t t e n werden soll seine nspces aus seinem V o l k " (Ex 1 2 , 1 9 ; Lev 2 0 , 3 u . ö . ; W. Z i m m e r l i , B K 1 3 / 1 , 3 0 3 - 3 0 6 ) . Die S a n k t i o n zielt anscheinend a u f e x k o m m u n i z i e r e n d e Steinigung (Lev 2 0 , 2 7 ; 2 4 , 1 6 ) oder B l u t r a c h e ( E x 21,12; Num 3 5 , 1 6 - 1 9 ) . 3.3. ->Fluch. H e i m l i c h e Vergehen, die sich dem Zugriff der R e c h t s g e m e i n d e entziehen, führen zu Flüchen als M i t t e l der V e r b r e c h e n s a h n d u n g (Dtn 2 7 , 1 4 - 2 6 ; vgl. J d c 1 7 , 2 ; Sach 5,3f). 3.4. Apodiktische Verbotsreihen. Als Inbegriff des göttlichen Gesetzes gilt der K i r c h e der - » D e k a l o g . I n n e r h a l b des Alten T e s t a m e n t e s spielt er j e d o c h , abgesehen von seiner Stellung im D e u t e r o n o m i u m ( 5 , 6 f f . ) , keine ausschlaggebende R o l l e und erscheint als eine a p o d i k t i s c h e Verbotsreihe unter a n d e r e m ( z . B . dem kultischen D e k a l o g E x 2 3 , 1 0 f f ; 3 4 , 1 2 f f ) . A p o d i k t i s c h e Sätze b e r ü h r e n das G o t t e s v e r h ä l t n i s u n m i t t e l b a r , weil sie „ G r e n z p f ä h l e " des Bundes m a r k i e r e n . Übertretung schließt aus der J a h w ä g e m e i n d e aus ( z . B . durch Steinigung). D i e E i n h a l t u n g stellt keine Z u m u t u n g d a r , sondern ist für den saddiq selbstverständlich. Während A. Alt (Ursprünge 60) vor allem in diesen Reihen den Ausdruck für ein Israel kennzeichnendes Sakralrecht sah („Volksgebunden israelitisch und gottgebunden jahwistisch"), haben Fohrer u.a. darin Ermahnungsformeln gesehen, wie sie aller Welt geläufig sind, und Gerstenberger aufgrund inhaltlicher Ähnlichkeiten mit weisheitlichen Mahnungen darin alte Sippenweisheit vermutet. Doch unterscheiden sich die Prohibitive (/5"> und Indikativ) von weisheitlichen Vetitiv-Formulierungen Cäl + jussiv), eher stimmen sie zu apodiktischen Weissagungsteilen bei den Propheten (Koch, Formgesch. §18). Insofern läßt sich fragen, ob die Verbote ursprünglich nicht mehr als Zuspruch denn als Anspruch gemeint waren (Koch, a. a. O. 41), dem entspräche die Bezeichnung als d'barim (Ex 20,1; 34,1.28 u.ö.) parallel zum Jakwä dabar des Propheten. Voran steht eine Präambel mit der Selbstvorstellung „ich bin J a h w ä " (Ex 20,2; 34,6; Lev 18,5; 19,3 ff; Dtn 5,6; Ps 50,7; 81, lOf). Außerdem scheint ein Bundesschlußakt der (regelmäßigen kultischen?) Verbotsverkündigung vorauszugehen (Dtn 5; Ps 5 0 , 5 - 7 ; vgl. Ex 3 4 , 1 0 - 2 7 ) oder zu folgen (Ex 2 4 , 3 - 8 ; vgl. Dtn 1 0 , 1 - 5 ; Koch, a . a . O . 39). Analoge Reihen fehlen außerbiblisch (parallele Einzelsätze evtl. im altorientalischen Bündnisstatut [ANET 204; McCarthy 1978: 82f]). D i e apodiktischen V e r b o t e f o r m u l i e r e n prospektiv (Imperfekt), w a s der Priester später bei Tempeleinlaßliturgien retrospektiv d e m Festbesucher als Beichtspiegel vor A u g e n hält (Ps 15; 2 4 ; Ez 1 8 , 5 - 1 7 ; K o c h , Tempeleinlaßliturgien). 3 . 5 . Apodiktische Gebote mit Infinitiv o d e r Imperativ erscheinen nie als R e i h e n , k ö n nen jedoch in Verbotsreihen eingestellt werden (Ex 2 0 , 8 ; 3 4 , 1 8 ; 2 3 , 1 5 ) . 3.6. Tora hieß in v o r e x i l i s c h e r Z e i t die priesterliche Weisung zur Unterscheidung v o n heilig und p r o f a n , rein und unrein (Lev 1 0 , 1 0 f ; 14,57; E z 2 2 , 2 6 ; 4 4 , 2 3 ; J e r 18,18). M e i s t fordert sie im Imperativ zu kultisch h e i l s a m e m T u n auf und fährt mit einer B e g r ü n d u n g f o r t (Gen 9 , 4 ; E x 3 1 , 1 3 f ; Lev 7 , 2 3 b - 2 5 u . ö . ; [ironisch?] n a c h g e a h m t A m 4 , 4 f ; 5 , 4 f ; J e s 1 , 1 0 - 1 7 ) . E i n e T o r a k a n n in einen feststehenden Kultbescheid („deklaratorische Form e l " ) übergehen, bei d e m der Priester einen kultisch relevanten T a t b e s t a n d mit e i n e m

Gesetz I

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Nominalsatz als rite gültig festhält, z.B. „rein/unrein [ist es]" (Hag 2,10f¥). Dasselbe obliegt ihm bei Opferhandlungen, wo er mit solcher Formel göttliches Wohlgefallen bzw. göttlichen Abscheu konstatiert (G.v.Rad: T h L Z 76 [1951] 129-132 = Ges. Stud. zum AT I [1958] 130-135; Rendtorff 74-76). Kultfunktional auf heilsame Beziehungen ausgerichtet, wird zwischenmenschliches Verhalten nur am Rande berücksichtigt. Erst die Propheten betonen die verunreinigende Wirkung jeder Sünde und stellen sittliche Urteile unter den Begriff Tora (Jes 1,10 z.B.). 3.7. Kultsatzungen (Rituale) als waw + Perfektreihen formuliert, tragen für die heilkräftige Vollziehung des Kultes Sorge und können in einem positiven Kultbescheid enden (Rendtorff; Koch, Priesterschrift). Derartige Texte liegen Ex 25 - Lev 16; Ez 4 3 - 4 6 ; Dtn 2 6 , 1 - 5 u.ö. zugrunde (vgl. ugar. KTU I, 161 bei J.F. Healey: UF 10 [1978] 83-88). 3.8. Königliche Gesetze setzt Jes 10,1 voraus. In Erzählungen tauchen entsprechende Vorschriften nie in kasuistischer Form, sondern als Satz über todeswürdiges Verbrechen (Gen 26,11) oder als apodiktisches Einzelverbot (II Sam 5,8) auf. Die Vielzahl normativer Textsorten läßt erkennen, wie sehr das alte Israel um göttliche Forderungen an den Menschen wußte, wie differenziert aber der Anteil menschlicher Verantwortung gesehen werden konnte. Vordeuteronomisch wird nirgends eine Tendenz sichtbar, menschlicher Gesetzeserfüllung ein Eigengewicht zuzuschreiben. Vielmehr liegen bisweilen Gebot und Verheißung so nahe beieinander, daß dafür die gleiche Stilform benutzt wird. Das ausführende Subjekt kann von Jahwä auf die israelitische Gemeinde überwechseln und umgekehrt (vgl. die Rechtsfolge des „Abgeschnitten-werdens" bei todeswürdigen Verbrechen). Anderwärts, bei den mispatim, ist innerhalb der F.in/elbestimmungen von Jahwä überhaupt nicht die Rede. Bezeichnenderweise wird vordeuteronomisch nirgends die Beachtung von Vorschriften mit dem ethischen Prinzip der „Gemeinschaftstreue" (s'daqä) in Verbindung gebracht. 3.9. Jehowistisches Bundesbuch. Während alte Erwähnungen der Sinaiepisode außerhalb des Pentateuch von Gesetzgebung nichts vermelden (O. Eißfeldt: ZAW 73 [1961] 137-146 = KS IV, 12-20), bietet der vordeuteronomistische Bestand im Buche Exodus zwei Überlieferungen über die Mitteilung apodiktischer d'barim (Ex 23,10ff*; 34,6ff*; Koch, Formgeschichte, § 4 C ; Halbe; Otto). Die erstgenannte Stelle bildet jetzt einen Teil des Bundesbuches, was kasuistische Sätze mit andersartigen vermengt. Da diese Gesetzessammlung am Anfang wie am Ende (21,1-11; 23,10f) Bestimmungen für das 7. Jahr bietet, war sie möglicherweise für eine Kultrezitation im „Freilassungsjahr" (wie Dtn 31,10-12) bestimmt. Jedenfalls scheinen in ihr babylonische misaruPraxis mit inbegriffener Gesetzgebung und hethitisch/assyrisches Bündnisstatut (vgl. Kontext) zusammenzufließen. Durch Zuordnung zum Sinaibund als dem grundlegenden heilsgeschichtlichen Datum werden Gesetzgebung und Rechtspraxis künftig nicht irgendeiner—wie in Mesopotamien - sondern der höchsten Gottheit unmittelbar (ohne königliche Zwischenstellung) verbunden. Deren Rechtswille äußert sich nicht in einer Schicksalsbestimmung neben anderen, sondern in der für Israel grundlegenden. Dadurch wird die Weiche zu einer Integration der Gesetzgebung in den kultischen Überlieferungszusammenhang gestellt, die später über alle altorientalische Analogien hinausreichen wird. 4. Propheten Seit 750 fordern Reformpropheten im Namen Jahwäs eine auf die tragenden Institutionen hin ausgerichtete Gerechtigkeit (s"daqä), prangern deren Abwesenheit als Zerstörung der Errungenschaften gottgewirkter Heilsgeschichte an und folgern, daß kraft schicksalwirkender Sünde-Unheils-Sphäre Israel einer nie dagewesenen Katastrophe entgegengeht. Die Propheten berufen sich bei ihrer Sozial- und Kultkritik überraschenderweise nie auf göttliche Gebote (sekundär Hos 4,2; Jer 7,9 mit Rückgriff auf sonst unbekannte Reihen).

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Wellhausen (s.o.) hatte daraus geschlossen, ein göttliches Gesetz sei den Propheten unbekannt. Dagegen ist in den letzten Jahrzehnten mehrfach Einspruch erhoben worden. Vom formgeschichtlichen Blickwinkel aus wollte C. Westermann (Die Grundformen prophetischer Rede, 1960) den Prophetenspruch als Analogie zum Gerichtswort des Rechtslebens deuten (dagegen Koch, Formgeschichte, 4 1981, 236 Anm. 19). Von altorientalischen Bündnisstatuten her (s.o.), wollte H.B. Huffmon die Gesellschaftskritik der Propheten in einer Bundesverfassung verankern (JBL 78 [1959] 2 8 5 - 2 9 5 ; ähnlich J . Harvey, Le plaidoyer prophétique contre Israel après la rupture de l'alliance, 1967). Es fehlt auch nicht an Versuchen, bei einzelnen Propheten eine spezielle Nähe zum Gesetzesdenken aufzuweisen. Für -> Arnos z. B., den Sozialkritiker katexochen, wollte E. Würthwein (ZAW 60 [1949/50] 4 0 - 5 2 , vgl. Z T h K 49 [1952] 1 - 5 ) Berufung auf kasuistische, R. Bach hingegen (FS G. Dehn, 1957, 23 - 34) auf apodiktische Rechtssätze erweisen, während Graf Reventlow (Das Amt des Propheten bei Arnos, 1962 [FRLANT 80]) ihm eine kultprophetische Wahrung bundesrechtlicher Traditionen zuschrieb (dagegen H. W. Wolff, Joel/Amos 1969, [BK XIV/2] 123). Keiner solcher Versuche hat sich bislang durchsetzen können; das hergebrachte christlich-jüdische Idealbild vom Propheten als Prediger des Gesetzes läßt sich an den alten Texten schwerlich verifizieren, entsprechende Bemühungen bekommen leicht einen allzu apologetischen Beigeschmack. „Jedenfalls decken sie Sünde auf; aber diese Sünde wird ganz unmittelbar am Heilswalten Gottes offenbar und nicht an einem richtenden Gesetz" (G.v.Rad, Theol AT II. III D; ähnlich R. Smend 14). Die s'daqa, deren Fehlen für die Propheten die Ursache des Untergangs wird, gilt noch ganz als gemeinschaftsgemäßes Verhalten, das spontan und ohne formulierte Pflichtenkataloge das vollbringt, was Sippe, Stamm, Bund erhält. Das von ihnen angeprangerte Fehlverhalten (z.B. die Praxis der Schuldknechtschaft nach Arnos) war damals nach göttlichem und menschlichem Recht durchaus legal. Das schließt natürlich nicht aus, daß sich der Inhalt prophetischer Kritik mehrfach mit der Tendenz anderweitig belegter G e b o t e ebenso deckt wie etwa mit weisheitlichem Spruchgut, ohne daß sich d a r a u s eine zwingende Abhängigkeit ergibt. W ä h r e n d des Exils tritt mit —•Ezechiel jedoch ein Wandel ein. F ü r ihn gehört zum Leben in s'daqa ausdrücklich „Wandel in huqqtm" und „ T u n der mispatim" (Ez 1 8 , 9 . 1 7 . 2 1 f u . ö . ) . M i t d e m Anfang der Heilsgeschichte, dem Auszug aus Ägypten, w a r schon eine Bekanntgabe von Satzungen, Gesetzen und Sabbaten verbunden, deren Beachtung Leben und w a h r e Gotteserkenntnis sichern sollten (20,11 f). D o c h das Volk verweigerte von Anfang an den G e h o r s a m ( 2 0 , 1 6 . 2 4 ) . Als J a h w ä d a r a u f „Satzungen, die nicht gut w a r e n " (betreffs Opfer der Erstgeburt? [anders H . Gese: Beitr. z. atl. Theol. FS W. Zimmerli, 1 9 7 7 , 1 4 0 - 1 5 1 ] ) , erließ, führte auch das nicht zur Einsicht (V. 2 5 f ) . So bleibt G o t t hinfort nichts übrig, als einen vernichtenden Gerichtsakt (säpät) durchzuführen. D a n a c h aber, nach einer eschatologischen Kehre, wird er dem Volk z u s a m m e n mit einem neuen Bund einen neuen Geist einstiften und es d a d u r c h befähigen, endlich g e m ä ß göttlicher Satzungen und Rechtsentscheide zu wandeln ( 3 6 , 2 4 - 2 8 ; 3 7 , 2 1 - 2 8 ) . Eine entsprechende Weissagung findet sich im (sekundären) Jeremiaspruch (Jer 3 1 , 3 1 - 3 4 ) v o m neuen Bund, der zum Eingraben der göttlichen T o r a in die menschliche Vernunft führen wird. Der U m b r u c h in der Einschätzung des Gesetzes dürfte soziologisch erklärbare G r ü n d e haben (Koch, Profeten II, 1 0 1 - 1 0 7 ) . In der Exilszeit lösen sich weithin die althergebrachten Gemeinschaftsverhältnisse wie Sippe und Kultgemeinschaft auf. Insofern ermangelt dem gemeinschaftsgemäßen Verhalten die bislang selbstverständlich gegebene Orientierung. Die Uberzeugung vom kollektiven Tun-Ergehen-Zusammenhang zerbricht (Ez 18). Angesichts einer drohenden Auflösung israelitischer Lebensweise greifen nun Priester und Propheten auf alte kultische Muster wie Gebote, bürgerliche Gesetze, Tempeleinlaßliturgien zurück, um zu konkretisieren, was Gemeinschaftstreue meint, ohne daß sich für sie darin mispat und s'daqa erschöpfen (Ez 1 8 , 5 - 9 ) . Festgehalten wird, daß der Gemeinschaftstreue nach wie vor in seiner s'daqa das Leben findet wie der Gemeinschaftswidrige „in seiner Schuldenlast" stirbt, bzw. die positive oder negative Tatsphäre über dem Täter schließlich „entsteht" (hjh 18,18.22). Begriffe wie Lohn oder Strafe fehlen deshalb. Den Gesetzen k o m m t also n u n m e h r eine eminent aufklärende F u n k t i o n zu, d o c h sie erschließen keinen neuen Heilsweg jenseits von Bundesheil und Gemeinschaftstreue. Von daher begreift sich, d a ß die späte Prophetie eine endzeitliche, universale T o r a , v o m Z i o n ausgehend, weissagt, die internationale Konflikte regelt und den Völkerfrieden heraufführt (Jes. 2 , 2 - 5 ; M i 4 , 1 - 5 ) .

Gesetz I 5.

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->Deuteronomium

D i e d e u t e r o n o m i s c h e G r u n d s c h r i f t , v e r m u t l i c h u n t e r - > J o s i a (II R e g 2 2 f) z u m S t a a t s g e s e t z e r h o b e n , s c h e i n t n o c h k e i n e n e i n h e i t l i c h e n G e s e t z e s b e g r i f f zu k e n n e n (es sei d e n n miswa

5 , 3 1 ; 6 , 1 ) ; die m u t m a ß l i c h e Überschrift 4 , 4 5 k o m b i n i e r t „ B e z e u g u n g e n "

Heilsstaten 12,1-19,13?)

nach und

Kap.

6-11?)

mit

Rechtsentscheiden

(cedöt

Satzungen

(huqqtm,

„Privilegrecht"

Jahwäs

(mispatjm,

Gesetzen

für

Frieden

Krieg

und

1 9 , 1 4 - 2 6 , 1 5 ) , w a s alles M o s e b e i m E x o d u s v o n s e i n e m G o t t v e r n o m m e n h a t t e . K a s u i s t i s c h e S ä t z e w e r d e n z u r R a h m e n g a t t u n g , in d i e a p o d i k t i s c h e V e r b o t e , R i t u a l e u . a . e i n g e stellt w e r d e n . D e r g e s a m t e W o r t l a u t soll a u f S t e l e n e i n g e r i t z t , a n heiliger S t ä t t e a u f g e s t e l l t u n d d u r c h O p f e r h a n d l u n g e n in G e l t u n g g e s e t z t w e r d e n n a c h d e r L a n d n a h m e a l s H ö h e p u n k t der H e i l s g e s c h i c h t e ( 2 7 , 1 - 8 * ) . D i e jüngere F a s s u n g s c h r e i b t v o r , d a ß d a s n u n als T o r a ( d e r B e g r i f f u m f a ß t a u c h G e s c h i c h t s r ü c k b l i c k e 1 , 5 ff) b e z e i c h n e t e B u c h a m H e i l i g t u m n e b e n d e r B u n d e s l a d e z u d e p o n i e r e n u n d alle 7 J a h r e festlich zu r e z i t i e r e n

ist

(31,9-13.26). Vielleicht schon für die ältere, jedenfalls aber für die vorliegende Fassung besteht „kein Z w e i f e l " ( M c C a r t h y 50), daß sie nach dem M u s t e r altorientalischer Bündnisstatuten ( s . o . 1) aufgebaut ist: a) historischer Prolog (1,1-4,43); b) Paränese über das „Hauptgebot" Kap. 5-11; c) Einzelbestimmungen Kap. 1 2 - 2 6 ; d) Bundeserklärung 26, 9 - 1 9 ; e) Segen und Fluch Kap. 2 7 f f . D o c h das Anliegen reicht über jene Vorbilder hinaus und zielt auf eine utopische Verfassung eines wiedervereinigten Israels als heiliges Volk (cäm qados, 2 6 , 1 6 - 1 9 u . ö . ) unter der Devise: ein G o t t ein Erscheinungsort seines N a m e n s (Kap. 12) - ein in sich solidarisches Volk. D a s führt zu ausgesprochen humanitären und demokratischen Regelungen im Innern einschließlich einer starken Beschneidung königlicher Befugnisse (17,14ff), aber auch zu drakonischen M a ß n a h m e n gegen politische und kultische K o n t a k t e nach außen (Kap. 13;20). Andere V ö l k e r werden Israel um diese einzigartige M a n i f e s t a t i o n eines göttlichen Bundeswillens, die sich als weise und begreifbar, also keineswegs als h e t e r o n o m e Setzung beweist, beneiden, ist doch seit der Schöpfung kein „ s o großes Wort wie dieses e r g a n g e n " (4,8.32). Priesterlichem D e n k e n verhaftet, das die Welt in Z o n e n des Heiligen, Reinen o d e r Unreinen scheidet - deshalb T o r a als Generalbegriff will das P r o g r a m m beim einzelnen Israeliten mit Z u n e i g u n g , ja Liebe zum offenbarenden G o t t entgegengenommen werden (6,5ff). Vielleicht stellt die Gesetzessammlung einen großangelegten (levitischen?, nordisraelitischen?) Versuch d a r , der prophetischen Gesellschaftskritik so zu begegnen, daß durch ein umgestaltetes Israel die angesagte K a t a s t r o p h e vermieden werden k a n n ( K o c h , Profeten II, 9 - 2 1 ) . Jedenfalls d e c k e n e r s t m a l s g ö t t l i c h e Vorschriften weite Bereiche des israelitischen L e b e n s a b , ja b e s c h r e i b e n n u n , „ d a s L e b e n u n d d a s G u t e " ( 3 0 , 1 5 ) s c h l e c h t h i n , sie f o r d e r n , d a ß die L o y a l i t ä t z u m B u n d e s g o t t g e g e n ü b e r jeder m e n s c h l i c h e n Solidarität den V o r r a n g habe (z.B. Kap.

13).

D a s g e n a u e V e r h ä l t n i s v o n G e s e t z e s b e f o l g u n g u n d g ö t t l i c h e m S e g e n ist e x e g e t i s c h nicht hinreichend geklärt, da semantische Untersuchungen noch ausstehen. Einerseits wird im D e u t e r o n o m i u m vorausgesetzt, daß erst nach vollendeter Heilsgeschichte, nach Einzug ins gelobte Land ( 5 , 1 - 5 ; 6 , 1 ; 12,1), das Gesetz gültig wird und der B e w a h r u n g des bereits Geschenkten dient, wie denn eine hinreichende sittliche Q u a l i t ä t Israels für die G a b e n seines G o t t e s ausdrücklich verneint wird (9,6). Andererseits gewährleistet Wandel nach dem Gesetz dem einzelnen, daß es ihm „gut e r g e h t " und „seine T a g e lang werden auf dem Boden, den dir J a h w ä , dein G o t t schenken w i r d " (4,40; 5 , 1 6 . 3 3 u . ö . ) . W ä h r e n d v. R a d jeden Anflug von Gesetzlichkeit energisch bestreitet ( s . o . 2), sehen andere wie F. Baumgärtel (Verheißung, Gütersloh 1952) hier den entscheidenden Anstoß für die spätere gesetzliche Religion. Unstreitig bleibt, daß das D e u t e r o n o m i u m mit seiner Toraauffassung auf die exilisch-nachexilische Zeit stark eingewirkt hat, einzelne Exegeten sehen deshalb in ihm die „ M i t t e des A T " (so S. H e r r m a n n : P r o b l e m e bibl. T h e o l . FS G . v. R a d , 1971, 1 5 5 - 1 7 0 ) . Vermittelt wird das in späteren Zeiten durch das D e u t e r o n o m i s t i s c h e G e s c h i c h t s w e r k , das die G e s c h i c h t e Israels ab der L a n d n a h m e bis zum Exil so beschreibt, daß die deuteronomische T o r a , vor allem mit ihrer Verdammung jedes Götzendienstes und ihrer Forderung der Kultzentralisation, zum entscheidenden Kriterium aller positiven oder negativen Entwicklungstendenzen wird (s. T R E 12, 5 7 9 - 5 8 1 ) . 6 . Priesterschrift

und

Heiligkeitsgesetz

D i e von Wellhausen aufgebrachte Bezeichnung „ P r i e s t e r c o d e x " für die P-Schicht im Pentateuch

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ist inzwischen wieder verschwunden. Denn die Sinaiperikope (Ex 2 5 - 3 1 ; Lev 1 - N u m 10) bietet zwar einen riesigen B l o c k göttlicher Anweisungen, a b e r sie betreffen den einmaligen B a u eines Wanderheiligtums der „ S t i f t s h ü t t e " (zugleich M o d e l l für einmalige W i e d e r h o l u n g nach Exilsende?), oder die darin zu begehenden R i t e n als i m m e r w ä h r e n d e Satzungen (Lev 3 , 1 7 ; 1 6 , 3 4 u . ö . ) , w o b e i aber bei diesen ihre heilvolle oder sündentilgende W i r k u n g im Vordergrund steht und Sanktionen für Nichtbefolgung k a u m je e r w ä h n t werden (Ausnahmen Gen 17,14; E x 12,15.19; 3 0 , 3 3 ; Lev 7 , 2 0 f f ) .

Was Gott am Sinai als Kult verordnet, soll Begegnung mit göttlicher Herrlichkeit an heiliger Stätte ermöglichen, wodurch „ich weilen werde inmitten der Israeliten und ihnen zum Gott werde. Und sie werden dann erkennen, daß ich Jahwä, ihr Gott, bin" (Ex 29,45 f). In einer grandiosen Uminterpretation werden fast alle hergebrachten Kultbräuche zu Mitteln der Sühne (kippcer72 mal), kraft deren der Priester in göttlicher Vollmacht den Sünde-Unheil-Zusammenhang dem schuldigen Menschen abnimmt und auf einen stellvertretenden Gegenstand (meist ein Tier) überträgt, das entweder in den Tod geschickt oder dessen Blut vom Heiligen verzehrt wird (G.v.Rad, Theol. des AT 4 I, 2 7 5 - 2 8 5 ) . Zwar wird mit einer fortlaufenden Übertretung göttlicher Gebote/Verbote in Israel gerechnet (Lev 4,2.13.22.27; 5,17); doch P schärft nicht etwa deren Befolgung ein, sondern will den Schaden abwenden, der durch Ungehorsam immer wieder einreißt. Der prophetischen Gesellschaftskritik wird also nicht wie in D durch das Programm eines besseren Israel Rechnung getragen, sondern - unter Voraussetzung menschlicher Schwäche und Sündigkeit - durch ein besseres Heiligtum, in dem sich Gottes Bereitschaft, seinem Volk erbarmend Schuld abzunehmen, wirksamer manifestiert als zur Zeit des salomonischen Tempels. Mehr gesetzliches Material enthält das P eingegliederte Heiligkeitsgesetz (Lev 1 7 - 2 6 ) . Es enthält Satzungen, Rechtsentscheide und Reinheitsweisungen, die auf dem Sinai ergangen sind (26,46; vgl. 18,4f u.ö.), um Israel von den übrigen Völkern und ihren Abscheu erweckenden Gesetzen abzusondern (18,3.26-30; 20,24-26). Durch ihre Befolgung soll Israel so heilig werden, wie Jahwä heilig ist, der von sich aus das Volk ständig heiligt (20,8; 21,8.15). Von da aus kommen begreiflicherweise kaum Fälle des bürgerlichen Rechtes zur Sprache (nur Kap. 19 f), sondern verunreinigende Vergehen wie Geschlechtsverkehr mit Anverwandten (Kap. 18), kultische Regelungen samt Festordnung (Kap. 2 1 - 2 4 ) und kasuistische Bestimmungen für Sabbat- und Jobeljahre, welche eingerissene ungerechte soziale Beziehungen im heiligen Volk beseitigen, weil alle in gleicher Weise Schutzbürger im Land Jahwäs sind (25,23). Zu den sozialen Implikationen der Zugehörigkeit zum heiligen Volk gehört die Bereitschaft, gegenseitig auf Rache und also auf Durchsetzung eigenen Rechts zu verzichten, vielmehr den Volksgenossen (samt dem Schutzbürger) „zu lieben wie sich selbst" (19,18.34). Als Handbuch für eine Prozeßpraxis war H nicht gedacht, dazu sind die von der Gemeinde durchzuführenden Sanktionen viel zu sehr mit göttlicher Ahndung oder Reaktion der verunreinigten Erde (18,27 f; 20,22) vermischt. Nach Über- und Unterschriften (18,4 f; 19,37; 20,22; 26,46) sind die göttlichen huqqot und mispatim „zu bewahren und zu tun" nicht um des individuellen, sondern des kollektiven salöm und der Aufrichtung des Bundes willen (26,6.9). Doch solche menschliche Aktivität wird, wie in D, erst von der heilsgeschichtlichen Vorgabe der Befreiung aus Ägypten und der Ausgliederung zum heiligen Volk her möglich und sinnvoll. 7. Esra und der

Chronist

Von Artaxerses I. (oder II?) wird der Priester Esra als safar (Religionskommissar?) des Gesetzes des Himmelsgottes, das von nun an auch hebräisch/aramäisch mit dem persischen Begriff data bezeichnet wird, nach Jerusalem gesandt, um dort eine Untersuchung anhand des Gesetzes durchzuführen (Esr 7,12 ff) und dasselbe, wie es in einem Anhang (V. 25 f) heißt, als Landesrecht mit entsprechenden Sanktionen einzuführen. Was auch immer der Umfang des Esragesetzes gewesen sein mag - (P?, D?), ein nicht mehr erhaltenes Buch? (so C. Houtman: O T S 21 [1981] 9 1 - 1 1 5 ) - der Anstoß zur Kanonisation eines gesetzliche Vorschriften enthaltenden Buches ist damit gegeben. Die Esrageschichte läßt nichts da-

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von e r k e n n e n , d a ß der data schon als individueller H e i l s w e g gilt. V i e l m e h r wird er d u r c h geführt, u m das G o t t e s h a u s in J e r u s a l e m „zu v e r h e r r l i c h e n " (Esr 7 , 2 7 ) und für seine Begehungen eine Priester-, Fest-, O p f e r - und R e i n h e i t s o r d n u n g zu gewährleisten, die sie heilbringend für Israel werden l ä ß t . Z w a r führt die öffentliche P r o m u l g a t i o n nach N e h 8 , 9 - 1 2 zu e i n e m kultischen „ B e t r i e b s u n f a l l " , in d e m - w o h l a u f G r u n d der im B u c h enthaltenen F l ü c h e für Ü b e r t r e t e r - die Z u h ö r e r in Weinen a u s b r e c h e n , statt, wie es die v e r a n t w o r t l i c h e n Priester w ü n s c h e n , in überquellende Freude. (Insofern meldet sich hier erstmals, a b e r p r o g r a m m w i d r i g , eine Art usus elenchticus legis.) W i e N e h 8 wird im ganzen c h r o n i s t i s c h e n G e s c h i c h t s w e r k das B e w a h r e n der „ T o r a des M o s e " A u f g a b e der Leviten, die es v o m T e m p e l aus tun (II C h r 17,9; 3 4 , 1 3 ) . Priestern obliegt die G e r i c h t s b a r k e i t für K a p i t a l v e r b r e c h e n (II 19,10). D o c h steht die k u l t f u n k t i o nale Bedeutung der T o r a weiter im Vordergrund, deshalb ist sie z . B . für die B r a n d o p f e r d a r b r i n g u n g wichtig (I C h r 1 6 , 4 0 ; II 2 3 , 1 8 ; 3 0 , 1 6 ; 3 5 , 1 2 ) . D o c h d a r ü b e r hinaus wird parallel z u m prophetischen dabar die T o r a z u m Schlüssel für das Verständnis des G e schichtslaufs, insofern dieser n ä m l i c h einen für Israel heilvollen Verlauf n i m m t , s o b a l d die R e i n h e i t s - und H e i l i g k e i t s b e s t i m m u n g e n b e a c h t e t w e r d e n , sich aber unheilvoll bei Übertretung wendet (s. T R E 1 2 , 5 8 1 f). D a b e i wird gelegentlich ein W i d e r s p r u c h z u m Pentateuchgesetz (II C h r 3 0 , 1 6 ; H o u t m a n , a . a . O . 1 1 3 f ) nicht gescheut. Die Exegeten pflegen das chronistische Gesetzesverständnis argwöhnisch zu betrachten: „Ist das noch ein geistlich verstandenes und nicht vielmehr ein zerrissenes und tatsächlich schon zu Buchstaben gewordenes Gesetz, das sich aus vielen absolut genommenen rituellen Vorschriften zusammensetzt?" (G.v. Rad, Theol. des AT, 4 I 364). Solche Verdächtigungen finden sich besonders bei Gelehrten, wclchc die r.achchronistischc Zeit durch zwei entgegengesetzte Bewegungen bestimmt sehen, eine theokratisch-priesterliche, die im 2. Tempel den Endpunkt göttlicher Führungen sieht und sich für die Zukunft mit einer kasuistischen Gesetzlichkeit begnügt, und einer konventikelhaft-apokalyptischen, welche sehnsüchtig eschatologischen Hoffnungen nachhängt (z.B. O. Plöger, Theokratie u. Eschatologie, 1959 [WMANT 2]). Ob freilich das chronistische Werk, das seine Gegenwart als Zeit der Knechtschaft beklagt (Esra 9,8 f; Neh 9,36), sich als Beleg für die erstgenannte eignet, bleibt noch zu klären. D i e Verbindung von Gesetz und G e s c h i c h t s v e r l a u f war durch D vorgegeben, sie wird jetzt nur nicht m e h r einseitig auf die K u l t z e n t r a l i s a t i o n b e s c h r ä n k t und ihres kollektiven C h a r a k t e r s wie ihrer über J a h r h u n d e r t e hinwegreichenden Schuldverhaftung entkleidet. Bald nach E s r a scheint der P e n t a t e u c h im heutigen U m f a n g bei J u d ä e r n und S a m a r i t a nern k a n o n i s c h g e w o r d e n zu sein. W i e wenig a b e r daraus s c h o n in den n a c h f o l g e n d e n J a h r h u n d e r t e n eine Religion der B u c h s t ä b l i c h k e i t entspringt, zeigen W e r k e wie die Tempelrolle (11 Q M i q d ; dazu B . A . Levine: B A S O R 2 3 2 [1978] 5 - 2 0 ) und das ->Jubiläenbuch, die beide w o h l nicht eine ergänzende, s o n d e r n eine neue, das D e u t e r o n o m i u m überbietende G o t t e s t o r a vortragen w o l l e n , die Israel zu einem heiligeren Volk als bisher werden läßt und dadurch seinem G o t t n ä h e r bringt. Für J u b geschieht rechtes m e n s c h l i ches H a n d e l n d o r t , w o vorgängiges göttliches M u s t e r n a c h g e a h m t wird ( L i m b e c k 8 0 ) .

8. Spätisraelitische

Strömungen

Instititutionen, die für den U m g a n g mit d e m Gesetz u m die Z e i t e n w e n d e typisch werden, wie - » S y n a g o g e , Schriftgelehrtentum ( - * S c h r i f t g e l e h r t e ) und - » H a l a c h a , sind für die Z e i t v o r 2 0 0 n o c h nicht belegt. Sie scheinen e r s t m a l s im 2. J h . v. C h r . aufzutauc h e n , o h n e d a m i t schon für das Volksganze c h a r a k t e r i s t i s c h zu sein. V i e l m e h r zeigt sich die nun a u f k o m m e n d e Zersplitterung in R e l i g i o n s p a r t e i e n gerade auch in der E i n s c h ä t zung des göttlichen Gesetzes. 8.1. Die späte -> Weisheit verbindet, ausgehend von der seit alters in ihr üblichen Betonung der Gottesfurcht und der Anwendung des Begriffes Tora auch für Sprüche der Weisen, eine als personifizierte Schöpfungskraft, Weltordnung und allgemein menschliche Vernunfterkenntnis vorgestellte hokmä mit dem in Israel offenbarten Gesetz. Während -»Hiob und -»Koheletbuch davon noch nichts verlauten lassen, findet nach Sir 24 (vgl. grBar 3 , 9 - 4 , 4 ) die Weisheit auf Erden ihre Wohnung zuerst im Zionsheiligtum und hernach (!) im Gesetz; freilich: „Die Tora ist bei Sirach kein Gegen-

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stand eines bevorzugten Interesses" (G.v. Rad, Weisheit in Israel, 1970, 317; anders E . G . Bauckraann: Z A W 72 [1960] 3 3 - 6 3 ) . 8.2. Der Makkabäeraufstand bricht erstaunlicherweise nicht schon aus, als das Pentateuchgesetz durch die Errichtung von Gymnasien in Jerusalem und die Einsetzung nichtaaronitischer Hoherpriester verletzt wurde, sondern erst, als das Heiligtum selbst durch Umwidmung der Opfer und den „Greuel der Verwüstung" angetastet wurde, wie denn auch noch im 2. Makkabäerbuch das Gesetz dem Tempel an Bedeutung nachgeordnet wird (Renaud 66). 8.3. Umstritten ist die Haltung der -*Apokalyptik. Ihre Schriften gehen vom grundlegenden Unterschied zwischen Gerechten und Frevlern aus, der sich quer durch Israel hindurchzieht, und setzen für jene die Treue zum Gesetz als Erkenntnismerkmal voraus. Erstaunlicherweise aber scheint „in der gesamten apokalyptischen Literatur niemals ein Gebot seinem Inhalt nach erwähnt" zu werden, das Bekenntnis zum Gesetz also jenseits einer kasuistischen Praxis bedeutsam zu sein (Rössler 45; dagegen Nissen; dazu Koch, Apokalyptik 81 f). Im Danielbuch wird nie ausdrücklich auf die Tora Bezug genommen, das Lehnwort data wird 7,25 wohl für den israelitischen Kult, 6,6 für einen Gebetsbrauch ohne schriftliche Grundlage benutzt. Der äthHen spricht ähnlich selten von einem für menschliches Tun bestimmten Gottesgesetz (nur 5 , 1 - 4 und im paränetischen Buch 99,2 u.ö.), dafür um so häufiger vom Gesetz des Kosmos und der Sterne (33,3f.; 41,5f.; 73,1 usw.), wie denn in den beiden vorchristlichen Jahrhunderten das gottgegebene Gesetz der Zeiten in vielen Kreisen eine wichtige Rolle spielt (Limbeck). Im ersten nachchristlichen Jahrhundert rückt das Gesetz etwas stärker in den Vordergrund; syrBar fordert zum „Glauben" an das Gesetz auf und IV. Esra preist das am Sinai offenbarte Gesetz, das an sich dem Menschen den Weg zu einem heilvollen Tun-ErgehenZusammenhang eröffnet; doch er bezweifelt dessen Nutzen angesichts des „bösen Herzens", das seit Adam jeden Menschen besetzt hält ( 3 , 2 0 - 2 2 ; Koch, Adam). Wie für die Weisheit gilt hier: „The wise man is expected to matter much more than the actual book of the Torah" (John J . Collins: Ideal Figures in Ancient Judaism, hg. v. dems./George W.E. Nickelsburg, 1980 [SBLSCS 12] 9). 8.4. Die Gemeinde von -*Qumrart schärft zwar Befolgung des Gesetzes ein und ordnet dafür eine zehnjährige Schulpflicht an (1 QSa 1 , 4 - 8 ) , radikalisiert die Reinheitsvorschriften stärker als andere Bewegungen (Braun), deutet die Kultsatzungen spiritualistisch auf das Leben in der Gemeinde (1 QS IX, 3 ff), mißt aber dem Gesetz des neuen Bundes, das vom Lehrer der Gerechtigkeit herkommt, die gleiche Verbindlichkeit zu wie dem des Mose. Dennoch reicht das von jedem Mitglied erwartete Leben aus dem Geist des Lichts (1 QS III, 2 4 - I V , 8) über die Normen des Gesetzes hinaus (Limbeck 189). 8.5. Erstmals bei den historisch seit 135 v.Chr. belegten -»Pharisäern, welche als Laiengemeinschaft auch die bislang nur für Priester gültigen Vorschriften auf sich nehmen, scheint eine gewisse Distanz zum kultischen Geschehen sich durchzusetzen und eine Konzentration der religiösen Praxis auf die nunmehr an sich gültige schriftliche und mündliche Tora vom Sinai sich anzubahnen. (Eine eigentümliche Auffassung spricht aus den Targumen, wo im Pentateuch weniger Lebensregeln als verborgene Chiffren für die eschatologischen Geheimnisse von Messias, Auferstehung, Paradies usw. gefunden werden, vgl. die Erweiterungen Gen 3,15.22.24; 4,8 usw. [Koch, Adam 226 - 2 3 0 ] . )

9. Septuaginta und hellenistische Diaspora Die alexandrinische Übersetzung verwendet vöfiog nicht nur für tora, sondern a u c h für hebr. hoq und gebraucht 11 Derivate des griechischen N o m e n s für mehrere verschiedene Ausdrücke des U r t e x t e s ; ävofiia t a u c h t über 2 0 0 m a l für 2 4 Entsprechungen auf. „ D i e Übersetzung von T o r a durch nomos ist ebenso folgenreich wie irreführend gewesen; nur auf diesem Wege konnte es zu Verwechslungen , Weisung' und .Gesetz' k o m m e n " (K. Berger, Die Gesetzesauslegung Jesu, 1 9 7 1 [ W M A N T 3 2 ] ) . Die entsprechende Verschiebung dürfte darin gründen, d a ß der griechische Ausdruck p r i m ä r die v o m Gesetzgeber erlassene O r d n u n g einer Polis meint, und kultische Ordnungen diesem Gesichtspunkt nachzuordnen sind, der Bezug zur Heiligkeit also k a u m eine Rolle spielt. Der Tempelkult verliert dadurch eine Eigenwirksamkeit und wird in der Diaspora zu einer Gehorsamsleistung ( s . T R E 1 2 , 1 2 4 ) . So verwundert nicht, daß die Leser des griechischen Alten Testaments, vom -> Aristeasbrief (169: „auch bezüglich der Speisen und der unreinen Schlange und Tiere zielt jedes Wort auf die Gerechtigkeit und das gerechte Zusammenleben der Menschen") bis zu -»Philo und ~^)osephus den alttestamentlichen Kult allegorisch interpretieren. Der israelistische vöftog spiegelt einerseits für sie das kosmische Gesetz, enthält andererseits Vorschriften für die Einführung einer Theokratie, einer der Monarchie und Demokratie überlegenen Staatsverfassung, die Israel von den Heiden absondert,

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aber in der Endzeit von allen Völkern übernommen wird (W. Gutbrod: T h W N T 4, 1042). Für jeden Unvoreingenommenen ist jedoch schon jetzt, wie bereits Aristobul betont, das israelitische Gesetz als vernünftig und als „wahre Philosophie" ausgewiesen. Von daher entfällt jeder Gegensatz zwischen wichtigen und unwichtigen Geboten, wie er z. B. noch im Jubiläenbuch deutlich vorausgesetzt war. „Kleine und große Gesetzesübertretungen sind gleich ernst, wird doch in beiden Fällen mit gleichem Übermut gegen das Gesetz gefrevelt" (IV M a k k 5,20f). Literatur Zu 1.: Martin David, T h e Codex Hammurabi and its Relation to the Provisions of Law in Exodus: O T S 7 (1950) 1 4 9 - 1 7 8 . - Godfrey Rolles Driver/John C. Miles, T h e Assyrian Laws, Oxford 1935. - Dies., T h e Babylonian Laws, Oxford, 11952, II 1955. - Johannes Friedrich, Die hethitischen Gesetze, Leiden 1959. - Richard Haase, Die keilschriftl. Rechtssammlungen in dt. 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II. Judentum 1. Frühjudentum 2. Rabbinisches Gesetzesverständnis Zeit (Literatur S. 57)

3. Mittelalter

4. Neue und neueste

Von der Tora her ist im Judentum das göttliche Gebot und seine Erfüllung der zentrale Ausdruck der Religion geblieben. Die -*Halacha bemüht sich, diesem, den bereits in der Tora angelegten, das ganze Leben umfassenden Umfang zu geben. Indem die ganze Lebensbreite unter das göttliche Gebot gestellt wird, ist einerseits aller leichtlebiger Hedonismus ausgeschlossen (aus dem täglichen Morgengebet: „Beuge unsern Trieb, Dir dienstbar zu sein"), anderseits das Alltagsleben als der eigentliche Schauplatz des Gottesdienstes in sein Recht gesetzt, was als Korrektiv gegenüber weltflüchtigen Regungen gewirkt hat. Der Gegensatz zwischen Heiligem und Profanem kann im Judentum nicht zu einem Dualismus zwischen einem .geistlichen' und einem natürlichen' Raum werden, weil die Halacha die Welt des Natürlichen in den Anspruch der Heiligkeit einbezieht. Dieser Grundzug des Gesetzes hält sich in allen Phasen seiner Geschichte durch.

1.

Frühjudentum

Bereits in den Spätschichten der H e b r ä i s c h e n Bibel finden wir die voll ausklingende Gewißheit des ,Weges' des Toragesetzes (Ps 119) als selbstverständliche Voraussetzung jüdischen Lebens. Selbst der Pessimismus von IV Esr o b des ,bösen Herzens', das dem M e n s c h e n gegeben und auch d u r c h die G a b e der T o r a nicht geheilt ist, kann seine Überzeugung von der Güte der T o r a und ihrer Gesetze nicht erschüttern, und die von ihm wegen der vielen scheiternden Brüder bestürmte Vorsehung verweist ihn auf die wenigen Gerechten, um die allein es G o t t zu tun sei und deren Existenz die Erfüllbarkeit der T o r a beweise.

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Auch im hellenistischen Judentum steht das Toragesetz im Mittelpunkt. Tora wird, auch wo es im Plural steht, in L X X singularisch mit nomos übersetzt, da für den hellenistischen Juden bei der Einhaltung jedes Einzelgesetzes ,der' nomos als ganzer auf dem Spiel steht (IV M a k k 5 , 1 9 - 2 1 ) . Wo der loudaismos, für den der gute Jude zu leben und zu sterben bereit ist (II M a k k 8,21), mit Einzelzügen ausgestattet wird, werden Gesetze aufgeführt (z.B. II M a k k 6,6). Nur bei - » P h i l o tritt, wie die ganze Sinnenwelt, das konkrete Gesetz hinter dem übersinnlichen Seelenaufstieg zurück, aber dessen auch buchstäbliche Verpflichtungskraft bleibt nichtsdestoweniger bestehen (Migr 8 9 - 9 3 ) . Mose, der mit Gottes Geist erfüllte vollendete Philosoph und Gesetzgeber, hat nicht eine territoriale Gesetzgebung, sondern den dem weltdurchwaltenden - » L o g o s kongruenten Nomos erlassen (Op 1 - 3 ) . -»Josephus wiederum beurteilt die Politeia des Moses nach den Kategorien der griechischen Staatsphilosophie und sucht sie als Synthese anderweit isoliert gebliebener Ansätze zu erweisen (Ap 2,173). Die Begründung der Gesetze, wie sie am umfassendsten Philo unternimmt, richtet sich im hellenistischen Judentum durchweg an die das jüdische Gesetz anfeindende Umwelt. Dabei wird einerseits die Notwendigkeit der Abschließung der Judenheit zwecks Reinhaltung ihrer wahren Gotteserkentnis geltend gemacht (Arist 128ff), andererseits - und dies ist die Hauptlinie - werden die Gebote als Erziehungsmittel zu einer Sittlichkeit verstanden, die gern nach dem Kanon der vier griechischen Kardinaltugenden dargestellt wird. Man rühmt sich gern der Strenge der Toragesetze, ohne die das Erziehungsziel nicht erreichbar sei und die andererseits auch den Grund abgebe für die Feindschaft derer, die sich einer solchen Disziplin nicht gewachsen wissen.

2. Rabbinisches

Gesetzesverständnis

Einer breiteren und eingehender belegten Darstellung bedarf das rabbinische Gesetzesverständnis, da dieses bis zum Anbruch der Emanzipation (um 1800) unangefochten gegolten hat und da es infolge der paulinischen Kritik der Gefahr einseitiger Beurteilung ausgesetzt ist. Hier ist die Tora, ihrem Kerngehalt nach, Israel von Gott auferlegtes Gebot. Dessen theonomer Charakter wird eindeutig festgestellt: „Ein Gesetz habe ich gesetzt, eine Verordnung verordnet, und es steht dir nicht frei, meine Verordnungen zu übertreten" (BemR 19). Eine Scheidung zwischen einem moralischen und einem zeremonialen Teil der Gesetzgebung findet nicht statt; man findet unter den Gesetzen solche, die, „wenn sie nicht geschrieben wären, hätten geschrieben werden müssen", neben solchen, „gegen die der böse Trieb sich empört und die Völker der Welt sich empören", aber sie alle werden durch den gemeinsamen Verpflichtungsgrund zusammengehalten: „Ich bin der H e r r " (Sifra Ahare, Kap. 13,10). Nebst dem J o c h der Herrschaft des Himmels' nimmt der Jude das J o c h der Gebote' auf sich (mBer 2,1). Aber zugleich wird die Tora als eine ,kostbare Perle' in Gottes Schatzkammer gerühmt, in deren Besitz Israel seine Auserwählung erfährt. Daher dankt man Gott vor jeder Gebotserfüllung in einem Segensspruch dafür, daß er „uns durch seine Gebote geheiligt h a t " . Gerade die Vielzahl der Gebote wird als Gnadenerweis gesehen: „ G o t t wollte Israel Frömmigkeit zukommen lassen; darum mehrte er ihnen Tora und G e b o t e " (bMak 23 b). Sie zersplittert nicht die religiöse Aufmerksamkeit, da die hinter ihr stehende Einheit gespürt wird: in ihrer Gesamtheit sind sie der (eine) „Engel, der rings um die Gottesfürchtigen lagert" (yBer 9,8). Trotz ihres theonomen Charakters sind die Gebote nicht aufoktroyiert. Gott hat sie einem Volke nach dem andern angeboten, bis er bei Israel allein die Antwort bekam: „ W i r wollen tun und h ö r e n " . Das Voranstellen des Tuns gegenüber dem Hören, also der Gottbezogenheit gegenüber der Sachbezogenheit, gilt als das Verdienst Israels am Sinai (bShab 8 8 a ) . Dem entspricht die gern betonte Selbstidentifizierung des Frommen mit der Tora: „Nachdem er an Gottes Tora Gefallen gefunden hat, wird sie zu seiner eigenen" (bAZ 19a). Oder, von einem Einzelgebot gesagt: „Es heißt: ,Die Kinder Israel sollen den Sabbat

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beachten, um den Sabbat zu tun ( = machen), also: wer den Sabbat beachtet, wird angesehen, als ob er den Sabbat gemacht h ä t t e " (Yalq I, 409). Oder in milderer Formulierung: „ E r (der Sabbat) ist euch überantwortet und nicht ihr dem S a b b a t " (bYom 8 5 b ) . Die Theonomie des Gesetzes bleibt nicht Heteronomie. In der Linie der Selbstaneignung des Gebotes liegen die freiwilligen Erschwerungen, deren Israel sich rühmt (bEr 21 b) und um deretwillen Gott Israel,liebt' (bBer 20 b). Von dem Frommen wird erwartet, daß er nicht bis an die Grenze des ihm rechtlich Zustehenden geht, sondern sich ,einwärts der Linie des Rechtes' hält; dies ist der ,Weg der Guten' oder die ,Tat der Frömmigkeit'. J a , die Tempelzerstörung wird damit begründet, daß man „nach dem strengen Toragesetz gerichtet h a b e " ( b B M 3 b). Hierher gehört der „Zaun um die Lehre" (mAv 1,1), den zu errichten den Toragelehrten anempfohlen wird. Dieser darf jedoch nicht zu hoch werden, denn wenn er einstürzt, beschädigt er die Pflanzungen ( A R N , 2. Vers., Kap. I). Der ,Zaun' darf auch nicht als Empfehlung der Asketik angesehen werden, denn: wer sich Qualen auferlegt, sündigt gegen sich selbst (bNaz 19 a). „Dein Trieb soll dich nicht irreführen zu sagen: alle guten Dinge hat Gott Israel verboten" (Tan shmini 8). Die ,Freude am Gesetz' ist so dominierend, daß am Fasttag des 9. Av das Toralernen als zu freudig verboten wird (bTaan 30 a). Es besteht die Tendenz, die Erstreckung des Gesetzes nach allen Richtungen auszuziehen. Schon Abraham „hat die ganze Tora gehalten, ehe sie noch gegeben w a r " (mQid 4.14). Über den Fortbestand der Gebote in messianischer Zeit gibt es widersprechende Äußerungen; wo aber für Tod und Auferstehung mit einem Erlöschen der Gebote gerechnet wird, wird dies mit dem Vers belegt: „Nicht die Toten preisen G o t t " (bShab 30 a), also als Mangel empfunden. Auch Gottes Herrschaft über die nichtjüdische Menschheit kleidet sich in die Form der aus Gen 9 , 4 - 6 abgeleiteten sieben noachidischen Gebote (z.B. b A Z 2 b). Ohne diese Ausweitungen wäre auch die universale Existenz der Sünde nicht verständlich, die nur als Übertretung von Gottes Gebot faßbar ist. Die Kehrseite dieses Zusammenhanges drückt sich in dem Grundsatz aus: „Größer ist, wer gebotenerweise, als wer ungeboten t u t " (bQid 3 1 a ) , also: erst das Gebot verleiht dem Tun sein spezifisches Gewicht. Nur selten wird demgegenüber in späten Midraschim die ungebotene Spontaneität einer Handlung gerühmt. Der Mischnatraktat Avot stellt durchgängig die Gebotserfüllung unter das Bild des Arbeitsverhältnisses. Bei Gott werden alle Taten des Menschen sorgfältig verzeichnet (3,16), und er zahlt den Arbeitern ihren Lohn (5,23). Damit aber ist die Rationalität des Bildes erschöpft: bezüglich des Lohnes hast du dich auf Gott zu verlassen (2,14); du kennst nicht den für dein Tun ausgesetzten Lohn, sollst es daher mit einem leichten und einem schweren Gebot gleich genau nehmen (2,1). Wenn du dir deine Kreatürlichkeit stets vor Augen hältst, wirst du dich von der Sünde fernhalten (3,1). Als Motiv der Handlung wird die Lohnerwartung verboten: „Du sollst nicht sein wie ein Knecht, der dem Herrn dient mit der Bedingung, daß er Belohnung bekommt" (1,3). Mit dem Wort: „Der Lohn eines Gebotes ist ein Gebot" (4,2) ist das Lohndenken völlig entwurzelt. Und der Arbeit wird der Kontraktcharakter genommen, wenn es heißt: „Dir liegt nicht ob, die Arbeit zu vollenden, aber dir steht auch nicht frei, dich ihrer zu entziehen" (2,16). Ist der Mensch imstande, die Tora zu erfüllen? Die pessimistische Anthropologie von IV Esr (s.o.) kehrt bei den Rabbinen nicht wieder. Der ,böse Trieb' im Menschen ist mächtig, aber es steht ihm ein ,guter Trieb' gegenüber, und der ständige Kampf zwischen beiden macht das Menschenleben aus. Einerseits ist also dem Menschen verwehrt, sich den vollkommenen Gerechten' zuzuzählen. Im, rabbinisch inspirierten, Bußgottesdienst heißt es: „Wir sind nicht so frechen Antlitzes und harten Nackens . . . , zu sagen: wir sind Gerechte und haben nicht gesündigt, sondern wir haben gesündigt". Ebensowenig aber soll der Mensch sich als Frevler betrachten: „Stets sehe man sich an, als wäre man zur Hälfte schuldig und zur Hälfte gerecht" (bQid 4 0 b). Dem entspricht die Lehre von den drei Büchern im Himmel, der Gerechten, der Frevler und der .Mittleren' (bRHSh 16b). Beim alljährlichen Gottesge-

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rieht wird den Mittleren eine zehntägige Bewährungsfrist zwischen ,Unterschreibung' und ,Besegelung' ihres Urteilsspruches gewährt. Diese dient der Umkehr, der Uberspringung der Spanne zwischen Frevler und Gerechtem, dem eigentlichen Feld der Freiheit unter dem Gesetz. „An der Stelle, wo die Umkehrenden stehen, stehen nicht einmal die vollkommenen Gerechten" (bBer 34 b). Obwohl die Rabbinen von zahlreichen Gerechten zu erzählen wissen, wird nicht verkannt, daß selbst Mose nicht sündenfrei war. In diesem Sinne mag das Ideal der Gerechtigkeit also unerreicht sein. Aber daß keiner gerecht werden kann, ist ein assertorisches und kein apodiktisches Urteil. Nirgends im rabbinischen Schrifttum führt die Erfahrung der Unerreichbarkeit zu einem Zweifel oder gar einer Verzweiflung an dem Ziel des vollkommenen Gerechten und an der Erfüllung der Gottesgebote als dem heiligen Weg zu diesem Ziel. Dem steht nicht im Wege, daß die Beter in der Bußliturgie bekennen: „Wir haben keine Werke" und sich an Gottes Gnade wenden. „Tu mit uns Heil und Güte und erlöse uns!" Man weist es von sich, auf Werke zu pochen, die Gott gegenüber etwas wie einen Rechtsanspruch begründen könnten. Verdrängt das zentrale Gesetzesverhältnis nicht das Gottesverhältnis selbst? Ein Midrasch läßt allerdings Gott seufzen: „Hätten sie mich doch verlassen, aber meine Gebote beobachtet!" Es ist aber die dort gegebene Begründung zu beachten: „Denn wenn sie mich verlassen und meine Gebote beobachtet hätten, so hätte der Gärstoff [die Leuchte] in diesen sie zu mir zurückgeführt" (yHag 1,7). Die Gebote werden also als das Mittel gewertet, den Faden zu Gott selbt nicht abreißen zu lassen. 3.

Mittelalter

Das Gesetzesverständnis des rabbinischen Schrifttums bleibt unangefochten in Kraft anderthalb Jahrtausende lang, in denen das Talmudstudium den Kern des jüdischen Lebens und die Weiterbildung und Kodifizierung der Halacha das Hauptanliegen der jüdischen Literatur ist. Wesentlich Neues zum Thema bieten nur die beiden Neuschöpfungen des jüdischen Mittelalters, die Philosophie und die Kabbala. 3.1. Die Philosophen behaupten gegenüber den Toragelehrten ihre Daseinsberechtigung damit, daß sie die Vorfragen der Gesetzesreligion stellen: die Erkenntnis des Daseins Gottes, ohne die es keine Gesetzeserfüllung gibt, und das göttliche Weltverhältnis, ohne das keine Gesetzesoffenbarung zu denken ist. Maimonides unternimmt es, die philosophische Grundlegung in das Gesetz selbst einzubauen. Sein Kodex beginnt mit den .Gesetzen über die Grundlagen der Tora', in denen die (als Inhalt des Ersten Gebotes verstandene) philosophische Erkenntnis von der Existenz Gottes und die (durch Betrachtung des Weltalls erweckte) Liebe zu Gott als Gesetze behandelt werden. Von da aus gewinnt sein Gesetzbuch auf weite Strecken das Ethos eines philosophischen Protreptikos. Im Mittelpunkt der jüdischen Gesetzesphilosophie steht die Erforschung d e r , G r ü n d e der Gesetze'. Im Gegensatz zum hellenistischen Judentum (s.o.) ist hier das Movens theologisch: einem Gott, der absoluter Geist ist, steht es nicht an, sinnlose Gesetze zu geben. Wären die Gesetze willkürlich, meint Maimonides, „so wäre der Mensch weiser als sein Schöpfer" (Führer 3,31). Sie wollen den Menschen fördern. ->Saadja ben Josef sucht, wenigstens in der Gruppe, die er von den ,Gehorsamsgeboten' als rational unterscheidet, nach Förderung auf dem Niveau von Nützlichkeitserwägungen des gemeinen Lebens; Bachja ibn Paquda betrachtet die ,Pflichten der Körperglieder' als äußere Bezeugungen von ,Pflichten des Herzens'. -*Jehuda Hallevi sieht die Gesetze unter dem Bilde einer von dem göttlichen Arzt zum Besten des Patienten verabreichten Medizin, deren Wirkungsweise nur der Arzt durchschaut und die der Patient im Vertrauen auf den Arzt einnimmt. Maimonides bemüht sich, den gesamten Gesetzeskomplex in seinem grundsätzlichen Aspekt rational zu durchdringen. Das Gesetz dient zwei Zielen, der Vervollkommnung des,Leibes' und der,Seele', d. h. dem gesellschaftlichen Zusammenleben und

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der Hinführung des Menschen zur ewigen Seligkeit in der Gotteserkenntnis. Und da das zweite Ziel dem ersten untergeordnet ist, läßt sich die ganze, ins einzelne geregelte Lebensordnung des Gottesgebotes auf die Formel bringen: „Auf allen deinen Wegen erkenne Ihn!" (Prov 3,6). Die durch das Gesetz intendierte sittliche Erziehung dient der Dämpfung der Leidenschaften des einzelnen und der Vermeidung zwischenmenschlicher Konflikte und beseitigt so Störungsfaktoren in der geistigen, auf Gott ausgerichteten Vervollkommnung der Seele. Scharfe Proteste löste seine Erklärung der Opfergesetze als Zugeständnisse an ein Zeitalter aus, dem eine Gottesverehrung ohne Opferkult unvorstellbar war, so daß nur eine eigene Opferordnung d a s Volk v o m Götzendienst fernhalten konnte. Diese zeitgebundene Begründung bedeutete nicht, daß der Opferdienst nun obsolet sei. Im Gegenteil: in seinen K o d e x hat er, wohl als einziger mittelalterlicher Kodifikator, die Opfervorschriften einbezogen.

3.2. In ganz anderm Geiste haben auch die Kabbalisten ( - » K a b b a l a ) , im Gegensatz zu der Zurückhaltung der Halachisten, die Gesetzesbegründung gepflegt. Es ist leicht einzusehen, daß ein Glaube, dem „ d a s Hineinscheinen der Transzendenz ins Kreatürliche, ihre Bezogenheit aufeinander nach dem Gesetz des Symbolischen" (Scholem 165) seinen Sinn gab, in dem Religionsgesetz, das im Namen eines überirdischen Gotteswillens alle irdischen Verhältnisse durchwaltete, geradezu sein Organon sehen mußte. Die Gebotserfüllung stellt den ontischen Zusammenhang des Menschen mit der Gottheit her, eine jede mit einer bestimmten von den zehn Sefirot. Im gebotenen Gebet kommt dieser Zusammenhang einer Verschmelzung am nächsten, wobei zumeist, aber nicht immer, ein aus der dialogischen Grundstruktur des Judentums stammender Vorbehalt bestehen bleibt. Der Geboterfüllende verkörpert die Tora, und es kann gesagt werden: „ G o t t ist nicht irgend etwas jenseits der Tora, die Tora ist nicht außerhalb von ihm und er nicht außerhalb von ihr" (Scholem 167). Aber damit nicht genug: „ Z u m symbolischen Aspekt muß hier der magische hinzutreten, der nicht nur alles in allem erscheinen, sondern auch alles auf alles wirken läßt" (Scholem 165f). Die Gebotserfüllung wirkt auch auf die Gottheit selbst. In Übersteigerung des rabbinischen Wortes über den, der den Sabbat einhält (s.o.), läßt der Zohar (III 113a) Gott sagen, dieser sei so anzusehen, „als ob er mich gemacht hätte". Das Geschehen droben, heißt es immer wieder, wird durch das Geschehen drunten angeregt. Durch die irdische Gebotserfüllung wird an der Einung der göttlichen Sefirot gearbeitet, und wo deren Störung durch eine Urkatastrophe gelehrt wird, wird die menschliche Handlung zu einer Wiederherstellung' (tiqqun) und damit zu einer Bereitung der messianischen Erlösung. Durch ihre neue Sinngebung hat die Kabbala die Gebotserfüllung mit einer starken Intensität geladen, lokale Bräuche zum Rang von Vorschriften erhoben und viele neue Zeremonien geschaffen. Unter diesen hat besonders der Empfang der Sabbatbraut am Freitagabend allgemein Anklang gefunden. Anderseits hat gerade im kabbalistischen Judentum das der Messias-Idee (—»Messias/Messianische Bewegungen) immanente utopische Moment antinomistische Tendenzen entwickelt, die sich im -*Sabbatianismus in einem virulenten Libertinismus Luft machen konnten. 4. Neue und neueste

Zeit

Erst mit dem Anbruch der Emanzipation im Westjudentum wird das rabbinische Gesetzesverständnis erstmalig im Judentum in Frage gestellt. Hatte noch - » Mendelssohn die Sonderstellung des Judentums innerhalb der natürlichen Menschheitsreligion auf den Besitz eines offenbarten Gesetzes gegründet, das es durch ein legitimes System religiöser Symbole gegen den Götzendienst immunisierte, so erklärte die Reform das Gesetz für einen „Nebenweg der Offenbarung" (Ascher 48), der als Mittel zur Popularisierung der offenbarten Wahrheit unter veränderten gesellschaftlichen Verhältnissen jeweils auf seine Zweckdienlichkeit zu prüfen sei. Insbesondere sucht man im Gesetz zwischen einer auszumerzenden nationalen und einer beizubehaltenden religiösen Komponente zu scheiden

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(Holdheim). Indem ferner die messianische Erlösungshoffnung des Judentums als Pflicht zur M i t a r b e i t am Fortschritt der Menschheit aktualisiert wird, verfallen religionsgesetzliche Erschwerungen der aktiven Teilnahme eines Juden an dem diesen bewirkenden Staatsdienst einer Verurteilung als „religionshemmend" (Holdheim). D a weiterhin die durch das Judentum in die Welt getretene ,Geistesreligion', mit Hilfe des Christentums und des Islam, ihren Siegeszug in der Menschheit nahezu vollendet hat, ist es an der Zeit, den Selbstschutz des Gesetzes, der bisher das Eigendasein ihrer Bekenner in einer der ,Naturreligion' verfallenen Umwelt ermöglicht hat, schrittweise abzubauen (Formstecher). Gemäßigte Reformer der ,positiv-historischen' Richtung mahnen zur Vorsicht: eine Fortentwicklung des Religionsgesetzes darf nur unter liebevoller Abhorchung des religiösen Volksbewußtseins vorgenommen werden, da in diesem der ,Heilige Geist' am Werke sei (Z. Frankel). In der - für die Gegenwart gottgewollten - Zerstreuung machen „die talmudischen Umzäunungen in der Welt aus jedem [jüdischen] Haus ein scharf umgrenztes P a l ä s t i n a " (Graetz 56) und halten die jüdische Individualität aufrecht. Oder: bis zur nationalen Neukonsolidierung auf eigenem Boden ist die Einhaltung des alten Gesetzes die einzige legitime Form des jüdischen Selbstausdruckes (Moses Hess). Neu stellt sich die Frage für -*Buber, für den zwar, im Einklang mit der Tradition, die Begegnung mit dem gebietenden G o t t die jüdische Urerfahrung ist, der Niederschlag dieses Gebietens in einer Gesetzesordnung aber dessen illegitime Eingrenzung in einen sakralen R a u m bedeutet. G o t t ist ihm nicht ,Gesetzgeber', sondern nur der Mensch ,Gesetznehmer', der sich durch das Gesetz von der Allgegenwart des göttlichen Anspruches dispensiert. Rosenzweig erkennt die Scheidung zwischen absolutem G e b o t und begrenztem Gesetz an, aber wo es an der Spitze steht, da wird alles, was sonst und von außen gesehen wohl auch Gesetz sein könnte, gleichfalls G e b o t . Um den Sinn des Überschwunges vom Gesetz zum G e b o t ringen seine ,Bauleute', in denen das Erfüllenkönnen zu einem Stück jüdischer Lebensgestaltung wird. Allen relativierenden Tendenzen gegenüber besteht S.R. -»Hirsch, der sich lieber gesetzestreu als orthodox nannte, auf der unabdingbaren Verpflichtungskraft des in der T o r a gegebenen und in der Halacha gültig interpretierten Gottesgesetzes. Naturgesetz, Sittengesetz und Toragesetz sind drei konzentrische Kreise, in denen sich Gottes Wille ausdrückt, und die Verankerung der Sittlichkeit in der T o r a durch Israel ist ein Bedürfnis der Menschheit. Erst das Verständnis des, durch Symbolforschung zu enträtselnden, Gottesgebotes gibt unserer Erfüllung die erzieherische Wirkung, um deretwillen es uns gegeben ist. Diesem Gedankengang diametral entgegengesetzt ist die heute von Leibowitz vorgetragene Auffassung, nach der die unbeirrte Erfüllung des in der Halacha gegebenen Gotteswillens der einzige uns auferlegte Gottesdienst ist, jede Nachfrage dagegen nach einem verstehbaren Sinn der G e b o t e einem weichlichen Nachgeben menschlichen Bedürfnissen gegenüber entspringt, das der Gebotserfüllung den Charakter des Unbedingten raubt. Literatur Alexander Altmann, Art. C o m m a n d m e n t s , Reasons for: E J 5 (1971) 7 8 3 - 7 8 9 . - Saul Ascher, Leviathan, oder: über Religion in Rücksicht des Judenthums, 1792. - William D. Davies, T o r a in the Messianic Age, Philadelphia 1956. - Salomon Formstecher, Die Religion des Geistes, Frankfurt a. M . 1841. - Z a c h a r i a s Frankel, Symptome der Zeit: Z R I J 2 (1845) 1 - 2 2 . - George Golinski, Das Wesen des Religionsgesetzes in der Phil, des Bachja, Würzburg 1935. - Heinrich Graetz, Die Konstruktion der jüd. Gesch., Berlin 1935. - Isaak Heinemann, T a ' a m e H a M i s w o t [Gründe der Gesetze], 2 Bde., Jerusalem 4 1 9 5 9 ; Kurzfassung: L a loi dans la pensee juive, Paris 1962. - Moses Hess, Die Einheit des Judentums innerhalb der heutigen rel. Anarchie: M G W J 19 (1869) 3 3 - 3 7 . 1 1 1 - 1 1 5 . - Samson R a phael Hirsch, Choreb oder Versuche über Jissroels Pflichten, Frankfurt s 1 9 2 1 . - Samuel Holdheim, Uber die Autorität der Rabbinen u. das Princip der jüdischen Ehe, Schwerin 1843. - Ders., Das Ceremonialgesetz im Messiasreich, Schwerin 1845. - Yeshaya Leibowitz, T o r a h u M i j w o t b a Z e m a n haze [Tora und Gebote heute], Tel Aviv 1954. - Ders., Yahadut, 'am Yehudi uMdinat Yisrael [Judentum, Jüdisches Volk u. Staat Israel], Jerusalem 1975. - Chaim Neuburger, Das Wesen des Gesetzes in

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der Phil, des Maimonides, Danzig 1933. - Protokolle der Rabbinerversaramlungen: 1. Braunschweig 1844; 2. Frankfurt a. M . 1845; 3. Breslau 1847. - Franz Rosenzweig, Bauleute: Ders., Kleinere Sehr., Berlin 1937. - Dietrich Rössler, Gesetz u. Gesch. Unters, zur Theol. der jüd. Apokalyptik u. der pharisäischen Orthodoxie, Neukirchen 1960. - Gershom Scholem, Zur Kabbala u. ihrer Symbolik, Zürich 1960. - Ders., Art. Commandments, in Kaballah: E J 5 (1971) 7 8 9 - 7 9 2 . - Ephraim E. Urbach, The Sages, their Concepts and Beliefs, 2 Bde., Jerusalem 1975 [Kap. XIII: The Commandments]. Joseph Wohlgemuth, Das jüd. Religionsgesetz in jüd. Beleuchtung: Jahresbericht des Rabbinerseminars, Berlin 1912 u. 1919. J e h o s h u a Amir

III. Neues Testament 1. Jesus 2. Vorpaulinische Entwicklungsfelder 2.1. Die Frühphase der „Hebräer" 2.2. Archaische judenchristliche „Gesetzlichkeit" 2.3. Die „Hellenisten" 2.4. Die Jerusalemer Gemeinde vor und neben Paulus 3. Paulus 3.1. Vorfragen 3.1.1. Die Gesetzeslehre eine Spätform paulinischer Theologie? 3.1.2. Entwicklungsstufen? 3.1.3. Aporien im paulinischen Gesetzesverständnis? 3.2. Der hermeneutische Horizont 3.3. Der Kerngehalt der paulinischen Gesetzeslehre 3.3.1. Der göttliche Sinn des Gesetzes 3.3.2. Der Vorsprung der Sünde vor dem Gesetz 3.3.3. Der Umgang der Sünder mit dem Gesetz 3.3.3.1. Grundsätzliches 3.3.3.2. Autobiographische Problemanzeige 3.3.3.3. Die Juden und das Gesetz 3.3.3.4. Der Mensch und das Gesetz 3.3.3.5. Zusammenfassung 3.3.4. Der Christ und das Gesetz 4. Paradigmen nachpaulinischen Gesetzesverständnisses 4.1. Paulusschule 4.2. Johannesevangelium 4.3. Lukas 4.4. Antipaulinismus 5. Schluß (Literatur S. 73) Die Frage des Gesetzes ist im Urchristentum in sehr verschiedenem Grade als Problem bewußt geworden. Die entwickelten Konzeptionen divergieren erheblich (Betz, Prinzipien 27). Die dabei erkennbar werdenden innerchristlichen Kontroversen lassen sich nicht dahingehend reduzieren, daß über die von Jesus gelehrte „Erfüllung der Tora im Liebesgebot" Einigkeit bestanden habe und nur die „theologischen Konsequenzen aus diesen Lehren" strittig gewesen seien (gegen Betz ebd.). Denn jenes Motiv der Jesusüberlieferung stellt keineswegs das alle Ausformungen urchristlichen Gesetzesverständnisses verbindende maßgebende Zentrum dar. 1.

Jesus

N i r g e n d w o wirken sich die einer methodisch gesicherten Feststellung authentischen Jesusgutes ( - » J e s u s Christus) entgegenstehenden Schwierigkeiten ( T R E 1 0 , 2 7 1 , 1 2 f f ) derart erschwerend aus wie bei der Erhebung von Jesu Gesetzesverständnis, „ d a sich gerade an diesem Punkt die verschiedenen Akzentuierungen des Gesetzesgedankens innerhalb der Urgemeinde und ihr Streit u m die Geltung des Gesetzes störend bemerkbar m a c h e n " (Schräge, Ethik 5 7 ) . Schon die Frage, o b Jesu Einstellung zum Gesetz überhaupt ein spezifisches Profil erkennen läßt, ist offen. Sie m u ß d o r t von vornherein äußerst zurückhaltend verhandelt werden, w o m a n Jesus einseitig als Apokalyptiker versteht. Die gesamten unapokalyptischen Bestandteile, d . h . die ethischen Elemente der alten Logienüberlieferung müssen dann entweder einem durch die Problematik der Parusieverzögerung veranlaßten Rückgriff der Uberlieferungsträger auf „Elemente einer in jüdischen Kreisen virulenten radikalen Liebesethik" zugeschrieben werden, o d e r sie können allenfalls die selbständige Existenz einer durch ethischen Rigorismus geprägten Gemeinschaft von Jesusanhängern dokumentieren (W. Schmithals: FS Conzelmann, 1975, 84). Bagatellisierend zugestanden werden kann d a n n allenfalls, d a ß es sich bei Jesu Z u w e n d u n g zu den Sündern wie bei dem Vorrang der G n a d e vor dem Gericht in seiner Verkündigung um „eine bestimmte Ausprägung des A p o k a l y p t i s c h e n " handelt (ebd. 6 9 ) . Z u einer äußerst beschränkten Uberlieferungsbasis gelangt ferner eine traditionsgeschichtliche A u s w e r tung literarkritischer Befunde, die ausschließlich den ältesten Stoffen der Spruchquelle Q ( T R E 10, 620ff) authentisches Jesusgut zuerkennt und dann einzig M t 5 , 3 1 f . 3 8 f . 4 3 f als die angeblich „ältesten sog. A n t i t h e s e n " der -»Bergpredigt (Ehescheidung, Wiedervergeltung, Feindesliebe) für Jesu Gesetzesverständnis auswertet, darin „keine Aufhebung des M o s e g e s e t z e s " , sondern lediglich eine „ R ü c k f ü h r u n g v o m W o r t l a u t auf die Intention des

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Willens Gottes" vernimmt und das gesamte übrige einschlägige Material den „nachösterlichen Gemeinden" zuschreibt (S. Schulz: FS Cullmann, 1972, 39). Derartige methodische Engführung aber wird den markantesten Zeugnissen der Jesusüberlieferung nicht gerecht. So können von den Antithesen gerade die nicht aus Q stammenden (vom Töten: M t 5,21 f; Ehebruch: 5,27f; Schwören: 5,33f) traditionsgeschichtlich primär sein (Käsemann, Problem 206; T R E 10, 619,5ff). Erweisen sie die antithetische Form als nicht dekomponierbar (TRE 5, 606,23 ff; anders Broer), so meldet sich in dem den Wortlaut der Tora schroff überbietenden, jeglicher begründenden „Auslegung oder Ausweitung des Thoragebots" entratenden (Schräge, Ethik 61) ¿yd) ös Myco eine Autorität, welche „nicht bloß ein neues gegen ein altes Gesetzesverständnis" aufbietet ( T R E 5,606,51), auch nicht die neue Gerechtigkeit als der mosaischen lediglich „noch überlegen" erscheinen lassen will (gegen Stuhlmacher: Z T h K 79,288), geschweige „die Kontinuität zum Alten Testament" setzt (gegen Luz 68), sondern schroff „gegen diejenige des Moses tritt" (Käsemann ebd.; Schräge, a. a. O. 67). Erst recht gilt von den Antithesen V. 31 £.38 ff, daß hier das alttestamentliche Gebot bündig „aufgehoben wird" (Hahn, Apostelkonvent 23 Anm. 17). Der gleiche Sachverhalt tritt in den Sabbatkonflikten zutage, deren innerer Grund in M k 2,27 erscheint (Schräge, a . a . O . 60f) und die demnach die „grundsätzliche Dominanz" des zwischenmenschlichen Verhaltens über die torakonforme Observanz bekunden (ebd. 73). Damit „wird der Sabbat seiner apriorischen göttlichen Qualität beraubt" (J. Becker: FS Conzelmann, 1975, 116). Nirgendwo aber zeigt sich die Radikalität von Jesu Einstellung zur Tora deutlicher als im Streit um das Reinheitsgesetz. Zwar werden Authentie und ursprüngliche Selbständigkeit des entscheidenden Belegs M k 7,15 (dazu Hübner: N T S 22, 323; anders D. Lührmann: WuD 16 [1981] 82) neuerdings wieder energisch bestritten (W. Schmithals, M k , 1979 [ Ö T K 2/1] 342ff). Doch unterliegt einmal die dahinterstehende, in Abkehr von der -»Formgeschichte entwickelte Gesamtbeurteilung des vormarkinischen Textmaterials (ders.: T R E 10, 623ff) erheblichen Bedenken (U. Luz: T h L Z 105 [1980] 652). Zum andern kann der Bildgehalt des Logions keinesfalls auf „die banale Feststellung" gebracht werden, „daß nicht die genossenen Speisen, sondern die Ausscheidungen der Verdauungsorgane den Menschen beschmutzen" (Schmithals, Mk, 1979 [ Ö T K 2/1] 344). Da prägnant von kultischer Verunreinigung die Rede ist, liegt solche Banalität fern. Schließlich ist dem Vordersatz unmöglich die Aussage zu entnehmen: das den Menschen „treffende Wort vermag ihn nicht zu verunreinigen, sondern bringt das Leben" (345), da der negative Gedanke von unerträglicher Trivialität wäre und der positive eingetragen werden muß. Umgekehrt wird die dem Nachsatz zugeschriebene Aussage, die Wahrheit werde „nicht vom Menschen produziert" (ebd.), der transitiv gefaßten, also eindeutig auf schroffe Disqualifikation eines aktiven Verhaltens abzielenden Feststellung überhaupt nicht gerecht. Stehen hier daher alle bösen Verhaltensweisen des Menschen im Blick, und ist daraufhin „auch dem Vordersatz ein möglichst weitreichender Sinn zuzusprechen", so kann von einer möglicherweise bloß ungrundsätzlichen Äußerung keine Rede sein (gegen Luz 60 f); vielmehr ist damit „in der Tat der levitische Reinheitskodex im Kern erledigt" (J. Gnilka, M k , 1978 [EKK 2/1] 284), ja die „Vorstellung von kultischer Reinheit und Unreinheit" als solche aufgehoben (Hübner: N T S 22, 345); damit aber sind grundsätzlich Voraussetzungen und Wortlaut der Tora samt der Autorität des Mose im ganzen angetastet (Käsemann, a . a . O . 207; Schräge, Ethik 68).

Der hinreichend breit gestreute Befund dürfte sicherstellen, daß ein „gewisser Trend" gegenwärtiger Forschung, „die thorakritischen Worte Jesu als nichtauthentisch zu betrachten" (Hübner: N T S 22, 320), der Quellenlage nicht gerecht wird. Reichweite und Antriebskräfte dieser Gesetzeskritik stehen allerdings zur Diskussion. Daß Jesus die Freiheit gegenüber dem Gesetz „nicht als ein theoretisches Programm" vertritt (G. Ebeling, Dogmatik des christl. Glaubens, II 1979,433), daher nicht innerhalb einer Alternative von emanzipatorischem Liberalismus und Rigorismus zu verrechnen ist (ebd. 436; Schräge, Ethik 73) und also nicht auf der Linie eines abstrakten Antinomismus verstanden werden darf (Stuhlmacher, Gesetz 148), leidet keinen Zweifel. Umgekehrt drohen falsche Alternativen, wenn man Jesus von der Absicht freispricht, „den in der Tora offenbarten Willen Gottes einfach aufzulösen" (Stuhlmacher: Z T h K 79, 291). Das Provokante in der Gesetzeskritik Jesu liegt jüdisch gerade darin, daß für ihn die Tora den Gotteswillen nicht

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G e s e t z III

hinreichend t r a n s p a r e n t w e r d e n läßt. D a ß „ d i e d u r c h d a s G e s e t z Israel g e s c h e n k t e Heilsm ö g l i c h k e i t " lediglich „ ü b e r b o t e n " w e r d e , „ o h n e bestritten zu w e r d e n " ( L u z 6 6 ) , läßt s i c h m i t L k 1 8 , 9 - 1 4 n u r b e g r ü n d e n , w e n n m a n d e n s c h r o f f p o l e m i s c h e n V. 1 4 , d e r die R e c h t f e r t i g u n g des t o r a k o n f o r m e n Pharisäers bestreitet, ignoriert. E r s t r e c h t schwierig e r s c h e i n t d i e A u f f a s s u n g , „ d a ß J e s u s d i e T o r a v o m S i n a i in d i e v o n i h m s e l b s t p r o k l a m i e r te m e s s i a n i s c h e T o r a hinein a u f g e h o b e n u n d d a s G e b o t d e r Feindesliebe als d e r e n Z e n trum gelehrt" habe (Stuhlmacher, Gerechtigkeitsanschauung

114). Von

dialektischer

„ A u f h e b u n g " k a n n d o r t k e i n e R e d e m e h r sein, w o - w i e z u m i n d e s t i m F a l l e d e r S c h e i dungs-, Eid- und Reinheitsthematik - das strikte D e m e n t i waltet. F ü r die P r o m u l g a t i o n e i n e r m e s s i a n i s c h e n b z w . „ , Z i o n s t o r a ' " ( d e r s . , G e s e t z 1 4 9 ) d u r c h J e s u s e r m a n g e l t es j e g l i c h e r B e l e g e . V o r a l l e m ist es m e h r a l s u n s i c h e r , o b d e m G e b o t d e r F e i n d e s l i e b e b z w . d e m L i e b e s g e b o t ( d e r s . : Z T h K 7 9 , 2 9 1 ) in d e r u r s p r ü n g l i c h e n J e s u s ü b e r l i e f e r u n g i r g e n d ein p o s i t i v e r B e z u g z u r G e s e t z e s m o t i v i k e i g n e t e . K a n n M t 5 , 4 3 ff par. dafür natürlich nicht in Anspruch g e n o m m e n werden, so bleibt als einzig möglicher Beleg M k 1 2 , 2 8 - 3 4 ; M t 2 2 , 3 4 - 4 0 ; Lk 10,25 - 28. D i e traditionsgeschichtliche Konstellation ist hier dermaßen kompliziert, daß neuerdings die wechselseitige Unabhängigkeit aller drei T e x t f o r m e n postuliert wird (F. H a h n : E . L. Behrendt [Hg.], R e c h t s s t a a t u. C h r i s t e n t u m , 1 1 9 8 2 , 380). Erscheint dies wegen der massiven Kollision mit der Z w e i - Q u e l l e n - T h e o r i e ( T R E 10, 5 9 2 , 34ff) k a u m angängig, so dürfte der dann anzunehmenden Fassung der Spruchquelle die Priorität gegenüber der M k - F a s s u n g z u k o m m e n ( R . H . Füller: FS C o n z e l m a n n , 1 9 7 5 , 3 2 4 ) . D a n n spricht in der T a t einiges dafür, d a ß M t , insbesondere wegen der Abschlußformulierung V. 4 0 („In diesen beiden G e b o t e n hängt das ganze G e s e t z und die P r o p h e t e n " ) und ungeachtet deren redaktioneller Prägung, die archaischste Fassung bewahrt hat (vgl. H a h n , a . a . O . 3 8 2 ) . Diese aber läßt sich nicht gegen frühjüdische Ausprägungen des D o p p e l g e b o t s als „authentisch und für Jesus c h a r a k t e r i s t i s c h " mit der Begründung reklamieren, „ d a ß das D o p p e l g e b o t hier nicht m e h r n u r . . . illustrative Z u s a m m e n fassung des sich erst in der T o r a insgesamt erschließenden Gotteswillens ist, sondern daß sich der Wille G o t t e s in diesem D o p p e l g e b o t exklusiv z u s a m m e n f a ß t " (Stuhlmacher, Gesetz 147). Einerseits läßt der Wortlaut von V. 4 0 wie auch der von V. 38 („Dies ist das große und erste G e b o t " ) dieses Verständnis schwerlich zu. Andererseits darf der Unterschied zwischen der jüdischen und der urchristlichen Ausprägung des D o p p e l g e b o t s nicht überzeichnet werden. Wenn etwa zugunsten des behaupteten ungrundsätzlichen C h a r a k t e r s der jüdischen Aussagen hervorgekehrt wird, d a ß die Liebe zum Nächsten hier nie auf alle M e n s c h e n bezogen sei (A. Nissen, G o t t u. der N ä c h s t e im antiken J u d e n t u m , 1 9 7 4 , 2 3 2 ) , so liefert ein offenkundig unter dem Einfluß des D o p p e l g e b o t s formulierter T e x t wie Testlss 7,6 den Gegenbeleg: „ D e n H e r r n liebte ich und ebenso jeden M e n s c h e n mit aller meiner K r a f t " . Wahrscheinlich ist es bereits im J u d e n t u m , in Begegnung mit hellenistischem Geist und insbesondere unter dem Einfluß der Doppelbildung evaißeia Kai SiKaioavvri zu einem spezifischen Gesetzesverständnis g e k o m m e n , das nicht an der Schrift, sondern an der S u m m i e r b a r keit des Gesetzes zu einem D o p p e l g e b o t als zureichender Z u s a m m e n f a s s u n g des Gotteswillens interessiert w a r und das in der K o n f r o n t a t i o n mit o r t h o d o x e r Gesetzesauffassung geradezu torakritische Funktion gewann (Berger, bes. 7 9 . 1 7 5 f ; Ch. B u r c h a r d : FS J e r e m i a s , 1970, 5 7 ) . Vollends die M k Fassung der synoptischen Überlieferung des Doppelgebots (für ihre Priorität gegenüber Q : Burchard, a . a . O . 4 9 f f ) mit ihrer überlegt gestalteten Verbindung von M o n o t h e i s m u s , Liebesthematik und Kultkritik atmet durch und durch hellenistischen Geist ( G . B o r n k a m m , Ges. Aufs., III 1 9 6 8 , 3 8 f) und läßt das M o t i v der Nächstenliebe erst recht nicht als das einzig beherrschende T h e m a erscheinen. „ D a ß es vermutlich eine von Hellenismen freie, auf Jesus selbst zurückgehende Fassung der Uberlieferung vom D o p p e l g e b o t gegeben h a b e n w i r d " (Schräge, Ethik 7 2 ) , dürfte jedenfalls m e t h o disch schwer zu sichern sein. N a c h a l l e d e m k a n n d a s L i e b e s g e b o t k a u m als d a s o r g a n i s i e r e n d e Z e n t r u m v o n J e s u Gesetzeskritik gelten. H i n g e g e n s p r i c h t alles d a f ü r , dessen m a ß g e b e n d e T r i e b k r ä f t e a u s seiner Verkündigung der - » H e r r s c h a f t G o t t e s ( T R E 1 0 , 2 7 2 , 2 6 f f ) herzuleiten. „ D e r k o n stitutive A u f b a u der jesuanischen V e r k ü n d i g u n g v o n d e r Z u k u n f t h e r " stellte m i t a l l e m Ü b e r k o m m e n e n a u c h das G e s e t z „ u n t e r d e n G e s i c h t s p u n k t des W e r t z e r f a l l s " , wie d e n n d i e m ö g l i c h e Z u g e h ö r i g k e i t z u r G o t t e s h e r r s c h a f t in d e n a u t h e n t i s c h e n T r a d i t i o n s s t ü c k e n nie an das H a l t e n des Gesetzes g e b u n d e n w i r d , die Unheilssituation des M e n s c h e n nicht mittels der T o r a dingfest g e m a c h t und d a s H e i l s a n g e b o t nicht im heilsgeschichtlichen H o r i z o n t von B u n d und Gesetz, s o n d e r n aus der schöpferischen Vorgabe des k o m m e n d e n G o t t e s e n t w i c k e l t w i r d ( J . B e c k e r : F S C o n z e l m a n n , 1 9 7 5 , 1 0 8 - 1 1 7 ) . W e i l in d e r a n d r i n -

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genden Gottesherrschaft der Weltenherr sich durchsetzt, der seine Geschöpfe gütig zu sich ziehen und bei sich halten und so seine Gottheit an ihnen bedingungslos wahrmachen will, nicht aber „die Frommen noch frömmer wünscht" (E. Käsemann, Der Ruf der Freiheit, 5 1972, 39), darum hat das Gesetz seine schicksalsregulierende Rolle ausgespielt. 2. Vorpaulinische

Entwicklungsfelder

Das Gesetzesverständnis der jungen Christengemeinden fächert sich alsbald nach sehr verschiedenen Richtungen hin auf. Dabei erklärt sich der Tatbestand, daß Jesu pointierte Gesetzeskritik der weiteren Entwicklung nicht das einheitsstiftende Maß setzte, aus der österlich begründeten Transformation der Eschatologie, derzufolge mit Jesu Tod und Auferstehung die von ihm noch erwartete Weltenwende als eingetreten geglaubt wurde (TRE 10,274ff), was den Tradierungsdruck der vorösterlichen Jesusbotschaft von Anfang an in Grenzen hielt. 2.1. Die Frühphase der „Hebräer". Daß im Einflußfeld der Gemeinde, welche in Act 6 als die der „Hebräer" identifizierbar wird, Beschneidung und Gesetzesgehorsam unangefochtene Elemente des Christseins waren, dürfte feststehen. Auch wenn die Nachrichten der —»Apostelgeschichte über die Teilnahme der Christen am Tempelgottesdienst (Hahn, Apostelkonvent 25) wegen ihrer Konkordanz mit der lukanischen Geschichtsauffassung von beschränktem Quellenwert sind (Luz 75), so sind doch aus der weiteren Entwicklung dieser Christenheit (s.u. 2.4.) entsprechende Rückschlüsse auf ihre Frühzeit möglich. Folgenreich wirkt sich in den Anfängen vor allem aus, daß hier die Heidenmission nicht als Aufgabe wahrgenommen wird. Man darf daraus - angesichts der von vornherein greifbaren prägnant ekklesiologischen Gemeindestruktur - zwar nicht im Umkehrschluß folgern, daß hier „die Zugehörigkeit zum jüdischen Volk als einer empirisch-historischen Größe" geradezu eine „Bedingung der Teilnahme am Heil" darstellte (gegen Bultmann 59), wohl aber darin die Voraussetzung dafür finden, daß zunächst das Gesetz als Problem überhaupt nicht bewußt wurde. 2.2. Archaische judenchristliche „Gesetzlichkeit". Daneben zeichnen sich wenigstens verschwommen alte judenchristliche Gruppierungen ab, für die eine wie immer geartete theologische „Gesetzlichkeit" im Ansatz konstitutiv gewesen sein muß. Das gilt etwa für das Missionsprogramm Mt 1 0 , 5 b - 6 mit seiner bei den Jerusalemer „Hebräern" unvorstellbaren intransigent partikularistischen Ausrichtung auf das einzig rettungswürdige alttestamentliche Gottesvolk; es gilt womöglich ferner für ein eventuell hinter der ->Bergpredigt erkennbar werdendes antipharisäisches, der Tora in der Auslegung Jesu verpflichtetes Judenchristentum, für das denn bei aller Kultkritik „Gesetz und Evangelium sehr eigentümlich ineinander" lägen (H.D. Betz: ZThK 75,19), welches mit der Orientierung auf torakonforme „Gerechtigkeit" als Heilsbedingung im Rahmen innerjüdischer Diskussion verblieben wäre und dessen „Kult-Didache" in Mt 6 , 1 - 1 8 überkommen sein könnte (ders.: FS Conzelmann, 1975, 4 4 5 - 4 5 7 ) ; es gilt vielleicht für eine freilich sehr hypothetische Trägergruppe von Q mit einer auf Tora Verschärfung basierenden Interimsethik (TRE 10,622,17 ff). 2.3. Die „Hellenisten". Entscheidend vorangetrieben wird die weitere Entwicklung von einem judenchristlichen -»Hellenismus, der bald in Jerusalem Furore macht (-»Urchristentum). Daß zur Zeit der in Act 6,1 ff geschilderten Vorgänge die beiden Gruppen der „Hebräer" und „Hellenisten" in selbständigen Gemeindeverbänden existieren, kann nicht bezweifelt werden (Schneemelcher 100 ff) und darf auch nicht mit der Vermutung erweicht werden, die hellenistische Gemeindeleitung durch ein Siebenerkollegium könne „eine gewisse Unterordnung" unter die Zwölf dokumentieren (gegen Hengel 180), so gewiß das Septemvirat eine gemeinantike Organisationsform darstellt (H. Conzelmann, Apg 2 [HNT 7] 50) und in diesem Fall geradezu den Protest gegen mit der Zwölfzahl verbundene heilsgeschichtliche Aspirationen der „Hebräer" symbolisieren mag.

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Das theologische Profil dieser hellenistischen Gemeinde läßt sich zwar nicht aus der Stephanusrede Act 7 , 2 - 5 3 (Hengel 186; Luz 87f; zuversichtlicher Schneemelcher 106), wohl aber mit Vorsicht aus der Anklage gegen Stephanus Act 6,11 ff, mit Sicherheit aus der Tatsache seines Martyriums (Act 7,54ff), zumal im Lichte von dessen unmittelbarer Nachgeschichte, erheben. Hält man „das Problem von Gesetzesfreiheit und -zwang" hier überhaupt noch nicht für akut (Strecker 481), müßten andere Faktoren namhaft zu machen sein, wenn die Geschehnisse nicht zum Rätsel werden sollen (Räisänen, Legalism 78). Hätten die „Hellenisten" bloß die „Weltgeltung der Botschaft von dem Auferstandenen" entdeckt, bliebe jegliche Repression zumal dann unbegreiflich, wenn man in jener Frühzeit das Problem der Aufnahme unbeschnittener Heiden in die Kirche für noch nicht virulent hält (zu Schneemelcher 104). Diagnostiziert man als „entscheidend... die geistgewirkte Interpretation der Botschaft Jesu im neuen Medium der griechischen Sprache" (Hengel 196; vgl. Stuhlmacher, Aufs. 82 Anm. 20), läßt solche vage Feststellung das Martyrium mit anschließendem Hellenistenpogrom alles andere als plausibel erscheinen (Schmithals, Herkunft 409 Anm. 54). Dies auch dann, wenn man präzisierend eine „pneumatische Freiheit gegenüber Tempel und Ritualgesetz" (Hengel 198; vgl. H a h n , Apostelkonvent 22 f; Wilckens: N T S 28,155) auf der Basis einer Unterscheidung von Zeremonial- und Sittengesetz (Hengel 191 Anm. 137) in Anschlag bringt. Solche Unterscheidung ist jüdisch längst im Schwange: „Für bestimmte Bereiche spätjüdischer... Tradition ist der Inhalt von ,Gesetz' relativ variabel, ist er außer auf die Forderung nach dem Glauben an einen Gott meist nur auf den sozialen Bereich bezogen und hat oft im A T nur im Dekalog einen Rückhalt" (Berger 53). Weder solche Reduktionstendenzen noch die in der Diasporasynagoge kräftig geübte „Spiritualisierung kultischer Sachverhalte" (Käsemann, R o m 4 68) unterlagen gravierenden Sanktionen. Selbst die Mißachtung des gegenwärtigen Opferkultes, ja ausdrückliche Tempelpolemik sind im Judentum nicht unerhört und jedenfalls kein Anlaß zu Pogromen (G. Klein: ZKG 68,368; Schmithals, Paulus 13ff). Verständlich werden die Vorgänge nur unter der Voraussetzung, daß die „Hellenisten" das Gesetz grundsätzlich für aufgehoben erklärten und damit jegliche religiöse Vorrangstellung Israels bestritten (Schmithals, a . a . O . 17ff; Suhl 31 f; vgl. Hübner: N T S 22,343). Solche Sicht der Dinge ist mit dem Einwand, sie müsse den „Hellenisten" im Grunde schon die paulinische Rechtfertigungslehre zuschreiben (Hengel, a. a. O.), natürlich nicht widerlegt, ganz davon abgesehen, daß diese (-•Rechtfertigung) traditionsgeschichtlich eine Verbindung zweier vorpaulinischer Theologumena - der Gesetzesfreiheit und der Rechtfertigung sola gratia - darstellt (G. Klein: R G G 3 5,826) und vor allem die Gesetzesthematik anthropologisch unerhört radikalisiert. Die Herkunft der Stephanusgemeinde ist allenfalls noch zu erahnen. Daß sie ein endogener Sproß der Jerusalemer Urgemeinde war (Suhl 33 f; Schneemelcher 99), ist im Blick auf ihren Antinomismus ebenso unvorstellbar wie Jerusalemer Ursprung überhaupt (Schmithals, Paulus 20 ff), auch wenn die Hypothese, Wirkungs- und Martyriumsstätte des Stephanus seien außerhalb Palästinas zu suchen (ders., Herkunft 410 Anm. 57), willkürlich ist. Welche auswärtige Christenheit aber k o m m t als Mutterboden der „Hellenisten" Jerusalems in Frage? Ein einschneidend von jüdischer Gnosis geprägtes Urchristentum, zu dem dann auch Paulus bekehrt worden wäre (Schmithals, a . a . O . 408ff), läßt sich schwerlich identifizieren. Hingegen liegen rückwärtige Verbindungslinien zu einem Christentum vom antiochenischen Typus gerade im Blick auf das Gesetzesverständnis tatsächlich nahe (ders., Paulus 22ff). Wenn in diesem Traditionsbereich das Gesetz „nicht verworfen", sondern bloß „im Sinn der liberalen hellenistischen Synagoge auf seinen sittlichen Gehalt reduziert bzw. auf das Liebesgebot hin interpretiert" worden wäre (ders., Herkunft 400 Anm. 33; in Korrektur seiner früheren Position), würde z.B. zum schweren Rätsel, wie Paulus ungeachtet seiner seit seiner Bekehrung datierenden grundsätzlichen Gesetzesfreiheit zunächst zu einem markanten Exponenten der antiochenischen Gemeinde werden konnte (Gal 2,1) und wie diese durch die Abstellung des unbeschnittenen Titus für ihre zu dem Jerusalemer Konvent entsandte Delegation geradezu einen provokativen Test (Betz, Galatians 85) in die Verhandlungen einbauen lassen, also eine jüdischem Liberalismus ganz fremde antinomistische Aggressivität an den Tag legen konnte (selbst wenn die Mitnahme des Titus eine persönliche Entscheidung des Paulus sein sollte [G. Ebeling, Die Wahrheit des Evangeliums, 1981, 118], so wäre sie doch von der Gemeinde gebilligt gewesen).

Das auslösende Moment dieser frühhellenistischen Gesetzesfreiheit müssen missionarische Erfahrungen gewesen sein. Überlieferungen wie Mk 7,24-30; Lk 17,11-19; Mt 8 , 5 - 1 0 begründen - da sie keine Ausnahme-, sondern exemplarische Fälle schildern und darum so grundsätzlich genommen werden wollen wie die programmatische Feststellung Mt 8,11 f par., die durchaus hohen Alters sein kann (E. Schweizer, M t 1 3 [ N T D 2] 137) keineswegs „mit gewisser Reserve die Aufnahme einzelner Unbeschnittener in die Gemeinde" (Schmithals, Herkunft 401), sondern illustrieren einen von der Dynamik des Evangeliums angetriebenen Lernprozeß, der die missionierende Gemeinde gegen ihr eige-

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nes Vorverständnis zum Universalismus und damit zur Einsicht in die soteriologische Entmächtigung des jüdischen Gesetzes führte. In dieser Gestalt lernt der Pharisäer Paulus das Christentum kennen und stellt es sich ihm als verfolgungswürdiger Todfeind seines jüdischen Glaubens dar (Suhl 3 0 f ) . 2.4. Die Jerusalemer Gemeinde vor und neben Paulus. Die unmittelbaren Folgen des Stephanusmartyriums sind für das Gesetzesverständnis der „hebräischen" Gemeinde Jerusalems ebenso symptomatisch, wie sie ihrerseits darauf eingewirkt zu haben scheinen. Zunächst sollte das Hellenistenpogrom nicht mit der Vermutung verharmlost werden, daß die „Hellenisten" „die erbitterte Reaktion ihrer eigenen Genossen aus der D i a s p o r a . . . als göttliche Anweisung betrachten" mochten, Jerusalem aus freien Stücken zu verlassen (gegen Hengel 196 f). Die der Stimmigkeit des lukanischen Geschichtsbildes abträglichen Notizen Act 8,1; 9,31; 11,19 f lassen keinen anderen Schluß zu, als daß die „Hellenisten" eine allgemeine Verfolgung traf, während die „ H e b r ä e r " unbehelligt blieben (Suhl 31; Schneemelcher 105). Das aber bedeutet, daß sogar in der Außenansicht der Verfolger beide Christengemeinden sich gerade in ihrer Einstellung zum Gesetz markant unterschieden. Nimmt man hinzu, wie die „hebräischen" Christen es hinnahmen, „daß das Gewitter an ihnen vorüberging" (Hengel 198), und d.h.: wie sie ihren vom Status confessionis ereilten Glaubensbrüdern die Solidarisierung verweigerten, erscheint es ebenso undenkbar, daß beide Gemeinden in einem affirmativen Gesetzesverständnis relativ übereingestimmt (gegen Strecker 481), wie daß umgekehrt „auch die ,Hebräer' sich vom Gesetz als Heilsweg abgewandt" und es lediglich noch „als Sitte" praktiziert haben sollten (gegen Suhl 3 2 f ) . Dagegen spricht auch die weitere Entwicklung der Jerusalemer Gemeinde. Gewiß belegen ihre späteren Kontakte mit dem hellenistischen Missionschristentum (Gal 1,18; 2,1 ff), daß nomistische Intransigenz jedenfalls nicht durchweg waltete. Andererseits würde der Jerusalemer Konvent (-»-Urchristentum) nach Vorgeschichte, Verlauf und Nachgeschichte zum Rätsel, wenn es hier — bei grundsätzlichem Konsens aller Verhandlungspartner hinsichtlich der soteriologischen Insuffizienz des Gesetzes lediglich darum gegangen wäre, den judäischen Christen um ihres Uberlebens willen die „wenigstens formale Anerkenntnis der Autorität des jüdischen Gesetzes" zu konzedieren (Schmithals, Paulus 38) und heidenchristlicherseits auf gesetzesfreie Judenmission zu verzichten (ebd. 35). Schon die provokative Mitnahme des Titus (s. o. 2.3) zeigt, daß den antiochenischen Heidenchristen die Beschneidung abverlangt worden war (Schneemelcher 158), wie denn im Verlauf des Treffens ein entsprechendes Exempel an Titus zu statuieren versucht worden sein muß (Gal 2,3). Geht es ferner schon im Blick auf den nuancierten Gebrauch der „Bruder"-Bezeichnung nicht an, in den eingedrungenen Falschbrüdern von V. 4 f Funktionäre der jüdischen Behörde zu vermuten (gegen Schmithals, a.a. O. 89 f), so ist nicht nur mit einer radikalen nomistischen Fraktion in der Jerusalemer Gemeinde zu rechnen, sondern darüber hinaus - wenn denn der Bestand der Wahrheit des Evangeliums bei den Heiden einzig an dem entschlossenen Widerstand der Antiochener hing (V. 5) - auch damit, daß die innerjerusalemer Abgrenzungen zunächst fließend waren und es bei krisenhafter Zuspitzung der Verhandlungen der äußersten Anstrengungen der Gastdelegation bedurfte, auf der Gegenseite eindeutige Konstellationen herbeizuführen. Die schließlich ausgehandelte Abmachung sichert zwar den Trägern der gesetzesfreien Heidenmission Gemeinschaft zu, doch steht dahinter eben nur der von den „Säulen" repräsentierte Gemeindeteil (zu Schmithals, a . a . O . 15f). Völlige organisatorische Trennung voneinander (ders.: Z N W 47,28), also ein kalkuliertes ökumenisches Schisma, kann keinesfalls verabredet worden sein; andernfalls hätten sich im antiochenischen Konflikt (Gal 2,11 ff), den man nicht in die Zeit vor dem Apostelkonvent versetzen kann (gegen G. Lüdemann, Paulus, der Heidenapostel, I 1980, 101 ff), alle Beteiligten außer der Jakobusgruppe als vertragsbrüchig dargestellt (Suhl 67 f). Hingegen zeigt dieser Zwischenfall, wie rasch in Jerusalem eine nomistische Verhärtung von neuem Platz griff. Z w a r erscheint es wenig glaubhaft, daß der Zusammenstoß durch den Versuch des Her-

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renbruders ausgelöst wurde, in Antiochia die nomistischen Minimalbestimmungen des sog. Aposteldekrets (Act 1 5 , 2 0 f) durchzusetzen und so die Mahlgemeinschaft von Judenund Heidenchristen zu ermöglichen (Stuhlmacher, Gerechtigkeitsanschauung 9 7 ; D. R . C a t c h p o l e : N T S 2 3 , 4 2 8 ff), da Paulus ja gerade deren Aufkündigung kritisiert (Gal 2 , 1 2 b ) . G e h ö r t daher das Dekret entweder zur unmittelbaren Nachgeschichte des antiochenischen Zwischenfalls ( H a h n , Apostelkonvent 3 3 ) oder spiegelt es einfach zur Zeit des L u k a s in Geltung stehende Regelungen wider (E. H a e n c h e n , A p g 5 [ K E K III] 4 1 2 f) - seine Zuweisung zum Jerusalemer Konvent (Lüdemann, a . a . O . 9 7 f ) erscheint schon wegen Gal 2 , 6 c ausgeschlossen - , so bedeutet das doch keineswegs, daß der Konflikt rein pragmatischen Gründen entsprungen ist. Aus bloßer R ü c k s i c h t n a h m e auf die Sicherheit der judäischen Gemeinden läßt er sich zumal dann nicht plausibel erklären, w e n n solche R ü c k s i c h t n a h m e schon das Jerusalemer A b k o m m e n bestimmen soll (zu Schmithals, Paulus 5 5 ) ; w ä r e die Umorientierung des Petrus nicht theologisch begründet (ebd. 5 6 ) , so würde die geradezu sakralrechtliche Verurteilung durch Paulus ( K a z e y v c o a ß e v o g ?)v V. 11) schlechterdings zum Rätsel. Tatsächlich belegt der Vorgang, daß mit der zunehmenden Autoritätsverschiebung von - » P e t r u s zum Herrenbruder - » J a k o b u s (Klein, Rekonstruktion 80ff; 9 9 - 1 2 8 ) und der ihr parallel laufenden rapiden Vereisung des Verhältnisses zu Paulus, die a m E n d e gar die Akzeptanz der gemeinsam beschlossenen Kollekte problematisch werden läßt ( R o m 1 5 , 3 0 f ; K ä s e m a n n , R o m 4 3 9 2 ; Wilckens, R o m , 3. Teilbd., 1 2 9 f ; anders Schmithals, Paulus 6 6 ) , in Jerusalem ein prinzipieller N o m i s m u s das Feld behauptet, der „Beschneidung und Gesetzesobservanz als konstitutive E l e m e n t e zur Erlangung des H e i l s " versteht ( H a h n , Apostelkonvent 2 5 ) . 3.

Paulus

Der Unterschied zwischen -»Paulus (-»Apostel I) und der voraufgegangenen Entwicklung ist mit der pauschalen Behauptung, bis dahin sei die Heilsbedeutung des Gesetzes ein gemeinchristliches „Axiom" gewesen (Bornkamm 106; anders ders.: R G G 3 5, 169), zwar bei weitem überzeichnet, wie die hellenistische Gesetzesfreiheit belegt. Allerdings hatte sich diese offensichtlich als Konsequenz aus der universalistischen Entgrenzung der Missionsverkündigung ergeben, wohingegen Paulus zu einer durchreflektierten Lehre vom Gesetz vorstößt (gegen Schmithals, Anthropologie 30), die mit seiner Heilsbotschaft geradezu „identisch", nämlich ihre „Kehrseite" ist (Bornkamm 105), sofern es ihr darum geht, das Heil „als Evangelium zu zeigen, indem aufgewiesen wird, was Nicht-Evangelium ist" (Conzelmann 251). 3.1. Vorfragen. Historische Genese, hermeneutische Verankerung und innere K o h ä renz der paulinischen Gesetzeslehre sind freilich umstritten. 3.1.1. Die Gesetzeslehre eine Spätform paulitiischer Theologie? Nicht ab reißen die Versuche, in variierender Repristination der älteren Auffassung der paulinischen Rechtfertigungslehre als einer umständebedingten „Kampfeslehre" (W. -»Wrede) bzw. eines „Nebenkraters" seiner Theologie (A. -•Schweitzer) jene aus dem Zentrum seines Denkens zu rücken (z.B. K. Stendahl, Paul among Jews and Gentiles, 1977, 2; E. P. Sanders, Paul and Palestinian Judaism, 1977; dagegen Hübner: N T S 26). Wie problematisch es aber ist, eine „frühpaulinische Theologie" in Gestalt einer „ontologischen Befreiungslehre" auszumachen, diese aus tauftheologischen Uberlieferungen eines partikularistischen, der Korrespondenz von Gesetz und Rechtfertigungsgeschehen verpflichteten hellenistischen Judenchristentums abzuleiten und sie der „juridischen Rechtfertigungslehre" als eines im Kampf gegen die galatische Irrlehre allererst entwickelten polemischen Instruments „zeitlich und sachlich" vorzuordnen (Strecker), erweist sich gerade an der Gesetzesthematik. Die Annahme, die Verfolgung der Christen durch den Juden Paulus sei nicht durch deren Gesetzesfreiheit, sondern durch ihr Christusbekenntnis und die davon hervorgebrachte „Gruppensituation" motiviert (Strecker 484), führt schon deshalb in Schwierigkeiten, weil messianische Ansprüche und daraus resultierende soziologische Konstellationen im Judentum sonst keineswegs derartige Repressionen auslösten (Wilckens: NTS 28,155). Auch unterstützen die Selbstzeugnisse des Apostels über seine Bekehrung nicht die These, das Gesetz sei davon nur als ein Begründungsfaktor für die nunmehr abgewertete „heilsgeschichtliche Vorzugsstellung des Judentums", nicht aber grundsätzlich tangiert worden (Strecker 486 Anm.21). Es ist zwar richtig, daß in Gal 1,13ff; I Kor 15,9ff die Terminologie der Rechtfertigungslehre nicht erscheint, doch bestand angesichts der Funktion dieser Rückblicke, die auf die Unabhängigkeit des paulinischen Apostolats zielen, dazu auch kein Anlaß; umgekehrt ist es

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methodisch äußerst prekär, den gegenteiligen Befund in Phil 3,4bff als Akkommodation an die akute philippische Situation zu erklären (486). Wäre in der christlichen Frühphase des Paulus wie im damaligen Urchristentum insgesamt die Tora „mehr im Sinn eines .Adiaphorons'" gehandhabt worden (480) und hätte sich die radikale Gesetzeskritik des Paulus erst nach dem antiochenischen Konflikt ausgebildet (Räisänen, Legalism 81 Anm. 84), bliebe unerklärlich, „daß Paulus nach 2 Kor 1 1 , 2 2 - 3 3 von Damaskus an den Nachstellungen durch Juden und heidnische Obrigkeiten ausgesetzt war" (Stuhlmacher, Gesetz 155), und würden die Vorgänge um den Konvent von Jerusalem (s. o. 2.4) zu einem undurchdringlichen Rätsel. Ferner kann I Thess nicht als positives Zeugnis solcher „frühpaulinischen Theologie" geltend gemacht werden; vielmehr läßt sich umgekehrt der Galaterbrief „in der Kontinuität von I Thess her verstehen, und zwar als polemische Ausformung der in I Thess bereits enthaltenen theologischen Substanz" (Hübner: N T S 26,458). Nimmt man endlich hinzu, daß auch in der mit der Gesetzesfrage thematisch gar nicht befaßten korinthischen Korrespondenz der Zusammenhang von Gesetz, Sünde und Tod auf eine prägnante Formel gebracht ist (I Kor 15,56) und der alte Bund als Machtbereich „des als Heilsweg verstandenen Gesetzes... geradezu als der alte Aon charakterisiert wird" (II Kor 3 , 7 - 1 8 ; P. Vielhauer: Aufs, zum N T 2,212), was beides sich nicht alsein „kurzes Aufblitzen von Zusammenhängen" (Wilckens: NTS 28,163) abtun läßt, so spricht in der Tat „alles dafür, daß die Gesetzesfrage von Anfang an im Brennpunkt des Denkens des Apostels gestanden hat" (Wilckens, a . a . O . 154;Stuhlmacher, a . a . O . ; Luz92; andersT. Holtz: N T 16 [1971] 133ff). 3.1.2. Entwicklungsstufenf Verschiedentlich wird behauptet, die paulinische Gesetzeslehre habe eine sachlich einschneidende Entwicklung durchmessen (C. H. Buck/G. Taylor, Saint Paul, 1969; J. W. Dräne, Paul: Libertine or Legalist?, 1975; Hübner, Gesetz; Wilckens: N T S 28,154.180; vgl. Betz, Galatians 174 Anm. 109). Doch ist der behauptete Weg von einem schroffen Antinomismus im Galater- zu einem ausgewogeneren Verständnis im Römerbrief exegetisch nicht zu sichern. Daß das Gesetz im Gal nicht ausschließlich „negativ gesehen" ist (gegen Hübner, a . a . O . 37), läge dann zutage, wenn in 3,9 ff tatsächlich zwischen der immanenten, lebensfreundlichen Intention des Gesetzes, der dämonischen der Gesetzgeber und der diese beiden in sich aufhebenden Intention Gottes 7u unterscheiden wäre (Hübner, ebd. 27ff). Scheitert solche Konstruktion freilich an ihrer Künstlichkeit (Klein, Sündenverständnis 273 Anm. 127), so geht es jedenfalls unmöglich an, Gal 5,14 zu einer „kritisch-ironischen Wendung" (Hübner, ebd. 38) herabzustufen und von Rom 13,8f sachlich abzugrenzen (ebd. 76). Umgekehrt gilt in Rom 10,4 Christus keineswegs als Ende bloß des „Mißbrauchs der Torah" (ebd. 118), sondern dieser selbst, und wird das Gesetz in Rom 7,5f nicht anders als in Gal 5,18 mit der gottfeindlichen Macht des Fleisches identifiziert. Vor allem ist „die ,antinomistische' Spitzenaussage Rom 5,20 vom Galaterbrief unerreicht" (Luz 153 Anm. 170), was nur übersehen werden kann, wenn man die „Mehrung der Sünde" durch „Bewußtwerden der Sündentaten als bewußtes Ubertreten des Gesetzes" zustande kommen läßt (Hübner, a.a.O. 74; dagegen Räisänen, Difficulties 315 f Anm. 11), was freilich die prägnant ontische Aussage des Paulus zu einer nicht einmal mehr psychologisch nachvollziehbaren noetischen verfremdet und überdies komplett mit Rom 7,7 ff (s. u.) kollidiert. Von einer im Rom durchgeführten „Revision" früherer Kampfpositionen kann danach keine Rede sein (gegen Wilckens: NTS 28,180). 3.1.3. Aporien im paulinischen Gesetzesverständnis? Ist die Rekonstruktion eines Entwicklungsschemas also weder möglich noch nötig, besagt das zugleich, daß man nicht alternativ dazu unlösbare Spannungen und Widersprüche in der Gesetzeslehre des Paulus zu konstatieren hat (gegen Räisänen, Difficulties 303ff). So kompliziert diese auch anmuten mag (Conzelmann 251; Stuhlmacher, Ende 187; Schmithals, Anthropologie 29 f) und so gewiß ihre differenzierte Handhabung in ihren verschiedenen thematischen „Kontexten" zu berücksichtigen ist (Zeller 196), so vorschnell ist hermeneutisch der Versuch, die Komplexität untheologisch, nämlich mittels der Annahme einer aus persönlich unbewältigter polemischer Diskussionslage resultierenden „chaotic social and psychological Situation" (Räisänen, a . a . O . 313; ders., Legalism 80f), zu reduzieren. 3.2. Der hermeneutische Horizont. D e r A n g e l p u n k t seiner Gesetzeslehre ist die G e wißheit des Apostels, d a ß C h r i s t u s „ d a s E n d e des G e s e t z e s " manifestiert ( R o m 1 0 , 4 ) . D a s m e i n t nicht, im Sinne eines Ü b e r b i e t u n g s s c h e m a s , d a ß die christologisch offenbarte „die im Gesetz Israel g e s c h e n k t e L i e b e weit hinter s i c h " lasse (gegen Luz 9 3 ) , sondern m a r kiert, wie der K o n t e x t sicherstellt, den „ k o n t r a d i k t o r i s c h e n G e g e n s a t z von a l t e m und n e u e m A o n " ( K ä s e m a n n , R o m 4 2 7 2 ) . W a s konstituiert diese G e w i ß h e i t hermeneutisch? Postuliert man einen in „ e i n e r einfachen h a l a c h i s c h e n Ü b e r l e g u n g " gründenden R ü c k s c h l u ß von der Überzeugung v o m G e k o m m e n s e i n des M e s s i a s auf die Erledigung des Gesetzes ( H . - J . S c h o e p s , Paulus, 1 9 5 9 , 174ff) bzw. läßt m a n den Auferstandenen e i n f a c h „ a n die Stelle des G e s e t z e s " treten und, gar n o c h k r a f t der G a b e der „ E r l e u c h t u n g " , dessen „ F u n k t i o n ü b e r n e h m e n " (Berger 2 8 ; vgl. W i l c k e n s , W a s h e i ß t bei Paulus 101;

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dagegen Stuhlmacher, Ende 187 Anm. 45), werden von derart formaler Betrachtungsweise die den Gegensatz bedingenden sachlichen Faktoren bis zur Unkenntlichkeit verdeckt und gerät aus dem Blick, daß es um ein menschheitsgeschichtlich sich durchhaltendes Widereinander geht. Außerordentlich schwierig erscheint es ferner, die Zitation von Dtn 21,23 in Gal 3,13 als eine gezielte Umkehrung jüdischer Polemik aufzufassen und zum Schlüsselbeleg dafür zu erheben, daß Paulus ohne „den Gedanken der Sühne in Gestalt der stellvertretenden Lebenshingabe Jesu" seine „These von Christus als dem Ende des Gesetzes nur unzureichend" hätte begründen können (Stuhlmacher, Aufs. 196; vgl. ebd. 181 Anm. 32). Derart in die Mitte seines Denkens gerückt, wird die Aussage des Apostels historisch, exegetisch und systematisch ungewöhnlich überanstrengt. Wie ihr thetischer Argumentationsstil nichts von antijüdischer Gegenpolemik verrät, so ist sie im paulinischen Schrifttum überhaupt singulär. Allenfalls indirekt mag sich ihr entnehmen lassen, daß „Gott das Todesurteil der Tora" über Christus „annulliert" hat (ebd. 182), doch kann der Fluchtod am Kreuz dann schwerlich zugleich die Tora erfüllen (ebd. 159). Gar nicht aber will von hier aus einleuchten, wieso das „den schuldlosen Gottessohn zu Unrecht verfluchende Gesetz in seiner das Gottesverhältnis verriegelnden Macht" überhaupt, also auch im Blick auf alle, die schuldhaft in den Bannkreis seines Fluches gerieten, „gescheitert" sein soll (vgl. ebd. 196). Schließlich und vor allem trägt die Feststellung, daß durch den Fluchtod Christi „dieser Fluch von denen abgewendet" wurde, „denen er eigentlich galt, den Sündern" (ebd. 219), weit aus der Denkbahn des Paulus hinaus, so gewiß nach Gal 3,10 jegliche nomistische Existenz dem Fluch des Gesetzes ausgeliefert bleibt. Das kann im Rahmen einer Theologie nicht anders sein, die so konsequent wie die des Apostels der unauflöslichen Einheit von Rettung und Glauben eingedenk bleibt, daher einer Verlagerung des Heils in scheinbar „objektive" Wirkungszusammenhänge widerstrebt und sich mit dem sühnenden Eingriff in einen von den Sündentaten konstituierten Tat-Ergehen-Zusammenhang schon deshalb nicht begnügen kann, weil es ihr um mehr als um Ausräumung des angerichteten Bösen, nämlich um die Umwandlung des Menschen geht (Klein, Sündenverständnis 281 f, gegen Wilckens, Rom, 1. Teilbd., 234ff). Ist in systematischer Hinsicht der Sühnevorstellung nicht mit dem (religionsgeschichtlich zutreffenden) Hinweis aufzuhelfen, daß Gott die Sühne nicht empfange, sondern gebe (Wilckens, a.a.O. 236f), da die Frage nach dem Empfänger der Sühne dann erst recht in Aporien führt (Klein, a.a.O. 282), so wird also die Paulusinterpretation von dieser Schwierigkeit nicht im Kern betroffen. - Nach alledem empfiehlt es sich nicht, die paulinische Gesetzesauffassung in einer objektiven Sühnetheorie gründen zu lassen, sondern bleibt sie als im Ansatz anthropologisch gezielt aus ihrem originären Verbund mit der Lehre des Apostels von -»Sünde und ->Gnade zu begreifen. 3.3. Der Kerngehalt der paulinischen Gesetzeslehre. Ebenso wie Christus das heilvolle „Ende des Gesetzes zur Gerechtigkeit" nicht an und für sich, in ungeschichtlicher Objektivität, sondern exklusiv navzi r&j TtiaTEVOVTl (Rom 10,4), also einzig dort manifestiert, wo seine Herrschaft sich daseinsprägend durchsetzt, gilt dem Apostel das derart in seine eschatologische Krise geratene Gesetz als menschliche Verlorenheit konstituierende Macht. Die Ausarbeitung dieses Sachverhaltes ist das maßgebende Interesse seiner Gesetzeslehre. Verobjektiviert man ihre verschiedenen Aspekte metaphysisch oder psychologisch zum geschlossenen System, landet man in „Absurditäten" und verfehlt ihre Pointe: „die Freilegung der menschlichen Position" (Conzelmann 251) als Aufweis jenes Standes, aus welchem das Christusgeschehen errettet. 3.3.1. Der göttliche Sinn des Gesetzes. An der göttlichen Herkunft des Gesetzes läßt Paulus nicht den mindesten Zweifel (Rom 7,22; 9,4); daher ist jenem die Unheilswirkung keineswegs von vornherein eingestiftet. Im Gegenteil war es nach der Intention seines Gebers dazu bestimmt, dem Menschen wohlzutun (7,13), ihm zum Einklang mit seinem Schöpfer wie darum auch mit sich selbst zu verhelfen und ihn so ins Leben zu geleiten

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(7,10). I m Blick auf diese seine U r s p r u n g s f u n k t i o n verdient es d a h e r „ h e i l i g " (7,12) und „ g e i s t l i c h " (7,14) zu heißen. 3.3.2. Der Vorsprung der Sünde vor dem Gesetz. G l e i c h w o h l k a m diese positive F u n k tion des Gesetzes geschichtlich n i e m a l s zum T r a g e n , hat sich d o c h das Gesetz als zur L e b e n s v e r m i t t l u n g durchaus untauglich erwiesen (Gal 3 , 2 1 b ) , ja steht der gesetzlich verfaßte M e n s c h als solcher „ u n t e r d e m F l u c h " ( 3 , 1 0 ) . Dies ist deswegen der Fall, weil der menschlichen Sünde ein u n e i n h o l b a r e r V o r s p r u n g vor d e m G e s e t z eignet, kraft dessen die Begegnung des M e n s c h e n mit d e m Gesetz von v o r n h e r e i n zutiefst entstellt wird. D a s gilt im B l i c k a u f die Weltgeschichte wie auf das Individuum. W a r nach R o m 5 , 1 2 f. 2 0 die M e n s c h h e i t i n s g e s a m t und seit j e h e r der Sünde verfallen, so w u r d e dieses a n t h r o p o l o g i sche F u n d a m e n t a l d a t u m durch das H i n z u t r e t e n des Gesetzes nicht e t w a in die S c h w e b e g e b r a c h t , sondern dergestalt „ e s c h a t o l o g i s c h q u a l i f i z i e r t " (Jüngel 159), d a ß die erst jetzt auf ihre Sünde endgültig festgelegte M e n s c h h e i t (V. 13 b) d a d u r c h definitiv zur adamitischen wurde. E n t s p r e c h e n d drängt n a c h R o m 7 , 7 ff die Sünde, längst v o r d e m Gesetz im M o d u s der L a t e n z auf dem P l a n , derart stürmisch zur E n t l a d u n g , d a ß das Gesetz i m m e r nur n o c h als ihr K a t a l y s a t o r h e r h a l t e n k a n n (Klein, Sündenverständnis 2 6 2 f). So g e w i ß sich a l s o die Sünde o h n e G e s e t z nicht eigentlich zu zeitigen v e r m a g , so g e w i ß ist die diesbezügliche Instrumentalisierung des Gesetzes das W e r k der Sünde. U m g e k e h r t wirkt sich, in einem verhängnisvollen R e g e l k r e i s , das derart zur Sündenaktualisierung u m f u n k tionierte G e s e t z (Gal 3 , 1 9 ; R o m 5 , 2 0 ) als d a u e r h a f t stimulierende „ K r a f t " der Sünde aus (I K o r 15,56). E s ist das G e s e t z in dieser P e r v e r s i o n s f o r m , w e l c h e s in G a l 3 , 1 9 b auf E n g e l m ä c h t e zurückgeführt wird. Diese figurieren nicht b l o ß als inferiore Vermittlungsinstanz (gegen Betz, G a l a t i a n s 169£; S c h m i t h a l s : Z N W 7 4 [ 1 9 8 3 ] 4 9 A n m . 6 6 ) , s o n d e r n als widergöttliche M a c h t (Klein, R e k o n s t r u k t i o n 2 0 9 f), wie die K e n n z e i c h n u n g des M i t t l e r s M o s e als im D i e n s t e einer Vielheit stehend (V. 20) erweist. Ist die Darstellungsweise m y t h o l o g i s c h , so zielt sie der S a c h e nach auf die Feststellung, d a ß im Z u s a m m e n s p i e l von Sünde und G e s e t z , also unter den geschichtlich einzig v o r g e g e b e n e n W i r k u n g s b e d i n g u n g e n des G e setzes, die reine D ä m o n i e triumphiert. So m u ß denn der unheilvolle Vorsprung der Sünde vor d e m von G o t t gestifteten G e s e t z hinsichtlich seiner Folgen dahingehend resümiert w e r d e n , d a ß das G e s e t z sich als o h n m ä c h t i g erwies infolge des Fleisches, d. h. der Sündenm a c h t ( R o m 8 , 3 ) . Wer im Verhältnis dieser Aussage zu der Prämisse v o m lebensfreundlichen Ursprungssinn des Gesetzes n u r eine heillose „ A n o m a l i e " zu erblicken v e r m a g , hat jene in der T a t als „ t h e o r e t i s c h " mißverstanden (zu R ä i s ä n e n , Difficulties 3 0 5 ) . 3.3.3. Der Umgang der Sünder mit dem Gesetz. W i e a b e r w i r k t sich der Vorsprung der Sünde vor d e m Gesetz auf ihren k o n k r e t e n U m g a n g mit ihm aus? D a r ü b e r wird in der gegenwärtigen P a u l u s f o r s c h u n g l e b h a f t gestritten. 3.3.3.1. Grundsätzliches. Eine eigentümliche Repristination älterer Auffassungen will, in moralistischer Engführung der paulinischen Rechtfertigungslehre, die Gerechtigkeit iE, epycov vöfiov vom Apostel grundsätzlich nicht angetastet sehen, Sünde ausschließlich im aufweisbaren, nämlich am Gesetz nachzumessenden ethischen Defizit orten, daher Willfährigkeit gegenüber der Gesetzesforderung keineswegs als Variante menschlichen Unwesens gelten lassen, vorgläubiger Existenz die Einsicht in ihre wahre Befindlichkeit nicht rundweg aberkennen, die faktische Funktion des Gesetzes als die eines „Spiegels" bestimmen, „in dem der Mensch aufgrund seiner Taten sich selbst als Sünder erkennt", und die Wirkung der Gnade auf die Sühnung von Untaten beschränken (Wilckens passim; dagegen Klein, Sündenverständnis passim). Die Konsequenzen für die Rezeption der paulinischen Rechtfertigungslehre im ganzen greifen tief: Diese kann dann schlechterdings nicht länger als Fundamentalkritik an menschlicher Eigenmacht und Überlastung anthropologischer Hochform mit sinnstiftender und heilsverbürgender Funktion gewürdigt, sondern muß zurückgeschraubt werden auf die Kunde von der Vergebung für den moralisch Geschwächten. Konsequent zu Ende geführt, läßt die These, „daß der Mensch theoretisch durch die Werke des Gesetzes zum Leben kommen könnte" (Luz 95), die paulinische Hamartiologie in Fragmente zerspringen: Sünde muß dann einerseits als „konkrete Gesetzesübertretung", andererseits als Unglaube gegenüber der Christusbotschaft er-

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Gesetz III

scheinen und die angebliche „Verbindung beider Sündenverständnisse" einen „ ,eschatologischen S y s t e m z w a n g ' " erzeugen, den der Apostel mehr schlecht als recht gemeistert haben soll (ebd. 97). N u r scheinbare Anhaltspunkte hat solche Konzeption an zwei Textkomplexen. Einzelne Sätze aus R o m 2, insbesondere V. 13 b, können sie nicht stützen, da der Wechsel von JtoieTv (vgl. V.13f) über npäaaeiv töv vöfiov(25), (pvXäaueivxäSiKaico/jaza TOV VÖ/JOU (26) zu zöv vöjjovzeXeiv(27) einen Interpretationsweg markiert, an dessen Ende - vornehmlich im Lichte der Antithese von Buchstabe und Geist - sich herausstellt, daß das dem Apostel vor Augen stehende „ T u n " des Gesetzes in der Ableistung eines quantifizierbaren Solls nicht aufgeht, vielmehr ein qualifiziertes Tun meint, welches durch eine neue, vor Christus unerschwingliche Einstellung geprägt ist (Klein, Sündenverständnis 257. D a ß die abgelehnte Existenz Siä ypäßfiarog nicht durchs Tun, sondern nur durch ,,äußere[n] S c h e i n " charakterisiert sei [Wilckens: N T S 28,181], scheitert u.a. an 7,6, wonach es sich um hingegebenen Dienst handelt). Ebensowenig trägt Gal 3 , 1 0 - 1 2 aus. Z w a r hebt das in V. 10 b verwendete Schriftwort auf die quantitative Vollständigkeit des Gesetzesgehorsams ab. Doch folgt daraus nicht, daß die Heilsträchtigkeit der Gesetzeswerke nur für erwiesene Sünder bestritten werde (gegen Wilckens, R o m , 1. Teilbd., 1 7 5 f ; ders.: N T S 28,166). Auch 5,3 soll ja nicht statuiert werden, daß komplette Toraobservanz den Glauben erübrige. Vielmehr wird hier wie dort einzig darauf aufmerksam gemacht, welchen gesetzesimmanenten Bedingungen derjenige untersteht, der sich überhaupt auf das Gesetz einläßt. So hebt denn Gal 3,11 keineswegs darauf ab, daß „alle Gesetzesübertreter sind" (Wilckens: N T S 28,167; Hübner: N T S 26,462) - was für des Apostels eigene Vergangenheit ja auch sogleich zu dementieren gewesen wäre (s. u.) - , sondern darauf, daß das Gesetz grundsätzlich nicht rechtfertigt und nur dem Glauben das Leben sich erschließt. Wird die Unvereinbarkeit von Glaube und Gesetz in V. 12 damit begründet, daß das Gesetz das Leben als Resultat des Tuns und damit dem Glauben schroff widersprechend definiert, so wird dabei doch weder die Heilskraft des Gesetzes bloß für manifeste Gesetzesbrecher bestritten (gegen Wilckens, R o m , 1. Teilbd., 177; ders.: N T S 28,169) noch überhaupt auf die Verläßlichkeit der Lebensverheißung reflektiert (gegen Hübner, Gesetz 40). V. 2 1 b wird dem Gesetz zwar nicht der ursprüngliche Auftrag (zu Betz, Galatians 174), wohl aber die Fähigkeit zur Lebensvermittlung ja pointiert aberkannt und dies wiederum keineswegs nur im Blick auf erwiesene Gesetzesbrecher (gegen Wilckens: N T S 28,172). Also wird in 3,12 wie in R o m 10,5 einfach die im Gesetz besiegelte Bindung des Lebens an das Tun als Beleg für die Unvereinbarkeit von Glauben und Gesetz geltend gemacht (Klein, a . a . O . 270 ff).

3.3.3.2. Autobiographische Problemanzeige. Wie es urn gesetzlich verfaßtes Dasein bestellt ist, exemplifiziert Paulus Phil 3,5ff an seiner eigenen Vergangenheit als einem besonders illustrationskräftigen Paradigma. Die katalogartig aufgeführten Merkmale, die seine damalige Lebensführung als die eines jüdischen Musterfrommen ausweisen, gipfeln in der sämtliche Momente jüdischer Hochform gleichsam bündelnden Inanspruchnahme vollkommenen Toragehorsams (V. 6). Doch wird diese anschauliche Wertetafel disqualifizierend eingeklammert, indem sie von vornherein unter das Vorzeichen des Vertrauens auf das Fleisch gestellt wird (V. 4) - was man angesichts des paulinischen cräp];-Begriffs unmöglich als „an expression of joy and pride of the possession of the law" nehmen darf (gegen Räisänen, Legalism 71 Anm. 50) — und abschließend die gewagtesten Unwertprädikationen erhält (V. 7f). Der Grund dafür erscheint in der Antithese von ¿¡IT) SiKaioaövT] ff EK vößov und SiKaiouvvrj Siä jtiNatur[a]) aufgegriffen (zu Rom 2,14f WA 56,197f) und ihn inhaltlich durch die goldene Regel (Mt 7,12) und das Liebesgebot (Rom 13,9) als lex charitatis bestimmt. Gegenüber der das Wesen von Gesetz und Evangelium verkennenden Gesetzlichkeit der -> Schwärmer betont er, daß das, was im Alten Testament nicht der lex naturalis entspricht, als zeitgebundene Satzung („der Juden Sachsenspiegel"; WA 18,81,14) die Christen nichts angeht. Die Gesetzespredigt will alle, die die Forderung des Gesetzes ( = dessen Erfüllung durch die Liebe) nicht „fühlen" (WA 18,81,lff), zur Erkenntnis der eigenen Sünde und Ohnmacht führen und so zu Christus treiben. In diesem Sinne unterscheidet sich die Gesetzespredigt vom natürlichen Gesetz durch ein „Dabeisein des Evangeliums" (Schloemann 128). - Was dem mit dem Gesetz alleingelassenen Menschen nicht gelingen kann, geschieht durch den Christusglauben: Er erfüllt das 1. Gebot und darin auch alle anderen Gebote (WA 6,204ff). Durch den Glauben wird der Christ Herr des Gesetzes; er bedarf seiner nicht mehr als eines „Lehrers guter Werke" (ebd. 207,3), ja kann mit Christus „neue Dekaloge" machen, die besser sind als der des Mose (WA 39/1,47,25ff). Mit dem Gesetz ( = den Geboten in der Bibel) kann er sinnvoll umgehen: Es dient ihm dazu, gegen das eigene Fleisch zu kämpfen und durch uneigennützige Liebe den Glauben zu üben (WA 2,498,11 ff; 527,17 f; das gleiche als Leben aus der Freiheit des Christen: WA 7,30ff). Die Beobachtung, daß in Luthers Predigten und Dekalogauslegungen bis hin zum Großen Katechismus das „Lehrschema" von Gesetz und Evangelium oft keine Rolle spielt, ist nicht als „glückliche evangelische Inkonsequenz" (Heintze 135; dagegen Schloemann 36 ff) zu werten, illustriert aber die Ausgangssituation eines Antinomismus. Ansätze dieser Art werden schon 1524 zum Problem. Luther erklärt dazu gutachtlich: Evangeliums- statt Gesetzespredigt würde auch die erstere selbst erübrigen. Freilich: Christen brauchen keins von beidem, sondern leben im Glauben. Aber der Frommen sind wenige (WA 15,228). Evangeliumspredigt ohne ein Aufdecken der Wahrheit des Menschen, mit der man ohnehin in der lex naturalis befaßt bleibt (ebd.), hat illusionären Charakter. Noch im Vorfeld seiner eigentlichen, überführenden Funktion liegt das Predigen und Handhaben des Gesetzes als Instrument der Zwangsgewalt zur Durchsetzung äußerer Ordnung. Den Schwärmern wirft Luther vor, durch Gewalt in der Bilderfrage das Geringste - den Gebrauch des Gesetzes gegenüber den „Rohen und Ungläubigen" - zur Hauptsache zu machen (WA 18,66,3ff). — Der politische Gebrauch des Gesetzes gewinnt zwar für Luther im Gang der reformatorischen Ereignisse zunehmend an Bedeutung, jedoch nicht unter Preisgabe des Zusammenhangs mit dem Grundsinn des Gesetzes. Auch bei der politischen Handhabung des Gesetzes muß man darauf achten, daß „die liebe unnd naturlich recht oben schwebe", und bis in konkrete Entscheidungen hinein „frey gehen lassen der liebe recht" (WA 11,279,8.25). Erst in der Galaterbriefvorlesung 1531 bietet Luther eine lehrmäßige Entfaltung des Gedankens vom zweifachen Gebrauch des Gesetzes als usus civilis und usus theologicus seu spiritualis. Der letztere, auch sanctus usus, hat deutlichen Vorrang als proprius usus (WA 40/1,481,4). Der usus civilis schlägt in den sanctus usus um, wo das Gebot als Anklage gehört wird. Die ganz auf die Situation der Anfechtung bezogene Vorlesung bringt den Gegensatz von Gesetz und Evangelium massiv-mythologisch zum Ausdruck: Der vom Gesetz verklagte Mensch hat in Christus eine alia lex, die jenes zum Schweigen bringt, einen Tod, der seinen Tod tötet (ebd. 275,5ff). Am Evangelium endet die Macht des Gesetzes. Indem es zugleich dessen Wesen verstehen lehrt, ermöglicht es auch einen legitimen usus civilis, der in seiner Begrenztheit erkannt und nicht mehr als Heilsweg mißbraucht wird. Mit solchem Anspruch auftretende, sich die Gewissen unterwerfende „Menschengesetze" unterliegen der generellen Charakteristik der lex als Verderbensmacht (WA 2,453,4ff; vgl. WA l,616,24ff). Die Kirche,

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Gesetz V

die das Evangelium zu predigen hat, m u ß von solcher Gesetzlichkeit frei werden (De captivitate . . . W A 6 , 4 9 7 ff), die a u c h wieder beim Aufbau eines evangelischen Kirchenwesens d r o h t ( W A . B 4 , 1 5 7 f ) . Das Evangelium hat als Gottes Heilszusage den C h a r a k t e r des Endgültigen und somit eschatologische Qualität. Ein a u f das Evangelium folgender ( „ d r i t t e r " ) G e b r a u c h des Gesetzes ist daher ausgeschlossen. Luthers zahlreiche Äußerungen über den U m g a n g des Glaubenden mit den Geboten Gottes ( s . o . ; vgl. auch W A 1 8 , 6 9 3 , 1 ff: dem Evangelium folgende exhortationes) m a g m a n als usus practicus evangelii (Joest, Freiheit 7 2 ff) kennzeichnen, sofern dabei klar an dem als Heilsbotschaft von Christus definierten Begriff des Evangeliums festgehalten und letzterer nicht wieder zum Gedanken einer lex evangelica umgebogen wird. A u c h für den Glaubenden, dessen Wille erst dereinst ganz mit dem Willen Gottes übereinstimmen wird, jetzt aber nur anfangs- und geschenkweise (dank Christi Gerechtigkeit) das Gesetz erfüllt ( W A 3 9 / 1 , 2 3 5 , 6 f f ) , bleibt das Gesetz P ä d a g o g e auf Christus hin (ebd. 4 4 2 , 9 f f ) . Gesetz und Evangelium, Gottes „ f r e m d e s " und sein „ e i g e n e s " Werk, richtendes Aufdecken und befreiendes Neugründen der E x i s t e n z des M e n s c h e n vor G o t t , erweisen sich so für Luther in ihrer dynamischen Antithetik, die den Gottesbegriff aufzulösen scheint und u m so mehr den Glauben an den einen G o t t herausfordert, als Schlüssel theologischen Verstehens. Seinen Studenten suchte Luther es unvergeßlich einzuprägen: „ W e r das Evangelium recht v o m Gesetz zu unterscheiden weiß, der danke G o t t und d a r f wissen, d a ß er ein T h e o l o g e i s t " ( W A 4 0 / 1 , 2 0 7 , 1 7 f ) . 2. „Evangelium"

als reformatorische

Parole

Der Begriff Evangelium wurde, weithin ohne genaue Bindung an seinen für Luther spezifischen Gehalt, eine Parole der reformatorischen Bewegung. Wichtig erscheint, daß das Evangelium ( = Bibel) gepredigt, nicht an andere Autoritäten (Kirchenväter, Scholastiker, geistliches Recht) gebunden wird, in den Häusern gelesen und von jedermann verstanden werden kann (Flugschrift 1521: KIProt 3,269 ff). Im gleichen Sinne kann vom göttlichen Wort und Gesetz oder von der evangelischen Regel die Rede sein (ebd. 350 f.292). „Nach dem Evangelium leben" zu dürfen, erscheint als Inbegriff reformatorischer Forderungen (vgl. Müntzer 359,15 [1520]; Zwölf Artikel der Bauern, Einleitung: Quellen 174 f). Das Bemühen um engen Anschluß an das spezifisch luthersche Verständnis von Evangelium zeigt sich exemplarisch in je besonderer Weise bei Melanchthon und Agricola (s.u.) oder auch bei ->Osiander, der im Nürnberger Ratschlag 1524/25 Gesetz und Evangelium im Sinne Luthers als die „zweyerley leer", die die Schrift enthält, entwickelt (GA 1,336,7ff). -»Erasmus hält zwar die luthersche Auffassung vom geistlichen Sinn des Gesetzes für abwegig, betont aber, von Herzen für die wahrhaft evangelische Freiheit zu sein und zu verabscheuen, was dem Evangelium widerstreitet (De lib.arb. 91,24f). Nach ->Zwingli ist zwar die verdammende Wirkung des Gesetzes durch Christus abgetan; es bleibt aber im Hinblick auf den inneren Menschen in Ewigkeit bestehen (CR 89,496,16ff; 647,14ff. 28f). Der Glaubende bedarf freilich des Gesetzes insofern nicht, als er in Christus lebt und durch das „gsatzt des lebendigen geystes" geleitet wird (ebd. 649,18). Alles, was uns Gott durch Christus offenbart hat, ausdrücklich auch sein gebietendes Wort (z.B. Mt 5,22ff), ist Evangelium (ebd. 76,12ff): „...wen sölte nit freuwen, der in menschlicher finsternus und unwüssenheit lebt, wenn im got sinen willen ufftäte?" (ebd. 232,7ff). Gegenüber Luthers Antithetik von Gesetz und Evangelium (Locher 235) betont Zwingli, „das gsatzt sye dem gotshulder ein euangelium" (CR 89,232,13 f). - Entschiedene Polemik gegen die luthersche Evangeliumspredigt findet sich bei Müntzer. Sie erscheint ihm als leichtfertiges, den Gerichtsernst des Wortes Gottes ignorierendes Verfügen über die Schrift: Man darf nicht den Vater „mit seinem ernst des gesetzs zu schänden [machen] durch die gedult des sones" (331,9f). Christus hat das Gesetz nicht aufgehoben, sondern befohlen, nach dem Geist des Gesetzes zu richten. Das Unterscheiden von Gesetz (des Vaters) und Gütigkeit (Christi) kann nicht Sache der geistlosen Schriftgelehrten, sondern nur die des Heiligen Geistes selber sein (331 f). J. Melanchthon:

Gesetz

und Evangelium

als reformatorischer

Lehrtopos

In —»Melanchthons Loci 1521 erscheinen luthersche Grundgedanken in griffigen W e n dungen: Gesetz und Evangelium sind die zwei Teile der Schrift; Lex peccatum ostendit, evangelium gratiam (StA 2 / 1 , 6 6 , 1 7 ) . D a ß das Gesetz immer anklagt und das Evangelium eigentlich die promissio remissionis peccatorum et iustificationis propter Christum ist (BSLK 1 6 7 , 3 0 f ; 168,40ff), wird von M e l a n c h t h o n als zentrale reformatorische W a h r h e i t

Gesetz V

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stets zur Geltung gebracht. Dies verbindet sich aber nicht völlig mit einem nach der Seite des Naturrechts, des Ordnungsauftrags der Obrigkeit und eines tertius usus legis ausgeweiteten Gesetzesbegriff. Der Naturrechtsgedanke wird schon in der Erstfassung der Loci in Anknüpfung an die antike Tradition inhaltlich ausgeführt (StA 2/1,42,28ff); die Schwierigkeit der Verbindung der lex naturalis mit dem Strafamt des offenbarten Gesetzes empfindet Melanchthon selbst (ebd. 67,4ff). Der politische Gebrauch des Gesetzes ist eine von Melanchthon zumal unter dem Eindruck der frühen reformatorischen Wirren weit ausgeführte Thematik, zu der die pädagogische Aufgabe ebenso wie die Zwangsgewalt der Obrigkeit gehörten. Z w a r hält er mit Luther an der die Gewissen treffenden Wirkung (s.o.) als summum legis officium fest (StA4,253,14), betont aber zu Rom 13,1 ff: Magistratus est praecipua pars legis. Das Evangelium, das uns über die vita aeterna belehrt, hebt das Gesetz nicht hinsichtlich der civilis vita auf, sondern unterwirft das ganze leibliche Leben dem Gesetz (StA 5,305,34 ff) und tritt der weltlichen Gewalt nicht in den Weg (BSLK 122,7ff). Daß den Glaubenden auch „Gesetze vorgeschrieben" werden, durch die der Geist das Fleisch töten soll, erklärt Melanchthon schon 1521 (StA 2/1,137,5 f) und vertritt seit 1535 auch ausdrücklich einen dreifachen Gebrauch des Gesetist notwendig zur zes (CR 21,405f). Der Gesetzesgebrauch bei den Wiedergeborenen Erkenntnis der verbliebenen Sünde und um bestimmte Werke zu lehren, in welchen Gott unseren Gehorsam üben will, da die nicht vom Wort Gottes geleitete Vernunft leicht in die Irre geht (Loci 1559: StA 2/1,325,20ff). Melanchthon hält zwar an der Spontaneität des geistgewirkten neuen Gehorsams fest, betont aber (gegen Luther) zugleich den Weisungscharakter des Gesetzes auch für den Glaubenden. So verlagert sich bei Melanchthon im Vergleich zu Luther die universale Bedeutung des Gesetzes auf die Ebene seiner überall (in Affinität zur Vernunft) wirksamen Ordnungs- und Weisungsfunktion. Die überführende, auf Christus weisende Funktion wird zwar als übergeordneter Gesichtspunkt festgehalten, erweist sich aber zusammen mit dem Evangelium als relevant nur für den Bereich der Innerlichkeit. 4. Calvin: Das Gesetz im Gnadenbund

Gottes

Die luthersche Kernfrage der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium bildet für -»Calvin kaum ein selbständiges Thema. Zwar folgt er in der Institutio 1536 der lutherschen Anordnung der Katechismusstücke (1. De lege... 2. De fide...: OS 1,20), ordnet jedoch Gesetz und Evangelium als Stufen der Heilsoffenbarung dem einen, auf Christus weisenden Gnadenbund Gottes zu. Schon das mosaische Gesetz bezeugt die Gnade und Treue Gottes gegenüber seinem Volk, der Kirche; das Evangelium aber ist die „klare Manifestation des Christusmysteriums" (OS 3,399,26f). In Anlehnung an Melanchthon spricht Calvin von einem dreiteiligen officium und usus legis. In der an erster Stelle genannten überführenden Funktion, wie bei Luther auch als usus theologicus gekennzeichnet (CR 52,725), dient das Gesetz als Spiegel zur Erkenntnis unserer Sünde und Ohnmacht. Diese und die zweite, auf die öffentliche Ordnung bezogene Funktion (als „Zügel"), von der auch Christen betroffen sein können, stellen zusammen eine zu Christus führende Pädagogik dar (OS 3,332ff). Die Hauptfunktion des Gesetzes aber ist der tertius usus, bei dem es um die Heiligung der Gläubigen als den eigentlichen Zweck des Gesetzes geht (ebd. 337,23ff). Frei sind die Gläubigen vom Z w a n g und von der Anklage des Gesetzes, um so durch tägliche Belehrung aus dem Gesetz den Willen des Herrn immer reiner erkennen und ihm immer mehr entsprechen zu können (ebd. 337,25ff). So ist das Gesetz in seinem praecipuus usus die vollkommene, auf Christus weisende Richtschnur für ein gottgemäßes Leben. — Dieses Grundverständnis als „Gesetzlichkeit" zu kennzeichnen, dürfte nur bedingt zutreffen. Analogien z. B. in der lutherschen Auslegung von Ps 1,2 (s. auch BSLK 547,33 ff) drängen sich auf, wie auch die bei Luther unter Gesetz und Evangelium thematisierten Probleme des Christenlebens von Calvin nicht übersehen werden. Dennoch bleibt eine tiefgehende Differenz hinsichtlich des Verständnisses von Gesetz und Evangelium, wie sie sich in Calvins Ausgehen vom einen Wort Gottes und in

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der für Luthers Auffassung vom Christenleben unvollziehbaren Folge (seit dem Genfer Katechismus 1542/45) ausdrückt. 5. Kontroversen

um die Geltung des

Evangelium-Gesetz

Gesetzes

5.1. Der Antinomistische Streit 1537-1540. Zu einer tiefgreifenden Auseinandersetzung innerhalb des Kreises der Wittenberger Reformatoren führte das Bestreben J. - * Agricolas, das Gesetz aus der evangelischen Predigt grundsätzlich auszuschließen. Ohne die politische Bedeutung des Gesetzes bestreiten zu wollen, meinte Ägricola doch, seit dem Kommen Christi habe das Gesetz seine geistliche Funktion verloren. Das Gewissen wird durch das Gesetz nicht mehr getroffen; Schuld entsteht durch Nichtachtung der Güte Christi. Buße darf daher nur durch das Evangelium ex violatione filii (WA 39/1,342,10; im Sinne von: durch die Sünde Christus aufs neue kreuzigen) gepredigt werden. Agricola berief sich hierfür auf Luthers frühe reformatorische Verkündigung sowie auf Bibelworte wie Lk 24,47 (Bußpredigt im Namen Jesu) und Rom l,17f (Evangelium als Offenbarung von Gottes Gerechtigkeit und Zorn). Den Glaubenden verkündigt das Evangelium Frieden, die Verstockten schreckt es, und es ist zugleich nova lex, „ethisches Ordnungsprinzip gegenüber Gesetzen und Philosophumena aller Art" (Rogge 79). Nach einer Kontroverse mit Melanchthon 1527 über dessen Gesetzes- und Bußlehre in den Visitationsartikeln, die beigelegt werden konnte, führte 1537 ein erneutes Hervortreten Agricolas, dessen Anschauungen jetzt offenbar auch von einem Schülerkreis (Luther: „unsere Antinomer"; WA 22,86,33) in Wittenberg verbreitet wurden, durch entschiedenes Eingreifen Luthers zu einer jahrelangen, das enge persönliche Verhältnis zwischen Luther und Agricola zerstörenden Auseinandersetzung (zum Verlauf -»Agricola). Gegenüber manchen Unklarheiten bei Agricola und seinen Anhängern konzentrierte Luther sich in Thesenreihen und Disputationen auf das zentrale, Agricola mit ihm verbindende Anliegen: die Befreiung vom Gesetz, die nicht im Sinne Agricolas als Streichung, sondern nur als Überwindung möglich ist (Hermann, GNW 2,146 f). Luther thematisiert eindringlich die universale, außer durch den Christusglauben unentrinnbare Realität des Gesetzes: Alles, was Sünde, Gottes Zorn oder den Tod aufzeigt, übt das Amt des Gesetzes aus. Mit dem zu erfüllenden Gesetz, das unsern Gehorsam gegen Gott fordert, haben wir es zeitlebens zu tun (WA 39/1,348,25 f. 36ff). Die Seelsorge ist mit dem Problem des „Übergangs" zum Evangelium befaßt (Hermann, GNW 2,154). Bußpredigt namens des Evangeliums macht dieses selbst zum Gesetz und kann angesichts eigener Undankbarkeit gegen Gottes Güte in tiefste Anfechtung führen, für die es dann kein Evangelium mehr gibt. Auch bei Christus ist von seiner Gesetzesauslegung sein proprium officium als Erlöser zu unterscheiden (WA 39/1,532-539). - Die Gewichtigkeit des Streits um die Bedeutung des Gesetzes wird durch seine Begleitumstände scharf beleuchtet. Für Luther wie für Agricola stand hier das Evangelium selbst auf dem Spiel. Luther setzte deutliche Wegmarken, die eine antinomistische Variante evangelischer Predigt künftig ausschließen sollten. 5.2. „Antinomismus" und dritter Gebrauch des Gesetzes als frühorthodoxes Streitthema. Die Spannung zwischen lutherscher und melanchthonscher Auffassung von Gesetz und Evangelium und die Komplexität beider Begriffe führten zu Kontroversen zwischen Vertretern beider Schulrichtungen, in denen man sich wechselseitig „Antinomismus" vorwarf. Der Satz der Eisenacher Synode 1556, daß man gute Werke zwar nicht hinsichtlich der Rechtfertigung, wohl aber abstractive et de idea in doctrina legis als heilsnotwendig bezeichnen könne (-*Major), führte zum Widerspruch der Lutherschüler A. Poach und A. Otho: Das Gesetz sei nicht nur von der Rechtfertigung auszuschließen, sondern auch für kein gutes Werk nützlich und notwendig; der Heilige Geist wirke die Werke nicht nach der norma legis, sondern spontan ohne das Gesetz; man lasse die Christen mit Ermahnen zufrieden (A. Musculus). Bestritten wird nicht das Bußamt des Gesetzes, sondern der tertius usus legis. Bei der Begründung dieser Position, die freilich auch im lutherischen Lager nicht unbestritten blieb, spielte neben exegetischen Argumen-

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ten und Lutherworten auch eine dualistische Anthropologie eine Rolle (iustus constat duabus distinctissimis naturis, spirituali et naturali). Ihre Verfechter traf der Vorwurf von Schwärmerei (fanatici) und Antinomismus (Ritsehl 413ff; RE 3 1,590,35ff). - Unter dem Aspekt einer an Agricola erinnernden Ausweitung des Evangeliumsbegriffs auf eine Bußfunktion wurde auch Melanchthon mit dem Vorwurf des Antinomismus belegt. Im Examen ordinandorum 1552 (deutsch) hatte Melanchthon erklärt, das Evangelium sei „eigentlich die gnedige, fröliche Predigt vom Son Gottes Jhesu Christo", dann aber unter Berufung auf Joh 16,8f hinzugefügt: „Diese Predigt strafft erstlich alle Sünd . . . " (StA 6,186,31 ff). Diese bei Melanchthon schon früher anzutreffende weitere Definition (BSLK 59,30ff; 172,29ff) wurde jetzt von ->Flacius unter Hinweis auf Agricola als antinomistisch inkriminiert. Wittenberger Melanchthonschüler traten dem mit der Lehre von einer doppelten Buße entgegen, die sich aber der Auffassung Agricolas näherte: Während das Gesetz nur die Übertretung der Gebote treffe, zeige erst das Evangelium die geheime Sünde, den Unglauben an Christus, und führe zur wahren Reue (Ritsehl 400 ff; RE 3 l,591,26ff). Damit waren Stichworte für eine länger andauernde Kontroverse gegeben. - In den beiden Kontroversen treten die Schwierigkeiten zutage, die sich einer lehrhaften Aufarbeitung der unterschiedlichen Ansätze im reformatorischen Verständnis von Gesetz und Evangelium, zumal bei mangelnder semantischer Klärung sowohl des reformatorischen als auch des biblischen Sprachgebrauchs, in den Weg stellten. Die -»Konkordienformel leistet dann in dieser Hinsicht beachtliche Arbeit. Sie preist das discrimeti legis et evangelii als ein „besonder herrlich Licht", das in der Kirche mit Fleiß zu erhalten sei, definiert Gesetz und Evangelium proprie durch den Bezug auf die Sünde bzw. die Genugtuung und Vergebung durch Christus und sucht dann, die Kontroverspunkte zu klären: Evangelium als Bezeichnung für „die ganze Lehre Christi" umfaßt die Predigt von Buße und Vergebung, in der Gegenüberstellung Mose/Christus aber ist das Evangelium „ein Trostpredigt und fröhliche Botschaft". Da die bloße Gesetzespredigt zu Heuchelei oder Verzweiflung führt, „nimpt Christus das Gesetz in seine Hände", um in geistlicher Auslegung (durch die „schreckliche Predigt" vom Sterben Christi) „erst recht in das Gesetz" zu führen. Auf dieses „frembd Werk Christi" folgt die „eigentliche Predigt" der Gnade, die tröstet und lebendig macht (BSLK 791 f). Der Begriff des tertius usus legis wird aufgenommen: Auch die wahrhaft an Christus Glaubenden bedürfen wegen des noch andauernden Kampfes wider das Fleisch des Gesetzes als Leuchte, die das Abirren zu einem nicht durch Gottes Wort gestifteten Kult verhindert und den alten Adam zwingt, dem Geist zu folgen. Diese Funktion des Gesetzes deckt sich inhaltlich mit derjenigen, die den nicht Glaubenden gilt: Sie betrifft die Gläubigen nur, quatenus adhuc carnales sunt; dagegen quatenus renati sunt, leisten sie freien, ungezwungenen Gehorsam (BSLK 793ff). So verstanden, besagt der tertius usus legis, daß der Glaube („Wiedergeburt") nicht ein Zustand der Freiheit vom Gesetz ist. Hier erscheint in melanchthonscher Terminologie das proprium des lutherschen Verständnisses vom Gesetz. Die Lösung schien auf der Ebene der doctrina gut gelungen; freilich begann das Bewußtsein der dynamischen Antithetik von Gesetz und Evangelium fortan zu schwinden. 6. Seripando und Tridentinum:

Öffnung für Luthers Verständnis vom

Evangelium?

Eine Anerkennung der lutherschen Auffassung von Gesetz und Evangelium innerhalb der römischen Kirche schien nicht möglich zu sein. Der Ordensgeneral der -•AugustinerEremiten, G. -»Seripando, kämpfte dafür auf dem -»Tridentinum, gestützt auf eigene Paulus-, Augustin-, auch Thomasstudien, aber unverkennbar bewegt durch Luthers Anliegen und Sprache. Die verschiedenen Vorlagen zum Rechtfertigungsdekret des Konzils dokumentieren sein Ringen um eine lehramtliche Aussage im Sinne der strengen Antithetik von Gesetz und Evangelium. Jedoch konnte er weder ein besonderes Kapitel „De legis offieiis et Jesu Christi promissionibus" (Vorlage vom 11.8.1546; C T 5,822,1) noch auch nur eine Formulierung, die dem Gesetz als proprium opus das Bewirken der Sündenerkenntnis und des Verzweifeins an den eigenen Kräften zugeschrieben hätte, durchsetzen.

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Seripando betont (u.a. zu J a k 4 , 1 2 ) die differentia maxima zwischen Christus und Mose ( C T 5 , 6 6 7 , 8 ) , kämpft aber vergeblich d a r u m , die Bezeichnung Christi als legislator zu verhindern (DS 1 5 7 1 ; Forster 77ff). N a c h Entfaltung der Rechtfertigungslehre durch das Konzil wurde die anscheinend mehr a m R a n d e liegende lutherische Auffassung von Gesetz und Evangelium ohne theologische Klärung verneint (DS 1568 ff). In dieser Frage ging es den Konzilsvätern vor allem d a r u m , die Verbindlichkeit der Gebote Gottes für die Christen zu betonen (Forster 2 3 ) . - Kontroverstheologisch ging später Bellarmini ausführlich auf das T h e m a Gesetz und Evangelium ein, vertrat gegenüber der reformatorischen Definition des Evangeliums als „gute B o t s c h a f t " und „ T r o s t " die v o m Konzil mit Bedacht gewählte Bezeichnung lex Christi (De controversiis 3 , 1 2 1 B), den weiten Sinn des Begriffs, der auch das officium terrendi ( R o m 1 , 1 7 f ) , Gebote, Drohungen und die Gehorsamsbedingung umfaßt (De controversiis 4 , 3 7 3 A). U m nicht einen großen Teil der Worte Christi als verba Mosis bezeichnen zu müssen, sollten die Gegner ihre Definition von Evangelium ( T r o s t w o r t , promissio remissionis peccatorum) korrigieren (373 D). In der Sicht Bellarminis hat sich also die lutherische Theologie durch die Preisgabe der traditionellen Gleichsetzung Evangelium = lex Christi = Neues Testament und die Erhebung eines Teilaspekts zum „eigentlichen" Sinn klar ins Unrecht gesetzt. Quellen Robert Bellarmin SJ, De controversiis christianae fidei..., Ed. ultima..., 4 Bde., Köln 1615. BSLK. - BSRK. - C T II. V. XII. - Joannis Calvini op. quae supersunt omnia. Hg. v. G. Baum/E. Cunitz/E. Reuss, 59 Bde., 1863-1900 (CR 29-88). - Ders., Op.selecta. Hg. v. Peter Barth/G. Niesel/D. Scheuner, 5 Bde., München 1926-1952 (OS 1-5). - Erasmus v. Rotterdam, De libero arbitrio Diatribe sivecollatio. Hg. v. Johannes v. Walter, 1910 (QGP 8 ) . - C a r l E. Förstemann, Neues Urkundenbuch zur Gesch. der ev. Kirchenreformation, Hamburg, 11842. - Gustav Kawerau, Briefe u. Urkunden zur Gesch. des antinomist. 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1. Altprotestantische 1.1. Altlutherische

Orthodoxie Orthodoxie

Die theologische Arbeit der lutherischen H o c h o r t h o d o x i e dient der Vermittlung des v o r r e f o r m a t o r i s c h e n christlichen N a t u r r e c h t s mit den religiösen Grundeinsichten M .

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—•Luthers. Dabei wird in Verstärkung einer schon bei Ph. - » M e l a n c h t h o n zu beobachtenden Tendenz der Gesetzesbegriff zu einem Organisationsprinzip der systematischen Gesamtdarstellung der doctrina aufgewertet. Z w a r enthalten die Lehrentwürfe der orthodox-lutherischen Theologen jeweils einen eigenen Locus de lege. Dennoch übernimmt der Begriff prinzipientheoretische Begründungsleistungen für das theologische System insgesamt. Die in De lege verhandelten Gegenstände werden nicht nur dem äußeren Umfang der Darstellung nach zunehmend komplexer. Weil das Gesetz als primäres M e dium der universellen Herrschaft Gottes über die geschaffene Welt verstanden wird, prägen die materialen Bestimmungen der lex vielmehr auch die anderen Loci bis hin zur Gotteslehre. Über das Gesetz soll eine „ t h e o n o m e Begründung des Sittlichen" (Baur 83) geleistet werden, so daß die vom Menschen aktiv gestaltete welthafte Wirklichkeit in theologischer Kategorialität begreifbar wird. Deshalb muß die T h e o - L o g i e im Sinne einer Selbstbindung Gottes an seine Gesetzgebung konzipiert werden. Gottes Freiheit ist nicht Willkür supra legem, sondern G o t t bleibt seiner lex aeterna insofern verpflichtet, als diese die eigene N o r m seines Wesens repräsentiert: Deus ... sibi ipsi quasi lex est (V. Alberti, zit. Ihmels 57). In der Aufwertung der gesamttheologischen Relevanz des Gesetzesbegriffes drückt sich das Interesse an einer ethischen Konkretion der theologischen Reflexion aus. Die nachreformatorischen Bemühungen um eine Steigerung des Realitätsbezuges der T h e o l o gie lassen sich als Folge der geänderten religionspolitischen Bedingungen der theologischen Arbeit begreifen. Angesichts der „ G e g e n r e f o r m a t i o n " ( - » K a t h o l i s c h e R e f o r m ) muß die lutherische O r t h o d o x i e nicht bloß neuen konfessionellen Legitimationszwängen gerecht werden. Vielmehr muß sie im Zusammenhang der Konsolidierung lutherischer Territorien nun direkter als zuvor aktuelle Gestaltungsfragen des Gemeinwesens thematisieren. Besonders deutlich zeigt dies die Integration juristischer Problemstellungen in die theologische doctrina. Dabei stellt die Gesetzeslehre den O r t dar, über den die Vermittlung ethischer Probleme in das theologische System sowohl begründet als auch materialiter durchgeführt werden kann. Die E x p a n s i o n des Locus de lege läßt aber zugleich die Tendenz zu einer allmählichen Verselbständigung der Ethik erkennen, was die zunehmenden Schwierigkeiten solcher Vermittlung zeigt. Schon in der vereinzelten monographischen Behandlung der T h e m a t i k (B. Meisner) deutet sich die Auswanderung von de lege aus der doctrina an. Bei G . - • C a l i x t wird der Locus de lege dann zum Zentrum einer gesonderten Behandlung der theologia moralis. Diese Entwicklung impliziert weitreichende Bedeutungsverschiebungen des Gesetzesbegriffs. M i ß t man solche Modifikationen allein an einer unhistorisch idealen lutherischen Lehrnorm, etwa an Luthers angeblich schon von M e l a n c h t h o n pervertiertem discrimen legis et evangelii, kann das spezifische Erkenntnisinteresse der Gesetzeslehre nurmehr verkürzt wahrgenommen werden. Denn das Gesetz ist der besondere O r t zur Konstruktion eines die jeweilige konkrete Verfassung des Gemeinwesens einschließenden Wirklichkeitsverständnisses. Die Prädominanz des Gesetzesbegriffs zeigen bereits J . - » G e r h a r d s Loci theologici ( 1 6 1 0 - 1 6 2 2 ) , welche eine integrative Gesamtdarstellung von Themenbeständen bieten, die seit Calixt dann als D o g m a t i k und theologia moralis zumeist getrennt behandelt werden. Gerhard entfaltet die normativen Implikate der einzelnen Loci jeweils in einem Schlußabschnitt De usu. Diese ethische Orientierung wirkt aber auf die d o g m a t i s c h e n ' Gehalte zurück: Sowohl die Prinzipienlehre als auch die materiale Theologie von der Schöpfung bis hin zur Eschatologie werden wesentlich vom Gesetzesbegriff geprägt. Schon die urzuständliche Gottebenbildlichkeit des Menschen legt Gerhard als eine in der notitia Dei naturalis implizierte perfekte conformitas cum lege Dei (loci 4, 246 f) aus. Diese lex divina wird von der heiligen Trinität gegeben (5,224). Als zweite trinitarische Person ist also auch Christus an der Gesetzgebung beteiligt. So kann das göttliche Gesetz als ein speculum iustitiae, sanctitatis, perfectionis divinae (5, 381) gedacht werden. Insofern ist selbst der Gottesbegriff entscheidend durch das Gesetz bestimmt (Troeltsch, Vernunft 136; kritisch: Hupfeld 120, M. Kliefoth 214 u. 233ff).

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Die Sünde ist aberratio a lege divina. Der postlapsarischen natura corrupta verbleiben jedoch reliquiae imaginis divinae (4,289), so daß dem Sünder die Kenntnis des Gesetzes eingeschränkt möglich ist. Gerhard bezeichnet die lex divina deshalb auch als lex universalis, perpetua oder aeterna - e i n Sprachgebrauch, der die lutherische Theologie bis zu D. -»Hollaz prägt. Wird die Kenntnis des göttlichen Gesetzes durch die Sünde nur restringiert, aber nicht aufgehoben, kann die Sinaioffenbarung nicht die promulgatio inhaltlich neuer Normen beinhalten, die dem Menschen nicht schon vor dem Fall bekannt gewesen wären. Der Offenbarung der lex moralis des Dekalogs (lex revelata, lex sinaitica) bedarf es aber insofern, als dem homo peccator die ursprüngliche lex naturalis nurmehr zum Teil bekannt ist und er die geforderte obedientia spiritualis in eine bloße obedientia externa pervertiert hat (5,230). Mit der Verkündigung des Dekalogs, der Summe der lex moralis, soll also der ursprünglichen lex naturalis wieder Geltung verschafft werden. Allerdings vermag Gerhard den Ausgleich von natürlichem Sittengesetz und geoffenbartem Moralgesetz nur mit erheblichen Schwierigkeiten durchzuführen. Um der Identifikation mit der lex naturalis willen muß er von der lex moralis eine ebenfalls geoffenbarte lex temporaria abheben, die allein historisch partikulare Geltung für Israel gehabt haben soll (alttestamentliche leges ceremoniales et forenses, die durch Christus aufgehoben sind). Faktisch ist das Kriterium dieser Unterscheidung das lumen naturae. Diese ethische Rationalität wird auch durch das Evangelium nicht inhaltlich relativiert. Christus ist kein novus legislator (6, 142ff). Sofern die ursprüngliche Vollkommenheit der lex naturalis rticht perfektionierbar ist, kann die Bergpredigt keine materialiter neuen Normen enthalten. Sie stellt eine erneute Erinnerung des natürlichen Gesetzes dar. Eine ethische Relevanz des Evangeliums wird im Anschluß an die Formula Concordiae über die verschiedenen usus legis thematisiert. Von Umfang und Intensität der Darstellung her tritt dabei der secundus usus (usus theologicus seu elenchticus) deutlich hinter den primus (usus politicus seu paedagogicus) und tertius usus (usus didacticus) zurück. Zugleich weist die gegen die „Schwärmerei" protestantischer Sekten sich richtende breite Behandlung des ersten usus die Tendenz zur relativen Verselbständigung gegenüber dem zweiten usus (Hinführung zur gratia des Evangeliums durch Erkenntnis der notwendig defizienten Gesetzeserfüllung) auf.'Daß auch der homo renatus noch des Gesetzes bedarf (dritter Gebrauch), begründet Gerhard im Anschluß an Luther damit, daß er non totus renovatus, sondern als homo spiritualis zugleich immer noch homo carnalis sei. In der Auslegung des ersten usus entfaltet Gerhard eine bemerkenswert wirklichkeitsnahe Theorie der politischen Ordnung des Gemeinwesens. Diese Sozialtheorie stellt keine bloße Reproduktion des gesellschaftlichen status quo dar. Insbesondere die breit ausgeführte Dreiständelehre zielt auf eine kirchenrechtlich relevante Begrenzung der Rechtsposition des Landesherrn bezüglich seiner custodia primae tabulae des Dekalogs (Honecker 73 ff. 112). Der thematische Reichtum der Ständelehre läßt darüber hinaus das Interesse an einer Reform der societas civilis nach dem Ideal (4. Gebot) der wechselseitigen Verpflichtung von Obrigkeit und Untertanen erkennen. Sofern diese materiale Ethik als Dekalog-Auslegung entfaltet wird, zielt Gerhards Theorie des Politischen auf eine bloße Legalität transzendierende Verbindlichkeit der Rechtsordnung. Dabei bestreitet er den Konstruktionscharakter der staatlichen Gesetze nicht. Leges positivae variantibus circumstantiis mutari et abrogari possunt (14, 127). Um moralischer Geltung willen werden sie als bestimmte Objektivationen der unveränderlichen lex naturae an den Inbegriff höchster Autorität zurückgebunden. So wie das natürliche Gesetz immediate aus Gott stammt, sind die leges positivae mediate a Deo. Durch diese religiöse Letztbegründung der leges magistratus können einerseits Ordnungsprobleme in die theologische doctrina integriert werden. Angesichts einer durch Konkurrenz verschiedener Rechtssysteme und den Pluralismus unterschiedlicher judikativer Institutionen gegebenen hohen Rechtsunsicherheit plädiert Gerhard - wie schon Melanchthon — für eine Rationalisierung der Rechtspraxis durch die Stärkung des römischen Rechtes (Eiert, Morphologie d. Luthertums, II 3 1965, 354). Aus der Rückbindung aller leges positivae an Gott folgt andererseits eine Verpflichtung der Bürger gegen die Obrigkeit propter conscientiam (Uhl 98), und selbst den staatlichen Gesetzen gegenüber wird eine obedientia spiritualis gefordert. Gleichwohl erschöpft sich Gerhards Frömmigkeitsideal nicht in conformitas cum lege. Die theologische Anerkenntnis der rechtlichen Ordnungsstrukturen wird mit einer religiös motivierten Unterscheidung des frommen Subjekts von der Welt verbunden, die auf seine innere Selbständigkeit in der unmittelbaren Bindung der Seele an Gott zielt. Sofern Christus die „Lebens-Norm" des Gläubigen ist, liegt dessen wahres „Vaterland" (Allgemeine Lebensregeln für den Frommen: Von Kampf und Trost 103) jenseits dieser Welt. So ist der homo renatus einerseits zum spiritualen Gesetzesgehorsam verpflichtet und andererseits dem ordo der Welt gegenüber im Maße seiner Gottbezogenheit innerlich frei. Die durch den Weltbezug vermittelte äußere und die über die Gottesrelation konstituierte innere Dimension des Subjektes bleiben jedoch unvermittelt. D i e s e ethische G r u n d t e n d e n z von G e r h a r d s LociAusgleich von Vernunft und O f f e n b a r u n g d u r c h Identifikation der lex naturalis mit d e m D e k a l o g ; E i n h e i t von M o r a l i t ä t

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und Legalität; Gleichzeitigkeit von innerer Gesetzesbindung und frommer Weltdistanz prägt auch die ethischen Publikationen (Verzeichnis bei v. Weber 2, 49 f) der anderen Repräsentanten der lutherischen Orthodoxie. Eine noch stärkere Aufwertung des Gesetzesbegriffes führt z. T. zu einer Kasuistik der sog. Adiaphora, d . h . der im biblisch fixierten Moralgesetz weder direkt verbotenen noch explizit erlaubten Handlungen. Bei dem Straßburger Gerhard-Schüler J. C. Dannhauer zeigt sich „das Hervortreten des Gesetzes gerade in seiner Normbestimmtheit für das neue Leben" (Scheunemann 51) der renati in einer kasuistischen Behandlung von Gewissenskonflikten, die auf eine Intensivierung der Bindung an die lex Dei durch zahlreiche Einzelgesetze zielt. D. -»Hollaz setzt vom usus politicus noch einen eigenständigen usus paedagogicus ab und stärkt den Anspruch des Gesetzes durch eine Lehre vom vierfachen Gebrauch. Solchen Bemühungen, in der begrifflichen Fixierung der Differenz von Evangelium und Gesetz zugleich normative Verbindlichkeit zu formulieren, liegt die Einsicht in die Friedens- und Ordnungsfunktion des Rechts zugrunde. So gewinnen die erheblichen Wechselwirkungen zwischen der theologischen Arbeit und der von Melanchthon geprägten protestantischen Jurisprudenz des 17. Jahrhunderts an Gewicht. Benedict Carpzov, Theodor Reinkingk, Matthias Stephani u.a. rezipieren nicht nur intensiv Gerhards Dreiständelehre (Heckel 139ff), sondern üben umgekehrt einen bedeutenden Einfluß auf das Gesetzesverständnis der Theologen aus. Durch diese enge Kooperation erhält die theologische Identifizierung von lex naturalis und Dekalog eine weitreichende rechtspraktische Relevanz: alle leges positivae sind nur „Ausführungsgesetze zu den 10 Geboten" (von Weber 46). So werden beide DekalogTafeln zur „Grundlage der Verbrechenssystematik". Seit den Kursächsischen Konstitutionen von 1572 folgen alle Landrechte protestantischer Territorien bis ins 18. Jh. hinein der Ordnung des Dekalogs. Damit hält aber „auch sein materieller Gehalt, so wie er in der protestantischen Theologie herausgebildet wurde, Einzug in das Strafrecht" (62), weshalb Delikte nicht ihrer sozialen Schwere, sondern ihrer Stellung in der Gebotshierarchie nach bestraft werden. Freilich stellt die lutherische Theologie des 17. Jh. ein höchst differenziertes Phänomen dar. Dies gilt zunächst bezüglich der primär frömmigkeitsgeschichtlich einflußreichen Lutheraner. J. -»Arndts breit rezipierte Kritik eines falschen, weil durch einen praktischen Antagonismus von Glaube und Leben geprägten Christentums beinhaltet auch eine Absage an die Gesetzeslehre der Schultheologien. Denn der dem „Gleichförmigwerden mit Christo" sich annähernde neue Mensch tut das Gute aus geistlicher Spontaneität: „Also ist dem Gerechten kein Gesetz gegeben, 1. Tim. 1,9 das ist kein Nothund Zwangsgesetz, wie wol es eine schöne Regel ist eines christlichen Lebens. Denn der wahre Glaube thut alles freiwillig..." (Vier Bücher; Zit. Schwager 60). J.V. ->Andreae fordert von den zur fraternitas Christi Eingeladenen eine praktische imitatio Christi, die ausdrücklich eine strenge „Erfüllung der Gesetze Jesu" (van Dülmen 148) einschließt. Sofern die geistliche Verbindung zur societas Christiana sich aber nicht als ordensmäßige, äußere Abkehr von der Welt vollziehen soll, wird die Anerkenntnis des obrigkeitlichen Gesetzes dadurch nicht tangiert. Auch innerhalb der akademischen Theologie sind gerade für die politische Ethik beachtliche Lehrdifferenzen zu konstatieren. Dafür ist das prominenteste Beispiel G. -•Calixt. Über die herkömmliche Integrationslehre hinaus verlangt er durch eine exklusiv den renati geltende lex evangelii „einen ganz besondern Gesetzesgehorsam" (Mager 100) der Gläubigen. Mit dem „Gesetz des Evangeliums" wird zwar notwendig das Alte Testament abgewertet (Engel 92ff). Die Epitome theologia moralis, die Fragment gebliebene erste selbständige theologische Ethik des Luthertums, betont die Bindung der renati an die lex positiva aber besonders stark. Calixt publiziert seine Moraltheologie 1634 trotz ihrer unfertigen Gestalt zur Zurückweisung des Vorwurfs von B. Neuhaus, einem ehemals lutherischen, nun römischen Theologen, nach protestantischer Lehre dürfte man „aus Gewissensgründen sich der Rechtsgewalt der Obrigkeit entziehen" (Wallmann Z K G 85 [1974] 435). Mit der Epitome kann Calixt diesen Verdacht zweifelsohne entkräf-

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ten. Seine „Gesetzesethik" (Mager, Einleitung Werke 3,18) legitimiert jedoch nicht mehr das römische Recht, sondern eine eigenständige Rechtsetzungskompetenz der Landesherren. Die darin implizierten Ansätze zu einer dem Wohl der Untertanen verpflichteten territorialen Beamtenethik werden von Calixts bekanntestem Schüler, dem Universalgelehrten H. ->Conring, zu einer umfassenden Theorie fürstlicher Landesgesetzgebung fortentwickelt. Wie sehr die Geschichte des theologischen Gesetzesbegriffs durch Änderungen des politisch-sozialen Kontextes geprägt ist, zeigt schließlich die primär ethisch orientierte Theologie von J.F. -»Buddeus. Unter dem Einfluß des neueren -»Naturrechts stellt er in einem „natürlichen Moral-Naturgesetz ... das bürgerliche Leben unter das oberste Gesetz der Menschenliebe", wodurch „die Betätigung des Gesetzes der Gottesliebe von jeder konfessionellen ... Ausprägung unabhängig" werden soll (Stolzenburg 226). Zu Beginn des 18. Jh. muß die lutherische Ethik der beginnenden Ausdifferenzierung von Staat und Gesellschaft gerecht werden. Im „Übergang von stratifikatorischer zu funktionaler Gesellschaftsdifferenzierung" (Luhmann [s. u. allg. Lit.] 27 ff) erhöht sich sowohl der Bedarf an theologischen Integrationsleistungen als auch die Komplexität des zu Integrierenden. Obgleich Buddeus den überkommenen Lehrbestand durch eine explizite Kritik eines falschen Gesetzesgebrauches (Abwehr eines status securitatis %a>pi^ vöfjov und eines status legalis) differenziert, lassen seine zahlreichen ethischen Publikationen die wachsenden Schwierigkeiten solcher Integration erkennen. Traditionelle Orientierungsmuster der Sozialethik verlieren an Plausibilität: die Dreiständelehre wird auf diversis hominum statibus hin entgrenzt. Zunehmender Rollendifferenzierung zum Trotz insistiert Buddeus zwar auf christianam disciplinam aller Lebensbereiche. Angesichts der „Naturalisierung des ganzen öffentlichen Lebens" leistet sein theologisches Naturrechtsdenken jedoch keine „Ethisierung", sondern „nur eine Ordnung der in erster Linie nach einer gewissen Eigengesetzlichkeit natürlicher Art verlaufenden Prozesse des sozialen Lebens" (Stolzenburg 228). So scheint die altlutherische Ethik in der Aporie zu enden, jene gesteigerte gesellschaftliche Komplexität nicht mehr in der Einheit ihres zentralen Integrationsbegriffes, im Gesetz, vermitteln zu können, deren Erzeugung sie selbst durch eine die Herausbildung des frühabsolutistischen Territorialstaates begünstigende Sozialethik gefördert hat. Quellen J o h a n n Valentin Andreae, Christianopolis (1619), Originaltext u. Übertragung nach D . S . Georgi, 1741, eingel. u. hg. v. Richard van Dülmen, 1971 ( Q F W K G 4). - J o h a n n Arndt, Vier Bücher v o m wahren Christentum, das ist von heilsamer Buße, herzlicher Reue u. Leid über die Sünden u. w a h r e m Glauben, auch heiligem Leben u. Wandel der rechten wahren Christen, hg. v. Ev. BücherVerein, Berlin 6 1 8 5 7 . - J o h a n n Franz Buddeus, Exercitat. jur. nat. de pietate philosophica seu religione naturali, Halle 1695. - D e r s . , Elementa philosophiae practicae, Halle 1697. - Ders., Dissertatio de c o m p a r a t i o n e obligationum, quae e x diversis hominum statibus oriuntur, Halle 1703. - Ders., Einl. in die M o r a l - T h e o l . Ins Deutsche übers., Leipzig 1719. - Georg Calixt, Werke in Auswahl, hg. v. der Abt. f. Niedersächsische K G an den Vereinigten Theol. Seminaren der Univ. Göttingen. III. Ethische Sehr., hg. v. Inge M a g e r , Göttingen 1970. - H e r m a n n Conring, De origine iuris Germanici c o m m e n tarius historicus, Helmstedt 1643. - J o h a n n C o n r a d Dannhauer, Liber conscientiae apertus, sive Theologiae conscientariae tomus primus, Straßburg 1662. - J o h a n n C o n r a d Dürr, Compendium Theologiae moralis, in quo virtutes et officia hominis christiani tum in genere tum in certis vitae Statibus considerati, explicantur, et variae quaestiones practicae deciduntur, Altdorf 1675. - J o h a n n Gerhard, Loci theologici, hg. v. J . E C o t t a , 2 2 Bde., Tübingen 1 7 6 2 - 8 8 . - Von K a m p f u. Trost der angefochtenen Christenheit. Geistliche Betrachtungen v. J o h a n n Gerhard, neu dargeboten durch Karl Kindt, Erlangen 1937. - J a k o b Martini, Disputationes Ethicae, Wittebergae 1605. - Balthasar Meisner, Dissertatio de legibus, in quatuor libellos distributa, quorum primus agit de lege in genere. Secundus de lege aeterna. Tertius de lege N a t u r a e . Quartus de legibus humanis, tum Politicis, tum Ecclesiasticis, Wittebergae 1616.

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Orthodoxie

A u c h das Gesetzesverständnis der reformierten T h e o l o g e n des ausgehenden 16. und 17. J h . ist entscheidend durch die Rezeption von M e l a n c h t h o n s Lehre von der geschaffener N a t u r imputierten lex naturalis geprägt. In zahlreichen D e k a l o g - K o m m e n t a r e n wird die lex revelata als Summe der lex naturae ausgelegt. Gleichwohl liegt „gerade in der Ethik und den Soziallehren" der „eigentliche Kern des U n t e r s c h i e d s " der protestantischen Konfessionen (Troeltsch [s.u. allg. Lit.], GS 1 , 6 8 0 ) . Der Calvinismus sucht eine unmittelbare Korrespondenz von Gottesverhältnis und Weltbezug des Menschen zu erzeugen. D a d u r c h wird die Lebensführung des einzelnen in allen ihren Bezügen direkt einem religiös fundierten N o r m e n s y s t e m unterstellt. Innerhalb des reformierten Protestantismus ist der Prozeß der Fixierung der reformatorischen Lehre in Bekenntnissen mit dem Ausgang des 16. Jh. noch unabgeschlossen. T r o t z der damit verbundenen Lehrstreitigkeiten gibt es jedoch insoweit einen relativen Konsens, als - im Gegensatz zum Interesse der L u t h e r a n e r , Gesetz und G n a d e zu unterscheiden - in allen reformierten Theologien das Interesse an der Einheit von Gesetz und Evangelium dominiert. Diese Identität wird primär über den Begriff des Bundes Gottes mit den Menschen geltend g e m a c h t . Der die Einheit des göttlichen Heilshandelns im Alten und Neuen Testament repräsentierende eine Bund m u ß dann z w a r in ein äußeres duplex foedus (foedus operum und foedus gratiae) bzw. z . T . auch in drei einzelne Bundesschlüsse ( f o e d u s naturale, legale und evangelicum) unterschieden werden ( - > F ö d e r a l theologie). D o c h der Gesetzesbegriff wird dann als E n t s p r e c h u n g zum einen Willen G o t tes gefaßt, wie er im Bunde sich offenbart. D a d u r c h tritt zugleich das Evangelium hinter das Gesetz zurück. Bei H . Aisted wird das Evangelium zur bloßen „Modifikation der G e s e t z e s o r d n u n g " (Bizer: Heppe/Bizer Lllf), so d a ß auch das foedus gratiae stark d u r c h das Gesetz als der „eigentlich normale(n) O r d n u n g " (Althaus 136 f) des Gottesverhältnisses geprägt wird. Dieser Vorrang des Gesetzes v o r d e m Evangelium hat notwendig eine Konzeption ethischer Praxis zur Folge, die sich von der altlutherischen Sozialethik durch ein sehr viel höheres M a ß an religiöser Eindeutigkeit unterscheidet.

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Z w a r teilt die reformierte Theologie zunächst die lutherische Kritik des Antinomismus, daß der homo renatus vor seiner eschatologischen Vollendung noch kein von allen Sünden freier homo perfectus ist. Doch thematisieren die Reformierten diese Kritik nicht über das anthropologische Dual spiritualis-carnalis, demzufolge der Gläubige nur insoweit an die lex gebunden ist, als er als homo iustificatus zugleich noch homo carnalis bleibt. So müssen sie das Gesetz unmittelbar auf den homo iustificatus beziehen: es gilt nun dem homo renatus als solchem. Durch Vermittlung von Calvins Rezeption des melanchthonischen triplex usus legis ist der reformierten Theologie zwar eine differenzierte Lehre vom Gesetzesgebrauch bekannt. Auch hier gewinnt die Auslegung des Gesetzesbegriffes gesamttheologisch zunehmend an Gewicht. Die Aufwertung des Gesetzes folgt jedoch einer anderen Logik als bei den Lutheranern. Diese suchen die Verbindlichkeit der Rechtsordnung mit einer nur relativen religiösen Geltung des Gesetzes zu vermitteln. Demgegenüber steigern die Reformierten seine unbedingte Geltung für das fromme Subjekt gerade dadurch, daß sie den Gesetzesgehorsam zum primären Modus der Entsprechung des Menschen zum Willen Gottes erklären. Der homo renatus ist nicht sub specie gratiae von der comminatio legis dispensiert, sondern umgekehrt bindet ihn das Gesetz religiös in besonderem Maße. Durch die reformierte Prädestinationslehre kann die Erfüllung der lex divina dann zum wichtigsten Kriterium der Erwählung des Wiedergeborenen werden (M. -»Weber). Dabei tritt nicht bloß der usus theologicus deutlich hinter Bestimmungen des usus normativus zurück, welche eine positive religiöse Orientierungsfunktion des Gesetzes beinhalten. Durch die schon im Ansatz der Föderaltheologie implizierte Aufwertung des Alten Testaments gewinnt das Gesetz auch einen anderen Inhalt. Mit nur wenigen Ausnahmen (—•Coccejus) klagen die reformierten Theologen eine Verbindlichkeit bestimmter Zeremonialgesetze des Alten Testaments ein (Sonntagsheiligkeit). Zugleich wird die wegen der Berücksichtigung des Bilderverbotes umfangreichere erste Tafel des Dekalogs nicht als innere geistliche Regel des Verkehrs der Seele mit Gott, sondern als ein durch die Zwangsinstrumente der in den Händen der Gemeinden liegenden Kirchenzucht empirisch zu realisierendes Gesetz des Gemeindelebens verstanden. Im Sonntagsgottesdienst verliest man den Dekalog vor dem Abendmahl zur Selbstkontrolle der Empfängniswürdigkeit, und in den Katechismen sind, anders als bei Luther, die Aussagen De lege denen De fide als „Ausdruck des neuen Liebeslebens des Glaubens" (Luthardt, Kompendium Ethik [s.o. Lit.] 112) nachgestellt. In den Landrechten der reformierten Territorien im Reich wird der Dekalog, stärker noch als im Luthertum, zum organisierenden Prinzip der Strafrechtssystematik. Dieser rechtspraktisch bedeutsamen Entwicklung gibt insbesondere der Herborner Jurist Philipp Zepper eine umfassende theoretische Begründung. Die positive religiöse Funktion des Gesetzes findet vor allem in der Betonung der Souveränität Gottes einen Ausdruck. Mit der Schöpfung ist der Mensch primär „zur Verpflichtung des Gehorsams gegen Gott ohne einen Anspruch auf den Genuß seliger Gemeinschaft mit demselben" (Heppe/Bizer 224) bestimmt. Aufgrund der Identifikation der lex naturae mit der lex positiva Gottes kann das Gesetz dann zwar als ein „Ausdruck seines eigenen heiligen Wesens" (225) gelten. Als transzendenter Grund des Gesetzes ist Gott selbst aber immer auch supra legem, so daß Majestät zur zentralen theo-logischen Kategorie wird. Gott „gibt sich selbst in völlig freier Willkür sein Gesetz; und dieses Gesetz ist das Gesetz seiner Selbstverherrlichung in der dankbaren conformitas cum lege der verdienstlos Beseligten und im Jammer der verdienstmäßig Verdammten" (Troeltsch, GS 1,615 f). Allerdings wird die stellvertretende Gesetzessatisfaktion des Erlösers so reformuliert, daß zugleich die Notwendigkeit einer auf Vollkommenheit zielenden selbständigen Gesetzeserfüllung des Menschen mitgedacht werden kann. Folgerichtig erkennen manche reformierte Theologen Christus eine zumeist aus dem munus regale abgeleitete legislative Kompetenz zu. Mit diesem „Gesetz seines Königthums" (Schneckenburger [s.o. Lit.] 1, 127) erhält das organisierende Prinzip reformierter Theologie, der Bundesbegriff, nun

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insgesamt eine stark ethische Prägung: wenn Christus Gesetzgeber ist, muß das foedus gratiae notwendig auf eine aktive Korrespondenz des Menschen zur prävenienten Gnade des göttlichen Subjekts des Bundes hin thematisiert werden. Von der Prädestination aus ist der Gesetzesgehorsam des Menschen zwar als durch den Heiligen Geist extern konstituiert zu denken. Dieser dogmatische Begriff frommer Praxis kann jedoch immer weniger mit den Forderungen nach empirischen religiös-ethischen Leistungen des Menschen in der Aneignung und Realisierung des Heils vermittelt werden. Eine Tendenz zur ethischen Selbständigkeit des Menschen lassen bereits die Lehrentwiirfe von A. Polanus, J . Wolleb, W. Amesius, F. Wendelin und anderer erkennen. Ihre Darstellungen des Stoffs der doctrina orientieren sich an der Unterscheidung von agenda und credenda. Dadurch ergibt sich ein zweiteiliger Grundriß des theologischen Systems: De Deo cognoscendo - De Deo colendo. So wird der Mensch als aktiver Bundespartner zum relativ eigenständigen T h e m a der theologischen Reflexion. Im Rahmen der vom Standpunkt der Wiedergeborenen aus konstruierten Theologie (Goeters 61 ff) entfaltet Amesius die Ethik als eine „Lehre von der observantia erga Deum" (O. Ritsehl [s. o. Lit.] 3, 389), die zwar kasuistisch durchgeführt wird, darin aber ein eigenständiges Recht des Gewissens in Anspruch nehmen muß. Auch die primär in den Niederlanden geführten Debatten über die Legitimität des Cartesianismus in der Theologie dienen der Bestimmung der ethischen Selbständigkeit des Menschen. G. —• Voetius beschuldigt die cartesianischen Neuerer eines „praktischen Atheismus", „der Gott durch Leben und Sitten verleugnet" (Bizer 315). Dementsprechend weist P. van Mastricht den methodischen Zweifel insofern zurück, als er die in der unbedingten Geltung der lex divina sich objektivierende „Irresistibilität der G n a d e " in einen „Voluntarismus" der Liebe auflöse (357). In der Tat machen ihre Gegner die im Bundesbegriff notwendig implizierte Anerkenntnis des homo renatus als eines ethisch selbständigen Subjekts zum zentralen T h e m a der Theologie insgesamt. Doch bleiben J . Cocceius und sein Schüler A. Heidanus, ein Cartesianer, durchaus an der überindividuellen Verbindlichkeit eines objektiven Sittengesetzes orientiert. Dabei tritt aber die tätige Akzeptanz dieses Gesetzes durch den Menschen immer stärker in den Vordergrund. O b gleich Cocceius die „Dynamik des christlichen Lebens ... in . . . passiver Begrifflichkeit formuliert, (ist) das Geschehen an mir ... selbstverständlich ein aktiv von mir gestaltetes Verhalten" (Faulenbach 131), das auf eine Annäherung an den „status perfectionis"(136) einer vollkommenen conformitas mit Gott zielt: Das Leben des Christen wird „Heiligungsaktivismus" (138). Dadurch ergibt sich nicht nur eine Nähe zum Gesetzesverständnis der —»Sozinianer, die trotz einer als Differenz von promissiones und praeeepta gefaßten Unterscheidung von Evangelium und Gesetz die christliche Existenz primär ethisch definieren und den Glauben insgesamt als tätigen Gehorsam gegenüber den regulae vitae Jesu verstehen (Fock 673 ff; Wrzecionko 186 f). Sofern Cocceius unterstellt, daß der homo renatus tendenziell ethische Vollkommenheit zu erreichen vermag, ist seine Theologie vielmehr auch schon durch jenes Hervortreten individueller Heiligungspraxis geprägt, das in Pietismus und Aufklärung dann weitreichende Modifikationen der traditionellen Gesetzeslehre provoziert. Quellen Wilhelm Amesius, De conscientia et eius iure vel casibus libri V, Amsterdam 1638. - Ders., Medulla theologica, Amsterdam 1634. - Die Dogmatik der ev.-ref. Kirche. D a r g . u. aus den Quellen belegt von Heinrich Heppe. Neu durchgesehen u. hg. v. Ernst Bizer, Neukirchen 1958. - Amandus Polanus, Syntagma theologiae christianae, Hanoviae 1624. - Alexander Schweizer, Die prot. Centraldogmen in ihrer Entwicklung innerhalb der Reformirten Kirche, 2 Bde., Zürich 1 8 5 4 / 5 6 . Johanes Wolleb, Christianae theologiae Compendium, Basileae 1626. - Philipp Zepper, Collatio Legum M o s a i c a r u m forensium et R o m a n o r u m , canonici item et Saxonici jurium, 1632.

Literatur Paul Althaus, Die Prinzipien der dt. ref. Dogmatik im Zeitalter der aristotelischen Scholastik,

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Leipzig 1914. - Ernst Bizer, Die ref. Orthodoxie u. der Cartesianismus: ZThK 55 (1958) 3 0 6 - 3 7 2 . Heiner Faulenbach, Die christl. Persönlichkeit bei Johannes Coccejus: Pietismus u. Reveil, Leiden 1 9 7 8 , 1 3 0 - 1 4 0 . - Otto Fock, Der Sozinianismus nach seiner Stellung in der Gesamtentwicklung des christl. Geistes, nach seinem hist. Verlauf u. nach seinem Lehrbegriff dargestellt, 2 Abt. in einem Bd., Kiel 1847 = Aalen 1970. - Wilhelm Goeters, Die Vorbereitung des Pietismus in der ref. Kirche der Niederlande bis zur Labadistischen Krisis 1670, Leipzig 1911. - Alexander Schweizer, Die Entwicklung des Moralsystems in der reformirten Kirche: ThStKr 23 (1850) 5 - 7 8 . 2 8 8 - 3 2 8 . 5 5 4 - 5 8 2 . - Paul Wrzecionko, Vernunft und Wahrheit im Denken der Sozinianer und der altprotestantischen Orthodoxie: NZSTh 14 (1972) 1 7 2 - 1 9 6 .

2. Die Differenzierung des Gesetzesbegriffs im Übergang zur Moderne 2.1. Frühneuzeitliches

Naturrecht

D u r c h die f r ü h m o d e r n e n N a t u r w i s s e n s c h a f t e n erfährt der Gesetzesbegriff seit der M i t t e des 17. J h . tiefgreifende Bedeutungsänderungen. J e n s e i t s von Universität, H o f und Kirchen k a n n in ersten gelehrten Sozietäten und A k a d e m i e n ein innovatorisches, nicht m e h r nur durch Auslegung vorgegebener N o r m e n b e s t ä n d e definiertes Verständnis von W i s s e n s c h a f t institutionalisiert werden. Im engen p r a k t i s c h e n Z u s a m m e n h a n g mit der technischen Perfektionierung m a n u f a k t u r e l l e r P r o d u k t i o n s v e r f a h r e n gelingt die experimentelle E r s c h l i e ß u n g der N a t u r der eigenen K a u s a l i t ä t . D e r scholastische Begriff eines Gesetzes der N a t u r wird um einer „ k o n s e q u e n t p r a k t i s c h e n Z i e l s e t z u n g " ( B o r k e n a u 87), dem Interesse an N a t u r b e h e r r s c h u n g , willen destruiert. D e n n erst die r a t i o n a l e E r k e n n t nis der gesetzmäßigen B e w e g u n g räumlicher K ö r p e r (Trägheitsgesetz, G r a v i t a t i o n s g e setz) e r m ö g l i c h t eine K o n t r o l l e der N a t u r im Sinne der Steigerung ihrer ö k o n o m i s c h e n Aneignung. S o dient die n a t u r w i s s e n s c h a f t l i c h e M e c h a n i s i e r u n g des Weltbildes p r i m ä r dem A u f b a u einer neuen praktischen Subjektstellung des M e n s c h e n . D i e theoretische Philosophie entspricht dem durch K o n s t r u k t i o n von M o d e l l e n der r a t i o n a l e n Einheit alles W i r k l i c h e n ( R . - » D e s c a r t e s , B . -»• S p i n o z a ) , die die K o m p l e x i t ä t der Erscheinungen n a c h der G e s e t z m ä ß i g k e i t o b e r s t e r Vernunftsprinzipien more geometrico zu begreifen erlaubt. D i e s e m Interesse an der Steigerung der B e h e r r s c h b a r k e i t der Welt entspricht die politische T h e o r i e durch B e g r ü n d u n g der L e g i t i m i t ä t staatlicher M a c h t aus einer eigenständigen L o g i k des Politischen. In den calvinistisch beeinflußten L ä n d e r n W e s t e u r o p a s gewinnt im K o n t e x t der H e r a u s b i l d u n g frühabsolutistischer T e r r i t o r i a l s t a a t e n mit dem sog. säkularen - > N a t u r r e c h t eine T h e o r i e a u t o n o m e r staatlicher R e c h t s s c h ö p f u n g politisch-praktisch an Plausibilität, die um der E r w e i t e r u n g politischer H a n d l u n g s r ä u m e willen ausdrücklich von konfessionell strittigen theologischen Letztbegründungen abstrahiert (H. - • G r o t i u s ) . D i e i n s b e s o n d e r e von J . B o d i n und T h . - » H o b b e s entwickelten T h e o r i e n staatlicher S o u v e r ä n i t ä t beinhalten deshalb aus eigenen G r ü n d e n des Politischen einen neuen, durch die S t a a t s r ä s o n restringierten Begriff m o r a l i s c h e r Verbindlichkeit. Hobbes Theorie einer vertraglichen Konstitution des Gemeinwesens ist wesentlich durch das föderaltheologische Verständnis der Souveränität Gottes geprägt (Kodalle; Link 23). Im Naturzustand kann der Mensch aufgrund seiner natura corrupta das vom ius naturale legitimierte Selbstinteresse an der Sicherung seiner besonderen Existenz faktisch nur widerrechtlich bzw. gegen die gesellschaftliche Allgemeinheit realisieren. Diese „Aporie der Freiheit" (Link 33) gebietet die Aufhebung des status naturalis in den status socialis, der primär über die Bindung an die Herrschaft des staatlichen Gesetzes definiert wird. Eine vom zivilen Gesetzesgehorsam noch unterschiedene Moral bedroht die politische Funktionsfähigkeit des Staates, jenseits der inhaltlichen (ökonomischen, konfessionellen, moralischen) Antagonismen der Gesellschaft den inneren Frieden zu gewähren. Das law of nature bzw. das divine law dürfen deshalb keine Rechtsgründe zur Verletzung des vom staatlichen Souverän gegebenen Gesetzes bieten. Als Mandatar Gottes ist es allein der Souverän, der biblischen Geboten, sofern sie über das Naturrecht hinausweisen, legale Geltung zu verschaffen vermag. Die Plausibilität dieses auctoritas, non veritas facit legem hängt davon ab, daß die in Anspruch genommene Einheit von Legitimität und Legalität zureichend aus ihr selbst begründet werden kann.

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Hobbes sucht die innere Bindungskraft des staatlichen Gesetzes aus dem Selbsterhaltungstrieb des Subjektes zu begründen. Dies ist insofern aporetisch, als sich die politische Subjektivität des Individuums nicht auf ihre Entäußerung an die Allgemeinheit des Staates reduzieren läßt. So tritt erneut jene Irreduzibilität des Moralischen auf bloße Legalität hervor, die Hobbes um ihrer potentiell anarchischen Folgen willen aufzuheben sucht. Dieses innerliche Jenseits der Rechtsordnung führt zu einer „Spaltung von Moral und Politik" (Koselleck 8), die notwendig die Institutionalisierung eines gesellschaftlichen Moraldiskurses bzw. die Ausdifferenzierung einer „bürgerlichen Öffentlichkeit" (Habermas, Strukturwandel) provoziert. So gewinnt ein selbständiges Gesetz der moralischen Subjektivität eine bisher unbekannte Bedeutung. J. Locke begründet nicht nur ein exklusiv aus dem Gewissen konstituiertes „Philosophical Law, the Measure of Vir tue and Vice" (An Essay §7-10). Vielmehr „räumt (er) durch die Trennung des Divine and Civil Law erneut den Religionen eine gesetzmäßige Verbindlichkeit ein" (Koselleck 42). Wo das Gewissen der philosophischen Theorie zur politisch-praktischen Macht zu werden vermag, d. h. es sich einerseits mit der Substanz der religiösen Tradition füllt und andererseits in den Diskursen eines moralischen Publikums institutionalisiert wird, kann deshalb das Gesetz der Revolution etabliert und im Rekurs auf die Autorität eines göttlichen Gesetzes der Innerlichkeit jedes bloß positive Gesetz negiert werden. I n n e r h a l b des R e i c h e s wird die w e s t e u r o p ä i s c h e T h e o r i e des f r ü h m o d e r n e n Staates n u r sehr e i n g e s c h r ä n k t praxisrelevant (van D ü l m e n , E n t s t e h u n g 3 4 3 f f ) . In dem M a ß e , in dem die F ü r s t e n h e r r s c h a f t sich gegenüber der M i t w i r k u n g durch die mediaten G e w a l t e n verselbständigt, tritt z w a r a u c h hier das E l e m e n t ausdrücklicher G e s t a l t u n g des R e c h t s z u n e h m e n d in den Vordergrund. In den lutherischen Territorien werden a b e r aufgrund einer eigenen T r a d i t i o n der F ü r s t e n e t h i k ( V . L . von —• S e c k e n d o r f ^ fürstliche Souveränit ä t s a n s p r ü c h e p r i m ä r über traditionelle p a t r i a r c h a l i s c h e Vorstellungen (Fürst als H a u s vater) g l e i c h e r m a ß e n legitimiert wie limitiert. W i c h t i g s t e s T h e m a der H o b b e s - D e b a t t e der älteren deutschen Staatslehre ist die Begrenzung der H e r r s c h e r g e w a l t durch einen materiellen Begriff der L e g i t i m i t ä t staatlicher M a c h t a u s ü b u n g . O b w o h l die bedeutendsten R e p r ä s e n t a n t e n des frühen r a t i o n a l e n N a t u r r e c h t s in D e u t s c h l a n d , S. von - > P u f e n d o r f , Ulrich H u b e r , G . W . - » L e i b n i z , C h r . - > W o l f f und C h r . - > T h o m a s i u s , alle für eine R a t i o n a l i s i e r u n g politischer P r a x i s im Sinne des fürstlichen A b s o l u t i s m u s eintreten, lehnen sie ü b e r e i n s t i m m e n d s o w o h l das a b s t r a k t m a t h e m a t i s c h e Vernunftverständnis von H o b b e s als a u c h die K o n s t r u k t i o n des Urzustandes als bellum omnium contra omnes und die ihr k o r r e s p o n d i e r e n d e rechtliche S c h r a n k e n l o s i g k e i t der H e r r s c h a f t s g e w a l t a b . In K r i t i k der föderaltheologischen Voraussetzungen von H o b b e s Souveränitätslehre bindet J . H . B o e h m e r die S t a a t s g e w a l t an ein als „ m a t e r i a l e s N o r m e n s y s t e m " verstandenes N a turgesetz zurück: D a s gesellschaftliche „ F u n d a m e n t " des Staates, ein „allgemeiner K o n sens ü b e r ein M i n d e s t m a ß an sozialer W e r t v e r w i r k l i c h u n g " , wird zu „ R e c h t s p f l i c h t e n " des H e r r s c h e r s positiviert (Link 4 3 ) . F ü r das im K o n t e x t der lutherischen Territorien e n t w i c k e l t e r a t i o n a l e N a t u r r e c h t ist diese Synthesis t r a d i t o n a l e r m i t spezifisch m o d e r n e n E l e m e n t e n in b e s o n d e r e m M a ß e signifikant. Insofern bildet „ d i e Idee einer umfassenden D a s e i n s v o r s o r g e als öffentliche(r) A u f g a b e den eigentlichen B e i t r a g des L u t h e r t u m s zur m o d e r n e n S t a a t s i d e e " (Link 1 3 8 ) . In der theologischen E t h i k von Pietismus und A u f k l ä r u n g r ü c k t der Begriff der salus publica ins Z e n t r u m der ethischen R e f l e x i o n . D e n n die Verpflichtung der S t a a t s g e w a l t a u f das G e m e i n w o h l hat n o t w e n d i g eine K o r r e s p o n d e n z von politischem System und r e l i g i ö s - m o r a l i s c h e m D i s k u r s zur Folge. D i e O b r i g k e i t m u ß aus den inneren G r ü n d e n des S t a a t s z w e c k s an der B e f ö r d e r u n g einer solchen T u g e n d p r a x i s der B ü r g e r interessiert sein, die zur Verwirklichung der allgemeinen Glückseligkeit beiträgt. In D e u t s c h l a n d wird ü b e r die Ausdifferenzierung einer bürgerlichen Öffentlichkeit d e s h a l b keine potentiell r e v o l u t i o n ä r e G e g e n i n s t a n z zur gegebenen politischen O r d n u n g e t a b l i e r t . Sofern der relig i ö s - m o r a l i s c h e D i s k u r s des P u b l i k u m s a u f die O p t i m i e r u n g des G e m e i n w o h l s zielt, v e r m a g die O b r i g k e i t ihn als ein I n s t r u m e n t der D u r c h s e t z u n g von R e f o r m e n in ihre P o l i t i k zu integrieren. Eine bessere M o r a l der Bürger ist selbst ein Inhalt absolutistischer P o l i t i k : In zahlreichen „ P o l i c e y " - G e s e t z e n sucht die O b r i g k e i t die beatitudo der ihr a n vertrauten U n t e r t a n e n zu f ö r d e r n . U m g e k e h r t k a n n sich die pietistisch-aufklärerische

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Ö f f e n t l i c h k e i t selbst als A n w a l t einer R e f o r m p r a x i s begreifen, die d e m S t a a t s z w e c k dient. I n n e r h a l b der t h e o l o g i s c h e n E t h i k e r f a h r e n das pietistische Ideal einer christlichen E r n e u e r u n g von K i r c h e und G e s e l l s c h a f t s o w i e das a u f k l ä r e r i s c h e Ziel der Universalisierung von B i l d u n g d e s h a l b eine B e g r ü n d u n g , deren G r u n d b e g r i f f e , Heiligung und gottselige V o l l k o m m e n h e i t , T u g e n d p r a x i s und G l ü c k s e l i g k e i t , ü b e r den Bezug auf den einzelnen h i n a u s i m m e r a u c h a u f die S o z i a l i t ä t des G e m e i n w e s e n s hin spezifiziert w e r d e n . Dieses Interesse an einer r a t i o n a l e n O r g a n i s a t i o n der L e b e n s w e l t führt zu einer folgenreichen M o d i f i k a t i o n des t h e o l o g i s c h e n Gesetzesbegriffs: das G e s e t z wird zur N o r m eines Subj e k t s , das sich p r i m ä r zur a k t i v e n W e l t g e s t a l t u n g b e s t i m m t w e i ß . Quellen Just Henning Boehmer, Introductio in Jus publicum universale, Halle 1710 2 1726. - Thomas Hobbes, The Elements of Law, Natural and Politic. Ed. with a preface and critical notes by Ferdinand Tönnies, Cambridge 1928. - Ders., Leviathan, or the Matter, Form and Power of a Commonwealth Ecclesiastical and Civil ..., 1651. TheEnglish Work of Thomas Hobbes of Malmesbury. Now first coli, and ed. by Sir William Molesworth, Aalen, III 1962 ( = 1839). - John Locke, Two Treatises on Government, 1690, ed. by Peter Laslett, Cambridge 1960. - Carl Weitzel, Phil.-jur. Abh. v. der Macht weltlicher Regenten, wider göttlichen Rechte Gesetze zu geben, Franckfurth u. Leipzig 1749. Literatur Franz Borkenau, Der Übergang vom feudalen zum bürgerlichen Weltbild. Stud. zur Gesch. der Phil, der Manufakturperiode. Paris 1934 = Darmstadt 1971 (Sehr, des Instituts für Sozialforschung 4). - Richard van Dülmen, Entstehung des frühneuzeitlichen Europa 1 5 5 0 - 1 6 4 8 , Frankfurt a . M . 1982. - Jürgen Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit. Unters, zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft, Neuwied/Berlin 1962 5 1971. - Klaus-Michael Kodalle, Thomas Hobbes. Logik der Herrschaft u. Vernunft des Friedens, München 1972 (Münchener Stud. zur Politik 20). — Reinhart Koselleck, Kritik u. Krise. Eine Stud. zur Pathogenese der bürgerlichen Welt, Freiburg/München 1959 = Frankfurt a . M . 2 1973. - Otto Lackner, Wie unterscheidet sich das Sittengesetz vom Naturgesetz? Ein Versuch zur Lösung des Freiheitsproblems mit besonderer Berücksichtigung von Spinoza, Kant u. Schleiermacher, Diss. Phil. Königsberg i. Pr. 1897. - Christoph Link, Herrschaftsordnung u. bürgerliche Freiheit. Grenzen der Staatsgewalt in der älteren dt. Staatslehre, 1979 (WRGA 12). Michael Stolleis, Arcana imperii u. Ratio status. Bemerkungen zur politischen Theorie des frühen 17. Jh., Göttingen 1980 (Veröff. der Joachim Jungius-Gesellschaft der Wiss. Hamburg 41).

2.2.

Pietismus

I n n e r h a l b der ethischen T h e o r i e b i l d u n g des —»Pietismus erhält das g ö t t l i c h e Gesetz d e s h a l b einen neuen I n h a l t . D i e allen M e n s c h e n allgemein geltende lex naturae tritt hinter die den C h r i s t e n in b e s o n d e r e m M a ß e verpflichtende p e r f e k t e Sittlichkeit des gottm e n s c h l i c h e n , Z e n t r a l i n d i v i d u u m s ' J e s u s von N a z a r e t h z u r ü c k . So wird ethische Verb i n d l i c h k e i t n i c h t m e h r ü b e r eine a b s t r a k t e N o r m a t i v i t ä t , s o n d e r n über ein e x e m p l a r i sches S u b j e k t einer aktiven m o r a l i s c h e n L e b e n s p r a x i s ausgelegt. Zentrales Thema der Ethik Ph.J. -»Speners „ist nicht mehr die Auslegung des allgemeinen göttlichen Gesetzes, sondern der empirische Mensch in der Fülle seiner Fragen und Lebensprobleme" (Rüttgardt 190). Zwar kennt Spener ein generelles „Moral- oder Sitten-gesetz und Zuchtgesetz" (Erste geistl. Schriften 1,671), das dem Menschen in der Schöpfung ins Herz geschrieben und nach dem Fall am Sinai erneuert worden ist (Peschke, Bekehrung 85ff). Sofern dieses „gesetz der ewige unwandelbare wille Gottes an uns" ist, bindet es auch die „Gläubigen" (Der hochwichtige Articul 854). Diese bleiben in der durch Bekehrung und renovatio geschehenden Neukonstitution des „inneren Menschen" momentan durch die „trägheit des fleisches" bestimmt, weshalb sie das Gesetz „als eine geissei brauchen gegen ihren alten adam" (857). Doch besteht über diesen tradtitionellen (dritten) Gesetzesgebrauch hinaus nun noch eine spezielle „Christen-Pflicht" gegenüber einem durch die Lebensführung Jesu repräsentierten Gesetz der Heiligungspraxis: „Dahero wir auch einen herrlichen Commentarium deß ... gesetzes in dem heiligen Leben Christi haben/und deßwegen dasselbe und die darinnen vor Augen liegenden Exempel / als eine practische Regel und gesetz stetig ansehen / daraus aber unser leben einrichten sollen" (Erste geistl. Schriften 1,585). So rückt Jesus Christus selbst in die Funktion des Gesetzes ein. Infolgedessen sind die Wiedergeborenen sehr viel stärker als der natürliche Mensch ethisch in Anspruch genommen. Von ihnen ist jedoch nicht pedantische

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Befolgung einzelner Gebote, sondern eine umfassende Erneuerung des inneren Menschen, d. h. eine neue Gesinnung, gefordert. In der Folge der Radikalisierung des Gesetzesanspruchs durch Spener gewinnt dann auch der Erfahrungsgehalt der traditionellen dogmatischen Formeln vom Scheitern am Gesetz erneut an Plausibilität. A. H. -»Francke systematisiert die ihm durch Spener vermittelten religiösen Impulse zu einem geschlossenen Lehrentwurf, dessen organisierendes Prinzip, die „Ordnung Gottes", er auf eine enge „Verbindung des Gesetzes und des Evangelii" (zit. Peschke 1,26) hin auslegt. Im Kontext des „Bußkampfs" wird das Gesetz durch Steigerung des secundus usus zur notwendigen Bedingung der Aneignung und Realisierung der Gnade, wodurch es einen „Vorrang vor dem Evangelium" (Peschke 1,41) erhält. Auch der neue Mensch bleibt an das Gesetz gebunden. Adiaphora werden vom Hallischen Pietismus abgelehnt. Die schon 1689 erhobenen Vorwürfe, Francke lehre einen vollkommenen Gesetzesgehorsam der regeniti (Streitschriften 18.188), sind aber unzutreffend. Francke unterscheidet zwischen dem „Halten" und „Erfüllen" des Gesetzes (41.203ff). Diese Differenz betrifft auch seinen Inhalt: Dem Wiedergeborenen wird primär das Doppelgebot der Liebe zur inneren „Regel" seines Herzens. Zugleich beinhaltet die Hingabe des eigenen Willens an Christus ein Moment an gesetzestranszendenter ethischer Spontaneität des religiösen Subjekts: „Da verlieret denn das Gebot der Natur eines Gebots, und ist der Mensch ihm selbst ein Gesetz, durch d e n . . . ihn beherrschenden Geist Jesu Christi" (zit. Peschke 1,89).

Franckes Behauptung, die Anhänger der „rechten Lutherischen orthodoxie" hätten „de Servatione Legis nicht einstimmige Reden geführet" (Streitschriften 87), verschafft den zahlreichen anderen Repräsentanten des Pietismus eine Legitimationsbasis dafür, den Gesetzesbegriff primär kritisch auszulegen. Der dadurch provozierte AntinomismusVerdacht ihrer spätorthodoxen Gegner ist zumindest im Hinblick auf N . L . von - > Z i n zendorf berechtigt. Der über das Gesetz führende Weg zur Erlösung ist ein Umweg (Aalen 347 f). Ein positives Sittengesetz, etwa der Dekalog, kann keine sittliche Praxis erzeugen („Das Statutenbuch wollte ich sehen, das vor alle Umstände genugsam sein würde . . . " [zit. Raillard 239]). Die ethische Qualität des Handelns hängt ausschließlich von der „innerlichen M o r a l i t ä t " des Individuums ab. Weil jedoch niemand ein „philosophisches Wesen" ist, „das sich selbst gouvernieren k a n n " (Londoner Predigten 1,26), bindet Zinzendorf die Gesinnung an Christus als „lebendige(s) Gesetz" zurück. So wird „Jesushaftigkeit" zur exklusiven Norm christlicher Ethik und ein in umfassender Liebestätigkeit zu realisierender Heilandsglaube zum „einzige(n) Gesetz" (240f). F. Chr. ->Oetinger erklärt ein Sittengesetz deshalb zum bloßen „Schattenbild vom geistlichen Gesez. Das rechte Gesez ist der heilige G e i s t " (zit. Dierse [s.u. allg. Lit.] 534). Die religiöse Depotenzierung eines statutarischen Gesetzesverständnisses schließt eine strenge Bindung der Christen an die obrigkeitliche Rechtsordnung ein. Gerade weil der renatus jede Gesetzesbindung innerlich zu transzendieren vermag, kann er sich freiwillig dem staatlichen Gesetz unterwerfen und diesem, über einen zivilen äußerlichen Gesetzesgehorsam hinaus, mit der Perfektion seines Heiligungsstrebens entsprechen. „Wo wir Jesus treu geweiht,/wird man immer spüren,/daß wir mit der Obrigkeit/treulich harmon i r e n " , läßt Zinzendorf singen, und J . C . -»Lavaters Christus ist vor allem „GesetzesE h r e r " (zit. Kaiser 117,269). Weil „gerade der ,wahre Christ' eine besondere Verantwortung gegenüber... dem Gemeinwesen h a b e " (Rürup 37), kann J . J . Moser, der bedeutendste pietistische Staatsrechtler, einen direkten Zusammenhang zwischen Christlichkeit und Glückseligkeit herstellen. Eine umfassende Reform des tradierten Rechts von den „Gesetzen der göttlichen Ordnung" her wird zum zentralen Inhalt einer politischen Praxis, die dem Dienst am Gesetz als einen „ G o t t wohlgefälligen Gottesdienst" weiß: „entweder ist einer kein rechtschaffener Christ oder er ist auch ein guter Bürger" (zit. Rürup 48,203). Damit ist, trotz aller pietistischen Kritik der Aufklärung, der Weg dazu bereitet, allgemeine Bürgertugend als eine implizit religiöse Praxis der Realisierung des Christentums zu begreifen.

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102 Quellen

August Hermann Francke, Streitschr., hg. v. Erhard Peschke, 1981 ( T C P I I / l ) . - Friedrich Christoph Oetinger, Die Sitten-Lehre Salomos in Vergleichung mit der Lehre Jesu, in etlichen Predigten vorgestellt. Teil I, Tübingen 1758. - Philipp J a c o b Spener, Pia Desideria, 1675, hg. v. Kurt Aland, 1939 3 1 9 6 4 (KIT 170). - Ders., Der hochwichtige Articul Von der Wiedergeburt. In sechs und sechzig Wochen-Predigten, Franckfurt am Mayn 2 1 7 1 5 . - Ders., Erste Geistl. Schriften, I u. II, Frankfurt/M. 1699. - Nikolaus Ludwig von Zinzendorf, Einiger seit 1751 von dem O R D I N A R I O F R A T R U M zu London gehaltenen Predigten in Dreyen Haupt-Abtheilungen edirter Erster Band, London u. Barby 1756: ders., Hauptschr. in 6 Bde., hg. v. Erich Beyreuther/Gerhard Meyer. V. Londoner Predigten, Hildesheim 1963.

Literatur Leiv Aalen, Die Theologie des jungen Zinzendorf, 1966 ( A G T L 16). - Gerhard Kaiser, Pietismus u. Patriotismus im literarischen Deutschland. Ein Beitr. zum Problem der Säkularisation, 1961 (VIEG 24). - Erhard Peschke, Stud. zur Theol. August Hermann Franckes, Berlin, I 1964, II 1966. Ders., Bekehrung u. Reform. Ansatz u. Wurzeln der Theol. August Hermann Franckes, 1977 (AGP 15). - H. Raillard, Die Stellung der Moral im Leben des Christen nach Zinzendorf: Z T h K 14 (1933) 2 3 6 - 2 5 6 . - Reinhard Rürup, Johann J a c o b Moser. Pietismus u. Reform, 1965 (VIEG 3 5 ) . - J a n Olaf Rüttgardt, Hl. Leben in der Welt. Grundzüge christl. Sittlichkeit nach Philipp J a k o b Spener, 1978 (AGP 16). - Johannes Wallmann, Philipp J a k o b Spener u. die Anfänge des Pietismus, 1970 (BHTh 42).

2.3.

Aufklärung

Die Bemühungen des absolutistischen Staates, sich das wichtigste Medium der mentalen Prägung der Untertanen, die überkommene Religion, dienstbar zu machen, lassen die Konfessionskirchen zunehmend stärker zu „Instrument(en) der politischen Disziplinierung" (Vierhaus 84) werden. Für die wachsende Schicht bürgerlicher Gebildeter, die in Deutschland im 18. Jh. an kulturellem Einfluß gewinnt, verliert die kirchliche Auslegung des Christentums dadurch an Plausibilität. Die neue Bildungselite formuliert ihr eigenes Ideal einer religiös-sittlichen Lebensführung jenseits der konfessionellen Kirchentümer. Diese „Religion der Mündigen" zielt auf die Individualisierung der Gottesbeziehung, die Stärkung persönlicher Frömmigkeit durch deren gesellige Kommunikation und schließlich die gemeinschaftliche pädagogische Anstrengung der mündigen Christen, auch denen, die traditionell von Bildung ausgeschlossen sind, zur freien Entwicklung ihrer natürlichen religiösen Anlagen zu verhelfen. In dieser Grundintention stimmt die deutsche Aufklärungstheologie mit dem Pietismus überein. Doch unterscheidet sie sich von diesem in der Bestimmung des Subjekts solcher Tätigkeit. Nicht das religiöse Sonderbewußtsein des renatus, sondern die in der Selbstauslegung der empirischen Subjektivität zu entdeckende natürliche Religion bildet die Basis der aufklärerischen Ethik. Religion ist ein anthropologisches Grunddatum. In seiner psychischen Selbstwahrnehmung erfährt sich der einzelne Mensch als ein endliches Sinnenwesen. In dieser Endlichkeitserfahrung ist er konstitutiv auf Gott, den Bestimmungsgrund seiner Endlichkeit bezogen. Gott aber ist - nach den Grundannahmen der Leibniz-Wolffschen Metaphysik - Inbegriff absoluter Vollkommenheit. Insofern weiß sich jeder Mensch zur Vervollkommnung seiner natürlichen Anlagen bestimmt. Weil er im Streben nach Vollkommenheit seiner eigenen Bestimmung entspricht, kann diese moralische Praxis sowohl als ein Akt der Freiheit als auch als Gehorsam gegen Gott gelten. Denn indem der Mensch seiner Bestimmung entspricht, entspricht er zugleich dem göttlichen Gesetz der Vollkommenheit. Auf der Basis dieser „Lehre von der Natur des Menschen" (J.A.H. Tittmann 2 6 2 - 2 8 0 ) sind alle Reflexionsvollzüge, in denen der Mensch seiner besonderen Bestimmung zur Vollkommenheit inne wird, und alle daraus entspringenden sittlichen - der Realisierung dieser Bestimmung dienenden - Handlungen als religiöse Akte zu begreifen. Das traditionelle Verständnis von Theologie als konfessionsspezifischer Dogmatik wird deshalb von einem der Allgemeinheit der Vernunft verpflichteten Begriff der Theologie als

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103

einer ethischen T h e o r i e abgelöst. M o r a l t h e o l o g i e k a n n erstmals als ein „ u n a b h ä n g i g e s System nach eigenen G e s e t z e n " (311) k o n s t r u i e r t werden. D a s Gesetzesverständnis der T r a d i t i o n wird deshalb mit dem A r g u m e n t destruiert, h e t e r o n o m e Gesetzlichkeit zu repräsentieren. An deren Stelle soll das innere G e s e t z der Freiheit treten. Schon bei S. J . Baumgarten rückt das freie Subjekt aktiver Sittlichkeit ins Zentrum der Theologie. Der überkommene ordo salutis wird in den Begriffen der Metaphysik Chr. Wolfis reformuliert. Als ein überweltliches geistiges ens perfectissimum teilt Gott allem Endlichen die Bestimmung seiner Vollkommenheit mit. Aufgrund einer starken Prägung durch den Hallischen Pietismus (Schloemann 5 9 - 6 6 ) behauptet Baumgarten jedoch, daß die theologische Ethik nicht zureichend auf „allgemeine Gesetze" der praktischen Vernunft gegründet werden kann (Unterricht §30). Denn natürliche „Sittengesetze" beziehen sich nur auf „gesellschaftliche Fertigkeiten des Wohlanstandes". Die christliche Morallehre hat jedoch primär „Pflichten gegen sich selbst und gegen G o t t " auszulegen, „die ein jeder ohne Absicht einiges Verhältnisses auf menschliche Gesellschaften ... zu beobachten verbunden ist" (Ausführl. Vortrag 989). So wird ihr primär die Lebensführung Jesu zum regulativen Prinzip. Dabei soll aus der anzustrebenden „Gleichförmigkeit" des Christen mit dem Gottessohn sowohl eine „größere Verbindlichkeit" der von ihm gegebenen Gebote als auch eine gesteigerte „Fähigkeit zum rechtmäßigen Verhalten" abgeleitet werden ( a . a . O . 1483). Diese Begründung der Ethik auf die sittliche Vollkommenheit Jesu wird von Baumgartens bedeutendstem Schüler J . S . -»Semler exegetisch radikalisiert, indem er Altes und Neues Testament als partikulare Gesetzes- und allgemeine Liebesreligion unterscheidet. In Christus hat „alle wirkliche Verbindlichkeit gegen jene mosaische Religion" „ihr Ende erreicht" (Ascetische Vorlesungen 229). Jesus hat nicht nur die „Policey des Volks Israels" „übertreten", sondern zugleich „durch seine Lehre ... geistliche Grundsäze bekanntgemacht" (268f), die sowohl von „dem algemeinen Naturgesez ... als auch von dem Gesez Moses" befreien (254). Daß „alle Werke des Gesetzes von dem ErwerbungsVerschaffungsgrunde der Seligkeit" (zit. Hornig 160) ausgeschlossen sind, bezieht Semler um „geistlicher Freiheit" willen also auf die Verbindlichkeit „alle(r) moralischen Vorschriften überhaupt" (Versuch 585). Normativität wird allein durch Jesu exemplarische „Gesinnung" repräsentiert, die im „geistlichen Gesetz", dem Doppelgebot der Liebe, ihren lehrhaften Ausdruck findet. Semlers Kritik des jüdischen Legalismus ist so sehr opinio communis der protestantischen A u f k l ä r u n g s t h e o l o g i e , d a ß J . A . H . T i t t m a n n ihren inhaltlichen „ F o r t s c h r i t t " geg e n ü b e r früheren „ P e r i o d e n der T h e o l o g i e " mit der E m a n z i p a t i o n von der „jüdischen bürgerlichen T u g e n d l e h r e " gleichsetzen k a n n (308). U n t e r d e m Einfluß der „Sittenlehre der Heiligen S c h r i f t " J . L . von - » M o s h e i m s , der ein „ e w i g e s und u n w a n d e l b a r e s Sittenges e t z " aus dem „ G e s e t z des H e r r n " abzuleiten versucht (zit. Spiegelberg [ s . u . allg. Lit.] 2 3 6 ) , gilt m a n c h e n z w a r „die B i b e l , das g e s c h r i e b e n e G e s e t z b u c h G o t t e s (als) einziger E r k e n n t n i ß g r u n d der christlichen M o r a l " (C. C . T i t t m a n n 5). T a t s ä c h l i c h repräsentieren j e d o c h allein J e s u s bzw. die von ihm gegebenen „sittlichen V o r s c h r i f t e n " (6) den biblischen Bezugspunkt der M o r a l t h e o l o g i e . N o t w e n d i g m u ß deshalb die „ g e m e i n e Eintheilung von dem dreyfachen N u t z e n des G e s e t z e s " als „ m a n g e l h a f t " verworfen werden (7 f). Alle alttestamentlichen G e s e t z e sind ungültig, weil sie dem M e n s c h e n ein „ k n e c h t i s c h e s J o c h " ( J e r u s a l e m , Schriften 2 7 6 ) auferlegen. An die Stelle der o r t h o d o x e n usus-Lehte tritt eine Lehre von der falschen Gesetzesbindung. R e i n h a r d entwickelt eigens eine kritische „ M i k r o l o g i e " gesetzlicher L e b e n s f ü h r u n g : wer sich „ a n den B u c h s t a b e n des Gesetzes mit einer so ängstlichen G e n a u i g k e i t " orientiert, „ d a ß der Geist desselben d a r ü b e r verloreng e h t " (Ueber den Kleinigkeitsgeist 4 7 ) , m a c h t sich z u m „ S c l a v e n seiner R e g e l " (168) und wird zur „freyen A c h t u n g gegen Schuldigkeit und P f l i c h t " (170) unfähig. M i l l e r stellt „ P e d a n t e r i e " - „das S y m b o l der alten h e t e r o n o m e n L e b e n s a u f f a s s u n g " ( B ö h m 9) - gegen eine „geistliche F r e i h e i t " (Vollst. Einleitung 3 1 9 ) , die sich in einer umfassenden D e s t r u k t i o n aller der christlichen S u b j e k t i v i t ä t e x t e r n e n N o r m a t i v i t ä t realisiert. „ D i e Gesetze des Alten T e s t a m e n t s i n s g e s a m t , . . . a u c h selbst die zehen G e b o t e v e r b i n d e n . . . die Christen entweder gar nicht, oder nur in so fern, in wie fern sie N a t u r g e s e t z e , oder im N e u e n T e s t a m e n t wiederholt worden s i n d " , erklärt C . C . T i t t m a n n , und nach M i c h a e l i s „ M o saischem R e c h t " ist der D e k a l o g kein „ v o n G o t t verordnetes W e l t r e c h t " , sondern allein ein „Beleg zu M o n t e s q u i e u ' s G e i s t der G e s e t z e " (zit. L i e r m a n n [ s . u . allg. L i t . ] 2 9 9 ) . Unter den Bedingungen dieser Kritik gesetzlicher Heteronomie muß ein Begriff moralischer

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Gesetz VI

Verbindlichkeit gebildet werden, der mit Freiheit kompatibel ist. Diese moralische Bestimmtheit des menschlichen Willens wird primär über die „Tugend" Jesu thematisiert. Deren Aneignung ist dann jedoch vor Beliebigkeit zu schützen. Um dabei nicht erneut die Heteronomie eines positiven Religionsgesetzes zu erzeugen, wird Jesus zwar einerseits als Gesetzgeber verstanden, aber andererseits dieses Gesetz inhaltlich so gefaßt, daß es mit der Natur des Menschen und insofern dem Anspruch auf Freiheit übereinstimmt. Alle Aufklärungstheologen reduzieren die „moralischen Vorschriften des N . T . " (Tittmann 312) auf einen einzigen Inhalt, ein „Hauptgesetz der christlichen M o r a l " (Reinhard 2,5ff), „zwei Grundgesetze" (Jerusalem, Schriften 282f), Jesu „größtes und vornehmstes G e b o t " (Töllner, Untersuchungen 1/1,130): das Doppelgebot der Liebe. So gilt nun exklusiv „Liebe (als) das ganze edle Gesetz des Christus-Religion" (Jerusalem 282). Von diesem Konsens scheint allein J . C . Edelmann abzuweichen, sofern er die ->Goldene Regel zum „Universal-Gesetz" bzw. zum „eintzigen Grundsatze" einer von „allen Menschen ohne Unterschied der Religionen vor göttlich" zu erkennenden natürlichen Moral erklärt (Glaubens-Bekenntniß 80; s. T R E 9,265,33ff). Die geforderte Kompatibilität des Liebesgesetzes mit Freiheit wird über den Begriff der menschlicher Natur von Gott imputierten Bestimmung zur Glückseligkeit aufgewiesen. Schon seit Wolff ist Glückseligkeit sowohl eine psychologische Kategorie für die innere Wahrnehmung der im sittlichen Handeln sich ereignenden Selbstübereinstimmung des Individuums als auch ein materialer Wertbegriff für das Ziel einer dem Aufbau und der Förderung des Gemeinwesens dienenden Praxis. C. A. Crusius, A. Hoffmann, A. Rüdiger und J. A. Eberhard fassen den Trieb nach Glückseligkeit als das psychische Vermögen, eine Handlung als sittliche wahrnehmen zu können und aus dem dabei entstehenden angenehmen Gefühl der Selbstadäquanz eine Motivation zur Steigerung der eigenen Tugendpraxis zu empfangen. Diese wird darin aber zugleich materiell bestimmt, weil das auf Glückseligkeit zielende Handeln unmittelbar auf die salus publica des Staates bezogen wird. So soll Jesu Gesetz insofern keine heteronome Norm repräsentieren, als der innere Bestimmungsgrund des Handelns (Selbstvervollkommnung, Streben nach Glückseligkeit) Liebe gebietet, d. h. ein Handeln, das konstitutiv auf andere Menschen bezogen ist und darin der Stärkung von Sozialität dient. Die „göttliche Ökonomie, die Menschen zu höherer Glückseligkeit anzuleiten" (Steinbart 251), stellt das Organisationsprinzip der materialen Ethik dar. Sofern man aus dem „neuen Gesetz" (264) Christi eine Vielzahl von Einzelgeboten ableitet, wird hier jedoch wieder Gesetzlichkeit erzeugt. Reinhard sucht aus den „Grundsätzen" Jesu „jede einzelne Pflicht genau zu bestimmen und... die Regeln abzuleiten, nach welchen Kollisionsfälle zu beurteilen sind" (1,18). Inhaltliches Kriterium der Erzeugung solcher Regeln ist die salus publica, so daß die unmittelbare Bindung des Bürgers an den materiellen Staatszweck zum wichtigsten Inhalt der politischen Ethik wird. Mosheims These, die Protestanten seien „die besten Bürger" (9, 46), und Reinhards Behauptung, „daß das Christentum nicht nur die besten Menschen, sondern auch die besten Bürger bildet" (3, 548), sind darin begründet, daß erst im Geiste dieser Religion das Gemeinwohl zur „heiligen Pflicht" erhoben wird (Schlingensiepen-Pogge 132ff). Nicht nur J . M . ->Sailer, der bedeutendste katholische Aufklärungsethiker, sondern auch die sog. radikalen Aufklärer materialisieren das Liebesgebot in patriotischen Gesetzen der Glückseligkeit. Der Reformierte J . L . Ewald, später einer der wenigen theologischen Verteidiger der Französischen Revolution, will dem Volke „populäre Begriffe von Religion und ihren Pflichten" vermitteln, um die Bindung an die „Polizeigesetze des Landes" zu stärken, und C.F. -•Bahrdts „absolute Aufklärung" (zit. Herrmann 156) zielt insofern auf die „Unterwerfung unter die gesetzgebende M a c h t " , als der fromme Patriot „das, was die gemeinschaftliche Glückseligkeit befördert, zu seinem vornehmsten Augenmerke macht" (Handbuch 153). Quellen Christoph Friedrich Ammon, Hb. der christl. Sittenlehre, Leipzig 1 8 2 3 - 1 8 2 9 2 1838. - Carl Friedrich Bahrdt, Hb. der Moral für den Bürgerstand, Halle 1789. - Siegmund Jacob Baumgarten, Unterricht vom rechtmäßigen Verhalten eines Christen oder Theol. Moral zum academischen Vortrag ausgefertiget, Halle 1738 6 1762. - Ders., Ausführlicher Vortr. der theol. Moral mit einer Vorrede Herrn Joh. Salomo Semlers, Halle 1767. - Christian August Crusius, Kurzer Begriff der christl. Moraltheol., oder nähere Erklärung der practischen Lehren des Christentums, 2 Bde., Leipzig 1772/73.-Johann August Eberhard, Sittenlehre der Vernunft, Berlin 1781 2 1786. - Johann Christian Edelmann, Abgenöthigtes Jedoch Andern nicht wieder aufgenöthigtes Glaubens-Bekenntniß. Faks. Neudr. der Ausg. 1746 mit Einl. v. W. Grossmann, Stuttgart-Bad Cannstatt 1969. - Ders., Sämtl. Sehr, in Einzelausg., Stuttgart-Bad Cannstatt, IX 1969. - Johann Ludwig Ewald, Über Volksaufklärung; ihre Gränzen u. Vortheile. Den menschlichen Fürsten gewidmet, Berlin 1790. - J. Friedrich Wilhelm Jerusalem, Vierte Betrachtung. Legitimation des Erlösers: Nachgelassene Sehr, von J . Fr. W. Jerusalem. Erster Theil, Braunschweig 1792, 2 4 1 - 2 6 2 . - Ders., Fünfte Betrachtung. Seine Lehre von Gott u. der Vorsehung u. das aus diesen beiden hohen Wahrheiten hergeleitete erste Grundgesetz die Liebe Gottes: ebd., 2 6 3 - 2 8 0 . - Ders., Sechste Betrachtung. Das zweite Grundgesetz: Liebe des Nächsten: ebd., 2 8 1 - 3 4 6 . - Joannes Nicolaus Kirchhoff, Dissertatio theologica De Christo homine

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105

obligatione legum divinarum antecedente et externa saluto, Halle 1742. - Gottfried Less, H b . der Christi. M o r a l u. der Allgemeinen L e b e n s - T h e o l . ( 1 7 7 7 ) , G ö t t i n g e n 3 1 7 8 7 . - J o h a n n David M i c h a elis, Gründliche Erklärung des mosaischen R e c h t s , mit Register v. J . G . P u r m a n n , F r a n k f u r t 1 7 7 0 - 1 7 7 8 2 1 7 7 6 - 1 7 8 0 . - J o h a n n Peter M i l l e r jun., Vollständige Einleitung in die theol. M o r a l überhaupt, u. in die M o s h e i m i s c h e insbesondere, Leipzig 1772. - J o h a n n Lorenz von M o s h e i m , Sitten-Lehre der Hl. Sehr., Bde. I - V Helmstedt/Leipzig 1 7 3 5 - 1 7 5 3 2 1 7 3 7 - 1 7 7 8 ; Bde. V I - I X verfasset v. J o h a n n Peter M i l l e r II, Halle 1 7 6 2 - 1 7 7 0 . - N i k o l a u s N a n n e s t a d , Specimen theologicum D e usu legis necessario, Halle 1750. - Franz V o l k m a r R e i n h a r d , System der christl. M o r a l , 3 Bde., I W i t t e n b e r g / Z e r b s t 4 1 8 0 2 ; II W i t t e n b e r g 4 1 8 0 5 ; III W i t t e n b e r g S 1 8 0 4 . - D e r s . , Ueber den Kleinigkeitsgeist in der Sittenlehre, M e i ß e n 1801. - J o h a n n M i c h a e l Sailer, H b . der christl. M o r a l . J . M . Sailers sämtl. Werke, unter Anleitung des V f . hg. v. J o s e p h W i d m e r , T h e i l e 1 3 - 1 5 , Neue Aufl., Sulzbach 1834. - J o h a n n S a l o m o Semler, Ascetische Vorlesungen, zur Beförderung einer vernünftigen Anwendung der christl. Religion, Halle, I 1772. - Ders., Versuch einer f r e i e m theologischen Lehrart, zur Bestätigung u. Erläuterung seines lat. B u c h e s , H a l l e 1777. - J o h a n n J o a c h i m Spalding, Über die B e s t i m m u n g des M e n s c h e n , Berlin 3 1 7 8 9 . - G o t t h i l f Samuel Steinbart, Prüfung der Beweggründe zur Tugend nach dem G r u n d s a t z der Selbstliebe, Berlin 1770. - Ders., System der reinen Phil, oder Glückseligkeitslehre des Christenthums für die Bedürfnisse seiner aufgeklärten Landesleute u. andrer die nach Weisheit fragen eingerichtet, Züllichau 3 1 7 8 6 . - W i l h e l m A b r a h a m Teller, Die Religion der V o l l k o m m n e r n , als Beilage zu seinem W ö r t e r b u c h , Berlin 1783. - Carl Christian T i t t m a n n , Christi. M o r a l , Leipzig 2 1 7 8 5 . - J o h a n n August Heinrich T i t t m a n n , Pragmatische Gesch. der T h e o l . u. Religion in der prot. Kirche während der zweyten Hälfte des 18. J h . Erster T h e i l , bis zur Erscheinung der krit. Phil., Breslau 1805. - J o h a n n G o t t l i e b T ö l l n e r , G r u n d r i ß der M o r a l t h e o l . für seine Z u h ö r e r , nebst dessen G e d a n k e n von der wahren L e h r a r t in derselben, F r a n k f u r t / O d e r 1762. Ders., Die ganze Religion D a n k , u. die ganze Religion Vertrauen: ders., T h e o l . Unters., R i g a , 1/1 1772, 1 0 8 - 1 6 2 .

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2.4. Kant Diese Rückbindung moralischer Praxis an das Prinzip der Glückseligkeit ist die negative Voraussetzung der Moralphilosophie I. ->Kants. Sie zielt auf eine Radikalisierung von Autonomie durch Kritik ihrer aufklärerischen Theoriegestalten. Denn wo die Tugend des Subjekts als Handeln um Glückseligkeit willen ausgelegt wird, werden moralische Handlungen von einem Z w e c k abhängig gemacht, der den Willen des Menschen noch heteronom bestimmt. Kants M o r a l p h i l o s o p h i e ist in strenger Entsprechung zur Kritik des theoretischen Vernunftvermögens konzipiert. Gegenüber „empirischen G e s e t z e n " ( „ N a t u r k a u s a l i t ä t " ) ist die transzendentale Subjektivität selbst gesetzgebend: in der Beziehung auf gegebenes Mannigfaltiges konstituiert sie einen Z u s a m m e n h a n g von R e g e l n , durch den Gegenständlichkeit als solche überhaupt erst möglich wird. Die transzendentale Struktur selbst aber k a n n nicht unmittelbar aus Subjektivität deduziert werden und ist dieser insofern gegeben. K a n t will folglich keine T h e o r i e einer reinen Selbstkonstitution der Subjektivität entwerfen, mit der dann eine unmittelbare Identität von T h e o r i e und Praxis

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gegeben wäre (J. G. -»Fichte). Die Einheit der Vernunft zeigt sich allein in den komplexen Beziehungen zwischen der Kritik des theoretischen und der des praktischen Vernunftvermögens. Der Grenze der theoretischen Vernunft entspricht die praktische Philosophie, indem sie als eine der Annahme transzendentaler Freiheit gegenüber selbständige Theorie von Freiheit sich aufbaut. Ein Wissen um moralische Verbindlichkeit kann gar nicht jenseits des je aktuellen Vollzugs vernünftigen Handelns gewonnen werden. Allein im Handeln selbst ist ein notwendiges Prinzip des Handelns erschließbar. Dieses Gesetz des Handelns repräsentiert insofern den einzigen Ort des Wissenkönnens praktischer Freiheit. Demgemäß muß die praktische Vernunft das Gesetz moralischen Handelns als ein reines „Faktum der Vernunft" hinnehmen. Nur sofern sich das Subjekt als unter dem Anspruch des „in uns gegeben(en) Gesetzes" (Werke 8,673) stehend erfährt, vermag es sich im Hinblick auf sein Wollen als frei zu erfahren. Aber gerade aufgrund des inneren Gegebenseins des Gesetzes weiß sich die Vernunft als der mittelbare Konstituent des Gesetzes. Um der Kompatibilität von Gesetz und Freiheit willen kann der Grund der Verbindlichkeit eines moralischen Gesetzes nicht aus empirischen Inhalten abgeleitet werden. Er ist a priori aus Begriffen der reinen praktischen Vernunft zu deduzieren. Diese Deduktion führt zum Begriff des Kategorischen Imperativs als der für Kant und die ihm folgende Tradition des philosophisch-theologischen Denkens signifikanten Bestimmung des vernünftigen Sittengesetzes (s. TRE 10,501,2ff). Autonomie wird nur entsprochen, wo das Kriterium guten Handelns als ein von keinen materialen Voraussetzungen abhängiges bzw. als ein unbedingtes Gesetz des Handelns bestimmt wird. Mit dem Kategorischen Imperativ macht Kant deshalb die bloße Form der Gesetzesfähigkeit einer Maxime des Handelns zum einzigen Kriterium ihrer moralischen Qualität: eine jede Handlung kann nur dann als gut gelten, wenn das subjektive Prinzip des Wollens, d.h. die Maxime der Handlung, zum praktischen Gesetz verallgemeinert zu werden vermag. Ethische Rationalität wird exklusiv über das Prinzip der Universalisierungsfähigkeit konstituiert. So lautet die erste Formulierung des Kategorischen Imperativs: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die Du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde" (Werke 6,51). Bisher ist weder die Tatsache befriedigend geklärt, daß Kant dem einen Sittengesetz mehrere Fassungen zu geben vermochte (vgl. Paton 134), noch konnten die verschiedenen Formulierungen des Kategorischen Imperativs ihrer Dignität nach systematisch überzeugend einander zugeordnet werden. Doch muß die schon vom theologischen Kantianismus, vor allem von J.H. Tieftrunk, besonders hervorgehobene sog. „Reich-der-Zwecke"-Formulierung als die systematisch umfassendste gelten (Reisinger [s.u. allg. Lit.] 245), weil sie direkt die Kompatibilität von Sittengesetz und Freiheit thematisiert. Das ideale „Reich der Zwecke" repräsentiert „die systematische Verbindung verschiedener vernünftiger Wesen durch gemeinschaftliche Gesetze", die alle Mitglieder des Reichs unbedingt verpflichten. Als Vernunftwesen stehen sie ausnahmslos unter dem Gesetz, sich wechselseitig niemals „bloß als Mittel, sondern jederzeit zugleich als Zweck an sich selbst behandeln" zu sollen (Werke 6,66). Im Reich reiner Sittlichkeit nimmt jedes endliche Vernunftsubjekt also eine zweifache Stellung ein: Es ist dem allgemeinen Vernunftgesetz Untertan und „Glied" des Reiches. Bezüglich seiner Vernunft stellt es jedoch auch ein „Oberhaupt" dar, weil „es als gesetzgebend keinem Willen eines andern unterworfen ist" (ebd.). Die „dritte Formel" des Kategorischen Imperativs expliziert deshalb die „Zusammenstimmung" eines besonderen Willens mit der Allgemeinheit der praktischen Vernunft (Gesetz) durch Rekurs auf die Vernunftstruktur dieser Allgemeinheit: Ein besonderer Wille stimmt mit der „Idee des Willens jedes vernünftigen Wesens als eines allgemein gesetzgebenden Willens" überein (63), wenn er als autonomer sich sich selbst unterstellt, d. h. seinem Begriff darin entspricht, daß er unter die Bedingungen des Resultats seiner Konstruktion, das Gesetz als sein eigenes Konstrukt, tritt. Die Verbindlichkeit des Gesetzes gründet insofern allein in der durch das Gesetz vermittelten freien Selbstentsprechung des Subjekts von Autonomie. Eine Nötigung zur Befolgung des Gesetzes kann allein aus den internen Gründen vernünftiger Selbstentsprechung hergeleitet werden. Aufgrund einer hohen kritischen Sensibilität für die Faktizität böser „Gesetzeslosigkeit" stellt Kant zwar lange Zeit Erwägungen darüber an, ob die Verbindlichkeit des Gesetzes nicht durch eine eigene vis obligatoria zu stärken sei. Seine zahlreichen Versuche (Überblick: Henrich, Der Begriff 98 ff), eine die innere rationale Einsicht in die Notwendigkeit moralischen Handelns transzendierende „Triebfeder" zur Moralität anzusetzen, führen jedoch alle in die Aporie, die apodiktische Geltung des Gesetzes in eine nur bedingte zu verkehren und darin die rationalen Grundlagen von Autonomie aufzuheben. Dies gilt auch für Kants moraltheologische Bemühungen, Sittlichkeit inhaltlich als „Würdigkeit glücklich zu sein" zu bestimmen. Weder die Aussicht auf Glück noch die Annahme eines intelligiblen Urwesens können eine innere Nötigung zur Befolgung des Gesetzes begründen, ohne zugleich den Begriff autonomen Handelns zu destruieren. Unter den Bedingungen der transzendentalen Wende dient Kants sog. Postulatenlehre deshalb nicht (mehr) einer Fundierung des Sittengesetzes, sondern der Bewältigung eines Folgeproblems von Autonomie: Der Glaube an Gott ist weder ein Seins- noch ein Beweggrund des guten Willens, sondern allein „ein Komplement gegen die Verzweiflung seiner Nichtigkeit" (Henrich a. a. O. 106). So ist die

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Moraltheologie Ausdruck eines skeptischen Wissens um die Fragilität von Autonomie: Im Sinne der Faktumslehre ,gibt es' Freiheit nur als Vollzug des Gesetzes. Dessen Realisierung durch das empirische Subjekt kann dann aber nicht durch externe (materiale) Motivation verstärkt werden. Sofern der Wille sich erst in der Bindung ans Gesetz als frei erfährt, ist „Achtung fürs Gesetz" die einzige der Autonomie kompatible Triebfeder sittlicher Praxis. Obgleich Kant diese „Liebe des Gesetzes", „das höchste für Menschen nie völlig erreichbare Ziel der moralischen Vollkommenheit endlicher Geschöpfe" (Werke 8, 813), insbesondere im Spätwerk auch als ein „moralisches Gefühl" bestimmt, soll sie kein vom Gesetz unabhängiges weiteres Handlungsmotiv repräsentieren (gegen Pleines), sondern sich allein dem Vollzug praktischer Freiheit verdanken. Dabei tritt allerdings das Problem auf, trotz der unbedingten Geltung des Gesetzes eine Differenz zwischen Geltungsanspruch (Sollen) und faktischer Realisierung thematisieren zu müssen. Zur Erklärung dieses Sachverhalts rekurriert Kant insbesondere in seiner Religionsschrift auf eine innere Labilität des - als natürliches Sinnenwesen nicht von Natur aus guten - Subjekts, sich auch gegen seine Freiheit bestimmen zu können. Obgleich innerhalb der praktischen Philosophie alle dem Ich gegenüber andere Wirklichkeit nur als Material der Realisierung autonomer Pflichterfüllung gedacht werden kann, ist Kant insofern weder Agent eines neuzeitlichen Titanismus der Freiheit noch Theoretiker einer abstrakt absoluten bzw. ,starken' Autonomie. Der Selbstgesetzgebung der praktischen Vernunft analog kann auch die Rechtslehre nicht auf einen materiellen Gehalt begründet werden. Irgendein Interesse an der optimalen Einrichtung menschlichen (Miteinander-) Lebens g e w ä h r t schon insofern kein sicheres F u n d a m e n t des Staates, als es nur empirisch bestimmt werden kann und darin notwendig umstritten bleibt. Einem Staat, der primär als Institut der Fürsorge für das Wohl seiner Bürger definiert wird, w o h n t , wie Kant in A u f n a h m e reformatorischer Grundeinsichten betont, die Tendenz inne, auch deren Heil besorgen zu wollen. „ D a s Prinzip der Glückseligkeit" richtet „ a u c h im S t a a t s r e c h t . . . B ö s e s " an: „ D e r Souverän will das Volk nach seinen Begriffen glücklich machen, und wird D e s p o t " (Werke 9 , 1 5 9 ) . Der Begriff des R e c h t s kann deshalb allein aus der Bestimmung von Freiheit als des „Vermögens, sich willkürlich Z w e c k e zu s e t z e n " gewonnen werden: R e c h t ist die freiwillige wechselseitige Einschränkung der Freiheit eines jeden „ a u f die Bedingungen, unter denen sie mit jedes anderen Freiheit nach allgemeinen Gesetzen z u s a m m e n bestehen k a n n " (Akademie-Ausgabe 6, 98; vgl. Werke 8, 3 3 7 ) . Folglich unterscheiden sich „ e t h i s c h e " und „rechtliche Gesetzgebung" allein durch die A r t ihrer Verbindlichkeit: Gebietet die Tugendpflicht ein Handeln aus innerer M o r a l i t ä t , so kann die Rechtspflicht rein aus „Legalität (Gesetzmäßigkeit)", d . h . „ o h n e Rücksicht auf die T r i e b f e d e r " der H a n d l u n g (Werke 8, 3 2 4 ) erfüllt werden. Quellen Kant/Gentz/Rehberg, Über Theorie u. Praxis, Einleitung v. Dieter Henrich, Frankfurt 1967. Immanuel Kant, GS, hg. v. der Kgl. Preuß. Akad. der Wiss., Abt. 1 - 4 , 24 Bde., Berlin 1910-1966. Ders., Werke in zehn Bde., hg. v. Wilhelm Weischedel, Darmstadt 1956 4 1975. Literatur Michael Albrecht, Kants Antinomie der praktischen Vernunft, Hildesheim/New York 1978 (Lit.). - Amandus Altmann, Freiheit im Spiegel des rationalen Gesetzes bei Kant, Berlin 1982. - B r u c e Aune, Kant's Theory of Morals, Princeton N . J . 1979. - Lewis White Beck, Kants „Kritik der praktischen Vernunft". Ein Komm. Ins Dt. übers, v. Karl-Heinz Iking, München 1974 (Kritische Information 19). - Maximilian Forschner, Gesetz u. Freiheit. Zum Problem der Autonomie bei I. Kant, München/Salzburg 1974 (Epimeleia. Beitr. zur Phil. 24). - Dieter Henrich, Das Prinzip der Kantischen Ethik: PhR 2 (1954/55) 2 0 - 3 7 . - Ders., Der Begriff der sittlichen Einsicht u. Kants Lehre vom Faktum der Vernunft: Die Gegenwart der Griechen im neueren Denken. FS Hans-Georg Gadamer, Tübingen 1960, 7 7 - 1 1 5 . - Ders., Über Kants früheste Ethik: KantSt 54 (1963) 4 0 4 - 4 3 1 . Frieder Lötzsch, Kritik der Autorität. Das Sittengesetz als pädagogisches Problem bei Luther, Kant u. Schleiermacher, Köln/Wien 1974. - Materialien zu Kants „Kritik der praktischen Vernunft", hg. v. Rüdiger Bittner u. Konrad Cramer, Frankfurt a . M . 1975 (Lit.). - Herbert James Paton, The Categorical Imperative. A Study in Kant's Moral Philosophy, London 1946; dt.: Der kategorische Imperativ. Eine Unters, über Kants Moralphil., übers, v. Karen Schenck, Berlin 1962. - JürgenEckhardt Pleines, Praxis u. Vernunft. Zum Begriff praktischer Urteilskraft, Würzburg/Amsterdam

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1983 (Elementa 28). - H a n s Willi Z w i n g e l b e r g , Kants Ethik u. das Problem der Einheit von Freiheit u. Gesetz, B o n n 1969 (Abh. zur Phil., Psychologie u. Pädagogik 6 1 ) .

3. 19.

Jahrhundert

Angesichts der wachsenden Komplexität der Wirklichkeitserfahrung löst sich im Übergang vom 18. zum 19. Jh. der Gesetzesbegriff in eine Vielzahl konkurrierender Bedeutungen auf. Die krisenhaften politischen und ökonomischen Folgen der Realisierung des aufklärerischen Programms einer Alleinherrschaft der Vernunft lassen bisher unbekannte Dimensionen der überindividuellen Bestimmtheit menschlichen Handelns erkennen. Die die unmittelbare Selbstgewißheit der Autonomie rationaler Praxis erschütternden Erfahrungen der revolutionären Schreckensherrschaft und der von England ausgehenden tiefgreifenden Revolutionierung des Produktionsprozesses führen zu einer umfassenden Diskussion möglicher Bedingungen und Grenzen der praktischen Transformation von Vernunftansprüchen. Folgenreichstes Ergebnis dieser ersten großen Debatte über das Selbstverständnis der mit der bürgerlichen Emanzipation heraufgeführten spezifisch modernen Welt ist die Formulierung von besonderen Gesetzmäßigkeiten in Geschichte, Gesellschaft und Ökonomie. Im Kontext der Verselbstständigung,positiver' Erfahrungswissenschaften und der Spezialisierung der Naturwissenschaft zu einem Ensemble besonderer Disziplinen treten zu diesen historischen, sozialen und ökonomischen Gesetzen noch biologische und psychologische Gesetze hinzu. Die Wissenschaftsgeschichte seit dem letzten Drittel des 18. Jh. läßt sich als Prozeß einer zunehmend intensiveren Aufklärung solcher Regelzusammenhänge und ,objektiven' Gesetzmäßigkeiten begreifen, die entweder menschlicher Natur- und Weltbemächtigung vorgegeben sind oder aber im Vollzug solcher Praxis jenseits des bewußten Willens der Einzelnen sich erzeugen. Zum emanzipatorischen Pathos der Konstruktion der Wirklichkeit rein nach den Gesetzen der Vernunft tritt zunehmend eine stark durch spezifisch religiöse Sprachtraditionen geprägte Metaphorik von Determinismus und Abhängigkeit in kritische Konkurrenz: Im praktischen Vollzug des Fortschritts entdecken die Ingenieure einer neuen Welt, wie ,hinter ihrem Rücken' eine Realität sich herstellt, die sie so nicht gewollt haben. D e r einzelwissenschaftlichen Spezialisierung des Gesetzesbegriffs entsprechend gibt es seit dem Ausgang des 18. J h . auch innerhalb der T h e o l o g i e weder einen inhaltlichen Konsens über die theologische Relevanz der traditionell mit dem Gesetz verbundenen ethischen T h e m a t i k noch auch einen die besondere Begrifflichkeit der einzelnen E n t w ü r f e übergreifenden einheitlichen S p r a c h g e b r a u c h . Im Streit um die politisch-sozialen Folgen des alle Lebensbereiche der Gesellschaft umfassenden Modernisierungsprozesses können notwendig die dem Christentum eigenen ethischen Orientierungsleistungen n u r m e h r k o n t r o v e r s b e s t i m m t werden. D i e Stellung des Christentums zur bzw. innerhalb der modernen Welt wird zum Gegenstand einer theologischen D e b a t t e , in der nun sehr viel direkter als zuvor E l e m e n t e der religiösen Tradition zur Rechtfertigung der besonderen politischen O p t i o n e n in Anspruch g e n o m m e n w e r d e n , die die inhaltliche Bestimmtheit der F o r t f ü h r u n g des Modernisierungsprozesses betreffen. Für die im Streit um die Aufklärung, insbesondere in der Antithetik von - » R a t i o n a l i s m u s und - > S u p r a n a t u r a l i s m u s , sich bildende „Positionelle T h e o l o g i e " (D. Rössler) des 19. J h . scheint ein bisher u n b e k a n n t e r Pluralismus konkurrierender ethischer E n t w ü r f e kennzeichnend.

In vielen der ca. 120 deutschsprachigen protestantisch-theologischen Ethiken des letzten Jahrhunderts spielt die Gesetzesthematik nurmehr die Rolle einer äußerlichen Erinnerung an traditionelle Lehrbestände: ethische Verbindlichkeit wird in Anknüpfung an Pietismus und Aufklärung hier gerade in Kritik des Gesetzes formuliert. Umgekehrt gewinnt der Begriff da an neuer Plausiblität, wo in der Auseinandersetzung mit dem transzendentalphilosophischen Autonomieverständnis nicht aus Autonomie selbst zu deduzierende Voraussetzungen menschlicher Freiheit zum besonderen Thema der Theologie erklärt werden: An die Stelle der begrifflichen Distinktionen der Tradition tritt hier eine Lehre von der Theonomie, d.h. der göttlichen Konstitution menschlicher Freiheit. Doch können auch die Lehrbestimmungen der Tradition eine nicht weniger plausible Aufwertung erfahren, wo, u.a. im Interesse der Stabilisierung eines konfessionellen Sonderbe-

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wußtseins, eine Kritik des aufklärerischen Freiheitsverständnisses im ausdrücklichen Rückgriff auf die Unterscheidungslehren von R e f o r m a t i o n und O r t h o d o x i e formuliert wird: z.T. übernimmt die Orientierung an der Differenz von Gesetz und Evangelium dabei auch die Funktion, die ethische Relevanz des Christentums wieder unmittelbar an seine explizit kirchliche Praxis zurückzubinden. Die intensive Diskussion zwischen den Repräsentanten dieser verschiedenen Positionen läßt jedoch erkennen, d a ß die Differenzen des Ansatzes der ethischen Theoriebildung nicht unmittelbar auf politische Positionsunterschiede abgebildet werden können. In den Grundintentionen stimmen alle diese Entwürfe darin überein, im M e d i u m eines systemischen Gesamtentwurfs von Theologie eine Konstruktion der Einheit der Wirklichkeit zu versuchen. Diese Systeme sollen die zunehmende Komplexität und Differenziertheit der Lebenswelt in Hinblick auf die Freiheit des Subjekts transparent machen. Schwierigkeiten und Grenzen der materialen D u r c h f ü h r u n g dieses Programms werden seit der Mitte des Jh. d a r a n deutlich, d a ß der Versuch, die Totalität der Wirklichkeit analytisch zu durchdringen, nurmehr reduktionistisch w a h r g e n o m m e n werden kann: an die Stelle von Systemprogrammen treten zunehmend stärker (Selbst-) Darstellungen von „Weltanschauungen" ( H . G . Meier). 3. 1.

Schleiermacher

F. D. E. —• Schleiermacher entwickelt seine Freiheitslehre nicht als eine transzendentale Vermögenstheorie, sondern als Psychologie des empirischen Freiheitsbewußtseins. Darin drückt sich das Interesse an einer praxisrelevanten Konkretion von Freiheit in Hinblick auf die Lebensvollzüge des individuellen Subjekts aus. So theologisch einleuchtend dieses Interesse ist: jeder Versuch der theoretischen Explikation individueller Freiheit bringt die Schwierigkeit mit sich, Individualität allein in allgemeinen Begriffen der Vernunft erfassen zu können und darin dann selbst jene Abstraktion vom bestimmten Individuellen zu erzeugen, die um dessen Eigenrecht willen vermieden werden soll. Inwieweit Schleiermacher diesem G r u n d p r o b l e m aller Individualitätstheorie Herr zu werden vermag, ist bezüglich seiner Kritik des transzendentalphilosophischen Verständnisses von Autonomie umstritten. Denn die dieser Kritik korrespondierende Inanspruchnahme eines transzendenten Grundes der endlichen Freiheit provoziert die Frage, inwieweit die kategoriale Differenz von G r u n d und Gegründetem der intendierten Absolutheit des göttlichen Freiheits-,grundes' einerseits und dem u n a u f h e b b a r e n spontan-thetischen Element des Freiheitsvollzuges andererseits angemessen ist. Für Schleiermachers Gesetzesverständnis gewinnt diese Frage insofern besondere Relevanz, als er hinsichtlich des menschlichen Willens G o t t zum „Gesetzgeber" eines „Sittengesetzes als des transzendenten Grundes alles einzelnen Wollens" (Dialektik 283.285) erklärt. Dieses Gesetz soll die Verknüpfung individueller Handlungen zu einem „allen identischen Wollen" gewährleisten, ohne deren „Eigentümlichkeit" aufzuheben. Das „in dem absoluten Subjekt" (283) gegründete Sittengesetz der „Dialektik" (Wagner 128-134) steht aber zu den zahlreichen sonstigen Äußerungen Schleiermachers zur Gesetzesthematik in Spannung, die alle auf eine Kritik der Bemühungen zielen, normative Verbindlichkeit über ein Moralgesetz bzw. den Kategorischen Imperativ zu formulieren. In einer „Zeit", in der „Ethik und Physik nach nichts anderem zu streben scheinen, als nach einem System von Gesetzen" (SW III/2, 399), polemisiert Schleiermacher im Namen „freier Liebe und Lust" gegen eine moralische Praxis, die sich mit „Gesez und Pflicht" und „gleichförmig(em) Handeln" begnügt bzw. selbst den freien Austausch der Individuen „nach Einem Gesez" zu uniformieren sucht (Monologen 17.38.94). Die in ausdrücklicher Kritik sowohl der orthodoxen «sas-Lehre als auch der aufklärerischen Reduktion des neuen Gehorsams auf Christi „einziges Gebot" entwickelte Kritik des theologischen „Wert(es) des Gesetzes", wie sie im „Christlichen Glauben" sich findet (§ 112,5; vgl. 66, 2; 68,3; 83,2), entspricht dem insofern, als der Vollzug des christlichen Lebens - im Unterschied etwa zur Sphäre der „bürgerlichen Gesetzgebung" - nicht von dem „unter dem Einfluß des Christentums ausgebildeten Sittengesetz der Vernunft" her angemessen thematisiert werden kann. In mehreren das „Verhältnis des evangelischen Glaubens zum Gesez" (3. AugustanaPredigt 1830 zu Gal 2, 16-18: Dogmat. Predigten 36-51) behandelnden Predigten enwickelt

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Schleiermacher eine Kritik der Gesetzlichkeit, die die „Freiheit der Kinder Gottes" (19) nicht nur als Negation aller politischen „Knechtschaft", sondern auch als innere Unabhängigkeit von „irgendeiner menschlichen Sazung" auslegt. Diese Freiheit ist „nichts anderes... als die edle geistige Knechtschaft Christi" (24). Schleiermacher bindet die religiöse Autonomie der Christen also an ein „christologisches Geschichtsprinzip" (Grab 108 ff) zurück, durch das die christliche Freiheitsgeschichte auf Perfektibilität hin offengehalten wird. Diese von „radikale(r) Autonomie" zu unterscheidende „Christonomie" (Hirsch: Dogmat. Predigten 349) repräsentiert den systematischen Ort, von dem aus ein doppeltes Mißverständnis der christlichen Freiheit kritisiert werden kann: Die Emanzipation vom (jüdischen) Gesetz darf weder zur Bindung an die Positivität irgend einer „öffentliche(n) Sitte" oder „Lebensordnung" (Schleiermacher, a.a.O. 47.50) noch zur sittlichen Indifferenz pervertiert werden. Alle Texte Schleiermachers zur Ethik enthalten deshalb eine Kritik derjenigen „Formen der Sittenlehre..., welche... auf der Centralität des Begriffes Sittengesez" beruhen (SW 111/2,400). Eine an der „Form des Gebotes" orientierte „imperativische Ethik" negiert die spezifische Realität des Sittlichen (Phil. Sittenlehre §93). Und eine „christliche Sittenlehre", die als „geordnete Zusammenfassung der Regeln, nach denen ein Mitglied der christlichen Kirche sein Leben gestalten soll", konzipiert wird, ist keine „wissenschaftliche Darstellung der Disciplin" (Christi. Sitte = SW 1/12,1): „Wo der Geist ist und also der Mensch von selbst sich die Früchte des Geistes entwickelt, da ist kein Zusammenhang mit dem Gesetz mehr; für einen solchen existirt das Gesetz gar nicht mehr". Inhalt der christlichen Sittenlehre ist deshalb allein das, „was in dem Maße, als jener Geist wirksam ist, auch wirklich geschieht". Die Spannung zwischen dieser Kritik des Gesetzes und der positiven Inanspruchnahme eines „Sittengesetzes der Vernunft" löst sich insoweit auf, als dieses keine dem individuellen Subjekt externe Normativität darstellt: Die in der Selbsterfahrung des Individuums sich unmittelbar erschließende „Idee der sittlich handelnden Individualität selbst" (Herms 215) repräsentiert das Gesetz. Dieses wird von Schleiermacher insofern material gefaßt. Handeln nach einem rein formalen Imperativ ist unmöglich: ein objektiver Imperativ der Moralität kann nur dann zu einer bestimmten Handlung verpflichten, wenn er, der jeweiligen Situation entsprechend, einem Menschen über die „Identität" hinaus, die dieser mit allen anderen hat, „zugleich auf die ihm angemessene eigentümliche Weise" zu agieren gebietet (SW III/2, 393). Bestimmungsgrund des Handelns ist allein die für den Begriff der Individualität selbst konstitutive Identität von Allgemeinheit und Besonderheit. So wird mit dem Gesetz die dem Individuum je spezifisch eigene Bestimmung thematisiert. Deren Auslegung ist aber nicht notwendig an den Gesetzesbegriff gebunden. Die empirische Orientierung seines Theorieprogramms bringt es notwendig mit sich, daß Schleiermacher der Bestimmtheit menschlichen Handelns durch externe Gesetzmäßigkeiten besondere Beachtung widmet. Schon der junge hallische Student kritisiert die Kantische Abstraktion der Subjektivität aus dem Gesamtzusammenhang des sich wechselseitig determinierenden Endlichen. Wo Freiheit als transzendentales Vermögen gedacht wird, ist in einem sekundären Reflexionsgang dann die Beziehbarkeit der dem transzendentalen Ich prädizierten Freiheit auf das empirische Subjekt sicherzustellen. Dieses Vermittlungsproblem kann - nach Schleiermacher! - unter den Bedingungen der Transzendentalphilosophie nur im Sinne einer einseitigen Bestimmung der Sinnlichkeit durch Intellektualität gelöst werden, wodurch deren relative Differenz zu einer absoluten überhöht wird. Eine solche Dichotomisierung beider Elemente bleibt aber dem unmittelbaren Selbstbewußtsein äußerlich. Umgekehrt bringt die theoretische Rechtfertigung solcher Unmittelbarkeit die Schwierigkeit mit sich, das Zusammenbestehenkönnen praktischer Freiheitsakte mit faktischer Determination am Ort des Individuums begründen zu müssen: Freiheit ist „im Kähmen der mechanischen Gesetze äußerer Bewegung und der psychologischen Gesetze der Ideenfolge" (Herms 109) auszuweisen. Daß die Theorie der Freiheit als Teil einer empirischen Psychologie entfaltet werden soll, schließt deshalb notwendig die Aufgabe ein, auch Naturkausalität auf Freiheit hin transparent machen zu können. Infolgedessen wird der von Kant als absolute Differenz gefaßte „Unterschied zwischen Natur- und Sittengesez" (SW III/2, 397-417) so relativiert, daß unbeschadet der Determination durch Naturkausalität ein freies Handeln der Vernunft auf die Natur zum zentralen Thema der Ethik werden kann. Die „gewöhnlich angenommene" Differenz von Natur- und Sittengesetz (405) ist an einer antithetischen Bestimmung von Sein und Sollen orientiert, derzufolge das Naturgesetz betrifft, „was in der Natur durch sie wirklich erfolgt, das Sittengesez aber... was im Gebiet der Vernunft und durch sie erfolgen soll" (400). Diese Differenz wird von Schleiermacher negiert: Das Sittengesetz ist nur

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„ G e s e z insofern es auch ein Sein b e s t i m m t " (409), und umgekehrt unterstellen auch Naturgesetze nicht, „ d a ß alles v o l l k o m m e n nach dem Gesez v e r l a u f e " . Dies erlaubt es, Vernunft und N a t u r als einen die relativen Differenzen beider G e b i e t e umfassenden einheitlichen Z u s a m m e n h a n g zu begreifen. D a b e i repräsentiert der „intellectuelle P r o z e ß " den Teil der N a t u r , der „das allgemeine Leben unterordnen und aneignen s o l l " (414). Sofern es „das h ö c h s t e individuelle N a t u r g e s e z " ist, k a n n das Sittengesetz inhaltlich nicht mehr als ein seinsloses Sollen bestimmt werden. Es muß „die ganze W i r k s a m k e i t der Intelligenz auf die N a t u r " umfassen: „ D i e Forderung der G e w a l t des individuellen Seins über das Elementarische und Allgemeine als des höheren über das niedere S e i n " (416). Ethische R a t i o n a l i t ä t wird ausschließlich über den Anspruch der Vermittlung von Vernunft und N a t u r ausgelegt. Ethik muß zur universellen T h e o r i e der Kultur entgrenzt werden, weil die durch vernünftige Aufhebung der N a t u r konstituierten kulturellen B e s t ä n d e als solche sittliche Realitäten repräsentieren. „ N a t u r b e h e r r s c h u n g und Sittlichkeit sind in eins g e d a c h t " (Birkner 3 8 ) . D i e materiale Entfaltung der das „Einssein von Vernunft und N a t u r " (Phil. Sittenlehre § 110 ff) thematisierenden Kulturtheorie ist sowohl an der Differenz dreier Darstellungsformen der Sittlichkeit (Güter-, Tugend-, Pflichtenlehre) als auch an einem „ S c h e m a t i s m u s " vier verschiedener M o d i des Handelns der Vernunft a u f die N a t u r orientiert ( T R E 10,505 f). Innerhalb der Pflichtenlehre, die die innere M o t i v a t i o n des Willens beschreibt, ü b e r n i m m t der Begriff des Sittengesetzes z. T. die F u n k t i o n , die Verbindlichkeit der Idee der sittlich agierenden Individualität auszudrücken. Tugend- und Pflichtenlehre treten jedoch stark hinter die Güterlehre zurück: In einer an der objektiven R e a l i t ä t des Sittlichen orientierten E t h i k vermag der Gesetzesbegriff keine p r o m i n e n t e R o l l e m e h r zu spielen.

Die dem Begriff traditionell zuerkannte Integrationskraft wird von Schleiermacher bestritten: Im Gesetz drücke sich nur eine abstrakte Selbstunterscheidung der Vernunft von der Realität aus, obgleich diese das Produkt ihrer eigenen Tätigkeit sei. „Wenn das ethische Wissen als Gesetz oder Sollen gestaltet wird: so drückt es weder das Ineinander von Vernunft und Natur noch das Verschwinden Ihres Außereinander als Handlung der Vernunft aus, also kein wirkliches Sein, sondern nur ein bestimmtes Außereinander, also ein Nichtsein" (Phil. Sittenlehre §93). Wo Autonomie allein jenseits der Welt geltend gemacht wird, ist die Vernunft ihrer tatsächlichen Wirklichkeit noch nicht inne geworden. Vor allem angesichts der von ihr selbst heraufgeführten Moderne muß sie sich in den kulturellen Beständen identifizieren. In der Beschreibung dieses Verwirklichungsprozesses der Vernunft kann, in Anlehnung an die Physik, dann auch der Gesetzesbegriff wieder eine Bedeutung für die Ethik gewinnen: „Die Sätze der Sittenlehre dürfen... nicht Gebote sein...; sondern sofern sie Gesetze sind, müssen sie das wirkliche Handeln der Vernunft auf die Natur ausdrücken" {$95). Diese Gesetze repräsentieren jedoch keine der Vernunft externe Bestimmtheit. Vielmehr müssen alle kulturellen „Gesetzmäßigkeiten" um der Freiheit willen an die Vernunft zurückgebunden werden. Andernfalls nimmt die gesellschaftliche Realität die Gestalt eines selbstregulativen Systems an, das den Freiheitsanspruch des Subjekts bedroht. Durch eine Praxis der Vergeistigung der Welt soll solche Verselbständigung des Allgemeinen verhindert werden. Doch schon in Schleiermachers Ethik selbst gewinnen die überindividuellen „Gemeinschafts"-Strukturen so sehr an Bedeutung, daß der religiöse Begriff individueller Freiheit nicht mehr ethisch identifiziert werden kann: „Der Einzelne (tritt) völlig in den Hintergrund" (Birkner 47). Die Gesetzmäßigkeit der Welt kann zwar auf die „eigenen Wesensgesetze" (49) der „Gesamtwirksamkeit" der Vernunft zurückgeführt werden. Aber die praktische Totalität dieses Vernunftprozesses wird für das Individuum nun selbst zu einem fremden Gesetz. Dies zeigt besonders deutlich die Ökonomie: Bezüglich der „Vertheilung der Arbeit" fordert Schleiermacher 1824/25, „daß das rein mechanische immer mehr verschwinde" (SW1/12, 479). Aber die um des Fortschritts der Freiheit willen geforderte „Erweiterung der Herrschaft über die Natur" (472) ist innerhalb der modernen Gesellschaft gerade durch eine Steigerung dieses „Mechanischen" bewirkt. Quellen Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher, D e r christl. G l a u b e . N a c h den Grundsätzen der ev. Kirche im Z u s a m m e n h a n g e dargestellt, 1 8 2 1 / 2 2 , hg. v. H e r m a n n Peiter. Krit. G A , hg. v. H a n s - J o a c h i m Birkner/Gerhard Ebeling, Abt. 1. Bd. V I I / 1 u. 2, Berlin/New Y o r k 1980 [ 2 1 8 3 0 . Aufgrund der 2 . Aufl. u. krit. Prüfung des T e x t e s neu hg. v. M a r t i n Redeker, Berlin 7 1 9 6 0 ] . - Ders., Die christl. Sitte nach

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den Grundsätzen der ev. Kirche im Zusammenhange dargestellt. Aus Schleiermacher's hsl. Nachlasse u. nachgeschriebenen Vorlesungen, hg. v. Ludwig Jonas, SW 1/12, Berlin 1843 2 1884. - Friedrich Schleiermachers Dialektik. Im Auftrage der Preußischen Akademie der Wiss. auf Grund bisher unveröff. Materials, hg. v. Rudolf Odebrecht, Leipzig 1942 = Darmstadt 1976. - Ders., Dogmatische Predigten der Reifezeit. Ausgewählt u. erläutert v. Emanuel Hirsch. KS u. Predigten, hg. v. Hayo Gerdes/Emanuel Hirsch, Berlin, III 1969. - Ders., Grundlinien einer Kritik der bisherigen Sittenlehre, 1803: ders., SW 1II/1, Berlin 1846,1 - 3 4 4 . - Ders., Monologen nebst den Vorarbeiten. Krit. Ausg. v. Friedrich Michael Schiele 1902, 2 1914 (hg. v. H . Mulert) = 3 1978 (PhB 84). - Friedrich Schleiermacher's Phil. Sittenlehre, hg. u. erläutert v. J . H . v. Kirchmann, 1870 (PhB 24). - Ders., Ueber den Unterschied zwischen Naturgesez u. Sittengesez. Gelesen am 6. Januar 1825: ders., SW, Bd. III/2, Berlin 1838, 397-417.

Literatur Hans-Joachim Birkner, Schleiermachers Christi. Sittenlehre, 1964 (TBT 8). - Wilhelm Grab, H u m a n i t ä t u. Christentumsgesch. Eine Unters, zum Geschichtsbegriff im Spätwerk Schleiermachers, Göttingen 1980. - Eilert Herms, Herkunft, Entfaltung u. erste Gestalt des Systems der Wiss. bei Schleiermacher, Gütersloh 1974. - Falk Wagner, Schleiermachers Dialektik. Eine krit. Interpretation, Gütersloh 1974.

3.2. Hegel und

Hegel-Kritik

Das Problem einer Vermittlung von Allgemeinheit und Besonderheit bestimmt auch die ethische Theorie G.W.F. —»Hegels. Trotz grundlegender Differenzen in der Bestimmung des Begriffs freier Subjektivität weist sie in dreierlei Hinsicht eine bemerkenswerte Parallele zu Schleiermachers Kritik aller Gesetzesethik auf. Schon der Frankfurter Hegel formuliert eine Kant-Kritik, die „das erhabene Vermögen der Autonomie der Gesetzgebung der reinen praktischen Vernunft" zum Ort der „Produktion von Tautologien" erklärt und gegen den „Formalismus" des Kategorischen Imperativs auf einem konkreten „Inhalt" und „Stoff" des Gesetzes insistiert (Werke 2,460 f). Da zur Regelung bestimmter Handlungen für das Prinzip der Universalisierungsfähigkeit faktisch auf eine empirische Inhaltlichkeit rekurriert werden muß, die den Anspruch autonomer Selbstbestimmung destruiert, sucht Hegel nach einem dem Kategorischen Imperativ überlegenen Bestimmungsgrund des Handelns, der aufgrund seiner besonderen Materialität den wahren Sinn von Freiheit erfüllt. Dieses inhaltliche Freiheitsprinzip wird zunächst als „Liebe" und „Leben", dann als „Geist" bzw. - auf die praktische Vernunft bezogen - als „Sittlichkeit" bestimmt. Die Auslegung dieser Sittlichkeit, d . h . der eine bloß subjektive „Moralität" transzendierenden objektiven Realität der praktischen Vernunft, ist wie bei Schleiermacher entscheidend durch das Bewußtsein der Ambivalenz der —»Französischen Revolution geprägt: Obgleich Hegel den „Umsturz fast aller bürgerlichen Verhältnisse" (10,177) als das epochale Ereignis der modernen Freiheitsgeschichte feiert, entwickelt er aus der „ E r f a h r u n g . . . der französischen Freiheitsraserei" den „Grundsatz einer Staatswissenschaft" der spekulativen Vernunft, „daß Freiheit nur in der gesetzlichen Verbindung eines Volkes zu einem Staat möglich sei" (1, 555). Schließlich teilt er mit Schleiermacher das Bemühen um eine solche Selbstauslegung der Vernunft, die alle Wirklichkeitsbestände auf Freiheit hin transparent zu machen sucht: neben den der Vernunft unmittelbar eigenen Gesetzen — die „Gesetze des Denkens" oder „logischen Gesetze" sowie die „psychologischen Gesetze" (3, 226-232) - umfaßt der Prozeß der Selbstexplikation des Geistes nicht nur die „Gesetzmäßigkeit" des Ästhetischen (13,185-187) und die praktischen Gesetze, sondern auch „die Gesetze im eigentlichen Sinne", die Bewegungsgesetze der Natur (9,93). Die Gesetze der praktischen Vernunft entwickelt Hegel in seinen Grundlinien

der Philosophie

des

Rechts oder Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundrisse (1821). Systematischer Ausgangspunkt der Rechtsphilosophie ist „der Wille, welcher frei ist" (Grundlinien §4 = 7,46). Das Gesetz repräsentiert keine Gegeninstanz zu Freiheit, sondern in Rechtsverhältnissen tritt dem Menschen Vernunft entgegen. Die Darstellung der Freiheit als daseiender folgt dem „Stufengange der Entwicklung der Idee des an und für sich freien Willens" (87): Die unmittelbare Abstraktheit dieses Willens konstituiert die

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Sphäre des formellen Rechts, seine Reflexion in sich die der Moralität und die Vermittlung dieser beiden abstrakten Momente die allgemeine Existenz dieser Idee, die Sittlichkeit. Hier wird das „Recht als Gesetz" bzw. das „Dasein des Gesetzes" innerhalb der Entwicklung der das Mittlere zwischen Familie und Staat repräsentierenden „bürgerlichen Gesellschaft" entfaltet: Sofern das Ansichsein des Rechts auch gesetzt werden muß (positives Recht), läßt sich die Gesetzeslehre als rationale Konstruktion „der positiven Gesetzgebung" (365) aus der dem Vernunftbegriff des Rechts notwendig immanenten Verbindlichkeit begreifen. So ist nicht jedes gegebene Gesetz schon als solches mit dem identisch, „was an sich Recht ist" (364). Insoweit beruft sich die Kritik des Rechtspositivismus später zu Recht auf Hegel. Sie geht jedoch darin fehl, gegen die unmittelbare Gleichschaltung von Gesetz und Recht auf eine Substantialität zu rekurrieren, die jenseits der Vernunft gewonnen werden soll. Zwar hat Hegel insbesondere in seiner Staatslehre eine Theorie von Integration und Gesetzesbindung formuliert, die eine nur rechtlich formale Regelung der innerhalb des „Systems der Bedürfnisse" entstehenden sozialen Konflikte auf substantielle Sittlichkeit hin transzendiert. Aber die Inanspruchnahme der Religion für die Stärkung der inneren Verbindlichkeit der staatlichen Ordnung hängt von der für seine Religionstheorie konstitutiven Voraussetzung ab, daß religiöses Bewußtsein keine abstrakte Gegeninstanz zu Rationalität repräsentiert, sondern als eine bestimmte Form der Vernünftigkeit begriffen (und gestaltet) werden muß. Auch wenn Hegel in der Durchführung seiner Staatstheorie den Vernunftanspruch seiner Rechtslehre unterbietet, bleibt eine Differenz von Politik und Religion darin gewährleistet, daß das, was „der Staat fordert, die Gestalt einer rechtlichen Pflicht hat, und es gleichgültig ist, in welcher Gemütsweise (sie) geleistet wird". Sollen die Gesetze des Staates aber „auf religiöse Weise" gelten, so gefährdete er das „Recht der Innerlichkeit" (430). D a Hegel intensiver als S c h l e i e r m a c h e r die k l a s s i s c h e b r i t i s c h e N a t i o n a l ö k o n o m i e rezipiert, ist sein Begriff der G e s e l l s c h a f t d u r c h eine deutlich k r i t i s c h e r e E i n s i c h t in die der m o d e r n e n T a u s c h w i r t s c h a f t eigene D e s t r u k t i v i t ä t g e p r ä g t . A n g e s i c h t s der „ E n t z w e i u n g der bürgerlichen G e s e l l s c h a f t " soll der S t a a t als „ w a h r h a f t e r G r u n d " der Sittlichkeit (397) und institutioneller O r t der E i n h e i t von A l l g e m e i n h e i t und B e s o n d e r h e i t g a r a n t i e ren, d a ß „ d a s Sittliche als ein I m m a n e n t e s in die b ü r g e r l i c h e G e s e l l s c h a f t z u r ü c k ( k e h r t ) " (393). Die n ä h e r e Auslegung der d e m S t a a t und seinem G e s e t z eigenen V e r n ü n f t i g k e i t führt dann a b e r zu einer D e p o t e n z i e r u n g der Individuen im S t a a t e : I n d e m „ d a s e i n e . . . M o m e n t der Idee des vernünftigen W i l l e n s " ( 4 0 9 ) , die freie S e l b s t t ä t i g k e i t des Individuums e s k a m o t i e r t w i r d , k a n n freies H a n d e l n n u r m e h r als H i n g a b e an die Allgemeinheit des Staates g e d a c h t w e r d e n . Aus der B e s t i m m u n g des S t a a t e s als „ o b j e k t i v e r G e i s t " leitet Hegel die F o l g e r u n g a b , „ d a s I n d i v i d u u m (habe) selbst n u r O b j e k t i v i t ä t , W a h r h e i t und Sittlichkeit als es ein Glied desselben i s t " ( 3 9 9 ) . A u f g r u n d dieser „ N i c h t u n t e r s c h e i d u n g des o b j e k t i v e n G e i s t e s . . . v o m a b s o l u t e n " G e i s t G o t t e s ( L i e b r u c k s 6 0 6 ) n i m m t der über die A n t a g o n i s m e n der b ü r g e r l i c h e n G e s e l l s c h a f t gesetzte S t a a t nun selbst die Z ü g e eines individuelle Freiheit destruierenden Z w a n g s s y s t e m s an. In Kritik dieses „Untergang(s) des Individuums" entwickelt der durch Restauration und Erweckung beeinflußte F. J . -»Stahl eine Rechtstheorie, die von einem religiösen Begriff der Individualität her dem „Staat als Rechtsstaat" „Grenzen seiner Wirksamkeit" vorzuschreiben sucht: um einer rechtlich gesicherten „freie(n) Sphäre seiner Bürger willen" dürfen durch das Gesetz „die sittlichen Ideen von Staats wegen... nur bis zur nothwendigen Umzäunung" erzwungen werden (Phil, des Rechts 2, 137 f). Desto stärker wird im „Christlichen Staat" nun aber die Religion als Integrationsmittel in Anspruch genommen. Obgleich Stahl den Privatleuten neue subjektiv-öffentliche Rechte gegenüber dem Souverän zuspricht, ist seine „Rechtsordnung" vom liberalen Modell einer Teilhabe der Bürger an dessen Willensbildung weit entfernt: Anders als die vormärzlichen Liberalen K. von Rotteck und R. Mohl lehnt Stahl einen Gesetzesvorbehalt des Parlaments gegenüber Exekutivmaßnahmen ab. Angesichts der destruktiven Potenzen von Autonomie wird ein religiöser Begriff wahrer Freiheit geltend gemacht, der die unmittelbare innere Bindung an gegebene politische Ordnungsstrukturen einschließt. Die E n t w i c k l u n g eines solchen Begriffs religiöser A u t o n o m i e , d u r c h den zugleich Grenzen von Freiheit b e s t i m m t werden k ö n n e n , prägt a u c h die t h e o l o g i s c h e R e z e p t i o n der Hegeischen E t h i k . Hegel selbst p o l e m i s i e r t m e h r f a c h gegen die U n v e r b i n d l i c h k e i t eines Gefühls, das mit der ihm eigenen innerlichen „ G o t t s e l i g k e i t . . . sich die h ö c h s t e B e r e c h t i g u n g , . . . die O b j e k t i v i t ä t der G e s e t z e zu v e r a c h t e n , zu geben v e r m e i n t " ( 7 , 1 9 ) .

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Gesetz VI

Diese Kritik w e n d e t sich insbesondere gegen C. L. von Haller, der das vernünftige Gesetzesrecht durch ein an der G o l d e n e n Regel orientiertes „natürliches göttliches Gesetz" (Restauration 1,292) zu restaurieren fordert, welches „Gesetzgebung und Verfassung" (Hegel 7,405) überflüssig machen soll. D a ß Religion nicht den „ H a ß gegen das Gesetz" legitimiert, sondern sie gerade die „Verehrung g e g e n . . . Gesetze" als „Gottesdienst" weiß (20), ist auch die Grundtendenz der Ethik des systematisch bedeutendsten theologischen Hegelianers C. - > D a u b . Im Kant-Studium gewinnt er zunächst die Uberzeugung: „Der Verstand erkennt keine anderen Gesetze für die seinigen an, als seine eigenen" (Predigten 15). Als wichtigster theologischer Gesprächspartner Hegels entwickelt Daub dann auf der Basis einer umfassenden „Lehre vom Gesetz" eine Theorie der Konstitution vernünftiger Subjektivität aus der „Gesetzgebung Gottes". Weil Gott wesentlich Geist ist, zielt sein Gesetz auf die Begründung freien Weltumgangs: „Das Gesetz Gottes also als das des Geistes ist das Gesetz der Freiheit und als das für den Geist, das Gesetz für die Freiheit" (System 137). Diese Freiheit ist bedroht, wenn vom göttlichen Ursprung des Gesetzes abstrahiert wird. Angesichts des Zirkels der Konstitutionstheorie von Subjektivität, für die Genetisierung von Freiheit diese bereits in Anspruch nehmen zu müssen, insistiert Daub in Kritik der Fichteschen Identifizierung von Autonomie und Selbstsetzung auf einer theonomen Vermittlung des Freiheitsbewußtseins: „ . . . Autonomie kann ja wohl auch Theonomie sein und umgekehrt, warum die Theonomie zurückstoßen?" (29). Herkunft und Begriffsgeschichte von Theonomie sind bisher noch unerforscht. Erst die Aufklärung des Ursprungs des Begriffs, der wohl in den intensiven Kant-Debatten nach 1780 zu suchen sein dürfte, erlaubt eine Entscheidung darüber, inwieweit er von vornherein auch die politische Erfahrung der Selbstdestruktion von Autonomie im Prozeß ihrer abstrakten Realisierung ausdrückt. Die spätere Begriffsgeschichte ist stark durch diese politische Konnotation geprägt - nicht erst in unserem Jahrhundert, wo der Begriff insbesondere bei L. ->Ihmels, R. -»Otto, F. Brunstäd und P. -»Tillich zu einem Grundbegriff aufgewertet wird. In den Lexika des 19. Jh. findet sich der Begriff noch nicht; nach einer knappen Verweisung in R G G 1 bietet ein erster kurzer Artikel von Tillich (RGG 2 5,1128) eine Bestimmung des Begriffs, die zugleich seinen nach Weltkrieg und proletarischer Revolution in neuer Weise plausiblen politischen Erfahrungsgehalt reflektiert: „Gottesgesetzlichkeit... entsteht nicht durch Verzicht auf Autonomie", sondern durch deren „Vertiefung... bis zu dem Punkt, wo sie über sich selbst hinausweist". Theonomie verdankt sich der „Einsicht", daß die sich selbst überlassene Autonomie... zur Entleerung u n d . . . zur Erfüllung durch dämonisch-zerstörerische Kräfte" führt. Angesichts dieser politischen Implikation muß Theonomie vor der „Gefahr romantischer Mißdeutung" geschützt werden. Wie schwer dies ist, zeigt jedoch bereits die Begriffsgeschichte des 19. Jh. Schon bei Daub kann Theonomie zum Instrument der Relativierung von Autonomie auf einen transzendenten Grund der Freiheit hin werden, der allzu unmittelbar mit gegebenen politischen Ordnungsstrukturen gleichgeschaltet wird. In solcher Identifizierung von objektivem und absolutem Geist stellt der theonome Grund der Freiheit dann weniger eine Begründung, als vielmehr eine Bedrohung individueller Freiheit dar. Quellen Carl Daub, Predigten nach Kantischen Grundsätzen, Königsberg 1794 = Brüssel 1968. - Ders., Vorlesungen über die Prolegomena zur theol. Moral u. über die Prinzipien der Ethik. D. Carl Daub's phil. u. theol. Vorlesungen, hg. v. Ph. K. Marheineke/Th. Dittenberger, Berlin, III 1839. - Ders., System der theol. Moral, 3 Bde. ebd., Bde. IV. V/1/2, Berlin 1840-1843. - Carl Ludwig von Haller, Restauration der Staatswiss. oder Theorie des natürlich-geselligen Zustands; der Chimäre des künstlich-bürgerlichen entgegengesetzt, 6 Bde., Winterthur 1816-1834.-Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Werke in 20 Bde. Auf der Grundlage der Werke von 1832-1845 neu ed. Ausg., hg. v. Eva Moldenhauer/Karl Markus Michel, Frankfurt a . M . 1971. - Friedrich Julius Stahl, Die Phil, des Rechts nach gesch. Ansicht, 2 Bde., Heidelberg 1830 = Hildesheim/Darmstadt 6 1963. Literatur Die Flucht in den Begriff. Materialien zu Hegels Religionsphil., hg. von Friedrich Wilhelm Graf/Falk Wagner, Stuttgart 1982 (Dt. Idealismus. Phil. u. Wirkungsgesch. in Quellen u. Stud. 6). Hegels Phil, des Rechts. Die Theorie der Rechtsformen u. ihre Logik, Stuttgart 1982 (Veröff. der Internat. Hegel-Vereinigung 11). - Bruno Liebrucks, Sprache u. Bewußtsein. III Wege zum Bewußtsein, Frankfurt 1966. - Materialien zu Hegels Rechtsphil., 2 Bde., hg. v. Manfred Riedel, Frankfurt a . M . 1975. - Manfred Riedel, Freiheitsgesetz u. Herrschaft der Natur-Dichotomie der Rechtsphil.: ders., System u. Gesch. Stud. zum hist. Standort von Hegels Phil., Frankfurt a.M. 1973, 96-120.

Gesetz VI

3.3. Die objektive

Gesetzmäßigkeit

von Natur und

115

Geschichte

„ E s ist ein das W i s s e n g a n z zerstörender W i d e r s p r u c h , im Verlauf der G e s c h i c h t e eine G e s e t z m ä ß i g k e i t e n t d e c k e n zu wollen, das G e s e t z a b e r nicht in der handelnden Vernunft zu s u c h e n . . . " ( S c h l e i e r m a c h e r , Phil. E t h i k § 9 5 ) . S o l c h e R ü c k f ü h r u n g aller transsubjektiven Gesetzlichkeit a u f eine k o n s t r u k t i v e Vernunft ist j e d o c h bereits im Ausgang des 18. J h . umstritten. D i e von J . G . - • H e r d e r 1 7 8 4 gestellte F r a g e „ I n der physischen N a t u r b e m e r k e n (wir) Gesetze, die w i r . . . u n w a n d e l b a r und r e g e l m ä ß i g finden. W i e , und das R e i c h der M e n s c h h e i t mit seinen K r ä f t e n , Veränderungen und Leidenschaften sollte sich dieser N a t u r k e t t e e n t w i n d e n ? " (Ideen 104), g e w i n n t angesichts der R e v o l u t i o n s w i r r e n nicht nur bei den T h e o r e t i k e r n von - » R e s t a u r a t i o n und politischer R o m a n t i k an Stichhaltigkeit. E . B u r k e b e h a u p t e t , d a ß , wenn die „ m e t a p h y s i s c h e n R e c h t e des M e n s c h e n in das bürgerliche L e b e n ü b e r g e h e n , . . . s i e . . . n a c h u n w a n d e l b a r e n Naturgesetzen von ihrem Wege a b w ä r t s g e b r o c h e n w e r d e n " ( B e t r a c h t u n g e n 110). N a c h F. G e n t z und A . W . R e h b e r g k ö n n e n d e s h a l b „ G r u n d g e s e t z e der Bürgerlichen G e s e l l s c h a f t . . . allein von der B e o b a c h t u n g ü b e r . . . das Betragen des M e n s c h e n " g e w o n n e n w e r d e n ; „ T h e o r i e aus Prinz i p i e n " wird von einer „ T h e o r i e aus E r f a h r u n g " abgelöst ( R e h b e r g : Kant/Gentz/Rehberg [ s . o . Quellen 2 . 4 ] 127), die eine t r a n s r a t i o n a l e O b j e k t i v i t ä t eigener Gesetze der W i r k l i c h k e i t erschließt. Auch die T h e o r e t i k e r einer F o r t f ü h r u n g der R e v o l u t i o n wie die -•Frühsozialisten gründen ihre P r o g r a m m e a u f eine innere G e s e t z m ä ß i g k e i t der G e schichte jenseits m e n s c h l i c h e r P r a x i s . D i e Vernunft des H a n d e l n s liegt nun darin, sich mit dem allgemeinen Bewegungsgesetz der G e s c h i c h t e in U b e r e i n s t i m m u n g zu bringen (vgl. T R E 1 0 , 5 0 8 , 2 3 ff). Auch die E n t w i c k l u n g der N a t u r w i s s e n s c h a f t e n von der romantisch-idealistischen N a t u r p h i l o s o p h i e ( J . F . W . - » S c h e l l i n g ) zu empirischen Einzeldisziplinen ist wesentlich durch die E r s c h l i e ß u n g o b j e k t i v e r Gesetzeskausalitäten b e s t i m m t . D i e durch C h . - » D a r wins E n t d e c k u n g der S t e u e r u n g s m e c h a n i s m e n n a t ü r l i c h e r E v o l u t i o n b e w i r k t e „ R e v o l u tion der D e n k a r t " ( G ö l l 7 0 ) führt zu einer breiten K o n t r o v e r s e über das Verhältnis von D e t e r m i n i s m u s und Freiheit ( - » W i l l e / W i l l e n s f r e i h e i t ) , deren zentraler Streitpunkt der G e l t u n g s b e r e i c h natürlicher G e s e t z e ist. D a r w i n s A n h ä n g e r popularisieren sein law of evolution häufig zu einem die T o t a l i t ä t der W i r k l i c h k e i t determinierenden Universalgesetz, so d a ß die G e s e t z e der geschichtlichen A u ß e n - und m o r a l i s c h e n Innenwelt des M e n schen dem einen „in der N a t u r waltende(n) g r o ß e n G e s e t z des F o r t s c h r i t t s " (Strauß, G S 6 , 1 6 1 ) gleichgeschaltet werden. In Deutschland wird die Evolutionstheorie vor allem von E. Haeckel mit großem Erfolg weltanschaulich verallgemeinert: Weil Fortschritt ein „natürliches Gesetz" ist, dem keine menschliche Macht zu widerstehen vermag (zit. Kelly 22), realisiert sich „natürliche Sittlichkeit" in der Anpassung an die Bewegungsgesetze von Natur und Geschichte. Sofern es „in der Natur wie in der Geschichte nur Gesetzmäßigkeit, kein(en) Zufall" gibt, will der Materialist L. Büchner die religiöse Vorstellung einer „Freiheit des Willens" durch die Erkenntnis realer „Gesetze der moralischen Welt" ablösen (Wille 239.243). Nach J. Frauenstädts Naturgesetzen der sittlichen Welt modifiziert sich das nichtempirisch-abstrakte Sittengesetz Kants „auf dem Wege der Erfahrung" in „nur relative Imperative" der jeweiligen „Lage": „natürlich und sittlich fallen zusammen", und nach dem Vorbilde A. Comtes und H. Spencers wird Ethik zur „Statistik" der „Gleichmäßigkeit aller Erscheinungen" (242 f). Eine ethische Q u a l i t ä t des „ N a t u r g e s e t z ( e s ) der E n t w i c k l u n g " (GS 6 , 1 5 2 ) vertritt von den T h e o l o g e n allein D . F . - » S t r a u ß . S c h o n seine Glaubenslehre (1840/41) ist nach dem „ G r u n d g e s e t z e aller geschichtlichen E n t w i c k l u n g " ( 1 , 7 1 4 ) , dem „ G e s e t z der relativen U n v o l l k o m m e n h e i t aller A n f ä n g e " (1,180) k o n s t r u i e r t . In Der alte und der neue Glaube ( 1 8 7 2 ) wird die A n s c h a u u n g von „ O r d n u n g und G e s e t z " (GS 6, 93) zum zentralen Inhalt einer christentumskritischen R e l i g i o s i t ä t des emanzipierten Bürgers: sich dem „ E i n e n Inbegriff d e r . . . sich vollziehenden G e s e t z e " „ m i t liebendem Vertrauen e r g e b e n " (95), ist R e l i g i o n . M i t A . - » S c h o p e n h a u e r s K r i t i k des K a t e g o r i s c h e n Imperativs, M o r a l h a b e „es m i t dem wirklichen H a n d e l n des M e n s c h e n und n i c h t mit a p r i o r i s c h e m K a r t e n h ä u s e r b a u

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zu t h u n " (Preisschrift über Moral 130), weshalb ein „rein formales Gesetz" „niemals mit sogenannter absoluter Nothwendigkeit gelten könne" (143), bindet Strauß den „moralischen Imperativ... an einen wirklichen realen (!) Trieb der menschlichen N a t u r " zurück: „Alles sittliche H a n d e l n . . . ist ein Sichbestimmen des Einzelnen nach der Idee der Gattung" (GS 6,158 f). So zielt das Gesetz nun auf die Selbstpreisgabe des Individuums an die „Weltmaschine" (251). Diese abstrakte Prädominanz des Allgemeinen provoziert notwendig eine Kritik, die eine autonome Handlungskompetenz des Einzelnen einklagt: Gegen Strauß stimmen die „Kritik der moralischen Werthe", wie sie im Interesse einer unbedingten Willensmächtigkeit des starken Einzelnen F. —»Nietzsche formuliert (Zur Genealogie der Moral [1887] = SW 5,253; s. T R E 4,369,35 ff), und A. - • Ritschis Begründung eines religiös sittlichen eigenen „Werthes" der „Persönlichkeit" darin überein, daß die Individuen nicht „bloß Theile der Maschine" sind (Die christl. Lehre von der Rechtfertigung u. Versöhnung 3, 584; vgl. Nietzsche, SW 1, 188f). Diese Kritik ist jedoch nur dann begründet, wenn sich eine prinzipielle Differenz von Natur und Geist ausweisen läßt. Wenn hier ein qualitativer Unterschied negiert wird, muß dem Geschichtsgesetz eine den Naturgesetzen analoge Objektivität zugesprochen werden. „Wie Darwin das Gesetz der Entwicklung der organischen Natur, so entdeckte M a r x das Entwicklungsgesetz der menschlichen Geschichte", behauptet F. Engels (MEW 19,335f). Schon der junge K. - » M a r x verabschiedet eine „Freiheit des Menschen als isolierter... M o n a d e " . In Kritik des Hegeischen Staatsrechts (1843), nach einer „theologischen Vorstellung" des Staates die „ .gesetzgebende' Gewalt" zur „von der bürgerlichen Gesellschaft getrennten Existenz" zu hypostasieren, soll die Vermittlung von Allgemeinheit und Besonderheit deshalb direkt gesellschaftlich geleistet werden: „Der Wille soll hier nicht statt des Gesetzes gelten; sondern es gilt, das wirkliche Gesetz zu entdecken" (1,325). Die bürgerliche Gesellschaft ist durch einen Antagonismus zwischen „ökonomischen Gesetzen" und religös-moralischer Gesetzgebung bestimmt. Eine Koinzidenz von Privatinteresse und Allgemeininteresse kann deshalb nur durch Aufhebung des „allgemeinen Gesetzes der kapitalistischen Produktion" (Grundrisse 324.1098), des „Gesetzes der kapitalistischen Akkumulation" (Kapital 1 = M E W 23, 640-740), hergestellt werden. Dabei bleiben revolutionäre Umgestaltung der Gesellschaft und „ökonomische(s) Bewegungsgesetz der modernen Gesellschaft" jedoch unvermittelt: Den „Naturgesetzen der kapitalistischen Produktion" gemäß kann eine Gesellschaft auch dann, „wenn sie dem Naturgesetz ihrer Bewegung auf die Spur gekommen i s t . . . , naturgemäße Entwicklungsphasen weder überspringen noch wegdekretieren" (12.15). Schon F. Engels erklärt dieses „Bewegungsgesetz der Geschichte" dann zu einer sich jenseits des bewußten Handelns historischer Individuen wie Nationen und Klassen autonom realisierenden Objektivität (20, 87f). W.I. Lenin (-»Marx/Marxismus) kennt schließlich nurmehr ein subjektloses „Widerspiegelungsgesetz": „Die Anerkennung der objektiven Gesetzmäßigkeit der Natur und der annähernd richtigen Widerspiegelung dieser Gesetzmäßigkeit im Kopf des Menschen ist Materialismus" (Werke 14,150 f). Eine an der Spontaneität freien Bewußtseins orientierte Kritik solcher Gesetzmäßigkeit stellt für Lenin den Inbegriff des Aufzuhebenden dar: „Die Gesetze aus der Wissenschaft hinauszujagen bedeutet in Wirklichkeit nur, die Gesetze der Religion durchschmuggeln zu wollen" (20,196).

Unter dem Einfluß von -»Positivismus und französischer -»Soziologie wird seit der Mitte des Jahrhunderts Hegels These, „alle Wirklichkeit ist an ihr selbst gesetzmäßig" (Werke 3,135), auch innerhalb der Geistes- und Kulturwissenschaften zum Imperativ des wissenschaftlichen Fortschritts. G . T h . Fechner formuliert 1860 ein „psychophysisches Grundgesetz", demzufolge eine selbst gesetzmäßige Analogie zwischen mechanischen Gesetzen der körperlichen Welt und der Gesetzmäßigkeit psychischer Vorgänge besteht. W. Wundt erklärt die Psychologie zur Naturwissenschaft der Mechanik der seelischen Bewegungen. Unter dem Eindruck der Entdeckung zahlloser sozialer und ökonomischer Gesetze stellt K. Lamprecht „ein absolutes Gesetz der Gesammtentwicklung jeglicher menschlicher Gemeinschaft", das sog. „Gesetz der socialpsychischen Lebensentfaltung" auf (Begriff der Geschichte 579 f). An die Stelle eines „historischen Relativismus", der „keinerlei Absolutes und keinerlei Gesetz, das allgemein zwänge", kennt, treten „Lebensgesetze", die gleichermaßen „im naturgeschichtlichen wie im geschichtlichen Leben" gelten (588). So unterliegt nun selbst „die große Persönlichkeit", ansonsten der exemplarische Agent geschichtlicher Freiheit, dem „ehernen Gang gesetzmäßiger Kulturentwick-

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lung". Dies läßt verstehen, warum R. Eucken, der die Wissenschaftsgeschichte der Neuzeit insgesamt als einen einzigen „Kampf um das Gesetz" deutet, die Geistigen Strömungen der Gegenwart in religiösen Kategorien begreifen zu müssen meint: Ein „wunderlicher Kultus des Naturgesetzes" setzt „die Gesetze wie lebendige M ä c h t e . . . als einen Gegenstand andächtiger Verehrung an die Stelle der Gottheit" (151). Quellen Louis B ü c h n e r , Wille u. Naturgesetz: ders., Aus N a t u r u. W i s s e n s c h a f t . Stud., Kritiken u. A b h . , Leipzig 1862, 238 - 2 4 4 . - Edmund B u r k e , Betrachtungen über die franz. R e v o l u t i o n . In der dt. Übertr. von Friedrich G e n t z , bearb. u. mit einem N a c h w o r t v. L o r e Iser. Einleitung v. Dieter H e n rich, F r a n k f u r t a. M . 1967. - R u d o l f E u c k e n , Geistige S t r ö m u n g e n der G e g e n w a r t . D e r Grundbegriffe der G e g e n w a r t 6. umgearbeitete Aufl., Berlin/Leipzig 1 9 2 0 . - E r n s t H a e c k e l , M o n i s m u s u. N a t u r gesetz, 1906: ders., M o n i s t i s c h e Bausteine. M i t einer Einleitung hg. v. W i l h e l m Breitenbach, Heft 1, B r a c k w e d e i . W . 1914, 5 1 - 1 0 5 . - J o h a n n G o t t l i e b H e r d e r , Ideen zur Phil, der G e s c h . der M e n s c h h e i t = Werke in 5 Bde., W e i m a r , I V 1957. - Karl L a m p r e c h t , Uber den Begriff der G e s c h . u. über hist. u. psychologische Gesetze (1902): ders., Ausgew. Sehr. Z u r W i r t s c h a f t s - und Kulturgesch. u. zur T h e o r i e der Geschichtswiss. M i t V o r w o r t u. literarischen B e m e r k , v. H e r b e r t S c h ö n e b a u m , Aalen 1 9 7 4 , 5 7 3 - 5 9 6 . - W l a d i m i r Iljitsch L e n i n , W e r k e , ins D t . übertr. nach der 4 . russ. Ausg., hg. v. Institut für M a r x i s m u s - L e n i n i s m u s beim Z K der S E D , 4 0 B d e . , Berlin 4 1 9 6 5 ff. - Karl M a r x , G r u n d risse der Kritik der politischen Ö k o n o m i e , M o s k a u 1 9 3 9 / 4 1 = F r a n k f u r t / W i e n 1967. Ders./Friedrich Engels, Werke. H g . v. Institut für M a r x i s m u s - L e n i n i s m u s beim Z K der S E D , 3 9 Bde., 1 . - 3 . durchges. Aufl., Berlin 1960ff. - Friedrich Nietzsche, Sämtl. Werke. Krit. Studienausg. in 15 Bde., hg. v. G i o r g i o C o l l i / M a z z i n o M o n t i n a r i , B e r l i n / M ü n c h e n 1 9 8 0 . - Arthur S c h o p e n h a u e r , Preisschrift über die Grundlage der M o r a l , mit einer Einleitung, Bibliogr. u. Registern hg. v. H a n s Ebeling, 1979 (PhB 3 0 6 ) . - David Friedrich Strauß, D e r alte u. der neue G l a u b e . Ein B e k e n n t n i g , Leipzig 1872 = B o n n 9 1 8 7 7 : G S v. D a v i d Friedrich S t r a u ß . N a c h des Verf. letztwilligen B e s t i m m u n gen zusammengestellt. Eingeleitet u. mit erklärenden N a c h w e i s u n g e n versehen v. Eduard Zeller, B o n n , VI 1 8 7 7 , 1 - 2 5 4 . - Ders., Die christl. Glaubenslehre in ihrer gesch. Entwicklung u. im K a m p f e mit der modernen W i s s . , 2 Bde., T ü b i n g e n / S t u t t g a r t 1 8 4 0 / 4 1 = D a r m s t a d t 1973. - R u d o l p h Wilhelmi, D e r sittliche M e n s c h aus seinem psychologischen G e s e t z entwickelt, Leipzig 1891.

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3.4. Die theonome

Freiheit der religiös-sittlichen

Persönlichkeit

„Keine unter den theologischen Disciplinen i s t . . . in der neueren wissenschaftlichen Theologie so verschieden behandelt... worden wie die Ethik." Diese „Uneinigkeit der Ethiker" (Köstlin, Aufgabe 581) prägt auch die Geschichte des theologischen Gesetzesbegriffs im 19. Jh. Sowohl zahlreichen dogmatischen Kontroversen über die Begründbarkeit des Gesamtsystems der Theologie auf die reformatorische Unterscheidung von -»Gesetz und Evangelium als auch intensiven Debatten über ein göttliches Gesetz der Geschichte liegt ein fundamentaler Dissens über das theologische Wirklichkeitsverständnis insgesamt zugrunde. Dieser Dissens bildet sich an der angesichts der politisch-sozialen Folgen von Aufklärung und neuer Ökonomie notwendig umstrittenen Frage, inwieweit die am Prinzip des kulturellen Fortschritts orientierte moderne Welt theologisch als eine legitime Realisierungsgestalt des Christentums begriffen werden kann. Indem sich die verschiedenen theologischen Parteien wechselseitig eines falschen Gebrauchs des Gesetzes bezichtigen, suchen sie ihr jeweiliges Bild der Gegenwart mit der Substanz ihrer Sicht der Tradition gleichzuschalten. So erklärt beispielsweise die E K Z (-*Hengstenberg, E. W.) die „neuere Vermittelungstheologie" zu einer „antinomistischen Richtung" (Wuttke, Verkehrung 534). Damit wird im Medium dogmatischer Kritik der Vorwurf einer religiös illegitimen Anpassung des christlichen Glaubens an eine Gegenwart erhoben, die man selbst nicht mehr in der

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Kontinuität der Christentumsgeschichte zu begreifen v e r m a g : „ W i r reden von denen, w e l c h e . . . den tiefgreifenden Gegensatz des christlichen Geistes und des Geistes der unchristlichen Welt nicht a n e r k e n n e n . . . " (ebd.). U m g e k e h r t attestieren m a n c h e Vermittlungstheologen ihren konfessionell-lutherischen Kritikern einen N o m i s m u s , der die „vielverzweigte, verwickelte, labyrinthische Mannigfaltigkeit" der „menschlichen Handl u n g e n " (Köstlin, Aufgabe 5 8 1 ) nicht angemessen erfassen könne. Zugleich m a c h e n Vertreter aller Positionen die Gesetzeslehre zum Gegenstand intensiver „Untersuchung(en) der sittlichen D o g m e n g e s c h i c h t e " (Nitzsch, G e s a m m t e r s c h e i n u n g 8). Diese Historisierung der ethischen Reflexion läßt erkennen, d a ß m a n auf allen Seiten des theologischen Spektrums die O r t s b e s t i m m u n g der christlichen Subjektivität innerhalb einer an Komplex i t ä t w a c h s e n d e n Welt, die nicht m e h r unmittelbar an a u t o n o m e Weltgestaltung zuräckgebunden werden kann, als zunehmend schwieriger empfindet. Im Streit um das Gesetz wird seit der M i t t e des 19. J h . erstmals jenes G r u n d p r o b l e m des neueren Protestantismus verhandelt, das in unserem J a h r h u n d e r t d a n n zum wichtigsten K o n t r o v e r s t h e m a der theologischen Ethik avanciert: die sog. Eigengesetzlichkeit der weltlichen Ordnungen. Der Hallesche Systematiker A. Wuttke wendet in der E K Z 1865 gegen die „von dem Gesetze des Glaubens sich frei dünkende Vermittelungstheologie der neuesten Zeit" ein, „besonders drei Gebiete(n)" eine falsche Autonomie gegenüber dem „unmittelbaren göttlichen Gesetz" zuzugestehen: Dies ist „das Gebiet der geschichtlichen Kritik der biblischen Schriften, das Gebiet der Naturwissenschaft und das Gebiet der öffentlichen Meinung... Alle diese Gebiete, sagt man, oder wenigstens die beiden ersten, sind unabhängig vom Glauben, und gehen mit vollem Selbständigkeitsrechte ihren eigenen Weg; und das Gesetz des Glaubens... gilt hierin nichts" (536). Die dezidiert konservative Kritik solcher Selbständigkeit erhebt demgegenüber den Anspruch, sogar die „Auffassung der Natur" dem göttlichen Gesetz gemäß normieren zu können (538). Die Irrealität dieses Programms zeigt jedoch, in welch starkem Maße die religiös motivierte Kritik der spezifisch neuzeitlichen Autonomisierung einzelner Lebensgebiete selbst von der Unvermitteltheit des traditionellen theologischen Gesetzesverständnisses mit der Begriffsbildung der modernen Wissenschaften zeugt. Sofern der Anspruch auf theologische Integration nicht mehr empirisch eingelöst werden kann, dient der Rekurs auf das Gesetz Gottes faktisch bloß zur Konstitution eines religiösen Sonderbewußtseins gegenüber einer angeblich achristlichen „modernen Bildung" (539). Diese Antithese bildet aber nur in anderer Weise die Partikularität des theologischen Gesetzes ab, die die Vermittlungstheologie durch Anerkenntnis einer relativen Selbständigkeit der Gesetze der Vernunft thematisiert. In den theologischen Debatten der zweiten Hälfte des 19. Jh. läßt sich der Begriff ,Eigengesetzlichkeit' bisher nicht nachweisen. Die Genese des Begriffs ist erst unzureichend geklärt. A. Hakamies These, der Begriff sei theologischen Ursprungs und möglicherweise von K. ->Holl geprägt („Eigengesetzlichkeit" 15ff. 51 f), wird von M . Honnecker mit Verweis auf Texte M . -»Webers bestritten (Das Problem 96f; vgl. Huber 29ff). Sein Versuch, Weber „die Priorität der Prägung des Begriffs zuzusprechen" (98), kann jedoch nicht überzeugen. Schon 1900 spricht G. Simmel davon, daß „die Gebilde des Staats und des Kultus... ausschließlich aus geistigen Kräften gebildet und zu keinem Kompromiß mit der Eigengesetzlichkeit äußerer Materie gezwungen" seien (Phil, des Geldes 205). Dieser Bezug von Eigengesetzlichkeit auf den Gegensatz von Geist und Natur legt es nahe, den Ursprung des Begriffs in den wissenschaftstheoretischen Debatten um den Objektivitätsanspruch des naturwissenschaftlichen Gesetzesbegriffs zu suchen. Im 19. Jh. bildet sich das Bewußtsein der faktischen Begrenztheit praktischer Autonomie in erster Linie an der Einsicht, daß die Eigenständigkeit der Natur nur bedingt aufgehoben werden kann. D e m herrschenden deterministischen Verständnis der Gesetze von N a t u r und Geschichte gegenüber insistiert die T h e o l o g i e auf einer praktischen Freiheit des individuellen Subjekts. Diese wird im Sinne einer religiös begründeten A u t o n o m i e ausgelegt. Auch wenn diese religiöse A u t o n o m i e innerhalb der einzelnen Schultraditionen inhaltlich different gefaßt wird, stimmen alle Positionen der T h e o l o g i e in der zweiten Hälfte des 19. Jh. deshalb in einem doppelten Interesse überein: Über die Unterscheidung von Naturgesetz und m o r a l i s c h e m (göttlichem) Gesetz suchen sie einerseits die bedrohte A u t o n o m i e des zumeist als religiös-sittliche Persönlichkeit gedeuteten Individuums zu stärken. Andererseits negieren sie ein Verständnis von Freiheit als absoluter Selbstmächtigkeit eines sich unmittelbar selbst bestimmenden Praxissubjekts. Gegen abstrakte A u t o n o m i e wird auf

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der Vermitteltheit v o n Freiheit insistiert und in der materialen Explikation dieser Vermittlungsstruktur dann zugleich ein Eigenrecht des Individuums gegen die Prädominanz des Allgemeinen geltend gemacht. D i e in der kontroversen Auslegung des Gesetzesbegriffs sichtbaren Differenzen zwischen den einzelnen theologischen Positionen beziehen sich allein darauf, wie diese beiden Interessen jeweils im T h e m e n b e s t a n d der T h e o l o g i e realisiert werden. Eine Neubestimmung des Subjekts der Ethik deutet sich bereits bei R. -»Rothe an. Ethik soll die Gesamtwirksamkeit der Vernunft auf die Natur thematisieren. Über die Identifikation der Wirklichkeit des Sittlichen in Institutionen verobjektivierter Humanität hinaus expliziert Rothe den „sittlichen Proceß" aber anders als Hegel und Schleiermacher auch in der Perspektive des Individuums (Theol. Ethik 1, 216ff). Freiheit ist dann als eine „immer höher gesteigerte Individualisierung" der „Persönlichkeit" zu denken (256). Für die Beschreibungen dieser Perspektive des sittlichen Prozesses hat der Gesetzesbegriff nurmehr sekundäre Bedeutung. J. -»Müller erklärt demgegenüber das Gesetz zur Grundkategorie seiner als Sündenlehre entfalteten Theorie des christlichen Subjekts. In Kritik der Kantischen Differenz von „transcendentaler und empirischer Freiheit" wird eine Theorie „realer Freiheit" des Individuums entfaltet (Christi. Lehre II, 6ff. 89ff). Das Prinzip unmittelbarer Autonomie hebt den Widerstreit gegen das Sittengesetz nicht auf, sondern perpetuiert ihn. Folglich kann wahre Freiheit des Individuums allein aus einem die Unmittelbarkeit des Selbstverhältnisses aufhebenden Gottesverhältnis begründet werden: „In diesem Verhältnis werden wir uns der sittlichen Gesetzgebung bewußt nicht als Autonomie, sondern als Theonomie" (107). Diese Auslegung des Gesetzes bringt jedoch die Schwierigkeit mit sich, ein faktische Allgemeinheit transzendierendes .höheres' Allgemeines in Anspruch zu nehmen, das potentiell selbst zur Bedrohung individueller Freiheit werden kann. Die weitere Entwicklung des Theonomiebegriffs ist deshalb durch die Einsicht in die Gefahren einer abstrakten Verselbständigung des Freiheitsgrundes gegenüber dem zu Begründenden geprägt. „Theonomie ohne Autonomie wird zu einem die freie Persönlichkeit vernichtenden theokratischen Absolutismus" warnt O. Pfleiderer (Grundriß 240). Und M. -»Kahler will zeigen, daß „die religiöse Freiheit von der Welt" nicht „nur der Widerschein der stärkeren Gebundenheit" ist (Wissenschaft 142 f). Trotz der zwischen ihren theologischen Programmen bestehenden fundamentalen Differenzen stimmen Theologen wie A.E. -»Biedermann, A. -•Ritsehl, J. -»Kaftan, H. Schultz und I. A. Dorner deshalb darin überein, die als Unterscheidung des Individuums von der Welt bestimmte religiöse Freiheit auf eine aktive Praxis der Weltgestaltung des Menschen hin zu konkretisieren: die religiös-sittliche Persönlichkeit bewährt ihre Freiheit darin, daß sie die Überlegenheit des Geistes über die mechanische Gesetzmäßigkeit der Natur selbsttätig zu realisieren vermag. Insofern bleibt die Explikation von Freiheit aber an den Gegensatz von Natur und Geist gebunden. Die Theonomie des Freiheitsbewußtseins und die Gesetzlichkeit von Natur und Gesellschaft können hier nur negativ vermittelt werden. Auch die konfessionell-lutherische T h e o l o g i e formuliert ein Verständnis der christlichen Freiheit, das im Kontext der Kritik unmittelbarer A u t o n o m i e auf eine sittliche Gestaltung solcher Lebensbereiche zielt, die sich gegenüber ethischer Praxis zu verselbständigen drohen. Im M e d i u m einer umfassenden dogmatischen Reformulierung der altprotestantischen Distinktionen v o n - » G e s e t z und Evangelium (Materialien: Schultz 6 2 f f ) konzipieren G. - » T h o m a s i u s , E. Sartorius, L. Schöberlein, K.F.A. Kahnis, A . F . C . —»Vilmar und die Vertreter der Erlanger Erfahrungstheologie (-»Erlangen) speziell auf den Christen oder die Kirche bezogene Handlungstheorien, die das Programm einer umfassenden Christianisierung der Welt beinhalten. D a s Gesetz wird auf die allmähliche Realisierung des Reiches Gottes hin ausgelegt. Dabei ergeben sich insofern erhebliche Positionsunterschiede, als der Verpflichtungscharakter der zehn Gebote umstritten bleibt. Für C. E. Luthardt ist das Gesetz Israels „ v o n ewiger und allgemeiner Bedeutung" (Vorträge 42), T h . - » H a r n a c k erklärt den D e k a l o g zum „Grundgesetz" des Gottesreiches, „das von uns v o l l k o m m e n erfüllt sein will" (zit. Schultz 177), und C . A . G . v. - • Z e z s c h w i t z faßt die „heiligen zehn G e b o t e " (Christenlehre 1,35 ff) im die „Einheit von Freiheit und Gebundenheit" (Apologie 199.216) symbolisierenden „Reichsgebote" der Liebe zusammen. Demgegenüber vermittelt F. R. H . v. -»Frank „freiheitliche und gesetzliche Bestimmtheit" des christlichen Lebens so, d a ß um der A b w e h r heteronomer „Repression . . . durch das Gesetz" (System 365 f) willen dieses als eine bloße „Formbestimmt-

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heit" des „christlich-sittlichen Werdens" (VII) nur den ,Hort und Halt' freier Selbstbestimmung repräsentiert (363.377). Das traditionelle Nacheinander von Gesetz und Evangelium kehrt Frank deshalb zur Vorrangstellung des Evangeliums vor dem Gesetz um. Dem entspricht bei A . v . —>Harleß eine Neuformulierung der traditionellen usus-Lehre auf ein innerliches „Gesetz Christi" hin (Mohaupt 193ff), das exklusiv den Christen bindet. In dem M a ß e , in dem die religiös-sittliche Praxis der christlichen Persönlichkeit oder der Kirche allein in Antithese zur gegebenen Welt bestimmt wird, ist die Theologie im Ausgang des 19. Jh. aber von einem fatalen Realitätsverlust bedroht. Wo die Lehre vom Gesetz für die Theologie insgesamt (noch) von konstitutiver Bedeutung ist, dient sie einseitig der Formulierung der Identität des christlichen Subjekts. Der Gesetzesbggriff leistet nun weder eine theologische Erschließung von Wirklichkeit noch auch die Erkenntnis objektiver Bestände der Sittlichkeit. Die im religiösen Gesetz in Anspruch genommene Transzendenz des Individuums gegenüber dem naturalistischen Gesetzesdeterminismus kann somit ausschließlich in einem religiösen Erleben verortet werden, welches auf abstrakte Jenseitigkeit zum Gegebenen fixiert bleibt. Daß ein religiös begründeter Freiheitsanspruch, der nicht mehr im gesellschaftlichen Weltumgang des Menschen identifiziert werden kann, sich in die Privatheit eines bloßen Selbstgefühls zu verflüchtigen und darin zum Schein zu werden droht, ist die zentral« Einsicht der Theologie des frühen 20. Jh. W. Herrmanns und E. Troeltschs Bemühungen um eine umfassende Neubegründung der Theologie zielen deshalb wesentlich darauf, die in der Unterscheidung des religiös-theologischen Gesetzes von der Gesetzlichkeit der Welt ausgesagte individuelle Freiheit nun selbst wieder in allgemeinen Bezügen geltend zu machen. Quellen F r a n z H e r m a n n R e i n h o l d v. F r a n k , System der christl. Sittlichkeit, Erlangen, I 1884 II 1887. D e r s . , G e s e t z u. E v a n g e l i u m : D o g m . Stud. Eine A u f s a t z s a m m l u n g , E r l a n g e n / L e i p z i g 1 8 9 2 , 1 0 4 - 1 3 5 . - J o h a n n e s G o t t s c h i c k , Gesetz, natürliches: R E 3 6 (1899) 6 2 8 - 6 3 2 . - G . C h r . Adolf v. Harless, Christi. E t h i k , Stuttgart 2 1 8 4 2 6 1 8 6 4 s 1 8 9 3 . - M a r t i n K a h l e r , D i e W i s s . der christl. Lehre von dem ev. G r u n d a r t i k e l aus im Abrisse darg., Leipzig 1887 3 1 9 0 5 = N e u k i r c h e n 1 9 6 6 : M i t einer Einf. v. M a r t i n Fischer. - J u l i u s K ö s t l i n , Die A u f g a b e der christl. Ethik mit R ü c k s i c h t auf ihre neuesten Bearbeitungen: T h S t K r 5 2 (1879) 5 8 1 - 6 5 1 . - Christoph E r n s t L u t h a r d t , Vortr. über die M o r a l des Christentums im W i n t e r 1 8 7 2 zu Leipzig gehalten, Leipzig 1 8 7 2 . - J u l i u s M ü l l e r , Die christl. Lehre von der Sünde, 2 B d e . , Breslau 3 1 8 4 9 . - C a r l I m m a n u e l N i t z s c h , Die G e s a m m t e r s c h e i n u n g des A n t i n o m i s m u s oder die G e s c h . der philosophirenden Sünde im G r u n d r i ß : T h S t K r 19 (1846) 7 - 7 2 = ders., Ges. A b h . II, G o t h a 1 8 7 1 , 3 1 5 — 4 0 4 . - D e r s . , Ueber G e s e t z u. E v a n g e l i u m mit besonderer Beziehung auf christl. G e m e i n w e s e n : D Z C W 2 (1851) 7 9 - 8 4 ; 1 8 1 - 1 9 2 ; 3 3 1 - 3 3 6 . - O t t o Pfleiderer, G r u n d r i ß der christl. G l a u b e n s - u. Sittenlehre als C o m p e n d i u m für Studirende u. als Leitfaden für den Unterricht an höheren Schulen, Berlin s 1 8 9 3 . - A l b r e c h t Ritsehl, D i e christl. Lehre von der R e c h t f e r t i g u n g u. Versöhnung, 3 Bde., Bonn 1874 4 1 8 9 5 . - Richard Rothe, Theol. Ethik, Wittenberg 1 8 4 5 - 1 8 4 8 . G e o r g S i m m e l , Phil, des Geldes, Berlin 1 9 0 0 ? 1 9 7 7 . - C a r l W e i z s ä c k e r , Gesetz: R E 1 5 (1856) 1 2 3 - 1 2 5 . - A d o l f W u t t k e , Die Verkehrung der christl. Freiheit in Gesetzesverachtung: E K Z 7 7 (1865) 5 3 1 - 5 4 3 . - C a r l Adolph G e r h a r d v. Z e z s c h w i t z , Z u r A p o l o g i e des C h r i s t e n t h u m s nach G e s c h . u. Lehre, Leipzig 2 1 8 6 6 . - D e r s . , Die C h r i s t e n l e h r e im Z u s a m m e n h a n g . Ein H i l f s b u c h für Religionslehrer u. reifere C o n f i r m a n d e n . I. Abtheilung. Die zehn G e b o t e u. der erste G l a u b e n s a r t i k e l , Leipzig 2 1 8 8 3 .

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Gesetz VI 4. Ausblick:

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Die Diskussion um die einzelwissenschaftlichen Gesetzesbegriffe wird im Ubergang vom 19. zum 20. J h . zunehmend stärker durch eine Erkenntniskritik geprägt, die die Möglichkeit eines für alle Wissenschaften gleichermaßen gültigen Objektivitätsideals ausschließt. Gegen die Übertragung des naturwissenschaftlichen Gesetzesverständnisses auf die Kultur- bzw. Geisteswissenschaften vertreten die für die Theologie gewichtigsten Repräsentanten des philosophischen Neukantianismus ( - > K a n t ) W. Windelband und H. Rickert eine methodische Differenz von nomothetisch verfahrenden Gesetzeswissenschaften und idiographisch beschreibenden Ereigniswissenschaften. Über diese Differenz sollen nicht unterschiedliche Objektbereiche des Erkennens, sondern eine Pluralität von Erkenntnisweisen der einen Wirklichkeit konstituiert werden. Alle empirische Realität ist individuell. Sie läßt sich deshalb nicht in exklusiv einer Begriffsform zureichend erfassen, sondern muß unter wechselnden Perspektiven betrachtet werden. Weil Erscheinungen nomothetisch nur in quantitierenden Relationen, nicht aber in ihrer qualitativen Besonderheit erfaßbar sind, kritisiert M . Weber die „verkehrte Behauptung", sozialwissenschaftliche Theoriebildung ziele auf die „Findung von Gesetzen", zugunsten eines Verständnisses kausaler Zurechnung, das der Eigentümlichkeit „individueller Tatsachen" (GAufs. 177. 245) entspricht. Der neukantianischen Destruktion aller objektivistischen Auslegungen des Gesetzesbegriffs analog formuliert auch die Lebensphilosophie eine radikale Kritik aller monistischen Erkenntnisansprüche: Theorie, die die Totalität welthafter Wirklichkeit einem universellen Gesetz zu subsumieren sucht, bleibt insofern inhaltlich blind, als sie die Komplexität und innere Differenziertheit der Welt allein in die tautologische Sichselbstgleichheit eines allgemeinen Begriffs verflüchtigt. G . Simmel wendet die neukantianische Kritik d o g m a t i s c h e r Absolutsetzung nomothetischen Erkennens noch einmal auf das Sittengesetz des ( N e u - ) K a n t i a n i s m u s selbst an. Weil K a n t „das Prototyp des Gesetzesbegriffs überhaupt aus der Naturwissenschaft und dem R e c h t e b e z i e h t " (Indiv. G e s e t z 182), k a n n er die Selbständigkeit des moralischen Lebens nur unangemessen erfassen. In intensiver Rezeption der F o r m a l i s m u s - K r i t i k Schleiermachers entwickelt Simmel die T h e s e , bezüglich individuellen H a n d e l n s k ö n n e es „ ü b e r h a u p t kein allgemeines G e s e t z " geben (Kant 105). An die Stelle des Kategorischen Imperativs tritt das „individuelle G e s e t z " , welches von der „persönlichen Individualität" des einzelnen her g e w o n n e n wird (Indiv. Gesetz 191).

Trotz heftiger wechselseitiger Kritik verbindet Neukantianismus und Lebensphilosophie ein an der Mannigfaltigkeit der Erscheinungswelt interessiertes offenes Wirklichkeitsverständnis. Die Rezeption ihrer Kritik aller theoretischen Monismen eröffnet der Theologie im frühen 20. J h . die Möglichkeit, die für die religiös-sittliche Persönlichkeit reklamierte Freiheit nun in den Beständen der Wirklichkeit selbst zu identifizieren. W. —»Herrmann konzipiert im engen Anschluß an Kant eine Theorie der moralischen Selbstgesetzgebung, die die praktische Allgemeinheit des Christentums durch den Nachweis einer notwendigen Korrespondenz von Autonomie und religiöser Bindung des Menschen zu begründen sucht. Demgegenüber entwickelt E. -»Troeltsch im Rekurs auf Schleiermachers kulturtheoretische Entgrenzung der Ethik das Programm einer „ethischen Theolog i e " (T. Rendtorff), die angesichts spezifisch moderner Bedrohungen von Autonomie überindividuelle Bestände realisierter Freiheit rekonstruieren soll. Die zwischen den Entwürfen Herrmanns und Troeltschs bestehende Alternative ist deshalb schon von ihren unmittelbaren Zeitgenossen als eine Erneuerung des Gegensatzes zwischen den EthikKonzeptionen Kants und Schleiermachers verstanden worden. Dies ist zumindest insoweit berechtigt, als Troeltschs intensive Auseinandersetzung mit Herrmann in erster Linie auf die Destruktion eines formalen Sittengesetzes zielt. Doch anders als bei Schleiermacher rückt dann keine in sich einheitliche Gesamtwirksamkeit der Vernunft auf die Natur ins Zentrum der Ethik. Aufgrund umfassender historischer Analysen der Geschichte des Sittengesetzes innerhalb der christlichen Ethik entwickelt Troeltsch vielmehr eine bemerkenswerte Sensibilität dafür, daß „das Christentum der Gegenwart" um einer der modernen Kultur angemessenen sozialethischen Praxis willen nicht mehr an den Lehrbeständen

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Gesetz V I

der Tradition sich zu orientieren vermag und „überhaupt neue Formulierungen und G e d a n k e n " der christlichen Ethik geboten sind (Gesetz: R G G 1 2 , 1387). Angesichts der der neuzeitlichen Individualitätskultur eigenen Pluralität und Vielschichtigkeit kann diese Ethik aber nicht mehr auf ein eindimensionales Rationalitätskonzept gegründet werden.

4.1. W. Herrmann In H e r r m a n n s „ E t h i k " nimmt das allgemeingültige sittliche Gesetz die systematische Zentralstellung ein. Auf der Basis eines an der Geist-Natur-Differenz orientierten dualistischen (aber nicht: dichotomischen) Wirklichkeitsverständnisses wird die relative Selbständigkeit der M o r a l i t ä t dahingehend bestimmt, die „Gestaltung menschlichen Lebens durch den N a t u r t r i e b " (12ff) zugunsten einer naturale Determination durch autonome Selbstbestimmung transzendierenden sittlichen Lebensführung aufzuheben. Der Mensch bzw. der Christ soll sich in der „unermeßlichen N a t u r und unter ihrem undurchbrechlichen G e s e t z " als derjenige erweisen, der „ n o c h einer ganz anderen W i r k l i c h k e i t " , der des Geistes, angehört (VII). H e r r m a n n deduziert das Sittengesetz vom Begriff des Vertrauens aus. Wer anderen Vertrauen entgegenzubringen vermag und sich selbst als ihres Vertrauens würdig erweist, ermöglicht durch wechselseitige Anerkenntnis persönlicher Selbständigkeit geistige Gemeinschaft und realisiert darin einen überindividuelPgeltenden allgemeinen Z w e c k , der für den einzelnen Willen eine unbedingte Forderung repräsentiert. Weil ausschließlich der M e n s c h selbst es ist, der diese Forderung an sich stellt, bestimmt Herrmann das Sittengesetz als A u t o n o m i e . Insofern entspricht sein Kategorischer Imperativ dem von Kant intendierten rein formalen C h a r a k t e r des Gesetzes. Auch wenn H e r r m a n n das Sittengesetz z . T . über die Z w e c k e von naturtranszendenter Selbständigkeit und geistiger Gemeinschaft ableitet, wird ethische Rationalität über das Prinzip unbedingt allgemeiner Gesetzlichkeit und nicht das Selbstinteresse der Persönlichkeit an ihrer Selbständigkeit gegenüber der Natur konstituiert. Deshalb soll auch das Spezifische der christlichen Ethik nicht in irgendwelchen materiellen Besonderheiten der Selbstgesetzgebung liegen. Christliche Sittlichkeit ist mit formaler A u t o n o m i e kongruent. Sie transzendiert diese nur insofern, als unter den Bedingungen der Herrschaft des Natürlichen erst der G l a u b e an die in Jesus Christus offenbare G n a d e Gottes die tatsächliche Befolgung des Gesetzes ermöglicht bzw. befördert. Insofern scheint H e r r m a n n , anders als K a n t , auf eine von der inneren rationalen Einsicht in die Unumgänglichkeit sittlichen Handelns noch einmal unterschiedene „ T r i e b f e d e r " der M o r a l i t ä t zu rekurrieren. Über die exegetischen Schwierigkeiten hinaus, Jesu eigene moralische Gesinnung und seine „sittlichen Weisungen" als Exempel von moderner Autonomie deuten zu müssen, wird dadurch erneut die intendierte Unbedingtheit des Handelns aus Freiheit tangiert. In der materialen Durchführung seines T h e o r i e p r o g r a m m s unterbietet H e r r m a n n den von ihm selbst formulierten Rationalitätsanspruch. Folgt man Troeltschs Kritik, liegt das ungleich gewichtigere „ G r u n d p r o b l e m der E t h i k " Herrmanns aber darin, so sehr auf ein monadisches Verständnis des Subjekts fixiert zu bleiben, daß die objektiven Z w e c k e gesellschaftlicher Institutionen völlig hinter die subjektiven Z w e k ke der Persönlichkeitsethik zurücktreten.

4.2. E. Troeltsch Schon der junge - » T r o e l t s c h entwickelt seine theologische Individualitätstheorie in Hinblick auf die Bedrohung von Freiheit durch eine szientifische Sicht der Welt als eines kausalmechanisch gesteuerten universellen Gesetzeszusammenhanges. In Auseinandersetzung mit dem „kosmischen Gesetzesbegriff und seinem M o n i s m u s " , demzufolge „das im gewöhnlichen Leben als Freiheit Erscheinende als Abwandlung von Naturgesetzen" behauptet wird ( Z T h K 3 [1893] 5 0 7 . 5 0 2 ) , will Troeltsch die Beschränktheit des naturwissenschaftlichen „Weltgesetzes" nachweisen. Auch wenn in der M o d e r n e „der Begriff des

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Gesetzes zum Zentralbegriff des Weltverständnisses überhaupt g e w o r d e n " ist (Gesetz: R G G 1 2 , 1 3 7 4 ) , läßt sich die Totalität des Weltprozesses nicht einem einheitlichen Universalgesetz subsumieren. Denn „die a u t o n o m e Selbstgesetzgebung des logischen Denkens, des ethischen Urteils, der ästhetischen Schauung ist aus einem derartigen Gesetzesablauf nicht zu b e g r ü n d e n " (1375). W i e der Neukantianismus und H e r r m a n n sprengt Troeltsch allen Gesetzesmonismus durch einen Dualismus von Naturgesetzlichkeit und eigener Gesetzgebung des Geistes auf: „In dem Gegensatz dieser beiden Gesetzesbegriffe besteht das Wesen der Freiheit und der fundamentale innere Gegensatz der W i r k l i c h k e i t . . . " (1376). D o c h wird dieser Dualismus dann noch auf ein sehr viel offeneres Verständnis der Wirklichkeit als eines Ensembles unendlich vieler individueller Totalitäten hin entgrenzt. Selbst wenn die eigenen Gesetze der Vernunft einem „radikalen Rationalismus der Allgemeingesetzlichkeit" (Die Absolutheit 27) subordiniert werden können, „bleibe doch eine Seite des Wirklichen übrig, die mit Gesetzesbegriffen überhaupt nicht bewältigt werden kann, nämlich das Individuelle" ( R G G 1 2 , 1 3 7 6 ) . Im H o r i z o n t eines rein formalen R a t i o nalitätskonzepts, d. h. durch Rückführung der gesetzmäßigen O r d n u n g der Dinge auf die Vernunft als ihr Produktionssubjekt, kann die Möglichkeit von praktischer Freiheit nicht zureichend aufgewiesen werden. Sie ist vielmehr in den Beständen der geschichtlichen Welt zu identifizieren. In geschichtsphilosophischen Analysen des besonderen Charakters historischen Geschehens wird zunächst gezeigt, daß Geschichte, anders als Natur, keinen nomothetischen Erkenntnisansprüchen unterliegen kann. Daß er im Zusammenhang der Rekonstruktion der Christologie auf ein möglicherweise im Zusammenhang der Lamprecht-Rezeption erkanntes - „sozialpsychologisches Gesetz" religiöser Gemeinschaftsbildung (Die Bedeutung der Geschichtlichkeit Jesu für den Glauben [1911 ]: Die Absolutheit 148) rekurriert, steht zur Bestreitung einer eigenen Gesetzmäßigkeit der Geschichte nicht in Spannung. Auf der Basis der formalen Geschichtsphilosophie soll eine materiale Analyse der Kulturgeschichte der Moderne in praktischer Absicht geleistet werden: In einer durch den Antagonismus konkurrierender Werte und Güter geprägten kulturellen Lage muß die geschichtliche Handlungsfähigkeit des Subjekts durch Formulierung relativ einheitlicher Ziele politisch-sozialer Praxis gestärkt werden. Das Resultat von Troeltschs umfangreichen Untersuchungen der modernen Kultur stimmt mit diesem Interesse jedoch nur bedingt überein. Die um der Sicherung von Naturunabhängigkeit willen gebildeten kulturellen Institutionen stellen immer auch eine potentielle Bedrohung von Freiheit dar. So ist insbesondere die Entwicklung seit der Aufklärung durch eine eigentümliche „Zwiespältigkeit" bestimmt (GS 4, 638). Zielt die demokratische Ordnung des Politischen auf die Freiheit des Individuums als Bürger, so wird die Tendenz zur „Individualisierung" (306) von „der unerbittlichen Logik des Abstraktums .Kapitalismus' " ( 3 1 0 ) zugleich wieder relativiert. Eine geschichtsanalytisch begründete „objektive Ethik" muß von einer Pluralität „sittlicher Güter" (GS 2,624) ausgehen. Dies gilt insbesondere angesichts des prinzipiellen Widerstreits zwischen innerweltlichen und religiösen Gütern: Den auch in sich „mannigfach geschieden(en)" eigenen Zwecken der Welt steht „der religiöse Zweck mit seiner Konzentration alles Handelns auf die Zueignung des Individuums und der Gemeinschaft an Gott" gegenüber. Eine theologische Ethik, die „der wirklichen Komplikation der ethischen Probleme" gerecht zu werden sucht, muß diesen fundamentalen Gegensatz als „die wichtigste Tatsache" der Moderne anerkennen, die sich nicht einfach durch Konstruktion irgendwelcher außergeschichtlicher örter von Versöhnung theologisch „wegdeuten oder (für) falsch erklären" läßt (625). Die intendierte Einheitlichkeit der Ziele historisch rationaler Praxis kann deshalb nur durch einen Kompromiß gewonnen werden. Dazu bedarf es jedoch einer umfassenden Neubegründung protestantischer Ethik, die sogar „auch ihre eigentlichsten religiösen Grundlagen und Impulse neu gestalten muß" (668). Für diese Ethik kann ein aller geschichtlichen Vermittlung vorausliegendes göttliches Gesetz kein zureichendes Begründungsprinzip sein. Damit sich der Mensch „innerhalb eines rein sachlichen und formalgesetzlichen Weltzusammenhangs" als „autonome Eigenperson" zu erfassen vermag, muß sie zwar „auf einen die Person erst tragenden... göttlichen Lebensgrund" ( R G G 1 2, 1379) rekurrieren. Dieser Grund läßt sich im Gesetzesbegriff jedoch nicht angemessen erfassen: Der primär nur über das Gesetz bestimmte Gott wäre die höchste Bedrohung individueller Freiheit. 4.3.

Postliberale

Neuansätze

Den Anspruch, unter den Bedingungen der M o d e r n e bedürfe es einer radikalen N e u bestimmung theologischer Ethik, teilen auch die T h e o l o g e n , die ihre Entwürfe in aus-

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Gesetz VI

drücklicher Kritik an Troeltsch entwickeln. D a ß eine „christlich-soziale Bemeisterung" der „brutalen W i r k l i c h k e i t " . . . „neue G e d a n k e n nötig" macht (GS 1, 985), stellt den Grundkonsens aller protestantischen Theologie des 20. Jh. dar. Die Vertreter von „Lutherrenaissance" (K. - » H o l l , E. Hirsch u.a.) und -»• Dialektischer Theologie sowie die anderen Repräsentanten der neuen Theologengeneration der zwanziger Jahre wollen den „ N e u b a u der Sittlichkeit" (Holl) dann zwar auf Fundamenten errichten, die H e r r m a n n und Troeltsch f ü r brüchig halten. Trotz der dezidiert aufklärungsfeindlichen Kritik an Troeltschs These, die geforderte Neubegründung theologischer Ethik müsse in Anerkenntnis der mit den theoretischen Revolutionen des 18. Jh. gegebenen kulturellen Lage geleistet werden, stimmen sie mit ihm darin überein, d a ß angesichts der Auflösung eines einheitlichen Gesetzesverständnisses ,das Gesetz' nicht mehr zur exklusiven Kategorie einer der gegebenen Wirklichkeit angemessenen theologischen Handlungstheorie taugt. Innerhalb der Theologie des 20. Jh. erfährt der Gesetzesbegriff bezüglich seines materiellen Gehalts und seines gesamttheologischen Stellenwerts deshalb tiefgreifende Änderungen. ,Das Gesetz' wird nun primär in einer fundamentaltheologischen Debatte über das Verhältnis von Gesetz und Evangelium ausgelegt, die der Formulierung der Identität von Christentum und Theologie im Unterschied zur modernen Welt dient (-»-Gesetz und Evangelium). Die „neuen G e d a n k e n " der Ethik werden unter den konkurrierenden Leitbegriffen -*Zweireichelehre und -»Königsherrschaft Christi entwickelt. Für den Gesetzesbegriff hat dies zur Folge, d a ß er, innerhalb des durch diese Leitbegriffe jeweils definierten Relationengefüges, entweder exklusiv aus der Antithetik von Gesetz und Evangelium oder durch unmittelbare Subsumtion unter das Evangelium zu bestimmen ist. Hier wie dort verblaßt das Gesetz dabei zu einer fundamentaltheologischen Kategorie, die gegenüber der altprotestantischen Theoriegeschichte, auf die man sich zurückbezieht, deutlich an wirklichkeitserschließender Kraft eingebüßt hat. Integrationsleistungen können über den Gesetzesbegriff nurmehr sehr beschränkt noch erbracht werden. Besonders deutlich zeigt dies der theologische M o n i s m u s K. —»Barths, der das Evangelium dem Gesetz vorordnet. Diese christologisch explizierte Relativierung der gesamttheologischen Relevanz des Gesetzes dient insbesondere einer Steigerung der gesellschaftlichen H a n d lungskompetenz der Kirche. Die zumeist lutherischen Kritiker einer solchen „Flucht in die A u t o n o m i e " (Troeltsch GS 2,667) einer religiösen Subjektivität, welche alle welthafte Wirklichkeit im unmittelbaren Rekurs auf die - von Barth in modernen Souveränitätsbegriffen ausgelegte - Königsherrschaft Christi zu begreifen und gestalten sucht, erkennen demgegenüber die von Troeltsch als Fazit seiner Analyse der modernen Kultur formulierte These an, „ d a ß die christliche Sittlichkeit f ü r sich allein das Leben nicht regelt und nicht regeln k a n n " (668). Aber auch ihre an der Vorstellung zweier Reiche oder Regimenter Gottes orientierten ethischen Entwürfe vermögen zumeist nur den unter den Bedingungen der M o d e r n e f ü r die theologische Ethik gegebenen Integrationsproblemen Ausdruck zu geben, ohne sie zureichend zu lösen. Trotz bemerkenswerter Bemühungen um eine kategoriale Präzisierung und Differenzierung des traditionellen Gesetzesbegriffs schalten R -»Althaus, der zwischen Gesetz und -» G e b o t zu unterscheiden verlangt, und W. —»Eiert, der u . a . den tertius usus negiert (s. T R E 9,495,47ff), das göttliche Gesetz unmittelbar mit den Ordnungsvorstellungen der politischen Gegenaufklärung gleich. Stärker noch gilt dies f ü r die vom F. - » G o g a r t e n , W. Stapel u. E. -»Hirsch versuchte empirische Konkretisierung des Gesetzes: im „ V o l k s n o m o s " oder „Gesetz des Lebens" wird, der Entwicklung des naturwissenschaftlichen Gesetzesbegriffes im 19. Jh. analog, nun auch das theologische Gesetz zu einer solchen subjekttranszendenten Allgemeinheit naturalisiert, die allen Ansprüchen auf ethische Autonomie und dem modernen Wissen u m die subjekthafte Konstitution aller Wirklichkeit bewußt Grenzen ziehen soll. Das Gesetz dient hier also nicht mehr der Integration der Wirklichkeit, sondern wird ausdrücklich als Gegeninstanz zur Realisierung der neuzeitlichen Autonomie etabliert. Angesichts der gravierenden Folgeprobleme dieses theologischen Programms verliert

Gesetz VI

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der Gesetzesbegriff seit dem Ausgang des 2. Weltkrieges in der protestantischen Ethik zunehmend an Bedeutung. Auch wenn bis in die unmittelbare Gegenwart hinein das discrimen legis et evangelii immer wieder zur wichtigsten Aufgabe theologischer Reflexion erklärt wird, spielt die Produktion dogmatischer Behauptungen über die Relation von -»Gesetz und Evangelium für die materiale Ethik faktisch keine Rolle mehr (vgl. T R E 10,244,12ff). Sofern protestantische Ethik sich als „Integrationswissenschaft" (H. Ringeling) begreifen muß, verliert der Gesetzesbegriff notwendig an Relevanz. Obgleich das - gegenwärtig auch innerhalb der römisch-katholischen Moraltheologie zu beobachtende - Zurücktreten des Gesetzesbegriffs in der theologischen Ethik stark auch durch die außertheologische Begriffsgeschichte geprägt ist, läßt sich diese Entwicklung selbst in theologischen Kategorien begreifen. Denn die reformatorische Theologie etabliert ein „extensives Verständnis" des Gesetzes: „Die gängige Auffassung, es sei ein Kodex von Vorschriften oder eine Summe kodifizierbarer Verhaltensregeln mit entsprechenden Sanktionen, wandelt sich zur Vorstellung von einer universalen Macht, die überall im menschlichen Leben präsent ist, nicht nur in verbaler Gestalt, sondern auch in Sitten und Gebräuchen, in Institutionen und gesellschaftlichen Strukturen, in allen Herausforderungen und Zwängen, Sehnsüchten und Problemen des Lebens, kurz, als die Vielgestalt dessen, wie das Reich dieser Welt die Menschen in seinem Griff h a t " (Ebeling 63). Unter den Bedingungen der für die Moderne grundlegenden kulturellen Differenzierung läßt sich diese Vielgestalt nicht in einem einzigen Begriff zureichend erfassen. So kann die Freiheit vom Gesetz, die der Sinn des Evangeliums ist, erst da angemessen wahrgenommen werden, wo theologische Reflexion sich jenseits aller Monismen an die Pluralität der Wirklichkeit zu entäußern und darin das Eigenrecht des Individuellen zu stärken vermag. Quellen W i l h e l m H e r r m a n n , Die Sittlichen Weisungen J e s u . Ihr M i ß b r a u c h u. ihr richtiger G e b r a u c h , G ö t t i n g e n 1904 2 1 9 0 7 ; W i e d e r a b d r u c k : ders., Sehr, zur Grundlegung der T h e o l . , Teil 1, mit Einleitungen u. A n m . hg. v. Peter Fischer-Appelt, 1966, ( T B 36/1) 2 0 0 - 2 4 1 . - D e r s . , E t h i k , T ü b i n g e n 1901 1921. — G e o r g S i m m e l , Einleitung in die M o r a l w i s s . , 2 B d e . , Berlin 1 8 9 2 / 9 3 = Aalen 4 1 9 6 4 . - D e r s . , D a s individuelle Gesetz. Phil. E x k u r s e , hg. v. M i c h a e l L a n d m a n n , Frankfurt a . M . 1968. - D e r s . , K a n t . Sechzehn Vorlesungen gehalten an der Berliner Universität, M ü n c h e n / L e i p z i g 6 1 9 2 4 . - Ernst T r o e l t s c h , Die Absolutheit des Christentums u. die Religionsgeschichte u. zwei Schriften zur T h e o l o gie, hg. v. Trutz R e n d t o r f f , M ü n c h e n / H a m b u r g 1969. - Ders., Art. Gesetz: R G G 1 2 (1910) 1 3 7 3 - 1 3 8 7 . - D e r s . , Z u r rel. Lage, Religionsphil. u. Ethik. G S II, T ü b i n g e n 1913 2 1 9 2 2 = Aalen 1 9 6 2 = 1981. - M a x Weber, G A u f s . zur Wissenschaftslehre, hg. v. J o h a n n e s W i n c k e l m a n n , T ü b i n gen 4 1 9 7 3 . - W i l h e l m W i n d e l b a n d , N o r m e n u. Naturgesetze, 1882: ders., Präludien, Bd. II. Aufs. u. R e d e n zur Phil. u. ihrer G e s c h . , T ü b i n g e n 9 1 9 2 4 , 5 9 - 9 8 . - D e r s . , G e s c h . u. N a t u r w i s s . , S t r a ß b u r g 1894 31904.

Literatur G e r h a r d Ebeling, Usus politicus legis - usus politicus evangelii: T h e o l o g i e u. K i r c h e in Gesellschaft u. Politik, hg. v. H a n s Christian K n u t h , 1983 ( T E H 2 1 7 ) , 5 3 - 8 3 .

Allgemeine

Literatur

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Gesetz und Evangelium I

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geistesgesch. Stud.: FS Alfred Bertholet, Tübingen 1 9 5 0 , 2 9 4 - 3 2 4 . - Niklas Luhmann, Gesellschaftsstruktur u. Semantik. Stud. zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft, Frankfurt a . M . , 1 1980. - Karl Olivecrona, Gesetz u. Staat, Kopenhagen 1940. - Das Problem der Gesetzlichkeit, hg. v. der Joachim-Jungius-Gesellschaft der Wiss. e. V. H a m b u r g , I Geisteswissenschaften; II Naturwissenschaften, H a m b u r g 1949. - Peter Reisinger/Rainer Piepmeier/Anette Pieper, Art. Imperative, kategorischer Imperativ: H W P 4 (1976) 2 4 2 - 2 5 8 . - Trutz Rendtorff, Art. Christentum: G G B 2 (1972) 7 7 2 - 8 1 4 . - Manfred Riedel, Metaphysik u. Metapolitik. Stud. zu Aristoteles u. zur politischen Sprache der neuzeitlichen Phil., Frankfurt a . M . 1975. - Günter Spendel, Die goldene Regel als Rechtsprinzip: FS Fritz v. Hippel, Tübingen 1 9 6 7 , 4 9 1 - 5 1 6 . - Herbert Spiegelberg, Gesetz u. Sittengesetz. Strukturanalytische u. hist. Vorstud. zu einer gesetzesfreien Ethik, Zürich/Leipzig 1935 (Lit.). - Dieter von Stephanitz, E x a k t e Wiss. u. Recht. Der Einfluß von Naturwiss. u. Mathematik auf Rechtsdenken u. Rechtswiss. in zweieinhalb Jt. Ein hist. Grundriß, Berlin 1 9 7 0 (Münsterische Beitr. zur Rechts- u. Staatswiss. 15). - Ernst Troeltsch, Die Soziallehren der christl. Kirchen u. Gruppen. GS, Tübingen, 1 1 9 1 2 3 1 9 2 3 . - H a n s Welzel, Naturrecht u. materiale Gerechtigkeit, Göttingen 1951 4 1 9 6 2 . - Franz Wieacker, Privatrechtsgesch. der Neuzeit, Göttingen 1 9 5 2 2 1 9 6 7 . - Erik Wolf, Große Rechtsdenker der dt. Geistesgesch. Ein Entwicklungsbild unserer Rechtsanschauung, Tübingen 1 9 3 9 4 1 9 6 3 . - T h e o d o r Ziehen, Das Problem der Gesetze. Rede gehalten bei dem Antritt des Rektorats der Vereinigten Friedrichs-Universität Halle-Wittenberg a m 12. Juli 1927, 1927 ( H U R 33).

Friedrich Wilhelm Graf Gesetz und Evangelium I. Systematisch-theologisch II. Ethisch

142

I. Systematisch-theologisch 1. Zwischen Reformation und Gegenwart 2. Die Diskussion des 2 0 . Jahrhunderts sichtspunkte für die weitere Diskussion 4. Thesen (Quellen und Literatur S. 140)

1. Zwischen Reformation

und

3. Ge-

Gegenwart

1.1. Systematisierung, Problematisierung und Domestizierung (Altprotestantische Orthodoxie) Trotz der hohen Bedeutung, die insbesondere ->Luther und die lutherischen —•Bekenntnisschriften (-»Gesetz V) dem discrimen legis et evangelii zugesprochen hatten, erfuhr es in den nachfolgenden Epochen der Theologiegeschichte eine höchst unterschiedliche Wertung und ein merkwürdig wechselhaftes Schicksal. 1.1.1. Die Dogmatik der lutherischen ->Orthodoxie ordnet das Problem ihrem System ein, ohne eine besondere Leidenschaft dafür erkennen zu lassen; gelegentlich wird es noch monographisch behandelt (Ae. -»Hunnius 1607, G. Cundisius 1653). Es mag in der Prinzipienlehre kurz gestreift werden, findet seinen Platz jedoch im allgemeinen bei der Entfaltung der Lehre vom Worte Gottes im Rahmen der Erörterung der media salutis. Gesetz und Evangelium erscheinen dabei als zwei Größen, die - jede für sich und nacheinander (in dieser Reihenfolge) - gewürdigt und sodann auch in das rechte Verhältnis zueinander gesetzt werden müssen. Dabei zeigt sich ein Bedürfnis, die Spannung, die Luther so intensiv zu formulieren vermocht hatte, aufzulösen in ein friedliches Miteinander von differentia et convenientia legis et evangelii. Gesetz und Evangelium werden als zusammengehörig angesehen, sofern sie in Gott den nämlichen Urheber haben, sich auf dieselben Adressaten beziehen („alle Menschen"), dasselbe Ziel verfolgen („ewiges Heil") und sofern für sie dieselbe Begrenzung gilt, das „Ende der Welt" (vgl. Bajer P. III, c. VII, §XXII). Sie unterscheiden sich jedoch voneinander hinsichtlich der Weise ihrer Erkenntnis (das Gesetz sei dem Menschen auch nach dem Fall von Natur aus bekannt, das Evangelium hingegen ein mysterium, das nur durch übernatürliche Offenbarung erkannt werden könne), hinsichtlich ihres jeweiligen Gegenstands (Tun und Lassen des Menschen bzw. Verheißung), hinsichtlich dessen, was sie in Aussicht stellen (ausgleichende Gerechtigkeit bzw. Gnade), schließlich hinsichtlich ihrer Aufgabe (zu fordern und zu überführen

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geistesgesch. Stud.: FS Alfred Bertholet, Tübingen 1 9 5 0 , 2 9 4 - 3 2 4 . - Niklas Luhmann, Gesellschaftsstruktur u. Semantik. Stud. zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft, Frankfurt a . M . , 1 1980. - Karl Olivecrona, Gesetz u. Staat, Kopenhagen 1940. - Das Problem der Gesetzlichkeit, hg. v. der Joachim-Jungius-Gesellschaft der Wiss. e. V. H a m b u r g , I Geisteswissenschaften; II Naturwissenschaften, H a m b u r g 1949. - Peter Reisinger/Rainer Piepmeier/Anette Pieper, Art. Imperative, kategorischer Imperativ: H W P 4 (1976) 2 4 2 - 2 5 8 . - Trutz Rendtorff, Art. Christentum: G G B 2 (1972) 7 7 2 - 8 1 4 . - Manfred Riedel, Metaphysik u. Metapolitik. Stud. zu Aristoteles u. zur politischen Sprache der neuzeitlichen Phil., Frankfurt a . M . 1975. - Günter Spendel, Die goldene Regel als Rechtsprinzip: FS Fritz v. Hippel, Tübingen 1 9 6 7 , 4 9 1 - 5 1 6 . - Herbert Spiegelberg, Gesetz u. Sittengesetz. Strukturanalytische u. hist. Vorstud. zu einer gesetzesfreien Ethik, Zürich/Leipzig 1935 (Lit.). - Dieter von Stephanitz, E x a k t e Wiss. u. Recht. Der Einfluß von Naturwiss. u. Mathematik auf Rechtsdenken u. Rechtswiss. in zweieinhalb Jt. Ein hist. Grundriß, Berlin 1 9 7 0 (Münsterische Beitr. zur Rechts- u. Staatswiss. 15). - Ernst Troeltsch, Die Soziallehren der christl. Kirchen u. Gruppen. GS, Tübingen, 1 1 9 1 2 3 1 9 2 3 . - H a n s Welzel, Naturrecht u. materiale Gerechtigkeit, Göttingen 1951 4 1 9 6 2 . - Franz Wieacker, Privatrechtsgesch. der Neuzeit, Göttingen 1 9 5 2 2 1 9 6 7 . - Erik Wolf, Große Rechtsdenker der dt. Geistesgesch. Ein Entwicklungsbild unserer Rechtsanschauung, Tübingen 1 9 3 9 4 1 9 6 3 . - T h e o d o r Ziehen, Das Problem der Gesetze. Rede gehalten bei dem Antritt des Rektorats der Vereinigten Friedrichs-Universität Halle-Wittenberg a m 12. Juli 1927, 1927 ( H U R 33).

Friedrich Wilhelm Graf Gesetz und Evangelium I. Systematisch-theologisch II. Ethisch

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I. Systematisch-theologisch 1. Zwischen Reformation und Gegenwart 2. Die Diskussion des 2 0 . Jahrhunderts sichtspunkte für die weitere Diskussion 4. Thesen (Quellen und Literatur S. 140)

1. Zwischen Reformation

und

3. Ge-

Gegenwart

1.1. Systematisierung, Problematisierung und Domestizierung (Altprotestantische Orthodoxie) Trotz der hohen Bedeutung, die insbesondere ->Luther und die lutherischen —•Bekenntnisschriften (-»Gesetz V) dem discrimen legis et evangelii zugesprochen hatten, erfuhr es in den nachfolgenden Epochen der Theologiegeschichte eine höchst unterschiedliche Wertung und ein merkwürdig wechselhaftes Schicksal. 1.1.1. Die Dogmatik der lutherischen ->Orthodoxie ordnet das Problem ihrem System ein, ohne eine besondere Leidenschaft dafür erkennen zu lassen; gelegentlich wird es noch monographisch behandelt (Ae. -»Hunnius 1607, G. Cundisius 1653). Es mag in der Prinzipienlehre kurz gestreift werden, findet seinen Platz jedoch im allgemeinen bei der Entfaltung der Lehre vom Worte Gottes im Rahmen der Erörterung der media salutis. Gesetz und Evangelium erscheinen dabei als zwei Größen, die - jede für sich und nacheinander (in dieser Reihenfolge) - gewürdigt und sodann auch in das rechte Verhältnis zueinander gesetzt werden müssen. Dabei zeigt sich ein Bedürfnis, die Spannung, die Luther so intensiv zu formulieren vermocht hatte, aufzulösen in ein friedliches Miteinander von differentia et convenientia legis et evangelii. Gesetz und Evangelium werden als zusammengehörig angesehen, sofern sie in Gott den nämlichen Urheber haben, sich auf dieselben Adressaten beziehen („alle Menschen"), dasselbe Ziel verfolgen („ewiges Heil") und sofern für sie dieselbe Begrenzung gilt, das „Ende der Welt" (vgl. Bajer P. III, c. VII, §XXII). Sie unterscheiden sich jedoch voneinander hinsichtlich der Weise ihrer Erkenntnis (das Gesetz sei dem Menschen auch nach dem Fall von Natur aus bekannt, das Evangelium hingegen ein mysterium, das nur durch übernatürliche Offenbarung erkannt werden könne), hinsichtlich ihres jeweiligen Gegenstands (Tun und Lassen des Menschen bzw. Verheißung), hinsichtlich dessen, was sie in Aussicht stellen (ausgleichende Gerechtigkeit bzw. Gnade), schließlich hinsichtlich ihrer Aufgabe (zu fordern und zu überführen

Gesetz und Evangelium I

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bzw. zu trösten), wodurch sich ergibt, daß das Gesetz den selbstsicheren Sündern, das Evangelium aber den Bußfertigen vorzulegen sei (vgl. B a j e r ebd. § X X I I I ) . O b w o h l also in der theologischen T h e o r i e der Ausgleich bereits zufriedenstellend gelöst erscheint, versäumt man nicht, darauf hinzuweisen, daß in der „ P r a x i s " ohnehin ein äußerst enges

Verhältnis zwischen beiden herrsche („... ut quaelibet doctrina agat quod suum est et ad unum commune apotelesma invicem amice conspirent" [Gerhard §XIV, 118]), ja, sie seien - so schon Luther - „quovis mathematico puncto coniunctiora" (Gerhard ebd. 111).

Die späteren Dogmatiker führen differenzierend aus, daß dies sowohl für die Bekehrung wie auch im Blick auf die Erneuerung des Glaubenden gelte: Das Gesetz leite ihn zum rechten Handeln an, nicht ohne ihm dabei seine Unvollkommenheit aufzuzeigen und ihn zu täglicher Buße zu führen, während das Evangelium die Kraft zum rechten Handeln vermittle und den angesichts seines Ungehorsams erschütterten Menschen wieder aufrichte (z.B. B a j e r ebd. § X X V ) . Der Ansatz der reformatorischen Rede von Gesetz und Evangelium wird somit zwar nicht verlassen, aber doch erheblich entschärft. In seiner ursprünglichen Sprengkraft hätte er die hermeneutischen Bedürfnisse der orthodoxen Dogmatiker wohl auch eher gestört. Statt sich als konstitutiver Faktor theologischer Theoriebildung zu erweisen, wird er in ein sich formierendes System integriert. Dem Widereinander von Gesetz und Evangelium wird nicht die Kraft zugesprochen, herkömmliche theologische Fragestellungen zu problematisieren, sondern das T h e m a wird, vor allem unter dem Druck kontrovers-theologischer Spannung, seinerseits zum Problem; als offensive Kampfformel geboren, gerät es nun selbst in die Defensive. Diese Entwicklung hatte sich jedoch bereits in F C V angebahnt. J . -»-Gerhard verhandelt lang und umständlich, inwiefern auch das Evangelium G e b o t e enthalte, wie in diesem Z u s a m menhang die „evangelischen R ä t e " zu werten seien und o b Christus als Gesetzgeber betrachtet werden könne (C. X V I , 1 8 - 2 8 . 6 3 - 1 0 4 ) . Das Stichwort dazu hatte das Konzil zu Trient (—•Tridentinum) gegeben; es war bereits von ->Seripando diskutiert und dann insbesondere von -»• Bellarmin aufgenommen und kontroverstheologisch ausgeschlachtet worden. Stellt das Evangelium nicht auch eine Bußpredigt dar? Enthüllt nicht erst das Evangelium die wahre Forderung Gottes an die Menschen? J . Gerhard unterscheidet zwischen dem „ E v a n g e l i u m " als einem literarischen Dokument, das in der T a t auch Forderungen enthalte, einerseits, und „Gesetz und E v a n g e l i u m " als kerygmatischen Kategorien andererseits (C. X I X , 111). Das Gesetz droht bei ihm zu einer eigenen, prinzipiell von Christus ablösbaren G r ö ß e zu werden (entgegen der C . I, 5 3 erklärten Absicht!). Es gilt ja ohnehin als dem Menschen von N a t u r aus bekannt (C. XII, 10, 14; Troeltsch, Vernunft 1 2 2 - 1 3 7 ) - eine These, die in der beginnenden Auseinandersetzung mit dem Atheismus mehr und mehr Eigengewicht gewinnen sollte.

1.1.2. Für die reformierten Dogmatiker trat das Problem von Gesetz und Evangelium hinter ihre Distinktion von foedus operum (vgl. J o h . Wolleb, dazu R E 3 21, 474) und foedus gratiae zurück (Heppe X I I I . X V I ) . Was im Werkbund vom Menschen gefordert war, hat Christus durch seinen Gesetzesgehorsam erfüllt. Vom Bundesgedanken her ließ sich die bleibende Zusammengehörigkeit von Gesetz und Evangelium formulieren. Der Anspruch des Gesetzes sei nicht beseitigt, sondern erfüllt. Wohl zeige das Gesetz dem Sünder an, wie es ohne das Evangelium um ihn stünde; aber das Evangelium umgreife das Gesetz, sofern dieses im Sinne des Evangeliums Buße wirke, das Evangelium aber seinerseits auch Buße predige. Als Applikationshilfe des Evangeliums hat das Gesetz gerade an den Glaubenden eine unerläßliche Funktion. Nach L. ->Bayly (Schneckenburger 116) soll man „leben, als o b kein Evangelium wäre, und sterben, als o b kein Gesetz wäre. Im Leben sollen wir tun, als o b niemand als M o s e s über uns zu gebieten h ä t t e " . W ä h r e n d die lutherischen Theologen bei ihren reformierten Kollegen eine Vergesetzlichung des Evangeliums witterten, befürchteten die Reformierten auf der lutherischen Seite das Überhandnehmen einer unevangelischen Freiheit. Auf beiden Seiten läßt sich eine den jeweiligen Ausgangspunkten entsprechende Systematisierung und Domestizierung des Lehrstücks von Gesetz und Evangelium beobachten.

Gesetz und Evangelium I

128 1.2. Psychologisierung

und Pädagogisierung

(Pietismus)

Vom ->Pietismus kann man nicht behaupten, er habe sich für die Problematik von Gesetz und Evangelium nicht interessiert. Führende Theologen der Reformorthodoxie stellen zwar fest, daß sich die homiletische Mechanisierung der Predigt von Gesetz und Evangelium negativ auswirke. Trotzdem will insbesondere A. H. ->Francke auf eine sorgsame Beobachtung des nexus legis et evangelii nicht verzichten. Jedoch setzt er - nicht anders als -»Spener - mit der Predigt des Evangeliums ein: Nicht die Mahnung des Gesetzes bringe den Menschen zurecht, sondern die anschauliche Verkündigung Christi befähige den Menschen zu einem christlichen Lebenswandel. Spener bezeichnet solches Vorgehen sogar ausdrücklich als „seine" Predigtmethode (Hirsch 2,141). Der pietistische hält es ebensowenig wie der aufgeklärte Theologe für angebracht, den Menschen mit dem zornigen Gott zu konfrontieren; sie sind in einer merkwürdigen Gemeinsamkeit beide „darin modern" (Hirsch 2,143). Allerdings gehen die Wege dann rasch wieder auseinander: Während der Aufklärer nur noch vom gütigen Gott reden will, weiß der pietistische Theologe, daß das Gesetz gerade den durch das Evangelium erweckten Menschen zu erschüttern vermag: Nunmehr folge die Verzweiflung, die ihrerseits erst zu einem vertieften Verständnis des Evangeliums führe. Die Psychologisierung der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium, die im Gefolge von Luthers Aussagen über den Schrecken des Gewissens und den Trost des Evangeliums nahegelegen haben mag, wird verbunden mit einer Pädagogisierung: Gesetz und Evangelium werden erlebt als Stufen auf dem Weg zu Rechtfertigung und Heiligung (vgl. Stahl 243ff). In einer popularisierten und vollends entstellten Form findet die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium von hier aus Eingang in die Theologie und Praxis von Erweckungsbewegungen, ohne daß dabei die reformatorische Terminologie noch aufzutauchen braucht. Luthers Rede vom Glaubenden als simul iustus et peccator gerät in Vergessenheit; das zur Bekehrung „verwendete" Evangelium oder auch die im Zuge des Heiligungsprozesses zu immer neuer Motivation „genutzte" Sündenvergebung ist dann nicht mehr davor gefeit, ihrerseits zum Medium einer sich steigernden Gesetzlichkeit zu werden. 1.3. Zwischen

Universalisierung

und Eliminierung

(Theologie

des 19.

Jahrhunderts)

1.3.1. In der Zeit der Aufklärung und des Rationalismus ist eine eigenartige Doppelbewegung zu beobachten: Einerseits wird die Rede von einem anklagenden Gesetz und vom „Zorn Gottes" als anstößig und religionsgeschichtlich überwunden betrachtet, andererseits weist man dem Evangelium die Funktion einer Anleitung zu sittlichem Lebenswandel und Christus die Rolle eines moralischen Vorbilds und Lehrers zu (J.S. -»Semler). Die inhaltliche Bestimmung der Sittlichkeit wird nicht mehr in positiven Setzungen, wie sie etwa das Alte Testament zu erkennen gibt, sondern im Urteil der Vernunft gesucht. Das Gegenüber von Gesetz und Evangelium - soweit überhaupt noch eine Erinnerung daran vorhanden ist - wird überführbar in die allgemeine Problematik des Verhältnisses von Sein und Sollen. Es hatte seinen Platz im dogmatischen System verloren und konnte nun umso leichter als allgemeines religiöses Prinzip in unterschiedlichen Verkleidungen wieder auftauchen. 1.3.2. ->Schleiermacher steht dem Begriff des „Gesetzes" skeptisch gegenüber („kein ursprünglich christlicher Ausdruck", GL §66,2): Es könne das Gute nur unvollkommen darstellen, da es sich in Vorschriften erschöpfe, ohne die Möglichkeit ihrer Befolgung anzugeben; durch die „Geisteskräftigkeit des Erlösers" sei eine deutlichere Erkenntnis dessen zu gewinnen, was Sünde ist, als durch das Gesetz (§68,3). Im Blick auf die Heiligung werde man dem Gesetz „keinen Wert beilegen können, weil die Liebe immer viel mehr ist und tut, als das Gesetz leisten und sein kann" (§ 12,5). Als besondere Gefahr des Protestantismus sah Schleiermacher ein falsches Verständnis von „Rechtgläubigkeit" an, die Aufrichtung des Gesetzes eines „Buchstabens", der eben so tot sei, wie jene Werke des Gesetzes (Dogmatische Predigten 48). Trotz der Kritik am Gesetzesbegriff, die für ein

Gesetz und Evangelium I

129

fruchtbares Widereinander von Gesetz und Evangelium keinen eigenen theologischen Ort zulief?, mag sich das Schema im Gesamtaufbau der Glaubenslehre niedergeschlagen haben: Das „fromme Selbstbewußtsein" - „Bewußtsein der Sünde"/„Bewußtsein der Gnade". 1.3.3. Albrecht —•Ritschis theologischer Ansatz kennt keine Möglichkeit, die reformatorische Unterscheidung von Gesetz und Evangelium aufzugreifen. Schon seine starke Betonung des Bundesgedankens mußte ihn daran hindern. Zudem sah er in der Konzentration der Sündenvergebung auf den einzelnen eine Verengung; sie beziehe sich vielmehr „in erster Linie auf das Ganze der von Christus begründeten religiösen Gemeinde" (Rechtfertigung und Versöhnung III, 130). Andererseits ist ihm Rechtfertigung, interpretiert als „Versöhnung", nicht denkbar ohne den „Antrieb zur Verwirklichung des Reiches Gottes" (Unterricht, §47; ->• Herrschaft Gottes/Reich Gottes); gerade unter dem Gesichtspunkt des Reiches Gottes ließen sich Evangelium und Gesetz nicht voneinander trennen. Das Evangelium kam für ihn als „Ermöglichung der sittlichen Persönlichkeit" (Iwand IV,256) zu stehen, während umgekehrt die dem Reich Gottes dienende Sittlichkeit die Faktizität der erfolgten Versöhnung zu bestätigen hatte. Als Voraussetzung für die Annahme der Botschaft von der Rechtfertigung schien Ritsehl die Predigt des Gesetzes schon aus psychologischen Gründen ungeeignet; es sollte ja das mit der Schuld gegebene „Mißtrauen" gegenüber Gott in „Vertrauen" gewandelt werden, aber dies konnte gerade die Gesetzespredigt nicht leisten. Ritsehl hat sich hier wohl auch durch pietistische Theorien und Praxen des „Bußkampfs" den Blick auf das reformatorische Anliegen verstellen lassen. Von seinen theologischen Prämissen aus ist es „folgerichtig", daß er den zweiten Gebrauch des Gesetzes wegläßt. 1.3.4. Sofern man sich außerhalb der erwachenden bekenntnisorientierten Theologie überhaupt noch für das Verhältnis von Gesetz und Evangelium interessierte, deutete man es religionsgeschichtlich oder religionspsychologisch (Luthers Weg als Modell; Wiederholung im Rahmen der individuellen religiösen Sozialisation, so z. B. R. Seeberg: RE 3 21, 504f; E. Troeltsch: R G G 1 2,1381-1384). In beiden Fällen konnte dem Gesetz eine wenigstens relative Bedeutung zugesprochen werden. 1.4. Konfessionalisierung (Erlanger Theologie, Missouri-Synode) Neu entdeckt wurde das Problem durch eine seit der Mitte des 19. Jh. einsetzende Beschäftigung mit den Quellen der reformatorischen Theologie. H. R. -»Frank behandelte es im Rahmen seiner Theologie der Concordienformel (1858-64) mit Aufmerksamkeit, ohne jedoch in seinen eigenen dogmatischen und ethischen Entwürfen darauf zurückzukommen. Einen nachhaltigen Eindruck hinterließ T h . ->Harnacks in Auseinandersetzung mit Ritsehl erarbeitete Darstellung von Luthers Theologie (1862/86), die für die Luther-Renaissance des 20. Jh. wichtig werden sollte. Doch schon vor der Wiedererweckung des theologiegeschichtlichen Befunds hatte A. v. —•Harleß im Zuge des Entwurfs einer konfessionell-lutherischen Ethik das Problem aufgegriffen und in Jahrzehnte langer Mühe darum gerungen (Christliche Ethik, 1842 ®1893). Die 1884/85 am Concordia Seminary in St. Louis von C.F.W. Walther, dem Mitbegründer der Missouri-Synode (-•Lutherische Kirchen), gehaltenen Vorträge (Die rechte Unterscheidung von Gesetz und Evangelium, 1897) halfen offenbar den angesichts der denominationellen Vielfalt in der neuen Welt verunsicherten Lutheranern, ihre Identität zu finden. Alle diese Ansätze trugen dazu bei, ein ins Abseits geratenes Thema reformatorischer Theologie wieder in das theologische Bewußtsein zurückzuholen, ohne daß jedoch dabei eine selbständige und weiterführende Interpretation zutage getreten wäre. 2.5. Zwischenergebnis Überblickt man die nachreformatorische Geschichte des Lehrstücks von Gesetz und Evangelium bis zum Ende des 19. Jh., so muß man zugeben: Es hat sich nicht als Konstitutivum evangelischer (nicht einmal lutherischer!) Theologie durchzusetzen vermocht.

Gesetz und Evangelium I

130

Handelt es sich hier um die Geschichte eines „fortgesetzten Zerfalls" (Iwand 4,150)? Es gab eine Reihe von Integrations- und Reinterpretationsversuchen; eine umfassende Neuinterpretation, die insbesondere der seit der Aufklärung veränderten religiösen Gesamtsituation des Abendlands Rechnung getragen hätte, gelang nicht, wurde nicht einmal als notwendig erkannt. Am ehesten hätte hier vielleicht Schleiermachers Ansatz weiterführen können. Nur innerhalb der engen Grenzen eines auf seine Quellen bedachten Luthertums konnte wenigstens das theologische Anliegen der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium festgehalten werden. Von systematischem Interesse ist es, daß bei einer Vernachlässigung dieses Lehrstücks — formal gesehen - regelmäßig das Gesetz gesiegt hat. War es nicht möglich, das Evangelium gegen das Gesetz zu profilieren, so wurde entweder das Evangelium selbst im Sinne einer Anleitung zum rechten Verhalten verstanden (z. B. Semler, Ritsehl) oder es erschien gar als überflüssig. Im Sinne der reformatorischen Theologie gesprochen, war es freilich nicht das „Gesetz" selbst, das in Erinnerung blieb, sondern es triumphierte eine bestimmte Vorstellung von Moral, die das Wesen des Christentums zu interpretieren begann, statt selbst unter dem Zugriff von Gesetz und Evangelium kritisch hinterfragt zu werden. Die mit Gesetz und Evangelium verbundene christologische Problematik - Christus legislator/finis legis - verlor an Interesse zugunsten der psychologisch beschriebenen Selbsterfahrung des Menschen — Belastung/Entlastung. Die damit aufgeworfenen Fragen sind freilich keineswegs erledigt (s.u. 3.3.). Paradoxerweise ergab sich, daß bei dieser Betrachtungsweise das Wort Gottes auf den ihm entfremdeten Menschen in jedem Fall zunächst als „Gesetz" wirken mußte (R. Seeberg: RE 3 21,505), während das als vernünftige Moral interpretierte „Gesetz" seit der Aufklärung dem selbstbewußten Menschen als weiterführend und verheißungsvoll - sozusagen als „Evangelium" - erscheinen konnte. Luthers Urteil über die Wichtigkeit der rechten Unterscheidung von Gesetz und Evangelium wurde durch die ihm folgende theologiegeschichtliche Entwicklung voll bestätigt. 2. Die Diskussion

des 20.

Jahrhunderts

Mit dem theologischen Aufbruch nach dem 1. Weltkrieg gelangte die Thematik „Gesetz und Evangelium" unter eine neue Perspektive. Während sie im Gefolge der reformatorischen Theologie ihren Platz in der Frage nach den „Heilsmitteln" hatte, geriet sie nun in den Streit um die Offenbarung. War es zunächst um die Funktion von „Gesetz und Evangelium" für den Menschen in seinem Verhältnis zu Gott gegangen, so erschien nun die inhaltliche Bestimmtheit vor allem des Gesetzes als strittig. Das Nachwirken der lutherischen Lehre von den Schöpfungsordnungen (A. v. Harleß), das neu erwachte Interesse an Luther (Th. Harnack), die Luther-Interpretation K. -»Holls (Luthers Religion eine „Gewissensreligion", beruhend auf der „Überzeugung, daß im Bewußtsein des Sollens ... das Göttliche sich am bestimmtesten offenbart ..."), die Vorstellung von der „Eigengesetzlichkeit der Lebensgebiete" (F. Lau: R G G 3 2, 354-356) und das apologetische Bedürfnis, die in der Idee eines „Volksnomos" (vgl. W. Tilgner bes. 88-130) sich artikulierende Stimmung der Zeit aufzugreifen, - eine merkwürdige und unglückliche Verbindung von alledem führte dazu, daß die Bemühungen um ein Neuverständnis von Gesetz und Evangelium im Grunde zu einer modifizierten Form der Auseinandersetzung um die „natürliche Offenbarung" wurden. Interpretationsmodelle, die auf eine schroffe Konfrontation von Gesetz und Evangelium abhoben, standen solchen gegenüber, die eine Integration postulierten, womit sich dann auch eine Umkehrung der bisherigen Reihenfolge nahelegte - „Evangelium und Gesetz". Innerprotestantische konfessionelle Unterschiede (s.o. 1.1.1., 1.1.2.) dürften dabei nur zu Beginn der Debatte eine gewisse Rolle gespielt haben. 2.1. Konfrontationsmodelle Vornehmlich lutherische Theologen zeigten eine Neigung, das Gesetz als „uns in unserem Volkstum gegeben" zu verstehen (Fr. Gogarten, Einheit 20). Die „heilige Bin-

Gesetz und Evangelium I

131

dung" an Gottes Gesetz sei gemeint, „wo wir heute [1936] von Blut und Boden, von Rasse und Vererbung, von Ehre und Gemeinschaft, vom wahren Sozialismus, von Opfer und Pflicht reden" (Hirsch 13). Man muß solche Äußerungen als apologetisch kurzschlüssig und politisch blind werten. Sie sind eine bleibende Anfrage an jede Form von „natürlicher Theologie", ohne daß deren Anliegen jedoch damit als prinzipiell erledigt gelten könnten. 2.1.1. Das Gesetz als universale Zwangs- und Todesordnung. W. —»Eiert wirft der -»Dialektischen Theologie vor, sie verschleiere den Gegensatz zwischen Gesetz und Evangelium dadurch, daß sie ihn unter den Oberbegriff „Offenbarung" stelle. Indem er diesen Vorwurf expliziert, zeigt er jedoch seine Bereitschaft, gerade auf diesem Feld um das rechte Verständnis des Gesetzes zu kämpfen. Den anklagenden Charakter des Gesetzes verstehe zwar „nur, wer das Evangelium vernommen hat. Aber es gilt auch allen, die es überhaupt nicht vernehmen" (Das christliche Ethos 96). Das Gesetz sei nicht nur „verkündigt", sondern „verhängt" (ebd. 160), eine „universale Zwangsordnung", die verschiedene Arten von Bindungen enthalte: Im kreatorischen oder gubernatorischen Verhalten Gottes seien die „Seinsordnungen" begründet (Eiert deutet das als unsere „historische Platzanweisung", ebd. 61 ff); durch Gottes legislatorisches Handeln entstehe eine „Ordnung des Sollens" und in seinem „judikatorischen" Vorgehen unterwerfe er die Menschen seinem Urteil (ebd. 82f). Letztlich erweise sich die Zwangsordnung als eine Todesordnung, die in der Tatsache, daß in ihr das Böse mithilfe des Guten geschehen könne, ihre „Dämonie" erkennen lasse. Den im Gesetz sich offenbarenden Gott deutet Eiert als den Deus absconditus, vor dem das „Urerlebnis" (Morphologie 1, 15-25) den Menschen erschauern lasse: Gott ist der „absolute Fremde" (Glaube 191). Gesetz und Evangelium treten somit für Eiert scharf auseinander; was er unter „Offenbarung" versteht, hat teil an diesem Widerspruch. In ihr herrsche eine „Dialektik", die sich weder im Sinne einer Abfolge von zwei geschichtlichen Stufen noch auch ausreichend als „Zweckverhältnis" beschreiben lasse. Vielmehr bestätige das Evangelium die Geltung eben des Gesetzes - „dessen Geltung vom Evangelium aufgehoben wird". Gesetz und Evangelium seien „zwei Worte Gottes", die „ihrem eigenen Sachgehalt nach einander widerstreiten" und sich gegenseitig ihr Gebiet, nämlich „die Gesamtheit aller Menschen", streitig machen. Nur in Christus werde uns „die Identität des Gottes der Gesetzgebung und des Gottes, der uns liebend zuvorerkannt hat, erkennbar und unzweifelhaft". Was dem natürlichen Menschen „offenbar" wird, ist somit gerade der Zorn Gottes; er muß im Glauben an Christus als eine Verhüllung Gottes durchschaut und „niedergerungen" werden (Glaube 171-183). Diese radikale Gegenüberstellung von Gesetz und Evangelium läßt es als selbstverständlich erscheinen, daß es nach Eiert keinen „dritten" Brauch des Gesetzes geben kann: Das Gesetz Gottes hat ja im Gegensatz zur irdischen Gesetzgebung gerade nicht die Absicht, zu einem bestimmten Verhalten anzuleiten — im Gegenteil, es „will" die Menschen „schuldig machen" (Glaube 162). Der neue Mensch bedarf eines Gesetzes nicht, nicht einmal zu Informationszwecken, er ist frei. Aber der alte Adam möchte sich unentwegt an dieser Freiheit „beteiligen" - daher werde er unentwegt vom Gesetz Gottes „getroffen und gezüchtigt". Der konkrete Mensch, der ja in seiner Biographie die Einheit von neuem und altem Menschen darstelle, lebe in „zwei Zeiten", die „kairologisch" die gesamte Existenz vom „Gesetz" oder vom „Evangelium" her bestimmten, je nachdem, ob er auf sich oder auf Christus blicke (Ethos 389 f). Zum Blickwechsel komme es durch die Predigt des Evangeliums, das Eiert als „demonstrativ" und „adhortativ" beschreibt. Wie läßt sich vermeiden, daß der Christ, wenn er dem Gesetz keine positiven Anweisungen entnehmen darf, nicht säkularen Zwängen zum Opfer fällt (P. Brunner) ? Durch die im Evangelium enthaltenen „Gnadenimperative", von denen Eiert nach 1945 zu sprechen versucht: Sie seien nicht „gesetzliches Gebot, sondern Angebot" (Ethos 295). Nie gelingt es Eiert, vom Evangelium auf eine ähnlich prägnante Weise zu sprechen wie vom Gesetz, obwohl er sich bemüht, das „begnadigende Wort Gottes" nicht anders als das Gesetz letzt-

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Gesetz und Evangelium I

lieh auf den gesamten K o s m o s zu beziehen. Gesetz und Evangelium drohen zu mythischen Größen aufgebaut zu werden, die als kosmische Prinzipien über dem Menschen und seiner Welt walten. Schicksalserfahrung (Langemeyer 3 8 5 - 3 9 8 . 411—413) und Schicksalsdeutung seiner Zeit haben in Elerts Werk deutliche Spuren hinterlassen.

2.1.2. Die Schöpfungsordnungen zwischen Gnade und Fluch. Weniger engagiert als W. Eiert hat P. —• Althaus von Gesetz und Evangelium gesprochen. Z u n ä c h s t scheint sich ihm das Verhältnis von Gesetz und Evangelium in der Ambivalenz der Ordnungen widerzuspiegeln: Diese seien nicht anders als das Gesetz G o t t e s überhaupt „ h e i l i g " ; wir werden „an ihnen schuldig durch s i e " (Theologie der Ordnungen 21—23). Freilich lägen heilsame Schöpfungsordnungen und Sünde immer schon ineinander; es gebe keine „ G l i e d e r u n g " der Menschheit in Rassen und Völker, die nicht zugleich „ S o n d e r u n g " sei, keine Yaterlandsliebe, die nicht ebenso „von der Ursünde und dem U r f l u c h e " gezeichnet wäre (26). M a n k ö n n e „in den Ordnungen der Geschichte nicht dienen, ohne zugleich an dem Reiche der Sünde m i t z u b a u e n " (32). Immer handle es sich um ein servum officium, von dessen Verstrickungen einzig das Evangelium befreien k ö n n e — zum Bleiben in den vorgegebenen Ordnungen und zum Widerstand gegen die Sünde, die in ihnen herrscht (37). Im R a h m e n der später entfalteten Lehre von der Uroffenbarung spricht Althaus von der „Selbstbezeugung G o t t e s " in der Begabung und Beanspruchung des M e n s c h e n , von der Erfahrung des Verantwortlich-Seins auf der einen, des Geführt-Werdens auf der anderen Seite (Die christliche Wahrheit, 5 1 9 5 9 , 6 5 - 6 9 ) . Freilich bleibe hier der Widerspruch von „Daseinswürde und D a s e i n s n o t " (92), G o t t erscheine als „zwiespältig" - der verborgene G o t t . Gottes Z o r n könne in der Gestalt „des personalen G e r i c h t e s " erfahren werden, auch ehe der M e n s c h vom Evangelium wisse (408). Andererseits beteuert Althaus schon in seinen früheren Schriften, daß Gottes Ordnungen nur im Glauben an Christus als solche erkannt werden könnten. O b w o h l das Evangelium immer das Gesetz als innere Voraussetzung bereits enthalte, das in den Ordnungen und in der Geschichte sich bezeuge, erweise sich das Evangelium als „nicht artgemäß, sondern f r e m d " (Die deutsche Stunde der Kirche, 3 1 9 3 4 , 15). In der Auseinandersetzung mit der N o m o s - L e h r e von W. Stapel findet er zwar, d a ß der „ N o m o s " eines Volkes die Voraussetzung für dessen Evangelisierung sei, behauptet aber gleichwohl, daß erst das Alte Testament die Sünde als solche erkennen lasse und daß es insofern „durch nichts anderes ersetzt w e r d e n " könne (ebd. 53). W i e sich das unter der Uroffenbarung erkennbare zu dem aus dem biblischen Zeugnis vernehmbaren Gesetz verhält, und wie das Evangelium konkret zum K a m p f gegen die durch die Sünde geschaffenen Entstellungen der Ordnungen beiträgt, bleibt unklar. Althaus spricht freilich nicht nur im Z u s a m m e n h a n g seiner Offenbarungs-, sondern auch seiner Rechtfertigungslehre über das Verhältnis von Gesetz und Evangelium (s.u. 2 . 1 . 5 ) ; das Verhältnis zwischen diesen beiden theologischen Plazierungen des T h e m a s wird nicht recht ersichtlich (A. Peters 2 0 0 - 2 0 2 ) .

2.1.3. Gesetz und Evangelium -und die beiden Reiche. Fr. - » G o g a r t e n , so die Endfassung seiner Interpretation (Der M e n s c h zwischen G o t t und Welt, 1956 4 1 9 6 7 ) , verbindet die Problematik von Gesetz und Evangelium mit seiner T h e o r i e der Säkularisierung. Die Predigt von Gesetz und Evangelium erwachse aus der „Beziehung des Glaubens zur jeweiligen geschichtlichen W i r k l i c h k e i t " , ja, sie sei selbst die Reflexion auf diese Beziehung (ebd. 205). Für Paulus h a b e die K o n f r o n t a t i o n mit der spätjüdischen Gesetzesfrömmigkeit zur radikalen Ablehnung des Gesetzes, für Luther dagegen die Auseinandersetzung mit der katholischen Frömmigkeit seiner Zeit zur Freisetzung der iustitia civilis geführt. Inwiefern die Problematik von Gesetz und Evangelium für die Gegenwart von Bedeutung ist, erschließt Gogarten aus dem Begriff der dem M e n s c h e n geschenkten und zugleich aufgetragenen „ P e r s o n a l i t ä t " . D e r säkulare M e n s c h verstehe sich als autonom und frei: „in der Forderung dieser Freiheit und in all dem, was sie bedeutet für das Verhältnis des M e n s c h e n zu sich selbst sowohl wie zu seiner Welt, haben wir die Gestalt des Gesetzes, in der es sich uns Heutigen als letztes Wort ausgibt und a u f d r ä n g t " (216).

Gesetz und Evangelium I

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Die Autonomie sei zwar legitime Folge des christlichen Glaubens, werde aber vom säkularen Menschen als das „letzte Wort" aufgefaßt, das „er, der Mensch, über sich zu sagen weiß" (206); so verstanden, führe sie jedoch ins Chaos. Die Predigt des Gesetzes ziele auf Menschen, die das Gesetz, unter dem sie stehen, bejahen, und verstärkt damit den Gesetzesdruck, die Last des Wissens darum, daß der Mensch nicht nur dies oder jenes, sondern letztlich sich selbst zu verantworten hat. Die als Forderung angenommene autonome Verantwortung aber zerstöre sich selbst. Auch Jesus bejahe die in seinem Personsein gegebene Autonomie, doch „nicht so ..., daß er sich in ihr und das heißt in sich gegründet weiß" (251). Als „der ,Sohn', dessen Personsein das zugleich das vom Vater Empfangene wie von ihm Geforderte ist, ist er das Wort Gottes" (240). Der Mensch aber könne sich Gott nicht „geben", wie er ihm gehöre und wie er sich ihm schulde. „ N u r in der Vergebung also ... kann ich darum die Forderung der Autonomie erfüllen". N u n sei „die Grundordnung der Welt wiederhergestellt: Gott ist wieder Gott," die Welt ist wieder Welt; der Mensch erkennt sein Personsein zugleich als von Gott empfangen und gefordert, die Welt als göttliche Schöpfung und zugleich als sein eigenes Werk. Die Kirche hat folglich das Gesetz einerseits zu predigen, andererseits es ins Unrecht zu setzen, indem sie verdeutlicht, daß es letztlich nur in einem einzigen Gebot besteht, nämlich dem, „dem Evangelium zu glauben" (279). Sie hat gerade kein eigenes, etwa besseres Gesetz zu verkünden, sondern vielmehr darauf zu insistieren, „daß das Gesetz, das in der Welt gilt und von dem diese das Heil erwartet, zu hoch greift" (280), womit das Gesetz auf „sein M a ß " zurückgebracht wird; eben damit wird Verkündigung „politisch" (283). Die Kirche der „reinsten Innerlichkeit" und zugleich der „aktuellsten Weltlichkeit" (276) vertritt gerade so das „reine Evangelium" und die dem Menschen aufgetragene Freiheit der Weltgestaltung, die sich auf allen Gebieten des Wissens und der Kultur bewähren soll. Gogarten setzt dabei voraus, daß die Vernunft zu eindeutigen und der Welt dienlichen Urteilen kommt. Gesetz und Evangelium laufen so freilich Gefahr, sich auf den Bereich der ordines einerseits und den Raum der Innerlichkeit andererseits zu verteilen, wobei beide nur noch durch die Klammer des menschlichen Bewußtseins zusammengehalten werden.

2.1.4. Das Gesetz und die „Lebenswirklichkeit". In einer neuen Runde der Auseinandersetzung, die deren bisherigen Verlauf kaum berücksichtigt, bearbeitet G. Ebeling das Verhältnis von Gesetz und Evangelium im Kontext seiner Lehre vom „Wort des Glaubens" (Dogmatik des christlichen Glaubens, III 1979, §35). Erst im Licht ihrer Unterscheidung werde klar, „was überhaupt Wort Gottes heißt" (251). Die Lehre vom Gesetz erschließe sich erst vom Evangelium her, obwohl das „Sein unter dem Gesetz" auch ohne das Evangelium bestehe (261). Die „Lebenswirklichkeit" selbst werde zur „Gesetzeserfahrung". Das Leben kenne die Polarität von Gegebenheit und Forderung. Die „Tiefendimension" des Gesetzes aber zeige sich darin, daß es „unbedingt fordert auf Grund dessen, was bedingungslos gegeben wurde" (279). Trotz der Vielfalt seiner Erscheinungsweisen sei es somit letztlich — singularisch - das Gesetz. In ihm äußere sich eine „Tendenz auf Letztgültiges" - es fordere „letztlich und eben darum an erster Stelle den Glauben" (280). Es halte den Menschen zwischen Anmaßung und Verzweiflung fest und bestärke im Unglauben; damit erweise es sich als stark in der „Anklage" (285). Die Diskrepanz zwischen Sein und Sollen werde durch das Gesetz als Sünde erkannt. Der so beschriebene usus theologicus vollzieht sich nach Ebeling freilich „ansatzweise überall da, wo es unter dem Druck der Lebenswirklichkeit" zur Erfahrung des Ungenügens kommt (285 f). Seine Abhebung gegenüber dem usus politicus bewahrt diesen davor, daß er „zu einem Evangelium emporstilisiert" wird (286). Die Unterscheidung zwischen Gesetz und Evangelium erhalte dogmatisch so hohes Gewicht, weil der Mensch als Sünder unter dem Gesetz und somit in der Gefahr stehe, ständig das Gesetz in Evangelium und das Evangelium in Gesetz zu verwandeln. Da das Gesetz zum Evangelium treibe und nie das Evangelium über sich selbst hinaus — zum Gesetz, gehe eindeutig das Gesetz dem Evangelium voraus. Sowohl durch das Gesetz wie durch das Evangelium wirke - wiewohl auf diametral

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Gesetz und Evangelium I

entgegengesetzte Weise — der Heilige Geist am Gewissen des Menschen, um ihn von aller Heteronomie zu befreien. Ebeling gelingt eine eigene Interpretation des discrimen legis et evangelii, indem er das „Evangelium" der „Lebenswirklichkeit" konfrontiert. Offen bleibt, wie diese Lebenswirklichkeit zur Interpretation ihrer selbst gelangt. Wie ist die Diastase zwischen ihrer humanwissenschaftlich orientierten und ihrer theologischen Interpretation zu bewerten? Und wie ist diejenige „Wirklichkeit", die unter der Predigt von Gesetz und Evangelium erwächst, gegen die vorgängige und bleibende „Lebenswirklichkeit" des Seins unter dem Gesetz abzuheben?

2.1.5. Gesetz und Evangelium zwischen Protologie und Eschatologie. Unter einer heilsgeschichtlichen Perspektive hat P. Althaus eine terminologische Klärung vorgeschlagen, die sich an den johanneischen Sprachgebrauch anlehnt: die Differenzierung zwischen „ G e b o t " und „ G e s e t z " (Gebot und Gesetz, 1952). Im Urständ habe dem Menschen Gottes Gebot gegolten. Durch den Fall sei das „ G e b o t " zum „ G e s e t z " geworden - inhaltlich zwar identisch, aber von anderer Gestalt: verfaßt in einer Vielzahl von Verboten, lex accusans et condemnatrix. Als Sünder habe der Mensch unter dem Gesetz, als Geschöpf jedoch weiterhin unter dem -> Gebot gestanden. Christus sei das Ende des „Gesetzes", nicht aber des „ G e b o t e s " . Das Gesetz werde durch das Evangelium wieder zum Gebot, wirke somit auf den Nichtglaubenden als Gesetz, auf den Glaubenden als Gebot. Der Platz des Gesetzes sei wesenhaft vor dem Evangelium, nie umgekehrt, das Evangelium aber durchaus vor dem Gebot, in dessen Erfüllung sich der Glaube bewähre. Das Leben des Christen ist für Althaus einerseits Gehorsam, der dem Gebot entspricht - „Dein Wille geschehe!" - , andererseits zugleich Frucht, die dem Glauben erwächst, ohne daß man dabei an „ethischen Automatismus" oder „psychische Zwangsläufigkeit" zu denken habe. Die Rede von einem tertius usus legis lehnt Althaus ab, da gerade in diesem Zusammenhang von „ G e b o t " und nicht von „ G e s e t z " gesprochen werden müsse. Das Gebot sei „supralapsarisch", das Gesetz „infralapsarisch". Die „Epochen der Geschichte Gottes mit der Menschheit" werden vage existential gedeutet; den protologischen werden nicht entsprechende eschatologische Überlegungen angefügt. Althaus verrechnet seinen hiermit unterbreiteten Vorschlag auch nicht mit seinen früheren ordnungstheologischen Überlegungen (s.o. 2.1.2.) Eine ebenfalls heilsgeschichtlich argumentierende aber stärker an der Gotteslehre orientierte Skizze entwirft P. Brunner (Bemühungen 7 4 - 9 6 ) : Gesetz und Evangelium zeigten, „wie Gott in seinem Handeln mit der Menschheit Gott i s t " (75). Gottes auf den Menschen gerichteter Wille, wie er „in seiner ewigen inneren Selbstbestimmung beschloss e n " liege, sei das „ G e s e t z " , das sich Gott durch den „Urbundesbruch" des Menschen nicht zerbrechen lasse. Was als lebenverheißendes Gebot gemeint gewesen sei, komme nun als „nackte Forderung" zu stehen. Das von der lex accusans geforderte Gericht aber habe Gott auf sich genommen. Von daher versteht Brunner Jesus Christus als „die innergöttliche Antwort auf die durch Sündenfall und lex accusans geschaffene Situation". Die Formel „Gesetz und Evangelium" fasse brennpunktartig „das innergöttliche Geschehen" zusammen, „durch das Gott seine Wesenstreue als gottheitlicher Partner im Bunde mit dem Menschen durchhält" (83). Der Wille Gottes vollziehe sich im Sinne eines „usus evangelii practicus" im Glaubenden „gleichsam von selbst" (90), ohne daß die „lex accusans" für ihn ihre Bedeutung verlöre. Die „Zweiheit ... von lex accusans und Christusevangelium" (95) heiße ihn vielmehr, nach dem Eschaton Ausschau zu halten, in dem sie nicht mehr existieren wird.

2.2. Integrationsmodelle 2.2.1. Das eine Wort Gottes als Evangelium und Gesetz. In scharfem Gegensatz zu den Neuinterpretationen lutherischer Provenienz und zu der in DC-Kreisen sich artikulierenden Auffassung vom „ G e s e t z " hat K. -»Barth 1935 seinen Vortrag Evangelium und Gesetz abgefaßt; die Debatte darüber kann, obgleich sie sich inzwischen beruhigt hat, noch nicht als abgeschlossen gelten. Entgegen der herkömmlichen Reihenfolge redet Barth

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„zuerst vom Evangelium"; denn das Gesetz ist „im Evangelium, vom Evangelium her und auf das Evangelium h i n " , „geborgen und verschlossen" wie die Gesetzestafeln „in der Lade des Bundes" (5). Obwohl es sich um eine Zweiheit handle, überwiege ihr „Frieden in dem einen Wort des Vaters", das als solches „unter allen Umständen schon an sich G n a d e " sei. Gerade als Gnade könne es auch Tod und Hölle bedeuten (6). Gottes Antwort auf die Sünde sei unser „Sein als Fleisch: wir müssen sterben." Diese Antwort vermag der Mensch nicht zu hören; Gott selbst hat sie ertragen; unser Menschsein, sofern es das unsere, und zugleich, sofern es das Menschsein Jesu Christi ist, ist gerechtfertigt, unsere Rechtfertigung vollzogen in Jesu Auferstehung. Jesus Christus selbst sei die dem Menschen geschenkte Gnade. Erst von ihm her könne über das Gesetz gesprochen werden, denn er habe ihm genug getan: Indem uns das Kreuzesgeschehen als das Geschehen der Gnade Gottes offenbar wird, erkennen wir das Gesetz: „Wir lesen aus dem, was Gott hier für uns tut, ab, was Gott mit uns und von uns will" (11). Beides gehöre untrennbar zusammen: „Proklamation des Bundes" und „Promulgation der göttlichen G e b o t e " (12). K. Barth folgert: Das Gesetz ist „nichts anderes als die notwendige Form des Evangeliums, dessen Inhalt die Gnade i s t " (13). Das Evangelium hat eine Form, durch die es im Bereich des konkreten Menschen R a u m gewinnt. Ihr werdet glauben - „dies wird eure Konformität sein mit jener Form des Evangeliums, euer Gehorsam also gegen Gottes Gesetz!" (15). Die so beschriebene „Wahrheit" des Evangeliums und des Gesetzes ist durch die von unserer Sünde gezeichnete „Wirklichkeit" beeinträchtigt: Aus dem „Du wirst!" wird ein „Du sollst!", mit dessen Hilfe die Sünde triumphiert - in Gestalt einer falsch verstandenen evangelischen Freiheit oder einer eifrig übernommenen Gesetzlichkeit. Das Gesetz bleibt nach K. Barth auch in den Händen der Sünder Gottes gute Gabe, die nunmehr freilich den Sünder anklagt; das Evangelium aber erweist gerade jetzt erst seine Kraft: Die Gnade triumphiert über den Mißbrauch des Gesetzes! Unsere durch die Form des Evangeliums, nämlich das Gesetz, verurteilte Existenz wird gerettet durch den Inhalt des Evangeliums an dieser Stelle gesteht K. Barth der Reihenfolge „Gesetz - Evangelium" Recht und Sinn zu. Sie ist für ihn identisch mit der Reihenfolge „ T o d - L e b e n " und folglich an sich ganz uneinsichtig (29). Durch die Gnade werde freilich „das Gesetz, die Form des Evangeliums, wiederhergestellt" (30). K. Barth hat diesen Ansatz an verschiedenen Stellen seiner Kirchlichen Dogmatik angesprochen und näher entfaltet. Er kann vom Bund her argumentieren: „Der Bund ist als Gesetz Gnade, ebenso wie er als Gnade Gesetz i s t " (1/2,89). Barth sieht in der Zusammengehörigkeit von Sinai-Bund und T h o r a dieselbe Grundstruktur wie in derjenigen von Indikativ und Imperativen im Neuen Testament: Erst das Evangelium! Was das Evangelium beinhaltet, entfaltet Barth unter dem Gesichtspunkt der Erwählung. Es liegt ihm daran, das Evangelium wirklich eindeutig zu machen: Es sei „kein Gemisch von Freudens- und Schreckens-, von Heils- und Unheilsbotschaft" (11/2,12). Auch „Heimsuc h u n g " sei Gnade, wie denn „wirklicher Z o r n " zugleich ursprüngliche und eigentliche „ L i e b e " voraussetze (11/2,821). Unablässig geht es Barth darum einzuschärfen, daß es „außer und n e b e n " dem einen Gotteswort in Jesus Christus (Barmen I) nicht eine eigene, etwa im Naturrecht, in der Humanität oder im Gewissen begründete Erkenntnis des Gesetzes geben könne. Das rechte Verhältnis zwischen Evangelium und Gesetz zeichne sich im ersten Dekalog-Gebot ab, aber auch im Gebot der Nächstenliebe: Es werde zum Evangelium, sofern der helfende Mitmensch als „Träger und Vertreter der göttlichen Barmherzigkeit" erfahren werde (1/2,459), und es impliziere das Gesetz, sofern der hilfsbedürftige Nächste Ähnlichkeit mit dem Gekreuzigten aufweise (472 ff), womit aber auch schon wieder das Evangelium ins Spiel kommt. K. Barth kann auf Analogien zurückgreifen: Die Taufe - „Tat G o t t e s " und „ T a t des M e n s c h e n " (IV/4,45) - läßt insbesondere in ihrer Rückbeziehung auf die Taufe Jesu das Ineinander von freier Unterordnung und Gesetz erkennen: „ G o t t für den Menschen, der Mensch für Gott, das ist der erfüllte Bund, die geschehene Versöhnung, der Dienst Jesu Christi" (IV/4,66).

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K. Barths Weise, Evangelium und Gesetz aufeinander zu beziehen, hängt sicherlich mit der Tradition zusammen, aus der er kommt; das spezifische Pathos, mit dem er seine These vertritt und entwickelt, ist mitbedingt durch die historische Situation, in der er kämpfte. Von den Problemen, die sich aus seinem Ansatz ergeben, seien zwei hervorgehoben, die er selbst anspricht: Er konnte die Ordnung der „Bürgergemeinde" darstellen, auch sofern sie nicht „Christengemeinde" ist und später unter gewissen Kautelen sogar von „Schöpfungsordnung" sprechen (111/4,49). Er wußte jedenfalls in der Spätphase seines Denkens um „das Selbstzeugnis der geschaffenen Welt, daß sie eine in ihrem Dasein und Sosein wirkliche, erhaltene, gehaltene Welt ist" (IV/3,174). Damit ist eine gewisse Spannung zu dem bisher Gesagten angedeutet, die sich auch in manchen exegetischen Operationen reproduziert. Die zweite, wohl gewichtigere Frage hat mit der dunklen Seite von Barths Erwählungslehre zu tun: Zwar gelingt es ihm, die „Verwerfung" christologisch aufzunehmen und als Christuszeugenschaft zu qualifizieren. Gleichwohl findet er es wichtig, dem, der sich bewußt aus der Christusherrschaft ausgeschlossen hat, die Konsequenzen anzukündigen (Peters 133 f) - womit ja eine äußerste Verschärfung der Gesetzespredigt erreicht ist. Dies allerdings nicht im Sinne der lutherischen Tradition: Nach deren Verständnis würde die Predigt von Gesetz und Evangelium gerade zur Beendigung dieses Zustands drängen und einladen. In Barths Sicht hat die Predigt den Blick zu öffnen, nicht aber Wirklichkeit umzugestalten: „In der gesamten Dogmatik wird nirgendwo der Auftrag Jesu Christi, sein Heil auf den Kopf zuzusprechen und seine Gnade leibhaft zu übereignen, eigenständig thematisiert" (Peters 133). Die letztlich doch durch den Sprachgebrauch der lutherischen Reformation geprägten Begriffe eignen sich denn auch nicht voll dazu, Barths Anliegen zu verdeutlichen. Er spricht lieber von „Gnade und Gebot", von „Erwählung und Verheißung" bzw. „Gericht und Verwerfung". Mannigfache Anfragen (z. B. Wingren, Schlink) veranlaßten ihn nur dazu, sein Unverständnis gegenüber lutherischer Tradition noch einmal zu artikulieren (IV/3, 427f). Die Diskussion über das Verhältnis zwischen K. Barths und Luthers Auffassung ist Gegenstand wichtiger Untersuchungen (B. Klappert, W. Joest). 2 . 2 . 2 . Der eine Christus - Gesetz und Evangelium pro me: Von K. Barth angeregt, hat H . J . - » I w a n d das Problem „ G e s e t z und E v a n g e l i u m " eigenständig entfaltet. Es ist ihm ein T h e m a einerseits der Christologie, andererseits der Soteriologie. Das „eine W o r t G o t t e s " - Jesus Christus - begegne in „zwei W o r t e n " , in denen sich das pro me des Gesetzes und des Evangeliums artikuliere. Alle natürliche Gesetzeserkenntnis sei Illusion, deswegen führe Gottes Gesetz zu notwendiger „ E n t - t ä u s c h u n g " ( N W 4 , 23). Das Gesetz hebe die Unterscheidung zwischen Guten und Bösen auf, indem es „gerade den Guten vor G o t t stellt" ( N W 4 , 4 0 ) und ihm zeige, d a ß hinter seinem guten Werk ein böser Wille steht, der auf die Vernichtung Gottes bedacht ist. Im Gesetz begegne mithin Gottes Wirklichkeit, es suche „den in mir, für den Christus gestorben i s t " ( N W 4 , 3 0 ) . Was es mit d e m Gesetz auf sich hat, erschließt sich a m Kreuz Jesu; hier begegne der M e n s c h seiner G e schichte, sich selbst - ecce homo\ N u n werde er es „ G o t t glauben, daß wir Sünder s i n d " (446). W ä h r e n d er v o m bloßen Sittengesetz a u f „die endlose Straße seiner Leistungen" geschickt werde, begegne ihm a m Kreuz das E n d e des Gesetzes, von d e m er nun seinen Ausgang nehmen könne - als der, der seine Vergangenheit hinter sich lassen, seine Identität nicht in sich, sondern in Christus suchen wird. Der M e n s c h könne das pro me des Evangeliums nicht verstehen, wenn er nicht das pro me des Gesetzes erfaßt habe. Z u beidem jedoch k o m m e es allein d u r c h die Predigt, die nicht nur auf Information, sondern auf reale Vermittlung aus ist. In Gesetz und Evangelium erweise sich das W o r t als eines, das „uns offenbar m a c h t , was wir nicht haben, und . . . das bringt, was wir nicht h a b e n " ( N W 4 , 1 5 8 ) . Es führe damit in die Spannung zwischen „Fleisch und G e i s t " , „Geist und B u c h s t a b e n " , Kirche und Welt, zwischen den „ Z e i t e n " (Kl. Schwarzwäller), - in eine Spannung, welche die Sehnsucht n a c h dem E s c h a t o n wecke. In Iwands E n t w u r f liegt eine interessante Verbindung von Intentionen K. Barths mit Anliegen lutherischer Provenienz vor. 3. Gesichtspunkte

für die weitere

Diskussion

Die Auseinandersetzung um d a s Verhältnis von Gesetz und Evangelium hat keinen allseits befriedigenden Abschluß gefunden, ja, sie kann als Musterbeispiel dafür angese-

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hen w e r d e n , wie gering unter T h e o l o g e n bislang die Fähigkeit ausgebildet w a r , sensibel auf den D i s k u s s i o n s p a r t n e r zu hören und A n g e b o t e von Argumentationsfiguren kreativ a u f z u n e h m e n . Für die weitere B e h a n d l u n g des T h e m a s sind folgende Desiderate anzumelden:

3.1. Der exegetische

Rückbezug

D i e Besinnung auf die exegetischen Voraussetzungen der R e d e von Gesetz und E v a n gelium ist wiederholt vollzogen w o r d e n (Peters 2 1 6 - 2 5 3 ) . D o c h stand die exegetische A r b e i t zeitweise selbst im B a n n e b e s t i m m t e r V o r e n t s c h e i d u n g e n gerade zu diesem T h e m a : W ä h r e n d G . v. - » R a d und H . W . Wolff, v o m alttestamentlichen Gesetzesverständnis ausgehend, eher d e m I n t e g r a t i o n s m o d e l l zuneigten, vertraten R . - » B u l t m a n n (aber a u c h Fr. B a u m g ä r t e l , F. Hesse) und einzelne seiner Schüler (besonders H . Braun) in ausgeprägter Weise das K o n f r o n t a t i o n s m o d e l l (Christus des Gesetzes E n d e , G u V II, 3 2 - 5 8 ) . Auch die r ö m . - k a t h . E x e g e s e m a c h t e ihre eigenen d o g m a t i s c h e n Voraussetzungen geltend (P. Bläser). F ü r den E x e g e t e n r ü c k t e zudem das Verhältnis von Gesetz und Evangelium in die S p a n n u n g zwischen A l t e m und N e u e m T e s t a m e n t . Z u r D e b a t t e steht s o m i t hier nicht nur die weitere exegetische D e t a i l a r b e i t , sondern insbesondere das P r o b l e m , inwiefern für die Erhellung des Verhältnisses von G e s e t z und E v a n g e l i u m exegetische F o r s c h u n g überhaupt relevant zu sein vermag, wie das Ergebnis d a n n wiederum h e r m e neutisch f r u c h t b a r werden k ö n n t e und w e l c h e K o n s e q u e n z e n sich d a m i t für die Erschließ u n g des Verhältnisses zwischen den T e s t a m e n t e n e r g ä b e n .

3.2. Ökumenische

Theologie

D i e rechte Unterscheidung von G e s e t z und E v a n g e l i u m blieb i m m e r das S t i g m a einer von Luther her sich verstehenden T h e o l o g i e . N o c h I w a n d bezeichnete sie als „ g e g e n w ä r tig eines der schwierigsten P r o b l e m e zwischen den beiden p r o t e s t a n t i s c h e n K o n f e s s i o n e n " ( N W 4 , 4 4 1 ) . N i c h t einmal i n n e r h a l b der i n n e r p r o t e s t a n t i s c h e n Ö k u m e n e k o n n t e sich somit das T h e m a allenthalben als relevant durchsetzen. Für die R e z e p t i o n durch die jungen K i r c h e n zeigen sich zusätzliche soziokulturell bedingte Schwierigkeiten. D i e r ö m . k a t h . T h e o l o g i e v e r m o c h t e das P r o b l e m als „ r e f o r m a t o r i s c h e s K a m p f t h e m a " (G. S ö h n gen) nicht wirklich aufzugreifen; in der G e g e n w a r t wird es von ihr eher als konfessionelles K u r i o s u m denn als echte P r o v o k a t i o n w a h r g e n o m m e n . Seine k a t h o l i s c h e Fassung lautet „ G e s e t z und G n a d e " o d e r „ G e s e t z und F r e i h e i t " (Söhngen: L T H K 2 4 , 8 3 1 ) bzw. „ G n a d e und G e s e t z " ( H ä r i n g 1 , 2 9 5 ) . W a s die R e f o r m a t i o n als usus elenchticus und als tertius usus legis diskutiert h a t t e , wird interpretiert unter der von Augustin g e w o n n e n e n Prämisse: „ D a s Gesetz ist g e g e b e n , a u f d a ß die G n a d e gesucht werde; die G n a d e ist g e g e b e n , auf d a ß das Gesetz erfüllt w e r d e " (PL 4 4 , 2 2 1 ) . G n a d e und G e s e t z ergänzen einander, o h n e miteinander in K o n f l i k t zu geraten. D i e P r o b l e m a t i k des E v a n g e l i u m s als einer nova lex wird unter H i n w e i s auf —»Thomas von Aquin gelöst: D a s N e u e G e s e t z ist letztlich nichts anderes als die den M e n s c h e n von innen her belebende „ G n a d e des Heiligen Geistes s e l b e r " (S.th. I—II q 1 0 6 a 1), „ L e b e n s g e s e t z , inneres D r ä n g e n und P o c h e n des neuen Lebens zu i m m e r g r ö ß e r e m W a c h s t u m " ( H ä r i n g 1 , 2 9 3 ) . D e m r e f o r m a t o r i s c h e n Gesetzesbegriff k ö n n e n gewisse „ V o r t e i l e " bescheinigt werden ( z . B . M y S a l 4 , 2 , 8 9 4 ) ; als ein G r a v a m e n im interkonfessionellen D i a l o g wird er n i c h t a u f g e f a ß t . Selbst w o sich ein A u t o r um die R e z e p t i o n des T h e m a s b e m ü h t , n i m m t es sich im K o n t e x t k a t h o l i s c h e r T h e o l o g i e m e r k w ü r d i g erratisch aus (P. K n a u e r 7 2 - 7 5 . 1 0 5 - 1 0 7 . 3 0 8 f ) . In die T h e o l o g i e der o r t h o d o x e n Kirchen hat das P r o b l e m n i c h t einmal als D i s k u s s i o n s t h e m a E i n g a n g gefunden. Aufgabe einer ökumenischen Theologie wäre es herauszuarbeiten, unter welchen theologischen (und nichttheologischen) Voraussetzungen das Anliegen des discrimen legis et evangelii verstanden werden kann bzw. unverstanden bleiben muß. Die konfessionelle Partikularität (die ja der historischen eigenartig entspricht) verlangt nach einer ökumenisch umsichtigen Ortszuweisung des Problems. Sie kann sicher nicht erfolgen ohne Erhellung derjenigen theologischen Artikulationsmu-

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ster, die in eine ähnliche R i c h t u n g führen, und ohne eine kreative Nutzung der Differenzen, die dabei zutage k ä m e n .

3.3. Der anthropologische

Kontext

Die Frage, was denn die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium mit der dem Menschen erfahrbaren Wirklichkeit zu tun hat, ist theologisch kontrovers, als Problem aber noch nicht aufgearbeitet. Hier gilt es, manche Fragestellung der -»Aufklärung wieder aufzugreifen (s.o. 1.3). Von den Interpretationsmodellen her, die die Konfrontation von Gesetz und Evangelium thematisieren, scheinen sich am ehesten Bezüge zu den „Ordnungen" (Eiert, Althaus), zur „Welt" (Gogarten) erkennen zu lassen. Wie aber sind diese Beziehungen theologisch zu verrechnen? Bedürfen sie weiterer Differenzierung? Nach welchen hermeneutischen Gesichtspunkten wären sie zu erschließen? Während bisher meistens einzig das „Gesetz" auf das „Leben" bezogen wird, dem dann das „Evangelium" befreiend gegenübertritt, hat H. Gollwitzer vorgeschlagen, das Verhältnis von Evangelium und Gesetz (in dieser Reihenfolge!) als solches im Kontext der Unterscheidung von „Sinn" und „Nutzen", von „Sinnfindung" und „Sinngebung" zu interpretieren; die christliche Botschaft komme damit als „Verschärfung der Sinnfrage" zu stehen. Für den, der sie hört, ende die aus der Angst entstehende und beginne die aus dem Dank erwachsende „Unruhe"; „Sinn" werde dann durch den „Bedürftigen" aufgerufen und„im Tun" empfangen. (Krummes Holz 62-82. 297-325). Ohne die reformatorische Formel „Gesetz und Evangelium" selbst zu bemühen, trägt P. Tillich zu ihrer Neuinterpretation bei, indem er das Evangelium als die Macht des „Neuen Seins", das Gesetz aber als die dem Seienden immanente Vernunft-Struktur deutet. Unter dem Gesichtspunkt der Entfremdung der Existenz gewinnen Evangelium und Gesetz gleichermaßen rettende Züge: Gerechtigkeit erweist sich als Form der Liebe, die Liebe als mächtig im Gesetz. „In seiner Skizze einer quantitativ zumessenden oder abwägenden, einer qualitativ richtenden und einer schöpferisch verwandelnden Gerechtigkeit ist der dreifache Gebrauch des Gesetzes in seinen anthropologischen Dimensionen ausgezeichnet rezipiert" (Peters 136 f). Mit Tillichs ontologischer Perspektive (Liebe, Macht, Gerechtigkeit, G W X I , 143-225) kommen Gesichtspunkte der philosophischen Anthropologie ins Spiel, die theologisch noch nicht aufgearbeitet sind. Wie ist die Relation des Verhältnisses „Gesetz - Evangelium" zu bestimmen zu den Analogien „Forderung - Schenkung", „Imperativ - Indikativ", „Sein - Sollen" (G. Söhngen), „Nein - J a " (U. Mann)? Auch die Auseinandersetzung mit der humanwissenschaftlich orientierten Psychologie wäre dringend erforderlich: Wie verhält sich das Gegenüber von Gesetz und Evangelium zu den Einsichten über „Urvertrauen" und „Urmißtrauen" (Erikson), zur psychologischen Funktion von „Idealen" (W. Schmidbauer) und zur Über-Ich-Problematik, zu Erfahrungen von psychischer Belastung und Entlastung, schließlich zu den Prinzipien von „Lust" und „Unlust" (Schleiermacher, Glaubenslehre §62)? Ebenso wären soziologische Aspekte zu berücksichtigen - das Verhältnis von Gemeinschaft und Individuum, das Problem von Freiheit und Notwendigkeit. Endlich ist die religionspsychologische bzw. -phänomenologische Problematik noch keineswegs ausgelotet: Inwiefern können Erfahrungen, die in der außerchristlichen Religiosität gemacht werden - etwa im Zen! mit der Formel „Gesetz - Evangelium" hermeneutisch konfrontiert werden? 3.4. Theologische

Defizite

Was das Christentum reformatorischer Ausprägung über das Verhältnis von Gott und Mensch zu sagen hat, ist mit der Formel „Gesetz und Evangelium" mindestens thematisiert, nach Luthers Überzeugung sogar gültig ausgesprochen. Darin liegt ihre Stärke, aber zugleich ihre Schwäche: Sie erweist sich als eine anthropozentrische Aussage, sofern es in ihr primär um das Verhältnis Gottes zum Menschen geht - die außermenschliche Schöpfung tritt dabei, wenn überhaupt, nur sekundär in Erscheinung. Gott begegnet — in „ Z o r n " und „Barmherzigkeit", als der „verborgene" und „offenbare", als der in Christus Richtende und Rettende — dem Menschen. Das führt einerseits zu einer theologischen

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Vernachlässigung des Kosmos, andererseits zu einer Engführung in der Gotteslehre: Es wäre zu klären, inwieweit die Diskussion um „Gesetz und Evangelium" von den Implikationen eines theistischen (maskulin interpretierten? [H. Wöller 220-222]) Ansatzes losgelöst und etwa im Sinne einer metatheistischen, trinitarisch strukturierten Theologie aufgenommen werden könnte. Man hat die Formel „Gesetz und Evangelium" nicht selten im Kontext weiterer theologischer Distinktionen diskutiert: „Fleisch und Geist", „Geist und Buchstabe", „Glaube und Leben", „Person und Werk", „Reich zur Linken - zur Rechten", Kirche und Reich Gottes. Es hat guten Sinn, ihre theologischen Anschlußstellen sichtbar zu machen und damit bestimmte, zeit- und theologiegeschichtlich bedingte Reduktionen zu überwinden. Andererseits wird dabei ein Formalisierungs- und Systematisierungszwang (Gesetz?) erkennbar, der die Formel selbst überfordert und zugleich ihre ursprüngliche Intention verdirbt. Als Formalprinzip ist die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium für die Dogmatik keineswegs besser geeignet als für den Predigtaufbau; als inhaltliches Prinzip aber bedarf sie weniger des menschlichen als des heiligen Geistes: Sie ist von Hause aus nicht eigentlich ein „Lehrstück". Die rechte Unterscheidung zwischen Gesetz und Evangelium vollzieht sich vielmehr in der lebendigen Dynamik des verkündigten Wortes Gottes: „Kein Mensch lebt auf Erden, der da zu unterscheiden wüßte zwischen Gesetz und Evangelium... Allein der Heilige Geist versteht diese Kunst" (M. Luther, WA.TR 2, 3f, Nr. 1234). Nur wenn die Verbindung der Rede von Gesetz und Evangelium zum konkreten, dem heiligen Geist Raum gebenden Verkündigungsgeschehen gewahrt bleibt, wird sie sich auch im theologisch reflektierenden Umgang mit ihrem Wortlaut als befreiend bewähren. 4. Thesen 0.1. Die Lehre von Gesetz und Evangelium ist eine spezifische und radikale Reflexionsgestalt des biblischen Zeugnisses von Gottes Zuwendung zum sündigen Menschen in Jesus Christus. 0.2 Es geht dabei um die Sachgemäßheit sowohl der Unterscheidung wie auch der rechten Zuordnung von Gesetz und Evangelium. 0.3. Die Formel „Gesetz und Evangelium" ist eine entfaltungsbedürftige theologische Abbreviatur, die sich aus dem Kontext des kerygmatisch-seelsorgerlichen Ansatzes der reformatorischen Theologie erschließt. 1.1. Die Lehre von Gesetz und Evangelium redet von Gottes Verhältnis zum Menschen bzw. von des Menschen Verhältnis zu Gott, mithin von Jesus Christus. 1.2. Theologisch formuliert, besagt sie: In Jesus Christus weist und bringt Gott den Menschen, der sich auf dem Weg zum Tod befindet und insofern bereits der Wirklichkeit des Todes zugehört, auf den Weg zum Leben. 1.3. Anthropologisch formuliert, besagt sie: Unter der Predigt des Gesetzes sieht sich der Mensch auf den Weg zum Leben gewiesen, den er von sich aus weder finden noch gehen kann; unter der Predigt des Evangeliums sieht er sich auf den Weg zum Leben gebracht und insofern bereits in das Leben hineingerettet. 2.1. Gesetz ist somit ungenügend beschrieben als - das Gesetz der Wirklichkeit und ihrer Grenzen, - das Gesetz psychosomatischer oder sozio-ökonomischer Konstitutionsbedingungen des Menschen, - das Gesetz einer allgemeinen oder speziellen Moral (Naturrecht, Menschenrechte, religiös oder weltanschaulich begründetes Gesetz). 2.2. Als Gesetz erweist sich vielmehr die Predigt von Jesus Christus, in der ich mir sagen lasse, daß ich in meinem Sein, Tun und Lassen auf den Tod zueile, der damit in

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seiner Radikalität erst wahrnehmbar wird, und daß ich einer Rettung bedarf, die ich mir aus eigenen Kräften nicht beschaffen (noch auch nur aneignen) kann. 3.1. Evangelium ist somit ungenügend beschrieben als - der positive Ansatz einer sinnhaften Welt- und Lebensperspektive, - die hilfreiche Überhöhung oder Ergänzung begrenzter menschlicher Kapazität, - entlastender Beitrag zu individuellem oder gesellschaftlichem Krisenmanagement. 3.2. Als Evangelium erweist sich vielmehr die Predigt von Jesus Christus, in der ich mir sagen lasse, daß ich auf dem Weg zum Leben gebracht bin und daß meine Herkunft vom Weg des Todes dies nicht zu beeinträchtigen oder gar zu verhindern vermag. 4.1. Das Verhältnis zwischen Gesetz und Evangelium ist somit ungenügend beschrieben als das Verhältnis von - Allgemeinem und Besonderem, - Frage und Antwort, - Anleitung und Hilfestellung, - Vernunft und Offenbarung, - Natur und Gnade. 4.2. Die Predigt des Gesetzes und die Predigt des Evangeliums verhalten sich zueinander vielmehr wie töten und lebendig machen, sterben und auferweckt werden, wie Sünde tun bzw. Sünder sein und gerechtfertigt werden. 5.1. Der Weg zum Leben, auf den der gerechtfertigte Sünder sich gebracht weiß, ist nicht dadurch gekennzeichnet, daß dieser, sofern er glaubt, - dem Gesetz immer stärker entsprechen kann und also des Evangeliums immer weniger bedarf, - sich vom Evangelium immer stärker bestimmen läßt und folglich des Gesetzes immer weniger bedarf. 5.2. Der gerechtfertigte Sünder steht vielmehr unter dem lebenslangen Zugriff der Predigt von Gesetz und Evangelium, durch die er einerseits seines Angewiesenseins auf Gottes Zuwendung in Jesus Christus immer stärker gewahr wird, andererseits aber sie zunehmend intensiver in Anspruch zu nehmen lernt. 5.3. Die Inanspruchnahme von Gottes den Sünder rechtfertigender Zuwendung in Jesus Christus verwirklicht sich in Formen, die als Gehorsam gegenüber dem Gesetz erscheinen können, die aber Äußerungen der durch das Evangelium geschenkten Freiheit in Wahrheit Folgen der Befreiung vom Gesetz darstellen. 6. Die Rede von Gesetz und Evangelium hat ihren Ort innerhalb der Grenzen des durch die Sünde geprägten Äons; die in ihr artikulierte Spannung lebt von ihrer Auflösung im Eschaton. Quellen und Literatur Zu 1.: Johann Wilhelm Bajer, Compendium Theologiae positivae, Leipzig 1750. - Jörg Baur, Salus christiana. Die Rechtfertigungslehre in der Geschichte des christl. Heilsverständnisses, Gütersloh, 1 1968. - Robert Bellarmin, Opera o m n i a . . . Hg. v. J. Ferre, Paris, IX 1873, 145-386. - Martin Chemnitz, Loci theologici..., Francofurti & Wittebergae, II 1690 (Editio Novissima...), 1—212.— Ders., Theologiae Jesuitarum Brevis ac Nervosa Descriptio . . . (1560), Francofurti & Wittebergae 1690, 13-15. - Gottfried Cundisius, Notae & Observationes, Quibus Compendium Theologicum Dr. D. Leonhart Hutteri p.m. illustratur . . . , Jena 1648, 673-731. - H.R. Frank, Die Theol. der Concordienformel hist.-dogmatisch entwickelt u. beleuchtet, Erlangen, II 1861, 243—405. - Johann Gerhard, Loci theologici... Hg. v. E. Preuss, Berlin, III 1865,1-202. - G. C. A. Harleß, Christi. Ethik, Stuttgart 2 1842, 44—77. - Theodosius Harnack, Luthers Theol. mit besonderer Beziehung auf seine Versöhnungs- u. Erlösungslehre. Hg. v. Wilhelm F. Schmidt. I. Luthers theol. Grundanschauungen, München 1927,365—461. -Susi Hausammann, „Leben aus Glauben" in Reformation, Reformorthodoxie u. Pietismus: T h Z 27 (1971) 263-289. - Heinrich Heppe, Die Dogmatik der ev.-ref. Kirche. Hg. v. Ernst Bizer, Neukirchen 2 1 9 5 8 , 2 2 4 - 3 2 2 . - Rudolf Hermann, Goethes u. Zelters Plan einer Refor-

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142

Gesetz und Evangelium II

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Ausgangspunkt

Jede ethische Aussage setzt Leitwerte und bestimmte Maßstäbe von Richtig und Falsch voraus, auf die sich die Aussage gründet. Für christliche Ethik ist es Gott, der den

143

Gesetz und Evangelium II

Menschen die Maßstäbe von Richtig und Falsch gegeben hat, indem er ihnen auf zwei grundlegende Weisen, in Gesetz und Evangelium, begegnet ist. Eine solche lebendige Beziehung zu Gott formt die menschliche Ethik. Unter der zwiefachen Herrschaft ihres Schöpfers und Erlösers durch Gesetz und Evangelium sehen sich Christen zugleich an Gottes Wort von der „Vergebung der Sünden" und an Gottes Welt gebunden, der sowohl ihre kritische Solidarität in Liebe als auch ihr Bemühen durch tätigen Glauben in Liebe um gesellschaftliche Wohlfahrt und Gerechtigkeit gilt. Daher ist (mit -»-Luther) die Fähigkeit, zwischen Gesetz und Evangelium zu unterscheiden und die rechte Spannung zwischen ihnen zu bewahren, wenngleich die schwierigste aller theologischen Aufgaben, von höchster Bedeutung für christliche Ethik. 2. Ethische Implikationen

des Problems von Gesetz und

Evangelium

2. 1. Die klare Unterscheidung und die Dynamik zwischen Gesetz und Evangelium. Christlicher Glaube geht davon aus, daß Gott an den Menschen auf zweierlei Weise handelt, nämlich durch Gesetz und Evangelium. „Der Unterschied des Gesetzes und Evangeliums (ist) als ein besonders herrliches Licht mit großem Fleiß in der Kirche zu erhalten, dadurch das Wort Gottes (nach der Vermahnung von Paulus) recht geteilet wird" (FC, Ep. 5,1). Die Vermengung beider ist in der Tat so fragwürdig, daß dadurch die Verkündigung und Lehre der Kirche zutiefst beeinträchtigt werden. Als Folge wird dann christliche Ethik auf die -»Bergpredigt und die -»Goldene Regel beschränkt und kaum mehr auf Kreuz und Auferstehung Christi bezogen. Gewöhnliche Menschen sehen das Christentum nur als Gesetz, ob nützlich oder irrelevant, aber nur als Gesetz. Die einzigartige Botschaft des christlichen Glaubens, daß Gott die Welt in Christus mit sich selbst versöhnt, wird dabei völlig außer acht gelassen. Eine solche Wahrnehmung des Christentums führt ferner zu einem Mißverständnis der Aufgabe der Kirche in der Welt. Wo das Evangelium zu einem Gesetz gemacht wird, besteht eine Neigung, auf Gesetzesfragen Evangeliumsantworten oder, in den Worten von D. —»Bonhoeffer, auf vorletzte Fragen letzte Antworten zu geben. Diese Tendenz schafft eine Vielfalt ethischer Schwierigkeiten, wenn Evangeliumsantworten auf Fragen der Politik, Wirtschaft, Soziologie oder Psychologie gesucht werden. Darum ist es eine theologische Pflicht, als Beitrag zu den ökumenischen Diskussionen um christliche Ethik heute den fundamentalen Unterschied zwischen Gesetz und Evangelium herauszuarbeiten und aufrechtzuerhalten. 2. 2. Der Christ als gerecht und Sünder zugleich (simul iustus et peccator). So öffnet nur die theologische Einsicht, daß das Endliche das Gefäß des Unendlichen ist, und das daraus hervorgehende Bekenntnis der realen Gegenwart Christi unseren Blick für den s«>n«/-Charakter der christlichen Gläubigen, die gerecht und Sünder zugleich sind. Sie sind gerecht, solange sie auf Gottes Gnade und nicht auf ihre eigenen Leistungen bauen. Sie sind daher gerecht nicht als moralisch höherstehende Wesen, sondern als Sünder, denen Gott vergeben hat und die seine Gnade annehmen. Alle Menschen, ungeachtet ihrer ethnischen Zugehörigkeit, ihres Berufs und ihrer Verhaltensgewohnheiten, sind auf die Sündenvergebung durch Gott angewiesen und werden nur in der Taufe gerecht genannt. Jeder Christ bedarf, während er seinem Nächsten dient, der täglichen Buße und befindet sich daher in einem unablässigen Prozeß, das zu werden, was der getaufte Gläubige ist. Christliche Ethik gründet dynamisch in dem Paradox der christlichen Freiheit, die die Befreiung aus den Fesseln Satans als göttliche Einladung zum Dienst am Nächsten und seinen Bedürfnissen akzeptiert. Sie beruht somit auf dem absoluten Anspruch, daß eine Heilsbeziehung zwischen Gott und Mensch nur auf der Basis des Evangeliums von der Vergebung der Sünden möglich ist. Da ihnen das Heil in der unverdienten Vergebung Christi zugesprochen ist, haben Christen in „neuem Gehorsam" die Freiheit, ihre Vernunft und ihre guten Werke, als die Früchte ihres Glaubens, in den Dienst am Wohl ihrer Nächsten einzubringen.

144 3. Das natürliche Evangelium

Gesetz und Evangelium II Gesetz (lex naturalis)

in Auseinandersetzungen

um Gesetz und

Die breiteste Bedeutung wird dem natürlichen Gesetz in der Vorstellung zugeschrieben, daß es bestimmte Vorschriften oder Normen gebe, die von allen Menschen erkennbar seien und so die Grundlage für Gewissensurteile über Gut und Böse bildeten. Jede menschliche Handlung befindet sich demnach entweder im Einklang mit dem natürlichen Gesetz oder nicht. Da viele Verfechter der lex naturalis die menschliche Natur als unveränderlich auffassen, müssen sie folgerichtig auch das natürliche Gesetz als unveränderlich ansehen. Tatsächlich basiert es nach dieser Annahme auf dem ewigen Gesetz, das seinerseits als Ausdruck des göttlichen Wesens gilt. Aus christlicher Sicht ist das Gesetz ein integrales Strukturelement des von Gott geschaffenen Universums und der Rahmen, in dem diese Welt sich bewegt und wirkt. Das Gesetz umfaßt daher nicht nur das mosaische Gesetz oder Gebote vom Typ „Du sollst/Du sollst nicht", sondern auch „das Prinzip und die Wirkungsweise der O r d n u n g " in der Welt. Ein solcher Gesetzesbegriff kommt der Lehre von der lex naturalis sehr nahe. So behandeln auch Thomas von Aquin und in erheblichem M a ß e der römische Katholizismus überhaupt die Lehre von der lex naturalis als Grundlage der gesamten Moraltheologie. Die höchste Autorität bleibt bei alledem das geoffenbarte göttliche Recht (ius divinum). Unterhalb dieses Rechts steht das sogenannte primäre Naturrecht: bestimmte universelle Grundprinzipien, die jeder mit Vernunft ausgestattete Mensch anerkennen muß. Als nächstes kommt das sogenannte sekundäre Naturrecht, das die Anwendung des primären Naturrechts auf die aktuellen Gegebenheiten des Lebens darstellt und somit der Veränderung unterworfen ist. Die Lehre vom natürlichen Gesetz kann leicht den Anspruch auf einen universellen Horizont erheben. Die Gnade tritt als Ergänzung zur Natur hinzu, als die erfüllende Bestimmung der Menschheit im Lichte des Evangeliums: gratia non tollit, sed perfecit naturam. Hier also ist der Ort des „positiven Rechts", das durch den freien Akt eines menschlichen, durch göttliche Autorität ermächtigten Gesetzgebers geschaffen wird. Seit —>Leo XIII. wird diese Sicht als eine Lösung zeitgenössischer Probleme hingestellt. Die Reformatoren des 16. Jh. erkannten eine Offenbarung des natürlichen Gesetzes im Dekalog zwar an, neigten aber dazu, die lex naturalis auf die „zweite Tafel", auf die Gebote über -»Familie, -»Ehe, das -»-Leben selbst, den Besitz, den Beruf, die Menschenwürde und die Menschenrechte zu beschränken. Während die lutherische Tradition eher Gottes versöhnende Offenbarung in Christus betont, die vom Gesetz radikal unterschieden ist, hat reformiertes Denken einige starke Impulse aus der Tradition der Lehre vom natürlichen Gesetz in sich aufgenommen. Die (lutherische) Theologie der Schöpfungsordnungen ist ein Versuch, den latenten Deismus in der Lehre von der lex naturalis durch die Bindung des Gesetzes an Gott den Schöpfer zu überwinden - darum nicht lex naturae, sondern lex creationis. Gleichzeitig teilt eine solche theologische Auffassung die Intention der Theorie eines natürlichen Gesetzes, für Christen und Nichtchristen eine gemeinsame Grundlage zur Zusammenarbeit bei der Verwirklichung menschlicher Wohlfahrt zu finden. In der Gegenwart ist der Begriff eines natürlichen Gesetzes durch protestantische Theologen, die eine „situations-" oder „kontextbezogene" Ethik vertreten, grundsätzlich in Frage gestellt worden. Die vergleichende Kulturforschung zeigt, daß es, wenn überhaupt, nur sehr wenige universelle, „natürliche" ethische Prinzipien gibt, die der Menschheit als ganzer gemeinsam sind. Gottes Gesetz ist vielmehr in der Geschichte, nicht in der Natur geoffenbart worden. Einerseits kann Gottes Wille nicht ein für allemal in einem kasuistischen System von Gesetzen und Vorschriften fixiert werden; andererseits ist es aber auch nicht nur die „Situation" oder der „Kontext", der Gottes Willen offenbart. Ethische Prinzipien wie die Zehn Gebote oder die Goldene Regel können die Funktion einer Richtschnur gewinnen. Weder die Situation als solche noch ethische Prinzipien als solche bieten eine Gewähr für wahren Gehorsam gegenüber dem Willen Gottes. Zur

Gesetz und Evangelium II

145

Suche nach Gott gehört die täglich neue Buße und eine persönliche Beziehung zu Gott. Was Bonhoeffer „Verantwortungsethik" nennt, ist eine sehr flexible Handhabung ethischer Prinzipien. Der Akzent liegt auf der persönlichen Bindung an Christus und auf der Übernahme einer aktiven Verantwortung für die Welt vor Gott. In der östlichen orthodoxen Kirche, die legalistischem Denken am fernsten steht, wird das natürliche Gesetz nicht in bezug auf ein politisches Widerstandsrecht anerkannt oder diskutiert. Darin spiegelt sich die Tatsache wider, daß keine andere christliche Gruppe so tief durch die gegenwärtige Welt beeinflußt worden ist. Die östliche orthodoxe Ethik, die sich ausschließlich auf die biblische Offenbarung stützt, hat Inspirationscharakter und findet ihre Summe in den Zehn Geboten und den Seligpreisungen. 4. Universelle, absolute Ansprüche des Gesetzes und des

Evangeliums

Das biblische Zeugnis besagt, daß Gottes Beziehung und modus operandi gegenüber den Menschen nicht nur durch das Gesetz, sondern auch durch das Evangelium geschehen, womit die gesamte menschliche Lebenswirklichkeit vor Gott (coram Deo) in der Welt zusammengefaßt wird. In der Sphäre des Gesetzes oder der Schöpfungsordnung teilen Christen viele Dinge mit anderen Menschen über alle religiösen, sozialen und kulturellen Grenzen hinweg, bis hin zu nicht- oder antireligiösen Menschen. Eine solche allgemein-menschliche Solidarität in der Sphäre des Gesetzes dient dem Zweck, ein Minimum an Frieden, Gerechtigkeit und Wohlergehen in dieser Welt zu bewahren. Gottes Beziehung zu Menschen in der Welt äußert sich direkt, sozial und universell durch das Gesetz und im Rahmen der Schöpfungsordnungen. Andererseits jedoch führt diese Gesetzesbeziehung, auch wenn sie eine Minimalordnung der Welt aufrechterhält, nicht zu dem letzten Ziel des menschlichen Heils. Im Gegenteil, Gottes Handeln durch das Gesetz konfrontiert alle Menschen schließlich mit der Wirklichkeit, daß sie nichts als sündig und zerstörerisch sind: dies ist der absolute Anspruch des Gesetzes. Dann wird ein Mensch zu der Erkenntnis gebracht, daß die Gerechtigkeit Gottes nur durch den Glauben an Jesus Christus kommt (vgl. Rom 3,21-25). Dies ist der absolute Anspruch des Evangeliums. Im Reich Gottes regiert somit der Erlöser über alle getauften Gläubigen durch Christus, durch das Evangelium, in persönlichem Glauben und persönlicher Liebe. Im Reich der Menschen regiert Gott der Schöpfer über alle sündigen Kreaturen durch weltliche Gewalt, durch das Gesetz, in weltlicher Gerechtigkeit und weltlichem Gehorsam. Wie Gott ineins der Herr beider Reiche ist, so ist auch jeder getaufte Gläubige ineins ein Untertan beider Reiche. Luther, der diese zwiefache Herrschaft Gottes in aller Schärfe herausgearbeitet hat, beschreibt die „heilige Weltlichkeit" der gewöhnlichen Aufgaben des täglichen Lebens, die den Bedürfnissen des Nächsten zum Ruhme Gottes am besten dienen. Von dem universellen, absoluten Anspruch des Gesetzes und des Evangeliums her betrachtet, lassen sich die beiden Seiten des zwiefachen Regiments Gottes angemessen unterscheiden, ohne daß sie in Säkularismus getrennt oder in Klerikalismus verschmolzen würden. So wird es Christen leichter, die genauen Funktionen von Kirche und Staat unter dem zwiefachen Regiment Gottes auseinanderzuhalten und doch zugleich in ethischer Verantwortung die gesamte Gesellschaft mit persönlicher Liebe und sozialer Gerechtigkeit zu durchdringen. 5. Der didaktische

Gebrauch von Gesetz und

Evangelium

Es ist evident, daß Gesetz und Evangelium zwei entgegengesetzte und einander ausschließende Formen göttlichen Handelns darstellen und daß das Evangelium der „Liebe" die Erfüllung des Gesetzes ist. Strittig dagegen war und ist, in welcher dynamischen Wechselbeziehung beide zueinander stehen. Römisch-katholisches Denken findet seinen Ausgangspunkt im natürlichen Gesetz vor der übernatürlichen Gnade. In der Hauptrichtung protestantischer Theologie ist viel darum diskutiert worden, ob das Gesetz notwen-

146

Gesetz und Evangelium II

digerweise dem Evangelium vorausgeht (die lutherische Position) oder ob der Bund Gottes mit den Menschen vor dem Gesetz kommt (die reformierte Position). Eng verknüpft mit diesen Auseinandersetzungen ist die Frage nach dem sogenannten tertius usus legis, d.h. nach dem didaktischen Gebrauch des Gesetzes als Richtschnur christlichen Verhaltens. Calvin betonte stärker als Luther die positive Funktion des Gesetzes, doch liegt hier wohl eher ein gradueller als ein qualitativer Unterschied vor. Gleichwohl besteht in der reformierten Tradition eine Tendenz, die didaktische Funktion des Gesetzes hervorzuheben, während die lutherische Sicht insistiert, daß der Gebrauch des Gesetzes sich darin erschöpfe, einerseits im usus theologicus den sündigen Menschen zur Erkenntnis seiner Sündhaftigkeit zu bringen und andererseits im usus civilis den sündigen Menschen in Zucht zu halten (lex Semper accusat). Für christliche Ethik folgt daraus die schwierige Aufgabe, ihren Weg zwischen den Gefahren des Antinomismus, wo das Evangelium dem Gesetz, und den Gefahren des Legalismus und des Verlusts christlicher Freiheit, wo das Gesetz dem Evangelium vorausgeht, hindurchzusteuern. Im Lichte der zwei Formen göttlichen Handelns durch Gesetz und Evangelium sehen sich Christen somit vor das Paradox gestellt, daß sie zugleich gerechtfertigt und sündig und daß sie zugleich befreit und gebunden sind. Ein solcher Ansatz verwirft jeden triumphierenden sozialen Aktivismus auf der Grundlage moralischer Werkgerechtigkeit, da das Heil der Menschen allein auf ihrer im Glauben angenommenen Rechtfertigung durch Gottes Gnade um Christi willen beruht. Andererseits muß auch jeder ethische Quietismus vermieden werden, da Christen durch ihren Glauben gehalten sind, „gute Frucht zu bringen" - bis hin zu Werken, die von Gott nicht zu ihrem eigenen, sondern zum Nutzen der Nächsten geboten sind. Christliche Anthropologie trifft eine klare Unterscheidung zwischen Gesetz und Evangelium und ihrer dynamischen Wechselbeziehung und verweigert sich daher sowohl einem naiven Optimismus, der die menschliche Fähigkeit zum Bösen, als auch einem zynischen Pessimismus, der die menschliche Fähigkeit zum Guten ignoriert; sie verteidigt realistisch menschliche Freiheit und menschliche Würde. Die Verantwortung von Christen unter Gesetz und Evangelium stellt ihr soziales Handeln in eine eschatologische Perspektive. Christliche Gemeinde weiß, daß das vollkommene Reich Gottes letztlich nicht aus menschlichen Bemühungen und Leistungen hervorgehen wird, aber sie erbietet sich zugleich aufgrund des Vorgeschmacks auf das eschatologische Reich Gottes, der ihr durch das Geschenk der Gerechtigkeit in Christus verliehen ist, als Anwalt einer irdischen Gerechtigkeit (iustitia civilis), die schon hier und jetzt in der Welt verwirklicht werden kann. Durch den „zivilen" oder „politischen" Gebrauch des Gesetzes greift Gott universell in das menschliche Leben ein, mittels Strukturen und Prinzipien, die gewöhnlich in politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Institutionen die historische Befreiung der Menschen betreiben. Doch sind Fortschritte und Errungenschaften, die in diesen Bereichen erzielt werden, von vorläufiger Art. Ewiges Heil ist einzig die eschatologische Realität des Wirkens der „rechten Hand" Gottes und als solche ein Geschenk der Gnade, das von Gott frei um Christi willen erteilt und allein durch Glauben empfangen wird. Unter diesem Blickwinkel sind historische Befreiung und ewiges Heil, obwohl miteinander verbunden, nicht identisch. Die verschiedenen Äußerungen von Befreiung sind lediglich eine Antizipation des verheißenen Heils, dürfen aber nicht mit ihm gleichgesetzt werden. Von reformierter Seite ist u . a . eingewandt worden, daß die strikte Unterscheidung zwischen Gesetz und Evangelium die universelle Herrschaft Christi beschränke, da sie aus dem Evangelium nur eine neue Einstellung zur Welt der politischen und sozialen Ordnung, nicht aber die Verpflichtung der Christen zur Arbeit an der Erneuerung dieser Ordnung, an ihrer Annäherung an das Regiment Christi ableite. Diese Kritik ist begründet, soweit Gottes Reiche in statischem Nebeneinander statt in eschatologischer Spannung gesehen werden. Ferner bemängelt sie zu Recht das Fehlen eines christologischen Zentrums und Kriteriums, wodurch die Schöpfungsordnungen nur allzu leicht von der Offenbarung Gottes in Christus getrennt werden.

Gespräch

147

Der sogenannte mono-christologische Ansatz wird in zwei Ausprägungen vertreten. Die eine neigt zu einer Überbetonung der Konvergenz, so daß schließlich alles unter der Herrschaft Christi zusammengeführt wird - wobei im Extremfall sämtliche widerstreitenden Elemente auf dem Weg umgangen werden (Teilhard de Chardin). Die andere stellt eine christomonistische Auffassung der Offenbarung so sehr in den Vordergrund, daß neben der einzigartigen Selbstenthüllung Gottes durch das Christusgeschehen kaum mehr Raum bleibt für die Wahrnehmung eines Gotteshandelns in der Welt (K. Barth). Beide mono-christologischen Ansätze haben das eine miteinander gemeinsam, daß sie eine zwiefache Offenbarung Gottes durch das Gesetz der Schöpfung und das Evangelium Christi ablehnen und so den Unterschied zwischen Gesetz und Evangelium einebnen. Der zugrundeliegende Begriff einer analogia entis im ersten kann im zweiten Fall durch eine analogia fidei ersetzt werden, die jedoch, wie von einigen Kritikern geltend gemacht wurde, dem Heilshandeln Gottes durch die dynamische Wechselbeziehung von Gesetz und Evangelium gleichfalls nicht gerecht wird. Um aufzuzeigen, wie sich Gott in die Welt zu ihrem Heil integriert hat, wurde stattdessen der Begriff einer analogia doloris vorgeschlagen (Kitamori), der den Rahmen für die Verantwortung und Betätigung von Christen in der Gesellschaft umreißt. 6. Gesetz und Evangelium

in der ökumenischen

Diskussion

In den Jahren seit der Vollversammlung des ökumenischen Rates der Kirchen in Nairobi 1975 ist das Ratsstudienprogramm über eine „Gerechte, partizipatorische und überlebensfähige Gesellschaft" (Just, Participatory and Sustainable Society: }PSS) in ökumenischen Kreisen zu einem Brennpunkt sozialethischer Auseinandersetzungen geworden. Berichte über dieses Programm erweisen die aktuelle Bedeutung der Lehre von Gesetz und Evangelium, auch wenn das zwiefache Regiment Gottes darin nicht ausdrücklich erwähnt wird. Die klare Unterscheidung zwischen Gesetz und Evangelium und ihrer Wechselbeziehung erleichtert einerseits die Abgrenzung von der Position einer „quietistischen Trennung", die es verbietet, das Wort Gottes (Gesetz und Evangelium) auch denen zu predigen, die die Macht haben und die Gesetze schützen sollen. Andererseits ist sie eine Hilfe gegenüber der theokratisch-zelotischen Identifizierung des Weltlichen und des Geistlichen, des Zeitlichen und des Ewigen. Diese Diskussionen haben deutlich gemacht, daß die konkrete, historische Wirklichkeit und die universelle, eschatologische Wirklichkeit zusammengehalten werden müssen, aber nicht miteinander identisch sind. Jedes Menschenhandeln in der Geschichte bleibt relativ und dem Handeln Gottes in Erfüllung seiner eschatologischen Verheißung untergeordnet. Während die Bedeutung des Gesetzes in seinem „zivilen" Gebrauch als Richtlinie für Regierungen und andere politische Kräfte im Umgang mit der Macht zu unterstreichen ist, geht vom Evangelium von Christi Kreuz und Auferstehung zugleich die Stoßkraft zu politischem Handeln aus. Literatur S. auch o. S. 140. - George W. Forell, Faith Active in Love, Minneapolis 1964. - T. E. Jessop, L a w and Love, London 1940. - Wilfried Joest, Gesetz u. Freiheit, Göttingen 1951 *1968. - William H . Lazareth, Luther on the Christian H o m e , Philadelphia 1960. - H . Richard Niebuhr, Christ and Culture, N e w York 1951. - Gustaf Wingren, Skapelsen och lagen, Lund 1958; dt.: Schöpfung u. Gesetz, Göttingen 1960.

Yoshiro Ishida Gesinnung -»Ethik Gespräch 1. Gespräch als Kommunikationsform in der Bibel 2. Der Wandel des biblischen Dialogs zu einer monologischen Konzeption der Kirche 3. Die Entwicklung der dialogischen Dimension des

Gespräch

147

Der sogenannte mono-christologische Ansatz wird in zwei Ausprägungen vertreten. Die eine neigt zu einer Überbetonung der Konvergenz, so daß schließlich alles unter der Herrschaft Christi zusammengeführt wird - wobei im Extremfall sämtliche widerstreitenden Elemente auf dem Weg umgangen werden (Teilhard de Chardin). Die andere stellt eine christomonistische Auffassung der Offenbarung so sehr in den Vordergrund, daß neben der einzigartigen Selbstenthüllung Gottes durch das Christusgeschehen kaum mehr Raum bleibt für die Wahrnehmung eines Gotteshandelns in der Welt (K. Barth). Beide mono-christologischen Ansätze haben das eine miteinander gemeinsam, daß sie eine zwiefache Offenbarung Gottes durch das Gesetz der Schöpfung und das Evangelium Christi ablehnen und so den Unterschied zwischen Gesetz und Evangelium einebnen. Der zugrundeliegende Begriff einer analogia entis im ersten kann im zweiten Fall durch eine analogia fidei ersetzt werden, die jedoch, wie von einigen Kritikern geltend gemacht wurde, dem Heilshandeln Gottes durch die dynamische Wechselbeziehung von Gesetz und Evangelium gleichfalls nicht gerecht wird. Um aufzuzeigen, wie sich Gott in die Welt zu ihrem Heil integriert hat, wurde stattdessen der Begriff einer analogia doloris vorgeschlagen (Kitamori), der den Rahmen für die Verantwortung und Betätigung von Christen in der Gesellschaft umreißt. 6. Gesetz und Evangelium

in der ökumenischen

Diskussion

In den Jahren seit der Vollversammlung des ökumenischen Rates der Kirchen in Nairobi 1975 ist das Ratsstudienprogramm über eine „Gerechte, partizipatorische und überlebensfähige Gesellschaft" (Just, Participatory and Sustainable Society: }PSS) in ökumenischen Kreisen zu einem Brennpunkt sozialethischer Auseinandersetzungen geworden. Berichte über dieses Programm erweisen die aktuelle Bedeutung der Lehre von Gesetz und Evangelium, auch wenn das zwiefache Regiment Gottes darin nicht ausdrücklich erwähnt wird. Die klare Unterscheidung zwischen Gesetz und Evangelium und ihrer Wechselbeziehung erleichtert einerseits die Abgrenzung von der Position einer „quietistischen Trennung", die es verbietet, das Wort Gottes (Gesetz und Evangelium) auch denen zu predigen, die die Macht haben und die Gesetze schützen sollen. Andererseits ist sie eine Hilfe gegenüber der theokratisch-zelotischen Identifizierung des Weltlichen und des Geistlichen, des Zeitlichen und des Ewigen. Diese Diskussionen haben deutlich gemacht, daß die konkrete, historische Wirklichkeit und die universelle, eschatologische Wirklichkeit zusammengehalten werden müssen, aber nicht miteinander identisch sind. Jedes Menschenhandeln in der Geschichte bleibt relativ und dem Handeln Gottes in Erfüllung seiner eschatologischen Verheißung untergeordnet. Während die Bedeutung des Gesetzes in seinem „zivilen" Gebrauch als Richtlinie für Regierungen und andere politische Kräfte im Umgang mit der Macht zu unterstreichen ist, geht vom Evangelium von Christi Kreuz und Auferstehung zugleich die Stoßkraft zu politischem Handeln aus. Literatur S. auch o. S. 140. - George W. Forell, Faith Active in Love, Minneapolis 1964. - T. E. Jessop, L a w and Love, London 1940. - Wilfried Joest, Gesetz u. Freiheit, Göttingen 1951 *1968. - William H . Lazareth, Luther on the Christian H o m e , Philadelphia 1960. - H . Richard Niebuhr, Christ and Culture, N e w York 1951. - Gustaf Wingren, Skapelsen och lagen, Lund 1958; dt.: Schöpfung u. Gesetz, Göttingen 1960.

Yoshiro Ishida Gesinnung -»Ethik Gespräch 1. Gespräch als Kommunikationsform in der Bibel 2. Der Wandel des biblischen Dialogs zu einer monologischen Konzeption der Kirche 3. Die Entwicklung der dialogischen Dimension des

148

Gespräch

Gespräches Gespräches

4. Der Beitrag der Humanwissenschaften zu einer Theologie des seelsorgerlichen 5. Gespräch und/oder Verkündigungscharakter in der Seelsorge (Literatur S. 151)

1. Gespräch als Kommunikationsform

in der Bibel

Im Gegensatz zur religiösen Weisheitsliteratur des ostasiatischen Raumes und zum Koran erfolgt die Vermittlung der Gottesbeziehung in der Bibel überwiegend in der Form des Gespräches. Gespräch wird dabei als Lehrgespräch, Streitgespräch, aber auch als partnerschaftlicher Dialog verstanden. Gesprächspartner sind sowohl der Freund als auch der Gegner, sind Angehörige fremder Völker und des anderen Geschlechtes ebenso wie der beruflich, rassisch oder geschlechtsmäßig synonyme Partner. Im Gegensatz zum Lehrgespräch der Synagoge pflegt Jesus das Gespräch mit der Frau (s. TRE 11,432 f) ohne Rücksicht auf bestehende Sitte oder sich hieraus ergebender Diskriminierung. Daher schafft das Gespräch in der Bibel politisch, soziologisch und ethisch neue Beziehungen inmitten einer kontrovers eingestellten Umwelt. Die Gesprächsthematik der Bibel deckt den gesamten Lebensbereich des Menschen und bleibt nicht - etwa wie bei -»Plato vordringlich der philosophischen Spekulation vorbehalten. Zur Methodik der in der Bibel Gespräche führenden Personen gehört auch die provozierende Frage, die entweder keine Antwort zuläßt oder aber durch die nur ausweichend gegebene Antwort erst den eigentlichen Sachverhalt aufdeckt (z. B. II Sam 12,7; Joh 5,6). Gespräch ist in der Bibel oft verbunden mit Gestik und Symbolik (Mt 8,8 ff; Mk 7,33; 8,23; Joh 9,6). Es erweist sich als komplexer Vorgang, der die Kommunikation zweier Menschen in der Ganzheit von Leib, Seele und Geist zum Ziel hat. „Ich werde am Du; ich werdend spreche ich D u " (M. Buber). Das Kriterium des biblischen Gespräches liegt darin, daß der Angesprochene oder der das Gespräch Erbittende bei Gesprächsende sich in einer anderen Situation befindet als vorher. Die Erfahrung neuer Wirklichkeiten anstelle der Scheinrealität der bisherigen Existenz wirkt Befreiung, die sich auch als seelische oder körperliche Heilung ausweist. Am Ende des Gespräches steht die neue Einsicht und eine sich daraus ergebende neue Existenz (z.B. Lk 19,1-10). 2. Der Wandel des biblischen Dialogs zu einer monologischen

Konzeption der Kirche

Die in der Urgemeinde aufbrechende theologische Diskussion, die Notwendigkeit zur Mission und die notwendige Institutionalisierung der Kirche veranlassen eine sich langsam anbahnende und in der -»Scholastik zum Höhepunkt kommende Neuorientierung der kirchlichen Kommunikation. Die voneinander weit entfernten Gemeinden als Inseln in einer heidnischen Umgebung lassen nur briefliche Kommunikation zu. Die uns erhaltene Briefliteratur ist Weiterführung des bei den Besuchen der Apostel geführten Gespräches. Der Notwendigkeit zur Ausformung der Lehre gegenüber der heidnischen Umwelt verdanken wir die Kenntnis des brieflichen Dialoges zwischen Aposteln und Gemeinde. Die durch die Enderwartung ausgelöste Interimsethik (-»Bergpredigt; —•Ethik) läßt dabei Lebensfragen gegenüber Glaubensfragen sekundär werden. Es findet jetzt z.B. kein Gespräch mehr über die existentiale Situation eines Ehebruchs statt (Joh 8,10), sondern es werden im Hinblick auf die Interimssituation der Christengemeinde ethische Anweisungen gegeben (I Kor 7). Die zunehmende Zahl der Gläubigen in den Gemeinden verwandelt das Gespräch zur Lehrpredigt. Der Bischofsstuhl, in dem der Bischof sitzend das Volk lehrt, tritt an die Stelle der dialogisierenden Tischgemeinschaft. Dieser Prozeß wird unterstrichen durch die notwendige theologische Ausbildung der Prediger, die neue soziale Stellung der Träger des kirchlichen Amtes seit -»Konstantin dem Großen und der Verfestigung hierarchischer Strukturen. Aus dem existentiellen Gespräch der Partner wird das Lehrgespräch unter sozial Gleichgestellten und später die Vermittlung der mit der Weihegewalt zuerkannten sakramentalen Güter an die Gläubigen. 1323 wird die nichtkollegiale Definition von Dogmen durch die Päpste erstmalig verankert. Kennt die frühe Kirche (-•Origenes) z. B. -»Beichte noch weithin als Gespräch, so kommt diese Entwicklung mit dem -»Tridentinum zum Erliegen (Sess. XIV, cap. 1 - 9 u. can. 1 - 1 5 ) . Ab nun konzentriert

Gespräch

149

sich das Amt des Beichtvaters auf die Absolution und die sakramentale Genugtuung. Hier wie später in den sich noch zu Lebzeiten Luthers bildenden Hierarchien des Protestantismus wird die soziologische Struktur des Patriarchates und die sich daraus ergebenden Formen zwischenmenschlicher Kommunikation vom weltlichen Raum in den der Kirche übernommen. Dabei hat es in der Reformationszeit und im Spätkatholizismus nicht an Versuchen gefehlt, zum Gesprächscharakter kirchlichen Handelns zurückzukehren. Das geschah bei manchen Orden (-»Salesianer, -»Franziskaner und vor allem im Konvent der -•Benediktiner). Die Ordensregel des -»Benedikt v. Nursia kann als großer Versuch zur Wiederherstellung des Gesprächscharakters im geistlichen Handeln betrachtet werden. Das Überwiegen des pädagogischen vor dem seelsorgerlichen Impuls im Luthertum ließ zwar Einzelgespräche zu, brachte eine Neuordnung der Beichtpraxis im -»Pietismus, änderte aber nicht die Grundstruktur einer weisunggebenden, pädagogisch ausgerichteten Lehrvermittlung als Seelsorge. Ausnahmen z. B.: N. L. v. -»Zinzendorf und die Brüder Blumhardt. Unter J.Chr. -»Blumhardt wird Beichtbewegung zugleich Seelsorgebewegung und -»Seelsorge verbunden mit -»Heilung. Das Eintreten in ein Parlament des Chr. -»Blumhardt und die damit verbundene zeichenhafte Hinwendung zur Dialogform lassen in der Arbeit dieser Männer aber noch nicht den Umbruch zur Seelsorgebewegung des ausgehenden 20. Jh. deutlich werden. Sie führen noch nicht zur Wiederentdeckung des Gesprächs. Jedoch bilden sich die collegiae pietatis, die das Ziel haben, „die Gereiften, Erweckten, die Bekehrten, die Wiedergeborenen zu sammeln" (H.A. Köstlin, Die Lehre v. der Seelsorge, Berlin 1895). 3. Die Entwicklung

der dialogischen Dimension des

Gespräches

Der Dialog in der dialektischen Redekunst ist im wesentlichen Streitgespräch. Protagoras (ca. 400 vor Chr.) gibt seinem Lehrbuch der dialektischen Redekunst den Titel Die niederschlagende Rede. Die Streitgespräche in den Schulen des Mittelalters verlaufen in Dialogform. -»Abaelard hat mit seiner Schrift Sic et non die dialektische Methode in die wissenschaftliche Arbeit wieder eingeführt. Das Streitgespräch ist im Mittelalter feste Tradition der Universitäten. Zwei Parteien, jeweils von einem „Magister" angeführt, stellen These und Gegenthese auf, die sie im Verlauf des Gespräches bestreiten bzw. verteidigen. Ein dritter Magister hat die Aufgabe der Determinatio, eine Schiedsrichterfunktion. Reste dieser Gesprächsform finden sich bei öffentlichen Disputationen und bei den mancherorts noch stattfindenden Doktorprüfungen in Dialogform. Ausgegangen wurde von Thesen. Dabei bleibt Abaelards Grundsatz nil concede, nega parum, distinge frequenter die methodische Grundregel. Dies ändert sich erst, als der Dialog in den schöngeistigen Gesprächen des 18. Jh. immer mehr an Bedeutung gewinnt. Das Gespräch vom 14. Juli 1794, bei dem -»Goethe und -»Schiller über die Metamorphose der Pflanzen sich unterhalten, ist zur Grundlage der für die Welt so wichtigen Freundschaft dieser Männer geworden. Gespräch als Kriterium kirchlicher -»Seelsorge geht den Weg über die Hausbibelkreise unter dem Einfluß von -»Schleiermacher, die lutherische Neu-Orthodoxie (z.B. -»Löhe) hin zur -»Dialektischen Theologie. Gott führt Gespräch mit Menschen (z.B. Gen 18,17-33; Ex 33,11). Der Charakter dieser Gespräche bringt es aber mit sich, daß das seelsorgerliche Gespräch primär eine an den Adressaten gerichtete Botschaft enthält. „Seelsorge ist eine Ausweitung und Verlängerung der Verkündigung, wie sie in Wort und Sakrament ergeht, durch das Mittel des Gespräches" (Thurneysen 135). Der Akzent liegt auf Verkündigung und Weisung, nicht auf Begleitung und Beratung. „Es gibt kein irgendwie geartetes Mittel, sich selber oder anderen zu helfen ohne die Vergebung der Sünden, und wäre es der wohlüberlegteste psychologische oder moralische Ratschlag" (144). Der ideologische, soziologische und politische Umbruch der Zeit nach dem 2. Weltkrieg und die Erkenntnisse und Erfahrungen der Psychoanalyse, in Deutschland seit 1934 als ordentliches Unterrichtsfach an den Universitäten verboten, geben den Hintergrund für eine Neubesinnung des theologischen und methodischen Ansatzes in beinahe allen

150

Gespräch

christlichen Kirchen. Besonders führt der Tagungsstil der evangelischen -»Akademien seit 1946 zur Wiederentdeckung des Gespräches als Form kirchlicher Kommunikation. 4. Der Beitrag der Humanwissenschaften spräches

zu einer Theologie

des seelsorgerlichen

Ge-

Der systematisch und methodisch fundierte Einbau des Gespräches in die mitmenschliche Kommunikation zum Zweck der Hilfe entwickelt sich in den USA nach Ende des 2. Weltkrieges unter den Begriffen case work und Community Organisation. In Deutschland wird diese Arbeit unter dem Stichwort Hilfe zur Selbsthilfe bekannt (Ruth Bang). Ziel ist es, den Klienten in der Sozialarbeit in seiner gesamten Lebensführung so unabhängig wie möglich zu machen. Dieser Ansatz führte zur Kontroverse mit einer Seelsorge, der es nicht zuerst darum ging, den Menschen unabhängig zu machen und begleitend neben ihm zu stehen, sondern als Gegenüber verstanden und als Übermittler einer Botschaft gehört zu werden. Auch die bloße Vermittlung einer Methode konnte dem Anliegen christlicher Seelsorge nicht gerecht werden, zumal sie keine grundsätzliche Umorientierung des Seelsorgers aufgrund einer theologischen Erkenntnis erreichen konnte. Daher sind die ersten Entwürfe einer eher „beratenden" als „kerygmatischen" Seelsorge noch geprägt von den Begriffen Verkündigung und Weisung auch dort, wo tiefenpsychologische Methoden zur Anwendung gebracht werden. O. Haendler, K. Allwohn, H.-J. Thilo und A. Rensch sind in den Jahren 1950—1960 hier Wegbereiter gewesen. Je mehr sich aber der theologische Ansatz von der Lehre der Freiheit eines Christenmenschen durchsetzt, je zahlreicher die Berührungspunkte mit der amerikanischen Seelsorgebewegung werden, um so deutlicher zeichnet sich das Bild einer gesprächsorientierten Seelsorge ab, deren theologisches Ziel es ist, von der „Freiheit eines Christenmenschen" ausgehend die „Fülle des Lebens" zu erschließen. Joachim Scharfenberg, Dietrich Stollberg, Hans-Christoph Piper in Deutschland, H. Faber, E. van der Schoot, Wybe Zijlstra in Holland, H . J . Clinebell, J.W. Knowles in den USA, R . S . Lee in England u.a. bezeichnen den Aufbruch zu einer akzeptierenden, gesprächsorientierten Seelsorge, die mit dem Namen „Beratende Seelsorge" H.-J. Thilo) bezeichnet wird. Eine Zusammenfassung dieses Weges findet sich bei R. Riess (->Beratung). Die humanwissenschaftliche Basis zu der Umorientierung des seelsorgerlichen Gespräches ist verbunden mit den Arbeiten von S. -»Freud, Carl R . Rogers und Viktor E. Frankl. Aus dem psychoanalytischen Ansatz S. Freuds sind es die Begriffe Übertragung, Widerstand, Abwehrmechanismen und Ich-Findung, die in das seelsorgerliche Gespräch neue Erkenntnisse gebracht haben (J. Scharfenberg). Die Gesprächspsychotherapie (C. Rogers) und die aus ihr heraus entwickelten speziellen Methoden für die Seelsorge an kranken Menschen und im Gemeindepfarramt (CPE) formulieren drei Gesprächsvariablen: 1. Positive, nicht an Bedingungen geknüpfte Wertschätzung, 2. Echtheit und Selbstkongruenz des Therapeuten und 3. Verbalisierung der emotionalen Erlebnisinhalte des Klienten. Sie führen zur Stärkung des Selbstbewußtseins und zum Freisetzen verborgener Kräfte zur Konfliktbewältigung (H. Pompey). Der Einfluß des Behaviourismus ist nicht zu übersehen. In der Übernahme der von C. Frankl geprägten Logotherapie wird die Sinnfrage des Lebens in den Mittelpunkt gerückt. Diese kulminiert in der existentiellen Ausrichtung des Menschen auf das Absolute, auf Gott. Nicht eine Heilung im Sinne von Symptomwandlung oder Symptombefreiung steht hier im Vordergrund, sondern die Verdeutlichung, „daß Schwächen der Menschen ihre Stärken sein könnten und nicht jede Neurose beseitigt werden muß" (E. Wiesenhütter). 5. Gespräch

und/oder

Verkündigungscharakter

in der

Seelsorge

These: „Glaubenshilfe als Hilfe zum Glauben ist der Versuch, die Seelsorge Gottes situationsbezogen und gesprächsgerecht zu bezeugen... Es ist nicht zu verantworten, den christologischen Ansatz zu umgehen oder zu verdrängen, um vielleicht noch gerade am kirchlichen Kontext festzuhalten, in dem nichts anderes geschieht als analytische oder

Gesten/Gebärden, Liturgische

151

emphatische Psychotherapie" (H. Tacke, Glaubenshilfe als Lebenshilfe, 1979, 11). Gegenthese: „Das Spezifikum christlicher Seelsorge liegt also nicht in dem, was wir sagen, sondern daß wir es als Christen und in der Verantwortung vor dem Vater Jesu Christi sagen, eben und gerade auch dann, wenn der Ratsuchende gar keine Ahnung davon hat, in welchem Auftrag wir handeln" (H.-J. T h i l o 23). Hieraus wird gelegentlich eine Pseudopolarität konstruiert, derzufolge Seelsorge als Hilfe zum Glauben oder als Hilfe zum Leben im Gegensatz zueinander stünden. Eine idealisierende Auffassung vom Gespräch formuliert so: „Die Voraussetzung für das Gelingen eines echten Gesprächs ist die, nichts von seinem Partner zu wollen" (A. Goes 16). Tiefenpsychologische Erfahrung und theologische Reflektion über die Essens des Menschen zeigen jedoch auf, daß es das absolut wertneutrale Gespräch nicht gibt. So wird als Grundlage des seelsorgerlichen Gesprächs die theologische Voraussetzung unaufgebbar sein, daß hier zwei „Amnestierte G o t t e s " (E. Brunner) miteinander reden. Es geht also nicht um Gewinnung oder Verteidigung von Erkenntnissen, sondern primär um Verleiblichung des Christusgeschehens in den Formen des Gespräches. Gespräch beinhaltet auch Signalisierung von Zuneigung oder Ablehnung durch Gestik und emotionale Bewegtheit. Auf diesem Hintergrund hat die von F.S. Perls entwickelte Gestaltthcrapie als zusätzliche Form des seelsorgerlichen Gespräches Eingang gefunden. Als „Einzeltherapie in der G r u p p e " (Pakesch) vermag sie in der Seelsorge Erfahrungen, Wünsche, Erlebnisse und Erwartungen zu aktualisieren, zu verbalisieren und zu gestalten. Der Anwendungsbereich ist dabei abhängig von der psychischen Stabilität des einzelnen und der Gruppe. Im Hinblick auf die Fülle non-verbaler Aktionen in der Seelsorge muß wohl darauf hingewiesen werden, daß die Kommunikation durch die Sprache das Humanuni aller mitmenschlichen Beziehungen ausmacht. Literatur Allgemeine Literatur: Ruth Bang, Das gezielte Gespräch. Gesprächsanalysen, München 1969. Albrecht Goes, Uber das Gespräch, Hamburg 1954. - Magda Kelber, Fibel der Gesprächsführung, Opladen 1954 12 1977. - Eberhard Müller, Die Kunst der Gesprächsführung, Hamburg 1959. Herman Musaph, Technik der psych. Gesprächsführung, Salzburg 1969. Seelsorgerliche Gesprächsführung: Heije Faber/Ebel van der Schoot, Het pastorale gesprek, Utrecht 1962; dt.: Praktikum des seelsorgerlichen Gespräches, Göttingen 1968 3 1978. - Helmut Harsch, Theorie u. Praxis des beratenden Gespräches, München 1973. - Hans-Christoph Piper, Gesprächsanalysen, Göttingen 1973. - Wybe Zijlstra, Seelsorge-Training, München 1971. Zur Theologie des seelsorgerlichen Gesprächs: Seward Hiltner, Pastoral Counseling, Nashville/N. Y. 1949. - Matthias von Kriegstein, Gesprächspsychotherapie in der Seelsorge, Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz 1977. - R.S. Lee, Principles of pastoral Counseling, London 1968 2 1979. - Richard Riess, Seelsorge. Orientierung, Analyse, Alternativen, Göttingen 1973. - Joachim Scharfenberg, Seelsorge als Gespräch, Göttingen 1972. - Dietrich Stollberg, Therapeutische Seelsorge. Die amerik. Seelsorgebewegung, Darst. u. Kritik, München 1969. - Hans-Joachim Thilo, Beratende Seelsorge. Tiefenpsychologische Methodik, darg. am Kasualgespräch, Göttingen 1971 2 1975. - Eduard Thurneysen, Die Lehre von der Seelsorge, München 1948. Hans-Joachim T h i l o Gesten/Gebärden, Liturgische 1. Begriff, Umfang und Gliederung 2. Körperhaltungen Gewicht 4. Bedeutung der Gesten (Literatur S. 155) 1. Begriff,

Umfang

und

3. Einzelne Gesten von besonderem

Gliederung

Der heutige Sprachgebrauch läßt eine klare Abgrenzung der beiden Begriffe Geste und Gebärde voneinander kaum zu. Sie werden weithin synonym verwendet. Gebärde (mhd. gebaerde, ahd. gibärida = Benehmen, Aussehen, Wesensart) hat dabei seine ursprünglich umfassende Bedeutung der äußeren Haltung im weitesten Sinn (vgl. EKG 2,1) eingebüßt und wurde zur Ausdrucksbewegung für Gedanken und Gefühle vornehmlich durch Gesicht und Hände. Eine ähnliche Verengung erfuhr der Begriff Geste (lat. gestus von gerere = tragen, an sich tragen, zur Schau stellen), der die „zielgerichtete Ausdrucksbewegung des Körpers, besonders der Hände und des Kopfes, im Unterschied zur

Gesten/Gebärden, Liturgische

151

emphatische Psychotherapie" (H. Tacke, Glaubenshilfe als Lebenshilfe, 1979, 11). Gegenthese: „Das Spezifikum christlicher Seelsorge liegt also nicht in dem, was wir sagen, sondern daß wir es als Christen und in der Verantwortung vor dem Vater Jesu Christi sagen, eben und gerade auch dann, wenn der Ratsuchende gar keine Ahnung davon hat, in welchem Auftrag wir handeln" (H.-J. T h i l o 23). Hieraus wird gelegentlich eine Pseudopolarität konstruiert, derzufolge Seelsorge als Hilfe zum Glauben oder als Hilfe zum Leben im Gegensatz zueinander stünden. Eine idealisierende Auffassung vom Gespräch formuliert so: „Die Voraussetzung für das Gelingen eines echten Gesprächs ist die, nichts von seinem Partner zu wollen" (A. Goes 16). Tiefenpsychologische Erfahrung und theologische Reflektion über die Essens des Menschen zeigen jedoch auf, daß es das absolut wertneutrale Gespräch nicht gibt. So wird als Grundlage des seelsorgerlichen Gesprächs die theologische Voraussetzung unaufgebbar sein, daß hier zwei „Amnestierte G o t t e s " (E. Brunner) miteinander reden. Es geht also nicht um Gewinnung oder Verteidigung von Erkenntnissen, sondern primär um Verleiblichung des Christusgeschehens in den Formen des Gespräches. Gespräch beinhaltet auch Signalisierung von Zuneigung oder Ablehnung durch Gestik und emotionale Bewegtheit. Auf diesem Hintergrund hat die von F.S. Perls entwickelte Gestaltthcrapie als zusätzliche Form des seelsorgerlichen Gespräches Eingang gefunden. Als „Einzeltherapie in der G r u p p e " (Pakesch) vermag sie in der Seelsorge Erfahrungen, Wünsche, Erlebnisse und Erwartungen zu aktualisieren, zu verbalisieren und zu gestalten. Der Anwendungsbereich ist dabei abhängig von der psychischen Stabilität des einzelnen und der Gruppe. Im Hinblick auf die Fülle non-verbaler Aktionen in der Seelsorge muß wohl darauf hingewiesen werden, daß die Kommunikation durch die Sprache das Humanuni aller mitmenschlichen Beziehungen ausmacht. Literatur Allgemeine Literatur: Ruth Bang, Das gezielte Gespräch. Gesprächsanalysen, München 1969. Albrecht Goes, Uber das Gespräch, Hamburg 1954. - Magda Kelber, Fibel der Gesprächsführung, Opladen 1954 12 1977. - Eberhard Müller, Die Kunst der Gesprächsführung, Hamburg 1959. Herman Musaph, Technik der psych. Gesprächsführung, Salzburg 1969. Seelsorgerliche Gesprächsführung: Heije Faber/Ebel van der Schoot, Het pastorale gesprek, Utrecht 1962; dt.: Praktikum des seelsorgerlichen Gespräches, Göttingen 1968 3 1978. - Helmut Harsch, Theorie u. Praxis des beratenden Gespräches, München 1973. - Hans-Christoph Piper, Gesprächsanalysen, Göttingen 1973. - Wybe Zijlstra, Seelsorge-Training, München 1971. Zur Theologie des seelsorgerlichen Gesprächs: Seward Hiltner, Pastoral Counseling, Nashville/N. Y. 1949. - Matthias von Kriegstein, Gesprächspsychotherapie in der Seelsorge, Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz 1977. - R.S. Lee, Principles of pastoral Counseling, London 1968 2 1979. - Richard Riess, Seelsorge. Orientierung, Analyse, Alternativen, Göttingen 1973. - Joachim Scharfenberg, Seelsorge als Gespräch, Göttingen 1972. - Dietrich Stollberg, Therapeutische Seelsorge. Die amerik. Seelsorgebewegung, Darst. u. Kritik, München 1969. - Hans-Joachim Thilo, Beratende Seelsorge. Tiefenpsychologische Methodik, darg. am Kasualgespräch, Göttingen 1971 2 1975. - Eduard Thurneysen, Die Lehre von der Seelsorge, München 1948. Hans-Joachim T h i l o Gesten/Gebärden, Liturgische 1. Begriff, Umfang und Gliederung 2. Körperhaltungen Gewicht 4. Bedeutung der Gesten (Literatur S. 155) 1. Begriff,

Umfang

und

3. Einzelne Gesten von besonderem

Gliederung

Der heutige Sprachgebrauch läßt eine klare Abgrenzung der beiden Begriffe Geste und Gebärde voneinander kaum zu. Sie werden weithin synonym verwendet. Gebärde (mhd. gebaerde, ahd. gibärida = Benehmen, Aussehen, Wesensart) hat dabei seine ursprünglich umfassende Bedeutung der äußeren Haltung im weitesten Sinn (vgl. EKG 2,1) eingebüßt und wurde zur Ausdrucksbewegung für Gedanken und Gefühle vornehmlich durch Gesicht und Hände. Eine ähnliche Verengung erfuhr der Begriff Geste (lat. gestus von gerere = tragen, an sich tragen, zur Schau stellen), der die „zielgerichtete Ausdrucksbewegung des Körpers, besonders der Hände und des Kopfes, im Unterschied zur

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Gesten/Gebärden, Liturgische

Ausdrucksbewegung des Gesichtes ( M i m i k ) " bezeichnet ( M E L ) , die die sprachliche Kommunikation begleitet und verstärkt, aber auch ersetzt. M a n könnte vielleicht bei Geste mehr eine bewußte Ausdrucksabsicht betont sehen, die jedem Mitglied einer Gruppe oder Kulturgemeinschaft verständlich ist, bei Gebärde dagegen mehr eine unmittelbare K ö r p e r - „ s p r ä c h e " für seelische Regungen, die wie Lachen, Weinen und Tanz universal verstanden wird (Kötting 896).

Das Gebiet der liturgischen Geste/Gebärde wird unterschiedlich abgesteckt. O f t werden die Körperhaltungen ausgegliedert als ein eigener Bereich (Martimort, Cope u.a.), was aber problematisch wird, sobald man etwa den uralten Orantengestus einzuordnen sucht. Auch Bewegungsabläufen ist ein besonderer Bereich zugewiesen worden (Reifenberg). Umgekehrt findet sich die Reduktion der Gesten auf Haltungen (Kollar). Einer systematischen Ordnung, etwa nach Körperteilen, widerstreben Vielfalt und Vielschichtigkeit der Gesten und Gebärden. Sinnvoller erscheint die Gliederung in Grundhaltungen und besondere Gesten, wobei erstere eine gewisse statische Komponente, letztere mehr Bewegung aufweisen. Die Auswahl sollte nach der Bedeutung in Geschichte und Gegenwart erfolgen.

2.

Körperhaltungen

2.1. Das Stehen ist, abgesehen von der Mahlfeier der Frühzeit, die Grundhaltung der Gemeinde im Gottesdienst - in Übereinstimmung mit den alten Völkern und dem Judentum (Mk 11,25; Lk 18,11.13). Die Gläubigen sind die circumstantes, die in dieser Haltung G o t t ehren und Bereitschaft zum Dienst ausdrücken. Das Konzil von —»Nicäa schreibt vor, in der Zeit von Ostern bis Pfingsten und am Herrentag nur stehend zu beten (can. 20). -•Benedikt von Nursia läßt noch im Nachtgottesdienst das Schlußevangelium cum hotiore et timore stantibus omnibus verlesen (Regula 11,9): Sich-Erheben und Stehen vor dem gegenwärtig redenden Herrn ist eine Anbetungsgeste (Hallinger 33). Z u m Gebet gehört für den Zelebranten und lange Zeit auch für die Gemeinde der Orantengestus, die schalenförmig erhobenen Hände (I T i m 2,8; vgl. die Katakombenmalereien, Reste noch im 15. J h . [s. Jungmann 1,313]). Nachdem der Orantengestus des Liturgen im Missale Pius' V. (1570) zu einer Gebärde vor der Brust verkümmert war, heißt es im Missale Pauls VI.

(1970) wieder tunc sacerdos, manibus extensis, dicit orationem (Fischer 130f). In charis-

matischen Gemeinden bürgert sich die alte Gebetshaltung auch für die Gläubigen wieder ein. 2.2. Das Sitzen, die Haltung des Lehrers und seiner Zuhörer (Lk 2,46; 10,39), dient der Aufmerksamkeit und Betrachtung, während die Antike es als eigentümlich locker geübten Trauerritus kannte (Klauser 2ff; vgl. auch Ps 137,1). Seit alters werden die Lesungen außer dem Evangelium - im Sitzen vernommen, zumindest vom Klerus, solange das Volk noch keine Bänke hatte. Der Bischof leitete von seiner Kathedra aus, umgeben von den im Halbrund der Apsis sitzenden Presbytern, die Versammlung. Hier predigte er (die Bezeichnung Predigtstuhl für Kanzel erinnert daran) und spendete die Rekonziliation. Auch die Lossprechung wurde (im Beichtstuhl) sitzend erteilt, was an richterliche Funktion erinnert. 2.3. Das Knien ist alte Reuegebärde des bußfertigen Sklaven, Bittgebärde des Gefangenen um Schonung und auch Geste der Huldigung und Anbetung, die sich im Niederwerfen (Prostration) steigert. Im Gottesdienst blieb das Knien lange die Ausnahme - nur außerhalb der Zeit von Ostern bis Pfingsten und der Sonntage und nur zur Gebetsstille

vor den Orationen (flectamus genua - levate) wurde gekniet. Die Prostration (des Klerus)

ist heute noch zu Beginn des römischen Karfreitagsgottesdienstes üblich, beim Empfang der höheren Weihen während der Allerheiligenlitanei und in einigen Klöstern bei der Aufnahme und der Profeß. An die Prostration erinnert in der Orthodoxie, die sonst keinerlei Knien in der Liturgie mehr kennt, noch das kurze Niederwerfen bzw. Niederfallen auf beide Knie und Berühren des Bodens mit beiden Händen, Metanie genannt. Der kniende Empfang der Kommunion ist erst späten Datums. Das Knien gehört von Anfang

Gesten/Gebärden, Liturgische

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an zum privaten Gebet des einzelnen (Lk 22,41; Act 7,59; 9,40; Eph 3,14). Bezeichnenderweise kam es in den Gottesdienst, als sich das liturgische Geschehen am Altar von der Gemeinde löste, die nun ihr privates Gebet während der Liturgie verrichtete. Kniebänke gibt es erst seit Einführung des Gemeindegestühls im 14./15. Jh. Das deutsche Meßbuch (1975) sieht das Knien nur zum Einsetzungsbericht vor (Allgemeine Einführung n. 21). In der evangelischen Kirche ist es gebräuchlich als Gestus der Buße (Beichte/Absolution), der Kommunion, des Empfangs eines besonderen Zuspruchs (Mutter-/Elternsegnung anläßlich der Kindertaufe, bei der Konfirmation, Trauung und Ordination), gelegentlich auch des Gebetes (vor allem bei der Konsekration). 2.4. Die Verneigung (des Kopfes oder Oberkörpers, Inklination) ist eine uralte Gebärde der Ehrfurcht (Gen 37,7) und auch der Reue und Unterwerfung. Der Benediktiner ehrt durch sie den im Gast einkehrenden Herrn (Regula Benedicti 53,7). Seit alters in Ost und West gebräuchlich, wurde die Verneigung in der späteren römischen Messe zunehmend durch die dem Orient fremde Kniebeugung (Genuflexion) ersetzt, das - vom Knien zu unterscheidende - Beugen eines Knies, das die Christen der Verfolgungszeit wegen seiner Verbindung mit dem Kaiserkult zuerst abgelehnt hatten. Diese Ehrenbezeigung drang dann aber über das Hofzeremoniell in den Gottesdienst ein und richtete sich auf Altar, Bilder, Reliquien, Kruzifix und auch den Bischof, in allen wird der unsichtbar gegenwärtige Herr verehrt (cum tremore divino, Regula Benedicti 50,3). Die eucharistische Präsenz Christi wird jedoch erst Gegenstand der Kniebeugung mit der Konzentration der Frömmigkeit auf die Elemente, die im 9. Jh. beginnt, im 12. ihre Ausformung erreicht und erst im 17. die alte Sitte der Verneigung ganz verdrängt (Hallinger 41). Die Liturgiereform der römischen Kirche hat die Kniebeugungen erheblich reduziert, in der evangelischen Kirche war sie lange bei der Nennung des Namens Jesu üblich (Graff 284 f). 2.5. Das Händefalten mit ineinandergefügten Händen ist ein schon den alten Völkern vertrauter und in der Kirche früh bezeugter und bald sehr populär gewordener Gebetsgestus, der aber in den römischen und orthodoxen Traditionen nie liturgiefähig geworden ist im Unterschied zum Protestantismus (Ohm 173 f u. ö.). Neben den Orantengestus trat in der römischen Liturgie der Gestus der zusammengelegten Hände (manus iungere), der aus dem fränkischen Lehnsbrauchtum hergeleitet wird, bei dem der Vasall den Eid mit zusammengelegten Händen in die Hände des Lehnsherrn leistet (Suntrup 179). Ein dritter Gebetsgestus ist das aus dem Orient über Byzanz auch ins Abendland gedrungene Kreuzen der Hände vor der Brust (cancellatio). 3. Einzelne Gesten von besonderem

Gewicht

3.1. In der Bekreuzung ist das -»Symbol des -»-Kreuzes schon sehr früh zum Gestus geworden. Zunächst dient es der Selbstbezeichnung: „Bei jedem Schritt und Tritt, bei jedem Ein- und Ausgehen, beim Anziehen der Kleider und Schuhe, beim Waschen, bei Tisch, beim Lichtanzünden, beim Schlafengehen, beim Niedersitzen und was auch immer uns beschäftigt, drücken wir auf unsere Stirn das Zeichen (des Kreuzes)" (Tertullian, de Corona 111,4 [CCL 2, 1043]). Ebenfalls zu Beginn des 3. Jh. findet sich das Bekreuzen anderer im Rahmen der Katechumenatsriten (an der Stirn, später auch den Sinnesorganen). Dann richtet sich die Bekreuzung auf den liturgischen Vollzug und die Sachen. Das 4. Jh. macht hiervon reichlich Gebrauch in Taufe, Eucharistie und Ordination. „Wenn dies (Kreuzes-)Zeichen nicht gemacht wird an der Stirn der Gläubigen oder über das Wasser, aus dem sie wiedergeboren werden, oder über das ö l , mit dem sie im Chrisam gesalbt werden, oder über das Opfer, durch das sie genährt werden, wird nichts dieser Dinge rechtmäßig vollbracht" (Augustin, tract. in Joh. 118,5 [CCL 36, 657]). Endlich wird im Mittelalter das Bekreuzen statt der Handauflegung die eigentliche Segensgebärde (-»Segen) — mit oder ohne begleitendes Wort (älteste Formel: Signum crucis/Christi). Das kleine Kreuzzeichen (mit einem Finger, jetzt dem Daumen) findet sich vor allem (dreifach) vor der Evangeliumslesung und (früher zweifach an Stirn und Brust) in der Taufe, woran

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Gesten/Gebärden, Liturgische

heute Eltern und Paten teilnehmen können. Das (jüngere) große Kreuzzeichen wird in Ost und West unterschiedlich ausgeführt. Bei den Griechen bleiben Zeige-, Mittel- und kleiner Finger aufrecht, die übrigen eingebogen, der lateinische Ritus folgt dem antiken Rednergestus und erhebt die Rechte mit den ersten drei (heute auch allen) Fingern ausgestreckt. Die Orientalen bedienen sich gern eines Kreuzes in der rechten Hand und ziehen bei der Selbstbekreuzung den Querbalken von der rechten zur linken Schulter. Die Liturgiereform der römischen Kirche hat die Vielzahl der Bekreuzungen in der Messe sinnvoll reduziert. Während Luther sie im Morgen- und Abendsegen des Kleinen Katechismus empfiehlt (BSLK 521 f), ist die Selbstbekreuzung im deutschen Protestantismus verlorengegangen. Dagegen wird die Bekreuzung bei der Konsekration, im Schlußsegen, bei Amtshandlungen, Ordination und Einweihung an Personen und Sachen vorgenommen. 3.2. Die älteste und bedeutendste Geste der -»Handauflegung wird in einem eigenen Artikel behandelt. Sie ist als Segensgestus für den einzelnen mit dem Gestus der erhobenen Hände über einer Mehrzahl, der intentionalen Berührung aus der Ferne (Forstner 337), verbunden und bleibt trotz ihrer weitgehenden Verdrängung aus dem liturgischen Alltagsleben durch die Bekreuzung bedeutsam in den Ordnungen der -»-Taufe, -»•Konfirmation/-•Firmung, -»Trauung, -»Beichte und -»Ordination, in den katholischen Traditionen auch bei der -»Krankensalbung und Weihe des -»Bischofs. 3.3. Der Friedensgruß hat die apostolische Sitte des (piXr)na äyiov (Rom 16,16) als Zeichen der Bruderliebe in die Liturgie eingebracht. Er ist nach Tertullian das signaculum orationis (de or. 18 [CSEL 20,191]), das das gemeinsame Beten beschließt und deshalb zunächst wohl am Ende des Katechumenengottesdienstes stand, später - vor allem im Osten - nach M t 5,23 f den Beginn der Mahlfeier prägte. Rom ist einen eigenen Weg gegangen, indem es schon unter -»Innozenz 1.(416), vor allem aber mit -»Gregor d.Gr. den Friedens/t«/? als Kommunionsvorbereitung verstand und nach dem Vaterunser (und dessen 5. Bitte) unmittelbar mit der Kommunion verband. Der Friedenskuß geht vom Altar aus durch die Gemeinde, allerdings nach Geschlechtern getrennt, und wird im 13. Jh. stilisiert mit der durch die Reihen gereichten Paxtafel. In der byzantinischen Liturgie wird der Friedenskuß nur noch in einer Andeutung zwischen Liturg und Diakon ausgetauscht, andere östliche Riten begnügen sich mit dem Küssen der Hände oder Finger des Nachbars oder nur mit einer Verneigung. Luther hat die Verbindung von Vaterunser und Pax (ohne Friedenskuß/gruß der Gemeinde) als Beichte und Absolution vor der Kommunion gedeutet (Formula Missae 1523, WA 12,213). Die Wiederherstellung des urchristlichen Brauchs im Austausch eines Zeichens des Friedens und der Versöhnung vor der Kommunion blieb der römischen Liturgiereform (Meßbuch 1975) vorbehalten und wird häufig im englisch/amerikanischen Protestantismus übernommen. 3.4. Die Elevation findet sich in der stadtrömischen Liturgie des 7. Jh. als Emporheben von Kelch und Hostie unter der Schlußdoxologie des Eucharistiegebetes. Sie heißt kleine Elevation, weil sie Oblationsgestus Gott gegenüber ist. Die große Elevation, (zunächst nur der Hostie, heute beider Gestalten) unter den Einsetzungsworten entstand im 13. Jh. als Gestus für die Gemeinde zur Schau und Anbetung einer Gabe, die zu empfangen sie kaum mehr wagte. Luther hat die „kleine" Elevation unter dem Sanctus zunächst propter infirmos beibehalten (1523, WA 12,212f), später aber als Verkündigung, „das Christus befohlen hat seyn zu gedencken" hoch geschätzt (Deutsche Messe 1526, WA 19,99 f). In den meisten orientalischen Riten wird die Hostie nach dem Vaterunser emporgehoben zum Ruf Tä äyia roiq äyioig KTX., einer frühen Form der Abendmahlsvermahnung. 3.5. Über die weitere Geste des Anhauchens, die es auch bei der Weihe der ö l e am Gründonnerstag und bei der Taufwasserweihe in der Osternacht als positives -»Symbol der Geistmitteilung gibt, informiert der Artikel -»Exorzismus. Die tunsio pectoris ist eine vom Neuen Testament nahegelegte Geste (LK 18,13). Das Brotbrechen ergibt sich aus der Notwendigkeit des Teilens des (ursprünglich einen) Brotes für die vielen und gewinnt eine besondere Bedeutung (Fischer 129). Das Ausziehen der Schuhe, die Berührung des Bodens

Getto

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mit der Stirn und der Tanz in der Liturgie - in Afrika zu einem neuen Beispiel liturgischer Akkulturation geworden — wie auch die Prozession der Gemeinde sind im Abendland als liturgische Bewegungsgesten weithin außer Übung geraten. 4. Bedeutung

der

Gesten

In der Liturgik — und auch in der Seelsorge - ist die Bedeutung der non-verbalen Kommunikation und der das Wort begleitenden Zeichen neu entdeckt worden. Der Protestantismus hat Anlaß, die Unausweichlichkeit der „Äußerung" geistiger Gehalte und damit der Verleiblichung zu bedenken und seine historischen Ängste abzubauen. Gesten als elementare Körpersprache des einzelnen und der Gemeinschaft entstehen zunächst spontan, gewinnen aber im Kontext des korporativen Gottesdienstes wie im alltäglichen Leben helfende, verbindende und vertiefende Kraft, wenn sie begründet und kontrolliert bleiben. Literatur Gilbert C o p e , Art. Gestures/Postures: A Dictionary of Liturgy and Worship, London 4 1 9 7 8 . Balthasar Fischer, R e f o r m of Symbols in R o m a n Catholic Worship, Loss or Gain? : Liturgy Reshaped, hg. v. Kenneth Stevenson, London 1982. - D o r o t h e a Forstner, Die Welt der christl. Symbole, Innsbruck u. a. 1977. - Gestes et paroles dans les diverses familles liturgiques, hg. v. A. Pistoia/A. M . Triacca, R o m 1978. - Paul Graff, Gesch. der Auflösung der alten gottesdienstlichen Formen, Göttingen, I 2 1 9 3 7 . - Kassius Hallinger, Kultgebärde u. Eucharistie: A L W 19 (1978) 2 9 ff. - Josef Andreas J u n g m a n n , Missarum sollemnia, Freiburg, I 3 1 9 5 2 . - T h e o d o r Klauser, Kleine Abendländische Liturgiegesch., Bonn 1965. - Bruno Kleinheyer, Heil erfahren im Zeichen, München 1980. - N . Kollar, Liturgical Gestures: Encyclopedic Dictionary o f Religion, Washington 1979. - Bernhard Kötting, Geste u. Gebärde: R A C 10 (1978) 8 9 5 - 9 0 2 . - Helene Lubienska de Lenval, Die Liturgie der Gebärde, Klosterneuburg 1959. - Aimé-Georges M a r t i m o r t , H b . der Liturgiewiss., Freiburg u. a. 1963. - T h o m a s O h m , Die Gebetsgebärden der Völker u. das Christentum, Leiden 1948. - H e r m a n n Reifenberg, Fundamentalliturgie, Klosterneuburg 1978. - M a r i o Righetti, M a n u a l a di storia liturgica, Mailand, I 3 1 9 6 4 . - Rudolf Suntrup, Die Bedeutung der liturg. Gebärden u. Bewegungen in lat. u. dt. Auslegungen des 6. bis 13. J h . , München 1978.

Hans-Christoph Schmidt-Lauber Gesundheit/Gesundheitswesen - * Krankheit Getto 1. Der N a m e und seine Herkunft 2. Die Entstehung jüdischer Viertel in den Städten der Diaspora 3. Das G e t t o als Ergebnis der kirchlichen Gesetzgebung 4. Jüdische Selbstverwaltung Inneres Leben 5. Die Auflösung des Gettos als Zwangsgemeinschaft - seine Fortdauer als soziologische G r ö ß e 6. Das Getto als Etappe der nationalsozialistischen Judenvernichtung (Literatur S. 159)

1. Der Name und seine

Herkunft

Unter Getto versteht man in strengem Sinne jenen durch Mauern abgegrenzten Wohnbereich einer Stadt, der von der nichtjüdischen Obrigkeit den Juden zugewiesen wird. Wahrscheinlich ist der Name ursprünglich nichts anderes als eine Ortsbezeichnung. Im Jahre 1510 wurden die Juden in -»Venedig genötigt, sich im Getto nuovo niederzulassen; ursprünglich Bezeichnung des Platzes einer Kanonengießerei. In der Bulle Cum nimis absurdum, durch die Papst -»Paul IV. 1555 die Einrichtung eines Gettos in Rom verfügte, wählte er als offizielle Bezeichnung Serraglio degli (H)ebrei, das ist umschlossener Raum der Juden. 1562 verwendet Papst -»Pius IV. nebeneinander die Worte ghectum und septum hebraicum. Seit dieser Zeit bürgert sich der Name Getto als Bezeichnung für ein jüdisches Wohnviertel als Zwangsquartier ein. Der Ausdruck wird gelegentlich von Juden selbst übernommen, so in den Gemeindestatuten von Mantua, die unter dem Titel Sefer ha-Getto gedruckt wurden. Die Versuche einer etymologischen Ableitung des Wortes aus dem Hebräischen von Get, d.h. Scheidung, aus dem Deutschen von Gehecktes,

Getto

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mit der Stirn und der Tanz in der Liturgie - in Afrika zu einem neuen Beispiel liturgischer Akkulturation geworden — wie auch die Prozession der Gemeinde sind im Abendland als liturgische Bewegungsgesten weithin außer Übung geraten. 4. Bedeutung

der

Gesten

In der Liturgik — und auch in der Seelsorge - ist die Bedeutung der non-verbalen Kommunikation und der das Wort begleitenden Zeichen neu entdeckt worden. Der Protestantismus hat Anlaß, die Unausweichlichkeit der „Äußerung" geistiger Gehalte und damit der Verleiblichung zu bedenken und seine historischen Ängste abzubauen. Gesten als elementare Körpersprache des einzelnen und der Gemeinschaft entstehen zunächst spontan, gewinnen aber im Kontext des korporativen Gottesdienstes wie im alltäglichen Leben helfende, verbindende und vertiefende Kraft, wenn sie begründet und kontrolliert bleiben. Literatur Gilbert C o p e , Art. Gestures/Postures: A Dictionary of Liturgy and Worship, London 4 1 9 7 8 . Balthasar Fischer, R e f o r m of Symbols in R o m a n Catholic Worship, Loss or Gain? : Liturgy Reshaped, hg. v. Kenneth Stevenson, London 1982. - D o r o t h e a Forstner, Die Welt der christl. Symbole, Innsbruck u. a. 1977. - Gestes et paroles dans les diverses familles liturgiques, hg. v. A. Pistoia/A. M . Triacca, R o m 1978. - Paul Graff, Gesch. der Auflösung der alten gottesdienstlichen Formen, Göttingen, I 2 1 9 3 7 . - Kassius Hallinger, Kultgebärde u. Eucharistie: A L W 19 (1978) 2 9 ff. - Josef Andreas J u n g m a n n , Missarum sollemnia, Freiburg, I 3 1 9 5 2 . - T h e o d o r Klauser, Kleine Abendländische Liturgiegesch., Bonn 1965. - Bruno Kleinheyer, Heil erfahren im Zeichen, München 1980. - N . Kollar, Liturgical Gestures: Encyclopedic Dictionary o f Religion, Washington 1979. - Bernhard Kötting, Geste u. Gebärde: R A C 10 (1978) 8 9 5 - 9 0 2 . - Helene Lubienska de Lenval, Die Liturgie der Gebärde, Klosterneuburg 1959. - Aimé-Georges M a r t i m o r t , H b . der Liturgiewiss., Freiburg u. a. 1963. - T h o m a s O h m , Die Gebetsgebärden der Völker u. das Christentum, Leiden 1948. - H e r m a n n Reifenberg, Fundamentalliturgie, Klosterneuburg 1978. - M a r i o Righetti, M a n u a l a di storia liturgica, Mailand, I 3 1 9 6 4 . - Rudolf Suntrup, Die Bedeutung der liturg. Gebärden u. Bewegungen in lat. u. dt. Auslegungen des 6. bis 13. J h . , München 1978.

Hans-Christoph Schmidt-Lauber Gesundheit/Gesundheitswesen - * Krankheit Getto 1. Der N a m e und seine Herkunft 2. Die Entstehung jüdischer Viertel in den Städten der Diaspora 3. Das G e t t o als Ergebnis der kirchlichen Gesetzgebung 4. Jüdische Selbstverwaltung Inneres Leben 5. Die Auflösung des Gettos als Zwangsgemeinschaft - seine Fortdauer als soziologische G r ö ß e 6. Das Getto als Etappe der nationalsozialistischen Judenvernichtung (Literatur S. 159)

1. Der Name und seine

Herkunft

Unter Getto versteht man in strengem Sinne jenen durch Mauern abgegrenzten Wohnbereich einer Stadt, der von der nichtjüdischen Obrigkeit den Juden zugewiesen wird. Wahrscheinlich ist der Name ursprünglich nichts anderes als eine Ortsbezeichnung. Im Jahre 1510 wurden die Juden in -»Venedig genötigt, sich im Getto nuovo niederzulassen; ursprünglich Bezeichnung des Platzes einer Kanonengießerei. In der Bulle Cum nimis absurdum, durch die Papst -»Paul IV. 1555 die Einrichtung eines Gettos in Rom verfügte, wählte er als offizielle Bezeichnung Serraglio degli (H)ebrei, das ist umschlossener Raum der Juden. 1562 verwendet Papst -»Pius IV. nebeneinander die Worte ghectum und septum hebraicum. Seit dieser Zeit bürgert sich der Name Getto als Bezeichnung für ein jüdisches Wohnviertel als Zwangsquartier ein. Der Ausdruck wird gelegentlich von Juden selbst übernommen, so in den Gemeindestatuten von Mantua, die unter dem Titel Sefer ha-Getto gedruckt wurden. Die Versuche einer etymologischen Ableitung des Wortes aus dem Hebräischen von Get, d.h. Scheidung, aus dem Deutschen von Gehecktes,

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Getto

aus dem Italienischen von (bor)ghetto, d . h . kleines Stadtviertel, vom Vulgäritalienischen guetto oder guitto, das ist schmutzige Person, und schließlich aus dem Griechischen yehcov, das ist Nachbarschaft, haben zu keinem überzeugenden Ergebnis geführt. Die Bezeichnung Getto hat weitgehend die vorher gebräuchlichen Namen verdrängt (lat.: Platea, span.: Juderia, deutsch: Judengasse, engl.: Jewry, franz.: Juiverie, poln.: Ulica Zydowska). Judenviertel gibt es nicht nur innerhalb der christlichen Umwelt, sondern auch in den Ländern des Islam. Soweit diese von Schiiten beherrscht wurden, gab es bis zu unserer Zeit Judenviertel als Zwangsquartiere, die dem europäischen Getto vergleichbar sind. Vom Getto als Zwangsquartier ist trotz äußerer Ähnlichkeiten der Wohnbezirk zu unterscheiden, in dem Juden in freiwilliger Abgeschlossenheit leben oder lebten, z. B. das sogen. Scheunenviertel in Berlin (Ost) vor der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg. 2. Die Entstehung

jüdischer

Viertel in den Städten der

Diaspora

Der Wunsch, als Gemeinschaft zusammenzuleben, die Notwendigkeit, die -•Synagoge als Ort des Gemeinschaftsgottesdienstes zu den festgesetzten Gebetszeiten unschwer erreichen zu können, die Speisegesetze, die gemeinsame Mahlzeiten von Juden und Nichtjuden erschweren oder sogar unmöglich machen, nicht zuletzt aber auch der eigene Denkstil, der sich vom christlichen erheblich unterscheidet, legte die Gründung von Vierteln nahe, in denen die Juden im wesentlichen unter sich waren. So verbietet die Rabbinersynode von Mainz 1220 Juden, von Nichtjuden gepflanzten Wein zu gebrauchen oder Nichtjuden bei der Bereitung von Wein für Juden zuzulassen. In der gleichen Verordnung wird den Juden verboten, Speisen zu sich zu nehmen, die von Nichtjuden gekocht wurden. Das Gebot, am Sabbat außerhalb des Hauses keine Lasten zu tragen, nötigte zur Umgrenzung des Wohnbezirks. Das Wort Eruw bringt die bewußte und gewollte Umgrenzung zum Ausdruck. Noch die erst seit der Mitte des 17. Jh. entstandene jüdische Siedlung in Illereichen-Altenstadt wahrt die Einheit des Ganzen, indem sie auf Umzäunung der einzelnen Grundstücke verzichtet, im Gegensatz zu den umzäunten Einzelgrundstücken der Christen. Der mittelalterliche Mensch lebt in Korporationen. So siedeln die Handwerker nach Berufen gegliedert in jeweils eigenen Gassen. Manche Straßennamen in mittelalterlichen Städten erinnern noch heute daran. Auch die Fernhändler pflegten jeweils ihr eigenes Quartier in den Städten zu haben, wie z.B. der Stahlhof in London den deutschen Kaufleuten zugewiesen war. Nach Zvi Rudy war das Judenviertel „anfangs eigentlich nichts anderes als eine exterritoriale Niederlassung für ausländische Kaufleute, die in den eigenen vier Wänden mit eigenen Vertretern und nach eigenen Gesetzen wirken sollten" (Soziologie des jüd. Volkes, Reinbek 1965, 82). In der Tat waren Juden bis zum 12. Jh. im Fernhandel an führender Stelle tätig. Für ihr Quartier wählten sie daher gerne die Gegend um den Markt. Angewiesen auf den Schutz des Königs, für den sie Steuer bezahlten, ist für sie königsfreier Grund willkommenes Siedlungsgelände. Auf dem gleichen Gebiet entsteht auch das Rathaus der Bürgerschaft, die sich vom Bischof als Stadtherrn befreit. So ließen sich die Juden in -»Köln vorzüglich im Gebiet der Laurenzpfarrei nieder, in deren Mittelpunkt Rathaus und Alter M a r k t lagen. Nach Ausweis der Schreinsbücher dieser Pfarrei besaßen die Juden im mittelalterlichen Köln Grundstücke. Die frühen Siedlungen werden jedenfalls zu einem guten Teil durch Mauern geschützt. In dem Schutzbrief Bischof Rüdigers von Speyer vom 13. September 1084 wird die Errichtung einer Mauer um das jüdische Quartier zum Schutz vor Übergriffen des Pöbels ausdrücklich erwähnt. In Köln lebten die Juden von Anfang an mehrheitlich im Bezirk der Laurenzpfarrei, konnten aber auch außerhalb dieses Quartiers wohnen, während Christen auch im jüdischen Viertel wohnten. Seit 1300 werden die Wohnungen der Juden von denen der Christen scharf getrennt. Die Ausgänge der Straßen des Judenviertels werden mit eigenen Toren verschlossen. Dennoch ist die Trennung nicht vollkommen; denn das christliche Rathaus steht inmitten des jüdischen Bezirkes.

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Getto 3. Das Getto als Ergebnis der kirchlichen

Gesetzgebung

Seit dem Vierten Laterankonzil 1215 werden seitens der Kirche Bestimmungen erlassen, die den Verkehr von Juden und Christen erschweren sollen. Sie sind motiviert von der Sorge, die Juden könnten die Christen in ihrem Glauben irritieren. So verlangt die Breslauer Synode von 1266, „daß die Juden, die in der Provinz Gnesen weilen, nicht unter den Christen vermischt wohnen dürfen, sondern daß sie ihre Häuser nahe beieinander oder miteinander verbunden an einem abgeteilten Ort der Gemeinde oder der Stadt haben" (O. Stobbe, Die Juden in Deutschland während des MA, Braunschweig 1866, 176 Anm. 2). In Spanien ist es der Wunsch, die Neuchristen dem Einfluß der Juden zu entziehen, der für die Errichtung eigener jüdischer Quartiere maßgeblich ist, so schon im Privileg König Ferdinands IV., Burgos 1301. Das Konzil von Basel macht sich den gleichen Gedanken zu eigen. Juden sollen nicht in der Nähe der Hauptkirche wohnen. Dementsprechend verlangt Papst Pius II. 1462, daß die Frankfurter Juden vom Markt bei der Bartholomäuskirche an einen abgelegeneren Ort verwiesen werden. Den Frankfurter Juden wurde ein neues Quartier am Rande der Stadt hinter dem Dominikanerkloster angewiesen. Von da war es nur noch ein kleiner Schritt bis zur Errichtung eines Zwangsviertels. Formal besitzen die Juden nicht mehr das Eigentumsrecht am Grundbesitz. So gehören in Frankfurt die Häuser der Judengasse dem Magistrat. Die Juden konnten jedoch das Wohnrecht in den Häusern erwerben und vererben. Seit 1480 dürfen sich die Juden Frankfurts nicht als Bürger bezeichnen. Sie sind nur noch geduldet. Während in Städten wie in Frankfurt und Prag sich die Errichtung des Gettos als Zwangsquartier etappenweise vollzieht, läßt sich in anderen Städten wie Rom, Venedig oder Wien diese auf einen festen Termin datieren, Venedig 1516, Rom 1555, Wien 1623. In Italien werden die landsmannschaftlichen Unterschiede zwischen aschkenasischen und sephardischen Juden berücksichtigt. So gilt das Dekret des Senats von Venedig 1516 den aschkenasischen Juden, unter denen die aus Deutschland stammenden und die italienischen verstanden werden. Ihnen wird das Getto Nuovo im Stadtteil Cannaregio zugewiesen. Levantinische Juden dürfen nur zu kürzeren Besuchen in Venedig weilen. Erst 1541 läßt der Senat levantinische jüdische Kaufleute in Würdigung ihrer handelspolitischen Bedeutung offiziell zu. Er weist ihnen das Getto Vecchio in der unmittelbaren Nähe des für die aschkenasischen Juden bestehenden Quartiers zu. Innerhalb des Gettos errichten die verschiedenen Landsmannschaften jeweils eigene Synagogen. Mancherlei Vorschriften der nichtjüdischen Obrigkeit greifen in das Leben des Gettos ein. In der Regel darf es nachts nicht verlassen werden, ebensowenig an den hohen christlichen Feiertagen. Sonntagsspaziergänge außerhalb des Gettos gestattet der Frankfurter Magistrat erst ab 1785 und auch dann nur auf Widerruf, auf den Weg von der Judenmauer bis zum Allerheiligentor begrenzt und erst ab 17 Uhr. Die nach dem in Frankfurt aus sozialen und ökonomischen Gründen erfolgten Aufstand des Vinzenz Fettmilch 1616 erlassene neue „Stättigkeit" (Judenordnung), beschränkt die Zahl der Haushalte auf 500. Jedes Jahr dürfen höchstens sechs fremde Juden aufgenommen werden. Nur zwölfmal im Jahr wird die Heiratserlaubnis erteilt. Ähnliche Verordnungen gelten auch für die übrigen Gettos. Zu den Verpflichtungen, die den Juden seitens der christlichen Obrigkeit in manchen Gettos wie denen von Rom und Prag sowie Wien auferlegt wurden, gehörte es, sonntags christliche Bekehrungspredigten anzuhören. Im 16. Jh. schreibt Michel de -»Montaigne in seinem Reisetagebuch (Tagebuch einer Badereise, Stuttgart 1963 [Bibliothek Klass. Reiseber.] 182 f): „Ein anderes Vergnügen, das mir Rom während der Fastenzeit bot, waren die Predigten. Es gab ausgezeichnete Prediger, wie den bekehrten Rabbiner, der den Juden samstags nach Tisch in Trinità predigt. 60 Juden sind immer zum Zuhören angehalten." 4. Jüdische Selbstverwaltung

— Inneres Leben

Im Rahmen der durch die nichtjüdische Obrigkeit erlassenen Vorschriften und Anordnungen verblieb den Juden Spielraum zur Errichtung einer eigenen Selbstverwaltung wie

158

Getto

zur Entfaltung ihrer eigenen Kultur. Im Prager Getto konnten sie ein eigenes jüdisches Rathaus errichten. An der Selbstverwaltung war allerdings nicht die gesamte jüdische Einwohnerschaft beteiligt, sondern nur diejenigen, die fähig waren, Steuern zu zahlen. Im Frankfurter Getto lag im 18. Jh. bei 40% der Gemeindemitglieder das Jahreseinkommen unter 1000 Gulden. Als Nichtsteuerzahlende besaßen sie keinerlei Stimmrecht. Nur die Angehörigen der Oberklasse, das entspricht 15% der jüdischen Einwohnerschaft, besaßen hier das uneingeschränkte Wahlrecht. Wiewohl für das Getto Pfandleihe, Darlehen aller Art, Kleinhandel und Trödel charakteristisch sind, übten doch zumindest in größeren Judenquartieren viele Juden ein Handwerk aus, soweit es nicht zunftgebunden war. Das Prager Getto kannte jüdische Zünfte. In Rom war es die päpstliche -»Inquisition, die die Juden gegen Versuche schützte, sie auf den Altwarenhandel zu beschränken. So unduldsam sie in Glaubensfragen war, so streng sie auf die Einhaltung der päpstlichen Bestimmungen über das Auftreten der Juden wachte, so sehr war sie bestrebt, die den Juden zugestandenen Rechte und Privilegien zu wahren. So wies sie 1726 die Klage der römischen Trödler zurück, in der diese sich beschwert hatten, daß die Juden außerhalb des Gettos Gewerbe trieben. Ebenso bestand sie gegenüber dem Protest der christlichen Schneider auf dem Recht der Juden, auch aus neuen Stoffen Kleider anzufertigen, wenn ihnen auch nicht gestattet sei, solche selbst zu verkaufen. Die Verbote müßten aber dem Wortlaut entsprechend eng ausgelegt werden. Gleichwohl konnte die Konkurrenzsituation zu heftigem Streit zwischen jüdischen und christlichen Handwerkern führen. So beklagten sich seit dem 17. Jh. die Prager christlichen Zünfte über die jüdische Konkurrenz. Noch 1729 forderte Kaiser Karl VI. aufgrund der Klagen der christlichen Schuhmacher ein Verzeichnis der jüdischen an. Aus diesem ergibt sich, daß zu dieser Zeit im Getto 30 gelernte jüdische Schuster, die zugleich Ladeninhaber waren, lebten, 49 Schuhflicker ohne eigenen Laden und 20 Schuhhändler, die Ladenbesitzer waren. 1731 erließ Karl VI. eine Generalzunftordnung, nach der auch die jüdischen Zünfte ihre Satzungen der Böhmischen Kammer zur Genehmigung vorlegen mußten. Jede der Prager jüdischen Zünfte besaß ein eigenes Abzeichen und zumeist auch eine eigene Fahne. In den Gettos blühte die traditionelle Gelehrsamkeit. Daneben gab es aber auch, vor allem in den italienischen Gettos, manche andere kulturellen Aktivitäten. So verfaßte um 1640 Moses Zacuto in Venedig Yesod Olam, Teil einer Abrahamstrilogie, das erste biblische Drama in der hebräischen Literatur. 5. Die Auflösung des Gettos als Zwangsgemeinschaft sche Größe

- seine Fortdauer als soziologi-

Je mehr sich im Zeitalter der Emanzipation und der -»Französischen Revolution der Toleranzgedanke durchsetzte, desto unerträglicher erschien es, daß Menschen um ihres Glaubensbekenntnisses willen von den übrigen Bürgern der Stadt abgesondert leben müssen. Die Gettomauern werden immer stärker als einengend empfunden. Gegen Ende des 18. Jh. gelingt es der Oberschicht der Prager Juden, Fabrikanten und Finanziers, die Erlaubnis zu erwirken, auch außerhalb des Gettos zu wohnen. Wo die Revolutionstruppen einziehen, fallen die Mauern. Nach dem Ende der napoleonischen Zeit, im Zeitalter der Restauration, werden im Habsburgerreich und im Kirchenstaat die Gettos wiederhergestellt. Das Prager Getto wird erst 1852 als Institution aufgehoben und als Josefstadt den übrigen vier Prager Städten gleichgeordnet. Es wandelt sich vom ethnischen zum sozialen Getto, indem es zum Wohnort der jüdischen und nicht jüdischen Armen wird. Das römische Getto wurde erst 1870 mit dem Ende des Kirchenstaates aufgehoben. 1884 wird im Rahmen einer Stadtsanierung das römische Getto auch baulich weitgehend beseitigt. Erhalten bleiben dessen Synagogen, das jüdische Rathaus und der Judenfriedhof. Von den bedeutenderen Gettos ist baulich am besten das von Venedig erhalten, das von Worms wurde in den letzten Jahren zum großen Teil restauriert. Baubücher, Stadtpläne und Fotographien unterrichten zur Genüge über die teils im 19. Jh., teils aber auch erst im Zweiten Weltkrieg vernichteten Gebäulichkeiten. Im Burgenland (Österreich) ist baulich

Gewänder, Liturgische

159

gut erhalten Eisenstadt. Das „Wertheimer Haus" dient als österreichisch-jüdisches Museum. 6. Das Getto als Etappe der nationalsozialistischen

Judenvernichtung

Der -»Nationalsozialismus wollte nicht nur das Ergebnis des Zeitalters der Emanzipation rückgängig machen, die Gleichberechtigung der Juden aufheben, sondern er erstrebte ihre Vertreibung und spätestens seit 1941 ihre Vernichtung innerhalb der von ihm beherrschten Gebiete. Die von ihm vor allem in Osteuropa eingerichteten Gettos, wie das von Warschau, waren eine Zwischenstufe auf dem Weg zur sogenannten Endlösung. Das unterscheidet sie grundsätzlich von den vorausgehenden Gettos. Erst jetzt wird die Abschließung undurchlässig, sie ist Vorstufe der physischen Vernichtung. Literatur U. Cassuto, Art. Ghetto: E J (D) 7 (1931) 3 8 9 - 3 9 3 . - David C o r c o s , Art. Jewish Quarter: E J 10 (1971) 8 1 - 8 8 . - Willehad Paul Eckert, Das Ghetto - Gesch. u. Gestalt, 1966 (Germjud 5). - Eike Geisel (Hg.), Im Scheunenviertel. Bilder, Texte u. Dokumente, Berlin 1981. - Ferdinand Gregorovius, Der Ghetto, Berlin 1935 (Bücherei des Schocken Verlages 46). - Adolf Kober, Art. Judenviertel: J L 4 5 7 - 4 6 0 . - Isidor Kracauer, Gesch. der Juden in Frankfurt a . M . ( 1 1 5 0 - 1 8 2 4 ) , Frankfurt a . M . , I 1925. - Jozeph M i c h m a n , Art. Ghetto: E J 7 (1971) 5 4 2 - 5 4 6 . - Zvi Rudy, Soziologie des jüd. Volkes, Reinbek 1965. - Venedig - Gesch. u. Gestalt seines Ghettos, hg. v. Dt. Koordinierungsrat der Gesellschaften für Christl.-jüd. Zusammenarbeit, Frankfurt a . M . 1975 ( H ö r . 10). - Louis Wirth, T h e Ghetto, Chicago 2 1 9 5 6 .

Willehad Paul Eckert

Geulincx, Arnold

-»Okkasionalismus

Gewänder, Liturgische 1. Einführung Literatur S. 167)

1.

2. Alte Kirche und Mittelalter

3. Reformation

4. Neuzeit (Quellen und

Einführung

Besondere Kleidung für diejenigen Personen, welche als Priester einen heiligen Dienst zu versehen haben, findet sich in Verbindung mit Rangabzcichcn in fast allen Kulturen. Im alttestamentlichen Kultus ist auch die Art und Weise der Gewandung für die levitischen und priesterlichen Funktionen vorgeschrieben. Diese Kleidung unterschied sich von der alltäglichen und der festlichen der jeweiligen Epoche. In den Vorschriften für Priester heißt es zunächst nur, daß deren Kleider rein gewaschen und zum Gottesdienst nicht zerrissen sein sollten. In Beziehung auf Aaron und seine Söhne (Ex 28 und 39) wird schon ein genauer Bericht von der Art und der Beschaffenheit der priesterlichen und besonders der hohepriesterlichen Kleidung gegeben. Uber den leinenen, von einem bunten Gürtel zusammengehaltenen Untergewändern wurde ein aus purpurnen Byssusfäden gewirktes Obergewand getragen, welches am unteren Saum mit Nachbildungen von Granatäpfeln und Glöckchen besetzt war. Darüber wurde ein besonders kostbares Schultergewand getragen, das mit Gold, Weiß, Blaupurpur, Rotpurpur und Scharlach gefärbt, einen prächtigen Hintergrund für den mit zwölf Edelsteinen besetzten Brustschild abgab. Dieser war mit Goldfäden an Schultern und Gürtel befestigt und trug auf der Vorderseite die Namen der zwölf Stämme Israels eingraviert. Auf dem Kopf hatte der Hohepriester einen turbanartigen Hut, der an der Vorderseite einen goldenen Schild mit den Worten „Heilig dem Herrn" angebracht hatte. Zum Versöhnungstag kleidete sich der Hohepriester allerdings nur in ein einfaches, linnenes Gewand. Von dieser alttestamentlichen Kultkleidung wurde von den Gemeinden des Neuen Bundes nichts übernommen. Es gibt keinerlei Hinweise auf eine besondere liturgische

Gewänder, Liturgische

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gut erhalten Eisenstadt. Das „Wertheimer Haus" dient als österreichisch-jüdisches Museum. 6. Das Getto als Etappe der nationalsozialistischen

Judenvernichtung

Der -»Nationalsozialismus wollte nicht nur das Ergebnis des Zeitalters der Emanzipation rückgängig machen, die Gleichberechtigung der Juden aufheben, sondern er erstrebte ihre Vertreibung und spätestens seit 1941 ihre Vernichtung innerhalb der von ihm beherrschten Gebiete. Die von ihm vor allem in Osteuropa eingerichteten Gettos, wie das von Warschau, waren eine Zwischenstufe auf dem Weg zur sogenannten Endlösung. Das unterscheidet sie grundsätzlich von den vorausgehenden Gettos. Erst jetzt wird die Abschließung undurchlässig, sie ist Vorstufe der physischen Vernichtung. Literatur U. Cassuto, Art. Ghetto: E J (D) 7 (1931) 3 8 9 - 3 9 3 . - David C o r c o s , Art. Jewish Quarter: E J 10 (1971) 8 1 - 8 8 . - Willehad Paul Eckert, Das Ghetto - Gesch. u. Gestalt, 1966 (Germjud 5). - Eike Geisel (Hg.), Im Scheunenviertel. Bilder, Texte u. Dokumente, Berlin 1981. - Ferdinand Gregorovius, Der Ghetto, Berlin 1935 (Bücherei des Schocken Verlages 46). - Adolf Kober, Art. Judenviertel: J L 4 5 7 - 4 6 0 . - Isidor Kracauer, Gesch. der Juden in Frankfurt a . M . ( 1 1 5 0 - 1 8 2 4 ) , Frankfurt a . M . , I 1925. - Jozeph M i c h m a n , Art. Ghetto: E J 7 (1971) 5 4 2 - 5 4 6 . - Zvi Rudy, Soziologie des jüd. Volkes, Reinbek 1965. - Venedig - Gesch. u. Gestalt seines Ghettos, hg. v. Dt. Koordinierungsrat der Gesellschaften für Christl.-jüd. Zusammenarbeit, Frankfurt a . M . 1975 ( H ö r . 10). - Louis Wirth, T h e Ghetto, Chicago 2 1 9 5 6 .

Willehad Paul Eckert

Geulincx, Arnold

-»Okkasionalismus

Gewänder, Liturgische 1. Einführung Literatur S. 167)

1.

2. Alte Kirche und Mittelalter

3. Reformation

4. Neuzeit (Quellen und

Einführung

Besondere Kleidung für diejenigen Personen, welche als Priester einen heiligen Dienst zu versehen haben, findet sich in Verbindung mit Rangabzcichcn in fast allen Kulturen. Im alttestamentlichen Kultus ist auch die Art und Weise der Gewandung für die levitischen und priesterlichen Funktionen vorgeschrieben. Diese Kleidung unterschied sich von der alltäglichen und der festlichen der jeweiligen Epoche. In den Vorschriften für Priester heißt es zunächst nur, daß deren Kleider rein gewaschen und zum Gottesdienst nicht zerrissen sein sollten. In Beziehung auf Aaron und seine Söhne (Ex 28 und 39) wird schon ein genauer Bericht von der Art und der Beschaffenheit der priesterlichen und besonders der hohepriesterlichen Kleidung gegeben. Uber den leinenen, von einem bunten Gürtel zusammengehaltenen Untergewändern wurde ein aus purpurnen Byssusfäden gewirktes Obergewand getragen, welches am unteren Saum mit Nachbildungen von Granatäpfeln und Glöckchen besetzt war. Darüber wurde ein besonders kostbares Schultergewand getragen, das mit Gold, Weiß, Blaupurpur, Rotpurpur und Scharlach gefärbt, einen prächtigen Hintergrund für den mit zwölf Edelsteinen besetzten Brustschild abgab. Dieser war mit Goldfäden an Schultern und Gürtel befestigt und trug auf der Vorderseite die Namen der zwölf Stämme Israels eingraviert. Auf dem Kopf hatte der Hohepriester einen turbanartigen Hut, der an der Vorderseite einen goldenen Schild mit den Worten „Heilig dem Herrn" angebracht hatte. Zum Versöhnungstag kleidete sich der Hohepriester allerdings nur in ein einfaches, linnenes Gewand. Von dieser alttestamentlichen Kultkleidung wurde von den Gemeinden des Neuen Bundes nichts übernommen. Es gibt keinerlei Hinweise auf eine besondere liturgische

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Gewänder, Liturgische

Kleidung im Neuen Testament. Allerdings spielt das weiße Gewand in Gleichnissen Jesu und in der Offenbarung eine besondere Rolle in der Beziehung der Erlösten zu Christus. Auch sonstige Quellen im Umkreis der neutestamentlichen Autoren schweigen bezüglich einer genauen gottesdienstlichen Kleiderordnung. Für die apostolische und nachapostolische Zeit wird man annehmen müssen, daß in den Versammlungen der Christengemeinden zum Gottesdienst saubere und, soweit es die Umstände zuließen, auch festliche Kleider der jeweiligen Region getragen worden sind. In vorkonstantinischer Zeit wird man sich alle Kleriker in einfachen, vornehmlich weißen Tuniken vorzustellen haben, worüber dann ein Mantel oder ein Umhang in Form der Paettula von den Bischöfen und Priestern getragen worden wäre. 2. Alte Kirche und

Mittelalter

In nachkonstantinischer Zeit erfährt die zum Gottesdienst bestimmte Kleidung ihre Scheidung von der übrigen Gewandung. Die jetzt der Kirche mögliche Entfaltung ihres Wirkens in der Öffentlichkeit läßt sie die durch Herkommen und Brauch übliche Gewandung in Malerei und Mosaiken darstellen und auf Synoden Entscheidungen über die Trageweise gottesdienstlicher Kleidung treffen, so daß die weitere Entwicklung einigermaßen nachgezeichnet werden kann. Dazu kommt, daß in Anlehnung an die staatlichen und gesellschaftlich anerkannten Abzeichen römischer Beamter auch in der Kirche Unterscheidungsmerkmale gebraucht werden. Allerdings geschieht diese Entwicklung nicht überall gleichförmig und gleichmäßig, so daß für den Zeitabschnitt bis zu —»Karl d. Großen mit einer ziemlichen Vielfalt der Art und Weise, wie liturgische Gewänder getragen wurden, zu rechnen ist. Die sich in dieser Zeit herausbildenden Gewänder lassen sich in Untergewänder, Obergewänder und Rangabzeichen unterscheiden. Auch an einzelnen Gewandstücken oder an der unterschiedlichen Trageweise derselben kann die jeweilige Weihestufe eines Klerikers erkannt werden. 2.1. Die liturgischen

Untergewänder

2.1.1. Der Amikt (amicire = umhüllen) oder das Humerale (humerus = Schulter, Schultertuch), ist ein rechteckiges Leinentuch mit zwei Bändern. Dieses Tuch wird über die Schultern gelegt, vor der Brust gekreuzt und die kreuzweise über den Rücken geführten Bänder vorne gebunden. Ursprünglich war der Amikt ein Halstuch, das ab dem 8. Jh. als liturgisches Gewand erscheint und nach dem römischen Ritus vor der Albe angelegt wird. Im Mailänder und im Lyoner Ritus kann der Amikt über der Albe getragen werden, was zur Herausbildung sogenannter Amiktparuren geführt hat. In Spanien wurde ein über der Dalmatika und der Tunizella getragener eigener Amiktkragen gebräuchlich und hat sich bis ins 20. Jh. erhalten. Der Amikt wurde beim Ankleiden über den Kopf gelegt und gebunden und, nachdem alle übrigen Meßgewänder angelegt waren, vom Haupt nach hinten gestreift, so daß das Schultertuch sowohl als Unterkleidung unter der Albe getragen wurde, als auch als ein festlich verzierter Kragen als oberster Abschluß des Gewandes um den Hals zu liegen kam. In der Ostkirche ist ein liturgisches Schultertuch nur bei den Kirchen des armenischen, syrischen und koptischen Ritus bekannt. Dem Amikt verwandt ist ein liturgisches Sondergewand des Papstes, der Fanone, welcher aus zwei ungleich großen übereinandergelegten kreisrunden Seidenblättern besteht, welche an der Halsöffnung zusammengenäht sind. Nach dem Anlegen der Albe wird der Fanone über den Kopf gezogen und das obere Blatt solange über den Kopf geschlagen, bis der Papst vollständig bekleidet ist. Sodann kommt die zurückgeschlagene obere Hälfte wie ein Kragen auf dem Meßgewand zu liegen. 2.1.2. Die Albe als liturgisches Untergewand entwickelte sich aus der im Altertum von allen Bevölkerungsschichten getragenen Tunika, dem universellen Gewandstück. Dieses fußlange, schmal geschnittene und mit engen Ärmeln versehene Gewand wurde selbstverständlich auch zum christlichen Gottesdienst getragen. Als liturgisches Gewand erscheint

Gewänder, Liturgische

161

die linnene Albe aber erst seit dem 6. Jh. Nach dem westlichen Brauch, diese Tunika weiß zu halten, leitet sich die Bezeichnung Albe ab. Im Osten finden sich auch farbige Tuniken als liturgisches Untergewand, welches Sticharion genannt wird. Nicht selten wurden auch im Westen an den Ärmeln und am Saum farbige, oft auch bestickte Besatzstücke angebracht, um so die Albe zu schmücken. Im Osten verselbständigten sich die Ärmelbesätze und wurden zu einer Art Manschette, die als Epimaniken Bestandteil der liturgischen Kleidung orthodoxer Kleriker sind, um die oft weiten Ärmel des Sticharions zusammenzuhalten. Die Albe diente als Untergewand allen Weihestufen und wurde manchmal auch von Angehörigen niederer Ordines als Obergewand verwendet. Wo in den Taufordnungen der Alten Kirche ein weißes Gewand zur Bekleidung der Neugetauften erwähnt wird, ist wohl auch an eine Albe zu denken, die im Brauch der Überreichung des Westerhemdes oder Taufschleiers bei der ->Taufe sich rudimentär erhalten hat. 2.1.3. Das Cingulum ( = Gürtel) dient zum Zusammenhalten und Raffen der Albe und war ursprünglich aus den verschiedensten Materialien gefertigt. Im Westen entwickelte sich der Brauch, weiße Leinenstreifen zu verwenden, die später auch durch geflochtene Stricke in weiß oder der liturgischen Tagesfarbe (—»Farben) ersetzt werden konnten. Dient das Cingulum im Westen allen mit einer Albe Bekleideten, so ist der Gebrauch im Osten nur dem Bischof und dem Priester vorbehalten. Aus dem fränkischen Raum stammte auch die Sitte, die langen Stolen mit einem besonderen Band am Gürtel zu schürzen, welches den Namen Subcinctorium trägt und sich ab dem 14. Jh. zu einem päpstlichen Sondergewandstück entwickelte. Dieses ist ein an der linken Seite über das Cingulum geschlungenes Bändchen, welches ein in Gold gesticktes Kreuz und Lämmchen ziert. Das Subcinctorium wird nur zu feierlichen Gelegenheiten in der jeweiligen liturgischen Farbe gebraucht. 2.1.4. Das Superpelliceum (Chorrock) entstand aus einer über der Pelztunika getragenen Albe, welche naturgemäß weite Ärmel haben mußte. Schon im 12. Jh. findet das Superpellizeum nicht mehr nur zum Chordienst Verwendung, sondern wird auch zur Spendung von Sakramenten und bei Segenshandlungen angelegt. Es wird so allgemein zum Ersatz für die Albe und im Verlauf des 15. Jh. wurde es gekürzt und der jeweiligen Mode angepaßt. Aufgrund des weiten Schnittes trug man dieses Gewand ohne Gürtel. 2.1.5. Das Rochett, welches nur von Bischöfen und Prälaten getragen wird, ist vom Chorrock zu unterscheiden. Dieses talarähnliche Gewand mit engen Ärmeln war ursprünglich ein auszeichnendes Gewandstück für den alltäglichen Gebrauch über welchem, außer beim Chordienst, bei liturgischen Verrichtungen der Chorrock getragen werden muß. 2.2. Die liturgischen

Obergewänder

2.2.1. Die Kasel (casula = Häuschen) gilt als das liturgische Obergewand zur Feier des eucharistischen Gottesdienstes. Im Altertum bot ein mantelartiger Überwurf Schutz vor Kälte und Regen. Aus diesem Phelonion (lat. paenula = Mäntelchen) bildete sich ein beliebtes, festliches Kleidungsstück heraus, welches ab dem 4. Jh. als Amtstracht des Klerus aller Weihestufen getragen wurde. Erst als Diakone die Dalmatika zu tragen begannen, wurde im Westen die Kasel zum ausschließlichen Meßgewand des Zelebranten. Bis zur Reform der römischen Riten im Jahr 1960 trugen auch Diakone an Bußtagen die Kasel, doch wurde sie aus praktischen Gründen an der Vorderseite aufgerollt als planeta plicata, und von der Evangelienverlesung an bis nach der Kommunion, als Stola latior, eingerollt und wie eine Schärpe über der linken Schulter getragen. Die antike Form der Glockenkasel entstand aus einem an den Radien zusammengenähten, halbkreisförmigen Stoffteil, wodurch ein kegelartiges Gewand mit entsprechender Öffnung für den Kopf zum Durchstecken entstand. Dort, wo das Gewand auf den Unterarmen auflag, wurde es zur Erleichterung der nötigen Hantierungen geschürzt. Reicherer Zierat und die Verwendung immer schwererer Stoffarten führten allmählich dazu, die Form der Kasein zu

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Gewänder, Liturgische

ändern, so daß sich regional und auch im zeitlichen Abstand eine Fülle verschiedenartiger Formen ergaben (vgl. die Abbildungen bei Cope 372f). Auch Fehlentwicklungen hinsichtlich des Gebrauches unedler Materialien wie Leder oder Stroh waren zu beobachten. Im Zusammenhang mit der Herausbildung eines liturgischen Farbkanons (-»Farben) wechselte die Grundfarbe der Kasel. Auch reichhaltige Verzierung sollte die Grundfarbe noch erkennen lassen. Seit 1900 kann man eine Abkehr von den seit der Barockzeit immer aufwendiger gestalteten Kasein zu einer schlichteren, die Gewandform unterstreichenden Gestaltung erkennen. Im byzantinischen Kultus trägt der Priester das Phelottion, welches aber an der Vorderseite verkürzt ist, um mehr Bewegungsfreiheit zu gewähren. Die Bischöfe tragen seit dem Fall von Konstantinopel (1453) den Sakkos, der Form nach ein an den Seiten aufgeschlitztes, hemdartiges Gewand, die ehemalige oströmische Kaisertunika darstellend. 2.2.2. Die Dalmatika und die Tunizella. Das wohl aus Dalmatien stammende kleidartige, knöchellange Obergewand fand in Rom etwa im 3. Jh. Eingang. Das aus weißer Wolle oder Leinen mit roten Streifen an den Rändern geschmückte Ärmelgewand wurde im 4. Jh. Ehrengewand des Papstes und seiner Diakone. Mit der Verbreitung der römischen Liturgie setzte sich die Dalmatika immer mehr durch, bis sie im 9. Jh. allgemein das Obergewand der Diakone (mit Ausnahme der Tage, an denen auch diesen der Gebrauch der Kasel vorgeschrieben war) wurde und als Unterkleid der Bischöfe galt. Die Tunizella der Subdiakone sollte sich durch engeren Schnitt, besonders der Ärmel, von der Dalmatika unterscheiden. 2.2.3. Das Pluviale, auch Rauchmantel, Vespermantel, Chormantel, ist ein mantelartiger Umhang, der, ursprünglich mit einer Kapuze ausgestattet, Regenschutz für den Träger gewährte. Der vorne offene, mit einer oft kostbaren Schließe zusammengehaltene Mantel, seit dem 12. Jh. auch in liturgischen Farben, entstand aus dem Übergewand, welches Mönche und Chorherren an festlichen Tagen trugen. Von daher wird dieses Gewand zu feierlichen Gelegenheiten getragen: von Bischöfen anläßlich von Synoden, im Freien bei feierlichen Prozessionen, an Festtagen von inzensierenden Priestern in der Matutin und zum Magnifikat in der Vesper, bei feierlichen Segnungen und schließlich als auszeichnendes Gewand der Kantoren im Offizium (—>Stundengebet). Zur liturgischen Kleidung gehören weiter noch das Birett als Kopfbedeckung für Kleriker und die Mitra für Bischöfe und andere ausgezeichnete Prälaten. Das je nach Stand verschiedenfarbige Scheitelkäppchen (Pileolus) zählt nicht zur liturgischen Kleidung. Als Sonderform liturgischer Kopfbedeckung konnte auch die Tiara des Papstes gelten, welche ursprünglich eine mit einem Kronreif geschmückte Mütze Zeichen seiner Würde war. Ein zweiter Reif wurde von -»Bonifaz VIII. als Ausdruck geistlicher und weltlicher Gewalt gedeutet. Ab dem frühen 14. Jh. war die Tiara mit drei Reifen versehen. Seit Papst -»Paul VI. sie abgelegt hat, ist die Tiara nicht mehr in Gebrauch. Z u den Pontifikalien zählen ab dem 12. Jh. auch die ursprünglich von allen Klerikern getragenen liturgischen Strümpfe, Schuhe und Handschuhe. 2.3. Die

Rangabzeichen

2.3.1. Der Manipel ist ein verzierter Stoffstreifen, der als Abzeichen dem Subdiakon bei der Weihe überreicht wurde und von allen Weihestufen vom Subdiakon aufwärts, am linken Unterarm, durch Bändchen befestigt, getragen wurde. Das ursprünglich als Serviette oder Schweißtüchlein dienende Stoffstückchen wurde von staatlichen römischen Würdenträgern als auszeichnendes Etikettetuch getragen und etwa auch zur Eröffnung der Zirkusspiele verwendet. Im Osten ist das Epigonation dem Manipel verwandt. In der Herkunft nicht ganz gesichert, scheint das verzierte, quadratische, steife Stoffstück sich entweder aus einem über dem Sticharion getragenen Schurz zum Schutz vor Beschmutzung oder aus dem Enchirion, einem an der rechten Seite des Gürtels befestigten, auszeichnendem Tüchlein, entwickelt worden sein. Getragen wird dieses Abzeichen von orthodoxen Bischöfen und den von diesen ausgezeichneten Geistlichen.

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2.3.2. Die Stola oder das Orarium (os = Mund) geht wohl in den Ursprüngen auf ein Mundtuch oder allgemein auf ein Tuch zur Reinigung des Gesichtes zurück. Stola bedeutet ganz allgemein Gewand, ein geschmücktes Kleid, und dürfte im Zusammenhang mit dem biblischen Gebrauch des Wortes Stola für Gewand auf das Amtsabzeichen Orarium übertragen worden sein (Braun 568 f). Die Stola ist eigentlich kein Kleidungsstück, sondern ein streifenförmiges Tuch, zuerst als Auszeichnung für den Klerus, später für Diakon, Priester und Bischof vorbehalten. Frühe Nachrichten über den Gebrauch der Stola als liturgisches Abzeichen stammen im Osten aus dem 4. Jh. und in Spanien aus dem 6. Jh. Die Stola wird bei der Verwaltung der Sakramente und der Sakramentalien getragen, nicht aber etwa zum Stundengebet. Bischöfe und Priester tragen die Stola über den Nakken und über beide Schultern gelegt unter der Kasel. Während beim Bischof die beiden Enden etwa bis zu den Knien gerade herabfallen, trug der Priester bis zur Erneuerung der liturgischen Vorschriften durch das -> Vatikanum II über der Albe die beiden Streifen der Stola über der Brust gekreuzt. Der Diakon legt die Stola wie eine Schärpe von der linken Schulter schräg über Rücken und Brust an die rechte Seite und verbindet dort die Enden miteinander. Zusätzlich zur Stola bedienten sich der Papst und die von ihm ausgezeichneten Metropoliten und Erzbischöfe des Palliums, eines der Stola verwandten Abzeichens, das über dem Meßgewand getragen wird. Ursprünglich ein über Rücken, Brust und beide Schultern drapiertes bandförmiges Stoffstück, wird das Pallium im Laufe der Zeit zu einem ringförmigen weißen Wollstreifen, der mit schwarzen Kreuzen bestickt ist. An der Vorder- und der Rückenseite hängt je ein kurzes Bandstück herab. Das ganze Ornatstück wird mit Nadeln am Obergewand befestigt. Im Osten entspricht dem Pallium das Omophorion, das von allen Bischöfen gebraucht wird. Diese allerdings legen den etwa 30 cm breiten und etwa 4 m langen, reich geschmückten Tuchstreifen derart über beide Schultern, daß vorne und hinten ein Gabelkreuz gebildet wird. Orthodoxe Diakone und Priester tragen als Stola das Orarion. Der Diakon trägt dieses entweder vor der Brust gekreuzt oder er läßt einen Teil am Rücken und den anderen an der Brust herabhängen. Das vordere Endstück des Orarions wird bei bestimmten Rufen des Diakons von diesem in der Hand gehalten. Priester und Bischöfe tragen das Epitrachilion, eine auf dem Nacken liegende Schärpe, deren an der Brust herabhängende Streifen zusammengenäht sind. Als Gegenstück zum erzbischöflichen Pallium trugen im Mittelalter viele Bischöfe das Rationale, ein auszeichnendes Schmuckstück, mit Beziehung auf das hohepriesterliche Ephod (Ex 28,4ff), welches über das Meßgewand auf beide Schultern gelegt wurde. Sowohl im Morgenland als auch im Abendland wurden die einzelnen Gewandstücke und Abzeichen mystisch und symbolisch gedeutet. In den Weiheriten finden sich bei der Überreichung der dem jeweiligen O r d o entsprechenden Gewänder oder Rangabzeichen darauf bezügliche Voten. Ebenso nehmen die beim Anlegen der liturgischen Gewänder vorgesehenen Gebete die Symbolik auf. Nicht zu den liturgischen Gewändern, aber zu den Amtsinsignien gehören den Bischöfen noch Stab, King und Brustkreuz. Im Osten tragen die Bischöfe das Enkolpion, ein Marienmedaillon, an der Brust. Wohl unter westlichem Einfluß begannen Priester Brustkreuze aus einfachem und Bischöfe solche aus edlem Material zu tragen. 3.

Reformation

Im Zusammenhang mit der Neuordnung des Gottesdienstes und des kirchlichen Lebens in der Reformationszeit wandelte sich auch die Einstellung den liturgischen Gewändern gegenüber. Während ->Zwingli und nach ihm die Gemeinden reformierten Glaubens im allgemeinen alle überkommenen Meßgewänder und Amtsinsignien abschafften 50 und nur den schwarzen Predigerrock in Gebrauch ließen, zählte man in den Gebieten der Wittenberger Reformation die Verwendung der liturgischen Gewänder zu den Mitteldingen.

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Gewänder, Liturgische

Die betont offene und indoktrinäre Haltung -»Luthers zeigt sich in den Briefen an Propst Buchholzer von 1539 und an Georg von Anhalt von 1545. In den Berichten über die Gebräuche im Gottesdienst zu Wittenberg und besonders auch in den nach den schwärmerischen Unruhen von —• Bugenhagen und —»Jonas in Allstedt 1533 wieder geordneten Verhältnissen (Mehl 22) und in den von Bugenhagen beeinflußten -»Kirchenordnungen, zeigt sich die Absicht, die Kontinuität hinsichtlich der kirchlichen Gebräuche zu wahren. Wenn auch Luther 1524 zum Predigtdienst die Mönchskutte mit dem akademischen Standeskleid, der Schaube, tauschte, so behielt der das Abendmahl feiernde Priester zu seinem Dienst die Meßgewänder bei. In den Gebieten der lutherischen Reformation verzichtete man auf allen Pomp und überflüssigen Zierat, so daß auch dort, wo die Meßgewänder weiterhin zum Sakramentsgottesdienst getragen wurden, eine Vereinfachung der Trageweise eingeführt wurde. So fiel der Manipel weg und die besonderen Rangabzeichen der Priester. In diesem Zusammenhang scheint es bemerkenswert zu sein, daß die Stola bei der Aufzählung liturgischer Gewänder kaum aufscheint und die Gewandstücke der Diakone, Subdiakone und anderer Ministranten nur gelegentlich erwähnt werden. Häufig wird die Kasel durch das weiße Chorhemd (Superpellizeum) ersetzt, welches in der Literatur oft fälschlich als „Albe" bezeichnet wird, wiewohl auch diese als oberstes Bekleidungsstück in Gebrauch stand. Die Albe wurde nicht nur über dem Talar, dem Standeskleid der Kleriker, getragen, sondern gelegentlich auch anstelle desselben. So zeigt sich uns für die Reformationszeit ein uneinheitliches Bild. In einigen Gebieten wurde der vollständige Meßornat getragen, wobei man sich zur Predigt gerne der Schaube bediente. Oftmals war auch bestimmt, daß der Liturg zur Predigt die Kasel abzulegen hätte. In einigen Gebieten legte man zu den Sakramentsfeiern über der Schaube die Alba oder das Chorhemd an. Diese Form hat wohl die weiteste Verbreitung gefunden und hat sich auch am längsten, in manchen Kirchengebieten bis heute, erhalten. Auch dort, wo nach und nach die Meßgewänder außer Gebrauch gekommen sind, wurde ein weißes Gewandstück als oberste Bekleidung für den Gottesdienst beibehalten. Entschied man sich für eine solche Lösung, so bestimmten manche Kirchenordnungen, daß die kostbaren Gewänder verkauft und der Erlös der Armenkasse zugeführt werden solle. Manche Gewänder hat man auch zu Altar-, Kanzel- oder Taufsteinbedeckungen umgearbeitet. Seit die genaue und übersichtliche Darstellung von Piepkorn vorliegt, kann auf eine die regionalen Unterschiede und die historische Abfolge aufzeichnende Beschreibung verzichtet werden. Immerhin erweist diese Arbeit, daß in bezug auf die liturgischen Gewänder in den lutherischen Gebieten in der Reformationszeit kein Bruch mit der Tradition geschehen ist. In Gebieten mit Einfluß reformierter Tradition bediente man sich zum Gottesdienst der Schaube oder des aus Frankreich stammenden sogenannten Abbe-Mäntelchens. 4. Neuzeit 4.1. Wenn im Zeitalter der -»Orthodoxie manchmal auch an der Einstellung den liturgischen Gewändern gegenüber die Rechtgläubigkeit gemessen wurde, so ging mit der -»Aufklärung die Auflösung der gottesdienstlichen Formen und damit auch der Gebrauch der Gewänder Hand in Hand. Besonders anschaulich läßt sich die Neuerung in Leipzig verfolgen, wo unter dem Superintendenten Johann Georg Rosenmüller in der Zeit von 1785-1815 tiefgreifende Wandlungen im gottesdienstlichen Leben der Stadt herbeigeführt wurden. Es ist bezeichnend, daß im Gefolge verschiedener Änderungen auch 1795 die Meßgewänder abgeschafft wurden (Stiller 142-151). Auch literarisch wurde die Diskussion um Beibehaltung oder Abschaffung liturgischer Gewänder und auch der geistlichen Standestracht an der Wende vom 18. zum 19. Jh. heftig geführt (Graff II, 69-71). Die rationalistische Bewegung faßte naturgemäß erst in den Städten Fuß und drang kaum in dörfliche und auch wenig in außerdeutsche Gebiete vor. So ist es erklärlich, wenn etwa in der Slowakei, in Schlesien, in Ungarn und Siebenbürgen und auch in deutschen Landgemeinden sich die Alben und Chorhemden bis weit in das 19. Jh., in einigen Gebieten bis in unsere Tage hielten.

Gewänder, Liturgische

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Aus der mittelalterlichen Schaube, der ständischen Tracht der Gelehrten und des wohlhabenden Bürgertums, entwickelte sich der schwarze Talar, dessen Kragen im Verlauf des 16. J h . , besonders aber im 17. J h . unter spanischem Einfluß, mit einer Halskrause geziert wurde. Die Form und die Größe dieser weißen Krause war stark den modischen Schwankungen unterworfen und wurde von Männern und Frauen gleichermaßen getragen. Als leicht zu reinigendes Bekleidungsstück zählte der Kragen zur Wäsche und nicht zum Obergewand. Die Beffchen verdanken ihre Entstehung wahrscheinlich dem Gebrauch der langen Allongeperücken, die sich mit den steifen Halskrausen nicht vertrugen. Das Beffchen erscheint als Rest des ehemaligen Rundkragens und wurde als den Halsausschnitt bedeckendes Wäschestück von allen Bürgern getragen. Dem Beffchen kommt also weder die Bedeutung eines liturgischen Gewandes noch eines konfessionellen Unterscheidungsmerkmales zu. Allgemeine Verbreitung fand der schwarze Talar mit Beffchen durch die preußische königliche Kabinettsordre von Friedrich Wilhelm III. von 1811 und die königliche Konsistorialverfügung für evangelische Pfarrer und Rabbiner aus dem Jahr 1817, welche bestimmte, daß um der Gleichförmigkeit willen und um der Willkür zu wehren, alle Geistlichen sich des neuen Ornates zu bedienen hätten, sofern nicht andere gottesdienstliche Gewänder im Gebrauch stünden. Weiße Chorhemden wären über dem Talar zu tragen. Die Beffchen erscheinen danach in ihrer Trageweise auch konfessionell unterschieden als zwei vom Hals zur Brust herabhängende weiße Stoffstreifen. Gespaltene gelten als lutherisch, halbgespaltene als uniert und zusammengenähte als reformiert, wenn sie überhaupt getragen werden. Als Kopfbedeckung sollte fortan nur mehr ein zum Talar passendes Barett gebraucht werden. In den außerdeutschen lutherischen Gemeinden und Kirchen ist der Gebrauch des schwarzen Talares bei ehemaligen Auswanderern die Regel. Ansonsten finden sich unter skandinavischem oder anglikanischem Einfluß vereinfachte Meßgewänder in den liturgischen Farben oder ein einfacher weißer Talar mit Stola in den entsprechenden Farben des Kirchenjahres. Für reformierte Kirchen und freikirchliche Gemeinden haben liturgische Gewänder nur untergeordnete oder gar keine Bedeutung. 4.2. Das lehrhafte Verständnis von -»Gottesdienst einer rationalistischen Theologie an der Wende vom 18. zum 19. J h . verdrängte zuerst in der Pfarrerschaft und dann auch bei den Gemeindegliedern den Sinn für einen liturgisch durchformten und gestalteten Gottesdienst. Alles, was nicht unmittelbar nützlich und der erbaulichen oder rationalbelehrenden Kanzelrede dienlich war, wurde ausgeschieden, und es entstand jene nüchterne Atmosphäre, in welcher bestenfalls ein guter Prediger seine Hörer fesseln konnte. Dazu waren auch im lutherischen Bereich keine gottesdienstlichen Gewänder mehr nötig. Die Reform des Gottesdienstes (-»Liturg. Bewegungen) setzte mit dem preußischen König Friedrich Wilhelm III. ein, der ja mit seiner Kabinettsordre von 1811 auch den ungeordneten Zuständen hinsichtlich der liturgischen Gewandung der Geistlichen wehren wollte. Wenn auch mit dieser Bestimmung die herkömmlichen und in Gebrauch stehenden Meßgewänder, Alben, Superpellizeen und Chorhemden nicht abgeschafft werden sollten, so beschleunigte die Einführung des schwarzen Talares doch deren Verdrängung. Dem Geschmack der Zeit kam der schwarze Talar entgegen. Das praktische Ungenügen dieser Ordnungen führte zu weiteren Überlegungen und es war W. - » L ö h e , der als ein einsamer Streiter für einen Gottesdienst auftrat, in welchem die Gemeinde durch Hören, Schauen, Singen und Beten beteiligt werden könne. Der Kirchenraum sollte durch entsprechende —»Geräte und Paramente (—»Paramentik) die Gläubigen zu einem Verständnis für das lobpreisende und anbetende Element im Gottesdienst führen. Im J a h r 1867 wurde anläßlich einer Paramentenausstellung in Neuendettelsau von Mitgliedern des Paramentenvereines der Beschluß gefaßt, daß künftig auch „die priesterliche Kleidung der Geistlichen grundsätzlich in den Kreis der Paramentik aufgenommen werden" solle (Löhe, GW,

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Gewänder, Liturgische

Erläuterungen 755). Dieser Beschluß fand aber keine Verwirklichung: Es blieb weithin in den meisten deutschen und von ihnen beeinflußten lutherischen Kirchen beim faltenreichen schwarzen Talar mit weißem Beffchen als der Amtstracht evangelischer Geistlicher. Immerhin wurde Löhe mit einer Albe und roten Stola bekleidet am 5. Januar 1872 bestattet (Hans Kressel, Wilhelm Löhe als Liturg u. Liturgiker, Neuendettelsau 1952,111 Anm. 84). Allerdings hielt sich in traditionsbewußten Gemeinden der dort übliche Brauch der sogenannten Albe, was zum Teil in der Slowakei, der Stadtkirche von Weimar, in manchen Gemeinden Württembergs u. a. m. der Fall ist. Im anglikanischen Raum und hauptsächlich in den von Schweden beeinflußten -»Jungen Kirchen hat sich der Gebrauch der altkirchlichen Gewänder gehalten bzw. neu durchgesetzt. 4.3. In Mitteleuropa haben kirchliche Erneuerungsbewegungen (-»Hochkirchliche Bewegung, -» Michaelsbruderschaft) schon in der Zwischenkriegszeit die Anregungen Löhes zu einer Neuformung der liturgischen Gewänder für die im Gottesdienst Beteiligten angeregt und bei ihren Veranstaltungen gebraucht. Für festliche Gottesdienste bietet sich im Anschluß an die altkirchliche Tradition folgende einfache aber überzeugende Gewandordnung an: ein Schultertuch, um den zivilen Kragen zu verdecken und als Untergewand eine knöchellange, von einem Gürtel geraffte Albe. Der Leiter des Gottesdienstes kann darüber eine weiße Kasel und Stola in der jeweiligen Farbe des Kirchenjahres tragen. Alle übrigen Helfer im Gottesdienst, Diakone, Lektoren, Ordner, Ministranten, Chorsänger bleiben mit der Albe bekleidet. Gegebenenfalls tragen sie zusätzlich einen entsprechenden Chormantel. In den meisten -»Bruder- und Schwesternschaften, Kommunitäten und Gemeinschaften hat sich diese Form liturgischer Kleidung nach 1945 in lutherischen und auch reformierten Kirchen allgemein durchgesetzt. Die dort gewonnenen Erfahrungen haben auch in landeskirchlichen Gemeinden das Verständnis reifen lassen, daß zu Sakramentsfeiern, eventuell auch anläßlich von Konfirmationen und Trauungen der festliche Charakter solcher Gottesdienste würdiger und sachlich richtiger zur Darstellung kommt, wenn statt des schwarzen Talares ein weißer mit Stola getragen wird. Zu der biblischen Beobachtung, daß Weiß die Farbe der eschatologischen Freude ist, tritt die Erfahrung, daß averbale Elemente im Gottesdienst zu gelingender Kommunikation wesentlich beitragen. In einer Zeit, da visuelle Eindrücke unser Leben bestimmen, ist die Gestaltung gottesdienstlicher Räume (Rainer Volp/Heinrich Immel, Beten mit offenen Augen: Zeichen. Semiotik in Theol. u. Gottesdienst, hg. v. Rainer Volp, München/Mainz 1982, 250-265), deren Schmuck und wohl auch die Frage der liturgischen Bekleidung zu einem besonderen Anliegen zu machen. Eine Umfrage hat ergeben, daß in vielen evangelischen Gemeinden weiße Talare oder liturgische Gewänder auch dort in Gebrauch sind, wo Synoden noch nicht darüber entschieden haben (Reiner Schotte, Von liturgischen Gewändern in unserer Kirche. „Gottesdienst und Kirchenmusik": Zs. für Kirchenmusik u. Liturgik [1982] 175f). In der Evangelischen Kirche Augsburgischer Konfession von Elsaß-Lothringen werden seit 1972 in vielen Gemeinden weiße Talare mit Stolen gebraucht. Auch die Landessynode der Evangelischen Kirche im Rheinland hat am 12. Januar 1983 den Beschluß gefaßt, zunächst für die Dauer von fünf Jahren eine helle Amtstracht in Form einer weißen Mantelalbe mit Stola in den liturgischen Farben den Gemeinden zur Erprobung zu gewähren (Nikolaus Becker, Die Kirchenordnung der Ev. Kirche im Rheinland, Anlage IV/3). Der Gebrauch liturgischer Gewänder hängt wohl auch von dem jeweiligen Veständnis des Gottesdienstes ab. Im lehrhaft ausgerichteten Predigtgottesdienst mag der schwarze Talar angemessen sein. Zu weihnachtlichen Festgottesdiensten, zur Osternachtfeier und zur Darstellung der eucharistischen Freude eignet sich ein weißes liturgisches Gewand sicher besser. Eine Sonderform liturgischer Bekleidung stellt der sogenannte Lektoren- oder Prädikantentalar dar, der mit offenem Kragen und ohne Beffchen getragen wird. In diesem

Gewänder,

Liturgische

167

Z u s a m m e n h a n g ist z u f r a g e n , o b es n i c h t w ü n s c h e n s w e r t sei, alle i m G o t t e s d i e n s t h a n delnden P e r s o n e n m i t e i n e m einheitlichen liturgischen G e w a n d zu bekleiden. Die M a n t e l alben bieten hierfür eine g u t e V o r a u s s e t z u n g . N a c h ö k u m e n i s c h e m B r a u c h sollte der o r d i n i e r t e Leiter einer S a k r a m e n t s f e i e r an der Stola e r k e n n b a r sein. In d e r r ö m i s c h - k a t h o l i s c h e n K i r c h e h a t die A l l g e m e i n e E i n f ü h r u n g in d a s M e ß b u c h v o n 1 9 6 9 u n d 1 9 7 0 f e s t g e l e g t , d a ß d e r M a n i p e l n i c h t m e h r z u g e b r a u c h e n ist u n d d a r ü b e r hinaus weitgehend Vereinfachungen a u c h bezüglich der V e r w e n d u n g von Kunstfasern z u r H e r s t e l l u n g l i t u r g i s c h e r G e w ä n d e r b e s t i m m t . D i e t r a d i t i o n e l l e G e w a n d u n g w i r d beib e h a l t e n , w o n a c h d i e A l b e m i t S c h u l t e r t u c h u n d G ü r t e l d a s U n t e r g e w a n d b i l d e t u n d je nach Weihestufe, R a n g und Funktion d a r ü b e r Stola, Kasel, D a l m a t i k a , Tunizella, C h o r r o c k o d e r P l u v i a l e g e t r a g e n w e r d e n ( L e n g e l i n g ) . E r l a u b t w u r d e a u c h ein n e u e s l i t u r g i s c h e s G e w a n d , d i e s o g e n a n n t e M a n t e l a l b e in w e i ß e r o d e r h e l l b e i g e r F a r b e . D i e S t o l a w i r d von Priester und Bischof auf d e m N a c k e n und über beide Schultern h e r a b h ä n g e n d getrag e n . D i a k o n e l e g e n d i e S t o l a a u f die linke S c h u l t e r u n d f ü h r e n sie q u e r z u r

rechten

K ö r p e r s e i t e , w o sie b e f e s t i g t w i r d . D i e O s t k i r c h e n v e r w e n d e n weiterhin die traditionellen G e w ä n d e r ihrer Riten. Quellen C h a r l e s R o h a u l t de Fleury, La messe. Études archéologiques sur ses m o n u m e n t s , 8 Bde., Paris 1883-1889. - RDK. Literatur J o s e p h B r a u n , Die liturg. G e w a n d u n g im O c c i d e n t u. O r i e n t . N a c h Ursprung u. E n t w i c k l u n g , Verwendung u. S y m b o l i k , Freiburg 1907. - G i l b e r t C o p e , Art. Vestments: D L W 4 (1978) 3 6 5 - 3 8 3 . D o r o t h e a Forstner, Die Welt der christl. S y m b o l e , I n n s b r u c k / W i e n / M ü n c h e n 1959 3 1 9 7 7 . - Adolph Franz, Die M e s s e im dt. M A . Beitr. zur G e s c h . der Liturgie u. des religiösen Volkslebens, Freiburg 1902 = D a r m s t a d t 1963 (besonders die Seiten 6 7 7 - 7 2 8 ) . - Paul G r a f f , G e s c h . der Auflösung der alten gottesdienstlichen F o r m e n in der ev. Kirche Deutschlands, G ö t t i n g e n , I 1921 2 1 9 3 8 , II 1 9 3 9 . G o t t f r i e d H a u p t , Die F a r b e n s y m b o l i k in der sakralen Kunst des M A . Ein Beitr. zur ma. F o r m - u. Geistesgesch., Dresden 1941. - W i l h e l m J a n n a s c h , Art. A m t s t r a c h t der Geistlichen: R G G 3 1 (1957) 3 4 3 - 3 4 5 . - W e r n e r J e t t e r , S y m b o l u. R i t u a l . Anthropologische Elemente im Gottesdienst, G ö t t i n g e n 1978. - Friedrich K a l b , G r u n d r i ß der Liturgik. Eine Einf. in die G e s c h . , Grundsätze u. Ordnungen des luth. Gottesdienstes, M ü n c h e n 2 1 9 8 2 . - G e r h a r d L a n g m a a c k , Der Gottesdienstliche O r t : Leit. 1 (1952) 3 6 5 - 4 3 3 . - Emil J o s e p h Lengeling, Die neue O r d n u n g der Eucharistiefeier. Allg. Einf. in das röm. M e ß b u c h . Endgültiger lat. u. dt. T e x t . Einl. u. K o m m e n t a r , M ü n s t e r 1 9 7 0 , 4 0 5 - 4 1 1 . - W i l h e l m Löhe, V o m S c h m u c k hl. O r t e , Neuendettelsau 1 8 5 9 / 6 0 = ders., G W , hg. v. Klaus G a n z e r t , Neuendettelsau, V I I / 2 1 9 6 0 , 5 5 7 - 5 7 8 . - W a l t e r Lötz, D a s hochzeitliche Kleid. Z u r Frage der liturg. G e w ä n der im ev. G o t t e s d i e n s t , Kassel 1949. - O s k a r J o h a n n e s M e h l , D a s liturg. Verhalten. Beitr. zu einem ev. Z e r e m o n i a l e u. R i t u a l e , G ö t t i n g e n 1 9 2 7 . - R e i n h a r d M u m m , Art. Kleidung, liturgische: W K L , 7 4 4 - 7 4 6 . - O t t o N u ß b a u m , D a s Brustkreuz des Bischofs. Z u r G e s c h . seiner Entstehung u. Gestaltung, M a i n z 1963. - ö k u m . Perspektiven v. Taufe, Eucharistie u. A m t , hg. v. M a x T h u r i a n , P a d e r b o r n / F r a n k f u r t a . M . 1983. - Arthur C a r l Piepkorn, Die liturg. G e w ä n d e r in der luth. Kirche seit 1 5 5 5 , 1965 ( Ö T S 3 2 ) . - D e r s . , Lutheran and Protestant Vestment Practices in the United States and C a n a d a : C T M 3 7 (1966) 6 4 5 - 6 5 5 . - Ingrid Riedel, F a r b e n . In R e l i g i o n , Gesellschaft, Kunst u. Psychotherapie, Stuttgart/Berlin 1983. - Christian Rietschel, P a r a m e n t e u. G e r ä t e des ev. G o t t e s dienstes, 1968 ( H G A 4 3 ) . - R e i n e r S c h o t t e , Von liturg. G e w ä n d e r n in unserer Kirche. „ G o t t e s d i e n s t und K i r c h e n m u s i k " : Z s . für K i r c h e n m u s i k u. Liturgik, Neuendettelsau 1982, 1 7 5 - 1 7 6 . - D e r s . , Liturg. G e w ä n d e r der ev.-luth. Kirche von der R e f o r m a t i o n bis heute. 7 5 D i a s mit T e x t h e f t , V o h b u r g / D o n a u 1 9 8 2 . - V i c t o r Schultze, Art. Kleider u. Insignien: R E 3 10 (1901) 5 2 6 - 5 3 5 . - G ü n ther Stiller, J o h a n n Sebastian B a c h u. das Leipziger gottesdienstliche Leben seiner Z e i t , Kassel/Basel 1970. - Elisabeth T r e n k l e , Liturg. G e r ä t e u. G e w ä n d e r der O s t k i r c h e , M ü n c h e n 1962. - Christian Vasterling, Kirchl. O r n a t o. bürgerliches G e w a n d ? Erwägungen zur A m t s t r a c h t der luth. Geistlichen: L M 5 (1966) 3 4 6 - 3 5 0 . - R a i n e r Volp, D a s Kunstwerk als S y m b o l , Gütersloh 1966. - J o h a n n e s W a g n e r , Art. G e w ä n d e r , liturg.: L T h K 2 4 (1960) 8 5 0 - 8 5 3 . - H a n s Weißgerber, Der schwarze T a l a r steht zur Disposition: L M 2 2 (1983) 1 0 4 f . - Lilian M . W i l s o n , T h e C l o t h i n g o f the ancient R o m a n s , B a l t i m o r e 1938. - Yigael Yadin, B a r K o c h b a , L o n d o n 1971. - Z e i c h e n . Semiotik in T h e o l . u. G o t t e s dienst, hg. v. R a i n e r Volp, M ü n c h e n / M a i n z 1982. Ernst Hofhansl

Gewalt/Gewaltlosigkeit I

168

Gewalt/Gewaltlosigkeit I. Ethisch II. Praktisch-theologisch

178

I. Ethisch 1. Begriffsbestimmung 2. Die Stellung der Religionen zu Gewalt/Gewaltlosigkeit 3. Gewalt und Gewaltlosigkeit in der Geschichte der Kirche 4. Das Gewaltproblem in der Politologie der Neuzeit 5. Das Problem der besonderen Gewaltverhältnisse 6. Gewalt/Gewaltlosigkeit in der gegenwärtigen theologischen Diskussion (Anmerkungen/Bibliographien/Literatur S. 175)

1.

Begriffsbestimmung

Die folgende Abhandlung beschäftigt sich ausschließlich mit dem Aspekt der politischen Gewalt (zu anderen Gewaltformen -»Krieg, -»Leiden, -»Martyrium, -»Opfer, -»Revolution, -»Todesstrafe, -»Widerstandsrecht). Von der sprachlichen Wurzel her bedeutet Gewalt zunächst das Verfügenkönnen über innerweltlich Seiendes. Ein Urteil über die Rechtmäßigkeit solchen Verfügens ist damit noch nicht gefällt. Daher kann Gewalt gleichbedeutend mit -»Macht oder Herrschaft (,Herrschaftsgewalt') verwendet werden (¿^ovaia, xgäxoq, potestas, pouvoir, power). Im modernen Staat, der für sich das ,Gewaltmonopol' beansprucht, gliedert sich Gewalt im Sinne der Gewaltenteilung in die gesetzgebende, richterliche und vollziehende Gewalt. Hier gilt Gewalt als natürliche' Komponente politischer Ordnung, die ihre Legitimation unter theologischem Aspekt der göttlichen Anordnung 1 , unter säkularem Aspekt der Durchsetzung der -»Menschen- und Bürgerrechte verdankt 2 . Legitime Gewalt kann jedoch zur repressiven Gewalt werden, wenn sie zwangsweise ohne oder gegen den Willen der ,Unterworfenen' ausgeübt wird (ßiä, vis, violentia, violence). Schon im Sprachgebrauch -»Luthers findet sich diese Ambivalenz. In seiner Bibelübersetzung wird der Begriff einerseits als Äquivalent für Macht verwendet, z.B. IChron 29,11; Hiob 12,13; Mt 28,18; Rom 8,38; 13,1, ebenso in den Doxologien I P e t r 4 , l l ; Jud25; Apk 1,6.5,13. Entsprechend wird Offenbarung als ,Gewaltentäußerung' verstanden Phil 2,5 ff; vgl. auch in der 3. Strophe des Weihnachtsliedes Lobt Gott, ihr Christen von N. Herman die Zeile er äußert sich all seiner Gewalt (EKG 21). Andererseits wird Gewalt auch pejorativ verwendet; Hab 1,3: Gewalt vor Recht. In der Predigt über den 2. Glaubensartikel von 1533 versteht Luther das Wort ,Herr' im Sinne einer freundlichen, helfenden Herrschaft, „darunter wir mögen sicher und frei sein von aller Gewalt und Bedrängnis" (WA 37,49,19.28). In dieser Ambivalenz meldet sich das ethische Problem der Gewalt an, ob diese in jedem Fall zu erdulden sei, ob sie verantwortlich gehandhabt werden kann oder ob grundsätzlich Überwindung von Gewalt anzustreben ist.

Das Spezifische von Gewalt kann am deutlichsten im Rahmen seiner möglichen Konnotationen -»Macht, -»Autorität und Zwang bestimmt werden. Macht ist die Möglichkeit eines Einzel- oder Gruppenwillens, in einem gemeinsamen Lebensraum bestimmte Ziele durchzusetzen. Begegnet Macht der freiwilligen Zustimmung, so hat sie die Gestalt der Autorität-, legt sie ihren Willen von außen zwingend fest, hat sie die Form der Gewalt. Wird Macht ohne Rücksicht auf den Konsensus der Beherrschten ausgeübt, gewinnt sie den Charakter des Zwangs (vgl. Hemmerle und Thunberg). Gegenüber der heute üblich gewordenen verschwommenen Ausuferung des Begriffs ins Pejorative sollte an dieser Unterscheidung festgehalten werden. Andernfalls wird eine ethische Normierung (vgl. T R E 10,443,10f; -»Amt) unmöglich. 2. Die Stellung der Religionen

zu

Gewalt/Gewaltlosigkeit

Die Religionen nehmen zu diesem Thema eine keineswegs einheitliche Position ein. „Religion der Ruhe" stehen solche des „Kampfes" gegenüber (so van der Leeuw, Phänomenologie der Religion, §§ 91 f), für die das Leben Kampf ist und Gewalt ein legitimes Mittel zur Durchsetzung des göttlichen Willens. Dazu gehören der Zoroastrismus, die

Gewalt/Gewaltlosigkeit I

169

Mithrasreligion ( - » I r a n i s c h e Religionen), der Islam und die Religion der Germanen. Der aus der iranischen Religion s t a m m e n d e G e d a n k e eines eschatologischen Endkampfes zwischen guten und bösen M ä c h t e n sowie das nordische Kampfesethos haben auf die christliche Stellungnahme zur Gewaltfrage beträchtlich eingewirkt. Schon in den frühen Hochkulturen wird die Fragwürdigkeit von Gewalt erkannt. „Noch niemals hat die Gewalttätigkeit des Menschen etwas zustande gebracht, sondern was Gott befiehlt, geschieht" (6. Lehre des Ptahhotep - 5. Dynastie um 2500 v. Chr.). In Ägypten erkennt man den Zusammenhang zwischen Tat und Ergehen: Friedfertigkeit fördert das Leben, doch was sie selbst heraufbeschworen haben, kommt über die Gewalttätigen. Die akkadische Weisheit gibt eine mehr utilitaristische Begründung für Gewaltlosigkeit, vgl. den Großen Hymnus an Schamasch: wer Geld für Trug gibt, Gewalt antut, welchen Vorteil hat der? Er tut dem Gewinn Abbruch, ruiniert sein Vermögen. In China preist Laotse (7. Jh. v. Chr.) das Nicht-handeln, die Demut und die Entscheidung, die „fern von Gewalt" ist (Tao te king 30). Die indischen Religionen kennen als höchstes Gebot das Ahimsa = Nicht-töten. Dieses erstreckt sich bei den Mönchen des ->Jainismus nicht nur auf Menschen und Tiere, sondern auch auf die Elemente. Begründet ist dieses Gebot in der Ehrfurcht vor dem Leben, das sich in Tier- oder Menschengestalt reinkarniert (-»Wiedergeburt). Eine übertriebene Form des Ahimsagebotes kennt der —•Manichäismus, der seinen Anhängern nicht einmal gestattet, Früchte zu pflücken oder Korn zu mahlen und zu backen, um ja kein Leben zu schädigen. Im Griechentum vertritt Pythagoras die Gewaltlosigkeit. In seiner Rede an die Knaben ermahnt er die Jugend: beleidiget nie zuerst einen anderen und wehret euch nicht gegen diejenigen, welche euch beleidigen (Jamblichos, Vita Pyth. 51). In Israel gilt: a) Der einzelne existiert nur als Glied eines Organismus, mit dem er eng verbunden ist. 3 Wer Gewalt ausübt, stellt sich außerhalb der Gemeinschaft, so daß niemand, der dieser treu bleibt, Umgang mit ihm haben kann (Gen 49,5 f). Die sündige Tat ist „nach ihrer wesentlichen Seite Gewalt, als selbstsüchtiger Bruch der Bundesverpflichtungen dem .Bruder' gegenüber" (Sigmund Mowinckel, Psalmenstudien, Kristiania 1,28). Gewalt (hämäs, Gen 6,11.13) ist Bruch der Rechtsordnung. „Das Wort wurde auch zum Notruf, mit dem ein in seinem Leben Bedrohter an den Schutz der Rechtsgemeinde appellierte (Jer 20,8; Hab 1,2; Hiob 19,7)" (G. v. Rad, Theol.d. AT, 4 1,170 Anm. 33). b) Gewalt wird legitim, sobald die Rechtsgemeinschaft sie zur Ahndung von Gesetzesübertretungen einsetzt (Dt 13,5), wobei der Katalog der todeswürdigen Verbrechen wesentlich weiter ist als in der Moderne (z.B. Steinigung für Ehebruch Dt 22,22; Ez 16,38ff). Gewaltanwendung ist nicht nur legitim im Verhalten zur Binnengruppe, sondern vor allem im kriegerischen Feindverhältnis, das als ,Krieg Jahwes' (Num 21,14) oder als ,Rache des Herrn' (Num 31,3) theologisch gerechtfertigt erscheint. Der biblische Rachegedanke impliziert ebenfalls Gewalt (Dt 32,35; Ps 94,1; Jes 35,4; 61,2; Rom 12,19; 1. Petr 2,14). c) Der Gerichtsgedanke, der in Prophetie und ->Apokalyptik eine große Rolle spielt, kommt ohne Gewalt nicht aus. Gott, der um die Durchsetzung seiner Heiligkeit kämpft (Ez 38,16), verhängt über die Bösen zwei Strafen - den Tod (äthHen 96,6ff; 98,10) und lebenslängliches Gefängnis (Jes 24,22; Dan 12,2). In der palästinischen Version des Achtzehngebetes wird in der 2. Benediktion Gott als der Starke gepriesen, der die Gewalttätigen richtet, d) Das Ende von Krieg und Gewalt in der Schöpfung und die Wiederherstellung eines paradiesischen Friedenszustandes ist Gegenstand der eschatologischen Hoffnung der Propheten (Jes 2,4; Mich 4,14; Sach 9,10), nicht aber Beschreibung der gegenwärtigen Realität. Der apokalyptische Seher warnt die Gerechten, sich von der Gewalttätigkeit der Sünder fernzuhalten, damit sie Genossen der himmlischen Heerscharen werden (äth Hen 105,6). In der ->Qumran-Literatur wird das im Jakobssegen (Gen 49,5) den Söhnen Levi und Simeon verliehene Epitheton ,Gefäße der Gewalttat' auf die frühen hasmonäischen Regenten bezogen (4Qtest 21-30). Dieser Überblick zeigt, wie differenziert das Verhältnis zur Gewalt im Alten Testament ist. Als gemeinschaftsschädigendes Verhalten soll sie in Israel ausgeschlossen sein ( - • D e k a l o g ) , jedoch im schicksalhaften Tun-Ergehenszusammenhang ist sie eine Realität, die nirgends in F r a g e gestellt wird. 3. Gewalt/Gewaltlosigkeit

in der Geschichte

der

Kirche

O b Jesus R e v o l u t i o n ä r w a r , also auch Gewalt befürwortet hat, wird z. Z t . kontrovers diskutiert. In der Geschichte der Leben-Jesu-Forschung gibt es eine Linie, die in Jesus einen politischen Aufrührer sieht, der das jüdische Volk von der Fremdherrschaft befreien wollte (so H e r m a n n S. R e i m a r u s , Karl Kautsky, R u d o l f Eisler, J o s e f C a r m i c h a e l , Heinrich Buhr, Samuel G e o r g e F. B r a n d o n ) . J e d o c h reichen die aus den Evangelien angeführten Belege zur Begründung dieser Ansicht nicht aus, weder die Tempelreinigung ( M t 21

170

Gewalt/Gewaltlosigkeit I

par.) noch Lk 2 2 , 3 5 - 3 8 oder M t 10,34. Wenn es richtig ist, d a ß es zur Zeit Jesu im J u d e n t u m zwei apokalyptische Richtungen gab, eine aktiv-zelotische und eine pazifistisch-quietistische (vgl. August Strobel, Kerygma u. Apokalyptik, Göttingen 1967), so gehörte Jesus zur zweiten (vgl. M t 5,3—11;11,12). Bestimmend f ü r seine Einstellung zum Gewaltproblem ist nicht zuletzt das der Apokalyptik eigentümliche Ohnmachtsgefiihl bezüglich der menschlichen Möglichkeiten, eine grundlegende Veränderung der weltgeschichtlichen Verhältnisse herbeizuführen. Jesus rechnet zwar mit einer völligen Weltveränderung, doch nicht einer solchen, die durch Menschengewalt herzustellen wäre, sondern in der G o t t sein Werk tut. Im Urchristentum gehört die Aufhebung von Gewalt zur eschatologischen Vision (I Kor 15,24), während für diese Weltzeit obrigkeitliche Gewalt zur Gestalt dieser Welt gehört, die - als von Gott verordnet (Rom 13,1) - ertragen werden muß. Christen sollen der Welt ein Beispiel geben, wie Gewalt in Dienst umgesetzt werden kann (Mt 20,26). Das Problem eines verantwortlichen Umgangs mit politischer Gewalt stellt sich der Urchristenheit noch nicht, da sie, soziologisch der Unterschicht zugehörend, Gewalt aus der Perspektive der leidenden Untertanen erlebt, für die in der Gegenwart -•Gehorsam und -»Geduld bis hin zum -»Martyrium geltende Normen sind (I Petr 2,11-17; Apk 13,10), während für die Zukunft die apokalyptische Überwindung der Dämonie der Macht erhofft wird. In der synoptischen Überlieferung lassen sich vier Motivreihen für Feindesliebe und Gewaltverzicht unterscheiden (vgl. Theissen): Bei Matthäus ist Gewaltverzicht eine Form der ,Nachahmung Gottes' durch die ,Söhne Gottes' (Imitationsmotiv - Mt 5,45) sowie der Überlegenheit gegenüber anderen Gruppen (Zöllner, Heiden) (Abhebungsmotiv - Mt 5,46f). Lukas dagegen geht von der prinzipiellen Reversibilität menschlichen Verhaltens aus (Gegenseitigkeitsmotiv - Lk 6,31) und vom eschatologischen Lohnmotiv (Lk 6,35ff).

Bei der Behandlung des Gewaltproblems im Neuen Testament ist in der Literatur meist eine auf den ,historischen Jesus' verkürzte Perspektive zu finden, während die in der christlichen Apokalyptik hervorgehobene eschatologische Dimension fehlt. M a n k ö n n t e hier von einer ,christologischen Gegenläufigkeit' reden, denn aus dem wehrlosen, am Stamm des Kreuzes geschlachteten Lamm Gottes wird der w e h r h a f t e Widder, der im weltgeschichtlichen Endkampf die Widersacher Gottes besiegt (Apk 17,14; 20,7ff). Was in der Apokalypse des Johannes in mythologischen Bildern geschildert wird, bildet gleichsam die symbolische Praefiguration f ü r die Vergeschichtlichung des Christentums in der (gewaltsamen) Auseinandersetzung mit Ketzern und nicht-christlichen Völkern. Von der Behauptung, legitimer Erbe der Heilsgeschichte zu sein, bis zur Durchsetzung dieses Anspruchs mittels Gewalt ist nur ein Schritt. O r t h o d o x e Parteilichkeit' verträgt sich nicht mit religiöser Neutralität oder politischer Indifferenz, besonders wenn Imperium und Sacerdotium zur religiös-politischen Einheit des „christlichen A b e n d l a n d e s " verschmelzen. Die von Tertullian statuierte Alternative „aut Christus aut Caesar" entfällt in dem Augenblick, da der Kaiser ,im Zeichen Christi' die widerchristlichen M ä c h t e b e k ä m p f t , der Glaube zum rechtsähnlichen und damit staatstragenden Treueverhältnis und die Taufe zum Kriterium f ü r staatsbürgerliche Loyalität wird. Darin einen „Sündenfall des C h r i s t e n t u m s " (G.J. Heering) im Sinne einer historischen Verfallstheorie zu sehen, ist vom Standpunkt einer pragmatischen Geschichtsbetrachtung aus ebenso u n a n gebracht wie die geschichtsmetaphysische Glorifizierung von Gewalthandeln im N a m e n Christi (-»Häresie; -»Inquisition; -»Kreuzzüge; -»Mission). Die Kirche hat in ihrer Geschichte nicht nur das von R o m 13 her gebilligte innen- und außenpolitische Gewalthandeln der staatlichen Obrigkeit unterstützt, sondern diese auch zum Kampf gegen Ketzer wie die Donatisten (s. T R E 1,654,47 ff) oder - » K a t h a r e r ermutigt. Sie hat auch den Kampf gegen die die Existenz des Abendlandes bedrohenden heidnischen Angreifer (Völkerwanderung, Araber, Türken) gefordert und die koloniale Eroberung im Blick auf die darauf folgende Missionierung legitimiert (-»Lateinamerika). H i e r vermittelte die apokalyptische Tradition die theologische Rechtfertigung. So f r a g w ü r d i g im einzelnen christlich legitimierte G e w a l t a n w e n d u n g im Verlauf der Kirchengeschichte

Gewalt/Gewaltlosigkeit I

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(-•Krieg) war, so unumgänglich erscheint sie im Prozeß geschichtlicher Selbstbehauptung. Im Gefolge der augustinischen Tradition wird in der Moraltheologie des Mittelalters Gewaltanwendung zwar für ein Übel gehalten, das jedoch durch die moralische Intention gerechtfertigt sein kann, nämlich wenn es darum geht, sich selbst oder andere gegen Angreifer zu verteidigen oder Übeltäter durch Todesstrafe aus der Gesellschaft auszumerzen (Thomas v. Aquin, S.th. II/2, q.44, art. 7.8). Für Luthers Stellung zum Gewaltproblem ist seine Unterscheidung von Gesetz und Evangelium ausschlaggebend. Z u m Gesetz gehört auch die Handhabung von Gewalt durch die von Gott dazu auserwählten Organe. Das Evangelium aber hebt das Gesetz nicht auf, sondern ist sein ,Herr'. Als solcher erweist es sich, da es „natürlich Recht nicht aufhebt, sondern befestigt als Gottes Ordnung und Geschöpf" (WA 50,633). Das bedeutet eine Legitimierung obrigkeitlicher Gewaltanwendung, die sich jedoch als Werk christlicher Liebe auszuweisen hat. Gewalt kann von Luther als „Gottis dienerynne" bezeichnet werden, als „fremdes Werk der Liebe", denn ihr Maßstab ist, „was andern nutz unn gutt ist" (WA 11,253). Damit ist die später im Luthertum aufgekommene Lehre von der Eigengesetzlichkeit der Politik als Fehlentwicklung abzulehnen. Entschieden wendet sich das Luthertum gegen den Einsatz von Gewalt im „Reich Gottes zur Rechten", somit gegen die weltliche Gewalthandhabung durch geistliche Instanzen (CA XXVIII, De potestate ecclesiastica) oder den Kreuzzug als Mittel der Glaubensverbreitung (WA 30/2,107-148). Gewaltlosigkeit erscheint Luther geboten, wenn es um die eigene Person und deren Recht geht, während die Liebe zum Nächsten unter Umständen andere Verhaltensweisen fordern kann. Dabei handelt es sich nicht um ein rein passives Verhalten, um feige Flucht vor der Situation oder bloßen Verzicht, vielmehr ist Gewaltlosigkeit ähnlich wie das - • G e b e t eine Aktion, bei der der Mensch seine Sache Gott anvertraut und nur durch ihn und über ihn wirken will. Solche Aktion hat ihre Rückwirkungen auch auf den —»Frieden der Gesellschaft; vgl. Sermon vom Wucher: „es ist nicht der Weg des Friedens, wenn jedermann das Seine zurückfordert und kein Unrecht leiden will... wie Ps. 14 geschrieben steht: sie wissen nicht den Weg des Friedens, welcher allein im Leiden besteht" (WA 6,40,9). Mit solchen Äußerungen setzt Luther auch dem damals üblichen Fehdewesen des Adels ein Ende, bei dem es darum ging, daß jeder ohne Rücksicht auf die schlimmen Folgen für die Mitbetroffenen um seine Ehre und seine Rechte kämpfte. So werden an diesem Punkt Rechtsverzicht und Gewaltlosigkeit jene Machtfaktoren, die für die Erhaltung des Friedens unentbehrlich sind (vgl. Scharffenorth 98). Zur gewaltlosen Aktion bei Luther gehört vor allem die Bezeugung des göttlichen Wortes, das auf Ungerechtigkeit aufmerksam macht und Lüge anzeigt; vgl. Eine treue Vermahnung zu allen Christen, sich zu hüten vor Aufruhr und Empörung: „da laß deinen Mund einen Mund des Geistes sein, von dem St. Paulus spricht: unser Herr Jesus wird ihn töten mit dem Mund seines Geistes" (WA 8,682,31). Daß die reformatorische Gewaltlehre eine antirevolutionäre Tendenz hat, zeigt sich an der Stellung der Reformatoren zum —»Bauernkrieg. Hier wird nicht wahrgenommen, daß das Gewalthandeln von Seiten der Bauern die Antwort auf die von deren Herren ausgeübte strukturelle Gewalt war; vgl. z.B. Melanchthon, Widder die artickel der Bawrschafft (1525): „es ist auch eyn frevel und gewalt, das sie nicht wollen leybeygen seyn" (Werke in Ausw., Studienausg., Gütersloh, I 1951, 205). Galt Gewaltlosigkeit im Bereich des Christentums wie des Islams zwar nicht als universelle Regel, so wurde sie doch lokal begrenzt und temporär geübt. Im Mittelalter kannte das Christentum den Gottesfrieden (-»Frieden) und Zufluchtsstätten für Verfolgte (-> Asylrecht). Im Islam gelten vier Monate des Jahres (der l l . - l . und der 7.) als heilige Zeit, in der keine Fehden ausgetragen oder Raubzüge ausgeführt werden durften. Außerdem gilt für den heiligen Bezirk um Mekka das Verbot der Gewaltanwendung (s. Rudi Paret, Mohammed u. der Koran, Stuttgart 5 1980, 27). Als Befolgung der ->Consilia Evangelica wird im Mittelalter vom Mönchtum und

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kleineren rigoristischen Gruppen (-»Bogomilen; —> Waldenser) eine Ethik der Gewaltlosigkeit betätigt. In der Reformationszeit üben die -»-Täufer Gewaltverzicht als Verwirklichung der Nachfolge Jesu. In England und Amerika vertreten vor allem die - » Q u ä k e r die Gewaltlosigkeit. Diese stellen zusammen mit der Church ofthe Brethren als „historische Friedenskirchen" eine freikirchliche Alternative zur traditionellen Gewaltlegitimierung der Volkskirchen dar. Im 19. Jh. hat der Gedanke der Gewaltlosigkeit eine Stätte in den in verschiedenen Ländern, vor allem unter quäkerischem Einfluß entstandenen Friedensgesellschaften (New York 1815, London 1816) sowie bei einzelnen Schriftstellern (Jean de Bloch, Bertha v. Suttner, Lew Tolstoj). Die stärksten Impulse gehen im 20. Jh. von dem Inder Mahatma Gandhi aus, dessen Lehren weltweit von unterschiedlichen Bewegungen aufgegriffen werden. So wirken sie ein auf die amerikanische Bürgerrechtsbewegung (M.L. —>King) und auf die von Theodor Ebert vertretene Bewegung der „sozialen Verteidigung". Die Kritik Gandhis an Theorie und Praxis der Gewaltanwendung läßt sich in folgenden drei Punkten zusammenfassen. 1. Gewaltanwendung bedeutet immer, daß eine Gruppe ihren eigenen Standpunkt verabsolutiert und dadurch unfähig wird, die Situation des Dialogs mit dem Gegner durch- und die darin sich eröffnenden Möglichkeiten von Konsensus und Kompromiß offenzuhalten. 2. Erfahrungsgemäß richtet sich die Gewaltstruktur nicht nur nach außen, sondern auch nach innen als Schutzvorkehrung gegen Spitzel und mögliche Verräter, so daß eine subversive revolutionäre Organisation nicht ohne eine strikte hierarchische Befehlsstruktur und ein hohes Maß an Mißtrauen jedes gegen jeden bestehen kann. Nach dem Sieg der Revolution wird die Führungsspitze die Macht in Händen behalten und es wird, wie die Beispiele in Algerien, Vietnam, China usw. zeigen, keine demokratischen Willensbildungsprozesse geben. 3. Gewaltanwendung führt zu Mißtrauen, Korruption und Brutalität in der eigenen Kampforganisation, und dadurch macht sie genau das zunichte, worumwillen der Befreiungskampf geführt wurde, nämlich eine gewaltfreie Gesellschaft. Gandhi redet hier von dem die Geschichte bestimmenden Gesetz vom Zusammenhang zwischen Mitteln und Zielen, und bereits in der Wahl der Mittel muß das politische Ziel sichtbar werden, denn „ein Ding, das mit Gewalt erlangt wurde, kann nur mit Gewalt erhalten werden" (M.K. Gandhi, Satyagraha in South Africa, Ahmedabad 1950, 338).

Innerhalb der Kirchen stehen heute radikal-pazifistischen Richtungen solche gegenüber, die, von der ,Theologie der Befreiung* beeinflußt, eine gewaltsame Veränderung der Gesellschaft befürworten (vgl. T R E 10,747,5 f). 4. Das Gewaltproblem

in der Politologie

der

Neuzeit

Die Überlegungen der neuzeitlichen Politologie stehen unter der Frage Ciceros: Was könnte gegen Gewalt ohne Gewalt getan werden? (Epist. ad. familiares XII,3). Als naturrechtliche Regel ist dieser Gedanke im römischen Recht und in der mittelalterlichen Kanonistik rezipiert worden: vim vi repellere licet (vgl. auch Gabriel Biel, Collectorium circa quattuor libros Sententiarum, dist. 15,q.4, art. 1; Luther, WA 5,190,22). Die Überlegung setzt ein bei der Situation eines unrechtmäßigen Übergriffs, der nur durch Anwendung von Gegengewalt in seine Schranken gewiesen werden kann. Die Unterscheidung von rechtmäßiger und unrechtmäßiger Gewalt beherrscht seither die Reflexion über Gewalt. So unterscheidet H.—»Grotius drei Formen von Gewalt: die naturrechtliche als eine mit dem In-der-Welt-Sein des Menschen verbundene Verfügung über Güter; die unrechtmäßige, die in die Verfügungssphäre anderer Menschen eingreift, und die legitime Gewalt der Obrigkeit, deren Aufgabe es ist, gewaltsame Übergriffe abzuwehren. Damit steht Grotius in der klassischen Tradition der Staatsdenker, die in der Abwehr des Bösen die Hauptfunktion des Staates sehen. Dem folgt auch Th. ->Hobbes, wenn er in seiner Genealogie des Staates einerseits die Angst der Bürger vor der Gewalt (vis) betont, andererseits darin die Übertragung legitimer Gewalt (potestas) auf den Souverän begründet sieht. I. ->Kant genügt zur Verwirklichung einer staatlichen Ordnung die bloße Rechtsidee oder der Gesellschaftsvertrag noch nicht, wenn ihr die Gewalt im Sinne der Durchsetzungsfähigkeit von Recht fehlt. Im Umkreis der -> französischen Revolution wird die Frage nach dem Subjekt der Gewalt anders beantwortet als im Absolutismus: nicht der einzelne Herrscher ist Träger der Gewalt, sondern das Volk (Volkssouveränität). Staatsgewalt wird verstanden als Ergebnis der Übertragung der im Volk basierenden Gewalt auf

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den Herrscher, von dem sie aber bei volksfeindlichem M i ß b r a u c h in der revolutionären Aktion zurückgefordert werden kann. Bei - » H e g e l und - » M a r x wird der Gewaltbegriff nicht nur in seiner politischen, sondern auch ökonomischen Dimension diskutiert. Für Hegel ist Gewalt, „Erscheinung der M a c h t , oder die M a c h t als Äußerliches" (Werke, hg. v. H. Glockner, Stuttgart, IV 1928. 715). Die Besitzergreifung einer Sache kann als Gewaltverhältnis bezeichnet werden, und zwar auf Grund der den Naturdingen innewohnenden Widerständigkeit. Unrecht wird solche zum Eigentum führende Gewaltanwendung nur dann, wenn es sich um Übergriffe in fremdes Eigentum handelt. Im Einklang mit der klassischen Tradition sieht auch Hegel die Funktion des Staates in der Verhinderung der Aufhebung der Rechtsordnung durch Gewalt. In der Idee des Rechts werden die ursprüngliche Gewalt und die Idee der Freiheit vermittelt. Im Gegensatz zu Hegel, für den das Bürgertum legitimer Träger von Eigentum und M a c h t ist, deckt M a r x den Antagonismus zwischen der Bourgeoisie als Träger der politischen und ökonomischen Gewalt und dem Proletariat als dem legitimen Prätendenten auf die Anwartschaft der M a c h t auf. In beiden Klassen stehen sich reaktionäre und revolutionäre Gewalt gegenüber, wobei in einer Art Umwertung der Werte die revolutionäre Gewalt verklärt wird, weil sie die schaffenden, aber bisher unterdrückten Menschen aus der -»Entfremdung in ihre Eigentlichkeit führt ( M a r x / E n g e l s , Werke 4,337). W . I . Lenin bejaht G e w a l t , sofern sie die proletarische Revolution zum Sieg führt, wobei für ihn feststeht, daß revolutionäre Gewalt nicht wieder zur reaktionären werden kann, weil sie sich nicht auf Armeen stützt, sondern auf die Volksmassen (Dt. Werke, 1955 ff, 2 6 , 343). Bei den revolutionären Praktikern der Gewalt ( M a o Tse-tung, H o Chi M i n h , Che Guevara, Eldridge Cleaver, Frantz Fanon) erscheint Gewalt als „befreiend, erlösend, verbindend und selbstlos" (Hacker 106). Aus der Idee der Gerechtigkeit gewinnt sie eine pseudo-soteriologische Dimension, da von ihr die endgültige Aufhebung von Gewalt erhofft wird. Der Neomarxismus (Herbert M a r c u s e , T h e o d o r W. Adorno, M a x Horkheimer, Jürgen H a b e r m a s u.a.) hält am Ziel einer humanen, gewaltfreien Gesellschaft fest. Der revolutionäre K a m p f setzt den Zweifel an der Legalität der herrschenden Gewalt voraus sowie den Glauben an das naturrechtlich begründete -> Widerstandsrecht der Unterdrückten, das als überpositives R e c h t die konkrete Rechtsordnung in ihrer Gültigkeit in Frage stellt. Die utopische Vision einer endgültigen Überwindung von Gewalt ergibt sich einmal aus der Analyse der Gewalt als E x p o n e n t ökonomischer Antagonismen, sodann aus der Aufhebung dieser Gegensätze im Übergang zum Sozialismus (vgl. G e o r g Lukacs, Geschichte u. Klassenbewußtsein, 1923, 248). Im 20. J h . kann außer der marxistischen eine etatistisch-legitimistische und eine vitalistische Bejahung von Gewalt unterschieden werden. Für M . -»-Weber gehört Gewalt zum Begriff des Politischen. Der Staat hat das „ M o n o p o l legitimer physischer G e w a l t s a m k e i t " (Ges. politische Sehr., Tübingen 2 1 9 5 8 , 4 9 4 ) , wobei diese nicht immer als aktuelle Gewalt sichtbar wird, wohl aber latent als stets verfügbares Mittel zur Durchsetzung der sozialen Z w e c k e zur Verfügung steht. M i t Kant sieht auch Weber in der staatlichen Gewalt den Garanten der Freiheit, indem sie den Bürgern die Sicherheit der Selbstentfaltung gewährt. T h e o d o r Litt betont den Aspekt der ordnungsetzenden Funktion von Gewalt (Staatsgewalt u. Sittlichkeit, M ü n c h e n 1948, 44). In der Bewährung im Konflikt liege der Unterschied zwischen potestas und violentia. Gewalt wird latent, wenn sich das System allgemeiner Anerkennung erfreut. Erst eine Infragestellung der dem System immanenten N o r men erscheint diesem als Bedrohung und macht G e w a l t manifest. Die Unterscheidung von latenter und manifester Gewalt spielt auch bei J o h a n Galtung (Strukturelle Gewalt, R e i n b e k 1975) eine Rolle. In diese Reihe gehört auch Carl Schmitt, der den Staat als die Institution definiert, welche die Befugnis hat, den inneren und äußeren Feind zu bestimmen und damit über das Leben von Menschen zu verfügen (Der Begriff des Politischen, H a m b u r g 1933). Z u den vitalistischen Befürwortern von Gewalt gehören jene, die in der Gewalt eine „Urerscheinung des L e b e n s " (Sorel) sehen und in der Lust zur Zerstörung eine „schaffen-

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de Lust" (Bakunin, zit. nach Hacker 101; vgl. T R E 2,653f). Vom lebensphilosophischen Standpunkt aus erfüllt Gewalt eine positive Funktion als geschichtliche Vitalreaktion, welche die Überlegenheit der Eliten auszeichnet. Bei Pareto ist Gewalt wertneutral, bedarf der Werte und Legitimationen nicht, da sie reiner Wert an sich ist. Sie erhebt den Menschen über sich hinaus und läßt ihn seine irrationale Bestimmung, die mit seiner innersten Natur übereinstimmt, erfüllen. Ähnlich ist F. -»Nietzsche der Ansicht, daß Krieg und M u t größere Dinge getan haben als die menschliche Nächstenliebe (vgl.: Also sprach Zarathustra; Vom Krieg und Kriegsvolk). Auch J.P. —»Sartre kommt in die Nähe dieser vitalistischen Gewaltverherrlichung, wenn er von Frantz Fanon sagt, für ihn sei „die ununterdrückbare Gewalt kein absurdes Unwetter, auch nicht das Wiederaufleben wilder Instinkte, ja nicht einmal die Wirkung eines Ressentiments; sie ist nichts weiter als der sich neu schaffende Mensch" (Vorw. zu Frantz Fanon, Die Verdammten dieser Erde, Frankfurt 1968, 18). Eine Modifikation der bisher dargestellten Überlegungen bedeutet Hannah Arendts Unterscheidung von Macht und Gewalt. Macht beruht primär auf der Zustimmung der Massen, ist also Bedingung der Möglichkeit aller sozialen Ordnung, während Gewalt instrumentalen Charakter hat im Sinne einer Zweck-Mittel-Funktion (Macht und Gewalt 8). Revolutionen sind immer Ergebnis einer Umverteilung von Macht, können nicht ursächlich durch Gewalt erzwungen werden. Durch revolutionäre Gewalt herbeigeführte Weltveränderung hat nur das Ergebnis, „daß die Welt gewalttätiger geworden ist als sie es vorher w a r " (ebd. 80). Eine kritische Kratologie ( = Lehre von der Gewalt) versteht Gewalt nicht als soziologischen Primärfaktor, sondern hinterfragt sie nach ihrer Funktion als repressive Ordnungsgewalt zum Schutz des Bestehenden bzw. als „progressive Gewalt" (Papcke) zur Sozialerneuerung, woraus sich dann die Frage nach prinzipieller Gewaltvermeidbarkeit ergibt. In dem von J. Galtung u. a. gebrauchten Begriff der „strukturellen Gewalt" überwiegt der pejorative Sinn des Begriffs, indem jede Willenseinwirkung von Institutionen auf Individuen als zerstörerisch und entfremdend denunziert wird. Die Frage nach der Gewaltvermeidbarkeit kann erst gestellt werden, wenn Gewalt nicht mehr als Element der ,Gestalt dieser Welt', also als ontisch unveränderlich und unvermeidbar verstanden, sondern in ihrer geschichtlichen Bedingtheit und damit zugleich Fragwürdigkeit erkannt und im Sinne einer nachaufklärerisch-revolutionären -»Utopie als aufhebbar erhofft wird. Das in der Charta der Vereinten Nationen in Art. 2,4 ausgesprochene Verbot der Androhung oder Anwendung von Gewalt in zwischenstaatlichen Beziehungen ist ein anerkannter Grundsatz des Völkerrechts und wurde durch die Helsinki-Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) 1975 erneut bekräftigt. 5. Das Problem der besonderen

Gewaltverhältnisse

Z u m Gewaltmonopol des Staates gehört, daß es zu seiner Strukturierung .besonderer Gewaltverhältnisse' bedarf (Beamte, Soldaten, Polizei, Ersatzdienstleistende, öffentliche Verwaltung, Krankenanstalten usw.), d . h . daß ein Personenkreis in einem permanenten direkten Unterordnungsverhältnis zur staatlichen Obrigkeit steht und von dieser Weisungen entgegenzunehmen hat, die mit der öffentlichen Funktion dieses Personenkreises zusammenhängen. Dazu kann u. a. auch die Einschränkung des Streikrechts gehören (vgl. Int. Pakt über wirtschaftliche... Rechte von 1966, Art. 8,2). Im ethischen Sinne problematisch werden solche Gewaltverhältnisse, wenn der Staat seine Weisungsbefugnisse mißbraucht und seine Untergebenen zu unmenschlichen Zwecken einsetzt. Die Berufung auf den Befehlsnotstand reicht nicht aus zur Rechtfertigung solchen Tuns, vielmehr erscheint die Pflicht zum Widerstand gegen Befehle geboten, die dem Gewissen und dem sittlichen Empfinden zuwiderlaufen. Wenn wirklich Achtung und Schutz der Menschenwürde Verpflichtung der staatlichen Gewalt ist (vgl. das Grundgesetz der BRD, Art. 1), dürfen die

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M a ß n a h m e n im R a h m e n der besonderen Gewaltverhältnisse keine A u s n a h m e von dieser Grundbestimmung bilden. 6. Gewalt/Gewaltlosigkeit

in der gegenwärtigen

theologischen

Diskussion

Auf der Genfer Konferenz für Kirche und Gesellschaft von 1966 trat erstmalig die F o r d e r u n g nach sozialer Gerechtigkeit im Sinne einer revolutionären Änderung hervor. Eine in Amerika a u f g e k o m m e n e ,Theologie der Revolution' verstand diesen Begriff zunächst m e h r im Sinne einer technischen und sozialen Entwicklung, dann aber auch, besonders bezogen auf die lateinamerikanische Situation, als Einsatz von Guerillagruppen, deren letzter Ausweg die gewaltsame Aktion sein sollte. Bezogen auf die afrikanische Situation trat die Gewaltfrage noch einmal hervor im Z u s a m m e n h a n g mit dem Antirass i s m u s p r o g r a m m des Ökumenischen Rats der Kirchen ( Ö R K ) . In dem 1 9 7 3 dem Ö R K vorgelegten Kommissionsbericht über „ G e w a l t , Gewaltlosigkeit und K a m p f um soziale G e r e c h t i g k e i t " zeigte sich, daß sich die Kommission nicht einig w a r , o b der Verzicht Jesu a u f Gewalt nur situationsbedingt w a r oder eine für die Sendung der Christenheit grundlegende Entscheidung von bleibender Bedeutung. Es ergaben sich drei Positionen: gewaltfreie Aktion als einzige dem G e h o r s a m gegenüber Jesus Christus entsprechende Möglichkeit; gewaltsamer Widerstand als verantwortliches Handeln in Situationen sozialer Ungerechtigkeit; gewaltsames Handeln in einer aktuellen Situation sozialer Repression. Es zeigt sich, daß in der heutigen Diskussion vor allem das Problem der revolutionären Gewalt umstritten ist. Wenn man schon zugibt, daß es für Christen im Sinne der Wahrnehmung ihrer politischen Weltverantwortung einen legitimen Gebrauch von Gewalt gibt, so blieb dieser doch stets beschränkt auf das staatliche Gewaltmonopol. Hier haben jedoch die Erfahrungen mit dem Totalitarismus und den korrumpierenden Versuchungen der Macht durch die Steigerung der Machtmittel (Atomwaffen!) dazu gedrängt, die Fixierung auf die legitima potestas = Gewalt von oben aufzugeben, ebenso wie die generelle Verurteilung revolutionärer Gewalt (vgl. Papst Paul VI.; Kath. Bischofskonferenz von Medellin 1968; VELKD und EKD). Hinzu kommt die unübersehbare geschichtliche Erfahrung zu Ende des 20. Jh., daß ein zu starkes soziales und wirtschaftliches Ungleichgewicht zwischen den Wohlstandsgesellschaften des Nordens und den Völkern der Dritten Welt Gewalt geradezu provoziert. Dabei sollten aber die Gruppen oder einzelnen, die sich gewissensmäßig für den Einsatz von Gewalt entschieden haben, folgendes bedenken: was immer der einzelne oder die Gruppe gegen die Totalität unternimmt, deren Teil sie bildet, wird von derem Bösen angesteckt, wird also die sittliche Reinheit der Motivation auf Dauer schwer durchhalten können. Darum wird die Existenz gewaltfreier Gruppen, die die Beteiligung an revolutionärer Gewalt ablehnen, zur Korrektur und Warnung vor den Versuchungen des Gewaltgeistes wie als Demonstration einer gewaltlosen Gesellschaft als Ziel des revolutionären Kampfes dringend nötig sein. Jedenfalls muß allen, die sich für Gewaltanwendung entschieden haben, klar sein, daß sie dies nicht tun können losgelöst vom Gebot der Nächstenliebe und der Versöhnung, daß sie zudem bereit sein müssen zu einem bewußten Akt eigener Schuldübernahme (vgl. D. ->Bonhoeffer). Die letzte Entscheidung über die sittliche Legitimität von Gewalt bzw. Gewaltlosigkeit wird k a u m auf dem Boden einer humanistisch orientierten Ethik zu treffen sein, denn s o w o h l die eine wie die andere Position n i m m t für sich den Gesichtspunkt der ,besseren Gerechtigkeit' in Anspruch. Sie wird fallen müssen vor dem Hintergrund einer geschichtstheologischen Vorentscheidung, o b es den Menschen überhaupt gegeben ist, die M a c h t des Bösen in diesem A o n zu bannen oder ob allein G o t t die entscheidende Wende der Geschichte herbeiführt. Anmerkungen 1 Vgl. Barmer Erklärung 1934, 5. These: Die Schrift sagt uns, daß der Staat nach göttlicher Anordnung die Aufgabe hat, . . . unter Androhung und Ausübung von Gewalt für Recht und Frieden zu sorgen. 2 Vgl. Declaration des droits de l'homme von 1789, Art. 12. Während die westlichen Verfassungen heute stärker die Wahrung der Menschenwürde als Aufgabe staatlicher Gewalt betonen (so das Grundgesetz der BRD, Art. 1), geht es in sozialistischen Verfassungen darum, daß „die Staatsgewalt dem demokratischen Fortschritt dienen muß" (Verfassung der DDR von 1949, Art. 3).

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3 „Störung der Harmonie entsteht dadurch, daß eine Seele sich nicht um diese Realität kümmert und handelt, als wenn sie isoliert, etwas für sich selbst wäre. Eine solche Handlung wird Gewalt oder Übergriff - genannt" (Johannes Pedersen, Israel, Kopenhagen 1934, 419).

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G e w a l t / G e w a l t l o s i g k e i t II

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II. Praktisch-theologisch 1. Hinführung und Begriffsbestimmung 2. Aggressionstheorien 3. Poimenische Aspekte der Gewalt/Gewaltlosigkeit 4. Religionspädagogische Aspekte der Gewalt/Gewaltlosigkeit (Literatur S. 184) 1. Hinführung

und

Begriffsbestimmung

Gewalt begegnet in allen Lebensbereichen. Zugleich ist G e w a l t ein sehr k o m p l e x e s und differenziertes P h ä n o m e n mit verschiedenen Gestalten und Formen, die sich v o m brutalen physischen Quälen bis hin zum subtilen psychischen Terror erstrecken. Innerhalb der Wissenschaften befassen sich besonders die Soziologie und die Politologie mit d e m Begriff der Gewalt. O b w o h l innerhalb der Psychologie gleichfalls gewaltsame Strebungen und H a n d l u n g e n des M e n s c h e n betrachtet werden, begegnet hier in terminologischer Unterscheidung der Begriff der Aggression. Friedrich Hacker hat 1971 f o l g e n d e allgemeine und zugleich einleuchtende Verhältnisbestimmung gewagt: „ N a c k t e G e w a l t ist die sichtbare, ungebundene, ,freie* Erscheinungsform v o n Aggression. N i c h t alle Aggression ist G e w a l t , aber alle Gewalt ist Aggression" (Aggression 15). Ausgehend v o n dieser Verhältnisbestimmung wird deutlich, daß viele Erscheinungen, die in der T h e o r i e unter d e m Begriff der Aggression verhandelt werden, zugleich den der G e w a l t abdecken b z w . inhaltlich füllen. Es erscheint deshalb legitim, die verschiedenen Aggressionstheorien inhaltlich auch als Theorien der G e w a l t zu begreifen. 2.

Aggressionstheorien

2.1. Sigmund -*Freuds Konzept des Todestriebes. Freud hat seine Lehre von den Trieben mehrmals modifiziert. D e n U m b r u c h zu seiner abschließenden Triebtheorie markiert die Abhandlung Jenseits des Lustprinzips (1920). Wie auch schon vorher definiert Freud die Triebe des Organismus als „die Repräsentanten aller aus dem Körperinnern stammenden, auf den seelischen Apparat übertragenen Kraftwirkungen" (GW 13, 35). Dann aber zeichnet sich der entscheidende Umschlag ab: Freud meint, eine enge Verbindung zwischen dem Lustprinzip und dem Wiederholungszwang einerseits und den Trieben andererseits entdeckt zu haben. Die Folgerung aus dieser Entdeckung beschreibt er folgendermaßen: „Ein Trieb wäre also ein dem belebten Organischen innewohnender Drang zur Wiederherstellung eines früheren Zustandes, welchen dies Belebte unter dem Einflüsse äußerer Störungskräfte aufgeben mußte, eine Art von organischer Elastizität, oder wenn man will, die Äußerung der Trägheit im organischen Leben" (a.a.O. 38). Damit stehen wir vor den beiden entscheidenden Aussagen der endgültigen Triebtheorie Freuds: a) Die aus innersomatischen Reizquellen erwachsenden Triebe sind Quelle und Ursache jeder Aktivität. Sie treiben den Menschen zu spannungslösenden, Befriedigung und Ruhe verleihenden Handlungen, b) Das letzte und endgültige Ziel der .konservativen' Triebe ist die Herstellung eines Zustandes der Ruhe, der jedoch während des Lebens durch immer neu entstehende Störungskräfte bzw. Spannungszustände verlassen wird. Es lag in der Konsequenz dieser Triebtheorie, wenn Freud zu dem Konzept eines still wirkenden Todestriebes gelangte, der dem Lebenstrieb als Partner und zugleich Antagonist zur Seite tritt. „Ich habe Selbst- und Arterhaltung unter den Begriff des Eros zusammengefaßt und ihm den geräuschlos arbeitenden Todes- oder Destruktionstrieb gegenübergestellt. Der Trieb wird ganz allgemein erfaßt als eine Art Elastizität des Lebenden, als ein Drang nach Wiederherstellung einer Situation, die einmal bestanden hatte und durch äußere Störung aufgehoben worden war. Diese im Wesen konservative Natur der Triebe wird

179

Gewalt/Gewaltlosigkeit II

durch die Erscheinung des Wiederholungszwanges erläutert. Das Zusammen- und Gegeneinanderwirken von Eros und Todestrieb ergibt für uns das Bild des Lebens" (GW 14, 84). Während dem Eros die Aufgabe zufällt, die sexuellen Spannungen abzubauen, verfolgt der Todestrieb das Ziel, das ruhelose Leben in die endgültige Ruhe des Todes zu führen. Die treibende Kraft auf dem Wege in die endgültige Ruhe ist die Aggression in der primären Form des Masochismus oder in der sekundären Form des Sadismus (vgl. GW 13, 369-383). Gleichwohl ist deutlich, daß nach dieser T h e o r i e Aggression ein primärer und selbständiger Antrieb ist, der nach außen abgelenkt wird, dort quasi sekundär wirksam werden und die verschiedenen Arten der Gewalt aus sich heraussetzen kann. Danach ist Aggression letztlich nicht auszurotten. Das wäre auch gefährlich, da ein gewisses Aggressionspotential in Verbindung mit dem Lebenstrieb lebenserhaltend und lebensfördernd wirkt. - Was ist stattdessen anzustreben? Freud schwebte die vernünftige Beherrschung der aggressiven Triebbedürfnisse vor - auf das Gemeinwesen übertragen: eine ,Diktatur der Vernunft' ( G W 1 6 , 2 4 ) . Z u diesem Ziel führen drei parallele und teilweise miteinander verschlungene Wege: a) eine tiefgreifende Aufklärung über die Triebbedürfnisse des M e n schen, b) ein fortschreitender Prozeß der Identifizierung - zunächst der Kleingruppen und dann der ,Großindividuen', der N a t i o n e n , c) der Pfad der Libido. Durch die Aktivierung aller libidinösen Kräfte - wenngleich ohne sexuelle Ziele - könne man der erstrebten weltweiten Friedfertigkeit näherkommen und zwar deshalb, weil mit dieser M a ß n a h m e ein fortschreitender Identifizierungsprozeß Hand in Hand ginge.

2.2. Konrad Lorenz: Das sogenannte

Böse' und die Ablehnung

eines

selbständigen

Todestriebes. Die Verhaltensforschung oder Ethologie ist die Wissenschaft von der Lebensweise der Tiere bzw. die Wissenschaft vom Verhalten der T i e r e und dessen prägenden Wurzeln. Als solche ist sie ein Zweig der Biologie, von der sie die vergleichend deskriptive Verhaltensmorphologie und die kausalanalytisch arbeitende Verhaltensphysiologie übernommen hat. Einer ihrer Begründer und hervorragendsten Vertreter, Konrad Lorenz, hat es schon früh (1948) als möglich und notwendig bezeichnet, von der Ethologie zur Humanethologie fortzuschreiten. Im Zuge jenes Übergangs von der Ethologie zur Humanethologie ist auch sein Buch Das sogenannte Böse zu sehen, das „von der Aggression, das heißt, von dem auf den Artgenossen gerichteten Kampftrieb von T i e r und M e n s c h " (IX) handelt. Seine T h e s e lautet: „Die Aggression, deren Auswirkungen häufig mit denen des Todestriebes gleichgesetzt werden, ist ein Instinkt wie jeder andere und unter natürlichen Bedingungen auch ebenso lebens- und arterhaltend" (a.a.O. X). Mit dieser These sind drei für den Ethologen fundamentale Aussagen verbunden: a) Die Aggression bewirkt eine Abstoßung zwischen den Individuen einer Art und sorgt dafür, daß sie sich gleichmäßig über den vorhandenen Lebensraum verteilen und so dem Schwächeren auch ein Platz zum Leben zufällt, b) Aggression ist ein angeborenes Verhalten und unterliegt als solches dem Gesetz der Spontaneität. Das bedeutet, Aggression läßt sich nicht mittels des Reiz-ReaktionSchemas begreifen und sachgerecht beschreiben. Damit bestreitet Lorenz jene Theorie, nach der Aggression ein reaktives Verhalten ist. c) Freuds Konzept eines Todestriebes wird als unbewiesen und aus der Sicht der Biologie unnötig zurückgewiesen. Vielmehr ist der ursprüngliche Aggressionstrieb produktiv und lebens- sowie arterhaltend. Wie kommt es, daß dieser so positiv gefaßte Trieb (Instinkt) innerhalb der menschlichen Gesellschaft zu ganz verschiedenen Formen der Gewalt führt? Im einzelnen liegen die Gründe in der Entwicklung der Waffen, in der Vorherrschaft der intraspezifischen Selektion, allgemein im Entwicklungstempo und schließlich in der zunehmenden Vermassung der menschlichen Sozietäten. Das alles besagt: Dem begrifflichen Denken des Menschen ist eine so moderne Welt erwachsen, daß das Ergebnis ein für seine altüberkommene Ausstattung zu fortschrittlicher Mensch ist. Der Mensch kann heute mit seinen Waffen schneller und distanzierter agieren als instinktiv .reagieren'. Das bedeutet, daß auch die Tötungshemmungen oft genug nicht mehr wirksam werden können. Welche Möglichkeiten erkennt Lorenz, aus dieser fatalen Situation herauszukommen? a) Gerade die Aggression nimmt mit Ersatzobjekten vorlieb und findet an ihnen volle Befriedigung. In diesem Sinne erscheint eine „Neu-Orientierung der Aggression" ( a . a . O . 355) möglich und hoffnungsvoll, b) „Eine im menschlichen Kulturleben entwikkelte, ritualisierte Sonderform des Kampfes ist der Sport. W i e phylogenetisch entstände-

180

Gewalt/Gewaltlosigkeit II

ne Kommentkämpfe verhindert er sozietätsschädigende Wirkungen der Aggression und erhält gleichzeitig ihre arterhaltenden Leistungen aufrecht" (ebd.). c) Schließlich ist die Beherrschung des phylogenetischen (!) Erbes der Begeisterung für die Entschärfung der Aggressions- und Gewaltproblematik unerläßlich. Der Zusammenhang von Begeisterung, Ideologie und Fanatismus ist damit angezeigt, d) Letztlich vertraut jedoch der Ethologe Lorenz auf die beiden großen Konstrukteure des Artenwandels, Mutation und Selektion, die die Entwicklung zum Besten des Menschen weitertreiben werden (a.a.O. 251-338). Irenäus Eibl-Eibesfeldt, Schüler von Konrad Lorenz, äußert sich sowohl hinsichtlich der Herleitung der Aggression als auch im Blick auf die Überwindung ihrer gefährlichen Formen vorsichtiger und differenzierter: „Die Aggressivität als Disposition zur Aggression scheint... auf der ganzen Erde verbreitet" (Liebe u. Haß 88). Und: „Die Mutter-Kind-Beziehung war stammesgeschichtlich und ist in der Entwicklung des einzelnen der Kristallisationskern jedes Gesellschaftslebens Unsere offensichtliche Neigung zu persönlichen Bindungen hat hier ihre Wurzel. Sie ist angeboren" (271). So hat die zwischenmenschliche Aggressivität ihren natürlichen Gegenspieler.

2.3. Die Ablehnung eines selbständigen Aggressionstriebes in der ,Frustrations-Aggressions-Hypothese'. In einem Rekurs auf bestimmte Hinweise in den Arbeiten Freuds formulierte John Dollard 1937 das Frustrationsprinzip. 1939 veröffentlichte er in einem ersten Versuch mit seinen Kollegen die ,Frustrations-Aggressions-Hypothese'. Ihre hauptsächlichen Postulate bzw. Aussagen sind folgende: „Aggression ist immer die Folge einer Frustration. Spezifischer: das Auftreten von aggressivem Verhalten setzt immer die Existenz einer Frustration voraus, und umgekehrt führt die Existenz einer Frustration immer zu irgendeiner Form von Aggression" (Frustration u. Aggression 9). Frustration und Aggression werden hiernach in dem engstmöglichen kausalen Zusammenhang gesehen. Dabei wird unter Frustration die Verhinderung oder Störung einer zielgerichteten Aktivität verstanden (15). Aggression dagegen ist jede Verhaltenssequenz, die auf die Verletzung einer Person oder eines Personersatzes zielt (17 f).

Damit ist der Grundtenor dieser Hypothese deutlich: Aggression ist reaktiver Natur und nicht spontaner Ausdruck eines eigenständigen Aggressionstriebes. Mit diesem Ergebnis wird dem Menschen als Naturwesen eine größere Chance zu einer freien, aggressionslosen Daseinsgestaltung zugemessen als nach den Aggressionsthesen der Freudschule oder der Ethologie. Das Übel wurzelt nicht in der Natur des Menschen, sondern in den begegnenden Umständen, in den Verhaltensweisen des individuellen wie gesellschaftlichen Gegenüber. Gleichwohl wird in dieser Theorie die Zwanghaftigkeit der einmal in Gang gesetzten aggressiven Reaktionsfolge nicht unterschätzt. Das in seiner Zielstrebigkeit gehinderte Subjekt muß sich in irgendeiner Weise Luft machen; und dies geschieht nicht selten in einer eruptiven Entladung. So scheint die einzig vernünftige und erfolgversprechende Möglichkeit, Aggression radikal zu vermeiden, zu sein, die Quellen möglicher Frustrationen zu erkennen und zu beseitigen. Dies gilt für das Kind, den Jugendlichen und den Erwachsenen und hat seine Bedeutung für den individuellen wie für den gesellschaftlichen und überstaatlichen Bereich. Ehekrisen und Kriege, Streitigkeiten und Gewalt in der Familie wie nationalistisch motivierte Verhetzungen sind im tiefsten aus Frustrationen erwachsene Phänomene. Damit deutet sich schon an, daß die Hypothese, die ursprünglich als Kurzzeitmodell konzipiert war, allmählich den Charakter eines Langzeitmodells erhielt. Wenn die tiefsten Ursachen des Selbstmords, der Kriegsbereitschaft, des Krieges Frustrationen sind, so besagt dies, daß Frustrationen, die sich beispielsweise in der Kindheit ereigneten, über Jahre und Jahrzehnte hin wirken können, ehe sie eine wie auch immer geartete aggressive Reaktion oder Reaktionsfolge aus sich heraussetzen. Als Beispiel dieser forschungsgeschichtlichen Entwicklung sei Arno Plack genannt, der in der zwischenmenschlichen Aggression kein ursprüngliches, sondern ein erst durch Triebfrustration (sc. Frustration der Sexualität und der Motorik) ,erlerntes' Verhalten erkennt.

2.4. Die Diagnose der Aggression in der Lernpsychologie. Die Lernpsychologen, die in einer gewissen Tradition zu Burrhus F. Skinner, Joseph Wölpe oder Hans-Jürgen Eysenck

Gewalt/Gewaltlosigkeit II

181

stehen, betonen, daß aggressives Verhalten zu einem ganz hohen Prozentsatz erworbenes und gelerntes Sozialverhalten ist. Grundlegend sind die Forschungen von Albert Bandura und Richard H. Walters über Soziales Lernen und die Entwicklung der Persönlichkeit (1963), in denen die beiden Forscher auf die große Bedeutung der Weitergabe von aggressiven Verhaltensmustern in der Kindererziehung stießen. Danach bringen Gruppen oder ganze Gesellschaften, die in der Erziehung aggressive Modelle bzw. Vorbilder schaffen und anbieten, mit hoher Wahrscheinlichkeit aggressive Kinder hervor. Zwischenmenschliche Aggression und Gewalt müssen auf „erzieherische und kulturelle Deformation bezogen werden" (Rattner 9). Durch die Erziehung in der Familie, im Kindergarten oder in der Schule wird immer wieder aggressives Verhalten vorgeführt und damit von dem heranwachsenden Menschen gelernt, internalisiert und insofern für das weitere Leben übernommen. Die Beobachtung von belohnten (!) Aggressionen (z.B. in einem Film) steigert bei Kindern in einem Nachahmungs- bzw. Lernprozeß deren eigene Aggressivität fast zwangsläufig. Hier muß in einem kritischen Rekurs auf die ,Frustrations-Aggressions-Hypothese' betont werden, daß Triebfrustration dann zu Aggressionen führen kann (!), wenn Kinder nicht mit nicht-destruktiven Verarbeitungsmodellen vertraut gemacht werden bzw. ihnen eine erfolgreiche Frustrations-Aggressions-Abfolge vorgeführt wird.

Deshalb gilt für die Lernpsychologie zusammenfassend: Aggression wird durch Aggression erzeugt; genauer: gelernt und eingeübt. Es ist deutlich, daß diese Aggressionstheorie von besonderer politischer Brisanz ist. Durch sie wird der einzelne Mensch, der sich aggressiv bzw. gewalttätig verhält, eindeutig entlastet. Dementsprechend lautet auch der Vorschlag der Lernpsychologie: Bevor verhaltenstherapeutische Maßnahmen (Umerziehung) nötig werden, ist auf breitester Basis und mit aller Konsequenz eine aggressionslose Erziehung anzustreben. Denn wenn Kinder keine Aggressionen erleben, können sie auch nicht lernen, aggressiv bzw. gewalttätig zu sein. 2.5. Schlußbemerkung. Aus der Darstellung der Aggressionstheorien wird deutlich, daß die Aggressions- und somit auch die Gewaltforschung in einer besonderen Gefährdung steht, nämlich ihr Heil bei monokausalen Erklärungsmodellen zu suchen. Die fast zwangsläufige Folge einer einseitigen Herleitung und Interpretation aggressiver Phänomene sind eine engsichtige, ,fachzentrierte' Anthropologie und Gesellschaftslehre. Da (Sozial-) Therapie in gewisser Hinsicht wiederum angewandte Anthropologie und Gesellschaftslehre ist, berauben sich eben jene Forscher durch die Verabsolutierung einer These der Möglichkeit zu einer komplex strukturierten und differenzierten Therapie des gegen sich und andere aggressiven Menschen. 3. Poimenische

Aspekte

der

Gewalt/Gewaltlosigkeit

3.1. Gewalt in der Familie. Ein konkreter und in seiner exemplarischen Bedeutung nicht zu unterschätzender Haftpunkt für die poimenische Betrachtung des Komplexes Gewalt/Gewaltlosigkeit ist das Phänomen der Gewalt in der -•Familie. Fast immer geht es um die Mißhandlung von Ehefrauen und Kindern. Zur Mißhandlung von Ehefrauen: Es wäre falsch zu meinen, zu Mißhandlungen von Ehefrauen käme es nur oder zumindest vorwiegend unter Verhältnissen wirtschaftlicher Bedrängnis oder gar Armut. Ehefrauen werden von Männern ganz verschiedener Berufe und wirtschaftlicher Stellung geschlagen oder auf andere Weise mißhandelt. Ebenso kann auch ständiger oder gelegentlicher Alkoholmißbrauch nicht als alleiniger oder doch vorrangiger Grund für die Mißhandlung des Ehepartners genannt werden. Wie die Erfahrung zeigt, schlagen auch Nichttrinker ihre Frauen oder aber Trinker mißhandeln ihre Partnerin in nüchternem Zustand. Sicherlich sind die bisher genannten Gründe nicht von der Hand zu weisen. Aber die Ursachen sind sicherlich noch differenzierter und zwar aus der Sicht beider Partner. So kann die Erfahrung eines Jungen, daß der Vater gelegentlich Streitigkeiten mit der Mutter durch Brachialgewalt beendete, als mögliches, vielleicht auch letztmögliches Problemlösungsverhalten in das Erwachsenenleben übernommen worden sein. Die gleiche Erfahrung eines Mädchens kann im späteren Leben zu einer größeren und längeren Duldung von Mißhandlungen durch den Ehe-

182

Gewalt/Gewaltlosigkeit II

mann führen. An diesem Punkt muß jedoch noch weiter gefragt werden: Warum bleiben mißhandelte Ehefrauen oft sehr lange oder gar auf Dauer bei ihren Männern? Einmal ist deutlich, daß die Duldungsfähigkeit in direktem Zusammenhang mit der Frequenz und der Härte der Mißhandlung steht. Es ist sodann weiterhin eine offene Frage, ob nicht das in der Kindheit empfangene M a ß an Schlägen und evtl. anderen Mißhandlungen die Duldungsfähigkeit in der Ehe entsprechend beeinflußt. Sicherlich stehen auch Bildungsniveau und soziale bzw. wirtschaftliche Stellung der Ehefrau in einem inneren Zusammenhang mit dem Maß, das an (körperlicher) Gewalt von ihr ertragen wird. Schließlich sei als ein die Duldungsbereitschaft verstärkender Faktor das auch begegnende mangelnde Verständnis von Polizei, Gericht, Fürsorge und Pfarrern genannt. Es muß gefragt werden, ob diese Stellen bzw. Personen u.a. nicht einen fast ideologisch überhöhten Begriff von familiärer Intimität und Harmoniepflicht bzw. -möglichkeit haben, der sie nur zögernd, halbherzig oder zu spät für eine mißhandelte Frau eintreten läßt. Damit ist innerhalb des Problemkreises ,Mißhandlung von Ehefrauen' eine Anfrage an einen Wertmaßstab unserer Gesellschaft formuliert.

Zur Mißhandlung von Kindern: Es kann nicht bezweifelt werden, daß es Mißhandlungen von Kindern in ihrer Familie in erschreckend hohem Maß gibt. Die Dunkelziffer wird sehr hoch eingeschätzt. Danach werden wahrscheinlich nur 5 - 1 0 % aller Mißhandlungen entdeckt und in geeigneter Weise angegangen. Es wäre jedoch falsch, nur die Familie als Ort der Kindesmißhandlung anzusehen. Berücksichtigt werden müssen auch Einrichtungen des Bildungs- und Fürsorgewesens und der gesamtgesellschaftliche Kontext. Das besagt jedoch, daß es sich bei der Kindesmißhandlung nicht ausschließlich um ein Problem individueller Psychopathologie handelt, sondern daß es soziale Ursachenzusammenhänge von großer Bedeutung gibt. Konkret: Die Ungleichheitsverhältnisse, die Konkurrenz jedes gegen jeden, die Gewalt in verschiedenen Formen aus sich heraussetzen, wirken destruktiv bis in die Familien hinein. Mit der Familie werden jedoch - wie oben erwähnt — überhöhte Vorstellungen von Intimität, Nähe, Zuwendung, Liebe und Solidarität (auch im Leiden) verbunden. Es erscheint fraglich, ob die Familie diese fast ideologisch übersteigerten Werte angesichts des geschilderten Außendrucks verwirklichen kann. Denkbar sind eher dauernde Uberforderung und in deren Gefolge eruptive Entladungen gegen das schwächste Glied, d.h. zumeist gegen ein noch sehr junges Kind. Weitere die Kindesmißhandlung verursachende Faktoren liegen zweifellos in der häufig leidvollen Erfahrung der Eltern mit ihren Eltern sowie in einer fatalen Gleichsetzung von Verantwortung und Macht: Wir können davon ausgehen, daß brachiale Gewalt oder ihre Androhung zu den festen und prägenden Erfahrungen von Eltern gehören, die nun ihrerseits in der ständigen Gefahr stehen, ihre Kinder zu mißhandeln. Gewalt in der Erziehung wird aber noch legitimiert durch die Gleichsetzung von Verantwortung und Macht. Wenn den Eltern keine differenzierten Formen der Verantwortung und des Kontaktes nahegebracht wurden und von ihnen eingeübt werden konnten, kommt es fast zwangsläufig zur Reduzierung der erzieherischen Möglichkeiten und Pflichten auf die gewaltsame Machtausübung.

3.2. Poimenische Konsequenzen. Wo Gewalt begegnet, muß ihr entgegengetreten werden. In dieser Pflicht steht die Kirche genauso wie die Gesellschaft. Wenn eine Ehefrau, wenn ein Kind mißhandelt wird, so hat die Kirche im Rahmen ihrer praktischen Möglichkeiten und in Zusammenarbeit mit den entsprechenden öffentlichen Institutionen zunächst Hilfe im Sinne der Krisenintervention zu leisten. Das bedeutet, daß zuerst ein Dienst gefordert ist, der nicht spezifisch poimenischer, sondern diakonischer Art ist. Sicherlich wird sich die diakonische Hilfe nicht in der anfänglichen Krisenintervention erschöpfen. Sie wird einer Familie, in die Gewalt eingebrochen ist, immer wieder zur Verfügung stehen müssen. Aber an ihre Seite muß der spezifisch poimenische Dienst treten, die (vermutlich längerfristige und kontinuierliche) seelsorgerliche Begleitung der Mißhandelten wie der Gewalttäter. Wenngleich die Gruppenseelsorge eine gute Möglichkeit zur Einübung der gewaltfreien Auseinandersetzung darstellt, wird es zumindest zu Beginn der Begleitung darauf ankommen, in der persönlichen Einzelseelsorge eine Atmosphäre des Vertrauens zu schaffen, in der die betroffenen Menschen ihre (aggressiven) Regungen äußern können, ohne verurteilt zu werden. Damit deutet sich die Frage nach Intention und inhaltlicher Füllung der seelsorgerlichen Begleitung an. Sowohl im Sinne der (Tiefen-) Psychologie als auch im Sinne des anthropologischen Realismus der Bibel'

Gewalt/Gewaltlosigkeit II

183

(J. Scharfenberg) geht es darum, den Abwehrmechanismus der Verdrängung bzw. der Verleugnung von Aggression (und Gewalt) zu durchbrechen. Es liegt ganz auf dieser Linie, wenn der Seelsorger das (nur z. T. bewußte) Ideal von der familiären Harmoniegemeinschah kritisch angeht. Es geht stattdessen darum, auch Konkurrenz und Konflikte ernst zu nehmen - zwischen Kindern und Eltern, Geschwistern oder Ehepartnern. Der Dienst der Versöhnung, das lösende Wort geschieht eben nicht unter Absehung von Konflikt, Aggression und Gewalt, sondern bei realistischer Wahrnehmung und Aufarbeitung dieser Probleme. So verstanden könnte Seelsorge sowohl eine therapeutische als auch eine prophylaktische Funktion erfüllen. Letztere wäre in ihrer Bedeutung auch für die Bereiche des öffentlichen Lebens nicht zu unterschätzen. 4. Religionspädagogische

Aspekte

der

Gewalt/Gewaltlosigkeit

4.1. Auswirkungen von Gewaltdarstellungen auf Kinder und Jugendliche. Wie bereits oben erwähnt (s. 2.4), besteht die Gefahr, daß Kinder und Jugendliche durch Nachahmung von Aggressionsmodellen aggressives, ja gewalttätiges Verhalten konkret erlernen und einüben. Abgesehen davon, daß es fatal wirkende Aggressions- bzw. Gewaltmodelle innerhalb der Familie gibt (s.3.1), sind es besonders die Medien, die die Kinder und Jugendlichen mit Gewaltdarstellungen geradezu überschütten. Anders: Gewalttätigkeiten werden zum Zeitvertreib, zur Unterhaltung. Wie wirkt sich diese Beeinflussung im einzelnen aus? Gewaltdarstellungen sprechen die Machtphantasien des heranwachsenden Menschen an. J e mehr er sich mit den Gewalttätern identifizieren kann, desto stärker wird er auch die entsprechenden ethischen und moralischen Werte und Verhaltensweisen internalisieren. Die Werte bzw. Unwerte, die durch Gewaltdarstellung vermittelt werden, sind im wesentlichen: Gewaltanwendung ist .ultima ratio' des Gerechten. Der Entschlossenere und Stärkere löst alle Probleme (allein). Gewalt zahlt sich aus - in gesellschaftlicher Stellung und nicht zuletzt in klingender Münze. Nicht der Geschlagene, sondern der gewalttätige Verbrecher ist der arme, gejagte Mensch. Die Welt besteht aus Freunden und Feinden; Feinde sind allermeist die Fremden. Es gibt Gewalt, die ihre L e g i t i m i t ä t ' ausschließlich durch ihr häufiges Erscheinen in den Massenmedien gewinnt. Die regelmäßige Wahrnehmung von Aggression, Gewalt und Opfern senkt in fataler Weise die Toleranzschwelle und erhöht die Gleichgültigkeit in erschreckendem M a ß .

Daraus wird deutlich, daß das Wertgefüge von Kindern und Jugendlichen durch Gewaltdarstellungen tiefgreifend verändert bzw. primär geprägt werden kann. Jenes Wertgefüge aber, das mit dem Stichwort,Recht des Stärkeren' gekennzeichnet werden kann, setzt, tritt ihm kein korrigierendes Element entgegen, früher oder später konforme Verhaltensweisen aus sich heraus. Das bedeutet, Gewaltdarstellungen werden zu Konfliktlösungsmodellen. Beides jedoch - jenes pervertierte Wertgefüge und die ihm entsprechenden Verhaltensweisen - läuft dem christlichen Liebesgebot, das die kompromißbereite Auseinandersetzung nicht ausschließt, direkt zuwider. 4.2. Religionspädagogische Konsequenzen. Der Religionsunterricht hat sich auf das, was Kinder und Jugendliche an direkten bzw. indirekten Gewalterlebnissen aus ihren Familien und den Massenmedien mitbringen, entsprechend dem jeweiligen Entwicklungsstand einzustellen. Das bedeutet im einzelnen: Der Religionslehrer sollte so früh wie möglich (Primär- und Orientierungsstufe) Unterrichtsformen einführen und partnerschaftlich einüben, die eine intensive und gewaltfreie Kommunikation ermöglichen. Das wiederum setzt jedoch voraus, d a ß der Religionslehrer (unabhängig von dem Entwicklungsstand seiner Schüler) zu einem ebenso konfliktbereiten wie mitmenschlichen Verhalten fähig und bereit ist. Die direkten bzw. indirekten Gewalterlebnisse müssen im Religionsunterricht thematisiert und auf der emotionalen wie sachlichen Ebene als Konfliktlösungsmodelle aufgelöst werden. D e m muß in den Klassen der Primär- und Orientierungsstufe die Beschäftigung mit Texten der (synoptischen) Evangelien korrespondieren, in denen die von Jesus verkündigte und gelebte Agape anschaulich wird. Auf dieser doppelten Arbeit aufbauend und sie im Entwicklungsstadium der Jugendlichen (von der 8. Klasse aufwärts) ergänzend, ist ein Unterricht angezeigt, der sich a m Agapekriterium des Neuen Testaments orientiert. Dieser von R . L a c h m a n n

Gewerkschaften

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konzipierte Unterricht stellt für die religionspädagogische Aufarbeitung des Gewaltproblems ein hilfreiches und hoffnungsvolles Element dar (Lachmann 155). Literatur Zur Aggression verdammt?, hg. v. Herbert Selg, Stuttgart 1971 (Lit.). - Rolf Denker, Aufklärung über Aggression, Stuttgart 2 1968 (Lit.). - John Dollard u.a., Frustration u. Aggression (Deutsch v. Wolfgang Dammschneider und Erhard Mader): Pädagogisches Zentrum, Veröff., hg. v. Carl-Ludwig Furck, R . C, Berichte 18, Weinheim 3 1971. - Irenäus Eibl-Eibesfeldt, Liebe u. Haß. Zur Naturgesch. elementarer Verhaltensweisen, München 1970. - Ewald H. Englert, Zur Sozialpsychologie der Gewalt: Die Gewalt in Politik, Religion u. Gesellschaft, hg. v. Eduard J . M . Kroker, Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz 1 9 7 6 , 1 9 7 - 2 3 8 . - Sigmund Freud, GW, Frankfurt 1 9 5 2 - 1 9 6 8 . - Ders., Drei Abh. zur Sexualtheorie: G W 5, 4 1968, 2 7 - 1 4 5 . - Ders., Trauer u. Melancholie: G W 10, 4 1967, 327-1346. Ders., Triebe u. Triebschicksale: G W 10, 4 1967, 2 0 9 - 2 3 2 . - Ders., Zeitgemäßes über Krieg u. Tod: G W 10, 4 1967, 3 2 3 - 3 5 5 . - Ders., Das Ich u. das Es: G W 13, 4 1963, 2 3 5 - 2 8 9 . - Ders., Jenseits des Lustprinzips: G W 13, 4 1 9 6 3 , 1 - 6 9 . - Ders., Das Ökonom. Problem des Masochismus: G W 13, 4 1963, 3 6 9 - 3 8 3 . - Ders., Selbstdarstellung: GW 14, 1968, 3 1 - 9 6 . - Ders., Das Unbehagen in der Kultur: G W 14, 1968, 4 1 9 - 5 0 6 . - Ders., Abriß der Psychoanalyse: G W 17, 4 1966, 6 3 - 1 3 8 . - Friedrich Hacker, Aggression, Wien 1971. - Carol Hagemann-White, Gewalt u. Geschlecht: WzM 30 (1978) 49—57. - Siegfried Keil, Aggression u. Mitmenschlichkeit, Stuttgart 1970. - Jörg Kraußlach/Friedrich W. Düwer/Gerda Fellberg, Aggressive Jugendliche, München 4 1980. - Rainer Lachmann, Eth. Kriterien im Religionsunterricht, Gütersloh 1980. - Konräd Lorenz, Das sogenannte Böse, Wien 2 9 1 9 7 1 . - A l e x a n d e r Mitscherlich, Aggression. Annäherung an das Thema vom Alltag her: ders., Die Idee des Friedens u. die menschliche Aggressivität, Frankfurt 1969, 7 - 3 6 . - Arno Plack, Die Gesellschaft u. das Böse, München 9 1970. - Josef Rattner, Aggression u. menschliche Natur, Ölten 1970. Reinhold Ruthe, Erziehung zur Aggressionsbewältigung: Claudius Thesen, H. 10, München 1973. Wolfgang Schmidbauer, Die sogenannte Aggression, Hamburg 1972. - Amélie SchmidtMummendey/Hans Dieter Schmidt, Aggressives Verhalten, München 1971. - Dieter Senghaas, Aggressivität u. kollektive Gewalt, Stuttgart 1971. - Alphons Silbermann u.a., Aggression u. Fernsehen, Tübingen 1974. - T h e m a h e f t : Gewalt in der Ehe: WzM 30 (1978) 4 9 - 1 3 1 (Lit.). - Wolfgang Wickler, Die Biologie der Zehn Gebote, München 1971. Manfred Moser

G e w a l t e n t e i l u n g —> M a c h t , - » Staat

Gewerkschaften 1. Zum Begriff 2. Typen von Gewerkschaften 3. Zur Geschichte der Gewerkschaften (Anmerkungen/Literatur S. 191) 1. Zum

4. Aufgaben und Funktion

Begriff

G e w e r k s c h a f t e n sind Vereinigungen der Arbeit(nehm)erschaft, die im Z u g e der —»Industrialisierung als Schutzverbände der Industriearbeiter entstanden. Sie vertreten die gemeinsamen ö k o n o m i s c h e n , sozialen und a u c h politischen Interessen der Arbeitnehmer, insbesondere gegenüber der U n t e r n e h m e r s c h a f t und ihren Organisationen, von denen sie ebenso unabhängig sind wie v o m Staat. Historisch gesehen sind sie Teil der Arbeiterbewegung, mit deren anderen Z w e i g e n (Arbeiterparteien, Genossenschaftswesen und Arbeiterkulturorganisationen) ihre E n t w i c k l u n g m e h r o d e r weniger eng verflochten ist (s. T R E 3, 674—676). Auf der einen Seite (nach innen) sind Gewerkschaften solidarischgenossenschaftliche Z u s a m m e n s c h l ü s s e , v o m Prinzip gegenseitiger Unterstützung geleitete Selbsthilfeorganisationen, a u f der anderen Seite (nach außen) Interessenverbände, die durch kollektive Tarifverträge, die das Prinzip des individuellen Arbeitsvertrags einschränken, für die A r b e i t ( n e h m ) e r einen möglichst hohen Anteil a m Bruttosozialprodukt zu sichern versuchen. Stehen in der gewerkschaftlichen P r a x i s auch L o h n f r a g e n im Vordergrund, so sind Gewerkschaften d o c h in der Regel m e h r als „Verkaufskartelle für A r b e i t s k r a f t " , d a sie tendenziell alle F r a g e n der ö k o n o m i s c h e n , sozialen und kulturellen

Gewerkschaften

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konzipierte Unterricht stellt für die religionspädagogische Aufarbeitung des Gewaltproblems ein hilfreiches und hoffnungsvolles Element dar (Lachmann 155). Literatur Zur Aggression verdammt?, hg. v. Herbert Selg, Stuttgart 1971 (Lit.). - Rolf Denker, Aufklärung über Aggression, Stuttgart 2 1968 (Lit.). - John Dollard u.a., Frustration u. Aggression (Deutsch v. Wolfgang Dammschneider und Erhard Mader): Pädagogisches Zentrum, Veröff., hg. v. Carl-Ludwig Furck, R . C, Berichte 18, Weinheim 3 1971. - Irenäus Eibl-Eibesfeldt, Liebe u. Haß. Zur Naturgesch. elementarer Verhaltensweisen, München 1970. - Ewald H. Englert, Zur Sozialpsychologie der Gewalt: Die Gewalt in Politik, Religion u. Gesellschaft, hg. v. Eduard J . M . Kroker, Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz 1 9 7 6 , 1 9 7 - 2 3 8 . - Sigmund Freud, GW, Frankfurt 1 9 5 2 - 1 9 6 8 . - Ders., Drei Abh. zur Sexualtheorie: G W 5, 4 1968, 2 7 - 1 4 5 . - Ders., Trauer u. Melancholie: G W 10, 4 1967, 327-1346. Ders., Triebe u. Triebschicksale: G W 10, 4 1967, 2 0 9 - 2 3 2 . - Ders., Zeitgemäßes über Krieg u. Tod: G W 10, 4 1967, 3 2 3 - 3 5 5 . - Ders., Das Ich u. das Es: G W 13, 4 1963, 2 3 5 - 2 8 9 . - Ders., Jenseits des Lustprinzips: G W 13, 4 1 9 6 3 , 1 - 6 9 . - Ders., Das Ökonom. Problem des Masochismus: G W 13, 4 1963, 3 6 9 - 3 8 3 . - Ders., Selbstdarstellung: GW 14, 1968, 3 1 - 9 6 . - Ders., Das Unbehagen in der Kultur: G W 14, 1968, 4 1 9 - 5 0 6 . - Ders., Abriß der Psychoanalyse: G W 17, 4 1966, 6 3 - 1 3 8 . - Friedrich Hacker, Aggression, Wien 1971. - Carol Hagemann-White, Gewalt u. Geschlecht: WzM 30 (1978) 49—57. - Siegfried Keil, Aggression u. Mitmenschlichkeit, Stuttgart 1970. - Jörg Kraußlach/Friedrich W. Düwer/Gerda Fellberg, Aggressive Jugendliche, München 4 1980. - Rainer Lachmann, Eth. Kriterien im Religionsunterricht, Gütersloh 1980. - Konräd Lorenz, Das sogenannte Böse, Wien 2 9 1 9 7 1 . - A l e x a n d e r Mitscherlich, Aggression. Annäherung an das Thema vom Alltag her: ders., Die Idee des Friedens u. die menschliche Aggressivität, Frankfurt 1969, 7 - 3 6 . - Arno Plack, Die Gesellschaft u. das Böse, München 9 1970. - Josef Rattner, Aggression u. menschliche Natur, Ölten 1970. Reinhold Ruthe, Erziehung zur Aggressionsbewältigung: Claudius Thesen, H. 10, München 1973. Wolfgang Schmidbauer, Die sogenannte Aggression, Hamburg 1972. - Amélie SchmidtMummendey/Hans Dieter Schmidt, Aggressives Verhalten, München 1971. - Dieter Senghaas, Aggressivität u. kollektive Gewalt, Stuttgart 1971. - Alphons Silbermann u.a., Aggression u. Fernsehen, Tübingen 1974. - T h e m a h e f t : Gewalt in der Ehe: WzM 30 (1978) 4 9 - 1 3 1 (Lit.). - Wolfgang Wickler, Die Biologie der Zehn Gebote, München 1971. Manfred Moser

G e w a l t e n t e i l u n g —> M a c h t , - » Staat

Gewerkschaften 1. Zum Begriff 2. Typen von Gewerkschaften 3. Zur Geschichte der Gewerkschaften (Anmerkungen/Literatur S. 191) 1. Zum

4. Aufgaben und Funktion

Begriff

G e w e r k s c h a f t e n sind Vereinigungen der Arbeit(nehm)erschaft, die im Z u g e der —»Industrialisierung als Schutzverbände der Industriearbeiter entstanden. Sie vertreten die gemeinsamen ö k o n o m i s c h e n , sozialen und a u c h politischen Interessen der Arbeitnehmer, insbesondere gegenüber der U n t e r n e h m e r s c h a f t und ihren Organisationen, von denen sie ebenso unabhängig sind wie v o m Staat. Historisch gesehen sind sie Teil der Arbeiterbewegung, mit deren anderen Z w e i g e n (Arbeiterparteien, Genossenschaftswesen und Arbeiterkulturorganisationen) ihre E n t w i c k l u n g m e h r o d e r weniger eng verflochten ist (s. T R E 3, 674—676). Auf der einen Seite (nach innen) sind Gewerkschaften solidarischgenossenschaftliche Z u s a m m e n s c h l ü s s e , v o m Prinzip gegenseitiger Unterstützung geleitete Selbsthilfeorganisationen, a u f der anderen Seite (nach außen) Interessenverbände, die durch kollektive Tarifverträge, die das Prinzip des individuellen Arbeitsvertrags einschränken, für die A r b e i t ( n e h m ) e r einen möglichst hohen Anteil a m Bruttosozialprodukt zu sichern versuchen. Stehen in der gewerkschaftlichen P r a x i s auch L o h n f r a g e n im Vordergrund, so sind Gewerkschaften d o c h in der Regel m e h r als „Verkaufskartelle für A r b e i t s k r a f t " , d a sie tendenziell alle F r a g e n der ö k o n o m i s c h e n , sozialen und kulturellen

Gewerkschaften

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Lage der Arbeit(nehm)er aufgreifen. Ziele, Programme und Kampfmethoden sind allerdings ebenso wie die gewerkschaftlichen Binnenstrukturen abhängig vom Stand der Entwicklung des industriellen Systems (der Produktivkräfte, des Güter- und Arbeitsmarktes etc.) sowie vom jeweiligen politischen System und der nationalen politischen Kultur; sie unterliegen mithin dem historischen Wandel und weisen beträchtliche Unterschiede auf. 2. Typen

von

Gewerkschaften

Gewerkschaften lassen sich unterscheiden: a) nach politischen Richtungen in: liberale, sozialistische bzw. sozialdemokratische, kommunistische und christliche Gewerkschaften; b) nach ihrer Binnenstruktur in: 1. Einheitsgewerkschaften auf der einen Seite und Richtungs- bzw. Berufsgewerkschaften auf der anderen Seite; 2. Berufsgewerkschaften und Industriegewerkschaften; 3. zentralistisch, föderalistisch oder lokalistisch aufgebaute Gewerkschaften; c) nach ihrem Verhältnis zur Arbeiterpartei bzw. den Arbeiterparteien, das von weitgehender Identität über eine Verknüpfung beider bis zu weitgehender Unabhängigkeit voneinander reichen kann; d) nach der Verwendung von Kampfmaßnahmen, vor allem des Streiks: hier reicht die Skala von sehr streikfreudigen Gewerkschaften bis zu den wirtschaftsfriedlichen („gelben") Gewerkschaften, deren Gewerkschaftsqualität freilich strittig ist; e) nach dem politisch-gesellschaftlichen Umfeld: Gewerkschaften in westlich-kapitalistischen Systemen sind prinzipiell anderer Natur als Gewerkschaften in den kommunistischen Systemen Osteuropas. Liberale Gewerkschaften bzw. Gewerkschaften mit Anlehnung an den politischen -•Liberalismus waren und sind wenig bedeutend - abgesehen von den englischen Trade Unions des 19. J h . , die zeitweilig ihre parlamentarische Vertretung bei den Liberalen fanden, aber nicht einheitlich dem Liberalismus zugeordnet werden können. Von Vertretern des aufgeklärten Bürgertums mitbegründet, wie in Deutschland die Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereine, hatten sie Resonanz in einer Zeit, in der der Liberalismus noch als progressive Kraft galt, fielen jedoch zahlenmäßig rasch hinter die sozialdemokratischen (und christlichen) Richtungen zurück; allerdings konnten sie eine gewisse Anziehungskraft auf bestimmte Arbeitnehmergruppen (Angestellte) behaupten. Ein großer Teil der Gewerkschaften der Vergangenheit und Gegenwart ist sozialistisch oder sozialdemokratisch orientiert. Kennzeichnend für sozialistisch-syndikalistische Richtungen, die lange in den romanischen Ländern einflußreich waren, ist ein Gewerkschaftsbegriff, nach dem Gewerkschaften an ökonomischen und politischen Zielen gleichermaßen orientierte Organisationen sind, die durch direkte Aktion - etwa durch Boykott und Streik - ihre Ziele, gegebenenfalls auch an Parlament und Parteien vorbei, zu realisieren versuchen. Demgegenüber haben die sozialdemokratischen Gewerkschaften, wie sie in Mittel- und Nordeuropa vorherrschen, den Massenstreik als offensives politisches Kampfmittel durchweg abgelehnt und sind stets von einer Arbeitsteilung zwischen Gewerkschaft und Partei ausgegangen, bei der die Gewerkschaft vornehmlich den Kampf um Löhne und Arbeitsbedingungen, die Partei den Kampf um politische M a c h t mit dem Ziel der Veränderung der Gesellschaft zu führen hat. Kommunistische Gewerkschaften haben sich in einigen Ländern seit den 20er Jahren als Folge der Spaltung der Arbeiterbewegung herausgebildet, blieben jedoch zunächst ohne nennenswerten Einfluß, wie die von der KPD seit 1928 organisierte Revolutionäre Gewerkschaftsopposition ( R G O ) , die vor allem Erwerbslose ansprach. Von einiger Bedeutung sind heute die kommunistisch orientierten Gewerkschaften C G T in Frankreich und C G I L in Italien. Christliche Gewerkschaften entstanden Ende des 19. J h . - u. a. in Belgien, den Niederlanden und Deutschland - im bewußten Gegensatz zu den sozialdemokratischen Gewerkschaften. Obgleich die Encyklika Kerum Novarum -»-Leos X I I I . selbständige Arbeiterorganisationen zuließ, hatten die christlichen Gewerkschaften noch bis zum Ersten Weltkrieg im Konflikt mit Teilen der katholischen Arbeitervereine um Interkonfessionalität und Unabhängigkeit von kirchlichem Einfluß zu kämpfen. Charakteristisch für Programmatik und Politik dieser Gewerkschaften ist eine gewisse Ambivalenz: „Interessenvertre-

186

Gewerkschaften

tung mit dem Ziel der Gleichberechtigung der Arbeitnehmerschaft einerseits, der ständischen Einbindung in die bestehende Wirtschaftsgesellschaft andererseits" (Schneider, Die christl. Gewerkschaften 763). Die christlichen Gewerkschaften in Deutschland vor 1933 lehnten den Klassenkampf ab und vertraten volksgemeinschaftliche Ideen. Den Streik betrachteten sie als legitimes, allerdings nur vorsichtig einzusetzendes letztes Mittel. - Die christlichen Gewerkschaften sind nach 1945 im DGB aufgegangen, allerdings bildete sich 1955 eine christliche Gewerkschaft CGD, die freilich nur marginale Bedeutung erlangte. Die Richtungsgewerkschaften sind aufgehoben in der Einheitsgewerkschaft, die zugleich auch das Berufsprinzip überwindet. Im Idealfall vereinigt sie Arbeiter, Angestellte und Beamte in einer allgemeinen Gewerkschaft, wobei diese in Fachgruppen untergliedert ist. Der DGB entspricht diesem Ideal insofern nicht voll, als die in ihm zusammengeschlossenen Industriegewerkschaften über eine weitgehende Selbständigkeit verfügen. Einheitsgewerkschaften haben sich in Ländern nicht oder nicht dauerhaft bilden lassen, in denen syndikalistische Traditionen stark sind, zahlenmäßig bedeutende Richtungsgewerkschaften konkurrieren oder wo eine fragmentierte politische Kultur gegeben ist (von Beyme 20 f). Die frühen Gewerkschaften des 19. Jh., in denen die Tradition der Handwerker-Gesellen-Vereinigungen nachwirkte, waren Berufsgewerkschaften, wobei besonders qualifizierte „handwerkliche" Facharbeitergruppen vorangingen. Die Berufsverbände wurden in einem - national unterschiedlich verlaufenden - langen Prozeß von Industrieverbänden verdrängt, die den Gegensatz zwischen gelernten und ungelernten Arbeitern sowie Angestellten aufheben und dadurch eine größere Kampfkraft erzielen. Gefördert wurde dieser Prozeß durch den industriellen Konzentrationsprozeß, die Entwicklung von „Klassenbewußtsein" und durch Kooperation mit sozialdemokratischen Parteien; behindert wurde er u. a. durch stark fragmentierte gewerkschaftliche Strukturen, die in England durch eine Registrierungspflicht der Gewerkschaften verstärkt wurden. Im Verhältnis Partei - Gewerkschaft wirkt sich die jeweilige Genesis der Arbeiterbewegung aus, wobei zwischen folgenden Fällen zu unterscheiden ist: 1. Die Arbeiterpartei entstand aus gewerkschaftlichen Initiativen zur Durchsetzung parlamentarischer Repräsentation (England, Norwegen, Schweden); 2. Die Gründung und Frühentwicklung der Gewerkschaften wurde von der frühentwickelten Arbeiterpartei stark beeinflußt, deren ideologischer Einfluß lange dominant blieb (Deutschland); 3. Gewerkschaftliche Gruppen hielten bewußt Distanz zu parteipolitischen und parlamentarischen Auseinandersetzungen und arbeiteten bewußt dezentral (Frankreich, Italien, Spanien). Der Vorrang von Partei oder Gewerkschaft in der formativen Phase der Arbeiterbewegung war insbesondere abhängig vom jeweiligen politischen System und der politischen Kultur. Parteien dominierten die Arbeiterbewegung vor allem dort, wo starke autokratische Elemente den Prozeß der politischen Emanzipation des Bürgertums behinderten (Deutschland und Rußland), während eine pragmatische gewerkschaftliche Position mit schwach entwickeltem politischem Veränderungswillen sich vor allem dort entwickelte, wo bürgerliche Demokratisierung und Parlamentarisierung gewerkschaftlicher Tätigkeit einen legalen Raum gab (vgl. von Beyme 226).

Während die Gewerkschaften durchweg den Streik als legitimes Kampfmittel betrachteten, wurde er von den „wirtschaftsfriedlichen" „nationalen" Werksvereinen - die man wegen ihrer Erkennungsfarbe als „Gelbe" bezeichnet hat - abgelehnt. In Deutschland, wo die „Gelben" ihren Höhepunkt vor dem Ersten Weltkrieg erlebten, gab es einmal die nationalistisch und monarchistisch gesinnten Arbeitervereine, zum anderen die wirtschaftsfriedlichen Vereine, die meist auf Initiative der Unternehmer und konservativnational-liberaler Bürger gegründet worden sind. Im Stinnes-Legien-Abkommen vom 15. 11. 1918 erkannten die Unternehmer die Gewerkschaften als Tarifvertragspartner an und verzichteten auf die offene finanzielle Unterstützung der Gelben. In der Gegenwart ist die differierende Streikfrequenz weniger als Ausdruck gewerkschaftlicher Ideologien, als vielmehr als Funktion der jeweiligen Ausformung der Arbeitsbeziehungen zu sehen: die Streikfrequenz ist da niedrig, wo der Verrechtlichungsgrad der Arbeitsbeziehungen besonders hoch ist (wie insbesondere in Deutschland). Gewerkschaften in den kommunistischen Staaten Osteuropas sind nicht wie die Gewerkschaften in den westeuropäischen Ländern „autonome Medien der Herrschaftskontrolle", sondern „Medien der Herrschaftsausübung" 1 . Sie haben kein eindeutiges „sozia-

Gewerkschaften

187

les Gegenüber" und dienen vorrangig der Verbesserung der Arbeitsleistungen, der Aufrechterhaltung der Arbeitsdisziplin und der Durchführung der Wirtschaftspläne. Teilweise haben sie ein begrenztes innerbetriebliches Kontrollrecht (u. a. Arbeitsschutz), leiten und kontrollieren - in der DDR - die Sozialversicherung und sind Träger des Ferienwesens (der Erholungsheime etc.). - Der Versuch der polnischen Gewerkschaft „Solidarnosc" eine freie Gewerkschaft in einem Land des „realen Sozialismus" zu gründen, scheiterte 1980/1. Trotz mancher Ansätze zu einem sozialistischen Pluralismus sind freie Gewerkschaften und kommunistische Systeme bis heute inkompatibel. 3. Zur

Geschichte

Die vor allem in der Frühphase erheblich differierenden Entwicklungen der Gewerkschaftsbewegung in den verschiedenen Ländern sind in engem Zusammenhang mit der jeweiligen ökonomischen, sozialen und politischen Geschichte, unter Einschluß der Veränderung der rechtlichen Rahmenbedingungen (des Koalitionsrechts) und des transnationalen kommunikativen Zusammenhangs zu sehen, eine Aufgabe, die trotz der in den letzten Jahren immensen - freilich überwiegend immer noch organisationsgeschichtlich orientierten - Forschung auf diesem Gebiet zum Teil noch zu leisten ist. Stark typisierend lassen sich folgende sich überlagernde bzw. überlappende Entwicklungstrends unterscheiden 2 : a ) Stand in der Frühgeschichte der G e w e r k s c h a f t s b e w e g u n g der Protest gegen die Aushöhlung der älteren W i r t s c h a f t s - und Sozialverfassung im Vordergrund, so versuchten die G e w e r k s c h a f t e n zunehmend auf der Basis des vorhandenen industriell-kapitalistischen Systems R e c h t e und Ansprüche der Arbeiter zu realisieren; b) In einem längeren Z e i t r a u m vollzog sich der Ubergang von lokalen, relativ unorganisierten zu nationalen, a u f D a u e r angelegten Verbänden, die nach ihrer Konsolidierung i m m e r k o m p l e x e r e Strukturen mit der T e n d e n z zur Bürokratisierung und Oligarchisierung entwickelten; c) Wurden die G e w e r k s c h a f t e n im allgemeinen gegen den Willen der herrschenden politisch-gesellschaftlichen Gruppen gegründet, so wurden sie teilweise schon vor dem Ersten Weltkrieg bei fortbestehender gesellschaftlicher D i s t a n z zu den bürgerlichen Schichten in das politischgesellschaftliche System integriert, ein P r o z e ß , der durch den Ersten Weltkrieg beschleunigt wurde und zunehmend M ö g l i c h k e i t e n der Partizipation an diesem System eröffnete.

Wie in der industriellen Entwicklung ging auch in der Gewerkschaftsentwicklung England voran, wo sich schon Ende des 18. Jh. gewerkschaftliche Selbsthilfeorganisationen bildeten. Zur eigentlichen Gründung von Gewerkschaften kam es erst nach Aufhebung des Koalitionsverbots 1824, wobei sich vor allem Facharbeiter lokal zusammenschlössen. Erst in der wirtschaftlichen Depression 1 8 7 5 - 1 8 8 5 bildeten sich General Unions, die den Typus der Industriegewerkschaft antizipierten. Nach einem ersten nicht dauerhaften Zusammenschluß 1834 kam es erst 1868 zum ersten Gewerkschaftskongreß (Trade Unions Congress, TUC), auf dem sich die Gewerkschaften locker verbanden. Charakteristisch für die englischen Gewerkschaften der zweiten Hälfte des 19. Jh. ist einmal die Anerkennung der Bedingungen der kapitalistischen Wirtschaftsordnung als Basis der Verbesserung der Lage der arbeitenden Klasse, zum anderen die Anlehnung an die liberale Partei als politischer Vertretung. Erst 1906 konstituierte sich das Labour Representation Commitee zur Labour Party, die in ihren Statuten die automatische Mitgliedschaft in Gewerkschaft und Partei festlegte. Die — auch finanziell - enge Verschränkung von Gewerkschaft und Partei hat Konflikte zwischen Gewerkschaften und Labour Party in Phasen der Regierungsbeteiligung von Labour keinesfalls ausgeschlossen. Außer durch ihre spezifische Beziehung zu Labour sind die englischen Gewerkschaften bis heute durch organisatorische Vielfalt gekennzeichnet, die nur historisch erklärbar ist: traditionelle Facharbeiterverbände, General Unions und reine Industrieverbände sowie eine Reihe von Angestelltenverbänden stehen nebeneinander. Die Spezifika der französischen Arbeiterbewegung - der Blanquismus, in dem sich die Tradition der babouvistischen Geheimgesellschaften und Aufstände fortsetzte, und der

188

Gewerkschaften

Frühsozialismus (-»Frühsozialisten), der genossenschaftliche Einrichtungen wie Unterstützungs- und Widerstandskassen, Konsumgenossenschaften und Arbeitsvermittlungsstellen schuf - haben auch die französische Gewerkschaftsbewegung geprägt, die sich nach Lockerung bzw. Aufhebung des Koalitionsverbots (1864 bzw. 1884) entwickelte und sich 1895 in der Confédération Générale du Travail ( C G T ) zusammenschloß. Die Charte von Amiens (1906) stellte einen Kompromiß zwischen den verschiedenen syndikalistischen und reformistischen Traditionen in der C G T dar und erkannte die Möglichkeit einer Parteiorganisation an. 1905 war die sozialdemokratische Arbeiterpartei (SFIO) gegründet worden. Seit dem Ersten Weltkrieg kam es wiederholt zu Spaltungen und Wiedervereinigungen zwischen der sozialistischen und der kommunistischen Gewerkschaftsbewegung: 1922 Abspaltung der kommunistischen Confédération Générale du Travail Unitaire (CGTU), in der Volksfrontära erneute Verbindung, durch den Hitler-Stalin-Pakt wiederum Trennung, in der Illegalität der Résistance Zusammenarbeit, über den Marshallplan erneute Spaltung, die bis heute anhält: Die CGT ist kommunistisch, die CGT-FO (Force Ouvrière) sozialistisch orientiert. - Die CFDT (Confédération Française Démocratique du Travail) ist aus den christlichen Gewerkschaften hervorgegangen. In Deutschland setzte, nach ersten Anfängen während der 48er Revolution, Ende der 50er Jahre des 19. J h . die Gründungswelle der deutschen Gewerkschaften ein. Auch hier gingen Gruppen gelernter Arbeiter mit handwerklicher Orientierung voran, die teilweise - wie die Buchdrucker - gegen Statusverluste kämpften und sich nicht zuletzt dank eines hohen produktionsstrukturell bedingten M a ß e s zu gruppeninterner Kommunikation organisieren konnten. 1870 waren ca. 5 0 0 0 0 überwiegend handwerklich geprägte Arbeiter und Gesellen gewerkschaftlich organisiert (Organisationsgrad ca. 2 % ) . Kennzeichnend für die deutsche Gewerkschaftsbewegung ist ein recht frühzeitig einsetzender Prozeß gewerkschaftlicher Konzentration und Zentralisierung. Arbeiteten schon sehr bald die Berufsgewerkschaften bei Streiks, beim Rechtsschutz oder bei der Regelung des Herbergswesens auf lokaler Ebene zusammen, so wurde diese Zusammenarbeit durch die entstehende Sozialversicherung seit den 80er Jahren weiter gefördert. Impulse für eine organisatorische Zusammenarbeit kamen vor allem auch von der politischen Arbeiterbewegung (in der Frühphase namentlich von den Lassalleanern). Verstärkt wurde die Tendenz zu zentralistischer Organisation durch die Auswirkungen des Sozialistengesetzes, von dem die Gewerkschaften nicht weniger betroffen waren als die Partei. Unmittelbar nach Auslaufen des Sozialistengesetzes (1890) wurde die „Generalkommission" als gewerkschaftliche Dachorganisation gegründet, und 1891 schlössen sich die Metallarbeiter zusammen, denen es damit vergleichsweise früh gelang, die Trennung zwischen den einzelnen Berufsgruppen aufzuheben und zum Industrieverband zu werden. Wenn insgesamt gesehen sich das Industrieverbandsprinzip vor dem Ersten Weltkrieg noch nicht durchsetzen konnte, so hatte dies letztlich seinen Grund wohl darin, daß der größte Teil der vor 1914 von den freien Gewerkschaften erfaßten Arbeiter noch handwerklich geprägt war. Charakteristisch für die deutsche Gewerkschaftsentwicklung ist weiterhin, daß die Gewerkschaftsbewegung innerhalb der Arbeiterbewegung lange die Rolle eines Juniorpartners gespielt hat und ideologisch von der Partei dominiert wurde. Führende Sozialdemokraten betrachteten die Gewerkschaften vor 1914 als „bloße Vorschule für die politische Bewegung"; man glaubte, daß die gewerkschaftliche Tätigkeit allenfalls vorübergehend zu einer Verbesserung der sozialen Lage des Proletariats beitragen könne. Der unbestrittene Primat des politischen Kampfes in der deutschen Arbeiterbewegung hing mit dem Zusammenfall politischer und sozialer Probleme und der besonderen Rolle des Staates gegenüber Wirtschaft und Gesellschaft in Deutschland zusammen. Allerdings gelang es den Gewerkschaften im Mannheimer Abkommen (1906), ihre formale Unabhängigkeit und Gleichberechtigung zu erhalten; politische Massenstreiks, die insbesondere vom linken Flügel der Partei, aber auch von einigen Revisionisten gefordert wurden, sollten nicht gegen den Willen der Generalkommission ausgerufen werden.

Gewerkschaften

189

Innerhalb der Freien Gewerkschaften setzte sich zunehmend die Vorstellung durch, daß eine Politik der kleinen Schritte innerhalb des bestehenden Systems letztlich erfolgreicher sei als der revolutionäre Attentismus der Parteiführung. Die sichtbare Integration der Gewerkschaften in das bestehende System, die Anerkennung seitens des Staates und der Unternehmer, vollzog das vaterländische Hilfsdienstgesetz von 1916, das den Gewerkschaften institutionalisierte Mitwirkungsrechte zubilligte. Es lag in der Logik dieser Entwicklung, daß die Gewerkschaften 1918/20 eine antirevolutionäre Haltung einnahmen und mit den Arbeitgeberverbänden die Zentralarbeitsgemeinschaft (ZAG) eingingen, wobei sie eine Politik verfolgten, die durch Ausweitung der gewerkschaftlichen Beteiligungsrechte dem kapitalistischen System sozialistisch-gemeinwirtschaftliche Elemente einzufügen suchte, ohne eine Sozialisierung unmittelbar anzustreben. Die Linie dieser Politik setzte auch Fritz Naphtalis 1928 im Auftrag des A D G B vorgelegtes Konzept der Wirtschaftsdemokratie fort, das neben einer Ausweitung des Sektors öffentlicher Unternehmer zentrale gemeinwirtschaftliche Kontrollapparate vorsah, in denen die Gewerkschaften paritätisch vertreten sein sollten, um gesamtgesellschaftliche Bedürfnisse gegenüber den kapitalistischen Verwertungsinteressen sicherzustellen. Wenn die Gewerkschaften im Verlauf der Weimarer Zeit zunehmend in die Defensive gerieten, so lag dies einmal daran, daß es ihnen nur unzureichend gelang, über den Typ des großstädtischen Facharbeiters hinaus die Massenarbeiter einerseits und die Angestellten andererseits zu integrieren, mehr aber noch an der ökonomischen Entwicklung, die die Position der Gewerkschaften, vor allem seit Beginn der Weltwirtschaftskrise, schwächte und von der Unternehmerseite, die in der Zurückdrängung des gewerkschaftlichen Einflusses eine entscheidende Voraussetzung für ökonomischen Wiederaufstieg sah, ausgenutzt wurde. Die Gewerkschaften vermochten weder den Verlust der Errungenschaften von 1918, noch schwere Lohneinbußen zu verhindern. Juli 1932 waren 4 4 % der in den Freien Gewerkschaften organisierten Arbeitnehmer arbeitslos, 2 2 , 3 % standen in Kurzarbeit. Der 1932 beginnende Versuch der Freien Gewerkschaften, ihre Interessen in Abkopplung von der SPD zu realisieren, verstärkte sich nach der NS-Machtübernahme, wobei sich Selbstbehauptungswille und Anpassungsbereitschaft durchdrangen. O b man in der im April 1933 erfolgenden Einigung der drei nichtkommunistischen Gewerkschaften auf Spitzenebene im „Führerkreis der vereinigten Gewerkschaft" eine Antizipation der Einheitsgewerkschaft sehen kann, ist strittig (vgl. Beier 2 0 7 - 2 4 2 ) . Die gemeinsame Erfahrung der verschiedenen Richtungen von Verbot, Verfolgung und Widerstand während der NSZeit hat zweifellos zur Realisierung des schon lange vor 1933 erwogenen Konzepts der Einheitsgewerkschaft nach 1945 beigetragen. Der Neuaufbau der Gewerkschaften nach 1945, der in den Westzonen durch alliierte Auflagen (Gründung „from the bottom up") verzögert, in der Ostzone besonders forciert wurde, wurde überwiegend von den alten Funktionären der Weimarer Zeit getragen, wenn es auch mancherorts - etwa im Ruhrgebiet - Impulse von der Betriebsebene her g a b . 3 Das Ziel der Einheitsgewerkschaft, das mit der Gründung des D G B 1949 erreicht wurde, stand dabei von Anfang an für die meisten Gewerkschafter außer Frage; freilich konnten sie die Gründung der Deutschen Angestellten Gewerkschaft (DAG) und des Beamtenbundes neben der Einheitsgewerkschaft nicht verhindern. Es gelang den Gewerkschaften in der Nachkriegszeit nicht, ihre - mit der SPD großenteils konvergierenden - Neuordnungsvorstellungen durchzusetzen, Sozialisierung der großen Industrien und -»Mitbestimmung der Arbeitnehmer auf allen Ebenen („Wirtschaftsdemokratie"), durch die der traditionelle -»Kapitalismus überwunden und die neue Demokratie gesellschaftlich fundiert werden sollte. Konnte 1951 noch die Durchsetzung bzw. die Behauptung der qualifizierten Mitbestimmung in der Montanindustrie durch die Androhung von Kampfmaßnahmen erreicht werden, so unterlag der D G B schon 1952 in der Auseinandersetzung um das Betriebsverfassungsgesetz, mit dem Ergebnis, daß die Mitbestimmungsfrage auf Jahrzehnte gegen die Gewerkschaften entschieden

Gewerkschaften

190

war. Auch in der sozialliberalen Ära gelang es den Gewerkschaften nur zum Teil, ihre Mitbestimmungsforderungen im Betriebsverfassungsgesetz von 1972 und im Mitbestimmungsgesetz von 1976 durchzusetzen. Allerdings vermochten die Gewerkschaften bis in die 70er Jahre beträchtliche Einkommensverbesserungen zu erreichen, wobei hohe Wachstumsraten der Wirtschaft dafür günstige Voraussetzungen boten. Der D G B organisiert heute 4 0 % der Beschäftigten (der Organisationsgrad ist in der Bundesrepublik deutlich höher als in Italien und Frankreich, aber etwas niedriger als in England), und zwar 4 8 % der Arbeiter und 2 4 % der Angestellten. Von den 7,958 Mill. Mitgliedern sind 68% Arbeiter, 2 1 , 4 % Angestellte und 10,6% Beamte.

4. Aufgaben

und Funktion der

Gewerkschaften

Die Gewerkschaften nehmen heute eine Fülle von Aufgaben wahr. Für das einzelne Mitglied ist u. a. Beratung und Beistand in arbeitsrechtlichen Fragen (Rechtsschutz) bedeutsam. Hauptbetätigungsfeld der Gewerkschaften ist zweifellos die Verbesserung der Lohn- und Arbeitsbedingungen durch kollektive Tarifverträge, die Festlegung der Löhne (Zeit-, Stück-, Leistungslohn etc.) und der Arbeitszeit (der Wochen-, Jahres- und eventuell auch Lebensarbeitszeit), wobei die Tarifverträge auf der Ebene der Bezirke der Einzelgewerkschaften abgeschlossen werden. Mitbestimmungsmöglichkeiten haben die Gewerkschaften in der Bundesrepublik Deutschland auf Betriebs- und Unternehmensebene, auf der Ebene des Betriebes in Personal- und Sozialangelegenheiten durch die Betriebsräte, die freilich nicht identisch mit den gewerkschaftlichen Vertrauensleuten (den betrieblichen Funktionären der Gewerkschaften) sein müssen, auf Unternehmensebene in wirtschaftlichen Fragen über den Aufsichtsrat, wobei Parität nur im Bereich der Montanindustrie besteht. Institutionalisierte Mitwirkungsmöglichkeiten besitzen die Gewerkschaften u. a. auch im Sozialversicherungswesen, bei den Arbeitsgerichten und den Arbeitsverwaltungen. Um ihre Funktionäre zur Wahrnehmung der Beteiligungsrechte zu befähigen, haben die Gewerkschaften ein breit ausgebautes Bildungswesen entwickelt. Die Gewerkschaften versuchen auch im politischen Bereich die Interessen ihrer Mitglieder wahrzunehmen: durch Ausweitung der Mitbestimmung, durch eine Wirtschaftspolitik der Vollbeschäftigung, durch eine Bildungspolitik, die die Benachteiligung von Arbeiterkindern überwindet, oder durch eine Außenpolitik, die auf Entspannung und Abrüstung zielt. Zweifellos haben die Gewerkschaften ihre Interessensphären seit 1945 stark ausgedehnt, sie erstrecken sich inzwischen auf fast alle Gebiete der Politik und des öffentlichen Lebens, was insofern logisch erscheint, als eine von der Komplexität heutigen staatlich-gesellschaftlichen Lebens absehende Interessenvertretung unmöglich ist. Mit dem Ziel der politischen Einflußnahme wirken die Gewerkschaften auf die Öffentlichkeit ein, auf die Parteien, die Ministerialbürokratie - Gewerkschaftsvertreter sitzen in ministeriellen Beiräten - , auf das Parlament und seine Ausschüsse, wobei die Zugehörigkeit zahlreicher Abgeordneter zu den Gewerkschaften nicht unwichtig ist. Die deutschen Gewerkschaften sind neben Staat und Unternehmerverbänden die wichtigsten Akteure im „neokorporatistischen" System, in dem Verbände und Staat sich durchdringen. 4 In der neueren theoretischen Diskussion über die Rolle der Gewerkschaften in westlich-kapitalistischen Systemen stehen sich im Grunde zwei Auffassungen gegenüber: die eine sieht - wie der amerikanische Gewerkschaftsführer David Dubinsky - im Kapitalismus das Wasser, in dem Gewerkschaften allein zu leben vermögen, die andere spricht anknüpfend an - > M a r x - den Gewerkschaften einen „Doppelcharakter" (Zoll) zu: Sie kämpfen „im Lohnsystem" und kämpfen „gegen das Lohnsystem". Die seit Ende der 60er Jahre vieldiskutierte Alternative, ob die Gewerkschaften als „Ordnungsfaktor oder Gegenmacht" (Schmidt) zu betrachten seien, wird man bei genauer Anschauung der politisch-gesellschaftlichen Realität auflösen müssen: „sie sind immer beides zugleich" 5 , wenn ihre Politik auch stärker „kooperativ" oder „konfliktorisch" ausgerichtet sein kann. 6 Und so wichtig die Lohnpolitik auch für die Gewerkschaftsmitglieder ist, so ist sie

Gewerkschaften

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d o c h auch ein R e g u l a t i v zur E r h a l t u n g des G l e i c h g e w i c h t s von P r o d u k t i o n s - und K o n s u m t i o n s f a k t o r e n im kapitalistischen W i r t s c h a f t s s y s t e m . M i t d e m E n d e des k o n j u n k t u r e l l e n W a c h s t u m s z y k l u s und der Krise des Industrialismus heute stehen die G e w e r k s c h a f t e n vor einer N e u o r i e n t i e r u n g , die u. a. zur Verlagerung von q u a n t i t a t i v e r zu s t ä r k e r qualitativer T a r i f p o l i t i k führen k ö n n t e , a b e r auch die F r a g e nach der G e w e r k s c h a f t s s t r u k t u r , dem Verhältnis der verschiedenen O r g a n i s a t i o n s ebenen zueinander und der i n n e r v e r b a n d l i c h e n D e m o k r a t i e stellt. 7

Anmerkungen 1

2 3

4 5

6

7

Franz Deppe, Gewerkschaften: Marxismus im Systemvergleich, Politik, Bd. 2, Frankfurt/New York 1973, 82. Zur Periodisierungsproblematik vgl. M . Schneider: ASocG 17, 4 0 4 - 4 4 4 . Vgl. Siegfried Mielke, Der Wiederaufbau der Gewerkschaften: Legenden und Wirklichkeit: Heinrich August Winkler (Hg.), Politische Weichenstellungen im Nachkriegsdeutschland 1945-1953, Göttingen 1979, 7 4 - 8 7 . Siehe Ulrich von Alemann (Hg.), Neokorporatismus, Frankfurt/New York 1981. Helga Grebing, Über die Bedingungen der Verwirklichung gewerkschaftlicher Zielsetzungen in der Parlamentarischen Demokratie: Gewerkschaftliche Monatshefte 27, 1976, H. 5, 2 5 7 - 2 6 7 . Vgl. J. Bergmann/O. Jacobi/W. Müller-Jentsch, Gewerkschaften in der Bundesrepublik. Gewerkschaftliche Lohnpolitik zwischen Mitgliederinteressen und ökonomischem Sachzwang, Frankfurt/Köln 1975, bes. 26 ff. Vgl. Manfred Wilke, Die Funktionäre. Apparat und Funktionäre im deutschen Gewerkschaftsbund, München 1979. Literatur

Zur Theorie und Systematik der Gewerkschaften: Klaus von Beyme, Gewerkschaften u. Arbeitsbeziehungen in kapitalistischen Ländern, München 1977. - Goetz Briefs, Gewerkschaften: StL 6 3 (1959) 9 2 6 - 9 4 3 . - Frank Deppe, Autonomie u. Integration. Materialien zur Gewerkschaftsanalyse, Marburg 1979. - Norbert Eickhof, Eine Theorie der Gewerkschaftsentwicklung, Tübingen 1973. Anton Pelinka, Gewerkschaften im Parteienstaat. Ein Vergleich zwischen dem Dt. u. dem österr. Gewerkschaftsbund, Berlin 1980. - Eberhard Schmidt, Ordnungsfaktor öder Gegenmacht. Die politische Rolle der Gewerkschaften, Frankfurt 1971 2 1972. - Michael Schneider, Gewerkschaften u. Emanzipation: ASocG 17 (1977) 4 0 4 - 4 4 4 . - Reinhard Zoll, Der Doppelcharakter der Gewerkschaften. Zur Aktualität der Marxschen Gewerkschaftstheorie, Frankfurt 1976. Zur Geschichte der deutschen Gewerkschaften: Willy Albrecht, Fachverband - Berufsgewerkschaft - Zentralverband. Organisationsprobleme der dt. Gewerkschaften 1870-1890, Bonn 1982. Gerhard Beier, Einheitsgewerkschaft. Zur Gesch. eines organisatorischen Prinzips der dt. Arbeiterbewegung: ASocG 13 (1973) 2 0 7 - 2 4 2 . - Hans-Joachim Bieber, Gewerkschaften in Krieg u. Revolution. Arbeiterbewegung, Industrie, Staat u. Militär 1 9 1 4 - 1 9 2 0 , 2 Bde., Hamburg 1981. - Gérard Braunthal, Der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund, Köln 1981. - Ulrich Engelhardt, „Nur vereinigt sind wir stark". Die Anfänge der dt. Gewerkschaftsbewegung 1862/63 bis 1869/70, 2 Bde., Stuttgart 1977. - Johannes Kolb, Metallgewerkschaften in der Nachkriegszeit, Frankfurt 1970. Hans Mommsen (Hg.), Arbeiterbewegung u. industrieller Wandel. Stud. zu gewerkschaftlichen Organisationsproblemen im Reich u. an der Ruhr, Wuppertal 1980. — John A. Moses, Trade Unions in Germany from Bismarck to Hitler 1 8 6 9 - 1 9 3 3 , 2 Bde., London 1982. - Theo Pirker, Die blinde Macht. Die Gewerkschaftsbewegung in der Bundesrepublik, 2 Bde., Hamburg 2 1979. - Heinrich Potthoff, Gewerkschaften u. Politik zwischen Revolution u. Inflation, Düsseldorf 1979. - Michael Schneider, Die christlichen Gewerkschaften 1 8 9 4 - 1 9 3 3 , Bonn 1982. - Klaus Schönhoven, Expansion u. Konzentration. Stud. zur Entwicklung der Freien Gewerkschaften im Wilhelminischen Deutschland 1890 bis 1914, Stuttgart 1980. - Heinz Oskar Vetter (Hg.), Vom Sozialistengesetz zur Mitbestimmung, Köln 1975. Zur Geschichte der westeuropäischen Gewerkschaften: Jean Bron, Histoire du mouvement ouvrier français, 2 Bde., Paris 1968 u. 1970. - Siegfried Mielke (Hg.), Internationales Gewerkschaftshb., Opladen 1982. - Henry Pelling, A History of British Trade Unionism, London 2 1972. Bernd F a u l e n b a c h

Gewissen I

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Neues Testament M i t t e l a l t e r und R e f o r m a t i o n s z e i t Neuzeit/Ethisch Praktisch-theologisch

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I. Philosophisch 1. Zur Forschungslage der Lehre vom Gewissen 1. Zur

2. Zur Geschichte des Wort-und Begriffsgebrauchs 3. Zur Geschichte 4. Zur Gewissensdiskussion im 20. Jahrhundert (Literatur S. 213)

Forschungslage

W i s s e n s c h a f t l i c h e A b h a n d l u n g e n zum T h e m a „ G e w i s s e n " legen r e g e l m ä ß i g G e w i c h t a u f die F r a g e , wie das G e w i s s e n ,im eigentlichen Sinne' begrifflich und m e t h o d i s c h zu b e s t i m m e n sei und i n s b e s o n d e r e , welche begrifflichen R i c h t i g s t e l l u n g e n ' gegenüber historisch ü b e r k o m m e n e n u n d / o d e r von anderen gegenwärtigen A u t o r e n vertretenen Definitionen v o r z u n e h m e n sind. D e n n o c h - oder gerade deswegen - zählt der Begriff Gewissen „zu den uneinheitlichsten und u m s t r i t t e n s t e n " (Stelzenberger: H T h G 1 , 5 1 9 ) . V i e l f a c h zitiert wird R . - > R o t h e , der bereits im vorigen J h . forderte, das W o r t G e w i s s e n wegen seiner Vieldeutigkeit und W i d e r s p r ü c h l i c h k e i t aus wissenschaftlichen A b h a n d l u n g e n über E t h i k zu entfernen (vgl. R o t h e , T h e o l . E t h i k , II 1 8 6 2 , 2 1 - 2 9 ) . I m 2 0 . J h . hat sich die K l a g e über begrifflichen „ M i ß b r a u c h " und „ m y s t i s c h e s D u n k e l " ( J o d l ) , über die „ l a b y r i n t h i s c h e Vieldeutigkeit des B e g r i f f s " (Stoker), ü b e r die „ b a bylonische S p r a c h v e r w i r r u n g " (Stelzenberger) im einschlägigen S c h r i f t t u m erheblich verstärkt ( N a c h w e i s : B l ü h d o r n 4 f ) . D i e begrifflichen Schwierigkeiten sind A u s d r u c k der s o w o h l auf den verschiedenen G e b i e t e n f a c h w i s s e n s c h a f t l i c h e r F o r s c h u n g wie auch in der T h e o l o g i e - und Philosophiegeschichte zu T a g e getretenen unterschiedlichen wissenschaftlichen Auffassungen in den G r u n d f r a g e n der G e w i s s e n s f o r s c h u n g : Sie betreffen - vereinfacht - das ,Wesen' des G e wissens, seine , E n t s t e h u n g ' , , E n t w i c k l u n g ' und ,Erziehung' sowie seinen , G e l t u n g s a n spruch'. D i e F r a g e n n a c h der E n t s t e h u n g des G e w i s s e n s und seiner E n t w i c k l u n g sind i n s b e s o n dere seit M i t t e des 19. J h . verstärkt in den Vordergrund getreten, als im Z e i c h e n des E v o l u t i o n i s m u s p s y c h o - , sozio- und biogenetische E r k l ä r u n g s v e r s u c h e in der G e w i s s e n s forschung Platz griffen. I m 2 0 . J h . haben besonders die p s y c h o a n a l y t i s c h e Schule und die empirisch-analytisch orientierte S o z i a l f o r s c h u n g die Fragestellungen der G e w i s s e n s f o r schung erweitert und verändert. Seither ist das G e w i s s e n nicht m e h r nur T h e m a der Philosophie und der T h e o l o g i e , sondern verstärkt der P s y c h o l o g i e , der Soziologie und der R e c h t s w i s s e n s c h a f t g e w o r d e n , w o b e i m e t h o d i s c h , begrifflich und insbesondere sachlich die F o r s c h u n g dieser Disziplinen in z u n e h m e n d e r E r w e i t e r u n g von W i s s e n und B e w u ß t s e i n auseinandergetreten ist. Sachlich tritt neben die Auffassung und D e u t u n g des Gewissens als individuelles und personales P h ä n o m e n n u n m e h r verstärkt seine U n t e r s u c h u n g als soziales P h ä n o m e n . D i e Forschungsergebnisse der genannten Disziplinen stellten und stellen eine H e r a u s forderung der P h i l o s o p h i e und T h e o l o g i e dar: D i e L e h r e n vom sozialen U r s p r u n g des Gewissens, die A u f n a h m e des G e d a n k e n s der E n t w i c k l u n g und der E r z i e h u n g des G e w i s sens, seiner empirisch-historischen, sozialen und institutionellen E n t s t e h u n g s - und E n t wicklungsbedingungen, führten zu einer R e i h e divergierender gewissenstheoretischer L ö sungsversuche der philosophischen G r u n d f r a g e n nach d e m Verhältnis v o n Sein und W e r den des Gewissens und seines Begriffes wie seines A u t o r i t ä t s - und G e l t u n g s a n s p r u c h e s . In und d u r c h die hier auftretenden und b e w u ß t werdenden Divergenzen zeigt sich die G e w i s s e n s f o r s c h u n g als a b h ä n g i g von e i n e m ,Vorverständnis' der den und die M e n s c h e n

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2. Zur Geschichte des Wort-und Begriffsgebrauchs 3. Zur Geschichte 4. Zur Gewissensdiskussion im 20. Jahrhundert (Literatur S. 213)

Forschungslage

W i s s e n s c h a f t l i c h e A b h a n d l u n g e n zum T h e m a „ G e w i s s e n " legen r e g e l m ä ß i g G e w i c h t a u f die F r a g e , wie das G e w i s s e n ,im eigentlichen Sinne' begrifflich und m e t h o d i s c h zu b e s t i m m e n sei und i n s b e s o n d e r e , welche begrifflichen R i c h t i g s t e l l u n g e n ' gegenüber historisch ü b e r k o m m e n e n u n d / o d e r von anderen gegenwärtigen A u t o r e n vertretenen Definitionen v o r z u n e h m e n sind. D e n n o c h - oder gerade deswegen - zählt der Begriff Gewissen „zu den uneinheitlichsten und u m s t r i t t e n s t e n " (Stelzenberger: H T h G 1 , 5 1 9 ) . V i e l f a c h zitiert wird R . - > R o t h e , der bereits im vorigen J h . forderte, das W o r t G e w i s s e n wegen seiner Vieldeutigkeit und W i d e r s p r ü c h l i c h k e i t aus wissenschaftlichen A b h a n d l u n g e n über E t h i k zu entfernen (vgl. R o t h e , T h e o l . E t h i k , II 1 8 6 2 , 2 1 - 2 9 ) . I m 2 0 . J h . hat sich die K l a g e über begrifflichen „ M i ß b r a u c h " und „ m y s t i s c h e s D u n k e l " ( J o d l ) , über die „ l a b y r i n t h i s c h e Vieldeutigkeit des B e g r i f f s " (Stoker), ü b e r die „ b a bylonische S p r a c h v e r w i r r u n g " (Stelzenberger) im einschlägigen S c h r i f t t u m erheblich verstärkt ( N a c h w e i s : B l ü h d o r n 4 f ) . D i e begrifflichen Schwierigkeiten sind A u s d r u c k der s o w o h l auf den verschiedenen G e b i e t e n f a c h w i s s e n s c h a f t l i c h e r F o r s c h u n g wie auch in der T h e o l o g i e - und Philosophiegeschichte zu T a g e getretenen unterschiedlichen wissenschaftlichen Auffassungen in den G r u n d f r a g e n der G e w i s s e n s f o r s c h u n g : Sie betreffen - vereinfacht - das ,Wesen' des G e wissens, seine , E n t s t e h u n g ' , , E n t w i c k l u n g ' und ,Erziehung' sowie seinen , G e l t u n g s a n spruch'. D i e F r a g e n n a c h der E n t s t e h u n g des G e w i s s e n s und seiner E n t w i c k l u n g sind i n s b e s o n dere seit M i t t e des 19. J h . verstärkt in den Vordergrund getreten, als im Z e i c h e n des E v o l u t i o n i s m u s p s y c h o - , sozio- und biogenetische E r k l ä r u n g s v e r s u c h e in der G e w i s s e n s forschung Platz griffen. I m 2 0 . J h . haben besonders die p s y c h o a n a l y t i s c h e Schule und die empirisch-analytisch orientierte S o z i a l f o r s c h u n g die Fragestellungen der G e w i s s e n s f o r schung erweitert und verändert. Seither ist das G e w i s s e n nicht m e h r nur T h e m a der Philosophie und der T h e o l o g i e , sondern verstärkt der P s y c h o l o g i e , der Soziologie und der R e c h t s w i s s e n s c h a f t g e w o r d e n , w o b e i m e t h o d i s c h , begrifflich und insbesondere sachlich die F o r s c h u n g dieser Disziplinen in z u n e h m e n d e r E r w e i t e r u n g von W i s s e n und B e w u ß t s e i n auseinandergetreten ist. Sachlich tritt neben die Auffassung und D e u t u n g des Gewissens als individuelles und personales P h ä n o m e n n u n m e h r verstärkt seine U n t e r s u c h u n g als soziales P h ä n o m e n . D i e Forschungsergebnisse der genannten Disziplinen stellten und stellen eine H e r a u s forderung der P h i l o s o p h i e und T h e o l o g i e dar: D i e L e h r e n vom sozialen U r s p r u n g des Gewissens, die A u f n a h m e des G e d a n k e n s der E n t w i c k l u n g und der E r z i e h u n g des G e w i s sens, seiner empirisch-historischen, sozialen und institutionellen E n t s t e h u n g s - und E n t wicklungsbedingungen, führten zu einer R e i h e divergierender gewissenstheoretischer L ö sungsversuche der philosophischen G r u n d f r a g e n nach d e m Verhältnis v o n Sein und W e r den des Gewissens und seines Begriffes wie seines A u t o r i t ä t s - und G e l t u n g s a n s p r u c h e s . In und d u r c h die hier auftretenden und b e w u ß t werdenden Divergenzen zeigt sich die G e w i s s e n s f o r s c h u n g als a b h ä n g i g von e i n e m ,Vorverständnis' der den und die M e n s c h e n

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be- o d e r m i t b e s t i m m e n d e n O r d n u n g e n : D i e Auffassungen des G e w i s s e n s , seiner Inhalte und F u n k t i o n e n sind und waren A u s d r u c k des Selbst- und Weltverständnisses von M e n schen, G r u p p e n und Institutionen, wie sich e x e m p l a r i s c h an den Gewissenslehren der christlichen K i r c h e n , a b e r a u c h des S t a a t e s einschließlich seiner höchstrichterlichen R e c h t s p r e c h u n g (z. B. zu Art. 4 Grundgesetz: Gewissensfreiheit, Kriegsdienstverweigerung) zeigt. In verschiedenen neueren Veröffentlichungen werden d a h e r Darstellungen der G e w i s s e n s p r o b l e m a t i k aus verschiedener Sicht nebeneinandergestellt, z . B . aus jüdischer, k a tholischer, p r o t e s t a n t i s c h e r , p s y c h o a n a l y t i s c h e r etc. (vgl. z . B . D a s G e w i s s e n , Stud. aus dem C . - G . - J u n g - I n s t i t u t Z ü r i c h ) . D e r e n t s t a n d e n e sachliche und begriffliche P l u r a l i s m u s ' in der G e w i s s e n s f o r s c h u n g steht weiterhin in engem Z u s a m m e n h a n g mit der Verbreitung s ä k u l a r e r und w i s s e n s c h a f t l i c h - r a t i o n a l e r Lebensgestaltung, verbunden mit Ansprüchen . e m a n z i p a t o r i s c h e r ' Individualisierung. Ihr entspricht eine Veränderung von G e w i s s e n s e r f a h r u n g e n und der D e u t u n g von G e w i s s e n s k o n f l i k t e n , denen h e r k ö m m l i c h e m o r a l i s c h e Gewissenslehren mit der Auffassung des Gewissens als d e m subjektiven B e wußtsein v o m sittlichen Wert o d e r U n w e r t des eigenen Verhaltens im Spannungsfeld von S c h u l d , G e b o t und G e h o r s a m allein nicht m e h r genügen. Weiterhin d a r f der Anteil der T h e o l o g i e - und P h i l o s o p h i e g e s c h i c h t e an der H e r a u s b i l d u n g der Vielfalt und Vieldeutigkeit des Gewissensbegriffs nicht übersehen werden: H i s t o r i s c h setzen z . B . die Versuche, einen einheitlichen Begriff und eine L e h r e des G e w i s s e n s zu explizieren, in der - » S c h o l a stik ein, a b e r bereits Luthers neuer, t r a n s m o r a l i s c h e r Gewissensbegriff, abgeleitet aus der E r f a h r u n g der R e c h t f e r t i g u n g durch den G l a u b e n , b r i c h t nicht nur mit der S c h o l a s t i k , er findet sich auch weder bei —»-Paulus n o c h bei —»Augustinus, w o r a u f zu R e c h t P. —»Tillich hinweist (vgl. D e r P r o t e s t a n t i s m u s , Prinzip u. W i r k l i c h k e i t , Stuttgart 1 9 5 0 , 191). F ü r die P h i l o s o p h i e allgemein b e t o n t E . S p r a n g e r (Die Individualität des Gewissens u. der S t a a t : L o g o s 2 2 , 1 7 1 ) zutreffend, d a ß Definitionen philosophischer Zentralbegriffe wie des Gewissens i m m e r im R a h m e n eines philosophischen Systems aufgestellt sind, d . h . (wiederum vereinfacht) d a s , W e s e n ' des G e w i s s e n s —und mit ihm die F r a g e nach dem O r t , dem S u b j e k t und den Inhalten des G e w i s s e n s - wird in P h i l o s o p h i e n , die z . B . einem - » R a t i o n a l i s m u s (Intellektualismus, Intuitionismus) nahestehen, n o t w e n d i g anders definiert als in s o l c h e n , die eine voluntaristische, e m o t i o n a l i s t i s c h e , personalistische etc. G r u n d p o s i t i o n vertreten. D i e Versuche, den sachlichen und begrifflichen P l u r a l i s m u s ' in der G e w i s s e n s f o r schung zu ü b e r w i n d e n , sind zahlreich. Vereinfacht und sehr allgemein lassen sich zwei G r u n d f o r m e n des Vorgehens unterscheiden: 1.1 T h e o r i e n , die v o m Wesen des G e w i s sens, seiner S c h a u o d e r seiner B e s t i m m u n g , ausgehen, und 1.2 T h e o r i e n , die seine sachliche und begriffliche Entstehungs- und E n t w i c k l u n g s g e s c h i c h t e , sei es aufgrund empirischer oder historischer, sei es aufgrund individueller oder sozialer F a k t o r e n , zum Ausg a n g s p u n k t n e h m e n . Beiden Ansätzen ist die A b s i c h t g e m e i n s a m , sachlich und begrifflich s o w o h l zu einer allgemeinen B e s t i m m u n g des G e w i s s e n s zu k o m m e n , wie auch den variablen F a k t o r e n seiner E n t s t e h u n g und E n t w i c k l u n g R e c h n u n g zu tragen. E x e m p l a r i s c h für die erste G r u n d f o r m wird hier der w e s e n s p h ä n o m e n o l o g i s c h e Ansatz S t o k e r s angeführt (vgl. H . G . S t o k e r , D a s G e w i s s e n . E r s c h e i n u n g s f o r m e n u. T h e o rien, B o n n 1 9 2 5 ) , die zweite G r u n d f o r m begegnet, teilweise implizit, teilweise explizit, in jüngeren philologischen und philosophiegeschichtlichen Untersuchungen zur Entstehungs-, E n t w i c k l u n g s - und Begriffsgeschichte des Gewissens. 1.1. Kritisch gegenüber der vorgefundenen Vieldeutigkeit des Gewissensbegriffs, glaubt Stoker, „nicht die Theorien, nicht die Geschichte des Problems, sondern die objektive Wirklichkeit, das wirklich erlebte ,Gewissen' als Ausgangspunkt" (3) nehmen zu können. Stoker geht also ungeschichtlich vor. Das objektiv wirklich bestehende Gewissen soll in seiner Tiefe beschreibend erfaßt und in seinem Sinn verstanden werden, wobei „Urphänomene des Gewissens" (6), ein „Kern des Gewissens" (XIII), ein „Wesen" des Gewissens (vgl. Abschnitt B der Monographie) als Leitfaden und Ermöglichung einer Wesensanalyse vorausgesetzt werden.

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Obgleich der „Kern des Gewissens", den Stoker als emotionell kundgegeben, objektiv, personal und absolut versteht, von den „Schalen des K e r n s " als Inbegriff historisch-relativer Faktoren zu unterscheiden ist (XIIIf), sollen „beide Seiten des Gewissens" aufeinander bezogen bleiben, wobei gerade das „ W e s e n " des Gewissens trotz allen historischen Wandels eine Konstanz und Eindeutigkeit der geschichtlichen Erscheinung des Gewissens und seiner begrifflichen Fassung verbürge.

Stokers zweifellos bedeutsame und herausragende Untersuchung läßt Schwierigkeiten deutlich werden, die charakteristisch sind für die wesensontologisch und aphoristisch verfahrenden Theorien der ersten Grundform: Zuzustimmen ist zunächst der Kritik M . -•Schelers (vgl. Vorrede des Hg. [XI] zu Stoker), derzufolge Stoker „ebensosehr den sozialen als den evolutiven F a k t o r " unterschätze, die dem Gewissen zukämen. Damit überschätze er auch „die Konstanz und die Eindeutigkeit seiner geschichtlichen Erscheinung". Denkt Scheler insbesondere an den sozialen Faktor im Hinblick auf Bildung und Entwicklung des Gewissens, so ist diese Kritik zu erweitern, insoweit Stokers Gewissensbegriff ausschließlich auf das „individualgültige B ö s e " , auf Schuld und Verantwortung bei Verletzung individualgültiger Pflichten, bezogen bleibt, wohingegen das Problem des „allgemeingültigen B ö s e n " und der Verletzung „allgemeingültiger Pflichten" zwar erwähnt (257 f), aber nicht entfaltet wird. Stoker endet bei einem „konsequenten Personalismus des G e w i s s e n s " (259), der im Hinblick auf seine Voraussetzung eines „ K e r n s " des Gewissens, den er als personal, absolut und emotionell kundgegeben annimmt, zwar konsequent ist, der im Hinblick auf die Gewissenstheorien etwa -»-Kants oder insbesondere -> Hegels eine Problemverkürzung vornimmt, insofern als diese Denker Individuum und Person nicht nur als einzelne Subjekte, sondern stets auch als Repräsentanten eines überindividuellen Vernunfts- und Geschichtszusammenhanges verstanden. 1.2. Die prinzipielle Schwierigkeit, das apriorisch bestimmte oder wesensphänomenologisch geschaute Wesen des Gewissens und seine vielfältigen Entstehungs- und Entwicklungsformen historischer und begrifflicher Erscheinung vermitteln zu müssen, scheint von vornherein die zweite Grundform des Vorgehens zu vermeiden. Es handelt sich um Theorien und Konzepte, die, anknüpfend an die geschichtliche und/oder sprachliche Bestimmtheit des Gewissensbegriffs, über eine möglichst umfassende Aufarbeitung des jeweiligen Begriffsgebrauches sowie durch Aufklärung seiner Entstehungs- und Bedeutungsgeschichte Begriffs- und Systemwillkür vermeiden und sachliche und begriffliche Bestimmungen des Gewissens aus seiner Entstehungs-, Entwicklungs- und Begriffsgeschichte glauben herleiten zu können. Die ,Geburt des Gewissens' wird hierbei weit in die Antike und ihre Hochkulturen zurückverlegt (vgl. J . H . Breasted, Die Geburt des Gewissens. Die Entwicklung des moralischen Verhaltens im kulturgesch. Verlauf Alt-Ägyptens, Zürich 1950). Exemplarisch für die Auffassung und Untersuchung des „Gewissen(s) als ein G e w o r d e n e s " - in ausdrücklicher Entgegensetzung zu Auffassungen, die „das Gewissen als Seiendes, seit jeher Existierendes", voraussetzen - sei hier verwiesen auf U. Stebler (vgl. Entstehung u. Entwicklung des Gewissens im Spiegel der griech. Tragödie, Bern 1971, Z i t a t e 11), die der Frage, „wie und wodurch der Mensch zum Gewissen k o m m e n k o n n t e " (18), und dem Gesichtspunkt „der allmählichen Bildung und Wandlung des Gewissens" (14), seinen „Vorstufen" (12), den historisch psychologischen Bedingungen „für die Bildung des eigentlichen Gewissens" (12) besonderes Gewicht zumißt.

Das eigentliche Gewissen hat schon Hegel als Ergebnis „der moralischen Ausbildung der modernen Z e i t " (Hegel, Werke 12 [ed. Glockner] 374) angesprochen. Insbesondere durch ihn ist der Philosophie auch die entwicklungsgeschichtliche Betrachtungsweise und der Gedanke einer fortschreitenden Entwicklung — speziell auch des Gewissens bekannt. Er vertrat bereits den Standpunkt, bei den Griechen sei noch nicht vorhanden, „was wir Gewissen n e n n e n " (a.a.O. 18,96), es fehle der Antike „die innere Reflexion z . B . des Gewissens bei der Entscheidung dessen, was gut und schlecht sei" (a.a.O. 12,374), überhaupt sei in der Antike „die menschliche Individualität noch nicht bis zur Spitze der Innerlichkeit heraufgedrungen" (a.a.O. 13,43).

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Innerlichkeit', das ,Innere',,innere Reflexion', entfaltete ,menschliche Individualität' sind Qualitäten, die auch nach Hegel allgemein in den Versuchen einer Bestimmung des Gewissens Berücksichtigung finden. Das Gewissen als „innere und individuelle Lebensm a c h t " ( M a x Scheler, Vorrede zu Stoker, X ) ist bei Hegel aber noch Ausdruck und Ausfluß des Prinzips „der christlichen F r e i h e i t " , durch die „ein O r t in das Innerste des Menschen gesetzt worden, auf den es allein a n k o m m t , in dem er nur bei sich und bei G o t t ist; und bei G o t t ist er nur als er selbst, im Gewissen soll er zu H a u s e sein bei sich. Dies H a u s r e c h t soll nicht durch andere gestört werden können; es soll niemand sich anmaßen, darin zu g e l t e n " (Werke 1 9 , 2 5 6 f ) . Hegels Ansatz wird in der jüngeren Gewissensforschung nicht diskutiert, das angesprochene Problem hat keine Lösung gefunden, sondern tritt insbesondere in den Untersuchungen, die, historisch orientiert, philologisch, theologie- und philosophiegeschichtlich die Entstehung und Entwicklung des Gewissens und seines Begriffes untersuchen, stets a u f bei dem Versuch einer Bestimmung ,des Gewissens', „ a u f Grund deren Abstand und Ü b e r e i n s t i m m u n g " (Stebler, a . a . O . 12) früherer Entwicklungsstufen festgestellt werden können. Dieses Vorgehen ist dem V o r w u r f ausgesetzt, ein vollendetes Selbstbewußtsein der geschichtlichen G e g e n w a r t vorauszusetzen. Die Bemerkung Sprangers ist zutreffend: „ D e r Standpunkt des persönlichen Gewissens gilt vielen als die höchste ethische Entstehungsstufe der modernen W e l t " ( a . a . O . 171), aber sowohl im Hinblick auf den gegenwärtigen kontroversen Stand der Gewissensdiskussion und seiner umstrittenen begrifflichen Bestimmung wie auch gegenüber dem historischen Entwicklungsprozeß erscheint das Verfahren Steblers als dogmatische Festsetzung. Insbesondere entwicklungs- u. begriffsgeschichtlich vorgehende Untersuchungen müßten dem U m s t a n d Rechnung tragen, daß es der geschichtlichen Entwicklung an Abgeschlossenheit fehlt, ein Problem, das wiederum im Anschluß an Hegel in der Philosophie bewußt geworden ist. Das angesprochene Problem scheint vermieden zu sein, wenn man, wie z. B. P. ->Tillich (vgl. Der Protestantismus 181), von folgenden Prämissen ausgeht: „Immer und überall zeigt der Mensch so etwas wie Gewissen, aber dessen Inhalte sind einem ständigen Wechsel unterworfen." Mit Tillich ist dann die Frage zu stellen: „Wie ist das Verhältnis zwischen Form und Inhalt des Gewissens?" Im Rahmen seiner Untersuchung „Zur Vorgeschichte des Gewissens-Begriffs im altgriechischen Denken" (FS F. Dornseiff, Leipzig 1953, 2 9 1 - 3 1 9 ) geht Otto Seel dieser Frage in der Gestalt nach, daß er nach dem „Verhältnis von Konstanz und Variabilität im Menschlichen" (296) fragt. Er bezeichnet als sich wandelndes Formales „die Weisen und Möglichkeiten der Selbstaussage . . . eines - an und für sich mindestens der Anlage nach vorgegebenen, beharrenden - Sachverhaltes". Dem Wandel unterliege weiterhin „die Welt des Nomos, der Sitte", „jedes System der Werte", beharrend ist ein Sachverhalt, anders ausgedrückt: Wandelbar „ist nicht das Wesen, sondern die Form, so tief auch ,Form' in die menschliche Grundbefindlichkeit einzugreifen vermag" (315). Das Wort Gewissen bezeichnet nach Seel „einen anthropologischen Sachverhalt" (319), als solcher ist es „unabhängig von der jeweiligen Aussageweise oder auch jenseits aller Aussagbarkeit, als gegeben vorauszusetzen, mag es sich nun symbolisch oder ,allegorisch', mag es sich in Objektivationen welcher Art auch immer vermummen oder sich ausschweigen" (297). Seels Voraussetzung bestimmt zugleich Aufgabe und Möglichkeiten einer Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte des Gewissens; es ist nicht „aus dem Nichts entdeckt und geschaffen", sondern es wurde „nach und nach, und zumeist viel früher als man wahrhaben will, durch gestaltende Aussage ins Bewußtsein gerückt" (298). Seels Neubestimmung des Verhältnisses von „Konstanz und Variabilität im Menschlichen" im allgemeinen, von Gewissen als vorgegebenem, beharrenden anthropologischen Sachverhalt und der historischen Vielfalt seiner Aussageweisen im besonderen unterscheidet sich von wesensphänomenologisch oder aprioristisch vorgehenden Ansätzen der ersten Grundform zunächst dadurch, daß Gewissen für Seel nur „der Anlage nach vorgegeben", ein beharrender Sachverhalt ist, es wird nicht als inhaltlich bestimmt und voll entfaltet vorausgesetzt. Wandlung, Veränderung, Entwicklung betreffen die historischen Formen, die der geschichtlichen Untersuchung bedürfen. Seels These, daß aus dem Fehlen von Wörtern für Gewissen nicht folge, daß der Antike der sachliche Gehalt dessen unbekannt war, was in späteren Epochen sprachlich und begrifflich unter Gewissen gefaßt wurde, widerspricht Stebler: „Ein Dichter, der nicht von einem Gewissen spricht, ist sich eines Gewissens nicht bewußt, ein Gewissen existiert für ihn nicht" (a.a.O. 11). Darüber hinaus macht Stebler gegenüber Seel geltend, daß „seelische Verhaltensweisen" und „seelische Strukturen" sich veränderten, zeit- und epochenabhän-

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gig seien, und z w a r in einem M a ß e , d a ß z. B . „ein grundlegender Unterschied besteht zwischen dem seelischen Erleben eines O r e s t bei Aischylos und demjenigen eines O r e s t bei Euripides" ( a . a . O . 11), bei derart grundlegenden Unterschieden k ö n n e auch das „Gewissen nicht dasselbe s e i n " . Diese Streitfrage ist grundsätzlicher N a t u r .

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Im Ergebnis ist Seel nicht über eine Beschreibung der Frage nach dem „unwandelbaren W e s e n " , dem „anthropologischen Sachverhalt", der „menschlichen Grundbefindlichk e i t " und ihrem Verhältnis zu den sich wandelnden, historisch erscheinenden Formen hinausgekommen, das Unwandelbare wird behauptet und festgehalten, „so tief auch , F o r m ' in die menschliche Grundbefindlichkeit einzugreifen v e r m a g " (315). Damit ist das Grundproblem benannt, eine systematische Erörterung unterbleibt. Dennoch ist Seels Auffassung repräsentativ für das Vorgehen eines nicht unerheblichen Teils der Untersuchungen zur Geschichte des Gewissens und der Auffassung seiner historischen Entstehung und Entwicklung, wobei insgesamt freilich die Möglichkeit einer entstehungs- und begriffsgeschichtlichen Herleitung und Begründung des „Gewissens" und seiner Bestimmungen sehr kontrovers beurteilt wird. Die Differenz der angeführten Lehrmeinungen und Forschungsergebnisse läßt bereits das Grundproblem einer entwicklungs- und begriffsgeschichtlichen Darstellung des Gewissens erkennen: Keine der alten Kulturen hat einen einheitlich bestimmten Ausdruck für Gewissen (vgl. E. Westermarck, Ursprung u. Entwicklung der Moralbegriffe, Leipzig, I 1907, 8 7 - 8 9 . 1 0 3 - 1 0 5 ) , weder die griechischen noch die römischen Philosophien entwickelten einheitlich bestimmte Begriffe des Gewissens oder gar Gewissenslehren. E. —»Schwartz vertritt die These, „ d a ß das Gewissen in der hellenischen Ethik nicht die geringste R o l l e spielt" (vgl. Ethik der Griechen, Stuttgart 1951, 90), und P.W. Schönlein (Zur Entstehung eines Gewissensbegriffs bei Griechen u. R ö m e r n : R M P 112 [1969] 2 8 9 - 3 0 5 ) weist darauf hin, „ d a ß im Griechischen ein Begriff für das Gewissen nicht nur sehr spät gebildet wurde, sondern auch, als er bestand, niemals eine wirklich tragende Bedeutung erreichte, weder im Bereich der Psychologie, noch der philosophischen Ethik, noch a n d e r s w o " (296). Schönlein versucht diese T h e s e am Beispiel der Schriften Plutarchs, Epiktets und des S t o b a i o s ' Sammlung von Äußerungen über das Gewissen zu erhärten. Grundsätzlich ist M a u r e r (vgl. C. M a u r e r , Art. aövoiöa KTX: T h W N T 7 [1966] 8 9 7 - 9 1 8 ) zuzustimmen: „Von einem philosophisch oder religiös auch nur annähernd erarbeiteten oder gar einheitlichen Gewissensbegriff in der vorchristlichen griechischen Welt kann nicht gesprochen w e r d e n " (905). Jedoch sieht auch M a u r e r eine Entwicklung, „die Wende zum Gewissen als Führungsinstanz wird vorbereitet" (906). Der Gebrauch von conscientia bei Cicero, Sallust und Seneca, die nächsthöhere historische Entwicklungsstufe (M. Class, Die Gewissensregungen in der griech. Tragödie, 1964 [Spudasmata 3] 3: „ Z w i s c h e n s t u f e " ; G . Rudberg, Cicero u. das Gewissen, 1955 [SO] 104: „Vorstufe"), soll bereits große N ä h e zu dem haben, „was wir unter Gewissen verstehen" (vgl. Seel, a . a . O . 292), jedoch soll der Gewissensbegriff - nach Seel - „erst beim Apostel Paulus in jenen allgemeinen S i n n b e z u g " eintreten, „den er dann nicht mehr verlieren sollte" (vgl. O . Seel, R ö m e r t u m u. Latinität, Stuttgart 1964, 127). Hier wird offenbar eine Entwicklungslinie vorausgesetzt, die, in der heidnisch-griechischen Antike beginnend, sich über Cicero, Seneca etc. aufstuft zu einem christlich-neutestamentlichen Gewissensbegriff, der dann für das christliche Abendland maßgebend wird. Insgesamt kann aus der vorstehenden Erörterung der Lage der Gewissensforschung sowie des Problems einer entwicklungs- und begriffsgeschichtlichen Darstellung „ d e s " Gewissens für den vorliegenden Z u s a m m e n h a n g nur die Konsequenz gezogen werden, daß angesichts des Reichtums und der historischen Vielfalt der Gewissenserörterungen in der abendländischen Philosophie- und Theologiegeschichte sowohl entwicklungs- und begriffsgeschichtliche wie systematische Zuordnungen und Reduktionen zu vermeiden sind zugunsten eines an Einzelzusammenhängen orientierten Aufweises des Wort- und Begriffsgebrauches, freilich um den Preis, daß die vielfältigen seit der Antike bis in die

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G e g e n w a r t über das G e w i s s e n g e m a c h t e n Aussagen unvermittelt und unvermittelbar — zudem unvollständig — n e b e n e i n a n d e r stehen bleiben.

2. Zur Geschichte conscientia

des Wort- und Begriffsgebrauches

von Gewissen,

syneidesis

und

2.1. Gewissen (ahd gawizzani, mhd gewizzen) fem. und neutr. ist nach J . und W. Grimm (DWb 4,1/3,6219) die verstärkte Form des substantivierten Infinitivs „wissen", die sich erst in der neuhochdeutschen Schriftsprache durchgesetzt hat. Die umfassende Grundbedeutung ist das Wissen um etwas, die Kenntnis einer Sache als Ergebnis einer Wahrnehmung. Daneben findet sich auch für das Femininum die Bedeutung Erkenntnisvermögen. Das für die ältere Sprache am meisten verbreitete Neutrum ist fast ausschließlich auf die Kennzeichnung des Erkenntnisvermögens beschränkt (vgl. DWb 4,1/3,6226). Besonders reich belegt ist der Gebrauch von Gewisse(n) seit dem 14. Jh. in der Rechtssprache (Schwabenspiegel, Stadtrechte), wo Gewisse(n) mask. Zeuge, Mitwisser, Geschworener bedeutet. Gewisse(n), fem. und neutr. ist belegt in der Bedeutung: 1. Wissen, Kenntnis, Einverständnis; 2. Einsicht, Erkenntnis (insbesondere beim Rechtsspruch); 3. Bewußtsein, Überzeugung (in bezug auf Rechtmäßigkeit eines Besitzes); 4. als Gewissen in ethischer Bedeutung in formelhaften Wendungen wie: etwas auf sein Gewissen nehmen, bei Eid und Gewissen, beim christlichen Gewissen. Weiterhin wird Gewisse(n) fem. und neutr. im Beweisrecht gebraucht im Zusammenhang von Bezeugungen (Zeugenaussage, Zeugnis, Beweis), im Sinne von: den Eid zuschieben sowie auch im Sinne von Ruf und Leumund eines Zeugen (vgl. D R W 4 , 8 0 1 - 8 0 5 ) . D i e Verbindungen zwischen dem rechtssprachlichen G e b r a u c h und der Bedeutungsentwicklung im religiösen und philosophischen S p r a c h g e b r a u c h sind nicht e r f o r s c h t , zweifellos a b e r v o r h a n d e n . F ü r L u t h e r k e n n z e i c h n e n d ist die kritische D i s t a n z zu den Juristen und der J u r i s p r u d e n z , die in seiner Fassung des Gesetzes- und Gewissensbegriffs sowie der R e c h t f e r t i g u n g s p r o b l e m a t i k begründet ist, vgl. z . B . Predigt über l . M o s . 1 5 2 3 / 2 4 ( W A 1 4 , 1 2 3 , hier auch zum regere conscientias und den legislatores conscientiarum: „ U n s e r e J u r i s t e n , wenn sie hundert J a h r e alt w e r d e n , n o c h sind sie nicht J u r i s t e n " ) . Gewissen fem. im engeren ethisch-religiösen Sinne ist zuerst u m 1 0 0 0 n . C h r . bei N o t k e r von St. G a l l e n als G l o s s e zu Ps 6 8 , 2 0 belegt, der das W o r t a b e r nur an dieser einzigen Stelle g e b r a u c h t . D e r W o r t g e b r a u c h von G e w i s s e n im ethisch-religiösen Sinne erfährt eine bisher nicht g e k a n n t e Verbreitung durch die Bibelübersetzungen und durch die Schriften der R e f o r m a t o r e n . L u t h e r s Einfluß wird es zugeschrieben, d a ß das F e m i n i n u m n u n m e h r ganz z u r ü c k w e i c h t vor d e m N e u t r u m . D i e Bibelübersetzer ( Q u e n t e l , M e n tel, Z a i n e r , L u t h e r , später Weizsäcker) folgen n a c h G r i m m ( a . a . O . 6 2 4 1 ) in der g r ö ß e r e n Z a h l der Belege der Vorlage und geben das lateinische conscientia und das griechische uvveiÖTjiJigdurch G e w i s s e n wieder, wohingegen L u t h e r in mehreren Fällen das S u b s t a n tiv Gewissen auch gegen die Vorlage einführt (vgl. 6 2 4 2 f ) , w a s s o w o h l R ü c k s c h l ü s s e a u f Luthers S p r a c h g e b r a u c h wie a u f seine W e r t s c h ä t z u n g der engeren neuen ethisch-religiösen W o r t b e d e u t u n g zuläßt. D i e Beziehung auf die weite G r u n d b e d e u t u n g tritt dort a m stärksten z u r ü c k , w o die R e g u n g e n des G e w i s s e n s in Z u s a m m e n h a n g mit göttlicher E i n w i r k u n g g e b r a c h t werden: Gewissen als F ü n k l e i n , als S t i m m e G o t t e s in der Seele, als göttliches L i c h t , als Auge G o t t e s (vgl. D W b 4 , 1 / 3 , 6 2 2 0 m i t N a c h w e i s e n ) . In diesem Verständnis w u r d e das Präfix Ge in G e w i s s e n - e n t s p r e c h e n d lat. con-scientia, griech. Kirchenlied, Sexualerziehung (-•Sexualität), -»Beichte u. a. Grundsätzlich gilt das Verdikt über jeden Versuch, Schuldgefühle zu religiösen Zwecken zu mißbrauchen. „Eine christliche Theologie und kirchliche Praxis, d i e . . . Schuldgefühle erst wecken und pflegen muß, um sie dann mit dem Wort der Vergebung wieder zu lösen, pervertiert zum reinen Selbstzweck einer lebensfeindlichen Ideologie" (Scharfenberg, Jenseits 199). Seitdem man neurotisierende Folgen solcher Gewissensskrupel erkannt hat, können diese kein legitimes Mittel noch gar irgendwie sinnvolles Ziel kirchlicher Praxis sein. Jeder Versuch der theoretischen Legitimierung oder praktischen Empfehlung des schlechten Gewissens als Zentrum einer „religiöse(n) Sicht des Menschen" (so Eckstein 59f) ist abwegig. Keinesfalls nur aus taktisch-praktischen Gründen (so bei Drescher, Gewissenserziehung 297) darf hier die theologische Dialektik von ,Gesetz und Evangelium' in eine methodische Verordnung der Thematisierung von Schuld übersetzt werden. Die oben beschriebene Notwendigkeit einer engen Beziehungserfahrung des Menschen als biographische Bedingung der Möglichkeit, ein reifes Gewissen auszubilden, verlangt nicht nur entsprechendes Handeln. Sie steht zugleich im onto-theologisch beschreibbaren Zusammenhang eines sachlichen prius der im Wort Gottes eröffneten Beziehung vor der Erfahrung trennender Schuld. Die Einsicht in die transmoralische Qualität der biblisch intendierten Befreiung der Gewissen findet ihre praktische Entsprechung wohl dort, wo nicht allein das Abwägen eines (vermeintlich zeitlosen) ,gut' und ,böse' regiert, sondern wo die Ermöglichung oder Wiederherstellung von Beziehungen zum Fluchtpunkt aller Aktion und begleitenden Reflexion gemacht wird. Dies erfordert auch praktisch-theologisch die Revision einer prinzipiellen Gehorsamsethik (-»Ethik). Perspektive dabei sollte die Anbahnung von Empathie und sachgerechter Reflexion bezüglich der sich wandelnden inneren und äußeren Konflikte der eigenen Person, des anderen wie auch ganzer Gruppen und Völker sein. 3.2. Die -*Seelsorge muß als sachliche Mitte aller hier relevanten Anstrengungen gelten. Denn sie ist faktisch und intentional weder von Unterricht noch von gottesdienstlichem Handeln zu isolieren. Gegenüber älteren poimenischen Ansätzen steht im Mittelpunkt pastoralpsychologisch orientierter Arbeit nicht,Ermahnung' oder gar Wiederherstellung eines ,guten' Gewissens. Vielmehr geht es bei der ,Seelsorge als Gespräch' wesenhaft um Beratung des in seelischer Not Befindlichen. In Rechnung zu stellen ist dabei der sozialgeschichtlich bedingte Wandel von Gewissenserfahrung und -konflikt: „ D a s gute oder böse Gewissen ist von einem ratlosen Gewissen abgelöst word e n " (Bally 151). Angesichts der Relativität auch des moralischen Anspruchsniveaus des Seelsorgers kann Gewissensbegleitung nicht mehr vorrangig ausgerichtet sein auf Einpassung des Individuums in vorgegebene Normen. Z u r Aufgabe wird es vielmehr, „Hilfe zur biographisch-personalen Integration von überindividueller N o r m und individueller Notwendigkeit im Interesse größerer Mündigkeit und Entscheidungsfreiheit" (Stollberg 154) bereitzustellen. Praktisch eingelöst werden kann dies kaum, solange der Pfarrer noch ,das Gewissen seiner Gemeinde' verkörpern soll (so noch bei Rade). Aus der Einsicht in die Verzahnung von psychischer und spezifisch religiöser Konflikthaftigkeit im

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Gewissenserleben resultiert für die K o m p e t e n z des Seelsorgers eher die Fähigkeit zur inneren Distanz auch vom eigenen Gewissensanspruch, weiterhin diejenige zur Differenzierung zwischen Gewissenskonflikten aufgrund realer Schuld und solchen aus neurotischer Befangenheit heraus. In letzteren Fällen ist unbedingt auch therapeutische K o m p e t e n z in Anspruch zu n e h m e n .

Das komplexe Aufgabenspektrum des (herkömmlichen) Gemeindepfarramts bietet mit der Wahrnehmung beratender, erziehender und zugleich verkündigender Dienste in Personalunion nicht nur einzigartige Möglichkeiten ganzheitlicher Gewissensbegleitung (Stollberg 156). In gewisser Spannung dazu steht die Erfahrung vieler Pfarrer, angesichts der Weite der Funktionen wie auch eigener Grenzen ihrer Gemeinde gegenüber permanent ein schlechtes Gewissen zu haben. Hier kommt, um der erlebbaren consolatio fratrum willen, der Entwicklung neuer Formen von Bruderschaft eine große Bedeutung zu (-•Pastoraltheologie). Derjenige, der den Gewissen anderer Trost und Vergebung zusagen soll, bedarf genauso der ihn im Gewissenskonflikt beratenden Gegenüber. Im Blick auf das Predigtamt spitzt sich das Problem noch einmal zu. Der homiletische Aufgabensektor darf zudem den seelsorgerlichen nicht verstellen. Zwar hat evangelische -•Predigt keinen moralischen Zeigefinger zu erheben. Aber dort geschieht neben der VerGewisserung zugleich ein Stück Wegweisung einschließlich der Hilfe zu verantwortlicher persönlicher Entscheidung, und dies im Rückgriff auf Offenbarung, die ihrerseits überpersönliche Geltung beansprucht. Der Prediger wird darauf zu achten haben, daß Verkündigung nach Inhalt und Form in der Gemeinde mit dem ,Hören' zugleich ein ,Zugehören' zum Wort Gottes ermöglicht, „in dem sich er prä-ethische Gehorsam konstituiert" (Ricoeur 295). Entsprechendes gilt für die Gestaltung von -»Gebet und -»Liturgie, insbesondere im Blick auf das -»Abendmahl. 3.3. Für den erziehenden Umgang mit Kindern im Raum der Kirche folgt, daß nicht schon die Wahrnehmbarkeit von Schuld im Gewissen als „pädagogischer Schlüssel der Gotteserfahrung" (Nipkow, Gott u. Gewissen 104) angesehen werden darf. Der evangelische Umgang mit den Gewissen steht bereits hier nicht mehr - wie in der katholischen Tradition bis heute (vgl. Biemer) - im Zusammenhang mit einer allgemeinen kirchlichen Moralpädagogik oder hätte diese gar zu überhöhen. Er muß vielmehr vor allem der Intention entsprechen, daß Kinder die Erfahrung versöhnter Schuld machen können, „hat dementsprechend die Aufgabe, zu einem transmoralisch-nichtnormativen Verhältnis zu Normen und Werten zum Zwecke der Freiheits- und Identitätsfindung hinzuführen" (Mokrosch, Gewissen 155f). Aus diesem Grundsatz werden sich auch praktische Konsequenzen für das Verhältnis von kirchlich mitverantwortetem -»Religionsunterricht in der Schule zu neuen Alternativfächern wie ,Ethik', ,Werte und Normen' o . a . ergeben. Einzusetzen ist bei der „Gewissenserziehung der Eltern als Voraussetzung der Gewissenserziehung der Kinder" (Stollberg 156). Der nach- bzw. außerfamilialen Sozialisation kommt hier ohnehin nur begleitende Funktion zu. Gewissensbildung als Gegenstand von Unterricht ist nur eine Form unter vielen, welche die „Grundbildung des Gewissens ergänzen und unterstützen" (Bargheer 128) kann. Ohne Rückfall in einen unevangelischen Leistungsdruck einer moralischen Vorbildpädagogik ist neben den kognitiven Inhalten vor allem der Erziehungsstil zu berücksichtigen. Inhalts- und Beziehungsebene von Unterricht müssen gerade hier in Kongruenz zueinander gebracht werden. Denn es gilt, „daß das Evangelium von der Befreiung und Versöhnung nicht unfrei vermittelt werden darf" (Nipkow, Gott u. Gewissen 109). Die generelle Strukturierung der Lernprozesse als offener Gesprächsraum sowie das Einüben von Empathie und Rollendistanz scheinen zur Vermeidung neurotisch zwanghafter Gewissensentstellung wie auch zur Anbahnung eines ganzheitlichen Verständnisses von Versöhnung sowie dem Mut zu sozialethischer Verantwortungsbereitschaft sehr hilfreich.

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Gewohnheit/Gewohnheitsrecht I

241

ten Selbstwerterlebens: EvErz 32 (1980) 2 5 9 - 2 7 2 . - Paul Ricoeur, Hermeneutik u. Psychoanalyse, München 1974. - David Riesmann, Die einsame Masse, Hamburg 1958. - Heinrich Roth, Zur pädagogischen Psychologie des Gewissens u. der Gewissenserziehung: Jb. f. Psychologie u. Psychotherapie 4 (1956) 2 2 9 - 2 4 7 . - Reinhold Ruthe, Gewissensbildung von der Wiege bis zur Pubertät, Wuppertal 1970. - Vladimir Satura, Die Genese des Gewissens psychol. gesehen: Z K T h 89 (1967) 5 1 - 5 8 . - Joachim Scharfenberg, Sigmund Freud u. seine Religionskritik, Göttingen 1968. - Ders., Jenseits des Schuldprinzips?: ders., Religion zwischen Wahn u. Wirklichkeit, Hamburg 1972, 1 8 9 - 2 0 8 . - Anette Schavan, Person u. Gewissen, Frankfurt a. M . 1980. - Georg Simmel, Uber sociale Differenzierung, 1890. - Yorick Spiegel, Hinwegzunehmen die Lasten der Beladenen. Einf. in die Sozialethik, München, 1 1 9 7 9 , 3 1 5 - 3 5 2 . - Ernst Stadter, Psychoanalyse u. Gewissen, Stuttgart 1970. - Dietrich Stollberg, Das Gewissen in pastoralpsychol. Sicht: WuD 23 (1971) 1 4 1 - 1 5 8 . - Wolfgang Trillhaas, Grundzüge der Religionspsychologie, München 1946 ( 6 3 - 8 2 ) . - Ders., Was können wir vom Gewissen erwarten?: Zs. f. prakt. Psychologie 1 (1961) 2 9 - 3 6 . - W. Vater, Können geistig Behinderte sündigen?: Das behinderte Kind 2 (1983) 7 6 - 8 0 ; 3 (1983) 8 6 - 8 8 ; 5 (1983) 7 4 - 7 7 . Heribert Wahl, Christi. Ethik u. Psychoanalyse, München 1980. - Eugen Wiesnet/Balthasar Gareis, Schuld u. Gewissen bei jugendlichen Rechtsbrechern, Düsseldorf 1976. - Hans Otto Wölber, Das Gewissen der Kirche, Göttingen 1963. - Hans Zullinger, Umgang mit dem kindlichen Gewissen, Stuttgart 1953. - Ders., Heilen statt strafen, Stuttgart 1956. Hans-Günter Heimbrock

Gewißheit -»Heilsgewißheit,

-»Wahrheit

Gewohnheit/Gewohnheitsrecht I. Altes Testament II. J u d e n t u m III. Kirchengeschichtlich IV. Kirchenrechtlich/Praktisch-theologisch

245 248 254

I. Altes Testament 1. Die Blickrichtung 2. In Primärgruppen zur Norm (Literatur S. 244) 1. Die

3. In Sekundärorganisationen

4. Vom Brauch

Blickrichtung

1.1. G e w ö h n u n g ist biologisch und psychologisch gesehen die bei allen Lebewesen zu beobachtende Einstellung auf kontinuierliche Umweltreize. M e n s c h und Tier lernen, ihre R e a k t i o n e n den Außenbedingungen anzupassen. Der Lernprozeß vollzieht sich häufig unbewußt. Angelernte Verhaltensmuster stellen sich bei entsprechenden Signalen automatisch wieder ein. Der M e n s c h ist weithin auf den E r w e r b von Gewohnheiten angewiesen, weil seine Instinkte zugunsten von Lerndispositionen zurückgedrängt sind. Die soziale Lebensweise bringt es mit sich, d a ß Gewohnheiten vorwiegend k o m m u n a l bestimmt sind. Sozial anerkannte Sitten bilden die M a t r i x für das Leben des einzelnen und sind Basis des gesellschaftlich gültigen Wert- und Handlungssystems. Das Kind w ä c h s t in die ü b e r k o m m e n e n M u s t e r hinein, deren Befolgung von den Trägergruppen eingeübt und kontrolliert wird. Das B r a u c h t u m unterliegt dem gesellschaftlichen Wandel und kann mit dem schriftlich fixierten, institutional verfestigten Rechtswesen ( - » R e c h t / R e c h t s w e s e n ) in Konflikt geraten. 1.2. Die heute z. T. problematisierten Gesetze der Gewohnheitsbildung und -funktion werden in der Antike als natürlich hingenommen. D a s Alte Testament setzt überall ein starkes israelitisches B r a u c h t u m voraus, auch wenn die spezifische Terminologie zurücktritt.

Gewohnheit/Gewohnheitsrecht I

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ten Selbstwerterlebens: EvErz 32 (1980) 2 5 9 - 2 7 2 . - Paul Ricoeur, Hermeneutik u. Psychoanalyse, München 1974. - David Riesmann, Die einsame Masse, Hamburg 1958. - Heinrich Roth, Zur pädagogischen Psychologie des Gewissens u. der Gewissenserziehung: Jb. f. Psychologie u. Psychotherapie 4 (1956) 2 2 9 - 2 4 7 . - Reinhold Ruthe, Gewissensbildung von der Wiege bis zur Pubertät, Wuppertal 1970. - Vladimir Satura, Die Genese des Gewissens psychol. gesehen: Z K T h 89 (1967) 5 1 - 5 8 . - Joachim Scharfenberg, Sigmund Freud u. seine Religionskritik, Göttingen 1968. - Ders., Jenseits des Schuldprinzips?: ders., Religion zwischen Wahn u. Wirklichkeit, Hamburg 1972, 1 8 9 - 2 0 8 . - Anette Schavan, Person u. Gewissen, Frankfurt a. M . 1980. - Georg Simmel, Uber sociale Differenzierung, 1890. - Yorick Spiegel, Hinwegzunehmen die Lasten der Beladenen. Einf. in die Sozialethik, München, 1 1 9 7 9 , 3 1 5 - 3 5 2 . - Ernst Stadter, Psychoanalyse u. Gewissen, Stuttgart 1970. - Dietrich Stollberg, Das Gewissen in pastoralpsychol. Sicht: WuD 23 (1971) 1 4 1 - 1 5 8 . - Wolfgang Trillhaas, Grundzüge der Religionspsychologie, München 1946 ( 6 3 - 8 2 ) . - Ders., Was können wir vom Gewissen erwarten?: Zs. f. prakt. Psychologie 1 (1961) 2 9 - 3 6 . - W. Vater, Können geistig Behinderte sündigen?: Das behinderte Kind 2 (1983) 7 6 - 8 0 ; 3 (1983) 8 6 - 8 8 ; 5 (1983) 7 4 - 7 7 . Heribert Wahl, Christi. Ethik u. Psychoanalyse, München 1980. - Eugen Wiesnet/Balthasar Gareis, Schuld u. Gewissen bei jugendlichen Rechtsbrechern, Düsseldorf 1976. - Hans Otto Wölber, Das Gewissen der Kirche, Göttingen 1963. - Hans Zullinger, Umgang mit dem kindlichen Gewissen, Stuttgart 1953. - Ders., Heilen statt strafen, Stuttgart 1956. Hans-Günter Heimbrock

Gewißheit -»Heilsgewißheit,

-»Wahrheit

Gewohnheit/Gewohnheitsrecht I. Altes Testament II. J u d e n t u m III. Kirchengeschichtlich IV. Kirchenrechtlich/Praktisch-theologisch

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I. Altes Testament 1. Die Blickrichtung 2. In Primärgruppen zur Norm (Literatur S. 244) 1. Die

3. In Sekundärorganisationen

4. Vom Brauch

Blickrichtung

1.1. G e w ö h n u n g ist biologisch und psychologisch gesehen die bei allen Lebewesen zu beobachtende Einstellung auf kontinuierliche Umweltreize. M e n s c h und Tier lernen, ihre R e a k t i o n e n den Außenbedingungen anzupassen. Der Lernprozeß vollzieht sich häufig unbewußt. Angelernte Verhaltensmuster stellen sich bei entsprechenden Signalen automatisch wieder ein. Der M e n s c h ist weithin auf den E r w e r b von Gewohnheiten angewiesen, weil seine Instinkte zugunsten von Lerndispositionen zurückgedrängt sind. Die soziale Lebensweise bringt es mit sich, d a ß Gewohnheiten vorwiegend k o m m u n a l bestimmt sind. Sozial anerkannte Sitten bilden die M a t r i x für das Leben des einzelnen und sind Basis des gesellschaftlich gültigen Wert- und Handlungssystems. Das Kind w ä c h s t in die ü b e r k o m m e n e n M u s t e r hinein, deren Befolgung von den Trägergruppen eingeübt und kontrolliert wird. Das B r a u c h t u m unterliegt dem gesellschaftlichen Wandel und kann mit dem schriftlich fixierten, institutional verfestigten Rechtswesen ( - » R e c h t / R e c h t s w e s e n ) in Konflikt geraten. 1.2. Die heute z. T. problematisierten Gesetze der Gewohnheitsbildung und -funktion werden in der Antike als natürlich hingenommen. D a s Alte Testament setzt überall ein starkes israelitisches B r a u c h t u m voraus, auch wenn die spezifische Terminologie zurücktritt.

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Gewohnheit/Gewohnheitsrecht I

Der Mensch dominiert (Gen 1,28, 9 , 2 ; Ps 8,7), er lernt Gutes und Böses unterscheiden (Jes 7,15). Menschen wohnen in Häusern (Dtn 2 0 , 5 ; Jes 58,7), tragen Kleidung (Gen 3 , 7 . 2 1 ) , essen Fleisch (Gen 9,3). Stammesgeschichtliche Gewohnheiten sind evident: „ M a n tut das n i c h t " (Gen 2 0 , 9 ; 2 9 , 2 6 , 3 4 , 7 ; II Sam 13,12), „ T o r h e i t " (n'bala, Dtn 2 2 , 2 1 ; J d c 2 0 , 6 ) , „ G r e u e l " (to'ebä, Prov 1 1 , 1 . 2 0 ; Dtn 1 7 , 1 . 4 f ; Ez 8,6ff) deuten auf Taburegeln. E r w e r b und Funktion von Gewohnheiten werden ganz verschieden bezeichnet: haläk, „gehen, leben", lamäd, „lernen, ü b e n " , hanäk, „ e i n ü b e n " (Prov 2 2 , 6 ! ) , sakän I, hif., „eine Art h a b e n " ( N u m 2 2 , 3 0 ! ) , etwas „ t ä g l i c h " , „jährlich" tun (Gen 3 9 , 1 0 ; I Sam 1,3), fyoq, „gewohnte O r d n u n g " (Jdc 11,39!), mispat, „Weise, Gewohnheitsrecht", darak, „Lebensweise" (vgl. Ps 101, 2ff), mä'gal, „Geleis, G e w o h n h e i t " (Jes 59,8), sä'äd, „Schritt, Lebensführung" (Prov 5,5) usw. Unsere Begriffe sind in keinem Fall völlig mit diesen Ausdrücken kongruent.

Individuelle Eigenheiten kommen also nicht in den Blick. Vielmehr ist das Erlernte, Überkommene, Gewohnte immer auf die Gruppe bezogen. Die —»Sitte ist lebenswichtig, sie wird gepflegt und nur in Grenzfällen reflektiert. 1.3. Die verschiedenen Schichten des Alten Testaments begegnen, entsprechend ihrem Sitz im Leben, den Gewohnheiten in unterschiedlicher Weise. Alte Erzählungen erwähnen zahllose Sitten. Wenn sie nicht weiterhelfen (vgl. Gen 20; 38; I Sam 14,43 - 4 5 ; 2 4 , 5 - 8 ) , muß man abweichendes Verhalten begründen. Fremde Sitten sind gefährlich (vgl. Gen 19,4-9; Jdc 6 , 1 - 6 ) . Die Rechtsüberlieferungen bauen auf dem Gewohnheitsrecht auf (vgl. Ex 2 1 , 2 3 - 2 5 ; Lev 19,32; Dtn 23,1; Ruth 4 , 1 - 1 2 ) . Die kultische Literatur spiegelt religiöse Gebräuche (z.B. Num 5 , 1 1 - 2 8 : Ordal; Ps 35,14f: Trauerriten; Ps 2 2 , 2 3 - 2 7 : Dankfeier; Joel 1 - 2 : Fasttag; Ps 132: Ladeprozession; Ex 34,18.22f: Erntefeste). Die klassischen Propheten gehen mit den Unsitten der Baalverehrung und der sozialen Ausbeutung ins Gericht (vgl. Hos 6 , 4 - 6 ; Am 5 , 4 - 1 5 ; Jes 5 , 8 - 2 4 ; Mi 3 , 1 - 1 2 ; Jer 5 , 1 - 6 ) . Sie beziehen sich dabei auf die überkommene Volksreligion (vgl. auch Jes 1 , 2 - 3 ; Jer 2 , 1 0 - 1 3 ; 6,16; 8,7; Hos 4,1 f). In der Weisheit gibt es Ansätze zu einer grundlegenden Bewertung der Sitte. Gute Verhaltensweisen garantieren ein ausgewogenes Leben (vgl. Prov). In —»Hiob und ->Kohelet wird die Effizienz der sittlichen Weltordnung massiv angezweifelt. Einen ähnlichen Reflexionsstand erreichen von anderer Warte die späten Geschichtsschreiber. Das Verhängnis kam über Israel, weil man nach den „greulichen Sitten der Heiden" (Luther; hebr.: to'"b6t häggojtm, II Reg 16,3; vgl. 17,8-12) Götzen nachläuft oder halsstarrig an eigenen Bräuchen festhält (vgl. II Chr 1 3 , 9 - 1 2 ; Neh 9 , 1 6 - 3 1 ) . Der gute Weg ist für diese Geschichtstheologen im -»Gesetz gewiesen. 2. In

Primärgruppen

Primäre und sekundäre Sozialgebilde stehen immer im Austausch miteinander. Doch lassen sich durchaus Bräuche der Kleingruppe von solchen unterscheiden, die vorwiegend auf die Volksgemeinschaft bezogen sind. 2.1. Die täglichen Lebensgewohnheiten der israelistischen Sippe, die sich aus dem Rhythmus von Weidewirtschaft und Ackerbau ergeben, sind noch kaum erforscht (vgl. Thiel 32 ff; de Vaux 1,50 f). Kleidung, Haartracht, Eß- und Schlafgewohnheiten, Gestik, Sprache usw. waren sicherlich oft im Rahmen der Gesamtstruktur bis auf die Sippenebene differenziert (vgl. den Traditionalismus der Rechabiten, Jer 35,1 - 1 1 ) . Außer den biblischen Quellen können archäologische Funde, Analogien aus der Umwelt (vgl. Kraus; Brunner-Traut) und Beobachtung der arabischen Landbevölkerung (vgl. Dalman) anschaulich machen, wie sehr die Sippe Keimzelle allen Brauchtums ist. 2.2. Rangordnung und soziale Rollen sind durch jahrtausendealte Gewöhnung festgelegt. Die Ordnung ist endogam, patrilineal, patriarchal, patrilokal, polygyn (Patai 15ff). Sie wird fraglos und klaglos hingenommen, auch wenn sie Leid verursacht (vgl. Jdc 19,22-30; II Sam 3,15 f). Witwen, Waisen, Fremde, Sklaven - Personen minderen Rechts - werden trotz offizieller Schutzbestimmungen (vgl. Ex 2 1 , 2 - 1 1 ; 2 2 , 2 0 - 2 3 ) oft genug (gewohnheitsmäßig?) ausgebeutet (vgl. Jer 3 4 , 8 - 1 6 ; Neh 5). Nur ganz selten verweist man die Gewalt des Familienchefs in Grenzen (vgl. Gen 38,26; I Sam 25,25; Prov 19,18).

Gewohnheit/Gewohnheitsrecht I

243

Doch gestattet das persönliche Miteinander gelegentlich Rollentausch (vgl. I Sam 9 , 6 - 8 ; II Reg 4,21-23). 2.3. Die ständige Notwendigkeit sich zu verständigen bringt eine Unzahl von Kommunikationsabläufen hervor. Die Sprache selbst ist kulturell vorgegeben (vgl. Dialekte; Jdc 12,5 f). In der Gruppe versteht man sich schweigend und über das gesprochene Wort hinaus (vgl. Gen 2 , 6 - 8 ; II Reg 4,40f; Prov 12,25). Die „formelhaften Wendungen" (Lande), die Grußzeremonien (vgl. Jdc 19,17-20; II Reg 9,17-19), Dialogmuster (vgl. Gen 24, I Sam 3), Erzählstrukturen (vgl. Ruth), Unterweisungsmodelle (vgl. Prov 1 - 9 ) entstammen „kommunikativen Handlungsspielen" (Hardmeier) der Intimgruppe. 2.4. Übergreifende Bräuche und Institutionen wirken auf die Gewohnheitsbildung der Primärgruppe ein. -»Liebe und -»Ehe, -»Arbeit und -»Spiel, Gütertausch und Kampf, Schule und Hofhaltung sind gemeinorientalisch vorgeprägt und werden in Israel adaptiert. Das -»Hohelied reflektiert Hochzeitsgebräuche. Es gibt Arbeits- und Trinklieder (Num 21,17f; Am 6,4-6). Reigentänze gehören zu den Festen (Jdc 21,21), Feilschen zum Gütertausch (Gen 23; Prov 20,14). Für Konflikte braucht man Vermittler (Gen 37,21 f.26f), höfische Lehrrede und Etikette sind bekannt (vgl. Prov 31,1; II Sam 14,4-20). 2.5. Der Sippenkult ist in Israel im Gegensatz zu den gleichzeitigen Großreichen für die religiöse Traditionsbildung entscheidend wichtig (vgl. Albertz). In der Frühzeit verehrt man ausschließlich den „Gott der Väter" (A. Alt; vgl. Gen 31,53 f). Der Jahweglaube verwurzelt rasch in den Sippen (vgl. Jdc 6,25-32). Kein Wunder, daß viele Gebete, Opfer, Feiern auf diesen „privaten" Umkreis zurückgehen (Gerstenberger, Mensch). Reiche Familien können sich einen Priester halten (Jdc 17). Hausgötter kommen bis in die Königszeit vor (Ex 21,6; I Sam 19,13). Sippenfeiern sind für die Angehörigen obligatorisch (I Sam 20,29). Das -> Passa ist ein Familienfest (Ex 12,3). Der Kleinkult gerät z. T. in Widerspruch zur „offiziellen Religion". 2.6. Die Sippe ist Rechtsgemeinschaft (vgl. Köhler 143 ff). Familienchefs und Dorfälteste entscheiden nach Herkommen und in eigener Autorität (vgl. Gen 38; Dtn 21,18-21; 22,13-21; Jer 35,6ff; Ruth 4,1-12). Letztlich bestimmt das Gruppenwohl, was als gut gelten soll. Die ethischen Grundnormen werden in kurzen Verbotsreihen überliefert (vgl. Ex 20,12-17; Lev 18,6-18; 19,11-18; Prov 22,22-28, Gerstenberger, Wesen; -»Dekalog). 3. In

Sekundärorganisationen

Die Gesellschaft macht „private" Bräuche und Werte dem Gesamtgefüge dienstbar. Dabei verlieren sich die„face to face"-Beziehungen (Hull). Anonyme Kontrollmechanismen treten an ihre Stelle. Israel wird der soziale, —»Jahwe der theologische Bezugspunkt. „So etwas tut man nicht in Israel" (II Sam 13,12)! „Das ist ein Greuel für Jahwe" (Dtn 7,25; Jes 1,13)! Die auf der höheren Ebene rezipierten Sitten gelten für die Sippenbeziehungen sowie für die neuen Sozialstrukturen. 3.1. Beieinander wohnende Sippen knüpfen Familienbande, und unterschiedliche Gebräuche müssen ausgeglichen werden (Gen 34). Stammesbindungen entstehen (vgl. Kaleb, Jos 15,6-14). Die Gruppen, die sich im Volk —»Israel zusammenfinden, geben in einem schmerzhaften Prozeß überkommene Eigenheiten auf und entwickeln neue Ordnungen (vgl. Jdc 5,9-23; 9,7-21; II Sam 7). Gemeinsame Interessen konsolidieren das Zusammengehörigkeitsgefühl, ohne daß die zentrifugalen Tendenzen je verschwinden (vgl. I Reg 12). Die Zentralisierung bringt u. a. einen übergreifenden Verwaltungsapparat, berufliche Spezialisierung, Geldverkehr, verstärktes Stadt-Landgefälle, Auslandsbeziehungen. 3.2. Das führt zum Aufkommen neuer wirtschaftlicher Usancen: Königssteuer und Landkonfiskation werden die Regel (I Sam 8,14 f; I Reg 21). Zinsnahme, Ersatzleistungen, Haftungen sind zu ordnen (vgl. Ex 22,2—8; Dtn 23,20f). Wie schließt man internationale

Gewohnheit/Gewohnheitsrecht I

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Wirtschaftsverträge (vgl. I Reg 5 , 1 5 - 2 6 ) ? Stehendes Heer und Bautätigkeit machen Anpassungen erforderlich (II Sam 2 3 , 8 - 3 9 ) . 3.3. Unter der politischen Zentralgewalt mit ihrer Bürokratie (vgl. II Sam 5 , 1 - 3 ; Esr 2) und feudalen Sozialstruktur (vgl. I Sam 8,14; Neh 5) wird das Leben entpersönlicht, schematisiert, ethisiert, theologisiert. Typisch ist das Gebot der Königsverehrung (vgl. I Sam 10,24; Ps 45,3.7; II Sam 16,9) und die Anbiederung des Prinzen durch Bruderkuß (II Sam 15,5). Nach außen macht sich Imponiergehabe geltend (vgl. II Sam 10; I Reg 10; II Reg 20,12f). Nach 587 v.Chr. sakralisiert die geistliche Oberschicht alle Gewohnheiten und Bräuche (vgl. Hag 2 , 1 0 - 1 4 ; Jes 58,13 f; Lev 2 1 - 2 4 ; Ez 4 0 - 4 8 ) . 3.4. Der zentrale Kult gewinnt langsam aber stetig an Bedeutung. Zunächst pflegen die Jahweheiligtümer nur die Traditionen Gesamtisraels (vgl. J o s 5,10; I Sam 1 - 4 ) . Seit David erhebt die Hauptstadt Ansprüche (vgl. II Sam 6 f), die in der Zentralisationsforderung von Dtn 12 kulminieren. Nun werden lokale Festbräuche auf Israel übertragen (vgl. Gen 3 5 , 1 - 7 ; J d c l l , 3 9 f ; Ps 48), das Passa behauptet sich innerhalb der zentralen Erntefeste (vgl. E x 12; 2 3 , 1 4 - 1 7 ; Dtn 16,1 — 17), Sabbat- und Speisevorschiften (Lev 2 3 , 1 - 3 ; Dtn 1 4 , 3 - 2 1 ) , Opfer- und Reinheitsregeln (Lev 1 - 1 3 ) werden verfeinert. Nach dem Exil sammeln priesterliche Kreise das religiöse Brauchtum in —•Priesterschrift und -»•Pentateuch (gegen Dezentralisierung?). 3.5. Die Rechtsgewohnheiten Israels sind nicht so stark zentralisiert worden. Das Königsgericht (vgl. II Sam 1 5 , 1 - 6 ; Ps 72) blieb gegenüber der Ortsgerichtsbarkeit relativ schwach (I Reg 21,8). Doch kam es im kultischen Rahmen zur Sichtung und Sammlung von Sippennormen (Lev 1 8 , 6 - 1 8 ; 1 9 , 1 1 - 1 8 ) und Rechtssätzen (Ex 2 1 - 2 3 ; Dtn 1 2 - 2 5 ) . 4. Vom Brauch zur

Norm

4.1. Die Gewohnheiten verschiedener sozialer Gruppen werden in Israel im Gefolge von Strukturwandlungen und auf verschiedenen Ebenen ständig selektiv zu anerkannten, d.h. guten Sitten verfestigt. In der zivilen und religiösen Rechtsprechung entstehen mit der Konsolidierung von Institutionen ethische Normen und Gesetze, die mit Hilfe von sozialen Kontrollmechanismen überwacht werden. 4.2. In exilisch-nachexilischer Zeit kommt dieser Prozeß unter die „geistliche Aufsicht" von Priestern, Leviten und Schriftgelehrten. Nun wird das Brauchtum gezielt durch die Gottesoffenbarung legitimiert (vgl. E x 1 9 - 3 4 ) . Das bedeutet keinesfalls im modernen Sinn eine diametrale Gegenüberstellung von Vernunft und Natur (so M . Rade, R E 18, 3 1 9 0 6 , 4 0 0 - 4 1 0 ) , G o t t und Mensch. Schon Jes 28,26 leitet den Brauch von Gott her. Doch verdeckt die theokratische Sicht der Sitte die Tatsache, daß sie selbst durch eine bestimmte Sozialstruktur mitbestimmt ist. Literatur Rainer Albertz, Persönliche Frömmigkeit u. offizielle Religion, 1978 ( C T h M 9). - Ruth Benedict, Patterns of Culture, Boston 1934 1 1 1 9 5 9 . - E m m a Brunner-Traut, Die alten Ägypter, Stuttgart 1 9 7 4 Gustav Dalman, Arbeit u. Sitte in Palästina, 7 Bde., Gütersloh 1 9 2 8 - 1 9 4 2 . - Irenaus Eibl-Eibesfeldt, Grundriß der vergleichenden Verhaltensforschung, München 1967. - E r h a r d S. Gerstenberger, Wesen u. Herkunft des „apodiktischen R e c h t s " , 1965 ( W M A N T 20). - Ders., Der bittende Mensch, 1980 ( W M A N T 5 1 ) . - N o r m a n Gottwald, T h e Tribes of Yahweh, Maryknoll 1979. - Christof Hardmeier, Texttheorie u. bibl. Exegese, München 1978. - Johannes Hempel, Das Ethos des AT, 1938 ( B Z A W 67). - Clark L. Hull, Principles of Behavior, New York 1943. - Ludwig Köhler, Der hebräische Mensch, D a r m s t a d t 2 1 9 7 6 . - Fritz R . Kraus, Vom mesopotamischen Menschen der altbabylonischen Zeit, Amsterdam 1973. - Irene Lande, Formelhafte Wendungen der Umgangssprache im AT, Leiden 1949. - Herbert Marcuse, Triebstruktur u. Gesellschaft, 1 9 5 5 , Frankfurt 1968 (Eros and C i v i l i s a t i o n ) . - N e u e Anthropologie, hg. von H . G . Gadamer, 7 Bde., Stuttgart 1 9 7 2 - 1 9 7 4 . - Raphael Patai, Sitte u. Sippe in Bibel u. Orient, Frankfurt 1962. - Johannes Pedersen, Israel, its Life and Culture, 2 Bde., London 1946. - Wolfgang Richter, Recht u. Ethos, München 1966. - Christian Sigrist, Regulierte Anarchie, Freiburg 1967. - Winfried Thiel, Die soziale Entwicklung Israels in

G e w o h n h e i t / G e w o h n h e i t s r e c h t II

245

vorstaatlicher Zeit, Neukirchen-Vluyn 1980. - Roland de Vaux, Les institutions de l'Ancien Testament, Paris 1958; dt.: Das AT u. seine Lebensordnungen, 2 Bde., Freiburg 2 1964. - Hans-Walter Wolff, Anthropologie des AT, München 1973 3 1977. E r h a r d S. G e r s t e n b e r g e r

II. J u d e n t u m

(minhag)

1. Grundsätzliches 2. Gewohnheiten mit Gesetzeskraft 3. Örtliche Bräuche mit Gesetzeskraft 4. minhag als Bezeichnung für liturgische Riten (Literatur S. 248)

1.

Grundsätzliches

Minhag ist ein technischer und deskriptiver Begriff zur Bezeichnung eines B r a u c h e s oder einer Gepflogenheit im jüdischen L e b e n . Seine A u t o r i t ä t beruht auf j e n e m K o n s e n s im V o l k , der B r ä u c h e n eigen ist. E r hat häufig G e s e t z e s k r a f t , hebt sogar oft das Gesetz selber a u f o d e r ändert es. D i e Wechselbeziehung und die gegenseitige Beeinflussung von B r a u c h und Gesetz sind, o b sie nun v o n e i n a n d e r a b h ä n g e n oder zwei verschiedene S t r ö m e in der kulturellen E n t w i c k l u n g im J u d e n t u m darstellen, s o w o h l im —• T a l m u d als auch in der nachfolgenden L i t e r a t u r G e g e n s t a n d e r h e b l i c h e n Interesses. D e r Begriff geht a u f die h e b r ä i s c h e Wurzel nahag zurück (lenken, leiten, sich aufführen, sich betragen). D a s W o r t minhag erscheint zweimal in II R e g 9 , 2 0 mit Bezug auf das L e n k e n eines Kriegswagens. Seine Verwendung im Sinne von B r a u c h oder G e w o h n h e i t k o m m t in g r o ß e r Breite im T a l m u d und in der nachfolgenden r a b b i n i s c h e n L i t e r a t u r vor. Drei grundlegende Bedeutungen des Begriffs h a b e n sich eingebürgert: 1) B r ä u c h e , die sich in der P r a x i s durchgesetzt h a b e n , verbindlich werden und Gesetzeskraft erlangen, 2) örtliche B r ä u c h e (minhag hamaqom), die an einem b e s t i m m t e n O r t Geltung gewinnen und dort G e s e t z e s k r a f t h a b e n , und 3) minhag als Bezeichnung j e eigener liturgischer R i t e n , z . B . Minhag Ashkenaz, Minhag Sefarad, Minhag America. Der Tatbestand, daß die T o r a Gesetze u n e r w ä h n t läßt, die für das L e b e n v o n h o h e r Bedeutung sind, wie z . B . detaillierte A n w e i s u n g e n über die M o d a l i t ä t e n von E r w e r b , Verlobung und H e i r a t , über Einzelheiten der Phylakterien ( G e b e t s r i e m e n ) , weist d a r a u f hin, d a ß der B r a u c h ein entscheidender F a k t o r bei der E n t w i c k l u n g des -> Gesetzes war, aus d e m sich viele Gesetze ergeben h a b e n .

2. Gewohnheiten

mit

Gesetzeskraft

D a s Vorhandensein von zahlreichen G e b r ä u c h e n im Volksleben, die als G e s e t z anerk a n n t werden, o b w o h l die T o r a keinen besonderen H i n w e i s a u f sie enthält, k a n n z. B . aus R u t h 4 , 7 erschlossen werden: D e r A u s t a u s c h eines Kleidungsstückes (in diesem Fall ein Schuh) bestätigt die Befreiung von der Leviratsehe ( h a l i s a ) und wird beschrieben als „ein B r a u c h von altersher in Israel, wenn einer eine S a c h e bekräftigen wollte, die eine L ö s u n g o d e r einen T a u s c h b e t r a f " . In J e r 3 2 , 6 ff w i e d e r u m werden die g e n a u e n Einzelheiten einer T r a n s a k t i o n von G r u n d b e s i t z geschildert, e t w a die U n t e r s c h r i f t unter die Übertragungsurkunde und die A b l a g e in einem irdenen G e f ä ß . Auch dies deutet a u f eine feste P r a x i s hin, die j e d o c h de f a c t o in keinem G e s e t z der Bibel beschrieben ist. Eine Stütze für den minhag als eine U n t e r m a u e r u n g des Gesetzes und als einen F a k t o r m i t eigener Gesetzesk r a f t findet m a n in der Schrift in Stellen wie P r o v 2 2 , 2 8 : „ V e r r ü c k e nicht die G r e n z e n von e h e d e m , die deine V ä t e r gezogen h a b e n " , oder 1,8: „ G i b a c h t , mein S o h n , a u f die U n t e r weisung deines Vaters und verlaß nicht die Weisung deiner M u t t e r " , oder D t n 1 9 , 1 4 : „ D u sollst deines N ä c h s t e n G r e n z e , die die V o r f a h r e n gezogen h a b e n , n i c h t v e r r ü c k e n " . D i e M i s c h n a und n a c h f o l g e n d der T a l m u d , die T o s e f t a s o w i e die r a b b i n i s c h e L i t e r a t u r der g a o n i s c h e n E p o c h e und bis ins M i t t e l a l t e r sind voll v o n Belegen für die — m a n c h m a l destruktive, d o c h häufig entscheidende - Bedeutung des minhag. E i n e Überlieferung, die m e h r als einmal w i e d e r a u f g e n o m m e n wird, unterstreicht die

246

Gewohnheit/Gewohnheitsrecht II

Wichtigkeit des Brauches mit den Worten: „Wenn du in eine Stadt kommst, befolge ihre Bräuche, denn als Mose in den Himmel hinaufstieg, enthielt er sich vierzig Tage und Nächte der Nahrung, und als die Engel herabkamen, um Abraham zu besuchen, nahmen sie an seinem Mahl teil - so fügte sich jeder dem Brauch des Ortes (minhag hamaqom)" (BerR 48,16 und bBM 86 b). Ja, Gott selber paßte sich vergänglichen Begräbnisbräuchen an, als er persönlich einschritt, um Mose die letzte Ehre zu erweisen (bSan 46 b). Der Richter, der über irgendein Gesetz im Zweifel ist, wird ermutigt, die Bräuche des Volkes in Augenschein zu nehmen. „Geh und sieh, was beim Volke Brauch ist, und verfahre in entsprechender Weise" (yPea 7,5,20c), oder „Geh und sieh, wie das Volk verfährt" (bPes 54 a; bBer 54 a). Das vielleicht bedeutsamste Beispiel für die entscheidende Rolle eines minhag bei der Rückgewinnung eines vergessenen Gesetzes begegnet in der folgenden, in bPes 66a überlieferten Episode: Als —»Hillel, die Bne Batyra verdrängend, seine Vorrangstellung in Fragen der ->Halacha durch den Nachweis seiner Kenntnis des Gesetzes begründet, das es zur Pflicht macht, das Passaopfer selbst am Sabbat darzubringen, daraufhin gefragt wird, wie es sich (wegen des Verbots des Tragens) verhalte, wenn man am Vorabend des Sabbats das Messer mitzubringen vergessen habe, räumt er ein, er habe die Weisung vergessen, fügt dann aber hinzu: „Überlaß es doch den Kindern Israel: Wenn sie auch keine Propheten sind, so sind sie doch Kinder von Propheten." Als am folgenden Tag jeder, der ein Lamm bringt, das Messer in die Wolle steckt, und jeder, der ein Zicklein bringt, zwischen die Hörner, und Hillel dies sieht, erinnert er sich, daß er eben dies als gesetzliche Bestimmung von seinen Lehrern gehört habe. So haben wir hier ein Beispiel für minhag als Erinnerung an das Gesetz oder als eine Ausprägung in seinem Geist. 3. Örtliche

Bräuche

mit

Gesetzeskraft

Der Talmud kennt verschiedene Arten von Bräuchen. Es gibt Bräuche des Landes, des Ortes ( S u k 3 , l l ) , der Männer Jerusalems (bBB 93 b), bestimmter Familien, der Frommen, Gelehrter, keuscher Frauen, der Patriarchen, der Propheten, von Nichtjuden, des einfachen Volkes. Daneben begegnen Bezüge auf „Bräuche derer, die mit einer Karawane reisen" (tBM 7,13) und „Bräuche der Seeleute" (ebd.). Die Kraft des minhag, ein Gesetz zu annullieren, geht aus dem Beispiel hervor, daß der örtliche Brauch die Arbeitsstunden bestimmt, selbst wenn dies im Gegensatz zu den durch das Gesetz festgelegten Stunden steht (yBM 7,1,11b). Und dort, wo der minhag bei der Befreiung von der Leviratsehe den Gebrauch eines Schuhs anstatt einer Sandale im Volke mit sich gebracht hat, geht seine Macht aus der Feststellung hervor, daß selbst der Prophet Elia (die abschließende Instanz in Fragen der ->Halacha) kein Gehör fände, würde er die Entscheidung zugunsten der Sandale fällen (bYev 102 a). In der Auffassung von den Bräuchen des Landes bestehen in talmudischer Zeit Unterschiede zwischen den Juden von Babylonien und den Juden des Landes Israel. Die wichtige Streitfrage, ob eine Festsetzung des Ritualgesetzes durch einen minhag umgestoßen werden könne, wurde von den Weisen des Landes Israel bejaht (yShevi 5,1,35 d), während die babylonischen Weisen skeptisch fragen konnten: „In einem Verbotsfall soll es erlaubt sein, einem Brauch zu folgen?" (bRHSh 15b). Insgesamt gesehen gewann der babylonische Brauch die Oberhand, so daß sich die Regel ausmachen läßt, daß der minhag zwar Erlaubtes verbieten, nicht jedoch Verbotenes erlauben konnte (bHul 63a; bBM 69b). Andere Unterschiede zwischen beiden Gemeinschaften sind mit dem Tatbestand gegeben, daß Feiertage wie die ersten und die letzten Tage des Laubhütten- und des Passahfestes in Babylonien zwei Tage lang begangen wurden, in Israel jedoch nur einen Tag. Dort war man gewohnt, bei der Rezitation des Shema zu sitzen, hier zu stehen. Wenn in Babylonien ein kleines Kind starb, pflegte man es in Übereinstimmung mit dem Brauch zu betrauern, selbst wenn es nur einen Tag alt war, während es in Israel kein offizielles Trauern für ein Kind unter dreißig Tagen gab. Die Zerstörung des Staates brachte hinsichtlich des minhag ein erhebliches Anwachsen der Unterschiede zwischen Juden größerer Gebiete mit sich,

Gewohnheit/Gewohnheitsrecht II

247

z.B. zwischen denen in Spanien und denen in Deutschland und Polen. In Spanien war es z.B. üblich, den Kopf beim Gebet zu bedecken (ha-manhig, Abraham aus Lunel 15), während die Tora in Frankreich zur selben Zeit mit unbedecktem Kopf gelesen wurde ('or zarua', Isaak aus Wien 11,43). Musikinstrumente wurden in Spanien im Gottesdienst verwendet, nicht jedoch in Frankreich und Deutschland. In Spanien gingen musikalische Elemente der Synagoge im allgemeinen auf orientalische Quellen zurück, während man sich in Frankreich und Deutschland den Einflüssen der Musik dieser Kulturbereiche öffnete. Als der -»•Schulchan Aruk im 16. Jh. von Joseph Caro zusammengestellt wurde, bot er das Gesetz unter den Voraussetzungen der minhagim der spanischen Judenheit dar. Für die polnischen Juden wurde er erst annehmbar, als Rabbi Moses Isseries seinen Kommentar schrieb und den polnisch-jüdischen minhag einbezog. Obwohl die Grundstruktur des Gebetbuches bereits in der Mischna festgelegt war, gaben örtliche Bräuche dem Gottesdienst jeweils seine spezifische Gestalt. Diese besondere Kontur wurde als minhag bezeichnet. Die Umrisse des spanischen minhag können bis zu einem Responsum des Gaon Amram für eine spanische Gemeinde im 9. Jh. zurückverfolgt werden, während der deutsch-französische (aschkenasische) minhag bis auf den Machzor Vitry (Frankreich, 10. Jh. ) zurückführt und der römische minhag die Liturgie der italienischen Judenheit derselben Zeit erkennen läßt. Die Predigt selber und die Form der Predigt waren als reguläres Element des Gottesdienstes nicht so sehr angeordnet als vielmehr im Rahmen des minhag entwickelt. Veränderungen in der Liturgie ergaben sich durch die Einführung von piyyutim, die gelegentlich durch offizielle Verordnungen (takkanot), hauptsächlich jedoch durch den minhag erfolgte (Leopold Zunz, Die gottesdienstlichen Vortr. der Juden, Frankfurt 2 1892, 410). Brauch und Praxis im Volke spielten in Gestalt der Angleichung des Gottesdienstes an volkstümliche Bedürfnisse eine bedeutende Rolle in der Reformbewegung. Einem der frühen Gebetbücher wurde von seinem Redaktor (Isaac Mayer Wise) bewußt der Name Minhag America gegeben. Minhag und Halacha wirken ständig aufeinander ein. Maimonides (-»Mose ben Maimon) war überzeugt, der minhag müsse auf Gesetzeskraft beruhen, während Nachmanides die Auffassung vertrat, die Grundlage seiner Autorität sei moralischer Art (Tchernowitz, tol'dot ha-halakha 1,145). Tchernowitz hingegen bestimmt die auf Konsens im Volke beruhende Kraft des minhag als rechtsgültig und grundlegend. Jedes Gesetz, das verordnet ist, ist nutzlos, wenn es nicht vom Volke praktiziert wird. Fehlende Praxis und fehlendes Durchsetzungsvermögen können ein Gesetz aufheben. Hier hat der minhag seinen Platz. Dieser Tatbestand ist klar in dem Urteil erkannt: „Die Halacha hat solange keine feste Geltung, bis sie zum minhag wird." Und der minhag erlangt, wie dargetan, häufig für seinen Teil Gesetzeskraft. Manchmal treten minhagim als Gesetz in Erscheinung und werden beobachtet und erfüllt; manchmal bringen anonyme minhagim, die tief aus dem Innern des Volkes herrühren, Gesetze hervor; und manchmal wird ein minhag geboren, indem er als eine Anordnung von einem klar identifizierbaren einzelnen eingeführt wird wie im Falle -»Gamliels II., dem zugeschrieben wird, er habe mit dem minhag des einfachen Begräbnisses in einem schlichten Leichentuch begonnen (bKet 8 b). Dabei gibt es mehrere Ebenen des minhag. Es finden sich minhagim, gegen die sich Gelehrte wenden, die sie jedoch tolerieren, weil sie die Unterstützung durch einige Kollegen haben (bTaan 26 b). Alle stimmen freilich darin überein, daß ein auf Irrtum beruhender minhag beseitigt werden muß. Und schließlich hat ein minhag, der dem Bereich der Halacha entstammt, größeres Gewicht als ein Brauch, der aus einer Quelle von außerhalb Eingang gefunden hat. 4. Minhag als Bezeichnung für liturgische

Riten

Innerhalb der halachischen Tradition gleicht der minhag mit seinem Verhältnis der Wechselwirkung und mit seinem Einfluß auf das Gesetz den Gezeiten, die unaufhörlich die Küstenlinie umgestalten. Er ist eine fortwährende reziproke Kraft. Der große Hala-

248

Gewohnheit/Gewohnheitsrecht III

chist Moses Isseries prägte in Polen (16. Jh.) dem Schulchan Aruk das Siegel volkstümlicher Eigenheiten auf. Er war bestrebt, sich den Möglichkeiten der polnischen Juden anzupassen. Daher beugte er das Gesetz; er gestattete den Juden in den abgelegenen Gegenden Mährens den sonst im Gesetz verbotenen Wein, weil sie sonst kaum etwas hatten. So bewahrte er sie im Geist des Gesetzes, in dem sie zu leben glaubten (Moses Isseries Responsa § 124). Im gleichen Sinn urteilte Israel Isserlein, ein Richter könne eine Überschreibung beglaubigen, dies sei ein anerkannter Brauch, man brauche dazu nicht die drei oder zwei von der Halacha geforderten Richter (bKet 22 a; Isserlein t e rumat hadeshen). Ein weitergehender Prozeß dieser Art läßt sich an der Revision des Gebetbuches des USA-Reformjudentums (Gates ofPrayer, 1975) beobachten. Es enthält neun Ordnungen für den Gottesdienst am Sabbatabend, die ein weites Spektrum von Divergenzen innerhalb der Bewegung spiegeln, doch eine übergreifende Einheit beibehalten und so die zweifache Rolle des minhag unterstreichen: als Korrektiv und als warnendes Signal. Seinen bedrängenden Kräften innerhalb des Bereichs der Halacha und seinem durchdringenden Einfluß außerhalb ihrer Grenzen ist gleichermaßen Rechnung zu tragen. Selbst im Reformjudentum, in dem die Gleichheit der Frau in der religiösen Praxis im Prinzip früh erkannt wurde und Frauen in der Theorie als für die Ordination zum Rabbinat geeignet erklärt wurden, sind doch die ersten Frauen nicht vor 1966 ordiniert worden, mehr als ein Jahrhundert nach der Verkündung des Prinzips. Das Gewicht des sowohl in einer langen Tradition verwurzelten als auch der Halacha einverleibten minhag wirkt sogar noch in einer religiösen Bewegung als Hemmschuh fort, die sich selbst von halachischen Beschränkungen frei gemacht hat, indem er ihre volle Ausformung erheblich verlangsamt. Der Faktor minhag ist in der Tat eine entscheidende Komponente in der „GenStruktur" der weitergehenden Entwicklung und des neugestaltenden Prozesses des Judentums als einer historischen Kraft. Literatur Hajjim Hillel Ben-Sasson, Hagut v'Hanhaga, Jerusalem 1959. - Benjamin DeVries, Toledot haHalacha haTalmudit, Tel-Aviv 1962. - Samuel Eisenstadt, Ein Mishpat, Jerusalem 1931. - I.L. Fishman, KaMinhagim b'Sifrut haGeonim, Jerusalem 1939. - Shemtob Gaguin, Keter Shem Tob, London 1934. - Alexander Guttmann, Der Minhag der Bibel im Spiegelbild des Talmuds, Berlin 1938. - Avigdor HaMeiri, Magen Avot, London 1908. - Jeremias Heinemann, Gebräuche der Juden fürs Ganze Jahr, Berlin 1852. - S. Maslin, Gates of Mitzvah, 1977. - Jacob b. Moses Moelln, Minhagim, Hanau 1628. - Samuel Müller, Von Jüdischen Bräuchen und Jüdischem Gottesdienst, Karlsruhe 1930. - Bernard Revel, Perakim b'Hilufei Minhagim, N e w York 1941. - Sidney Steinman, Custom and Survival, 1963. - Chaim Tchernowitz, Toledot haHalacha, N e w York I 1934. - Ders., Toledot haPoskim, 3 Bde. passim, [o. O.] 1946.

Hayim Goren Perelmuter

III. Kirchengeschichtlich 1. Antike und Alte Kirche

2. Mittelalter bis Neuzeit

(Literatur S. 253)

Unter Gewohnheit (lat. consuetudo oder mos, griech. £3og, avvT)9eiä) versteht man zunächst jenen Bereich von außerrechtlichen Bindungen, die neben der Naturordnung und neben dem -»Gesetz die Verhaltensweisen innerhalb einer Gemeinschaft bestimmen. Es liegt auf der Hand, daß eine lange Zeit geübte Gewohnheit auf die Bildung von Rechtsnormen einwirkt. Sehr umstritten ist jedoch - jedenfalls für die Antike —, ob eine lang andauernde Übung -»Recht schaffen kann, ob also die Gewohnheit als Rechtsquelle anzusehen ist. Damit verbunden sind auch die Fragen, in welchem Verhältnis gesetztes Recht und Gewohnheitsrecht zueinander stehen und ob die Gewohnheit das -•Gesetz derogieren kann.

1. Antike und Alte Kirche In der antiken Welt beherrschte die Gewohnheit den Kult der Religionsgemeinschaft, das Staatsleben und das sittliche Verhalten des einzelnen. Das Althergebrachte galt bei

Gewohnheit/Gewohnheitsrecht III

249

allen Völkern, so auch bei Griechen und Juden, als entscheidende Orientierung für das persönliche, das rechtliche und das kultisch-religiöse Verhalten. In besonderer Weise trifft dies für die römische Welt zu, wo die consuetudo als Grundlage des Staates schlechthin angesehen wurde (Ennius, Annales, frag. 500). Wo man von der Gewohnheit abweicht, geht das Gemeinwesen zugrunde (Tacitus, Annales 14,20). Auf der mos beruhen grundlegende Institutionen des Privatrechts wie -»Eigentum, ->Ehe, patria potestas, mancipatio, traditio und viele andere Erscheinungen, die nicht erst von dem Zwölftafelgesetz geregelt worden sind, sondern als bereits bestehend vorausgesetzt werden (M. Käser). Neben dem sich langsam entfaltenden Gesetzesrecht behielt das Gewohnheitsrecht bis zur Hochblüte der klassischen Rechtswissenschaft am Anfang des 2. Jh. n. Chr. seine bedeutende Rolle. Dies kommt in zahlreichen Aussagen der Rhetoren und Juristen zum Ausdruck (Quintilian 5,10,12; Cicero, De inventione 2,67). Entscheidend ist demnach, daß die Gewohnheit durch fortgesetzte Übung mit dem Willen aller in Geltung stand und sich ohne formelles Gesetz zum Recht wandelte. Der Wille des gesamten Volkes und der Ablauf der Zeit werden als rechtbegründend angesehen (Ulpian epit. 1,4: Mores sunt tacitus consensus populi longa consuetudine inveteratus). Es ist heute lebhaft umstritten, welche Bedeutung das Gewohnheitsrecht in der römischen Rechtsquellenlehre der klassischen und nachklassischen Periode spielte. Die insbesondere von B. Schmiedel und W. Flume vertretene These, nach der zu dieser Zeit das Gewohnheitsrecht als Rechtsquelle unbekannt gewesen sei, läßt sich wohl nach den überzeugenden Einwänden von M. Käser und W. Waldstein nicht halten. Vielmehr ist die berühmte Aussage Julians zum Gewohnheitsrecht als echt anzusehen (Dig. 1.3.32,1): inveterata consuetudo pro lege non immerito custoditur, et hoc est ius quod dicitur mortbus constitutum (Die langdauernde Gewohnheit wird nicht zu Unrecht als Gesetz beobachtet, und dies ist das Recht, von dem gesagt wird, es sei durch Gewohnheit begründet). Nach dieser Auffassung macht es keinen Unterschied, ob ein Rechtssatz durch ausdrücklichen Gesetzesbeschluß des Volkes seine verbindliche Kraft erhält oder durch langdauernde Übung bzw. stillschweigenden Konsens. Sehr bedeutsam ist die weitere Aussage Julians, daß Gesetze ebenfalls nicht nur durch ausdrücklichen Gesetzesbeschluß, sondern auch durch Gewohnheit außer Geltung kommen können (leges non solum suffragio legislatoris, sed etiam tacito consensu omnium per desuetudinem abrogentur). Die umfangreiche Tätigkeit der klassischen Juristen hat zwar den Geltungsbereich des Gewohnheitsrechts eingeschränkt, doch behielt es insbesondere in den entlegeneren Provinzen des römischen Reiches und in den Munizipien ein breites Anwendungsfeld. In der Spätantike erlebte das Gewohnheitsrecht eine Blütezeit, denn die Entwicklung des Vulgarrechts beruhte weitgehend auf der longa consuetudo. Wurde zunächst dem Gewohnheitsrecht, welches dem öffentlichen Wohl nicht zuwiderläuft, Gesetzeskraft zugesprochen (Interpretatio zu Codex Theodosianus 5.20.1), so reihte die oströmische Schule die consuetudo unter die gesetzesgleichen Rechtsquellen ein (insbes. Dig. 1.3.32-40 und Cod. 8.52.1 ff). Allerdings hat Justinian die Geltung des Gewohnheitsrechts insofern wertungsmäßig eingeschränkt, als schlechte Gewohnheiten verworfen wurden (Cod. 1.3.38.2, Nov. XXIV, cap. 3, Nov. CXXXIV, cap. 1). Die christlichen Gemeinden sind in ihrer antiken Umwelt auf vielfältige Weise mit dem Gewohnheitsrecht konfrontiert worden. Es liegt auf der Hand, daß Erscheinungen der weltlichen Rechtssphäre auch in das kirchliche Denken hineingewirkt haben, zumal hier Begriffe wie Übung, Ritus, Gewohnheit und Brauch schon in apostolischer Zeit eine große Rolle spielten (vgl. z.B. I Kor 11,1 f.16). Allerdings muß das Gewohnheitsrecht deutlich vom kirchlichen Traditionsprinzip (-»Tradition) unterschieden werden. Gegenüber der tradierten Offenbarung kann die Gewohnheit nur eine sekundäre Rolle, insbesondere als Hilfe bei der Auslegung, spielen, wie schon bei -»Tertullian deutlich wird (De Corona 4,1). Alle Gewohnheit, die der tradierten Lehre und somit der „Wahrheit" zuwiderläuft, ist abzulehnen (Tertullian, De virginibus velandis 1,1: sed dominus noster Christus veritatem se, non consuetudinem cognominavit). Bei aller grundsätzlichen Bedeu-

250

Gewohnheit/Gewohnheitsrecht III

tung des Gewohnheitsrechts muß es sich die consuetudo gefallen lassen, an dem Maßstab von veritas und ratio gemessen zu werden. Auch -»Cyprian und -»Augustin, deren Aussagen in verschiedene kirchenrechtliche Sammlungen bis zum Decretum Gratiani (-» Gratian; —» Kirchenrechtsquellen) übernommen wurden, haben zwar die Wirkungskraft des Gewohnheitsrechts anerkannt, jede Gewohnheit aber, die im Widerspruch zu veritas und ratio steht, als mala consuetudo verworfen. Die vom spätantiken Recht und von den Kirchenvätern entwickelten Vorstellungen wurden schließlich von -»Isidor von Sevilla in Formeln zusammengefaßt, die weit in das Mittelalter hineinwirkten (Etymologiae 5.3: consuetudo autem est ius quoddam moribus institutum, quod pro lege suscipitur, cum deficit lex; nec differt, scriptura an ratione consistat, quando et legem ratio commendat. Vgl. auch 10.2). 2. Mittelalter

bis

Neuzeit

Im Rechtsleben der Völker, die auf dem Boden des römischen Reiches ihre Gemeinwesen gründeten, kam dem Gewohnheitsrecht die bestimmende Rolle zu. Die Gewohnheit ist sogar dann beherrschend geblieben, als einzelne germanische Volksstämme dazu übergingen, ihr Recht aufzuzeichnen. Neben den geschriebenen Volksrechten (leges barbarorum) galten nämlich die mündlich tradierten Gewohnheiten als Recht fort, wie man zahlreichen Urkunden des frühen Mittelalters entnehmen kann. Zu dieser Zeit wird zwischen lex und consuetudo bzw. mos keine scharfe Grenze gezogen. Auf keinen Fall darf man die Begriffe als Gegensätze in dem Sinne auffassen, daß hier Geschriebenes dem Ungeschriebenen gegenübersteht (Nehlsen; anders aber Brie 216f). Später wurden konsequenterweise die geschriebenen Volksrechte allmählich durch das sich fortentwickelnde Gewohnheitsrecht verdrängt und gerieten in Vergessenheit. Die aus verschiedenen Herrschaftsstrukturen und genossenschaftlichen Bildungen gewachsenen Rechtskreise vom Recht der Grundherrschaft bis hin zum Lehensrecht (—»Lehnswesen) entwickelten ihr jeweils eigenes Gewohnheitsrecht. Ein gutes Beispiel dafür gibt Notker der Deutsche (950—1022), der das unter Fernkaufleuten praktizierte Vertragsrecht als verbindliches Sonderrecht gelten läßt. Die auf dem Jahrmarkt angewandten Sonderregeln der Fernkaufleute konnten nach seiner Auffassung allein deshalb rechtliche Geltung beanspruchen, „weil sie der Gewohnheit dieser Kaufleute entsprachen, uuända iz tro geuuöneheite ist" (Lauda 136). Das kaufmännische Gewohnheitsrecht faßte Notker als Sonderrecht auf, das aus dem sonst gültigen Recht ausgegrenzt und das als eigenständiger Rechtskreis anerkannt ist. Die philologische Beobachtung, daß der deutsche Terminus giwona(heit) ein erst sehr spät geschaffenes, dem lateinischen Wort consuetudo eng verbundenes Wort ist, steht dem nicht entgegen; denn bis etwa zum 12. Jh. ist im deutschrechtlichen Denken noch kein präziser Begriff lex im Sinn von gesetztem Recht bekannt, der als Gegensatz zum Gewohnheitsrecht hätte verstanden werden können. Vielmehr war neben dem unscharfen Begriff für Recht ewa, der weder auf zentrale Setzung noch auf schriftliche Fixierung ausgerichtet war (Köbler), ein eigenes nationalsprachiges Wort für consuetudo nicht erforderlich. Seit dem 12. und 13. Jh. ist eine deutliche Wandlung in der Bewertung des Gewohnheitsrechts festzustellen. Die römischrechtlichen und kanonistischen Vorstellungen von der consuetudo gewinnen an Einfluß und bewirken eine veränderte Einstellung zum Gewohnheitsrecht. Während einerseits das römische Recht als „Kaiserrecht" immer stärker rezipiert wird und andrerseits die erstarkenden lokalen und territorialen Gewalten in steigendem Maße das Gesetz als Herrschaftsmittel einsetzen, wird der Raum für das Gewohnheitsrecht eingeengt. Die Folge war zunächst, daß das ungeschriebene Gewohnheitsrecht zurückgedrängt wird und statt dessen eine Welle von Rechtsaufzeichnungen der Orts- und Landesgewohnheiten einsetzt. Die consuetudo in scriptis redacta wird zur typischen Rechtsquelle der Epoche der sogenannten Rechtsbücher (z.B. Constitutum

Gewohnheit/Gewohnheitsrecht III

251

usus von Pisa um 1160, Très ancien coutumier de Normandie um 1200, Tractatus de legibus et consuetudinibus regni Angliae von Glanvill um 1190, Sachsenspiegel um 1220/1230). Zugleich aber entstand auch das Problem, welchen Rang das Gewohnheitsrecht neben dem römischen Recht und dem Gesetz des Herrschers einnimmt, d.h. das Gewohnheitsrecht wurde zum Gegenstand einer neuen Rechtsquellenlehre. Diese Entwicklung wurde ausgelöst durch die Rezeption des römischen Rechts, die ausgehend von der Bologneser Rechtsschule — immer weiteren Boden gewann und durch die Entfaltung der kanonistischen Wissenschaft, die insbesondere auf die Gerichtspraxis fast aller Territorien Europas einen starken Einfluß ausübte. Die kirchliche Lehre vom Gewohnheitsrecht wurde zunächst von Gradan unter Rückgriff auf die Begriffsbestimmungen Isidors von Sevilla zusammengefaßt (Dist. 1, c.2-5). Es ist jedoch auffällig, daß Gratian dem Gewohnheitsrecht mit großen Vorbehalten gegenübersteht. Nicht nur ratio und veritas (d. h. die göttliche Offenbarung) werden als Schranken für die Entstehung von Gewohnheitsrecht genannt; Gratian bezweifelt - in Anlehnung an das römische Recht (Codex 8,53,2) - auch, daß eine consuetudo entgegen den legibus humanis gelten kann (dictum post Dist. 11, c.4; vgl. auch dictum post Dist. 4, c.3). Papst -»Gregor IX. entschied dann den Streit um die consuetudo contra legem dahin, daß zwar unter keinen Umständen gegen das göttliche Recht (ius naturale), wohl aber gegen das menschliche Recht (ius positivum) eine Gewohnheit rechtskräftig werden könne, wenn sie nur rationabel und ordnungsgemäß verjährt sei (Potthast, Reg. 9539 = X,1,4,11: nisifuerit rationabilis et legitime sit praescripta). Als Erfordernis für eine legitima praescriptio wurde in der Regel eine vierzigjährige Übungsdauer angesehen. Eine Theorie des Gewohnheitsrechts wurde erst durch die römischrechtliche Wissenschaft entwickelt. Die Glossatoren sahen sich zunächst vor die Aufgabe gestellt, die zum Teil widersprüchlichen Quellentexte des Corpus iuris civilis zu harmonisieren. Schon bald aber wurden sie zusätzlich mit dem Problem konfrontiert, das Gewohnheitsrecht ihrer Zeit (Statuten der italienischen Städte, die französischen us et costumes) in die Lehre von der consuetudo einzubeziehen. Über den Geltungsgrund von Gewohnheitsrecht sind ihre Aussagen noch sehr unklar. Während einige (z. B. Johannes Bossianus) die consuetudo als tacitus consensus populi auffaßten und sie dem Vertrag gleichsetzten, bestanden andere (z.B. Azo) darauf, daß eine consuetudo nur dann verbindlich sei, wenn sie außer der Übung innerhalb eines bestimmten Zeitraumes als assuetudo communis die Zustimmung jedes einzelnen Mitgliedes der Gemeinschaft besitze. Allgemein unterschied man nach der Verschiedenheit der Entstehungsgemeinschaften consuetudines generales (oder universales) und speciales (oder particulares). Es blieb aber wiederum eine offene Streitfrage, ob den betreffenden Gemeinschaften ein - etwa auf das Mehrheitsprinzip gegründetes - Autonomierecht zukommen sollte oder ob die Rechtsbildung allein von dem stillschweigend erklärten - Willen des übergeordneten princeps oder dominus abzuleiten sei. Als Entstehungsvoraussetzungen werden genannt: die tatsächliche Übung; eine Mindestzeit von 10 bzw. 20 Jahren; mindestens zwei - in der Regel gerichtliche - Übungsakte, verbunden mit dem animus inducendi consuetudinem; die Übereinstimmung mit der ratio. Die Mehrzahl der Glossatoren räumte dem Gewohnheitsrecht eine starke Stellung ein. Die „virtutes" der consuetudo sollen sein: Normierung nicht durch Gesetz bestimmter Verhältnisse; Auslegung von Gesetzen; Bestärkung von Gesetzen; Aufhebung von Gesetzen. Die Unterscheidung der consuetudo secundum, praeter und contra legem wurde allgemein anerkannt, wobei allerdings die derogierende Kraft des Gewohnheitsrechts gegenüber dem Gesetz lange umstritten blieb, bis in späterer Zeit (so auch in der Glosse des Accursius) die gesetzesüberwindende Kraft des Gewohnheitsrechts allgemein anerkannt wurde. Bei den Postglossatoren und bei den späten Dekretalisten wurde die Theorie des Gewohnheitsrechts insbesondere in zwei Bereichen vertieft. Zum einen ging es um die Ausfüllung des Begriffes der ratio. Zunehmend definierte man die Irrationabilität mit einem Verstoß gegen das bonum commune (->Gemeinnutz/Gemeinwohl) bzw. gegen die

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Gewohnheit/Gewohnheitsrecht III

utilitas communis, doch überließ man die Entscheidung über die Rationabilität der consuetudo dem Richter (vgl. Glosse „Kationabilia" zu VI° 1,2,1). Der zweite Bereich betraf die Frage, ob und wie vor Gericht ein Gewohnheitsrecht zu beweisen sei. Diese Kontroverse hat die Juristen auch noch in der Rezeptionszeit sehr beschäftigt und großen Einfluß auf die praktische Anwendungsmöglichkeit von Gewohnheitsrecht zur Folge gehabt. Nach einer verbreiteten Ansicht muß im Prozeß eine Partei, die sich auf Gewohnheitsrecht beruft, die Existenz und den Inhalt dieser consuetudo vortragen und in der Regel beweisen. Während unterstellt wird, daß der Richter das geschriebene Gesetz kennt {„iura novit curia"), beharrt man bezüglich der consuetudo, die von Tatsachen abhängig ist, auf der Beweispflichtigkeit. Ausnahmen von diesem Grundsatz machte man nur bei notorischem Gewohnheitsrecht. Im übrigen konnte der Beweis für eine consuetudo im Sinn einer probatio facti durch frühere Gerichtsurteile, durch Akten bzw. öffentliche Instrumente oder durch den Zeugenbeweis (in der Regel zwei Zeugen) geführt werden. Im 15. und 16. Jh. haben zwar viele Gerichtsordnungen die Geltung des Gewohnheitsrechts im Sinne der spätmittelalterlichen Lehre bestätigt. Das bekannteste Beispiel ist die Reichskammergerichtsordnung von 1495, die in § 3 anordnet, daß neben „des Reichs gemeinen Rechten" auch die „redlichen, erbern und leidlichen Ordnungen, Statuten und Gewonhaiten" zu beobachten seien. Indem man aber das unsichere Beweisverfahren und die Prüfung der Rationabilität vorschaltete, wurde die faktische Anwendung des Gewohnheitsrechts weiter eingeschränkt. Zudem gingen die von einer starken Zentralgewalt beherrschten Territorial- und Nationalstaaten im weiteren Verlauf der Neuzeit verstärkt dazu über, Gesetze anstelle des Gewohnheitsrechts zu erlassen und die alte consuetudo ausdrücklich zu kassieren. Im Zeitalter des Vernunftrechts mehrten sich die Gesetze, die dem Gewohnheitsrecht die Kraft zur Schaffung neuen Rechts und zur Derogierung alten Rechts absprachen (vgl. Einleitung § 60 zum Allgemeinen Landrecht für die preußischen Staaten von 1794 oder Einleitungsgesetz zum Code Civil von 1803). Immerhin gestattete man dem Gewohnheitsrecht in den meisten Ländern, Lücken des Gesetzes zu schließen oder den Gebrauch eines Rechts zu regeln. Versuche von radikal-aufklärerischen Staaten, das Gewohnheitsrecht völlig zu verbieten und die Einführung neuer Gewohnheiten für ein „strafbares Beginnen" zu erklären (so z.B. § 9 des Josefinischen Gesetzbuchs von 1786), hatten keinen durchgreifenden Erfolg. Das österreichische Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch von 1811 erlaubte in § 10 immerhin, dann auf Gewohnheiten Rücksicht zu nehmen, wenn sich ein Gesetz auf sie berief. Die Gesetzgebung des 19. Jh. zeigte gleichfalls deutliche Vorbehalte gegenüber dem Gewohnheitsrecht. Als typisch kann das sächsische Bürgerliche Gesetzbuch von 1863 angesehen werden, das in § 28 dem Gewohnheitsrecht rechtsbildende Kraft absprach und es nur als ein bloßes Auslegungsmittel gelten ließ. Erst gegen Ende des Jahrhunderts ist eine veränderte Einstellung zu beobachten. Bezeichnend hierfür ist, daß der Gesetzgeber des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuchs zunächst geplante Bestimmungen, die das Gewohnheitsrecht beschränken sollten, nicht in den endgültigen Gesetzeswortlaut aufnahm. Vielmehr wird allgemein angenommen, daß durch § 2 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch von 1896 das Gewohnheitsrecht dem Gesetzesrecht gleichgestellt worden ist. Auch Art. 1 des Schweizerischen Zivilgesetzbuchs von 1907 erkannte das Gewohnheitsrecht eindeutig an, indem es den Richter anweist, bei Schweigen des Gesetzes u. a. nach Gewohnheitsrecht zu entscheiden. Diese Entwicklung ist zum Teil auf die Theorie vom Gewohnheitsrecht zurückzuführen, die im 19. Jh. ihren Höhepunkt erlebte. Aus der Gegnerschaft der Historischen Rechtsschule gegen die Gleichsetzung von Staat und Recht heraus glaubte man, im Gewohnheitsrecht ein Bollwerk gegen die Kodifikationseuphorie der Zeit gefunden zu haben. Man vertraute dem „organischen", „durch innere stillwirkende Kräfte" gewachsenen Recht mehr als der „Willkür eines Gesetzgebers" (Friedrich Carl von Savigny). Allerdings zeigte sich bald, daß die Vertreter der Historischen Rechtsschule (insbesondere Georg Friedrich Puchta) anstelle der consuetudo in Wirklichkeit ein „Juristenrecht" bevorzugten, das seine Legitimität weniger aus

Gewohnheit/Gewohnheitsrecht III

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einer in langwährender Übung sich zeigenden Rechtsüberzeugung, als durch die wissenschaftliche Qualität seiner Begründung gewann. Im modernen Recht hat das Gewohnheitsrecht besondere Bedeutung im Bereich des Völkerrechts behalten. Im Hinblick auf die kleine Zahl positiver Regelungen gründen sich viele der allgemein anerkannten Regeln lediglich auf die internationalen Gewohnheiten der Mitglieder der Staatengemeinschaft. In den Ländern des anglo-amerikanischen Rechtskreises kommt dem Gewohnheitsrecht neben der dominierenden Rolle des Richterrechts und der zunehmenden Bedeutung von Gesetzesrecht nur eine verhältnismäßig kleine Bedeutung zu. Dagegen erkennt man im Rechtskreis des kontinentalen Rechts dem Gewohnheitsrecht einen breiten Anwendungsbereich zu, der von der richterlichen Lükkenausfüllung bis hin zur Möglichkeit der Aufhebung gesetzlicher Vorschriften durch die Entwicklung einer entgegenstehenden Gewohnheit (desuetudo) reicht. Literatur Allgemein: Hans Barion, Art. 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254

Gewohnheit/Gewohnheitsrecht IV

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Hans-Jürgen Becker

IV. Kirchenrechtlich/Praktisch-theologisch Gewohnheitsrecht im Sinne von objektivem ->Recht bedeutet, das aus der beständigen, gleichmäßigen Übung einer Rechtsgemeinschaft abzulesende Recht (Friauf). Es entsteht, wenn eine Regel zwischenmenschlichen Verhaltens längere Zeit hindurch tatsächlich überwiegend befolgt wird in dem Bewußtsein, damit einem Gebot des Rechts nachzukommen (Larenz). Ungeachtet der Schwierigkeiten einer rechtstheoretischen Begründung ist es neben dem vom Gesetzgeber geschaffenen Gesetzesrecht als eine Form des positiven Rechtes anerkannt. In dem heute durch Kodifikationen bestimmten Zivilrecht wird es bedeutsam für die Ausfüllung von Gesetzeslücken und Generalklauseln sowie die Auslegung mehrdeutiger Bestimmungen. Für das Völkerrecht ist es die wichtigste Quelle, während es sich im kontinentalen Strafrecht (-»Strafe/Strafrecht) nur auf Einschränkung und Aufhebung von Strafrechtsnormen bezieht, aber strafbare Tatbestände nicht begründen kann. O b durch Gewohnheitsrecht als schwächste Rechtsform auch ein entgegenstehendes Gesetzesrecht seine Kraft verlieren kann (Derogation), ist zum Teil bestritten, in Österreich durch Gesetzesrecht ausdrücklich abgelehnt (österr. Bürgerliches Gesetzbuch §§ 9f). Gewohnheitsrecht verpflichtet den Richter, die von ständiger Rechtsprechung und Rechtsbewußtsein übernommene Regel auch in Zukunft anzuwenden. So dient Gewohnheitsrecht der Rechtssicherheit, indem Rechtsgewohnheiten auch subjektive Gewohnheitsrechte der Betroffenen entstehen lassen. Das 1983 neu verfaßte kanonische Recht der -»Römisch-katholischen Kirche erkennt heute Gewohnheitsrecht auf Grund vernunftgemäßer und verpflichtender Übung innerhalb einer gesetzesfähigen kirchlichen Gemeinschaft, bei außergesetzlichen und gesetzwidrigen Gewohnheiten während mindestens 30 Jahren als Rechtsquelle ausdrücklich an. Die Gewohnheit der Rechtsanwendung ist die beste Auslegerin der kirchlichen Gesetze (CJC can. 29; Listl, Heimerl, Potz). Gewohnheitsrecht bleibt bis zur Aufhebung durch ein gegenteiliges Gesetz, durch Bildung einer abweichenden Rechtsgewohnheit oder zum Wegfall seines ursprünglichen Zweckes in Kraft. Das II. Vatikanische Konzil (—> Vatikanum II) hat Gewohnheitsrecht als mögliche Rechtsquelle für das Verfahren der Amtseinsetzung von -»Bischöfen anerkannt. Die Vorarbeiten zu einer Reform des kirchlichen Rechtsbuches sehen die Beibehaltung dieser Vorschriften unter Herabsetzung der bisherigen Gewohnheitsdauer vor (Listl). Die Reformation erkannte in den kirchlichen „Traditionen" (-»Tradition) Rechtsregeln, die ohne Verdienst vor Gott um der -»Liebe zum -»Nächsten willen zu halten sind, soweit dies ohne -»Sünde geschehen kann (CA X V 1,3; X X X V I , 4 0 , 4 3 ) . -^Luther mißt für die Selbstordnung einer christlichen —»Gemeinde dem frei sich entfaltenden Brauchtum hohe Bedeutung bei; man soll es möglichst allmählich wachsen lassen und nicht zu früh mit Rechtsgeltung schriftlich festlegen (Heckel). Innerhalb des sich entwickelnden evangelischen Kirchenrechts kam es durch Gewohnheitsrecht zur Weitergeltung von Normen des hergebrachten kanonischen Kirchenrechtes, die den reformatorischen Erkenntnissen nicht widersprachen, kraft ihrer gewohnheitsmäßigen Weiteranwendung durch die Kon-

Gewohnheit/Gewohnheitsrecht IV

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sistorien (Liermann, Heckel; -»Konsistorium). D a s betraf insbesondere das Pfarrstellenbesetzungs- und Pfründenrecht, aber auch Bestimmungen über evangelische Klöster und Stifte. Örtliche Observanzen über Leistungen an die Gemeindepfarrer („Reichnisse") bildeten ebenfalls kirchliches Gewohnheitsrecht. Im heutigen kirchlichen Recht kann beispielsweise die unvordenklich übliche wechselseitige Anerkennung von Ordinationen (-»Ordination) innerhalb bekenntnisverwandter Landeskirchen als kirchliches Gewohnheitsrecht bezeichnet werden (Frost). Örtliches kirchliches Gewohnheitsrecht regelt in einzelnen Kirchengemeinden auch heute noch kraft unvordenklichen Herkommens mit Rechtswirkung bestimmte gottesdienstliche Handlungen oder Kleidungen (Wolf). Landeskirchliche Vorschriften geben der noch nicht zu Gewohnheitsrecht erstarkten oder in Beschlußform zu Gemeindeordnungen erhobenen Gewohnheit teilweise kirchenrechtliche Bedeutung, wenn sie -»Pfarrer und Leitungsorgane zur Pflege kirchlicher -»Sitte verpflichtet oder sie bei kirchlichen Lebensordnungen (Plathow) berücksichtigen. Kirchliche Gewohnheiten haben aber auch, abgesehen von ihrer Rechtsgeltung, für das Leben der -»Gemeinde Bedeutung, weil sie nach Erkenntnissen moderner -»Religionssoziologie den Inhalt sozialer Riten und Rollen festschreiben (Schwanenberg). Somit begründen sie Verhaltenserwartungen der jeweils Beteiligten entsprechend der bestehenden Gewohnheit. Das kann bei vorab bekannten Verhaltensmustern entlastend wirken, als örtliches Sondergut aber auch Verhaltensunsicherheit für ununterrichtet Hinzukommende schaffen. Umschichtungen im Bestand der Kirchengemeinden und Fluktuation heutigen Gemeindelebens haben das Bild kirchlicher Gewohnheiten, wie es noch zu Beginn des Jahrhunderts bestand (z.B. Wurster) verblassen lassen. Dafür haben Heimatvertriebene oder Umsiedler teilweise ihre heimischen Gewohnheiten in das Leben der sie aufnehmenden Gemeinden eingebracht. Die verläßliche Zusammenfassung der in einer Gemeinde tatsächlich geübten Gewohnheiten (kirchliches Lagerbuch) kann insbesondere den ein Amt neu Übernehmenden dazu helfen, ihre Vorgänger wie ihre Nachfolger zu schonen (Löhe). Neue Gewohnheiten zu begründen erfordert viel Überlegung, Einfühlung und Geduld, ebenso die Auflösung gewohnter Unsitten (Stückelberger). Angesichts der gegenwärtigen Umgestaltung der volkskirchlichen Situation und den daraus folgenden Veränderungen im Verhalten bei - » T a u f e und -»Trauung kann sich auch heute gute kirchliche Gewohnheit neu bilden und über das Gewohnheitsrecht zu neuem positiven Agendenrecht werden, wenn für die neue Lage eine geistliche Antwort im Angebot neuer Formen des -»Gottesdienstes entworfen und den Beteiligten nahegebracht wird (Stein). Beispielsweise kommt dafür die Rücksichtnahme darauf in Frage, daß Eltern zunehmend ihre Kinder erst dann zur Taufe bringen wollen, wenn diese sie bewußt miterleben (Jenssen) oder auch selbst mitverantworten können. Literatur Karl-Heinrich Bieritz, Gottesdienst, Feier u. Gespräch: Peter C. Bloth u. a. (Hg.), Hb. der Prakt. Theol., Gütersloh, II 1981, 119-133. - Eduard Eichmann/Klaus Mörsdorf, Lb. des Kirchenrechts auf Grund des Codex Iuris Canonici, Paderborn, I 1 1 1964, 131-135. - Karl Heinrich Friauf, Art. Gewohnheitsrecht: EStL 2 1975,874-876. - Herbert Frost, Strukturprobleme ev. Kirchenverfassung, Göttingen 1972, 45.135.423. - Johannes Heckel, Lex charitatis, eine jur. Unters, über das Recht in der Theol. Martin Luthers (hg. v. Martin Heckel), Köln/Wien 2 1973,374-383. - Ders., Das blinde, undeutliche Wort „Kirche", Ges. Aufs., hg. v. Siegfried Grundmann, Köln/Graz 1964, 35-48. Hans Heimerl/Helmuth Pree, Kirchenrecht. Allg. Normen u. Eherecht, Wien/New York 1983, 50-53. - Hans-Hinrich Jenssen, Die kirchl. Handlungen: Hb. der Prakt. Theol., hg. v. Heinrich Ammer u.a., Berlin, II 1974, 45-48.155-156. - Karl Larenz, Methodenlehre der Rechtswiss., Berlin/Heidelberg/New York 3 1975, 345-349. - Hans Liermann, Dt. Ev. Kirchenrecht, Stuttgart 1933, 5 2 - 5 6 . - Joseph Listl, Die Rechtsnormen: Joseph Listl u.a. (Hg.), Hb. des kath. Kirchenrechts, Regensburg 1983, 97 f. - Wilhelm Löhe, Der ev. Geistliche, Neuendettelsau s 1935, 100-104. Michael Plathow, Lehre u. Ordnung im Leben der Kirche heute, Göttingen 1982. - Richard Potz, Die Geltung kirchenrechtlicher Normen, Wien 1978, 241-247. - Enno Schwanenberg, Mensch: PThH 445 - 4 5 8 . - Hans Martin Stickelberger, Das Amt u. die Gemeinde, Zollikon 1948, 68-70. - Albert

Gibeon

256

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Albert Stein Gibeon 1. Geschichte der Stadt

1. Geschichte

der

2. Lage der Stadt und Ausgrabungen

(Literatur S. 257)

Stadt

Zur Zeit der israelitischen Landnahme bildete Gibeon gemeinsam mit Beerot, Kefira und Kirjat-Jearim eine überwiegend von Hewitern bewohnte Tetrapolis (Jos 9,7; 11,19). Ihr gelang es unter der Führung des aristokratisch regierten Gibeon, eingewanderten israelitischen Gruppen (Benjamin) einen bestandssichernden Vertrag abzulisten (Jos 9). Daß Gibeon in den Amarnatexten nicht erwähnt ist, hängt möglicherweise damit zusammen, daß die Stadt im 14. Jh. v. Chr. in den Einflußbereich -»-Jerusalems gehörte. Nach der Überlieferung fanden in unmittelbarer Umgebung der Stadt auffallend häufig kriegerische Auseinandersetzungen statt: So soll bei Gibeon und Ajjalon Josua einen Sieg über eine Koalition kanaanäischer Städte errungen haben (Jos 10,1 - 1 5 ) , der in einem alten Lied besungen wurde (Jos 10,12b—13a); am „Teich von Gibeon" b'rekat gib'on kam es zu einem Gefecht zwischen den Söldnern Davids unter Joab und den Söldnern Ischbaals unter Abner, das die militärische Überlegenheit Davids deutlich machte (II Sam 2 , 1 2 - 3 2 ; 3,30); in der Gegend von Gibeon brachte David den Philistern die entscheidende Niederlage bei (II Sam 5,25 L X X ; I Chrl4,16;vgl. Jes 28,21); im Zusammenhang mit dem Aufstand des Benjaminiten Scheba gegen David ermordete Joab beim „großen Stein von Gibeon" Amasa, den Führer des judäischen Heerbanns (II Sam 2 0 , 4 - 1 3 ) ; „am großen Wasser von Gibeon" kam es schließlich um 586 v. Chr. zur Begegnung zwischen dem judäischen Truppenführer Johanan b. Kareach und dem Mörder Gedaljas, dem Davididen Jischmael (Jer 41,11-15). Ob dieser Tatbestand mit der verkehrsgeographisch günstigen Lage (Kuschke) oder nicht viel mehr mit der Bedeutung der Stadt zusammenhängt, ist eine offene Frage. Immerhin ist für die Zeit -+Sauls, -»Davids und ->Salomos davon auszugehen, daß Gibeon ein wichtiges Heiligtum beherbergte („Berg Jahwes" II Sam 21,6 L X X ; „die große bamä" I Reg 3,4), mit welchem das -»chronist. Geschichtswerk sogar das mosaische Zeltheiligtum verband (I Chr 16,39; 21,29; II Chr 1,3) und das seine führende Rolle erst mit der Einrichtung des Jerusalemer Tempels unter Salomo einbüßte. Endlich können beachtliche Gründe für die Annahme ins Feld geführt werden, daß Saul Gibeon zur Hauptstadt seines Königtums gemacht hat (Blenkinsopp, Schunck). In der Zeit nach Salomo stand Gibeon im Schatten Jerusalems und wird in der Überlieferung nur mehr gelegentlich erwähnt; außerhalb des Alten Testaments in einer Liste eroberter palästinischer Städte Pharao Schoschenks I. (um 920 v. Chr.), im Alten Testament in einer benjaminitischen Ortsliste (Jos 18,25), als Heimatort von -»Jeremias Widersacher Chananja (Jer 28,1) und von Rückkehrern aus dem babylonischen Exil (Neh 7,25). Ob Gibeon in nachexilischer Zeit zur Provinz Juda oder zur Satrapie Transeuphrat gehörte, hängt vom Verständnis von Neh 3,7 ab. 2. Lage der Stadt und

Ausgrabungen

Obwohl bei den in den Jahren 1 9 5 6 - 1 9 6 0 erfolgten Ausgrabungen von el-Gib (9 km nordwestlich von Jerusalem), das schon im 17. Jh. wegen der - philologisch allerdings fragwürdigen - lautlichen Ähnlichkeit der Namen mit Gibeon identifiziert wurde (Blenkinsopp 5, Weippert 21 Anm. 21), etwa 30 beschriftete Krughenkel gefunden wurden, die das Wort gb'n enthalten, kann die Lage der Stadt nach wie vor nicht als völlig gesichert gelten. Dafür sind die von den Ausgräbern, insbesondere von J . B. Pritchard, angebotenen Interpretationen der Grabungsbefunde und ihres Zusammenhangs mit der einschlägigen schriftlichen Überlieferung von Gibeon nicht eindeutig genug. So fehlen — abgesehen von

Gibeon

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Stein, Freiheit u. Bindung im ev. Agendenrecht: ZEvKR 26 (1981) 2 7 9 - 2 9 4 . - Erik Wolf, Ordnung der Kirche. Lehr- u. Hb., Frankfurt 1961, 487.543. - Paul Wurster, Das kirchl. Leben in Württemberg, Tübingen 1919.

Albert Stein Gibeon 1. Geschichte der Stadt

1. Geschichte

der

2. Lage der Stadt und Ausgrabungen

(Literatur S. 257)

Stadt

Zur Zeit der israelitischen Landnahme bildete Gibeon gemeinsam mit Beerot, Kefira und Kirjat-Jearim eine überwiegend von Hewitern bewohnte Tetrapolis (Jos 9,7; 11,19). Ihr gelang es unter der Führung des aristokratisch regierten Gibeon, eingewanderten israelitischen Gruppen (Benjamin) einen bestandssichernden Vertrag abzulisten (Jos 9). Daß Gibeon in den Amarnatexten nicht erwähnt ist, hängt möglicherweise damit zusammen, daß die Stadt im 14. Jh. v. Chr. in den Einflußbereich -»-Jerusalems gehörte. Nach der Überlieferung fanden in unmittelbarer Umgebung der Stadt auffallend häufig kriegerische Auseinandersetzungen statt: So soll bei Gibeon und Ajjalon Josua einen Sieg über eine Koalition kanaanäischer Städte errungen haben (Jos 10,1 - 1 5 ) , der in einem alten Lied besungen wurde (Jos 10,12b—13a); am „Teich von Gibeon" b'rekat gib'on kam es zu einem Gefecht zwischen den Söldnern Davids unter Joab und den Söldnern Ischbaals unter Abner, das die militärische Überlegenheit Davids deutlich machte (II Sam 2 , 1 2 - 3 2 ; 3,30); in der Gegend von Gibeon brachte David den Philistern die entscheidende Niederlage bei (II Sam 5,25 L X X ; I Chrl4,16;vgl. Jes 28,21); im Zusammenhang mit dem Aufstand des Benjaminiten Scheba gegen David ermordete Joab beim „großen Stein von Gibeon" Amasa, den Führer des judäischen Heerbanns (II Sam 2 0 , 4 - 1 3 ) ; „am großen Wasser von Gibeon" kam es schließlich um 586 v. Chr. zur Begegnung zwischen dem judäischen Truppenführer Johanan b. Kareach und dem Mörder Gedaljas, dem Davididen Jischmael (Jer 41,11-15). Ob dieser Tatbestand mit der verkehrsgeographisch günstigen Lage (Kuschke) oder nicht viel mehr mit der Bedeutung der Stadt zusammenhängt, ist eine offene Frage. Immerhin ist für die Zeit -+Sauls, -»Davids und ->Salomos davon auszugehen, daß Gibeon ein wichtiges Heiligtum beherbergte („Berg Jahwes" II Sam 21,6 L X X ; „die große bamä" I Reg 3,4), mit welchem das -»chronist. Geschichtswerk sogar das mosaische Zeltheiligtum verband (I Chr 16,39; 21,29; II Chr 1,3) und das seine führende Rolle erst mit der Einrichtung des Jerusalemer Tempels unter Salomo einbüßte. Endlich können beachtliche Gründe für die Annahme ins Feld geführt werden, daß Saul Gibeon zur Hauptstadt seines Königtums gemacht hat (Blenkinsopp, Schunck). In der Zeit nach Salomo stand Gibeon im Schatten Jerusalems und wird in der Überlieferung nur mehr gelegentlich erwähnt; außerhalb des Alten Testaments in einer Liste eroberter palästinischer Städte Pharao Schoschenks I. (um 920 v. Chr.), im Alten Testament in einer benjaminitischen Ortsliste (Jos 18,25), als Heimatort von -»Jeremias Widersacher Chananja (Jer 28,1) und von Rückkehrern aus dem babylonischen Exil (Neh 7,25). Ob Gibeon in nachexilischer Zeit zur Provinz Juda oder zur Satrapie Transeuphrat gehörte, hängt vom Verständnis von Neh 3,7 ab. 2. Lage der Stadt und

Ausgrabungen

Obwohl bei den in den Jahren 1 9 5 6 - 1 9 6 0 erfolgten Ausgrabungen von el-Gib (9 km nordwestlich von Jerusalem), das schon im 17. Jh. wegen der - philologisch allerdings fragwürdigen - lautlichen Ähnlichkeit der Namen mit Gibeon identifiziert wurde (Blenkinsopp 5, Weippert 21 Anm. 21), etwa 30 beschriftete Krughenkel gefunden wurden, die das Wort gb'n enthalten, kann die Lage der Stadt nach wie vor nicht als völlig gesichert gelten. Dafür sind die von den Ausgräbern, insbesondere von J . B. Pritchard, angebotenen Interpretationen der Grabungsbefunde und ihres Zusammenhangs mit der einschlägigen schriftlichen Überlieferung von Gibeon nicht eindeutig genug. So fehlen — abgesehen von

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wenigen spätbronzezeitlichen Z w e i t b e l e g u n g e n der mittelbronzezeitlichen N e k r o p o l e — sichere Spuren einer spätbronzezeitlichen Besiedlung. D i e von P r i t c h a r d ausgegrabenen M a u e r r e s t e gehören in die Eisenzeit " ( 9 . - 6 . J h . v. C h r . ) ; e b e n s o die beeindruckenden Wasserversorgungsanlagen ( T r e p p e n b e c k e n und Stufentunnel), die allerdings k a u m mit dem „ T e i c h von G i b e o n " b z w . dem „ g r o ß e n Wasser von G i b e o n " identifiziert werden k ö n nen. In ihrer F u n k t i o n umstritten sind auch die mit zahlreichen Felsgruben ausgestatteten G e b ä u d e - von P r i t c h a r d als industrial area und winery gedeutet - , zumal die F u n k t i o n und der Z u s a m m e n h a n g der beschrifteten K r ü g e m i t dem industrial area nicht zufriedenstellend geklärt ist (de V a u x , G a l l i n g ) . So verbleiben für die Identifizierung der O r t s l a g e neben den biblischen A n g a b e n nur n o c h die unsicheren A n g a b e n bei - » J o s e p h u s (Ant VII 1 1 , 7 ; Bell II 1 9 , 1 . 7 - 9 ) , die in die G e g e n d von e l - G i b , und die A n g a b e n bei - » E u s e b i u s ( O n o m . 6 6 , 1 1 - 1 6 ) und E p i p h a n i u s (Adv. haer. 4 6 , 5 ) , die in die G e g e n d von R a m a l l a h , 14 k m nördl. von J e r u s a l e m , verweisen. Literatur Kurze Ausgrabungsberichte: James B. Pritchard: The University Museum Bulletin (Philadelphia) 21,1 (1957) 3 - 2 6 ; 22,2 (1958) 1 3 - 2 4 ; BA 19 (1956) 6 6 - 7 5 ; 23 (1960) 2 3 - 2 9 ; 24 (1961) 1 9 - 2 4 ; ADAJ 8 - 9 (1964) 8 6 - 8 7 ; RB 64 (1957) 2 2 8 - 2 3 0 . Yohanan Aharoni, The Land of the Bible, London 1966; dt.: Das Land der Bibel, NeukirchenVluyn 1983. - Joseph Blenkinsopp, Gibeon u. Israel, 1972 (MSSOTS 2). - Frank Moore Cross, Jr., Epigraphical Notes on Hebrew Documents of the Eighth-Sixth Centuries B. C. III. The Inscribed Jar Handles from Gibeon: BASOR 168 (1962) 1 8 - 2 3 . - Aaron Demsky, Geba, Gibeah, and Gibeon - an Historio-Geographic Riddle: BASOR 212 (1973) 2 6 - 3 1 . - Karl Elliger, Art. Gibeon: BHH 1 (1962) 5 6 8 - 5 6 9 . - Ders., Beeroth u. Gibeon: ZDPV 73 (1957) 125-132. - Peter J. Kearney, The Role of the Gibeonites in the Deuteronomic History: CBQ 35 (1973) 1 - 1 9 . -Arnulf Kuschke, Art.Gibeon: BRL 2 (1977) 9 7 - 9 8 . - Benjamin Mazar, The Campaign of Pharaoh Shishak to Palestine: Volume du Congres, Strasbourg, 1956, 5 7 - 6 6 (VT.S 4). - James B. Pritchard, Gibeon's History in the Light of Excavation, Congress Volume, Oxford, 1959, 1 - 1 2 (VT.S 7). - Ders., Hebrew Inscriptions and Stamps from Gibeon, Philadelphia 1959. - Ders., More Inscribed Jar Handles from el-Jib: BASOR 160 (1960) 2 - 6 . - Ders., The Water System of Gibeon, Philadelphia 1961. - Ders., Gibeon, where the Sun Stood Still, Princeton 1962. - Ders., The Bronze Age Cemetery at Gibeon, Philadelphia 1963. Ders., Winery, Defenses, and Soundings at Gibeon, Philadelphia 1964. - A. F. Rainey, Royal Weights and Measures: BASOR 179 (1965) 3 4 - 3 6 . - Klaus-Dietrich Schunck, Benjamin, 1963 (BZAW 86). Manfred Weippert, Die Landnahme der israelitischen Stämme in der neueren wissenschaftlichen Diskussion, 1967 (FRLANT 92) (Lit.). Wichtige Rezensionen: Kurt Galling, Krit. Bemerkungen zur Ausgrabung von eg-gib: BiOr 22 (1965) 2 4 2 - 2 4 5 . - Lawrence E. Toombs: JAOS 83 (1963) 2 5 0 - 2 5 1 . - Roland de Vaux: RB 73 (1966) 130-135. Gunther Wanke

Giberti, Gian Matteo

(1495-1543)

A m 2 0 . S e p t e m b e r 1 4 9 5 w u r d e G i b e r t i in P a l e r m o g e b o r e n und starb in Verona a m 3 0 . D e z e m b e r 1 5 4 3 . Seine F a m i l i e g e h ö r t e dem genuesischen Patriziat an, der Vater F r a n c e s c o bekleidete dort wichtige öffentliche Ä m t e r . Seine M u t t e r ist u n b e k a n n t . Papst - • L e o X . legitimierte die G e b u r t G i b e r t i s , w o m i t ein H i n d e r n i s für seine kirchliche L a u f bahn behoben war. S c h o n im J u g e n d a l t e r trat er ins K l o s t e r ein, aber der Vater riet ihm von der priesterlichen Berufung a b und v e r a n l a ß t e seinen Austritt. Von seiner Ausbildung wissen wir so gut wie nichts. 1 5 0 4 ließ sich der Vater in R o m nieder, trat in den D i e n s t - » J u l i u s ' II. und e r w a r b sich d o r t eine b e a c h t l i c h e politische Stellung als Vermittler zwischen dem Papst und der R e p u b l i k Venedig. D i e s e T ä t i g k e i t des Vaters e r m ö g l i c h t e G i b e r t i , schon frühzeitig in die kuriale L a u f b a h n einzutreten, in der er mehrere reiche Pfründen erhielt (s. Verzeichnis: Prosperi, T r a E v a n g e l i s m o 1 1 6 f , A n m . 6 3 ) . S p ä t e r w u r d e er M i t a r b e i t e r des K a r d i n a l s G i u l i o d e ' M e d i c i (des späteren - » C l e m e n s V I I . ) , bald auch dessen S e k r e t ä r und Vertreter beim Papst, w e l c h e r ebenfalls der Familie M e d i c i e n t s t a m m t e . S o m i t be-

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wenigen spätbronzezeitlichen Z w e i t b e l e g u n g e n der mittelbronzezeitlichen N e k r o p o l e — sichere Spuren einer spätbronzezeitlichen Besiedlung. D i e von P r i t c h a r d ausgegrabenen M a u e r r e s t e gehören in die Eisenzeit " ( 9 . - 6 . J h . v. C h r . ) ; e b e n s o die beeindruckenden Wasserversorgungsanlagen ( T r e p p e n b e c k e n und Stufentunnel), die allerdings k a u m mit dem „ T e i c h von G i b e o n " b z w . dem „ g r o ß e n Wasser von G i b e o n " identifiziert werden k ö n nen. In ihrer F u n k t i o n umstritten sind auch die mit zahlreichen Felsgruben ausgestatteten G e b ä u d e - von P r i t c h a r d als industrial area und winery gedeutet - , zumal die F u n k t i o n und der Z u s a m m e n h a n g der beschrifteten K r ü g e m i t dem industrial area nicht zufriedenstellend geklärt ist (de V a u x , G a l l i n g ) . So verbleiben für die Identifizierung der O r t s l a g e neben den biblischen A n g a b e n nur n o c h die unsicheren A n g a b e n bei - » J o s e p h u s (Ant VII 1 1 , 7 ; Bell II 1 9 , 1 . 7 - 9 ) , die in die G e g e n d von e l - G i b , und die A n g a b e n bei - » E u s e b i u s ( O n o m . 6 6 , 1 1 - 1 6 ) und E p i p h a n i u s (Adv. haer. 4 6 , 5 ) , die in die G e g e n d von R a m a l l a h , 14 k m nördl. von J e r u s a l e m , verweisen. Literatur Kurze Ausgrabungsberichte: James B. Pritchard: The University Museum Bulletin (Philadelphia) 21,1 (1957) 3 - 2 6 ; 22,2 (1958) 1 3 - 2 4 ; BA 19 (1956) 6 6 - 7 5 ; 23 (1960) 2 3 - 2 9 ; 24 (1961) 1 9 - 2 4 ; ADAJ 8 - 9 (1964) 8 6 - 8 7 ; RB 64 (1957) 2 2 8 - 2 3 0 . Yohanan Aharoni, The Land of the Bible, London 1966; dt.: Das Land der Bibel, NeukirchenVluyn 1983. - Joseph Blenkinsopp, Gibeon u. Israel, 1972 (MSSOTS 2). - Frank Moore Cross, Jr., Epigraphical Notes on Hebrew Documents of the Eighth-Sixth Centuries B. C. III. The Inscribed Jar Handles from Gibeon: BASOR 168 (1962) 1 8 - 2 3 . - Aaron Demsky, Geba, Gibeah, and Gibeon - an Historio-Geographic Riddle: BASOR 212 (1973) 2 6 - 3 1 . - Karl Elliger, Art. Gibeon: BHH 1 (1962) 5 6 8 - 5 6 9 . - Ders., Beeroth u. Gibeon: ZDPV 73 (1957) 125-132. - Peter J. Kearney, The Role of the Gibeonites in the Deuteronomic History: CBQ 35 (1973) 1 - 1 9 . -Arnulf Kuschke, Art.Gibeon: BRL 2 (1977) 9 7 - 9 8 . - Benjamin Mazar, The Campaign of Pharaoh Shishak to Palestine: Volume du Congres, Strasbourg, 1956, 5 7 - 6 6 (VT.S 4). - James B. Pritchard, Gibeon's History in the Light of Excavation, Congress Volume, Oxford, 1959, 1 - 1 2 (VT.S 7). - Ders., Hebrew Inscriptions and Stamps from Gibeon, Philadelphia 1959. - Ders., More Inscribed Jar Handles from el-Jib: BASOR 160 (1960) 2 - 6 . - Ders., The Water System of Gibeon, Philadelphia 1961. - Ders., Gibeon, where the Sun Stood Still, Princeton 1962. - Ders., The Bronze Age Cemetery at Gibeon, Philadelphia 1963. Ders., Winery, Defenses, and Soundings at Gibeon, Philadelphia 1964. - A. F. Rainey, Royal Weights and Measures: BASOR 179 (1965) 3 4 - 3 6 . - Klaus-Dietrich Schunck, Benjamin, 1963 (BZAW 86). Manfred Weippert, Die Landnahme der israelitischen Stämme in der neueren wissenschaftlichen Diskussion, 1967 (FRLANT 92) (Lit.). Wichtige Rezensionen: Kurt Galling, Krit. Bemerkungen zur Ausgrabung von eg-gib: BiOr 22 (1965) 2 4 2 - 2 4 5 . - Lawrence E. Toombs: JAOS 83 (1963) 2 5 0 - 2 5 1 . - Roland de Vaux: RB 73 (1966) 130-135. Gunther Wanke

Giberti, Gian Matteo

(1495-1543)

A m 2 0 . S e p t e m b e r 1 4 9 5 w u r d e G i b e r t i in P a l e r m o g e b o r e n und starb in Verona a m 3 0 . D e z e m b e r 1 5 4 3 . Seine F a m i l i e g e h ö r t e dem genuesischen Patriziat an, der Vater F r a n c e s c o bekleidete dort wichtige öffentliche Ä m t e r . Seine M u t t e r ist u n b e k a n n t . Papst - • L e o X . legitimierte die G e b u r t G i b e r t i s , w o m i t ein H i n d e r n i s für seine kirchliche L a u f bahn behoben war. S c h o n im J u g e n d a l t e r trat er ins K l o s t e r ein, aber der Vater riet ihm von der priesterlichen Berufung a b und v e r a n l a ß t e seinen Austritt. Von seiner Ausbildung wissen wir so gut wie nichts. 1 5 0 4 ließ sich der Vater in R o m nieder, trat in den D i e n s t - » J u l i u s ' II. und e r w a r b sich d o r t eine b e a c h t l i c h e politische Stellung als Vermittler zwischen dem Papst und der R e p u b l i k Venedig. D i e s e T ä t i g k e i t des Vaters e r m ö g l i c h t e G i b e r t i , schon frühzeitig in die kuriale L a u f b a h n einzutreten, in der er mehrere reiche Pfründen erhielt (s. Verzeichnis: Prosperi, T r a E v a n g e l i s m o 1 1 6 f , A n m . 6 3 ) . S p ä t e r w u r d e er M i t a r b e i t e r des K a r d i n a l s G i u l i o d e ' M e d i c i (des späteren - » C l e m e n s V I I . ) , bald auch dessen S e k r e t ä r und Vertreter beim Papst, w e l c h e r ebenfalls der Familie M e d i c i e n t s t a m m t e . S o m i t be-

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gann die fruchtbringende Schaffenszeit Gibertis, dessen Ansehen trotz mancher persönlicher Mißgeschicke und der unverhofften Rückschläge seiner Politik stetig anwuchs. Nach dem Tod Leos X. vermochte die Wahl eines nichtitalieriischen Papstes Gibertis Erfolg kaum zu beeinträchtigen. Schon im Jahre 1519 hat er eine wichtige diplomatische Mission nach Spanien übernommen, kurz nachdem -»Karl V. zum Kaiser gewählt worden war. 1522 übertrug ihm Giulio de' Medici den Auftrag, als sein Vertrauensmann beim Kaiser und beim König -•Heinrich VIII. von England vorstellig zu werden. Nach kurzer Unterbrechung seiner Tätigkeit und Aufenthalt in Florenz folgte er Giulio de' Medici, welcher im November 1523 zum Papst gewählt wurde und Giberti das Amt des Datars übertrug. Damit fiel ihm - bezeichnend für das große Vertrauen und den Einfluß, den Giberti bei dem Medici genoß - die Verantwortung für die Finanzverwaltung des Papstes, aber auch für die Ernennung kirchlicher Benefizien und die allgemeine Politik der Kirche zu. Kurz darauf (August 1524) wurde Giberti zum Bischof der Stadt Verona ernannt, die in der Republik Venedig eine bedeutende Stellung innehatte. Die früheren Verdienste seines Vaters um Venedig erleichterten in erheblichem Maße die Zustimmung der Republik zu einem nicht-venezianischen Bischof. Innerhalb eines Jahres erhielt Giberti die Bischofsweihe aus den Händen von G. P. Carafa, dem späteren Papst -»-Paul IV. Der neue Bischof bewies eine außergewöhnliche geistliche Sensibilität, die sich in seiner Teilnahme am römischen Oratorium der göttlichen Liebe {Oratorio del Divino Amore) und in der Übernahme des Hospitals für unheilbar Kranke, das eng mit dem Oratorium verbunden war, zeigte. Die herausragende Stellung Gibertis am päpstlichen Hof wirkte sich vor allem auf politischem Gebiet aus. Er unternahm mit großer Bestimmtheit den komplizierten Versuch, die „Freiheit Italiens" mit der „Freiheit der Kirche" in Einklang zu bringen, die beide durch die Herrschaft Karls V. bedroht schienen. Giberti, der sich Guicciardini in enger geistiger Verwandtschaft verbunden fühlte, suchte von Frankreich Unterstützung zu erhalten, das ebenfalls von der Machtkonzentration Karls V. bedroht war (Liga von Cognac). Dieser kühne wie eindeutig politische Plan erfuhr 1526 mit dem Aufstand der Colonna und ein Jahr später im Sacco di Roma eine herbe Niederlage. In dieser Situation wurde Giberti als Geisel preisgegeben, um die Befreiung des Pontifex zu gewährleisten, dem es nur durch Flucht gelang, sich zu retten. Die Ereignisse bewirkten, daß das Vertrauen Gibertis in die politischen Möglichkeiten des Kirchenstaates schwand und sich eine Bekehrung zu einer vollständig geistlichen Berufung vollzog. Infolge dieser Entwicklung verließ er Rom im Februar 1528, um das Bischofsamt in Verona zu übernehmen. Nachdem sich Giberti schon in der römischen Verwaltung tatkräftig für die ihm anvertraute Diözese eingesetzt hatte, widmete er sich nun mit uneingeschränkter Hingabe den seelsorgerlichen Aufgaben, ohne Rücksicht auf seine eigene Person, jedoch mit sehr klaren Vorstellungen von den notwendigen Reformen sowie den Schwierigkeiten, auf die sein bischöfliches Reformprogramm stoßen sollte. Seine Treue zum seelsorgerlichen Amt, die Beachtung der Residenzpflicht in Verona - die Praxis der Nicht-Residenz war bei Kurialen seiner Bedeutung weit verbreitet - und sein unbeugsamer Wille erregten Aufmerksamkeit und Zuneigung im Umkreis der katholischen Reformbewegung (->Evangelismus). Dies ermöglichte es Giberti, über eine einheitliche Gruppe qualifizierter Mitarbeiter zu verfügen, die den Bischof ihrerseits in seiner Tätigkeit ermutigten. Gleichzeitig aber beschwor er so den Widerstand des städtischen Klerikerstandes, der sich um das Domkapitel formierte. In dieser Situation konnte Giberti mit der bedingungslosen Unterstützung Clemens' VII. rechnen. Obwohl der Papst keine besonderen Sympathien für den pastoralen Eifer Gibertis empfand, hatte er seine persönliche Wertschätzung ihm gegenüber aufrechterhalten, aber nicht unterlassen, diesen für die politische Betätigung wiederzugewinnen. So gab Giberti Anfang 1529 dem Drängen des Papstes nach und kehrte nach Rom

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zurück, um in die politische Situation einzugreifen. Es handelte sich dabei jedoch nur um ein kurzes Zwischenspiel von einigen Monaten, das Giberti in seiner Entscheidung für das geistliche Amt erneut bestätigte. In Verona bewegte sich die gibertinische Aktion auf eine organisierte Reform der Diözesankirche zu, die ihre Stütze in der tätigen Präsenz des Bischofs hatte und sich auch auf den Säkular- und Regularklerus, auf die Frauenklöster, aber ebenso auf das christliche Laienvolk ausdehnte. Sie umfaßte die Katechese, Predigt, Sakramentsverwaltung, das Bibelstudium und sorgte für die Wiederherstellung eines geordneten christlichen Lebens. 1530 führte er eine Pastoralvisitation durch. Giberti hatte dieses Reformprogramm unabhängig von dem bevorstehenden Konzil (-»Tridentinum) entwickelt, das zwar in aller Munde war, in Italien selbst jedoch äußerst wenig Interesse in den von der -» katholischen Reform inspirierten Kreisen fand. Da Giberti die schwankende Haltung des Papstes hinsichtlich des Konzils kannte, erwirkte er von Clemens VII. die Übertragung der Vollmacht eines päpstlichen Legaten für Verona, um so seine eigene Reformtätigkeit wirksam weitertreiben zu können. Die Diözese selbst wurde dem Patriarchat Aquilea ausgegliedert und direkt der Autorität des Hl. Stuhles unterstellt. Auf diese Weise konnten die immer stärker werdenden Widerstände am Ort weitgehend neutralisiert werden. Giberti verstand es jedenfalls, aus seiner politischen Erfahrung heraus zu vermeiden, daß ihm die venezianische Regierung die Unterstützung entzog. Er wurde auch hier von Clemens VII. gefördert, der ihm 1532 die Verhandlungen mit Venedig im Hinblick auf die Bildung einer antitürkischen Liga anvertraute. Dank der starken Persönlichkeit des Bischofs und seines Eifers für die Reform der Kirche wurde Verona zu einem immer bekannteren Zentrum innerhalb der Christenheit, nicht zuletzt aber auch durch die außergewöhnliche Anziehungskraft, die die Stadt zu einem Treffpunkt verschiedenster Gelehrter werden ließ und so einen intensiven Gedankenaustausch ermöglichte. Giberti unterhielt Beziehungen zu -»Erasmus, lud B. -»Ochino zu Predigten ein, pflegte eine tiefe Freundschaft mit R. -»Pole und stand mit all jenen Prälaten in freundschaftlicher Zusammenarbeit, die zwischen 1535 und 1542 die größten Anstrengungen für eine innerkatholische Reform und gleichzeitig für eine Wiedervereinigung mit den Protestanten aufbrachten: Von -»Contarini bis zu Badia, von Cortese bis zu —> Aleander. Viele waren darauf gefaßt, daß mit dem Ende des Pontifikats Clemens' VII. (1534) auch der Erfolg Gibertis dahinschwinden würde. Tatsächlich aber entwickelten sich die Verhältnisse ganz anders. Denn -»Paul III. begann sehr bald, die Initiative des veronesischen Bischofs zu unterstützen, dem er Anfang 1536 alle Rechte und Privilegien bestätigte, die ihm schon Clemens VII. eingeräumt hatte. Auch der neue Papst versuchte, wenn auch völlig vergeblich, Giberti wieder für die politische Tätigkeit zu interessieren. Er wollte ihn zum Nuntius für Venedig ernennen (November 1534), bestellte ihn als Begleiter für Pole während der unglücklichen Englandmission 1537 und beauftragte ihn 1536 dann wieder 1542 - mit der Überwachung der Vorbereitungen für das Konzil. Giberti willigte im Herbst 1536 ein, in Rom an der Arbeit des Ausschusses mitzuwirken, dem Paul III. den Auftrag gab, einen Entwurf für eine Kirchenreform in capite auszuarbeiten. Es entstand dort das Consilium de emendanda ecclesia, in dem klar zum Ausdruck kommt, daß der Bischof von Verona viel von seinen Erfahrungen sowohl in der römischen Kurienverwaltung als auch der gibertalis disciplina einbrachte, die er seiner Kirche immer stärker einschärfte. Sehr bewußt setzten Giberti und sein Kreis den Buchdruck ein, um die Reform der Kirche verfechten und ausbreiten zu können. Schon 1529—1530 verfaßte der Bischof das Werk Breve ricordo dt quello che hanno da fare i chierici, massimamente curati (Kurze Erinnerung an die Aufgaben der Kleriker, besonders der Geistlichen), das verschiedene Auflagen erfuhr (neu ediert von Prosperi: Critica 4 [1965] 3 6 7 - 4 0 2 ) ; 1541 ließ er in Verona die Qanones cottcilii prouincialis Coloniensis und im Anhang das wegen seiner Thesen über die doppelte Rechtfertigung bekannte Enchiridion Christianae Religionis

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Giberti

von —»Gropper drucken. Schließlich wurden 1 5 4 2 seine Constitutiones... ex sanctorum Patrum dictis et canonicis institutis ac variis negociis quotidie occurentibus et longo rerum usu collectae et in unum redactae ediert, in denen die von Paul III. approbierte Kodifizierung der Diözesanreform enthalten ist. Als einige J a h r e später das Konzil endlich stattfand, sahen nicht wenige Konzilsväter in diesen Constitutiones wie in d e m gesamten veronesischen Werk Gibertis das Vorbild und die V o r w e g n a h m e der v o m Konzil erwarteten R e f o r m , obgleich Giberti nunmehr in den Hintergrund trat und in den letzten M o n a t e n seines Lebens einen unangenehmen Prozeß v o r der venezianischen Signoria durchzustehen hatte. E r wurde der politischen Unredlichkeit angeklagt und gleichzeitig verdächtigt, O c h i n o begünstigt zu haben, der 1 5 4 2 floh, kurz n a c h d e m er Gast bei Giberti in Verona gewesen w a r . Der Bischof wurde unverzüglich freigesprochen, aufgrund einer von ihm vorgelegten Rechtfertigung (ed. Pighi 175—185), d o c h hat dieser Prozeß wahrscheinlich seiner Gesundheit unwiederbringlich geschadet. Seine wiederholten Versuche, einen Nachfolger zu finden, der wie er für die Einhaltung der Residenzpflicht und die R e f o r m eintrat, waren vergeblich. Der Kreis seiner Mitarbeiter löste sich rasch auf (auch wenn sich der Wirkungsradius zunächst durch die Übersiedlung von N . O r m a n e t o nach M a i l a n d , der einer der maßgeblichen Mitarbeiter von —»Borromeo werden sollte, zu erweitern schien). Selbst die Erinnerung an Giberti w a r im „ g e g e n r e f o r m a t o r i s c h e n " Klima der 50er J a h r e des 16. J h . verdächtig, so d a ß die von P. F. Zini ( B o n i patris exemplum...) vorbereitete Biographie auf erhebliche W i d e r s t ä n d e stieß, bis sie 1 5 5 6 gedruckt werden konnte. Erst in der nachtridentinischen Zeit erfuhren die Person und das Werk Gibertis die Beachtung, die seine Zeitgenossen vermissen ließen, weil sie seinen Reformvorschlägen gegenüber verschlossen w a r e n , bedingt auch durch die Eigenart der Persönlichkeit Gibertis und der außergewöhnlichen Privilegien, deren er sich hatte erfreuen können. Quellen Johannis Matthei Giberti Opera nunc primum collecta, hg. v. P. und G. Ballerini, Ostiliae 2 1740. - F . Gualterio, Corrispondenza segreta di Gian Matteo Giberti datario di Clemente VII col Cardinale Agostino Trivulzio dell'anno M D X X V I I , Turin 1845; andere Teile seines Briefwerkes sind in vielen Editionen gesammelt. Literatur Giuseppe Alberigo, I vescovi italiani al Concilio di Trento (1545-1547), Florenz 1959. - Marvin Walter Anderson, Biblical Humanism and Roman Catholic Reform (1501-1542). Contarini, Pole and Giberti: C T M 49 (1968) 6 8 6 - 7 0 7 . - Gino Barbieri, Aspetti sociali nell'opera riformatrice di Gian Matteo Giberti: Saggi di storia economica italiana, Bari 1948, 7 3 - 8 8 . - Enrico Cattaneo, Influenze veronesi nella legislazione di san Carlo Borromeo: Problemi di vita religiosa in Italia nel Cinquecento, Padua 1960, 1 2 3 - 1 6 6 . - Antonio Cistellini, Figure della Riforma pretridentina, Brescia 1948 (s. Index). - Friedrich Dittrich, Beitr. zur Gesch. der kath. Reformation im ersten Drittel des XVI. Jh. II. Giberti von Verona, ein Reformator: H J 7 (1886) 1 - 5 0 . - L u i g i Fumi, Una lettera del Bayeux oratore die Francesco I in Venezia al datario Gian Matteo Giberti in Roma (11. Dezember 1526): ASRSP 23 (1900) 284ff. - Angelo Grazioli, Nel centenario della morte di Gian Matteo Giberti vescovo di Verona. La sua opera di riforma: La scuola cattolica 73 (1945) 8 5 - 1 0 1 . - Angelo Grazioli, Gian Matteo Giberti, vescovo di Verona precursore della riforma del concilio di Trento, Verona 1955. Hubert Jedin, Gesch. des Konzils von Trient, Freiburg, 11949, passim. - Hubert Jedin, Il tipo ideale di vescovo secondo la Riforma cattolica, Brescia 1950 (38 - 4 8 ) . - Giovanni Maria Monti, La legazione del Polo e del Giberti in Francia e in Fiandra nel 1537: ASI 87 (1929) 2 9 3 - 3 0 9 . - Tommaso Pandolfi, Gian Matteo Giberti e l'ultima difesa della libertà d'Italia negli anni 1 5 2 1 - 2 5 : ASRSP 34 (1911) 1 3 1 - 2 3 7 . - Pio Paschini, S. Gaetano Thiene, Gian Pietro Carafa e le origini dei Chierici Regolari Teatini, Rom 1926, passim. - Ludwig v. Pastor, Gesch. d. Päpste, Freiburg IV/1, IV/2 7 1923, V 7 1923, passim. - Paola Pavignani, Tullio Crispoldi da Rieti e il suo ,Sommario di prediche': RSCI 28 (1974) 5 3 6 - 5 6 2 . - Francesco Pellegrini, Un consulto di Gerolamo Fracastoro per Gian Matteo Giberti vescovo di Verona, Verona 1934. - Giovanni Battista Pighi, Gian Matteo Giberti, Verona 2 1924. - Adriano Prosperi, Tra Evangelismo e Controriforma. Gian Matteo Giberti (1495-1543), Rom 1969. - Adriano Prosperi, Un processo per eresia a Verona verso la metà del Cinquecento: Quaderni storici 15 (1970) 773 - 7 9 4 . - Luigi Simeoni, Un volume manoscritto di

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prediche attribuite al vescovo Giberti: Atti dell'Accademia di Verona 1932, R . V / 1 0 , 1 2 5 - 1 3 0 . Pietro Tacchi-Venturi, II vescovo Giaramateo Giberti nella fuga di Bernardino Ochino: CivCatt 64 (1913) 3 2 0 - 3 2 9 . - M . A. Tucker, Gian M a t t e o Giberti, Papal Politician and Catholic Reformer: E H R 18 (1903) 2 4 - 5 1 . 2 6 6 - 2 8 6 . 4 3 9 - 4 6 9 . - Olindo Viviani, N o t e su Gian M a t t e o Giberti e i primi capitoli della ,Societas Caritatis': Atti dell'Accademia di Agricoltura, Scienze e lettere di Verona, R. V I / 2 (1950/51) 1 7 7 - 1 8 6 .

Giuseppe Alberigo Gichtel, Johann

Georg

-»Mystik, -»Spiritualismus

Gideon -»Geschichte Israels Gießen,

Universität

1. Die Anfänge bis 1650 2. 1 6 5 0 bis ca. 1 8 0 0 3. Das 19. Jahrhundert 4. Katholisch-Theologische Fakultät 5. 1 8 7 0 - 1 9 1 8 6. 1 9 1 9 - 1 9 4 5 / 6 7 . Nachkriegszeit (Quellen/Bibliographien/Literatur S. 265)

1. Die Anfänge bis 1650 Konfessionalismus und Territorialismus haben die Gründungssituation der Universität Gießen 1605 - 0 7 gekennzeichnet, konfessionsgeschichtlich gesehen als Fortsetzung der 1527 von -»Philipp d. Großmütigen gegründeten lutherischen Universität -»Marburg. Die Vorgeschichte reicht insofern bis 1567 zurück, als dieser die Teilung der Landgrafschaft unter seine vier Söhne (-»Hessen), aber die Beibehaltung der Universität als „Samtuniversität" testamentarisch verfügt hatte. Um 1600 war bereits die Linie Rheinfels (1583) ausgestorben, in Marburg regierte noch Ludwig IV., während in Kassel mit Moritz (reg. 1592-1627) und in Darmstadt mit Ludwig V. (1596-1626) schon die Generation der Enkel an der Regierung war. Zwischen diesen ergaben sich Differenzen, auch weil Moritz reformiert geworden war. Der kinderlose Ludwig IV. von Marburg (gest. 1604) vererbte seine Landgrafschaft an seine beiden Neffen, wobei allerdings die Universität Marburg die überkommene lutherische Konfession beibehalten sollte. Als Marburg an Moritz gefallen war, versuchte dieser die calvinistische Lehre rigoros durchzusetzen (Verbesserungspunkte), auch gegen den Widerstand von Bevölkerung und Universität. Die Professoren der Theologie (Johann Winckelrnann, Balthasar Mentzer und u.a. der spätere Theologe Konrad Dieterich) wurden von Moritz entlassen und fanden in der nahen Festung Gießen, die unlängst Darmstadt zugefallen war, Aufnahme. Ludwig V. nutzte die Gelegenheit zur Gründung einer eigenen Universität in seiner Landgrafschaft, unterstützt von den Superintendenten Johannes Angelus (Darmstadt) und Jeremias Vietor (Gießen) und von den jetzt erstmals als Partikularlandtag zusammentretenden Ständen. Der O r t an der Nordwest-Grenze seines größten Gebietes (Oberhessen) gewährte eine gewisse Abwehrstellung gegen die reformierten N a c h b a r n M a r b u r g und —»Herborn, dokumentierte aber zugleich die lutherische Fortführung der alten Philippina, was dem Selbstverständnis der neuen Gründung entsprach und die enge Anlehnung im Strukturellen an jene erklärt. In der damaligen Universitätslandschaft erwies sich die Wahl als äußerst glücklich, weil sie ein weites Einzugsgebiet lutherischer Studenten von Westen bis Norden sicherte, das erst durch die Gründung von -»Kiel (1665) und -»Göttingen ( 1 7 3 4 / 3 7 ) verkleinert wurde.

Gründung und Ausbau erfolgten zügig, wobei die kaisertreue Einstellung Ludwigs („fidelis") dienlich war. Am 10.10. 1605 wurde als künftige Universität ein Gymnasium illustre (trilingue) mit einer theologischen und einer philosophischen Fakultät und mit einem Paedagogium eröffnet und durch die ehemals Marburg zufallenden, jetzt aber zu Darmstadt gehörenden Abgaben mehrerer Vogteien sowie durch weitere Stiftungen von Land und Stadt finanziell gesichert. Nach weiterem Ausbau (Jura und Medizin) und nach längeren Vorverhandlungen unterzeichnete Kaiser Rudolfll. in Prag das besonders für alle Graduierungen erforderliche Privileg am 9./19.5. 1607. Am 10.10. 1607 wurde die Ludoviciana in Gießen (Pankratiuskirche) feierlich eröffnet.

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prediche attribuite al vescovo Giberti: Atti dell'Accademia di Verona 1932, R . V / 1 0 , 1 2 5 - 1 3 0 . Pietro Tacchi-Venturi, II vescovo Giaramateo Giberti nella fuga di Bernardino Ochino: CivCatt 64 (1913) 3 2 0 - 3 2 9 . - M . A. Tucker, Gian M a t t e o Giberti, Papal Politician and Catholic Reformer: E H R 18 (1903) 2 4 - 5 1 . 2 6 6 - 2 8 6 . 4 3 9 - 4 6 9 . - Olindo Viviani, N o t e su Gian M a t t e o Giberti e i primi capitoli della ,Societas Caritatis': Atti dell'Accademia di Agricoltura, Scienze e lettere di Verona, R. V I / 2 (1950/51) 1 7 7 - 1 8 6 .

Giuseppe Alberigo Gichtel, Johann

Georg

-»Mystik, -»Spiritualismus

Gideon -»Geschichte Israels Gießen,

Universität

1. Die Anfänge bis 1650 2. 1 6 5 0 bis ca. 1 8 0 0 3. Das 19. Jahrhundert 4. Katholisch-Theologische Fakultät 5. 1 8 7 0 - 1 9 1 8 6. 1 9 1 9 - 1 9 4 5 / 6 7 . Nachkriegszeit (Quellen/Bibliographien/Literatur S. 265)

1. Die Anfänge bis 1650 Konfessionalismus und Territorialismus haben die Gründungssituation der Universität Gießen 1605 - 0 7 gekennzeichnet, konfessionsgeschichtlich gesehen als Fortsetzung der 1527 von -»Philipp d. Großmütigen gegründeten lutherischen Universität -»Marburg. Die Vorgeschichte reicht insofern bis 1567 zurück, als dieser die Teilung der Landgrafschaft unter seine vier Söhne (-»Hessen), aber die Beibehaltung der Universität als „Samtuniversität" testamentarisch verfügt hatte. Um 1600 war bereits die Linie Rheinfels (1583) ausgestorben, in Marburg regierte noch Ludwig IV., während in Kassel mit Moritz (reg. 1592-1627) und in Darmstadt mit Ludwig V. (1596-1626) schon die Generation der Enkel an der Regierung war. Zwischen diesen ergaben sich Differenzen, auch weil Moritz reformiert geworden war. Der kinderlose Ludwig IV. von Marburg (gest. 1604) vererbte seine Landgrafschaft an seine beiden Neffen, wobei allerdings die Universität Marburg die überkommene lutherische Konfession beibehalten sollte. Als Marburg an Moritz gefallen war, versuchte dieser die calvinistische Lehre rigoros durchzusetzen (Verbesserungspunkte), auch gegen den Widerstand von Bevölkerung und Universität. Die Professoren der Theologie (Johann Winckelrnann, Balthasar Mentzer und u.a. der spätere Theologe Konrad Dieterich) wurden von Moritz entlassen und fanden in der nahen Festung Gießen, die unlängst Darmstadt zugefallen war, Aufnahme. Ludwig V. nutzte die Gelegenheit zur Gründung einer eigenen Universität in seiner Landgrafschaft, unterstützt von den Superintendenten Johannes Angelus (Darmstadt) und Jeremias Vietor (Gießen) und von den jetzt erstmals als Partikularlandtag zusammentretenden Ständen. Der O r t an der Nordwest-Grenze seines größten Gebietes (Oberhessen) gewährte eine gewisse Abwehrstellung gegen die reformierten N a c h b a r n M a r b u r g und —»Herborn, dokumentierte aber zugleich die lutherische Fortführung der alten Philippina, was dem Selbstverständnis der neuen Gründung entsprach und die enge Anlehnung im Strukturellen an jene erklärt. In der damaligen Universitätslandschaft erwies sich die Wahl als äußerst glücklich, weil sie ein weites Einzugsgebiet lutherischer Studenten von Westen bis Norden sicherte, das erst durch die Gründung von -»Kiel (1665) und -»Göttingen ( 1 7 3 4 / 3 7 ) verkleinert wurde.

Gründung und Ausbau erfolgten zügig, wobei die kaisertreue Einstellung Ludwigs („fidelis") dienlich war. Am 10.10. 1605 wurde als künftige Universität ein Gymnasium illustre (trilingue) mit einer theologischen und einer philosophischen Fakultät und mit einem Paedagogium eröffnet und durch die ehemals Marburg zufallenden, jetzt aber zu Darmstadt gehörenden Abgaben mehrerer Vogteien sowie durch weitere Stiftungen von Land und Stadt finanziell gesichert. Nach weiterem Ausbau (Jura und Medizin) und nach längeren Vorverhandlungen unterzeichnete Kaiser Rudolfll. in Prag das besonders für alle Graduierungen erforderliche Privileg am 9./19.5. 1607. Am 10.10. 1607 wurde die Ludoviciana in Gießen (Pankratiuskirche) feierlich eröffnet.

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Gießen

Der Gründungsimpuls prägte die Universität im Sinne der lutherischen -»Orthodoxie, die bis 1688 vorherrschend blieb und alsbald eine Blüte erlebte, besonders durch Johann Winckelmann (1605-26 in Darmstädtischen Diensten) und Balthasar Mentzer I (1605- 27); in inneren und äußeren Kontroversen dogmatischer Art, vor allem in der Frage der -»Ubiquität Christi (Kenosis-Streit), war sie über die Tübinger Kollegen erfolgreich. Auch die Rechtswissenschaft (Gottfried Antonii [1605-18 in Gießen], erster Rektor 1607) war ausgezeichnet vertreten, stand im Gegensatz zu Marburg auf kaiserlicher Seite und sicherte den künftigen Beamten des Landes die erwünschte Ausbildung. In der Philosophischen Fakultät bemühte man sich um neue Methoden und schuf Lehrbücher, von denen z. B. die „Gießer" lateinische Grammatik von Kaspar Finck und Christoph Helwig bis ins 18. Jh. gebraucht wurde. Früh schon legte Ludwig Jungermann einen Botanischen Garten an (1609), und die Medizin trat mit Gregor Horstius (1608-22), den man „Äsculap der Deutschen" nannte, hervor. Der Lehrbetrieb entsprach dem humanistischen; mit der Tradierung von Buchwissen, mit Erklärung und -»Disputation suchte man den Zielen der eloquentia und imitatio gerecht zu werden. Der äußere Rahmen war durch die „ältesten" Statuten, datiert ins Jahr 1607, geregelt.

Die Gefahren der Zeit (Pest, z.B. 1613) und den Krieg (seit 1618) meisterte die junge Ludoviciana. Eine Wende brachte aber das Reichshofgerichtsurteil im Erbstreit (1623), durch das Marburg an Ludwig V. fiel, der 1624 die Universität Gießen gemäß seiner entsprechenden Zusage von 1607 suspendierte. Von 1625-1648/50 war Marburg die Darmstädtische Landesuniversität, nunmehr wieder in streng lutherischer Observanz, wobei Winckelmann 1625/6 als Rektor und Traditionswahrer fungierte. Die gütliche Einigung beider Linien im Hauptakkord 1627 währte nur bis 1637/45, zumal die neue Gründung der Universität Kassel (Mauritiana, 1632-1652) nicht reüssierte. Kriegswirren, Pest (1633) und der Hessenkrieg (1645-48) lähmten auch die Darmstädtische Universität und führten zur Rückeroberung Marburgs durch Kassel. Der -•Westfälische Frieden sah wohl wieder eine hessische Samtuniversität vor, aber der Universitätsvertrag vom 19. 2. 1650 brachte die Trennung. 2. 1650-ca.

1800

Mit der Translokation der Marburger Professoren und der Wiedereröffnung der Universität Gießen am 5.5. 1650 lief die Gründungsphase aus. Die äußere Form war festgelegt durch die „alten" Statuten vom Jahre 1629, die nunmehr in Gießen bis 1879 gültig waren, freilich im Laufe der Zeit in vielen Einzelheiten geändert. Erster Rektor wurde Justus Feuerborn (1614—1656), der bereits in Gießen gelehrt hatte, zugleich ein Musterbeispiel für die „Familienuniversität" der damaligen Zeit (Schwiegersohn von B. Mentzer I). Er und seine Kollegen Balthasar Mentzer II (bis 1652) und später z.B. Philipp L. Hannecken II (bis 1693) und Peter Haberkorn I (gest. 1676) vertraten weiterhin die lutherische Orthodoxie gegen zeitgemäße Strömungen eines -»„Synkretismus". Immer gewichtiger wurde aber jetzt die Juristische Fakultät, zumal im Zeitalter des Absolutismus, während die Theologie allmählich den Zeitströmungen ihren Tribut zollte und kaum überragende Gelehrte mehr aufwies. Dies blieb so in der Auslaufzeit der „vorklassischen" Universität bis zur großen Wende um 1800 und im beginnenden 19. Jh. Der Einzug des -»Pietismus in Gießen erwies zugleich schlagartig die Bedeutung des Hofes für die Universität. Ph. J. -»Spener hatte Johann Heinrich May (Maius pater, gest. 1719) empfohlen, und mit ihm begann 1688 - noch vor -»Halle - die Herrschaft des Pietismus in Gießen, die im wesentlichen, anfangs nicht ohne erheblichen Streit (Gießener „Pietistenstreit", besonders geführt durch Johann Christoph Bielefeld), bis 1735 andauerte und zuletzt in Johann Jakob Rambach noch einen bedeutenden Vertreter hatte (1731-1735). Dann fiel die Theologie wieder zurück in eine Stufe, die man entwicklungsgeschichtlich „Repristinationsorthodoxie" nannte, vertreten z.B. durch Johann Georg Liebknecht (1707-49) und vor allem durch Johann Hermann Benner (1730-1782). Der -»Rationalismus, in dessen Gefolge seit ca. 1700 auch in Deutschland die Akademien als neuartige Organisationsformen entstanden, hatte in Gießen mit der kritischen Durchleuchtung der Vergangenheit einen bedeutenden Vorläufer in dem Historiker G. -»Arnold, der, allerdings nur kurz (1697/8), Naturrecht und Kirchengeschichte vertrat und sein grundlegendes Werk Unpartheyiscbe Kirchen- und Ketzerhistorie begann. Allmählich bahnte sich eine gewisse Spezialisierung an, hier angedeutet z.B. durch die Einrichtung eines anatomischen Theaters (1708). In der Philosophie erreichte niemand die Höhe von Ch. -»Wolff im benachbarten Marburg. Ausstrahlungen des Rationa-

Gießen

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lismus wurden erst in der Aufklärungstheologie 1770 bemerkbar (->Aufklärung), besonders vertreten durch Johann Georg Bechtold (1765-1803 in Gießen), Johann Christoph Friedrich Schulz (1771-1776) und C.F. -»Bahrdt und führten nach Göttinger Vorbild zu einem Predigerseminar (1773-76). Neue Wege suchte man in der freilich auch nur kurzlebigen ökonomischen Fakultät (1777-1785) mit dem führenden Physiokraten Johann August Schlettwein an ihrer Spitze.

3. Das 19.

Jahrhundert

Das Ende der vorklassischen Universität kam mit dem Zeitalter der -»Französischen Revolution, Napoleons und der Befreiungskriege. Not und Besetzung zeichneten auch die Entwicklung in Gießen: Bernadotte Ehrendoktor (1798), August Friedrich Wilhelm Crome (1787-1831) als Kameralist zugleich „Nationalökonom" des Rheinbundes, Niederlegung der Festungswälle der Stadt (1806/10), Blücher in Gießen (1813), Karl Ludwig Wilhelm Grolmann (1795-1829) als Jurist, später Staatsminister im Großherzogtum. Das Zeitalter der „klassischen Universität" Humboldtscher Prägung (1810-1970) wird man für Gießen gliedern dürfen in eine lange Anlaufzeit, einen Höhepunkt (etwa 1870-etwa 1933) und eine Krisen- und Auslaufzeit, die mit 1945 stärkste Veränderungen brachte. Im 19. Jh. vollzog sich allmählich die Wende von der „Lern-" und „Familienuniversität" hin zu einer offenen, vorwiegend bürgerlichen Ausbildungsstätte auf der idealistischen Grundlage der universitas litterarum. Neue Methoden fanden in Gießen früh Zugang (Philologisches Seminar durch Friedrich Gottlieb Welcker 1812), und der Aufstieg der Naturwissenschaften erlebte mit dem Chemiker Justus Liebig (1824-1852) einen epochalen Höhepunkt. Zugleich wurden neue Fächer ausgebaut, wie z.B. seit 1824 die Forstwissenschaft (seit 1831 mit der Universität vereinigt) oder die Veterinärmedizin (1832 Dr. med. vet.), und das Spektrum wurde erweitert bis hin zu einem technischen Studium (1874 im wesentlichen an die T . H . Darmstadt verlagert). Die Theologie verlor nun ihre früher führende Stellung an der Ludoviciana ganz, auch wenn sie z. T. tüchtige Vertreter aufwies wie Karl August Credner (1831-1857) oder Gustav Ad. Ludw. Baur (1849-1860). Obwohl 4 Lehrstühle vorhanden waren, setzte eine Umstellung auf moderne Fragestellungen kaum ein (Theol. Seminar 1868), zumal die Vertreter noch auf dem alten universalistischen Standpunkt standen und zumeist die Mittelmäßigkeit nicht überstiegen.

4.- Katholisch-Theologische

Fakultät

Die ursprüngliche lutherische Prägung der Universität war schon mit der Aufklärung weggefallen (letzte Religionsreverse 1785/94). Für die paritätische Landesuniversität des Großherzogtums (seit 1806) wurde die Errichtung einer Katholisch-Theologischen Fakultät erforderlich. Sie bestand von 1830 bis 1851, alsbald bekämpft vor allem vom Mainzer Domkapitel und schließlich mattgesetzt durch W. E. Frhr. von Ketteier, der anstelle des ursprünglich gewählten Gießener Prof. Leopold Schmid (1839-1850 bzw. 1869) Bischof wurde und umgehend das Mainzer Priesterseminar einrichtete. 5.

1870-1918

Die Blütezeit der klassischen Universität kann man für die Ludoviciana um 1870 beginnen lassen, wenn auch die Übergänge sehr fließend waren, wie nicht nur das Beispiel Liebig, sondern auch das des Juristen Rudolf v. Jhering (1852-68) zeigen mag. Die Schwerpunkte verlagerten sich immer stärker auf die Fächer der Medizinischen und der Philosophischen Fakultät. Denn nicht nur Experiment und Beobachtung, sondern auch die Hinwendung zu historischer Arbeitsweise prägten immer nachhaltiger Forschung und Lehre. Die Fachdisziplinen wurden vermehrt (1870 Lehrstuhl für Landwirtschaft) oder stiegen auf wie die Zoologie (1850-69 Rudolf Leuckart) oder Physik (1879-88 Wilhelm Conrad Röntgen). Die Spezialisierung wurde sehr deutlich bei der Medizin, unterstützt durch großzügigen Ausbau der Kliniken seit 1890 (1888-1904 der Hygieniker Georg Gaffky). Einen großen Aufschwung erlebte auch die Veterinärmedizin, seit 1900 als Kollegium innerhalb der Medizinischen Fakultät, seit 1914 als eigene Fakultät (Zweitälteste Deutschlands, kurz nach München). Klassische Philologie (Religionsgeschichtliche Versuche u. Vorarbeiten [RVV], begründet von Albrecht Dieterich und Richard Wünsch) und Germanistik (Otto Behaghel, 1888-1925) blühten auf.

264

Gießen

Die Theologie wurde aus einer Periode der Schwäche überraschend schnell auf einen herausragenden Stand spezialisierter Fachwissenschaft gebracht, im wesentlichen begonnen von Bernhard Stade (1875-1906 in Gießen, AT), dem die „Reorganisation" zukam. Junge, später sehr bedeutende Gelehrte wurden berufen: Emil Schürer (1878-90, NT), Friedrich Wilhelm Kattenbusch (1878-1904, Syst.), A. ->Harnack (1879-86, KG) und Johannes Gottschick (1882-92) auf den neu eingerichteten (5.) Lehrstuhl für Praktische Theologie. Der theologische Liberalismus im Gefolge von A. ->Ritschl (Göttingen) hatte damit in Gießen Fuß gefaßt und führte zu großer Produktivität, wie z. B. die Zeitschrift für alttestamentliche "Wissenschaft (ZAW), die Theologische Litteratur-Zeitung (ThLZ) oder die Zeitschrift für Theologie und Kirche (ZThK) zeigen, die von Gießen aus gegründet bzw. geleitet wurden. Auch die nächste Generation wies hervorragende Namen auf wie H. ->Gunkel (AT, 1907 - 2 0 ) , W. ->Bousset (NT, 1916-20) - beide Repräsentanten der Religionsgeschichtlichen Schule - , seinen Nachfolger R. -»-Bultmann (NT 1920/1) oder den Kirchenhistoriker Gustav Krüger (1886/91-1927). Religionsgeschichte und Bibelexegese rückten in den Mittelpunkt der wissenschaftlichen Bemühungen, ohne daß die Praktische Theologie vernachlässigt wurde. 6.

1919-1945/6

Als letzte Periode der Theologie an der Ludoviciana sei die Zeit zwischen 1919 und 1945 zusammengefaßt. Sie brachte den Ausgang der liberalen Phase und im sog. 3. Reich während des -*Kirchenkampfes 1934 ein bedeutsames Zeugnis eines Gruppenwiderstandes, besonders gegen den Landesbischof Ernst Ludwig Dietrich. Damals lehrten in Gießen u.a. der praktische Theologe Leopold Cordier (1926-39), Heinrich Bornkamm ( 1 9 2 8 - 3 4 , Kirchengeschichte), Wilhelm Rudolph ( 1 9 3 0 - 4 6 , Altes Testament), Ernst Haenchen (1933-39, Systematik) und als Honorarprofessor (neben August Frhr. v. Gall) der Prälat Wilhelm Diehl (1932-44), ein verdienter Landes- und Kirchenhistoriker. Die nächsten Jahre brachten im allgemeinen Studentenschwund vor allem eine „Austrocknung" der Theologischen Fakultät, die noch fünf Ordinariate hatte, und schließlich nach dem Krieg ihr Ende: 1946 wurde sie nicht wiedereröffnet. 7.

Nachkriegszeit

Nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgte 1946 lediglich eine Wiedereröffnung einer Fakultät und verschiedener Fächer als „Hochschule für Bodenkultur und Veterinärmedizin" (1946), die von 1950 an mit dem Namen Justus Liebig-Hochschule drei Fakultäten sowie eine allgemeine Abteilung umfaßte, wesentlich ergänzt durch eine Akademie für medizinische Forschung und Fortbildung. Mit der 350-Jahrfeier wurde 1957 die Universität wiederhergestellt mit vier Fakultäten (Medizin, Veterinärmedizin, Landwirtschaft, Naturwissenschaft). Mit Rücksicht auf den damals betont biologischen Charakter wählte man den Namen Justus Liebig-Universität in Erinnerung an das bahnbrechende Werk von Gießens bedeutendstem Universitäts-Lehrer. Später wurde aus der Naturwissenschaftlichen Fakultät eine selbständige Philosophische Fakultät ausgegliedert (1964) und dann eine Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät errichtet, während die Theologische Fakultät fehlte und fehlt. Inzwischen hatte die 1961 nach Gießen verlegte Hochschule für Erziehung einen gewissen E r s a t z für die Theologie gebracht, und dieser wurde noch deutlicher mit der Integration dieser Hochschule als „Abteilung für Erziehungswissenschaften" in die Universität 1 9 6 6 / 7 .

Dann kam mit dem Hessischen Hochschulgesetz und dem Universitätsgesetz von 1970 das Ende der „klassischen" Universität und 1971 ihr Übergang zur Gruppen- und Massen-Universität der Gegenwart. Die (damals 6) Fakultäten wurden aufgelöst und in 23 Fachbereiche (heute 21) und 5 wiss. Zentren (heute 7) neugegliedert. Der Fachbereich 07 Religionswissenschaften entstand aus den fachwissenschaftlichen und fachdidaktischen

Gießen

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P r o f e s s u r e n d e r e h e m a l i g e n S e m i n a r e f ü r e v a n g e l i s c h e b z w . k a t h o l i s c h e T h e o l o g i e u n d ist h e u t e gegliedert in ein I n s t i t u t f ü r evangelische u n d eins f ü r k a t h o l i s c h e Religionswissenschaft. Aufgabe des Fachbereichs ist es, künftige Lehrer aller Schulstufen, nicht aber Pfarrer auszubilden, wobei auch hochschuldidaktische Aufgaben eigener Art in interkonfessioneller Zusammenarbeit zu bewältigen sind und eine partnerschaftliche Verbindung zur theologischen Wissenschaft angestrebt wird. Vorhanden sind 11 Professuren sowie mehrere Pädagogische Mitarbeiter und Lehrbeauftragte. 1982 haben 550 Studenten (von ca. 16000) Religionswissenschaft als Studienfach gewählt ( 2 / 3 ev., 1 / 3 kath.). Promotionsmöglichkeit besteht zum Dr. phil. und zum M.A. Quellen Univ. archiv Gießen (Theol A-P, kath. Theol; vgl. Erwin Schmidt, Bestandsverzeichnis, Gießen 1969). - Archiv der Präsidialabteilung der Justus-Liebig-Universität Gießen (vorwiegend neuere Akten nach ca. 1930). - Hess. Staatsarchiv Darmstadt (bes. E 6B). - Hess. Staatsarchiv Marburg. Literatur Bibliographien: Ludwig Ermanen/Ewald Horn, Bibliogr. d. dt. Univ., Leipzig/Berlin, II 1904, bes. 225-228 (Lit. bis 1900). - Hans Georg Gundel, Ausgew. Bibliogr. zur Gießener Universitätsgesch. im 20. Jh.: Gießener Univ. Bl. 15/3 (1982) 175-186. - Adolf Knipper/Erwin Schmidt, Bibliogr. zur Gesch. d. Univ. Gießen von 1900 bis 1962, Gießen 1963. - Edwin Stark, Bibliogr. z. Univ.gesch., Verzeichnis der im Gebiet der BRD 1945-1971 veröffentl. Lit., hg. v. Erich Hassinger, Freiburg/München 1974 (Freiburger Beitr. z. Wiss. u. Univ.gesch. 1), bes. Nr. 1439-1578. - Hermann Schilling (Hg.), Gießener Bibliogr., 1 ff, Gießen 1978ff. Allgemeines: Die Universität Gießen von 1607-1907. FS z. dritten Jahrhundertfeier, 2 Bde., Gießen 1907 (darin bes.: I 365-467 Georg Lehnert/Herman Haupt, Chronik der Univ. Gießen 1607-1907 [Regesten, Dozentenverz.]; II 133-244 Walther Köhler, Die Anfänge des Pietismus in Gießen. 1689 bis 1695; 245-292 Paul Drews, Der wiss. Betrieb der prakt. Theol. in der theol. Fak. zu Gießen). - Ludwigs-Univ., Justus Liebig-Hochschule 1607-1957. FS z. 350-Jahrfeier, Gießen 1957 (bes. 447-530 Wilhelm Rehmann, Chronik der Ludwigs-Univ. Gießen u. der Justus Liebig-Hochschule Gießen 1946-1957 [mit Nachträgen zur FS 1907]). - Hans Georg Gundel, Grundzüge der Gießener Univ.gesch.: Gießen u. seine Landschaft in Vergangenheit u. Gegenwart, hg. v. Günter Neumann, Gießen 1970, 139-168 (Lit.). - Ders., Rektorenliste der Univ. Gießen 1605/07-1971, Gießen 1979 (Ber. u. Arb. aus d. Univ.bibl. Gießen 32). - Bernhard Jendorff/Cornelius Mayer/Gerhard Schmalenberg (Hg.), Theol. im Kontext der Gesch. der Alma Mater Ludoviciana, Gießen 1983. - Peter Moraw, Kleine Gesch. d. Universität Gießen, 1607-1982, Gießen 1982. - Ders., Humboldt in Gießen. Zur Professorenberufung an einer dt. Univ. des 19. Jh.: GuG 10 (1984) 47-71. - Volker Press, Die Univ. Gießen 1933-1957: Gießener Univ. Bl. 16/2 (1983) 9 - 3 4 . - Ernst Schering, 375 Jahre Univ. Gießen: JHKGV 34 (1983) 87-97. - Heinrich Steitz/Gottfried Maron, Art. Gießen, Univ.: R G G 3 2 (1958) 1571-1575. - Heinrich Steitz, Gesch. d. ev. Kirche in Hessen u. Nassau, Marburg, II—V 1957-1977. - Ausstellungskatalog „375 Jahre Univ. Gießen", hg. v. Norbert Werner, Gießen 1982. Zul.u.2.: Irwin Wiegner Baumann, Der Kampf d. Gießener Theol. Fak. gegen Zinzendorf u. die Brüdergemeine 1740-1750, Diss. Gießen 1929. - Wilhelm Martin Becker, Das erste halbe Jh. der hessisch-darmstädtischen Landesuniv.: FS. Univ. Gießen, I 1907, 1 - 3 6 4 . - Ders. Zur Gesch. des theol. Fak.examens in Gießen. (Nebst Kandidatenbuch von 1650-1874): AHG NF 9 (1913) 65-113. - Paul Drews, Das Eindringen der Aufklärung in die Univ. Gießen: PrJ 130 (1907) 35-59. Hans Georg Gundel (Hg.), Statuta Academiae Marpurgensis deinde Gissensis de anno 1629. Die Statuten der Hessen-Darmstädtischen Landesuniversität Marburg 1629-1650/Gießen 1650-1879, 1982 (VHKHW 44). - Heinrich Heppe, KG beider Hessen, Marburg 1876 (bes. II 54-82). - Friedrich Hermann Hesse, Das erste Jh. d. theol. Fak. in Gießen, Progr. Gießen 1858. - Rüdiger Mack, Johann Reinhard Hedinger u. d. pietistischen Querelen in Gießen (1694-99): JHKGV 30 (1979) 333-361. Peter Moraw/Volker Press (Hg.), Academia Gissensis. Beitr. z. älteren Gießener Univ.gesch., Marburg 1982 (VHKHW 45). - Carl Walbrach, Hess. Ludwigs-Univ. Gießen: Das akad. Deutschld., Berlin, II 1931,137-168. - Hermann Wasserschieben, Die ältesten Privilegien u. Statuten der Ludoviciana, Progr. Univ. Gießen 1881. Zu 3. und 5.: Andreas Anderhub, Das Antoniterkreuz in Eisen. Zur Gesch. d. Univ. Gießen während des Ersten Weltkriegs, Gießen 1979. - Julius Reinhard Dieterich/Karl Bader (Hg.), Beitr. z. Gesch. d. Univ. Mainz u. Gießen: AHG NF 5, Darmstadt 1907. - Wilhelm Baldensperger, Karl August Credner. Sein Leben u. seine Theol., Leipzig 1897. - Hans Georg Gundel/Peter Moraw/Volker Press (Hg.), Gießener Gelehrte in der ersten Hälfte des 20. J h . , 1982 (VHKHW 35/2)

Gilbert Porreta

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mit Lebensbildern von: Wilhelm Baldensperger, Heinrich B o r n k a m m , Wilhelm Bousset, Leopold Cordier, Wilhelm Diehl, H e r m a n n Gunkel, Friedrich Kattenbusch, Gustav Krüger, M a r t i n Schian, Bernhard Stade (Lit.). - Bernhard Stade, Die Reorganisation der theol. Fak. in Gießen in den Jahren 1878 bis 1882, Gießen 1894. Zu 4.: Georg Gundelius, Die ersten Bemühungen um die Errichtung einer kath.-theol. Fak (1803): Theol. im K o n t e x t , s . o . Allgemeines, 5 5 - 7 5 . - Rudolf Fischer-Wollpert, M a i n z u. Gießen: ebd. 7 7 - 1 0 9 . - Stephan Lösch, Die kath.-theol. Fak. an der Univ. Gießen: T h Q 108 (1927) 1 5 9 - 2 0 8 . - August Schuchert, Die kath.-theol. Fak. zu Tübingen u. Gießen: J B M z 1 (1946) 6 4 - 7 5 . - Fritz Vigener, Die kath.-theol. Fak. zu Gießen u. ihr Ende: Mitteilungen des Oberhessischen Gesch.Vereins N F 2 4 (1922) 2 9 - 9 6 . Zu 7.: Karl Bechert, Das Ende der Ludwigs-Univ.: Clemens Heselhaus (Hg.), 10 J a h r e Justus Liebig-Universität, FS Gießen 1967, 4 4 - 51. - Ernst Schering, Religionswissenschaften: Gießener Univ.-Bl. 1/1 (1982) 6 5 - 6 8 .

Hans Georg Gundel

Gilbert Porreta (ca. 1. Leben

1.

2. Werk

1080-1154) 3. Lehre und Nachwirkung

(Quellen/Literatur S. 268)

Leben

Gilbert (Gislebert), öfter durch Porrata, Porreta, Porreia, porretanus oder episcopus pictavensis identifiziert, wurde um 1080 zu Poitiers geboren, wo Magister Hilarius sein erster Lehrer war. Später studierte er unter Magister Bernhard von Chartres und den Brüdern -> Anselm (gest. 1117) und Radulph (gest. 1136) von Laon. Darauf leitete er eine Schule in Aquitanien. Er ist 1121 als Kanoniker von Poitiers und 1124 als Kanoniker von Chartres nachweisbar. Bischof Gottfried von Chartres (1116-49) ernannte ihn zum Kanzler der Domschule, an der er bis 1137 tätig war. Von dort siedelte er nach Paris über und lehrte teils in der „Aula des Bischofs", teils in der rue des Poirrees (vicus porretarum, vicus ad porretas), womit sich sein Beiname erklärt. Im Jahre 1142 wurde er zum Bischof seiner Vaterstadt gewählt. Eine auf einer Diözesansynode in Poitiers (1146) gehaltene Predigt über die Dreifaltigkeit erregte so sehr das Mißfallen zweier seiner Erzdiakone (Kalo und Arnold Qui-Non-Ridet), daß sie Gilbert bei Papst Eugen III. (1145-53) verklagten, der gerade auf dem Weg nach Frankreich war. Zu Paris hielt er im April 1147 ein Konsistorium ab, das ergebnislos verlief, weil der unter Verdacht stehende Boethiuskommentar Gilberts nicht zur Hand war. Als die Debatte nach dem Konzil von Reims (1148) auf einem zweiten Konsistorium wieder aufgenommen wurde, gelang es selbst -»Bernhard v. Clairvaux nicht, den Papst und seine Kardinäle von der Berechtigung der Anklagen zu überzeugen, so daß Gilbert, wie Otto von Freising (Gesta Frid. I, 61) bemerkt, honoris plenitudine in seine Diözese zurückkehren konnte. Ein in diesem Zusammenhang von der „Gallikanischen Kirche" aufgestelltes Glaubensbekenntnis wurde von den Kardinälen mit Empörung zurückgewiesen. Anläßlich des Todes seines Bischofs am 4. September 1154 schrieb der Dekan Laurentius ein von tiefem Schmerz zeugendes Klagelied (Planctus), aus dem wir erfahren, daß an der Beerdigung durch den Erzbischof von Bordeaux, Gottfried von Loroux (1136-58), die Bischöfe Bernhard von Saintes (1141-66), Hugo von Angouleme (1148-59) und Helias von Perigueux (1147-58) teilnahmen. Gilberts Nachfolger war Kalo (1154-61). 2. Werk Die Schriften Gilberts sind nur teilweise veröffentlicht. Ungedruckt sind sein vor 1117 geschriebener Psalmenkommentar und die schon vor 1141 von —»Gerhoch von Reichersberg getadelte Erklärung der Paulusbriefe. Beide Kommentare sind noch in zahlreichen Handschriften erhalten (Fr. Stegmüller, RBMA 2 [1952] 3 4 5 - 3 5 0 ) . Gedruckt sind sein vor 1140 fertiggestellter Kommentar zu den Opuscula sacra des -»Boethius; ferner ein

Gilbert Porreta

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mit Lebensbildern von: Wilhelm Baldensperger, Heinrich B o r n k a m m , Wilhelm Bousset, Leopold Cordier, Wilhelm Diehl, H e r m a n n Gunkel, Friedrich Kattenbusch, Gustav Krüger, M a r t i n Schian, Bernhard Stade (Lit.). - Bernhard Stade, Die Reorganisation der theol. Fak. in Gießen in den Jahren 1878 bis 1882, Gießen 1894. Zu 4.: Georg Gundelius, Die ersten Bemühungen um die Errichtung einer kath.-theol. Fak (1803): Theol. im K o n t e x t , s . o . Allgemeines, 5 5 - 7 5 . - Rudolf Fischer-Wollpert, M a i n z u. Gießen: ebd. 7 7 - 1 0 9 . - Stephan Lösch, Die kath.-theol. Fak. an der Univ. Gießen: T h Q 108 (1927) 1 5 9 - 2 0 8 . - August Schuchert, Die kath.-theol. Fak. zu Tübingen u. Gießen: J B M z 1 (1946) 6 4 - 7 5 . - Fritz Vigener, Die kath.-theol. Fak. zu Gießen u. ihr Ende: Mitteilungen des Oberhessischen Gesch.Vereins N F 2 4 (1922) 2 9 - 9 6 . Zu 7.: Karl Bechert, Das Ende der Ludwigs-Univ.: Clemens Heselhaus (Hg.), 10 J a h r e Justus Liebig-Universität, FS Gießen 1967, 4 4 - 51. - Ernst Schering, Religionswissenschaften: Gießener Univ.-Bl. 1/1 (1982) 6 5 - 6 8 .

Hans Georg Gundel

Gilbert Porreta (ca. 1. Leben

1.

2. Werk

1080-1154) 3. Lehre und Nachwirkung

(Quellen/Literatur S. 268)

Leben

Gilbert (Gislebert), öfter durch Porrata, Porreta, Porreia, porretanus oder episcopus pictavensis identifiziert, wurde um 1080 zu Poitiers geboren, wo Magister Hilarius sein erster Lehrer war. Später studierte er unter Magister Bernhard von Chartres und den Brüdern -> Anselm (gest. 1117) und Radulph (gest. 1136) von Laon. Darauf leitete er eine Schule in Aquitanien. Er ist 1121 als Kanoniker von Poitiers und 1124 als Kanoniker von Chartres nachweisbar. Bischof Gottfried von Chartres (1116-49) ernannte ihn zum Kanzler der Domschule, an der er bis 1137 tätig war. Von dort siedelte er nach Paris über und lehrte teils in der „Aula des Bischofs", teils in der rue des Poirrees (vicus porretarum, vicus ad porretas), womit sich sein Beiname erklärt. Im Jahre 1142 wurde er zum Bischof seiner Vaterstadt gewählt. Eine auf einer Diözesansynode in Poitiers (1146) gehaltene Predigt über die Dreifaltigkeit erregte so sehr das Mißfallen zweier seiner Erzdiakone (Kalo und Arnold Qui-Non-Ridet), daß sie Gilbert bei Papst Eugen III. (1145-53) verklagten, der gerade auf dem Weg nach Frankreich war. Zu Paris hielt er im April 1147 ein Konsistorium ab, das ergebnislos verlief, weil der unter Verdacht stehende Boethiuskommentar Gilberts nicht zur Hand war. Als die Debatte nach dem Konzil von Reims (1148) auf einem zweiten Konsistorium wieder aufgenommen wurde, gelang es selbst -»Bernhard v. Clairvaux nicht, den Papst und seine Kardinäle von der Berechtigung der Anklagen zu überzeugen, so daß Gilbert, wie Otto von Freising (Gesta Frid. I, 61) bemerkt, honoris plenitudine in seine Diözese zurückkehren konnte. Ein in diesem Zusammenhang von der „Gallikanischen Kirche" aufgestelltes Glaubensbekenntnis wurde von den Kardinälen mit Empörung zurückgewiesen. Anläßlich des Todes seines Bischofs am 4. September 1154 schrieb der Dekan Laurentius ein von tiefem Schmerz zeugendes Klagelied (Planctus), aus dem wir erfahren, daß an der Beerdigung durch den Erzbischof von Bordeaux, Gottfried von Loroux (1136-58), die Bischöfe Bernhard von Saintes (1141-66), Hugo von Angouleme (1148-59) und Helias von Perigueux (1147-58) teilnahmen. Gilberts Nachfolger war Kalo (1154-61). 2. Werk Die Schriften Gilberts sind nur teilweise veröffentlicht. Ungedruckt sind sein vor 1117 geschriebener Psalmenkommentar und die schon vor 1141 von —»Gerhoch von Reichersberg getadelte Erklärung der Paulusbriefe. Beide Kommentare sind noch in zahlreichen Handschriften erhalten (Fr. Stegmüller, RBMA 2 [1952] 3 4 5 - 3 5 0 ) . Gedruckt sind sein vor 1140 fertiggestellter Kommentar zu den Opuscula sacra des -»Boethius; ferner ein

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von Gilbert geschriebener Tractatus de Trinitate, der wahrscheinlich nach dem Konsistorium von Reims (1148) entstand; dann ein in zwei Redaktionen überlieferter Sakramentstraktat, der sehr stark von der Summa sententiarum des ->Hugo von St. Viktor abhängig ist; des weiteren eine Erklärung Gilberts zum Symbolum ,Quicumque vult' (-»-Athanasianisches Symbol), die gewisse Lehransichten von ihm beleuchtet; desgleichen eine Weihnachtspredigt, die inhaltlich eine theologisch geschulte Hörerschaft voraussetzt. Gedruckt sind auch je ein Brief an Abt Matthäus von Saint-Florent, Saumur (PL 188, 1255-58), und an seinen verehrten Lehrer Bernhard von Chartres (hg. v. L. Merlet: BECh 16 [1854/55] 461); weiterhin ein lange dem Achard von St. Viktor zugeschriebener Traktat De discretione animae, spiritus et mentis, der wahrscheinlich ein Werk Gilberts ist. Authentisch sind auch die moraltheologischen Fragen, die dem Brief an Abt Matthäus (PL 188, 1257-58) beigefügt sind. Viele andere dem Bischof von Poitiers im Laufe der Jahrhunderte zugeeignete Schriften haben sich als unecht erwiesen. So zählt die Histoire littéraire de la France 12 (774-75) nicht weniger als elf „noch nicht veröffentlichte" Werke auf, darunter Quaestiones zur ganzen Bibel, Glossen zu Jeremia, dem Hohen Lied, zu Mercurius Trismegistus, zu Matthäus und sogar zum Liber de causis. Petrus von Celles (Ep. VII, 19) schreibt Gilbert Predigten zu, die wohl verloren sind. Die von Otto von Freising (Gesta Frid. I, 54) erwähnte, in Paris kritisierte liturgische Prosa De S. Trinitate ist ebenfalls verschollen. Es spricht jedoch einiges für die Echtheit des in London (Lambeth Palace Lib. 369, f. 23) von E. Rathbone entdeckten Fragments, das den Titel trägt: Note super lohannem secundum mag. Gilb(ertum), hg.: R T h A M 18 (1951) 205-10. L. Minio-Paluello hat in NSMed 6 (1965) 123 - 5 1 wohl endgültig den Beweis geliefert, daß die Schrift De sex principiis nicht von Gilbert stammt. 3. Lehre und

Nachwirkung

Obwohl gewisse Lehrmeinungen Gilberts heiß umstritten waren, können wir feststellen, daß seine Sakramentenlehre durchaus traditionell und unangefochten war. Aber seine Gotteslehre und Christologie fanden starken Widerspruch, der vor allem durch Bernhard von Clairvaux und dessen Sekretär, Gottfried von Auxerre, formuliert und verbreitet wurde. Der Hauptgrund für die vielen Mißverständnisse lag jedoch in einer von Gilbert gepflegten, aber nicht allgemein bekannten Sprachlogik. Gilbert, der ein strenger Logiker war, übertrug auf die Theologie die aristotelischen Sprachregeln der Philosophie, die es ihm z. B. nicht erlaubten, zu sagen: „Gott ist Vater", weil sprachlogisch im Prädikat kein Individuum oder keine Person stehen darf. - » O t t o von Freising (Gesta Frid. I, 52) berührt diese These in der als falsch zurückgewiesenen Lehre: Quod personae in nulla praedicarentur propositione. Um die Gefahr des Sabellianismus zu bekämpfen, bestand Gilbert darauf, daß man in Gott eine Unterscheidung zwischen Wesenheit und Person machen müsse und daß die Eigenart (proprietas) einer Person nicht die Person selber ist: Quod proprietates personarum non essent ipsae personae (Gesta Fr. I, 52). Daneben bestimmte die platonische Formenlehre (—•Plato) so sehr sein theologisches Denken, daß die Anklage erhoben wurde, er lehre eine Form, durch die Gott Gott ist. In der Christologie lehnte er es ab zuzugeben, die göttliche Natur habe eine menschliche Natur angenommen: Quod divina natura non esset incarnata (Gesta Frid. I, 52). Obwohl viele Väterstellen gegen ihn zitiert werden konnten, lehrte er, nicht die göttliche Natur, sondern die zweite göttliche Person sei Fleisch geworden. Zu den schriftstellerisch tätigen Schülern Gilberts zählen der Liturgiker Johannes Beleth, der Exeget Magister -»Ivo von Chartres, der Chronist Wilhelm, Erzbischof von Tyrus (1175-86), die Kirchenrechtler Eberhard von Ypern und Kardinal Laborans, der Dichter Jordanus Fantasma und die Dogmatiker Ademar von Saint-Ruf, Valence, Hugo von Hönau, Peter von Wien (gest. 1181), Radulfus Ardens, Simon von Tournai (gest. 1203) und -»Alanus. Das Nachleben Gilberts war stark von der heftigen Kritik des Bernhard v. Clairvaux

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Gilgal

überschattet, die er in einer seiner Predigten zum Hohen Lied (80,4,9) und in der Schrift De consideratione (V,7,15) zum Ausdruck brachte. Noch feindlicher waren zwei gegen Gilbert gerichtete Schriften Gottfrieds von Auxerre: Libellus contra capitula magistri Gisleberti pictavensis episcopi und die Epistola ad Albinum Albanensem episcopum et dominiPapae vicarium (neu hg. v. N. Häring: ACi 22 [1966] 3 - 8 3 ) . Aber Gilberts Gelehrsamkeit wurde selbst von Gottfried (Libellus IV, 37 u. S. Bernardi vita III, 5,15) anerkannt. Für Robert von Torigny OSB (gest. 1186) war Gilbert ein vir religiosus et multiplicis disciplinae [ein frommer und wissenschaftlich beschlagener Mann] (MGH SS 6,504) und für Robert Abolant OPraem (gest. 1214) fere incomparabiliter eruditus [geradezu unvergleichlich gelehrt] (MGH SS 26,234). Quellen Boethiuskommentar: Basel ex officina Henricpetrina (1570), 1119-1273 = PL 64,1247-1412. Krit. Neuausg. v. Nikolaus Häring, The Commentaries on Boethius by Gilbert of Poitiers: STPIMS 13 (Toronto 1966) Lit. - Tractatus de Trinitate, v. Nikolaus Häring: RThAM 39 (1972) 14-50. Expositio in symbolum ,Quicumque vult', hg. v. Nikolaus Häring: MS 34 (1972) 208-252. - Sententiae magistri Gisleberti, hg. v. Nikolaus Häring: AHDL 45 (1978) 83-180; 46 (1979) 45-135. Magister Laurentius, Planctus, hg. v. Nikolaus Häring: AHDL 36 (1969) 5 7 - 7 2 . - Eberhard von Ypern, Dialogus Ratii, hg. v. Nikolaus Häring: MS 15 (1953) 243 - 289. - Aderaar von Saint-Ruf, Tractatus de Trinitate, hg. v. Nikolaus Häring: AHDL 31 (1964) 111-206. - Hugo von Hönau, Liber de div. naturae et personae, hg. v. Nikolaus Häring: AHDL 29 (1962) 103-216. - Jordanus Fantasma, Lehrgedicht, hg. v. Nikolaus Häring: RThAM Numéro special 1 (Löwen 1980) 91 - 1 0 9 . - Der anonym. Traktat ,Invisibilia dei', hg. v. Nikolaus Häring: RThAM 40 (1973) 104-146. - Peter von Wien, Summa Zwettlensis, hg. v. Nikolaus Häring: BGPhMA NF 15 (1977). Literatur Auguste Abbé Berthaud, Gilbert de la Porrée, Poitiers 1892. - H. C. van Elswijk, Gilbert Porreta, Löwen 1966. - Suitberg Gammersbach, Gilbert von Poitiers, Köln 1959. - Bruno Maioli, Gilberto Porretano, Rom 1979. - Nikolaus Häring, San Bernardo e Gilberto, vescovo di Poitiers: Studi su San Bernardo di Chiaravalle, Rom 1975, 7 5 - 9 1 . - Ders., Handschriftl. zu den Werken Gilberts: RHT 8 (1978) 133-194. - Ders., Paris and Chartres Revisited: Essays in Honour of A.Ch. Pegis, Toronto 1974, 268-329. - Ders., Epitaphs and Nécrologies on Bishop Gilbert of Poitiers: AHDL 36 (1969) 5 7 - 8 7 . - Martin Anton Schmidt, Gottheit u. Trinität nach dem Kommentar des Gilbert Porreta zu Boethius De Trinitate, Basel 1956. - Michael E. Williams, The Teaching of Gilbert Porreta on the Trinity, Rom 1951.

t Nikolaus Häring Gilead —»Geschichte Israels Gilgal

Gilgal war in vorstaatlicher und königlicher Zeit Israels überregional bedeutsames ephraimitisch-benjaminitisches Grenzheiligtum in der Jordansenke nahe -»Jericho. Der Name Gilgal wird in Jos 5,9 volksätiologisch aus dem Motiv des ,Abwälzens der Schmach Ägyptens' von der Einzugsgeneration und damit ätiologisch von gll (wälzen) abgeleitet. Die sprachgeschichtliche Ableitung knüpft unter Eintragung der Vorstellung eines Steinkreises am Heiligtum von Gilgal an gälgäl (,Rad'; s. Kuschke 1577ff) an, oder besser (Münderlein 23) an eine reduplizierte Form von gäl (Steinhaufen; vgl. Jos 5,3 ,Vorhäutehügel'). In Jos 3 f wird das Heiligtum durch zwölf die Stämme Israels repräsentierende Stelen (aramäisch gelal; akkadisch galälu) charakterisiert, die ,beim Gilgal' (Jos 4,20) errichtet sind (vgl. Jdc 3,19). Gilgal ist in der Jordansenke in nord- bis südöstlicher Nachbarschaft Jerichos (Teil es-Sultän) zu lokalisieren (Jos 4,19; 5,10; Jdc 3,15ff). Eine Identifizierung der Ortslage in diesem Raum ist bislang nicht gelungen. Die Lokalisierung durch Josephus (Ant V,20) und frühbyzantinische Überlieferung (Eusebius, Onomastikon 64,24-66,6; Theodosius, CChr. SL 175,115) weisen eher in den Bereich der nordöstlich von Teil es-Sultän gelegenen Hirbet el-Mefgir (zuletzt Bennett) als in den Bereich der süd-

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Gilgal

überschattet, die er in einer seiner Predigten zum Hohen Lied (80,4,9) und in der Schrift De consideratione (V,7,15) zum Ausdruck brachte. Noch feindlicher waren zwei gegen Gilbert gerichtete Schriften Gottfrieds von Auxerre: Libellus contra capitula magistri Gisleberti pictavensis episcopi und die Epistola ad Albinum Albanensem episcopum et dominiPapae vicarium (neu hg. v. N. Häring: ACi 22 [1966] 3 - 8 3 ) . Aber Gilberts Gelehrsamkeit wurde selbst von Gottfried (Libellus IV, 37 u. S. Bernardi vita III, 5,15) anerkannt. Für Robert von Torigny OSB (gest. 1186) war Gilbert ein vir religiosus et multiplicis disciplinae [ein frommer und wissenschaftlich beschlagener Mann] (MGH SS 6,504) und für Robert Abolant OPraem (gest. 1214) fere incomparabiliter eruditus [geradezu unvergleichlich gelehrt] (MGH SS 26,234). Quellen Boethiuskommentar: Basel ex officina Henricpetrina (1570), 1119-1273 = PL 64,1247-1412. Krit. Neuausg. v. Nikolaus Häring, The Commentaries on Boethius by Gilbert of Poitiers: STPIMS 13 (Toronto 1966) Lit. - Tractatus de Trinitate, v. Nikolaus Häring: RThAM 39 (1972) 14-50. Expositio in symbolum ,Quicumque vult', hg. v. Nikolaus Häring: MS 34 (1972) 208-252. - Sententiae magistri Gisleberti, hg. v. Nikolaus Häring: AHDL 45 (1978) 83-180; 46 (1979) 45-135. Magister Laurentius, Planctus, hg. v. Nikolaus Häring: AHDL 36 (1969) 5 7 - 7 2 . - Eberhard von Ypern, Dialogus Ratii, hg. v. Nikolaus Häring: MS 15 (1953) 243 - 289. - Aderaar von Saint-Ruf, Tractatus de Trinitate, hg. v. Nikolaus Häring: AHDL 31 (1964) 111-206. - Hugo von Hönau, Liber de div. naturae et personae, hg. v. Nikolaus Häring: AHDL 29 (1962) 103-216. - Jordanus Fantasma, Lehrgedicht, hg. v. Nikolaus Häring: RThAM Numéro special 1 (Löwen 1980) 91 - 1 0 9 . - Der anonym. Traktat ,Invisibilia dei', hg. v. Nikolaus Häring: RThAM 40 (1973) 104-146. - Peter von Wien, Summa Zwettlensis, hg. v. Nikolaus Häring: BGPhMA NF 15 (1977). Literatur Auguste Abbé Berthaud, Gilbert de la Porrée, Poitiers 1892. - H. C. van Elswijk, Gilbert Porreta, Löwen 1966. - Suitberg Gammersbach, Gilbert von Poitiers, Köln 1959. - Bruno Maioli, Gilberto Porretano, Rom 1979. - Nikolaus Häring, San Bernardo e Gilberto, vescovo di Poitiers: Studi su San Bernardo di Chiaravalle, Rom 1975, 7 5 - 9 1 . - Ders., Handschriftl. zu den Werken Gilberts: RHT 8 (1978) 133-194. - Ders., Paris and Chartres Revisited: Essays in Honour of A.Ch. Pegis, Toronto 1974, 268-329. - Ders., Epitaphs and Nécrologies on Bishop Gilbert of Poitiers: AHDL 36 (1969) 5 7 - 8 7 . - Martin Anton Schmidt, Gottheit u. Trinität nach dem Kommentar des Gilbert Porreta zu Boethius De Trinitate, Basel 1956. - Michael E. Williams, The Teaching of Gilbert Porreta on the Trinity, Rom 1951.

t Nikolaus Häring Gilead —»Geschichte Israels Gilgal

Gilgal war in vorstaatlicher und königlicher Zeit Israels überregional bedeutsames ephraimitisch-benjaminitisches Grenzheiligtum in der Jordansenke nahe -»Jericho. Der Name Gilgal wird in Jos 5,9 volksätiologisch aus dem Motiv des ,Abwälzens der Schmach Ägyptens' von der Einzugsgeneration und damit ätiologisch von gll (wälzen) abgeleitet. Die sprachgeschichtliche Ableitung knüpft unter Eintragung der Vorstellung eines Steinkreises am Heiligtum von Gilgal an gälgäl (,Rad'; s. Kuschke 1577ff) an, oder besser (Münderlein 23) an eine reduplizierte Form von gäl (Steinhaufen; vgl. Jos 5,3 ,Vorhäutehügel'). In Jos 3 f wird das Heiligtum durch zwölf die Stämme Israels repräsentierende Stelen (aramäisch gelal; akkadisch galälu) charakterisiert, die ,beim Gilgal' (Jos 4,20) errichtet sind (vgl. Jdc 3,19). Gilgal ist in der Jordansenke in nord- bis südöstlicher Nachbarschaft Jerichos (Teil es-Sultän) zu lokalisieren (Jos 4,19; 5,10; Jdc 3,15ff). Eine Identifizierung der Ortslage in diesem Raum ist bislang nicht gelungen. Die Lokalisierung durch Josephus (Ant V,20) und frühbyzantinische Überlieferung (Eusebius, Onomastikon 64,24-66,6; Theodosius, CChr. SL 175,115) weisen eher in den Bereich der nordöstlich von Teil es-Sultän gelegenen Hirbet el-Mefgir (zuletzt Bennett) als in den Bereich der süd-

Gilgal

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östlich gelegenen Hirbet en-Netele (Abel). Ausgrabungen auf der Hirbet el-Mefgir haben nur eine omajjadische Palastanlage freigelegt (Hamilton/Grabar). Sondierungen unmittelbar nördlich (Muilenburg) und südlich (Landes) der Hirbe haben nur späteisenzeitlichen Befund (E II) erbracht. Die Stellung Gilgals in b e n j a m i n i t i s c h e n Überlieferungen der L a n d n a h m e und des saulidischen K ö n i g t u m s sind R e f l e x der überregionalen B e d e u t u n g dieses Heiligtums im südlichen M i t t e l p a l ä s t i n a in früher - » G e s c h i c h t e Israels. I S a m 7 , 1 6 stellt bei sekundärer E i n t r a g u n g M i z p a s Gilgal neben das H e i l i g t u m - » B e t h e l . I m R a h m e n eines M a s s o t f e s t e s (Jos 5 , 1 0 - 1 2 * ; s. T R E 1 1 , 9 6 f ) werden in Gilgal E x o d u s und L a n d n a h m e Israels gefeiert. M ö g l i c h e r w e i s e wurzeln die J o s 3 - 5 prägenden kultischen M o t i v e in diesem M a s s o t f e s t . Die Z u o r d n u n g einer „ P r i v i l e g r e c h t s ü b e r l i e f e r u n g " ( H a l b e 5 2 0 ff) oder „ L a n d n a h m e b u n d e s ü b e r l i e f e r u n g " ( O t t o 3 0 6 ff) zu Gilgal steht zur D i s k u s s i o n . Dagegen wird eine Bindung der „ C r e d o t h e m e n " des H e x a t e u c h an ein W o c h e n f e s t in Gilgal (von R a d 4 8 ff) nicht m e h r vertreten. D e n H ö h e p u n k t seiner B e d e u t u n g erreichte Gilgal als K r ö n u n g s h e i ligtum Sauls (I S a m 11,15). H i e r g e w a n n Saul seinen kultischen R ü c k h a l t (I S a m 1 3 , 4 . 7 ; 1 5 , 1 2 . 2 1 ) . Die K u l t t h e o l o g i e Gilgals beeinflußte Sauls politisches W i r k e n in der E i n h o lung der S ü d s t ä m m e und der g e w a l t s a m e n A b g r e n z u n g gegen die L a n d e s b e w o h n e r (II S a m 4 , 2 f ; 2 1 , 1 - 1 4 * ) . D i e S p a n n u n g zwischen Gilgal und - » S i l o ( J o s 2 2 * ) w i r k t e sich im politischen U m b r u c h von Saul zu D a v i d aus. Von S a u l verfolgt, w u r d e David von silonischer Priesterschaft unterstützt (I S a m 21 f * ) . Als K ö n i g knüpfte D a v i d in J e r u s a l e m an silonische T r a d i t i o n der R e l i g i o n s i n t e g r a t i o n an. Gilgal verlor mit Sauls T o d an Bedeutung. E r n e u e r t e David n a c h g e w o n n e n e m B ü r g e r k r i e g in Gilgal sein K ö n i g t u m (II S a m 1 9 , 1 0 - 1 6 , 4 1 ff), so knüpfte er an s a u l i d i s c h - b e n j a m i n i t i s c h e T r a d i t i o n an und zollte damit dem h o h e n Ansehen, das Gilgal weiterhin im e p h r a i m i t i s c h - b e n j a m i n i t i s c h e n R a u m g e n o ß , R e v e r e n z . N a c h der R e i c h s t e i l u n g w u r d e G i l g a l a u c h in diesem G e b i e t durch das zum R e i c h s h e i l i g t u m e r h o b e n e Bethel überflügelt. D e n n o c h spiegelt sich Gilgals Anziehungskraft a u c h i m 9. und 8. J h . v . C h r . als Wallfahrtsheiligtum in der Anziehung für P r o p h e t e n g r u p p e n (II R e g 2 , 1 ; 4 , 3 8 ) und v o r allem in der K u l t k r i t i k der Propheten - » A r n o s (4,4; 5 , 5 ) und - » H o s e a (4,15; 9 , 1 5 ; 1 2 , 1 2 ) . M i t d e m U n t e r g a n g des N o r d r e i c h s endete die G e s c h i c h t e Gilgals als israelitisches H e i l i g t u m . In s p ä t d e u t e r o n o m i s c h e r Ü b e r lieferung wurde Gilgal in den H o r i z o n t von - » S i c h e r n g e r ü c k t (Dtn 11,29i). A u f ein bei Sichern gelegenes Gilgal (Sellin) k a n n daraus nicht geschlossen werden. E r s t m a l s im 6. J h . n . C h r . belegt (Antoninus Placentinus; C S E L 3 8 , 1 6 8 ) w u r d e durch eine mit z w ö l f Stelen ausgestatteten D o d e k a l i t h o n - K i r c h e bei Hirbet el-Mefgir an die T r a d i t i o n von Gilgal a n g e k n ü p f t . D i e K i r c h e fiel w o h l d e m Persersturm im 7 . J h . n. C h r . zum O p f e r . D e r Pilger W i l l i b a l d u s ( M G H 1 5 / 1 , 97) sah im J a h r e 7 2 4 n. C h r . statt dessen an dieser Stelle eine kleine H o l z k i r c h e . Z u r Z e i t des o m a j j a d i s c h e n K a l i f e n H i s a m ( 7 2 4 - 7 4 3 n . C h r . ) o d e r seines Neffen al-Wälid ibn YazTd (743 n. C h r . ) w u r d e der o m a j j a d i s c h e Palast von Hirbet el-Mefgir g e b a u t , der w o h l z u s a m m e n mit der n a h e gelegenen G a l g a l a - K i r c h e im J a h r e 7 4 6 n. C h r . einem E r d b e b e n zum O p f e r fiel. Literatur F. M. Abel, Galgala qui est aussi le Dodécalithon: Memorial J. Chaîne, 1950 (BFCTL 5) 2 9 - 3 4 . 298. - Otto Bächli, Zur Lage des alten Gilgal: ZDPV 83 (1967) 6 4 - 7 1 . - Boyce M. Bennett, The Search for Israelite Gilgal: PEQ 104 (1972) 1 1 1 - 1 2 2 . - Gustav Dalman, Der Gilgal der Bibel u. die Steinkreise Palästinas: PJ 15 (1919) 5 - 2 6 . - Kurt Galling, Bethel u. Gilgal: ZDPV 66 (1943) 1 4 0 - 1 5 5 ; ZDPV 67 (1944) 2 1 - 4 3 . - Roland Gradwohl, Der .Hügel der Vorhäute' (Jos V 3): VT 26 (1976) 2 3 5 - 2 4 0 . - Jörn Halbe, Das Privilegrecht Jahwes Ex 3 4 , 1 0 - 2 6 , 1975 (FRLANT 114). - Robert W. Hamilton/OlegGrabar, Khirbat al-Mafjar. An Arabian Mansion in the Jordan Valley, Oxford 1959. - Hans-Joachim Kraus, Gilgal: VT 1 (1951) 181 - 1 9 8 . - Arnulf Kuschke, Art. Gilgal: RGG 3 2 (1958) 1377 f . - G e o r g e M. Landes, Suwwanet eth-Thaniya: IEJ 18 (1968) 1 3 1 . - F . Langlamet, Gilgal et les récits de la traversée du Jourdain, 1969 (ORB 11). - G. Münderlein, Art. galäl: ThWAT 2 (1977) 2 1 - 2 4 . - James Muilenburg, The Site of Ancient Gilgal: BASOR 140 (1955) 1 1 - 2 7 . - Eckart Otto, Das Mazzotfest in Gilgal, 1975 (BWANT 107) (Lit.). - Gerhard von Rad, Das formgesch. Problem des Hexateuch: ders., Ges. Stud. zum AT, 4 1971 (TB 8) 9 - 8 6 . - Alfons M. Schneider, Das byzantinische Gilgal: ZDPV 54 (1931) 5 0 - 5 9 . - Ernst Sellin, Gilgal. Ein Beitr. zur Gesch. der Einwanderung

Glasmalerei

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Israels in Palästina, Leipzig 1917. - Norman H. Snaith, The Altar at Gilgal. Joshua XXII 23 - 29: VT 28 (1978) 330-335. - J. Alberto Soggin, Gilgal, Passah u. Landnahme: VT.S 15 (1966) 263-277. - C. Umhau Wolf, Khirbet en-Nitla not the Byzantine Gilgal: James L. Kelso/Dimitri C. Baramki, Excavations at N.T., Jericho and Khirbet en-Nitla, 1955 (AASOR29-33) 5 3 - 6 0 . - D e r s . , The Location of Gilgal: BR 11 (1966) 4 2 - 5 1 . - J. Robert Vannoy, Covenant Renewal at Gilgal. A Study of I Sam 11,14-12,25, Cherry Hill 1978.

Eckart Otto Gilgamesch-Epos ->Babylonien und Israel Gladstone, William Ewart —»Liberalismus Glasmalerei 1. Zur Technik

1. Zur

2. Zum Grundsätzlichen

3. Epochen und Werke

(Literatur S. 275)

Technik

Glasmalerei ist primär Malerei mit - vorwiegend farbigem — Glas; stückweise wird es einer Kartonvorzeichnung folgend zugeschnitten bzw. gekröselt, mit Bleiruten zu größeren Feldern gefügt und verlötet. Vor allem zur Andeutung von Körper und Raum ergänzt Malerei auf Glas - eingebrannt - in epochal unterschiedlichem Ausmaß die rein musivische Komposition. Bis zur Anwendung von Silbergelb (um 1300) war das Schwarzlot die einzige, dem Glas aufschmelzbare Farbe. Erst in den zumeist für das Privathaus bestimmten Kabinettscheiben ersetzen seit dem 16. Jh. überdies Emailfarben zum Teil oder ganz die durchgefärbten Hüttengläser. Die monumentale Glasmalerei hingegen änderte sich technisch seit dem hohen Mittelalter prinzipiell nur wenig. Schon Theophilus (De diversis artibus, ed C.R. Dodwell, London 1961), vielleicht identisch mit dem Goldschmied Rogerus von Helmarshausen (um 1100), erläutert Komponenten und Verfahren. Weitere mittelalterliche Traktate stammen von Heraklius und Antonio von Pisa-, auch Cennino Cennini ist hier zu nennen.

2. Zum

Grundsätzlichen

Glasmalerei entfaltet ihre Wirkung einzig im durchscheinenden Licht; insofern unterscheidet sie sich fundamental von Mosaik, Wand- und Tafelmalerei, wie vom opaken Hinterglasbild der Volkskunst. Durchlichtet, doch zumindest im Mittelalter nie durchsichtig, begrenzen Glasgemälde nicht nur - wie sogar neutrales Glas - den Innenraum; sie schirmen ihn, zumal wenn sie sämtliche Fenster füllen, wie annähernd bei der Kathedrale zu Chartres, geradezu hermetisch gegen außen ab und durchweben ihn mit Farbe. In solchem Fall verbinden die Fenster nicht mehr mit der Außenwelt, sondern sind durchleuchtete, farbig gleichsam aufglühende Wandteile geworden. Bereits die verschiedene Intensität der Farben erzeugt eine tageszeitlich wechselnde Vorstellung von Räumen und Körpern in den planen, vom Bleirutennetz zusammengehaltenen Glasfigurationen, eine Art von „Raumgitter", dem allerdings erst Schwarzlotzeichnung und -modellierung den Eindruck gegenständlicher Dreidimensionalität verleihen. Das häufig in der Literatur begegnende Urteil, mit Einführung von Perspektive und Schatten sei die reine LichtFarben weit der Glasmalerei - gewissermaßen aus innerem Widerspruch - dem Untergang verfallen gewesen, trifft nicht den Problemkern. Denn zum einen findet sich eine gewisse Modellierung schon bei den frühesten Werken, zum andern kennen auch Wand-, Tafelund Buchmalerei auf ihre Weise jene Spannung zwischen bildräumlicher Imagination und künstlerisch nicht minder relevanter Flächenordnung in Farbe, Licht und Dunkel. So sind Aufstieg und Niedergang der Glasmalerei zutiefst mit der Architekturgeschichte verknüpft, mit der Entscheidung, inwieweit Fenster als Öffnung zu gelten haben oder doch mehr als wandhafter Verschluß, als der im Mittelalter auch Rauten- bzw. Butzenverglasung vornehmlich wirkt.

Glasmalerei

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Israels in Palästina, Leipzig 1917. - Norman H. Snaith, The Altar at Gilgal. Joshua XXII 23 - 29: VT 28 (1978) 330-335. - J. Alberto Soggin, Gilgal, Passah u. Landnahme: VT.S 15 (1966) 263-277. - C. Umhau Wolf, Khirbet en-Nitla not the Byzantine Gilgal: James L. Kelso/Dimitri C. Baramki, Excavations at N.T., Jericho and Khirbet en-Nitla, 1955 (AASOR29-33) 5 3 - 6 0 . - D e r s . , The Location of Gilgal: BR 11 (1966) 4 2 - 5 1 . - J. Robert Vannoy, Covenant Renewal at Gilgal. A Study of I Sam 11,14-12,25, Cherry Hill 1978.

Eckart Otto Gilgamesch-Epos ->Babylonien und Israel Gladstone, William Ewart —»Liberalismus Glasmalerei 1. Zur Technik

1. Zur

2. Zum Grundsätzlichen

3. Epochen und Werke

(Literatur S. 275)

Technik

Glasmalerei ist primär Malerei mit - vorwiegend farbigem — Glas; stückweise wird es einer Kartonvorzeichnung folgend zugeschnitten bzw. gekröselt, mit Bleiruten zu größeren Feldern gefügt und verlötet. Vor allem zur Andeutung von Körper und Raum ergänzt Malerei auf Glas - eingebrannt - in epochal unterschiedlichem Ausmaß die rein musivische Komposition. Bis zur Anwendung von Silbergelb (um 1300) war das Schwarzlot die einzige, dem Glas aufschmelzbare Farbe. Erst in den zumeist für das Privathaus bestimmten Kabinettscheiben ersetzen seit dem 16. Jh. überdies Emailfarben zum Teil oder ganz die durchgefärbten Hüttengläser. Die monumentale Glasmalerei hingegen änderte sich technisch seit dem hohen Mittelalter prinzipiell nur wenig. Schon Theophilus (De diversis artibus, ed C.R. Dodwell, London 1961), vielleicht identisch mit dem Goldschmied Rogerus von Helmarshausen (um 1100), erläutert Komponenten und Verfahren. Weitere mittelalterliche Traktate stammen von Heraklius und Antonio von Pisa-, auch Cennino Cennini ist hier zu nennen.

2. Zum

Grundsätzlichen

Glasmalerei entfaltet ihre Wirkung einzig im durchscheinenden Licht; insofern unterscheidet sie sich fundamental von Mosaik, Wand- und Tafelmalerei, wie vom opaken Hinterglasbild der Volkskunst. Durchlichtet, doch zumindest im Mittelalter nie durchsichtig, begrenzen Glasgemälde nicht nur - wie sogar neutrales Glas - den Innenraum; sie schirmen ihn, zumal wenn sie sämtliche Fenster füllen, wie annähernd bei der Kathedrale zu Chartres, geradezu hermetisch gegen außen ab und durchweben ihn mit Farbe. In solchem Fall verbinden die Fenster nicht mehr mit der Außenwelt, sondern sind durchleuchtete, farbig gleichsam aufglühende Wandteile geworden. Bereits die verschiedene Intensität der Farben erzeugt eine tageszeitlich wechselnde Vorstellung von Räumen und Körpern in den planen, vom Bleirutennetz zusammengehaltenen Glasfigurationen, eine Art von „Raumgitter", dem allerdings erst Schwarzlotzeichnung und -modellierung den Eindruck gegenständlicher Dreidimensionalität verleihen. Das häufig in der Literatur begegnende Urteil, mit Einführung von Perspektive und Schatten sei die reine LichtFarben weit der Glasmalerei - gewissermaßen aus innerem Widerspruch - dem Untergang verfallen gewesen, trifft nicht den Problemkern. Denn zum einen findet sich eine gewisse Modellierung schon bei den frühesten Werken, zum andern kennen auch Wand-, Tafelund Buchmalerei auf ihre Weise jene Spannung zwischen bildräumlicher Imagination und künstlerisch nicht minder relevanter Flächenordnung in Farbe, Licht und Dunkel. So sind Aufstieg und Niedergang der Glasmalerei zutiefst mit der Architekturgeschichte verknüpft, mit der Entscheidung, inwieweit Fenster als Öffnung zu gelten haben oder doch mehr als wandhafter Verschluß, als der im Mittelalter auch Rauten- bzw. Butzenverglasung vornehmlich wirkt.

Glasmalerei

3. Epochen

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und Werke

S c h o n die A n t i k e nutzte G l a s in Fenstern; hier stand es allerdings n o c h zurück hinter dünn geschliffenem M a r m o r und A l a b a s t e r , gänzlich undurchsichtigen M e d i e n . In der spätantiken A r c h i t e k t u r wie der des Islam finden sich a l l e n t h a l b e n T r a n s e n n e n o d e r C l a u s t r a , Stein-, M a r m o r - o d e r S t u c k g i t t e r als Fensterverschlüsse, deren Auszierung die der häufig m o n o c h r o m e n mittelalterlichen O r n a m e n t f e n s t e r f o r m a l v o r w e g n i m m t . G\asfenster in K i r c h e n sind seit d e m F r ü h m i t t e l a l t e r q u e l l e n m ä ß i g bezeugt. D a ß es sich hier um G l a s maiereien h a n d e l t e , ist a b e r erst v o m 9 . / 1 0 . J h . an gesichert ( z . B . Werden, St. L u d g e r , u m 8 6 4 ; Z ü r i c h , F r a u m ü n s t e r , u m 8 7 0 ; R e i m s , St. R e m i , u m 9 6 8 / 8 9 ) . U m das J a h r 1 0 0 0 d a n k t A b t G o z b e r t von Tegernsee e i n e m G r a f e n A r n o l d für die Stiftung von vielfarbigen G l a s g e m ä l d e n ( d i s c o l o r i a picturarum viträ). A u ß e r einigen F r a g m e n t e n sind die neuerdings wieder in die 2. H ä l f t e des 11. J h . gesetzten Propheten im Dom zu Augsburg, G e s t a l t e n von schlichter H o h e i t , die frühesten Z e u g n i s s e m o n u m e n t a l e r G l a s m a l e r e i . Aus d e m 12. J h . ist dann bereits eine Vielzahl an G l a s g e m ä l d e n überliefert ( u . a . Le Mans, Angers, Poitiers, St. Denis, Chartres und Canterbury, 1 1 4 0 / 7 0 ) , w o b e i sich stilistisch gleitende Ü b e r g ä n g e von R o m a n t i k zu G o t i k ergeben. Schon in vorgotischen Basiliken bildet sich ein - später freilich nivelliertes - Verteilungsschema aus: in den Obergadenfenstern vorwiegend große Einzelgestalten, kleinteiligere szenische Darstellungen in den betrachternäheren Seitenschiffsfenstern. Alles Figürliche tritt bereits jetzt in charakteristische, Jahrhunderte überdauernde Konstellationen ein: das Rundbogenfenster bildet für die Einzelfigur - wie in Augsburg - die Würdeform der Arkade, ehe im weiteren Verlauf Baldachin und Wimperg zu auszeichnenden Ordnungsfaktoren werden; schon gibt es - wie bei der Himmelfahrt in der Kathedrale zu Le Mans (um 1140/45) oder der Kreuzigung in der Kathedrale zu Poitiers (1165/70) - sich über viele Felder erstreckende Szenen. Zumeist sind diese aber in aneinandergereihte, bisweilen auch ineinander versetzte Kreis-, Rechtecks- und Paßrahmen „gebannt". Auch Medaillons begegnen noch im 15., sogar im 16. Jh. (z. B. Ulm, Bern, hier!Belgien, Ingolstadt, Sevilla). Weiteste Verbreitung findet das häufig schon in Armatureisen vorgezeichnete Paßwerk aber im 13. Jh. (Chartres, Bourges). Die Szenen erscheinen wie in ein dichteres Ornamentnetz „eingehängt". O b w o h l a u c h als Bildträger eigenkräftig w i r k e n d , enthält G l a s m a l e r e i zeit- und regionenbedingt wechselnde Anspielungen a u f a n d e r e M a t e r i a l i e n und K u n s t t e c h n i k e n : so e t w a in Grisaillefenstern a u f M a u e r - und F l e c h t w e r k ; dies v o r w i e g e n d bei den Zisterziensern, die sich bis ins 13. J h . an das Bilderverbot des G e n e r a l k a p i t e l s v o n 1 1 3 4 hielten (z. B . Heiligenkreuz/Niederösterreich), aber desgleichen in K a t h e d r a l e n (so in Chartres, York, Salisbury, Lincoln), teilweise m i t farbigen Einschlüssen. N a m e n t l i c h r o m a n i s c h e G l a s malereien verbinden einen deutlichen E i n d r u c k von R a u m s t u f u n g mit der Vorstellung eines Figurenreliefs ( z . B . die Mosesgeschichte des Meisters Gerlachus aus Arnstein [ M ü n s t e r , L a n d e s m u s e u m , u m 1 1 6 0 ] , oder die Himmelfahrt in D a l h e m / G o t l a n d , u m 1 2 5 0 ) . D a z u tragen differenzierte B o r d ü r e n bzw. Profile als „ i n n e r e F e n s t e r l a i b u n g " bei, in deren R a h m e n v o r b l a u e m G r u n d die G e s t a l t e n a u f s c h e i n e n . Edelsteinhaftes L e u c h t e n , „ P e r l e n f a s s u n g e n " wie die B i l d s t r u k t u r insgesamt lassen statt an g e f a ß t e Steinskulptur eher an T r e i b a r b e i t e n , G o l d e m a i l k u n s t denken (vgl. Beziehungen der M a a s k u n s t zu F e n stern in Chälons-sur-Marne, Kathedrale, 1 1 4 5 / 5 5 ) . B e z e i c h n e n d e r w e i s e nennt das zeitgenössische S c h r i f t t u m G l a s mit Vorliebe in Z u s a m m e n h a n g mit G o l d und Kristall. Völlig z u m A b b i l d von G o l d s c h m i e d e w e r k wurden G e s t a l t u n g e n wie das ordensbedingt n o c h n a h e z u m o n o c h r o m e Westfenster der Zisterzienserkirche Altenberg (um 1400) oder die „ M o n s t r a n z " des „Goldfensters" in St. Leonhard bei Tamsweg ( 1 4 4 0 ) ; auch das „Kristallfenster" des Regensburger Domes (um 1445) g e h ö r t in solchen Z u s a m m e n h a n g . D i e weitgehende Auflösung der k o m p a k t e n W a n d in der klassischen gotischen K a t h e drale seit Chartres ( 1 1 9 4 ff) verschafft der G l a s m a l e r e i h ö c h s t e W i r k s a m k e i t , A u t o n o m i e und S y m b o l k r a f t . Mehr als vorher übersteigt ihre bildliche Botschaft alle didaktische Funktion als bloßes Mittel religiöser Unterweisung. Die planmäßig verkomplizierte Paßformenordnung schon drängt das Er-

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Glasmalerei

zählerische - wie im Fenster des barmherzigen Samariters in Chartres (um 1210) - zugunsten eines zyklischen Gedankens, einem theologischen Kommentar gleich, zurück. Dies gilt sonderlich für die Rosenfenster, einem Mariensinnbild (neben Chartres vor allem Paris, Laon, Reims), in das -;vie in Lausanne - auch enzyklopädische Thematik eingeht. Das exemplarisch klare Fensterprogramm der Kathdrale von Bourges führt von oben nach unten Propheten und Apostel zuseiten der Gottesnutter mit ihrem Kind über die heiligen Bischöfe des Berry zu Szenen aus Bibel und Heiligenlegende in Umgang und Kapellen, darunter auch - wie in der Glasmalerei besonders oft - die Typologie, Gegenüberstellung von Ereignissen des Alten und Neuen Testaments. Schon finden sich übenll die Stifter mit ihren Wappen, Zunftzeichen und charakteristische Tätigkeiten. Profanen Motiven bieten sich hier - wie in Monatsarbeiten, Darstellungen von Tierkreisen und Künsten - wichtige Ansatzpunkte. N i c h t selten entspricht somit die G l a s g e m ä l d e i k o n o l o g i e dem vierfachen „ S p e g e l " der Scholastiker: Speculum theologicale, naturale, morale et doctrinale. D i e Fenster sind Materia meditandi, w a h r h a f t erleuchtende Sacra Scriptura (so Pierre Roissy, um 1200) o d e r , nach Durandus ( R a t i o n a l e D i v i n o r u m O f f i c i o r u m , u m 1 2 8 0 ) : Fenestrae ecdesiae

vitreae sunt scripturae divinae...

quae claritatem veri solis, i. e. Dei, in ecclesiam, •.. e. in

corda fidelium transmittunt, inhabitantes illuminant [Die gläsernen Kirchenfenster sind G o t t e s W o r t , welches das reine L i c h t der w a h r e n S o n n e , n ä m l i c h G o t t e s , in die Kirche und damit in die H e r z e n der G l ä u b i g e n ausgießt und die Anwesenden erleuchtet], Als die b e s t i m m e n d e n R a u m g r e n z e n werden die F a r b g l a s f e n s t e r zu selbstleuchtenden W ä n d e n , Allusion a u f die E d e l s t e i n w ä n d e des H i m m l i s c h e n J e r u s a l e m der A p o k a l y p s e (Apk 2 1 , 1 8 ff), Sacratissimae fenestrae, zu denen Abt Suger von S. Denis sie e r h e b t , auf die seine anagogische F o r m e l „Per lumina vera ad verum lumen" [von den wirklichen Lichtern zum wahren Licht] w o r t w ö r t l i c h zutrifft. M a x i m a l e F a r b e n d i c h t e - ein tiefes R o t - B l a u vor allem - bleiben nur wenig über 1 2 5 0 hinaus, bis etwa zur Ste. Chapelle in Paris, g e w a h r t . D a n n lichtet sich die Farbskaia auf; a u c h entstehen m e h r Grisaillefenster. Überdies tritt partielle, wenngleich mitunter von einem farbigen „ G i t t e r " d u r c h z o g e n e Hellverglasung, a l s o beinahe natürliches Tageslicht, zur F a r b i g k e i t der figürlichen A b s c h n i t t e in W e t t b e w e r b (z. B. Troyes, St. Lrbain, u m 1275; Chartres, St. Pierre, gegen 1 3 0 0 ; Rouen, St. Ouen, um 1340). Z u m silbrigen Begleitlicht gesellt sich u m eben diese Z e i t die W i r k u n g des meist schwefelfarbenen Silbergelbs in den Bildscheiben. Andererseits ergreift der a m A u ß e n b a u bis 1 2 5 0 voll entwickelte g o t i s c h e S c h m u c k a p p a r a t , so in W i m p e r g a r k a d e und Baldachinfiale, Besitz von den zuvor in Chartres, Bourges und Laon j a wenig baustruktur-affinen Glasgemälden, die sich aber selbst a m Kölner Domchorobergaden (um 1 3 0 5 / 1 5 ) in eine farbige Gegenstandszone und einen helleren, a b s t r a k t e n O r n a m e n t b e r e i c h aufgliedern. D i e in der gesamten e u r o p ä i s c h e n G l a s m a l e r e i zu b e o b a c h t e n d e K a n o n i s i e r u n g von Bekrönungs- und R a h m e n f o r m e l n läßt die F e n s t e r k o m p o s i t i o n e n v o r n e h m l i c h als A r c h i t e k t u r a b t i l d erscheinen, dessen d u r c h g e h e n d e Vertikalisierung sie in oft ganz bauhüttenmäßigen K o n struktionen a u f n e h m e n , wie im Thron-Salomonis-Fenster des Augsburger Domes (um 1 3 3 0 / 4 0 ; weitere Beispiele: Straßburg, Münster, 1 2 5 0 - 1 3 4 0 ; Freiburg, Münster, York, Kathedrale, um 1 3 5 0 ; Wells, Lady Chapel der Kathedrale). D i e F a r b i g k e i t der Figuren, besonders die s a t t b l a u e n b z w . -roten Bildgründe verhüten allerdings eine isolierte Ablesung des a r c h i t e k t o n i s c h e n „ G e r ü s t e s " . Im ganzen sind die Bildgefüge immerhin schaubarer geworden: Maria und der vor ihr kniende Fensterstifter Raoul de Ferneres (Evreux, Kathedrale, um 1325) heben sich großformig und besonders hell, wieder Goldschmiedearbeiten ähnlich, von Grund und Rahmenarchitektur ab. Skulpturenreihen finden gelegentlich eine direkte Fortsetzung in Glasgemäldefiguren (Soest, Wieseitkirche, um 1330; Warwick, St. Mary, um 1443). Daneben beeinflußt namentlich in der Phase um 1320/30 Miniaturenfeinheit die Glasmalerei, so die kleinteilige, dennoch aber baldachingekrönte Pfingstscheibe der Kathedrale von Rouen (um 1330), der man in Deutschland erst die Scheiben der Bessererkapelle des Ulmer Münsters von Hans Acker (?; um 1430) gegenüberstellen könnte. D i e T r e n n u n g in G l a s g e m ä l d e - und „ b l o ß e n " F e n s t e r b e r e i c h wie a u c h das architektonische R a h m u n g s p r i n z i p gelten u m 1 3 0 0 nun keineswegs schon als u n a b d i n g b a r e R e g e l .

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D e r C h o r der Franziskanerkirche von Königsfelden ( 1 3 2 5 / 3 0 ) ist völlig farbig verglast und vereinigt in M e d a i l l o n - , P a ß - und B a l d a c h i n s t r u k t u r e n zugleich das gesamte d a m a l s zur Verfügung stehende G l i e d e r u n g s r e p e r t o i r e mit v e r r ä u m l i c h e n d e r S o n d e r u n g von m a ß w e r k a r t i g e n R a h m u n g e n , in denen die Figuren wie im D u r c h b l i c k - freilich noch immer vor d i c h t e m G r u n d - auftreten. D i e Verklausulierung der Bildmitteilung in o r n a mentalem R a h m e n w e r k ist d a m i t z w a r g e m i n d e r t , nicht j e d o c h - zumindest in D e u t s c h land und Italien - die N e i g u n g zur G e o m e t r i s i e r u n g . Dies zeigt sich in S. Francesco in Assisi (um 1 2 5 0 ) , in S. Croce in Florenz (um 1 3 5 0 ) , ja n o c h in den a u f Ghiberti, Donatello, Castagno und Uccello z u r ü c k g e h e n d e n „Occhi" der Florentiner Domkuppel, gleichsam verselbständigten M e d a i l l o n s mit V e r w a n d t s c h a f t zu den glasierten M a i o l i k a t o n d i der Robbiawerkstatt. D i e deutsche G l a s m a l e r e i vollends löst sich nur l a n g s a m von der F a s z i n a t i o n g e o m e t rischer Grundfiguren (vgl. Naumburg, Dom, 1 2 5 0 / 6 0 ; Marburg, St. Elisabeth, 3. Viertel 13. J h . ; Eßlingen, St. Dionys und Frauenkirche, gegen 1 3 0 0 / 3 0 ; Rothenburg, St. Jakob, um 1 3 4 0 , mit A r c h i t e k t u r b e k r ö n u n g e n k o m b i n i e r t ; Stendal, Dom, nach 1423 und n o c h Berner Münster, M i t t e 15. J h . ) . W ä h r e n d m a n in Italien ( z . B . Perugia, S. Domenico, 1 4 1 1 ; Bologna, S. Petronio, 1446; Venedig, SS. Giovanni e Paolo-, Mailand, Dom, 1 5 . / 1 6 . J h . ) folgerichtig den Weg zu g r ö ß t m ö g l i c h e r Bildhaftigkeit beschreitet, hält der N o r d e n a m o r n a m e n t a l e n Prinzip zumal in den von A r c h i t e k t u r f o r m e n b e s t i m m t e n Fenstern fest, in denen sich a b e r zur Parierzeit ( 1 3 6 0 f f ) a u s g e s p r o c h e n e G e h ä u s e v e r s c h a c h t e l u n g e n a u f t ü r m e n ( z . B . Erfurt, Dom, 1 3 7 0 / 1 4 1 0 ; Nürnberg, St. Sebald, 1 3 7 9 ff; Wien, St. Stephan, v o r 1395). F a r b w i d e r spiel - so n o c h in Münnerstadt ( 1 4 2 0 / 3 5 ) — verhindert z u n ä c h s t allerdings r ä u m l i c h e G e s a m t w i r k u n g , wie sie im 15. J h . die häufig m e h r s t ö c k i g e n „ S c h a u b ü h n e n " bei g r o ß e m F i g u r e n a u f g e b o t {Bern, Münster) vermitteln. Peter Hemmel, der sich 1477 in S t r a ß b u r g mit anderen G l a s m a l e r n zu einer regelrechten E x p o r t f i r m a z u s a m m e n t u t , gehört zu den herausragendsten M e i s t e r n dieses Z e i t a b s c h n i t t s . Seine B a l d a c h i n e d u r c h w ä c h s t L a u b werk; weiß oder goldgelb vor b l a u e m o d e r r o t e m D a m a s t g r u n d , verquicken sie neuerlich Z i e r a r c h i t e k t u r n a c h a h m u n g m i t G o l d s c h m i e d e e r i n n e r u n g e n . D a s seit St. Denis und Chartres (12. J h . ) stets besonders g l a s m a l e r e i g e m ä ß e T h e m a der „Wurzel Jesse" wird nun - in Tübingen, Ulm und Nürnberg — zum realistischen G e ä s t . Ausschliff aus Ü b e r fangglas bereichert z u m a l H e m m e i s , auf h ö c h s t e L e u c h t k r a f t abzielende G e s t a l t u n g s w e i se (Fenster seiner W e r k s t a t t , a u ß e r in den g e n a n n t e n O r t e n , u . a . in Straßburg, Salzburg

und

München).

Ganz allgemein überwiegt ab dem 2. Drittel des 15. Jh. in Gesamtkompositionen die Assoziation mit Steinmetzarbeit, mit Lettnern, Sakramentsnischen, Wandprostasen. Wenngleich die meist strahlende Farbigkeit der Figuren derartige Vorstellungsverknüpfungen einschränkt, verkörpert zumindest die Rahmenform sogar in den ansonsten vielfach nahezu schmucklosen Kirchen der deutschen Spätgotik (-»Gotik) noch einen letzten, unmittelbar zur Architektur gehörigen Rückbezug zur Kathedrale: dies in einem Innenraum, in dem auch beim Inventar, an Schnitzretabel, Sakramentshäuschen, Chorgestühl, Kathedralteminiszenzen nicht fehlen. D i e um 1 5 0 0 weiter z u n e h m e n d e , nur zeilenweise F a r b v e r g l a s u n g und Einzelscheiben i n n e r h a l b von Butzenfenstern n ä h e r n die G l a s m a l e r e i nun a b e r d o c h besonders der T a f e l malerei an; eine S c h e i b e unterscheidet sich k o m p o s i t i o n e i l nur wenig von einem Altarflügel oder E p i t a p h . D e n n o c h ist der K r e i s v o n Analogiebezügen o h n e neuerliche Parallelen zur W a n d m a l e r e i keineswegs geschlossen. Sie finden sich in großflächigen, Fensterrippen und Scheibenkompartimente überspannenden Darstellungen. Diese gab es zwar, wie erwähnt, schon im 12. Jh.; im Himmelfahrtsund Marienkrönungsfenster im Dom zu Regensburg (um 1370) finden sie zu szenenmäßiger Vereinheitlichung, bleiben indes stets ornamental „verfaßt"; doch in Kompositionen wie dem Mosesfenster in St. Jakob zu Straubing, den ehemaligen Fenstern von St. Salvator in München (um 1500), Farbverglasungen im nördlichen Seitenschiff des Domes und in Maria im Kapitol zu Köln (1508/10), im King's College, Cambridge{15l5/31) oder in St. Nicolas in Brou (um 1530) lösen sich weitgehend von den architek-

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Glasmalerei

turseitig vorgegebenen Bedingungen. Wie die Werke der Glasmalerfamilie Le Prince in Beauvais, Guglielmos de Marcillat (Dom zu Arezzo, um 1525) oder Dirk und Wouter Crabeths(St. Jans, Gouda, 1555/60) entsprechen sie vom Entwurf her den illusionistischen Darstellungsabsichten gleichzeitiger Wandgemälde; lediglich ihr Durchschienensein hemmt eine eindeutige räumliche Erscheinungsweise.

Außer Gestaltungsprinzipien von Tafel- und Wandmalerei gewinnt im 16. Jh. aber noch einmal auch Zierarchitektur für die Glasmalerei Bedeutung; dies in Triumphbogenmotiven, die - wie in St. Sebald in Nürnberg (Maximilians-, Markgrafen-, Pfinzingfenster, 1514/15) oder den Herrscherfenstern in der Kathedrale zu Brüssel (1537-47) illusionistisch wie in eine leere Öffnung gestellt sind. Die Identität von Glas wand und Glasbild scheint somit endgültig dahin. Widersprüchlicherweise bewahrt aber die Oberzone dichte Butzen- bzw. Rautenstruktur. Gerade die Nürnberger Glasmalerei veranschaulicht - hier nicht ohne Einwirkung der Reformation-,wie sich im Verlauf des 16. Jh. (St. Lorenz, Tucherfenster) der Glasgemäldebereich auf den Fensterrand zurückzieht, während im Zentrum höchstens kleine Wappenmedaillons in Butzenumgebung verbleiben. Da Glasgemälde um 1520/30 offenbar hauptsächlich als Ornamentum empfunden wurden, nahmen immerhin die Feinde sakralen Bildwerks der Reformationsepoche an ihnen nicht allzuviel Anstoß; Zwingli (1525, CR 91,IV,95) wendet sich ausdrücklich gegen Zerstörung von Glasmalereien, da sie nie jemand angebetet habe. Wenigstens in Frankreich (Paris), den Niederlanden (Hoogstraeten, Brüssel) und Spanien (Sevilla) stand die Glasmalerei im 16. Jh. noch vielerorts in beachtlicher Blüte. Allerdings waren es hier wie in Deutschland häufig längst Maler — wie -+Holbein d. Ä., Dürer, Baidung, Bartel Bruyn d.Ä., Barend van Orley —, die sich als Entwerfer und Anreger (durch Druckgraphik [-»Graphik]) hervortaten, wodurch die Glasmaler - Gumpolt Giltlinger in Augsburg, Hans Gitschmann in Freiburg, die Hirsvogel in Nürnberg - weitgehend zu ausführenden Organen, zu Kunsthandwerkern wurden. Guglielmo de Marcillat, die Le Prince und Crabeths, Arnoult de Nimegue (Tournay, Normandie, Antwerpen), Valentin Busch (Metz) gehören nun zu den Ausnahmen. Der Niedergang der monumentalen Glasmalerei hat vor allem ästhetische Gründe: sie hat ausgespielt, wenn das Fenster - wie in der Schloßkapelle von Versailles (um 1700) ausschließlich als Wandöffnung, nicht mehr als Raumgrenze begriffen, im Innenraum möglichst unverfärbtes Tageslicht und ein ungehinderter Blick ins Freie verlangt werden. In Italien geschah dies schon mit der Hochrenaissance. Auch in den namentlich in der Schweiz produzierten Kabinettscheiben (Wappen, Allegorie, Mythologie) verstärkten sich die kunstgewerblichen Züge. Im 18. Jh. war selbst dieser Glasmalereizweig dem Ende nahe. Allein in England behauptete sich in technisch völlig verändertem Gewand etwas von der Tradition.

Erst im Zeichen romantischer Mittelaltersehnsucht kommt es auf dem Kontinent zu einer Wiederbelebung der Kunstgattung (Sevres, München 1827), die freilich wesentlich von Malern - so von Ingres und Delacroix (Dreux, Chapelle royale, 1843) bestimmt blieb und nur allmählich Anschluß an die alten Techniken, auch in der Glasherstellung, gewann, wobei die bevorzugte Malerei auf Glas dem eher zuwiderlief (vgl. ehemalige Fenster in Maria Hilf, München, 1834/44). Künstlerisch neue Wege bahnten dann die Präraffaeliten (Morris, Bunte-Jones), um die Wende zum 20. Jh. noch entschiedener Art nouveau und Jugendstil. Der Amerikaner Louis Comfort Tiffany mit seinen „fleuralen" Landschaftsdurchblicken und Kolo Moser in Wien mit auch nach außen bildwirksamem „Marmorglas" (Steinhofkirche) sind besonders zu nennen. Auch die Glasgemälde des Prager Veitsdomes (u.a. von Swabinsky und Mucha) gehören stilistisch hierher. Expressionismus und abstrakte Kunst fanden schließlich zurück zur durchgestalteten Glaswand großen Ausmaßes, die nun bewußt einer allseitig nach außen sich öffnenden Architektur entgegengesetzt wird. Künstler wie Thorn Prikker und Georg Meistermann stehen hier für rhythmisch bewegte Form- und Farbenkaskaden, die freilich nicht selten den Bau-Rahmen geradezu sprengen und häufig auch weit entfernt sind von jener gleich-

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mäßigen Dichte hochgotischer Glasmalerei. Das neuerlich vertiefte Interesse an den Ausdrucksmöglichkeiten dieser Kunst erweist sich nicht zuletzt an der Entwerfertätigkeit führender Maler der Moderne wie Matisse, Braque, Léger, Rouault und vor allem Chagall (u.a. Zürich, Metz, Reims, Jerusalem). Völlig anders als bei den oft an Öldrucke erinnernden Glasgemälden des historistischen 19. J h . wird wieder wahrhaft mit Farbe und Licht „ g e m a l t " . Noch immer klingt dabei sakrale Thematik vielstimmig auf, doch hat die Glasmalerei heute auch im profanen Bereich großfeldige Aufgaben übertragen

bekommen (z. B. Hakone/Tokio, Loire).

„Turm der Freudensymphonie für Kinder" von Gabriel

Literatur Grundsätzlich sei verwiesen auf die Bde. des Corpus Vitrearum Medii Aevi (1956ff). Marcel Aubert u. a., Le vitrail français, Paris 1958. - Ernst Bacher, Der Bildraum in der Glasmalerei des 14. Jh.: Wiener Jb. f. Kunstgesch. 25 (1972) 53 - 95. - Rüdiger Becksmann, Die architektonische Rahmung des hochgotischen Bildfensters, Berlin 1967. - Paul Boesch, Die Schweizer Glasmalerei, Basel 1955. - Enrico Castelnuovo, Art. Stained glass: Encyclopedia of World Art 13, New York 1967, 349 - 3 7 4 (Lit.). - Die Welt der Glasfenster, Freiburg 1977. - Erhard Drachenberg/KarlJoachim Maercker/Christa Richter, Ma. Glasmalerei in der DDR, Berlin-DDR 1979. - Mathias T. Engels, Zur Problematik der ma. Glasmalerei, Diss. Bonn 1937. - Joseph Ludwig Fischer, Hb. der Glasmalerei, Leipzig 1937. - Eva Frodl-Kraft, Die Glasmalerei, Wien 1970. - Louis Grodecki, Romanische Glasmalerei, Stuttgart 1977. - Karl Adolf Knappe, Überlegungen zur Gesch. der Glasmalerei: Kunstspiegel 1 (1979) 7 - 1 9 . - Jean Lafond, Le vitrail, Paris 1978. - Giuseppe Marchini, Ital. Glasmalerei, München 1955. - Heinrich Oidtmann, Die Glasmalerei, Köln 1892. - Ders., Rheinische Glasmalereien, 2 Bde., Düsseldorf 1912/29. - Patrick Reyntiens, The Technique of Stained Glass, London 1962. - Robert Sowers, Farbiges Glas als Element der Architektur, Tübingen 1965. - Hans Wentzel, Meisterwerke der Glasmalerei, Berlin 2 1954. - Christopher Woodforde, English Stained and Painted Glass, Oxford 1954.

Karl Adolf Knappe

Glaube I. Religionsgeschichtlich II. Altes und Neues Testament II/l. Biblisch II/2. Altes Testament II/3. Neues Testament III. Zwischentestamentliche Zeit und rabbinisches Judentum IV. Alte Kirche V. Mittelalter VI. Reformation/Neuzeit/Systematisch-theologisch

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I. Religionsgeschichtlich In allen Religionen ist der Glaube wesentliches Element des religiösen Lebens. Er ist dies in seiner komplexen Gestalt, die ein „Fürwahrhalten" außerirdischer, transzendenter Gegebenheiten ebenso einschließt wie frommes Vertrauen und feste Zuversicht, die für die Existenz des religiösen Menschen entscheidend sind und ihm Halt und Trost in den Ängsten und Nöten dieser Welt verleihen. Unterschiedlich ist jedoch der Gegenstand des Glaubens. In Religionen, in denen der - • M y t h o s eine zentrale Stellung einnimmt, richtet sich der Glaube vornehmlich auf die Wahrheit und normative M a c h t eines urzeitlichen mythischen Geschehens, das die irdischen Ordnungen ein für allemal festlegte und oft vom Menschen in einem Kultdrama rituell repristiniert werden muß. Gegenstand des Glaubens kann ferner ein Mensch sein,

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mäßigen Dichte hochgotischer Glasmalerei. Das neuerlich vertiefte Interesse an den Ausdrucksmöglichkeiten dieser Kunst erweist sich nicht zuletzt an der Entwerfertätigkeit führender Maler der Moderne wie Matisse, Braque, Léger, Rouault und vor allem Chagall (u.a. Zürich, Metz, Reims, Jerusalem). Völlig anders als bei den oft an Öldrucke erinnernden Glasgemälden des historistischen 19. J h . wird wieder wahrhaft mit Farbe und Licht „ g e m a l t " . Noch immer klingt dabei sakrale Thematik vielstimmig auf, doch hat die Glasmalerei heute auch im profanen Bereich großfeldige Aufgaben übertragen

bekommen (z. B. Hakone/Tokio, Loire).

„Turm der Freudensymphonie für Kinder" von Gabriel

Literatur Grundsätzlich sei verwiesen auf die Bde. des Corpus Vitrearum Medii Aevi (1956ff). Marcel Aubert u. a., Le vitrail français, Paris 1958. - Ernst Bacher, Der Bildraum in der Glasmalerei des 14. Jh.: Wiener Jb. f. Kunstgesch. 25 (1972) 53 - 95. - Rüdiger Becksmann, Die architektonische Rahmung des hochgotischen Bildfensters, Berlin 1967. - Paul Boesch, Die Schweizer Glasmalerei, Basel 1955. - Enrico Castelnuovo, Art. Stained glass: Encyclopedia of World Art 13, New York 1967, 349 - 3 7 4 (Lit.). - Die Welt der Glasfenster, Freiburg 1977. - Erhard Drachenberg/KarlJoachim Maercker/Christa Richter, Ma. Glasmalerei in der DDR, Berlin-DDR 1979. - Mathias T. Engels, Zur Problematik der ma. Glasmalerei, Diss. Bonn 1937. - Joseph Ludwig Fischer, Hb. der Glasmalerei, Leipzig 1937. - Eva Frodl-Kraft, Die Glasmalerei, Wien 1970. - Louis Grodecki, Romanische Glasmalerei, Stuttgart 1977. - Karl Adolf Knappe, Überlegungen zur Gesch. der Glasmalerei: Kunstspiegel 1 (1979) 7 - 1 9 . - Jean Lafond, Le vitrail, Paris 1978. - Giuseppe Marchini, Ital. Glasmalerei, München 1955. - Heinrich Oidtmann, Die Glasmalerei, Köln 1892. - Ders., Rheinische Glasmalereien, 2 Bde., Düsseldorf 1912/29. - Patrick Reyntiens, The Technique of Stained Glass, London 1962. - Robert Sowers, Farbiges Glas als Element der Architektur, Tübingen 1965. - Hans Wentzel, Meisterwerke der Glasmalerei, Berlin 2 1954. - Christopher Woodforde, English Stained and Painted Glass, Oxford 1954.

Karl Adolf Knappe

Glaube I. Religionsgeschichtlich II. Altes und Neues Testament II/l. Biblisch II/2. Altes Testament II/3. Neues Testament III. Zwischentestamentliche Zeit und rabbinisches Judentum IV. Alte Kirche V. Mittelalter VI. Reformation/Neuzeit/Systematisch-theologisch

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I. Religionsgeschichtlich In allen Religionen ist der Glaube wesentliches Element des religiösen Lebens. Er ist dies in seiner komplexen Gestalt, die ein „Fürwahrhalten" außerirdischer, transzendenter Gegebenheiten ebenso einschließt wie frommes Vertrauen und feste Zuversicht, die für die Existenz des religiösen Menschen entscheidend sind und ihm Halt und Trost in den Ängsten und Nöten dieser Welt verleihen. Unterschiedlich ist jedoch der Gegenstand des Glaubens. In Religionen, in denen der - • M y t h o s eine zentrale Stellung einnimmt, richtet sich der Glaube vornehmlich auf die Wahrheit und normative M a c h t eines urzeitlichen mythischen Geschehens, das die irdischen Ordnungen ein für allemal festlegte und oft vom Menschen in einem Kultdrama rituell repristiniert werden muß. Gegenstand des Glaubens kann ferner ein Mensch sein,

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dem eine überwertige, sakral legitimierte Bedeutung beigemessen wird. Diese Form des Glaubens an einen heiligen Lehrer, an einen Guru ist typisch für eine größere Anzahl der neuen Religionen der Gegenwart. Am häufigsten jedoch ist der Glaube an die - * Gnade einer gütigen Gottheit, der sich sowohl in polytheistischen Systemen als vornehmlich im -•Monotheismus findet. Obwohl allen Religionen das Element des Glaubens eigen ist, weisen sie ihm doch eine unterschiedlich große Bedeutung zu. Eine zentrale Stellung nimmt der Glaube in den prophetischen Offenbarungsreligionen ein. Der Glaube an Gott im monotheistischen Sinne ist Grundlage dieser Religionen. Er legitimiert das Offenbarungswort ihrer prophetischen Verkünder, wirkt als Gebetsmotiv und verleiht ethischen Geboten verpflichtenden Charakter. Im Leiden und Tod der Märtyrer findet er seine stärkste Bewährung. Eine vergleichsweise geringere Bedeutung des Glaubens kann sich in der mystischen Frömmigkeit finden, die häufig dazu neigt, dem subjektiven Erlebnis des Mystikers eine vorrangige Stellung zu verleihen. Schließlich ist ein religionsinterner Gegensatz zwischen einem Synergismus von Glaube und guten Werken einerseits und andererseits der sola fides aufzuweisen. Die südindische Theologie hat ihn in treffender Weise mit „Affenweg" und „Katzenweg" bezeichnet. Für den Synergismus ist der „Affenweg" kennzeichnend, weil das Affenjunge sich mit eigener Kraft an die es schützende und rettende Mutter klammert. Diesem Verhalten steht der „Katzenweg" gegenüber, bei dem die Katze das gefährdete Junge ohne sein Zutun rettend in ihr Maul nimmt. Unter den großen außerchristlichen Religionen ist der -»Islam in typischer Weise eine Religion des Glaubens. Im Koran wird für „glauben" und „vertrauen" das Verbum 'ämana gebraucht, von dem das Partizip mu'min, „gläubig", und das Substantiv 'tmän, „ G l a u b e " , abgeleitet sind. Das Wort 'ämana ist ein Kausativ von 'amina, „in Sicherheit sein, einem etwas anvertrauen". Bereits dieser sprachliche Befund verweist darauf, daß der islamische Glaube nicht allein ein Fürwahrhalten der Offenbarung ist, sondern das Vertrauen auf Gott impliziert. So heißt es im Koran (Sure 67, 29): „Sag: Er ist der Barmherzige. An ihn glauben und auf ihn vertrauen w i r . " Das islamische Glaubensverständnis fordert uneingeschränkt die gesamte Persönlichkeit des Gläubigen, seine vollständige Unterwerfung unter den göttlichen Willen und die Verwirklichung dieser Haltung in guten Werken. Auch in der Stiftung des Priesterpropheten Zarathustra, auf die der heutige Parsismus (-•Iranische Religionen) zurückgeht, nimmt der Glaube eine bedeutsame Stellung ein. In den Gäthäs, den Verspredigten, die die Verkündigung Zarathustras enthalten, sind zrazdä, „gläubig", und zrazdäti, „Glaube, Vertrauen", zentrale Begriffe. Charakteristisch ist ferner der Gebrauch der Wurzel var, „ w ä h l e n " , die darauf verweist, daß die zrazdäti stets eine Wahl, eine Glaubensentscheidung innerhalb des antithetischen Dualismus von Gut und Böse voraussetzt. Der -»Hinduismus anerkennt drei unterschiedliche Heilswege. Neben dem „Weg der W e r k e " ( k a r m a - m ä r g a ) und dem „Weg der intuitiven Erkenntnis" (jnäna-märga) steht der „Weg der gläubigen H i n g a b e " (bhakti-märga), des Vertrauens und der zuversichtlichen Liebe zu einem monotheistisch verehrten Gott, der als „ H e r r " (Tshvara) oder „Erhab e n e r " (Bhagavat) bezeichnet wird. In der Bhagavadgitä, dem „Gesang der Erhabenen", dem berühmtesten religiösen Lehrgedicht Indiens, findet diese Glaubenshaltung ihren charakteristischen Ausdruck. Obwohl der -»Buddhismus sich als rational völlig durchschaubar versteht und die verstandesmäßige Erkenntnismöglichkeit seiner Lehre missionarisch propagiert, fordert er doch den Glauben (shraddhä) als ersten Schritt auf dem Wege zur Erlösung. Diese glaubensmäßige Aneignung der Lehre Buddhas soll dann allerdings nachträglich auf ihre Richtigkeit überprüft werden. Der Glaube gewinnt in den beiden Schulen des japanischen Amida-Buddhismus wieder volle religiöse Bedeutung. Die „Schule des reinen Landes" ( J ö d o - s h ü ) und die „Schule

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des w a h r e n reinen L a n d e s " ( J ö d o - s h i n s h ü ) vertreten g e m e i n s a m die Überzeugung, d a ß allein der G l a u b e an die G n a d e des „ B u d d h a des u n e r m e ß l i c h e n L i c h t g l a n z e s " ( A m i t ä b h a Buddha, j a p a n i s c h Amida Butsu) erlöse und zum Paradies des reinen L a n d e s ijödo) führe. Literatur Tor Andrae, Die Letzten Dinge, Leipzig 1940, 1 7 6 - 1 9 5 . - Martin Buber, Zwei Glaubensweisen, Zürich 1950 = Werke I, München/Heidelberg 1962, 6 5 1 - 7 8 2 . - E n r i c o Castelli (Hg.), Mythe et foi. Phénoménologie religieuse, Rom 1966. - Heinrich Frick, Vergleichendes Religionswiss., Berlin/Leipzig 1928. - Helmuth von Glasenapp, Glaube u. Ritus in den Hochreligionen, Frankfurt a.M./Hamburg 1960. - Hans Haas, Amida Buddha, unsere Zuflucht, Göttingen/Leipzig 1910. Friedrich Heiler, Erscheinungsformen u. Wesen der Religion (RM 1), Stuttgart 1961, Reg.-Gerardus van der Leeuw, Phänomenologie der Religion, Tübingen 3 1970 (§ 81). - Robert R. Marett, Glaube, Hoffnung u. Liebe in den primitiven Religionen, Stuttgart 1936. - Rudi Paret, Der Koran. Übersetzung, Stuttgart 1979. - Konrad Theodor Preuß, Glaube u. Mystik im Schatten des höchsten Wesens, Leipzig 1926. - S. Radhakrishnan/Siegfried Lienhard, Die Bhagavadgita, Baden-Baden 1958. - Carl Heinz Ratschow, Artikel Glaube I. Religionsgesch.: R G G 3 3 (1958) 1586-1588. - Helmer Ringgren, The Conception of Faith in the Koran: Oriens 4 (1951) 1 - 2 0 . - G e o Widengren, Religionsphänomenologie, Berlin 1969, 1 8 8 - 2 0 8 . Günter Lanczkowski II. Altes und Neues T e s t a m e n t I I / l . Biblisch Methodische

Überlegungen

und

Problemanzeigen

G l a u b e als Begriff christlicher T h e o l o g i e läßt sich nur im R ü c k g a n g a u f das biblische R e d e n von G l a u b e n zutreffend b e s t i m m e n . Dieser R ü c k g a n g k a n n a b e r nur gelingen, wenn m a n den b i b l i s c h e n S p r a c h g e b r a u c h m e t h o d i s c h streng unterscheidet von der späteren W o r t g e s c h i c h t e , die durch allgemeinsprachliche E n t w i c k l u n g e n und p h i l o s o p h i s c h e Einflüsse mit bedingt ist. D i e häufige V e r w e n d u n g des Begriffs „ G l a u b e " als S y n o n y m zu „ R e l i g i o n " ist d u r c h die exegetischen B e f u n d e nicht gedeckt und sollte d a r u m aus d e m wissenschaftlichen S p r a c h g e b r a u c h ausgeschieden werden. D e m e n t s p r e c h e n d sollte a u c h vermieden w e r d e n , bei der D a r s t e l l u n g des biblischen Verständnisses von G l a u b e n von T e x t e n auszugehen, die das W o r t „ G l a u b e n " nicht verwenden. Eine R e i h e von Untersuchungen zum G l a u b e n in der Bibel wird diesem M a ß s t a b nicht gerecht; die S u b j e k t i v i t ä t der T e x t a u s w a h l beeinträchtigt dabei m e h r o d e r weniger den W e r t der Ergebnisse. D i e s e r V o r b e h a l t gilt a u c h für die E r w e i t e r u n g der T e x t b a s i s auf S y n o n y m e mit der Bedeutung „ V e r t r a u e n " o . ä . , w o nicht Ü b e r g ä n g e in der Verwendung k o n k r e t aufgezeigt werden (s.u.Abschn. II/2.7). „Glaube" und „glauben" sind in der Tradition deutscher Bibelübersetzung mit wenigen Ausnahmen die Wiedergabe von Wörtern des Stammes 'mn im Hebräischen und des Stammes merz- im Griechischen. Erst von den Ergebnissen der Interpretation des biblischen Sprachgebrauchs her läßt sich fragen, ob diese Ubersetzungstradition korrekturbedürftig und verbesserungsfähig ist (vgl. Lührmann, Glaube im frühen Christentum 9ff u. Neuenschwander 3 - 1 0 ) und ob der Ubergang moderner Ubersetzungen zum verstärkten Einsatz des Wortes „vertrauen" den Abbruch der Sprachkontinuität und die Verdunkelung von Leitmotiven biblischer Texte rechtfertigt. Die herkömmliche weitgehend konkordante Übersetzung von hœ'"mm bzw. mazEÙeiv durch „glauben" entspricht dem Befund in der Septuaginta, die ba'"mm nur an einer Stelle (Prov 26,25) nicht durch mareùetv oder ein zugehöriges Kompositum übersetzt (vgl. A. Weiser: T h W N T 6, 186,24f). Im Neuen Testament zeigen die Verweise auf alttestamentliche Texte, daß marevsivals Äquivalent des hebräischen ha'"min gemeint ist. Freilich ist damit zu rechnen, daß die Leser der Septuaginta und die Verfasser original griechischer frühjüdischer Schriften und des Neuen Testaments auch Bedeutungen von ntcrtevei vim Ohr hatten, die über die Bedeutungsbreite von hœ"*mîn hinausgingen. Kontinuität mit dem Alten Testament kann also im Neuen Testament erwartet, aber nicht zum Gesetz der Auslegung gemacht werden. Ein vorläufiger Vergleich zwischen A l t e m und N e u e m T e s t a m e n t m u ß als erstes die e x t r e m unterschiedliche Häufigkeit des R e d e n s von G l a u b e n registrieren: den je 2 4 3

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Belegen für mutig und niOTeveivim N e u e n stehen nur 5 1 für ha'amin und 4 9 für 'amüna a gegenüber, wobei sogleich n o c h hinzugefügt werden m u ß , d a ß ' müna nicht das Nomen actionis zu hce'amin ist und auch nie mit hce'amin kombiniert auftaucht, während im N e u e n T e s t a m e n t mang in dichter Folge mit mazevei v wechseln kann und in der Regel als N o m e n actionis zu niazeveivgelten m u ß . O b 'amünä jemals mit „ G l a u b e " übersetzbar ist ( z . B . in H a b 2 , 4 ) , ist h ö c h s t zweifelhaft (vgl. J . B a r r , Bibelexegese 175). Die sprachliche Verwandtschaft zwischen 'amüna und hce'amtn w a r im Griechischen nacha h m b a r , weil mazig a u c h „ T r e u e " bedeutet; im Deutschen ließe sich eine ähnlich enge Anlehnung an die biblischen U r s p r a c h e n nur d u r c h einen übermäßigen Einsatz von „ G l a u b w ü r d i g k e i t " für 'amünainiaxiq erreichen. T e x t e mit 'amünä (oder gar 'amat) liefern also keinen direkten Beitrag zum T h e m a Glauben. A u f H a b 2 , 4 m u ß jedoch Wegen der neutestamentlichen N a c h g e s c h i c h t e eingegangen werden. H i n t e r der immensen Steigerung des Redens von Glauben im N e u e n Testament steht kein m o n o k a u s a l e r Gegensatz der beiden T e s t a m e n t e , sondern eine Entwicklung, die sich schon innerhalb des Alten Testamentes a n b a h n t und in bestimmten Traditionen des Frühjudentums weitergeht (vgl. L ü h r m a n n , Pistis im J u d e n t u m ) . Die neutestamentliche Intensivierung des T h e m a s geschieht zum Teil in ausdrücklicher Anknüpfung an alttestamentliche T e x t e . D a r ü b e r hinaus werden Teile der alttestamentlichen und frühjüdischen Überlieferung, die von H a u s e aus nicht explizit v o m Glauben handeln, als Beispiele für Glauben interpretiert (vgl. z . B . H e b r 11). Die neutestamentliche Betonung des Glaubens scheint also in der Regel nicht v o m Bewußtsein einer Innovation gegenüber der alttestamentlich-jüdischen Tradition getragen gewesen zu sein (Gal 3 , 2 3 . 2 5 fällt aus dieser Regel heraus, wobei der christologische Inhalt des Glaubens gemeint sein wird). Allerdings kennzeichnet das absolute mazeveiv an vielen Stellen die neutestamentliche Gemeinde in ihrem Unterschied zur heidnischen und jüdischen U m w e l t . Einen stark beachteten Deutungsversuch zum gesamtbiblischen Befund stellt das Buch Zwei Glaubensweisen von Martin ->Buber (1950) dar. Buber versucht, zwischen Glauben als einem personalen Vertrauensverhältnis und Glauben als einem Anerkennen von Sachverhalten streng zu unterscheiden. Ersteres findet Buber im alten Israel, im Pharisäismus und bei Jesus, letzteres im hellenistischen Judentum und im Urchristentum, namentlich in seiner paulinischen Ausprägung. Es muß geprüft werden, ob dieser im wesentlichen kulturgeschichtliche Deutungsversuch dem biblischtheologischen Befund gerecht wird. Ein Ausweichen vor den gerade beim Thema Glauben aufbrechenden Problemen des christlich-jüdischen Dialogs ist theologisch nicht zu verantworten. Damit ist die Relevanz der biblisch-theologischen Reflexion gegeben, aber auch für den innerneutestamentlichen Vergleich zwischen Jesus und der Urkirche eine wichtige These zur Diskussion gestellt. Literatur Juan Alfaro, Fides in terminologia biblica: Gr. 42 (1961) 4 6 3 - 5 0 5 . - Pierre Antoine, Art. Foi: DBS 3 (1938) 2 7 6 - 3 1 0 . - James Barr, Bibelexegese und moderne Semantik, München 1965 (engl.: The Semantics of Biblical Language, 1961). - E. C. Blackman, Art. Faith, Faithfulness: IDB 2 (1962) 2 2 2 - 2 3 4 . - Martin Buber, Zwei Glaubensweisen, Zürich 1950. - Rudolf Bultmann/Artur Weiser, maxeva KTX: T h W N T 6 (1959) 1 7 4 - 2 3 0 . - Gerhard Ebeling, Jesus u. Glaube: Z T h K 55 (1958) 6 4 - 1 1 0 = ders., Wort u. Glaube, Tübingen 1960 z 1 9 6 2 , 2 0 3 - 2 5 4 . - Lloyd Gaston, Abraham and the Righteousness of God: Horizons in Biblical Theology 2 (1980) 3 9 - 6 8 . - Klaus Haacker, Was meint die Bibel mit Glauben?: ThBeitr 1 (1970) 1 3 3 - 1 5 2 . - Ferdinand Hahn, Genesis 15,6 im N T : Probleme bibl. Theol. FS Gerhard von Rad, München 1971, 9 0 - 1 0 7 . - Gabriel Hebert, ,Faithfulness' and ,Faith': Theol. 58 (1955) 3 7 3 - 3 7 9 . - Hans-Jürgen Hermisson/Eduard Lohse, Glauben, Stuttgart 1978. - Xavier Leon-Dufour, Grands themes bibliques, Paris 1961. - Ulrich Luck, Welterfahrung u. Glaube als Grundproblem bibl. Theol., 1976 (TEH 191). - Dieter Lührmann, Glaube im frühen Christentum, Gütersloh 1976. - Charles F.D. Moule, The Biblical Conception of ,Faith': E T 68 ( 1 9 5 6 - 5 7 ) 1 5 7 . 2 2 2 . - J o s e f Pfammatter, Glaubenach der Heiligen Schrift: MySal 1 (1965) 7 9 6 - 8 1 6 . — O. Palmer Robertson, Genesis 15,6. New Covenant Expositions of an Old Covenant Text: W T h J 42 (1980) 2 5 9 - 2 8 9 . - Adolf Schlatter, Der Glaube im NT, Leiden 1885 4 1927 = 6 1982. - Hans Heinrich Schmid, Gerechtigkeit u. Glaube. Genesis 1 5 , 1 - 6 u. sein bibl.-theol. Kontext: EvTh 40 (1980) 3 9 6 - 4 2 0 . - Rudolf Schnackenburg, Glauben im Verständnis der Bibel: ders., Christi. Existenz nach dem NT. Abh. u. Vortr., München, I 1967, 61—85. - Thomas F. Torrance, One Aspect of the

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Biblical Conception of Faith: ET 68 (1956-57) 111-114. -Ders., TheBiblical Conception of ,Faith', ebd. 221 f. - Benjamin B. Warfield, Art. Faith: DB(H) 1 (1923) 827-837. - Ders., Biblical Doctrines, New York 1929, 465-508. II/2. Altes Testament 1. Zur Forschungsgeschichte 2. Semantische Grundfragen 3. Glaube bei Jesaja 4. Der Glaube Abrahams 5. Glaube in der Mosetradition 6. Glaube bei Deuterojesaja 7. „Glaube" in der persönlichen Frömmigkeit 8. Glaube als Bekehrung 9. Rückblick 10. Das Problem von Hab 2,4 (Literatur S. 288)

1. Zur

Forschungsgeschichte

In der älteren exegetischen Literatur wird der Begriff „ G l a u b e " , wo er im Alten Testament auftaucht, meist unreflektiert mit dem neutestamentlichen Reden von Glauben und mit dessen christlichem Verständnis gleichgesetzt. Das verbindet sich oft mit einer religionsgeschichtlichen Wertung, wonach die Religion Israels an diesen Stellen das Niveau des Neuen Testaments erreicht. Für Duhm z. B. ist Glaube der Inbegriff von Verinnerlichung der Religion, ein „Gefühl für das, was den Sinnen unzugänglich ist" (Israels Propheten 154), „Empfänglichkeit für das Unsichtbare" (177). Das Modell für dieses Verständnis von Glaube liefert die Inspiration des Propheten bzw. die „Grundstimmung seiner Seele" (175, vgl. auch 395). Ähnlich hat G. Hölscher den Glaubensbegriff Jesajas als Uberwindung der „Kultus- und Volksreligion" gesehen, was angeblich schon -»Arnos intendiert, aber erst Jesaja auf den Begriff gebracht hat (Die Profeten 248). „So gibt es für den Frommen im Grunde nur eine einzige Forderung, in der alles andere enthalten ist und die das Wesen der Religion ausmacht. Religion ist der bewußte Verzicht auf eigenmächtiges Wollen und Planen; Religion ist die große Ruhe und Stille des Herzens in Gott, das Warten und Schauen auf Gottes Tun; Religion ist das richtige Sehenlernen, mit offenen Augen sehen, wie Gott im Leben und in der Geschichte sein Ziel verfolgt . . . Dies Sehen und Sehenlernen betrachtete der große Seher als seine Lebensaufgabe, und ihm war klar geworden, daß nur dies der Weg sei zur Ruhe und Festigkeit des Gemütes (7,4; 8,6; 28,16), daß nur dieser Glaube der Grund- und Eckstein sein könnte, auf dem das Heil und die Zukunft des Volkes ruhte (28,15-16). Glaube, Vertrauen, Stille und Ruhe - das ist die Definition der jesajanischen Religion (7,4-9; 28,16; 30,15)" (250). Nach H. -»Gunkel ragt Gen 15,6 im Alten Testament dadurch hervor, daß der „Erzähler weiß ..., worauf es in der Religion ankommt"; Gen 15 hat den Zweck, „die Wahrheit auszusprechen, daß Gott nichts anderes will als ein Herz, das ihm vertraut" (Genesis 180). Mit solchen Wertungen steht die Exegese der einschlägigen Stellen noch im Banne bestimmter dogmatischer Positionen und philosophischer Denkmodelle, die im Alten Testament allenfalls an der Septuaginta-Fassung von Jes 7,9 einen Anhalt haben (s.u.). Eine gegenüber der Wirkungsgeschichte kritische Erforschung des Begriffs „Glauben" im Alten Testament beginnt mit der Untersuchung von Ludwig Bach, Der Glaube nach der Anschauung des Alten Testamentes (1900). Aus der von ihm referierten älteren Forschung ragt nur M. —»Hacius Illyricus, De voce et re Fidei contra Pharisaicum hypocritarum fermentum (1549) hervor. Die Auswertung des profanen Gebrauchs von hce'"min ergibt nach Bach, daß mit der Vokabel „stets die Vorstellung verknüpft ist, daß jemand durch seine Teilnahme an fremder Festigkeit selbst festen Halt für sein Leben hat" (50), in anderen Worten, „daß die Bedeutung,einen Halt, nämlich für das Leben, haben' die eigentliche Bedeutung von ha'"min ist" (52). Unter den 18 Belegen wird nur Thr 4,12 als Ausnahme anerkannt und als Beispiel von „Verflachung" der ursprünglichen Bedeutung erklärt (43 -45.51). Dieselbe Grundbedeutung findet Bach im theologischen Gebrauch von ha'"min wieder, nur daß hier noch deutlicher wird, „wie der Halt des Lebens durch die Beteiligung an fremder Festigkeit erlangt wird: nämlich so, daß er von dem, was ihn gewährt, mitgeteilt wird, daß mithin dem, der ihn gewinnt, nur die Hinnahme übrig bleibt" (80). Zweifel am durchgängigen Vorliegen dieser Bedeutung werden ernsthaft nur zu Hab 1,5 zugelassen, aber schließlich doch beiseite geschoben (76-78). Als entscheidenden Fortschritt wird man an Bachs Studie gerade nicht das anzusehen haben, was er als sein methodisches Proprium hervorhebt (vgl. 26f), nämlich die Zuspitzung der Wortbedeutung auf einen auf konkordante Ubersetzung abzielenden präzisen Begriff bei gleichzeitiger Kritik am traditionellen Nebeneinander verschiedener Äquivalente (credere, fides). Gegen diesen Versuch sind die methodologischen Vorbehalte geltend zu machen, die ]. Barr gegen verschiedene begriffsgeschichtliche Untersuchungen angemeldet hat (vgl. 104ff und 207ff). Methodisch weiterführend im Sinne formgeschichtlicher Aspekte der Wortforschung sind jedoch die Beobachtungen Bachs zu den Situationen und Kontexten, in denen vom Glauben die Rede ist, besonders sein Hinweis auf Lebens-

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bedrohung und Rettung als häufige Korrelate (freilich nicht so häufig, wie Bach annimmt). Erwägenswert ist in diesem Zusammenhang Bachs Anregung, die gesteigerte Bedeutung des Glaubens im Neuen Testament damit in Verbindung zu bringen, daß hier die Kategorie der Rettung mehr im Mittelpunkt steht als im Alten Testament (89f; vgl. C. Westermann, Theologie 8 8 - 9 0 ) . Bach hat es jedoch vermieden, den Glauben als ein im Grunde schon neutestamentliches Phänomen zu bezeichnen; er betont die große Bedeutung des Themas Glaube für die Religion Israels, von dem gerade an den Höhepunkten der Geschichte Israels die Rede ist, so daß man hier „dieser Religion in das Herz schauen" kann (88).

2. Semantische

Grundfragen

Die Fortschritte der hebräischen Wortforschung und der Exegese des Alten Testaments in unserem Jahrhundert sind an einer Reihe größerer Aufsätze und Lexikonartikel zu unserem Thema ablesbar. Dabei wird die ästimative (Eichrodt, Pedersen) oder deklarative (Blackman, Pfeiffer, Weiser, Wolff) bzw. delokutive (Seybold, Kline) Erklärung von hce'amin zunehmend aufgegeben zugunsten einer Auffassung im intransitiven oder innerlich-transitiven Sinne (Jepsen, Ward, Wildberger, Zimmerli, wie früher schon Bach, Perry und Procksch; zur Begründung und Präzisierung vgl. H.-P. Müller, Glauben u. Bleiben 3 3 - 3 8 ) . Es geht dabei um die auch systematisch bedeutsame Frage, ob hce'amin an sich und grundsätzlich eine Beziehung zu einem Objekt oder Gegenüber bezeichnet (und also wie sein deutsches Äquivalent von Hause aus eine entsprechende Ergänzung fordert) oder ob bestimmte Bezugsworte eine semantisch entbehrliche Präzisierung darstellen. Als sichere Grundlage für die Entscheidung dieser Frage muß das Vorliegen des absoluten Gebrauchs an mehreren unumstrittenen Stellen gewertet werden (vgl. Jes 7,9; 28,16; Ps 27,13; 116,10; Hi 29,24; 39,24). Dem stehen nur zwei umstrittene Belege für einen transitiven Gebrauch (Jdc 11,20; Hab 1,5) entgegen; zu ihrer nicht-transitiven Erklärung vgl. Wildberger, Erwägungen 374 f und Jepsen 325. hce'amin bezeichnet demnach einen Prozeß der inneren Festigung oder das Einnehmen einer zuversichtlichen Haltung. Die Konstruktion mit l e sieht das unter dem Aspekt eines Verhältnisses zu Personen und Worten, während die Konstruktion mit be am besten als Hinweis auf eine Ursache oder ein Mittel grammatisch verständlich ist (vgl. KBL 104,13 u. 16 gegen 103,10), wobei als Grund der Zuversicht auch eine Person erscheinen kann. Daß hce'amin auch das bloße Fürwahrhalten behaupteter Tatsachen bezeichnen kann (vgl. Gen 45,26; Ex 4,5; I Reg 10,7; Jer 40,14), muß in der Diskussion über Bubers These von den Zwei Glaubensweisen bedacht werden: Dieser Aspekt mag zwar dem Substantiv 'amünä fremd sein, gehört aber zur Bedeutungsbreite des Verbums hoe'amin, dessen Äquivalent KIOTEVEIV in nioriq sein zugehöriges Nomen actionis hat. 3. Glaube bei

Jesaja

Als „Geburtsstunde" des Glaubens wurde seit B. Duhm immer wieder die Szene von Jes 7 bezeichnet, in der Jesaja den König Ahas in bedrohlicher Lage zum Glauben aufruft. Die chronologische Grundlage dieser Wertung ist heute, abgesehen von der Diskussion über die Pentateuchquellen, dadurch problematisiert, daß Jes 7,9 b nicht mehr generell als jesajanisch angesehen wird. Trotzdem empfiehlt sich Jes 7 als Einstieg in eine Darstellung des alttestamentlichen Redens vom Glauben, weil die Verknüpfung der theologischen Aussage mit rekonstruierbarer Geschichte wohl nirgends so eng ist wie an dieser Stelle. Die politische Situation wird in der Einleitung (V.l f) und im Prophetenwort (V.4-6) klar umrissen: Pekach, der vorletzte König des Nordreiches, und Rezin, der letzte Aramäerkönig von Damaskus, unternehmen (wahrscheinlich im Jahre 734/733 v. Chr.) einen Feldzug nach Jerusalem, um dort einen anderen König zur Macht zu bringen (vgl. II Reg 16,5). Der Vorstoß dient der Stärkung einer antiassyrischen Koalition, aus der sich Juda bislang heraushält, und er scheitert später an assyrischen Gegenmaßnahmen, die Ahas erbeten haben soll (vgl. II Reg 16,7—9). Daß der König an einem bestimmten Punkt der Jerusalemer Wasserversorgung anzutreffen ist, wird meistens mit Vorbereitungen auf eine erwartete Belagerung in Verbindung gebracht. Der in II Reg 16 erwähnte Versuch des Ahas,

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durch freiwillige Tributzahlungen an Assur (also um einen hohen politischen und auch religiösen Preis) die unmittelbare militärische Bedrohung abzuwenden, wird meist als Ausdruck des Unglaubens gewertet, vor dem der Prophet den König warnt (nach V . 1 0 - 1 7 vergeblich). Offen bleibt, ob der König im Sinne der Botschaft Jesajas nur auf diese Bündnispolitik verzichten soll oder auf jegliche Rüstungsmaßnahmen - oder ob sich die prophetische Kritik nur gegen die ängstliche Aufregung richtet, die sich des Königshauses bemächtigt hat (vgl. V.2), ohne daß ganz bestimmte praktische Konsequenzen gefordert werden. Die Erörterung dieser Frage wird z.T. überlagert von sachkritischen Erwägungen darüber, wie diese Erzählung zu einem vorausgesetzten Gesamtverständnis von Prophetie, Glauben und politischer Verantwortung paßt (vgl. Kaiser, Kap. 1 - 1 2 ; 147 f). Die Frage nach dem Glaubensverständnis Jesajas wird dadurch erschwert, daß kein Konsensus darüber besteht, ob Jes 7,9 b überhaupt aus dem Kontext der vorangehenden Erzählung und der damit vorausgesetzten Situation zu interpretieren ist. Die extreme Skepsis von ]. Boehmer, der sich Jes 7,9 und 28,16 „frühestens vom III. vorchristlichen Jahrhundert a b " denken konnte (93), ist zwar längst überwunden. Aber ernsthaft erwogen wird doch, V.9b als spätere Ergänzung einzustufen, sei es aus der Zeit der Abfassung der sogenannten Denkschrift Jesajas (so Hardmeier), sei es aus einer gänzlich nachjesajanischen Situation (so Kaiser z. St.; Höffken). In der gegenwärtigen Forschungslage fallen die dafür angeführten formgeschichtlichen Argumente besonders ins Gewicht: Mit V.9b kippt die Rede des Propheten sozusagen um von einer unbedingten Heilszusage (in Form der Ankündigung des Scheiterns der Feinde; vgl. V.7) in eine bedingte (vgl. schon Boehmer, jetzt Hardmeier im Anschluß an Steck). Diese Umbiegung der Heilsprophetie in ein Mahnwort wird als sekundäre Störung einer ursprünglich klaren Form erklärt. Gegen diese Argumentation ist erstens methodologisch einzuwenden, daß die Prämisse von der Ursprünglichkeit der „reinen" Form nicht stichhaltig ist. So wenig vorausgesetzt werden kann, daß die historische Situation eine reine Verwirklichung des typischen „Sitzes im Leben" einer bestimmten Gattung ist, so wenig kann davon ausgegangen werden, daß eine Überlieferung in statu nascendi eine gattungsspezifische Normalform aufweist. Zweitens ist die Charakterisierung von Jes 7 , 4 - 9 a als Heilszusage nicht ohne Probleme. Zwar erinnert V.4 (besonders durch die Worte: „Fürchte dich nicht, und dein Herz verzage nicht!") an die Gattung des Heilsorakels. Aber auf die Schilderung der Gefahr in V.5f folgen in V . 7 - 9 a Aussagen, deren tröstlicher Charakter mehr oder weniger erschlossen werden muß, - so wenig entspricht das Gesagte den konventionellen Formen einer Rettungszusage angesichts einer militärischen Bedrohung. K. Seybold (Königtum 69 f) hat mit Recht auf den paränetischen Zug in V.4 ff, besonders schon in V.4a, hingewiesen. Die Verstärkung des „Fürchte dich nicht!" durch drei synonyme Wendungen erinnert an Dtn 20,3; Jos 10,25 und II Chr 32,7, wo es sich nicht um Heilsorakel, sondern um ermutigende Ansprachen an das Heer oder Volk handelt. Ganz untypisch für Heilszusagen in Kriegszeiten ist das Verächtlichmachen der Feinde in V.4. Normal wäre in solchen Zusammenhängen das Unterstreichen der militärischen Überlegenheit der Feinde (vgl. Dtn 7,17f; 17,17; 20,1; II Reg 6,16; II Chr 20,15; 32,7), deren Bedrohlichkeit erst durch Gottes „Mitsein" aufgewogen wird (vgl. Dtn 20,1; II Reg 6,16; II Chr 20,15; 32,7f). Jes 7,4 erinnert in dieser Hinsicht an die Polemik gegen Ägypten in Jes 36,6. Jes 7,4 ff hat also auch abgesehen von V.9b seine eigene Prägung im Unterschied zu den Konventionen der Gattung „Heilsorakel". Man wird den Text am besten als prophetische Mahnrede mit Stilelementen des Heilsorakels und der Kriegsansprache charakterisieren. Das Nachwirken von Jes 7 , 9 b in II Chr 20,20 kann das nur bestätigen. Schwer zu entscheiden ist die Frage, ob der Plural von V.9b („Glaubt ihr nicht . . . " ) sich auf den Personenkreis von V.2 zurückbezieht oder ob hier ein erweiterter Hörerkreis, z.B. die Leser der Denkschrift, angesprochen wird (wofür auch die neue Redeeinleitung in V.10 zu sprechen scheint). Als „Glaubensappell an schwankende Anhänger Jesajas" bei Abfassung der Denkschrift hat Hardmeier den Vers erklärt, wobei er ihn als „Evaluation" im Sinne pragmatischer Erzähltextanalyse bestimmt. Dieser Versuch, die Intention des Textes im Augenblick seiner literarischen Fixierung zu klären, ist zu bejahen; er verlangt jedoch nicht die Annahme einer nachträglichen Einfügung von V.9b; denn auch vorgegebene Textbestandteile können in einer späteren Situation zu Trägern einer erweiterten Bedeutung werden. In jedem Falle hat der Verfasser der Denkschrift seinen Ruf zum Glauben durch den Kontext der Begegnung Jesaja-Ahas interpretiert, so daß den Lesern der Denkschrift kein anderes Glaubensverständnis nahegelegt wurde als das, dem der Prophet innerhalb der Erzählung das Wort redet.

Was Jesaja in diesem Zusammenhang mit Glauben meint, ist unter dem Einfluß der Differenzen in der semantischen Frage verschieden bestimmt worden. Auf der Linie des deklarativ-ästimativen Verständnisses von hse'smin denkt man an die vertrauensvolle

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Zustimmung zu dem soeben ausgesprochenen Heilswort (so H. W. Wolff, Immanuel 19 und H.-P. Müller, Imperativ u. Verheißung 566) oder an das Vertrauen auf die dem Heilswort sachlich zugrundeliegende und durch das Wortspiel in V.9 b vergegenwärtigte Natanverheißung (vgl. II Sam 7,16 a; so Würthwein und viele andere; Seybold, Königtum, 68 f verweist zusätzlich auf Parallelen zu Ps 2; vgl. auch I Sam 25,28). Oder man versteht den geforderten Glauben als das Gegenteil der in V.2 geschilderten Angst, als inneres Festwerden und Zuversicht-Gewinnen. Dafür spricht, daß hx'^min hier absolut gebraucht ist und daß die Gegenüberstellung von Glaube und Angst noch mehrfach begegnet (vgl. Gen 15,1/6; Dtn 1,29/32; N u m 14,9/11; II Chr 20,15/20; M k 5,36). Es ist hier an die von G. von Rad betonten Bezüge des Glaubensbegriffs zur Tradition des „heiligen Krieges" zu erinnern: Die von Gott bewirkte Mutlosigkeit bei den Feinden ist der erste Schritt zu ihrer Vernichtung (vgl. Ex 15,14-16, 23,27f; Dtn 2,25; 11,25; Jos 2,9.24; 5,1; 10,2; 11,20; 24,12. In der Schlacht wird daraus die akute Panik, die die Niederlage besiegelt; vgl. Dtn 7,23 u. ö.; s. von Rad, Krieg 12). Wichtig für das Verständnis von Jes 7 sind die Gegenbeispiele, wo einer Niederlage Israels ebenfalls Mutlosigkeit und Angst vorausgehen (vgl. I Sam 28,5; 4,13?). Die psychische Niedergeschlagenheit ist also Antizipation und Anfang der faktischen Niederlage. Es besteht freilich die Möglichkeit, den schon angelaufenen Unheilsprozeß noch einmal umzukehren (vgl. I Sam 4,6ff). Dazu ruft Jesaja auf, und das ist die wichtigste Gemeinsamkeit zwischen Jes 7 und Ex 14, auf die mit von Rad (Krieg 5 6 - 6 2 ) und Ward (331) hinzuweisen ist. Da die dem Davidshaus gegebene Verheißung in der akuten Bedrohung nicht mehr fraglos Zuversicht stiftet, macht der Prophet die von ihm noch einmal bekräftigte Verheißung in ihrer Geltung von einer Entscheidung der Hörer abhängig. Sie selber sprechen nun durch das Wirklichkeitsverständnis, von dem sie durchdrungen und in ihrem Verhalten geleitet sind, ein Urteil über ihre Zukunft. Das Wortspiel von V.9b bringt das meisterhaft zum Ausdruck. Luthers Entscheidung, anstelle des Wortspiels mit einer Wurzel in seiner Übersetzung von Jes 7,9b einen Reim zu bilden („Gläubt ihr nicht, dann bleibt ihr nicht"), ist ein vorzügliches Beispiel für die Nähe seiner Übersetzungsprinzipien zu modernen Theorien der -»-Bibelübersetzung. Aus uns unbekannten Gründen (hebräische Vorlage vom Stamm bin}) hat die Septuaginta Jes 7,9 umformuliert zu dem Satz: „glaubt ihr nicht, so versteht ihr nicht." Damit wurde späteren Verhältnisbestimmungen von Glauben und Denken vorgearbeitet (vgl. Cress). Der LXX-Wortlaut dürfte auch der Grund dafür sein, daß die Stelle im Neuen Testament nicht herangezogen wird, obwohl sie dem neutestamentlichen Kerygma nahesteht. Auf derselben Linie wie Jes 7,9 liegt wohl auch Jes 28,16: „Wer glaubt, wird nicht weichen." In Analogie zu 7,9 wird das Prädikat in diesem Satz nicht ein Verhalten bezeichnen, in dem sich der Glaube ausspricht, sondern das Ergehen, das dem Glaubenden zugesprochen wird. Trotzdem ist die Intention des Textes, zu dem V.16 gehört, mit Zimmerli (Grundriß 172) als eine „Absage an das hektische Rüsten und Jagen, das 3 0 , 1 5 - 1 7 schildern", zu bestimmen, als Absage an die Bündnispolitik, die nur eine trügerische Selbstsicherheit statt wirklicher Sicherheit schafft. S. H. Blank setzt sich für eine korporative Auffassung des hämmä'amin als Äquivalent zu der „treuen Stadt" von Jes 1,21 ein und übersetzt dementsprechend: „ A people that keeps faith has tto cause for panic" (38). Mit Wildberger (Jesaja III, 1072) ist das Wort am ehesten in die Zeit des Aufstandes gegen Sanherib (zwischen 705 und 701 v. Chr.) zu datieren. Es hat in der Qumran-Gemeinde (—>Qumran) (vgl. 1QS 8,7f) und - in der LXX-Fassung „Wer glaubt, wird nicht zuschanden werden" - im Neuen Testament nachgewirkt (Rom 9,33; 10,11; I Petr 2,6). 4. Der Glaube Abrahams

(Gen 15,6)

Obwohl Jesaja möglicherweise der Schöpfer des theologischen Glaubensbegriffs war (wobei er nach Wildberger, Jesaja III, 1660-1663, vielleicht das ältere, durch Mißbrauch abgegriffene Reden vom „Vertrauen" auf Gott durch eine neue Wendung ersetzen wollte), ist doch nicht er, sondern Abraham als „Vater des Glaubens" in die Geschichte

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eingegangen. Das war die langfristige Folge der Entscheidung eines unbekannten Erzählers (Redaktors?), der in Gen 15,6 die H a l t u n g A b r a h a m s mit ha'amin beschreibt (einer Vokabel, die in der Genesis hier erstmals a u f t a u c h t und erst in 45,26 wiederkehrt, also keineswegs charakteristisch für die Vätergeschichten ist). Das Ziel dieser Prädikation w a r sicher nicht, den alten Nachrichten über A b r a h a m eine neue Mitteilung (bzw. Meinung) hinzuzufügen, sondern eher eine These zum T h e m a Glauben: war schon der erste Empfänger der Verheißungen, von denen Israel lebt, ein Glaubender und hat er gerade damit Anerkennung bei Gott gefunden, so ist damit f ü r alle Z u k u n f t ein Vorzeichen gesetzt und ein Weg gewiesen. Wie aber ist A b r a h a m s Glaube an dieser Stelle verstanden? In den deutlichen Anspielungen auf Gen 15,6 in Neh 9,8 und I M a k k 2,52 ist das hce'amin in na'aman bzw. TCiardg umgesetzt, also auf „ T r e u e " und nicht „ G l a u b e n " hin gedeutet. Die neuere Exegese geht dagegen vom unmittelbaren Kontext aus und rechtfertigt die Übersetzung mit „ g l a u b e n " von der vorangehenden Verheißung her, die mit d e m klassischen „Fürchte dich nicht!" in V.l beginnt, in der Fortsetzung dann zunächst problematisiert, d a n n aber bekräftigt und präzisiert wird. Dieser (an Jes 7 erinnernde) Z u s a m m e n h a n g m u ß in der Tat beachtet werden; die Verbform (t^'Perf und nicht walmp( wie in Ex 14,31; I Sam 27,12) verbietet es jedoch, den Glauben A b r a h a m s schlicht als die Reaktion auf die gehörte Verheißung zu bestimmen, so als biete V.6a den (positiven) Abschluß eines durch die Klagen A b r a h a m s (V.2f) problematisierten Gesprächs. Entweder unterbricht der Erzähler sich hier, um etwas Grundsätzliches, fast Lehrhaftes über A b r a h a m festzustellen (so von Rad z.St.; Seebaß 135; G r o ß , „Rechtfertigung" 18; Lohfink 118), das nicht erst jetzt und nicht nur hier gilt (vgl. Gunkel 180; Buber 681 und Kilian 45), oder er versteht diese Begebenheit als den Beginn einer bleibenden Einstellung auf Seiten A b r a h a m s , so d a ß die Verknüpfung mit den vorangehenden Heilsworten enger ist. Angesichts dieses durativen oder iterativen Aspekts von Gen 15,6 a wird man die jüdische Auslegungstradition, die hier einen Obersatz über eine Reihe von Bewährungen im Leben Abrahams gesehen hat, nicht leichthin von der Hand weisen dürfen. Die christliche Auslegungsgeschichte von Gen 15,6 liegt demgegenüber mehr im Gefälle der Septuaginta-Fassung der Stelle, die mit ¿xiorevPietismus, wie er, mit - » S p e n e r beginnend, als B e w e g u n g in den R e f o r m a t i o n s kirchen auftritt, ist zuerst K i r c h e n k r i t i k mit der erklärten A b s i c h t , das ursprüngliche Anliegen der R e f o r m a t i o n weiterzuführen. Spener hat in seinem R e c h e n s c h a f t s b e r i c h t von 1 6 9 7 die P u n k t e , a u f die die M i ß s t ä n d e in den G e m e i n d e n zurückzuführen sind, k l a r z u s a m m e n g e f a ß t . E r nennt die Artikel „ V o n der R e c h t f e r t i g u n g und Heiligung und beyder eigentlicher B e w a n d t n ü ß / v o n der W i e d e r g e b u r t / v o m lebendigen G l a u b e n / v o n der Verläugnung sein selbs/von der seinen G l ä u b i g e n getheilten Krafft C h r i s t i / v o n halten der göttlichen G e b o t e / v o n der christlichen und schrifftmäßigen V o l l k o m m e n h e i t / v o n der Vereinigung Christi mit der Seelen/von dero W i r c k u n g u s f " (nach M . S c h m i d t , Wiedergeburt 171). Dies zielt d u r c h w e g für die seelsorgerliche V e r a n t w o r t u n g wie für die christliche Selbstprüfung a u f die Unterscheidung von w a h r e m und eingebildetem bzw. vorgespieltem G l a u b e n . L u t h e r s Vorrede zum R ö m e r b r i e f von 1521 ( W A D B 7 , 2 - 2 7 ) ist der T e x t , a u f den sich seit Speners Pia Desideria ( 3 4 , 1 - 2 2 ; M . S c h m i d t , W i e d e r g e b u r t 2 9 9 - 3 3 0 ) die Vertreter des Pietismus stets berufen. Von hier aus ist das t h e o l o g i s c h e P r o b l e m zu erfassen, weil d a r a n deutlich wird, d a ß es nicht b l o ß um die F r a g e n a c h den F r ü c h t e n des G l a u b e n s o d e r gar um eine Ethisierung des Christlichen geht, w o b e i dann der E i n w a n d der W e r k g e r e c h tigkeit i m m e r leicht bei der H a n d ist. V i e l m e h r geht es um dies: „ G l a u b e ist nicht der m e n s c h l i c h e W a h n und t r ä u m , den etliche für g l a u b e n halten . . . A b e r der g l a u b e ist ein göttlich werck in uns, das uns wandlet und neu gebieret a u ß G o t t ( J o h 1,13) und tödtet den alten A d a m . M a c h e t uns gantz a n d e r e m e n s c h e n von hertzen, m u t h , sinn und allen kräfften, und bringet den heiligen Geist mit sich. O es ist ein lebendig, schäfftig, thätig ding u m b den g l a u b e n , das unmüglich ist, d a ß er nicht o h n e unterlaß sollte gutes w ü r c k e n . E r fraget a u c h nicht, o b gute w e r c k zu thun sind, sondern ehe m a n fraget, hat er sie g e t h a n , und ist i m m e r im t h u n " . D a m i t wird durch den Pietismus wieder n a c h d r ü c k lich in Erinnerung g e b r a c h t , d a ß v o n L u t h e r n a c h seinem ursprünglichen A n s a t z niemals der G l a u b e n s i n h a l t o h n e die geistliche W i r k l i c h k e i t des G l a u b e n s als w a h r e r G l a u b e bezeichnet werden k a n n . D a ß wie von L u t h e r nun a u c h hier gegen die T h e o l o g i e der

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Vorwurf der Scholastik erhoben wird, betrifft nicht allein die F o r m , sondern zielt auf den Verlust des Inhalts. Denn „die rechte T h e o l o g i a practica, das ist die lehre von glauben, liebe und hoffnung" (24,21 f). Die theologische Konfrontation mag neu sein, das Anliegen selbst ist alt. Valentin Weigels ( 1 5 3 3 - 1 5 8 8 ) Werke werden jetzt erst bekannt, in denen er sich gegen ein bloß imputatives Verständnis der Glaubensgerechtigkeit wehrte und betonte: „ . . . vita Christi in dir muß es thun, Christus inhabitans non e x t r a manens. Nun bringet der wahre Glaube, der da ist vita Christi in uns, mit sich das conbaptizari, das compati, concrucifigi, c o m m o r i , consepeliri und das consurgere. Die unio essentialis muß es thun, daß wir ihn geistlich und leiblich in uns haben. W o bleibst du nun mit deiner imputativa?" (Postilla Theologica 111,15).

Kronzeuge ist vor allem J . Arndt; seine Vier Bücher vom wahren Christentum (1605) fassen in ihrem Untertitel das Anliegen in aller Klarheit zusammen und werden damit zur Grundlage der ganzen Bewegung: „ . . . das ist von heilsamer Buße, herzlicher Reue und Leid über die Sünde und wahrem Glauben, auch heiligem Leben und Wandel der rechten wahren C h r i s t e n " . Theologisch bedeutet dies nichts anderes, als daß der forensische und der effektive Aspekt der Rechtfertigung im Glauben wieder ausdrücklich zusammengebracht werden, und dies geschieht dadurch, daß mit der Rechtfertigung auch Wiedergeburt und Einwohnung (unio mystica) entfaltet werden: „Ein wahrer Christ wird nicht allein durch Glauben an Christum gerecht, sondern wird auch durch den Glauben eine Wohnung und Tempel Christi und des Heiligen G e i s t e s " (11,4,1). M i t entsprechendem Nachdruck wird Luthers M a h n u n g zum Leben aus der Taufe bzw. zur Rückkehr unter die Taufe in Erinnerung gerufen (Arndt 11,4,1; Spener, Pia des. 34,30 ff). Die Wiedergeburt hat ihren Grund in der Taufe, sie ist im Lebensvollzug identisch mit dem Glauben des in der Taufe neugeschaffenen Menschen ( M . Schmidt, Wiedergeburt 1 6 9 - 1 9 4 ) . Wenn man im R ü c k b l i c k die ebenso scharfen wie schmerzlichen Gegensätze sieht, die in diesem Zusammenhang unter Christen aufbrechen, darf nicht übersehen werden, daß der Gegensatz von Scheinglauben und wahrem Glauben auch hier zuerst im eigenen Leben erfahren wird. Die zahlreichen autobiographischen Zeugnisse haben gerade auch für das Verständnis des Glaubens eine theologische Bedeutung. Sie verweisen auf den erfahrenen Übergang und folgen aus der rückblickenden Erkenntnis, daß alles vorher „eine bloße Einbildung von Glauben, und in der T h a t nichts als U n g l a u b e n " gewesen ist ( A . H . Francke, Werke i. Ausw. 1 4 f ) . Die göttliche Führung wird erkannt und bekannt mit der Einsicht, „ d a ß meine Bekehrungen nicht mein, sondern sein Werck w ä r e n " (ebd. 25). Speners Predigtreihe, die 1688 unter dem Titel Evangelische Glaubens-Lehre erschien, liefert für die ihm Folgenden den Ansatz und die Bezeichnung dafür, daß theologische Unterweisung wie kirchliche Verkündigung und Seelsorge nicht nur den Glauben zu formulieren und zu tradieren haben, sondern ihn innerlich wecken und erbauen sollen ( M . Schmidt, Wiedergeburt 311 f; F r a n c k e 186). In der Spannung zwischen fides und pietas wird seit V . E . - » L ö s c h e r der Kern der Kontroverse zwischen Orthodoxie und Pietismus gesehen. Die geläufige Formel sollte jedoch nicht verdecken, daß es ursprünglich um den Zustand des kirchlichen Lebens und auch der theologischen Ausbildung gegangen ist, und in diesem Zusammenhang stellt sich die Frage nach wahrem und falschem bzw. totem Glauben. Das Problem ist ebenso unausweichlich, wie die theologische Polarisierung denkbar unglücklich ist - damals, wie zu anderen Zeiten. Theologiegeschichtlich zeigt sich, daß hier im Verständnis des Glaubens etwas auseinandergefallen ist, was eigentlich zusammengehören muß, daß nämlich beim Glauben nicht nur von dem Christus extra nos, sondern auch von Christus in nobis gesprochen werden muß, wenn der G l a u b e nicht entweder auf den Empfang der Gnadenmittel oder auf den innerlichen Glaubensstand reduziert werden soll.

4.3. Heilsgewißheit

und

Heilserfahrung

Der Gegensatz von - » O r t h o d o x i e und -»Pietismus ist ebenso eine Unmöglichkeit wie die Unterscheidung von fides und pietas. Es gibt andere Gründe wie z . B . Separatismus

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oder a u c h t h e o s o p h i s c h e S p e k u l a t i o n e n , die im Pietismus zum theologischen P r o b l e m werden. G e r a d e beim Verständnis des G l a u b e n s j e d o c h zeigt sich unabhängig von den Richtungsstreitigkeiten, d a ß zwischen O r t h o d o x i e und Pietismus eine Ü b e r e i n s t i m m u n g besteht, die allenfalls durch einseitige Festlegungen gestört werden k a n n . Ein Beispiel zu unserem T h e m a liefert F. C h . - » O e t i n g e r s Theologia ex idea vitae deducta (1765) mit ihrem Ansatz „ n o v a et experimentali methodo pertractatur". In der G n a d e n l e h r e ( L . I X ) wird der „ordo salutis" entwickelt unter d e m erklärten Z i e l , aus den Schulbegriffen und Streitigkeiten wieder zur E i n f a c h h e i t der Schrift z u r ü c k z u f ü h r e n , nach der alle T h e o l o g i e v o m G r u n d g e d a n k e n des Lebens und der göttlichen H e r r l i c h k e i t auszugehen hat, und dies bezieht sich a u f die L e b e n s g e m e i n s c h a f t mit Christus s o w i e auf die E r k e n n t n i s der göttlichen Herrlichkeit (159). D i e illuminatio ist ausdrücklich der T a u f e zugeordnet. O e t i n g e r verteidigt in diesem Z u s a m m e n h a n g J o h a n n A r n d t und d a m i t auch den von ihm geprägten Pietismus gegen den V o r w u r f , bei ihm sei die E r n e u e r u n g und A b t ö t u n g des alten M e n s c h e n die zeitliche Vorstufe und sachliche Vorbedingung für den wahren G l a u ben, mithin a u c h die R e u e Bedingung und nicht b l o ß Teil w a h r e r B u ß e zum E m p f a n g der R e c h t f e r t i g u n g ( I X , § 2 2 ; 1 6 0 , 5 f f ) . D e r E i n w a n d , d a ß an dieser Stelle die „Evangelische und Apostolische O r d n u n g " d u r c h b r o c h e n sei, k a n n mit guten G r ü n d e n zurückgewiesen werden. U n ü b e r s e h b a r ist j e d o c h , d a ß bei O e t i n g e r e b e n s o wie in den früheren o r t h o d o xen Systemen die Vermittlung v o m G l a u b e n s g e g e n s t a n d zum G l a u b e n s v o l l z u g reflektiert wird. Z w a r werden gerade in diesem Z u s a m m e n h a n g die r e f o r m a t o r i s c h e n Abgrenzungen rekapituliert, gleichzeitig wird j e d o c h der Begriff des G l a u b e n s in bezeichnender Weise wieder differenziert, w e n n es heißt, d a ß die notitia a u c h die H ä r e t i k e r haben k ö n -

nen, den assensus die Orthodoxen haben, „qui de objecto fidei speciali rede

sentiunt

juxta scripturam"; die fiducia aber gilt allein für die renati ( I X § 2 5 ; 1 6 2 , 3 2 f ) . M a n m u ß daran erinnern, d a ß Luther ausdrücklich eine solche T r e n n u n g von O b j e k t und S u b j e k t des G l a u b e n s abgelehnt hatte. O b sie unausweichlich ist, bleibt freilich die i m m e r wieder a u f b r e c h e n d e Frage. Die -»Erfahrung oder Empfindung erscheint im Pietismus nicht nur als Ziel der Verkündigung und Unterweisung, sondern ausdrücklich auch als theologische Methode und Kriterium. Es geht um das „rechtschaffene Wachstum des Glaubens" (A. H. Francke) oder auch um eine Theologia Experimentalis. Das ist: Geistliche Erfahrungs-Lehre/Oder Erkäntniß und Erfahrung Von denen vornehmsten Stücken des Lebendigen Christenthums/Von Anfang der Bekehrung biß zur Vollendung" (G. Arnold). Allerdings muß gegenüber späteren Vorstellungen von Erfahrung daran erinnert werden, daß diese Verbindung von Glauben und Erfahrung oder Empfindung nicht vordergründig Gefühl und Wahrnehmung betrifft, sondern, wie die häufigen Berufungen auf Stellen wie Rom 5,1 ff; 2. Tim 1,12; 2,10 ff sowie Hebr 6,18 ff deutlich machen, die bypomone und Nachfolge, besonders die Kreuzesnachfolge und Tötung des alten Menschen. Dies ist also nicht Bestätigung des Glaubens durch die Erfahrung, sondern seine Bewährung in der Erfahrung. Ferner handelt es sich dabei gerade nicht um die christliche Subjektivität, sondern um Wirkung und Gabe des Geistes im Leben des Christen: Erfahrung kann hier nur pneumatisch verstanden werden. In diesem Sinne kann die Heilsgewißheit durchaus als Heilserfahrung verstanden werden. Entsprechend dem Übergang vom assensus zur fiducia kann so der Schritt von der Erkenntnis zur Erfahrung und zur Erleuchtung gemacht werden, und Gottfried Arnold beruft sich dafür auf Luther, der die „Erfahrung als eine eigene Schule des Heil. Geistes, darinn er lehret und ausser welcher nichts gelehret werde als nur Schein, Wort und Geschwätz", bezeichnet (G. Arnold 495). Diese pneumatisch bestimmte Erfahrungstheologie, für die gerade G. Arnold nicht nur den Reformator, sondern auch die Väter der alten Kirche als Zeugen nennt, führt zu der Konsequenz: „Die Summe alles bisher angezeygten gehet dahin, daß man ohne die Erfahrung weder ein wahrer Christ, noch weniger ein Lehrer und Theologus seyn könne" (497). Wenn gegenüber diesen bei richtigem Verständnis d u r c h a u s berechtigten Aussagen die G e f a h r gesehen wird, d a ß das extra nos des G l a u b e n s a u f g e h o b e n werden k ö n n t e , so zeichnet sich a u f der anderen Seite die G e f a h r a b , d a ß nicht nur der G l a u b e , sondern vor allem die G l a u b e n s b e g r ü n d u n g psychologisiert wird. In beiden Fällen a b e r geht es t h e o l o gisch um die F r a g e , inwieweit der G l a u b e als G a b e des Geistes verstanden wird und an das W o r t gebunden bleibt, durch das dieser Geist w i r k t . N u r unter dieser Voraussetzung k a n n die naheliegende K o n s e q u e n z vermieden werden, d a ß O b j e k t und S u b j e k t des G l a u -

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bens, d a ß Wahrheit und Wirklichkeit des Glaubens, daß fides und pietas gegeneinander ausgespielt werden. Quellen Johann Valentin Andreae, Theophilus, 1622, 1973 hg. v. Richard van Dülmen (QFWKG 5). Johann Arndt, Vier Bücher vom wahren Christentum, 1605-1609, Berlin 1860.-Ders., Werke, hg. v. Wilhelm Koepp, 1912 (KIRel 2). - Gottfried Arnold, Unparteiische Kirchen- und Ketzerhistorie, I 1699, II 1700, Nachdr. Hildesheim 1967. - Ders., Werke in Ausw., hg. v. Erich Seeberg, München 1934. - Martin Chemnitz, Examen Concilii Tridentini, Frankfurt 1606, Darmstadt 1972 (Hg. v. E. Preuss), Nachdr. der Ausg. Berlin 1861. - August Hermann Francke, Werke in Auswahl, hg. v. Erhard Peschke, Witten 1969. - Johann Gerhard, Loci Theologici, 9 Bde., 1610ff., Berlin/Leipzig 1 8 6 3 - 1 8 8 5 . - David Hollatz, Examen theologicum acroamaticum, 1707-1763, Reprogr. Nachdr. der Ausg. 1707 Darmstadt 1971. - Leonhard Hutter, Compendium Locorum Theologicorum, hg. v. Wolfgang Trillhaas, 1961 (KIT 183). - Friedrich Christoph Oetinger, Theologia ex idea vitae Jeducta, 1765, hg. v. Konrad Ohly, 1979 (TGB Abt. VII/2). - Johann Andreas Quenstedt, Theologia didactico-polemica, 1685, Wittenberg 3 1691. - Martin Schmidt/Wilhelm Jannasch (Hg.), Das Zeitalter des Pietismus, 1965 (KIProt 6). - Philipp Jacob Spener, Pia Desideria, 1675, hg. v. Kurt Aland, 3 1964 (KIT 170). Literatur Paul Althaus, Die Bekehrung in reformatorischer und pietistischer Sicht: NZSTh 1 (1959) 3 - 2 5 . - Cornelis Pieter van Andel, Gerhard Tersteegen, Neukirchen-Vluyn/Düsseldorf 1973. - Jörg Baur, Die Vernunft zwischen Ontologie u. Evangelium. Eine Unters, zur Theol. Johann Andreas Quenstedts, Gütersloh 1962. - Ders., Salus Christiana. Die Rechtfertigungslehre in der Gesch. des christl. Heilsverständnisses. Von der christl. Antike bis zur Theol. der dt. Aufklärung, Gütersloh, I 1968. Erich Beyreuther, Stud. zur Theol. Zinzendorfs, Ges. Aufs., Neukirchen-Vluyn 1962. - Rolf Dannenbaum, Joachim Lange als Wortführer des Halleschen Pietismus gegen die Orthodoxie, ungedr. Diss. Göttingen 1952. - Susi Hausammann, „Leben aus Glauben" in Reformation, Reformorthodoxie u. Pietismus: T h Z 27 (1971) 2 6 3 - 2 8 9 . - Max Koch, Der ordo salutis in der alt-luth. Dogmatik, Berlin 1899. - Hans-Martin Rotermund, Orthodoxie u. Pietismus. Valentin Ernst Löschers .Timotheus verinus' in der Auseinandersetzung mit der Schule Aug. Hermann Franckes, Berlin 1959 (Th 13). Hermann Reiner, Die orthodoxen Wurzeln der Theol. Philipp Jacob Speners, Diss. Erlangen/Nürnberg 1969. - Martin Schmidt, Spener u. Luther: LuJ 24 (1957) 1 0 2 - 1 4 0 . - Ders., Wiedergeburt u. neuer Mensch. Ges. Stud. zur Gesch. des Pietismus, 1969 (AGP 2). - Johannes Wallmann, Philipp Jakob Spener u. die Anfänge des Pietismus, 1970 (BHTh 42). - Horst Weigelt, Pietismus-Stud. l . T . Der spener-hallische Pietismus, 1965 (AzTh R. 2,4). 5. Glaubenslehre:

Von der Aufklärung

zum

Neuprotestantismus

J e ferner die - > Aufklärung in ihrem geschichtlichen Verlauf rückt, desto stärker wirkt sie als geschichtsdogmatische Feststellung mit weitreichenden theologischen Konsequenzen. Vorherrschend ist die Auffassung, nach der die Aufklärung als Autoritätenkonflikt zwischen Vernunft und Glaube gesehen wird, dessen Ausgang m a n dann entweder anerkennen o d e r ablehnen kann. Weniger geläufig ist eine andere Beurteilung, nach der die Aufklärung als eine „ Z w i l l i n g s s c h w e s t e r " des Pietismus erscheint (H. Stephan, D e r Pietismus als Träger des Fortschrittes der Kirche, 1908 [SGV 51] 47). Dieser Z u s a m m e n h a n g läßt sich in vielen Fällen biographisch belegen; seine Bestätigung findet er bei dem T h e m a Glaube, wenn m a n sieht, in welchem Umfang die Subjektivität des Glaubenden in den Vordergrund rückt, während die positiven Glaubensinhalte problematisiert werden. Die theologischen Konflikte drehen sich seither nicht so sehr um die Frage, was Glaube bzw. rechter Glaube sei, sondern wie der Glaube richtig angeeignet, vermittelt und gelebt wird. D a s ist weniger „ E m a n z i p a t i o n " als Subjektivismus. Was für das Verständnis des Glaubens in dieser E p o c h e bezeichnend ist, hat Karl H a s e ( 1 8 0 0 - 1 8 9 0 ) (Lehrbuch der E v . D o g m a t i k , Leipzig 2 1 8 3 8 , 4 1 9 f ) treffend beschrieben: „ 1 . Als die Philosophie in einer von H u m e durch Kant bis J a c o b i steigenden Gunst die Bedeutung des Glaubens neben d e m Wissen erkannt hatte, schien dieses a u c h der christlichen Bedeutung des Glaubens zugute zu k o m m e n . " 2. Das Interesse an einer Auseinandersetzung mit dem römischen Katholizismus schwindet, „ m a n erklärte die Hauptfrage für gleichgültig, oder beschrieb die

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protestantische E i g e n t ü m l i c h k e i t des G l a u b e n s n a c h Art der k a t h o l i s c h e n fides form a t a " . Infolgedessen drehen sich n u n m e h r 3. alle B e m ü h u n g e n um das Verhältnis von Ä u ß e r l i c h e m und Innerlichem beim G l a u b e n . „ G l a u b e n s l e h r e " , das zuerst von Spener für seine P r e d i g t s a m m l u n g gewählte T h e m a ( s . o . ) , wird zur Bezeichnung der D o g m a t i k und zur B e s t i m m u n g ihrer A u f g a b e . In Siegmund J a c o b B a u m g a r t e n s (1706—1757) Evangelischer Glaubenslehre (3 Bde., H a l l e 1759 - 1 7 6 0 ) ist „ G l a u b e n s l e h r e " die Bezeichnung s o w o h l für den ordo salutis als auch für die d o g m a t i s c h e G e s a m t d a r s t e l l u n g ( M . S c h l o e m a n n 6 2 ; H i r s c h 2 , 3 7 2 ) . D e r G l a u b e bek o m m t seinen systematischen O r t nun a u c h in der Prinzipienlehre in dem A u g e n b l i c k , w o die Heilsaneignung zum H a u p t t h e m a der T h e o l o g i e wird. D a s geistliche P r o b l e m vieler theologischer B e m ü h u n g e n um den G l a u b e n hat M a t thias Claudius ( 1 7 4 0 - 1 8 1 5 ) getroffen: „ A b e r Glaube ist in der gelehrten Welt ein unbek a n n t D i n g . E r existiert nicht in a b s t r a c t o , und w o er in die H a n d g e n o m m e n wird, um besehen zu w e r d e n , da gebiert er nichts als H a d e r und Z a n k ; w o er a b e r in seinem natürlichen A c k e r , in einem M e n s c h e n h e r z e n , w o h n e t und wurzelt, da zeigt er w o h l , w a s er ist und was er k a n n , und wie er hier dem M e n s c h e n k o n v e n i e r e " (Werke 6 0 1 f).

5.1. Der natürliche

Glaube

D a s t h e o l o g i s c h e P r o b l e m der A u f k l ä r u n g liegt nicht d a r i n , d a ß die Vernunft gegen den G l a u b e n und die W i s s e n s c h a f t gegen die T h e o l o g i e auftritt, sondern darin, d a ß der G l a u b e als e t w a s Vernünftiges und die T h e o l o g i e als n a t ü r l i c h e b e h a u p t e t werden. Für die jene Z e i t b e s t i m m e n d e Philosophie - z . B . - » D e s c a r t e s , C h . - » W o l f f , - » L e i b n i z o d e r - • S p i n o z a - bildet d u r c h w e g der G l a u b e an G o t t die G r u n d l a g e für den R e a l i t ä t s g e h a l t des menschlichen D e n k e n s und dafür, d a ß es im Weltgeschehen eine vernünftige, zielgerichtete O r d n u n g gibt, und zwar in der N a t u r e b e n s o wie im menschlichen Z u s a m m e n l e ben. Weil der G l a u b e zu allen Z e i t e n und nach aller E r f a h r u n g nicht j e d e r m a n n s S a c h e ist, soll eine wissenschaftliche Behandlung die Allgemeingültigkeit und Allgemeinverbindlichkeit sichern. W i e sich dieser n a t ü r l i c h e G l a u b e b z w . die natürliche R e l i g i o n zu dem positiv Christlichen verhält, das wird dann freilich zum theologischen P r o b l e m , bei dem - • A t h e i s m u s , - » D e i s m u s und - » P a n t h e i s m u s einen g e m e i n s a m e n G e g e n s a t z m i t nur relativen Unterschieden bilden. 5.1.1. D a s durchgängige Anliegen der A u f k l ä r u n g s t h e o l o g i e zielt d a r a u f , den G l a u b e n als ein natürliches G e f ü h l und notwendiges Bedürfnis im M e n s c h e n vorzuführen. E r hat seinen G r u n d dann im m o r a l i s c h e n Gewissen und seinen Z w e c k in der B e w ä l t i g u n g von L e b e n s p r o b l e m e n , die um die T h e o d i z e e f r a g e kreisen ( J ö r g B a u r , Salus C h r i s t i a n a 111 ff). Im Rahmen allgemeiner Frömmigkeit und Religiosität versucht so z.B. J . J . -»Spalding den christlichen Glauben zu rechtfertigen. Seine Betrachtung über die Bestimmung des Menschen (1748) fand in zahlreichen Auflagen eine weite Verbreitung, weil er darin auf eindrucksvolle Weise vorführte, wie die Religion einerseits das menschliche Selbstbewußtsein bestätigt und andererseits die Rätsel der Welt zu lösen weiß - man würde heute von der „Beantwortung der Sinnfrage" sprechen (25 f). In ähnlicher Weise wird Der Werth der Andacht (1755) in Gefühlen generalisiert. Auf die „Beschäftigung des Herzens mit Gott" kommt es an, und so kann auch die Philosophie als Frömmigkeit gelten: „Wenn also mancher, der in dem Lehrgebäude der Philosophie, welches er gelernet hat, auch die natürliche Gottesgelehrsamkeit und Sittenlehre annimmt, und im wirklichen Ernst für wahr hält, dieselbe nur nach diesem Maaße in dem Gefühle seines Herzens wirken ließe; was für andächtige und gerührte Menschen würden wir denn nicht haben!" „Die Empfindungen und Gemüthsbewegungen aus der Betrachtung des höchsten Gegenstandes des menschlichen Denkens, der noch dazu uns selbst so nahe angeht, die machen einen Andächtigen" (40). Freilich mußte Spalding selbst das Recht der Kritik des Hauptpastors Goeze (-»Lessing; -»Orthodoxie, Altlutherische) anerkennen, daß mit solchen Generalisierungen der Inhalt des christlichen Glaubens entleert wird oder „die natürliche Religion" als „Schutzwehr gegen die christliche" gebraucht werden könne (35). Daher mahnt er in einem Anhang: „Endlich lasse man auch den eigenthümlichen Lehren des Christenthums Gerechtigkeit widerfahren. Sie gehen, wenn man sie recht kennet, durchgehens und augenscheinlich auf den

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größten und letzten Z w e c k aller Religion, nämlich den Menschen gut und glücklich zu m a c h e n " (33 f).

Dieses Beispiel kann für viele andere stehen. Es macht deutlich, daß die hier empfohlene Glaubenszuversicht nichts mehr mit Rechtfertigung und Sünde zu tun hat, wohl aber mit Selbstbestätigung, Wohlbefinden und Lebensbejahung. Was christlicher Glaube ursprünglich ist, wird auf einen allgemeinen Hedonismus zurückgenommen. 5.1.2. G . E . -»Lessings Grundsatz „Zufällige Geschichtswahrheiten können der Beweis von notwendigen Vernunftswahrheiten nie w e r d e n " gilt als M o t t o für die Problematisierung des Glaubens in der Neuzeit. D o c h Lessing hat theologischer gedacht als viele T h e o l o g e n , wenn er die Überlegungen dazu im Anschluß an I K o r 2,4 unter das T h e m a stellt „ Ü b e r den Beweis des Geistes und der K r a f t " (Werke 23,47). Der „garstige breite G r a b e n " steht nämlich dann nicht allein für die historische Vermittlung, sondern für das alte Problem, das durch die Dialektik von Buchstaben und Geist, von Glaubensinhalt und Glaubensvollzug bezeichnet wird, also auch der Weg von notitia und assensus zur fiducia. Vieles aus dieser Epoche erscheint in einem anderen Licht, wenn auch bei den rationalistischen Positionen die theologische Voraussetzung berücksichtigt wird, daß die Wahrheit des Glaubens sich erst in der Wirklichkeit der fiducia manifestiert, während eine nur äußere oder gar befohlene Zustimmung zu Glaubenssätzen ebenso ein toter Glaube ist wie der ohne Früchte der Liebe und Gerechtigkeit. Die Verkürzungen, zumal in der Christologie, sind nicht zu übersehen; umgekehrt ist der ursprüngliche Ansatz auch dort noch erkennbar, w o Julius August Ludwig Wegscheider ( 1 7 7 1 - 1 8 4 9 ) in einer für die ganze spätere Zeit charakteristischen Weise das Verhältnis von Glaubensinhalt und -Vollzug mit dem Schema T h e o r i e und Praxis verbindet: „ . . . minime enim salus aeterna

pendet e persuasione

quadam theoretica,

vera est virtus Deo probata"

sed e fide, quam Deo habemus, practica,

quae

(Inst. § 23 - die 2. Aufl. dieses Werks wurde 1817 Luther als

dem „virtdex veritatis evangelicae"

und „libertatis

cogitandi

assertor"

gewidmet).

5.1.3. W i e sich das Wissen zum Glauben verhalte, wird in dieser Zeit nicht allein im Gespräch zwischen Theologen und Philosophen, sondern wesentlich mehr unter Philosophen verhandelt. Auch wenn hier nicht der O r t für eine ausführliche Darstellung ist ( - • G l a u b e n und Denken), sei wenigstens kurz auf einige theologisch wichtige Vorgänge hingewiesen. - » H e g e l hatte sich in seiner Schrift Glauben und Wissen (zuerst 1802) kritisch mit der Reflexionsphilosophie von ->Kant, -> J a c o b i und -»-Fichte auseinandergesetzt. Sein entscheidender Vorwurf ist, daß in dieser Philosophie das Absolute dem Glauben überlassen wird mit der Folge, daß die Subjektivität der Vernunft absolut gesetzt und daher die Realität der Welt unvernünftig, weil vernunftlos wird. Ebenfalls um die Bedeutung des Glaubens für das Denken dreht sich der Streit zwischen Friedrich Heinrich Jacobi ( 1 7 4 3 - 1 8 1 9 ) und F . W . J . ->Schelling um „die göttlichen Dinge" ( 1 8 1 1 / 1 2 ) . Für Jacobi, der meint, seinen Fideismus konsequent an Kant anschließen zu können, ist der Glaube nicht Gegenstand, sondern Grund für alles Erkennen und Handeln. Um aber Gott zu erkennen und weil wir Gott erkennen, müssen wir ihn schon vorher „im Herzen und Geiste h a b e n " . Die Begründung erinnert an Augustin: „ W i r wissen aber von Gott und seinem Willen, weil wir aus Gott geboren, nach seinem Bilde geschaffen, seine Art und Geschlecht sind. G o t t lebet in uns, und unser Leben ist verborgen in G o t t " (Weischedel 172). Dieser Gedanke, daß G o t t nur aus der Einwohnung Gottes erkannt werden kann, wird von J a c o b i in zwei Fronten scharf verteidigt. Auf der einen Seite trifft das den von ihm so geschätzten M a t t h i a s Claudius. Ihm macht er wegen seiner Bindung an das Offenbarungszeugnis der Heiligen Schrift den Vorwurf, daß er nicht den Geist, „der Vernunft lebendig macht, und weise und in sich g e w i ß " , anbetet, sondern daß er „ a m Buchstaben dieses Ideales oder Geistes, seinem Körper, seiner Bekleidung" steif anhängt (Weischedel 190). Auf der anderen Seite aber polemisiert er gegen die Naturphilosophie Schellings, die er in der Perspektive von Spinozas Monismus theologisch als Atheismus, in der praktischen Konsequenz aber - und hier taucht zum ersten mal dieser Begriff auf - als -»Nihilismus dekuvriert: aller .Idealismus' ist,Nihilismus' (Weischedel 10). Bedeutungsvoll sind diese Auseinandersetzungen, weil sich an ihnen zeigt, daß es einen tiefen Z u s a m m e n h a n g gibt zwischen der Externität des Glaubensinhalts in der Offenbarung durch die Heilige Schrift auf der einen Seite und der Sinndeutung im Bereich des Natürlichen auf der

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a n d e r e n Seite. J a c o b i , der aus verständlichen G r ü n d e n m i ß v e r s t a n d e n w u r d e u n d wird, vertritt eine Auffassung, nach der der G l a u b e a u s der E i n w o h n u n g G o t t e s h e r v o r g e h t u n d so die Voraussetzung bildet, seine O f f e n b a r u n g im Buchstaben der Schrift und sein W i r k e n in der N a t u r zu e r k e n n e n . A u c h Kants Religionsschrift k a n n d u r c h a u s in diesem Sinn interpretiert w e r d e n .

5.1.4. Schleiermachers Verständnis des Glaubens muß im Zusammenhang dieser Auseinandersetzungen gesehen werden, die in seiner Debatte mit Fichte und Schelling um den Ort der Theologie an der neu zu gründenden Berliner Universität eine wichtige Rolle spielen. Bestritten wurde die Wissenschaftlichkeit und damit die Universitätsfähigkeit der Theologie mit dem Hinweis auf die fehlende allgemeine Evidenz und den notwendigen „Anspruch auf das Geheimnis" (Fichte, Deduzierter Plan einer zu Berlin zu errichtenden höheren Lehranstalt §26; vgl. Schelling, „Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums" 1803, 13,30,9; Vorlesung Über das Studium der Theologie, Werke 3,318ff). Doch Schleiermacher ist nicht den Weg der Aufklärung gegangen, sondern er versuchte von vornherein gegenüber dem natürlichen Glauben und der vernünftigen Religion das Positive des christlichen Glaubens und der christlichen Kirche und damit deren Geschichtlichkeit herauszustellen. Die Beurteilung Schleiermachers hängt im wesentlichen davon ab, ob man ihn nach seinen Intentionen aus der Situation seiner Zeit oder nach den Konsequenzen seiner Theologie für die Folgezeit beurteilt. Seit der scharfen Kritik der -»Dialektischen Theologie steht Schleiermacher unter dem Verdikt, den Übergang vom Theozentrismus der Reformation zum Anthropozentrismus des Neuprotestantismus vollzogen zu haben. Berechtigt erscheint dieses Urteil, wenn Schleiermachers Verständnis des Glaubens unter den Allgemeinbegriffen des „frommen Selbstbewußtseins" oder des „Gefühls schlechthinniger Abhängigkeit" als religiöses Apriori und anthropologische Konstante gesehen wird, während die pneumatische Begründung des Glaubens übergangen wird. Das entscheidet sich bereits daran, ob das Thema Glaube nach der Einleitung in die Glaubettslehre oder aus der materialen Behandlung in der Glaubenslehre selbst angegangen wird. Schleiermachers Der christliche Glaube ist in dem Sinne eine Glaubenslehre, daß nicht vom Verstehen zum Glauben, sondern vom Glauben zum Verstehen geführt werden soll. Daher erscheint der Glaube auch systematisch niemals als besonderes Lehrstück, obwohl in den §§ 106 ff die Spuren des alten ordo salutis deutlich erkennbar sind. Doch hier finden sich wichtige Aussagen über den Glauben. Die Bekehrung (§ 108) wird reformatorisch in der Verbindung von Buße (contritio) und Glauben (fides; vgl. CA 12) gesehen, also im Sinne der fides iustificans. Schleiermacher steht an diesem Punkt näher bei Luther als bei dessen Nachfolgern, wenn er in § 109 den Glauben in der Rechtfertigung nicht als „werkzeugliche Ursache" (causa instrumentalis) in voluntaristischem Sinne versteht, sondern als Einwirkung Christi durch das Wort. Er betont immer wieder, daß der Glaube zu allen Zeiten und für alle Menschen auf dieselbe Art entsteht, nämlich durch das Wirken Christi (z.B. §§87; 88,2; 108,5). In der Rechtfertigung aus Glauben faßt Schleiermacher wieder das Forensische und das Effektive zusammen. Glaube ist dann die pneumatische Wirklichkeit, Gabe des Geistes und Einwohnung Christi, in der die Gotteskindschaft besteht. Die Einwohnung Christi erscheint sogar als eine Art von Korrektiv gegenüber einem schwärmerischen Verständnis von Geistbegabung, weil darin die spezifische Differenz in inhaltlicher Bestimmung enthalten ist. So heißt es: „ . . . wenn doch an Christum glauben und Christum in sich lebend haben dasselbe ist, wie auf der anderen Seite gesagt werden kann, daß der h. Geist den Glauben hervorbringe, auf der anderen, daß der h. Geist selbst durch den Glauben k o m m e " (§ 124,2). Dem „Herrnhuter höherer Art" ist stets bewußt gewesen, daß es Glauben immer nur als auf Christus bezogene und zugleich in ihm begründete fiducia gibt; während notitia und assensus eben noch überhaupt kein Glauben sind. Dieser Grundzug in der materialen Entfaltung des Glaubens wird übersehen, wenn man bei Schleiermachers Reden über die Religion und bei der Einleitung zur Glaubenslehre hängenbleibt. Denn dann entsteht der bereits von F. Ch. ->Baur geäußerte Verdacht,

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Schleiermacher „wolle die christliche Frömmigkeit aus dem allgemeinen menschlichen frommen Bewußtsein erklären" (an Lücke, Ausw. 162). Damit aber wird seine erklärte Absicht verkannt, die positive Religion gegen die natürliche zu verteidigen (Reden 149; Kurze Darstellung § 1) und zugleich den wesensmäßigen Unterschied der Religion gegenüber Metaphysik und Moral festzuhalten. Philosophie und Theologie sollen einander nicht widersprechen,und es soll möglich sein, „daß ein wahrer Philosoph auch ein wahrer Gläubiger sein und bleiben kann, und ebenso, daß man von Herzen fromm sein kann und doch den M u t haben und behalten, sich in die tiefsten Tiefen der Spekulation hineinzugraben" (an Lücke, Ausw. 171). Aber Philosophie und Theologie sollen auch nicht ineinander aufgehen, eine Gefahr, die Schleiermacher auf der ganzen Linie von Leibniz, Wolff bis Kant sieht: „Die natürliche Theologie wurde für philosophisch ausgegeben, lag aber ganz und gar auf dem Gebiet der religiösen Reflexion" (Dialektik, Ausw. 178). Die Mißverständnisse, aber auch einige Probleme brechen dort auf, wo Schleiermacher für die Bezeichnung „ G l a u b e n " andere Bezeichnungen einführt, die in der Tat als anthropologische oder psychologische Allgemeinbegriffe verstanden werden können. Sie begegnen alle im Sprachgebrauch der damaligen Zeit: Religion, Gefühl, Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit, Gottesbewußtsein, frommes Selbstbewußtsein, Anschauung, um nur die wichtigsten zu nennen. Um Schleiermacher gerecht zu werden, muß man allerdings berücksichtigen, daß die in § 11 der Glaubenslehre benannte spezifische Differenz in der Beziehung „auf die durch Jesum von Nazareth vollbrachte Erlösung" nicht nur formal, sondern effektiv zu verstehen ist. Am größten ist die Gefahr von Mißverständnissen aber, wo Schleiermacher im zweiten Teil der Glaubenslehre die reformatorische Unterscheidung von -»Gesetz und Evangelium, von -»Sünde und Gnade in das hedonistische Schema des Gegensatzes von Lust und Unlust überführt (§62f). Schleiermacher selbst hat dies als eine Entfaltung der reformatorischen fides/fiducia apprehensiva aufgefaßt und meinte, damit zugleich das sitnul iustus et peccator systematisch entfalten zu können. Es gehört aber nun zu den Folgen für die weitere Theologiegeschichte, daß diese Absicht gerade nicht verstanden worden ist, und dadurch wurde der Bekehrungstheologe zum Erfahrungstheologen in dem Augenblick, wo die klare Unterscheidung zwischen dem Geist Christi und dem Geist des menschlichen Selbstbewußtseins nicht mehr deutlich war. Recht verstanden ging es Schleiermacher bei seinem Verständnis des Glaubens um die Identität des Geistes Christi im Glauben in der Diskontinuität der Zeiten. Durchgesetzt aber hat sich in der evangelischen Theologie stattdessen eher Hegels Phänomenologie des Geistes im Horizont einer allgemeinen Geistesgeschichte, in die sich der Glaube durch seine philosophische Verallgemeinerung auflöste. 5.2. Der alte und der neue Glaube Luthers Verständnis des Glaubens hat in erstaunlichem M a ß auf führende Philosophen des 19. Jh. gewirkt, was jedoch den Theologen, die in ihnen das Denken der Neuzeit suchten, kaum aufgefallen ist. Vieles läßt sich ohne weiteres auf bestimmte Akzentuierungen im reformatorischen Glaubensverständnis zurückführen. 5.2.1. Wenn Hegel von Glauben spricht, verweist er häufig auf Luther und grenzt sich dabei aber ausdrücklich gegen zeitgenössische subjektivistische Deutungen ab, wie er sie z. B. in Schleiermachers Reduktion des Glaubens auf das Gefühl sieht. Dagegen betont Hegel: „Glauben ist dasselbe, was religiöse Empfindung als absolute Identität des Inhalts mit mir, aber so, daß der Glaube ferner die absolute Objektivität des Inhalts ausdrückt, die er für mich hat, auch die Bestimmung als meine Bestimmung konkret [in objektivem] Zusammenhang. Die Kirche und Luther haben wohl gewußt, was sie gewollt haben mit dem Glauben; sie haben nicht aistheesis, Empfindung, Überzeugung, Liebe gesagt, [und] daß man durch diese, sondern daß man durch den Glauben selig werde" (Phil. d. Rel. 1,288, vgl. 161). Wenn für Hegel der Glaube ein Wissen ist, besagt das nach dem theologischen Ursprung, daß „der Glaube in dem Zeugnis des Geistes (Rom 8,16) als die Gewiß-

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heit von der o b j e k t i v e n W a h r h e i t i s t " (Enz. § 5 5 5 ) . Hegel versteht seine Philosophie d a h e r geradewegs als die Vollendung des p r o t e s t a n t i s c h e n Prinzips. „ W a s L u t h e r als G l a u b e n im G e f ü h l und Zeugnis des Geistes b e g o n n e n , es ist dasselbe, w a s der weiterhin gereifte Geist im Begriff zu fassen und so in der G e g e n w a r t sich zu befreien, und dadurch in ihr sich zu finden bestrebt i s t " ( R e c h t s p h i l . , W W V I I , 3 6 ) . Und wenn die Vernunft im B l i c k auf die W a h r h e i t „ u n m i t t e l b a r e s W i s s e n , G l a u b e " (Enz. § 6 3 ) ist, besagt dies, d a ß hier W i s s e n und G l a u b e im Sinne der G l a u b e n s g e w i ß h e i t eins sind. D e r a b s o l u t e Geist als A u f h e b u n g der E n t f r e m d u n g bzw. des Gegensatzes von O b j e k t i v i t ä t und S u b j e k t i v i t ä t ist nach diesen Voraussetzungen u n m i t t e l b a r a u f L u t h e r s Verständnis des G l a u b e n s zurückzuführen, in der trinitarisch-inhaltlichen Ausgestaltung a b e r auch eng mit Augustins De Trinitate verbunden. D e r christliche G l a u b e in der a u g u s t i n i s c h - r e f o r m a t o r i s c h e n T r a d i t i o n wird bei Hegel philosophisch generalisiert. A u f diesen theologischen Voraussetzungen beruht a u c h die Verbindung von Geistesund Kirchengeschichte, die auf das Verständnis des G l a u b e n s in der neueren Z e i t so tiefgreifend gewirkt hat, d a ß m a n sich weithin d a r a n g e w ö h n t hat, die Signatur des Neuzeitlichen darin zu sehen. D a z u g e h ö r t z. B . die Vorstellung von einer geschichtlichen E n t w i c k l u n g des D o g m a s zu seiner a b s c h l i e ß e n d e n wissenschaftlichen Vollendung, einer innergeschichtlichen G e s e t z m ä ß i g k e i t folgend. B e s o n d e r s gilt dies dann für die A u f g a b e der G l a u b e n s l e h r e , die darin gesehen wird, d a ß von der Vorstellung zum Begriff und von der Erscheinung zum Wesen geführt wird. T h e o l o g i s c h ist dies nichts anderes als die Vermittlung der fides histórica zur fiducia bzw. zur fides iustificans. D i e wissenschaftliche A u f g a b e der G l a u b e n s l e h r e ist die G l a u b e n s v e r g e w i s s e r u n g . D e n n , und auch das ist von Luther her zu sehen, nur der gewisse G l a u b e ist a u c h w a h r e r G l a u b e , w ä h r e n d eine b l o ß ä u ß e r e Erkenntnis o d e r f o r m a l e Z u s t i m m u n g n o c h kein w a h r e r G l a u b e ist. 5 . 2 . 2 . So verschieden die spekulativen Systeme der von Hegel beeinflußten -> Vermittlungstheologie auch im einzelnen sind, d a ß es ihnen d u r c h w e g um die Vermittlung des G l a u b e n s zum Wissen, also n i c h t nur mit dem Wissen geht, ist die g e m e i n s a m e A b s i c h t , und d a h e r erübrigt sich in diesen G l a u b e n s l e h r e n auch die Auseinandersetzung m i t anderen G l a u b e n s w e i s e n und G l a u b e n s i n h a l t e n . D e n n es k o m m t allein d a r a u f an, die geschichtliche Absolutheit des christlichen G l a u b e n s im R a h m e n der Geistesgeschichte auch zur subjektiven G e w i ß h e i t des G l a u b e n s im Wissen zu führen. D a ß für P h . K . - • M a r h e i n e c k e Wahrheit in der T h e o l o g i e als „ Ü b e r e i n s t i m m u n g des D e n k e n s mit seinem G e g e n s t a n d e " (Grundlehren 9) bedeutet, w ä r e a u f dem freilich nur durch Hegel erschlossenen r e f o r m a t o r i s c h e n Verständnis der fiducia und der E i n w o h n u n g Christi zu b e d e n k e n . Kurz und p r o g r a m m a t i s c h ist dieser A n s a t z von A . G . C . —»Harleß in seiner Theologischen Encyklopädie (Erlangen 1837) f o r m u l i e r t w o r d e n : „ D i e christliche T h e o logie ist also die wissenschaftliche E r k e n n t n i s des G l a u b e n s n a c h seinem G r u n d und W e s e n " . . . „ A l s o zeigt es sich, d a ß die wissenschaftliche Vermittlung der G l a u b e n s g e wißheit durch die theologische E r k e n n t n i ß einem allgemeinen B e d ü r f n i ß der K i r c h e entspricht, welches zu befriedigen A u f g a b e Einzelner i s t " ( § § 4 . 6 ) . Die Vermittlung des Glaubens zum Wissen im Sinne der Glaubensgewißheit wird zum Hauptthema der dogmatischen Prolegomena. Der Erlanger Franz Hermann Reinhold -»Frank (1827-1894) beginnt daher seine dogmatische Trilogie mit dem System der christlichen Gewißheit (1870) und der These: „Die christliche Gewissheit ist dem Christen als solchem gegeben zugleich mit seinem Christenglauben und in dem Masse unveräusserlich, als sein Christenstand es ist. Die Art und das Recht dieser Gewissheit zu erkennen und aufzuzeigen, ist Aufgabe der Theologie". I.A. ->Dorner eröffnet sein System der christlichen Glaubenslehre (1879-1880) mit einer „Pisteologie". „Grund der systematischen Theologie ist die christliche Erfahrung oder der christliche Glaube. Das Ziel oder die Aufgabe ist, daß die unmittelbare, thatsächliche Gewißheit, die dem Glauben von seinem Inhalt beiwohnt, zur wissenschaftlichen Erkenntnis oder zum Bewußtsein von dem inneren Zusammenhang und der objectiven Begründung dieses Inhalts gebracht werde" (§1 Bd. 1,1). Auch hier soll gegenüber einer nur subjektiven Bestimmtheit des Glaubens als Gefühl die objektive Wahrheit herausgestellt werden. „Pisteologie" ist dann bei Dorner „die Lehre vom Glauben als der Vorbedingung der Erkenntniß vom Christenthum als der Wahrheit". Wohlgemerkt hat die Theologie nicht den

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Glauben, der als geistliche Wirklichkeit vorausgesetzt wird, aber doch die Gewißheit des Glaubens zu begründen. Gewißheit aber heißt, daß der Glaube in seiner ursprünglichen Subjektivität „auf eine mit Gewißheit verbundene Einigung mit dem objectiven Christenthum ausgeht". Die geschichtliche Entwicklung der Lehre und die individuelle Entwicklung der Gewißheit stehen so in einer unmittelbaren Entsprechung. „ D e m gemäß hat die Lehre vom Glauben den Stufengang oder das gesetzmäßige Werden des christlichen Glaubens bis zu dem Punkt zu verfolgen, wo die Einigung mit dem objectiven Christenthum in seinem Mittelpunkt erreicht und von diesem die unmittelbare religiöse Gewißheit gewonnen i s t " ( § 2 , 1,16f). Probleme können sich für diese Aufgabe der Theologie in doppelter Hinsicht ergeben, wenn das Verhältnis von fides histórica und fides divina gestört ist, indem sich dann entweder der Glaubensvollzug vom Glaubensinhalt löst und dadurch ein Bruch der geschichtlichen Kontinuität entsteht, oder daß umgekehrt der Glaubensinhalt mit dem Glaubensvollzug verwechselt wird, so daß es zu einem Schein- oder Zwangsglauben k o m m t (1,79). „Geschichtlich" aber bedeutet für Dorner, daß dieser Prozeß der Vermittlung nicht nur in einer formalen Rezeption und Interpretation besteht, sondern im Christusgeschehen selbst seinen Grund hat. Das Realprinzip der Menschwerdung verwirklicht sich geschichtlich als Werk der menschlichen Vernunfttätigkeit. Auf diese Weise führt die Theologie als Wissenschaft den Weg von dem Glaubenswissen zur Glaubensgewißheit.

Durch diese wissenschaftliche Begründung der Glaubensgewißheit entstehen vor allem zwei Probleme. Mit der Verlagerung des Themas Glaube in die Prolegomena wird der systematische und so auch der sachliche Zusammenhang zwischen dem Glauben und den ihn begründenden und erhaltenden Gnadenmitteln aufgehoben. Zum andern führt aber auch der Anspruch auf wissenschaftliche Allgemeingültigkeit dazu, daß der Glaube sowohl von der inneren wie von der äußeren Anfechtung getrennt wird. Geschieht dies, hört der Glaube auf, Glaube zu sein. 5.2.3. L. ->Feuerbach ist neben und nach Hegel der zweite Philosoph, der sich mit ähnlicher Intensität an Augustin angeschlossen und Das Wesen des Glaubens im Sinne Luthers (Werke 7,311 f) ausführlich untersucht hat. Doch Feuerbach betont eine andere Seite der Glaubensgewißheit und beruft sich bei Luther auf die Subjektivität des Glaubens, von der es heißen kann, daß „allein das Glauben und Trauen des Herzens macht beide, Gott und Abgott" - ein oft wiederholtes Zitat. Von dieser Voraussetzung her wird der Schritt von der Theologie zur Anthropologie getan: „Wie der Mensch denkt, wie er gesinnt ist, so ist sein Gott . . . Das Bewußtsein Gottes ist das Selbstbewußtsein des Menschen, die Erkenntnis Gottes, die Selbsterkenntnis des Menschen . . . " (Werke 6,15). Was vordergründig bei Feuerbach als Negation von Glaubensinhalten erscheint, hat seine theologische Voraussetzung darin, daß die Realität des Glaubensgegenstandes von der Glaubensgewißheit nicht zu trennen ist, aber bei Feuerbach - im Gegensatz zu Luther allerdings - auch nicht mehr davon zu unterscheiden ist. Die Hegeische Vermittlung des Glaubens ins Wissen wird nunmehr überflüssig; von den theologischen Grundlagen aber heißt dies: die fiducia oder fides specialis rückt in die Position der fides generalis ein, und unter dieser Voraussetzung wird nicht nur eine Allgemeingültigkeit der menschlichen Bewußtseinsvorgänge angenommen, sondern auch der Handlungsziele. So begegnen wir bei Feuerbach der säkularisierten, d.h. von ihrem ursprünglichen Inhalt entleerten Form der Heilsgewißheit. Glaubensgewißheit und Selbstbewußtsein sind nicht mehr zu unterscheiden. 5.2.4. „ . . . falsche Vermittlungsversuche sind jetzt genug gemacht; nur Scheidung der Gegensätze kann weiter führen" (Christi. Glaubenslehre 1,356). Damit vollzieht D.F. -•Strauß seine programmatische Ablösung von der Bindung der Hegeischen Philosophie an die inhaltlich-personale Bestimmung des christlichen Glaubens. Die Idee der Gottmenschheit gilt nicht für die geschichtliche Person Jesu Christi, sondern nur für die Gattung der Menschheit. Bereits die „Schlußabhandlung" des „Leben Jesu" berührt das Problem des Glaubens, „der noch nicht Wissen ist" (2,687), der immer mit dem Zweifel verbunden ist und so notwendig auf die Vermittlung im Wissen aus ist. Was hier noch vorsichtig angedeutet ist und auch in der Glaubenslehre nicht zu Ende geführt wurde, tritt in der letzten Schrift mit dem bezeichnenden Titel Der alte und der neue Glaube. Ein

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Bekenntnis (1872) in aller Schärfe hervor. Der „alte G l a u b e " ist der „alte Kirchenglaube" bzw. der an Schrift und Dogma gebundene „historische G l a u b e " (6. 12). Er besteht nicht allein in der Bindung an überholte oder falsche weltanschauliche Vorstellungen, sondern in einem unüberwindlichen Widerspruch zur allgemeinen Subjektivität menschheitlicher Entwicklung. Infolgedessen kann er überhaupt nicht mehr vermittelt werden. Der „neue G l a u b e " stützt sich auf die Ergebnisse naturwissenschaftlicher Forschung, aus denen die innere Vernünftigkeit der Welt hervorgeht. Die Glaubensgewißheit wechselt mithin von der Gottesgewißheit zur naturwissenschaftlich gesicherten Daseinsgewißheit: „ . . . wir betrachten die Welt nicht mehr als das Werk einer absolut vernünftigen und guten Persönlichkeit, wohl aber als die Werkstätte des Vernünftigen und Guten. Sie ist uns nicht mehr angelegt von einer höchsten Vernunft, aber angelegt auf die höchste Vernunft" (94). Dem Skeptizismus —»Schopenhauers wird entgegengehalten: „ . . . jede wahre Philosophie ist nothwendig optimistisch, weil sie sonst den Baumast absägt, auf dem sie sitzt" (96). Daß Strauß sich dann mit diesem „neuen G l a u b e n " auf den Kant der vorkritischen Periode mit seiner Schrift Allgemeine Geschichte und Theorie des Himmels (1755) stützt, mag für den gesamten linken Flügel der Hegeischen Philosophie bezeichnend sein. Denn der „neue G l a u b e " besteht in der Tat in der Gewißheit, daß das Gute im Menschen und das Vernünftige in dieser Welt die bestimmenden Prinzipien seien. Der weltanschauliche - » M o n i s m u s stellt sich dar als Religion der -»Humanität. Der „neue G l a u b e " hat einen neuen Inhalt und zugleich seine praktischen Ziele bekommen. M i t seinem ,neuen Glauben' steht Strauß in einer breiten Bewegung seiner Zeit, die sich nicht nur um Programme, sondern auch in Vereinen sammelt (vgl. H . - M . Sass; vgl. T R E 11,490 f). Es ist ein Glaube, dem sich im Fortschreiten der Wissenschaft der Sinn der Welt immer deutlicher zu erschließen scheint und der seine praktische Verwirklichung in der Entwicklung technokratischer Modelle zur universalen Bewältigung sämtlicher sozialer, wirtschaftlicher und politischer Probleme sieht. Doch diese Säkularisierung der Heilsgewißheit in einer allgemeinen Daseinsgewißheit kann theologisch nicht einfach als eine geistesgeschichtliche Entwicklung konstatiert werden, sondern muß als eine Gläubigkeit verstanden werden, die ihren wahren Grund verloren und mit einem falschen vertauscht hat, der die Realität dieser Welt nicht tragen kann und dessen Verheißungen sich niemals erfüllen werden.

5.3. Glaubensinhalt

und

Glaubensvollzug

Die anthropologische Verankerung des Glaubens im frommen Selbstbewußtsein bei Schleiermacher wie auch die ontologische Verallgemeinerung des Glaubens durch den absoluten Geist bei Hegel haben auf die deutsche Schultheologie des vorigen Jahrhunderts eine dominierende Faszination ausgeübt, die wenig Raum für Alternativen ließ, wohl aber Anlaß gab zu der grundsätzlichen Überlegung, ob bei solcher Allgemeingültigkeit nicht letztlich das Wesen des Glaubens aufgelöst wird. Daß bei D.F. Strauß der Glaube nicht nur in das Wissen aufgehoben worden war, sondern das Wissen sich als neuer Glaube konstituierte, zeigte, wie die Verbindlichkeit des geschichtlichen Glaubensinhalts in Schrift und Bekenntnis durch neue Inhalte ersetzt wurde. Die Auseinandersetzung um diese Problematik spielte sich besonders in der -»Leben-Jesu-Forschung ab. Die Kirchenunionen (-»Unionen, kirchliche), aber auch die Vorgänge in der römisch-katholischen Kirche gaben Anlaß zur Rückbesinnung auf die Reformation. Auch J . A. —»Möh-

lers weitverbreitete Symbolik oder Darstellung der dogmatischen Gegensätze der Katholiken und Protestanten nach ihren öffentlichen Bekenntnisschriften (1. Aufl. 1832) trug

dazu bei, daß zum T h e m a Glaube und Rechtfertigung (§§ 1 5 - 2 1 ) die reformatorischen Differenzpunkte mit ausführlichen Quellenbelegen in Erinnerung gebracht wurden. Die Dogmenkritik und die Besinnung auf die Freiheit des Glaubens von allen menschlichen Autoritäten wurden neu belebt durch die Verurteilung verschiedener philosophischer und theologischer Strömungen der Zeit durch das römische Lehramt. Als Versuch, das Wesen des Glaubens mit der Form der Wissenschaft zu verbinden, erscheint im M ä r z 1870 J o h n

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H e n r y —•Newmans Essay in Aid ofa Grammar of Assent — E n t w u r f einer Z u s t i m m u n g s lehre. D a ß a u f dem - » V a t i c a n u m I ( 1 8 6 9 - 1 8 7 0 ) in der d o g m a t i s c h e n K o n s t i t u t i o n Dei Filius die Vernunft der O f f e n b a r u n g untergeordnet wird und der G l a u b e an die kirchlichen L e h r e n t s c h e i d u n g e n g e b u n d e n wird (DS 3 0 0 0 ff) und d a ß schließlich die U n f e h l b a r keit p ä p s t l i c h e r L e h r e n t s c h e i d u n g e n in Fragen des G l a u b e n s und der Sitten definiert wird (DS 3 0 7 4 ) , verbindet den Freiheitsanspruch wissenschaftlicher F o r s c h u n g mit dem reform a t o r i s c h e n Protest der G l a u b e n s f r e i h e i t selbst dort, w o m a n im Verständnis des G l a u bens und der R e c h t f e r t i g u n g weitgehend, o h n e es zu wissen, tridentinisch lehrte. Dies sind einige der M o t i v e , die in der evangelischen T h e o l o g i e dazu führen, d a ß die Eigenständigkeit des G l a u b e n s wieder von seinem Wesen her stärker h e r v o r g e h o b e n wird. D a s geschieht unter verschiedenen G e s i c h t s p u n k t e n : 5.3.1. F. A.G. —>Tholuck warnt gegenüber der spekulativen Theologie davor, den Glauben einfach in Apologetik und Dogmatik aufzulösen und ihn damit gleichzeitig von der „christlichen inneren Erfahrung" abzulösen. Nicht die Vernunft, sondern das Herz und der Wille sind das Entscheidende, weil „das System als solches nicht allein im Menschen die neue Geburt zu erzeugen vermag, denn die Basis, auf welches es seinen Thurm bauet, liegt nicht in den lichten Höhen des Kopfes, sondern in den dunklen Tiefen des menschlichen Herzens, in der Willensrichtung des Menschen. Erfahrung muß daher auch wiederum dem System vorausgehen, so wie es auf die Erfahrung sich berufen muß, und in so fern sehen wir, wie das christliche Leben doch am Ende der Grundstein aller wahren Überzeugung ist". Erfahrung aber ist ausdrücklich Erkenntnis der Sünde und Empfang der Rettung (Die Lehre von der Sünde 222f). In ähnlicher Front will J. T. -»Beck zeigen, daß der Glaube nicht nur ein Vorstadium des Wissens, sondern dessen bleibenden Grund bildet: „So ist also der Glaube in seinem Anfang und Fortgang das durchaus productive Element, und das Wissen und Erkennen seines Inhalts ist durchgängig gebunden an seine fortdauernde Productions-Thätigkeit im Menschen, dieses wiederum an des Menschen geistige Reception" (Propädeutik 20f). Durch die —»Erweckungsbewegung wird im Verständnis des Glaubens die theologische Aufmerksamkeit wieder auf die Heilsfrage gelenkt, bei der es nicht bloß um Glauben und Wissen geht, sondern um Glaube und Unglaube, Sünde und Gnade, Gehorsam und Ungehorsam, kurz, um das neue Sein, das durch das Werk des Heiligen Geistes bewirkt wird. 5 . 3 . 2 . D i e E r l a n g e r (s. T R E 1 0 , 1 6 1 f) zeigen zwar weniger im M e t h o d i s c h e n , w o h l aber im Inhaltlichen die aus der E r w e c k u n g s b e w e g u n g k o m m e n d e n K o r r e k t u r e n a m G l a u b e n s v e r s t ä n d n i s der spekulativen T h e o l o g i e . So b e t o n t G . C . A . - > H a r l e ß , d a ß der G l a u b e sich n i c h t erst im W i s s e n o b j e k t i v i e r t , sondern bereits in der O f f e n b a r u n g . „ D i e christliche R e l i g i o n k a n n als eine in die Welt g e k o m m e n e Wahrheit und K r a f t nicht durch eine C o n s t r u c t i o n a priori e r k a n n t w e r d e n , sondern nur durch A n e i g n u n g in der E r f a h rung B e s i t z t h u m der E r k e n n t n i s eines M e n s c h e n w e r d e n " , und deshalb ist sie bleibend „ E r f a h r u n g s g e g e n s t a n d " . „ D i e christliche R e l i g i o n nennt aber die E r f a h r u n g dieser ihrer W a h r h e i t und K r a f t : G l a u b e " ( E n c y k l o p ä d i e § 4 ; 2 4 f). D i e geschichtliche Faktizität der O f f e n b a r u n g wie auch die p e r s ö n l i c h e G e w i ß h e i t des G l a u b e n s sind G r u n d und G e g e n stand, nicht erst Z i e l der T h e o l o g i e . Weil der G l a u b e durch die O f f e n b a r u n g b e w i r k t wird und an sie gebunden bleibt, hat es die T h e o l o g i e als W i s s e n s c h a f t mit dem zu tun, „ w a s den Christen zum Christen m a c h t , sein ihm selbständiges Verhältnis zu G o t t , in wissenschaftlicher S e l b s t e r k e n n t n i ß und Selbstaussage den T h e o l o g e n zum T h e o l o g e n m a c h t , wenn ich der C h r i s t mir dem T h e o l o g e n eigens der Stoff meiner W i s s e n s c h a f t b i n " ( J . C . K , von H o f m a n n , D e r S c h r i f t b e w e i s 1,10). D i e E r f a h r u n g wird von der W i e d e r g e b u r t h e r verstanden, und d a d u r c h k ö n n e n n a t ü r l i c h e und geistliche E r f a h r u n g deutlich v o n e i n a n der unterschieden werden ( F r a n k , G e w i ß h e i t 1,93ff). Besonders ausführlich wird d a s T h e m a G l a u b e im Z u s a m m e n h a n g des ordo salutis behandelt, und d a b e i erscheinen in g r o ß e r Ausführlichkeit die e l e m e n t a r e n F r a g e n religiöser Erziehung und kirchlicher Verkündigung in der durch K i n d e r t a u f e und V o l k s k i r c h e bestimmten S i t u a t i o n ( T h o m a s i u s , C h r i s t o l o g i e I V , 1 3 5 f f ; F r a n k , W a h r h e i t 11,315ff). Bei T h o m a s i u s steht dies unter d e m L e i t w o r t „der G e t a u f t e m u ß a l s o zum G l a u b e n erzogen w e r d e n " (IV,141), und dazu gehört das H ö r e n a u f das W o r t G o t t e s in G e s e t z und Evangelium als G r u n d des G l a u b e n s s o w i e die E i n w e i s u n g in B u ß e und B e k e n n t n i s . T h o m a s i u s hat für sich und seine Z e i t

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gerade zu dem T h e m a Glaube Luther neu entdeckt und damit auch herausgestellt, wie Wort, Glaube und neues Leben unter der Einheit des Geistes zusammengehören und wie „der wahre Glaube, welcher Christum ergreift, . . .immer auch im Herzen die volle Gewißheit der G n a d e " gibt (IV,183). 5.3.3. In der Absicht, dem Glauben gegenüber Wissen und Wissenschaft seine Selbständigkeit zu wahren und ihn in seiner pneumatischen Wirklichkeit zu erfassen, trifft sich A. —»Ritschl samt seiner Schule durchaus mit den Erlangern. Die Unterschiede setzen jedoch dort ein, wo es um die Art der inhaltlichen Bindung an Schrift und Bekenntnis geht. Auch Ritsehl beruft sich in seiner Auffassung vom Glauben auf Luther und dessen Grundsatz, daß nicht die fides histórica, sondern einzig die fiducia als wahrer und wirklicher Glaube aufgefaßt werden darf. Die Kritik an der Hegeischen Vermittlung von Glauben und Wissen läuft bei ihm in eigenartiger Weise mit Luthers Kritik an der scholastischen Theologie zusammen in der Beobachtung, daß in beiden Fällen der Glaube lediglich als eine unvollkommene Stufe des Erkennens gegenüber dem Wissen aufgefaßt werde. Wo Ritsehl mit Kants Vernunftkritik die Metaphysik als Grund oder Teil der Theologie ausschließt und wo er im Anschluß an H e r m a n n Lotze die religiöse Erkenntnis nicht als Seins- bzw. Tatsachenurteil, sondern als Werturteil versteht, verweist er ausdrücklich auf Luthers Glaubensverständnis, nämlich auf seine „Entdeckung, daß das religiöse Erkennen in directen Werthurteilen sich bewegt, im Gegensatz gegen die berechtigten Ansprüche des Wissens auf sein Gebiet, und gegen die unberechtigten Ansprüche desselben auf die Religion als den M a ß s t a b der christlichen Religion und der in ihrem Dienst wirkenden Theologie a n e r k e n n t " (Fides impl. 70). Ritschi behauptet, daß sich bei Luther zumal in den Katechismusarbeiten der zwanziger J a h r e im Glaubensverständnis eine Entwicklung vom „katholischen F ü r w a h r h a l t e n " zum „evangelischen Vertrauen" nachweisen läßt, die vor allem darin bestehe, daß an die Stelle einer expliziten Anerkennung des altkirchlichen Dogmas mit Christologie und Trinitätslehre ein implizites Christusbekenntnis tritt in der Elementarform ,ich glaube an Jesus Christus'. D e r Glaube ist, wie Ritsehl mit häufigem Hinweis auf den Eingang zur Auslegung des 1. G e b o t s im Großen Katechismus betont, nicht Zustimmung des Verstandes, sondern Bestimmung des Willens bzw. des Herzens sowie Bekenntnis und Lobpreis Jesu Christi in der Bestimmung durch das, was der Mensch durch ihn ist. Für Ritsehl ist das Werturteil also nicht einfach eine theologische M e t h o d e , sondern es dient als wissenschaftlicher Begriff für die geistliche Wirklichkeit des christlichen Glaubens in der Gemeinde und im Christen. Es ist ein Urteil, das nicht durch den T h e o l o g e n , sondern in dem Christen vollzogen wird (Fides impl. 63 f mit Hinweis auf W A 3 7 , 3 9 , l l f f ) . Was bei Ritsehl als Christozentrik bezeichnet werden kann, ist in der F o r m der „religiösen Schätzung" bzw. des „Werturteils" eine personale „Wechselbeziehung" bzw. „Wechselwirkung" zwischen der Gottheit Jesu Christi und seiner Gemeinde bzw. dem einzelnen Glaubenden. Die Person Jesu Christi ist daher auch nicht O b j e k t , sondern Subjekt des Glaubens (Slenczka 2 4 8 ) . Deshalb ist der Glaube weder auf äußere Stützen angewiesen, noch von ihnen abhängig, aber dann auch nicht durch sie zu widerlegen. Wort Gottes und Menschenwort sind dann so voneinander getrennt, daß „alle menschlichen Vermittlungen des Evangeliums übersprungen" werden. „ F ü r die evangelischen Christen kommt es eben nicht auf Unterwerfung unter Wahrheitssätze an, welche von Menschen überliefert wären, sondern auf die Anerkennung des Werthes Christi als des Offenbarers Gottes zum Z w e c k unserer Seligkeit" (Fides impl. 74). Die Wechselwirkung als personale Beziehung bedeutet für Ritsehl aber auch, daß das durch Christus begründete Gottesverhältnis in seinem Vollzug vor allem als tätiger Gehorsam zu sehen ist. Die Frucht des Werkes Christi im Werk des Glaubens ist eine „Befähigung zum G u t e n " und ein „Willensentschluß" zur Bekämpfung und Überwindung des Bösen (Unterricht § § 2 7 u. 35). So manifestiert sich der G e h o r s a m Christi im G e h o r s a m der Christen.

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5.3.4. Solange man berücksichtigt, daß es Ritsehl im reformatorischen Verständnis um das den Glauben an Christus weckende und erhaltende Wort der Predigt geht, mithin um die durch Christus selbst gesetzte Wirklichkeit seiner Gemeinde, kann von einem Subjektivismus nicht die Rede sein. Wohl aber legt sich dies in der Konsequenz seines Ansatzes dort nahe, w o im Z u s a m m e n h a n g mit der historisch-kritischen M e t h o d e bei der Schriftauslegung und speziell in der historischen Jesusfrage die Vermittlung von Offenbarungszeugnis und Glaubenserfahrung zum theologischen Problem wird. Dies zeigt der in der Schule Ritschis geführte Streit um die Begründung des Glaubens auf den geschichtlichen Jesus Christus (Slenczka 263ff). Auf der einen Seite - z . B . bei Julius Kaftan ( 1 8 4 8 - 1 9 2 6 ) und T h e o d o r - > H a e r i n g ( 1 8 4 8 - 1 9 2 8 ) - wird nachdrücklich der Z u s a m menhang von Offenbarung und Glaube auf der Basis des einheitlichen und unteilbaren Christuszeugnisses der hl. Schrift festgehalten. Eine tiefgreifende und für die weitere Theologie folgenreiche Änderung jedoch nimmt auf der anderen Seite W. - » H e r r m a n n nicht nur an der Theologie Ritschis, sondern auch an der reformatorischen Theologie vor, indem er die Unterscheidung von Grund und Inhalt des Glaubens bzw. von Glaubensgrund und Glaubensgedanken einführt. N a c h der herkömmlichen Terminologie betrifft dies das Verhältnis von notitia und fiducia, jedoch wird unter Berufung auf Luther der assensus mit der fiducia zusammengefaßt (Verkehr 173ff). Allerdings erscheint bei ihm nun die Frage der Heilszueignung und der Glaubensgewißheit zuerst als erkenntnistheoretisches Problem der Glaubensbegründung, das einerseits durch die historisch-kritische Auflösung des Schriftprinzips und andererseits durch die intellektuellen Glaubenszweifel des modernen Menschen bestimmt wird. So ist das Leitmotiv von H e r r m a n n s Theologie die Frage, wie der Glaube entsteht und besteht, n a c h d e m so viele Glaubensinhalte sich entweder in ihrer historischen Authentizität als unhaltbar oder nach den weltanschaulichen Voraussetzungen der Neuzeit als unverständlich zu erweisen scheinen (GAufs. 5 5 . 1 0 6 . 1 1 2 . 3 0 6 ) . Eine dem Wesen des evangelischen Glaubens widersprechende „Lehrgesetzlichkeit" erblickt Herrmann sowohl in einem orthodoxen Schriftprinzip wie in der Bindung an kirchliche Lehrentscheidungen, soweit in beiden Fällen eine äußere Zustimmung als Grundlage des Glaubens angesehen und gefordert wird. Gleichzeitig soll ausgeschlossen werden, daß der Glaube von dem wechselnden Urteil über historische Tatsachen abhängig gemacht wird. Vielmehr gilt: „Die subjektive Lebendigkeit des Christentums soll sich nach unserer Meinung in der Energie zeigen, mit der das Objektive erfaßt wird, nämlich erstens die Macht, welche den Glauben wecken und begründen kann, zweitens danach die Gedanken, in denen sich der Glaube den Gläubigen verständlich ausspricht" (Verkehr 36). Der „Mensch Jesus" nach dem biblischen Zeugnis ist der „Grund des Glaubens", doch dies nicht als historische Gestalt, sondern als etwas auch gegenwärtig Wirkendes. Die „Glaubensgedanken" aber sind inhaltlich vor allem die christologischen Aussagen, die über die geschichtliche Menschheit Jesu hinausgehen, angefangen mit der Auferstehung. Sie „entstehen in uns innerhalb des Verkehrs mit Gott, zu dem uns die persönliche Macht Jesu erhebt", und daraus folgt: „.. .nicht der Besitz irgendeiner etwa durch die Hl. Schrift, vorgeschriebenen Summe solcher Gedanken macht einen Christen aus, sondern die Fähigkeit, sie zu erzeugen und als die vom eigenen Bewußtsein erfaßte Wahrheit zu hegen" (Verkehr 37). So hat der „Grund des Glaubens" eine allgemeine Evidenz, indem er „auch dem noch nicht gläubigen, aber sittlich regen Menschen verständlich" ist. Dieser Grund „wirkt die Entstehung des Glaubens"; es ist dies der geheimnisvolle Vorgang, daß der Mensch Jesus in seiner Niedrigkeit durch den Eindruck seines persönlichen Lebens in uns die Zuversicht zu der Wirklichkeit und Gnade Gottes schafft". Sündenvergebung und Rechtfertigung werden aber nun ähnlich wie bei Ritsehl auf das „sittliche Bedürfnis des Menschen" bezogen, das durch den Glauben geweckt und gestärkt wird. So erscheint die Reformation bereits hier als die „Neubegründung der Sittlichkeit". Die Bindung an die Schrift, das altkirchliche Dogma und das kirchliche Bekenntnis werden bei Hermann mindestens aus praktischen Gründen aufgehoben: „Wir können nicht mehr bei der Verhandlung mit einem Menschen, dem wir zum Christentum verhelfen möchten, an jene Voraussetzung anknüpfen" (Verkehr 41). Dies aber hat zur Folge, daß die Glaubensgedanken nicht mehr nur aus dem Glaubensgrund hervorgehen, sondern sich verselbständigen und in geschichtlicher Wandelbarkeit der Verstehensvoraussetzungen auch zum Maßstab möglicher Glaubenslehre werden. Die Problematik bei diesem Ansatz liegt jedoch nicht allein in der Subjektivierung des

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G l a u b e n s v o l l z u g s , s o n d e r n in d e r C h r i s t o l o g i e , w e n n m i t e i n e r s o g . „ C h r i s t o l o g i e v o n u n t e n " die g e s a m t e t h e o l o g i s c h e A u f g a b e der G l a u b e n s b e g r ü n d u n g d a r a u f zielt, den W e g von der irdischen E x i s t e n z des M e n s c h e n J e s u s z u m a u f e r s t a n d e n e n und e r h ö h t e n Chris t u s zu f ü h r e n . D a s ist d u r c h a u s e i n e V a r i a n t e in d e r U n t e r s c h e i d u n g v o n fides u n d explicita,

implicita

a l l e r d i n g s in d e r W e i s e , d a ß d e r G l a u b e ü b e r h a u p t e r s t d i e E i n h e i t d e r

P e r s o n k o n s t i t u i e r t , n i c h t also d u r c h die P e r s o n J e s u C h r i s t i b e g r ü n d e t ist. D i e s h a t a b e r dann weiter zur Folge, d a ß der H e r r seiner G e m e i n d e nicht gegenübersteht, sondern d a ß er d u r c h deren G l a u b e n s b e w u ß t s e i n b e s t e h t . D a s G e g e n ü b e r v o n W e r k C h r i s t i und W e r k e n d e r C h r i s t e n w i r d d a n n in ä h n l i c h e r W e i s e a u f g e h o b e n w i e d a s

unterscheidende

G e g e n ü b e r v o n P e r s o n und W o r t C h r i s t i zu P e r s o n und W ö r t e r n d e r C h r i s t e n . Z w a r hat sich H e r r m a n n sehr d a r u m b e m ü h t , wenigstens punktuell die äußere Beg r ü n d u n g d e s G l a u b e n s f e s t z u h a l t e n . D a ß a b e r d a n n , w i e es b e i E . - > T r o e l t s c h z u s e h e n ist, die g e s c h i c h t l i c h e P e r s o n J e s u lediglich a u s „ s o z i a l p s y c h o l o g i s c h e n E r w ä g u n g e n " u n d als „regulatives P r i n z i p " festgehalten wird, da andernfalls das C h r i s t e n t u m der Auflös u n g v e r f i e l e , ist e i n e n a h e l i e g e n d e K o n s e q u e n z ( D i e B e d e u t u n g d e r J e s u für den G l a u b e n , T ü b i n g e n 1 9 2 9 3 , 5 7 . 7 9 f f . 1 0 1 ff; S l e n c z k a

Geschichtlichkeit

1 9 1 1 ; D i e A b s o l u t h e i t des C h r i s t e n t u m s ,

Tübingen

143).

D i e s e r t h e o l o g i s c h e A n s a t z ist b e w e g t v o m W a n d e l d e r Z e i t , v o n d e n S c h w i e r i g k e i t e n d e r V e r k ü n d i g u n g u n d U n t e r w e i s u n g in e i n e r —• V o l k s - b z w . S t a a t s k i r c h e s o w i e v o n d e r diakonisch-sozialen V e r a n t w o r t u n g der K i r c h e . D e s h a l b soll der G l a u b e , auch w o er im Verständnis a m A n f a n g steht, nicht entmutigt oder gar als Unglauben w e r d e n : fides

implicita.

zurückgestoßen

D e r G l a u b e soll a b e r a u c h an seinen s i c h t b a r e n F r ü c h t e n g e m e s -

s e n w e r d e n , in d e n e n e r s e i n e G e s t a l t e r h ä l t : fides

caritate

formata.

D a s sollte jedoch nicht

a l s R ü c k f a l l in a l t e P o s i t i o n e n , s o n d e r n a l s d i e W i e d e r k e h r t y p i s c h e r P r o b l e m e a u f g e f a ß t werden. Quellen J o h a n n T o b i a s B e c k , Einl. in das System der christl. Lehre oder Propädeutische Entwicklung der christl. Lehr-Wiss. Ein Versuch, Stuttgart 1 8 3 8 . - M a t t h i a s Claudius, SW. N a c h dem T e x t der Erstausg. u. den Originaldrucken von 1775, M ü n c h e n 1968 2 1 9 7 6 . - Isaak August D o r n e r , System der Christi. G l a u b e n s l e h r e , 2 Bde., Berlin 1 8 7 9 - 1 8 8 1 . - Ludwig Feuerbach, SW, hg. v. W i l h e l m Bolin/Friedrich J o d l ( 1 9 0 3 - 1 9 1 1 ) , Stuttgart 2 1 9 6 0 . - F r a n z H e r r m a n n R e i n h o l d F r a n k , System der christl. G e w i ß h e i t , 2 Bde., Erlangen 1870/1873. - D e r s . , System der christl. W a h r h e i t , 2 Bde., Erlangen 1885/1886. - T h e o d o r Haering, Der Christi. G l a u b e . D o g m a t i k , C a l w 1906 2 1 9 1 2 = Stuttgart 1922. - G o t t l i e b Christoph Adolf Harleß, T h e o l . Encyklopädie u. M e t h o d o l o g i e vom Standpunkte der prot. Kirche. G r u n d r i ß für akademische Vorlesungen, Erlangen 1 8 3 7 . - Karl H a s e , L b . der Ev. D o g m a t i k , Leipzig 1826 3 1 8 7 0 . - Georg W i l h e l m Friedrich Hegel, E n z y k l o p ä d i e der phil. Wiss. (1830), hg. v. F. N i c o l i n / O . Pöggeler, 1959 (PhB 3 3 ) . - D e r s . , Glauben u. Wissen (1802), N a c h d r u c k 1962 (PhB 62b). - D e r s . , Vorlesungen über die Phil, der Religion (1924), N a c h d r . 1966 (PhB 5 9 - 6 3 ) . W i l h e l m H e r r m a n n , D e r Verkehr des Christen mit G o t t . Im Anschluß an L u t h e r darg. (1886), T ü b i n g e n 7 1 9 2 1 . - D e r s . , G e s . Aufs., hg. v. F.W. Schmidt, T ü b i n g e n 1 9 2 3 . - D e r s . , Sehr, zur Grundlegung der T h e o l . , hg. v. Peter Fischer-Appelt, 2 Bde., 1966/67 ( T h B 36). - D e r s . , D o g m a t i k , Gotha/Stuttgart 1 9 2 5 . - H e r m a n n Friedrich W i l h e l m Hinrichs, D i e Religion im inneren Verhältnisse zur Wiss. Nebst D a r s t . u. Beurteilung der von J a c o b i , Kant, Fichte u. Schelling g e m a c h t e n Versuche, dieselbe wiss. zu erfassen, u. nach ihrem H a u p t i n h a l t e zu entwickeln. M i t einem V o r w o r t e v. G e o r g W i l h e l m Friedrich Hegel, Heidelberg 1822. - J o h a n n e s Christian Konrad H o f m a n n , Der Schriftbeweis. Ein theol. Versuch, 3 Bde., Nördlingen 1857 2 1 8 6 0 . - Ludwig Ihmels, Die christl. Wahrheitsgewißheit, ihr letzter G r u n d u. ihre Entstehung, Leipzig 1 9 0 1 . - Julius K a f t a n , D o g m a t i k , Freiburg/Leipzig/Tübingen 1897 (Grundriß der T h e o l . Wiss. V , l ) . - Julius Köstlin, D e r G l a u b e u. seine Bedeutung für Erkenntnis, Leben u. K i r c h e mit R ü c k s i c h t auf die H a u p t f r a g e n der G e g e n w a r t (1859), Berlin 2 1 8 9 5 . - G o t t h o l d Ephraim Lessing, Lessings Werke, hg. v. Julius Petersen/Waldemar von Olshausen, B d e . 2 0 - 2 3 , Berlin/Leipzig/Wien/Stuttgart o. J . ( T h e o l . Sehr. hg. v. Leopold Z s c h a r n a c k , I—IV). - Philipp M a r h e i n e c k e , Die Grundlehren der christl. D o g m a t i k , Berlin 1 8 1 9 . - J o h a n n A d a m M ö h l e r , S y m b o l i k oder Darst. der d o g m a t . Gegensätze der Katholiken u. Protestanten nach ihren öffentlichen Bekenntnisschriften (1832), 1 0 1 9 2 1 , hg. v. J . R . G e i s e l m a n n , D a r m s t a d t 1958. J o h n Henry Kardinal N e w m a n , Essay in Aid o f a G r a m m a r o f Assent, 1870; dt.: E n t w u r f einer Z u s t i m m u n g s l e h r e , M a i n z 1961 (Ausgew. Werke Bd. VII). - Albrecht Ritsehl, Fides implicita. Eine

348

Glaube VI

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aus

Glauben

oder

bloß

glauben?

D a ß die G l a u b e n s f r a g e g a n z a u f die V e r s t e h e n s f r a g e fixiert w i r d , ist eine u m die W e n d e z u m n e u e n J a h r h u n d e r t v o r h e r r s c h e n d e A u s g a n g s p o s i t i o n . D i e „humana tas assentiens"

volun-

M e l a n c h t h o n s r ü c k t in d e n M i t t e l p u n k t des I n t e r e s s e s ; die individuelle

G l a u b e n s a n f e c h t u n g w i r d prinzipiell s y s t e m a t i s i e r t . D i e Ü b e r l e g u n g e n zu einer t h e o l o g i schen Glaubensbegründung oder vorsichtiger einer Beseitigung von Glaubenshindernissen r i c h t e n sich a u f den assensus

und die i h m im W e g e s t e h e n d e n H i n d e r n i s s e , die in

L e h r g e s e t z l i c h k e i t und G e s c h i c h t s g e b u n d e n h e i t v o n G l a u b e n s a u s s a g e n gesehen w e r d e n . D a s trifft w e i t g e h e n d die t h e o l o g i s c h e P r o b l e m a t i k d e r fides historica.

Daneben erscheint

die F r a g e n a c h den „ F r ü c h t e n des G l a u b e n s " als e t h i s c h e s P r o b l e m . D e r religiöse S o z i a l i s m u s ( - » R e l i g i ö s e S o z i a l i s t e n ) in E u r o p a und die B e w e g u n g des

Social

gospel

in d e n

U S A sind A u s d r u c k dieser T e n d e n z e n , die freilich n a t u r g e m ä ß i h r e n N i e d e r s c h l a g w e n i ger in d e r t h e o l o g i s c h e n W i s s e n s c h a f t als in der k i r c h l i c h e n P r a x i s finden. D i e R i t s c h l s c h e S c h u l e h a t d a b e i a n r e g e n d und p r ä g e n d g e w i r k t . H i s t o r i s c h g e h t es u m die i n h a l t l i c h e I d e n t i t ä t des G l a u b e n s , e t h i s c h u m die p r a k t i s c h e A k t u a l i t ä t des G l a u b e n s . W o a b e r die T h e o l o g i e v o r n e h m l i c h m i t d e r M ö g l i c h k e i t und W i r k l i c h k e i t des G l a u b e n s b e s c h ä f t i g t

Glaube VI

349

ist, tritt die Unterscheidung von wahrem und falschem Glauben in den Hintergrund. Je weniger aber der Fundamentalkonsens christlicher Lehre inhaltlich bedacht wird, desto stärker tritt der Dissens bei nachgeordneten Richtungsfragen in den Vordergrund. D a ß dann u. U. auch politische Richtungsgegensätze an die Stelle von theologischen Grundsätzen treten, ist eine unvermeidliche Folge dieser Verlagerung. Das Gesamtthema über diesen letzten Zeitraum „Allein aus Glauben oder bloß glauben?" deutet an, wie es im Grundsätzlichen gerade hier um den Artikel geht, mit dem die Kirche steht und fällt. 6.1. „Vom Glauben

gläubig

denken"

Es w a r gewiß nicht die Absicht, aber doch eine unvermeidliche Konsequenz, d a ß durch den verbreiteten und keineswegs auf die -»Liberale Theologie beschränkten vermittlungstheologischen Ansatz die Z u o r d n u n g von Gegenstand und Vollzug des Glaubens zu einem alles beherrschenden T h e m a wurde. Im Hintergrund steht die in allen Volksschichten um sich greifende Entkirchlichung. Es ist schwer, sich dieser Problematik zu entziehen. 6.1.1. Auch M . ->Kahler, der sich gegen A. Ritsehl wendet und vor allem energisch mit Wilhelm H e r r m a n n über dessen Vorstellungen von einer Glaubensbegründung streitet, hat sich von der Frage nicht lösen können: „ W a r u m ist es in der Gegenwart so schwer, zu einem festen Glauben zu k o m m e n ? " (Dogm. Zeitfragen III, Leipzig 3 1913, 2 1 - 4 6 ) . Aber er stellt f ü r die Theologie jener Zeit auch eine klare Diagnose f ü r das, was geschieht, wenn die Inhalte des Glaubens zur Disposition gestellt w e r d e n : , , . . . ein irdisches Dasein mit Beseitigung alles dessen, was man als Übel empfindet, vertritt die Stelle einer klaren, sittlichen Überzeugung. Der Zwilling dieser geistigen Entwicklung ist die Bewußtseinsreligion, das Gefühlschristentum, die Stimmungsreligion ohne Bekenntnis" (34). D a ß er die Wissenschaft der christlichen Lehre (1883 3 1905) „von dem evangelischen Grundartikel a u s " , also dem Rechtfertigungsglauben, in der Apologetik als Voraussetzung, in der Dogmatik als Gegenstand und in der Ethik als Betätigung entfaltet, ist eine Problemanzeige, jedoch weniger eine Problemlösung in dieser Situation. Doch bei Kahler zeigt sich immer wieder, d a ß er die Sackgassen für die Theologie seiner Zeit erkannt hat. Er sieht die Grenze, an der eine Vermittlungstheologie sich selbst aufhebt, wenn sie die Glaubensbegründung zu ihrer wichtigsten Aufgabe macht. „Eine an die Bibel angeschlossene Erörterung der Versöhnung dürfte überhaupt nicht in der Lage sein, die Bedenken derjenigen zu beseitigen, welche ihre Überzeugung auf Beweisführung zu stützen gedenken und dabei fordern, daß diese Beweise ihren Ausgang von allgemein anerkannten Ansichten n e h m e n . . . Glaubenslehren sind ja nicht Beweise für die Gegenstände des Glaubens vor dem glaubenslosen Verstände, vielmehr bietet christliche Erkenntnis ihre Gegenstände dem Glauben an und unterbreitet sie einem Sinnen, f ü r welches der Glaube selbst Ausgang, Anlaß und Auge bildet. Erst das Glaubensauge, welches der Geist aus Gott öffnet, bietet unserer zerlegenden und ableitenden Betrachtung den Stoff so dar, d a ß er ihr als volle bedenkenswerte Wirklichkeit entgegentritt. Erst das Glaubensgehör vernimmt, was im Schriftbuchstaben Gottes Wort ist" (Versöhnung 1898 2 1937, 431 f). 6.1.2. Nicht nur f ü r die biblische Exegese (s.o.), sondern gerade auch für die D o g m a tik ist A. —> Schlatters Der Glaube im Neuen Testament (1885 5 1963) bemerkenswert, auch wenn dies für seine Zeit programmatische Konzept wohl niemals recht bemerkt worden ist. „ W i e . . . aus der Verkündigung des Christus im seelischen Prozeß das Glauben entstehe, das zog die Aufmerksamkeit der Apostel nicht auf sich, weil sie vom Glauben gläubig d a c h t e n " (257). Das ist ein exegetischer Befund, aus dem sich scharfe Abgrenzungen in der M e t h o d e wie in der Sache für Schlatter ergeben. Im Methodischen wird das Verfahren der religionsgeschichtlichen Schule mit dem Hinweis abgelehnt, d a ß „das G l a u b e n " , wie Schlatter mit Vorliebe sagt, nicht produktiv, sondern rezeptiv ist. Ebenso wäre es in der Sache falsch, die Glaubensinhalte als wandelbare Äußerungen des religiösen Bewußtseins oder als Konzepte theologischer Situationsbewältigung zu verstehen.

350

Glaube VI

Das betrifft vor allem den Übergang v o m Kreuz zur Auferstehung Christi und zur nachösterlichen Gemeinde: „Die Vorstellung ist weit verbreitet, das urchristliche Glauben habe die Vorgänge, die unserem Bewußtsein den Stoff zuleiten, vergewaltigt und sich selber produktiv seinen Inhalt geschaffen. Nach dieser Theorie hätten wir in allen lehrhaften Aussagen des Neuen Testaments nur Spiegelungen des Glaubens vor uns; dieses habe sich zuerst vom Druck, den der Widerspruch zwischen der Kreuzigung Jesu und den messianischen Erwartungen schuf, durch die zu Visionen verdichtete Hoffnung, er könnte auferstanden sein, befreit und hernach sich durch immer höher gesteigerte christologische Formeln anzuregen und mit Inhalt zu füllen versucht. Diese Theorie entstellt aber die Geschichte, wenn sie die von ihr angenommenen Vorgänge in das Bewußtsein der Apostel selbst verlegt und uns diese so beschreibt, daß sie aus ihrem ,Christentum' heraus sich den Christus schaffen und ihn selbst wegen der Bedürfnisse ihres ,Glaubens' mit Auferstehung, Gottheit, Ewigkeit, Weltregierung, Allgegenwart bei der Gemeinde und mit der Vollendung bringenden Offenbarung ausstatten. Für die Boten Jesu waren das Möglichkeiten, die unabhängig von ihrem Glauben bestehen, um deswillen, was Gott ist und Jesus ist und offenbart... Ein Christentum, das den Christus hervorbringt, erschien ihrem Urteil als Torheit und Sünde, weil es für ihr Bewußtsein der Christus ist, der das Christentum schafft" (318f; vgl. Gesch. des Christus [ 2 1923] 517ff). Entsprechend wird im Dogmatischen festgehalten, daß der Glaube an Christus in Christus selbst seinen Grund hat und daher theologisch immer nur als Tat Gottes aufgefaßt werden darf. Schlatter ruft in Erinnerung, was seit Luthers De servo arbitrio in der reformatorischen Theologie und vor allem im 19. Jh. kaum noch jemand zu sagen wagte: wenn Glaube Gottes Tat ist, dann ist Unglaube Gottes Gericht, beides aber ist Gottes Walten und nicht bloß menschliche Entscheidung, so wie alle Verkündigung nicht nur Verstehen, sondern auch Verstockung wirkt (Glaube 363 f). Mit dieser Einsicht entfällt nicht nur die praktische Notwendigkeit, sondern vor allem die theologische Berechtigung einer psychologischen Glaubensvermittlung. „Daher wird auch nirgends das Werden des Glaubens nach seinem psychologischen Hergang beschrieben oder für diesen ein Normalbild aufgestellt" (257). Positiv aber heißt das für die Glaubensbegründung: „Die Vermittlung desselben, durch die die Gegenwart des Christus im Glaubenden entsteht, ist der Geist" (365). Schlatter sieht durchaus die Verschiedenheit der theologischen Konzepte in den neutestamentlichen Schriften. Aber die durch Gott selbst gewirkte Glaubensbegründung ist für ihn das verbindende Element, das über die Schrift hinaus für die gesamte Geschichte der Kirche wirksam ist: „Deshalb, weil Jesu Gemeinde aus dem Glauben hervorwuchs und wächst, wird sie zur fortdauernden, lebendigen Offenbarung des Christus und Gottes. Denn der Glaube hat seine Wirkungsmacht nicht in sich selbst, sondern erhält sie erst durch die Tat und Gabe dessen, an den er glaubt. Die durch den Glauben lebende Gemeinde tut dar, daß Gott durch Christus sie begabt, führt und belebt" (536 f). In seiner Dogmatik hat Schlatter z w a r den Glauben auch unter anthropologischerkenntnistheoretischen Aspekten behandeln können (115ff). Die Konsequenz seiner biblischen Einsichten zeigt sich aber d o r t , w o er gegenüber einer doktrinalisierten Rechtfertigungslehre ausführlich die notwendige Verbindung der Person Christi mit dem Werk und der Zueignung der Rechtfertigung entfaltet (477ff). E r sieht mit aller Deutlichkeit die aus einer Trennung entstehende Gefahr für den Rechtfertigungsglauben: „ D a s w ä r e ja Glaube an die eigene Gläubigkeit, Zuversicht zur Erhabenheit und M a c h t unserer Religiosität. So würde aus dem Glauben wieder eine eigne Gerechtigkeit, die noch häßlicher w ä r e als die, die aus unseren Werken entstehen s o l l . . . Aber der Glaube b e k o m m t seine Kraft nicht durch uns, sondern durch den, an den wir glauben, dessen G a b e und Hilfe wir durch unseren Glauben a n r u f e n " ( D o g m a 4 8 7 ) . Sowohl die Historisierung wie die Psychologisierung des Glaubens werden bei Schlatter d a d u r c h aufgehoben, d a ß Christus auch in der theologischen Reflexion nicht nur als Begriff und Vorstellung, sondern als der lebendige H e r r vorausgesetzt ist. 6.1.3. Wenn an dieser Stelle schließlich noch ein Hinweis auf S. - » K i e r k e g a a r d erscheint, ist das chronologisch d a m i t begründet, d a ß seine Wirkung außerhalb von Skandinavien erst in dieser Zeit durch die erste deutsche Ausgabe seiner Werke 1 9 0 9 - 1 9 2 2 beginnt, zum andern dadurch, d a ß seine radikale Abwendung v o m Hegelianismus und Historizismus ebenfalls durch die Einsicht in die Selbstbegründung des Glaubens im Glauben bestimmt ist. Das ist nicht nur theologische Theorie; seine Existenztheologie ist existentiell durch das Bekehrungserlebnis v o m 1 9 . 5 . 1 8 3 8 bestimmt. Das schließt von

Glaube VI

351

vornherein aus, daß der Glaube in der Reflexion vom Glaubenden unterschieden werden könnte. G l a u b e ist bei Kierkegaard das T h e m a seines Lebens, das in die allgemeine theologische Lehre v o m G l a u b e n eine schrille Dissonanz bringt, weil alles, w a s darin auf intellektuelle, kulturelle u n d ethische Integration der christlichen V e r k ü n d i g u n g im Leben und D e n k e n des heutigen M e n s c h e n zielt, als Scheinglaube, ja als Unglaube d e k u v r i e r t w i r d . Wer den G l a u b e n meint rechtfertigen zu m ü s s e n , hat die R e c h t f e r t i g u n g des G l a u b e n s verloren: „ E s gibt n u r ein Verhalten gegenüber der o f f e n b a r t e n W a h r h e i t : d a ß m a n glaubt. D a ß m a n g l a u b t , läßt sich n u r auf eine A r t beweisen: D a d u r c h , d a ß m a n bereit ist, f ü r seinen G l a u b e n zu leiden; u n d wie stark m a n g l a u b t , erweist sich d a r a n , wie sehr m a n bereit ist, f ü r seinen G l a u b e n zu l e i d e n " (Augenblick 34,314). Wenn der Protest gegen d e n T h e o l o g e n , der von d e r Wahrheit lebt, statt f ü r sie zu leiden, nicht ernst g e n o m m e n und schmerzlich e m p f u n d e n wird, bleibt Kierkegaard eine K a r i k a t u r , so sehr m a n ihn b e w u n d e r n mag. W i r d er a b e r ernst g e n o m m e n , d a n n k a n n Kierkegaard die T h e o l o g i e u n d den T h e o l o g e n zu d e m G r u n d ihrer Sache f ü h r e n , den sie d u r c h ihre B e g r ü n d u n g e n mit geschichtlichen E r k l ä r u n g e n und p r a k t i schen Vermittlungen verlieren. Kierkegaard bezeichnet solche Versuche als „ U n g l a u b e " , ja als „ G o t t e s l ä s t e r u n g " , weil dabei Christus nicht von seiner ewigen G o t t h e i t , s o n d e r n n u r u n t e r seiner geschichtlichen M e n s c h h e i t a u f g e f a ß t wird (Einübung 26,26 f). „ K a n n m a n a u s der Geschichte e t w a s ü b e r Christus zu wissen b e k o m m e n ? N e i n . W a r u m nicht? Weil es ü b e r h a u p t kein ,Wissen' von ,Christus' gibt; er ist d a s P a r a d o x , des G l a u b e n s G e g e n s t a n d , n u r da f ü r den G l a u b e n . . . von ihm k a n n m a n nichts wissen, m a n k a n n ihn n u r g l a u b e n " (ebd. 23). Bezeichnenderweise w i r d bei Kierkegaard der G l a u b e nicht v o m Begriff, d a m i t a u c h nicht aus d e n E r k e n n t n i s f u n k t i o n e n , sondern v o m Vollzug der N a c h f o l g e her entfaltet. D a s ist d a s Jüngerverhältnis zwischen Lernenden und Lehrer. D e r „ A u g e n b l i c k " ist die in der B e r u f u n g d u r c h den Lehrer gegebene „ B e d i n g u n g " , nicht also eine erst d u r c h Selbstentschluß vollzogene N a c h f o l g e . „Gleichzeit i g k e i t " ist die U b e r w i n d u n g der historischen Differenz d u r c h die p e r s o n a l e Identität Christi (Phil. Br. 10,61; 57). In dieser Bestimmung d u r c h die Person Christi sind s o w o h l der G l a u b e wie a u c h C h r i s t u s als „ P a r a d o x " zu verstehen, also was d e m Augenschein w i d e r s p r i c h t , ja z u m „ Ä r g e r n i s " w i r d , weil in C h r i s t u s u n d im G l a u b e n d u r c h ihn das Ewige geschichtlich u n d das Geschichtliche ewig wird (10,58).

In aller Schärfe verlagert Kierkegaard die theoretischen Probleme von Glauben und Zweifel und deren Bewältigung im Wissen auf die existentielle Ebene. Er erinnert d a r a n , d a ß sowohl das Ärgernis, wie auch nicht allein der Zweifel, sondern die Verzweiflung zum Glauben gehören. „So wie der Begriff,Glaube' eine durchaus eigentümliche christliche Bestimmung ist, so ist ,Ärgernis' wieder eine durchaus eigentümliche christliche Bestimmung, die sich auf die des Glaubens b e z i e h t . . . aber man k o m m t niemals zum Glauben außer von der Möglichkeit des Ärgernisses h e r " (Einübung 26,76). Nicht nur im Formalen wird der Glaube von der Erkenntnistheorie in die Theologie und von der Spekulation in die Existenzdialektik zurückgenommen, vielmehr wird er dabei auch konsequent unter dem Heilsgeschehen betrachtet. Er hat nicht nur G o t t zum Gegenstand, sondern damit auch den „unendlichen Qualitätsunterschied" zwischen G o t t und Mensch. Vor allem aber zeigt Kierkegaard, d a ß die Sünde nicht nur ein T h e m a des Glaubens bildet, sondern den Sachverhalt, der durch den Glauben aufgedeckt bzw. durch den Unglauben verdeckt wird. D a ß Sünde nicht aus dem Gegensatz zur Tugend bestimmt werden kann, sondern erst im Gegenüber zu Gott und zum Gericht Gottes recht erkannt wird, macht den Glauben aus, und infolgedessen entscheiden sich Wahrheit und U n w a h r heit des Glaubens zentral in der auf das Abendmahl zulaufenden Sündenerkenntnis (Krankheit 24 f. 130 f). So tritt bei Kierkegaard wieder in Erscheinung, was bei Luther den Glauben als Gewißheit der Rechtfertigung gegenüber einer verzweifelten Selbstrechtfertigung aus falschem Glauben ausmachte. Kierkegaard sieht aber auch, d a ß es keinen anderen Weg vom einen zum anderen gibt als das „ D u sollst glauben". Darin sieht er die Ursache für die kirchlichen Mißstände seiner Zeit: „Überhaupt ist es unglaublich, welch eine Verwirrung in das Religiöse gekommen ist, seitdem man im Verhältnis des Menschen zu G o t t das ,du sollst' abgeschafft hat, welches das einzige Regulativ i s t . . . ,Du sollst glauben', hieß es in alten Tagen, kurz und gut, so nüchtern wie möglich - jetzt ist es genial und Zeichen einer tiefen N a t u r , es nicht zu k ö n n e n " (Krankheit 24f, 115f). Die Schärfe dieses Urteils liegt vor allem darin, d a ß dieser Gegensatz von wahrem Glauben

352

Glaube VI

und Scheinglauben sich innerhalb der Gemeinde abspielt; es richtet sich nicht gegen eine wie auch immer bestimmte Ungläubigkeit, sondern gegen das, was in der christlichen Gemeinde für Glauben gehalten und als Glaube gelehrt wird.

6.2. „Die Methodik

des Glaubens" - dialektische

Theologie

D a ß „die M e t h o d i k des Glaubens" die „ M e t h o d i k der Glaubens lehre" bestimmen müsse, ist eine Forderung, mit der K. - » B a r t h bereits 1912 antritt (E. Jüngel, T R E 5,255,14). In der unableitbaren Begründung des christlichen Glaubens durch die Tat Jesu Christi besteht das Hauptanliegen der Dialektischen Theologie, freilich ist dies auch der Punkt, an dem die anfängliche Gemeinschaft von T h e o l o g e n um Karl Barth sehr bald schon wieder in verschiedene und z.T. sehr gegensätzliche Richtungen zerfällt (s. T R E 8 , 6 8 6 - 6 9 3 ) . Was in Namens- und Sachartikeln in der T R E im einzelnen behandelt wird, erlaubt hier die Beschränkung auf einige akzentuierende Hinweise. Z u n ä c h s t ist festzustellen, daß der als Gegensatz formulierte Grundsatz von der Selbstbegründung des Glaubens mit Sicherheit von keinem Theologen bestritten und von vielen auch damals direkt vertreten wird. Freilich hat die Dialektische Theologie, darin ihrer unmittelbaren Vorgängerin, der Ritschlschen Schule ähnlich, für sich, daß sie ebenso wirkungsvoll wie nachhaltig für ganze Generationen theologiegeschichtliche Vorstellungen geprägt und das Urteil über einzelne Theologen fixiert hat. Im Grunde wurde wohl die unmittelbare Auseinandersetzung mit Ernst Troeltsch, Wilhelm Herrmann u. a. rückblickend auf die gesamte akademische Theologie des 19. J h . übertragen und unter der polemisch gewendeten Bezeichnung des -> „Neuprotestanismus" zusammengefaßt. Wer genauer zusieht, wird nicht nur bei anderen Theologen wie M . Kähler, A. Schlatter, E. Schaeder oder F. —»Overbeck ähnlichen Anliegen begegnen; er wird dazu auch sehen, wie durch die zunächst als wirkungsvoll geschlossene und keinen Angriff scheuende Gruppe beim Verständnis des Glaubens das alte Problem der Zuordnung von fides histórica und fiducia aufbricht. D a ß dies nicht nur im Konflikt zwischen akademischer T h e o logie auf der einen und Verkündigung bzw. gelebter Frömmigkeit auf der anderen Seite geschieht, ist ebenso charakteristisch wie die Tatsache, daß an entscheidenden Punkten und nicht allein in der Kontroverse Barth-Brunner mit einem schroffen „ N e i n ! " jede weitere Gemeinschaft und Verständigung abbricht. 6.2.1. Das Programmatische äußert sich in Negationen und Antithesen. So beginnt es in der 1. Auflage des Römerbriefs (1919): „Botschaft von G o t t " - „keine menschliche Religionslehre"; „lebendiges, aus seinem Ursprung fortwährend sich neu erzeugendes Wort, kein ausgeklügeltes, fertiges System. Eine objektive Erkenntnis, nicht Erlebnisse, Erfahrungen und Empfindungen" ( l f ) . Vor allem aber: Jesus Christus nicht als Idee, sondern als gegenwärtig handelnde Person nach dem Geist. Blumhardts „Jesus l e b t ! " ist die eigentliche Begründung für die gegenwärtige Wirklichkeit des Glaubens. Glaube ist T a t der Treue Gottes, die eine Tat des Menschen bewirkt: „Und das nun eben in der freien Vereinigung mit G o t t , in der die Treue Gottes beim Menschen Glauben findet, oder in der G o t t dem Menschen wieder glaubt und einer Treue begegnet. Vom Himmel her k o m m t dieses Neue und auf der Erde schlägt es Wurzel. Gottes Handeln in der Gehorsamstat des Menschen, ein Anerkennen und Annehmen, ein Ergriffenwerden und Begreifen - das ist das gläubige Verhalten gegenüber der O f f e n b a r u n g . . . So schafft sich Gott selber das Organ seiner Kraft auf Erden. Er, der Getreue, ist im Glauben der Gläubigen wieder in ein dynamisches schöpferisches Verhältnis zu seiner Welt eingetret e n . " Glaube ist mithin, und das ist das Leitmotiv von Anfang an, die Koinzidenz vom „ M a c h e n G o t t e s " und „Werden des M e n s c h e n " (lOf). Der eigene theologische Anspruch wird dadurch höchst wirkungsvoll begründet, daß alle anderen Ansprüche energisch in ihrem Recht bestritten werden. Gerade die Aufzählungen sind ebenso bezeichnend wie treffend: „Werden wir uns denn gar nie warnen, gar nie darauf hinweisen lassen, daß Gottes Gerechtigkeit seine eigene, keine jüdische, katholische, lutherische, calvinische, pietistische, demokratische, sozialistische, lebensreformerische Gerechtigkeit ist — nicht

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ein ,neuer G e i s t ' , den wir h a b e n o d e r uns aus der H ö h e o d e r aus der T i e f e herbeiwünschen k ö n n e n zur A u s f ü h r u n g unserer Ideen, s o n d e r n der G e i s t , den G o t t selber hat und w ü n s c h t zur Ausführung seiner P l ä n e ? " (298). Ähnlich scharf verfährt E. —»Brunner in seiner Habilitationsschrift Erlebnis, Erkenntnis und Glaube (Tübingen 1921) und konstatiert, die neuere Theologie habe den „Sinn für das Nichtmenschlich-Objektive verloren", und er wendet sich gegen den „historischen Relativismus" von Ernst Troeltsch und gegen den „üppig-schwülen Psychologismus" von Friedrich Heiler, um statt dessen an Kierkegaard und Luther zu erinnern. F. —»Gogarten schreibt Wider die romantische Theologie. Ein Kapitel vom Glauben gegen Troeltsch. Die gemeinsame Front ist klar: Sie richtet sich gegen einen „humanistischen Offenbarungsbegriff", in dem Gott und Welt, Glauben und Wissen, aber auch Kirche und Gesellschaft konvergieren bis zum Monismus und damit letztlich zu einer Verweltlichung des Christlichen. Dagegen wird die Offenbarung als Tat Gottes gesetzt und der Glaube nicht einfach an Christus als sein Objekt, sondern durch Christus als sein Subjekt. Während die Negation verbindet, führen die Positionen bald in tiefgreifende Zertrennung und damit steht man vor der Grundfrage, inwieweit überhaupt eine Methodik des Glaubens als Glaubenslehre systematisch entfaltet werden kann, oder ob nicht von vornherein die Form der theologischen Aussage auch den Inhalt bestimmt bzw. verändert. 6 . 2 . 2 . B e i K. - » B a r t h selbst zeichnet sich dieses P r o b l e m in der Christlichen Dogmatik ( 1 9 2 7 2 1 9 8 2 ) a b , und die Kirchliche Dogmatik zeigt bis in die P l e r o p h o r i e der S p r a c h e hinein das unermüdliche B e s t r e b e n , im t h e o l o g i s c h e n Begriff den G l a u b e n als göttliche T a t festzuhalten. Die Kirchliche Dogmatik hätte a u c h von B a r t h selbst als „ G l a u b e n s l e h r e " bezeichnet werden k ö n n e n , wenn d a m i t nicht das M i ß v e r s t ä n d n i s verbunden g e w e sen w ä r e , unter diesem T h e m a müsse d a n n der Inhalt des G l a u b e n s von der S u b j e k t i v i t ä t des G l a u b e n d e n oder gar des N i c h t g l a u b e n d e n her erschlossen werden ( I V / 1 , 8 2 7 ) . Allerdings ist es ein M i ß v e r s t ä n d n i s a n z u n e h m e n , d a m i t sei bei B a r t h die E r f a h r u n g s t h e o l o g i e durch eine O f f e n b a r u n g s t h e o l o g i e ersetzt w o r d e n , und der G l a u b e sei dann v o r allem von seiner kognitiven Seite her g e f a ß t . V o m G l a u b e n handelt B a r t h an den beiden klassischen Stellen des d o g m a t i s c h e n Systems: In den P r o l e g o m e n a , im R a h m e n der L e h r e v o m W o r t G o t t e s unter dem T h e m a „ E r k e n n b a r k e i t des Wortes G o t t e s " (§ 6) s o w i e in der Versöhnungslehre unter d e m W e r k des H l . G e i s t e s , das in der T r i a s von G l a u b e , L i e b e und H o f f n u n g entfaltet wird (§§ 6 3 , 6 8 , 7 3 ) . G e g e n ü b e r den Antithesen a m A n f a n g ist es auffallend, wie B a r t h nicht nur durch die reichen theologiegeschichtlichen Belege, sondern a u c h durch ausdrückliche H i n w e i s e eine sich durch die gesamte G e s c h i c h t e der K i r c h e d u r c h h a l t e n d e Ü b e r e i n s t i m m u n g im Verständnis des G l a u b e n s n a c h w e i s e n und ihr sich anschließen k a n n (vgl. z . B . 1 / 1 , 2 4 2 ; I V / 1 , 8 4 4 ) . D e n n o h n e eine solche geschichtlich a u f w e i s b a r e Identität des G l a u b e n s würde sich B a r t h s eigene Einsicht in der O r i g i n a l i t ä t des einzelnen T h e o l o g e n verlieren. 6.2.2.1. D i e „ E r k e n n b a r k e i t des W o r t e s G o t t e s " , bezogen a u f das Verhältnis von „ W o r t G o t t e s und G l a u b e " ( § 6 , 4 ) geht d a v o n aus, d a ß das W o r t G o t t e s E r f a h r u n g begründet, Verstehen w i r k t und d a m i t G l a u b e n schafft. B a r t h schreitet die verschiedenen A s p e k t e des G l a u b e n s im biblischen S p r a c h g e b r a u c h sorgfältig a b . 1. D i e „ T r e u e G o t t e s " als E i g e n s c h a f t G o t t e s , 2 . „ D i e L e h r e des G l a u b e n s , das den M e n s c h e n offenbarte E v a n g e l i u m , a l s o der W e g , auf d e m ihm E r k e n n t n i s G o t t e s von G o t t her durch B e k a n n t g a b e seiner selbst m ö g l i c h g e m a c h t w i r d " ; 3. der „ d u r c h G o t t e s O f f e n b a r u n g in Christus geschaffene S t a n d , das Sein der C h r i s t e n , ihr Sein in C h r i s t o " ; und d a v o n dann deutlich unterschieden der G l a u b e im Bereich menschlicher H a n d l u n g s w e i s e n , und z w a r 4 . als „ V e r h a l t e n von M e n s c h e n , in w e l c h e m sie die W ü r d e , die H i l f s b e r e i t s c h a f t , die M a c h t , die W a h r h e i t G o t t e s , wie sie ihnen in C h r i s t u s begegnet, durch ihre A n e r k e n n u n g als s o l c h e , durch ihre U n t e r w e r f u n g unter sie, ehren und v e r e h r e n " ; sowie 5. im Sinne von „ c h r i s t l i c h e r R e l i g i o n " in der „ F o r m einer b e s t i m m t e n G e m e i n d e , eines b e s t i m m t e n Kultus, eines b e s t i m m t e n Bekenntnisses, einer b e s t i m m t e n L e b e n s w e i s e h ö c h s t direkt sichtb a r e n geschichtlichen E r s c h e i n u n g . . . " (1/1,240). In dieser k o n z e n t r i e r t e n Analyse ist das g a n z e K o n z e p t enthalten. D e n n nun gilt: „ D a r u m h a b e n w i r , w a s A n e r k e n n u n g des

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Wortes Gottes durch den Menschen ist, nicht in Form einer Analyse des menschlichen Glaubensbewußtseins, sondern in Form einer durch das "Wesen des Wortes Gottes an das menschliche Glaubensbewußtsein gerichteten Postulates beschrieben. M a n hat sich den Menschen im Ereignis des wirklichen Glaubens als sozusagen von oben geöffnet zu denken. Von oben, nicht von unten! Was von unten, als menschliche Erfahrung und Tat, als Glaubensbewußtsein sichtbar, greifbar und analysierbar wird, das ist nicht die Erfüllung dieses Postulates, das ist an sich ein ,Hohlraum', der auch ganz anders gefüllt sein könnte als gerade durch das Wort G o t t e s " (255 f). Das ist ein typischer Satz dialektischer Theologie, der jedoch nur formalisierend zusammenfaßt, was inhaltlich unter der Voraussetzung entfaltet wird, daß es beim Glauben nicht um die Frage geht, wie dies geschieht, sondern um die Tatsache, daß dies geschieht (239). Die Tatsache des Glaubens steht ausdrücklich immer im Zusammenhang mit dem Wort der Verkündigung, der „empfangenen und geglaubten T a u f e " und dem Vollzug des Gebets (237; 243). Drei Bestimmungen kennzeichnen diese Tatsache: 1. „Die Anerkennung des Wortes G o t t e s . . . wird im Glauben als der wirklichen Erfahrung durch das erkannte Wort Gottes sozusagen in Kraft gesetzt" (241). D a ß dies nicht in einer theoretisch-intellektuellen Vermittlung geschieht, sondern im Vollzug des Gebets, zeigt der Verstehen suchende Glaube bei Anselm von Canterbury. Aufschlußreich ist außerdem, wie sich Barth mit Luthers Einleitung zur Auslegung des 1. Gebots im Großen Katechismus auseinandersetzt, dem Grundtext für Gotteserkenntnis und Glaubensbegründung gerade in der Ritschlschen Schule. Ohne Ritschis Rückgriff auf Luther zu erkennen (s.o.), wendet sich Barth gegen eine psychologisierende Deutung der „Wechselbeziehung" und besteht, zweifellos im Sinne Luthers, auf einer theologischsoteriologischen, die von einem nicht zu vermittelnden Ineinander von wahrem Gott und rechtem Glauben ausgeht, das die fiducia ausmacht (244 f). 2. Die Koinzidenz von Wort und Glaube hat aber auch zur Folge, „daß im Ereignis des Glaubens eine Gottförmigkeit stattfindet" (250 f). Sowohl die ontologische Frage nach dem finitum capax infiniti wie die erkenntnistheoretische Frage nach dem „Anknüpfungspunkt" wird konsequent theologisch-soteriologisch gewendet und betont, daß im Glauben der Sünder zum gerechten, der alte zum neuen Menschen wird durch die Einwohnung Christi, ein Hinweis auf den Zusammenhang von Glauben und Taufe (253.237). Glaube ist also nicht nur Erkenntnis der Heilstatsachen, sondern selbst Heilsgeschehen am Menschen, der in Christus eine neue Wirklichkeit empfängt, die durch das Wort geschaffen wird. In klassischer Terminologie: Die Unterscheidung von notitia, assensus und fiducia stehen nicht im Verhältnis von Folge und Ergänzung, aber auch nicht von Objekt und Subjekt des Glaubens, sondern es geht um eine personale Relation, die letztlich in der fiducia zusammengefaßt ist, bei der Barth ausdrücklich daran erinnert, daß dieses Wort in juristischem Verständnis nicht nur eine Gläubigkeit, sondern ein Treueverhältnis zwischen zweien bezeichnet, theologisch also immer bestimmt durch und bezogen auf das göttliche Gegenüber. 3. Daher gilt nun für den Christen: „Er ist als Glaubender ganz und gar von diesem Gegenstand h e r " (258). Wortgeschehen und Glaubensbegründung fallen zusammen. M i t E. ->Thurneysen: „Der Satz der Offenbarung: Gott redet ist identisch mit dem Satze: der Mensch h ö r t ! " (255). Wo die Tatsache des Glaubens als „ G o t t f ö r m i g k e i t " bzw. „Einwohnung Christi" entfaltet wird, gewinnt die Unterscheidung von analogia entis und analogia fidei eine wichtige Funktion, um einerseits die Realität des Glaubens als Tat Gottes festzuhalten, ohne jedoch andererseits die Differenz zwischen Schöpfer und Geschöpfbzw. die eschatologische Dimension von Verheißung und Vollendung aufzuheben (257f). Denn Glaube ist Gnade, Gabe des Geistes. 6.2.2.2. In der Versöhnungslehre wird der Glaube als Werk des Hl. Geistes behandelt, und ausdrücklich erst hier, „nicht am Anfang, sondern — und das in Kürze - am Ende unseres Weges" (IV/1,828). Das Werk des Hl. Geistes insgesamt wird in Anlehnung an den ordo salutis in den §§63, 68, 73 als „erweckende", „belebende" und „erleuchtende" Macht beschrieben, und dem werden jeweils die drei theologischen Tugenden Glaube,

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Liebe und Hoffnung zugeordnet, deren betonte Unterscheidung in der Einheit des Subjektes gelehrt wird. Es fällt auf, daß die Wortgestalt Christi in diesem Abschnitt völlig in eine Persongegenwart übergegangen ist, was aber rückblickend bereits a m Anfang bei der Betonung der Einwohnung durchaus erkennbar ist. Schrift und Verkündigung sind nun der „ R a u m " , in dem Jesus Christus für uns Menschen Gestalt hat, Gegenstand ist und erkennbar wird - ein R a u m mit vielen Möglichkeiten, aber auch mit Grenzen (853). Das Verhältnis des christlichen Glaubens zu seinem personalen Gegenstand wird dialektisch bestimmt, und zwar 1. als „Ausrichtung auf Jesus Christus h i n " (830), 2. als Begründung durch ihn (832), und darin vollzieht sich 3. die „Konstituierung des christlichen Subjekt e s " (837). Wenn so der Glaube durch Christus begründet wird, kann sich nicht die Frage nach seiner Möglichkeit oder nach einer Ermöglichung stellen, vielmehr gibt es nur eine Notwendigkeit des Glaubens: „Der Glaube steht oder schwebt nicht in der Möglichkeit des Unglaubens (die ja gar keine bloße Möglichkeit, sondern die k o m p a k t e Wirklichkeit des sündigen Menschen ist) irgendwo gegenüber: seinerseits eine bloße Möglichkeit: schön, verlockend, aber auch ohnmächtig und unnütz, wie alle bloßen Möglichkeiten es nun einmal sind. E r hat vielmehr selbst den C h a r a k t e r einer Wirklichkeit, und zwar den einer jeden anderen schlechterdings überlegenen Wirklichkeit. E r ist in dieser seiner Überlegenheit dem Unglauben gegenüber keine bloße Alternative, keine bloße Chance, kein bloßes A n g e b o t . . . Der Glaube m a c h t die k o m p a k t e Wirklichkeit des Unglaubens zur Unmöglichk e i t . . . " (834).

Es ist außerordentlich wichtig, wird aber meist übersehen, daß Barth bei aller Betonung des kognitiven Charakters des Glaubens ausdrücklich auch von einem „kreatorischen Charakter" und von dem „kreatorischen Geheimnis der christlichen Existenz" spricht (840ff). Die Tat Christi bildet so die Voraussetzung für die „Tat des G l a u b e n s " , die in drei Tätigkeitsbegriffen entfaltet wird: Der Glaube „ist ein Anerkennen, ein Erkennen, ein Bekennen." Das „kreatorische Geschehen" und das „kognitive Geschehen" bezeichnen bei der Tat des Glaubens den Zusammenhang und zugleich den Wechsel von der Tat Christi zur Tat des Christen. Hier liegt, wie Barth selbst sagt „die Spitze unserer Auslegung des Begriffes des Glaubenserkennens", zugleich aber auch „eine nicht ungefährliche Stelle unserer Überlegung" (857). Nicht nur die Versöhnungslehre, sondern das ganze Gefälle der Kirchlichen Dogmatik k o m m t hier zu seinem Ziel, wo es um den Übergang von der Personwirklichkeit Jesu Christi zur Personwirklichkeit des Christen und damit auch der christlichen Gemeinde geht. Die Gefahr, daß die Unterscheidung zwischen beidem aufgehoben wird, sieht Barth sowohl im Sakramentalismus wie auch im Existenzialismus. „Analogie", „Parallele" und „Gleichnis" sind die an dieser Stelle in der Tat notwendigen Mittel, um die volle Koinzidenz von Christus und Christ, damit auch von Letztem und Vorletztem zu vermeiden (859ff). Die Tat des Glaubens vollzieht sich als „Anerkennung", „Erkenntnis" und „Bekenntnis". Damit läuft alles auf das Bekenntnis in der Öffentlichkeit als die entscheidende Tat des Glaubens vor der Welt hinaus. „ R a u m " , „ O r t " sind die Vorstellungen, unter denen sich die Gegenwart Christi durch die Gemeinde in der Welt bezeugt (853). 6.2.2.3. Die gerade hier sich häufenden sorgfältigen Abgrenzungen und Formulierungen erlauben es sicher nicht, Barth auf das festzulegen, was er bei der Entwicklung der Glaubenstatsache von der Gottförmigkeit und Einwohnung Christi her ausdrücklich vermeiden wollte, nämlich daß letzten Endes der Christ und die christliche Gemeinde die Gegenwart Christi in dieser Welt nicht nur darstellen, sondern sind. Unübersehbar aber ist, daß mit der Hervorhebung dieses wichtigen biblischen Elements andere Elemente zurücktreten, in denen es um ein zukünftiges Handeln Christi geht, z. B. um seine Wiederkunft und sein Gericht. Für die hier anzustellenden Erwägungen mag auch der Hinweis wichtig sein, daß die Heilsgewißheit an dieser Stelle in einer Dialektik gehalten wird zwischen der „bösen Theologie, einer angemaßten Gleichheit mit Jesus Christus, einer falschen, weil eigenmächtigen Heilsgewißheit" und der „bösen Theologie einer in der Ungleichheit mit Jesus Christus verharrenden, einer von ihm nun doch wieder weg und auf eine von ihm unveränderte Situation des Menschen blickenden, einer nun doch wieder auf irgend eine grobe oder feine Werkgerechtigkeit zurückfallenden Heilsungewiß-

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Glaube V I

h e i t " (864 f). M a n könnte auch sagen, daß an dieser Stelle das Fragmentarische beginnt und die mögliche Vieldeutigkeit. O b Barth sich aber tatsächlich soweit von denen getrennt hat, mit denen er sich auseinandersetzte, ist nicht nur eine theologiegeschichtliche, sondern eine theologische Frage, bei der es auch für ihn selbst um die Identität des allein durch Christus und seinen Geist begründeten Glaubens geht.

6.3. Theologie

als Anwalt des

Kleinglaubens

In keinem Punkt ist Barth so heftig und selbst bei aller Anerkennung widersprochen worden wie bei seinem Verständnis des Glaubens. Der Streit mit Emil Brunner um eine „christliche theologia naturalis" und das T h e m a der Anknüpfung ist lediglich eine Konzentration dieser Einwände, die in ähnlicher Weise schon vorher und dann seither immer wieder vorgebracht werden. Sie treffen alle in dem Vorwurf zusammen, daß bei Barth die anthropologischen, pädagogischen, gesellschaftlichen und geschichtlichen Voraussetzungen des Glaubens theologisch nicht bedacht werden, daß die Begründung des Glaubens ihren Grund allein in der Erwählung in Jesus Christus habe und daher die Anfechtung des Glaubens in der persönlichen Erfahrung, sowie in der realen Dialektik von Gesetz und Evangelium übersprungen werde. Diese Einwände haben eine grundsätzliche Bedeutung, weil mit ihnen in der Gegenwart wieder die alte Frage aufbricht, inwieweit es überhaupt theologisch legitim ist, die Wirklichkeit des Glaubens systematisch zu erfassen, wo sie doch als geistliche G a b e unverfügbar ist und gegenüber der eschatologischen Vollendung immer unter dem Zeichen der Vorläufigkeit steht. Beides legt nahe, vom Glauben weniger assertorisch als problematisch zu sprechen. D a ß der Glaube als Glaube unbegründbar ist, kann als Konsens unter allen Theologen vorausgesetzt werden. Probleme und unter Umständen heftige Konflikte brechen jedoch dort auf, w o man innerhalb der christlichen Kirche als Glaubensgemeinschaft bei den einzelnen Gliedern den Glauben in unterschiedlicher Weise, in Stärke und Schwäche, in Gewißheit und Anfechtung, in G e h o r s a m und Ungehorsam vor Augen hat. Die sich daraus ergebenden Aufgaben und die entsprechenden Lösungsversuche machen die Theologie zum Anwalt des Kleinglaubens. Die Erinnerung an Stellen wie M t 14,29 ff oder 17,20 zeigt, wie Zweifel und Kleinglauben genau genommen Unglaube sind, aber eben auch bei den Jüngern Jesu, die durch ihren Herrn festgehalten werden. 6.3.1. Ein Beispiel für eine aus weitgehender Zustimmung erwachsende Gegenposition ist R . —>Bultmanns Besprechung von Karl Barths ,Römerbrief in zweiter Auflage (Anf. Dial. T h e o l . l , 1 1 9 f f ) in dem Abschnitt zu der Frage „ W i e k o m m e ich zum Glaub e n ? " . Bultmann unterstützt Barths Kritik an Wilhelm Herrmann, daß diese Frage nicht psychologisierend durch den Hinweis auf Erleben, noch moralisierend durch den Hinweis auf die sittliche Forderung beantwortet werden könne. Energisch aber wehrt sich Bultmann dagegen, daß das theologische R e c h t dieser Frage von Barth bestritten wird. Er tut dies ausdrücklich mit theologischen Gründen. Eine „Unterwerfung unter das O b j e k t i v e " als unvermittelte Glaubensforderung müßte den Glauben zum Werk machen, und damit wäre das Wesen des Glaubens im Ansatz aufgehoben. „ . . . so gewiß G o t t nicht die Symbolisierung subjektiver ,Erlebnisse', sondern das Objektive ist, so gewiß kann das .Objektive' nur dann die Wirklichkeit sein, vor der ich mich beuge, wenn sie für mich Wirklichkeit wird, was sie ja nur dann und gerade dann wird, wenn sie mein altes Ich den anschaulichen Menschen - vernichtet, tötet. Sowie man aus der Rede vom O b j e k t i ven' Kapital schlagen will für D o g m e n alter oder neuer Provenienz, macht man den Glauben zum Werk und G o t t zum Götzen und entleert in Wahrheit den Charakter des Objektiven. . . . Die Frage: W i e k o m m e ich zum Glauben? bleibt a l s o . . . Sie ist nur so zu beantworten, daß man zeigt, was Glauben bedeutet. Denn indem der Sinn dessen, was Glauben heißt, klar gemacht wird, ist der Glaube vor jeder Mißdeutung als psychischer Prozeß geschützt, ist jede , M e t h o d e ' abgeschnitten. Es wird klar, daß das Sich-beugenkönnen ein Sich-beugen-wrisse« ist, und daß dem Menschen, der in dieser Frage: W i e

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k o m m e ich zum G l a u b e n ? hineingeworfen ist, nichts weiter g e a n t w o r t e t werden k a n n , als d a ß er sich besinne, o b und w o in seinem L e b e n er der W i r k l i c h k e i t begegnet, der er sich schlechthin beugen k a n n - beugen m u ß . I n n e r e W a h r h a f t i g k e i t ist der einzige ,Weg' zum G l a u b e n , W a h r h a f t i g k e i t , die die letzte F r a g e n a c h dem Sinn der menschlichen E x i s t e n z nicht s c h e u t . . . " (135 f). An dieser Stelle setzen a u c h B u l t m a n n s Überlegungen zur - » H e r meneutik ein, die n a c h ihrer negativen Seite als E n t m y t h o l o g i s i e r u n g , nach der positiven als existentiale Interpretation durchgeführt wird. E r versteht das selbst als radikale K o n sequenz aus dem r e f o r m a t o r i s c h e n sola fide: „ I n der T a t : die radikale Entmythologisie-

rung ist die Parallele zur paulinisch-lutherischen Lehre von der Rechtfertigung ohne des Gesetzes Werk allein durch den Glauben. Oder vielmehr: Sie ist ihre konsequente Durchführung für das Gebiet des Erkennens. W i e die R e c h t f e r t i g u n g s l e h r e zerstört sie jede falsche Sicherheit und jedes falsche Sicherheitsverlangen des M e n s c h e n , mag sich die Sicherheit a u f sein gutes Handeln oder auf sein k o n s t a t i e r e n d e s E r k e n n e n g r ü n d e n . . . D e n n G r u n d und G e g e n s t a n d des E r k e n n e n s sind i d e n t i s c h " ( K u M 2 , 2 0 7 ) . Nicht nur gegenüber seinen Kritikern, sondern auch gegenüber den Folgerungen mancher seiner Schüler muß festgehalten werden, daß für Bultmann die Nicht-Objektivierbarkeit des Glaubensinhalts nicht auch dessen Auflösung bedeutet (Hasenhüttl 139ff). Nahegelegt werden solche Mißverständnisse auch dadurch, daß Bultmann mit einem lediglich formalen Schema von Glaube und -•Werk arbeitet. Im Vollzug aber ist der Glaube für ihn der Übergang vom alten zum neuen Menschen, d. h. zu einem neuen Selbstverständnis. Glaube ist Gehorsamstat „Tat im eminentesten Sinne, dabei aber das Gegenteil von jedem ,Werk'y jeder Leistung, weil die Tat des Glaubens gerade in der Negation alles die Existenz des Menschen begründenden Tuns besteht" (ThWNT 6,221,24f). Es gehört zu den doch wohl auch exegetisch fragwürdigen Zuspitzungen, wenn Bultmann in diesem Zusammenhang eine Inspiration des Glaubens ablehnt und für Paulus meint behaupten zu können: „ . . . dem Glauben wird der Geist geschenkt, aber die pistis ist nicht die Gabe des Geistes." Man kann hier durchaus von einer Apophatik sprechen, insofern der Glaube in seiner Wirklichkeit immer nur negativ umschrieben, niemals aber positiv beschrieben werden kann. Dem entspricht, daß die christologischen Aussagen und damit die inhaltlichen Bestimmungen des Glaubens ganz auf das Wort vom Kreuz zurückgenommen werden (Anf. Dial. Theol. 1,139; KuM 1,40ff). Was aber im Kreuz offenbar wird, ist die Liebe Gottes, und darin liegt auch für das Verständnis des Glaubens das Entscheidende. Denn wenn der Glaube nach seinem Wesen nicht ausweisbar ist, weil er nur geglaubt werden kann, bedeutet dies auch, daß die Distinktion zwischen Christus und den Christen aufgehoben wird. Ausweisbar ist allein das Leben des Christen: „Im konkreten Lebensvollzug erweist sich, wie die Teilhabe am Kreuz Jesu, so auch die Teilhabe an seiner Auferstehung: in der kämpfenden Freiheit von der Sünde (Rm 6,11 ff), im Ablegen der ,Werke der Finsternis', in welchem der nahende Tag, der die Finsternis ablösen wird, schon voraufgenommen w i r d . . . " (KuM 1,45f). Der Glaube also, der in der Wirklichkeit seines Gegenstandes nicht ausweisbar ist, gewinnt seine Gestalt in den Werken der Liebe: „Fides caritate formata." Bei B u l t m a n n b r i c h t die G e f a h r auf, d a ß die ä u ß e r e W a h r h e i t des christlichen G l a u bens in die innere W i r k l i c h k e i t der G l a u b e n s e r f a h r u n g aufgelöst wird. D a ß die T h e o l o g i e dann ganz in die A n t h r o p o l o g i e übergeht, ist eine m ö g l i c h e , auch an F e u e r b a c h erinnernde K o n s e q u e n z . Sehr k l a r sind die theologischen P r o b l e m e dieses Ansatzes von G e r h a r d Ebeling e r k a n n t w o r d e n , der einerseits exegetisch auf den geschichtlichen Z u s a m m e n hang von „ J e s u s und G l a u b e " (Wort und G l a u b e 1 , 2 0 3 ff) hingewiesen hat und d o g m a tisch den Vollzug des G l a u b e n s in der personalen R e l a t i o n zwischen der Person J e s u Christi und der des G l a u b e n d e n zur Geltung g e b r a c h t hat (vgl. a . a . O . 3 , 2 4 7 f f . 2 7 0 f f ) . 6.3.2. D i e geläufige Gegenüberstellung von O f f e n b a r u n g s - oder W o r t - G o t t e s - T h e o l o gie a u f der einen Seite und Erfahrungstheologie a u f der anderen (vgl. T R E 1 0 , 1 2 5 - 1 2 7 ) läßt sich a u f die theologische Behandlung des G l a u b e n s nicht a n w e n d e n , weil sie von vornherein seinem Wesen widersprechen würde. W o h l a b e r ist es eine Frage, o b und a u f welche Weise neben dem G l a u b e n auch das N i c h t - G l a u b e n theologisch reflektiert werden k a n n . F ü r B u l t m a n n , und darin unterscheidet er sich von den folgenden P o s i t i o n e n , ist das kein T h e m a , da bei ihm der G l a u b e stets mit der E n t s c h e i d u n g oder - in klassischer T e r m i n o l o g i e - mit der - » B e k e h r u n g verbunden ist. K . -»-Heim schrieb sein weitverbreitetes B u c h über die Glaubensgewißheit.

Eine

Un-

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tersuchung über die Lebensfrage der Religion (1916 3 1923), um „in philosophischer Form an der Überwindung der religiösen Not, mit der jeder angefochtene Mensch ringt" (53), zuarbeiten. Nicht die Glaubensgewißheit, wohl aber die Denkmöglichkeit der Glaubensgewißheit, die er als Vertrauensurteil versteht, sollte entfaltet werden. Der christliche Glaube als Glaube an Jesus Christus ist zweifellos vorausgesetzt, gleichwohl ist es bemerkenswert, daß Heim in diesem Buch auf inhaltliche Aussagen nahezu völlig verzichten kann. Wo der christliche Glaube durch den Anspruch der Wissenschaft entweder in die Vergangenheit oder in die Innerlichkeit abgedrängt wird, stellt er sich die Aufgabe, seine Denkmöglichkeit - keineswegs Denknotwendigkeit - darzutun und als die mögliche Grundlage einer Weltanschauung vorzuführen, die nicht im Gegensatz zum wissenschaftlichen Weltbild stehen muß. „Die Allgegenwart Christi, die im Licht jener abstrakten Denkweise als grundlose Willkür erscheint, ist in Wahrheit das absolute Gottesgeschenk, die ewige, tiefbegründete Notwendigkeit, sobald sie im Licht der ganzen Wirklichkeit betrachtet wird" (271). Was von Heim in seiner Zeit höchst wirkungsvoll vertreten wurde, ist als Aufgabe von vielen gesehen und auch systematisch behandelt worden, um einerseits der Situation des in seinem Glauben angefochtenen Menschen, andererseits aber auch der Situation der jeweiligen Zeit mit ihren Voraussetzungen und Forderungen gerecht zu werden. Nicht der Glaube, sondern der Zweifel und der Zweifelnde werden zum beherrschenden Thema, das mit Emphase ins Bewußtsein gehoben wird: „Auch Prediger und Erzieher sollten darauf verzichten, auf die von ihrer Tätigkeit Umfaßten durch Schändung der Ehre des Zweifelnden oder durch allgemein sittlich-religiöse Verfemung des Zweifels einen Gewissensdruck auszuüben." Der Zweifel erscheint als legitime Zeiterscheinung: „Die vulgären kirchlichen und theologischen Betrachtungen heute begehen oft den Fehler, dem unter der Geschichtsmacht des Zweifels am Christentum stehenden freien Weltbewußtsein Atheismus als Wesenszug anzudichten" (E. Hirsch, Weltbewußtsein und Glaubensgeheimnis, 1967,19.25; vgl. Zweifel und Glaube, 1937). Neben die theologische Reflexion zu dem Verhältnis von Glaube und Zweifel erwachsen weitere Aufgaben theologischer Vermittlung aus der Infragestellung des christlichen Glaubens durch die Situation der Zeit: Theologie und Philosophie/Wissenschaft, Kirche und Gesellschaft/Politik { - * Gesellschaft und Christentum, —»Kirche und Welt). Wo durch ein isoliertes oder individualisiertes Glaubensverständnis eine Disjunktion, eine Entfremdung oder gar Entweltlichung befürchtet wird, geht es nunmehr um eine Integration und die Öffnung für die Wirklichkeit von Zeit und Welt. Es sind ganz verschiedene, unter Umständen gerade in der politischen Orientierung sogar konträre theologische Ansätze, die sich jedoch in dem gemeinsamen Anliegen treffen, daß der Glaube nicht auf die vermutete Subjektivität einer Heilsgewißheit beschränkt wird, sondern in den weiteren Bezugsrahmen ontologischer Bestimmungen eingefügt wird. Mit verschiedenen Begriffen geht es theologisch stets um denselben Ansatz: Volksnomos (-»Volk), Kairos, Grundoffenbarung, Uroffenbarung, -•Geschichte, Christentumsgeschichte, wissenschaftliche Anthropologie, Humanwissenschaften. Es sind Sammelbezeichnungen für den Kontext, in dem der christliche Glaube und die christliche Gemeinde stehen. Bezeichnend bei solchen Ansätzen ist schließlich auch, daß die Einwohnung Christi nicht allein im Glaubenden gesehen wird, sondern vor allem im universalen Sinne in der Kirche, in der Geschichte und in der Welt. 6.3.3. P. -»Tillich ist der Theologe, der sich mit größtem Erfolg bemüht hat, die „Forderung eines Gegenwartsbewußtseins und Gegenwartshandelns im Geiste des Kairos" (Werke 6,9) zu entwickeln. Sein Ziel ist, die christliche Botschaft allgemeingültig zu begründen (Syst. Theol. 1,17). Im Unterschied zu Karl Heim jedoch soll dies nicht nur christologisch-universal, sondern „universal-religiös" geschehen (Werke 8,94). In ihrer ganzen Zuspitzung zeigt sich Tillichs Deutung des Glaubens im Horizont der Zeiterfahrung in seiner These von der „Rechtfertigungdes Zweiflers" (Werke 8,84ff). Die reformatorische Lehre von der Rechtfertigung des Sünders soll damit aus ihrer subjektivistischen Begrenzung und mithin aus der Negativität zum Universalismus weitergeführt werden.

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„Damit bricht der Protestantismus aus seiner Negativität durch zum Universalismus. Die Rechtfertigung des Zweiflers ist dieser Durchbruch. Denn die Antwort kann nur gegeben werden auf der breiten Basis der Grundoffenbarung, die dem Zweifler jede Position nimmt, von der aus er zweifeln kann. Sie wird ihm keine Position lassen in Natur und Geschichte, in Politik und Ethik, die er nicht deuten müßte als Name und Gestaltung der Grundoffenbarung, als dämonischen oder göttlichen Namen. So wird Predigt und Handeln der Gemeinde die Gesamtheit des Wirklichen umfassen als Gericht und als Schöpfung und wird keinen Winkel freilassen, auf dem man die Grundoffenbarung nicht zu vernehmen brauchte, auf dem man mit gutem Wahrheitsgewissen profan sein dürfte" (Werke 8,99 f). Das Ergebnis aus diesem Durchbruch vom -»Individualismus zum Universalismus, der als innere Konsequenz des protestantischen Prinzips verstanden wird, ist, daß der Glaube zusammenfällt mit der Selbstbejahung und der Beantwortung der Frage nach dem Sinn der Welt: „Glaube ist Ergriffensein durch das, was uns unbedingt angeht, den Grund unseres Seins und Sinnes. Der M u t zum Sein ist ein Ausdruck des Glaubens. Und was Glaube ist, muß verstanden werden vom Verständnis des Mutes zum Sein aus. M u t ist Selbstbejahung des Seienden trotz der immer gegenwärtigen Drohung des Nichtseins... Glaube ist die Erfahrung der M a c h t des Seins-selbst, die einem Seienden den M u t zum Sein g i b t " (Werke 11,127). Die Wirklichkeit des Glaubens ist also das - gelingende Selbst- und Weltbewußtsein, „der M u t zum Sein ist der Mut, sich anzunehmen als angenommen trotz seiner Unannehmbarkeit" (ebd. 122). Auch bei Tillich könnte man von einer Apophatik reden, insofern es eigentlich nichts gibt, woran der Glaube inhaltlich festgemacht werden könnte. Er ist weder Erkenntnisakt, noch Willensakt, noch Gefühl; auch „der jeweilige Inhalt ist zwar von größter Bedeutung für den Gläubigen, aber dieser Inhalt ist unerheblich für die Begriffsbestimmung des Glaubens" (Werke 8,113). Daß der Glaube nach diesem Verständnis wieder etwas Natürliches, also nicht nur Mögliches, sondern Notwendiges ist, macht die Faszination verständlich. Denn, ob nun von Tillich beeinflußt oder durch ihn aufgenommen, ist diese Position heute vorherrschend, gerade auch in ihrer Popularisierung. M a n begegnet ihr im Evangelischen Erwachsenenkatechismus (1975); vor allem aber ist er weit verbreitet in Religionspädagogik und Erwachsenenbildung (vgl. Vito Di Chio). Literatur Karl Barth, Christi. Dogmatik, Zürich 1929 2 1 9 8 2 . - Ders., Kirchliche Dogmatik, 1/1 - I V Zürich 1932ff. - Ders., Der Römerbrief, 1919 = Zürich 1963. - Torsten Bohlin, Glaube u. Offenbarung. Eine krit. Stud. zur dialektischen Theol., Berlin 1928. - Emil Brunner, Erlebnis, Erkenntnis u. Glaube, Tübingen 1921. - H e r m a n n Cremer, Das Wesen des Christentums, Gütersloh 1901. - Ders., Glaube, Schrift u. heilige Gesch., Gütersloh 1896. - Vito Di Chio, Didaktik des Glaubens. Die Korrelationsmethode in der rel. Erwachsenenbildung der Gegenwart, 1975 (SPT 9). - Gerhard Ebeling, Das Wesen des christl. Glaubens, Tübingen 1959 4 1 9 7 7 . - Ders., W o r t u. Glaube, I—III Tübingen 1 9 6 0 3 1 9 6 7 = 1969 = 1975. - Ev. Erwachsenenkatechismus, Gütersloh 1975 4 1 9 8 2 . - Peter Fischer-Appelt, Z u m Verständnis des Glaubens in der liberalen u. dialektischen Theol.: Freiheit u. Anspruch. FS Walter Kreck, München 1973, 6 8 - 8 4 . - Friedrich Carl Fischer, Existenz u. Innerlichkeit. Eine Einf. in die Gedankenwelt Seren Kierkegaards, M ü n c h e n 1969. - Walther Fürst (Hg.), Dialektische Theol. in Scheidung u. Bewährung, 1966 ( T h B 34). - Christof Gestrich, Neuzeitl. Denken u. die Spaltung der dialektischen Theol., Tübingen 1977. - Hans-Jürgen Goertz, Geist u. Wirklichkeit. Eine Stud. zur Pneumatologie Erich Schaeders, 1982 ( F S Ö T h 42). - Friedrich Gogarten, Von Glauben u. Offenbarung. Jena 1925. - Ders., Ich glaube an den dreieinigen Gott, Jena 1926. - Ders., Glaube u. Wirklichkeit, J e n a 1928. - Karl Heim, Das Gewißheitsproblem in der syst. Theol. bis zu Schleiermacher, Leipzig 1911. - Ders., Glaubensgewißheit. Eine Unters, über die Lebensfrage der Religion, Berlin 1916 4 1 9 4 9 . - Emanuel Hirsch, Zweifel u. Glaube, Frankfurt 1937. - Ders., Weltbewußtsein u. Glaubensgeheimnis, Berlin 1967. - Gotthold Hasenhüttl, Der Glaubensvollzug. Eine Begegnung mit Rudolf Bultmann aus kath. Glaubensverständnis, 1963 (Koin. 1). - Gerhard Heinzelmann, Glaube u. Mystik, Tübingen 1927. - Martin Kähler, D o g m . Zeitfragen, 3 Bde., Leipzig 1907ff. - Ders., Z u r Lehre von der Versöhnung (1898), Gütersloh 2 1 9 3 7 . - Ders., Die Wiss. der christl. Lehre von dem ev. Grundartikel aus im Abrisse dargestellt (1893), Neukirchen-Vluyn 4 1 9 6 6 .

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- Sören Kierkegaard, GW, hg. v. Emanuel Hirsch, Düsseldorf 1950ff. - Otto Kirn, Glaube u. Gesch. Eine d o g m . Unters., Leipzig 1900. - Eduard König, Der Glaubensact des Christen nach Begriff u. Fundament, Erlangen/Leipzig 1891. - Walter Künneth, Glauben an Jesus? Die Begegnung der Christologie mit der modernen Existenz, H a m b u r g 1962 2 1963. - Christian Link, Die Welt als Gleichnis. Stud. zum Problem der natürlichen Theol., 1976 2 1 9 8 2 (BEvTh 73). - Jürgen M o l t m a n n (Hg.), Anfänge der dialektischen Theol. 2 Bde., 1962/63 (ThB 17). - Franz Overbeck, Über die Christlichkeit unserer heutigen Theol. (1873), Darmstadt 3 1963. - Regin Prenter, Glauben u. Erkennen bei Karl Barth: K u D 2 (1956) 1 7 6 - 1 9 2 . - Adolf Schlatter, Der G l a u b e im N T (1885), Stuttgart s 1963. Ders., D a s Christi. D o g m a , Stuttgart 1911 3 1977. - D e r s . , Die Gesch. des Christus, Stuttgart 2 1923. G u i d o Schüepp, D a s P a r a d o x des Glaubens. Kierkegaards Anstöße für die christl. Verkündigung, München 1964. - H a n s - J o a c h i m Sonne, Die politische Theol. der Deutschen Christen, 1982 ( G T A 21). - Helmut Thielicke, Theol. der Anfechtung, Tübingen 1949. - Wolfgang Tilgner, Volksnomostheologie u. Schöpfungsglaube. Ein Beitr. zur Gesch. des Kirchenkampfes, 1966 (AGK 16). - Paul Tillich, Syst. Theol., 3 Bde., Stuttgart 1955ff 5 1964. - Ders., SW, 14 Bde., Stuttgart 1959ff. - Hermann T i m m , G l a u b e u. N a t u r w i s s . in der Theol. Karl Heims, 1968 (FBESG 23). - Georg Wehrung, Gesch. u. Glaube. Eine Besinnung auf die Grundsätze theol. Denkens, Gütersloh 1933.

7. Die dogmatische

Aufgabe

Den Glauben hat die Theologie als Gegenstand, doch niemals in der Weise, daß sie ihn erfaßt, sondern nur so, daß sie von ihm umfaßt ist. Darin liegt der für das rechte Verständnis des Glaubens wichtige Unterschied zwischen einer christlichen Theologie als Funktion in der Gemeinde, die im Glauben und als Dienst am Glauben geschieht und einer ihrem Gegenstand distanziert gegenüberstehenden Religionswissenschaft, die sich mit den verschiedenen Phänomenen des Glaubens beschäftigt. Die Grenze zwischen beiden ist keineswegs durch Disziplinen und Methoden eindeutig festgelegt; daher wird sie auch leicht und zunächst unbemerkt überschritten, und zwar besonders dann, wenn vom Glauben problematisch und nicht mehr assertorisch gehandelt wird. Problematisch heißt in diesem Zusammenhang, daß Mangelerscheinungen im Bereich des Glaubens die theologische Reflexion beherrschen. Das betrifft keineswegs nur die sog. Neuzeit, soweit sie in ihrem Verhältnis zum christlichen Glauben als mündig, säkular oder nachchristlich beschrieben wird. Ein ähnliches problematisches Verständnis des Glaubens begegnet auch in der mittelalterlichen Theologie, wenn dort im Zusammenhang der Gnadenlehre mit Sorgfalt zu einer Prüfung des Glaubens angeleitet wird. Der unmittelbare Anlaß zur theologischen Reflexion der Glaubensproblematik ergibt sich zu allen Zeiten aus der pastoralen Situation, in der die Glaubensverkündigung nicht nur auf Zustimmung, sondern auch auf Ablehnung, auf Unverständnis und auf Ungehorsam stößt. Der geschichtliche Durchgang zeigt, wie die Probleme sich wiederholen. Systematisch konzentrieren sie sich einerseits auf das Verhältnis von Glaubensinhalt und Glaubensvollzug (fides histórica- fides justificans/fiducia bzw. fides implícita!explícita), also auf die Verstehensfrage, sowie auf das Verhältnis von Glaubenslehre und Glaubensleben (fides und pietas, Orthodoxie und Orthopraxie, fides und caritas), d.h. auf die Frage nach den Früchten des Glaubens. ! Daß der Glaube vom Zweifel gegenüber seinem Gegenstand sowie vom Ungehorsam im Blick auf seine Früchte angefochten ist, bedeutet, daß die Wahrheit des Glaubens zur Wirklichkeit der Glaubenden in Widerspruch steht. Das mag die individuelle Existenz betreffen; vor allem aber bricht diese Diskrepanz dort hervor, wo sich in einer christlichen Tradition herausstellt, daß Kirche und Gesellschaft nicht mehr koextensiv sind. Die theologische Aufgabe wird dann unter Umständen ganz auf diese Diskrepanz bezogen, um, wie es in geläufiger Widersprüchlichkeit heißt, den Glauben theoretisch und praktisch wieder „glaubwürdig" zu machen. Das assertorische Verständnis des Glaubens verhält sich zu dem problematischen konträr, und zwar vor allem deshalb, weil dadurch der Gegensatz von Glaube und Unglaube radikalisiert wird. Dies aber muß unweigerlich zu heftigen Konflikten führen, weil es dann nicht mehr um bloße theologische Systeme und Begriffe geht; vielmehr werden

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Menschen in ihrem Glauben betroffen. Der Grund für diese schmerzliche Erscheinung liegt jedoch tiefer. Im Rückblick auf entsprechende Beispiele kann er ganz knapp so formuliert werden: Er liegt in der Entscheidung, ob es um das Christliche in seinen verschiedenen Erscheinungsformen geht oder um die Person Jesu Christi als Grund und Inhalt des Glaubens. Ein assertorisches Verständnis des Glaubens geht davon aus, daß der Glaube an Jesus Christus, der sich im Bekenntnis zu ihm äußert, Wirkung und Zeichen des Heiligen Geistes ist (IKor 12,3; Rom 10). Die dogmatische Aufgabe ist daher als Prüfung und Scheidung der Geister zu verstehen und auszuüben. Das ist Vollmacht und Auftrag des öffentlichen Dienstes am Wort in der christlichen Gemeinde. Es geschieht, „wenn wir die Schwachen im Glauben stärken und die Widersacher (seil, des Glaubens) zurückweisen". Das steht unter der Schrift als Richter (scriptum iudice) und in der Verantwortung vor der Gemeinde {in facie Ecclesiae) (WA 18,653,24ff). Unter drei Aspekten kann der Vollzug dieser dogmatischen Aufgabe abschließend skizziert werden, wobei alles darauf ankommt, daß sich diese dogmatische Aufgabe nicht in historischer Vermittlung und ethischer Aktualisierung verliert, sondern auf die geistliche Entscheidung ausgerichtet ist. 7.1. Der

Glaubensstand

Die Bestimmung durch Jesus Christus ist das Kriterium für den rechten christlichen Glauben, nicht also die Stärke, infolgedessen aber auch nicht die Schwäche subjektiver Überzeugungen (qualitas animae). Der Glaubensstand (vgl. I Kor 16,13; II Petr 1,10; II Kor 13,5) ist daher auch kein Zustand innerer Art, sondern es geht hier um Stehen oder Fallen, Bekennen oder Verleugnen. Eine problematische Auffassung des Glaubens neigt dazu, die innersubjektiven Vorgänge zu reflektieren. Damit aber wird verdeckt, daß es sich beim Glauben nicht zuerst um eine Entscheidung des Menschen selbst handelt, sondern um eine Entscheidung über den Menschen und an ihm, die nach dem biblischen Zeugnis nicht nur als Meinungsänderung, sondern durch den Wechsel vom Tod zum Leben, vom alten zum neuen Menschen und als Neuschöpfung beschrieben wird (vgl. Rom 8; II Kor 4,1 ff; 5,17, Gal 2,19; 3,28). Systematisch setzen die Verkürzungen nicht einfach beim theoretischen Verständnis des Glaubens ein. Vielmehr ergeben sie sich daraus, daß der Glaube aus dem Zusammenhang der Mittel herausgelöst wird, durch die er gegeben, erhalten, ausgeübt und vollendet wird, nämlich Wort, Sakramente und Gebet. Der Glaube an Christus wird zu einer christlichen Weltanschauung, wenn er durch diese Mittel nicht an das Wort Jesu Christi, an sein Werk gebunden und davon getragen bleibt. Die Verselbständigung der Verstehensfrage führt u. U. auch dazu, daß die geschenkte und bleibende Gemeinschaft mit Christus nicht erkannt wird. Subjektive Überzeugungen treten dann an die Stelle der effektiven Zeichen. Die praktischen Folgen solcher Fehlentscheidungen zeigen sich in einer Verkündigung und Seelsorge, bei der der Glaube fremden Prinzipien unterstellt und anderen Zielen zugeordnet wird. Das setzt dort ein, wo die Annahme durch Christus zur Selbstannahme wird, wo infolgedessen auch an die Stelle der Selbstverleugnung (Mt 16,24; Gal 5,24 u.a.) die Selbstbestätigung, Selbstfindung und Selbstverwirklichung tritt. Der Glaube bestätigt und vollendet sich dann nur noch im individuellen und gesellschaftlichen Wohlbefinden; er will die Bedürfnisse des Menschen befriedigen, ohne seine Bedürftigkeit aufzudecken und zu überwinden. Für die Seelsorge sind die Folgen solcher Fehlentscheidungen mit großer Klarheit von H. Tacke beschrieben worden. D. -»Bonhoeffer hat das Problem getroffen, wenn er davor warnt, das Kreuz von Christen mit dem Kreuz Christi zu verwechseln. Eine Christenheit, „die aus dem Evangelium allein den billigen Glaubenstrost gemacht hatte und für die im übrigen natürliche und christliche Existenz ungeschieden ineinanderlag, mußte das Kreuz als tägliches Ungemach, als die Not und Angst unseres

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n a t ü r l i c h e n L e b e n s verstehen. H i e r w a r vergessen, d a ß das Kreuz i m m e r zugleich Verw o r f e n h e i t b e d e u t e t , d a ß die S c h m a c h des Leidens d e m K r e u z g e h ö r t . . . " (Nachfolge, M ü n c h e n " 1 9 7 6 , 4 0 ) . D a s „per Christum" ( s . o . 2 . 3 ) bildet a l s o nicht nur den Inhalt, s o n d e r n bezeichnet das Wesen des christlichen G l a u b e n s .

7.2. Die

Glaubensgemeinschaft

D i e G l a u b e n s g e m e i n s c h a f t m a n i f e s t i e r t sich im Gottesdienst der im N a m e n des dreieinigen G o t t e s und d a m i t in der K r a f t des Heiligen Geistes v e r s a m m e l t e n G e m e i n d e . D a s ist die communio, die d u r c h die T e i l h a b e an C h r i s t u s begründete und erneuerte G e m e i n s c h a f t unter C h r i s t e n . G e r a d e in d e m p n e u m a t i s c h - e f f e k t i v e n Sinne ist das m e h r als eine Ü b e r e i n s t i m m u n g in U b e r z e u g u n g e n und Z w e c k e n . D a m i t ist der zweite A s p e k t in der d o g m a t i s c h e n A u f g a b e angedeutet, der sich n u n m e h r a u f die t h e o l o g i s c h e V e r a n t w o r tung für den rechten G o t t e s d i e n s t bezieht, d a m i t die M i t t e l recht v e r w a l t e t w e r d e n , durch die der G l a u b e gegeben und e r h a l t e n wird. D a s p r o b l e m a t i s c h e G l a u b e n s v e r s t ä n d n i s d r ä n g t sich hier leicht a u f , und die z a h l e n m ä ß i g e Z u s t i m m u n g wird in d e m M a ß e zum positiven o d e r negativen K r i t e r i u m der G l a u b e n s w i r k l i c h k e i t , wie die E i n s i c h t verlorengeht, d a ß sich im G o t t e s d i e n s t die S a m m l u n g und E r n e u e r u n g der G e m e i n d e vollzieht, a b e r e n t s p r e c h e n d a u c h T r e n n u n g und S c h e i d u n g . D a ß die christliche G e m e i n d e nach ihrer geschichtlichen G e s t a l t ein corpus permixtum ist, das nicht nur aus den w a h r h a f t G l a u b e n d e n und Heiligen b e s t e h t , s o n d e r n in d e m „ i n diesem L e b e n viel falscher C h r i sten und H e u c h l e r , a u c h öffentlicher Sünder unter den F r o m m e n b l e i b e n " ( C A 8), ist nicht allein ein A u s d r u c k der U n v o l l k o m m e n h e i t und V e r b o r g e n h e i t , s o n d e r n die n o t wendige F o l g e d a v o n , d a ß in der K i r c h e und durch sie sich die S a m m l u n g und Scheidung vollzieht. D a ß die W a h r h e i t im Streit mit d e m I r r t u m liegt, d a ß der w a h r e G l a u b e durch U n g l a u b e n b z w . I r r g l a u b e n a n g e f o c h t e n w i r d , g e h ö r t zur W i r k l i c h k e i t der K i r c h e . Die P r o b l e m a t i s i e r u n g von G l a u b e n s i n h a l t und G l a u b e n s v o l l z u g k a n n a b e r nun leicht den p n e u m a t i s c h e n V o r g a n g v e r d e c k e n , d a ß sich die S c h e i d u n g g e r a d e a u c h d o r t vollzieht, w o eine ä u ß e r e Ü b e r e i n s t i m m u n g in einer fides acquisita bzw. histórica vorliegt, die aber d o c h n i c h t fides vera ist. H a n s J o a c h i m I w a n d hat das im A n s c h l u ß an L u t h e r s Disputatio defide so b e s c h r i e b e n : „ N u r weil beide F o r m e n von G l a u b e n in b e s t i m m t e n P u n k t e n das G l e i c h e b e k e n n e n , ist die A u f g a b e g e g e b e n , hinter dieser s c h e i n b a r e n Ü b e r e i n s t i m m u n g den t a t s ä c h l i c h e n G e g e n s a t z a u f z u d e c k e n , die G e i s t e r zu scheiden, den G e i s t , aus dem h e r a u s das B e k e n n t n i s der vera fides entspringt. O h n e d a ß diese A b g r e n z u n g vollzogen w i r d , k a n n sich der w a h r e G l a u b e n i c h t finden. Z u m B e k e n n t n i s des w a h r e n G l a u b e n s g e h ö r t die E n t d e c k u n g seines h ä r e t i s c h e n S c h a t t e n s " ( H . J . I w a n d , U m den rechten G l a u ben 2 1 9 6 5 [ T h B 9] 9 2 ) . In der V e r a n t w o r t u n g für die G l a u b e n s g e m e i n s c h a f t ist die d o g m a t i s c h e A u f g a b e reduktiv, weil sie letztlich n i c h t zu einer b l o ß e n Verständigung im K o n s e n s zwischen verschiedenen M e i n u n g e n und R i c h t u n g e n führen soll, s o n d e r n zu d e m F u n d a m e n t , das zugleich trägt und verbindet (I K o r 3 , 1 1 ) . A u c h in diesem Z u s a m m e n h a n g ist das „per Christum" ein entscheidendes K r i t e r i u m für die d o g m a t i s c h e A u f g a b e , weil von hier aus e r k a n n t werden k a n n , w a s C h r i s t e n n i c h t zu t r e n n e n b r a u c h t , ja a u c h nicht trennen d a r f , w e n n sie in C h r i s t u s eins sind. U m g e k e h r t zeigt sich, wie die B e m ü h u n g e n u m eine W i e d e r h e r s t e l l u n g z e r b r o c h e n e r K i r c h e n g e m e i n s c h a f t sich in einer ständig w a c h s e n d e n Fülle von G e g e n s ä t z l i c h k e i t e n verlieren, w o das Wesen der G l a u b e n s g e m e i n s c h a f t nicht e r k a n n t ist ( S l e n c z k a ) .

7.3. Die

Glaubenstrennung

D i e A u s e i n a n d e r s e t z u n g m i t a n d e r e n G l a u b e n s w e i s e n und G l a u b e n s i n h a l t e n ist z w a r eine d o g m a t i s c h e A u f g a b e , d o c h in der D o g m a t i k findet sie meist keinen O r t . D o c h es zeigt sich a u c h im innerchristlichen B e r e i c h , d a ß es bei e i n e m p r o b l e m a t i s c h e n Verständnis des G l a u b e n s s c h w e r , wenn nicht s o g a r u n m ö g l i c h ist, m i t einer G l a u b e n s t r e n n u n g zu r e c h n e n und sie v o r allem auch theologisch zu b e d e n k e n , weil alles in erster Linie d a r a u f

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gerichtet ist, jeden zu gewinnen und festzuhalten unter der universalen Sendung der christlichen Gemeinde und dem universalen Heilswillen Gottes (Mt 28,19; I T i m 2,4). Bei den angeführten Beispielen ist dieser Universalismus in zweifacher Hinsicht festzustellen. Auf der einen Seite steht das Bemühen, auch den geringsten Keim oder Rest von Glauben als Glauben zu sehen (s.o. 3; 6.3.3); auf der anderen Seite steht das Bestreben, den Glauben als etwas Natürliches und daher auch Mögliches und Notwendiges vorzuführen (s. o. 5.1.1; 5.1.3; 5.2). Es finden sich charakteristische Theologumena, um diesen Sachverhalt einer fides implicita selbst außerhalb der Kirche auszudrücken, wie z.B. die „Solidarität mit den Gottlosen" (H. Vogel, 1931; F. W. Marquardt 1962), die Achtung oder „Rechtfertigung des Zweiflers" (E. Hirsch; P. Tillich s. o. 6.3.3) oder auch die „anonymen Christen" (K. Rahner). Nun ist zunächst daran zu erinnern, daß die „Schwachen im Glauben" (Rom 14,1 ff) bzw. die mit einem „schwachen Gewissen"(I Kor 8,10) in der Gemeinde nicht an Christus zweifeln, sondern in Sorge sind, die Rettung durch ihn zu verlieren. Gleichwohl gibt es für solche Überlegungen neben der Pflicht zur Nächstenliebe und allgemeiner Mitmenschlichkeit auch ernstzunehmende theologische Gründe, die davon ausgehen, daß die endgerichtliche Scheidung Christi nicht identisch ist mit der innergeschichtlichen Unterscheidung von Christen und Nichtchristen. Im rechten Verständnis dieses Sachverhalts ginge es demnach ebenfalls um die Unterscheidung zwischen dem Werk Christi und den Werken der Christen. Beim assertorischen Verständnis des Glaubens tritt jedoch die Trennung durch den Glauben unübersehbar hervor. In ihrer theologischen Begründung kann sie jedoch nur dann recht erfaßt werden, wenn bedacht wird, daß es dabei nicht zuerst um eine Trennung zwischen Menschen, sondern im Menschen, nämlich zwischen dem alten und dem in Christus erneuerten Menschen geht. Ohne die Selbstverleugnung gerät der Glaube unvermeidlich unter den Zwang der Selbstbehauptung gegen Gott und vor der Welt. Das Christliche tritt dann an die Stelle Christi. Das göttliche Subjekt wird gleichgültig, dafür werden die göttlichen Prädikate wie Liebe, Weisheit und Gerechtigkeit - um es mit einem Beispiel Feuerbachs deutlich zu machen (Werke VI,26) - allgemeingültig; sie bekommen selbst göttliche Funktion. Die angeführten und andere Beispiele zeigen, wie fließend der Übergang ist, wenn die Person Gottes in ein Prinzip verwandelt wird (z.B. 5.2.4). Wo das problematische Glaubensverständnis darauf zielt, die theoretische Plausibilität und praktische Notwendigkeit des christlichen Glaubens aufzudecken, liegt die Gefahr nahe, daß die Glaubenstrennung aufgehoben wird. Die Frage nach dem Sinn des Lebens und der Welt hat zwar anthropologisch ein höchstes M a ß an Evidenz; theologisch ist sie aber die Ursache dafür, daß das Christliche sich in den Äquivokationen des Allgemein-Menschlichen verliert (W. M o s t e n , 103 ff) oder auch daß die Unterscheidung von Glaube und Aberglaube verlorengeht (G. Sauter 85). Wo aber der wahre Glaube seine Identität in der Person Jesu Christi verliert, beginnt schon im Christlichen ein „neuer G l a u b e " , der aber dann ein anderer und falscher Glaube ist. Daher muß die dogmatische Aufgabe darin gesehen werden, nicht den Glauben zu begründen, sondern an dem Grund des Glaubens festzuhalten, der allein trägt und verbindet. Literatur In enger Auswahl und Abgrenzung. Theologiegeschichtliche und dogmatische Gesamtdarstellungen usw. werden nicht besonders aufgeführt. Ernst Heinz Amberg, Glaube u. Dogmatik: T h L Z 8 9 (1964) 1 0 9 - 1 1 8 . - Sebastian Anneser, Glaube im Ungläubigen - Unglaube im Gläubigen. Unters, einer Tendenz im Glaubensverständnis der letzten zwei Jahrzehnte, 1972 (ESt 8). - Anton Antweiler, Ist Glaube ein Vorurteil?: T T h Q 145 (1965) 1 2 9 - 1 8 7 . - Roger Aubert, Le problème de l'acte de foi. Données traditionelles et résultats des controverses récentes, Louvain 4 1 9 7 0 . - J ö r g Baur, W i e nimmt der Glaube die Welt wahr? Einsichten u. Folgen des christl. Weltverständnisses: E v T h 3 0 (1970) 5 8 2 - 5 9 3 . - J o a c h i m Beckmann, Meinungsstreit, Glaubensernst u. Toleranz in der Kirche: K i Z 18 (1963) 2 3 3 - 2 3 9 . - Benkt-Erik Benktson, Existenz u. Glaube. Von Sokrates bis zu Simone de Beauvoir, München 1980. - Eugen Biser, Glaube

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Dogma u. Kircheneinheit: C. Andresen (Hg.), Hb. der Dogmen- und Theol.gesch., Göttingen, III 1984. - Yorick Spiegel, Glaube wie er leibt u. lebt, München 1984. - Gerhard Szczesny, Die Zukunft des Unglaubens, München 1958 2 1959. - Helmut Tacke, Glaubenshilfe als Lebenshilfe, NeukirchenVluyn 1975. - J. Trethowan, Certainty, London 1948. — Heinrich Vogel, Die christl. Solidarität mit den Gottlosen: MPTh 27 (1931) 3 2 6 - 3 3 2 . - Ludwig Wachinger, Der Glaubensbegriff Martin Bubers, München 1970. - Günter Waldmann, Christi. Glaube u. christl. Glaubenslosigkeit. Phil. Unters, zum Phänomen des christl. Glaubensvorgangs u. zu seiner Bedeutung für die Situation der Gegenwart, Tübingen 1968. - Bernhard Welte, Was ist Glauben? Gedanken zur Religionsphil., Freiburg 1982. Reinhard Slenczka

Glaube und Denken 1. Glaube und Denken im Zusammenhang der Christentumsgeschichte 2. Glaube und Denken im Zusammenhang der Anthropologie 3. Glaube und Denken im Zusammenhang der systematischen Theologie (Literatur S. 382) Erst das Christentum, nicht schon das Alte Testament oder das klassische Griechentum, brachte die Spannungsbeziehung zwischen Glaube und Denken oder Glaube und Vernunft hervor. Für unser Thema ist zu beachten: Der „Glaubensbegriff hat seine Wurzeln im Alten Testament", der „Vernunftbegriff ist griechischen Ursprungs" (Ebeling, Dogmatik 1,141), und die Spannungsbeziehung zwischen beiden ist allererst ein Wesensmerkmal des Christentums. Nicht schon bedeuteten die alttestamentliche Theodizeefrage („Warum geht es den Gottlosen gut?") und die klassisch-griechische philosophische Aufklärung (mit ihrer Entfremdung von der „mythologischen Volksreligion") einen Konflikt zwischen Glaube und Denken. Nicht erst erzeugte die seit der Renaissance im christlichen Raum immer eigenständiger sich profilierende Philosophie eine Spannung zwischen Glaube und Denken. Sondern letztere ist unter der Programmatik des Paulus aufgebrochen, „alles Denken gefangenzunehmen unter den Gehorsam Christi" (II Kor 10,5). Diese Spannung gehört also dem christlichen Glauben selbst an, jenem Glauben an den gekreuzigten (und auferstandenen) Christus, der den Juden als „Ärgernis", den Griechen als „Torheit" erscheint (I Kor 1,23). Die hier aufgebrochene Herausforderung des Denkens aufgrund bereits geschehener Versöhnung und eines anhebenden neuen Lebens ist die Mutter der christlichen Theologie (als einer - paradoxen - denkenden Rechenschaft des Glaubens). 1. Glaube

und Denken

im Zusammenhang

der

Christentumsgeschichte

Der christliche Glaube erfuhr früh die doppelte Beurteilung: Einerseits erzeuge er einen Konflikt mit der natürlichen Vernunft, er verlange ein sacrificium intellectus (etwa Tertullian interpretierte die Nichtfaßlichkeit der Glaubensgegenstände gerade als einen Hinweis a u f deren Wahrheit, wobei er eigentümlicherweise dennoch auf Logik im Verfahrensweg der T h e o l o g i e besonderen Wert legte [vgl. W i c k e r t 154]). Andererseits präsentiere sich der christliche Glaube in ausgeprägter Weise als ein denkender Glaube, der das Vernunftlicht nicht scheue, ja, der der Vernunft gelegentlich zur Selbstverbesserung verhelfe. 1.1. D u r c h Glauben werden „ H e b r ä e r und C h r i s t " , durch Denken wird „ d e r Griec h e " in die Wahrheit geführt. Der hebräische Ausdruck für „ W a h r h e i t " ('es meet) ents t a m m t derselben Sprachwurzel wie „ g l a u b e n " (ha "min). In der gesamten Bibel hat das W o r t „ W a h r h e i t " eine Bedeutung, die v o m ursprünglichen Sinn der griechischen äXfl9eia ( „ U n - V e r b o r g e n h e i t " ) abweicht: D e m Glaubenden der Bibel zeigt sich die Wahrheit darin, daß er, der sich beim verläßlichen G o t t „ f e s t g e m a c h t " hat, nicht enttäuscht wird. Selbst dann nicht, wenn das Leben seinen Wünschen zuwiderlief. D a s klassisch-griechische Wahrheitsverlangen indessen zielt d a r a u f ab, nicht getäuscht zu werden, nicht ins Dunkle und in Schuld zu geraten durch verhängnisvolle Fehleinschätzung der M e n s c h e n und Dinge (vgl. von Soden 10). Glaube und Denken reichen, als P h ä n o m e n e hebräischchristlichen und griechischen Ursprungs verstanden, beide bis in die Tiefen der menschlichen Gottesbeziehung, ja, sie repräsentieren jeweils diese Beziehung. „ G l a u b e " im biblischen Sinn bedeutet, mit G o t t in besonderer, über das GeschöpfSein des M e n s c h e n n o c h hinausgehender Weise verbunden zu sein. Diese besondere G o t -

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Dogma u. Kircheneinheit: C. Andresen (Hg.), Hb. der Dogmen- und Theol.gesch., Göttingen, III 1984. - Yorick Spiegel, Glaube wie er leibt u. lebt, München 1984. - Gerhard Szczesny, Die Zukunft des Unglaubens, München 1958 2 1959. - Helmut Tacke, Glaubenshilfe als Lebenshilfe, NeukirchenVluyn 1975. - J. Trethowan, Certainty, London 1948. — Heinrich Vogel, Die christl. Solidarität mit den Gottlosen: MPTh 27 (1931) 3 2 6 - 3 3 2 . - Ludwig Wachinger, Der Glaubensbegriff Martin Bubers, München 1970. - Günter Waldmann, Christi. Glaube u. christl. Glaubenslosigkeit. Phil. Unters, zum Phänomen des christl. Glaubensvorgangs u. zu seiner Bedeutung für die Situation der Gegenwart, Tübingen 1968. - Bernhard Welte, Was ist Glauben? Gedanken zur Religionsphil., Freiburg 1982. Reinhard Slenczka

Glaube und Denken 1. Glaube und Denken im Zusammenhang der Christentumsgeschichte 2. Glaube und Denken im Zusammenhang der Anthropologie 3. Glaube und Denken im Zusammenhang der systematischen Theologie (Literatur S. 382) Erst das Christentum, nicht schon das Alte Testament oder das klassische Griechentum, brachte die Spannungsbeziehung zwischen Glaube und Denken oder Glaube und Vernunft hervor. Für unser Thema ist zu beachten: Der „Glaubensbegriff hat seine Wurzeln im Alten Testament", der „Vernunftbegriff ist griechischen Ursprungs" (Ebeling, Dogmatik 1,141), und die Spannungsbeziehung zwischen beiden ist allererst ein Wesensmerkmal des Christentums. Nicht schon bedeuteten die alttestamentliche Theodizeefrage („Warum geht es den Gottlosen gut?") und die klassisch-griechische philosophische Aufklärung (mit ihrer Entfremdung von der „mythologischen Volksreligion") einen Konflikt zwischen Glaube und Denken. Nicht erst erzeugte die seit der Renaissance im christlichen Raum immer eigenständiger sich profilierende Philosophie eine Spannung zwischen Glaube und Denken. Sondern letztere ist unter der Programmatik des Paulus aufgebrochen, „alles Denken gefangenzunehmen unter den Gehorsam Christi" (II Kor 10,5). Diese Spannung gehört also dem christlichen Glauben selbst an, jenem Glauben an den gekreuzigten (und auferstandenen) Christus, der den Juden als „Ärgernis", den Griechen als „Torheit" erscheint (I Kor 1,23). Die hier aufgebrochene Herausforderung des Denkens aufgrund bereits geschehener Versöhnung und eines anhebenden neuen Lebens ist die Mutter der christlichen Theologie (als einer - paradoxen - denkenden Rechenschaft des Glaubens). 1. Glaube

und Denken

im Zusammenhang

der

Christentumsgeschichte

Der christliche Glaube erfuhr früh die doppelte Beurteilung: Einerseits erzeuge er einen Konflikt mit der natürlichen Vernunft, er verlange ein sacrificium intellectus (etwa Tertullian interpretierte die Nichtfaßlichkeit der Glaubensgegenstände gerade als einen Hinweis a u f deren Wahrheit, wobei er eigentümlicherweise dennoch auf Logik im Verfahrensweg der T h e o l o g i e besonderen Wert legte [vgl. W i c k e r t 154]). Andererseits präsentiere sich der christliche Glaube in ausgeprägter Weise als ein denkender Glaube, der das Vernunftlicht nicht scheue, ja, der der Vernunft gelegentlich zur Selbstverbesserung verhelfe. 1.1. D u r c h Glauben werden „ H e b r ä e r und C h r i s t " , durch Denken wird „ d e r Griec h e " in die Wahrheit geführt. Der hebräische Ausdruck für „ W a h r h e i t " ('es meet) ents t a m m t derselben Sprachwurzel wie „ g l a u b e n " (ha "min). In der gesamten Bibel hat das W o r t „ W a h r h e i t " eine Bedeutung, die v o m ursprünglichen Sinn der griechischen äXfl9eia ( „ U n - V e r b o r g e n h e i t " ) abweicht: D e m Glaubenden der Bibel zeigt sich die Wahrheit darin, daß er, der sich beim verläßlichen G o t t „ f e s t g e m a c h t " hat, nicht enttäuscht wird. Selbst dann nicht, wenn das Leben seinen Wünschen zuwiderlief. D a s klassisch-griechische Wahrheitsverlangen indessen zielt d a r a u f ab, nicht getäuscht zu werden, nicht ins Dunkle und in Schuld zu geraten durch verhängnisvolle Fehleinschätzung der M e n s c h e n und Dinge (vgl. von Soden 10). Glaube und Denken reichen, als P h ä n o m e n e hebräischchristlichen und griechischen Ursprungs verstanden, beide bis in die Tiefen der menschlichen Gottesbeziehung, ja, sie repräsentieren jeweils diese Beziehung. „ G l a u b e " im biblischen Sinn bedeutet, mit G o t t in besonderer, über das GeschöpfSein des M e n s c h e n n o c h hinausgehender Weise verbunden zu sein. Diese besondere G o t -

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tesbeziehung entsteht aber gerade dadurch, daß der Glaubende sich und die Schöpfung bewußt von Gott unterscheidet, also mit dem Zwang oder Drang bricht, auf die Kreatur sein Vertrauen zu setzen. - Auch das klassische griechische „Denken" verbindet in seiner obersten, stärksten Gestalt, in der es „ein Denken des Denkens" ist, den Menschen in besonderer Weise mit Gott. Die vörjmg voijascog (Aristoteles, Met. XII 1074 b) läßt an der Wirklichkeit göttlichen Denkens der Welt so partizipieren, daß dem menschlichen Denker ein Begreifen der Ideen, ein (analogisches oder dialektisches) Begreifen des WeltZusammenhangs geschenkt wird. „Denken" ist bereits in dieser bei Aristoteles beschriebenen Bedeutung etwas anderes als „Erkennen", sofern sich dieses auf wahrnehmbare Gegenstände und Verhältnisse richtet. Denn jenes prüft die Beziehungen zwischen allen möglichen Größen, realen und „denkbaren". Ziel denkenden Wissens und bedachter Weisheit ist der Gewinn einer verläßlichen Orientierung in der Welt einschließlich der Fähigkeit, immer besser zwischen Zuträglichem und Abträglichem, zwischen „gut und böse" zu unterscheiden. Über dieser durch „Denken" zunehmenden menschlichen Fähigkeit droht freilich die Kraft des Glaubens, zwischen Schöpfer und Geschöpf zu unterscheiden, nach Gen 3 gerade zu erlöschen. Hier ist der Grundkonflikt von Glaube und Denken angelegt. 1.2. Die Theologie der Alten Kirche stand vor der Aufgabe, gleichzeitig ein Nein und ein Ja zum Denken besonders der neuplatonischen und stoischen Philosophie zu formulieren. Die „natürliche Theologie" solcher Systeme stieß nicht nur auf kirchliche Ablehnung, zumal da ihre Begrifflichkeit auch in die christliche Theologie aufgenommen werden konnte. Dies bedeutete aber nicht nur: „Hellenisierung" der christlichen Lehre. Sondern dies veränderte auch den philosophischen Gottesbegriff der herangezogenen „natürlichen Theologien" auf christliche Weise, indem im Sinne von Rom l,18ff die Macht der Sünde als eine Macht der Verkehrung aller natürlichen Gotteserkenntnis aufgewiesen wurde. Keineswegs allein um der gebildeten Selbstdarstellung nach außen oder der Apologetik willen, sondern überdies aus innerkirchlichen Gründen der Verarbeitung und Neuaneignung der kirchlichen Glaubensüberlieferung mußte schon in der Frühzeit des Christentums eine gewisse Wertschätzung philosophischen Denkens eintreten. Um die Christusüberlieferung immer neu als die universale Wahrheit begreifen, aneignen und aussagen zu können, um ferner das evangelische Kerygma nicht in der zufälligen Sprachform der Predigten und theologischen Arbeiten vorangegangener Generationen übernehmen zu müssen, hatte man sich in der Kirche aktueller philosophischer Arbeit zu bedienen und zu befleißigen. Und zwar mit Gewinn nicht allein des als „Logik", sondern mitunter auch des als „Spekulation" betriebenen Denkens! Im Mittelalter wird das 1 0 7 7 / 7 8 verfaßte Proslogion des -»Anselm von Canterbury mit seiner „ G o t t e s f o r m e l " id quo malus cogitari nequit (Cap. III) ein Höhepunkt christlicher Suche nach der ratio fidei. Wenn Anselm in der Tradition Augustins sagt, es gelte, durch das Cogitare des Glaubensgegenstandes diesen auch „Ungläubigen" und „ T o r e n " nahezubringen, so denkt er hierbei auch an sich selbst. Ihn und seinen Glauben verlangt nach dieser Klärung, die ihrerseits nicht wiederum aus der hl. Schrift und der kirchlichen Tradition, auf deren Boden Anselm treu steht, kommen kann, sondern sola ratione bestritten werden muß. Anselm sucht nach der „Denkregel", „der folgend wir in der Lage sind, die geglaubten Sätze über das Wesen G o t t e s . . . als unsere eigenen notwendigen Gedanken zu d e n k e n " (so mit Recht B a r t h , G A 13,82). Im übrigen erwartet Anselm von der Vernunft in der Theologie das, was anderthalb J h . später Wilhelm von Auxerre bereits „wissenschaftstheoretisch" auszudrücken vermag: Die Verniinft hat die dreifache Aufgabe „ 1 . den Glauben der Gläubigen zu mehren und zu stärken; 2. den Glauben gegen seine Gegner zu verteidigen; 3. die Einfältigen oder Glaubensschwachen in ihrem Glauben zu f ö r d e r n " (nach Köpf 185).

Durch das Wiederbekanntwerden des - * Aristoteles im 12./13. Jh. wurde die Theologie mit wissenschaftlich attraktiven, aber zunächst als risikoreich eingeschätzten Theoriebildungen konfrontiert. In der Kosmologie (Problem der Ewigkeit der Welt) und der Anthropologie (-»Mensch; Problem der -»Unsterblichkeit der Seele) stimmten sie nicht

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mit der Kirchenlehre überein. Insbesondere —» Thomas von Aquin aber vermochte mit dem Risiko, den Stoff der Theologie in begrifflich an Aristoteles geschulter Weise neu zu formulieren, so glücklich umzugehen, daß dies der Glaubenslehre und der Philosophie zugute kam. So wie Thomas Glaube und Denken eng aneinander heranführte, nahmen beide die Thematik und die Fragen des jeweiligen Gegenübers bis an die Grenze der eigenen Kapazität in sich auf: Der Vernunft wurde eine eigenständige Bearbeitung der Gottesfrage zugemutet (praeambula ad artículos fidei. S. th. 1,2,2 ad 1); der Glaube hatte sich rational im Kontext wissenschaftlicher Welterkenntnis und ethischer Verhaltensregeln auszuweisen. Nach dem 13. Jh., das der Theologie die Anfänge wissenschaftstheoretischer Selbsterfassung, der Philosophie den Beginn einer eigenständigen Entwicklung neben der Theologie bescherte, wurde der bei Thomas erreichte Gipfel des Gleichgewichts von Glaube und Denken verlassen. Glaube und Denken arbeiteten im Blick aufeinander ihr eigenes Wesen schärfer heraus. Auch stellten sie Grenzen der Reichweite des jeweiligen Gegenübers fest. In der ockhamistischen Tradition, die der Vernunft immer weniger das Vertrauen entgegenbrachte, daß sie auch in der Gottes- und Heilsfrage den Menschen auf den richtigen Weg bringe, entfaltete schließlich Martin Luther seine Aussagen über Fides und Ratio. Luther, der die Verhältnisbestimmung von Glaube und Denken zu einer Aufgabe der -»Zweireichelehre werden ließ, unterschied generell ein Gebiet, für das die Vernunft zuständig ist (z. B. Politik, Wissenschaft und Künste), von einem zweiten Gebiet, auf dem sie versagt: dem des Glaubens, überhaupt dem der Anthropologie. Luther machte die Lehre vom Menschen, die ihrerseits ein klassisches Untergebiet der Metaphysik ist, zum Schauplatz eines theologisch notwendigen Streits mit der Vernunft. Er bekämpfte zudem die Glaubenslehren der hoch- und spätmittelalterlichen Scholastik wegen deren Orientierung an der Anthropologie und Metaphysik des Aristoteles. Da letztere „das Sein der vernünftigen Natur nicht anders vorstellen kann, denn als eines, das sich seiner Entelechie entsprechend in Akten bzw. in der Praxis verwirklicht" (zur Mühlen 42), werden unter ihrer Vorherrschaft auch die Gnade und der Glaube Bestimmungen der freien menschlichen Selbstverwirklichung. Mit Bezug hierauf behauptete Luther, daß die Philosophie oder die Ratio vom Menschen, der in Wahrheit keinen freien Willen habe und göttlicher Rechtfertigung bedürfe, im Vergleich zur Theologie „fast nichts weiß" (Disputatio de homine 1536, WA 39/1, 174-180). Luther unterstützte mit der Rückseite seiner Argumentation auch einen für die Moderne nicht uninteressanten weltlichen Vernunftbegriff oder eine Ent-Soteriologisierung des Denkens, durch die dieses aus den Fesseln des menschlichen Selbstrechtfertigungsstrebens heraustreten könnte. Aber damit setzte sich Luther in der Neuzeit keineswegs durch. Eher knüpfte die neuere Philosophie - vermittelt durch historische Brücken wie z.B. den -»Deismus - beim Vernunftbegriff der „anderen" (humanistischen) Reformation des 16. Jh. an, wie sie etwa durch -»Erasmus von Rotterdam auf den Weg gebracht wurde. Bei ihm rückten Glauben und vernünftig-sittliches Denken ganz eng zusammen. Hierbei wurde ein gewisser Biblizismus von Einflüssen aus dem italienischen Renaissance-Platonismus des 15. Jh. unterstützt. Die von Luther unterstrichene eigentümliche Art des Glaubens, Gott und die Wahrheit gerade dort wahrzunehmen, wo die Vernunft nur Ungöttliches, Übel oder Widersinn erblickt, blieb nahezu unbeachtet. Wenn es eine direkte Wirkung Luthers auf die Aufklärungsphilosophie gibt, dann die, daß sich diese Philosophie auf der historischen Folie von Luthers exklusiver und neuartiger Überweisung der anthropologischen Frage an den Glauben allein provozieren ließ zu einem ebenso exklusiven und neuartigen Abheben auf die Vernunft allein als auf die normative Quelle menschlicher Selbsterfassung und -bestimmung. In -»Kants Aufklärungsprogramm wurde schließlich das Verhältnis von Glaube und Denken sogar dem Ansatz bei -»Anselm von Canterbury gegenüber umgekehrt: Nicht mehr erhielt die Ratio einen eigenen Betätigungsraum unter der umfassenderen Anleitung der Fides, sondern diese sollte sich nun einfügen in die „Grenzen" jener. »Hegel philosophierte dann

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bereits „nach der Aufklärung". Dies zeigte sich weniger daran, daß er, wie schon Kant und Fichte, meinte, die Zeit des Glaubens, des Dogmas und der Kirche sei vorüber, begonnen aber habe die Zeit des vernunftgemäßen Denkens. Sondern neu war, daß jetzt der christliche Offenbarungsglaube als Denken angeeignet werden sollte! Preisgegeben hat Hegel, vermeintlich, nur die Form, nicht den Inhalt des Glaubens, den er sogar mit dem Gegenstand der Philosophie gleichsetzte. Dies war ein Vorgang, bei dem sein Schüler Ludwig ->Feuerbach freilich den „unselige(n) Widerspruch der neuen Zeit" verschärft zum Ausdruck kommen sah: Es werde bei Hegel so getan, als lasse sich der Gottesgedanke retten durch eine Übernahme des Gegenstands der Theologie in die Philosophie. Es sei aber nicht nur die Zeit des Glaubens vergangen, sondern auch die Zeit des Atheismus gekommen. Darum könne der bei Hegel sich „aus seiner Negation wieder herstellende Gott" nicht ein wahrer, sondern „nur ein sich selbst widersprechender... Gott" sein (Grundsätze der Phil, der Zukunft, 1843, § 21). - Dennoch wirkte selbst bei Feuerbach der klassische griechische Zusammenhang zwischen Denken und Sich-auf-Gott-Beziehen noch nach. Auch eine Prägung durch Hegel zeigte sich in der Formulierung Feuerbachs: „Nur wo du Gott denkst, denkst du rigoros gesprochen..." (Das Wesen des Christentums, hg. v. Werner Schuffenhauer, I Berlin 1956,68). Als das eigentlich zu denkende Göttliche sollte nun jedoch — so die Pointe der Religionskritik - das göttlich-reiche Wesen des Menschen als ,Gattungswesen' gelten! Anders als bei Hegel sollte der rigoros dem Denken verpflichtete Mensch gerade nicht mehr den Gedanken eines real existierenden Gottes fassen! Die europäische Theologie befindet sich noch heute in einer Auseinandersetzung mit diesen neuzeitlichen Entwicklungen des Denkens. Sie vollzog im 20. Jh. immer wieder Rückbesinnungen auf die verschiedenen, vom Kirchenglauben wegführenden Weichenstellungen des Denkens auf dessen Weg von der Aufklärungsphilosophie in den Linkshegelianismus hinein. Die „Wahrheitsmomente", die von Theologien im 20. Jh. rückblikkend jeweils einzelnen solcher Weichenstellungen zugebilligt wurden, entschieden oftmals über das Profil dieser Theologien und auch über die systematischen Differenzen zwischen ihnen! 1.3. Der Ertrag dieser kurzen Übersicht: In der christianisierten Zivilisation mußte sich der christliche Glaube immer wieder bewähren und erneuern im Durchgang durchs philosophische Denken, und mußte sich philosophisches Denken immer wieder bewähren und erneuern in der Auseinandersetzung mit dem und in der Erinnerung an den christlichen Glauben. Die Notwendigkeit, sich auf neue Situationen einzustellen, erfordert beim Glauben auch heute noch die Bereitschaft, Realitäten und Erkenntnisse zu integrieren, mit denen philosophisches Denken schon seit längerem Umgang pflegte ohne bislang in der Theologie Gefolgschaft gefunden zu haben. Und diese Notwendigkeit erfordert umgekehrt auch beim Denken noch immer die Bereitschaft, zu integrieren, was vordem den Glauben allein beschäftigte. Im übrigen bietet die europäische Geschichte viel Anschauungsmaterial solcher Verschiebungen von Themen und Erkenntnissen zwischen Glaube und Denken, zwischen kirchlichem und philosophischem Wahrheitsbegreifen. Manchmal dauerte es rund hundert Jahre, bis die „hier" beschäftigenden Fragen und Einsichten „dort" ankamen (hierzu: Gestrich, Neuzeitl. Denken 127-133. 169-172). Wenn dieser eigentümliche Befund überhaupt verständlich werden kann, so wird sein Sinn im Horizont der Zeitlichkeit des Daseins erschlossen werden müssen. Warum stellen Glaube und Denken oft nicht zur gleichen Zeit gleiche Wahrheit fest? Darum, weil der Mensch als geschichtliches Wesen der Wahrheit immer nur in der Form einer Zeitansage teilhaftig wird (vgl. Ebeling, Wort und Glaube 2,94). Bei der Ansage, wie spät es im Leben ist, gelangen Glaube und Denken oder Theologie und Philosophie immer wieder zu unterschiedlichen Einschätzungen. Appelliert doch der Glaube an das Unverfügbare als Lebensquelle, das Denken aber an die Wirklichkeitsbemächtigung als Lebensquelle. In beides ist unser Leben verwoben! Glaube und Denken erfassen kontrovers, was der Mensch sich „gefallen lassen" soll und was er „verändern" kann - und dies auf dem

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Hintergrund der vergehenden Zeit, die uns teils Möglichkeiten gibt, die wir verkennen, teils Möglichkeiten nimmt, die wir noch zu besitzen meinen. Glaube und Denken liegen darum auch im Streit darüber, was als uns noch eingeräumte Zeit, als offene Zukunft, und was als von uns bereits verwirkte Zeit zu bewerten ist. Glaube und Denken sind keineswegs Exponenten einer je verschiedenen, einer „doppelten Wahrheit", sondern sie sind Kontrahenten in der Ansage, wie, wann und wo die eine Wahrheit „sich zeitigt"! Wirklicher Glaube verändert nicht die Wahrheit des Denkens, indem er etwa eine „christliche Philosophie" an ihre Stelle setzte; aber er gibt möglicherweise dem, was im Denken ein „Letztes" ist, den Rang eines nur „Vorletzten". Eine andere Deutung der Differenz zwischen Glaube und Denken bot Martin -»Heidegger, der den Glauben als ein Sich-Verpflichtetwissen durch absolute (Offenbarungs-) Autorität, das Denken aber als ein absolutes Sich-Verpflichtetwissen durch die Offenheit, alles frag-würdig sein zu lassen, wertete. „Die Unbedingtheit des Glaubens und die Fragwürdigkeit des Denkens sind zwei abgründig verschiedene Bereiche" (Heidegger, Denken 110). Allerdings dürfte Heidegger zu wenig gewußt haben von der auch im Glauben liegenden Tendenz zur „Existenz ohne Stützen" in der Krise oder im Zerbrechen vermeintlich fester Antworten, Werte und Autoritäten. Ebenso unterschätzten andere oftmals schon die intellektuelle und die humanistische Potenz des Glaubens; freilich im Raum der Kirche auch umgekehrt die religiöse Potenz des Denkens. Im folgenden wird die Frage der existentiellen Vereinbarkeit von Glaube und Denken näher untersucht. 2. Glaube und Denken im Zusammenhang

der

Anthropologie

Wirklicher Glaube und echtes philosophisches Denken kommen menschlich überein im Streben nach Humanität, einschließlich der Wahrheitsliebe. Aber während gläubiges Dasein, das in Christus „seinen Meister" hat, ein „Existieren in einer letzten tiefsten Unverantwortlichkeit" bedeutet (Karl Barth, KD 1/2,299), ist Denken existentieller Vollzug menschlicher Selbstverantwortlichkeit. Es stehen vier Differenzpunkte zwischen Glaube und Denken: a) Der Glaubende schöpft aus einem autoritativen „Wort", das er nur empfangen kann. Das Denken ist eine eigene menschliche Möglichkeit; es ist Ausdruck der -»Autonomie (Freiheit) und der aktiven Weltbewältigung. b) Der Glaubende erkennt aus bestimmten, für Gott transparenten Geschichtsereignissen die absolut gültige Wahrheit. Sofern es auch dem Denken um diese Wahrheit geht, muß es vom „bloß Historischen" gerade abstrahieren. Denn „zufällige Geschichtswahrheiten können der Beweis von notwendigen Vernunftswahrheiten nie werden" (Lessing, Über den Beweis des Geistes und der Kraft, 1777). c) Während man sich im Glauben auf die von Gott verheißene neue Welt ausrichtet und die jetzige Welt als „vergehend" begreift, kennt man im Denken nur diese Welt in ihrer Evolution oder metaphysischen Konstruktion. d) Glaubende benötigen die Gemeinschaft der Gläubigen (Kirche). Denken oder Philosophieren aber drängt nicht auf die Bildung besonderer Gemeinschaften. Soweit stellen Glaube und Denken zwei fundamental verschiedene Verpflichtungszusammenhänge dar. Aber sind sie überdies auch existentiell unvereinbar? Diese Frage wurde schon am Anfang des 19. Jh. im Dialog zwischen dem Theologen -»Schleiermacher und dem Philosophen —• Jacobi kontrovers beantwortet. In einem Streitgespräch von 1963/64 über „Denken und Glauben" zwischen Helmut Gollwitzer und Wilhelm Weischedel erklärte der letztere (Philosoph): „Christlicher Glaube und philosophisches Denken sind in der Situation der Gegenwart unvereinbar" (Gollwitzer/Weischedel 20). Gollwitzer (Theologe) widersprach: Der Philosoph habe keinen Anlaß, sich von vornherein mit der Position des Unglaubens zu identifizieren oder im Glauben eine entstellende Beeinflussung des Denkens zu vermuten (ebd. 276, vgl. 282). Diese Meinungsdifferenz resultiert aus der neueren europäischen Geschichte der Konkurrenz von Theologie und Philosophie, in der die Frage der existentiellen Vereinbarkeit von Glaube und Denken

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Glaube und Denken

immer wieder auch eine Frage des jeweils vorliegenden Theologie- oder Philosophieverständnisses war. Daß es sich bei dieser Frage um ein Schlüsselproblem der Neuzeit handelt, zeigte zutreffend wiederum Ludwig Feuerbach. „Wenn es bei Descartes heißt: Ich denke, ich bin, d.h. mein Denken ist mein Sein, so heißt es dagegen bei Luther: mein j Glauben ist mein Sein" (SW, neu hg. v. W. Bolin/F. Jodel, III 1906,14f). Demnach stehen bei Descartes und Luther „neuzeittypisch" einander gegenüber: ein vom Subjekt ausgehender aktiver, alles einschließlich der eigenen Vorfindlichkeit hinterfragender Zweifel und eine von außen her geschenkte (Glaubens-) Gewißheit Gottes, der Weltwirklichkeit und der eigenen Existenz. Ferner: die Begründung des Denkens auf das eigene menschli10 che Ich (die zugleich eine Selbstbegründung des Ichs/Subjekts aufs eigene Denken bedeutet) und, andererseits, das Begründetsein des Denkens und zugleich der eigenen Existenz in Gott.

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2.1. Doch nun befinden sich Theologen und Philosophen heute gleichwohl nicht in der Situation, entweder dem Weg Luthers oder dem Weg des Descartes folgen zu sollen! So urteilt mit Recht z. B. Gerhard Ebeling (1967) in einer sorgfältigen Studie über Gewißheit und Zweifel. Für die heutige Theologie ist die cartesische Haltung, nichts Prüfbares ungeprüft aus der Vergangenheit zu übernehmen, grundsätzlich positiv zu bewerten (darum: historische Kritik als Beseitigung falscher Stützen des Glaubens!). Umgekehrt kann das von Descartes herkommende moderne philosophische Denken aus Luthers oder auch Kierkegaards Einsicht in die existentielle Situation des denkenden Menschen manches lernen („Existenzphilosophie"!). Die seit -»Descartes fortschreitende philosophische Destruktion des metaphysischen Gottesgedankens (nicht der Metaphysik selbst!) wirft für die heutige theologische Gotteslehre unerwarteten Gewinn ab. Dieser Destruktionsprozeß setzte ein, als Gott zwar noch notwendigerweise gedacht werden mußte (weil der gedankliche Gehalt des Gottesbegriffs zugleich Inbegriff des Denkens war), aber gleichwohl nicht mehr als fraglos existierender Gott angesehen wurde. Gottes essentia, die noch für das mittelalterliche Denken Gottes existentia einschloß, verselbständigte sich im Denken der Neuzeit. In der zwischen beiden aufgebrochenen Kluft fand dann das sich auf sich selbst begründen wollende menschliche Denken der Neuzeit seinen Ort und Spielraum (vgl. Ratschow, Gott existiert 25; Jüngel, Gott als Geheimnis §9). Danach wurde es immer schwieriger, die Affinität des Denkens zum Wesen - nur noch zum Wesen! - Gottes aufrechtzuerhalten oder Gott in seiner wesenhaften Unendlichkeit überhaupt noch zu denken. Das Denken wurde auf die Linie der Vergänglichkeit zurückgenommen. Der Gottesbegriff fiel der philosophischen Religionskritik anheim. Rhetorisch fragte Nietzsches Zarathustra: „Könntet ihr einen Gott denken}" (SW Krit. St.-Ausgabe in 15 Bd., hg. v. G. Colli/M. Montinari, IV 1980, 109). „Nietzsche stellt die Denknotwendigkeit Gottes infrage — um des Lobes und der Rechtfertigung aller Vergänglichkeit willen" (Jüngel, a . a . O . 169). Die bei Nietzsche vollendete Selbstabwendung des abendländischen Denkens von seiner ursprünglichen Verbindung zum Begriff eines unendlichen, autark-unabhängigen göttlichen Wesens wird in der Gegenwartstheologie zunehmend als eine für die theologische Gotteslehre hilfreiche philosophische Entwicklung bewertet. Zur theologischen Verarbeitung trugen die Erwägungen zum „Tode Gottes" während der sechziger und siebziger Jahre bei. Seither reflektieren viele Theologen Gottes wesenhafte Zugewandtheit zur Endlichkeit. Eberhard Jüngel vertritt die These: „Die Einheit Gottes mit der Vergänglichkeit wird sich... als die tiefste Begründung der Denkbarkeit Gottes erweisen" (ebd. 227). Andererseits sind die herkömmlichen Hinweise der Theologie auf die Existenzproblematik des denkend sich selbst sichern wollenden Menschen erst im 20. Jh. philosophisch und psychologisch eingehender aufgenommen worden. Descartes hatte in seinen Meditationes de prima philosophia (1641) in der Weise das Ich zum Grund des Denkens gemacht, daß er von diesem - formalisierten - Ich das eigentlich Existentielle, insbesondere die Zeitlichkeit und die naturhafte ursprüngliche Zusammengehörigkeit von Subjekt und

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Objekt, abstrahierte (eindrücklich dargestellt bei Thielicke, Glauben 64ff). Dieses Ausblenden des unabhängig vom Denkakt immer schon bestehenden Lebenszusammenhangs zwischen dem denkenden Subjekt und seiner Welt nannte Heidegger den cartesischen Ansatz der neuzeitlichen Metaphysik. Mit diesem Ansatz sei in der Neuzeit ein sicherstellendes, vorstellendes und herstellendes Denken zum Zuge gekommen (vgl. Heidegger, Was heißt denken 60 u.ö.). Entgegen dem wirkungsreichen cartesischen Denkansatz suchte Heidegger ein „echtes", „ursprüngliches" Denken aufzubieten, das er auch als „ D a n k e n " kennzeichnete (vgl. Heidegger, Metaphysik 49). Dies schien existentiellen Intentionen des christlichen Glaubens nahezukommen. Doch besteht eine wichtige Differenz. Heidegger mußte es offenlassen, ob in absehbarer Zeit gegenüber dem cartesischen Denken wirklich jenes ursprüngliche Denken wieder Platz greifen könnte; oder ob sich uns der Seins-Grund und das zu-Denkende weiterhin zugunsten einer noch bevorstehenden Steigerung des Cartesianismus entziehen werden. Demgegenüber darf der Glaube Gott nicht ein solches geschickhaftes, unabsehbares Sich-uns-Entziehen oder auch Sichuns-wieder-Zuwenden unterstellen. Den Glauben kennzeichnet es gerade, mit der Anwesenheit Gottes mitten in der Finsternis zu rechnen (Joh 1,5)! Gegenüber dem Denken hat er sich hierbei allerdings vor der Einbildung nicht vorhandener Seinsfülle und vor Sekurität zu hüten. Als Sekuritätsstreben wird er ebenso pervertiert, wie das „sicherstellende D e n k e n " eine die Vernunft verderbende Abkehr vom Seins-Grund darstellt. 2.2. Die Probe für Glaube und Denken ist, wie sie es mit der -*•Erfahrung halten. Neuzeitliches Denken zeigt einen ausgeprägten Willen, der Erfahrung standzuhalten. Das zeigt sich, wo es sich als Aufklärung versteht oder wo es sich in den Haltungen des Fragens, der Skepsis, des zum Grundsatz gewordenen experimentellen Prüfens und der Untersuchung der Grenzen unseres Verstands bewegt. Oft hat moderne Theologie das neuzeitliche Denken wegen dieses Ethos' und der Kraft, auch dunkler, widerwärtiger Erfahrung standzuhalten, beneidet. Andererseits klagen inzwischen mit Recht nicht allein viele Theologen, in der Neuzeit habe sich ein Denken durchgesetzt, das gerade unser „Erfahrungen-machen-Können" eskamotiert. Diese Klage bezieht sich auf den verallgemeinernden und dem künstlich gestellten Experiment zugewandten Charakter des (cartesischen) modernen Denkens: Einzelnes wird nicht als etwas Individuelles begriffen, sondern als etwas Typisches, das sich gesetzmäßig wiederholt. Auch der Mensch wird in dieser Sicht der Tendenz nach „auswechselbar". Das schneidet ihn nicht nur ab von der Erfahrung, zu der immer das Einmalige einer individuellen Situation gehört. Sondern das steht auch im Widerspruch zur Intention des Glaubens, die Person bei ihrem Namen zu behaften. Doch werfen sich hier Philosophie und Theologie oft wechselseitig vor, abzuschneiden von der Erfahrung und nach eigener Unangreifbarkeit zu streben. Mit Recht sagt der protestantische systematische Theologe Walter Mostert: „ . . . das Wesen des christlichen Glaubens liegt . . . gerade nicht in der Sicherheit der Begründung durch eine Offenbarung im Unterschied zu einer behaupteten Unsicherheit der Vernunft. Dies ist eine, immer noch mächtige, falsche Alternative. Vielmehr steht der Glaube mit der humanen Vernunft gegen die generalisierende, sich autoritär absichernde metaphysische Vernunft auf der Seite der Realität des Individuellen" (Mostert: Z T h K 7 2 , 4 4 1 ) . In diesem Urteil wird nicht nur der Glaube angemessen differenziert gesehen, sondern auch das „moderne D e n k e n " : Dieses ist eben nicht nur „ M e t a p h y s i k " , sondern hat als „humane Vernunft" auch Potenzen, die die Gewinnung echter Erfahrung fördern. Demnach haben Glaube und Denken ein je eigenes Charisma, zur Erfahrung anzuleiten. D a das menschliche Dasein die existentielle Vereinbarung widersprüchlicher Lebenstendenzen verlangt - z.B. die Vereinbarung von Konsum und Verzicht, Haben und Sein, Nehmen und Loslassen können sich Glaube und Denken offenbar in je verschiedenen Lebenssituationen wechselseitig zur Erfahrungshilfe werden. Damit wäre dann auch ihre existentielle Vereinbarkeit erwiesen! In der praktischen Frömmigkeit kann vor allem das

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Gebet sowohl ein Akt des Glaubens sein, durch den neue Erfahrung erschlossen wird, wie auch ein „ A k t des Denkens, in dem Erfahrung reflektiert und reflektierte Erfahrung erzählt w i r d " (so Bernet 165). Erst der Verlust des Glaubens o d e r der Widerwille gegen ihn gefährden das Denken, wie auch der Verlust des Denkens den Glauben gefährdet. Beide werden dann leicht zu Platzhaltern des von ihnen nicht m e h r zu Verantwortenden. Tatsächlich herrschen im 20. J h . machtvolle und historisch abkünftige Strömungen, die auf problematische Weise zur jeweiligen Überfrachtung von Glaube und Denken und zur Isolierung des Glaubens gegenüber dem Denken drängen. 2.2.2. Als Hans Albert der zeitgenössischen Universitätstheologie Irrationalismus und Antiwissenschaftlichkeit vorwarf (Traktat über kritische Vernunft 1968 3 1975), kam es zu einer vielbeachteten Kontroverse mit Gerhard Ebeling. Dieser konstatierte eine Verpflichtung, auch als Theologe „an der allgemeinen Denkverantwortung teilzunehmen". Er nahm sich daher in diesem konkreten Fall vor, die unzureichenden Voraussetzungen der Kritik Alberts und auch des „dem Haupttrend heutiger Weltauffassung zum absoluten Primat machbarer Wirklichkeit" konformen Vernunftbegriffs Alberts aufzuzeigen (Ebeling, Krit. Rationalismus V und 8). Albert, dessen „kritischer Rationalismus" das Prinzip eines konsequenten Fallibilismus vertritt, veröffentlichte 1973 eine heftige Antikritik („Theologische Holzwege"). Im Hintergrund der Kontroverse spielte die - auch innertheologisch und innerphilosophisch diskutierte - Differenz zwischen Hermeneutik und Wissenschaftstheorie eine Rolle. (Literatur und Urteile hierzu bei Suchla; ferner z. B. Welte 38 ff; Schwarzwäller 102 f; Link, Studien 521 f.) 2 . 2 . 2 . D a s D i l e m m a des Auseinandergetretenseins von Glaube und Denken spiegelt sich auch in den im 2 0 . Jh. geführten Diskussionen wider über die Möglichkeit einer philosophischen Theologie, eines philosophischen Glaubens o d e r eines gläubigen Denkens. Alle in diesen Begriffsverbindungen hergestellten Beziehungen sind umstritten. Karl Jaspers wollte beispielsweise keine philosophische Theologie entwerfen. Aber er trat ein für die Anerkennung eines spezifischen philosophischen Glaubens. Wilhelm Weischedel wiederum, der überhaupt „ G l a u b e n " nicht mehr mit der Haltung des Denkens vereinbaren konnte, meinte: „ A u s der denkenden Erfahrung der Fraglichkeit könnte schließlich eine philosophische Theologie hervorgehen, die nach dem Ursprung der uns überkommenen Fraglichkeit sucht, und die , G o t t ' in der für ein ehrliches Philosophieren allein noch verbleibenden Weise als das Vonwoher der Fraglichkeit f a ß t " (Gollwitzer/Weischedel 2 9 7 ) . - R u d o l f Bultmann schließlich lehnte auf ein „gläubiges D e n k e n " oder auf eine „christliche Philosophie" hinzielende Konzeptionen, im Unterschied etwa zu Emil Brunner, vor allem aus theologischen Gründen radikal ab. Ebenso wie Weischedel hielt auch Paul -»Tillich die bei Jaspers begegnende Rede von einem philosophischen Glauben für fragwürdig (Syst. Th. 1,31 Anm. 1). Tillich behauptete, der Philosoph stehe in einem distanzierteren Verhältnis zu seinem Gegenstand - der Struktur des Seins - als dies beim Theologen der Fall sei. Der Philosoph stehe nicht, wie der Theologe, in einer existentiellen „Bindung an den Inhalt, den er erklärt". -»Jaspers Anliegen (Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung 1962/1980) wird aber gerade durch Tillichs einseitige Problemsicht verständlich, weil nämlich Jaspers die ihm vorgreifend abgesprochene existentielle Haltung durchaus für seine Denkarbeit beanspruchte! Mehr noch: Jaspers wollte ausdrücklich für die Sache des recht verstandenen Christentums philosophisch eintreten in einer Zeit, in der das kirchlich-dogmatische Wahrheitsethos nicht mehr genügend glaubwürdig sei und in der der christliche Glaube einer denkenden Erneuerung bedürfe. Der Glaube müsse durchs Denken hindurchgehen, um nicht konkrete anthropomorphe Gottesbilder („Chiffren") mit Gott selbst zu verwechseln und nicht die jeweils eigene Gottesvorstellung mit Gott, wie er für alle ist, gleichzusetzen (ebd. 428). Denken destruiert den vermeintlichen Besitz eines gegenständlichen Wissens von Gott (vgl. ebd. 385.389). - Während nach Rudolf -»Bultmann nur der bibelgemäße Glaube das Gott „objektivierende" Gottesverhältnis durchbricht, muß diese Durchbrechung nach Jaspers heute vom philosophischen Denken geleistet werden. (Zur theologischen Kritik an Jaspers - offenbarungslosem - Denken der Transzendenz s. auch Karl Barth, KD IH/2,133-143 sowie die vornehme Reaktion von Jaspers, Der philosophische Glaube 4 8 5 - 4 8 8 . )

Glaube und Denken 3. Glaube und Denken im Zusammenhang

der systematischen

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3.1. Unbewältigte Probleme im Verhältnis von Glaube und Denken bestimmen die Gegensätze in der systematischen Theologie. Unter systematischen Theologen ist heute die Bereitschaft groß, sich um rationale Klarheit ihrer Arbeit zu bemühen und ihr Durchj denken des christlichen Glaubens mit der allgemeinen Forschung und Wahrheitsfrage zu verbinden. Hatten in der ersten Hälfte unseres Jh., wie die dialektische Theologie zeigt, die Gründe überwogen, die für eine Entgegensetzung von Offenbarung und Vernunft, von kirchlicher Glaubenslehre und freier Wahrheitsforschung sprechen, so überwiegen heute wieder die Gründe dafür, die Theologie einzubeziehen in die allgemeine wissenschaftliio che Verständigung und deren Theoriebildungen. Auch wer noch immer in der Tradition der dialektischen „Theologie des Wortes Gottes" arbeitet, will deren Grundgedanken jetzt im Zusammenhang mit den Fragen des allgemeinen Denkens explizieren. Breite Zustimmung findet Dietrich —»Bonhoeffers Akzentuierung des Gedankens, es gebe „das Christliche nicht anders als im Weltlichen, das ,Übernatürliche' nur im Natürlichen, das 15 Heilige nur im Profanen, das Offenbarungsmäßige nur im Vernünftigen" (Ethik 6 1963, 211).

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3.1.1. Die Zeichen stehen also auf Annäherung. Die konvergierenden Tendenzen im Verhältnis von Glaube und Denken sind wieder ausgesprochen stark. In der systematischen Theologie zeigt sich dies an folgenden fünf Symptomen: a) An einer veränderten Stellung zur Toleranz. Sah noch Heidegger das Besondere des Denkens darin, daß jede Art von Polemik seine Haltung im voraus verfehle (Was heißt Denken 49), so trägt sich heute auch die Wissenschaft vom Glauben betont „dialogisch", „konziliar", „ökumenisch" und eingedenk der Partialität und Korrekturfähigkeit des eigenen Standpunktes vor. Bei Heidegger allerdings stand das Bewußtsein im Hintergrund, daß die Wahrheit sich von selbst durchsetzt. In der gegenwärtigen Theologie aber dürfte das Bewußtsein im Vordergrund stehen, daß es in ihrer eigenen Vorgeschichte zu viele Absolutheits-,,Ansprüche" und unbegründete Denk- und Glaubenszumutungen gegeben hat. Noch Jaspers klagte: „ . . . der Ton der Glaubensaussagen, die andere Rangordnung der Dinge, die Ausschließlichkeit, der verborgene Abbruch der Kommunikation können entfremden" (479). b) Ein wichtiger Ertrag der wissenschaftstheoretischen Reflexionen der theologischen Arbeit (-> Wissenschaftstheorie) während der siebziger Jahre ist die Erinnerung, daß theologische Aussagen in ihrer Reichweite überschaubar sein und auf einem nachprüfbaren Denkweg gewonnen werden müssen. Theologische Sätze, die, naiv verstanden, immer den christlichen Glauben bedenkende Äußerungen sind, sollen hinsichtlich ihrer Funktion theoretisch geklärt werden. Zugleich sollen sie in ihrem tatsächlichen Status erkennbar werden: nämlich als Hypothesen teils „mittlerer", teils „unbegrenzter" Reichweite - letzteres, wenn es sich um göttliche Verheißungen handelt, auf die die Theologie baut (Sauter, Methodenstreit 65 f und Kritik 268). Diese Klärung wird wegen der Lernund Erneuerungsfähigkeit sowie der wissenschaftlichen Kommunikationsfähigkeit der Theologie verlangt. Kaum wird heute mehr bestritten, daß theologische Sätze der logischsemantischen Kontrolle unterliegen sollen. Strittig ist jedoch, wie auch eine Kontrolle theologischer Aussagen von ihrem Bezug auf die Glaubenserfahrung her durchgeführt werden soll. Hierbei bleibt zum einen kontrovers, wie nahe die Theologie an das herankommt, was im Glauben erfahren wird. Sauter erblickt, wie früher schon Bultmann, im empirisch begegnenden „beschreibbaren Reden von G o t t " diesen nicht zu übersteigenden Erfahrungsbezug der Theologie. Pannenberg aber sieht ihn im Glauben selbst, in dessen Einheit von religiöser und alltäglicher Erfahrung (Sauter: EvTh 40, 166f). Zum anderen bleibt kontrovers, ob und wie Erfahrung im Zusammenhang mit der Theologie im Blick sein könnte als eine Erfahrung, die Erfahrung reflektiert (hierzu Pannenberg: EvTh 40, 176ff). c) Der theologischen Einsicht, daß „Glauben immer auch eine Umkehr bedeutet",

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Glaube und Denken

steht der philosophische Anspruch z.B. bei Jaspers gegenüber, angesichts drohender Menschheits-Selbstvernichtung gerade das Denken einzustimmen auf die „Befreiung durch . . . ständig erneuerte U m k e h r " ! „In der Situation heute" bringt, Jaspers zufolge, Umkehr „zum eigentlichen Menschsein" und wird „zum Ursprung der Rettung" (449.470). d) Hatte die dialektische Theologie kaum Verantwortung für die außerkirchlichen christentumsgeschichtlichen Folgen des christlichen Glaubens übernommen, so wächst in der systematischen Theologie jetzt wieder das Bewußtsein der Verpflichtung, das Christentum in seiner neuzeitlichen Verfassung einschließlich säkularer politischer und geistiger Entwicklungen theologisch ernstzunehmen. Dies bedeutet, die letzteren in einer „Theorie des Christentums" zu berücksichtigen (vgl. Rendtorff, Theorie). e) Mehrere bedeutsame systematisch-theologische Entwürfe stellen denkerisch das atheistische spätneuzeitliche Selbst- und Wirklichkeitsverständnis philosophischer Vernunft infrage. Sie akzeptieren dieses nicht unter Hinweis auf ausgeklammerte, gleichwohl nicht verdrängbare Denkfragen oder Wirklichkeitsbereiche. Sie versuchen, durch eine Ausarbeitung dieser Kritik Glaube und Denken wieder einander näherzubringen. Das gilt für Ebeling, Herms, Pannenberg, Rahner, Tillich und zahlreiche andere. Ihre Konzeptionen unterscheiden sich manchmal darin, daß sie entweder mehr auf Anregungen Schleiermachers oder mehr auf Anregungen Hegels zurückkommen. Wilfried Joest charakterisiert das Wollen dieser Theologen so (121): Sie halten das moderne atheistische Denken „bereits auf der philosophischen Ebene für bestreitbar und fordern . . . eine Theologie, die mit dem Atheismus der radikalen Religionskritik nicht paktiert (und dabei meint, das Christentum dann aus dieser Kritik heraushalten zu können), sondern sich gegen ihn auf eine sich selbst besser verstehende Vernunft beruft. In der Vernunft selbst ist Gott angemeldet. Das gilt es zu erhellen . . . " . Joest skizziert sodann (121 ff) die relativen Differenzen zwischen dem bei Tillich, Rahner und Pannenberg gewählten Weg. Bei allen geht es um ein denknotwendiges Transzendieren der Immanenz, damit sie von einem alles einzelne umfassenden Horizont her den „ S i n n " von Sein (Tillich), einen dem Sein vorgegebenen und es bejahenden „personhaften Willen" (Rahner) oder den Ermöglichungsgrund menschlicher Freiheit (Pannenberg) aufweisen können. Vor einem halben Jahrhundert hatte bereits Karl - > H e i m ähnliche Anstrengungen unternommen. Mit R e c h t wies er auf das Problem hin (12f): Das moderne Denken neigt in dem Sinne zum -»Monismus, daß es die Weltwirklichkeit nicht mehr transzendiert. Das hat zur Folge, daß es keinen Standpunkt gewinnt, von dem aus es die Wirklichkeit als ganze in den Blick b e k o m m t . Es muß immer ein Stück Wirklichkeit für das Ganze ausgeben. Dies aber pflegt auch ideologisch ausgemünzt zu werden, um „den Sieg einer bestimmten Wirklichkeit . . . innerhalb des Weltganzen" durchzusetzen. Heims Beobachtung stimmt. Aber einige Schwächen der Argumentation, die eine heutige Wirkung von Heims „Philosophie der R ä u m e " , die in Weiterführung der Lehre Kants von den „Anschauungsf o r m e n " gewonnen wurde, verhindern, liegen darin, daß H e i m seinen Ansatz auch zu einseitiger Polemik gegen das aus dem kommunistischen Osten k o m m e n d e Denken nutzte. Ferner darin, daß er seine Denkwege zu eng mit schnell vergänglichen naturwissenschaftlichen Theoriebildungen verband.

3.1.2. Die Vertreter der zuletzt benannten theologischen Kritik am spätneuzeitlichen atheistischen Denken stehen alle der methodischen Grundlegung und der Sprache der Kirchlichen Dogmatik Karl Barths relativ fern. Aber auch von dieser wird heute zunehmend erkannt, daß ihre Disparatheit zum philosophischen Denken, insbesondere auch zur Logik hin, geringer ist, als früher angenommen wurde. Was bei dieser Dogmatik immer als eigentlich schwierig empfunden wurde, ist ihr axiomatisches Ausgehen von der Existenz Gottes in seiner Offenbarung im Sinne der Barthschen These: „ . . . ein verantwortliches und gegenwärtiges, mit der Zeitgenossenschaft in realer Beziehung stehendes theologisches Denken wird sich . . . als solches . . . dadurch ausweisen, daß es sich über die Begründung seines Grundes, über Fragen wie: ob Gott ist, ob es eine Offenbarung gibt usw. in keine Diskussion einläßt, sondern sich, ungerechtfertigt in seinem Tun, . . . als

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Denken a u s diesem G r u n d faktisch vollzieht und d a m i t als Z e u g n i s des G l a u b e n s gegen den U n g l a u b e n faktisch auf dem Plane i s t " ( K D 1/1,28). Diese A x i o m a t i k k a n n nun aber von der in B a r t h s S c h ö p f u n g s l e h r e vollzogenen A u s e i n a n d e r s e t z u n g mit d e m cartesischen A n s a t z des m o d e r n e n D e n k e n s her als d u r c h a u s sinnvoll verstanden werden. D e n n dort weist Barth a r g u m e n t a t i v a u f : D i e in D e s c a r t e s ' M e d i t a t i o n e n nicht überzeugend gelöste R ü c k v e r m i t t l u n g von Ich und Welt, von S u b j e k t und O b j e k t ( s . o . S. 370) h ä n g t eben d a m i t z u s a m m e n , d a ß D e s c a r t e s sich weigerte oder nicht f ä h i g w a r , v o n der faktischen, nicht zu beweisenden und auch nicht allererst einsichtig zu m a c h e n d e n E x i s t e n z G o t t e s und seiner O f f e n b a r u n g a u s z u g e h e n (vgl. K D 111/1,399,412 f. Auf diese Stelle wies mich cand. theol. Bent F l e m m i n g Nielsen, A a r h u s , hin). Bereits Heinrich Scholz, der, ausgehend von Postulaten wie Widerspruchsfreiheit, Konkordanz mit den Naturgesetzen, Kohärenz der zur Wissenschaft gehörenden Sätze, Kontrollierbarkeit, mancherlei Fragen zur Wissenschaftlichkeit der Theologie Barths stellte, hat ausdrücklich Barths axiomatisches Voraussetzen von Gott und Offenbarung nicht als einen möglichen denkerischen Einwand gegen die Wissenschaftlichkeit der Kirchlichen Dogmatik gewertet (vgl. Ulrich)! 3.1.3. Entsprechend sagt heute auch J ü n g e l , die T h e o l o g i e h a b e die G l a u b e n s g e w i ß heit nicht zu b e g r ü n d e n , sondern von ihr a u s z u g e h e n , a l s o v o m G l a u b e n her zu denken. D a s bedeute aber nicht, d a ß der G l a u b e v o r h a n d e n e A p o r i e n des D e n k e n s g l e i c h s a m a u s überlegener Einsicht tilgen oder w e g w i s c h e n könnte. N o c h , d a ß theologische Sätze, die a u f g r u n d von G l a u b e n und O f f e n b a r u n g entstanden sind, für v e r n u n f t g e m ä ß e s Begreifen sinnlos sein dürften (vgl. G o t t als Geheimnis 228; E n t s p r e c h u n g e n 190). E b e n s o wie Pannenberg versucht auch J ü n g e l , die christliche Wahrheit in ihrer allgemeinen Geltung zu denken. Aber er meint, P a n n e n b e r g s T h e o l o g i e gehe d a b e i so vor, d a ß die Wahrheit des G l a u b e n s von der Vernunft her begründet, einsichtig g e m a c h t werden soll: „ D e r G r u n d des G l a u b e n s soll r e m o t a fide freigelegt werden k ö n n e n " (Jüngel, Entsprechungen 171). D e m g e g e n ü b e r will J ü n g e l die T h e o l o g i e ihren Weg „ v o n innen nach außen, von der spezifisch christlichen G l a u b e n s e r f a h r u n g zu einem universale G e l t u n g b e a n s p r u c h e n d e n G o t t e s b e g r i f f " gehen lassen (Gott als G e h e i m n i s X ) . Die B e m ü h u n g , theologische Wahrheit zugleich als allgemeine Wahrheit auszuarbeiten, legt jeder T h e o l o g i e außerordentliche Schwierigkeiten auf. P a n n e n b e r g erinnert seinerseits d a r a n , d a ß die A u t o r i t ä t des E v a n g e l i u m s in der N e u z e i t „ a l s ein positiver Offenb a r u n g s a n s p r u c h neben a n d e r e n " erscheint. „ D i e Positivität der christlichen O f f e n b a rungslehre steht ihrem A n s p r u c h a u f Allgemeingültigkeit im W e g e " (Pannenberg, Gewißheit 257). Bei J ü n g e l ist d a s Gelingen seiner D e n k g ä n g e letztlich d a r a n zu messen, o b er überzeugend darlegen k a n n , w a s es für eine T h e o l o g i e heißt: v o m G l a u b e n her denken. Wie „ h a t " der T h e o l o g e den G l a u b e n ? In der F o r m von biblischen Z e u g n i s s e n e t w a , in denen er enthalten sein m a g , die aber vielleicht auch ein U n g l ä u b i g e r verständig auslegen könnte? O d e r in der F o r m einer kirchlichen Sprach- und L e b e n s t r a d i t i o n , auf deren aktuelle B e w ä h r u n g s f ä h i g k e i t der T h e o l o g e vertraut? Die größte Schwierigkeit liegt hier jedenfalls in der Frage, o b der T h e o l o g e selbst so eindeutig „ i n n e n " sein und beim Z e n trum des christlichen G l a u b e n s seinen A u s g a n g s p u n k t nehmen k a n n , wie es hier methodisch verlangt wird. D a s Schwierigste liegt nicht d a r i n , o b der T h e o l o g e sein G e g l a u b t e s aucfi denken und einsichtig m a c h e n k a n n , sondern darin, o b er, Denker, der er schon ist, auch g l a u b e n k a n n . - Für P a n n e n b e r g liegt die Schwierigkeit des Versuchs, G l a u b e und Denken einander a n z u n ä h e r n , an einem anderen Punkt. F ü r seinen Weg ist es n o t w e n d i g , auch die Vernunft in ein eigenes unmittelbares Verhältnis zu G o t t e s H e i l s h a n d e l n zu setzen. „ N i c h t erst der G l a u b e hat ein Verhältnis zur Z u k u n f t , indem er vorgreift als Vertrauen auf d a s K ü n f t i g e , Unsichtbare. S o n d e r n schon für die in ihrer offenen G e schichtlichkeit g e d a c h t e Vernunft ist der Vorgriff auf eine letzte Z u k u n f t konstitutiv, weil erst aus d e m nur e s c h a t o l o g i s c h (weil zeitlich) konstituierten G a n z e n die definitive Bedeutung alles E i n z e l n e n " - und die Vernunft f r a g t nach dieser B e d e u t u n g - „ s i c h e r g i b t " . Weil aber die Vernunft faktisch v o n diesem eschatologischen Vorgreifen-Können her lebt,

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G l a u b e und D e n k e n

eröffnet sie, nach P a n n e n b e r g , dem G l a u b e n allererst „den R a u m " für sein „ R e d e n . . . von einer e s c h a t o l o g i s c h e n Z u k u n f t . . . " . Um dieser V e r k l a m m e r u n g von G l a u b e und D e n k e n willen k a n n solches R e d e n des G l a u b e n s , recht verstanden, n i c h t „ a l s vernunftwidrig abgewiesen w e r d e n " ( G l a u b e u. Vernunft 2 5 0 ) . P a n n e n b e r g s Weg m u ß sich daran prüfen lassen, o b a u f ihm n o c h im theologisch erforderlichen M a ß zwischen G l a u b e n und Vernunft unterschieden wird. P a n n e n b e r g beschließt den hier e r w ä h n t e n A r g u m e n t a t i o n s g a n g mit der vielsagenden B e m e r k u n g : „ E i n e Differenz zwischen G l a u b e n und Vernunft bleibt d e n n o c h b e s t e h e n . " Sie läuft d a r a u f h i n a u s , d a ß die Vernunft sich z w a r selbst auf ihre eigene, a b s o l u t e Voraussetzung reflexiv z u r ü c k w e n d e n k a n n , a b e r dies nicht i m m e r tut, sondern es zuweilen s o g a r vergißt - w ä h r e n d der christliche G l a u b e sozusagen von H a u s aus und i m m e r schon a u f das gerichtet ist, w o v o n die Vernunft h e r k o m m t (ebd. 2 5 0 f). F ü r P a n n e n b e r g dürfte die g r ö ß t e Schwierigkeit darin liegen, o b er dem genügend gerecht werden k a n n , daß und warum die Vernunft ihren Ursprung vergißt. J ü n g e l s und P a n n e n b e r g s theologische Arbeiten zeigen, d a ß t r o t z der bei beiden angestrengt a n g e s t r e b t e n K o r r e l a t i o n von G l a u b e und D e n k e n d e n n o c h die K r ä f t e , die G l a u b e und D e n k e n faktisch auseinanderreißen, nicht vollständig g e b a n n t sind. Dies dürfte, im Bild g e s p r o c h e n , d a m i t z u s a m m e n h ä n g e n , d a ß G o t t die Wahrheit in der Neuzeit gut verteilt h a t und d a ß er heute a u c h die t h e o l o g i s c h - k i r c h l i c h e T r a d i t i o n keinen privilegierten Z u g a n g m e h r zu ihr sein l ä ß t . Dies e r k l ä r t , w a r u m sich die T h e o l o g i e n heute dadurch unterscheiden, d a ß sie ihre W a h r h e i t s e r k e n n t n i s bald m e h r , bald weniger im Ü b e r b r ü k ken des G r a b e n s zwischen G l a u b e und D e n k e n zu g e w i n n e n suchen. 3.1.4. D e r Vergleich mehrerer F o r m e n gegenwärtiger systematischer T h e o l o g i e ist deshalb lehrreich, weil er auf die hinter den differierenden E r k e n n t n i s w e g e n liegenden gemeinsamen Aporien a u f m e r k s a m m a c h t . Ulrich Browarzik hat es unternommen, -»Barths „Offenbarungstheologie" mit -»Rahners „Transzendentaltheologie" zu vergleichen. Sein erstaunliches Zwischenergebnis lautet, Barth lehre nichts anderes von Gott als Rahner trotz des extrem unterschiedlichen theologischen Verfahrens (98). Rahner betreibt die Dogmatik nicht, wie Barth, vornehmlich von der Exegese her, sondern ausgehend von der Frage möglicher Begründung der Wahrheit des Glaubens (113). Browarzik selbst bevorzugt für die Dogmatik diesen „transzendental-aprioristischen Ansatz der Theologie". Von -•Anselm von Canterbury her hätte auch Barth zu dieser Dogmatikform hinfinden können, die ihn zu einer strengen Begriffsklärung gezwungen haben würde. Dann hätte auch er zeigen können, was Heinrich Scholz von einer wissenschaftlichen Dogmatik erwartete, nämlich, „daß theologische Aussagen im Bereich der Theorie nicht bloß willkürliche Belanglosigkeiten sind, über die man sich nicht verständigen kann, sondern ernsthafte Versuche, sich im Denken zu orientieren" (so Browarzik 209). Der von Rahner gewählte „transzendentale" Weg der Dogmatik ist immer zugleich auch der der Religionsphilosophie. Ausgegangen wird von allgemein zugänglichen Erfahrungen wie: Zufälligkeit des Daseins, Freiheit oder Liebe. Sodann sucht man diese Erfahrungen zu überschreiten auf ihren jenseitigen Grund hin - und so arbeitet man sich dorthin, wo das Reden von Gott als sinnvoll erscheinen kann. Dieser Weg sei für die Dogmatik besser als der, der bei der geschichtlichen Christusoffenbarung seinen Ausgang nimmt (ebd. 220). G e w i ß ist die F o r m der D o g m a t i k bei B a r t h ein G e m i s c h aus E x e g e s e und d e m , w a s B r o w a r z i k „ t r a n s z e n d e n t a l e " M e t h o d e nennt. Soll m a n sich nun a b e r beruhigen bei der A u s k u n f t , das sachliche E r g e b n i s in der G o t t e s l e h r e h a b e d a r u n t e r z w a r nicht gelitten, aber der Weg dorthin sei zu b e a n s t a n d e n ? H i n t e r d e m , w a s hier als eine F r a g e der besseren o d e r schlechteren M e t h o d e dasteht, verbirgt sich w o h l ein ganz anderes P r o b l e m , n ä m lich: W e l c h e r M a n g e l o d e r welches Leiden provoziert - trotz aller schon v o r h a n d e n e n T h e o l o g i e — i m m e r neue T h e o l o g i e ? D a s , w o r a n T h e o l o g e n leiden, w a s ihr D e n k e n in G a n g bringt, können neuzeitliche Schwierigkeiten sein, allgemeinverständlich und sinnvoll von G o t t zu reden. E s k a n n aber a u c h anderes Leiden g e b e n , z. B . Leiden d a r a n , d a ß in der eigenen U m g e b u n g sachlich F a l s c h e s von G o t t ausgesagt zu werden scheint. D a n n beschäftigt, wie es B a r t h s Studenten H e i n r i c h S c h o l z seinerzeit a u c h wissen ließen, vor allem die F r a g e der t h e o l o g i s c h e n Sachgemäßheit (vgl. Scholz, W i e ist eine ev. T h e o l .

377

G l a u b e und D e n k e n

2 6 0 f f ) . J e n a c h d e m , w o die H e r a u s f o r d e r u n g liegt, b e s t i m m e n sich die D e n k w e g e einer Theologie! 3.1.5. D i e historisch ü b e r k o m m e n e n Beziehungen von G l a u b e und D e n k e n geben der s y s t e m a t i s c h e n T h e o l o g i e n o c h i m m e r unterschiedliche Perspektiven frei. B a l d soll m e h r Glaube der G l a u b e v o m D e n k e n , bald m e h r das D e n k e n v o m G l a u b e n her erhellt werden.

und Denken sind in ihrem Kräfteverhältnis

noch immer unausgeglichen,

was zu verschie-

denen t h e o l o g i s c h e n Ansätzen führt. N i c h t diese Vielfalt der A n s ä t z e ist j e d o c h ernstlich ein P r o b l e m . H i n t e r ihr k a n n der gravierendere S a c h v e r h a l t entdeckt w e r d e n , d a ß in der g e g e n w ä r t i g e n systematischen T h e o l o g i e k a u m eine Verständigung und auch keine K l a r heit d a r ü b e r vorhanden ist, wozu Theologie überhaupt betrieben wird. D i e s e F r a g e verbirgt sich hinter der ausgiebigen t h e o l o g i s c h e n M e t h o d e n d i s k u s s i o n . Sie ist d u r c h die jüngste w i s s e n s c h a f t s t h e o r e t i s c h e A r b e i t e b e n s o s e h r in Angriff g e n o m m e n wie a u c h gerade wieder verstellt w o r d e n , weil insgesamt d o c h vom faktischen Vorhandensein der Theologie, die es sinnvoll anzuleiten gelte, s c h o n ausgegangen wurde. D i e F r a g e nach dem Worumwillen der Theologie überhaupt erscheint uns als n o c h g a n z unausgestanden. In ihr liegt das D u n k e l , das die bisherigen t h e o l o g i s c h e n B e m ü h u n gen u m die rechte K o r r e l a t i o n von G l a u b e und D e n k e n hinterließen. D i e g e n a n n t e F r a g e b e z e i c h n e t , inwiefern gegenwärtige s y s t e m a t i s c h e T h e o l o g i e keine ü b e r e i n s t i m m e n d e O r i e n t i e r u n g und keinen g e m e i n s a m e n B o d e n besitzt. D i e Verpflichtungen, unter die T h e o l o g e n sich gestellt sehen unter dem D r u c k der verschiedenen historischen und gesellschaftspolitischen A n g e b o t e und Behinderungen von Freiheit und W a h r h e i t , divergieren s c h o n v o m Grundlegenden her und bis ins G r u n d l e g e n d e hinein. D a s spiegelt sich wider in den h ö c h s t unterschiedlichen Z w e c k b e s t i m m u n g e n , die m a n der t h e o l o g i s c h e n A r b e i t überall zuteilen will - vom Vermitteln eines handlungsorientierenden B e r u f s w i s s e n s , z. B . für P f a r r e r (Herms) bis zur allgemeinen V e r a n t w o r t u n g der R e d e v o n G o t t „ a l s W a h r h e i t " ( W i d m a n n 183) oder zur schöpferischen Erhellung des Sinns g e g e n w ä r t i g e r E r f a h rungen u n d des in ihnen geschehenden A n g e g a n g e n w e r d e n s v o m Unbedingten her (Tillich). Z e r b r o c h e n ist die Sicherheit, mit der n o c h J o h a n n —»Gerhard den finis theologiae in seinen theologischen Loci b e s t i m m e n k o n n t e : D a s W o r u m w i l l e n der T h e o l o g i e liegt erstens und zuhöchst in der glorificatio Dei, der Verherrlichung G o t t e s , zweitens und zwischenzeitlich in der informatio hominum ad salutem aeternam, der U n t e r w e i s u n g der M e n s c h e n in dem G l a u b e n , der z u m Heil führt ( P r o o e m i u m de n a t u r a t h e o l o g i a e 2 6 ) . D e r m o d e r n e S c h w u n d dieser Zielsicherheit ist nicht schon d a d u r c h in den G r i f f zu b e k o m m e n , d a ß m a n nun n a c h der Funktion der T h e o l o g i e in K i r c h e und Gesellschaft f r a g t . S o n d e r n , ihn aufzuarbeiten, bedeutet, den u n k l a r g e w o r d e n e n Ort der T h e o l o g i e selbst zwischen kirchlichen S p r a c h - und G e m e i n d e t r a d i t i o n e n und den a u ß e r k i r c h l i c h verlaufenden geistigen und gesellschaftlichen E n t w i c k l u n g e n neu zu k l ä r e n .

3.2. Veränderungen

in der theologischen

Erfassung des Problems

der

natürlichen

Theologie. D i e aufgewiesene A p o r i e hinsichtlich des O r t s und des W o r u m w i l l e n s der T h e o l o g i e d r ü c k t sich in einer neuerlichen Z u w e n d u n g fast aller s y s t e m a t i s c h e n T h e o l o gen z u m P r o b l e m der natürlichen T h e o l o g i e aus, das K a r l B a r t h mit einigem E r f o l g bereits als indiskutabel für die T h e o l o g i e bewertet hatte. D a ß ein theologisch bedeutsames Anliegen in diesem P r o b l e m enthalten sei, wird jetzt w o h l überall wieder a n e r k a n n t . A u c h dies k a n n als ein S y m p t o m der W i e d e r a n n ä h e r u n g von G l a u b e und D e n k e n erscheinen. J e d e n f a l l s zeigt der Stand der B e a r b e i t u n g des P r o b l e m s der n a t ü r l i c h e n T h e o l o g i e aufs genaueste an, w o sich die T h e o l o g i e im S t r o m der neuzeitlichen B e w e g u n g von G l a u b e und D e n k e n gegenwärtig befindet. 3.2.1. Das „zum nervösen Zentrum" evangelischer Theologie gehörende theologia-naturalisProblem (Jüngel, Entsprechungen 158f), mit dem sich heute notwendig auch die Frage nach einer neuen Theologie der Natur verbindet, läßt in seinen neueren Bearbeitungen außerdem erkennen, wie sehr die Überlebens frage in den letzten drei Jahrzehnten zu einem heimlichen Ausgangs- und Zielpunkt der Dogmatik geworden ist!

378

Glaube und Denken

Im Zusammenhang damit kam es - innertheologisch - zu einer Verschiebung des dogmatischen Orts der natürlichen Theologie von den Prolegomena hin zur christologischen oder trinitarischen Dogmatiksubstanz sowie von der Protologie hin zur Eschatologie. An der Stelle der früheren Meinung, der gesamte Schöpfungszusammenhang sei elementar und universal im Vergleich zum spezielleren christologischen Zusammenhang, etablierte sich in der systematischen Theologie die für das Verhältnis von Glaube und Denken bedeutsame These: Der durch die Christologie bezeichnete Gottesbezug ist der ursprüngliche und schöpfungsumspannende. Z . B . beruhen Rahners Reflexionen zum „anonymen Christentum" auf dieser veränderten Sicht. Exegetisch führt das Problem der natürlichen Theologie heute immer wieder auf neutestamentliche Stellen wie den Christushymnus Kol 1,15 ff, wo Jesus Christus als das Haupt der Kirche und als das Haupt der Welt in den Blick kommt. Zurückgetreten ist dagegen die Berufung aufstellen wie Rom 1,19 ff; 2,14 f. Ferner fällt auf: Das Interesse am Aufweis eines Anknüpfungspunktes für das Evangelium ist in Deutschland, weniger in Skandinavien, gering geworden. In dem Maße, wie unser Problem als eine Frage der Christologie, Trinitätslehre oder Eschatologie in Erscheinung trat, ist auch das Verständnis der natürlichen Theologie als eines Vorhofs oder einer Vorstufe zum christlichen Glauben aufgegeben worden. 3.2.2. Dies alles signalisiert, daß die E r w a r t u n g , v o m Evangelium oder dem soteriologischen Handeln Gottes her heilsame Wirkungen für eine nicht mehr als natürlich erfahrene N a t u r und eine sich selbst entfremdete Menschheit zu gewinnen, zugenommen hat. Außerdem haben sich die Rahmenbedingungen der natürlichen T h e o l o g i e erneut verändert. A m Anfang der Neuzeit meinten die T h e o l o g e n , aus der Naturbetrachtung heraus gelange unser Verstand letztlich zu G o t t . Die N a t u r w a r das Bindeglied zwischen Glaube und Denken und zugleich das eigentliche Element der natürlichen Theologie. Später änderte sich dies. Die N a t u r galt als das Reich der Determination, sie wurde für G o t t s t u m m . N u n wurde die geschichtliche Wirklichkeit zum Bindeglied zwischen Glaube und Denken. Der M e n s c h begegnet der Gottesfrage, so meinten Theologen und Philosophen, beim Wahrnehmen seiner kulturellen Verpflichtung und seiner freiheitlichen Bestimmung in der Geschichte. Schon d a m a l s erhielt das Problem der natürlichen T h e o l o g i e statt des protologischen, einen teleologischen R a h m e n . In der Zeit der dialektischen Theologie ist auch dieser R a h m e n , der bis auf K a n t s G o t t e s w a h r n e h m u n g im H o r i z o n t der praktischen Vernunft zurückgeht, untergegangen. H e u t e begegnet das theologia-naturalis-Thema weder im naturalistischen noch im kulturgeschichtlich-ethischen, sondern in einem vielleicht als ästhetisch zu bezeichnenden R a h m e n . Gefragt wird nach G o t t im Z u s a m m e n hang des Problems, wie sich das Einzelne oder Besondere zum Ganzen verhält. Das lenkt, wie z. B. bei Pannenberg deutlich wird, wieder zur klassischen metaphysischen Frage der Einheit der Wirklichkeit zurück. D o c h liegen die heutigen A n t w o r t e n oft nicht mehr auf der Linie herkömmlicher Metaphysik. Sie liegen eher auf der Linie einer Ästhetik, der es um die Möglichkeit der Erscheinung des Ganzen am Einzelnen, des Ewigen am Zeitlichen, des Göttlichen am Menschlichen geht. Die F r a g e nach solcher Möglichkeit ist der neue R a h m e n , innerhalb dessen sich nicht nur die natürliche T h e o l o g i e , sondern die Theologie überhaupt zu bewegen begonnen hat. 3.2.2.1. Darum stößt auch das nordamerikanische Prozeßdenken bei -»Whitehead oder —»Hartshorne zunehmend auf theologisches Interesse. Dieses Denken schließt Gott und die Geschöpfe in einer ästhetischen Gesamtordnung zusammen. Diese Wohlordnung ist keine Ursprungsordnung, sondern teleologische Ordnung. Sie konstituiert sich immer erst durch ein Zusammenwirken Gottes und der Geschöpfe (vgl. das Urteil über Whiteheads Gottesidee bei Hartshorne, T h e Philosophy 535). Die Zukunft hat Vorrang vor der Vergangenheit und auch vor der Gegenwart (s. jetzt auch die parallelen Einsichten bei Christian Links Thesen zu einer theologisch verbesserten Welt- und Naturlehre, Die Welt 318). Im Prozeßdenken wird Gottes Handeln als ein sanftes, gütiges Geschehen verstanden. Gott zwingt die Geschöpfe nicht, sondern er überredet sie gleichsam zu dem für sie besten Weg durch Vorbild und durch Vorglanz seiner eigenen Schönheit. Gott ist Liebe. Er ist aber auch immer ein Gott „in Beziehung z u . . . " ; ein des Wandels, der Beeinflußbarkeit durch die Geschöpfe und des Mitleidens mit den Geschöpfen fähiger Gott. Er ist der Gott, der die Züge einer „natürlichen Christologie" trägt. Evangelische Theologie wird durch diese Impulse in ihrer herkömmlichen Pelagianismuskritik und Lehre vom unfreien Willen verunsichert. Die Prozeßphilosophie zielt auf ein die Spaltung der Welt in „Natur" und „Geschichte" überbrückendes, universales Sinngefüge. In diesem soll der Mensch zu einem Selbstverständnis gelangen

Glaube und Denken

379

können, durch das er sich weniger stark gegenüber den nichtmenschlichen Geschöpfen vereinzelt und auch mehr Lebensgenuß findet. Was die traditionelle Metaphysik betrifft, so wird diese darin abgelehnt, daß sie Gott als Substanz dachte bzw. als den unabhängig Existierenden, als den unbewegten Beweger, ens realissimutn oder actus purus. - Mit alledem trifft nordamerikanisches Prozeßdenken die heutige mitteleuropäische Theologie nicht ganz unvorbereitet. Vergleichbare Ergebnisse gibt es auch dort, wo z. B. Barths Theologie weiterentwickelt wird. Hartshornes Weise, von Gott zu reden, ist ihrerseits mit derjenigen Barths verglichen worden (Shofner 1974, Gunton 1978), wobei allerdings die jeweilige Interpretation der ersten vier Kapitel des Proslogions Anselms den eigentlichen Vergleichsgegenstand bildete. - Die genannten Tendenzen begünstigen auch eine Wiederannäherung heutiger systematischer Theologie an Schleiermacher, sofern Heinrich Scholz Schleiermachers Leistung recht charakterisiert: „ . . . das eine Verdienst soll ihm niemand rauben, daß er schärfer und tiefer als irgend ein großer Theologe der letzten Jahrhunderte den Ernst und die Größe der Arbeit gesehen hat, die in dem physikalischen Weltbild steckt . . . , und daß er den großartigen Mut gehabt hat, seine Sätze so auszudrücken, daß die Physik nicht erst gestürzt werden muß, damit das Christentum existieren kann" (Wie ist eine ev. Theol. 248). 3.2.3. D e r dargestellte Ü b e r g a n g zu einem „ ä s t h e t i s c h e n R a h m e n " natürlicher T h e o logie läßt eine B e o b a c h t u n g d a r ü b e r zu, in w e l c h e r Weise christliche T h e o l o g i e u n a b l ä s sig und durchgängig natürliche T h e o l o g i e impliziert: M i t der natürlichen T h e o l o g i e erw a c h s e n ihr und rezipiert sie die sich w a n d e l n d e n Grundfragestellungen und Orientierungsbezüge einer jeweiligen Z e i t . D i e beständige Virulenz des P r o b l e m s der natürlichen T h e o l o g i e ist eine Folge der G e s c h i c h t l i c h k e i t des D e n k e n s . Für die christliche T h e o l o g i e ist es a b e r wichtig, selbst zur geschichtlichen E n t w i c k l u n g des D e n k e n s - und damit auch zum W a n d e l der natürlichen T h e o l o g i e - beizutragen, u m nicht i m m e r nur a u f neue O r i e n t i e r u n g s k o o r d i n a t e n zu reagieren. J e weniger letzteres geschieht, desto weniger treten E r s c h e i n u n g e n einer „ d o p p e l t e n W a h r h e i t " auf.

3.3. 'Wahrheit und Sinn theologischer

Aussagen im Lichte philosophischer

Sprachana-

lyse. „ D i e logische und s e m a n t i s c h e P r o b l e m a t i k t h e o l o g i s c h e r Aussagen, in der S c h o l a stik und n o c h in der a l t p r o t e s t a n t i s c h e n O r t h o d o x i e einst eifrig erörtert, wurde lange Z e i t v e r n a c h l ä s s i g t . Sie ist erst neuerdings durch die E n t w i c k l u n g der sprachanalytischen R i c h t u n g in der Philosophie, die den Sinn t h e o l o g i s c h e r Aussagen grundsätzlich infragestellt, wieder in den Vordergrund g e t r e t e n " ( J o e s t 2 1 3 ) . D i e s p r a c h a n a l y t i s c h e P h i l o s o p h i e bedeutete in ihren A n f ä n g e n im Wiener Kreis ( C a r n a p , S c h l i c k , N e u r a t h ; später a u c h Ayer) w ä h r e n d der zwanziger J a h r e eine die T h e o l o g i e mit „ T o t a l k r i t i k " b e d r o h e n d e H e r a u s f o r d e r u n g . D i e H e r a u s f o r d e r u n g lag in d e m V e r d a c h t , alle mit der V o k a b e l „ G o t t " b e f r a c h t e t e n Aussagen - allgemeinsprachliche e b e n s o wie theologische - k ö n n t e n gehaltlos, g e g e n s t a n d s l o s , a l s o sinnlos sein. D e n n es scheinen keine a n g e b b a r e n , g e b r a u c h s f ä h i g e n Prüfungsbedingungen zu existieren, unter denen der R e a l i t ä t s g e h a l t derartiger Aussagen festgestellt werden k ö n n t e . D i e M ö g l i c h k e i t , der T h e o l o g i e Wissenschaftlichkeit zu attestieren, schien also zu fehlen: Bei sinnvollen wissenschaftlichen Aussagen m u ß k l a r sein, a u f w e l c h e m Weg sie verifiziert werden k ö n n e n . Berücksichtigt m a n a b e r , u m den für die T h e o l o g i e günstigsten Fall a n z u n e h m e n , d a ß auch die N a t u r w i s s e n s c h a f t mit z u n ä c h s t nicht b e w e i s b a r e n H y p o t h e sen a r b e i t e t , so w ä r e an eine sinnvolle wissenschaftliche Aussage d o c h die M i n d e s t a n f o r d e r u n g zu stellen, d a ß bei ihr k l a r g e m a c h t ist, w e l c h e b e k a n n t w e r d e n d e n empirischen B e f u n d e die jeweilige H y p o t h e s e falsifizieren w ü r d e n . Dies alles k a n n nun offensichtlich an den a u f G o t t bezogenen G l a u b e n s a u s s a g e n der religiösen S p r a c h e und e b e n s o der T h e o l o g i e nicht v o r g e n o m m e n werden. Alfred A y e r f a ß t e z u s a m m e n (43 f. 1 5 1 - 1 5 8 ) , d a ß die T h e o l o g e n den Bedingungen nicht genügen, „ u n t e r denen ihre Aussagen kognitiv bedeutungsvoll sein k ö n n t e n " ( Z i t a t n a c h : W i m A . de P a t e r 7 1 ) . A n g e l s ä c h s i s c h e , skandinavische und inzwischen a u c h deutsche T h e o l o g e n verstanden es t r o t z d e m m e h r und m e h r , den religions- und t h e o l o g i e k r i t i s c h e n I m p e t u s dieser s p r a c h a n a l y t i s c h e n D e n k r i c h t u n g zu einem I n s t r u m e n t der Theologieverbesserung umz u f o r m e n . H i e r b e i k a m ihnen die innere E n t w i c k l u n g der analytischen P h i l o s o p h i e entgegen, die - wie es sich e x e m p l a r i s c h an der E n t w i c k l u n g des D e n k e n s L u d w i g W i t t g e n -

380

Glaube und Denken

steins vom Tractatus logico-philosophicus (1921) hin zu den Philosophischen Untersuchungen (postum 1951) herausstellte - später nicht mehr den Gottesgedanken als solchen schon als außerhalb sinnvoller Sprache liegend erachtete. Die Sprache selbst wurde nun mehr und mehr unter dem Aspekt gesehen, daß über den logischen Sinn ihrer Aussagen wesentlich die individuelle Art entscheidet, wie und wo sie im Leben jeweils gebraucht werden. Dies regte auch zahlreiche Theologen an, sich für ihre Arbeit Gedanken zu machen, welcher Art theologische und religiöse Aussagen sind. Es erwies sich als fruchtbar, mehr auf die logische Komplexität der in der Theologie verwandten Sprache zu achten und ebenso auf die empirische Fundierung dieser Sprache. Was die logische K o m plexität betrifft, so erwies es sich als dringlich und hilfreich, in der Theologie zwischen objektsprachlichen und metasprachlichen bzw. materiellen und formalen Aussagen klar zu unterscheiden. Äußerungen wie „ G o t t ist unerforschlich" oder „ G o t t ist verborgen" werden allzu leicht auf durcheinandergehenden Sprachebenen gebraucht. Sollte gemeint sein, daß keine unserer Aussagen G o t t ganz faßt, dann handelt es sich um eine unser Sprachvermögen reflektierende, zutreffende Aussage auf der „ M e t a " - E b e n e . M a n irrte aber, hielte man jene Äußerungen für zutreffende Beschreibungen des göttlichen Wesens. So ist G o t t nicht (Härle 118 f). Was die empirische Fundierung theologisch-religiöser Sprache betrifft, so half die Beschäftigung mit sprachanalytischer Philosophie, z. B. den Handlutigs-Chitaktet dieser Sprache zu erfassen: Was will, soll oder kann durch wen mit den betreffenden Aussagen wo erreicht werden? D a ß theologische Äußerungen nicht kontextlos sind, soll ins Bewußtsein der sich äußernden Theologen eingehen. 3.3.1. Die Auswirkungen der analytisch-philosophischen Reflexion innerhalb der T h e o l o g i e können im Einzelfall beträchtlich sein; abgesehen davon, daß diese Reflexion ein spezifisches Arbeitsklima erzeugt, das zwar weniger dem hermeneutischen Erfassen historischer Entwicklungen, aber doch dem absichtsvollen Einleiten neuer Entwicklungen durch Analyse des als „vorgegeben" erachteten „ S t o f f s " dient. Z u den m. E. stärksten Möglichkeiten dieser Denkrichtung in der T h e o l o g i e gehört, daß sie es in bestimmten Fällen erreicht, scheinbar häretische T h e o l o g u m e n a in die Theologie zu integrieren. W i e im vorigen Abschnitt über „natürliche T h e o l o g i e " gezeigt wurde, nötigt die geschichtliche Entstehung neuer geistiger Orientierungen auch das theologische Denken, sich auf Erfahrungen einzulassen, deren Sprache scheinbar wichtigsten und bewährten Dogmen widerspricht. Z . B. ist es für den evangelischen Glauben höchst bedeutsam - dies steht der herkömmlichen D o g m a t i k fest - , den Menschen vor G o t t als unfrei und als „wesentlich e m p f a n g e n d " zu verstehen. Gerät nun die Sprache des evangelischen Glaubens in die Zusammenhänge des von der sprachanalytischen Philosophie gebrauchten Handlungsbegriffs, so entsteht der Anschein, der M e n s c h werde plötzlich ganz als ein „ H a n d e l n d e r " gesehen, ja, dem Pelagianismus (—•Pelagius/Pelagianischer Streit) werde T ü r und T o r geöffnet. Nun ist gerade das Pelagianismus-Problem - die Frage der Annahme der neutestamentlichen Grundauffassung von Sünde und G n a d e - der zentrale Punkt im neuzeitlichen Streit zwischen Glaube und Denken. Wenn aber klar wird, daß das „Handeln von Personen im sozialen K o n t e x t " ein Horizont ist, auf den hin sich eine philosophische T h e o r i e vom O r t möglicher Erfahrung entwirft, dann ist eine interessante neue Lage geschaffen. In ihr ist die theologische Glaubenslehre aufgefordert, nicht aus altem „dogmatischem M i ß t r a u e n " heraus vorschnellen Häresieverdacht zu entwickeln, sondern zu prüfen, o b „der ganz und gar handelnde M e n s c h " der modernen Erfahrungstheorie mit dem ganz und gar „passiven" Menschen des Glaubens nicht doch gerade zusammengehen kann. Es würde sich in diesem Fall ein weites Feld bisher verschlossener Möglichkeiten eröffnen, es könnten sich herkömmliche Grunddifferenzen zwischen Theologie und Philosophie relativieren. Sogar so kühne und problematische Lehren wie die prozeßphilosophische Anschauung von der relativen Freiheit der Geschöpfe dem Schöpfer gegenüber könnten in einem neuen Licht erscheinen, das der Theologie eigene dogmatische Sperren gegen ein neuartiges Orientierungssystem abbauen hilft. Nicht nur eine Hilfe, scheinbar häretische T h e o l o g u m e n a in die T h e o l o g i e zu integrie-

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ren, k a n n gelegentlich aus der theologischen B e s c h ä f t i g u n g mit s p r a c h a n a l y t i s c h e r Philos o p h i e g e w o n n e n w e r d e n . Hilfe ist a u c h in der umgekehrten R i c h t u n g d e n k b a r , d a ß H ä r e s i e und A b e r g l a u b e von der T h e o l o g i e k l a r e r k a n n t und besser a b g e w e h r t werden. Dies k a n n dadurch geschehen, d a ß m a n , wie s c h o n Anselm von C a n t e r b u r y es wollte, die m ö g l i c h e r w e i s e ihrem eigenen Begriff von G o t t n i c h t genügenden - also mit sich selbst widersprüchlichen - G o t t e s g e d a n k e n als solche e r k e n n t . D e r G o t t e s g e d a n k e muß von der T h e o l o g i e als ein denkmöglicher Gedanke heilig gehalten werden. D a s D e n k m ö g l i c h e a b e r ist logischerweise nur das widerspruchsfrei D e n k b a r e (hierzu H ä r l e 1 1 7 f und 127). 3.3.1.1. In der modernen Modallogik erfuhren die Gottesbeweise unter der Frage, ob Gottes Existenz „möglich" - „nicht möglich", „notwendig" - „nicht notwendig" sei, eine eigentümliche Renaissance. Hartshorne und Malcolm versuchten mit Hilfe des Kernarguments, die Existenz Gottes widerspreche nicht dem, was erfahren werden kann, Gott existiere also nicht notwendig nicht, die Denkmöglichkeit Gottes und von hier aus dann - mit Hilfe des argumentum Anselmi - die logisch notwendige wirkliche Existenz Gottes darzutun. Solche esoterischen Denkleistungen können nicht die Entstehung von christlichem Glauben fördern, jedoch den Behauptungen einer Denkunmöglichkeit der Existenz Gottes den Grund entziehen. Dies unterstützt die theologischen Bemühungen, Gott zu denken. - Hartshorne meint, daß die früheren philosophischen Einwände gegen den ontologischen Gottesbeweis an den klassischen metaphysischen Gottesbegriff gebunden sind. Der neoklassische Gottesbegriff der Prozeßphilosophie, der Gottes ewiges, unveränderliches Wesen (primordial nature) von den Gottes jeweils kontingentem Sich-Konstituieren (consequent nature) unterscheidet, könne etwa von Kants Kritik nicht getroffen werden (vgl. das Referat bei Hubbeling, Einführung 176 ff). 3.3.2. Als weniger aussichtsreich erscheinen die von der analytischen P h i l o s o p h i e a n geregten Versuche, n ä h e r zu bestimmen, w a s eine religiöse oder eine theologische Aussage ist. W a s zunächst die B e m ü h u n g a n g e h t , R e g e l n der religiösen K o m m u n i k a t i o n aufzuweisen, so scheitert sie letztlich d a r a n , d a ß philosophisch nicht eindeutig a b z u k l ä r e n ist, w o d u r c h sich Sprache überhaupt als religiöse S p r a c h e erweist (vgl. D a l f e r t h , R e l . R e d e 3 3 4 f . 3 4 5 . 3 5 4 ; ferner die M o n o g r a p h i e von J u s t ) . W a s die theologischen Aussagen a n b e l a n g t , so sträubt sich die W i r k l i c h k e i t der T h e o logie meist dagegen, d a ß sich ihre Sätze reinlich v o m G e n u s der Verkündigung unterscheid e n . E s wurden im Gegenteil verschiedene Anstrengungen u n t e r n o m m e n , e t w a das perf o r m a t i v e W o r t als Freiheit gewährender Z u s p r u c h (Bayer 2 4 ff, angeregt durch Austins T h e o r i e der S p r e c h h a n d l u n g ) , die Evokation als nicht über G o t t i n f o r m i e r e n d e s , sondern G o t t v e r t r a u e n evozierendes W o r t ( H a r e und van Buren) o d e r den ethischen Appell ( B r a i t h w a i t e ; näheres bei J o e s t 2 2 9 ) als die spezifische S a c h e der T h e o l o g i e und einer w a h r h a f t theologischen Aussage darzustellen. O f f e n s i c h t l i c h a b e r läßt sich die theologische Aussage nicht in solcher Weise eindeutig b e s t i m m e n . D i e S p r a c h g e n e r a k ö n n e n nicht n u r , sondern sie müssen in der T h e o l o g i e m i t e i n a n d e r v e r w o b e n sein. E i n e T h e o l o g i e , die sich methodisch eindeutig festlegen wollte im Sinne des A u f t r a g s , nur die Sprachregeln z u m angemessenen und k o m m u n i k a t i o n s f ä h i g e n U m g a n g mit „ i r g e n d e i n e r " R e l i g i o n a u s z u a r b e i t e n , w ä r e bestenfalls R e l i g i o n s p h i l o s o p h i e . Sie w ü r d e zuviel T h e o l o g i s c h e s d e m methodisch n o c h ungebundenen, p r i m ä r s p r a c h l i c h e n religiösen R e d e n allein überlassen. Sie würde ihre T e i l h a b e a m B e k e n n t n i s , a m G o t t e s l o b , a m gleichnishaften D e u t e n u n d D e n k e n und an der ethischen Unterweisung u m das Linsengericht der Illusion eines E i n b e z o g e n w e r d e n s in gesamtwissenschaftliche K o m m u n i k a t i o n s p r o z e s s e vertun. D i e S p r a c h e der T h e o l o g i e läßt sich auch nicht a u f die K a t e g o r i e richtiger oder nichtrichtiger Urteile reduzieren. D a m i t m u ß sich die T h e o l o g i e der F o r d e r u n g ü b e r h a u p t e n t z i e h e n , ihre Aussagen m ü ß t e n in der Weise des a n a l y t i s c h - p h i l o s o p h i s c h e n Verfahrens verifizierbar o d e r falsifizierbar sein. Ihre p r i m ä r e S o r g e k a n n es n i c h t sein, den E i n w a n d widerlegen zu k ö n n e n , ihre Aussagen seien wahrscheinlich sinnlos. T h e o l o g i e steht nicht zuerst unter der Verpflichtung, sprachanalytisch bzw. religionsphilosophisch zu k l ä r e n , w a s wir da eigentlich in der R e a l i t ä t tun, wenn wir so o d e r so v o n G o t t reden. V i e l m e h r m u ß sie in ihrer grundlegenden Verwiesenheit auf J e s u s C h r i s t u s zuerst im B l i c k a u f diesen e r k e n n e n , d a ß und w a s sie von G o t t zu reden hat. Ihre eigentliche S o r g e m u ß es

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bleiben, d a ß sie w o h l d e m C h r i s t u s k e r y g m a i m m e r n o c h nicht genügend gerecht wird. Es ist d a r u m fraglich, o b D a l f e r t h R e c h t hat, wenn er meint (a. a. O . 2 2 ) , die religionsphilosophische F r a g e liege allem t h e o l o g i s c h e n F r a g e n nach d e m , was gesagt werden m u ß und aus b e s t i m m t e r Quelle gesagt werden k a n n , voraus. E r w ä c h s t nicht die religionsphilosophische Prüfung dessen, w a s wir tun, wenn wir von G o t t reden, erst sekundär aus jener anderen Verpflichtung? D i e analytische P h i l o s o p h i e ist für die T h e o l o g i e ein wichtiger G e s p r ä c h s p a r t n e r , den sie aber nicht e i n m a l als die heutige Philosophie schlechthin zu bewerten h a t . D a s w ä r e g e n a u s o verkehrt wie eine exklusive Gleichsetzung des D e n k e n s mit der L o g i k . U m des G l a u b e n s willen ist s o w o h l die L o g i k zu achten wie gerade diese Gleichsetzung zu vermeiden. D i e W a h r h e i t theologischer Aussagen und auch des G l a u b e n s i n h a l t s k a n n d u r c h die logische Bestätigung ihrer Widerspruchsfreiheit nicht hinlänglich gewährleistet w e r d e n . Weder das Verifizierbarkeits- n o c h das W i d e r s p r u c h s f r e i h e i t s p o s t u l a t bezeichnen und bestätigen in der T h e o l o g i e vollständig d a s , w a s w a h r ist. D i e T h e o l o g i e m u ß für einen Teil ihrer Aussagen d u r c h a u s W a h r h e i t b e a n s p r u c h e n , für die nur G o t t allein einstehen k a n n : E t w a , w e n n sie dazu auffordert, „ a m O r t der Unfreiheit Freiheit w a h r z u n e h m e n " w a s ihr redliche P h i l o s o p h i e nur verwehren k ö n n t e (vgl. W i d m a n n 184). 3.3.3. Aus den zuletzt genannten Gründen ist das Thema „Glaube und Denken" in diesem Artikel nicht in der Perspektive einer Logik des Glaubens entfaltet worden. Diese Wahl hätte getroffen werden können. Verführe man so, wären Aufschlüsse z. B. über den Zusammenhang zwischen dem Glauben als Vertrauensakt und dem Denken als einem verläßlichen Sich-Bewegen im Raum des widerspruchsfrei Möglichen zu erwarten. Die Logik des Glaubens kann auch z.B. Ansätze gewinnen zur anthropologischen Aufschlüsselung der Bedingungen von falschem Glauben, von Aberglauben. (Weitere Aspekte einer rationalen Durchdringung des Glaubensvollzugs s. in der sorgfältigen Studie von Track 264ff. 278 ff; das Buch ist auch geeignet als Einführung in den Dialog zwischen Theologie und philosophischer Sprachanalyse; s. außerdem das Kapitel über Crombie in der ebenfalls als Einführung gut geeigneten Arbeit von Martin 177 ff.) Was Logik des Glaubens andererseits nicht erfaßt, ist der gesamte semantische Aspekt, unter dem gefragt wird, was der christliche Glaube erkennt. Sie wird sich vielmehr beim logischen Aspekt des Glaubens-Afeis festmachen. Die im Vorangegangenen dargestellten historischen Bezüge des Verhältnisses von Glaube und Denken gelangten dann aber ebenfalls nicht zur Erörterung. G l a u b e und D e n k e n sind zwei Weisen, sich in der von G o t t geschenkten Z e i t zugunsten des Lebens zu orientieren. D i e O r i e n t i e r u n g e n streben auseinander, weil der G l a u b e über das im D e n k e n zugunsten des L e b e n s G e g e n w ä r t i g e hinausgreift - auch zugunsten des L e b e n s ! D a s Auseinandertreten von G l a u b e und D e n k e n schmerzt, a b e r w e n n es unterbleibt und w e n n der G l a u b e im G e g e n w ä r t i g e n oder sichtbar G e g e b e n e n festwurzelt und wenn deshalb vielleicht das D e n k e n irrational k o m p e n s i e r e n d über das ( D e n k - ) M ö g l i c h e hinausgreift, dann wird M e n s c h l i c h k e i t und mit ihr L e b e n gefährdet. — „ D e r G l a u b e ist ein K r e u z für das D e n k e n , sagt m a n . G e w i ß , d o c h letzten E n d e s ist das N i c h t G l a u b e n a u c h ein K r e u z für das D e n k e n . Ist G o t t nicht der S c h ö p f e r des L e b e n s und nicht der B e h e r r s c h e r des T o d e s mit der M a c h t seiner Auferstehung, ist alles gleichgültig, w a s im täglichen L e b e n b e d e u t s a m i s t " ( L 0 g s t r u p 15). Literatur Hans Albert, Traktat über krit. Vernunft, Tübingen 1968 3 1975. - Ders., Theol. Holzwege. Gerhard Ebeling u. der rechte Gebrauch der Vernunft, Tübingen 1973. - John Langshaw Austin, How to do Things with Words, 1955; dt.: Zur Theorie der Sprechakte, Stuttgart 1976. - Alfred Ayer, Language, Truth and Logic, London 1936 1 1 1955; dt.: Sprache, Wahrheit u. Logik, Stuttgart 1970. Karl Barth, Fides quaerens intellectum. Anselms Beweis der Existenz Gottes im Zusammenhang seines theol. 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Glaubensbekenntnis(se) I

theorie u. Theol., 1973 (FFM). - Ders., Glaube u. Wirklichkeit. Kl. Beitr. zum christl. Denken, München 1975. - Ders., Antwort auf G. Sauters Überlegungen: EvTh 40 (1980) 168-171. - Ders., Wahrheit, Gewißheit u. Glaube: GAufs. II, Göttingen 1980, 226-264. - Wim A. de Pater, Theol. Sprachlogik, München 1971. - Ders., Reden v. Gott. Reflexionen zur analytischen Phil, der rel. Sprache, Bonn 1974. - Karl Rahner, Sehr, zur Theol., 15 Bde., Zürich/Einsiedeln/Köln 1954ff (beachte u. a. Bd. XV [1983] Wissenschaft u. christl. Glaube). - Carl Heinz Ratschow, Das Christentum als denkende Religion: NZSystTh 5 (1963) 16-33. - Ders., Gott existiert, Berlin 1966 2 1968. - Ders., Der angefochtene Glaube. Anfangs- u. Grundprobleme der Dogmatik, Gütersloh 1975 3 1976 (GTB 1978). - Trutz Rendtorff, Theorie des Christentums. Histor.-theol. Stud. zu seiner neuzeitlichen Verfassung, Gütersloh 1972. - Gerhard Sauter, Vor einem neuen Methodenstreit in der Theologie?, 1970 (ThEx 164). - Ders. (in Verbindung mit Jürgen Courlin, Hans-Wilfried Haase, Gisbert König, Wolfgang Raddatz, Gerolf Schultzky, Hans Günter Ulrich), Wissenschaftstheoretische Kritik der Theol., München 1973. - Ders., Überlegungen zu einem weiteren Gesprächsgang über „Theol. u. Wissenschaftstheorie": EvTh 40 (1980) 161-168. - Heinrich Scholz, Wie ist eine ev. Theol. als Wiss. möglich?: Z Z 9 (1931) 8 - 5 3 ; wieder abgedruckt: Theol. als Wiss. Aufs. u. Thesen, hg. u. eingel. v. Gerhard Sauter, 1971 (ThB 43), 221-264. - Ders., Was ist unter einer theol. Aussage zu verstehen? (1936) 265-278. - Klaus Schwarzwäller, Die Wiss. von der Torheit. Ev. Theol. im Schnittpunkt von christl. Glauben u. kritischer Vernunft, Stuttgart 1976. - Robert D. Shofner, Anselm Revisited. A Study of the Role of the Ontological Argument in the Writings of Karl Barth and Charles Hartshorne, Leiden 1974. - H a n s von Soden, Was ist Wahrheit? (1927): Urchristentum u. Gesch. Ges. Aufs. u. Vortr., I Tübingen 2 1 9 5 1 , 1 - 2 4 . - P e t e r Suchla, Kritischer Rationalismus in theol. Prüfung. Z u r Kontroverse zwischen Hans Albert u. Gerhard Ebeling, 1982 (EHS.T 187). - Richard Swinburne, T h e Coherence of Theism, Oxford 1977. - Helmut Thielicke, Der ev. Glaube, Grundzüge der Dogmatik, I Prolegomena. Die Beziehung der Theol. zu den Denkformen der Neuzeit, Tübingen 1968. - Ders., Glauben u. Denken in der Neuzeit. Die großen Systeme der Theol. u. Religionsphil., Tübingen 1 9 8 3 . - J o a c h i m Track, Sprachkrit. Unters, zum christl. Reden v. Gott, 1977 (FSÖTh 3 7 ) . Hans Günter Ulrich, Was ist theol. Wahrheitsfindung? Bemerk, zu den Fragen v. Heinrich Scholz an Karl Barth: EvTh 43 (1983) 350-370. - Wilhelm Weischedel, Der Gott der Philosophen. Grundlegung einer phil. Theol. im Zeitalter des Nihilismus, I Wesen, Aufstieg u. Verfall der phil. Theol., Darmstadt 1971 3 1975, II Abgrenzung u. Grundlegung, Darmstadt 1972. - Ders., Die radikale Frage nach der Wirklichkeit. Plädoyer f. die Möglichkeit einer Phil. Theol.: EK (1974) 1 2 - 1 4 . - Bernhard Welte, Religionsphil., Freiburg i. Br. u. a. 1978. - Ulrich Wickert, Glauben u. Denken bei Tertullian u. Orígenes: Z T h K 62 (1965) 153-177. - Peter Widman, Thetische Theol. Z u r Wahrheit der Rede von Gott, 1982 (BEvTh 91). Christof Gestrich

Glaubensbekenntnis(se) I. II. III. IV. V. VI. VII. VIII. IX. X.

Religionsgeschichtlich Altes Testament Judentum Neues Testament Alte Kirche Mittelalter R e f o r m a t i o n s z e i t bis 17. J a h r h u n d e r t 18. J a h r h u n d e r t bis N e u z e i t Dogmatisch Praktisch-theologisch

386 388 392 399 412 416 430 437 441

I. Religionsgeschichtlich U n t e r e i n e m G l a u b e n s b e k e n n t n i s v e r s t e h t m a n eine f o r m e l h a f t e , in i h r e m W o r t l a u t festliegende u n d meistens, jedoch nicht i m m e r , sehr k n a p p e Z u s a m m e n f a s s u n g der Kernp u n k t e e i n e r R e l i g i o n . N e b e n s e i n e r A u f g a b e , die w e s e n t l i c h e n G e h a l t e eines G l a u b e n s zu erfassen, h a t das G l a u b e n s b e k e n n t n i s die Funktion einer A b g r e n z u n g gegenüber a n d e r e n

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Glaubensbekenntnis(se) I

theorie u. Theol., 1973 (FFM). - Ders., Glaube u. Wirklichkeit. Kl. Beitr. zum christl. Denken, München 1975. - Ders., Antwort auf G. Sauters Überlegungen: EvTh 40 (1980) 168-171. - Ders., Wahrheit, Gewißheit u. Glaube: GAufs. II, Göttingen 1980, 226-264. - Wim A. de Pater, Theol. Sprachlogik, München 1971. - Ders., Reden v. Gott. Reflexionen zur analytischen Phil, der rel. Sprache, Bonn 1974. - Karl Rahner, Sehr, zur Theol., 15 Bde., Zürich/Einsiedeln/Köln 1954ff (beachte u. a. Bd. XV [1983] Wissenschaft u. christl. Glaube). - Carl Heinz Ratschow, Das Christentum als denkende Religion: NZSystTh 5 (1963) 16-33. - Ders., Gott existiert, Berlin 1966 2 1968. - Ders., Der angefochtene Glaube. Anfangs- u. Grundprobleme der Dogmatik, Gütersloh 1975 3 1976 (GTB 1978). - Trutz Rendtorff, Theorie des Christentums. Histor.-theol. Stud. zu seiner neuzeitlichen Verfassung, Gütersloh 1972. - Gerhard Sauter, Vor einem neuen Methodenstreit in der Theologie?, 1970 (ThEx 164). - Ders. (in Verbindung mit Jürgen Courlin, Hans-Wilfried Haase, Gisbert König, Wolfgang Raddatz, Gerolf Schultzky, Hans Günter Ulrich), Wissenschaftstheoretische Kritik der Theol., München 1973. - Ders., Überlegungen zu einem weiteren Gesprächsgang über „Theol. u. Wissenschaftstheorie": EvTh 40 (1980) 161-168. - Heinrich Scholz, Wie ist eine ev. Theol. als Wiss. möglich?: Z Z 9 (1931) 8 - 5 3 ; wieder abgedruckt: Theol. als Wiss. Aufs. u. Thesen, hg. u. eingel. v. Gerhard Sauter, 1971 (ThB 43), 221-264. - Ders., Was ist unter einer theol. Aussage zu verstehen? (1936) 265-278. - Klaus Schwarzwäller, Die Wiss. von der Torheit. Ev. Theol. im Schnittpunkt von christl. Glauben u. kritischer Vernunft, Stuttgart 1976. - Robert D. Shofner, Anselm Revisited. A Study of the Role of the Ontological Argument in the Writings of Karl Barth and Charles Hartshorne, Leiden 1974. - H a n s von Soden, Was ist Wahrheit? (1927): Urchristentum u. Gesch. Ges. Aufs. u. Vortr., I Tübingen 2 1 9 5 1 , 1 - 2 4 . - P e t e r Suchla, Kritischer Rationalismus in theol. Prüfung. Z u r Kontroverse zwischen Hans Albert u. Gerhard Ebeling, 1982 (EHS.T 187). - Richard Swinburne, T h e Coherence of Theism, Oxford 1977. - Helmut Thielicke, Der ev. Glaube, Grundzüge der Dogmatik, I Prolegomena. Die Beziehung der Theol. zu den Denkformen der Neuzeit, Tübingen 1968. - Ders., Glauben u. Denken in der Neuzeit. Die großen Systeme der Theol. u. Religionsphil., Tübingen 1 9 8 3 . - J o a c h i m Track, Sprachkrit. Unters, zum christl. Reden v. Gott, 1977 (FSÖTh 3 7 ) . Hans Günter Ulrich, Was ist theol. Wahrheitsfindung? Bemerk, zu den Fragen v. Heinrich Scholz an Karl Barth: EvTh 43 (1983) 350-370. - Wilhelm Weischedel, Der Gott der Philosophen. Grundlegung einer phil. Theol. im Zeitalter des Nihilismus, I Wesen, Aufstieg u. Verfall der phil. Theol., Darmstadt 1971 3 1975, II Abgrenzung u. Grundlegung, Darmstadt 1972. - Ders., Die radikale Frage nach der Wirklichkeit. Plädoyer f. die Möglichkeit einer Phil. Theol.: EK (1974) 1 2 - 1 4 . - Bernhard Welte, Religionsphil., Freiburg i. Br. u. a. 1978. - Ulrich Wickert, Glauben u. Denken bei Tertullian u. Orígenes: Z T h K 62 (1965) 153-177. - Peter Widman, Thetische Theol. Z u r Wahrheit der Rede von Gott, 1982 (BEvTh 91). Christof Gestrich

Glaubensbekenntnis(se) I. II. III. IV. V. VI. VII. VIII. IX. X.

Religionsgeschichtlich Altes Testament Judentum Neues Testament Alte Kirche Mittelalter R e f o r m a t i o n s z e i t bis 17. J a h r h u n d e r t 18. J a h r h u n d e r t bis N e u z e i t Dogmatisch Praktisch-theologisch

386 388 392 399 412 416 430 437 441

I. Religionsgeschichtlich U n t e r e i n e m G l a u b e n s b e k e n n t n i s v e r s t e h t m a n eine f o r m e l h a f t e , in i h r e m W o r t l a u t festliegende u n d meistens, jedoch nicht i m m e r , sehr k n a p p e Z u s a m m e n f a s s u n g der Kernp u n k t e e i n e r R e l i g i o n . N e b e n s e i n e r A u f g a b e , die w e s e n t l i c h e n G e h a l t e eines G l a u b e n s zu erfassen, h a t das G l a u b e n s b e k e n n t n i s die Funktion einer A b g r e n z u n g gegenüber a n d e r e n

Glaubensbekenntnis(se) I

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Religionen sowie häretischen Strömungen innerhalb der eigenen. Von den Bekennern einer Religion wird das Glaubensbekenntnis oft in der Form eines Lob- und Dankgebetes in häufiger Wiederholung rezitiert. Wird es von einem bislang Außenstehenden in bekenntnismäßiger Absicht ausgesprochen, so vollzieht er damit seinen Übertritt zu der mit diesem Glaubensbekenntnis erfaßten Religion. Derartige festgefügte Glaubensformeln sind keineswegs von allen Religionen ausgebildet worden; sie fehlen prinzipiell dort, wo die Abgrenzung gegenüber einer fremdreligiösen Umwelt keine Rolle spielte. Im —• Islam steht das Glaubensbekenntnis (Tashahhud) an erster Stelle unter den „fünf Grundpfeilern des Islams", die für die Muslime verbindende Gültigkeit besitzen. Bei der Salat, dem täglich fünfmal zu verrichtenden Pflichtgebet, wird der Tashahhud von jedem Gläubigen in sitzender Stellung rezitiert. Wird er von einem Nicht-Muslim öffentlich ausgesprochen, so hat dieser damit seinen Übertritt zum Islam vollzogen. Die knappste Formulierung dieses islamischen Glaubensbekenntnisses findet sich nicht wörtlich, aber ihrem Sinne nach im Koran; es ist der Satz: La iläha illä 'lläh, Mohammed rasül Allah [Es gibt keinen Gott außer Allah, Mohammed ist der Gesandte Allahs], In den ersten Jahrhunderten der islamischen Geschichte wurde die folgende, ausführliche Form entwickelt, die ebenfalls inhaltlich auf koranische Aussagen zurückgeht: „Ich glaube an Allah und seine Engel, seine Bücher und seine Gesandten, an den Jüngsten Tag, die Auferstehung nach dem Tode, die Vorherbestimmung seitens Allahs - die gute wie die schlimme - , an das Gericht, die Waage, das Paradies und das Höllenfeuer - das alles ist Wahrheit."

Das Bekenntnis des -»Buddhismus, das jeder Novize beim Eintritt in das Kloster in dreifacher Wiederholung abzulegen hat, ist die Formel des „dreifachen Kleinods" Sanskrit triratna, Päli tiratta): Buddham saranam gacchami, Dhammam saranam gacchami, Sangham saranam gacchami; „Ich nehme meine Zuflucht zu Buddha, ich nehme meine Zuflucht zur Heilslehre, ich nehme meine Zuflucht zur Ordensgemeinschaft."

Die in -»Japan verbreiteten Schulrichtungen des Amida-Buddhismus verwerfen jedes Bemühen um Selbsterlösung und erwarten das Heil allein von der Gnade des „Buddha des unermeßlichen Lichtglanzes" (Buddha Amitäbha, jap. Amida Butsu). Ihr Glaubensbekenntnis, das zugleich Andachtsformel und Dankgebet ist, lautet: „Verehrung sei dem Buddha des unermeßlichen Lichtglanzes." Der japanischen Formulierung Namu Amida Butsu entspricht im Chinesischen Nattmu A-mi-fo Fo. Zugrunde liegt in beiden Fällen die indische Formel Amitäbhäya Buddhaya. Nichiren (1222-1282), die prophetische Gestalt im japanischen Buddhismus, verwarf in schroffer Weise alle früheren Schulrichtungen und anerkannte als autoritative Glaubensgrundlage allein einen Text des nördlichen Buddhismus, den „Lotos des guten Gesetzes" (Sanskrit Saddharmapundafika). Deshalb stellte er das Bekenntnis zu dieser Schrift bewußt der Formel des Amida-Buddhismus entgegen mit den Worten: Namu myöhorenge-kyo [Verehrung sei der Lotosschrift des guten Gesetzes]. Der auf den Priesterpropheten Zarathustra zurückgehende Parsismus (—»Iranische Religionen) kennt mehrere Glaubensbekenntnisse, die sich im Avesta, der heiligen Schrift dieser Religion, finden. Ein sehr altertümliches Bekenntnis ist das Fravarane, dessen Bezeichnung auf frä-var, den regelmäßigen Terminus für „den Glauben bekennen", zurückgeht. Es ist der Text Yasna 12 innerhalb des Avesta, der in sehr weitschweifiger Darlegung den Inhalt der Botschaft Zarathustras umfaßt. Wesentlich knapper gehalten ist das Ahuna Vairya (Yasna 27,12): Yatha ahit vairyö atha ratush ashätcit haca vanheush dazdä mananhö shyaothananam

anheush

386

Glaubensbekenntnis(se) II

mazdäi chshathremcä aburai a yim dregubyo dadat vastärem [Wie der beste Herr, so der (beste)

Richter ist er (Zarathustra) gemäß dem heiligen Recht, der des guten Sinnes Lebenswerke dem Mazda zubringt und die höchste Gewalt dem Ahura 1 , er den sie den Armen als Hirten bestellt haben].

Auch das Ashetn Vohü (Yasna 27,14) gilt als Glaubensbekenntnis der Parsen: Ashetn vohü vahishtem asti ushta asti ushta ahmäi hyat ashäi vahishtäi ashem [Asha 2 ist das beste Gut; nach Wunsch 3 wird es, nach Wunsch uns zuteil, das Asha (der höchste Lohn) für das beste Asha (für das beste Tun)]. Anmerkungen 1

2

3

Ahura Mazda, der „weise H e r r " , ist der von Zarathustra als Schöpfer Himmels und der Erde verkündete Gott. Asha, „Wahrheit, rechte Ordnung", ist das für Wesen und Wirken Ahura Mazdas und seiner Bekenner charakteristische Prinzip. „Nach Wunsch" bedeutet die Wahlentscheidung für die Religion Zarathustras.

Literatur -•Glaube, —»Islam, -»Buddhismus, -»Iranische Religionen.

Günter Lanczkowski

II. Altes Testament 1. Glauben, loben, bekennen S. 388)

1. Glauben,

loben,

2. Persönlich

3. Gemeindlich

4. Generell

(Literatur

bekennen

In Israel kommt das gemeinschaftsbegründende Bekenntnis erst mit dem babylonischen Exil auf (anders von —»Rad). Vorher hatte das Jahwebekenntnis in Sippe und Volk andere Funktionen. Das Verb jadä, für westliche —»Bibelübersetzungen Hauptzeuge eines juridisch eingefärbten „Bekennens", schließt Lob und Dank mit ein (punktuell kontrovers: Crüsemann 279ff; C. Westermann: T H A T 1, 6 7 4 - 6 8 2 ; G. Mayer: T h W A T 3,455-458. 4 6 0 - 4 7 4 ) . Zahlreiche andere Ausdrücke berühren unser Wortfeld, z.B. ' a m ä n , treu sein, glauben (vgl. Ps 78,8; Jes 7,4.9; Ps 27,13), 'ed, Zeuge (für Jahwe sein; vgl. Jes 43,10.12; 44,8; 55,4), haläl, rühmen (vgl. Ps 22,23; 1 1 7 , l f und das Preisbekenntnis „Halleluja" Ps l l l f f ) , qara', anrufen (vgl. I Sam 12,17f; I

Reg 8,43), bariä mizbe'h, einen Altar bauen (vgl. Gen 8,20; 12,8; Ri 6,26f), zabäb, opfern (vgl. Ri 2,5;

I Sam 1,3; I Reg 3,2.4), qados, heilig (sein; vgl. Lev 11,44; 19,2; im Piel oder Hitpael: heiligen, vgl. Ex 19,10.14;Jos 3,5), saba , schwören (bei/für Jahwe; vgl. Jes 19,18; 45,23; II Chr 15,14f), sama , hören (auf Jahwe; vgl. Dtn 11,13; I Sam 15,22; Hos 9,17; Jer 7,23.28).

Diese und ähnliche Wendungen zeigen, daß die Option für Jahwe vor allem in der festen Bindung an den -»Gott Israels, nicht in einer ekklesialen Abgrenzung von Andersgläubigen besteht. Überlieferte Bekenntnisakte unterstreichen die Breite des Bekenntnisvorgangs. Neben den grundlegenden Lob- und Schuldbekenntnissen, die natürlicher Ausdruck des bestehenden Gottesverhältnisses sind, treten andere Motivationen hervor, etwa die Treue zur Sippe (vgl. Ruth l,16f), die Übernahme eines unerklärbaren Leidens (vgl. Hi 1,20-22), die Verehrung Jahwes in fremdem Land (vgl. II Reg 5,17), eine titanisch anmutende Selbstbehauptung (vgl. Gen 32,31), die peinlich genaue Gesetzesbeobachtung (vgl. Dan 1,8ff; Est 3,2).Es gibt also keine durchgehende Bekenntnisterminologie oder -ideologie. Wohl aber kommt die Hinwendung zu Jahwe, sekundär auch die Abgrenzung von den anderen, in bestimmten liturgischen Formeln und Begehungen zum Ausdruck.

Glaubensbekenntnis(se) II 2.

387

Persönlich

Der israelitische Kleinkult, im Familienverband gepflegt und vor allem mit „Ubergangsriten" befaßt (-»Ritus), kennt an den persönlichen Gott gerichtete Bekenntnisse (vgl. Vorländer; Albertz; Gerstenberger 1 3 0 - 1 3 4 ) . 2.1. Es handelt sich einmal um J a h w e beanspruchende und ihm Treue signalisierende Aussagen von der Grundform „Du bist mein G o t t " (vgl. Ps 31,15; 143,10). Vielerlei Abwandlungen sind möglich (vgl. Gen 16,13; Ps 18,3; 40,18; 63,8; 7 1 , 3 - 7 ) . Die Bindung an den persönlichen Gott ist exklusiv. Bekenntnisformulierungen mit der dritten Person Jahwes zeigen deutlicher, daß die Teilnehmer an der Zeremonie mithören sollen: „Jahwe ist mein H i r t e " (Ps 2 3 , 1 b ; vgl. Gen 48,15), „ J a h w e , meine Stärke und mein Schild" (Ps 28,7), „Er, mein Fels und mein H e i l " (Ps 62,7), „Jahwe, mein Feldzeichen" (Ex 17,15). M a n c h e Personennamen mögen Bekenntnischarakter haben (vgl. Hilkija; Noth 163 f). Die liturgischen Formeln sind zur Stärkung oder Wiedergewinnung eines verläßlichen Gottesverhältnisses in Klage- und Dankgottesdiensten für den einzelnen verwendet worden. 2.2. Ist die Beziehung zu Gott gestört oder bedroht, muß der Beter auch seine eigene Einstellung offenlegen. „Schilderungen des Betens" in den Individualpsalmen haben diese Funktion (vgl. Gunkel-Begrich 222). Formelhaft artikulieren „Unschulds-" oder „Schuldbekenntnisse": Wohl aufgrund voraufgegangener positiver Diagnose (vgl. I Reg 1 4 , 1 - 3 ; Num 5,10—31) kann der Hilfesuchende sein „Ich bin in O r d n u n g " (vgl. Ps 26,1.11; 101; Hi 9,21; 31) sprechen. Im umgekehrten Fall muß er sich schuldig bekennen (vgl. Ps 51). Das Bekenntnis ist auch vor Gericht unerläßlich (vgl. J o s 7,20; II Sam 3,28) und schließt eine religiöse Doxologie mit ein (Jos 7,19; vgl. Horst, 162). 3.

Gemeindlich

3.1. Im Kult der sekundären Organisation, also auf Stammes- und Volksebene, wird J a h w e in mannigfacher Weise Achtung und Treue bezeugt. In den erzählenden Schichten klingt das T h e m a an (vgl. Gen 3 5 , 1 - 4 ; E x 32; Num 16; J o s 24; I Reg 18), in der prophetischen und der sakralrechtlichen Literatur ist es beherrschend (vgl. Hos 4; Am 5; M i 3; Jes 5; Jer 6; Ez 4; Dtn 12f; Lev 16; 23; Ez 18; 4 0 - 4 8 ) . Wo liturgische Begehungen gespiegelt werden, können wir Bekenntnisformulierungen erwarten (Psalmen!). Wie Israel sich als Jahwevolk formierte, bleibt umstritten (vgl. z. B. von Rad; Smend; Lohfink; Gottwald). Doch hatte der neue Glaube (vgl. E x 3; 18) das Bekenntnis zu „dem vom S i n a i " (Ps 68,9) bzw. dem Zelt- und Ladegott (vgl. E x 4 0 , 3 4 - 3 8 ; Num 10,35 f) zur Folge. Schon in alten Texten begegnet die Bezeichnung „Volk J a h w e s " (Ri 5,11; vgl. Smend; Lohfink). Das ihr entsprechende Bekenntnis lautet: „ J a h w e , unser G o t t " . Vielfach variiert bezeugt es Hingabe und Anspruch des Volkes (vgl. Ps 8,2.10; 18,32; 20,8; 44,21; 48,15; 59,6; 67,7; 79,9; 80,8.20; 81,2; 85,5; 90,17; 94,23; 95,7; 98,3; 99,5; 105,7; 106,47; 113,5; 122,9; 123,2; 147,7). Inhaltlich verwenden die Bekenntnisaussagen Israels entsprechend der jeweiligen sozio-politischen (-»Gesellschaft) und religiös-kulturellen Situation erstaunlich divergierende Vorstellungen, z.T. kanaanäischen Ursprungs. Jahwe ist Krieger (Ex 15,3), Wolkenreiter (Ps 104,3), Herr der Heerscharen (Jes 6,5), höchster G o t t (Gen 14,19; Dtn 32,8), Schöpfer Himmels und der Erde (Gen 1,1; Jes 37,16; 51,13). Singulär ist das Vertrauensbekenntnis „Du bist doch unser Vater!" (Jes 64,7). Lob- und Klagegottesdienste des Volkes (vgl. Westermann; Crüsemann) sind der Sitz im Leben für solche Aussagen. 3.2. Seit dem babylonischen Exil wird das Bekenntnis zu J a h w e in Wort und Tat zu einem konstitutiven Faktor. Die deuteronomisch-deuteronomistischen Texte (—•Deuteronomium/Deuteronomistische Schule) sind dafür Zeugnis (vgl. Letztbearbeitungen von J o s 24; E x 1 9 - 2 4 ; 3 2 - 3 4 ; Dtn 2 9 f ; I Reg 18 usw.). Die Religionsgemeinschaft Israel muß sich in einer polytheistischen, oppressiven Umwelt, auf freiwilliger Basis und ohne jeden

388

Glaubensbekenntnis(se) III

eigenstaatlichen R ü c k h a l t , z u s a m m e n f i n d e n . - » T o r a , - » Beschneidung, —>Sabbat, Bilderv e r b o t w e r d e n zu K o n f e s s i o n s m e r k m a l e n und d a r u m zu B e k e n n t n i s i n h a l t e n (vgl. Ps 119; G e n 17; J e s 5 8 , 1 3 f; D t n 4 , 1 - 2 4 ) . Ü b e r allem a b e r entfaltet sich der G l a u b e an den alleinigen, universalen G o t t . „ H ö r e , Israel, J a h w e ist unser G o t t , allein J a h w e ! " (Dtn 6,4). H i e r h e r g e h ö r t nun a u c h die E r w e i t e r u n g des alten Bekenntnisses zu J a h w e , der Israel aus Ägypten befreite (vgl. E x 2 0 , 2 ) zu einem umfassenden, heilsgeschichtlichen C r e d o (Dtn 2 6 , 5 - 9 ; J d c 1 1 , 1 6 - 2 2 ; vgl. R o s t ; R i c h t e r ; "Wallis; anders von R a d : E r stellt D t n 2 6 , 5 - 9 an den A n f a n g der G e s c h i c h t e Israels). Z a h l r e i c h e H y m n e n aus T e m p e l - oder S y n a g o g e n g o t tesdiensten besingen s e n d u n g s b e w u ß t die M a c h t und H e r r l i c h k e i t J a h w e s (vgl. M i 4 , 1 - 5 ; J e s 12; Ps 2 ; 9 6 - 9 9 ; 1 4 8 - 1 4 9 ) , und die Verkündigung - > D e u t e r o - und - • T r i t o j e s a j a s ist ein ü b e r a u s a n s c h a u l i c h e r H i n t e r g r u n d für die B e k e n n t n i s f r e u d e Israels nach dem E x i l . „ I c h bin der Erste, und ich bin der Letzte, und a u ß e r mir ist kein G o t t " (Jes 4 4 , 6 ) . D i e dunkle K e h r s e i t e ist allerdings ein zunehmendes S c h u l d b e w u ß t s e i n der b e k e n n e n d e n und i m m e r wieder e n t t ä u s c h t e n G e m e i n d e (vgl. Ps 106; N e h 9 ; E s r 9; D a n 9 ) .

4. Generell D i e G e s c h i c h t e des J a h w e b e k e n n e n s ist die G e s c h i c h t e des Volkes —»Israel. Von den V ä t e r g ö t t e r n bis zum weltüberlegenen H e r r n der späten Prophetie und A p o k a l y p t i k , durch alle soziologischen S c h i c h t e n und kultischen Z e r e m o n i e n hindurch, verlangt der G l a u b e Israels - spurenweise ist diese T e n d e n z auch in der U m w e l t w a h r n e h m b a r ( - > M o notheismus) - n a c h einer B e k e n n t n i s h a l t u n g , die nach innen H o f f n u n g , S o l i d a r i t ä t , H e i ligkeit, n a c h a u ß e n (unter w i r t s c h a f t l i c h e m und p o l i t i s c h e m D r u c k ) z u n e h m e n d W a c h s a m k e i t und A b s o n d e r u n g zur R i c h t s c h n u r setzt. Literatur Rainer Albertz, Persönliche Frömmigkeit u. offizielle Religion, 1978 (CThM 9). - William F. Albright, From the Stone Age to Christianity (1940), Garden City 2 1957. - Frank Crüsemann, Stud. zu Formgesch. v. Hymnus u. Danklied in Israel, 1969 (WMANT 32). - Erhard S. Gerstenberger, Der bittende Mensch, 1980 (WMANT 51). - Norman K. Gottwald, The Tribes of Yahweh, Maryknoll 1979. - Hermann Gunkel/Joachim Begrich, Einl. in die Psalmen (1933), Göttingen 2 1967. Friedrich Horst, Gottes Recht, 1961 (TB 12). - Bernhard Lang, Glaubensbekenntnisse im AT u. NT: Conc(D) 14 (1978) 4 9 9 - 5 0 3 . - Norbert Lohfink, Beobachtungen zur Gesch. des Ausdrucks am Jahwe: Probleme bibl. Theol. FS Gerhard von Rad, München 1971, 2 7 5 - 3 0 5 . - Fritzlothar Mand, Die Eigenständigkeit der Danklieder des Psalters als Bekenntnislieder: ZAW 70 (1958) 1 8 5 - 1 9 9 . Martin Noth, Die israelit. Personennamen im Rahmen der gemeinsemitischen Namengebung, 1928 (BWANT 10). - Gerhard von Rad, Das formgesch. Problem des Hexateuch, 1938 (BWANT 78). Wolfgang Richter, Beobachtungen zur theol. Systembildung in der atl. Lit. anhand des „kleinen geschichtlichen Credo": Wahrheit u. Verkündigung. FS Michael Schmaus, 11967,175 - 2 1 2 . - Leonhard Rost, Das kleine gesch. Credo: ders., Das kleine gesch. Credo u. andere Stud., Heidelberg 1964, 1 - 2 5 . - Rudolf Smend, Die Bundesformel, 1963 (ThSt [B] 68). - Hermann Vorländer, Mein Gott, 1975 (AOAT 23). - Gerhard Wallis, Die gesch. Erfahrung u. das Bekenntnis zu Jahwe im AT: T h L Z 101 (1976) 8 0 1 - 8 1 6 . - Claus Westermann, Lob u. Klage im AT (1954), Göttingen s 1977. - G. Ernest Wright, God who Acts, London 1952. - Walther Zimmerli, Das AT als Anrede, 1956 (BEvTh 24). E r h a r d S. G e r s t e n b e r g e r

III. J u d e n t u m 1. Rabbinische Aktualisierungen des Glaubens 2. Biblische und rabbinische Grundlagen für Glaubensbekenntnisse 3. Glaubensprinzipien (Literatur S. 391)

1. Rabbinische

Aktualisierungen des Glaubens

In der jüdischen Bibel wird der G l a u b e im Z u s a m m e n h a n g mit u n b e d i n g t e m V e r t r a u en ('emüna), begründeter H o f f n u n g ( t i q w a ) und unerschütterlichem Sich-Verlassen (bittahon) a u f G o t t a u s g e d r ü c k t . D i e r a b b i n i s c h e Auffassung knüpft d a r a n an. G l a u b e verweist nach den R a b b i n e n s o w o h l a u f die A n e r k e n n u n g der A l l m a c h t , Allwissenheit und

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Vorsehung Gottes als auch auf die Erwartung von Lohn und Strafe als Folgen individuellen und kollektiven menschlichen Tuns. Zwar haften dem Glauben kognitive Elemente an, diese sind aber mit affektiven und funktionalen Aspekten verbunden. Die Wahrheit, an die sich jemand hält, wird durch den Grad seines Zutrauens zu Gott und durch seinen Willen zum Gehorsam mitbestimmt. Dementsprechend heißt es in MekhY zu Ex 15,1 (114): „Rabbi Nehemya sagt: Jeder, der im Glauben ein Gebot auf sich nimmt, der ist würdig, daß der Geist der Heiligkeit auf ihm ruht. So nämlich finden wir es bei unsern Vätern, daß sie im Lohn des Glaubens, mit dem unsere Väter auf den Herrn vertrauten, würdig wurden, daß der Geist der Heiligkeit auf ihnen ruhte und daß sie ein Lied sangen." Nicht der bloße Unglaube steht nach rabbinischer Auffassung im Gegensatz zum Glauben, sondern die Verleugnung (kefira) des Glaubens. Wenn jemand Glaubenssätze zurückweist, schließt dies eine affektive Verneinung der Vorsehung und der vom göttlichen Richter zu erwartenden Belohnung und Bestrafung ein und zieht frevelhaftes Handeln nach sich. Nach targumischer Tradition beging Kain den Brudermord erst, nachdem er Gottes Vorsehung, Gerechtigkeit und Macht verleugnet hatte: „Kain sagte zu Abel: Es gibt kein Gericht und es gibt keinen Richter, es gibt keine andere Welt, es gibt kein Geschenk des guten Lohnes für die Gerechten, es gibt keine Bestrafung für die Frevler" (CN 1 zu Gen 4,8; vgl. TJ zu Gen 4,8). Der kognitive Glaube kann positiv und negativ ausgedrückt werden. Beide Aspekte finden sich in mSan 10,1, einer frühen, wenn auch nicht einheitlich überlieferten Glaubensformel: „Ganz Israel hat Anteil an der kommenden Welt, denn es heißt: ,Dein Volk besteht aus lauter Gerechten, für immer werden sie das Land besitzen' (Jes 60,21). Aber folgende sind es, die keinen Anteil an der kommenden Welt haben. Wer sagt: In der Tora ist die Auferstehung der Toten nicht enthalten und die Tora stammt nicht vom Himmel. Keinen Anteil an der kommenden Welt haben der Epikuräer, wer apokryphe Bücher liest und wer über eine Wunde flüstert und spricht: ,Alle Krankheit, die ich auf Ägypten gelegt habe, werde ich nicht auf dich legen' (Ex 15,26). Abba Sa'ül sagt: Auch wer den Gottesnamen in vollem Wortlaut ausspricht."

Es erwies sich als notwendig, deutlich Position gegenüber häretischen Tendenzen (—•Sadduzäer) und Mißbräuchen (-»Magie) zu beziehen (vgl. yBer V,3). Die hervorragendste Gelegenheit, den jüdischen Glauben inhaltlich-formelhaft auszudrücken und ihn dem Bewußtsein der Juden einzuprägen, besteht anläßlich des täglich zu betenden Achtzehngebets (semöne cesre, camida, redigiert ca. 100 n.Chr.). Die Beter stehen dabei und bekennen dadurch Gottes Existenz. In achtzehn (neunzehn) Lobpreisungen kommen Glaubensaussagen und Bitten für das tägliche Leben vor. Die ersten drei Lobpreisungen (berakbot: Benediktionen) beschreiben einen Glauben an den ganz anderen transzendenten Gott, an den allmächtigen und an den Gott, der vorsehend ist, die Toten auferweckt und als Schöpfer in der Geschichte handelt. Wie sehr die lex orandi auch die lex credendi ist, zeigt besonders die zweite Berakha (babylonische Rezension): „Du Held auf immer, Ewiger, der die Toten belebt! Du bist mächtig zur Hilfe. Du bewegst den Wind und bringst den Regen. Du sorgst für die Lebenden in Huld und belebst die Toten in großem Erbarmen. Du heilst Kranke und hilfst Schwachen. Du stützest Fallende und befreist Gefangene. Du hältst Treue den im Staube Schlafenden ... gepriesen bist Du, Ewiger, Beieber der Toten."

Erwähnungen irdischer Wohltaten Gottes stehen hier unvermittelt neben dem Glauben an die -»• Auferstehung. Die achtzehnte Berakha beginnt mit modim 'anahnü [wir anerkennen im Glauben]. Dazu bemerkt mBer 5,3: „Wer zweimal modim sagt, dem befehle man zu schweigen." Nach rabbinischer Überzeugung würde eine solche Wiederholung darauf hinweisen, daß der Beter an „zwei Mächte im Himmel" glaubt und beiden dankt, also eine dualistische Gottesvorstellung habe. Das formale Glaubensgebet der Rabbinen ist jedoch keine bloße Anerkennung Gottes aus Vernunftserkenntnis heraus, es bezieht vielmehr die ganze Person mit ein. Das Semac Israel (Dtn 6 , 4 - 9 ; 11,13-21; Num 15,37-41), das in der Gemeindeliturgie vor dem Acht-

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zehngebet „gelesen" wird, ist ein Akt des Bekennens des einen Gottes sowie des täglichen Aufsichnehmens des Joches der Königsherrschaft Gottes und der Gebote, aber auch der Bezeugung der Befreiung und Erlösung (mBer 2,2; yBer 2,3; bBer 4b).Diese Sinngebung wird durch die Tempel-Responsion „Gepriesen (sei der) Name der Herrlichkeit seines Reiches auf immer und ewig" bestätigt (vgl. mYom 3,8; 4,1; 6,2; yBer 9,5 u.ö.). Diese und andere Responsionen sind als emphatische Zustimmungen zu verstehen. 2. Biblische

und rabbinische

Grundlagen

für

Glaubensbekenntnisse

Die drei letzten Verse des -»Pentateuchs (Dtn 34,10—12) lassen sich als Lehraussagen verstehen. —»Mose wird als größter Prophet anerkannt, damit wird indirekt auch die Pflicht zur Annahme der Tora und ihres Inhalts angedeutet. Ähnliches gilt für den kanonischen Epilog zu den Prophetenbüchern, Mal 3 , 2 2 - 2 4 : Nach der abschließenden Formel , . . . spricht der Herr der Heerscharen' folgt eine mahnende Verpflichtung auf die mosaische Tora Gottes. Da die Zeit der —»Propheten vorbei ist, spricht sie auch die Enderwartung aus, daß vor dem ,großen und furchtbaren Tag des Herrn' ein Prophet wie Elia zurückkehren werde. Ein weiteres kanonisches Rahmenstück ist Koh 1 2 , 9 - 1 4 , nachdem das Buch mit dem Thema der Eitelkeit geendet hat. Es beginnt mit einem kanonischen Kriterium für die Ausschließung vieler anderer Werke, akzeptiert aber das Prinzip der zweifachen Tora, der schriftlichen Tradition und der „Worte der Weisen". Diesem Standpunkt wird eine weitere grundsätzliche Belehrung über menschliche Freiheit und göttliche Vorsehung im Blick auf Lohn und Strafe beigefügt (vgl. Josephus, Ant 18,12-15). So bezeugen die kanonischen Schlüsse die von den Pharisäern vertretene Position, die später für die Rabbinen und die jüdische Gemeinde maßgeblich wurde. Auch wenn die rabbinischen Synoden keine prägnanten -»Formeln des jüdischen Glaubens verfaßten, erwies es sich doch als nötig, ihren Standpunkt gegenüber häretischen Ansichten zu definieren. Die Midrasch-Exegese von Dtn 32,39 bietet eine biblische Antwort auf Häretiker (SifDev und M H G Dev z.St.): „.Sehet nun, daß ich, ich es bin': Dies ist die Entgegnung auf den, der sagt, es gebe kein Königreich im Himmel. ,Es ist kein Gott neben mir': Dies ist die Entgegnung auf den, der sagt, es gebe zwei göttliche Mächte. ,Ich töte und mache lebendig': Dies ist eine Entgegnung auf den, der sagt, es gebe ein Königreich im Himmel, aber keine Vorsehung [wörtl.: keinen, der Leben und Tod verursacht]. ,Ich zerschlage und ich heile': Wie in einem Menschen zuerst Krankheiten, dann Heilung eintreten, so werden in einem Menschen zuerst Tod, dann Leben eintreten. Dies ist die Entgegnung auf einen, der die Auferstehung ablehnt."

Darüber hinaus finden sich noch andere Versuche, Grundsätze des jüdischen Glaubens zu formulieren. Die Rabbinen erklären, daß Hab 2,4 die 613 Vorschriften der Tora auf ein Leitprinzip reduziere: „Der Gerechte soll durch seinen Glauben leben", d.h. auf das totale Vertrauen in die Vorsehung (bMak 24a). -»Hillel der Alte lehrte: „Was dir verhaßt ist, das tue auch nicht deinem Nächsten; dies ist der Kern der Tora, der Rest ist Kommentar" (bShab 31a). Die Rabbinenversammlung von Lydda (2. Jh. n. Chr.) legte fest, daß gegenüber Blutvergießen, Götzendienst und verbotenen Sexualbeziehungen das Martyrium gefordert sei (bSan 74a). Die Beispiele verweisen darauf, daß die ethische und die theologische Seite der Tradition in der Lehre des Glaubenskerns von gleicher Bedeutung sind. 3.

Glaubensprinzipien

-»Philo von Alexandrien stellt fünf Lehren auf, die von Mose im Zusammenhang mit der Weltschöpfung überkommen seien: 1. Gott existiert, 2. Gott ist einer, 3. die Welt ist geschaffen, 4. es gibt nur einen Kosmos, 5. Gott sorgt für die Welt (Op 170-172). Diese fünf Lehren können als Zusammenstellung wichtiger Glaubensinhalte zur Verständlichmachung des Judentums in der hellenistischen Ökumene verstanden werden. Die Rabbinen wählten einen etwas anderen Weg. Sie bündelten ihre Dogmen (im weiteren Sinn) nicht zu abgestimmten Glaubensbekenntnissen, wenn es auch bei ihnen Tendenzen zur Dogmatisierung oder zur Formulierung von Kernaussagen ( c iqqarim) gibt. Dieses Fehlen

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einer rabbinischen Systematik gehörte zu den größten Schwierigkeiten derer, die sich im Mittelalter an der Formulierung von Glaubensartikeln versuchten. Gleichwohl machten die philosophische Strömung im Judentum und die polemische Situation der Gaonen (-•Saadja ben Joseph) eine solche Bemühung erforderlich. Es war —»Mose ben Maimon, der den Formulierungen von Glaubensaussagen seinen autoritativen Stempel aufdrückte. In seinem Kommentar zu mSan 10,1 legt er dreizehn Grundsätze ('iqqarim) vor. In bezug auf Gott: 1. seine Existenz, 2. seine Einheit, 3. seine Unkörperlichkeit, 4. seine Ewigkeit, 5. daß nur er angebetet werden darf. In bezug auf die Tora: 6. die Wahrheit der Prophetie, 7. die Vorrangstellung Moses als Prophet, 8. ihre Göttlichkeit, 9. ihre Unveränderlichkeit. In bezug auf den Menschen: 10. Gottes Kenntnis aller menschlichen Handlungen, 11. die künftige Vergeltung in Lohn und Strafe, 12. das Kommen des Messias, 13. die Auferstehung der Toten. Grundsatz 1 - 9 . 1 2 . 1 3 bestimmen nach Maimonides auch die rechtliche Behandlung von Häresie und Verleugnung (Hil. Tesüva 3,6—8). In seinen Augen bleibt das Zentrum des jüdischen Glaubens die Anerkennung der Einzigkeit Gottes, daß Gott als der ganz andere existiert, von dem alle Menschen abhängen und auf den menschliche Erkenntnis gerichtet sein soll (Hil. 'isüre bi'a 14,2; Yesode Hatora 1 , 1 - 7 . 2 , 1 - 1 0 ) . Die Aufstellung des Maimonides war mit dafür verantwortlich, daß in die Liturgie poetische ( Y i g d a l - ) und prosaische ('ani ma'amin-) Formen des jüdischen Glaubensbekenntnisses aufgenommen wurden. In den rabbinischen Werken des Spätmittelalters tauchen jedoch zwei verschiedene Gegenreaktionen auf, die beide darauf zielen, die Orthodoxie in wesentlichen Glaubensfragen zu stärken und dem Christentum in kontroversen Punkten entgegenzutreten (Jacobs, bes. 1 8 - 3 0 ) . Der eine Weg bestand darin, das Bedürfnis nach der Formulierung von Glaubensaussagen anzuerkennen, ihre Zahl aber zu erweitern oder zu verringern. - » J o s e p h Albo legt in seinem Werk über die ciqqarim nur drei Aussagen fest: Gottes Existenz, die Göttlichkeit der Tora, Lohn und Strafe. Ein anderer Weg war die Verwerfung der Dogmatisierungsidee überhaupt, da sie impliziere, daß bestimmte Lehren der Tora weniger bedeutsam seien als andere. So schreibt David ibn Abi Zimra im 16. Jh.: „Unsere Weisen sagen: Wer behauptet, daß die ganze Tora mit Ausnahme eines einzigen Verses vom Himmel sei, der ist ein Häretiker" ( R a D B a Z , Responsum Nr. 344). Moderne Bestrebungen, das Wesen des Judentums herauszuarbeiten, sind das Ergebnis der Wissenschaftsbewegung und der jüdischen Emanzipation in der westlichen Gesellschaft. Die erstere verweist, aufgrund der Erforschung historischer Quellen, auf die Komplexität des jüdischen Denkens und auf seine Entwicklung auch als Reaktion auf äußere Einwirkungen. Die letztere verlangt eine neue Anpassung des Judentums, um es in der modernen Welt lebensfähiger und relevanter zu machen. Beide Tendenzen regen religiöse Denker an, in der jüdischen Tradition durchgängige Kennzeichen zu suchen, die sie zugleich vom Christentum und Islam unterscheiden. Dabei geht man oft davon aus, daß das Judentum in drei aufeinanderbezogenen Größen wurzelt: Gott — Tora - Israel. Die Deutung dieses organischen Komplexes wandelt sich von Zeit zu Zeit, aber die Vorstellungen selbst bleiben konstant. In einer 1966 erschienenen Sammlung von Stellungnahmen moderner Rabbiner zu Glaubensfragen {The Condition) legen die orthodoxen Vertreter den Akzent auf die offenbarte Tora, die Konservativen und Rekonstruktionisten auf Israel und die Reformer auf die Gottesidee. Literatur Jacob Agus, The Evolution of Jewish Thought, New York 1973. - Alexander Altmann, Art. Articles of Faith: EJ 3,654-660. - Leo Baeck, Das Wesen des Judentums, Berlin 1905 2 1922. Michael Friedlander, The Jewish Religion, London 1913; dt.: Die jüd. Religion, Frankfurt 3 1936. Simon Greenberg, Foundation of a Faith, New York 1967. - Julius Guttmann, Die Phil, des Judentums, München 1933. - Jacob Haberman, Belief. Medieval Jewish Philosophy: EJ 4,434-436. Louis Jacobs, The Principles of the Jewish Faith, London 1964. - Max Kadushin, The Rabbinic Mind, New York 1952,340-367. - N. Lamm, Faith and Doubt, New York 1971. - D. Newmark, Toledot Ha- 'iqqarim beyisrael, 2 Bde., 1912. - The Condition of Jewish Belief: A Symposium

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Glaubensbekenntnis(se) IV

Compiled by Editors of C o m m e n t a r y M a g a z i n e , N e w York 1966. - E p h r a i m E . U r b a c h , T h e Sages: Their C o n c e p t s and Beliefs, Jerusalem 1 9 7 1 . - S. Z . Werblowsky, Faith, H o p e and Trust. A Study in the C o n c e p t s of Bitahon, Papers of the Institute of Jewish Studies, L o n d o n 1964.

Asher Finkel

IV. Neues Testament 1. Die Anfänge 2. Der Übergang zum hellenistischen Juden- und Heidenchristentum 3. Weiterbildungen und Z u s a m m e n f a s s u n g e n 4. Akklamationen 5. Das Bekenntnis als Kriterium der Rechtgläubigkeit 6. Schlußbemerkung (Literatur S. 3 9 8 ) Im folgenden soll es um fest geprägte Sätze (ausgenommen sind - » H y m n e n ) gehen, in denen das Glauben und Bekennen im Neuen Testament seinen Ausdruck fand (eine umfassende Forschungsgeschichte bei Havener 1 - 3 0 2 ) . D a das Christentum als eine innerjüdische Bewegung begann, der Glaube an den einen G o t t Israels also selbstverständlich vorausgesetzt w a r (vgl. H a h n , Bekenntnis 2 8 1 . 2 8 4 f ) , ist es nicht überraschend, d a ß sich solche Sätze vor allem auf Jesus beziehen und von Gott nur in Verbindung mit Jesus reden ( - » F o r m e l n , liturgische).

1. Die

Anfänge

Die älteste christliche Formulierung, die bekenntnisartigen Charakter hat, dürfte die Aussage sein, daß Gott Jesus von den Toten auferweckt hat. Sie ist in zwei Formen rekonstruierbar, einmal als Aussagesatz: 6 Seöq 'Irjaovv rjysipsv EK VSKP&V (vgl. Rom 10,9; I Kor 6,14; 15,15; I Thess 1,10), zum anderen als Partizipialprädikation: 6 iyeipaq (röv) 'lT]aovv ¿K veKpäv (vgl. R o m . 4,24; 8,11; II Kor 4,14; Gal 1,1). An mehreren Stellen ist im Zusammenhang dieser „Auferweckungsformel" von mareveiv die Rede (Rom 4,24; 10,9; I Kor 15,14f; II Kor 4,13 f; Kol 2,12; vgl. Wengst, Formeln 2 7 - 3 3 ; Hoffmann 479-481). Die Auferweckungsformel (-»Auferstehung) hat Formparallelen in Aussagen des jüdischen —»Gottesdienstes, die - » G o t t als den prädizieren, der Himmel und Erde gemacht und der Israel aus Ägypten herausgeführt hat. Auch sie dürfte daher ihren Sitz im Leben im Gottesdienst haben. Von den beiden Formen her kann nicht auf unterschiedliche Sitze im Leben, Gottesdienst und Unterweisung (so Becker, Gottesbild 120) geschlossen werden, da die eben genannten zentralen Aussagen des jüdischen Gottesdienstes in den Formen von Aussage- und Relativsatz und Partizipialprädikation begegnen. Auch für die Christen war Gott selbstverständlich der, der Himmel und Erde gemacht und der Israel aus Ägypten geführt hat, vor allem aber glauben sie an ihn als den, der Jesus von den Toten auferweckt hat. Was war für sie mit diesem Glauben verbunden? Zunächst enthielt er die Aussage, daß Jesu Reden und Handeln von Gott her ins Recht gesetzt war (Becker, Gottesbild 123 f; Hoffmann 486 f; Merklein, Auferweckung 12). Galt aber sein eschatologischer Anspruch und wurde von ihm als Auferwecktem gesprochen, mußte das zu expliziten christologischen Aussagen führen. In I Thess 1,9 f begegnet die Auferweckungsformel in einem traditionellen Kontext, einem Summarium der Missionspredigt für Heiden (vgl. Vielhauer, Geschichte 28; anders Holtz), dessen zweiter Teil sehr alte Vorstellungen enthält: „ . . . und seinen Sohn vom Himmel zu erwarten, den er von den Toten auferweckt hat, Jesus, der uns aus dem kommenden Zornesgericht rettet." Durch seine Auferweckung von den Toten ist Jesus in den Himmel erhöht; von dort erwartet ihn die Gemeinde und hofft auf ihre Rettung durch ihn bei dem dann erfolgenden —»Gericht [Gottes]. Der von den Toten auferweckte Jesus hat hiernach, obwohl als Gottessohn bezeichnet, die Funktion des Menschensohnes. Die Wahrscheinlichkeit, daß diese Vorstellung in die früheste aramäisch sprechende Gemeinde zurückgeht, erweist der Maranatha-Ruf (I Kor 16,22; Did 10,6; vgl. Apk 22,20; s. T R E 3,607; 11,262). An allen drei Stellen schließt Maranatha einen Satz heiligen Rechts ab bzw. einen Satz, der in dieser Weise stilisiert ist. In der Prophetie der aramäisch

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sprechenden Urgemeinde wird mit M a r a n a t h a der angerufen, der das verkündigte R e c h t selbst vollzieht und den man in Bälde erwartet. Aus dieser Gemeinde dürfte auch die von Paulus in R o m 1,3 f zitierte Formel s t a m m e n , die teilweise auf denselben Z u s a m m e n h a n g verweist, teilweise andere Aspekte enthält: ó

YEVójAEVoq¿k (jjzéppaxoq Aaviö (¡cará aápica), ó ópiaSeig vióg Seov (évSuvápei

jrvev/ua áyiú)(7ÚVT]g) él; ávaaráaecog

rara

veicpmv.

Die Zugehörigkeit der eingeklammerten Teile zur vorpaulinischen Formel ist umstritten. Klar ist jedoch, daß die isolierte Formel andere Akzente setzt als der paulinische K o n t e x t . Für Paulus ist Jesus immer schon Sohn Gottes; daher stellt er den Sohnestitel in V.3 der F o r m e l betont voran, und so ergibt évSvvá/uei in der zweiten Zeile der F o r m e l für ihn „die Vorstellung einer Sohnschaft höheren G r a d e s " (Schweizer 180). - Z u r R e k o n struktion der Formel vgl. zuletzt T h e o b a l d 3 7 7 — 3 8 3 . Die Formel gibt in der ersten Zeile mit der Herkunft aus Davids Geschlecht eine genealogische Qualifikation an. Diese Zeile hat kein eigenes Gewicht; sie nennt lediglich eine Voraussetzung, die aber denen, die mit dieser Formel ihren Glauben formulierten, wichtig gewesen sein muß und die deutlich macht, daß hier im Rahmen der königlichen Messianologie gedacht wird. Dieser Rahmen wird in der zweiten Zeile beibehalten, wenn von der Einsetzung zum Gottessohn gesprochen wird. Es ist zwar bemerkenswert, daß nicht die Titel Messias oder Davidssohn gebraucht werden; aber auch der Titel Gottessohn gehört in die königliche Messianologie (vgl. lQFlor 1,11). Die Inthronisation dessen, der aus Davids Geschlecht kommt, zum Gottessohn erfolgt éS, ávaoTáoecoQ VEKPÄ) v. Er ist es nicht von vornherein, sondern er wird erst zu einem bestimmten Zeitpunkt und aufgrund eines bestimmten Ereignisses als solcher eingesetzt. Dieser Zeitpunkt und dieses Ereignis ist die „Auferstehung der Toten". Die Wendung ist hier wahrscheinlich so zu verstehen, daß Jesu Auferstehung als Anfang der allgemeinen Auferstehung verstanden ist. Die messianische Christolcgie der Formel steht also in apokalyptischem Horizont. Das verbindet sie mit Auferweckungsformel und MaranathaRuf. Sieht man diesen Zusammenhang, braucht man für 1 Thess 1,10 nicht ein ursprüngliches „Menschensohn" zu postulieren (so Friedrich, Tauflied 248), sondern kann das überlieferte „Gottessohn" stehen lassen. So wird m a n auch die Formel von R o m 1,3 f i n die a r a m ä i s c h sprechende Urgemeinde zurückführen dürfen (Merklein, Auferweckung 1 3 - 1 5 ; gegen Wengst, F o r m e l n 116): Jesus wird durch seine Auferweckung, die die allgemeine Totenauferstehung einleitet, als Gottessohn ( = königlicher Messias) eingesetzt; als solcher nimmt er aber die Funktion des Menschensohnes w a h r , der alsbald zum Gericht k o m m t und die Seinen retten wird (vgl. Merklein, Auferweckung 1 7 - 2 5 ) . Die Formel von Rom 1,3 f ist im Partizipialstil formuliert. Das dürfte auf den Gottesdienst als Sitz im Leben weisen. In der Auferweckungsformel war Gott Subjekt; in dem Passiv ópioSeíg ist er auch hier logisches Subjekt. Aber grammatisches Subjekt ist Jesus, der somit - wie im Maranatha-Ruf Gegenstand gottesdienstlicher Verehrung wird. Vielleicht kann der Sitz im Leben der Formel von Rom 1,3 f noch genauer mit der Taufe angegeben werden. (Zum Problem eines „Taufbekenntnisses" vgl. Kelly 3 6 - 6 5 ; Campenhausen 2 3 7 - 243; Havener 4 5 1 - 5 4 2 . ) Gehört die Formel von Rom 1,3 f in den Zusammenhang der Taufe, würde sich zwanglos erklären, daß der Gottessohntitel auch später dort seinen Ort hat. Auferweckungsformel, M a r a n a t h a - R u f und die F o r m e l von der Einsetzung zum G o t tessohn weisen a u f die Auferweckung Jesu als den zentralen Punkt, an dem Bekenntnisaussagen einsetzen. Sie wird hier, in der a r a m ä i s c h sprechenden Urgemeinde, als der Beginn der allgemeinen Auferstehung verstanden; durch sie ist Jesus als Gottessohn, als messianischer König eingesetzt und hat die Funktion des Menschensohnes. Im hellenistischen Heidenchristentum ist die Auferweckungsformel möglicherweise im Zusammenhang mit Mysterienvorstellungen interpretiert worden, insofern das Schicksal Jesu die Begründung für dessen Nachvollzug an den Gläubigen bildete. In solchem Kontext könnte auch die Auferstehungsformel entstanden sein, wie sie I Thess 4,14; Rom 14,9 bezeugt wird: maxsvopev öri 'IrjaoCg ánéSavsv Kai áveati) (Wengst, Formeln 3 3 - 3 7 . 3 9 f . 4 4 - 4 7 ; vgl. auch T R E 4, 4 8 3 - 4 8 5 ) . Die Formel von der Einsetzung zum Gottessohn hat ihre weitere Geschichte im Bekenntnis zum Sohn Gottes gehabt, das im Zusammenhang der Taufe gebraucht wurde. Das Bekenntnis in dem textkritisch sekundären Vers Act 8,37 (mazsvco TÖV viöv TOV Seovelvai xöv 'IrjaovvXpiaróv) läßt

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Glaubensbekenntnis(se) IV

sich zwar zeitlich nicht genauer fixieren, als daß es älter als -»Irenaus sein muß. Doch hat Bornkamm wahrscheinlich gemacht, daß ößoXoyia imHebr das Taufbekenntnis der Gemeinde meint und daß dieses den Gottessohntitel zum Inhalt hat (189-192; anders Campenhausen 247). Aus dem Tatbestand, daß das Taufbekenntnis zum Gottessohn kürzer ist als die Formel von Rom 1,3 f, darf nicht auf sein größeres Alter geschlossen werden (Havener 475-478; gegen Wengst, Formeln 106); die Belegstellen legen das umgekehrte Verhältnis nahe. Zudem ist die adoptianische Vorstellung von Rom 1,4 wohl bald nicht mehr als sachgemäß empfunden und der Gottessohntitel nicht mehr als messianische Würdeprädikation verstanden worden.

2. Der Übergang zum hellenistischen

Juden- und

Heidenchristentum

Wie ihr Vorkommen im griechischen Neuen Testament zeigt, sind die von der aramäisch sprechenden Urgemeinde formulierten Sätze, die ihrem Glauben Ausdruck gaben, im hellenistischen Juden- und Heidenchristentum übernommen worden. Doch kam es hier auch zu eigenen Prägungen. Vor allem ist im hellenistisch-judenchristlichen Bereich, der mit dem Stephanus-Kreis bis in die früheste Jerusalemer Zeit zurückreicht, die positive Deutung des Todes Jesu als stellvertretende Sühne ausgebildet und in geprägten Sätzen formuliert worden. Freilich ist die überlieferungsgeschichtliche Herkunft dieser Sätze nach wie vor umstritten (vgl. die ausführliche Nachzeichnung der Debatte bei Gubler 206-235). Die Gründe für eine Herkunft aus dem hellenistischen Judenchristentum sind folgende: 2.1. In religionsgeschichtlicher Hinsicht begegnet die Vorstellung des stellvertretenden Sühnetodes eines Menschen für andere im Umkreis des Neuen Testaments in Texten des hellenistischen Judentums (Wengst, Formeln 6 2 - 7 0 ; dieses Ergebnis ist trotz Hengel, Sühnetod 136-141, nicht zurückzunehmen). Sie ist zwar schon - wie in einem erratischen Block - in Jes 53 belegt; aber auch für Mk 10,45; 14,24 läßt sich der zwingende Nachweis nicht führen, daß hier der hebräische Text von Jes 53 Voraussetzung ist. 2.2. Mit dem hellenistischen Judenchristentum läßt sich ein Ort angeben, an dem geradezu eine Nötigung bestand, den Tod Jesu positiv zu deuten. Dieses Christentum wurde wegen seiner Kritik am -»Gesetz verfolgt (vgl. Act 6 , 8 - 1 4 ; 8,1; l l , 1 9 f ; Gal 1,13f; Phil 3,6); es führte offenbar die gesetzeskritische Praxis Jesu fort, die einen Anlaß für seinen Tod bildete. Mit der Auferweckung war auch Jesu Praxis ins Recht gesetzt. Dann konnte aber der Tod, zu dem diese Praxis geführt hatte, kein zufälliges Ereignis sein, sondern mußte einen von Gott gewollten Sinn haben: An die Stelle des Gesetzes in seiner heilsvermittelnden Funktion trat der als heilvolles Handeln Gottes verstandene Tod Jesu. 2.3. Ginge die soteriologische Deutung des Todes Jesu auf die aramäisch sprechende Urgemeinde oder gar auf Jesus selbst (so z.B. Stuhlmacher; Hengel, Sühnetod 145-147) zurück, würde es unerklärlich, weshalb sie im Neuen Testament nicht stärker verbreitet ist (vgl. aber zum Problem die abgewogenen Ausführungen von Friedrich, Verkündigung 34—44). Unter den geprägten Sätzen, die den Tod Jesu deuten, ist zunächst die Dahingabeformel zu nennen, die sich in drei Formen rekonstruieren läßt: a) 6 9söq xöv vlöv avzov önäp rffißv napeöcoKEV ( R o m 8,32). b) 6 viöq xov 9EOV (fiyänriaev i)fiäq Kai) (jtap)e8(OKEV ¿auxöv önep (x&v äjuapxißv) fjfiäv (Eph 5 , 2 . 2 5 ; die Klammern geben Varianten an), c) Der zweite Aussagesatz begegnet auch als Partizipialprädikation (Gal 1,4; 2,20). Das napaSiSövai ist im Sinne der Passion und besonders des Sterbens zu verstehen (Popkes 193 - 2 0 3 ; Wengst, Formeln 5 8 - 6 0 ; anders Krämer 1 1 2 - 1 2 0 ) . Ihm k o m m t Heilsbedeutung zu, insofern der Tod Jesu stellvertretend sühnte. In der ersten F o r m ist es Gott selbst, der die Sühneveranstaltung betreibt, indem er seinen Sohn dahingibt. Die Sohnesbezeichnung bringt die enge Beziehung zwischen dem Dahingehenden und dem Dahingegebenen zum Ausdruck. Deshalb wurde sie hier aufgenommen; sie war der Gemeinde durch die Formel von der Einsetzung zum Gottessohn vorgegeben, hat aber hier kein eigenes Gewicht. In der zweiten und dritten F o r m ist der Gottessohn selbst Subjekt seiner eigenen Dahingabe. Das dürfte ein fortgeschrittenes Stadium der Entwicklung bezeichnen (Popkes 2 5 1 - 2 5 3 ) . Neben die Dahingabeformel ist die Sterbensformel zu stellen: Xpiazöq önep T)/IC5V änsQavsv (Rom 5 , 6 . 8 ; 14,15; I K o r 1,13; 8,11; II Kor 5 , 1 4 ; Gal 2,21; I Thess 5,10). Statt von Dahingabe ist vom Sterben die Rede; als Subjekt steht Xpiaxöq. Das ist gewiß alsbald

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als N a m e verstanden worden, aber ursprünglich dürfte es bewußte Aufnahme des M e s siastitels gewesen sein (vgl. Merklein, Auferweckung 13 A n m . 4 6 v. S. 12; Hengel, Sohn 9 6 f). Beide F o r m e l n deuten den Tod Jesu soteriologisch. Sie blicken auf ein Ereignis der Vergangenheit zurück, aber ihr Aussagegehalt zielt auf die Gegenwart der Gemeinde: Die in Jesu T o d geschehene stellvertretende Sühne bewirkt den gegenwärtigen Heilsstand derer, die diese Sühne als für sich geschehen vollbracht wissen. 3. Weiterbildungen

und

Zusammenfassungen

Beide Formeln haben Weiterbildungen erfahren. Die Dahingabeformel liegt Mk 10,45; I Tim 2,6 um die Lösegeldvorstellung erweitert vor, vielleicht auch Tit 2,14. Ihr sachlicher Gehalt wird dadurch nicht verändert. Reflexe der Dahingabeformel im johanneischen Schrifttum finden sich Joh 3,16 und I Joh 3,16, eine Variante in I Clem 21,6 und eine variierende Erweiterung in I Clem 49,6. Nachpaulinisch wird die Sterbensformel in I Petr 3,18 zitiert und in IgnTrall 2,1 auf sie angespielt; vgl. auch IgnSm 2,1; 7,1; Barn 5,5; 7,2; II Clem 1,2; Mart Pol 17,2, wo eine Form von näoxElv statt dneSavev gebraucht wird. Eine breite Ausgestaltung durch Aufnahmen aus L X X Jes 53 hat die Sterbensformel in dem I Petr 2 , 2 1 - 2 4 zitierten Traditionsstück erfahren (vgl. die verschiedenen Rekonstruktionen bei Deichgräber 140; Wengst, Formeln 84). Beiden Formeln sachlich und formal ähnlich ist eine weitere, die nur im I Joh ihren Niederschlag gefunden hat: 'IrjaovgXpiaxdg/6 viög xov >9eov (?) iXacruög ¿crxiv nepi xwv äpapriäv rj^iäv (2,2; 4,10). Eine breitere Ausgestaltung der soteriologischen Deutung des Todes Jesu bietet die Rom 3,25 zitierte Formel: ö 9eög npoiSexo 'Irjaovv Xpiaxöv (?) IXaoTijpiov ¿v x

äq Kai ort ¿xäcpTj Kai öti ¿yrjyepxai xfj f)ßep(f xfj xpixrj Kaxä xäq ypacpäq Kai öxi &(p9j] Kqipq, elxa xotq SäScKa. Paulus legt dieser F o r m e l im K o n t e x t ein außerordentlich großes Gewicht bei. E r bestimmt hier das Evangelium als eine im W o r t l a u t festgelegte Tradition (vgl. xivi A6y

fjvai fj ysvea9ai), womit offenbar wäre, daß er aus dem Nichtseienden stammte, sondern so, wie es sich ziemte, daß er geboren ward; nicht, was zu denken unstatthaft wäre, entsprechend einer natürlichen Ähnlichkeit (Kaf)' dfXOlÖTTjra TTjg cpöascog [Abramowski]) oder Vermischung mit einem der Dinge, die durch ihn ins Sein traten, sondern deshalb, weil es alles Verstehen oder Begreifen oder Denken übersteigt, bekennen wir (öpoÄoyoviiEV) ihn als aus dem ungezeugten Vater geboren, Gott Logos, wahres Licht {(pßg äXt]9lvöv), Gerechtigkeit, Jesus Christus, Herrn und Heiland aller. Denn er ist Abbild (eltccbv) nicht des Willens, auch nicht irgendeines anderen, sondern der väterlichen Hypostase selbst (vgl. Hebr 1,3). Eben dieser Sohn, der Gott Logos, ist, nachdem er im Fleische von der Gottesmutter (SsoxÖKog) Maria geboren wurde und einen Leib annahm ( < r ( p o p e a a g [Abramowski]), litt und starb, von den Toten erstanden und in den Himmel aufgenommen worden und sitzt zur Rechten der höchsten Majestät und kommt, zu richten Lebende und Tote. Weiter lehren die heiligen Schriften, wie an unseren Heiland, so auch an einen Geist zu glauben, an eine katholische Kirche, die Totenauferstehung und ein Gericht zur Vergeltung je nachdem, was einer im Leibe[sleben] getan hat, es sei Gutes oder Böses. Wir verdammen {ävaSeßari^ovreg) jene, die da sagen, glauben und verkünden, der Sohn Gottes sei ein Geschöpf, [sei] geworden oder gemacht und nicht ein wahrhaft Gezeugtes, oder [behaupten], er sei einmal nicht gewesen ( ö n TJV ÖTE OVK fjv) - wir dagegen glauben nämlich, daß er war und ist und Licht ist. Dazu verdammen wir die, die meinen, er verdanke seine Unwandelbarkeit seiner eigenen freien Willensentscheidung ( r f j aÖK^ouaiqj SeÄrjasi avTOü), samt denjenigen, die seine Geburt (ysvvrjaig) aus dem Nichtseienden ableiten und leugnen, daß er so, wie der Vater, von Natur aus unwandelbar ist. Denn wie in allem, so wird unser Heiland besonders hierin als Abdruck des [Wesens des] Vaters verkündigt".

Glaubensbekenntnis(se) V

411

5. Nizäa als Wende Obwohl die Synode von Antiochien in allem den Eindruck einer „Ouvertüre" zur nizänischen macht, markiert doch nicht sie, sondern erst das Konzil von Nizäa einen tiefen Einschnitt innerhalb der Geschichte christlichen Bekenntnisses. Der Hauptgrund ist die „Konstantinische Wende", die noch nicht in dem Antiochenum, wohl aber in der Reichssynode von Nizäa ihren bislang symbolträchtigsten und augenfälligsten Ausdruck fand. Dies Konzil sollte überdies noch im Laufe des 4. J h . als Grundlage der Lehrentwicklung wie als Muster der „kaiserlichen Synodalgewalt" ein überragendes Ansehen gewinnen. Für unsere Fragestellung bedeutet diese neue, „reichskirchliche" Situation vor allem, daß nun, mithilfe des „christlichen Kaisertums" und seiner Organe, die Einheit in der formulierten Lehre in den Bereich des Machbaren gerückt, ja „ D o g m a " , Bekenntnis, zu einer Größe erzwingbaren Rechts geworden zu sein schien! In Nizäa selbst allerdings passierte zunächst „ n u r " dies, daß man zur Überwindung der aufgebrochenen Lehrstreitigkeiten eine Glaubensformel in der Art eines „deklaratorischen" Credos aufnahm und ihr eine Reihe von präzisierenden Ausdrücken zufügte (->Nicäa, ->Nicäno-Konstantinopolitanisches Glaubensbekenntnis). Dabei war wohl die Absicht, diese präzisierte Formel fortan als Test für die Rechtgläubigkeit dienen zu lassen. „Die alten [sc. „interrogatorischen"] Bekenntnisse waren Bekenntnisse für Katechumenen, das neue Bekenntnis war ein Bekenntnis für Bischöfe" (Turner 24; zit. bei Kelly 205). Insofern begann mit Nizäa auf symbolgeschichtlichem Gebiet in der Tat „eine große Revolution" (Kelly ebd.). Das eine, wortwörtlich festliegende Glaubensbekenntnis für alle, auf das es jetzt allem Anschein nach hinauszulaufen begann, verdankt die Kirche der „Konstantinischen Wende", verkürzt gesagt: dem Staat! Allein, wenn es wirklich die Absicht des nizänischen Konzils war, eine Formel, auf deren Sinn es nicht nur, sondern auf deren Wortlaut es auch ankam, als Prüfstein der Rechtgläubigkeit durchzusetzen, dann war dem kein Erfolg beschieden, zunächst wenigstens. Die Lehrstreitigkeiten mit Hilfe einer Formel zu schlichten gelang mitnichten. Wie auch das Nicaenum als Formel bis zur Mitte des 4. J h . keine erkennbare Rolle spielte, in Ost wie West! Erst recht bedurfte es eines langen Prozesses, im Osten vor allen Dingen, ehe ein Bekenntnis allgemein verbindlich wurde und auch in Meßliturgie und Taufe die Vielfalt lokaler Bekenntnisse verdrängte, nämlich das Nicaeno-Constantinopolitanum (zu den Einzelheiten dieses Prozesses s. Kelly 33.9 ff.343 ff). Alles in allem genommen wird man auch noch von den Theologen und Kirchenmännern des 4. J h . sagen müssen, daß sie keine Bekenntnisfetischisten gewesen sind. Die Lage änderte sich wohl erst gegen Ende des „Goldenen Zeitalters der Vätertheologie" (J. Quasten). Das ließe sich zumal an der Theologie des Ostens zwischen den Konzilien von -•Chalkedon und Konstantinopel III (680/681) aufzeigen. In dieser Zeit ist die „Orthod o x i e " zunehmend ärmer, ist der „Ausschlag des Pendels ihrer Dialektik immer geringer" geworden, bis es schließlich durch das Bleigewicht des Traditionalismus, der Väterflorilegien, zeitweilig ganz zum Stillstand kam (W. Eiert). Es gilt in gewissem Sinne aber auch schon für den späten Athanasius, der etwa seit 350 zunehmend auf der „Genügsamk e i t " (Suffizienz) des Bekenntnisses der „heiligen V ä t e r " von Nizäa insistierte. Daran wurde ihm der „eine G l a u b e " der Christen, die Übereinstimmung des Denkens als Kriterium wahrer Lehre, konkret: an dem einen Lehrbekenntnis (vgl. dazu M . Tetz: Z N W 66 [1975] 1 9 4 - 2 2 2 ) . Auch das Abendland machte, wie das (wohl aus Spanien stammende und auf das 5. oder 6. J h . zu datierende) sog. Athanasianische Symbol oder, nach seinen Eingangsworten, Symbolum „Quicumque" lehrt, diese Wendung zu einer gewissen Erstarrung und Versteinerung mit, indem in diesem Symbol gar das Festhalten an dem (inhaltlich aufs genaueste umschriebenen) christlichen Glauben zum Kriterium erklärt wird, von dem die ewige Seligkeit abhänge!

412

Glaubensbekenntnis(se) VI

Z u v o r aber war man, nach einer schönen Formulierung von R. P. C. H a n s o n , v o n der Unangemessenheit menschlicher Sprache, auch der Sprache des Bekenntnisses, als Ausdruck göttlicher Wirklichkeit durchaus überzeugt „und darum trotz allen Insistierens auf der Glaubenswahrheit nicht eigentlich doktrinär" (Dogma 184). Quellen August Hahn, Bibliothek der Symbole u. Glaubensregeln der alten Kirche, 3. Aufl. v. G. Ludwig Hahn, mit einem Anh. v. Adolf Harnack, Breslau 3 1897 = Hildesheim 1962. - Hans Lietzmann, Symbole der alten Kirche, 4 1935 (KIT 17/18). - Hans Steubing (Hg.), Bekenntnisse der Kirche, Wuppertal 1970. Literatur Berthold Altaner/Alfred Stuiber, Patrologie, Freiburg 9 1980 (Lit.). - Francis John Badcock, History of the Creeds, 1930 2 1938 (PCHS 35). - Karlmann Beyschlag, Grundriß der DG, Darmstadt, 11982. - Georg Günter Blum, Tradition u. Sukzession. Stud, zum Normbegriff des Apostolischen v. Paulus bis Irenaus, 1963 (AGTL 9). — Norbert Brox, Offenbarung, Gnosis u. gnostischer Mythos bei Irenaus von Lyon, 1966 (SPS 1). - Andrew Ewbank Burn, An Introduction to the Creeds, London 1899.-Hans v. Campenhausen, Irenaus u. das N T : ThLZ 90 (1965) l - 8 . - D e r s . , Die Entstehung der • christl. Bibel, 1968 (BHTh 39). - D e r s . , Das Bekenntnis im Urchristentum: Z N W 63 (1972) 210-253. - Ders., Das Bekenntnis Eusebs v. Caesarea: ebd. 67 (1976) 123-139 (beides wiederabgedr.: ders., Urchristl. u. Altkirchliches, Tübingen 1979, 217 -272.278-299). - Bernard Capelle/Colin Henderson Roberts, An Early Euchologion: The Der Balizeh Pypyrus enlarged and re-edited, 1949 (BMus 23). - Harry James Carpenter, Symbolum as a title of the creed: JThS 43 (1942) 1 — 11. — Ders., Creeds and baptismal rites in the first four centuries: ebd. 44 (1943) 1 - 1 1 . - Carl Paul Caspari, Alte u. neue Quellen zur Gesch. des Taufsymbols u. der Glaubensregel, Christiania 1879, Neudr. Brüssel 1964. Robert Hugh Conolly, The Early Syriac creed: Z N W 7 (1906) 202-223. - Joseph Crehan, Early Christian Baptism and the Creed, London 1950. - Franz Joseph Dölger, Die Eingliederung des Taufsymbols in den Taufvollzug nach den Schriften Tertullians: AuC 4 (1934) 138-146. - Hermann Dörries, Das Bekenntnis in der Gesch. der Kirche, Göttingen 1946. - Damien van den Eynde, Les normes de l'enseignement chrétien, Gembloux/Paris 1933. - Ellen Flesseman-van Leer, Tradition and Scripture in the Early Church, Assen 1954. - Paul Traugott Fuhrmann, An introduction to the great creeds of the Church, Philadelphia/Edinburgh 1960. - Bengt Hägglund, Die Bedeutung der „régula fidei" als Grundlage theol. Aussagen: StTh 12 (1958) 1 - 4 4 . - Adalbert Hamman, La confession de la foi dans les premiers actes des martyrs: EPEKTASIS. FS f. J. Card. Daniélou, Beauchesne 1972,99-105. - Richard P. C. Hanson, Tradition in the early Church, London 1962. - Ders., Dogma and Formula in the Fathers: StPatr 13, 2 (1975) 169-184. - Adolf v. Harnack, Lehrb. der DG, I Tübingen 4 1909, Nachdr. Darmstadt 1980. - Philip Hefner, Theological methodology and St. Irenaeus: JR 44 (1964) 294-309. - Ferdinand Kattenbusch, Das apostolische Symbol, I. Die Grundgestalt des Taufsymbols, Leipzig 1894, Nachdr. Hildesheim 1962; II. Verbreitung und Bedeutung des Taufsymbols, Leipzig 1900, Nachdr. Hildesheim 1962. - Georg Kretschmar, Die Gesch. des Taufgottesdienstes in der alten Kirche: Leit. 5 (1970) 1 - 3 4 8 . - Johannes Kunze, Glaubensregel, Heilige Schrift u. Taufbekenntnis, Leipzig 1899. - Ernst Lichtenstein, Die älteste christl. Glaubensformel: Z K G 6 3 (1950-1951) 1 - 7 4 . - D i e t e r Lührmann, Glaube: RAC 11 (1981) 48-122. - Peter Meinhold (Hg.), Stud, zur Bekenntnisbildung, 1980 (VIEG 103). - Joseph F. Mitros, The norm of faith in the patristic age: TS 29 (1968) 444-471. - Pierre Nautin, Je crois à l'Esprit Saint dans la Sainte Église pour la résurrection de la chair, Paris 1947. - Harry Vernon Neufeld, The earliest christian confessions, 1963 (NTTS 5). - Johannes Quasten, Patrology, 3 Bde., Utrecht 1950-1960; Neudr. 1963 (Lit.). - Willi Rordorf, La confession de foi et son „Sitz im Leben" dans l'église ancienne: N T 9 (1967) 225-238. - Cuthbert Hamilton Turner, The History and Use of Creeds and Anathemas, 1906 2 1910 (CHS 6). - Henry Ernest William Turner, The Pattern of Christian Truth, London 1954. - Theodor Zahn, Art. Glaubensregel: RE 3 6 (1899) 682-688. Adolf Martin Ritter VI. Mittelalter 1. Das Glaubensbekenntnis als christologisches Bekenntnis im adoptianischen Streit 2. Das Glaubensbekenntnis als Abendmahlsbekenntnis (im Berengarschen Streit) 3. Das Glaubensbekenntnis im Horizont der Frage nach dem göttlichen Wesen im Streit um Gilbert Porreta 4. Glaubensbekenntnisse in der Auseinandersetzung mit den Katharern 5. Das Lateransymbol von 1215 6. Das Glaubensbekenntnis des Konzils zu Vienne 7. Unionsbekenntnisse (Quellen/

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Literatur S. 416) Ihren ursprünglichen Ort haben die Glaubensbekenntnisse in der Bekundung des rechten Glaubens auf den feierlichen Versammlungen der Kirche, den Synoden und Konzilien, in der Wiedergewinnung derer, die in Glaubensirrtümern befangen sind. Späterhin - verfaßt durch den Papst und das Allgemeine Konzil und den Oberhäuptern der getrennten Kirchen vorgelegt - sehen sie in der Wiederherstellung der kirchlichen Einheit ihr Ziel.

1. Das Glaubensbekenntnis

als christologisches

Bekenntnis

im adoptianischen

Streit

Erzbischof Elipandus von Toledo und Bischof Felix von Seo de Urgel sahen die Gottessohnschaft Jesu Christi in einem doppelten Sinne bestimmt: einerseits als Sohnschaft von Natur hinsichtlich seiner Gottheit, andererseits - wie bei allen Getauften - aus Gnade hinsichtlich seiner Menschheit. Es gab in diesen adoptianischen Thesen mithin einen Beiklang des Nestorianismus, sofern dieser in seiner Auslegung der Person Jesu Christi den Akzent auf die Zweiheit legte und die grundlegende Personeinheit hintanstellte (-»Nestorius/Nestorianischer Streit). Schon auf dem Konzil zu Frankfurt (794) mißbilligt, wurden diese Überzeugungen auf dem Konzil von Friaul (Forum Julii) 796/97 verurteilt: „Der Gottes- und Menschensohn ist einzig und allein Einer in seinen beiden Naturen, der menschlichen und der göttlichen, . . . nicht nur als solcher bezeichneter, sondern wahrer Gottessohn" (DS 619). 2. Das Glaubensbekenntnis

als Abendmahlsbekenntnis

(im Berengarschen

Streit)

Um 1047 begann -» Berengar von Tours öffentlich seine Abendmahlsthesen zu verkünden: Im ausdrücklichen Gegensatz zum Realismus des Paschasius Radbertus vertrat er, damit zugleich den -»• Nominalismus begründend, die Überzeugung, daß alle Realität sinnlicher Wahrnehmung unterworfen und nicht anders als eine jeweils individuierte zu verstehen sei. Mehrere Bekenntnisformeln wurden ihm nacheinander vorgelegt. Die älteste datiert aus der Amtszeit von Erzbischof Maurilius von Rouen (1055-1067) und wurde in der Folgezeit auf jeder Provinzialsynode erneut verkündigt: „Wir glauben mit dem Herzen und bekunden mit dem Munde ..., daß Natur und Substanz des Brotes durch die unaussprechliche Macht Gottes Natur und Substanz des Fleisches dessen werden, welcher, empfangen durch den Hl. Geist, geboren von der Jungfrau Maria, für unser Heil in den Tod gegeben, ins Grab gelegt, am dritten Tage auferweckt, zur Rechten Gottes des Vaters s i t z t . . . Desgleichen wird zur Erlösung der Welt der mit Wasser gemischte Wein im Kelch . . . in seinem Wesen wahrhaft in das Blut verwandelt, welches aus der Wunde floß, die der Seite des Herrn zur Erlösung der Welt durch den Lanzenstich des Soldaten beigebracht worden ist" (Bessin 49).

In dem ihm während des römischen Konzils von 1059 abgenötigten Glaubensbekenntnis erklärte Berengar, daß er auf dem ihm von -»Nikolaus II. ins Bewußtsein gerufenen Glaubensgrund der römischen Kirche und des Apostolischen Stuhles stehe, und er bekannte sich zur sinnenhaften, d. h. nicht allein sakramentalen Gegenwart Christi in den geweihten Abendmahlselementen (DS 690). Die Glaubensformel, die er auf dem römischen Konzil von 1079 bekannte, nimmt Begriffe des Formulars von Rouen wieder auf, legte aber die Betonung auf das Sakrament, und zwar nicht nur im Sinne eines wirksamen Zeichens, einer wirksamen Kraft, sondern im Blick auf die Realität des Fleisches und des Blutes „in ihrer natürlichen Eigenschaft und wesenhaften Wahrheit" (DS700). 3. Das Glaubensbekenntnis Streit um Gilbert Porreta

im Horizont

der Frage nach dem göttlichen

Wesen im

In seinem Kommentar zur Schrift De Trinitate des -»Boethius vertrat -»Gilbert Porreta die Überzeugung, daß das göttliche Wesen oder die göttliche Natur nicht Gott-selbst, sondern nur seine Form sei: Er unterschied zwischen der Substanz (id quod est) und der Beschaffenheit {id quo est) — das eine sei Gott, das andere seine Gottheit. Im Anschluß an das Konzil von Reims von 1148 setzte Eugen III. ein Symbol auf, das demgegenüber die Position der Kirche verdeutlichte: „Wir glauben und bekennen, daß die einfache Natur

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Glaubensbekenntnis(se) VI

der Gottheit Gott-selbst ist; es entspricht in keiner Weise dem katholischen Glauben zu leugnen, daß die Gottheit Gott sei und Gott die Gottheit... Außerhalb seiner Gottheit ist Gott nicht; er ist selbst Weisheit, Erhabenheit, Ewigkeit, Einheit . . . Wenn wir also von Einem einzigen Gott sprechen, bekennen wir Eine einzige Substanz in drei Personen" (Mansi XXI,712f). 4. Glaubensbekenntnisse

in der Auseinandersetzung

mit den

Katharern

Die im Umkreis der Auseinandersetzung mit den -»Katharern entstandenen Glaubensbekenntnisse nehmen ihren Ausgang von einem Glaubensformular der römischen Kanzlei des 5. Jh., den Statuta Ecclesiae Antiqua, auf dem das Glaubensverhör des Bischofs vor seiner Weihe beruhte und das alle mit dem Makel der Häresie behafteten Positionen zurückweist (Arianismus, Sabellianismus, Nestorianismus, Monophysitismus, Priszillianismus, Doketismus). Von Fall zu Fall im Blick auf die jeweilige Überprüfung von Häresieverdächtigen oder Wiedereingliederung von Ketzern modifiziert, wurde es seit dem Religionsgespräch von Lombez (1165) den Albigensern vorgelegt, desgleichen Petrus Valdes, dem Oberhaupt der „Armen von Lyon" (-»Waldenser), Durandus von Huesca (1208) und Bernhard Prim (1210) (Enchiridion V 32-36; DS 790; Enchiridion V 130—135). Abgesehen von den 22 Sätzen der Statuta finden sich hier Ausführungen über die Siebenzahl der Sakramente, sogar über den Gebrauch von fleischlicher Nahrung, die Auferstehung des Fleisches, das Jüngste Gericht, den Wert der Fürbitten und Sühneleistungen für Verstorbene, die Hervorhebung der Lehre, daß die Bosheit des Teufels ihre Ursache in seinem freien Willen und nicht in seiner Natur habe. 5. Das Lateransymbol

von 1215 (DS 800; C O D 3 230f)

Man hat gesagt, daß das IV. Laterankonzil (—» Lateransynoden) die antiwaldensischen Glaubensbekenntnisse aufgenommen habe. Das hieße indessen, die Natur und Bedeutung der Konstitution De fide Catholica weit zu unterschätzen. Man kann sie vielmehr einzig und allein mit dem -»Nicäno-Konstantinopolitanischen Glaubensbekenntnis vergleichen. Sie stellt sich als ein trinitarisches Bekenntnis dar, umschließt aber in Wirklichkeit drei organisch miteinander verbundene Teile: die Dreifaltigkeit, Gott in seinem Wesen, die göttlichen Personen, das Schöpfungs- und Erlösungswerk; die Fleischwerdung des Sohnes Jesu Christi als das gemeinsame Werk der ganzen Dreifaltigkeit; die Allgemeine Kirche, in welcher Christus selbst Priester und Geopferter zugleich ist. Der in -»Konstantinopel bezüglich des Hervorgehens des Hl. Geistes weiter entfaltete, von -»Joachim von Fiore in Auseinandersetzung mit -»Petrus Lombardus vor das Forum der Kritik gebrachte trinitarische Glaube von -»Nicäa wird hier theologisch auseinandergelegt. Die Einheit und Gleichheit der Personen in ihrem Wesen (ihrer Substanz), ihre Ewigkeit, die Unterschiede ihrer Eigenschaften, das Schöpfungs- und Erlösungswerk in seiner ursprünglichen Güte - all diese Punkte werden ins Licht gerückt. Die Fleischwerdung ist im Heilsplan verankert, Werk der ungeteilten Dreifaltigkeit (-»Trinität), verwirklicht durch den Hl. —»Geist in -»Jesus Christus als einer Personeinheit in zwei Naturen, als wahrer Mensch ausgestattet mit einer Vernunftseele und einem menschlichen Leib, der entsprechend seiner Menschlichkeit leidensfähig und sterblich ist. Die menschliche wie die göttliche Natur sind in ihm vollkommen wirklich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, daß die Väter des Lateranums das Symbol des 11. Konzils von Toledo (675) vor Augen hatten, zumal Roderich von Toledo, der Primas von ganz Spanien, auf dem Konzil eine wichtige Rolle spielte. Auch in anderer Hinsicht scheint das gleiche Symbol einen der dogmatischen Hintergründe des Lateransymbols zu bilden; nämlich einerseits in der Frage der Eschatologie, dem Verhältnis zwischen dem Jüngsten Gericht und dem Erscheinen Christi in seiner Glorie als des Richters der Lebenden und der Toten, und andererseits bezüglich der Verbindung zwischen der Auferstehung der einzelnen Leiber und der gerechten Vergeltung der guten und bösen Taten.

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In der Formulierung des Kirchenbegriffs (-»Kirche) zeigt sich das Lateransymbol sowohl traditionsbezogen wie auf neuen Wegen. Konstantinopel hatte „eine heilige, katholische, apostolische Kirche" bekannt und „eine Taufe zur Vergebung der Sünden". Hier nun wird die Einheit der Kirche erneut bekräftigt und zugleich auf Jesus Christus gegründet. Zudem erscheint ihr Bezug zum -»Abendmahl erstmals in einer dogmatischen Konstitution: Das IV. Lateranum bietet eine Ekklesiologie, die sich als Gemeinschaft mit dem Leib und Blut Christi im Sinne geheimnisvoller Einheit versteht. Die Sakramentstheologie drückt sich dabei in einem erst kurz zuvor geprägten Begriff aus: Die Wandlung von Wein und Brot in Leib und Blut Christi vollzieht sich kraft der Macht Gottes als Transsubstantiation. Die (schon in Konstantinopel festgelegte) Lehre von der Sündenvergebung durch die Taufe wird dahingehend weiter verdeutlicht, daß jeder Sünder nach der Taufe durch wahre Reue Sündenvergebung erlangen kann. 6. Glaubensbekenntnis

des Konzils zu

Vienne

Die Konstitution Fidei catholicae des Konzils von -» Vienne verurteilt die metaphysischen Thesen Sigers von Brabant (Lehre von der Existenz nur eines Intellekts als immaterieller Substanz, der Gründung der Form des Körpers nicht in der Intellektseele, sondern der Vitalseele) mitsamt ihren Folgen für das theologische Verstehen der Inkarnation und das Heil des einzelnen und erklärt: „Der eingeborene Sohn Gottes . . . hat in der Zeit und im Schöße der Jungfrau die miteinander geeinten Teile unserer Natur in die Einheit seiner Hypostase und Person aufgenommen, und durch diese ist Er, welcher aus sich selbst heraus wahrer Gott ist, wahrer Mensch geworden, nämlich ein leidensfähiger Leib und eine mit Verstand und Vernunft begabte Seele, welche durch sich selbst und auf wesenhafte Weise die Form des Körpers begründet" (DS 900-904; C O D 3 360f). 7. Unionsbekenntnisse

(Das II. Konzil v. Lyon 1274 und das Konzil v. Florenz 1439)

Von Clemens IV. an den byzantinischen Kaiser adressiert, wiederaufgegriffen von - • G r e g o r X. und auf dem Konzil von -»Lyon bestätigt, legt das von Michael Paläologos unterzeichnete Glaubensbekenntnis die Betonung auf die Vorrangstellung und allgemeine Jurisdiktion der römischen Kirche. Es klingt wie eine lehrmäßige Zusammenfassung der Dekrete des IV. Lateranums mit der Zielsetzung, die Union mit den Griechen vermittels ihrer Integration in die hierarchische Pyramide der Kirche — vom Bischof über den Metropoliten und das Patriarchat zum römischen Stuhl - zu erreichen. Zugleich nimmt es Kontroverspunkte auf, die von - » T h o m a s von Aquino in seiner Abhandlung Contra errores Graecorum ins Bewußtsein erhoben worden waren (Fragen der Eschatologie und der Sakramentenlehre). Das Grundproblem lag in der Trinitätslehre. Das II. Konzil von Lyon führt die strittige Formel des filioque erklärend aus: „Wir bekennen gläubig und fromm, daß der Hl. Geist ewig vom Vater und dem Sohn ausgeht, nicht von zwei Prinzipien, sondern von einem einzigen, nicht durch zwei Hauchungen, sondern durch eine einzige" (DS 850; C O D 3 314). Das Unionsdekret des Konzils von Florenz (-»Basel-Ferrara-Florenz) schließlich gründet sich in dreifacher Hinsicht auf ein Glaubensbekenntnis; zum einen bezüglich des Hervorgehens des Hl. Geistes: Hier bietet es eine einfache Wiederholung des entsprechenden Konzilstextes von Lyon, mit einem Zusatz, welcher die Einfügung des filioque ins Credo rechtfertigt; zum anderen bezüglich des Schicksals der Verstorbenen; schließlich bezüglich des Primats des römischen Stuhles und der überlieferten Rangfolge der Patriarchate (DS 1300-1306; C O D 3 526-528). Insgesamt haben die mittelalterlichen Glaubensbekenntnisse ihren Höhepunkt in der Konstitution De Fide Catholica von 1215 erreicht. Z u m ersten Mal, nachdem sich der Graben zwischen den Griechen und Lateinern aufgetan hatte - und in der Illusion wiedergewonnener Einheit - definierte ein Allgemeines Konzil den Glauben vermittels einer Entfaltung der grundlegenden Dogmen, wie sie in den Symbolen von Nizäa und Konstantinopel zum Ausdruck gekommen waren, und legte zugleich eine Ekklesiologie vor, wie

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Glaubensbekenntnis(se) VII

sie aus der sakramentstheologischen Reflexion im Umkreis der Pariser T h e o l o g e n erwachsen w a r - e i n e s —»Petrus L o m b a r d u s , - » P e t r u s C a n t o r und - » S t e p h a n L a n g t o n . Ihr verdankt auch die scholastische T h e o l o g i e ihre Fundamente: T h o m a s v. Aquin sollte in seinem O p u s c u l u m X I X dazu einen gleichsam buchstäblichen K o m m e n t a r liefern, damit zugleich auch ihre dogmatische Tragweite gegen die Vielzahl der häretischen Lehren unter Beweis stellen. Quellen

und

Literatur

Quae supersunt actorum graecorum concilii Florentini, hg. v. Joseph Gill, 1953 (CF1 V 1.2.). Andreas de Santacroce, Advocatus consistorialis, Acta latina concilii Florentini, hg. v. G. Hofmann, 1955 (CF1 VI). - 1274, année charnière. Mutations et continuités. Lyon-Paris 30 sept. - 5 oct. 1974, Paris 1977 (Colloques internationaux du C.N.R.S. 558). - Consilia Rotomagensis provinciae, hg. v. Guilelmus Bessin, Rouen 1717. - C O D 3 1973. - Constitutiones Concilii quarti Lateranensis una cum Commentariis glossatorum, hg. v. Antonius García y García, 1981 (MIC.G 2). - Enchiridion Fontium Valdensium, hg. v. Giovanni Gönnet, Torre Pellice, 11958. - Raymonde Foreville, Latran I, II, III et Latran IV, 1965 (HCO 6); dt.: Lateran I - I V , 1970 (GÖK 6). - A. Franchi, Il concilio II di Lione (1274) secondo la Ordinatio Concilii generalis Lugdunensis, Rom 1965. - Joseph Gill, Constance et Bâle-Florence, 1965 (HCO 9); dt.: Konstanz/Basel-Florenz, 1968 (GÖK 9). - Joseph Lecler, Vienne, 1964 (HCO 8); dt.: 1965 (GÖK 8). - Jean de Montclos, Lanfranc et Béranger. La controverse eucharistique du X I e siècle, 1971 (SSL 37). - Ewald Müller, Das Konzil v. Vienne. Seine Quellen u. seine Gesch., Münster 1934. - Les Statuta ecclesiae antiqua, hg. v. Charles Munier, 1960 (BIDC 5). Christine Thouzellier, Catharisme et Valdéisme en Languedoc, Löwen/Paris 2 1969. - Hans Wolter/Henri Holstein, Lyon I et Lyon II, 1966 (HCO 7); dt.: 1072 (GÖK 7). R a y m o n d e Foreville

V I I . R e f o r m a t i o n s z e i t bis 1 7 . J h . 1. Lutherische Bekenntnisse 2. Reformierte Bekenntnisse in der Schweiz 3. Reformierte Bekenntnisse des kontinentalen Europas außerhalb der Schweiz 4. Britische Inseln 5. Der linke Flügel 6. Römisch-katholische Kirche 7. Orthodoxe Kirche (Literatur S. 428) Im Laufe der Zeit trat das Bekenntnis, obwohl in seiner normativen Funktion unangefochten, immer stärker zugunsten des Lehramtes zurück. Dies änderte sich grundsätzlich im Zeitalter der Reformation. Zunächst kam es zu einem aktuellen Bekennen, wie etwa in den 95 Thesen Luthers von 1517, den Disputationen (Heidelberg 1518, Leipzig 1519 usw.) oder dem Bekenntnis Luthers auf dem Reichstag zu Worms. Die Bekenntnisse der Reformationszeit (-»Bekenntnisschriften), soweit nicht von Altgläubigen verfaßt, lassen sich in lutherische und reformierte Bekenntnisse unterteilen und solche, die dem linken Flügel der Reformation zuzuschreiben sind. 1. Lutherische

Bekenntnisse

Die R e f o r m a t o r e n wollten sich nicht von der einen Kirche lossagen, sondern sie gem ä ß dem W o r t Gottes reformieren. So ist auch das erste offizielle lutherische Bekenntnis, die von Philipp M e l a n c h t h o n 1 5 3 0 verfaßte Augsburgische Konfession (-»Augsburger Bekenntnis) von bewußt katholischer N a t u r , wie heute von römisch-katholischen F o r schern anerkannt wird. W i e in der Vorrede dazu ausdrücklich bemerkt, soll bewiesen werden, „ d a ß der Kurfurst von Sachsen nichts Unchristlichs in seinem Gebiet zu predigen gestatt, sonder sich des gemeinen, lautern christlichen Glaubens mit allem Fleiß gehalten h a b " (BSLK 4 3 ) . Neben Vorstufen, wie die Marburger und Schwabacher Artikel und d a s Thorgauer Bedenken, floß in die Confessio Augustana auch das Bekenntnis Luthers ein, welches er seinem Großen Bekenntnis vom Abendmahl (1528) angefügt hatte ( W A 2 6 , 4 9 9 ) und das teilweise in die Konkordienformel aufgenommen wurde. Die Confessio Augustana besteht aus zwei Teilen (s. T R E 4 , 6 2 0 - 6 2 4 ) : einem positiv dogmatischen und einem negativ polemischen oder apologetischen. D e r erste Teil (Art. 1—21) lehnt sich teilweise an den Duktus des Credo an und betont die Kontinuität mit der kirchlichen Tradition. Im zweiten Teil werden in sieben weiteren Artikeln die römischen Mißstände aufgezeigt, die von den Lutheranern korrigiert w o r d e n waren, wie

Glaubensbekenntnis(se) VII

417

Entzug des Laienkelchs, Zölibat, M e ß o p f e r , M ö n c h s g e l ü b d e usw. M ö g e n uns heute die Verdammungen und auch der ganze zweite Teil oft zu harsch v o r k o m m e n , so w a r doch damals bei manchen Gegnern der erste Eindruck sehr überzeugend. Die Confessio Augustana ließ auch das T o r zur Versöhnung mit R o m offen. Dennoch verfaßten mehrere römische T h e o l o g e n eine Confutatio (s. T R E 4 , 6 2 8 - 6 3 2 ) , die allerdings so gehässig ausfiel, daß sie auf Verlangen Kaiser - > Karls V. umgearbeitet werden mußte. Die Confessio Augustana wurde zum grundlegenden, allgemein anerkannten Symbol der Lutherischen, so daß sich sogar m a n c h e lutherische Kirchen n a c h ihr benannten (vgl. CSSR und R u m ä nien). Die Confessio Augustana wirkte weit über den luth. Raum hinaus, besonders durch die Variata (1540), die vielen Calvinisten genehm war. Wenn heute einer öffentlichen Anerkennung der Confessio Augustana durch die römisch-katholische Kirche nach Meinung vieler nichts mehr im Wege steht, muß man bedenken, daß die Kirchen sich nicht mehr in der Reformationszeit befinden. Gegenseitige Anerkennung kann nur aufgrund eines neuen gemeinsamen Bekenntnisses erfolgen, aber nicht durch Berufung auf ein Partikularbekenntnis der Vergangenheit, wenn es auch um der Kontinuität willen wünschenswert ist, daß vergangene Bekenntnisse in gegenwärtige aufgenommen werden. Die Confutatio Confessionis Augustanae folgt dem Aufbau der Confessio Augustana, die sie zu widerlegen sucht. Z u n ä c h s t anerkennt sie 18 Artikel des ersten Teils der Confessio Augustana teilweise, uneingeschränkt oder mit Qualifizierungen, während Art. 7 (Kirche), Art. 2 0 (Glaube und gute Werke) und Art. 21 (Heiligenverehrung) sowie der ganze zweite Teil der Confessio Augustana verworfen werden. A u c h wird die Existenz von M i ß b r ä u c h e n zugegeben und Abhilfe versprochen. Die daraufhin unter Drängen der Lutheraner von M e l a n c h t h o n verfaßte Apologia Confessionis Augustanae ist siebenmal so umfangreich wie die Confessio Augustana. T o n und Inhalt sind ausgewogen und überzeugten durch ihren gelehrten Eindruck viele bedeutende M ä n n e r . M e l a n c h t h o n schuf mit ihr die älteste und authentischste Interpretation der Confessio Augustana. Auch von ihr gibt es eine Variata, die zweite lateinische Ausgabe von 1531. Die -*Schmalkaldischen Artikel wurden 1 5 3 7 auf Befehl des sächsischen Kurfürsten für das aufs gleiche J a h r nach M a n t u a einberufene Konzil von M a r t i n Luther verfaßt. O b w o h l die Artikel 1537 nicht zur offiziellen Bekenntnisschrift erhoben wurden, erfreuten sie sich als Zeugnis echt lutherischer Lehre in der Folgezeit steigender Beliebtheit. Die Artikel zerfallen in drei Teile. In einem kurzen ersten Teil, über den nach Luther kein Streit besteht, werden die Lehren des Apostolikums (-+Apostolisches Glaubensbekenntnis) und des Athanasianums (-»-Athanasianisches Symbol) kurz dargelegt. Im zweiten, dem Hauptteil, vollzieht sich die Abgrenzung gegenüber der katholischen Kirche und den von ihr vertretenen „Irrlehren". Luther stellt zuerst die Rechtfertigung allein aus Glauben in den Mittelpunkt und verwirft dann Messe, Fegfeuer, Heiligenanrufen usw. Der dritte Teil umfaßt 15 Artikel. Luther will mit ihnen unter den Protestanten oder anderen „vernünftigen" Leuten über das Gesetz, Buße, Sakramente usw. disputieren. Er setzt sich in diesem Teil lediglich vom Papst, aber nicht von der (katholischen) Kirche ab, denn „conscientia ist bei ihn nichts, sondern Geld, Ehr und Gewalt" (BSLK 433). Dieser Angriff auf den Papst fand jedoch nicht die Billigung Melanchthons, der stets um Ausgleich bemüht war. Dies zeigt sich auch in -»Melanchthons De potestate et primatu papae tractatus, der 1537 auf der Tagung zu Schmalkalden als Zusatz und Ergänzung der Confessio Augustana entstand. Im Gegensatz zu den Schmalkaldischen Artikeln galt er als offizielle Bekenntnisschrift. In ruhiger, gemäßigter und gelehrter Weise legt Melanchthon aufgrund der Bibel und der Geschichte der frühen Kirche dar, daß a) der Papst weder als Vikar Christi noch durch göttliches Recht höchste Autorität über die Bischöfe und Pastoren der ganzen Welt ausübt; daß b) der Papst nicht durch göttliches Recht beide Schwerter hat und deswegen nicht in den Staat hinein regieren könne; und daß c) die Christen Gegenteiliges nicht um ihres Seelenheils willen glauben müssen. Als abschließendes lutherisches Bekenntnis der Reformationszeit ist die -*Konkordienformel von 1 5 7 7 bzw. 1 5 8 0 zu nennen. Sie sollte nach langen Streitigkeiten lehrmäßige Einheit und Frieden unter den Lutheranern herstellen. Die oft sehr bitteren und rücksichtslos ausgetragenen Kontroversen gehen großenteils auf die fast gegensätzlichen Positionen Luthers und M e l a n c h t h o n s zurück. M e l a n c h t h o n selbst wurde immer offener für

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Glaubensbekenntnis(se) VII

die P o s i t i o n der Calvinisten in der A b e n d m a h l s l e h r e und für die der R o m a n i s t e n bei der m e n s c h l i c h e n Willensfreiheit. Z u seinen Lebzeiten k o n n t e L u t h e r die verschiedenen Parteien n o c h in Frieden z u s a m m e n h a l t e n , nach seinem T o d j e d o c h e n t b r a n n t e der Streit in voller S c h ä r f e . D i e t h e o l o g i s c h e n H a u p t t r i e b k r ä f t e hinter der Formula Concordiae waren J a c o b - • A n d r e a e , M a r t i n - » C h e m n i t z und N i k o l a u s S e i n e c k e r ( 1 5 3 0 - 1 5 9 2 ) . Als Vorstufen

zur Formula Concordiae sind die Schwäbische und Sächsische Konkordie (1574/75) und die Maulbronner

Formel

(1575/76) anzusehen, aus denen die 12 Artikel des

Buches hervorgingen (1576). Dieses führte zur Formula

Concordiae

(auch

Torgauer

Bergisches

Buch n a c h dem K l o s t e r Bergen bei M a g d e b u r g g e n a n n t ) , die 1577 fertiggestellt wurde. Z w e i J a h r e später w u r d e das V o r w o r t verfaßt und 1 5 8 0 dann die Formula Concordiae auf D r ä n g e n des Kurfürsten August v o n S a c h s e n ( 1 5 3 3 — 1 5 8 8 ) g e d r u c k t . I m gleichen J a h r erschien a u c h das -*Konkordienbuch,

das neben der

Confessio

Augustana, deren Apologie, den Schmalkaldischen Artikeln, dem De potestate et primatu papae tractatus, die beiden Katechismen Luthers und die Formula Concordiae beinhaltete. D a s Konkordienbuch s c h l o ß a u c h die drei altkirchlichen S y m b o l e mit ein. D a m i t sollte gezeigt w e r d e n , d a ß die lutherische K i r c h e in K o n t i n u i t ä t mit der alten K i r c h e steht und keine neue L e h r e bietet. Die Formula Concordiae besteht aus zwei Teilen: der Epitome und der Solida declaratio, von je 12 Artikeln. In der Epitome wird in jedem Artikel zunächst der Streitgegenstand bezeichnet, dann die wahre Lehre dargestellt und schließlich die jeweilige Irrlehre verworfen. In der Solida declaratio, die etwa fünfmal länger ist als die Epitome, wird diese Unterteilung fallengelassen. Stattdessen finden wir zahlreiche Zitate aus der Bibel, den Schriften Luthers und den älteren lutherischen Bekenntnisschriften. O b w o h l die Formula

Concordiae

mit viel N a c h d r u c k eingeführt wurde, b e k a m sie

niemals gleiche Autorität wie die Confessio

Augustana

oder Luthers Kleiner

Katechis-

mus. Im G e g e n s a t z zur Confessio Augustana, die ein w a h r h a f t k a t h o l i s c h e s B e k e n n t n i s sein will und a u c h ist, b e m ü h t sich die Formula Concordiae, die strittigen P u n k t e unter den L u t h e r a n e r n zu klären und steht somit am E n d e der produktiven P h a s e der lutherischen R e f o r m a t i o n . Sie ist für die G e s c h i c h t e des lutherischen B e k e n n t n i s s e s e b e n s o w i c h tig wie das —•Tridentinum für die r ö m i s c h - k a t h o l i s c h e K i r c h e und die S y n o d e von D o r drecht für die Calvinisten. Sie trägt zur Selbstdefinition des lutherischen G l a u b e n s in be„sectaw u ß t e m G e g e n s a t z zu dem bei, w a s nicht lutherisch ist. M a n k ö n n t e sie s o m i t ein rian s y m b o l " n e n n e n , nicht a b e r ein „catholic S y m b o l " (so Schaff 1,338). Von den lutherischen B e k e n n t n i s s e n der R e f o r m a t i o n s z e i t müssen n o c h zwei angeführt w e r d e n , die offiziellen S t a t u s erlangten, die Confessio Saxonica ( 1 5 5 1 ) und die Confessio Württembergica ( 1 5 5 1 ) . Beide w a r e n für das K o n z i l von T r i e n t b e s t i m m t , wurden a b e r d o r t nicht v o r g e t r a g e n . Sie zeigen eine A n p a s s u n g an die neue L a g e , als die Wiedervereinigung in weite F e r n e g e r ü c k t w a r . U n t e r B e z u g n a h m e a u f die s e l b s t b e w u ß t dargelegten I r r t ü m e r und M i ß b r ä u c h e der r ö m i s c h e n K i r c h e , welche eine T r e n n u n g n o t wendig m a c h t e n , sind sie eine gute Selbstdarstellung der L u t h e r a n e r . Schließlich müssen n o c h zwei S c h r i f t e n e r w ä h n t w e r d e n , die ursprünglich nicht als B e k e n n t n i s s e intendiert w a r e n , a b e r b e k e n n t n i s m ä ß i g e G e l t u n g erlangten und ins K o n k o r d i e n b u c h a u f g e n o m m e n w u r d e n , der Große und Kleine Katechismus Luthers (1529). L u t h e r wollte mit diesen K a t e c h i s m e n ( - » K a t e c h i s m u s ) den g r o b e n M i ß s t ä n d e n bzw. der I g n o r a n z in den G r u n d s t ü c k e n des christlichen G l a u b e n s a b h e l f e n . E r schließt sich an die k a t e c h e t i s c h e T r a d i t i o n der frühen und frühmittelalterlichen K i r c h e an ( - » O t f r i e d v o n W e i ß e n b u r g ) . D e r Große Katechismus geriet zu lang für die Unterweisung der J u g e n d , für die er z u n ä c h s t g e d a c h t w a r , so d a ß L u t h e r ein E n c h i r i d i o n , einen Kleinen Katechismus verfassen m u ß t e . Im Kleinen Katechismus fand auch e r b a u l i c h e L i t e r a t u r ihren Platz, w i e e t w a A b e n d - und M o r g e n s e g e n , H a u s t a f e l n und das T a u f - und T r a u b ü c h l e i n . E r b e s t i c h t durch klaren S c h r i f t b e z u g und E i n f a c h h e i t und w a r s c h o n nach einer G e n e r a t i o n in m e h r als 1 0 0 0 0 0 E x e m p l a r e n verbreitet.

Glaubensbekenntnis(se) VII

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Eigentümlich ist im Katechismus die Gliederung der Gebote nach römisch-katholischem Muster, die Betonung der Sakramente und die beinahe Gleichstellung von Beichte und Absolution mit Taufe und Abendmahl. Im Gegensatz zu reformierten Katechismen fehlt ein Hinweis auf Stellung und Gebrauch der Bibel. Letzteres scheint vom Ansatz Luthers her nicht nötig, denn, wie er in seiner Schrift Die drei Symbola oder Bekenntnisse des Glaubens Christi, in der Kirche einträchtig gebraucht (1538), betont, bezeugt die Geschichte der Christenheit, daß es um den christlichen Glauben gut bestellt ist, wenn der Hauptartikel von Christus gewahrt ist. Diese Zentrierung auf den zweiten Artikel ist in allen lutherischen Bekenntnissen zu finden; durch sie entstanden auch die meisten Streitigkeiten im lutherischen Lager, nicht aber durch die Stellung der Schrift. Letztere ist ein calvinistisches und später auch ein orthodox lutherisches Anliegen. Auf ein Letztes muß bei Luther hingewiesen werden. In seiner Schrift Von den Konziliis und Kirchen (1539) zeigte er im Anschluß an eine Analyse der ökumenischen Konzilien, daß ein Bekenntnis immer, um heute übernommen werden zu können, in seinem Kontext verstanden werden muß (vgl. WA50, 605f). Falls man die Bekenntnisse nur als Fundgrube von Zitaten ansieht, erkennt man nicht, daß sie stets den einen Glauben gegen alle Irrlehren und Verkürzungen bezeugen. Damit spricht Luther das zentrale Anliegen der lutherischen reformatorischen Bekenntnisse an, keine Neuerung, sondern Erneuerung des christlichen Glaubens.

2. Reformierte

Bekenntnisse

in der

Schweiz

Die reformierten B e k e n n t n i s s e sind viel z a h l r e i c h e r als die lutherischen, denn die reformierte K o n f e s s i o n u m f a ß t ein größeres T e r r i t o r i u m mit verschiedenen N a t i o n a l i t ä ten. Z u d e m gehören nach r e f o r m i e r t e m Verständnis L e h r e und k i r c h l i c h e O r g a n i s a t i o n z u s a m m e n . Letztere läßt sich a b e r nicht so leicht wie die L e h r e überregional erfassen. A u c h scheint keine so stark ausgeprägte zeitlose Verbindlichkeit von Bekenntnissen vorzuliegen wie bei den L u t h e r a n e r n , so d a ß oft frühere B e k e n n t n i s s e durch spätere und weiter e n t w i c k e l t e ersetzt w e r d e n . D o c h k a n n m a n bei den r e f o r m i e r t e n Bekenntnissen nicht von einem Bekenntnisrelativismus des H i e r und J e t z t sprechen. Es zeigt sich vielm e h r eine B e t o n u n g der Z e i t g e m ä ß h e i t im Unterschied zur lutherischen Zeitindifferenz. Z u beachten ist a u c h , d a ß sich besonders in E n g l a n d , wegen der religiös-politischen E n t w i c k l u n g die Z e i t der r e f o r m i e r t e n B e k e n n t n i s f o r m u l i e r u n g e n weit bis ins 17. J h . hinein erstreckt. Bei den L u t h e r a n e r n w a r j e d o c h s c h o n 1 5 8 0 die B e k e n n t n i s b i l d u n g im wesentlichen abgeschlossen. K e i n e der r e f o r m i e r t e n B e k e n n t n i s s c h r i f t e n hatte a b e r gleic h e Verbreitung o d e r A u t o r i t ä t wie die Confessio Augustana bei den L u t h e r a n e r n . H u l d r e i c h - > Z w i n g l i repräsentiert die erste Stufe der r e f o r m i e r t e n B e k e n n t n i s b i l d u n g in der Schweiz. Seine 6 7 Artikel o d e r Schlußreden w a r e n , in F o r m und Intention ähnlich den 9 5 T h e s e n L u t h e r s , für eine öffentliche D i s p u t a t i o n a m 2 9 . 1 . 1 5 2 3 in Z ü r i c h bes t i m m t . Sie sind christozentrisch angelegt und e r k e n n e n das W o r t G o t t e s als einzige G l a u b e n s r e g e l an. D o c h hatten diese kurzgefaßten T h e s e n nur lokale Bedeutung. Ähnlich verhält es sich mit den Zehn Thesen von Bern, die a u f B e t r e i b e n B e r t h o l d - > Hallers für eine V e r s a m m l u n g in Bern von L a i e n und Priestern v o m 6 . - 2 6 . 1 . 1 5 2 8 von Z w i n g l i verf a ß t wurden. D a n n m u ß Z w i n g i i s Glaubensbekenntnis g e n a n n t werden, das er anläßlich des Augsburger R e i c h s t a g e s (1530) an Kaiser - » K a r l V. richtete. D a r i n versucht er aufzuzeigen, d a ß er kein N e u e r e r ist. E r b e t o n t ausdrücklich seine Ü b e r e i n s t i m m u n g mit dem N i c a e n u m und d e m A t h a n a s i a n u m und gesteht der w a h r e n K i r c h e Irrtumslosigkeit bezüglich der F u n d a m e n t e des G l a u b e n s zu. Z w i n g l i weist a b e r w i e d e r u m das Fegfeuer und die leibhaftige G e g e n w a r t Christi im - » A b e n d m a h l z u r ü c k . A u c h grenzt er sich in w i c h t i gen Punkten gegen die W i e d e r t ä u f e r a b . Schließlich s c h r i e b Z w i n g l i 1 5 3 1 eine Expositio des christlichen Glaubens an K ö n i g - » F r a n z I. von F r a n k r e i c h . Dieses letzte D o k u m e n t Z w i n g i i s vor seinem T o d ist voll K l a r h e i t , K ü h n h e i t und H o f f n u n g . E r w a r n t v o r den Verleumdungen, denen die P r o t e s t a n t e n ausgesetzt sind, und b e k e n n t und b e t o n t , d a ß sie w e d e r Heilige n o c h S a k r a m e n t e v e r a c h t e n , sondern nur deren M i ß b r a u c h . Schließlich bittet er den K ö n i g , wenn auch vergeblich, d e m E v a n g e l i u m freie B a h n zu g e w ä h r e n . Unter den von Zwingli inspirierten Bekenntnissen ist zunächst das erste Bekenntnis von Basel zu nennen (1534). Da es einige Jahre später von der Stadt Mühlhausen im Elsaß angenommen wurde, heißt es auch Confessio Mühlhusana. In 12 Artikeln faßt es den christlichen Glauben zusammen.

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Glaubensbekenntnis(se) VII

Dieses Bekenntnis ist auf reformierter Seite das einzige, welches nicht mit einem Bekenntnis der biblischen Glaubensgrundlage beginnt. Doch schließt es mit der Bemerkung: „Letztlich unterwerfen wir unsere Konfession dem Urteil der Heiligen Schrift und halten uns immer dankbar bereit, Gott und seinem Wort zu gehorchen, falls wir aus diesen Heiligen Schriften korrigiert werden sollten" (s. Schaff 1,387). Das zweite Basler Bekenntnis (1536), auch Confessio Helvetica Prior genannt, verdankt einerseits seinen Ursprung den erneuten Bemühungen der Straßburger Reformatoren Bucer und Capito, eine Einigung zwischen den Schweizern und den Lutheranern herzustellen und andererseits dem päpstlichen Versprechen, ein Konzil einzuberufen. Es besteht aus 27 Artikeln und ist das erste Gesamtbekenntnis der Schweizer reformierten Kirchen, daher auch der Name. D i e - » C o n f e s s i o Helvetica Posterior (1566) ist das W e r k Heinrich Bullingers und das letzte und w o h l b e s t e im G e i s t e Z w i n g i i s g e s c h r i e b e n e B e k e n n t n i s . M i t A u s n a h m e des —•Heidelberger Katechismus besitzt es w o h l die g r ö ß t e A u t o r i t ä t aller k o n t i n e n t a l e n r e f o r m i e r t e n B e k e n n t n i s s e . O b w o h l ein t h e o l o g i s c h e s M e i s t e r w e r k , wird es an P r ä g n a n z und K ü r z e v o m Heidelberger Katechismus und d e m Westminster Catechism übertroffen. Es b e t o n t , d a ß der r e f o r m i e r t e G l a u b e mit d e m w a h r e n k a t h o l i s c h e n G l a u b e n aller Z e i t e n ü b e r e i n s t i m m t , i n s b e s o n d e r e mit d e m der alten lateinischen und griechischen K i r c h e . Die dreißig K a p i t e l des B e k e n n t n i s s e s werden eingeleitet d u r c h einen Artikel über die Heilige S c h r i f t und e i n e m anderen über I n t e r p r e t a t i o n von S c h r i f t , V ä t e r n , Konzilien und T r a d i t i o n e n . E r s t in K a p . 3 k o m m e n die L e h r e n von G o t t und T r i n i t ä t zur S p r a c h e . In der Confessio Helvetica Posterior haben wir eine mehr systematische Darlegung des christlichen Glaubens und Lebens, angefangen vom Stellenwert und der Komposition der Schrift bis hin zu der Frage, ob Christen auch im politischen Raum tätig sein können. Diese systematische Darstellung führt zu einer gewissen Nivellierung der reformatorischen Botschaft, während die lutherische Zentrierung auf die Rechtfertigungslehre oft die Implikationen im weiteren christlichen Rahmen vermissen läßt. Interessant ist jedoch, daß Zwingli selbst die normative Gültigkeit der Schrift in seinen Bekenntnissen einfach voraussetzt, statt sie zu einem Teil des Bekenntnisses zu machen. Bei J e a n - » C a l v i n ist die S y s t e m a t i s i e r u n g n o c h w e i t e r f o r t g e s c h r i t t e n . Seine Christianae Religionis Institutio, 1 5 3 6 - 1 5 5 9 von i h m in verschiedenen Auflagen veröffentlicht, ist die klarste, fähigste und s y s t e m a t i s c h s t e D a r l e g u n g r e f o r m i e r t e n G l a u b e n s und w u r d e von den meisten P r o t e s t a n t e n m i t einhelligem L o b b e g r ü ß t und in alle e u r o p ä i s c h e n S p r a c h e n übersetzt. D e r d o m i n i e r e n d e E i n f l u ß von C a l v i n s T h e o l o g i e und K i r c h e n o r d nung zeigt sich in allen wichtigen B e k e n n t n i s s e n der r e f o r m i e r t e n K i r c h e . Ä h n l i c h wie bei Z w i n g l i w a r e n C a l v i n s eigene B e k e n n t n i s s e von der I n t e n t i o n her nur von l o k a l e m W e r t . W ä h r e n d seines ersten A u f e n t h a l t s in G e n f (1536) g a b er den Genfer Katechismus h e r a u s , der als K o m p e n d i u m des christlichen G l a u b e n s eine Z u s a m m e n f a s sung der Institutio darstellt und als k a t e c h e t i s c h e G r u n d l a g e für die U n t e r w e i s u n g in dieser S t a d t dienen sollte. In 5 8 T e i l e n wird der c h r i s t l i c h e G l a u b e a b g e h a n d e l t , dann folgt ein kurzes G l a u b e n s b e k e n n t n i s in 2 1 A r t i k e l n als Z u s a m m e n f a s s u n g des K a t e c h i s mus, welches für alle G e n f e r B ü r g e r verbindlich ist ( „ C o n f e s s i o Fidei, in quam jurare

cives omnes Genevenses...

excerpta e Catechismo

quo utitur Ecclesia Genevensis").

Dies

ist w a h r s c h e i n l i c h die erste offizielle Verpflichtung a u f ein B e k e n n t n i s b u c h in der G e s c h i c h t e der r e f o r m i e r t e n K i r c h e . N a c h C a l v i n s R ü c k k e h r aus S t r a ß b u r g w u r d e der K a t e c h i s m u s u m g e s c h r i e b e n , erweitert und in F o r m von F r a g e n und A n t w o r t e n g e b r a c h t {Le Catéchisme de l'Eglise de Genève: 1 5 4 1 / 4 2 ; Catechismus Ecclesiae Genevensis: 1545). Der K a t e c h i s m u s w u r d e a u c h in viele a n d e r e S p r a c h e n übersetzt u n d , b e s o n d e r s in F r a n k r e i c h und S c h o t t l a n d , lange in r e f o r m i e r t e n K i r c h e n und Schulen b e n u t z t . O b w o h l er niemals die gleiche P o p u l a r i t ä t wie L u t h e r s Kleiner Katechismus erlangte, bereitete er den Weg für viele a n d e r e r e f o r m i e r t e K a t e c h i s m e n . So ist e t w a das erste F r a g e / A n t w o r t - P a a r des

Shorter

Westminster

Catechism

(Frage: What is the chief end of man? Antwort:

Man's

chief end is to glorify God and to enjoy him forever) eine Z u s a m m e n f a s s u n g der ersten drei F r a g e / A n t w o r t - P a a r e des G e n f e r K a t e c h i s m u s . D a s n ä c h s t e B e k e n n t n i s Calvins e r g a b sich aus d e m Streit L u t h e r s mit den Z w i n g l i a nern ü b e r das A b e n d m a h l und der N o t w e n d i g k e i t der S c h w e i z e r , ihre Position zu k o n s o lidieren. S o k a m es 1 5 4 8 / 4 9 zu d e m Consensus Tigurinus, der in 2 6 Artikeln die refor-

Glaubensbekenntnis(se) VII

421

mierte Lehre darbietet, wobei etwa betont wird, daß die Sakramente nicht selbst wirksam sind, sondern daß Gott im Heiligen Geist durch sie als Mittel wirkt. Der Consensus erlangte auch über die Schweiz hinaus Anerkennung. Schließlich muß noch der Consensus Genevensis (1552) genannt werden, der im Namen aller Pastoren dieser Stadt herauskam und sich mit den Fragen der Prädestination beschäftigte. Er erreichte über Genf hinaus keine autoritative Bedeutung. Das Prädestinationsdogma jedoch konsolidierte den calvinistischen Glauben in ähnlicher Weise wie die Realpräsenz den lutherischen. Parenthetisch soll hier noch die Formula Consensus Helvetica (1675) Erwähnung finden, die letzte Bekenntnisformel der Schweizer Kirche, die damit die Zeit der calvinistischen Bekenntnisse abschließt. Ihr Einfluß beschränkte sich auf die Schweiz. Doch als Verteidigung des scholastischen Calvinismus von Dordrecht gegen die Theologie der theologischen Akademie von Saumur ist sie von großem Interesse. Drei Professoren der Akademie, Josué de la Place ( 1 5 9 6 - 1 6 5 5 ) , Louis Cappel ( 1 5 8 5 - 1 6 5 8 ) und Moyse Amyraut ( 1 5 9 6 - 1 6 6 4 ) wichen an drei Punkten von der herrschenden reformierten Lehre ab, der Verbalinspiration, der Prädestination des einzelnen und der Imputation der Sünden Adams. Die gegen die Lehren dieser Professoren gerichtete Konsensformel der kirchlichen und weltlichen Autoritäten von Zürich, Basel und Genf und anderer Kantone galt für Pastoren und Professoren als verbindliche Norm der öffentlichen Lehre. Sie besteht aus einem Vorwort und 26 Artikeln und ist das Ergebnis reformierter Scholastik. Sie präsentiert den Glauben Calvins als strenges Lehrsystem. O b w o h l sich die Formula Consensus Helvetica auch in der Schweiz nur relativ kurze Zeit durchsetzen konnte, wird sie heute noch von konservativen Calvinisten in den USA verwendet. Interessant ist besonders ihre Theorie der Verbalinspiration, die auch die hebräischen Vokale und Konsonanten einschließt, sowie die Lehre, daß Christus nicht für alle Menschen starb, sondern nur für die Erwählten. Von evangelischer Freiheit und der Dominanz des Erlösungsgeschehens für alle (Zwingli, Schlußreden, Art. 3) ist hier nichts mehr zu spüren. Wie einst die Dekrete des Papstes, so ist hier das unfehlbare Lehrgefüge der Kirche zur Eingangspforte zur Seligkeit geworden.

3. Reformierte

Bekenntnisse

des kontinantalen

Europas

außerhalb

der

Schweiz

In Frankreich war der Calvinismus immer ein Glaube der Minderheit. Das Bekenntnis des französischen Protestantismus (Calvinismus), die Confessio Gallica, ist das Werk Calvins, der den ersten Entwurf lieferte und seines Schülers Antoine de la Roche Chandieu ( 1 5 3 4 - 1 5 9 1 ) , der es zusammen mit der Synode von Paris 1559 in seine gegenwärtige, erweiterte Form brachte. Es wurde nochmals revidiert und von der siebten Nationalsynode in La Rochelle 1571 angenommen, daher gelegentlich der Name Bekenntnis von Rochelle. Die Confessio Gallica ist eine gewissenhafte Zusammenfassung der Lehre Calvins in 40 Artikeln und wurde oft an französische Bibelübersetzungen angebunden. Die 30. Generalsynode der französisch reformierten Kirche nahm am 2 0 . 6 . 1 8 7 2 ein kurzes Bekenntnis an, das speziell die Confessio Gallica und das Apostolikum als Glaubensnormen anführte. Von der französischen Regierung wurde diese Entscheidung 1873 ratifiziert. 9 Der Hauptverfasser der Confessio Bélgica ist Guy de —»Bres (ca. 1 5 2 3 - 1 5 6 7 ) , ein Evangelist und Märtyrer der reformierten Kirche der —»Niederlande. Durch dieses Bekenntnis sollte der reformierte Glaube aus dem Wort Gottes bewiesen werden. Die Confessio Bélgica wurde zunächst von der Synode zu Antwerpen (1566) angenommen, dann auch von anderen Synoden, unter anderem von der großen Synode zu Dordrecht (1619). Zusammen mit dem Heidelberger Katechismus ist sie die autorisierte Bekenntnisschrift der reformierten Kirchen in den Niederlanden und -»Belgien. Sie wird auch von der Dutch Reformed Church in den USA anerkannt. Ihre 37 Artikel sind neben der -*Westminster Confession wohl die beste bekenntnismäßige Darstellung der calvinistischen Lehre.

422

Glaubensbekenntnis(se) VII

Die große Synode von Dordrecht ( 1 3 . 1 1 . 1 6 1 8 - 9 . 5 . 1 6 1 9 ) sollte den arminianischen Streitigkeiten ( J a k o b ->Arminius) ein Ende setzen. Die Artikel von Dordrecht haben für den Calvinismus eine ähnliche Funktion und Stellung wie die Formula Concordiae für die Lutheraner. Beide waren notwendige Entwicklungen, um aufgebrochene Streitigkeiten zu überwinden, und beide führten zu einer Orthodoxie, die die Freiheit beschnitt und einen ungesunden, aber zur Selbstfindung notwendigen Konfessionalismus bekräftigte und den Graben zwischen Reformierten und Lutheranern vertiefte. In 5 Teilen k o m m t es zu einer rejectio errorum der Arminianer. So wird die Prädestination betont und die erlösende Wirkung des Todes Christi nur für die Erwählten zugegeben. Der deutsche Zweig der reformierten Kirche hatte gegenüber Zwingli und Calvin eine größere Eigenständigkeit, da in ihm auch der Einfluß Melanchthons zu spüren ist. Für den Reichstag in Augsburg bereitete Martin —>Bucer mit Wolfgang Fabricius - » C a p i t o und Caspar Hedio die Confessio Tetrapolitana der vier freien Reichsstädte - » S t r a ß b u r g , Konstanz, Memmingen und Lindau vor, auch Vier-Städte-Bekenntnis oder Straßburger oder Schwäbisches Bekenntnis genannt. In den 31 Kapiteln der Tetrapolitana wird die Lehre in enger Anlehnung an die Confessio Augustana, mit der sie den T o n der M ä ß i g u n g teilt, dargelegt. D o c h zeigt sich das reformierte Element schon im ersten Kapitel, wo betont wird, daß auf der Kanzel nichts gelehrt werden soll, was nicht ausdrücklich in der Heiligen Schrift steht oder doch davon abgeleitet werden kann. M a n kann aber die Tetrapolitana als erstes Unionssymbol ansehen. Dieser Eindruck wird dadurch bestärkt, daß die vier Städte später auch die Confessio Augustana unterschrieben, um dem Schmalkaldischen Bund beizutreten. Das wichtigste reformierte Bekenntnis überhaupt, zumindest auf deutschem Boden, ist der - > H e i d e l b e r g e r Katechismus (1563). Unmittelbarer Anlaß für ihn waren die Streitigkeiten in Heidelberg zwischen lutherischen, philippistischen, calvinistischen und zwinglianischen Gelehrten um die Realpräsenz. Kurfürst Friedrich III. von der Pfalz ( 1 5 1 5 - 1 5 7 6 ) beauftragte deshalb zwei ausländische Geistliche, den Melanchthon-Schüler Zacharias -»Ursinus ( 1 5 3 4 - 1 5 8 3 ) aus Breslau und Caspar —»Olevian ( 1 5 3 6 - 1 5 8 5 ) aus Trier, durch einen gemeinsam verfaßten Katechismus Übereinstimmung in der Lehre zu erzielen und für die heranwachsende Generation eine gute Grundlage zur religiösen Belehrung zu schaffen. Der Heidelberger Katechismus hat eine zweifache Funktion: Religiöse Unterweisung der Jugend und Bekenntnis des Glaubens der Kirche. Er zerfällt in drei Teile: Der erste handelt von der Sünde und dem Elend des M e n s c h e n , der zweite von der Erlösung durch Christus und der dritte von der Dankbarkeit der Erlösten und dem christlichen Leben. Unter diesen Gesichtspunkten werden Glaubensbekenntnis, Sakramente, Dekalog und Vaterunser erklärt. Der Heidelberger Katechismus steht sowohl zeitlich als auch praktisch und theologisch zwischen dem Kleinen Katechismus Luthers (1529) und dem Shorter Westminster Catechism (1647). Luthers Katechismus lehnt sich im Duktus noch eng an die katholische Tradition an. Er widmet den Sakramenten breiten R a u m und weist ihnen eigene Kapitel zu, während sie im Heidelberger Katechismus und Westminster Katechismus nur untergeordnete Bedeutung haben. M i t Luthers Katechismus hat der Heidelberger Katechismus die Betonung des Apostolikums gemeinsam, während der Westminster Catechism es nur im Anhang erwähnt. Der Westminster Catechism ist viel abstrakter, präziser und unpersönlicher als die beiden anderen und weist Züge des scholastischen D o g m a s auf. Luthers Katechismus ist dagegen mehr auf die Jugend zugeschnitten. Schon bald wurde der Heidelberger Katechismus von allen reformierten Kirchen deutscher Sprache angenommen und verdrängte den Katechismus Calvins; die Niederländer benützten ihn daheim und in ihren überseeischen Besitzungen. Am 1 . 5 . 1 6 1 9 bestätigte die Synode zu Dordrecht einstimmig, daß der Heidelberger Katechismus ein höchst genaues Kompendium des orthodoxen christlichen Glaubens ist. Als letzte größere Bekenntnisgruppe in Deutschland sind die Brandenburgischen Bekenntnisse ( - » B r a n d e n b u r g ) zu erwähnen, die bis zur Einführung der Union zwischen der

G l a u b e n s b e k e n n t n i s ( s e ) VII

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lutherischen und reformierten K i r c h e (1817) dort eine gewisse A u t o r i t ä t beanspruchten. D a b e i ist zunächst das Bekenntnis des Kurfürsten Johann Sigismund von Brandenburg ( 1 5 7 2 - 1 6 1 9 ) zu n e n n e n , der 1614 ein persönliches G l a u b e n s b e k e n n t n i s verfaßte, das n a c h ihm und seinem L a n d b e n a n n t wurde. D a s zweite B e k e n n t n i s ist das Kolloquiumsdokument von Leipzig ( 1 6 3 1 ) , das zeigen soll, wieweit beide Parteien der Confessio Augustana zustimmen k ö n n e n und w o zukünftig n o c h weiteres E n t g e g e n k o m m e n zu erwarten ist. Die Erklärung von Thorn (1645) w a r schließlich das E r g e b n i s der Einigungsversuche zwischen R e f o r m i e r t e n , Lutheranern und K a t h o l i k e n . Es ist ein sehr sorgfältig formuliertes B e k e n n t n i s der reformierten K i r c h e und n i m m t die Confessio Augustana Variata und den Konsens von Sendomir (1570) an. An kleineren reformierten Bekenntnissen in Deutschland sind zu nennen das Bekenntnis des Kurfürsten Friedrich III. von der Pfalz (1577), das sozusagen als sein Testament von seinem Sohn Johann Kasimir veröffentlicht wurde; das Bekenntnis von Anhalt oder die Repetitio Anhaltina (1581), eine Wiederholung der Confessio Augustana, die sich aber auf die Confessio Augustana Variata beruft; das Bekenntnis von Nassau (1578), auf Betreiben des Grafen Johann von NassauDillenburg von Christoph Pezel verfaßt; das Bremer Bekenntnis, ebenfalls von Pezel 1598, und das Hessische Bekenntnis, das von der Generalsynode zu Kassel 1607 angenommen wurde und sich unter anderem auf den veränderten Kleinen Katechismus Luthers beruft. Bei den r e f o r m i e r t e n Bekenntnissen des k o n t i n e n t a l e n E u r o p a s a u ß e r h a l b D e u t s c h lands und der Schweiz k ö n n t e m a n zunächst an den Waldensischen Katechismus (ca. 1489) d e n k e n , die sog. Las interrogacions menors (die kleineren F r a g e n ) , welcher in 5 7 Fragen und A n t w o r t e n A p o s t o l i k u m , Vaterunser und D e k a l o g d a r b i e t e t und in drei Teile, G l a u b e , H o f f n u n g und Liebe unterteilt ist. In ihm zeigen sich c h a r a k t e r i s t i s c h e waldensische Z ü g e , wie e t w a die Unterscheidung zwischen einem toten und einem lebendigen G l a u b e n und zwischen der wahren (unsichtbaren) und der ä u ß e r l i c h e n , institutionalisierten K i r c h e sowie die A n f ü h r u n g der sieben G a b e n des Heiligen Geistes. D e r Böhmische Katechismus (1521) h a t z w a r 7 5 Fragen und A n t w o r t e n , folgt aber der A n o r d n u n g des Waldensischen Katechismus. Z w i s c h e n 1467 und 1671 verfaßten die - • B ö h m i s c h e n Brüder nicht weniger als 3 4 B e k e n n t n i s s e , von denen a b e r nur das erste und zweite b ö h m i s c h e Bekenntnis herausragen. D a s erste böhmische Bekenntnis (1535) schließt sich in F o r m und Inhalt eng an die Confessio Augustana an. D i e Säuglingstaufe wird a n e r k a n n t und die A b e n d m a h l s a n s c h a u u n g ist der lutherischen ähnlich. D i e B ö h m i schen B r ü d e r sandten eine K o p i e des Bekenntnisses n a c h W i t t e n b e r g (1536), das nach einigen K o r r e k t u r e n 1 5 3 8 von L u t h e r m i t einem positiven V o r w o r t a u f ihre K o s t e n veröffentlicht wurde. Sie n a h m e n j e d o c h an den späteren Auflagen n o c h viele Änderungen vor. A n l ä ß l i c h des R e i c h s t a g s zu Prag (1575) taten sich U t r a q u i s t e n , L u t h e r a n e r , Calvinisten und die B ö h m i s c h e n Brüder z u s a m m e n und einigten sich a u f ein gemäßigtes L e h r b e k e n n t n i s , die eigentliche Confessio Bohemica, die, an Kaiser - » M a x i m i l i a n II. gerichtet, i h m a m 1 7 . 5 . 1 5 7 5 überreicht wurde und im wesentlichen mit der Confessio Augustana und dem ersten böhmischen Bekenntnis ü b e r e i n s t i m m t , a b e r bezüglich des A b e n d m a h l s die A n s c h a u u n g des späten M e l a n c h t h o n reflektiert. E i n e deutsche Übersetzung w u r d e v o n den W i t t e n b e r g e r n am 3 . 1 1 . 1 5 7 5 a n e r k a n n t . In Polen k a m es 1 5 7 0 auf der S y n o d e zu S e n d o m i r zwischen den L u t h e r a n e r n (beeinflußt von den m e l a n c h t h o n i s c h e n W i t t e n b e r g e r n ) , Calvinisten und den B ö h m i s c h e n B r ü dern zu dem Consensus Sendomiriensis, dem einzig wichtigen B e k e n n t n i s der evangelischen K i r c h e n in Polen. B e i m A b e n d m a h l wird die spätere m e l a n c h t h o n i s c h e ( d . h . calvinistische Lehre) dargestellt, in der die manducatio oralis und ähnlich spezifisch lutherische Begriffe vermieden werden und stattdessen der G l a u b e als M e d i u m b e t o n t wird, das die von den E l e m e n t e n repräsentierte S a c h e e m p f ä n g t . D i e von der Formula Concordiae beeinflußten L u t h e r a n e r zogen sich v o m K o n s e n s z u r ü c k . D o c h setzte sich dieser Geist der Union in den B r a n d e n b u r g i s c h e n Bekenntnissen und schließlich in der preußischen Union durch. W ä h r e n d der Abendmahlsstreitigkeiten in D e u t s c h l a n d n a h m e n die M a g y a r e n in Un-

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g a m a u f der S y n o d e v o n C z e n g e r 1 5 5 7 (1558) offiziell den calvinistischen G l a u b e n an. So k a m es zu der Confessio Czengeriana, die 1 5 7 0 in D e b r e c e n g e d r u c k t w u r d e . Sie hat einige eigenständige Z ü g e (so wird z. B . z u s a m m e n m i t der r ö m i s c h e n T r a n s s u b s t a n t i a tion die lutherische „ S a r c o p h a g i a " bei der A b e n d m a h l s l e h r e v e r w o r f e n ) , d o c h wurde dieses B e k e n n t n i s s c h o n bald d u r c h die 1 5 6 7 in D e b r e c e n a n g e n o m m e n e Confessio Helvetica Posterior abgelöst.

4. Die britischen

Inseln

D i e B e k e n n t n i s s e in G r o ß b r i t a n n i e n sind insofern von g r ö ß t e r W i c h t i g k e i t , qjs sie vielfach die K i r c h e n der a u f s t r e b e n d e n „ N e u e n W e l t " entscheidend p r ä g t e n , die wiederu m d u r c h ihre M i s s i o n s t ä t i g k e i t a u f sechs K o n t i n e n t e n und i h r e m E n g a g e m e n t in der Ö k u m e n e viele a n d e r e K i r c h e n beeinflußten. N i c h t zuletzt d u r c h ihre g e o g r a p h i s c h e L a g e hat die K i r c h e E n g l a n d s eine S o n d e r s t e l l u n g , die zwischen der r ö m i s c h - k a t h o l i s c h e n Kirc h e einerseits und der r e f o r m i e r t e n (calvinistischen) und lutherischen K i r c h e andererseits liegt und gegen die sie sich s t a r k a b g r e n z t . D a s erste w i c h t i g e B e k e n n t n i s sind die Ten Articles (1536) von —»Heinrich V I I I . , die im G r u n d e n o c h r ö m i s c h e Z ü g e t r a g e n . D i e Ten Articles w u r d e n d u r c h das v o m K ö n i g n i c h t gebilligte Bishops' Book o d e r Institution of a Christian Man (1537) f a k t i s c h a b g e l ö s t . D a n a c h k a m das v o m K ö n i g 1 5 4 3 durchgesetzte r e a k t i o n ä r e King's Book o d e r Necessary Doctrine and Erudition for any Christian Man. In beiden ist w e n i g r e f o r m a t o r i s c h e r F o r t s c h r i t t zu b e m e r k e n . Inzwischen g a b es durch V e r h a n d l u n g e n mit den L u t h e r a n e r n ( 1 5 3 5 - 1 5 3 8 ) eine beiderseitige Ü b e r e i n k u n f t in den Thirteen Articles ( 1 5 3 8 ) , die z w a r v o m K ö n i g nicht bestätigt w u r d e n , a b e r die späteren Forty-two Articles beeinflußten. In den Thirteen Articles sind m a n c h e Passagen wörtlich der Confessio Augustana e n t n o m m e n . 1 5 3 9 k a m es unter H e i n r i c h V I I I . zu den reaktion ä r e n Six Articles, die n i c h t nur gegen die L u t h e r a n e r , sondern gegen alle radikalen P r o t e s t a n t e n gerichtet w a r e n und a u c h die „ b l u t i g e n A r t i k e l " g e n a n n t w u r d e n . Allen E n g l ä n d e r n wird hier e t w a die O h r e n b e i c h t e g e b o t e n (Art. 6 ) , die K o m m u n i o n unter beiderlei G e s t a l t verweigert (2) und die N o t w e n d i g k e i t von Privatmessen erklärt (5). U n t e r E d w a r d V I . k a m es zu den Forty-two Articles of Religion (veröffentlicht 1 5 5 3 ) , die mit w e n i g V e r ä n d e r u n g e n als die Thirty-nine Articles unter K ö n i g i n - » E l i s a b e t h I. g r ö ß e r e B e d e u t u n g e r l a n g t e n . D a z w i s c h e n sind a u c h die Eleven Articles von 1 5 5 9 zu n e n n e n , die den Forty-two Articles ähnlich sind. D a n a c h wurden die Thirty-nine Articles, aus den 1 5 5 3 v e r f a ß t e n Forty-two Articles d u r c h K ü r z u n g abgeleitet, von den B i s c h ö f e n u n t e r z e i c h n e t und 1 5 6 3 von der k ö n i g l i c h e n D r u c k e r e i veröffentlicht. D e r lateinische T e x t von 1 5 6 3 und der englische v o n 1 5 7 1 h a b e n gleiche A u t o r i t ä t . D i e Thirty-nine Articles h a b e n k a t h o l i s c h e s F o r m a t , sie sind a l s o nicht separatistisch. Z u m Teil klingen

sie wörtlich an die Confessio

Augustana und die Confessio

Wiirttembergica

an. Im an-

t h r o p o l o g i s c h e n und s o t e r i o l o g i s c h e n Teil (Willensfreiheit, S ü n d e n - und G n a d e n l e h r e ) sind sie, wie viele r e f o r m a t o r i s c h e B e k e n n t n i s s e , v o m augustinischen G e i s t geprägt. In i h r e m P r o t e s t gegen die r ö m i s c h e n M i ß b r ä u c h e sind sie evangelisch und zugleich protes t a n t i s c h . Ihr Verständnis von P r ä d e s t i n a t i o n und A b e n d m a h l ist j e d o c h d e m Calvinism u s n a h e . W i c h t i g ist a u c h , d a ß die englischen Calvinisten und P u r i t a n e r sich v o m Staat m e h r R e c h t e für die K i r c h e a u s b e d i n g t e n als die L u t h e r a n e r . Wenn wir in Art. 3 5 von E r z b i s c h ö f e n , B i s c h ö f e n , Priestern und D i a k o n e n h ö r e n , so k o m m t hier ein genuin epis k o p a l e r Z u g h e r a u s , der die p u r i t a n i s c h e O p p o s i t i o n h e r a u s f o r d e r t e . Auch in Nordamerika setzten sich die Thirty-nine Articles durch. Nach dem Unabhängigkeitskrieg wurde in Nordamerika zwar eine unabhängige „Protestant Episcopal Church in the United States of America" gegründet, die eigene Twenty Articles of Religion (1786) aufstellte, diese waren aber eher eine Verstümmelung der Thirty-nine Articles als eine Verbesserung und drückten den liberalen Geist der Zeit aus. Da die Twenty Articles kaum Anerkennung fanden, nahm eine General Convention vom 8 . - 1 2 . 9 . 1 8 0 1 in Trenton, N . J . die Thirty-nine Articles in der Form an, in der sie seitdem in der American Episcopal Church gelten.

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In England waren s c h o n am 2 0 . 1 1 . 1 5 9 5 von der C h u r c h o f E n g l a n d die Nine Articles in L a m b e t h a n g e n o m m e n worden ( L a m b e t h Articles), durch die die prädestinatianischen Streitigkeiten beigelegt werden sollten. Sie vertraten eine strenge Prädestinationslehre, wenn sie e t w a feststellten, daß durch ewige E r w ä h l u n g einige M e n s c h e n zum ewigen L e b e n b e s t i m m t , a n d e r e aber zum T o d e v e r w o r f e n sind, d a ß die Z a h l der E r w ä h l t e n unveränderlich festgelegt ist und d a ß die errettende G n a d e nicht allen M e n s c h e n zuteil wird. D i e irischen Protestanten n a h m e n 1 5 6 0 das Ertglish-Prayer-Book an. 1615 b e s c h l o ß eine V e r s a m m l u n g von protestantischen G e i s t l i c h e n in Irland ein B e k e n n t n i s , die Articles of Religion (1615), das sich in 104 A r t i k e l n mit 1 9 Teilen gliedert. E s zeigt calvinistischen Geist, außer in der von England ü b e r n o m m e n e n Idee der kirchlichen V o r h e r r s c h a f t der K r o n e . In ihm wurden auch die Thirty-nine Articles und die Lambeth Articles rezipiert, doch ist es systematischer und vollständiger als jene. Wenn wir nach S c h o t t l a n d b l i c k e n , b e m e r k e n w i r , d a ß die s c h o t t i s c h e R e f o r m a t i o n viel radikaler ist als die englische. H i e r wird die Politik von der R e l i g i o n geprägt und n i c h t - w i e in England - u m g e k e h r t . J o h n - > K n o x ( 1 5 0 5 - 1 5 7 2 ) und seine G e s i n n u n g s f r e u n d e wurden v o m P a r l a m e n t beauftragt, eine Confession of Faith auszuarbeiten, die a m 1 7 . 8 . 1 5 6 0 ratifiziert wurde. Diese Scots Confession, das H a u p t d o k u m e n t der reformierten K i r c h e in S c h o t t l a n d , beginnt mit den fast p r o p h e t i s c h e n W o r t e n : „ L o n g have we thirsted, dear b r e t h r e n , to have notified u n t o the w o r l d the sum o f t h a t d o c t r i n e w h i c h we profess, and for the w h i c h we have sustained i n f a m y and d a n g e r " . D a n e b e n gibt es die Second Scots Confession, auch King's Confession oder Negative Confession g e n a n n t , die sich höchst polemisch gegen den Papst wendet. Sie w u r d e 1 5 8 0 / 8 1 a n g e n o m m e n und auf der N a t i o n a l v e r s a m m l u n g 1638 erneuert. Von den s c h o t t i s c h e n Katechismen sollten die zwei K a t e c h i s m e n des P a s t o r s J o h n C r a i g ( 1 5 1 2 - 1 6 0 0 ) e r w ä h n t w e r d e n , der auch die Second Scots Confession a b f a ß t e . Sein G r o ß e r K a t e c h i s m u s , 1 5 8 1 veröffentlicht und 1 5 9 0 von der G e n e r a l v e r s a m m l u n g gutgeheißen, k a m 1591 in einer Kurzfassung heraus und w u r d e später durch den Westminster Catechism ersetzt. Schließlich g a b es für den G e b r a u c h in h ö h e r e n Schulen einen lateinischen K a t e c h i s m u s , Rudimenta Pietatis, und einige andere. D a s wichtigste B e k e n n t n i s d o k u m e n t der britischen R e f o r m a t i o n ist die Westminster Confession. V o m 1 . 7 . 1 6 4 3 - 2 2 . 2 . 1 6 4 9 hielt die Westminster Assembly m e h r als 1 1 0 0 reguläre Sitzungen a b und revidierte zunächst auf A n o r d n u n g des P a r l a m e n t s die Thirtynine Articles, u m sie von falschen I n t e r p r e t a t i o n e n zu reinigen. D i e s e Revision wurde durch das P a r l a m e n t a m 1 2 . 1 0 . 1 6 4 3 eingestellt, u m stattdessen ein B e k e n n t n i s des G l a u bens für die drei K ö n i g r e i c h e auszuarbeiten. S o k a m es zur Westminster Confession, die in einer ersten F o r m 1 6 4 6 / 4 7 ausgearbeitet wurde. N a c h sorgfältiger K o r r e k t u r w u r d e sie

als die Articles of Christian Religion approved and passed by both Houses of Parliament, after Advice had with the Assembly of Divines by authority of Parliament sitting at

Westminster freigegeben. A m 2 0 . 6 . 1 6 4 8 wurden D r u c k und Veröffentlichung a n g e o r d net. 1 6 6 0 k a m es durch das L o n g P a r l i a m e n t zu einigen A b ä n d e r u n g e n . D i e G e n e r a l Assembly in E d i n b u r g h n a h m schon 1 6 4 7 die Westminster Confession an. In S c h o t t l a n d und A m e r i k a wurde sie das B e k e n n t n i s der Presbyterianer, w ä h r e n d in E n g l a n d die R e stauration der M o n a r c h i e den Einfluß dieses Bekenntnisses wieder zunichte m a c h t e . D e r Shorter Westminster Catechism w u r d e allerdings a u c h d o r t n o c h lange benutzt. Die Form der Westminster Confession ist englisch, ihr Inhalt, mit Ausnahme der Idee eines christlichen Sabbats, zeigt aber kontinentale Einflüsse. Das Bekenntnis besteht aus 33 Kapiteln, die alle wichtigen Glaubensartikel umfassen. In typisch reformierter Weise beginnt es mit der Bibel, auf die sich nach ihr jegliche Theologie gründen muß, und bekräftigt die göttliche Inspiration, Autorität und unaufgebbare Norm der Bibel für Glaube und Leben. Die alttestamentlichen Apokryphen werden vom Kanon ausgeschlossen, während sie in den English und Irish Articles, wenn auch von der übrigen Schrift unterschieden, beibehalten werden. Dazu steht die Prädestination unübersehbar im vorderen Teil der Westminster Confession, obwohl sie darüber inhaltlich nicht mehr sagt als die

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Artikel vonDordrecht. Auch bei der Taufe zeigt sich genuin calvinistisches Gedankengut. Wichtig ist noch die Einrichtung des christlichen Sabbats, ein angelsächsischer Beitrag zum Calvinismus. Er hat sich bis jetzt in Großbritannien und auch vielerorts in Amerika erhalten (z. B. kein Alkoholverkauf in Läden am Sonntag). Zusammen mit der Westminster Confession wurden zwei Katechismen hergestellt, ein längerer für Katechismuspredigten und der Shorter Westminster Catechism, eine Zusammenfassung des ersteren zur Unterweisung der Kinder. Beide wurden nach kleinen Änderungen 1648 vom Parlament genehmigt. Der Shorter Catechism ist neben dem Heidelberger Katechismus und dem Luthers einer der drei wichtigsten Katechismen des Protestantismus. Gemeinsam mit den Katechismen ist die Westminster Confession der reifste Ausdruck der calvinistischen Lehre. Sie ersetzt die älteren schottischen Bekenntnisse und wurde auch von den Presbyterianern und Kongregationalisten eingeführt. Die Regular Baptists nahmen sie nach kleinen Änderungen an. Sie führt erstmalig das wahre Prinzip der religiösen Toleranz an, wenn sie bekräftigt, daß Gott allein der Herr des Gewissens ist und deshalb die Befolgung von Lehren und Geboten gegen das Gewissen der wahren Freiheit zuwiderläuft. In Nordamerika wurde die Confession von den Presbyterianern unverändert übernommen, von den Kongregationalisten zunächst aber nur ohne die presbyterianischen Eigenheiten. Nach der Unabhängigkeit wurden alle Hinweise auf die Einheit von Staat und Kirche abgeändert und es heißt jetzt in Kap. 23.3: „Yet, as nursing fathers, it is the duty of civil magistrates to protect the Church ofour common Lord, without giving the preference to any denomination of Christians above the rest." 5. Der linke

Flügel

Stellvertretend für viele Gruppierungen des linken Flügels müssen hier die Wiedertäufer genannt werden. Obwohl ihre Wurzeln zum großen Teil auf dem europäischen Kontinent zu suchen sind und hier wiederum zumeist im -»Zürich Huldreich Zwingiis, wurde ihnen erst in der „Neuen Welt" eine legitime Eigenexistenz zugestanden. Der zahlenmäßig stärkste Zweig wird heute von den Mennoniten (—»Menno Simons/Mennoniten) dargestellt, für die das Schleitheimer Bekenntnis (1527) des ehemaligen Benediktinerpriors Michael -»Sattler heute noch Gültigkeit besitzt. In dieser kurz vor Gefangennahme und Hinrichtung verfaßten „Brüderliche(n) Vereinigung etlicher Kinder Gottes, sieben Artikel betreffend", werden die Grundlehren der Wiedertäufer bezüglich Taufe, Bann, Brotbrechung, Absonderung vom Bösen, Hirten in der Gemeinde, Schwert und Eid abgehandelt. Auch heute muß man noch durch den Ernst berührt sein, mit dem diese Gruppe ein urchristliches, pazifistisches Leben anstrebte, besonders, wenn man bedenkt, wie grausam die Wiedertäufer von „Christen" aller Schattierungen verfolgt wurden. Daneben wäre noch das Dordrechter Bekenntnis zu nennen, das von den Mennoniten am 21.4.1632 angenommen wurde und in 18 Artikeln von der Schöpfung bis zur Eschatologie den ganzen Glauben enthält sowie die distinkten mennonitischen Lehren von Gewaltlosigkeit (14) und Bann (16). Interessant ist auch, daß die Mennoniten eine Struktur mit Ämtern und Regeln anerkennen, ohne die die Kirche nicht existieren kann, und dem weltlichen Regiment Gewalt zur Strafe des Bösen und dem Schutz der Frommen zugestehen (13). 6. Römisch-katholische

Kirche

Auch die römisch-katholische Kirche befand sich seit der Reformationszeit in einer bekenntnisbildenden Phase. Da sich die katholische Kirche gegen die protestantischen Reformbestrebungen immer mehr abgrenzte, wurde sie schließlich zur römisch-katholischen Kirche. Einen wichtigen Einschnitt bildet hier das Konzil von Trient (1543—1563; —»Tridentinum), zunächst als Reformkonzil gedacht, aber dann ein rein römisches Konzil, zu dem weder die Griechen geladen, noch die Protestanten angehört wurden. Obwohl man dort die reformierten und lutherischen Lehren, soweit man sie kannte, in aller Schärfe verurteilte, nahm das Konzil nicht nur implizit Anregungen der Reformation auf

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(vgl. die ausführliche Beschäftigung mit Rechtfertigung und Schrift), sondern das Konzil diente auch der eigenen Selbstfindung. Dies wird besonders deutlich in der -+Professio Fidei Tridentinae (1564) oder dem Bekenntnis Pius' IV. Dieses Bekenntnis, das vom Tridentinum vorgesehen war und 1564 von einem Kardinalskollegium auf Anordnung -»Pius' IV. verfaßt wurde, besteht aus zwölf Artikeln. Der erste enthält das Nicaenum und die anderen elf eine kurze, präzise Wiedergabe der dogmatischen Entscheidungen Trients. Das Ganze ist in ein Bekenntnis des einzelnen gekleidet und wird mit einem Eid beschlossen. Dieses Bekenntnis war für die ganze ecclesia docens verpflichtend, d . h . für alle Priester und Lehrer. Auch wurde es häufig für protestantische Konvertiten gebraucht. D a ß durch die Professio der römisch-katholische Glaube einheitlich gefestigt werden sollte, geht etwa aus Art. 3 hervor, wo es von der Sancta

Mater Ecclesia heißt: „cuius est iudicare de vero sensu et interpretatione tuarum"

sacrarum

Scrip-

(DS 1863).

Schließlich soll noch der -*Catechismus Romanus genannt werden, dessen Ausführung nach einigen Vorarbeiten des Konzils dem Papst überlassen wurde. Er wurde 1566 auf Anordnung Papst -»Pius' V. veröffentlicht und bald in alle europäischen Sprachen übersetzt. Für Lehrer intendiert, enthält er in vier Teilen (Apostolikum, Sakramente, Dekalog und Vaterunser) eine vollständige Darlegung der Theologie von Trient. Daneben entstanden noch andere Katechismen, so die zwei des Jesuiten Peter -»Canisius, der größere 1554 für Lehrer und der kleinere 1566 für Schüler, oder der des Kardinals R . -»Bellarmin (1603).

7. Die orthodoxe

Kirche

Die bekenntnisartigen Schriften der Ostkirche aus der Reformationszeit gehen weitgehend aus der Berührung mit Protestanten hervor. Philipp M e l a n c h t h o n etwa sandte eine griechische Übersetzung der Confessio Augustana an den Patriarchen J o a s a p h II. von Konstantinopel, um die Gemeinsamkeiten zwischen Lutheranern und Orthodoxen aufzuzeigen. Später übermittelten J a k o b - » A n d r e a e und M a r t i n Crusius die Confessio Augustana in griechischer Übersetzung nebst der Formula Concordiae und einigen anderen Schriften an die Heilige Pforte. Endlich k a m 1576 eine Antwort des Patriarchen Jeremia II., die nahezu alle genuin lutherischen Lehren einer vernichtenden Kritik unterzog. Die Synode von Jerusalem 1672 bekräftigte diese Antwort und darf als authentische Reaktion der damaligen Ostkirche angesehen werden. N a c h den Beschlüssen der Synode sind für sie Luthertum und Calvinismus gefährliche Häresien. G a n z entgegengesetzt, aber ohne offizielle Autorisierung fiel das Bekenntnis des Metrophanes Critopulos aus, des einstigen Patriarchen von Alexandrien. Es wurde 1625 in Helmstedt geschrieben, aber erst 1661 veröffentlicht und ist der dortigen lutherischen theologischen Fakultät gewidmet. Es grenzt sich von der römisch-katholischen Kirche ab und ist dem Luthertum gegenüber sehr offen. So wird etwa zwischen den eigentlichen Sakramenten (Taufe, Eucharistie und Buße) und den sekundären, sakramentalen oder mystischen Riten unterschieden. Auch das Bekenntnis des Cyril Lucar (1631), einst Patriarch von Alexandrien (1602?) und Konstantinopel (1621), wurde niemals offiziell sanktioniert. Von den 18 kurzen Kapiteln seines Bekenntnisses enthalten 8 den gemeinsamen katholischen Glauben, während die übrigen 10 genuin protestantische Züge zeigen. So kennt er nur zwei von Christus eingesetzte Sakramente an und macht ihre Anwendung vom Glauben abhängig (Kap. 15). In der Abendmahlslehre vertritt er eine calvinistische T h e o r i e der geistigen Gegenwart (Kap. 17).

Sodann ist das Orthodoxe

Bekenntnis der katholischen

und apostolischen

Ostkirche

zu nennen, das vom Metropoliten von Kiew, Peter Mogilas, ca. 1640 verfaßt und von der Synode von Jerusalem 1672 sanktioniert wurde. Das Bekenntnis diente als Grundlage mehrerer russischer Katechismen. Es beginnt mit der Frage: „Was muß ein orthodoxer und katholischer Christ beachten, damit er das ewige Leben ererbt?" und antwortet: „ R e c h t e r G l a u b e und gute Werke, denn wer diese beachtet, ist ein guter Christ und hat die

428

Glaubensbekenntnis (se) VII

Hoffnung der ewigen Erlösung nach der Heiligen Schrift" (Jak 2 , 2 4 ) . Für Protestanten ist interessant, daß in diesem Z u s a m m e n h a n g keine Schriftzitate aus dem R ö m e r - und Galaterbrief zu finden sind. Die Synode zu Jerusalem veröffentlichte 1 6 7 2 eine Verteidigung oder Apologie der s griechischen Orthodoxie, die auch nach ihrem Verfasser, dem Patriarchen von Jerusalem und Palästina, das Bekenntnis des Dositheus genannt wird. Sie wurde von vielen orthodox e n Bischöfen, auch aus R u ß l a n d , unterzeichnet und legte den damaligen Bekenntnisstand unter Abgrenzung v o m Protestantismus dar. In einem Pastoralbrief werden Calvinismus und L u t h e r t u m , trotz einiger augenscheinlicher Unterschiede, als die gleiche Hä10 resie abgelehnt, während dann in 18 Artikeln eine zusammenfassende Darlegung des o r t h o d o x o n Glaubens folgt. D a s Bekenntnis folgt in der A n o r d n u n g dem des Cyril Lucar, das widerlegt werden soll. Kurz vor der Synode zu Jerusalem wurde auch in Konstantinopel eine Synode abgehalten ( J a n u a r 1672), die ein ähnliches, wenn auch weniger vollständiges D o k u m e n t abfaßte, das mit d e m Bekenntnis des Dositheus in allen Punkten überein15 stimmt. Literatur

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Glaubensbekenntnis(se) VIII

VIII. 18. J a h r h u n d e r t bis Neuzeit 1. Angelsächsische Freikirchen 2. Römisch-katholische Kirche 3. Evangelische Bekenntnisse im deutschen Sprachraum 4. Bekenntnisse junger Kirchen 5. Ökumenische Bekenntnisse (Literatur S. 435) Während in fast allen Teilen Europas die Bekenntnisbildung mit der - » K o n k o r d i e n f o r m e l , den Westminster Standards, den Entscheidungen von Trient und der damit einsetzenden Orthodoxie zu Ende ging, gilt das nicht für die meist von -»England ausgehenden -»Freikirchen. Alle diese freikirchlichen Gruppierungen traten irgendwann mit einem eigenen Bekenntnis auf. 1. Angelsächsische

Freikirchen

Z u n ä c h s t seien hier die Konkregationalisten genannt, denen es im Gegensatz zur Gesamtkirche um die einzelne Gemeinde (congregation-, -»Kongregationalismus) ging. Die kongregationalistische Kirchenordung benötigt z w a r im allgemeinen ein Glaubensbekenntnis als Grundlage des gemeinsamen Glaubens, wichtig jedoch ist die A u t o n o m i e der einzelnen Gemeinde. Sie stellte nicht nur ihr eigenes Glaubensbekenntnis auf, sondern m a c h t e es für ihren Pastor und alle Gemeindemitglieder verbindlich. Ein solches „Partikularbekenntnis" kann dann beliebig abgeändert werden, vorausgesetzt, es steht noch in Übereinstimmung mit dem allgemeinen Gesamtbekenntnis. Das erste und grundlegende kongregationalistische Bekenntnis ist die sogenannte Savoy Declaration (1658), benannt nach einem Ort in London. Ihre Verfasser waren zum Teil selbst Mitglieder der Westminster Assembly gewesen und änderten die Westminster Confession nur dort ab, wo sie Gemeindeleben und Kirchenleitung tangierte. Auch die amerikanischen Kongregationalisten nahmen die Entscheidungen von Westminster an, jedoch ohne die Teile, welche die synodale Kirchenleitung betrafen. So kam es schon 10 Jahre vor der Savoy Declaration zur Cambridge Platform (1648), durch die „Eiders and Messengers of the churches assembled in the Synod at Cambridge, in New England" unter der Leitung von Richard Mather (1596-1669). Die —»Baptisten, wohl die missionseifrigste der größeren Freikirchengruppierungen, legen ähnlichen Wert wie die Kongregationalisten auf die bekenntnismäßige Unabhängigkeit der Einzelgemeinde. So gibt es eine große Anzahl von örtlichen Bekenntnissen oder Gelöbnissen, in denen sich einzelne oder mehrere Gemeinden auf eine gewisse Lehre oder L e h r f o r m verpflichten. O b w o h l die Baptisten insgesamt eine große Übereinstimmung in Glaubensdingen zeigen, wurden besonders in den USA Bekenntnisse niemals zum Test der Rechtgläubigkeit herangezogen. Sie haben keine autoritative oder bindende Kraft, sondern sind Spiegelbild der bestehenden Einheit. Eines der ersten Bekenntnisse der Baptisten ist die Confession of Faith of Seven Congregations or Churches of Christ in London, which are commonly (but unjustly) called Anabaptists (1644), das, außer in der Lehre von den Sakramenten und der Kirchenleitung, in allen wesentlichen Punkten mit den orthodox reformierten Bekenntnissen übereinstimmt. Einflußreich ist A Confession of Faith put forth by the Elders and Brethren of many congregations of Christians baptised upon profession of their faith, die in London zuerst 1677 herauskam und dann 1688 und 1689 wieder gedruckt wurde. In den USA wird sie auch Philadelphia Confession genannt, da sie von der Baptist Association 1742 in Philadelphia anerkannt wurde. Ähnlich wie die Savoy Declaration bei den Kongregationalisten, wird mit ihr von den Baptisten die Westminster Confession rezipiert, mit Zuschnitt allerdings auf die baptistische Ordnung und Lehre. Bei den amerikanischen Baptisten ist die New Hampshire Confession (ca. 1833) weit verbreitet, die von der New Hampshire Baptist Convention in Auftrag gegeben und weitgehend von J . Newton Brown (f 1868) verfaßt wurde. Sie zeigt eine damals vorherrschende milde Form des Calvinismus. Schließlich muß als neueres Bekenntnis noch das Abstract ofPrinciples genannt werden, das 1859 vom Southern Baptist Seminary in Louisville, Kentucky und 1950 vom Southeastern Baptist Theological Seminary angenommen wurde. Ähnlich wie "die Philadelphia Confession von 1742 und die London Confession von 1677 erwähnt es in Art. 14 sowohl die universale als auch die lokale Kirche. Interessant ist auch das Statement of Baptist Faith and Message, das 1925 von der Southern Baptist Convention verabschiedet wurde und die damaligen Probleme von Evolution und Modernismus aufgreift. In ihm zeigt sich die Kontinuität mit der baptistischen Geschichte, da die New Hampshire Confession of Faith, wenn auch an einigen Punkten verändert, beibehalten wurde. Sodann wird allen Baptisten in der Zukunft zugestanden, daß sie die Bekenntnisse der Zeit gemäß verändern

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dürfen. Die Bekenntnisse haben „no authority over the conscience". Sie sind nur „guides in interpretation" (4), denn alleinige Autorität sind die Schriften des Alten und Neuen Testaments. D i e - » Q u ä k e r lehnen jede b e k e n n t n i s m ä ß i g e B i n d u n g a b , da eine solche die Freiheit der I n t e r p r e t a t i o n des göttlichen W o r t s und die direkte E r l e u c h t u n g durch den Geist hindern würde. D o c h wurden auch sie wegen Verleumdungen und Entstellungen zu bek e n n t n i s m ä ß i g e n Selbstdarstellungen gezwungen. D i e erste Confession and Profession of Faitb in God wurde 1658 von R i c h a r d F a r n s w o r t h veröffentlicht. A m einflußreichsten sind j e d o c h die Theses Theologicae (1675) des S c h o t t e n R o b e r t B a r c l a y ( 1 6 4 8 - 1 6 9 0 ) . In 15 Leitsätzen legt er den G l a u b e n der Q u ä k e r dar. S c h o n in der zweiten T h e s e wird a u f das innere Licht Bezug g e n o m m e n . D i e letzte g r ö ß e r e D e n o m i n a t i o n im angelsächsischen S p r a c h r a u m , auf deren Bekenntnisse wir hinweisen w o l l e n , sind die M e t h o d i s t e n ( - » M e t h o d i s m u s ) . F ü r die a m e r i k a n i s c h e n M e t h o d i s t e n gibt es drei Arten von B e k e n n t n i s s e n : 1. D i e Twenty-five Articles of Religion ( 1 7 8 4 ) . Sie wurden von J o h n —»Wesley a u f der G r u n d l a g e der Thirty-nine Articles der C h u r c h o f England (s. T R E 7 , 8 0 , 3 1 ff; 9 , 6 3 8 , 2 5 ff) verfaßt und von einer K o n f e r e n z in B a l t i m o r e (1784) a n g e n o m m e n . Art. 2 3 , der die Vereinigten Staaten als eine souveräne und u n a b h ä n g i g e N a t i o n bezeichnet, w u r d e j e d o c h erst 1 8 0 4 rezipiert. Diese Artikel dürfen nicht revidiert werden. 2. J o h n Wesleys Sermons and Notes on the New Testament (es sind 5 8 Predigten, die den g e m e i n s a m e n G l a u b e n und die Pflichten der C h r i s t e n ansprechen). O b w o h l nur für die britischen Wesleyaner verbindlich, werden sie auch in den U S A h o c h g e s c h ä t z t . C h a r a k t e r i s t i s c h e r w e i s e gibt es darunter keine Predigt über die Willensfreiheit (Calvinismus!), d a f ü r aber solche über die christliche V o l l k o m m e n h e i t , die freie G n a d e und die R e c h t f e r t i g u n g durch den G l a u b e n . D i e neutestamentlichen N o t i z e n bestehen großenteils aus einer p o p u l ä r e n Version von - » B e n g e l s Gnomon. 3. D a s Book of Discipline und m e h r e r e K a t e c h i s m e n sind als sekundäre B e k e n n t n i s s e wichtig. M a n k ö n n t e n o c h viele B e k e n n t n i s s e a n f ü h r e n , die von verschiedenen G e m e i n s c h a f ten zur Selbstdefinition angefertigt wurden. D o c h m u ß es genügen, d a r a u f hinzuweisen, d a ß fast alle D e n o m i n a t i o n e n in ihrer Verfassung eine P r ä a m b e l h a b e n , in der a u c h eine Confession ofFaith enthalten ist, u m die eigene G l a u b e n s h a l t u n g zu beschreiben. Interessant sind hier besonders die D e n o m i n a t i o n e n , die k i r c h l i c h e B e k e n n t n i s s e b e w u ß t ablehnen und die, v o n der Z w a n g s j a c k e des kirchlichen F o r m a l i s m u s befreit, zu der s o g e n a n n ten E i n f a c h h e i t und den G e b o t e n des ursprünglichen C h r i s t e n t u m s z u r ü c k k e h r e n w o l l e n . G e n a n n t sei hier etwa die im westlichen Pennsylvanien e n t s t a n d e n e „Vereinigung der Disciples o f C h r i s t " . In ihrer Declaration and Address f a ß t e n sie die eigene L e h r e z u s a m m e n , u m die vielen Anfeindungen abweisen zu k ö n n e n . Sie vertraten die Allein- und Allgenügsamkeit der B i b e l , lehnten in der K i r c h e m e n s c h l i c h e M e i n u n g e n und Erfindungen als autoritätslos ab und sahen m e n s c h l i c h e B e k e n n t n i s s e als Unheil an, das hauptsächlich an den geschichtlichen T r e n n u n g e n unter den C h r i s t e n schuld ist. Ein ähnliches Paradox zeigt sich bei der Church of God (Anderson, Indiana). Sie entstand im 19. Jh., denn, wie es in einem ihrer Kirchenlieder heißt: „The day of sects and creeds for us forevermore is past." Doch auch die Church ofGod, die sich als Reform- und Einigungsbewegung verstand, wurde zur Denomination und brachte zum 100. Jubiläum ihrer Entstehung 1980 A Statement of Conviction mit dem Titel We Believe heraus, in dem ihre Glaubensgrundsätze auf Grund der Bibel, dem inspirierten Wort Gottes, dargestellt sind.

2. Römisch-katholische

Kirche

Bei der neuzeitlichen B e k e n n t n i s e n t w i c k l u n g der r ö m i s c h - k a t h o l i s c h e n K i r c h e k a n n m a n drei wichtige M o m e n t e e r k e n n e n : die E n t w i c k l u n g des m a r i o l o g i s c h e n B e k e n n t n i s ses ( - » M a r i a ) , die K o n s o l i d i e r u n g des petrinischen P r i m a t s ( - » P a p s t t u m ) und die W i e d e r e n t d e c k u n g des evangelischen Ansatzes. Papst - » P i u s I X . , dem die M a r i e n v e r e h r u n g s e h r a m Herzen lag, bereitete den Weg für ein neues M a r i e n d o g m a , i n d e m er 1 8 4 9 die

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Glaubensbekenntnis(se) VIII

Meinung der Bischöfe einholte und 1854 das D o g m a von der unbefleckten Empfängnis verkündete. Im —»Vatikanum I (1870/71) wurde dann nicht ganz unerwartet die päpstliche Unfehlbarkeit beschlossen, das heißt, der Papst ist unfehlbar, wenn er ex cathedra als oberster Hirte und Lehrer der ganzen Christenheit kraft seiner höchsten apostolischen Autorität eine Glaubens- oder Morallehre verkündet (DS 3074). Ob darin allerdings die Verkündigung eines Separatdogmas mit eingeschlossen ist, wie das der unbefleckten Empfängnis, wird von dieser Definition aus fraglich, außer man betrachtet alle, die nicht römisch-katholisch sind, als Nichtchristen. - 1950 zeigten sich die Konsequenzen von 1871 und 1854, als Papst Pius -»XII. das Separatdogma von der leibhaftigen Aufnahme Mariens in den Himmel verkündete. Hinzuweisen ist noch auf das -»Vatikanum II (1962-1965), nicht weil es ein besonderes Bekenntnis entwarf, sondern wegen seiner Ausrichtung. So wurde die Kollegialität der Bischöfe stärker betont, von allen Gläubigen die Kenntnis der Schrift gefordert und als zentrale Hauptaufgabe die Wiederherstellung der Einheit aller Christen (s. T R E , 6 , 6 6 9 - 6 7 6 ) . Schließlich muß als eigentliches Bekenntnis noch der sogenannte Antimodernisteneid genannt werden, der 1910 von Papst -»Pius X . für alle in Seelsorge und Lehre tätigen Kleriker eingeführt und erst 1967 abgeschafft wurde. In ihm zeigt sich ein wichtiges Kennzeichen des Bekenntnisses: Angesichts des unaufhaltsamen Vordringens eines naturwissenschaftlich und oft antiklerikal orientierten Denkens, wähnte sich die römisch-katholische Kirche in einer Bekenntnissituation und forderte einen Bekenntniseid, der die Grundlehre der Kirche gegen ihre modernen Strömungen festigen sollte. Wieweit damit nicht nur ein Lippenbekenntnis abgelegt wurde, ist bei diesem von oben verordneten Bekenntnis schwer zu sagen. 3. Evangelische

Bekenntnisse

im deutschen

Sprachraum

Im -»Pietismus k a m es zu einer Erweichung des Bekenntnisses, d a man zwar meist die offiziellen Bekenntnisse übernahm und weiterhin gelten ließ, jedoch dem individuellen Herzensbekenntnis H a u p t g e w i c h t beimaß. W ä h r e n d sich hier die Unmittelbarkeit des einzelnen vor G o t t noch innerhalb der Bahnen der kirchlichen Tradition bewegte, wurde das mit der beginnenden —»Aufklärung schnell anders. In der Aufklärung bis hinein ins beginnende 20. J h . k a m es geradezu zu einer Auflösung des Bekenntnisses. Die H a u p t u r s a c h e n dafür waren ein rationalistisches Verständnis des christlichen Glaubens und ein verstärkt historisches Verständnis der Entstehungsgeschichte der klassischen Bekenntnisse. Z u m Teil erfolgte die A t t a c k e gegen Bekenntnistreue auf staatlichen Druck, wie etwa bei der Einführung der preußischen Union zwischen den lutherischen und reformierten Kirchen ( - » U n i o n e n , kirchliche). Solche Eingriffe von außen hatten aber zum Teil entgegengesetzten Erfolg. Sie verhalfen zu einer Neubesinnung auf die bis dahin meist nur traditionell festgehaltenen Bekenntnisse und führten schließlich zur Bildung bewußt bekenntnisgebundener Freikirchen. Viel folgenschwerer, da meist ohne große Reaktion, war die von einzelnen offen oder implizit vorgetragene Bekenntnisindifferenz oder gar Bekenntnisfeindlichkeit. So könnte man etwa das Summarium oder Menschen-Katechismus in kurzen Sätzen (1796) des Philanthropen, Pädagogen und Sozialreformers Friedrich Eberhard von Rochow (1734-1805) anführen, in dem von ihm angezweifelt wird „ob es mit dieser Sage [der Genesiserzählungen vom Ursprung des Menschen] seine historische Richtigkeit habe" (Der Mensch 3). Auch möchte er Worte wie „rechtgläubig, falsche Lehre, Irrtum, Ketzer, Verdammter" nicht mehr gebraucht wissen (ebd. 23). Diese Bewegung führte aber zu keiner Gruppenbildung. Als einen Höhepunkt des Rationalismus müssen wir David Friedrich -»Strauß (1808-1874) mit seiner Schrift Der alte und der neue Glaube: Ein Bekenntnis (1872 1 2 1985) nennen, in der er zugibt: „So müssen wir bekennen: wir sind keine Christen mehr" (61). Dennoch beantwortet er die Frage, ob wir noch Religion haben, bejahend, denn, „wir fordern für unser Universum dieselbe Pietät, wie der Fromme alten Stils für seinen G o t t " (97). Das herkömmliche Bekenntnis zu Gott wurde durch ein Bekenntnis zu einem metaphysisch verbrämten „naturwissenschaftlichen Weltbild" ersetzt. Obwohl Strauß mit seinen Veröffentlichungen vehementen Widerspruch hervorrief und sich durch seine (pseudo-) rationalistische Haltung die Aussicht auf ein akademisches Lehramt verbaute, war sein Bekenntnis von ganz persönlicher Natur. Es hatte keine kirchlichen oder gesellschaftspolitischen Konsequenzen. Größere Dimensionen n a h m der sogenannte Apostolikumstreit

(s. T R E 3 , 5 6 0 - 5 6 2 )

Glaubensbekenntnis(se) VIII

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an, der seinen H ö h e p u n k t erreichte, als m a n den w ü r t t e m b e r g i s c h e n Pfarrer C h r i s t o p h S c h r e m p f 1 8 9 2 absetzte, weil er sich weigerte, bei der T a u f e das A p o s t o l i k u m zu verwenden, und A. v. - » H a r n a c k sich auf Bitten von S t u d e n t e n hinter den Pfarrer stellte. H a r nack b e t o n t e , d a ß die Verwendung des A p o s t o l i k u m s im liturgischen G e b r a u c h fraglich sei und einige seiner Sätze der historischen K r i t i k k a u m standhalten k ö n n t e n . D i e s e Aussage und seine im gleichen J a h r veröffentlichte Schrift Das Apostolische Glaubensbekenntnis, die 2 6 Aufl. innerhalb eines J a h r e s erlebte, erregte die G e m ü t e r so sehr, d a ß der preußische Evangelische O b e r k i r c h e n r a t die G e m e i n d e n mit dem H i n w e i s beschwichtigen m u ß t e , d a ß für u n b e f a n g e n e w i s s e n s c h a f t l i c h e F o r s c h u n g die Aussagen des Apostolik u m s weiterhin Gültigkeit hätten. D e r bis ins 2 0 . J h . zum Teil leidenschaftlich geführte K a m p f u m die h e r k ö m m l i c h e n B e k e n n t n i s s e oder u m sog. „ G l a u b e n s t a t s a c h e n " hat auch bei deren Verteidigern fast niemals zu einem positiven B e k e n n t n i s des christlichen G l a u bens geführt. M a n distanzierte sich h ö c h s t e n s v o n diesen „ V e r ä c h t e r n " , aber es k a m zu keiner S e l b s t b e s i n n u n g über den eigenen G l a u b e n . Dies ä n d e r t e sich schlagartig 1 9 3 3 mit der nationalsozialistischen M a c h t ü b e r n a h m e (—>Kirchenkampf). D a die nationalsozialistische B e w e g u n g den A n s p r u c h a u f T o t a l i t ä t e r h o b , k o n n t e die K i r c h e nicht m e h r die literarischen oder verbalen Angriffe dieser B e w e gung ignorieren und, davon unbetroffen, sich mit Verkündigung und Gemeindeleitung beschäftigen. Sie w a r jetzt gezwungen, das B e k e n n t n i s zum christlichen G o t t e s g l a u b e n , mit dem ihre Verkündigung steht und fällt, dem T o t a l i t ä t s a n s p r u c h des nationalsozialistischen S t a a t e s gegenüberzustellen und in dieser B e k e n n t n i s s i t u a t i o n eine zeitgemäße G l a u b e n s a u s s a g e zu formulieren. D a die n a t i o n a l s o z i a l i s t i s c h e Partei nicht direkt in die kirchliche S p h ä r e eingriff, schlössen sich viele v o m N a t i o n a l s o z i a l i s m u s begeisterte M e n schen i n n e r h a l b der evangelischen Kirchen in der sog. Glaubensbewegung Deutscher Christen z u s a m m e n , um dem nationalsozialistischen G e d a n k e n innerhalb der K i r c h e R a u m zu schaffen. N e b e n den —•Deutschen Christen, die ihre Bindung an Schrift und B e k e n n t n i s beweisen wollten, a b e r d e n n o c h eine G l e i c h s c h a l t u n g von Staat und K i r c h e a n s t r e b t e n , g a b es die radikale G r u p p e der Deutschgläubigen (-*Deutschgläubige Bewegungen), die von ihrem Bekenntnis zu R a s s e und B o d e n her einen deutschen G l a u b e n konzipieren wollten, der nur n o c h zum Teil an den christlichen G l a u b e n a n k n ü p f t e . D a n e b e n g a b es die Jungreformatorische Bewegung, die einen N e u a u f b a u der K i r c h e a u f G r u n d l a g e von Schrift und B e k e n n t n i s d u r c h f ü h r e n wollte. Alle diese Kreise nötigten die Kirchen w o h l oder übel zu einer S t e l l u n g n a h m e und d a m i t zu einer Besinnung über das eigene Verständnis des Evangeliums. S o zeigt sich a u c h geographisch gesehen, d a ß in N o r d - und M i t t e l d e u t s c h l a n d , w o die nationalsozialistische D u r c h d r i n g u n g der K i r c h e besonders s t a r k w a r , die meisten neuen kirchlichen B e k e n n t n i s s e entstanden, w ä h r e n d es in Süddeutschland (Bayern, B a d e n , Pfalz usw.) anfänglich k a u m welche g a b . Allein im Jahre 1933 verzeichnet Kurt Dietrich Schmidt in seiner Sammlung Die Bekenntnisse und grundsätzlichen Äußerungen zur Kirchen frage des Jahres 1933 36 Bekenntnisse und bekenntnisartige Thesen. Ernst Bergmanns Confessio Germanica oder Deutschapostolikum (Breslau 1933) etwa zeigt kaum noch christliche Züge, wenn er bekennt: „Ich glaube an den Gott der Deutschreligion, der in der Natur, im hohen Menschengeist und in der Kraft seines Volkes wirkt. Und an den Nothelfer Krist, der um die Edelkeit der Menschenseele kämpft. Und an Deutschland, das Bildungsland der neuen Menschheit" (Schmidt 1,131). Auch das Glaubensbekenntnis Deutscher Christen. Deutscher Glaube von Julius Reissinger (Nürnberg 1933) bietet nicht mehr christliche Substanz. Die Richtlinien der Kirchenbewegung Deutsche Christen (Nationalkirchliche Bewegung) in Thüringen vom 11. Dez. 1933 bieten eine ähnliche Mischung von nationalsozialistischem Credo und christlichem Glauben: „Wir deutschen Christen glauben an unsern Heiland Jesus Christus, an die Macht seines Kreuzes und seiner Auferstehung. Jesu Leben und Sterben lehrt uns, daß der Weg des Kampfes zugleich der Weg der Liebe und der Weg zum Leben ist... Wie jedem Volk, so hat auch unserem Volk der ewige Gott ein arteigenes Gesetz eingeschaffen. Es gewann Gestalt in dem Führer Adolf Hitler und in dem von ihm geformten nationalsozialistischen Staat. Dieses Gesetz spricht zu uns in der aus Blut und Boden erwachsenen Geschichte unseres Volkes. Die Treue zu diesem Gesetz fordert von uns den Kampf für Ehre und Freiheit" (Schmidt 1,102). Demgegenüber zeigte die Jungreformatorische Bewegung, eine der Wegbereiterinnen der „Be-

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kennenden Kirche", eine klare traditionelle Linie, wenn sie in ihrem Aufruf vom Mai 1933 betonte: „1. Wir fordern, daß bei den kommenden Entscheidungen einzig und allein aus dem Wesen der Kirche heraus gehandelt wird". Doch übersah sie nicht das Gebot der Stunde, wenn sie erklärte: „8. Auf Grund der bestehenden Einzelbekenntnisse hat die Kirche den Menschen von heute die Antwort des Evangeliums auf die Frage nach Rasse, Volk und Staat zu geben" (Schmidt 1,145f).

Auf der ersten Bekenntnissynode der Deutschen Evangelischen Kirche in Barmen (29.-31.5.1934) konstituierte sich die Bekennende Kirche als „rechtmäßige D E K " , um dem Einfluß der Deutschen Christen innerhalb der Landeskirchen Einhalt zu gebieten. So kam es zu der sogenannten Barmer Theologischen Erklärung zur gegenwärtigen Lage der Deutschen Evangelischen Kirche, in der „angesichts der die Kirche verwüstenden und damit auch die Einheit der Deutschen Evangelischen Kirche sprengenden Irrtümer der Deutschen Christen und der gegenwärtigen Reichskirchenregierung" folgende „evangelische Wahrheiten" in sechs Thesen vertreten werden. Jesus Christus ist das eine Wort Gottes; alle Bereiche des Lebens müssen ihm unterstellt werden. Botschaft und Ordnung der Kirche sind situationsunabhängig; in der Kirche herrscht nicht einer über andere; es gibt keinen legitimen Totalstaat; der Auftrag der Kirche besteht im Dienst am Wort (Schmidt 11,92-95). Der Grundtenor von Barmen ist eine biblisch begründete Ablehnung der ideologischen Überfremdung des Evangeliums.

Neue Bekenntnisse begleiteten auch den Wiederaufbau nach 1945. Zunächst wurde durch die Suttgarter Schulderklärung (1945) eine Brücke zwischen dem Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland und Vertretern des Ökumenischen Rates der Kirchen geschlagen, als die Vertreter der EKD bekannten: „Mit großem Schmerz sagen wir: Durch uns ist unendliches Leid über viele Völker und Länder gebracht worden" (Krumwiede I V / 2 , 1 6 2 f). — Als Bekenntnis müßte man auch die Präambel der Verfassung der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (1948) werten. Ähnlich ist die Grundordnung der —»Evangelischen Kirche in Deutschland vom gleichen Jahr als bekenntnismäßige Selbstdarstellung anzusehen. Sodann ist noch die 1969 beschlossene Ordnung des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR zu nennen. Hier ist besonders interessant, daß in Art. 1 „die von der ersten Bekenntnissynode in Barmen getroffenen Entscheidungen" ausdrücklich bejaht wurden. Ein Bekenntnis ganz anderer Art stellt die Düsseldorfer Erklärung der Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium" (1967) dar. In 7 Thesen wird von der Mitte des Christusbekenntnisses aus versucht, die Grundlage evangelischer Lehre in Analogie zur Bekennenden Kirche des Dritten Reiches gegen den säkularen Zeitgeist neu zu betonen und zu verteidigen.

4. Bekenntnisse

junger

Kirchen

Nach dem Zweiten Weltkrieg kam es durch das Entstehen vieler junger Kirchen zu einer Fülle neuer bekenntnismäßiger Selbstdarstellungen. Die meisten blieben jedoch im westlichen Idiom und der westlichen Vorstellungswelt verhaftet. Als wichtige Ausnahme ist Das Bekenntnis der Huria Kristen Batak Protestant (Batak-Kirche) auf Sumatra/ Indonesien (1951) anzusehen. In 18 Abschnitten wird in ihm auf die tatsächliche lokale Situation eingegangen, in der sich die Kirche befindet. So wird in den Verwerfungen abgelehnt, daß man Gott „Großvater" nennt, Glückstage beachtet und sich der Wahrsagerei und dem Ablesen des Schicksals aus den Handlinien hingibt. Ebenso wird die Lehre des Fatalismus verworfen. Ähnlich heißt es im Unionsdokument (1947) der Church of South India, zu der sich Anglikaner, Methodisten und Reformierte zusammenschlössen, daß diese Kirche alles geistlich Wertvolle in ihrem indischen Erbe beibehalten und gleichzeitig dem Geist, Denken und Leben der allgemeinen Kirche in indischen Verhältnissen und Formen Ausdruck geben will. 5. Ökumenische

Bekenntnisse

Bei den sog. ökumenischen Bekenntnissen (-> Ökumene/ökumenisch) begegnen wir zwei Arten, Bekenntnissen ökumenischer Vereinigungen und solchen, die aus dem inter-

Glaubensbekenntnis(se) Vili

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konfessionellen Gespräch resultieren. Zunächst ist hier die Basis des Ökumenischen Rats der Kirchen zu nennen, die auf seiner ersten Vollversammlung am 23.8.1948 beschlossen wurde. Dieses christologische Bekenntnis lautet: „Der ökumenische Rat der Kirchen ist eine Gemeinschaft von Kirchen, die unseren Herrn Jesus Christus als Gott und Heiland anerkennen" (Krumwiede IV/2,170). Auf der Weltkirchenkonferenz in Neu-Delhi (1961) kam es zu einer Erweiterung der Basisformel, bei der das Bekenntnis an die Schrift gebunden wurde. Außerdem beinhaltet dieses Bekenntnis den Auftrag, die trinitarische Berufung gemeinsam zu erfüllen. Als nächstes, obwohl nur auf eine Nation beschränkt, sei hier paradigmarisch für viele nationale Kirchenverbände die Preamble of the National Council of Churches in the USA angeführt. Die 29 Mitgliedskirchen erklärten in der Präambel von 1950 ihre Absicht, „more fully to manifest oneness in Jesus Christ as Divine Lord and Savior" (Vanderwerf 4). Auch hier wurde später (1975) in der Präambel ein wesentlich ausführlicheres christozentrisches Bekenntnis angenommen. Solche Ausweitungen und Vertiefungen der gemeinsamen Bekenntnisse lassen auf ein immer größer werdendes Einheitsverständnis schließen.

In der Konkordie reformatorischer Kirchen in Europa (-*Leuenberger Konkordie) (1973) sollten die kirchentrennenden Unterschiede zwischen den reformatorischen Kirchen Europas überwunden werden. Man erkannte, daß sich seit der Reformationszeit das Verhältnis zueinander gewandelt hatte. Aber man war nicht bereit, die Konkordie „als ein neues Bekenntnis" anzusehen (Krumwiede 218), auch wenn man alle Hauptpunkte des gemeinsamen Glaubens in der Konkordie bekenntnismäßig formulierte. Man wollte vielmehr ohne die verpflichtende Geltung der Bekenntnisse in den 89 beteiligten Kirchen zu schmälern, feststellen, daß es keine Gründe gab, Kirchengemeinschaft zwischen Kirchen verschiedenen Bekenntnisstandes zu verhindern. Diese Art von Bekenntnis, das den eigenen Bekenntnisstand nicht beeinträchtigt, wurde im Grunde genommen auch in den Übereinstimmungsverlautbarungen bilateraler oder multilateraler ökumenischer Dialoge formuliert. Wie etwa die Dokumente zum evangelisch-lutherisch/römisch-katholischem Dialog zeigen, wird jeweils bekanntgegeben, wieweit man sich einig ist und ob die bestehenden Differenzen noch kirchentrennend sind. Doch wird damit nach offizieller Meinung der eigene Bekenntnisstand nicht tangiert. Ob allerdings die gemeinsam bejahten Aussagen nicht auch das eigene Separatbekenntnis in Frage stellen müssen, bedarf noch weiterer Überlegungen, da jeder Bekenntnisstand zeit- und situationsgebunden ist. Von den vielen multilateralen Gesprächen muß das praktisch seit 1952 andauernde Gespräch in der Kommission für Glaube und Kirchenverfassung des Weltkirchenrats besondere Erwähnung finden. Es resultierte 1975 in dem Dokument Eine Taufe, eine Eucharistie, ein Amt. Seine Weiterentwicklung wurde 1982 als Lima-Dokument (Taufe, Eucharistie und Amt) verabschiedet. In diesem zeigt sich ein erstaunlicher Grad von Übereinstimmung, der, wenn ernstgenommen, dazu nötigen würde, auch den eigenen Bekenntnisstand neu zu überdenken. Literatur Zu 1.: Affirmation of Faith (Moss Side Baptist Church, Manchester): E T 84 (1973) 191. - Affirmation of Purpose and Faith (Presbyterian and Methodist Congregations in Australia): E T 84 (1973) 214. - Christian Confidence. Essays on A Declaration of Faith of the Congregational Church in England and Wales, hg. v. Roger Tomes, London 1970. - Gabriel J.Fackre, Theology and Forms of Confession in the United Church of Christ: ANQ 41 (1980) 3 7 - 5 2 . - Donald K. Gorrell, Methodist Federation for Social Service and the Social Creed: MethH 13 (1975) 3 - 3 2 . - Herschel H. Hobbs, Southern Baptists and Confessionalism: A Comparison of the Origins and Contents of the 1925 and 1963 Confessions: RExp 76 (1979) 5 5 - 6 8 . - P. Dale Neufer, Creedal Freedom in American Methodism: RelLife 43 (1974) 4 2 - 5 1 . - Charles E. Quirk, Origins of the Auburn Affirmation: JPH 53 (1975) 1 2 0 - 1 4 2 . - Walter B. Shurden, Southern Baptist Responses to their Confessional Statements: RExp 76 (1979) 6 9 - 8 4 . - William Stringfellow, Does America Need a Barmen Declaration?: CaC 33 (1973) 2 7 4 - 276. - Williston Walker, The Creeds and Platforms of Congregationalism, m. Einl. v. Douglas Horton, Philadelphia 1969. - We Believe. A Statement of Conviction on the Occasion of the Centennial of the Church of God Reformation Movement (Anderson School of Theology),

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I X . Dogmatisch 1. Selbstdefinition 2. Gemeinschaftsfunktion 3. Abgrenzungsfunktion 4. Kerygmatische Funktion 5. Doxologische Funktion 6. Katechetische Funktion (Literatur S. 440) Glaubensbekenntnisse, zumindest in der Form von Bekenntnisformeln, sind konstitutiv für jeden bewußten Glauben. Wie etwa das Credo kyrios Jesus zeigt, sind solche Formeln untrennbar mit dem Entstehen und der Geschichte des christlichen Glaubens verbunden. Im christlichen Glauben, wie in vielen anderen Religionen, üben Bekenntnisse zumindest eine sechsfache Funktion aus, wobei allerdings nicht jede Funktion immer gleich stark betont wird. 1.

Selbstdefinition

Eine der ursprünglichsten Funktionen des Bekenntnisses, wie wir immer wieder auch historisch nachweisen könnten, ist die Selbstdefinition. In einem Bekenntnis wird vorgestellt, was man glaubt (und lehrt). D a m i t dient der Bekenntnisakt zugleich zur Selbstfindung. So wird etwa die Verlesung der Confessio Augustana zur Geburtsstunde des lutherischen Bekenntnisses und der lutherischen Kirche, denn der lutherische Glaubensansatz ist hier verbindlich zum Ausdruck gebracht. M i t der Bekenntnisfunktion verbindet sich auch eine Rechtsfunktion, denn mit dem, w a s m a n bekenntnismäßig formuliert, wird man identifiziert und behaftet. Der Übergang von der fides qua creditur (dem Glauben) zur fides quae creditur (den Bekenntnissätzen) geschieht, o b w o h l logisch notwendig, keineswegs automatisch. Bekenntnis gibt es nur in statu confessionis, wenn ein Bekenntnis dessen, was m a n glaubt, durch innere oder äußere U m s t ä n d e nötig wird. Bekenntnisse bezeichnen wichtige Einschnitte im (Glaubens-)Leben eines Menschen oder einer Gemeinschaft. So ist es selbstverständlich, daß Taufe und Bekenntnis eng miteinander verbunden sind. Wenn m a n durch die Taufe ein vollgültiges Glied der Kirche wird, ist unabdingbar, daß m a n von diesem neuen Stand auch etwas versteht und auf Anfrage bekennt. Ein volles Verständnis des Glaubens der Kirche wird jedoch meist nicht vorausgesetzt, da ein Bekenntnis selbst auch ein L e r n v o r g a n g ist, mit einem Aufgehen dessen, was und w o r a n m a n glaubt. So heißt das Bekenntnis v o m leeren G r a b nicht nur e t w a : „ D a s G r a b ist leer", sondern auch „ D e r H e r r ist wirklich a u f e r s t a n d e n " (Lk 2 4 , 3 4 ) . Wenn ein Bekenntnis immer eine Bekenntnissituation erfordert, dann ist es fraglich, ob man, auch mit den besten Intentionen, ein Bekenntnis am sog. grünen Tisch abfassen kann. Dieses Dilemma scheint gerade heute zu bestehen, wo man einerseits ein neues (ökumenisches oder zeitgemäßes) Bekenntnis fordert, andererseits jedoch die aktuelle Bekenntnissituation noch nicht klar genug erkannt hat. Somit bleiben solche Bekenntnisse bestenfalls Bekenntnisse einzelner, sei es einer Konferenz, einer Interessengemeinschaft oder eines engagierten Theologen. Dies zeigt sich auch bei den vielen Bekenntnis-Kurzformeln, von denen sich noch keine allgemein durchgesetzt hat. Zur Funktion des Bekenntnisses gehört deshalb unabdingbar seine Gemeinschaftsfunktion. 2.

Gemeinschaftsfunktion

Ein Glaubensbekenntnis hat immer Gemeinschaftsfunktion. Außenstehende werden in die Gemeinschaft hineingeholt und die Dazugehörigen enger zusammengebunden. Als seinerzeit J o h n F. Kennedy in Berlin bekannte: „Ich bin ein Berliner", drückte er damit

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eine Solidarität mit der Berliner Bevölkerung aus und bekannte sich zu einer beide verbindenden Schicksalsgemeinschaft. Ähnliches geschieht, wenn man sich als Lutheraner oder als Methodist bekennt. Man gehört dann zu denen, die dieses gleiche Bekenntnis haben. Nicht von ungefähr wurden im Frühchristentum Glaubensformulierungen als Symbolum gekennzeichnet, d. h. als Erkennungs- und Beglaubigungszeichen. So ist eines der frühchristlichen Erkennungszeichen, der Fisch (griech. i%3vg), zugleich ein Bekenntniszeichen, da das griechische Wort die Anfangsbuchstaben für „Jesus Christus, Gottes Sohn, Heiland" bildet. Wer dieses Erkennungszeichen benutzt, hat auch das gleiche Bekenntnis, d.h. er ist Christ und gehört der Christengemeinschaft an. Durch ein Bekenntnis wird der einzelne in die örtliche -»Gemeinde und auch in christliche Gesamtgemeinde eingegliedert. Bekenntnisse sind notwendige Erkennungszeichen, besonders wenn die betreffende -> Gemeinschaft, wie etwa in Zeiten der Verfolgung, in ihrer öffentlichen Manifestation beschnitten wird. Gerade solche Zeiten geben Anlässe, gemeinschaftsbildende und gemeinschaftsstärkende Bekenntnisse zu formulieren. Zur Zeit des ->Kirchenkampfes gab es etwa eine Vielzahl von Bekenntnissen, die überwiegend die Funktion hatten, Gleichglaubende zusammenzuschließen. Sobald diese Bekenntnisse dann von den einzelnen Gliedern der Gemeinschaft angenommen wurden, kam ihnen normative Funktion zu. Sie bestimmten die Parameter, innerhalb derer sich der Glaubende bewegte. Zugehörigkeit zu einem Bekenntnis verpflichtet auf dieses und erfordert seine Anerkennung. Wenn Glieder einer Bekenntnisgemeinschaft nicht mehr auf ihr Bekenntnis zu verpflichten sind, hat die Gemeinschaft aufgehört, als Bekenntnisgemeinschaft zu existieren. Sie kann jedoch weiterhin als Interessenverband zu anderen Zwecken bestehen, (etwa als Gemeinschaft zur Erhaltung sozialer Einrichtungen usw.). Da das Bekenntnis Gemeinschaft bildet, sprengt absichtliches Widersetzen die Gemeinschaft und kann Lehrzucht oder Ausschluß (Exkommunikation) nach sich ziehen. 3.

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Abgrenzungsfunktion

Neben der Gemeinschaftsfunktion muß auch die Abgrenzungsfunktion bedacht werden, mit der sich eine Gemeinschaft von anderen abgrenzt. Das christliche Bekenntnis, selbst wenn es von allen christlichen Gemeinschaften anerkannt wird, grenzt diese von anderen religiösen oder profanen Gemeinschaften ab. Damit zieht das Bekenntnis eine Grenze. Kyrios Jesus heißt es dann und nicht kyrios Augustus. Diese Grenzziehung brachte vielen Christen den Tod, denn die positive Aussage, daß Jesus der Herr ist, implizierte als Negation, daß alle anderen nicht Herren sind. Viele Bekenntnisse beinhalten deswegen neben den positiven Aussagen auch sogenannte Verwerfungen, man grenzt sich explizit gegen bestimmte Irrlehren ab. Ein Bekenntnis kann jedoch weder im Positiven noch im Negativen alle möglichen Aussagen umfassen und ist deshalb immer selektiv. Es beschreibt die Parameter des Glaubens, nicht aber den Glauben in seiner Totalität. Wenn z.B. das Athanasianum fordert: „Wer da will selig werden, der muß...", so ist damit ein wichtiger Punkt des Glaubens anvisiert, sozusagen eine Mindestforderung, aber nicht alles, was geglaubt werden kann oder darf. Wenn ein Bekenntnis zur Abwehr einer Verkehrung des Glaubens erforderlich wird, so wird durch den status confessionis der Gegenpol zu dieser verkehrten Aussage besonders betont, zuungunsten anderer gleich wichtiger Aussagen (vgl. im Nicaenum die Betonung des vere deus et vere homo zuungunsten des Heiligen Geistes, der erst im Konstantinopolitanum betont wurde). In seiner selektiven Abgrenzung unterscheidet sich ein Bekenntnis wesentlich von einer Dogmatik, die das Ganze des Glaubens bedenkt. Bekenntnisse haben deshalb oft eine defensive oder polemische Zuspitzung, denn sie wollen den Glauben gegen seine Verkehrung oder gegen Unglauben verteidigen. Im Zuge dieser Verteidigungsfunktion können unverstandene Formulierungen wieder neu an Gewicht gewinnen. So haben etwa die bekennenden Gemeinden im Kirchenkampf in ihrer Frontstellung gegen die Deut-

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sehen Christen spontan das Apostolikum im Gottesdienst mitgesprochen, auch wenn ihnen nicht alle seine Formulierungen verständlich waren. Obwohl eine Gemeinschaft sich durch Abgrenzung einigeln kann und entweder zur Sekte wird, oder den Kontakt mit der Welt verliert und weltfremd wird, darf die abgrens zende Funktion nicht vernachlässigt werden, denn, wer für alles ist, ist letztlich gegen sich selbst. So muß die rechte Mitte zwischen totaler Abgrenzung und völliger Offenheit gefunden werden. Abgrenzung dient aber nicht nur zur Selbstbehauptung, sondern ermöglicht erst den Dialog. Es muß immer bedacht werden, daß Abgrenzung nicht zur Einigelung und Offenheit nicht zu Niveaulosigkeit führen darf, sondern den Dialog er10 möglichen und fördern soll. Die Abgrenzungsfunktion darf auch nicht von denen wegführen, die auf der anderen Seite der Grenze stehen, sondern sie soll auf sie hinführen. 4. Kerygmatische

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Die Bekenntnisse sagen wesentliche Teile des christlichen Glaubens in eine bestimmte Zeit und Situation hinein. Damit wird der Glaube nicht nur sich selbst bewußt gemacht, sondern auch der Welt bekannt. Die Bekenntnisse bemühen sich, zeitgemäße Ausdrucksformen zu finden (vgl. Barmen), um das Evangelium in eine bestimmte Situation hinein zu sagen. Diese kerygmatische Funktion erfordert ein immer neues Bekenntnis des alten Glaubens. Damit bedürfen Bekenntnisse, die aus bestimmten Situationen entstanden sind, einer Neuübersetzung oder zumindest einer Interpretation (vgl. W. Pannenbergs Buchtitel Das Glaubensbekenntnis. Ausgelegt und verantwortet vor den Fragen der Gegenwart). Bekenntnisse können aber ihren Kairos zeitweilig oder für immer verlieren, da die ursprüngliche Bekenntnissituation nicht mehr gegeben ist. So haben viele Bekenntnisse aus dem Dritten Reich nur noch historische Bedeutung. Doch damit ist die in den Bekenntnissen intendierte Sache nicht überflüssig geworden. Das homoousios des Nicaenums ist etwa für uns kaum mehr verständlich, während das Insistieren auf der Gottheit Christi immer noch unverzichtbar ist. Da Bekenntnisse niemals den ganzen Glauben ausdrücken, sondern bestenfalls verbum abbreviatum sind, darf man nicht vergessen, daß sie nicht zum alleinigen Ausdruck des Kerygmas werden dürfen. Sie müssen immer noch durch das ganze verbum Dei ergänzt, wenn nicht gar von ihm korrigiert werden. Das verbum kann umgekehrt nicht ohne Bekenntnis auskommen, falls es nicht verstummen soll. Damit gehören Bekenntnis und Wort zusammen wie norma normata und norma normans einerseits und wie Akt und Sein andererseits. 5. Doxologische

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Funktion

Funktion

Eng mit der kerygmatischen Funktion ist die doxologische verbunden. Während das Kerygma an die Welt gerichtet ist, wendet sich das Bekenntnis unter dem doxologischen Aspekt zu dem zurück, der Ursprung aller Bekenntnisse ist, Gott in Jesus Christus. So ist der gottesdienstliche und liturgische Gebrauch von Bekenntnissen (vgl. Apostolikum und Nicaenum) fast selbstverständlich. Auch im Gebet des einzelnen oder der Gemeinde 40 werden häufig Bekenntnisse verwendet. Ein Grundprinzip der römisch-katholischen Traditiort lautet deswegen lex orandi-lex credendi (beten heißt glauben und glauben heißt beten). Ähnlich wie im Gebet, verehrt man auch durch das Bekenntnis den, der in ihm zum Audruck kommt. Die doxologische Funktion der Bekenntnisse zeigt, daß sie nie Selbstzweck sind. Sie 45 dürfen nicht absolut gesetzt werden, sondern haben dienende Funktion, denn sie dienen dem, der in ihnen bekannt wird. Bekenntnisse sind niemals Glaubensgegenstand, wie auch ihre Ablehnung in manchen Freikirchen zeigen soll, sondern Hinweiszeichen auf Gott in Christus und Mittel seiner Verehrung. Ähnlich wie in der Theologie, wird im Bekenntnis Gott mit Hilfe der Eleganz, Prägnanz und Aussagekraft menschlicher Formuso lierungen verehrt und angebetet.

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Eine der frühesten und beständigsten doxologischen Verwendungen eines Bekenntnisses findet sich im Taufritus. Der Täufling bekennt sich mit den Worten des Apostolikums zu Gott Vater, Sohn und Heiligem Geist und wird sodann getauft. Das Bekenntnis als Verherrlichung Gottes ist Voraussetzung für das Sakrament; so geht auch in der Messe das Credo der Abendmahlshandlung voraus. Ein solches Bekenntnis findet nicht ohne vorhergehende Unterweisung statt und damit kommen wir zur letzten wichtigen Funktion des Bekenntnisses. 6. Katechetische

Funktion

Da das Bekenntnis verbum abbreviatum ist und zentrale Aspekte des Glaubens in apologetischer Weise hervorhebt, ist es unabdinglich, daß das Bekenntnis zum Grundbestandteil katechetischer Unterweisung (-»-Katechetik) gehört. Man muß wissen, was man glaubt und wie sich der eigene Glaube von Verzerrungen oder Verleugnungen desselben unterscheidet. Die —Taufe war schon immer Anlaß gewesen, die Katechumenen in den Grundlagen des Glaubens zu unterweisen, wozu bevorzugt Glaubensbekenntnisse als Instruktionsmaterialien herangezogen wurden. So bot -»Cyrillus von Jerusalem in seinen Taufkatechesen eine fortlaufende Erklärung des Taufbekenntnisses von Jerusalem, zumal er in diesem eine adäquate Zusammenfassung des christlichen Glaubens sah. In der reformierten und der baptistischen Tradition, sowie generell bei Erwachsenentaufen auf dem Missionsfeld, ist heute noch die Taufhandlung mit einem Bekenntnis des Täuflings verbunden. Als verbum abbreviatum ist das Credo eine natürliche Hilfe zur ersten Unterweisung im christlichen Glauben, denn dazu diente es von Anfang an. Auch wird im Westen oft die regula fidei mit dem Taufbekenntnis gleichgesetzt. Dies führt dann zu einer besonders hervorgehobenen Stellung des Apostolikums, die im Osten fehlt und durch den dortigen Gebrauch des Nicaenums nicht ersetzt wird. Die Glaubensbekenntnisse dienen aber auch zur Unterweisung der schon Getauften und potentieller Konvertiten. Andere Summarien des christlichen Glaubens müssen allerdings in der katechetischen Unterweisung den Gebrauch der Bekenntnisse ergänzen, da wichtige Grundbestandteile der christlichen Lehre, wie etwa Verkündigung Jesu, Taufe, Eucharistie und Ethik in den herkömmlichen Glaubensbekenntnissen nicht erwähnt werden. Als wahres verbum abbreviatum weisen sie deshalb immer auf die Schrift hin, die sie beispielhaft bezeugen. Sie sind zur Einführung in den Glauben trefflich geeignet, doch ist der Glaube immer größer als das Bekenntnis, das ihn bezeugt. Da aber der ganze Glaube fast nie zur Sprache kommt, ist es notwendig, Hinweise auf ihn zu haben, die ihn in nuce prägnant ausdrücken und somit faßbar machen. Ein Glaube ohne das ihn zumindest partiell ausdrückende Bekenntnis ist deshalb ebenso ein Widerspruch in sich selbst wie ein Bekenntnis ohne den Glauben, der das Bekenntnis umgreift, und es dadurch möglich und notwendig macht. Literatur Georg Baudler/Wolfgang Beinert/Armin Kretzer, Den Glauben bekennen. Formel oder Leben?, Freiburg 1975. - Bekenntnis in Bewegung. Ein Informations- u. Diskussionsbuch, hg. v. Gerhard Ruhbach/Henning Schröer/Manfred Wichelhaus, Göttingen 1969. - Bekenntnis u. verbindliche Lehre heute, hg. v. Gerhard Sauter: E v T h 4 0 (1980) 4 7 1 - 5 5 8 . - M i c h e l Bouttier u. a., Confesser sa foi aujourd'hui: ETR 46 (1971) 2 5 1 - 2 9 6 . - Carl E. Braaten, The Lutheran Confessional Heritage and Key Issues in Theology Today: CThMi 8 (1981) 2 6 0 - 2 6 8 . - Ulrich Browarzik, Glaubensinformation u. Glaubensbekenntnis: NZSTh 18 (1976) 7 4 - 9 0 . - Robert G. Crawford, Revolt against Creeds and Confessions of Faith: SJTh 29 (1976) 13 - 25. - Bruce A. Demarest, Christendom's Creeds. Their Relevance in the Modern World: JETS 21 (1978) 3 4 5 - 3 5 6 . - Hans D. Döpmann, Konfessionskunde heute: ThLZ 104 (1979) 2 4 1 - 2 4 7 (Lit.). - Vance L. Eckstrom, Pluralism and Lutheran Confessionalism: LuthQ 29 (1977) 1 0 9 - 1 4 9 . - G. R. Ferguson, Nature of Confessional Authority: SJTh 24 (1971) 2 7 1 - 2 8 9 . - A d r i a a n Geense, Der Dialog der Religionen u. das Bekenntnis der Kirche: KuD 26 (1980) 2 6 4 - 2 7 6 . - Glaubensbekenntnisse für unsere Zeit, hg. v. Gerhard Ruhbach, Gütersloh 1971. -

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als Thema

Praktischer

Theologie

Wenn Praktische Theologie wie üblich als Theorie handelnder Kirche oder wahrscheinlich besser als Praxistheorie gemeinsamen christlichen Lebens bestimmt wird, gehören Bekenntnis und Bekennen auch zu ihren Grundbegriffen, nicht nur zur -»Dogmatik und -»Ethik. Bekenntnis ist dabei von Konfession zu unterscheiden - hier droht sonst, wie schon Paul Schütz gesehen hat (31-83), Ideologie; Bekenntnis ist aber auch mehr als nur subjektive confessio. Gerhard Ebeling hat mit seiner Fassung von Homologie (die der Sache der Christologie verpflichtete Sprachform) den sich auch praktisch ausweisenden Fundamentalcharakter von Bekenntnis herausgearbeitet (83-85). Vorher schon hat Edmund Schlink mit Recht Bekenntnis als Grundbegriff für verantwortliche theologische Aussagen überhaupt herausgestellt: „In dem Bekenntnis sind alle Antworten des Glaubens in eigentümlicher Weise konzentriert" (KuD 3,174). Darin drückt sich die Erkenntnis Luthers aus, daß all unser Tun gegenüber Gottes Handeln sich letztlich so zusammenfaßt: tota nostra operatio confessio est (WA 57,137,5). Dem entspricht die Einsicht, daß mit „Bekenntnis" auch eine anthropologische Fundamentalkategorie ausgedrückt sein kann: „Die der existentiellen Wahrheit voll angemessene Aussageform ist deshalb Bekenntnis" (Fuchs 143). Der Glaube als Existenzwiderfahrnis bleibt nicht sprachlos: „Ich glaube, darum rede ich" (Ps 116,10 = 11 Kor 4,13). Glaube des Herzens und Bekenntnis des Mundes (Rom 10,8) werden in christlicher Existenz notwendig verbunden. Der Glaube wird mittelbar und entspricht damit der Wahrheit, daß Gott sich in Jesus Christus zu uns bekannt hat. Eindrucksvoll stellt das ostasiatische Dokument Confessing the Faith in Asia today (1966) Jesus Christus als the Confessor heraus (22-24). Bekenntnis ist so zuerst immer ein personaler Akt der Liebe auf Glaube hin (vgl. auch Lk 12,8). Die Lebensbewegung des Bekennens stiftet Kommunikation, die Autorität und Freiheit in sich schließt (Iwand 253). Da die christliche Freiheit in der Befreiung vom Unglauben besteht, ist das Glaubensbekenntnis auch immer zugleich auf Hilfe gerichtetes Sündenbekenntnis (Mk 9,24). Diese Einheit hat Luthers Rechtfertigungsverständnis besonders geltend gemacht: „Gott wird nicht besser gelobt, als mit dem Bekenntnis unserer

442

Glaubensbekenntnis(se) X

Sünden und Übel" (WA 3,378,24). Diese Grunderfahrung bleibt, weil sie Wahrheit erfüllt, nicht nur subjektiv und zielt auf das gemeinsame Einstimmen in solches Lob Gottes. So werden die existentiellen Grundbestimmungen von Bekennen als Schuldeingeständnis, als Liebeserklärung und als Übereinkunft (dies alles Bedeutungsinhalte von Homologie) im Glauben doxologisch (vgl. hebr. den Sinn von jadah Hiph und todah) zum Heil der Welt gewendet. Wo Bekenntnis geschieht, bewegt es die Welt und stellt nicht nur die Kirche fest. Bekenntnis ist also Lebens- und Sprachbewegung des Glaubens. Diese Bedeutung gilt es praktisch theologisch zu bewahren und zu bewähren. Die Entwürfe -»Praktischer Theologie haben diese Grundlegung bisher explizit kaum zur Geltung gebracht. Entweder wurde der Begriff Bekenntnis konfessionalistisch mißverstanden, als seien die Bekenntnisschriften die Gründungsurkunden von Kirche; dagegen mit Recht z. B. H . Bornkamm (220) und sehr deutlich neuerdings auch kirchliche Lehraussagen (Kirche als Lerngemeinschaft 25). Andererseits wurde direkt auf das Wort Gottes rekurriert und damit kamen Geist und Geschichte der Offenbarung zu kurz. Schließlich hat eine vordringlich auf identifizierbares Tun gerichtete handlungstheoretische Fassung von Praktischer Theologie die Neigung gezeigt, sich in Abgrenzung gegen die Dogmatik des Problems pragmatisch zu entledigen oder Bekenntnis nur als Norm, aber nicht auch als empirische Wirklichkeit aufzufassen. Die Sequenz: Gottes Tat, unser Hören, Glauben, Bekennen (darin eingeschlossen: Erkanntwerden, Kennen, Erkennen, Anerkennen), Handeln bedarf weiterer, auch praktisch theologischer Klärung. Dabei wird, wie vielfach üblich, Bekenntnis in Form des existentiellen Lebensvollzugs, der sprachlichen Aussage und der schriftlichen Urkunde unterschieden werden müssen (vgl. Gloege 994, O . Weber 3 9 - 4 2 ) . Bekenntnis geschieht primär als Bekenntnis zu jemand, es ist aber als Bekenntnis zu Menschen auch zugleich Bekenntnis vor Gott und scheut nicht die Öffentlichkeit. Die Christenheit hat bis hin zum Martyrium diese forensische Bedeutung von Bekenntnis nicht verleugnet, sondern darin gerade, ohne dem Dezisionismus zu huldigen, den Entscheidungscharakter des Glaubens bei aller Bemühung um Kommunikation im Gespräch nicht aufgegeben. Am treffendsten kommt das zum Ausdruck im Gottesdienst.

2. Bekenntnis

im Gottesdienst,

Gottesdienst

als

Bekenntnis

Das Bekenntnis zu dem einen Gott (Dtn 6,4), das Kyrios-Bekenntnis der Christen, das Nicaeno-Constantinopolitanum (381) als die abschließende Zusammenfassung der frühchristlichen Geschichte des Glaubens an den dreieinigen Gott haben alle doxologischen Charakter und deshalb im Gottesdienst ihren wahren Sitz im Leben. Das hat auch alle notwendige Reflexion in Dogmatik und Lehre zu berücksichtigen. Das Nicaeno-Constantinopolitanum ist das einzig wirkliche ökumenische Credo; die gottesdienstliche Verwendung des Apostolikums ist demgegenüber begrenzt. Bekennenden Charakter hat im Gottesdienst aber nicht nur das Credo (die römisch katholische und die orthodoxe Kirche verwenden das Nicaeno-Constantinopolitanum, die lutherischen und Unierten Kirchen gebrauchen es an hohen Festtagen, sonst das Apostolikum und folgen damit reformierter Tradition, andere gottesdienstliche Credos sind auf evangelischer Seite Credolieder (EKG 132,133), oder auch das Tedeum, sondern auch das Confiteor (Sündenbekenntnis), aber auch die Predigt, die Lieder (dazu Hauschildt) und wo sie noch verwendet werden, die Akklamationen. Neuerdings haben auch Glaubenszeugnisse mehr subjektiven Charakters Eingang gewonnen, allerdings mit Recht nicht als Ersatz, sondern als Ergänzung der überlieferten Credos. Besonders zu beachten ist der Taufgottesdienst, denn -»Taufe als Herrschaftswechsel fordert ein ausdrückliches Bekenntnis. Dementsprechend hat auch die Konfirmation zwar nicht Gelübde- aber Bekenntnischarakter. Über die notwendige Aufnahme eines Credo-Textes in den agendarisch geordneten Gottesdienst ist Diskussion sinnvoll, über den Charakter von Gottesdienst als Bekenntnis dürfte kein Zweifel herrschen. Eine engere Verbindung von Sünden- und Glaubensbekenntnis im Sinne reformatorischer Theologie wäre wünschenswert, auch um psychologische Mißverständnisse auszuschließen. Ebenso sollte das Apostolikum keinen liturgischen Monopolanspruch zugebilligt bekommen, zumal es den hymnisch doxologischen Charakter gottesdienstlicher Bekenntnisse wenig zur Geltung bringt. Nonverbale Formen des Bekenntnisses können in der Eucharistie bedeutungsvoll werden, wie

Glaubensbekenntnis(se) X

443

überhaupt das Abendmahl als einladendes Bekenntnis am deutlichsten geraeinsames bekennendes Leben aktualisiert.

3. Bekenntnis

in der Unterweisung,

Bekenntnis

und

Katechismus

Nicht nur der Gottesdienst, auch der Katechumenat ist seit den Anfängen der Kirche Sitz im Leben für das Bekenntnis. Hier sollte das Apostolikum trotz interpretatorischer Schwierigkeiten seinen festen Platz haben. Dazu existieren zahlreiche neuere katechetische Hilfen (Dehn, Dietzfelbinger, Erzählbuch zum Glauben), aber auch von der Tradition der -»-Katechismuspredigt her kann Wesentliches gelernt werden. Katechismen sind nicht zufällig auch Bekenntnistexte geworden (Luthers Kleiner Katechismus, Heidelberger Katechismus, Kleiner Westminster-Katechismus). Die Bedeutung des Bekenntnisses als Wegweiser zur Schrift, als „Dienstanweisung" (Gollwitzer 178) ist aber zu beachten, damit Bekenntnis nicht zur Standpunktideologie wird, so sehr es auf Entscheidungen aufmerksam macht. Als Lernziele können gelten: Die Konfessionalität des schulischen Religionsunterrichts ist dialogisch auszulegen, aber nicht aufzugeben, um die Bekenntnisbindung des Glaubens verstehbar zu machen. Die Verbindung mit Bekenntnis als lebensweltlicher Sprachkategorie ist bewußt zu machen. Die notwendige M e m o r a t i o n des Credos darf nicht Selbstzweck sein, sondern soll als Hilfe zur Gottesdienstpraxis und Erfahrungserweiterung eingeübt werden, wobei das Interesse an eigenen Credoformulierungen durchaus gleichzeitig zu fördern ist, weil nur so auch gerade die Leistung der alten Formeln erkennbar wird. Die Bemühung um neue Kurzformeln, besonders auf katholischer Seite (vgl. zum Problem Rahner, A . Stock) des Glaubens bedarf der kritischen Sichtung. D a ß das Bekenntnis gerade auch in der F o r m von Liedern sich besonders einprägsam vollziehen kann, ist auch unterrichtlich zu nutzen. Wichtig ist auch der Hinweis auf das Kirchenjahr „als das im Jahresablauf eingeordnete C r e d o der K i r c h e " (Uhsadel 73).

4. Bekenntnis

in Recht und Ordnung der

Kirche

Die Beziehung von Bekenntnis und Kirchenrecht ergibt sich in mehrfacher Hinsicht: a) Reichsrechtlich und verfassungsrechtlich verweisen Kirchen auf ihren Bekenntnisstand als die „rechtlichen Aussagen über den Lehrgehalt ihres Wirkens" (O. Friedrich, EKL I, 373). Der Begriff Bekenntnisstand ist wohl erst dem 19. Jh. zuzuweisen, das Faktum, das im Augsburger Religionsfrieden (1555) mit religio bezeichnet wurde, läßt sich bis zum Theodosianum von 380 zurückführen (P. Brunner 302). Vorher gab es kein derartiges reichsrechtliches Ketzerrecht, das Bekenntnis hatte vielmehr in den Sakramenten seinen Sitz im Leben (W. Maurer). Von daher wurde auch das Häresieproblem praktisch gelöst. Mit dem Preußischen Landrecht 1794 hörte die staatliche Beziehung auf das Bekenntnis auf, wenn auch in Fragen der Anerkennung einer Religionsgesellschaft als öffentlicher Körperschaft 1918 der Bekenntnisstand eine wesentliche Rolle spielte. Der Kirchenkampf (1933-1945) machte die verfassungsrechtliche Bedeutsamkeit des Bekenntnisses besonders bewußt (vgl. Hans-Jörg Reeses ausführliche Studie). Die Berufung auf den landeskirchlichen Bekenntnisstand erlaubte kirchenpolitischen Widerstand gegen die Konzeption einer Reichskirche ohne Berücksichtigung der jeweiligen Bekenntnisbindung. Mit dieser Rückbesinnung auf den Charakter der Kirchen als Bekenntniskirchen wurde aber auch der aktuale Sinn des Bekennens betont. Der Ausdruck „Bekennende Kirche" (für Holland läßt er sich schon 1930 nachweisen; vgl. Lebendiges Bekenntnis 15) faßte Bekenntnisstand und Bekenntnisbindung (zu dieser sinnvollen Unterscheidung vgl. P. Brunner) zusammen und führte teilweise zu der präzisierenden Formel der „bekennenden Bekenntniskirche" (E. Wolf), b) Rechtstheologisch. Die Barmer Theologische Erklärung stellte den Zusammenhang von Botschaft und Ordnung heraus (These III) und legte damit eine Konzeption nahe, wie sie Erik Wolf mit seiner Formulierung „bekennendes Kirchenrecht" (vgl. dazu Stein, Kirchenrecht, 2 2 - 2 8 ) ausführlich zur Geltung brachte. Neuere Auslegung von Barmen III wahrt dieses Anliegen, spricht aber wohl präziser vom „Zeugnischarakter des kirchlichen Rechts"-. „Damit, daß die Kirche das geschichtlich gestaltete Recht an ihrem Zeugnisauftrag mißt, bekennt sie: Auch ihre rechtsförmig

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Glaubensbekenntnis(se)

X

gestalteten Institutionen stehen unter der Herrschaft C h r i s t i . " (Kirche als „ G e m e i n d e von B r ü d e r n " 2 , 6 4 ) . D a s h a t , w e n n es beachtet wird, erhebliche K o n s e q u e n z e n für das kirchliche A m t s - und D i e n s t r e c h t , a u c h wenn die Ü b e r n a h m e staatlicher E l e m e n t e damit nicht ausgeschlossen ist. c) Innerkirchlich wird die Bekenntnisverpflichtung als A k t , Aussage o d e r L e h r e neben T a u f e , A b e n d m a h l und B e i c h t e vor allem bei —»Ordination, Vokation der L e h r e r und in L e h r b e a n s t a n d u n g s v e r f a h r e n w i r k s a m . Die Versuche, kirchliche Leb e n s o r d n u n g e n an das B e k e n n t n i s zu binden, h a b e n wenig E r f o l g g e h a b t , w a s die reale Praxis a n g e h t . H i e r kollidieren a u c h G e s i c h t s p u n k t e der V o l k s k i r c h e als einer K i r c h e für alle und einer G e m e i n d e k i r c h e mit deutlichen Grenzziehungen ( - » K a s u a l i e n ) .

5. Bekenntnis und Ökumene M i t den r e f o r m a t o r i s c h e n K i r c h e n trat die K a t e g o r i e des B e k e n n t n i s s e s als Apologie o d e r confessio in F o r m einer B e k e n n t n i s s c h r i f t , also als L e h r b e k e n n t n i s über den consensus de doctrina, neu in die K i r c h e n g e s c h i c h t e ein. Kein neues D o g m a entstand, sondern B e k e n n t n i s s e w u r d e n formuliert (Adam 1 7 7 ) . B e s o n d e r s von lutherischer Seite ist die ekklesiologische B e d e u t u n g des Bekenntnisses b e t o n t w o r d e n . Im K o n f e s s i o n a l i s m u s wurde es sogar als k i r c h e n g r ü n d e n d angesehen. D i e ö k u m e n i s c h e Bewegung m u ß t e sich deshalb b e s o n d e r s mit der kirchenverbindenden b z w . -trennenden F u n k t i o n des B e k e n n t nisses und der B e k e n n t n i s s e auseinandersetzen. D e r Z u s a m m e n h a n g von B e k e n n t n i s und Ö k u m e n e w u r d e oft b e t o n t . M ö g l i c h k e i t e n , die E i n h e i t in J e s u s Christus auch im Bek e n n t n i s zu bezeugen, b o t vor allem die N o t w e n d i g k e i t der geschichtlichen Interpretation der B e k e n n t n i s s e . S o k o n n t e z . B . die - » L e u e n b e r g e r K o n k o r d i e ( 1 9 7 3 ; K J 100 [ 1 9 7 3 ] 18—23) als wesentliches ö k u m e n i s c h e s D o k u m e n t e r a r b e i t e t w e r d e n . D a s Verhältnis zum D o g m a b e d a r f n o c h weiterer U n t e r s u c h u n g e n , d o c h sollte E . Schlinks Feststellung zuges t i m m t w e r d e n : „ D i e Wurzel des D o g m a s ist das B e k e n n t n i s " ( R a n g o r d n u n g 138). K o n fessionalität der K i r c h e ist n i c h t nur an L e h r b e k e n n t n i s s e n zu e r h e b e n , es b e d a r f einer - • H e r m e n e u t i k der B e k e n n t n i s g e s t a l t der K i r c h e n in ö k u m e n i s c h e m Geist. D i e W a h r heitsfrage wird d a d u r c h n i c h t n o t w e n d i g relativiert, sondern die E n t s p r e c h u n g zu dem apostolischen Evangelium zur p e r m a n e n t e n A u f g a b e . Damit ist auch die Frage der Neubildung von Bekenntnissen notwendiges Thema, das von der Ökumene in die Praxis der Gemeinden zurückwirkt. Die Batak-Kirche auf Sumatra (-»Indonesien) formulierte 1952 ein Bekenntnis (vgl. dazu die Studie von Schreiner), das Kontinuität mit den ökumenischen Symbola mit aktuellen Verwerfungssätzen verbindet. Als Beispiele neuer Bekenntnisse seien genannt: a) die Erklärung des Glaubens der United Church of Christ (1957), Text: Hanns Peter Keiling 169 f, b) das Bekenntnis der vereinigten Presbyterianischen Kirche in der USA (1967) Text: Bekenntnisse der Kirche, 3 1 5 - 3 2 5 . Gewöhnlich wird zwischen creeds und confessions oder declarations of faith unterschieden. Bemerkenswert ist das sozialistisch geprägte Cubanische Bekenntnis von 1977. Die Beziehung des Bekenntnisses auf Politik und Ethik ist durch den neuen Häresiebegriff, wie er auf der Weltkirchenkonferenz von Uppsala (1968) postuliert wurde, zugleich zum Problem geworden. Die Inanspruchnahme des status confessionis oder wohl genauer des casus confessionis im Rückgriff auf FC X wirkt, insbesondere durch als Bekenntnisfrage bezeichneten Widerstand gegen atomare Bewaffnung stark in das Leben der Kirche ein (vgl. Die Erklärung des Moderamens des Reformierten Bundes: Das Bekenntnis zu Jesus Christus und die Friedensverantwortung der Kirche, 1982 [These 1]). O b die ö k u m e n i s c h e B e w e g u n g , die in den K o n v e r g e n z e r k l ä r u n g e n von L i m a ( 1 9 8 2 ) eine deutliche Z w i s c h e n b i l a n z aufzuweisen h a t , in a b s e h b a r e r Z e i t eine die Basis des Ö R K vertiefende und e r w e i t e r n d e B e k e n n t n i s f o r m u l i e r u n g t r o t z vieler L e h r g e s p r ä c h e und „ D o k u m e n t e w a c h s e n d e r Ü b e r e i n s t i m m u n g " erbringen wird, k a n n bezweifelt w e r den. E h e r dürfte sie von praktizierter K i r c h e n g e m e i n s c h a f t von der Eucharistie her a u c h zu g e m e i n s a m e n Aussagen und M ö g l i c h k e i t e n der gegenseitigen A n e r k e n n u n g k o m m e n . D e r G e d a n k e einer ö k u m e n i s c h e n C h a r t a ( H a s s e l m a n n 1 1 9 - 1 2 2 ) k ö n n t e vielleicht die Verbindung von T h e o l o g i e und ausgeprägter K o n f e s s i o n a l i t ä t auf der G r a t l i n i e zwischen Synkretismus und W a h r h e i t s m o n o p o l i s m u s aufzeigen. Erfreulich ist, d a ß i m m e r h i n für das A p o s t o l i k u m und das N i z a e n o - C o n s t a n t i n o p o l i t a n u m eine g e m e i n s a m e evangelisch

Glaubensbekenntnis(se)

445

X

k a t h o l i s c h e F a s s u n g 1 9 6 7 - 1 9 7 1 erarbeitet w e r d e n k o n n t e (divergent nur die V e r w e n d u n g des W o r t e s k a t h o l i s c h im 3. Artikel), die a u c h kirchlich a p p r o b i e r t , v o n den G e m e i n d e n w e i t h i n r e z i p i e r t w o r d e n ist. 6.

Schlußüberlegungen

W i e w i c h t i g die p r a k t i s c h t h e o l o g i s c h e K l ä r u n g d e r B e k e n n t n i s f r a g e ist, z e i g t d i e bis heute nicht beendete theologische Auseinandersetzung mit der 1 9 6 6 entstandenen kenntnisbewegung.

Be-

Wie Wahrheit und Geschichtlichkeit, Klarheit und Kommunikabili-

tät des B e k e n n e n s und der Bekenntnisse zu verbinden sind, m u ß gottesdienstlich, k a t e c h e t i s c h , k i r c h e n r e c h t l i c h , ö k u m e n i s c h in e i n e r p r a k t i s c h t h e o l o g i s c h e n H e r m e n e u t i k e n t w i c k e l t w e r d e n . D a s 4 5 0 J a h r e - J u b i l ä u m d e r Confessio

Augustana

hat zahlreiche Impulse

v e r m i t t e l t , die a b e r k a u m a u f d i e G e m e i n d e e b e n e d u r c h g e d r u n g e n s i n d . D i e A u s r u f u n g d e s status

confessionis

in e t h i s c h e n E n t s c h e i d u n g s f r a g e n f ü h r t z u Z e r r e i ß p r o b e n , in d e -

nen d e r Z u s a m m e n h a n g v o n B o t s c h a f t u n d G e m e i n s c h a f t , v o n G e w i ß h e i t und Schuld zu b e d e n k e n ist. D i e A u f n a h m e v o n S c h u l d e r k l ä r u n g e n u n t e r d i e B e k e n n t n i s s c h r i f t e n s t ä n d e d e n K i r c h e n g u t a n . D a s l e t z t l i c h m a ß g e b e n d e K r i t e r i u m w i r d i m m e r sein, o b d a s B e k e n n t n i s w i r k l i c h a l s Glaubensbekenntnis

geachtet wird, das der G r u n d h o m o l o g i e : „ich

g l a u b e a n J e s u s C h r i s t u s " e n t s p r i c h t , so d a ß als L e b e n s b e w e g u n g d e r K i r c h e e r f a h r e n w i r d , w a s A u g u s t i n a l s B i t t e in s e i n e n Confessiones ne fides tnea" ne"

( X I I I , 1 2 , 1 2 ) , d e n n : „Non

f o r m u l i e r t h a t : „Procede

est firma fides quae

non

ostendit

in

confessio-

se in

confessio-

( M e l a n c h t h o n , A p o l o g i e IV, 3 8 5 ) . „ D a s B e k e n n t n i s ist d i e E i n h e i t , in d i e h i n e i n w i r

a u f g e n o m m e n sind, w e n n w i r a l s G l a u b e n d e u n d E r k e n n e n d e u n t e r G o t t e s W o r t l e b e n " ( I w a n d 2 5 2 ) . H o m o l o g i e u n d D i a l o g v e r h a l t e n sich w i e G l a u b e u n d L i e b e .

Literatur Alfred A d a m , L b der D G , II Gütersloh 1 9 7 2 2 . - Karl B a r t h , W ü n s c h b a r k e i t u. M ö g l i c h k e i t eines allg. ref. Glaubensbekenntnisses: ders., Die T h e o l . u. die Kirche, M ü n c h e n 1928. - Wolfgang B e i n e r t / K o n r a d H o f f m a n n / H e r w a r t h v. Schade, G l a u b e n s b e k e n n t n i s u. G o t t e s l o b der Kirche, F r e i b u r g / W i e n 1 9 7 1 . - B e k e n n e n in der Z e i t , hg. v. Wulf M e t z . FS Walter Künneth, M ü n c h e n 1 9 8 1 . — D a s Bekenntnis im Leben der Kirche, hg. v. V i l m o s V a j t a / H a n s Weissgerber, B e r l i n / H a m b u r g 1963. - B e k e n n t n i s in Bewegung, hg. v. G e r h a r d R u h b a c h / H e n n i n g S c h r ö e r / M a n f r e d Wichelhaus, G ö t t i n gen 1 9 6 9 . - Lebendiges Bekenntnis (Übers, v. „ F u n d a m e n t e n en Perspetieven van Belijden, s ' G r a v e n h a g e 1949) Neukirchen 2 1 9 5 9 . - Bekenntnis und B e k e n n e n im Gottesdienst, H a m b u r g 1978 (Feiernde Gemeinde H e f t 1). - Bekenntnisse der Kirche, hg. v. H a n s Steubing, Wuppertal 1 9 7 0 . R o m a n Bleistein, Kurzformeln des G l a u b e n s , 2 Bde., W ü r z b u r g 1 9 7 2 - 1 9 7 3 . - Heinrich B o r n k a m m , Die Bedeutung der Bekenntnisschriften im L u t h e r t u m : ders., D a s J h . der R e f o r m a t i o n , G ö t t i n g e n 21966. Peter B r u n n e r , Bekenntnisstand u. Bekenntnisbindung: ders., Pro Ecclesia, G A u f s . , II B e r l i n / H a m b u r g 1966, 2 9 5 - 3 0 4 . - D e r s . , D a s luth. Bekenntnis in der U n i o n , Gütersloh 1 9 5 2 . D e r s . / G e r h a r d F r i e d r i c h / J o s e p h R a t z i n g e r / K a r l L e h m a n n , Veraltetes G l a u b e n s b e k e n n t n i s ? , R e gensburg 1969. - Confessing the Faith in Asia today, H o n g k o n g 1966. - C r e d o heute, hg. v. T h e o Sorg, Stuttgart 1975. - Cubanisches G l a u b e n s b e k e n n t n i s , hg. v. K o n r a d S t o c k , M ü n c h e n 1 9 8 0 . H e r m a n n Dietzfelbinger, Das christl. Glaubensbekenntnis im kirchl. Unterricht, M ü n c h e n 1 9 5 3 . H e r m a n n Dörries, D a s Bekenntnis in der Gesch. der Kirche, G ö t t i n g e n 2 1 9 4 7 . - D o k u m e n t e w a c h sender Übereinstimmung, hg. v. H a r d i n g M e y e r u . a . , P a d e r b o r n / F r a n k f u r t a . M . 1983. - G e r h a r d Ebeling, T h e o l . u. Verkündigung, 1961 ( H U T h 1). - Werner Eiert, Schrift u. Bekenntnis, Leipzig 1936. - G e m e i n s a m e theol. Erklärung zu den Herausforderungen der Z e i t , H a n n o v e r o. J . (1971). Erzählbuch zum G l a u b e n , I D a s G l a u b e n s b e k e n n t n i s , Z ü r i c h / L a h r 1 9 8 1 . - Ernst Fuchs, H e r m e n e u tik, Stuttgart 1963. - Glaubensbekenntnisse für unsere Z e i t , hg. v. G e r h a r d R u h b a c h , Gütersloh 1971. - Glaubensbekenntnis u. K i r c h e n g e m e i n s c h a f t , hg. v. Karl L e h m a n n / W o l f h a r t Pannenberg, Freiburg 1982. - G l a u b e zwischen J a u. N e i n , hg. v. Henri F e s q u e t , Z ü r i c h 1982. - G e r h a r d G l o e g e , Art. Bekenntnis, dogmatisch: R G G 3 1 (1957) 9 9 4 - 1 0 0 0 . - Friedrich G o g a r t e n , D a s Bekenntnis der K i r c h e , J e n a 1934. - H e l m u t G o l l w i t z e r , Die Bedeutung des Bekenntnisses für die Kirche: H ö r e n u. H a n d e l n . FS Ernst W o l f , M ü n c h e n 1962, 1 5 3 - 1 9 0 . - Niels H a s s e l m a n n , Ö k u m . u. Bekenntnis: B e k e n n t n i s in Bewegung, (s.o.), 1 1 2 - 1 2 2 . - M a r t i n H a u g , D a s G l a u b e n s b e k e n n t n i s v. D o r o t h e e Solle u. das Credo der Kirche, 1969 ( C w H 104). - Karl Hauschildt, D a s Bekenntnis im Kirchenlied: H E K G I I I / l , Göttingen 1 9 7 0 , 7 0 - 8 8 . - Ludwig H e i t m a n n , Luth. Bekenntnis u. Gemeindegestaltung, Kassel 1935. - H e r m a n n H o r n , Konfessionalität u. Päd., N e u k i r c h e n 1971. - R e n a t u s Hupfeld, Die

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Bekenntnisfrage in der neuen dt. ev. Kirche, Gütersloh o. J . (1939). - Hans J o a c h i m Iwand, Nachgelassene Werke, I München 1952, 2 1 9 - 2 7 4 . - Hanns Peter Keiling, Die Entstehung der „United Church o f C h r i s t " (USA), Berlin 1969. - Kirche als „Gemeinde von B r ü d e r n " Barmen III, hg. v. Alfred Burgsmüller, II Gütersloh 1981. - Kirche als Lerngemeinschaft, hg. v. Sekretariat des Bundes der Ev. Kirchen in der D D R , Berlin 1981. - Wilhelm M a u r e r , Bekenntnis u. Sakrament, Berlin 1939. Ders., Pfarrerrecht u. Bekenntnis, Berlin 1957. - Roger M e h l , Was heißt bekenntnismäßiges Handeln heute?: E v D i a 31 (1961) 7 - 2 0 . - J o a c h i m Mehlhausen, Art. Bekenntnis: EStL 2 1 9 7 5 , 1 4 4 - 1 5 2 . Heinrich Meyer, Bekenntnisbindung u. Bekenntnisbildung in den jungen Kirchen, Gütersloh 1953. Heinrich O t t , Glaube u. Bekennen, Basel 1963. - Albrecht Peters, Bekenntnis heute: FuH 21 (1971) 7 5 - 1 4 2 . — Karl Rahner, Die Forderung nach einer „Kurzformel des christlichen G l a u b e n s " : ders., Sehr, zur T h e o l . VIII, Köln 1 9 6 7 , 1 5 9 - 1 6 4 . - H a n s - J o e r g Reese, Bekenntnis u. Bekennen, 1974 (AGK 28). - Reichenauer Gespräch der Luth. Bischofskonferenz zur Auseinandersetzung um das Bekenntnis, Berlin/Hamburg 1969. - Erwin Reisner, Kennen, Erkennen, Anerkennen, München 1932. Hermann Sasse, In Statu confessionis, GAufs., Berlin/Hamburg 1966. - Albert Schaedelin, Bekenntnis u. Volkskirche, Zürich 1942. - Edmund Schlink, Die Struktur der dogm. Aussage als ö k u m . Problem: KuD 3 (1957) 1 6 5 - 2 2 0 . - ders.: Struktur u. Rangordnung der dogm. Aussagen über das Herrenmahl: D a s Opfer Jesu Christi u. seine Gegenwart in der Kirche, hg. v. Karl Lehmann/ders., Freiburg 1983, 1 3 8 - 1 7 5 . - Henning Schröer, Unser Glaubensbekenntnis heute, Hamburg 1971. Ders., Bekenntnis-Lehre-Ideologieverdacht: Anstöße, Akademie Hofgeismar 1971, Nr. 4 / 5 , 1 5 0 - 1 6 0 . - Ders., Confessio Semper reformanda?: Die Bedeutung der Reformation für die Welt von morgen, hg. v. Rainer Schmidt, Frankfurt 1 9 6 7 , 2 3 6 - 2 5 1 . - L o t h a r Schreiner, Confessions of Faith in Younger Churches: Concise Dictionary o f the Christian World Mission, L o n d o n 1970. - Paul Schütz, Ges. W., III H a m b u r g 1963. - Wilhelm Stählin, Das Bekenntnis der Kirche, Berlin 1954. - Albert Stein, Glaubensbekenntnis in „Gottesdiensten neuer G e s t a l t " : US 28 (1973) 5 0 - 7 2 . - Ders., Ev. Kirchenrecht, Neuwied 1 9 8 0 . - A l e x Stock, Kurzformeln des Glaubens, 1971 ( T h M e d . 2 6 ) . - H i n r i c h Stoevesandt, Die Bedeutung des Symbolums in T h e o l . u. Kirche, 1970 ( T E H 163). - Hartmut Stratmann, Kein anderes Evangelium. Geist u. Gesch. der neuen Bekenntnisbewegung, Hamburg 1970. T h e m a h e f t e : Bekenntnis u. verbindliche Lehre heute, E v T h 40 (1980); Confessing the Faith in Asia today, S E A J T 8, 3 (1967). - Walter Uhsadel, Die gottesdienstliche Predigt, Heidelberg 1963. Alexander Völker, Gemeinsames Glaubensbekenntnis, Gütersloh 1974. - Lukas Vischer, Die Bedeutung des Bekenntnisses für die Kirche heute: Ö R 16 (1967) 1 4 1 - 1 5 2 . - Ders., Neues Bekenntnis und Bekennen: Ö R 17 (1968) 3 5 - 5 1 . - Heinrich Vogel, Das Nicaenische Glaubensbekenntnis, Berlin/Stuttgart 1963. - O t t o Weber, Grundlagen der Dogmatik, I Neukirchen 1959. - M a n f r e d Wichelhaus, Konfession und Revolution: Aufstand der Bürger, Wuppertal 1974. - R o l f Wischnath (Hg.), Frieden als Bekenntnisfrage, Gütersloh 1984. - Erik Wolf, Rechtsgedanke u. bibl. Weisung, Tübingen 1948. — Ernst Wolf, Bekennende Kirche oder bekennende Bekenntniskirche?, Breslau 1936. - Helmut Zeddies, Bekenntnis als Einigungsprinzip, 1980 (ThA 40).

Henning Schröer

Gleichheit -»Gesellschaft/Gesellschaft und Christentum, —•Menschenrechte 40 Gleichnisse -»Formgeschichte/Formenkritik, -»Herrschaft Gottes/Reich Gottes, -»Jesus Christus Glocken 1. Überblick 2. Das Musikinstrument G l o c k e und ihre Sprachgeschichte 3. Die G l o c k e als liturgisches Instrument in Mittelalter und Neuzeit 4. Die Glocke, staatskirchenrechtlich (Litera45 t u r S . 4 5 1 )

1.

Überblick

Die Erscheinungsform der Glocke in der Geschichte und in den einzelnen Kulturen ist vielfältig. Sie findet sich in verschiedenen Materialien (z.B. Stein, Ton einschließlich Porzellan, verschiedenen Metallen wie Gold, Silber, Eisen, Bronze und andere Metallegie50 rungen), Größen (z. B. Anhängeglöckchen, Handglocken bis zu chinesischen, japanischen und russischen Großglocken), Fertigungsarten (z.B. Steinmetz-, Handformungs-, Schmiedearbeit, Metallguß), Verwendungszwecken (z.B. Gegenstand des täglichen Le-

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Bekenntnisfrage in der neuen dt. ev. Kirche, Gütersloh o. J . (1939). - Hans J o a c h i m Iwand, Nachgelassene Werke, I München 1952, 2 1 9 - 2 7 4 . - Hanns Peter Keiling, Die Entstehung der „United Church o f C h r i s t " (USA), Berlin 1969. - Kirche als „Gemeinde von B r ü d e r n " Barmen III, hg. v. Alfred Burgsmüller, II Gütersloh 1981. - Kirche als Lerngemeinschaft, hg. v. Sekretariat des Bundes der Ev. Kirchen in der D D R , Berlin 1981. - Wilhelm M a u r e r , Bekenntnis u. Sakrament, Berlin 1939. Ders., Pfarrerrecht u. Bekenntnis, Berlin 1957. - Roger M e h l , Was heißt bekenntnismäßiges Handeln heute?: E v D i a 31 (1961) 7 - 2 0 . - J o a c h i m Mehlhausen, Art. Bekenntnis: EStL 2 1 9 7 5 , 1 4 4 - 1 5 2 . Heinrich Meyer, Bekenntnisbindung u. Bekenntnisbildung in den jungen Kirchen, Gütersloh 1953. Heinrich O t t , Glaube u. Bekennen, Basel 1963. - Albrecht Peters, Bekenntnis heute: FuH 21 (1971) 7 5 - 1 4 2 . — Karl Rahner, Die Forderung nach einer „Kurzformel des christlichen G l a u b e n s " : ders., Sehr, zur T h e o l . VIII, Köln 1 9 6 7 , 1 5 9 - 1 6 4 . - H a n s - J o e r g Reese, Bekenntnis u. Bekennen, 1974 (AGK 28). - Reichenauer Gespräch der Luth. Bischofskonferenz zur Auseinandersetzung um das Bekenntnis, Berlin/Hamburg 1969. - Erwin Reisner, Kennen, Erkennen, Anerkennen, München 1932. Hermann Sasse, In Statu confessionis, GAufs., Berlin/Hamburg 1966. - Albert Schaedelin, Bekenntnis u. Volkskirche, Zürich 1942. - Edmund Schlink, Die Struktur der dogm. Aussage als ö k u m . Problem: KuD 3 (1957) 1 6 5 - 2 2 0 . - ders.: Struktur u. Rangordnung der dogm. Aussagen über das Herrenmahl: D a s Opfer Jesu Christi u. seine Gegenwart in der Kirche, hg. v. Karl Lehmann/ders., Freiburg 1983, 1 3 8 - 1 7 5 . - Henning Schröer, Unser Glaubensbekenntnis heute, Hamburg 1971. Ders., Bekenntnis-Lehre-Ideologieverdacht: Anstöße, Akademie Hofgeismar 1971, Nr. 4 / 5 , 1 5 0 - 1 6 0 . - Ders., Confessio Semper reformanda?: Die Bedeutung der Reformation für die Welt von morgen, hg. v. Rainer Schmidt, Frankfurt 1 9 6 7 , 2 3 6 - 2 5 1 . - L o t h a r Schreiner, Confessions of Faith in Younger Churches: Concise Dictionary o f the Christian World Mission, L o n d o n 1970. - Paul Schütz, Ges. W., III H a m b u r g 1963. - Wilhelm Stählin, Das Bekenntnis der Kirche, Berlin 1954. - Albert Stein, Glaubensbekenntnis in „Gottesdiensten neuer G e s t a l t " : US 28 (1973) 5 0 - 7 2 . - Ders., Ev. Kirchenrecht, Neuwied 1 9 8 0 . - A l e x Stock, Kurzformeln des Glaubens, 1971 ( T h M e d . 2 6 ) . - H i n r i c h Stoevesandt, Die Bedeutung des Symbolums in T h e o l . u. Kirche, 1970 ( T E H 163). - Hartmut Stratmann, Kein anderes Evangelium. Geist u. Gesch. der neuen Bekenntnisbewegung, Hamburg 1970. T h e m a h e f t e : Bekenntnis u. verbindliche Lehre heute, E v T h 40 (1980); Confessing the Faith in Asia today, S E A J T 8, 3 (1967). - Walter Uhsadel, Die gottesdienstliche Predigt, Heidelberg 1963. Alexander Völker, Gemeinsames Glaubensbekenntnis, Gütersloh 1974. - Lukas Vischer, Die Bedeutung des Bekenntnisses für die Kirche heute: Ö R 16 (1967) 1 4 1 - 1 5 2 . - Ders., Neues Bekenntnis und Bekennen: Ö R 17 (1968) 3 5 - 5 1 . - Heinrich Vogel, Das Nicaenische Glaubensbekenntnis, Berlin/Stuttgart 1963. - O t t o Weber, Grundlagen der Dogmatik, I Neukirchen 1959. - M a n f r e d Wichelhaus, Konfession und Revolution: Aufstand der Bürger, Wuppertal 1974. - R o l f Wischnath (Hg.), Frieden als Bekenntnisfrage, Gütersloh 1984. - Erik Wolf, Rechtsgedanke u. bibl. Weisung, Tübingen 1948. — Ernst Wolf, Bekennende Kirche oder bekennende Bekenntniskirche?, Breslau 1936. - Helmut Zeddies, Bekenntnis als Einigungsprinzip, 1980 (ThA 40).

Henning Schröer

Gleichheit -»Gesellschaft/Gesellschaft und Christentum, —•Menschenrechte 40 Gleichnisse -»Formgeschichte/Formenkritik, -»Herrschaft Gottes/Reich Gottes, -»Jesus Christus Glocken 1. Überblick 2. Das Musikinstrument G l o c k e und ihre Sprachgeschichte 3. Die G l o c k e als liturgisches Instrument in Mittelalter und Neuzeit 4. Die Glocke, staatskirchenrechtlich (Litera45 t u r S . 4 5 1 )

1.

Überblick

Die Erscheinungsform der Glocke in der Geschichte und in den einzelnen Kulturen ist vielfältig. Sie findet sich in verschiedenen Materialien (z.B. Stein, Ton einschließlich Porzellan, verschiedenen Metallen wie Gold, Silber, Eisen, Bronze und andere Metallegie50 rungen), Größen (z. B. Anhängeglöckchen, Handglocken bis zu chinesischen, japanischen und russischen Großglocken), Fertigungsarten (z.B. Steinmetz-, Handformungs-, Schmiedearbeit, Metallguß), Verwendungszwecken (z.B. Gegenstand des täglichen Le-

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bens, S i g n a l z w e c k , B e h a n g für T i e r und M e n s c h , I n s t r u m e n t e der A p o t r o p a i a ) und unterschiedlichen Klangerzeugungsmethoden (z. B . b e w e g l i c h e und unbewegliche G l o c k e , Anschlagen von außen o d e r innen, A n s t o ß e n ) vor. D i e G l o c k e dient sehr früh s o w o h l p r o f a nen wie kultischen, musikalischen wie nicht musikalischen Z w e c k e n , oft n e b e n e i n a n d e r gleichzeitig in derselben Kultur.

2. Das Musikinstrument

Glocke

und ihre

Sprachgeschichte

W e g e n der Vielfalt der E r s c h e i n u n g s f o r m m u ß der Begriff der G l o c k e in der folgenden D a r s t e l l u n g enger g e f a ß t werden: D i e G l o c k e g e h ö r t als M u s i k i n s t r u m e n t zur G r u p p e der S c h l a g i d i o p h o n e und ist ein k e l c h f ö r m i g e s A u f s c h l a g g e f ä ß mit k l i n g e n d e m R a n d und s t u m m e m Scheitel ( M a h r e n h o l z : M G G 5 , 2 7 6 ) . Sie unterscheidet sich hierdurch v o m klingenden S t a b , der klingenden Platte und der klingenden (oben) offenen R ö h r e . D e r K l a n g der G l o c k e wird in der Regel d u r c h einen im I n n e r e n des G e f ä ß e s befestigten schwingenden K l ö p p e l gebildet (im Unterschied z u m G o n g und zur Schelle, bei denen der H a m m e r schlag o d e r ein R a s s e l k ö r p e r den K l a n g entstehen läßt). N e b e n der Herstellung durch S c h m i e d e n oder N i e t e n aus B l e c h , v o r n e h m l i c h Eisenblech (heutiger H a u p t t y p : V i e h glocke) hat sich der Guß der G l o c k e aus M e t a l l , v o r n e h m l i c h G l o c k e n b r o n z e , durchgesetzt. Die Herkunft des Wortes Glocke (keltisch clocc, mittellateinisch clocca, irisch doch, clog, niederländisch klok, dänisch klokke, schwedisch klocka, französisch cloche, russisch kolokol) ist umstritten. Die in der Literatur weit verbreitete Herleitung des Wortes aus dem Keltischen (Irischen), häufig zugleich mit der Behauptung, der Name sei mit der Sache von irischen Mönchen verbreitet worden (vgl. zu dieser Herieitung Ingrid Strasser, Irisches im Althochdeutschen?: Die Iren u. Europa im Frühmittelalter, hg. v. H. Löwe, Stuttgart 1982, I 3 9 9 - 4 2 2 . hier 4 0 2 - 4 0 7 ) ist zugunsten einer Herleitung aus dem Vulgärlateinischen energisch in Frage gestellt worden von Harri Meier (La cloche, die Glocke: Neue Beiträge zur roman. Etymologie, hg. v. H. Meier, Heidelberg 1975, 2 8 3 - 2 9 5 ) . Die lateinische Bezeichnung Signum lebt fort im portugiesischen sino und altfranzösischen sin(%), sein(g). Die andere lateinische Bezeichnung campana oder campanola ist sprachlich verwandt mit dem altslavischen kampan (krümmen, wiegen), das mit dem griechischen KäßTzra zusammenhängt. Die englische Bezeichnung bell und die altlateinische tintinabulum sind lautmalerischer Herkunft.

2.1. Physikalisch-akustische

Natur der

Glocke

D i e G l o c k e als k e l c h f ö r m i g g e b o g e n e M e t a l l p l a t t e mit s t u m m e m Scheitel und klingender W a n d u n g wird an der K r o n e , die sich im Scheitel der G l o c k e n h a u b e befindet, aufgeh ä n g t . Sie k a n n in dreifacher Weise z u m Klingen g e b r a c h t werden: a) bei stillstehender G l o c k e von außen d u r c h A n s t o ß e n mit einem (ebenfalls aufgehängten) B a l k e n , h ) d u r c h einen H a m m e r von außen oder durch einen im Inneren der G l o c k e aufgehängten K l ö p p e l aus E i s e n , der bei stillstehender G l o c k e gegen die G l o c k e n w a n d u n g geschlagen w i r d , c) d u r c h B e w e g u n g der g e s a m t e n G l o c k e mit d e m Klöppel u m eine w a a g e r e c h t e Achse ( G l o c k e n j o c h ) . D e r T o n wird aufgrund der E i g e n b e w e g u n g des Klöppels durch A n s c h l a gen an einer verdickten Stelle der G l o c k e n w a n d u n g (Schlagring) erregt ( L ä u t e n ) . D i e T o n e r r e g u n g nach a) ist in Asien, diejenige n a c h b) im M i t t e l m e e r r a u m , diejenige n a c h c) in M i t t e l - und N o r d e u r o p a v o r h e r r s c h e n d . F ü r den K l a n g der schwingenden G l o c k e (oben c) sind i m wesentlichen zwei akustische Erscheinungen entscheidend: 2.1.1. Der durch den Anschlag des Klöppels an die Glockenwandung erzeugte Schlagton. Der Schlagton der Glocke tritt für den Hörer als kräftiger, scharfer, aber nur kurz auftretender Klang mit deutlich wahrnehmbarem Toncharakter auf. Der Schlagton der Glocke ist (im Gegensatz zu den unter 2.1.2 behandelten Teiltönen) durch physikalische Meßmethoden objektiv nicht meßbar. Eine einheitliche Meinung über seine physikalische Natur gibt es nicht. In der Diskussion weitgehend durchgesetzt hat sich in letzter Zeit die von J. F. Schouten (Tonhöhenempfindung) vertretene Auffassung des Schlagtons als Residualton, d. h. als subjektiver Eindruck eines scharfen Tons, der durch die gemeinsame Wahrnehmung von mehreren ganzzahligen harmonischen Teiltönen im Ohr in der Höhe der Grundschwingung der Obertöne entsteht.

Glocken

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f — Krone — | Henkel

HSSSÜS Unterplatte Hals Obersatz

_

(oberer Teil d e s Obers

(meist geradlinig)

Flanke (Grenze zw.Ober U.Untersatz)

Untersatz (bogenförmig)

Wolm

Schlag L

Scharfe

Schlagring (unterer

Klöppel

Glockenrand) 2.1.2. Der Klangcharakter der Glocke wird durch Zahl, Höhenlage und Stärke der Innenharmonietöne (im folgenden vereinfacht Teiltöne genannt) der jeweiligen Glocke bestimmt. Der Klangaufbau der Glocke ist, wie der aller dreidimensionalschwingenden Körper, unharmonisch. Die in früherer Zeit gebrauchte Form der „Bienenkorb-" oder der „Zuckerhutglocke" besitzt einen stark dissonanten Charakter, weil Schlagton und Teiltöne hier in keinem bestimmten und bestimmbaren Verhältnis zueinander stehen. Erst die im 14. Jh. entwickelte und bis heute bestehende Idealform der Glocke mit gotischer Rippe (Glockenprofil) ermöglicht einen Teiltonaufbau, der im Bereich zwischen Unter- und Oberoktave einen Molldreiklang ergibt und in höherer Lage noch andere charakteristische Teiltöne enthält. Seither gehört es zur Kunst des Glockengießers, durch exakte Berechnung und Wahl der Rippe das Ideal eines lückenlosen Teiltonaufbaus zu ermöglichen, ohne dabei die vom Verhältnis der Teiltöne zueinander, der verwandten Rippenstärke und anderer Einzelelemente abhängige Charakteristik des jeweiligen Glockenklanges zu negieren. Für die Klangschönheit der Glokke ist entscheidend die Metallegierung der Glockenbronze im Idealverhältnis von 7 8 % Kupfer, 2 2 % Zinn bei 2 % Metalltoleranz (Blei und andere Metalle). Gegenüber der Glockenbronze sind alle anderen Materialien, wie Gußstahl, Eisen und andere Metallegierungen, insbesondere von Silizium und Kupfer, von minderer Qualität und werden gegenwärtig nicht mehr verwandt. Für den Klangeindruck einer Glocke sind ferner Ausgestaltung des Glockenträgers (Turm) und Resonanzfähigkeit der Glockenstube und die Abstrahlungsbedingungen (Schalläden) von Bedeutung.

2.2. Geschichte der Glocke 2.2.1. Außereuropäische Glocken. Frühestes Verbreitungsgebiet der gegossenen Glokke mit Klöppel ist der asiatische R a u m von Indien, B u r m a , J a v a , M a l a y a bis J a p a n und China, w o wir aus dem 12. J h . v. C h r . Glocken mit rechteckigem Grundriß und flachen Seitenwänden kennen. Im 8. J h . v. C h r . findet m a n die Glocke im armenischen H o c h l a n d ; sie verbreitete sich rasch über den Orient bis nach Ägypten, w o sie während der 2 3 . Dynastie erschien und eine durch zahlreiche Funde belegte Vielgestaltigkeit der F o r m und G r ö ß e sowie Materialbeschaffenheit (Ton, Fayence, Bronze, Silber, Gold) aufwies (zu Einzelheiten s. H i c k m a n n ) . 2 . 2 . 2 . Europäische

Glocken

Von Asien breitete sich die Glockengießkunst im Abendland bis nach Etrurien, Griechenland (erstmals im frühen 7. J h . v. C h r . belegt) und R o m aus. Der Verwendungszweck reichte von Weihegeschenken, Pferdeschmuck, Signalinstrumenten für öffentliche, militärische und häusliche Z w e c k e , Schmuckbehang und schützendem Amulett bis zu Glocken als äKOTpönaia ( - » M a g i e ) und als Kultinstrument (Einzelnachweise und umfangreiche

Glocken

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Literatur vgl. Trumpf-Lyritzaki). Die aus Erz gegossene Glocke hatte in der alten Welt Teil an der apotropäischen, übelabwehrenden, reinigenden Kraft dieses Metalls. Sie fand sich daher als Grabbeigabe und im Totenkult. Im Kult begegnete die Glocke als Weihgabe, im ekstatischen Kultus als akustisches Erweckungsmittel, insbesondere im Dionysosund Bacchus-Kult, wie auch im Mithras-Kult. Das Alte Testament kennt nicht die Glokke, jedoch die Schelle (pa^mon Ex 28,33f; 39,25f), die in der LXX mit Kcböcov, in der Vulgata mit tintinabulum übersetzt wurde. Diese Deutung wurde für die spätere Rehabilitation der Glocke im Christentum wichtig. Denn die Glocke galt für das frühe Christentum nicht als Kennzeichen des christlichen Gottesdienstes. Als heidnisches Kultusinstrument und wegen ihrer im antiken Denken begründeten apotropäischen Wirkung wurde die Glocke in der christlichen Liturgie zunächst nicht geduldet. Erst nach -»Konstantin und —>Theodosius wurde die Glocke als akustisches Signal zum Herbeirufen der Gläubigen genutzt und erst im 6. Jh. n. Chr. begann im weströmischen Reich ihre Verbreitung. Anknüpfend an die Exegese des Alten Testaments (s.o.) wurde es allgemeine christliche Auffassung, daß die Glocke ein Symbol der Verkündigung des Evangeliums durch die Apostel ist. Ihre Verbreitung in Mittel- und Nordeuropa wurde durch die irische Mission im Frühmittelalter gefördert. Die klösterlichen Niederlassungen des Benediktinerordens (-•Benediktiner) pflegten die Kunst des Glockengusses und gaben durch schriftliche Aufzeichnungen konstruktive Elemente, Maße sowie Angaben über Speise und Guß der Glocken weiter (Theophilus, Schedula diversarum artium, 10. Jh.). Sogenannte Theophilusglocken (Sammelbezeichnung) haben sich in Deutschland in Hersfeld (Lullusglocke), Aschara/Thüringen, jetzt Glockenmuseum Apolda, und Graitschen/Thüringen, jetzt Germanisches Museum Nürnberg, erhalten. Gießereizentren waren die Abteien Erfurt, Fulda, St. Gallen, Reichenau, Salzburg. Seit dem 12. Jh. übernahmen Handwerker die Gießkunst von den Klöstern. Seit der Mitte des 13. Jh. wurden im Zuge der musikalischen Entwicklung von Baßinstrumenten sehr große Glocken gegossen (z. B. Osanna-Glocke Freiburg i.Br.; Ton es 1 ; 1,60 m 0 ; ca. 2500 kg). Das Ansehen der Glockengießer erhob sich zu europäischem Rang. Äußere Gestaltung und klangliche Schönheit erreichten ihren Höhepunkt (z.B. Maria gloriosa-Glocke Erfurt, 1497; Gießer: Gerhard van Wou aus Kampen/Niederlande). Seit dem 14. Jh. wurden die Gießereien fest ansässig und blieben oft jahrhundertelang bis in die Gegenwart im Familienbesitz (z.B. in Hessen Gebr. Rincker seit 1596, in Tirol Graßmair seit 1590). In der Folgezeit (-»Renaissance, ->Barock) nahm die Klangqualität der Glocken zwar ab, die Gußtechnik verbesserte sich jedoch. 2.3. Die Glocke der Gegenwart Trotz und wegen der großen Verluste nach zwei Weltkriegen hat die heutige Kunst des Glockengusses auf der wirtschaftlichen Grundlage zunächst großer Aufträge zur Neuund Wiederbeschaffung und aufgrund der dabei gewonnenen Erfahrung durch wissenschaftliche Forschung und Verfeinerung der technischen Methoden und durch künstlerische Gestaltungskraft in den führenden Gießereien ein sehr hohes Niveau erreicht, das wieder dem des 16. Jh. entspricht. Dazu trugen im deutschsprachigen Raum seit dem vorigen Jahrhundert neben der Kunst der führenden Glockengießer die wissenschaftlichen Arbeiten von H. Löbmann, K. Walter, J. Biehle, R Griesbacher, Chr. Mahrenholz, W. Reindell u.a., die praktische Arbeit hervorragender Sachverständiger sowie das Entstehen von organisatorischen Zusammenschlüssen des Verbandes Deutscher Glockengießer und des Beratungsausschusses für das Deutsche Glockenwesen, einer Einrichtung der Katholischen Deutschen Bischofskonferenz und des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, wesentlich bei. Der Beratungsausschuß für das Deutsche Glockenwesen hat in enger Verbindung mit den Glockengießern eine Reihe von Ratschlägen und technischen Normen, darunter im Jahre 1951, fußend auf den Vorgängerrichtlinien von 1927, die Richtlinien für die klangliche Beurteilung neuer Glocken herausgegeben. Als groß

450

Glocken

angelegtes W e r k der B e s t a n d s a u f n a h m e erscheint seit 1 9 5 9 der Deutsche Glockenatlas (bisher 3 B ä n d e , o h n e T o n a n a l y s e n ) . D a n e b e n sind hervorragende regionale Darstellungen des G l o c k e n b e s t a n d e s mit T o n a n a l y s e n erschienen, die m e t h o d i s c h einen neuen Weg weisen (für Ö s t e r r e i c h W e i s s e n b a e c k - P f u n d n e r ; methodisch wegweisend S c h a e b e n , G l o k ke, G e l ä u t e , T ü r m e ) .

3. Die Glocke

als liturgisches

Instrument in Mittelalter

und

Neuzeit

N e b e n der bis heute bestehenden p r o f a n e n N u t z u n g von G l o c k e n (z. B . „ R a t s g l o c k e " , „ S t u r m g l o c k e " , „ G e r i c h t s g l o c k e " , „ A r m s ü n d e r g l o c k e " u . a . m . ) hat die christliche Kirche die G l o c k e zur Kirchenglocke entwickelt und in ihren Dienst gestellt. Sie h a t für die jeweilige I n d i e n s t n a h m e seit dem 8. J h . ein besonderes R i t u a l , die G l o c k e n w e i h e ( C o n s e cratio) (vgl. Reindell: Leit. 4 , 8 6 7 f f ) , ausgebildet, die E l e m e n t e des a p o t r o p ä i s c h e n alten D e n k e n s e n t h ä l t , in gleicher Weise wie m a n c h e s d e v o t i o n a l e G l o c k e n b r a u c h t u m (z.B. D r e h e n der G l o c k e n r ä d e r ) . D i e G l o c k e n werden mit Inschriften, S y m b o l e n und im L a u f e der G e s c h i c h t e mit i m m e r g r ö ß e r e r G l o c k e n z i e r g e s c h m ü c k t . In der G e g e n w a r t findet eine R ü c k b e s i n n u n g auf e i n f a c h e , aber edle S c h m u c k f o r m e n statt. Neben die Glockenfunktion als Ruf zum Gottesdienst tritt der Ruf an die nicht am Gottesdienst Beteiligten bei besonderen, gottesdienstlichen oder außergottesdienstlichen Anlässen: Gebetsläuten (Papst Sabinian, Beginn 7. Jh.) am Morgen (Papst Urban II, 11. Jh.) sowie am Mittag (Papst Calixt III, 1455, Türkenläuten) und Abend; Wandlungsläuten; Pro-pace-Läuten (beim Gebet um den Frieden vor dem Agnus Dei, Papst Nikolaus III, 13. Jh.); Kreuzglocke (an Freitagen); Scheideglocke (15.00 Uhr freitags, Todesstunde Christi) u.a.m.

3.1. Die Glocke

in der katholischen

Kirche

M i t der G l o c k e n w e i h e b e t r a c h t e t die K i r c h e die G l o c k e als res sacra, über deren Verwendung allein die K i r c h e nach den Vorschriften des ius liturgicum ( C I C 1 9 8 3 cc. 1 1 6 6 , 1 1 6 7 § 2 , 1 1 6 8 , 1 1 6 9 § 2 , 1171) zu b e s t i m m e n h a t . Sie wird durch die Weihe zur res sancta und hierdurch dem zivilen und öffentlichen R e c h t s s t a t u s entzogen. Zivilrechtlich ist sie, u n a b h ä n g i g von der E i g e n t u m s l a g e , res sacra und steht extra commercium (vgl. J . Listl u . a . [Hg.], H b . des k a t h . K i r c h e n r e c h t s [ 1 9 8 3 ] 8 3 6 . 8 7 0 ) .

3.2. Die Glocke

in der evangelischen

Kirche

D i e K i r c h e der R e f o r m a t i o n hat die G l o c k e und ihre bisherige N u t z u n g nicht abgelehnt, sie vielmehr den geänderten Verhältnissen a n g e p a ß t . Wesentliche Unterschiede zur k a t h o l i s c h e n K i r c h e e n t w i c k e l n sich im R e c h t der G l o c k e n w e i h e , das z w a r als Institut des evangelischen K i r c h e n r e c h t s g e w o h n h e i t s r e c h t l i c h bis heute als ius liturgicum der G e meinde fortgilt, j e d o c h seinen K o n s e k r a t i o n s c h a r a k t e r verliert und als feierliche Indienstnahmehandlung lediglich aus den G r u n d e l e m e n t e n des S c h r i f t w o r t s , der Predigt, des G e b e t s und der Indienststellung unter B e r ü h r e n o d e r A n s c h l a g e n der G l o c k e besteht (vgl. Agende für ev.-luth. K i r c h e n u. G e m e i n d e n , I V 1 9 5 2 , 1 6 5 - 1 6 9 u. Agende für ev.-luth. K i r c h e n U . G e m e i n d e n , 4 / 3 Einweihungshandlungen, 1 9 7 7 [ r e i h e gottesdienst 7] 3 7 - 3 9 ) . D e r liturgische Sinn der G l o c k e liegt darin, G o t t e s E h r e zu verkünden, die G e m e i n d e J e s u Christi z u m G o t t e s d i e n s t und G e b e t zu rufen, letztlich die K ö n i g s h e r r s c h a f t J e s u Christi in dieser Welt und über diese Welt zu verkünden. Die Nutzung mehrerer Glocken (Geläute) ermöglicht einen abwechslungsreichen Glockengebrauch für einzelne Gottesdienste und Amtshandlungen. Daher sollte jede Kirche über drei Glocken verfügen. Großgeläute für Domkirchen enthalten häufig mehr als 10 Glocken. Von Gewicht kleinere Geläute bieten bei finanziell geringeren Aufwendungen musikalisch größere Möglichkeiten, da bei nur geringfügig größerem Tonumfang mehr Glocken zur Verfügung stehen können (bei mittelschwerer Rippe: c 17,6 t, Durchmesser 3 Meter, c 1 2,11, Durchmesser 1,5 Meter, c 2 0,26 t, Durchmesser 0,75 Meter). Die Disposition des Geläutes kann harmonischen, melodischen oder pentatonischen Vorstellungen folgen; die Anwendung der pentatonischen (aus großen Sekunden und kleinen Terzen zusammengesetzten) Geläutedisposition hat sich in der Gegenwart stark verbreitet. Als Material ist lediglich Bronze zu empfehlen. Die Wahl des Glockenprofils (leichte, schwere Rippe) muß im Einzelfall, auch nach Maßgabe der bereits vorhandenen Glocken vom Glockengießer und Glockensachver-

Glocken

451

ständigen festgelegt werden. Die fertiggestellten Glocken nimmt ein amtlicher Glockensachverständiger ab. Die Glockenstube sollte als Resonanzkörper der Glocke mit hinreichend großen, durch Holzbohlen wetterdicht, aber klangdurchlässig verschlossenen Schalluken versehen sein und hoch genug liegen, um den Schall gut abzustrahlen. Es empfiehlt sich, über die Nutzung der Glocken eine Läuteordnung aufzustellen. 4. Die Glocken,

staatskirchenrechtlich

Die (in Deutschland geltende) Rechtsordnung hat den Kirchen nach d e m H e r k o m m e n das Recht beigelegt, Glocken für den Gottesdienst zu nutzen. D i e Glockennutzung gilt als Bestandteil der positiven Religionsfreiheit (Art. 4 Grundgesetz) und unterfällt auch der in Art. 140 Grundgesetz in Verbindung mit Art. 137, Abs. 3 Weimarer Reichsverfassung enthaltenen verfassungsrechtlichen Garantie der kirchlichen Selbstverwaltung. M i t der Indienststellung und W i d m u n g (Glockenweihe) und der Übernahme in den Gebrauch der Kirchen werden die Glocken unabhängig von der Eigentumslage aus dem allgemeinen Rechtsverkehr als res sacrae ausgesondert und der weltlichen rechtlichen Bestimmung entzogen. Über die N u t z u n g des Geläutes haben allein kirchliche Stellen zu entscheiden (vgl. M . Stolleis, Kirchl. Glockengeläut u. staatl. Gerichte: Z E v K R 17 [1972] 1 5 0 - 1 5 6 ) . Dieser Grundsatz ist in einzelnen Ländern lediglich durch das auf H e r k o m m e n beruhende Recht der Ortspolizeibehörden eingeschränkt, die G l o c k e n bei allgemeiner Gefahr für Leib und Leben der Bevölkerung läuten zu lassen (bürgerliches oder Katastrophenläuten). N i c h t hierzu zählt das Tageszeitläuten. Die Kirchen haben teilweise das Läuterecht mit Wirkung für die Kirchengemeinden geregelt (Läuteordnungen), soweit nicht gemeindliches Recht oder H e r k o m m e n besteht. Literatur Karl Bader, Turm- u. Glockenbüchlein, Gießen 1903. - Dom Jules Baudot, Les Cloches, Paris 1913. - Klaus Beitl, Art. Glocke III, Volkskundlich: LThK 2 4 (1960) 965. - Beitr. zur Glockenkunde 1950-1970. Eine Sammlung von Referaten, hg. v. Beratungsausschuß für das Dt. Glockenwesen, Heidelberg 1970 (Lit.). -Suitbert Benz, Art. Glockenweihe: LThK 2 4 (1960) 966. - H e i n r i c h Bergner, Zur Glockenkunde Thüringens, Jena 1896. - Alfred Bertholet, Art. Glocken I, Gesch. u. Kunstgewerblich 1.: RGG 2 2 (1928) 1243. - Johannes Biehle, Vergleichende Bewertung der Bronze- u. Gußstahlglocken, Dieskau/Saalkreis 1918. - Ders., Wesen, Wertung u. liturg. Gebrauch der Glocken, Wittenberg 1916. - Ders., Theorie des Kirchenbaues u. Glockenkunde, Wittenberg 1913. — Ders., Die Analyse des Glockenklangs: AfMW 1 (1919) 289. - Gustav Bossert, Die Glockeninschr. Ein Spiegel der Zeiten: BWKG 3 (1888) 62.68-72. - H e i n r i c h Böckler, Beitr. zur Glockenkunde, Aachen 1882. - Gothard Bruhn, Über die Hörbarkeit v. Glockenschlagtönen. Unters, zum Residualtonproblem, Regensburg 1980. - August Demmin, Enzyklopädie der Bildenden u. Gewerblichen Künste, Leipzig 1877-1878. - Dt. Glockenatlas, hg. v. Franz Dambeck/Günther Grundmann, bearb. v. Sigrid Thurm, I Württemberg u. Hohenzollern, München/Berlin 1959, II Bayerisch-Schwaben, München/Berlin 1967, III Mittelfranken, München/Berlin 1973, IV Baden, Berlin 1984. - Winfred Ellerhorst, Hb. der Glockenkunde, hg. v. Gregor Klaus, Weingarten 1957. - Theo Fehn, Kleine Glockenkunde, Speyer 1947. - Erich Foerster, Art. Glocken III, Kirchenrechtlich: RGG 2 2 (1928) 1248-1249. - Peter Griesbacher, Glockenmusik, Regensburg 1927 (mit Nachtrag 1929). - Günther Grundmann, Alte u. neue Glockenzier: DKDP 44 (1952) 2 3 - 3 9 . - Johann Gottfried Hahn, Kampanologie, Erfurt 1802. - Hans Hickmann, Glocke A. Altertum u. außereuropäische Glocken: M G G 5 (1956) 267-276 (Lit.). - Kurt Hübner, Die ma. Glockenritzungen, Berlin 1968. - Wilhelm Kaltenbach, Das Kölner Domgeläute: KDB 33/34 (1971) 183 - 206. - Gustav Ernst Köhler, Die Glockengießer Rincker, Gießen 1961. - Kurt Köster, Neue Stud. zu Meister Tilman v. Hachenburg u. seinen Glocken: JHKGV 10 (1959) 7 7 - 91. - Ders., Tilman v. Hachenburg. Nachlese zum Werk eines mittelrheinischen Glockengießers im SpätMA: JHKGV 31 (1980) 1 - 2 8 . - Georg Kopp, Glocke: CKL 1 (1937) 708-709. - Joseph Lederer, Art. Glocke, II Kirchenrecht: LThK 2 4 (1960) 964-965. Elsbeth Lipperts, Glockenläuten als Rechtsbrauch, Freiburg i. Br. 1940. - Hugo Löbmann, Uber Glockentöne, Leipzig 1895. - Ders., Das Glockenideal, Berlin 1928. - Hieronymus Magius (Maggi), De tintinnabulis über posthumus, Hanau 1608 = Amsterdam 2 1664. - Christhard Mahrenholz, Glocken B. MA u. Neuzeit: MGG 5 (1956) 276-291 (Lit., insbes. ältere Lit.). - Ders., Art. Glocken I — III: RGG 3 2 (1958) 1621-1626 (Lit.).-Ders., Glockenkunde, Kassel/Basel 1948.-Ders./Friedrich Severin, Das Schicksal der dt. Kirchenglocken, Hannover 1952. - Ders., Geläutedispositionen: Musicologica et Liturgica. FS Christhard Mahrenholz, Kassel 1960, 91-100. - Heinrich Otte, Glocken-

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Glossa ordinaria

künde, Leipzig 1884. - Johannes Pesch, Die Glocke in Gesch., Sage, Volksglaube, Volksbrauch u. Dichtung, Dülmen 1918. - Josef Pfundner, Über den Schlagton der Glocken: Acustica 12 (1962) 1 5 3 - 1 5 5 . - Lord Rayleigh (J.W. Strutt), On Beils: Physiological Magazine and Journal of Science, Ser. 5/29 (1890) 176. - Siegfried Reicke, Art. Glocken IV, Kirchenrechtlich: R G G 3 2 (1958) 1626. Walter Reindell, Die Glocken der Kirche: Leit. 4, 8 5 8 - 8 8 3 . - Ders., Art. Glocke: EKL 1 (1956) 1 5 9 6 - 1 6 0 0 . - Ders., Art. Glockenspiel: EKL 1 (1956) 1600. - Hans Gerd Rincker, Rinckers kleine Glockenkunde, Sinn (o. J.). - Hans Rolli, Kirchengeläute. Fachliche Ratschläge für die Neubeschaffung u. Ergänzung, Ravensburg 1950. - Curt Sachs, Hb. der Instrumentenkunde, Leipzig 2 1930 (Kleine Hb. der Musikgesch. nach Gattungen 12). - Camille Saint-Saens, Harmonie u. Melodie, Berlin 1905. - Heinrich Samson, Zur Gesch. u. Symbolik der Glocken, Paderborn 1910. - Paul Sartori, Das Buch von den Dt. Glocken, Berlin 1932. - Joseph Sauer, Symbolik des Kirchengebäudes u. seiner Ausstattung in der Auffassung des MA, Freiburg i.Br. 1902 2 1924. - Ernst Sauermann, Die Dt. Glocke u. ihr Schicksal im Krieg: DKDP 44 (1952) 1 - 2 2 (Lit.). - Carl-Rainer Schad, Werkstoffeinflüsse auf die klanglichen Eigenschaften von Glockenbronzen, Diss. Stuttgart 1969 (Lit.). - Jakob Schaeben, Art. Glocke I, Kirchenmusikalisch: LThK 4 (1960) 9 6 2 - 9 6 4 . - Ders., Glocken, Geläute, Türme im ehemaligen Landkreis Euskirchen, Köln 1977 (Lit.). - Fritz Schilling, Unsere Glocken, Jena 1955. - Julius Schmidt, Zur Erinnerung an Heinrich Otte, Halle/S. 1891. - G. Schönermark, Die Altersbestimmung der Glocken: Zeitschrift f. Bauwesen 29 (1889) 1 4 - 1 9 4 . - Schöttler, Art. Glocken II, Prakt.-theol.: R G G 2 2 (1928) 1 2 4 6 - 1 2 4 7 . - J.F. Schouten, Die Tonhöhenempfindung: Philips technische Rundschau 5 (1940) 2 9 4 - 3 0 2 . - Ders., The perception of subjective tones: Proceedings of Koninklijke Nederlandsche Akademie van Wetenschappen, 41/10 (1938). - Ders., The residue and the mechanism of hearing: ebd. 43/3 (1940). - Ders., The residue, a new component in subjective sound analysis: ebd. 43/8 (1940). - Paul Smets, Ratgeber für die Beschaffung von Glocken, Mainz 1948. - W. Stuhlfauth, Art. Glocken I, Gesch. u. kunstgewerblich 2.: R G G 2 2 (1928) 1 2 4 3 - 1 2 4 6 ( L i t . ) . - G . W . Tempelsmans Plat, Luidklokken, klokluiden en Klokkestoelen, Baarn 1974.— Wilhelm Theobald, Technik des Kunsthandwerks im 10. Jh. (darin Ubersetzung v. Theophilus Presbyter, Schedula diversum artium), Berlin 1933. - Maria Trumpf-Lyritzaki, Art. Glocke: RAC 9 (1981) 1 6 4 - 1 9 6 (Lit.). - Piet Visser, Glockenspiel: M G G 5 (1956) 2 9 1 - 2 9 6 . - Karl Walter, Glockenkunde, Regensburg 1913. - Ders., Kleine Glockenkunde, Regensburg 1916. - Heleen van der Weel, Alle Klokken luiden, s'Gravenhage 1979. - Andreas Weissenbaeck/Josef Pfundner, Tönendes Erz. Die abendländische Glocke als Toninstrument u. die hist. Glocken in österreiche, Graz/Köln 1961. Walter Zimmermann, Glocken u. Kunstlandschaft: DKPD 44 (1952) 2 3 - 2 5 . Hartwig A. W. N i e m a n n

Gloria —»Liturgie Glossa ordinaria 1. Das Mittelalter 1. Das

2. Die nachmittelalterliche Zeit

(Bibliographie und Literatur S. 456)

Mittelalter

Die Glossa ordinaria bestand aus Glossen, die den Kirchenvätern und späteren Kirchenschriftstellern bis hinab in die M i t t e des 11. Jh. e n t n o m m e n waren, und dazu gelegentlichen Bemerkungen der Glossatoren. Sie deckte den gesamten U m f a n g der Vulgata ab. Die längeren Glossen w a r e n an den R a n d , die kürzeren zwischen die Zeilen des Bibeltextes geschrieben. D a d u r c h unterschied sich die Glossa ordinaria von der fortlaufend geschriebenen K o m m e n t i e r u n g o d e r Auslegung. Die Bezeichnung ordinaria begegnet nicht vor d e m 14. Jh. Ältere A u t o r e n sprechen lediglich von glosa und meinen d a m i t teils das G e s a m t w e r k , teils einzelne der in ihm enthaltenen Glossen. Die Glosse w u r d e zur maßgeblichen Handreichung für das Schriftstudium, zur „ Z u n g e " des biblischen T e x t e s und zu einem wesentlichen Teil der pagina sacra selbst. M a n studierte T e x t und Glosse miteinander. Biblische Vorlesungen behandelten den glossierten T e x t . Zahlreiche biblische Anspielungen werden nur unter Rückgriff auf die Glosse verständlich. Glossierte Bibeln machen einen beträchtlichen Anteil der Bibliotheksbestände des späten 12. und frühen 13. J h . aus. D a n a c h n a h m die Z a h l neu angefertigter Handschriften ab, wohl weil nun schon ein den gegebenen Bedürfnissen hinreichend entsprechender Bestand v o r h a n den w a r .

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Glossa ordinaria

künde, Leipzig 1884. - Johannes Pesch, Die Glocke in Gesch., Sage, Volksglaube, Volksbrauch u. Dichtung, Dülmen 1918. - Josef Pfundner, Über den Schlagton der Glocken: Acustica 12 (1962) 1 5 3 - 1 5 5 . - Lord Rayleigh (J.W. Strutt), On Beils: Physiological Magazine and Journal of Science, Ser. 5/29 (1890) 176. - Siegfried Reicke, Art. Glocken IV, Kirchenrechtlich: R G G 3 2 (1958) 1626. Walter Reindell, Die Glocken der Kirche: Leit. 4, 8 5 8 - 8 8 3 . - Ders., Art. Glocke: EKL 1 (1956) 1 5 9 6 - 1 6 0 0 . - Ders., Art. Glockenspiel: EKL 1 (1956) 1600. - Hans Gerd Rincker, Rinckers kleine Glockenkunde, Sinn (o. J.). - Hans Rolli, Kirchengeläute. Fachliche Ratschläge für die Neubeschaffung u. Ergänzung, Ravensburg 1950. - Curt Sachs, Hb. der Instrumentenkunde, Leipzig 2 1930 (Kleine Hb. der Musikgesch. nach Gattungen 12). - Camille Saint-Saens, Harmonie u. Melodie, Berlin 1905. - Heinrich Samson, Zur Gesch. u. Symbolik der Glocken, Paderborn 1910. - Paul Sartori, Das Buch von den Dt. Glocken, Berlin 1932. - Joseph Sauer, Symbolik des Kirchengebäudes u. seiner Ausstattung in der Auffassung des MA, Freiburg i.Br. 1902 2 1924. - Ernst Sauermann, Die Dt. Glocke u. ihr Schicksal im Krieg: DKDP 44 (1952) 1 - 2 2 (Lit.). - Carl-Rainer Schad, Werkstoffeinflüsse auf die klanglichen Eigenschaften von Glockenbronzen, Diss. Stuttgart 1969 (Lit.). - Jakob Schaeben, Art. Glocke I, Kirchenmusikalisch: LThK 4 (1960) 9 6 2 - 9 6 4 . - Ders., Glocken, Geläute, Türme im ehemaligen Landkreis Euskirchen, Köln 1977 (Lit.). - Fritz Schilling, Unsere Glocken, Jena 1955. - Julius Schmidt, Zur Erinnerung an Heinrich Otte, Halle/S. 1891. - G. Schönermark, Die Altersbestimmung der Glocken: Zeitschrift f. Bauwesen 29 (1889) 1 4 - 1 9 4 . - Schöttler, Art. Glocken II, Prakt.-theol.: R G G 2 2 (1928) 1 2 4 6 - 1 2 4 7 . - J.F. Schouten, Die Tonhöhenempfindung: Philips technische Rundschau 5 (1940) 2 9 4 - 3 0 2 . - Ders., The perception of subjective tones: Proceedings of Koninklijke Nederlandsche Akademie van Wetenschappen, 41/10 (1938). - Ders., The residue and the mechanism of hearing: ebd. 43/3 (1940). - Ders., The residue, a new component in subjective sound analysis: ebd. 43/8 (1940). - Paul Smets, Ratgeber für die Beschaffung von Glocken, Mainz 1948. - W. Stuhlfauth, Art. Glocken I, Gesch. u. kunstgewerblich 2.: R G G 2 2 (1928) 1 2 4 3 - 1 2 4 6 ( L i t . ) . - G . W . Tempelsmans Plat, Luidklokken, klokluiden en Klokkestoelen, Baarn 1974.— Wilhelm Theobald, Technik des Kunsthandwerks im 10. Jh. (darin Ubersetzung v. Theophilus Presbyter, Schedula diversum artium), Berlin 1933. - Maria Trumpf-Lyritzaki, Art. Glocke: RAC 9 (1981) 1 6 4 - 1 9 6 (Lit.). - Piet Visser, Glockenspiel: M G G 5 (1956) 2 9 1 - 2 9 6 . - Karl Walter, Glockenkunde, Regensburg 1913. - Ders., Kleine Glockenkunde, Regensburg 1916. - Heleen van der Weel, Alle Klokken luiden, s'Gravenhage 1979. - Andreas Weissenbaeck/Josef Pfundner, Tönendes Erz. Die abendländische Glocke als Toninstrument u. die hist. Glocken in österreiche, Graz/Köln 1961. Walter Zimmermann, Glocken u. Kunstlandschaft: DKPD 44 (1952) 2 3 - 2 5 . Hartwig A. W. N i e m a n n

Gloria —»Liturgie Glossa ordinaria 1. Das Mittelalter 1. Das

2. Die nachmittelalterliche Zeit

(Bibliographie und Literatur S. 456)

Mittelalter

Die Glossa ordinaria bestand aus Glossen, die den Kirchenvätern und späteren Kirchenschriftstellern bis hinab in die M i t t e des 11. Jh. e n t n o m m e n waren, und dazu gelegentlichen Bemerkungen der Glossatoren. Sie deckte den gesamten U m f a n g der Vulgata ab. Die längeren Glossen w a r e n an den R a n d , die kürzeren zwischen die Zeilen des Bibeltextes geschrieben. D a d u r c h unterschied sich die Glossa ordinaria von der fortlaufend geschriebenen K o m m e n t i e r u n g o d e r Auslegung. Die Bezeichnung ordinaria begegnet nicht vor d e m 14. Jh. Ältere A u t o r e n sprechen lediglich von glosa und meinen d a m i t teils das G e s a m t w e r k , teils einzelne der in ihm enthaltenen Glossen. Die Glosse w u r d e zur maßgeblichen Handreichung für das Schriftstudium, zur „ Z u n g e " des biblischen T e x t e s und zu einem wesentlichen Teil der pagina sacra selbst. M a n studierte T e x t und Glosse miteinander. Biblische Vorlesungen behandelten den glossierten T e x t . Zahlreiche biblische Anspielungen werden nur unter Rückgriff auf die Glosse verständlich. Glossierte Bibeln machen einen beträchtlichen Anteil der Bibliotheksbestände des späten 12. und frühen 13. J h . aus. D a n a c h n a h m die Z a h l neu angefertigter Handschriften ab, wohl weil nun schon ein den gegebenen Bedürfnissen hinreichend entsprechender Bestand v o r h a n den w a r .

Glossa ordinaria

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Die Geschichte der Entstehung, Kompilation und frühen Verbreitung der Glosse bleibt infolge des Fehlens einer modernen kritischen Ausgabe des Gesamtwerkes oder einzelner seiner Teile im dunkeln. Eine mittelalterliche Überlieferung schrieb die Alleinurheberschaft an ihr - » A n s e l m von Laon zu. Ein etwa aus dem letzten Drittel des 12. J h . stammender Schriftstellerkatalog behauptet, er h a b e die Schrift beiden Testaments in einer neuen Form von Auslegung mittels Interlinear- und Randglossen aus den Väterschriften erklärt. Ein dem letzten Viertel des 13. J h . zugeordneter Katalog stellt ihn als den Verfasser einer sehr nützlichen Rand- und Interlinearglosse zur gesamten Bibel dar. Alberich von Troisfontaines (gest. ca. 1252) weist hin auf „jenen hochberühmten Magister Anselm, der als erster eine in Interlinear- und Randglossen aufgeteilte glossatura zur Heiligen Schrift herausgebracht h a t " ( M G H . SS 23,830). Die moderne Forschung sieht in ihm einen wesentlichen Anreger, doch nicht den alleinigen Verfasser. Auch war seine Art der Auslegung mittels R a n d - und Interlinearglossen nicht „ n e u " . Glossierte Handschriften einzelner biblischer Bücher gibt es bereits seit der Karolingerzeit. Es fehlte jedoch noch eine feste F o r m . Jede Handschrift wies ihre eigenen Glossen auf, von denen einige oder möglicherweise auch alle einer oder mehreren Vorlagen entnommen waren und unter denen sich gelegentlich auch Bemerkungen von der Hand des Glossators selbst fanden. Seit der M i t t e des 11. J h . wächst die Zahl derartiger glossierter Handschriften beträchtlich. Quellenkritische Untersuchungen zu Kommentaren aus dieser Zeit lassen erkennen, daß ihre Verfasser sich solcher Hilfsmittel bedienten. Der Anstoß dazu, die ganze Bibel mit einem Glossenapparat auszustatten, entsprang dem Wunsch, sie insgesamt und nicht nur in einzelnen Teilen zu studieren, nachdem zunächst der Psalter und die Paulusbriefe aufgrund ihrer Bedeutung eine bevorzugte Stellung genossen hatten. Als Grundlage dafür dienten, soweit verfügbar, ältere Kompilationen; doch ist nicht bekannt, welche das waren. Nach dem derzeitigen Erkenntnisstand hat ein Schüler oder Mitarbeiter Anselms von Laon, der Magister Gilbert Universalis, der ca. 1 1 1 0 - c a . 1120 D i a k o n und Lehrer in Auxerre, später vielleicht auch im Nevers, und 1 1 2 8 - 1 1 3 4 Bischof von London war, die Glosse zum Pentateuch, den Propheten, den Klageliedern und vermutlich auch zu den geschichtlichen Büchern J o s - II Reg zusammengestellt. Einige dieser glossierten Bücher fanden selbständige Verbreitung unter T i teln wie etwa Gilbert Universalis über die Zwölf Propheten. Anselm von Laon selbst stellte die Glosse zum Psalter, dem vierten Evangelium und zu den Paulinen zusammen, sein Bruder und Mitarbeiter Radulf (gest. 1 1 3 1 / 3 3 ) diejenigen zu M t . Einer von ihnen oder auch beide waren an der Lk-Glossierung beteiligt; dagegen haben sie sich nicht mit M k befaßt, dessen Bearbeitung einem späteren Glossator, wahrscheinlich einem ihrer Schüler, vorbehalten blieb. Ebenfalls im dunkeln bleibt, wer die noch ausstehenden alttestamentlichen Schriften glossiert hat; lediglich für die Glosse zum Cant lassen sich Beziehungen zu einem Anselm zugeschriebenen K o m m e n t a r vermuten. Die gleiche Ungewißheit gilt für den Rest des Neuen Testaments, abgesehen von sich andeutenden Beziehungen der Glossen zu den Katholischen Briefen und zur Apk nach Laon.

-•Petrus C a n t o r hat bedauert, daß es Anselm nicht vergönnt gewesen sei, das von ihm begonnene große Werk der Glossierung der gesamten Bibel zu vollenden. Hinter seiner Gestalt zeichnet sich somit ein Kreis von Mitarbeitern und Vollendern ab. Ein weiteres Problem der Frühgeschichte der Glosse ist in jüngster Zeit deutlich geworden: Zumindest Teile der Glosse haben vor dem Gewinn ihrer verbindlichen Gestalt Überarbeitungen erfahren. Zu welchem Zeitpunkt vor dem frühen 13. J h . die endgültige Ausformung erreicht war, ist unbekannt. D a ß die Glosse von Laon allgemeine Geltung erlangte, darf in erster Linie der überragenden Bedeutung dieser Schule zugeschrieben werden, deren Zöglinge in großer Z a h l Lehrtätigkeiten in anderen Schulen übernahmen; viele von ihnen stiegen auch zu hohen kirchlichen Ämtern in England und Nordfrankreich auf. Dadurch kam dem Glossenwerk eine hervorragende Förderung zugute. Als zweites k o m m t hinzu die Verbindung zwischen L a o n und -»Paris, der Pflanzstätte der zukünftigen Universität. Hier war der erste Förde-

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rer der Glosse der Anselmschüler -»Gilbert Porreta. Er hat die anselmsche Glosse zum Psalter und zu den Paulinen erweitert, und es heißt, daß er den Psalmenkommentar causa emendationis Anselm vorgetragen habe. Beide Kommentare hatten einen an der Zahl der Handschriften ablesbaren überragenden Erfolg. Danach hat -»Petrus Lombardus als Pariser Lehrer 1155-1159 die anselmsche Glosse zu beiden Büchern noch einmal erweitert. Gilbert wie Petrus haben ihre Kommentare in fortlaufendem Text geschrieben. Für den Psalter wie für die Paulinen ist der Kommentar des Lombarden unter der Bezeichnung magna glosatura als Handbuch an die Stelle derjenigen Gilberts, der media glosatura und Anselms, der parva glosatura getreten, doch konnten Bibliotheken im späten 12. Jh. neben ihm auch noch die beiden letzteren anschaffen. Auch über Lk in seiner Laoner Glossierung hat Petrus Lombardus Vorlesungen gehalten, die jedoch nur mehr aus Anführungen anderer bekannt sind. Er hat der Glosse in Paris zum Durchbruch verholfen. Nach ihm lasen die Magister der Heiligen Schrift regelmäßig über die Glosse als einen Bestandteil des Textes. Außerhalb der Schulen begannen die Bibliotheken nicht nur in größerer Anzahl glossierte biblische Bücher, sondern auch geschlossene vielbändige Reihen anzuschaffen, um die ganze Bibel samt Glossen vollständig zu besitzen. Die Entwicklung der graphischen Gestalt der Glosse spielte eine wesentliche Rolle für ihre Benutzbarkeit. Um sie in angemessener Weise zu Rate zu ziehen und in der Vorlesung behandeln zu können, bedurfte sie einer sinnvollen Anordnung. Die Praxis der Scriptorien wandelte sich dabei von einer unregelmäßigen, unwirtschaftlichen zu einer wirtschaftlichen Art der Anordnung, die zugleich vom äußeren Erscheinungsbild her gefällig wie für die Benutzung zweckdienlich war. Anfänglich begannen die Schreiber damit, den Bibeltext einspaltig mit breiten Rändern für Rand- und regelmäßigen Zwischenräumen zwischen den Zeilen für Interlinearglossen zu schreiben, um nachträglich die Glossen hinzuzusetzen. Entsprechend ihrer unterschiedlichen Länge mußten sie dann zuweilen auf dem dafür vorgesehenen Raum zusammengequetscht oder vom seitlichen Rand auf den unteren weitergeführt werden, während andererseits dort, wo nur wenige Glossen anfielen, in größerem Umfang Raum unausgefüllt blieb. Im nächsten Stadium der Entwicklung wurden die Seiten entsprechend dem Umfang der anfallenden Glossen eingeteilt, so daß sowohl ein Zuwenig als auch ein Zuviel an Text vermieden wurde.

Das letzte Entwicklungsstadium wurde durch die Beliebtheit der fortlaufend geschriebenen media und magna glosatura heraufgeführt. Die Handlichkeit ihrer Benutzung verlangte, daß der Leser den biblischen Text nicht nur unterstrichen im Textzusammenhang des Kommentars, sondern auch für sich voll ausgeschrieben vor sich sehen konnte. Nach unterschiedlichen Versuchen wurde es bei Abschriften Gilberts und des Lombarden üblich, den Bibeltext einspaltig in großer Schrift mit je einer Leerzeile Zwischenraum und daneben in kleinerer Schrift den Kommentar zu schreiben. War er für eine Spalte zu lang, wurde er in eigens dafür zwischen den Textzeilen freigelassenen Raum eingeschoben, so daß in jeder Spalte Schrift und Kommentar miteinander verbunden waren. Dieses „System der alternierenden Zeilen" fand dann für alle glossierten biblischen Bücher Anwendung. Der Bibeltext wurde im Zusammenhang in großer Schrift und räumlich so angeordnet geschrieben, daß die Glossen dort, wo es erforderlich war, am Rand und zwischen den Zeilen eingefügt werden konnten. Text und Glosse waren damit aufs engste miteinander verbunden. Jede Glosse konnte genau dem Text zugeordnet werden, den sie erläuterte. Die ganze Buchseite bildete eine graphische und sachliche Einheit. Diese Rationalisierung der Anordnung vollzog sich in Paris während des letzten Viertels des 12. Jh. und wurde verbindliche Übung. Die Glosse hatte ihre feste Zuordnung zum Bibeltext gefunden. Die neue Form trug zu ihrer Vereinheitlichung bei, da sich in das feste Anordnungsschema keine weiteren Zusätze mehr einfügen ließen. Darüber hinaus war damit eine endgültige Unterscheidung zwischen Rand- und Interlinearglossen festgeschrieben. Frühere Handschriften hatten darin noch ziemliche Schwankungen aufgewiesen. Jetzt konnte sich der Dozent eindeutig auf die marginalis oder interlinearis beziehen. Er hatte auch keine Schwierigkeit mehr, einer Glosse ihren richtigen Platz im Blick auf den bibli-

Glossa ordinaria

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sehen Text zuzuweisen, was ohne die verbesserte Anordnung zuweilen ein Problem gewesen war. Inhaltlich umfaßt der Kreis der in der Glosse angeführten Kirchenschriftsteller im wesentlichen -»Origenes in lateinischer Übersetzung, -»Ambrosius, den - » Ambrosiaster, - » Hieronymus, -»Augustinus, - » G r e g o r d. Gr. (insbesondere in Auszügen des Paterius), -»Cassiodor, -»Beda, -»Alkuin, - » H r a b a n u s Maurus, Walahfrid Strabo, - » J o h a n nes Scotus Eriugena, Paschasius Radbertus, Remigius und Haimo von Auxerre, -»Berengar von Tours, -»Lanfrank von Bec und Gilbert Universalis. Häufig stehen die Exzerpte ohne Verfassernamen oder sind falschen Verfassern zugeschrieben. Unbekannt ist noch, wieviel die Glossatoren selbst kommentierend hinzugefügt haben; Gilbert Universalis bildet mit einer Kennzeichnung seiner eigenen Glossen eine Ausnahme. Im Verhältnis zu den auetoritates dürften solche Glossen aber auf jeden Fall nur einen bescheidenen Anteil gestellt haben. Gilbert Porreta und Petrus Lombardus haben eher die vorgefundenen auetoritates um weitere ergänzt als eigenständige Zufügungen vorgenommen; doch hat der Lombarde in seine magna glosatura zu den Paulinen quaestiones eingeschaltet. Angesichts dieser Fülle unterschiedlichsten Materials zeigten sich die Magister unschlüssig hinsichtlich der ihm insgesamt zukommenden Verbindlichkeit. M a n versuchte zwischen Glossen patristischen Ursprungs und späteren Zufügungen zu unterscheiden, obwohl das infolge der unzulänglichen Lemmatisierung Schwierigkeiten bereitete. Gelegentlich begegnen sogar Einwände gegen die Richtigkeit einer patristischen Glosse wie in der Historia scholastica des -»Petrus Comestor (PL 198, 1651). Vor allem benutzte man die Kirchenväterauszüge als Hinführung zu den originalia und suchte sie in ihrem eigenen Kontext auf, um zu sehen, ob der Glossenauszug verkürzt oder verändert war. Insgesamt aber zitierte man die Glosse zusammen mit dem Schrifttext in Disputationen ( - » D i s p u t a tio), Quaestionen und Quodlibeta als Autorität. Text und Glosse blieben als einheitliches Ganzes miteinander verschwistert. Ihre Verbreitung fand die Glosse weit über den Kreis der Schulen hinaus. Die Forschung entdeckt jetzt auch ihre Benutzung in volkssprachlicher Literatur. Selbst die wyclifitischen —»Bibelübersetzungen (III 2.2) zollten ihr trotz des formalen Bekenntnisses Wyclifs zur Scriptura sola Beachtung. Doch ist die Erhellung des Gesamtbereichs ihrer Wirkungsgeschichte durch das Fehlen einer kritischen Ausgabe behindert, die den Überarbeitungen seit dem frühen 12. J h . bis zu ihrer Vereinheitlichung um 1200 Rechnung trägt, so daß man auf frühe Drucke oder eine zufällige Auswahl von Handschriften angewiesen ist. Zuverlässig sind die frühen Drucke insofern, als sie für die Mehrzahl der Stellen den Text der Pariser Standardausgabe bieten.

2. Nachmittelalterliche

Zeit

Die Erfindung des Buchdrucks brachte für die Glosse eine Neubelebung mit sich. Zahlreiche Ausgaben erschienen, die erste 1481 bei Rauch in Straßburg. Unglücklicherweise unterlief im Verlauf des 16. J h . eine falsche Autorenzuweisung, die seitdem in Bibliothekskatalogen Verwirrung gebracht hat. Es wurden zwei Teile der Glosse unterschieden. Dabei nahm man an, die Randglosse sei von dem Abt der Reichenau Walahfrid Strabo (gest. 849) und die Interlinearglosse von Anselm von Laon zusammengestellt worden. Wie und wo dieser Irrtum entstand, liegt noch im dunkeln. Der Irrtum behauptete sich, bis sich bei Forschern des späten 19. J h . Zweifel zu regen begannen. 1928 wies André Wilmart die Annahme der Urheberschaft Walahfrids zurück und neigte dazu, die gesamte Kompilation Anselm von Laon zuzuweisen. Endgültig als möglicher Urheber wurde Walahfrid dann von J . de Blic ausgeschaltet. Er wies auf, daß Walahfrids echte exegetische Arbeiten nichts mit der Glosse zu tun haben. Nicht einmal ihre Form konnte durch sie angeregt sein, da sie in fortlaufendem Text geschrieben waren. Seine einzige Beziehung zur Glosse besteht darin, daß die Glossatoren Auszüge aus seinen Collectanea, einer Kurzfassung der umfangreichen Kommentare seines Lehrers Hrabanus Maurus, zu Gen und Ex gemacht haben. Walahfridzitate späterer Autoren

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Glossa ordinaria

beziehen sich auf diese in die Glosse eingegliederten und M-inen N a m e n tragenden Auszüge. Es m a g sein, d a ß sie für die fälschliche Zuweisung der gesamten Glosse an ihn mitursächlich waren. Ist dieser Irrtum heute auch richtiggestellt, so steht doch die wissenschaftliche Erforschung der Glosse im Blick sowohl a u f ihre mittelalterliche als auch auf ihre nachmittelalterliche Geschichte erst a m Anfang. Von den R e f o r m a t o r e n abgelehnt, erfreute sie sich in erweiterter Gestalt bei katholischen und anglikanischen T h e o l o g e n weiterhin hoher Geltung. M a n druckte sie üblicherweise z u s a m m e n mit' den Postillae des —»Nikolaus von L y r a , den Additiones des Paulus von Burgos (ca. 1 3 5 1 - 1 4 3 5 ) und anderen T e x t e n . Als Ergänzung der ursprünglichen Fassung und von dieser durch Zeichen abgesetzt kamen zahlreiche neue Auszüge aus griechischen (in Übersetzung) und lateinischen V ä t e r n sowie aus frühmittelalterlichen Schriftstellern wie etwa dem L e v - K o m m e n t a r des R a d u l f von Flaix hinzu. Erst die „neue T h e o l o g i e " des 18. J h . verdrängte dieses Werk mit seinem mittelalterlichen Kern aus seiner Stellung als gängiges H a n d b u c h zum Bibelstudium. Bibliographie Werner Affeldt, Die weltliche Gewalt in der Paulus-Exegese. Rom 1 3 , 1 - 7 in den Römerbriefkommentaren der lat. Kirche bis zum Ende des 13. Jh., Göttingen 1969, 149-153.258 - 2 6 0 (FKDG 22). Vollständige Bibliographie bis 1969; im folgenden sind nur die jüngsten und wichtigsten Arbeiten genannt. Literatur Zu 1.: E. Bertola, La Glossa ordinaria biblica ed i suoi problemi: R T h A M 45 (1978) 3 4 - 7 8 . - I. Brady, Magistri Petri Lombardi Sententiae in IV Libros Distinctae I, 1 Prolegomena: SpicBon 4 (1971) 8 - 8 9 . - M . Gibson, Lanfranc's „Commentary on the Pauline Epistles": J T h S NS 22 (1971) 8 6 - 1 1 2 . - Ders., Lanfranc of Bee, Oxford 1978, 3 9 - 6 1 . - Nikolaus Häring, Two Catalogues of Medieval Authors: FrSA 26 (1966) 195 - 211. - Ders., Chartres and Paris Revisited. Essays in Honour of Anton Pegis, hg. v. R. O'Donnell, Toronto 1974, 2 9 9 - 3 1 3 . - Christopher de Hamel, The Production and Circulation of Glossed Books of the Bible, masch. Diss., Oxford 1978 (Bodleian Library). Ders., The Manuscripts of Herbert of Bosham. Manuscripts at Oxford: An exhibition in memory of Richard William Hunt (1908-1979), hg. v. A . C . de la Mare/B.C. Barker Benfield, Oxford 1978, 3 9 - 4 1 (Bodleian Library). - H. Hargreaves, The Wycliffite Versions: CHB 2 (1969) 4 0 7 - 4 1 5 . - É. Jeauneau (Hg.), Jean Scot, Commentaire sur l'Évangile de Jean, 1972 (SC 180) 5 7 - 6 2 (zu den Anführungen aus Johannes Scotus Eriugena in Anselms Glosse zu Joh). - Jean Leclercq, Le Commentaire du Cantique des cantiques attribué à Anselme de Laon: R T h A M 16 (1949) 2 9 - 3 9 . - P. Lehmann, Ma. Büchertitel: SBAW.PPH 45 (1948) 31. - G. Lobrichon, L'Apocalypse des théologiens au XII e siècle, masch. Diss., Sorbonne 1978 (École des Hautes Études). - Odon Lottin, Psychologie et morale XII e et XIII e siècle, Gembloux, V 1959, 9 - 1 8 8 . - H. Riedlinger, Die Makellosigkeit der Kirche in den lat. Hoheliedkomm, des MA: BGPhMA 38 (1958) 1 2 4 - 1 3 0 . - I.S. Robinson, The Metrical Commentary on Genesis of Donizo of Canossa: R T h A M 41 (1974) 2 0 - 2 3 . - E . G . Robison, Humberti cardinalis libri très adversus simoniacos. A Critical Edition with an Introductory Essay and Notes, masch. Diss., Princeton 1972: Ann Arbor (Mich.) University Microfilms International 1972. Vgl. BThAM 12 (1980) 6 0 2 - 6 0 3 (mit einer Liste von Textstellen, die der Glosse nahestehen). R. Silvestre, Review of B. Smalley: Some Gospel Commentaries (s. u.): BThAM 12 (1980) 6 1 4 - 6 1 6 . Beryl Smalley, Gilbertus Universalis Bishop of London (1128-1134) and the Problem of the „Glossa Ordinaria": R T h A M 7 (1935) 2 3 5 - 2 6 2 ; 8 (1936) 2 4 - 6 4 ; La Glossa Ordinaria 9 (1937) 365 - 4 0 0 . Dies., The Study of the Bible in the Middle Ages, Oxford 2 1952. - Dies., Les commentaires bibliques de l'époque romane. Glose ordinaire et gloses périmées: C C M 4 (1961) 1 5 - 2 2 . - Dies., An Early Twelfth-Century Commentator on the Literal Sense of Leviticus: R T h A M 36 (1969) 7 8 - 9 9 . - Dies., Some Gospel Commentaries of the Early Twelfth-Century: R T h A M 45 (1978) 1 4 7 - 1 8 0 . - Dies., Peter Comestor on the Gospels: 46 (1979) 8 4 - 1 2 9 . - Dies., An Early Paris Lecture Course on St. Luke. „Sapientiae Doctrina". Mélanges de théologie et de littérature médiévales offerts à Dom Hildebrand Bascour O . S . B . : R T h A M numéro spécial (1980) 2 9 9 - 3 1 1 . - Friedrich Stegmüller, RBMA 2 (1950) 1 1 2 - 1 1 7 ; 8 (1976) 2 9 9 - 3 0 7 . - R. Waselynck, L'influence de l'exégèse de S. Grégoire le Grand sur les commentaires bibliques médiévaux ( V I I e - X I I e s ) : R T h A M 32 (1965) 1 8 3 - 1 9 2 . - H. Weisweiler, Paschasius Radbertus als Vermittler des Gedankengutes der karolingischen Renaissance in den Matthäuskomm, des Kreises um Anselm v. Laon: Schol. 35 (1960) 3 6 3 - 4 0 2 . 5 0 3 - 5 3 6 . - R. Wielcockx, Autour de la Glossa ordinaria: R T h A M 49 (1982) 2 2 2 - 2 2 8 . - M . Zier, The Latin Interpretation of Daniel in the Middle Ages: An Historical Survey, Diss., Toronto 1981, 3 4 - 4 4 .

Glossen, kanonistische

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Zk 2.: Antonius of Florence, Chronicon, Nürnberg, II 1484, fol. 25 v a . - Samuel Berger, Histoire de la Vulgate pendant les premiers siècles du moyen âge, Paris 1893, 1 3 2 - 1 3 6 . - J. de Blic, L'œuvre exégétique de Walafrid Strabon et la Glossa ordinaria: R T h A M 16 (1949) 5 - 2 8 . - 1 . K. Künstle: Die Kultur der Abtei Reichenau. Erinnerungs-Schr. zur zwölfhundertsten Wiederkehr des Gründerjahres des Inselklosters 7 2 4 - 1 9 2 4 , hg. v. Konrad Beyerle, München, II 1925, 706f. - Karl Langosch, Walahfrid Strabo: VerLex4 (1953) 7 3 9 - 7 4 4 . - A . F. Sixtus Senensis, Bibliotheca Sancta, ex praecipuis catholicae ecclesiae auctoribus collecta, et in octo libros digesta, Lyon, I 1575, 223.324. - Johannes Trithemius, De scriptoribus ecclesiasticis collectanea, Paris 1512, fol. 82 v (vgl. Johannes Trithemius In praise of Scribes. De laude scriptorum, hg. mit einer Einleitung v. Klaus Arnold, übers, ins Englische v. R. Behrendt, Lawrence/Kansas 1974, 1 - 1 2 ) . - A. Wilmart, Distiques d'Hincmar sur l'Eucharistie: RBen 40 (1928) 95.

Beryl Smalley Glossen,

kanonistische

1. Verschiedene Glossenarten S. 459)

2. Überlieferung der Glossen

3. Glossenapparate

(Literatur

Vom Beginn der Kanonistik, deren Entstehung nach herkömmlicher Sicht mit der Abfassungszeit des Dekrets -»Gratians (1140) zusammenfällt, spielten die Glossen eine große Rolle. Diese Methode oder Technik, einen vorgegebenen Text durch verschiedenartige Bemerkungen und Kommentare zu interpretieren, war bereits seit Ende des 11. Jh. für römisches Recht von den Legisten (besonders Irnerius) entwickelt worden. In der Kanonistik wurde sie bei der Interpretation des Dekrets Gratians zur vollen Entfaltung gebracht, weshalb diese Glossen hier besonders in den Blick genommen werden. Je nach Art und Umfang der Glossen wurden sie interlinear oder marginal eingetragen, ohne daß diesem Unterschied eine besondere Bedeutung beizumessen wäre.

1. Verschiedene

Glossenarten

Die verschiedenen Arten der Glosse standen in enger Beziehung zur Unterrichtsmethode der damaligen Zeit. Der Hinführung zu einem Problem oder einem Gesetzestext dienten einführende, summarische Erörterungen, die den Hörer bzw. Leser auf das Verständnis des Textes vorbereiteten (Summa) oder den wesentlichen Inhalt in einer Fallerzählung knapp zusammenfaßten (Casus). Beim folgenden Lesen des Quellentextes fügte der Lehrer Erläuterungen mannigfachster Art hinzu, die vielfach nur aus einem synonymen Wort, aus verdeutlichenden Bestimmungen oder Appositionen bestanden. Sie bildeten gedanklich mit dem Quellentext eine Einheit und sind losgelöst von ihm fast unverständlich, da sie nur selten einen ganzen Satz umfaßten. Diese erklärenden Glossen, z. T. auch textkritischer Art, wurden zuerst vorwiegend inter lineas geschrieben, weil so die Verbindung zwischen Text und Glosse am leichtesten herzustellen war. In späterer Zeit wurden die erklärenden, diskursiven Glossen öfters sehr umfangreich und bildeten dann einen relativ selbständigen Text, besonders wenn vorgefundene Entscheidungen begründet oder nicht erörterte Sachverhalte einbezogen wurden, vielfach unter Heranziehung anderer Quellenstellen. Schon in den frühesten Glossenkompositionen finden sich viele, später immer zahlreichere Parallel- und Konträrstellen zum Quellentext, sog. Allegationen. Sie stellen in unscheinbarer Form das Material und die Problemgrundlage für fast alle späteren Arbeiten am betreffenden Text bereit. Vielfach schlössen sich den Konträrstellenangaben auch Auflösungen der zu Tage getretenen Widersprüche (solutiones contrariorum) an, oft mit Solutio eingeleitet. Vor allem in der Frühzeit des Glossierens geben manche Rubrikenglossen den Inhalt einer Stelle oder eines Abschnitts kurz wieder, ähnlich wie die Kapitelrubriken Gratians, mit denen sie sprachlich häufig verwandt sind. Gelegentlich wird aus der glossierten Stelle eine kurze Rechtsregel (argumentum) abstrahiert und mit Parallelstellen versehen. Bisweilen werden solche Rechtsgrundsätze mit dem Wort Nota oder Notandum eingeleitet und so besonders hervorgehoben. Diese wurden später gelegentlich in eigenen Sammlungen zusammengefaßt und zu den Brocarda oder Generalia weiter entwickelt, in denen Paare von entgegengesetzten Argumenten zusammengestellt wurden. Die Rubriken- und Notabilien-Glossen wurden oft in Dreiecksform und mit

Glossen, kanonistische

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Zk 2.: Antonius of Florence, Chronicon, Nürnberg, II 1484, fol. 25 v a . - Samuel Berger, Histoire de la Vulgate pendant les premiers siècles du moyen âge, Paris 1893, 1 3 2 - 1 3 6 . - J. de Blic, L'œuvre exégétique de Walafrid Strabon et la Glossa ordinaria: R T h A M 16 (1949) 5 - 2 8 . - 1 . K. Künstle: Die Kultur der Abtei Reichenau. Erinnerungs-Schr. zur zwölfhundertsten Wiederkehr des Gründerjahres des Inselklosters 7 2 4 - 1 9 2 4 , hg. v. Konrad Beyerle, München, II 1925, 706f. - Karl Langosch, Walahfrid Strabo: VerLex4 (1953) 7 3 9 - 7 4 4 . - A . F. Sixtus Senensis, Bibliotheca Sancta, ex praecipuis catholicae ecclesiae auctoribus collecta, et in octo libros digesta, Lyon, I 1575, 223.324. - Johannes Trithemius, De scriptoribus ecclesiasticis collectanea, Paris 1512, fol. 82 v (vgl. Johannes Trithemius In praise of Scribes. De laude scriptorum, hg. mit einer Einleitung v. Klaus Arnold, übers, ins Englische v. R. Behrendt, Lawrence/Kansas 1974, 1 - 1 2 ) . - A. Wilmart, Distiques d'Hincmar sur l'Eucharistie: RBen 40 (1928) 95.

Beryl Smalley Glossen,

kanonistische

1. Verschiedene Glossenarten S. 459)

2. Überlieferung der Glossen

3. Glossenapparate

(Literatur

Vom Beginn der Kanonistik, deren Entstehung nach herkömmlicher Sicht mit der Abfassungszeit des Dekrets -»Gratians (1140) zusammenfällt, spielten die Glossen eine große Rolle. Diese Methode oder Technik, einen vorgegebenen Text durch verschiedenartige Bemerkungen und Kommentare zu interpretieren, war bereits seit Ende des 11. Jh. für römisches Recht von den Legisten (besonders Irnerius) entwickelt worden. In der Kanonistik wurde sie bei der Interpretation des Dekrets Gratians zur vollen Entfaltung gebracht, weshalb diese Glossen hier besonders in den Blick genommen werden. Je nach Art und Umfang der Glossen wurden sie interlinear oder marginal eingetragen, ohne daß diesem Unterschied eine besondere Bedeutung beizumessen wäre.

1. Verschiedene

Glossenarten

Die verschiedenen Arten der Glosse standen in enger Beziehung zur Unterrichtsmethode der damaligen Zeit. Der Hinführung zu einem Problem oder einem Gesetzestext dienten einführende, summarische Erörterungen, die den Hörer bzw. Leser auf das Verständnis des Textes vorbereiteten (Summa) oder den wesentlichen Inhalt in einer Fallerzählung knapp zusammenfaßten (Casus). Beim folgenden Lesen des Quellentextes fügte der Lehrer Erläuterungen mannigfachster Art hinzu, die vielfach nur aus einem synonymen Wort, aus verdeutlichenden Bestimmungen oder Appositionen bestanden. Sie bildeten gedanklich mit dem Quellentext eine Einheit und sind losgelöst von ihm fast unverständlich, da sie nur selten einen ganzen Satz umfaßten. Diese erklärenden Glossen, z. T. auch textkritischer Art, wurden zuerst vorwiegend inter lineas geschrieben, weil so die Verbindung zwischen Text und Glosse am leichtesten herzustellen war. In späterer Zeit wurden die erklärenden, diskursiven Glossen öfters sehr umfangreich und bildeten dann einen relativ selbständigen Text, besonders wenn vorgefundene Entscheidungen begründet oder nicht erörterte Sachverhalte einbezogen wurden, vielfach unter Heranziehung anderer Quellenstellen. Schon in den frühesten Glossenkompositionen finden sich viele, später immer zahlreichere Parallel- und Konträrstellen zum Quellentext, sog. Allegationen. Sie stellen in unscheinbarer Form das Material und die Problemgrundlage für fast alle späteren Arbeiten am betreffenden Text bereit. Vielfach schlössen sich den Konträrstellenangaben auch Auflösungen der zu Tage getretenen Widersprüche (solutiones contrariorum) an, oft mit Solutio eingeleitet. Vor allem in der Frühzeit des Glossierens geben manche Rubrikenglossen den Inhalt einer Stelle oder eines Abschnitts kurz wieder, ähnlich wie die Kapitelrubriken Gratians, mit denen sie sprachlich häufig verwandt sind. Gelegentlich wird aus der glossierten Stelle eine kurze Rechtsregel (argumentum) abstrahiert und mit Parallelstellen versehen. Bisweilen werden solche Rechtsgrundsätze mit dem Wort Nota oder Notandum eingeleitet und so besonders hervorgehoben. Diese wurden später gelegentlich in eigenen Sammlungen zusammengefaßt und zu den Brocarda oder Generalia weiter entwickelt, in denen Paare von entgegengesetzten Argumenten zusammengestellt wurden. Die Rubriken- und Notabilien-Glossen wurden oft in Dreiecksform und mit

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Glossen, kanonistische

farbigen Initialen geschrieben, damit sie mehr ins Auge fielen. Distinktionen bringen, entweder in schematischer Form oder mit fortlaufendem Text geschrieben, eine die Einzelstelle meist übergreifende Übersicht oder Problemerörterung. Eine besondere Form der Problemerörterung wurde in den Quaestionen gefunden, die schon frühzeitig zu eigenen Quaestionensammlungen zusammengefaßt wurden. Ihnen entsprach im Unterricht eine eigene Veranstaltung, die gewöhnlich nachmittags stattfand: z.B. Quaestiones mercuriales oder veneriales, aus denen sich die schulmäßigen Disputationen entwickelten. 2. Überlieferung

der

Glossen

Vermutlich alle frühen Kanonisten haben glossiert, weshalb sie auch Glossatoren genannt werden. Ihre Glossen wurden entweder von ihren Schülern während der Vorlesung mitgeschrieben (vor allem die Worterklärungen), oder die fertig redigierten Glossen eines Autors wurden (evtl. in Verbindung mit denen seiner Vorgänger) von Lohnschreibern gegen Bezahlung abgeschrieben. Aus den vielen, meist von Handschrift zu Handschrift variierenden Glossenschichten läßt sich auf Grund neuester Forschung eine frühe, vielfach überlieferte erste Glossenkomposition herausschälen, in die auch anonym einzelne Glossen von Paucapalea eingegangen sind. Allegationen, Rubrikenglossen, Notabilien, einzelne Solutionen und schon einige diskursive Glossen bilden den gemeinsamen Grundbestand, während die Worterklärungen stärker variieren. In einer noch in die fünfziger Jahre des 12. Jh. zu datierenden zweiten Glossenkomposition (sie war bisher völlig unbekannt) bestehen die meisten Glossen aus einem Satz (vielfach interlinear eingetragen), der zur Begründung (eingeleitet mit ut) eine Stelle aus dem römischen Recht oder dem Dekret selbst zitiert. Bei diesen Allegationen wird das Dekret jedoch nicht in der durch Paucapalea eingeführten Weise mit der lateinischen Zahl der Distinctio oder der Causa und Quaestio zitiert, sondern wie im römischen Recht üblich nach Titeln. Diese Titel entsprechen dem Einleitungswerk zum Dekret De iure scripto et non scripta. Dieser Versuch einer formalen Romanisierung des kanonischen Rechts war zum Scheitern verurteilt. In die meisten späteren Glossenschichten gingen (vorwiegend anonym) die Glossen Rufins ein (ob sie vor seiner Summe verfaßt wurden oder - wenigstens teilweise — aus ihr exzerpiert wurden, läßt sich gegenwärtig nicht sicher sagen), welche den Kern der dritten Glossenkomposition bilden. Diese drei Glossenkompositionen sind z.B. auch optisch deutlich in den drei frühen Glossenschichten der Handschrift Trier, Stadtbibliothek 907, zu unterscheiden. Durch zahlreiche Siglen nehmen in der Überlieferung die Glossen des Cardinalis, Johannes Faventinus, Bernhard von Pavia und Bazianus einen besonderen Platz ein. Da die Überlieferung aber nicht einheitlich ist, kann man gegen v. Schulte kaum von eigenen Glossen-Apparaten dieser Autoren sprechen. Viele Glossatoren haben ihr literarisches Schaffen in Summen zusammengefaßt: Paucapalea, Rolandus (nicht Alexander III.), Rufinus, Stephanus von Tournai, Johannes Faventinus, Simon von Bisignano, Sicardus, Huguccio und viele anonyme Autoren. Von manchen späteren Autoren (bes. Huguccio) wurden oft Auszüge aus der Summe als Glossen in Dekrethandschriften eingetragen. 3.

Glossenapparate

Vielleicht unter Mitwirkung Huguccios und seiner Schule wurde um 1180 für Bologna, das erste Zentrum des kanonistischen Studiums, in dem Glossenapparat Ordinaturus Magister eine Standardisierung der Glossenüberlieferungen herbeigeführt, wie die zahlreichen, einheitlichen Abschriften dokumentieren. Die einzelnen Glossen galten aber wohl nach Ausweis der vielen Siglen noch als Eigengut des jeweiligen Verfassers. Nach 1190 wurden von einzelnen Autoren formelle Glossenapparate unter Benützung der vorhandenen Überlieferung geschrieben, zuerst ca. 1192 und 1206 von Alanus, dann von Laurentius Hispanus. Der Apparat des Johannes Teutonicus (ca. 1215) wurde als Glossa Ordinaria anerkannt und in der Bearbeitung des Bartholomäus von Brescia mit manchen

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Gnade I

Ergänzungen (besonders Casusglossen) bis in die Neuzeit herauf zusammen mit dem Dekret G r a d a n s gedruckt. Z u den neuen Gesetzestexten, den päpstlichen Dekretalen, welche bald in eigenen Compilationes gesammelt wurden, schrieben die sog. Dekretalisten auch zuerst einzelne Glossen, jedoch spätestens ab e t w a 1 2 0 0 formelle Glossenapparate. Seit dieser Zeit verlegte sich das Schwergewicht der wissenschaftlichen Kanonistik auf diese neuen Quellentexte. Die als Glossa Ordinaria anerkannten A p p a r a t e zu den drei ersten sog. Compilationes antiquae s t a m m t e n von Tankred von Bologna, zur Compilatio IV. von J o h a n n e s Teutonicus, zur Compilatio V. von J a c o b u s de Albenga; die Glossa Ordinaria zu den Dekretalen - » G r e g o r s I X . von Bernhard de Botone, die Glossa Ordinaria zum Liber Sextus und zu den Clementinen von J o h . Andreae. Literatur Franz Gillmann, Die Abfassungszeit der Dekretglosse des Clm 10244: AKathKR 92 (1912) 2 0 2 - 2 2 4 . - Josef Juncker, Die Summa des Simon von Bisignano und seine Glossen: ZSRG.K 15 (1926) 3 2 6 - 5 0 0 . - Stephan Kuttner, Repertorium der Kanonistik (1140-1234), StT 71, 1937. Friedrich Carl v. Savigny, Gesch. des Rom. Rechts im MA, III Heidelberg 2 1 8 3 4 , 5 5 6 - 5 7 4 . - Johannes Friedrich v. Schulte, Die Glosse zum Dekret Gratians von ihren Anfängen bis auf die jüngsten Ausgaben, Wien 1872. - Alfons Stickler, Zur Entstehungsgesch. u. Verbreitung des Dekretapparats „Ordinaturus Magister Gratianus": STGra XII (1967) 1 1 1 - 1 4 1 . - Rudolf Weigand, Bazianus- u. B.Glossen zum Dekret Gratians: Melanges G. Fransen II STGra X X (1976) 453 -496. - Ders., Gandulphusglossen zum Dekret Gratians: Bulletin of Medieval Canon Law 7 (1977) 15—48 (In diesem Bulletin werden laufend Beiträge und eine Bibliographie zu den Glossen veröffentlicht). - Ders., Magister Rolandus u. Papst Alexander III.: AKathKR 149 (1980) 3 - 4 4 . - Peter Weimar, Die legistische Lit. u. die Methode des Rechtsunterrichts der Glossatorenzeit: Ius Commune 2 (1969) 4 3 - 8 3 . Rudolf Weigand

Glossolalie

Zungenrede

G n a d a u e r Verband -+Gemeinschaftsbewegung Gnade I. Altes Testament II. III. IV. V.

Judentum Neues Testament Dogmengeschichtlich (Alte Kirche bis Reformationszeit) Neuzeit/Systematisch-theologisch

465 467 476 496

I. Altes Testament 1. Ubersetzungsprobleme 2. Hebräische Äquivalente 2.1. hen 2.2. hasced 2.4. Benachbarte Begriffe 3. Gemeinsamkeiten (Anmerkungen/Literatur S. 463) 1.

2.3. rasön

Übersetzungsprobleme

„ G n a d e " ist ein zentrales Stichwort insbesondere für die reformatorische Lehre (s.u.S. 4 9 0 f f ) . Die Wiedergabe mehrerer hebräischer Begriffe, die im U r t e x t einen deutlich unterschiedenen Sinn haben, in der Luther-Bibel durch das Substantiv und das zugehörige Adjektiv „ g n ä d i g " hängt offenbar mit dieser dogmatischen Wertschätzung z u s a m men. In einigen Fällen entstellt der Begriff (bis in die neuesten Revisionen hinein!) geradezu den Sinn eines hebräischen Ausdruckes oder ist bestenfalls als verdeutlichender Zusatz angemessen (Gen 24,21; Jer 14,11; Mich 7,9. Adjektiv: Gen 4,5f; I Reg 8,30.34; Ps 68,10; Ez 34,26; Am 7,2; Dan 9,19). Einer künftigen Revision wären hier präzisere Formulierungen zu empfehlen. Inhaltlich ist das Verständnis des deutschen Begriffes wegen seiner Herkunft aus einem feudalen Milieu für den modernen Leser nicht einfach.

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Gnade I

Ergänzungen (besonders Casusglossen) bis in die Neuzeit herauf zusammen mit dem Dekret G r a d a n s gedruckt. Z u den neuen Gesetzestexten, den päpstlichen Dekretalen, welche bald in eigenen Compilationes gesammelt wurden, schrieben die sog. Dekretalisten auch zuerst einzelne Glossen, jedoch spätestens ab e t w a 1 2 0 0 formelle Glossenapparate. Seit dieser Zeit verlegte sich das Schwergewicht der wissenschaftlichen Kanonistik auf diese neuen Quellentexte. Die als Glossa Ordinaria anerkannten A p p a r a t e zu den drei ersten sog. Compilationes antiquae s t a m m t e n von Tankred von Bologna, zur Compilatio IV. von J o h a n n e s Teutonicus, zur Compilatio V. von J a c o b u s de Albenga; die Glossa Ordinaria zu den Dekretalen - » G r e g o r s I X . von Bernhard de Botone, die Glossa Ordinaria zum Liber Sextus und zu den Clementinen von J o h . Andreae. Literatur Franz Gillmann, Die Abfassungszeit der Dekretglosse des Clm 10244: AKathKR 92 (1912) 2 0 2 - 2 2 4 . - Josef Juncker, Die Summa des Simon von Bisignano und seine Glossen: ZSRG.K 15 (1926) 3 2 6 - 5 0 0 . - Stephan Kuttner, Repertorium der Kanonistik (1140-1234), StT 71, 1937. Friedrich Carl v. Savigny, Gesch. des Rom. Rechts im MA, III Heidelberg 2 1 8 3 4 , 5 5 6 - 5 7 4 . - Johannes Friedrich v. Schulte, Die Glosse zum Dekret Gratians von ihren Anfängen bis auf die jüngsten Ausgaben, Wien 1872. - Alfons Stickler, Zur Entstehungsgesch. u. Verbreitung des Dekretapparats „Ordinaturus Magister Gratianus": STGra XII (1967) 1 1 1 - 1 4 1 . - Rudolf Weigand, Bazianus- u. B.Glossen zum Dekret Gratians: Melanges G. Fransen II STGra X X (1976) 453 -496. - Ders., Gandulphusglossen zum Dekret Gratians: Bulletin of Medieval Canon Law 7 (1977) 15—48 (In diesem Bulletin werden laufend Beiträge und eine Bibliographie zu den Glossen veröffentlicht). - Ders., Magister Rolandus u. Papst Alexander III.: AKathKR 149 (1980) 3 - 4 4 . - Peter Weimar, Die legistische Lit. u. die Methode des Rechtsunterrichts der Glossatorenzeit: Ius Commune 2 (1969) 4 3 - 8 3 . Rudolf Weigand

Glossolalie

Zungenrede

G n a d a u e r Verband -+Gemeinschaftsbewegung Gnade I. Altes Testament II. III. IV. V.

Judentum Neues Testament Dogmengeschichtlich (Alte Kirche bis Reformationszeit) Neuzeit/Systematisch-theologisch

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I. Altes Testament 1. Ubersetzungsprobleme 2. Hebräische Äquivalente 2.1. hen 2.2. hasced 2.4. Benachbarte Begriffe 3. Gemeinsamkeiten (Anmerkungen/Literatur S. 463) 1.

2.3. rasön

Übersetzungsprobleme

„ G n a d e " ist ein zentrales Stichwort insbesondere für die reformatorische Lehre (s.u.S. 4 9 0 f f ) . Die Wiedergabe mehrerer hebräischer Begriffe, die im U r t e x t einen deutlich unterschiedenen Sinn haben, in der Luther-Bibel durch das Substantiv und das zugehörige Adjektiv „ g n ä d i g " hängt offenbar mit dieser dogmatischen Wertschätzung z u s a m men. In einigen Fällen entstellt der Begriff (bis in die neuesten Revisionen hinein!) geradezu den Sinn eines hebräischen Ausdruckes oder ist bestenfalls als verdeutlichender Zusatz angemessen (Gen 24,21; Jer 14,11; Mich 7,9. Adjektiv: Gen 4,5f; I Reg 8,30.34; Ps 68,10; Ez 34,26; Am 7,2; Dan 9,19). Einer künftigen Revision wären hier präzisere Formulierungen zu empfehlen. Inhaltlich ist das Verständnis des deutschen Begriffes wegen seiner Herkunft aus einem feudalen Milieu für den modernen Leser nicht einfach.

460 2. Hebräische

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Gnade I Äquivalente

Mit „ G n a d e " werden bei Luther (und in anderen deutschen Übersetzungen) vor allem zwei hebräische Begriffe wiedergegeben: hen und hcesced. Eine geringere Rolle spielt rasön. Das Umfeld wird durch eine Reihe benachbarter Begriffe abgedeckt, die eine positive Grundhaltung und eine entsprechende Handlungsweise einer Person anderen gegenüber bezeichnen. 2.1. hen. Die Wurzel hnn mit dem von ihr abgeleiteten Substantiv hen (einmal auch k"riinä, Jer 16,13) 1 und dem Adjektiv hannün2 ist in ihrer etymologischen Herkunft und in ihrer Grundbedeutung umstritten. Wie fast überall, geht der theologischen Verwendung ein Gebrauch im zwischenmenschlichen Bereich voraus bzw. parallel. Das Verbum begegnet im Alten Testament insgesamt 78mal, überwiegend im Qal, das Substantiv 69mal, besonders in den erzählenden Büchern, selten in Psalmen und Prophetenbüchern, das Adjektiv 13mal (davon 6mal in Psalmen), hen steht stets im Singular, meist indeterminiert. LXX übersetzen gewöhnlich mit %äpig. Von den 69 Belegen stammen 52 aus dem profanen Bereich. Auch Gen 18,3; 19,19; Ri 6,17 wird zwar mit Gott bzw. einem Engel geredet, aber das Erzählmuster entstammt dem zwischenmenschlichen Umgang. Die häufigste Formel, in der der Begriff auftaucht, ist: ms' hen be'ene... „Gnade finden in den Augen jemandes". Die wohlwollende Haltung wird meist (nicht immer, vgl. Reed) von einem Höhergestellten einem Niedrigergestellten gegenüber erhofft bzw. gewährt. Sie ist Ausdruck freier Zuwendung und beruht nicht auf einem vorangegangenen Verhältnis gegenseitiger Verpflichtung (gegen Neubauer, bes. 55). Ein Zug von Herablassung ist unverkennbar (Snaith, Ideas 127 f). Bei hen kommt aber auch der Empfänger mit in den Blick, der eines Gnadenerweises würdig ist; Stoebe betont, „daß der ^¿w-Erweis eine Beurteilung des Gegenüber mit einschließt" (THAT 1,590; vgl. schon ders.: VT 2,245 3 ). Dabei geht es z.B. um eine bestimmte Eignung (u.a. Gen 39,4; I Sam 16,22; Dtn 24,1) oder um die elende Lage des Empfängers. Ursprünglich dürfte der Begriff dem höfischen Bereich entstammen: der Gnade Gewährende ist der König (I Sam 16,22; 27,5; II Sam 14,22; 16,4; I Reg 11,19; Est 5,2.8; 7,3) oder einer seiner Würdenträger. Später kann jeder Überlegene zum Subjekt werden, dem der Schwächere mit einer Bitte „höflich" gegenübertritt. Nie wird die Wendung zu einer reinen Floskel abgeschwächt. Dem orientalischen Milieu der Herkunft des alttestamentlichen Begriffes steht der Ursprung des deutschen Wortes „ G n a d e " in der Feudalzeit („euer Gnaden", „gnädiger H e r r " - als „gnädige F r a u " noch floskelhaft erhalten) nahe. Positiv ist damit aber auch die Verantwortung im Blick, die der Stärkere dem Schwächeren gegenüber besitzt 4 . Die Nebenbedeutung „Anmut, Lieblichkeit" (vornehmlich in Prov; auch Sach 4,7 gehört wohl hierher, vgl. Zimmerli 371) wird man nicht als Urbedeutung von hen (WilliPlein; Freedman/Lundbom 23), sondern als Spätentwicklung (Stoebe, T H A T I, 591 f) zu beurteilen haben. Hier ist nur noch die Würdigkeit des zum Besitzer gewordenen ursprünglichen Empfängers der Gunst im Blick. Im theologischen Gebrauch ist das Substantiv hen relativ selten. Die Wendung „Gnade geben" begegnet meist (außer Prov 13,15) mit Jahwe als Subjekt, gehört inhaltlich aber noch in den Profanbereich. 5 Gen 6,8 „ N o a h fand Gnade in den Augen Jahwes" und Ex 33,12.13.16f; 34,9 handeln von der durch nichts begründeten (vgl. 33,19, s.u.) Gnadenwahl Gottes. 6 Nach Ps 84,12 „gewährt Jahwe Gnade und Ehre... denjenigen, die gerecht wandeln." II Sam 15,25 (vgl. 26) stellt David es -»Jahwe anheim, ob er Gunst in seinen Augen finden werde. Das Adjektiv hanün „gnädig" wird (außer vielleicht Ps 112,4) ausschließlich von Jahwe ausgesagt. Seine theologische Zuspitzung hängt offenbar mit seiner Herkunft aus liturgischem Gebrauch zusammen. Nur Ex 22,26 steht es allein. Üblich ist die Verbindung mit rahüm „barmherzig" (vor-, seltener nachgestellt) im Rahmen der liturgischen Gesamtformel: Jahwe ist „gnädig und barmherzig, geduldig und reich an Güte (hcesced, s.u.)" (zuerst Ex 34,6; außerdem Joel 2,13; Jon 4,2; Ps 86,15; 103,8; 111,4; 116,5;'145,8;

Gnade I

461

Neh 9,17.31; II Chron 30,9 7 ). Diese Feststellung geht nach dem Schuldbekenntnis in Ex 34 der Gebotsmitteilung voraus, so die Zuordnung des Gesetzes zu der vorhergehenden Gnade Gottes betonend. Auch für das Verbum hnn gibt es eine zwischenmenschliche Verwendungsweise: „eine Gunst erweisen", „jemanden achten" u.ä. 8 Dtn 7,2 verbietet Rücksichtnahme auf die Landesbewohner. 9 Für die theologische Verwendung ist Ex 33,19 wichtig: Jahwe betont die absolute Freiheit seiner Gnadenwahl. 1 0 Hier wie in II Reg 13,23; Jes 27,11; 30,18; vgl. Ps 102,14 die Verbindung mit rhm „sich erbarmen". 18mal steht in individuellen Klageliedern der Gebetsruf honneni „sei mir gnädig" (Ps 123,3: „sei uns gnädig"); dabei geht es um Zuwendung und konkrete Hilfe. Zur Begründung wird auf die bedrängte Lage des Beters, seine —•Gerechtigkeit (z.B. Ps 26,11), aber auch auf zu vergebende Schuld (Ps 41,5; 51,3) verwiesen. „Gott sei dir gnädig, mein Sohn" (Gen 43,29) ist ein geläufiger Gruß; im sog. aaronitischen Segen N u m 6,25 gehört die gleiche Formel in einen liturgischen Rahmen. Abgesehen von späten Stellen (Jes 27,11; 30,18 f; 33,2; Mal 1,9) komm hnn in der Prophetie nur in Am 5,15 vor 1 1 : in der unbestimmten Hoffnung des Propheten, Jahwe könne den Israeliten gnädig sein (ähnlich die vergebliche Hoffnung Davids II Sam 12,22). 2.2. hcesced. Das Verständnis des Wortes hcesced12 ist stark umstritten. Einflußreich war die Arbeit von Glueck, dessen zentrale These: „hcesced ist die einem Rechts-PflichtVerhältnis entsprechende Verhaltensweise" 1 3 den Begriff in ein vorher bestehendes Gemeinschaftsverhältnis eingebunden sein läßt. Vor allem seine Nachfolger haben häufig dafür den Kontext des „Bundes" (b e rit) herangezogen. 1 4 Zu fragen ist aber, ob die dafür angeführten Belege ausreichen. Die Gegenauffassung 1 5 leugnet eine solche generelle Bindung. Sie rückt mehr die spontane Seite des Begriffes in den Vordergrund, obwohl für hcesced auch Beständigkeit vorausgesetzt (s.u.) und nicht selten Gegenseitigkeit erwartet (s.u.) wird. „Güte, Freundlichkeit" und ein aus solcher Haltung entspringendes Tun wäre dann die Grundbedeutung von hcesced. Auch hcesced begegnet im zwischenmenschlichen Bereich (von 245 Belegen ungefähr 60mal). Fast 30mal ist vom „ T u n " der hcesced an einem Menschen die Rede. Der hcescedErweis begründet ein zwischenmenschliches Verhältnis, insofern kann man das Wort einen „Verhältnisbegriff" nennen. Obwohl nicht selten Geber und Empfänger miteinander verwandt, Gastgeber und Gast, verbündet, befreundet oder Herrscher und Untergebene sind (vgl. Glueck 1 ff), ist dieses Verhältnis jedoch nicht Voraussetzung für den AiCi^-Erweis; es lassen sich auch Fälle spontaner Zuwendung nennen (u.a. I Reg 20,31; II Sam 2,5; 3,8; Gen 39,21; 40,14 - vgl. dazu Stoebe: T H A T l,607f). So ist die Annahme: „hcesced gehört von Haus aus in den Bereich der Familien- und Sippengemeinschaft" (Zobel 57) nicht ausreichend begründet. In einer Reihe von Fällen wird von dem Empfänger von hcesced erwartet, daß er mit einem entsprechenden hcesced-Erweis antwortet, oder von einem solchen Handeln berichtet (Gen 21,23; Jos 2,12.14; II Sam 2,5 f; 10,2/1 Chron 19,2; I Reg 2,7 u. ö.). Das gehört aber zu den allgemeinen Regeln des Umgangs und setzt keine formale Bindung voraus. Gegenseitigkeit ist aber gewiß ein wichtiges Element von hcesced. I Sam 20,8 ist der von Jonathan erbetene Dienst Ausfluß seiner auf Freundschaft beruhenden Freundlichkeit; wenn David außerdem an den Bund erinnert, der diese Freundschaft befestigte (vgl. I Sam 18,1-3), ist das eine zusätzliche Aussage. Daß hcesced nicht nur eine einzelne Tat, sondern auch die hinter einer solchen stehende allgemeine Haltung ausdrückt, zeigt Prov 11,17: ein „ M a n n von hcesced" ist ein Mensch mit rücksichtsvollem Wesen im Gegensatz zum „Grausamen". I Reg 20,31 nennt die Könige von Israel „Könige von hcesced": deshalb kann Benhadad als Schutzflehender Verschonung erhoffen. Verstärkt wird der Gedanke, daß hcesced etwas Bleibendes sein soll, durch die im profanen Gebrauch 6mal (Gen 24,49; 47,29; Jos 2,14; Prov 3,3; 14,22; 16,6) begegnende Verbindung hcesced wceaemcet, die man vielleicht mit „bleibendes Gewo-

462

Gnade I

gensein" wiedergeben kann (vgl. auch I Sam 20,15 'ad 'olam „allzeit"; verbal: „den hcesced bewahren" Prov 20,28). In theologischer Bedeutung findet sich hcesced häufig mit J a h w e als Subjekt und Verben des Tuns. Der Tatcharakter von hcesced wird damit unterstrichen, ebenso durch die Belege für plur. („Hulderweise": Gen 32,11; Jes 63,7; Ps 17,7; 25,6; 89,2.50; 106,7.45 Qere; 107,43; 119,41(?); Thren 3,22.32 Qere). Konstruktionen mit ke „ g e m ä ß " : „entsprechend deiner G ü t e " (Ps 25,7; 51,3; 109,26; 119,88.124.149.159; vgl. auch Num 14,19; Neh 13,22) erweisen hcesced aber auch als vorgeordneten M a ß s t a b des göttlichen Handelns. In beider Hinsicht entspricht Verwendung und Bedeutung von hcesced mit J a h w e als Subjekt genau der zwischenmenschlichen Anwendung. Besonders reich ist die Rede von der göttlichen hcesced in den Psalmen (124mal). Empfänger der göttlichen Güte sind Einzelpersonen (Abraham und sein Knecht, Gen 24; J a k o b , Gen 32 usw.), vor allem aber das Volk Israel als ganzes. Inhaltlich wird hcesced durch Parallelausdrücke wie „Hilfe, H e i l " (Ps 85,8.11; 98,3), „ R e c h t " und „Gerechtigkeit" (Jer 9,23; Ps 33,5) „ L e b e n " (Hi 10,12) oder „Erlösung" (Ps 130,7) gekennzeichnet. J a , der Beter kann bekennen: „Deine Güte ist besser als das L e b e n " (Ps 63,4). In der bereits erwähnten Gesamtformel aus E x 34,6 u . ö . werden eine größere Zahl verwandter Gottesprädikationen aufgezählt, deren Häufung ein plerophorisches Rühmen Jahwes ausdrückt. Relativ jung ist der Kehrvers: „(denn er ist freundlich) denn in Ewigkeit währt seine G ü t e " , der nur in späten Texten belegt ist (vgl. Koch) und wohl in den nachexilischen Tempelgottesdienst gehört. Als Ausdruck menschlichen Tuns im Zusammenhang mit Jahwes hcesced ist außer dem Vertrauen (Ps 13,6; 52,10) oder dem „ W a r t e n " (Ps 33,18.22; 147,11) auf ihn in den verschiedensten Ausdrücken von seiner Verkündigung die Rede. Der Beter preist in vielfältiger Weise, was Jahwes hcesced für ihn bedeutet. Bei den Propheten Hosea, M i c h a , Jeremia (und Deuterojesaja) ist auch von einer Erwiderung des göttlichen hcesced durch menschlichen hcesced Gott gegenüber die R e d e 1 6 (Hos 4,1; 6,4.6; 12,7; M i 6,8; J e r 2,2; Jes 40,6 [?] 1 7 ), wobei der Gabecharakter des hcesced im Hintergrund steht (vgl. bes. Hos 2,21 f; J e r 9,23; 16,5; 31,3). Die Verbindung mit „ B u n d " findet sich erst in der seit Dtn 7,9.12 vorkommenden (noch: I Reg 8,23//II Chron 6,14; Neh 1,5 [?]; 9,32; Dan 9,4) Prädikationsformel „der du den Bund (be e rit) und die Huld b e w a h r s t " (denen, die dich lieben und deine Gebote halten o. ä.). Die Verordnung von „ B u n d " und Geboten entspricht dem Interesse der dtn/dtr Theologie (vgl. noch Ps 106,45; umgekehrte Reihenfolge in Ps 89,29.50; Jes 54,10). Das Ajektiv hasld bezeichnet nur J e r 3,12; M i 7,2; vgl. Ps 145,17 eine Eigenschaft Gottes: „gütig" (vgl. das Hitpall. des Verbums II Sam22,26//Ps 18,26). Sonst ist es ein Titel der „ F r o m m e n " bis hin zu einer Selbstbezeichnung der gesamten Kultgemeinde. 1 8 Die früher geäußerte Ansicht, es handele sich um eine besonders jahwefromme Partei, ist abzuweisen. 2.3. rasön. Die Grundbedeutung des Verbums rsh ist „annehmen, Wohlgefallen haben a n " (mit dem Nebenton der Anerkennung); abgeleitet ist das Substantiv rasön „Wohlgefallen". Als Gegenstand des Wohlgefallens erscheinen etwa gleich oft Personen und Sachen. Während das Verbum etwas häufiger auch mit menschlichem Subjekt vorkommt, wird das Substantiv nur sehr selten profan verwandt (Prov 10,32; 11,27; 14,35; 16,13.15; 19,12; Est 1,8; 9,5; Dan 8,4; 11,3.16.36; Neh 9,24.37). In den späten Belegen (Est; Dan; Neh) ist eine Bedeutungsverschiebung in Richtung auf „ W i l l k ü r " festzustellen. Am häufigsten wird das Verbum für das göttliche Wohlgefallen gebraucht. Hierbei ist besonders die kultische Spezialbedeutung zu beachten (vgl. Rendtorff). Das Niphal bezeichnet in der priesterlichen Fachsprache (Lev 1,4; 7,18; 19,7; 22,23.25.27) die Anerkenn u n g 1 9 eines Opfers als gültig; entsprechend das Substantiv rasön (Ex 28,38; Lev 1,3; 19,5; 22,19.20.21.29; 23,11; Jes 56,7; 60,7). Im gleichen Sinne auch die Verwendung in der prophetischen „ K u l t p o l e m i k " (Jer 14,10.12; Hos 8,13; Am 5,22; M i 6,7; M a l 1,8.10.13;

rasön Jer 6,20).

2.4. Benachbarte Begriffe. Im Umfeld von „ G n a d e " stehen eine Reihe von Ausdrükken, die ebenfalls eine positive Haltung und ein entsprechendes Verhalten Gottes Menschen gegenüber bezeichnen. Hierzu gehören besonders -»Barmherzigkeit, —•Liebe, Ver-

Gnade I g e b u n g , aber auch -»• Gerechtigkeit. Die Bedeutungsbreite der deutschen

463 Ausdrücke

d e c k t sich nicht mit denen der hebräischen W u r z e l n . Ü b e r s c h n e i d u n g e n sind deshalb unvermeidlich. 3.

Gemeinsamkeiten

Allen A u s d r ü c k e n für „ G n a d e " im Alten T e s t a m e n t g e m e i n s a m ist, d a ß J a h w e seine G n a d e frei vergibt, o h n e d a ß er an i r g e n d w e l c h e Vorbedingungen o d e r ein bestehendes Gemeinschaftsverhältnis gebunden ist. D o c h ist göttliche G n a d e eine verläßliche Z u s a g e J a h w e s und begründet eine bleibende G e m e i n s c h a f t zwischen G e b e r und E m p f ä n g e r . D e s h a l b k a n n sich a u c h der einzelne Beter a u f die Israel als g a n z e s g e w ä h r t e G n a d e berufen, wenn er für sich persönlich J a h w e s G n a d e erfleht. J ü n g e r e T e x t e versuchen dieses Verhältnis d u r c h Begriffe wie „ B u n d " zu interpretieren. Allerdings blickt G n a d e a u c h auf die W ü r d i g k e i t der P e r s o n des E m p f ä n g e r s bzw. a u f die Q u a l i t ä t eines Objektes, o h n e d a ß d a d u r c h der G a b e c h a r a k t e r a u f g e h o b e n w ü r d e . Dies ist bereits bei ben a m deutlichsten aber bei rasön,

sichtbar,

w o die kultische Qualifikation eines O p f e r s mit im Blick

ist. Die prophetische „ K u l t p o l e m i k " korrigiert die G e f a h r einer hier a u f t a u c h e n d e n rituellen Einseitigkeit und hebt den ethischen Bezug h e r v o r , der als K o n s e q u e n z erfahrener G n a d e v o m E m p f ä n g e r g e f o r d e r t wird. Im übrigen ist a b e r im Alten T e s t a m e n t G n a d e d e m G e b o t v o r g e o r d n e t , nie u m g e k e h r t . Anmerkungen t'hinnah bedeutet nur zweimal das erhörte Gebet (Jos 11,20; Esr 9,8), sonst ist es eine oft t'pillab parallele Bezeichnung des Gebetes um Gnade (selten auch von an Menschen gerichteten Bitten, Jer 37,20; 38,26); benachbart ist tah'nünim „Flehen". 2 hinnam „unverdient, vergeblich" ist das dazugehörige Adverb. 3 Zimmerli (370) meint sogar: „Hier ist von einer Aktivität des hen-Spenders... gar nicht mehr die R e d e . " Für Willi-Plein ist die „Gefälligkeit" des Begünstigten die Grundbedeutung des Substantivs. Dabei entsteht aber eine Bedeutungsdifferenz zu Verbum und Adjektiv (96). 4 Fürsorge für die Armen ist ursprünglich die Pflicht des Königs! Vgl. A. Gamper, Gott als Richter in Mesopotamien u. im AT, Innsbruck 1966, 45 ff. 170ff. 5 Gen 39,21 verschafft Jahwe dem Joseph die Gunst des Gefängnisaufsehers, ähnlich Ex 3,21; 11,3; 12,36 Israel die Gunst der Ägypter. Gen 19,19 ist ein Grenzfall: Lot spricht zu den Engeln wie mit Menschen im Legendenstil. 6 Die Mose vielfältig bestätigt sehen will - ein Motiv des Berufungsformulars. 7 Lit. -»Barmherzigkeit I. Anm. 1 ( T R E 5,224). Das Alter von Ex 3 4 , 6 f ist umstritten. 8 Dem König ist dies gegenüber den Unterdrückten geboten, Dan 4,24. Verwendung besonders im weisheitlichen Bereich (Prov 14,31; 19,17; 28,8; Ps 37,21.26; 112,5; auch Ps 109,12; Dtn 28,50. T h r 4,16 sind Hilfsbedürftige im Blick). 9 Die Bedeutung des Begriffes ist von der des vorangegangenen b'rit „ B u n d " abzuheben (gegen Neubauer 45 f). 1 0 Dies ist gegen das emphatische Verständnis („ganz gewiß bin ich gnädig") bei Freedman/Lundbom: T W A T 3,33 festzuhalten. 1 1 Auch dort in der Ursprünglichkeit umstritten. 1 2 Die Etymologie ist unklar; der aram. häufige negative Sinn „Schande" begegnet hebr. nur Lev 20,17; Prov 14,34 (Gerleman: V T 28, versucht mit „Übermaß" positive wie negative Verwendung auf eine Grundbedeutung zurückzuführen. Vgl. aber Simon J . de Vries: V T 29 [1979], 3 5 9 - 3 6 2 ) . L X X übersetzen überwiegend mit eXeog, entsprechend der in den Spätschriften des A T eintretenden Bedeutungsannäherung an rahamim „Erbarmen" (s.u.). 1 3 Glueck 20. - Im Titel, 34 u.ö.: „gemeinschaftsgemäße Verhaltensweise". 1 4 Nach Glueck 12ff, u.a. Lofthouse; Bultmann; Eichrodt I, 116ff (I 8 ,150ff); Snaith; Kuyper. 1 5 Asensio; Stoebe; Jepsen, 264 ff/214 ff; Kellenberger. - Johnson; Sakenfeld; Zimmerli nehmen eine mittlere Position ein. 1 6 Die Deutung auf rein zwischenmenschliches Verhalten durch Jepsen, 269/217, ist nicht überzeugend. 17 Vgl. dazu Stoebe: WuD 6 , 1 8 0 - 1 9 4 . 1 8 Nach Gulkowitsch, 18 ff, ist das Wort ursprünglich ein ausgesprochener Kollektivbegriff und bezeichnet die Zugehörigkeit zur Kultgemeinschaft. Doch muß man mit Stoebe ( T H A T 1,619) auch die inhaltliche Bestimmtheit sehen. 1

Gnade I

464

" Zu dem in diesem Zusammenhang parallelen hasab vgl. G. von Rad, Die Anrechnung des Glaubens zur Gerechtigkeit: ThLZ 76 (1951) 129-132 = ders., Ges. Stud. zum AT, 1958 4 1971 (ThB 8) 130-135.

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Gnade II

465

II. Judentum 1. Allgemein 2. Philo v. Alexandrien 3. Die Rollen vom Toten Meer 4. Rabbinische Literatur 5. Judentum des Mittelalters 6. Jüdisches Denken der Gegenwart (Quellen/Literatur S. 467)

1. Allgemein Das nachbiblische jüdische Denken unterscheidet nicht streng zwischen der Güte Gottes, die als Antwort auf eine menschliche Initiative hin gewährt wird, und der Güte, die von Gott selbst ausgeht und sich nicht auf vorheriges menschliches Handeln bezieht. Die erstere wäre genauer als göttliche Barmherzigkeit zu bezeichnen. Gnade im eigentlichen Sinn ist nur die letztere; allerdings lassen die jüdischen Quellen eine solche Unterscheidung nicht zu. -»„Liebe" und „Barmherzigkeit" sind viel häufigere Begriffe für die Güte Gottes; lediglich unter dem Einfluß christlicher Kategorien könnte Gnade als im jüdischen Denken bedeutsam hervorgehoben werden. Im Grunde sind jedoch alle wichtigen Formen des nachbiblischen Judentums mit der Vorstellung der Gnade und ihrer Bedeutung vertraut (s. Schechter, Saints [1955] 147). 2. —•Philo v.

Alexandrien

Ein wesentlicher Punkt in Philos Frömmigkeit ist die Erkenntnis, daß alle Gaben von Gott kommen, auch die Gabe der -»Tugend (All III, 136; Sacr. 54-56); menschliches Bemühen allein kann niemals Reinheit erlangen (Som II, 25). Wer die Tugend liebt, muß darum beten, daß alles Gute in ihm eingepflanzt sei (Agr 168). In einem eindrucksvollen Abschnitt (All III, 215) behauptet Philo sogar, daß selbst das Gebet nicht zu Gott vordringen könnte, wäre es nicht von ihm selbst hervorgerufen worden. Für Philo ist das ein Zeichen dafür, wie groß die göttliche Gnade (%äpig) wirklich ist. Doch selbst wenn Gott mitunter einzelnen Menschen die Gnade unverdienter Tugend schenkt (z. B. Noah, All III, 77), müssen sich die Empfänger dieser Gabe fortan auch ihrerseits um die Tugend bemühen (ebd. 14). 3. Die Rollen vom Toten Meer Die Texte aus -»Qumran gehen davon aus, daß die Menschheit durch zwei Geister gelenkt werde, „die Geister der Wahrheit und des Frevels" (1QS III, 19); so ist bereits die Zugehörigkeit zu den „Söhnen des Lichts" ein Zeichen von Gnade. Sowohl die Kenntnis der Gemeinderegeln als auch die Fähigkeit, sie zu befolgen, kommen einzig und allein von Gott (1QS XI, 3 . 5 - 7 . 1 0 - 1 1 ; 1QH IV, 29-33; XI, 12-14; XIII, 16). Die Gnade Gottes wirkt sich in Qumran sowohl durch die —»Prädestination bestimmter Personen zur Mitgliedschaft in der Gemeinde, als auch durch die Bewahrung der Tugend für die Auserwählten auch nach ihrem Eintritt in die Gemeinde aus. Es muß hier daran erinnert werden, daß mit „Tugend" die genaue Befolgung des göttlichen Gesetzes gemeint ist. Gnade beinhaltet nicht die Freiheit vom Gesetz, wohl aber die Befreiung aus der Unfähigkeit, es zu halten. Die Texte vom Toten Meer kennen nur eine Rechtfertigung sola gratia, jedoch keine sola fi.de (Lohse 285, Anm. 83; Sanders 15; vgl. Schulz 182). 4. Rabbinische

Literatur

Mit Ausnahme von IV Esra (Moore II, 95 Anm. 1) betrachten alle Zeugnisse antiken jüdischen Denkens die Gnade Gottes als wesentlich für die menschliche Hoffnung. Da sich das talmudische Denken nicht um systematische Strenge bemüht, können Einzelaussagen natürlich als dieser Behauptung widersprechend verstanden werden; doch als Ganzes betrachtet, folgt die frühe rabbinische Lehre diesem Muster. Jede wichtige Heilsinstitution und jedes Heilsereignis wird in der talmudischen Literatur als Ergebnis der Gnade Gottes dargestellt. So war die Schöpfung selbst insofern ein Akt der Gnade, als Gott bereit war, den vorhersehbaren Hang des Menschen zum Bösen

Gnade II

466

zu übersehen (BerR 8 , 3 - 6 ) . In einer überraschenden Umkehrung der paulinischen Chronologie sagt R. Josua ben Levi, daß die Welt bis zur Gabe der Tora durch die Gnade regiert wurde, da ohne die Tora keine Möglichkeit bestand, vor Gott Verdienste zu erwerben (bPes 118 a). Ähnlich werden der Durchzug durch das Rote Meer und der Exodus als Ganzes als Akte der Gnade beschrieben (häsäd; Mekh y Shirta 9 zu Ex 15,13): „denn wir hatten keine Werke in der H a n d " (Sanders 86). Im allgemeinen werden -»Bund und -»Gesetz als Geschenke der göttlichen Gnade verstanden (SifDev 343; vgl. jedoch R. Yose b. R. Bun, yBer 5, 39c, bBer 33 b). Im Gegensatz zur üblichen Dichotomie von Gesetz und Gnade liegt der Schlüssel zum Verständnis der traditionellen jüdischen Frömmigkeit darin, die Tora als Gnade zu betrachten (Werblowsky; Wyschogrod); die jüdische Liturgie ist voll von Dankesformeln für die durch die Gabe der Tora bezeugte Auserwählung Israels. Die -»Vergebung der Sünden und die Fähigkeit zur -»Buße werden häufig als Früchte der Gnade Gottes dargestellt; selbst wenn die Vergebung nur eine Antwort auf die Umkehr des Menschen ist, ist sie doch ohne die Hilfe Gottes nicht möglich (Vergebung: ySan 10,1 27d, yPea 1,1 16b; Buße: yBer 4,2 7 d , yQid 1,9 61 d, yMak 2,6 31 d, bSuk 52b, bBer 16 b - 1 7 a). Im allgemeinen ist ein Platz in der kommenden Welt - also das endgültige Heil - eine versprochene Gnade, nicht etwas, was man verdienen könnte (mSan 10,1). Die Erlösung kann zwar durch die Verletzung des Gesetzes verwirkt werden, sie kann jedoch strenggenommen nicht durch Verdienste erworben werden (Moore II, 95; Sanders 293). Passagen aus der traditionellen jüdischen Liturgie, die hier behandelte Vorstellungen widerspiegeln, finden sich bei Birnbaum 24. 75 - 7 6 . 124.192 und Hertz 27-29. 115-117, 191. 305. 5. Judentum

des

Mittelalters

Gnade war im jüdischen Denken des Mittelalters keine zentrale Kategorie. In der -»Kabbala hieß zwar eine der zehn Sefirot Häsäd (Gnade), doch nur selten wurde dieser Aspekt des göttlichen Seins zum Gegenstand einer besonderen Erörterung gemacht. Unter den Philosophen bezeichnet R. -»Saadja Gaon sowohl die Schöpfung als auch die Gebote als Geschenke der Gnade (Saadja, engl. 137); er versichert jedoch an anderer Stelle, daß „Gunstbeweise auf der Basis von Leistung und Gegenleistung höher einzuschätzen sind als solche, die lediglich aus Gnade gewährt werden" (ebd. 215). -»Mose ben Maimon bestreitet, daß die menschliche N a t u r sich jemals so verändere, daß sie Gott zunehmend selbstverständlicher gehorcht. Eine solche Veränderung würde nämlich die Tora mit ihrem System von Verboten und Geboten überflüssig machen (More 3,32). So erscheint ihm der Begriff „Gnade", auch wenn er nicht explizit darüber reflektiert, als eine Bedrohung für das gesamte religiöse Gleichgewicht des rabbinischen Judentums. Selbst die bereits erwähnte Vorstellung, daß Gott den Bußfertigen hilft, wertet Mose ben Maimon eher als Zeichen der Unparteilichkeit Gottes denn als Zeichen seiner Gnade. Er weist dabei immer wieder darauf hin, daß Gott die, die sündigen wollen, auch sündigen läßt (Misne tora, T e suba 6,5). 6. Jüdisches Denken der

Gegenwart

Obwohl die Vorstellung der Gnade für keinen jüdischen Denker der neuesten Zeit zentrale Bedeutung besitzt, kommt sie in mehreren Werken, oft mit einem klaren Bezug auf ihre Rolle in der christlichen Theologie, zur Sprache. So unterstreicht E. B. Borowitz (New Jewish Theology 60) nachdrücklich die jüdische Überzeugung, daß der Mensch sowohl fähig ist, das Gute zu erkennen, als auch, es zu tun. Dies ist ein eindeutiger Versuch, die Notwendigkeit einer auf die Gnade zentrierten Theologie zu relativieren. Im Gegensatz dazu versucht Emil Fackenheim, die Gnade für das jüdische Denken zu beanspruchen: „Der wahre Gott Israels ist der, der in seinem transzendenten Anderssein den Menschen nicht braucht und sich dennoch dafür entscheidet, ihn zu brauchen; der in seiner Liebe den Menschen frei und verantwortlich macht und auf seine Gebote eine freie

Gnade III

467

Antwort fordert. Er ist kurzum ein Gott der G n a d e " (Quest 299 = Daedalus 210; vgl. auch Borowitz, Faith 68). M a r t i n ->Buber hält zwar nicht viel vom Begriff der Gnade, doch die für sein Denken so wesentliche Erfahrung der Begegnung bezeichnet er einmal ausdrücklich als Erfahrung der G n a d e (I and T h o u , N e w York 1970, 62). M o r d e c a i Kaplan schließlich, der von allen jüdischen Denkern der Gegenwart am meisten zum Naturalismus neigt, lehnt schon deshalb den Begriff der Gnade ab, weil er das freie menschliche Handeln zu entmutigen droht (55). Quellen Philip Birnbaum, Daily Prayer Book (Ha-Siddur Ha-Shalem), New York 1949. - Joseph H. Hertz, The Authorized Daily Prayer Book, London 1941 = New York 1948. - Eduard Lohse, Die Texte aus Qumran, München 2 1971. - Moses Maimonides, The Guide of the Perplexed (Dalalat alHa'rin), übers, v. Shlomo Pines, Chicago 1963. - C.G. Montefiore/Herbert Loewe, A Rabbinic Anthology, Cambridge 1938 = Philadelphia 1963. - Saadiah ben Joseph (R. Saadiah Gaon), The Book of Beliefs and Opinions (Kitab al-Amanat wa'l-Itiqadat), übers, v. Samuel Rosenblatt, New Haven 1948. Literatur Leo Baeck, Romantic Religion. Judaism and Christianity, Philadelphia 1958 = New York 1966. - Eugene B. Borowitz, How Can a Jew Speak of Faith Today?, Philadelphia 1969. - Ders., A New Jewish Theology in the Making, Philadelphia 1968. - Robert Brunner (Hg.), Gesetz u. Gnade im AT u. im jüd. Denken, Zürich 1969. - M. M. Eichler, Art. Grace, Divine: JE 6 (1905) 60-61. - Emil L. Fackenheim, Encounters between Judaism and Modern Philosophy, Philadelphia 1973. - Ders., On the Self-Exposure of Faith to the Modern-Secular World: Daed. 96/1 (1967) 193-219 = Quest for Past and Future, Bloomington 1968, 278-305. - David Flusser, The Dead Sea Sect and Pre-Pauline Christianity: ScrHie 4 (1958) 215-266, bes. 222-227. - Ders., Mosa ha-Nasrut min ha-Yahadut: Yitzhak F. Baer Jubilee Volume, Jerusalem 1960,75-98. - David Hartman, Maimonides. Torah and Philosophic Quest, Philadelphia 1976. - Kurt Hruby, Gesetz u. Gnade in der rabbinischen Uberlieferung: Jud. 37 (1969) 3 0 - 6 3 = Brunner, s.o., 30-63. - Horace Hummel, Law and Grace in Judaism and Lutheranism: LuthQ 21 (1969) 416-429. - Annie Jaubert, The Spirituality of Judaism (Le Judaïsme), St. Meinrad 1977, 19 - 22. - Mordecai M. Kaplan, The Meaning of God in Modern Jewish Religion, New York 1936 = 1962. - Johann Maier, Gesetz u. Gnade im Wandel des Gesetzesverständnisses der nachtalmudischen Zeit: Jud. 37 (1969) 64-176 = Brunner, s.o., 64-176. George Foot Moore, Judaism, II Cambridge/Mass. 1927 = 1966, 93-95. - E.P. Sanders, Paul and Palestinian Judaism, Philadelphia 1977 (Lit.). - Solomon Schechter, Some Aspects of Rabbinic Theology, New York 1909 = 1961. - Ders., Saints and Saintliness: Studies in Judaism, 2. Ser., Philadelphia 1908, 148-181 (bes. 178-181) = Studies in Judaism, A Selection, Philadelphia 1955, 123-149. - Lawrence H. Schiffman, The Halakhah at Qumran, Leiden 1975,22-32. 7 5 - 7 6 (Lit.). S. Schultz, Zur Rechtfertigung aus Gnaden in Qumran und bei Paulus: ZThK 56 (1959) 155-185. Lou H. Silberman, Art. Justice and Mercy of God: EJ 7 (1971) 670. - Ephraim E. Urbach, The Sages (Hazal), Jerusalem 1969 (Lit.). - R . J. Zwi Werblowsky, Tora als Gnade, Kairos 15 (1973) 156-163. J.K. West, Justification in the Qumran Scrolls, Diss., Vanderbilt 1961 (Lit.). - Harry A. Wolfson, Philo, Cambridge/Mass, 1947,1.445 - 4 5 5 . - Michael Wyschogrod, The Law, Jews, and Gentiles. - A Jewish Perspective: JuthQ 21 (1969) 405-415.

Robert Goldenberg

III. N e u e s Testament 1. Paulus 2. Deuteropaulinisches Schrifttum (Literatur S. 475)

3. Übriges Neues Testament

4. Rückblick

Die Darstellung der neutestamentlichen Aussagen über Gnade auf engem Raum nötigt zu einer Auswahl der wichtigsten einschlägigen Zeugnisse. Hierbei sind vor allem paulinische Stellen entscheidend, bedeutsame Aussagen finden sich jedoch auch in einer Reihe nachpaulinischer Schriften des Neuen Testaments.

468

G n a d e III 1.

Paulus

1.1. In den echten paulinischen Briefen findet sich X^P'i ' n der Bedeutung „Gnade" oder in einem engen Zusammenhang mit dieser Bedeutung an 62 Stellen. Davon entfallen 23 auf den -•Römerbrief. Wenn man demgegenüber feststellt, daß im I Thess (->Thessalonicherbriefe) das Wort nur im Einleitungsgruß und im Schlußsegen theologisch gebraucht wird, könnte man geneigt sein, auf eine längere Entwicklung der paulinischen Gnadenlehre zu schließen (s. Schillebeeckx 105-118). Doch ist hier Vorsicht geboten. Auch im -»Philipperbrief, dem wenigstens I Kor (-»Korintherbriefe) und der ->Galaterbrief mit ihren 15 Belegen zeitlich vorausgingen, findet sich x ä p i $ außer im Anfangs- und im Schlußgruß nur einmal. Die Häufigkeit des Vorkommens dürfte gewiß vor allem mit Inhalt, Eigenart und Größe eines Briefes zusammenhängen. So gab der Rom gerade dadurch, daß Paulus hier das Thema der Gottesgerechtigkeit und der Glaubensgerechtigkeit im Gegenüber zum Gesetz und seinen Werken breit darstellte, auch Anlaß, die Stellung der göttlichen Gnade in diesem Zusammenhang zu entfalten, ohne daß wir annehmen müssen, er habe vorher über Gnade grundlegend anders gedacht als hier. 1.2. Römerbrief. (Überlieferungsgeschichtliche und motivgeschichtliche Überlegungen bei Berger, Gnade 1 6 - 2 3 . ) - N a c h d e m Paulus die Verfallenheit aller M e n s c h e n an die Sünde und den Gerichtszorn Gottes festgestellt hat ( 1 , 1 8 - 3 , 2 0 ) , nimmt er in 3 , 2 1 - 3 1 das T h e m a der heilschaffenden Gerechtigkeit Gottes (1,16 f) wieder auf und setzt diese Gerechtigkeit als endzeitliche Machttat Gottes mit dessen H a n d e l n im Sühnetod Jesu gleich (3,25). Durch diesen Tod spricht Gott alle Sünder, die sich glaubend seinem Heilshandeln in Jesus Christus öffnen lassen, gerecht, und zwar „geschenkweise, durch seine Gnade" (3,24). Diese G n a d e Gottes fällt mit seinem Heilshandeln im Sühnetod Jesu Christi und an den Glaubenden z u s a m m e n (3,24 f); Paulus legt aber den Nachdruck auf die freie liebende Z u w e n d u n g , die durch und in diesem H a n d e l n Gottes geschieht. D e m entspricht der Ausdruck Sapeäv [geschenkweise], d . h . „ o h n e jede menschliche Vorleistung"; Gott ist also in seinem Gnadenhandeln an keine menschliche Voraussetzung gebunden. Seine frei schenkende G n a d e n m a c h t schafft das Heil gerade da, w o lauter Unheil und Auflehnung gegen Gott zu finden ist; sie überwindet Sünde und Unheil. - Auch - » A b r a h a m war keine A u s n a h m e in einer der Sünde verfallenen Welt ( 4 , 1 - 8 ) ; auch er wurde ohne Werke v o n Gott gerechtgesprochen. Der Glaube, der ihm als Gerechtigkeit angerechnet wurde, war nicht eine Leistung, die er vor Gott erbrachte, sondern das durch Gottes Verheißung und freie Z u w e n d u n g [ = Gnade] angeregte Einverständnis, daß er als Sünder von Gott angen o m m e n war (4,4 f. 16.20). In diesem Abschnitt widerspricht Paulus jüdischer Überlieferung, für die auch der Glaube (Abrahams) ein verdienstliches Werk war. In R o m 5 ist das endzeitliche Gnadenhandeln Gottes ein entscheidender Schwerpunkt der Darstellung. In 5 , 1 - 1 1 (vgl. dazu Wolter) wird dieses Gnadenhandeln als Ursache und Grund des Friedens der Gerechtgesprochenen im Verhältnis zu Gott ausgelegt und mit der verzeihenden Liebe Gottes, die sich im Tod Jesu für die Sünder, Gottes Feinde, ereignet hat, gleichgesetzt. D i e Aussagen über dieses Ereignis der Liebe Gottes machen das Mittelstück des Abschnitts (5,5 b - 8 ) aus. Dieses ist in einen breiten R a h m e n gestellt, der 5 , 1 - 5 und 5 , 9 - 1 1 umfaßt. In diesen beiden Rahmenstücken entsprechen einander nicht nur die Sachaussagen, sondern auch einzelne Satzteile und Stichworte wie SiKaicoSrjvai, rciang, icav^äaSai. Man kann auch nicht daran zweifeln, daß eipr/vr/v exeiv am Anfang (V.l) und KataXXayfjvai wie KaraXXayijv Xaßeiv am Schluß (V. 10 f) parallel stehen und das gleiche meinen. Damit wird deutlich, daß das Mittelstück in einem engen Zusammenhang mit dem Rahmen gesehen werden muß. Die Aussagen des Mittelstücks - die Sünderliebe Gottes als Hintergrund des Todes Jesu für uns - sind mit beiden Rahmenstücken auch eng verzahnt, einerseits durch V.5b, der V. 8 entspricht, andererseits durch V. 10 a. Friede und Versöhnung (Rahmen) sind das Ergebnis der Liebestat Gottes (Mittelstück) und der durch sie erfolgten Gerechtsprechung der Sünder (Rahmen). Wie steht es nun mit der Gleichsetzung der Gnade in V.2 mit der Liebe Gottes in V . 5 b - 8 ? Zunächst fallen hier die einander entsprechenden perfecta praesentia auf: ¿Vatikanum II klingt eine ähnliche Sicht an: „Wer das Evangelium Christi und seine Kirche ohne Schuld nicht kennt, Gott aber aus ehrlichem Herzen sucht, seinen im Anruf des Gewissens erkannten Willen unter dem Einfluß der Gnade in der Tat zu erfüllen trachtet, kann das ewige Heil erlangen" (Konstitution über die Kirche 16). Die lutherische Tradition lehnt diese „außerordentliche" oder „zureichende G n a d e " trotz möglicher Anhaltspunkte bei Luther ab, weil sie das „dreifache Solus der Rechtfertigung" und strenggenommen die Einmaligkeit der Christusoffenbarung abschwäche (Pesch/Peters 257). Indem die Aufklärung Jesus zum Urbild letzten menschlichen Vertrauens auch angesichts existenziellen Scheiterns und somit zum „Symbol einer göttlichen Segens- wie Gnadenhilfe für jeden einzelnen strebenden Menschen wie für das gesamte Geschlecht, ja schließlich für die transzendierende Lebensdynamik im K o s m o s " mache, habe sie den Grund für das Gnaden- und Rechtfertigungsverständnis im Idealismus gelegt ( a . a . O . 264).

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4. Idealismus Im Deutschen Idealismus soll kraft des Vernunftvertrauens die Gnade nicht nur einsichtig, sondern aus Einsicht erfahrbar gemacht werden. Anknüpfend an das lutherische Freiheitsdenken k o m m t das individuelle sittlich-religiöse Freiheitserlebnis im transzendentalen Akt als innerweltliche Liebe zur Menschheit an ihr Ziel (vgl. TRE 11,528—531). Gnade hat ihren Spielraum zwischen den elliptischen Brennpunkten der individuellen Begegnung mit dem Gebot einerseits und der Umsetzung des Gebotenen in die Pflicht andererseits. Für —»Kant ereignet sich im Spannungsfeld zwischen -»Gebot und -»Pflicht die Gnade der Rechtfertigung und der Heiligung. Der Christus in uns, als das Leitbild für die individuelle menschliche Vernunft, entspricht ideell der göttlichen Macht, welche das Zurückbleiben des Individuums hinter dem Ideal vergibt und den einzelnen prozessual zum Ziel führt. Indem eine solche Möglichkeit individueller Sittlichkeit bejaht wird, kommt die Sinnhaftigkeit des humanen Strebens und die Öffnung ins Unendliche mit ins Spiel. Weltüberschreitendes Vertrauen und weltzugewandte Liebe werden als Rechtfertigungs- und Heiligungsgnade verstanden. Vollendet wird die Gnade indessen erst im Eschaton erfahren, jetzt lebt die Menschheit im eschatologischen Vorgriff. Gnade wirkt so nicht - wie etwa in der Vorstellung des Tridentinums - „übernatürlich", was nach Kant ein „schwärmerischer W a h n " wäre, sondern als jeden Rechtsanspruch übersteigende Hilfe Gottes, d. h. als „höhere Gnade" (Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, 2 1794, 100ff). J . G . -»Fichte reflektiert die Gnade stärker im individuellen Bereich, indem er die Möglichkeit des grundlosen Durchbrechens von sittlichem Wollen im an sich sinnlichen Menschen als Gnade erkennt und mit der „moralischen Weltordnung" in Zusammenhang bringt. Die Diastase zwischen Gebot und Pflichttat verlagert sich vom „Du sollst!" bei Kant auf ein verheißendes „Du wirst!" In einer zur unio mystica tendierenden „absoluten Identität der Menschheit mit der Gottheit" (vgl. Beilage zur 6. Vorlesung der „Anweisung zum seligen Leben" 279-286), hat Jesus die verheißene Gnadenmöglichkeit vorweggenommen, welche Fichte in seiner „Wissenschaftslehre" (1804) denkerisch aufarbeite und realisiere (aaO. 187—203). So kommt im Sinne einer gnadenhaften pneumatischen Spontaneität „das gebietende Soll zu spät; ehe es gebietet, will er [sc. der Mensch] schon und kann nicht anderes wollen" (Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters 628). In seiner Ideologia crucis geht Fichte auf das Simul iustus ac peccator des Begnadeten ein, welches über den Pietismus hinaus die innere Dialektik von Gewinn und Selbstaufgabe des Ich umschreibt: „Sonach besteht das vernünftige Leben darin, daß die Person in der Gattung sich vergesse, ihr Leben an das Leben des Ganzen setze und es ihm aufopfere" ( a . a . O . 429). Indessen tritt bei einem solchen Gnadenempfang die unio mystica immer stärker an die Stelle der reformatorischen communio fidei: Der Mensch kann „sich selbst als die eigentliche Negation" vernichten und sodann in Gott versinken (Pesch/Peters 281). Zugleich gilt jedoch: „Solange der Mensch noch irgendetwas selbst zu sein begehrt, kommt Gott nicht zu ihm, denn kein Mensch kann Gott werden" (Anweisung zum seligen Leben 230). G.W.F. -»Hegel knüpft an Luthers Rechtfertigungsgnade an und ändert sie in eine rationalspekulative Dialektik um, indem er des Reformators Vers auf die Gnade „Des Christen Herz auf Rosen geht, wenns mitten unterm Kreuze steht" dahingehend interpretiert, daß die Vernunft „die Rose im Kreuz der Gegenwart" (Grundlinien der Phil, des Rechts, VII, 35) sei. Statt eines „irrationalen Geschehens" bedeutet für Hegel Gnade „die Vernunft Gottes, an die er auch unter der Dunkelheit der Gegenwart glaubt" (Neuenschwander, Gott 1,191). Gnade wird dann zur Überwindung des im Bestehenden Negativen. „Das Subjekt der göttlichen Gnade, als solches, das versöhnt ist mit G o t t " , hat unendlichen Wert, insofern es gewußt ist „als die unendliche Gewißheit des Geistes seiner selbst, als die Ewigkeit des Geistes" (Hegel, Phil, der Religion II [hg. v. H. Glockner 16] 341).

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Ausdrücklich auf Jesus Christus bezieht ->Schleiermacher als reformatorischer T h e o loge die Lehre von der Gnade. Die Wiederentdeckung der Gnade geht auf den irdischen Jesus und sein ständig in den Herzen der Gläubigen wirkendes Bild zurück. „ D i e s ist der H a u p t p u n k t , der zu allen Zeiten die rechten evangelischen Christen zusammenhält; dagegen, w e n n wir dies fahren lassen, wenn j e m a n d in Bezug auf sein Heil sich auf sich selbst und auf seine Vernunft so verlassen will, d a ß er die Unterstützung der göttlichen G n a d e in C h r i s t o von sich abweiset und sich von dem Erlöser ablöst, dann hat alle sonstige Ubereinstimmung keinen W e r t " (Predigt zu I Petr 3 , 1 5 , D o g m . Predigten der Reifezeit 285).

Sünde wird als Abwendung von Gott begriffen, Gnade aber ist „die Gemeinschaft mit G o t t , als auf einer Mitteilung des Erlösers b e r u h e n d " (Christi. Glaube § 63). Gnade ist nicht selbst dialektisch, sondern steht als der eine Part im dialektischen Begriff von der Wirklichkeit: „ D a s Sein der Sünde [ist] mit und neben der Gnade von G o t t g e o r d n e t " , indessen ist die „Sünde verschwindend neben der G n a d e " (aaO. § 80). Die christliche Taufe vermittelt nicht die Gnade direkt, sondern „verleiht mit dem Bürgerrecht in der christlichen Kirche zugleich die Seligkeit in Bezug auf die göttliche Gnade in der Wiederg e b u r t " (a. a. O . § 137). D i e Wiedergeburt hat ihre genaue Stufenabfolge, wobei die Christusgnade an die im Menschen immer schon vorhandenen Christusimpulse als dem „unaustilgbaren R e s t " der imago Dei anknüpfe. Dabei ist die Rechtfertigung das Ziel der Bekehrung, welche unterteilt ist in Buße, Reue und Glaube und auf die Sinnesänderung zuläuft, was die zuvorkommende und vorbereitende Gnade erfordert. Sofern der M e n s c h „den wahren Glauben an den Erlöser h a t " ( a . a . O . § 109), gelangt er durch die Christusgnade zur Rechtfertigung (a. a. O . § 107). Die Rechtfertigung des einzelnen Menschen mündet in die weltumspannende Durchdringung von Geist und Natur ein, welche in Jesus Christus nicht mehr rückgängig gemacht werden könne. Die Heilsgnade wird universal. „Alle religiösen G e f ü h l e . . . als sie durchs Universum unmittelbar gewirkt s i n d " , heißen Gnadenwirkungen. Gnade empfindet, wer sich „seiner Gefühle als unmittelbarer Einwirkung des Universums bewußt i s t " (Über die Religion 119f).

5. 19.

Jahrhundert

Die Lehre von der Gnade bewegt sich im 19. J h . zwischen einem biblisch-reformatorischen und einem neuprotestantischen Ansatz. Den „locus classicus der lutherischen und calvinischen R e f o r m a t i o n " (K. Barth, Prot. T h e o l . 580) entdecken einerseits die sogenannte Erlanger Theologie (vgl. T R E 10, 162) und andererseits der Elberfelder Pfarrer H . F r . - » K o h l b r ü g g e und seine Professorenschüler J o h a n n e s Wichelhaus und Eduard Böhl. Wegbereiter der einen ist E A . G . - » T h o l u c k ( 1 7 9 9 - 1 8 7 7 ) , der in seiner Zeit einen „ K a m p f der G e i s t e r " sieht, „wie er vielleicht seit den Tagen der Reformation nicht gewes e n " (Die Lehre von der Sünde, 1823. Vorwort I V f ) . Die Rechtfertigung wird in diesem „neuen Glaubensfrühling" wieder reformatorisch in den Vordergrund gerückt: Keine Heiligung ohne Rechtfertigung! Diese wird indessen nur durch radikale Selbsterkenntnis gewonnen: „ O h n e die Höllenfahrt der Selbsterkenntnis ist die Himmelfahrt der Gotteserkenntnis nicht m ö g l i c h " (aaO. 4 0 f ) . Dabei spielt die zuvorkommende Gnade insofern eine fundamentale Rolle, als der M e n s c h „seiner innersten Natur nach mit G o t t verwandt, auch eben durch dieses Leben in seinem Geiste für die Wahrheit, Heiligkeit und Seligkeit empfänglich" bleibt (aaO., Aufl. v. 1871, 2 3 0 f ) . Dieser neureformatorischen Sicht folgen C. - > H a r m s mit seinen 95 Thesen zum Reformationsjubiläum 1817, Julius Müller mit seiner Betonung persönlicher Sünde und Gnade gegenüber einer kosmischevolutiven Auffassung und G . —•Thomasius, der den articulus iustificationis herausstellen will, indem er die Erfahrung des Glaubens „von Innen h e r a u s " zur Geltung bringt. Eine Wiederbelebung der R e f o r m a t i o n reformierter Prägung erfährt das sola gratia auf dem Hintergrund der doppelten Prädestination im Kreis um Kohlbrügge. Heiligung wird nur in der Paradoxie von letzter Gottesferne und hierin ergehender Christusgnade

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503

erfahren. Allegorisch deutet K o h l b r ü g g e J o s u a und C a l e b , w e l c h e in das L a n d K a n a a n gelangen, als S e l i g m a c h e r und H u n d : „ O h n e m i c h , ja gegen m i c h hat er mich selig gem a c h t n a c h dem R a t s c h l u ß seines W o h l g e f a l l e n s in C h r i s t o J e s u . Bei mir hat er nichts gefunden als Sünde. Bei ihm finde ich nur B a r m h e r z i g k e i t . - W e l c h e s ist das d a n k b a r s t e G e s c h ö p f G o t t e s ? D e r H u n d . W o r i n wird also deine D a n k b a r k e i t bestehen? D a r i n , d a ß ich bei der G n a d e bleibe, wie der H u n d bei seinem H e r r n " ( E r l ä u t e r n d e u. befestigende Fragen u. A n t w o r t e n 151). In A b l e h n u n g einer spekulativen M e t a p h y s i k e b e n s o wie einer positivistischen N a t u r f o r s c h u n g fragen A . - > R i t s c h l ( 1 8 2 2 - 1 8 8 9 ) und W. - > H e r r m a n n ( 1 8 4 6 - 1 9 2 2 ) n a c h der r e f o r m a t o r i s c h e n W i r k l i c h k e i t s d e u t u n g unter d e m G e s i c h t s p u n k t der G n a d e . Ritsehl stellt die F r a g e nach dem „selbständigen G a n g " des sola gratia der R e f o r m a t i o n , indem er das pro nobis L u t h e r s a u f den Prüfstand der E r f a h r b a r k e i t h e b t : „Alles, w a s als G n a d e n w i r k u n g e n G o t t e s auf den Christen zu erkennen i s t " , m u ß „ i n den entsprechenden religiösen und sittlichen A k t e n " nachgewiesen w e r d e n (Festrede a m vierten S ä k u l a r t a g e der G e b u r t M . L u t h e r s 2 7 ) . D i e F r a g e n a c h der T r a n s z e n d e n z des O b j e k t i v e n und nach den Bedingungen menschlicher H e r r s c h a f t über die N a t u r übersteigt eine naturwissenschaftliche E m p i r i e . In einer „ d u r c h G o t t geschaffenen und nach seinem E n d z w e c k geleiteten W e l t " ( R e c h t f e r t i g u n g und Versöhnung III, 197) geht es u m das jetzige, nicht u m das e s c h a t o l o g i s c h e W i r k e n der G n a d e . Als K r o n z e u g e dieser Position k a n n R i t s c h i s S c h w i e gersohn J . - » W e i ß g e n a n n t werden: „ W i r bitten n i c h t m e h r : es k o m m e die G n a d e und es vergehe die Welt, s o n d e r n wir leben der f r o h e n Z u v e r s i c h t , d a ß s c h o n diese Welt der S c h a u p l a t z einer , M e n s c h h e i t G o t t e s ' i m m e r m e h r werden w i r d " (Die Predigt v o m R e i che G o t t e s 67). D u r c h die E n t e s c h a t o l o g i s i e r u n g der r e f o r m a t o r i s c h e n Reich-Gottes-Theologie ( - • H e r r s c h a f t Gottes/Reich G o t t e s ) und eine A b s c h w ä c h u n g der C h r i s t o l o g i e wird die G n a d e ausdrücklich allem G e s e t z v o r g e o r d n e t , „ d a ß die E r f a h r u n g von G o t t e s G ü t e o d e r G n a d e jedem G e s e t z vorausgeht, welches etwa gegenseitige R e c h t e G o t t e s und der M e n schen a u s d r ü c k t " (A. R i t s e h l , Unterricht in der christl R e l i g i o n , 6 1 9 0 3 , § 4 2 c ) . N i c h t durch Christus, sondern durch die E i n s i c h t in das gnädige A n g e n o m m e n s e i n v o r jedem Leistungszwang wird die V o r o r d n u n g des E v a n g e l i u m s vor d e m G e s e t z erlangt. H e r r m a n n b e t o n t die G n a d e n e r f a h r u n g als individuelle religiöse G e w i ß h e i t : „ W i r k l i c h e R e l i gion ist nur da, w o das U n b e d i n g t e die k o n k r e t e G e s t a l t einer irgendwie o f f e n b a r e n G o t t h e i t a n g e n o m m e n h a t , deren f a ß b a r e r Inhalt mit dem h ö c h s t e n G u t e des G l ä u b i g e n in K o r r e s p o n d e n z s t e h t " (Die R e l i g i o n im Verhältnis zum W e l t e r k e n n e n 1 5 4 f ) . H i n t e r der persönlichen G e w i ß h e i t treten S a k r a m e n t e , D o g m a und I n s t i t u t i o n s k i r c h e z u r ü c k . J e s u s ist das „ i n k a r n i e r t e S i t t e n g e s e t z " bzw. das „ i n k a r n i e r t e G o t t e s - wie S e l b s t v e r t r a u e n " (Pesch/Peters 3 1 9 ) , eine besonders verdichtete E r f a h r u n g , n i c h t a b e r Verursacher der Gnade. Eine vergleichsweise umsichtige Differenzierung der Gnadenlehre bietet die Christliche Dogmatik des Hegelianers A.E. -»Biedermann (1819-1885). Gnade ist nach ihm „Selbstoffenbarung des absoluten Geistes im endlichen Geiste" (W. Pannenberg: EKL 1, 1612), d.h. „actus purus" (Christi. Dogmatik § 866). Als Dogmenhistoriker des 19. Jh. stellt er die kirchlichen Positionen dar, sichtet sie in „confessionell(er) Differenzierung" (§ 460) und bestimmt sie als spekulativer Theologe für seine Zeit neu. Unter der Voraussetzung, „daß jede Erhebung des natürlichen Ich zur wirklichen Freiheit als Geist zugleich Wirksamkeit der göttlichen Gnade" ist (§ 867), hebt sich der Widerspruch zwischen der lutherischen gratia universalis und der reformierten gratia particularis dahingehend auf, daß die Gnade an sich universell jedem Menschen zukommt, partikulär, d. h. im Einzelfall aber von jedem aktualisiert werden muß (§ 868). Die gratia praeveniens, welche im Luthertum im ordo salutis als „ineipiens, praeparans, trahens" (beginnend, vorbereitend, ziehend) beschrieben und als vocatio externa und interna (äußere und innere Berufung) wirksam wird (§ 506), sind im Hinblick auf die äußere Berufung nach Biedermann „alle Momente der natürlich vermittelten Selbsterweisung des absoluten Geistes in der natürlichen und in der sittlichen Weltordnung, welche der Erhebung des einzelnen natürlichen Ich zur freien Selbstbestimmung als Geist vorausgehen" (§ 869). Im Hinblick auf die innere Berufung sind es die im Geistesleben des natürlichen Ich selbst motivierenden Selbstbestimmungen des absoluten Geistes (ebd.). Die eigentliche Gnade ist die gratia operans, welche als

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Energie des absoluten Geistes in zweifach transzendierender Weise wirkt: einerseits als die das Subjekt von außen aufbrechende und andererseits als die die menschlichen Schranken von Innen her übersteigende Kraft (§ 870). Transzendentaltheologisch wäre Gnade die Kraft des Transzendierens überhaupt. Die gratia cooperans (mitwirkende Gnade) ist dagegen eine besondere Anwendung des coticursus divinus (Zusammenspiel zwischen Gott und Mensch), welcher als „reinste(r) Ausdruck des logischen Widerspruchs"... „das Wesen jeder geistigen Vorstellung" insofern ausmacht, als er den allgemeinen Einheitsgrund wie ein isoliertes Einzelnes mit allen anderen Einzelnen zusammenwirken und somit aus dem Gegeneinander der einzelnen Wirklichkeitsmomente ein einziges Zusammenwirken hervorbringt (§ 653). Auf diese Weise wird der einzelne als Glied der sittlichen Welt in seinem geistigen Leben unterstützt, was der kirchlichen Anschauung von der Wirkung der Gnadenmittel gleichkommt. Die nach kirchlicher Lehre eingeführte gratia applicatrix ist dankbar anzunehmen, wenn sie nicht im römisch-katholischen Sinn an die Kirche übertragen wird, sondern „das vom Sohn für die Menschheit objektiv vollbrachte Werk der göttlichen G n a d e " . . . „durch den heiligen Geist auch subjektiv auf sie (s.c. die Menschheit) appliciert" näher: in sie einwirkt (§ 501). Sie entspricht der gratia adiutoria (helfenden Gnade), welche durch Christi Tugendbeispiel und Predigt von der Gnade des Menschen Heilserwerb erleichtert (ebd.). Die genannten Werke Christi sind aber nach Biedermann nur als Ausdruck für die Vollmacht des mit Jesus Christus selbstverwirklichten religiösen Realprinzips zu verstehen.

Einen Neuansatz auf einer exegetischen, historischen und systematischen Grundlage bringen um die Jahrhundertwende M . —»Kähler (1835—1912) und H. -»Cremer. Weltübergreifende Christusversöhnung und dem einzelnen Menschen jeweils zugewandte Rechtfertigung bedingen sich wie das Ein-für-alle-Mal des Geschehens im „Bild J e s u " und die „lebendige Gegenwart" des Versöhners heute (Kahler, Der sog. hist. Jesus u. der gesch. bibl. Christus, 1892). Dabei ist die Identität des Gekreuzigten und zur Rechten Gottes erhöhten Jesus Christus insofern konstitutiv, als sie nicht nur „Grund und M a ß für die Christologie" ist, sondern die Notwendigkeit der Gnade erweist. Die Opferhingabe Jesu Christi ist als Akt der Versöhnung und für Gott selber zutiefst notwendig, weil Gnade sich darin zeigt, „daß Z o r n und Liebe Gottes nicht als zwei ringende M ä c h t e vorzustellen sind, vielmehr der Z o r n der Liebe zugleich als Mittel für ihre endgültige Erweisung dient" (Kahler, Wiss. der christl. Lehre, Nr. 333, 300). H. Cremer umschreibt dies folgendermaßen: „Das Rechtfertigungsurteil ist ergangen in der Auferweckung Christi, die nicht bloß seine Rechtfertigung war, sondern auf Grund der Rechtfertigung der Welt verkündigt und dargeboten als für sie vorhandene, fertige Gabe. Wer sie glaubt, hat sie, - wer sie nicht glaubt, verliert sie und geht wegen des Verlustes der Gnade verloren. Vorhanden ist sie in Christus, darum gilt es, Christum haben und in ihm die Erlösung, die Vergebung der Sünden" (Die paulinische Rechtfertigungslehre 436).

6. 20.

Jahrhundert

Zu Beginn des 20. J h . kommt die Gnade als Inbegriff der christlichen Existenz, sogar unter dem Titel „Triumph der G n a d e " (K. Barth) und als umfassendes Angenommensein durch Jesus Christus (P. -»Tillich) zur Geltung. Dabei ist sie die Umschreibung für heilsgeschichtliche Vorgänge genauso wie für das zentrale Heilswerk Jesu Christi. Rechtfertigungs- und Heiligungsgnade verschränken sich in mehrfacher Hinsicht. K. - » H o l l ( 1 8 6 6 - 1 9 2 6 ) und sein Schülerkreis vertreten die Ansicht, daß sich Gerechtsprechung und Gerechtmachung zueinander wie „Mittel und Z w e c k " verhalten (K. Holl, Ges. Aufsätze I, 123). E. -»Hirsch ( 1 8 8 8 - 1 9 7 2 ) bezieht sich auf die Gnadenlehre A. -»Oslanders (s.o. S. 496, 40ff), nach welcher der Mensch nicht nur forensisch gerechtgesprochen, sondern durch die vorweggenommene endgültige Gnade jetzt auch schon gerechtgemacht ist. Gnade ist Erfahrung der unio mystica. K. -»Barth widerspricht der unio mystica und gibt seinem Ansatz radikalere Dimensionen, indem er im Anschluß an S. -»Kierkegaard vom „unendlichen qualitativen Unterschied" zwischen Gott und Mensch (Römerbrief, Vorwort zur 2. Aufl. XIII) ausgeht, welcher für die -»Dialektische Theologie keine Gnade ohne Jesus Christus zuläßt. „Der Triumph der G n a d e " meint: „Indem Jesus siegt, triumphiert die in ihm erschienene Gnade G o t t e s " (KD I V / 3 , 197). In der „permanenten Krisis von Zeit und Ewigkeit"

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(Römerbrief XIV) kann Gnade nicht als unio mystica erfahren werden, sondern „unser Erlebnis ist das, was nicht unser Erlebnis ist, unsre Religion besteht in der Aufhebung unsrer Religion" (Römerbrief, 2. Aufl., 84). Die Gnade lebt von Christus: „Die in ihm gegebene Möglichkeit ist deine Möglichkeit" (a. a. O. 258). „Gnade ist Gnade da, wo die religiöse Möglichkeit... geopfert ist" (aaO. 165). „Unser Dasein und Sosein geschieht kraft der Erkenntnis des Sohnes Gottes ,nach dem Geiste'" (a. a.0.265). „Gnadenwahl ist das ganze Evangelium, das Evangelium in nuce" (KD II/2, 13). Heiligung, Berufung und Rechtfertigung sind gleichgewichtig im ewigen Gnadenbund (s.o. S. 498) verankert, der im Ein-für-alle-Mal mit der Christusversöhnung vollendet worden ist. Arten und Mittel der Gnade, wie Wort und Sakrament, gelten als menschliche Responsorien im Glauben. Die gratia praeveniens kann somit bestenfalls als Anberaumung der Zeit für den Menschen begriffen werden (KD III/2, 635). Nicht einmal als „Eigenschaft Gottes" - wie in der reformierten Tradition sonst - kann Gnade uneingeschränkt angesehen werden, sondern als in Jesus Christus erschienenes Wesen Gottes selbst (KD IV/1, 591). Für E. —»Brunner ist Gnade ein religionsunterscheidender Zentralbegriff der christlich-biblischen Gotteserkenntnis. Das christliche Verständnis wurzelt „in der Erkenntnis der paradoxen Einheit der göttlichen Eigenschaften: Heiligkeit und Liebe" ( R G G 2 2,1262). „Ist die Heiligkeit die ,Selbstigkeit' Gottes, so ist umgekehrt die Liebe seine ebenso unbedingte Selbstlosigkeit'" (ebd.). In der Selbstigkeit schafft Gott die heilige Distanz, in der Selbstlosigkeit überwindet er die Schranke zur menschlichen Gemeinschaft (Dogm. 1,192-196). „Im Akt der bedingungslosen Begnadigung des Sünders zur vollkommenen Lebensgemeinschaft mit Gott ist beides, die göttliche Majestät und Liebe, eins" ( R G G 2 2,1262). Gnade ist eine in sich polar-paradoxe Macht göttlichen Ursprungs, welche formal vom religiösen Menschen erfahren, inhaltlich aber nur durch die Christusoffenbarung vermittelt werden kann. Da Gnade den entscheidenden, alles bestimmenden Hintergrund aller christlichen Glaubensaussagen darstellt, ist sie eigentlich kein besonderer locus in der christlichen Glaubensexistenz. Weil Gott durch die Gnade den Totalwiderspruch des sündigen Menschen gegen sich beseitigt, „ist das Kreuz die vollendete Gnadenerweisung Gottes" (ebd.). In der völligen Kapitulation des Menschen begegnet Gottes freischenkende Gnade als Rechtfertigungsgnade. Dabei ist Gott „das ergreifende Subjekt und der Mensch das ergriffene Objekt" (a.a.O. 1265). Gnade ist ein Personenakt zwischen Gott und Mensch und keine unio mystica etwa, im Sinne A. Osianders, in welcher der Mensch selbstwirkend zu sich selbst zu kommen trachte.

R. -»Bultmann betont besonders die existenzielle Relevanz der unverfügbaren Gnade: „Gottes Gnade ist für den Menschen Gnade in so radikalem Sinne, daß sie die ganze Existenz des Menschen trägt und nur von dem als Gnade verstanden werden kann, der seine ganze Existenz aus der Hand gibt und sich fallen läßt" in Gottes Heil (Anknüpfung u. Widerspruch 120). „Die Sünde ist der Anknüpfungspunkt für das widersprechende Wort von der Gnade" (ebd.). Und zugleich ist „Gottes Gnade nichts anderes als die Güte, die den Menschen so gelten läßt, wie er ist" (Gnade u. Freiheit 153). In Jesus Christus wird Gottes „allen unseren Werken zuvorkommende, schenkende Gnade sichtbar", d. h. „am Kreuz wird Gottes Gnade offenbar" (a.a.O. 154). Durch die Annahme der in Jesus Christus erneuerten Existenz begegnet der Mensch der Gnade, welche mit der Freiheit eine „paradoxe Einheit" bildet (a.a.O. 158), insofern diese neue Existenz „uns in radikalem Sinne" befreit (a.a.O. 161). Das alte Problem von Gnade und Freiheit wird dahingehend gelöst, daß beide gleichursprünglich aus dem Christusgeschehen sichtbar werden. Im Hinblicken auf Kreuz und Auferstehung ist der Glaube „Bedingung für den Empfang der Gnade" (a.a.O. 157). R Tillich richtet das Augenmerk auf die Wirkung der Gnade in einer modernen Welt. „Rechtfertigung durch Gnade im Glauben" bedeutet soviel wie das Trotzdem der paradoxen Annahme des neuen Seins: „Wir sind von Gott angenommen, obwohl wir nach den Kriterien des Gesetzes unannehmbar sind... Wir sind aufgefordert anzunehmen, daß wir angenommen sind" (Syst. Theol. 111,258). Gnade wird erfahren in der Wiedergeburt als dem Ergriffenwerden, in der Heiligung als dem Verwandeltwerden vom Neuen Sein (a.a.O. 11,189—194). Als aus Gottes Freiheit stammend, läßt sich die Gnade unabhängig

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von den Voraussetzungen der Kreatur auf die alltägliche Wirklichkeit ein, sie erweist sich als Überwindung der Entfremdung, z.B. in der Psychologie und Seelsorge. G o t t e s freie G n a d e hat drei G r u n d f o r m e n . „ D i e eine besteht in Gottes dreifacher Schöpferm a c h t . . . Sie verschafft allem Seienden Partizipation a m S e i n " ( a . a . O . 1,327). D i e zweite ist in sich polar und p a r a d o x : „Sie gibt Erfüllung dem, was von der Quelle der Erfüllung getrennt ist, und nimmt an, was u n a n n e h m b a r i s t " (ebd.). Die dritte ist Vorsehungsgnade und vereint die kreative und rettende G n a d e in sich, weil G o t t auf die Vollendung der Kreatur trotz allen W i d e r s t a n d e s aus ist. „ D e r klassische Begriff für diese F o r m der G n a d e ist z u v o r k o m m e n d e G n a d e (gratia praeveniens). D u r c h die E n t w i c k l u n g in N a t u r und Geschichte bereitet sie die A n n a h m e der rettenden G n a d e v o r " (ebd.).

Gnade wird aus der christozentrischen Umklammerung gelöst und universal als heilende Kraft des Neuen Seins begriffen. Da das Neue Sein für Tillich jedoch in Jesus dem Christus begründet ist, bleibt auch diese Gnade indirekt vom Gnadenbund in Christus abhängig. Das Neue Sein erstreckt sich auf alle Wirklichkeitsbereiche; so ist auch die korrelative Erkenntnismethode Tillichs im Grund durch die Gnade ermöglicht. Die Gnade bewirkt die Offenheit für das Wirken des göttlichen Geistes. Sie vergegenwärtigt die Liebe, welche zur moralischen Entscheidung befähigt. Ein von der Gnade „Ergriffensein und Verwandeltwerden" ist Glaube (Der Protestantismus als Kritik u. Gestaltung 58.61). Durch die Unterscheidung der „billigen Gnade" ohne Nachfolge und Kreuz von der existenziell erfahrenen und erlittenen Gnade vertieft D. -»Bonhoeffer den Gnadenbegriff und bereitet damit eine zeitgemäße Interpretation vor, welche die Systematik heute nicht übersehen kann. Verstand Bonhoeffer in seinen frühen Schriften Gnade konventionell z.B. als Merkmal der Gemeindezugehörigkeit des einzelnen Menschen (Sanctorum Communio 172) oder als das Korrelat von Gericht im Eschaton (a.a.O. 216), so bestimmen Leid und erfahrene Wirklichkeit in Widerstand und Ergebung seinen Gnadenbegriff. Gnade ist auch, „den zornigen Gott so handgreiflich zu spüren (zu) bekommen", in den grauenhaftesten Kriegsereignissen (27.11.43; 108). Nur wenn man im Leiden „das Gesetz Gottes über sich gelten läßt, darf man wohl auch einmal von Gnade sprechen" (2. Advent 43; 113). Das eigentlich eschatologisch geprägte Begriffspaar von Zorn und Gnade Gottes erfüllt sich in unserer Zeit auch darin, ob wir etwa durch einen Bombenangriff in Lebensbedrohung geraten oder verschont werden (9.3.44; 155-161). Die weitreichende Neuinterpretation der Gnade ist bei Bonhoeffer ausdrücklich christologisch begründet, indem „Christus als Wirklichkeit existiert". Der Weg zu diesem neuen Verständnis scheint selbst in Christus vorgezeichnet zu sein: „Christus entzog sich solange dem Leiden, bis seine Stunde gekommen war; dann aber ging er ihm in Freiheit entgegen, ergriff es und überwand es" (Nach zehn Jahren; 9). 7.

Dogmatisch

Unter der Voraussetzung, daß „die Wirklichkeit der Gnade das gesamte Heilswirken Gottes" (Pannenberg: EKL 1,1613) und dieses wiederum „ein personhaftes Geschehen" (H. Ott, Natur 202) ist, kann Gnade als ein personaler Begegnungsvorgang zwischen Gott, Mensch und Welt verstanden werden, in welchem nicht eines und ein anderes (z. B. Natur und Gnade) „aneinander anknüpfen", sondern geeint und bewegt sind von einem letzten Ursprung, der Gott selber als Gnade ist. Heutige Dogmatik entfaltet den Gnadentraktat am besten, indem sie 1. die geschichtliche und gegenwärtige Gnadenerfahrung hinterfragt, 2. die traditionellen Gnaden lehren nach dem Maßstab der Heiligen Schrift aufarbeitet, 3. ökumenische und interreligiöse Einsichten in einen offenen Lernprozeß integriert und 4. eine umfassende Theorie von der Gnade zu entwickeln versucht. Zwar kann Gnade heute nicht mehr auf ein Synonym für eine individuelle Rechtfertigungserfahrung reduziert werden, gleichwohl muß das reformatorische simul iustus ac peccator als ein allem Wirklichkeitsvollzug in und aus Gnaden gewährtes seinsbestimmendes Dennoch zur Geltung gebracht werden.

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7.1. Die Möglichkeit konkreter Gnadenerfahrung wird gegenüber oft künstlichen Umsetzungsversuchen von definierter Gnade in den Lebensvollzug, d.h. auch einem manchmal willkürlichen Austausch von ähnlichen Begriffen für Gnade bevorzugt. Die bei der individuellen und gesellschaftlichen Identitätssuche erforderliche, im christlichen Lebensvollzug wie in ->Taufe und Abendmahl erfahrene, im künstlerischen Akt erlebte, im technischen Gelingen ergriffene, in der Rechtspflege angewandte, in der - auch politisch - befreienden Hoffnung ersehnte und in vielen anderen heilsgeschichtlichen Belangen heutiger Zeit aufweisbare Gnade sucht nach einer wesentlichen Begründung und widerstrebt einem vordergründigen Gnadenformalismus im konservativ-nominalistischen Sinn genauso wie auf statistisch-linguistischer Basis mancher neuzeitlicher Versuche, wie z.B. gelegentlich in der Homiletik (vgl. Lange, Predigtstud. 34f). 7.2. Sowohl der erfahrungstheologische Zugang als auch die Überwindung einer vordergründig-formalen Behandlung des Gnadenproblems erfordert einen geschichtlichen Rückgriff auf die zahlreichen Aspekte zur Gnadenlehre, die Fähigkeit zum existenziellen Nachvollzug historisch bedingter Positionen und die Vision möglicher Gnadenwirkung in Z u k u n f t unter der Leitung biblischer Aussagen. 7.3. Dem schon lange eingeleiteten fruchtbaren Dialog über die Gnade zwischen den Konfessionen, z.B. über die hinlängliche und wirksame Gnade von römisch-katholischer Seite und der Alleinwirksamkeit der Gnade von evangelischer Seite (vgl. Pannenberg: EKL 1,1613), gesellt sich heute das Gespräch zwischen den Weltreligionen über aktuelle Themen, wie z. B. über die Gnade etwa im Jodo-Buddhismus und im Christentum (vgl. Okochi/Otte, Tannisho). Unter diesen drei Gesichtspunkten erfährt der Begriff Gnade eine sachlicheVertiefung, und der konkrete Geltungsraum der Gnade wird universal erweitert, ohne den paulinisch-reformatorischen Ansatz aufs Spiel setzen zu müssen, dafür aber die Geltung des in Christus begründeten simul iustus ac peccator für heutige Probleme hilfreich hervorheben zu können. Die Auffassung von Gnade und ihr Geltungsraum können für die heutige Dogmatik durch folgende exemplarische Tendenzen angedeutet werden. Gnade ist das Durchdrungensein von Mensch und Gott in der ungeschuldeten Hinwendung Gottes zur Welt und damit in zahllosen heutigen Lebenszusammenhängen zu erfahren. Sie ist darin aber auch und vielmehr die Einwohnung der Dreifaltigkeit im Menschen als Erfahrung eines Souveränen, eines Vermittlers und einer unwiderlegbaren Ermutigung im Leben. Indem sie so am göttlichen Wesen Teilhabe gibt, gestaltet sie den Menschen mit dem gekreuzigten und auferstandenen Jesus Christus gleich und sein Leben in eine neue Schöpfung um. Die Rechtfertigungsgnade erfüllt sich dabei nicht allein in der individuellen Heilserfahrung, sondern gewährt — ebenso forensisch wie in der reformatorischen Gnadenlehre - wirksames Heil durch das Gemeinschaftswesen Mensch in der Neuerkenntnis, Bewahrung und zukunftsträchtigen Gestaltung der erfahrbaren Wirklichkeit, indem sie sich durch das Wort Gehör und durch die erwirkte Tat Geltung verschafft. Der Begnadete erfährt in der Hinwendung zur Welt und ihrer Probleme als Hörer des Wortes und zur Tat Befreiter Rechtfertigung und Heiligung zugleich, weil die ungeschaffene Gnade auch dann bleibt, wenn die geschaffene Gnade im Vollzug der Heiligung nicht sichtbar, sondern nur als verheißene Möglichkeit existent werden sollte. Spiritualität ist die treffende Bezeichnung für den Zusammenhang von Gott, Mensch und Welt in Gnade. Spiritualität lebt davon, daß die Gnade stärker als die Sünde ist. So kann Gnade allem scheinbaren Widersinn zum Trotz zur Annahme und Entdekkung von Sinn in allen wesentlichen Lebenszusammenhängen ermutigen und solche der Vernunft als einer von Gott „absolut ungeschuldeten" Gabe (Boff 88) zur theoretischen und praktischen Aufarbeitung zumuten, seien solche Zusammenhänge wissenschaftstheoretischer, geschichtlicher, technologischer, ökologischer, soziologischer, politischer, kultureller oder welcher Art. „Gnade ist Gott als Kommunikation mit dem Geschöpf, als Glanz in der Welt und Schönheit im Kosmos" (a.a.O. 93). Insofern alle solche Lebenszusammenhänge dem Absurden durch Mißbrauch verfallen können, bedeutet Gnade „die

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Chance dem Bösen zu entgehen, das als Möglichkeit (schon) im erkenntnistheoretischen Status der Wissenschaft steckt" (a.a.O. 97). Gnade erweist sich des weiteren in der Erfahrung einer Identität unter der M a c h t des eigentlich nicht Identischen. Sie ist einerseits eine dialektische Wirklichkeit, insofern sie sich in einem „gegenseitigen Bedingungszusammenhang zweier entgegengesetzter Wirklichkeiten" zeigen kann. Sie ist andererseits paradoxe Wirklichkeit, insofern sie wirklich und in Kraft bleibt „auch inmitten in dem, was ihr, logisch betrachtet, zerstörend widerspricht" (Pesch/Peters 391 f). Deshalb läßt sich Gnade trotz aller Unheilserfahrung, trotz aller Seinsbedrohung, trotz allem Absurden als die M a c h t und innere Struktur des Seins erfahren. Hierin erweist sie sich als Gegenwart von Auferstehung mitten im Geschehen der Kreuzigung. So gesehen ist Gnade M u t zur Freiheit inmitten einer erlittenen Unfreiheit. Eine Stimme aus Lateinamerika hält fest: „Gnade Gottes ist der Weg von Theologie und Kirche, die auf die Schreie des Volkes hören wollen, in der Kultur, die sich hier allmählich entwickelt, eine neue Inkarnation des Evangeliums suchen und sich um eine Glaubenspraxis bemühen, die sich am Aufbau der Welt engagiert, damit die neue Welt, die Gott allen Menschen bringen wird, vorbereitet und antizipiert werden k a n n " (Boff 132). Gnade als Inbegriff aller wesentlichen Lebensvollzüge ist das Erleben der „Christusförmigkeit" in unserer Zeit und Unfreiheit. „Gnade ist eine einzige Bewegung [vom Verf. gesperrt], die einerseits in ihrer Gesamtrichtung betrachtet werden kann und dann habituelle G n a d e " genannt werden könnte, „und andererseits in ihrer konkreten Aktion in den Schritten eines Lebensweges gesehen werden kann und als solche aktuelle G n a d e " heißen könnte (a.a.O. 200). 7.4. Die solche Gnadenerfahrung beleuchtende Theorie entwickelt E. Jüngel in seiner vergleichsweise umfassenden, indessen von ihrer Absicht her nicht spekulativen Gnadenlehre, in welcher er auf das An-und-für-sich Gottes verzichtet, dafür aber Gottes Zielen auf das Werden des Geschöpfes herausstellt. „Es ist aber dieses Zielen Gottes auf die Welt nur verständlich als der im Sein Gottes sich offenbarende Ausdruck seiner G n a d e " (Jüngel, Geheimnis 526). Insofern die Schöpfung zum Sein Gottes gehört, ist diese Hinwendung Gottes nicht Preisgabe, sondern Vollendung seiner Souveränität. Diese Hinwendung ist jedoch grundlos, da sich Gott auch ohne Schöpfung selbst genug, d.h. die Fülle ist, welche keinen Mangel, sondern Überfluß hat. „Indem Gott sich selber genug ist, ist er Sein im Überfluß, ist sein überströmendes Sein Ausdruck seiner G n a d e " (ebd.). Der Mensch hat an dieser ursprünglich wirkenden Gnade in Jesus Christus teil und ist durch solche Teilhabe in ein neues, sich strukturell vom gewohnten unterscheidendes Sein versetzt. Unter der Voraussetzung der Ewigkeit Gottes und der mit der Schöpfung des Menschen sich unbestreitbar einstellenden Zeitlichkeit ist es die Gnade, welche eine wirksame Relation zwischen Ewigkeit und Zeit schafft. Denn „man muß beides - die ewige Herkunft Gottes von Gott und die zeitliche Herkunft des Menschen von Gott streng unterscheiden, um die tatsächliche Beziehung, die zwischen beidem waltet, um die tatsächliche Gnadenrelation zwischen Gottes ewigem Werden und unserem zeitlichen Werden im Glauben zu erkennen" (ebd.). In Jesus Christus als dem Urbild des von G o t t „ewig unterschiedenen Geschöpfs" (ebd.), in dem Gott auf die Schöpfung zielt, „gerade in diesem ewig von Gott kommenden Sohn Gottes zielt Gott auf den zeitlich von G o t t kommenden M e n s c h e n " (ebd.). Das Sein Jesu Christi ist Zeuge jenes Zielens Gottes in Gnade, insofern in ihm strukturell jene Koinzidenz von Ewigkeit und Zeit, von Ähnlichkeit und Unähnlichkeit, von Ferne und Nähe, von Hoheit und Erniedrigung, von Unterschiedenheit und Beziehung mitschwingt. „Oder um paulinisch zu fragen (wir haben es ja in alledem mit Gottes Verhältnis zum homo peccator zu tun): wie ist dasjenige Sein zu nennen, das der sich mehrenden Sünde mit noch mehr Gnade begegnet (Rom 5,20) ? " (a.a.O. 407). Es ist das Sein, welches als dialektisch und paradox erfahren wird und selbst Inbegriff der Gnade genannt werden muß.

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Gnesiolutheraner

Gnesiolutheraner 1. Personen- und Wirkungskreis 2 . D e r Beitrag zu den Lehrstreitigkeiten 2.1. Adiaphoristischer Streit 2 . 2 . Osiandrischer Streit 2 . 3 . M a j o r i s t i s c h e r Streit 2.4. Antinomistischer Streit 2.5. Synergistischer Streit 2 . 6 . Abendmahlsstreitigkeiten 3. D e r Beitrag zu den Einigungsbemühungen des Luthertums (Quellen/Literatur S. 5 1 8 )

l. Personen- und

Wirkungskreis

Als Gnesiolutheraner bezeichnet man die Theologen, welche in den innerprotestantischen Lehrstreitigkeiten zwischen dem -»Interim (1548) und der —»Konkordienformel (1577) Luthers Erbe gegen Aufweichungen und Überfremdungen bewahren wollten. Der Sammelbegriff, mit dem die Dogmengeschichtsschreibung Luthers besonders treue Anhänger im 16. J h . bezeichnet, war diesen Theologen ebenso wie ihren Gegnern, den Philippisten bzw. -»Kryptocalvinisten, nicht bekannt und gebräuchlich. Vorgebildet hat ihn -»Melanchthon bereits 1537 (CR 3,453; Neuser 9). Während die Glieder der Gruppe selbst sich als Lutheraner bezeichneten, wurde ihnen von den Philippisten der Beiname Flacianer gegeben, wogegen sie sich verwahrten, da sie in Matthias —»Flacius Illyricus nicht ihren Lehrer anerkannten (Ritsehl 11/1,326). Tatsächlich hatte diese Bezeichnung pejorativen Charakter. Neuerdings hat man daher vorgeschlagen, den Begriff Flacianer „auf Theologie und Kirchenpolitik der die flacianische Erbsündenlehre bejahenden" Theologen zu beschränken und die verschiedenen Strömungen der Spätreformation deutlicher differenziert zu benennen (Barton 10 f; Koch 13). Als Vater der Gnesiolutheraner muß man Nikolaus von -»Amsdorf ansehen, der seit 1548 in Magdeburg als „Exul Christi" lebte. Die freie Reichsstadt -»Magdeburg mit ihrem blühenden Druckgewerbe bot seit 1549 auch Flacius Asyl. Hier wirkte ab 1549 Nikolaus -»Gallus als Pfarrer an St. Ulrich. 1548 kam Erasmus -»Alber in die seit dem -»Schmalkaldischen Krieg geächtete Stadt, in der als „unseres Herrgotts Kanzlei" mit entschlossener Kraft für die Sache des deutschen Protestantismus gekämpft wurde; „was in Wittenberg und Leipzig fehlte, die große religiöse Leidenschaft, war in Magdeburg Gemeingut aller" (Voit 135). Die Pfarrer Johann Wigand und Matthäus Judex gehörten zu den wichtigsten Mitarbeitern von Flacius, der die „Seele des Widerstandes gegen die Vertreter des , I n t e r i m s ' " wurde (Lohse 110). Neben die Stellungnahmen zu theol. Streitfragen tritt für die Magdeburger Theologen die Bemühung, die reformatorische Kirche als die legitime Fortsetzung der Alten Kirche darzustellen. Wigand und Judex legten mit ihrem Syntagma seu Corpus doctrinae Christi ex novo testamento..., das Flacius immer wieder lobend erwähnte, ein Werk vor, das ihren Ruf als „die eigentlichen D o g m a t i k e r " unter den Gnesiolutheranern begründete (Ritsehl 1,133). Zentrum der Bewegung sollte die Universität - » J e n a werden. Sie verdankt ihre Entstehung der Gunst - » J o h a n n Friedrichs von Sachsen. Zwar hatte die neue theol. Schule noch nicht Universität - ihre Arbeit am 19. März 1548 bereits aufgenommen, war aber der -»Wittenberger Universität durch den Streit um das Interim entfremdet worden. Außerdem konnten die Ernestiner den Verlust der Kurwürde nicht verschmerzen. Auch deshalb sahen sie sich berufen, das strenge Luthertum durch Gründung der Jenenser Universität zu stützen, die von nun an Luthers Erbe bewahren sollte. Wittenberg im albertinischen Einflußbereich hielt man dazu nicht mehr für fähig. In Jena hatte man unter Amsdorfs Einfluß den Druck einer -»Lutherausgabe mit landesherrlicher Förderung begonnen (WA 6 0 , 4 9 5 - 5 4 3 ) , die sich das Ziel setzte, Luthers „Bücher vnd Schrifften... der Christlichen Kirchen zu gut rein, vnuerfälscht, on Zusatz, gantz vnd ordentlich" ( a . a . O . 496) zu publizieren. Als Flacius am 1 7 . M a i 1557 seine Antrittsvorlesung in Jena hielt (Preger 2 , 1 0 8 - 1 1 2 ) , brachte er sein Magdeburger Arbeitsprogramm mit. Der Professor für Neues Testament gab eigenem Schriftstudium den Vorzug vor abgeleitetem Kompendienwissen. Nur so konnte er Gewißheit finden. Flacius hatte bereits großen Einfluß im ernestinischen Sach-

Gnesiolutheraner

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sen, als die offizielle Erhebung der Akademie zur Universität am 2. Febr. 1558 erfolgte. Trotzdem hatte er auch an diesem Ort Gegner, an deren Spitze Victorinus -»Strigel auftrat. Durch die Berufung von Wigand und Judex wurde das alte Magdeburger Team wieder in Jena vereint. Der Einfluß der Flacianer in Jena hatte seinen Höhepunkt erreicht. Seine Dauer blieb kurz. Der Streit um die Erbsünde beendete ihn schon bald. Zu den Gnesiolutheranern gehörten noch Simon Musäus, der Nachfolger des 1558 verstorbenen Erhard -»Schnepf, die beide in Jena lehrten. Freunde von Flacius gab es auch in den norddeutschen Hansestädten: Joachim -»Westphal in Hamburg, Joachim -»Mörlin in Braunschweig und Tilemann -»Heßhusen in Rostock, der später nach Jena kam. Zu nennen wären aber auch andere Städte, z. B. Regensburg, wo Gallus als Superintendent wirkte, der Flacius zeitweise Asyl bot (Preger 2,228-284). 2. Der Beitrag zu den

Lehrstreitigkeiten

2.1. Adiaphoristischer Streit. Nach Luthers Tod fehlte dem deutschen Luthertum die geistliche Autorität. Kaiser -»Karl V. versuchte nach seinem Sieg im Schmalkaldischen Krieg, die Religionsfrage in Deutschland durch ein Machtwort zu lösen. Im Juni 1548 wurde das sog. Augsburger -»Interim durch Aufnahme in den Reichstagsabschied reichsrechtlich verbindlich. Die Widerstände bei der Einführung des Interims zeigten, wie tief die Reformation in breiten Schichten verwurzelt war. Kurfürst -»Moritz, der aus Rücksicht auf die kursächsischen Stände darauf achten mußte, daß sein böser Ruf als „Judas von Meißen" nicht neue Nahrung erhielt, hatte zwar Augsburg ohne ein Verhandlungsergebnis verlassen, stand aber unter dem Druck der kaiserlichen Forderung, dem Interim gegenüber schließlich doch eine positive Haltung einzunehmen. Wittenberger Theologen hatten ihre Bedenken gegenüber der Rechtfertigungslehre in Gutachten geltend gemacht, Heiligenanrufung, Prozessionen mit konsekrierten Hostien und meritorische Gottesdienstfeiern abgelehnt, hatten sich aber geweigert, um sog. Mitteldinge (Adiaphora-, -•Freiheit, -»Gebot) willen Zank aufkommen zu lassen. Die Definition der Adiaphora war seit dem Augsburger Reichstag 1530 mehrfach gewandelt worden. Daher kann man „den gesamten Streit um die Adiaphora mit einigem Recht als eine Fortsetzung des theologischen Lehrgesprächs ansehen, das Luther in seelsorgerlicher Absicht von der Coburg aus in seinen Briefen mit Melanchthon geführt h a t " (Mehlhausen 106). Flacius hoffte, daß es gelingen werde, „in einem gemeinsamen öffentlichen Protest aller Wittenberger Theologen das Augsburger Interim in allen Teilen zu verwerfen" ( a . a . O . 115). Er hatte in Magdeburg ein Gutachten der Wittenberger Theologen vom Meißener Landtag ohne Wissen der Verfasser veröffentlicht. Als Melanchthon an der fürstlich gewünschten Vermittlungspolitik festhielt, ließ Flacius seine Streitschriften gegen das Interim Pseudonym im Druck erscheinen. Auch die Theologen des ernestinischen Sachsen sahen im Artikel XXVI des Interim über die Zeremonien die Gefahr, daß damit das „ganze Papsttum" wieder angenommen werde. Moritz jedoch benötigte dringend die Zusammenarbeit mit dem vermittlungsbereiten Melanchthon. An der Jahreswende 1548/49 gelang es ihm, das sog. Leipziger Interim zu verabschieden, das allerdings nicht veröffentlicht wurde. Hinsichtlich der Lehre war es evangelisch, wirkte aber in bezug auf die Riten altkirchlich. Für die Adiaphora gab dieses Interim zu verstehen, „daß alles das, was die alten Lehrer in den Adiaphoris, das ist in Mitteldingen, die man ohne Verletzung göttlicher Schrift halten mag, gehalten haben, und bei dem andern Theil noch in Brauch blieben ist, hinfürder auch gehalten werde, und daß man darinne keine Beschwerung noch Wegerung suche oder fürwende, dieweil solches ohne Verletzung guter Gewissen wohl geschehen m a g " (CR 7,259). Dieser Einleitung folgten die Lehrartikel mit einer von Melanchthon im Protest zum Augsburger Wortlaut verfaßten Rechtfertigungsformel (CR 7,260 bzw. 5 1 - 6 2 ) . Man war bereit, die Lehrautorität der Kirche anzuerkennen, die freilich an die Hl. Schrift (—»Bibel) gebunden war, und mit der gleichen Einschränkung forderte man Unterordnung unter den obersten Bischof und die anderen Bischöfe. Melanchthon war der Überzeugung, die Rechtfertigungslehre gerettet zu haben (Mehlhau-

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sen 118). Sehr bald konzentrierten sich nach Wittenberg gerichtete Anfragen auf das Problem, was eigentlich ein Adiaphoron sei. Der härteste Angriff kam von Flacius. Für ihn stand fest, daß das Interim aus der Furcht der Wittenberger Theologen geboren worden sei. Er sah die lutherische Rechtfertigungslehre durch die Preisgabe des sola (fide) verfälscht. Um hier nicht mitschuldig zu werden, verließ er Ostern 1549 die Leukorea und seine Professur. Auf dem Umweg über -»Hamburg und Lüneburg gelangte er nach -» Magdeburg. Um den Präzeptor Germaniae zu kompromittieren, brachte er Luthers Coburgbriefe von 1530 zum Druck (WA.B 14,400-408) und führte von Magdeburg aus seinen publizistischen Kampf gegen das Interim. Mit insgesamt über 90 Schriften kämpften Flacius und seine Freunde gegen die „Adiaphoristen". Für sie stand fest: „Nihil est adiaphoron in casu confessionis et scandali" (Preger 1,159; Hase 5 9 - 6 3 ) . Flacius konnte mit Recht von sich sagen: „Mit meinem Schreiben ist dem Interim durch Gottes Gnade gewehret" (Preger 1,101). Diese Auseinandersetzung führte zu einer Spaltung innerhalb der lutherischen Theologie. Hier formierte sich der Kreis der Gnesiolutheraner, dessen Seele der ehemalige Wittenberger Hebraist in Magdeburg war, dessen Repräsentanten außer Amsdorf sämtlich eine Generation jünger waren als die Freunde Melanchthons im albertinischen Sachsen. Dennoch kann man nicht immer eine eindeutige Trennungslinie zwischen Gnesiolutheranern und Philippisten ziehen. Die Vertreter beider Gruppen hatten bei Melanchthon studiert. Aber in dem Bekenntnis der Magdeburger von 1550 „Confessio et Apologia Pastorum & reliquorum ministrorum Ecclesiae Magdeburgensis" kann man wohl die Geburtsurkunde der gnesiolutherischen Bewegung sehen (Kolb, Dynamics D 1292; ders., Amsdorf 85f). 2.2. Osiandrischer Streit. Aufgrund der Annahme des Interims in der Reichsstadt -»Nürnberg hatte deren Reformator Andreas —»Oslander im Nov. 1548 die Stadt verlassen und wirkte von 1549 bis zu seinem Tod 1552 in Königsberg (Seebaß 109 f; Fligge, Diss. 50; Stupperich, Osiander 23 - 2 4 ) . Er hatte dort neben dem Pfarramt eine Stelle als Professor Primarius erhalten, obwohl er keinen akademischen Grad hatte (Stupperich, Osiander 2 9 - 3 3 ) . Osiander stand wie die Gnesiolutheraner hinsichtlich seiner Haltung zum Interim in Opposition zu den Wittenberger Theologen (a.a.O. 101-105). Das sollte später die theologischen Differenzen verschärfen. Der theologische Anstoß zum Streit erfolgte durch die Disputation über die Rechtfertigungslehre vom 24. Okt. 1550, in der Osiander „scharf gegen die Imputationslehre der Wittenberger Schule Stellung" nahm (a. a. 0 . 1 1 1 ) . Unter imputatio verstand er anders als die Wittenberger, daß Gott feststelle, Christi göttliche Natur habe wirklich im Menschen Wohnung genommen, und daß er den Menschen als gerechtfertigt anerkenne. Im Streit zeigte sich, daß die Auffassung von Gerechtigkeit und Rechtfertigung, damit aber die Gotteslehre als solche kontrovers waren. Der Mensch muß „vergöttlicht" werden, wenn er von Gott angenommen werden soll. Diese Vergöttlichung kann aber nur durch die Einwohnung von Christi göttlicher Natur geschehen, mit der zugleich die ganze Gottheit im Menschen anwesend ist. Osiander rückt also an die Stelle der bloßen iustitia formalis die iustitia essentialis (a.a.O. 128). Sein Hauptgegner in Königsberg wurde Mörlin, der deshalb schließlich Preußen verlassen mußte (RE 3 13,242). -»Albrecht von Preußen hoffte, daß die Gemeinsamkeit Oslanders und der Gnesiolutheraner im Kampf gegen das Interim sich auch jetzt wieder bewähren werde. Aber der Kampf gegen Osianders Rechtfertigungslehre wurde von Philippisten und Gnesiolutheranern im wesentlichen gemeinsam geführt. Flacius und Gallus versuchten noch nach Osianders Tod zu erweisen, daß -»Brenz und seine Freunde eigentlich nicht als Befürworter des Osiandrismus verstanden werden konnten, worauf der Württemberger unwillig reagierte (Voit 203 - 2 0 5 ) . Flacius selbst verfaßte insgesamt 16 Schriften gegen Osiander (Stupperich, Osiander 292). Der von Königsberg ausgegangene Anstoß führte so dazu, daß „in breiter Front die Rechtfertigungslehre auf Grund der satisfactio vicaria Christi, als rein forensischer Vorgang und als Annahme durch Gott auf Grund der Verdienste Christi" ausgebaut wurde

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(Koch 29). Durch die Antwort der Konkordienformel (Art. 3) konnten sich sowohl die Wittenberger als auch die Gnesiolutheraner in ihrer antiosiandrischen Haltung bestätigt sehen. 2.3. Majoristischer Streit. Der nach seinem Urheber, dem Wittenberger Professor Georg - » M a j o r benannte Streit führt dann erneut Gnesiolutheraner und Philippisten gegeneinander. Gallus sah in Major den Princeps Adiaphoristarum (Voit 179). Major betonte, daß gute Werke zur Seligkeit nötig seien. Amsdorf stellte dagegen, daß sie zur Seligkeit schädlich seien. Aus Freunden waren Feinde geworden, als es um die Verteidigung des sola fide in der Rechtfertigung ging (Kolb, Amsdorf 123-180). Justus -»Menius trat in diesem Kampf, der zum antinomistischen Streit führte, auf Majors Seite. Die Arbeitsgemeinschaft der Magdeburger bewährte sich auch hier. Gallus und Flacius gingen gemeinsam gegen die Wittenberger vor. Sachlich hätten die Parteien sich auch wieder einigen können, hatte doch auch „Flacius eigentlich nichts gegen die These Majors mit den von diesem beigefügten Erklärungen einzuwenden. Die Hauptursache seiner Verwerfung der Formulierung: ,Gute Werke sind als Früchte des Glaubens zur Seligkeit notwendig' lag in der herausfordernden Ausdrucksweise, die in der damaligen kirchenpolitischen Situation das sola-fide-Prinzip in Frage stellen konnte" (Haikola, Gesetz 334). Im Majoristischen Streit war - durch das Leipziger Interim veranlaßt - eine alte Streitfrage wieder aufgetaucht, um die bereits 1536 auf Veranlassung des Pfarrers Konrad Cordatus (1476-1546) gerungen worden war (Lohse 114). M a j o r handelte aus Sorge vor libertinistischen Konsequenzen aus dem sola fide. Flacius betonte, daß Majors Satz angefochtene Gewissen belasten müsse. Die Synode von Eisenach 1556 sollte die Probleme klären (Preger 1,381-384). Flacius behandelte die einschlägigen Fragen in seiner Schrift De voce et re fidei 1563, der er außer den Dokumenten über diese Synode auch gemeinsam mit Wigand eine sententia über das Eisenacher Ergebnis anfügte (Haikola, Usus 13-18). Die Entscheidung der Fortnula Concordiae gab nachträglich den Gnesiolutheranern gegen Major Recht (Voit 190). 2.4. Antinomistischer Streit. In dieser Kontroverse knüpfte man nicht an die durch Johann ->Agricola über 20 Jahre vorher gestellte Aufgabe an. Die Auseinandersetzung, in der es vor allem um den „dritten Brauch" des Gesetzes ging (Weber 1/2, 3 0 - 4 5 ) , entzündete sich vielmehr am Ergebnis der Eisenacher Synode. Dort hatte man festgestellt, der Satz „Gute Werke sind notwendig zum Heil" könne zwar in der Lehre vom Gesetz abstractive et de idea geduldet werden, sei aber trotzdem aus verschiedenen Gründen zu vermeiden. Amsdorf betonte dagegen, das Gesetz habe den Menschen der Sünde zu überführen und den Zorn Gottes aufzuzeigen, selig aber würden wir ohne Werke des Gesetzes. Flacius und Wigand verteidigten den Beschluß der Synode damit, daß sie dem Gesetz zwei voces aut sententias zuschrieben (Lohse 118). Amsdorf wies auf die Gefahr hin, daß man so die Verdienstlichkeit der Werke lehren müsse. An dieser Frage entzündeten sich Meinungsverschiedenheiten innerhalb des Gnesioluthertums. Der Streit wurde vertieft durch die Beiträge von AndreasPoach (1515-1585), Anton Otto (ca. 1505,Todesdatum unbekannt), Michael Neander (1525-1595) und Andreas Musculus (1514-1581), die den dritten Brauch des Gesetzes ablehnten, während Flacius und Mörlin ihn verteidigten, weil sie meinten, das Evangelium bedeute nicht die Außerkraftsetzung, sondern die Aufrichtung des Gesetzes. Der Streit zog sich bis 1568 hin. Die Gegner des tertius usus legis haben auf die drohende Gefahr einer ethizistischen Einengung und Verkürzung der Rechtfertigungslehre aufmerksam gemacht. Der Streit ist allerdings der erste Schritt, den reformatorischen Ansatz von beiden Seiten her rationalistisch zu verengen. Die Einigkeit zwischen Flacius und Amsdorf war verloren. 2.5. Synergistischer Streit. Die umstrittenen Fragen werden in den synergistischen Streit hineingenommen. Als Johann Pfeffinger (1493-1573) Melanchthons Ansicht über die Beteiligung des menschlichen Willens bei der Bekehrung hervorhob, erhielt er Widerspruch aus Jena. Die Adiaphoristen bekommen nun von Flacius das neue Schimpfwort

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Gnesiolutheraner

„Synergisten". Der Jenenser Theologe versuchte, im ernestinischen Sachsen durch das 'Weimarer Konfutationsbuch 1559 ein Verbot aller unlutherischen Lehre zu erreichen. Hier wurde gegen Pfeffingers Meinung betont, der natürliche Mensch sei unfähig, Göttliches aufzunehmen. Der Konflikt wurde in Jena selbst akut, als Strigel sich gegen das Konfutationsbuch und damit auf die Seite Melanchthons stellte. Flacius konnte erreichen, daß der Herzog 1559 Strigel und den Superintendenten Hügel inhaftieren ließ. Johann Friedrich d . M . wollte schließlich durch die Weimarer Disputation vom 2. bis 8. August 1560 die Sachfragen aufgearbeitet sehen. Hier kam Flacius zu seiner berühmten These: peccatum originale est substantia hominis (Kropatschek, Diss. 27). Die Disputation endete für Flacius ungünstig. Der Herzog war schließlich der theologischen Debatte überdrüssig geworden und griff zu Reglementierungen der Flacianer. Es kam zu Druckund Predigtverboten für Professoren der theol. Fakultät. Am 8. Juli 1561 errichtete er durch einen Erlaß ein Konsistorium (Kruse 59). Flacius stand jetzt an der Spitze des Widerstandes. Kurz vor dem Erlaß hatten die Theologen dem Fürsten ihr mutiges Schreiben (Baur 176) geschickt, in dem sie seine Eingriffe in die Schlüsselgewalt des geistlichen Amtes brandmarkten (Preger 2,153). Die hier vorgetragenen Antworten auf die anstehenden Fragen „haben im Kreis der Gnesiolutheraner das Mißtrauen gegen ein absolutistisch geführtes Kirchenregiment der Obrigkeit wachgehalten" (Kruse 60 f). Am 10. Dez. 1561 mußten nach 30 Pfarrern auch die beiden führenden Theologen Wigand und Flacius das Land verlassen. Strigel erhielt seine Professur in Jena 1562 zurück (Heussi 67), ging aber im gleichen J a h r nach Leipzig und 1567 nach Heidelberg. Der Streit um die Erbsünde flammte nach der Veröffentlichung von Flacius' Clavis Scripturae Sacrae 1567 erneut auf und nötigte den Autor, Straßburg zu verlassen (Preger 2,310). M i t dem Erbsündenstreit endete die erfolgreichste Periode im Leben des Flacius. Die F C entschied schließlich gegen die Flacianer und billigte die Formulierung Strigels (Haikola, Gesetz 112). Doch bis dahin sollte das ernestinische Sachsen noch zweimal einen theologischen Umschwung erleben. Johann Wilhelm besetzte die theologischen Schlüsselpositionen nach 1567 wieder mit Gnesiolutheranern (Koch 34). Nach dem Tod dieses Regenten kam das Territorium unter die vormundschaftliche Regierung Kurfürst Augusts. Der „hatte nichts Eiligeres zu tun als die Flacianer zu vertreiben" ( a . a . O . 38). Das waren nicht weniger als 111 Pfarrer (Heussi 102), von denen viele nach Österreich auswanderten (Reingrabner 7 8 - 8 1 ) . 2.6. Abendmahlsstreitigkeiten. Als Auftakt zum Streit um das Abendmahl muß man die Schriften des Hamburger Pastors Joachim -»Westphal ansehen, der auf den inneren Unterschied des Luthertums und des Calvinismus deutlich hinwies. Im Streit über die Realpräsenz zwischen Lutheranern und Calvin blickte man auf die Autorität Melanchthon, der jedoch auf Freundschaft mit dem Genfer Reformator bedacht war. Als Friedrich III. von der Pfalz in Heidelberg im Streit um den Kryptocalvinismus Heßhusen 1559 seiner Professur enthob, wurde ein Gutachten Melanchthons eingeholt. Er billigte das Vorgehen Friedrichs. Sein Gutachten war „Ausdruck eines lange aufgestauten Ingrimms über die lutherische Abendmahlslehre" (Barton 222). Wittenberger Äußerungen über das Abendmahl wurden zunehmend calvinistisch. Der Unterschied zwischen der Confessio Augustana invariata und der Confessio Augustana variata wurde erst jetzt zum Streitpunkt (vgl. T R E 4,627,7ff). Heßhusen stand, als er nach Magdeburg ging, auf der Seite der vertriebenen Jenenser Theologen, die sich auch zur Abendmahlsfrage im Weimarer Konfutationsbuch deutlich geäußert und auf einer wörtlichen Auslegung der Abendmahlsworte bestanden hatten (Mahlmann 1 9 - 4 3 ) . Während man den Literalsinn der Einsetzungsworte zu ergründen suchte, stieß man immer stärker auch auf christologische Fragen. Zu ihrer Klärung trug wesentlich -»Brenz bei. Hatte er zunächst versucht, zwischen Gnesiolutheranern und Calvinisten zu vermitteln, so bezog er schließlich unter Berufung auf Luther deutlich Stellung zur Ubiquitätslehre und zur Christologie und setzte sich von Melanchthon ab. Auch Martin —> Chemnitz griff in das Gespräch ein (Ebel, Herkunft 240 f. 245). Z w a r haben die Gnesiolutheraner sich ebenso wie die Kryptocalvi-

Gnesiolutheraner

517

nisten noch weiterhin zur Abendmahlsfrage geäußert (Schöne 5 0 - 5 5 ; Barton 228; Tschackert 548 f), aber durch die vielseitige Zerstrittenheit kamen sie nicht mehr zum Zug. Für die Gegenseite brachte die „Exegesis perspicua" (1574) des ein J a h r zuvor verstorbenen Arztes J o a c h i m Curaeus den Skandal, weil hier Luthers Abendmahlslehre offen kritisiert wurde. Jetzt mußten auch die Kryptocalvinisten Inhaftierungen über sich ergehen lassen.

3. Der Beitrag zu den Einigungsbemühungen

des

Luthertums

Als durch den Augsburger Religionsfrieden die äußere Bedrohung des Luthertums überwunden war, wurde die N o t der inneren Uneinigkeit drängender. Flacius wünschte ein Gespräch mit M e l a n c h t h o n . Der Präzeptor Germaniae jedoch lehnte ab (Preger 2 , 1 3 - 1 6 ; C R 8 , 7 9 4 f . 7 9 7 - 7 9 9 ) , teilte aber dem Hauptgegner in einem Brief vom 4. Sept. 1556 persönlich mit, worin er Gemeinsamkeiten und Differenzen sah (Mehlhausen 122 f; C R 8 , 8 3 9 - 8 4 4 ) . Anfang 1557 sollte M ö r l i n die führende R o l l e bei den Ausgleichsverhandlungen zwischen M e l a n c h t h o n und den Gnesiolutheranern in Coswick spielen (Fligge, Diss. 3 7 2 - 3 7 6 ) , die jedoch ergebnislos blieben ( C R 8,68—72); der R i ß zwischen M a g deburg und Wittenberg erwies sich als unüberbrückbar. M e l a n c h t h o n war nicht fähig, seine Fehler im adiaphoristischen Streit zuzugeben. Damit waren Vorentscheidungen für das Wormser Kolloquium 1557 gefallen. Dorthin kam die Delegation des ernestinischen Sachsen mit der Instruktion, daß als Bekenntnis-

grundlage die Confessio Augustana, Apologia Confessionis

Augustanae und die Schmal-

kaldischen Artikel zu gelten hätten, und daß T ä u f e r , Zwinglianer, Osiandristen, M a j o r i sten, Schwenckfelder und Servetianer zu verwerfen seien. Dadurch sollten Melanchthon und der Osiander verteidigende Brenz ausgeschaltet werden. Am 1 . 1 0 . 1 5 5 7 verließen die Gnesiolutheraner das Kolloquium unter Protest: Die Einheit der Augsburgischen Konfessionsverwandten war auch äußerlich sichtbar zerbrochen. Die Gnesiolutheraner hatten vergeblich gehofft, vor einem Gespräch mit den Katholiken im evangelischen Lager Einheit zu schaffen. Als man sich am Rande des Frankfurter Fürstentages am 18. M ä r z 1558 im sog. Frankfurter Rezeß aufgrund einer Vorlage Melanchthons einigte, fehlte bei den Unterschriften der Augsburgischen Konfessionsverwandten die des herzoglichen Sachsen. J o hann Friedrich der Mittlere antwortete auf seine Art dadurch, daß er das von den Jenenser Gnesiolutheranern erarbeitete Weimarer Konfutationsbuch 1559 vorlegte, das die Spannungen des synergistischen Streits in J e n a dann im eigenen Lager bis an den R a n d des Kräftezerfalls führen sollte. Erst auf dem Naumburger Fürstentag Anfang 1561 kam man zur nächsten Begegnung zusammen. M a n einigte sich auf die erneute Unterschrift unter die Confessio Augustana invariata und erklärte aus Rücksicht auf Friedrich von der Pfalz die Variata als Interpretation der Invariata. J o h a n n Friedrich von Sachsen verließ die Versammlung unter Protest am 3. Februar. Jetzt begann unter den Gnesiolutheranern eine historische Aufarbeitung des Geschehens von Augsburg 1530 (Kolb, Augsburg 5 1 - 6 1 ) . Der aufgebrochene Streit um das Abendmahl mit den Kryptocalvinisten verpflichtete dazu immer nachdrücklicher. Die einzelnen Territorien erarbeiteten ihre eigenen Corpora Doctrinae (RE3 4 , 2 9 3 - 2 9 8 ) , womit auch der Weg zur Formula Concordiae eröffnet wurde, die endlich eine größere Einheit herzustellen vermochte (vgl. T R E 5 , 4 9 9 - 5 0 1 ) . Flacius, der 1567 über Stuttgart nach Straßburg gegangen war, hatte von den Konkordienbemühungen Kenntnis (Preger 2, 295 f). Er wurde aber zunehmend auch von seinen Freunden isoliert. N a c h dem Altenburger Kolloquium 1 5 6 8 / 6 9 , w o die alte Kluft zwischen Gnesiolutheranern und Philippisten sich noch einmal aufgetan hatte, ließ August von Sachsen die Theologen des albertinischen Gebiets nicht nur auf das Corpus doctrinae Philippicum verpflichten, sondern auch erklären, daß sie dem „Flacianischen Illyrischen I r r t h u m " nicht anhingen (Preger 2 , 3 0 3 f). Um der Erbsündenlehre willen distanzierten sich die Jenenser Theologen

518

Gnesiolutheraner

ebenfalls von Flacius. Eine von diesem erhoffte Einigung mit ihnen kam nicht mehr zustande (Preger 2, 3 4 1 ) . Der Streit um die Erbsünde stand trennend im Weg. Flacius selbst unternahm einen letzten Vorstoß, die sächsischen Fürsten zur Einberufung einer Synode zu bewegen ( a . a . O . 3 8 5 ) . D a er aber nun auch mit dem führenden M a n n der innerprotestantischen Einigung, J a k o b - » A n d r e a e , wegen Fragen der Erbsünde in Streit geriet ( a . a . O . 3 8 7 - 3 9 0 ; Ebel, Andreae 91 f), erreichte er nichts. Die kirchenpolitische Szene wurde jetzt von den Vorarbeiten zur Konkordienformel beherrscht. D o c h auch nach Fertigstellung der Konkordie von 1577, in der Flacius' Erbsündenlehre eine Absage erhalten hatte (Hägglund 109), ist die Stimme seiner Anhänger nicht völlig verstummt (Kolb, Rejection). Eine über 1 5 8 0 hinausreichende eigene Wirkungsgeschichte w a r den Gnesiolutheranern aber um der Entscheidung der Konkordienformel willen ebensowenig beschieden wie den Philippisten, wenngleich sie wichtige und bedeutende Fragen auf d e m Weg bis zum Konkordienbuch gestellt und auf deren B e a n t w o r t u n g gedrungen haben. Quellen Confessio et Apología Pastorum & reliquorum ministrorum Ecclesiae Magdeburgensis, Magdeburg 1550. - Bekenntnis, Unterricht u. vermanung der Pfarrherrn und Prediger der Christlichen Kirchen zu Magdeburgk, Magdeburg 1550. - Matthias Flacius Illyricus, Catalogus testium veritatis, qui ante nostram aetatem reclamarunt Papae, Basel 1556. - Johann Wigand und Matthäus Judex, Xvvrayfia seu Corpus doctrinae Christi ex novo testamento..., Basel 1558.- Illustrissimi principis et Domini, D. Joannis Friderici secundi cet. suo ac fratrum D. Joannis Wilhelmi et D. Joannis Friderici natu iunioris nomine solida et ex verbo Dei sumta C O N F U T A T I O et Condemnatio praecipuarum corruptelarum, sectarum et errorum, hoc tempore ad instaurationem et propagationem regni Antichristi Rom. Pontificis aliarumque fanaticarum opinionum ingruentium et grassantium, contra veram s. Scripturae, Confessionis Augustanae et Smalcaldicorum articulorum religionem... Jena 1559. - Ecclesiastica Historia integram ecclesiae Christi ideam, quantum ad Iocum, propagationem, persecutionem, tranquillitatem, doctrinam, haereses, ceremonias, gubernationem, schismata, synodos, personas, miracula, martyria, religiones extra ecclesiam et statum imperii politicum attinet, secundum singulas centurias perspicuo ordine complectens: singulari diligentia et fide ex vetustissimis et optimis historiéis, patribus et aliis scriptoribus congesta: per aliquot studiosos et pios viros in urbe Magdeburgica, Basel 1 5 5 9 - 1 5 7 4 . - Matthiae Flacii Illyrici, de voce & re fidei, quodque sola fide iustificemur, contra Pharisaicum hypocritarum fermentum. Liber, (o. O.) 1563. - D e r s . , Clavis Scripturae Sacrae seu de sermone sacrarum literarum..., Basel 1567. - Ders., T H E T O Y Y I O Y 0 E O Y K A I N H E A I A 0 H K H Z A n A N T A . N O V V M T E S T A M E N T V M IESV CHRISTI FILII DEI, E X VERSIONE ERASMI, INNVMERIS IN LOCIS ad Graecam veritatem, genuinumque sensum emendata. GLOSSA C O M P E N D I A R I A . . . , Basel 1570. - Vgl. die Quellenverzeichnisse zu den genannten Theologen.

Literatur Peter F. Barton, Um Luthers Erbe. Stud. u. Texte zur Spätreformation. Tileman Heshusius (1527-1559), 1972 (UKG 6). - Jörg Baur, Flacius - Radikale Theol.: Z T h K 72 (1975) 3 6 5 - 3 8 0 = ders., Einsicht u. Glaube, Göttingen 1978, 1 7 3 - 1 8 8 . - Bekenntnis u. Einheit der Kirche. Stud. zum Konkordienbuch, hg. v. Martin Brecht/Reinhard Schwarz, Stuttgart 1980. - Discord, Dialogue and Concord, Studies in the Lutheran Reformation's Formula of Concord, hg. v. Lewis Spitz/Wenzel Lohff, Philadelphia 1977; dt.: Widerspruch, Dialog und Einigung, Stud. zur Konkordienformel der luth. Reformation, hg. v. Wenzel Lohff/Lewis W. Spitz, Stuttgart 1977. - Jobst Ebel, Jacob Andreae (1528-1590) als Verfasser der Konkordienformel: Z K G 89 (1978) 7 8 - 1 1 9 . - Ders., Die Herkunft des Konzeptes der Konkordienformel. Die Funktion der fünf Verfasser neben Andreae beim Zustandekommen der Formel: Z K G 91 (1980) 2 3 7 - 2 8 2 . - Werner Eiert, Morphologie des Luthertums, 2 Bde., München 1931 3 1965. - Jörg Rainer Fligge, Herzog Albrecht v. Preussen u. der Osiandrismus 1522-1568, Diss. phil., Bonn 1972. - Hans-Werner Gensichen, Damnamus. Die Verwerfung von Irrlehre bei Luther u. im Luthertum des 16. Jh., 1955 (AGTL 1). - Bengt Hägglund, Die Rezeption Luthers in der Konkordienformel: Luther u. die Bekenntnisschr. Veröff. der Luther-Akademie Ratzeburg 2, Erlangen 1 9 8 1 , 1 0 7 - 1 2 0 . - Lauri Haikola, Gesetz u. Evangelium bei Matthias Flacius Illyricus. Eine Unters, zur luth. Theol. vor der Konkordienformel, 1952 (STL 1). - Ders., Usus Legis, Helsinki 1958 2 1981 (SLAG 20). - Hans Christoph von Hase, Die Gestalt der Kirche Luthers. Der casus confessionis im Kampf des Matthias Flacius gegen das Interim von 1548, Göttingen 1940. -

Gnosis/Gnostizismus I

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Gnosis/Gnostizismus I. Vor- und außerchristlich II. N e u e s T e s t a m e n t , J u d e n t u m , Alte K i r c h e

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I. Vor- u n d außerchristlich 1. Methodische Fragen 2. Die diskutierten Quellentexte 3. Vorbereitende Traditionslinien 4. Historische und soziologische Einordnung (Literatur S. 534) 1. Methodische 1.1.

Zum

Stand

Fragen der Diskussion.

(Bei „ G n o s i s " geht es im folgenden nicht u m den

Erkenntnisbegriff, sondern u m eine im spätantiken christlichen und p a g a n e n Bereich auftretende Erlösungslehre.) In der im wesentlichen d u r c h die Arbeiten v o n R . Reitzenstein und W . - » B o u s s e t repräsentierten „Religionsgeschichtlichen S c h u l e " ( - » B i b e l w i s senschaft; - » R e l i g i o n s g e s c h i c h t e des U r c h r i s t e n t u m s ) sind Versuche der H e r l e i t u n g der Gnosis aus vorchristlichen und außerjüdischen Religionen u n t e r n o m m e n w o r d e n , wobei im Hinblick a u f den D u a l i s m u s der von Z a r a t h u s t r a begründeten Religion besonders an einen iranischen H i n t e r g r u n d g e d a c h t w u r d e ( - » I r a n i s c h e Religionen). Von d a h e r ist die A n n a h m e einer vorchristlichen R i c h t u n g der G n o s i s geradezu ein S c h u l m e r k m a l v o r allem der d e u t s c h s p r a c h i g e n , v o n R . - » B u l t m a n n beeinflußten R i c h t u n g der neutesta-

Gnosis/Gnostizismus I

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Karl Heussi, Gesch. der theol. Fakultät zu Jena, Weimar 1954. - Rudolf Keller, Der Schlüssel zur Schrift. Die Lehre vom Wort Gottes bei Matthias Flacius Illyricus, Hannover 1984 (AGTL.NF 5). Ernst Koch, Der Weg zur Konkordienformel: Vom Dissensus zum Konsensus. Die FC von 1577, Hamburg 1980 (FuH 24), 1 0 - 4 6 . - Robert Kolb, Nikolaus von Amsdorf ( 1 4 8 3 - 1 5 6 5 ) . Popular Polemics in the Preservation of Luther's Legacy, Nieuwkoop 1978 (Bibliotheca humanística & reformatorica 24). - Ders., Augsburg 1530. German Lutheran Interpretations of the Diet of Augsburg to 1577: Sixteenth Century Journal 11 (1980) 4 7 - 6 1 . - Ders., Dynamics of Party Conflict in the Saxon Late Reformation. Gnesio-Lutherans vs. Philippists: J M H 49 (1977)D 1289-D 1305. - Ders., T h e Flacian Rejection of the Concordia. Prophetic Style and Action in the German Late Reformation: ARG 73 (1982) 1 9 6 - 2 1 7 . - Hans Kropatscheck, Das Problem theol. Anthropologie auf dem Weimarer Gespräch v. 1560 zwischen Matthias Flacius Illyricus u. Victorin Strigel, Diss, theol., Göttingen 1943. - Martin Kruse, Speners Kritik am landesherrlichen Kirchenregiment u. ihre Vorgesch., 1971 (AGP 10). - Bernhard Lohse, Dogma u. Bekenntnis in der Reformation. Von Luther bis zum Konkordienbuch: Hb. der Dogmen- u. Theologiegesch., hg. v. Carl Andresen, Göttingen; II 1 9 8 0 , 1 - 1 6 4 ( L i t . ! ) . - T h e o d o r Mahlmann, Das neue Dogma der luth. Christologie, Gütersloh 1969. - Joachim Massner, Kirchl. Überlieferung u. Autorität im Flaciuskreis. Stud, zu den Magdeburger Zenturien, Berlin/Hamburg 1964 (AGTL 14). - Joachim Mehlhausen, Der Streit um die Adiaphora: Bekenntnis u. Einheit der Kirche, s.o., 1 0 5 - 1 2 8 . - Gerhard Müller, Um die Einheit des dt. Luthertums. Die Konkordienformel von 1577: J M L B 24 (1977) 1 6 - 3 6 . - Wilhelm H. Neuser, Luther u. Melanchthon. Einheit im Gegensatz, 1961 ( T E H . N F 91). - Wilhelm Preger, Matthias Flacius Illyricus u. seine Zeit, 2 Bde., Erlangen 1 8 5 9 - 1 8 6 1 (Nachdr. Hildesheim/Nieuwkoop 1964). - Robert D. Preus, T h e Theology of Post-Reformation Lutheranism. A Study of Theological Prolegomena, II God and His Creation, St. Louis/Missouri 1970/72. - Gustav Reingrabner, Glaube u. Bekenntnis in der Gesch. des österr. Protestantismus: J M L B 30 (1983) 7 1 - 9 3 . - Otto Ritsehl, DG des Protestantismus, 4 Bde., Leipzig 1 9 0 8 - 1 9 2 7 . - H e i n z Scheible, Die Entstehung der Magdeburger Zenturien, 1966 (SVRG 183). - Jobst Schöne, Um Christi sakramentale Gegenwart. Der Saligersche Abendmahlsstreit 1568/1569, Berlin 1966. - Gottfried Seebaß, Das reformatorische Werk des Andreas Osiander, 1967 (EKGB 44). - Martin Stupperich, Osiander in Preussen 1 5 4 9 - 1 5 5 2 , 1973 (AKG 44). - Ders., Zur Vorgesch. des Rechtfertigungsartikels in der Konkordienformel: Bekenntnis und Einheit der Kirche, s.o., 1 7 5 - 1 9 4 . - Paul Tschackert, Die Entstehung der luth. u. der ref. Kirchenlehre samt ihren innerprot. Gegensätzen, Göttingen 1910, Neudr. Göttingen 1979. - Hartmut Voit, Nikolaus Gallus. Ein Beitr. zur Reformationsgesch. der nachluth. Zeit, Neustadt a.d. Aisch 1977 (EKGB 54). Hans Emil Weber, Reformation, Orthodoxie u. Rationalismus, Gütersloh 1 9 3 7 - 1 9 5 1 , Neudr. Darmstadt 1966. R u d o l f Keller

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I. Vor- u n d außerchristlich 1. Methodische Fragen 2. Die diskutierten Quellentexte 3. Vorbereitende Traditionslinien 4. Historische und soziologische Einordnung (Literatur S. 534) 1. Methodische 1.1.

Zum

Stand

Fragen der Diskussion.

(Bei „ G n o s i s " geht es im folgenden nicht u m den

Erkenntnisbegriff, sondern u m eine im spätantiken christlichen und p a g a n e n Bereich auftretende Erlösungslehre.) In der im wesentlichen d u r c h die Arbeiten v o n R . Reitzenstein und W . - » B o u s s e t repräsentierten „Religionsgeschichtlichen S c h u l e " ( - » B i b e l w i s senschaft; - » R e l i g i o n s g e s c h i c h t e des U r c h r i s t e n t u m s ) sind Versuche der H e r l e i t u n g der Gnosis aus vorchristlichen und außerjüdischen Religionen u n t e r n o m m e n w o r d e n , wobei im Hinblick a u f den D u a l i s m u s der von Z a r a t h u s t r a begründeten Religion besonders an einen iranischen H i n t e r g r u n d g e d a c h t w u r d e ( - » I r a n i s c h e Religionen). Von d a h e r ist die A n n a h m e einer vorchristlichen R i c h t u n g der G n o s i s geradezu ein S c h u l m e r k m a l v o r allem der d e u t s c h s p r a c h i g e n , v o n R . - » B u l t m a n n beeinflußten R i c h t u n g der neutesta-

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Gnosis/Gnostizismus I

mentlichen Wissenschaft geworden. Denn diese A n n a h m e gehört zu den festen Bestandteilen eines theologischen Gesamtkonzeptes. E. M . Y a m a u c h i , der die Diskussion zusammenfaßt, kann daher eine tiefe Kluft konstatieren zwischen der deutschen Schulmeinung, die es für begründet hält, ,logische' Herleitungen selbst dann zu treffen, wenn es dafür keine frühen objektive Belege gibt, und der englischen Schulmeinung, die derartige Argumente als subjektiv und spekulativ ansieht (176). Freilich hat sich auch in der deutschen F o r s c h u n g außerhalb der strengen Bultmann-Richtung die Forschungslage insbesondere seit den bahnbrechenden kritischen Arbeiten von C. C o l p e verändert und einer differenzierteren Einschätzung R a u m gegeben. D a s gilt nicht nur für die Existenz eines vorchristlichen fertigen M y t h o s v o m „erlösten E r l ö s e r " , sondern für die F r a g e abgeschlossener Systembildungen in vorchristlicher Zeit überhaupt. Die Position der angelsächsischen und französischen F o r s c h u n g ist demgegenüber von E . M . Y a m a u c h i zusammengefaßt: Keiner der T e x t e erlaubt die A n n a h m e vorchristlicher Gnosis, aber auch mit Vorstufen wird nicht gerechnet; die Folge ist freilich, daß das P h ä n o m e n im ganzen auf diese Weise unerklärt bleibt. 1.2. Methodische Regeln. D e m gegenwärtigen Stand der kritischen wie der konstruktiven F o r s c h u n g dürften folgenden Regeln entsprechen. A) Zwischen „Mythos" und „System" ist zu unterscheiden (Anregung C. Colpe). Während wir als Mythos narrative und fiktionale Daseinsdeutung überhaupt bezeichnen, liegt ein System (auch ein mythologisches System) erst dann vor, wenn interne Querverbindungen zwischen einzelnen Phasen und Konzeptionen geschaffen wurden und ein Gesamtablauf - etwa durch Oberbegriffe strikt strukturiert worden ist. - B) Aus einzelnen Begriffen darf nicht bereits auf eine gnostische Weltanschauung bzw. auf einen entwickelten Mythos geschlossen werden. Vielmehr gibt es keine einheitliche gnostische Terminologie. - C) Selbst wo sich inhaltlich gnostische Elemente zeigen, müssen sie nicht auch schon in ein System integriert sein. - D) Die Verhältnisbestimmung von Christentum und Gnosis umfaßt mehrere Möglichkeiten, die sich nicht ausschließen, sondern nebeneinander hätten Bestand haben können: a) Es gibt auch zeitlich gesehen Gnosis, die nach der Entstehung des Christentums auftritt, gleichwohl nicht „christlich" sein muß. - b) Dennoch kann nichtchristliche Gnosis zu christlicher Zeit zum Christentum in einer faßbaren Beziehung stehen. Diese kann beschrieben werden als gegenseitige Profilierung in der Konkurrenzsituation oder als Verschärfung und Betonung bestimmter gemeinsamer Grundlagen durch die Existenz und Entfaltung des Christentums oder als Entdecken und Ausfüllen der Defizite der einen Seite durch jeweils die andere Seite oder so, daß den Trägerkreisen das eine als Spezialform des anderen erscheint usw. Alle diese Möglichkeiten sind Gestalten des Synkretismus, dessen mangelnde theoretische Durchdringung vor allem das Verständnis des Verhältnisses von Christentum und Gnosis erschwert. So griff man zum Modell des Parasiten, d.h. Gnosis habe sich jeweils an bereits bestehende Religionen „angehängt"; C. Colpe (JAC 25,97) bezeichnet die Gnosis als „Aufklärung" (freilich eine solche, die zugleich ihren eigenen Okkultismus in sich hervorbringt), um so gleichfalls deren Existenz als Strömung, als Bewegung zwischen den greifbaren Religionen und durch sie hindurch festzumachen. Doch sollte man den relativ eigenständigen, wenn auch nicht originellen soteriologischen Charakter der Gnosis nicht unterschätzen (s.u.). - c) Neben substantiell christlicher Gnosis (z.B. Brief des Ptolemaios an die Flora) gibt es auch sekundär christianisierte Gnosis: Die Sophia Jesu Christi (NHC III/4 und BG 8502) ist vielleicht eine christianisierte Fassung des Eugnostosbriefes (NHC III/3 und V/1) - auch wenn dieser vielleicht selbst auf noch weniger christianisierte Vorstufen zurückgeht. - d) In gnostischen Texten kann christliche Lehre paganisiert worden sein (judenchristliche Bestandteile werden heidenchristlich und heidnisch transformiert) oder auch repaganisiert worden sein (Rücknahme christlich-gnostischer Elemente ins Heidentum). - e) Schließlich ist mit Wieder- und Weiterverchristlichung christlich-gnostischen Materials zu rechnen (C. Colpe, a. a. O. 91). - Es wird erkennbar, daß der Hauptgrund für diese heute notwendigen differenzierten Kategorien der ist, daß zur Zeit der Auseinandersetzung mit gnostischen Richtungen eben noch nicht genau feststeht, was „unverzichtbar christlich" ist, daß sich dieses erst in dieser Auseinandersetzung herausbildet. Und das nur mehr oder weniger vorangeschrittene Stadium der Abgrenzung und Selbst-Definition (vgl. die parallele Kanonbildung) macht für nahezu jeden Einzelfall neue Kategorien notwendig. — E) Allgemein zugegeben ist, daß auch nichtchristlicher Gnostizismus entwickelt erst in christlicher Zeit vorliegt. - F) Die neutestamentlichen Schriftsteller dürfen nicht auf apologetischem Wege unter Hinweis auf die Neuheit des Christus-Ereignisses aus der religionsgeschichtlichen Verflechtung herausgenommen werden (gegen G.W. MacRae 522). - G) Insbesondere am Fall des -»Simon Magus (Act 8) kann gezeigt werden, wie Christentum und nebenchristliche Phänomene in vergleichbarem Milieu entstehen und hinsichtlich der Einschätzung ihrer Stifterfiguren denselben Prozeß der Einbeziehung in

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gnostische Anschauungen durchlaufen; diese Einbeziehung war in gewissem Sinne zwangsläufig, und das, was später als christliche Orthodoxie siegen konnte, entschied auch die Konkurrenz zwischen Christus und Simon Magus zugunsten des Christentums: Die Reduzierung der mythologischen Elemente geht einher mit einer stärkeren formalen Bindung an die Schrift und einer strengeren, philosophisch abstrakteren Ausrichtung, die freilich nicht ohne die judenchristliche Symbiose Alexandriens denkbar war. - H) Im methodischen Vorgehen bedeutet es stets gewisse Schwierigkeiten, wenn „Parallelen" erst durch Quellenscheidung so aufbereitet werden müssen, daß sie als traditionsgeschichtlich früher erscheinen. Und: Noch immer ist Gnosisforschung fast ausschließlich an der Vergleichung von Motiven und Begriffen orientiert. Eine maßvoll und ohne übermäßige Fachterminologie rezipierte Analyse von Struktur und Komposition kann dazu führen, daß auch Gesamtkonzeptionen vergleichbar werden. Hinzu kommt weiterhin der formgeschichtliche Gesichtspunkt. Abgesehen von wenigen Untersuchungen zu den Formen von Dialog und Evangelium ist es für die Frage der vor- bzw. außerchristlichen Gnosis von Belang, daß gerade die nichtchristlichen Zeugnisse häufig Ich-Berichte des Offenbarungsempfängers sind, insbesondere Aufstiegs-Berichte (z.B. die Nag Hammadi-Texte Zostrianos, Marsanes und Allogenes). Denn hier kommen dann Gesamtkompositionen in den Blick, die das Vergleichen mit jüdischer und paganer mantischer Offenbarungsliteratur erleichtern. Was bedeutet es, daß Zostrianos dann mit einer Bekehrungspredigt endet, deren entscheidende Motivation die Begründung ist: „Denn die Zeit ist kurz" (NHC VIII/1, 1 3 1 ) ? - / J Ein besonderes Problem ist die Bestimmung der Beziehung zum Judentum. Die zum Vergleich sehr wichtige Literatur der Zauberpapyri macht deutlich, daß es ein umfassendes „Judentum aus zweiter Hand" gibt: Der faktische Einfluß jüdischer Engellehre, Magie und Mystik übersteigt den Einfluß des observanten Torajudentums nur der Beschnittenen um ein Vielfaches; dieser Einflußbereich ist wie ein breites, allen Einflüssen offenes religionsgeschichtliches Niemandsland dem Judentum vorgelagert.

Die Hartnäckigkeit, mit der sehr 1.3. Systematisch bedingte Forschungsinteressen. weite Teile der - maßgeblich durch den Ansatz R. Bultmanns noch immer bestimmten — vor allem deutschsprachigen Forschung an der These einer ausgebildeten Gnosis vor dem Entstehen des Neuen Testaments festhalten, hat nicht allein historisch legitimierte Gründe. Denn die Quellentexte sind in ihrer Verwendbarkeit für diese These alle zumindest stark umstritten. Ein dezidiertes, vor allem von den Gegnern dieser Richtung kaum gewürdigtes, umfassendes systematisches Interesse steht vielmehr im Hintergrund (vgl. dazu auch C. Colpe, Mythische u. rel. Aussage 8 5 - 1 0 6 , bes. 101): A) Setzt das Neue Testament Gnosis voraus oder steht es in Auseinandersetzung mit ihr, so ist damit die Folie gegeben, von der sich frühchristliche „Kreuzestheologie" wirksam abheben läßt. Das gilt vor allem für Paulus in I Kor und in Gal. Denn Gnosis ist der Prototyp einer „natürlichen" Erlösungsreligion, da das Göttliche bereits seit Anfang in den zu Erlösenden ist. So ist Gnosis das gefundene Gegenbild zur Konzeption der „paulinischen" Rechtfertigungslehre schlechthin. - B) Das Neue Testament selbst demonstriert gegenüber den gnostischen Vorlagen eben jene Entmythologisierung, die der moderne Exeget gegenüber dem Neuen Testament dann umfassend durchsetzen will. Wie unter A) ist Gnosis daher das Gegenüber vor allem auch des heutigen Theologen. - C) Doch Gegner, die sich „finden", weisen in der Regel auch eine Reihe von deutlichen Gemeinsamkeiten auf. Dazu gehört insbesondere die Vorliebe für die vielfach für gnostisch gehaltene „präsentische Eschatologie", wie sie etwa R. Bultmann für die Grundschrift des Johannes-Evangeliums annahm und wie man sie für die Gegner des Paulus in Korinth postuliert hat. Hier wird eine deutliche Analogie zwischen frühchristlichen „Gnostikern" und den angeblichen frühnachösterlichen Enthusiasten erkennbar (vgl. die Diskussion um den Zusammenhang zwischen Enthusiasmus und Gnosis in Korinth seit der Arbeit von W. Lütgert 1908). Die Gnostiker werden als deren illegitime Fortsetzung erkannt, aber wie jenen, so gilt eingeschränkt auch den Gnostikern eine versteckte Sympathie des modernen Theologen. Damit sind wir angelangt bei - D): Haßliebe zwischen Geschwisterphänomenen herrscht zwischen existentialtheologischer Systematik und ihrem eigenen Gnosisbild: - a) Die Vereinzelung und Isolierung der Pneumafunken in der Welt ist Widerspiegelung des eigenen soteriologischen Individualismus. - b) Die Beliebtheit der Konzeption vom Leib des Urmenschen ist die notwendige Kehrseite von a) und spiegelt die umfassende Virulenz des Gedankens vom All-Leib und Leib-Organismus, die Politik

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(„Volkskörper") wie Kirche (vgl. die Arbeiten E. Käsemanns und auch die Enzyklika Mystici corporis von 1943) zwischen 1910 und 1943 kennzeichnet. - c) Gnostische Askese wie gnostischer Libertinismus (quellenmäßig nur äußerst unzuverlässig belegt) sind je für sich die verdrängten Randphänomene im Spektrum der bürgerlichen Moral, wie sie faktisch in der Lebenswelt der Exegeten herrscht. - d) Auf ähnliche Weise sind verborgene eigene Sehnsüchte die einheitliche Welterklärung unter Einbeziehung mythischer Elemente und die Identifizierung von Systematik und Mythologie. Die Faszination durch diese Phänomene ist verbreitet (vgl. die Dichtung des Jugendstils, der neuromantischen Weltanschauung und das Absinken zur nationalsozialistischen Mythologie), man kann sie unschwer in der Gnosis wiederentdecken. - e) Gnosis ist das Spiegelbild des eigenen intellektualisierten Christentums der Oberschicht. - f) Als Gegenbild zur modernen protestantischen Existenz gilt die - im übrigen kaum aus den Quellen zu erweisende - „gnostische Heilssicherheit". - g) Das Ende des 19. und der Beginn des 20. Jh. sind in Philosophie, Kunst und Religion weithin bestimmt durch die Frage nach dem „Idealmenschen". Dazu gehört nicht nur die - freilich weithin mißverstehende - Rezeption von F. —»Nietzsches „Übermensch", die Betonung der idealmenschlichen Züge in der Christologie (im Liedgut beider Konfessionen: Christus als „Held" und als „König"), sondern auch die Bedeutung der „Menschengestalt" in der Anthroposophie R. Steiners und in der Kunst des Jugendstils (der von der Entfremdung durch Kleidung befreite, dem reinen Licht entgegenstrebende „Mensch") und schließlich auch die Bedeutung der Anthropologie in der Theologie (-»-Mensch). Die umfassende Bedeutung des gnostischen Urmenschen für die neutestamentliche Exegese dieser und der folgenden Zeit ist nicht ohne diesen allgemeingeschichtlichen Hintergrund verständlich. Nimmt man den Jugendstil als eine vorläufig letzte und umfassende Gesamtkultur, so sind Organismusgedanke, Vorliebe für Urzeit-Mythologie und die Frage nach dem Bild des Idealmenschen gemeinsame Merkmale, die die Auslegung der ebenso schwierigen wie uneinheitlichen gnostischen Texte massiv beeinflussen mußten. Dabei waren Individualismus und Verlorenheit in der Welt einerseits und die Konzeption des Leib-Organismus andererseits nur zusammengehörige Gegenpole. - E) Die zu reiner Erkenntnis sublimierte Unsicherheit des Heilsgeschehens entspricht auf gnostischer Seite vorzüglich dem anti-supranaturalistischen und liberalen Erbe in der modernen Theologie. - F) Die Auffassung der Abwesenheit Gottes in der Welt, die die Theologie des Protestantismus im 20. Jh. kennzeichnet, entspricht dem gnostischen Gesamtbild. - G) Die seit -»Kant dominierende, im Neukantianismus verstärkte Gegensätzlichkeit zwischen Geist einerseits und den Gesetzmäßigkeiten der materiellen Welt und der Materie andererseits fand man in der Gnosis auf die Spitze getrieben. - H) Die Philosophie -»Hegels, der Theologie des 20. Jh. unter anderem auch durch E. -»Troeltsch vermittelt, war schon von F. C. -»Baur (1835) als der Gnosis analoges Denken eingestuft worden. Die zentrale Rolle des Bewußtseins und Bewußtmachens reicht freilich weit über Hegel in die Grundlagen reformatorischer Theologie zurück. Auch wenn die Texte der gnostischen Literatur nicht ohne Anhaltspunkte für diese systematischen Interessen sind, so ist doch insbesondere das Insistieren darauf, das Neue Testament sei bereits im ganzen Partner und Gegner dieser „Richtung", nur aufgrund dieser Interessen verständlich. - Auch als neben der Schule R. Bultmanns andere Richtungen ihr Haupt erhoben, blieb das Gesamtbild dessen, was Gnosis sei, sehr weitgehend abhängig vom Selbstverständnis der betreffenden Forscher, wie anhand von Arbeiten K. Koschorkes (Gnosis als brüderlich-antiautoritäre Reformgruppe) und C. Colpes (Gnosis als Aufklärung und Okkultismus/Obskurantismus zugleich), vielleicht auch meiner eigenen (Gnosis als magische Soteriologie und Remythisierung) aufzuweisen wäre. 2. Die diskutierten

Quellentexte

Hier wird eine kurze Übersicht über das Material und die Argumente gegeben, aufgrund derer man die These einer zeitlich vorchristlichen Gnosis zu stützen sucht. In Klammern ist jeweils dazu angegeben, welche andersartigen Vorschläge es zur Erklärung

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des betreffenden Materials gibt. - Für die neutestamentlichen Texte sind die Übergänge zwischen den einzelnen Möglichkeiten (gnostische Vorlage - gnostische Gegner - teilweise Übernahme gnostischer Positionen zum Zwecke der Vereinnahmung der Gegner) fließend. Synoptische Evangelien: Menschensohn aufgrund des Erlöser-Mythos zu erklären. - Gnostischer Offenbarer: M t 11,27; Lk 10,22. (Menschensohn: apokalyptischer Repräsentant Gottes; Mt 11,27 par.: Jesus als Bote Gottes). Logienquelle: Gattung der Aöyoi aotp&v mit gnostisierender Tendenz, wie unabhängig davon auch im EvThom belegt. Act: Gnostischer Erlöser in vorlukanischer Tradition in Act 3,15; 5,31; antignostische Polemik in Act 20,29 f, überhaupt sei die Tendenz von Luk und Act antignostisch; Simon Magus werde, obwohl Gnostiker im Vollsinn des Wortes, nur als Magier dargestellt. (Simon Magus ist noch kein Gnostiker, sondern Repräsentant Gottes. Als die „große Kraft [Suvafiig] Gottes" [Act 8,10] ist er wie jemand, der Kyrios oder Sophia heißt, Gottes Repräsentant mit Alleinvertretungsanspruch [vgl. das Material bei H. Conzelmann: H N T 7, z. St.]. Simon Magus ist so eine wirkliche Konkurrenz zu Jesus als dem einen Boten Gottes [KVQlog]. Aus dem christologischen Titel dßZJiyög ist nichts Spezifisches herzuleiten.) Joh: Nach R. Bultmann ist Verfasser ein christianisierter Gnostiker, der in seinem Evangelium eine gnostische Quelle entmythologisiert und christianisiert hat. Die „Gnosis" ist als proto-mandäisch zu beschreiben. Reste: Finsternis/Licht; Abstieg und Aufstieg des Menschensohnes, präsentische Eschatologie, Ich-bin-Worte, „guter Hirte", Ruf zur Entscheidung. - E. Käsemann: Das Evangelium selbst entstammt einem Konventikel mit gnostisierenden Tendenzen. (Die bedeutende Rolle des Judentums für das Joh wird anhand der Qumranfunde eher erkennbar; mandäische Quellen haben vielleicht mit Joh gemeinsame Traditionen; Bedeutung jüdischer Weisheitslehre und des juristischen jüdischen Botenbegriffs für die Christologie). Paulinische Theologie: Kritik an der Gnosis und teilweise Übernahme in der Anthropologie, im Adam-Mythos, in der Zwei-Äonen-Lehre und in der Lehre von der Teilhabe an Tod und neuem Leben der Gottheit. l/ll Thess: I Thess 4 , 3 - 6 gegen gnostischen Libertinismus, 4,14ff gegen gnostische Leugner der künftigen Auferstehung; II Thess 2,2 als gnostische Parole. (Es geht nicht um Libertinismus, sondern um eine ethische Orientierung f ü r Heidenchristen, die eng mit der christlichen Heilsbotschaft verbunden ist: „Heiligung" ist in besonderer Weise geeignet, Soteriologie und Ethik zusammen darzustellen; zu II Thess 2,2: Zusammenhang von Naherwartung und Verfolgung wie auch in Apk und anderswo). Gal: Die Gegner sahen Beschneidung als symbolische Befreiung vom „Fleisch" an (5,2f); daß es sich um Gnostiker, nicht um Juden handelt, wird durch 5,3 erwiesen: Paulus muß erst von sich aus darauf weisen, daß Beschneidung auch Gesetzeserfüllung als Folgeleistung erforderlich macht; entsprechend wird in 5,1.13 gnostischer Libertinismus bekämpft; in 4,10 sei gnostisierende essenische Praxis gemeint. (Die ältere, konservative Missionspraxis setzt sich gegen den Neuerer Paulus durch; in Kap. 5f weist Paulus nach, daß Freiheit von der Beschneidung aufgrund des Pneumabesitzes gerade eine intensivere ethische Bindung zur Folge hat). Rom 5,12-21: „Erbsündenlehre" gnostischen Ursprungs. 6,5 und 12,4ff Taufe in den Leib als Einheit mit dem gnostischen Erlöser. 8,20 ff Fall der Schöpfung als gnostische Kosmologie; 8,38 f dämonische Zwischenmächte; 13,11-13 gnostische Terminologie. (Insgesamt größere Bedeutung des hellenistischen Judentums für Paulus). / Kor: 12,3 Verfluchung des irdischen Jesus und Ehrung des erhöhten Christus. Die Christuspartei in Kap. 1 sind libertinistische Gnostiker mit den Schlagworten Gnosis und Sophia. Dagegen setze Paulus seine Kreuzestheologie. (Parteien aus verschiedenem Taufverständnis erklärbar. - Die Kreuzestheologie richtet sich nicht gegen eine bestimmte Christologie, sondern steht im Kontext der Diskussion um „ s a n f t e " oder „streitsüchtige" Weisheit.) Kap. 2: Paulus läßt sich ironisch auf die Sprache seiner Gegner ein. M a n kann daraus erkennen, daß es dort zwei Klassen gab, Vollkommene und Unmündige. Die Pneumatiker fühlten sich den Gesetzen der Psychiker entronnen, repräsentieren nun himmlische Freiheit. (Pneumatiker und Psychiker sind paulinische Kategorien. Herkunft dieser Kategorien aus der antiken Mantik [s.u.], nicht aus der Gnosis; diese steht vielmehr in der späteren Wirkungsgeschichte der Mantik.) 4,8 (Schon seit J. Weiß auf präsentische Eschatologie gedeutet). Ähnlich wie im Joh vertreten die Gnostiker hier präsentische Zukunftserwartung; H. Conzelmann modifiziert: Anteil an Gottes Herrschaft durch Beziehung zum erhöhten Christus. (Beachte Kontext: Dieser spricht nicht über korinthische Eschatologie, sondern über das Sich-Gegeneinander-Aufblähen: Paulus will sagen, d a ß sie alle nur empfangen haben. Die angegebenen Güter sind gerade nicht Fachausdrücke christlicher Eschatologie [„schon" fehlt bei dem Mitregieren], sondern sind Inhalte menschlicher Erwartung und menschlichen Strebens überhaupt. Keine „Proto-

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gnosis" [Conzelmann], sondern ironische Anwendung des bis 3,23 Ausgeführten auf die Gemeinde: Ihr seid schon saturiert und im Vollbesitz der Weisheit ohne uns, d. h. durch die anderen Lehrer: ach, wäre es doch so!) 5,1 f f : Demonstration pneumatischer Freiheit in der Gemeinde (Konflikt jüdischheidnischer Satzungen, vgl. Aposteldekret). 6,12-14: nävxapoi e^ecmv (vgl. 10,23): Libertinismus als Kehrseite des Spiritualismus. Pneumatiker frei gegenüber der vergänglichen Welt: Wegen des Geistleibes wird der irdische Leib nur als vergängliche Hülle angesehen. Daher alle Mißstände in Korinth. - Paulus betont dagegen den Bezug des Leibes zum Herrn. ( n ä v x a fiOl e^eorivist stoischer Grundsatz [Conzelmann: KEK 5, z. 6,12: „Es gibt nur stoisches und kynisches Vergleichsmaterial"]. Es geht um die durch die innere Haltung begründete Freiheit. Das Christentum konnte dahinter nicht zurückfallen, vgl. schon IV Makk: Das innere Gesetz durch die Herrschaft des Xoyianög. So war der Satz wohl eine ursprünglich paulinische Maxime. Daß Paulus dagegen den Leib betont, ist richtig). Kap. 7: Emanzipationsbewegung unter Sklaven („freche Emanzipation"). Streng asketische Richtung verweigert den Gebrauch der Sexualität und will Ehen auflösen. (Diskutiert werden nicht Sklavenrevolten, sondern der paulinische Grundsatz „Bleiben wie man ist" [in bezug auf die Ehe] wird an einem bereits bekannten und in der Philosophie diskutierten Fall [Dienen in Freiheit] erläutert. - Ferner geht es nicht um asketische Pneumatiker, sondern um prophetische Ehelosigkeit [Mystik]). Kap. 8: Die Pneumatiker leiten aus ihrer Erkenntnis Freiheit ab. (Freiheit der Gebildeten gegenüber den Abergläubischen). 10,1-12: Musterfall gnostischer Heilsgewißheit; Bewußtsein, gegen die Sünde gefeit zu sein (nach H. Conzelmann Verbindung von Pneumatismus und Sakramentalismus). Verweis auf 10,23. (Das Problem von Heilsbesitz und Versuchtwerden [Möglichkeit zum Abfall] ist viel zu allgemein, als daß man es hier ohne konkreten Anhalt im Sinne einer speziellen Ideologie auffassen dürfte.) -11,1 f f : Freche Emanzipation der Frau von Paulus bekämpft. 11,17-19: Vorwegnahme des unmittelbar bevorstehenden himmlischen Freudenmahles. Individueller Pneumatismus von Illusionisten. (Verschleierung der Frau nicht gegen Emanzipation, sondern wegen der Zulassung der Frau zum Bereich der Mystik überhaupt. Abendmahl: Konflikt zwischen arm und reich [V.21 b.22b ausdrücklich!]). Kap. 12—14: Der spirituale Aufschwung des einzelnen zum Herrn wird durch Ekstase bestätigt; Freiheit als Entweltlichung). Präsentische Gemeinschaft mit dem erhöhten KÜQiog. Selbsterbauung und Freiheitsdemonstration. (Hier geht es nun in der Tat um Orientierung am erhöhten Herrn und Nachvollzug des Weges Jesu, ohne daß bei den Korinthern dabei schon die kirchliche Gebundenheit in den Blick gekommen wäre. Das aber ist wohl frühes paulinisches Christentum selbst. Hintergrund: jüdische [Merkabah] und speziell jüdisch-hellenistische [Philo!] Mystik. Die Geheimnisse sind „apokalyptische" [Dautzenberg]). 13,8 „Gnosis": Erlösende Gnosis im Rahmen mythologischer Gnosis (Schmithals). (Charismatische Einsicht in die Struktur des Kosmos). Kap. 14: Gemeindeversammlungen als pneumatische Selbstdarstellungen. Kap. 15: 15,29 magisches Sakramentsverständnis in Korinth weist darauf, daß die hier vorausgesetzte präsentische Eschatologie auch mit der Taufe in Zusammenhang steht (vgl. Taufverständnis 10,1-12). V. 13: äväoxaaig veKßüiv OÖK eanv, vgl. II Tim 2,18; I Kor 4,8: Weil ewiges Leben schon Gegenwart ist, ist die Auferstehung in Gnosis und Pneuma vorweggenommen. V. 29: Totentaufe von Paulus nicht getadelt; beruht nicht auf Sakramentalismus, sondern auf Stellvertretung. - Im übrigen: Skepsis an der Auferstehung ist durchaus allgemein hellenistisch (auch und gerade wenn man für Jesus ein Sondermirakel zugestand). II Tim 2,18 ist etwas anderes (Taufe als Auferweckung mißverstanden; aber auch dort nicht „gnostisch"). 15,34: „werdet nüchtern": Mangel an Nüchternheit bei den enthusiatischen Schwärmern. Topos des eschatologischen Paränese: Dessen gewärtig zu sein, was bestimmt kommt; 1 Thess 5,6; I Petr 1,13; 4,7; 5,8: Nicht speziell gegen Enthusiasten!).

Alle moralischen Ermahnungen seien gegen gnostischen Libertinismus gewandt. (Unmoralität muß nicht ein Prinzip als Hintergrund haben). „Leib des Christus": Einheit von Erlöser und Erlösten. Phil, 2,6-11: Gnostischer Prototyp des Liedes, das auf den Abstieg und Aufstieg des UrmenschErlösers bezogen war, von Paulus um den Gesichtspunkt des Gehorsams bis zum Tod am Kreuz 50 erweitert (Christus-Enkomion, keine Präexistenz-Aussage; Analogien in Sir 44ff und in auf Menschen bezogenen Aussagen nach dem Schema Wesen - Tat - Lohn, vgl. Berger: ANRW II/25,2,1178-1186). iCo/.gnostischeGegner: nXr]Q(ÜJIAin 1,19; Leib Christi; tpiXoaotpiam 2,8.-(JüdischeMystik mit Engeldienst als magische Anrufung von Engelnamen, vgl. Berger: FS G. Bornkamm, 390f). 55 Eph: Verfasser übernimmt von den Gegnern zahlreiche Elemente des jüdischen Gnostizismus: 2 , 1 4 - 1 6 Opposition der feindlichen Mächte gegen den Aufstieg der Seele als „Mauer" kosmischen Ausmaßes; 2,15; 4,13 der gnostische Urmensch als himmlischer und vollkommener Mann. 4 , 8 - 1 0 : Abstieg und Aufstieg des himmlischen Erlösers; 5,22 ff: Syzygie zwischen Christus und Kirche. Haupt und Glieder: Jüdischer Gnostizismus. (Verwandtschaft mit Qumran und dem alttestamentli60 chen Repräsentationsdenken. Zum prägnostischen Charakter der Konzeption „aus Zweien eines machen" in Eph 2 s. u. Die Adressaten des Eph sehe ich nicht als Gnostiker, sondern als Heidenchristen [2,11], denen durch den Eph eine soziale Identität vermittelt wird. Dazu dient insbesondere der

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Leib-Gedanke. In ähnlicher Situation verwendet I Petr stärker alttestamentliche Motive [I Petr 2]; doch sind die Motive des Eph im Gegensatz dazu weniger „gnostisch" als vielmehr fortentwickelte paulinische Konzeptionen [vgl. zu Leib und Geist I Kor 12,13], die ihrerseits der politischen Metaphorik angehören.) Pastoralbriefe: I Tim 6,20: Antithesen der sogenannten Gnosis, vielleicht Marcions „Antithesen" (Zuordnung von TTiOTif und yvöiaig wie Barn 1,5; Antithesen als rhetorischer Fachterminus für den Stil der Wortgefechte I Tim 6,4; II Tim 2,14 etc.). Tit 1 , 1 4 - 1 6 : „Gott kennen" im Sinne der erlösenden Gnosis, mythologische Erzählungen, asketische Tendenzen (Polemik gegen Diasporapharisäismus christlicher Art). Tit 3,9: „Genealogien" als Äonenspekulationen (Überlieferungsketten in apokalyptischer und rabbinischer Tradition); I Tim 1,4; 4,7: „Mythen" im gnostischen Sinne (Haggadah). I Tim 4,3: Gnostische Enkratiten verbieten Heiraten etc. (Propheten und Wandercharismatiker heiraten nicht; Verbot von Götzenopferfleisch aus Furcht vor dämonischer Befleckung); I Tim 5,23: Zeugnis für gnostische Askese (anti-alkoholische Tendenz der „Nazoräer", vgl. Johannes den Täufer). II Tim 2,18: Daß die Auferstehung schon geschehen sei, weist auf die materiefeindlichen Gnostiker, vgl. das Zeugnis des Clemens von Alexandrien und der Acta Pauli et Theclae (Bekehrung als Auferweckung schließt künftige Auferweckung nicht aus). I Tim 2,5: „Mensch" Jesus Christus wird gegen die Gnosis betont (es fehlt jeder Hinweis auf Doketismus bei den Gegnern). I Tim 2,11 f: Frauenregel gegen gnostisch-enthusiastische Emanzipation (Beachtung der Sitte der hellenistischen ¿KKÄrjaia). Hebr: Gottes Sohn als der Urmensch (Kap. 1 - 2 ) ; Suche nach Ruhe als gnostisches Streben nach dem Ruhestatus (Kap. 3 - 4 ) ; Vollendung (Kap. 2.5.7) als gnostische Vollendung. (Stärkere Beachtung der Qumrantexte, von 11 QMelch und der kultischen Elemente in der jüdischen Mystik). / Petr 3,22: Aufstieg des Christus über die Weltmächte; 3,19 Predigt für die Geister in der Luftregion setzt gnostischen Hintergrund voraus (jüdische Traditionen, die auch in der Gnosis dann eine Rolle spielen). I Joh: Man nimmt eine gnostische „Quelle" für den Brief an, und zwar aufgrund folgender Elemente: „Same Gottes"; Zeugung vom Bösen oder von Gott her; Dualismus zwischen Wahrheit/Lüge, Licht/Finsternis; Regierung des Satans über die Welt. - Die gegnerische Christologie wird mit der des Kerinth gleichgesetzt. (Kein Hinweis auf „doketische" Christologie; Hintergrund und Gegnerschaft wie beim Joh eher im Bereich des Judentums). Apk: Die Nikolaiten werden mit den doketischen Gegnern des Ignatius v. Antiochien gleichgesetzt. Die Werke der Nikolaiten sind gnostischer Libertinismus, auf Gnosis weist besonders 2,14 (Tiefen Satans, vgl. I Kor 2,10). (Es geht um die Frage, wieweit die Gemeinden insgesamt sich noch am Zusammenleben mit Judenchristen orientieren und Regeln, wie sie im Aposteldekret ähnlich gefaßt sind, bewahren. Die Gegner der Apk haben etwa die Position der Pastoralbriefe). Simon Magus und sein Lehrer Dositheus: Vgl. Act 8 und Justin, apol. 22.56; dial. 120: „Gott über aller Gewalt und Macht"; römische Inschrift: Simoni Deo Sancto, vgl. die 1574 in Rom gefundene Statue auf den altrömischen Gott Semoni sancto deo. (Anfänglich ist Simon nur Gottes Svvaßig und damit dasselbe wie der Kyrios als Gottes Repräsentant; zu Anfang spielt auch Helena noch keine Rolle; wie in der Christologie ist mit einer sukzessiven Gnostisierung zu rechnen). Poimandres ( = CH I) enthält nach R. Reitzenstein (1904) ein Zeugnis für den Urmensch-ErlöserMythos. Zur Widerlegung vgl. C. Colpe (Schule 16ff). Nach den Herausgebern Scott, Festugiere und Nock ist die Schrift in das 2 . - 4 . Jh. zu datieren. (CH I steht ausweislich der extensiv nachweisbaren Bekehrungsterminologie dem hellenistischen Judentum sehr nahe, vgl. Berger, Auferstehung 5 4 9 - 5 6 1 ; Argumente gegen Spätdatierung bei C . H . Dodd, The Bible and the Greeks, 1935, 170-200). Iranische Quellen: (-»Iranische Religionen): Gayomart/Urmensch wurde gleichgesetzt mit dem äv9goJtog der Hermetica, dem jüdisch-apokalyptischen Adam, dem Menschensohn der Evangelien und dem manichäischen Urmenschen. (Zur Differenzierung der Vorstellungen vgl. C. Colpe [Schule], - Zum gnostischen „Erlöser" besteht kein Zusammenhang.) -> Manichäismus: Man behauptete hier ein Weiterleben vorchristlicher gnostischer Elemente. Besonders wichtig: Die Thomaspsalmen des Schülers Manis (wohl 3. Jh. n. Chr.). (Handelt es sich eher um eine späte Form elkesaitischen Christentums?) Thomasevangelium und edessenisches Christentum: Leibfeindschaft und Enkratismus wurden gnostisch gedeutet. (Aber Enkratismus ist nur eine der unter „Gnosis" zusammengefaßten Richtungen.) Oden Salomos: Man hat sie, insbesondere wegen der Rolle der „Erkenntnis" („Wissen") mit Gnosis in Verbindung gebracht. (Für eine engere Beziehung zum Judentum sprechen die Analogien mit 1 QH). Das Perlenlied ActThom 1 0 8 - 1 1 3 (um 225 n. Chr.) hat man für vorchristlich gehalten. (Doch die märchenhaften Elemente des Liedes sind von seiner gnostischen Interpretation zu sondern, ohne daß eine zeitliche Fixierung möglich wäre.)

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-*Bardesanes ( 1 5 4 - 2 2 2 ) am Hofe Abgars VIII. v. Edessa richtete sich gegen die Auferstehung des Leibes und war für eine Unsterblichkeit nur der Seele. (War er deswegen schon „Gnostiker" im umfassenden Sinn des Wortes? [Vgl. dazu besonders H . J . W . Drijvers, Bardaisan of Edessa].) Mandäische Texte (-»Mandäismus) sind darauf zu befragen, ab wann diese Gruppe wirklich gnostisch war und wie alt die Bezugnahmen auf Johannes den Täufer sind. Handelt es sich wirklich um eine jüdische Taufsekte - wo doch die typischen Merkmale des Judentums (Monotheismus, Beschneidung, Sabbat) fehlen und die Gruppe eher antijüdisch ausgerichtet ist? Die Kenntnis der Genesis-Texte könnte aus zweiter Hand vermittelt sein. Haben sich hier mesopotamischer Kult und zugehörige Magie mit gnostischem Gut verbunden? N a g - H a m m a d i - T e x t e nicht-christlichen Charakters sind folgende: Norea (IX 2); Zostrianos (VIII1); Allogenes ( X I 3 ) ; Die drei Stelen des Seth (VII5); Marsanes ( X I ) ; Hypsiphrone (XI4). - Der Eugnostosbrief ist entweder vorchristlich oder de-christianisiert (vgl. die Sophia Jesu Christi als christliches Gegenstück). - Bei der Apk Adams, die jüdische Elemente enthält, ist umstritten, ob der hier genannte Erlöser, der am Fleisch bestraft wird und auf den der Geist herabsteigt, auf Jesus zu beziehen ist oder nicht. - Die Paraphrase des Sem polemisiert gegen Wassertaufe - sind damit nur jüdische Taufen gemeint? ->Philo v. Alexandrien wird zur Gnosis in Beziehung gesetzt, vor allem da Alexandrien einer der Vororte der späteren Gnosis ist. Zwar findet sich bei ihm eine dualistische Anthropologie, und Gottes Schaffen als noieiv ist nur auf Nicht-Materielles bezogen, das andere wird nXäaoei v genannt. Doch fehlt ein böses Gegenprinzip, die Welt ist nicht dämonisiert. Qumran-Texte sind zwar durch ethischen Dualismus gekennzeichnet und 1 QS 3 , 1 3 - 4 , 2 8 (Söhne des Lichts; Fürst des Lichts/ Engel der Finsternis) hat man als Beleg für einen jüdischen Gnostizismus angesehen, aber gegenüber dem einen Gott des Alten Testaments ist das Böse nicht verselbständigt. Der Mensch ist korrupt, doch ohne den gnostischen Lichtfunken. Der esoterische Erkenntnisbegriff nähert sich dem der Gnosis, er findet sich jedoch auch schon in zwischentestamentlichen Offenbarungsschriften allgemein (z.B. äthHen 4 8 , 6 - 7 als Vorstufe des neutestamentlichen Revelationsschemas) und hängt zusammen mit einer innerjüdischen Verschiebung des Auserwähltheitsbegriffs und dem Ansetzen der Trennungslinie zwischen Gerechten und Sündern innerhalb Israels. Die Diskussion um alle diese T e x t e und Personen hat die Hypothese einer vorchristlichen Gnosis nicht verifiziert, da entweder die Datierungen völlig arbiträr waren oder da für jeden einzelnen Fall A r g u m e n t e zu nennen waren, weshalb hier eben doch nicht Gnosis im Vollsinn des W o r t e s vorlag, oder da - das gilt für die genannten N a g - H a m m a di-Texte - es i m m e r wieder Argumente gibt, einen T e x t dennoch als christlich einzustufen, auch wenn der explizite Bezug auf Jesus fehlt. So ist auf dem subtraktiven und chronologischen Weg nicht weiterzukommen. Im Folgenden gehen wir daher versuchsweise nicht von bestimmten Schriften und Gestalten, sondern von Einzeltraditionen aus.

3. Vorbereitende

Traditionslinien

Wer so fragt, betrachtet „ G n o s i s " von vornherein als P h ä n o m e n des Synkretismus; er stößt auf eine Reihe von älteren Einzellinien, die nachweislich für die Gnosis von Bedeutung geworden sind. Die Frage, wie und mit welcher Gewichtung diese Einzellinien verbunden w o r d e n sind, ist freilich damit zunächst suspendiert, jedoch a m Ende in einem neuen Schritt anzugehen. 3 . 1 . Die Bedeutung von Mittlerfiguren für die Mitteilung von Offenbarung und Kunde von G o t t und der himmlischen Welt, die Boten in dieser Welt für die auserwählten M e n schen sind, hängt eng mit dem A u f k o m m e n von Gnosis z u s a m m e n (vgl. außer Jesus und Simon M a g u s auch andere historische Gestalten wie M a n i und Valentin). 3 . 2 . Diese Mittlerfiguren haben ihre Botschaft nicht von sich selbst her, sondern sie ist ihnen durch Offenbarung zuteil geworden, häufig in Gestalt eines Aufstiegs. Der Aufstieg als Teilhabe an der göttlichen Welt ist zugleich Vor-Abbildung des Erlösungsweges überhaupt. Als Erlösungsweg ist der Aufstieg mit - > M a g i e verbunden. Hier ist auf die besondere Bedeutung des „ I r r a t i o n a l i s m u s " gerade für die gebildeten Schichten des Reiches im 1. und 2. J h . n. C h r . zu verweisen. Dieser betrifft das Aufleben von Astrologie, wunderhaften Geschichten, M a g i e und gleichzeitiger Skepsis gegen vernünftiges Erkennen, dem ein Offenbarungsglaube entspricht. 3 . 3 . - » A s k e s e und E n k r a t i s m u s sind Wege, um Offenbarung und Teilhabe an Visionen vorzubereiten. Sie sind Zeichen der Orientierung an der himmlischen Welt und haben

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als solche ethischen C h a r a k t e r , da das -»-Böse im G e h o r s a m gegenüber den Begierden des L e i b e s gesehen wird. S o hat auch Askese die D o p p e l f u n k t i o n der Vorbereitung a u f Offenb a r u n g (von daher wird sie zum K e n n z e i c h e n des O f f e n b a r u n g s t r ä g e r s schlechthin) wie der Vorbereitung auf das E i n g e h e n in den H i m m e l ü b e r h a u p t . 3.4. T r a d i t i o n e n über die Weisheit: D e r g n o s t i s c h e N a m e A c h a m o t h geht zurück a u f den intensiven Plural/die A b s t r a k t b i l d u n g hokmot (hebr. Weisheit). Im J u d e n t u m bereits wird die Weisheit von G o t t , ihrem T r ä g e r , gelöst und wird eine eigenständige Wesenheit; mit ihr k a n n die T o r a gleichgesetzt werden ( B a r 3 f; Sir 2 4 ) , oder sie wird als M i t s c h ö p f e rin b e t r a c h t e t , auf die alle M e n s c h e n o d e r alle D i n g e z u r ü c k g e h e n . N a c h Weish 10 f ist sie anstelle G o t t e s die W i r k m a c h t in der G e s c h i c h t e , in 15,1 G o t t g e n a n n t . N a c h 7 , 2 4 ; 8 , 1 ist sie Ausfluß aus der Doxa und A b g l a n z des göttlichen Lichtes. Unter den M e n s c h e n weilt sie a b e r zugleich: als Gesetz o d e r nur für eine Z e i t , o h n e eine W o h n u n g zu finden ( ä t h H e n 4 2 , 1 - 3 ) . O b es einen vorchristlichen W e i s h e i t s m y t h o s gegeben h a t , wie ihn vor allem U. W i l c k e n s (Art. aoq)ia: T h W N T 7 , 5 0 8 - 5 1 0 ) zu r e k o n s t r u i e r e n versucht h a t , sei dahingestellt, vgl. aber H e n 4 2 . - W i c h t i g ist, d a ß die D o p p e l r o l l e der Weisheit, bei G o t t zu sein und bei den M e n s c h e n , auch von anderen M i t t l e r f i g u r e n w a h r g e n o m m e n werden k a n n ( z . B . von Levi nach TestLevi 2 - 5 und von den beiden P r o p h e t e n von A p k 1 1 , 3 f f , die n a c h V.4 zeitlos „ v o r G o t t s t e h e n " und zugleich ein irdisches G e s c h i c k h a b e n ) . Es handelt sich hier offenbar um strukturell gleichartige K o n z e p t i o n e n von G o t t e s R e p r ä s e n t a n t e n in der Welt. 3.5. Besonders wichtig für die Vorbereitung gnostischen D e n k e n s ist die seit —»Plato belegte K o n z e p t i o n über die A b f o l g e von a n f ä n g l i c h e r E i n h e i t , Spaltung in zwei contraria und Wiedervereinigung des G e t r e n n t e n zur E i n h e i t . Im N e u e n T e s t a m e n t ist diese T r a d i tion u. a. in E p h 2 , 1 4 f belegt und a u f die Verbindung von J u d e n c h r i s t e n und H e i d e n c h r i sten zur Einheit bezogen. In den gnostischen T e x t e n wird die T r a d i t i o n vor allem als p r o t o l o g i s c h e r M y t h o s gestaltet. D e m g e g e n ü b e r sind die vorgnostischen christlichen B e lege regelmäßig durch ein F e h l e n des p r o t o l o g i s c h e n Aspekts ausgezeichnet, d. h. es fehlt eine Aussage über die Entstehung der Z w e i h e i t , nur die - » E s c h a t o l o g i e ist mythisch gestaltet. Erst in den gnostischen T e x t e n wird der p r o t o l o g i s c h e , bei Plato belegte M y t h o s mit dem eschatologischen verbunden. Wegen der W i c h t i g k e i t für die Entstehung gnostischen D e n k e n s und der B e s t i m m u n g der S c h w e l l e zur G n o s i s sind die T e x t e hier zu nennen: a) Plato und gnostische Texte (Protologie und Eschatologie): I. Plato, sym. X V ( 1 8 9 c - 1 9 3 d ) : „Seit so alter Zeit also ist das Liebesverlangen zueinander den Menschen angeboren; es will die Urwesen wiedervereinigen und versucht, aus zweien eins zu machen und die menschliche Natur zu heilen". II. Tractatus Tripartitus ( N H C 1 5 ) 132: „Das Ende wird eine einheitliche Existenz bekommen so wie am Anfang, wo es nicht Männlich noch Weiblich gibt, nicht Sklave noch Freien, weder Beschneidung noch Unbeschnittensein, weder Engel noch Mensch, sondern Christus ist alles in allem". III. EvPhil 78: „Hätte sich das Weib nicht vom Mann getrennt, so würde es nicht sterben mit dem Manne. Seine Trennung wurde zum Anfang des Todes. Deshalb kam Christus, damit er die Trennung, die von Anfang an bestand, wieder beseitige, sie beide vereinige und denjenigen, die in der Trennung gestorben sind, Leben gebe und sie vereinige". IV. (nur protologisch) PsClem. Horn. XVI, 12: „Petrus antwortete: ,Einer ist es, der zu seiner Weisheit sagte: ,Wir wollen einen Menschen machen'. Die Weisheit aber, mit der er sich immer mitgefreut hatte wie mit dem eigenen Pneuma, ist geeint wie eine Seele mit Gott, wird ausgestreckt von ihm wie eine Hand, herstellend das All. Deswegen entstand auch ein Mensch, von ihm aber ging aus auch das Weibliche. Und auch die Zweiheit besteht, indem sie eigentlich dem Wesen nach eine einzige ist. Denn nach Ausstrecken oder Zusammenziehen hält man die Einheit für eine Zweiheit. Daher tue ich recht, wenn ich einem einzigen Gott wie den Eltern alle Ehre darbringe'." b) Ältere christliche Texte (eschatologischer Mythos): V. Eph 2,14 „Denn er ist unser Friede, der gemacht hat die zwei zu einem..."; 2,15: „ . . . damit er die zwei schaffe in sich zu einem neuen Menschen, indem er Frieden schuf". VI. II Clem 12,2-6: „Denn als der Herr selber von jemandem gefragt wurde, wann sein Reich kommen werde, sagte er: ,Wenn die zwei eins sein werden, und das Äußere wie das Innere, und das Männliche mit dem Weiblichen, weder Männliches noch Weibliches'. ,Die zwei aber sind eins', wenn

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wir zueinander die Wahrheit redeten und in zwei Leibern ohne Heuchelei nur eine Seele wäre. ,Und das Äußere wie das Innere' besagt dies: die Seele benennt er das Innere, das Äußere aber nennt er den Leib. Wie nun dein Leib sichtbar wird, so soll auch deine Seele in den guten Werken sichtbar werden. ,Und das Männliche mit dem Weiblichen, weder Männliches noch Weibliches', das besagt dies: daß ein Bruder beim Anblick seiner Schwester keinen Gedanken von ihr als einem Weibe hat, noch auch sie von ihm als einem Manne. ,Wenn ihr dies tut', sagt er, ,wird das Reich meines Vaters kommen'". VII. EvThom 106 „Wenn ihr die zwei zu einem macht, werdet ihr Söhne des Menschen werden. Und wenn er sagt: ,Berg, drehe dich um', wird er sich umdrehen". VIII. EvThom 22: „Jesus sah Kleine, die Milch bekamen. Er sprach zu seinen Jüngern: ,Diese Kleinen, die Milch bekommen, gleichen denen, die ins Königreich eingehen'. Sie sprachen zu ihm: ,Wenn wir klein sind, werden wir ins Königreich eingehen?' Jesus sprach zu ihnen: ,Wenn ihr die zwei zu einem macht und wenn ihr die Innenseite wie die Außenseite macht und die Außenseite wie die Innenseite und die Oberseite wie die Unterseite und daß ihr den Mann und die Frau zu einem Einzigen machen werdet, damit der Mann nicht Mann sei und die Frau nicht Frau - wenn ihr Augen anstelle eines Auges macht und eine Hand anstelle einer Hand und einen Fuß anstelle eines Fußes, ein Bild anstelle eines Bildes, dann werdet ihr (ins Königreich) eingehen'." IX. EvAg (Clemens von Alexandrien, str. 111,13.92 p.553): „Als Salome erfahren wollte, wann man erkennen könne das, worüber gesprochen wurde, sagte der Herr: ,Wenn ihr das Gewand der Scham mit Füßen tretet und wenn die zwei zu einem werden und das Männliche mit dem Weiblichen weder männlich noch weiblich'" (Vgl. EvThom 37: „ . . . an welchem Tage?" „Wenn ihr eure Scham auszieht und eure Kleider nehmt und sie unter eure Füße legt wie die kleinen Kinder und ihr auf sie tretet, dann werdet ihr den Sohn des Lebendigen sehen und ihr werdet keine Furcht haben" und auch P Oxy 655: „Wann wirst du sichtbar sein, und wann werden wir dich sehen?" „Wenn ihr euch auszieht und ihr euch nicht schämt"). X . äthApkEsr (ed. Halevy 179): „Alle werden sich erheben wie Adam, und es wird nicht Mann noch Frau sein, alle werden denselben Körper und dieselbe Gestalt haben". XI. Clemens von Alexandrien, paed. 1,4: „Denn in diesem Ä o n . . . wird das Weibliche vom Männlichen unterschieden, in jenem aber nicht mehr" (dazu auch: Mk 12,25 parr.: „Denn wenn sie aus Toten auferstehen, werden sie nicht heiraten noch geheiratet werden, sondern sie sind wie Engel"). XII. Ephraem Syrus Graece (ed. Assemani 11,207.391 D): „Und ich werde euch Ruhe geben, wo nicht mehr ist Männlich und Weiblich, wo nicht mehr ist Teufel noch Tod noch Fasten noch Trauer noch Streit". XIII. ActaPetric. Simone 9 (38) (ed. Bonnet: AAA 1,94): „Wenn ihr nicht macht Rechts wie Links und Links wie Rechts und Oben wie Unten und Vorne wie Hinten, werdet ihr nicht erkennen [nicht hineingehen in] das Reich [Gottes]". XIV. Hippolyt, ref. V,7,14f: „Es ist nämlich, heißt es, der Mensch mannweiblich. Nach diesem Gedanken ist für sie nach der Lehre der Verkehr einer Frau mit einem Manne sehr böse und verboten. Denn, so sagt er, Attis wurde verschnitten, das heißt: befreit von den choischen Teilen der Schöpfung hier unten und kam in das ewige Wesen oben, wo, heißt es, es weder Mann noch Frau gibt, sondern eine neue Kreatur, ein neuer Mensch, der mannweiblich i s t . . . " . XV. Überschneidungen gibt es streckenweise mit Texten, nach denen nicht die Aufhebung, sondern die Umkehrung der Gegensätze das Erlösungswerk sind; hier begegnet aber nicht die Opposition männlich/weiblich, sondern nur die Oppositionen rechts/links, oben/unten, vorne/hinten, so in ActThom 147 (syr. ed. Wright 282); Testamentum Domini (ed. Rahmani 65); ActPhil 140 (links/rechts; ehrlos/ehrenvoll); Hippolyt, in Dan. IV,39,6 (oben/unten); Clemens von Alexandrien, protr. XI,114 (Untergang/Aufgang; Leben/Tod); syrDidask. 39,2 (links/rechts). Es handelt sich hier regelmäßig um eine Fortwirkung urchristlicher Kreuzestheologie, da fast immer vom Kreuz (Jesu) im Kontext gesprochen wird. XVI. ArabApkPetr II (ed. A. Mingana 106) Gott sei „weder alt noch jung, weder Anfang noch Ende, weder rechts noch links: Wir sind das Rechte und Linke in einer unsichtbaren und unbegreiflichen Kraft. Wir haben weder Innen noch Außen, denn wir sind das Außen und das Innen". c) Individuelle Eschatologie (Verwandlung): XVII. -*Philo von Alexandrien, VitMos 11,288: „Einige Zeit später, als er den Gang von hier weg in den Himmel antreten und nach dem Scheidefi aus dem sterblichen Leben zur Unsterblichkeit gelangen sollte, berufen vom Vater, der ihn aus der Zweiheit von Leib und Seele zu einer Natur ganz und gar ungeteilter Einheit umgestaltete...". D i e E n t w i c k l u n g der T r a d i t i o n ist nun nicht so vorzustellen, d a ß die g n o s t i s c h e n T e x t e lediglich die p l a t o n i s c h e Position wiederaufgegriffen h ä t t e n und Philo wie die a l t c h r i s t lichen T e x t e diese mythische T r a d i t i o n nur verkürzt b ö t e n . V i e l m e h r ist der e n t s c h e i d e n de neue G e s i c h t s p u n k t bei den altchristlichen T e x t e n , der dann auch in die g n o s t i s c h e n

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T e x t e eingeht, die Ü b e r w i n d u n g der Vergänglichkeit, das H i n g e l a n g e n zur Ewigkeit und damit verbunden auch die L e h r e von e i n e m zweiten, anderen Ä o n . Es geht daher in dieser T r a d i t i o n nicht nur um Spaltung und Differenz, sondern Weiblichkeit wurde zur Chiffre für Vergänglichkeit (besonders deutlich o b e n in T e x t III = EvPhil 7 8 ) . G e h t es bei P l a t o nur um E i n h e i t und Differenz, so k o m m t bei Philo ( T e x t X V I I ) s c h o n die Andersartigkeit G o t t e s hinzu, in den frühchristlichen T e x t e n die Z e i t - und Ä o n e n f r a g e : D i e W i e d e r h e r stellung der Einheit ist nur m ö g l i c h im Bereich G o t t e s und n o c h dazu in einem neuen Ä o n (Reich G o t t e s ) , jedenfalls e s c h a t o l o g i s c h . D i e g n o s t i s c h e n T e x t e systematisieren diese mythischen Ansätze. Für die n o c h nicht gnostischen frühchristlichen T e x t e läßt sich folgendes G e s a m t k o n z e p t hypothetisch erstellen: 1. Werden, Vergänglichkeit und Getrenntsein von contraria sind die Merkmale dieser so bestehenden Welt. Die Spaltung ist sexuell (Mann/Frau), anthropologisch (Außen/Innen), sozial (Oben/Unten; Sklaven/Freie), kosmologisch (Oben/Unten), logisch (Rechts/Links; möglicherweise wird an dieser Stelle der erkenntnistheoretische Ursprung der Gesamtkonzeption deutlich) und ethnologisch (die verschiedenen Völker: Gal 3,28; Eph 2,14f; Kol 3,10f: Juden und Heiden, aber auch Barbaren und Skythen) greifbar. - Die anthropologische Spaltung in außen/innen wird exemplarisch als Widerstreit von Wollen und Tun auch in Rom 7,15 ff vorgeführt. 2. Dem stehen Gottes Bereich und die Zukunft Gottes als sein Reich gegenüber: Sowohl Vergänglichkeit wie Spaltung sind in seiner Einheit aufgehoben. An dieser Stelle wird verständlich, weshalb sich die Mehrzahl gnostischer und gnostisierender Texte im Bereich des monotheistischen Judentums und Christentums finden. Die strikte Höherbewertung der Einheit gegenüber der Vielheit ist die logische Grundstruktur dieses Konzeptes. 3. Erlösung der Welt vollzieht sich als Aufhebung der zerstrittenen Vielheit (in Eph 2 „Friede" genannt), in der Beendigung der Spaltung. Das geschieht entweder als Integration in die Einheit der zentralen Person (Kol 3,10f; Gal 3,27f: Beseitigung der Differenzen in Christus, so auch in Text Nr. II; Gott: in I Kor 15,28 b) oder als Herstellung einer neuen Leiblichkeit durch Auferstehung und Verwandlung „Auge anstelle eines Auges" etc. in EvThom 22 [ = Text Nr. VIII] ist als neue Leiblichkeit zu deuten; das Ausziehen des Gewandes in Text IX bedeutet: einen neuen Leib. Um Auferstehung geht es in Text X und XI). Auch in Rom 7 wird die ab 7,15 geschilderte Spaltung aufgehoben in einem neuen Leib: 7,24. Für die Probleme von Rom 7 , 1 5 - 8 , 1 1 ist es nicht unwichtig, daß die Aufhebung der Gegensätze nach einer Reihe frühchristlicher Texte auch ethisch und charismatisch vor-eschatologisch geschehen kann: so in Gal 3,27f durch die Taufe, in EvThom 106 ( = Text VII) offensichtlich charismatisch (der Befehl an den Berg ist der des wortmächtigen Charismatikers) und in dem Midrasch-Teil zu II Clem 12 ( = Text VI) ethisch. So erweisen sich die Alternativen der Forschungsgeschichte zu Rom 7 f als nicht unvereinbar: Neue Leiblichkeit steht neben Geist und rechtem Tun auch in den Belegen über die Aufhebung der Spaltung im Umkreis des Paulus. In Eph 2 ist die Spaltung - singulär - durch den Sühnetod Jesu beseitigt, und nur hier begegnet das aus der Versöhnungstradition überkommene Wort „Friede" zur Kennzeichnung des Erreichten. Doch wie in Gal 3,27f wird in unmittelbarem Anschluß auch die Einheit als durch das Pneuma gestiftet bezeichnet (Eph 2,18), so daß hier eine Verbindung von Versöhnungstradition und charismatischer Herstellung der Einheit vorliegt. Bemerkenswert ist, daß in Gal 3, Kol 3 und Eph 2 die Einheit nicht erst zukünftig hergestellt wird wie in fast allen obengenannten Texten ( I X - X I I ) . In Rom 7 dagegen, und darin liegt das Besondere dieses Textes, sind zukünftige und gegenwärtige Aufhebung der (anthropologischen) Spaltung verschränkt. 4. Auch wenn die Differenzen bereits aufgehoben sind, wie in Gal 3, Eph 2 und Kol 3, ist damit eine futurische Eschatologie nicht ausgeschlossen, sie wird aber nach einem grundsätzlich vom apokalyptisch-forensischen Modell verschiedenen Entwurf gedacht: als Wachstum, Erfülltwerden, Hingelangen zu einem Ziel in stetigem Prozeß, Auferbautwerden, Erreichen des Vollmaßes. Man sollte diesem Typ eschatologischen Denkens angesichts der Eschatologie Jesu und der Apk seinen Eigenwert zugestehen und nicht versuchen, hier von lediglich „präsentischem Heil" oder von Aufhebung der Zeit zu reden. 5. Da Frauen empfangen und gebären, bedeutet die Uberwindung der Weiblichkeit das Aufhören der Vergänglichkeit (Text III und z.B. I ApkJak 41,14ff: „Das Vergängliche ging hinauf zum Unvergänglichen. Und das Werk der Weiblichkeit gelangte empor zum Werk dieser Männlichkeit"). 6. Während bei Plato die Vereinigung des Getrennten je und je durch erotische Liebe geschieht, scheint den frühchristlichen Texten diese Einheit nur mehr möglich im Bereich des einzigen Gottes und als Vorstufe oder als Ausdrucksform seines Reiches. Die nicht mehr nur individuelle Auffassung wird auch daran sichtbar, daß es jetzt um Aufhebung der Grenzen zwischen den Völkern geht. Nicht zuletzt hat der Mythos hier auch ethische Auswirkungen in der Gestaltung des Gemeindelebens (so in Gal, Eph, Kol und besonders in II Clem und Rom 7f). Diese ethische Ausrichtung des Mythos

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wurde möglich, weil im frühen Christentum Eschatologie zu einem Teil bereits verwirklicht wurde, die erstrebte Einheit mithin Praxis werden konnte. Die besondere Eigenart frühchristlicher Eschatologie war daher in ihren präsentischen Elementen die Ursache für die „praktische" Umsetzbarkeit des Mythos als Einheit unter Menschen. 3.6. Die philosophisch-platonische Tradition vom vovç. Bei Plato sind der höchste Seelenteil des Menschen und die Weltvernunft als Einheit gesehen. Diese Einheit wird später aufgegeben: D e r oberste vovç wird von der Welt getrennt, es entsteht aus ihm der vovç ÔTjfiiougyôç in der Welt, auch als Teil der Seele. C . Colpe ( R A C 1 1 , 5 6 5 ) hat auf den Schluß des 12. Buches der „ G e s e t z e " Piatos verwiesen, w o n a c h der vovç als Rettung ('G(ùTt]QÎa) aller Dinge erscheint, die im Menschen sind, da er mit den edelsten Sinnen verschmolzen und zu einem geworden ist. Mittelplatonisch wird d a n a c h der vovç des Menschen Rettung als B e w a h r u n g der Identität über seinen physischen T o d hinaus. 3.7. Mythologie. Entstehung und Weg der gesamten Weltwirklichkeit werden in genealogischen und als solchen mythologischen Kategorien erfaßt. Dabei spielt insbesondere die G o t t untergeordnete Weisheit eine zentrale Rolle als M o v e n s . Aus der Verbindung von M y t h o s und Genealogie erklärt sich die besondere Bedeutung der - » S e x u a l i t ä t in den späteren gnostischen Entwürfen. N a c h der ägyptischen Schabaka-Inschrift (710 v.Chr.) „spaltet sich der Weltschöpfer Ptah in acht H y p o s t a s e n , deren bedeutendste A t u m ist" (C. Colpe: R A C 1 1 , 6 4 0 ) . Dieses Konzept mit seiner breiten Wirkungsgeschichte ist für die gnostische Konzeption der Achtheit und Neunheit wichtig ( N H C VI 6), auch wenn astronomische Anschauungen über die Z a h l der H i m m e l dabei eine Rolle spielen. W i e für apokalyptische Texte, so ist auch für gnostische der Bereich ägyptischer Religionsgeschichte noch längst nicht ausgeschöpft. In der berühmten Naassener-Predigt (Hippolyt, ref. V,7,6 f.30—36) wird der Attis-Mythos gnostisch ausgelegt und zu A d a m s Fall in Beziehung gesetzt, und in der Exegese über die Seele ( N H C II 6) überrascht das unbefangene Nebeneinander von Z i t a t e n aus alttestamentlichen Propheten und aus der Odyssee (Umkehr Israels und Betrug der Aphrodite). Um eine mit der gnostischen verwandte Welterklärung handelt es sich schon in dem bei Porphyrius und bei Plutarch überlieferten Empedokles-Wort: „Ein weiblicher Daimon, der die Seelen mit fremdartiger Fleischeshülle umkleidet" (H. Diels/W. Kranz, Fragmente der Vorsokratiker, 1 3 1968, Kap. 31, Nr. B 126 [362]). Daß das mythische Ablaufschema das von fortschreitender Dekadenz („Fall") und schließlicher rettender Umkehrung des Vorgangs ist, hat übrigens seine Analogie im zeitgenössischen Schema der Dekadenz der Weltreiche, die am Ende durch das fünfte, aus dem Osten erwartete Reich aufgehoben wird, da dieses Heil bringen wird. Diese Strukturanalogie ist nicht zufällig; in der Menschensohnchristologie begegnen sich vor-gnostisch beide Traditionslinien: In den synoptischen Evangelien und der Apk tritt die politische Linie hervor (Niedrigkeit und Wiederkommen mit Reich Gottes bzw. Neuem Jerusalem), im Joh die im engeren Sinne soteriologische (Sendung auf die Erde und Erhöhtwerden). Die Bedeutung des mythologischen Ablaufschemas liegt jedenfalls darin, daß ähnlich wie in der Philosophie eine Gesamtdeutung der Wirklichkeit vorgelegt wird, die die Beantwortung der Theodizeefrage implizieren soll. Auch im Blick auf die Verarbeitung von Jesus- und Simon-MagusTraditionen läßt sich sagen, daß es sich in gnostischen Texten häufig um Wiedererweckung mythologischer Stoffe handelt. Wie die spätere Apokalyptik, so greifen auch gnostische Texte gerne auf narrative Stücke der Jesustradition (Gleichnisse) zurück, die mythologisiert werden. 3.8. Pagatte Mantik. F ü r den Einzelfall des Begriffspaares „ p s y c h i s c h / p n e u m a t i s c h " läßt sich zeigen, wie eine Auffassung der paganen M a n t i k a u f dem Weg über das hellenistische J u d e n t u m und Paulus für die späteren gnostischen Kreise bedeutsam wurde. Rekonstruktion des traditionsgeschichtlichen Verlaufs: 1. Pagane Mantik: Nach Plutarch, de def. orac. 40.42.50 steht das göttliche nvevfia den menschlichen Seelen gegenüber; die y/vxi) verbindet sich im mantischen Vorgang mit dem xveußd wie das Auge mit dem Sonnenlicht. - In dem Gebet der sog. Mithrasliturgie (R. Reitzenstein, Die hellenistischen Mysterienreligionen, 1904, 175) hat die Kraft der menschlichen t/zu^r) kaum Bestand, wenn das heilige KVSVfia naht. - 2. Phase: Rezeption durch Philo von Alexandrien, Gig 27 f: Nicht das eigene nvevua des Mose ging auf die 70 Ältesten über, sondern das göttliche, das aber wegen der Unvernünftigkeit des Fleisches nicht in der Seele bleiben kann. Nach Her 265 verdrängt das Kveöfia den menschlichen vovç. Wichtig ist auch Pseudo-

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Philo, de Sampsone 19, wo es heißt, der „Geist habe Simson als Seele gedient". Gemeint ist die charismatische Geistesgabe. - Nach Philos Schrift Quaest in Gen 1,90 wird der Geist mit Erkenntnis und Weisheit gleichgesetzt, die nicht im Menschen verbleiben. - 3. Phase: In Jak 3,15 wird der „psychischen und irdischen Weisheit" die „Weisheit von oben" gegenübergestellt, die friedlich und nicht streitsüchtig sei. Hier fällt zwar nicht das Stichwort „pneumatisch", aber der Gegensatz von „psychisch" und „von oben" erklärt genug, da die Synonymität von Weisheit und Geist traditionell ist. Der Kontext ist hier bereits ethischer Art. Ähnlich ist in Jud 19 von „psychischen (Menschen) die Rede, die kein nvev/ia haben"; hier geht es um Menschen, die frech sind, nach ihren Begierden wandeln sowie Zwietracht stiften. Hier wird der Ubergang von falscher Lehre zu unmoralischem Verhalten gut erkennbar. - 4. Phase: In I Kor 2 , 1 2 - 3 , 1 6 wird der Gegensatz von psychisch und pneumatisch auf Phasen im Leben jedes einzelnen Christen bezogen, auch hier, wie in Phase 3, mit dem moralischen Element des Streites und der Zwietracht verknüpft. - 5. Phase: Nach gnostischen Gemeindekonzeptionen (zum esoterischen Erkenntnisbegriff vgl. oben S. 526) kommt nicht nur die Gruppe der Hyliker hinzu - entscheidend ist vielmehr, daß es sich um bleibend abgegrenzte und aufweisbare Gruppen in der Gemeinde handelt. (Es geht hier freilich lediglich um eine der Linien, die in die gnostische Weltanschauung münden.) In der Mantik und auch noch bei Philo handelt es sich um besondere charismatische Gaben: mantische Fähigkeit oder die Gabe der Weisheit, oder es wird die (Dauer-)Ekstase beschrieben. Kennzeichnend für die neutestamentlichen Stellen ist die Verbindung des Psychischen mit Streit und Spaltung (nach Philo würde man sagen: aufgrund falscher Weisheit). Die bei Paulus noch behebbare und aufgrund der Rechtfertigung bereits prinzipiell behobene Grenze bleibt für die gnostische Auffassung bestehen; das Psychische ist nicht nur ein Übergangs-, sondern möglicherweise ein Endstadium. Aus dem „Streit" ist die Dauergruppierung geworden. Ein Kriterium für die Richtigkeit dieser Phasenfolge sehe ich in der Unumkehrbarkeit. 3.9. Jüdische Hekalot-Mystik (s.u. Abschn. II.2). Älteste Belege sind die von J . Strugnell (The Angelic Liturgy at Q u m r a n : VT.S 7 [1960] 3 1 8 - 3 4 5 ) edierten T e x t e (4 QS1 3 7 - 4 0 ) liturgischer Art, zu denen die Kleinen Hekalot ( 1 . - 2 . Jh.?), die Großen Hekalot ( 4 . - 5 . J h . ) , die A p k A b r und auch im weiteren Sinne bereits die gesamte H e n o c h - L i t e r a t u r gehören. T h e m a dieser T e x t e ist der Aufstieg zu G o t t . Dafür werden nicht nur die verschiedenen Stufen auf dem Weg angegeben, insbesondere die Hindernisse, die sich durch gestrenge Engelwesen dem Menschen in den W e g stellen, es werden auch die einzelnen Stationen des Weges und die Entfernungen gewissenhaft geschildert. Vor allem aber wird angegeben, wie m a n sich (durch Gebet und magische Praktiken) zu versiegeln habe, um unbeschadet durch die Welt Gottes h i n d u r c h z u k o m m e n . Nicht nur die Gebetstexte werden im einzelnen mitgeteilt, auch die Praktiken, die zur Ekstase führen. So etwa nach der Schrift Werk der Merkabah, die G. Scholem in seinem Buch Jewish Gnosticism, Merkabah Mysticism, and Talmudic Tradition (New York 1960 2 1 9 6 5 , 1 0 3 - 1 1 7 ) unübersetzt publiziert hat. Vgl. § 11 (ebd.): „ . . . sitzt 40 Tage in Fasten. Er ißt sein Brot mit Salz, und nicht ißt er jede Art von Schmutz. Er nimmt 24 (rituelle) Bäder, und er schaut nicht an jede Art von Farben. Seine Augen sind auf den Boden gesenkt. Und er betet mit all seiner Kraft, und sein Herz brennt bei seinem Gebet, und er versiegelt seine Gebeine mit Siegeln, die er hat, und er sagt zwölf Worte a u f . . . " . Entscheidend ist für diese T e x t e die Möglichkeit gegenwärtiger Gotteserfahrung im R a h m e n ästhetisch-visionärer Kategorien der Beschreibung der Herrlichkeit Gottes, die im Widerschein der Engelmächte von Stufe zu Stufe überboten wird. Von besonderer Wichtigkeit ist die intendierte Beziehung z u m Leser, der beeindruckt und geführt werden soll (auch hier „ L e s e m y s t e r i e n " wie in gnostischen T e x t e n ) . Die ihn betreffenden T h e m e n sind: Unwürdigkeit, Gefährdung angesichts Gottes, E r w ä h l u n g einzelner, Erfahrung von O r d n u n g in der Welt Gottes als Entsprechung zu der ihm abverlangten Einfügung in die O r d n u n g der T o r a . Vielfältig sind die Berührungen zu gnostischen T e x t e n (und übrigens auch zu älteren religiösen Schriften der koptischen Kirche), vor allem w a s die T h e m a t i k des Aufstiegs, der Engel, der magischen Praktiken und Gebete, der himmlischen Offenbarungen betrifft. Im Gegensatz zu m a n c h e n gnostischen T e x t e n fehlen jedoch protologische M y t h e n ebenso wie eine Verselbständigung des Bösen gegenüber G o t t . J e d o c h bea c h t e man, daß ein bestimmtes Gefälle jüdischer Engellehre deutlich in der Gnosis zum Abschluß gelangt. 3.10.

Engellehre

und Dämonisierung

der Welt. J u b 10,1 — 12 zeigt beispielhaft, wie in

532

Gnosis/Gnostizismus I

der Zeit zwischen den Testamenten gegenüber immer wiederkehrenden Ansätzen des Alten Testaments, nach denen das Dämonische G o t t selbst zu eigen ist, die negativen Züge des Gottesbildes mit Bedacht auf die nicht mit G o t t selbst identische Exekutive Gottes übertragen werden. N a c h J u b 10,8 korrespondieren die negativen Engelmächte nur der Bosheit der M e n s c h e n , d . h . sie sind im R a h m e n des Tun-Ergehens-Zusammenhanges notwendig. In den gnostischen Konzeptionen ist G o t t vollends der weltferne gute G o t t geworden, während die Welt im ganzen bösen D ä m o n e n ihren Bestand verdankt. Diese Radikalisierung des Unheilscharakters der Welt bleibt freilich weiterhin darin jüdisch, daß die entsprechende Heilsbotschaft dann auch die exklusive Ausschließlichkeit des einzigen Weges zur Rettung und damit den Alleinanspruch des jüdischen Gottes neu zur Sprache bringt. M a n kann die theologische Entwicklung Judentum - Paulus - gnostische Texte auch unter dem Aspekt des immer stärker und bedingungsloser formulierten, sich immer mehr als Botschaft verselbständigenden Alleinanspruchs des Gottes Israels betrachten: Im Ansatz der sog. paulinischen Kreuzestheologie von I Kor 1 sind die kreatürliche Nichtigkeit des Erwählten auf Kosten jeglicher Kontinuität und die Zerstörung allen Rühmens nur Befestigung des Alleinanspruchs Gottes. Ähnlich wird in den gnostischen Texten die „ganze Welt darangegeben", so daß selbst G o t t als der Schöpfer dem bedingungslos transzendenten Gott geopfert wird. Sehr wichtige Entsprechungen zur jüdischen und frühchristlichen Dämonologie finden sich bei Plutarch, de def. orac. 13 f. Demnach sind die D ä m o n e n Diener und Helfer der Götter oder auch R ä c h e r des Unrechts auf der Erde (im Z u s a m m e n h a n g von Tun und Ergehen). Direkt auf die gnostische Deutung des Alten Testaments führt die Beurteilung der D ä m o n e n in § 14: Feste, Opfer, Unglückstage und insbesondere Menschenopfer gelten nicht Göttern, sondern D ä m o n e n . Sie sollen ihren Z o r n und Groll abwenden oder ihre tyrannische Liebe befriedigen. So sind insbesondere Pest und Unheil durch Dämonen verursacht, die auf diesem Wege apotropäische M a ß n a h m e n erzwingen wollen. § 15 beginnt: „ D a h e r darf man auch die in Fabeln und Liedern vorkommenden Erzählungen von R a u b und Herumziehen der Götter, von Verbergen, Verbannen und Dienst derselben nicht auf die G ö t t e r beziehen, sondern auf die D ä m o n e n . . . " . Oft sei es lächerlich, dergleichen von Göttern anzunehmen. M a n könnte sagen: Diese Regeln werden auf kultische Praxis und Anthropomorphismen des Alten Testamentes bezogen zugunsten des einen Prinzips des wahren Gottes. So ergibt sich die gnostische Beurteilung des Alten Testaments. 3.11. Durch verschiedenartige Typen von Dualismus wird gnostische Weltanschauung vorbereitet. Z u r modernen Art der Einteilungen vgl. etwa J . Becker, Beobachtungen zum Dualismus im Johannesevangelium ( Z N W 65 [1974] 7 1 - 8 7 ) . Die Fragwürdigkeit der modernen Einteilungsschematismen erstreckt sich auch auf die Frage, wieweit das Böse als „verselbständigt" gedacht wird. Hier wäre viel entschiedener nach Leserbezug und „Sitz im L e b e n " zu fragen. Den reinen Theoriewert halte ich gerade bei dualistischen Aussagen für extrem gering. So dürfte in gnostischen Texten eine dualistische Aussage jeweils nur die Kehrseite einer soteriologischen sein. Sehr nahe an gnostischen Dualismus heran führt die dualistische Mytheninterpretation bei Plutarch, de Isid. et Os. § 5 7 . H e siods Theogonie (bes. V. 116), ägyptische Mythen und Piatos M y t h o s vom Eros werden wie folgt interpretiert: „ D e r Reichtum nämlich ist nichts anderes als das erste Liebenswerte, Erstrebenswerte, Vollkommene und Selbstgenügsame; die Armut stellt dann die M a t e r i e dar, welche als solche des Guten bedürftig ist, von ihm erfüllt wird, nach ihm stets sich sehnt und zur Teilhabe zu gelangen sucht. Das aus diesen G e b o r e n e ist die Welt, H o r u s . . . , der durch Veränderung in seinem Zustand und durch die Umläufe sich stets neu und dadurch vor dem Untergang zu erhalten s u c h t " . 3.12. Negative Erfahrungen in der —»Geschichte Israels waren, so hat insbesondere R . M . Grant (1959) vermutet, Ansatzpunkt für die Entwicklung gnostischer Gedanken, mit denen eine Art Totalabwertung der bisherigen innerweltlich orientierten Heilskon-

Gnosis/Gnostizismus I

533

zeption verbunden gewesen sei. N u n ist freilich jüdische T h e o l o g i e im Ergreifen und B e a n t w o r t e n negativer E r f a h r u n g e n in der G e s c h i c h t e nicht gerade ungeübt gewesen. Was die K a t a s t r o p h e des J a h r e s 7 0 n. C h r . betrifft, so wird sie w o h l auch von neutestamentlichen Judenchristen mit Z w e i f e l n an G o t t e s Weltregierung, nicht aber positiv mit gnostischen Konzeptionen b e a n t w o r t e t . Anhand der Gegner des II Petr kann dieses gezeigt werden: Das „Verachten der Herrschaft und Lästern der Herrlichkeiten" (2,10) ist durchaus mit dem Vorwurf des Ausbleibens der Parusie zusammenzubringen (3,4.9). Denn 1. ist die Wahrnehmung der Providentia Gottes über die Welt Engelwesen anvertraut (vgl. Justin, apol. II 5,2f). Wer Gottes Providentia leugnet (vgl. dazu vor allem Philo, Prov 1,89 f mit II Petr 3!), lästert vor allem gegen diese Engel. 2. zeigt syrBar 21,21.24; 25,4, daß gerade solche Argumente im Zusammenhang der Zerstörung Jerusalems vorgebracht wurden. Die Judenchristen in II Petr hatten wohl gerade vom wiederkommenden Jesus eine Wende im Geschick Israels erwartet und Jesus als Verstärker jüdischer Hoffnungen verstanden. 3. Philo, Prov 1,70, erklärt,daß mit der Erfahrung der Machtlosigkeit Gottes in der Welt wohl auch die Verwerfung von Gesetz und Gerechtigkeit verbunden sein konnte. Darauf weist auch die nähere Charakterisierung der Gegner in II Petr. - Fazit: Zum Abfall vom Judentum und zur Annahme der Heillosigkeit der Welt und des Weltverlaufs reichten diese Erfahrungen wohl aus, aber nicht zur Etablierung eines neuen soteriologischen Systems. N u n hat man i m m e r wieder b e o b a c h t e t , d a ß die E n t s t e h u n g des Gnostizismus in b e s t i m m t e r Weise an E l e m e n t e z w i s c h e n t e s t a m e n t l i c h e r jüdischer T h e o l o g i e gebunden ist. D a r a u f weisen n o c h m a l s die erst in den letzten J a h r e n s t ä r k e r e n t d e c k t e n T e x t e der jüdischen H e k a l o t - L i t e r a t u r (vgl. dazu auch die kritische Übersetzung des h e b r H e n von H . H o f m a n n ) . Andererseits gibt es gerade zwischen h e b r ä i s c h e r Aufstiegsmystik und gnostischen T e x t e n eine R e i h e nicht zu verwischender Unterschiede. D i e F r a g e nach der E n t s t e h u n g gnostischer D e n k f o r m e n spitzt sich d e m n a c h w o h l in der gegenwärtigen F o r s c h u n g s l a g e zu auf die K l ä r u n g des Verhältnisses zwischen frühjüdischer - » M y s t i k und gnostischen T e x t e n . Auch f o r m g e s c h i c h t l i c h e B e o b a c h t u n g e n (s. o . 2.2) legen diese Fragestellung nahe. D i e einfachste A n n a h m e zur E r k l ä r u n g w ä r e ein g e m e i n s a m e s S u b strat „ A u f s t i e g s m y s t i k " , das t o r a t r e u jüdisch in der h e b r ä i s c h e n M y s t i k , p a g a n und frühchristlich sowie h e t e r o d o x jüdisch ( A p k A d a m [ N H C V 5]) E n t f a l t u n g e n gefunden hätte. Ein ganz unabhängiges N e b e n e i n a n d e r ist j e d o c h ausgeschlossen angesichts zahlloser direkter Entsprechungen. D e n n o c h werden die A n f ä n g e m ö g l i c h e r w e i s e unabhängig v o n e i n a n d e r sein. - D i e für uns wichtige K e r n f r a g e richtet sich auf die antijüdischen E l e m e n t e in den gnostischen Überlieferungen. ( Z u r E r g ä n z u n g vgl. die Ausführungen C . C o l p e s zum dualismusüberwindenden Erkenntnisbegriff: R A C 9 , 5 7 2 — 5 7 4 . ) 4. Historische

und soziologische

Einordnung

D i e T h e s e A. A d a m s , die T r ä g e r k r e i s e gnostischer Schriften seien arbeitslose fremdsprachige Wissenschaftler ( „ a r a m ä i s c h e S c h r e i b e r " ) g e w e s e n , ist m e t h o d i s c h gesehen e b e n s o abenteuerlich wie die H . G . K i p p e n b e r g s , die negative E i n s c h ä t z u n g der die Welt beherrschenden A r c h o n t e n rühre aus negativen politischen E r f a h r u n g e n mit den „ H e r r s c h e n d e n " her. Kippenberg ist naiv d a r i n , d a ß er ein undialektisches Widerspiegelungsverhältnis zwischen negativer W e l t e r f a h r u n g und dualistischer W e l t a b l e h n u n g ( J o nas: „anticosmic dualism") a n n i m m t . Beiden V o r s c h l ä g e n liegt das vergleichsweise einfac h e S c h e m a zugrunde, d a ß eine negative E i n s c h ä t z u n g der Welt n u r aus negativen E r f a h rungen im U m g a n g mit der Welt und also als P r o t e s t h a l t u n g zu erklären sei. Eine schlichte B e o b a c h t u n g , d a ß negative E i n s c h ä t z u n g der Welt n i c h t nur aus negativen E r f a h r u n g e n i m U m g a n g mit der Welt zu erklären ist: Ü b e r d r u ß und E r f a h r u n g der inneren Leere in feudaler Gesellschaft führt bei der a r i s t o k r a t i s c h e n J u g e n d zur O b s o l e s z e n z der Verw ö h n t h e i t und zur Suche nach w e i t - a b l e h n e n d e n M o d e l l e n . Eine negative Weltsicht ist a u c h bei denen möglich, die sich als Intellektuelle für das G a n z e v e r a n t w o r t l i c h fühlen. Dieses nur, um Beispiele zu n e n n e n . M a n geht nicht fehl in der V e r m u t u n g , d a ß zu den Z e n t r e n der gnostischen B e w e g u n g auch die S a l o n s v o r n e h m e r , reicher Frauen gehörten (vgl. dazu auch K . Berger, O f f e n b a r u n g passim). D i e Überlegungen zu den G e g n e r n von

Gnosis/Gnostizismus I

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II Petr ließen erkennen, daß im Einzelfall die Antwort auf eine Enttäuschung keineswegs ein gnostisches System war, sondern eine antimetaphysische Haltung schlechthin. Aber auch eine derartige Haltung ist keineswegs aus negativen Erfahrungen vorhersehbar. Vor allem aber gilt umgekehrt, daß gnostische Systeme weder in sich völlig negativ sind noch daß eine negative Einschätzung der Welt auch nur im mindesten zwingend auf Unglückserfahrungen zurückzuführen sei. Dieses ist zwar ein möglicher Schluß, der jedoch angesichts des völligen Mangels irgendwelcher politischer Äußerungen in gnostischen Texten willkürlich ist. Eine weiterführende Hypothese müßte in jedem Falle anknüpfen an das in den gnostischen Texten sich äußernde Selbstverständnis dieser Gruppen. So ist die entscheidende Frage die nach der Koordination folgender Komponenten: 1. negative Einschätzung der „ W e l t " , 2. die Gnostiker verstehen sich als erwählte Pneumatiker und begreifen ihre Botschaft als Rettung dieser „ W e l t " , 3. trotz theologischer Abhängigkeit vom Judentum und Gebrauch der Schrift zeigen sich deutlich antijüdische Tendenzen. Die gnostischen Gruppen sind jedenfalls vom Judentum getrennt. - Eine Zuordnung dieser G r ö ß e n wird man auf verschiedene Weise leisten können. M e i n Vorschlag hat folgende Gestalt: 1. D e r gegenwärtige Zustand der Welt und die Welt im ganzen werden vor allem von denen als negativ beurteilt, die sich als Träger einer besseren Hoffnung betrachten („Weltverbesserer"). 2. Dieser Ansatz findet seine direkte Bestätigung darin, daß die Gnostiker sich als auserwählte Pneumatiker und im Besitz des schlechthin einzigen Weges zur Rettung wissen. Ihr Selbstverständnis als Erwählte entspricht der Auffassung, das einzige Licht in Gestalt eines „Lesemysteriums" zu besitzen, und die negative Einschätzung der Welt bis dato ist nur die Kehrseite dieser Auffassung. 3. J e stärker sich frühchristliche Gruppen vom J u d e n t u m lösen, um so negativer kann die Einschätzung der „ W e l t " werden. Bereits das Johannesevangelium ist ein deutlicher Hinweis darauf: D e m Ausgeschlossenwerden aus der Synagoge entspricht eine deutliche Abwertung der „ W e l t " in missionarischem Dualismus. Die Ursache für diese Einschätzung ist darin zu sehen, daß mit dem Verlust der theologisch fraglosen Auserwähltheit im R a h m e n des Judentums für die, die sich weiterhin und in noch höherem M a ß e als die Auserwählten betrachten, ein kaum vorstellbarer neuer Legitimationsdruck auftritt. War die Auserwähltheit aufgrund der positiven G r ö ß e Abrahamskindschaft entfallen, konnte diese mithin überhaupt nicht mehr im R a h m e n der „Heilsgeschichte Israels" gesucht werden, so war sie doch zu einem Teil dadurch neu zu gewinnen, daß man die Alternative, nämlich die bestehende Welt im ganzen, entsprechend abwertete, um das eigene Licht leuchtender sein zu lassen. Meines Erachtens kann es auf diesem Wege gelingen, Antijudaismus und negative Einschätzung der Welt gemeinsam zu erklären. Das gnostische Selbstverständnis betrachte ich mithin zum größten Teil als Surrogat für den Verlust der soziologischen und religiösen Identität im Judentum. 4. D a m i t erscheint ein Großteil der gnostischen Ansätze weniger als exotische Häresie, sondern als - in besonderem M a ß e durch M a g i e und M y s t i k geprägter - konsequent heidenchristlicher Ansatz eines „missionarischen" Christentums. Daher erklärt sich auch die umfassende Aufnahme mythischer Stoffe (sie waren dem paganen Leser vertraut); wohl kaum anders als heute dürften die mythischen M a t e r i e n vor allem für Gebildete interessant gewesen sein. M a n beachte auch die starken mythologischen Züge etwa der Henoch-Apokalyptik, die im Bereich des Judentums Mythologie, Naturwissenschaft und Religion verband und sich damit an gebildete Trägerkreise richtete; die Bedeutung Henochs in der jüdischen Mystik weist überdies auf die Verbindung mit Magie. Die gnostische Bewegung tritt daher als ein vergleichbares Bemühen neben die zeitgenössische christliche Apologetik. In sehr verschiedener Weise wird in beiden R i c h tungen die Lösung vom Judentum realisiert, beide bemühen sich vor allem um die geistige Führung im Milieu der Sympathisanten. Literatur Siehe auch Literatur zu Gnosis/Gnostizismus II. Generell abgekürzt, weil häufiger zitiert, wird das Sammelwerk von Ugo Bianchi (Hg.), Le Origini dello Gnosticismo, Leiden 1965 ( = O G ) .

Gnosis/Gnostizismus II

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II. Neues Testament, J u d e n t u m , Alte Kirche 1. Einführung: Probleme, Definitionen, Quellen 2. Gnosis und Judentum Neues Testament 4. Die frühe Kirche (Literatur S.548)

3. Gnosis und

Gnosis/Gnostizismus II

536

1. Einführung: Probleme,

Definitionen,

Quellen

Die früheste Gelehrten zugängliche Information über die gnostische Bewegung war in den Schriften „ o r t h o d o x e r " christlicher Gegner enthalten, die in ihr eine christliche Häresie sahen, das Ergebnis einer Verschmelzung von Christentum und griechischer Philosophie („acute Hellenisierung des Christentums": A. v. H a r n a c k , Lb. der D G , I 1 1 8 8 6 , 1 6 2 f ) . Dies blieb die traditionelle Sicht bis ins Ende des 19. J h . hinein; sie wurde sogar später noch beibehalten, insbesondere von britischen Gelehrten (Burkitt, Casey); in jüngerer Zeit ist sie von S. Petrement tapfer aufrechterhalten worden (vgl. auch Langerbeck; Aland: Rediscovery 1 , 3 1 9 - 3 5 0 ) . Es gab gleichwohl immer diejenigen (z. B. M o s h e i m ) , die das orientalische Element betonten, und mit dem Aufstieg der ,Religionsgeschichtlichen Schule' (zur Kritik vgl. Colpe, Schule) wurde diese Tendenz intensiviert. Bereits Hilgenfeld hatte die Ursprünge bei den Samaritanern gesucht, und nun blickten Reitzenstein und Bousset ( R e l i g i o n s g e s c h i c h t e des Urchristentums) nach Babylonien und Persien (zur Forschungsgeschichte vgl. J o n a s , Gnosis 1 , 1 - 9 1 ; Rudolph, Die Gnosis 3 5 - 3 9 ; umfangreiche Dokumentation: ders., Gnosis u. Gnostizismus [1975]). In jüngerer Zeit besteht die Tendenz, das jüdische Element zu betonen (Quispel; Grant; zur Kritik vgl. van Unnik, Komponente; ders., Gnosis u. Judentum: Gnosis. FS J o n a s , 6 4 - 8 6 ; J o n a s , Response). Ein noch in der Diskussion befindliches Problem betrifft daher Quelle und Ursprung dieser Bewegung. Ein weiteres Problem liegt in der Begriffsbestimmung: „Die meisten Autoren operieren nämlich mit so ungeklärten Begriffen, daß die Polemiken, die sie führen, zu Scheingefechten werden, da jeder unter Gnosis offenbar etwas anderes versteht" (Schoeps 30). Wenn einige Gelehrte die traditionelle Sicht bevorzugen und die Definition auf die häretischen christlichen Systeme des 2. J h . einengen, während andere, dem „religionsgeschichtlichen" Blickwinkel folgend, sie ausweiten, um ähnliche Trends und Tendenzen in anderen Gegenden einzuschließen, hat das bei beiden früher oder später mit Sicherheit Verwirrung zur Folge. Ein Nachteil der traditionellen Sichtweise ist, d a ß sie Trends und Tendenzen in eine gnostische Richtung wenig oder gar nicht in Betracht zieht, die sicherlich schon vor dem Aufstieg der entwickelten gnostischen Systeme bestanden (wie Anhänger der traditionellen Sicht selbst zugeben). Eine Gefahr der weitergefaßten Definition liegt darin, anzunehmen, daß die ganze Bewegung einheitlich gewesen sei, daß das Vorhandensein vereinzelter Motive die Existenz des Ganzen impliziere, wobei man dann konsequent Vorstellungen und Deutungen, die nur im 2. Jh. eindeutig belegt sind, schon für das 1. Jh. postuliert. Eng damit verbunden ist die Streitfrage eines vorchristlichen Gnostizismus (oder Gnosis). Einige der Vorstellungen (s.o. Abschn. I) sind sicher vorchristlich, aber kein uns bekanntes gnostisches Dokument kann in seiner gegenwärtigen F o r m vor den Z e i t r a u m des Neuen Testaments datiert werden (vgl. D o d d 98). Einige der N a g H a m m a d i - T e x t e (s.u.) zeigen mit Sicherheit Zeichen von Christianisierung (vgl. Wisse, Opponents 101), aber wir besitzen nicht die nichtchristlichen Versionen; und Kicfcichristlich bedeutet nicht notwendigerweise forchristlich. W i r können auch kein System in einer entwickelten F o r m vor dem zweiten christlichen Jahrhundert finden (zum umfassenden Überblick, aus einem konservativen Blickwinkel, vgl. Yamauchi).

Die einleuchtende Schlußfolgerung ist, daß die Bewegung der Gnosis in der neutestamentlichen Zeit wuchs und sich entwickelte, Seite an Seite mit dem Christentum und in gewissem M a ß e im Austausch mit ihm. W i r können ihren Ursprung und ihre Quellen oder die genauen Stufen ihrer Entwicklung nicht bestimmen, aber wir können gewisse „Entwicklungslinien" ausmachen (vgl. K ö s t e r / R o b i n s o n ) , welche in den entwickelten Systemen des 2. J h . kulminieren. Es mag nützlich sein, für diese entwickelten Systeme die Bezeichnung „ G n o s t i z i s m u s " zu reservieren und „ G n o s i s " für die Bewegung als ganze zu gebrauchen, aber dies soll nicht so aufgefaßt werden, als impliziere es eine „Auseinanderreißung" dessen, was zusammengehört (vgl. Rudolph, Die Gnosis 6 4 f ; ebenso Tröger, Attitüde 87); der „Gnostizismus"stellt dann die abschließende Entwicklung und Kristallisation der „ G n o s i s " im weiteren Sinne dar. Es trifft gleichwohl nur für die späteren Stadien zu, daß wir klare dokumentarische Zeugnisse besitzen; für die früheren Stufen sind wir oft auf Hypothesen angewiesen und müssen daher äußerste Umsicht walten lassen. Die Hauptmerkmale

des entwickelten ,Gnostizismus' sind (1) ein radikaler kosmi-

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scher -»Dualismus, der diese Welt als böse, unter der Herrschaft feindlicher Mächte ansieht; (2) eine Unterscheidung zwischen dem unbekannten, transzendenten und wahren Gott und dem Demiurgen oder Schöpfer dieser Welt (gewöhnlich mit dem Gott des Alten Testaments gleichgesetzt); (3) der Glaube, daß der Mensch seiner wahren Natur nach dem Göttlichen wesenhaft gleich sei, ein Funken des himmlischen Lichtes, eingesperrt in einen materiellen Körper, und in dieser Welt der Herrschaft des Demiurgen und seiner Mächte unterworfen; (4) ein Mythos, der eine Art vorweltlichen Fall erzählt, um den gegenwärtigen Zustand des Menschen und sein Verlangen nach Befreiung zu erklären; (5) die Hilfe, die rettende yvcöoig, durch die diese Befreiung bewirkt wird und die den Menschen zur Einsicht in seine wahre Natur und seinen himmlischen Ursprung bringt. Es ist nicht schwer, Verwandtschaften mit älteren Denksystemen zu entdecken (z. B. Altes Testament, jüdische —»Apokalyptik, —»Stoa/Stoizismus, —»Plato/Platonismus), aber es wäre ein Fehler, anzunehmen, daß in diesen älteren Systemen die fraglichen Vorstellungen bereits gnostisch seien. Vielmehr nahmen die Gnostiker ältere Systeme in unterschiedlichem M a ß e in Anspruch und verwandelten die von ihnen übernommenen Vorstellungen im Kontext ihrer eigenen Systeme in etwas Neues: eine Erklärung der menschlichen Not, wie sie sie sahen, und die Suche nach Wegen zur Befreiung. Manches gehört zum charakteristischen Synkretismus des hellenistischen Zeitalters, aber „Gnosis" ist nicht einfach Synkretismus. Andere Faktoren - soziale, politische, ökonomische - sind eingeschlossen, die noch nicht angemessen erforscht sind und in einigen Fällen mangels klarer Bezeugung nicht mehr erforscht werden können. Die der Forschung verfügbaren Quellen waren lange Zeit auf die Berichte christlicher Gegner beschränkt (Irenäus, Hippolyt, Tertulüan, Epiphanius) und auf solche Auszüge, die sie zur Zitierung auswählten (den Brief des Ptolemäus an Flora bei Epiphanius, die Exzerpte aus Theodotus bei -»Clemens von Alexandrien). Vor 1955 waren nur wenige originale gnostische Dokumente leicht zugänglich, die Pistis Sophia und eine titellose Schrift im Codex Askew, die zwei Bücher Jeu und ein weiteres titelloses Werk im Codex Bruce, alle auf Koptisch und aus einem Zeitabschnitt, in dem der Gnostizismus sich bereits in einem fortgeschrittenen Verfallstadium befand (vgl. Till, Gnosis). Die Veröffentlichung des Berliner Codex (Till, Die gnostischen Schriften) fügte weitere drei hinzu, das Evangelium der Maria, das Apokryphon des Johannes und die Sophia Jesu Christi. Die Entdeckung der - » N a g Hammadi-Bibliothek 1945 erbrachte einen großen Zuwachs an neuem Material, einschließlich dreier Kopien des Apokryphon des Johannes (in zwei unterschiedlichen Rezensionen) und einer der Sophia Jesu Christi, ebenso wie eine eines eng verwandten Werkes, des Eugnostusbriefes, als dessen Christianisierung die Sophia Jesu Christi heute weitgehend angesehen wird (vgl. TRE 3, 319 4 9 - 6 0 ) . Aus verschiedenen Gründen zog sich die Publikation der Entdeckung über mehrere Jahre hin, und das ausführliche Werk von Edition, Vergleich und Auswertung muß noch vervollständigt werden (zur Bibliographie s. Scholer). 2. Gnosis und Judentum

(s.o. Abschn.

1.3.9/12)

Ein bemerkenswerter Zug vieler gnostischer Systeme ist deren Gebrauch und Bearbeitung der ersten Genesis-Kapitel. „Ferner, in der Naassenerpredigt erweisen sich die christlichen Züge als nachträgliche Einfügung; die alttestamentlichen aber lassen sich nicht ausscheiden" (Goppelt 134, nach Reitzenstein). Der jüdische und judenchristliche Hintergrund in einigen gnostischen Texten von Nag H a m m a d i wurde von Böhlig (Hintergrund 80-111) untersucht, der von einer „Umdeutung von jüdischem Traditionsgut" spricht (83): „Mögen die Traditionsstücke vom Judentum ebenso wie auch vom Judenchristentum her noch so zahlreich in sie (sc. die Gnosis) eingedrungen sein, sie schafft etwas ganz Neues" (vgl. auch Wilson, Jewish Gnosis; Tröger, Gnosis u. Judentum; ders., Attitüde; Strecker, Judenchristentum). All dies wirft Fragen über die Beziehung von Gnosis und Judentum auf (vgl. schon Jonas, Response; Wilson, Gnostic Problem): Der jüdische Beitrag zur Entwicklung der Gnosis steht außer Frage, aber handelte es sich um

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einen Beitrag, den Juden leisteten, oder u m das Resultat einer Anleihe, die Heiden beim J u d e n t u m machten? Reitzenstein schrieb über den G e b r a u c h jüdischer N a m e n und Formeln in den Z a u b e r p a p y r i : „Sie zeigen nicht die Bekanntschaft mit der jüdischen oder christlichen Religion, sondern die Kenntnislosigkeit" (14 A n m . 1). D a s gleiche könnte hier festgehalten werden: Der Gebrauch jüdischen M a t e r i a l s beweist nicht, d a ß die Benutzer J u d e n sind! Ferner w ä r e im R a h m e n der traditionellen Sicht der Gnosis als eines Resultats der Verbindung von Christentum und griechischer Philosophie nach einer vorchristlichen jüdischen Gnosis naturgemäß dort zu suchen, w o ähnliche Bedingungen herrschten, d . h . in der Diaspora. Die Schlüsselfigur ist hier - » P h i l o von Alexandrien (s.u.); aber Philo ist kein G n o s t i k e r " (Bianchi: Gnosis. FS J o n a s , 54). Das gnostische Wissen um das Alte Testament wird manchmal als dürftig und verkürzt beschrieben, gewöhnlich auf die ersten Kapitel der Genesis beschränkt (z. B. Yamauchi, Pre-Christian Gnosticism 144; —•Pentaceuch). Eine nähere Untersuchung dagegen legt ein differenzierteres Urteil nahe (Wilson, Gnostics and the Old Testament). Sicherlich stammt die große Mehrheit der Zitate aus den ersten sechs Kapiteln der Genesis, als ein Resultat gnostischer Re-Interpretation der Schöpfungsund Sündenfallgeschichten, aber es werden mindestens sechzehn andere Bücher des Alten Testaments zitiert, und der am häufigsten angeführte Text stammt gar nicht aus Genesis sondern aus Jesaja (45,5: die Anmaßung des Demiurgen). Ferner befinden sich die beiden einzigen Zitate aus -•Ezechiel in Nag Hammadi-Texten, was die Gefahr eines argumentum e silentio aufzeigt: Ohne diese Texte könnte es so scheinen, als hätten die Gnostiker Ezechiel überhaupt nicht gekannt oder benutzt. Sie mögen sehr wohl weitere alttestamentliche Schriften gekannt und gebraucht haben, die in den uns zugänglichen Quellen noch nicht durch ausdrückliche Zitierung identifiziert sind. Der Befund läßt nicht an eine dürftige oder verkürzte Kenntnis denken, sondern an einen selektiven Gebrauch: Die Gnostiker wählten solche Teile des Alten Testaments aus, die in ihr Konzept paßten und bearbeiteten sie zu ihren eigenen Zwecken. Ein treffendes Beispiel liefert die Exegese über die Seele aus Nag Hammadi (vgl. Wilson, Old Testament Exegesis), die sogar einige Zitate aus Homer gebraucht (Scopello, Citations d'Homère). Von den ersten Anfängen des Christentums an war jedoch das Alte Testament auch ein Buch der Kirche, und zwar in einem solchen Maße, daß die Juden die Septuagintaversion (—»Bibelübersetzungen) zugunsten eigener anderer Übersetzungen ins Griechische aufgaben. Der Gebrauch des Alten Testaments kann daher nicht an sich als Beweis eines jüdischen Ursprungs der gnostischen Bewegung gelten. Als die Rollen vom Toten Meer eben entdeckt waren (-»Qumran), versuchte man, sie als den lange erwarteten Beweis für einen vorchristlichen jüdischen Gnostizismus zu beanspruchen, aber derartige Behauptungen wurden bald beigelegt (vgl. Wilson, Gnostic Problem 7 3 - 7 5 ; Yamauchi, Pre-Christian Gnosticism 1 5 1 - 1 5 6 ) . In Qumran gilt z. B. das Wissen als Heilsweg, es herrscht ein dualistisches Weltbild, großes Gewicht liegt auf der Offenbarung. Wissen spielt für die Gemeinschaft eine solch wichtige Rolle, daß von ihren Mitgliedern schlechthin als den „Wissenden" gesprochen werden kann (Ringgren: Gnosis. FS Jonas, 382). Der Dualismus ist jedoch nicht gnostisch (vgl. Huppenbauer 117f) und das „Wissen" keine gnostische yvâmç (vgl. Davies; Reicke). Die Mysterien oder Geheimnisse, von denen die Rede ist, sind nicht kosmologisch oder metaphysisch, sondern betreffen Gottes Werke und Taten. „Was die Rollen mit Erkenntnis meinen, betrifft die Wunder von Gottes Schöpfung, die Erfüllung der Weissagungen und den Sinn der göttlichen Gesetze, denen der Mensch gehorchen muß" (Burrows 209). Vollständig fehlt der Gedanke von der Seele als einem göttlichen Funken, der in die Welt der Materie eingeschlossen ist (Mansoor: Le Origini dello Gnosticismo 397). Die Qumranschriften sind also noch nicht gnostisch, obwohl sie bereits viel Rohmaterial enthalten, welches die Gnostiker später zu ihren eigenen Zwecken bearbeiten sollten. Qumran kann höchstens als eine Stufe in der Entwicklung angesehen werden, die vielleicht im Gnostizismus kulminierte. Weitgehend dasselbe muß von der umfassenderen jüdischen apokalyptischen Bewegung gesagt werden, zu welcher Qumran gehört (vgl. z.B. Lohse 3 7 - 5 1 ) . Auch die —»Apokalyptik zeigt eine verneinende Haltung gegenüber dieser Welt: „Um diesen Aon ist es daher so schlecht bestellt, weil die Gewalten der Finsternis in ihm ihr Regiment führen. Die bösen Engel, die Nachfahren der gefallenen himmlischen Wesen (Gen 6 , 1 - 4 ) , verführen als Dämonen die Menschen zum Götzendienst und zu schlimmen Taten" (Lohse 38). Ganz ähnlich sind die „gnostischen Motive" (Lohse 201) formuliert, die in den Dienst der christlichen Predigt gestellt wurden: „So wird wiederholt der Gedanke ausgesprochen, daß diese Welt von dämonischen Mächten beherrscht wird, daß in ihr finstere Gewalten ihr Wesen treiben, die eine unüberbrückbare Trennung zwischen Gott und den Menschen aufrichten wollen" (ebd.). Solche Beispiele könnten vermehrt werden. Die Grenzlinie zwischen Apokalyptik und Gnosis ist bekanntlich schwer zu ziehen. Dennoch sollte sie gezogen werden, sonst geraten wir in schlimmste Verwirrung. Die Ähnlichkeiten, sowohl im Konzept wie in der Terminologie, sind klar, aber es gibt auch Unterschiede, insbesondere eine Differenz in der Haltung und in der Methode (vgl. Rudolph,

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Die Gnosis 294ff). A p o k a l y p t i s c h e Literatur ist h a u p t s ä c h l i c h Literatur f ü r eine Krisenzeit, voller E r w a r t u n g einer endgültigen göttlichen R e c h t f e r t i g u n g u n d d a r a u f angelegt, den Lesern K r a f t u n d Z u v e r s i c h t zu vermitteln. D e r G n o s t i z i s m u s v e r w i r f t diese Welt völlig und will der Seele zur Flucht aus ihr verhelfen. Z u d e m unterscheidet die A p o k a l y p t i k noch nicht den D e m i u r g e n von d e m höchsten G o t t . Es w u r d e m a n c h m a l v e r m u t e t , d a ß der G n o s t i z i s m u s aus d e m T r ü m m e r h a u f e n zerschlagener apokalyptischer H o f f n u n g e r w a c h s e n sei (Grant), aber diese Sicht stiel? auf Kritik (Yamauchi, Pre-Christian Gnosticism 157). Es w ä r e e x a k t e r , g e m e i n s a m e M o t i v e als a p o k a l y p t i s c h e Vorstellungen zu beschreiben, die später v o n den G n o s t i k e r n a u f g e n o m m e n u n d u m g e f o r m t w u r d e n , als bereits die A p o k a l y p t i k zur H e i m a t „gnostischer M o t i v e " zu m a c h e n .

Ein anderes Gebiet, das erwähnt werden sollte, stellt die jüdische Weisheitstradition dar (-+ Weisheitsliteratur) (vgl. Rudolph, Die Gnosis 84. 297f; Yamauchi 145ff), welche einen Höhepunkt bei -»Philo von Alexandrien erreicht (vgl. Wilson, Gnostic Problem; ders., Philo; Simon, Éléments) und in letzter Zeit bemerkenswerte Aufmerksamkeit erweckt hat (z.B. Robinson: Köster/Robinson 67ff; Horsley). Das offensichtliche Bindeglied ist die Gestalt der Weisheit, die oft als Prototyp der gnostischen Sophia angesehen wurde. Eine lange Liste von Parallelen „macht es im Grunde unmöglich, jeden Einfluß der früheren auf die spätere auszuschließen und spricht zumindest für die Wahrscheinlichkeit, daß irgendeine (zweifellos entstellende) Verwendung der jüdischen Gestalt der Weisheit dem gnostischen Mythos zugrundeliegt" (MacRae: N T 12,94). Gleichzeitig treten Probleme auf: die jüdische Haltung ist eine des Vertrauens auf die Weisheit, die gnostische ist feindselig oder wenigstens ambivalent (MacRae 97). Hier mag wiederum die jüdische Tradition verantwortlich sein für „die Stoffe, aus welchen der (gnostische) Mythos entstand, nicht für die weltfeindliche Haltung, die zu seiner Entstehung geführt hat" (MacRae 101). Ähnlich verhält es sich mit Philo, der sicherlich die alexandrinische Tradition des Clemens und Origenes beeinflußt hat und möglicherweise auch die Gnostiker. Ähnlichkeiten können mit Sicherheit gefunden werden, aber wieder ist es wichtig, die Differenzen aufzuzeigen. Für Philo hat diese Welt ihren Ursprung weder in einer kosmischen Katastrophe, noch gibt es eine Unterscheidung zwischen dem höchsten Gott und dem Demiurgen. Philos System von -»Gott, dem -»Logos und der -»Seele (als Teil des Kosmos) gleicht einem der mittelplatonischen Schulen und kann in mehreren gnostischen Systemen gefunden werden, aber was im Mittelplatonismus und bei Philo kosmologisch ist, ist im Gnostizismus mit einer soteriologischen Ausrichtung versehen (Früchtel 17 f). Philo nimmt in der Tat die griechische Philosophie in Anspruch, die auch die Gnostiker aufgriffen. Ein angemessener Platz muß auch dem griechischen Beitrag zu der Entwicklung eingeräumt werden (vgl. z. B. B. Aland u. Armstrong). Ein letztes Gebiet, das berücksichtigt werden sollte, ist die von Scholem untersuchte Hekhalot-Mystik. Auch hier bestehen Ähnlichkeiten, aber ebenso Differenzen. Scholem kann vom „wesenhaft gnostischen Charakter" der Texte sprechen, aber auch bemerken: „Die bis jetzt bekannt gewordenen Texte der Merkabah-Mystik zeigen auch das, was ich als orthodoxe jüdische Tendenz bezeichnet habe, und sind in keiner Weise häretisch" (10). Jonas schreibt: „Scholem macht sich Mühe, zwischem einem Jüdischen Gnostizismus..., der schwer um die Bewahrung seines streng monotheistischen Charakters kämpfte', und reinen und echten ,Gnostikern' oder ,antinomistischen Gnostikern', die oftmals solche Stoffe entlehnten und bewußt änderten, zu differenzieren" (Response 290). Vielleicht sollten wir hier zwei Entwicklungslinien sehen, die aus derselben Wurzel im esoterischen Judentum stammen, die eine orthodox und monotheistisch - sie führt zur späteren Mystik und Kabbala - , die andere dualistisch - sie mündet möglicherweise in den christlichen Gnostizismus des 2. Jh. und in ähnliche Bewegungen hinein (vgl. Gruenwald 101). Es liegt auf der Hand, daß es einen großen jüdischen Beitrag zur Entwicklung von Gnosis und Gnostizismus gab, daß Berührungen mit der jüdischen Apokalyptik und Mystik, mit der Weisheitstradition und mit Schriften in der Art der Philonischen vorliegen. Auf der anderen Seite gibt es Unterschiede, die beachtet werden müssen, und insbesondere gibt es bis jetzt keinen Beweis für irgendein entwickeltes jüdisches gnostisches System vor dem Beginn des Christentums. Man könnte in allgemeinen Begriffen (a) „eine

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positiv vom Judentum bestimmte Grundschicht" und (b) „eine antijüdische Wendung der G n o s i s " annehmen (vgl. Tröger, Gnosis und N T 18), aber o b die letztere Stufe „(der) Christianisierung der G n o s i s " (c) voranging oder ihr folgte, steht noch zur Diskussion (s. auch die Yale Congress papers von 1978: Rediscovery).

3. Gnosis und Neues Testament (s.o. Abschn. 1.2) Hier ergeben sich zwei Fragen, die auseinandergehalten werden sollten. Die leichtere der beiden ist die nach dem gnostischen Gebrauch des Neuen Testaments (vgl. Wilson, Gnosis u. N T 60ff): Dieser reicht wie der Gebrauch des Alten Testaments von klarer und unmißverständlicher Zitierung bis zu Anklängen und Anspielungen, die vielleicht die Kenntnis der neutestamentlichen Schriften vermuten ließen, in sich selbst aber nicht als schlüssiger Beweis in Anspruch genommen werden können. D e r früheste J o h a n n e s k o m mentar wurde von dem Gnostiker - > H e r a k l e o n verfaßt (vgl. Foerster, Die Gnosis, I, 214ff). Das Thomasevangelium bietet zahlreiche Parallelen zu synoptischem M a t e r i a l , die entweder unseren Evangelien oder unabhängig davon der Tradition entnommen wurden. Das Evangelium Veritatis besitzt eine eigene Interpretation des Gleichnisses vom Verlorenen Schaf ( 3 1 , 3 5 - 3 7 , 2 2 ) , während das Philippusevangelium neben anderen Anspielungen I K o r 15,50 und J o h 6,53 zitiert ( 5 6 , 2 6 - 5 7 , 2 2 ) . Auf der anderen Seite bemerkt Böhlig (Böhlig/Labib, Apokalypsen 93 Anm. 1): „ M a n denke bei der Vorstellung, daß ein göttliches Kind zum H i m m e l emporgetragen wird, auch an Apk 12,5 oder vielmehr an die dieser Stelle zugrundeliegende M y t h o l o g i e . " In anderen Fällen mag nur ein Wort oder ein Satz die Abhängigkeit vom Neuen Testament vermuten lassen, und die Herkunft aus anderen Quellen ist ebenso möglich. Die Gnostiker benutzten sicher das Neue Testament, wie ihre eindeutigen Z i t a t e zeigen, aber Anklänge und Anspielungen, die gleichwohl aus anderen Quellen stammen könnten, können nicht als Beweis dafür in Anspruch genommen werden. Dieses Prinzip gilt aber auch in anderer Richtung: Material im Neuen Testament selbst, das gnostisch sein, aber auch aus der jüdischen Apokalyptik, dem Piatonismus oder Stoizismus stammen könnte, kann nicht mit Bestimmtheit als Beweis für gnostischen Einfluß auf das Neue Testament herangezogen werden. Dies macht eine Antwort auf die zweite Frage, nämlich nach gnostischem Einfluß auf das Neue Testament außerordentlich schwierig. Es ist durchaus nicht schwer, „gnostische M o t i v e " im Neuen Testament zu entdecken (vgl. Bultmann, T h e o l o g i e 162ff), Vorstellungen, Begriffe und Ausdrucksweisen, die wegen ihres Gebrauchs im entwickelten Gnostizismus - oft als Fachausdrücke - zu R e c h t als gnostisch bezeichnet werden könnten. Hier besteht jedoch eine Gefahr: Solche Ausdrücke und Begriffe mögen im K o n t e x t eines gnostischen Systems gnostisch sein, aber waren sie in einem früheren Stadium, z. B. im Neuen Testament, bereits gnostisch? Stammen sie aus Gnosis oder Gnostizismus, oder wurden sie nur gnostisch im Z u s a m m e n h a n g eines gnostischen Systems? Einige solcher Vorstellungen können weit zurück verfolgt werden, und wenn wir sie einfach als gnostisch etikettieren und voraussetzen, daß sie durch ihre Geschichte hin durchweg gnostisch waren, liegt der „ B e w e i s " für einen vorchristlichen Gnostizismus auf der Hand. Dies ist aber höchst irreführend. W i r wissen z . B . aus der Verwendung jüdischer Stoffe bei den Gnostikern, daß diese ältere Vorstellungen übernahmen und umformten. W i r müssen daher wiederholt fragen, o b solche Vorstellungen, Ausdrücke und Begriffe bereits zu irgendeinem gegebenen Punkt ihres Auftretens gnostisch sind, und genau dies wirft Probleme auf, die das Neue Testament betreffen. Hier mag die Unterscheidung zwischen „ G n o s i s " und „ G n o s t i z i s m u s " nützlich sein, insofern Gnostizismus auf die klar entwickelten Systeme beschränkt werden kann und Gnosis als allgemeiner Begriff für damit Verwandtes gebraucht werden mag, obwohl wir nicht sicher sind, daß wir damit schon recht weit vorangekommen sind. Von J o n a s stammt der Satz (Response 293): „Ein Gnostizismus ohne einen gefallenen G o t t , ohne unwissenden Schöpfer und heillose Schöpfung, o h n e Fremdheit der Seele, gefangen in der Welt und Rettung aus der Welt, ohne Selbsterlösung der Gottheit - kurz:

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eine Gnosis ohne Tragik im göttlichen Bereich wird den konkreten Erscheinungsformen nicht gerecht w e r d e n . " Dies richtete sich gegen Scholems Kennzeichnung der HekhalotMystik als gnostisch, kann aber weiter ausgedehnt werden. Foerster vermerkt (Die G n o sis, I, 47), die frühesten christlichen Gnostiker - » K e r i n t h , Karpokrates und Saturnil „(hätten) das gemeinsam, daß wir bei ihnen noch kaum von einem ,System* reden könn e n " und auch „daß sie als Weltschöpfer nicht den G o t t des Alten Testaments ausdrücklich n e n n e n " . Hiermit haben wir eine recht deutliche Begrenzung: D a s Neue Testament liegt als Ganzes diesseits, der Gnostizismus findet seinen angemessenen Platz jenseits. Aufgrund einzelner M o t i v e anzunehmen, daß der ganze Apparat der gnostischen Seite bereits auf der anderen vorhanden sei, hieße der ganzen Frage ausweichen. Auf der anderen Seite müssen wir uns der Aufgabe stellen, die Entwicklung vom Neuen Testament zur Gnosis in. ihrer Eigenart und in ihrem Verlauf zu beachten. Der beste Ansatzpunkt liegt vielleicht in den letzten Schichten des Neuen Testaments, wo die ersten klaren Zeichen eines einsetzenden Gnostizismus zu erscheinen beginnen. Die -• Pastoralbriefe z. B. bieten Warnungen gegen „ M y t h e n und endlose G e n e a l o g i e n " (I T i m 1,4; vgl. T i t 3,9), die man als Anspielung auf eine F o r m des Gnostizismus gewertet hat (Irenaus zitiert diese Worte in haer. praef.), und dort findet sich auch der berühmte Satz über „das gottlose Geschwätz und das Gezänk der fälschlich so genannten yväaiq" (I T i m 6,20). Ein anderes Bindeglied ist mit Hymenäus und Philetus gegeben (II T i m 2,17; vgl. I T i m 1,20), die behaupten, die Auferstehung sei schon geschehen (vgl. allg. G . Haufe: Tröger, Gnosis u. N T 325ff). Der 1. Johannesbrief ( - » J o h a n n e s b r i e f e ) ist gegen Gegner gerichtet, denen eine doketische Christologie und eine gewisse Indifferenz im Bereich des Ethischen eigen ist. Es ist nicht möglich, sie mit einiger Sicherheit mit irgendeiner bekannten gnostischen Gruppe zu identifizieren, aber ihre Anschauungen gelten allgemein als denen des Kerinth verwandt (vgl. aber z . B . Kümmel 322). Hier sind wir nicht weit von einem entwickelten Gnostizismus im Sinne des 2. J h . entfernt. Eine F o r m von libertinistischem Gnostizismus scheint auch im Judasbrief und im 2. Petrusbrief (->Petrusbriefe) bekämpft zu werden und den Anspielungen auf Bileam, Isebel und die Nikolaiten in der —•Apokalypse des Johannes ( 2 , 6 . 1 4 f . 2 0 f f ) zugrundezuliegen. Hier entstehen andere Fragen, nämlich in welchem M a ß ein neutestamentlicher Autor durch die Vorstellungen beeinflußt ist, die er zurückzuweisen versucht (vgl. K . Weiß: Gnosis u. N T 355), in welchem Grad die Quellen Entwicklungsstufen zu einem vollen Gnostizismus widerspiegeln (vgl. Kümmel 322), in welchem Ausmaß wir eine Trennung von - » „ O r t h o d o x i e " und - • „ H ä r e s i e " in gegnerische Lager entdecken können. Es ist nicht länger möglich, mit der dem Hegesipp zugeschriebenen Annahme (bei Euseb, h.e. IV,22) zu arbeiten, daß die Kirche eine Jungfrau ohne jeden M a k e l nichtiger Auseinandersetzungen geblieben sei, solange die Apostel an ihrer Spitze standen. Tatsächlich legt das Neue Testament selbst Zeugnis ab von der in der frühen Kirche üblichen Vielfalt und Verschiedenartigkeit des Glaubens. Es gab keine ursprüngliche Reinheit, von der die Häretiker abgefallen wären. W i r finden im Gegenteil eine Vielfalt von Anschauungen, die sich erst Schritt für Schritt zu gegensätzlichen Sichtweisen verhärtete. Erst als deutlich wurde, daß die Implikationen bestimmter Ansichten nicht mit einer entstehenden O r t h o d o x i e vereinbar waren, wurden solche Anschauungen als häretisch gebrandmarkt. In früheren Stadien konnten später angeprangerte Ansichten völlig angemessen zusammen mit den letztlich als o r t h o d o x betrachteten vertreten werden. Ein besonderes Problem erhebt sich im Hinblick auf das -> Johannesevangelium (vgl. Kümmel 1 8 3 - 1 9 4 ) . Es war den Gnostikern bekannt und wurde von ihnen benutzt, der älteste J o h a n n e s - K o m m e n t a r wurde von einem Gnostiker verfaßt, und für eine gewisse Zeit galt es in der frühen Kirche als umstritten (vgl. Kümmel 1 6 2 - 1 6 5 ; Sanders). Ferner bringen es seine Abfassungszeit und seine Beziehungen zu I J o h zweifellos in den Umkreis eines zumindest beginnenden Gnostizismus. Andererseits gibt es Unterschiede, die die Zuordnung zur Gnosis unmöglich machen (vgl. die Kommentare; auch Barrett, Vocabulary). Von besonderem Interesse sind hierbei die in der Dreigestaltigen Protennota von

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N a g H a m m a d i entdeckten Parallelen (G. Schenke; Colpe, Überlieferung; Robinson: Rediscovery II, 6 4 3 - 6 6 2 ) , welche einen gemeinsamen Hintergrund in der Weisheitstradition vermuten lassen. Die synoptischen Evangelien wurden allgemein nicht so sehr mit der Gnosis in Verbindung gebracht, o b w o h l behauptet wurde, M a r k u s „ring(e) mit einer gnostisierenden Interpretation der christlichen Verkündigung und der Jesusüberliefer u n g " (W. Schenk: Gnosis u. N T 242), und die Apostelgeschichte des Lukas sei als eine Verteidigung gegen den Gnostizismus geschrieben worden (Talbert). Es w u r d e auch erwogen, einige der synoptischen Stoffe in eine „Entwicklungslinie" einzuordnen, die in den Gnostizismus hineinmünde (Köster/Robinson). Im letzten Viertel des 1. J h . gibt es also deutliche Anzeichen eines in Erscheinung tretenden Gnostizismus, auch wenn er sich noch nicht zu den vollständigen Systemen im Sinne des 2. Jh. entwickelt hat. Z u fragen ist jedoch, wie weit man von da aus zurückgehen kann. Schlüsselgestalten sind hier -»Paulus und die in seinen Briefen b e k ä m p f t e n Gegner: Waren diese bereits in irgendeinem Sinn Gnostiker? War Paulus selbst von der Denkart beeinflußt, die er bekämpfte? War er immer mit der gleichen Art von Gegnerschaft konfrontiert oder w a n d t e er sich einmal gegen Judaisten, einmal gegen Gnostiker? Lütgert und Ropes z.B. behaupteten, d a ß sowohl Judaisten wie Gnostiker in verschiedenen Teilen des -»Galaterbriefes b e k ä m p f t würden, Schmithals (Paulus), d a ß die Gegner ganz einfach Gnostiker waren (vgl. aber Wilson, Gnostics). Die Identität der Paulusgegner in Korinth wiederum ist Gegenstand vieler Erörterungen gewesen (vgl. Kümmel 246ff zu II Kor; Barrett, Opponents): Werden in beiden Briefen die gleichen G r u p p e n b e k ä m p f t oder zwei verschiedene, und wie könnten diese beschrieben werden? Für Schmithals (Korinth) waren sie Gnostiker, f ü r Arai (437; vgl. Wilson, H o w Gnostic) „ w ä r e n (sie) also geneigt gewesen, ,gnostisch' zu sein, sie waren aber noch nicht gnostisch". „Die Frage der Gegner des Paulus in Korinth bleibt also weiterhin umstritten" (Fascher 291). Pétrement (Problème 154) sieht hier „das erste wirklich bezeugte Anzeichen einer Tendenz zum Gnostizismus", aber auch f ü r sie k ä m p f t Paulus gegen „eine Haltung, eine Tendenz, nicht aber, wenn es auch so scheinen k ö n n t e , gegen einen bereits ausgebildeten Gnostizismus". Das gleiche gilt f ü r andere paulinische und deuteropaulinische Briefe: Von einem weitgefaßten Begriff von „ G n o s i s " her lassen sich leicht Verbindungen nachweisen, aber bestätigt dieser Nachweis die Existenz eines vollentwickelten Gnostizismus in dieser Zeit? Es dürfte richtiger sein, die Polemik des Philipper-, Kolosser- und Epheserbriefes gegen a u f k o m m e n d e Richtungen und Tendenzen gerichtet zu sehen als gegen einen entwickelten Gnostizismus im engeren Sinne (zu Phil vgl. Baumbach: Gnosis u. N T 2 9 3 - 3 1 0 ; zu Kol und Eph vgl. H.F. Weiß: ebd. 3 1 1 - 3 2 4 ) . 4. Die frühe

Kirche

Es ergibt sich das Bild einer Bewegung, die sich in neutestamentlicher Zeit allmählich entwickelt, teilweise im Wettstreit mit dem Christentum, mit ihm in Wechselbeziehung stehend, jedoch ohne d a ß wir die Stufen ihres Werdens präzise fassen könnten. M a n c h e Fragen wären geklärt, wenn -> Simon M a g u s bereits vor seinem Kontakt mit d e m Christentum Gnostiker gewesen w ä r e (vgl. Haenchen, Vorchristi. Gnosis, aber vgl. Bergmeier); doch es gibt Gründe, mit Cerfaux (256) anzunehmen, d a ß Simons Religion ursprünglich nichts mit Gnostizismus zu tun hatte: „c'était une gnose à bas de mythes paiens et de magie" [Es war eine Gnosis, die im heidnischen M y t h o s und in der Magie wurzelte]. Simon wird von -»Irenäus als „Der Vater aller H ä r e s i e n " gekennzeichnet; aber wieviel vom entwickelten Simonianischen System geht auf den Simon der Apostelgeschichte zurück? Wurde ihm die Urheberschaft mancher Lehren erst von späteren Simonianern oder den Häresiologen zugeschrieben? (vgl. Beyschlag; L ü d e m a n n , Untersuchungen; kurze Übersicht bei Wilson, Simon). Auf alle Fälle scheint das Bild von der Entstehung des Gnostizismus gegen Ende des 1. Jh. durch die Briefe des -»-Ignatius von Antiochien bestätigt zu werden (vgl. Vielhauer 546), und es ist unwahrscheinlich, d a ß der historische Simon seiner Zeit so weit voraus war.

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Inwieweit - • M a r c i o n als Gnostiker angesehen werden soll, ist noch Gegenstand der Diskussion. In seiner Lehre sind gnostische Elemente enthalten (z.B. die Unterscheidung zwischen dem höchsten Gott und dem Schöpfer), aber es gibt auch Züge, die ihn von der Gnosis unterscheiden (vgl. Aland, Marcion; Rudolph, Die Gnosis 337ff). Jedenfalls ist er ungefähr ein Zeitgenosse der führenden Gestalten des voll entwickelten eigentlichen Gnostizismus: Dieser erreichte um die Mitte des 2. Jh. mit -»Basilides und -»Valentin seine Blütezeit. Außerdem nennen die Kirchenväter verschiedene andere Gruppen, einige benannt nach ihren Gründern, andere nach bestimmten Lehren oder dem Gegenstand ihrer Verehrung, andere nach ihren angeblichen Praktiken (vgl. Clemens v. Alexandrien, str. VII,17,108). -»Hippolyt insbesondere versucht die griechischen philosophischen Schulen zu identifizieren, die hinter jeder einzelnen Häresie stehen (vgl. Rudolph, Die Gnosis 18). Die patristischen Berichte und Widerlegungen waren lange Zeit unsere einzigen Quellen (Texte bei Völker, Quellen [griech.]; Haardt; Foerster, Die Gnosis I [übers.]), aber der Fund von - » N a g H a m m a d i macht es notwendig, die traditionelle Klassifizierung zu überdenken (Wisse, Nag Hammadi Library). Als Berichte von Gegnern wurden die patristischen Darlegungen oft mit Mißtrauen betrachtet, aber die grundsätzliche Glaubwürdigkeit des -»Irenäus ist von Foerster (Valentin) und Sagnard (La gnose) verteidigt worden und wird jetzt durch die Nag Hammadi-Texte weitgehend erhärtet. Auf der anderen Seite wirft die Tatsache, daß in den neuen Texten Elemente bestimmter „Systeme" in Dokumenten auftauchen, die offensichtlich anderen „Schulen" entstammen, die Frage nach ihren wechselseitigen Beziehungen auf. Von den frühesten christlichen Gnostikern (Kerinth, Karpokrates, Satornil) sind nur Fragmente erhalten, aber es scheint, als habe ihr Gnostizismus sich noch in einem rudimentären Stadium befunden. Das System des Basilides (vgl. Foerster, Basilides; Rudolph, Die Gnosis 333 ff) stellt ein Problem dar, weil Irenäus ein herkömmliches gnostisches System bietet, während Hippolyt dem Basilides eine höchst originelle und unabhängige Theorie zuschreibt (Texte bei Foerster, Die Gnosis 1,80 ff). Meistens hat man dem Bericht des Hippolyt den Vorzug gegeben, aber nach Rudolph (a. a. O. 334) ist keines der beiden Referate identisch mit dem ursprünglichen System. Die basilidianische Interpretation der Kreuzigung nach Irenäus (Simon von Kyrene anstelle Jesu gekreuzigt) erscheint ebenso in 2 LogSeth (Rudolph, a. a. O. 182). Charakteristische Züge des Systems bei Hippolyt sind der „nichtseiende" Gott, der den Entschluß faßte, eine Welt zu schaffen, und die Idee eines dreifachen kosmischen Samens, der die „ganze Samenmischung der Welt" enthält. Zwei von den drei im Samen enthaltenen „Sohnschaften" kehren in die höhere Welt zurück, die dritte verbleibt in der niederen Welt, um am Ende gereinigt und wiederhergestellt zu werden. Zuletzt wird Unwissenheit über alle geschaffenen Dinge kommen, so daß sie nichts über das Höhere wissen und nicht den Schmerz erleiden, nach dem Unmöglichen zu verlangen. Eine andere eigenartige und unabhängige Form gnostischer Lehre ist im Baruchbuch des Gnostikers Justin enthalten (vgl. Haenchen, Buch Baruch; van den Broek; Text bei Völker 27ff [griech.]; Haardt, 98ff; Foerster, Die Gnosis 1,66ff). Am Anfang stehen drei Urgrößen, zwei männliche und eine weibliche. Die höchste, „der G u t e " genannt, lebt in einem Lichtreich oberhalb der Schöpfung und hat keinen Kontakt zur unteren Welt. Aus der Vereinigung der anderen beiden, Elohim (eines Himmelsgottes) und Edem (der Erdgöttin), werden 24 Engel geboren, zwölf „väterliche", deren dritter Baruch, und zwölf „mütterliche", deren dritter Naas ist. Diese Engel erschaffen Adam und Eva; in sie pflanzt Edem die Seele und Elohim den Geist. Elohim erklimmt die Höhe des Himmels, um zu sehen, ob etwas in seiner Schöpfung fehlt, und entdeckt erst jetzt die Existenz des Guten über ihm. Er wird angewiesen, die geschaffene Welt Edem zu überlassen und bei dem Guten in der höheren Welt zu bleiben. Von Elohim verlassen, sucht Edem Rache, indem sie Elohims Geist in den Menschen quält. Elohim sendet Baruch zur Hilfe, aber drei aufeinanderfolgende Rettungsversuche (durch Mose, die Propheten und Herakles) werden von Naas vereitelt. Zuletzt findet Baruch Jesus, den Naas nicht verführen kann. Naas

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„veranlaßte, daß er gekreuzigt wurde. Aber er ließ den Leib Edems am Kreuzesholz und stieg hinauf zu dem G u t e n " . Dieses System ist wegen seiner Kombination biblischer Elemente mit paganer Mythologie beachtenswert, obwohl das pagane Gut teilweise spätere Ausschmückung sein mag. Der Bezug auf Naas ruft sofort die Naassener in Erinnerung, „die in der hebräischen Sprache so heißen, denn die Schlange heißt N a a s " (Hippolyt, haer. V,6,3; vgl. Foerster, Die Gnosis 1,336ff). Diese befinden sich auch unter den wenigen Gruppen, die sich tatsächlich selbst „Gnostiker" nannten (haer. V,6,4), und liefern vielleicht den eindeutigsten Beweis für den Einfluß der Mysterienreligionen auf die Entwicklung des Gnostizismus (Anspielungen auf Attis [V,6,13 u.ö.] und die Isis-Mysterien [V,7,22f]). Reitzenstein (81 ff) hielt es für möglich, ein rein paganes Dokument aus der christlichen Naassenerpredigt herauszulösen (einen Kommentar zu einem Attishymnus), aber alttestamentliche Elemente bleiben in dem herausgeschälten Text fest verankert (Creed 118; Goppelt 134; Simonetti, Qualche osservazione, ist kritisch gegenüber Reitzensteins Operationen). Die Ähnlichkeiten mit der simonianischen Megale Apophasis (Foerster, Die Gnosis I, 315 f.336 f), die neutestamentlichen Zitate und der Gebrauch paganer Mythologie weisen alle auf ein fortgeschrittenes Entwicklungsstadium hin, mindestens auf das 2. J h . , obwohl die letzten Ursprünge weiter zurückreichen mögen. Wie andere von den Häresiologen erwähnte Gruppen (Ophiten, Sethianer, Peraten) sind die Naassener „ e n t w e d e r . . . erst jetzt entstanden oder größtenteils zu ihrer Blüte gelangt" (Rudolph, Die Gnosis 333). Ihre Lehre soll Mariamne vom Herrenbruder Jakobus überliefert worden sein (Hippolyt, haer. V , 7 , l ) und umfaßt neben zwei Attishymnen (V,9,8f) den berühmten Naassenerhymnus (V, 10,1; vgl. M . Marcovich: Rediscovery II, 7 7 0 - 7 7 8 ) , „durch den sie glauben, alle Geheimnisse ihres Irrtums sich (zu)zusingen." Die Naassener werden nur bei Hipployt (haer. V , 6 , 3 - 1 1 , 1 ; X , 9 , l - 3 ) erwähnt, aber eine andere Gruppierung, die Ophiten, deren Name von dem griechischen Wort für Schlange abgeleitet ist, wird von Irenäus (haer. 1 , 3 0 , 1 - 1 5 ; Foerster, Die Gnosis 1,111 ff) genannt, während Origenes (c. Cels. V I , 2 4 - 3 8 ; Foerster 124ff) ein Diagramm beschreibt, das zu einer von ihm Ophianer genannten Gruppe gehört (Rekonstruktion bei Rudolph, Die Gnosis 78). Das Verhältnis dieser Gruppen zueinander ist keineswegs eindeutig; einige Gelehrte identifizieren sie, während andere diese Sicht zurückweisen. Foerster z . B . faßt Ophiten und Ophianer in einer Gruppe zusammen, ordnet die Naassener mit der Megale Apophasis, den Sethianern und den Peraten unter die „Drei-Prinzipien-Systeme" ein. Dies jedoch ist eines der Felder, wo die häresiologische Klassifizierung noch einmal überdacht werden muß. Sicher erscheint der Bericht des Irenäus über die Ophiten dem vorhergehenden Abschnitt über die Barbelognostiker (haer. 1,29; Foerster, Die Gnosis 1,133 ff) näher verwandt als Hippolyts Bericht über die Naassener, aber das Problem wird noch verwickelter durch die Tatsache, daß der Abschnitt über die Barbelognostiker eine Parallele im Apokryphen des Johannes von Nag Hammadi besitzt, das zu einer Reihe als sethianisch klassifizierter Dokumente gehört ( H . M . Schenke, Sethianisches System). Es ist noch nicht geklärt, ob es sich hier um selbständige, voneinander unabhängige Gruppen oder einfach um Varianten einer einzigen Form von Gnostizismus handelt. Schenke ( a . a . O . 165) bemerkt, daß der Name „ S e t h " im Titel (vgl. z. B. 2 LogSeth)nicht bedeutet, daß ein Dokument sethianisch sei; „nicht einmal, wer sich selber Sethianer nennt, muß es wirklich sein; noch viel weniger, wem etwa bloß die kirchlichen Ketzerbestreiter die Bezeichnung ,Sethianer' beigelegt h a b e n " . Er zählt dann neun Nag Hammadi-Urkunden auf, die in mehr oder weniger reiner Form ein und dasselbe gnostische System repräsentieren. „Und dieses all diese Schriften verbindende System erweist sich eben als typisch sethianisch" (vgl. H . M . Schenke: Rediscovery 11,588ff). Auf der anderen Seite hat man behauptet, es gäbe keine „système proprement ,sethien', mais seulement, des livres mis sous le nom de Seth (,séthiens l ou non) et des livres qui, sans lui être attribués, rendent compte de sa function (,séthiens' ou n o n ) " (Tardieu, Les livres, 210). Auf jeden Fall sind die Belege für einen „sethianischen" Typ des Gnostizismus jetzt bedeutend umfangrei-

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eher als die bei F o e r s t e r (Die G n o s i s 1,375 ff) verzeichneten B e r i c h t e von H i p p o l y t , Epiphanius und (Pseudo-)Tertullian. D i e B e s o n d e r h e i t e n des „ S e t h i a n i s m u s " , wie sie S c h e n k e (Sethianisches System 166 f) g e k e n n z e i c h n e t h a t , sind 1) das „Selbstverständnis dieser G n o s t i k e r als S a m e des S e t h " ; 2) „die Auffassung v o m h i m m l i s c h / i r d i s c h e n bzw. i r d i s c h / h i m m l i s c h e n Seth als dem gnostischen E r l ö s e r " ; 3) „ a l s Ü b e r b a u g e h ö r t weiter dazu und erweist sich als spezifisch sethianisch die Vorstellung von den vier Ä o n e n und E r l e u c h t e r n des aÖToyEVijg: H a r m o z e l , O r o i a e l , D a v e i t h e , E l e l e t h " . D i e s e stellen „ d i e h i m m l i s c h e n R u h e o r t e " für A d a m , Seth und den S a m e n des Seth dar, entsprechen a b e r a u c h (168) vier Weltperioden (vgl. das D i a g r a m m , ebd. 173); 4) „ d e r avToyevijg selber ist Glied einer in all diesen Schriften i m m e r wieder g e n a n n t e n h i m m l i s c h e n G ö t t e r - T r i a s als g ö t t l i c h e r S o h n des Ur-Vaters und seiner P a a r g e n o s s i n B a r b e l o " ; 5 ) " u n t e r h a l b der vier L i c h t e r ist das R e i c h des sich selbst ü b e r h e b e n d e n D e m i u r g e n J a l d a b a o t h " ; 6) einige Z ü g e erscheinen auch in anderen Systemen und m ö g e n nicht spezifisch sethianisch sein, „ w o h l a b e r dürfte zur sethianischen G n o s i s wesentlich eine b e s t i m m t e G e s c h i c h t s s p e k u l a t i o n , eine Periodisierung der Vergangenheit, eine Weltzeitalterlehre g e h ö r e n " . W i s s e (Rediscovery 11,574) wendet dagegen ein, d a ß die in F r a g e k o m m e n d e n T e x t e selten alle diese T h e m e n enthalten und d a ß dasselbe T h e m a in verschiedenen F o r m e n , verschiedenen Z u s a m m e n h ä n g e n und in von T r a k t a t zu T r a k t a t verschiedener Verwendung erscheinen k a n n . D i e E r k l ä r u n g dieser Vielfalt bleibt eine A u f g a b e der F o r s c h u n g . Ein weiteres T h e m a ist die Beziehung zwischen diesem T y p des G n o s t i z i s m u s und d e m Valentinianischen System, das die hauptsächliche Zielscheibe für die Angriffe des Irenaus darstellt. S a g n a r d (La g n o s e 4 4 5 f) e r w ä h n t die dem Valentinianismus und dem Apokryphon des Johannes g e m e i n s a m e n E l e m e n t e : „Ii est absolument vraisemblable que nous touchons ici aux sources de la gnose valentinienne" [Es ist äußerst w a h r s c h e i n l i c h , d a ß wir hier a u f die Q u e l l e n der valentinianischen G n o s i s stoßen], Q u i s p e l , der nicht viel Sethianisches in d e m A p o k r y p h o n findet (Rediscovery I, 128; vgl. 1 2 1 ) , b e h a u p t e t , d a ß alle S c h r i f t e n im C o d e x J u n g „presuppose an already existing Oriental Gnosis evidenced

by Irenaeus, haer. 1,29,1, and the four different versions of the Apocryphon

of John

found

in recent times" (118). D a s Johannes-Apokryphon ist einer jener T e x t e , die weithin für christliche B e a r b e i t u n g e n einer älteren, nichtchristlichen Fassung gehalten werden (vgl. a b e r B . A l a n d : R e d i s c o v e r y 1,347). Eine solche U r f a s s u n g ist j e d o c h direkt nicht bezeugt; wir k ö n n e n sie nur d u r c h S t r e i c h u n g der christlichen E l e m e n t e aus d e m uns vorliegenden T e x t r e k o n s t r u i e r e n . D a s bedeutet nicht, d a ß nie eine derartige Version existierte, sondern nur, d a ß wir mit g e b ü h r e n d e r Vorsicht vorgehen müssen (vgl. W i l s o n , N a g H a m m a di and the N T 2 9 1 ) . A u f der anderen Seite kann der Valentinianismus als die klassische F o r m des christlichen G n o s t i z i s m u s bezeichnet werden. W a s auch i m m e r die zu seiner E n t w i c k l u n g beitragenden Einflüsse oder die älteren „ g n o s t i s c h e n " Systeme, a u f denen er a u f b a u t e , gewesen sein m ö g e n , er ist „ n u r a u f dem H i n t e r g r u n d des C h r i s t e n t u m s und als Interpretation des Christusereignisses m ö g l i c h " ( A l a n d , a . a . O . 3 3 0 ) . E s ist bezeichnend, d a ß A l a n d mit d e m Evangelium Veritatis beginnt, ihre Schlußfolgerungen a u f den Valentinianismus als ganzen ausdehnt und schließlich a r g u m e n t i e r t , „die c h a r a k t e r i s t i s c h e n M e r k m a l e seiner K o n z e p t i o n finden sich m . E . a b e r auch in denen anderer gnostischer Schulen w i e d e r " (ebd.). D i e M e h r h e i t der F o r s c h e r w ü r d e , bei A n e r k e n n u n g des grundsätzlich christlichen C h a r a k t e r s des Valentinianismus, nicht d a m i t einverstanden sein, d a ß jeder G n o s t i z i s m u s grundlegend christlich sei, ganz zu schweigen von der G n o s i s im weiteren Sinne, wie sie o b e n definiert wurde. D i e A n n a h m e eines rein innerchristlichen Ursprungs des G n o s t i z i s m u s zieht die Schlußfolgerung n a c h sich, d a ß „ n i c h t c h r i s t l i c h e " g n o s t i s c h e D o k u m e n t e das Ergebnis einer Entchristianisierung seien. A b e r o b w o h l die M ö g l i c h k e i t einer E n t c h r i s t i a n i s i e r u n g berücksichtigt werden m u ß , läßt das v o r h a n d e n e B e w e i s m a t e r i a l ( A p o c j o h , E v M a r , S J C , Eug) eher a u f die Christianisierung älteren, a b e r g l e i c h w o h l gnostischen M a t e r i a l s schließen. A u ß e r d e m s c h e n k t die „ i n n e r c h r i s t l i c h e " Ableitung den z u m G n o s t i z i s m u s weisenden Trends und T e n d e n z e n , die bereits im ersten

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christlichen Jahrhundert entdeckt werden können, nicht genügend Beachtung. Auf diesem Gebiet sind wir auf Hypothesen beschränkt und müssen mit Vorsicht vorgehen. Das Valentinianische System ( - • Valentin) kann hier nur grob skizziert werden: Aus dem ersten Urgrund geht eine Reihe von Emanationen, die Äonen, hervor; diese bilden das Pleroma. Insgesamt dreißig an der Z a h l , sind sie gewöhnlich zu Paaren (Syzygien) zusammengefaßt. D e r letzte dieser Äonen, Sophia, macht sich eines (unterschiedlich beschriebenen) Vergehens schuldig, was zur Entstehung des Demiurgen, des Weltschöpfers führt. Dieser schafft sich eine eigene Welt und hält sich selbst für den höchsten G o t t . (Die „Prahlerei des D e m i u r g e n " - Jes 45,5 wird ihm in den M u n d gelegt - erweist ihn als identisch mit dem G o t t des Alten Testaments.) In die untere Welt ist ein von der Sophia herstammendes göttliches Element eingekerkert; es muß zuletzt erlöst und in seine wahre Heimat im Pleroma zurückgebracht werden. Die Menschheit ist in drei Klassen gespalten, die Pneumatiker (die Gnostiker selbst), die Psychiker (die nichtgnostischen N o r m a l christen) und die Hyliker, die ganz von der Erde stammen und keine Hoffnung auf Erlösung haben. Für die Psychiker besteht eine Alternative: Treffen sie die rechte Wahl und tun sie gute Werke, so können sie einer modifizierten F o r m der Erlösung teilhaftig werden, andernfalls teilen sie das Geschick der Hyliker. Die Kirchenväter zogen den Schluß, die Gnostiker seien „von N a t u r aus E r l ö s t e " und infolgedessen, da sie ja zur Erlösung prädestiniert seien, wären ethische Regeln für sie irrelevant. Die neuen Texte bieten ein etwas anderes Bild: Sie zeigen, daß „das Heil nicht automatisch sicher ist, sondern von einem entsprechenden Lebenswandel begleitet sein m u ß . . . Natürlich bleibt es dabei, daß das ,Pneumatische' nicht zugrunde gehen kann und sein Eingang ins Pleroma vorbestimmt ist, aber das Warum und W i e ist vom rechten Verhalten des Trägers nicht u n a b h ä n g i g " (Rudolph, Gnosis 136f). Diese Skizze enthüllt Ähnlichkeiten mit anderen Systemen, vor allem mit dem des Johannes-Apokryphons, von dem das Valentinianische eine Weiterbildung darstellt, doch bestehen auch zahlreiche Unterschiede in Einzelfragen. Auch innerhalb der Valentinianischen Schule treten Differenzen auf, z . B . im Verständnis des Vergehens der Sophia oder in der Christologie. Im Tractatus Tripartitus wird die Funktion der Sophia einem Logos zugeschrieben (vgl. J . Zandee: Le Origini 2 0 3 - 2 1 2 ) . Die Schule teilte sich in zwei Zweige, einen östlichen, von T h e o d o t u s repräsentiert (vgl. Casey, Excerpta; Sagnard, Clement d'Alexandrie), und einen westlichen, vertreten durch Ptolemäus, Herakleon und M a r k u s . Hauptsächlich gegen die westliche Schule wandte sich Irenäus (zum ganzen vgl. Sagnard, La gnose valentinienne). Von Valentin selbst sind nur Fragmente erhalten. Das Hauptinteresse des Gnostizismus gilt der Lage des Menschen, insbesondere dem Problem des Bösen. Die verschiedenen Systeme suchen auf die eine oder andere Weise den Ursprung des Bösen und die Situation des Menschen in der Welt zu erklären; zugleich verheißen sie Erlösung und bieten die Mittel dazu. O b w o h l der Gnostizismus die Welt und alles, was zu ihr gehört, verwirft, stellt er nicht bloß eine Religion der Verzweiflung dar, auch wenn man eine N o t e des sozialen Protests in ihm gefunden hat (Rudolph, Die Gnosis 313). D a s Problem ist, daß wir nicht genügend über das soziale Umfeld, aus dem der Gnostizismus erwuchs, wissen; aber für einen großen Teil des Römischen Reiches stellte das Jahrhundert, in dem der Gnostizismus seinen Höhepunkt erreichte, eine Zeit relativen Friedens und Reichtums dar, nicht der Verzweiflung und der Hoffnungslosigkeit. Außerdem enthüllen die N a g H a m m a d i - T e x t e einen anderen Aspekt: „ D a s Evangelium der Wahrheit ist Freude für die, die vom Vater der Wahrheit die Gnade empfangen haben, ihn zu k e n n e n " (EvVer 1 6 , 3 1 - 3 5 ) . Aland (Rediscovery 1,349) behauptet, der Ausgangspunkt der Gnosis sei „an infinite feeling offreedom, of redemption", „a boundless joy at being released", und diese Bemerkung trifft sicherlich an zahlreichen Stellen zu, z . B . im Philippus-Evangelium. Z u den Unterschieden zwischen dem Gnostizismus und der anderen Hoffnungsreligion, mit der er oft in Wechselwirkung steht, dem Christentum, gehört: 1) daß die gnostische T h e o r i e mit ihrer Lehre vom vorgeschichtlichen Fall eines Äons nicht nur das höchste Wesen von der Verantwortlichkeit für das Böse frei-

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spricht, sondern auch den Menschen entlastet: Sünde ist nicht das entscheidende Problem; 2) d a ß es nicht die Aufgabe Christi ist, von der Sünde zu retten, sondern das rettende Wissen zu offenbaren. Die Gnostiker unternehmen manchmal große Anstrengungen, dem Kreuz einen Stellenwert zu geben, aber es hat f ü r sie nicht die gleiche Bedeutung wie für das Christentum. Andererseits stehen sich die beiden Bewegungen oft sehr nahe, und es besteht kein Zweifel, d a ß sich wenigstens einige Gnostiker für Christen hielten, ja sogar für die einzig wahren Christen (vgl. die antikirchliche Polemik der Gnostiker, wie sie Koschorke untersucht hat: er kann von der „Gnosis als höhere[r] Stufe des C h r i s t e n t u m s " sprechen [183f]). Eine kurze E r w ä h n u n g verlangt die jüdisch-christliche Sekte der Elkesaiten (vgl. Rudolph, Gnosis u. Gnostizismus [1971], 1 3 - 1 7 ) . Sie gehört zu den Taufsekten des J o r d a n tals, breitete sich aber in andere Gebiete aus. Der N a m e rührt von ihrem angeblichen G r ü n d e r Elkesai her, und die Lehren der G r u p p e scheinen denen der Ebioniten ähnlich. Unsere Information stammt hauptsächlich von Hippolyt (haer. I X , 1 3 - 1 7 ; X,29) und Epiphanius (haer. XIX; LIII); dazu k o m m t ein kurzer Origenestext bei Euseb (h. e. VI,38). Die Bedeutung der Elkesaiten für die gegenwärtige Forschung besteht darin, d a ß der Kölner Mani-Kodex die Gruppe, in der M a n i aufwuchs, eindeutig als elkesaitisch bezeichnet. Damit kennen wir ein Bindeglied zwischen der palästinensischen Taufbewegung und dem Judenchristentum auf der einen und dem Manichäismus auf der anderen Seite (vgl. R u d o l p h , Gnosis u. Gnostizismus [1975], 475; Text bei HenrichsKoenen). Ein viel diskutierter Gegenstand ist noch nicht e r w ä h n t worden, der „gnostische Erlösermythos" (zur Kritik vgl. Colpe, Schule). Auf die Untersuchungen Reitzensteins und anderer a u f b a u e n d , „destillierte" Bultmann „aus der Literatur geradezu ein Modell vom gnostischen Erlösermythos h e r a u s " (Colpe 57). Dieser hat zum Inhalt, d a ß „ein himmlisches Lichtwesen (Sohn Gottes oder der ,Mensch') in die Finsternis gerät, dort festgehalten wird und erst nach der Hinterlassung eines Teiles seines Wesens wieder zurückkehren kann; dieser Teil bildet die (durch die Welt- und Menschenschöpfung) in die Körperwelt versprengte Lichtseele, zu deren Befreiung der ins Jenseits zurückgelangte Teil noch einmals als ,Erlöser' hinabsteigt, um auch den Rest seines Wesens zu erlösen (,zu sammeln') und so eine uranfängliche Ganzheit wiederherzustellen" (Rudolph, Die Gnosis 141). In einigen Fällen (aber nicht allen!) wird dieses Lichtwesen als der „ U r m e n s c h " oder Anthropos bezeichnet, deshalb die Begriffe „Urmensch-Erlöser-Mythos" oder „ M y t h o s vom erlösten Erlöser". N u n haben die meisten Völker einen M y t h o s von einem Urmenschen, dem Stammvater der Menschheit, aber er ist nicht immer ein göttliches Wesen; auch haben viele Religionen Erlösergötter. Charakteristisch an Bultmanns Modell ist die Kombination dieser Ideen zu einem einzigen einheitlichen Mythos, von dem unterstellt wird, er „sei irgendwann in grauer Vorzeit entstanden, irgendwo im fernen O r i e n t , . . . d a n n durch R a u m und Zeit gewandert, um bald in diesem, bald in jenem Überlieferungskreise . . . einige Mosaiksteinchen zu hinterlassen, dann im Manichäismus noch einmal zu grandioser Einheit zusammengewachsen und bei den M a n d ä e r n endgültig in seine Bestandteile zerfallen" (Colpe, a . a . O . 191). H e u t e ist anerkannt, d a ß dieser M y t h o s in seiner entwickelten Form nicht vor dem Manichäismus greifbar ist (vgl. R u d o l p h , Die Gnosis 141; H . M . Schenke, G o t t „ M e n s c h " 148), o b w o h l Entwicklungen in diese Richtung schon früher ausgemacht werden können (vgl. R u d o l p h , a. a. O . 140); überdies gibt es nicht nur einen, stets gleichförmigen Erlösermythos (Rudolph, a. a. O . 142; vgl. H . M . Schenke: Gnosis u. N T 211). Die gnostische Soteriologie ist sehr viel komplexer und verschiedenartiger und erfordert eine genaue Beachtung der Details, wenn die Beziehungen richtig erschlossen werden sollen. Bis jetzt hat sich unsere Aufmerksamkeit größtenteils auf die „häretische" christliche Gnosis gerichtet, die „fälschlich so genannte Gnosis". Der letztgenannte Ausdruck impliziert aber, daß es auch eine „ w a h r e " Gnosis gibt, w o d u r c h das Problem noch komplizierter wird (vgl. den Gebrauch des Ausdrucks ,,Christian gnosis" bei Casey, Gnosis). Ire-

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G n o s i s / G n o s t i z i s m u s II

n ä u s , e i n e r d e r h e f t i g s t e n G e g n e r d e r G n o s t i k e r , k a n n s c h r e i b e n : rvwaiq änooTÖXeav

SiSaxrj

aXrj&i]g

77

rSv

[ W a h r e G n o s i s ist d i e L e h r e d e r A p o s t e l ] ( h a e r . I V , 3 3 , 7 ) . W o die

G n o s t i k e r eine a u f die Apostel z u r ü c k g e h e n d e esoterische T r a d i t i o n geltend m a c h t e n , e r h o b e n die „ O r t h o d o x e n " denselben A n s p r u c h für ihre eigene, allgemein verkündete T r a d i t i o n , die der R e i h e n a c h v o n Jesus den Aposteln und von diesen den B i s c h ö f e n überliefert wurde. D i e H a u p t v e r t r e t e r einer „ o r t h o d o x e n " christlichen G n o s i s sind die beiden g r o ß e n A l e x a n d r i n e r C l e m e n s und Origenes; beide sind deutlich von Philo von

Alexandrien

a b h ä n g i g . C l e m e n s w i r d v o n E u s e b ( h . e . 11,1,4) m i t d e m S a t z z i t i e r t , d a ß n a c h d e r A u f e r stehung der H e r r J a k o b u s d e m G e r e c h t e n , J o h a n n e s und Petrus die G n o s i s g e g e b e n h a b e , d i e s e h ä t t e n sie d e n ü b r i g e n A p o s t e l n u n d d i e s e w i e d e r u m d e n S i e b z i g w e i t e r g e g e b e n . E b e n s o unterscheidet C l e m e n s den „ G n o s t i k e r " , der zum E m p f a n g dieser tieferen G n o s i s b e f ä h i g t i s t , v o n d e m g e w ö h n l i c h e n G l ä u b i g e n (vgl. V ö l k e r , C l e m e n s A l e x a n d r i n u s ) . D e r G l a u b e ist d i e G r u n d l a g e d e s c h r i s t l i c h e n L e b e n s u n d z u r E r l ö s u n g a u s r e i c h e n d , a b e r er ist n o c h l ä n g s t n i c h t v o l l k o m m e n : E r m u ß zu e i n e r h ö h e r e n F o r m d e r E r k e n n t n i s e n t w i c k e l t w e r d e n , die C l e m e n s G n o s i s n e n n t (Lilla 1 3 6 f ; zur g a n z e n F r a g e

118-189).

O r i g e n e s b r i n g t d i e G n o s i s n i c h t m i t d e r m ü n d l i c h e n T r a d i t i o n in V e r b i n d u n g , a b e r a u c h für ihn stellt sie n o c h eine e s o t e r i s c h e T r a d i t i o n dar; n u r versichert er, sie gänzlich a u s d e r S c h r i f t zu z i e h e n ( D a n i e l o u 4 2 7 ) . D i e S c h r i f t e n t h ä l t „ u n a u s s p r e c h l i c h e G e h e i m n i s s e " , d i e d e n xeXsioi

[den V o l l k o m m e n e n ] v o r b e h a l t e n sind, die den heiligen T e x t

„ g e i s t l i c h " interpretieren. A b e r bei aller u n b e z w e i f e l b a r e n V e r w a n d t s c h a f t mit d e m G n o stizismus und trotz aller Einflüsse, die dieser auf ihr W e r k a u s ü b t e , standen C l e m e n s und O r i g e n e s d e n G n o s t i k e r n f e i n d l i c h g e g e n ü b e r u n d b e k ä m p f t e n sie. W e i t g e h e n d d a s s e l b e k a n n v o n - » P l o t i n g e s a g t w e r d e n : W i e d e r g i b t es Ä h n l i c h k e i t e n (vgl. P u e c h , Z a n d e e ) , a b e r a u c h P l o t i n s c h r i e b g e g e n die G n o s t i k e r ( E n n . 11,9; v g l . E l s a s ) . In späteren J a h r h u n d e r t e n

k a n n gnostischer Einfluß im H a u p t s t r o m

christlicher

T h e o l o g i e verfolgt w e r d e n , v o n C l e m e n s und O r i g e n e s zu L a k t a n z und Augustin und n o c h w e i t e r (vgl. R u d o l p h , D i e G n o s i s 3 9 4 f f ) . E i n A u s l ä u f e r d e s G n o s t i z i s m u s , d e r —»Man i c h ä i s m u s , e n t w i c k e l t e s i c h zu e i n e r W e l t r e l i g i o n , d i e j a h r h u n d e r t e l a n g w e i t e r l e b t e u n d ihren Einfluß bis n a c h C h i n a ausdehnte ( R u d o l p h , a . a . O . 3 4 9 f f ) . A u c h die - » B o g o m i l e n a u f d e m B a l k a n (vgl. O b o l e n s k y ) u n d d i e m i t t e l a l t e r l i c h e n - > K a t h a r e r (vgl. R u n c i m a n ; R u d o l p h , a. a. O . 4 0 2 f f ) k ö n n e n e r w ä h n t w e r d e n . D i e letzten Ü b e r l e b e n d e n der S e k t e der M a n d ä e r s i n d , in s c h w i n d e n d e r Z a h l , h e u t e n o c h i m I r a k zu f i n d e n ( R u d o l p h ,

a.a.O.

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Gnosis/Gnostizismus II

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Görres

1 6 5 - 1 7 3 . - Walter Schmithals, Die Gnosis in Korinth, 1956 3 1969 (FRLANT 66). - Ders., Paulus u. die Gnostiker, Hamburg-Bergstedt 1965. — Hans Joachim Schoeps, Urgemeinde, Judenchristentum, Gnosis, Tübingen 1956. - Gerschom Scholem, Jewish Gnosticism, Merkabah Mysticism and Talmudic Tradition, New York 1960. - David M . Scholer, Nag Hammadi Bibliography 1 9 4 8 - 1 9 6 9 (NagHammadi Stud. 1), Leiden 1971 (jährliche Ergänzungen: N T [außer 1976]). - Maddalena Scopello, Les citations d'Homère dans le traité de l'Exégèse de l'âme: Gnosis and Gnosticism, s.o. Krause, 3 - 1 2 . - Dies., Les testimonia dans l'Exégèse de l'âme: R H R 190 (1977) 1 5 9 - 1 7 1 . - M a n l i o Simonetti, Eracleone e Origene: VetChr. 3 (1966) 3 - 7 5 . - Ders., Note sul Libro di Baruch dello gnostico Giustino: VetChr 6 (1969) 7 1 - 8 9 . - Ders., Qualche osservazione sulle presunte interpolazioni délia Predica dei Naasseni: VetChr 9 (1972) 3 3 1 - 3 5 9 ; 10 (1973) 1 0 3 - 1 2 6 . - Georg Strecker, Judenchristentum u. Gnosis: AT, Frühjudentum, Gnosis, s.u. K.W. Tröger, 2 6 1 - 2 8 2 . - Charles H. Talbert, Luke and the Gnostics, Nashville 1 9 6 6 . - M i c h e l Tardieu, Trois mythesgnostiques, Paris 1 9 7 4 . - D e r s . , Les livres mis sous le nom de Seth et les Séthiens de l'hérésiologie: Gnosis and Gnosticism, s.o. Krause, 2 0 4 - 2 1 0 . - Walter C. Till, Die Gnosis in Ägypten: La Parola del Passato 4 (1949) 230ff. - Ders., Die gnostischen Sehr, des koptischen Papyrus Berolinensis 8502, 1955 (2. erw. Aufl. bearb. v. H. M . Schenke 1972) (TU 60). - Karl-Wolfgang Tröger (Hg.), Gnosis u. NT, Berlin 1973. - Ders. (Hg.), AT, Frühjudentum, Gnosis, Gütersloh 1980. - Ders., The Attitude of the Gnostic Religion towards Judaism as Viewed in a Variety of Perspectives: s.o. Bare, 8 6 - 9 8 . - Willem Cornelis van Unnik, Openbaringen uit Egyptisch Zand, Den Haag 1958 (erw. dt. Fassung: Evangelien aus dem Nilsand, Frankfurt 1960). - Ders., Die jüd. Komponente in der Entstehung der Gnosis: VigChr 15 (1961) 6 5 - 8 2 . - Philipp Vielhauer, Gesch. der urchristl. Lit., Berlin 2 1978. - Walther Völker, Quellen zur Gesch. der christl. Gnosis, Tübingen 1932. - Ders., Der wahre Gnostiker nach Clemens Alexandrinus, 1952 (TU 5 7 ) . - R o b e r t McL. Wilson, The Gnostic Problem, London 1958.-Ders., Gnostics —in Galatia? Studia Evangelica IV,1968 (TU 102), 3 5 8 - 3 6 7 . - Ders., Gnosis u. NT, Stuttgart 1971. Ders., Philo of Alexandria and Gnosticism: Kairos 14 (1972) 2 1 3 - 2 1 9 . - Ders., How Gnostic were the Corinthians?: NTS 19 (1973) 65 - 7 4 . - Ders., From Gnosis to Gnosticism: Mélanges d'histoire des religions. FS H.-Ch. Puech, Paris 1974,423 - 4 2 9 . — Ders., „Jewish Gnosis" and Gnostic Origins: HUCA 14 (1974) 1 7 7 - 1 8 9 . - Ders., O T Exegesis in the Gnostic Exegesis on the Soul: Essays on the Nag Hammadi Texts, s. o. Krause, 2 1 7 - 2 2 4 . - Ders. (Hg.), Nag Hammadi and Gnosis, Leiden 1978 (Nag-Hammadi Stud. 14). - Ders., Simon and Gnostic Origins: Les Actes des Apôtres, hg. v. J . Kremer, Gembloux 1979, 4 8 5 - 4 9 1 . - Ders., Gnosis and the Mysteries: Studies in Gnosticism and Hellenistic Religions, s.o. van den Broek/M. J. Vermaseren, 4 5 1 - 4 5 7 . - Ders., Gnosis at Corinth: Paul and Paulinism, hg. v. M . D . Hooker/S.G. Wilson, London 1982, 1 0 2 - 1 1 4 . - Ders., Nag Hammadi and the N T : NTS 28 (1982) 2 8 9 - 3 0 2 . - Frederik Wisse, The Nag Hammadi Library and the Heresiologists: VigChr 25 (1971) 205 - 223. - Ders., The „Opponents" in the N T in light of the Nag Hammadi Writings: Colloque international . . . , s.o. Bare, 9 9 - 1 2 0 . - Edwin M . Yamauchi, PreChristian Gnosticism, London 2 1983. - Jan Zandee, The Terminology of Plotinus and of some Gnostic Writings, Istanbul 1961 (Ned. Hist.-Archaeol. Inst. Istanbul). Robert McLachlan Wilson G o b a t , Samuel G ö h r e , Paul

—»Jerusalem

-»-Sozialismus

Görres, Joseph

von (1776-1848,

1839

geadelt)

J o h a n n J o s e p h Görres wurde a m 25. J a n u a r 1 7 7 6 zu Koblenz als Sohn eines F l o ß h ä n d lers geboren. E r besuchte hier 1 7 8 6 - 1 7 9 3 das von aufklärerischen Priestern geleitete ehemalige Jesuitengymnasium und erlebte den Niedergang der erzbischöflich-kurtrierischen H e r r s c h a f t im Vordringen der - » F r a n z ö s i s c h e n Revolution. In der Medizin und den Naturwissenschaften bildete er sich autodidaktisch weiter (und blieb ein Autodidakt sein Leben lang). Geschichte wurde der andere Brennpunkt seines Denkens. Seit 1792 g a b er sich den in den Rheinlanden verbreiteten revolutionären republikanischen Strömungen hin, brach mit dem überkommenen katholischen Glauben und sah sein Ziel darin, ein moralischer Erzieher („politischer K a n t " ) der werdenden deutschen N a t i o n zu w e r d e n . Dafür kämpfte er mit den Waffen der „Publizität". Schon die frühen Schriften (Der allgemeine Friede ein Ideal 1798; Beiträge in den Zeitschriften Das Rothe Blatt 1798/99 und Der Rübezahl 1799) lassen seine publizistische Eigenart erkennen: ein geistvoller, bilderreicher, weitausholender, zuweilen dunkler Stil, dazu in aller Sprachgewalt der

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1 6 5 - 1 7 3 . - Walter Schmithals, Die Gnosis in Korinth, 1956 3 1969 (FRLANT 66). - Ders., Paulus u. die Gnostiker, Hamburg-Bergstedt 1965. — Hans Joachim Schoeps, Urgemeinde, Judenchristentum, Gnosis, Tübingen 1956. - Gerschom Scholem, Jewish Gnosticism, Merkabah Mysticism and Talmudic Tradition, New York 1960. - David M . Scholer, Nag Hammadi Bibliography 1 9 4 8 - 1 9 6 9 (NagHammadi Stud. 1), Leiden 1971 (jährliche Ergänzungen: N T [außer 1976]). - Maddalena Scopello, Les citations d'Homère dans le traité de l'Exégèse de l'âme: Gnosis and Gnosticism, s.o. Krause, 3 - 1 2 . - Dies., Les testimonia dans l'Exégèse de l'âme: R H R 190 (1977) 1 5 9 - 1 7 1 . - M a n l i o Simonetti, Eracleone e Origene: VetChr. 3 (1966) 3 - 7 5 . - Ders., Note sul Libro di Baruch dello gnostico Giustino: VetChr 6 (1969) 7 1 - 8 9 . - Ders., Qualche osservazione sulle presunte interpolazioni délia Predica dei Naasseni: VetChr 9 (1972) 3 3 1 - 3 5 9 ; 10 (1973) 1 0 3 - 1 2 6 . - Georg Strecker, Judenchristentum u. Gnosis: AT, Frühjudentum, Gnosis, s.u. K.W. Tröger, 2 6 1 - 2 8 2 . - Charles H. Talbert, Luke and the Gnostics, Nashville 1 9 6 6 . - M i c h e l Tardieu, Trois mythesgnostiques, Paris 1 9 7 4 . - D e r s . , Les livres mis sous le nom de Seth et les Séthiens de l'hérésiologie: Gnosis and Gnosticism, s.o. Krause, 2 0 4 - 2 1 0 . - Walter C. Till, Die Gnosis in Ägypten: La Parola del Passato 4 (1949) 230ff. - Ders., Die gnostischen Sehr, des koptischen Papyrus Berolinensis 8502, 1955 (2. erw. Aufl. bearb. v. H. M . Schenke 1972) (TU 60). - Karl-Wolfgang Tröger (Hg.), Gnosis u. NT, Berlin 1973. - Ders. (Hg.), AT, Frühjudentum, Gnosis, Gütersloh 1980. - Ders., The Attitude of the Gnostic Religion towards Judaism as Viewed in a Variety of Perspectives: s.o. Bare, 8 6 - 9 8 . - Willem Cornelis van Unnik, Openbaringen uit Egyptisch Zand, Den Haag 1958 (erw. dt. Fassung: Evangelien aus dem Nilsand, Frankfurt 1960). - Ders., Die jüd. Komponente in der Entstehung der Gnosis: VigChr 15 (1961) 6 5 - 8 2 . - Philipp Vielhauer, Gesch. der urchristl. Lit., Berlin 2 1978. - Walther Völker, Quellen zur Gesch. der christl. Gnosis, Tübingen 1932. - Ders., Der wahre Gnostiker nach Clemens Alexandrinus, 1952 (TU 5 7 ) . - R o b e r t McL. Wilson, The Gnostic Problem, London 1958.-Ders., Gnostics —in Galatia? Studia Evangelica IV,1968 (TU 102), 3 5 8 - 3 6 7 . - Ders., Gnosis u. NT, Stuttgart 1971. Ders., Philo of Alexandria and Gnosticism: Kairos 14 (1972) 2 1 3 - 2 1 9 . - Ders., How Gnostic were the Corinthians?: NTS 19 (1973) 65 - 7 4 . - Ders., From Gnosis to Gnosticism: Mélanges d'histoire des religions. FS H.-Ch. Puech, Paris 1974,423 - 4 2 9 . — Ders., „Jewish Gnosis" and Gnostic Origins: HUCA 14 (1974) 1 7 7 - 1 8 9 . - Ders., O T Exegesis in the Gnostic Exegesis on the Soul: Essays on the Nag Hammadi Texts, s. o. Krause, 2 1 7 - 2 2 4 . - Ders. (Hg.), Nag Hammadi and Gnosis, Leiden 1978 (Nag-Hammadi Stud. 14). - Ders., Simon and Gnostic Origins: Les Actes des Apôtres, hg. v. J . Kremer, Gembloux 1979, 4 8 5 - 4 9 1 . - Ders., Gnosis and the Mysteries: Studies in Gnosticism and Hellenistic Religions, s.o. van den Broek/M. J. Vermaseren, 4 5 1 - 4 5 7 . - Ders., Gnosis at Corinth: Paul and Paulinism, hg. v. M . D . Hooker/S.G. Wilson, London 1982, 1 0 2 - 1 1 4 . - Ders., Nag Hammadi and the N T : NTS 28 (1982) 2 8 9 - 3 0 2 . - Frederik Wisse, The Nag Hammadi Library and the Heresiologists: VigChr 25 (1971) 205 - 223. - Ders., The „Opponents" in the N T in light of the Nag Hammadi Writings: Colloque international . . . , s.o. Bare, 9 9 - 1 2 0 . - Edwin M . Yamauchi, PreChristian Gnosticism, London 2 1983. - Jan Zandee, The Terminology of Plotinus and of some Gnostic Writings, Istanbul 1961 (Ned. Hist.-Archaeol. Inst. Istanbul). Robert McLachlan Wilson G o b a t , Samuel G ö h r e , Paul

—»Jerusalem

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Görres, Joseph

von (1776-1848,

1839

geadelt)

J o h a n n J o s e p h Görres wurde a m 25. J a n u a r 1 7 7 6 zu Koblenz als Sohn eines F l o ß h ä n d lers geboren. E r besuchte hier 1 7 8 6 - 1 7 9 3 das von aufklärerischen Priestern geleitete ehemalige Jesuitengymnasium und erlebte den Niedergang der erzbischöflich-kurtrierischen H e r r s c h a f t im Vordringen der - » F r a n z ö s i s c h e n Revolution. In der Medizin und den Naturwissenschaften bildete er sich autodidaktisch weiter (und blieb ein Autodidakt sein Leben lang). Geschichte wurde der andere Brennpunkt seines Denkens. Seit 1792 g a b er sich den in den Rheinlanden verbreiteten revolutionären republikanischen Strömungen hin, brach mit dem überkommenen katholischen Glauben und sah sein Ziel darin, ein moralischer Erzieher („politischer K a n t " ) der werdenden deutschen N a t i o n zu w e r d e n . Dafür kämpfte er mit den Waffen der „Publizität". Schon die frühen Schriften (Der allgemeine Friede ein Ideal 1798; Beiträge in den Zeitschriften Das Rothe Blatt 1798/99 und Der Rübezahl 1799) lassen seine publizistische Eigenart erkennen: ein geistvoller, bilderreicher, weitausholender, zuweilen dunkler Stil, dazu in aller Sprachgewalt der

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leidenschaftliche Drang, gegen jede Unterdrückung radikal für die Wahrheit, wie er sie jeweils zu erkennen glaubt, sich einzusetzen. Hier lag wohl der Kern der Faszination, die ein Leben lang von Görres ausging. Dem Anhänger der Französischen Revolution und einer rheinischen Republik brachte ein Pariser Aufenthalt im Auftrag der Koblenzer Patrioten 1 7 9 9 / 1 8 0 0 tiefste Enttäuschung und Ernüchterung. Die Schrift Resultate meiner Sendung nach Paris (1800) zeigt auch, daß sich Görres, zunächst unter dem Einfluß J . G . —>Herders, den Gedanken des Volkstums zu öffnen begann, ohne das Aufklärungsideal des Weltbürgertums aufzugeben. 1 8 0 0 - 1 8 1 4 lebte Görres, politisch zurückgezogen, mit seiner Familie (1801 E h e mit Katharina v. Lassaulx) in beschränkten Verhältnissen als Lehrer der Naturwissenschaften an der Sekundärschule in Koblenz, dazwischen 1 8 0 6 - 1 8 0 8 als Privatdozent an der Universität —»Heidelberg. In K o m m u n i k a t i o n mit dem reichen Geistesleben Deutschlands in diesem gärenden Zeitalter vollzog sich die allmähliche innere Wandlung und bereitete sich der große Aufbruch in der Stille vor. Görres geriet philosophisch zunächst in den Bann des jungen -»Schelling, beschäftigte sich fortschreitend mit den Mythen und Religionen der Völker (Glaube und Wissen 1805) und begegnete in Heidelberg vor allem der jüngeren Romantik im freundschaftlichen Umgang mit Achim v. Arnim, Clemens Brentano und Friedrich Creuzer. Das besonders durch Brentano angeregte Studium der altdeutschen Vergangenheit führte ihn zu den verschütteten christlichen Traditionen zurück, namentlich zum katholisch geprägten Mittelalter (Die teutschen Volksbücher 1807; Mythengeschichte der asiatischen Welt, 2 Bde., 1810,unter dem Einfluß Creuzers; dazu Mitarbeit an Aretins Zeitschrift Aurora, an der Jenaischen allgemeinen Literaturzeitung, an der von Brentano und Arnim hg. Zeitung für Einsiedler, an den Heidelberger Jahrbüchern u. a.). 1807 ließ er seine beiden Kinder nachträglich taufen, 1808 die Taufe des dritten Kindes in Heidelberg vollziehen. 1814—1816 gab Görres in Koblenz den Rheinischen Merkur heraus, das beste journalistische Organ dieser Jahre, eine scharfe Waffe im nationalen Befreiungskampf gegen Napoleon (von diesem als „fünfte M a c h t " bezeichnet); sein Koblenzer Haus wird ein Mittelpunkt rheinischen und deutschen Geisteslebens (Verbindung mit dem Freiherrn vom Stein, Ludwig und Wilhelm Grimm, Friedrich Karl von Savigny). Sein Eintreten für eine freiheitliche ständische Verfassung in einem geeinten Deutschland (unter österreichischer Führung) führte 1816 zum Verbot der Zeitschrift durch die preußische Zensur und zur Entlassung aus dem Schuldienst. Nach Erscheinen seiner Schrift Teutschland und die Revolution (1819) mußte Görres vor drohender Verhaftung aus Koblenz in die Schweiz und nach Straßburg fliehen. Nach dem Scheitern seiner politischen Erwartungen erfolgte im Exil (1819-1827) die volle Rückwendung zur katholischen Kirche, in geistiger Verbindung mit den Strömungen der kirchlichen -»Restauration (Joseph M. de Maistre, Louis-Gabriel de Bonald, LouisEugene-M. Bautain, Andreas Räß, N. Weiß), literarisch sichtbar in Europa und die Revolution (1821), in der Mitarbeit an der Zeitschrift Der Katholik, Kurfürst Maximilian an König Ludwig 1. von Bayern (ein Programm der christlichen Romantik), in Werken über Franz von Assisi, die Kirchenfreiheit in der katholischen Schweiz und -»Swedenborg; dazu neue Beschäftigung mit Dichtung und Mythen der Völker (Übersetzung des Schah Nameh, 2 Bde., 1820). Vor allem durch die F ü r s p r a c h e J . M . —»Sailers berief Ludwig I. von Bayern Görres 1 8 2 7 als Professor für allgemeine u. Litterärgeschichte an die Universität - » M ü n c h e n (s. T R E 5 , 3 7 4 ) . Görres w a r nie Wissenschaftler im modernen Sinn, doch hochgebildet, ungewöhnlich sprachenkundig und anregend. In M ü n c h e n entstand das kompilatorische Riesenwerk Die christliche Mystik (4 Bde., 1836—1842), hielt Görres, von vielen belächelt, seine universalhistorischen Vorlesungen — ein letzter N a c h k l a n g der Herder'schen „Idee n " vom „Schicksal der Völker auf Gottes E r d b o d e n " . Wichtiger wurde, d a ß sein gastliches Haus bis zu seinem Tod Mittel- und Treffpunkt eines Kreises bedeutender geistig und künstlerisch regsamer Katholiken w a r , darunter führende Persönlichkeiten der katholischen Bewegung in Deutschland und Frankreich (I. -»Döllinger, J . N . Ringseis, M . v . - » D i e p e n b r o c k , - » M o n t a l e m b e r t , - » L a m e n n a i s , F.v. Eckstein u . a . ) . Sprachrohr des Görreskreises wurden zunächst die Zeitschrift Eos (s. T R E 5 , 6 5 , 1 3 ) , seit 1838 die Historisch-politischen Blätter. Als die preußische Regierung 1 8 3 7 den Kölner Erzbischof wegen seiner Haltung im Mischehenstreit verhaften ließ, griff G ö r r e s noch einmal in den aktuellen politischen Streit ein und schrieb „ m i t fliegender F e d e r " den Athanasius (1838). Diese Kampfschrift erst m a c h t e den peinlichen Mißgriff zum „Kölner E r e i g n i s " und signalisier-

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te den Aufbruch der katholischen Bewegung in Deutschland, die Anfänge des politischen Katholizismus, der sich 1848 erstmals formierte. Die letzten J a h r e war es um den alten Görres still geworden. Er starb am 29. Januar 1848 in M ü n c h e n . Angesichts der aufziehenden Revolution hatte er visionär die Tyrannis der Zukunft beschworen: Kommunismus, Radikalismus, Proletariat. Die wissenschaftliche Hinterlassenschaft des eigenartigen Gelehrten, Publizisten, Kritikers und Dichters ist noch wenig erschlossen. Seine unmittelbar stärkste Wirkung ging in das katholische Deutschland (Görres-Gesellschaft zur Pflege der Wissenschaft im katholischen Deutschland, 1876 gegründet). Indem Görres die Vorstellung der Zeit über religiöse Freiheit, über die Eigenständigkeit der Verbände, über das Verhältnis von Staat und Kirche wesentlich mitgestaltete, gehört er auch zu den geistigen Wegbereitern der Demokratie in Deutschland. Werke Joseph von Görres, GS, hg. v. M . Görres, 1. Abt.: Politische Sehr., 6 Bde., München 1 8 5 4 - 1 8 6 0 ; 2. Abt.: Ges. Briefe, hg. v. M . Görres/F. Binder, 3 Bde., München 1 8 5 8 - 1 8 7 4 . - Krit. Neuausgabe: Joseph Görres, GS, hg. im Auftrage der Görres-Gesellschaft v. W. Schellberg/Adolf Dyroff, fortgeführt v. L. J u s t / H . R a a b , Köln 1 9 2 6 - 1 9 8 4 (bisher Bd. 1 - 1 6 ) . - Wolfgang Frühwald (Hg.), Joseph Görres. Ausgew. Werke, 2 Bde., F r e i b u r g / B a s e l / W i e n 1978 (mit Biographie u. Bibliographie). Heribert R a a b , Joseph Görres. Ein Leben für Freiheit u. Recht. Auswahl aus seinem Werk, Urteile v. Zeitgenossen, Einf. u. Bibliogr., Paderborn 1978.

Literatur Eine neuere kritische Biographie fehlt. Bestes Schrifttumsverzeichnis in den Arbeiten (s.o.) v. Wolfgang Frühwald, II 8 9 1 - 9 0 5 u. Heribert R a a b (1978) 2 6 7 - 2 7 8 . - Hist. Jb. 9 6 (1976): 8 Beitr. über Görres. - Rudolf M o r s e y , Joseph Görres: Zeitgesch. in Lebensbildern, hg. v. J . A r e t z / R . M o r s e y / A . Rauscher, Mainz, III 1 9 7 9 , 2 6 - 3 5 . 2 8 2 (Lit.). - Heribert R a a b (Hg.), Joseph Görres ( 1 7 7 6 - 1 8 4 8 ) . Leben u. Werk im Urteil seiner Zeit, Paderborn 1984.

Georg Schwaiger

Goethe, Johann

Wolfgang von

(1749-1832)

Goethes R u h m war nicht bloß der eines Dichters. Eine kulturpolitisch engagierte Kritik feierte den Begründer einer neuzeitlichen deutschen -»Bildung und versuchte dessen Denken als Doktrin zu fassen. Z u r Synthese einer stimmigen Weltanschauung schien einzuladen, daß Goethe sich selbst gelegentlich als „ M o n a s " sah (H 391) und die Schriften als „Bruchstücke einer großen C o n f e s s i o n " zu lesen empfahl (W 27;110; vgl. T R E 4,783). Doch schon der Titel der Autobiographie Dichtung und Wahrheit deutet auf den poetischen Anteil an der Selbstreflexion hin. So ist die Idee einer substantiell gegründeten Individualität, die notwendig sich entwickelt und produziert, bloß als Regulativ der Selbstverständigung zu erachten. Goethe erfand sich auch andere Muster - etwa die Rolle des unbeschränkt wandlungsfähigen Proteus - und er erwog, ob er sich als geistige Existenz ganz den bildenden Traditionen verdankt (mit Riemer; B 2 ; 4 3 ) 1 . W i e er sich als Person problematisch blieb, so blieben es ihm die Gegenstände, denn: „ D i e Götter lehren uns ihr eigenes Werk nachahmen; doch wissen wir nur, was wir thun, erkennen aber nicht, was wir n a c h a h m e n " (H 622). Weil er überhaupt die „ L e h r e " des Faktischen respektierte (H 575), vermochte er den Ereignissen und Tendenzen seiner Zeit produktiv zu entsprechen. D e m Wandel seines Denkens wird daher eine Forschung eher gerecht, die drei Epochen (Jugend bis zum Aufbruch nach Weimar 1775, -»Klassik bis —• Schillers T o d 1805, Alterswerk) unterscheidet und dabei die privat- und zeitgeschichtlichen Anstöße berücksichtigt. Gleichwohl gibt es beständige Überzeugungen. Dazu gehört die Ablehnung des kirchlichen Offenbarungsdogmas. Die Autobiographie erklärt sie damit, daß eine naturreligiöse Erfahrung der katechetischen Erziehung im o r t h o d o x protestantischen Elternhaus zuvorkam (W 2 7 ; 1 2 3 f f ) 2 - B l o ß als die bedeutendste Historie und Mythologie las

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te den Aufbruch der katholischen Bewegung in Deutschland, die Anfänge des politischen Katholizismus, der sich 1848 erstmals formierte. Die letzten J a h r e war es um den alten Görres still geworden. Er starb am 29. Januar 1848 in M ü n c h e n . Angesichts der aufziehenden Revolution hatte er visionär die Tyrannis der Zukunft beschworen: Kommunismus, Radikalismus, Proletariat. Die wissenschaftliche Hinterlassenschaft des eigenartigen Gelehrten, Publizisten, Kritikers und Dichters ist noch wenig erschlossen. Seine unmittelbar stärkste Wirkung ging in das katholische Deutschland (Görres-Gesellschaft zur Pflege der Wissenschaft im katholischen Deutschland, 1876 gegründet). Indem Görres die Vorstellung der Zeit über religiöse Freiheit, über die Eigenständigkeit der Verbände, über das Verhältnis von Staat und Kirche wesentlich mitgestaltete, gehört er auch zu den geistigen Wegbereitern der Demokratie in Deutschland. Werke Joseph von Görres, GS, hg. v. M . Görres, 1. Abt.: Politische Sehr., 6 Bde., München 1 8 5 4 - 1 8 6 0 ; 2. Abt.: Ges. Briefe, hg. v. M . Görres/F. Binder, 3 Bde., München 1 8 5 8 - 1 8 7 4 . - Krit. Neuausgabe: Joseph Görres, GS, hg. im Auftrage der Görres-Gesellschaft v. W. Schellberg/Adolf Dyroff, fortgeführt v. L. J u s t / H . R a a b , Köln 1 9 2 6 - 1 9 8 4 (bisher Bd. 1 - 1 6 ) . - Wolfgang Frühwald (Hg.), Joseph Görres. Ausgew. Werke, 2 Bde., F r e i b u r g / B a s e l / W i e n 1978 (mit Biographie u. Bibliographie). Heribert R a a b , Joseph Görres. Ein Leben für Freiheit u. Recht. Auswahl aus seinem Werk, Urteile v. Zeitgenossen, Einf. u. Bibliogr., Paderborn 1978.

Literatur Eine neuere kritische Biographie fehlt. Bestes Schrifttumsverzeichnis in den Arbeiten (s.o.) v. Wolfgang Frühwald, II 8 9 1 - 9 0 5 u. Heribert R a a b (1978) 2 6 7 - 2 7 8 . - Hist. Jb. 9 6 (1976): 8 Beitr. über Görres. - Rudolf M o r s e y , Joseph Görres: Zeitgesch. in Lebensbildern, hg. v. J . A r e t z / R . M o r s e y / A . Rauscher, Mainz, III 1 9 7 9 , 2 6 - 3 5 . 2 8 2 (Lit.). - Heribert R a a b (Hg.), Joseph Görres ( 1 7 7 6 - 1 8 4 8 ) . Leben u. Werk im Urteil seiner Zeit, Paderborn 1984.

Georg Schwaiger

Goethe, Johann

Wolfgang von

(1749-1832)

Goethes R u h m war nicht bloß der eines Dichters. Eine kulturpolitisch engagierte Kritik feierte den Begründer einer neuzeitlichen deutschen -»Bildung und versuchte dessen Denken als Doktrin zu fassen. Z u r Synthese einer stimmigen Weltanschauung schien einzuladen, daß Goethe sich selbst gelegentlich als „ M o n a s " sah (H 391) und die Schriften als „Bruchstücke einer großen C o n f e s s i o n " zu lesen empfahl (W 27;110; vgl. T R E 4,783). Doch schon der Titel der Autobiographie Dichtung und Wahrheit deutet auf den poetischen Anteil an der Selbstreflexion hin. So ist die Idee einer substantiell gegründeten Individualität, die notwendig sich entwickelt und produziert, bloß als Regulativ der Selbstverständigung zu erachten. Goethe erfand sich auch andere Muster - etwa die Rolle des unbeschränkt wandlungsfähigen Proteus - und er erwog, ob er sich als geistige Existenz ganz den bildenden Traditionen verdankt (mit Riemer; B 2 ; 4 3 ) 1 . W i e er sich als Person problematisch blieb, so blieben es ihm die Gegenstände, denn: „ D i e Götter lehren uns ihr eigenes Werk nachahmen; doch wissen wir nur, was wir thun, erkennen aber nicht, was wir n a c h a h m e n " (H 622). Weil er überhaupt die „ L e h r e " des Faktischen respektierte (H 575), vermochte er den Ereignissen und Tendenzen seiner Zeit produktiv zu entsprechen. D e m Wandel seines Denkens wird daher eine Forschung eher gerecht, die drei Epochen (Jugend bis zum Aufbruch nach Weimar 1775, -»Klassik bis —• Schillers T o d 1805, Alterswerk) unterscheidet und dabei die privat- und zeitgeschichtlichen Anstöße berücksichtigt. Gleichwohl gibt es beständige Überzeugungen. Dazu gehört die Ablehnung des kirchlichen Offenbarungsdogmas. Die Autobiographie erklärt sie damit, daß eine naturreligiöse Erfahrung der katechetischen Erziehung im o r t h o d o x protestantischen Elternhaus zuvorkam (W 2 7 ; 1 2 3 f f ) 2 - B l o ß als die bedeutendste Historie und Mythologie las

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G o e t h e den biblischen K a n o n , studierte ihn bereits 1 7 6 2 in der A u s g a b e von Teller, B a u m g a r t e n , D i e t e l m a i r ( W 2 6 ; 1 9 7 f ¥ ; s. T R E 6 , 3 1 3 , 4 3 f f ) 3 . D i e D i s t a n z verringerte sich n i c h t , als er 1 7 6 8 über Susanna K a t h a r i n a von K l e t t e n b e r g mit den F r a n k f u r t e r E r w e c k ten in B e r ü h r u n g k a m : Z w a r wurden für ein J a h r z e h n t das , H e r z ' und seine S p r a c h e O r t e m e t a p h y s i s c h e r G e w i ß h e i t , a b e r a m - » P i e t i s m u s h a t t e ihn die entschiedene S u b j e k t i v i t ä t m e h r als der G l a u b e n s i n h a l t beeindruckt. D a r a u s folgte, d a ß die M a n n i g f a l t i g k e i t der Bekenntnisse zu respektieren w a r , die er in der multi-konfessionellen Vaterstadt und d u r c h G . - » A r n o l d s Kirchenund Ketzerhistorie als F a k t u m der Christenheit kennengelernt hatte. In der verlorenen S t r a ß b u r g e r D i s s e r t a t i o n über ein kirchenrechtliches T h e m a ( 1 7 7 1 ) , die ihrer Brisanz wegen abgelehnt w u r d e , unterschied er zwischen staatspolitisch n o t w e n d i g e r Allgemeinheit des Kultus und p r i v a t e m G l a u b e n , auf den Einfluß zu n e h m e n a u c h der K i r c h e nicht gestattet s e i 4 . Seine A b w e i c h u n g v o m K i r c h e n d o g m a veröffentlichte G o e t h e 1773 im a n o n y m e n Brief des Pastors. Sein fiktiver Landgeistlicher erläßt nicht n u r ein T o l e r a n z e d i k t , das sich a u f das evangelische L i e b e s g e b o t , Luthers sola fide und die G n a d e n w a h l beruft. E r ist vor a l l e m Pelagianer ( - » P e l a g i u s ) . D e n n wenn „ G o t t und L i e b e S y n o n y m e n s i n d " ( D j G 3 ; 1 0 9 ) , k a n n keine K r e a t u r ursprünglich k o r r u p t sein, k a n n a u c h der S o h n nicht als E r l ö s e r aus der Sünde, sondern nur als Z e u g e einer u r a n f ä n g l i c h e n Versöhnung geglaubt w e r d e n , und angesichts des christlichen Beweises der Identität von G o t t und M e n s c h „ m u ß m a n sich vor nichts m e h r hüten, als ihn wieder zu G o t t zu m a c h e n " (110; vgl. T R E 4 , 3 8 9 ) . Schon damals war der Grund einer Christologie gelegt, die Jesus als die vornehmste Erscheinung eines allgegenwärtigen Geistes anerkennt. Seit Italien (1786 bis 1788) gab Raffaels Gottesbild das Beispiel einer Auflösung der Härten der Kreuzestheologie: er machte, wie Phidias, den Gott „zum Menschen", um „den Menschen zum Gott zu erheben" (W 46;28). —»Herder mochte seit der Begegnung 1771 in Straßburg die Tendenz zum „Hypsistarier" (an S. Boisseree, 20. 3. 1831) bestärkt haben. In Goethes Zwo wichtige biblische Fragen (1773) wurde das Zungenreden aller Völker beglaubigt, und das Stanzengedicht Die Geheimnisse (1784) ließ die Geschichte der Weltreligionen in einem metaphysischen Humanismus konvergieren. Dasselbe meint die Lehre von den drei Ehrfurchten in den Wanderjahren (1821 2 1828): die heidnischen Religionen verehren das „Waltende" über uns, die philosophischen stellen alles Seiende, dem sie einen spirituellen Grund nachsagen, dadurch dem Menschen gleich und die christliche anerkennt das Niedrige und sogar Verbrecherische als „Fördernisse des Heiligen". Diese drei Ehrfurchten, die in Analogie zur Trinität gezählt und bestimmt sind, werden nun nach trinitarischem Kalkül in einer einzigen vierten aufgehoben, sofern der Mensch „sich selbst" als das Höchste erkennt, was „Gott und die Natur hervorgebracht haben" (W24;244). Freilich sind die Wanderjahre auch ein historischer Roman, und die theologische Vernunft ihrer Pädagogischen Provinz mag eine rigide Rationalität des 18. Jh. ironisieren, die ihre Herkunft aus dem trinitarischen Mysterium nicht mehr eingesteht. Am Vorrang eines religiösen Wissens durch Naturerfahrung (-»Natur) hielt Goethe lange Zeit fest. Bereits 1770 hatte er sich nach Lektüre pansophischer, mystisch-kabbalistischer, hermetischer Literatur notiert: „Separatim de Deo, et natura rerum disserere... periculosum est" (DjG 1;431). Diese Maxime führte zu einer Ontotheologie, die eine erste Kenntnis -»Spinozas 1774 bestätigt haben mochte. Aber dieser -»Monismus blieb ihm problematisch. Denn in der Welt zeigte sich ein störendes Unwesen, das mit einem eben doch wohl an der logologischen Theologie orientierten Substanzgedanken nicht leicht zu vereinbaren war. Die Autobiographie erzählt von einem jugendlichen Versuch, das Widersätzliche durch einen Abfall Lucifers vor der Schöpfung - also eher gnostisch - zu erklären, aber so, daß eine Apokatastasis „von Ewigkeit h e r . . . nothwendig" war (W27;221). Die übrigen Berichte über die Metaphysik der frühen Jahre banden die Naturreligion an das Gelingen einer Onto(theo-)dizee (-»Theodizeeproblem), und mit einer Ontodizee beschloß Goethe diese thematische Sequenz seiner Autobiographie: 1831 nannte er das Entgegenwirkende das „Dämonische", das, nun unabsehbarer Herkunft, den Gang jeder Entwicklung fördert 5 . Es darf geglaubt werden: „Nemo contra deum nisi deus ipse" (W 29;173/77), oder: „Die vernünftige Welt ist als ein großes unsterbliches Individuum zu betrachten, das unaufhaltsam das Nothwendige bewirkt und dadurch sich sogar über das Zufällige zum Herrn macht." (H 444). Solche Beruhigung war die Frucht später Jahre. Denn die Dichtung, in der Goethe eigentlich metaphysisch-theologisch reflektierte, ließ die Ontodizee oft scheitern. - Nach Maßgabe der unterschiedlichen Rechtfertigungen lassen die drei erwähnten Epochen der goetheschen Denkgeschichte sich einrichten. 1. Die

Leiden

des jungen

Werthers

(1774) und der s o g e n a n n t e Urfaust

(vor 1775)

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entsprachen Goethes Begriff des Tragischen, wonach „das E i g e n t ü m l i c h e unsres Ich's, die prätendirte Freyheit unsres Wollens, mit dem nothwendigen Gang des Ganzen zusammenstösst" (DjG 62;85). Der Zweck des Willens ist es, Welt und Selbst zur Einheit zu vermitteln. Solcher hiesigen Glückseligkeit scheint Werther teilhaftig zu werden, da er in den Erscheinungen einer Mai-Idylle die liebende Zuwendung eines Wesens der Natur empfindet (vgl. T R E 6,571). Doch in der Verweigerung Lottes erfährt er eine Kontingenz der Verhältnisse, an der sein Naturglaube zergeht: er erleidet nun die nihilistische „Krankheit zum Todte" (DjG4;136). Weil aber die Idee der Liebe in natürlicher Leidenschaft überdauert, wendet sich Werther - das Johannes-Evangelium assoziierend 6 - an einen „Gott im Himmel", der das versäumte Glück restituieren soll (169). Sein Freitod soll in paradoxer Nachahmung der Passion den Eros transzendieren (vgl. T R E 10,65f). Was in Werthers Mai-Gefühl offenbar schien, verbirgt sich Faust von vornherein. An der Schöpfung hatte er durch Anschauung ihrer „Würkungskrafft und Saamen", eines naturalisierten logos spermatikos, teilhaben wollen (DjG 5;273). Aber Faust gerät in jene Aporie, die —>Kant damals als die transzendentale einer spekulativen Vernunft auszulegen begann. In der Gretchen-Handlung wird der enorme Anspruch des Dramen-Eingangs moduliert. In einer Liebe soll sich ereignen, was alle „höchsten Worte" versprachen (W 14;152). Doch eine Zwiespältigkeit der Natur war übersehen worden: was als „lieb" empfunden wurde, war nicht zugleich auch „ g u t " (DjG 5;337). Solche Blindheit der Hybris hatte Mephisto altklug-ironisch vorausgewußt: eritis sicut deus (287). Und die theologische Konsequenz des Sündenfalls wird eingehalten, wenn in der Kerker-Szene der Glaube an Gericht, Buße und Gnade in Gretchens Schuldbewußtsein neu begründet wird. Offen bleibt, ob den Dogmen nur historische Gerechtigkeit widerfährt. Aber selbst wenn im Urfaust sich die Aufnahme des Zwei-Reiche-Gedankens als dialektische Notwendigkeit eines katastrophalen Lebens verstünde, so erwies er wie der Roman zuvor die Unmöglichkeit einer Ontodizee. 2. Die Absicht einer weltlichen Aussöhnung wurde nicht aufgegeben. Nach 1775 wurden die Prämissen geändert. In der Frankfurter Zeit hatte Goethe auf die vermittelnde Kraft der Genialität spekuliert. Der Mahomets-Gesang (1772) vertraute auf eine selbsttätige Bewegung des großen Menschen durch die Welt zum Göttlichen, der Prometheus auf ein schöpferisches experimentum medietatis. Im ersten Weimarer Jahrzehnt wurde das Gemüt auf ein Gewärtigen dessen gestimmt, was ist. Eine Ethik der Entsagung anerkennt eine objektiv waltende Notwendigkeit 7 . Wiederholte Spinoza-Studien, insbesondere 1784, überzeugten sogar von der Möglichkeit eines amor fati. In Italien vergewisserte sich Goethe dessen, daß das Historisch-Kontingente für naturgesetzliche Verhältnisse transparent sei, die nicht schon selbst der substantielle Grund seien, aber ihn verbürgen. Wissenschaftliche und ästhetische Studien fördern diese Einsicht. Eine genetische Morphologie wird Universalmethode 8 . Die Wahrheit der Kunst wie der Wissenschaft wird an die Nachahmung natürlicher Entwicklungen gebunden, und die Übereinstimmung von Sein und Denken in der Wahrheit scheinen eine natürliche Herkunft des Geistes überhaupt zu bezeugen. In der Zeit nach Italien hielt Goethe Ausschau nach Theorien, die seinen eigenen Einsichten vereinbar wären. Kants Kritik der Urteilskraft las er gegen den Strich als Rechtfertigung einer Teleologie, die eine Erkenntnis der Entelechie eintrüge. Mit mehr Recht glaubte er 1798 in -»Schelling einen Mitstreiter gefunden zu haben, dessen Indifferenzsystem Sein und Denken analogisierte 9 . Die -»Französische Revolution erschütterte das Gesamt der klassischen Überzeugungen 1 0 . Goethes Metaphysik war betroffen, sofern die idealistische Fraktion in Deutschland das Ereignis als historischen Beweis ihres Apriorismus des Subjekts feierte. Schiller hat in den ersten Jahren des Freundschaftsbundes, der 1794 geschlossen worden war, für eine idealistische Geschichtskonzeption geworben: öffentlich in den gemeinsam besorgten ,Hören' durch die ,Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen (1795). Das Zeitgeschehen und die ihm verbündete Theorie bewegten Goethe, die Progression der Geschichte realistisch vorzustellen. Es geschah im poetischen Medium. Zu Unrecht ver-

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m i ß t e Schiller in den Lehrjahren (1795 ff) eine Beziehung a u f die historisch-philosophische D e b a t t e des J a h r z e h n t s . D e n n die Gesellschaft v o m T u r m - freimaurerischen (—•Freimaurer) Bünden nachgebildet - w a r als g e s c h i c h t s m ä c h t i g e K o n k r e t i o n einer sozialen und politischen Vernunft konzipiert w o r d e n , deren naturwüchsig-empirische Verfassung die vielbeklagte Spaltung von m o r a l i s c h e r T h e o r i e und willkürlicher P r a x i s verm e i d e t . In kleineren D i c h t u n g e n wie dem Märchen (1795) und Hermann und Dorothea ( 1 7 9 8 ) wurde gleichfalls n a c h dem gesucht, w a s die revolutionär gestörte E n t w i c k l u n g wieder einzurichten vermag: sei es L i e b e als Bildungsgesetz alles Weltlichen, sei es auch b l o ß eine ö k o n o m i s c h motivierte B e h a r r u n g des B ü r g e r t u m s . Indessen waltete die Tendenz zu einer N a t u r a l i s i e r u n g der Heilsgeschichte v o r . 1797 wurde die erst 1827 ausgearbeitete Novelle e n t w o r f e n , welche die jüdisch-christliche Religion als den K a n o n aller G e s c h i c h t s w a h r h e i t erinnert und aus ihr die H o f f n u n g auf eine w u n d e r b a r e W a n d l u n g der historischen P r a x i s schöpft. N o c h nach 1 8 0 0 sollte eine D r a m e n t r i l o g i e die R e g e n e r a tion der G e s c h i c h t e antizipieren: Eugenie in der Natürlichen Tochter (1804) versprach als der naturrichtige a n t h r o p o l o g i s c h e Typus einen k ü n f t i g naturrichtigen S t a a t . 3. D a s P r o b l e m a t i s c h e des Entschlusses, trotz allem an eine substantiell gesicherte E v o l u t i o n zu g l a u b e n , decken die Wahlverwandtschaften (1809) auf. D i e scheiternde E h e wird P a r a d i g m a einer tragischen K u l t u r ü b e r h a u p t , sofern die N a t u r k r ä f t e , denen sie sich v e r d a n k t und die zu regulieren sie b e m ü h t ist, u n b e r e c h e n b a r bleiben. D a s c h e m i s c h e M o d e l l , an dem sich die Figuren des R o m a n s orientieren, erzeugt nur den Schein einer W i s s e n s c h a f t v o m L e b e n . D e n n die A n w e n d u n g des darin enthaltenen theoretischen W i s s e n s auf die wirklichen Verhältnisse ist nicht gewährleistet, die im Lichte von W ü n schen v e r k a n n t werden. S o wird die aristotelische H a r m a t i a - n ä m l i c h U n k e n n t n i s einer N o t w e n d i g k e i t - zur F a t a l i t ä t . W i e d e r zeitigt die K a t a s t r o p h e H o f f n u n g a u f eine T r a n s zendenz, w o r i n alle hiesigen W i d e r s p r ü c h e a u f g e h o b e n w ä r e n . In der Figur der O t t i l i e , die subjektiv unschuldig sich verschuldet, verbinden und sublimieren sich G r e t c h e n s O p f e r und W e r t h e r s p a r a d o x e Sehnsucht. N e u ist j e d o c h , d a ß in den F r e s k e n , die in der G r a b k a p e l l e O t t i l i e malen l ä ß t , auf eine K u n s t reflektiert wird, die das Z e i t l i c h e verewigt. Dieses M o t i v einer katholisierenden ästhetischen R e l i g i o n d a r f als eine K o n z e s s i o n an die —»Romantik verstanden werden: D e r e n K u n s t vertraute a u f eine übersinnliche T r a n s p a renz der irdischen Bilder. Schien G o e t h e a u c h solche m e t a p h y s i s c h e Positivität bedenklich, so w a r d o c h der metaphysische Sinn der K u n s t neu zu b e d e n k e n . In den Wahlverwandtschaften war der klassische Glaube an eine metaphysische Gewißheit in Wissenschaft und Kunst aufgegeben worden. Denn „die Menschen sind durch die unendlichen Bedingungen des Erscheinens dergestalt obruiert, daß sie das Eine Urbedingende nicht gewahren können" (H 716). So schränkte Goethe Empirie auf das faßlich Besondere ein und reservierte der Kunst die Möglichkeit, an das Geheime hinter dem Offenbaren zu verweisen. Dafür erfand er sich eine eigene symbolische (—»Symbol) Sprache 11 . Ihre Regel: „Die Symbolik verwandelt die Erscheinung in Idee, die Idee in ein Bild, und so, daß die Idee im Bild immer unendlich wirksam und unerreichbar bleibt und, selbst in allen Sprachen ausgesprochen, doch unaussprechlich bliebe" (H 1113), besagt eigentlich, daß die Phänomene in der Erfahrung einer Reflexion metaphysisch bedeutsam werden und daß wohl diese Bedeutsamkeit, aber nie das bedeutete Unendliche selbst in Bildern verwahrt werden kann. Diese ästhetisch-theologische Semantik, die auf einer Reflexionstheorie gründet, stimmt weitgehend mit den Symbolbegriffen Kants (Kritik der Urteilskraft § 59) und Schillers (Kallias-Briefe) überein. Sie ist wohl auch ein Reflex eines katholischen Sakramentalkultus, dessen Apologie Goethe in Wahrheit und Dichtung schrieb (W 27,118ff), wenngleich es der Dichter selbst aus protestantischer Tradition doch eher mit dem poetischen Wort hielt. S y m b o l i k wird das M e d i u m von G o e t h e s n a c h - k l a s s i s c h e r M e t a p h y s i k . M e i n t e er in Italien n o c h , das E w i g e auf „ c l a s s i s c h e m B o d e n " b e r ü h r t zu h a b e n ( W 3 2 ; 1 7 6 ) , so führte die Hegire, als welche sich der West-östliche Divan ( 1 8 1 9 ) insgesamt versteht, in die p o e t i s c h e n W o r t e des M o r g e n l a n d e s , „die d u r c h d r u n g e n sind v o m W o r t e / G o t t e s reinl e b e n d ' g e r W e i s e " ( W 6 ; 2 6 6 ) . D e r F r a g e nach i h r e r G l a u b w ü r d i g k e i t k o m m t die G e s c h i c h t e der heiligen D i c h t u n g als eines K a n o n s m e t a p h y s i s c h e n R e d e n s ü b e r h a u p t zuvor. W a s in W a h r u n g des Sinnes der T r a d i t i o n gesagt wird, ist „kein b l o ß e r S c h e i n " ( W

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4 ; 1 1 4 ) . Die urphänomenalen Bilder, in denen das Alterswerk N a t u r , Geschichte, Gesellschaft und die eigene Person zur Erscheinung bringt, sind zugleich Symbole und Concetti von Überlieferungen. Insofern w a r der Dichter der einverständige Hermeneut aller Kulturen, nannte das in diesem H o r i z o n t Glaubhafte oft läßlich das ,Wahre'. An eine Entwicklung zu absolutem Wissen glaubte er nicht. Diese Entsagung ist das esoterische Thema der Religionsgeschichte in den 'Wanderjahren. Sie hebt an mit einer naiven Imitation heiliger Vorbilder in der Sankt-Josephs-Erzählung, die eine mittelalterliche Volksfrömmigkeit charakterisiert, führt über die Universaltheologie der aufgeklärten Pädagogischen Provinz zur Mystik Makariens, der eine spirituelle Sphäre des Kosmos offen zu stehen scheint. In Makariens Unmittelbarkeit zum Geist-Wesen erfüllte sich der Dichter nicht die alte Frankfurter Vermittlungssehnsucht. Eher ordnete er das Eigene nun einer „ätherischen Dichtung" der Romantik zu, die in mystischer Tradition den „geheimnißvollen Weg" (-»Novalis) ins Unendliche hat gehen wollen. Nüchternem Verstand kommt solche Intimität mit der Transzendenz als „Mährchen" (W 25;273), wo nicht als „Krankheit" vor (282), wie ja schon die schöne Seele und ihr Pietismus im 6. Buch der Lehrjahre, dann wieder der humoristische Heilige Philipp Neri in der Italiänischen Reise (3. Band, 1829) aus einer Lebensschwäche erklärt wurden. Doch die irdisch Forschenden sind der Wahrheit nicht näher: Sie bleibt verborgen wie der Inhalt des Kästchens, das als symbolisches Motiv für eine unabsehbar vertagte Eschatologie oder Apokalypse der Roman-Geschichte verflochten ist. Wie der Glaube den Verlust der Offenbarungsgewißheit zu überdauern vermag, ist durchgängiges T h e m a in beiden Teilen des Faust. Dabei wird der durchweg modernagnostische Held die Figur in einem Spiel überlegener theologischer Ironie. An ihm wird erwiesen, daß G n a d e nichts voraussetzt als ein Bewußtsein der Zeitlichkeit. D a ß Faust nicht bleibt, was er ist ( W 1 4 ; 8 6 ) , d a r a u f wetteten G o t t und er selbst. Beide Wetten meinen nicht eine teleologische Entschlossenheit, sondern die Unrast dessen, der nichts in der Welt affirmieren mag: „ W a s bin ich denn, wenn es nicht möglich ist,/Der Menschheit K r o n e zu e r r i n g e n . . . ? " (86). Die christologische Anspielung markiert das Scheitern des Versuchs, durch sich selbst ewig zu sein. Deshalb überantwortet sich Faust einem bloß zeitlichen Sein. E r verweigert den Blick nach Drüben und verflucht die Kardinaltugenden, weil die gläubige Antizipation von E w i g e m quietistisch mit der Zeitlichkeit versöhnt (s. T R E 1 1 , 7 6 6 , 3 ) . D o c h noch durch seinen F u r o r im Endlichen qualifiziert er sich - negativd i a l e k t i s c h - als potentiell unendliches Wesen und reicht so an die absolute Unendlichkeit heran. So w a r - unangesehen jeder denkbaren Schuld - für seine Erlösung gesorgt. In Italien hatte Goethe den Wald- und Höhle-Monolog geschrieben. Im Widerspruch zur Prämisse eines unglücklichen Bewußtseins sollte Faust sich als König der Natur verstehen dürfen. So wäre er imstande gewesen, Helena wiederzubringen, die im zweiten Teil der Tragödie Sinnbild einer antikischen Aussöhnung mit dem natürlichen Sein wird. Faust gelingt ihre Evokation: zuerst unter der Bedingung des früheren Substanzglaubens seines Dichters, der im Mütter-Mythologem verrätselt wurde, dann in einer Wiederholung der Entwicklungsgeschichte des Griechischen überhaupt, welche komisch und feierlich die klassische Walpurgisnacht inszeniert. Doch um eine bloß poetische Repräsentation der mythischen Schönheit ist es Faust so wenig wie vormals dem klassischen Goethe zu tun. Helena sollte wirklich „da" sein, „und wärs ein Augenblick" (W 15 1 ;216). Die Einbürgerung des ,Idols' (192), das Helena bereits im eigentlich tragischen Zeitalter der Griechen war, mißlingt vor allem deshalb, weil das vergegenwärtigende Bewußtsein die eigene Temporalität auch in diesem Moment des Erscheinens übernimmt und den Schein der Dauer augenblicklich zerstört. Die unauflösliche Paradoxie jeder Renaissance kannte Goethe, seit er in die Winckelmannstudie (1805) den oft mißverstandenen Satz schrieb: „Denn wozu dient alle der Aufwand" eines schönen Universums, „wenn sich nicht zuletzt ein glücklicher Mensch unbewußt seines Daseins erfreut?" (W 46;22). Wegen der Unvereinbarkeit von Bewußtsein und Naturglück ist Helena nicht anders denn als „klassisch-romantische Phantasmagorie" zu haben. Die Desillusion wird zur Krisis. Aus dem Traum einer schöneren ewigen Vergangenheit entlassen, entspricht Faust wieder der Geschichtlichkeit: er projektiert - nun beispielhaft modern - Zukunft als Werk der Zivilisation. Doch das große Unternehmen scheitert letztlich daran, daß Kraft und Zeit nicht ausreichen. Die Prätention der -»Freiheit, die Goethe 1771 meinte, erweist sich nun als die der Weltgeschichte. Von deren Ende her, das der Tod des hundertjährigen Faust symbolisiert, stellt sich die Frage nach ihrem Sinn. Mephistos nihilistische Konsequenz: „ E s ist so gut als w a r ' es nicht g e w e s e n " (317)

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wird zugelassen. D o c h ihr setzt das Erlösungsgeschehen eine Apotheose der Zeitlichkeit entgegen. Eine als bloß zeitliche auch defiziente Existenz stand je und je in E r w a r t u n g 1 2 ihrer Wiederherstellung. W a s sie durch sich selbst nicht zu leisten vermochte, erhoffte sie schon im Hiesigen als Glück einer gewährten Liebe. So ist es z w a r nicht für Faust, der u n f r o m m stirbt, aber für den Dichter angesichts des Transitorischen aller I m m a n e n z vorzustellen möglich, daß das E s c h a t o n der zeitlichen Liebe die absolute präfiguriert. M a n darf die Bilder von Fausts Himmelfahrt als eine notwendige Mythologie des zeitlichen Bewußtseins anschauen. F ü r ,bloßen Schein' wollen sie dennoch nicht gehalten werden. Denn wenn Geist und Welt einen Grund haben, sind sie aus ihm entlassen und werden wieder zurückgeholt (vgl. T R E 1 2 , 2 4 3 ) . Diese T h e o l o g i e von Kenosis und A p o k a tastasis in der letzten Faust-Szene und im ganzen zweiteiligen D r a m a spielt auf alle Religionen und alle Theodizeen — von H i o b über Spinoza bis Hegel - an, weil nur der Geist der Geschichte ihre Glaubwürdigkeit begründet: er aber, geschichtlich wie alles Seiende, ist das „ G l e i c h n i ß " des Unbeschreiblichen (337): ein Symbol. Anmerkungen 1

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Göttingen

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Wirkung: Franz Gotting, Art. Goethe: RGG 3 2 (1958) 1668-1675. - Karl Robert Mandelkow, Goethe in Deutschland. I (1773-1918), München 1980. Abhandlungen: Gerhard Baumann, Goethe. Dauer im Wechsel, München 1977. - Martin Bollacher, Der junge Goethe u. Spinoza, Tübingen 1969. - Rüdiger Bubner, Goethe u. Hegel, Heidelberg 1978. - Peter Eichhorn, Idee u. Erfahrung im Spätwerk Goethes, Freiburg 1971. - Erich Franz, Goethe als rel. Denker, Tübingen 1932. - Richard H. Grützmacher, Die Religionen in der Anschauung Goethes, Baden-Baden 1950. - Heinz Hamm, Der Theoretiker Goethe, Berlin (DDR) 1975, Kronberg 1976. - Robert d'Harcourt, La Religion de Goethe, Straßburg 1949. - Arthur Henkel, Goethe-Erfahrungen, Stuttgart 1982. - Andrew O. Jaszi, Entzweiung u. Vereinigung. Goethes symbolische Weltanschauung, Heidelberg 1972. - Harry Loewen, Goethes Response to Protestantism, Bern 1972. - Peter Meinhold, Goethe zur Gesch. des Christentums, Freiburg 1958. - Gerhard Möbus, Die Christus-Frage in Goethes Leben u. Werk, Osnabrück 1964. - Goethe u. die Tradition, hg. v. Hans Reiss, Frankfurt 1972. - Hermann Schmitz, Goethes Altersdenken im problemgesch. Zusammenhang, Bonn 1959. - Hans-Joachim Schrimpf, Das Weltbild des späten Goethe, Stuttgart 1956. Werner Schultz, Die Korrektur des Weltbildes der Theodicee bei Leibniz durch Kant u. Goethe: NZSTh 9 (1967) 1 7 3 - 2 0 0 . - Ders., Theol. u. Wirklichkeit, Kiel 1969. - Eduard Spranger, Goethe. Seine geistige Welt, Tübingen 1967. - Helmut Thielicke, Goethe u. das Christentum, München 1982. -Ferdinand Weinhandl, Die Metaphysik Goethes, Berlin 1932. - Elizabeth M. Wilkinson/Leonard A. Willoughby, Goethe, poet and thinker, London 1962, deutsch Frankfurt 1974. - Rolf Christian Zimmermann, Das Weltbild des jungen Goethe. Stud. zur hermetischen Tradition, München, 1 1969, II 1979. Peter Pfaff Göttingen,

Universität

1. Universität

2. Theologische Fakultät

(Literatur S. 562)

1. Universität D i e Georgia Augusta entstand aus dem Willen ihres N a m e n s p a t r o n s , des h a n n o v e r schen Kurfürsten (und englischen Königs) G e o r g II. August, das G e w i c h t seines deutschen Hauses und L a n d e s durch eine eigene Universität zu erhöhen ( - • H a n n o v e r ) . Die formelle Voraussetzung für die G r ü n d u n g stellte 1 7 3 3 ein kaiserliches Privileg her, der L e h r b e t r i e b b e g a n n 1 7 3 4 , das königliche Privileg und die G e n e r a l - S t a t u t e n datieren von 1 7 3 6 , die Statuten der vier F a k u l t ä t e n von 1 7 3 7 . Leitender Geist bei der G r ü n d u n g und in den J a h r z e h n t e n bis zu seinem T o d e (1770) w a r der h a n n o v e r s c h e M i n i s t e r G e r l a c h A d o l p h Freiherr von M ü n c h h a u s e n , der als erster K u r a t o r die G e s c h i c k e der Universität bis in die Einzelheiten hinein b e s t i m m t e . A u c h unter seinen nächsten N a c h f o l g e r n blieb die staatliche D o m i n a n z , die zwar die ständige B e r a t u n g durch einzelne G ö t t i n g e r Professoren und deren gelegentlich geradezu regentenhafte Stellung innerhalb der Universität nicht a u s s c h l o ß , a b e r sogar das Vorschlagsrecht der F a k u l t ä t e n bei der Besetzung von Lehrstühlen alsbald in Vergessenheit geraten ließ. D i e G ö t t i n g e r G r ü n d u n g steht nicht nur zeitlich, sondern auch sachlich zwischen den G r ü n d u n g e n von -»-Halle (1694) und - > B e r l i n ( 1 8 1 0 ) ; nicht u m s o n s t h a t t e M ü n c h h a u s e n in H a l l e und hat später der geistige Vater der Berliner Universität, W i l h e l m v. - » H u m boldt, in G ö t t i n g e n studiert. W a s den staatlichen Einfluß, die a k a d e m i s c h e n E i n r i c h t u n gen und die Arbeitsweise anging, orientierte sich M ü n c h h a u s e n in vieler H i n s i c h t am Vorbild Halles. A b e r im Unterschied zu den dortigen H o c h b u r g e n des Pietismus und der A u f k l ä r u n g s p h i l o s o p h i e vermied m a n in G ö t t i n g e n bei aller B e s t i m m t h e i t durch die Aufklärung im allgemeinen d o c h von A n f a n g an das V o r h e r r s c h e n allzu p r o n o n c i e r t e r R i c h tungen und suchte stattdessen Vielseitigkeit und N ü c h t e r n h e i t . D a s ist, vielleicht in E n t sprechung zur Unauffälligkeit des O r t e s und der L a n d s c h a f t , die wichtigste K o n s t a n t e im a k a d e m i s c h e n C h a r a k t e r G ö t t i n g e n s geblieben. Spekulative Philosophie hat hier nicht geblüht, stattdessen J u r i s p r u d e n z , G e s c h i c h t e , Philologie, M a t h e m a t i k , N a t u r w i s s e n schaften, meist mit p r a k t i s c h e r A n s c h a u u n g und A u s w i r k u n g . Es w a r weder ganz zufällig n o c h ganz folgenlos, d a ß mit A u s n a h m e H u m b o l d t s keiner der deutschen Klassiker in G ö t t i n g e n studiert oder als Professor g e w i r k t h a t ; n a c h e i n a n d e r zerschlugen sich bei

Göttingen

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Wirkung: Franz Gotting, Art. Goethe: RGG 3 2 (1958) 1668-1675. - Karl Robert Mandelkow, Goethe in Deutschland. I (1773-1918), München 1980. Abhandlungen: Gerhard Baumann, Goethe. Dauer im Wechsel, München 1977. - Martin Bollacher, Der junge Goethe u. Spinoza, Tübingen 1969. - Rüdiger Bubner, Goethe u. Hegel, Heidelberg 1978. - Peter Eichhorn, Idee u. Erfahrung im Spätwerk Goethes, Freiburg 1971. - Erich Franz, Goethe als rel. Denker, Tübingen 1932. - Richard H. Grützmacher, Die Religionen in der Anschauung Goethes, Baden-Baden 1950. - Heinz Hamm, Der Theoretiker Goethe, Berlin (DDR) 1975, Kronberg 1976. - Robert d'Harcourt, La Religion de Goethe, Straßburg 1949. - Arthur Henkel, Goethe-Erfahrungen, Stuttgart 1982. - Andrew O. Jaszi, Entzweiung u. Vereinigung. Goethes symbolische Weltanschauung, Heidelberg 1972. - Harry Loewen, Goethes Response to Protestantism, Bern 1972. - Peter Meinhold, Goethe zur Gesch. des Christentums, Freiburg 1958. - Gerhard Möbus, Die Christus-Frage in Goethes Leben u. Werk, Osnabrück 1964. - Goethe u. die Tradition, hg. v. Hans Reiss, Frankfurt 1972. - Hermann Schmitz, Goethes Altersdenken im problemgesch. Zusammenhang, Bonn 1959. - Hans-Joachim Schrimpf, Das Weltbild des späten Goethe, Stuttgart 1956. Werner Schultz, Die Korrektur des Weltbildes der Theodicee bei Leibniz durch Kant u. Goethe: NZSTh 9 (1967) 1 7 3 - 2 0 0 . - Ders., Theol. u. Wirklichkeit, Kiel 1969. - Eduard Spranger, Goethe. Seine geistige Welt, Tübingen 1967. - Helmut Thielicke, Goethe u. das Christentum, München 1982. -Ferdinand Weinhandl, Die Metaphysik Goethes, Berlin 1932. - Elizabeth M. Wilkinson/Leonard A. Willoughby, Goethe, poet and thinker, London 1962, deutsch Frankfurt 1974. - Rolf Christian Zimmermann, Das Weltbild des jungen Goethe. Stud. zur hermetischen Tradition, München, 1 1969, II 1979. Peter Pfaff Göttingen,

Universität

1. Universität

2. Theologische Fakultät

(Literatur S. 562)

1. Universität D i e Georgia Augusta entstand aus dem Willen ihres N a m e n s p a t r o n s , des h a n n o v e r schen Kurfürsten (und englischen Königs) G e o r g II. August, das G e w i c h t seines deutschen Hauses und L a n d e s durch eine eigene Universität zu erhöhen ( - • H a n n o v e r ) . Die formelle Voraussetzung für die G r ü n d u n g stellte 1 7 3 3 ein kaiserliches Privileg her, der L e h r b e t r i e b b e g a n n 1 7 3 4 , das königliche Privileg und die G e n e r a l - S t a t u t e n datieren von 1 7 3 6 , die Statuten der vier F a k u l t ä t e n von 1 7 3 7 . Leitender Geist bei der G r ü n d u n g und in den J a h r z e h n t e n bis zu seinem T o d e (1770) w a r der h a n n o v e r s c h e M i n i s t e r G e r l a c h A d o l p h Freiherr von M ü n c h h a u s e n , der als erster K u r a t o r die G e s c h i c k e der Universität bis in die Einzelheiten hinein b e s t i m m t e . A u c h unter seinen nächsten N a c h f o l g e r n blieb die staatliche D o m i n a n z , die zwar die ständige B e r a t u n g durch einzelne G ö t t i n g e r Professoren und deren gelegentlich geradezu regentenhafte Stellung innerhalb der Universität nicht a u s s c h l o ß , a b e r sogar das Vorschlagsrecht der F a k u l t ä t e n bei der Besetzung von Lehrstühlen alsbald in Vergessenheit geraten ließ. D i e G ö t t i n g e r G r ü n d u n g steht nicht nur zeitlich, sondern auch sachlich zwischen den G r ü n d u n g e n von -»-Halle (1694) und - > B e r l i n ( 1 8 1 0 ) ; nicht u m s o n s t h a t t e M ü n c h h a u s e n in H a l l e und hat später der geistige Vater der Berliner Universität, W i l h e l m v. - » H u m boldt, in G ö t t i n g e n studiert. W a s den staatlichen Einfluß, die a k a d e m i s c h e n E i n r i c h t u n gen und die Arbeitsweise anging, orientierte sich M ü n c h h a u s e n in vieler H i n s i c h t am Vorbild Halles. A b e r im Unterschied zu den dortigen H o c h b u r g e n des Pietismus und der A u f k l ä r u n g s p h i l o s o p h i e vermied m a n in G ö t t i n g e n bei aller B e s t i m m t h e i t durch die Aufklärung im allgemeinen d o c h von A n f a n g an das V o r h e r r s c h e n allzu p r o n o n c i e r t e r R i c h tungen und suchte stattdessen Vielseitigkeit und N ü c h t e r n h e i t . D a s ist, vielleicht in E n t sprechung zur Unauffälligkeit des O r t e s und der L a n d s c h a f t , die wichtigste K o n s t a n t e im a k a d e m i s c h e n C h a r a k t e r G ö t t i n g e n s geblieben. Spekulative Philosophie hat hier nicht geblüht, stattdessen J u r i s p r u d e n z , G e s c h i c h t e , Philologie, M a t h e m a t i k , N a t u r w i s s e n schaften, meist mit p r a k t i s c h e r A n s c h a u u n g und A u s w i r k u n g . Es w a r weder ganz zufällig n o c h ganz folgenlos, d a ß mit A u s n a h m e H u m b o l d t s keiner der deutschen Klassiker in G ö t t i n g e n studiert oder als Professor g e w i r k t h a t ; n a c h e i n a n d e r zerschlugen sich bei

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-•Lessing, —»Goethe und zweimal bei - » H e r d e r diesbezügliche Pläne. Der 1772 in Verehrung - » K l o p s t o c k s gegründete Hainbund, in dessen Umkreis auch der mehrjährige Extraordinarius für deutsche Philologie Gottfried August Bürger gehörte, hat auf den Charakter der Universität keinen nachhaltigen Einfluß genommen. Die Gefahren von Verknöcherung, Langeweile und Professorendünkel lagen in Göttingen immer nahe und sind in der Harzreise des ehemaligen Göttinger Jurastudenten Heinrich Heine Weltliteratur geworden. Später bürgerte sich der neutrale Ausdruck „Arbeitsuniversität" ein. Immerhin: das freie, sachbezogene Miteinander von Forschung und Lehre war hier weithin eine selbstverständliche Übung gewesen, bevor es in einer neuen politischen und geistesgeschichtlichen Situation auf dem Hintergrund der idealistischen Philosophie in Berlin programmatischen Charakter annahm und Schritt für Schritt mit erheblich größeren Mitteln verwirklicht wurde; damit wurde Göttingen in seiner während der 2. Hälfte des 18. J h . unbestrittenen R o l l e als die führende deutsche Universität abgelöst. Für diese Rolle waren einige bis heute bestehende Einrichtungen ausschlaggebend, die Münchhausen von Anfang an durch die hervorragendsten Gelehrten verwalten ließ: die Universitätsbibliothek, von dem klassischen Philologen J o h a n n Matthias Gesner (in Göttingen 1 7 3 4 - 1 7 6 1 ) , der außerdem durch die Gründung des Philologischen Seminars der Lehrerausbildung entscheidende Anstöße gab, und seinen Nachfolgern weniger als eine schöne Sammlung denn als ein für die damalige Zeit einzigartiges Arbeitsinstrument aufgebaut, dazu, von dem universalen Albrecht v. Haller ( 1 7 3 6 - 1 7 5 3 ) geprägt, die Gesellschaft (seit 1940: Akademie) der Wissenschaften (1751 gegründet) und ebenfalls unter Hallers Leitung die Göttingischen Gelehrten Anzeigen. Als dritter großer N a m e gehört in die Anfangsjahre der des Theologen J . L . v. - » M o s h e i m , der 1 7 4 7 - 1 7 5 5 das mit seinem Tode erloschene Amt eines Kanzlers der Universität verwaltete. In den folgenden Jahrzehnten w a r zunächst der Orientalist J . D . -»Michaelis ( 1 7 4 5 - 1 7 9 1 ) der gefeiertste M a n n , doch ging der maßgebende Einfluß in den genannten Einrichtungen und der Universität überhaupt bald und dauerhaft bis zur Zeit der französischen Besatzung auf Gesners Nachfolger Christian Gottlob Heyne ( 1 7 6 3 - 1 8 1 2 ) über. Die größte Wirkung nach außen übten auf dem Wege über den studierenden Adel und durch weitverbreitete Publikationen (darunter die Staatsanzeigen und das Historische Magazin) die Vertreter der juristischen, statistischen, historischen Fächer Johann Stephan Pütter ( 1 7 4 7 - 1 8 0 7 ) , Gottfried Achenwall ( 1 7 5 3 - 1 7 7 2 ) , J o h . Christoph Gatterer ( 1 7 5 9 - 1 7 9 9 ) , August Ludwig von Schlözer ( 1 7 6 9 - 1 8 0 9 ) , Ludwig Timotheus Spittler ( 1 7 7 9 - 1 7 9 7 ) . Der geistreichste Göttinger jener Zeit war der Physiker Georg Christoph Lichtenberg ( 1 7 7 0 - 1 7 9 9 ) , neben dem als weitere Naturwissenschaftler der A s t r o n o m Tobias M a y e r ( 1 7 5 1 - 1 7 6 2 ) , der Mathematiker A b r a h a m Gotthelf Kaestner ( 1 7 5 6 - 1 8 0 0 ) und der Mediziner J o h . Friedrich Blumenbach ( 1 7 7 6 - 1 8 4 0 ) , Goethes Göttinger Gewährsmann, genannt seien.

Im 19. J h . trat die Göttinger Universität durch den Protest der Göttinger Sieben (des Juristen Wilhelm Albrecht, des Historikers Friedrich Christoph Dahlmann, des Orientalisten Heinrich - » E w a l d , des Literarhistorikers Georg Gottfried Gervinus, der Germanisten J a c o b und Wilhelm G r i m m , des Physikers Wilhelm Weber) gegen den Verfassungsbruch des hannoverschen Königs 1837 ins Licht der deutschen Öffentlichkeit. Trotz des empfindlichen Aderlasses durch die Entlassung der Sieben (nur Ewald und Weber kehrten später zurück) blieben Elemente der Kontinuität, so durch das Wirken des größten G ö t tingers jener Zeit, des M a t h e m a t i k e r s Carl Friedrich G a u ß ( 1 8 0 7 - 1 8 5 5 ) , oder des Chemikers Friedrich Wöhler ( 1 8 3 6 - 1 8 8 2 ) . Unter den damaligen Geisteswissenschaftlern ragen hervor die Juristen Gustav H u g o ( 1 7 8 8 - 1 8 4 4 ) und Karl Friedrich Eichhorn ( 1 8 1 6 - 1 8 2 9 ) , der Archäologe Otfried Müller ( 1 8 1 9 - 1 8 4 0 ) , der Historiker Georg Waitz ( 1 8 4 7 - 1 8 7 5 ) und die Philosophen J o h . Friedrich Herbart ( 1 8 3 3 - 1 8 4 1 ) und Hermann Lotze (1844-1881). Eine neue, weit ins 20. J h . hineinreichende Blüte brachte die preußische Hochschulpolitik nach 1866. In den Geisteswissenschaften lehrten der T h e o l o g e A. - » R i t s c h l ( 1 8 6 4 - 1 8 8 9 ) , der Jurist R u d o l f v. Jhering ( 1 8 7 2 - 1 8 9 2 ) , die Orientalisten P. de -»Lagarde ( 1 8 6 9 - 1 8 9 1 ) und J . -»Wellhausen ( 1 8 9 2 - 1 9 1 8 ) , die klassischen Philologen J a c o b Wakkernagel ( 1 9 0 2 - 1 9 1 5 ) und Eduard Schwartz ( 1 9 0 2 - 1 9 0 9 ) , der Philosoph E. -»Husserl ( 1 9 0 1 - 1 9 1 6 ) . Durch Felix Klein ( 1 8 8 6 - 1 9 2 5 ) , der auch als Organisator und über die Universität und Göttingen hinaus wirkte, und David Hilbert ( 1 8 9 5 - 1 9 4 3 ) galt Göttingen

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Göttingen

als der „ m a t h e m a t i s c h e N a b e l der W e l t " . In der C h e m i e arbeiteten O t t o Wallach ( 1 8 7 6 - 1 9 1 5 ) und A d o l f W i n d a u s ( 1 9 1 6 - 1 9 5 9 ) , in der Physikalischen C h e m i e Walter N e m s t ( 1 8 9 4 - 1 9 0 4 ) und G u s t a v T a m m a n n ( 1 9 0 8 - 1 9 3 8 ) , in der S t r ö m u n g s f o r s c h u n g L u d w i g Prandtl ( 1 9 0 4 - 1 9 5 3 ) . N a c h dem ersten Weltkrieg bildete sich in G ö t t i n g e n unter F ü h r u n g von M a x B o r n und J a m e s F r a n c k (beide 1 9 2 2 - 1 9 3 3 ) das i n t e r n a t i o n a l besuchte Z e n t r u m der jungen A t o m p h y s i k . D a s D r i t t e R e i c h vertrieb beide F o r s c h e r und beeinträchtigte die Arbeit der Universität auch im übrigen s c h w e r . D e n N e u a n f a n g 1 9 4 5 begünstigten die Unzerstörtheit der Stadt und das einzigartige A n g e b o t an Professoren aus d e m östlichen D e u t s c h l a n d und später aus der E m i g r a t i o n ; so k a m e n etwa die P h i l o s o p h e n N i c o l a i H a r t m a n n und H e l m u t h Plessner n a c h G ö t t i n g e n . H i e r wurde a u c h , unter Leitung von M a x P l a n c k und dann O t t o H a h n , die KaiserWilhelm-Gesellschaft als Max-Planck-Gesellschaft wieder aufgebaut. G ö t t i n g e n w a r b z w . ist Sitz m e h r e r e r naturwissenschaftlicher Max-Planck-Institute ( D i r e k t o r e n Werner H e i s e n b e r g , M a x v. L a u e , K . F . B o n h o e f f e r , M a n f r e d Eigen u . a . ) und des Max-PlanckInstituts für Geschichte (erster D i r e k t o r H e r m a n n H e i m p e l ) . 1 9 5 5 erzwangen R e k t o r und D e k a n e durch ihren R ü c k t r i t t das Ausscheiden eines p o l i t i s c h - m o r a l i s c h unqualifizierten Kultusministers („Affäre S c h l ü t e r " ) , 1 9 5 7 protestierten auf Initiative C a r l Friedrich v. Weizsäckers 18 A t o m w i s s e n s c h a f t l e r in der Göttinger Erklärung gegen die a t o m a r e Ausrüstung der B u n d e s w e h r . D i e gerade in G ö t t i n g e n lebhaften B e m ü h u n g e n u m eine vernünftige H o c h s c h u l r e f o r m wurden von den Ereignissen und M a ß n a h m e n der J a h r e nach 1 9 6 7 überrollt. D u r c h N e u b a u t e n in allen Bereichen ist a u c h das ä u ß e r e Bild der Universität in den beiden letzten J a h r z e h n t e n völlig verwandelt w o r d e n . Studentenzahl im SS 1982: 2 6 1 1 0 (im SS 1972: 1 2 8 5 2 ) .

2. Theologische

Fakultät

Z u r M o d e r n i t ä t der Georgia Augusta in ihrer Gründungszeit g e h ö r t e , d a ß die Theologische Fakultät z w a r wie üblich in der R e i h e der F a k u l t ä t e n die erste w a r , a b e r die ü b e r k o m m e n e sachliche Vorrangstellung v o n vornherein nicht erhielt. Insbesondere stand ihr keinerlei Z e n s u r r e c h t über die M e i n u n g e n in den anderen F a k u l t ä t e n zu. S o hat sie denn in der T a t den Geist der Universität im ganzen nie b e s t i m m t . E s hat a b e r auch nie eine „ G ö t t i n g e r T h e o l o g i e " in d e m S i n n e gegeben, wie m a n zuzeiten e t w a von einer E r l a n g e r oder einer M a r b u r g e r T h e o l o g i e sprechen k o n n t e . Bezeichnenderweise h a b e n die beiden bedeutendsten M i t g l i e d e r , die sie je h a t t e , J u l i u s - > W e l l h a u s e n und Karl - » B a r t h , ihr nicht als O r d i n a r i e n a n g e h ö r t . Unter Hinweis auf die ->Helmstedter Fakultätspolitik des Weifenhauses sah Münchhausen vor, „daß die Theologische Facultät weder mit solchen Männern zu besetzen, deren Lehren zum Atheismo und Naturalismo leiten oder auch die Artículos fundamentales religionis evangelicae anfechten und den Enthusiasmum einführen, noch daß in Göttingen solche Theologi zu beruffen, welche ein evangelisches Pabsthum behaupten, ihre gantzes Systema andern aufdrängen, diejenigen so in gewißen das Fundamentum fidei nicht concernirendem quaestionibus mit ihnen kein gleiches Sentiment führen, verketzern, und die Libertatem conscientiae samt der Tolerantz als unleidentlich ansehen, woraus nichts als unnöthiger Streit und innerliche Unruhe zu entstehen pflegt" (Rößler 33 f). Die Fakultätsstatuten von 1737 schreiben concordia cum Collegis sine omni invidia et altercatione vor; maßvolle Kritik an der Meinung von Kollegen, bei der gemeinsamen Bekenntnisgrundlage ja nur in Nebendingen möglich, soll ohne Namensnennung erfolgen; die Professoren als einzelne werden vor dem Pruritus novatunendi gewarnt (§ 15.23, bei Ebel, Privilegien 91.95). Es war nicht nur Schwäche, wenn die Fakultät über weite Strecken den damit bezeichneten Weg gegangen ist. D e r G l a n z p u n k t im ersten H a l b j a h r h u n d e r t w a r die W i r k s a m k e i t - » M o s h e i m s , deren Kürze nicht über die Bedeutung des M a n n e s für die F a k u l t ä t h i n w e g t ä u s c h e n darf; er h a t t e ihre S t a t u t e n e n t w o r f e n , und sein f r u c h t b a r e r p r a g m a t i s c h - h i s t o r i s c h e r U m g a n g mit den G e g e n s t ä n d e n zeichnete der G ö t t i n g e r T h e o l o g i e in K o r r e s p o n d e n z zum C h a r a k ter der G e s a m t u n i v e r s i t ä t einen G r u n d z u g ihrer künftigen Arbeit vor. A n G e l e h r s a m k e i t , wenn auch nicht an S o u v e r ä n i t ä t k a m ihm Christian W i l h e l m F r a n z W a l c h gleich (in G ö t t i n g e n 1 7 5 4 - 1 7 8 4 ) . Bei der Z w a n g s e m e r i t i e r u n g v o n C h r i s t o p h August H e u m a n n

Göttingen

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wegen seines Eintretens gegen die lutherische und für die reformierte Abendmahlslehre (1758) und bei der erstmaligen Affäre um die Berufung Herders (1775/76) zeigten sich in der Fakultät Enge und Ängstlichkeit. Latente Grenzstreitigkeiten mit der Philosophischen Fakultät, die vor allem die Lehre in den biblischen Fächern und der Kirchengeschichte betrafen, wurden durch die Einrichtung des Repetentenkollegiums (1765), das neben der Aufgabe an den Studenten dem wissenschaftlichen Nachwuchs von vornherein den Weg in der eigenen Fakultät ermöglichen sollte, nicht dauerhaft beseitigt. Die alttestamentliche Exegese hatte durch J . D. —» Michaelis, der gegen den Widerstand der T h e o logen auch über Dogmatik las, ihren Platz im Z u s a m m e n h a n g mit der Orientalistik in der Philosophischen Fakultät und behielt ihn dort unter seinen Nachfolgern J o h . Gottfried -»•Eichhorn ( 1 7 8 8 - 1 8 2 7 ) und Heinrich - » E w a l d ( 1 8 3 1 - 1 8 3 7 . 1 8 4 8 - 1 8 7 5 ) und darüber hinaus bis 1914. Nachdem jahrzehntelang Walchs Nachfolger, der Kirchenhistoriker Gottlieb J a k o b Planck ( 1 7 8 4 - 1 8 3 3 ) , mit dem Standpunkt eines „rationellen Supranaturalismus", im Verein mit seinem schwäbischen Landsmann Karl Friedrich Stäudlin ( 1 7 9 0 - 1 8 2 6 ) Geist und Arbeit der Fakultät bestimmt hatte, übernahm mit - » Schleiermachers Freund Friedrich Lücke als Stäudlins Nachfolger ( 1 8 2 7 - 1 8 5 5 ) eine dem 19. J h . gemäßere Form von -»Vermittlungstheologie die Führung. Ihm gesellte sich als Plancks Nachfolger J o h . Karl Ludwig Gieseler zu ( 1 8 3 1 - 1 8 5 4 ) , es folgten der Systematiker Isaak August - » Dorner ( 1 8 5 3 - 1 8 6 2 ) und die Praktischen Theologen Friedrich August Ehrenfeuchter ( 1 8 4 9 - 1 8 7 8 ) und Ludwig Friedrich Schoeberlein ( 1 8 5 5 - 1 8 8 1 ) . In dieser Zeit läßt sich, schon vor dem Eintritt Ritschis, eine gewisse Gesinnungs-, ja Arbeitsgemeinschaft beobachten, bei der nach Lücke Ehrenfeuchter den T o n angab. D a s trat etwa in der gemeinsamen Abwehrhaltung gegen den Hegelianer Georg Christian R u d o l f M a t t h a e i (Extraordinarius für Neues Testament 1 8 5 1 - 1 8 7 2 ) hervor, vor allem aber im Verhältnis zur hannoverschen Landeskirche. Die konfessionelle Bindung der Fakultät drückte sich in der von Gieseler eher locker formulierten, aber von Lücke als noch zu eng empfundenen, bis in unsere Tage gültigen Verpflichtungsformel für die neu eintretenden Lehrer aus, „die theologische Wissenschaft in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der evangelischlutherischen Kirche aufrichtig, deutlich und gründlich vorzutragen". Als nach Dorners Berufung die Stader Pastoralkonferenz den Professoren durchgängige Unionsgesinnung und teilweise „unverhohlenen Widerwillen gegen das lutherische K i r c h e n t u m " vorwarf, reagierte die Fakultät mit einer Denkschrift zum Schutz der evangelischen Lehrfreiheit der theologischen Fakultäten (1854), die wiederum mehrere Gegenschriften herausforderte. Eine zweite Denkschrift von 1860 zeigte ein gewisses Einlenken, indem sie „die volle Anerkennung des historischen Rechtsbestandes der Landeskirche" aussprach. Bei der „ V o r s y n o d e " von 1863 wirkte Ehrenfeuchter, übrigens Inhaber des seit Planck mit Ordinarien der Fakultät besetzten Amtes des Abts von Bursfelde, maßgeblich mit. Gleichwohl war es programmatisch und als Fortführung der Fakultätstradition gemeint, wenn die Fakultät für die Nachfolge Dorners nicht C h . E . Luthardt, sondern Albrecht - » R i t s e h l vorschlug, dessen Wirken ( 1 8 6 4 - 1 8 8 9 ) zum Höhepunkt der älteren Fakultätsgeschichte wurde. M i t Bedacht wurden ihm in dem Kirchenhistoriker Hermann Reuter ( 1 8 7 6 - 1 8 8 9 ) und dem Systematiker und Alttestamentler Hermann Schultz ( 1 8 7 6 - 1 9 0 3 ) Hannoveraner zur Seite gestellt; Gerhard Uhlhorn, der einst ( 1 8 5 2 - 1 8 5 5 ) Göttinger Privatdozent gewesen und jetzt in Hannover Ritsehl ein loyaler und kritischer Partner war, ließ sich leider nicht gewinnen. In diese Zeit fallen wichtige Habilitationen ( T h e o d o r - » Z a h n 1865, Julius —»Wellhausen 1871, Bernhard - » D u h m 1873, Ferdinand Kattenbusch 1876) und eine R e f o r m der Fakultätseinrichtungen (1878 Ersetzung des mit dem 1857 errichteten Theologischen Stift nach Tübinger Vorbild verbundenen Repetenteninstituts durch das Inspektorsamt, Übertragung des seit 1800 bestehenden Ephorats an den Dekan; Theologisches Seminar mit 5 Abteilungen). Eine neue Zeit kündigte sich an, als sich im Schöße der Fakultät ein Kreis jüngerer Gelehrter bildete, „die kleine F a k u l t ä t " genannt, aus dem dann die Religionsgeschichtli-

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Göttingen

che Schule hervorging (Habilitation von J . -+Weiß 1888, H. - > G u n k e l 1888, W. - » B o u s set 1890, E. -•Troeltsch 1891, W. ->Wrede 1891, W. Heitmüller 1902); auch R . - » O t t o lehrte damals in Göttingen ( 1 8 9 8 - 1 9 1 5 ) . In der Systematischen Theologie war man, wie schon die Namen T h e o d o r ->Haering ( 1 8 8 9 - 1 8 9 5 ) , Paul Althaus d. Ä. ( 1 8 9 7 - 1 9 1 2 ) und Carl - » S t a n g e ( 1 9 1 2 - 1 9 5 9 ) zeigen, auf Ausgewogenheit bedacht. Ein Intermezzo blieb fürs erste die unerwartet erfolgreiche Lehrtätigkeit Karl Barths als Honorarprofessor für Reformierte Theologie ( 1 9 2 1 - 1 9 2 5 ) ; mit der Fakultätsmehrheit unter Stanges Führung verband ihn unverhohlene gegenseitige Abneigung, mit dem gleichzeitig eingetretenen Kirchenhistoriker E. - » H i r s c h Respekt; zu würdigen wußte er die entsagungsvolle Arbeit, in der unauffälligere Kollegen wie A. Rahlfs (Altes Testament, 1 8 9 1 - 1 9 3 5 ) und namentlich W. - » B a u e r (Neues Testament, 1 9 1 6 - 1 9 6 0 ) , in der Folgezeit der wahre Doyen der Fakultät, bleibende Instrumente der biblischen Wissenschaft schufen. Gegen eine Vertretung der reformierten Theologie in ihrer Mitte hatte sich die Fakultät seit ihren Anfängen unter Berufung auf ihren lutherischen Charakter, später eher in der Befürchtung, sie könne durch einen Reformierten im übrigen zu sehr lutherisch konfessionalisiert werden, gewehrt. An die Stelle der Honorarprofessur trat später ein ordentlicher Lehrstuhl ( O t t o Weber 1 9 3 4 - 1 9 6 6 ) . Seitdem wurden wiederholt auch andere Lehrstühle mit Reformierten besetzt. Im Niedersachsenkonkordat von 1965 ist die Errichtung einer katholisch-theologischen Fakultät vorgesehen.

Es wirft ein Licht auf die damaligen Gewichtsverhältnisse, daß mehrere Göttinger Ordinarien nach Berlin überwechselten: Arthur Titius (Systematische Theologie, in G ö t tingen 1 9 0 6 - 1 9 2 1 ) , Alfred Bertholet (Altes Testament, 1 9 1 4 - 1 9 2 8 ) , G . ->Wobbermin (Systematische Theologie, 1 9 2 2 - 1 9 3 5 ) , Johannes Behm (Neues Testament, 1 9 2 3 - 1 9 3 5 ) , J o h . Hempel (Altes Testament, 1 9 2 8 - 1 9 3 7 ) . Das Dritte Reich brachte fast keine politisch motivierten Fehlbesetzungen. Den offiziellen Kurs, auch gegenüber der Landeskirche, bestimmte als langjähriger Dekan E. Hirsch, der 1936 zur Systematischen Theologie überging. Unter den Jüngeren ragten Hermann Dörries (Kirchengeschichte, 1 9 2 9 - 1 9 7 7 ) und J o a c h i m Jeremias (Neues Testament, 1 9 3 5 - 1 9 7 9 ) hervor, mit F. ->Gogarten (Systematische Theologie, 1935—1967) trat einer der eigenständigsten Denker hinzu, die die Fakultät besessen hat. N a c h Kriegsende gelang eine Reihe von Berufungen, die eine neue Blütezeit heraufführten: im Alten Testament G . v. - » R a d ( 1 9 4 6 - 1 9 4 9 ) , nach ihm Walther Zimmerli ( 1 9 5 1 - 1 9 8 3 ) und Kurt Galling ( 1 9 5 5 - 1 9 6 2 ) , im Neuen Testament Günther B o r n k a m m (ao. Prof. 1 9 4 6 - 1 9 4 9 ) , dann Ernst Käsemann ( 1 9 5 1 - 1 9 5 9 ) , Hans Conzelmann (seit 1960) und Eduard Lohse ( 1 9 6 4 - 1 9 7 1 ) , in der Kirchengeschichte Ernst Wolf ( 1 9 4 7 - 1 9 7 1 , 1957 Wechsel in die Systematische Theologie), später Carl Andresen (seit 1961), in der Systematischen T h e o l o g i e H . J . ->Iwand ( 1 9 4 6 - 1 9 5 2 ) , in der Praktischen Theologie Wolfgang Trillhaas (seit 1946, 1958 Wechsel in die Systematische Theologie), später M a r t i n Doerne ( 1 9 5 4 - 1 9 7 0 ) ; 1962 wurde ein Lehrstuhl für Allgemeine Religionsgeschichte eingerichtet. O b w o h l (oder auch: weil) namentlich durch E. Wolf eine energische Fakultätspolitik im Sinne der T h e o l o g i e Karl Barths betrieben wurde, war die Fakultät in dieser Zeit keineswegs ein gleichgestimmtes Ensemble. Seitdem haben neue Politisierung und vervielfachte Studentenzahlen (1702 „Volltheologen" im W S 1982/83 gegenüber 536 im W S 1972/73) die zentrifugalen Kräfte noch verstärkt. Die Fakultät wurde

1978 in Fachbereich Evangelische Theologie, 1982 in Fachbereich Theologie umbenannt. 1982 wurden die Prüfung und die Vorprüfung zum Diplomtheologen sowie der

numerus

clausus eingeführt. Literatur Wilhelm Ebel, Briefe über Göttingen aus den ersten 150 Jahren der Georgia Augusta, Göttingen 1975. - Ders., Catalogus Professorum Gottingensium 1 7 3 4 - 1 9 6 2 , Göttingen 1962. - Ders., Göttinger Universitätsreden aus zwei J h . , Göttingen 1978. - Ders., Die Matrikel der Georg-August-Univ. zu Göttingen 1 8 3 7 - 1 9 0 0 , Hildesheim 1 9 7 4 (Veröff. der Hist. Kommission für Niedersachsen u. Bremen 9 / 3 ) . - Ders., Memorabilia Gottingensia. Elf Stud. zur Sozialgesch, der Univ., Göttingen 1969. - Ders., Die Privilegien u. ältesten Statuten der Georg-August-Univ. zu Göttingen, Göttingen 1961. - J . F . Gerhard Goeters, Reformierter Lehrstuhl u. Studienhaus in Göttingen: Die ev.-ref.

Gogarten

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Kirche in Nordwestdeutschland, Weener 1982, 2 6 8 - 2 7 8 . - Ernst G u n d e l a c h , Die Verfassung der G ö t t i n g e r Univ. in drei J h . , 1955 ( G R W S 16). - Carl H a a s e , Bildung u. Wiss. v. Anfang der R e f o r m a tion bis 1803: Gesch. Niedersachsens, hg. v. H a n s Patze, III/2 Hildesheim 1 9 8 2 (Veröff. der Hist. K o m m , für Niedersachsen u. Bremen 3 6 ) , 2 6 1 - 4 9 3 (darin über die Univ. Göttingen 3 3 8 - 3 6 6 ) . N o r b e r t K a m p , Die G e o r g i a Augusta u. der S t a a t , G ö t t i n g e n 1980 (Göttinger Univ.reden 66). - Karl Kayser, Art. G ö t t i n g e n : R G G 2 2 (1928) 1 2 9 5 - 1 2 9 9 . - H a n s - W a l t e r K r u m w i e d e , G e s c h . der ev. Kirche v. der R e f o r m a t i o n bis 1803: G e s c h . Niedersachsens ( s . o . C . H a a s e ) , 1 8 7 - 1 9 9 . - G ü n t h e r M e i n h a r d t , Die Univ. G ö t t i n g e n . Ihre E n t w i c k l u n g u. G e s c h . v. 1 7 3 4 - 1 9 7 4 , Göttingen 1977. J o h a n n e s M e y e r , G e s c h . der Göttinger theol. F a k u l t ä t : Z G N K G 4 2 (1937) 7 - 1 0 7 . - Walter Nissen, Göttingen gestern u. heute. Eine S a m m l u n g v. Zeugnissen zur Stadt- u. Universitätsgesch., Göttingen 1972. - J o h a n n Stephan Pütter, Versuch einer academischen G e l e h r t e n - G e s c h . der Georg-AugustusUniv. zu G ö t t i n g e n , G ö t t i n g e n , I 1765, II 1788, III (v. J a c o b Christian Friedrich Saalfeld) H a n n o v e r 1820, IV (v. G e o r g Heinrich Oesterley) G ö t t i n g e n 1838. - Emil F. R ö ß l e r , D i e G r ü n d u n g der Univ. G ö t t i n g e n , Göttingen 1 8 5 5 . — G ö t z v. Seile, Die Georg-August-Univ. zu Göttingen 1 7 3 7 - 1 9 3 7 , Göttingen 1937. - D e r s . , D i e M a t r i k e l der Georg-August-Univ. zu Göttingen 1 7 3 4 - 1 8 3 7 , Hildesheim/Leipzig 1937 (Veröff. der hist. K o m m i s s i o n für H a n n o v e r , O l d e n b u r g , Braunschweig, S c h a u m b u r g - L i p p e u. B r e m e n 9 / 3 ) . - D e r s . , Univ. G ö t t i n g e n . Wesen u. G e s c h . , G ö t t i n g e n 1953. R u d o l f Smend, Art. G ö t t i n g e n : R G G 3 2 (1958) 1 6 7 6 - 1 6 8 0 . - D e r s . , Die G ö t t i n g e r Gesellschaft der Wiss.: FS zur Feier des 200jährigen Bestehens der A k a d e m i e der W i s s . in G ö t t i n g e n , B e r l i n / G ö t t i n g e n / H e i d e l b e r g 1951, V - X I X = ders., Staatsrechtl. A b h . , Berlin 2 1 9 6 8 , 4 2 3 - 4 3 9 . Ders., Die Göttinger Univ. u. ihre U m w e l t G ö t t i n g e n 1953 ( M i t t . des Universitätsbundes Göttingen e . V . Sonderheft) = ders., Staatsrechtl. A b h . , Berlin 2 1 9 6 8 , 4 4 0 - 4 6 1 . - D e r s . , Z w e i h u n d e r t J a h r e Göttinger Kirchenrechtswiss.: E L K Z 10 (1956) 2 3 5 - 2 3 7 . - Vorarbeiten zur G e s c h . der G ö t t i n g e r Univ. u. B i b l i o t h e k , hg. v. Universitätsbund, 25 B d e . , G ö t t i n g e n 1 9 2 4 - 1 9 3 7 .

Rudolf Smend

Göttliches Recht -» Kirchenrecht, -»Recht/Rechtswesen Goeze, Johann

Melchior

Gogarten, Friedrich 1. Leben

1.

2 . Werk

-»Lessing, Gotthold Ephraim, -»Orthodoxie, Altlutherische

(1887-1967) 3. Nachwirkung

(Bibliographie/Literatur S. 567)

Leben

Friedrich Gogarten wurde am 13. Januar 1887 in Dortmund geboren. Er bestand 1907 sein Abitur und studierte in München ein Semester Kunstgeschichte, Germanistik und Psychologie. Durch Arthur Bonus beeinflußt, wechselte Gogarten die Fakultät und studierte bis 1912 Theologie in Jena, Berlin (bei Harnack) und Heidelberg (bei Troeltsch) (vgl. Naveillan 2 2 f und Bauer 16). 1924 verlieh die Theologische Fakultät -»-Gießen auf Anregung von K. L. -»Schmidt Gogarten den Ehrendoktor der Theologie (Thyssen 9 Anm. 1). Seit 1925 war Gogarten Pfarrer in Dorndorf/Saale und zugleich Privatdozent für Systematische Theologie in -»Jena, seit 1931 ordentlicher Professor in —»Breslau und seit 1935 in —»Göttingen (Ratschow 1684 f) bis zu seiner Emeritierung 1955. Gogarten starb am 16. Oktober 1967 in Göttingen. Wenn von den geistigen Einflüssen auf Gogartens Denken geredet wird, fallen neben A. Bonus und E. -»Troeltsch die Namen -»Buber, Ebner und Grisebach. Gogarten dürfte ihnen gegenüber jedoch selbständiger gewesen sein, als bisher allgemein angenommen wurde (vgl. Kahl 1 4 - 2 2 u. Thyssen 2f, Anm. 4). Das gilt sogar auch von Gogartens Verhältnis zu -»Heidegger (vgl. Kahl 8 1 - 9 4 ) . Völlig anders ist Gogartens Verhältnis zu -»Luther, den Gogarten etwa seit 1915/16 intensiv studiert hat (Kahl 17). Ebenso dürfte der Einfluß W. —»Herrmanns auf Gogarten neu zu bewerten sein (Bauer 19), und zwar bis in die Zeit nach 1945 hinein. Nach dem heutigen Stand der Forschung (Thyssen 2 1 7 - 2 2 6 = § 17; Strohm 1 4 9 - 1 6 0 ) kann Gogarten weder als ,Deutscher Christ' noch als ihr Mitläufer angesehen werden.

Gogarten

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Kirche in Nordwestdeutschland, Weener 1982, 2 6 8 - 2 7 8 . - Ernst G u n d e l a c h , Die Verfassung der G ö t t i n g e r Univ. in drei J h . , 1955 ( G R W S 16). - Carl H a a s e , Bildung u. Wiss. v. Anfang der R e f o r m a tion bis 1803: Gesch. Niedersachsens, hg. v. H a n s Patze, III/2 Hildesheim 1 9 8 2 (Veröff. der Hist. K o m m , für Niedersachsen u. Bremen 3 6 ) , 2 6 1 - 4 9 3 (darin über die Univ. Göttingen 3 3 8 - 3 6 6 ) . N o r b e r t K a m p , Die G e o r g i a Augusta u. der S t a a t , G ö t t i n g e n 1980 (Göttinger Univ.reden 66). - Karl Kayser, Art. G ö t t i n g e n : R G G 2 2 (1928) 1 2 9 5 - 1 2 9 9 . - H a n s - W a l t e r K r u m w i e d e , G e s c h . der ev. Kirche v. der R e f o r m a t i o n bis 1803: G e s c h . Niedersachsens ( s . o . C . H a a s e ) , 1 8 7 - 1 9 9 . - G ü n t h e r M e i n h a r d t , Die Univ. G ö t t i n g e n . Ihre E n t w i c k l u n g u. G e s c h . v. 1 7 3 4 - 1 9 7 4 , Göttingen 1977. J o h a n n e s M e y e r , G e s c h . der Göttinger theol. F a k u l t ä t : Z G N K G 4 2 (1937) 7 - 1 0 7 . - Walter Nissen, Göttingen gestern u. heute. Eine S a m m l u n g v. Zeugnissen zur Stadt- u. Universitätsgesch., Göttingen 1972. - J o h a n n Stephan Pütter, Versuch einer academischen G e l e h r t e n - G e s c h . der Georg-AugustusUniv. zu G ö t t i n g e n , G ö t t i n g e n , I 1765, II 1788, III (v. J a c o b Christian Friedrich Saalfeld) H a n n o v e r 1820, IV (v. G e o r g Heinrich Oesterley) G ö t t i n g e n 1838. - Emil F. R ö ß l e r , D i e G r ü n d u n g der Univ. G ö t t i n g e n , Göttingen 1 8 5 5 . — G ö t z v. Seile, Die Georg-August-Univ. zu Göttingen 1 7 3 7 - 1 9 3 7 , Göttingen 1937. - D e r s . , D i e M a t r i k e l der Georg-August-Univ. zu Göttingen 1 7 3 4 - 1 8 3 7 , Hildesheim/Leipzig 1937 (Veröff. der hist. K o m m i s s i o n für H a n n o v e r , O l d e n b u r g , Braunschweig, S c h a u m b u r g - L i p p e u. B r e m e n 9 / 3 ) . - D e r s . , Univ. G ö t t i n g e n . Wesen u. G e s c h . , G ö t t i n g e n 1953. R u d o l f Smend, Art. G ö t t i n g e n : R G G 3 2 (1958) 1 6 7 6 - 1 6 8 0 . - D e r s . , Die G ö t t i n g e r Gesellschaft der Wiss.: FS zur Feier des 200jährigen Bestehens der A k a d e m i e der W i s s . in G ö t t i n g e n , B e r l i n / G ö t t i n g e n / H e i d e l b e r g 1951, V - X I X = ders., Staatsrechtl. A b h . , Berlin 2 1 9 6 8 , 4 2 3 - 4 3 9 . Ders., Die Göttinger Univ. u. ihre U m w e l t G ö t t i n g e n 1953 ( M i t t . des Universitätsbundes Göttingen e . V . Sonderheft) = ders., Staatsrechtl. A b h . , Berlin 2 1 9 6 8 , 4 4 0 - 4 6 1 . - D e r s . , Z w e i h u n d e r t J a h r e Göttinger Kirchenrechtswiss.: E L K Z 10 (1956) 2 3 5 - 2 3 7 . - Vorarbeiten zur G e s c h . der G ö t t i n g e r Univ. u. B i b l i o t h e k , hg. v. Universitätsbund, 25 B d e . , G ö t t i n g e n 1 9 2 4 - 1 9 3 7 .

Rudolf Smend

Göttliches Recht -» Kirchenrecht, -»Recht/Rechtswesen Goeze, Johann

Melchior

Gogarten, Friedrich 1. Leben

1.

2 . Werk

-»Lessing, Gotthold Ephraim, -»Orthodoxie, Altlutherische

(1887-1967) 3. Nachwirkung

(Bibliographie/Literatur S. 567)

Leben

Friedrich Gogarten wurde am 13. Januar 1887 in Dortmund geboren. Er bestand 1907 sein Abitur und studierte in München ein Semester Kunstgeschichte, Germanistik und Psychologie. Durch Arthur Bonus beeinflußt, wechselte Gogarten die Fakultät und studierte bis 1912 Theologie in Jena, Berlin (bei Harnack) und Heidelberg (bei Troeltsch) (vgl. Naveillan 2 2 f und Bauer 16). 1924 verlieh die Theologische Fakultät -»-Gießen auf Anregung von K. L. -»Schmidt Gogarten den Ehrendoktor der Theologie (Thyssen 9 Anm. 1). Seit 1925 war Gogarten Pfarrer in Dorndorf/Saale und zugleich Privatdozent für Systematische Theologie in -»Jena, seit 1931 ordentlicher Professor in —»Breslau und seit 1935 in —»Göttingen (Ratschow 1684 f) bis zu seiner Emeritierung 1955. Gogarten starb am 16. Oktober 1967 in Göttingen. Wenn von den geistigen Einflüssen auf Gogartens Denken geredet wird, fallen neben A. Bonus und E. -»Troeltsch die Namen -»Buber, Ebner und Grisebach. Gogarten dürfte ihnen gegenüber jedoch selbständiger gewesen sein, als bisher allgemein angenommen wurde (vgl. Kahl 1 4 - 2 2 u. Thyssen 2f, Anm. 4). Das gilt sogar auch von Gogartens Verhältnis zu -»Heidegger (vgl. Kahl 8 1 - 9 4 ) . Völlig anders ist Gogartens Verhältnis zu -»Luther, den Gogarten etwa seit 1915/16 intensiv studiert hat (Kahl 17). Ebenso dürfte der Einfluß W. —»Herrmanns auf Gogarten neu zu bewerten sein (Bauer 19), und zwar bis in die Zeit nach 1945 hinein. Nach dem heutigen Stand der Forschung (Thyssen 2 1 7 - 2 2 6 = § 17; Strohm 1 4 9 - 1 6 0 ) kann Gogarten weder als ,Deutscher Christ' noch als ihr Mitläufer angesehen werden.

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Gogarten 2. Werk

Gogartens Werk läßt sich als Einheit darstellen (vgl. R . Weth), aber auch in mehrere Phasen gliedern (vgl. G . Gloege). Der Aspekt der Einheit des Werkes tritt hervor, wenn man darauf achtet, wie Gogarten Theologie treibt. Gogarten steht zeit seines Lebens in einer persönlich erlebten Auseinandersetzung mit dem Worte Gottes, und zwar als Erfahrung des Geschehens von —»Gesetz und Evangelium. Seine Schriften tragen deshalb fast ausnahmslos das Siegel des persönlichen Zeugnisses. Diese Art und Weise, Theologie zu treiben, macht die Einheit des Gogartenschen Werkes aus und ist zugleich der Grund dafür, bei Gogarten mehrere Phasen zu unterscheiden. M a n kann in Gogartens Werk auf verschiedene Weise mehrere Phasen voneinander abgrenzen. G . Gloege (62) unterscheidet ohne Zeitangaben drei Phasen nach den Abwandlungen des usus civilis legis. In Jahreszahlen übersetzt,hieße das etwa: eine erste Phase* von 1 9 1 4 - 1 9 2 8 (mit einer Vorstufe etwa von 1 9 1 4 - 1 9 1 7 ) , die zweite von 1 9 2 8 - 1 9 3 7 (vgl. H. Fischer 108) und die dritte seit 1948 (vgl. Naveillan 26 u. Anm. 23). K . W . Thyssen fragt dagegen nach Gogartens Wirklichkeitsverständnis und grenzt deshalb drei von Gloege verschiedene Phasen ab, und zwar 1 9 1 4 - 1 9 2 5 , 1 9 2 5 - 1 9 3 7 und die Zeit nach 1945. 2.1. Die erste Phase. Gogarten suchte eine ethisch relevante Religion (vgl. Fichte 27f). Das Verhältnis von Mystik - als selbst erlebter Religion - und Geschichte - als sittlichem Handeln des Menschen - wollte er mit Fichtes Hilfe so klären, daß von der Gottheit als dem höchsten Wert alles andere - Staat, Wissenschaft, Kunst - seinen relativen Wert (vgl. Fichte, 5 7 f ) und so auch seinen Sinn empfinge. Von Gogartens Religion zu Beginn der ersten Phase gilt: „Der Nerv dieser Religion i s t . . . Identität des Menschen mit Gott. Das H e i l . . . geschieht in der Wahrnehmung dieser Identität" (Thyssen 19). Doch die Wahrnehmung der Identität wurde immer weniger möglich, und zwar nicht erst unter dem Eindruck des Ersten Weltkrieges, sondern auch schon durch seine Grundhaltung gegenüber Wissenschaft und Kultur (vgl. Die religiöse Entscheidung 32ff). Gogarten verwirft jetzt (um 1920) die -> Mystik als Menschenwerk (vgl. a . a . O . 67), das nicht zur Gotteserkenntnis führen kann. Er bekennt sich dagegen zu der Offenbarung, die nur erkannt wird, wenn man sie passiv erlebt: „so wird der Mensch in Gottes Leben hineingen o m m e n " (a. a O . 71). Gott ist souveränes Subjekt, der Mensch bloß Objekt. Deshalb ist auch die sittliche Autonomie des Menschen zu verwerfen (Illusionen 66 f). Gogarten kommt so zu dem Satz: „entweder wir oder die Ewigkeit" (Die religiöse Entscheidung 9). G o t t ist jetzt der „ganz andere" (vgl. zu dieser Wendung Thyssen 35 Anm. 21), d. h.: „er ist die absolute F r a g e " ( a . a O . 23). Was Gogarten bleibt, ist ein negatives, aber nicht zu leugnendes, erlebbares Wissen: „wissen wir auch von der ursprünglichen Gottestat nichts, dann wissen wir doch gerade durch dieses Nichtwissen von der tatsächlichen Unmöglichkeit unserer Existenz und von der Notwendigkeit aus ihr herauszukommen" ( a . a O . 9). Und noch etwas zweites hält Gogarten fest: Jesus Christus ( a . a O . 4 9 f ) . Die erste Phase ist also bestimmt durch eine Veränderung der Verhältnisbestimmung des göttlichen und des menschlichen Handelns. Die höchste Aktivität des Menschen schlägt um in die reinste Aktivität Gottes, die als Gericht erfahren wird. Und dennoch liegt beiden Teilen der ersten Phase ein und dasselbe Wirklichkeitsverständnis zugrunde: der Gedanke einer wesenhaften Einheit von Gott und Mensch (Thyssen 9 - 8 4 ) . 2.2. Zweite Phase. Die ,Erfahrung des Gerichtes Gottes' und die ,Erkenntnis allgemeiner Wahrheit' treten für Gogarten so auseinander, daß er sich gezwungen sieht, sein Wirklichkeitsverständnis neu zu gewinnen. Dabei unterscheidet er vor allem 1. zwischen der allgemeinen Wahrheits- und Wesenserkenntnis der Vernunft und 2. der Botschaft von einem Ereignis, das an einem bestimmten Punkt in Raum und Zeit geschehen ist (vgl. Dreieiniger Gott 1 ff). Das Christentum hat es mit solch einem geschichtlichen Ereignis zu tun und ist auf die Botschaft von diesem Ereignis angewiesen; denn die Offenbarung in Jesus Christus ist keine allgemeine Wahrheit, vielmehr eine besondere Offenbarung ( a . a O . 99).

Gogarten

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Die ,besondere Offenbarung' in Jesus Christus wird Gogarten zum Schlüssel für sein geschichtliches Wirklichkeitsverständnis, das sich scharf absetzt gegen das der ersten Phase: „Es heißt, von vornherein an der Wirklichkeit des Menschen vorbeisehen und sich zugleich jegliche Möglichkeit nehmen, Geschichte - sie ist die Wirklichkeit des Menschen - zu erfassen, wenn man ihn allein aus der Idee des Ich heraus aufzufassen sucht" (a. a O . 36). Wo das jedoch geschieht, da wird „die Identität des menschlichen I c h . . . mit dem göttlichen Ich behauptet" (ebd.). Die menschliche Wirklichkeit ist vielmehr nur „die widerspruchsvolle, gegensätzliche von Du und I c h " (ebd.; vgl. Thyssen zum Du-IchVerhältnis 2 6 f u. 98 f). Von seinem neuen, geschichtlichen Wirklichkeitsverständnis her versucht Gogarten auch die Ethik neu zu fassen, und zwar zunächst den Menschen selbst, der „sein Sein nicht als ein Für-sich- und Aus-sich-sein versteht, sondern als ein Vom-andern-her-sein" (Politische Ethik 19). Die Menschen haben ihr Sein nur, indem sie einander gehören. Diese menschliche Seinsweise bezeichnet Gogarten mit dem Mißverständnisse provozierenden Wort ,Hörigkeit' (vgl. a . a O . 15). Die ethische Forderung begegnet dem Menschen auf zweierlei Weise: a) als ,Man tut das und das' und b) als ,Du sollst'. Die Abwehr des jeweils Bösen geschieht durch die Forderungen des , M a n tut das und das' ( a . a O . 62). Das ,Du sollst' trifft mich und deckt die Wahrheit meiner selbst auf. Ohne die Erkenntnis der Wahrheit meiner selbst gibt es keine Erkenntnis des Evangeliums (Politische Ethik 148; vgl. Thyssen 145ff). Weil der Mensch böse ist - wie es das ,Du-sollst' immer wieder aufdeckt-,bedarf er des Staates, der ihn vor der eigenen Bosheit und der des anderen bewahrt. Jedes Unrecht zwischen Menschen verletzt die Ehre des Betroffenen. Der Staat hat deshalb die Ehre zu schützen (Politische Ethik 198 f). Weil es auch nur böse Menschen sind, die den Staat tragen, ersetzt Gogarten den Staat, die Polis, durch das Volk und das Volkstum (vgl. Thyssen 182), um schließlich das Leben selbst, den Bios (Der Zerfall des Humanismus 2 9 - 3 4 ) , als tragenden Grund für die menschliche Sittlichkeit anzusetzen (vgl. Thyssen 215). Gogarten verurteilt die Autonomie des Menschen, die er hier noch als Souveränität des Menschen gegenüber Gott versteht (vgl. Politische Ethik 122). Ebenso gilt für die Säkularisation: „Der Mensch übernimmt sozusagen sich selbst gegenüber die Rolle Gott e s " (Deutsche Theologie 4,342). Diesem Menschen kann Gott nur so begegnen, daß er die Welt des Menschen in Frage stellt (Der Zufall des Humanismus 13). Das ist der verborgene Gott, von dem Luther redete ( a . a O . 16). Wer nach diesem verborgenen Gott fragt, wird durch ihn in Frage gestellt (a. a. O . 17). In der zweiten Phase seines Werkes hat Gogarten also aus der Erfahrung des Gerichtes Gottes, des Gesetzes im usus secundus legis, für sein Wirklichkeitsverständnis und für sein Verständnis der Ethik Konsequenzen gezogen, aber noch nicht die Wirklichkeit als geschichtliche Wirklichkeit zur Sprache gebracht. Denn noch hält Gogarten für die Welt des Menschen an einer umfassenden Größe fest, vor der der Mensch verantwortlich ist, statt für sie verantwortlich zu sein. 2.3. Dritte Phase. Die noch am Ende der zweiten Phase verworfene Autonomie des menschlichen Handelns ist jetzt zur legitimen Ausformung des Gesetzes im usus primus legis geworden (vgl. Die Kirche in der Welt 1 4 f f . l 3 9 f ; Der Mensch zwischen Gott und Welt 210.215 f). Jede mögliche Größe, durch die die Welt den Menschen umfaßt und aus der sittliche Normen abzuleiten wären, verwirft Gogarten (Die Kirche in der Welt 9 - 1 3 ) . Das neue Wirklichkeitsverständnis gewinnt er in der Auseinandersetzung mit der Schrift und mit Luther (vgl. Die Verkündigung Jesu Christi, I. bis III. Buch u. Der Mensch zwischen Gott und Welt „I. Geschichtlicher Teil"). Deshalb dient Gogarten auch die ,neue Frage nach dem historischen Jesus' dazu, das Wirklichkeitsverständnis zu erfragen, wie es dem neutestamentlichen Kerygma (Wende der Welt, Kap. 6 - 8 ) und der Verkündigung Jesu ( a . a . O . , Kap. 9 - 1 1 ) zugrundeliegt. Ursprünglicher als jeder Tatsachenzusammenhang ist in diesem Wirklichkeitsverständnis das Geschehen von Verantwortung, wie es sich zuerst in Jesu Glauben ereignet hat, und zwar als ,Verantwortung für die Welt vor Gott'. Gogarten gewinnt dieses Glaubensverständnis aus Jesu Verhalten zu der ,Welt der

Gogarten

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jüdischen Frömmigkeit', in der Jesus lebte und die für ihn die vorgegebene geschichtlich bestehende Welt gewesen ist. Jesu Mahlgemeinschaft mit Zöllnern und Sündern (a.a.O. 96 f) ist der Bruch mit dieser Welt, der so tief geht, daß Jesus sich nicht mehr für sein Verhalten vor dem Gesetz dieser Welt legitimieren kann (a.a.O., Kap. 11). Mit Jesu ,Verantwortung für die Welt vor Gott' ist die Wirklichkeit der Welt geschichtlich, d.h.: durch Verantwortung konstitutiert. Diese Verantwortung ist Antwort auf das ,freie Walten Gottes in der Welt' (vgl. a . a . O . 122f), also autonom. Das Geschehen der geschichtlichen Wirklichkeit, den Vollzug der Verantwortung, entfaltet Gogarten in seiner Lutherinterpretation (vgl. Luthers Theologie u. Der Mensch zwischen Gott und Welt, Kap. 3) als Geschehen der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium, die als Unterscheidung des Gesetzes im usus primus legis vom Gesetz im usus secundus legis die beiden Weisen der menschlichen Verantwortung bestimmt, nämlich als Verantwortung für die Welt (usus primus legis) und als Verantwortung vor Gott (usus secundus legis). Die Unterscheidung der beiden Weisen der Verantwortung ermöglicht dem Menschen einen rein weltlichen Umgang mit seiner Welt (Der Mensch zwischen Gott und Welt 207-216). Damit beginnt die Säkularisierung, in der die Welt nur Welt ist, d . h . die Vernunft bleibt in den Grenzen ihres Erkenntnisvermögens und versucht nicht, an die Stelle der Verantwortung vor Gott die Verantwortung vor einer Heilslehre, einer Ideologie oder dem Nihilismus zu setzen. Der Begriff der Säkularisierung ist also für Gogarten in der dritten Phase positiv (vgl. Verhängnis und Hoffnung der Neuzeit). Von der Säkularisierung unterscheidet Gogarten den Säkularismus (vgl. a. a. O. 142f), der die Verantwortung vor Gott in irgendeine abgöttische Verantwortung vor einer Idee verkehrt hat. Erst in dieser dritten Phase ist es m. E. Gogarten durch seinen Glaubensbegriff (Verantwortung für die Welt vor Gott) gelungen, das Handeln Gottes vom Handeln des Menschen so zu unterscheiden, daß Gogarten jetzt das menschliche Handeln ausdrücklich zur Autonomie verpflichtet (vgl. Der Mensch zwischen Gott und Welt 215 f). Von seinem Spätwerk aus läßt sich Gogartens Denken als verantwortendes Denken' bezeichnen, d. h. Gogartens eigene Existenz ist nicht nur das Thema seiner Theologie, sondern die eigene Existenz steht in seiner theologischen Arbeit auf dem Spiel. Es geht deshalb nicht bloß um eine Selbstreflektion. Seit dem Bruch Mitte der Zwanziger Jahre hat Gogarten gelernt, sich in einem Gegenüber zu Gott, der Welt und den Menschen zu verstehen, ja sogar sich selbst von dem jeweils anderen her zu empfangen. Was der Mensch jeweils ist, das ist er vom anderen her (vgl. Luthers Theologie 168), ohne daß sein Gegenüber aufhörte, für sich selbst zu sein. Wer sich als Theologe wie Gogarten auf die eigene Existenz einläßt, der wird seine Theologie als Auseinandersetzung mit der eigenen Existenz, mit der christlichen Tradition und mit den philosophischen und politischen Entwürfen seiner Zeit führen und so nicht nur das Geschehen des Wortes Gottes als Gesetz unmittelbar immer neu erfahren, sondern auch das Evangelium als Wort der Vergebung und als Wort der Verheißung neu hören und neu zur Sprache bringen. 3.

Nachwirkung

Im Blick auf das Gottesverhältnis des Menschen will Gogarten den Glauben an Jesus Christus in der neuzeitlichen, d . h . in der geschichtlichen Wirklichkeit zur Sprache bringen. Untrennbar davon fragt Gogarten nach dem Weltverhältnis des Menschen, nach Politik und Sittlichkeit in einer säkularisierten Welt. Gogartens ethisch-politische Gedanken haben sich bis in die Soziologie (vgl. Strohm) und in die Politik hinein ausgewirkt (vgl. Schwan) und zum Teil heftige Kritik hervorgerufen. Für die katholische Theologie ist besonders Gogartens positives Verhältnis zur Neuzeit als säkularisierter Welt wichtig geworden (vgl. A. V. Bauer, J. Vohn; auch C. Naveillan). Die Art und Weise, wie Friedrich Gogarten dem Zeugnis vom Worte Gottes, das als

Goguel

567

G e s e t z u n d E v a n g e l i u m g e s c h i e h t , in s e i n e r T h e o l o g i e d i e n t , u n d G o g a r t e n s V e r s t ä n d n i s des G l a u b e n s J e s u Christi als V e r a n t w o r t u n g für die W e l t v o r G o t t -

das wird auch

k ü n f t i g ein kritisches P o t e n t i a l bleiben, eine t ö d l i c h e G e f a h r für jede Ideologisierung u n d S a k r a l i s i e r u n g des m e n s c h l i c h e n Weltverhältnisses u n d eine E r m u t i g u n g , das G o t t e s v e r s

hältnis des M e n s c h e n a u f G r u n d des V e r k ü n d i g u n g des G l a u b e n s und des eigenen Erleb e n s i m m e r w i e d e r n e u zur S p r a c h e zu b r i n g e n . Bibliographie

Als Bibliographie zu G o g a r t e n vgl. vor allem J o s e f Vohn, Sittliche Erkenntnis zwischen R a t i o n a lität u. G l a u b e n . Ein Aspekt der Säkularisierung im Lichte der T h e o l . Friedrich G o g a r t e n s , 1974 10 ( K K T S 37) (Lit.). Ausgewählte

Hauptschriften

Friedrich

Gogartens

Fichte als rel. D e n k e r , J e n a 1914. - Die rel. Entscheidung, J e n a 1921 2 1 9 2 4 . - Illusionen, J e n a 1926. - Ich glaube an den dreieinigen G o t t . Eine Unters, über G l a u b e n u. G e s c h . , J e n a 1926. - W i d e r die Ächtung der Autorität, J e n a 1 9 3 0 2 , 3 1 9 3 2 4 1 9 3 3 . - Politische Ethik. Vers, einer Grundlegung, 15 J e n a 1932. - Einheit v. Evangelium u. Volkstum?, H a m b u r g 1933 2 1 9 3 4 . - D a s Bekenntnis der Kirche, J e n a 1934. - D e r doppelte Sinn von G u t u. Böse: D T h 4 (1937) 3 2 9 - 3 4 5 . - Gericht oder Skepsis. Eine Streitschr. gegen Karl B a r t h , J e n a ' ' 2 1 9 3 7 . - D e r Zerfall des H u m a n i s m u s u. die Gottesfrage: D T h 4 (1937) 9 7 - 1 3 3 . - Die Verkündigung J e s u Christi, Heidelberg 1948 3 1 9 6 7 ( H U T h 3). - D i e Kirche in der Welt, Heidelberg 1948. - Der M e n s c h zwischen G o t t u. W e l t , Heidelberg 1952 20 4 1 9 6 7 . - Entmythologisierung u. Kirche, Stuttgart 1953 4 1 9 6 7 . - Verhängnis u. Hoffnung der Neuzeit. Die Säkularisierung als theol. P r o b l e m , Stuttgart 1953 2 1 9 5 8 . - Der Schatz in irdenen G e f ä ß e n . Predigten, Stuttgart 1 9 6 0 2 1 9 6 7 . - Jesus Christus Wende d e r Welt. Grundfragen zur Christologie, T ü b i n g e n 1966 2 1 9 6 7 . - Luthers T h e o l . , T ü b i n g e n 1967. - Die Frage nach G o t t , T ü b i n g e n 1968. Literatur 25

Armin V o l k m a r B a u e r , Freiheit zur Welt. Z u m Weltverständnis u. Weltverhältnis des Christen nach der T h e o l . Friedrich G o g a r t e n s , 1967 ( K K T S 2 5 ) . - H e r m a n n Fischer, Christi. G l a u b e u. G e s c h . Voraussetzungen u. Folgen der T h e o l . Friedrich G o g a r t e n s , Gütersloh 1967. - G e r h a r d Gloege, Der theol. Personalismus als d o g m . P r o b l e m . Versuch einer Fragestellung: ders., Heilsgeschehen u. Welt, G ö t t i n g e n 1965 ( T h e o l . T r a k t a t e 1). - J o a c h i m Kahl, Phil. u. Christologie im D e n k e n Friedrich 30 G o g a r t e n s , Diss. M a r b u r g 1967 (Lit.). - Carlos Naveillan, Strukturen der T h e o l . Friedrich G o g a r tens, 1972 ( B Ö T 7). - C a r l Heinz R a t s c h o w , Art. G o g a r t e n : R G G 3 2 (1958) 1 6 8 4 - 1 6 8 5 . - Alexander S c h w a n , Geschichtstheol. Konstitution u. Destruktion der Politik. Friedrich G o g a r t e n u. R u d o l f B u l t m a n n , B e r l i n / N e w York 1976 (Lit.). - T h e o d o r S t r o h m , T h e o l . im Schatten politischer R o m a n tik, M ü n c h e n / M a i n z 1970 (GT.S 2) (Lit.) - K a r l - W i l h e l m T h y s s e n , Begegnung u. Verantwortung. 35 D e r Weg der T h e o l . Friedrich G o g a r t e n s v. den Anfängen bis zum 2. Weltkrieg, 1 9 7 0 ( H U T h 12) (Lit.). - R u d o l f Weth, G o t t in Jesus. D e r Ansatz der Christologie Friedrich G o g a r t e n s . M i t einer G o g a r t e n - B i b l i o g r . , 1968 ( F G L P 10. R . , 36) (Lit.). Peter H e n k e

Goguel, Maurice 40

(1880-1955)

1. Leben und Werk

2. W i r k u n g

(Bibliographie/Quellen/Literatur S. 5 6 9 )

1. Leben und 'Werk A m 2 0 . M ä r z 1 8 8 0 in P a r i s g e b o r e n , a b s o l v i e r t e M a u r i c e G o g u e l sein g e s a m t e s S t u d i u m in - » P a r i s . S e i n e drei e r s t e n w i s s e n s c h a f t l i c h e n A r b e i t e n an d e r

Protestantisch-

T h e o l o g i s c h e n F a k u l t ä t s t e c k t e n bereits die drei G r u n d r i c h t u n g e n seiner F o r s c h u n g s t ä 45 t i g k e i t a b : La notion

johannique

de l'Esprit

et ses antécédents

historiques

P a r i s 1 9 0 2 ) s t a n d f ü r E x e g e s e u n d b i b l i s c h e T h e o l o g i e . L'apôtre

Paul

(Bakkalaureat, et

Jésus-Christ

(Lizentiat, Paris 1904) stellte historisch den Bezug z w i s c h e n der R e i c h - G o t t e s - B o t s c h a f t J e s u u n d d e m v o n P a u l u s v e r k ü n d e t e n E v a n g e l i u m h e r . Wilhelm me

religieux

actuel

Herrmann

et le

50 m a t i s c h e F o r s c h u n g . D i e d r e i G r u n d r i c h t u n g e n w a r e n a l s o : E x e g e s e , G e s c h i c h t e Dogmatik.

problè-

(theol. Dissertation, Paris 1905) repräsentierte gegenwartsnahe dogund

Goguel

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G e s e t z u n d E v a n g e l i u m g e s c h i e h t , in s e i n e r T h e o l o g i e d i e n t , u n d G o g a r t e n s V e r s t ä n d n i s des G l a u b e n s J e s u Christi als V e r a n t w o r t u n g für die W e l t v o r G o t t -

das wird auch

k ü n f t i g ein kritisches P o t e n t i a l bleiben, eine t ö d l i c h e G e f a h r für jede Ideologisierung u n d S a k r a l i s i e r u n g des m e n s c h l i c h e n Weltverhältnisses u n d eine E r m u t i g u n g , das G o t t e s v e r s

hältnis des M e n s c h e n a u f G r u n d des V e r k ü n d i g u n g des G l a u b e n s und des eigenen Erleb e n s i m m e r w i e d e r n e u zur S p r a c h e zu b r i n g e n . Bibliographie

Als Bibliographie zu G o g a r t e n vgl. vor allem J o s e f Vohn, Sittliche Erkenntnis zwischen R a t i o n a lität u. G l a u b e n . Ein Aspekt der Säkularisierung im Lichte der T h e o l . Friedrich G o g a r t e n s , 1974 10 ( K K T S 37) (Lit.). Ausgewählte

Hauptschriften

Friedrich

Gogartens

Fichte als rel. D e n k e r , J e n a 1914. - Die rel. Entscheidung, J e n a 1921 2 1 9 2 4 . - Illusionen, J e n a 1926. - Ich glaube an den dreieinigen G o t t . Eine Unters, über G l a u b e n u. G e s c h . , J e n a 1926. - W i d e r die Ächtung der Autorität, J e n a 1 9 3 0 2 , 3 1 9 3 2 4 1 9 3 3 . - Politische Ethik. Vers, einer Grundlegung, 15 J e n a 1932. - Einheit v. Evangelium u. Volkstum?, H a m b u r g 1933 2 1 9 3 4 . - D a s Bekenntnis der Kirche, J e n a 1934. - D e r doppelte Sinn von G u t u. Böse: D T h 4 (1937) 3 2 9 - 3 4 5 . - Gericht oder Skepsis. Eine Streitschr. gegen Karl B a r t h , J e n a ' ' 2 1 9 3 7 . - D e r Zerfall des H u m a n i s m u s u. die Gottesfrage: D T h 4 (1937) 9 7 - 1 3 3 . - Die Verkündigung J e s u Christi, Heidelberg 1948 3 1 9 6 7 ( H U T h 3). - D i e Kirche in der Welt, Heidelberg 1948. - Der M e n s c h zwischen G o t t u. W e l t , Heidelberg 1952 20 4 1 9 6 7 . - Entmythologisierung u. Kirche, Stuttgart 1953 4 1 9 6 7 . - Verhängnis u. Hoffnung der Neuzeit. Die Säkularisierung als theol. P r o b l e m , Stuttgart 1953 2 1 9 5 8 . - Der Schatz in irdenen G e f ä ß e n . Predigten, Stuttgart 1 9 6 0 2 1 9 6 7 . - Jesus Christus Wende d e r Welt. Grundfragen zur Christologie, T ü b i n g e n 1966 2 1 9 6 7 . - Luthers T h e o l . , T ü b i n g e n 1967. - Die Frage nach G o t t , T ü b i n g e n 1968. Literatur 25

Armin V o l k m a r B a u e r , Freiheit zur Welt. Z u m Weltverständnis u. Weltverhältnis des Christen nach der T h e o l . Friedrich G o g a r t e n s , 1967 ( K K T S 2 5 ) . - H e r m a n n Fischer, Christi. G l a u b e u. G e s c h . Voraussetzungen u. Folgen der T h e o l . Friedrich G o g a r t e n s , Gütersloh 1967. - G e r h a r d Gloege, Der theol. Personalismus als d o g m . P r o b l e m . Versuch einer Fragestellung: ders., Heilsgeschehen u. Welt, G ö t t i n g e n 1965 ( T h e o l . T r a k t a t e 1). - J o a c h i m Kahl, Phil. u. Christologie im D e n k e n Friedrich 30 G o g a r t e n s , Diss. M a r b u r g 1967 (Lit.). - Carlos Naveillan, Strukturen der T h e o l . Friedrich G o g a r tens, 1972 ( B Ö T 7). - C a r l Heinz R a t s c h o w , Art. G o g a r t e n : R G G 3 2 (1958) 1 6 8 4 - 1 6 8 5 . - Alexander S c h w a n , Geschichtstheol. Konstitution u. Destruktion der Politik. Friedrich G o g a r t e n u. R u d o l f B u l t m a n n , B e r l i n / N e w York 1976 (Lit.). - T h e o d o r S t r o h m , T h e o l . im Schatten politischer R o m a n tik, M ü n c h e n / M a i n z 1970 (GT.S 2) (Lit.) - K a r l - W i l h e l m T h y s s e n , Begegnung u. Verantwortung. 35 D e r Weg der T h e o l . Friedrich G o g a r t e n s v. den Anfängen bis zum 2. Weltkrieg, 1 9 7 0 ( H U T h 12) (Lit.). - R u d o l f Weth, G o t t in Jesus. D e r Ansatz der Christologie Friedrich G o g a r t e n s . M i t einer G o g a r t e n - B i b l i o g r . , 1968 ( F G L P 10. R . , 36) (Lit.). Peter H e n k e

Goguel, Maurice 40

(1880-1955)

1. Leben und Werk

2. W i r k u n g

(Bibliographie/Quellen/Literatur S. 5 6 9 )

1. Leben und 'Werk A m 2 0 . M ä r z 1 8 8 0 in P a r i s g e b o r e n , a b s o l v i e r t e M a u r i c e G o g u e l sein g e s a m t e s S t u d i u m in - » P a r i s . S e i n e drei e r s t e n w i s s e n s c h a f t l i c h e n A r b e i t e n an d e r

Protestantisch-

T h e o l o g i s c h e n F a k u l t ä t s t e c k t e n bereits die drei G r u n d r i c h t u n g e n seiner F o r s c h u n g s t ä 45 t i g k e i t a b : La notion

johannique

de l'Esprit

et ses antécédents

historiques

P a r i s 1 9 0 2 ) s t a n d f ü r E x e g e s e u n d b i b l i s c h e T h e o l o g i e . L'apôtre

Paul

(Bakkalaureat, et

Jésus-Christ

(Lizentiat, Paris 1904) stellte historisch den Bezug z w i s c h e n der R e i c h - G o t t e s - B o t s c h a f t J e s u u n d d e m v o n P a u l u s v e r k ü n d e t e n E v a n g e l i u m h e r . Wilhelm me

religieux

actuel

Herrmann

et le

50 m a t i s c h e F o r s c h u n g . D i e d r e i G r u n d r i c h t u n g e n w a r e n a l s o : E x e g e s e , G e s c h i c h t e Dogmatik.

problè-

(theol. Dissertation, Paris 1905) repräsentierte gegenwartsnahe dogund

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Goguel

Bevor Goguel an die Erstellung einer protestantischen Dogmatik ging, war er in seinen exegetischen und vor allem historischen Arbeiten an strengste wissenschaftliche Maßstäbe gewöhnt. 1905 übernahm er den Lehrstuhl von E. Stapfer für Neues Testament an der Protestantisch-Theologischen Fakultät. Seine der École des Hautes Études vorgelegte Abhandlung L'Évangile de Marc dans ses rapports avec ceux de Matthieu et de Luc ( B H E H . R 1909) war das französische Werk, das der Priorität des Markusevangeliums zur festen Geltung verhalf. Seine Dissertationen für den docteur es lettres (Dr. phil.), L'eucharistie des origines à Justin Martyr (Paris 1910) und Les sources du récit johannique de la passion (Paris 1910), stellten die analytische Begabung Goguels sowie seine Fähigkeit, große Entwicklungslinien herauszuarbeiten, unter Beweis. Seine Einzeluntersuchungen dienten der Untermauerung seiner Ansichten über Gesamtfragen. Der zweite Abschnitt in Goguels Werk war von der Veröffentlichung der Introduction au Nouveau Testament von 1922 bis 1926 geprägt. Sie führte dem französischen Publikum durch eigene Forschungsbeiträge sowie die Einbeziehung vieler fremdsprachiger Werke vor Augen, was die historische Kritik zu leisten vermag. Das Werk blieb unvollendet; erschienen sind lediglich: Les Évangiles synoptiques (Paris 1923), Le quatrième Évangile (Paris 1924), Le Livre des Actes (Paris 1922), Les Épîtres pauliniennes, I/II (Paris 1925/26). D a ß dieses Vorhaben nicht zu Ende geführt wurde, lag vielleicht an der allgemeinen Verwirrung, die auf den Zusammenbruch der großen Synthesen des vorigen J a h r hunderts folgte (A.v. - » H a r n a c k , J . - » H o l t z m a n n , A . - > S a b a t i e r , E. Ménégoz). Bereits 1925 begann Goguel mit der Publikation seiner großen historischen Gesamtdarstellungen: Jésus de Nazareth, mythe ou histoire ? (Paris 1925), Au seuil de l'Évangile, Jean-Baptiste (Paris 1928), Trois études sur la pensée religieuse du christianisme primitif: Parousie et Résurrection, Paulinisme et Johannisme, La mystique paulinienne d'après Albert Schweitzer ( C R H P h R 23, 1931). Zwischenzeitlich wurde.er 1927 Nachfolger von Alfred —»Loisy an der Sorbonne und von Charles Guignebert an der École des Hautes Études. In Eschatologie et Apocalyptique ( R H R 1 0 6 , 1 9 3 2 ) grenzte sich Goguel von J . -»-Weiß und A. —»Schweitzer ab, deren Eschatologie im Blick auf Jesus vor allem an den Vorstellungen seiner Zeitgenossen orientiert war, - aber auch von R . - » B u l t m a n n , für den die ständige existentielle Entscheidung der Glaubenden an die Stelle des futurischen M o m e n tes trat. E r weigerte sich ebenfalls, die neutestamentlichen Zeugnisse mit der formgeschichtlichen Schule lediglich als ein aus katechetischen und liturgischen Stücken zusammengesetztes Trümmerfeld zu werten, das keine historische Rekonstruktion erlaubt. Goguel ließ nicht von seinem Ziel ab, zu einer klaren, umsichtigen und maßvollen Jesusdarstellung zu gelangen. Im gleichen J a h r kündigte er seinen großen Plan an: drei Werke über Jésus et les origines du christianisme. Damals erschien nur der erste Band: I. La vie de Jésus (Paris 1932). Eine zweite, völlig neugestaltete Auflage folgte erst 1950 unter dem Titel Jésus. Aus der 28 J a h r e währenden Umgestaltungs-, Verbesserungs- und Neugliederungsarbeit war jedoch ein völlig neues Werk hervorgegangen. Die drei seit langem angekündigten Bände wurden von 1946 bis 1950 in rascher Folge publiziert. Goguel verschwieg nicht, wie gewagt sein Versuch war, die Anfänge des Urchristentums darzustellen, denn vielen erschien es unmöglich, die fragmentarischen Elemente der Evangelientradition, die einer schonungslosen Kritik standgehalten hatten, zu einem geschlossenen Ganzen zusammenzufügen. M i t Jésus (Paris 1950) wollte Goguel ein für weitere Forschung offenes, jedoch auf festen Grundlagen ruhendes Bild entwerfen. Bei jeder Schlußfolgerung vermerkte er deren Sicherheitsgrad, um dem Leser bei seiner Urteilsbildung freie H a n d zu lassen. Bereits zuvor waren die Bände II: La naissance du christianisme (Paris 1946) und III: L'Église primitive (Paris 1946) erschienen, zwei Werke, die in ihrer grundlegenden Methodologie identisch, in ihrer Darstellungsweise jedoch unterschiedlich waren. Goguels Konzeption vom Phänomen der Religion, wonach es keine rein dynamische und auch keine rein statische Religion gibt, wohl aber Situationen, in denen das eine oder andere Element

Goguel

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überwiegt, stammt von Henri Bergson. Mit La naissance du christianisme sollte deutlich werden, wie nach dem Kreuzestod Christi ein neuer Glaube entstand und in einer neuen Lehre Ausdruck fand, deren zunächst vielfältige Formen sich einander allmählich annäherten und schließlich zu einem Lehrgebäude vereinigten, das man am Ende des 2. Jh., im Frühkatholizismus von -»Irenaus und -•Tertullian, als abgeschlossen ansehen kann. Dieses geht in einsichtiger Weise aus einer neuen religiösen Erfahrung hervor und ist keineswegs ein Zufallsprodukt; es hat sich offenbar zielgerichtet, nämlich in einem von der Sache her bestimmten Auswahlprozeß entwickelt. Formen, die den Lebensbedingungen einer Glaubensgemeinschaft nicht entsprachen, wurden ausgesondert; lediglich die angemessenen hatten Bestand. Dieser durch die Gesetze der Religionssoziologie bestimmte Vorgang vermittelt eine Perspektive, die dem Historiker bei seiner Forschungsarbeit als Leitfaden dienen kann. Wenn sich die Ausbreitung des Christentums auf die Lehre und die Erfahrung stützte, so beruhte das Wissen der ersten Christen um ihre enge Verbundenheit nicht einfach auf dem Gefühl, Brüder zu sein, sondern darauf, daß sie sich als Brüder in dem auferstandenen und verherrlichten Christus begriffen, auf den sich ihr kirchenbegründender Glaube richtete. So waren für die Existenz der Kirche als Glaubensgemeinschaft Lehre, Organisation und Kirchenzucht unerläßlich. Goguel bemühte sich also in zweifacher Hinsicht um eine Synthese: Er wollte das Christentum in seiner historischen Kontinuität verständlich machen und zugleich in seinem inneren Zusammenhang beschreiben. So arbeitete er die Originalität des Christentums im Vergleich zu den Religionen der Umwelt heraus. Für Goguel verstand es vor allem Paulus, das Denken und die Person Jesu in ihrer ganzen Tiefe zu erfassen; mit unvergleichlicher Meisterschaft wußte er seinem Evangelium volle Wirksamkeit zu verschaffen, indem er seinen Gehalt als das durch Christi Tod und Auferstehung bewirkte Erlösungsgeschehen und seine Entfaltung als eine Heilsgeschichte begriff, die in der -»Auferstehung Christi gipfelte. G o g u e l w u r d e m i t vielen a k a d e m i s c h e n A u s z e i c h n u n g e n g e e h r t u n d s t a r b 1955 in Paris. 2.

Wirkung

G o g u e l w a r f ü r d i e t h e o l o g i s c h e u n d h i s t o r i s c h e F o r s c h u n g in F r a n k r e i c h e h e r V o r b i l d u n d A n r e g e r als S c h u l h a u p t . Alle, d i e m i t i h m g e a r b e i t e t h a t t e n , w u r d e n g e p r ä g t v o n seinen A n s p r ü c h e n an solide F o r s c h u n g , von seinen eingehenden u n d detaillierten Analysen, v o n s e i n e r A b n e i g u n g g e g e n S k e p t i z i s m u s u n d A g n o s t i z i s m u s im Bereich d e r G e s c h i c h t e u n d v o n s e i n e m M i ß t r a u e n g e g e n ü b e r voreiligen u n d b e s t e c h e n d e n , a b e r u n z u länglich begründeten Schlußfolgerungen. Seine A r b e i t s w e i s e h a t e b e n f a l l s tiefe S p u r e n h i n t e r l a s s e n : M a n b r a u c h t n u r seine z a h l r e i c h e n A r t i k e l in Revue de l'histoire des religions u n d Revue d'histoire et de philosophie religieuses zu lesen, u m seine A c h t u n g selbst v o r s e h r a u s g e f a l l e n e n A n s i c h t e n u n d gleichzeitig sein r e d l i c h e s u n d a u f r i c h t i g e s B e m ü h e n u m d i e W a h r h e i t zu e r k e n n e n . D u r c h seine B e s t i m m u n g des c h r i s t l i c h e n G l a u b e n s v o n d e r i h m e i g e n e n D y n a m i k h e r h a t er d a z u b e i g e t r a g e n , d e s s e n B e s o n d e r h e i t z u r G e l t u n g zu b r i n g e n , w ä h r e n d er d e n E i n f l ü s s e n aus seiner U m w e l t nur geringe Bedeutung zumessen k o n n t e . Bibliographie

(bis 1946): Bibliographia Gogueliana: C N T 10 (1946) 5 - 1 2 .

Quellen Zusätzlich zu den bereits erwähnten Schriften Goguels sind zu nennen: Le texte et les éditions du N T grec, Paris 1920. - Jésus de Nazareth, mythe ou histoire?, Paris 1925. - Critique et histoire. A propos de la vie de Jésus, 1928 (CRHPhR 16). - Le NT, traduction nouvelle sous la direction de M . Goguel/H. Monnier, Paris 1928. - La foi à la résurrection de Jésus dans le christianisme primitif, 1933 (BEHE.R 47). - Le jugement dans le N T : Compte rendue de séance de rentrée de la Faculté libre de Théologie prot. de Paris, 4. Nov. 1 9 4 2 , 5 - 2 0 . - Observations sur la conception protestante de l'autorité du N T : C N T 11 (1947) 75 - 9 0 . - P n e u m a t i s m e et eschatologie dans le christianisme primitif, I: R H R 132 (1947) 124-169; II: R H R 133 (1948) 103-161. - De Jésus à l'apôtre Paul: RHPhR 28/29 (1948) 1 - 2 9 . - La seconde génération chrétienne: R H R 136 (1949) 3 1 - 5 7 . 1 8 0 - 2 0 8 . - Les premiers temps de l'Église, 1949 (MPT 28). - Ce que l'Église doit à l'apôtre Paul: RHPhR 31 (1951) 157-180. - Le paulinisme. Théologie de la liberté: RThPh 1 (1951) 9 3 - 1 0 4 . 1 7 5 - 1 8 3 . - L'espérance chrétienne d'après l'apôtre Paul: FV 50 (1952) 289-326. - Quelques observations sur l'œuvre de Luc: R H P h R 33 (1953) 3 7 - 5 1 . - Les récits évang. de repas et leurs

570

Goldene Regel I

significations: Spiritus et Veritas. FS K. Kundzins, Eutin 1953, 5 7 - 7 3 . - L'œuvre d ' O s c a r Cullmann sur saint Pierre: R H P h R 35 (1955) 1 9 6 - 2 0 9 . - Le caractère, à la fois actuel et futur, du salut dans la théologie paulinienne: T h e Background of the N T and its Eschatology. FS Charles H . Dodd, Carabridge 1954, 3 2 2 - 3 4 1 .

Literatur Oscar Cullmann, Art. M . Goguel: R G G 3 2 (1958) 1687. - D e r s . , M . Goguel: A E P H E . R 1 9 5 5 / 5 6 (1955) 2 8 - 3 5 ; dt.: ders., Vortr. u. Aufs., Tübingen 1966, 6 6 7 - 6 7 4 . - Nils Alstrup Dahl, M . Goguel: N T T 5 6 (1955) 2 9 8 f . - J e a n Héring,In M e m o r i a m M . Goguel ( 1 8 8 0 - 1 9 5 5 ) : R H P h R 3 5 (1955) 2 6 1 . Philippe Henri M e n o u d , M . Goguel ( 1 8 8 0 - 1 9 5 5 ) : V C 9 (1955) 1 - 8 . - C. Leslie Mitton, Goguel's Life o f Jesus: E T 65 ( 1 9 5 3 / 5 4 ) 2 5 9 - 263.

M a u r i c e Carrez Goldene Regel I. Judentum II. Neues Testament und frühes Christentum III. Historisch und ethisch

573 575

I. Judentum 1. Im hellenistisch-jüdischen Bereich 2. Im rabbinischen Schrifttum Goldene Regel und das Gebot der Nächstenliebe (Literatur S. 5 7 3 )

3. In der Neuzeit 4. Die

„Was du nicht willst, daß man dir tu', das füg' auch keinem andern z u . " Für diese M a x i m e und ihre positive Umkehrung hat sich im 18. Jh. der Begriff „Goldene R e g e l " eingebürgert. Die neuere jüdische Literatur hat den Ausdruck nie völlig angenommen. Häufig führt sie die M a x i r a e ohne Bezeichnung auf.

1. Im hellenistisch-jüdischen

Bereich

Die ältesten Belege der Goldenen Regel enthalten der Aristeasbrief (ca. 130 v. Chr.) und das Buch Tobit (ca. 200 v.Chr.). Arist. 207 antwortet einer der Geladenen des Königs auf dessen Frage nach der Lehre der Weisheit mit dem Satz: „ W i e du nicht das Schlechte erleiden, sondern an allem Guten teilhaben willst - wenn du dies den Untergebenen und Sündern tust, wenn du die ehrenwerten Menschen milde zurechtweisest." N i c h t nur ist der erste Teil der Goldenen Regel doppelt formuliert; sie ermangelt im Ganzen der Prägnanz, die ihrer klassischen Gestalt eigen ist. Sie erscheint als M a x i m e für das Verhalten des Königs seinen Untertanen gegenüber und nicht als allgemeingültige Regel. Unter den M a h n u n g e n , die Tobit seinem Sohne Tobias vor dessen Aufbruch nach Medien mitgibt, findet sich auch die Goldene Regel: „Und was du hassest [zu ergänzen: daß man es dir tut], das tue keinem a n " (Tob 4,15). Sie wird auch hier nicht als Zentralsatz der Sittlichkeit eingeführt, sondern als eine M a h n u n g unter andern. Die Goldene Regel verallgemeinert und abstrahiert gebotenes Verhalten, etwas was „dem jüdischen Denken ursprünglich fremd w a r " (Dihle 83). Dihle nimmt deshalb an, das Judentum habe sie aus der hellenistischen Popularphilosophie ü b e r n o m m e n . Dafür sprechen weitere Belege aus dem hellenistisch-jüdischen Bereich. Sir 3 1 ( 3 4 ) , 1 5 , das in der hebräischen Fassung (ca. 190 v. Chr.) eine Umschreibung des Gebotes der Nächstenliebe enthält, ist in der griechischen Übersetzung (ca. 100 v. Chr.) mit einem der Goldenen Regel verwandten Satz wiedergegeben worden. In —>Philos bei -»Eusebius bruchstückhaft erhaltener Schrift Hypothetica findet sich am Anfang einer Aufzählung geschriebener und ungeschriebener Gesetze und dadurch hervorgehoben der Satz: ä Tig na9sTv ¿%9aip£i, ¡IT) noieiv amöv [Was jemand selbst zu erleiden haßt, soll er selbst nicht tun.] (praep. evang. VIII,7,6). Das ungelenke Griechisch dieses Satzes läßt Bernays (274 f) vermuten, daß Philo das zugrundeliegende aramäische Original möglichst wörtlich übersetzen wollte. Theologisch vertieft erscheint die Goldene Regel slHen 61,1: „Was ein

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Goldene Regel I

significations: Spiritus et Veritas. FS K. Kundzins, Eutin 1953, 5 7 - 7 3 . - L'œuvre d ' O s c a r Cullmann sur saint Pierre: R H P h R 35 (1955) 1 9 6 - 2 0 9 . - Le caractère, à la fois actuel et futur, du salut dans la théologie paulinienne: T h e Background of the N T and its Eschatology. FS Charles H . Dodd, Carabridge 1954, 3 2 2 - 3 4 1 .

Literatur Oscar Cullmann, Art. M . Goguel: R G G 3 2 (1958) 1687. - D e r s . , M . Goguel: A E P H E . R 1 9 5 5 / 5 6 (1955) 2 8 - 3 5 ; dt.: ders., Vortr. u. Aufs., Tübingen 1966, 6 6 7 - 6 7 4 . - Nils Alstrup Dahl, M . Goguel: N T T 5 6 (1955) 2 9 8 f . - J e a n Héring,In M e m o r i a m M . Goguel ( 1 8 8 0 - 1 9 5 5 ) : R H P h R 3 5 (1955) 2 6 1 . Philippe Henri M e n o u d , M . Goguel ( 1 8 8 0 - 1 9 5 5 ) : V C 9 (1955) 1 - 8 . - C. Leslie Mitton, Goguel's Life o f Jesus: E T 65 ( 1 9 5 3 / 5 4 ) 2 5 9 - 263.

M a u r i c e Carrez Goldene Regel I. Judentum II. Neues Testament und frühes Christentum III. Historisch und ethisch

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I. Judentum 1. Im hellenistisch-jüdischen Bereich 2. Im rabbinischen Schrifttum Goldene Regel und das Gebot der Nächstenliebe (Literatur S. 5 7 3 )

3. In der Neuzeit 4. Die

„Was du nicht willst, daß man dir tu', das füg' auch keinem andern z u . " Für diese M a x i m e und ihre positive Umkehrung hat sich im 18. Jh. der Begriff „Goldene R e g e l " eingebürgert. Die neuere jüdische Literatur hat den Ausdruck nie völlig angenommen. Häufig führt sie die M a x i r a e ohne Bezeichnung auf.

1. Im hellenistisch-jüdischen

Bereich

Die ältesten Belege der Goldenen Regel enthalten der Aristeasbrief (ca. 130 v. Chr.) und das Buch Tobit (ca. 200 v.Chr.). Arist. 207 antwortet einer der Geladenen des Königs auf dessen Frage nach der Lehre der Weisheit mit dem Satz: „ W i e du nicht das Schlechte erleiden, sondern an allem Guten teilhaben willst - wenn du dies den Untergebenen und Sündern tust, wenn du die ehrenwerten Menschen milde zurechtweisest." N i c h t nur ist der erste Teil der Goldenen Regel doppelt formuliert; sie ermangelt im Ganzen der Prägnanz, die ihrer klassischen Gestalt eigen ist. Sie erscheint als M a x i m e für das Verhalten des Königs seinen Untertanen gegenüber und nicht als allgemeingültige Regel. Unter den M a h n u n g e n , die Tobit seinem Sohne Tobias vor dessen Aufbruch nach Medien mitgibt, findet sich auch die Goldene Regel: „Und was du hassest [zu ergänzen: daß man es dir tut], das tue keinem a n " (Tob 4,15). Sie wird auch hier nicht als Zentralsatz der Sittlichkeit eingeführt, sondern als eine M a h n u n g unter andern. Die Goldene Regel verallgemeinert und abstrahiert gebotenes Verhalten, etwas was „dem jüdischen Denken ursprünglich fremd w a r " (Dihle 83). Dihle nimmt deshalb an, das Judentum habe sie aus der hellenistischen Popularphilosophie ü b e r n o m m e n . Dafür sprechen weitere Belege aus dem hellenistisch-jüdischen Bereich. Sir 3 1 ( 3 4 ) , 1 5 , das in der hebräischen Fassung (ca. 190 v. Chr.) eine Umschreibung des Gebotes der Nächstenliebe enthält, ist in der griechischen Übersetzung (ca. 100 v. Chr.) mit einem der Goldenen Regel verwandten Satz wiedergegeben worden. In —>Philos bei -»Eusebius bruchstückhaft erhaltener Schrift Hypothetica findet sich am Anfang einer Aufzählung geschriebener und ungeschriebener Gesetze und dadurch hervorgehoben der Satz: ä Tig na9sTv ¿%9aip£i, ¡IT) noieiv amöv [Was jemand selbst zu erleiden haßt, soll er selbst nicht tun.] (praep. evang. VIII,7,6). Das ungelenke Griechisch dieses Satzes läßt Bernays (274 f) vermuten, daß Philo das zugrundeliegende aramäische Original möglichst wörtlich übersetzen wollte. Theologisch vertieft erscheint die Goldene Regel slHen 61,1: „Was ein

Goldene Regel I

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Mensch für sich selbst vom Herrn erfleht, das soll er auch jedem Lebewesen t u n . " Besonders interessant ist TestNaph hebr. 1,6: „Ihn [d.h. Gott] sollen seine Kreaturen fürchten, und keiner soll dem Nächsten tun, was er nicht will, daß man's ihm tue!" Die Goldene Regel bildet hier Teil eines Doppelgebotes, in dem das gegenüber Gott und den Menschen gebotene Verhalten umfassend geregelt wird. Weitere Belege: PsMen 39 f (39 auf Ehebruch angewandt); Achikar arm. B 5 3 . 2. Im rabbinischen

Schrifttum

Bekannt und populär geworden ist die Goldene Regel im Judentum vor allem durch bShab 31 a. Als einmal ein Heide zu Schammaj (—>Hillel) kam und Proselyt werden wollte unter der Bedingung, daß er ihm die ganze Tora in jener Zeit lehre, da er auf einem Bein zu stehen vermöge, wies dieser ihn vehement zurück. Hillel dagegen entsprach seinem Begehren; er sagte ihm: „Was dir verhaßt ist, das tue deinem Nächsten nicht. Das ist die ganze T o r a ; das andere ist Auslegung. Geh, lerne!" Diese Baraita gehört mit drei andern Geschichten zusammen, die von der Milde Hilleis im Unterschied zur Härte Schammajs handeln. Neusner ( 3 2 2 - 3 2 4 . 3 3 8 f) spricht Hillel sowohl die hebräisch überlieferte Geschichte als auch die aramäisch formulierte Goldene Regel ab. Nach ihm ist die Geschichte zu einer Zeit entstanden, da Schammaj als lebende Person den Leuten nicht mehr in Erinnerung stand und man Hillel - ohne großen Bezug auf seine tatsächliche Lehre - als Vorbild hinstellen wollte. Hübner (249 f) dagegen beläßt Hillel die von ihm als Apophtegma bezeichnete Goldene Regel, rechnet aber damit, daß die dazugehörende Geschichte unhistorisch ist. Bedeutung und Funktion der Goldenen Regel im vorliegenden Zusammenhang werden unterschiedlich beurteilt. Jeremias vertritt die höchst unwahrscheinliche Ansicht, mit der Zusammenfassung der Tora im Kerngesetz der Goldenen Regel habe Hillel einen seiner „kühnsten theologischen Gedanken" (89) ausgesprochen. Mit der Frage nach dem Kerngesetz habe er die stoische Vorstellung (->Stoa) vom ungeschriebenen Gesetz auf die Tora angewandt; typisch jüdisch wäre es gewesen, nach dem ersten Gebot zu fragen. Eine radikal andere Position vertritt Nissen (398 f). Die Goldene Regel betrachtet er als Notbrücke, die den Fragenden zur Tora führen will und die abgerissen wird, sobald er auf ihren Boden gelangt ist. Sie wolle die Tora weder in ihrem ganzen Umfang noch in ihrem sittlichen Teil zusammenfassen. Sie hat nach ihm deutlich Hilfsfunktion. Für diese Deutung spricht der letzte Satz der Geschichte: „Geh, lerne!" Damit wird der Heide aufs Torastudium verwiesen. Eine ähnliche Geschichte wie von Hillel ist auch von Rabbi ->Akiba überliefert. Als einmal jemand von ihm die ganze Tora auf einmal zu hören begehrte, antwortete er damit, M o s e habe vierzig Tage und Nächte auf dem Berge verbracht und immer noch nicht ausgelernt. Wie da ein anderer die Tora auf einmal lernen könne? Er gab ihm dann trotzdem eine Hauptregel (kll) als Antwort mit: „Was dir verhaßt ist, wenn man es dir antut, das tue deinem Nächsten nicht" ( A R N B 2 6 ) . R . Akiba schränkt im Vergleich zu Hillel die Tragweite der Goldenen Regel ein: Er gibt dem Fragenden eine und nicht die Hauptregel. Das rabbinische Schrifttum enthält neben der abstrakten Formulierung recht viele sachbezogene Anwendungen der Goldenen Regel: „Wenn du wünschst, daß man dir nicht das Deine wegnehme, nimm du nicht deinem Nächsten das Seine weg. Wenn du wünschst, daß man nicht hinter deinem Rücken ein (verleumderisches) Wort sagt, sage auch du nicht ein Wort hinter seinem R ü c k e n " ( A R N B 29). Einige imperativisch formulierte Belege sind ausgesprochene Klugheitsregeln: „Tue, daß man dir tue, betraure, damit man dich betraure; begrabe, damit man dich bestatte; begleite, damit man dich begleite" (yKet 3 1 a ; Parallelrezensionen bei Philippidis, 39; vgl. weiter bKet 7 2 a). Andere Stellen berühren sich fast enger mit dem Gebote der Nächstenliebe als mit der Goldenen Regel: „Die Ehre deines Nächsten sei dir so lieb wie die deine" (Av 2,10; weitere Beispiele bei Nissen 299 f).

Für die Rezeption der Goldenen Regel in späterer Zeit ist neben bShab 3 1 a vor allem die Ubersetzung von Lev 19,18 in T J I wichtig geworden: „ D u sollst deinen Nächsten lieben; denn was dir unlieb ist, sollst du ihm nicht t u n . " Die Goldene Regel tritt nicht an

572

Goldene Regel I

die Stelle des Liebesgebotes und bildet auch nicht einfach seine Auslegung; sie ist Interpretation des „wie dich selbst" im Liebesgebot. 3. In der

Neuzeit

Im 19. und 20. Jh. ist die Goldene Regel Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen zwischen Juden und Christen geworden. Die einschlägige Literatur trägt großenteils polemischen Charakter. Im Altertum wurde zwischen negativer und positiver Fassung der Goldenen Regel wohl k a u m ein großer Unterschied e m p f u n d e n . Von christlicher Seite ist nun aber gerne behauptet worden, die negative Fassung, die im J u d e n t u m vorherrscht, sei der positiven eindeutig unterlegen und enthalte im Unterschied zu dieser die Forderung, den Nächsten zu lieben, nicht; das treffe erst f ü r M t 7,12 zu (so etwa Bill. 1,357; vgl. weiter Bischoff 93). Die jüdische Seite hat darauf entgegnet, d a ß T J I zu Lev 19,18 die Goldene Regel mit dem Liebesgebot verknüpfe und Hillel mit dem Befehl „Geh, lerne!" auch auf die positiven Bestimmungen der Nächstenliebe hingewiesen habe (Farbstein 14; G u t t m a n n 327). G u t t m a n n hält den Christen weiter vor, d a ß der Menschenliebe genug getan wäre, hielte man sich im Umgang mit dem Nächsten schon nur an die negative Fassung der Goldenen Regel. Hinter dieser Aussage steht unausgesprochen der gegen die Christen häufig erhobene Vorwurf, die richtige Theorie sei ihnen wichtiger als die Praxis. Für die jüdische Abwehr christlicher Vorwürfe ist weiter der Versuch bezeichnend, die negative Fassung der Goldenen Regel der positiven überzuordnen. N a c h Achad H a a m (238—240) steht die positive Fassung im Widerspruch zur sittlichen Grundlage des Judentums, da sie dem Menschen einen objektiven sittlichen Wert abspreche. Der Nächste werde Mittel zu einem subjektiven Z w e c k . Das J u d e n t u m habe jedoch „aus der Ethik das subjektive Verhältnis ausgeschaltet und sie auf eine abstrakt objektive Basis gestellt - die der absoluten Gerechtigkeit, die im Menschen einen selbständigen sittlichen Wert sieht, ohne den Unterschied eines ,Ego' und eines , A l t e r ' " (239). N u r die negative Fassung der Goldenen Regel entspricht nach Fink der Forderung absoluter Gerechtigkeit: „Was der Egoismus f ü r sich nicht will, das darf man gerechterweise einem anderen nicht tun; aber, was der Egoismus f ü r sich ja will, das ist ein unbegrenztes Ding. Wenn man nun den Nächsten verpflichtet, so den anderen gegenüber zu handeln, so wird die Wagschale der Gerechtigkeit zugunsten der ,Anderen* gegen das ,Ich' geneigt" (Leserbrief an die Vossische Zeitung vom 5. April 1925). Die Auseinandersetzung um die Goldene Regel ist nicht nur in Gelehrtenkreisen, sondern auch in einer breiteren Öffentlichkeit ausgetragen worden. 4. Die Goldene

Regel und das Gebot der

Nächstenliebe

Das Liebesgebot verlangt, dem Nächsten das gleiche M a ß an Liebe zu schenken, das wir uns selber erweisen. Im Unterschied zur Goldenen Regel weiß es nichts von Gegenhandlungen, die wir vom Nächsten erwarten dürfen. Die neuere jüdische Literatur enthält drei eng miteinander verwandte Verhältnisbestimmungen zwischen den beiden ethischen M a x i m e n . Joseph (392) setzt Liebesgebot und Goldene Regel einander gleich. Kirschner (1183) betrachtet Lev 19,18 als Quelle der Goldenen Regel. Für jüdisches Denken am typischsten ist die A u s k u n f t , die Goldene Regel bilde die verdeutlichende, populäre, f ü r den täglichen Gebrauch bestimmte Form des Liebesgebotes (so etwa Eschelbacher 143; M a y b a u m 407). Die in Sir 31(34),15 und TJI zu Lev 19,18 eingeleitete Annäherung von Liebesgebot und Goldener Regel wird also im neueren jüdischen Denken reflektiert weitergeführt. Bei G ü d e m a n n (37f) m u ß die Goldene Regel als Beweis d a f ü r herhalten, d a ß das Gebot der allgemeinen Nächstenliebe sich bereits im J u d e n t u m finde - vor Jesus — Hillel habe dem Proselyten nur deshalb mit der Goldenen Regel und nicht mit dem G e b o t der Nächstenliebe geantwortet, weil dieses als Gebot der Liebe zum Volksgenossen hätte mißverstanden werden müssen.

Goldene Regel II

573

Literatur Achad H a a m , A m Scheidewege, Berlin, II 1916. - J a c o b Bernays, Philon's H y p o t h e t i k a und die Verwünschungen des Buzyges in Athen: Ges. A b h . , Berlin, 1 1 8 8 5 , 2 6 2 - 2 8 2 . - Erich Bischoff, Jesus u. die R a b b i n e n , Leipzig 1905 ( S I J B 3 3 ) . - Albrecht Dihle, Die G o l d e n e Regel. Eine Einf. in die Gesch. der antiken u. frühchristl. Vulgärethik, 1962 ( S A W 7). - J . E s c h e l b a c h e r , Die Vorlesungen A. H a r nacks über das Wesen des Christentums: M G W J 4 7 (1903) 1 3 6 - 1 4 9 . - David Farbstein, Die N ä c h stenliebe nach jüdischer Lehre: J u d . 5 (1949) 1 - 4 7 . - M o r i t z G ü d e m a n n , Nächstenliebe. Ein Beitr. zur Erklärung des M t - E v . , W i e n 1890. - M i c h a e l G u t t m a n n , D a s J u d e n t u m u. seine U m w e l t , Berlin, I 1 9 2 7 . - H a n s H ü b n e r , D a s ganze u. das eine Gesetz: K u D 21 (1975) 2 3 9 - 2 5 6 . - J o a c h i m J e r e m i a s , Paulus als Hillelit: N e o t e s t a m e n t i c a et Semítica. FS M a t t h e w B l a c k , Edinburgh 1969, 8 8 - 9 4 . M o r r i s J o s e p h , J u d a i s m as Creed and Life, L o n d o n 1903 4 1 9 5 8 . - B r u n o Kirschner, G o l d e n e Regel: J L 2 (1927) 1 1 8 2 f ( N a c h d r u c k 1982). - A b r a h a m K r o c h m a l , T h e o l . der Z u k u n f t , L e m b e r g 1872, 1 - 5 . - S. M a y b a u m , Erklärung einiger bibl. Stellen: FS H e r m a n n C o h e n , Berlin 1912, 4 0 5 - 4 1 0 . — J a c o b Neusner, T h e R a b b i n i c T r a d i t i o n s a b o u t the Pharisees b e f o r e 7 0 . 1 T h e M a s t e r s , Leiden 1971. - Andreas Nissen, G o t t u. der N ä c h s t e im antiken J u d e n t u m . Untersuchungen zum D o p p e l g e b o t der Liebe, 1974 ( W U N T 15), besonders 3 9 0 - 3 9 9 (Lit.). - Leonidas J o h . Philippides, Die „ G o l d e n e R e g e l " religionsgesch. unters., Diss. Leipzig 1929.

Hans-Peter M a t h y s

II. Neues Testament und frühes Christentum 1. Die G o l d e n e Regel als S u m m e des Gesetzes 2 . Die G o l d e n e Regel als soziale M o t i v a t i o n christlicher Feindesliebe 3 . D i e G o l d e n e Regel innerhalb christlicher Bekehrungstradition 4 . Die G o l d e n e Regel als eine grundlegende N o r m christlicher Ethik (Literatur S. 575)

1. Die Goldene

Regel als Summe des

Gesetzes

Die positiv gefaßte Goldene Regel schließt in M t 7 , 1 2 den Hauptteil der Bergpredigt ( 5 , 1 7 - 7 , 1 2 ) zusammenfassend ab. In der Wendung ,Gesetz und Propheten* (7,12b) wird M t 5 , 1 7 - 2 0 wiederaufgenommen und damit die Goldene Regel in den Zusammenhang der Frage nach der ,besseren* Gerechtigkeit der Christen gestellt. Die F o r m e l , G e s e t z und Propheten' benennt die Gesamtheit der göttlichen Forderungen (vgl. Berger, Gesetzesauslegung 2 0 9 - 2 3 1 ) und wird von M t auch in 2 2 , 4 0 in Verbindung mit dem doppelten Liebesgebot (—»Gebot) verwendet (vgl. die enge Verbindung der beiden Hauptgebote mit der Goldenen Regel bei Did 1,2 f; Justin, dial. 93,2 f; Clemens Alexandrinus, paed. 111,12). Damit ist die Goldene Regel bei M t dem doppelten Liebesgebot als Summe der Forderungen Gottes gleichgesetzt. Sie steht so in einer Tradition, die die liebevolle Hinwendung zum Mitmenschen als die Forderung des christlichen Gesetzes ansieht. Bereits die pagan-griechische philosophische Tradition konnte die Goldene Regel zur Summe der vom Menschen erwarteten Verhaltensweisen machen (Simplic., in Epict. 30; vgl. Isoer., Nie. 4 9 . 6 1 ; Areop. 81; Demosth., prooem. 22,3; Dio Cass. 5 2 , 3 4 / 3 9 ; Diog. Laert. V,21) und auch im frühen Christentum wurde sie häufig in dieser Funktion verwendet: N a c h syrDidaskalia (ed. A. Vööbus) 1,7 faßt die Goldende Regel als ein ,einfaches und wahres Gesetz' alle an den Christen gestellten Forderungen zusammen. Auch kann sie als Summe der grundlegenden sozialen Pflichten gelten (PsClem. Horn. 11,4; Tertullian, M a r c . 14,16) und als eine Zusammenfassung des christlichen Glaubens angesehen werden (PsClem. Horn. 7,4). So ist die Goldene Regel nicht nur bei M a t t h ä u s , sondern auch in der frühchristlichen Literatur eine grundlegende ethische M a x i m e (vgl. auch E v T h o m , Logion 6).

2. Die Goldene

Regel als soziale Motivation

christlicher

Feindesliebe

Bei Lukas findet sich die Goldene Regel (Lk 6,31) innerhalb einer kleinen Z u s a m m e n stellung von Jesusworten, die die Feindesliebe als Forderung an das Verhalten der Jünger zum T h e m a haben ( 6 , 2 7 - 3 6 ) . Damit hat Lukas den ursprünglichen Ort der Goldenen Regel in der Logienquelle besser beibehalten (so Schürmann: H T h K I I I / l , 3 5 0 f ) . Innerhalb dieses Abschnittes über Feindesliebe und Gewaltverzicht schließt die Goldene Regel

574

Goldene Regel II

den ersten Teil (6,27-31) über das Verhalten der Christen nach außen angesichts der zuvor geschilderten Verfolgungssituation (6,20ff) ab. Der Aufruf zu Feindesliebe und Gewaltverzicht wird damit in einer allgemein anerkannten und evidenten Erfahrungsregel begründet: Das Außerordentliche und Anspruchsvolle (Feindesliebe und Gewaltverzicht trotz Verfolgung) gründet in dem direkt Einsichtigen und Bekannten (Goldene Regel). Ähnlich wird in dem zweiten Teil des Abschnittes (6,32-35) zur Feindesliebe mit dem konventionellen Hinweis auf den zu erwartenden eschatologischen Lohn (6,35) angeregt. Sowohl die soziale als auch die theologisch-eschatologische Motivation zum Tun der Feindesliebe appellieren an ein Ethos der Gegenseitigkeit, das in Konsequenz die Forderung nach Feindesliebe geradezu radikalisiert (vgl. Theißen 166): Wer die Goldene Regel zur Motivation dafür macht, seine Feinde zu lieben, hofft darauf, daß diese sich in gleicher Weise verhalten. Auch in der zweiten theologischen Motivation bleibt das Motiv der Gegenseitigkeit erhalten: Himmlischer Lohn und Sohnschaft erwarten den, der die Feinde liebt (6,35). Eine derartige Begründung des Gebotes der Feindesliebe in der Goldenen Regel kann in der weiteren Geschichte der frühen christlichen Gemeinden zu einem festen Bestandteil ihrer Ordnungen werden (Ep. apost. 18 [29]; syrDidaskalia 1,7ff). 3. Die Goldene Regel innerhalb christlicher

Bekehrungstradition

Die Goldene Regel konnte als von Juden, Heiden und Christen anerkannte ethische Erfahrungsregel zu einem wichtigen Topos innerhalb christlicher Bekehrungstradition werden: Der westliche Text der Apostelgeschichte ergänzt den notwendigen Grundkatalog von Forderungen an den bekehrten Heiden, wie er im Aposteldekret niedergelegt ist, um die Goldene Regel (Act 15,20.29). Durch diese Hinzufügung haben die Väter des westlichen Textes die vier ursprünglich rituellen Forderungen des Aposteldekretes in moralische Gebote umgedeutet und damit dem Bekehrten einen knappen verbindlichen Abriß christlicher Sittenlehre vorgelegt: Nun wird für den Heidenchristen die Abkehr von Götzendienst, Hurerei und Mord und die Befolgung der Goldenen Regel zum verbindlichen Maßstab christlicher Lebensführung. Bereits in der Didache konnte die Goldene Regel unabhängig von heilsgeschichtlichem Material und Ritualvorschriften direkt auf die Forderung nach Gottesverehrung folgen (1,2). Damit wird dem Neu-Bekehrten eine kurze Zusammenfassung der im weiteren Verlauf von Did 1 folgenden ,Lehre zum Leben' gegeben (vgl. Acta Thaddei 8; Aristid., apol. 15,4f). 4. Die Goldene Regel als eine grundlegende

Norm christlicher

Ethik

-•Bultmann konnte behaupten, daß die Goldene Regel „die Moral eines naiven Egoism u s " enthalte (Gesch. der synopt. Tradition 107). Auch Dihle versucht an Lk 6,31 zu zeigen, daß „eine aus dem Kerygma des Neuen Testamentes erwachsende Ethik nicht in der Goldenen Regel zusammengefaßt werden kann, obwohl ein Handeln nach der Golden Regel durchaus nicht im Widerspruch zu ihr zu stehen braucht" (Dihle: RAC 11, 937). Beide Forscher sehen in der Goldenen Regel ein Weiterwirken des in der gesamten Antike verbreiteten Motivs der gegenseitigen Vergeltung (vgl. R. Heiligenthal, Werke als Zeichen, 1983 [ W U N T II/9]) und werten dieses Eindringen popularethischer Vorstellungen qualitativ ab. Diese Sicht der Goldenen Regel provozierte in der Forschung zum Teil heftige Gegenreaktionen (vgl. Schneider, Neuheit; Schürmann, HThK III/l z. St.), die in der positiv formulierten Goldenen Regel in Verbindung mit dem Gebot der Feindesliebe (Lk 6,31) gerade eine Durchbrechung des antiken Vergeltungsmotivs sehen wollen. Doch auch Lukas hält an der der Goldenen Regel inhärenten grundsätzlichen Reziprozität menschlichen Verhaltens fest (vgl. Theißen 166). Diese Aufnahme eines populärethischen Prinzips, dem eine allgemein evidente Erfahrung zugrundeliegt, ist prinzipiell deshalb positiv zu bewerten, weil sie ein Zeichen für die Fähigkeit der christlichen Religion ist, ihren Anhängern eine für das praktische und tägliche Leben taugliche allgemeine Moral aufzuerlegen (vgl. Martin P. Nilsson, Gesch. der griech. Religion, II 1950,555). Bereits im paganen Griechentum war die Goldene Regel Summe praktischer Verhaltensregeln

Goldene Regel III

575

(Isoer., Nie. 49), ein Gegenstand pädagogischer Unterweisung (Isocr., Nie. 61), dessen Beachtung zu sittlichem Fortschritt führte (Diog. Laert. 1,59) und der Vervollkommnung der täglichen Lebensführung diente (Diog. Laert. 1,36). Pseudo-Philo sah den besonderen Wert der Goldenen Regel darin, daß sie Philosophie und gesunden Menschenverstand aneinander bindet (Eusebius, praep. ev. VIII,7,6). Indem das Christentum die Goldene Regel dem Liebesgebot gleichstellte und in ihr die Summe der göttlichen Forderungen enthalten sah ( M t 7,12), indem es die Goldene Regel zu einem Element seiner Bekehrungstradition machen konnte (Act 15,20.29), räumte es der natürlichen Evidenzerfahrung in der Ethik einen herausragenden Platz ein. Die christliche Ethik gewann so eine allen Menschen direkt einsichtige Grundlage, die von der Empirie des Alltäglichen ausgeht (vgl. Justin, dial. 92,3 f; Photius, in M a t t h . 7,12 [Reuss, T U 61 (1957) 283]). Der Wert der Goldenen Regel liegt darin, daß sie an die Erfahrung des natürlichen Menschen anknüpft und diesem damit die Möglichkeit bietet, einen direkten Zugang zu einem christlichen Wertesystem zu gewinnen. Literatur Klaus Berger, Die Gesetzesauslegung Jesu. Ihr hist. Hintergrund im Judentum u. im AT, I M k u. Parallelen, 1972 ( W M A N T 40). - Richard Hugh Connolly, Anegative Golden Rule in the Syriac Acts of St. T h o m a s : J T h S 3 6 (1935) 3 5 3 - 3 5 6 . - Albrecht Dihle, Art. Goldene Regel: R A C 11 (1981) 9 3 0 - 9 4 0 . - D e r s . , Die Goldene Regel. EineEinf. in die Gesch. der antiken u. frühchristl. Vulgärethik, 1962 (SAW 7). - Arnold Ehrhardt, Greek Proverbs in the Gospel: H T h R 4 6 (1953) 59ff. - Georg Eichholz, Auslegung der Bergpredigt, Neukirchen 3 1 9 7 5 , 155 f. - Norvin J a c o b Hein, Art. Goldene Regel. I. Religionsgesch.: R G G 3 2 (1958) 168f. - J o a c h i m Jeremias, Art. Goldene Regel. II. Im N T : R G G 3 2 (1958) 1688 f. - G e o r g e B. King, T h e „ N e g a t i v e " Golden Ruie: J'R 8 (1928) 2 6 8 - 2 7 9 . - Dieter Lührmann, Liebet eure Feinde (Lk 6 , 2 7 - 3 6 / M t 5 , 3 9 - 4 8 ) : Z T h K 6 9 (1972) 4 1 2 - 4 3 8 . - Leonidas Ioannou Philippides, Die Goldene Regel religionsgesch. unters., Diss. Leipzig 1929. - Ders., Religionswiss. Forschungsberichte über die Goldene Regel, Athen 1933. - Gerhard Schneider, Die Neuheit der christl. Nächstenliebe: T T h Z 82 (1973) 2 5 7 - 2 7 5 , bes. 2 6 7 - 2 7 1 . - A l f r e d Seeberg, Die beiden Wege u. das Aposteldekret, Leipzig 1906. - Gerd Theißen, Gewaltverzicht u. Feindesliebe: Stud. zur Soziologie des Urchristentums, 1979 ( W U N T 19) 1 6 0 - 1 9 7 , bes. 166 f.

R o m a n Heiligenthal

III. Historisch und ethisch 1. Die goldene Regel in der Geschichte des abendländischen Denkens (bis zum 19. Jh.) 2. Die goldene Regel in der neueren M o r a l - und Rechtsphilosophie 3. Das Prinzip der Gegenseitigkeit in der modernen Anthropologie und Ethnologie 4. Die goldene Regel in der neueren Theologie (Literatur S. 5 8 2 )

1. Die goldene Regel in der Geschichte

des abendländischen

Denkens (bis zum 19. Jh.)

Der Begriff ,goldene Regel' ( r e g u l a aurea) ist erst seit dem 18. J h . nachweisbar und erscheint zuerst in England als golden rule. Philippidis hat nachgewiesen, daß auch außerhalb des biblischen Einflusses stehende Kulturen wie Konfuzianismus, Hinduismus und Islam die goldene Regel sowohl in ihrer positiven wie negativen F o r m kennen. Bei den altkirchlichen Apologeten ( - » A p o l o g e t i k ) und den alexandrinischen Theologen (s.o. II) dient die goldene Regel als Beweismittel, daß die christliche Religion die wahrhaft vernünftige Religion sei und die christliche Sittenlehre mit der „ n a t ü r l i c h e n " Sittlichkeit übereinstimme. - * Augustin zitiert in seiner Anleitung zur Erziehung De ordine 11,25 (PL 32,1006) ein „allgemein verbreitetes S p r i c h w o r t " : niemandem sollen sie antun, was sie selbst nicht erleiden mögen. Bei Augustin werden Gottes- und Nächstenliebe durch die Selbstliebe ( - • Egoismus) vermittelt. „Sie ist der Beziehungspunkt, von dem aus die beiden anderen Stücke ihre innere Verbindung und ihr M a ß erhalten, eine Auffassung, deren Nachwirkung in der -»Scholastik nicht weniger tiefgreifend war als die Umdeutung der Liebe in die F r e u n d s c h a f t " (K. Holl, GAufs. 111,87). In De civitate Dei X I V , 8 (PL 41,412) setzi . s i c h Augustin im Zusammenhang einer Erörterung über das Wesen des Willens auch

576

Goldene Regel III

mit M t 7 , 1 2 auseinander. Er meint, es scheint ausdrücken zu wollen, daß keiner etwas Böses oder Schändliches wollen, sondern höchstens begehren könne. „Freilich haben manche Übersetzer dem Sprachgebrauch zuliebe ,Gutes' beigefügt und so übersetzt: Alles Gute, was ihr wollt, daß euch die Menschen t u n . . . " , weil sie glaubten vorbeugen zu müssen, daß keiner Unehrbares von den Menschen wolle, etwa schwelgerische G a s t m ä h l e r . . . , und dann der Meinung sei, daß er damit, wenn er so etwas in gleicher Weise den Menschen bereite, jenes Gebot erfülle". Augustin weist aber darauf hin, daß im griechischen Text das Wort „ G u t e " nicht steht, daher „glaube ich, daß mit dem Wort , wollt' bereits auf das Gute hingedeutet wird, denn sonst würde es ,begehrt' h e i ß e n " . - In der Tat weist hier Augustin auf ein Problem hin, das sich bei der goldenen Regel stellt, wenn sie als Formalprinzip des sittlichen Handelns verstanden wird: es könnte sein, daß andere nicht das von mir erwarten, was ich von ihnen erwarte. Ein arroganter oder auf seine Unabhängigkeit bedachter Mensch mag wünschen, daß ihm geschmeichelt wird oder daß man ihn in Ruhe läßt, während andere weder den einen noch den anderen Wunsch haben. Das korrespondierende Verhalten muß also nicht unbedingt gleich sein, vielmehr sollte es individualisierend auf die Interessen und Wünsche des anderen eingehen, wie ich auch erwarte, daß meine Interessen und Wünsche berücksichtigt werden. M a n kann also eine partikulare und eine generelle Interpretation der goldenen Regel unterscheiden. In der geschichtlichen Grundlage des Kirchenrechts, dem Decretum Gratiani (PL 187,30), wird die goldene Regel mit dem —»Naturrecht gleichgesetzt: Naturrecht heißt das, was im —»Gesetz und im Evangelium enthalten ist, und wodurch jeder gehalten ist, das, was man für sich selbst wünscht, auch andern zu tun, und wodurch es verboten ist, einem andern etwas zuzufügen, was man für sich selbst nicht wünscht (Dist. 1,1). Dabei wird stillschweigend vorausgesetzt, daß die goldene Regel auf die biblische Wertskala bezogen ist, die hier absolut gesetzt wird. In der Scholastik wurde gegen die positive Fassung der goldenen Regel eingewandt, man dürfe nur das Gute, nicht aber auch das Schlechte, das man vom Nächsten hinzunehmen bereit sei, fordern, vielmehr setze die richtige Anwendung dieser M a x i m e die Kenntnis des christlichen Liebesgebots voraus (so Petrus -»Abaelard [PL 178,814]). —>Duns Scotus interpretiert die goldene Regel dahin: wie ihr nach richtigem Vernunfturteil wissen sollt... (Op. Oxoniense IV d.21 qu.2 n.8). Das bedeutet, daß die goldene Regel keine Richtschnur für gerechtes Verhalten abgibt, sondern eine solche voraussetzt. ->Luther setzt das göttliche Liebesgebot mit der goldenen Regel gleich (Instructio pro confessione peccatorum 1518, W A 1,259,13). Er schließt sich dem herkömmlichen Sprachgebrauch an, der die goldene Regel mit dem Naturrecht identifiziert, doch im Sachverständnis geht er eigene Wege. Die goldene Regel ist nach Luther zunächst kein geistliches Gesetz, denn einmal gebietet sie ein äußerliches Werk, sodann nimmt sie Bezug auf das Ich als M a ß s t a b des Verhaltens. Im Stand der unversehrten Natur wäre eine solche Anweisung ganz unnötig gewesen; sie gehört also dem Stand der Natur nach dem Fall, dem Reich der Welt an. Christus allerdings legt sie geistlich aus, so wie sie von Christen gehandhabt werden soll. „Die geistlich verstandene goldene Regel ist diejenige Redaktion des naturgesetzlichen Gebotes der Nächstenliebe, welche im Stand der natura corrupta dem Reich Christi z u g e h ö r t . . . N a c h Christi Auslegung der goldenen Regel wird der Mensch aufgefordert, diesen seinen Egoismus ganz für den Dienst des Nächsten fruchtbar zu machen, nämlich sich in die Stelle des Nächsten zu versetzen, das eigene Wohl praktisch demjenigen des andern nachzuordnen und nicht etwa das Naturgesetz schon dann als erfüllt anzusehen, wenn das eigene Wohl und das des Nächsten gleich behandelt w e r d e n " (J. Heckel 67).

Luther interpretiert die Stelle Mt 7,12 zweimal in seiner Römerbriefvorlesung von 1515/16, einmal bei R o m 2,12, wo sie ihm als Beleg dafür dient, daß Gottes Gesetz allen Menschen bekannt ist und darum niemand sich entschuldigen kann, sodann bei R o m 13,10, wo es um das Verhältnis von Selbstliebe und Nächstenliebe geht. Dabei ist es

Goldene Regel III

577

Luther wichtig festzustellen, daß nicht beide Arten der Liebe gleichberechtigt nebeneinander stehen, sondern daß nur der Nächste zu lieben ist, und zwar nach dem Vorbild der Selbstliebe. Das bedeutet aber, daß nicht nur etwas am Nächsten zu lieben sei, sein Reichtum, seine M a c h t , seine Gunst, sondern dieser als Person, denn wenn wirklich die Selbstliebe R i c h t m a ß der Nächstenliebe ist, dann müssen wir zugeben, daß wir uns auch dann noch lieben, wenn wir nichts sind und gelten. Also soll auch der Nächste noch geliebt werden, wenn er „nichts" ist. So überwindet Luther die antike Erosliebe, die den Nächsten um des ihm innewohnenden Wertes willen liebt. Damit wendet sich aber das Gebot gegen uns selbst, denn keiner entspricht diesem M a ß s t a b . Erscheint also die goldene Regel zunächst als sehr allgemein und dürftig, so zeigt sie sich jedoch der tieferen Reflexion als heilsame Fundgrube für eine unbegrenzte Fülle von Lehren und sehr zuverlässiger Wegweiser in allen Dingen. Dieses Gebot will die Selbstliebe töten und den Weg zur Nächstenliebe freimachen (I Kor 13; Phil 2,4). Somit zeigt dieses Gebot seine ganze Tiefe erst, wenn es nicht nur als allgemeingehaltene Aufforderung zum Gutestun verstanden wird, sondern im Sinne des usus elenchthicus als Gericht an unserer Herzenshärtigkeit. Für Luther ist also die goldene Regel mehr als eine Klugheitsregel oder Regulativ für Wohlanständigkeit; als Aussage über den „inneren M e n s c h e n " ( h o m o interior) ist sie geistliches Gesetz ( l e x spiritualis), der -»Vernunft nicht erkennbar, sondern allein dem Glaubensverständnis (intellectus fidei). —»Melanchthon entwickelt in seinen Annotationes in Evangelium Matthaei von 1519/20 zu M t 7,12 eine Zusammenfassung seiner Naturrechtslehre in 8 Thesen: 1. Verehre Gott! 2. Schütze die Güter des Lebens! 3. Zeuge! 4. E r n ä h r e deine N a c h k o m m e n schaft! 5. Der Mensch wird um des Menschen willen geboren, also schuldet ein Mensch dem anderen soviel wie sich selbst. 6. Was du nicht willst, d a ß man dir tu, das füg auch keinem andern zu! 7. Weil wir Menschen von N a t u r gesellig sind und die vollkommenste Verbindung der gemeinsame Gebrauch aller Dinge ist, aber die Begehrlichkeit ( c u p i d i t a s ) nicht zuläßt, daß wir alle Dinge so gemeinsam genießen, daher muß jenes 7. Gesetz durch ein übergeordnetes ermäßigt und korrigiert werden, nämlich daß jedem das Seine zusteht. 8. Die Aufteilung der Dinge sollte dieses Gesetz mildern, auf daß ein gegenseitiger Gebrauch durch die Menschen bestehe (Studienausg., hg. v. R . Stupperich, Gütersloh 1963, 4 , 1 6 4 f ) .

Obwohl die Gegenstandsbereiche unterschiedlich sind, sollen die Dinge trotzdem mit Vernunft und M a ß geteilt werden, wozu der Tauschverkehr der Menschen und die verschiedenen Verträge eingerichtet sind. Für Melanchthon gibt es also auch schon eine Unterscheidung von primärem und sekundärem Naturrecht; dem Urkommunismus im prälapsarischen Zustand steht die durch die Sünde bedingte, auf Privateigentum gegründete -»Gesellschaft gegenüber, und an die Stelle des paradiesischen Gemeinbesitzes aller Güter ist die auf Gegenseitigkeit eingestellte Tauschgesellschaft der Gegenwart getreten. In dieser bildet die goldene Regel - den Ausdruck kennt übrigens Melanchthon noch nicht! - gleichsam die Brücke vom einen zum anderen Zustand und bewahrt die sündige Gegenwart vom völligen Versinken in den Egoismus. Der englische -»Empirismus sieht in der goldenen Regel die Summe der Naturgesetze (Hobbes, Leviathan Kap. 15 § 35; Elements I, Kap. 17 § 9: let a man imagine himselfin the

place ofthe

party with whom he has to do, and reciprocally

him in his). -»Berkeley und

-»Shaftesbury nehmen eine letztliche Harmonie der menschlichen Selbstliebe und des Sympathiegefühls an, wobei die Förderung des Glücks der Mitmenschen eine ebenso wichtige moralische Forderung ist wie das Bedachtsein auf die künftigen eigenen Interessen. Die goldene Regel wird zur M a x i m e eines religiös gefärbten sozialen Eudämonismus, der in der Förderung des allgemeinen Wohles aller Menschen, aller Nationen und Zeitalter der Welt sein höchstes Ziel sieht. J. St. Mill versteht die goldene Regel utilitaristisch, da ein auf Gegenseitigkeit abgestimmtes Verhalten einem selbst zunutzen ist. Der Aufklärer —»Thomasius ( 1 6 5 5 - 1 7 2 8 ) sieht im natürlichen Streben der Menschen nach Glück drei Verhaltensweisen begründet: 1. das Ehrbare (honestum), nämlich andern zu tun, was sie sich selbst antun sollen, 2. das Wohlanständige ( d e c o r u m ) , andern zu tun,

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Goldene Regel III

was man von ihnen wünscht, 3. das Gerechte (iustum), anderen nicht zuzufügen, was sie einem auch nicht zufügen sollen. So unterscheidet Thomasius -*Ethik, Politik und Naturrecht und bringt die positive und die negative Fassung der goldenen Regel zur Synthese. -»•Voltaire sieht in der goldenen Regel den Ausgleich von Vernunft und Leidenschaft {La raison universelle qui contrebalance les passions... imprime cette loi dans tous les coeurs: ne fais pas ce que tu ne voudrais pas qu'on te fit! [Essai sur les moeurs et l'esprit des nations, 1765: Oeuvres compl., Paris 1784, 4, 289]). - Was ist bei den Aufklärern nun aus der goldenen Regel geworden? „Eine zweckmäßige Opportunitäts- und Anstandsregel für zwischenmenschliche Beziehungen; ein Beförderungsmittel für äußere, ehrenwerte, anständige, ruhige Gesellschaftsform; die Selbstdarstellung einer anständigen, philiströsen, perückenhaften M o r a l " (Th. Heckel 62). Bei -+Kant nimmt die goldene Regel die Form des kategorischen Imperativs an: handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde (Grundlegung zur Metaphysik der Sitten [Akademie Textausg. IV] 421). Den Zusammenhang mit dem Naturrecht betont die andere Formulierung: handle so, als ob die Maxime deiner Handlung durch deinen Willen zum allgemeinen Naturgesetze werden sollte. Die goldene Regel und der kategorische Imperativ unterscheiden sich formal durch die tragende Idee: Für die goldene Regel ist es die der Gegenseitigkeit, für den kategorischen Imperativ die der Verallgemeinerung. Die goldene Regel nötigt zur Zuwendung zu einem Gegenüber, der kategorische Imperativ zur Unterordnung unter ein Gesetz. In der Einzelanwendung gibt die goldene Regel eine inhaltlich bestimmte Verhaltensorientierung, der kategorische Imperativ dagegen nicht (so Brülisauer). -»Herder nennt die goldene Regel das „große Gesetz der Billigkeit und des Gleichgewichts des Menschen Richtschnur..., das auch in die Brust des Unmenschen geschrieben ist" (Ideen zur. Phil, der Gesch. der Menschheit, 1,4,6 §5). Hatte Locke (Essay on H u m a n Understanding, Buch 1, Kap. 3 §4) die goldene Regel in einer Kombination von positiver und negativer Fassung formuliert (that one should do, as he would be done unto) und sie als foundation of all virtue bezeichnet, so hielt er es doch nicht für unangebracht, eine Begründung für diese Regel zu fordern. Dieser Meinung ist auch —»Leibniz, wenn er in seinen Nouveaux essais sur l'entendement humain (Buch 1,2. Kap., §4) feststellt, daß 1. die goldene Regel keinen Maßstab des Handelns gebe, sondern einen solchen voraussetze; 2. daß sie insofern einen Weg dazu zeige, daß man sich an die Stelle des andern versetze. Kant erweitert und verschärft Leibnizens Einwand gegen die goldene Regel: sie könne kein allgemeines Gesetz sein, denn sie enthalte den Grund der Pflichten gegen sich selbst, nicht der Liebespflichten gegen andere, auch nicht der schuldigen Pflichten gegeneinander (Metaphysik der Sitten [Akademie Textausg. VI] 430). An Kant übt -»• Schopenhauer scharfe Kritik, indem er in dessen oberstem Moralgrundsatz den Egoismus „auf dem Richterstuhl" sieht. „Die in Kants oberster Regel enthaltene Anweisung zur Auffindung des eigentlichen Moralprincips beruht nämlich auf der stillschweigenden Voraussetzung, daß ich nur Das wollen kann, wobei ich mich am besten stehe" (Über die Grundlage der Moral § 7). Allenfalls erkennt er noch eine „vorausgesetzte Reciprocität" an, woraus sich ein Kompromiß mit dem natürlichen Egoismus ergibt. 2. Die goldene Regel in der neueren Moral- und

Rechtsphilosophie

Mit dem Stichwort Reziprozität ( = Gegenseitigkeit) eröffnet Schopenhauer die weiterführende Diskussion über die goldene Regel. ->Nietzsche sieht in der Gegenseitigkeit eine große Gemeinheit, weil sie der aristokratischen Grundüberzeugung von der Verschiedenheit und Einmaligkeit der Menschen widerspricht. Seine Position wäre die eines Einzelgängers und Außenseiters geblieben, hätte sie nicht in Faschismus und Nationalsozialismus, in Rassenideologie und elitärem Denken ihre politische Realisierung gefunden. Der Hauptstrom der bürgerlichen und sozialistischen Philosophie und Wissenschaft dagegen nimmt das Konzept der Gegenseitigkeit positiv auf. M a x -»Scheler, der sie mit dem

Goldene Regel III

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Solidaritätsprinzip gleichsetzt, nennt sie „einen ewigen Bestandteil und gleichsam einen Grundartikel eines K o s m o s endlicher sittlicher P e r s o n e n " (Der F o r m a l i s m u s in der Ethik u . d . materiale Wertethik, 4 1 9 5 4 , 5 3 7 f ) , durch dessen Geltung die gesamte moralische Welt zu einem großen Ganzen werden kann. Das Solidaritätsprinzip beruht auf zwei Sätzen: Einmal gehört Gemeinschaft von Personen überhaupt zur evidenten Wesenheit einer möglichen Person, sodann ist wesensmäßige Gegenseitigkeit und Gegenwertigkeit aller sittlich relevanten Verhaltensweisen ihr F u n d a m e n t . D a m i t gehört Scheler zur Gruppe der dialogischen Denker, für die Menschsein nur in der Ich-Du-Beziehung und in der Sphäre der Gegenseitigkeit sich verwirklicht (vgl. Schrey, Dialogisches Denken). Die fast einzige neuere Monographie über die goldene Regel versteht diese als Ausdruck einer „im hochaltertümlichen Vergeltungsdenken wurzelnden sittlichen Urteilsweise" (Dihle 12). Der rechte Gleichgewichtszustand in der Welt könne nur durch eine ständige Vergeltung alles Tuns im Guten wie im Bösen verwirklicht werden, eine Regel, die in den tiefsten Schichten des menschlichen Bewußtseins verankert sei. Dihle sieht insofern einen Unterschied zum Gebot der Nächstenliebe, als diese nicht am Vergeltungsschema orientiert ist, vielmehr „die zwischenmenschlichen Beziehungen im Bereich des Faktischen vernachlässigt und ein M a ß nur für die rechte Zuneigung des Herzens setzt" (110). Von der goldenen Regel führe kein direkter Weg zu der neuen, im Feindesliebegebot am schärfsten formulierten Ethik, weil sie alles Handeln vom Grundsatz der Gegenseitigkeit her bewertet. - Dieser Auffassung widerspricht Reiner. Er sieht in ihr eine „völlige Verkennung ihrer (sc. der goldenen Regel) Bedeutung", weil Dihle sie ganz allgemein dem Vergeltungsdenken entstammen ließ (StLeib 9/2 236). Reiner unterscheidet verschiedene Formtypen der Regel, die verschiedene Bedeutungen haben: die negative Fassung nennt er die Einfühlungsregel, die nicht auf Vergeltung reflektiert, sondern sich empathisch in die Lage des Andern versetzt und entsprechend handelt. In dieser Regel ist implizit eine Norm enthalten, die wir bei der Beurteilung fremden Tuns immer schon voraussetzen. Indem die in der goldenen Regel vorliegende sittliche Forderung anerkannt und internalisiert wird, haben wir es mit der Autonomieregel zu tun. Insofern es in der goldenen Regel nicht um das tatsächliche Verhalten des andern zu mir geht, sondern um das eigene auf das Verhalten des andern zu mir bezogene Wollen, ist die goldene Regel eine Gegenseitigkeitsregel oder Rückbezüglichkeitsform. Als solche ist sie eine Klugheitsregel des sozialen Verhaltens, die aber fundamental verschieden ist vom Prinzip der Vergeltung. Das Vergeltungsprinzip würde fordern: Schlage zurück, wenn der andere dich schlägt; die goldene Regel dagegen fordert: Schlage nicht zurück, denn du willst ja auch nicht geschlagen werden! Wenn auch die goldene Regel nicht als Grundnorm des Naturrechts gelten kann, so kann sie doch als ein Recht gelten, das unveränderlich mit der Wesensnatur des Menschen gegeben ist. Wie Melanchthon anthropologisch mit der Zeugungspflicht des Menschen und der daraus sich ergebenden Erhaltungspflicht für Nachkommen argumentiert, so tut dies Reiner, indem er von der Grundtatsache der menschlichen Leiblichkeit ausgeht, deren Zuordnung zu einer menschlichen Person nicht bezweifelt werden kann. Dieser Urbesitz und die d a m i t verbundene Verfügungsmacht über dieses Seinige m u ß allgemein respektiert werden. Diese Achtung vor der Verfügungsmacht der anderen wie der eigenen Person m u ß als Handlungsmotiv im menschlichen Bewußtsein seelisch-geistige Realität erlangen. Hier liegt nun auch das G e b o t der Billigkeit begründet, daß auch ich den anderen ebenso in seinem Eigenbereich unbehelligt lasse, wie ich es für mich in Anspruch nehme. D e m dient nicht zuletzt die Verständigung durch die Sprache als Mittel der K o m m u n i k a t i o n . D a m i t stehen wir a m Punkt der Entstehung der Vorstellung von einer naturrechtlichen O r d n u n g mit den in ihr enthaltenen R e c h t e n und Pflichten, und anderes will auch die goldene Regel nicht zur Grundlage unseres Verhaltens m a c h e n . Dabei kann sowohl die Tatsache der weltweiten Verbreitung der goldenen Regel wie die subjektive Erfahrung der Erregung über erlittenes Unrecht zum Beweis dienen, daß es sich bei der goldenen Regel nicht nur um ein Gedankenkonstrukt ohne empirische Basis handelt. Albert Schweitzers Ehrfurcht vor dem Leben mit dem F u n d a m e n t a l s a t z „Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will" dehnt den Geltungsbereich der goldenen Regel über das Menschliche aus auf alles Lebendige überhaupt und führt so zu einer tragischen Übersteigerung. In der angelsächsischen Moralphilosophie wird die goldene Regel viel diskutiert. H i r s t sieht ihren Vorzug gegenüber dem kategorischen Imperativ darin, daß die goldene Regel „ i n t e r p e r s o n a l " gültig ist, wogegen der kategorische Imperativ bloß eine „uniper-

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Goldene Regel III

sonal" Gültigkeit hat. Nach dem kategorischen Imperativ sind Handlungen dann verwerflich, wenn ihre Maxime nicht verallgemeinert werden kann, und nicht deshalb weil sie anderen Menschen möglicherweise Schaden zufügen. Der Gegenstand des moralischen Respekts ist bei Kant nicht der Nächste, sondern das Gesetz; der Nächste taucht höchstens negativ auf, nämlich in dem Verbot, ihn nur als Mittel zu gebrauchen. R . M . Hare kennt die goldene Regel nur in Form der Rückbezüglichkeitsregel und sieht darin eine Aufforderung zur Einfühlung in den anderen und seine Lage. Wer einem ethischen Satz zustimmt, muß auch der Universalisierung dieses Satzes als Handlungsmaxime für jedermann zustimmen, auch dann wenn sich die betreffende Handlung gegen ihn selbst richtet, etwa als strafrechtliche Sanktion. Am Beispiel von M t 1 8 , 2 3 - 3 6 (Gleichnis von den unbarmherzigen Gläubigern) macht H a r e klar, daß für eine moralische Entscheidung und deren mögliche Universalisierung die Wünsche und Neigungen und vor allem die Interessen der betroffenen Person maßgebend sind. H a r e wurde vorgeworfen, er ende hier bei einem Utilitarismus, der von der tatsächlichen Gleichheit aller Menschen ausgeht. Die Gleichheit ist jedoch in der realen Welt kein Satz deskriptiver Empirie, sondern selbst schon ein moralisches Postulat. Die Annahme der Gleichheit aller Handlungssubjekte ist bereits das erste A x i o m eines Normensystems. So geht CrämerRügenberg von der Idee der Handlungsgemeinschaft aller Handelnden aus. „ D a s Gebot, in dem sich ausdrückt, daß die Realisierung dieser Idee stattfinden soll, ist die ,regula aurea', die sicher so alt ist wie die Menschheit selbst" (Moralsprache 145). Eine Isolierung oder wortwörtliche Befolgung dieser Regel ist abzulehnen, wie H a r e a m Beispiel des Trompete blasenden Jazzmusikers zeigt, der seine Musikbegeisterung durchaus nicht seinen darunter leidenden N a c h b a r n zumuten darf, vielmehr hat - und das eben ist die Intention der goldenen Regel - der Jazztrompeter die Wünsche und Neigungen seiner N a c h b a r n zu berücksichtigen, wie wenn es seine eigenen wären. Erst so erfüllt sich die Idee der Handlungsgemeinschaft aller handelnden Subjekte. Die goldene Regel wäre also mißverstanden, würde sie nur als Formel für einen „naiven E g o i s m u s " (R. Bultmann, Gesch. der synoptischen Tradition 107) verstanden. - Z u H a r e bemerkt Hörster, daß seine Analyse die Einsicht erbracht hat, daß es sich bei der goldenen Regel nicht um ein normativ-ethisches Kriterium handelt, sondern um ein meta-ethisches Kriterium, sodann daß die goldene Regel in ihrer positiven Fassung nur begrenzt leistungsfähig ist und zu ihrer Anwendung einer weiteren ethischen Prämisse bedarf, damit sie nicht zu absurden Ergebnissen führt.

Die Sache, um die es bei der goldenen Regel geht, das Prinzip der Gegenseitigkeit, steht im Mittelpunkt der Gerechtigkeitslehre von J . Rawls. Dieser versteht Gerechtigkeit als Fairness, die wechselseitige Anerkennung der Prinzipien erfordert, auf denen das Handeln beruht. Ansprüche, die gegen das Gerechtigkeitsprinzip verstoßen, sind damit ausgeschlossen. Rawls versteht Gerechtigkeit als Konkretisierung des Urzustandes, von dem gilt, daß jedermann gleiches Recht auf das umfangreiche System gleicher Grundfreiheiten hat, das mit dem gleichen System für alle anderen verträglich ist. In der angelsächsischen Moralphilosphie ist die goldene Regel immer wieder Gegenstand der Kritik geworden. Man bemängelt an ihr, daß sie nicht imstande sei, alle Schwierigkeiten, die sich dem Handeln in einer komplexen Gesellschaft ergeben, zu lösen (John Dewey/James H. Tufts, Ethics, New York 1908). Sie sei sinnvoll in einer relativ homogenen und einfachen Gesellschaft, wird aber problematisch in einer komplexen Gesellschaft, wo häufig sehr verschiedenartige Wünsche und Erwartungen bis hin zur Perversion uns entgegengebracht werden; da autorisiert die goldene Regel die Person, die Freundlichkeit und Sympathie haßt, kalt und herzlos gegen andere zu sein (so L. J . Russell, Ideals and Practice: Phil. 17 [1942] 109 f). Dazu meint M . G. Singer, die goldene Regel bedürfe der Interpretation und sei kein Ersatz für eine ethische Theorie. Er unterscheidet zwischen der partikularen und der generellen Auslegung. Erstere lautet: tue anderen, was du willst, daß sie dir tun; die zweite lautet: tue anderen, wie du willst, daß sie dir tun. Die Regel kann nicht bedeuten, daß wir immer das tun, was ein anderer von uns erwartet. Ein solcher absoluter Altruismus wäre absurd, was schon Kant festgestellt hat, wenn er sagt, sein eigenes Glück, seine wahren Bedürfnisse zu opfern, um das anderer zu fördern, wäre ein Selbstwiderspruch, wenn es zur allgemeinen Maxime gemacht würde. Also muß die Umkehrung der goldenen Regel aufgegeben werden. Gegen Singer bringt Hoche folgende Einwände vor:

Goldene Regel III

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1. Singers Deutung der goldenen Regel orientiert sich ausschließlich an den geläufigeren traditionellen Formulierungen, die auf die jeweilige Handlungssituation nicht ausdrücklich Bezug nehmen; 2. die Orientierung der Handlungsnormen an den Bedürfnissen, Wünschen und Interessen des andern leidet unter der Schwierigkeit, daß das scheinbar Gute nicht mit dem wirklich Guten übereinzustimmen braucht, das allein als Handlungsnorm anerkannt werden muß. H o c h e weist nach, daß es nicht die Intention der goldenen Regel sein kann, unsere Handlungssituation auf die Bedürfnisse, W ü n s c h e usw. des jeweiligen Partners in einer bestimmten Situation abzustellen, etwa wenn diese ihm objektiv abträglich oder gar gefährlich sind, sondern daß Vorstellungen von einer Verpflichtung zur Lebensdienlichkeit zugrundeliegen.

Für den Rechtspositivismus, der im Naturrecht „idealen Anarchismus" (H. Kelsen, Naturrechtslage 10) sieht, nämlich die Idee einer zwangsfreien, anarchischen Ordnung, sind die Bestimmungen der goldenen Regel zu wenig konkret, als daß sie zur Rechtsnorm werden könnten. Kelsen meint, daß nach der goldenen Regel kein Richter einen Verbrecher bestrafen dürfe, wenn er selbst im Falle eigener Straffälligkeit nicht verurteilt werden wolle (Reine Rechtslehre 367). Dagegen wendet Spendel ein: Der Verbrecher hat schwerlich die Übeltat selbst erleiden wollen, die er mit seinem Verbrechen dem Verletzten zugefügt hat, gibt damit also indirekt zu, daß er gegen den fundamentalen Rechtssatz verstoßen hat, anderen das nicht zuzufügen, was er selbst nicht erleiden mag. Also sind die gegen die negativ gefaßte goldene Regel vorgebrachten Einwände nicht begründet. Die meisten zur Widerlegung vorgebrachten Beispiele beruhen auf einer unrichtigen Anwendung der Verbotsnormen, d.h. auf ihrer logisch unzulässigen Umkehrung in eine positiv formulierte (gebietende) Maxime. Die goldene Regel in negativer Fassung erscheint als ein rechtliches Prinzip, weil sie dem einzelnen eine allgemeingültige Richtschnur für sein Verhalten gegenüber seinen Mitmenschen gibt. - Ähnlich bezeichnet der Rechtsphilosoph Fechner die Gegenseitigkeitsregel als das „elementare Gesetz allen Rechts schlechthin" (101) und Maihofer die goldene Regel als „Grundregel jeder ,wahren' Ordnung" (81 ff), weil „alles Recht die Rolle und Lage des anderen und die in ihnen enthaltenen Ansprüche und Erwartungen bedenken und zur Verpflichtung erheben muß" (Die Natur der Sache: ARSP 44, 145ff). 3. Das Prinzip der Gegenseitigkeit

in der modernen

Anthropologie

und

Ethnologie

Wir haben bei der philosophischen Erörterung der goldenen Regel festgestellt, daß es bei dieser um das Prinzip der Gegenseitigkeit geht. Dieses kann definiert werden als „allgemeinstes Prinzip des sozialen Handelns, das auf der Erwartung einer ,adäquaten' Gegenleistung beruht" (Mühlmann 328). Erst neuerdings ist Gegenseitigkeit zum Thema von Anthropologie und Ethnologie geworden. Bei G. Simmel wird die Kategorie der „Wechselwirkung" eingeführt, Th. Litt spricht von einer „Reziprozität der Perspektiven", Thurnwald bezeichnet die Gerechtigkeit als moralisches Äquivalent der Gegenseitigkeit. Daß diese ein bestimmender Faktor im Sozialleben primitiver Gesellschaften ist, wurde von Malinowski, Mauss und Lévi-Strauss herausgearbeitet, doch fehlen deren Manifestationen auch in komplexeren Gesellschaften nicht. Verwandtschaftsstrukturen sind vom Prinzip des do ut des beherrscht, sprachliche Bezeichnungen bedeuten Gegenseitigkeitsverpflichtungen innerhalb des Kollektivs. Mauss hat nachgewiesen, daß der Gabenaustausch ein soziales Totalphänomen ist, das sich auf die Gesamtheit materieller und immaterieller Dinge und Leistungen erstreckt. So wird dieses Grundelement sozialer Beziehungen nicht nur die Ursache für die Erfindung des -»Geldes, sondern der Kommunikation schlechthin. Wie zentral die Theorie der Gegenseitigkeit für die strukturalistische Sozialanthropologie von Lévi-Strauss ist, zeigt seine Äußerung, sie sei für das ethnologische Denken heute auf einer so festen Unterlage begründet, wie es in der Astronomie die Gravitation ist. Umstritten bleibt heute noch, ob Gegenseitigkeit gleichsam einen Antitypus zur staatlichen Herrschaftsordnung darstellt, also nur innerhalb vorstaatlicher Sozialstrukturen realisierbar ist, oder ob die Grundsätze der Gegenseitigkeit als Kern einer humanitären Ethik über die Grenzen familialistischer Sozialordnungen hinaus, gleichsam als Ethos eines Weltbürgertums, Geltung haben können.

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Goldene Regel III 4. Die goldene

Regel

in der neueren

Theologie

N i c h t nur die mit dem Neuen Testament zeitgleichen Sachparallelen, sondern auch die intensive Diskussion der goldenen Regel in der neueren M o r a l - und Rechtsphilosophie legen es nahe, daß die goldene Regel inhaltlich k a u m etwas spezifisch Christliches aufweist. D a m i t eröffnet sie einen universalen H o r i z o n t , und es stellt sich die F r a g e nach der Evidenz des Ethischen. Dabei dürfte es k a u m zureichen, in der goldenen Regel nur die „ M o r a l eines naiven E g o i s m u s " (Bultmann) zu sehen oder den in ihr enthaltenen ethischen Subjektivismus für sittlich bedenklich zu halten (Welzel) nach dem M o t t o : Eine H a n d w ä s c h t die andere. In der neueren Situationsethik ( - » Situation) wird vor allem die formale Struktur der goldenen Regel gewürdigt, die freimacht v o m kasuistischen Legalismus und die ethische M o t i v a t i o n auf die Nächstenliebe reduziert, von der gilt: dilige et fac quod vis (liebe und dann tue, was du willst) (vgl. Fletcher). Insofern enthält das in der goldenen Regel ausgesprochene Prinzip der Gegenseitigkeit einen für Christen und Nichtchristen evidenten Kern, als es in dieser Grundbeziehung auf die gegenseitige Anerkennung des Rechts auf Dasein sowie dessen Erhaltung und Förderung a n k o m m t . Auch van Oyen sieht das Attraktive der goldenen Regel für die Ethik in ihrer Situationsbezogenheit. Im Unterschied zum naturrechtlichen Denken wird mit ihr keine feste, unabänderliche N o r m oder N o r mensystem an den Handelnden herangetragen, vielmehr wird die Entscheidung über die konkrete Gestalt des Handelns dem einzelnen überlassen, der sich selbst in der Begegnung mit dem andern realisiert. Literatur Kurt Baier, The Moral Point of View, New York 1958, 2 0 2 - 2 1 1 . - Clemens Bauer, Die Naturrechtsanschauungen des jüngeren Melanchthon. FS Gerhard Ritter, Tübingen 1950, 2 4 4 - 255. Ders., Melanchthons Naturrechtslehre: ARG 42 (1951) 6 4 - 9 8 . - Bruno Brülisauer, Die Goldene Regel. 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Heinz-Horst Schrey Goldschmiedekunst -»Plastik Golem Im Biblisch-Hebräischen hapax legomenon (Ps 139,16), wohl mit der Bedeutung „zu25 sammengerollte, rohe, unförmige Masse". In WaR 14,8 (312f) wird das Wort im Zusammenhang einer Beschreibung des Embryos gebraucht. Nach Theodor/Albeck zu BerR 24,2 (231) gehört golmî zu gôlmà und ist nomen collectivum für die ungeformte Masse der künftigen Generationen, die Adam vorgeführt werden. Vom ersten Menschen heißt es (bSan 38 b), er sei in der zweiten Stunde (von zwölf) zu einem „Golem" gemacht worden, 30 in der vierten Stunde sei die Seele in ihn geworfen worden. Festzuhalten ist, daß sich „Golem" als terminus erst spät und nur bei deutschen und polnischen Juden eingebürgert hat (Scholem, Symbolik 249). Es stellen sich nun zwei Fragen: Wie bekommt ein Golem Leben? Was für eine Seele hat er dann? Wirkmächtig sind für die Verleihung des Lebens die Buchstaben in ihrer richtigen Reihenfolge. bBer 55 a wird aufgrund der Zusammen35 Stellung von Ex 35,31 mit Prov3,19f (an beiden Stellen die Worte „Weisheit, Klugheit und Wissen") gesagt: „Bezalel wußte die Buchstaben zu kombinieren, mit denen Himmel und Erde geschaffen worden waren." MTeh zu Ps 3,1 (33) heißt es: „Rabbi 'El c azar sagte: Die Abschnitte der Tora sind nicht der Reihe nach gegeben worden; denn, wenn sie der Reihe nach gegeben worden wären, könnte jeder, der darin liest, sogleich eine Welt erschaffen, 40 Tote beleben und Wunder wirken. Deshalb ist die Reihenfolge der Tora verborgen." Daß Unbelebtes zum Reden gebracht werden kann, ergibt sich aus zwei Stellen: PRE 36 (84 b) heißt es, Rahel habe Labans teraftm gestohlen, „damit diese Laban nicht sagen können, daß Jakob geflohen ist". Nach einer Auffassung, die in bSot 47a vertreten wird, hat Elischa dem Sündenbild Jerobeams einen Gottesnamen auf den Mund gegraben, der 45 sagte: ,Ich (bin der Ewige, dein Gott)' und ,du sollst nicht haben' (Ex 20,2f). Drei Stufen der Schöpfermacht nennt bSan 65 b: Zunächst stellt Rava ganz allgemein fest: „Wenn die Bewährten (saddiqtm) wollen, schaffen sie eine Welt; es heißt nämlich: ,Denn eure Vergehen stehen zwischen euch und eurem Gott' (Jes 59,2)." - Dann wird berichtet: „Ravä (varia lectio: Rava/Rabba) erschuf einen Mann und schickte ihn zu so Rabbi Zerä. Dieser sprach zu ihm, aber er antwortete ihm nicht. Da sagte er zu ihm: Du kommst von den Kollegen (oder: von den Zauberern); kehr zu deinem Staub zurück!" Hier wird etwas geschaffen, was aber als Mensch derart defizient ist, daß es wieder aufgelöst werden kann und darf. - Schließlich: „Rav Haninä und Rav 'Ösa c yä saßen den

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Heinz-Horst Schrey Goldschmiedekunst -»Plastik Golem Im Biblisch-Hebräischen hapax legomenon (Ps 139,16), wohl mit der Bedeutung „zu25 sammengerollte, rohe, unförmige Masse". In WaR 14,8 (312f) wird das Wort im Zusammenhang einer Beschreibung des Embryos gebraucht. Nach Theodor/Albeck zu BerR 24,2 (231) gehört golmî zu gôlmà und ist nomen collectivum für die ungeformte Masse der künftigen Generationen, die Adam vorgeführt werden. Vom ersten Menschen heißt es (bSan 38 b), er sei in der zweiten Stunde (von zwölf) zu einem „Golem" gemacht worden, 30 in der vierten Stunde sei die Seele in ihn geworfen worden. Festzuhalten ist, daß sich „Golem" als terminus erst spät und nur bei deutschen und polnischen Juden eingebürgert hat (Scholem, Symbolik 249). Es stellen sich nun zwei Fragen: Wie bekommt ein Golem Leben? Was für eine Seele hat er dann? Wirkmächtig sind für die Verleihung des Lebens die Buchstaben in ihrer richtigen Reihenfolge. bBer 55 a wird aufgrund der Zusammen35 Stellung von Ex 35,31 mit Prov3,19f (an beiden Stellen die Worte „Weisheit, Klugheit und Wissen") gesagt: „Bezalel wußte die Buchstaben zu kombinieren, mit denen Himmel und Erde geschaffen worden waren." MTeh zu Ps 3,1 (33) heißt es: „Rabbi 'El c azar sagte: Die Abschnitte der Tora sind nicht der Reihe nach gegeben worden; denn, wenn sie der Reihe nach gegeben worden wären, könnte jeder, der darin liest, sogleich eine Welt erschaffen, 40 Tote beleben und Wunder wirken. Deshalb ist die Reihenfolge der Tora verborgen." Daß Unbelebtes zum Reden gebracht werden kann, ergibt sich aus zwei Stellen: PRE 36 (84 b) heißt es, Rahel habe Labans teraftm gestohlen, „damit diese Laban nicht sagen können, daß Jakob geflohen ist". Nach einer Auffassung, die in bSot 47a vertreten wird, hat Elischa dem Sündenbild Jerobeams einen Gottesnamen auf den Mund gegraben, der 45 sagte: ,Ich (bin der Ewige, dein Gott)' und ,du sollst nicht haben' (Ex 20,2f). Drei Stufen der Schöpfermacht nennt bSan 65 b: Zunächst stellt Rava ganz allgemein fest: „Wenn die Bewährten (saddiqtm) wollen, schaffen sie eine Welt; es heißt nämlich: ,Denn eure Vergehen stehen zwischen euch und eurem Gott' (Jes 59,2)." - Dann wird berichtet: „Ravä (varia lectio: Rava/Rabba) erschuf einen Mann und schickte ihn zu so Rabbi Zerä. Dieser sprach zu ihm, aber er antwortete ihm nicht. Da sagte er zu ihm: Du kommst von den Kollegen (oder: von den Zauberern); kehr zu deinem Staub zurück!" Hier wird etwas geschaffen, was aber als Mensch derart defizient ist, daß es wieder aufgelöst werden kann und darf. - Schließlich: „Rav Haninä und Rav 'Ösa c yä saßen den

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ganzen Vorabend des Sabbat und befaßten sich mit dem Sefer -»Jesira (in der Parallele bSan 67b): hilkhot Jesira) und erschufen sich ein Kalb, das ein Drittel seines Alters erreicht hatte (vgl. Jastrow II 1674a), und aßen es." Es handelt sich hier um erlaubte „Zauberei" (bSan 6 7 b und Raschi -»-Salomo ben Isaak z. St.), nicht um bloßes Blendwerk (vgl. ySan 7,19 [25 d], übersetzt von Wewers, 210 f). - Die Erzählung von Raväs Schöpfung hat verschiedene Kommentare veranlaßt: Bahya ben ''Äser zu Gen 2,7 (24 a) schließt daraus, daß der „ G o l e m " wohl eine Bewegungsseele, nicht aber eine Weisheitsseele haben könne, weil die Sprechfähigkeit von dieser abhänge (andere Auffassungen bei Scholem, Symbolik 248ff). Für Zevi Hirsch Aschkenasi (1712) ist der Golem insofern kein Mensch, als er nicht im Mutterleib entstanden ist; da das Verbot des Blutvergießens nach der rabbinischen Lesung von Gen 9,6 (bSan 57 b) nur für Weibgeborenes gilt, durfte Rabbi Zerä ihn vernichten. Ein Golem kann somit auch nicht zum minyan gezählt werden (Responsen des Hakam Sevi, Nr. 93). Zum selben Schluß kommt auch dessen Sohn, Jakob Emden (Responsen II Nr. 82), der auch die Geschichte vom Golem des Rabbi 'Eliyahü von Chelm berichtet, in der das Motiv des „Leben" gebenden Gottesnamens auftaucht (vgl. hierzu Mayer 26ff). Die deutschen Chasidim (-»Chasidismus) verbinden das Studium des Sefer Jesira mit der Möglichkeit, einen magischen Menschen herzustellen. Diese Verbindung basiert auf dem Bericht in bSan 65 b und hat wohl ihre Berechtigung (Scholem, Ursprung 26). Als Beispiel stehe ein Stück aus dem Kommentar des Pseudo-Saadja zu Sefer Jesira 2,4 in Scholems Ubersetzung (Symbolik 241; s.auch die Ergänzung: Symbolik 242): „Man macht einen Kreis rings um die Kreatur und umgeht den Kreis und spricht die 221 Alphabete, wie sie aufgezeichnet sind" - offenbar hat der Autor solche Tafeln im Sinn, wie sie bei 'El'azar aus Worms in der Tat stehen „und manche erklären, daß der Schöpfer in die Buchstaben Kraft gelegt hat, so daß der Mensch eine Kreatur aus jungfräulicher Erde schafft und durchknetet und in die Erde vergräbt, einen Kreis und eine Sphäre rings um die Kreatur zieht und bei jedem Umgang eines der Alphabete spricht. So soll er dann 442 [andere Leseart: 462] mal verfahren. Wenn er vorwärts geht, so steigt die Kreatur lebend auf, infolge der Kraft, die der Rezitation der Buchstaben innewohnt. Wenn er aber zerstören will, was er geschaffen hat, so geht er im Umgang rückwärts, indem er dieselben Alphabete von hinten nach vorn rezitiert. Dann sinkt die Kreatur von selber in den Boden ein und stirbt. Und so passierte es dem R.I.B.E. - wohl Rabbi Ismael ben Elischa - mit seinen Schülern, die sich mit dem Buch Jesira befaßten und sich beim Umgang irrten und rückwärts schritten, bis sie selber durch die Kraft der Buchstaben bis zum Nabel in die Erde versanken. Sie konnten nicht mehr hinaus und schrien auf. Da hörte ihr Lehrer sie und sagte: Rezitiert die Buchstaben der Alphabete und geht nach vorwärts, statt, wie bisher, nach rückwärts zu gehen. Sie taten so und kamen frei." Pseudo-Saadja zu Sefer Jesira 2,5 berichtet, Abraham ibn Ezra habe vor Rabbenu Tarn eine solche Schöpfung gemacht und nach dem Hinweis auf Gottes Kraft in den Buchstaben sogleich wieder in Staub zurückverwandelt. Die Erschaffung eines Golem ist demnach Ausdruck eines geistig-seelischen Erlebnisses (etwa Abschluß der Initiation), nicht Herstellung eines Roboters. Ein Golem als Diener ist erst im 15. oder 16. Jh. nachweisbar (Scholem, Symbolik 253). Die Wirkmächtigkeit der Buchstaben beruht darauf, daß alle ihre Permutationen und Kombinationen (besonders auch mit den drei Buchstaben des Tetragrammatons) nur einen Gottesnamen darstellen (so ausdrücklich im Sefer Jesira 4,5 und im Kommentar des 'El'azar von Worms zu 2,4; Kombination mit He, Waw und Yod: Pseudo-Saadja zu 4,5). Von dem „lebendig" machenden Gottesnamen war schon in bSot 4 7 a (s.o.) die Rede; ähnliches ist in ShirR zu 7,9 (II 60 c) vom Götzenbild in Dan 3 zu lesen. Dieser soll unter dem Vorwand, das Götzenbild küssen zu wollen, diesem den Gottesnamen entrissen haben. Dieses Motiv taucht in der Legende von Rabbi 'Eliyahü von Chelm wieder auf. Eine Sonderstellung nimmt der letzte Buchstabe des Alphabets ein. In bShab 55 a wird Ez 9,2 ff gedeutet und nach der Bedeutung des Taw (Ez 9,4) gefragt. Das Taw wird als

Golem

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A n f a n g s b u c h s t a b e verschiedener hier passender W ö r t e r g e n a n n t ; d a n n folgen die für uns wichtigen D e u t u n g e n : „ R e s L a q i s sagte: Taw ist das E n d e des Siegels des Heiligen, gepriesen sei er; denn R a b b i H a n t a sagte: D a s Siegel des Heiligen, gepriesen sei er, ist ' e m e t ( W a h r h e i t ) . R a b b i S e m u ' e l b a r N a h m a n i sagte: D a s sind die M e n s c h e n , die die ganze T o r a gehalten h a b e n , von ' Alef bis Taw." D a Mem w o h l im G r i e c h i s c h e n , nicht a b e r im H e b r ä i s c h e n , M i t t e des A l p h a b e t s ist, ist die R e d u k t i o n a u f 'Alefund Taw (Anfang und E n d e ) verständlich ( - » B u c h s t a b e n s y m b o l i k ) . Dessen u n g e a c h t e t wird das „Siegel G o t t e s " in Berichten ü b e r G o l e m s c h ö p f u n g wichtig: Dieses Siegel verleiht dem G e s c h ö p f L e b e n ; reduziert m a n es um den ersten B u c h s t a b e n , so heißt es met (tot), und das G e s c h ö p f k a n n in Erde z u r ü c k v e r w a n d e l t werden. Wenn ' e m e t in seinem Z u s a m m e n h a n g ( J e r 1 0 , 1 0 ) verwendet wird, ergibt sich aus der Streichung d e s ' A l e f e m e . B l a s p h e m i e ( G o t t ist tot). D i e alten B e r i c h t e ( S c h o l e m , S y m b o l i k 2 3 3 f f ) verwenden das M o t i v geradezu als W a r n u n g vor B l a s p h e m i e und G ö t z e n d i e n s t . D a s ' e w e i - M o t i v scheint in der hebräischen Q u e l l e n r e i h e (nicht in der lateinisch-deutschen) zu verschwinden ( M a y e r 2 6 f f ) . D i e G e f a h r für den S c h ö p f e r des G o l e m liegt also im S c h ö p f u n g s a k t , nicht im G e s c h ö p f , das keinerlei selbständige F u n k t i o n h a t . Im R a h m e n der L e g e n d e n b i l d u n g wird zunächst G e s t a l t e n des A l t e r t u m s ( A b r a h a m , J e r e m i a und seinem S o h n Ben Sira), d a n n solchen des M i t t e l a l t e r s ( A b r a h a m ibn E z r a , - • S a l o m o ibn G a b i r o l ) , schließlich Z e i t g e n o s s e n ( R a b b i 'Eliyahu B a c a l Sem von C h e l m , erst im 18. J h . dem „ h o h e n R a b b i L o w " , J u d a ben Bezalel L ö w e ) die S c h ö p f u n g eines G o l e m s vindiziert. I m R a h m e n der Legendenbildung um deutsche C h a s i d i m (Samuel der F r o m m e ) entsteht a u c h - im 15. oder 16. J h . ( S c h o l e m , S y m b o l i k 2 5 3 ) - die Vorstellung v o m G o l e m als D i e n e r , vorbereitet d a d u r c h , d a ß der G o l e m in einem T e x t des 14. J h . in die N ä h e des paracelsischen homunculus g e r ü c k t wird ( S c h o l e m , S y m b o l i k 2 5 1 f). M i t der V e r w a n d t s c h a f t des G o l e m s mit homunculus und A u t o m a t e n m e n s c h hängt auch das v o m 17. J h . an (zunächst in Polen) bezeugte M o t i v von der G e f ä h r l i c h k e i t des G o l e m s selber zusammen. Z u s a m m e n f a s s e n d läßt sich sagen: Ein G o l e m ist eine M e n s c h e n g e s t a l t aus (jungfräulicher Berg-) E r d e , d e m sein m e n s c h l i c h e r S c h ö p f e r Leben (mit o d e r o h n e Sprechfähigkeit) eingeflößt h a t . Dies geschieht nach einem b e s t i m m t e n , auf dem Sefer J e s i r a beruhenden R i t u a l oder F i x i e r u n g sei es des T e t r a g r a m m a t o n s , sei es des „Siegels G o t t e s " , n ä m lich des W o r t e s 'emet. Dieses G e s c h ö p f , Ausdruck des ekstatischen Erlebnisses der Einw e i h u n g in die G e h e i m n i s s e der S c h ö p f u n g , wird sogleich durch U m k e h r u n g des R i t u a l s , bzw. E n t f e r n u n g o d e r Z e r s t ö r u n g des G o t t e s n a m e n s , in E r d e z u r ü c k v e r w a n d e l t . Später r ü c k t der G o l e m in die N ä h e des homunculus und n i m m t Z ü g e des A u t o m a t e n m e n s c h e n an. Seine G e f ä h r l i c h k e i t verlagert sich v o m S c h ö p f u n g s a k t selber a u f seine tellurische Eigengesetzlichkeit. Literatur Ganz allgemein und für viele Einzelheiten ist zu verweisen auf: Gerschom Scholem, Die Vorstellung vom Golem in ihren tellurischen und magischen Beziehungen: Zur Kabbala u. ihrer Symbolik, Zürich 1960, 2 0 9 - 2 5 9 und Ders., Art. Golem: EJ 7 (1971) 7 5 3 - 7 5 5 . Sigrid Mayer, Golem: Die literarische Rezeption eines Stoffes, Bern/Frankfurt a . M . 1975 (Utah Studies in Literature and Linguistics 2). - Gerschom Scholem, Ursprung u. Anfänge der Kabbala, 1962 (SJ 3). Midrash Bereshit Rabba, ed. Jehuda Theodor/Hanok Albeck, 3 Bde., Jerusalem 2 1965. - Midrash Wayyikra Rabba, hg. v. Mordecai Margulies, 4 Teile in 3 Bde., Jerusalem 2 1972. - ShirR: Midras rabba, 2 Bde., Wilna o.J., Nachdr. Jerusalem 1975. - Pirqe Rabbi 'Elfezer hag-Gadol, Warschau 1852, Nachdr. Jerusalem 1970. - Midras Tehillim (Soher tov), ed. S. Buber, Wilna 1891, Nachdr. Jerusalem 1966. - Talmud Yerüsalmi, Krotoschin 5626 (1866), Nachdr. Jerusalem 5729 (1969).-Talmud Yerushalmi, hg. v. Martin Hengel u.a.,IV/4Sanhedrin, Gerichtshof, übers, v. Gerd A. Wewers, Tübingen 1981. - Sefer Jesira, mit Komm., Jerusalem 5722 (1962). - Bahya ben 'Aser, Midras zum Pentateuch, Warschau 1895. - Marcus Jastrow, A Dictionary of the Targumim, the Talmud Babli and Yerushalmi, and the Midrashic Literature, 2 Bde., New York/Berlin/London 1926. S i m o n Lauer

586

Gore

G o m a r u s , Franciscus G o r e , Charles 1. Leben

-»-Niederlande

(1853-1932) 2. Gore als T h e o l o g e (Quellen/Literatur S. 587)

1. Leben Der aus adliger Familie stammende Charles G o r e wurde am 2 2 . 1 . 1 8 5 3 in Wimbledon geboren. Seine Erziehung erhielt er im Internat in H a r r o w , wo ihn B.F. - » W e s t c o t t wesentlich beeinflußte, und am Balliol College in - » O x f o r d . 1878 wurde er zum Fellow des Trinity College gewählt und zum Pfarrer der —• Kirche von England ordiniert. Seine akademischen Qualifikationen und der Hochkirche ( - » H o c h k i r c h l i c h e Bewegungen) entsprechende Ansichten machten ihn 1884 zu einem geeigneten Bewerber um die Leitung des Pusey House in O x f o r d , das als Einrichtung zum Gedenken an E . B . -»Pusey, einem der Führer der traktarianischen Bewegung (s. T R E 9, 645,48ff), gegründet worden war. Hier blieb er bis 1893 und beeinflußte das religiöse Leben der Universität durch seine Predigten, Vorlesungen und persönlichen Kontakte sehr nachhaltig. Es folgte ein kurzer Aufenthalt als Dorfpfarrer in der N ä h e von O x f o r d . Dort gründete er unter anderem eine religiöse Gemeinschaft für M ä n n e r , die als Community of the Kesurrection bekannt wurde. 1894 wurde er D o m h e r r der Westminster Abbey und hatte diese Stelle bis zu seiner Ernennung zum Bischof von Worcester inne. Vier J a h r e später wurde er der erste Bischof von Birmingham, einer neuen städtischen Diözese, deren Gründung weitgehend auf seine eigene Initiative zurückging. Das w a r wahrscheinlich der erfolgreichste Abschnitt seiner Laufbahn. 1911 versetzte man ihn in das ausgedehnte ländliche Bistum O x f o r d . Diese Stellung gab er 1919 auf, um sich ganz dem Predigen, Lehren und Schreiben zu widmen. Er lebte hauptsächlich in L o n d o n , übernahm dort zeitweilig das Dekanat der theologischen Fakultät ( - » L o n d o n , Theologische Ausbildungsstätten), begab sich aber auch häufig auf Reisen. Seine letzte Reise führte ihn 1930/31 nach Indien. M i t seiner R ü c k k e h r nach England verschlechterte sich sein Gesundheitszustand, und e r s t a r b am 1 7 . 1 . 1 9 3 2 . Bis zu seinem Ende blieb er Mitglied der Community of the Kesurrection. Im Haus dieser Gemeinschaft in Mirfield/Yorkshire, w o sie sich 1898 niedergelassen hatte, wurde er begraben. Während seines ganzen Lebens beschäftigte er sich mit sozialen Fragen, engagierte sich für die 1889 gegründete Christian Social School und unterstützte eifrig die Workers Educational Association. Z u seinen Lebzeiten war er die bemerkenswerteste Persönlichkeit unter den Bischöfen Englands, zu denen er allerdings oft im Gegensatz stand. Er führte ein einfaches, fast strenges Leben; in seiner Diözese wirkte er als Zuchtmeister und wandte sich sowohl gegen Bestrebungen der modernistischen Schule innerhalb der Kirche von England als auch gegen die liturgischen Neuerungen der anglokatholischen Geistlichen, obwohl er mit deren kirchlichen Ansichten im wesentlichen übereinstimmte (vgl. auch T R E 2,730,41 ff).

2. Gore als

Theologe

Von Kindheit an war Charles G o r e ' s religiöses Denken durch das katholische Erbteil der englischen Kirche bestimmt, wie es wieder nachdrücklich von den Traktarianern oder der anglokatholischen Bewegung betont wurde (s. T R E 2 , 7 1 9 - 7 2 3 ) . Er glaubte inbrünstig daran, daß es für den Anglikanismus „gottgegebene A u f g a b e " war, den Menschen einen Katholizismus anzubieten, der in direkter Verbindung mit dem Katholizismus der Vergangenheit hinter die Zeit der R e f o r m a t i o n zurückging. M i t anderen Worten: Der von G o r e vertretene Katholizismus war gleichzeitig patristisch, evangelisch und liberal dogmatisch in seiner Substanz, evangelisch dem Geist nach und liberal insofern, als er sich neuen Erkenntnissen und Einsichten nicht verschloß. Im Zentrum seiner Theologie steht seine strenge Lehre von der Inkarnation ( - » J e s u s Christus),

Gore

587

kurz zusammengefaßt in einem Satz aus den Bampton Vorlesungen: „Der Sohn Gottes, der erlöst, ist gleichzeitig Schöpfer". Auf diese Weise schafft die Lehre von der Menschwerdung eine Grundlage für eine christliche Betrachtung der Wirklichkeit als Ganzes. Für Gore waren Religion und Philosophie nicht identisch - in dieser Hinsicht entging er dem Einfluß von T. H.Green -,und Christus war für ihn zugleich Erlöser und Vollender, eine Überzeugung, die zumindest teilweise auf seinem tiefen Gefühl für die zerstörerische Gewalt menschlicher Sündhaftigkeit (-»Sünde) beruhte. Aber daß Gott menschliche Gestalt zum Zweck der Erlösung angenommen hatte, war für ihn unbestritten ,die Krone der natürlichen Entwicklung', und in dieser hypostatischen Verbindung wurde die Menschlichkeit ebensowenig aufgegeben wie die Göttlichkeit verleugnet. Dieses Bestehen auf der realen Menschlichkeit Christi führte Gore dazu, seine kenotische Christologie zu entwickeln, zuerst in den Bampton-Vorlesungen, dann ausführlicher in den Dissertations, die der kurzen Andeutung in seinem Essay The Holy Spirit and Inspiration in Lux Mundi folgten. Er vertrat aber nicht die extremste Form, die eine wirkliche Aufgabe der göttlichen Eigenschaften durch den Sohn gefordert hätte. Er dachte vielmehr an eine Art Einschränkung der Vorrechte der Göttlichkeit in der menschlichen Existenz Christi (vgl. T R E 9,646,27ff). Diese Tat des Erlösers besaß für Gore einen machtvollen moralischen Appell, wenn sich auch die genaue logische Formulierung als unmöglich erweisen sollte. Andererseits räumte er nichts ein, was die Bedeutsamkeit der Menschwerdung als wesentlich übernatürliche Tat des göttlichen Wortes schwächen konnte. Hieraus erwuchs seine feste Überzeugung nicht nur von der Geschichtlichkeit der im Evangelium erzählten Wunder der Jungfrauengeburt und der leiblichen -»Auferstehung, sondern auch von der durch die alten —»Glaubensbekenntnisse an die Kirche übertragene Aufgabe, buchstäblich an die Wahrheit der Bibel zu glauben. An diesem Punkt schien er seinen Kritikern einen -»Fundamentalismus zu vertreten, der im Widerspruch zu seiner eher liberalen Bibelexegese stehe. Andererseits hielten sie ihm auch vor, das eben Erwähnte sei insofern in sich selbst widersprüchlich, als Gore für Ausdrücke wie ,hinabgestiegen in die Hölle' und ,aufgefahren in den Himmel' eine symbolische Deutung erlaube, die er den historischen Aussagen verweigere. In seiner Abendmahlslehre (vgl. T R E 1,135 £.188 f) vertrat Gore die Lehre von dem Opfer durch die Behauptung, daß, obwohl die Tat Christi als Tat der Versöhnung ein für allemal geschehen ist, ihre Opferkraft doch fortwirke und so das ganze Leben der Kirche, die das Abendmahl als ihr Zentrum betrachtet, befähige, ihrer Intention nach Opfergemeinschaft zu sein. Christus ist in den Elementen wirklich gegenwärtig, unabhängig vom Glauben des Empfängers. Gleichzeitig ist die reale Gegenwart auf die liturgische Handlung selbst beschränkt, so daß eine Verehrung des Sakramentes, losgelöst von dieser Handlung, nicht zu vertreten ist. In bezug auf die -»Kirche und das geistliche -» Amt sah Gore die bischöfliche Verfassung als das Wesen der Kirche an und vertrat die Meinung, daß die Kirche von England in diesem besonderen Sinn katholisch ist, weil sie die apostolische Nachfolge beibehalten hat (s. T R E 6,685 f). Diese Überzeugung formte seine Haltung gegenüber der Frage einer Verbindung zwischen den Anglikanern und nichtbischöflichen Gemeinschaften. Im R u h e s t a n d wandte G o r e sich der - » A p o l o g e t i k zu. Auf diesem Gebiet verleitete ihn aber sein Eifer, Folgerungen zu ziehen, besonders bei philosophischen Problemen zu einer gewissen Flüchtigkeit in der Argumentation. E r beachtete auch nicht in ausreichendem M a ß e den negativen Einfluß zeitgenössischer neutestamentlicher Bibelkritik in Hinblick auf die F r a g e nach den Anfängen des Christentums. Dieses Vertrauen Gores auf das apologetische Gewicht der Berufung auf die Geschichte unterschied seine Denkweise von der vieler junger Vertreter der High Church, z. B. A. E . J . Rawlinson, die eine eher analytische M e t h o d e bevorzugten und dazu das Zeugnis religiöser Erfahrung als solcher benutzten. Im G r u n d e g e n o m m e n jedoch w a r G o r e der Überzeugung, daß Religion aus moralischen Gründen eine Existenzberechtigung habe, eine Position, die er mit Aufrichtigkeit und Beredsamkeit in The Philosophy of the Good Life verteidigte. Ausgewählte

Quellen

Vollständige Bibliogr. liegt vor: J . Carpenter, s.u. Lit., 2 7 1 - 2 8 7 . The Ministry of the Christian Church, London 1882; rev. new Ed. The Church and the Ministry by C. H. Turner, London 1919. - Roman Catholic Claims, London 1886 1 1 1920. - Lux Mundi. A Series of Studies in the Religion of the Incarnation, hg. v. Ch. Gore, London 1889. - The Incarnation of the Son of God (Bampton Lectures), London 1891. - Dissertations on Subjects connected with the Incarnation, London 1895. - The Body of Christ. An Enquiry into the Institution and Doctrine of Holy Communion, London 1901. - The Reconstruction of Belief, 3 Bde., London; I Belief in God, 1921, II Belief in Christ, 1922, III The Holy Spirit and the Church, 1924 (dazu: Can we then Believe? Summary of volumes on „Reconstruction of Belief" and reply to criticisms, London 1926). - The Philosophy of the Good Life (Gifford Lectures 1929f), New York 1954.

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Gorze Literatur

James Carpenter, Gore. A Study in Liberal Catholic Thought, London 1960. - Ragnar Ekström, The Theology of Charles Gore, Lund 1944. - T.A. Langford, In Search of Foundations. English Theology 1 9 0 0 - 1 9 2 0 , New York 1969. - George L. Prestige, The Life of Charles Gore, London 1935. - Michael Ramsey, From Gore to Temple, London 1960. - Bernard M. G. Reardon, From Coleridge to Gore, London 1971. Bernard M . G . Reardon Gorze G o r z e bezeichnet d a n k des grundlegenden Werkes K . Hallingers vielfach die von L o t h r i n g e n im 10. und 11. J h . ausgehende, aus mehreren Quellgründen gespeiste und in sich folgenden Wellen ausbreitende K l o s t e r r e f o r m . D i e L o t h r i n g i s c h e K l o s t e r r e f o r m suchte der in der 2 . H ä l f t e des 9. J h . in L o t h r i n g e n wie a n d e r s w o aufgetretenen A b k e h r v o m m o n a s t i s c h e n Ideal z ö n o b i t i s c h e r Ausprägung und von den klösterlichen Postulaten dadurch E i n h a l t zu gebieten, d a ß sie die strenge B e a c h t u n g der - » G e l ü b d e der (persönlichen) A r m u t , des G e h o r s a m s , der lebenslangen Bindung an das P r o f e ß k l o s t e r ( s t a b i l i t a s loci), die F o r d e r u n g e n des opus Dei und einer w o h l a b g e w o g e n e n - » A s k e s e zur Heiligung des E i n z e l m ö n c h s und der m o n a s t i s c h e n G e m e i n s c h a f t wiederbelebte und in den von ihr erfaßten K l ö s t e r n auch durchsetzte. Selbstverständliche N o r m dieser K l o s t e r r e f o r m w a r die Regula S. Benedicti ( - » B e n e d i k t u s r e g e l ) . W o m a n von ihr abgewichen w a r , bedeutete R e f o r m innere, a u c h disziplinare E r n e u e r u n g . W o m o n a s t i s c h e s L e b e n nach der B e n e d i k tinerregel seit k a r o l i n g i s c h e r Z e i t blühte, b r a c h t e die L o t h r i n g i s c h e K l o s t e r r e f o r m eine Ä n d e r u n g der consuetudines, d . h . teilweise einschneidende N e u e r u n g e n im liturgischen Vollzug, im T a g e s a b l a u f der K o m m u n i t ä t e n , in der hierarchischen O r d n u n g ihrer A m t s träger, j a in T r a c h t und ä u ß e r e m Aussehen des M ö n c h s . W ä h r e n d sie der K l o s t e r r e f o r m darin e n t g e g e n k a m e n , d a ß sie laikalen Einfluß auf die m o n a s t i s c h e n G e m e i n s c h a f t e n weitgehend e i n d ä m m t e n , erhofften sich B i s c h ö f e und H e r r s c h e r von den erneuerten benediktinischen K o n v e n t e n die B e w a h r u n g der wieder- o d e r neuerweckten L e b e n s w e i s e , d a m i t die G e m e i n s c h a f t e n unter L e i t u n g eines dem M ö n c h s s t a n d a n g e h ö r e n d e n , von der eigenen K o m m u n i t ä t gewählten A b t e s ihrer e m i n e n t sozialen A u f g a b e des fürbittenden G e b e t e s , der stellvertretenden Erfüllung der evangelischen R ä t e in g e m e i n s c h a f t l i c h e r C h r i s t u s n a c h f o l g e , der geistlichen A u s s t r a h l u n g a u f die U m w e l t und in die bischöflichen Sprengel hinein, der geistigen und materiellen S t ä r k u n g der K ö n i g s m a c h t und des werdenden bischöflichen F ü r s t e n t u m s g e w a c h s e n seien. D i e vorgegebene E i n b i n d u n g der L o t h r i n g i s c h e n K l o s t e r r e f o r m in H e r r s c h a f t s b e r e i c h e und -bezüge e n t h o b e n die P r o m o toren der jeweiligen R e f o r m r i c h t u n g der N o t w e n d i g k e i t , die geistlichen und geistigen, die privilegienrechtlichen und ö k o n o m i s c h e n E r r u n g e n s c h a f t e n der E r n e u e r u n g durch das k o n t r o l l i e r e n d e System eines hierarchisierten V e r b a n d e s abzusichern. D e n Z u s a m m e n halt der einzelnen G r u p p e n gewährleisteten personeller Austausch nach M a ß g a b e der stabilitas loci, F ü r b i t t g e b e t in G e b e t s v e r b r ü d e r u n g und T o t e n g e d e n k e n , das freilich nie exklusiv gestaltet wurde, die g e m e i n s a m e m o n a s t i s c h e Prägung. D i e R e g e l des hl. B e n e d i k t als ausschließliches Grundgesetz m o n a s t i s c h e r E x i s t e n z bildete das f u n d a m e n t a l e aus der Z e i t —> K a r l s des G r o ß e n und Ludwigs des F r o m m e n s t a m m e n d e , von der R e f o r m B e n e d i k t s von A n i a n e ü b e r k o m m e n e E r b e . Im G e g e n s a t z zu der burgundischen K l o s t e r r e f o r m - > C l u n y s , das seine m o n a s t i s c h e T r a d i t i o n direkt a u f - • B e n e d i k t von A n i a n e z u r ü c k f ü h r t e , knüpften im 1. Drittel des 10. J h . das F r a u e n k l o s t e r R e m i r e m o n t , die R e f o r m b e w e g u n g des in S a i n t - D e n i s geschulten Abtes G e r h a r d von B r o g n e und die von St. M a x i m i n / T r i e r ausgehende klösterliche Erneuerung jeweils separat an die k a r o l i n g i s c h e R e f o r m an. G o r z e (von 9 3 3 an) drängte eremitische Ansätze zurück; in St.-Evre/Toul (von 9 3 4 an) f a n d e n sich M ö n c h e verschiedener P r o f e ß z u g e h ö rigkeit zu einem K o n v e n t z u s a m m e n . G e r h a r d von B r o g n e trug die m o n a s t i s c h e E r n e u e r u n g in lothringische K ö n i g s k l ö s t e r (St.-Ghislain, S t . - A m a n d u. a . ) , die sich großenteils in der H a n d des G r a f e n von F l a n d e r n

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Gorze Literatur

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J h . in L o t h r i n g e n wie a n d e r s w o aufgetretenen A b k e h r v o m m o n a s t i s c h e n Ideal z ö n o b i t i s c h e r Ausprägung und von den klösterlichen Postulaten dadurch E i n h a l t zu gebieten, d a ß sie die strenge B e a c h t u n g der - » G e l ü b d e der (persönlichen) A r m u t , des G e h o r s a m s , der lebenslangen Bindung an das P r o f e ß k l o s t e r ( s t a b i l i t a s loci), die F o r d e r u n g e n des opus Dei und einer w o h l a b g e w o g e n e n - » A s k e s e zur Heiligung des E i n z e l m ö n c h s und der m o n a s t i s c h e n G e m e i n s c h a f t wiederbelebte und in den von ihr erfaßten K l ö s t e r n auch durchsetzte. Selbstverständliche N o r m dieser K l o s t e r r e f o r m w a r die Regula S. Benedicti ( - » B e n e d i k t u s r e g e l ) . W o m a n von ihr abgewichen w a r , bedeutete R e f o r m innere, a u c h disziplinare E r n e u e r u n g . W o m o n a s t i s c h e s L e b e n nach der B e n e d i k tinerregel seit k a r o l i n g i s c h e r Z e i t blühte, b r a c h t e die L o t h r i n g i s c h e K l o s t e r r e f o r m eine Ä n d e r u n g der consuetudines, d . h . teilweise einschneidende N e u e r u n g e n im liturgischen Vollzug, im T a g e s a b l a u f der K o m m u n i t ä t e n , in der hierarchischen O r d n u n g ihrer A m t s träger, j a in T r a c h t und ä u ß e r e m Aussehen des M ö n c h s . W ä h r e n d sie der K l o s t e r r e f o r m darin e n t g e g e n k a m e n , d a ß sie laikalen Einfluß auf die m o n a s t i s c h e n G e m e i n s c h a f t e n weitgehend e i n d ä m m t e n , erhofften sich B i s c h ö f e und H e r r s c h e r von den erneuerten benediktinischen K o n v e n t e n die B e w a h r u n g der wieder- o d e r neuerweckten L e b e n s w e i s e , d a m i t die G e m e i n s c h a f t e n unter L e i t u n g eines dem M ö n c h s s t a n d a n g e h ö r e n d e n , von der eigenen K o m m u n i t ä t gewählten A b t e s ihrer e m i n e n t sozialen A u f g a b e des fürbittenden G e b e t e s , der stellvertretenden Erfüllung der evangelischen R ä t e in g e m e i n s c h a f t l i c h e r C h r i s t u s n a c h f o l g e , der geistlichen A u s s t r a h l u n g a u f die U m w e l t und in die bischöflichen Sprengel hinein, der geistigen und materiellen S t ä r k u n g der K ö n i g s m a c h t und des werdenden bischöflichen F ü r s t e n t u m s g e w a c h s e n seien. D i e vorgegebene E i n b i n d u n g der L o t h r i n g i s c h e n K l o s t e r r e f o r m in H e r r s c h a f t s b e r e i c h e und -bezüge e n t h o b e n die P r o m o toren der jeweiligen R e f o r m r i c h t u n g der N o t w e n d i g k e i t , die geistlichen und geistigen, die privilegienrechtlichen und ö k o n o m i s c h e n E r r u n g e n s c h a f t e n der E r n e u e r u n g durch das k o n t r o l l i e r e n d e System eines hierarchisierten V e r b a n d e s abzusichern. D e n Z u s a m m e n halt der einzelnen G r u p p e n gewährleisteten personeller Austausch nach M a ß g a b e der stabilitas loci, F ü r b i t t g e b e t in G e b e t s v e r b r ü d e r u n g und T o t e n g e d e n k e n , das freilich nie exklusiv gestaltet wurde, die g e m e i n s a m e m o n a s t i s c h e Prägung. D i e R e g e l des hl. B e n e d i k t als ausschließliches Grundgesetz m o n a s t i s c h e r E x i s t e n z bildete das f u n d a m e n t a l e aus der Z e i t —> K a r l s des G r o ß e n und Ludwigs des F r o m m e n s t a m m e n d e , von der R e f o r m B e n e d i k t s von A n i a n e ü b e r k o m m e n e E r b e . Im G e g e n s a t z zu der burgundischen K l o s t e r r e f o r m - > C l u n y s , das seine m o n a s t i s c h e T r a d i t i o n direkt a u f - • B e n e d i k t von A n i a n e z u r ü c k f ü h r t e , knüpften im 1. Drittel des 10. J h . das F r a u e n k l o s t e r R e m i r e m o n t , die R e f o r m b e w e g u n g des in S a i n t - D e n i s geschulten Abtes G e r h a r d von B r o g n e und die von St. M a x i m i n / T r i e r ausgehende klösterliche Erneuerung jeweils separat an die k a r o l i n g i s c h e R e f o r m an. G o r z e (von 9 3 3 an) drängte eremitische Ansätze zurück; in St.-Evre/Toul (von 9 3 4 an) f a n d e n sich M ö n c h e verschiedener P r o f e ß z u g e h ö rigkeit zu einem K o n v e n t z u s a m m e n . G e r h a r d von B r o g n e trug die m o n a s t i s c h e E r n e u e r u n g in lothringische K ö n i g s k l ö s t e r (St.-Ghislain, S t . - A m a n d u. a . ) , die sich großenteils in der H a n d des G r a f e n von F l a n d e r n

Gorze

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befanden (St.-Bertin, St.-Vaast, Gent). Gorze erreichte bis zum 1. Jahrzehnt des 11. J h . vornehmlich lothringische Bischofsklöster (Metz, Trier, Verdun, Laon), aber auch Reichsabteien Lothringens und Alemanniens (Stavelot-Malmédy, Prüm, Ellwangen, Maursmünster, Reichenau u.a.). Remiremont und St. Maximin/Trier besiedelten bzw. reformierten u. a. St. Pantaleon/Köln, St. M a r i a im Kapitol/Köln, Mönchengladbach, Bleidenstadt, St. Eucharius/Trier, St. Moritz/Magdeburg, Lorsch (? ca. 950/55), Weißenburg (957), Echternach (973), nicht zuletzt St. Emmeram/Regensburg (974) und Tegernsee, die selbst die Reform in eine große Zahl bayerischer und alemannischer monasteria, dank der reformatorischen Initiative Heinrichs II. auch nach Lorsch (1005), Fulda (1013) und Corvey (1014) brachten. St.-Evre/Toul trug seine Formung in die Diözesen Châlonssur-Marne, Thérouanne und Verdun. Ein überlieferter Text versichert uns, daß Gorze, St. Maximin/Trier, St. Emmeram/Regensburg und die Reichenau im wesentlichen die gleichen monastischen consuetudines befolgten; eine in Einsiedeln erhaltene consuetudo weist auch dieses Kloster, die von dort aus reformierten Konvente und seine erfolgreichste filia Niederaltaich, die ihrerseits nach Hersfeld (1005), bayerischen und Kärntner Klöstern, nach Ungarn, Böhmen und Mähren, nach Leno bei Brescia und selbst Moritecassino ausgriff (1035/38), derselben Reformrichtung zu. Über Amorbach und Fulda erfaßte die Reform bis ca. 1080 Halberstädter, Mainzer und Bamberger Bischofsklöster, aber auch Werden/Ruhr (1029). M i t dem der monastischen Tradition des frühen Cluny verpflichteten St.-Benoît-sur-Loire (Fleury) erwies sich bis gegen 970 eine reformatorische Zusammenarbeit als so ersprießlich, daß es zu „Sammelgründungen" kam (St.Evre/Toul, Waulsort, Dunstan-Reform in England). Als Cluny jedoch von 970 an sich in immer stärkerem M a ß von der Tradition abkehrte, die trotz bereits in karolingischer Zeit nachweisbarer Divergenzen der consuetudines der Lothringischen und der burgundischen Klosterreform gemeinsam war, führte jede Übernahme cluniazensischen Brauchtums, das gerade in der Abwendung vom karolingischen Erbe als die konsequentere und darum erstrebenswertere Ausprägung benediktinischen Mönchtums galt, im lothringischen Raum zur Ausbildung von Mischobservanzen, die notwendige Betonung der Eigenständigkeit zu mitunter schärfsten Äußerungen des Reformgegensatzes zwischen den einzelnen lothringischen Richtungen wie auch gegenüber „ C l u n y " und seinen Zweigen. Die früheste Mischobservanz in Lothringen stellt die Reformrichtung des Abtes Richard von St.-Vanne/Verdun (gest. 1046) dar, dessen Bewegung wiederum Abteien in Lothringen, im Artois, in Flandern und selbst in Châlons-surM a r n e erreichte und sich in der Reformströmung seines Schülers Poppo von StavelotMalmédy (gest. 1048) fortsetzte. St. Maximin/Trier und in geringerem M a ß e Hersfeld sollten diese Prägung in bedeutende Nachbarkonvente tragen (Echternach, Weißenburg, St. Gallen, Fulda u. a.). Von 996 an wirkte der in Cluny ausgebildete Reformabt Wilhelm von St.-Bénigne/Dijon in St. Arnulf/Metz und St.-Evre/Toul. Sein vom Metzer Bischof veranlaßtes Eingreifen in Gorze (1012/17) verlieh der zweiten von Gorze ausgehenden Reformwelle ein weitgehend cluniazensisches Gepräge. Sie erfaßte Klöster, die den Bischöfen von Metz, Trier, Köln und Mainz unterstanden (St. Arnulf/Metz, St. Martin/Trier, St. Pantaleon/Köln, St. Alban/Mainz usw.), erreichte über Münsterschwarzach am Main Bamberger, Würzburger, Merseburger, Magdeburger und Mainzer Bischofsklöster (Michelsberg/Bamberg, St. Burkhard/Würzburg, Pegau, Seligenstadt u . a . m . ) , aber auch Melk, Kremsmünster, Admont u.a. Ein anderer Zweig, gleichfalls von Gorze ausgehend, schloß niedersächsisch-thüringische monasteria dem Kloster Ilsenburg an. In dieser stark cluniazensischen Ausprägung blieb die Lothringische Klosterreform bis gegen 1110/1120 aktiv. In Lothringen selbst und im Reichsgebiet mußte sie seit dem letzten Viertel des 11. J h . vor dem Zugriff Clunys, Hirsaus, St. Blasiens und Siegburgs zurückweichen. In einer ganzen Anzahl altehrwürdiger Abteien vermochte sich die Formung, die in ottonisch-salischer Zeit irgendeine lothringische Reformrichtung eingeführt hatte, gerade in der verbandslosen Vereinzelung des eigenständigen Großklosters bis weit ins 12. und sogar 13. J h . hinein zu halten.

Gorze

590 Literatur

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Josef Semmler

Goßner Goßner, Johannes 1. Leben

1.

Evangelista

2 . Werk

3. Wertung

591

(1773-1858) (Literatur S. 5 9 4 )

Leben

J . E . Goßner wurde am 1 4 . 1 2 . 1 7 7 3 in Hausen bei Ulm als zehntes Kind einer katholischen Kleinbauernfamilie geboren. Mit zwölf Jahren trat er in das Salvatorgymnasium Augsburg ein, um Priester zu werden. 1792 ging er an das Stift der Universität —•Dillingen, die damals von J . M . -»Sailer geprägt wurde. Von 1 7 9 3 - 1 7 9 6 studierte Goßner in Ingolstadt im Georgianum; eine Ferienreise benutzte er, um Sailer zu besuchen, der 1794 seines Amtes in Dillingen enthoben worden war. Eine durch strenges Reglement und Beimischung von Vernunft - glauben weder anziehende noch überzeugende Kirchenlehre ließen den Studierenden nach lebendigen Glaubensquellen suchen - durch die Pflege persönlicher Kontakte, durch intensive Lektüre —, auch begann er Tagebuch zu führen. Nach ausgezeichneten Examina wurde Goßner am 9 . 1 0 . 1 7 9 6 in Dillingen zum Priester geweiht. Tätigkeit als Kaplan in Stoffenried und Neuburg und als Vikar in Seeg im Oberallgäu bei Johann Michael Feneberg ( 1 7 5 1 - 1 8 1 2 ) schlössen sich an. Damit hatte Goßner festen Anschluß an den Freundeskreis um Sailer gewonnen, zu dessen bekanntesten Namen neben Feneberg Martin Boos ( 1 7 6 2 - 1 8 2 5 ) gehört. Dieser Kreis entfaltete eine evangelisch geprägte, erwecklich wirkende Tätigkeit vor allem im Allgäu. Die protestantische -»Erweckungsbewegung erkannte in diesem Kreis bald Geistesverwandte und Bundesgenossen gegen den -»Rationalismus. Zu Übertritten zu evangelischen Kirchen ist es erst eine Generation später gekommen. Der G l a u b e n s i m p u l s dieses Kreises wurde o f t in die F o r m e l „ C h r i s t u s für uns und Christus in u n s " gefaßt. D a s erste Glied dieser F o r m e l entspricht der - » R e c h t f e r t i g u n g s l e h r e und kann in reformatorisch-biblischen Wendungen ausgedrückt werden; das zweite Glied n i m m t die christlich-mystische Tradition auf ( - » M y s t i k ) . Dieser Kreis hielt in intensiv gepflegten Freundschaften mit einer lebhaften K o r r e s p o n d e n z zusammen; Briefe von B o o s aus dem Priestergefängnis Göggingen waren es, die G o ß n e r veranlaßten, sich diesem Glauben zuzuwenden. D e r Glaubensimpuls dieses Kreises entfaltete sich im Gemeindeleben durch B e t o n u n g der Predigt, der Seelsorge und der Bibel, ohne mit F o r m und O r d n u n g der katholischen K i r c h e grundsätzlich zu b r e c h e n . In Fenebergs Gemeinde wie auch an anderen Stellen gewann dieser G l a u b e n s i m p u l s ein breites E c h o in der Bevölkerung. Im F r ü h j a h r 1801 wurde G o ß n e r als D o m k a p l a n nach Augsburg berufen. Als er sich im F e b r u a r 1802 um die Pfarre D o r s c h h a u s e n b e w a r b , wurde eine Untersuchung gegen ihn eingeleitet, die mit dem Urteil endete, G o ß n e r für mehrere Wochen ins Priestergefängnis in Göggingen einzuweisen. D i e Anklage suchte ihn der Häresie in der Rechtfertigungslehre zu überführen und auch den Glaubenssatz „ C h r i s t u s in u n s " als teilweise häretisch zu b r a n d m a r k e n . G o ß n e r und der Sailersche Kreis sahen Widerstand und Verfolgung als legitimen Teil der N a c h f o l g e an.

Im Sommer 1803 erhielt Goßner die Pfarrstelle in Dirlewang im Allgäu, das gerade zu Bayern gekommen war; die Kulturpolitik von G r a f Maximilian J . Montgelas drängte den Einfluß der Exjesuiten zurück und ließ etliche Freunde von Boos in gute Stellungen aufrücken (s. T R E 5,372). In dieser Pfarrstelle konnte Goßner sich nun endlich voll entfalten. Die innere Bindung an die katholische Kirche erscheint gelockert; er äußerte sich kritisch über die Versuche, das Kirchengut zu halten, über die „Despotie der Hierarchie" (Dalton 116) und über die „abgöttischen Zeremonien", an denen Gegner in der Gemeinde festhalten möchten. M i t dem Freundeskreis machte er Pläne für eine freie christliche Siedlung auf dem Lechfelde; er nahm Kontakt zu erweckten Protestanten auf, zuerst aus der Christentumsgesellschaft in Nürnberg und Basel (s. T R E 5 , 2 7 6 - 2 7 8 ) . Von Nürnberg und Basel kamen herzliche brüderliche Schreiben, die von einer Sezession abrieten. Wiederholte schwere Krankheiten und Schwierigkeiten in der Gemeinde veranlaßten Goßner, eine Veränderung zu suchen. Ein Gesinnungsfreund für die Pfarrstelle konnte gewonnen werden (Bayr); im Februar 1811 brach Goßner nach Basel auf, um dort einige M o n a t e Spittlers (s. T R E 5,277,11) Aufgaben in der Christentumsgesellschaft wahrzunehmen. Auf diese Zeit gehen seine zahlreichen Kontakte zu „ e r w e c k t e n " Persönlichkeiten und seine Vertrautheit mit der neu beginnenden Missionstätigkeit (-»-Mission) zurück; auch

Goßner

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hat er sich hier in seine wohl wichtigste F o r m des Wirkens, die seelsorgerlich-missionarische Schriftstellerei, eingeübt. In dieser Zeit wurde ein Übertritt zur evangelischen Kirche erwogen, aber nicht vollzogen; Goßner bleibt seiner Kirche treu. Das zeigt sich auch darin, daß er seine langjährige Haushälterin und geistliche Gefährtin Ida Bauberger nicht geheiratet hat. Im August 1812 trat Goßner ein Benefiziat in M ü n c h e n an. Neben Predigt, Katechese und Kinderpredigt gewann die literarische Arbeit in dieser Zeit an Gewicht. Die Kontakte zu Protestanten weiteten sich aus; Schleiermacher hat ihn im Herbst 1818 in M ü n c h e n besucht. N a c h sechs J a h r e n wurden Goßners Wirkmöglichkeiten in M ü n c h e n fast ganz unterbunden. Sailer ermahnte während dieser kirchlichen Restaurationsphase seine Freunde, keinen Anstoß zu geben. Boos fand Zuflucht erst an einem Gymnasium in Düsseldorf, dann in einer Pfarrstelle am Rhein. Goßner folgte ihm im Oktober 1819, fand auch im preußischen Rheinland ein lebhaftes Echo, aber auch ähnliche Anfeindungen wie in München. So nahm er schon im April 1820 einen Ruf nach Petersburg an, wo er Nachfolger von Ignaz Lindel (1774-1845), einem anderen Glied des Sailerschen Kreises, wurde. In Petersburg wurde Goßner die Stellung eines Priesters an der Kirche des Malteserordens übertragen, zu der keine Parochie gehörte und die wie der Orden unter dem Protektorat des Zaren stand. Im April 1824 wurde er aus Rußland ausgewiesen. Dahinter steht der Umschwung von der Phase der Offenheit Rußlands für erweckliche Einflüsse zu einer Phase der Besinnung auf das eigene Erbe (-»Rußland). Goßner stand in Petersburg auf dem Höhepunkt seiner Wirksamkeit und hat an seiner Gemeinde besonders gehangen, ihr auch jahrelang Predigten gewidmet und zugesandt. Bis 1 8 2 8 / 1 8 2 9 blieb Goßner ohne Anstellung; er weilte einige Zeit in Altona, dann in Leipzig, endlich in Schlesien als Gast preußischer Adliger. A m 2 3 . Juli 1 8 2 6 trat er zur evangelischen Kirche über. 1 8 2 7 brachten ihn Freunde dazu, sich in Berlin um Aufnahme in den Kirchendienst zu bewerben. E r mußte sich einer Prüfung unterziehen - widerstrebend. Erst nach Zwischenlösungen kam er 1 8 2 9 an die Bethlehemskirche in Berlin, als Prediger für den lutherischen Teil der aus böhmischen E x u l a n t e n entstandenen Gemeinde. Hier blieb er siebzehn J a h r e tätig, bis S c h w ä c h e seinen Ruhestand 1 8 4 7 nötig machte. G o ß n e r starb a m 3 0 . M ä r z 1858. Seine Erfahrungen mit der Amtskirche blieben auch auf evangelischer Seite überwiegend unerfreulich. Goßner ist in diesem Kirchenwesen nicht heimisch geworden; aber er hat Freunde, Gönner und Gefolgsleute gefunden, nicht nur unter den erweckten Adligen, sondern auch unter H o c h und Niedrig in der Gemeinde. 2.

Werk

Goßner ist der bekannteste Vertreter des Sailerschen Kreises; vor allem durch ihn ist dieser Kreis im Protestantismus bekannt geworden. Seine Wirkungen als Prediger ließen sich noch Jahrzehnte später feststellen. Weitreichend sind Goßners Wirkungen als Erbauungsschriftsteller. Zeitlich sind zwei Schwerpunkte feststellbar: die Münchner Zeit (1812-1818) und die Leipziger Zeit (1824-1826). Inhaltliche Schwerpunkte sind erstens die Bibelübersetzung und Bibelauslegung. 1815 bereits hat er das Neue Testament übersetzt, das über 30 Auflagen fand. Eine mehrbändige Auslegung zum Neuen Testament wurde 1818 herausgebracht (Geist des Lebens), 1823 schon in dritter Auflage; eine Hauskanzel (Auslegung der Evangelienperikopen) 1843. Der zweite inhaltliche Schwerpunkt ist die Erschließung spiritueller Tradition. Brosamen aus den Schriften eines Gesalbten erschien 1816 anonym und bietet Zinzendorfsche Aussprüche dar. Christus für uns und in uns, geschrieben in der Münchener Zeit, erschien erst posthum 1862, eine Sammlung von Kirchenvätertexten soll den alten, neugefundenen und von vielen Seiten bestrittenen Glauben bezeugen. Goldkörner, seiner Petersburger Gemeinde gewidmet und gesandt, erscheinen als Buch erst posthum (nach 1858), hier sind Sprüche von Tauler und anderen Mystikern dargelegt. Eine Übertragung der Imitatio Christi des Thomas von Kempen erscheint zuerst in der Leipziger Zeit, später in erweiterter Auflage 1825 (?). Eine Überarbeitung von Tersteegens Leben heiliger Seelen erschien ab 1812 in Heften, 1815 in zwei Bänden. Die Biographie von Martin Boos - mit dessen Ermächtigung - kam in Leipzig heraus (1825?). Das bekannteste Werk wurde das Herzbüchlein:

„ D a s Herz des Menschen, ein Tempel

Goßner

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Gottes oder eine Werkstätte des Satans, in 10 Figuren sinnbildlich dargestellt" 1812, wobei G o ß n e r zu alten Kupferstichen eines populärkatholischen Traktats einen neuen T e x t geschrieben hat. M i t 26 Übersetzungen (Holsten 417) wurde es einer der populärsten Missionstraktate. Daneben steht das Schatzkästlein aus der Leipziger Zeit, das Texte für die Hausandacht an allen Tagen des J a h r e s ohne Rücksicht auf das Kirchenjahr bietet. Über die Erbauung des eigenen Kreises hinaus führt die Zeitschrift Die Biene auf dem Missionsfeld. Für Missionsfreunde und Missionsvereine (ab 1834), dazu später (ab 1846) eine weitere Zeitschrift: Der christliche Hausfreund für innere und äußere Mission. Zum besten der indischen Mission. Zeitgenossen erfuhren Goßners mündliche Verkündigung als unvergleichlich eindrücklicher; aber viele von ihm Erweckte und Geprägte haben sich an sein Schrifttum gehalten, so daß man von einer „ G o ß n e r - G e m e i n d e in der D i a s p o r a " (Holsten 6 f ) sprechen konnte. G o ß n e r hat auch als Gründer im Felde der inneren und äußeren Mission gewirkt. 1833 war er an der Entstehung eines christlichen Männer-Krankenvereins beteiligt; im selben J a h r gründete er einen Frauen-Krankenverein; 1834 eine erste Kinder-Warte-Anstalt-, den Frauenkrankenverein führte er zur Gründung eines Krankenhauses, das seit 1838 den N a m e n Elisabeth-Krankenhaus trug; zugleich entstand eine eigene Schwesternschaft. Die eine Gründung, die Goßners N a m e n bis heute lebendig erhält, ist die GoßnerMission. Auch hier stand das M i t t u n am Anfang. Im Herbst 1831 trat G o ß n e r in das Komitee der 1824 gegründeten Berliner Mission ein. Er hielt 1833 die Predigt bei der Aussendung der ersten fünf Missionare und war im Komitee ein sehr aktives Mitglied; aber 1836 trat er aus dem Komitee der Berliner Mission aus. Als noch im selben J a h r zwölf B e w e r b e r zu ihm k a m e n , die „als christliche H a n d w e r k e r , Lehrer, Katecheten Lücken f ü l l e n " (Lokies 7 3 ) wollten, begann er eine eigene M i s s i o n . Die Kandidaten blieben in ihrem Beruf, meist als H a n d w e r k e r , und erhielten eine Ausbildung überwiegend durch G o ß n e r selber in den Abendstunden; sie sollten anderen M i s s i o n e n zur Verfügung gestellt werden und sich möglichst durch ihre Arbeit selbst erhalten. D a m i t tat G o ß n e r nichts anderes als sein Vorgänger J o h a n n e s J ä n i c k e ( 1 7 4 8 - 1 8 2 7 ) getan hatte. Eine R e c h t s f o r m hatte diese M i s s i o n zunächst nicht. Sie wurde gedrängt, ein Statut anzunehmen: G o ß n e r s E n t w u r f (1838) g a b jedem, der für die Mission betet, Mitgliedsrechte, und schrieb die Präsidentschaft Christus zu (Holsten 3 8 8 ) . Aber erst 1842 k a m es zu einem S t a t u t , das mit der Verleihung der K o r p o r a t i o n s r e c h t e anerkannt wurde. Die Leitung hatte G o ß n e r selbst, später bis heute ein sich selbst ergänzendes K o m i t e e . D e r Unterschied zu anderen M i s s i o n e n bestand darin, „aus dem H a n d w e r k s - und jedem anderen Stande junge M ä n n e r auf einem kürzeren und minder kostspieligen Weg, als gewöhnlich zu geschehen pflegt, zu Gehülfen der M i s s i o n , zu D i a k o n e n , Katecheten, Schullehrern und M i t a r b e i t e r n a m heiligen Werke auszubilden und hier und da, w o man ihrer bedarf, eine L ü c k e auszufüllen oder auch selbst M i s s i o n s - S t a t i o n e n unter den Heiden zu g r ü n d e n " (Holstein 3 8 6 ) . Z u G o ß n e r s Lebzeiten wurden insgesamt 141 M i s s i o n a r e und Auslandsprediger entsandt, darunter 16 akademisch gebildete T h e o l o g e n . Sie erhielten keine Versorgungszusage, wurden verschiedensten M i s s i o n e n anvertraut, auch in verschiedenen D e n o m i n a t i o n e n tätig, wobei neben hingebender B e w ä h r u n g auch ein hohes M a ß an Unstetigkeit auffällt. Es w a r die M i s s i o n in - » I n d i e n in der G a n g e s e b e n e und in C h o t a N a g p u r , der gegenüber eine bleibende Verpflichtung entstand; die G a n ges-Mission wurde mit dem Ersten Weltkrieg in andere H ä n d e gegeben; die Mission in C h o t a N a g p u r hat sich zur „ G o ß n e r Evangelical Lutheran C h u r c h " entwickelt.

D i e institutionskritische Arbeitsweise und Haltung G o ß n e r s hat sich nirgends durchhalten lassen; Klarheit in der Frage des Bekenntnisses, eine kirchliche Ordnung, eine bessere Ausbildung und eine finanzielle Versorgung wurden nötig. Die Goßner-Mission wurde durch Krisen genötigt, zu einer Missionsgesellschaft wie andere auch zu werden. Sie hat aber in erstaunlichem M a ß Freiheit zu ungewöhnlichen Initiativen behalten und ist durch diese institutionskritische Tendenz ein belebendes Element für die äußere M i s sion und für die Kirche geblieben.

3. Wertung „ G o ß n e r s Glaube ist durch Zinzendorf vermittelter lutherischer G l a u b e " , so urteilte Holsten gegen Ritsehl, der Goßners Frömmigkeit für „durch und durch k a t h o l i s c h " hielt

Gotik

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(Holsten 8f). Goßner hat von Zinzendorf und Luther gelernt und beide hoch geschätzt; aber von der Entstehung seines Glaubens her muß man Holstens Aussage revidieren. „Christus für u n s " - zentrale Aussagen zu diesem T h e m a stimmen ganz weitgehend mit Luther zusammen. Aber zum T h e m a „Christus in uns" gewinnt die Mystik ein größeres Gewicht; und hier liegt der Motivgrund des Handelns und die Zielrichtung der -»Heiligung. Neben der innerlich gefaßten Via negativa der Mystik steht aber ein auch konkret erfahrbares Bild von -»Nachfolge und Kirche. Die echt apostolische freie Kirche leidet unter dem Widerspruch des Unglaubens wie unter den Bindungen einer staatsgebundenen Kirche. Sie erbaut sich in brüderlicher Gemeinschaft, erneuert sich im Zeugnis, bewährt sich im Dienst. Dieses Bild von der Kirche prägt seine Vorstellung von Mission. Von der Entwicklung lutherisch-kirchlicher Mission her gesehen, nennt Aagaard G o ß ners Standpunkt „anarchistisch" und „anachronistisch" (523); aber ähnliche Motive tauchen in späteren Gründungen von Missionen wiederum auf. Die Literatur über Goßner ist durch eine verständliche hagiographische Tendenz geprägt, die Ansätze im Selbstverständnis Goßners als Charismatiker mit prophetischer Vollmacht vorfindet. Er hat transkonfessionell im Sinne eines freien christozentrischen Glaubens gewirkt und dafür alte wie neue Entfaltungsmöglichkeiten für sich und andere jenseits des staatskirchlichen Herkommens gesucht und gefunden. Literatur J o h a n n e s A a g a a r d , M i s s i o n , K o n f e s s i o n , Kirche. Die P r o b l e m a t i k ihrer Integration im 19. J h . in Deutschland, 2 B d e . , L u n d / A a r h u s 1 9 6 7 . - H e r m a n n D a l t o n , J o h a n n e s G o ß n e r . Ein Lebensbild aus der Kirche des 19. J h . , Berlin 3 1 8 9 8 . - Walter Holsten, J o h a n n e s Evangelista G o ß n e r . G l a u b e u. Gemeinde, Göttingen 1 9 4 9 . - Friedrich-Wilhelm K a n t z e n b a c h , J o h a n n M i c h a e l Sailer u. der ö k u m . G e d a n k e , N ü r n b e r g 1955. - H a n s L o k i e s , J o h a n n e s G o ß n e r . Ein Bekenner u. Diener J e s u C h r i s t i , G i e ß e n / B a s e l 2 1 9 5 9 . - W i l h e l m O e h l e r , G e s c h . der D t . Ev. M i s s i o n , 2 Bde., B a d e n - B a d e n 1 9 4 9 / 1 9 5 1 . - J o h a n n e s D i a k o n u s P r o c h n o w , J o h a n n e s Evangelista G o ß n e r . Eine biographische Skizze, Berlin 1859. - Ders., J o h a n n e s G o ß n e r . B i o g r . aus Tagebüchern u. Briefen, Berlin 1864 (Bibliographie). G e o r g Schwaiger, J o h a n n M i c h a e l Sailer, der bayerische Kirchenvater, M ü n c h e n / Z ü r i c h 1982.

Niels-Peter Moritzen

Goten -»Germanenmission (arianische) Gotik 1. Baukunst

1.

2. Plastik

3. Malerei

4. Kleinkunst (Literatur S. 601)

Baukunst

Begriff. Der Begriff wird wesentlich für die Baukunst im Zeitalter zwischen - » R o m a nik und -»Renaissance verwendet, dann auch für die anderen Künste der Epoche ca. 1150 bis ca. 1500, gelegentlich auch allgemein für die Kunst des Hohen Mittelalters. Geprägt wurde das Wort in der italienischen Renaissance, zuerst im 15. J h . (Manetti), um die angeblich entartete Architektur zu bezeichnen, welche die germanischen (gotischen) Eroberer Italiens während ihrer Herrschaft anstelle der antiken Kunst und bis zu deren Wiedergeburt errichtet hätten. Berühmt wurde diese Verurteilung der Architektur des Nordens durch Vasari ( 1 5 1 1 - 1 5 7 4 ) , der sie freilich nicht, wie oft behauptet, gotisch, sondern deutsch (tedesca) nennt. In unserem Sinn ist der Begriff Gotik erst 1610 nachweisbar. Als deutsch galt die gotische Architektur in der Folgezeit, positiv gewürdigt, wie schon durch Aeneas Silvio (-»Pius II.), vor allem von - » G o e t h e („Von deutscher Baukunst", 1771, über das Straßburger Münster), dem die —»Romantik folgt, der die gotische Baukunst als Inbegriff christlicher Kunst gilt. -»Hegel preist in der „gotischen Baukunst" „das Zusammenstimmen mit dem inneren Geist des Christentums" (Ästhetik 111,1,3). Entstehung.

In Wahrheit ist die Gotik in Frankreich entstanden („französisch" [opus

Gotik

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(Holsten 8f). Goßner hat von Zinzendorf und Luther gelernt und beide hoch geschätzt; aber von der Entstehung seines Glaubens her muß man Holstens Aussage revidieren. „Christus für u n s " - zentrale Aussagen zu diesem T h e m a stimmen ganz weitgehend mit Luther zusammen. Aber zum T h e m a „Christus in uns" gewinnt die Mystik ein größeres Gewicht; und hier liegt der Motivgrund des Handelns und die Zielrichtung der -»Heiligung. Neben der innerlich gefaßten Via negativa der Mystik steht aber ein auch konkret erfahrbares Bild von -»Nachfolge und Kirche. Die echt apostolische freie Kirche leidet unter dem Widerspruch des Unglaubens wie unter den Bindungen einer staatsgebundenen Kirche. Sie erbaut sich in brüderlicher Gemeinschaft, erneuert sich im Zeugnis, bewährt sich im Dienst. Dieses Bild von der Kirche prägt seine Vorstellung von Mission. Von der Entwicklung lutherisch-kirchlicher Mission her gesehen, nennt Aagaard G o ß ners Standpunkt „anarchistisch" und „anachronistisch" (523); aber ähnliche Motive tauchen in späteren Gründungen von Missionen wiederum auf. Die Literatur über Goßner ist durch eine verständliche hagiographische Tendenz geprägt, die Ansätze im Selbstverständnis Goßners als Charismatiker mit prophetischer Vollmacht vorfindet. Er hat transkonfessionell im Sinne eines freien christozentrischen Glaubens gewirkt und dafür alte wie neue Entfaltungsmöglichkeiten für sich und andere jenseits des staatskirchlichen Herkommens gesucht und gefunden. Literatur J o h a n n e s A a g a a r d , M i s s i o n , K o n f e s s i o n , Kirche. Die P r o b l e m a t i k ihrer Integration im 19. J h . in Deutschland, 2 B d e . , L u n d / A a r h u s 1 9 6 7 . - H e r m a n n D a l t o n , J o h a n n e s G o ß n e r . Ein Lebensbild aus der Kirche des 19. J h . , Berlin 3 1 8 9 8 . - Walter Holsten, J o h a n n e s Evangelista G o ß n e r . G l a u b e u. Gemeinde, Göttingen 1 9 4 9 . - Friedrich-Wilhelm K a n t z e n b a c h , J o h a n n M i c h a e l Sailer u. der ö k u m . G e d a n k e , N ü r n b e r g 1955. - H a n s L o k i e s , J o h a n n e s G o ß n e r . Ein Bekenner u. Diener J e s u C h r i s t i , G i e ß e n / B a s e l 2 1 9 5 9 . - W i l h e l m O e h l e r , G e s c h . der D t . Ev. M i s s i o n , 2 Bde., B a d e n - B a d e n 1 9 4 9 / 1 9 5 1 . - J o h a n n e s D i a k o n u s P r o c h n o w , J o h a n n e s Evangelista G o ß n e r . Eine biographische Skizze, Berlin 1859. - Ders., J o h a n n e s G o ß n e r . B i o g r . aus Tagebüchern u. Briefen, Berlin 1864 (Bibliographie). G e o r g Schwaiger, J o h a n n M i c h a e l Sailer, der bayerische Kirchenvater, M ü n c h e n / Z ü r i c h 1982.

Niels-Peter Moritzen

Goten -»Germanenmission (arianische) Gotik 1. Baukunst

1.

2. Plastik

3. Malerei

4. Kleinkunst (Literatur S. 601)

Baukunst

Begriff. Der Begriff wird wesentlich für die Baukunst im Zeitalter zwischen - » R o m a nik und -»Renaissance verwendet, dann auch für die anderen Künste der Epoche ca. 1150 bis ca. 1500, gelegentlich auch allgemein für die Kunst des Hohen Mittelalters. Geprägt wurde das Wort in der italienischen Renaissance, zuerst im 15. J h . (Manetti), um die angeblich entartete Architektur zu bezeichnen, welche die germanischen (gotischen) Eroberer Italiens während ihrer Herrschaft anstelle der antiken Kunst und bis zu deren Wiedergeburt errichtet hätten. Berühmt wurde diese Verurteilung der Architektur des Nordens durch Vasari ( 1 5 1 1 - 1 5 7 4 ) , der sie freilich nicht, wie oft behauptet, gotisch, sondern deutsch (tedesca) nennt. In unserem Sinn ist der Begriff Gotik erst 1610 nachweisbar. Als deutsch galt die gotische Architektur in der Folgezeit, positiv gewürdigt, wie schon durch Aeneas Silvio (-»Pius II.), vor allem von - » G o e t h e („Von deutscher Baukunst", 1771, über das Straßburger Münster), dem die —»Romantik folgt, der die gotische Baukunst als Inbegriff christlicher Kunst gilt. -»Hegel preist in der „gotischen Baukunst" „das Zusammenstimmen mit dem inneren Geist des Christentums" (Ästhetik 111,1,3). Entstehung.

In Wahrheit ist die Gotik in Frankreich entstanden („französisch" [opus

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francigenum) nennt Burchard von Hall ca. 1280 die gotische Kirche in Wimpfen-im-Tal), genauer gesagt, im Kronland der capetingischen Monarchie, der „Ile de France", der „Insel" zwischen den vier Strömen Aisne, Oise, Seine und Marne. Gründungsbau ist die Abteikirche von St. Denis (ca. 1140), der noch im 12. J h . die Kathedralen von Senlis, Noyon, Sens, Laon, Paris, Chartres und Bourges (diese beiden riesigen Bauten fast gleichzeitig 1194, bzw. 1195 begonnen) folgen. Die Gotik ist nicht die konsequente Entwicklung des vorausgehenden romanischen Stils, wenn sie von diesem, vor allem den normannischen und burgundischen Bauwerken, auch wichtige Elemente wie das Rippengewölbe, den Spitzbogen und Strebebogen übernimmt. Diese sind jedoch Mittel zur Schaffung eines radikal neuen Architektursystems, das die Romanik ablöst, die außerhalb des französischen Kronlandes noch weiter besteht. Wesen. Die Gotik ist durch dreierlei Merkmale gekennzeichnet: a) die Ersetzung der Wand durch die leuchtende Folie der Fenster und, Voraussetzung hierfür, b) die Zerlegung der Hochschiffwand in zwei parallele Schalen. Dies bereits in der normannischen Architektur des 11. J h . , insofern als dort in der Lichtgadenzone das mächtige Mauermassiv durch einen Laufgang „gespalten" und damit der Keim zur gotischen „Diaphanie" (Jantzen) gelegt wird. Das gotische Schiff besitzt nämlich in allen Geschossen eine innere und äußere Raumgrenze. Die innere, aufgelöst in Profilierungen von Stützen, Bogenläufen und Diensten, läßt „diaphan" die dahinterliegende äußere Wandschale als dunkle, im Lauf der gotischen Stilentwicklung immer mehr durchleuchtete äußere Raumgrenze erscheinen. Die normannische Architektur hat der Gotik auch insofern vorgearbeitet, als sie die Mauern auf die tragenden Teile des Systems zusammenzog, die Intervalle zwischen diesen aber in großen Bogenstellungen öffnete, c) Der „Illusionismus" der Gotik ist durch die „Aufspaltung" und Reduktion der Wand ermöglicht worden, welche die innere Wandschale von ihrer tragenden Funktion weitgehend befreite, so daß diese Wand als reine Fläche, die sie gliedernden Elemente als linienhaft zarte geometrische Gebilde, gleichsam Gitter vor der äußeren Raumschale, in unser Bewußtsein treten. Die hier genannten Merkmale der Gotik sind bemerkenswerterweise in Sakralbauten entwickelt und diesen weitgehend vorbehalten geblieben. Am Außenbau ist die Gotik gekennzeichnet durch ein System von Strebebögen und -pfeilern, die Wände und Pfeiler entlasten und den Schub der Rippengewölbe auffangen. Dadurch werden auch die Emporen überflüssig, was die Erhöhung der Seitenschiffe ermöglicht, die nun, ebenso wie der Lichtgaden, durch große Fenster geöffnet werden. Das „klassische" gotische System (erster sicher datierter Großbau die Kathedrale von Chartres) ist im Aufriß dreigeschossig: über den Mittel- und Seitenschiffe trennenden Arkaden und unter der Fensterzone des, im basilikalen System, überhöhten Mittelschiffs befindet sich ein Laufgang (Triforium). M a n unterscheidet im allgemeinen folgende Phasen in der Entwicklung der Gotik: die Frühgotik des 12. J h . , die Hochgotik des 13. J h . (das Beispiel von Chartres weiterentwickelt in den Kathedralen von Reims, Amiens, Beauvais), in welcher sich der Übergang zu der früher als „doktrinäre" Gotik bezeichneten Gotik (besser, als Hinweis auf die „strahlenden" Rosenfenster, ist der französische Ausdruck rayonnant). Höhepunkt dieser Stilphase des zweiten Drittels des 13. J h . , die man auch als „Hofstil Ludwigs des Heiligen" (-»Ludwig IX.) bezeichnet, ist die Pariser Ste. Chapelle. Großartiger Abschluß in Frankreich St. Ouen in Rouen (nach 1300). Gekennzeichnet ist diese Epoche durch immer stärkere Durchlichtung der Außenwände (Verglasung auch der Triforien), Auflösung der Stützen in Bündelpfeiler, die ein System von schlanken Rundgliedern schaffen, welche als Dienste vom Boden bis zu den Gewölberippen emporsteigen, aber auch als Bogenläufe den Arkaden unterlegt sind. Zugleich werden Lichtgaden und Triforium zunehmend als Einheit aufgefaßt. Die Erfindung des Maßwerks (zuerst in den Chorkapellen von Reims seit 1211) entfaltet sich am prachtvollsten in den riesigen Fensterrosen über den Portalen der Westund Querhausfassaden. Bedeutendste Beispiele an den Kathedralen von Laon, Chartres, Paris, Reims, sowie an der seit 1231 erneuerten Abteikirche von St. Denis. Seit ca. 1300 zeigt sich eine gewisse Beruhigung. Die Proportionen des Innenraums sind weniger steil,

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Gotik

statt der gitterförmig aufgelösten Raumgrenze tritt die Wandfläche wieder deutlicher hervor (Vendome, Ste Trinite, Kathedrale von Rodez). Die Spätphase der französischen Gotik bringt mit einer Häufung dekorativer Details, vor allem im Maßwerk, jene Vorliebe für geschwungene Linien, die den Begriff des „Flamboyant" rechtfertigt. Allmählich durchdringen Renaissancemotive den gotischen Formenkanon (St. Eustache, Paris). Trotz gewissen gleichförmigen Tendenzen ihrer Entwicklung ist die Gotik stark von regionalen Unterschieden geprägt. In Frankreich selbst hat sich die Gotik, als Baustil der französischen Monarchie, zugleich mit deren Ausbreitung in den von den capetingischen Königen eroberten Gebieten ausgedehnt, wobei jeweils die dort verwurzelten Stilgewohnheiten berücksichtigt wurden. So besonders in der Normandie, Burgund, der Champagne und der Provence (Kathedrale von Albi). In den außerfranzösischen Ländern wurde die Gotik zunächst durch den Zisterzienserorden (-»Zisterzienser) eingeführt, der schon an ihrer Entstehung und Entwicklung mitgewirkt hatte: Die ersten gotischen Bauten in Italien sind daher die Ordenskirchen Fossanova und Casamari, in England Fountains, in Spanien Pöblet, in Deutschland Heisterbach (begonnen 1202, nur als Ruine erhalten). Doch sind an der Ausbreitung der Gotik auch andere Einflüsse beteiligt. So wurden in Spanien die Kathedralen von Burgos, Leon und Toledo unter dem Patronat der Könige im gotischen Stil erbaut, den man als den „großen religiösen Stil" ansah. In Italien haben, nach den Zisterziensern, die Bettelorden großartige gotische Klosterkirchen errichtet: Die -»Franziskaner in Assisi für ihren Ordensgründer (seit 1228), später die Frari Kirche in Venedig und S. Croce in Florenz. Ebendort errichteten die -»Dominikaner S. Maria Novella. Die italienischen Kathedralen entstehen erst um die Wende zum 14. Jh.: so Siena (unter zisterziensischem Einfluß) und Orvieto. Der Florentiner Dom, begonnen schon 1246, erhält seine Kuppel erst durch den großen Renaissancearchitekten Brunelleschi. In England wurde die Kathedrale von Canterbury, von einem französischen Architekten, Wilhelm von Sens, 1174 begonnen. Der Chor von Westminster Abbey, im Auftrag Heinrichs III., dem Schwager Ludwigs des Heiligen erbaut, zeigt gleichfalls französischen Einfluß. Das gilt noch stärker für den Chor des Kölner Doms (1248-1322) oder die Trierer Liebfrauenkirche (seit ca. 1235), einen Gründungsbau der Gotik in Deutschland. In allen genannten Ländern weicht die Gotik jedoch entscheidend und charakteristisch von den Vorbildern Frankreichs ah. So betont die englische Gotik das schon in der anglo-normannischen Architektur hervortretende Lineare, das im sogenannten Perpendicular Style (Kapelle Heinrichs VII. in Westminster Abbey, Kapelle von King's College, Cambridge, um 1500) Höhepunkt und Abschluß findet. Auch die deutsche Gotik übersetzt das französische Vorbild in ein eigenes Idiom. Der Chor des Magdeburger Domes (1206 begonnen) ist in seiner Baugesinnung romanisch, der des Straßburger Münsters „staufisch"; Bamberg (vollendet 1237) steht unter zisterziensischem Einfluß (Ebrach), wenn auch der Meister französische Vorbilder kannte (Laon). Auch Limburg a.d. Lahn ist kaum denkbar ohne dieses Vorbild, das freilich in sehr eigenwilliger Weise umgedeutet wird. Der Meister des Naumburger Domes wird die Pariser Ste. Chapelle, aber auch Reims gekannt haben; er hat freilich den Westchor von vornherein im Hinblick auf die berühmten Stifterfiguren gestaltet. Die Elisabethkirche zu Marburg (begonnen 1234), zunächst, als Kirche des Deutschen Ordens, Marien-Patrozinium, wird Wallfahrtsort der Titelheiligen, die zugleich nach Maria zweite Patronin des Ordens und Schutzheilige der hessischen Landgrafen ist (-»Elisabeth von Thüringen). Ihr Architekt hat die dreifache Thematik gelöst, indem er dem östlichen Zentralbau, in dessen nördlicher Konche die Elisabethkapelle, dieser gegenüber im Süden die Grablege der hessischen Landgrafen sich befinden, im Westen eine dreischiffige Halle hinzufügte. Auch dieser bedeutende und einflußreiche Bau wandelt französische Vorbilder, besonders wohl Reims, souverän im Hinblick auf die dreifache Bestimmung der Kirche als Grablege (oder Stifterchor wie in Naumburg), Wallfahrts- und Deutschordenskirche ab. - Um 1350 beginnt jene auch als deutsche Sondergotik bezeichnete Stilwandlung, zunächst im Chor

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der Heiligkreuzkirche von Schwäbisch-Gmünd (Architekt Heinrich von Gmünd, Vater Peter Parlers, des Erbauers des Prager Veits-Doms). Bestimmt wird diese neue Stilphase durch den hallenförmigen Aufriß auch des Chors (nach Schwäbisch-Gmünd Sebalduskirche, Nürnberg) und die Schaffung beruhigter, weiter und lichter Räume („Raumstille"), die in manchem den Sakralräumen der italienischen Frührenaissance verwandt scheinen. - Daneben bildet sich schon im 13. Jh. insbesondere in den Ostseegebieten der Hanse, unter Verwendung des Backsteins als Baumaterial, ein anderer „Sonderstil" aus, dessen bedeutendste Beispiele die mächtigen Stadt- und Kaufmannskirchen der Hanse (Lübeck, Stralsund, Greifswald, Danzig) sind. Die hanseatischen Stadtkirchen zeigen z.T. ungewöhnliche Dispositionen: der Chor wurde hier von den Mitgliedern des Rats oder der großen Zünfte beansprucht, gelegentlich fehlt der Chor ganz (Marienkirche, Greifswald). Schon vom Grundriß her scheint sich hier ein ganz neues Verhältnis von Geistlichkeit und Gemeinde anzudeuten, das zu der, freilich unbewiesenen, Hypothese geführt hat, daß sich hier bereits vorreformatorische Tendenzen Ausdruck schaffen (Zaske). Vollendet die Verwendung des Backsteins auch durch die Zisterzienser: Chorin, Doberan, Pelplin. Neben der Basilika erscheint in der Gotik die Hallenkirche, in der Regel mit drei gleich hohen Schiffen, seltener, wie in der Dominikanerkirche zu Toulouse, finden sich zweischiffige Bauten, gelegentlich auch der Zentralbau (Liebfrauenkirche, Trier). Auch vor dem Gothic Revival im England des 18. Jh. und der Romantik des 19. J h . hat man nie ganz aufgehört, gotisch zu bauen. Die Kathedrale von Orléans, 1568 von den Calvinisten zerstört, wird im 17. Jh. nach dem Muster zweier unversehrt gebliebener Joche spätgotisch wieder aufgebaut. In Deutschland paßt der große Architekt des Spätbarock, Balthasar Neumann, die Würzburger Augustiner-Kirche dem gotischen Vorgängerbau an („Die Kirche, daß sie so hoch muß werden, obligiert der schöne alte, gut gewölbte Chor"). Sein Sohn, Franz Ignaz Neumann, bekrönt den westlichen Vierungsturm des Mainzer Doms nach 1767 im gotischen Stil. Gleichfalls aus dem 18. Jh. sind die gotischen Anbauten vor den Seitenschiffen des Straßburger Münsters, dessen Bauhütte übrigens bis zur französischen Revolution fortbestanden hat. Bedeutung. Die Frage nach der Bedeutung des gotischen Sakralraums hat eine langwierige Kontroverse ausgelöst zwischen den Vertretern „rationalistischer" (funktionalistischer) Theorien (vor allem Viollet-le-Duc, der bedeutendste Kenner der Gotik im 19. Jh.) und jenen, die den gotischen Kirchenbau symbolisch deuten. Die ersteren sehen im gotischen System den Triumph statischer und konstruktiver Einsichten (obgleich sich die theoretisch-wissenschaftliche Statik erst seit dem 13. Jh. entwickelt); technisch-analytische Modellversuche (vor allem R. Mark) haben das außerordentliche, wenn auch wohl nur empirisch fundierte Können der gotischen Baumeister bestätigt. Die entgegengesetzte Interpretation begreift die Architektur als abbildende Kunst (Sedlmayr) und deutet den gotischen Sakralraum als Abbild (imago) des Himmlischen Jerusalem der Apokalypse. Die erstere Deutung läßt die Frage unbeantwortet, warum die gotischen Baumeister mit immer größerer Kühnheit (die 1284 zum Einsturz des letzten Chors der „klassischen" französischen Gotik, dem von Bauvais, führte) die Wände durch leuchtendes Glas ersetzten, die Mauerstärke der stützenden Bauglieder auflösten oder hinter schlank emporsteigenden Rundgliedern verbargen, also nicht funktionalistisch, sondern illusionistisch bauten. Der zweite Deutungsversuch übersieht die Tatsache, daß liturgisch und mystisch jeder Kirchenraum, also keineswegs nur der gotische, Abbildung der Himmelsstadt ist. Zu fragen bleibt daher, welche spezifische Deutung dieser Vision die Gotik hat entstehen lassen. Wesentlich war hier zweifellos jene mentalité symboliste, deren enge Beziehung zur Kunst des Hohen Mittelalters M . D . Chenu (La théologie au douzième siècle, 1957) betont hat. „Künstler wie Theologe schöpften aus der geheimnisvollen Verwandtschaft zwischen der physischen Welt und der Welt des Heiligen". Damit ist auch das Kunstwerk Symbol (nicht Abbild oder Darstellung im modernen Sinn) des Unsichtbaren. Für die Gotik bedeutungsvoll ist hier zum einen die musikalisch-geometrische Spekulation des

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Augustinus und, wesentlich auf dem Timaeus des Plato fußend, deren kosmologische Deutung, die in den Kathedralschulen von Chartres und Paris gelehrt wurde. Hiermit hängt sicher zusammen, daß wir in der gotischen Architektur immer wieder Proportionen begegnen, die den nach mittelalterlichem Musikverständnis „vollkommen e n " Akkorden Oktave, Quinte und Quarte (auf dem M o n o c o r d darstellbar durch Unterteilung einer Saite in den Verhältnissen 1 : 2, 2 : 3 , 3 : 4) entsprechen; daneben auch dem Goldenen Schnitt, der musikalisch der Sexte entspricht. Der gotische Architekt verstand sich als (geometrischer) M a t h e m a t i k e r , die Geometrie als die „ W i s s e n s c h a f t " der Baukunst. Als angewandte Geometrie, als in den Proportionen sichtbare Darstellung jener „ v o l l k o m m e n e n " Akkorde ist die gotische Kirche Sinnbild des K o s m o s , des Himmels. Wohl noch wichtiger für die G o t i k war der christliche Piatonismus des sogenannten Pseudo--»Dionysius Areopagita, eines syrischen Mystikers, wohl des späten 5. J h . , der mit dem Hl. Dionysius von Paris (Denis) verwechselt wurde, dessen Reliquien in der Abteikirche von St. Denis verehrt wurden. Deren Neubau seit M i t t e des 12. J h . , von dem als Staatsmann wie Bauherrn gleich bedeutenden Abt -»Suger veranlaßt und wohl auch entscheidend beeinflußt, wurde, wie Sugers Schriften bezeugen, geprägt von „dionysis c h e m " Denken, insbesondere von der Theologie und Ästhetik des Lichtes ( - » L i c h t / Lichtsymbolik). Der Abt wünschte einen lichten Bau; daher die wundervollen, zum Teil noch heute erhaltenen Glasfenster (-»Glasmalerei) seines Chorumgangs, deren Programm Suger entwarf und als theologische Sinnbilder des die Schöpfung erleuchtenden göttlichen Lichtes deutete. Die Ersetzung der W ä n d e durch die leuchtenden Folien der Fenster im gotischen Kirchenbau Frankreichs ist kaum denkbar ohne die Einwirkung der Lichtmystik des vermeintlichen Schutzheiligen des Königreichs. Auch die schon im Mittelalter bezeugte prototypische Wirkung des Suger-Baues (von dem leider nur Chorumgang und Westbau erhalten blieben, als man 1231 zum Neubau schritt) für das französische Kronland scheint hier seine Erklärung zu finden. Literatur und T h e o l o g i e des 13. J h . bestätigen, wie sehr die Architekturvision der G o t i k von dem „symbolisierenden" Denken der Zeit Besitz ergriffen hat: In dem Epos des Albrecht von Scharfenberg (ca. 1270) erscheint Titurels Gralstempel ( - » G r a l s s a g e ) als gotischer Zentralbau, der im übernatürlichen Licht der Gottheit erstrahlt; und bei - » W i l h e l m von Auvergne, dem theologisch einflußreichen Bischof von Paris (gest. 1249), wird das Empyreum, der oberste Himmel, als Sakralraum oder göttlicher T h r o n s a a l beschrieben, der „von wunderbarem Glanz umhüllt und durchleuchtet erstrahlte". Ist die G o t i k auch wesentlich Sakralarchitektur, so sind doch auch weltliche Bauten insbesondere repräsentativen Charakters in diesem Stil errichtet worden. Erwähnt seien die Marienburg des Deutschen Ordens, insbesondere die R e m t e r , der Papstpalast in Avignon, der Dogenpalast zu Venedig, auch einige bedeutende K o m m u n a l b a u t e n wie die Rathäuser der Hansestädte (Lübeck, Braunschweig) oder die monumentale Tuchhalle in Brügge, die zweischiffigen Säle in Blois oder der Pariser Conciergerie, das Refektorium von St. M a r t i n des Champs ebendort, aber auch die zuwenig bekannte Burg Kaiser Karls IV. zu Lauf bei Nürnberg mit großartigem Rittersaal und Wappenstube im gotischen Stil. 2. Plastik Die bedeutendsten Schöpfungen der gotischen Plastik finden sich in Frankreich, ähnlich in England, am Außenbau der Kathedralen, wo riesige statuarische Programme in den Portalgewänden und Bogenläufen (in Reims mehrere Tausend Figuren) sowie entsprechende Szenen in den Reliefs der Bogenfelder (Tympana) über den Portalen die christliche Heilslehre in den Gestalten des Alten und Neuen Testaments, aber auch der Heiligengeschichte darstellen (Chartres, R e i m s , Bourges, Amiens, Bordeaux, nach Vorbildern der letzteren die Statuen des 19. J h . an der Westfassade von Notre D a m e in Paris als Ersatz für die in der französischen Revolution zerstörten). Über den Portalen der Kathedralen von Chartres, Paris, R e i m s , Amiens, gemäß deren Bestimmung als Königskathedralen

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(hier fand die Curia Regis mit der feierlichen liturgischen Akklamation des Herrschers statt) die Königsgalerie: Statuen der französischen Könige. - Das Weltgericht (-»Gericht Gottes), im Tympanon schon der Westfassade des gotischen Gründungsbaues St. Denis, dann wichtigstes Portalmotiv der gotischen Kathedrale, erscheint zunächst neben der Majestas Domini, der zweiten Epiphanie Christi, der, gemäß der Vision der —» Apokalypse des Johannes, inmitten der vier Evangelistensymbole thronend dargestellt wird. Gegenüber der Auffassung beider Themen in der vorausgehenden Epoche (Moissac und Beaulieu) zeigen sich in der Gotik bedeutsame Unterschiede vor allem in der Auffassung Christi ( - » J e s u s Christus), der nicht mehr furchterregend erscheint, sondern milde und barmherzig, gemäß dem Amor vincit timorem, Kernstück der Christologie —»Bernhards von Clairvaux und, gleichzeitig mit diesem, in der erhabenen Majestas der Westfassade der Kathedrale von Chartres (um 1150), die der Erbauer der späteren Kirche ähnlich wie in St. Denis beibehielt. Die Majestas verschwindet um 1170, um dem Weltgericht Platz zu machen. Dieses wird an der Westfassade von St. Denis im Hinblick auf die symbolische Deutung der Kirche und des Kirchenportals als Hinweis auf den Übergang von der Welt in die Ewigkeit gedeutet (Kluge und Törichte Jungfrauen). Die Darstellung des Weltgerichts erfährt in der Gotik auch in anderer Hinsicht eine bedeutsame Wandlung. Statt des Furchterregenden der Gerichtsdarstellung tritt der Gedanke der Fürbitte hervor. So zuerst am Südquerhaus in Chartres (ca. 1200), wo Christus zwischen - » M a r i a und Johannes erscheint, die Hände mit den Wundmalen fürbittend erhoben. Das alte T h e m a der Deesis (Fürbitte) wird nun auch dahingehend abgewandelt, daß statt - » J o h a n n e s dem Täufer der Evangelist Johannes dargestellt wird, der im Andachtsleben seit dem 12. J h . als Fürbitter, über alle anderen Heiligen erhoben, neben Maria tritt. Die neue Auffassung des Weltgerichts auch am sog. Engelspfeiler und vor allem am Südportal des Straßburger Münsters (ca. 1235), dessen Vorhalle, wie in Chartres, als Gerichtsstätte diente. Auf diese Funktion ist das Skulpturenprogramm beider Kathedralen hier zweifellos bezogen, freilich wird das Weltgericht in Straßburg anders thematisiert. Hier ist - » S a l o m o (die heutige Darstellung ersetzt die mittelalterliche) als Typ Christi dargestellt, und zwar nicht nur als Richter, sondern auch als Sponsus (Bräutigam) des Hohen Liedes (-»Hoheslied) zwischen Ecclesia und Synagoge, gemäß der mittelalterlichen Exegese Bräuten des Erlösers. Das Weltgerichtmotiv wird hier mit mariologischer Thematik (Tod und Verklärung der Muttergottes) verknüpft, die auch in der französischen Monumentalplastik an Bedeutung neben das Weltgericht tritt, da die Kathedralen des Kronlandes fast alle Notre Dame (der Muttergottes) geweiht waren. Die bedeutendsten Leistungen der deutschen Monumentalplastik sind dem Innenraum vorbehalten: D o m e zu Bamberg, Naumburg, Mainz, Meißen. Vielfigurige Programme auch in England und Spanien, während Italien, ebenfalls schon im 13. J h . (Nicola und Giovanni Pisano) seine größten Schöpfungen an Kanzeln (Siena, Pisa) und einzelnen Statuen (Siena Kathedrale, Grabmälern) hervorbringt. Bezeichnend für alle bildenden Künste in dieser Zeit ist die immer stärker werdende Bedeutung der Passion: am Außenbau einer Kathedrale zuerst an der Westfassade des Straßburger Münsters (nach 1275); an Lettnern (Bourges und besonders ergreifend Naumburg, beide Mitte des 13. Jh.). Seit ca. 1240 der sog. Dreinageltypus des Crucifixus (—»Kreuz), statt den zuvor nebeneinandergestellten, mit zwei Nägeln befestigten Füßen. Der neue Typ, zunächst beanstandet als unzulässige Überbetonung des Menschlichen der Passion, wird dann gerade deshalb allgemein gefordert. Der Gekreuzigte erscheint nicht mehr als Besieger des Todes am Kreuz, vielmehr blutüberströmt mit oft erschreckender Betonung aller Merkmale des Leidens. Seit 1300 nicht selten auch der Gabel-Kruzifix, wobei die Y-Gestalt des Kreuzes wohl auch an den Paradiesesbaum erinnern sollte (Legende, wonach das Kreuz aus dem Holz dieses Baumes gefertigt wurde). Daneben auch andere Einzelgestalten aus diesem Themenkreis (-»Andachtsbild). Auch allgemein ist die religiöse Kunst des 14. Jh. düster gestimmt. Unter dem Eindruck sozialer Katastrophen, zumal des Schwarzen Todes (Pest) erscheinen neue Themen wie der Triumph des Todes

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Gott II

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Günter Lanczkowski II. Altes Testament 1. Vorbemerkung: Ewigkeit G o t t e s und Geschichtlichkeit des G l a u b e n s 2. Z u r Vor- und Frühgeschichte des J a h w e g l a u b e n s 3. Wesensmerkmale des J a h w e g l a u b e n s 4. Der Schöpfer und der König 5. „ E i g e n s c h a f t e n " G o t t e s 6. D e r Vater des Königs und der G o t t des M e s s i a s 7 . Der G o t t der Propheten 8. Gotteserfahrungen der Weisheit und der Psalmen 9. R ü c k b l i c k : Alttestamentliches Gottesverständnis (Anmerkungen/Literatur S . 6 2 4 )

1. Vorbemerkung:

Ewigkeit

Gottes und Geschichtlichkeit

des

Glaubens

Das Alte Testament zeichnet sich durch seine Rede von Gott aus und ist ohne sie nicht zu verstehen; sie erscheint freilich in vielfältiger, im Laufe der Geschichte auch wechselnder Gestalt. Dabei weiß das Alte Testament das Bekenntnis zu Gottes Ewigkeit mit dem geschichtlichen Bewußtsein von der Zeitlichkeit des Glaubens zu verbinden. „Bevor Berge geboren wurden, Erde und Festland in Wehen lagen, bist du, Gott, von Ewigkeit zu Ewigkeit" (Ps 90,2; vgl. 93,2; Gen 1,1; Dtn 33,27). Weil Gott vor aller Zeit ist, kann er in aller Zeit, „von Geschlecht zu Geschlecht" (Ps 90,1), gegenwärtig sein. Götter können geboren werden und sterben; ein Werden und Vergehen des einen Gottes ist undenkbar (Hab 1,12; verb. Text): „Bist du nicht von Urzeit, Jahwe, mein ,heiliger' Gott, ,der nicht stirbt'?" Gott ist ohne Anfang und Ende, aber der Glaube an Gott hat einen Anfang: Die Väter Abrahams „dienten anderen Göttern" (Jos 24,2; vgl. Jub 11 f). So läßt sich der Glaube nicht endlos zurückverfolgen, sondern hat eine Geschichte (vgl. Ex 6,2). 2. Zur Vor- und Frühgeschichte

des

Jahweglaubens

Allerdings bleibt die historische Rückfrage, wie sich die Anfänge des Glaubens im einzelnen gestalteten, schon deshalb schwierig zu beantworten, weil sie in eine Zeit weit vor der literarischen Fixierung der Überlieferung zurückgreifen muß und sich mehr nur auf Andeutungen, Einzelnamen, Erzählsplitter als in sich geschlossene Überlieferungen stützen kann; darum fallen die Antwortversuche unterschiedlich aus. Zudem müssen die Texte durchweg gegen ihren Sinn im vorliegenden Kontext gedeutet werden; denn das Alte Testament bezeugt die Identität des einen Gottes im Wandel der Namen und Zeiten,

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Abb. 3:

Paris, Kathedrale Notre-Dame, südliches Q u e r h a u s . Fassade. 1 2 5 8 - vor 1270

TAFEL 3 Abb. 4: Chartres, Kathedrale N o t r e - D a m e , Innenansicht, Blick von West, 1 1 9 4 - u m 1230 (?)

Abb. 5: Paris, Kathedrale NotreDame, nördliche Chorflanke und Q u e r h a u s , Ansicht von N o r d o s t , um 1245 - 1. Drittel des 14. Jhs.

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Retabels: In einem der frühesten Beispiele in Cismar (ca. 1300) werden als Hintergrund von Passionsreliquien entsprechende Szenen des Leidens Christi im Relief dargestellt, so hinter dem Gefäß mit der Reliquie des Hl. Blutes die Geißelung. Bezeichnend ist ferner die Konvergenz von Ikone (—»-Bilder) und Reliquie: neben die künstlerische Deutung der letzteren tritt die Verehrung des Andachtsbildes. Dieses, häufig in kleinem Format, wie etwa die vor allem in Paris hergestellten Elfenbeintäfelchen mit Passionsszenen. Für die private Andacht bestimmt waren gewiß auch so kostbare Elfenbeinstatuetten wie die Kreuzabnahme Christi (Louvre). Die Freude am Kleinen, Zierlichen und Kostbaren mindert die künstlerische Bedeutung dieser Kunstwerke nicht. Thematisch treten immer wieder Darstellungen von Christi Passion hervor. Unter den kostbaren Paramenten dieser Zeit finden sich auf der Rückseite von Meßgewändern, besonders der Kasel, Darstellungen des Crucifixus, zweifellos als Hinweis darauf, daß die Meßfeier Wiedervollzug des Kreuzesopfer ist (->Andachtsbild). Literatur Paul Frankl, T h e Gothic, P r i n c e t o n / N . J . i 9 6 0 . - Henri Focillon, Art d'Occident. Le moyen âge roman et gothique, Paris 1938. - O t t o von Simson u . a . , Das H o h e M A , Berlin 1972 (PropyläenKunstgesch. VI). Baukunst: H a n s Belting, Das Bild u. sein Publikum im M A , Berlin 1981. - Robert Branner, St. Louis and the C o u r t Style in Gothic Architecture, London 1965. - Georg D e h i o / G . v. Bezold, Die kirchl. Baukunst des Abendlandes, Stuttgart 1 8 9 2 - 1 9 0 1 . - E. Violett-le Duc, Dict. Raisonné de l'Architecture française du X I e au X I I e siècle, 11 Bde., Paris 1 8 6 7 - 1 8 8 9 . - J o h a n n Michael Fritz, Goldschmiedekunst der Gotik in Mitteleuropa, M ü n c h e n 1982. - Ernst Gall, Die gotische Baukunst in Frankreich u. Deutschland, Leipzig 1925 2 1 9 5 5 . - H . Jantzen, Die Gotik des Abendlandes. Idee u. Wandel, Köln 1962. - Ders., Über den gotischen Kirchenraum, Berlin 1951. - Emile Mâle, L ' A r t religieux du X I I e siècle en France, Paris 1928. - Ders., L ' A r t religieux du XIII e siècle en France, Paris 1925. - Ders., L ' A r t religieux de la fin du Moyen-âge, Paris 5 1 9 4 9 . - Robert M a r k , Experiments in Gothic Structure, C a m b r i d g e / M a s s . 1982. - H a n s Sedlmayr, Die Entstehung der Kathedrale, Zurich 1950. - O t t o v. Simson, T h e Gothic Cathedral, N e w York 1 9 5 6 2 1 9 6 2 ; dt.: Die gotische Kathedrale, Darmstadt 1968.

Otto von Simson Gott I. II. III. IV. V. VI. VII. VIII.

Religionsgeschichtlich Altes Testament Judentum Neues Testament Alte Kirche Mittelalter Reformationszeit Neuzeit/Systematisch-theologisch

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I. Religionsgeschichtlich 1. Begriff 2. Ursprungstheorien 3. Monotheismus, Polytheismus, Pantheismus stische Rangordnungen 5. Dualismus 6. Profilierte Gestalten des Polytheismus und sinkende N u m i n a 8. Das Götterbild (Literatur S. 607)

4. Polythei7. Steigende

1. Begriff Aus religionsgeschichtlicher Sicht ist eine völlig einheitliche und umfassend gültige Definition des Gottesbegriffes deshalb nicht möglich, weil über ihn in der Vorstellungswelt der einzelnen Religionen unterschiedliche Anschauungen bestehen, die vor allem grundlegende Differenzen zwischen monotheistischem und polytheistischem Verständnis betreffen. Während der Polytheismus das überweltliche Wesen und die schlechthinnige Machtfülle der Gottheit auf eine Vielzahl von Göttern mit unterschiedlichen und somit

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Gott I

jeweils begrenzten Wirkungsbereichen verteilt, vereinigt sie der Monotheismus in einer einzigen göttlichen Person. Unbeschadet der Frage nach der geschichtlichen Priorität des Glaubens an einen oder an mehrere Götter, kann daher eine prinzipielle Erfassung des Gottesbegriffes nicht von Teilaspekten ausgehen, wie sie einer Aufspaltung unter Gottheiten mit begrenzten göttlichen Eigenschaften zugrunde liegen, sondern nur von der Fülle göttlicher Wesenszüge, die sich mit dem monotheistischen Gott oder - innerhalb polytheistischer Systeme - mit einem Hochgott verbinden. Die Charakterisierung dieses Gottesbegriffes, die der Sphäre des absolut Übermenschlichen gilt, ist insofern im Prinzip unzureichend, als sie auf menschliche Ausdrucksformen angewiesen ist. Sie versucht, diese Anthropomorphismen zu überwinden, indem sie die jeweils herausgestellten göttlichen Qualitäten als schlechthin umfassend, unbegrenzt und absolut kennzeichnet. So gesehen ist Gott unendliche Macht in personaler Gestalt. Als Schöpfer der Welt ist er der Grund alles Naturgeschehens; er ist zugleich der Erhalter seines Werkes. Er ist Herr über Leben und Tod der Menschen, über das Schicksal des einzelnen wie über die Geschicke der Völker in ihrem historischen Ablauf. Auf ihn beziehen sich die Normen des religiösen, sittlichen und sozialen Lebens ebenso wie die Riten kultischer Handlungen und die Akte persönlicher Frömmigkeit, vornehmlich im Gebet. Unbeschränkte Weisheit und absolute Güte sind ihm eigen. Er ist aller Weltlichkeit entzogen, transzendent und unsterblich. Häufig werden diese Wesenszüge in der Bezeichnung Gottes als des „höchsten Gutes" (summum bonum) zusammengefaßt. Die zentrale Stellung, die damit der Gottheit in der Religionsgeschichte zukommt, ist allerdings in neuerer Zeit in Frage gestellt worden durch die Betonung und Wertung des Begriffes des —•Heiligen. Noch ehe Rudolf —»Otto im Jahre 1917 erstmals sein berühmtes Buch über Das Heilige veröffentlichte, hatte Nathan —»-Söderblom bereits 1913 die Heiligkeit als eine dem Gottesbegriff übergeordnete und religiös überwertige Größe zu erfassen versucht mit den Worten (ERE VI, 1913, 731): „Holiness is the great word in religion, it is even more essential than the notion of god." Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß diesem Satz die Intention zugrunde liegt, die Selbständigkeit der Religion herauszustellen und damit die Unmöglichkeit zu betonen, Religion aus nichtreligiösen Erscheinungen ableiten und begründen zu wollen. Nur ist die impersonale Größe der Heiligkeit hierfür deshalb ungeeignet, weil sie nur eine Eigenschaft der Gottheit bezeichnet und somit auf diese als ihren Ursprung verweist. Aufschlußreich hierfür ist die heilige Handlung. Im Kult wie auch im Gebet wendet sich der Mensch nicht an eine impersonale Heiligkeit, sondern an den persönlichen Gott, der heilig und übermächtig ist und als solcher im Zentrum der Religion steht. 2.

Ursprungstbeorien

Alle Versuche, den Götterglauben wie die Religion überhaupt nicht als Größen sui generis zu erfassen, sondern aus vor- und außerreligiösen Bereichen abzuleiten, sind Hypothesen, die deshalb unbeweisbar bleiben, weil wir mit den Mitteln historischer Forschung die frühesten Ursprünge nicht erreichen können. Dies gilt zunächst für die Theorie des nach seinem Urheber bezeichneten Euhemerismus. Euhemeros von Messene hatte seine These um 3 0 0 v. Chr. in einem Reiseroman veröffentlicht. Aus einer auf der sagenhaften Insel Panchaia angeblich befindlichen Inschrift, die die irdischen Taten der griechischen Götter Uranos, Kronos und Zeus verzeichne, wollte Euhemeros den Schluß ziehen, d a ß der Götterglaube aus der Verehrung irdischer Herrscher oder Weiser früherer Zeiten entstanden sei. Die Tendenz, die Euhemeros verfolgte, ist umstritten. Er könnte eine Kritik des Götterglaubens, ebenso aber auch eine Ironisierung des Herrscher- und Heroenkultes beabsichtigt haben. Unbestreitbar ist die nachhaltige Wirkung seiner Theorie. Christliche Apologeten verwandten sie bis ins M i t telalter in der Auseinandersetzung mit dem heidnischen Polytheismus. Eine Allgemeingültigkeit des Euhemerismus ist, abgesehen davon, daß er keine uranfänglichen Vorgänge erreicht, auch für historisch greifbare Erscheinungen nicht nachweisbar. Z w a r ist einmal das Phänomen gelegentlicher Vergöttlichung lebender oder verstorbener Herrscher unbestritten,

Gott I

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ebenso aber auch der umgekehrte Vorgang der Heroisierung einstiger Götter, für die die irische Sagenwelt typisch ist. Und schließlich ist der dem Euhemerismus völlig entgegengesetzte Weg vom göttlichen in den menschlichen Bereich ein religionsgeschichtlich belegbarer Vorgang; so wenn nach dem Turiner Königspapyrus die Herrschaft über Ägypten bruchlos von dem Gott Horus auf die Pharaonen übergeht oder wenn nach shintoistischer Anschauung die Sonnengöttin Amaterasu und ihr Enkel Ninigi Ahnen des japanischen Kaiserhauses sind.

In neuerer Zeit sind mehrere, voneinander abweichende Theorien über das Werden des Gottesglaubens aufgestellt worden. Ihre Gemeinsamkeit aber besteht darin, daß sie durchweg auf dem Boden des Evolutionismus stehen und außerdem methodisch von der unbewiesenen und unbeweisbaren Voraussetzung ausgehen, die gegenwärtige, erforschbare Religion der heute auf primitiver Stufe stehenden Völker könne der Urreligion der Menschheit und ihren ersten Glaubensvorstellungen verglichen und gleichgesetzt werden. Die Unterschiede zwischen den einzelnen evolutionistischen Theorien betreffen dann nur den Ausgangspunkt, nämlich die Beantwortung der Frage, welche Größe es gewesen sei, die die frühesten Formen des Gottesglaubens bestimmt habe. Für den Oxforder Anthropologen Tylor war dies die anima, und er prägte daher für seine Theorie, die die Erkenntnis der Seele als Urerfahrung zu erweisen suchte, den Terminus Animismus (animism), über den er schrieb (Primitive Culture 1, 2 1878, 425): „I propose here, under the name of animism, to investigate the deep-lying doctrine of Spiritual beings, which embodies the very essence of Spiritualistic as opposed to Materialistic philosophy." Die Theorie des Animismus behauptet, daß sich aus einer frühen Erkenntnis der Seele, die dem Primitiven im Schlaf, im Traum und während der Krankheit zuteil werde, allmählich der Glaube an Geister und schließlich derjenige an Götter entwickelt habe. Tylor war nicht der einzige Verfechter dieser Theorie. Zu ihren bedeutendsten Vertretern gehörte Wilhelm Wundt, gegen den sich Rudolf Otto in seinen Aufsätzen über Das Gefühl des Überweltlichen (11-57) am entschiedensten wandte. In der heutigen Religionswissenschaft gilt die animistische Hypothese als überholt; der letzte, der sich zu ihr bekannte, ist Rafael Karsten gewesen. Spielarten des Animismus werden mit Animatismus, Dämonismus oder Polydämonismus bezeichnet. In jedem Falle handelt es sich um die Ansicht, der Glaube an individuell profilierte Gottheiten habe sich aus der Vorstellung meist unheimlicher Geister entwikkelt, deren einzelne Gestalten zunächst wenig scharf umrissen gewesen seien, sondern kollektiv als Gespenster, Natur- und Totengeister Scheu und Furcht des primitiven Menschen erregt hätten. Den Theorien, die Geister- und Seelenvorstellungen als Vorstufen des Gottesglaubens zu erkennen meinten, stand die präanimistische These des Dynamismus gegenüber, die allerdings auch ihrerseits rein evolutionistisch ausgerichtet ist. Sie wurde nachdrücklich von dem Anthropologen Marett vertreten, und sie berührt sich in vieler Beziehung eng mit den Ansichten von Frazer, der ein Zeitalter der -> Magie, das demjenigen der Religion vorangegangen sei, feststellen wollte. Der Dynamismus geht aus von der Annahme einer frühesten Erfahrung einer unpersönlichen und übernatürlichen Macht, die als Vorstufe und Ursprung des Gottesglaubens aufgefaßt werden soll. Diese Macht wird vornehmlich mit dem melanesischen Begriff Mana bezeichnet, den der englische Melanesien-Missionar Codrington zunächst brieflich bekannt gemacht hatte. Dabei war er allerdings insofern mißverstanden worden, als er dieses Mana nicht als eine selbständige, unpersönliche Größe kennzeichnen wollte. Codrington selbst hat in seinem Buche über die Melanesier diesem Irrtum widersprochen, als er ausdrücklich feststellte, daß das Mana eine Kraft sei, die stets an eine Person geheftet ist. Damit war der dynamistischen Theorie ihr zentrales Beweismittel entzogen. 3. Monotheismus,

Polytheismus,

Pantheismus

-•Monotheismus als Anerkennung und Verehrung nur eines einzigen Gottes ist die für

604

Gott I

Judentum, Christentum und —• Islam kennzeichnende, in Reformbewegungen des modernen -»Hinduismus stark hervortretende Religionsform. Sie betont die metaphysische Absolutheit Gottes und dessen Ewigkeit, Allgegenwart, Allmacht und Allwissenheit. Dem Monotheismus eignet Ausschließlichkeitscharakter und Universalitätsanspruch. Monotheistische Religionen sind gestiftete Religionen. Die ihnen eigene Offenbarungsform ist der Prophetismus. Das religiöse Erleben des Menschen ist im Monotheismus stark durch die Erfahrung des geschichtlichen Handelns Gottes geprägt. Dem entspricht die in monotheistischen Religionen vordringliche Bedeutung einer Geschichtstheologie, die teleologisch bestimmt ist und einen eschatologischen Heilscharakter trägt. Der Monotheismus fordert Gehorsam gegenüber dem göttlichen Willen, der an den Menschen in erster Linie ethische Forderungen stellt. Gegenüber dem Monotheismus ist der —•Polytheismus, die auffälligerweise gerade in höheren Kulturen, vor allem denen des Altertums weit verbreitete Form des Götterglaubens, weniger eindeutig zu charakterisieren. Natürlich besteht der Hauptunterschied zum Monotheismus darin, dal? der Polytheismus eine Vielzahl von Göttern und Göttinnen innerhalb ein und derselben Religion anerkennt. Im übrigen aber ist der Polytheismus ein offenes System, das starken Schwankungen unterworfen ist und noch viele Fragen offenläßt hinsichtlich seiner Bedeutung für das Frömmigkeitsleben der ihn bekennenden Menschen. Bemerkenswert ist sicher, daß der Polytheismus seitens des Menschen nicht allein die Verehrung der Götter aufweist, sondern zuweilen auch Anklage und Beschimpfung. Die Schmährede gegen die Göttin Ischtar auf der 6. Tafel des Gilgamesch-Epos ist ein bekanntes, keinesfalls aber das einzige Beispiel hierfür. Die Frage nach einer chronologischen Abfolge von Monotheismus und Polytheismus hat zu zwei entgegengesetzten Antworten geführt. Die Dekadenz- oder Depravationstheorie, die von einem ursprünglichen Monotheismus ausgeht, der später in niedere Formen des Polytheismus abgesunken sei, ist vor allem unter dem Begriff des Urmonotheismus bekannt geworden, den P. Wilhelm Schmidt mit seinem großen wissenschaftlichen Werk über den Ursprung der Gottesidee beweisen wollte. Als charakteristisch für den Glauben an ein Höchstes Wesen bezeichnete W. Schmidt dessen ursprüngliches Auftreten in monotheistischer Form; demgegenüber stelle der spätere Polytheismus eine Stufe der Verderbnis dar. Dieser These hat vor allem Raffaele —»Pettazzoni widersprochen, der den Polytheismus an den Anfang der Religionsgeschichte stellte. Er sah im späteren Aufkommen des Monotheismus jedoch keine evolutionistische Entwicklung, sondern einen radikalen, revolutionären Bruch mit dem Glauben an eine Vielzahl von Göttern. Eine Auflösung des Theismus, der Entgegensetzung von Gott und Welt, kann sich auf zweierlei Weise vollziehen. Im Deismus entschwindet der transzendente Gott in eine unerreichbare Ferne, während er im —>Pantheismus der Welt immanent und mit ihr als identisch gedacht wird. Da der Pantheismus alles Existierende als das All-Eine auffaßt, kann er den Schöpfungsprozeß nur als Emanation verstehen. In Religionen, die heilige Schriften besitzen, werden diese von pantheistischen Strömungen allegorisch interpretiert. Im Unterschied zur personalen neigt die impersonale Mystik zu pantheistischen Vorstellungen. Es gibt zwei modifizierte Formen des Pantheismus. Der Theopanismus legt allen Nachdruck auf die Göttlichkeit der immanenten Erscheinungen. Demgegenüber stellt der Panentheismus eine Art Synthese von Theismus und Pantheismus dar. Er betont zwar den letztlich göttlichen Charakter aller irdischen Erscheinungen, anerkennt aber einen personalen Gott, den er als übergeordnetes Wesen verehrt. In die vorstehende Aufgliederung des Gottesglaubens läßt sich der frühe —> Buddhismus nicht einfügen. Er ist sicher insofern nicht als atheistisch im strengen Sinne zu bezeichnen, als Buddha die Existenz der vorgefundenen polytheistischen Götter Indiens nicht bestritten hat. Aber er hat sie depotenziert, indem er sie als erlösungsbedürftige Wesen nach Art der Menschen ansah.

Gott I 4. Polytheistische

605

Rangordnungen

Für die F r a g e nach d e m „ S i t z im L e b e n " , den in der F r ö m m i g k e i t ihrer Bekenner polytheistische G ö t t e r innehaben, ist zunächst eine r a n g m ä ß i g e Überwertigkeit aufschlußreich, die d a n n vorliegt, wenn der G l ä u b i g e eine von ihm verehrte polytheistische Gottheit als alleiniges göttliches Wesen erlebt. Dieser subjektive E i n g o t t g l a u b e wird nach d e m Vorgang von M a x Müller Henotheismus genannt. Seine rituelle Verwirklichung, die kultische Verehrung nur dieses einen G o t t e s , wird meist mit Monolatrie bezeichnet. Als noch wesentlicher hat sich die Erkenntnis herausgestellt, d a ß ein allgemein verbreiteter G l a u b e an ein H ö c h s t e s Wesen nicht beschränkt ist auf den M o n o t h e i s m u s , sondern sich auch in polytheistischen Systemen findet, in denen diesem Höchsten Wesen d a n n eine eindeutig vorrangige Stellung z u k o m m t . Die Anregung zur Erforschung dieses Hochgottglaubens ging aus von dem schottischen Folkloristen und Literarhistoriker Andrew Lang, der sich, unter den Eindruck von Berichten über die religiösen Vorstellungen der sogenannten Primitivvölker, gegen animistische und dynamistische Erklärungen gewandt hatte, die er als Beobachtungen eines religiösen Verkümmerungsprozesses ansprach. Mit dem Begriff high gods kennzeichnete er dann die von den niederen Geistwesen sich eindeutig abhebenden, urtümlichen Gestalten eines frühen, ursprünglichen Hochgottglaubens. Z u r Erkenntnis dieses H o c h g o t t g l a u b e n s hat R a f f a e l e Pettazzoni wesentlich beigetragen. Die u m f a s s e n d s t e n Forschungen verdanken wir G e o Widengren. Er hat die enge Beziehung zum H i m m e l , den uranischen C h a r a k t e r des H o c h g o t t e s herausgestellt und ihn zugleich als eine d a s menschliche Schicksal b e s t i m m e n d e M a c h t gekennzeichnet. Außerdem ist d e m H o c h g o t t die Q u a l i t ä t der Allwissenheit eigen; auf ihn trifft die C h a rakteristik durch X e n o p h a n e s (fragm. 24) zu: oöXog öpä, oöÄog öe voei, oöXog Se X'&KOVEI.

5.

Dualismus

In polytheistischen Systemen korrespondiert o f t dem himmlischen, als Vater verehrten H o c h g o t t eine Terra M a t e r , eine mütterliche G ö t t i n der Erde. Sie wird als eine M a c h t verehrt, die d a s Leben spendet, es aber auch als E m p f ä n g e r i n der Toten wieder in sich a u f n i m m t . Als Herrin der vegetativen Fruchtbarkeit wird die M u t t e r E r d e in besonderer Weise von Bauern verehrt, d a deren Existenz unmittelbar von der E r d e a b h ä n g i g ist. Der M y t h o s von einer Götterehe zwischen d e m H e r r n des H i m m e l s und der Herrin der E r d e hat mehrfache Bedeutung. Er dient der ordnenden Aufgliederung eines polytheistischen Pantheons, wenn von diesem göttlichen Elternpaar nach Analogie menschlicher Familienverhältnisse andere Gottheiten als dessen Kinder a b s t a m m e n . Außerdem k a n n die Ehe zwischen H i m m e l und E r d e im K u l t d r a m a einer heiligen Hochzeit repristiniert werden, deren Sinn es ist, d a s Leben zu fördern und die jährliche Erneuerung der Vegetation zu sichern. Analogien zu menschlichen Verhältnissen, die durch ein a n t h r o p o m o r p h e s Verständnis der Gottheiten bedingt sind, bestimmen jedoch keineswegs in jedem Fall die K o n z e p tion eines göttlichen Elternpaares. E s k a n n sich hierbei vielmehr auch u m die vergeistigtere Vorstellung handeln, d a ß die Fülle der Gottheit nur in der K o m b i n a t i o n zweier personaler Möglichkeiten, in einem komplementären Dualismus A u s d r u c k zu finden v e r m ö g e . D a n n erscheint d e m G l ä u b i g e n die Gottheit zugleich als Vater und M u t t e r , als eine Elterngottheit und d a m i t letztlich als personale Einheit. Typisch ist diese Vorstellung für d a s Gottesbild der aus den Q u ä k e r n entstandenen Sekte der Shakers. Die japanische Tenrikyö, die „ L e h r e von der himmlischen V e r n u n f t " , differenziert nicht einmal hinsichtlich der N a m e n , wenn sie ihren Gottesbegriff mit O y a g a m i , „ E l t e r n g o t t h e i t " , bezeichnet. Auch für Zwillingsgottheiten ist, wenn auch nicht stets, s o d o c h oft ein k o m p l e m e n t ä rer D u a l i s m u s charakteristisch, der auch hier bis zu einer personalen Einheit führen k a n n . Diese tritt deutlich bei den germanischen, iranischen und indischen Urwesen in Erscheinung, die z w a r Einzelpersonen sind, deren N a m e n Y m i r , Y i m a und Y a m a aber jeweils „ Z w i l l i n g " bedeuten.

606

Gott I

Dem komplementären steht der antithetische Dualismus gegenüber. Er findet seinen schroffsten Ausdruck in der Verkündigung ->Zarathustras, nach der sich Ahura Mazda, der „weise Herr", und Angra Mairtyu, der „böse Geist", die als uranfängliche Zwillinge gelten, unversöhnlich als numinose Herren des guten und des bösen Prinzips gegenüberstehen. 6. Profilierte

Gestalten

des

Polytheismus

Neben den zahlreichen Natur- und Lokalnumina, die ein polytheistisches System umfassen kann, stehen im Vordergrund Gottheiten mit klar umrissenen Zügen. Der Bedeutung, die der Erdgöttin für bäuerliche Kulturen zukommt, entspricht in Jägerkulturen der Herr oder die Herrin der Tiere. Diese Gestalt besitzt und behütet die Jagdtiere, bestraft deren mutwillige Tötung, gestattet aber die Jagd, wenn sie mit den erforderlichen Riten verbunden wird. Sterbende und wieder auferstehende Gottheiten spielen eine zentrale Rolle in Vegetationskulten, in denen ihr Tod die Dürre und Unfruchtbarkeit des Landes, ihre Auferstehung aber das neue Erwachen der Natur bedeutet. Wenn sich, wie im Hellenismus, diese Kulte zu Mysterien wandeln, symbolisiert das Geschick der Gottheit den Tod und die Auferstehung des Mysten. Eine eigentümliche, besonders in indianischen Religionen häufig vertretene Gestalt ist der Trickster, ein schelmisches, unberechenbares Numen, das völlig willkürlich Gunsterweise, aber auch Unglück, Leiden und Tod über die Menschen bringt. 7. Steigende

und sinkende

Numina

Ein polytheistisches System ist keine starre Größe, sondern mannigfachen Veränderungen unterworfen. Im Sukzessionsmythos korrespondiert dem Aufstieg einer neuen Götterklasse der Abstieg einer früheren. Der griechische Mythos kennt diesen Generationswechsel mit der sukzessiven Abfolge von Uranos, Kronos und Zeus in der Götterherrschaft. Dort wo wir über historische Entwicklungen gut unterrichtet sind, kann aufgezeigt werden, daß der Sonnengott erst allmählich eine beherrschende Stellung gewinnt und in dieser einen früheren Hochgott ablösen kann. Der ägyptische Sonnengott Re, der inkaische lnti und der Sol invictus der Spätantike sind Beispiele hierfür. Chthonische Gottheiten können zu uranischen aufsteigen. Die griechische Hera, wahrscheinlich eine alte chthonische Göttin, wird zur Himmelskönigin durch ihre Vermählung mit Zeus. Die Erweiterung polytheistischer Systeme kann in mehrfacher Weise vor sich gehen. Politische Gründe können maßgebend sein, wenn die Gottheiten von Gebieten, die dem Reichsverband neu eingegliedert werden, Aufnahme in die Religion der politisch Vorherrschenden finden. Häufig beruht eine wachsende Gestaltenfülle des polytheistischen Pantheons auf Götterspaltung. Sie liegt dann vor, wenn die Fülle der Funktionen eines Hochgottes zu Sondergöttern verselbständigt und von ihm astrale und atmosphärische Numina, Götter des Schicksals und des —> Eides sowie Fruchtbarkeitsgottheiten abgetrennt werden und der Hochgott selbst weiterhin, meist als Schöpfer, anerkannt wird, jedoch für das Frömmigkeitsleben an Bedeutung verliert. Eine Vermehrung des Pantheons wird ferner durch die Hypostasierung bewirkt, durch die göttliche Qualitäten personale Eigenständigkeit gewinnen, ebenso durch die Erhebung abstrakter Begriffe in den Rang von Göttern, ein Vorgang, der vor allem für die römische Religion charakteristisch war. Die Theokrasie, die Vermischung von Gottheiten, bewirkt zweierlei. Sie steigert die Macht eines bestimmten Gottes, und sie reduziert die Gestaltenfülle des Pantheons. Als Marduk, dem Stadtgott von Babylon, die Namen von fünfzig Göttern verliehen und damit ihre ehemaligen Träger mit ihm identifiziert wurden, bewirkte diese Gleichset-

Gott I

607

zungstheologie einerseits die Erhöhung des Marduk, andererseits die Reduktion der riesigen Götterzahl des überkommenen Pantheons. Religionswechsel bedingt die Abwendung von den alten Göttern. Sie ist gelegentlich, so bei der Christianisierung der Nordgermanen und bei derjenigen des aztekischen Mexiko, als Göttertod empfunden worden. 8. Das

Götterbild

Das Götterbild oder Idol ist eine von Menschen gefertigte bildhafte Repräsentation von Gottheiten. Sie beruht auf dem Verlangen, das Verborgene, Transzendente sichtbar erscheinen zu lassen und damit irdisch zu vergegenwärtigen. Die Gestalt des Götterbildes weist eine weite Skala von Formen auf, die vom unbehauenen Stein und theriomorphen Darstellungen bis zur vollendeten Menschengestaltigkeit reichen. Dabei ist nicht der ästhetische Eindruck, den das Bild vermittelt, maßgebend, sondern der Ausdruck übernatürlicher Macht. Die religiöse Bedeutung derartiger Darstellungen weist innerhalb der meisten Religionen unterschiedliche Wertungen auf. Das Bild eines Gottes kann einen für den Gläubigen vermittelnden Charakter besitzen. Es dient dann als Andachtsbild und soll zur Besinnung und zum Gebet anregen. Auf einer niederen Stufe des religiösen Verstehens erfolgt eine vollständige oder zumindest weitgehende Identifikation des Bildes mit der dargestellten Gottheit; im Bild wird dann die tatsächliche Gegenwart, die Realpräsenz einer Gottheit angenommen. Dem Andachtsbild, das vornehmlich für die individuelle Frömmigkeit Bedeutung besitzt, steht das Kultbild gegenüber, wobei allerdings Verbindungen beider Typen häufig sind. Im Kult tritt das Gottesbild bei religiösen Feiern, Festen und Prozessionen öffentlich in Erscheinung. Die Prozession mit dem Bild gilt als Reise der Gottheit. Sie vermittelt einer Vielzahl von Menschen die Nähe des sakralen Bildes. Neben dem öffentlichen Kult genießt das Bild oft, am ausgeprägtesten im Hinduismus und im alten Ägypten, einen privaten Dienst, den Priester vollziehen. Er kann das Wecken des Gottesbildes, das Reinigen, Salben, Kleiden und die Bereitstellung von Nahrung umfassen. Die Einstellung der einzelnen Religionen zur bildlichen Darstellung von Gottheiten ist sehr unterschiedlich und schwankt zwischen Bejahung, Duldung und Ablehnung. Charakteristisch für eine ausgesprochene Neigung zur Bildlosigkeit sind, zumindest in ihren Ursprüngen, die prophetischen Religionen. Ihnen stehen bilderfreundliche Religionen gegenüber. Heute sind dies in ausgeprägtem Maße Hinduismus und Buddhismus. Bilderfreundlich waren auch die Religionen der Antike und des indianischen Mesoamerika. Literatur F r a n z Altheim, Terra M a t e r , Gießen 1931. - Walter Baetke, Das Heilige im Germanischen, Tübingen 1942. - Alfred Bertholet, Götterspaltung u. Göttervereinigung, Tübingen 1933. - Ders., Das Geschlecht der Gottheit, Tübingen 1934. - Ugo Bianchi, Trickster e demiurgi presso culture primitivedi cacciatori: FS Walter Baetke, Weimar 1 9 6 6 , 6 8 - 7 7 . - C . J. Bleeker, De moedergodin in de oudheid, H a a g 1 9 6 0 . - Angelo Breiich, Der Polytheismus: Numen 7 (1960) 1 2 3 - 1 3 6 . - R . H . Codrington, T h e Melanesians, O x f o r d 1891. - Albrecht Dietrich, M u t t e r Erde, Leipzig/Berlin 1905 3 1 9 2 5 . - Erland E h n m a r k , T h e Idea of God in H o m e r , Uppsala 1935. - J a m e s G. Frazer, T h e Golden Bough. A Study in M a g i c and Religion, 12 Bde., London 1 9 1 1 - 1 9 1 5 . - Heinrich Frick, Uber den Ursprung des Gottesglaubens u. die Religion der Primitiven: T h R NS 1 (1929) 2 4 1 - 2 6 5 . - Kurt G o l d a m m e r , Art. G o t t I. Religionsgeschichtlich: R G G 3 2 (1958) 1 7 0 1 - 1 7 0 5 . - Gaston H . Halsberghe, T h e Cult o f Sol Invictus, Leiden 1972. - Friedrich Heiler, Erscheinungsformen u. Wesen der Religion, Stuttgart 1961 ( R M 1), 4 5 5 - 4 7 0 . - Ake Hultkrantz (Hg.), T h e Supernatural Owners of N a t u r e , Uppsala 1961. - Edwin Oliver James, T h e Cult of the Mother-Goddess, London 1959. C. G. J u n g / K . K e r e n y i / P . Radin, Der göttliche Schelm, Zürich 1954. - Rafael Karsten, T h e Origins of Religion, London 1 9 3 5 . - Karl Kerenyi, Vater Helios: Eranos 10 (1943) 8 1 - 1 2 4 . - Günter L a n c z k o w ski, Forschungen zum Gottesglauben in der Religionsgesch.: Saeculum 8 (1957) 3 9 2 - 4 0 3 . - H a n n a Lanczkowski, Die Entstehung des Christus- u. des Buddhabildes: Kairos 7 (1965) 2 9 6 - 3 0 7 . - Andrew Lang, T h e Making of Religion, London 1898 2 1 9 1 0 . - Kurt Leese, Die M u t t e r als rel. Symbol, Tübingen 1934. - Friedrich Lehmann, M a n a , Leipzig 1922. - R . R . M a r e t t , T h e Threshold o f Reli-

608

Gott II

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Günter Lanczkowski II. Altes Testament 1. Vorbemerkung: Ewigkeit G o t t e s und Geschichtlichkeit des G l a u b e n s 2. Z u r Vor- und Frühgeschichte des J a h w e g l a u b e n s 3. Wesensmerkmale des J a h w e g l a u b e n s 4. Der Schöpfer und der König 5. „ E i g e n s c h a f t e n " G o t t e s 6. D e r Vater des Königs und der G o t t des M e s s i a s 7 . Der G o t t der Propheten 8. Gotteserfahrungen der Weisheit und der Psalmen 9. R ü c k b l i c k : Alttestamentliches Gottesverständnis (Anmerkungen/Literatur S . 6 2 4 )

1. Vorbemerkung:

Ewigkeit

Gottes und Geschichtlichkeit

des

Glaubens

Das Alte Testament zeichnet sich durch seine Rede von Gott aus und ist ohne sie nicht zu verstehen; sie erscheint freilich in vielfältiger, im Laufe der Geschichte auch wechselnder Gestalt. Dabei weiß das Alte Testament das Bekenntnis zu Gottes Ewigkeit mit dem geschichtlichen Bewußtsein von der Zeitlichkeit des Glaubens zu verbinden. „Bevor Berge geboren wurden, Erde und Festland in Wehen lagen, bist du, Gott, von Ewigkeit zu Ewigkeit" (Ps 90,2; vgl. 93,2; Gen 1,1; Dtn 33,27). Weil Gott vor aller Zeit ist, kann er in aller Zeit, „von Geschlecht zu Geschlecht" (Ps 90,1), gegenwärtig sein. Götter können geboren werden und sterben; ein Werden und Vergehen des einen Gottes ist undenkbar (Hab 1,12; verb. Text): „Bist du nicht von Urzeit, Jahwe, mein ,heiliger' Gott, ,der nicht stirbt'?" Gott ist ohne Anfang und Ende, aber der Glaube an Gott hat einen Anfang: Die Väter Abrahams „dienten anderen Göttern" (Jos 24,2; vgl. Jub 11 f). So läßt sich der Glaube nicht endlos zurückverfolgen, sondern hat eine Geschichte (vgl. Ex 6,2). 2. Zur Vor- und Frühgeschichte

des

Jahweglaubens

Allerdings bleibt die historische Rückfrage, wie sich die Anfänge des Glaubens im einzelnen gestalteten, schon deshalb schwierig zu beantworten, weil sie in eine Zeit weit vor der literarischen Fixierung der Überlieferung zurückgreifen muß und sich mehr nur auf Andeutungen, Einzelnamen, Erzählsplitter als in sich geschlossene Überlieferungen stützen kann; darum fallen die Antwortversuche unterschiedlich aus. Zudem müssen die Texte durchweg gegen ihren Sinn im vorliegenden Kontext gedeutet werden; denn das Alte Testament bezeugt die Identität des einen Gottes im Wandel der Namen und Zeiten,

G o t t II

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so a u s d r ü c k l i c h in der G o t t e s r e d e an M o s e : »Ich bin J a h w e ; A b r a h a m , Isaak und J a k o b bin ich als El S c h a d d a i erschienen, aber unter meinem N a m e n J a h w e h a b e ich mich ihnen noch nicht zu erkennen g e g e b e n " (Ex 6,2P). Religionsgeschichtliche Betrachtung sucht hinter dieses a u s der R ü c k s c h a u g e w a g t e Bekenntnis der Identität zurückzugreifen, um dem Verlauf d e r Geschichte rekonstruierend folgen zu können. Während nach jenem Z i t a t die Priesterschrift die Erinnerung bewahrt, d a ß sich - » J a h we - vielmehr: G o t t unter d e m N a m e n J a h w e - erst M o s e offenbarte (vgl. E x 3 , 1 3 f f E ; auch H o s 12,10 u . a . ) , geht die jahwistische Erzählschicht von der Voraussetzung aus: J a h w e wird seit Urzeiten verehrt (Gen 4,26; 9,26 u . a . ) . D a r i n spricht sich auf andere Weise dieselbe theologische Grundeinsicht a u s , d a ß der eine G o t t seit der S c h ö p f u n g ( 2 , 4 b f f ) wirkt. Vielleicht lebt in den beiden so andersartigen Überlieferungen auch historische Erinnerung weiter: Wurde J a h w e schon vor Israel verehrt, in Israel aber erst seit M o s e ? Welche Gottheiten kannten die später in Israel a u f g e g a n g e n e n , in Palästina ansässigen Gruppen zuvor? 2.1. Die bei d e m Grenzvertrag zwischen J a k o b und L a b a n gebrauchte S c h w u r f o r m e l (Gen 31,53) läßt mit dem auffälligen Plural der Verbform auf ein hohes Alter schließen: „ D e r G o t t A b r a h a m s und der G o t t N a h o r s sollen richten zwischen u n s ! " Anscheinend werden zwei Gottheiten angerufen, die jeweils einer G r u p p e zugehören ( „ G o t t A b r a h a m s " zu J a k o b , „ G o t t N a h o r s " zu L a b a n ) . Verehrte jede G r u p p e jeweils ihren, und zwar je einen G o t t ? Beide Gottheiten scheinen nicht nur in ihrem N a m e n ( „ G o t t " + Personenname), sondern auch in ihrem Wesen gleich zu sein; denn sie haben die A u f g a b e , Schiedsrichter zu sein und wohi auch die G r u p p e zu beschützen (vgl. G e n 4,15). Wie andersartig ist die a m Heiligtum zu Bet-El beheimatete T r a u m o f f e n b a r u n g von einer Vielzahl von Engelwesen (28,12; vgl. 32,2)! Gen 31,53 bietet wohl die festeste Stütze für A. - » A l t s 1 R e k o n s t r u k t i o n eines Vätergottglaubens; sie f a n d - wegen der Entsprechung von n o m a d i s c h e r Lebensweise und R e l i g i o n s f o r m — zunächst weithin Anerkennung, läßt sich mittlerweile, soweit sie nicht überhaupt abgelehnt wird, aber nur noch mit Einschränkungen und A b w a n d l u n g e n vertreten. In der T a t scheint die Wendung „ G o t t meines/deines V a t e r s " (31,5.42 u . a . ) älter als der Plural „ G o t t deiner/eurer V ä t e r " (Ex 3,13 ff) zu sein, desgleichen Einzelformulierungen wie „ G o t t A b r a h a m s " (Gen 31,53; Ps 47,10), „ S c h r e c k (Verwandter?) I s a a k s " (Gen 31,42.53) oder „ S t a r k e r (Stier?) J a k o b s " (49,24; Ps 132,2.5) älter als die Z u s a m m e n f a s s u n g „ G o t t A b r a h a m s , I s a a k s und J a k o b s " (Ex 3,6.15 f). In ihr ist - nach Verbindung der an verschiedenen Orten haftenden Vätertraditionen - die Vereinigung der einzelnen Sippen- oder Familiengottheiten zu einem G o t t vollzogen. Allerdings konnte der v o n A. Alt erschlossene G l a u b e von N o m a d e n an einen personen- statt ortsgebundenen Vätergott im alten Orient - einschließlich der vorislamischen Beduinen - bisher nicht nachgewiesen w e r d e n ; G o t t e s n a m e n von entsprechender F o r m 2 sind durchweg nicht Eigen-, sondern nur B e i n a m e n . Sind also auch jene V ä t e r g o t t n a m e n nur Beinamen, nämlich des G o t t e s El? H a b e n die Väter ihren G o t t oder ihre G ö t t e r unter d e m - gemeinsemitischen - N a m e n El verehrt? 3 Diese auf Grund alttestamentlicher Zeugnisse kaum eindeutig zu beantwortende Frage stellte sich schon H. Gunkel. Erkannte er in den mit El zusammengesetzten Gottesnamen zunächst „die Namen der Lokalnumina", so korrigierte er sich unter dem Einfluß seines Schülers H. Greßmann dahin, „daß die El-Gestalt... nicht etwa von Israel in Kanaan übernommen..., sondern der Gott der Vorfahren Israels gewesen ist." 4 Die dem Alten Testament zu entnehmenden Belege, d a ß die n o m a d i s c h e n Väter den G o t t El verehrten (Gen 49,25; vgl. 33,20; 46,3; E x 15,2; 18,4), sind aber k a u m so alt und vertrauenswürdig wie G e n 31,53. Wahrscheinlich hat m a n zwischen dem G l a u b e n der Vätergruppen und der an den Kulturlandheiligtümern, wie Bet-El, ausgeübten Religion

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zu unterscheiden und diese wiederum von der Jahweverehrung des späteren Volkes Israel abzuheben. Wie man über die Möglichkeit urteilen mag, das Dunkel der Vorgeschichte noch ein wenig aufzuhellen, jedenfalls hatte der Jahweglaube Vorläufer. Auch die Elnamen sind vielgestaltig und lassen sich in der im Alten Testament bewahrten Form nur eingeschränkt durch außerbiblische Parallelen stützen. Der Name El cOlam „ G o t t (der) Ewigkeit" (Gen 21,33) wird in Beerscheba, El Ro'i „ G o t t , der mich sieht (?)" (16,13) an einem im Süden gelegenen Brunnen, El Bet-El „ G o t t (von) B e t - E l " (35,7; vgl. 31,13; Jer 48,13) an eben diesem Heiligtum, El cEljott „der höchste G o t t " (Gen 14,18 ff; vgl. Num 24,16; Ps 46,5; 47,3; 82,6 u. a.) in Jerusalem beheimatet sein. In diesen Bezeichnungen scheinen die Ortsgottheiten weiterzuleben, die an den betreffenden Stätten verehrt und (nach O . Eißfeldt 5 ) vielleicht als lokale Erscheinungsformen des einen Hochgottes El verstanden wurden. Dagegen ist der nach Sichern weisende Name „El Gott Israels" (Gen 33,20; vgl. Jos 8,30) schon formal anderer Art und bezeugt eher die Bindung an eine Gruppe. Die Priesterschrift faßt - bei ihrer Bemühung, überkommene Traditionen zu systematisieren und zu periodisieren - im Begriff El Schaddai die verschiedenen Gottesnamen der Väterzeit zusammen und unterscheidet mit ihm die Epoche der Väter (in Kanaan) von der vorhergehenden Ur- und der folgenden Mosezeit (Gen 17,1; 28,3 u.a. bis Ex 6,3). Zuvor ist nur die Kurzform Schaddai sicher belegt (Num 24,4.16 und Gen 49,25, wo Samaritanus und die Übersetzungen an die Langform angleichen), so daß die Verbindung El Schaddai vielleicht erst später unter Aufnahme überlieferter Einzelelemente gebildet wurde (außer P auch Ez 10,5; Joel 1,15; Ps91,l u.a.). Der Name Schaddai hat mancherlei Ableitungen erfahren; seine Bedeutung bleibt ungewiß. 6 Die Ubersetzung „der Allmächtige" geht (über die Vg.: omnipotens) zurück auf die L X X , die im Hiobbuch Schaddai öfter mit Pantokrator wiedergibt.

Das Alte Testament konnte die vielfältigen Namenformen bewahren, weil El auch als Appellativ „ G o t t " deutbar ist, so daß die ehemaligen Eigennamen nur noch als Beinamen oder Attribute Jahwes erscheinen: „der ewige G o t t " , „der H ö c h s t e " (Gen 21,33; Ps 47,3 u. a.). Darüber hinaus behalten oder bekommen die verschiedenen Überlieferungselemente im Alten Testament letztlich nur eine Intention: „die Verheißungen an die V ä t e r " (Rom 15,8) weiterzugeben. Gott führt die Väter und ihre Familien in die Zukunft, indem er ihnen Schutz und Fürsorge auf ihrem Weg zusichert (Gen 28,15; 31,3.5; 35,3; 4 6 , 3 f u.a.), Nachkommen (18; 16,11 f u.a.) sowie Landbesitz (12,6f; 15,7.18; 28,13 u.a.) verspricht. Demnach äußert sich Glaube im hoffenden Vertrauen auf die Zusage künftigen und in der göttlichen Führung schon gegenwärtigen Heils: „Ich bin mit dir!" (26,24.28 u. a.) „Ein Gott, dem man vertraut, weil man von ihm angeredet worden ist. Er ist ein Gott, der einem sagt, daß er einen f ü h r t . " 7 Die Verheißungsreden sind in der Vätertradition so breit gestreut, daß sie dort ihren ursprünglichen Haftpunkt haben und nicht insgesamt jüngeren Gegebenheiten entstammen werden. Allerdings wurde ein - im einzelnen schwer abgrenzbarer - Grundbestand der Uberlieferung gemäß späteren Erfahrungen erheblich ausgebaut und damit abgewandelt; so wurde die Sohnesverheißung auf die Volkwerdung Israels gedeutet (12,2; 17,4ff; 26,4 u.a.), und die Landverheißung galt erst mit der Inbesitznahme Palästinas als erfüllt (bes. Dtn 6,10 u. a.). Nach der jüngeren Priesterschrift lebten die Väter im „Lande der Fremdlingschaft" (Gen 17,8; 28,4 u.a.); sie erhielten mit dem Begräbnisplatz (Gen 23) nur ein Unterpfand der verheißenen Zukunft. Damit hält das Alte Testament zugleich fest, daß Volk und Land nicht von vornherein, gleichsam naturgemäß und selbstverständlich, verbunden sind; Landbesitz ist vielmehr ein von Gott zugesagtes und gewährtes Gut, das Israel nicht aus eigener Kraft erwarb (Dtn 8,17; 9,6) darum letztlich nicht sein, sondern Gottes Eigentum ist (Lev 25,23; Jos 22,19).

2.2. Nach frühen, verschiedenartigen und darum vertrauenswürdigen Zeugnissen des Alten Testaments war der -»Sinai die Heimat - » J a h w e s (Jdc 5 , 4 f ; Dtn 33,2; E x 19ff). Vielleicht wurde er bereits von den Kenitern (vgl. Gen 4,15) oder Midianitern (Ex 18,12) verehrt; bei ihnen könnte —»Mose, der (nach E x 2,15ff) die Tochter eines Midianiterpriesters heiratete, den Jahwenamen kennengelernt und den in Ägypten zur Fronarbeit verpflichteten Landsleuten gebracht haben. 8 Hat M o s e den Unterdrückten die Hilfe Jahwes

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verheißen (so Ex 3,8.16f J , während 3,10—12E, wohl um Gottes Transzendenz hervorzuheben, Mose eine Führerrolle zuschreibt)? Dabei betonen die verschiedenen Überlieferungsstränge (3,13 ff.16) gemeinsam die Identität des Gottes der Väter mit Jahwe; dem entspricht, daß sich Jahwe auf dieselbe Weise äußert: in der Verheißung. Nur gilt sie nicht mehr der Familie oder Sippe, sondern dem Volk (3,7f.l6fJ.9ffE). Wird in der Anrede gegenüber Pharao die Bezeichnung „Gott der Hebräer" gebraucht (5,3 u.a.), so ist nach dem Kontext (3,18; 7,16 u.a.) doch Jahwe gemeint. Ihm wird nach der Rettung vor den Verfolgern (Ex 14) gedankt (Ex 15). Schon den frühesten noch greifbaren Überlieferungen galt das Ereignis weder als bloßes Naturgeschehen noch als Sieg Israels, sondern als Tat Jahwes: Er „warf" (nach dem Mirjamlied 15,21) bzw. „schüttelte" (14,27 J) die Feinde ins Meer. So wird Gott an seinem Tun erkannt und deswegen gepriesen — bis hin zu dem späten Hymnus des einzelnen Ps 103,2: „Lobe, meine Seele, Jahwe und vergiß nicht alle seine Wohltaten!" Da das Geschehen über die unmittelbar Betroffenen hinaus Bedeutung behält, damit auf Zukunft hin offen bleibt, können dem einen Ereignis andere angefügt werden, so daß das Gotteslob auf eine Geschehnisfolge zurückblickt (so im Moselied Ex 15,1-18; vgl. Ps 105f; 135f u.a.). Aber die Befreiung aus Ägypten gilt durch Israels Geschichte hindurch als die grundlegende Erwählungstat (Hos 12,10: „Ich bin dein Gott vom Land Ägypten her"; vgl. Ps 114,1 f u. a.), und das Bekenntnis „Jahwe, der Israel aus Ägypten geführt hat" (-»Exodusmotiv) wird, „gemessen an der Häufigkeit seines Vorkommens, die wichtigste theologische Aussage des A T " 9 , die weite Bereiche - aber nicht die Weisheitsliteratur oder die Jerusalemer Tradition - durchzieht und gleichsam zum Grund der -» Erwählung (1,4) wird (vgl. Am 3,1 f; 9,7 u.a.). (—»Sinai) hervor: Der 2.3. Gänzlich andere Wesenszüge treten in der Sinaiperikope mitgehende Gott wohnt bzw. erscheint auf einem Berg, offenbart sich statt in Verheißungsreden und Taten vielmehr in Gebot und Gesetz. Ob Exodus- und Sinaitradition von Anfang an einen Zusammenhang bilden, ist umstritten; gemeinsam ist beiden Überlieferungsblöcken aber nicht allein die Person Moses, sondern vor allem der Gott Jahwe. Nach Ex 19,16 ff wird seine —»Offenbarung von Erscheinungen in der Natur (Donner, Blitze, Rauch, Feuer; vgl. Gen 15,17) begleitet, die Gott nicht sichtbar machen (vgl. die spätere Deutung Dtn 4,12; Abschn. 3.2), nur sein Kommen anzeigen. „Weder ist ein einzelnes Naturphänomen in sich eine Theophanie Jahwes, noch ist Jahwe in seiner Theophanie an ein einzelnes Phänomen gebunden. Jahwe war nie ,Gewittergott',,Feuergott' oder,Lichtgott'." 1 0 Auch bleibt Jahwe zumindest kein Orts- oder Berggott, sondern „steigt" auf den Sinai „herab" (Ex 19,18.20 J ; vgl. 24,16P; -»Priesterschrift) und bricht von dort auf, um zu helfen (Jdc 5,4f), oder zieht mit den Menschen mit (Ex 33,12ff; Num 10,11 ff). Vor allem zielt die Sinaitheophanie selbst auf die Gemeinschaft zwischen Gott und Volk, die mit der Gottesschau gewährt, mit dem Mahl (Ex 24,10f) bzw. einem Blutritus (24,6.8) bekräftigt wird (-»Bund I). Folge dieser Gemeinschaft ist die Proklamation von Geboten und Rechtssätzen (Ex 34; vgl. Dekalog I, -»Bundesbuch, —»Gesetz I), die weit über den kultischen Bereich hinaus in das Alltagsleben eingreifen (-»Ethik III). 2.4. Die Rettung vor den Verfolgern am Meer, seit je oder schon früh als Tat Jahwes verstanden, wird näher als sein kriegerisches Eingreifen (-»Krieg) entfaltet (Ex 14,13f.25): „Seht die Hilfe Jahwes a n . . . Jahwe wird für euch kämpfen, und ihr sollt still sein!" Die Erfahrung „Jahwe ist ein Kriegsmann" (15,3; vgl. Jes 42,13) soll sich nach Ex 17,8 ff (V. 16: „Jahwe ist mein Feldzeichen") und Num 21 noch in der Wüste wiederholt haben, wird zumindest hauptsächlich aber erst im Kulturland gemacht, zumal in Auseinandersetzung mit den kanaanäischen Stadtstaaten (Jdc 4f) und eindringenden Nachbarn (Jdc6ff; vgl. Jos 2ff). In der Ausgestaltung dieser Überlieferung wird eine Mithilfe Israels (Jdc 5,23; vgl. II Sam5,24) zunehmend ausgeschlossen (Jdc 7,2; Ps 33,16ff; 44,4.7f; vgl. Jes 30,15f u.a.). 3. Wesensmerkmale des Jahweglaubens Vielleicht stand -»Mose am Ursprung des Jahweglaubens (Ex 3; Abschn. 2.2); jedoch

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will es überlieferungsgeschichtlicher Forschung, die eher Traditionsprozesse in Gruppen als Erfahrungen und Wirkungen von Individuen zu erfassen vermag, nicht mehr gelingen, die Eigenarten alttestamentlichen Glaubens auf Offenbarungswiderfahrnisse dieses Mannes zurückzuführen. So bleibt umstritten, wie und wann sich die Charakteristika alttestamentlichen Glaubens herausbildeten. 3.1. Die Forderung der Ausschließlichkeit des Gottesverhältnisses, die aus Israels Nachbarreligionen nicht ableitbar ist 1 1 , wird in verschiedenen Rechtssätzen erhoben: „Wer (anderen) Göttern opfert (es sei denn Jahwe allein), soll gebannt werden" (Ex 22,19; vgl. von Anrufung oder Verehrung 23,13.24; 34,14). Demgegenüber ist das erste Gebot des ->Dekalogs „Du sollst keine anderen Götter haben vor mir" (Ex 20,3; vgl. Ps 81,10 u.a.) allgemeiner gehalten und könnte über den kultischen Bereich hinaus das Verhalten im Alltag einschließen. Das erste Gebot bestreitet nicht die Existenz anderer Götter (vgl. Jdc 11,23 f; I Sam 26,19; II Reg 5,17 f u.a.), verlangt vielmehr die alleinige Hinwendung zu dem einen Gott: „Alle Völker wandeln jeweils im Namen ihres Gottes; wir wandeln im Namen Jahwes" (Mi 4,5; vgl. noch I Kor 8,5f). So werden die Götter nicht in ihrem „Sein", sondern in ihrem „Sein für" Israel verneint: „Außer mir ist kein Helfer" (Hos 13,4; Jes 43,11; vgl. Jer 2,13). Nennt man dieses Gottesverhältnis Monolatrie (s.o. Abschn. 1,4), muß man zugestehen: Der „Mono-Jahwismus" ist eine „Vorstufe des Monotheismus..., weil der Exklusivitätsanspruch Jahwes zu ihm drängt" 1 2 . Der Monotheismus ist gleichsam theoretische Konsequenz alttestamentlichen Glaubens; denn mit der Ausschließlichkeitsforderung ist ein Anspruch gesetzt, der mehr und mehr die Wirklichkeit menschlichen Lebens, Natur und Geschichte zu durchdringen sucht, damit keinen Raum mehr für den Machtbereich anderer Götter läßt. Beispielsweise sind Totenbeschwörung oder -Verehrung (Lev 19,31; 2 0 , 6 . 2 7 ; I Sam 28), Zauberei oder M a g i e ( E x 2 2 , 1 7 ; Dtn 18,9 ff) und der Astralkult (Dtn 4 , 1 9 u. a.) verboten; die Gestirne sind nicht mythisch-numinose Größen (vgl. E z 8 , 1 6 ) ; sondern weltliche Phänomene (Gen 1,14ff; Ps 136,7ff u. a.). Die Übernahme - oder gar Ausbildung - von Mythen, die eine Mehrzahl von Göttern oder das Gegenüber von G o t t und Göttin voraussetzen, von Göttergeburt, -hochzeit oder -tod erzählen, ist nicht oder nur stark abgewandelt möglich; so wird die Vorstellung einer göttlichen Ehe auf das Verhältnis von G o t t und Volk umgedeutet (Hos 1 - 3 ; Jer 2 f ; Ez 16; 23). D i e - s c h o n dem alten Orient geläufige - Frage nach der Unvergleichlichkeit Gottes „Wer ist ein Gott, so groß wie J a h w e ' ? " (Ps 7 7 , 1 4 ; vgl. 8 9 , 7 ; E x 15,11; 18,11 u . a . ) wird zum Bekenntnis der Ausschließlichkeit: „ N i e m a n d ist dir gleich, und kein G o t t ist außer d i r " (II Sam 7 , 2 2 ; vgl. Ps 8 3 , 1 9 u. a . ) . 1 3 Der „ h ö c h s t e " (97,9; 8 2 , 6 u. a.) ist der eine G o t t (73,11). Der Glaube an - » D ä m o n e n spielt im Alten Testament insgesamt eine geringe Rolle, da auch die bedrohlichen M ä c h t e in Gott integriert sind, so daß der Mensch Freud und Leid, Gut und Böse aus derselben H a n d empfängt: „ D a s Gute nehmen wir von Gott, und das Böse sollten wir nicht a n n e h m e n ? " (Hi 2,10; Abschn. 9.2).

Darum hat für einen erheblichen Teil des Alten Testaments das erste Gebot entscheidende Bedeutung. Insbesondere ziehen die Propheten für ihre Botschaft aus ihm die Konsequenzen, so in ihrer Auseinandersetzung mit dem Fremdkult (I Reg 18; II Reg 1; Hos; Jer 2; 44; Ez 8 u.a.), dem Hochmut (Jes 2,12ff u.a.), dem Vertrauen auf fremde Mächte (30,1—3; 3 1 , 1 - 3 u.a.) und auf mancherlei andere Weise. Aus dem Anspruch auf Alleinverehrung hört das —»-Deuteronomium die Einheit oder gar Einzigkeit Jahwes heraus und formuliert damit das für spätere Zeiten grundlegende Bekenntnis (6,4): „Höre, Israel, Jahwe unser Gott, Jahwe ist einer (bzw. allein, einzig)!" Doch wird aus der Einsicht in Gottes „Wesen" sogleich die Folgerung für menschliches Verhalten gezogen, diesen Gott, der selbst Liebe übt, „von ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzer Kraft zu lieben" (6,5; vgl. 10,12.15 u.a.). Der Einheit Gottes entspricht die ungeteilte Zuwendung des Menschen zu Gott: „Ganz bzw. vollkommen sollst du sein bei Jahwe, deinem G o t t " (18,13; vgl. Gen 17,1 P; I Reg 8,61; 11,4 u.a.). Im -»deuteronomistischen Geschichtswerk wird der Ausschließlichkeitsanspruch zum Maßstab der Geschichte (Jos 23,6ff; I Reg 11,2.4; II Reg 17,35f u.v.a.) erhoben. Wenn —• Deuterojesaja immer wieder die Einzigkeit Jahwes betont: „Ich bin der Erste und der Letzte, außer mir ist kein G o t t "

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(Jes 44,6; vgl. 43,10; 45,5; auch Dtn 4,35 u.a.), so kann man in solchen Worten einen - • M o n o t h e i s m u s ausgesagt finden, darf aber nicht vergessen, d a ß die Botschaft des Exilspropheten nicht auf eine theoretische Einsicht, sondern das Vertrauen in den Gott zielt, der „allein" Schöpfer wie Erlöser ist (Jes 44,24) und d a r u m zu helfen vermag (43,11; 45,21 u.a.). 3.2. Das Bilderverbot, das in der unmittelbaren raum-zeitlichen Umwelt des älteren Israel keine Parallele hat, findet sich in allen alten Gesetzessammlungen; sie untersagen Herstellung und Verehrung geschnitzter wie gegossener -•Bilder (Ex 20,4; Dtn 27,15; vgl. H o s 11,2; 13,2) oder Götter (Ex 20,23; 34,17; Lev 19,4; vgl. 26,1). Die erste Formulierung (Ex 20,4: „ D u sollst dir kein Bild machen") scheint die ältere zu sein; in der anderen sind erstes und zweites Gebot bereits eine Einheit eingegangen. Die sachliche N ä h e bzw. enge Verknüpfung dieser beiden f ü r den Jahweglauben entscheidenden Gebote k o m m t auch im Dekalog (durch die interpretierenden Erweiterungen Ex 20,5: „Bete sie nicht an!") und d a r ü b e r hinaus (Ex 34,14.17; Lev 19,4; vgl. Jer 1,16 u.a.) zur Geltung. Eine polemische Auseinandersetzung mit dem Bilderkult, die jüngere Teile des Alten Testaments durchzieht (Jes 2,8.20; 40,19 f; 44,9ff; Jer 10; Ps 115,4ff u. a.), f ü h r t erst Hosea (8,4ff; 10,5 f; 11,2; 13,2), noch nicht Elia oder Arnos (trotz 5,26; 8,14); dennoch hat es im offiziellen Jahwekult, zumal im Jerusalemer Tempel, wohl seit je kein eigentliches Jahwebild gegeben (vgl. aber Jdc 17f). Das Alte Testament schließt aus, was der religiösen Umwelt (anders Zarathustra) üblicherweise selbstverständlich, ehrwürdig und heilig war. Es kann die Wendung „ G o t t e s Angesicht schauen" übernehmen, ohne die Sache - die Anwesenheit eines Gottesbildes im Heiligtum - vorauszusetzen, benutzt den Ausdruck also nur im übertragenen S i n n . 1 4 Ursprung, Ursache und (früheste) Begründung des Bilderverbots sind schwer festzustellen; leichter lassen sich seine Auswirkungen umreißen. Es will primär k a u m die „Personalität" Jahwes (so T R E 6,520) wahren; eher betont es im Laufe der Zeit zunehmend die Unterscheidung zwischen G o t t und Welt, d a m i t die Transzendenz Gottes. Nichts in H i m m e l , Erde oder Unterwelt soll und kann (nach der Erläuterung in Ex 20,4) Gott abbilden; er ist - sei es männlich oder weiblich - nicht darstellbar, ja nicht weltlichvorstellbar (Dtn 4,15 ff). Dabei wird nicht grundsätzlich eine Grenze zwischen Geistigkeit und Sinnlichkeit gezogen, vielmehr innerhalb der Sinne selbst unterschieden. Selbst bei seiner O f f e n b a r u n g w u r d e Gott nicht sichtbar (4,12): „ D e n Schall von Worten hörtet ihr wohl, aber eine Gestalt saht ihr nicht." D a m i t übereinstimmend, fallen sprachliche Bilder (Hos 5,12.14; T h r 3,10 u. a.) nicht unter das Verbot; das Alte Testament gesteht dem O h r zu, was es dem Auge verweigert. Auch wenn - ausnahmsweise - G o t t „gesehen" wird, wird sein Aussehen nicht beschrieben (Ex 24,10 f; vgl. Gen 12,7 J; 17,1.3 P; prophetische Visionen, wie Jes 6). Zurückhaltende Andeutungen finden sich nur Ez 1,22 ff mit einem Vergleichswort, das auf die Inadäquatheit der Ausdrucksweise hinweist: „wie das Aussehen eines M e n s c h e n " , und Dan 7,9ff mit der knappen Schilderung des „ H o c h b e t a g t e n " . Eigentlich gilt der Grundsatz: „ N i e m a n d schaut mich und bleibt am Leben" (Ex 33,20; vgl. 19,21; Jdc 13,22; Jes 6,5 u. a.). Selbst in stärker mythisch geprägten Erzählungen, nach denen G o t t direkt in irdisches Geschehen eingreift, bleibt er in seinem Wirken menschlichen Blicken entzogen (Gen 2,21; 15,12; 19,17.26; Ex 12,22f); so bedecken M o s e (Ex 3,6) und Elia (I Reg 19,13) in Gottes Gegenwart ihr Angesicht (nach Jes 6,2 sogar die Seraphen). Auch k a n n ein Bote bzw. -»Engel Gott im Bereich des Sichtbaren vertreten (Ex 3,2 gegenüber 3,4ff), wie Gott auftreten, handeln und sprechen (Gen 21,17f; vgl. 16; 22; Jdc 6; 13 u. a.). Nach Ex 33,12ff ist der ferne G o t t in seinem „Angesicht", nach dem deuteronomistischen Geschichtswerk (I Reg 8,16ff. 29 u.a.) in seinem „ N a m e n " , nach der —•Priesterschrift (Ex 16,7.10; 24,16f u.a.) in seiner „Herrlichkeit" nahe. So wird auf wechselnde Weise zwischen G o t t und seiner Gegenwart auf Erden, seinem Für-sich-Sein und seiner H i n w e n d u n g zum Menschen, seiner Freiheit und seiner Offenbarung, seiner Transzendenz und seiner Geschichtswirksamkeit unterschieden und beides zugleich ausgesagt. Allerdings k a n n von der Z u k u n f t erhofft werden, d a ß G o t t unmittelbar („von Angesicht

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zu Angesicht" Ez 20,35; „Auge in Auge" Jes 52,8) begegne : „die Herrlichkeit Jahwes sich offenbare und alles Fleisch es sehe" (Jes 40,5; vgl. 52,10; auch I Kor 13,12). 3.3. Das Alte Testament kann ein Geschichtsereignis so streng und ausschließlich als Tat Gottes verstehen, daß sie gleichsam sein Wesen zu umschreiben vermag: „Ich bin Jahwe, dein Gott, der dich aus Ägyptenland herausgeführt" (Ex 20,2; Abschn. 2.2), d.h. befreit hat. Entsprechend wird rückblickend die Eigenart des Gottes Abrahams bestimmt (Gen 15,7): „Ich bin Jahwe, der dich aus Ur der Chaldäer herausgeführt h a t . " Wer und wie Gott ist, scheint sich in der Geschichte zu erweisen. Auch wenn die Vorstellung göttlicher Offenbarungen in der Geschichte (II) schon dem alten Orient vertraut ist, so gilt doch, „that the idea of historical events as divine manifestations has marked the Israelite cult in a way that lacks real parallels among Israel's neighbours". 1 5 So erhält das Passa (-»Feste und Feiertage II) die Aufgabe, den Ägyptenaufenthalt zu vergegenwärtigen; der regelmäßig wiederkehrende Ritus soll die Geschichte nicht wiederholen, vielmehr an das einmalige Ereignis „erinnern" (Ex 12,14; vgl. Dtn 16,3.12), damit künftigen Generationen sowohl den Zeitabstand als auch die bleibende Gegenwartsbedeutung bewußt machen. Vielleicht hängen die Ausschließlichkeit und die Geschichtsbezogenheit alttestamentlichen Glaubens zutiefst zusammen: Da er kein Verhalten der Götter untereinander kennt, ist jede Tat des einen Gottes ein Verhalten gegenüber der Welt oder/und dem Menschen. Etwa in der jüngeren Zusammenfassung des sog. kleinen Credo (Dtn 2 6 , 5 - 1 1 ; vgl. Ps 136 u . a . ; -+ Glaubensbekenntnisse II) erscheinen herausragende Geschichtsereignisse in ihrer Abfolge als Werk Jahwes, oder die Gemeinde bekennt rückschauend die Bewahrung Jerusalems als Akt seiner Gnade: „Wenn J a h w e Zebaot uns nicht einen geringen Rest gelassen hätte, wären wir wie Sodom geworden, Gomorra gleich!" (Jes 1,9; vgl.Ps 94,17). Die spätere Zeit kann selbst ihre Hoffnung in einem neuen Bekenntnis formulieren, das künftiges Geschehen vorweg als Tat Gottes beschreibt (Jer 2 3 , 7 f ; Jes 48,20; vgl. 44,23 u.a.). Wie beispielsweise im oben zitierten Eingangswort des Dekalogs Gottes „ I c h " beansprucht, die Vergangenheit gestaltet zu haben, so können die Propheten die Zukunft in göttlicher Ichrede ansagen (Am 5,27; 6,14 u.a.). Weiß schon die Exodustradition zu erzählen, daß der Gott Israels auch über Ägypten M a c h t ausübt (Ex 7 - 1 5 ; vgl. Gen 12,17 u. a.), so beziehen erst recht die Propheten die Fremdvölker in ihre Botschaft ein (z. B. Am 9,7): „ H a b e ich nicht Israel aus Ägyptenland geführt, die Philister aus Kreta und die Aramäer aus Kir?" Die in der Geschichte gefallenen oder zu treffenden Entscheidungen, eingetretene und angekündigte Ereignisse können als Fügung Gottes angesehen werden, so daß sich menschliche Verantwortung und Gottes Wirken nicht ausschließen (vgl. Gen 5 0 , 2 0 E ; E x 8,15; 9 , 1 2 P ; II Sam 17,14; Jes 29,10; 30,9.15 u. a.). Im Rahmen dieses Glaubens und Denkens wird verständlich, daß der Name - » J a h w e in der umstrittenen Deutung von E x 3,14 — nach der Zusage „Ich werde mit dir sein" (3,12) - als Ansage der Gegenwart und Wirksamkeit Gottes entfaltet wird: „Ich werde sein, der ich sein werde." Unter Wahrung und Ausformung dieser Eigenarten ( 3 . 1 - 3 ) gelangt alttestamentlicher Glaube - nicht ohne kritische Anlehnung an Vorstellungen von Nachbarreligionen, durch Auswahl und Umgestaltung des Übernommenen im Sinn des Eigenen - zu neuen Gottesaussagen, die über das Verhältnis Gott - Volk weit hinausgreifen. 4. Der Schöpfer

und der

König

4.1. Der Glaube an den -»Schöpfer ist vielleicht das Haupterbe des Alten Testaments an die Christenheit. Schöpfungsaussagen prägen jedoch keineswegs das ganze Alte Testament, sondern haben ihren Schwerpunkt in bestimmten Bereichen (bes. Gen l f ; Psalter; Dtjes; Weisheitsliteratur: Prov/Hi/Koh; Zusätze zu Prophetenbüchern) und gehören überwiegend einer jüngeren, exilisch-nachexilischen Periode an (Gen 1P; Ps 8; 33; 136; 148; Jes 40,12ff u.a.), wenn auch Zeugnisse aus der — frühen - Königszeit nicht fehlen (etwa Gen 2 J ; 14,19ff; vielleicht I Reg 8,12 L X X ; Ps 19A; 24,2; 104; Prov 14,31 u.a.). Allem Anschein nach war der Glaube längst durch die älteren Geschichtsüberlieferungen

G o t t II

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(von den V ä t e r n , E x o d u s , Sinai), die auch von J a h w e s M a c h t über die N a t u r (Ex 14—17; 1 9 , 1 6 f f u . a . ) wissen, g e p r ä g t , b e v o r er das B e k e n n t n i s z u m S c h ö p f e r aussprach. S o wird nicht von der N a t u r a u f das Heil geschlossen, vielmehr von den G l a u b e n s e r f a h r u n g e n in der G e s c h i c h t e her die Welt als S c h ö p f u n g g e d e u t e t 1 6 und d a m i t der G l a u b e - über das L e b e n der G e m e i n s c h a f t und des einzelnen hinaus - mit R ü c k g r i f f a u f den „ A n f a n g " in einen universalen R a h m e n gestellt. Dabei bildeten sich die alttestamentlichen Schöpfungsaussagen in Auseinandersetzung mit den aus der Umwelt bekannten kosmogonischen und anthropogonischen Vorstellungen aus. Sie klingen zumal in der Szene Gen 14,19ff nach: Melchisedek, König von (Jeru-)Salem, segnet Abraham im Namen El'Eljons, „des höchsten Gottes, der Himmel und Erde geschaffen hat" (auch die hier bewahrte fremde Gottesbezeichnung wird Jahwe meinen; vgl. Ps 47,3; Abschn. 2.1). Mit dem eigenen Glauben unvereinbare Motive (wie die Entstehung des Menschen aus Götterblut) wurden ausgeschlossen, andere (wie der Meeres- und Drachenkampf: Ps 74,12ff; 77,17ff; 89,10ff; Jes 27,1; 51,9f u.a.) nur in poetischen Anspielungen verwendet. Dabei fügen sich die überraschend vielfältigen Schöpfungsvorstellungen des Alten Testaments (vgl. etwa Gen 1,24; 2,7.19; Ps 90,2; 139,15 f; Jes 42,5; 45,18; 48,13 u. v. a.) nicht zu einem mehr oder weniger geschlossenen „Weltbild" zusammen, stehen vielmehr unausgeglichenen nebeneinander. Wenn das Alte Testament so grundverschiedene Schöpfungsberichte wie Gen 1 und 2 miteinander verbindet, scheint ihm die Vorstellung vom Wie des Schöpfungsvorgangs bereits nicht mehr ausschlaggebend zu sein; entscheidend ist die - gemeinsame - Intention so verschiedenartiger Aussagen: Gott hat das Weltganze mit dem Lebensraum, die Kreaturen (Gen 1; Ps 104; 121,2 u.a.) sowie den Menschen (8;22,10f; 139,13 f; Jer 1,5 u. a.) geschaffen und ist ihr Herr (Ps 24,1 f u.a.). Zudem finden sich Aussagen, die in besonderer Weise dem Glauben gemäß sind und - dem ersten wie zweiten Gebot entsprechend - sowohl die Analogielosigkeit als auch die Freiheit von Gottes Wirken herausstellen: „Er sprach, und es geschah" (Ps 33,6.9; 148,5; Thr 3,37; Gen 1,3 u.a.); er „ruft" die Gestirne (Jes 40,26) oder spricht der Erde die Kraft, die Vegetation hervorzubringen (Gen 1,11 f.24; 8,22), wie auch den Lebewesen ihre Fähigkeit, sich zu mehren (1,22.28), erst zu. Sein „Schaffen" (bara' Gen 1,1.27 u.a.) bedarf keines vorgegebenen Stoffes und ist, da das Verb im Alten Testament Gott vorbehalten bleibt, menschlichem Handeln unvergleichbar, sagt insofern auch über das Wie des Vorgangs nichts mehr aus. D e r S c h ö p f u n g s b e r i c h t G e n 1, der den Welt- und L e b e n s r a u m sowie das L e b e n selbst als G a b e n G o t t e s versteht, zielt mit dem Einsatz beim „ A n f a n g " a u f die G e s c h i c h t e zunächst auf die G e s c h i c h t e des M e n s c h e n , der durch die G o t t e s e b e n b i l d l i c h k e i t (1,26 f; 9,6) und die Anrede G o t t e s (1,28 f) vor den anderen L e b e w e s e n ausgezeichnet ist, d a n n (ab G e n 17; E x 1 , 7 P ) a u f die G e s c h i c h t e des Volkes. D a b e i gilt G o t t e s volle Billigung „ S i e h e , es w a r sehr g u t ! " (Gen 1,31) der von ihm erschaffenen, z w e c k v o l l - s c h ö n eingerichteten Welt, in der es n o c h kein Blutvergießen (1,29 f; entsprechend 2,8 ff J ) gibt; als später „ G e w a l t " a u f k o m m t , heißt es d e m g e g e n ü b e r : „ S i e h e , sie w a r v e r d o r b e n " (6,11 fP, vgl. 3 , 1 4 f f ; 4 , 6 f f J ) . N u r beide Urteile g e m e i n s a m u m s c h r e i b e n in ihrer S p a n n u n g die Zwiespältigkeit g e g e n w ä r t i g e r W i r k l i c h k e i t . D i e Psalmen bringen u n m i t t e l b a r zur G e l t u n g , d a ß das B e k e n n t n i s zum S c h ö p f e r G e g e n w a r t s e r f a h r u n g e n einschließt (Ps 8; 104; 139 u . a . ) , und sprechen das Vertrauen in den S c h ö p f e r aus, der in der N o t zu helfen vermag ( 1 2 1 , 1 f; vgl. 3 3 u . a . ) . Für die Weisheit ist im Verhalten zum B e d r ü c k t e n ( - » A r m u t 1,1) ein Verhalten zum S c h ö p f e r verborgen (Prov 14,31; 17,5); d o c h bleibt die S c h ö p f u n g ein a u c h die G e g e n s ä t z e , reich und a r m , verbindender und tragender G r u n d (22,2; 2 9 , 1 3 ; vgl. H i 3 1 , 1 3 f f ; M a l 2 , 1 0 ) . G o t t hat die Welt „ d u r c h W e i s h e i t " geschaffen (Prov 3 , 1 9 f ; 8 , 2 2 f f ; vgl. Hi 3 8 f ) , auch w e n n K o h e l e t skeptisch hinzufügt, d a ß der M e n s c h diese O r d n u n g nicht zu d u r c h s c h a u e n v e r m a g (s. A b s c h n . 8.2). D e m g e g e n ü b e r k a n n der P r o p h e t - » D e u t e r o j e s a j a seine Verheißungen statt aus der durch den tiefen E i n s c h n i t t des - » E x i l s fraglich g e w o r d e n e n - G e s c h i c h t e mit der S c h ö p fung begründen, u m zu b e t o n e n : T r o t z der O h n m a c h t des Volkes hat G o t t M a c h t und F ä h i g k e i t , das angekündigte Heil auch herbeizuführen (Jes 4 0 , 1 2 f f ; 4 5 , 7 f . 18 u. a.). D a b e i k o m m t S c h ö p f u n g der - » E r w ä h l u n g (1,4) und E r l ö s u n g n a h e (43,1 f; 4 4 , 2 . 2 4 u. a.), ja das künftige Heil gleicht einer N e u s c h ö p f u n g : „ S i e h e , ich m a c h e N e u e s " (43,19; 4 8 , 6 f ) , „einen neuen H i m m e l und eine neue E r d e " (65,17; 6 6 , 2 2 ; vgl. J e r 3 1 , 2 2 u . a . ) .

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4.2. Eine ähnliche Wandlung, zumal eine Sinnverlagerung in die Zukunft, vollzieht sich nach Übertragung des Königstitels auf Jahwe. Von ihrem Ursprung her bekundet die Redeweise von Gottes „ K ö n i g t u m " gerade nicht die Ausschließlichkeit Gottes, sondern setzt die Vorstellung der altorientalischen Religionen von einem umfangreichen Götterkreis mit einem königlichen Herrscher an der Spitze voraus. Indem Israel im Kulturland diese Anschauung übernimmt, kann es den eigenen Gott zum König der Götter proklamieren und damit Jahwes - weltweiten - Machtanspruch aussagen: „Ein großer Gott ist Jahwe und König über alle Götter" (Ps 95,3; vgl. 29,1 f. 10; 47,3; Jes 6 u. a.). Jedoch wird aus der Überlegenheit des einen Gottes über die anderen Götter (Ps 97,7.9) - im Sinne des ersten G e b o t s - d e r eine „König Israels" (Jes 44,6), „euer König" (43,15), so daß der Titel die Herrschaft wie den Gemeinschaftswillen Gottes bezeugt (33,22): „Jahwe, unser König, wird uns helfen." Vielleicht erklang am Herbstfest in Jerusalem (-»Feste und Feiertage II.4), etwa bei einer (Lade-)Prozession, der Ruf: „Jahwe ist König (geworden)", wie die sog. Thronbesteigungspsalmen bzw. Jahwe-Königs-Lieder vermuten lassen (bes. Ps 47; 93; dann 9 6 - 9 9 ; vgl. 24,7ff; Sach 14,16ff). 1 7 Als Deuterojesaja diese Überlieferung aufnimmt, wandelt er die Formel in einen Zuspruch „Dein Gott ist König geworden" ab, faßt die Wirklichkeit dieses Wortes als noch ausstehend auf und kündigt den Anbruch der Königsherrschaft Gottes „vor den Augen aller Völker" für die nächste Zukunft an (Jes 5 2 , 7 - 1 0 ) . Wenn andere Prophetenworte (Ez 20,33ff; Mi 2,12f; 4,7 u.a.) diese Erwartung weitertragen, so kommt das Bekenntnis zu Gottes Königtum einer auf Zukunft ausgerichteten Auslegung des ersten Gebots gleich: „Jahwe wird König werden über die ganze Erde; an jenem Tag wird Jahwe einzig sein und sein Name einzig" (Sach 14,9; vgl. 14,16). In die weltweite Königsherrschaft werden auch die Toten einbezogen (Ps 2 2 , 2 8 - 3 0 ) , oder Gott wird, wenn er unumschränkt regiert und die Völker in seine Gemeinschaft aufnimmt, „den Tod für immer vernichten" (Jes 24,23; 2 5 , 6 - 8 ; ->Tod). Allerdings wird Gottes Königsherrschaft nicht nur von der Zukunft erwartet, sondern zugleich als gegenwärtig geglaubt (Ps 103,19) und bekannt: „denn Gottes Herrschaft ist eine ewige Herrschaft, und sein Königtum währt von Geschlecht zu Geschlecht" (Dan 4,31; vgl. 2,46f; 3,33; 6,26f; Ps 145,13). Darum kann die Welt jetzt schon aufgerufen werden, sich über die -•Herrschaft Gottes zu freuen: „Jahwe ward König - es jubele die Erde!" (Ps 97,1; vgl. 98,6) 5. „Eigenschaften"

Gottes

Das Urteil „Die Bibel spricht ungebrochen und in reicher Fülle von göttlichen Eigenschaften" 1 8 ist für das Alte Testament kaum berechtigt. Von Prädikaten wie „König" oder „Herr" abgesehen, legt das Alte Testament eher wenige Attribute Gott bei, lobt ihn nicht durch Häufung von Beinamen und zählt in der Regel keine Eigenschaften als Wesensmerkmale auf, sondern spricht zumeist verbal von Gott. Darin wird auch eine kritische Zurückhaltung gegenüber Sprachmöglichkeiten spürbar, die der alte Orient anbietet; denn die Jahwe beigelegten Attribute haben der Ausschließlichkeit - wie der Geschichtsbezogenheit-des Glaubens gerecht zu werden. Zugleich tritt deutlich hervor, wie wenig das Alte Testament eine - systematisch reflektierte - Lehre von Gott bietet. 5.1. Das Alte Testament hat - wohl erst später - die Forderung der Ausschließlichkeit der Gottesbeziehung mit Jahwes „Eifer" begründet und ausgelegt (Ex 20,5; 34,14; Dtn 4,23f; 6,14f u.a.); mit dem Attribut „eifernd" wird die gemeinsemitische Gottesbezeichnung El „Gott" streng im Sinne des ersten Gebots verstanden. Dabei wendet sich diese „Eiferheiligkeit" nicht — als Mißgunst, Eifersucht - gegen fremde Götter, sondern gegen Israel (Jos 24,19 u.a.), kann dem Volk aber auch Heil schaffen (Jes 9,6; Sach 1,14 u.a.). Konnte schon der alte Orient eine Gottheit „heilig" nennen (vgl. von den „Göttersöhnen" Ex 15,11; Ps 89,6.8; vom Zion Ps 46,5; 48,2), so weiß das Alte Testament Gottes -•„Heiligkeit" als seinen „Eifer" (Jos 24,19) zu bestimmen: „Niemand ist heilig wie Jahwe" (I Sam 2,2; vgl. Jes 6,3; 40,25). Der „Heilige Israels" klagt sein Volk an (Jes 1,4

G o t t II

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u.a.) und verwirklicht nach dem Gericht die Erlösung (41,14 u.a.; vgl. 57,15; Hos 11,9). So bleibt der erhabene Gott den Menschen nahe (Ps 99,9): „Heilig ist Jahwe, unser G o t t . " Im Alten Testament heißt J a h w e nicht deshalb „lebendig", weil er als sterbend-auferstehender Gott nach dem Tod neues Leben gewinnt, sondern sich als „ w a h r e r " Gott (Jer 10,10) „lebendig" erweist (I Sam 17,26.36 u.a.) und Leben zu schenken vermag: „Meine Seele dürstet nach Gott, dem lebendigen G o t t " (Ps 42,3.9; vgl. 84,3; Hos 2,1). Er ist „die Quelle des Lebens" (Ps 36,10; vgl. J e r 2,13 u.a.). 5.2. Neben dem Credo, das auf Gottes Taten in der Geschichte verweist (Abschn. 2.2), kennt das Alte Testament eine ganz anders strukturierte Bekenntnisformel (—• Formeln, Liturgische 1.4), die - scheinbar allgemein-zeitlos, ohne ausdrücklichen Bezug zur Geschichte - Gottes Wesen beschreibt. Sie findet sich mit gewissen Abwandlungen mehrfach, durchweg in jüngeren Texten, und stellt (trotz E x 34,6 f) keine Selbstprädikation Gottes, sondern eine Aussage über seine Hinneigung zum Menschen dar: „Barmherzig und gnädig ist Jahwe, langmütig und reich an G ü t e " (Ps 103,8; vgl. 86,15; 145,8; Neh 9,17 u. a.; -»Barmherzigkeit I, ->Gnade I ) . 1 9 Wie verhält sich ein so grundsätzliches Bekenntnis zu Gottes Güte, Geduld und Vergebungsbereitschaft zur menschlich-geschichtlichen Erfahrung: Wird es auch angesichts von Not und Leid - oder gar Tod - festgehalten, so daß es der Wirklichkeit zu widersprechen vermag? „Deine Gnade ist besser als L e b e n " wagt Ps 63,4 zu formulieren. Eine ebenfalls mehrfach belegte liturgische Formel lautet ähnlich: „denn er ist freundlich und seine Güte währet ewig" (Ps 106,1; 136 u.ö.). Überhaupt bezeugt das Alte Testament vielfältig Gottes Huld (Ex 20,6; Jes 54,10; J e r 3,12; 9,23; Hos 2,21; Ps 33,5; 51,3; 103; 130,7 u.v.a.). 5.3. Jenes mehrgliedrige Bekenntnis zu Gottes Gnade wird in Joel 2,13 für Israel und in J o n 4,2 für die Völker um die Aussage bereichert: „Ihn gereut des Unheils." Für das Alte Testament ist Gott nicht schlechthin unwandelbar und unveränderlich; er hat sich nicht - auf Grund seiner Allwissenheit - von uran festgelegt, sondern kann sein Vorhaben oder seine Tat „bereuen", sich etwa auf Grund menschlichen Verhaltens oder der Fürbitte (Gen 18,17ff; E x 32,9ff u.a.) neu entscheiden. Angesichts abgrundtiefer Bosheit seines Geschöpfs „gereute es Jahwe, den Menschen gemacht zu h a b e n " (Gen 6 , 5 - 8 J ) . Da dieser durch die Strafe der Flut jedoch nicht gebessert wird, ändert Gott seine Einstellung zum Menschen und sagt unverbrüchlich zu, seine Schöpfung trotz bleibender Bosheit im Rhythmus des Jahres- und Tageslaufs zu erhalten (8,21 f j ; vgl. Jes 54,9). Ähnlich „bereut e " es Gott, Saul zum König erwählt zu haben (I Sam 15,11.35; vgl. von der Verwerfung Jerusalems II Reg 23,27). Allerdings wird in diesen beiden außergewöhnlichen Fällen jeweils auf eine abgeschlossene Vergangenheit zurückgeblickt und die Überlieferung nachträglich mit jenem kaum volkstümlichen, sondern eher theologisch gefüllten „Begriff hoher Reflexionsstufe" (J. Jeremias, Reue 14) gedeutet. Was Gen 6—8 J erzählend andeutet, spricht der Prophet Hosea aus: Gott selbst wandelt sich, ringt mit sich (11,8: „mein Herz kehrt sich wider mich"), um die Unbußfertigkeit, die Israel selbst nicht zu ändern vermag (5,4; 7,2; 11,7 u.a.), zu heilen (14,5). Ist für Arnos (7,3.6) Gottes Reue keine gegenwärtige Möglichkeit mehr, um die Strafe für Israels Schuld aufzuschieben oder aufzuheben (7,8; 8,2), so eröffnet Hoseas Botschaft die Reihe der Aussagen, nach denen Gottes Willenswandel, Selbstbeherrschung oder Mitleid sowohl das eine Volk (Ex 3 2 , 1 1 - 1 4 ; J e r 26,3.13.19; Joel 2,12ff u.a.) als auch die Völker (Jer 18,7ff; J o n 3 f ) vor seinem - berechtigten - Zorn verschont und dem Untergang entreißt. So kann das Alte Testament einerseits bezeugen, daß Gott sein (Heils-)Wort nicht zurücknimmt: „ G o t t ist kein Mensch, daß er lüge, kein Sterblicher, daß ihn gereue" (Num 23,19; vgl. I Sam 15,29 u.a.), andererseits auf menschliche Umkehr und Gottes Reue hoffen (Jer 18,7f; Joel 2 , 1 2 - 1 4 u.a.). 5.4. Gott ist Richter der Welt (Ps 82; 96 ff) wie des einzelnen; er prüft das Herz (7,9ff; 9,5; vgl. I Reg 8,30ff u. a.). Dieser Gott des Rechts hilft dem, der ihn anruft (Ps 4,2; 31,2

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u.a.): „Gnädig ist Jahwe und gerecht; unser Gott ist barmherzig" (116,5; vgl. 2.5,8; 145,17; Jes 45,21). Weil Gottes -»Gerechtigkeit sein Heilswirken (so schon nach dem Deboralied Jdc 5,11) ist, kann der Psalmist einerseits bitten: „Um deiner Treue, deiner Gerechtigkeit willen erhöre mich!" (Ps 143,1), andererseits Gottes Hilfsbereitschaft preisen: „Mein Mund soll deine Gerechtigkeit künden, deine Hilfe den ganzen T a g " (71,15; vgl. 40,10f; 145,7 u.a.). Der Zukunftsherrscher (s. Abschn. 6.2) soll sogar den Titel tragen: „Jahwe unsere Gerechtigkeit" (Jer 23,6; vgl. 33,16). In gleicher Weise zielen andere, seltenere Prädikate, wie „treuer" (Dtn 7,9; vgl. Jes 65,16 u. a.), „vergebender" (Ps 99,8) oder auch „sich verbergender" (Jes 8,17; 45,15) Gott, auf Gottes Verhältnis zum Menschen. Dabei meinen Gottes „Eigenschaften" nicht nur seine Gesinnung, sondern zugleich seine Fähigkeit und Bereitschaft zur Tat, umschließen also Wollen und Tun, Wesen und Wirken: „Jahwe ist gerecht in allen seinen Wegen, gnädig in all seinen Taten" (Ps 145,17; vgl. 1 0 3 , 8 - 1 0 ) . 2 0 6. Der Vater des Königs

und der Gott des

Messias

6.1. Solche Zuwendung erfährt der König (—»Königtum II) in besonderem Maße: Jahwe „verleiht große Hilfe seinem König und erweist Huld seinem Gesalbten, David und seinen Nachkommen für immer" (Ps 18,51). Gott qrwählte -»David und den Zion (I Reg 8,16 L X X ; Ps 132; -»Erwählung I, 3; —»Jerusalem, -»Tempel). Mit der Krone gibt Gott Segen, Leben, Hoheit, so daß sich der König auf Gott verlassen kann: „Der König vertraut auf Jahwe, durch die Huld des Höchsten wankt er nicht" (21,4—8). Zwar soll der König den Armen helfen (72,12ff), doch bleibt er selbst auf Hilfe angewiesen (20,2ff.l0). Diese Abhängigkeit kommt etwa in der Bitte des Königs (I Reg 3,5 ff; Ps 2,8; 21,3.5; 144,7) oder in der Fürbitte für ihn (20,2ff; 72,1; 132,1.10) zum Ausdruck. Werden die Helden der Richterzeit unmittelbar berufen (—»Geist I, 4), so scheint die Amtseinsetzung des Königs mittelbar zu erfolgen. Seine Legitimation beruht auf einem Gotteswort, das ihm in der Ichrede, wohl durch einen prophetischen Sprecher, zusagt: „Mein Sohn bist du" (Ps 2,7; vgl. 89,4f.28 ff). Die in dem vergleichbaren Ermächtigungswort: „Setze dich zu meiner Rechten, bis ich deine Feinde zum Schemel deiner Füße lege!" (110,1) angedeutete Unterscheidung von göttlicher und menschlicher Tat kommt zunehmend zur Geltung, bis schließlich gegenübergestellt werden kann: „Nichts hilft dem König ein starkes H e e r . . . Sieh, Jahwes Auge ruht auf denen, die ihn fürchten" (33,16.18; vgl. 20,8 f; 147,10f). So wird auch der Herrscher in das Eingeständnis menschlicher Ohnmacht einbezogen (89,48 f; 144,3 f) und der Wirksamkeit Gottes mehr Raum gegeben. 2 1 6.2. Eine entsprechende Tendenz wird verstärkt in den messianischen Weissagungen spürbar. Der - » M e s s i a s ist nicht eigentlich „Heilsbringer", sondern tritt in einem von Gott geschaffenen Friedenszustand auf und kann darum „Friedensherrscher" heißen, weil er keinen Krieg mehr führt (Jes 9 , 1 - 4 . 5 f). Gott selbst zerbricht das Joch (vgl. Ex 14 f; Ps 20,8f u.a.), bringt oder ist das Licht, d. h. die Rettung, das Heil (Jes 9,1; vgl. 60,1 f; Ps 27,1; 36,10 u.a.). Der Zukunftskönig „weidet in der Kraft Jahwes" (Mi 5,3), ja trägt geradezu den Namen „Jahwe ist unsere Gerechtigkeit" (Jer 23,5 f). So steht der Messias einerseits Gott sehr nahe, ist ihm fast gleich. Die Ehrentitel „Der Wunderbares plant" und „Gottheld" bzw. „starker G o t t " , auch „Ewig-Vater" (Jes 9,5), sind göttliche Würdeprädikate (vgl. 28,29 bzw. Ps 24,8); solche hohen Aussagen, die an altorientalische, zumal ägyptische Königsvorstellungen (—»Ägypten 1,4) erinnern, hat Israel — trotz der einmaligen Anrede „Gott, Göttlicher" (Ps 45,7) - auf den irdischen Herrscher kaum übertragen, sondern der Zukunftserwartung vorbehalten. Andererseits bleibt der Messias Gott untergeordnet; zu den ihm verliehenen Charismata gehört auch „der Geist der Furcht Jahwes" (Jes 11,2). Der letzten messianischen Weissagung des Alten Testaments (Sach 9,9 f) gilt der statt auf dem Kriegsroß vielmehr friedfertig auf einem Esel reitende Messias selbst als „Armer", der auf Gottes Hilfe angewiesen ist (vgl. Ps 20,7.10; 33,16; -»Demut 1.4), aber seine Friedensbotschaft weltweit trägt: Er „verkündet das Heil den Völkern." So wird die Herrschaft des Messias universal ausgeweitet (vgl. Mi 5,3; Jes 11,10; auch Ps 72,8 u.a.)

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und zugleich die Niedrigkeit des Kommenden bekannt. Ähnlich lautet das spätere Urteil über Mose: „Der Mann Mose war sehr demütig, mehr als irgendein Mensch auf Erden" (Num 12,3; vgl. vom Gottesknecht Jes 53,4). 6.3. Das besondere Verhältnis zwischen Gott und König bringt die Zusage II Sam 7,14 formelhaft zum Ausdruck: „Ich will ihm Vater sein, und er soll mir Sohn sein." Der König ist nicht natürlich-leibhaftig göttlichen Ursprungs, sondern wird - vermutlich bei der T h r o n b e s t e i g u n g - z u m Sohn erklärt (Ps 2,7; vgl. 89,27f; auch Jes 9,5). Daneben bewahrt das Alte Testament gelegentlich die mythische Vorstellung von „Götter- bzw. Gottessöhnen" (Gen 6 , 1 - 4 ; Ps 29; 82), die zunehmend Jahwe untergeordnet werden (89,6ff; Hi 1 f u.a.). Vor allem aber wird der Sohnestitel auf das Volk übertragen: „Aus Ägypten berief ich meinen Sohn" (Hos 11,1; vgl. Ex 4,22f). Allerdings meint man in älterer Zeit eine gewisse Zurückhaltung zu bemerken, Gottes Beziehung zu Israel mit dem Vater-SohnVerhältnis zu veranschaulichen, da sich mit dieser Bildrede zu leicht für den Jahweglauben anstößige Vorstellungen (vgl. Jer 2,27) verbinden konnten. Zieht die Zusage „Söhne seid ihr Jahwe, eurem G o t t " (Dtn 14,1) Konsequenzen für Israels Verhalten, so werfen die Propheten dem Volk gar vor, „mißratene, widerspenstige" Söhne zu sein (Jes 1,4; 30,1.9; Jer 3,14.22 u. a.), und bezeugen damit den Ungehorsam des ganzen Volkes (Hos 2,6; Jer 2,29; Ez 2,3ff u.a.). Ähnlich spricht das Moselied von „Söhnen, auf die kein Verlaß ist" (Dtn 32,20), und wagt im Schuldaufweis vom Schöpfer (32,6) als Vater und Mutter zu reden: Du vergaßest „den Felsen, der dich gezeugt, Gott, der dich geboren h a t " (32,18; vgl. Num 11,12). Nur in z.T. sehr alten Eigennamen - wie ->Abraham „(Mein Gott) Vater ist erhaben" - wird Gott öfter „Vater" genannt, und zwar wohl als Führer und Schützer. In späten Zeugnissen gilt der Titel eher dem Schöpfer: „Haben wir nicht alle einen Vater, hat nicht ein Gott uns geschaffen?" (Mal 2,10; vgl. 1,6; Jes 64,7 u. a.). Dabei kann die Autorität des liebenden Vaters (Prov 3,12) zugunsten seiner Güte und Fürsorge zurücktreten: „Wie sich ein Vater über Kinder erbarmt, so erbarmt sich Jahwe über die, die ihn fürchten" (Ps 103,13; vgl. Mal 3,17). Darum kann sich die Gemeinde mit dem Bittruf „unser Vater" an den Erlöser wenden (Jes 63,15f; 64,7; vgl. Jer 31,9). 7. Der Gott der Propheten Bereits bei der Amtseinsetzung des Königs scheint ein durch einen prophetischen Sprecher weitergegebenes Gotteswort eine Rolle zu spielen (s. Abschn. 6.1); außerdem können die -»• Propheten schon früh dem König verheißend (II Sam 7) wie drohend (II Sam 12;24; I Reg 21 f) entgegentreten. 7.1. Die sog. großen Schriftpropheten des 8. und 7. Jh. gehen über die Kritik am König (Am 7,9.11; Jes 7; Jer 21,11 ff) oder Königtum (Hos 1,4; 3,4; 8,4 u.a.) hinaus; ihre Gerichtsbotschaft über das Volksganze rührt an die Fundamente alttestamentlichen Glaubens. Diese Propheten treten der Grundannahme, daß Gott Israel zugeneigt ist und Schuld vergibt, mit der Zukunftseinsicht entgegen, daß sich Gottes Herrschaft im Leiden des Volkes erweisen, ja den Untergang Israels herbeiführen wird. Diesen Umbruch hat G . v . R a d mit Recht tiefempfunden: „Die Verkündigung der Propheten läßt s i c h . . . den Glaubensvorstellungen Israels nicht organisch anhängen. So überwältigend vielseitig sie auslädt, so hat sie doch ihren Ausgangspunkt in der Überzeugung, daß die bisherige Geschichte Israels mit Jahwe abgelaufen ist und daß Jahwe mit Israel ein Neues beginnen w i r d . " Die Propheten „sahen dasselbe Israel, das sich doch weithin noch von Jahwe geschützt und gesegnet glaubte, unter dem totalen göttlichen Gericht stehen. Sie haben aber nicht als Reformer dazu aufgerufen, dem in diesen Überlieferungen offenbar gewordenen Heilswillen Jahwes besseren Gehorsam zu leisten. Das Entscheidende war doch dies, daß sie ihren Zeitgenossen die Berufung auf das dort angebotene Heil geradezu verwehrt und nur einen sehr schmalen Weg zu einem Heil gesehen haben, das Jahwe überhaupt erst schaffen w i r d . " 2 2

In einem Zyklus von vier Visionen wird -»Arnos zu der Einsicht geführt: „Das Ende ist gekommen für mein Volk Israel. Ich will nicht mehr (schonend) an ihm vorübergehen" (8,2). Er kann diese Ansage gewisser Z u k u n f t (1,3-2,6: „Ich nehme nicht zurück") auch

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G o t t II

in göttlicher Ichrede weitergeben: „Ich suche an euch heim alle eure S c h u l d " (3,2; vgl. 2,13 u . a . ) . Schon für Arnos ist J a h w e nicht nur Richter Israels und der umliegenden Völker, der auch Vergehen ahndet, von denen Israel nicht betroffen ist (2,1), sondern hat M a c h t über die Nachbarstaaten hinaus (5,27; 9,7) bis an die Grenzen des Kosmos: Weder im Himmel oder in der Unterwelt noch in der T i e f e des Meeres gibt es vor ihm eine Fluchtstätte (9,2f; vgl. Ps 139,7ff). Damit sprengt J a h w e die Kategorie eines „ V o l k s - " oder „ N a t i o n a l g o t t e s " , zumal er sich gegen sein Volk wendet. Arnos' Nachfolger nehmen seine Verkündigung mit jeweils eigenen Schwerpunkten auf. - » H o s e a scheint der Zusage der Gegenwart Gottes „Ich werde (da-)sein" (Ex 3,14) unmittelbar zu widersprechen: „Ihr seid nicht (mehr) mein Volk, und ich, ich bin nicht (mehr) für euch d a " (Hos 1,9). Die Härte dieser Botschaft, nach der G o t t selbst die Gemeinschaft mit dem Volk aufkündigt, spiegelt sich auch in Bildworten wider: „Ich bin wie ein Löwe, zerreiße, trage weg, und niemand r e t t e t " (5,14; vgl. 5,12; 13,7f). Für - > J e s a j a ist G o t t nicht mehr der verläßliche Fels (Ps 18,3 u . a . ) , sondern der „Stein des Anstoßes und Fels des Straucheins für beide Häuser Israels" (Jes 8,14). W i e der Prophet in der - von den H ö r e r n selbst gewollten (9,12; 2 8 , 1 2 ; 30,9.12.15) und darum auch zu v e r a n t w o r t e n d e n - V e r b l e n d u n g (6,9f; 2 9 , 9 f ) das Gericht als bereits gegenwärtig erfährt, so kann er dem Beten Israels im Gotteswort die Erhörung versagen (1,15): „Auch wenn ihr noch so viel betet, ich höre euch nicht ( m e h r ) . " —• Jeremia, der ähnlich wie Arnos in einer Vision vom kommenden „Unheil über alle Bewohner des L a n d e s " überzeugt wird (1,13 f), kann sogar die Fürbitte für sein Volk verboten werden (14,11 u . a . ) ; denn er hat auch mit seiner Lebensweise zu bezeugen: „Ich habe mein Heil von diesem Volk genommen, die Gnade und das E r b a r m e n " (16,5; vgl. Am 9,4; H o s 13,14). D a ß der nahe zum fernen G o t t wird (Jer 23,23), muß Jeremia, durch die Botschaft vereinsamt (15,17) und angefochten, selbst erleben: „ D u bist mir wie ein Trugbach g e w o r d e n " (15,18). So erfährt Jeremia (20,7) noch stärker als Arnos (3,8; 7,15; vgl. Jes 8,11) den auf ihm lastenden Z w a n g (vgl. I K o r 9,16). Das —»Gericht können die Propheten auf verschiedene Weise beschreiben, gelegentlich als direkte Begegnung mit Gott (Am 5 , 1 7 ; 9,1 ff; Jes 1,24ff; 2 , 1 2 f f u . a . ) , öfter jedoch nur indirekt als T a t Gottes. Die Erinnerung an Kriege J a h w e s zugunsten seines Volkes (Abschn. 2 . 4 ) wandelt sich ihnen zur Ankündigung eines Krieges Gottes gegen sein Volk (Am 2,14ff; Jes 28,21 „befremdlich sein W e r k " u . a . ) . Die G r o ß m ä c h t e gelten als Werkzeug J a h w e s , die in seinem Auftrag das Gericht vollstrecken; so ist der Assyrer „ein Starker für J a h w e " (Jes 2 8 , 2 ; vgl. 5 , 2 6 ff; 7 , 1 8 ff; Am 5 , 2 7 ; 6 , 1 4 ; Jer 2 7 , 6 ; auch im R a h m e n der Heilsverheißung: Jes 4 4 , 2 3 ; 45,1).

Angesichts des drohenden „ Z o r n s " Gottes (Jes 5,25; J e r 2 3 , 1 9 f u . a . ) 2 3 wird verständlich, daß die Propheten bestehende Hoffnung zerstören: „Wehe denen, die den Tag J a h wes herbeisehnen! Er ist Finsternis und nicht L i c h t " (Am 5,18; vgl. Jes 2, 1 2 - 1 7 ) . Als - » Z e p h a n j a ( l , 7 . 1 4 f f ) dieses T h e m a aufgreift, tritt besonders deutlich hervor, daß schon die Gerichtsansage - wie später die Heilsverheißung (Jes 43,19) - aktuelle Naherwartung ist: „ N a h e ist der Tag J a h w e s ! Ein Tag des Z o r n s ist jener T a g ! " J e r e m i a muß gegenüber seinen „heils"prophetischen Gegnern seine Gewißheit durchhalten: „Sie sagen: ,Heil, Heil'; aber es ist kein H e i l " (6,14; vgl. 2 3 , 1 6 f f ; 2 8 f ; Ez 13). Entsprechend können die Propheten dem Erwählungsbewußtsein (Am 3,2; 6,1; 9,7) und dem Sicherheitsgefühl „Ist nicht J a h w e in unserer Mitte? Es kann kein Unheil über uns k o m m e n ! " (Mi 3,11; vgl. J e r 5,12) entgegentreten. So kann - im Gegensatz zur Ziontradition (Ps 46 u.a.) - selbst Jerusalem mit dem Tempel das Heil nicht garantieren (Mi 3,12; J e r 7; 26; Ez 8 ff; vgl. Jes 2 8 , 1 4 f f u.a.). Aus derselben Absicht erklärt sich wohl auch die umstrittene Kult- und Opferkritik, die die Propheten in der Gottesrede vortragen können: „Ich hasse, ich verschmähe eure F e s t e " (Am 5,21 ff; vgl. 4 , 4 f ; 5,5; Jes l , 1 0 f f ; 4 3 , 2 2 f f u . a . ) . 2 4 Sie weisen die „ S ü n d e " des Volkes (Am 3 , 2 . 1 4 ; 5,12; J e s 1,4; 6,5 u . a . ) in verschiedenen Bereichen, Gottesdienst, Gesellschaft, R e c h t oder Politik, exemplarisch auf, können aber auch allgemein G o t t e s Zuwendung und Israels Abfall unmittelbar gegenüberstellen: „Söhne h a b e ich g r o ß g e z o g e n . . . , aber sie haben sich gegen mich aufgelehnt" (Jes 1,2; ausgeführt im Wein-

Gott II

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berggleichnis 5 , 1 - 7 ; vgl. Jer 2,7 u.a.). Gelegentlich kann die Schuld bis in die Ursprünge zurückverfolgt („Im Mutterleib betrog er seinen Bruder" Hos 12,4; vgl. Jes 43,27; Ez 15 f; 23 u.a.) oder gar über die Unbußfertigkeit (Jes 30,15; Jer 6,16; Ez 2,3ff u.a.; ->Buße II) hinaus die Unmöglichkeit der Umkehr festgestellt werden: „Ihre Taten erlauben ihnen nicht, zu Jahwe zurückzukehren" (Hos 5,4; vgl. Jer 2,22; 13,23 u.a.). 7.2. Trotz so radikaler Einsicht sagen die Schriftpropheten, vielleicht von Arnos abgesehen, angesichts des Gerichts auch Heil an, wie die Symbolhandlung von Jeremias Akkerkauf während der Belagerung Jerusalems (Jer 3 2 , 6 - 1 5 ) vor Augen führt. Hosea stellt die Deportation nach Assur als Rückführung nach Ägypten dar, so daß aus der Rückkehr zum Ursprung ein Neubeginn erwachsen kann (8,13; 9,3.6; 11,5.11; 12,10; 2,16f). Die Wende vollzieht sich als Wandlung in Gott („Mein Herz kehrt sich gegen mich" 11,8; s. Abschn. 5.3) und erscheint als sein Werk: „Ich heile ihre Abtrünnigkeit" (14,5; aufgenommen in Jer 3,22; 31,20). Ähnlich erwartet Jesaja, der auf den „sich verbergenden" Gott zu „hoffen" wagt (8,17), im Rückgriff auf die Vergangenheit eine neue Zukunft als Tat Gottes: „Deine Richter will ich machen wie zuvor und deine Ratgeber wie zu Beginn" (1,26; vgl. 28,16f). Jeremia erneuert Hoseas Verheißung an das Nordreich: „Kehre um; denn ich bin gnädig" (3,12); in gleicher Weise fordern spätere Worte angesichts der Heilszukunft zu einem bestimmten Verhalten auf, sei es Buße, Freude oder Rechttun (Jes 44,22; 55,6f; 56,1; 60,1; Sach 2,14; 9,9f u. a.). Wie Jeremia -gegenüber dem Südreich - festhält, daß Heil nur in oder nach dem Gericht erfahren wird (Jer 24; 29; 32), macht die Vision von der Wiederbelebung der Totengebeine anschaulich, daß die Zukunft des Volkes durch einen Akt göttlicher Schöpfung herbeigeführt wird: „Siehe, ich bringe Lebensodem in euch" (Ez 37,5 f). Ähnlich werden eine Erneuerung der Schöpfung (Abschn. 4.1) oder des Menschen erwartet: „Ich gebe ein neues Herz" (Ez 36,26; vgl. Jer 31,31 ff; Ps 51,12 u.a.; -»-Eschatologie 11,4; -»Geist 1,6). Spielt in der Botschaft der Propheten das -»-Wort Gottes eine zunehmende Rolle (Am з,8; Jes 9,7; Jer 1,11 f; 5,14; 23,28f u.a.), so kann sich der Exilsprophet -»Deuterojesaja bereits auf die Erfüllung des Worts seiner Vorgänger berufen (Jes 44,26; vgl. 41,22 f; 43,9 и. a.). Er hört, die Zukunft vorwegnehmend, bereits den Ruf: „Siehe da, euer Gott" (40,9; vgl. 52,7). Obwohl sich seine Heilsbotschaft nur sehr eingeschränkt erfüllt hat, wird sie als „bleibendes" (40,8) und wirksames (55,10f) Wort bewahrt und von nachexilischen Propheten, wie -»Tritojesaja, -»Haggai oder —>Sacharja, weitergetragen: „Juble und freue dich, Tochter Zion; denn siehe, ich komme und wohne in deiner Mitte" (Sach 2,14). Schließlich wird die Zukunftserwartung von der aufkommenden —»Apokalyptik aufgenommen, die streng zwischen Gottes- und Menschenwerk unterscheiden kann (Dan 2,34 f u.a.). 8. Gotteserfahrungen

der Weisheit und der

Psalmen

8.1. Der Jahweglaube trat wohl erst allmählich in das altorientalisch vorgeprägte Weisheitsdenken (-»Weisheit) ein, das mit dem Ziel der Lebensbewältigung in Sprüchen (-»Proverbia) Erfahrungen sammelt und deutet. Dabei spielt der Zusammenhang von Tun und Ergehen, gutem Verhalten und Heil, Unrecht und Unheil, eine gewichtige Rolle: „Wer unsträflich wandelt, wandelt sicher, wer aber krumme Wege geht, wird ertappt" (Prov 10,9; vgl. 26,27 u.a.). Wie verhält sich Gott zu dieser Lebensordnung? 25 Er „prüft die Herzen" (21,2; 16,2) und vergilt dem Menschen gemäß seiner Tat (24,12; 25,21 f; Jer 17,10 u.a.). 2 6 „Der Gute findet Wohlgefallen vor Jahwe" (Prov 12,2); Unrecht und Hochmut sind vor ihm ein „Greuel" (11,1.20; 16,5 u.a.). Dabei gebührt es dem Menschen, bescheiden zu sein (20,24; 21,30; 26,12); denn angesichts des geheimnisvollen (25,2) Waltens Gottes sind menschlicher Einsicht Grenzen gesetzt: „Des Menschen Herz erdenkt sich seinen Weg, aber Jahwe lenkt seinen Schritt" (16,9; vgl. 16,1; 19,21); nicht eigene Mühe, „Jahwes Segen macht reich" (10,22). Aus diesem Denkansatz ergeben sich auch ethische Konsequenzen. So ist der Arme nicht zu bedrücken; denn er findet einen Schutz in seinem Schöpfer (14,31; 17,5; 22,22f; 23,1 f). Weil Gott selbst die Bestrafung oder „Ra-

Gott II

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c h e " 2 7 vornimmt (vgl. Gen 9,5; II Sam 16,8; Jes 35,4; 47,3 u. a.; an Israel: Jes 1,24), ist es nicht Sache des Menschen, Vergeltung zu üben (Prov 20,22; 23,17f; 24,29; I Sam 24,13; Ps 37,1 f). - Noch enger werden Welt- und Lebenserfahrung mit dem - wohl jüngeren Motto der Sammlung in den Glauben einbezogen: „Die Jahwefurcht ist der Anfang der Weisheit" (Prov 1,7; vgl. 9,10; 14,26; Hi 28,28; Jer 9,22f u.a.). Der Prophet Jesaja kann gar unter kritischer Aufnahme der Weisheitstradition in seine Gerichtsbotschaft von Gott sagen: „Auch er ist weise und führt Unheil herbei" (31,2; vgl. 5,21). Angesichts des allgemeinen Todesschicksals hegt der „Prediger" -+Kohelet Zweifel an der Weisheit (1,16f; 2,14ff u.a.) und am Tun-Ergehen-Zusammenhang; denn „es gibt Gerechte, denen es nach dem Tun der Frevler ergeht, und es gibt Frevler, denen es nach dem Tun der Gerechten ergeht" (8,14; vgl. 7,15). Jedoch nimmt Kohelet den Lauf der Dinge und die Gaben dieses Lebens aus Gottes Hand (2,24 f; 7,14; 12,1.7 u.a.). Er hat alles recht gemacht und ist zu fürchten (3,14); aber der Mensch vermag Gottes Werk (3,11; 8,17), damit auch seine eigene Zukunft (3,21; 8,7; 9,12; 10,14), nicht zu ergründen. Bewahrt Kohelet trotz der Einsicht in die Undurchschaubarkeit des Daseins den Glauben an die göttliche Lenkung des Schicksals, so ringt -+Hiob mit dem Gott, der ihn verfolgt und bedrückt (16,9ff; 19,6ff): „Er brach mich nieder um und um, und ich fahre dahin; er riß meine Hoffnung aus wie einen Baum" (19,10; vgl. 14,19). Aber gegen den Gott, der ihm das Recht nimmt (27,2; vgl. 9,20ff), ruft Hiob den Gott an, der für sein Recht eintritt: „Im Himmel ist mein Zeuge"; „ich weiß, daß mein Löser (d. h. Rechtshelfer) lebt" (16,19-21; 19,25f). Als Hiob die ersehnte (31,35) Antwort erhält, die ihm die Begrenztheit menschlichen Wissens und Tuns vor Augen führt (38ff), gibt er Gott recht und kehrt nach allem Aufbegehren zur Demut vor Gott zurück: „Vom Hörensagen hatte ich von dir gehört, nun aber hat mein Auge dich gesehen. Darum widerrufe ich und bereue in Staub und Asche" (42,5 f; vgl. 2,8). - Wagt Hiob einmal den Wunsch zu äußern, Gott möge ihn vor seinem Zorn im Totenreich verbergen, um dann dort seiner gnädig zu gedenken (14,13; vgl. 19,26), so geht das Bekenntnis zu einer Gottesgemeinschaft, die sich im Tode durchhält, über das Hiobbuch hinaus: „Doch bleibe ich stets bei dir; mögen auch mein Fleisch und mein Herz vergehen..., Gott ist auf ewig mein Teil" (Ps 7 3 , 2 3 - 2 6 ; vgl. 49,16). 8.2. Gegenüber Hiobs schrecklicher Gotteserfahrung „Ich schreie zu dir, doch du antwortest mir nicht" (30,20; vgl. 19,7) bezeugen die ->Psalmen: „Zu Jahwe rief ich in meiner Not, und er antwortete mir" (120,1; 18,7; 22,6; 40,2; Thr 3,55ff; Jer 29,12; Jes 55,6; 65,24 u. a.). Dieser Ruf kann aus der Tiefe (Ps 130,1), der Erfahrung der Gottverlassenheit (22,2) oder der Verborgenheit Gottes (13,2; 88,15 u.a.) kommen. Der Beter kann sich besinnen und sich aufrufen: „Was bist du so aufgelöst meine Seele, so unruhig in mir? Harre auf Gott!" (42,6.12; vgl. 27,14; 37,3ff). Die Frage „Was erhoffe ich, Herr?" erhält die Antwort: „Mein Harren geht auf dich!" (39,8; vgl. 71,5; 130,5ff). Auf ihn richtet sich das Vertrauen, daß er auch „im finstern T a l " den einzelnen (23; 27; vgl. Jer 15,20 u. a.) wie die Gemeinde (Ps 46; 125 u.a.) geleitet. Im Schuldbekenntnis findet sich eine ähnliche Konzentration: „An dir allein habe ich gefehlt" (51,6; vgl. 32). Auf vielfältige Weise bezeugen die Psalmen Ferne und Nähe, Zorn und Gnade Gottes, Ohnmacht und Hoheit des Menschen. Sie preisen einerseits den Schöpfer (s. Abschn. 4.1): Du hast den Menschen „wenig niedriger als Gott gemacht" (8,6), klagen andererseits: „Wir vergehen in deinem Z o r n " (90,7). Jedoch: Gott „denkt daran, daß wir nur Staub sind" (103,14). So soll das Lob Gottes über die Gemeinde (22,23) hinaus weltweit erschallen: „Alles, was Odem hat, lobe Jahwe!" (150,6; vgl. 33; 9 6 - 9 9 ; 145; 148). Selbst „die Himmel erzählen die Ehre Gottes" (19,2; vgl. 29,1 f). 9. Rückblick:

Alttestamentliches

Gottesverständnis

9.1. Der Verständige „fragt nach Gott"; nur „der Tor spricht in seinem Herzen: Es ist kein Gott" (Ps 14,1 f; vgl. Prov 19,3). Solche im Alten Testament aufkommenden Zweifel entstammen keinem theoretischen, sondern eher einem praktischen —• Atheismus (1/1),

Gott II

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beziehen sich nicht auf die Existenz, sondern die Wirksamkeit Gottes im menschlichen Leben: „Er ahndet nicht" (Ps 10,4.11); „ J a h w e tut weder Gutes noch Böses" (Zeph 1,12; vgl. M a l 2,17; 3 , 1 4 f ; J e r 5,12; Ps 73). Demgegenüber bekennt das Alte Testament vielstimmig und vielfältig: „Der Hüter Israels schlummert noch schläft nicht" (Ps 121,4), wird „nicht müde noch m a t t " (Jes 40,28). Dies zu bezeugen ist der Sinn der Anthropomorphismen. Anders als sichtbare Bilder (s. Abschn. 3.2) werden hörbare, sprachliche Bilder vielfach gebraucht; denn sie sagen den in menschliches Schicksal eingreifenden Gott an. So vollzieht sich die tiefste Anfechtung, von der das Alte Testament weiß, im Ringen mit Gott; es kann die Nöte des Daseins in der Klage vor Gott oder gar in der Anklage Gottes aussprechen (Ps 22; J e r 15,10ff; 20,7ff; Hiob; vgl. Jes 53; auch I Reg 19,4; Jon 4 u.a.). Im Laufe der Geschichte werden immer neue Erfahrungen mit diesem Gott gemacht, neue Lebensbereiche vom Glauben her erschlossen und gedeutet. So ist alttestamentliches Gottesverständnis nicht statisch festgelegt, sondern in bleibender Bewegung, unabgeschlossen, suchend, aber auch mit Gewißheit bekennend; es artikuliert sich in unterschiedlichsten Redeformen, wie Gebet und Prophetenwort, Klage und Zuspruch. 9.2. Dieses Gottesverständnis umspannt größte Weiten, Höhen und Tiefen, ja Gegensätze. Gott ist Gott des V o l k e s 2 8 , des einzelnen und der Welt: „Lobe Jahwe, meine Seele; lobet Jahwe alle seine Werke an allen Orten seiner Herrschaft!" (Ps 103,1.22; vgl.139,7ff). Er umgreift den Anfang und das Ende der Zeit (Gen 1,1; Jes 41,1; 44,6; 48,12; 65,17 u.a.); er ist fern und nahe: Der Erhabene ist bei den Niedrigen (Ps 33,13 ff; 34,19; 113,5ff; Jes 57,15; 66,1 f u.a.). Der Himmel schenkt, was die Erde benötigt (55,10f); so schließen sich Jenseitigkeit und Diesseitigkeit nicht aus. Unterscheidet das Alte T e s t a m e n t vielfach zwischen T a t G o t t e s und T a t des M e n s c h e n (Ex 1 4 , 1 3 f ; J e s 4 3 , 2 4 f ; Sach 4,6; Ps 115,1 f u . v . a . ) , scheint es doch den Unterschied zwischen G o t t und M e n s c h im Laufe der Z e i t stärker zu betonen (Hos 11,9; J e s 3 1 , 3 ; Ez 2 8 , 2 . 9 ; Hi 9 , 2 . 3 2 ; K o h 5,1 u. a.). Wenn anstelle des E i g e n n a m e n s J a h w e zunehmend die Bezeichnung „ G o t t " [El, Elohim29) benutzt wird (bis in die G e b e t s a n r e d e : Ps 5 , 1 1 ; 51,3 u . a . ) , so spielen dabei noch weitere G r ü n d e eine R o l l e : D a s Verbot des M i ß b r a u c h s des G o t t e s n a m e n s (Ex 20,7) wird strenger aufgefaßt, und das Bekenntnis zu dem einen Weltherrn (Ps 1 3 6 , 2 6 ; T h r 3 , 4 1 ; J o n 1,9 u . a . ) bestreitet M a c h t wie Existenz anderer Götter.

Zwar unterscheiden beide Schöpfungsberichte Gen 1 - 2 zwischen der schöpfungsgemäßen und der bestehenden, zwiespältigen, auch leidvollen Wirklichkeit (Abschn. 4.1); entsprechend besteht die Hoffnung auf eine Welt ohne Blutvergießen, ohne gewaltsamen Tod (Jes 11,6ff; vgl. 2,4; 65,25) oder überhaupt ohne Tod (25,8). Aber Gott wirkt auf Erden Gut und Böse, für den Menschen Freud- und Leidvolles (Gen 30,2.22; E x 4,11; 21,12; I Sam 16.13 f; Am 3,6: Jes 45,7; T h r 3 , 3 7 f u. v. a.; Abschn. 3.1). Auch die Weisheit prägt ein: „Wen J a h w e liebt, den züchtigt e r " (Prov 3,1 l f ; vgl. 16,4; 22,2), und selbst Kohelet mahnt angesichts des unerforschlichen Lebenslaufs (7,14): „Am guten Tag sei guter Dinge und am bösen Tag bedenke: Diesen wie jenen hat Gott gemacht!" So ist für das Alte Testament die Einsicht grundlegend, die die sog. großen Propheten nur zuspitzen: Gott „tötet und macht lebendig", „erniedrigt und e r h ö h t " (I Sam 2,6 f; Ez 17,24; vgl. Dtn 32,39; II Reg 5,7; Jes 19,22 u.v.a.). „Wenn er betrübt hat, erbarmt er sich (wieder) gemäß der Fülle seiner G n a d e " (Thr 3,31). 9.3. Dabei hat das Alte Testament keineswegs ausschließlich Israel im Blick, sondern bezieht die Völker vielfach in sein Denken (Ps 115,1 f; 126,1 f; - » J o n a u . v . a . ) , zumal sein Hoffen ein. Alle Welt wird Jahwes Herrlichkeit sehen (Jes 40,5; Abschn. 3.2) und erfahren: „Nur in J a h w e ist Heil und S t ä r k e " (45,23; vgl. 19,21 ff; 25,6; Sach 2,15; Ps 22,28; 83,19 u. a.). In seiner am weitesten ausgreifenden Erwartung vermag das Alte Testament sogar die Bindung an den Zion (Jes 2,2 ff) aufzugeben: „Ihn werden verehren alle Inseln der Völker, jedermann von seiner Stätte" (Zeph 2,11; vgl. 3 , 9 f ; M a l 1,11; Jes 66,21). M i t den Schöpfungsberichten hat das Alte Testament von vornherein die Menschheit als ganze vor Augen und nennt jeden Menschen, unabhängig von Volkszugehörigkeit und

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G o t t II

Geschlecht, Gottes „ B i l d " (Gen 1,26 f) - nicht ohne ethische Konsequenzen (9,6). Auch formuliert das Alte Testament nicht wenige theologische Einsichten grundsätzlich-allgemeingültig: „Kein Lebender ist vor dir g e r e c h t " (Ps 1 4 3 , 2 ; vgl. Gen 8 , 2 1 ; Hi 4 , 1 7 ; auch E x 3 3 , 2 0 ; D t n 8,3; I Sam 16,7; Jes 2 , 1 7 ; M i 6 , 8 u . v . a . ) . So hilft es dem M e n s c h e n , angesichts „des Himmels, des Werks deiner F i n g e r " nach sich selbst zu fragen und sich zugleich - in bekennender Anrede - einzugestehen, daß er von Gottes Fürsorge lebt (Ps 8 , 4 f) : „ W a s ist der M e n s c h , daß du seiner gedenkst?" Anmerkungen 1 2

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Der Gott der Väter, 1929 (BWANT 3/12) = ders., KS 1, 1953, 1 - 7 7 . Vgl. etwa Roland de Vaux, Histoire ancienne d'Israël 1,1971, 257 f. - Hermann Vorländer, Mein Gott, 1975 (AOAT 23), 13.151 ff.206f. Vgl. zuletzt Frank M. Cross: T h W A T 1 , 2 5 9 - 2 7 9 (Lit.) - Otto Kaiser, Altes Testament - Vorexilische Literatur: Ulrich Mann (Hg.), Theologie und Religionswissenschaft, Darmstadt 1973, 246ff (Lit.). - Hans Peter Müller, Gott und die Götter in den Anfängen der biblischen Religion: Othmar Keel (Hg.), Monotheismus 114ff. Hermann Gunkel, Genesis, 3 1910 = 9 1977,187 bzw. L X ; vgl. Hugo Greßmann, Mose und seine Zeit, 1913, 425 ff. Vgl. besonders El und Jahwe: KS 3, 1966, 3 8 6 - 3 9 7 . Vgl. Manfred Weippert: T H A T 2 (1976) 8 7 3 - 8 8 1 (Lit.). - Klaus Koch, Saddaj: V T 26 (1976) 2 9 9 - 3 3 2 . - Hans Peter Müller: ZAW 94 (1982) 223. Martin Buber, Werke II, 1964, 273. Zu dieser sog. Midianiterhypothese vgl. zuletzt Werner H. Schmidt, Exodus, Sinai und Mose 110ff (Lit.). Erich Zenger, Funktion und Sinn der ältesten Herausführungsformel: Z D M G Suppl 1 (1969) 3 3 4 - 3 4 2 , bes. 334; vgl. T R E 11, Geschichte II, 2.2. Jörg Jeremias, Theophanie 38. Sigmund Freud (Der Mann Moses und die monotheistische Religion: Gesammelte Werke X V I , 1950,118 ff = Studienausgabe IX, 1974, 471 ff) machte die Hypothese bekannt, Mose sei Anhänger des Atonkults Amenophis' IV. Echnatons (14. Jh.v.Chr.) gewesen. Doch wurde dieser Kult bald nach dem Tod des Pharaos unterdrückt (TRE l,489f), und Mose wird etwa ein Jahrhundert später gelebt haben. Vor allem ist Jahwe kein Licht- oder Sonnengott, und der König ist, zumal in der Frühzeit, nicht der entscheidende Mittler. So bleibt ein grundlegender Einfluß des Atonkults auf die Jahweverehrung (trotz möglicher Berührungen in Ps 104) unwahrscheinlich. Walter Holsten, Monolatrie: R G G 3 4 (1960) 1107. Vgl. C. J . Labuschagne, The Incomparability of Yahweh in the Old Testament, 1966 (POS 5); Gottfried Johannes, Unvergleichlichkeitsformulierungen im Alten Testament, Diss. Mainz 1968; Fritz Stolz, Jahwes Unvergleichlichkeit und Unergründlichkeit: WuD 14 (1977) 9 - 2 4 . Zudem wird das Aktiv „Gott schauen" in das Passiv „vor Gott erscheinen" umgedeutet (Ex 23,15 ff; 34,20ff; Jes 1,12; Ps 42,3 u. a.). Vgl. Friedrich Nötscher, „Das Angesicht Gottes schauen" nach biblischer und babylonischer Auffassung, Würzburg 1924 Darmstadt 2 1969. - Joseph Reindl, Das Angesicht Gottes im Sprachgebrauch des Alten Testaments, 1970 (EThSt 25). Bertil Albrektson, History and the Gods, 1967 (CB.OT 1), 115; vgl. Friedrich Huber, Jahwe, Juda und die anderen Völker beim Propheten Jesaja, 1976 (BZAW 137), 187f. Vgl. Gerhard von Rad, Das theologische Problem des alttestamentlichen Schöpfungsglaubens (1936): Gesammelte Studien zum AT, 3 1965 (ThB 8), 1 3 6 - 1 4 7 ; anders Hans Heinrich Schmid, Altorientalische Welt in der alttestamentlichen Theologie, Zürich 1974; dazu kritisch: Jörn Halbe, „Altorientalisches Weltordnungsgedenken" und alttestamentliche Theologie: Z T h K 76 (1979) 3 8 1 - 4 1 8 . Vgl. Paul Volz, Das Neujahrsfest Jahwes, 1912; vor allem - in zugespitzter Form - Sigmund Mowinckel, Psalmenstudien II. Das Thronbesteigungsfest Jahwäs und der Ursprung der Eschatologie, 1922 (SNVAO.HF 1921,6) = 1961. Gerhard Ebeling: ZThK 65 (1968) 460 = Wort und Glaube II, 1969, 306. Vgl. T R E 5, 224 Anm. 1 genannte Lit. Dies betont Alfred Jepsen (Der Herr ist Gott, 1978, 219): Gnade und Barmherzigkeit „umreißen nicht nur eine Empfindung oder ein Gefühl, sondern schließen die Tat mit ein". Vgl. Werner H. Schmidt, Kritik am Königtum: FS G.v.Rad, 1971, 4 4 0 - 4 6 1 , bes. 452ff. Theol. d. AT I, 4 1962, 142; II, 4 1965, 343f. Vgl. Claus Westermann, Boten des Zorns: FS H.W. Wolff, 1981, 1 4 7 - 1 5 6 . Vgl. zuletzt Hans Jochen Boecker, Überlegungen zur Kultpolemik der vorexilischen Propheten: ebd. 1 6 9 - 1 8 0 (Lit.).

Gott II 25 26 27

28 29

625

Vgl. H. Gese 38ff; H.H. Schmid 146ff; H.D. Preuß 120ff. Vgl. den Sammelband zum „Prinzip der Vergeltung"; auch TRE 8,84 und Gericht Gottes. Vgl. Walter Dietrich, Rache: EvTh 36 (1976) 450-472; Norbert Lohfink (Hg.), Gewalt und Gewaltlosigkeit im AT, 1983 (QD 96), bes. 148 ff. Vgl. die sog. Bundesformel „Ich will euer Gott, ihr sollt mein Volk sein" (TRE 12,254). Vgl. THAT 1 und ThWAT 1 zu El, Elohim; s. auch TRE 8,84. Literatur

Außer den „Theologien des A T " (TRE 6,454 f). Bruno Baischeit, Alter u. Aufkommen des Monotheismus in der israelit. Religion, 1938 (BZAW 69) - Frank M. Cross, Art. El: ThWAT 1 (1973) 259-279. - Alfons Deissler, Der Gott des AT: Die Frage nach Gott, 1972 (QD 56), 4 5 - 5 8 . - Walter Eichrodt, Das Gottesbild des AT, Stuttgart 1956. Johannes Hehn, Die bibl. u. die babylonische Gottesidee, Leipzig 1913. - Johannes Hempel, Gott u. Mensch im AT, 2 1936 (BWANT III/2). - Bernhard Lang/Morton Smith/Hermann Vorländer, Der einzige Gott, München 1981. - Norbert Lohfink, Gott: ders., Unsere großen Wörter, Freiburg 1977, 127-144. - Victor Maag, Das Gottesverständnis des AT: ders., Kultur, Kulturkontakt und Religion, Göttingen 1980, 256 - 299. - Monotheismus im Alten Israel u. seiner Umwelt, hg. v. Othmar Keel, 1980 (BiBe 14). - Lothar Perlitt, Die Verborgenheit Gottes: Probleme bibl. Theol.: FS G.v.Rad, München 1971, 367-382. - Henning Graf Reventlow, Die Eigenart des Jahweglaubens als gesch. u. theol. Problem: KuD 20 (1974) 199-217. - Ders., Hauptprobleme der atl. Theol. im 20. Jh., 1982 (EdF 173) (Lit.).-Helmer Ringgren, Art. Elohim: ThWAT 1 (1973) 285-305. - Werner H. Schmidt, Art. El. Elohim: THAT 1 (1971) 142-149.153-167. - Ders., Atl. Glaube in seiner Gesch., 4 1982 (NStB 6). (Lit.). - Hubert Schrade, Der verborgene Gott, Stuttgart 1949. - Horst Seebaß, Der Gott der ganzen Bibel, Freiburg 1982. - Hans Wildberger, Der Monotheismus Deuterojesajas: Beiträge zur Atl. Theol. FS W. Zimmerli, Göttingen 1977, 506-530 = ders., Jahwe u. sein Volk, 1979 (ThB 66), 249-273. - Hans Walter Wolff, Jahwe u. die Götter in der atl. Prophethie: EvTh 29 (1969) 397-416 = Ges. Stud. zum AT, 2 1973 (ThB 22), 418-441. - Erich Zenger, Gott: Die Bibel u. unsere Sprache, Freiburg 1970, 15-34. - Ders., Wie spricht das AT von Gott?: Anton Grabner-Haider (Hg.), Möglichkeiten des Redens über Gott, Düsseldorf 1978, 57-79. Zu 2.1.: Wolfgang Leineweber, Die Patriarchen im Licht der archäologischen Entdeckungen, 1980 (EHS.T 127) (Lit.). - Claus Westermann, Genesis 12-50, 1975 (EdF 48) (Lit.). - Ders., Die Verheißungen an die Väter, 1976 (FRLANT 116). Zu 2.2-3.: Jörg Jeremias, Theophanie, 2 1977 (WMANT 10) (Lit.). - Lothar Perlitt, Bundestheologie im AT, 1969 (WMANT36). - Werner H. Schmidt, Exodus, Sinai u. Mose, 1983 (EdF 191) (Lit.). - Peter Weimar/Erich Zenger, Exodus, 1975 (SBS 75).-Erich Zenger, DieSinaitheophanie, 1971 (fzb 3). - Ders., Israel am Sinai, Altenberge 1982. Zu 2.4.: Patrick D. Miller, The Divine Warrior in Early Israel, 1973 (HSM 5). - Gerhard v. Rad, Der Heilige Krieg im alten Israel, Zürich/Göttingen 1951 5 1969. - Fritz Stolz, Jahwes u. Israels Kriege, 1972 (AThANT 60). - Manfred Weippert, „Heiliger Krieg" in Israel u. Assyrien: ZAW 84 (1972) 460-493 (Lit.). Zu 3.1.: Rolf Knierim, Das erste Gebot: ZAW 77 (1965) 20-39. - Werner H. Schmidt, Das erste Gebot, 1969 (TEH 165). - Ders., Die Frage nach der „Mitte" des AT im Spannungsfeld von Religionsgesch. u. Theol.: „Gott loben - das ist unser Amt." Gedenkschrift Oberlandeskirchenrat D. J. Schmidt, Kiel 1983, 5 5 - 6 5 . Zu 3.2.: TRE 6,521. Horst Dietrich Preuß, Verspottung fremder Religionen im AT, 1971 (BWANT 92). Zu 3.3.: TRE 12,584-586. Zu 4.1.: TRE 6,373 f; 8,528 f. Zu 4.2.: Albrecht Alt, Gedanken über das Königtum Jahwes: KS zur Gesch. des Volkes Israel I, 1953 4 1968, 345-357. - Martin Buber, Königtum Gottes, 1932 3 1956 = ders., Werke II, 1964, 485-723. - Walter Dietrich, Gott als König: ZThK 77 (1980) 251-268. - Otto Eißfeldt, Jahwe als König: ZAW 46 (1928) 81-105 = ders., KS 1,1962,172-193. - Heinrich Groß, Der Universalitätsanspruch des Reiches Gottes nach dem AT: FS E. Schick, 1979, 105-119. - Edward Lipiiiski, La royaute de Jahwe dans la poesie et le culte de l'Ancien Israel, 1965 (VVAW.L 55). - Tryggve D. N. Mettinger, YHWH SABAOTH. The Heavenly King on the Cherubim Throne: Studies in the Period of David and Solomon and other Essays, Tokio 1982, 109-138. - Ders., The Dethronement of Sabaoth, 1982 (CB. O T 18). - Werner H. Schmidt, Königtum Gottes in Ugarit u. Israel, 2 1966 (BZAW 80). - J. Alberto Soggin, Art. mlk „König": THAT 1 (1971) 908-920 (Lit.). - Peter Welten, Königsherrschaft Jahwes und Thronbesteigung: VT 32 (1982) 297-310. Zu 5.1.: Werner Berg, Die Eifersucht Gottes: BZ 23 (1979) 197-211 (Lit.). - Hans Joachim Kraus, Der lebendige Gott: EvTh 27 (1967) 169-200 = ders., Biblisch-theologische Aufsätze, Neukirchen

626

G o t t III

1972, 1 - 3 6 . - H a n s Peter M ü l l e r , Art. qds „ h e i l i g " : T H A T 2 , ( 1 9 7 6 ) 5 8 9 - 6 0 9 (Lit.). - H a n s Jürgen Z o b e l , D e r k a n a a n ä i s c h e Hintergrund der Vorstellung vom lebendigen G o t t : W Z ( G ) . G S 2 4 (1975) 187-194. Zu 5 . 2 . : Edgar Kellenberger, häsäd wa'mät als Ausdruck einer G l a u b e n s e r f a h r u n g , 1982 ( A T h A N T 69) (Lit.). - H a n s Jürgen Z o b e l , Art. batsad: T h W A T 3 (1982) 4 8 - 7 1 (Lit.). Zu 5.3.: J ö r g J e r e m i a s , Die Reue Gottes, 1975 (BSt 6 5 ) . Zu 5.4.: F r a n k C r ü s e m a n n , J a h w e s Gerechtigkeit im A T : E v T h 3 6 (1976) 4 2 7 - 4 5 0 (Lit.). - Klaus K o c h , sdq: T H A T 2 (1976) 5 0 7 - 5 3 0 (Lit.). Zu 6.1.: J . R u f u s Fears, Gottesgnadentum: R A C 11 (1981) 1 1 0 3 - 1 1 5 9 (Lit.). - Ludwig Schmidt, König u. C h a r i s m a im A T : K u D 28 (1982) 7 3 - 8 7 (Lit.). Zu 6.2.: Ulrich K e l l e r m a n n , Messias u. Gesetz, 1971 (BSt 6 1 ) . - J o a c h i m B e c k e r , M e s s i a s e r w a r tung im A T , Stuttgart 1 9 7 7 . - Henri Cazelles, Le messie de la Bible, Paris 1978. - H a r t m u t G e s e , Der Messias: ders., Z u r bibl. T h e o l . , 1977 ( B E v T h 7 8 ) , 1 2 8 - 1 5 1 . - Werner H . Schmidt, Die O h n m a c h t des Messias: ders./Jürgen B e c k e r , Z u k u n f t u. Hoffnung, 1981 (Bibl. K o n f r o n t a t i o n e n 1014), 4 5 - 6 5 . - Klaus Seybold, D a s davidische Königtum im Zeugnis der Propheten, 1 9 7 2 ( F R L A N T 107). Zu 6.3.: Pieter A . H . de B o e r , T h e Son o f G o d in the O T : O T S 18 (1973) 1 8 8 - 2 0 7 . - G e o r g F o h r e r , Art. viÖQ. T h W N T 8 (1969) 3 4 7 - 3 5 4 . - H e r b e r t H a a g , Sohn G o t t e s im A T : T h Q 154 (1974) 2 2 3 - 2 3 1 . - D e r s . , T h W A T 1 (1977) 6 7 7 - 6 8 2 . - Vitus H u o n d e r , Israel Sohn G o t t e s , 1975 ( O B O 6). Werner S c h l i ß k e , G o t t e s s ö h n e u. Gottessohn im AT, 1973 ( B W A N T 97). Zu 7.: J ö r g J e r e m i a s , Die Vollmacht des Propheten im A T : E v T h 31 (1971) 3 0 5 - 3 2 2 . - Ludwig M a r k e r t / G u n t h e r W a n k e , Die Propheteninterpretation: K u D 2 2 (1976) 1 9 1 - 2 2 0 . - D a s Prophetenverständnis in der deutschsprachigen Forschung seit Heinrich E w a l d , hg. v. Peter H . A . N e u m a n n , 1979 ( W d F 3 0 7 ) ( L i t . ) . - J o h a n n M . Schmidt, Ausgangspunkt u. Ziel prophetischer Verkündigung im 8. J h . : VuF 2 2 / 1 (1977) 6 5 - 8 2 . - Werner H . Schmidt, Zukunftsgewißheit u. G e g e n w a r t s k r i t i k . Grundzüge prophetischer Verkündigung, 1973 (BSt 64). - D e r s . , „ R e c h t f e r t i g u n g des G o t t l o s e n " in der B o t s c h a f t der Propheten: Die Botschaft und die B o t e n . FS H . W . Wolff, Neukirchen 1981, 1 5 7 - 1 6 8 . - H a n s Walter Wolff, Die eigentliche B o t s c h a f t der klassischen Propheten: Beitr. zur Atl. T h e o l o g i e . FS W. Z i m m e r l i , Göttingen 1977, 5 4 7 - 5 5 7 . - Walther Z i m m e r l i , Die Bedeutung der großen Schriftprophetie für das atl. Reden von G o t t : Studies in the Religion o f Ancient Israel, 1972 (VT.S. 2 3 ) , 4 8 - 6 4 . Zu 8.1.: H a r t m u t Gese, Lehre u. Wirklichkeit in der alten Weisheit, T ü b i n g e n 1958. - H o r s t Dietrich Preuß, D a s Gottesbild der älteren Weisheit Israels: Studies in the Religion o f Ancient Israel, 1972 (VT.S 23), 1 1 7 - 1 4 5 . - G e r h a r d v. R a d , Weisheit in Israel, Neukirchen 1970 2 1 9 8 2 - H a n s Heinrich S c h m i d , Wesen u. G e s c h . der Weisheit, 1966 ( B Z A W 101). - U m das Prinzip der Vergeltung in Religion u. R e c h t des A T , hg. v. Klaus K o c h , 1972 ( W d F 125). Zu 8.2.: H a n s H o a c h i m Kraus, T h e o l . der Psalmen, 1979 (BK X V / 3 ) . - Z u r neueren P s a l m e n f o r schung, hg. v. Peter H . A . N e u m a n n , 1976 ( W d F 192) (Lit.). Werner H.

Schmidt

III. J u d e n t u m 1. Ausgangspunkte 2 . D i e N a m e n und „der N a m e " G o t t e s 2.1. Umschreibungen, Verschweigen, Vergessen und U m f o r m u n g e n des T e t r a g r a m m s 2 . 2 . Deutungen des T e t r a g r a m m s 2.3. Andere N a m e n 2 . 4 . Bedeutung 3. Wesen, Existenz, Eigenschaften, W i r k - und Daseinsweisen G o t t e s 3 . 1 . Fragestellungen 3.2. L o g o s 3 . 3 . Sekhina 3.4. Attribute und Sefirot 4 . Heilsgeschichtliche Aspekte (Quellen/Übersetzungen/Literatur S. 642) 1.

Ausgangspunkte

D i e B e u r t e i l u n g , d i e d e m j ü d i s c h e n V e r s t ä n d n i s G o t t e s u n d d e r G o t t e s v e r e h r u n g seitens der spätantiken Griechen und R ö m e r sowie der frühchristlichen A u t o r e n widerfuhr, w a r zwiespältig, meistens verzerrt und häufigem Wechsel unterworfen. Z u m geringeren Teil hing dies m i t der M ü h e z u s a m m e n , die die J u d e n h a t t e n , ihre nicht

konformen

A n s c h a u u n g e n und Praktiken der damaligen religiös-kulturellen Welt verständlich

zu

m a c h e n . H a u p t s ä c h l i c h s i n d die D i s k r e p a n z e n z w i s c h e n d e n S i c h t w e i s e n v o n a u ß e n u n d jenen v o n innen a u f die judenfeindlichen Wellen z u r ü c k z u f ü h r e n , die ü b e r die s p ä t a n t i k e Ö k u m e n e g e g e n d i e J u d e n f e g t e n u n d d e r e n G l a u b e n in M i ß k r e d i t b r a c h t e n ( - » A n t i s e m i t i s m u s I.II). M i t A u s n a h m e d e r ü b e l s t e n V e r z e r r u n g e n d e s j ü d i s c h e n G o t t e s b i l d e s

-

„ d e r J u d e b e t e t e i n e n S c h w e i n - G o t t a n " ( P e t r o n i u s : 1. J h . n. C h r . ; S t e r n 1 , 4 4 4 ; ä h n l i c h

G o t t III

627

andere laut J o s e p h u s , Ap 1 1 , 9 1 - 9 6 ; Ant 1 3 , 2 4 3 ; Stern 1 , 1 8 1 - 1 8 5 ) - weisen diese Aussagen a u f echte j ü d i s c h - t h e o l o g i s c h e Besonderheiten hin, wenn m a n sie im Z u s a m m e n h a n g mit frühjüdischen und f r ü h r a b b i n i s c h e n T e x t e n zu interpretieren w e i ß (Goldstein, Stern). Abgesehen von aller antijüdischen A g i t a t i o n wurzelten die Schwierigkeiten und M i ß v e r ständnisse darin, d a ß die J u d e n ihre G o t t e s a u f f a s s u n g e n und G o t t e s v e r e h r u n g mit keinen heidnischen Weltvölkern teilen k o n n t e n ( M o n o l a t r i e ) . D e m e n t s p r e c h e n d beteiligten sie sich auch an (fast) keinem religiösen und kulturellen Ö k u m e n i s m u s , sondern verstanden sich oppositionell als ein einsames V o l k , „ d a s für sich w o h n t und sich nicht zu den V ö l k e r n z ä h l t " ( N u m 2 3 , 9 ; vgl. Est 3 , 8 ; 1 3 , 4 f ; I M a k k 1 , 4 1 - 6 4 u . a . ) . Sie n a h m e n d a f ü r Verfolgungen ( - » D a n i e l b u c h ) und M i ß k r e d i t i e r u n g e n als abergläubiges, fremdenfeindliches, stolzes und götterverhaßtes Volk in K a u f (Belege bei Stern). Auch die H o c h a c h t u n g , die ihnen teilweise wegen ihres bildlosen M o n o t h e i s m u s gezollt w u r d e ( - » B i l d e r III) blieb selten u n g e s c h m ä l e r t . Auch w o h l w o l l e n d s t e Schriftsteller stießen sich an jüdischen Eigenheiten. Augustinus zitiert ( D e c o n s e n s u E v a n g e l i s t a r u m 1,22,30) den r ö m i s c h e n Schriftsteller V a r r o ( 1 1 6 - 2 7 v. C h r . ) , der trotz seiner J u d e n f r e u n d l i c h k e i t die Unvereinb a r k e i t zwischen Y H W H und J u p i t e r nicht h a b e einsehen k ö n n e n : „ S o g a r V a r r o , einer der a u f ihrer Seite stand und bedeutende K e n n t n i s s e über sie h a t t e , d a c h t e , es bestehe kein Unterschied zwischen dem G o t t der J u d e n und J u p i t e r ; er d a c h t e n ä m l i c h , es m a c h e keinen Unterschied aus, mit w e l c h e m N a m e n j e m a n d angerufen w e r d e , wenn die dahinter stehende S a c h e die gleiche s e i " (zit. Stern I , 2 0 9 f ) . M i t d e m Auftreten des Christentums, der G n o s i s und des Islams erhielten die M i ß v e r s t ä n d n i s s e und M i ß k r e d i t i e r u n g e n jüdischer Gottesauffassungen andere F ä r b u n g e n . Sie wurden nun hauptsächlich in heilsund unheilsgeschichtlichen Z u s a m m e n h ä n g e n v o r g e b r a c h t : D i e J u d e n hätten einen zur ü c k g e b l i e b e n e n , erstarrten, „ f l e i s c h l i c h e n " M o n o t h e i s m u s . Auch da blieb das Urteil über die J u d e n mit dem Urteil über ihren G o t t v e r b u n d e n . D e r G n o s t i k e r H e r a c l e o n (2. J h . n. C h r . ) deutete J o h 4 , 2 2 (,Ihr betet an, w a s ihr nicht k e n n t , wir aber beten a n , w a s wir k e n n e n ' ) in einer Weise, die Verfälschung mit Verachtung verband und in diesem Sinne auch für die christliche S p ä t a n t i k e weithin typisch ist: „ M a n d a r f G o t t a b e r auch nicht nach der Art der J u d e n verehren. Sie g l a u b e n , allein G o t t zu k e n n e n und e r k e n n e n ihn d o c h nicht; sie erweisen n ä m l i c h den E n g e l n , d e m M o n a t und d e m M o n d kultische V e r e h r u n g " (zit. V ö l k e r , F r g m . 2 1 ) . Jüdische philosophierende Theologen, Halachisten und Mystiker versuchten zu allen Zeiten, das Besondere und für die Außenwelt Ärgerliche des jüdischen Gottesglaubens zu deuten und prononciert von andern Bekenntnissen abzuheben. „Der Gott des Aristoteles in Ehren, aber der Gott Israels ist er wirklich nicht", formulierte der jüdische Neukantianer Hermann Cohen (1842-1918) (Jakob Guttmann 81). Es gelingt aber keine allseits befriedigende Definition der Besonderheiten, weil jüdisches religiös-theologisches und mystisch-esoterisches Denken starken Schwankungen unterliegt. Auf der einen Seite stehen philosophierende Theologen und Esoteriker, die einer letztlich eigenschaftslosen, nur negativ zu bestimmenden Gottheit das Wort reden. Auf der andern Seite überbieten sich Haggadisten und Esoteriker mit anthropomorphen und anthropopathischen Ausdrücken über Gott, um das unbedingte Vertrauen zu seinen unbegrenzten Kräften und Begegnungsmöglichkeiten zu fördern. Dazwischen melden sich Verteidiger des geschichtsmächtigen Gottes zu Wort. Gott verberge sein Antlitz nicht (nur) zur Strafe; vielmehr sei verborgenes Walten (bester partim) eine Eigenschaft des Gottes Israels, der zu andern Gelegenheiten auch ein „Lächeln auf seinem Antlitz" zeige (Berkovitz 101 f). Wer hinter den vielen innerjüdischen Disputen über Gott, Welt und Geschichte die fundamentale Einheit in der Lehre betonen will, sagt etwa: „Allen Hebräern ist gemeinsam, daß sie Gott als den Einen erkennen" (Josephus, Ant V, 112). Wer die Spannungsverhältnisse zwischen Theorie und Praxis, Intellekt und Intuition im Judentum zu überblicken glaubt, sagt etwa, daß im Judentum „kein Monotheismus einer abstrakten Gottesidee" herrscht, „sondern der Monotheismus einer göttlichen Willensmacht, die als lebendige Realität die Geschichte beherrscht... Die Gemeinschaft mit Gott ist sittliche Willensgemeinschaft" (Julius Guttmann 13). Gott diene somit auch zur Erklärung des jüdischen Gemeindewesens. Er reiche in Struktur und Geschichte seines Volkes hinein. Judentum sei ein „ethischer Theismus" (K. Kohler 18f). Wer die uneinheitlichen Glaubensversuche jüdischer Theologen und Ekstatiker im Blick hat, redet vom „erfahrungstreuen Denken", das eine Einheit trotz aller verschiedenen Ansätze herstelle (Rosenzweig, K. Sehr. 530). Wer um die Gottinnigkeit jüdisch-religiöser Genies und um die ihnen entgegenkommende Offenba-

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Gott III

rung Gottes weiß, bezeichnet die dialogischen Relationen zwischen Gott und Mensch als Bundesbeziehungen oder als Panentheismus (Hartshorne/Reese 1 6 5 - 2 1 0 ; Jacobs, Principles 7 9 f ) und den hauptsächlichen jüdischen Glaubensakt als müna, d. h. als Haltung des Vertrauens, Zutrauens, im Gegensatz zum Für-Wahr-Halten eines Glaubensinhaltes ( - » B u b e r ; Urbach 21).

Die jüdischen Besonderheitsaussagen über Gott sind immer im Rahmen eines komplizierten Beziehungsgeflechts zu deuten. Sie enthalten Anknüpfungen und Widersprüche nach außen - den Völkern gegenüber - und nach innen - der eigenen Geschichte und den konkurrierenden jüdischen Deutungsgruppen gegenüber. Sie sind polemisch gegen das -»Heidentum, das als götzendienerische und bedrohende Macht gesehen wird. Gegenüber —>Gnosis, Christentum, -»Islam und moderner entmythologisierender Theologie sind sie anknüpfend und widersprechend. Opposition und Zustimmung nach außen erhalten ihre Färbung nicht nur von fremden Glaubenssystemen her, sondern auch von der eigenen Notwendigkeit, sich als Minderheit der dominanten christlichen und islamischen Theologie/Philosophie gegenüber geistig zu behaupten. Andererseits sind jüdischtheologische Aussagen auch nach innen gerichtet. Sie sind z. B. Oppositionen gegen jüdische Auffassungen von der Körperlichkeit Gottes oder sie sind Apologien biblischer und rabbinischer Traditionen, die philosophisch als nicht akzeptabel gelten. Um diesen und andern Problemkreisen und Zusammenhängen einigermaßen gerecht zu werden, ist zunächst von den in der jüdischen Tradition heimischen Namen Gottes, besonders vom Tetragramm, zu sprechen. Die Namen Gottes sind ja Ausdruck und Ausfaltung der Gottesoffenbarung an Israel am Horeb und Sinai; ihre „Verwendung" in der jüdischen Geschichte zeigt wie nichts anderes das besondere Kolorit der jüdischen Gottesbeziehung. Dann geht es um das Daß, das Was, das Wie und das Warum Gottes (d.h. um Wesen, Existenz, Eigenschaften, Wirk- und Daseins weisen Gottes). Heilsgeschichtliche Aspekte des jüdischen Gottesglaubens weisen auf die partikulare und universale, innergeschichtliche und endgeschichtliche Dynamik jüdischer Traditionen hin. Bei allen Untersuchungen ist zu unterscheiden zwischen rationalen, mystischen und gesetzlichen Formulierungen der jüdischen Theologie, die die „Baublöcke allen jüdischen Denkens" sind (Neusner, Understanding l f ) . 2. Die Namen

und „der Name"

Gottes

Nach rabbinischer Auffassung hat Gott siebzig Namen. Diese seien als Wundermacht im Stab des Mose eingraviert gewesen und hätten die Feinde Israels verwirrt und in Schrecken versetzt (Ps-PesK 3, ed. Mandelbaum 1,36; zu Ex 17,9ff). Davon haben mindestens sieben — die Tradition schwankt zwischen sieben, zehn und elf — einen besonderen Heiligkeitsgrad. Einmal niedergeschrieben, dürfen sie nicht mehr ausgelöscht werden; außerdem ist man, wenn man sich auf sie beruft, verpflichtet, die Wahrheit zu sagen und seine Versprechen zu halten (mShevu 4,13; bSehvu 35a). Zu diesen Gottesnamen gehören u. a. YHWH, Adonai, El, Eloha, Elohim, Schaddai und Zeba'öt. Bisweilen gelten YHWH und Adonai als ein und derselbe Name, bisweilen werden sie unterschieden; gleiches gilt für YHWH und 'eheye 'aser 'eheye (Ex 3,14; Rahmer). Die mystisch-esoterische Tradition redet von zweiundsiebzig Namen Gottes. Diese sind den zwölf Stämmen Israels zugeordnet, von denen jeder Stamm sechs Namen-Potenzen hat (6 x 12) (Bahir §63). Diese zweiundsiebzig Namen kann man auch durch vierundzwanzigmalige Permutierung des im Priestersegen (Num 6,24 ff) dreimal vorkommenden Tetragramms (3 x 24) herausbekommen (Bahir §76; vgl. §80). Unter allen Gottesnamen ragt nach Auffassung aller jüdischen Traditionen das Tetragramm an Heiligkeit, Kraft und Rätselhaftigkeit heraus. YHWH ist der Exklusiv- und Intimname, den Gott mit den Engeln, dem ersten Menschen und den Israeliten vereinbart hat (PesK 4,3). Die Basis zur Deutung des Tetragramms bildet Ex 3,14, wobei besonders Ex 20,2 f; Dtn 6,4 und Sach 14,9 ergänzend beigezogen werden. Mit Hinweis auf Ex 3,13, wo es nicht heißt:,welcher (mi) ist sein Name', sondern ,was (mä) ist (oder bedeutet) sein Name', wird bisweilen betont, YHWH sei kein Name Gottes, sondern entweder der

Gott III

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Ausdruck dafür, daß es keinen Gottes Wesen treffenden Namen gibt (Philo, VitMos 1,75) oder (häufiger), daß das Tetragramm das Schlüsselwort sowohl für Gottes Unerreichbarkeit sei als auch für sein sich allmählich enthüllendes Engagement im Rahmen des Volkes Gottes (B. Jacob). Im Hauptstrom der jüdischen Tradition wird YHWH als wirklicher Name verstanden, als heiligster und wirkkräftigster, was u.a. durch die häufigste Umschreibung: has-sem, der Name, illustriert wird (—»Jahwe). 2.1. Umschreibungen, Verschweigen, Vergessen und Umformungen des Tetragramms. Einige Zeit nach dem babylonischen -»-Exil wurde YHWH in Palästina, besonders wenn es um biblische und gottesdienstliche Texte ging, häufig mit Adonai, der Herr, wiedergegeben. Die LXX-Übersetzung übernahm diesen „Verdeckungsnamen", indem sie YHWH mit Kyrios wiedergab. In dem die L X X akzeptierenden Judentum faßte man die Vermeidung des YHWH-Wortlautes wohl rigoroser auf als im gleichzeitigen palästinischen Judentum (vgl. E x 20,24; Lev 24,16 in M T u. in L X X ) . Daß dafür die Abwehr vor ägyptischer und anderwärtiger Namen-Magie ein Hauptmotiv war, ist unbestritten. Auch apotropäisches Denken spielte in Palästina und in der Diaspora eine Rolle. Schon in der Mosezeit hatte sich YHWH unter Umständen als gefährlich-unberechenbar erwiesen (Ex 4 , 2 4 - 2 6 ) . M a n stellte sich nun vor, ein zu häufiges Aussprechen des Namens YHWH könnte - auch im Tempelbereich - Unheil und Tod bringen. Die in bYom 39 b und tSot 13,8 tradierte Erzählung über den Hohenpriester Simon den Gerechten (um 180 v. Chr.) könnte eine in vorchristliche Zeit zurückreichende Reminiszenz sein. Der Hohepriester starb bald nach dem Versöhnungstag, an dem er den Namen YHWH ausgesprochen hatte. Darauf unterließen die Priesterbrüder das Aussprechen des Tetragramms für einige Zeit. Die Bemühungen gingen in Palästina und in der Diaspora dahin, YHWH nur noch im Jerusalemer Tempelbereich in sakralen Zusammenhängen auszusprechen und auch da Einschränkungen zu verordnen. Auch Erklärungen des Tetragramms an Auswärtige waren verpönt. -»Josephus Flavius meint bei seiner Erzählung über E x 3,14, es gezieme sich für ihn nicht, über diesen Exklusivnamen zu sprechen. Er deutet auch den Grund an: Mose habe durch diesen Namen Kraft zur Wunderwirkung erhalten (Ant 2,276). Man befürchtete also die Zerredung und den magischen Mißbrauch durch Unberufene. In den beiden Jahrhunderten vor und nach Chr. (bis 7 0 n.) verlief die Auseinandersetzung, wo, wann und wie YHWH ausgesprochen werden dürfe, nicht nur auf halachisch-sachlicher Ebene. Die jüdischen Religionsparteien verbanden sich mit wechselndem Erfolg mit den herrschenden Hasmonäern und Herodiern und gewannen so Einfluß in das mit dem Namen YHWH verknüpfte Frömmigkeitsleben. Dabei machten sich besonders der „pietistische" Geist der „frühen Hasidim"/Asidäer (I M a k k 2,42: 7 , 1 2 f : vgl. Dan 1 1 , 3 3 - 3 5 ; mBer 5,1) und die in den Synagogen und im Tempel Einfluß gewinnenden -»Pharisäer, die sich als geistige Nachfahren der „frühen l}asidim"" verstanden, bemerkbar. In der den Pharisäern zuzuschreibenden -»Fastenrolle wird wohl in Anspielung auf den Regierungsantritt der Hasmonäerin Alexandra Salome ( 7 6 - 6 7 ) , der dritte Tag des M o n a t s Tisri als Freudentag genannt, „denn an ihm wurde die Erwähnung [des Namens YHWH] aus den Dokumenten herausgenommen." Die Pharisäer waren auch dafür verantwortlich, daß im Achtzehngebet YHWH unerwähnt blieb ( - » F e s t e und Feiertage III, - » G e b e t III). Es gab also Auseinandersetzungen gegen die priesterlichen -»Sadduzäer, die den Namen YHWH im Tempelbereich weniger beschränken wollten. Ihnen gegenüber wollten die Pharisäer eine restriktive Verwendung in gleichem M a ß im Tempel und in den Bethäusern Jerusalems durchsetzen. In den letzten J a h r e n des Tempelbestandes fand der chasidisch-pharisäische Geist auch innerhalb der Priesterschaft Anklang. Die rabbinischen Belege hierfür sind SifZuta 25, yYom 4 0 d und am ausführlichsten b Q i d 7 1 a . In bQuid 7 1 a findet sich u . a . eine Baraita über R a b b i Tarfon, der den Tempelkult noch erlebt hatte. Dieser erzählte, er habe in seiner Jugend mit seinem Onkel auf der Estrade (offenbar im Tempelhof) geweilt. „Ich neigte mein O h r zum Hohenpriester. D a hörte ich, daß er ,den N a m e n ' bei der Melodie der Priesterbrüder,verschluckte' (hi.v.W c ). Die formale Begründung für diese Verundeutlichung der Aussprache des Namens YHWH wurde aus E x 3,13 genommen. M a n verstand den sich dort findenden Ausdruck le'olam [ = für immer] als lecalem [ = zu verbergen]. G o t t h a b e seinen besonderen Namen nicht nur geoffenbart, sondern er habe auch aufgetragen, ihn vor „ S p a l t e r n " und andern Trägern des Mißbrauchs zu verbergen. So verblieb in den letzten Tempeljahren einzig das laute und deutliche Aussprechen des Namens YHWH durch den Hohenpriester unumstritten, ja dieses wurde zu einer seiner zentralen Funktionen. Am Versöhnungs-

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G o t t III

tag sprach er den Namen zehnmal laut aus, man habe dies zeitweise bis nach Jericho gehört (mTam 3,8; yYom40d). Sein Gebet, in dem YHWH genannt wurde, war Sühne bewirkend (mYom 3,8; 4,2; 6,2). Die Priester dagegen verwischten die exakte Aussprache bei ihrem täglichen Segensgesang und bei ihren Prozessionsgesängen um den Altar herum (mSuk 4,5; mTam 7,2). Die dahinter stehende Furcht vor Mißbrauch führte dazu, daß immer weniger Leute wußten, welches nun der vokalische und konsonantische Bestand des Tetragramms sei (zum ganzen vgl. Alon). N a c h der T e m p e l z e r s t ö r u n g führten die R a b b i n e n die a n g e b a h n t e n R e s t r i k t i o n e n weiter: „ D e n vierbuchstabigen G o t t e s n a m e n überlieferten die Weisen einmal ihren S c h ü l e r n " ( b Q i d 7 1 a ) . Als allgemeine R e g e l u n g blieb, d a ß der N a m e nur in - » J e r u s a l e m seinem W o r t l a u t nach ausgesprochen werden durfte. A u ß e r h a l b J e r u s a l e m s sei er durch U m s c h r e i b u n g e n ( k i n n u y y i m ) zu ersetzen ( M e k h Y zu 2 0 , 2 4 ; S i f B e m 3 9 ) . D a aber die G e f a h r m a g i s c h e n M i ß b r a u c h s und der Verwirrung m ä c h t i g anstieg (Blau, Z a u b e r w e s e n ) und da a u c h die S a m a r i t a n e r eine eigene F o r m der A u s s p r a c h e pflegten, findet sich a u c h ein r a b b i n i s c h e r A u s s p r u c h , in d e m das V e r b o t des e x a k t e n Aussprechens a b s o l u t ausgedrückt ist (mSan 10,1). M a n deutete diesen Spruch ( „ K e i n e n Anteil an der k o m m e n d e n Welt h a t , w e r den G o t t e s n a m e n mit seinen B u c h s t a b e n a u s s p r i c h t " ) aber bald relativ: Dies gelte „ n u r für die Provinz und für die S p r a c h e cagä" (bSan 1 0 1 b ; ySan 2 8 b). M i t der „ S p r a c h e cagä" ist w o h l die s a m a r i t a n i s c h e Weise des A u s s p r e c h e n s von YHWH gemeint. M a n w a r der M e i n u n g , die S a m a r i t a n e r sprächen den N a m e n YHWH verderbt aus, und dies k ö n n e als U m s c h r e i b u n g gewertet werden. Als weitere V o r s i c h t s m a ß n a h m e vor N a m e n s e n t w e i h u n g versuchte m a n das T e t r a g r a m m durch vor-, zwischen- und nachgestellte B u c h s t a b e n schützend einzufassen. In diesem Sinn ist z . B . in b Q i d 7 1 a von d e m 12- und 4 2 - b u c h s t a b i g e n , in PesK 5 , 1 1 ( M a n d e l b a u m I 100) v o m 7 2 - b u c h s t a b i g e n N a m e n die R e d e , der wie das T e t r a g r a m m vor Unwürdigen zu schützen sei. Auch die mystische T r a d i t i o n k e n n t den 7 2 - b u c h s t a b i g e n ausgezeichneten N a m e n , der dort aus bizarr a n m u tenden W o r t k o m b i n a t i o n e n gebildet wird (Bahir § 8 1 ) . Ü b e r diese ausgeweiteten T e t r a g r a m m e g a b es bereits in t a l m u d i s c h e r Z e i t T h e o r i e n , die U n k e n n t n i s über deren H e r kunft und A u s s p r a c h e vermuten lassen ( b H a g 12 a). Alle B e f ü r c h t u n g e n und Vorsichtsm a ß n a h m e n förderten eine E n t w i c k l u n g , die schon im beginnenden 3. J h . zum Vergessen des W o r t l a u t s des T e t r a g r a m m s führte. Vermutlich benützte bereits B i s c h o f A t h a n a s i u s ( 2 9 6 - 3 7 3 ) das p o l e m i s c h e A r g u m e n t , die J u d e n h ä t t e n die g e n a u e Aussprache des T e t r a g r a m m s schuldhaft vergessen und verloren ( T h o m a , Beziehungen 1 2 4 - 1 2 8 ) . 2.2. Deutungen des Tetragramms. D e r Verlust der K e n n t n i s der genauen A u s s p r a c h e des T e t r a g r a m m s h a t t e bedeutende F o l g e n für T h e o l o g i e und F r ö m m i g k e i t s l e b e n . D e r Weg zu vielerlei U m s c h r e i b u n g e n , U m d e u t u n g e n , G e b ä r d e n s o w i e t h e o s o p h i s c h e n und h i s t o r i o s o p h i s c h e n S p e k u l a t i o n e n w a r d a m i t geöffnet. M a n hat im spätantiken und mittelalterlichen jüdischen S c h r i f t t u m ü b e r 8 0 Substitute des T e t r a g r a m m s gefunden ( T r a c h tenberg 2 8 8 ) . Sie reichen von Vertauschungen der K o n s o n a n t e n des T e t r a g r a m m s ü b e r das S c h r e i b e n von nur drei oder weniger K o n s o n a n t e n bis zu vielfältigen V e r w e n d u n g e n und A b w a n d l u n g e n des häufigsten E r s a t z a u s d r u c k s „ d e r N a m e " . S c h o n in m i s c h n i s c h e r Z e i t k o m m t z . B . die Verschmelzung und verkürzte W i e d e r g a b e der N a m e n YHWH und Adonai durch die B u c h s t a b e n Alef, D a l e t , Yod und H e (bShevu 3 5 a) vor. Seit Samuel ben M e i r ( 1 0 8 5 - 1 1 6 0 ) ist vielfach der a u f Vertauschung der vier K o n s o n a n t e n b e r u h e n d e A u s d r u c k „Hawayä" (He, Waw, Yod, He) g e b r ä u c h l i c h . D i e wichtigste A b w a n d l u n g des E r s a t z a u s d r u c k s has-sem (der N a m e ) ist has-sem ham-meforas (der ausgeführte N a m e ) . Vermutlich meinte dieser A u s d r u c k ursprünglich den N a m e n , wie ihn - > M o s e m i t all seinen v o k a l i s c h e n und k o n s o n a n t i s c h e n Feinheiten a m Sinai g e h ö r t hat (vgl. m Y o m 6 , 2 ; b H a g 16 a). A b e r schon Blau (124) k l a g t , m a n wisse über den Sinn dieses E r s a t z a u s d r u c k s „ n i c h t m e h r aus und ein - vor lauter E r k l ä r u n g e n " . E b e n f a l l s häufig k o m m e n vor: hassem hag-gadol (der g r o ß e N a m e ) , has-sem ham-meyühad (der ausgezeichnete N a m e ) , has-sem han-nikhbad (der verehrungswürdige N a m e ) und has-sem ben 'arbac 'ottiyot (der v i e r k o n s o n a n t i s c h e N a m e ) . Alle B u c h s t a b e n v e r t a u s c h u n g e n und U m s c h r e i b u n g e n des N a m e n s YHWH und seiner E r w e i t e r u n g e n sind A u s d r u c k eines im J u d e n t u m speziell

G o t t III

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zugespitzten N a m e n - und W o r t g l a u b e n s ( M a i e r , Religion 1 9 4 f f ) . J e n s e i t s dieses W o r t glaubens und den in seinem Umfeld blühenden W o r t - , N a m e n - und Z a h l e n s p e k u l a t i o n e n (-»•Buchstabensymbolik) standen a b e r auch intensive B e m ü h u n g e n , den Sinn von E x 3 , 1 4 , bzw. des T e t r a g r a m m s , zu h e b e n . In der hellenistischen und hellenisierenden T r a d i t i o n w i r k t e die L X X - D e u t u n g von E x 3 , 1 4 („Ich bin der Seiende) nach (vgl. Philo, V i t M o s 1,75). Einerseits beeinflußte diese platonisierende D e u t e t r a d i t i o n auch mittelalterliche jüdische S c h o l a s t i k e r und m o d e r n e jüdische M y s t i k e r . Anderseits w a r sie aber a u c h „ i m eigenen L a g e r " nicht unumstritten. B e k a n n t e s t e s Beispiel einer die L X X a u f n e h m e n d e n und korrigierenden Auffassung ist A p k 1,4: „ I c h bin der Seiende, der ,er w a r ' und der K o m m e n d e " . D a s erste Glied der triadischen Aussage ist eine B e j a h u n g der L X X ; das zweite und dritte Glied modifiziert die L X X durch H i n w e i s a u f das k o n k r e t g e s c h i c h t l i c h e und endgeschichtliche H a n d e l n G o t t e s . Eine a n d e r e K o r r e k t u r der L X X - A u f f a s s u n g findet sich in der von einem byzantinischen J u d e n verfaßten mittelalterlichen Bibelübersetzung, der Graecus Venetus: „Ich bin der ins Sein S e t z e n d e " (ö övroziig-, causative F o r m , v o m h e b r . hif. übertragen; D o r n seiff 121). Es findet sich eine Fülle von Andeutungen über den Sinn des Tetragramms bzw. von Ex 3,14 im rabbinischen Schrifttum. Teilweise finden sie sich in Diskussionen über Tempelgebete, in denen YHWH vorkommt. Aus einem Vergleich zwischen mSuk 4,5 (YHWH-Anrufung am Laubhüttenfest) mit der dazugehörigen palästinischen Gemara (ySuk 54 c) kann man z. B. schließen, daß die meisten rabbinischen Aussagen über das Zusammensein Gottes mit den Israeliten in der Not TetragrammDeutungen sind (Gießener Mischna zu mSuk 4,5). Diese Vermutung paßt in die jüdische Deutetradition von Ex 3,14, wo häufig davon die Rede ist, Gott habe am Horeb versprochen, in aller künftigen Not helfend bei den Israeliten zu sein. - Der Targum Onkelos läßt 'eheye 'aser 'eheye unübersetzt, was darauf hindeutet, daß man in rabbinischer Zeit diesen dreigliedrigen Begriff als unantastbare heilige Einheit betrachtete. D i e erste u m f a s s e n d e Z u s a m m e n s t e l l u n g der wichtigsten, bereits im t a l m u d i s c h e n S c h r i f t t u m v o r k o m m e n d e n D e u t u n g e n von YHWH, findet sich im M i d r a s c h w e r k S h e m R zu E x 3 , 1 4 . D e n diversen D e u t u n g e n ist ein t h e o s o p h i s c h - h i s t o r i o s o p h i s c h e s G r u n d p r i n zip vorgelagert: „ D e r Heilige, gepriesen sei er, sagte zu M o s e : M e i n e n N a m e n willst du wissen? E n t s p r e c h e n d meinen T a t e n werde ich g e n a n n t ! " Dieses Prinzip entspricht inhaltlich d e m Satz der S t o a : „Unum esse deum, cuius nomina variantur pro actibus et officiis" (Amir; vgl. a u c h M e k h Y zu E x 2 0 , 2 , S. 2 1 9 f). D a m i t wird allen Versuchen, G o t t n u r transzendent zu sehen, oder die E r k e n n t n i s seines D a s e i n s allein von dialektischer D e n k k r a f t a b h ä n g i g zu m a c h e n , eine A b s a g e erteilt. M a n werde wissen, d a ß es YHWH ist, w e n n er „ m i t dir sein w i r d " (vgl. E x 3 , 1 2 ) . Dieses hilfreiche Dasein YHWHs erstreckt sich a u f alle Z e i t e n und breitet sich a l l m ä h l i c h mit z u n e h m e n d e r Intensität aus. Es sei grundlegend als b a r m h e r z i g e s H a n d e l n G o t t e s zu c h a r a k t e r i s i e r e n . M i t Anspielung auf E x 3 4 , 6 wird daher gesagt: „ W e n n ich m i c h über meine Welt e r b a r m e , werde ich YHWH g e n a n n t . YHWH bedeutet nichts anderes als das M a ß der B a r m h e r z i g k e i t . " D e m g e g e n ü b e r weden a n d e r e N a m e n G o t t e s mit andern W i r k w e i s e n G o t t e s in Z u s a m m e n h a n g g e b r a c h t : „ W e n n ich die G e s c h ö p f e richte, werde ich E l o h i m g e n a n n t . Wenn ich Krieg gegen die Frevler führe, w e r d e ich Z e b a o t g e n a n n t . W e n n ich die Sünden der M e n s c h e n verurteile, w e r d e ich El S c h a d d a i g e n a n n t . " Die in Ex 3,14 vorkommende Dreigliedrigkeit des Namens YHWH: 'eheye 'aser 'eheye wird in ShemR zu Ex 3,14 vierfach verstanden. Zunächst: „Ich, der ich war, ich, der ich jetzt bin, und ich, der ich in der Zukunft sein werde." Diese von Rabbi Yizhaq vorgebrachte Deutung ist wohl gegen platonisierende Seinsdeutungen des Tetragramms gerichtet. Demnach erstreckt sich das hilfsbereite Da-Sein Gottes auf die ganze dreigestufte Weltgeschichte bis hin zum Eschaton, wobei weder die Heilsvergangenheit noch die Heilsgegenwart noch die Heilszukunft unerwähnt bleiben dürfen. Eine zweite Deutung aufgrund der Dreigliedrigkeit des Tetragramms besteht in Hinweisen auf Ähnlichkeiten in der Bedrückung zwischen der jetzigen (d. h. damaligen) ägyptischen Knechtschaft und den späteren Bedrückungen durch die Weltvölker (Assyrer, Babylonier, Griechen, Römer). YHWH werde in allen Unterdrückungen immer barmherzig-hilfreich da sein; aber es wäre für die Israeliten niederdrückend, wenn sie von Mose bereits jetzt auf zukünftige Bedrückungen hingewiesen würden:

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„In dieser Knechtschaft werde ich mit ihnen sein, und in jener Knechtschaft, in die sie hineingeraten werden, werde ich mit ihnen sein! Mose sprach vor ihm: Soll ich ihnen dies so sagen? Die Not dieser Stunde ist doch genug für sie! Da sprach der Heilige, gepriesen sei er: N e i n . . . Dir offenbare ich es (sc. die künftige Not) - ihnen offenbare ich es nicht." Eine dritte Deutung ging vor allem vom mittleren Wort 'aser in Ex 3,14 aus: Ich werde vorläufig nur für jene barmherzig sein, die mir dienen, nämlich für die besonders Erwählten bzw. für die religiöse Elite (hayyehidim). Für die Masse (ham-merüvim) komme demgegenüber zunächst nur der Zorn Gottes in Frage - „bis ihre Zähne gebrochen sein werden". Hier bricht sich eine Tendenz Bahn, das barmherzige Mit-Sein Gottes stark zu relativieren. Eine vierte Deutung sieht in YHWH den Allverursacher, der vorsehlich alles lenkt. Alles geschieht „so wie ich will". Mit YHWH sei somit der souveräne Wille und die exklusive Macht Gottes gemeint. Die in ShemR zu Ex 3,14 gegebenen Deutungen werden im Mittelalter aufgegriffen und weitergeführt. Raschi (1040-1105) deutet Ex 3,14 im Sinne von bBer 9 b und ShemR: „Ich werde mit ihnen in dieser Not sein, und ich werde ihnen auch in der Sklaverei unter den Weltvölkern beistehen. Auch er bezeugt des Mose und Gottes Zurückhaltung, den Israeliten das zukünftige Leid jetzt schon zuzumuten. Mose sagte: Was soll ich sie bereits an die kommenden Leiden erinnern? Sie haben schon genug an der gegenwärtigen Not! Gott antwortete: Gut! Sage nur ,'eheye' hat mich gesandt" (Kommentar z. Tora z.St.). Jehuda Hallevi (1083-1145) sieht im Tetragramm Erwählung und Wirkkraft enthalten: „Dieser Name kommt nur uns (Juden) allein zu, weil niemand außer uns seine wahre Bedeutung k e n n t . . . Dieser Name gehört mithin zu der Summe der Vorzüge, durch die wir ausgezeichnet sind. Seine Bedeutung bleibt verborgen, aber die zu seiner Zusammensetzung bevorzugten Buchstaben..., Alef, He, Waw, Yod, sind es, welche die Ursachen der Lautbarwerdung sämtlicher Buchstaben bilden, da man keinen Buchstaben aussprechen kann, die nicht von Alef, He, Waw, Yod verstärkt worden sind. Sie bilden den Geist, die übrigen Buchstaben den Körper... Seine (sc. des Tetragramms) Bedeutung ist, den Grübelsinn vom Tasten über die der Erkenntnis unfaßbare wahre Wesenheit Gottes fernzuhalten" (Kusari IV,3). Traditionell rabbinisch klingt die Deutung von Ex 3,14 durch den Traditionskenner und Kabbalisten -»Mose ben Nachman (1194-1268). Er sieht in YHWH den Namen der Barmherzigkeit, „der mit vollem Beweis auf das Dasein Got (ham-mezi'üt) und auf die Vorsehung (hahasgaha) hinweist. Gott habe dem Mose jedoch nur den Anfang seines Namens kundgetan, „denn die Frage des Mose betraf ja nur das Wissen um die Wege des Herrn aus seinem Namen heraus". Die wirkliche Tiefe der Wege Gottes aber könne niemand ausloten. „Mit diesem Namen werde ich (sc. Gott) mit den Menschen zusammen sein: gnädig und barmherzig" (Perüse hattora 1,391 f). Außerdem ist das Tetragramm für Mose ben Nachman jener Name, „der allein auf die Einheit (Gottes) hinweist" (a.a.O. I 293). D i e mittelalterlichen jüdischen Religionsphilosophen, die die aristotelische Tradition mit platonischen Blickpunkten mischten, vertraten eher statisch-geschichtsferne Deutungen. In seiner arabischen Ubersetzung des Pentateuchs deutete ->Saadja G a o n ( 8 9 2 - 9 4 2 ) Ex 3,14 mit: „Er, der nicht vergangen ist und nicht vergehen wird, Er, der Erste und Er, der Letzte". N a c h - > M o s e ben M a i m o n ( 1 1 3 5 - 1 2 0 4 ) ist in Ex 3,14 „der Seiende, der existiert" gemeint, d . h . „dessen Existenz notwendig ist" (More 1,63). In seinem erfahrungsfernen Seinsdenken steht er in einer Tradition, die v o n der L X X über - » P h i l o v. Alexandrien bis zu den neuplatonisierenden Aristotelikern führt. In der jüdischen —»-Mystik der nachmaimonidischen Zeit, die eine schwer zu entwirrende Kombination zwischen Ekstatik-Irrationalität und einem rationalsymbolischen Systemdenken war, nahm die Ausfaltung, A b w a n d l u n g und N e u d e u t u n g des Tetragramms kosmisch-transkosmische A u s m a ß e an. Im Buch Bahir (12./13. Jh.) wird im Anschluß an das ältere Sefer ->Jesira (I V4) gesagt, dieser N a m e sei im himmlischen Heiligtum, das urbildhaftes Gegenstück zum irdischen Tempel sei, „speziell ( m e y ü h a d ) geheiligt" (§47). Dementsprechend gilt: „Jeder, der ihn in Reinheit bewahrt und in Reinheit und Heiligkeit ausspricht, dessen Gebete werden alle a n g e n o m m e n , und nicht nur dies, sondern er ist beliebt oben und beliebt unten, a n g e n e h m o b e n und angenehm unten, und ihm wird sogleich Erhörung und Hilfe zuteil" (§ 80). Laut dem Sefer Hay-yasar (12./13. Jh.) bedeutet die Erschaffung der Welt „ die Vollkommenheit des göttlichen N a m e n s " (ed. C o h e n 17). N a c h M o s e ben N a c h m a n (Perüse hat-tora, Einl.) und d e m Z o h a r (Hauptwerk der - • K a b b a l a mit z.T. k a n o n i s c h e m Ansehen: ca. 1 2 6 0 - 1 3 0 0 ) ist die ganze Tora im N a m e n Gottes enthalten; sie ist daher die Ausfaltung und Realisierung dieses Namens: „Jedes Wort ist aber - das ist die Grundansicht aller mystischen Sprachtheorie - N a m e G o t t e s " (Scholem, Geheimnisse der S c h ö p f u n g 28 f). In den Aufzeichnungen des Kabbalisten

G o t t III

633

C h a i m V i t a l ( 1 5 4 3 - 1 6 2 0 ) über die E i n s i c h t e n und Enthüllungen des Isaak Luria ( 1 5 3 4 - 1 5 7 2 ) werden F e u e r , Wasser, Luft und E r d e mit den vier B u c h s t a b e n des T e t r a g r a m m s symbolisch identifiziert: „ S i e sind die vier B u c h s t a b e n des T e t r a g r a m m s " (Sa c ar hag-gilgulim 18.51). D a r a u s sei e r k l ä r l i c h , d a ß alles G e s c h ö p f l i c h e entstanden sei und aus den vier Elementen bestehe. D a m i t erreicht die m y s t i s c h e S p e k u l a t i o n über das T e t r a g r a m m die w o h l äußerste M ö g l i c h k e i t der K o n k r e t i s i e r u n g des T e t r a g r a m m s . D i e heutige jüdische M y s t i k bezieht ihre T h e o s o p h i e n und H i s t o r i o s o p h i e n nicht nur aus der innermystischen T r a d i t i o n , sondern n i m m t bei ihrer Y H W H - D e u t u n g auch Anleihen bei - » M o s e ben M a i m o n , dem P i a t o n i s m u s und der r a b b i n i s c h e n T r a d i t i o n . So deutet neuerdings S. S o l o v e i t c h i k das T e t r a g r a m m teilweise in m a i m o n i d i s c h e r M a n i e r : „ H a w a y a h bedeutet ewiges Sein, E x i s t e n z . Es ist eine verkürzte F o r m von ,er w a r ' ( h a y a ) , ,er ist' (bowe), ,und er wird sein' ( w e - y i h e y e ) . D i e s bestätigt, d a ß seine Existenz die g e s a m t e Vergangenheit, die G e g e n w a r t u n d die unendliche Z u k u n f t u m f a ß t . G o t t ist E x i s t e n z , und die Welt wird nur durch G o t t e s Sein aufrecht erhalten; die Welt ist eine Ausweitung seiner E x i s t e n z , oder, g e n a u e r , sie hat Anteil an seinem S e i n " (Besdin 15). In Soloveitchiks Deutung fließt auch jüdisch-esoterisches E m a n a t i o n s d e n k e n mit ein. D i e Welt ist P r o d u k t der E i n s c h r ä n k u n g und des A u s s t r ö m e n s von G o t t e s K r a f t . Sie ist R e p r ä sentation und Ausfaltung des N a m e n s G o t t e s . In der Neuzeit h a b e n im a u ß e r m y s t i s c h e n B e r e i c h besonders die Übersetzungen von E x 3 , 1 4 durch M o s e s - » M e n d e l s s o h n ( 1 7 2 9 - 1 7 8 6 ) , S a m s o n R a p h a e l - » H i r s c h ( 1 8 0 8 - 1 8 8 8 ) und Franz - » R o s e n z w e i g ( 1 8 8 6 - 1 9 2 9 ) / M a r t i n - » B u b e r W i r k u n g g e h a b t . Mendelssohn übersetzte Ex 3,14 so: „Gott sprach zu Mosche: Ich bin das Wesen, welches ewig ist. Er sprach nämlich: So sollst du zu den Kindern Jisraels sprechen: Das ewige Wesen, welches sich nennt: ich bin ewig, hat mich zu euch gesendet" (Pentateuchübers. 1 7 8 0 - 8 3 ; z.St. vgl. auch den dazugehörigen Biur). Mit der Wiedergabe von YHWH mit „der Ewige" geht Mendelssohn höchstens am Rande mit der biblischen Tradition einig (vgl. ö aimviog in Bar 4,8.14.20.22.35; 5,2). Außerdem greift er damit eine auf Johannes —»Calvin zurückgehende Übersetzungstradition auf. Dieser hatte in seinem Hexateuch-Kommentar (1564) für YHWH das Wort l'Eternel gebraucht. Mendelssohn verstand diesen Ausdruck als auf die allzeit gegenwärtige Vorsehung hinweisend. Damit glaubteer sich in guter jüdischer Tradition befindlich. Anderseits signalisierte der Begriff „der Ewige" eine Hinwendung zu einem abstrakten philosophischen Gottesbegriff (zur Kritik an Mendelssohn vgl. bes. Franz Rosenzweig, Kl. Sehr. 1 8 2 - 1 9 8 ) . Samson Raphael Hirsch wendet sich in seiner Pentateuchübersetzung gegen Mendelssohn. „Der Ewige" entspreche dem Tetragramm „nicht im entferntesten". Er stellt demgegenüber YHWH eng mit 'Elohim zusammen, wie dies in der Tora durchgehend zu finden ist. Er übersetzt YHWH mit Gott und Elohim mit Gott (Pentateuch 1,43 f). Dabei ist es für Hirsch wichtig, Gott nicht in einem allgemeinen, sondern in spezifisch israelitischem Sinn zu verstehen. So schreibt er zu Ex 3,14: „ . . . E s ist damit das persönliche, absolute, freie Wesen Gottes ausgesprochen, indem Gort hier nicht ,ich bin', sondern ,ich werde sein', somit die . . . völlig von seinem Willen abhängende Zukunft prädiziert, so wird eben damit das charakteristisch Jüdische des Gottesbegriffs, somit die neue Erkenntnis ausgesprochen, die mit der Erlösung aus Mizrayim welterlösend in den Kreis der Menschheit treten soll" (Pentateuch 11,25). Hirsch will einen spezifisch-jüdischen Gottesbegriff mit einer in allen Zeiten wirkenden Vorsehung und mit gruppenverbundener Erlösung dem außerjüdischen Gottesbegriff, der in Gott höchstens den Verursacher, nicht den Herrn von Geschichte, Gegenwart und Zukunft sehe, gegenüber stellen. D i e Bibelübersetzung von F r a n z R o s e n z w e i g / M a r t i n B u b e r ist stark von existentialen Vorstellungen geprägt. N i c h t das Ewigsein G o t t e s im Sinne von M e n d e l s s o h n sei in den Vordergrund zu r ü c k e n , „ s o n d e r n das G e g e n w ä r t i g s e i n , das F ü r - e u c h - und Bei-euchdasein und - d a s e i n w e r d e n " ( R o s e n z w e i g , Kl. Sehr. 188; vgl. Briefe 11,599). D i e Übersetzung von YHWH geschieht bei B u b e r / R o s e n z w e i g durch das persönliche F ü r w o r t : „Die Beziehung, die Zweiseitigkeit, die im Gottesnamen einmal als Namen überhaupt und dann noch insbesondere durch seine Bedeutung steckt, muß vom andern Ende der Beziehung her, vom Anredenden, Nennenden aus wiedergegeben werden, das Dirgegenwärtigsein des Originals durch ein Mirgegenwärtigsein der Übersetzung. Da bietet sich nun... das persönliche Fürwort an, das ja in drei Personen nichts anderes bezeichnet als die drei Dimensionen des Mirgegenwärtigseins: die Anredbarkeit, die Vernehmbarkeit, die Beredbarkeit" (Rosenzweig, Briefe 11,1162).

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Gott III

Diese personal ausgerichtete Deutung zeigt, daß YHWH bei Buber/Rosenzweig, „im Grunde gar kein Name ist und man Gott nie so benennen kann. Die volle Funktion seines Namens erfüllt es (sc. 'eheye 'aser 'eheye) nur ein einziges M a l , nämlich in dem Augenblick seines Geoffenbartwerdens" (Schütz, Verborgenheit 350). Benno J a c o b drückt sich ähnlich aus: „YHWH ist das Futurum der Geknechteten und Leidenden. Auf die Seufzer und die Frage: wird Einer helfen? Wird Er retten? lautet die gewisse Antwort: Er wird" ( M G W J 66,135). 2.3. Andere Namen. Übrige Namen Gottes, die weder Derivate des Tetragramms sind noch zu den etwa zehn besonders heiligen zählen, sind von geringerem theologischen Interesse. Entweder sind sie von der Bibel übernommen oder im Zuge neuer philosophisch-theologischer Gestimmtheiten und begrifflicher Notwendigkeiten neu geschaffen worden. In frühjüdischen apokalyptischen und esoterischen Kreisen wurden Gottesnamen bevorzugt, die dessen überragende Stellung innerhalb himmlischer Wesen andeuten: der Gott des Himmels (Dan 2,19), der höchste (Gott) (Dan 3,32; äthHen 98,6), der Herr der Geister (äthHen 39,7), der große Heilige (äthHen 97,6; 98,6), die große Herrlichkeit (äthHen 14,20) u.a. Mehrere umschreibende Namen Gottes (kinnuyyim) haben besonders im rabbinischen Bereich die Aufgabe, das Tetragramm von zu häufigem Gebrauch zu entlasten und so dessen Heiligkeit zu schützen. Das gilt besonders für die Substitute für das Tetragramm: der Ort (ham-maqom), der Barmherzige (rahamana), der Himmel (hassamayim), die Kraft ( h a g - g e w ü r a ) u. a. Auch die häufigen rabbinischen Ausdrücke haben entlastende und schützende Funktion: Der Heilige, gepriesen sei er; der Herr der Welt(en); der, auf dessen Geheiß hin das Universum entstand; unser Vater im Himmel; der in diesem Hause Wohnung nahm; der heilige König; der heilige Gott; der König der Gerechtigkeit u.a. (vgl. bBer 1 2 a ; Grintz, E J VII,655). In der mittelalterlichen jüdischen Religionsphilosophie entstand die Notwendigkeit, hebräische Termini für philosophischscholastisch gebräuchliche Gottesbezeichnungen zu finden: hab-böre (der Schöpfer), ham-meqör ha-nsön) (der Erstbeweger), mehuyyar bam-mesi'üt (der notwendig Existierende) has-sibbä ha-risöna (die erste Ursache) u. a. Besonders die (homiletischen) Erzähltraditionen der Rabbinen und Esoteriker (->Haggada; -»-Esoterik, - » K a b b a l a , ->Chasidismus) sind Zeugnisse dafür, daß man keinerlei Scheu hatte, menschliche Gestalten metaphorisch als auf Gottes „ C h a r a k t e r " hinweisend zu deuten. In Gleichnissen scheint Gott als König, Bräutigam, Gutsherr, Marktaufseher, Geldleiher, Kapitän, Vater usw. auf (Flusser, Gleichnisse). 2.4. Bedeutung. Während der ganzen Geschichte der jüdischen YHWH-Deutung lag ein Hauptproblem darin, das Tetragramm vor magischem Mißbrauch und vor unisraelitischer Mißdeutung zu schützen (Trachtenberg 80). Der Schutz vor Magie war u.a. deshalb so schwierig, weil auch die Rabbinen und die meisten späteren Theologen von der im Namen YHWH liegenden Kraft (gewüra/dynamis) überzeugt waren. Die Rabbinen erzählten denn auch ohne Bedenken, wie M o s e mit Hilfe des in einer Umhüllung befindlichen Tetragramms und des Aussprechens desselben die Leiche des ägyptischen Joseph aus dem Nil heraus hatte bergen können (MekhY zu 13,9). Das schwierige Problem lag aber darin, die Ausnützung der im Namen YHWH liegenden Kräfte nicht menschlicher Willkür preiszugeben. Der Sefer Hasidtm (12./13. Jh.) fand hierfür folgende vermittelnde Formulierung: „ M a n darf nicht sagen, daß die Anrufung des N a m e n s Gott verpflichtet, den Willen des Anrufers zu erfüllen, daß er dazu durch die Nennung des N a m e n s gezwungen wäre; vielmehr trägt der N a m e selbst die Kraft in sich, einem bittenden Menschen sein Verlangen zu erfüllen" (§ 1452).

Untersuchungen über den und die Namen Gottes führen deshalb am ehesten ins Herz jüdischer Frömmigkeit und Theologie hinein, weil sie die gedanklichen und emotionalen jüdischen Eigenwege beleuchten, die von Traditionsverbundenheit, Intuition und Intensität des Denkens und Fühlens geprägt sind. Durch Konzentrierung auf die Namen Gottes und ihre Wirkungen gelingt es dem jüdischen Volk immer wieder, relative Distanz zu

G o t t III

635

allgemein philosophischen Zugängen zu G o t t und der Gottesleugnung gegenüber zu gewinnen.

3. Wesen, Existenz, Eigenschaften,

Wirk- und Daseinsweisen

Gottes

3.1. Fragestellungen. Beim philosophisch-theologischen Bedenken der biblischen Offenbarung geht es im Judentum um zwei Hauptfragen: a) W i e kann der absolut eine G o t t , von dem die Philosophen sagen, er sei erhaben, geistig, unveränderlich und in seinem Wesen unerkennbar, mit den anthropomorphistischen Aussagen der Bibel zur Deckung gebracht werden, wo von dem sich herabneigenden, innerhalb von R a u m und Zeit menschlich sichtbar werdenden G o t t die Rede ist? Dies ist die Frage nach der vertikalen Einheit Gottes, b) Wie lassen sich die Eigenschaften und Wirkweisen, die die Bibel G o t t zuschreibt, mit der akzidenzlosen Einheit Gottes vereinen, ohne daß dieselbe gleichsam von innen her auseinanderfällt? Dies ist die Frage nach der horizontalen Einheit Gottes. Beide Aspekte zusammengesehen: W i e kann man über G o t t , dessen Wesen als unfaßbar angenommen wird, im Anschluß an volkstümliche biblische und talmudisch-midraschische Aussagen, sinnvoll sprechen und seinen eigenen traditionellen Glauben rechtfertigen? Von der Spätantike bis weit ins Mittelalter hinein wurden diese Fragen innerjüdisch weitgehend entweder im R a h m e n des rabbinischen „ o r g a n i s c h e n " Denkens behandelt oder durch ekstatische Begegnungserfahrungen mit G o t t und seinem himmlischen Hofstaat (Merkava-, Hekhalotmystik; Schäfer, Hekhalot-Synopse) auf eine bewußtseinsevidente Ebene gehoben. Aber schon in hellenistischer Zeit (—»•Philo v. Alexandrien, - » J o s e phus Flavius) wurde der Piatonismus (~»Plato), später besonders der Neuplatonismus auch für Juden zur bestimmenden Denkrichtung, mit deren Hilfe man diese Fragen zu lösen habe. Erst - » A b r a h a m ibn Esra ( 1 0 8 9 - 1 1 6 4 ) sprengte - in Anlehnung an Avicenna - d i e Dominanz des Neuplatonismus durch stärkere Hinwendung zu -»Aristoteles. Am konsequentesten wurde der (fast ganz entplatonisierte) Aristoteles bei M o s e ben M a i m o n wirksam. In der - » K a b b a l a dagegen blieben Neuplatonismus und Gnosis der beherrschende Denkhintergrund. Der reale K o n t e x t dieser Fragen im Mittelalter waren vor allem die drei konkurrierenden Religionen: Islam, Christentum und Judentum mit ihren jeweiligen Machtansprüchen und ihrem geistig-religiösen Potential. Für die Juden ging es darum, die eigene Religion als kongenial oder überlegen gegenüber den philosophisch-theologischen Spitzenaussagen in Islam und Christentum darzustellen. Am relativ unabhängigsten von Außeneinflüssen blieb die rabbinische Tradition, insofern sie Auslegung und Ausweitung der —»Halacha war. Dazu traten innerjüdische Auseinandersetzungen, die geklärt werden mußten: die Bestreitung des verbindlichen Charakters der rabbinischen Tradition durch die Karäer und Auffassungen über die Körperlichkeit Gottes in der Sicur-Qoma-Esoterik des frühen Mittelalters. Was den Fragen nach Existenz, Wesen, Eigenschaften, W i r k - und Daseinsweisen G o t tes im Judentum eine besondere Brisanz verlieh, waren weniger religions-politische Gegebenheiten als vielmehr jüdisch-theologische Anliegen. Das Judentum vertrug meistens verschiedenartigste Anschauungen in seinem Schöße. Absolut verboten blieb aber die Auffassung, G o t t habe mit der Welt nichts zu tun, es gebe keine Vorsehung, keine Regentschaft Gottes über Welt und Menschen. Schon Josephus Flavius (ca. 3 7 - c a . 100 n. Chr.) spricht jenen das Judentum ab, die behaupten, „die Welt bewege sich von selbst, ohne einen Wagenlenker zu haben und ohne daß für sie gesorgt w e r d e " (Ant. 10,278). Ähnlich betrachteten rabbinische Gelehrte jene als gegenjüdische Ketzer, die sagen: „Die Welt ist ein A u t o m a t " ( M T e h zu Ps 1,5). Jehuda Hallevi drückt sich im „ K u s a r i " (1,77) so aus: „Du darfst es überhaupt nicht für unwahrscheinlich halten, daß erhabene göttliche Spuren in dieser niederen Welt sichtbar werden, wenn diese Stoffe imstande sind, sie aufzunehmen. Hier ist die Wurzel des Glaubens und des Unglaubens." W o nicht geglaubt wird, daß in der Welt Zeichen Gottes anzutreffen sind, dort ist nach Jehuda Hallevi Unglaube. Anders gesagt: W o Gott nicht als der sich zu Israel Herabneigende

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G o t t III

und von Israel Betroffener gesehen wird, da hört religiöses Judentum auf. Von daher wird begreiflich, daß die jüdisch-antichristliche Polemik weit schärfer war als die jüdisch-antiislamische. Mit der Lehre von der Menschwerdung Gottes konkurrierte und überbot das Christentum das Judentum ja in jener Blickrichtung, die als ureigen-jüdisch betrachtet wurde. Das Anliegen, die Zugewandtheit Gottes zu Israel als jüdisches Spezificum zu sehen, macht es auch erklärlich, daß die Frage nach den Attributen besonders im Mittelalter zum zentralen theologischen Auseinandersetzungspunkt wurde. Bis in die neueste Z e i t hinein w a r e n die jüdischen P h i l o s o p h i e n und T h e o l o g i e n von e i n e m D e n k e n b e s t i m m t , das wenig R ü c k s i c h t a u f die Z e i t l i c h k e i t bzw. G e s c h i c h t l i c h k e i t und Situationsbedingtheit der W i r k l i c h k e i t n a h m . F r a n z R o s e n z w e i g sah „ d a s neue D e n k e n " , das die G e b u n d e n h e i t des D e n k e n s an Z e i t und S i t u a t i o n b e r ü c k s i c h t i g t , erst zu seiner Z e i t im D u r c h b r u c h befindlich und stellte dieses d e m alten D e n k e n gegenüber: „ W e n n e t w a sich das alte das P r o b l e m stellte, o b G o t t transzendent oder i m m a n e n t sei, so versucht das neue zu sagen, wie und w a n n er aus dem fernen zum nahen G o t t wird und wieder aus d e m n a h e n zum f e r n e n " (Kleinere Schriften 3 8 4 ) . In R o s e n z w e i g s c h e r Sicht tragen alle mittelalterlichen Ä u ß e r u n g e n , die die „ Z e i t l i c h k e i t des D e n k e n s " n i c h t berücksichtigen, einen ideologischen Ü b e r h a n g an sich. 3.2. Logos. D e r in der p l a t o n i s c h e n T r a d i t i o n b e h e i m a t e t e L o g o s b e g r i f f k o m m t im hellenistischen J u d e n t u m , b e s o n d e r s bei - » P h i l o , zu vielfältiger A n w e n d u n g . A b e r auch in den f r ü h r a b b i n i s c h e n T a r g u m i m ( b e s . T O , T J und C N 1) wird der sinnähnliche Begriff memrä — weit weniger k o m m t dibbür vor — häufig verwendet. In der —»Kabbala (Bahir § 2 9 ) k o m m e n die Pluralia 'amamrim, ma'amarot = Aöyoi vor (ed. S c h o l e m 3 5 f ) . Anscheinend stand jede jüdische Übersetzungs- und D e u t e t r a d i t i o n der Bibel von a l l e m A n f a n g an (ab 3 . / 2 . J h . v. C h r . ) v o r der N o t w e n d i g k e i t , G o t t e s Erscheinungsweisen mit ihren „ k ö r p e r l i c h " a n m u t e n d e n B e g l e i t u m s t ä n d e n von G o t t an sich in seiner u n s i c h t b a ren und transzendenten Wesenheit unterscheiden und den G l ä u b i g e n vermitteln zu müssen. M a n k a n n L o g o s s p e k u l a t i o n e n d a h e r nicht als Z u f a l l s p r o d u k t philonisch-hellenistischer D e n k w e i s e w e r t e n . D i e d a m a l s in allen jüdischen R i c h t u n g e n ähnlich gelagerten D e n k s c h w i e r i g k e i t e n müssen b e a c h t e t werden. F ü r P h i l o steht der L o g o s im K o n t e x t seines (mittel-)platonischen D e n k e n s . G o t t ist in seinem h ö c h s t e n Z u s t a n d der V e r b o r g e n h e i t o h n e E i g e n s c h a f t e n ( a - p o i o s ) und o h n e Pat h o s (a-pathäs). M a n k a n n ihn w e d e r beschreiben (a-perigraphos) n o c h über ihn reden (ar-rhätos) n o c h ihn vergleichen ( a - s y g k r i t o s ) (vgl. P r a e m 3 9 - 4 0 ; All 11,36). „Er hat seine Natur niemandem gezeigt, vielmehr hat er sie für das ganze Menschengeschlecht unsichtbar gelassen. Wer könnte somit sagen, daß die (letzte) Ursache unkörperlich oder körperlich ist, ob sie Eigenschaften besitzt oder eigenschaftslos ist? Wer vermöchte überhaupt über ihr Wesen, ihre Beschaffenheit, ihr Verhalten und ihre Bewegung eine sichere Aussage zu machen? Er hat nämlich allein seine Natur in Wahrheit geprüft" (All 111,206; Cher 86). In Philos p l a t o n i s c h - h i e r a r c h i s c h e m und s t o i s c h e m D e n k e n manifestiert sich das verb o r g e n e Wesen G o t t e s in der intelligiblen Welt als L o g o s . Dieser k a n n daher u. a. als Abbild G o t t e s (Som 1,239) als E r s t g e b o r e n e r und Erzengel ( C o n f 1 4 6 - 1 4 8 ) bezeichnet werden. D e r v e r b o r g e n e G o t t h i n t e r l ä ß t a b e r auch in der Welt der Sinne Spuren und z w a r als der E i n e m i t der schöpferischen und lenkenden K r a f t (Abr 1 1 9 - 1 2 3 ) . N u r der Weise, der sich s y m p a t h i s c h zur A p a t h i e G o t t e s verhält (Philo sieht ihn besonders in Isaak und J a k o b präfiguriert), trägt die D i s p o s i t i o n in sich, sich G o t t durch die ina negativa zu nähern und in dieser A n n ä h e r u n g , die in eine Vereinigung m ü n d e t , unendliche Seligkeit zu finden (Decal 8 1 ; D e t 86; A b r 5 8 ; P r a e m 14). D e r L o g o s aber als göttlicher G e d a n k e , der A r c h e t y p jedes m e n s c h l i c h e n G e d a n k e n s ist, k a n n in seinem Dasein - nicht in seinem Wesen, weil dieses ja in die u n e r k e n n b a r e N a t u r G o t t e s hineinreicht - e r f a ß t werden (Praem 3 9 ) . E r ist gleichsam die R e l a i s - S t a t i o n zwischen d e m u n f a ß b a r e n G o t t und der menschlichen Vernunft (zum G a n z e n D a v i d W i n s t o n : D a n / T a l m a g e 1 5 - 3 9 ; A N R W II 21/1, 3 7 2 - 4 1 6 ) . Dem griechischen Logos entspricht der aramäische Memrä im Bereich der palästinischen Übersetzungstradition. Am konsequentesten wird Memrä in CN 1 verwendet, wo vom Sprechen und

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Handeln Gottes für die Schöpfung und in der Schöpfung die Rede ist; aber auch in T O , T J und Frgm.T findet sich dieser Sachverhalt. Gen 1 , 3 - 5 in CN 1 lautet: „Und der Memrä Y H W H s sprach: Es werde Licht! Und es wurde hell entsprechend der Weisung seiner Memrä. Offenkundig wurde es vor YHWH, daß das Licht gut war. Und der Memrä Y H W H s schied zwischen Licht und Finsternis. Und der Memrä YHWHs nannte das Licht Tag und die Finsternis N a c h t . . . " Die Aktionen bei der Schöpfung werden hier von dem Memrä unternommen. YHWH ist hintergründiger Betrachter des Schöpfungswerkes, das vor seinem Antlitz ersteht und gelingt. Andere Targume setzen teilweise die „Weisheit" (hokhma) statt des Memrä ein. Die Dualität Memrä/hokhma und YHWH zeigt jedoch keinen Dualismus an. Der Memrä ist der Tätigkeitsausdruck YHWHs. Statt des Memrä taucht in CN 1,17.27 u.ö. die Herrlichkeit (yeqar = kavöd, doxa) YHWHs auf. Nach dem Sündenfall, in CN 1 Gen 3,24, wird die „Herrlichkeit der sekhina YHWHs" als Wächterin vor das Paradies (zwischen zwei Cherube) gesetzt (vgl. auch CN 1 Gen 18,2f; Ex 24,10). Wort Gottes, Einwohnung Gottes und Herrlichkeit Gottes sind also teilweise austauschbare Begriffe. Sie bezeichnen alle Gott, insofern er im Irdischen und für das Irdische spricht und handelt. Im Mittelalter gerieten Logos und Memra/Dibbür ins Abseits. Der Grund dafür lag u . a . in der Wirkungsgeschichte der ersten T h e s e der Mutaziliten, einer Richtung des islamischen K a l a m . Die Mutaziliten verschafften sich etwa von 7 5 0 - 9 0 0 n. Chr. in Bagdad und Basra (Irak) großen Einfluß. Ihre erste These (bzw. Lehre) w a r neuplatonischer Herkunft und betraf die Einheit Gottes, die als absolutes G r u n d d a t u m allen Denkens über G o t t galt, wobei jeglicher A n t h r o p o m o r p h i s m u s abgelehnt wurde. Dies führte zur allegorischen Auslegung bestimmter Koranpassagen. Vor allem aber beinhaltete diese Lehre die Ablehnung aller Logos-Spekulationen (Berman). Die Mutaziliten übten einen bedeutenden Einfluß auf Saadja G a o n ( 8 9 2 - 9 4 2 ) und andere jüdische Religionsphilosophen aus. In seinem H a u p t w e r k ' e m ü n o t we-decot folgte Saadja den Thesen der Mutaziliten. E r sah im Bekenntnis der Einheit Gottes die oberste Grundlehre des Judentums, dem sich jegliche Attributenlehre zu beugen habe. Bei ihm, Salomon ibn Gabirol ( 1 0 2 0 - 1 0 5 8 ) , - • B a c h j a ibn P a q u d a und andern schimmert die Faszination für das hen kai pan Plotins in allen Abhandlungen durch. Somit kann m a n sagen, daß die plotinische F o r m e l Eins = Alles für das neue Desinteresse an Logos-Spekulationen hauptverantwortlich ist. 3.3. Sekhina. Sekhina ist eine Kuk ( 1 8 6 5 - 1 9 3 5 ) konnte daher sagen: „Die Furcht, beim Studium der geheimen Lehren der Tora anthropomorphe Ausdrücke zu gebrauchen, ist Torheit. Wir wissen doch, daß diese in keiner Weise die erleuchtete Basis des Glaubens an einen Gott beschädigen. Sie fügen zu unserem klaren Verständnis und zu unserer Situation noch die Möglichkeit zu besserer Anpassung an die göttliche Erleuchtung hinzu" (zit. Bokser 211). 4. Heilsgeschichtliche

Aspekte

Soweit es um die - » H a l a c h a geht, gibt es im Judentum kaum Theologie. M a n soll den in Offenbarung und Tradition bezeugten Willen Gottes durch Erfüllung der Gesetze und Gebote tun, ohne den Sinn dieses Tuns oder gar den Willen Gottes zu hinterfragen. Judentum ist aber nicht nur eine orthopraxe Religion, sondern ein Volk mit partikulären und universalen Anliegen. Zwischen- und endgeschichtliche Konzeptionen sind daher sehr häufig. M a n lebe jetzt in einer Zwischenzeit, zwischen der Sinaioffenbarung und der Offenbarung am Ende der Tage, in der man sich in der Treue zu Gott mitten unter den Völkern zu bewähren habe. Diese Zwischenzeit sei eine Exilszeit, die durch Antijudaismus und Sünde geprägt sei (Midrese ge'ülla). Auch der Blick zu Gott hinauf sei getrübt: „Wegen der Sünde ist es dem Menschen nicht gewährt zu wissen, was das Abbild oben ist. Wenn es nicht so wäre, dann wären ihm Schlüssel übergeben worden und er würde wissen, womit Himmel und Erde erschaffen worden sind" (ARN 39 A). Das verschlossene Tor zwischen Gottes Wirken und menschlichem Verständnis besteht aber nur für die Jetztzeit. Sobald von der Endzukunft die Rede ist, wird auch die Öffnung dieses Tores in Aussicht gestellt. Am Ende der Tage werde sich zeigen, wer Gott ist, wie er wirkt und welchen Sinn die ganze Geschichte gehabt habe. Eine breite jüdische Tradition aufnehmend, schreibt Moses Chaim Luzzatto ( 1 7 0 7 - 1 7 4 6 ) , Kabbaiist, Dichter und Theologe: „Die letzte Abschaffung des Frevels und des Dienstes am Frevel, die Hinwendung zum Guten und die letzte Wiederherstellung der ganzen Schöpfung kommen durch die Enthüllung der wahren Einheit Gottes z u s t a n d e . . . Er w a r , er ist und er wird immer einer, einzig und einzigartig sein. Leider ist er jetzt nicht allen offenbar, wie es geziemend wäre. In der Endzukunft aber wird er allen Geschöpfen voll als der eine geoffenbart werden; es heißt ja: ,An jenem Tage wird Y H W H einer und sein N a m e wird einer sein' (Sach 14,9). Israel, das der wahren Tora gewürdigt wurde, weiß um diese Wahrheit und bezeugt sie auch jetzt; es heißt ja: ,Ihr seid meine Zeugen, Spruch Y H W H s ' ( J e s 4 3 , 1 2 ) . Dies ist ein großes Privileg für u n s . . . W i r , die Söhne Israels, sind verpflichtet, die Einheit Gottes in allen ihren Aspekten zu bezeugen" (Derekk has-sem IV,4,1).

Nach Luzzatto und vielen andern jüdischen Lehrmeistern leben wir in einer Zeit der Beklemmung und Verdunklung. Licht wird aber von der Zukunft her kommen, wenn Gott sich als der eine mit dem einen Namen kundtun wird. In derlei Konzeptionen schwingt oft auch theologisches Konkurrenzdenken mit. Erst in der Endzukunft werde alles religiös Gegensätzliche aufgehoben werden. Bei seiner Deutung von Dtn 6,4 schreibt Raschi über Gott: „Er ist in der Jetztzeit unser Gott und nicht der Gott der Nichtjuden. Er wird aber in der Endzeit der Einzige aller Völker sein." Diese interimistisch exklusive Beanspruchung Gottes ist u. a. eine Reaktion auf christliche Exklusivismen und Überbietungen. Seit dem Holocaust ist das Hauptproblem jüdischer Theodizee (-»Theodizeeproblem) das Zuschauen und Nicht-Eingreifen Gottes angesichts der Vernichtung von beinahe sechs Millionen Juden. Quellen und

Übersetzungen

Die gesamte frühjüdische, rabbinische, mittelalterliche, neuzeitliche und moderne Literatur k o m m t in Frage, wenn und insofern sie jüdisches Denken über Gott zu prägen und weiterzuführen vermochte. Z u r frühjüdischen und rabbinischen Primärliteratur vgl. das T R E Abkürzungsverzeichnis (S. Schwertner 1976) X V I - X V I I I . Hier werden nur solche mittelalterliche, neuzeitliche und moderne (teilweise auch rabbinische) Werke angeführt, die in dieser Untersuchung benutzt wurden.

G o t t III

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2. Paulus

3. Jesus

Eine geschichtliche Betrachtung des Neuen Testamentes m u ß dem Selbstverständnis der Autoren der einzelnen Schriften bzw. der Träger der verschiedenen Traditionsschichten wenigstens so viel R a u m geben, d a ß ihr eigenes Verständnis ihrer Rede von Gott zunächst respektiert wird. Sie äußern nicht notwendige oder nützliche Gedanken über Gott, etwa als den Ursprung alles Seienden oder den einigenden G r u n d der vielgestaltigen Weltwirklichkeit, sondern sie reden von G o t t , nämlich von seinem Tun, das in die Geschichte Jesu Christi so verwickelt ist, d a ß abgesehen von dieser Geschichte von Gottes Tun nicht mehr angemessen gesprochen werden kann. Anders ausgedrückt: die Autoren der neutestamentlichen Schriften bzw. die Träger der Traditionsschichten haben von Gott eine Botschaft auszurichten, die mit dem N a m e n Jesu Christi aufs engste verknüpft ist; ihr Reden von Gott ist: Evangelium Gottes über seinen Sohn (Rom 1 , 1 - 3 ; Gal 1,15; R o m 15,16; II Kor 5 , 1 8 - 2 0 ) . N u r an wenigen Stellen wird die Rede von Gott zum Gegenstand der Erörterung, so daß es zu einem Ansatz von Theo-logie ( = Rede über die Rede von Gott) k o m m t . Hierzu zählt insbesondere I Kor 8 , 1 - 6 . Solche Reflexion setzt vor allem d o r t ein, w o es formelhaft fest überlieferte Rede von Gott gibt und diese bereits anderer Rede von G o t t begegnet ist. Da dies in der Begegnung von jüdischem Glauben mit griechischer Religion und Theologie geschehen w a r , ist zu erwarten, daß Theo-logie im Neuen Testament zuerst dort begegnet, w o die Sprache hellenistisch-jüdischer Mission aufgenommen wird (bes. R o m 1,18ff; Act 14,15-17; 17,22-31). So sehr in diesem Umfeld zuerst Ansätze für eine reflektierende Rede über G o t t im Neuen Testament v o r k o m m e n , so wenig bilden diese Texte und Textzusammenhänge das Z e n t r u m der Rede von Gott im Neuen Testament. 1. Rede von Gott im Anschluß

an die jüdisch-hellenistische

Mission

Die Sprache dieser Tradition wird teils in polemischer Abzweckung (Act 14; Gal 4; R o m 1), teils als A n k n ü p f u n g in apologetischer Absicht (Act 17) aufgenommen. Immer sind sich dabei die Autoren im Klaren, d a ß sie mit ihren Adressaten im wesentlichen übereinstimmen. R o m 1,18ff ist auf Z u s t i m m u n g der Juden (Rom 2,2ff) berechnet; der Dissensus in Athen entsteht erst durch die Botschaft von der Auferweckung Jesu (Act 17,31 f); die Botschaft von dem einen G o t t ist Aufklärung d u m p f e r und im Grunde unwürdiger Volksreligiosität (Act 14 und in höherer Form Act 17,22). Unstrittig sind in diesem Z u s a m m e n h a n g die Eigenschaften Gottes: er ist der Unsichtbare (Rom 1,20; Kol 1,15; H e b r 11,27; I T i m 1,17; 6,15 f), Unvergängliche (Rom 1,23; I T i m 1,17), der in keiner Hinsicht Bedürftige (Act 17,25; I Clem 52,1), bei dem keine Veränderung statt hat (Jak 1,17). Das natürliche Wissen um Gott als Prinzip der Welt gilt als Selbstverständlichkeit; nur mutwillig wird diesem Wissen nicht R a u m gegeben, so d a ß Menschen in den Perversionen ihres religiösen (Rom 1,21-24), sittlichen (V. 2 5 - 3 1 ) und kulturellen (V. 32) Lebens erfahren, d a ß Gott sie preisgegeben hat. Vor allem in der dialektischen Theologie ist betont worden, daß Paulus hier nicht einer natürlichen Gotteserkenntnis das Wort rede, sondern die immer schon verfehlte Möglichkeit einer solchen Erkenntnis als Anklage geltend macht. Eine positive Aufnahme natürlicher Gotteserkenntnis als Aufgabe der Theologie könne sich deswegen nicht auf Rom 1 berufen. Gegen eine solche negativ normative Auswertung des Textes muß beachtet werden:

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G o t t IV

Paulus schreibt hier in völligem Einvernehmen mit den Adressaten seines Briefes. Das hermeneutische Problem der „Anknüpfung" tritt bei ihm, der sich mit seiner Mission im Ausstrahlungskreis jüdischer Überlieferung bewegt, nie so auf, wie es z.B. bei Lukas in Act 17 anvisiert ist. Für Paulus scheint es ein Wissen um Gott zu geben, das jedermann zumutbar ist, nämlich um seine göttliche Natur, die sich in seinen Machtwirkungen zeigt. Dafür spricht vor allem, daß in dem kunstvoll gegliederten Abschnitt Rom 1 1 , 3 2 - 3 6 a wohl von der Unerkennbarkeit der Entscheidungen Gottes, in denen er sein erwählendes Erkennen betätigt, auch von der Unerkennbarkeit seiner Wege, die er in seiner Weisheit einschlägt, die Rede ist, nicht aber von der Unerkennbarkeit des Reichtums Gottes, den er in seinem schöpferischen Handeln betätigt und aus dem er den Überfluß seiner Gaben denen schenkt, die ihn anrufen (Rom 10,12). Eben diesen unerschöpflichen schöpferischen Reichtum Gottes - so setzt Paulus allem Anschein nach voraus - kann der Mensch sehr wohl kennen. Anders ausgedrückt: der Mensch kann sehr wohl wissen, daß er sich nicht sich selbst verdankt. Indem er aber anderes als den lebendigen und wahren Gott (I Thess 1,9; I Tim 4,10; Hebr 9,14: Apk 4,9 u. ö.) als dasjenige verehrt, dem er sich verdankt, gibt es vieles, was Menschen als Götter und Herren ansprechen, obwohl es keine Götter sind (I Kor 8,5). Diese Sachverhalte gewinnen Macht über den Menschen, weil er sich ihnen unterwirft (Gal 4 , 8 - 1 1 ) , und sei solcher Gott der Bauch (Phil 3,19). Aus dieser Vielfalt der Knechtschaft (Sovkevsiv) bedeutet der Glaube an den wahren und lebendigen Gott Befreiung (Gal 4,2ff). Diese Befreiung ist aber nicht durch Aufklärung als Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit zu gewinnen, sondern diese Befreiung geschieht im Durchbruch der Geschichte Jesu Christi, sei es in seiner Sendung (Gal 4,4), sei es in seiner Auferweckung (Rom 6,4ff). Darum erscheint der Glaube an Gott als ein durch Christus vermittelter (vgl. I Petr 1,21), denn wahre Erkenntnis (iniyvcöoiq) Gottes kann es nur geben kraft der Erleuchtung, die auf dem Angesicht Jesu Christi geschehen ist (II Kor 4,6). W a s also bei Paulus als natürliche T h e o l o g i e im Z u s a m m e n h a n g jüdisch-hellenistischer Missionstradition entgegentritt, ist Bestandteil seiner theologischen Anthropologie und nicht einer Offenbarungslehre. Wenn II K o r 4 , 6 G o t t als der angesprochen wird, der das Licht der Schöpfung hat aufgehen lassen, dann liegt es nahe, hier eine Schöpfungsoffenbarung in Beziehung zu setzen zur Christusoffenbarung. Diesen Versuch unternimmt z. B. H . Schlier (Gott in Welt 5 2 2 f ) , wenn er d a v o n spricht, daß G o t t „ n o c h e i n m a l " oder „ v o n n e u e m " aufleuchtet. D a ß hier die Aussagen des Textes unter einer Fragestellung betrachtet werden, die Paulus fernlag, zeigt die nachstehende Satzfolge bei Schlier (523): „ D a s Aufleuchten Gottes ist das neue Aufleuchten seiner Sö^a. Freilich ist es jetzt eine andere Sö^a". Die Fuge, die Schlier hier in den T e x t einbringt, entspricht genau der Fuge, die R . Bultmann in seinem K o m m e n t a r zwischen J o h 1,4 und 1,5 einbaut, weil er n a c h d e m Verhältnis verschiedener Offenbarungsakte fragt und dabei von einer Schöpfungsoffenbarung ausgeht. Weder für Paulus noch für den Verfasser des Johannesevangeliums ist dieser Ausgangspunkt angemessen; eine natürliche T h e o l o g i e als Bestandteil einer Offenbarungslehre gibt es bei Paulus nicht. 2.

Paulus

Das Reden von G o t t kann bei Paulus überhaupt nicht von der A u f n a h m e jüdischhellenistischer Polemik her erschlossen werden. Denn diese ist - auch wenn es sich in R o m 1 um einen recht umfänglichen T e x t z u s a m m e n h a n g handelt - ein ausgesprochener R a n d t e x t , wenn es um das Evangelium Gottes geht, das der Apostel zu bringen hat und durch das er den „ D u f t der E r k e n n t n i s " Gottes ausbreitet (II K o r 2 , 1 4 ) . Rom 1 ist auf die Einwilligung der Juden berechnet, die sich gewürdigt wissen, die „Gestalt der Erkenntnis und Wahrheit", also die die ganze Wirklichkeit umgreifende und durchleuchtende Weisheit in der Gabe des Gesetzes zu besitzen (Rom 2,20). Gerade ihnen muß Paulus bezeugen, daß ihr Eifer für Gott in die Irre geht, weil er nicht nach dem M a ß rechter ¿ftiyvciHJiq geschieht (Rom 10,2). Sie haben Gottes Gerechtigkeit verkannt (V. 3), wie es für Paulus selbst galt (Phil 3 , 4 - 1 1 ) . Gewiß hätte Paulus von den Juden nicht gesagt, daß sie Gott nicht kennen, wie er es von Heiden sagen konnte (I Thess 4,5; II Thess 1,8; Gal 4,8), sind doch den Juden die Bundesschlüsse und Verheißungen zuteil geworden (Rom 9,4 f; 3,2). Aber doch muß er sagen, daß sie Gott verkannt haben und treulos mit seinem Wort umgehen (Rom 3,3). Das den Juden vertraute und ihrem Selbstbewußtsein einverleibte Bekenntnis, daß Gott einer ist, kann Paulus nun zur Begründung verwenden, daß Gott den Heiden und Juden ein und derselbe Gott ist, der aus Glauben rechtfertigt (Rom 3 , 2 8 - 3 0 ; vgl. 10,12). D a r a n wird vollends deutlich, wie sehr bei Paulus die R e d e von G o t t orientiert ist a n

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dem Handeln Gottes in der Geschichte Jesu Christi. In diesem Handeln erschließt sich, wer Gott selbst ist. Da die Tendenz besteht, das Wort &eöqa\s Prädikatsbegriff zu verwenden, wird es erst zum Namen, wo 9sög als handelndes Subjekt genannt wird, so daß sich aus seinem Handeln ergibt, wer er ist. Die entscheidende Aussage für Paulus ist dabei: Gott hat Jesus von den Toten auferweckt (Rom 10,9). Auf den so zu prädizierenden Gott bezieht sich der Glaube (Rom 4,24, vgl. Gal 1,1; R o m 8,11, vgl. I Thess 1,9f). In diesem Akt Gottes erweist und bestimmt sich der Sinn von Gottes M a c h t (II Kor 13,3, vgl. 4,7; R o m 4,17), wie besonders schön Eph 1 , 1 9 f zeigt. Dann ist aber der Gekreuzigte zwar nicht in sich selbst göttliche Kraft und göttliche Weisheit, aber doch so etwas wie der Ort, an dem göttliche Wahrheit offenbar wird, und so etwas wie Ortsanweisung, wo seine M a c h t zu erwarten steht (I Kor l,18ff). Paulus treibt damit die christologische Präzisierung der Rede von Gott weiter voran, als das in seinem Umfeld der Fall war. Wenn der Inhalt der christlichen Grundlehren als Glaube an Gott bzw. Umkehr zu ihm bezeichnet wird, so ist damit sicherlich der entsprechende Topos jüdischer Proselytenlehre aufgenommen (Hebr 6,1; Act 20,21; 26,20). Es bleibt aber nicht bei einer bloßen Nebenordnung von Umkehr zu Gott und Glaube an den Herrn Jesus Christus (vgl. I Thess 1,9f), sondern Gott wird als der Gott unseres Herrn Jesus Christus präzisiert (Eph 1,17) und entsprechend der Inhalt der Gotteserkenntnis entfaltet (Eph 1 , 1 7 c - 1 9 ) , bzw. Christus wird als der Mittler dieses Gottesglaubens, der zugleich Hoffnung auf Gott ist, ausgelegt (I Petr 1,21). Es geht aber im Neuen Testament (abgesehen von den johanneischen Schriften) noch nicht um das Verhältnis zwischen Jesus Christus und Gott als zweier Personen. Die Jesus zugesprochenen Prädikate haben diese Verhältnisbestimmung (noch) nicht im Blick. In liturgischen Formeln kann eine einfache Parallelisierung zwischen Gott und Christus zunächst Platz greifen (I Kor 8,6; I T i m 2,5 f). D a ß an diesem Punkt noch kein Bedürfnis der Reflexion entsteht, hat seinen Grund darin, daß die Wahrheit der Person Jesu Christi als die Wahrheit seiner Geschichte gesehen, vernommen, erfragt und ansatzweise bedacht wird. Das Verhältnis zwischen Gott und Christus ist als ein geschichtlich-dialogisches verstanden, wie dies für das biblische Gottesverständnis generell gilt (s. Rahner I, 99ff). M i t der Auferweckung Jesu Christi antwortet Gott auf den Kreuzestod Jesu Christi (Phil 2). Wenn sich die Auslegung um ein geschichtlich nachvollziehendes Verstehen bemüht, so ist ihr damit die Aufgabe gestellt, zu erkunden, wie Gott durch die Geschichte Jesu Christi in Anspruch genommen und herausgefordert war. Im Christuslied Phil 2 wird diese Geschichte in mythologischer Sprache als Tat des Gehorsams gezeichnet. Diese Zeichnung ist in der Theologie zur Herrschaft gekommen im Anschluß an die Aufnahme der christologischen Sende- und Dahingabeformeln. Das geschichtlich nachvollziehende Verstehen kann sich von diesen Sprachregulierungen nicht binden, wohl aber die Aufgabe vorgeben lassen. Gott muß dann freilich als ein Faktor der Geschichte verstanden werden, wie immer der Ausleger selbst sich zur Frage der Existenz Gottes stellt. Wird Gott nicht als ein „Mitspieler" in der Geschichte betrachtet, kann es zu einem angemessenen geschichtlichen Verstehen nicht kommen, weil dann alle Dokumente als Ausdrucksformen von Gottesverständnis oder Gottesgedanken gleichgeordnet werden und die geschichtliche Perspektive erst aus den von der Forschung zu konstruierenden Entwicklungslinien solcher Gottesgedanken sich herstellt. Demgegenüber ergibt sich aus der Art und Weise, in der im Neuen Testament die Rede von Gott sich an der Geschichte Jesu Christi orientiert, die Aufgabe, die „Verwicklung" Gottes in diese Geschichte nachzuzeichnen. 3. Jesus Die Rede vom Gottesbild oder Gottesgedanken oder gar von der Gotteslehre Jesu sollte vermieden werden. Alle diese Bezeichnungen stehen in der Gefahr, den performativen Aspekt in der Verkündigung Jesu auszublenden.

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In der exegetischen Arbeit dieses Jahrhunderts hat die Frage nach dem Gottesgedanken Jesu ihren Ort im Z u s a m m e n h a n g der Frage nach der Einheit der Verkündigung Jesu. Dieses Problem stellte sich in der liberalen Theologie mit der Entdeckung des eschatologischen C h a r a k t e r s der Verkündigung Jesu: Wie verhalten sich Eschatologie und Sittlichkeit zueinander. R. Bultmann gab in seiner Jesusdarstellung (1. Aufl. 1926, aber auch Theologie des NT, § 3) die Antwort mit dem Verweis auf den in beiden Sachbereichen wirksamen Gottesgedanken und das Menschenverständnis. Dabei wird durch die existentiale Interpretation, wie sie Bultmann übt, der Zeitaspekt in der Verkündigung Jesu um die Bedeutung zeitlicher Erstreckung gebracht. Später - unter dem Einfluß traditionsgeschichtlicher Betrachtung - erscheint das Problem anders, nämlich als die Frage nach dem Verhältnis von eschatologisch-apokalyptischer Tradition zur Weisheitsüberlieferung in der Verkündigung Jesu. Diese Frage wird dann systematisch gefaßt als die Frage nach dem Verhältnis von Eschatologie und Theologie, eine Fragestellung, die in dieser Formulierung nur im Bereich katholischer Exegese aktuell ist (vgl. z . B . Schürmann). Auch hier ist das Bemühen am Werk, das M o m e n t zeitlicher Erstreckung als nicht konstitutiv für die Verkündigung Jesu zu erweisen. Aber die Thematisierung des Materials als Ausdruck eines Gottesgedankens bzw. als Niederschlag einer Theologie neben anderen Gedankenkomplexen ist nicht angemessen. Vielmehr muß auch hier die Ausgangsfrage lauten: Wie hat Jesus von Gott gesprochen?

Für die Beantwortung dieser Frage bekommen die Gleichnisse Jesu von der Gottesherrschaft einen besonderen Stellenwert (zur grundsätzlichen systematisch-dogmatischen Relevanz s. Jüngel, G o t t als Geheimnis der Welt, § 1 8 ) . Sie haben ihre Funktion nicht darin, daß der unendlich der Welt und allem Begreifen überlegene G o t t nicht anders sprachlich Gestalt gewinnen kann, als daß in Bildern von ihm gesprochen wird, wobei die Vielgestaltigkeit dieser Bilder immer nur Aspekte aus dem unerschöpflichen Reichtum göttlichen Seins aktualisieren kann. Vielmehr sind die Gleichnisse gerade Manifestationen der andringenden N ä h e G o t t e s , die Jesus mit seiner Botschaft vom kommenden Gottesreich ( M k 1,15) verkündet hat. Was vom Nebeneinander von Anthropomorphismen in der biblisch-jüdischen R e d e von G o t t und dem Bilderverbot gilt, daß nämlich beides sich der andringenden N ä h e Gottes verdankt, das gilt von der Gleichnisrede Jesu erst recht. Jede direkte R e d e von G o t t würde seine Nähe auf eine Distanz bringen, die das Ereignis seines nachbarlichen Anwesens nicht respektiert. Für Jesu Geschichte ist aber nun bezeichnend, daß er die N ä h e der Gottesherrschaft nicht nur verkündete im Sinne einer Proklamation, sondern daß er in seinem Verhalten von dieser N ä h e G e b r a u c h machte. D a s gilt einmal von seinen auffälligen, d . h . über das M a ß des Gewohnten hinausgehenden Heilungstaten ( M k 3,22 verbürgt deren Historizität besser als viele Einzelerzählungen). Sie sind Zeichen der N ä h e der Gottesherrschaft (Lk 11,20), Zeichen des Anbruchs einer neuen Stunde (Lk 10,18; vgl. M k 3 , 2 7 f ) . Das gilt zum anderen vom Gebet Jesu, für das die einfache, auf familiäre Nähe eingestellte, VaterAnrede bezeichnend gewesen zu sein scheint (Jeremias). Dabei geht es nicht um eine neue Gottesbezeichnung. Diese ist im Alten Testament bereits bekannt; es geht vielmehr um einen neuartigen Umgang mit G o t t , der bei Jesus zutage tritt. D a s gilt erst recht für Jesu Mahlgemeinschaft mit den religiös Ausgestoßenen und Deklassierten ( M t 11,19; M k 2 , 1 6 f ; Lk 15,1 f; 19,7). In der neuen deutschsprachigen Forschung ist das Gottesverhältnis Jesu, wie es in seinem Verhalten zutage tritt, gern (Jeremias, Braun, B o r n k a m m , Fuchs) dahingehend beschrieben worden, daß Jesus als einer handle, der an Gottes Stelle steht bzw. als Stellvertreter Gottes spricht. M a n hat dafür auf die Zuwendung Jesu zu den Gottfernen verwiesen, in der Jesus Vergebung der Sünden praktiziert, die sonst nur G o t t selbst vorbehalten ist ( M k 2 , 1 - 1 1 , z . B . G . B o r n k a m m ) . M a n hat auf die Antithesen der Bergpredigt verwiesen, in denen Jesus sein eigenes Wort so dem Gotteswort entgegensetzt, das zu den „ A l t e n " gesagt ist, daß er selber an Gottes Stelle spricht (z. B. Käsemann). M a n hat dafür auf den R u f Jesu in die Nachfolge verwiesen, der eben in Spannung und Korrespondenz zu Jesu Bußruf seinen Anspruch deutlich mache, an Gottes Stelle zu handeln (Hengel, Schräge). Abgesehen von historischen Fragen (der Inhalt der Antithesen steht in Spannung zu ihrer F o r m , so daß der behauptete Anspruch kaum vernommen werden konnte; die

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Nachfolgeüberlieferung enthält neben den wenigen Berufungsgeschichten, die den Charakter von Personallegenden haben, mehr Warnung vor Nachfolgebereitschaft, wie M k 8,34; Lk 9 , 5 7 - 6 2 , so d a ß „ N a c h f o l g e " eher ein Ergebnis seiner Wirksamkeit als ein Charakteristikum seines Verhaltens sein könnte), ist klar, d a ß die Frage nach dem Gottesverhältnis Jesu als Frage nach seinem Verhältnis zur Gottesherrschaft gestellt werden muß, und zur Bestimmung dieses Verhältnisses ist der Gedanke der Stellvertretung höchst ungeeignet. Jesus repräsentiert diese Herrschaft nicht, er führt sie auch nicht herbei, sondern er respektiert durchaus G o t t als den, der allein seine Herrschaft heraufführt und durchsetzt. Wohl aber läßt sich sagen, d a ß Jesus von der N ä h e der Herrschaft Gottes Gebrauch m a c h t und eine entsprechende Ermächtigung auch anderen zumutet (Mk 11,23): Glaube ist Teilhabe an Gottes M a c h t (G. Ebeling), weil die N ä h e Gottes denen zuteil wird, die davon in Gewißheit Gebrauch machen. Es wird daher nicht so sehr vom Anspruch Jesu, an Gottes Stelle zu handeln, zu reden sein, als vielmehr davon, daß Jesus die Herrschaft Gottes in Anspruch n a h m . Dementsprechend w a r das Ereignis seines gewaltsamen Todes - so sehr es auch seine Autorität und Vollmacht infrage gestellt haben mag - im Innersten die Frage, ob G o t t sich trotz der Zurückweisung Jesu durch die Führer des erwählten Volkes als der nahe G o t t , von dem Jesus Gebrauch gemacht hatte, treu bleiben werde, oder sich in den fernen Gott verwandeln würde, gerade weil er sich zu Jesus bekennt. Das Gericht Gottes ist die die ganze erste Geschichte der palästinischjüdischen Christenheit bestimmende Möglichkeit und begleitende Frage. O h n e diese Frage und Möglichkeit sind weder die Wandlungen der Jesusüberlieferung noch die Bedeutung des Jahres 70, noch die A u f n a h m e alttestamentlicher Verheißungen zu begreifen. Durch die Art und Weise, wie Jesus G o t t in Anspruch nahm, ist für den christlichen Glauben Gott so in die Geschichte Jesu Christi verwickelt worden, d a ß seine N ä h e und Ferne, oder anders ausgedrückt: Gottes G n a d e und Gottes Gericht fortan im Blick auf die Geschichte Jesu Christi präzisiert werden müssen. Damit ist der christlichen Theo-logie ihre entscheidende Aufgabe gestellt. Die Präzisierung erreicht dort ihre tiefste Konzentration, w o dasjenige Ereignis, das nicht nur Jesu Autorität und Legitimität, sondern mehr noch die von Jesus in Anspruch genommene N ä h e Gottes in Frage stellt und bedrohte, nämlich Jesu Hinrichtung am Kreuz, als G r u n d und Bestätigung für die unbedingte Z u w e n d u n g Gottes aussagbar wird. 4. Die johanneischen

Schriften

Die johanneischen Schriften nehmen unter der Frage nach der Theo-logie im Neuen Testament nicht nur dadurch eine besondere Stellung ein, d a ß sie an mehreren Stellen definitorisch von G o t t zu sprechen scheinen (Joh 4,24; I Joh 1,5; 4,8.16) und das durch Christus erschlossene Heil als die Erkenntnis des wahren Gottes (Joh 17,3) bestimmt wird, sondern weil die Geschichte Jesu Christi in ihnen so zur Sprache gebracht wird, d a ß das Verhältnis von Gott und Christus nun zur unabweislichen Aufgabe der Theologie wird. Angesichts der vielen ungelösten historischen Fragen im Blick auf die johanneischen Schriften ist die Bestimmung dessen, was in den einzelnen Textabläufen jeweils als Interp r e t a n d u m und was als Interpretament wirksam ist, besonders wichtig. Dabei ergibt sich, d a ß das Johannesevangelium eine starke christologische Konzentration der soteriologischen Aussagen vollzieht. Diese Konzentration gewinnt in den Ich-bin-Worten ihren auffälligsten Ausdruck. Der Streit, o b es sich dabei um Identifikationsformeln (wie sicherlich in 11,25) oder Rekognitionsformeln (wie sicherlich 10,11; 15,5) handelt, m u ß hinterfragt werden. Folgt man dem Duktus etwa von 6 , 2 6 - 3 5 , so ergibt sich als Pointe, d a ß der Geber die G a b e mit sich selbst identifiziert. Er ist nicht nur Ursprung, Mittler oder Personifikation des Heils, sondern selbst in Person dieses Heil. Im gleichen Sinne identifiziert sich in 14,6 Jesus nicht nur als Weg zum Heil, sondern als das Ziel in Wahrheit und Leben. Der gleiche kritische Z u g gegen ein bloß funktionales Verständnis Jesu als Heilsmittler bestimmt auch die doppelte Deutung der Fußwaschung ( 1 3 , 6 - 1 1 . 1 2 - 1 7 ) wie die

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Gott IV

kritische Verarbeitung der Semeia-Tradition (4,48). Die Identifikation der Gabe mit dem Geber ist kritisch sowohl gegenüber jüdisch-apokalyptischem Denken wie auch gegenüber gnostischen Entwürfen, wenn auch deren Sprachmittel verwendet werden. M u ß man die Frage nach dem historischen Anlaß dieser Identifikationsbewegung gegenwärtig auch noch unbeantwortet lassen, so muß ihre sachliche Ermöglichung doch bedacht werden. Die Identifikation der Gabe mit dem Geber selbst ist Folge und Auslegung der Selbsthingabe Jesu in seinem Tod. B u l t m a n n h a t d e r c h r i s t o l o g i s c h e n K o n z e n t r a t i o n d e r s o t e r i o l o g i s c h e n A u s s a g e n in s e i n e m K o m m e n t a r R e c h n u n g zu t r a g e n v e r s u c h t , i n d e m er d e n O f f e n b a r u n g s g e d a n k e n , d e r in s e i n e r s t r e n g e n F o r m d i e I d e n t i f i k a t i o n d e r O f f e n b a r u n g m i t d e m O f f e n b a r e r e i n s c h l i e ß t , als b e s t i m m e n d f ü r d a s j o h a n n e i s c h e D e n k e n h e r a u s s t e l l t e . B u l t m a n n n i v e l l i e r t a b e r die A u s s a g e b e w e g u n g e n der e i n z e l n e n T e x t e , i n d e m e r ü b e r a l l s t e r e o t y p die G r u n d k o n t u r e n d e s O f f e n b a r u n g s g e d a n k e n s w i e d e r f i n d e t . D a s h a t z . B . H a e n c h e n zu r e c h t k r i t i s i e r t . M i t H a e n c h e n ist d i e U n t e r s c h e i d u n g v o n G o t t u n d C h r i s t u s , als U n t e r s c h e i d u n g v o n V a t e r u n d S o h n , m i t B u l t m a n n ist d i e E i n h e i t v o n V a t e r und S o h n z u r G e l t u n g zu b r i n g e n . D i e s e Einheit lebt d a v o n , d a ß der S o h n sich g a n z m i t d e m W e r k des Vaters identifiziert (4,34; 5 , 1 9 f f . 3 0 . 3 6 ; 6 , 3 8 ; 1 4 , 1 0 ; 1 7 , 4 u . ö . ) , s o d a ß , w e r ihn s i e h t , d e n V a t e r s i e h t ( 1 4 , 9 ) , u n d d a ß d e r V a t e r sich mit d e m S o h n identifiziert: der S o h n sucht nicht seine E h r e (5,41; 7 , 1 8 ; 8 , 5 0 ) , sondern die des V a t e r s ( 1 7 , 4 ) . A b e r d e r V a t e r ist es, d e r d e n S o h n v e r h e r r l i c h t h a t u n d v e r h e r r l i c h e n w i r d , w i e d e r S o h n es e r b i t t e t ( 1 7 , 5 , vgl. 3 , 3 5 ; 1 7 , 2 4 ) . D i e s e s W e c h s e l v e r h ä l t n i s d a r f n i c h t u n t e r d e r L e i t f i g u r d e s O f f e n b a r u n g s g e d a n k e n s a u f g e l ö s t w e r d e n . V a t e r u n d S o h n s t e h e n in e i n e m G e g e n ü b e r v o n G a b e u n d A n t w o r t . D i e s e s G e g e n ü b e r ist b e g r ü n d e t in d e r L i e b e d e s V a t e r s ( 3 , 3 5 ; 5 , 2 0 ; 1 5 , 9 ; 1 7 , 2 4 ) . D i e s e m a c h t d i e W i r k l i c h k e i t d e s S e i n s G o t t e s a u s , w e i l es u r a n f ä n g l i c h ein S e i n i m G e g e n ü b e r m i t d e m S o h n ( L o g o s ) ist ( 1 , 1 - 2 ) . In d e r S e n d u n g d e s S o h n e s e r s c h l i e ß t s i c h d a s E i n s - S e i n v o n V a t e r u n d S o h n in d e r W e s e n s g e m e i n s c h a f t d e r L i e b e ( 1 0 , 3 0 . 3 8 ; 1 4 , 7 f f ; 1 7 , 1 1 ) s o , d a ß M e n s c h e n in d i e s e G e m e i n s c h a f t e i n k e h r e n k ö n n e n (bes. 1 4 , 2 - 2 4 ) .

Der Satz „Gott ist die Liebe" (I Joh 4,8.16) definiert also nicht Gott durch die Bestimmung seiner Eigenschaft, sondern er ist Resultat der Geschichte, die von der Liebe Gottes ausgeht, in der der Sohn sein Sein hat, indem er es in seiner Sendung gehorsam betätigt und die Glaubenden in diese Liebe einholt, so daß sie in ihr leben können. Auch in J o h 4 , 2 4 geht es nicht um eine definitorische Bestimmung des Wesens Gottes, sondern um die Art und Weise seines Anwesens. Gott erschließt sich als Geist. Von der Tendenz her, die Heilsgabe mit dem Geber zu identifizieren, kann auch der Sachverhalt gesehen werden, daß in den Abschiedsreden mit den Parakletsprüchen der heilige Geist (14,26) bzw. der Geist der Wahrheit (14,17; 15,26; 16,13) als Person zur Sprache gebracht wird: er wird gesandt (14,26; 15,26), er kommt (16,13). In seinem Anwesendwerden antwortet der Vater auf die Vollendung der Sendung des Sohnes (14,16.26; 16,7). In seinem Kommen werden Vater und Sohn selbst anwesend (14,23). Sein Kommen ist Tat der Liebe des Vaters (14,23.21) und des Sohnes (14,21). So ist auch das Anwesen Gottes im Geist und als Geist eingebunden in die Geschichte der Liebe. Damit ist der Grund für ein trinitarisches Verständnis Gottes gegeben. Literatur Allgemein: T h o r l e i f B o m a n , D a s hebräische D e n k e n im Vergleich mit d e m griech., G ö t t i n g e n 1 9 7 7 , 3 3 - 3 9 . - Herbert B r a u n , Die P r o b l e m a t i k einer T h e o l . des N T : Z T h K . B 2 (1961) 3 - 1 8 = ders., Ges. Stud. zum N T u. seiner U m w e l t , T ü b i n g e n 1 9 6 2 , 3 2 5 - 3 4 1 . - R u d o l f B u l t m a n n , A r t . YIYVCÖCTXCO * T A . : T h W N T 1 ( 1 9 3 3 ) 6 8 8 - 7 1 9 . - H a n s C o n z e l m a n n , G r u n d r i ß d e r T h e o l . d e s N T , M ü n c h e n 2 1 9 6 8 . - Alfons Deißler, Art. G o t t : B L 2 (1968) 6 1 3 - 6 2 0 . - D e r s . / R u d o l f S c h n a c k e n b u r g , Art. G o t t : B T h W 3 1 (1967) 6 0 5 - 6 3 1 . - G e o r g e H o w a r d , T h e T e t r a g r a m m and the N T : J B L 9 6 (1977) 6 3 - 8 3 . - E d m o n d J a c o b / W e r n e r S c h m a u c h , Art. G o t t : B H H 1 (1962) 5 8 5 - 5 8 9 . - Wilfried L. K n o x , T h e , D i v i n e H e r o ' C h r i s t o l o g y in t h e N T : H T h R 4 1 ( 1 9 4 8 ) 2 3 0 - 2 4 9 . - H a n s J o a c h i m K r a u s , D e r l e b e n d i g e G o t t : E v T h 2 7 ( 1 9 6 7 ) 1 6 9 - 2 0 0 . - J o s e f P f a m a t t e r , E i g e n s c h a f t e n u. V e r h a l t e n s w e i s e n G o t t e s i m N T : M y S a l 2 ( 1 9 6 7 ) 2 7 2 - 2 9 0 . - K a r l R a h n e r , Theos i m N T : d e r s . , S e h r , zur T h e o l , I Z ü r i c h " 1 9 6 7 , 9 1 - 1 6 7 . - K a r l H e r m a n n S c h e l k l e , T h e o l . d e s N T , I D ü s s e l d o r f 1 9 6 8 , 1 0 7 - 1 1 8 ; II D ü s s e l d o r f 1 9 7 3 , 2 5 1 - 3 2 2 . - F r a n z J o s e f Schierse, D i e ntl. T r i n i t ä t s o f f e n b a r u n g : M y S a l 2 ( 1 9 6 7 ) 8 5 - 1 3 1 . - W o l f g a n g S c h r ä g e , T h e o l . u. C h r i s t o l o g i e bei P a u l u s u. J e s u s a u f d e m H i n t e r g r u n d d e r modernen Gottesfrage: E v T h 36 (1976) 1 2 1 - 1 5 4 . - Eduard Schweizer, Was heißt „ G o t t " ? , Beitr. zur 6

Gott IV

651

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Erwägungen zur theol. Relevanz der Metapher als Beitr. zur Hermeneutik einer narrativen Theol.: Paul Ricoeur/Eberhard Jüngel, Metapher: EvTh Sonderheft (1974) 7 1 - 1 2 2 = ders., Entsprechungen, Gott - Wahrheit - Mensch, München 1 9 8 0 , 1 0 3 - 1 5 7 . Wilhelm Köster, Der Vater-Gott in Jesu Leben u. Lehre: Schol 16 (1941) 4 8 1 - 4 9 5 . - Werner Georg Kümmel, Die Gottesverkündigung Jesu u. der Gottesgedanke des Spätjudentums: ders., Heilsgeschehen u. Gesch., 1965 ( M T h S T 3 ) , 1 0 7 - 1 2 5 . - William L. Lane, Theios Aner Christology and the Gospel of Mark: Richard Longenecker/Mercill C. Tenney (Hg.), New Dimensions in N T Study, Grand Rapid Zondervan 1974, 1 4 4 - 1 6 1 . - W.L. 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Gott V

652

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V. Alte K i r c h e 1. Allgemeine Voraussetzungen 2. Die Apologeten 3. Die Problematik theologischer Aussagen 4. Irenaus und Tertullian 5. Spätere griechische Theologen 6. Augustin (Literatur S. 657) 1. Allgemeine

Voraussetzungen

D e r G o t t e s b e g r i f f der K i r c h e n v ä t e r b e r u h t e auf dem Alten T e s t a m e n t (s. o . A b s c h n . II) in der D e u t u n g , die es in d e m zum N e u e n T e s t a m e n t ( s . o . A b s c h n . IV) hinführenden Überlieferungsmilieu gefunden h a t . Seit dem 2. J h . standen sie zudem unter dem starken Einfluß griechischer P h i l o s o p h i e . H i n s i c h t l i c h dieser Voraussetzungen ist zweierlei zu b e a c h t e n : 1. W ä h r e n d die neuzeitliche B i b e l w i s s e n s c h a f t eine die G o t t e s v o r s t e l l u n g vertiefende und e r w e i t e r n d e E n t w i c k l u n g im religiösen D e n k e n des Alten T e s t a m e n t s erk e n n b a r werden l ä ß t , w a r e n die K i r c h e n v ä t e r allgemein überzeugt, d a ß alle biblischen T e x t e g l e i c h e r m a ß e n verbindlich seien. Unangemessen o d e r widersprüchlich erscheinende Stellen wurden d a h e r übergangen o d e r allegorisch umgedeutet. 2. D e r R ü c k g r i f f der V ä t e r a u f die griechische P h i l o s o p h i e w a r in h o h e m M a ß e a u s w a h l h a f t . Sie verwarfen die S k e p t i k e r und E p i k u r e e r und w a r e n v o r n e h m l i c h d e m P i a t o n i s m u s ( - > P l a t o ) mit seiner L e h r e von einer d e m m e n s c h l i c h e n Geist zugänglichen ewigen Welt der W a h r h e i t und S c h ö n h e i t und (im Timaios) von der E r s c h a f f u n g dieser Welt durch einen g ö t t l i c h e n Bildner verpflichtet. D i e - » S t o a leistete einen Beitrag zur christlichen Lehre von der Vorsehung, und ein Ineinanderfließen beider T r a d i t i o n e n führte zu der Vorstellung eines zweiten G o t t e s , des göttlichen L o g o s , und hat in gewissem U m f a n g die Lehre von der —»Trinität v o r g e f o r m t . D a s Alte T e s t a m e n t zeichnet G o t t als den, der in H e r r l i c h k e i t ü b e r den H i m m e l s s p h ä r e n w o h n t , als - » S c h ö p f e r der Welt und h ö c h s t e n L e n k e r des N a t u r g e schehens wie der m e n s c h l i c h e n G e s c h i c h t e , der entweder d u r c h persönliches Erscheinen (so die frühen Schriften) o d e r d u r c h B o t e n (—»Engel) und vermittelnde K r ä f t e wie sein W o r t in die Welt eingreift, als zeitlos und ewig, gerecht und gnädig den M e n s c h e n gegenüber. Es r ä u m t nirgends endgültig den E i n d r u c k aus, d a ß G o t t , in ungeheurer M a c h t f ü l l e z w a r ( z . B . J e s 4 0 , 1 2 , vgl. a u c h V. 18) und s c h r e c k l i c h e m G l a n z ( z . B . Ez 1 , 2 7 f , eine in der - » A p o k a l y p t i k vielfach n a c h g e s t a l t e t e Stelle), in menschlicher Gestalt existiere, w e n n auch die L e h r e der R a b b i n e n sich m e h r a u f G o t t e s m o r a l i s c h e als a u f seine physischen E i g e n s c h a f t e n richtete. - » P h i l o hat das Alte T e s t a m e n t nach philosophischen M a ß s t ä b e n neu gedeutet und dabei G o t t als transzendent o h n e m e n s c h l i c h e G e s t a l t und L e i d e n s c h a f ten beschrieben (vgl. vor allem De posteritate Caine 1 - 4 ) und m a n c h e n später von christ-

Gott V

653

liehen Schriftstellern übernommenen Grundsatz ausgeformt, u. a. denjenigen, daß wir zwar wissen können, daß Gott ist (oder existiert), niemals aber, was er ist. 2. Die

Apologeten

Die Apologeten des 2. Jh. (-»Apologetik) waren die ersten christlichen Schriftsteller, die eine ausgeführte Gotteslehre vorgelegt haben, die in gedrängter Form schon in der kurzen Apologie des Aristides (ca. 140 n. Chr.) begegnet. Die Ordnung und regelmäßige Bewegung der Welt erweist die Existenz eines Schöpfers, der seinerseits ungeschaffen ist, ohne Anfang und Ende, unwandelbar, vollkommen, machtvoll und weise. Er hat weder Namen noch Gestalt noch Körper noch Geschlecht. Er steht außerhalb des Raumes, wird nicht umfaßt von den Himmelssphären, ist aber doch inmitten seiner Geschöpfe wirksam. -> Justin stellt Gott als Schöpfer des Universums dar, der sich selbst genug ist, aber doch vernünftige Anbetung entgegennimmt, ewig und unwandelbar (apol. 1,13), das allein ursprungslose Wesen, allmächtig und nicht leidensfähig (ebd. 14.18.25), aber auch gut und erbarmungsvoll (dial. 108). Er hat keinen Namen; die Worte Vater, Gott, Schöpfer usw. sind nicht Namen, sondern Titel, die seine Wohltaten und Werke anzeigen (apol. 11,6). Er sieht und weiß alles, nicht durch Augen, sondern durch ein unbeschreibbares Vermögen. Er ist unsichtbar; Justin erklärt die Theophanien des Alten Testaments (-»Offenbarung) als Erscheinungen des göttlichen Logos, der vom Vater unterschieden, wenn auch nicht getrennt ist (dial. 127f). Ähnliche Vorstellungen finden sich bei -»Tatian, Athenagoras (vgl. insbes. leg. 10) und -»Theophilus von Antiochien (vgl. autol. 1,3). 3. Die Problematik

theologischer

Aussagen

Das Ineinanderfließen biblischen und platonischen Denkens hat mit alledem eine Reihe von Problemen zutage treten lassen, von denen einige niemals ganz bewältigt worden sind. 3.1. Die Gestalt Gottes. Die Platoniker dachten sich Gott gestaltlos und unsichtbar, während das Alte Testament unbefangen von seinen Händen, Augen, Ohren, Flügeln usw. redet. -»Melito von Sardes hat nach Origenes (Sei. in Gen. 1,26) gelehrt, daß Gott in körperlicher Gestalt existiere; ähnliche Vorstellungen haben, wie aus Einwendungen dagegen bei Origenes und anderen sichtbar wird, unter ungebildeten Christen zweifellos fortgelebt und wurden zum Gegenstand einer heftigen Auseinandersetzung mit den Anthropomorphiten des späten 4. Jh. 3.2. Der Ort Gottes. Der Piatonismus wie das Judentum pflegten die Vorstellung von einer himmlischen Welt über oder jenseits der sichtbaren Himmelssphären. Die assoziative Verknüpfung von Höhe und Erhabenheit machte es leicht, die Vorstellungen, daß einmal Gott besser sei als alle Geschöpfe und daß zum anderen er räumlich über ihnen oder jenseits ihrer sei, miteinander zu vermengen (vgl. etwa Athenagoras, leg. 8). Einige christliche Schriftsteller behaupten, daß Gott der Vater im Himmel sei und nicht auf die Erde hinabkommen könne (so etwa Eusebius von Caesarea, dem. ev. IV,6; seine Gegenwart würde Zerstörung nach sich ziehen!), selbst wenn er nach stoischer Weise ebenfalls als der beschrieben wird, der alle Dinge durchwest. Ein beliebter, schon bei Philo sich findender Satz war die Aussage, daß Gott „alle Dinge umfaßt und selbst nicht umfaßt wird" (vgl. W. R. Schoedel); sie konnte allerdings den Gedanken nahelegen, daß Gott, wie der Äther in vielen Entwürfen griechischer Kosmologie, seinen Ort an der Grenze des Universums habe (s.u. Abschn. 4). 3.3. Die Einheit Gottes. Die Bibel lehrt, daß Gott einzig ist. Platonisches Denken verband jedoch den Begriff des Guten mit dem der Einheit. Gottes Vollkommenheit mußte daher vollkommene Einheit oder Einfachheit in sich schließen. Diese Vorstellung erwies sich indessen als nicht leicht deutbar. Da Plato geltend gemacht hatte, daß die Seele einfach sei (Phaid. 78 f), konnte man der Überzeugung sein, daß Gottes „Einfachheit" nicht sein Wissen und seine Fürsorge für die Vielheit seiner Geschöpfe ausschließe; aber

654

Gott V

vollkommene, und das heißt unbedingte Einfachheit konnte auch den Gedanken an eine mathematische Einheit nahelegen (Clem., str. V,71), in der eine Vielzahl von Gedanken nicht vorstellbar ist. Mehr noch, Gott wurde häufig auch als reine Substanz ohne Eigenschaften dargestellt in offenbarem Widerspruch zu der Vorstellung von seinen mannigfachen Vollkommenheiten. 3.4. Das Wirken Gottes. Die Bibel stellt Gott dar als unveränderlich, und das heißt als treu zu seinen Vorsätzen und Verheißungen stehend. Plato hat demgegenüber eine sehr viel ausgeprägtere Vorstellung von Unveränderlichkeit vorgetragen (polit. 11,380 f), die offenbar jede Zuwendung zu und jedes Handeln an allem Zeitlichen ausschließt. Origenes war neben anderen der Meinung, daß Gott alle zukünftigen Geschehnisse voraussehe und von Ewigkeit her sein zukünftiges Handeln beschlossen habe. Dem freien Willen des Menschen tue dies keinen Abbruch. Gott sehe das Handeln der Menschen voraus, dieses selbst aber entspringe ihrem eigenen Willen. Andere Kirchenväter betonen sowohl Gottes absolute Unveränderlichkeit als auch sein Handeln in der Zeit, ohne daß damit sich stellende Problem zu lösen. 3.5. Die „Leidenschaften" Gottes. Die Bibel schreibt Gott unbefangen Gemütsbewegungen wie Liebe, Sehnsucht, Zorn, Eifersucht und Reue zu. Die Griechen bezeichneten solche Affekte mit einem unzulänglichen, in seiner Bedeutungsbreite von der Gemütsbewegung jedweder Art bis hin zur unerlaubten Begierde reichenden Begriff als nä9r). Daher erscheint die fest verwurzelte Anschauung, daß Gott änaQriq, leiden- und leidenschaftslos (vgl. „apathisch") sei, einerseits unmittelbar einleuchtend, andererseits wiederum in hohem Grade widersinnig und unbiblisch. Im allgemeinen waren die Väter mit der Zuschreibung von Affekten an Gott zurückhaltend. Origenes erklärt, daß Gott in gewisser Hinsicht Gemütsbewegungen habe: miseretur et condolet, patitur aliquid caritatis (hom. 6,6 in Ezech. [er erbarmt sich und empfindet Mitleid, er erfährt etwas wie Liebe]); doch ist das ungewöhnlich (vgl. hom. 23,2 in Num.). 3.6. Gottes Intellekt. Es verblieb die Frage, inwieweit Gott nach Analogie der menschlichen Seele verstanden werden konnte. Den Griechen fehlte bei ihrer Unterscheidung zwischen „Vernunft" und „Leidenschaften" eine klare Vorstellung des rationalen Willens, der etwa Gottes gerechte Abscheu gegen die Sünde hätte erklären können (Stead, Concept). Faktisch mußte man so, weil eine andere Vorstellung nicht zu Gebote sind, Gott Intelligenz zuschreiben. Auch solche Theologen, die sich sträubten, Gott als „Verstand" (vovg) zu charakterisieren, ordneten ihn häufig den (platonischen) intelligiblen Wesen zu, und „ G e i s t " (KV£V/ia) wird zuweilen als eine diese bezeichnende Metapher verwendet (so Origenes, princ. 1,1,2).

4. Irenaus und

Tertullian

->Irenäus hatte sich mit Gnostikern (—>Gnosis) auseinanderzusetzen, die die Welt als die Schöpfung einer bösen oder niederen Gottheit ansahen (und häufig die Genesis umdeuteten, um dies darzutun). Deshalb betonte er die Identität des im Alten Testament offenbarten Schöpfers mit dem Vater Jesu Christi. Ebenso verwarf er ihre Spekulationen von einer transzendenten Gottheit, die eine Vielzahl himmlischer Kräfte ausströmte, von denen einige in Irrtum, Sünde und Geschöpflichkeit verstrickt wurden. Demgegenüber nahm er den philosophischen Begriff Gottes als eines vollkommen einfachen Seienden auf, dessen zahlreiche Eigenschaften und Kräfte mit seinem Wesen identisch sind (haer. 11,13,3; mit Einschränkungen 11,13,8). Dennoch kennt er auch besondere Handlungen göttlicher Strenge, Gnade usw. in der Geschichte (etwa haer. 111,25,2; IV,40,1; vgl. seine Rekapitulationslehre, nach der das fleischgewordene Wort Entscheidungsmomente der menschlichen Geschichte neu gegenwärtig setzt und damit unsere Fehler ausgleicht). Er führt auch eine Reihe biblischer Themen aus, Gottes Freiheit bei der Weltschöpfung (haer. 11,1,1; 11,30,9, vgl. IV,14,1), seine Liebe in seiner Selbstoffenbarung (111,24,2) und die Identität seines Willens mit seiner Ausführung (1,12,2). Gott bedurfte bei der Schöpfung

Gott V

655

keines Beistandes, sein Wort und seine Weisheit ( = sein Geist) als seine „ H ä n d e " sind mit ihm eine Ganzheit (haer. IV,20,1, vgl. etwa Jes 45,12). Der Fund der koptisch-gnostischen Texte von -»Nag Hammadi 1947 hat der Theologiegeschichte die Möglichkeit zu einem besseren Verständnis der christlichen Gnosis eröffnet. Im allgemeinen haben sich dabei die Angaben des Irenaus und sein theologisches Urteil bestätigen lassen. Viele gnostische Schriften waren hochtrabend und seicht. Einige Irenäus nicht bekannte Texte indessen haben doch auch theologischen Wert. Insbesondere der Tractatus tripartitus führt eindringlich mit einer an die Apologeten gemahnenden Ausdrucksweise Gottes Transzendenz vor Augen und zeichnet ein weit weniger grobschlächtiges Bild von den abgeleiteten Kräften als die von Irenäus verworfenen Schriften. —»Tertullian steht wie Irenäus unter dem Einfluß der platonisierenden Theologie der Apologeten (vgl. etwa apol. 17; adv. Marc. 1,3) und betont im Gegensatz zu -»Marcion ebenfalls die Einheit von Altem und Neuem Testament und stellt Gott als sowohl gerecht als auch gut dar. Stoischer Einfluß zeigt sich in seiner Beschreibung Gottes als corpus, spiritus und als äußere Begrenzung des Universums (adv. Prax. 7,16). In seiner Trinitätslehre beschreibt er Gottes Substanz, als sei sie eine formbare Masse, aus der eine neue Form sich bildete, als das unausgesprochene Wort (ratio) als sermo und Sohn geboren wurde. Er legt keinen besonderen Ton auf die materialisierenden Implikationen dieser Redeweise, setzt sich aber auch nicht von ihnen ab. Gottes Gerechtigkeit schließt für Tertullian Unwillen gegenüber Sündern ein: Si offenditur, debet irasci (adv. Marc. 1,26: Wird er beleidigt, muß er zürnen). -»Lactantius führt in De ira dei diesen Gedanken weiter und spricht von Gottes affectus = näST], 5. Spätere griechische

Theologen

Die alexandrinischen Theologen -»Clemens und -»Origenes räumen der platonischen Theologie einen höheren Stellenwert ein, und ihre Methode der -»Schriftauslegung ermöglicht ihnen, die biblischen Aussagen in sie hinein zu verrechnen. (So bedeutet etwa Gottes „Wandeln" im Paradies [Gen 3,8], daß er von unseren Sünden „bewegt" ist: Orig., Cels. VI,64). 5.1. Clemens beschreibt Gott als unerkennbar und alle menschlichen Kategorien übersteigend. Wir kennen ihn allein durch seine Gnade, durch seinen Logos (str. V,81f). Es ist kennzeichnend für diese alexandrinischen Theologen, daß sie den Logos vom Vater gesondert und unserem Verstehen weniger fern sehen. 5.2. Origenes lehrt, daß Gott eine vollkommen einfache geistige Substanz sei (princ. 1,1,5), aber auch, daß er alle intelligiblen Wesenheiten übersteige (exhort. ad. mart. 47; vgl. die platonische Wendung „Verstand und Sein übersteigend" und s. dazu Whittaker). Er stellt Gott als unkörperlich dar im Gegensatz einmal zu einer Vorstellung Gottes in menschlicher Gestalt (Sei. in Gen. 1,26; Cels. VI,64) oder mit menschlichen Leidenschaften (ebd. IV,71 - 7 3 ) und zum anderen zu seiner aus den biblischen Bezeichnungen „Geist" und „Feuer" abgeleiteten Auffassung als eines geistigen, ätherischen „Leibes" ohne Gestalt (princ. 1,1,1; in Joh. comm. XIII,21). Gottes Güte, Glückseligkeit und Gottheit übersteigen unser Verstehen. Sie sind aber nicht bloße bedeutungsleere Worte, da wir durch seinen Logos eine gewisse Vorstellung von ihnen gewinnen können (Cels. VI,62-64). 5.3. Die späteren Alexandriner -»Athanasius, ->Didymus und —»Cyrill folgen Origenes, soweit es um Gottes Einfachheit, Selbstgenügsamkeit und die Fülle seines Gutseins geht. Während jedoch Origenes dazu neigt, Gottes beschreibbare Eigenschaften dem Logos zuzuweisen und den Vater als ihre transzendente Quelle darzustellen, lehnen sie, auch wenn sie daran festhalten, daß der Vater durch den Logos erkannt wird, als Nizäner jedwede subordinatianische Betrachtungsweise ab, die den Logos, weil uns zugänglicher, geringer als den Vater sein läßt. (-»Eusebius von Caesarea ist der letzte geduldete Vertreter dieser Anschauung). Für Athanasius ist der Logos die alleinige und hinreichende Verwirklichungsgestalt der Weisheit des Vaters (De syn. 41). Obwohl er daran festhält,

656

Gott V

daß Gott vollkommen einfach ist (De decr. 22), unterscheidet er ferner zwischen Gottes Natur und Willen, den er mit Gottes Handeln in seiner Weltzuwendung in Verbindung bringt und der eine allzu menschlich gedachte Vorstellung von Entscheidungsbildung in sich schließen konnte (Arian. 111,60-62). 5.4. Die innere Logik der Aussagen über Gott wurde von den Kappadokischen Vätern

-*Basilius

von Caesarea,

-*•Gregor von Nazianz und —>Gregor von Nyssa in der Ausein-

andersetzung mit dem Arianer —•Eunomios dessen Behauptung gegenüber abgeklärt, daß der Begriff äyevvqTog (ungezeugt oder ursprungslos) die einzige und hinreichende Kennzeichnung des Wesens Gottes sei, an dem der Sohn als gezeugt keinen Anteil haben könne. Andere Beschreibungen Gottes seien bloße ¿Ktvoiai, menschliche Gedankengebilde. Die Kappadokier verfechten demgegenüber die Verwendung von Gottesprädikaten, und zwar sowohl positiven als auch negativen und absoluten wie relationalen (so ist Gott absolut einer, aber relational zur Welt Schöpfer). In sich selbst ist Gott unbegreiflich und zugleich einfach. Doch wir können ihn mit zahlreichen Begriffen angemessen beschreiben, die sein Wirken oder seine Wirkkräfte („Energien") in der geschaffenen Welt bezeichnen, wie etwa seine M a c h t , Weisheit, Güte usw. (Basilius, ep. 234). Unser theologisches Verstehen ist wie unser Sehvermögen wirklichkeitsgemäß, wenn auch begrenzt (ep. 233). Es entspringt der Schrift, der Geordnetheit der Schöpfung und innerer -»Erleuchtung. Gregor von Nyssa betritt insofern Neuland, als er (im Gegensatz zu Origenes, princ. 11,9,1) von der Unbegrenztheit Gottes spricht, so wie er auch das moralische Ideal in einem endlosen Fortschreiten in der Tugend sieht. 5.5. Zu einer letzten bedeutenden Weiterentfaltung des griechischen patristischen Denkens über Gott kommt es bei Dionysius Areopagita, der dem bereits bei den Kappadokiern und bei Augustinus spürbaren Einfluß -»Plotins weiteren R a u m gibt. Für ihn ist Gottes Wesen ganz und gar geheimnisvoll und weder durch positive noch durch negative Attribute erklärbar. Alles, was wir von Gott wissen können, bezieht sich auf seine Wirkkräfte.

6.

Augustin

Augustins Denken über Gott steht unter dem Einfluß des Neuplatonismus, wie er ihm von Marius Victorinus vermittelt worden war. Er selbst berichtet, daß er nach der Abkehr vom —>Manichäismus sich G o t t immer noch zwar nicht in menschlicher Gestalt, aber doch in räumlicher Ausdehnung vorgestellt habe (Conf. VII,1,1 f; vgl. o. zu Tertullian). Die Lektüre „platonischer B ü c h e r " (ebd. VII,9,13; 20,26) habe ihn von der Wirklichkeit der intelligiblen Welt überzeugt (ebd. VII,10,16; c. Acad. 111,11,24-26; D e mag. 12,39f) und veranlaßt, „in sich selbst hineinzuschauen" (Conf. VII,10,16; De vera rel. 39,72) und das unsichtbare „ L i c h t " der Wahrheit zu erfahren, das zugleich vollkommene Befriedigung bringe (Conf. X , 6 , 8 ) . So begriffen, ist Gott schwer zu beschreiben (En.in Ps. 85,12). Doch erblickt Augustin in ihm wiederum im Gefolge der platonischen Tradition die Koinzidenz von absoluter Einfachheit, reinem Sein und vollkommener Güte (De trinit. VI,7,8; En.in Ps. 134,3f). Als reines Sein ist Gott unveränderlich; daher sollte er auch nicht einmal Substanz genannt werden, sofern dies das Gegebensein von Akzidentien einschließe (De trin. V,2,3; VII,5,10), vielmehr schlechthin essentia. Seine verschiedenen Eigenschaften sind miteinander und mit seinem Sein selbst identisch (ebd. VI,4,6); „was er hat, das ist e r " (In J o h . tract. 48,6). Gottes Wissen umfaßt alle zukünftigen Möglichkeiten (Civ. dei X I , 2 2 ; D e trin. XV,13,22). Die Welt hängt von seinem Willen ab, wobei ihre Schöpfung als ein ewiger, von ihrer Erhaltung ununterscheidbarer Akt gilt (De Gen. ad litt. IV,22,29; Civ. dei X I , 2 8 ; X I I , 16). Das ->Böse entsteht in der Welt allein deshalb, weil Gott in seiner Weisheit vernünftigen Geschöpfen zugesteht, frei zu handeln und sich auch für geringere Güter zu entscheiden (De lib. arb. 11,19,35; Conf. VII,12,18). Daher sind alle geschaffenen Dinge gut und legen Zeugnis ab für das höchste Gute, das sie

657

G o t t VI

g e s c h a f f e n h a t ( C o n f . X , 6 , 8 f). — In d e r a b e n d l ä n d i s c h e n T h e o l o g i e g e s c h i c h t e h a b e n d i e s e Vorstellungen A u g u s t i n s viele J a h r h u n d e r t e lang eine b e h e r r s c h e n d e W i r k u n g a u s g e ü b t . Literatur Carl Andresen, Justin u. der mittlere Piatonismus: Z N W 4 4 ( 1 9 5 2 / 1 9 5 3 ) 1 5 7 - 1 9 5 . - T h e C a m bridge H i s t o r y o f Later G r e e k and Early Medieval Philosophy, hg. v. Arthur Hilary A r m s t r o n g , C a m b r i d g e 1967. - X . le Bachelet, Art. Dieu, Sa nature d'après les Pères: D T h C 4 / 1 (1939) 1 0 2 3 - 1 1 5 2 . - Leslie William B a r n a r d , Justin M a r t y r . His Life and T h o u g h t , Cambridge 1967. N a t h a n a e l B o n w e t s c h , Die T h e o l . des Irenaus, 1925 ( B F C h T h . M 9). - R e n é B r a u n , Deus Christianorum. R e c h e r c h e s sur le vocabulaire doctrinal de Tertullien, Paris 1962 2 1 9 7 7 . - J e a n D a n i é l o u , Gospel M e s s a g e and Hellenistic Culture ( = M e s s a g e évangélique et culture hellénistique a u x 2 e et 3 e siècles), engl. Ubers, erg. von J . A. B a k e r , L o n d o n 1973. - Heinrich D ö r r i e , Die Frage nach dem Transzendenten im M i t t e l p i a t o n i s m u s . Entretiens sur l'antiquité classique: Fondation H a r d t 5 , G e n f 1 9 6 0 , 1 9 1 - 2 4 2 . - Ignacio E s c r i b a n o - A l b e r c a , G l a u b e u. G o t t e s e r k e n n t n i s in der Schrift u. Patristik, 1974 ( H D G l / 2 a ) . - André J e a n Festugière, La révélation d ' H e r m è s Trismégiste, 4 Bde., Paris 1 9 4 4 - 1 9 5 4 (bes. Bde. 2 u. 4). - Stanislaus J . G r a b o w s k i , T h e All-Present G o d . A Study in St. Augustine, St. Louis M o . / L o n d o n 1954. - R o b e r t M a c Q u e e n G r a n t , T h e Early Christian D o c t r i n e o f G o d , Charlottesville Va. 1966. - Karl H o l l , Amphilochius v. I k o n i u m in seinem Verhältnis zu den großen Kappadoziern, T ü b i n g e n 1904 2 1 9 6 9 . - Endre von I v a n k a , Plato Christianus, Einsiedeln 1964. - H a i K o c h , Pronoia u. Paideusis, 1932 ( A K G 2 2 ) . - E c k a r d König, Augustinus Philosophus, M ü n c h e n 1970 (Studia et T e s t i m o n i a Antiqua 11). - Bernhard Kötting, Art. G o t t , V. Patristik: H W P 3 (1974) 7 3 5 - 7 4 1 . - Salvatore R . C . Lilla, C l e m e n t o f A l e x a n d r i a . A Study in Christian Platonism and G n o s t i c i s m , O x f o r d 1971. - E k k e h a r d M ü h l e n b e r g , Die Unendlichkeit Gottes bei G r e g o r v. Nyssa, 1966 ( F K D G 16). - Peter Nemeshegyi, La paternité de Dieu chez O r i g è n e , T o u r n a i 1960. R i c h a r d Alfred N o r r i s , G o d and World in Early Christian T h e o l o g y , L o n d o n 1966. - Eric Francis O s b o m , Justin M a r t y r , 1975 ( B H T h 4 7 ) . - Wolfhart Pannenberg, Die A u f n a h m e des phil. G o t t e s b e griffes als d o g m . Problem der frühchristl. T h e o l . : Z K G 7 0 (1959) 1 - 4 5 , = ders., Grundfragen syst. T h e o l . , G ö t t i n g e n 1967, 2 9 6 - 3 4 6 . - Eugène Portalié, A G u i d e to the T h o u g h t of St. Augustine, L o n d o n 1960 = ders., Art. Augustin St.: D T h C 1 (1930) 2 2 6 8 - 2 4 7 2 . - G e o r g e Leonard Prestige, G o d in Patristic T h o u g h t , L o n d o n 1936 2 1 9 5 2 . - William R . Schoedel, Enclosing, not Enclosed. T h e Early Christian D o c t r i n e o f G o d : Early Christian Literature and the Classical T r a d i t i o n , FS R . M . G r a n t , hg. v. d e m s . / R o b e r t L . W i l k e n 1979 ( T h H 53) 7 5 - 8 6 . - (George) C h r i s t o p h e r Stead, Divine Substance, O x f o r d 1977. - Ders., T h e C o n c e p t o f M i n d and the C o n c e p t of G o d in the Christian Fathers: T h e Philosophical Frontiers of Christian T h e o l o g y , FS D . M . M a c K i n n o n , hg. v. Brian H e b b l e t h w a i t e / S t e w a r t Sutherland, C a m b r i d g e 1981, 3 9 - 5 4 . - J o h n W h i t t a k e r , 'Enétcsi va vov Kai oùaiaç: V i g C h r 2 3 (1969) 9 1 - 1 0 4 . - F r a n c e s M . Young, T h e G o d o f the G r e e k s and the Nature o f Religious Language: S c h o e d e l / W i l k e n , s . o . , 4 5 - 7 4 . George Christopher Stead

VI. Mittelalter 1. Denkvoraussetzungen 2 . D a s Vermächtnis von Augustin und Boethius 3 . Frühscholastik 4 . T h o m a s von Aquin 5. D u n s Scotus und W i l h e l m O c k h a m 6. D a s Spätmittelalter 7 . Der O s t e n 8. D e r Beitrag des Mittelalters (Literatur S. 6 6 2 ) 1.

Denkvoraussetzungen

M i t t e l a l t e r l i c h e T h e o l o g e n w u ß t e n s i c h bei i h r e n A u s s a g e n ü b e r G o t t e i n e m ü b e r d i e V ä t e r bis in d i e B i b e l z u r ü c k r e i c h e n d e n K o n t i n u i t ä t s s t r o m e i n g e o r d n e t . G e w i ß h i n g i h r e Kenntnis der patristischen Literatur im einzelnen von Zufälligkeiten der Erreichbarkeit v o n H a n d s c h r i f t e n u n d d e r e n Ü b e r l i e f e r u n g s t r e u e a b , d o c h sie w a r e n s t e t s d e r b e s t i m m e n d e n F r a g e n einer d u r c h die A n t i k e g e p r ä g t e n christlichen Überlieferung g e w ä r t i g und ihnen verpflichtet. E i n b e d e u t s a m e r Z u g dieser Überlieferung w a r die F r a g e der Verhältn i s b e s t i m m u n g d e s E v a n g e l i u m s z u - » P l a t o u n d - » A r i s t o t e l e s , d i e es j e t z t n o c h t i e f e r a u s z u l o t e n galt. Z u d e m sollten die K o n t u r e n des Gottesbegriffs nicht für sich allein hera u s g e a r b e i t e t w e r d e n , s o n d e r n in i h r e r B e z i e h u n g z u a n d e r e n z e n t r a l e n

Lehraussagen

über Inkarnation ( - » J e s u s Christus) und -»Trinität, - » H e i l und - » K i r c h e . „ D e r Gottesg e d a n k e d e s M i t t e l a l t e r s h a t g e r a d e d a r i n sein C h a r a k t e r i s t i k u m , d a ß e r a u f d i e O r d n u n g

658

Gott VI

der Schöpfung und die Heilsordnung der Kirche bezogen ist" (Pannenberg, Gottesgedanke 32). 2. Das Vermächtnis

von Augustin

und

Boethius

Im Abendland war ein Jahrtausend lang zumindest ein gewisses M a ß an Augustinkenntnis allen Gebildeten zu eigen. „Es wäre möglich, die ganze Geschichte der nachaugustinischen Dogmatik des Abendlandes als die Geschichte ihres Augustinverständnisses aufzufassen" (Weber 1,103). Der Einfluß -»Augustins sowohl auf die theoretische Erörterung des Gottesbegriffs als auch auf die für die gelebte Frömmigkeit leitenden Gottesvorstellungen ist kaum zu überschätzen. Auf der einen Seite wies sein theologisch-theoretischer Entwurf in De civitate dei, De trinitate und den antipelagianischen Schriften die Bahn, auf der anderen die gelebte Frömmigkeit der Bekenntnisse. Sein Gottesbegriff milderte die neuplatonische Betonung der Unveränderlichkeit und völligen Transzendenz Gottes (-»Neuplatonismus) durch ein platonisches Insistieren darauf, daß Gott als das transzendent Eine zugleich auch der Seinsgrund aller Wirklichkeit innerhalb der Ordnung der zeitlich-geschöpflichen Dinge ist (De trin. 5, vgl. P. Brown). In Verbindung mit seiner Christologie und seiner bestimmenden Sicht der Trinität als einer Gemeinschaft liebender Personen bietet Augustins Vorstellung von Gott als Liebe in sich selbst, auch wenn sie noch nicht gänzlich zu dem Gedanken der sich selbst gebenden Liebe entfaltet ist, einen Ausgleich zu dem ausgeprägten platonischen Zug seines Denkens, dem sich Gott als letztlich ungekanntes Geheimnis darstellt (Outka; O'Donovan). Dieses recht nüchterne, formale Gottesverständnis hat wiederum —»Boethius in De consolatione philosophiae herausgestellt. Der Rückgriff auf Aristoteles ermöglicht es ihm, einen weiterwirkenden Beitrag zum Durchdenken der Frage nach Gottes Wesen und Wirken vornehmlich unter der Problemstellung des freien Willens und der Universalien zu leisten. Gott weiß alle Dinge, auch wenn sie in der geschöpflichen Welt an die zeitliche Abfolge gebunden sind, gleichzeitig und ewig voraus. Ausgehend von Augustin und Plato entwickelt er eine Beweisführung für Gott als höchstes Gut (melius nihil cogitari: De consol. phil. 3,10), die später von Anselm aufgenommen werden sollte. Aus aristotelischer Wurzel erwächst seine Lösung der im Kommentar zur Isagoge des —»Porphyrius von ihm angesprochenen Universalienfrage (W. u.M. Kneale). Das Universale, obwohl selbst unstofflich, subsistiert in stofflichen Dingen. Diese klare Entscheidung zwischen Plato und Aristoteles machte sich in den Auseinandersetzungen des 11. Jh. ebenso geltend wie schon im ersten Abendmahlsstreit (-»Universalienstreit; -»Abendmahl III/2). Aber auch für Boethius bestand eine unerläßliche Verbindung zwischen Theorie und Praxis, und das Bewußtsein dieser Notwendigkeit ist es wohl, das ihn auf möglichste formale Genauigkeit bedacht sein ließ. Sein De fide catholica ist ein beachtenswertes Zeugnis seines Interesses an der trinitarischen und christologischen Dimension der Gottesfrage. 3.

Frühscholastik

In dem Zeitraum zwischen Boethius und Anselm von Canterbury vollzogen sich bedeutsame Wandlungen. Eine eingehende Erörterung über ein realistisches oder nominalistisches Verständnis des -»Abendmahls (III/2.1) - Radbertus, Ratramnus, -»Gottschalk - trugen dazu bei, einer neuen Theologie den Boden zu bereiten. -»Johannes Scotus Eriugena brachte mit Pseudo—»Dionysius und -»Maximus Confessor erneut östliche Überlieferung zur Geltung. Für Eriugena steht Gott jenseits alles Seienden und aller Vielfalt. Das Ganze der Schöpfung ist ein Prozeß göttlicher -»Offenbarung, in dem jedes endliche und begrenzte Seiende einen Aspekt des Wesens Gottes darstellt. Die gesamte Natur ist ein Spiegel Gottes. Doch eine Bildhaftigkeit der Gottesvorstellung impliziert das keineswegs. Gott ist jenseits alles Seienden, letztendlich auch sich selbst ein Geheimnis (Deus itaque nescit se, quid est, quia non est quid: incomprehensibilis quippe in aliquo et sibi ipsi et omni intellectui [De div. nat. 2,28: PL 122,589. Gott kennt daher sich selbst nicht, was er sei, da er kein Was ist; denn der in irgendeiner Hinsicht Unbegreifliche ist

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dies für sich selbst wie für jedwedes Verstehen]). Alles Geschaffene kommt von Gott und kehrt zu ihm zurück, und das Viele wird schließlich aufgehoben in dies Eine. Eriugena blieb allerdings ein Einzelgänger. Das auf Boethius zurückgehende Interesse an der Dialektik blieb wach und fand im 11. Jh. einen neuen Höhepunkt, der zugleich eine Gegenbewegung in den Schriften des -»Petrus Damiani und anderer auslöste. Für Petrus Damiani war Gott vor allem ein Gott absoluter Machtvollkommenheit, der alles wirken konnte und dessen Wille über allen Gesetzen und jeglicher Dialektik stand. Wie auch später noch, konnte dabei Fideismus leicht in Skeptizismus umschlagen. Für -»Anselm von Canterbury als den überragenden Geist des Zeitraums waren Glaube und Dialektik gleichermaßen wesentlich, diese jedoch fraglos im Dienste jenes ifides quaerens intellectum). Anselm setzt bei Gott ein und unterstellt den Vorrang des Glaubens. Andererseits aber „rechnete er schlechterdings nicht damit, in der Lehre der Schrift oder der Kirche auf eine auch noch so geringe Widersprüchlichkeit zu stoßen; er hegte vielmehr die Zuversicht, daß jede scheinbare Unstimmigkeit bei sorgfältiger Prüfung des wirklich Gemeinten verschwinden werde" (Evans, New Generation 63). Entscheidend sind wieder Augustin und Plato. Trotz gelegentlicher anderer Deutungen ist klar, daß Anselm damit rechnete, die Existenz Gottes beweisen zu können — jedoch nur für diejenigen, die Glauben besaßen und willens waren, seinem Beweisgang zu folgen. Anders als Petrus Damiani betonte er im Gegensatz zu der Vorstellung, Gottes Wille könne unabhängig von dem übrigen Inhalt der Gotteslehre behandelt werden, die Einheit der göttlichen Eigenschaften. Im Monologion (c. 2) gibt er zu verstehen, daß die Existenz unterschiedlicher Grade göttlicher Güte ein letztes, absolutes Gutes, eben Gott, voraussetze. Im Proslogion (c. 2.3) erwächst der Beweis unmittelbar aus dem Glauben. Sprechen wir von Gott, so denken wir ihn als ein Seiendes, im Vergleich zu dem nichts Größeres existieren kann. Würde Gott nur als Vorstellung in unserem Geist, nicht aber in Wirklichkeit existieren, so könnten wir ein Seiendes denken, das größer wäre als Gott. Dies aber wäre ein Widerspruch, und daher müsse Gott existieren: existit ergo procul dubio aliquid, quo maius cogitari non valet, et in intellectu et in re (c. 3: Etwas, über das hinaus Größeres nicht gedacht werden kann, existiert also zweifellos sowohl im Denken als in Wirklichkeit). Es ist, wie er Gaunilo gegenüber darlegt, nicht so, daß alles, was wir denken, auch existieren muß; der Glaube aber erkennt an, daß sein Begriff von Gott Gottes eigene Wirklichkeit zum Inhalt hat. Wenn auch nicht immer explizit, so ist ihm doch auch das Wesen der Erlösung stets gegenwärtig. -»Versöhnung ergibt sich nicht aus einer ewigen Notwendigkeit, sondern aus dem Wesen der Freiheit Gottes (Mclntyre 204). Anselm hat seinen Gottesbegriff mit gelassener Zuversicht in einer Zeit ausformuliert, die von einer immer heftiger werdenden Auseinandersetzung über das Wesen der Universalien bestimmt war (-»Universalienstreit). Sie hatte zwar nur mittlere, aber dennoch bedeutsame Auswirkungen auf das Denken über Gott. Betonte Roscellin von Compiegne die göttliche Dreiheit, so -»Abaelard die Einheit. Er wollte vor der Dialektik weder zurückschrecken noch sich ihr bedingungslos unterwerfen. Anders als Abaelard hob die Schule von -»Chartres im Werk ihres großen Repräsentanten -»Gilbert Porreta bei der Aufarbeitung des Boethius auf den formhaften Charakter Gottes als des Seins selbst ab. Er allein ist reines Sein. Für Theoderich von Chartres ist Gott die vollkommene Form alles Seienden. Das konnte, wie die Kritik von Robert von Melun erkannte, zum —»Pantheismus führen. Es ist bezeichnend, daß Thomas von Aquin später Wert darauf legte, daß die -»Analogien zwischen Gott und Mensch nomineller und nicht essentieller Art seien. Gott ist nicht der Grund des Seins, sondern -»Schöpfer aus dem Nichts. -»Petrus Lombardus hat den Stand der Diskussion festgehalten, -»Bernhard von Clairvaux die augustinische Tradition erneuert, und —»Hugo und -»Richard von St. Viktor pflegten eine mystische Frömmigkeit auf dem Hintergrund einer spekulativen Theologie. Ein großer Wandel aber kündigte sich mit der Aristotelesrenaissance an. Die in Gang kommende Auswirkung dieser Bewegung auf die Gotteslehre läßt sich an der kritischen Gegenreaktion des Augustinismus eines -»Wilhelm von Auvergne, -»Alexander Halesius und vor allem -»Bonaventuras ablesen. Für

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ihn ist alle Theologie Teil des Fortschreitens der Seele in der Liebe zu Gott. Dem Glauben bieten alle Geschöpfe Hinweise auf Gott, doch die Kenntnis von Gott an sich wird der Seele unmittelbar durch Gnadenwirkung eingegossen. Diese Unterscheidung von -»Erfahrung und -»Erleuchtung verschwindet bei -» Albert d. Gr. 4. Thomas

von

Aquin

-»Thomas von Aquin ist zweifellos der profilierteste Vertreter mittelalterlicher Gotteslehre. Er ließ die Sinne Quelle aller menschlichen Erkenntnis sein und schied Glaube und Vernunft, brachte sie dann aber doch wieder in ein Wechselverhältnis - ein Entwurf, der gleichermaßen kraftvoll wie zerbrechlich war, zerbrechlich genug, um im Zuge seiner weiteren Entfaltung nach Thomas' Tod die Mittel zur Auflösung der mittelalterlichen Einheit von Glauben und Denken an die Hand zu geben, und kraftvoll genug, um in zukünftigen Jahrhunderten als Schlüssel zu einer ausgewogenen Methode neu entdeckt werden zu können. Er bestritt vor allem die geltende Überzeugung, daß der Mensch empirisch Kenntnis vom Wesen Gottes erlangen könne. Erkenntnis leitet sich deduktiv aus der Ordnung der Schöpfung her. Sie stößt dabei auf Erkenntnisbereiche, die zu einer Uberprüfung anhand der in -»Bibel, -»Bekenntnis und -»Autorität der -»Kirche enthaltenen Offenbarung anstehen, während andere Einsichten wie etwa die der Wahrscheinlichkeit der Existenz eines Gottes aus kritischer vernünftiger Überlegung erwachsen. Gott ist für Thomas der höchste Seiende, der erste Beweger. Ihm ist wie Augustin daran gelegen, von vornherein der Verborgenheit Gottes Rechnung zu tragen. De deo non possumus scire quid est sed solum quid non est (S. thl. I a II a 2: Wir können von Gott nicht wissen, was er ist, sondern nur, was er nicht ist). Er ist reine Aktualität ohne unrealisierte Potentialität. In ihm fallen essentia und esse in eins: Non igitur dei essentia est aliud quam suum esse (CG 1.22: Also ist Gottes Wesen nichts anderes als sein Sein). Im Denken und Wollen verwirklicht er ein Ziel, das auf sein eigenes Wesen bezogen und in der Welt als Güte und Liebe vorhanden ist. Er könnte die Welt auf jede beliebige Weise zur Vollendung bringen, hat sich aber entschieden, letztlich durch die Inkarnation zu wirken. Gottes Sein {esse) meint nicht einfachhin das, was ist, sondern hebt ab auf sein Wirken im Seienden. Esse ist der Akt, durch den ein Ding ist. Daher besteht eine enge Beziehung zwischen den Begriffspaaren Sein und Dasein und Potentialität und Aktualität, die sich aus dem Begriff Gottes als des Schöpfers ergibt: Creare non potest esse propria actio nisi solius dei (S. th. I a 45,5: Schöpfen ist keines anderen als nur Gottes wesenseigenes Wirken). Thomas redet aus immer wieder unterschiedlichen Blickrichtungen von Gott. Sein „Verfahren, nahezu wirr von einer Weise der Analogie zu einer anderen überzugehen, hat in der Literatur zur Analogie viel Verwirrung gestiftet" (Preller). Stets aber sieht man sich mit Sein befaßt und mit dem Ausgehen von sinnlicher Erfahrung, vom Kontigenten. Es ist kennzeichnend, daß die klassischen fünf Wege (-»Gottesbeweise) den Zugang zu Gott von seinen Wirkungen in der Sinnenwelt her suchen. Das bringt eine gewisse Einschränkung der Bedeutung der Christologie für den Gottesbegriff mit sich (Rahner 11,149ff). 5. Duns Scotus und Wilhelm

Ockham

Das ausgehende 13. Jh. zeigt eine Reihe verschiedener und auch in unterschiedlichem Maße Widerhall findender Reaktionen auf die von Thomas vorgetragene Gottesauffassung. Im folgenden Jahrhundert aber tritt dann im Werk des -»Duns Scotus das ursprünglich gegen -»Pelagius entfaltete augustinische Beharren auf dem Willen Gottes als Reaktion Thomas gegenüber entschieden auf den Plan. Das Zutrauen in die Vernunft als Weg zur Gotteserkenntnis schwindet. Die Synthese von Glaube und Vernunft beginnt auseinanderzufallen. Wo andere sich für die Vernunft und unter Umständen auch für einen Skeptizismus (-»Skepsis) aussprechen, gibt Duns dem Glauben den Vorrang. Wir müssen nur lernen, Gottes Willen gehorsam zu sein. Wie Gott handelt und was er seinem Wesen nach ist, vermögen wir nicht zu sagen. Gottes Wille ist als solcher der Ausdruck seines Wesens (Opus Oxon. 1,2,2). Er kommt zum Ausdruck in Liebe zu sich selbst und zu der

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von ihm geschaffenen Welt (Opus Oxon. 1,5,8). So sehr diese Betonung des Willens auch augustinisch ist, so liefert doch Aristoteles die Mittel, sowohl Augustins Theorie der Gotteserkenntnis als auch die thomistische Synthese in Frage zu stellen. Die Erkenntnis der Eigenschaften Gottes wie auch seine Dreifaltigkeit bleiben dem Glauben vorbehalten. In tiefschürfender und faszinierender Weise hat Wilhelm von -»Ockham die scotistische Gottesvorstellung weitergeführt (Leff, Wilhelm of Ockham; vgl. Burreil). Ihm erschien der rationale Rahmen des thomistischen Entwurfs insgesamt fragwürdig. Auch hier heißt es wieder, daß wir über die Eigenschaften Gottes nichts auszusagen vermögen und lediglich seinem Willen gehorsam sein können. Gott ist grenzenlos transzendent (Sent. 1,2,2). Das Einzelne ist die alleinige Wirklichkeit (Sent. 1,2,7). Da uns kein intuitives Erkennen Gottes zu eigen ist, ist Anselms Beweis seiner Existenz sinnlos. Man kann aber auch nicht wie Thomas von der Ursache auf die Wirkung schließen. Sein heißt für Gott Wissen und Wollen, und darüber läßt sich analytisch nicht hinauskommen. Seine Macht ist absolut und kann die Welt- und Heilsordnung willkürlich verändern (Sent. 1,17). Der Glaube bleibt allein auf sich selbst gestellt. 6. Das

Spätmittelalter

Gegenüber der Behauptung eines solchen unendlichen qualitativen Unterschiedes zwischen Gott und dem, was Menschen über ihn denken, machte sich insbesondere in den Schriften des -» Thomas Bradwardine eine neuerliche augustinische Reaktion unter Zurücklenken auf die Autorität des -»Dogmas geltend. Hatte Duns Scotus von Gott als Sein geredet, so ist er für Meister -» Eckhart und die -» Mystik nicht Sein, sondern der Grund des Seins, reines Denken. Diese Linie wird in De docta ignorantia des -»Nikolaus von Kues radikalisiert. Gott ist die Entfaltung und der Sinngrund, in dem das Viele eins wird und durch den er wiederum als das eine aus einer coincidentia oppositorum verstanden werden kann. Auch hier hat man es mit einem Zug der die christliche Geistesgeschichte so vielfältig und fruchtbar begleitenden neuplatonischen Dialektik zu tun. 7. Der

Osten

Im Osten kannte man zwar Ubersetzungen Augustins, eine Schlüsselstellung aber nahm hier das Werk des während des Mittelalters in geradezu kanonischem Ansehen stehenden Pseudo -»Dionysius Areopagita ein (Meyendorf, Ware). Auf der anderen Seite wiederum wurde die übersteigerte mystische Transzendenzvorstellung durch die Berücksichtigung anderer, insbesondere trinitätstheologischer und christologischer Momente in De fide orthodoxa des —»Johannes von Damaskus gemildert. Der Strom reiner -»Mystik trat im Werk —»Symeon des neuen Theologen und im —»Hesychasmus zutage, der bei -»Gregorios Palamas zu voller Klarheit fand. Ihm wird Gott, der in seinem letzten - nicht mit dem philosophischen Begriff des Wesens zusammenfallenden (Meyendorf) - Sein unbekannt bleibt, erkennbar in seiner Beziehung zur Welt durch seine Wirkweisen, deren jede ganz Gott selbst ist. Mithin gibt es in der Gottheit auch keine Teilung. Es handelt sich hier nicht lediglich um neuplatonische Mystik, vielmehr hat Gregors Denken eine christozentrische und sakramentale Dimension. Theologie geschieht stets im Zusammenhang des —»Gebets. Auch die Eucharistie hat, insbesondere bei —»Nikolaus Kabasilas, als Teil der liturgischen Tradition erheblich zur Entfaltung des Gottesvorstellung beigetragen (Pelikan). 8. Der Beitrag des

Mittelalters

Warum haben die mittelalterlichen Gottesvorstellungen auf die Dauer ihre fruchtbare, gestaltende Kraft verloren? „Mittelalterliches Denken und mittelalterliche Theologie gerieten ins Abseits, weil sie einerseits die Berührung mit der Welt der Dinge und Menschen, andererseits mit dem in seinem Leib, der Kirche, ihren Heiligen, ihren Lehrern und ihrem täglichen Leben gegenwärtigen lebendigen Christus der Evangelien verlor" (Dom David Knowles 286). Die Frage, welches der bedeutsamste mittelalterliche Beitrag zum Gottes-

G o t t VII

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begriff ist, w i r d s i c h e r u n t e r s c h i e d l i c h b e a n t w o r t e t . G e w i ß eines d e r w e s e n t l i c h e n M o m e n t e ist d i e H e r a u s a r b e i t u n g des m ö g l i c h e n A u s s a g e h o r i z o n t s u n d d e r G r e n z e n der - » A n a l o g i e . G o t t ist d e r - » S c h ö p f e r , er ist g r ö ß e r als u n s e r e G e d a n k e n ü b e r i h n . W i r w i s s e n a u f g r u n d d e r - » O f f e n b a r u n g u n d als G e s c h ö p f e n a c h s e i n e m Bild ( - » B i l d G o t t e s ) a u s d e m V e r s t ä n d n i s u n s e r e r selbst, d a ß p e r s o n a l e A n a l o g i e n f ü r d a s R e d e n v o n G o t t n i c h t g ä n z l i c h u n a n g e m e s s e n s i n d . G o t t b l e i b t , sei es als r e i n e s D e n k e n , als G r u n d des Seins o d e r als v o l l k o m m e n e r W i l l e , d e r primus analogans, die Quelle unseres Vermögens, i h m i m D e n k e n u n d H a n d e l n zu a n t w o r t e n . Literatur David Malet Armstrong, Nominalism and Realism, Cambridge 1978. - Peter Brown, Augustine of Hippo, London 1967; dt.: Augustinus von Hippo, übers, v. Johannes Bernhard, Frankfurt 1973.David B. Burrell, Analogy and Philosophical Language, Yale 1973. - Ders., Aquinas, God and Action, Indiana 1979. - Richard James Campbell, From Belief to Understanding. A study of Anselm's Proslogion argument on the existence of God, Canberra 1976. - Cambridge History of Medieval Philosophy (hg. v. Kretzmann), Cambridge 1982. - Henry Chadwick, Boethius, Oxford 1982. - Marie-Dominique Chenu, Introduction a l'etude de saint Thomas D'Aquin, Paris 1950; dt.: Das Werk des HI. T h o m a s von Aquin, übers, v. O t t o M . Pesch, Heidelberg 1960. - Frederick C. Copleston, A History of Philosophy, London, II 1950 III 1951. - G . R . Evans, Anselm and Talking about God, Oxford 1978. - Ders., Anselm and a New Generation, Oxford 1980. - Wallace Klippert Ferguson, Europe in Transition, Boston 1962. - Etienne Gilson, History of Christian Philosophy in the Middle Ages, London/New York 1955. - Ders., La Philosophie de St. Bonaventure, Paris 1953; dt.: Die Phil, des hl. Bonaventura, übers, v. Paul Alfred Schlüter, Darmstadt 1960. - Martin Grabmann, Gesch. der scholastischen Methode, 2 Bde. Freiburg 1909-1911 = Graz 1957. - Adolf v. Harnack, Lb. der DG, Tübingen, III 5 1932, Nachdr. der 4. neu bearb. u. verm. Aufl. 1909-1910 Darmstadt 1980. - J. Hick, Arguments for the Existence of God, London 1970. - Anthony John Patrick Kenny, The Five Ways, St. Thomas Aquinas' proofs of God's Existence, London 1969. William Calvert Kneale/Martha Kneale, The Development of Logic, Oxford 1962. - Gordon Leff, Medieval Thought from St. Augustine to Ockham, London 1958. - Ders., William of Ockham, Manchester 1975. - David Edward Luscombe, The School of Peter Abelard, London/Cambridge 1969. - John Mclntyre, St. Anselm and his Critics, Edinburgh 1954. - John Meyendorf, Byzantine Theology, London 1975. - O. O'Donovan, Self Love in St. Augustine, Yale 1982. - Heiko A . Oberman, Forerunners of the Reformation, London 1967. - Gene H. Outka, Agape, New Haven/Yale 1 9 7 2 . - H . P. Owen, Concepts of Deity, London 1 9 7 1 . - W o l f h a r t Pannenberg, Der Gottesgedanke im Abendland, Stuttgart 1964. - Ders., Art. Gott V: R G G 3 2 (1958) 1717-1732. - J. Pelikan, The Christian Tradition, Chicago/London, II 1974 III 1978. - Per Erik Persson, Sacra Doctrina, Oxford 1970. - Victor Preller, Divine Science and the Science of God, Princeton 1967. - Karl Rahner, Schriften zur Theol. I, Einsiedeln/Zürich/Köln 1954 8 1967. - Dietrich Ritsehl, Memory and Hope, New York 1967. - Reinhold Seeberg, Lb. der DG, III Leipzig 4 1930 = Darmstadt 6 1959. - Franziscus Salesius Schmitt, Art. Anselm: R G G 3 1 (1957) 397f. - Richard W. Southern, The Making of the Middle Ages, London 1953. - Friedrich Überweg, Grundriß der Gesch. der Phil., II Die patristische u. scholastische Phil., hg. v. Bernhard Geyer, Berlin 11 1928. - Otto Weber, Grundlagen der Dogmatik, 2 Bde., Neukirchen 1955-1962 5 1977. - Victor White, God the Unknown, New York 1956. George Newlands VII. R e f o r m a t i o n s z e i t 1. Übernahme der altkirchlichen und mittelalterlichen Gottesanschauung 2. Neuansätze mit Luther und den reformatorischen Bekenntnissen 3. Denkansätze anderer Reformatoren 4. Calvins theologische Denkmethode 5. Orthodoxe Dogmatik als Lehrabschluß (Literatur 5. 668). 1. Übernahme

der altkirchlichen

und mittelalterlichen

Gottesanschauung

In d e r g e s c h i c h t l i c h e n E n t w i c k l u n g d e r c h r i s t l i c h e n T h e o l o g i e u n d F r ö m m i g k e i t s c h e i n t i m 16. J h . d e m G o t t e s b e g r i f f e i n e g e r i n g e R o l l e z u z u k o m m e n . D i e e i g e n t l i c h e n N e u b i l d u n g e n e n t s t e h e n im A u s t r a g e n v o n L e h r u n t e r s c h i e d e n z w i s c h e n A l t g l ä u b i g e n und Evangelischen über das rechte Verständnis von -»Glaube, -»Wort Gottes, -»Rechtfertigung, - » B u ß e u n d neues Leben, -»Gesetz und Evangelium. Die -»Kirche und Staat, - » S a k r a m e n t e ( - » A b e n d m a h l ) , -»Kirchenrecht, —»Kirchenordnungen und -»Kirchen-

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6 63

zucht betreffenden Wandlungen fallen zuerst auf. Dennoch hängt das alles an der ernsten und zeitweise endgeschichtlich bewußten Gotteserfahrung der prophetisch wirksamen Generation von Reformatoren. In Belebung des biblischen Gottesgedankens und mit einer radikalen Vertiefung von Gotteserfahrung wurde die Gottesvorstellung im Reformationsjahrhundert, das ü b e r k o m m e n e Gottesbild bewahrend und doch erneuernd, zur Brücke und entscheidenden Entwicklungsstufe f ü r die -»Neuzeit. Somit schließt die - » R e f o r m a t i o n auch in der Gottesfrage eine Entwicklung ab und wird zugleich der Beginn einer neuen Epoche des Christlichen durch die Erneuerung der Verkündigung einer erlösenden -»Herrschaft Gottes. Am Dasein Gottes gibt es weder in der vorreformatorischen noch in der reformatorischen Stufe des christlichen Glaubens Zweifel. Das reformatorische Christentum bestätigt im ethischen Grundzug der Gottesanschauung mit seinem geschichtsbewußten Gerichtsernst sowohl die alttestamentliche Linie des Gottesbildes wie dessen neutestamentliche Erfüllung in der G r u n d s t i m m u n g von Versöhnung und Liebe. Es übernimmt den Schöpfungsglauben und das Bekenntnis zur -»Trinität, zum gnädigen Heilsratschluß und zum Vaternamen Gottes, welche sich im Christusgeschehen mit Gottes ewiger Macht und heiligem, allmächtigen Willen für den Glauben unlöslich verbunden haben. Die altkirchlichen und mittelalterlichen Ausprägungen des trinitarischen Gottesbildes werden etwas vereinfachend fortgesetzt, die biblische G r u n d f o r m betont. Die Beziehung Gottes zu den Gläubigen vermittelt Jesus als der Christus durch den Glauben an Gottes Handeln in ihm. Das Erscheinen des Sohnes Gottes in Knechtsgestalt (Phil 2,7; Jes 53) als ein dem Gesetz unterworfener Mensch, der in der Welt f ü r andere stellvertretend leidet und sie dadurch vom Fluch des Gesetzes und von Sündenschuld befreit, gilt für kennzeichnend an der Zeitwende, die in Christus Gottes Herrschaft manifestiert. In der christologischen Begründung der verborgenen Gottesherrschaft und dem vollmächtigen Freispruch von Sünde und Tod zeigt sich mit dem Kommen dieses Glaubens Gottes Gnade im Gericht. Die im Glauben an Jesus Christus und mit der —»Taufe auf den dreieinigen Gott angeschlossene A n n a h m e bei Gott wird geschenkweise (-»Geist/Heiliger Geist/Geistesgaben) ereignet, durch Gottes Wort zugeeignet und erfahren. Z u r Sendung des Sohnes gehört danach in Fortsetzung der Überlieferung (filioque) untrennbar und dennoch als Folge von ihr die Sendung des Geistes (vgl. Gal 4,6; R o m 8,14-17). Bei den Seinen wird Gott, der Vater Jesu Christi und (durch den Christus Jesus) Vater jeden Gliedes seiner Gemeinde, „durch den Geist" mit Abba, lieber Vater, angerufen (Rom 8,15.26). Das grundsätzlich a n d e r e - a n d e r s afs das philosophische, speziell als das platonischeGottesbild der Bibel bleibt bestehen. An ihm hatten trotz weitgreifender Einflüsse des vor- und außerchristlichen Denkens auf die Gestaltung des altchristlichen Gottesbegriffs Patristik und Scholastik festgehalten. Freilich übermittelten die Gottesanschauungen areopagitischer Mystik (-»Dionysius Areopagita) in unserem Zeitabschnitt auch ihre Spannungen zwischen phantasiereichen Spekulationen und realer biblischer Erfahrung. Je und je treten ebenso die Gegensätze von biblischen Grundlinien und griechisch-philosophischen, von der Gnosis her womöglich orientalischen Elementen ans Licht (—»Humanismus/Humanismusforschung). Die philosophisch empfundenen Gottesauffassungen des Aquinaten ( - » T h o m a s von A q u i n o / T h o m i s m u s ) , von - » D u n s Scotus und - » O c k h a m auf Seiten der Altgläubigen, natürlich von -»Augustin auch da und dort mehr in der neuen Theologie, werden ebenso im theologischen Streitgespräch wie bei Lehrdarstellungen vermittelt. In der praktischen A n w e n d u n g der Gotteseinsicht haben Meister -»Eckhart und die sich anschließenden deutschen Mystiker, besonders die ->Theologia deutsch Geltung behalten. 2. Neuansätze

mit Luther und den reformatorischen

Bekenntnissen

Von Beginn seines theologischen Denkens an, eingespannt in die existentielle Frage nach Gottes - » G n a d e (-»Gericht Gottes), hat -»Luther auf einem langen Weg Gottes

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G o t t VII

Willen und Wahrheit gesucht und erfahren. Öffentlich bekannte er in der Wittenberger Bibelprofessur bereits in Auslegung der Psalmen und von R o m , Gal und Hebr sich zu einer „theologischen Gotteserkenntnis", wie er sie im Anschluß an -»Paulus auch später als Crucis Theologia (WA 4 0 / 3 , 1 9 3 , 7 ) bezeichnete. Unter Berufung auf den Apostel und Augustin trug Luther während des Ablaßstreites eine Gnadenauffassung vor, die bei der Heidelberger Disputation 1518 einen frontalen Angriff auf die von der scholastischen Denkweise bestimmten T h e o l o g i e seiner Zeit darstellte. Eindrücklich kam dabei Christi Kreuz als Auslegungs- und Zielpunkt der Neubesinnung zur Geltung: Nicht auf natürliche Weise, nicht in Welt und Geschichte wird G o t t erkannt. Da „ t a p p t " man allenfalls nach Gottes unsichtbarem Wesen. Vielmehr „lehrt allein der Heilige G e i s t " , wer G o t t ist (WA 1 9 , 2 0 7 , 3 - 1 3 ) . G o t t handelt in seiner Gnade frei und erschließt sich nur dem Glauben an Jesus Christus. Allein durch den Glauben an den Gekreuzigten erkennt uns G o t t und wird er von uns nicht als ein zorniger und richtender G o t t des Gesetzes, sondern als uns liebender Vater erfahren, „weil die Liebe Gottes (amor dei) — sofern im Menschen lebendig — liebt, was sündig, schlecht, töricht und schwach ist, um es gerecht, gut, weise und stark zu machen, und so viel mehr sich verströmt und Gutes schafft" (WA 1 , 3 6 5 , 8 - 1 0 ) . Im F r ü h j a h r 1518 wendet Luther hier gegen Einflüsse des mittelalterlichen Aristotelismus (->Aristoteles/Aristotelismus) fast schon selbstverständlich sein Rechtfertigungsverständnis auch als Schlüssel für das Gottesbild an (vgl. W A 1 , 3 6 4 , 1 - 3 9 ) , indem außer seiner Zentralstelle R o m 1,17 mit R o m 3 , 2 0 . 2 8 ; 10,10 auch I Kor 1,30; Gal 3,13; Eph 5,1; M t 9,13; J o h 10,9; 14,6.8 f angeführt werden. Diese theologische Grundlinie, in der Wesentliches über G o t t und —»Mensch aufgedeckt wird, trennt auch R e f o r m a t i o n und Humanismus wie 1525 in der Antwort an - » E r a s m u s es Luther öffentlich ausspricht: „ D u behandelst diese große Sache so, als sei es nicht um die Seligkeit der Seelen, sondern um einen G e l d h a n d e l . . . zu t u n " ; es gehe aber um das Wort Gottes, die Ehre Christi, j a um G o t t selbst (WA 18,625,6 - 1 4 ) . „Wenn wir da nur ein Haarbreit weichen, so lassen wir G o t t , Glauben, Seligkeit und alles Christliche f a h r e n " ( 6 2 6 , 4 - 6 ) . Den aufgrund des Offenbarungswortes heiligen dreieinen Gott bezeugt Luther stets mit seiner Lehre von Gottes Wort ( - » W o r t Gottes) und der - » R e c h t f e r tigung durch den Glauben an den gekreuzigten Christus Gottes zusammen, ebenso scharf getrennt von bloß menschlichen Gedanken oder unabhängig von göttlichen Worten oder kirchlicher Überlieferung empfangenen „ O f f e n b a r u n g e n " , wie sie einige schwärmerische „Flattergeister" vorgaben. Nie unterwarf er eine gewissenhaft erfaßte Einsicht über G o t tes Wirken und Wesen einer bloß menschlichen Lehrautorität (vgl. W A 9 , 3 8 3 , 8 - 1 0 ; 4 7 , 6 4 1 , 3 - 6 ) , obschon er die scharfsinnigen, eher philosophischen als theologischen Denkweisen spätmittelalterlicher Ausformung sehr gut gekannt und sich ihrer Dialektik bedient hat. Die Meinung, Luther habe lebenslang das zunächst dort empfangene und so willensbetonte Gottesbild beibehalten, läßt sich nicht aufrecht halten, o b w o h l freilich die Kontinuität des Credo der alten Kirche bei Luther gewahrt ist. G o t t selbst ist, wie Luther 1532 zu I J o h 4 , 1 6 - 2 1 mit Überzeugung ausführt, „ein glü(h)ender backofen voller l i e b e " , obwohl wir ihm nur „Undankbarkeit erwidern"; wenn er nicht „eytel lieb were, schlfige er (h)erab mit blix, d o n n e r " und höllischem Feuer wie auf Sodom (WA 3 6 , 4 2 5 , 1 3 . 2 f . l 9 ) . Solche bildhaften, biblisch gegründeten Aussagen von G o t t als Liebe, die den Menschen durch sein Wort und Geist in Christus zum Glauben und zur Gemeinschaft mit sich wie zum Dienst für ihn an den Mitmenschen führt, zeigen Unterschiede zum rationalen, „ e i s k a l t e n " Reden von G o t t (WA 18,611,5). Gleichwohl steht bei Luther vor einem allgemein ethisch und praktisch wirksamen Leben die Lehre von G o t t voran, weil erst da verständlich wird, wie Glaube, Liebe und Leben zusammengehören (WA 40/2, 4 6 , 5 - 8 ; 5 1 , 1 - 5 2 , 2 ) . Luthers Gotteslehre haben die —• Bekenntnisschriften aufgenommen, indem das entscheidende M o m e n t des Glaubens bei allen Lehraussagen betont wird. Gleich zum 1. G e b o t im Großen Katechismus wird mit Gottes Wort zwar gebietend gefordert: „ D u sollst mich alleine für Deinen G o t t h a l t e n " , aber auf die Doppelfrage dazu: „Was heißt

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einen Gott haben oder was ist G o t t ? " wird von Luther geantwortet: „Ein Gott heißet das, dazu man sich versehen soll alles G u t e n . . . , daß ein Gott haben nichts anders ist, denn ihm von Herzen trauen und glauben, wie ich oft gesagt habe, daß alleine das Trauen und Glauben des Herzens machet beide Gott und A b e g o t t . . . Denn die zwei gehören zuhaufe (zusammen), Glaube und G o t t " (BSLK 5 6 0 , 7 - 2 2 ) . Das ist keine Spur für ->Feuerbach in Gedanken an Gott selbst, an seine „Aseität", als nur eine subjektive menschliche Vorstellung. Luther betont mit Gründen der Notwendigkeit (vgl. W A 1 8 , 6 1 4 , 1 - 6 1 7 , 2 2 ) und mit der Einsicht, „daß Gottsein und Schöpfersein, Menschsein und Kreatursein identisch sind" (Ebeling, Luther 292.295), die unaufgebbare Wechselbeziehung und Selbständigkeit beider. „Gerade die Betonung der Unabhängigkeit Gottes vom Menschen ist auf den Menschen gerichtet" (a. a. O . 292), also auf den Glauben. Daher achtet Luther kaum auf Trennung der Aseität Gottes im scholastischen Sinne von seinem Aussichheraustreten. Zwar wirken die ockhamistischen Anfänge im Sinne des göttlichen Willens als potentia absoluta und hindern die göttliche Wesensschau in religiöser Vertiefung. Aber die Gegenwart Gottes erlebte Luther nicht spekulativ, sondern real, wobei die undurchschaubare verborgene Wirkweise und die eigentlich uns zugewandte in Jesus Christus durch Gottes Wort offenbare Begegnungsweise im Zeichen des offenbarungs- bzw. heilsgeschichtlichen Ansatzes unterschieden sind. Gottes Gottheit und das „ G o t t allein" hat mit der Hauptstelle aus dem Großen Katechismus für den -»Protestantismus den höchsten Platz erhalten, so daß sogar gelegentliche „Anleihen bei der Sprache der M y s t i k " - z.B. W A 56,306,26ff; 5,168,1 ff - vorkommen und im Reden von Gott bei Luther einen Ort haben, „ w o es haarscharf zusammentrifft mit allen Arten der Abgötterei. Gott Gott sein lassen, also recht glauben, heißt, sich in keiner Weise Götter machen, auch und vor allem selbst entgöttert, zunichte gemacht werden und, außerhalb seiner selbst und aller Kreatur ins Nichts stürzend, gewiß sein, in Gottes Hand zu fallen" (Ebeling, Luther 296). Es gipfelt die Gottesanschauung auch der reformatorischen Bekenntnisse im Zeugnis von der Anwesenheit des Deus ipse in dem einen Sohn, was den Schöpfer einbezieht, also im Credo, wenn etwa 1544 Luther es auslegt: „Dieser Mensch hat die Sterne gegründet, Gott jammert in der Wiege, und der Mensch, der die Brüste seiner Mutter gesogen hat, ist der Schöpfer und Gebieter der Engel; der alles erschaffen hat, liegt in der Krippe. So hat der Heilige Geist die Kirche bei diesem Glaubensartikel erhalten, der der Hauptartikel in unserer Religion ist" (WA 4 0 / 3 , 7 0 4 , 5 - 8 ) . Inkarnation, Leiden, Kreuz und Auferstehung gehören in den Heilsplan und zeigen Gottes Wesen als Gerechtigkeit und Liebe, denn „durch Christus macht uns Gott seine Gunst und Barmherzigkeit k u n d " . In ihm sehen wir, „daß Gott kein zorniger Forderer und Richter ist, sondern geneigter und allermildester Vater, der segnet, d.h. uns von Gesetz, Sünde, Tod und allen Übeln befreit und uns durch Christus mit Gerechtigkeit und ewigem Leben beschenkt". Das ist nach Luther in bezug auf Gal 4,8 f 1531 sein Bekenntnis, wie wir Gott erkennen, vielmehr von Gott erkannt sind, eine „gewisse und wahre Gotteserkenntnis und göttliche Überzeugung, die nicht täuscht, sondern den ganz wirklichen Gott in bestimmter Gestalt zeigt, und außerhalb dieser Erkenntnis ist Gott nicht" (Kleinknecht 2 3 4 f ; WA 4 0 / 1 , 6 0 2 , 2 2 - 6 0 3 , 1 3 ) . M i t Luthers Trinitätstheologie erhält die reformatorische Gottesanschauung ihre abschließende Gestalt. Seine theologische Grunderfahrung führt ihn zur Übereinstimmung mit den Kirchenvätern. Die sachlich betonte summa concordia (WA 49,239,7 f) bahnt er mit trinus im altprotestantischen Lehrbegriff („dreieinig" später im Predigtgebrauch) durch seine Kritik an „dreifaltig" an. Diese Seite der Gotteslehre hat Luther in Aufnahme und Abweisung von Augustin (vgl. Beer 4 9 2 - 5 1 2 ) durchdacht. Zunehmend erkennt er den christologischen Zugang zur Trinität als den allein angemessenen (Eiert 191). Seine Gleichsetzung von Christus als Wort Gottes mit Gott selbst führt ihn von Augustin fort. Indem er die Trinitätslehre aus der Heilslehre begründet, entspricht dies z.T. gegen Melanchthondem „evangelischen Ansatz selbst" (Eiert 194f). Er schwächt dieDreiheit nicht zu einer bloß innertrinitarischen ab, kommt vielmehr zu einem Gottesverständnis, das

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altkirchlich-dogmatische wie unitarische Statik im Gottesbild meidet. Seine „Wort-Gottes-Theologie" hat ein (auch in den trinitarischen Aussagen) derart lebendiges Gottesbild bei sich (Asendorf 137f), daß dieser dogmatische Fortschritt, vom Evangelium nämlich ausgehend, darin weiterzudenken, für gegenwärtige Theologie noch Anlaß gibt. 3. Denkansätze

anderer

Reformatoren

Neben den von Luther ausgehenden reformatorischen Ansätzen im Gottesbild bilden sich im 16. Jh. einige Vorstellungen auch über Gott, welche weiterwirken und etwa im Aufklärungsjahrhundert einflußreich werden. Der Wiederbeginn von Rationalisierungen im Gottesbild etwa, der im 17. Jh. einige spekulative Blüten treibt -> (Orthodoxie, Altlutherische/Altreformierte), geht u.a. von —• Melanchthon und seinen Schülern (-»Chemnitz; -+Strigel) aus. Zwar sind im 16. Jh. die ausführlichen metaphysischen Erörterungen der Scholastiker vermieden worden, aber die philosophischen Einflüsse kehren mit Anleihen beim Humanismus und dem antiken Bildungsideal zurück. In der ersten evangelischen Dogmatik, den Loci Melanchthons, kommt noch das eigentlich Christliche einer offenbarungsvermittelten Gotteserkenntnis zur Ausführung, wonach die Christgläubigen Gott als den Vater Jesu Christi in seinem barmherzigen Liebeswillen erfahren und im Gebet recht anrufen können. Auch die praktischen Wirkungen der Gottesbeziehung und voran der Wille Gottes des allmächtigen Schöpfers und Erlösers sind in den dogmatischen Lehrbüchern der Reformatoren, bei Calvin ebenso wie bei Melanchthon, Chemnitz, -•Heerbrand, ->Heshusius, -»Rhegius und ->Selnecker als unmittelbar nachfolgende Theologen nicht minder deutlich betont. Die biblischen Zeugnisse und die in ihnen dem Glauben geltenden Gottestaten sind materialgebunden als Lehrgrundlage herangezogen. Allerdings nehmen Melanchthon und dann seine Lehrnachfolger wieder kosmologische und teleologische Gedanken mit Beweischarakter auf (-»Gottesbeweise). Dem Glauben, der über das Sein vor Gott entscheidet, bleibt zwar die konstitutive Bedeutung, aber Anfänge vernunftbezogener natürlicher Theologie sind unverkennbar. Nach Melanchthon soll der im Glauben durch die Schriftzeugnisse befestigte christliche Theologe den Spuren Gottes und seinem ewig schaffenden Wirken in den Werken der Schöpfung nachgehen. Als Argumente für Gottes Sein, Allmacht, Wesen und Wirken kommen auch moralische Elemente hinzu wie das naturgegebene Bewußtsein vom Unterschied zwischen sittlich guten und schlechten Werten (honesta et turpia) und das Bestehen rechtlicher und politischer Ordnungen sowie die strafenden Gewissensschrecken für böse Taten. Das üblich werdende Unterbauen einer Philosophie bringt in die Gotteslehre rationale Züge. Auch die philosophischen Lehrbücher bringen den Aristoteles (nun im griechischen Original) wieder zu Ehren; der Humanismus wird „in das theologische Denken des Luthertums" einbezogen (Adam 301) (-»Kryptocalvinisten). Bei ->Zwingli, der grundlegend von Erasmus beeinflußt wurde, bleiben wie in den frühen reformierten Bekenntnissen die überlieferten Vorstellungen in der Gotteslehre mit den Dogmen der Trinität und Christologie wie in dem -> Augsburger Bekenntnis bewahrt. —>Bucer hat nach Zwingiis Tod als Hauptsprecher der süddeutschen Theologen diese Richtung stärker als „Theologie des Geistes" ausgeformt; nach ihm wirkt der Geist teils unmittelbar, teils durch das Wort. Er ist die vivificatrix virtus, die den Menschen lebendig macht" (Stupperich, Bucer 265,24). Doch wurde mit dem Gedanken der Herrschaft Christi (—»Herrschaft Gottes), die in Liebe besteht, „Bucers Geisttheologie mehr und mehr christozentrisch" (Adam 330). -»Brenz steht in der Gottesanschauung Luther nahe. Der unablässig tätige und in unausdenkbarer Weise wirkende Gott (deus actuosissimus) und die stets gegenwärtige Kraft Gottes folgen der 39. These der Heidelberger Disputation von 1518 und dem Gedanken vom übermächtigen, allwirksamen Deus ipse in De servo arbitrio von 1525. Von diesem Grundprinzip aus konnte Brenz auch Luthers Lehre von der -»Ubiquität aufnehmen. Ebenso problemlos ordnet er Gott der Kategorie der necessitas zu, womit Luthers weiterführende Ansätze in der Gotteslehre allerdings nicht erfaßt sind. Die späteren dogmatischen Gegensätze zwischen der reformierten und

G o t t VII

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lutherischen Lehre gehen auch auf Differenzen in der Gottesanschauung zurück: Der Gedanke an die absolute Erhabenheit Gottes läßt Lehrdarlegungen von wirklicher Kenose (—»Jesus Christus), vollkommener Einigung Gottes mit dem irdischen Jesus und seiner Gegenwart in sinnenhaft empfänglichen Gnadenmitteln nicht zu; Luther sperrte sich dagegen vor einem „ewigen Ratschluß der Verwerfung über einen Teil der M e n s c h h e i t " , während dieser in der reformierten O r t h o d o x i e „durch Gottes R e c h t wider die S ü n d e r " und seine „Souveränität der ganzen Menschheit und Welt gegenüber gerechtfertigt w i r d " (Köstlin 7 9 1 , 3 2 - 3 5 ) .

4. Calvins theologische

Denkmethode

Die Gotteserkenntnis steht bei -»Calvin methodisch dem Ansatz Luthers nahe, wenn er im Anfangskapitel der Institutio von 1536 das menschliche Erkennen (und Leben) ganz in Gottes Sein gegründet sieht mit dem Satz: „ D i e Grundlage der heiligen Lehre besteht aus zwei Teilen: der Erkenntnis Gottes und unsrer selbst" ( C R 1,27). Calvin war überzeugt von seiner Übereinstimmung mit Luther, auch in der Lehrauffassung von der Rechtfertigung, -»Prädestination und von dem - » A b e n d m a h l . Beide haben sich gegenseitig hoch geschätzt. In der Lehrausgestaltung war Calvin als der wirksamste reformatorische Dogmatiker allerdings selbständig und dabei gab er dem charakteristischen calvinistischen Finitum non capax infiniti mit dem scharfen Unterschied zwischen Geist und Natur Ausdruck. Luthers deutliches Festhalten an der ständigen Herablassung Gottes zu uns sündigen Menschen, also an seiner Nähe, unterscheidet sich davon. Die Idee von Gottes Ehre ( g l o r i a dei), die auch Calvins Providenzauffassung beherrscht, prägt das Versöhnungsgeschehen wie die Heilsabsicht Gottes und die Menschenaktivität: „ G o t t hat deswegen die ganze Welt geschaffen, damit sie der Schauplatz seiner Herrlichkeit w e r d e " (vgl. C R 36,294). Diesem methodisch bei Gottes Ehre als höchstem Begriff verpflichtenden Denkansatz folgt Calvin mit der Konzeption einer doppelten Prädestination ebenso wie mit seinem hermeneutischen Prinzip. Die „ V o r b e s t i m m u n g " ist „Gottes ewige Anordnung, vermöge deren er bei sich beschloß, was nach seinem Willen aus jedem einzelnen Menschen werden sollte! . . . den einen wird das ewige Leben, den anderen die ewige Verdammnis vorher zugeordnet" ( C R 2 9 , 8 6 4 f = Institutio 21,5). Eigentlich trennend gegenüber Luther wird die gesetzlich anmutende theologische Art, wie Calvin die Heilige Schrift bewertet und verwendet ( - » A u t o r i t ä t II; IV,2.2 u. 4).

5. Orthodoxe

Dogmatik

als

Lehrabschluß

In der zweiten Hälfte des 16. J h . zieht einerseits das Gegenüber zu R o m (—»Tridentinum), andererseits das Bemühen um neue Konsense seine Kreise. Es bahnt sich über die -»Konkordienformel im Ringen um das Konkordienwerk auch im Süden und Mittelwesten Deutschlands die Lehreinheit der reformatorischen Gebiete durch die zunehmende Bereitschaft, das - » K o n k o r d i e n b u c h als einigendes Bekenntnis aufzunehmen, an. Unter dem starken äußeren Druck nach dem -»Schmalkaldischen Krieg und der römischkatholischen Gegenreformation ergibt sich ein Ausgleichen und Überwinden z . T . einseitiger Positionen (wobei das Verdienst von —»Flacius für eine genuine lutherische Lehrüberlieferung oft geschmälert wurde). Die Schule von - » S a l a m a n c a mit D o m i n g o de - » S o t o führte auf der thomistischen Gegenseite, in Deutschland förderten die Dominikaner, vor allem - » E c k , und der Jesuit -»Canisius die Gegenreformation mit Fortsetzen der unveränderten scholastischen Gotteslehre auf der Basis der Summa theologica des Aquinaten und der Sentenzen des -»Petrus Lombardus. Die christologische Orientierung der reformatorischen Positionen und, besonders mit der Gottesfrage verbunden, die Auseinandersetzungen um die -»Prädestination zeigen, daß die wirklichen Gegensätze auch unter den Evangelischen nicht direkt in der Gotteslehre bestanden. Immerhin wird diese doch von den verschiedenen Darstellungen zu —»Sünde und Rechtfertigung, zu —»Mensch und Zerstörung des Menschen als Geschöpf, zur Menschheit und Gottheit Christi tangiert. Die Konkordienformel bereitet auf lutherischer Seite eine abschließende Lehrbil-

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dung mit Aussagen über den menschlichen G o t t vor. Z u ihr wie zum reformierten Lehrabschluß ( - » D o r d r e c h t e r Synode) k o m m t es erst in der altprotestantischen Orthodoxie des 17. J h . Freilich bleibt es dabei nicht immer bei den Ansätzen der Reformation. Bei den Versuchen einer Definition Gottes, wenn sie nicht wie z. B. bei Chemnitz als unmöglich abgewiesen wird, gehen die nachfolgenden Theologen oft noch und wieder von methodischen Wegen der Scholastiker (in Anlehnung sogar an T h o m a s ) aus. Literatur Außer den hier nicht im einzelnen aufzuführenden allgemeinen Lehrbüchern der - » D o g m e n g e schichtsschreibung, den S t a n d a r d w e r k e n zu - » L u t h e r und den anderen zu beachtenden Theologen bzw. Bekenntnissen und konfessionellen Richtungen sind zu nennen: Alfred A d a m , L e h r b u c h der D o g m e n g e s c h . II, Gütersloh 1968. - O t t o Albrecht, Luthers Katechismen, 1913 ( S V R G 1 2 1 / 1 2 2 ) . - Ulrich Asendorf, Gekreuzigt u. Auferstanden. Luthers Herausforderung an die moderne Christologie, H a m b u r g 1971. - H e l m u t B a n d t , Luthers Lehre vom verborgenen G o t t , 1958 ( T h A 8). - Peter B a r t h , D a s Problem der natürlichen T h e o l . bei Calvin, 1928 ( T E H 18). - T h e o b a l d Beer, D e r fröhliche Wechsel u. Streit, Leipzig 1974, Einsiedeln 2 1 9 8 0 . - H o r s t Beintker, Die Uberwindung der Anfechtung bei Luther, 1954 ( T h A 1). - Ders., Luthers Gotteserfahrung u. G o t t e s a n s c h a u u n g : M a r t i n Luthers Leben u. Werk 1 5 2 6 - 1 5 4 6 , hg. v. H e l m a r J u n g h a n s , Berlin u . a . 1983. - Bekenntnis u. Einheit der Kirche. Stud. zum K o n k o r d i e n b u c h , hg. v. M a r t i n B r e c h t / R e i n h a r d S c h w a r z , Stuttgart 1 9 8 0 . - B e k e n n t n i s zur Wahrheit. Aufs, über die Konkordienformel, hg. v. J o b s t S c h ö n e , Erlangen 1978. - T o r g n y Bohlin, Den korsfäste S k a p a r e n , 1952 (AASU). 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Horst Beintker VIII. Neuzeit/Systematisch-theologisch 1. Systematisch-theologische E r ö r t e r u n g der G o t t e s f r a g e : Grundlegende Voraussetzungen 2. Christliche Gotteslehre und die G o t t e s f r a g e der Neuzeit - geschichtliche Entwicklungslinien

Gott Vili

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2.1. Hintergrund und Voraussetzung des Verstehens: Die Interdependenz von Anthropologie und Theologie 2.2. Zeitalter der konfessionellen Orthodoxie: Vorläufige Synthese von natürlicher Theologie und Offenbarungstheologie 2.3. Antitrinitarismus als Vorbote der Aufklärung: Natürliche Theologie allein 2.4. ,Der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs' - ,Der Gott der Philosophen und Gelehrten': Pascal als Vorbote der fideistischen Reaktion gegen die philosophische Überfremdung der biblischen Gottesrede 2.5. Die Auflösung der Synthese von natürlicher Theologie und Offenbarungstheologie in Pietismus und Aufklärung: Die Subjektivität des Menschen als Gravitationspunkt 2.6. Religionskritische Entwicklungslinie: Der Mensch als schöpferischer Geist und Gott als Projektion des menschlichen Bewußtseins 2.7. Religionsapologetische Entwicklungslinie: Gotteslehre als Explikation des religiösen Selbstbewußtseins 2.8. Theologische Frontverkürzung im Zeichen von Säkularisierung, Fortschrittsglauben und Kulturpositivismus: Metaphysik-Kritik - Verinnerlichung der Glaubenssphäre - Reich Gottes als sittliche Zielvorstellung der menschlichen Naturbeherrschung 2.9. Krisis und Kerygma: Die Subjektivität Gottes als alternativer Ansatz der Theologie zwischen den Zeiten 2.10. Der Atheismus und das unbewältigte Problem der natürlichen Theologie. Tod-Gottes-Theologie und neue Vermittlung von Welterfahrung und Gotteserfahrung: Ökumenische Erneuerung der altkirchlichen Gotteslehre? 3. Grundstrukturen christlicher Gotteslehre 3.1. Gott und Glaube 3.2. G o t t - d e r Verborgene 3.3. Trinitarische Glaubenssprache 3.4. Theologia crucis 3.5. Theologia gloriae 3.6. Cognitio Dei et hominis 3.7. Die Personhaftigkeit Gottes 3.8. Liebe Gottes 3.9. Tod Gottes 3.10. Alles in allem - die Wiederbringung als assertorische Grenzaussage des Gottesglaubens (Literatur S.702)

1. Systematisch-theologische zungen

Erörterung

der Gottesfrage:

Grundlegende

Vorausset-

Vom Standpunkt des christlichen Glaubens her läßt sich der Gottesbegriff in einer unüberschaubaren Fülle von unterschiedlichen Weisen und Richtungen erfassen und entfalten, wie es die Theologiegeschichte der Christenheit mit wünschenswerter Deutlichkeit demonsiriert. Ein Ausschnitt dieser geschichtlichen Vielfalt ist in den vorhergehenden Artikeln dargestellt worden. Dem folgenden Versuch einer systematisch-theologischen Erörterung der Gottesfrage liegen einige elementare Voraussetzungen zugrunde, die sich als Arbeitshypothesen folgendermaßen formulieren lassen. 1.1. Auf das Wort ,Gott' kann der christliche Glaube nicht verzichten, ohne sprachlos zu werden. Wie die ,Gotteslehre' von der Verkündigung Jesu historisch schlechterdings nicht wegzudenken ist, wird eine Jesus-Gemeinschaft, die nicht Gottesglaube bzw. Bekenntnis dieses Glaubens ist und somit auch eine Gottes lehre impliziert, eine Konstruktion ohne geschichtlichen Boden sein. 1.2. Die Geschichte christlicher Theologie im strikten Sinne des Wortes, d. h. die Geschichte christlicher Gotteslehre, wird sich sachgemäß am besten als die spannungsgeladene Entfaltung der biblischen zentralen Doppelaussage von Joh 1,18: „Niemand hat je Gott gesehen/Der einzige Sohn, der an der Brust des Vaters ist, jener hat die Kunde gebracht" verstehen lassen. Sowohl von einer theologiegeschichtlichen als auch von einer systematisch-theologischen Betrachtung her gesehen, ergibt sich als die permanente Zentralaufgabe einer christlichen Gotteslehre eben das Zusammendenken von bleibender Unsichtbarkeit/Verborgenheit Gottes und der definitiv geschehenen Selbsterschließung Gottes in —• Jesus Christus. -»Häresien sind, seit Marcion, gescheiterte Versuche, diese theologische Aufgabe zu bewältigen. 1.3. Das Proprium christlicher Gotteslehre war, ist und bleibt die trinitarische Aussagestruktur, die eine unmittelbare Konsequenz des kirchlichen Christusbekenntnisses in seiner Urform (KVQioq 'Irjaoög I Kor 12,3) ist. Weil das Christusbekenntnis im Verhältnis zum Bekenntnis des Glaubens an den einen Gott gemäß dem ersten Gebot des Dekalogs kein Zusatz, sondern eine Profilierung ist, ist die trinitarische Struktur der Gotteslehre im Christusbekenntnis schon von Anfang an mit vorausgesetzt. Insofern die Verwirklichung der Ineinssetzung von Gottesglaube und Christusglaube das menschlich unmögliche und unerklärliche, souveräne Werk des Heiligen Geistes (außer I Kor 12,3 vgl. z.B. M t 16,17 und M t 10,19 f/Lk 12,11 f) ist, darf diese Konsequenz als notwendig bezeichnet werden. 1.4. Die unauflösbare Verbindung von Gotteslehre und Christologie läßt sich deshalb nur vom Heiligen Geist verwirklichen, erhalten und erklären, weil Christologie Lehre von

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G o t t VIII

Jesus, d . h . vom Gekreuzigten (vgl. vor allem M t 1 6 , 2 1 - 2 3 und I Kor 2 , 1 - 5 ) und nichts anderes ist. Insofern die Weisheit der Welt, d . h . menschliche Weisheit die Identifikation der M a c h t und Herrlichkeit Gottes im Angesicht des gekreuzigten Jesus Christus (vgl. II Kor 4,6) nicht mitzuvollziehen vermag, wird man hier, vom Standpunkt des christlichen Glaubens her gesehen, unvermeidbar auf die Grenze der Denkbarkeit Gottes stoßen. 1.5. Christliche Gotteslehre ist nicht ohne den eschatologischen Vorbehalt aufrechtzuerhalten, der in I Kor 13,12: „ W i r sehen jetzt in einem Spiegel ein dunkles Bild; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich's stückweise; dann aber werde ich erkennen, gleichwie ich erkannt b i n " zum Ausdruck gebracht wird. Durch die Ausrichtung des Glaubens auf die Vollendung des Menschen als Abbild Gottes (-»Bild Gottes), durch das Sehen von Angesicht zu Angesicht wird die Doppelaussage von der bleibenden Unsichtbarkeit/Verborgenheit und der definitiv geschehenen Selbsterschließung Gottes grundlegend bestätigt und zugleich transzendiert. Somit zielt christliches Reden und H ö ren von der bleibenden Unsichtbarkeit Gottes in dieser Welt letztlich auf die visto beatifica hin: Volle Erkenntnis Gottes und volles Erkanntsein des Menschen von Angesicht zu Angesicht im Reich Gottes. 1.6. Es geht in christlicher Gotteslehre notwendigerweise um die cognitio dei et hominis, d . h . um die Erkenntnis Gottes und des Menschen, wobei die unauflösbare Einheit dieser Erkenntnis immer zu unterstreichen ist. Die Unauflösbarkeit dieser Einheit hängt ja nicht nur daran, daß wahre cognitio dei ohne cognitio sui und umgekehrt wahre cognitio sui ohne cognitio dei eine Unmöglichkeit ist. Vor allem hängt sie daran, daß der christliche Glaube nicht zu sagen vermag, wer Jesus ist, ohne in aller Ausschließlichkeit ihn und ihn allein als vere deus, d . h . ganz und gar G o t t und als i'ere homo, d . h . ganz und gar Mensch zu bekennen. Erst von der Gottmenschlichkeit Jesu her erschließt sich dem christlichen Glauben somit der volle Sinngehalt der beiden W ö r t e r , G o t t ' und , M e n s c h ' . 1.7. Das so verstandene Bekenntnis ,wahrhaft G o t t - wahrhaft M e n s c h ' ist eben nichts anderes als die schlichte Antwort auf die ebenso schlichte Frage, wer Jesus ist. Als Antwort auf die Frage, was Jesus sei, würde das christologische Dogma in dieser Aussageform logisch voraussetzen, daß wir davon schon im voraus Bescheid wissen, was , G o t t ' bzw. ,Mensch' heißt und darum auch im Stande sind, die Person Jesu reibungslos unter den beiden Kategorien zu subsumieren. D a m i t wäre jedoch der Sinn des Dogmas verfehlt und die Tragweite des Christusbekenntnisses verkannt, insofern dann gerade die Kritik der Kategorien ausgeschlossen wäre, die aus der Frage erwächst, wer Jesus ist. Von hierher wird die Gottesfrage zur Frage, wer G o t t ist; von der Antwort auf diese Frage erwartet der christliche Glaube dann zu erfahren, wer der fragende M e n s c h ist. Eine solche Präzisierung der Gottesfrage schließt die andersartige Fragestellung, was G o t t und Mensch seien, nicht aus, wird sie jedoch, insofern sie ihr ein weniger fundamentales Erkenntnisinteresse zuerkennt, unvermeidlich relativieren müssen. 1.8. Vom Standpunkt des christlichen Glaubens her gesehen, bleiben G o t t und M e n s c h in solcher Weise auf einander bezogen, daß , G o t t ' und , M e n s c h ' unter keinen Umständen als in sich ruhende Entitäten vorgestellt werden dürfen, die je für sich zu definieren wären, um dann (möglicherweise) nachträglich gedanklich in irgendeine Verbindung zueinander gesetzt zu werden. Als liebender Schöpfer, Erhalter und Erlöser ist G o t t im Verhältnis zu seiner Welt immer tätig, wie der M e n s c h als Geschöpf Gottes stets in Bewegung auf G o t t hin oder (und!) von G o t t hinweg gehalten wird. Was man sich als von dieser stetigen Bewegung und diesem stetigen Bewegtwerden abstrahiert vorstellen mag, sind nicht G o t t und M e n s c h , sondern sich gegenseitig ausschließende Mischwesen, die sich als Thronprätendenten desselben Wunschtraumes von göttlicher Hoheit entfalten. Von hierher wird es auch verständlich, daß der formale Unterschied zwischen einer theistischen und einer atheistischen Daseinsdeutung weniger fundamental sein kann, als der reale Unterschied zwischen zwei Daseinsdeuturigen theistischer bzw. atheistischer Art. Entscheidend ist vielleicht nicht so sehr, ob es , G o t t ' oder ,der M e n s c h ' ist, den man sich als das perspektivische Zentrum aller Wirklichkeit vorstellt. Vielmehr ist es die

G o t t Vili

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Frage, welchem Gott oder welchem Mensch diese perspektivische Funktion beigelegt wird. So ist das Jesuswort von der Priorität des Bruders vor dem Dienst beim Altar (Mt 5,23 f) gerade nicht dahin zu interpretieren, d a ß dadurch G o t t aus dem Z e n t r u m heraus, der Mensch statt Gott ins Z e n t r u m hinein geführt wird. Im Gegenteil, das Wort sieht den w a h r h a f t menschlichen G o t t mit den beiden versöhnten Brüdern zusammen im Z e n t r u m des Universums. 1.9. Mit dem Thema ,Tod Gottes' muß der christliche Glaube, insofern er Gottesglaube und Christusglaube in Einem ist, ebenso vertraut sein. Wo dieses T h e m a als etwas Fremdartiges empfunden wird, kann es die Einheit von Christusglauben und Gottesglauben kaum geben. O h n e das Bekenntnis zu Christus als dem Auferstandenen und Lebendigen zur Rechten des Vaters, d. h. als dem im Heiligen Geiste Allgegenwärtigen und Tätigen, ist das T h e m a jedoch in seiner vollen theologischen Tiefe und Tragweite noch nicht erfaßt worden. Der gekreuzigte Jesus ist der Erhöhte, der Erhöhte bleibt der Gekreuzigte. Die Signatur seiner Herrschaft bleibt victrix infirmitas Christi (Luther), wobei es eben nicht um Schwachheit und Tod an sich geht, sondern um die siegreiche, alles überwindende Schwachheit und den Tod Jesu, durch den Gott den Tod von innen her entmächtigt hat. 1.10. Aussagen christlicher Gotteslehre haben wesenhaft assertorischen, die Bekenntnisaussagen des christlichen Glaubens wesenhaft doxologischen Charakter. Beides ist von daher zu verstehen, d a ß durch die Verkündigung des Evangeliums Christus ohne Vorbehalt als promissio Dei vom Heiligen Geist dem Glauben zugesagt wird, wobei die Sprache der Approximationen und Wahrscheinlichkeiten, die dem Weltverhältnis des Menschen die einzig adäquate Sprachform ist, ais theologisch unsachgemäß anzusehen ist. 2. Christliche lungslinien

Gotteslehre

und die Gottesfrage

der Neuzeit

— geschichtliche

Entwick-

von Anthro2.1. Hintergrund und Voraussetzung des Verstehens: Die Interdependenz pologie und Theologie Rudolf ->Bultmann schreibt 1924 in einer Begrifflichkeit, die den Zeiten des voll gereiften epochalen Selbstbewußtseins zu eigen ist, die folgenden Sätze: „Der Gegenstand der Theologie ist Gott, und der Vorwurf gegen die liberale Theologie ist der, d a ß sie nicht von Gott, sondern von Menschen gehandelt hat. Gott bedeutet die radikale Verneinung und Aufhebung des M e n s c h e n . . . " (Die liberale Theol. u. die jüngste theol. Bewegung, GuV I, Tübingen 8 1975, 2). Der Sinn des letzten Satzes wird sich schwerlich in befriedigender Weise aufschließen lassen, wenn auch die weitere G e d a n k e n f ü h r u n g des Aufsatzes klar macht, d a ß es Bultmann eigentlich um das radikale Ärgernis der christlichen Kreuzespredigt und nicht um die scheinbar absolut gesetzte Alternative Gott oder Mensch geht. Doch darf die sprachlich etwas rätselhafte Behauptung, Gott bedeute die radikale Verneinung und Aufhebung des Menschen, als Ausdruck einer weit verbreiteten Empfindung der Umbruchszeit nach dem ersten Weltkrieg zu bewerten sein. Insofern führt uns die schroff formulierte Alternative - Gott oder der Mensch als Gegenstand der Theologie - direkt in das Z e n t r u m der neuzeitlichen Theologiegeschichte hinein. Die ungeklärte Alternative von absoluter Theologie und absoluter Anthropologie ist der abendländischen Kultur durch die christliche Theologie aufgenötigt worden. D a ß die Theologie im 20. Jh. weithin von dem dadurch entstandenen Bewußtsein eingeholt wird, darf geschichtlich k a u m als überraschend betrachtet werden. Die Dynamik der neuzeitlichen Gottesfrage in der abendländischen Christenheit läßt sich in der Tat nicht ohne die unauflösliche Verflechtung von Anthropologie (-* Mensch) und Theologie innerhalb der christlichen Denktradition erfassen. Nicht zufällig ist die in theologiegeschichtlicher Perspektive gesehen vielleicht weitreichendste und tiefgreifendste Kontroverse zur Gottesfrage in den letzten fünf Jahrhunderten thematisch eine Kon-

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Gott Vili

troverse zur Frage des arbitrium hominis, d . h . zum moralisch-religiösen Urteilsvermögen bzw. zur Entscheidungskraft des Menschen. Die schicksalhafte Kontroverse zwischen —•Erasmus und -»Luther über die Thematik der menschlichen Willensfreiheit ist zwar nicht ,modern', - im Gegenteil, sie ist in der theologischen Gedankenwelt und den anthropologischen Fragestellungen des Mittelalters tief verwurzelt und darum für spätere Generationen, die von anderen philosophischen und theologischen Voraussetzungen her denken, weithin kaum mehr verständlich. Nichtsdestoweniger hat die spannungsgeladene Konstellation und Konfrontation von ,Freiheit Gottes* und ,Freiheit des Menschen', die implizit (und z.T. auch explizit) diese ganze Kontroverse als roter Faden durchzieht, im Verhältnis zur weiteren Problematik der Neuzeit einen proleptischen Charakter. In allen Spielarten des neuzeitlichen Atheismus geht es zuletzt auch um ein Verständnis der menschlichen Freiheit, das darum die Verneinung der Existenz Gottes fordert, weil die Freiheit des Menschen als mit der in jedem ernsthaft gedachten Gottesbegriff vorausgesetzten Souveränität Gottes unvereinbar vorgestellt wird. Mit guten Gründen stellt Luther somit in seiner Nachschrift zu De servo arbitrio 1525 fest, daß Erasmus durch sein Aufgreifen der anthropologischen Kernfrage nach dem freien Entscheidungsvermögen des Menschen als erster und einziger unter seinen theologischen Kritikern das perspektivische Zentrum und die Hauptsache aller theologischen Auseinandersetzungen klar gesehen und zur Diskussion gestellt hat (WA 18,786). Wenn der von Erasmus aufgegriffenen anthropologischen Fragestellung hier eine größere Tragweite als allen bisherigen Streitfragen vorwiegend ekklesiologischer Art zuerkannt wird es geht um res ipsa (ebd.), d . h . um die Sache schlechthin - , hängt das natürlich damit zusammen, daß für Luther in der gedanklichen Verarbeitung dieser Fragestellung die Wahrheit der christlichen Rede von Gott als dem Schöpfer und dem Menschen als Geschöpf Gottes auf dem Spiele steht. Arbitrium hominis ist also ein theologisches Thema, denn wo es um die Gottesrelation und die Weltrelation des Menschen und deren gegenseitige Zuordnung geht, geht es notwendigerweise um Theologie im strikten Sinne des Wortes: Lehre von Gott. Es geht also um die Frage, wie sich Weltverhältnis und Gottesverhältnis des Menschen zueinander verhalten. Für Luther hängt alles an der Unterscheidung der beiden Relationen, denn nur durch die im Glauben vollzogene und immer aufs neue zu vollziehende Unterscheidung meint er, die Gottheit Gottes im Denken bewahren zu können. Für Erasmus geht es dagegen darum, die tendenzielle Identität der beiden Relationen festzuhalten, denn nur so meint er, die Welt als moralischen Kosmos und Gott als den gerechten Urheber und Lenker des moralischen Kosmos verstehen zu können. Beiden Konzeptionen ist, formal betrachtet, das Festhalten an der kirchlichen Lehre von der Heilsbedürftigkeit und dem Angewiesensein des Menschen auf die Gnade Gottes als den Grund seines Heils gemeinsam. Durch den Ansatz bei der moralischen Verantwortlichkeit des Menschen kommt jedoch im Wirklichkeitsverständnis des Erasmus die moralische Dimension zu einer Vorherrschaft, die unverkennbar in Richtung auf eine Alleinherrschaft tendiert, während das strikt theologische Verständnis des Sünderseins des Menschen bei Luther im Gottesverhältnis für die moralische Dimension keinen Raum übrig zu lassen scheint. Daß Gott gerecht ist und daß allen Menschen im Urteil Gottes Gerechtigkeit widerfährt, ist selbstverständliche Voraussetzung einer auf der gemeinsamen Gesprächsbasis der -*• Heiligen Schrift geführten Diskussion und wird beiderseits als unmittelbar einleuchtend vorausgesetzt. Als sichtbare Tatsache ist jedoch die Gerechtigkeit Gottes in dieser Welt nicht vorhanden; eine gerechte Weltordnung nach dem Prinzip des suum cuique wird durch die unmittelbare Erfahrung nicht bestätigt, und die Heilige Schrift scheint in ihren Aussagen über Gottes Erbarmen und Verwerfung jeder Vorstellung von einer erkennbaren Gerechtigkeit solcher Art zu widersprechen. Mit der Unsichtbarkeit der postulierten Gerechtigkeit Gottes kommt man wiederum auf zwei unterschiedliche Weisen zurecht; entweder durch die scharfe qualitative Unterscheidung von -•Gerechtigkeit Gottes und Gerechtigkeit der Welt (so Luther) oder durch das Bestehen auf der

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G o t t VIII

R e a l i t ä t d e r einen, prinzipiell z w a r e r k e n n b a r e n , p r a k t i s c h freilich n u r z u m Teil e r k a n n ten G e r e c h t i g k e i t (so E r a s m u s ) . Am deutlichsten unterscheiden sich die beiden Konzeptionen im Verständnis von Gottes Verborgenheit. Für Erasmus gibt es zwar dunkle, d. h. rational undurchsichtige und darum nicht eindeutig zu erklärende Schriftaussagen und theologische Fragen, die sich mit Sicherheit nicht beantworten lassen. Der Glaube, als das gehorsame Anschließen an die Botschaft der lehrenden Kirche verstanden, bringt jedoch das notwendige Licht, das die Randzonen der ungeklärten Gottesfragen auf ein relativ harmloses Diskussionsfeld der akademischen Theologie reduziert. Eine Verborgenheit Gottes gibt es aufgrund der Begrenztheit des menschlichen Erkenntnisvermögens; daraus sind jedoch keine Konsequenzen für die Theologie im strikten Sinne zu ziehen, sondern vielmehr die pragmatische Beschränkung der Gottesfrage auf die Frage der praktischen Relevanz, d. h. der sittlichen Funktionalität des Gottesbegriffes zu begründen. Um der moralischen Weltordnung, d . h . der Weltordnung der distributiven Gerechtigkeit willen darf G o t t unter keinen Umständen der Urheberschaft des Bösen oder Sinnlosen verdächtigt werden. Wenn der Gottesbegriff entlastet werden soll, muß jedoch die Verantwortlichkeit und moralische Zurechnungsfähigkeit des Menschen ohne Einschränkung behauptet werden, was das Verständnis des Menschen als freie moralische Potentialität, d. h. als liberum arbitrium voraussetzt. Bosheit, Verstockung und Unheil sind somit selbstverschuldete menschliche Phänomene, und es kann nur in uneigentlichem Sinne von G o t t gesagt werden, daß er Subjekt der Verstockung oder Verwerfung eines Menschen ist. Gemeint ist, daß G o t t dem Menschen auch beim falschen Gebrauch die Wahlfreiheit gewährt und darum die Resultate auch zur Kenntnis nimmt. M i t der kirchlichen Gotteslehre ist diese Konzeption zwar in der soteriologischen Einrahmung verbunden, die mit dem Ausgangspunkt der ganzen Kontroverse in der anti-scholastischen T h e o l o gie Luthers gegeben ist. Der Sündhaftigkeit des Menschen und der Zentralstellung der Gnade Gottes wird durchaus Rechnung getragen; faktisch wird die Möglichkeit zum Guten nur durch die Gnade verwirklicht. Es fällt jedoch auf, daß die Vorherrschaft der moralischen Dimension im Verständnis der Relation G o t t - Mensch zu einer Entfunktionalisierung der christlichen Gotteslehre im engeren Sinne, d.h. der Trinitätslehre führt. Als Teil der vorgelegten Offenbarungswahrheit steht das altkirchliche Dogma zwar außer Diskussion und gibt dazu ein schönes Argument für die Insuffizienz der Heiligen Schrift an die Hand; für das Verständnis der beiden Begriffe G o t t und Mensch spielt es keine strukturierende Rolle. Im theologischen Gedankensystem des Erasmus kommt der Lehre Jesu grundlegende Bedeutung zu - sie steht jedoch unvermittelt neben der Gotteslehre und dem traditionellen christologischen D o g m a . Die Pneumatologie wiederum ist praktisch auf die Lehre von der wahrheitsverbürgenden Autorität der Kirche reduziert worden; theologische Wahrheitsfindung wird letztlich nur durch die unbedingte Lehrautorität der vom Heiligen Geist geführten Kircheninstitution ermöglicht. In L u t h e r s V e r s t ä n d n i s d e r R e l a t i o n G o t t - M e n s c h ist die V e r b o r g e n h e i t G o t t e s m i t d e r T r i n i t ä t s l e h r e (—>Trinität) u n d d e r C h r i s t o l o g i e (—»Jesus C h r i s t u s ) a u f s e n g s t e v e r b u n d e n . G e r a d e in seiner O f f e n b a r u n g in C h r i s t u s bleibt G o t t in d i e s e r W e l t sub

contra-

rio, d . h . u n t e r s e i n e m s c h e i n b a r e n G e g e n s a t z v e r b o r g e n . D a ß er s o , in d e r K n e c h t g e s t a l t d e s G e k r e u z i g t e n , w a h r h a f t G o t t ist, v e r m a g d e r H e i l i g e - » G e i s t allein d u r c h die V e r k ü n d i g u n g des E v a n g e l i u m s d e m G l a u b e n o f f e n b a r zu m a c h e n . D i e G e w i ß h e i t d e s d u r c h d i e W u n d e r t a t d e s G e i s t e s g e w i r k t e n G l a u b e n s , als v o r b e h a l t l o s e Z u v e r s i c h t zu G o t t v e r s t a n d e n , hebt die V e r b o r g e n h e i t n i c h t zugunsten eines O f f e n b a r s e i n s G o t t e s auf. I n s o f e r n die W e l t als W e l t d e r S ü n d e , d. h. G o t t - s e i n - w o l l e n d e W e l t , n i c h t a u f g e h o b e n w o r d e n ist u n d i n s o f e r n der g l a u b e n d e M e n s c h als Teil d i e s e r W e l t n i c h t a u f g e h o b e n w o r d e n ist, gibt es d i e G e w i ß h e i t d e s G l a u b e n s z w a n g s l ä u f i g n u r als angefochtene

Gewißheit. D a d u r c h wird

die G e w i ß h e i t u m G o t t e s V e r l ä ß l i c h k e i t in keiner H i n s i c h t r e d u z i e r t . I m G e g e n t e i l - e b e n als a n g e f o c h t e n e G e w i ß h e i t d e s G l a u b e n s w i r d sie d u r c h die r e i n e u n d u n b e d i n g t e Z u s a g e d e s Geistes i m V e r h e i ß u n g s w o r t e r h a l t e n . Sie a r t i k u l i e r t sich d e m g e m ä ß s p r a c h l i c h in t h e o l o g i s c h e n assertiones,

d. h. in B e k e n n t n i s a u s s a g e n

unbedingten Vertrauens

über

W e r k u n d W e s e n G o t t e s . D a s w i r d a u s einer a x i o m a t i s c h k l i n g e n d e n F e s t s t e l l u n g s t r i k t t h e o l o g i s c h e r A r t hergeleitet - d e r H e i l i g e G e i s t ist ein assertor,

n i c h t ein scepticus,

d. h.

ein A u t o r , d e r sich in g e w i s s e n u n d g e w i ß h e i t s t i f t e n d e n B e h a u p t u n g e n k a t e g o r i s c h e r A r t , n i c h t in V e r m u t u n g e n o d e r K o n d i t i o n a l s ä t z e n ä u ß e r t . D a s w i e d e r u m b r i n g t d i e T h e s e v o n d e r claritas b a r e perspicuitas,

scripturae

h e r v o r u n d e r l ä u t e r t sie z u g l e i c h . N i c h t eine e m p i r i s c h feststell-

d . h . intellektuelle D u r c h s i c h t i g k e i t u n d l o g i s c h e K o n s i s t e n z , s o n d e r n

die a u s d e r A u f e r s t e h u n g C h r i s t i a u f s t r a h l e n d e L i c h t k r a f t ist d e r H e i l i g e n S c h r i f t z u eigen,

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Gott VIII

die in der Finsternis dieser Welt die Wege Gottes erleuchtet. So liegen die Geheimnisse der Trinität und der Menschwerdung Gottes im hellen Licht der Heiligen Schrift (WA 18,603ff). Die früher - in der Kontroverse mit Hieronymus -»Emser 1521 und in den Vorreden zum Neuen Testament 1522 - formulierten Thesen Luthers vom Heiligen Geist als dem allereinfältigsten Verfasser, den es im Himmel und auf Erden gibt (WA 7,650), und vom Christum treiben des Geistes als dem eigentlichen criterium canonicitatis des Neuen Testaments (WA. DB 7,384) werden hier durch die These von der sinngebenden Funktion des geistgewirkten Christuszeugnisses der Schrift ergänzt. Mit dem glaubensstiftenden Zeugnis des Geistes von Gottes Auferweckung des Gekreuzigten kann in der Schrift theologisch einfach nichts mehr im Dunklen liegen, und es kann der Schrift als Christuszeugnis theologisch gar keine Klarheit oder Gewißheit von außen her zugeführt werden. In diesem Licht bleiben die gedanklich undurchdringlichen Geheimnisse der Trinität und der Menschwerdung Gottes als die Grenze der,natürlich' zugewachsenen Gotteserkenntnis, der Erkenntnis Gottes ohne und außer dem Kreuz Christi, stehen. Als Theologe, d. h. als von Gott Denkender und Redender, bleibt der Christ in diesem Leben immer wieder in die Rolle als theologus crucis gewiesen und in dieser heilsamen Rolle erhalten. Die Einsicht in die M a j e s t ä t G o t t e s bleibt d e m homo huius vitae verschlossen; d a s Majestätsgeheimnis ist in dieser Welt n u r als G e g e n s t a n d der E h r f u r c h t und A n b e t u n g zugänglich. Insofern bleibt auch die Gerechtigkeit der schöpferischen Urteile G o t t e s der menschlichen Beurteilung entzogen. An den traditionellen S p r a c h g e b r a u c h der theologischen Erkenntnislehre a n k n ü p f e n d , n i m m t Luther hier die Lehre von d e n drei lutnina auf: Es gibt eine E r k e n n t n i s G o t t e s im Lichte der N a t u r o d e r der V e r n u n f t , es gibt eine E r k e n n t n i s G o t t e s im Lichte der G n a d e o d e r des Evangeliums u n d es gibt eine E r k e n n t n i s G o t t e s im Lichte der Herrlichkeit (WA 18,784f). Als ü b e r s c h a u b a r e , logische Stufenfolge der G o t t e s e r k e n n t n i s ist d a s nicht zu verstehen, denn es gibt für das menschliche Urteilsvermögen eben keinen offenen Weg v o n der einen Stufe zu der a n d e r e n . Keiner k a n n sich von der Stufe der natürlichen G o t t e s e r k e n n t n i s auf die Stufe der G l a u b e n s e r k e n n t n i s .erheben', wie sich keiner v o m Licht der G n a d e ins Licht der Herrlichkeit auch n u r hypothetisch versetzen k ö n n t e . Von der .mittleren' Stufe des Lichts der G n a d e her gesehen, wird jedoch ein Analogieschluß hilfreich sein k ö n n e n : W i e sich vieles, w a s im Licht der Vernunft als rätselhaft oder sinnwidrig erschien, im Licht des Evangeliums für d a s Verständnis ö f f n e t , so werden sich a u c h im Licht der H e r r l i c h k e i t die G e h e i m nisse, die d e m G l a u b e n noch verschlossen bleiben, beim Schauen G o t t e s von Angesicht zu Angesicht im Licht der H e r r l i c h k e i t e r ö f f n e n . Solange jedoch der eschatologische V o r b e h a l t mit d e m Fortbestand dieser Welt a u f r e c h t e r h a l t e n bleibt, ist theologische Wahrheitsfindung auf den .gekleideten' G o t t , d. h. den gepredigten ( = zugesagten) G o t t des Evangeliums gewiesen. Die E r k e n n t n i s G o t t e s im Lichte des G l a u b e n s h a t s o m i t nicht einfach die E r k e n n t n i s Gottes im Licht der - » V e r n u n f t abgelöst o d e r ersetzt; mit seiner Z u s a g e des in seiner O f f e n b a r u n g verborgenen G o t t e s h a t jedoch das Evangelium in die n a t ü r l i c h e G o t t e s e r k e n n t n i s eine heilsame Komplikation hinein g e b r a c h t . Bis auf d a s Anbrechen des Lichtes der Herrlichkeit bleibt die G o t t e s e r k e n n t n i s des G l a u b e n s - im w e i t e r f ü h renden Anschluß u n d im h a r t e n W i d e r s p r u c h - auf die natürliche G o t t e s e r k e n n t n i s der V e r n u n f t bezogen.

Ein ,vortheologisches' Verständnis des Menschen als freies arbitrium, als reine, neutrale Potentialität, ist in dieser Ineinander-Konzeption von Offenbarung und Verborgenheit ebenso unmöglich wie ein Verständnis Gottes als rein registrierenden Beobachters. Ohne das Ineinander von Verborgenheit und Offenbarung ist der Mensch post Christum in seinem geheimnisvollen Personsein ebensowenig zu verstehen wie Gott. Mit dem gepredigten Gott des Evangeliums (= Gott als der Vater Jesu Christi) ist nämlich die Relation Gott — Mensch teleologisch mit letzter Gültigkeit auf eines hin definiert worden: die Ehre Jesu Christi, des Mittlers. Als Ebenbild Gottes bleibt sich der Mensch in dieser Welt in seiner wahren Identität ebenso entzogen, als ihm Gott in seiner Majestät verborgen bleibt. In seiner Weltrelation mag der Mensch zwar in seiner scheinbar unbegrenzten Herrschafts-Kapazität nahezu zu allem fähig sein, in seiner Gottesrelation, d. h. in seinem Personsein, ist er seiner selbst nicht mächtig. Seine wahre Identität wird ihm vom gepredigten Gott des Evangeliums mitgeteilt; indem sich Gott als derjenige offenbart, der aus freier, unableitbarer Liebe den Sünder in Jesus Christus rechtfertigt, darf sich der Mensch als einen Sünder glauben und bekennen und als einen Gerechten, d . h . als vom Schöpfer anerkanntes Geschöpf und somit als cooperator Dei empfangen und akzeptieren. Wenn

G o t t VIII

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man von dieser mit der Ehre des Gekreuzigten als Gravitationspunkt gesetzten Relation Gott - Mensch abstrahiert, läßt sich vom Standpunkt des christlichen Glaubens her gesehen die Wahrheit weder von G o t t noch vom Menschen zum Ausdruck bringen. Wer vom Menschen die Wahrheit sagen will, m u ß von dem reden, was er von Gott empfängt: sein verborgenes Personsein. Und wer von G o t t die Wahrheit sagen will, m u ß von dem reden, was Gott an den Menschen als seiner verlorenen Schöpfung tut: die liebende Selbsthingabe Gottes bis in den Tod des Menschen hinein. Als Verstehenshilfe zur neuzeitlichen Schicksalsgemeinschaft von Anthropologie und Theologie darf die somit umrissene Kontroverse aus der großen Aufbruchszeit der abendländischen Christenheit in der ersten H ä l f t e des 16. Jh. als unentbehrlich angesehen werden. 2.2. Zeitalter Theologie und

der konfessionellen Orthodoxie: Offenbarungstheologie

Vorläufige Synthese

von

natürlicher

Das 16. Jh. hat als Erbschaft das konfessionelle Territorialprinzip als politische Voraussetzung einer weithin schon erstarrten Kontroverstheologie hinterlassen. Die dem christlichen Glauben durch das im Mittelalter selbstverständlich gewordene Z u s a m m e n fallen von politischer und religiöser Einheit verliehene soziale Plausibilität konnte durch das Territorialprinzip scheinbar aufrechterhalten werden, mußte jedoch auf die Dauer von dem durch die Erfahrungen der Religionskriege aufgezwungenen Bewußtsein von der institutionellen Zerspaltung der Kirche in der Tat gefährdet werden. Um so wichtiger wurde innerhalb des konfessionellen Establishments die apologetische Aufgabe ( - • Apologetik) der Theologie; nur durch die Verstärkung seiner intellektuellen Plausibilität konnte dem christlichen Glauben die im Auflösungsprozeß der religiösen Einheitskultur Europas verwitternde soziale Plausibilität ersetzt werden. Von daher wird sowohl die W i e d e r a u f n a h m e aristotelischer Denkweise und Begrifflichkeit (-»Aristoteles/Aristotelismus) als die damit unvermeidlich mitfolgende strukturelle Gleichschaltung der dogmatischen Systematik der altprotestantischen Theologie mit derjenigen der Hochscholastik erklärlich. Als Ergebnis desselben Prozesses der gegenseitigen strukturellen Anpassung der Kontroverstheologie in nachtridentinischer Zeit wird auch das Hervorwachsen einer eigenständigen, der Dogmatik vorausgehenden und sie begründenden theologischen Erkenntnislehre zu erklären sein. Wichtiger als die polemisch zu vertretenden konfessionellen Abgrenzungen ist dabei die gemeinsame Struktur der lehrhaft entfalteten Prinzipien theologischer Erkenntnis. Was die altprotestantische Orthodoxie programmatisch anstrebt, ist eine harmonische Synthese von theologia naturalis und theologia revelata. Die letztere wird dabei, was die Quelle der Erkenntnis betrifft, ausschließlich als Schrifttheologie und insofern in ungebrochener Kontinuität mit der reformatorischen Theologie verstanden, die erstere schließt als philosophische Theologie sowohl die deduktive, aus den menschlichen Denknotwendigkeiten gewonnene, als auch die induktive, durch die empirische Weltbetrachtung vermittelte Gotteserkenntnis ein. Vorausgesetzt wird eine tendenziell positive gegenseitige Verbindung von philosophischer Theologie und Offenbarungstheologie; die Offenbarung Gottes in der Heiligen Schrift hat als ihre logische Erkenntnisvoraussetzung irgendeine Gottesvorstellung allgemeiner Art, und die natürliche Gotteserkenntnis weist in ihrer Unbestimmtheit und Unvollständigkeit weiter auf die Selbsterschließung Gottes in der Heiligen Schrift hin. Im Prinzip werden die beiden Erkenntniswege zwar als selbständige, voneinander unabhängige Wege verstanden; unter der praktischen Voraussetzung der möglichen und erstrebenswerten Synthese der beiderseitigen Ergebnisse ist jedoch k a u m zu vermeiden, daß die Zurechtlegung der n a t ü r l i c h e n ' Gotteserkenntnis durch spezifisch christliche Vorstellungen präfiguriert, die Schrifttheologie ihrerseits durch die festgestellte natürliche Theologie beeinflußt wird. Beiderseits mag d a d u r c h eine Entprofilierung eintreten; durch die unbewußte Hereintragung von Vorstellungselementen der jüdisch-christlichen Tradition wird die natürliche Theologie gewissermaßen ,ver-

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christlicht', während der biblischen Gotteserzählung — der Geschichte der Selbstkundgebungen Gottes - ihre heilsgeschichtliche Dramatik weithin durch die Statik des philosophischen Unterbaus genommen wird. Die dogmatischen loci, die zwischen den konfessionellen Fronten strittig bleiben, sind natürlich vor allem die Lehren, denen in der Aufbruchszeit eine kirchentrennende Funktion beigelegt worden war. Die Gotteslehre tritt dabei vor den Fragenkomplexen der Anthropologie ( - » Mensch) bzw. Soteriologie ( - » H e i l und Erlösung) und der Ekklesiologie ( - » K i r c h e ) in den Hintergrund. Explizit k o m m t die Gotteslehre seltener zwischen den konfessionellen Traditionen als innerhalb der einzelnen Traditionen zur Diskussion. So bleiben z. B. die großen Fragenkreise der Prädestinationslehre (-»Prädestination) und der gegenseitigen Zuordnung von natürlicher, philosophischer Theologie und Gotteslehre der Heiligen Schrift innerhalb der einzelnen konfessionellen Traditionen beständig auf der Tagesordnung der T h e o l o g i e , ohne kirchentrennende Festlegungen konfessioneller Art hervorzurufen. Kirchengeschichtlich ist das natürlich aus der Tatsache zu erklären, daß die Gotteslehre in den konfessionellen Lehrschriften der Reformationszeit durch den summarischen Rückverweis auf die altkirchliche Theologie als unstrittig hervorgehoben wurde. Inhaltlich wird es vor allem auch von daher zu erklären sein, daß die Gotteslehre in der konfessionellen —»Orthodoxie verhältnismäßig isoliert dasteht, ohne strukturierende Kraft in bezug auf die D o g m a t i k im ganzen. So bleibt erstaunlicherweise auch die konfessionelle Schlüsselkontroverse um die Rechtfertigungslehre ohne eine deutlich erkennbare Verbindung zur T h e o l o g i e im strikten Sinne des Wortes stehen, - was übrigens bis in die heutigen Bemühungen um eine ökumenische Verständigung hinein seine lähmenden Nachwirkungen hat. Auch wo die konfessionelle Kontroverse um die Rechtfertigungslehre als überwunden angesehen wird - so z. B. im sog. Maltabericht (Das Evangelium und die Kirche, 1972) der ersten gemeinsamen römisch-katholisch/evangelischlutherischen Studienkommission — bleibt es offen, welcher theologische Stellenwert dieser Lehre innerhalb der Gesamtheit der christlichen Lehre zukommt (Das Evangelium und die Kirche N r . 28). Eine normative Funktion in bezug auf die den Glauben und die Verkündigung der Kirche verpflichtende Gotteslehre wird der Erkenntnis Gottes ex lumine naturae in der altprotestantischen O r t h o d o x i e nicht zuerkannt. Die von der reformatorischen T h e o l o gie übernommene Grundforderung der Schriftbegründung aller theologischen Aussagen wird theoretisch aufrechterhalten. In einer Problemlage, in der die Autorität der Heiligen Schrift grundsätzlich noch nicht in Frage gestellt worden ist, wird sich die natürliche Theologie auch nicht als unbedingt notwendige apologetische Aufgabe melden. Die begrenzte Funktion, eine gedankliche Explikation des Gottesbegriffes und der im Glauben geschenkten Gewißheit von der Existenz Gottes darzubieten, ist jedoch einer Erweiterung der theologischen Ambitionen jederzeit offen. J e mehr sich die kulturelle Atmosphäre von der sozialen Herrschaft der kirchlich institutionalisierten Theologie emanzipierte, desto stärker mußte der Bedarf einer apologetisch funktionellen Darstellung der natürlichen Gotteserkenntnis empfunden werden. J e weiter ihre Ambitionen in diese Richtung ausgedehnt werden, desto stärker wird sich jedoch die Theologie auch der Kritik der anderen, von jeder Kirchenautorität emanzipierten Wissenschaften aussetzen. Was das Verständnis der theologia revelata betrifft, wird in der altprotestantischen Erkenntnislehre das theologische A x i o m Luthers von der claritas scripturae im R a h m e n einer umfassenden Lehre von den Eigenschaften der Heiligen Schrift weitergeführt und zugleich umfunktioniert. Gegen die tridentinische Lehre von Schrift und (mündlicher) Tradition als gleichrangigen Quellen (-»Tridentinum) der Kirche zur Erkenntnis der ihr anvertrauten Offenbarungswahrheiten tritt die T h e o r i e von der materialen Suffizienz der Schrift immer stärker in den Vordergrund, regelmäßig mit der sachlich nahverwandten T h e s e von der besonderen formalen Verläßlichkeit der schriftlichen Offenbarungsvermittlung eng verbunden. M i t der unverkennbaren Tendenz zu einer intellektualisierenden Vergegenständlichung der Offenbarungswahrheiten neigt die theologische Prinzipienleh-

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re auch dazu, die claritas, die u n m i t t e l b a r e L i c h t k r a f t , in die perspicuitas, die D u r c h s i c h tigkeit und gedankliche Konsistenz der Schriftaussagen hinein zu verwandeln. D i e t h e o l o gische Einengung und i m m e r weiter getriebene F o r m a l i s i e r u n g der Inspirationslehre ( - » B i b e l ; - » G e i s t ) in R i c h t u n g a u f eine B e g r ü n d u n g der L e h r e von der Unfehlbarkeit der Schrift in allen ihren Bestandteilen ist ein anderes Z e i c h e n derselben Tendenz. Die vielfältigen G o t t e s a u s s a g e n der biblischen Schriften in R i c h t u n g a u f eine systematisierbare, gedanklich konsistente G o t t e s l e h r e zu h a r m o n i s i e r e n , wird im Z u g dieser E n t w i c k l u n g die wichtigste A u f g a b e der d o g m a t i s c h e n Schriftauslegung. J e besser ihr die L ö s u n g dieser A u f g a b e gelingt, desto verletzbarer wird die theologia revelata der D o g m a t i k in der u n v e r m e i d b a r a u f k o m m e n d e n K o n f r o n t a t i o n mit einer differenzierenden, historisch-kritisch arbeitenden Schriftauslegung ( - » B i b e l W i s s e n s c h a f t ) . Von beiden Seiten her b e t r a c h t e t , erweist sich s o m i t die angestrebte Synthese von natürlicher T h e o l o g i e und O f f e n b a r u n g s t h e o l o g i e in dieser E p o c h e als eine vorläufige. J e mehr sich die D o g m a t i k der konfessionellen O r t h o d o x i e ihrer p r o g r a m m a t i s c h aufgestellten A u f g a b e gewachsen zeigte, desto deutlicher m u ß t e die Vorläufigkeit der L ö s u n g zu T a g e treten. D u r c h ihre A n k n ü p f u n g an die begrifflichen D i s t i n k t i o n e n der scholastischen T r a d i tion ( - » S c h o l a s t i k ) k o n n t e die a l t p r o t e s t a n t i s c h e O r t h o d o x i e z w a r mit voller R ü c k s i c h t n a h m e a u f die notwendigen V o r b e h a l t e s p r a c h t h e o r e t i s c h e r A r t Wesen und E i g e n s c h a f ten G o t t e s weithin widerspruchsfrei zum A u s d r u c k bringen und zugleich die M i t t e i l u n g der geheimnisvollen T r i n i t ä t G o t t e s d e m ausgesparten O f f e n b a r u n g s b e r e i c h der Schrifttheologie v o r b e h a l t e n . Verloren geht in dieser w o h l a b g e w o g e n e n Z u o r d n u n g von G o t t e s erkenntnis im Lichte der N a t u r / V e r n u n f t ( d e u s unus) und G o t t e s e r k e n n t n i s im L i c h t e des G l a u b e n s (deus triunus) die biblische S p a n n u n g von Verborgenheit und geschichtlicher Selbsterschließung G o t t e s in seinen T a t - W o r t e n . Als reine, geist-geschenkte Z u v e r s i c h t an die darin zugesagte Verheißung tritt der a n g e f o c h t e n e G l a u b e dadurch a l l m ä h l i c h zugunsten eines anders ausgerichteten Glaubensbegriffes in den H i n t e r g r u n d : G l a u b e als intellektuelle A n n a h m e der vom Heiligen G e i s t eingegebenen und somit autorisierten G o t t e s l e h r e der Schrift. D i e beiden lumina der Vernunft und des G l a u b e n s stehen einander dann o h n e die über sich hinausweisende e s c h a t o l o g i s c h e Begrenzung der G o t t e s e r kenntnis des homo huius vitae gegenüber, die in der biblisch u n e n t b e h r l i c h e n A u s r i c h tung der V e r b o r g e n h e i t / S e l b s t e r s c h l i e ß u n g G o t t e s a u f das verheißene Schauen G o t t e s von Angesicht zu Angesicht steckt.

2.3. Antitrinitarismus

als Vorbote der Aufklärung:

Natürliche

Theologie

allein

D i e - > Antitrinitarier sind im sozialen und religiösen U m g e s t a l t u n g s p r o z e ß der R e f o r mationszeit individuelle R a n d e r s c h e i n u n g e n , die m a n in allen G e b i e t e n E u r o p a s durch juristische Z w a n g s m a ß n a h m e n m e h r o d e r weniger drastischer Art glaubte beseitigen zu dürfen. D i e K r i t i k der altkirchlichen Trinitätslehre, die ihnen von Seiten ihrer ü b e r m ä c h tigen G e g n e r den g e m e i n s a m e n N a m e n eintrug, w u r d e dabei als eine B e d r o h u n g der christlichen W a h r h e i t ü b e r h a u p t und somit als potentielle Vernichtung der G r u n d l a g e einer christlichen Gesellschaft verstanden. D u r c h die z u n e h m e n d e Territorialisierung der e u r o p ä i s c h e n Religionspolitik wurden diejenigen, die antitrinitarischer Neigungen verdächtigt w u r d e n , i m m e r wieder aus den konfessionellen Z e n t r a l g e b i e t e n verwiesen, w a s die Verbreitung, z . T . auch die inhaltliche R a d i k a l i s i e r u n g ihrer theologischen Ansichten beschleunigte. D i e geistesgeschichtliche T r a g w e i t e der antitrinitarischen S t r ö m u n g e n wird dadurch als erheblich g r ö ß e r zu veranschlagen sein, als es von den zeitlich und g e o g r a p h i s c h begrenzten G e m e i n d e b i l d u n g e n , vor allem in Polen und Siebenbürgen w ä h rend des 16. und 17. J h . , zu e r w a r t e n w ä r e . Die geistesgeschichtliche Dynamik der antitrinitarischen Bewegung läßt sich von der gemäßigten, bibelhumanistisch geprägten Dogmenkritik eines Michael -»Servet (De trinitatis erroribus libri Septem, 1531; Dialogorum de trinitate libri duo, 1532) in der ersten Hälfte des 16. Jh. über die sehr viel deutlicher zu Tage tretende rationalistische Tendenz der weit umfassenderen Dogmenkritik

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eines F a u s t o -»Sozzini in der letzten H ä l f t e des J a h r h u n d e r t s und die verschiedenen Spielarten des niederländischen und englischen - » D e i s m u s im 17. J h . bis in die unitarischen Strömungen und Gemeindebildungen des 18. und 19. J h . hinein spüren. Z u beachten ist dabei, daß weder die offizielle Konfessionsstatistik noch die durchschnittlichen Darstellungen der akademischen T h e o l o g i e g e schichte der konfessionellen Haupttraditionen von den R ü c k w i r k u n g e n der antitrinitarischen Strömungen die Wahrheit erzählen. Der Impuls einer rationalistisch gefärbten humanistischen T h e o l o gie, der sich in verschiedener Weise und mit verschiedener Schärfe kundgibt, ist so alt wie christliche T h e o l o g i e überhaupt, kann jedoch erst in der sozialen und religiösen Aufbruchszeit des 16. J h . , aus der Unsichtbarkeit ihrer ideologischen Einverleibung in die offizielle Kirchenlehre befreit, wieder in sichtbarer Gestalt und mit vernehmbarer Stimme hervortreten. Gottesdienstlich gemeinschaftsbildende S t o ß k r a f t gibt es in diesem Impuls wenig, sittlich-kulturelles Anziehungs- und Anpassungspotential gibt es darum desto mehr. Die theologischen Wurzeln der individualistisch geprägten, durch jüdisch-christliche Traditionselemente gefärbten Tugendlehre, die über alle Konfessionsgrenzen hinweg vermutlich die weitverbreitetste Volksreligion des westlichen Abendlandes im 18. und 20. J h . geworden ist, sind im hervorwachsenden Antitrinitarismus des 16. J h . zu suchen. Eine E r k l ä r u n g ihrer Verbreitung darf eher in der materiellen und soziopolitischen Logik der E n t w i c k l u n g einer auf Naturwissenschaft und T e c h n o l o g i e aufgebauten Kultur zu finden sein.

D a ß die Antitrinitarier mit ihrer Dogmenkritik in der reformatorischen Theologie (vgl. schon die ersten Artikel der Confessio Augustana) recht stereotyp auf dem Hintergrund der trinitarischen und christologischen Kontroversen der Alten Kirche beurteilt und als Erneuerer der damals verworfenen Irrlehren gebrandmarkt werden, mag verständlich und von der unverkennbaren strukturellen Verwandtschaft des theologischen Denkens her auch berechtigt sein. Zugleich bewirkt die einseitig auf die kirchliche Vergangenheit ausgerichtete Interpretation der antitrinitarischen Ansätze eine theologisch verhängnisvolle Einengung der Perspektive; der in die Zukunft weisenden sozialen und ideologischen Dynamik der antitrinitarischen Strömungen steht man weithin ahnungslos und darum auch hilflos gegenüber. Der vom 20. J h . rückblickenden Erfahrung wird die Einsicht jedenfalls nicht schwer fallen, daß der Antitrinitarismus des 16. J h . eher Vorbote der -»Aufklärung als ein Antiquariat altkirchlicher Häresien war. Vielleicht sind die religionspolitischen Angstreaktionen der konfessionellen O r t h o d o x i e auch als unbewußte Eingeständnisse zu verstehen, daß man in den Versuchen einer programmatischen Synthese von Schrifttheologie und vernünftiger Gotteslehre die Gefahr einer Entwicklung in Richtung auf die Alleinherrschaft der natürlichen T h e o l o g i e spürt.

2.4. ,Der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs' - ,Der Gott der Philosophen und Gelehrten': Pascal als Vorbote der fideistischen Reaktion gegen die philosophische Überfremdung der biblischen Gottesrede Die komprimierte Kontrastformel aus Biaise -»Pascals Mémorial 1654 gehört zum eisernen Zitatenbestand neuzeitlicher Theologie. Die schroffe Gegenüberstellung der beiden Götter hat sich dem neuzeitlichen Bewußtsein vor allem deshalb so tief eingeprägt, weil darin in scheinbar unüberbietbarer sprachlicher Kürze und Schärfe das theologische Entweder-Oder auf eine Formel gebracht worden ist, das späteren Generationen immer wieder als der einzig mögliche Ausweg aus der zerbrochenen oder allmählich zerbrechenden Synthese von philosophischer Gotteserkenntnis und christlichem Gottesglauben erscheint. Der vielfältige G e b r a u c h der Formel mag durchaus auch von daher zu erklären sein, daß sie, von ihrem ursprünglichen Sachkontext völlig losgelöst, in bedrängten Kultursituationen der Theologie sehr wohl als Vorwand dafür dienen mag, die bequeme und darum attraktive Möglichkeit des Rückzugs aus den schwer zu bewältigenden Fragen und Herausforderungen der Gegenwart in das sturmfreie Gebiet der traditionellen Kirchlichkeit hinein als strategisches Rezept zu wählen. Insofern mag die Kurzformel Pascals einfach als Gegenstück zu den zahlreichen rationalistisch geprägten Aufkündigungen der synthetischen Verbindung zu einer biblisch begründeten christlichen Offenbarungstheologie von Seiten einer in Reinkultur entwickelten natürlichen Theologie gesehen werden. D a ß die Wirkungsgeschichte der Formel nur zum geringsten Teil den philosophischen und theologischen Intentionen des Urhebers entspricht, liegt bei einer ge-

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schichtlichen Betrachtung so offen zu Tage, daß sich eine genauere kontextbezogene Interpretation der Gedankenstruktur empfiehlt. Die Apologetik Pascals gehört zu dem breiten und frischen Strom des französischen Augustinismus (-»Augustin/Augustinismus) des 17. Jh. und liegt, in einer weiteren theologiegeschichtlichen Perspektive gesehen, ganz entschieden auf der augustinischen Linie. Vom unmittelbaren historischen Hintergrund der Apologetik Pascals und von der besonderen geistigen Atmosphäre ihres nahen Kontextes wird man am einfachsten durch den programmatischen Buchtitel Marin Mersennes (1588-1648) (-»Skeptizismus) einen Eindruck gewinnen können: L'lmpiété des Déistes, Athées, et

Libertins de ce Temps, comatué, et renuersée de point en point par raisons tirees de la Philosophie,

et

de la Theologie (Paris 1624). -»Deismus und -»Atheismus sind die beiden Fronten, zwischen denen sich Pascal mit seiner apologetischen Aufgabe befindet. Die Begriffe stehen in der aktuellen Diskussion im französischen Geistesleben des 17. Jh. vor allem für die beiden einander gegenseitig bekämpfenden erkenntnistheoretischen Positionen: Einerseits der erkenntnistheoretische Dogmatismus bzw. Optimismus, der meint, die Wirklichkeit in ihrer Gesamtheit und somit auch die göttliche Wirklichkeit durch die menschliche Vernunft mit voller Gewißheit erfassen zu können, andererseits der erkenntnistheoretische -»Skeptizsimus bzw. -»Nihilismus, der die Inkompetenz der menschlichen Erkenntnis und somit die prinzipielle Unerkennbarkeit der Wirklichkeit und die Unsicherheit aller positiven Behauptungen vertritt. Auf dem Traditionshintergrund der abendländischen -»Metaphysik wird dieser Gegensatz ganz selbstverständlich in theologischer Begrifflichkeit zum Ausdruck gebracht; es geht alles um die Behauptung bzw. die Verneinung der Existenz Gottes als principium, d.h. Urgrund und erster Anfang aller Wirklichkeit, die menschliche Erkenntnis einbegriffen. Mit dem Festhalten am ,Prinzip Gott' bleibt den Deisten die positive Korrespondenz der menschlichen Vernunft mit der außermenschlichen Wirklichkeit verbürgt, mit der Bestreitung des ,Prinzips Gott' fällt den Atheisten jede feststellbare Kongruenz von außermenschlicher Wirklichkeit und menschlichem Erkenntnisvermögen weg.

Daß „der Gott der Philosophen und Gelehrten" im Gedankensystem Pascals das ,Prinzip Gott' ist, bedarf keines weiteren Nachweises. In der Kontrastformel wird der gemeinsame Gottesbegriff der Deisten und der Atheisten disqualifiziert, der Gottesbegriff, an Hand dessen sie sich gemeinsam, bestätigend oder abweisend, in ihrer jeweiligen Interpretation der Wirklichkeit orientieren. Eine einfache Beseitigung der allgemeinen religionsphilosophischen Problematik ist in der Kontrastformel keineswegs intendiert. Als Begründung der Disqualifizierung des philosophischen Gottesbegriffes dient der Hinweis auf den Gott der biblischen Offenbarung nicht. Pascal meint eben nicht, daß sich der Glaube der philosophischen Auseinandersetzung um das angemessene Wirklichkeitsverständnis mit einem schlichten Hinweis auf sich selbst oder auf irgendeinen religiösen Sonderbereich der Erkenntnis entziehen kann. Als Ersatz eines problematisch gewordenen metaphysischen Gottesbegriffes läßt sich der Gott des christlichen Glaubens gerade nicht verwenden. Die philosophische Problematik muß durch philosophische Argumentation geklärt und in philosophischer Argumentation durchgehalten werden. Für Pascal wird das durch die gegenseitige Widerlegung der beiden erkenntnistheoretischen Positionen geklärt: Die Position der Deisten/Dogmatisten wird durch die Argumente der Skeptiker in ihrer geschlossenen Selbstgewißheit wirklich erschüttert, die Position der Atheisten/Skeptizisten wird durch die berechtigten Argumente der Deisten in ihrer verschlossenen Negation wiederum in Frage gestellt. Im menschlichen Denken folgerichtig und redlich zu Ende geführt, wird der ewige Widerstreit von philosophischem Dogmatismus und philosophischem Skeptizismus - von Deisten und Atheisten - zu keiner anderen Konklusion führen können als zu der Zurückhaltung der offenen Selbstkritik. Es ist dem denkenden Menschen nicht erlaubt, sich in der einen oder anderen der beiden Ansichten als einer endgültigen Position zu Ruhe zu setzen. Einer undialektischen, definitiven Interpretation bleibt die menschliche Existenz wie die außermenschliche Wirklichkeit in ihren Widersprüchen verschlossen. Der Gott der Philosophen und Gelehrten bleibt zu Recht auf der Tagesordnung des menschlichen Denkens. Das letzte Wort behält dabei jedoch die Unruhe der Unabschließbarkeit; das Existenzproblem des Menschen vermag das Denken nicht zu bewältigen. Dem Denken bleibt der Mensch wie Gott ein Rätsel, insofern die rätselhafte Relation

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Gott-Mensch nicht mit einzufangen ist. Daß ihn Gott angeht, wird ein Mensch erst dann mit Gewißheit erfahren, wenn er von Gott angegangen wird, wenn Gott ihn anredet. Es ist kein Zufall, daß der Gott des christlichen Glaubens in der Kontrastformel durch den assoziativen Hinweis auf die eigenartige Erzählung von Gottes Selbstkundgabe Ex 3 repräsentiert wird, wie es auch kein Zufall ist, daß gerade dieser Text im theologischen Gedankensystem Pascals mit der Gottesaussage Jes 45,15 eng verbunden ist: vere tu es Deus absconditus. Der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs bleibt der verborgene Gott Israels, .der auch in seiner Selbsterschließung in Jesus Christus verborgen bleibt. Als der Erlöser Israels enthüllt sich der verborgene Gott, indem sich der verborgene Mensch durch die Anrede Gottes als Verlorener und Geretteter enthüllen läßt. Somit sind im Glauben Gotteserkenntnis und Selbsterkenntnis des Menschen unlöslich verbunden. In seiner Selbstkundgabe in Jesus Christus nimmt Gott den verlorenen Menschen an, in dankbarem Empfangen seines Angenommenseins nimmt der Mensch seine -»Identität als eine im Urteil Gottes verborgene Identität wahr, indem er Gott beim Namen anruft. Der Gott der Philosophen und Gelehrten, der Gott der menschlichen Denkbemühungen hat keinen Namen, kein Angesicht, keine Geschichte, kein Volk. Sprachlich kann er als principium expliziert, nicht aber als ein Du angerufen werden. Das schließt die aposteriorische Reflexion des Glaubens nicht aus, die die unvermeidliche Aporie aller Denkbemühungen deistischer und atheistischer Art als einen Hinweis auf die Verborgenheit Gottes interpretiert. In dieser aposteriorischen Reflexion des Glaubens verbinden sich wiederum Theologie und Anthropologie, Gotteserkenntnis und Selbsterkenntnis des Menschen zu einer unauflösbaren Einheit: Gotteserkenntnis ohne Selbsterkenntnis führt den Menschen in die Überheblichkeit, Selbsterkenntnis ohne Gotteserkenntnis in die Verzweiflung. Eine Zwei-Götter-Lehre im Sinne einer Separation von —»Glauben und Denken, Offenbarungstheologie und natürlicher Theologie gibt es in der suggestiven Kontrastformel Pascals also nicht. Daß spätere Vertreter einer ähnlichen Reaktion gegen eine philosophische Überfremdung der biblischen Gottesrede eben das heraushören konnten, darf von den jeweiligen philosophischen und theologischen ,Konjunkturen' der Zeit her zu erklären sein. 2.5. Die Auflösung der Synthese von Natürlicher Theologie und Offenbarungstheologie in Pietismus und Aufklärung: Die Subjektivität des Menschen als Gravitationspunkt Die Religionskriege des 16. und 17. Jh. haben das christliche Europa sehr viel tiefer erschüttert, als man zur Zeit der Konflikte gewahr werden konnte. Daß die politische Notwendigkeit der praktischen religiösen -»Toleranz durch die Kriegserfahrungen eindrücklich demonstriert wurde, mag dabei an sich weniger bedeutsam gewesen sein als die damit verbundene Begleiterscheinung auf ideologischer Ebene: Die Neigung dazu, die Relativierung aller lehrhaft formulierten Wahrheitsansprüche als das einzig mögliche theoretische Fundament der erforderlichen Toleranz anzusehen. Der Doktrinarismus einer scholastisch-orthodoxen Theologie mußte mit innerer und äußerer Notwendigkeit als Reaktion eine anti-doktrinaristische Theologie verschiedener Ausprägung hervorrufen. -»Pietismus und -»Aufklärung sind dabei die beiden möglichen Hauptrichtungen der anti-doktrinären Gegenströmung. Beiden Richtungen gemeinsam sind die Betonung der praktischen Relevanz des Gottesglaubens, die zunehmende Konzentration der Aufmerksamkeit auf die Subjektivität des Menschen und die allmähliche Resignation angesichts der apologetischen Aufgabe, Offenbarungstheologie und Natürliche Theologie reibungslos in einer synthetischen Gotteslehre zusammenzuhalten. Mit der theologischen Akzentverlagerung in Richtung auf die anthropologischen Voraussetzungen der Gotteserkenntnis gerät nicht nur das Gleichgewicht von natürlicher Theologie und Schrifttheologie ins Schwanken, es wird auch das Verhältnis von Anthropologie und Theologie grundlegend destabilisiert. In den frühen Stadien dieser Entwicklung wird man von einer theologischen Krise

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o h n e Krisenbewußtsein sprechen d ü r f e n . So f ü h r t im m o d e r a t e n Pietismus der Ansatz der Selbsterfahrung den Wiedergeborenen - den aus der a n o n y m e n gesellschaftlichen Christlichkeit hervortretenden Bekenner des G l a u b e n s - insofern nicht zu radikalen theologischen Konsequenzen, weil dieser Ansatz d u r c h d e n Biblizismus weithin neutralisiert wird, wie es auch in späteren A u s p r ä g u n g e n einer kirchlich t r a d i t i o n s b e w a h r e n d e n E r f a h rungstheologie immer wieder der Fall ist (-»-Erfahrung). D a ß die Synthese von Erfahrungsprinzip und Biblizismus theoretisch eine d u r c h a u s verletzbare Konstruktion ist, w e n n es d a r u m geht, die theologia revelata d e r etablierten konfessionellen D o g m a t i k a u f r e c h t z u e r h a l t e n , liegt jedoch offen zutage. In den m o d e r a t e n Ausprägungen einer aufklärerischen Theologie scheinen d e m e n t s p r e c h e n d auch die Konsequenzen des optimistischen Ansatzes beim allgemeinen theologischen Erkenntnisvermögen des M e n s c h e n zuerst von begrenzter Tragweite zu sein. Auf d e m H i n t e r g r u n d der Gotteslehre der konfessionellen - » O r t h o d o x i e gesehen, m a c h t sich in der pietistisch gefärbten Theologie eine soteriologische, in der Theologie der A u f k l ä r u n g eine schöpfungstheologische bzw. vorsehungstheologische E n g f ü h r u n g b e m e r k b a r . Beiderseits ist jedoch die praktische F r ö m migkeit in einer theologisch mäßigenden Weise vorherrschend, einerseits um die Erlösungsbedürftigkeit der M e n s c h e n und die sittliche Entweltlichung der sichtbar hervortretenden G e m e i n s c h a f t der Wiedergeborenen, andererseits um die allen Menschen zumutbare k o n t e m p l a t i v e Aneignung der Welt als S c h ö p f u n g Gottes in d a n k b a r e r A n d a c h t zentriert. Der g e m e i n s a m e theologische Ansatz bei der menschlichen E r f a h r u n g — einerseits bei der u n g e b r o c h e n e n , durch die Welterkenntnis natürlich vermittelten G o t t e s e r f a h r u n g , andererseits bei der gebrochenen, durch die W i e d e r g e b u r t übernatürlich vermittelten G o t t e s e r f a h r u n g - kündigt jedoch u n v e r k e n n b a r die Auflösung der Synthese von Natürlicher Theologie und Offenbarungstheologie an, wie er die Säkularisierung der kirchlich beherrschten Einheitskultur und somit auch d a s Auseinanderfallen von religiöser und sozialer G e m e i n s c h a f t a n k ü n d i g t . Von ihrem Ansatz bei der natürlichen G o t t e s e r f a h r u n g her ist die Theologie der A u f k l ä r u n g s o w o h l einer rationalistischen wie einer empiristischen Radikalisierung offen. Die theologisch emanzipierte Vernunft der menschlichen Subjektivität scheint eine immer schärfere Kritik der überlieferten kirchlichen Gotteslehre h e r b e i f ü h r e n zu müssen. Die empirische E r f o r s c h u n g der außermenschlichen N a t u r f ü h r t allmählich in Richtung auf eine Welterklärung, die meint, auch o h n e die Arbeitshypothese , G o t t ' a u s k o m m e n zu k ö n n e n . Ihrerseits scheint die pietistische Theologie von ihrem Ansatz bei der übernatürlichen G o t t e s e r f a h r u n g der Wiedergeborenen einer andersartigen, aber s t r u k t u r v e r w a n d t e n theologischen Radikalisierung offen zu sein, die die interessanten Überschneidungen von radikalpietistischer und aufklärerischer Theologie im 17. und 18. J h . erklären mag. Konsequent vertreten, wird ein religiöses E r f a h r u n g s prinzip, das s o w o h l in sozialer als in psychologischer Hinsicht verinnerlicht w o r d e n ist, nicht n u r die allgemeine E r k e n n b a r k e i t Gottes und somit wesentliche Elemente des christlichen Schöpfungsglaubens, sondern auch Teile der vielfältigen und widersprüchlichen Gottesrede der Bibel in Frage stellen müssen. M i t der menschlichen Subjektivität als G r a v i t a t i o n s p u n k t der Daseinsdeutung ist die Ü b e r t r a g u n g der G o t t e s a t t r i b u t e der traditionellen M e t a p h y s i k tendenziell schon als Möglichkeit gesetzt. Die rein anthropologische Interpretation der Religion wird sich d a n n auf derselben Entwicklungslinie als die nächstliegende W e i t e r f ü h r u n g natürlich darbieten, wie die im 19. und 20. Jh. beliebte Projektionsthese mit voller Deutlichkeit bestätigt. Z u e r s t wirkt jedoch der Komplex der überlieferten Gottesvorstellungen s o w o h l d u r c h die Schulphilosophie als auch d u r c h die Überreste der orthodox-konfessionellen D o g m a t i k zu nachhaltig auf das geistige Klima ein, u m eine geradlinige Entwicklung in dieser R i c h t u n g zu ermöglichen. Die D y n a m i k der noch nicht durchreflektierten und zu vollem Bewußtsein gebrachten A n t h r o p o z e n t r i z i t ä t kündigt sich in den ersten Stadien d u r c h die allmähliche U m f u n k t i o n i e r u n g der theologischen M e t a p h y s i k an. So zeichnet sich schon in der sog. ->Physikotheologie u n d in anderen m o d e r a t e n

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Ausprägungen der Neologie (—> Aufklärung) eine deutliche deistische Entwicklungslinie ab. Die Polarität Gott - Mensch wird mit zunehmender Ausschließlichkeit durch die Polarität von menschlichem Subjekt und Welt als Gegenstand der menschlichen Erkenntnis vermittelt, wobei der kosmologische -> Gottesbeweis durch die stark konstruktivistische Tendenz des aktuellen Weltverständnisses in Richtung auf einen Gottesbegriff geführt wird, in dem der Schöpfer nunmehr nur als Urheber im Sinne eines (denknotwendigen) constructor mundi erscheint. Der menschlichen Selbstentfaltung wird somit ein Freiraum durch die Ent-Fernung des Schöpfers eröffnet, indem das schöpferische Wirken Gottes als mit den erkennbaren Naturgesetzen der zweckmäßigen Weltkonstruktion identisch verstanden wird. Den concursus divinus in allen Einzelheiten aufzuspüren und nachzuweisen, wird dann die wissenschaftliche Aufgabe einer im eminenten Sinne natürlichen Theologie (bzw. Physik) sein, und die zugleich notwendige und hinreichende Voraussetzung einer Lösung dieser Aufgabe ist die grundlegende Strukturverwandtschaft von menschlicher Erkenntnis von Welt und Gott. Die unverkennbare apologetische Tendenz einer solchen Theologie ist auf dem Hintergrund des immer schneller laufenden naturwissenschaftlichen Fortschritts gesehen, durchaus verständlich. Sie tritt vollends im englischen -»Deismus des 17. und 18. Jh. in der Vorstellung einer natürlichen Religion' zu Tage, die, als die immer und überall in der Geschichte der Menschheit in unterschiedlichen Gestalten vorhandene wahre christliche Religion, eben diese geistige Strukturverwandtschaft von Mensch, Gott und Welt als ihren Zentralinhalt hat. Radikaler läßt sich die Universalität des Christentums nicht behaupten. Restloser aber lassen sich die christlichen Züge im Profil der christlichen Gotteslehre auch nicht preisgeben. Die deistische Entwicklungslinie ist natürlich nicht die einzig mögliche Umfunktionierung der überlieferten Gotteslehre. Je stärker die Überzeugung von der grundlegenden Strukturverwandtschaft von Mensch, Gott und Welt in den Vordergrund tritt, desto mehr wird die Vorstellung von der Andersartigkeit Gottes in den Hintergrund gedrängt. Der Transzendenzgedanke, der in einer deistischen Theologie zwar aufrechterhalten werden mag, durch die mechanistische Scheidung von Schöpfer und Schöpfung jedoch immer wieder in der Gefahr steht, religiös zu verblassen, wird von der anderen Seite mit vollständiger Auflösung durch pantheisierende Tendenzen bedroht. An die Tradition der neuplatonischen Ontologie anknüpfend, hatte schon Giordano -»Bruno der pantheistischen Entwicklung durch die Theologisierung der Vorstellung vom unendlichen Universum den Weg gebahnt, durch —»Spinozas (1632-1677) Lehre von der göttlichen Weltsubstanz und gelegentliche Identifikation Gottes mit der Natur geht die Entwicklung wirksam weiter. Was die theologischen Konsequenzen betrifft, weist die Reorganisierung der Gottesbeweise durch -»Descartes' philosophischen Ansatz im menschlichen Denkakt insofern in dieselbe Richtung, als die Korrespondenz von Gotteserkenntnis und Welterkenntnis die Andersartigkeit Gottes ausschließt. Die pilgermystische Erlösungsfrömmigkeit des -»Pietismus verbindet sich im 18. Jh. theologisch mit dem allgemeinen Vorsehungsglauben des Zeitalters und den deistischen und pantheistischen Strömungen der Aufklärung, so daß ihr die geheimnisvolle Verborgenheit Gottes in seiner Offenbarung in Jesus Christus ein gedanklicher Fremdkörper geworden ist. Der Verlust der lebendigen Verbindung zu diesem Zentralnerv einer christlichen Theologie zeigt sich einerseits in der moralisch appellierenden Erweckungsverkündigung, die sich weniger an der Gegenwart des dreieinigen Gottes im Wort als an der vermeintlichen Freiheit des Menschen, sich bekehren zu lassen, orientiert, andererseits in der tendenziellen Reduktion des Gottesglaubens zur bestätigenden Funktion in bezug auf die menschliche Welterkenntnis. Mit dem Bewußtsein von der Verborgenheit Gottes geht jedoch auf die Dauer auch die Möglichkeit verloren, Gotteserfahrung und Welterfahrung im Glauben theologisch zusammenzuhalten. Das wird spätestens dann zutage treten, wenn kollektive Erfahrungen der Sinnlosigkeit das Vertrauen auf das zweckmäßig geordnete moralische Universum der göttlichen Gesetze durch die Verzweiflung des Nihilismus verdrängen lassen oder wenn die individuelle Erfahrung der Gottverlassenheit die eigene

Gott VIII

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Freiheit als G r u n d l a g e der H e i l s g e w i ß h e i t in F r a g e stellt. In allen ihren Ausprägungen wird eine e i n d i m e n s i o n a l e T h e o l o g i e verletzbar sein. N i c h t zuletzt gilt das für die Eindim e n s i o n a l i t ä t , die d u r c h die u n v e r m e i d b a r e Vergegenständlichung G o t t e s e r w ä c h s t , die der D e n k a n s a t z bei der S u b j e k t i v i t ä t des M e n s c h e n herbeiführt. 2 . 6 . Religionskritische Gott als Projektion des

Entwicklungslinie: Der Mensch menschlichen Bewußtseins

als schöpferischer

Geist

und

D i e k o n s t r u k t i v e , in ihrer Intention apologetisch ausgerichtete Vorstellung von einer natürlichen , N o r m a l r e l i g i o n ' enthält s c h o n , o b ausgesprochen o d e r nicht, insofern ein religionskritisches E l e m e n t , als sie die F u n k t i o n einer n o r m a t i v e n K o r r e k t u r der positiven, geschichtlich praktizierten R e l i g i o n e n hat. O b die natürliche Religion als reine, ursprüngliche U r f o r m der R e l i g i o n , als regulative W e s e n s b e s t i m m u n g oder als gegenwärtig-zukünftiges Endziel der religionsgeschichtlichen E n t w i c k l u n g verstanden ist, m a c h t dabei keinen prinzipiellen Unterschied aus. D i e positive R e l i g i o n - im E u r o p a des 17. und 18. J h . p r a k t i s c h : das C h r i s t e n t u m - wird im L i c h t e der N o r m v o r s t e l l u n g jedenfalls als eine perfektible G r ö ß e angesehen werden müssen. J e stärker sich die Vernunftgemäßheit als K r i t e r i u m der natürlichen R e l i g i o n geltend m a c h t und die inhaltlichen Vorstellungen auf den D r e i k l a n g , G o t t - T u g e n d - Unsterblichkeit der Seele' e i n s c h r ä n k t , desto deutlicher werden auch die rationalistischen K o r r e k t u r e n an den kirchlich überlieferten G o t t e s vorstellungen in den V o r d e r g r u n d treten. So werden viele der biblischen G e s c h i c h t e n und Redeweisen entweder als legitime A k k o m m o d a t i o n e n an die a n t h r o p o m o r p h e theologische D e n k w e i s e früherer Z e i t e n und s o m i t als uneigentliche, religiös transponierungsbedürftige und t r a n s p o n i e r u n g s f ä h i g e Ä u ß e r u n g e n verstanden o d e r auch als theologisch illegitime R e l i k t e , die nur religonshistorisches Interesse b e a n s p r u c h e n dürften, beiseite g e s c h o b e n . In F r a g e gestellt wird dann a u c h die allen liturgischen Ausprägungen der christlichen T r a d i t i o n g e m e i n s a m e Z e n t r a l v o r s t e l l u n g von einer einmaligen und definitiven geschichtlichen O f f e n b a r u n g G o t t e s zum Heil der M e n s c h e n . Insofern der Begriff der natürlichen Religion ahistorisch konzipiert worden ist, wird im G o t t e s v e r s t ä n d n i s natürlich das S c h w e r g e w i c h t auf die Vorstellung von der Unveränderlichkeit G o t t e s liegen. Von den traditionellen E i g e n s c h a f t e n G o t t e s wird nur die L i e b e , von der k o n t r a p u n k t i schen Beziehung a u f den Z o r n im geschichtlichen Heilshandeln G o t t e s befreit und dann als allgemeines, i m m e r gegenwärtiges W o h l w o l l e n G o t t e s gegenüber seiner S c h ö p f u n g verstanden, im rationalistischen Religionsverständnis u n a n g e f o c h t e n stehen bleiben k ö n nen. Wenn die zugrundeliegende Uberzeugung von der strukturellen Korrespondenz von Selbsterkenntnis, Welterkenntnis und Gotteserkenntnis zerbrechen sollte, wird ein rationalistisches Religionsverständnis jedoch jederzeit einer weiteren Radikalisierung in Richtung auf die grundsätzliche Infragestellung der Existenz Gottes offen sein. Lassen sich in einer Denkbewegung die Wirklichkeit Gottes und die Wirklichkeit des Menschen nicht mehr begreifen, wird die Behauptung der Wirklichkeit Gottes als unvertretbar fallen müssen. Mit seiner literarisch ganz eigenartigen Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab, daß kein Gott sei beschwört am Ende des 18. Jh. Jean Paul (J. P. Fr. Richter 1763-1825) die hereinbrechende atheistische Gefahr, und zwar in der Form einer vermeintlich latenten Gefahr der Destruktion des Menschen durch die Selbsterhebung in den Rang des Schöpfers: Wenn jedes Ich sein eigener Schöpfer ist, warum sollte es nicht auch ebenso gut sein eigener Mordengel sein? Die Übertragung der Gottesattribute auf das menschliche Subjekt, die Jean Paul glaubte, durch die literarische Fiktion eines Nachtmahrs als destruktive innere Dynamik der gottesleugnenden Selbstbehauptung in Richtung auf den Nihilismus voraussagen und zugleich verwehren zu müssen, wurde einige Jahrzehnte später durch Feuerbach mit umgekehrtem Vorzeichen als religionskritische These vorgetragen. Die Gottesvorstellung wird in dieser Konzeption als die illusorische Projektion der eigenen Idealvorstellungen des menschlichen Individuums verstanden, die erst dann in ihrer Wahrheit zugänglich werden kann, wenn die anthropologische Interpretation der Religion den Menschen als Gott des Menschen ans Licht bringt. Das homo homini deus setzt jedoch als die wahre, zu enthüllende Substanz der Religion die freie Selbstverwirklichung des zu sich selbst gekommenen menschlichen Individuums voraus, was die ,Heimholung' jeder außermenschlichen Gottheit in das menschliche Selbstbewußtsein fordert. Der des Geistes Gottes teilhaftige menschliche Geist - weit-

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hin die gemeinsame Denkvoraussetzung der Metaphysik des 18. Jh. - ist somit zu schöpferischer Eigenständigkeit gesteigert worden. Anthropologisch läßt sich eine Religionskritik dieser Art unterschiedlich akzentuieren; die Projektionsthese ist sowohl der erweiternden politischen Korrektur durch Karl -»Marx (1818-1883) als auch der psychologischen und kulturphilosophischen Vertiefung durch Sigmund -»Freud offen. Wird der Mensch nicht mehr als freie, abstrakte Individualität, sondern als Ausdruck der Gesamtheit der gesellschaftlich-materiellen Kräfte oder als ein in den Tiefschichten des (kollektiv) Unbewußten gebundener und somit aus den sozialen oder psychologischen Zwängen erst zu befreiender begriffen, ändern sich zwar die konkreten anthropologischen Vorstellungen, die sich mit dem Prinzip homo homini deus verbinden. Das Gegenüber zum Gottesglauben ändert sich dabei jedoch insofern nicht, als die grundsätzliche Alternative von Anthropologie und Theologie als eine Selbstverständlichkeit stehen bleibt. D e r T o d G o t t e s als die w a h r h a f t menschliche F r o h b o t s c h a f t , wie es gegen E n d e des 19. J h . Friedrich -»• N i e t z s c h e ( 1 8 4 4 - 1 9 0 0 ) in seinen Spätschriften in ekstatischer F o r m p r o k l a m i e r t , ist auf diesem Hintergrund des E n t w e d e r - O d e r von T h e o l o g i e und A n t h r o p o l o g i e als folgerichtiger Ausdruck der k o n s e q u e n t vertretenen, absolut gesetzten A n t h r o p o l o g i e zu verstehen. In dieser P r o k l a m a t i o n steckt u n v e r k e n n b a r auch ein eschatologisches E l e m e n t . Als n o t w e n d i g e Voraussetzung der freien, unbegrenzten Lebendigkeit des ( Ü b e r ) M e n s c h e n ist der T o d G o t t e s das entscheidende, alles verwandelnde geschichtliche Ereignis, das z w a r von der menschlichen G e m e i n s c h a f t n o c h nicht wahrgen o m m e n w o r d e n ist, als die in die Z u k u n f t weisende W a h r h e i t j e d o c h die G e g e n w a r t s c h o n m i t b e s t i m m t . D i e Verwirklichung des Ü b e r m e n s c h e n ist als das Letzte nur durch dieses geschichtliche Ereignis und auf G r u n d dieser geschichtlichen T a t möglich. In dieser nicht m e h r zu steigernden Z u s p i t z u n g hat sich der e u r o p ä i s c h e n Christenheit im 19. J h . der A t h e i s m u s so tief ins B e w u ß t s e i n geprägt, d a ß er im weiteren als beunruhigende H e r a u s f o r d e r u n g an alle t h e o l o g i s c h e n D e n k b e m ü h u n g e n nicht m e h r zu verdrängen ist. W i e man die d a m i t gestellte A u f g a b e theologisch bewältigt, steht bis heute als eine der am heftigsten umstrittenen, n o c h nicht in überzeugender Weise b e a n t w o r t e t e n Fragen der T h e o l o g i e des 2 0 . J h . da. D a ß die Lösungsversuche weithin durch die D e n k v o r a u s s e t z u n gen der S u b j e k t i v i t ä t , d . h . das vorausgesetzte E n t w e d e r - O d e r von Freiheit G o t t e s und Freiheit des M e n s c h e n , präfiguriert sind, zeugt j e d o c h von einer Fragestellung u n g e w ö h n licher geschichtlicher T r a g w e i t e und D u r c h s c h l a g s k r a f t .

2.7. Religionsapologetische ösen Selbstbewußtseins

Entwicklungslinie:

Gotteslehre

als Explikation

des religi-

D e r e r k e n n t n i s t h e o r e t i s c h e Kritizismus - » K a n t s ( 1 7 2 4 - 1 8 0 4 ) d a r f , w a s die G o t t e s f r a ge betrifft, einerseits als Vollendung der A u f k l ä r u n g , andererseits als eine neue B e g r ü n dung der R e l i g i o n verstanden werden. D u r c h seine grundsätzliche Kritik der traditionellen G o t t e s b e w e i s e hat K a n t jede Begründung des G o t t e s g e d a n k e n s aus der Welterfahrung o d e r aus den N o t w e n d i g k e i t e n des reinen D e n k e n s als unvollziehbar abgelehnt. D u r c h seine philosophische A n e r k e n n u n g des G o t t e s g e d a n k e n s als eine an sich ,fehlerfreie' regulative Idee und seine B e h a u p t u n g desselben als m o r a l p h i l o s o p h i s c h unentbehrliches Postulat der p r a k t i s c h e n Vernunft hat er eine andere, a u f den Bereich der intelligiblen Welt begrenzte M ö g l i c h k e i t der Begründung eröffnet. D e r M e n s c h ist in seinem Selbstbewußtsein einfach so beschaffen, d a ß er sich selbst als m o r a l i s c h e s Wesen nicht begreifen k a n n , o h n e dabei G o t t als die konstituierende Instanz der M o r a l i t ä t voraussetzen zu müssen. A u f dem B o d e n einer s o l c h e n , a u f das m e n s c h l i c h e Selbstbewußtsein streng b e s c h r ä n k t e n R e l i g i o n s a p o l o g e t i k k o n n t e theologisch o h n e g r o ß e Schwierigkeiten sow o h l v o m S t a n d p u n k t des k o n s e q u e n t e n R a t i o n a l i s m u s als auch v o m S t a n d p u n k t des S u p r a n a t u r a l i s m u s gearbeitet werden. Z u k u n f t s t r ä c h t i g ist j e d o c h vor allem der Versuch - » S c h l e i e r m a c h e r s ( 1 7 6 8 - 1 8 3 4 ) , o h n e die ethizistische E n g f ü h r u n g des kantischen Religionsverständnisses a u f demselben B o d e n eine neue G r u n d l e g u n g der Gotteslehre zu vollziehen. In seinen Reden über die Religion hat S c h l e i e r m a c h e r 1 7 9 9 grundsätzlich A n s c h a u u n g und Gefühl als die M e d i e n des religiösen B e w u ß t s e i n s , die sich ihnen in der W a h r n e h -

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mung des Endlichen eröffnende Unendlichkeit des Universums als den Gegenstand desselben herausgestellt. Das Wesen der Religion wird dabei gegenüber M e t a p h y s i k und M o r a l scharf abgegrenzt, die Vorstellung von G o t t als unendliche Person durch die Vorstellung von der Unendlichkeit des Universums ersetzt. Über ein Sein Gottes vor oder außer der Welt zu spekulieren, gibt es für das religiöse Bewußtsein keinen Anlaß, weil die unmittelbare W a h r n e h m u n g in A n s c h a u u n g und G e f ü h l Sinn und Geschmack f ü r das Unendliche auftut und dem Bewußtsein einen Z u g a n g zur göttlichen Wirklichkeit, d. h. zur Totalität aller Wirklichkeit eröffnet. M i t dieser universalen Totalität k o r r e s p o n d i e r t im menschlichen Bewußtsein das schlechthinnige Abhängigkeitsgefühl, das alle Teil-Erfahrungen, die in den k o n k r e t e n Weltrelationen des M e n s c h e n g e w o n n e n werden, transzendiert. N u r im absoluten, auf keinen abgrenzbaren Gegenstand bezogenen Abhängigkeitsgefühl verhält sich das menschliche Subjekt u n m i t t e l b a r zur universalen All-Einheit, indem es seinerseits im unmittelbar gegebenen Selbstbewußtsein eine die Vielfalt der disparaten Erfahrungsinhalte des Bewußtseins umschließende und übergreifende Totalität ist. Die f ü r die Grundlegung des G o t t e s g e d a n k e n s erforderliche Vermittlung von Objektivem und Subjektivem, vom Idealen und Realen, wird somit nicht im begrifflichen D e n k e n , sondern eben in der Unmittelbarkeit des menschlichen Selbstbewußtseins, im schlechthinnigen, inhaltsleeren' Abhängigkeitsgefühl verwirklicht. D a d u r c h eröffnet sich die neue M ö g lichkeit einer vertretbaren Gotteslehre; direkte Aussagen über G o t t als eine o b j e k t h a f t e Entität sind nicht mehr zu v e r a n t w o r t e n , als Aussagen über die Ausrichtung der unmittelbar erlebten Abhängigkeit des Menschen lassen sie sich jedoch nicht nur als möglich, sondern insofern auch als n o t w e n d i g v e r a n t w o r t e n , als sie u m der Kommunizierbarkeit der Abhängigkeitserfahrung willen unentbehrlich sind. Die theologischen Aussagen unterliegen dabei einer doppelten Begrenzung. Sätze, die das Abhängigkeitsverhältnis zur Sprache bringen, stehen qualitativ immer hinter dem unmittelbaren Erlebnis der absoluten Abhängigkeit zurück, und die Wahrheit, die sie mitteilen, ist nicht die Wahrheit von Gott und seinen Eigenschaften, sondern die Wahrheit der Beziehung des schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühls auf G o t t . „Alle Eigenschaften, welche wir G o t t beilegen, sollen nicht etwas Besonderes in G o t t bezeichnen, sondern nur etwas Besonderes in der Art, das schlechthinnige Abhängigkeitsgefühl auf ihn zu beziehen" (Glaubenslehre § 50). Von diesem G r u n d s a t z her kann Schleiermacher die traditionellen Eigenschaften Gottes im M o dus der Kausalität zurechtlegen, g e m ä ß seiner Gottesdefinition, die darauf h i n a u s l ä u f t , d a ß ,Gott' die Bezeichnung des Wohers des menschlichen Daseins in seiner Rezeptivität und Kreativität ist. D u r c h den Schluß von den W i r k u n g e n auf die Ursache zurück und wiederum von der Ursache auf die W i r k u n g e n hin, läßt sich also die Explikation des religiösen Selbstbewußtseins als Gotteslehre, die überlieferte Gotteslehre als Explikation des religiösen Selbstbewußtseins entfalten. Die Gotteslehre der D o g m a t i k hat somit prinzipiell in den Aussagen über das f r o m m e Selbstbewußtsein ihren Bestand. Wichtig ist jedoch die geschichtliche M o d i f i k a t i o n der gesamten G e d a n k e n f ü h r u n g , die d u r c h die notwendige Rolle der positiven Religionen als der geschichtlich verwirklichten und einzig zugänglichen F o r m e n des f r o m m e n Selbstbewußtseins in das System eingeführt wird. Insofern das f r o m m e Selbstbewußtsein nur in den individuellen A u s p r ä g u n g e n der positiven, historischen Religionen mit ihren Gemeinschaftsformen vorliegt, w e r d e n Aussagen über G o t t als das Woher dieses f r o m m e n Selbstbewußtseins nur auf dem Boden einer faktisch vorliegenden positiven Religion möglich sein. Die H e r v o r h e b u n g der historischen Eigenart der einzelnen Religionen, die in ihrer Toleranz den k o n s t r u k t i v e n T h e o r i e n von einer natürlichen Religion deutlich widerspricht, wird einerseits in R i c h t u n g auf eine Profilierung der spezifisch christlichen Züge der Gotteslehre f ü h r e n k ö n n e n . Andererseits scheint die methodische Beschränkung auf die Gottesbeziehung des f r o m m e n Selbstbewußtseins unvermeidlich zu einer Verkürzung f ü h r e n zu müssen, w a s z.B. darin zum Ausdruck k o m m t , d a ß die Trinitätslehre n u r als marginale R a n d e r s c h e i n u n g o h n e strukturierende Bedeutung f ü r die Glaubenslehre weitergeführt wird. D u r c h seine eindrucksvolle Geschlossenheit h a t der Ent-

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wurf Schleiermachers den folgenden Generationen weithin die O r i e n t i e r u n g der theologischen Fragestellung festgelegt. Z u welchem Preis die neue G r u n d l e g u n g der Gotteslehre g e k a u f t w o r d e n ist, darf bis heute als eine umstrittene Frage bezeichnet w e r d e n . Außer d e m religionsgeschichtlichen Individualitätsprinzip (-»Individualität) enthält Schleiermachers System f ü r die theologische Bewältigung des Geschichtsproblems keine angemessenen Kategorien. Weil das geschichtlich bezeugte WeWshandeln Gottes in der Geschichte f ü r die Gotteslehre keine konstitutive Funktion hat, wird der Frage nach dem gegenseitigen Verhältnis von biblisch bezeugter Heilsgeschichte und allgemeinem Verständnis der Geschichte auch keine zentrale Bedeutung z u e r k a n n t (vgl. T R E 12, 646, 34ff). Die spekulative Theologie der Althegelianer ist hier, an —» Hegels (1770-1831) Verständnis der Geschichte als Selbstentfaltung des Geistes a n k n ü p f e n d , andere Wege gegangen. Indem sie den Gottesbegriff auf dem Boden der spekulativen Vernunft statt auf dem des unmittelbaren Selbstbewußtseins entfalten will, werden Philosophie u n d Religion nahe an eine volle gegenseitige Identifikation gebracht. A u f g a b e der philosophischen Theologie ist es, die vorläufige religiöse Erkenntnis des unmittelbaren Selbstbewußtseins in die definitive, begriffliche Erkenntnis des spekulativen Denkens a u f z u h e b e n . D e r spekulative G e d a n k e , d a ß es G o t t ist, der sich im menschlichen D e n k e n selbst d e n k t , ist jedoch o h n e folgenschwere Auswirkungen gerade auf die theologische Bewältigung des Geschichtsproblems nicht d u r c h f ü h r b a r . Der ontologische Geistbegriff des spekulativen Denkens setzt von vornherein ein Prozeß-Verständnis der Universalgeschichte voraus, das von Seiten einer stärker an der Vorstellungswelt der kirchlichen Verkündigung orientierten Theologie des - » P a n t h e i s m u s verdächtigt werden mußte. Seit d e m sog. Atheismusstreit u m die J a h r h u n d e r t w e n d e w a r die Personhaftigkeit G o t t e s das ganze 19. Jh. h i n d u r c h eine potentielle theologische Streitfrage ersten Ranges. Z u einer befriedigenden Lösung k o n n t e die Frage in der strukturellen E i n r a h m u n g einer idealistisch konzipierten Theologie der spekulativen Vernunft nicht gebracht werden. So bleibt die Frage auch offen, o b die spekulative G e s a m t s c h a u der —»Geschichte, auf den Begriff der Universalgeschichte gebracht, ein O f f e n b a r u n g s v e r s t ä n d n i s impliziert, das in R i c h t u n g auf eine Aufh e b u n g der Einmaligkeit der C h r i s t u s o f f e n b a r u n g führen m u ß . Der heftige Einspruch —»Kierkegaards (1813-1855) gegen die spekulative T h e o l o g i e lenkt die kritische A u f m e r k s a m k e i t gerade auf die nicht ernsthaft mitbedachten Komplikationen: a) die Einmaligkeit der I n k a r n a t i o n , b) die p a r a d o x e Gleichzeitigkeit des G l a u b e n d e n mit dem weltlich u n e r k e n n b a r e n ,Gott in der Z e i t ' , c) die Subjektivität dieses Gottesglaubens. Aussagen über G o t t müssen, um diesen K o m p l i k a t i o n e n gerecht zu werden, die Existenz des redenden Menschen mitreflektieren: D u r c h A b s t r a k t i o n von der faktischen Existenz des M e n s c h e n als eines von G o t t G e f o r d e r t e n k a n n von G o t t nicht a d ä q u a t geredet w e r d e n . Starken Widerhall findet dieser leidenschaftliche Einspruch erst in der Existenztheologie des 20. Jh. 2.8. Theologische Frontverkürzung im Zeichen von Säkularisierung, Fortschrittsglauben und Kulturpositivismus: Metaphysik-Kritik - Verinnerlichung der Glaubenssphäre — Reich Gottes als sittliche Zielvorstellung der menschlichen Naturbeherrschung Die gesellschaftliche D y n a m i k des 19. Jh., durch N a t u r w i s s e n s c h a f t , Technologie und neue P r o d u k t i o n s f o r m e n vorangetrieben, h a t der idealistischen M e t a p h y s i k den Boden entzogen. M e h r als der seit dem 17. Jh. sporadisch behauptete theoretische Atheismus einer akademischen Elite gefährdet den Gottesglauben der durch die - in allen Spielarten des Wortsinnes zu verstehende - Rationalisierung des gesellschaftlichen Lebens geförderte praktische und methodische -»Atheismus. Alle Prozesse der N a t u r , der Geschichte, des individuellen und kollektiven seelischen Lebens lassen sich scheinbar in ihrer Positivität d u r c h das einfache Kausalitätsschema erklären, o h n e die Vokabel , G o t t ' irgendwo zu Hilfe nehmen zu müssen. In immer größeren Bereichen der Wirklichkeit scheint d a s Reden von G o t t somit heimatlos zu werden. M a n glaubt, in Forschung wie in alltäglicher G e s c h ä f t s f ü h r u n g mit empirisch feststellbaren Faktizitäten und Kausalitäten a u s k o m -

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men zu können und zu dürfen. Demgemäß verlagern sich auch die Ambitionen der Philosophie allmählich von den übergreifenden Totaldeutungen des Daseins auf erkenntnistheoretische und sprachphilosophische Kleinarbeit, mit zunehmender Formalisierung ihrer Arbeit. Die Anlehnung an Grundgedanken der Philosophie Kants, wie sie durch die neukantianischen Schulphilosophien vertreten wurden, mußte der protestantischen Theologie im Zeitalter des Positivismus nahe liegen. Durch die konsequente Unterscheidung von Natur und menschlichem Bewußtsein, von Faktizitätsurteilen und Werturteilen eröffnete sich a) die Möglichkeit einer effektiven Abschirmung der Gottesaussagen vom expansiven Wahrheitsbereich der wissenschaftlichen Welterkenntnis und b) die Möglichkeit einer festen Verankerung der Gottesaussagen in der zur Naturüberlegenheit bestimmten geistig-sittlichen Personalität des Menschen. An die erkenntnistheoretischen Überlegungen Hermann Lotzes ( 1 8 1 7 - 1 8 8 1 ) anknüpfend, hat in systematischer Geschlossenheit Albrecht -»-Ritschl ( 1 8 2 2 - 1 8 8 9 ) das Programm einer antimetaphysischen Theologie vertreten, die vor allem durch die Konzentration der Gotteslehre auf die ausschließlich in der Christusoffenbarung zugänglichen Liebe Gottes gekennzeichnet ist. Alle Seins-Aussagen metaphysischer Art sind von den reinen Werturteilen der Theologie fernzuhalten. Aus dem Grundsatz ,Gott ist Liebe' lassen sich alle legitimen Gottesaussagen herleiten, und in diesen Grundsatz müssen sie wiederum zurück übersetzt werden können. Endzweck der göttlichen Liebe ist die vollkommene sittliche Gemeinschaft des Menschengeschlechts mit G o t t , woraufhin die Reich-Gottes-Verkündigung Jesu interpretiert wird. Der Gottesglaube ist insofern eine Notwendigkeit, als die geistig-sittliche Überlegenheit des M e n schen über die Natur ohne diese teleologische Ausrichtung als Werturteil auch nicht festzuhalten ist. In d i e s e m t h e o l o g i s c h e n G e d a n k e n s y s t e m kreist alles um die s i t t l i c h e P e r s ö n l i c h k e i t , in der sich die beiden Begriffe G o t t und M e n s c h d u r c h die V e r m i t t l u n g der e r l ö s e n d e n L i e b e t e l e o l o g i s c h v e r b i n den lassen. A u f die S t r u k t u r ä h n l i c h k e i t der R i t s c h l ' s c h e n G o t t e s l e h r e mit der in der A u f k l ä r u n g s f r ö m m i g k e i t v o r h e r r s c h e n d e n A u s r i c h t u n g a u f die w o h l w o l l e n d e V o r s e h u n g s - L i e b e G o t t e s ist ö f t e r h i n g e w i e s e n w o r d e n . D a ß eine s o l c h e S t r u k t u r ä h n l i c h k e i t b e s t e h t , läßt sich, j e d e n f a l l s w a s die K o n z e n t r a t i o n der ü b e r l i e f e r t e n E i g e n s c h a f t s l e h r e a u f die i m M o d u s der S i t t l i c h k e i t v e r s t a n d e n e L i e b e G o t t e s betrifft, nicht b e s t r e i t e n . D i e U n t e r s c h i e d e d ü r f e n j e d o c h a u c h n i c h t ü b e r s e h e n w e r d e n . D e r Z e i t g e i s t , der d u r c h R i t s c h i s G o t t e s l e h r e s p r i c h t , ist n i c h t der G e i s t der d a n k b a r e n und k o n t e m p l a t i ven Z u f r i e d e n h e i t mit e i n e r z w e c k m ä ß i g g e o r d n e t e n , d e r m e n s c h l i c h e n V e r n u n f t v e r w a n d t e n N a t u r , s o n d e r n v i e l m e h r der G e i s t der ungeduldigen Z i e l s t r e b i g k e i t d e r z i v i l i s a t o r i s c h e n W e l t b e h e r r s c h u n g des M e n s c h e n . D e m g e m ä ß weist a u c h die Z e n t r a l s t e l l u n g der - » E s c h a t o l o g i e , in die g e s c h i c h t l i c h e T e l e o l o g i e der L e h r e v o m G o t t e s r e i c h d e r sittlichen W e r t e u m f u n k t i o n i e r t , a u f e i n e N e u e r f a s s u n g des T r a n s z e n d e n z g e d a n k e n s hin: D i e T r a n s z e n d e n z G o t t e s ist als Zukunftseröffnende T r a n s z e n d e n z n a c h v o r n e zu v e r s t e h e n . Insofern steht R i t s e h l seinen t h e o l o g i s c h e n N a c h f o l g e r n im 2 0 . J h . e r h e b lich n ä h e r als seinen V o r g ä n g e r n im 18. J h .

N o c h radikaler wird die Einschränkung der Aufmerksamkeit auf Erkenntnistheorie und Ethik und die sie begründende Metaphysikkritik in der Theologie Wilhelm - » H e r t manns ( 1 8 4 6 - 1 9 2 2 ) mitvollzogen. M i t Schleiermacher legt Herrmann jedoch größeres Gewicht darauf, das Wesen der Religion in ihrer Eigenart nicht nur gegenüber dem Wissen, sondern auch gegenüber der Sittlichkeit herauszustellen. Als Boden und Verifikationskriterium der religiösen Aussagen wird die innere Erlebniswelt der einzelnen menschlichen Persönlichkeit abgegrenzt, was jeden Anspruch auf allgemeine, theoretische Gültigkeit der Gottesaussagen unmöglich macht. An der Ausschließlichkeit des christozentrischen Offenbarungsverständnisses hält Herrmann dadurch fest, daß er den Verkehr des Christen mit Gott an das glaubenerweckende und glaubenbegründende innere Leben Jesu mit G o t t bindet. Glaubensgedanken und somit Gottesaussagen sind jedoch, um der religiösen Reinheit des Glaubens willen, vom verbindlichen Grund des Glaubens scharf zu unterscheiden. Jede Objektivierung Gottes ist strikt zu vermeiden. Durch die Tradition der neukantianisch inspirierten -»Religionsphilosophie wird dieselbe Trennung von außermenschlicher Welt und menschlicher Innenwelt bis weit in das

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Gott VIII

20. Jh. hinein durch die These vom atheoretischen Charakter der religiösen Aussagen aufrechterhalten. Ob dadurch mehr als eine imaginäre Sturmfreiheit des religiösen Sprachbereichs zu gewinnen ist, bleibt freilich eine offene Frage. Die Geschichte der Theologie der Innerlichkeit legt die Vermutung nahe, daß das berechtigte Anliegen, die Mehrdimensionalität der Sprache gegen totalitäre Ansprüche der wissenschaftlichen Welterkenntnis zu verteidigen, eher durch das offensive Eingehen auf die Seinsfrage in ihrer vollen Weite und Tiefe als durch den Rückzug in die innere Erlebniswelt wahrzunehmen ist. 2.9. Krisis und Kerygma: gie zwischen den Zeiten

Die Subjektivität

Gottes als alternativer

Ansatz der

Theolo-

Durch das theologische Epochenbewußtsein, das nach dem ersten Weltkrieg mit rhetorischer Kraft und in sprachlicher Vielfalt,zwischen den Zeiten' zum Ausdruck gebracht wird (s. T R E 8 , 6 8 4 , 3 5 ff), zieht sich als roter Faden die Alternative Gott oder Mensch als die gemeinsame Fragestellung. Aller sonstigen, z.T. tiefgehenden Unterschiede des Denkens ungeachtet, fällt hier für alle Träger dieser theologischen ,,Erweckungs"bewegung einfach die theologische Grundentscheidung. Das mag befremden, ist jedoch, auf dem doppelten Hintergrund der gesellschaftlichen und kulturellen Krise der Nachkriegszeit und der als unerträgliche Last empfundenen national-liberalen Ausprägung der jahrhundertelangen, ungebrochenen Tradition einer anthropozentrischen Theologie wenig überraschend. Ohne Vorbereitung kommt der Durchbruch der -»Dialektischen Theologie nicht. Einen hörbaren Einspruch gegen die Engführung des theologischen Anthropozentrismus hatte Erich Schaeder (1861-1936) durch seine Forderung einer theozentrischen, an der majestätischen Erhabenheit Gottes orientierten Theologie erhoben, und einer theologischen Neuorientierung hatte religionsphänomenologisch vor allem Rudolf -•Otto (1869-1937) durch seine Herausarbeitung der Heiligkeit und Andersartigkeit Gottes als das Zentrum des Gottesverhältnisses den Boden bereitet. Gerade in ihrer Negation des anthropozentrischen Ansatzes hat sich die Dialektische Theologie andererseits auch an überkommene theologische Denkvoraussetzungen des 19. Jh. so tief gebunden, daß einer geschichtlichen Einordnung der Kontinuität ebenso große Aufmerksamkeit zu widmen ist wie der Diskontinuität. Nicht-Objektivierbarkeit Gottes, exklusives Offenbarungsverständnis und scharfe Ablehnung jeder natürlichen Theologie werden im kerygmatischen Ansatz der Theologie des Wortes in neuer, durch die formgeschichtliche Evangelienforschung (-»Formgeschichte) mitbestimmten Zuspitzung als zentrale theologische Motive weitergeführt. Dabei tragen existenzphilosophische Impulse, Lutherrenaissance und allgemeine, um die Sinnlosigkeit kreisende kulturelle Krisenempfindungen dazu bei, die Transzendenz Gottes als gebieterische Souveränität, den Gottesglauben als unbedingten Gehorsam des Menschen zu profilieren. Durch diese Profilierung wird die übernommene Subjektivitätsproblematik insofern radikalisiert und überboten, als die absolute, durch nichts bedingte oder begrenzte Freiheit Gottes durch seine freie Gnaden- und Willensoffenbarung im Wort die Krisis aller menschlichen Bemühungen herbeiführt und zugleich den hörenden Menschen zur Freiheit des Gottesgehorsams entweltlicht. Am schärfsten wird die Alternative von Theologie und Anthropologie in den frühen Arbeiten K. -»Barths durchgehalten, in denen auch nur Ansätze zu einer Entfaltung der Rezeptivität des Menschen als illegitime Gefährdung der Souveränität Gottes gelten. In eine andere Richtung weist von Anfang an die Theologie R. -»-Bultmanns, in der die Fraglichkeit der menschlichen Existenz als eine Frage nach Gott interpretiert wird, die ein um Gott nicht-wissendes Wissen voraussetzt. Die,negative' Anthropologie der existentialen Interpretation setzt dabei eine Art Korrespondenz von Wort Gottes und menschlicher Existenz voraus, die die Souveränität des Offenbarungswortes nicht beeinträchtigen darf. In systematischer Geschlossenheit wird eine Gotteslehre vom exklusiven Denkansatz bei der absoluten Subjektivität Gottes in der Kirchlichen Dogmatik Barths entfaltet. Als

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grundlegendes Erkenntnisprinzip gilt dabei, d a ß G o t t n u r d u r c h G o t t e r k a n n t werden k a n n ; nicht das unmittelbare Selbstbewußtsein der geistig-sittlichen Persönlichkeit des M e n s c h e n , sondern das absolute, in sich v o l l k o m m e n e Selbstbewußtsein Gottes ist der einzig mögliche Boden der Gottesaussagen. N u r in einem uneigentlichen, abgeleiteten Sinne k a n n der M e n s c h daher als Person bezeichnet werden, - Personsein im eigentlichen Sinne k a n n allein von G o t t ausgesagt werden. Bei dieser U m k e h r u n g der Persönlichkeitsp r o b l e m a t i k des 19. Jh. geht es Barth nicht d a r u m , in Anschluß an die traditionelle theistische Position die theologische Unentbehrlichkeit des Person begriffes zu b e h a u p t e n ; das wäre eine illegitime Ü b e r t r a g u n g einer limitierenden anthropologischen Kategorie auf G o t t . G o t t k a n n auch ohne die Verwendung der Personkategorie ausgesagt werden, anthropologisch verwendet ist die Personkategorie jedoch unter allen U m s t ä n d e n als eine Lehn-Kategorie zu verstehen. Diese Asymmetrie ist vom D e n k a n s a t z Barths her d a r u m n o t w e n d i g , weil eine a n t h r o p o l o g i s c h e G r u n d l e g u n g d u r c h die Kategorie der Persönlichkeit eine Souveränität des M e n s c h e n gegenüber der Welt impliziert, die d a s Herrsein Gottes in illegitimer Weise beeinträchtigt. Konsequenterweise ist G o t t in seiner ausschließlichen Selbstoffenbarung in Christus auch nicht einfach wie bei Ritsehl als ,Liebe', sondern als ,der in Freiheit Liebende' zu bezeichnen, was die Definitivität der Christusoff e n b a r u n g und die souveräne Freiheit Gottes in seiner O f f e n b a r u n g zugleich sicherstellen soll. Z u fragen bleibt freilich, o b mit dieser berechtigten K o r r e k t u r eine Befreiung der Gotteslehre von den Denkvoraussetzungen der Subjektivität vollzogen w o r d e n ist.

2.10. Der Atheismus und das unbewältigte Problem der natürlichen Theologie. TodGottes-Theologie und neue Vermittlung von Welterfahrung und Gotteserfahrung: Ökumenische Erneuerung der altkirchlichen Gotteslehre? Das unbewältigte, theologisch weithin verdrängte Problem der natürlichen Gotteserkenntnis h a t in der zweiten H ä l f t e des 20. J h . s o w o h l eine Reihe theologischer D e n k a u s brüche eruptiver Art als auch restaurative Versuche einer N e u g e s t a l t u n g der g r o ß e n theologisch-philosophischen Systembildungen des 19. Jh. ausgelöst. Die z.T. recht s p e k t a k u lären A u s b r ü c h e - Säkularisierungstheologie, H o f f n u n g s t h e o l o g i e , Befreiungstheologie, T o d - G o t t e s - T h e o l o g i e - lassen sich dabei theologiegeschichtlich ebensowenig auf einen gemeinsamen N e n n e r bringen wie die unterschiedlichen B e m ü h u n g e n systembildender Art. D u r c h g e h e n d scheint es, wie in der theologischen A u f b r u c h z e i t nach d e m Ersten Weltkrieg, n u r das Kennzeichen des epochalen Bewußtseins zu sein, das sich in der gem e i n s a m e n G r a v i t a t i o n aller theologischen D e n k b e m ü h u n g e n u m das neuzeitliche A t h e i s m u s p r o b l e m in seiner letzten, d u r c h D e n k t r a d i t i o n und D y n a m i k der gesellschaftlichen E n t w i c k l u n g zugleich aufgenötigten Z u s p i t z u n g k u n d t u t . Was die Geister scheidet, ist die e l e m e n t a r e Stellungnahme: Ist der Atheismus, vom S t a n d p u n k t des christlichen G l a u b e n s gesehen, als Freund o d e r als Feind, als evangelisches E n d s t a d i u m der Christentumsgeschichte oder als die Vernichtung des C h r i s t e n t u m s zu verstehen? Die Z w e i d e u t i g keit des Atheismus scheint das Problem westlicher T h e o l o g i e g e w o r d e n zu sein. Um einer theologisch verhängnisvollen Vermischung von abendländischer Kultur u n d christlichem G l a u b e n zu e n t r i n n e n , hat die T h e o l o g i e der Krise in nächster N a c h b a r schaft z u m Nihilismus ihren intellektuellen Boden gesucht. Bei einer o f f e n b a r u n g s t h e o l o gischen Überspitzung der T r a n s z e n d e n z Gottes wird sich das P h ä n o m e n des Nihilismus dialektisch s o w o h l als negativer ,Gottesbeweis' als auch in R i c h t u n g auf eine positive praeparatio fidei interpretieren lassen. Diese dialektische Affinität zum Atheismus hat an sich mit einem Gospel of Christian Atheism ( T h . J . J . Altizer) nichts zu tun. D a ß eine T h e o l o g i e der radikalen Transzendenz Gottes in einem ebenso radikalen I m m a n e n t i s m u s u n d d a n n z.B. auch in die sprachliche M i ß g e b u r t a t h e i s t i s c h e Theologie' umschlagen k a n n , darf jedoch als wenig überraschend angesehen w e r d e n . D a ß m a n als T h e o l o g e den Atheismus nicht ungestraft als Hilfe h e r b e i r u f t (W. Pannenberg), m a g insofern eine richtige B e o b a c h t u n g sein. Ebenso richtig und ebenso wichtig ist jedoch andererseits die Beobachtung, die in der geistesgeschichtlichen E i n o r d n u n g des neuzeitlichen A t h e i s m u s ein

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Produkt der neutralisierenden Verharmlosung entdeckt, die der christlichen Kreuzestheologie durch restlose Einverleibung in eine idealistische Metaphysik widerfährt. Klassisch formuliert wurde in den Prämissen der Ich-Du-Philosophie diese Beobachtung durch die rhetorische Frage Ferdinand Ebners ( 1 8 8 2 - 1 9 3 1 ) : „ G i n g die abendländische Kultur an etwas anderem z u g r u n d e . . . als an der Stilisierung des Kreuzes, an ihrem platonischen Mißverständnis des Christentums? T ä u s c h e man sich nicht, das und nichts anderes gebar den Unglauben und die Gottlosigkeit unserer Z e i t " ( G W 1, Das Wort u. die geistigen Realitäten, hg. v. M . Pfliegler/L. Haensel, Wien 2 1 9 5 2 , 330). Wenn beides richtig ist, wird weder eine Gott-ist-tot-Theologie noch eine metaphysische Gotteslehre christlicher Theologie aus den Aporien ihrer Konfrontation mit dem neuzeitlichen Atheismus heraushelfen können. Wie im 17. J h . wird sich die Aufgabe einer christlichen Gotteslehre weder durch eine die Vertauschung fördernde Identifikation vom Gott der Gelehrten und Philosophen und dem G o t t Abrahams, Isaaks und J a k o b s , noch durch die kategoriale Trennung der beiden, d . h . durch eine theologische Verabschiedung der philosophischen Gottesfrage lösen lassen. Neue Möglichkeiten theologischer und philosophischer Verständigung mögen sich jedoch in den beiden letzten Jahrzehnten des 20. J h . durch die religionsphilosophischen Auseinandersetzungen um die Mehrdimensionalität der Sprache abzeichnen, wobei die Anfänge einer offenen, von gegenseitigen Vorurteilen befreiten Kommunikation zwischen analytischer und hermeneutischer Denktradition als besonders verheißungsvoll anzusehen sind. N o c h nicht ausgeschöpft sind vermutlich die Möglichkeiten des Tillich'schen Korrelationsdenkens oder der möglichen theologischen Anknüpfungspunkte der amerikanischen Prozeßphilosophie. Die korrigierenden Denkimpulse, die durch die theologische Wirtschaftsgemeinschaft' der heutigen Ö k u m e n e endlich einmal, wenn auch in sehr begrenztem Ausmaß, in die westliche T h e o logie von den afrikanischen, asiatischen und lateinamerikanischen Kirchen einfließen, mögen auch zu einer wünschenswerten Pluriformität des theologischen Denkens wichtige Beiträge leisten können. Großes Gewicht k o m m t in dieser Perspektive auch den Bemühungen um eine Neuorientierung der römisch-katholischen Gotteslehre nach dem Zeitalter der neuthomistischen Alleinherrschaft zu, weiter auch den neue theologische Horizonte eröffnenden Anstößen von Vertretern der orthodoxen Denktradition der östlichen Christenheit. Die Vermittlung von Gotteserfahrung und Welterfahrung bleibt als dringliche Aufgabe der theologischen Reflexion auf der Tagesordnung der - » Ö k u m e n e . D a ß dabei die altkirchliche Trinitätslehre ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückt, darf als interessantes Zeichen der Zeit zu bewerten sein. Die Wiederaufnahme der alten Kontroversfrage des Filioque mag in dieser Perspektive als ein Hinweis darauf gesehen werden, daß sich die Gotteslehre als konfessionelle Kontroverslehre meldet. Insofern sich darin eine wirklich prägende Funktion der Gotteslehre auf das Gesamtgefüge der Dogmatik des christlichen Glaubens ankündigen würde, wäre eine solche Entwicklung willkommen zu heißen. D a ß die traditionell schwer zu überwindenden Lehrunterschiede im Verständnis der Relation von Kirche, Welt und Reich Gottes letztlich in einer unterschiedlich ausgerichteten G o t teslehre ihren Ursprung haben, könnte dann zum Bewußtsein gebracht und in gemeinsamer kritischer Reflexion durchgearbeitet werden. Zu bemerken ist kritisch, daß Neugestaltungen der Trinitätslehre, wenn sie mit einer spekulativen Universalontologie geschichtsphilosophischer Art verbunden wird, nochmals zu einer verhängnisvollen Überforderung der Theologie führen können. Die wesenhaft werdende Selbstentfaltung des trinitarischen Gottes ist die Geschichte, insofern sie uns zugänglich ist, eben nicht, wie christliche Theologie auch nicht als denkerische Selbstentfaltung Gottes zu verstehen sein kann. Christliche Theologie darf mit erheblich bescheideneren Ambitionen zufrieden sein: Das Mehr-Sein-Gottes im Verhältnis zu allen theologischen Denk- und Sprachbemühungen und die Zuverlässigkeit Jesu Christi als das zugesagte Verheißungswort Gottes durch immer neue Improvisationen des Abgrenzungs- und Unterscheidungsvermögens gegen jeweilige totalitäre Denkansprüche zu verteidigen. Die Denktradition der via nega-

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tionis in Vergessenheit geraten zu lassen, wird sich christliche Theologie nie ohne verheerende Auswirkungen leisten können. 3. Grundstrukturen

christlicher

Gotteslehre

3.1. Gott und Glaube Christlicher Glaube ist an Jesus gebundener Glaube an Gott. Der christliche Glaube ist wesenhaft auf Kommunikation angelegt; als ausgeteilte Gabe stiftet er Gemeinschaft und wird als Bekenntnis der Gemeinschaft derjenigen h ö r b a r , die durch den Heiligen Geist dieses Glaubens teilhaftig geworden sind. Das gemeinsame Bekenntnis des Glaubens begründet die ->Kirche als Gemeinschaft aller Gläubigen nicht. Grund des Glaubens und somit der Gemeinschaft aller Gläubigen ist Jesus Christus allein (I Kor 3,11). Durch das gemeinsame Bekenntnis des Glaubens tritt jedoch die Gemeinschaft der Glaubenden h ö r b a r in der Sprachgeschichte dieser Welt hervor. In, mit und unter den Sprachen der Menschheit hat der christliche Glaube seine eigene Sprachgeschichte, in der die gnädige Z u w e n d u n g Gottes an seine gefallene Schöpfung in Jesus Christus in d a n k b a r e m Lobpreis wahrgenommen wird. Eine Geheimsprache ist die vom Geist Gottes getragene Sprache des christlichen Glaubens nicht (vgl. Act 2,4ff). Die Problematik des unentrinnbaren und unentbehrlichen, sprachlogisch jedoch schwer zu bewältigenden Wortes ,Gott' teilt sie mit allen Sprachen dieser Welt; sowohl ihre Eigenart als auch ihre allen menschlichen Sprachbemühungen gemeinsamen Voraussetzungen und Begrenzungen werden an H a n d des Gottesbegriffes sichtbar. Insofern Gott und Glaube „ z u h a u f e " gehören (so die Auslegung des ersten Gebotes im Großen Katechismus Luthers, WA 30/1,2 133), wird sich unter keinen Umständen der christliche Glaube seiner sprachlichen Verantwortung für das Wort ,Gott' entziehen können. Als unbedingtem Wahrheitsvertrauen hängt dem Glauben alles an der Unterscheidung von Gott und Abgott, Glaube und Aberglaube. Ein Woraufhin menschlicher Grunderfahrungen der N o t und Verzweiflung, E r w a r t u n g und Zuversicht kennen alle menschlichen Sprachen. Als Platzhalter eines definitiven Woraufhins ist das Wort ,Gott' für das Gesamtgefüge der sprachlichen Kommunikation von eminenter Wichtigkeit. Die Richtung der Aufmerksamkeit wird jedoch erst durch die weiteren sprachlichen Unterscheidungsmerkmale gelenkt, die das Wort ,Gott' inhaltlich aus der Anonymität der formalen Strukturen heraustreten läßt. Dabei sind die religiösen Gemeinschafts-Erfahrungen ausschlaggebend, die eine Selbsterschließung Gottes voraussetzen. Nicht nur der Fraglichkeit der Existenz und dem notwendigen Über-sich-Hinausweisen alles menschlichen Verhaltens, sondern auch der Vielfalt der religiösen Sprachtraditionen der Welt wird die Sprache des christlichen Glaubens in ihrer Verantwortung des Wortes ,Gott' Rechnung tragen müssen, wie es z. B. exemplarisch in der A n k n ü p f u n g der Missionsverkündigung an die Verehrung eines „unbekannten G o t t e s " (Act 17,23 ff) oder auch in der scharfen Kritik an der Vertauschung von Schöpfung und Schöpfer (Rom 1,18 ff) vorgezeichnet ist. Um ihrer Kommunikationsfähigkeit willen wird sie dann auch bereit sein müssen, aus dem sprachlichen Gemeinschaftsbereich der religiösen Unmittelbarkeit in den sprachlichen Gemeinschaftsbereich der Reflexion und Argumentation zu treten. Die im Denken durchzuhaltende Konfrontation mit dem ,Gott der Philosophen und Gelehrten' bzw. mit dem theoretischen Atheismus ist ihr dabei unentbehrliche Verstehenshilfe. Der im Gebet, in Meditation wie in Liturgie zur Sprache gebrachten Gotteserfahrung der —»Gemeinschaft der Glaubenden wird die als explizite, reflektierte Gotteslehre vertretene Sprache des christlichen Glaubens entsprechen müssen. Christlicher Glaube bleibt in allen seinen sprachlichen Gestalten nichts als der an Jesus gebundene Glaube an Gott. Die Bindung des christlichen Gottesglaubens an Jesus ist geschichtlich zugleich eine unauflösliche Bindung an die theologische Sprachtradition des Alten Testaments, so wie sie in die Verkündigung Jesu und die Christusbotschaft der Urgemeinde mündet. Versuche einer Entbindung der christlichen Theologie von dieser Sprachtradition und der darin enthaltenen religiösen Schicksalsgemeinschaft mit der Syn-

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agoge haben sich bis heute nicht ohne verhängnisvolle Substanzverluste der Sprache des christlichen Gottesglaubens durchführen lassen. Der Vater Jesu Christi (I Petr 1,3) oder der aus dem Nichts ins Sein Rufende, der die Toten auferweckt (Rom 4,17), kann Gott nur von einer Glaubensgemeinschaft genannt werden, die ihn schon als ,den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs' (Ex 3,5) kennt und ihre Existenz der Einverleibung in das Volk Gottes verdankt, die allen Völkern im Kreuzestod Jesu (vgl. Eph 2,11 ff) durch die definitive Selbsterschließung Gottes (vgl. M k 15,38 par.) ermöglicht worden ist. Ohne die sprachliche Kontinuität der Verkündigung Jesu mit der alttestamentlichen Gotteserfahrung gäbe es angesichts des Kreuzestodes Jesu keine Artikulationsmöglichkeit des Glaubens. Auf die theologische Spannungsgeladenheit dieser Kontinuität, in der geschichtlichen Doppelgestalt der christlichen Bibel sichtbar aufbewahrt, weist jedoch die Tatsache hin, daß Jesus durch die Vertreter der religiösen Traditionsgemeinschaft als Gotteslästerer verurteilt wurde (vgl. M k 14,63 f par.). Was die beiden Teile der christlichen Bibel zu einer Sprachgeschichte des Glaubens zusammenbindet, ist das Kreuz Jesu Christi (vgl. die Kreuzesinschrift Mk 15,26 par.). Als an Jesus gebundener Glaube an Gott kann sich der christliche Glaube letztlich in keiner anderen theologischen Sprache zurechtfinden, als in der Sprache der theologia crucis, d.h. in der angesichts des Kreuzes Jesu notwendig gewordenen Rede von Gott. Die kommunikationsstiftende Aufgabe dieser Sprache ist es, auf die alle Dunkelheit durchstrahlende Herrlichkeit Gottes im Angesicht Jesu Christi (II Kor 4,6) hinzuweisen und die Wahrnehmung dieser unermeßlichen Herrlichkeit zu ermitteln. 3.2. Gott - der Verborgene Die Sprache des christlichen Glaubens sagt von Gott immer wieder ein Zweifaches aus: a) Niemand hat je Gott gesehen, b) Gott hat sich in Jesus Christus dem Glauben definitiv erschlossen. Beides läßt sich gedanklich in einer positiven Gotteslehre nur mit Mühe zusammenhalten und zugleich behaupten. Es besteht darum die permanente theologische Versuchung, den latenten Widerspruch durch Modifikationen der einen oder anderen Aussagehälfte (oder auch beider) zu eliminieren. Dieser Versuchung wird christliche Gotteslehre Widerstand leisten müssen; gerade in ihrer kategorischen Form bedingen und interpretieren einander die beiden Behauptungen gegenseitig und geben der Sprache des christlichen Glaubens ihr eigenartiges, nicht zu entschärfendes Profil. Die bleibende Unsichtbarkeit Gottes - besser: die bleibende Verborgenheit Gottes - wird durch die Behauptung der definitiven Offenbarung Gottes in Jesus Christus in keiner Weise eingeschränkt oder aufgehoben. Die Definitivität der Selbsterschließung Gottes in Jesus Christus wird durch die Behauptung der bleibenden Verborgenheit Gottes in keiner Weise in Frage gestellt. Kategorial, von den beiden Begriffen ,Offenbarung Gottes' und ,Verborgenheit Gottes' her, läßt sich solches sinnvollerweise nicht behaupten. Das eigentümliche Verhältnis von Verborgenheit und Offenbarung Gottes läßt sich allein in kreuzestheologischer Sprache, d. h. als dasjenige Reden von Gott vertreten, das dem Glauben angesichts des Kreuzes Jesu Christi abgezwungen wird (vgl. M k 15,39). Von den allgemeinen Denkvoraussetzungen der natürlichen Welt- und Gotteserkenntnis her wird eine solche Gotteslehre nur als Torheit, von den Voraussetzungen des christlichen Gottesglaubens her nur als alternative Weisheit, die die Weisheit der Welt durchkreuzt, erscheinen können (I Kor 1,18ff). Die Umwertung aller Werte, auch aller Gottesvorstellungen, ist somit geradezu das Funktionsmerkmal einer durch das Kreuzesgeschehen determinierten, um die Auferweckung des Gekreuzigten Jesus Christus zentrierten Gotteslehre. Der volle theologische Sinngehalt des Kreuzes bleibt dabei den Bekennern des Glaubens, gerade auch beim nichtigen' Bekenntnis, verschlossen (Mt 16,16ff), weil die Selbstkundgabe Gottes in Jesus Christus eben die Selbstkundgabe des verborgenen Gottes ist. Insofern die zentralen neutestamentlichen Gottesaussagen - z.B. die Aussage „Gott war es, der in Christus die Welt mit sich versöhnt hat" (II Kor 5,19) - die kreuzestheologi-

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sehe Außerkraftsetzung menschlicher M a ß s t ä b e voraussetzt (II Kor 5,16), sind sie nur im Horizont der Sprachgeschichte des Alten Testaments zu verstehen. Eben in seiner berufenden Selbstkundgabe als der Heiland und Retter seines geknechteten Volkes entzieht sich der G o t t Abrahams, Isaaks und Jakobs dem theologischen Erkenntniszugriff seiner berufenen Diener (Ex 3 , 4 - 1 5 ) . Als der in sich selbst Seiende, durch nichts anderes zu Definierende läßt Gott seine Herrlichkeit nur im Nachhinein, als eine bereits vorbeigegangene, sichtbar werden (Ex 33,18 ff). Wie einst dem - » M o s e wird auf Grund des Kreuzesgeschehens den Dienern des neuen —»Bundes die Aufgabe anvertraut, die Welt zur Umkehr zu rufen, d . h . zur Bereitschaft, sich durch die tätige, liebende Selbsthingabe des verborgenen Gottes heilen zu lassen (I Kor 5,18ff). Durch alle geschichtlichen Gestaltwandlungen hindurch geht es in dieser Sprachgeschichte des Glaubens um den gepredigten und gehörten Gott, um den in seinem richtenden und rettenden Handeln wiedererkannten und von der Erfahrungsgemeinschaft der Glaubenden bezeugten Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs. Ein entscheidendes M e r k m a l dieser Sprachgeschichte bleibt, d a ß Gott von seinem ständigen Handeln her (wider alle Erwartungen seiner gefallenen Schöpfung) in angemessener Weise nur als derjenige bezeichnet werden kann, der wahrh a f t verborgen ist (Jes 45,15). Auf diesem Hintergrund gesehen, steckt in einer soteriologischen Verklammerung der Gotteslehre, etwa in der Behauptung, daß wir von G o t t nicht sagen können, was er in sich ist, sondern nur, was er an uns tut, ein berechtigtes Anliegen. Die Unterscheidung von Wesen und Werk Gottes mag jedoch insofern irreführend sein, als dadurch das Mißverständnis nahegelegt wird, d a ß sich das Werk Gottes auf die individuelle oder kollektive Heilserfahrung der Glaubenden beschränkt. Gefährlich mag die Unterscheidung auch insofern sein, als sie tendenziell in Richtung auf eine Trennung von Werk und Wesen Gottes f ü h r t , die die theologischen Aussagemöglichkeiten darauf einschränken würde, Gott als das nicht näher zu identifizierende,Woher' religiöser Erfahrungen zu bezeichnen. Eine solche Verblassung der Gotteslehre k ä m e theologisch auf dieselbe soteriologische E n g f ü h r u n g hinaus, die man im Bereich der Christologie mit gewissem Recht gemeint hat, an dem berühmten Satz Melanchthons kritisieren zu dürfen: Christum cognoscere est beneficia eius cognoscere. Gegen eine latente Emanzipation der Soteriologie von der Christologie und von der Gotteslehre muß d a r a n festgehalten werden, d a ß Gott sein verborgenes Wesen in seinem Werk mitteilt. Die Verheißungsstruktur, die das richtende und rettende Handeln Gottes durchzieht, weist darauf hin, d a ß sich Gott immer wieder als derjenige erweisen wird, der seinen Verheißungen treu bleibt. Als das endgültige ,Ja' aller Verheißungen Gottes (II Kor 1,20) teilt Jesus Christus den Glauben als unbedingtes Gottvertrauen mit, das auf nichts anderes zielt und sich auf nichts anderes bezieht oder beruft als auf G o t t selbst. Heilsgewißheit ist in der Sprache des christlichen Glaubens nur als unbedingtes Gottvertrauen artikulierbar. Das unbedingte Gottvertrauen gibt es in dieser Welt nur als den Glauben des angefochtenen —»-Gewissens, das sich nicht auf die eine oder andere E i g e n s c h a f t ' Gottes auch nicht auf die Liebe —, sondern auf Gott selbst einläßt, der sich eben als der Gott, der in Jesus Christus für uns und mit uns ist(Mt 1,23), gegen uns als der Gott aller Menschen durchsetzen m u ß - als ,der liebe G o t t ' , zu dem das Blut unseres Bruders von der Erde schreit (Gen 4,10). So transzendiert Gott die Aussagemöglichkeiten unserer erfahrungsbezogenen Glaubenssprache und bleibt aller menschlichen Gotteserkenntnis voraus. Der angefochtene Glaube, der bei dem gepredigten Gott seine Zuflucht findet, der sich an den N a m e n des gekreuzigten Jesus gebunden und somit h a f t b a r gemacht hat, wird jedoch in der Zuversicht erhalten, d a ß eben dieser Gott und kein anderer der Erste und Letzte, der Schöpfer und Vollender, der alle Wirklichkeit Umgreifende ist (Apk 1,17). 3.3. Trinitarische

Glaubenssprache

O h n e implizite trinitarische Aussagestruktur w a r die Sprache des christlichen Glaubens nie. Der expliziten trinitarischen Aussagestruktur wird sie so lange auch nicht ent-

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Gott VIII

behren können, als das elementarste Bekenntnis des christlichen Gottesglaubens das Bekenntnis zum Herrsein Jesu Christi bleibt. Daß das Christusbekenntnis nicht als verwischende Entprofilierung des radikalen -»Monotheismus, sondern vielmehr als die theologisch sachgemäße Antwort auf die Grundforderung des ersten —»Gebotes zu verstehen ist, läßt sich nur in einer trinitarisch ausgerichteten Sprache zum Ausdruck bringen, ebenso wie die Notwendigkeit einer solchen Sprache nicht ohne die Beziehung auf das Christusbekenntnis einsichtig zu machen ist. In eine metaphysische Welterklärung läßt sich die Trinitätslehre ohne inhaltliche Entleerung nicht einverleiben, wie sie auch nicht zu einer sozialgeschichtlichen Emanzipationstheorie umfunktioniert werden kann, ohne überflüssig zu werden. Unentbehrlich ist die trinitarische Aussagestruktur nur als im strikten Sinne des Wortes theologische Aussagestruktur des christlichen Glaubens. Gott und Glaube gehören darin und darum zusammen, daß der Heilige -»Geist den Glauben an -»Jesus Christus als die Erfüllung des ersten Gebotes zur Sprache gebracht hat und immer wieder zur Sprache bringt. Dem Ausschließlichkeitsanspruch des Gottes, der im ersten Gebot redet, entsprechen in der Sprache des christlichen Glaubens das Anrufen und der Lobpreis Gottes als Vater, Sohn und Heiliger Geist. Zum Verständnis der trinitarischen Struktur der christlichen Glaubenssprache ist es vor allem wichtig, den Stellenwert der Pneumatologie innerhalb des Gesamtgefüges der klassischen trinitarischen Bekenntnisse zu klären. Sowohl dogmengeschichtlich, von dem faktischen Verlauf der Entwicklung der Bekenntnisformulierungen her, als auch systematisch-theologisch, von der inneren Logik des christlichen Gottesglaubens her, legt sich die These nahe, daß die Pneumatologie als Glaubenslehre schlechthin zu verstehen ist, d.h. als eine Lehre vom Wesen und Herkunft des Glaubens an Gott als den Vater Jesu Christi. Weil die beiden ersten Artikel des christlichen Glaubens in einem Atemzug und als notwendige und unauflöslich verbundene Aussage-Einheit nur auf Grund der schöpferischen Wirksamkeit des Geistes bekannt werden können, kann der Glaube auch nicht ohne die explizite Aussage-Beziehung auf den Geist als Grund der Glaubensgemeinschaft zur Sprache gebracht werden. Als Bekenntnis, d. h. als Eingeständnis, kann der Glaubende seinen Glauben nur so zum Ausdruck bringen, daß er den Glauben auf Gott selbst zurückführt. D a s , I c h ' , das im -»Glaubensbekenntnis redet, wird im expliziten Bekenntnis zum Heiligen Geist in seiner menschlichen Produktivität (und somit in seiner Subjektivität) heilsam relativiert, indem es sich als ein rein Empfangendes empfängt. Die Paradoxalität dieses Bekenntnisvorganges hat in sehr prägnanter Weise Luther in den Eingangssätzen seiner Erklärung des 3. Artikels im Kleinen Katechismus zum Ausdruck gebracht: „Ich glaube, daß ich nicht aus eigener Vernunft noch Kraft an Jesum Christum, meinen Herrn glauben oder zu ihm kommen kann, sondern der Heilige Geist hat mich durchs Evangelium b e r u f e n . . . " (WA 30/1, 11,296). Insofern das Christusbekenntnis als die definitive Präzisierung des monotheistischen Gottesglaubens verstanden wird, schließt die trinitarische Glaubenssprache Gottesaussagen nicht-trinitarischer Art keineswegs einfach als unzulässig aus, wie der christliche Glaube die Gotteslehre anderer Religionen oder die Gottesleugnung atheistischer Daseinsdeutungen auch nicht als irrelevant ignorieren kann. Wenn der christliche Glaube ernsthaft den Anspruch erhebt, Gott als den Schöpfer und Erhalter der Welt und somit aller Menschen zu bezeugen, wird er die Bewegtheit und die Abhängigkeit alles Lebens von Gott und die allgemeine Erkennbarkeit Gottes auch nicht leugnen können. Nicht die theoretische Erkennbarkeit, sondern die praktische Verehrung Gottes, d.h. die Fähigkeit der Menschen, Gott Gott sein zu lassen, ist das Problem (Rom l,18ff). Weil sich die Vergottung der Schöpfung in der Geschichte der Menschheit immer wieder in neuen Gestalten hervortut, kann der Mensch gerade als Theologe nur durch die Menschwerdung Gottes eingeholt und in sein Geschöpfsein wieder zurückgeführt werden. Von daher ist die Präzisierung des Gottesglaubens unerläßlich, die den erkennbaren, nicht anerkannten Gott als den verborgenen Gott der Inkarnation und des -»Kreuzes Jesu zur Sprache

Gott Vili

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bringt. Das fordert vom christlichen Glauben zugleich die Bereitschaft, alle Äußerungen menschlicher Religiosität - innerhalb und außerhalb der christlichen Traditionssphäre in ihrer Gebrochenheit und Zwiespältigkeit als Hinweise auf den einen Gott aller Menschen zu interpretieren und die unerschütterliche Geduld im Zeugnis von der Einholung der praktisch verfehlten Gotteserkenntnis durch die Selbsthingabe Gottes in Jesus Christus. O b der Traktat De Deo trino in der systematischen Entfaltung der christlichen Gotteslehre dem Traktat De Deo uno vorgeordnet werden sollte oder nicht, ist eher eine Frage der kommunikativen Zweckmäßigkeit als eine systematisch-theologische Frage prinzipieller Art. Wo man in eine Darstellung der Dogmatik des christlichen Glaubens die explizite Auseinandersetzung mit der überlieferten Trinitätslehre einschaltet, braucht es keinen wesentlichen Unterschied zu machen, wenn die trinitarische Struktur des Ganzen von vornherein feststeht und in allen Teilen der gedanklichen Entfaltung mit reflektiert wird. Die Ansprechbarkeit jedes Menschen auf sein verfehltes Wissen um Gott hin darf jedoch unter keinen Umständen durch die Vorordnung eines christologisch eingeengten Offenbarungsbegriffes ausgeschlossen werden. Eine theologisch strukturierende Vorordnung eines solchen Offenbarungsbegriffes scheint den recht verstandenen Ausschließlichkeitsanspruch des Christusbekenntnisses insofern verfehlen zu müssen, als die dem christlichen Glauben eigentümliche, allumfassende gegenseitige Zuordnung der beiden Begriffe ,Gott' und ,Mensch' dadurch praktisch schwer vollziehbar gemacht wird. 3.4. Theologia

crucis

Daß christliche Gotteslehre als eine theologia crucis zu bezeichnen ist, bestätigt schon ein Blick auf die Geschichte des christlichen Gottesdienstes und der Kirchenkunst. In der Sprachgeschichte des christlichen Glaubens spricht — stärker als alle verbalen Aussagen — das Kreuz. Besser: Das Kreuz ist das ursprünglich sprachschöpferische Datum des christlichen Glaubens. Als einmaliges, historisch kontingentes Ereignis ist das Kreuz Jesu der nicht-ableitbare Gravitationspunkt aller Denk- und Aussagebemühungen des christlichen Glaubens. Zugleich ist es, für systematische wie für die historische Betrachtung, die Grenze der allgemeinen Denkbarkeit Gottes. Im Neuen Testament wird einfach behauptet, daß das christologische Urbekenntnis KVQioq 'IijaoOg oder %giarög 'Irjcrovq außerhalb des menschlich möglichen Aussagebereiches liegt (I Kor 12,3). Das muß historisch von daher zu verstehen sein, daß die Übertragung der durch die Septuaginta geprägten Gottesbezeichnung auf die Person Jesu von den Voraussetzungen der theologischen Sprachtradition ebenso ,unmöglich' ist als das historisch fast unerklärliche Zusammenwachsen des Messiastitels mit dem Namen Jesu, für das die Kreuzesinschrift (Mk 15,26 par.) vermutlich den einzig möglichen Anhalt bietet. Für die systematische Betrachtung ist der Kreuzestod weniger als irgendein anderes Ereignis dieser Welt mit der nicht abgrenzbaren Machtvollkommenheit Gottes zusammenzudenken, wie auch die letzte Konfrontation der religiösen Tradition mit dem faktischen Schicksal Jesu in schlagartiger Klarheit verdeutlicht (Mt 2 7 , 3 9 - 4 4 ; M k 1 5 , 2 9 - 3 2 ) . Gerade angesichts dieser Grenze ist jedoch vom christlichen Glauben her die Frage der Denkbarkeit Gottes sorgfältig zu erwägen und differenziert zu beantworten. Insofern die Welt der Sünde immerhin die Welt Gottes und somit gute Schöpfung bleibt und insofern der Mensch als Sünder doch im Bilde Gottes geschaffenes Geschöpf bleibt, wird die Möglichkeit eines theologischen Analogieverfahrens nicht prinzipiell ausgeschlossen werden dürfen. Den Gefahren des Analogiedenkens, in der Theologiegeschichte in vielen Spielarten eindrücklich demonstriert, wird man durch Verbote nicht entrinnen können, sondern nur durch die kritische Schichtung, die in der Doppelperspektive von ->Schöpfung und -»Sünde an die nicht aufhebbare Gebrochenheit alles analogischen Denkens in der Theologie festhält. Die kreuzestheologische Präzisierung der Gotteslehre setzt eine korrekturfähige Gottesvorstellung voraus. Es mag durchaus auch argumentiert werden, daß das menschlich unvermeidbare Projekt einer gedanklichen Bewältigung der Gesamt-

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Gott VIII

Wirklichkeit ohne die Voraussetzung des Gottesbegriffes nicht durchführbar ist. Insofern mag auch die Denkbarkeit Gottes, wenn damit die Denkmöglichkeit oder sogar die Denknotwendigkeit des Gottesbegriffes gemeint ist, behauptet werden. Der Gottesglaube, der einem Menschen angesichts des Kreuzes Jesu abgezwungen wird, ist auch auf eine Denkbarkeit Gottes im aposteriorischen Sinne der Nachdenkbarkeit hingewiesen. Wer im Heiligen Geist Jesus als den Herrn bekennt, wird sich von diesem Bekenntnis her in neuer Weise bemühen müssen, Gott zur Sprache zu bringen. Ohne Paradoxa wird das kaum verlaufen können. Die Paradoxalität ist jedoch eine Kommunikationsmöglichkeit des menschlichen Denkens, auf die die Sprache des christlichen Glaubens nicht verzichten kann. Eine Theologie des Kreuzes ist nur als unauflösbare Einheit von Gotteslehre und Christologie möglich. Die klassische Zwei-Naturen-Lehre der Christologie, die dabei aktualisiert wird, wird dem theologischen Denken durch die Denkfigur der communicatio idiomatum hilfreich sein können. Das Schwergewicht wird dann weniger auf die Unterscheidung der beiden Naturen als auf die Personeinheit Jesu gelegt werden müssen, die gerade durch die volle gegenseitige Mitteilung der Eigenschaften der beiden Naturen bewahrt bleibt. Die Möglichkeit einer hinreichenden und definitiven Bestimmung der Göttlichkeit der göttlichen bzw. der Menschlichkeit der menschlichen Eigenschaften a priori wird dadurch ausgeschlossen; was ,göttlich' und ,menschlich' heißt, weiß der Glaube wahrhaft und mit voller Gewißheit erst auf Grund der Konfrontation mit der Wirklichkeit Jesu Christi. Ohne ein vorläufiges, partiell adäquates Wissen davon wäre diese Konfrontation und die daraus erwachsende Erfahrung gar nicht zur Sprache zu bringen. Mit einem hinreichenden und definitiven apriorischen Wissen - was die volle gedankliche Durchsichtigkeit der beiden Größen ,Gott' und ,Mensch' voraussetzen würde - wäre das Bekenntnis des vere deus - vere horno nichts als die Subsumierung der Wirklichkeit Jesu unter die beiden im voraus feststehenden Kategorien des Göttlichen und des Menschlichen. In beiden Fällen würde die Zwei-Naturen-Lehre insofern fatale Auswirkungen haben, als dadurch ein ernsthaftes Reden von einer theologia crucis ausgeschlossen wäre. 3.5. Theologia

gloriae

Zu Unrecht werden theologia crucis und theologia gloriae als kontradiktorische, einander ausschließende Größen herausgestellt. Ein Gegensatz besteht nur insofern, als die Wirklichkeit der Welt und somit die Wirklichkeit des Kreuzes Jesu Christi zugunsten einer enthusiastischen Vorwegnahme der Herrlichkeit geleugnet wird, indem sich der Mensch in dieser Welt als theologus gloriae etabliert. Gegen die Gefahr einer Aufhebung der Geschichtlichkeit der menschlichen Existenz wird man auf der unbedingten Alternative und auf der Rolle des Kreuzestheologen als die einzig angemessene bestehen müssen. Eben als theologia crucis ist jedoch die Gotteslehre des christlichen Glaubens auf die theologia gloriae hin notwendig ausgerichtet. Die Verborgenheit Gottes in dieser Welt ist die vorläufige Verborgenheit der Verheißung, die in der kommenden Welt von dem Schauen Gottes von Angesicht zu Angesicht ersetzt werden wird. Der konsequenten Hervorhebung der Unsichtbarkeit Gottes in dieser Welt entspricht in der Heiligen Schrift eben die Verheißung der unmittelbaren Begegnung von Angesicht zu Angesicht, wobei die visio beatifica geradezu als der Inbegriff des verherrlichten Seins des Menschen erscheinen mag (Mt 5,8; I Kor 13,12). Die Spannung dieser theologischen Verheißungsstruktur kommt auch im Gegenüber vom kategorischen ,kein Mensch kann mich sehen und am Leben bleiben' (Ex 33,20) und der ebenso kategorischen Zukunftsvision der kommenden Lebenswirklichkeit als die unmittelbare, persönliche Gegenwart Gottes unter den Menschen (Apk 21,3 f) zum Vorschein. Ohne die auf der Auferweckung Jesu (-»Auferstehung) gegründete und auf die Auferstehung der Toten ausgerichtete Hoffnungsstruktur des christlichen Glaubens (vgl. I Kor 15,12ff), wird die Theologie der Verborgenheit in die Leere der Abstraktionen versinken. Wer Gott ist, wird den Menschen nicht für immer sub contrario verborgen bleiben; wenn

G o t t VIII

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G o t t definitiv als derjenige sichtbar wird, der das Nicht-Seiende ins Sein ruft, wird jeder Mensch in seiner wahren Identität im Urteil Gottes offenbar werden. Angesichts der eschatologischen H o f f n u n g s s t r u k t u r des Glaubens wird deutlich, d a ß die Sprache des christlichen Glaubens der a n t h r o p o m o r p h e n Redeweise nicht entbehren kann. Das ant h r o p o m o r p h e Reden vom Schauen Gottes, von der Einwohnung Gottes, von der Abwischung der Tränen usw. darf nicht als eine uneigentliche oder unangemessene theologische Sprache angesehen werden, die dann durch eine eigentliche, der Gottheit Gottes angemessene Begrifflichkeit zu ersetzen wäre. Vielmehr ist es gerade die eigentliche, der Situation und dem Gegenstand des theologischen Redens zugleich angemessene Redeweise, um G o t t gegenwärtig zur Sprache zu bringen. Eben die Reinheit des Glaubens an Gott, ihre exklusive Ausrichtung auf die Gottheit Gottes, wird gegenwärtig durch die Konzentration aller Aufmerksamkeit auf das erfahrungsdichte, konkret bildhafte von ,Angesicht zu Angesicht', die Grundsituation der personalen Begegnung, w a h r g e n o m m e n . Die eschatologische Ausrichtung der christlichen Glaubenssprache weist jedoch notwendigerweise auch auf eine nicht zu durchbrechende Grenze der Gotteslehre hin: Die Wirklichkeit des Todes. D a ß der Tod als die alle menschlichen Bande zerreißende Gemeinschaftsvernichtung der letzte, noch nicht definitiv entmächtigte Feind Gottes ist (I Kor 15,26), bringt in apokalyptischer Sprache gerade den eschatologischen Vorbehalt zum Ausdruck, unter dem alle theologischen Aussagen des Glaubens stehen. Von der zukünftigen, bleibenden Lebensgemeinschaft der Menschen mit Gott in der Herrlichkeit wissen wir diesseits des Todes ebensoviel oder ebensowenig, wie das Kind im Mutterleibe von seinem zukünftigen, nach der Geburt wartenden Leben weiß. Die rätselhaften Umrisse, die wir erkennen (1 Kor 13,12), weisen jedoch d a r u m in Richtung auf das Schauen Gottes von Angesicht zu Angesicht hin, weil die vom Erfahrungsbereich der personalen Begegnung gezogene Relationsanalogie die einzige tragfähige Aussagemöglichkeit eröffnet, die geglaubte Kontinuität der Gottesgemeinschaft zum Ausdruck zu bringen. Vom Gesichtspunkt des homo huius vitae her gesehen, kann diese Kontinuität der Lebensgemeinschaft mit Gott allein in dem durch das Werk Jesu Christi verbürgten Heilswillen Gottes zugänglich sein. So wird das Vertrauen auf die verheißene Lebensgemeinschaft auch nicht als Vorwegnahme der theologia gloriae, sondern nur als andeutender Hinweis auf die Situation der theologia gloriae zur Sprache k o m m e n können; ohne das totaliter aliter des eschatologischen Vorbehaltes wird diese Situation im Horizont des Vorletzten nicht signalisiert werden können. 3.6. Cognitio

Dei et

hominis

Von entscheidender Wichtigkeit bleibt, insofern christliche Gotteslehre im Spannungsbogen von theologia crucis und theologia gloriae gesehen wird, die unauflösbare Zusammengehörigkeit von Theologie und Anthropologie. Die Unauflösbarkeit dieser Zusammengehörigkeit stellt eine grundlegende Wahrheitsforderung an alle Gottesaussagen und alle anthropologischen Aussagen der christlichen Glaubenssprache. Jede Aussage von Gott oder von dem Menschen, die dieser Zusammengehörigkeit nicht Rechnung trägt oder die darin geforderte gegenseitige H i n o r d n u n g nicht mitreflektiert, ist eine theologisch nicht verantwortbare Aussage. Diese G r u n d f o r d e r u n g setzt die erfahrungsbezogene religiöse Einsicht voraus, d a ß cognitio sui und cognitio Dei einander begleiten und wesenhaft aufeinander bezogen sind; ohne Selbsterkenntnis des Menschen keine wahre Gotteserkenntnis, ohne Erkenntnis Gottes keine wahre Selbsterkenntnis. Das bedeutet nicht - gerade eben nicht - , daß das Reden von G o t t in dem Reden vom Menschen aufzugehen hätte, d a ß Gottesaussagen nur in der Gestalt von Selbstaussagen zulässig wären, d a ß Gott nur als eine Art Mitmenschlichkeit oder als ein Geschehen im Erfahrungsbereich des Zwischenmenschlichen zu bezeichnen wäre. Dagegen läßt sich weithin in überzeugender Weise ganz allgemein argumentieren; als Identifikationen Gottes verstanden, würden solche Formeln, jedenfalls wenn sie mit einem Ausschließlichkeitsanspruch aufträten, jedes ernsthafte Reden von einer Relationalität Gottes untergraben.

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Gott V i l i

Ohne ein vor-relationales Sein Gottes wäre sinnvollerweise nichts von einem relationalen Sein Gottes zu sagen. D a ß vom vor-relationalen Sein Gottes inhaltlich nichts Positives ausgesagt werden kann, ändert daran nichts, daß ein solches vorausgesetzt und behauptet werden muß, wenn Gottesaussagen überhaupt einen Sinn haben sollen. O h n e diese Voraussetzung läßt sich eine notwendige Zusammengehörigkeit von Theologie und Anthropologie gar nicht behaupten. Analog wäre auch, was die Sprache der Mitmenschlichkeit betrifft, die Notwendigkeit der Voraussetzung eines vor-relationalen Seins des menschlichen Individuums zu behaupten. In einem Zeitalter, das dazu neigt, die Gesellschaft als den äußersten sinngebenden Horizont jedes menschlichen Lebens zu betrachten, muß unbedingt daran festgehalten werden, daß für echte Mitmenschlichkeit eine unverwechselbare Eigenart und ein unermeßlicher Eigenwert jedes menschlichen Lebens vorauszusetzen ist. D a ß die Möglichkeit positiver inhaltlicher Aussagen darüber verschlossen bleibt, ändert daran wiederum nichts. M e h r als rein formaliter wird die Unauflöslichkeit dieser Zusammengehörigkeit von Theologie und Anthropologie jedoch erst von der Christologie her einsichtig. Indem Jesus als wahrhaft G o t t und wahrhaft Mensch bekannt wird, erschließt sich dem Glauben erst der volle Sinngehalt der beiden Vokabeln , G o t t ' und ,Mensch'. Das Christusbekenntnis hebt in dieser seiner klassischen Form die einfache, traditionelle Logik des Gegensätzlichen im Bereich der Religion auf: Was göttlich ist, ist per definitionem nicht menschlich, was menschlich ist, ist nicht göttlich. Das vere deus - vere homo ist eben nicht als Kompromißformel im Sinne eines ,teils göttlich - teils menschlich', sondern im Sinne einer paradoxen M a x i m a l f o r m e l - ,ganz und gar und ohne Vorbehalt G o t t ' - ,ganz und gar und ohne Vorbehalt M e n s c h ' - zu verstehen. Von einem ganz bestimmten Menschen ausgesagt, weist diese Formel in Richtung auf eine faktisch geschehene Eröffnung der verschlossenen Möglichkeit einer ,inhaltlichen' Identifikation des deus absconditus und des homo absconditus in einem hin. Diese Eröffnung bleibt dem Glauben jedoch auf die eschatologische Vollendung hin ausgerichtet. D a ß Jesus die definitive Wahrheit von G o t t und vom Menschen ist, wird niemandem einsichtig werden können, der nicht zugleich vom Heiligen Geist sich selbst als ein Sünder offenbar gemacht worden ist. Wahres Menschsein gibt es ohne die Gerechtigkeit Gottes nicht. Das Menschsein, das der Glaube von Jesus aussagt, ist unser zerstörtes, durch ihn wieder aufgerichtetes, in der Zusage des Evangeliums verheißenes Menschsein in der Gemeinschaft Gottes.

3.7. Die Personhaftigkeit

Gottes

Der Gott der Bibel ist nur in anthropomorpher, der Mensch der Bibel nur in theomorpher Sprache sachgemäß zum Ausdruck zu bringen. Insofern die Theologie der - » S c h ö p fung in die Lehre vom Menschen - M a n n und Frau (Gen 1,27) - als das Abbild Gottes und die Eschatologie in die Lehre von der visio beatifica, d. h. von der vollen und unmittelbaren personalen Gemeinschaft der Menschen - von Angesicht zu Angesicht - mit G o t t mündet, ergibt sich das von selbst. Die endliche Rechtfertigung einer anthropomorphen theologischen Sprache wird jedoch, vom Standpunkt des christlichen Glaubens her gesehen, wiederum aus dem Christusbekenntnis der Sünder herzuleiten sein. Insofern Jesus Christus das wirkliche, ungebrochene Abbild Gottes ist, wird die Personhaftigkeit Gottes erst endgültig bestätigt. Das heißt dann auch, daß die Gottesfrage nur indirekt den Charakter der Seinsfrage haben kann. Indem alles Seiende von G o t t abhängig ist, kann G o t t auch durch das Reden vom Sein des Seienden zur Sprache gebracht werden. An die die Drohung des Nihilismus immer wieder überwindende Erfahrung der M a c h t zum Sein in allem Seienden wird die Sprache des christlichen Glaubens durchaus anknüpfen dürfen. Bei allem berechtigten Gebrauch der ontologischen Redeweise in der Theologie ist jedoch daran festzuhalten, daß ein ontologisches Reden von G o t t unter keinen Umständen als das der anthropomorphen theologischen Sprache gegenüber eigentliche' Reden zu bewerten ist. Vielmehr ist das ontologische Reden theologisch erst recht als ein uneigentliches zu verstehen. Als ,eigentlich' ist theologisch die Anrede Gottes anzusehen; das Ruf-

Gott V i l i

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wort Gott, in dem sich die geheimnisvolle Personalität eines Menschen in äußerster Kürze verbal hörbar macht, weist eindeutig auf ein Du hin, angesichts dessen sich der Mensch erst als ein unverwechselbares Ich weiß. Die Grundsituation des -»Gebets, aus der alle ernsthafte Theologie kommt und in die alle ernsthafte Theologie wieder einmündet, setzt schon ein Betroffensein des Menschen voraus. Um Gott als ein Du anrufen zu können, muß sich der Mensch zuerst als ein von Gott angeredetes Du erfahren haben. Theologische Anthropologie wird hier vom Menschen als —»Gewissen reden müssen, und zwar vom Menschen als geängstigtem Gewissen. Die unabgrenzbare Verantwortlichkeit des Menschen, im permanenten, unentrinnbaren Gefordertsein der menschlichen Existenz erkennbar - ganz unabhängig davon, inwiefern sie von den einzelnen Individuen faktisch auch zur Kenntnis genommen w i r d - , darf als Hinweis auf die personale Integrität aller Menschen als Geschöpfe Gottes zu interpretieren sein. Wegen des verletzten Lebens seines Bruders wird der Mensch jederzeit von Gott zur Rechenschaft gefordert (Gen 4,9ff), weil die Integrität jeder menschlichen Person in dem Sinne Sache Gottes ist, so daß die Verletzung derselben eine Verletzung der Ehre Gottes ist. In voller Schärfe wird dieser Zusammenhang von Ehre Gottes und Integrität jedes Menschen in der Verkündigung Jesu zur Sprache gebracht, vor allem im Gleichniswort vom kaiserlichen Steuergeld (Mk 12,17 par.), das die Gottebenbildlichkeit des Menschen (Gen 1,26f), dahin interpretiert, daß das —>Bild Gottes dem Menschen so eingeprägt worden ist, daß jeder Mensch die unverwischbare Aufschrift Gottes trägt. Dadurch wird ganz unmißverständlich eine besondere ethische Qualifizierung der personhaften Wirklichkeit zum Ausdruck gebracht: Im Bereich des Dinghaften mag alles Kaufen und Verkaufen erlaubt sein, im Bereich des Personhaften ist es niemandem erlaubt, sich selbst oder einen anderen Menschen irgendeiner weltlichen Instanz zu verkaufen oder seinerseits unbegrenzte Verfügungsmacht über Menschen zu akzeptieren. Dem Kaiser kann der Mensch unter keinen Umständen gehören, einfach weil er Gott gehört. Die Integrität der menschlichen Person läßt sich empirisch als eine unbedingt zu respektierende Grenze nicht begründen, wie sich der Personbegriff einer klaren Definition überhaupt entzieht. Die theologische Interpretation des menschlichen Personseins als Reflex der Personhaftigkeit Gottes löst das Rätsel nicht auf; im Rufwort Gott mag jedoch die Person des Menschen als geborgen geglaubt werden. 3.8. Liebe

Gottes

„Die Liebe Gottes findet ihren Gegenstand nicht vor, sondern schafft ihn sich. Die Liebe des Menschen entsteht an ihrem Gegenstand." Mit dieser doppelten Feststellung hat Luther seine Thesenreihe zur Kreuzestheologie Heidelberg 1518 abgeschlossen (WA 1,365; hier die Übersetzung von G . Merz: Martin Luther, Ausgewählte Werke, München 3 1 9 6 3 , 1 , 1 3 7 ) . In den Erläuterungen wird die zweite Hälfte der These als allgemein anerkannte Wahrheit der philosophischen Anthropologie dahin präzisiert, daß sich das natürliche menschliche Empfinden immer von dem Sichtbaren beeindrucken läßt, d.h. von dem, was ihm als Gutes und Wahres attraktiv erscheint. Die erste Hälfte wird in zweifacher Hinsicht näher bestimmt; was den menschlichen Gegenstand betrifft, durch die Feststellung, daß Sünder nicht darum geliebt werden, weil sie attraktiv sind, sondern darum attraktiv sind, weil sie von Gott geliebt werden; was die göttliche Liebe betrifft durch die Identifikation derselben als amor crucis ex cruce natus, die Liebe des Kreuzes, die aus dem Kreuz geboren ist. Im Hintergrund dieser Kontraponierung von göttlicher und menschlicher Liebe steht, was die Ausdrucksweise ganz deutlich verrät, das biblische Zentralthema der Unparteilichkeit Gottes, die sich in der Welt der zwischenmenschlichen Relationen immer wieder als Parteinahme zugunsten des Nicht-Angesehenen und Verachteten durchsetzen muß. Im strikten Sinne des Wortes geht es dabei um einen theologischen Grundsatz - Gott schaut nicht auf die Person (Gal 2,6; Act 10,34), Gott richtet ohne Ansehen der Person (Rom 2,11), d.h. eine Aussage, die der Identifikation Gottes dient. Besonders deutlich tritt das I Petr 1,17 hervor, wo das Urteilen ohne Ansehen der Person

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Gott VIII

geradezu als das Unterscheidungsmerkmal des als ,Vater' anzurufenden Gottes herausgestellt wird, vor allem aber an der klassischen Stelle Dtn 10,17ff: „Der Herr, euer Gott, ist der Gott über allen Göttern und der Herr über den Herren. Er ist der große Gott, der Held und der Furchterregende. Er läßt kein Ansehen gelten und nimmt keine Bestechung an. Er liebt die Fremden und gibt ihnen Nahrung und Kleider - auch ihr sollt die Fremden lieben, denn ihr seid Fremde in Ägypten gewesen." Die Unparteilichkeit der Liebe ist somit das Kennzeichen von Gottes Handeln mit seiner gefallenen Schöpfung; durch seine tätige, die Erwartungen und Verhaltensweisen der weltlichen Parteilichkeit des Ansehens zuwiderlaufende Liebe ist Gott bis in den Kreuzestod hinein in dieser Welt gegenwärtig. So und nicht anders ist er als ,Gott mit uns' zu identifizieren und zu verehren (Jes 7,14; Mt 1,23). Gott ist nicht eine Art der Mitmenschlichkeit. Für den christlichen Glauben steht nichtsdestoweniger insofern die Mitmenschlichkeit im Zentrum des Universums, als sie Gott durch seine schöpferische Liebe als Tatsache und Forderung zugleich gesetzt hat. Weil Gott in seinem Handeln den Menschen - ohne Ansehen der Person - im Zentrum seines Universums den Platz geschenkt hat, besteht für jeden Menschen auch die ethische Grundforderung, seinen Mitmenschen als perspektivisches Zentrum seines Universums zu akzeptieren. Weil Gott die Mitmenschlichkeit durch sein Handeln verwirklicht hat, ist jede Verletzung der Nächstenliebe zugleich als Verletzung des ersten Gebotes zu verstehen. So ist die Anthropozentrizität, die auf dem Hintergrund der religiösen Tradition als ein augenfälliges Merkmal der Verkündigung Jesu hervortritt (vgl. z.B. das Wort vom Sabbat, Mk 2,27; das Wort von der Tempelgabe, M k 7,9 ff par.; das Wort vom Altardienst, M t 5,23) gerade die sachgemäße, weil theozentrische Interpretation des ersten Gebotes. Die Untrennbarkeit von Gottesliebe und Nächstenliebe (Mk 12,28 ff par., beachte die lukanische Präzisierung durch die Erzählung vom barmherzigen Samariter!) und die Entlarvung einer Gottesliebe ohne Bruderliebe als eine religiöse Selbsttäuschung (I Joh 4,19ff), sind in dieser Perspektive gesehen eben als Identifikationen Gottes zu bewerten. Theozentrisch, d . h . von der schöpferischen Liebe Gottes her, die alle Sünder ohne Unterschied attraktiv macht und ihnen somit den Weg der wahren Mitmenschlichkeit eröffnet, kann ein Gegensatz von Gottesliebe und Nächstenliebe gar nicht aufkommen. Als Kriterium theologischen Redens gilt dem christlichen Glauben daher: Wer das Gebot der Gottesliebe gegen das Gebot der Nächstenliebe oder umgekehrt das Gebot der Nächstenliebe gegen das Gebot der Gottesliebe ins Feld führt, verfehlt einfach die Wirklichkeit, indem er von einem anderen Gott als dem schlechthin Liebenden und von einem anderen Menschen als dem schlechthin Geliebten redet. O b die Verfehlung der Wirklichkeit in der Gestalt einer theistischen oder in der Gestalt einer atheistischen Daseinsdeutung zur Sprache gebracht wird, macht dabei theologisch keinen wesentlichen Unterschied aus. Die Subjektivität Gottes und die Subjektivität des Menschen sind als alternative, einander gegenseitig ausschließende Ansätze des theologischen Denkens ebensowenig wie eine einfache Alternative von absoluter Theologie und absoluter Anthropologie als sinnvoll zu akzeptieren. Das geheimnisvolle Ich-Sein Gottes, in Jesus Christus als amor crucis ex cruce natus geoffenbart, schließt das Ich-Sein jedes Menschen nicht aus, sondern ein. Es geht dabei um ein sprachliches Urdatum, das nicht mehr aufzuteilen oder durch etwas anderes zu erläutern ist. Wer ,ich' bin, bleibt in dieser Welt verborgen, was Begrenzung und Verheißung zugleich ist. Ohne die Begrenzung wäre keine andere menschliche Würde als die relative Würde der Weltpersonen wahrzunehmen, ohne die Verheißung keine volle und bleibende Gemeinschaft in der Liebe Gottes zu erhoffen. 3.9. Tod

Gottes

Den Tod Gottes als Frohbotschaft zu proklamieren, ist keine Erfindung des 19 Jh. Wenn -»Nietzsche den durch menschliche Leistung herbeigeführten Tod Gottes als die geschichtliche Voraussetzung wahrhaft menschlichen Lebens verkündigt, ist das geistesgeschichtlich nur als Transformierung des ureigensten Themas des christlichen Glaubens

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G o t t VIII

verständlich. Zugleich kündigt sich eine zunehmende Verharmlosung der Thematik an, insofern ,Tod Gottes' im Horizont der M o d e r n i t ä t nichts als die Kehrseite der weltanschaulichen Inthronisierung des freien, in seiner Eigenmächtigkeit durch nichts mehr beschränkten Menschen ist. Im R a h m e n der Alternative von absoluter Theologie und absoluter Anthropologie wird die Feststellung des Todes Gottes letztlich nur als Legitimation der restlosen Übertragung traditioneller Gottesattribute auf den Menschen aktuell sein. Interessant ist die Feststellung dann höchstens als Symptom des gesellschaftlichen Herrschaftsanspruches einer eindimensionalen, säkularistischen Daseinsdeutung. Eine Theologie, die sich auf solche Prämissen als eine Theologie des Todes Gottes etablieren wollte, wäre ein verfängliches, im besten Falle ein überflüssiges Unternehmen kulturpolitischer Art. Doch bleibt das unbewältigte Problem des -»Todes auf der Tagesordnung der säkularen -»Gesellschaft, und es bleibt in der Sprache des christlichen Glaubens notwendigerweise dabei, d a ß Gott und Tod im Tode Jesu ein f ü r allemal ebenso unlösbar verbunden worden sind, wie in der elementaren Erfahrungswelt Mensch und Tod miteinander verbunden sind. Um dieselbe oder eine strukturähnliche Art der Verbundenheit geht es in den beiden Fällen jedoch nicht; vom Tode eines Menschen redet die erfahrungsbezogene Alltagssprache ganz selbstverständlich, vom Tode Gottes kann sprachlich nur als eine contradictio in adjecto geredet werden. Eben als contradictio - Gott und Tod sind schlechterdings nicht zusammenzudenken - kennt der christliche Glaube den Tod Gottes als Frohbotschaft. Nicht den Tod Gottes, sondern den Fluchtod des Sünders stirbt Jesus am Kreuz (Gal 3,13), und dadurch wird dem Tod des Menschen von innen her sein Stachel genommen (I Kor 15,55 f). Insofern der christlichc Glaube Jesus als w a h r h a f t Gott und w a h r h a f t Mensch bekennt, wird er der H ä r t e dieser contradictio nicht entweichen können und auch nicht entweichen wollen; zugunsten der zum Tode Seienden wird im Tode Jesu der unentrinnbare Tod des Menschen wirklich der Tod Gottes. Anders als durch die schlichte Feststellung ,Gott selbst ist tot' kann die N o t des Karfreitags dann auch nicht zur Sprache gebracht werden, wenn die Lebensfreude des Ostertages in seinen Tiefendimensionen freigelegt werden soll. Menschlich bleibt die Erfahrung des Todes die elementare Erfahrung des Nicht-MehrMöglichen; gegenüber den Toten ist nichts mehr wieder gut zu machen, und angesichts des eigenen Todes sind keine Möglichkeiten des Lebens mehr zu verwirklichen. Weil uns der Tod nicht nur ein biologisches Phänomen, sondern zugleich auch die unerbittliche Grenze der Mitmenschlichkeit ist, könnte der an Jesus gebundene Glaube Gott nicht ohne den Sieg über den Tod zur Sprache bringen. Das käme, wie ein Z u s a m m e n b r u c h des Beziehungsbogens von der Auferweckung des Gekreuzigten auf die Auferstehung der Toten hin, auf ein Sprachloswerden des Glaubens hinaus (I Kor 15,14), was dem Tod das letzte Wort zuerkannt hätte. Als Grenze der Kommunikation, als ,Lohn der Sünde' ist unser Tod jedoch durch den Tod Gottes entmächtigt worden; durch die Teilhaftigkeit des Todes Jesu in der Taufe empfängt der Glaube dagegen als Gabe Gottes ,das ewige Leben in Christus Jesus, unserem H e r r n ' (Rom 6,23). 3.10. Alles in allem - die Wiederbringung glaubens

als assertorische

Grenzaussage

des

Gottes-

Die Weltrelation des Menschen läßt sich sachgemäß und erschöpfend in der Sprachgestalt der Relativitäten vermitteln. Als ,Weltperson' gehört jeder Mensch dem Bereich der Relativitäten und Approximationen zu, in welchem alles um Mehrwertiges und Minderwertiges, um Gradunterschiede der Wahrscheinlichkeit oder Unwahrscheinlichkeit, Glaubwürdigkeit oder Unglaubwürdigkeit geht. Die Notwendigkeit der Unterscheidung von Gottesrelation und Weltrelation erkennt man a m einfachsten d a r a n , d a ß die Gottesrelation durch approximative Aussagen schlechterdings nicht zur Sprache zu bringen ist. Als bloße Steigerungen approximativer Aussagen verstanden, würden Gottesattribute wie ,Allmacht', ,Allwissen', .Unfehlbarkeit' die Relation Mensch - Gott weder sachge-

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G o t t VIII

m a ß noch erschöpfend zur Sprache bringen, einfach weil es in dieser Relation um den Menschen als Gewissen und darum auch um Aussagen der vollen Gewißheit geht. Ein ernsthafter Gottesglaube meldet sich sprachlich als kategorische Gewißheit zu Wort; das Vertrauenselement (fiducia) verträgt sich mit dem kognitiven Element des Glaubens (notitia) nur durch die assertorische Aussage. Was der Glaube von Gott aussagt, sagt er in der Gestalt kategorischer Behauptungen. Weil die Gottesaussagen nicht im Sinne der Welterkenntnis als Aussagen über ein vorfindliches Phänomen zu verstehen sind, sind sie sprachlich auch nicht als verifizierbare Faktizitätsaussagen zu handhaben. Als solche wären sie unter allen Umständen als falsch anzusehen; wenn G o t t nicht existiert, sind sie gegenstandslos, wenn er existiert, irreführend, weil der Gottheit Gottes unangemessen. D a r u m dürfen die assertorischen Behauptungssätze des Gottesglaubens wesenhaft als doxologische Aussagen verstanden werden, Aussagen, die G o t t nicht als etwas Vorfindliches registrieren oder an etwas anderem messen, sondern durch die sich der Redende als Gewissen der Wahrheit Gottes stellt. Tendenziell sind die doxologischen Gottesaussagen immer Aussagen der Glaubensgemeinschaft der Angefochtenen, in denen die Wahrheit Gottes dadurch stellvertretend für die ganze Schöpfung zur Sprache gebracht wird, daß sich Menschen gemeinsam in reinem, dankbarem Lobpreis als Geschöpfe Gottes hörbar wahrnehmen. Die Notwendigkeit der Unterscheidung von Weltrelation und Gottesrelation und der assertorische Charakter der Gottesaussagen treten angesichts des Todes besonders scharf hervor. Wo die erfahrungsbezogene Sprache der menschlichen Weltrelation an der Grenze des Todes zum Schweigen gebracht wird, sind die assertorischen Gottesaussagen des Glaubens standfest; in der Anfechtung des Menschen als Gewissen hört der Lobpreis Gottes als ,dem, der die Toten lebendig macht und das, was nicht ist, ins Dasein ruft' ( R o m 4,17), nicht auf. Gerade angesichts der Erfahrung des Todes als einer definitiven Grenze der Weltrelation des Menschen, erweitert sich die doxologische Perspektive des Gottesglaubens auf die assertorischen Aussagen der alle Wirklichkeit umschließenden Selbstidentifikation Gottes hin: ,Ich bin das Alpha und das Omega, spricht G o t t , der Herr, der ist und der war und der k o m m t , der Herrscher über die ganze Schöpfung' (Apk 1,8). Als Reflexe der Selbstidentifikation Gottes bringen die doxologischen Aussagen des Glaubens die Gewißheit zur Sprache, daß die Gottesrelation mit der Weltrelation des Menschen nicht aufhört; was der Welt durch den Tod eines Menschen definitiv entzogen wird, kann wegen der Menschenrelation der definitiven Selbsthingabe Gottes in Jesus Christus dem Gericht und der Barmherzigkeit des Schöpfers nicht entzogen sein, - was alles Urteilen der Welt zunichte macht. Als Doxologie verstanden, kann die Sprache des christlichen Glaubens die Grenzaussage der Wiederbringung aller Dinge nicht vermeiden. D a ß G o t t zuletzt alles in allem sein wird (I Kor 15,28), ist dann jedoch nicht als das Endstadium des sich entfaltenden Geschichtsprozesses, sondern als die apokalyptische Verwirklichung des Herrseins Jesu zu verstehen. So geht es in dieser letzten assertorischen Grenzaussage des christlichen Glaubens eben nicht um eine Lehre von der Wiederbringung, d. h. um eine Doxologie der Welt, sondern um Theologie im strikten Sinne des Wortes, d . h . um den Lobpreis Gottes. Am besten ließe sich das vielleicht auf die schöne Formel von Chr. G o t t l o b Barth ( 1 7 9 9 - 1 8 6 2 ) bringen: „Wer an die Wiederbringung nicht glaubt, ist ein Ochs; wer sie aber lehrt, der ist ein E s e l " . Literatur Die Hinweise sind auf Literatur des 2 0 . J h . b e s c h r ä n k t . Für die früheren Epochen und Verf. siehe die Lit.hinweise zu den betreffenden Artikeln. Für m o d e r n e Lit. vgl. auch die Lit.angaben zu - » A t h e ismus und zu - » T h e o l o g i e . J . Alexander, M e t a p h o r and O n t o l o g y : Sophia 2 / 3 (1963) 1 2 - 1 8 . - Paul Aichaus, Die christl. Wahrheit, Gütersloh 6 1 9 6 3 . - T h o m a s J . J . Altizer, T h e Gospel of Christian Atheism, Philadelphia 1966. - D e r s . / W i l l i a m H a m i l t o n (Hg.), Radical T h e o l o g y and the D e a t h of G o d , I n d i a n a p o l i s / N e w York 1966. - J a m e s F. A n d e r s o n , N a t u r a l T h e o l o g y . T h e M e t a p h y s i c s of G o d , M i l w a u k e e 1967. -

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Gottesbeweise I

Theol. Z u r Wahrheit der Rede v. G o t t , 1982 (BEvTh 91). - J o h n B. "Wilson, Religious Assertions: H i b J 5 6 (1957) 1 4 8 - 1 6 0 . - Ders., Language and Christian Belief, London 1958. - Ludwig Wittgenstein, Phil. Unters., O x f o r d 1958. - Ders., Vorlesungen über den rei. Glauben: ders., Vorlesungen u. Gespräche über Ästhetik, Psychologie u. Religion, hg. von C. Barret, Göttingen 1971, 8 7 - 1 1 0 . Sturm Wittschier, Paul Tillich. Seine Pneuma-Theol. Ein Beitr. zum Problem Gott u. Mensch, Nürnberg 1975. - M a r c e l Xhaufflaire, Feuerbach u. die Theol. der Säkularisation, München 1972. - Heinz Z ä h m t , Die Sache mit G o t t . Die prot. Theol. im 2 0 Jh., München 1972. - Ders., Gott kann nicht sterben. Wider die falschen Propheten in Theol. u. Gesellschaft, München 1973. - Willem Fr. Zuurdeeg, An analytical Philosophy of Religion, London 1959. - Ders., T h e Nature of Theological Language: J R 4 0 (1960) 1 - 8 .

Inge Lonning Gottebenbildlichkeit -»Bild Gottes, —»Schöpfer/Schöpfung Gottesbeweise I. Judentum II. Mittelalter III. Systematisch/Religionsphilosophisch

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I. Judentum 1. Hebräische Bibel 2. Midrasch 3. Saadja ben Josef al-Fajjumi 4. Jeshua ben Juda 5. Bachja ben Josef ibn Paquda 6. Josef ibn Zaddik 7. A b r a h a m ibn Daud 8. M o s e ben Maimon 9. Baruch Spinoza 10. Moderne jüdische Theologie (Quellen/Literatur S. 723) Gottesbeweise im formalen Sinne finden sich in der Geschichte des jüdischen religiösen Denkens, mit der möglichen Ausnahme von -»Philo, erstmals bei Saadja. Es gibt zahlreiche biblische und klassische rabbinische Texte, die als Argumente für den Glauben an - » G o t t gelesen werden können, aber bei keinem von ihnen handelt es sich um formale Beweise.

1. Hebräische

Bibel

Der folgende Spruch bei Jesaja ( 4 0 , 2 1 - 2 6 ) kann als Beispiel für die Art der Argumentation dienen, durch die man sich in der hebräischen Bibel der Existenz des Gottes Israels versichert: „Wißt ihr es nicht, hört ihr es nicht? Ist es euch nicht von Anfang her verkündet? Habt ihr es nicht begriffen von der Gründung der Erde her? Der da sitzt über dem Kreis der Erde, daß ihre Bewohner wie Heuschrecken sind, der den Himmel ausbreitete wie einen Schleier und ihn ausspannte wie ein Zelt zum Wohnen, der da Fürsten zunichte macht und Richter der Erde zu einem Nichts m a c h t . . . : Wem wollt ihr mich denn vergleichen, daß ich wäre wie er? spricht der Heilige. Erhebt eure Augen zur Höhe und schaut: Wer hat diese geschaffen? Er, der ihr Heer herausführt nach der Zahl, sie alle mit Namen ruft. Ihm, der groß ist an Kraft und stark an M a c h t , bleibt nicht eines aus." Faktisch entwickelt Jesaja hier eine Vorform des Gottesbeweises aus der zweckmäßigen Ordnung der Welt: Wer die Ereignisse der Natur beobachtet, die politische Menschengeschichte studiert und beide zu verstehen sucht, kann nur zu dem Schluß gelangen, daß es einen Gott Israels gibt, der ihre letzte Ursache ist. Doch wird dieser Gedanke nicht als formales Argument vorgetragen. Im allgemeinen wird die Existenz Gottes in den Texten der Bibel als selbstverständlich vorausgesetzt, weil sie entweder unmittelbar durch Erfahrung, nämlich durch wahrhaft prophetische Visionen, oder mittelbar durch die Berichte jener Propheten bekannt ist. In der Welt der Bibel, in der viele Israeliten häufigen unmittelbaren Kontakt zu ihrer Gottheit hatten, war ein Beweis der Existenz dieses Wesens nicht erforderlich. In rabbinischer Zeit dagegen ( -»Judentum) setzte sich das Bewußtsein durch, daß der Gott Israels der Gott der Welt sei. Israeliten mögen unmittelbaren Kontakt zu ihrem Gott haben, insofern er ihr Gott ist, aber kein Individuum kann direkten Kontakt zu Gott, dem Herrscher der ganzen Welt haben. Daß der Gott Israels existiere, wurde durch die Begegnung der Juden mit ihrer Gottheit in - » O p f e r und - » G e b e t täglich bezeugt, aber daß Israels Gott auch der Herr der Welt sei, konnte durch keine Erfahrung dieser Art verifiziert werden. Daher begannen in der rabbinischen Zeit einige Juden indirekte Be-

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Gottesbeweise I

Theol. Z u r Wahrheit der Rede v. G o t t , 1982 (BEvTh 91). - J o h n B. "Wilson, Religious Assertions: H i b J 5 6 (1957) 1 4 8 - 1 6 0 . - Ders., Language and Christian Belief, London 1958. - Ludwig Wittgenstein, Phil. Unters., O x f o r d 1958. - Ders., Vorlesungen über den rei. Glauben: ders., Vorlesungen u. Gespräche über Ästhetik, Psychologie u. Religion, hg. von C. Barret, Göttingen 1971, 8 7 - 1 1 0 . Sturm Wittschier, Paul Tillich. Seine Pneuma-Theol. Ein Beitr. zum Problem Gott u. Mensch, Nürnberg 1975. - M a r c e l Xhaufflaire, Feuerbach u. die Theol. der Säkularisation, München 1972. - Heinz Z ä h m t , Die Sache mit G o t t . Die prot. Theol. im 2 0 Jh., München 1972. - Ders., Gott kann nicht sterben. Wider die falschen Propheten in Theol. u. Gesellschaft, München 1973. - Willem Fr. Zuurdeeg, An analytical Philosophy of Religion, London 1959. - Ders., T h e Nature of Theological Language: J R 4 0 (1960) 1 - 8 .

Inge Lonning Gottebenbildlichkeit -»Bild Gottes, —»Schöpfer/Schöpfung Gottesbeweise I. Judentum II. Mittelalter III. Systematisch/Religionsphilosophisch

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I. Judentum 1. Hebräische Bibel 2. Midrasch 3. Saadja ben Josef al-Fajjumi 4. Jeshua ben Juda 5. Bachja ben Josef ibn Paquda 6. Josef ibn Zaddik 7. A b r a h a m ibn Daud 8. M o s e ben Maimon 9. Baruch Spinoza 10. Moderne jüdische Theologie (Quellen/Literatur S. 723) Gottesbeweise im formalen Sinne finden sich in der Geschichte des jüdischen religiösen Denkens, mit der möglichen Ausnahme von -»Philo, erstmals bei Saadja. Es gibt zahlreiche biblische und klassische rabbinische Texte, die als Argumente für den Glauben an - » G o t t gelesen werden können, aber bei keinem von ihnen handelt es sich um formale Beweise.

1. Hebräische

Bibel

Der folgende Spruch bei Jesaja ( 4 0 , 2 1 - 2 6 ) kann als Beispiel für die Art der Argumentation dienen, durch die man sich in der hebräischen Bibel der Existenz des Gottes Israels versichert: „Wißt ihr es nicht, hört ihr es nicht? Ist es euch nicht von Anfang her verkündet? Habt ihr es nicht begriffen von der Gründung der Erde her? Der da sitzt über dem Kreis der Erde, daß ihre Bewohner wie Heuschrecken sind, der den Himmel ausbreitete wie einen Schleier und ihn ausspannte wie ein Zelt zum Wohnen, der da Fürsten zunichte macht und Richter der Erde zu einem Nichts m a c h t . . . : Wem wollt ihr mich denn vergleichen, daß ich wäre wie er? spricht der Heilige. Erhebt eure Augen zur Höhe und schaut: Wer hat diese geschaffen? Er, der ihr Heer herausführt nach der Zahl, sie alle mit Namen ruft. Ihm, der groß ist an Kraft und stark an M a c h t , bleibt nicht eines aus." Faktisch entwickelt Jesaja hier eine Vorform des Gottesbeweises aus der zweckmäßigen Ordnung der Welt: Wer die Ereignisse der Natur beobachtet, die politische Menschengeschichte studiert und beide zu verstehen sucht, kann nur zu dem Schluß gelangen, daß es einen Gott Israels gibt, der ihre letzte Ursache ist. Doch wird dieser Gedanke nicht als formales Argument vorgetragen. Im allgemeinen wird die Existenz Gottes in den Texten der Bibel als selbstverständlich vorausgesetzt, weil sie entweder unmittelbar durch Erfahrung, nämlich durch wahrhaft prophetische Visionen, oder mittelbar durch die Berichte jener Propheten bekannt ist. In der Welt der Bibel, in der viele Israeliten häufigen unmittelbaren Kontakt zu ihrer Gottheit hatten, war ein Beweis der Existenz dieses Wesens nicht erforderlich. In rabbinischer Zeit dagegen ( -»Judentum) setzte sich das Bewußtsein durch, daß der Gott Israels der Gott der Welt sei. Israeliten mögen unmittelbaren Kontakt zu ihrem Gott haben, insofern er ihr Gott ist, aber kein Individuum kann direkten Kontakt zu Gott, dem Herrscher der ganzen Welt haben. Daß der Gott Israels existiere, wurde durch die Begegnung der Juden mit ihrer Gottheit in - » O p f e r und - » G e b e t täglich bezeugt, aber daß Israels Gott auch der Herr der Welt sei, konnte durch keine Erfahrung dieser Art verifiziert werden. Daher begannen in der rabbinischen Zeit einige Juden indirekte Be-

Gottesbeweise I

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weise für die Existenz des Weltengottes, den die J u d e n mit dem G o t t Israels identifizierten, vorzulegen.

2.

Midrasck

In e i n e m - > M i d r a s c h wird erzählt, d a ß ein ungenannter Ungläubiger (min) zu R a b b i —»Akiba k a m und ihn fragte, wer die Welt geschaffen h a b e ( - » S c h ö p f e r / S c h ö p f u n g ) . R a b b i A k i b a a n t w o r t e t e : „ D e r Heilige, gelobt sei e r . " D a r a u f entgegnete der Ungläubige: „ Z e i g e mir etwas Klares (har'ani davar barür)." G e w ö h n l i c h wird diese Wendung mit , , G i b mir einen B e w e i s " übersetzt. A k i b a s A n t w o r t enthält j e d o c h keine ausdrücklichen P r ä m i s s e n , aus denen in einer formalen Ableitung Schlußfolgerungen gezogen w ü r d e n . V i e l m e h r bittet der Ungläubige, A k i b a m ö g e ihm etwas zeigen, das seine A n t w o r t klar und evident m a c h e . A k i b a forderte ihn auf, a m nächsten T a g w i e d e r z u k o m m e n . Als der U n g l ä u b i g e erneut k a m , fragte A k i b a ihn, w a s dieser a m L e i b e trage. „ E i n G e w a n d " , a n t w o r t e t e er. D a fragte A k i b a : „ W e r m a c h t e dieses G e w a n d ? " D e r Ungläubige a n t w o r tete: „ E i n W e b e r . " „ I c h g l a u b e dir n i c h t " , erwiderte ihm der R a b b i , „zeige mir etwas K l a r e s ! " . „ W a s k a n n ich dir z e i g e n " , sagte d a r a u f der U n g l ä u b i g e , „ w e i ß t du nicht, d a ß der W e b e r es m a c h t e ? " „ U n d w e i ß t du n i c h t " , entgegnete A k i b a , „ d a ß der Heilige, gelobt sei sein N a m e , diese Welt geschaffen h a t ? " Es ist a n z u n e h m e n , d a ß dieser „ B e w e i s " den Ungläubigen zufriedenstellte. A b e r A k i b a s Schüler waren n o c h i m m e r verwirrt und baten ihren R a b b i , seine W o r t e genauer zu erklären. D a r a u f sagte A k i b a : „ M e i n e K i n d e r , so wie das H a u s den B a u m e i s t e r erkennen läßt und ein G e w a n d den W e b e r und eine T ü r den Z i m m e r m a n n , so läßt die Welt den Heiligen, gelobt sei sein N a m e , erkennen, der sie s c h u f " (Sefer H a - a g g a d a 1,1,6; S . 5 f ) . A k i b a s Beweis bereitet nur dann S c h w i e r i g k e i t e n , wenn m a n ihn als einen Beweis im strengen Sinn des Wortes versteht. Logisch gesehen, handelt es sich u m eine A n a l o g i e , und eine A n a l o g i e k a n n niemals eine Streitfrage entscheiden. A b e r A k i b a will nicht eigentlich einen B e w e i s für die E x i s t e n z G o t t e s vortragen. V i e l m e h r zeigt er d e m Ungläubigen ein G e w a n d , um ihm die Augen für eine Einsicht zu öffnen, die für den R a b b i selbst evident ist. Das P r o b l e m besteht für A k i b a nicht d a r i n , das Dasein G o t t e s zu beweisen, sondern darin, einen begriffsstutzigen Schüler etwas Offenkundiges zu lehren.

3. Saadja ben Josef al-Fajjumi

(892—942)

Erst in - » S a a d j a s Buch der Glaubenssätze und Meinungen (Kitab al-Amanat wa'lItiqadat, hebräische Übersetzung von J u d a ibn T i b b o n : Sefer Emunot Ve-Deot) wird A k i b a s d i d a k t i s c h e L e k t i o n zu einer f o r m a l e n Fassung des G o t t e s b e w e i s e s aus der z w e c k m ä ß i g e n O r d n u n g der Welt umgestaltet. W i e A k i b a a r g u m e n t i e r t auch S a a d j a von der S c h ö p f u n g her. Seine Beweisführung zielt v o r allem d a r a u f , zu zeigen, d a ß die Welt geschaffen wurde, w o r a u s sich dann leicht der S c h l u ß a u f das n o t w e n i g e D a s e i n eines S c h ö p f e r s ergibt. W i e d e r u m besteht kein Z w e i f e l , d a ß ein S c h ö p f e r existieren m u ß , wenn das Universum geschaffen wurde; doch im Unterschied zu A k i b a läßt sich für S a a d j a von der Vernunfterkenntnis her bezweifeln, daß das Universum geschaffen wurde. A u c h in S a a d j a s Welt zweifelte n i e m a n d ernstlich an der Existenz G o t t e s . Seine B e w e i s e sollen nicht in erster Linie d e m o n s t r i e r e n , d a ß G o t t existiert, sondern darlegen, d a ß die E x i s t e n z G o t t e s durch Vernunft, u n a b h ä n g i g von prophetischen V i s i o n e n , aufgezeigt werden k a n n . D a ß G o t t existiert, w a r zu seiner Z e i t allgemein a n e r k a n n t , nicht a S e r der Anspruch, d a ß die T h e o l o g i e in den Bereich des Vernunftsdenkens falle. N u r u m diesen letzteren P u n k t geht es in S a a d j a s Versuch, die Existenz G o t t e s durch rationale A r g u m e n t a t i o n , o h n e jeden R e k u r s a u f O f f e n b a r u n g o d e r auf die in der O f f e n b a r u n g gründende r a b b i n i s c h e T r a d i t i o n zu beweisen. Saadja entwickelt in verschiedenen Werken Gottesbeweise, so auch in seinem Genesiskommentar und in seinem Sefer -> Jesira, aber die ausführlichste und systematischste Formulierung seines Beweises findet sich in der 1. Abhandlung des Buches der Glaubenssätze und Meinungen. Die Hauptschritte seiner Argumentation sind: (A) Das Universum wurde geschaffen, und (B) es wurde nicht

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durch sich selbst geschaffen; daraus folgt (C), daß das Universum von jemand anderem als durch sich selbst geschaffen wurde, und dieser andere ist Gott. Für den Schluß (C) führt Saadja kein eigenes Argument an; er wird einfach als die unmittelbare und evidente Folge der Sätze (A) und (B) hingestellt. Im 1. Kapitel gibt Saadja vier Beweise (re'ayyöt) für das Urteil (A) und im 2. Kapitel drei Perspektiven (partim, von Rosenblatt fälschlich mit reasons [Gründe] übersetzt), aus denen der Leser die Wahrheit von (B) ersehen soll. D e r erste Beweis für das Erschaffensein der Welt läßt sich wie folgt zusammenfassen: (p 1) Wenn sich die Erde im Z e n t r u m des Universums befindet und die H i m m e l sich u m die Erde drehen (so die L e h r e der zeitgenössischen A s t r o n o m e n ) , d a n n ist das Universum endlich. (p2) E i n e m endlichen K ö r p e r k a n n nicht eine unendliche K r a f t i n n e w o h n e n . Aus beiden Prämissen folgt: (1) W e n n das Universum endlich ist, m u ß auch die K r a f t , die es erhält, endlich sein. (p3) W a s a b e r endlich ist, m u ß A n f a n g und E n d e h a b e n . D a h e r hat (2) (aus 1 und p 3 ) das Universum A n f a n g und E n d e , w o r a u s folgt, (3) d a ß das Universum geschaffen wurde. O h n e a u f die der B e w e i s f ü h r u n g zugrundeliegende A s t r o n o m i e einzugehen, lassen sich einige offensichtliche E i n w ä n d e dagegen erheben. Z u n ä c h s t k a n n eine Linie durchaus n a c h der einen R i c h t u n g unendlich, n a c h der anderen aber endlich sein, oder allgemein: E t w a s in einer H i n s i c h t Unendliches m u ß nicht in jeder H i n s i c h t unendlich sein. D a h e r k a n n gegen ( p 3 ) v o r g e b r a c h t werden, d a ß aus der Voraussetzung der Endlichkeit des Universums in der Z e i t nicht n o t w e n d i g folgt, d a ß es auch einen A n f a n g h a t . Es k a n n ein E n d e o h n e einen A n f a n g h a b e n . Ähnlich läßt sich gegen (p 1) ins Feld führen, d a ß aus d e m Satz, das U n i v e r s u m sei eine S p h ä r e mit der E r d e als M i t t e l p u n k t , keineswegs notwendig auf die E n d l i c h k e i t des Universums zu schließen ist; denn a u c h wenn das Universum eine b e s t i m m t e M i t t e h a t , b r a u c h t es nicht zugleich einen b e s t i m m t e n R a d i u s zu h a b e n , d . h . seine A u s d e h n u n g n a c h außen k a n n unendlich sein. S a a d j a selbst bedenkt diesen E i n w a n d und widerlegt ihn so: D i e entscheidende E r k e n n t n i s der A s t r o n o m i e ist nicht allein, d a ß das U n i v e r s u m eine S p h ä r e mit der Erde als M i t t e l p u n k t ist, sondern d a r ü b e r hinaus, d a ß die H i m m e l eine volle K r e i s b a h n u m die Erde d u r c h l a u f e n . Das a b e r w ä r e u n m ö g l i c h , w e n n der R a d i u s der Kugel unendlich w ä r e , da d a n n einige O b j e k t e des Universums eine unendliche S t r e c k e u m das Z e n t r u m h e r u m zurücklegen müßten. A b e r wiederum gibt es einen offensichtlichen E i n w a n d gegen S a a d j a s G e g e n a r g u m e n t : W i r müssen gar nicht a n n e h m e n , d a ß irgendein O b j e k t des Universums unendlich weit von der Erde entfernt ist. J e d e r H i m m e l s k ö r p e r befindet sich in einer endlichen Entfernung von der E r d e , und seine U m l a u f b a h n ist eine endliche Strecke. A b e r nichts zwingt uns, ein O b j e k t zu postulieren, das weiter von der M i t t e entfernt ist als alle anderen und dessen U m l a u f b a h n länger ist als die aller a n d e r e n . Es k a n n vielmehr d u r c h a u s so sein, d a ß es stets, wie weit a u c h ein K ö r p e r entfernt ist und wie g r o ß seine U m l a u f b a h n , einen anderen H i m m e l s k ö r p e r in n o c h weiterer E n t f e r n u n g und mit einer noch g r ö ß e r e n U m l a u f b a h n gibt. E b e n dies a b e r besagt der Satz, d a ß das Universum unendlich sei, und S a a d j a s A r g u m e n t v e r m a g gegen eine s o l c h e M ö g l i c h k e i t nichts auszurichten. D i e zentrale S c h w ä c h e von S a a d j a s B e w e i s f ü h r u n g liegt s o m i t in einer U n k l a r k e i t bezüglich der Unendlichkeit. Vor allem dieses P r o b l e m wird im 14. J h . ein H a u p t t h e m a der Schriften von Gersonides und C r e s c a s sein. In seinem zweiten B e w e i s leitete S a a d j a das Erschaffensein der Welt daraus ab, d a ß jeder K ö r p e r des Universums aus einer Verbindung oder Z u s a m m e n s e t z u n g von Teilen besteht. Die verborgenen G r u n d a n n a h m e n dieses A r g u m e n t s sind: (1) d a ß das Universum selbst ein aus Teilen z u s a m m e n g e s e t z t e r K ö r p e r , d . h . ein dreidimensionales, ausgedehntes O b j e k t , sei; (2) d a ß die E x i s t e n z einer zusammengesetzten Einheit von deren T e i l e n a b h ä n g e ; (3) d a ß ein x , das in seiner E x i s t e n z von einem y a b h ä n g t , durch e t w a s anderes als es selbst verursacht sein müsse. D i e erste dieser A n n a h m e n entspricht dem Stand des a s t r o n o m i s c h e n W i s s e n s zu S a a d j a s Z e i t . A b e r selbst wenn m a n die zugrundegelegte A s t r o n o m i e zugibt, müssen daraus die beiden letzten A r g u m e n t e nicht notwendig f o l g e n . N a c h der A t o m t h e o r i e , die von der zeitgenössischen W i s s e n s c h a f t allgemein akzeptiert

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w a r , besteht das Universum letztlich aus unteilbaren Elementen, eben den Atomen, und es ist überhaupt nicht offensichtlich, daß die Existenz der Atome von irgendetwas ander e m als ihnen selbst abhängen muß. Saadja läßt nicht erkennen, daß er sich dieser Schwierigkeiten bewußt ist; sie rücken aber im 12. J h . in den Vordergrund, als die aristotelische Wissenschaft im westlichen Islam zur Vorherrschaft gelangt. Insbesondere von Abraham ibn Daud wird in aller Breite entwickelt, daß und warum keine materielle Wesenheit, und sei sie auch so einfach wie ein Atom, aus sich selbst existieren oder der hinreichende Grund für die Existenz irgendeines materiellen O b j e k t s sein könne. Aber auch er unterstellt wie Saadja ohne weiteres, daß das Universum, da die O b j e k t e innerhalb seiner selbst zusammengesetzte Körper seien, ebenfalls ein zusammengesetzter Körper sei. Der erste jüdische Philosoph, der dieser Auffassung entgegentrat, war Maimonides ( - > M o s e ben M a i m o n ) , der prinzipiell bestritt, daß Aussagen über O b j e k t e innerhalb des Universums auch für das Universum als solches gelten müßten. Saadjas dritter Beweis geht davon aus, daß jeder Körper aus Akzidentien (d.h. aus nicht-wesentlichen Merkmalen) besteht; was aber nicht ohne Akzidentien existieren k a n n , dessen Existenz muß durch etwas anderes als durch sich selbst verursacht sein, woraus folgt, daß jeder Körper durch etwas anderes als er selbst verursacht ist. Wiederum basiert Saadjas Argument auf einer angenommenen Analogie zwischen dem Universum als solchem und seinen Teilen, die Aussagen über O b j e k t e innerhalb des Universums auf das Universum selbst überträgt - hier die Aussage, daß es ein zusammengesetzter Körper sei, der Akzidentien enthalte. Der Satz, daß das Universum Akzidentien enthält, spielt später eine wichtige Rolle in Saadjas Verteidigung der menschlichen Wahlfreiheit ( - * Wille/Willensfreiheit). Wenn nichts zufällig geschieht, dann kann nichts anders sein, als es ist; völlige Determiniertheit der Welt und eine gewisse menschliche Freiheit sind also miteinander unvereinbar. Alle jüdischen Philosophen der Folgezeit bis -»Spinoza teilen diese logische Prämisse, und Spinoza gibt sich in seiner Ethik erhebliche M ü h e , sie zu widerlegen. Saadjas letzter Beweis für das Erschaffensein des Universums beruht auf seinem Zeitbegriff. ( p l ) Die Zeit besteht aus Einheiten, die „ M o m e n t e " ('atot) heißen, (p 2) Eine bestimmte Zeitspanne läßt sich zwar gedanklich in eine unendliche Z a h l von M o m e n t e n teilen, de facto aber ist eine solche Teilung unmöglich. Überhaupt gibt es eine unendliche Teilbarkeit zusammengesetzter Wesenheiten nur in Gedanken, während in Wirklichkeit nichts in dieser Weise geteilt werden kann, da eine tatsächliche Unendlichkeit materieller Wesenheiten nicht existieren kann. Daraus folgt (1) (aus p l , p 2 ) , daß in Wirklichkeit nichts eine unendliche Zahl von M o m e n t e n durchlaufen kann. Somit kann (2) (aus 1) die Existenz (havayah) nicht eine unendliche Z a h l vergangener M o m e n t e bis zur Gegenwart durchlaufen haben. (3) (aus 2) Wenn also die Existenz unendlich in die Vergangenheit zurückreichte, hätte sie nicht zur Gegenwart gelangen können, und nichts würde jetzt existieren, was evident falsch ist. Daher gelangte (4) (aus 3) die Existenz zur Gegenwart über eine endliche Z a h l vergangener M o m e n t e , d . h . die Existenz hatte einen Anfang, woraus folgt, (5) daß die Welt geschaffen wurde. Es ist vorwegzuschicken, daß die oben vorgetragenen Argumente gegen Saadjas Begriff der Unendlichkeit gleichermaßen auch auf diesen vierten Beweis zutreffen. Aber der kritische Punkt ist hier ein anderer. W i e offensichtlich, ist „ E x i s t e n z " keine Wesenheit, sondern ein Begriff. Und wenn auch eine tatsächliche Unendlichkeit in Saadjas Denkrahmen unmöglich sein mag, muß dasselbe doch keineswegs für eine begriffliche Unendlichkeit gelten. Prima facie ist nicht einzusehen, warum die Existenz, unter Saadjas erklärten Voraussetzungen, nicht eine unendliche Z a h l von M o m e n t e n durchlaufen haben sollte. Das deutlichste Beispiel für eine solche Annahme ist das Postulat einer unendlichen Reihe endlicher existierender Wesenheiten in der Vergangenheit. Maimonides bestritt diese M ö g l i c h k e i t , während sie von Crescas, der einen Gottesbeweis durch menschliche Vernunft für ausgeschlossen hielt, verteidigt wurde.

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Nachdem er die Frage der Erschaffung der Welt zu seiner Zufriedenheit erledigt hat, wendet sich Saadja gegen die Meinung, daß die Welt nicht von einem Schöpfer (Gott) geschaffen worden sei, sondern sich selbst erzeugt habe. Ohne Zweifel gab es zu seiner Zeit Philosophen, die diese Ansicht vertraten, aber anders als im ersten Argumentationsstrang verzichtet Saadja darauf, diese Meinung als falsch zu erweisen. Warum er einen solchen Beweis nicht durchführt, ist unklar. Man könnte daran denken, daß er sich durch die Aufgabe überfordert fühlte. Wahrscheinlicher aber ist, daß er die Unhaltbarkeit jener Aussage für evident hielt. In diesem Fall ist nichts weiter vonnöten, als Menschen, die eine so vernunftwidrige Ansicht hegen, vor Augen zu führen, wie sehr sie irren. Mit anderen Worten: Wenn es evident wahr ist, daß eine geschaffene Welt nicht durch sich selbst geschaffen sein kann, bedarf es keines weiteren Beweises, und wer dennoch an der Möglichkeit einer Selbstschöpfung der Welt festhält, versteht offenbar nicht, was er sagt. Ein solcher Mensch muß belehrt werden. Während die klassischen Rabbinen glaubten, daß die Existenz Gottes evident sei, gaben die mittelalterlichen jüdischen Philosophen zu, daß sie es nicht sei, und während die „Beweis e " der frühen Rabbinen Mittel der Belehrung waren, will Saadja Beweise im strengen Sinn des Wortes bieten. Über die Aussage jedoch, daß die Welt nicht durch sich selbst geschaffen sei, dachte Saadja wie seine rabbinischen Vorgänger über den Satz, daß Gott die Welt geschaffen habe. Während die frühen Rabbinen nur die Alternative kannten, daß die Welt entweder von dort oder durch sich selbst geschaffen w u r d e - u n d das letztere w a r offenkundig nicht der F a l l - , sah Saadja eine vernünftige (wenngleich als falsch verworfene) dritte Möglichkeit, nämlich daß sie überhaupt nicht geschaffen wurde. Sowohl Saadja wie die Rabbinen versuchen, ihre Auffassung durch Argumente zu untermauern; aber die Argumente beider sind sehr unterschiedlich. Bei Saadja handelt es sich um eigentliche Beweise, bei den Rabbinen nicht. Die Argumente der Rabbinen dienen heuristischen Zwecken und folgen einer ähnlichen Logik wie die „ W e g e " , die Saadja anführt, um die Unwissenden darüber zu belehren, daß sich die Welt nicht selbst geschaffen haben kann. Saadja entwickelt drei solche „ W e g e " . Der erste besagt, daß etwas, das sich selbst schafft, vor seiner Selbstschöpfung notwendigerweise schwächer sein muß als danach. Wenn also jenes Ding stark genug w a r , um sich zu einem früheren Zeitpunkt selbst zu schaffen, muß es gewiß auch heute, nach der Erschaffung, stark genug sein, dasselbe zu vollbringen. Keine geschaffene Wesenheit aber kann sich selbst schaffen. Und da sie sich jetzt, in ihrem stärkeren Zustand, nicht selbst schaffen kann, konnte sie es umso weniger vor ihrer Erschaffung tun. Nimmt man diesen ersten „ W e g " als „ A r g u m e n t " , ist er natürlich völlig unverständlich. Was heißt „ s t ä r k e r " und „schwächer"? Außerdem mag es zwar möglich sein, über etwas nur zufällig Existierendes, also eine ewige, kontingente Wesenheit, zu reden, doch der obige Gedankengang setzt voraus, daß etwas nicht Existierendes handelt, indem es sich zur Existenz bringt; und d a s ist undenkbar. Eben dies freilich ist Saadjas Pointe: Er will zeigen, daß der Gedanke, etwas könne sich selbst schaffen, gar nichts Klares meint. Diese begriffliche Lektion tritt in seinem zweiten „ W e g " ausdrücklich hervor. Der zweite „ W e g " stellt zunächst fest, daß die Schöpfung in der Zeit geschieht und daß die Zeit in Vergangenheit, Gegenwart und Z u k u n f t teilbar ist. Wenn sich etwas in der Vergangenheit selbst schuf, muß es sich vor seinem Erscheinen als Ding, vor seiner Existenz, geschaffen haben; das aber ist unmöglich, da etwas nicht Vorhandenes nichts tun kann. Die Behauptung, daß es sich in Z u k u n f t schaffen werde, ist sinnlos, da für etwas bereits Vorhandenes kein Erfordernis besteht, sich selbst zur Existenz zu bringen. Bleibt die dritte Möglichkeit, daß es sich in der Gegenwart schafft; aber die Gegenwart ist nur ein Moment ('attah), ein bloßer Punkt, der Vergangenheit und Z u k u n f t miteinander verbindet, und als solcher zu kurz, als daß irgendetwas darin geschehen könnte. Daher kann nichts sich selbst schaffen. Wiederum ist der kritische Punkt des Arguments Saadjas Begründung, warum ein Ding sich nicht in der Vergangenheit schaffen konnte, d.h. seine Annahme, daß Seiendes nur von Seiendem kommen kann, weil nichts nur nichts erzeugt. Anzumerken ist ferner, daß Saadjas Erörterung eine atomistische Ontologie voraussetzt, nach der etwas entweder ist oder nicht ist, ohne eine dritte Alternative. Dagegen postuliert eine aristotelische Ontologie eine dritte Möglichkeit zwischen absolutem Nichtsein und aktualem Sein, nämlich ein relatives Nichtsein und ein potentielles Sein. Saadjas dritter „ W e g " besagt, daß ein Körper, der sich selbst schaffen kann, auch die Macht hat, sich nicht zu schaffen. Wenn er aber diese Macht hat, dann existiert er zu irgendeiner Zeit, ohne sich geschaffen zu haben, d.h. ohne zu existieren; und diese Aussage ist absurd, denn sie verbindet in ein und demselben Gegenstand Sein und Nichtsein. Wenn somit eine kontingente Wesenheit nicht die Macht hat, die Selbstschöpfung zu unterlassen, hat sie auch nicht die Macht, sich selbst zu schaffen.

Auch diese Überlegung läuft, wie die ersten beiden, darauf hinaus zu zeigen, warum etwas nicht Existierendes nichts bewirken kann. Vorausgesetzt sei eine kontingente Wesenheit, die ihre eigene Existenz verursachen kann. Z u sagen, daß sie dies tun kann, setzt eo ipso voraus, daß sie es auch nicht tun kann. Letzteres aber würde bedeuten, daß etwas Existierendes, dessen Existenz von ihm selbst abhängt, sich nicht zur Existenz bringt, d. h.

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es existiert nicht. Etwas Seiendes würde also nicht sein, was ein Widerspruch in sich ist. Daher muß ein Ding, dessen Existenz von ihm selbst abhängt, sich zur Existenz bringen. Daraus aber folgt, daß es notwendig existiert, d. h. es ist nicht kontingent. Es kann also seine Selbstschöpfung nicht unterlassen, denn das würde bedeuten, daß etwas Existierendes nicht existiert, und es kann sich nicht selbst schaffen, denn das würde bedeuten, daß etwas Kontingentes nicht kontingent ist. Wenn eine Wesenheit sich schaffen, aber nicht sich nicht schaffen könnte, wäre sie nicht kontingent. Die Annahme, es sei möglich, daß ein Ding a ein M e r k m a l F habe, impliziert grundsätzlich, daß a F auch nicht haben kann. Andernfalls ist es notwendig, daß a F hat. Saadja geht selbstverständlich von der Kontingenz des Universums und all seiner Elemente aus. Diese Überzeugung ist für seine Verwendung des Begriffs „ S c h ö p f u n g " entscheidend. Von Schöpfung zu reden, heißt für ihn, daß G o t t die Existenz des Universums wollte, aber nicht wollen mußte. Saadja war der erste jüdische Philosoph, der systematische, formale Beweise für die Existenz Gottes vorlegte. Deren Hauptschwäche besteht darin, daß sie das atomistische Universum der frühen islamischen Philosophen voraussetzen. Nun ist es das Ziel eines formalen Gottesbeweises zu zeigen, daß G o t t notwendigerweise existiert, was bedeutet (um es in der später von —»Leibniz eingeführten Sprache zu sagen), daß keine mögliche Welt sein kann, in der kein G o t t ist. Für Saadja ist eine Welt, die nicht atomistisch ist, nicht möglich. Während somit Saadjas Argumentation in einem atomistischen Universum vernünftig sein mag, ist keineswegs deutlich gemacht, daß sie auch in einem Universum anderer Art gilt. Die Beweisführung kann daher nicht leisten, was sie beabsichtigt. Der erste jüdische Philosoph, der die Existenz Gottes in allen möglichen aristotelischen Universen nachzuweisen versuchte, war Abraham ibn Daud. Danach verband Maimonides beide Beweisformen zu der Aussage, daß G o t t in allen möglichen Welten existiert. Etwas anders beleuchtet, verläuft die Entwicklung so: Saadja weist nach, daß G o t t die Welt in jedem atomistischen Universum schafft; ibn Daud weist nach, daß G o t t die Welt in jedem aristotelischen Universum notwendig verursacht; und Maimonides versucht, diese Aussage über G o t t von jeder bestimmten T h e o r i e über das physikalische Universum zu befreien. W ä h r e n d Saadja nur ein atomistisches Universum für möglich hält und ibn Daud dasselbe von einem aristotelischen Universum glaubt, verhält sich Maimonides in dieser wissenschaftlichen Frage agnostisch und behauptet, es sei dennoch möglich zu beweisen, daß G o t t notwendigerweise existiert.

4. Jeshua

ben Juda (2. Hälfte des 11. Jh.)

Jeshua ben J u d a , Bachja ibn Paquda und J o s e f ibn Zaddik formulieren ebenfalls Gottesbeweise, die aber den bereits von Saadja vorgelegten Argumenten wenig oder nichts hinzufügen. Jeshua ben J u d a trägt zwei Argumente vor. Das erste ist im wesentlichen identisch mit Saadjas drittem Beweis, der auf der Annahme beruht, daß eine Wesenheit, die nicht ohne Akzidentien existieren kann, durch etwas anderes als sie selbst verursacht sein müsse. Jeshua geht davon aus, daß das Universum aus Atomen besteht, die sich durch Zufall an ihrem jeweiligen O r t befinden; sie müssen daher durch etwas anderes als sie selbst veranlaßt worden sein, diesen akzidentellen Ort einzunehmen. Sein zweites Argument ist lediglich eine Erweiterung des ersten. Atome verändern ständig ihren O r t , und was sich ständig verändert, kann nicht ewig sein.

5. Bachja ben Josef ibn Paquda {11.112. Jh.) In seinen Pflichten des Herzenes (Hóvat Halevavot, zwischen 1100 und 1156) übernimmt - > B a c h j a ibn Paquda den Beweisgang Saadjas, indem er das Erschaffensein der Welt begründet, woraus unmittelbar auf die Existenz eines Schöpfers geschlossen wird. Das eine Argument, das er entwickelt, stellt eine Neufassung von Saadjas zweitem und viertem Beweis dar. Es ist insofern eine Verbesserung, als einige unausgesprochene Grundannahmen Saadjas explizit eingeführt werden. In anderer Hinsicht aber ist Saadjas Version stärker. Bachja nennt eine logische und eine ontologische Prämisse, aus denen

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folgen soll, daß die Welt geschaffen wurde. Die logische Prämisse hat drei Teile: Nichrs kann sich selbst hervorbringen; es muß ein erstes Prinzip geben. Zusammengesetztes muß in der Zeit entstanden sein. Die ontologische Prämisse lautet, daß das Universum aus Teilen besteht, eine Aussage, die von Bachja nicht weiter untermauert, sondern aufgrund der Autorität der atomistischen Naturwissenschaft seiner Tage als selbstverständlich unterstellt wird. Seine Begründung für den Satz, daß Zusammengesetztes in der Zeit zur Existenz gekommen sein müsse, basiert auf Saadjas zweitem, seine Begründung des Satzes, daß es ein erstes Prinzip geben müsse, auf dessen viertem Beweis. Der wichtigste eigenständige Beitrag in Bachjas Argumentation ist seine Erkenntnis, daß die Aussage, nichts könne sich selbst hervorbringen, eines Beweises bedarf; doch ist das Argument, das er zu diesem Zweck anführt, sowohl unschlüssig als auch irrelevant. Bachja stellt fest, (a) daß die Elemente jeder zusammengesetzten Wesenheit dieser logisch und natürlich vorgeordnet seien und (b) daß ein Ding, dem etwas vorgeordnet ist, nicht ewig sein könne. Dieses Argument ist nicht schlüssig, weil es zwei verschiedene Bedeutungen des Begriffs „Priorität", nämlich formale und zeitliche Priorität, miteinander vermengt. Der Sinn, in dem (a) die Elemente eines Dinges diesem selbst vorgeordnet sind, ist ein formaler, wohingegen es durchaus denkbar ist, daß die Elemente eines Dinges und das Ding selbst gleichzeitig zur Existenz gekommen seien. Im Gegensatz dazu ist der Satz (b), daß ein Ding y, dem ein Ding x vorgeordnet ist, eo ipso in der Zeit entstanden sein müsse, nur sinnvoll, wenn von einer zeitlichen Priorität die Rede ist. Da Zeit ein M a ß des Zuvor und Danach ist, muß etwas, das nach einem anderen existiert, in der Zeit zur Existenz kommen. Dies aber ist nicht der Sinn von „Vorordnung" oder „Priorität" in der ersten Prämisse (a) des Arguments. Eine solche Beweisführung läßt sich nicht einmal auf derselben Ebene wie Saadjas „Wege" betrachten, die etwas Unklares klar machen wollen: Verwirrung im Gebrauch zentraler Begriffe eines Arguments kann eine Aussage in keiner Weise klarer machen. Überdies ist das Argument irrelevant. Selbst wenn es schlüssig wäre, würde daraus lediglich folgen, daß die Welt, aufgrund ihres Zusammengesetztseins, geschaffen wurde. Dies ist nichts anderes als Saadjas zweiter Beweis, dessen Grundvoraussetzung von Bachja als die ontologische Prämisse des Schöpfungsbeweises identifiziert wird. Der allgemeinere Satz jedoch, daß nichts aus nichts entstehen könne, wird durch dieses Argument nicht gestützt. 6. Josef ibn Zaddik

(gest. 1149)

Josef ibn Zaddik schließlich wiederholt in seinem Mikrokosmos ('olam Qatan) Saadjas zweiten Beweis in der folgenden Form: (pl) Alles Existierende (einschließlich das Universum selbst) ist zusammengesetzt aus Substanz und Akzidens, (p 2) In einem solchen Kompositum hängen Substanz und Akzidens voneinander ab. Da (p3) ein Akzidens geschaffen (hiddus) und nicht ewig ist, muß (1) (aus p 3 und p2) auch die Substanz geschaffen sein. An dieser Fassung des Arguments ist nichts von besonderem Interesse außer der Tatsache, daß Josef ibn Zaddik die aristotelischen Begriffe „Substanz" und „Akzidens" verwendet. Die „Verwendung" selbst freilich ist nicht aristotelisch. Im Gegenteil, Josefs Beweisführung ist so durchgängig atomistisch wie die der jüdischen Philosophen vor ihm. Doch ist der Gebrauch der „neuen" Terminologie an sich bezeichnend, weil er ein Indiz für den Wandel ist, den die Philosophie seiner Zeit zu ergreifen begann und der dann zu einer neuen Form von Gottesbeweisen führen sollte. Die neue Philosophie war aristotelisch ( ->Aristoteles/Aristotelismus); der erste jüdische Philosoph, der ein aristotelisches Weltbild benutzte, um die Existenz Gottes zu beweisen, war -»Abraham ibn Daud in seinem Werk Der erhabene Glaube (Al-'aqida al-rafi'a, 1160; hebräische Übersetzung von Ben Labi: Ha-'emunah Haramah). 7. Abraham

ibn Daud

(1110-1180)

Ibn Dauds Gottesbeweis besteht aus zwei Sätzen. Der erste besagt, daß keine geordnete, unendliche, körperliche Wesenheit aktual existieren könne (Buch I, Kap. 4), und der

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zweite, daß alles Bewegte einen Beweger voraussetze und daß es einen ersten Beweger geben müsse (Buch I, Kap. 5). Der Beweis des ersten Satzes erfolgt in drei Schritten. Zuerst wird begründet, daß und warum keine aktuale Linie unendlich sein kann. Daraus wird zum zweiten abgeleitet, daß auch keine aktuale Fläche und kein aktualer Körper unendlich sein kann. Denn Körper setzen sich aus Flächen und Flächen wiederum aus Linien zusammen; wenn aber Linien als die Teile von Flächen endlich sind, müssen auch alle aktualen Flächen endlich sein, da das Ganze nicht größer sein kann als seine Teile. Entsprechendes gilt auch für alle aktualen Körper. Der dritte Schritt schließlich sucht zu erhärten, daß keine geordnete, aktuale Zahl unendlich ist. Für diese Aussage führt ibn Daud zwei Argumente an. Zum einen stellt er fest, daß die Aktualität eine geordnete Zahl impliziert, daß es sich um eine bestimmte oder eindeutige Zahl handelt; Unendlichkeit aber ist notwendigerweise nicht bestimmt. Wenn sie bestimmt wäre, müßte man sie zählen können, aber jede zählbare Zahl ist endlich. Zum anderen erläutert er, warum es falsch ist zu sagen, daß Unendlichkeit als eine Zahl geordnet sei; denn wer geordnet ist, hat Anfang, Mitte und Ende, Unendlichkeit aber hat weder Anfang noch Ende. Die Schlußfolgerung aus ibn Dauds drei Schritten ist, daß keine Quantität geordnet, aktual und unendlich sein kann. Alle Quantitäten sind entweder Linien, Flächen, Körper oder Zahlen; keine akutale, geordnete Linie, Fläche, Körper oder Zahl kann unendlich sein; daher kann keine Quantität unendlich sein. Dieses Argument wird sodann ergänzt durch zwei Beweise, daß kein Körper unendlich sein kann. Erstens müsse jeder Körper einen Ort einnehmen; jedes Ding an einem Ort ist von Flächen umschlossen, und Flächen können nichts Unendliches umschließen. Zweitens befinde sich jeder Körper entweder in Bewegung oder in Ruhe; Unendliches kann nicht ruhen, weil Ruhendes an einem Ort ruht; und ebenso wenig kann Unendliches in Bewegung sein, weil Sich-Bewegendes sich von einem Ort aus bewegt. Daher kann kein Körper unendlich sein. Anschließend leitet ibn Daud als Folgesatz ab, daß Endlichem kein unendliches Vermögen innewohnen könne. Die Ableitung basiert auf zwei Prinzipien, nämlich daß kein Teil oder Komplex von Teilen größer sein kann als das Ganze und daß nichts größer sein kann als Unendliches. Daher gilt: Endlichem kann kein unendliches Vermögen innewohnen; da Gott unendlich ist, kann Gott kein Körper sein; und da er kein Körper ist, kann er nicht teilbar sein. Für seinen zweiten Satz, daß jede Bewegung von einem Beweger ausgeht, bietet ibn Daud zwei Argumente. Das erste lautet: Ein Ding, das sich selbst bewegte, wäre beides, Bewegendes und Bewegtes, in ein und derselben Hinsicht; jedes Bewegende ist größer als das von ihm Bewegte. Wenn daher ein Ding Bewegendes und Bewegtes in ein und derselben Hinsicht sein könnte, wäre es größer als es selbst, was unmöglich ist. Das zweite Argument lautet: Ein Ding, das sich selbst bewegte, wäre beides, Bewegendes und Bewegtes, in ein und derselben Hinsicht; es gibt etwas, das aktual zu einem Bewegenden und potentiell zu einem Bewegten gehört. Wenn daher ein Ding Bewegendes und Bewegtes in ein und derselben Hinsicht sein könnte, besäße es etwas, das sowohl aktual als auch potentiell in ein und derselben Hinsicht in ihm existierte, was unmöglich ist. Der Drehund Angelpunkt in der Oberprämisse beider Argumente ist die Wendung „in ein und derselben Hinsicht (mitsad echad)". Ibn Daud bestreitet nicht, daß etwas sowohl Bewegendes als auch Bewegtes sein könne. Er erkennt an, daß zusammengesetzte Wesenheiten beides sein können, behauptet aber, daß sie sich nicht in beiden Rollen in ein und derselben Hinsicht befinden können. Wo ein Ding beides ist, Bewegendes und Bewegtes, bewegt ein Teil einen anderen, aber kein Teil sich selbst. Ibn Dauds Aussage beinhaltet daher, daß etwas nicht sowohl Bewegtes und Bewegendes derselben Bewegung sein könne. Eine unmittelbare Folge dieses Arguments ist, daß es auch keine zirkuläre Ursachenkette geben kann, in der Form: a bewegt b, b b e w e g t . . . n, n bewegt a. Diese Feststellung ist von zentraler Bedeutung für den dritten Satz von ibn Dauds Beweis, daß nämlich ein erster Beweger nicht selbst bewegt sein kann.

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Die Beweisführung für diesen letzten Satz ibn Dauds - daß jede Bewegung bei einem primum movens endet - läuft folgendermaßen: Alles Bewegte hat ein Bewegendes (einen Beweger). Es gibt kein aktuales, geordnetes, unendliches Seiendes; daher endet alle Bewegung bei einem oder mehreren ersten Bewegern. Die Oberprämisse ist die These des ersten Teils des Hauptbeweises im 5. Kapitel, die Unterprämisse die These des vorangegangenen 4. Kapitels. Der Beweis, daß ein erster Beweger nicht selbst bewegt sein kann, wird so geführt: Wenn der erste Beweger bewegt wäre, müßte er entweder von einer anderen Wesenheit bewegt sein oder aber seine Bewegung wäre ein Glied in einer zirkulären Ursachenkette. Vorausgesetzt der Beweger ist ein erster Beweger, dann kann er per definitionem nicht durch eine andere Wesenheit bewegt sein; es ist unmöglich, daß ein primum movens Glied einer zirkulären Ursachenkette ist; daher hat ein erster Beweger keinen Beweger. Es wurde bereits angemerkt, daß die Verneinung der Möglichkeit einer zirkulären Kausalkette eine unmittelbare Konsequenz der Oberprämisse der beiden Argumente für den ersten Teil des Hauptbeweises in diesem Kapitel war. An dieser Stelle nun untermauert ibn Daud seinen Satz durch folgenden Schluß: Ein Beweger ist „stärker" als ein Bewegtes; in einer zirkulären Ursachenkette wäre jedes Glied sowohl Bewegtes als auch Bewegendes derselben Bewegung; daher wäre jedes Glied zugleich stärker (als Ursache) und schwächer (als Wirkung) als jedes andere Glied in der Kette, was unmöglich ist. Es ist festzuhalten, daß die Oberprämisse dieses Arguments identisch ist mit der Unterprämisse des ersten Arguments für den ersten Teil des Hauptbeweises. In ibn Dauds Terminologie sind die beiden Aussagen, daß ein Beweger „größer" und daß er „stärker" ist als ein Bewegtes, gleichbedeutend. In der Tat ist das Argument für diesen dritten Teil des ganzen Gottesbeweises lediglich eine Erweiterung des ersten Arguments für dessen zweiten Teil ( = den ersten Teil des 5. Kapitels) und kein selbständiges Argument. Im Grunde besagt es nichts anderes, als daß die Unmöglichkeit einer zirkulären Ursachenkette die unmittelbare Folge des Sarzes ist, daß etwas nicht beides, Bewegendes und Bewegtes, in ein und derselben Hinsicht sein kann. Es ist b e m e r k e n s w e r t , d a ß der G o t t e s b e w e i s im K o n t e x t von Buch I und nicht von Buch II des Erhabenen Glaubens a b g e h a n d e l t wird. B u c h I erörtert Sätze der N a t u r w i s senschaft, die für den jüdischen G l a u b e n von Belang sind, w ä h r e n d B u c h II die G r u n d prinzipien ('iqqarim) dieses G l a u b e n s darlegt. Für ibn D a u d ist das Dasein G o t t e s eine L e h r e der W i s s e n s c h a f t und nicht der R e l i g i o n . Im G e g e n s a t z zu S a a d j a und den frühen islamischen Philosophen behauptet ibn D a u d s jüdische T h e o l o g i e , d a ß G o t t ein u n k ö r perliches, notwendiges Wesen ist und d a ß G o t t einer ist, a b e r nicht, d a ß G o t t existiert. G e w i ß , jene beiden Grundprinzipien der jüdischen G o t t e s l e h r e setzen v o r a u s , d a ß G o t t existiert, a b e r seine E x i s t e n z ist an sich keine G l a u b e n s a u s s a g e . Sie ist vielmehr eine universelle W a h r h e i t , eine K o n s e q u e n z solider W i s s e n s c h a f t , der kein vernünftiges Wesen widersprechen k a n n , und g e h ö r t als solche nicht spezifisch in eine Liste der f u n d a m e n t a len G l a u b e n s d o k t r i n e n des J u d e n t u m s . B e m e r k e n s w e r t ist ferner, d a ß ibn D a u d nicht nur seinen G o t t e s b e w e i s u n a b h ä n g i g von der S c h ö p f u n g s l e h r e e n t w i c k e l t , sondern d a ß die S c h ö p f u n g ü b e r h a u p t an keiner Stelle des Erhabenen Glaubens e r w ä h n t und durchaus nicht unter den Grundprinzipien des J u d e n t u m s angeführt wird. S a a d j a b o t die u m f a s sendste Ausarbeitung eines Beweises für die E x i s t e n z G o t t e s in jedem geschaffenen Universum, dessen Naturgesetze atomistisch sind; ibn D a u d dagegen liefert die umfassendste Ausarbeitung eines Beweises für die E x i s t e n z G o t t e s in einem ewigen Universum, dessen Naturgesetze aristotelisch sind. In einem nächsten Schritt wird M a i m o n i d e s diese beiden A r g u m e n t a t i o n s g r u p p e n zu einem G o t t e s b e w e i s als einer Aussage universeller Vernunftreligion, u n a b h ä n g i g von jedem b e s t i m m t e n System der N a t u r w i s s e n s c h a f t , zu verbinden suchen.

8. Mose ben Maimon

(1135-1204)

- • M o s e ben M a i m o n ( M a i m o n i d e s ) argumentiert in seinem Führer der Schwankenden (Dalalat al-ha'irin, 1 1 9 0 , h e b t . Übersetzung von S a m u e l ibn T i b b o n Moreh Nevukhim) folgendermaßen: D e r entscheidende Unterschied zwischen den M u t a k a l l i m u n und den aristotelischen P h i l o s o p h e n besteht darin, d a ß die ersteren von dem Erschaffensein, die letzteren dagegen von der E w i g k e i t der Welt ausgehen; beide a b e r k ö n n e n keine zwingende Begründung für ihre jeweilige G r u n d a n n a h m e geben. Die Beweise der frühen islamischen P h i l o s o p h e n ( d . h . der M u t a k a l l i m u n ) k ö n n e n daher nicht überzeugen, weil sie auf der L e h r e von der Erschaffung der Welt b e r u h e n , die nicht b e w e i s b a r ist, und

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ähnlich leiden die aristotelischen Beweise d a r a n , d a ß ihnen das ebenfalls zweifelhafte D o g m a von der Ewigkeit der Welt zugrundeliegt. Angesichts dieser Sachlage hält es M a i m o n i d e s für r a t s a m , dem B u c h s t a b e n der Schrift zu folgen und die Lehre von der S c h ö p f u n g aus dem N i c h t s zu akzeptieren, o h n e freilich je zu b e h a u p t e n , d a ß eine der beiden D o k t r i n e n b e w e i s b a r sei. D a somit weder die A r g u m e n t e der M u t a k a l l i m u n (auf die S a a d j a zurückgreift) noch die aristotelischen A r g u m e n t e (die ibn D a u d heranzieht) allein gegen E i n w ä n d e gefeit sind, läßt sich ein sicherer Beweis der Existenz G o t t e s nur a u f einer D i s j u n k t i o n der beiden A r g u m e n t e a u f b a u e n . M i t anderen W o r t e n : M a i m o n i des verbindet die beiden A r g u m e n t a t i o n s l i n i e n zu einem einzigen A r g u m e n t der folgenden F o r m : D i e Welt wurde entweder geschaffen, oder sie ist ewig. W ä h r e n d sich weder das eine n o c h das andere H o r n der D i s j u n k t i o n beweisen läßt, ist die D i s j u n k t i o n selbst n o t w e n d i g w a h r . Wenn die Welt geschaffen wurde, existiert G o t t (diese Behauptung ist das T h e m a von Buch I, Kap. 7 3 - 7 6 , des Moreh)-, wenn die Welt ewig ist, existiert G o t t (diese Proposition ist das T h e m a von Buch II, Kap. 1, des Moreh). O b daher die Welt geschaffen wurde oder ewig ist — G o t t existiert. In der Einleitung zu Buch II des Führers der Schwankenden zählt Maimonides 26 Leitsätze auf, die er für die vier Gottesbeweise im nachfolgenden Kapitel 1 benötigen wird. Alle diese Leitsätze, deren letzter die Ewigkeit der Welt behauptet, sind Aristoteles entnommen. Der erste Beweis läuft wie folgt: Alles, was sich bewegt, muß einen Beweger haben, und die Kette der Beweger muß endlich sein. Der Beweger muß entweder innerhalb oder außerhalb des Bewegten sein. Soweit es sich bei dem Bewegten um einen Körper in einer Sphäre handelt, wird man in jedem Fall schließlich finden, daß die Ursache der Bewegung jenes Körpers die Bewegung der Sphäre selbst ist. Die Bewegung einer Sphäre kann nur durch einen Körper oder etwas Immaterielles außer ihr oder aber durch eine Kraft in ihr verursacht sein. Ein äußerer Körper kann letztlich nicht die Ursache der Sphärenbewegung sein, da jeder Körper von etwas anderem bewegt sein muß, so daß, wenn jenes andere stets ein äußerer Körper wäre, die Kausalkette unendlich wäre. Ebensowenig kann eine immanente Kraft in einem Körper die letzte Ursache der Sphärenbewegung sein, da alle Körper, einschließlich der Sphären, endlich sind und notwendigerweise nur endliche Kräfte enthalten können; endliche Kräfte aber können nicht etwas bewirken, was ewig existiert. Daher muß die letzte Ursache für die Bewegung jeder Sphäre und der in ihr befindlichen Körper eine äußere, immaterielle Wesenheit sein, nämlich Gott.

D i e vorausgeschickten aristotelischen Prämissen dieses ersten Arguments sind die folgenden (nach M o r e h II, Einleitung): 1. Es k a n n keine unendliche R a u m g r ö ß e geben (Prämisse 1). 2. Es k a n n keine unendliche Z a h l von R a u m g r ö ß e n gleichzeitig v o r h a n d e n sein (Prämisse 2). 3. Keine U r s a c h e n k e t t e k a n n unendlich sein (Prämisse 3). 4. D i e aristotelische Definition von Veränderung und B e w e g u n g (Prämissen 4 - 9 ) . 5. Alles in einem K ö r p e r ist entweder F o r m o d e r Akzidens (Prämisse 10). 6. W a s in einem K ö r p e r ist, ist entweder teilbar oder unteilbar (Prämisse 11). 7. J e d e K r a f t in einem K ö r p e r ist endlich ( P r ä m i s s e l 2 ) . 8. M i t A u s n a h m e der r ä u m l i c h e n K r e i s b e w e g u n g ist keine B e w e g u n g k o n tinuierlich (Prämisse 13). 9. Alle B e w e g u n g e n gehen a u f räumliche B e w e g u n g (d. h. O r t s veränderung) zurück (Prämisse 14). 10. Die aristotelische Definition der wechselseitigen A b h ä n g i g k e i t von Z e i t und B e w e g u n g (Prämisse 15). 11. N u r K ö r p e r und K r ä f t e in K ö r pern sind z ä h l b a r (Prämisse 16). 12. Alles B e w e g t e hat einen B e w e g e r (Prämisse 17). 13. F o r m und M a t e r i e sind die H a u p t u r s a c h e n jedes zusammengesetzten Einzelwesens (Prämisse 25). Wenn auch nur eine dieser 13 Prämissen a n g e f o c h t e n wird, ist M a i m o n i d e s ' erster Beweis der Existenz G o t t e s , sofern das Universum ewig ist, nach seinen selbstgesetzten Kriterien gescheitert. Der zweite Beweis des Maimonides läuft folgendermaßen: Man nehme ein Ding an, das aus zwei Teilen zusammengesetzt ist. Nach einer Prämisse des Aristoteles muß, wenn einer der beiden Teile unabhängig von dem Kompositum existiert, auch der andere Teil unabhängig von ihm existieren. So besteht z.B. Oxymel aus Honig und Essig, und da Honig unabhängig von Oxymel vorhanden ist, muß auch Essig unabhängig von Honig vorhanden sein. Ähnlich muß auch, da Dinge existieren, die zugleich Bewegtes und Bewegendes sind, und da andererseits Dinge existieren, die nur Bewegtes sind, zumindest eine Wesenheit existieren, die nur Bewegendes ist.

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Gottesbeweise I

M a n könnte die Frage aufwerfen, warum Maimonides die Oberprämisse dieses Arguments nicht zusammen mit den erwähnten 26 Prämissen anführt, die er in seinen anderen Argumenten heranzieht. Eine Antwort könnte lauten, daß diese Prämisse, so wie sie von M a i m o n i d e s für seine Gottesbeweise verwendet wird, in einer sehr viel offensichtlicheren Weise nichtig ist als jede der anderen. Der Sinn, in dem Essig und Honig die OxymelMischung ausmachen, ist gänzlich verschieden von der Art, in der Bewegt-Sein und Bewegend-Sein ein zusammengesetztes Einzelwesen ausmachen. Allenfalls besteht eine Analogie zwischen der Aussage der Prämisse des Arguments und ihrer Anwendung auf Bewegendes. M i t anderen Worten: Maimonides kann höchstens behaupten, daß Ähnliches wie für ein aus zwei Teilen zusammengesetztes Ding auch für ein durch zwei Prinzipien bestimmtes Ding gelte; wie nämlich im ersteren Fall die unabhängige Existenz eines der beiden zusammensetzenden Teile zwingend auf die unabhängige Existenz des anderen Teils schließen läßt, so sei auch im letzteren Fall aus der Existenz einer durch das eine Prinzip bestimmten Wesenheit auf die Existenz einer durch das andere Prinzip bestimmten Wesenheit zu schließen. Dies aber ist, wie Maimonides an den aristotelischen Argumenten für das ewige Dasein des Universums selbst erkennt, nur eine Analogie, und Analogien sind keine Beweise. Während daher der erste und die beiden verbleibenden Beweise des Maimonides nur widerlegt werden können, wenn das aristotelische Weltbild in Zweifel gezogen wird, läßt sich dieses zweite Argument unabhängig von jeder Kritik an aristotelischer Wissenschaft widerlegen. Den dritten Beweis führt M a i m o n i d e s wie folgt: (A) Entweder ist kein Ding dem Werden und Vergehen unterworfen, oder (B) alle Dinge sind dem Werden und Vergehen unterworfen, oder (C) m a n c h e Dinge sind dem Werden und Vergehen unterworfen, andere nicht. Aus Erfahrung wissen wir, daß (A) falsch ist. D a h e r treffen entweder (B) oder (C) zu. Aber auch (B) ist falsch, aus folgenden Gründen: Wenn alle Dinge dem Werden und Vergehen unterlägen, müßten alle Dinge vergänglich sein, d . h . aufhören können zu existieren. D a aber alle Dinge vergehen k ö n n t e n , wäre es auch möglich, daß es eine Zeit gibt, in der alles dem Vergehen verfällt. G e s c h ä h e dies, könnte nach dieser Zeit nichts mehr werden, d . h . zur Existenz k o m m e n , da nach der Zeit allgemeinen Vergehens nichts mehr existierte, das ein anderes Ding zur Existenz bringen k ö n n t e . Wenn daher (B) richtig ist, g a b es einmal eine Z e i t , in der alles verging, so d a ß seitdem nichts mehr existiert. Erfahrung aber lehrt uns, daß dieser Schluß falsch ist. Es bleibt somit als einzige Alternative, daß m a n c h e Dinge dem Werden und Vergehen unterworfen sind, andere aber nicht. M i t anderen Worten: Es gibt zumindest ein D i n g , das ein notwendig Seiendes ist - denn nur notwendig Seiendes k a n n existieren ohne dem Werden und Vergehen zu unterliegen (Prämisse 19 und 20) - und diese Wesenheit heißt G o t t .

Der kritische Punkt in dieser Argumentation ist der Schritt von der Möglichkeit einer Zeit, in der alles vergeht, zu der Aussage, daß unter der Voraussetzung dieser Möglichkeit nichts mehr existieren dürfte. Um diesen Schritt zu vollziehen, muß Maimonides zwei Annahmen machen, die er nicht explizit nennt. Die eine von ihnen ist eine Variante der 26. Prämisse, die besagt, daß das Universum ewig ist. Wenn das Universum ewig ist, dann ergibt sich aus der Definition der Zeit in Prämisse 15, daß auch die Zeit ewig ist. Für die Absicht seines Arguments muß Maimonides postulieren, daß die Zeit nicht nur ewig im Blick auf die Z u k u n f t , sondern daß sie auch ewig im Blick auf die Vergangenheit ist. Eine zweite notwendige Annahme für seinen Beweis ist eine Variante der 23. Prämisse, die besagt, daß alles, was wahrhaft möglich ist, zu irgendeiner Zeit einmal wirklich sein muß. Für die Z w e c k e seines Arguments muß Maimonides postulieren, daß eine wahrhafte Möglichkeit bei einer unendlichen Dauer der Zeit (Prämisse 26 und 15), auch wenn diese Dauer ganz in der Vergangenheit liegt, realisiert worden wäre. M i t anderen Worten: Um aus der Möglichkeit, daß alles zugleich vergeht, zu schließen, daß es eine Zeit gab, zu der tatsächlich alles aufhörte zu existieren, muß Maimonides voraussetzen, daß die Zeit in Richtung der Vergangenheit endlos ist und daß alles, was wahrhaft möglich ist, während jener unendlichen Dauer der Zeit wirklich geworden wäre. Ohne eine dieser beiden Voraussetzungen bricht seine Beweisführung zusammen. Der letzte Beweis des M a i m o n i d e s läuft wie folgt: Alles, w a s Potentialitäten hat, bedarf der Einwirkung eines Aktualen, damit jene Potentialität zur Aktualität wird. Wenn das Agens seinerseits

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einmal potentiell war, bedurfte es ebenfalls eines Aktualen, um sein betreffendes Potential zu aktualisieren. Vorausgesetzt, daß diese Ursachenkette nicht endlos sein kann, muß es eine Wesenheit als Agens geben, die in den betreffenden Aspekten immer aktual und nie potentiell war. Ein solches Agens oder ein solcher Aktor kann nicht materiell sein, da alles Materielle Potentialitäten hat. Da nun die Welt unserer Erfahrung aus kontingenten Wesenheiten besteht, die zur aktualen Existenz erst kamen, muß eine geistige (d.h. immaterielle), durch und durch aktuale Wesenheit existieren, die letztlich alle Dinge unserer Welt zur Existenz bewegte. Diese Wesenheit heißt Gott. Die ausdrücklichen aristotelischen Prämissen dieses vierten Beweises sind die folgenden: 1. Nur Körper und Kräfte in Körpern sind Vielheiten (Prämisse 16). 2. Alles Bewegte wurde durch etwas außer ihm oder durch eine Kraft in ihm bewegt; im letzteren Fall sagt man, das Objekt bewege sich von selbst (Prämisse 17). 3. Alles, was sich von der Potentialität zur Aktualität bewegt, wird durch etwas außer ihm bewegt (Prämisse 18). 4. Ein Ding hat eine Potentialität, wenn und nur wenn es materiell ist (Prämisse 24). Auch hier wieder gilt, was schon für den ersten Beweis festgestellt wurde: Wenn auch nur eine der genannten Prämissen angefochten wird, ist dieser Beweis der Existenz Gottes, sofern das Universum ewig ist, gescheitert. D a s erste und das vierte A r g u m e n t des M a i m o n i d e s sind ersichtlich Beispiele dessen, was in der westlichen Philosophie als der k o s m o l o g i s c h e G o t t e s b e w e i s b e k a n n t ist. In allgemeiner F o r m geht dieser Beweis so: F ü r alles Existierende m u ß es eine Ursache oder einen B e w e g e r geben. Wenn jede U r s a c h e o d e r jeder B e w e g e r eines Dinges a u ß e r h a l b von diesem w ä r e , dann wäre die U r s a c h e n r e i h e gegeben. D a h e r m u ß es eine Ursache oder einen B e w e g e r geben, der nur sich selbst als Ursache o d e r B e w e g e r hat, und diese Wesenheit heißt G o t t . Es gibt einen, a b e r auch nur einen Sinn, in d e m dieses A r g u m e n t als schlüssig aufgefaßt werden k a n n . Bei aller Vielfalt m ö g l i c h e r Variationen setzt diese F o r m des G o t t e s b e w e i s e s doch stets v o r a u s , d a ß das aristotelische Weltbild in irgendeiner Weise w a h r ist. M i t anderen W o r t e n : M ö g e n auch einige der aristotelischen A n n a h m e n über die Welt abgelehnt werden, es k ö n n e n andere an ihren Platz treten, und das k o s m o l o g i sche A r g u m e n t wird i m m e r n o c h schlüssig beweisen, d a ß G o t t existiert. So k ö n n e n wir etwa die Aussage, d a ß die Kette der W i r k u r s a c h e n nicht endlos sein k a n n , d u r c h die Aussage ersetzen, d a ß F i n a l u r s a c h e n nicht endlos sein k ö n n e n , d a ß E r k e n n t n i s die Erkenntnis der E n d u r s a c h e eines Dinges bedeutet und d a ß E r k e n n t n i s möglich ist. A u f keine Weise aber läßt sich das A r g u m e n t halten, wenn die Veränderungen in den Prämissen so radikal sind, d a ß das vorausgesetzte Weltbild nichts m e h r mit dem aristotelischen zu tun hat. Was s o m i t dieser Beweis feststellt, ist, d a ß G o t t existiert, w e n n m a n dem aristotelischen Weltbild folgt; aber das aristotelische Weltbild ist nicht das einzig m ö g l i c h e . Dies und nicht m e h r b e a n s p r u c h t M a i m o n i d e s mit seinen aristotelischen A r g u m e n t e n zu beweisen. Seinen dritten Beweis bezieht Maimonides aus den Schriften von ibn Sina ( —>Avicenna). Bisweilen wird die Meinung vertreten, daß dieses Argument als eine Version des ontologischen Gottesbeweises -»Anselms von Canterbury zu verstehen sei (so z.B. Parviz Morewedge, Ibn Sina (Avicenna), Malcolm and the Ontological Argument: Monist 54 [1970]). Wie der ontologische Beweis beruht auch das dritte Argument des Maimonides auf einer Analyse der Modalprädikate „notwendig" und „kontingent" und auf der Annahme, daß Modalprädikate gleichermaßen auf Seiendes und auf Aussagen zu beziehen sind. An diesem Punkt aber endet bereits die Ähnlichkeit mit den verschiedenen Fassungen des ontologischen Beweises. Im Kern b e h a u p t e t dieser Beweis in all seinen F o r m e n , die L o g i k des Kategorialbegriffes „ n o t w e n d i g S e i e n d e s " erfordere, d a ß diese Kategorie nicht leer sei. M i t anderen Worten: D e r S a t z „ G o t t existiert n i c h t " wird so gedeutet, d a ß es kein n o t w e n d i g Seiendes gebe, und der Satz „ E s gibt kein n o t w e n d i g S e i e n d e s " ist nicht d e n k b a r . D i e F r a g e , o b zumindest einige F o r m e n des o n t o l o g i s c h e n G o t t e s b e w e i s e s schlüssig sind o d e r nicht, k a n n hier a u ß e r a c h t bleiben. Festzuhalten j e d o c h ist, d a ß dieser Beweis sich von d e m dritten Argument des M a i m o n i d e s sehr wesentlich unterscheidet. Auch ist es k a u m w a h r scheinlich, d a ß er von irgendeinem islamischen oder jüdischen Aristoteliker, einschließlich ibn S i n a , verwendet w o r d e n w ä r e . D a ß dieser B e w e i s , wenn jene P h i l o s o p h e n ihn g e k a n n t h ä t t e n , bei ihnen e b e n s o a u f A b l e h n u n g gestoßen w ä r e wie bei einigen christlichen Aristotelikern des M i t t e l a l t e r s , so z . B . bei - » T h o m a s von A q u i n , liegt teilweise an

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ihrer Erkenntnistheorie. Im Anschluß an Aristoteles gingen sie davon aus, daß alle Erkenntnis auf Sinneserfahrung beruht. Wenn aber das ontologische Argument zutrifft, gibt es zumindest eine Erkenntnis, die von aller Erfahrung unabhängig ist. Maimonides jedenfalls bringt (in seinem dritten Argument) Erfahrung mit ins Spiel. Nach seinen Denkvoraussetzungen ist gegen die Aussage, daß es kein notwendig Seiendes gibt, rein logisch nichts einzuwenden. Sein Gedankengang verläuft vielmehr so, daß aus der Behauptung der Nicht-Existenz eines notwendig Seienden folgen würde, daß es kein kontingentes Seiendes gibt, und Erfahrung, nicht Logik, zeigt, daß dieser Schluß falsch ist. In der Geschichte jüdischer Philosophie findet sich überhaupt nur ein namhafter Denker, der in dem Sinne Rationalist war, daß er eine Erkenntnis aus reiner Vernunft, unabhängig von jeder anderen Erkenntnisquelle (ob Offenbarung, Tradition oder Sinneserfahrung), annahm: Baruch Spinoza. Spinoza war denn auch der erste bedeutende jüdische Philosoph, der eine Version des ontologischen Arguments entwickelte. Zwischen Maimonides und Spinoza werden keine neuen Gottesbeweise vorgetragen. Bei Levi ben Gerson z. B., in seinem Werk Die Kämpfe Gottes (Milchamot Adonai, 1329), werden die Existenz, Einheit und Unkörperlichkeit Gottes nicht einmal thematisiert, da diese Fragen als durch Maimonides erledigt gelten. Nur —>Chasdaj Crescas unternimmt in seinem Licht des Herrn ('Or 'Adonaj, 1410) noch einmal eine Erörterung der Argumente des Maimonides, die auf der Voraussetzung der Ewigkeit der Welt beruhen. Als Maimonides seine 26 Propositionen aristotelischer Philosophie aufzählte, tat er dies, um diejenigen Prinzipien bei Aristoteles, die er für seinen Gottesbeweis benötigte, eigens herauszustellen. Seine Absicht war nicht, eine vollständige Liste von Axiomen einer geometrisch verstandenen aristotelischen Wissenschaft zu liefern. Zu Crescas' Zeiten jedoch wurde seine Liste so aufgefaßt. Crescas analysiert jene Prämissen, mit dem Ziel, die Unzulänglichkeit einer rationalen Theologie nachzuweisen. Für seine jüdischen Vorgänger in der Philosophie war die auf Sinneserfahrung gestützte Vernunft ebenso eine Erkenntnisquelle wie die auf Offenbarung basierende authentische Tradition. Crescas dagegen will zeigen, daß der Glaube nur in Tradition und Offenbarung einen verläßlichen Grund findet. Sein Ergebnis erreicht er durch folgenden Gedankengang: Die aristotelische Wissenschaft ist der beste Ausdruck rationaler Erkenntnis; Grundlage der Wissenschaft sind die 26 Propositionen des Maimonides. Viele dieser Propositionen sind zweifelhaft; daher ist Vernunft als Erkenntnisquelle zweifelhaft, und es bleibt als verläßliche Quelle nur die offenbarte Tradition. Die Kritik, die Crescas so übte, erzeugte bei vielen Juden ein grundsätzliches Mißtrauen gegenüber der Philosophie als einem Weg zur Wahrheit, während andere daraus die Konsequenz zogen, nach einer besseren Wissenschaft als der aristotelischen zu suchen (vgl. Harry A. Wolfson, Crescas' Critique of Aristotle, Cambridge/Mass. 1929). Obgleich Crescas selbst den dritten Gottesbeweis des Maimonides (aufgrund der modalen Eigenschaften der Kontingenz und Notwendigkeit) weiterhin anerkannte, war die Saat für eine generelle Infragestellung der Möglichkeit eines Vernunftbeweises für die Existenz Gottes gesät. Seine Einwände waren besonders schlagend in bezug auf jene Prämissen, die mit dem unklaren Unendlichkeitsbegriff seiner Vorgänger zusammenhingen. Crescas greift die Einsicht des Gersonides auf, daß die Aristoteliker die Möglichkeit einer unendlichen Teilung oder irgendeiner anderen unendlichen Reihe ablehnen mußten, um ihr wissenschaftliches Weltbild gegen die Atomisten aufrechterhalten zu können. Er unterzieht die verschiedenen Argumente des Aristoteles und seiner islamischen und jüdischen Nachfolger gegen die aktuale Existenz unendlicher Ausdehnungen und unendlicher Zahlen einer eingehenden Prüfung und gelangt zu dem allgemeinen Resultat, daß sie samt und sonders nicht schlüssig seien, weil sie durchweg eine Analogie zwischen Eigenschaften endlicher und unendlicher Ausdehnungen und Zahlen voraussetzten, während doch die Eigenschaften einer unendlichen Ausdehnung und Zahl völlig anders geartet sein müßten. Im Zuge dieser Überlegung verweist Crescas auf die von den Aristotelikern selbst behauptete radikale Differenz zwischen den Gesetzestypen, die in der sublunaren

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Welt der vier Elemente, und jenen, die in der supralunaren Welt des fünften Elements gelten. Wie es kaum eine Analogie zwischen dem fünften und den anderen vier Elementen gebe, so gebe es auch keine Analogie zwischen einem tatsächlich Unendlichen und dem, was endlich ist. Das Muster für diese Art der Argumentation gegen die Philosophie des Maimonides findet sich in dessen eigenem Führer der Schwankenden, wo entwickelt wird, daß es keine Analogie zwischen irgendeinem der Geschöpfe Gottes und Gott selbst geben könne. Aus denselben Gründen, aus denen Maimonides Aussagen über die Eigenschaften Gottes für unmöglich hält, schließt Crescas jede Analogie zwischen den angenommenen Eigenschaften der Erde und der göttlichen Himmel aus. Das Ziel seines Arguments ist es, die Möglichkeit einer unendlichen, unkörperlichen Ausdehnung nachzuweisen, woraus wiederum die Möglichkeit einer unendlichen Kette von Ursachen und Wirkungen abzuleiten wäre; und damit wäre dann auch der Beweis des Maimonides für die Existenz eines ersten Bewegers (Gottes) entkräftet, den dieser aufgrund aristotelischer Wissenschaft führen zu können glaubte. Es dauerte lange, bis diese Kritik des Crescas von einem jüdischen Philosophen in all ihrem Gewicht aufgenommen wurde. Erst Spinoza zog in seiner Ethik (1674) daraus die Konsequenzen und postulierte ein Universum, in dem es tatsächlich Unendlichkeit, einschließlich unendlicher Ausdehnung, gibt, und einen G o t t , der in jeder Hinsicht, einschließlich seiner Ausdehnung, unendlich ist.

9. Baruch Spinoza

(1632-1677)

Im 11. Lehrsatz des 1. Buches seiner Ethik legt -»Spinoza drei Beweise für das Dasein Gottes vor. Der dritte ist eine Abwandlung des dritten Beweises von Maimonides, der auf Modalprädikaten beruht. Bei Spinoza hat er die folgende Gestalt: (1) „Nicht dasein können (posse), ist Unvermögen (impotentia), und dagegen dasein können, ist Vermögen ipotentia)". (2) Das absolut unendliche Seiende (d. h. Gott) ist mächtiger (potentior) als das endliche Seiende. (3) Wenn nur endliches Seiendes existierte, wäre das endliche Seiende mächtiger als das unendliche Seiende, was unmöglich ist. Daher ist (4) entweder nichts da, oder es ist eine absolut unendliche Substanz da. Da aber (5) etwas da ist, ist auch (6) eine absolut unendliche Substanz, also Gott, da. Die ersten beiden Argumente entsprechen den ersten beiden Formulierungen des ontologischen Gottesbeweises durch Anselm in dessen Proslogion und stellen, zumindest bei Spinoza, zwei verschiedene Fassungen ein und desselben logischen Arguments dar. Wenn man sie miteinander verbindet, läuft Spinozas ontologischer Beweis folgendermaßen: (1) Gott ist per definitionem das absolut unendliche Seiende (ens absolute infinitum),d. h. die Substanz, die auf unzählige Weisen begriffen werden kann (oder in Spinozas Worten, „die aus unendlichen Attributen besteht"), deren jede Unendliches ausdrückt (bzw. „deren jedes ein ewiges und unendliches Wesen [essentiam] ausdrückt") - also eine Substanz, die in jeder Hinsicht unendlich ist (Definition 6). (2) Substanz ist per definitionem das, „was in sich ist und aus sich begriffen wird"; d.h. sowohl ihre Existenz als auch die Art, in der sie begriffen wird, sind unabhängig von allem anderen als sie selbst, oder in der Sprache mittelalterlicher jüdischer Philosophie: Eine Substanz ist per definitionem eine notwendige Wesenheit (Definition 3). (3) Die Existenz oder Nicht-Existenz aller Dinge hat eine Ursache; mit anderen Worten, nichts existiert lediglich durch Zufall. (4) Die Ursache ist entweder das Ding selbst oder etwas anderes als es. Wo die Ursache etwas anderes ist als das Ding selbst, ist das verursachte Ding so beschaffen, daß seine Existenz und sein Begriff von etwas anderem abhängig sind - in Spinozas Sprache: das Ding ist ein Modus (Definition 5), oder in der Sprache mittelalterlicher jüdischer Philosophie: eine kontingente Wesenheit. Wo die Ursache das Ding selbst ist, ist das Ding entweder ein notwendig Seiendes (d. h. Substanz) oder eine Chimäre. Im letzteren Fall existiert das Ding notwendigerweise nicht allein aus dem, was es ist, und im ersteren Fall existiert das Ding (wiederum) notwendigerweise allein aus dem, was es ist. (5) Das Dasein folgt aus der Natur einer Substanz, d. h. wenn eine Substanz nicht existierte, wäre sie keine Substanz (Lehrsatz 7).

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Gottesbeweise I

(6) Da Gott (aufgrund von 1) eine Substanz ist, wäre Gott (aufgrund von 5), wenn er nicht existierte, nicht Gott. (7) Daher existiert Gott notwendigerweise. Der kritische Schritt der Argumentation ist der fünfte (Spinozas Lehrsatz 7). Ausgehend von seiner Definition der Substanz (Definition 3) und der Attribute (Definition 4) wird er von Spinoza folgendermaßen begründet: (a) (Axiom 4) Die Erkenntnis einer Wirkung schließt die Erkenntnis ihrer Ursache in sich, (b) (Axiom 5) Wenn zwei Dinge nichts miteinander gemein haben, können sie nicht wechselweise auseinander erkannt werden, (c) (Lehrsatz 3) Wenn zwei Substanzen verschiedene Attribute haben, kann nicht eine die Ursache der anderen sein. (Dies folgt aus Axiom 4 und 5, verknüpft durch die unausgesprochene Annahme, daß ein Ding durch ein anderes Ding dann und nur dann begriffen wird, wenn das erstere die Ursache des letzteren Dinges ist.) (d) Keine Substanz kann die Ursache einer anderen Substanz sein. (Dies folgt aus Lehrsatz 3 und der auf den Definitionen von Substanz und Attribut beruhenden, unausgeprochenen Annahme, daß zwei Substanzen, die ein gemeinsames Attribut haben, ein und dieselbe Substanz sind.) (e) Da Hervorbringen eine Unterform von Verursachen ist, kann keine Substanz eine andere Substanz hervorbringen, (f) Wenn daher eine Substanz existiert, muß ihr Dasein aus ihrer Natur folgen. Die entscheidende, unausgesprochene Annahme in Spinozas Fassung des ontologischen Gottesbeweises ist sein erstes Axiom, daß nämlich alles, was ist, entweder in sich selbst oder in einem anderen existiert (d.h. entweder eine Substanz oder ein M o d u s ist) und daß nichts anderes existiert. Da die Existenz von Modi letztlich von Substanzen abhängt, kann nichts existieren, wenn keine Substanz existiert. Somit zeigt Spinozas Argument, genau gesagt, dies, daß unter der Voraussetzung von Spinozas Ontologie, die in seinen einleitenden Definitionen und Axiomen enthalten ist, Gott, verstanden als eine absolut unendliche Substanz, existiert. Das Argument ist jedoch allein im Rahmen der zugrundeliegenden Ontologie gültig, die selbst lediglich postuliert, nicht aber bewiesen wird. 10. Moderne jüdische

Theologie

Spinozas Aussagen in seiner Ethik bilden den Abschluß der Bemühungen um einen unabhängigen, formalen Beweis der Existenz Gottes in der jüdischen Philosophie. Es ist ein Abschluß in zweierlei Hinsicht. Einerseits bietet Spinoza die differenzierteste und umfassendste Erörterung des Problems, insofern er die Einsichten seiner jüdischen Vorgänger integriert, deren Beschränkungen durch einen unzureichenden Unendlichkeitsbegriff überwindet und die eine H a u p t f o r m eines Gottesbeweises, die bei ihnen fehlt, nämlich den ontologischen Beweis, aufnimmt. Zum zweiten ist Spinoza der letzte, der auf diese Art die Existenz Gottes zu beweisen sucht. Die wenigen jüdischen Philosophen, die sich weiter an formalen Gottesbeweisen interessiert zeigten - vor allem M . -»Mendelssohn in seinen Morgenstunden (1785) —, brachten kaum neue Gedanken in die Diskussion ein. Im allgemeinen haben moderne jüdische Philosophen das Urteil -»Humes, daß die Existenz Gottes unbeweisbar sei, akzeptiert. Sie teilen entweder die Überzeugung -» Kants, daß die Erkenntnis der Existenz Gottes religiös-moralischem Glauben und nicht wissenschaftlichem Vernunftdenken entspringt, oder sie behaupten das Dasein Gottes als notwendigen Bestandteil eines ontologischen Systementwurfs. So liegt z. B. der Gottesbeweis F. ->Rosenzweigs im Stern der Erlösung (1921) in der Vorstellung eines Universums, das aus den Elementen Gott, Welt und Mensch gebildet ist, und ähnlich postuliert M . -+Buber in Ich und Du (1923) eine Ontologie, deren Grundbegriffe „Ich-Du" und ,,IchEs" den weiteren Begriff „Ich-ewiges D u " nach sich ziehen, den Buber mit Gott identifiziert. In diesen Fällen finden sich keine spezifischen Gottesbeweise; vielmehr sind die Systeme selbst die Beweise. Im letzten Viertel des 20. Jh. gibt es, zusammenfassend gesprochen, kaum einen westlichen Philosophen, ob Nicht-Jude oder auch bekennender Jude, der einen schlüssigen, formalen Beweis der Existenz Gottes für möglich hielte. Einige nicht-jüdische Philoso-

Gottesbeweise I

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phen wie N o r m a n M a l c o l m setzen sich für eine Neubesinnung auf den ontologischen Gottesbeweis ein, dessen Widerlegung durch H u m e und Kant ihnen nicht zwingend erscheint. D a s zeitgenössische jüdische Denken jedoch ist durch diese laufende philosophische Diskussion nur sehr geringfügig beeinflußt. Und in jedem Fall w a r und ist es für jüdische Philosophie nicht eigentlich die Existenz Gottes, die in dieser Debatte auf dem Spiel steht, sondern vielmehr die Reichweite menschlicher Vernunft in Dingen des jüdischen Glaubens. Für ibn D a u d w a r die Aussage, daß G o t t existiert, eine wissenschaftliche und nicht eine religiöse Aussage; für M a i m o n i d e s , Gersonides und Spinoza gehörte sie beiden Bereichen an. Dagegen sind die meisten heutigen jüdischen Philosophen, wie schon Crescas, der Überzeugung, d a ß die Existenz Gottes jenseits dessen liegt, was durch Philosophen und Naturwissenschaftler bewiesen werden kann. 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Gottesbeweise II

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II. Mittelalter 1. Einführung 2. Die Ratio Anselmi und augustinische Frömmigkeit 3. Kaläm und Falsafa im 55 mittelalterlichen Islam 4. Thomas von Aquin und die Quinque Viae 5. Von Johannes Duns Scotus zu Wilhelm von Ockham (Anmerkungen S. 739/Literatur S.776)

Gottesbeweise II

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1. Einführung Bestimmte Beweise für Gottes Existenz fanden zu ihrer „klassischen" Ausprägung während des europäischen Mittelalters, wobei es für den Zweck dieser Darstellung zureichen dürfte, die zeitliche Erstreckung dieser Epoche etwa vom Jahre 800 (dem Jahr der Krönung Karls d. Gr.) bis ungefähr zur Mitte des 14. Jh. anzunehmen (d.h. bis zu der Zeit, in welcher der Schwarze Tod eine große Zahl der führenden Denker Europas dahinraffte, unter ihnen höchstwahrscheinlich auch Wilhelm von Ockham). Notwendigerweise kann es dabei in der Zielsetzung dieses kurzen Teilartikels nur um das Problem des europäischen Mittelalters gehen. Dementsprechend müssen wir hier auch, wenngleich nur zögernd, die Gottesbeweise aus der Darstellung ausklammern, wie sie in Indien innerhalb des vergleichbaren Zeitraumes verbreitet waren (dazu s.u. S. 766). Aber abgesehen von dieser Einschränkung kann hier nicht einmal der Versuch unternommen werden, alle Beweise für Gottes Existenz aufzulisten, die sich im Denken des mittelalterlichen Europas finden, ebensowenig wie den jeweiligen Ort der Beweise in der historischen Entwicklung der mittelalterlichen Theologie zusammenfassend nachzuzeichnen. Dieses Kapitel der Theologiegeschichte müßte dringend geschrieben werden. Somit können in dieser kurzen Übersicht nur die Hochpunkte der Entwicklung berührt werden: Die Anzahl der zu nennenden Personen bleibt beschränkt; der historische Hintergrund und die scholastische Begrifflichkeit kommen nur zur Sprache, soweit es notwendig ist. Allerdings wird eine gewisse Aufmerksamkeit den nichtchristlichen (insbesondere islamischen) Beiträgen zur mittelalterlichen Auseinandersetzung um die Gottesbeweise zu widmen sein. Zumindest aus zwei Gründen sollte die Bedeutung der nichtchristlichen Beiträge hervorgehoben werden: Zum einen war die Zeit des Mittelalters in religiöser Hinsicht vielfältiger, als es bisweilen von dem Nicht-Fachmann angenommen wird. Selbst dann, wenn man zugeben sollte, daß das Mittelalter in gewisser Weise ein „Zeitalter des Glaubens" war (wobei diese Annahme als solche schon problematisch wäre), kann die Epoche dennoch nicht ausschließlich als ein Zeitalter christlichen Glaubens umschrieben werden. Nicht wenige Muslims und Juden sind unter die herausragendsten Geister der Zeit zu rechnen. Zum anderen tritt zunehmend deutlicher ins Bewußtsein, wie wenig „ursprünglich" manche Überzeugungen der christlichen Fundamentaltheologie jener Zeit sind. „Christliche" Beweise für Gottes Existenz waren bezeichnenderweise Rezeptionen von Beweisen, die ihre erste Entfaltung in den verwandten Religionen -»Judentum und -»Islam gefunden hatten; und selbst wenn diese Beweise offenkundig von -»Aristoteles abkünftig sind, werden sie in der Regel aus jüdischen und islamischen Quellen geschöpft. Nicht weniger als drei der berühmten Quinque Viae des Thomas von Aquin beispielsweise sind geradezu wörtlich in den Schriften von al-Färäbi zu finden, und zumindest einer ist aller Wahrscheinlichkeit nach von Maimonides (-»Mose ben Maimoii) übernommen. 2. Die „Ratio Anselmi"

und augustinische

Frömmigkeit

—»Augustin von Hippo (354-430) gehörte zur Alten Welt, noch nicht zur Welt des Mittelalters, selbst wenn er bisweilen einen hervorragenden Platz in den Darstellungen des mittelalterlichen Denkens einnimmt. Im Blick auf die frühe Entwicklung der mittelalterlichen Theologie kann er allenfalls als eine Brücke zwischen den beiden Welten betrachtet werden. Seine neuplatonische Philosophie in Verbindung mit seiner spezifisch christlichen Frömmigkeit prägte die Welt mittelalterlichen Denkens einerseits vor der Wiederentdeckung des Aristoteles und andererseits erneut nach der Verurteilung des „Averroismus". Augustins entscheidender Einfluß ist nicht zuletzt im Denken -»Anselms von Canterbury (1033-1109) zu erkennen, d.h. eines Theologen, der die Wahrheit seiner eigenen, mitunter umstrittenen Theologie an ihrer Übereinstimmung mit derjenigen des Bischofs von Hippo maß (Op. Om. 1,8, Z. 8 - 9 ) . Augustin selbst hat keine ausführlichen Beweise für Gottes Existenz entwickelt, die als rationale Begründung eines Gottesglaubens gelten könnten. Zugleich aber war der Theo-

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G o t t e s b e w e i s e II

löge, der das W o r t credo ut intelligam prägte, zutiefst d a v o n überzeugt, d a ß der G l a u b e in der T a t in d e m Sinne r a t i o n a l ist, d a ß das, w a s geglaubt wird, der m e n s c h l i c h e n Vernunft einsichtig g e m a c h t werden k ö n n e . D i e Vernunft ist z w a r nicht einfach das m o v e n s des G l a u b e n s , sondern G o t t selbst b e w i r k t im M e n s c h e n den Willen zu g l a u b e n ; der G l a u b e a b e r ist w i e d e r u m die G r u n d b e d i n g u n g des Verstehens, und dieses ist des G l a u b e n s L o h n . Beweise für G o t t e s E x i s t e n z in der A r t , wie sie sich in Augustins Schriften b r u c h s t ü c k h a f t finden, h a b e n mithin nicht die A u f g a b e eines Evidenz- oder D e m o n s t r a t i o n s b e w e i s e s , sondern sind Z e i c h e n für oder Erinnerungen an den G l a u b e n . D a s augustinische credo ut intelligam wird zum a n s e l m i a n i s c h e n fides quaerens intellectutn, wie denn auch der T r a k t a t , der heute als Proslogion ( O p . O m . 1,94,7) b e k a n n t ist, ursprünglich unter diesem T i t e l verbreitet w a r . A n s e l m wird auch die eigentliche Urheb e r s c h a f t des s o g e n a n n t e n „ o n t o l o g i s c h e n G o t t e s b e w e i s e s " (Kant) zugeschrieben, o b w o h l der Beweis in Ansätzen bereits in Augustins eigenem D e n k e n v o r h a n d e n und von ibn STnä v o r w e g g e n o m m e n w o r d e n sein m a g . I m M i t t e l a l t e r w a r er schlicht als die ratio Anselmi b e k a n n t . E r findet sich im Proslogion, w o b e i seine Auslegung bereits in seiner Entstehungszeit U r s a c h e von nicht geringer K o n t r o v e r s e w a r (und heute n o c h ist). Es dürfte richtig sein (und entspricht auch Anselms eigener Vorstellung), das Proslogion vom A n f a n g bis zum E n d e als die Darstellung eines einzigen Beweises ( u n u m argumentum) zu

lesen, „ q u o d nullo alio ad se probandum quam se solo indigeret, et solum ad astruendum quia deus vere est, et quia est summum bonum nullo alio indigens, et quo omnia indigent ut sint et ut bene sint, et quaecumque de divina credimus substantia, sufficeret" (Op. Om.

1,93). D i e s e r „ e i n e B e w e i s " wird in zwei sich wechselseitig unterstützende W e g e zerlegt, w o b e i der eine Weg es v o r allem mit G o t t e s Existenz zu tun hat (Pros. I I - I V ) und der andere mit seiner Natur (Pros. V - X X V I ) . A m E n d e freilich sind die beiden Wege für A n s e l m insoweit einer, als es von seiner Überzeugung her G o t t e s N a t u r ist, in einem einzigartigen Sinne zu existieren, so d a ß G o t t e s E x i s t e n z und N a t u r letztlich nicht voneinander getrennt werden k ö n n e n . W i e d e r u m im G e f o l g e Augustins nennt A n s e l m dabei die Weise, a u f welche G o t t - und nur er allein - existiert, vere esse.1 Alle a n d e r e n D i n g e existieren ihm gegenüber allein a u f eine Weise, die im Vergleich mit G o t t e s E x i s t e n z w e i s e in verschiedenen A b s t u f u n g e n mit M ä n g e l n behaftet sind. Streng g e n o m m e n , existiert allein G o t t ( O p . O m . 1,103,3 ff). D e r B e g r i f f n e r e esse liefert dabei einen wichtigen, w e n n gleich mitunter übersehenen H i n w e i s a u f die Zielsetzung u n d S t r u k t u r der ratio Anselmi. A n s e l m versucht n i c h t , mit diesem Beweis die b l o ß e T a t s a c h e von G o t t e s E x i s t e n z darzulegen. E r b e m ü h t sich eher zu zeigen, d a ß G o t t a u f die Weise existiert, wie wir g l a u b e n , d a ß er existiert. E r versucht dies vermittels eines einzigen, wenngleich auf m a n c h e n U m wegen sich darstellenden Beweises, der sich von Proslogion II zu Proslogion I V erstreckt und dessen Umrisse d u r c h zwei G e b e t e m a r k i e r t werden (ein Bitt- und ein D a n k g e b e t ) und den H i n w e i s a u f den T o r e n , der in seinem H e r z e n sagt: Es gibt keinen G o t t ( O p . O m . 1 , 1 0 1 , 1 0 3 f ) . Proslogion II versucht zu zeigen, d a ß das, „ ü b e r das hinaus nichts G r ö ß e r e s g e d a c h t werden k a n n " , in der W i r k l i c h k e i t und nicht allein im Verstand existiert; Proslogion III gründet sich a u f Proslogion II in d e m Versuch des N a c h w e i s e s , d a ß G o t t d a r ü b e r hinaus nicht als nicht-existierend g e d a c h t werden k a n n ; und Proslogion I V — das hier nicht in die E r ö r t e r u n g einbezogen werden k a n n - beleuchtet zwei verschiedene Wege, a u f welchen die E x i s t e n z G o t t e s begriffen werden k ö n n e , w o b e i im weiteren Verlauf der A r g u m e n t a t i o n die Aussagen v o n Proslogion II und III vertieft werden und dadurch schließlich d e m T o r e n d u r c h eine B e k r ä f t i g u n g der Ü b e r z e u g u n g , d a ß G o t t nicht nichtexistieren k a n n , eine endgültige N i e d e r l a g e bereitet wird. Proslogion I ist, obwohl nicht eigentlich Bestandteil der ratio Anselmi, zu ihrer angemessenen Auslegung dennoch notwendig. Anselm, der die Entfremdung der Menschheit von ihrem göttlichen Grund beklagt, bittet, daß es ihm vergönnt sei, vel de longe, vel de profundo zumindest einen flüchtigen Blick auf Gott werfen zu können (Op. Om. 1,100,8). Dabei verhehlt Anselm auch nicht seinen tiefsten und kühnsten Wunsch - nämlich Gott so zu erkennen, wie er ist (Op. Om. 1,100, Z. 8).

Gottesbeweise II

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Sein Streben nach der Erkenntnis des eigentlichen Seins Gottes geschieht dabei durch den kontemplativen Gebrauch der Vernunft. Das steht in völliger Übereinstimmung mit dem, was er zuvor in seinem Monologion ausgeführt hat: daß wir allein durch die Vernunft Gott so, wie er ist, am nächsten kommen (Op. Om. I,77f). All dies enthält naturgemäß kein Lob der in einer späteren Zeit j erdachten „autonomen Vernunft", denn Anselms Position - und wiederum ist es auch diejenige Augustins - ist die, daß Gott selbst uns zu dem Verstehen hinführt, nach dem wir streben: „Doce me quaerere te, et ostende te quaerenti; quia nec quaerere te possum nisi tu doceas, nec invenire nisi te ostendas" (Op. Om., 1,104). Die ratio Anselmi ist somit auf der Grundlage eines denkenden Glaubens errichtet, d.h. eines Glaubens, der einerseits ein tieferes Verstehen des göttlichen Wesens sucht, 10 der sich aber andererseits völlig darüber im klaren ist, daß ein solches Verstehen zunächst nur als Gabe zukommen kann, so wie es jenes Wort nisi credidero, non intelligam (Op. Om. 1,100,19) ausdrückt. Die vermeintliche Kreisbewegung des Argumentationsganges in Proslogion II und III ist dabei von dem Standpunkt her zu verstehen, wie er in Proslogion I dargelegt wird. Auf jeder ihrer Argumentationsstufen bewegt sich die ratio Anselmi von der Prämisse, die einen Glaubensgegen15 stand darstellt, hin zu Schlußfolgerungen, die Gegenstand des Verstehens sind, bis am Ende die absolut einzigartige Natur von Gottes Existenz gänzlich verstanden ist.

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Proslogion II verspricht aufzuweisen, quod vere sit deus; es hebt mit dem Glaubensgegenstand an, daß Gott als aliquid quo maius nihil cogitari potest (Op. Om., 1,101, Z. 8; vgl. Z. 5) zu bezeichnen ist, und bewegt sich zu der Verstehensaussage hin, daß ein solches Seiendes ohne Zweifel et in intellectu et in re (Op. Om. 1,102,3) existiert. Die Beschreibung Gottes, mit der Anselm seinen Argumentationsgang beginnt, ist dabei nicht seine eigene geschickte Erfindung, durch die er den Leser dazu zu überlisten hofft, die aus ihr erwachsenden Schlußfolgerungen anzunehmen. Weit davon entfernt, die Bedeutung des Wortes „ G o t t " willkürlich festzulegen, legt Anselm vielmehr gläubig dar, quod credimus. Die von ihm vorgelegte Definition des Gottesbegriffs - übrigens bereits bekannt in der Stoa 2 — wurde vor ihm in der christlichen Theologie nahezu identisch schon bei Augustin und Boethius verwendet 3 , ja, sie findet sich sogar in den Schriften des islamischen Philosophen al-Färäbi 4 . „Das, über welches hinaus nichts Größeres gedacht werden kann", ist somit weit davon entfernt, eine „neue" Aussage zu sein. Anselm beginnt damit, daß er seine Leser nur daran erinnert, was gemeinhin und in der Regel mit dem Wort „ G o t t " gemeint ist. Dann kann er fortfahren, bestimmte Folgerungen zu entwickeln, die sich notwendigerweise aus diesem Verständnis Gottes ergeben. Das Hauptargument für die Existenz eines solchen Seienden besitzt in Proslogion II die Gestalt einer reductio ad absurdum gegenüber dem Toren von Psalm 14,1. Selbst von dem Toren darf gesagt werden, daß er die Formulierung „das, über welches hinaus nichts Größeres gedacht werden kann" zu begreifen vermag, so daß man sagen kann, daß ein solcher Begriff zumindest in seinem Verstand existiere. Was aber immer „im Verstand" zu sein vermag, kann zugleich als etwas vorgestellt werden, das sich auch in der Wirklichkeit zu bewahrheiten vermag. Mehr noch: Alles, was sowohl im Verstand wie auch in der Wirklichkeit existiert, ist „größer" oder „vollkommener" als alles, was allein im Verstand existiert. All dies verstehe selbst der Tor, sagt Anselm; aber er besteht trotzdem auf der Aussage „Es gibt keinen G o t t " und verstrickt sich damit in Widersprüche. Denn der Tor vertritt die Ansicht, daß „das, über welches hinaus nichts Größeres gedacht werden kann", nicht in der Wirklichkeit existiert, dies aber — und das folgt aus den oben dargelegten Voraussetzungen —ist logisch gleichbedeutend mit der Aussage, daß „das, über welches hinaus nichts Größeres gedacht werden kann" nicht „das, über welches hinaus nichts Größeres gedacht werden kann", ist. Dies ist eindeutig absurd. Deshalb, so schließt Anselm in Proslogion II, muß „das, über welches hinaus nichts Größeres gedacht werden kann", notwendigerweise sowohl in der Wirklichkeit wie im Verstände existieren. Eigentümlicherweise folgert Anselm daraus noch nicht ausdrücklich, daß Gott existiert, geschweige denn, daß er wahrhaft existiert. Diese Folgerungen werden ausdrücklich erst in Proslogion III gezogen und in Proslogion IV weiter aufgelichtet.

Proslogion III, das bisweilen fälschlicherweise für einen zweiten, von Proslogion II unabhängigen 50 Gottesbeweis gehalten worden ist ( —»Gottesbeweise III. 2.1), gründet sich auf den Beweisgang, der im vorhergehenden Abschnitt begonnen wurde, und führt ihn zugleich weiter. Von der gegebenen Voraussetzung her, daß „das, über welches hinaus nichts Größeres gedacht werden kann", sowohl im Verstand wie in der Wirklichkeit existiert, unternimmt es Anselm nunmehr, vermittels einer zweiten reductio zu zeigen, daß ein solches Seiendes als nicht-existierend nicht einmal gedacht 55 werden kann. Die Argumentationsweise ist ähnlich derjenigen in Proslogion II: Ein Seiendes, dessen Existenz in re notwendig ist, wäre größer als ein Seiendes, dessen Existenz in re nur kontingent ist, so daß es unmöglich wäre, widerspruchsfrei zu denken, daß „das, über welches hinaus nichts Größeres gedacht werden kann", nicht et in re existieren könnte. Hier zeigt der Argumentationsgang nicht allein wie in Proslogion II, daß ein solches Seiendes notwendigerweise existiert, so daß es als existie60 rend gedacht werden muß, sondern daß die Existenz eines solchen Seienden in dem Sinne notwendig ist, daß es nicht als nicht-existierend gedacht werden kann. Der Begriff „notwendige Existenz" in Proslogion III ist in seiner Auslegung umstritten und eindeutig entscheidend für das Gelingen der

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Gottesbeweise II

ratio Anselmi. Der Begriff des „notwendigen Seienden" ist keineswegs ursprünglich anselmianisch. Vor Anselm wurde er bereits von Aristoteles verwendet und sollte später auch von den islamischen faläsifa und von dem Christen -*Thomas von Aquin verwendet werden, und zwar im Sinne eines unvergänglichen Seienden. Aber ist dies der Sinn, in welchem Anselm von einem „notwendigen Seienden" spricht? Es wird gelegentlich gesagt, daß er statt dessen den Begriff stärker im Sinne von logischer Notwendigkeit übernommen habe, worin ihm ibn STnä voraufgegangen wäre, so daß die Leugnung der Existenz Gottes nicht allein ein Fehler in actu wäre, sondern auch ein logischer Widerspruch 5 . Leider ist Anselms Text bewußt zweideutig und vermag im Sinne eines einigermaßen zusammenhängenden Gedankenfortschritts sowohl auf die eine wie die andere Weise gelesen zu werden. Anselm sagt niemals, daß Gottes Nicht-Existenz logisch einen Widerspruch darstellte, sondern daß sie unvorstellbar sei. „Unvorstellbar" wäre Gottes Nicht-Existenz jedoch in beiden Fällen. Die genaue Bedeutung des „notwendig Seienden" ist dabei deshalb eindeutig entscheidend für das Gelingen des anselmianischen Beweises, weil Anselm selbst diesem Begriff so große Bedeutung zugemessen hat. Welche Bedeutung freilich auch immer mit dem Begriff des „notwendig Seienden" zu verbinden ist - es ist dennoch klar, daß nach Anselm allein von einem Seienden, dessen Existenz in re notwendig ist, gesagt werden kann, daß es wirklich existiert, vere esse besitzt. Vielleicht versteht sich Anselm deshalb erst an dieser Stelle zu dem Gedankenfortschritt, daß „solch ein Seiendes" Gott ist, wobei er damit zugleich dem Verstand bestätigt, was am Anfang seines exercitium nur dem Glauben zugänglich war: „Et hoc es tu, domine deus noster. Sic ergo vere es, domine deus meus, ut nec cogitari possis non esse ...Et quidem quidquid est aliud praeter te solum, potest cogitari non esse. Solus igitur verissime omnium, et ideo maxime omnium habes esse: quia quidquid aliud est non sie vere, et idcirco minus habet esse" (Op. Om. 1,103). Allein ein solches Verstehen der göttlichen Existenz wird auch dem Gott gerecht, an den wir glauben (credimus). Die ratio Anselmi macht also dem Verstand nicht die bloße Tatsache von Gottes Existenz zugänglich, sondern deren einzigartige Besonderheit. Gott existiert allein auf die ihm eigene Weise, und er existiert auf diese einzigartige Weise, weil er in seiner Natur einzig ist. Folglich ist die Frage der göttlichen Existenz für Anselm untrennbar mit der Frage der Natur Gottes verbunden. Ganz im Gegensatz zu -»Johannes Scotus Eriugena (810-877) vor ihm oder dem Thomas von Aquin nach ihm vertrat Anselm die feste Überzeugung, daß wir nicht wissen können, daß Gott ist, ohne zu wissen, was er ist. Die ratio Anselmi w a r im Mittelalter ebenso umstritten, wie sie es in der Gegenwart geworden ist. Sie w a r nicht ohne Apologeten, insbesondere aus den Reihen der —»Franziskaner. Alexander von Haies ( - » A l e x a n d e r Halesius) w a r unter ihren Befürwortern; aber sein berühmter J ü n g e r - » B o n a v e n t u r a (um 1 2 1 7 - 1 2 7 4 ) wurde im 13. J h . zusammen mit seinen späteren Schülern ihr Hauptverteidiger, und zwar zu jener Zeit, als sie vornehmlich im Z e n t r u m der Angriffe seitens der Dominikaner stand. Bonaventuras herausragendster Schüler und deutlichster Apologet des Beweises w a r M a t t h ä u s von A q u a s p a r t a (um 1 2 4 0 - 1 3 0 2 ) . Eine A b w a n d l u n g des anselmianischen Beweises findet sich außerdem im Opus Oxoniense des J o h a n n e s - » D u n s Scotus. Anselms früher Kritiker, der M ö n c h Gaunilo, erhielt im übrigen von Anselm eine Erwiderung, die zusammen mit Gaunilos Einwänden und Proslogion II—IV zu Lebzeiten Anselms als Sumptum ex eodem libello (Op. O m . 1 , 1 2 3 - 1 3 9 ) weit verbreitet war. Der a m meisten geachtete u n d - z u s a m m e n mit Kant - immer noch einflußreichste Kritiker des Beweises w a r der Dominikaner - » T h o mas von Aquin, ein Zeitgenosse des Franziskaners Bonaventura an der Pariser Universität. 3. Kaläm und Falsafa

im mittelalterlichen

Islam

Z w e i in charakteristischer Weise unterschiedliche Gestalten des heute sogenannten kosmologischen Gottesbeweises sind im Umkreis des mittelalterlichen Islam entstanden, um von ihm her auch im jüdischen und sodann im christlichen Denken Verbreitung zu finden. Die mutakallimim — das arabische Gegenbild zu den scholastischen Theologen — entwickelten verschiedene Versionen des Beweises von der Zeitlichkeit ( h u d ü t h ) des Seienden her, während die faläsifa — die eher „ w e l t l i c h e n " Philosophen - den von Aristoteles her beeinflußten Beweis von der Kontingenz oder Möglichkeit des Seienden her bevorzugten (jawäz). Beide Arten des kosmologischen Gottesbeweises wurden in der Folgezeit von führenden jüdischen und christlichen Denkern des Mittelalters übernommen: Die feij/äm-Gestalt des Beweises v o m zeitlichen Regreß her von - » S a a d j a ben Josef G a o n ( 8 8 2 - 9 4 2 ) und a u c h von B o n a v e n t u r a ; sie wurde dagegen von - » M o s e ben M a i -

Gottesbeweise II

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m o n (auch Maimonides) und ähnlich von T h o m a s von Aquin abgelehnt, da sich beide f ü r eine Gestalt des kosmologischen Gottesbeweises entschieden, welche seiner falsafa-Gestalt, d. h. einer A r g u m e n t a t i o n f ü r Gottes Existenz von der Kontingenz des Seienden her, näherkam. 3.1. Charakteristisch f ü r die kaläm-Gestalt des kosmologischen Gottesbeweises d . h . f ü r seine A u s p r ä g u n g im Sinne eines Beweises von der Zeitlichkeit des Seienden her ist das Beharren auf der Überzeugung, d a ß das Universum einen A n f a n g in der Zeit hat. Dieser Beweis hängt also mit der Koranlehre von der creatio ex nihilo z u s a m m e n , steht jedoch nicht im Einklang mit der aristotelischen Lehre von der Ewigkeit der Materie. Von den mutakallimün bevorzugt, w u r d e er vor allem von Abu Yüsuf Y a ' q ü b b. Ishäq alKindT (um 800 - um 870), der in weiten Kreisen als der erste arabische Philosoph angesehen w i r d , vorgebracht und von Abu H a m i d M u h a m m a d ibn T ä ' ü s A h m a d al-Tüsi alS h ä f i ' i (1058-1111), allgemein al-Ghazäll g e n a n n t , weiter ausgestaltet. Al-Kindi vertrat die Überzeugung, d a ß , w e n n der Beweis möglich sei, d a ß es einen A n f a n g der Zeit des Universums gebe, d a r a u s folgen müsse, d a ß es einen Schöpfer gebe, da das Universum als ganzes nicht selbstverursacht sein k ö n n e . In seinem T r a k t a t über die Erste Philosophie lieferte er drei verschiedene, w e n n auch leicht verworrene Argumente f ü r die Erschaffung des Universums: eines von der b e h a u p t e t e n Endlichkeit des R a u m e s , der Zeit und der Bewegung h e r 6 ; ein A r g u m e n t von der b e h a u p t e t e n Endlichkeit der „ Z u s a m m e n s e t z u n g " der Dinge im Universum 7 ; und schließlich noch ein andersgeartetes A r g u m e n t von der Zeit her, in d e m ein unendlicher zeitlicher Regreß als widersprüchlich b e h a u p t e t w i r d 8 . N a c h d e m al-Kindl A r g u m e n t e beigebracht hat für die N o t w e n d i g k e i t einer Ursache f ü r alles, was ist, erklärt er, d a ß die einzige Ursache, die zureicht, die Ursache von allem gewesen zu sein, „ d e r W a h r e " o d e r „ G o t t " ist: „ D e r Wahre ist der Erste, der Schöpfer, der alles erhält, w a s Er erschaffen hat; und alles,was Seines Haltes und Seiner M a c h t ledig ist, sinkt in sich zurück u n d v e r s c h w i n d e t " 9 . Der Wahre ist mithin die Ursache des Universums in einem doppelten Sinn. Er schafft nicht n u r das Universum, sondern er erhält es notwendigerweise auch in jedem Augenblick, indem er allein d u r c h seinen Willen das Seiende d a v o r b e w a h r t , in eine Reihe willkürlich einander zugeordneter Einzelteile auseinanderzufallen. Die erste Sinngebung des Verstehens von göttlichem Schöpfertum w u r d e von den mutakallimün bejaht, von den faläsifa aber verneint; die letztere Sinngebung w u r d e dagegen von beiden bejaht. Z u Recht k a n n al-Kindl deshalb als eine Art Brücke zwischen der kaläm- und der falsafa-Richtung angesehen werden. AlGhazälT manifestiert jedoch im mittelalterlichen Islam den endgültigen Sieg der kalamRichtung über die falsafa-SchxAc. Al-Kindl h a t t e seinen Beweis Gottes vermittels des Schöpfungsgedankens teilweise von der b e h a u p t e t e n Endlichkeit der Zeit selbst begründet. Al-Ghazäll dagegen gestaltete den Beweis in logisch subtilerem Sinn aus, so d a ß er in weniger unbefriedigender Weise auf der Endlichkeit der zeitlichen Dinge gegründet ist. Dieser letzte große Vertreter der ¿a/äwj-Richtung im mittelalterlichen Islam m a c h t e sich mehr oder weniger unsystematisch verschiedene Arten von Gottesbeweisen zunutze, vertrat freilich zugleich die Ansicht, d a ß der auf dem G e d a n k e n der S c h ö p f u n g gegründete Beweis in seiner Bedeutung einzigartig sei. Die Zeitlichkeit alles Seienden zu leugnen, w a r nach seiner M e i n u n g gleichbedeutend mit Atheismus. Diese energisch vertretene Überzeugung ist zum Teil auch der G r u n d f ü r die A u s d a u e r und Stärke seiner Angriffe auf die strenger aristotelisch orientierten faläsifa (vor allem auf ibn SInä) in seinem heftig polemischen T r a k t a t Tahäfut al-Faläsifa oder „Die Widersprüchlichkeit der P h i l o s o p h e n " . Al-Ghazäll betonte demgegenüber, d a ß der G l a u b e , das Universum sei ewig, ebenso wie der Glaube, das Universum sei selbstverursacht (Strato), in verhängnisvoller Weise den Glauben an einen transzendenten G o t t unterlaufe. D a r i n liege also die einzigartige Bedeutung des Gottesbeweises von der Zeitlichkeit her: Wenn die A n n a h m e einer ewigen S c h ö p f u n g gleichbedeutend mit Atheismus sei, d a n n k ö n n e schon allein dieses A r g u m e n t ein gültiger Beweis f ü r Gottes Existenz sein. Im Gegensatz zu al-Kindls Weitschweifigkeiten ist al-Ghazälls Be-

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Gottesbeweise II

weis so elegant und bündig, wie man es sich nur vorstellen kann: „Es ist ein Axiom der Vernunft, daß alles, was ins Sein kommt, eine Ursache haben muß, die es hervorgebracht hat. Die Welt ist ins Sein gekommen. Deshalb muß die Welt eine Ursache haben, die sie hervorbringen k o n n t e " 1 Der Untersatz dieses Beweises - und das muß al-GhazälT selbst erkannt haben — ist so entscheidend, wie er umstritten war. Al-Ghazälls Begründung, daß das Universum einen Anfang in der Zeit hatte, kann dabei wie folgt zusammengefaßt werden: Entweder hatte das Universum einen Anfang oder es hatte keinen. Es ist möglich, daß es einen Anfang hatte, da dies eine widerspruchsfreie Annahme darstellt. Es ist unmöglich, daß es keinen Anfang hatte, da ein unendlicher zeitlicher Regreß eine widersprüchliche Annahme ist; daher ist es notwendig, daß das Universum einen Anfang in der Zeit hatte. Al-GhazälT zeigt sodann, daß das Universum kraft eines Seienden ins Sein gekommen ist, welches dem G o t t des Islam nicht unähnlich ist. Dieser Beweis manifestiert im übrigen den Gottesbeweis von der Zeitlichkeit des Seienden im Sinne der kalämRichtung in seiner klassischen G e s t a l t 1 1 . 3.2. Beide Gestalten des kosmologischen Gottesbeweises - sowohl die der kaläm- wie die der falsafa-Richtung - beharren (wenn auch auf verschiedene Weise) auf der Abhängigkeit des Universums von Gott als seiner Ursache. Das, was dabei den kosmologischen Gottesbeweis im Sinne der falsafa-Richtung auszeichnet, ist die Tatsache, daß er im Einklang steht mit der aristotelischen Lehre von der Ewigkeit ( ä i S i o q ) der Welt im Sinne von äysvt]Tog und ä(p9apzog. In ihrer Übernahme der Auslegung von Kausalität, wie sie -•Aristoteles in seiner Metaphysica A (2.1013 1 24ff) gegeben hat, zeigten die faläsifa ihr Vertrauen darin, daß hier ein Weg gefunden worden sei, die Existenz Gottes als der zureichenden Wirkursache alles Seienden zu beweisen, ohne daß dieser Beweis die Lehre von der Zeitlichkeit des Universums nach sich zöge. Dadurch, daß sie ein Stück freier von „kirchlicher" Autorität waren als ihre Gegenspieler unter den mutakallimün, waren die faläsifa zu der Überzeugung gekommen, daß die Lehre von der creatio ex nihilo - obwohl durch den Koran geheiligt - ein untergeordneter und im wesentlichen unangemessener Weg sei, die Weise zu umschreiben, in welchem das Universum von Gott, der Ursache alles Seienden, abhängig ist. Zusätzlich konnte der Einwand erhoben werden, daß der kosmologische Gottesbeweis der ¿a/äm-Richtung nur von demjenigen als überzeugend befunden zu werden vermochte, der bereits an die Lehre von der Schöpfung glaubt. Die faläsifa dagegen waren bestrebt, einen Gottesbeweis zu entwickeln, der nicht eine vorgängige Annahme so konsequenter Lehren wie derjenigen einer creatio ex nihilo voraussetzte. Muhammad b. Tarkhän al-Färäbi ( 8 7 0 - 9 5 0 ; lateinisch: „Abunaser") lieferte im 10. J h . die erste mittelalterliche Darlegung des auf dem Gedanken der Kontingenz begründeten Gottesbeweises. Zusätzlich unternahm er den Versuch, Gottes Existenz durch Beweise zu begründen, die vom Gedanken der Bewegung und der Kausalität her bestimmt waren. Jeder dieser Beweise nimmt in erheblicher Entsprechung die ersten drei der berühmten quinque viae von T h o m a s von Aquin vorweg (R. Hammond, Philosophy). Z w a r waren die auf dem Gedanken der Bewegung und der Kausalität begründeten Beweise bereits gründlich dargelegt, bevor sich al-Färäbi ihrer bediente; der Kontingenzbeweis jedoch bildet einen wichtigen Beitrag zur Geschichte der Gottesbeweise im Mittelalter. Entscheidend für den Beweis ist die Unterscheidung zwischen „notwendiger" und „möglicher" Existenz. Ganz im Vertrauen auf Aristoteles (Metaphysica E, 1026 b 2 5 - 3 0 ) verstand al-Färäbi dabei unter notwendigem Seienden einfach ein „ewiges" oder „unvergängliches" Seiendes, unter einem kontingenten oder möglichen Seienden ein „vergänglic h e s " oder „zeitliches" Seiendes 1 2 . Es gibt für al-Färäbi zwei Klassen eines notwendigen Seienden. Vorausgesetzt, das Universum ist ewig, ist es ein notwendiges Seiendes; da es jedoch kausal abhängig ist, ist es notwendig ab alio oder, deutlicher ausgedrückt, a deo. Auch Gott ist ein notwendiges Seiendes, da er ewig ist; aber da er nicht von einem anderen notwendigen Seienden kausal abhängig ist, ist Gott per se notwendig. Allein bei ihm sind „Essenz" und „Existenz" identisch; obwohl wesensmäßig ewig, ist die Existenz des Uni-

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versums kausal von dem Seienden abhängig, dessen Existenz per se notwendig ist. Das Universum selbst ist ein notwendiges Seiendes, aber die Dinge innerhalb des Universums sind nur möglich oder kontingent. Einen guten Gebrauch von diesen Distinktionen macht die folgende Ausprägung des Kontingenz- oder Möglichkeitsbeweises: „Kontingente Seiende haben einen Anfang gehabt. Nun muß aber das, was zu existieren anfängt, seine Existenz dem Wirken einer Ursache verdanken. Diese Ursache wiederum ist entweder kontingent oder nicht. Wenn sie kontingent ist, muß auch sie ihre Existenz durch eine andere Wirkursache erhalten, usw. Aber eine Reihe von kontingenten Seienden, innerhalb derer eines das andere hervorbringt, kann weder in die Unendlichkeit weitergehen noch sich in einem Kreis bewegen. Deshalb muß die Reihe der Ursachen und Wirkungen bei einer Ursache ankommen, die ihre Existenz aus sich selbst heraus gewinnt, und das ist die Erste Ursache" (zit. bei Hammond 21). Anschließend liefert al-Färäbi Gründe dafür, warum die Erste Ursache mit Gott identisch sein muß. Seine Gestalt des Kontingenzbeweises wurde, allerdings in unterschiedlicher Weise, von ibn STnä, dem größten arabischen Philosophen im islamischen Osten, und von ibn Rushd, dem größten arabischen Philosophen des islamischen Spanien, verteidigt und weiterentwickelt. Ihre Unterschiede lassen sich dahin zurückverfolgen, daß ibn STnä die Gottesbeweise als einen Teil der metaphysica ansah, während sie für ibn Rushd eigentlich zu den physica gehörten. Anschaulich wird der Unterschied daran, daß ersterer mit einer Analyse des ens qua ens beginnt, wohingegen letzterer mit der Verursachtheit beginnt, die in der Welt der physikalischen Dinge zu beobachten ist. Obwohl ibn Rushd viele grundlegende Aussagen der Philosophie ibn STnäs verwarf, verstand er sich am Ende doch zu einer in seinem Sinne neuformulierten Version des von vorgebrachten Kontingenzbeweises. Abu'All al-Husain ibn STnä ( 9 8 0 - 1 0 3 7 ; lat. Avicenna) übernahm einerseits al-Färäbis Distinktion zwischen „notwendigem" und „ m ö g l i c h e m " bzw. „kontingentem" Seienden, wie er sie andererseits in der Folge abwandelte. Er gebraucht den Begriff des „Notwendigen" nicht allein im aristotelischen, sondern in einem stärkeren Sinne, so daß er auch das M o m e n t logischer Notwendigkeit umschließt. Möglicherweise in Vorwegnahme der ratio Anselmi definierte ibn STnä den Begriff des „notwendigen Seienden" ( W ä j i b al-Wujüd oder auch al-Wäjib al-Wujüd) als das Seiende, dessen Nicht-Existenz nicht gedacht werden kann, ohne in Widersprüche zu verfallen. Die Nicht-Existenz eines jeden „möglichen Seienden" kann dagegen ohne Widerspruch gedacht werden. Um die Existenz Gottes als eines notwendigen Seienden zu beweisen, ist es nach ibn STnä lediglich notwendig, den Begriff des Seienden selbst zu untersuchen, da die „Essenz" und die „ E x i s t e n z " des (per se ) notwendigen Seienden identisch sind. Es verdient beachtet zu werden, daß sich ibn STnä nicht vorstellen konnte, daß dieses proto-ontologische Argument von allgemeiner Uberzeugungskraft sei, da es seiner Meinung nach nur auf die Aufrechten und Gerechten (siddiq'in) Wirkung auszuüben vermochte. Für die weniger Reinen in Gedanken und Tat hielt er den Möglichkeitsbeweis der falsafa-Kichtung für angemessener. In seiner Fassung des Kontingenzbeweises beginnt ibn STnä mit dem Grundsatz der (Wirk-)Ursache, um zu beweisen, daß das notwendige Seiende existieren muß und daß dieses Seiende der Gott des Islam ist, denn allein seine Eigenschaften besitzt das Seiende. Abu'l-WalTd Muhammad b. Ahmad ibn Rushd ( 1 1 2 6 - 1 1 9 8 ; lat. ->Averroes), der aufgrund seiner Schriften über Aristoteles schlicht als „der K o m m e n t a t o r " bekannt ist, verwarf in seiner Schrift Tahäfutal-Tahäfut — einer Erwiderung auf al-GhazälTs Tahäfut al-Falasifa - den kosmologischen Gottesbeweis der ¿a/äw-Richtung. Er lehnte die von dieser befürwortete Lehre einer creatio ex nihilo als widersprüchlich ab, bejahte aber zugleich die im Koran vorgeschriebene Lehre von Gott als dem Schöpfer, wobei er sie allerdings dergestalt neu interpretierte, daß sie mit der aristotelischen Weltewigkeitslehre im Einklang stand. Über seine Verwerfung des Gottesbeweises der kaläm-Richtung hinaus wies ibn Rushd auch den Kontingenzbeweis in seiner ihm durch ibn STnä gegebenen Gestalt zurück, weil er ihn nicht allein für formal unzureichend hielt, sondern auch in

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seinen Voraussetzungen für zu ungeschützt. Ohne ibn Rushd Unrecht zu tun, muß man sagen, daß er sich innerhalb solcher philosophischer Distinktionen heimisch fühlte, welche unmittelbar der Sinnenerfahrung zugänglich waren. Im Rückbezug auf einen strenger aristotelischen Sprachgebrauch, wie er auch von al-Färlbi bevorzugt wurde, verstand ibn Rushd den Begriff des „möglichen Seienden" im Sinne eines verursachten, kontingenten oder vergänglichen Seienden; und „notwendiges Seiendes" bedeutete ihm nichts mehr als „unvergängliches" Seiendes, sei es (in bezug auf Gott) unverursacht oder (in bezug auf das Universum) von einem anderen notwendigen Seienden verursacht. Wie in jeder Form des kosmologischen Gottesbeweises ist dabei auch für ibn Rushds Gestalt des kosmologischen Gottesbeweises die Ablehnung eines unendlichen (kausalen) Regresses entscheidend. Seine Berichtigung von ibn STnäs Beweis manifestiert dabei die klassische Ausprägung des Kontingenzbeweises der falsafa-Richtung: „ M ö g l i c h e Existierende müssen notwendigerweise Ursachen h a b e n , die ihnen voraufgehen; und wenn diese Ursachen wiederum möglich sind, folgt daraus, d a ß sie ebenfalls Ursachen haben und daß es einen R e g r e ß ins Unendliche gibt. Und wenn es einen R e g r e ß ins Unendliche gibt, dann gibt es keine Ursache, und das M ö g l i c h e existiert ohne Ursache, und das ist u n m ö g l i c h . D e s h a l b muß die R e i h e in einer notwendigen Ursache enden, und in diesem Falle m u ß diese notwendige Ursache durch eine Ursache oder o h n e eine Ursache notwendig sein; und wenn sie durch eine Ursache notwendig ist, muß diese U r s a c h e wiederum eine Ursache haben und so weiter; und wenn wir hier einen R e g r e ß ins Unendliche h a b e n , folgt daraus, daß das, was a n g e n o m m e n e r w e i s e eine Ursache hat, in W i r k l i c h k e i t keine Ursache hat, und das ist unmöglich. D e s h a l b m u ß die Reihe in einer U r s a c h e enden, die notwendigerweise o h n e eine Ursache, d . h . aus sich selbst heraus notwendig ist, und dies ist notwendigerweise das notwendig E x i s t i e r e n d e " (zit. bei W. L . Craig, Argument 105).

4. Thomas

von Aquin und die „Quinque

Viae"

Von -»Albertus Magnus, seinem schwäbischen Lehrer und Mitbruder im Dominikanerorden, hatte -»Thomas von Aquin eine unausgegorene Mixtur von aristotelischer Philosophie und Neuplatonismus in sich aufgenommen, für welche das Rezept bereits in den Schriften der islamischen und jüdischen faläsifa, besonders bei Maimonides, erstellt worden war. Von ihnen hatte Thomas nicht allein die Wege gelernt, theologische und philosophische Interessen miteinander zu harmonisieren; mit ihren Versuchen, die Existenz Gottes von der in der empirischen Welt wirkenden Kausalität her rational zu beweisen, blieben sie ihm zugleich Anlaß bleibender Bewunderung. Der Name des Thomas von Aquin ist in der Theologiegeschichte untrennbar mit den in der Summa Theologiae sogenannten „fünf Wegen", Gottes Existenz zu beweisen, verknüpft: dem Weg von der „Bewegung" oder dem „Wandel" her (motus), von der Wirkursache (causa efficiens), von dem möglichen und notwendigen Seienden (ex possibili et necessario), von den Stufen der Vollkommenheit (ex gradibus) und von der Lenkung der Natur her (ex gubernatione rerum). Diese Beziehung zwischen Thomas von Aquin und den quinque viae bleibt zumindest von zwei wesentlichen Gesichtspunkten noch näher zu bestimmen. Zum einen muß die Liste der Gottesbeweise der Summa Theologiae als Aufzählung, nicht als erschöpfend verstanden werden. Die vergleichbare Liste der viae in der Summa contra Gentiles (1,13) ist zum Beispiel von derjenigen der Summa Theologiae stark unterschieden (Ia,2,3). Im gesamten Corpus seiner Schriften empfahl Thomas nicht weniger als elf verschiedene Gottesbeweise 1 3 . Dreizehn andere verwarf er oder ließ sie fallen, weil er sie entweder für formal nicht schlüssig oder als theologisch unangemessen ansah 1 4 . Zum anderen ist keiner der von ihm aufgezählten Gottesbeweise der viae in beiden Summae ursprünglich thomasianisch. In der Summa contra Gentiles werden alle Beweise Aristoteles zugesprochen, mit Ausnahme des Beweises ex gubernatione, der auf -»Johannes von Damaskus zurückgeführt, aber aus ibn Rushd zitiert wird, der ihn wiederum aus Aristoteles Physica übernommen hat, wo er allerdings eine ganz andere Zielrichtung gehabt hat 1 5 . Die ersten drei Wege in der Summa Theologiae finden sich bei al-Färäbi oder bei Maimonides vorgebildet; der vierte stammt von Aristoteles in der durch die

Gottesbeweise II

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faläsifa vermittelte Form; der fünfte Weg schließlich ist von ibn Rushd abkünftig. So sehr also alle „fünf Wege" historisch mit Thomas von Aquin verknüpft sind, haben sie dennoch eine andere Herkunft und zeigen Elemente von Originalität allein in den Einzelheiten ihrer Verteidigung und in ihrer Ausrichtung auf ihre spezifisch christliche Verwendung. Aber schon dies ist keine geringe Leistung. Natürlich mindert auch die fehlende Ursprünglichkeit der Beweise nicht ihre Bedeutung innerhalb der thomasianischen Fundamentaltheologie. Falls sie schlüssig sind, bilden sie immer noch einen festen Grund, auf dem sich bauen läßt. Ebensowenig ändert ihr Mangel an Ursprünglichkeit etwas an der Tatsache, daß gerade die Gestaltung der Verteidigung der Beweise durch Thomas die Auseinandersetzung um die Gottesbeweise in der abendländischen Theologie und Philosophie über Jahrhunderte prägte. Auch wenn die quinqué viae als Aufzählung zu verstehen sind, bilden sie doch zugleich eine bewußte Auswahl. Und obwohl in ihrer Gedankenführung voneinander unabhängig, zeigen sie zumindest von zwei miteinander verwandten Sinngebungen her Zusammengehörigkeit. Zum einen haben sie alle eine ähnliche logische Struktur, so sehr sie im einzelnen voneinander unterschieden sind.1 Jeder von ihnen beginnt mit einer Berufung auf den Lauf der Dinge der Welt sinnenhafter Erfahrung und schreitet von hier aus zu der Folgerung einer Ursache weiter, von welcher gesagt werden kann, daß allein sie die beobachteten Wirkungen zureichend erklärt. Erst dann wird diese Ursache „Gott" genannt. Anders als bei der von Thomas verworfenen ratio Anselmi ist eine Definition Gottes für den Fortgang des Beweises nicht erforderlich. Zum anderen hängen die quinqué viae in der Art ihrer Konzeption zusammen. Sie alle nehmen ihren Ansatz bei der Kausalität. Die ersten vier viae definieren zunächst die Kausalität, d.h. die Ursache von allem, was ist, und sie werden sodann durch die fünfte via vervollständigt: Sie verwandelt in der Tat die abstrakte „erste Ursache" in ein Seiendes, welches in seiner Vorsehung der Bewegung der Dinge eine verständige Richtung und ein Ziel gibt, und zwar in Kausalketten kontingenter Existenz, die zur Vollkommenheit geführt werden. Es mag sogar sein, daß die fünf thomasianischen Wege in eine engere Beziehung zu den vier Bedeutungen von Kausalität (TO ainov) gesetzt werden können, wie sie Aristoteles in Buch A der Metaphysica beschreibt; aber eine nähere Begründung dieser Beziehung würde den hier verfügbaren Rahmen sprengen. Das bisher Gesagte dürfte zureichend deutlich machen, daß die quinqué viae, obwohl in ihrem Gedankengang voneinander unabhängig, gleichwohl ein zusammenhängendes System bilden, so daß sie als Bestandteile von Thomas' Konzept so verstanden werden können, die Begründung christlichen Philosophierens über Gott zu liefern. Sie alle mögen Teil dieses Konzepts gewesen sein; deutlich ist jedoch zugleich, daß Thomas ihnen nicht gleiches Gewicht zugemessen hat. Die via prima steht nicht nur numerisch am Anfang. In der Summa Theologiae führt Thomas sie vielmehr als den offenkundigsten (manifestior) Weg zum Beweis der Existenz Gottes ein. Die Bedeutung, die der erste Weg für Thomas persönlich hat, wird dadurch unterstrichen, daß er der einzige Gottesbeweis ist, welchen Thomas' reifste Darstellung der verschiedenen loci christlicher Theologie, das Compendium Theologiae, liefert. Die via prima ist insofern das thomasianische Argument par excellence. Sie kann in diesem Zusammenhang deshalb auch exemplarische Bedeutung erhalten. Der Gottesbeweis von der Bewegung oder dem Wandel (motus) her, der in der Summa Theologiae nur kurz dargelegt wurde, wird in der Summa contra Gentiles in größerer Breite entfaltet. Dabei wird er nur teilweise zu Recht Aristoteles zugeschrieben; denn in Wirklichkeit hat Thomas zwei unterschiedliche Beweise miteinander verschmolzen, deren Spuren bis in die Physica, Buch VII und VIII, zurückverfolgt werden können, wobei „der Philosoph" hier allerdings nicht versucht, die Existenz eines transzendenten Gottes zu beweisen, sondern die einer ersten Ursache oder erster Ursachen innerhalb des Universums. Obwohl Thomas gelegentlich die beschränkte Zielsetzung des aristotelischen Beweises anerkannt hat, verwendet er ihn bezeichnenderweise doch ohne jegliches Anzei-

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Gottesbeweise II

chen von Verlegenheit, um die Existenz des Einen Gottes zu beweisen. Darin folgte er nur den bereits bei falasifa wie al-Färäbi und Maimonides vorgezeichneten Bahnen, Aristoteles den Erfordernissen einer spezifisch monotheistischen natürlichen T h e o l o g i e anzupassen. Führt man die thomasianische Gestalt des sich auf den Gedanken der Bewegung oder des Wandels begründenden Gottesbeweises auf das Wesentliche zurück, so läßt er sich folgendermaßen darstellen: M a n c h e Weltdinge sind in Bewegung oder im Wandel begriffen; alles, was sich in einer solchen Bewegung befindet, wird von etwas anderem bewegt (omne autem quod movetur ab alio movetur)-, und dieses andere ist - falls es in Bewegung ist — ebenfalls von einem anderen Ding bewegt worden usw. Doch die Kette der sich bewegenden Dinge kann nicht endlos (in infinitum) sein. Deshalb muß es ein erstes Glied in der Kette geben, eine Bewegungsursache, die nicht selbst von etwas anderem bewegt wird (aliquod primum movens quod a nullo movetur)-, und jeder versteht darunter G o t t

(et hoc omnes intelligunt

Deutri).

Die offenkundige Einfachheit dieses Beweises dient nur dazu, bestimmte Zweideutigkeiten und Schwierigkeiten zu überdecken, welche ihm innewohnen. O b w o h l T h o m a s im Gefolge der falasifa versucht hat, von der in der empirischen Welt wirksamen Kausalität her Beweise zu erbringen, hat er doch in seinen Schriften die Frage unbeantwortet gelassen, o b solche Beweise eher zu den physica (ibn Rushd) oder den metaphysica (ibn STnä) zu rechnen sind, und damit seinen Auslegern die schwierige Aufgabe hinterlassen, das Problem zu lösen. Im Falle der via prima ist es keineswegs eindeutig, o b „ B e w e g u n g " oder „ W a n d e l " von ihrer Natur her von den metaphysica oder den physica zu verstehen sind. Die Forscher sind in ihrer Auslegung geteilter Meinung, jedoch scheint ein allein auf die physica bezogenes Verstehen der Aussage aliqua moveri in hoc mundo die stärkeren Beweisgründe für sich zu haben. Eine metaphysische Auslegung könnte nur dann aufrechterhalten werden, wenn motus eher in seiner platonischen als seiner aristotelischen Bedeutung zu verstehen wäre. Aber gewöhnlich scheint T h o m a s hinreichend konsequent Aristoteles gefolgt zu sein (Physica, V,2,226 a ), indem er nur drei Arten von motus unterscheidet: die der Bewegung hinsichtlich der Qualität (im Sinne von Änderung), die der Quantität (im Sinne einer Z u n a h m e oder Abnahme) und die des Ortes (im Sinne einer Bewegung von einem O r t zu einem anderen). Keine von diesen dreien ist auch nur entfernt „metaphysisch". Ebenso wenig akzeptierte T h o m a s - anders als später die T h o m i s t e n eine vierte Art von Bewegung, nämlich einen motus metaphysicae. Zusätzlich bliebe anzumerken, daß die Beispiele, die T h o m a s tatsächlich für „Dinge in Bewegung" anführt, einheitlich physikalischer N a t u r sind: die Sonne (Summa contra Gentiles), Zimmermannswerkzeuge (Compendium Theologiae), heiß oder kalt werdendes Holz (Summa Theologiae). Eine zweite Schwierigkeit in der Auslegung der via prima wird durch die Mehrdeutigkeit des Verbum movetur verursacht, sofern dies entweder „es wird zu diesem oder jenem Zeitpunkt b e w e g t " oder „es wird andauernd b e w e g t " bedeuten kann. Falls die erste Auslegung zuträfe, bezöge sich T h o m a s auf eine Reihe bewegter Beweger in der Folge eines zeitlichen Regresses; falls letztere zuträfe, auf eine Reihe sich zugleich bewegender Beweger. Versteht man das Wort movetur im ersteren Sinne, dann würde der Beweis die verhältnismäßig schwach begründete Behauptung der Existenz eines primum movens aufstellen; und die wohlbekannte Frage eines Regresses ins Unendliche (hoc autem non est procedere in infinitum) würde zu dem verhältnismäßig trivialen Problem einer endlosen Kette zeitlich zueinandergeordneter Ursachen. O b w o h l die mutakallimün hierin ein größeres Problem sahen und sie erhebliche Anstrengung darauf verwandten, die Zeitlichkeit der Welt nachzuweisen, war es für T h o m a s ein solches nicht. Tatsächlich wies er die aristotelische Behauptung der Ewigkeit der Welt weder zurück noch unterstrich er sie (S.th. I a , 4 6 , l - 7 ) . Die Tatsache, daß G o t t der Welt gegenüber ein Vorweg ist, bezieht sich nicht auf seine prioritas temporis, sed aeternitatis. Deshalb hätte der Regreß ins Unendliche, der für T h o m a s rational unmöglich schien, auch kein unendlicher Regreß im Sinne eines zeitlichen Ablaufs sein können. Ist das aber der Fall, dann

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bliebe daraus zu folgern, daß movetur im Sinne eines Zugleich zu verstehen wäre, nicht aber im Sinne einer zeitlichen Zueinanderordnung. Eben dies aber wäre auch von seiner Verwandtschaft mit den arabischen und jüdischen faläsifa her zu erwarten gewesen. Und es veranschaulicht zugleich, daß sich im Nachspüren des historischen Hintergrundes der thomasianischen quinque viae Wege zeigen, die für die Aufhellung zumindest einiger ihrer Mehrdeutigkeiten hilfreich sind. Im Angesicht der Tatsache, daß die quinque viae nicht von T h o m a s abkünftig sind, ist gelegentlich gesagt worden, daß T h o m a s die Gottesbeweise allein wiedergibt und nicht als eigene Argumente anführt. Es ist gewiß der Fall, d a ß die Beweise von T h o m a s nur sehr summarisch vorgebracht werden. Irreführend wäre es indes zu behaupten, daß sie in der Summa Theologiae und in der Summa contra Gentiles nur teilnahmslos reproduziert würden. T h o m a s wählte ja nicht allein aus einer größeren Anzahl von Gottesbeweisen diejenigen aus, welche er für die in seiner Epoche verläßlichsten hielt, sondern er stellte sie zugleich in einer bestimmten Ordnung vor, um Gottes rationale Beweisbarkeit zu zeigen. Die Abschnitte, die sowohl in der Summa contra Gentiles (1,14) wie auch in der Summa Theologiae (I a,3) der Aufzählung der Beweise unmittelbar folgen, zeigen völlig eindeutig, daß T h o m a s sie als demonstrationes für Gottes Existenz ansah. Angesichts seiner Überzeugung, daß der Glaube grundsätzlich einer sicheren Gründung in der Vernunft bedarf, wäre es zu alledem offensichtlich, daß T h o m a s in irgendeiner Weise einen rationalen Beweis für Gottes Existenz erbringen müßte. Solche Beweise sind für T h o m a s zum einen deshalb notwendig, weil die Existenz Gottes nicht in dem Sinne als selbstverständlich angesehen wird, daß sie in einer analytischen oder logisch zwingenden Aussage ihren Ausdruck finden könnte. T h o m a s verwirft die Überzeugung, daß ein Innewerden von Gottes Existenz dem Menschen eingeboren ist, er verwirft mithin auch die Ansicht, daß Gottes Existenz nicht ohne Selbstwiderspruch geleugnet werden könne. Der Tor des Psalmisten darf in seiner Gottlosigkeit bleiben. Z u m anderen sind die Gottesbeweise deshalb notwendig, weil Gottes Existenz für T h o m a s nicht zu den Glaubensartikeln gehört. Innerhalb seines Denkens bedürfen diese keines Beweises. Stattdessen argumentiert der T h e o l o g e von den Glaubensartikeln her, um die aus ihnen erwachsenden Folgerungen zu zeigen (S.th. l a , l , 8 ) . Die bloße Existenz Gottes - die Tatsache, daß er ist bleibt für T h o m a s außerhalb jener Artikel. Diese Tatsache ist ihre Voraussetzung (S.th. 1 a,2,2). Damit aber wird sowohl die Notwendigkeit wie die Grenze der thomasianischen Gottesbeweise ersichtlich: Sie können das D a ß der Existenz Gottes zeigen, nicht jedoch seine Natur. Sie zeigen ein est, nicht quid est. Letzteres kann allein mittelbar gezeigt werden, nämlich vermittels der via negativa, wie sie T h o m a s grundsätzlich bei M a i m o n i des kennengelernt hat. Gottes Existenz kann nicht unmittelbar wahrgenommen werden, da sie sinnenhafter Erfahrung nicht in der Weise unmittelbar verfügbar ist wie die Dinge der Welt. Hieraus wird aber noch ein dritter Grund ersichtlich, von dem her die Gottesbeweise für T h o m a s notwendig sind: Von Gottes Existenz kann für ihn nur von einem R ü c k s c h l u ß gesprochen werden, und dieser hat von Gottes Wirkungen her zu erfolgen, sofern diese den Sinnen verfügbar sind. Von hier aus erklärt sich auch, daß die quinque viae, die T h o m a s ' Zustimmung fanden, ihren Ansatz in der Kausalität nehmen, desgleichen die Notwendigkeit der analogia entis in seiner Fundamentaltheologie. Nicht gleichen Wesens wie ihre Ursache in G o t t , könnten die zu beobachtenden Wirkungen in der Welt niemals zureichend zeigen, was G o t t ist, sondern allein, daß er ist. Das bedeutet meint, zugleich, daß das, was T h o m a s mit der Aussage quam omnes Deum nominant nicht allein von den quinque viae unter Absehung vom Übrigen seines theologischen Systems her verstanden werden kann. D i e päpstliche Enzyklika Aeterni Patris von 1879 hat in der Neuzeit T h o m a s einen einzigartigen Platz unter den römisch-katholischen T h e o l o g e n eingeräumt. Im Mittelalter hatte er einen solchen Vorrang nicht, o b w o h l er zum offiziell anerkannten „ D o c t o r " des Dominikanerordens wurde. Er blieb jedoch nicht ohne Einfluß und fand im Spätmittelalter in J o h a n n e s Capreolus (um 1 3 8 0 - 1 4 4 4 ) und dem berühmteren - » C a j e t a n de Vio

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Gottesbeweise II

Ausleger, die seinem Werk dienten. Seine Kritiker jedoch behandelten ihn mit Strenge. Es wäre zwar unangemessen, T h o m a s finen „Averroisten" zu nennen, aber es ist klar, daß sein R u f an der Verurteilung einiger seiner Lehren in den Jahren 1270 und 1277 zu leiden hatte. Die Angriffe auf ihn ließen natürlich nach seiner Heiligsprechung 1323 nach. Während des 13. und 14. J h . war der größte Widerstand gegen T h o m a s und die Thomisten auf Seiten der Franziskaner zu finden, sofern diese - in Gegnerschaft zu den Dominikanern die ältere augustinische Frömmigkeit auch dann noch vertraten, als sich ihre Umgebung bereits einem neuen Denken zugewandt hatte.

5. Von Johannes

Duns Scotus zu Wilhelm von

Ockham

So verführerisch es hier auch wäre, Bonaventura gegen seinen zeitgenössischen Gegner an der Pariser Universität auszuspielen, wobei doch beide zugleich von Papst -»Pius V. zu Kirchenlehrern erhoben wurden, wäre doch die daraus resultierende Auseinandersetzung ganz und gar unredlich. Bonaventura blieb der älteren Metaphysik verbunden, während T h o m a s seinen Verstand gründlicher an der modernen Logik geschärft hatte. Der mit T h o m a s auf gleicher Ebene stehende Gegner aus den Reihen der Franziskaner wäre vielmehr Johannes - > D u n s Scotus, denn er selbst war mindestens ebensosehr ein „ M o d e r n i s t " wie T h o m a s und kannte auch die Werke des Aristoteles und seiner islamischen Kommentatoren ebenso gut wie sein Gegner im Dominikanerorden. Johannes Duns, der doctor subtilis oder gar subtilissimus16, war hochangesehen für seine durchdringend kritisch-analytischen Fähigkeiten und seine Dialektik, wobei viel von beidem gegen die von den Nachfolgern des T h o m a s verteidigten Überzeugungen eingesetzt wurde. Rückblickend kann Duns Scotus darüber hinaus als ein Theologe angesehen werden, der — ganz sicher gegen seine eigenen Neigungen - Impulse zu jener radikaleren Kritik der scholastischen Synthese von Glaube und Vernunft gegeben hat, welche im Spätmittelalter schlagartig um sich griff und im Denken Wilhelms von Ockham und seiner nahezu gänzlichen Trennung von beidem zu ihrem Höhepunkt finden sollte, wofür dieser wiederum ohne seine Absicht zu einem Gutteil den Boden bereitete, auf welchem sich später die protestantische Reformation entfaltete. Anders als sein Vorgänger T h o m a s beantwortet Johannes Duns Scotus die Frage völlig eindeutig, ob ein Beweis von Gottes Existenz seinen Ursprung in den physica oder den metaphysica hat. Er ergriff in dieser Hinsicht für ibn STnä Partei, indem er die Ansicht vertrat, daß ibn Rushd Aristoteles' „Erste Philosophie" in der Tat den physica nutzbar gemacht habe, während sie doch eher als unabhängig und autonom anzusehen sei. Mehr noch, seiner Ansicht nach ist nur die Metaphysik dazu geeignet darzulegen, daß der „erste Beweger" der Physica das „erste Seiende" oder Gott ist (Reportata parisiensia, Prol., q.3, a r t . l ) . Johannes Duns Schwierigkeit mit dem auf dem Gedanken der Bewegung begründeten und von T h o m a s bevorzugten Gottesbeweis wurde noch durch seine Unsicherheit hinsichtlich des für ihn erforderlichen Grundsatzes omne quod movetur ab alio movetur verschärft - eines Grundsatzes, der seiner Ansicht nach weder per intuitionem noch per demonstrationem zu bewahrheiten sei und für welchen sich leicht Gegenbeispiele (etwa der freie Wille) anführen ließen. Aus dieser und anderen Lehrmeinungen des Duns Scotus sollte später ein anderer englischer Franziskaner die noch radikalere Schlußfolgerung ziehen, daß Gottes Existenz spekulativ überhaupt nicht beweisbar sei. Johannes Duns Scotus war allerdings nicht annähernd so radikal wie Wilhelm von Ockham. Duns Scotus lieferte etliche unterschiedliche Argumente mit der Absicht, Gottes Existenz und Natur rational zu beweisen. Sein grundlegender Beweis wird mitunter als eine Möglichkeit des kosmologischen Gottesbeweises eingeordnet; er entzieht sich jedoch einer solchen vereinfachenden Klassifikation und erweist sich in Wirklichkeit als eine eigentümliche Verschlingung von „kosmologischen" und „ontologischen" Beweisen. Zugleich ist es sehr wahrscheinlich, daß Johannes Duns Scotus selbst ihn eher als ein argumentum a posteriori als a priori verstanden haben dürfte oder - um eine „scholastischere" Begrifflichkeit zu benutzen - eher als eine demonstratio quia als eine demonstra-

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Gottesbeweise II

tio propter quid. Allerdings hätte damit kein Grund vorgelegen, ihn im Blick auf seine Ergebnisse als weniger verläßlich zu betrachten. Die Existenz Gottes war für Duns Scotus nicht nur eine bloße Angelegenheit des Meinens ohne einen größeren Anspruch als den der Wahrscheinlichkeit. Auch eine demonstratio quia blieb für ihn eine demonstratio. Über den sorgfältig erarbeiteten Beweis hinaus, für den Duns Scotus im Gedächtnis der Nachwelt geblieben ist, lieferte dieser noch einen anderen scharfsinnigen Beweis für Gottes Existenz, und zwar von einer Analyse der transzendentalen Kategorien her. Die eigentliche Hauptsache der Metaphysik sieht er in der Betrachtung des „Seienden als Seiendem" ( e n s qua ens) und seiner transzendentalen Attribute ( t r a n s c e n d e n t i a ) . Der Seinsbegriff wurde nicht in thomasianischer Sinngebung als Annahme verschiedener Stufen von actualitas verwendet, sondern - wie schon durch —»Wilhelm von Auvergne (um 1 1 8 0 - 1 2 4 9 ) vorweggenommen - als etwas, was in allem Seienden univoce gegenwärtig ist. Damit kann Duns Scotus unmittelbar von einer Analyse der transzendentalen Attribute selbst auf Gottes Existenz schließen. Ein Beweis ergibt sich aus einer Analyse der (unbegrenzten) Klasse disjunkter Attribute des Seienden - wie etwa der Disjunktion „unendlich-endlich", „notwendig - k o n t i n g e n t " (Op. O x . I, dist. VIII, q . 3 ) . Wenn man also für eine Wesenheit das geringere oder weniger vollkommene Attribut einer solchen Disjunktion setzt, dann muß nach Duns Scotus das höhere oder vollkommenere Attribut für ein anders Seiendes prädiziert werden: ,,Si aliquod ens est finitum, ergo aliquod ens est

infinitum; et si aliquod

est contingens,

ergo aliquod

ens est necessarium..."

(Op.Ox.

I , X X X I X , 1 ) . In Anwendung dieses Grundsatzes ist es nach Duns Scotus möglich, von der Existenz einer endlichen und kontingenten Wesenheit aus die Existenz einer unendlichen und notwendigen Wesenheit, d . h . Gottes, zu beweisen. Weiter wird gesagt, daß jedes disjunkte Transzendentalienpaar ausreiche, um gegen jeden Zweifel Gottes Existenz zu beweisen. So scharfsinnig dieser transzendentale Gottesbeweis auch sein mag, so war er doch nicht der von Duns Scotus am meisten bevorzugte, mithin auch nicht derjenige, mit dem er sich acht oder mehr J a h r e lang in dem Versuch mühte, ihn so konsequent wie möglich zu entwickeln. Am bündigsten dargestellt findet sich der Beweis in dem Pariser Tractatus de Primo Principio, am detailliertesten jedoch in dem früheren Opus Oxoniense. In ihm widmet

sich der Doctor subtilis der Frage, „utrum in entibus sit aliquid existens actu

infinitum"

( O p . O x . 1,11,1). Die vielschichtige und nicht nur gelegentlich anstrengende Antwort auf diese Frage findet sich in zwei Teile gegliedert. Z u m einen: Es existiert ein Erstes Seiendes, welches im Bezug auf seine relativen Eigenschaften das tripliciter primum von Wirkursache, Endursache und Erhabenheit besitzt; zum anderen: Im Blick auf seine absoluten Eigenschaften ist dieses Erste Seiende in einzigartigem Sinn unendlich, so daß es als schlechthin vollkommen und in jeder Weise unübertrefflich anzusehen ist. O b w o h l Duns Scotus seine demonstratio deutlich als eine bruchlose Einheit durchzuführen bestrebt war, läßt sich doch beobachten - und mit dieser Feststellung tut man dem doctor subtilis kaum Unrecht —, daß der erste Teil des Beweises einem kosmologischen Gottesbeweis sehr n a h e k o m m t (im Sinne einer Rezeption ibn STnäs) und der zweite Teil einem (eindeutig von Anselm her übernommenen) ontologischen Gottesbeweis. Was aber auch immer die Quellen dieser demonstratio sein mögen, so ist doch ganz offenkundig, daß Duns Scotus weniger daran gelegen war, die verschiedenen und gegensätzlichen Beweise seiner Epoche zu sammeln (Albertus Magnus, T h o m a s ) oder sogar zu typologisieren (Heinrich von Gent), als vielmehr mit strenger logischer Konsequenz und sicherer dialektischer Schulung den stärksten Einzelbeweis darzulegen, der für Gottes Existenz und Natur möglich ist. In der Ausschließlichkeit seiner Zielsetzung k o m m t er vielleicht Anselm am nächsten, auch wenn der von Duns Scotus bevorzugte Gottesbeweis einen ganz anderen Charakter als der anselmianische hat. O b w o h l es in diesem Z u s a m m e n h a n g nicht möglich ist, hier jeden Schritt der Beweisführung von Duns Scotus zusammenfassend nachzuzeichnen (er enthält immerhin dreißig miteinander verbundene Schlußfolgerungen!), bleibt zumindest einiges über seine Grundstruktur zu sagen. Denn er ist in gewisser

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Gottesbeweise II

Hinsicht das schönste Beispiel eines Gottesbeweises, das die mittelalterliche oder vielleicht sogar die gesamte philosophische Literatur hervorgebracht hat. Der Beweisgang des tripliciter primum im ersten Artikel folgt in seinen Einzelabschnitten jeweils einem ähnlichen Muster, so daß es hier genügen dürfte, den Beweis des Primates der Wirkursache zu verfolgen. Duns Scotus versucht die Existenz einer Wirkursache zu beweisen, die simpliciter primum omni primitate quae non includit aliquam imperfectionem ist. Ähnlich wie die zweite und dritte Art des Primats gründet sich auch der Beweis für den ersten Primat auf drei miteinander verknüpfte Schlußfolgerungen: 1. Etwas ist ein Erstes; 2. Es kann nicht verursacht sein, d. h. est incausabile; und 3. Es läßt sich als ein Wirkliches begründen, d. h. illud actu existit in entibus. Zunächst ist unter den Seienden, die eine Wirkung hervorbringen können, eines in dem Sinne das erste (simpliciter primum), daß es seinerseits weder eine von einer anderen Ursache hervorgebrachte Wirkung darstellt noch seine eigene Wirkursächlichkeit kraft eines anderen als seiner selbst ausübt (virtute alterius a se effectivum). Schließlich beruht der Beweis auf der Ablehnung eines unendlichen kausalen Regresses. In Erkenntnis dieses Sachverhalts bietet Duns Scotus nicht weniger als fünf verschiedene reductiones ad absurdum, um die Unmöglichkeit einer ins Unendliche zurückgehenden Ursachenkette zu beweisen, sei es — um wieder eine Distinktion ibn STnäs zu verwenden (Metaphysica, B. VI, Kap. 5) - von essentiell geordneten (causae per se), sei es von akzidentiell geordneten Ursachen (causae per accidens). Dieser Abschnitt von Duns Scotus' Gottesbeweis von der Wirkursache her bildet die gründlichste und detaillierteste Stellungnahme gegen den Gedanken eines Regresses ins Unendliche, welche sich in der mittelalterlichen Literatur findet. Nachdem Duns Scotus also zu seiner eigenen Befriedigung die Unmöglichkeit eines solchen Regresses ins Unendliche nachgewiesen hat, zeigt er im folgenden (2), daß das, was auch immer simpliciter primum ist, notwendigerweise - und zwar in dreifacher Hinsicht - unverursacht sein muß: Es hat keine Wirkursache, keine Endursache und weder eine materiale noch eine formale Ursache. Endlich versucht er (3) aus alledem abzuleiten, daß ein solches erstes ursächliches Seiendes im Reich des Seienden existieren muß. Wenn es existieren könnte, existierte ein solches Seiendes offenkundig durch sich selbst (esse a se ) und nicht durch ein anderes (esse ab alio). Ein Seiendes, welches das erste in der Ordnung der Wirkursachen ist, wäre fähig, ein esse a se zu sein, so daß es für ein solches Seiendes möglich ist zu existieren. Deshalb, so argumentiert Duns Scotus, existiert ein solches Seiendes notwendigerweise, weil es widersprüchlich wäre zu bejahen, daß ein solches Seiendes existieren könnte, aber abzustreiten, daß es nicht existiert; denn was nicht tatsächlich aus sich selbst existiert, kann nicht als ein solches gedacht werden, das aus sich heraus existieren könnte ( q u o d non est a se, non potest esse a se). Auf ähnliche Weise versucht Duns Scotus auch den Primat der Endursache und den der Erhabenheit zu begründen. Im weiteren Verlauf des Beweises legt er dar, daß die drei Primate aufeinander bezogen sind, so daß in einem einzigen Universum alle drei einzig und allein für die Existenz eines notwendigen Seienden die Beweisgrundlage liefern. Nachdem er nun die Existenz eines Ersten Seienden bewiesen hat, führt Duns Scotus im zweiten Artikel den Beweis, daß das (im Verhältnis zu den Kreaturen) Erste Seiende zugleich (im absoluten Sinne) das Unendliche Seiende ist. Dabei bemüht er sich - und zwar nach dem Vorgang des Aristoteles - zu zeigen, daß das ursächlich Erste Seiende Willen und Intellekt besitzt und beides zusammen sein eigentliches Wesen bestimmt (neben O p . O x . 11,1 vgl. De primo principio IV,4). Das erstere Attribut schafft Raum für den freien Willen (und seinen möglichen Mißbrauch) in den weniger vollkommenen und nicht-selbst-verursachten Seienden. Alle mögliche Erkenntnis ist in dem Ersten Seienden vereint; von ihm allein kann gesagt werden: „lntellectus primi intelligit semper et distinctio et actu et necessario quodcumque intelligibile, prius naturaliter quam illud sit in se." Im zweiten Teil des zweiten Artikels versucht Duns Scotus die Unendlichkeit des Ersten Seienden zu begründen. Die ratio Anselmi wird hier von Duns Scotus mit dem Ergebnis aufgenommen, daß die Aussage über Gott, er sei aliquid quo maius nihil cogitari potest gleichbedeutend wird mit der Aussage, daß Gott das unendliche Seiende sei. Duns' Uberzeugung scheint die zu sein, daß dann, wenn es möglich ist, Gott widerspruchsfrei als ens infinitum oder als ens quo maius cogitari non potest zu begreifen, eine solche Wesenheit auch in actu oder in re und nicht allein in intellectu existiert. Es sei widerspruchsfrei möglich, ein solches Seiendes zu denken, und deshalb existiere ein solches Seiendes in actu. Zu einen unterscheidet sich Duns Scotus von seinem Vorgänger aus den Reihen der Benediktiner in der Aufmerksamkeit, die er der Entfaltung des Untersatzes zugewendet hat (es ist möglich, ein solches Seiendes zu denken), zum anderen darin, daß er den Beweis nicht als demonstratio betrachtete, sondern - etwas bescheidener - als persuasio.11 In ihrer Gesamtgestalt ist die Version des von Duns Scotus gelieferten Gottesbeweises gleichwohl als ein wirksamer Beitrag zu einer demonstratio der Existenz Gottes konzipiert, so d a ß Duns Scotus zuversichtlich die Schlußfolgerung ziehen kann: „ergo aliquod infinitum ens existit in actu". A n d e r s w o liefert er im übrigen Gründe dafür, w a r u m G o t t

G o t t e s b e w e i s e II

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in angemessenster Weise als ein solches Seiendes begriffen werden k a n n ( O p . O x . 1,111,1), so daß der Beweis für die E x i s t e n z eines Unendlichen Seienden a u ß e r d e m ein Beweis für die Existenz G o t t e s ist und ein A u s g a n g s p u n k t für den Beweis seiner weiteren Eigenschaften wird. Diese Zuversicht fehlt m a n c h e n von D u n s S c o t u s spätmittelalterlichen N a c h f o l g e r n weitgehend. Sein franziskanischer M i t b r u d e r W i l h e l m von - » O c k h a m (um 1 2 8 5 - 1 3 4 9 ) k a m in der T a t zu der S c h l u ß f o l g e r u n g , d a ß es schlechthin u n m ö g l i c h sei, die b l o ß e Existenz G o t t e s - geschweige denn seine positiven E i g e n s c h a f t e n - zu beweisen. Angesichts der M e i n u n g s v e r s c h i e d e n h e i t e n unter den F o r s c h e r n im B l i c k auf die R e i c h w e i t e von O c k h a m s diesbezüglicher Skepsis bleibt allerdings zu b e t o n e n , d a ß W i l h e l m von O c k h a m keineswegs leugnete, d a ß ein echter B e w e i s für die E x i s t e n z eines Ersten Seienden (Quaestiones § 136) o d e r sogar des v o l l k o m m e n s t e n Seienden ( Q u o d l i b e t a I,§ 1) geliefert werden k ö n n e . W a s er j e d o c h leugnete, w a r die Ü b e r z e u g u n g , d a ß d u r c h den spekulativen G e b r a u c h der Vernunft allein diese Erste U r s a c h e o d e r das v o l l k o m m e n s t e Seiende als der eine w a h r e G o t t bewiesen werden k ö n n e , der a b s o l u t h ö c h s t e , v o l l k o m m e n e , einzige und unendliche Seiende, der alles w e i ß und alles k a n n , w a s er will. Diese Existenz und N a t u r G o t t e s liege a u ß e r h a l b der Verstandeskraft; mit G e w i ß h e i t k ö n n e er nur d e m G l a u b e n b e k a n n t sein. N a c h einer Z e i t der Bedrängnis b r a c h die mittelalterliche Synthese v o n G l a u b e und Vernunft bzw. von T h e o l o g i e und Philosophie in der Z e i t W i l h e l m s von O c k h a m vollk o m m e n auseinander. Sie k o n n t e deshalb a u s e i n a n d e r b r e c h e n , weil das Vertrauen geschwunden w a r , d a ß k r a f t der Vernunft das zu begründen sei, was i m grundsätzlichen der Sinnenerfahrung unverfügbar ist, und u m g e k e h r t - und dies ist g l e i c h e r m a ß e n wichtig das Vertrauen d a r a u f g e w a c h s e n w a r , d a ß der G l a u b e in F r a g e n der religiösen Überzeugung zureiche. Viele - und nicht nur M y s t i k e r und S c h w ä r m e r - w a r e n in verstärktem M a ß e davon überzeugt, d a ß der christliche G l a u b e in der S c h o l a s t i k unter d e m fremden J o c h des „ A v e r r o i s m u s " gelitten h a b e , einem J o c h , das nun a b z u w e r f e n sei, um den G l a u b e n zu seinem eigenen Wesen zu befreien. D i e Beweise für G o t t e s E x i s t e n z im Sinne von demonstrationes oder auch nur von persuasiones waren unter den ersten O p f e r n dieser neugefundenen geistigen „Freiheit eines C h r i s t e n m e n s c h e n " . O b dieser allmähliche A b b a u des scholastischen L e h r g e b ä u d e s eher ein G r u n d zur F r e u d e o d e r zur K l a g e ist, läßt sich allerdings durch einen b l o ß e n Verweis auf die G e s c h i c h t e nicht sagen. H i e r hat vielmehr das t h e o l o g i s c h e Urteilen zu beginnen.

Anmerkungen 1 2

3 4

s

6 7 8 9 10

11

12

Vgl. A. Stolz, „Vere esse" im Proslogion des heiligen Anselm: Scholastik 9 (1934) 4 0 0 - 4 0 9 . Vgl. Seneca, Natur, quaest., Vorwort zu Buch I: Auf die Frage „ q u i d est deus?" erfolgt die Antwort: „ . . . quo nihil maius cogitari potest". Augustin, De lib. arb. 11,2,5, und De doctr. ehr. 1,7,7; Boethius, De cons. phil. III,§ 10. Al-Färäbi, Risälah fi'l-'Agl, zit. bei Majid Fakhry, A History of Islamic Philosophy, New York 1970, 142. Vgl. z. B. Charles Hartshorne, The Logic of Perfection, La Salle 1962 und Anselm's Discovery, La Salle 1965. Al-Ktndis Metaphysics, übers, von A.L. Ivry Albany 1974, S. 6 7 - 7 3 . a . a . O . 73 - 7 4 . a.a.O. 7 4 - 7 5 . a . a . O . 114. „Jerusalem Letter", zit. bei L. E. Goodman, „Ghazäli's Argument from Creation": IJMES 2 (1971) 72. Für die jüngste energische Verteidigung des Beweises vgl. W. L. Craig, The Kalam Cosmological Argument, London 1979, 6 3 - 1 7 4 . Der aristotelische Gebrauch von „notwendig" und „möglich" ist tatsächlich vielschichtiger als hier angedeutet wird: vgl. Jaakko Hintikka, Time and Necessity. Studies in Aristotle's Theory of Modalities, Oxford 1973.

740 13

14 15

16 17

Gottesbeweise III

J . A. Baisnée, St. Thoraas Aquinas' Proofs for the Existence of God Presented in their Chronological Order: Philosophical Studies in Honor of the Very Revd. Ignatius Smith, O.P., hg. v. J . K . Ryan, Westminster/Md. 1952, 6 3 - 6 4 . R. L. Patterson, The Conception of God in the Philosophy of Aquinas, London 1933, 2 1 - 3 9 . Vgl. Jean Paul, La Theorie du Premier Moteur chez Aristotle: RevPhil 33 (1933) 2 5 9 - 2 9 4 . 3 9 4 - 4 2 4 ; J . Owens, The Reality of the Aristotelian Separate Movers: RMet 3 (1950) 3 1 9 - 3 3 7 und Aquinas and the Proof the Physics: MS 28 (1966) 1 1 9 - 1 5 0 . N. Micklem, Reason and Revelation. A Question from Duns Scotus, Edinburgh 1953, III. Vgl. E. Bettoni, Duns Scotus, Mailand 1966, 135 f.

Literatur ->Gottesbeweise III J o h n Clayton III. Systematisch/Religionsphilosophisch 1. Einführung 2. Gottesbeweise in der neuzeitlichen abendländischen Philosophie religiöse Bedeutung der Gottesbeweise (Anmerkungen/Quellen/Literatur S. 776) 1.

3. Die

Einführung

Seit ihren Anfängen vornehmlich im griechischen Denken bis zum heutigen Tag haben Beweise für — und gegen - die Existenz Gottes eine beträchtliche Z a h l der besten Geister des Ostens wie auch des Westens beschäftigt. In dem vorliegenden Artikel geht es um einige wesentliche dieser Gottesbeweise und ihre theologische wie philosophische Tragweite. Sowohl im Blick auf die dabei zur Sprache gebrachten Beweise selbst wie die damit verbundenen Fragestellungen will er weniger eine erschöpfende Darstellung als vielmehr eine Auswahl vermitteln. U m die Lesbarkeit zu erleichtern, werden Fachbegriffe soweit wie möglich vermieden, und die Kunstsprache symbolischer Logik wird stets in die U m gangssprache „zurückübersetzt''. Schon die Formulierung „Beweis für Gottes E x i s t e n z " erfordert einige Erläuterungen, ehe die einzelnen Beweise und ihre Bedeutung ins Blickfeld g e n o m m e n werden können. 1.1. Zum Begriff des Beweises. Nicht alle Argumente sind Beweise, und nicht alle Beweise sind Argumente. In diesem Artikel sollen nur solche Argumente für Gottes Existenz zur Sprache kommen, die sich auch als Beweise verstehen lassen, und solche Beweise, die auch als Argumente für Gottes Existenz gelten können. Um den Unterschied zu verdeutlichen, dürfte es hilfreich sein, zwei Klassen von Beweisen zu unterscheiden, von denen nur die letztere argumentativen Charakter trägt. Keinen solchen Charakter trägt ein Beweis, den man als unmittelbaren Beweis bezeichnen könnte. Dieser liegt etwa dann vor, wenn er aus irgend einer direkten Erfahrung besteht, die keiner zusätzlichen stützenden Beweisgründe bedarf, um für denjenigen, der die Erfahrung gemacht hat, vernunftgemäße Überzeugungskraft zu besitzen. So unzuverlässig die Sinneserfahrung auch manchmal sein mag, so lassen sich doch Umstände vorstellen, unter denen es legitim wäre, sich für die Begründung einer empirischen Behauptung unmittelbar auf den „Beweis unserer Sinne" zu berufen. Und obwohl dieser Beweis manchmal Gewißheit zu gewährleisten vermag, bildet er als solcher kein Argument. Trotzdem kann eine Berufung auf direkte Erfahrung gelegentlich Bestandteil eines Arguments werden - wie es etwa in G . E . Moores „Beweis der Außenwelt" (Philosophical Papers 127-150) geschieht. Ob man nun Moores eigenes Argument für überzeugend hält oder nicht (vgl. Wittgenstein, Uber Gewißheit), so muß doch zugegeben werden, daß zumindest einige Behauptungen, derer wir sicher sind, nicht immer eines zusätzlichen Beweises bedürfen und deshalb als Voraussetzungen in Beweisen mit Argumentationscharakter verwendet werden. Wenn freilich eine Berufung auf eine vermeintlich unmittelbare Gotteserfahrung erfolgt, gerät das Argument zu einem hoffnungslosen Zirkelschluß, so daß unüberwindliche Probleme auftauchen, die es nicht einmal als Teil eines argumentativen Beweises zulässig werden lassen. Aus diesem Grund ist es gänzlich unangemessen, von einem Argument aus unmittelbarer Erfahrung der Existenz Gottes zu sprechen. Kein „Beweis" dieser Art wird in diesem Artikel erörtert. Indessen sind nicht alle Beweise unmittelbare oder ohne argumentativen Charakter. Mittelbare Beweise stellen sich als von Prämissen ausgehende Argumente dar. Sie können entweder deduktiv oder induktiv sein. Im Laufe der Zeit sind Argumente beider Typen für die Existenz Gottes angeführt worden, obwohl (nicht nur im Westen, sondern auch im Osten) die überlieferten Gottesbeweise im allgemeinen deduktiv als Syllogismen ausgeformt worden sind. Zwar unterscheidet sich dabei der indische „Syllogismus" im einzelnen etwas z.B. von dem aristotelischen, aber er kann gleichwohl als deduktiver Syllogismus betrachtet werden (s. K. Potter,

Gottesbeweise III

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Presuppositions of Indian Philosophies). Ein Argument ist deduktiv, wenn die Schlußfolgerung notwendig aus den Prämissen folgt, so daß es unmöglich wäre, diese zu bejahen und zugleich ohne Selbst-Widerspruch die Schlußfolgerung eines formal schlüssigen Beweises abzulehnen. Als induktiv gilt ein Argument dann, wenn die bloße Wahrscheinlichkeit seiner Schlußfolgerung begründet wird, so daß es in diesem Falle ohne Selbst-Widerspruch möglich wäre, hier die Voraussetzungen eines korrekten induktiven Beweises zu bejahen und dennoch seine Schlußfolgerung abzulehnen. Die Regeln sachgemäßen induktiven Schlußfolgerns sind vielschichtig und bisher nicht vollständig analysiert. Zwei ganz verschiedene Arten induktiven Beweisens, die in möglichen Gottesbeweisen zu erwarten sein könnten, sind die Folgerung von Beobachtungsdaten auf theoretische Schlußfolgerungen und die Folgerung aus der Zusammensetzung eines Teils auf die Zusammensetzung des Ganzen. M i t anderen Worten: Ein schlüssiges deduktives Argument ergäbe absolut sichere Gründe für seine Schlußfolgerung, während ein erfolgreiches induktives Argument bestenfalls verhältnismäßig gewichtige Gründe für die Schlußfolgerung lieferte. Ein wirksamer deduktiver Gottesbeweis würde die Gewißheit von Gottes Existenz zeigen, ein wirksamer induktiver Gottesweis ihre große Wahrscheinlichkeit. So wie manche Beweise keinen Argumentationscharakter tragen, so sind manche Argumente keine „ B e w e i s e " . In den letzten Jahren ist es in der anglo-amerikanischen analytischen Religionsphilosophie üblich geworden, von einem Typ von Begründung von Theismus zu sprechen, der genau genommen überhaupt keinen Beweis darstellt, nämlich von einer „kumulativen Argumentation" (cumulative case), die weder deduktiv sicher noch induktiv wahrscheinlich ist, die aber dennoch ein begründetes Urteil zugunsten der Existenz Gottes zuläßt (vgl. Basil Mitchell, The Justification of Religious Belief). Dieser Zugang zu dem Problem scheint auf einige Bemerkungen J o h n Wisdoms (geb. 1902) zurückzugehen, in denen er aufzeigt, daß eine Analogie zwischen der Art von Urteil, das in bestimmten religiösen Kontexten erforderlich ist, und den Urteilsarten, welche bisweilen in Rechtsentscheidungen notwendig sind, in denen die bloßen „ F a k t e n " des Falles nicht zur Diskussion stehen, zu Urteilsweisen, wie sie bisweilen in der Ästhetik bei der Beurteilung eines bestimmten Kunstwerkes verlangt werden, besteht (vgl. „ G o d s " : Philosophy and Psycho-Analysis 1 4 9 - 1 6 8 ; „ T h e Logic of G o d " , Paradox and Discovefy 1 - 2 2 ) . So fruchtbar dieser Zugang zu einer Rechtfertigung des religiösen Glaubens auch sein mag, fällt er dennoch nicht in unsere gegenwärtige Fragestellung. In diesem Artikel haben wir uns allein mit Gottesbeweisen auseinanderzusetzen, die entweder als induktive oder deduktive Beweise aufzufassen sind.

1.2. Zum Begriff „Gott". Es ist weder möglich noch notwendig, hier eine Definiton von „Gott" zu geben, die der Erörterung der Gottesbeweise als Leitfaden dienen könnte. Es ist deshalb nicht möglich, weil - ungeachtet der Auffassungen der modernen Philosophiegeschichte - die Religionsgeschichte zeigt, daß der Gott, dessen Existenz argumentativ bewiesen wird, der Gott der Tradition ist, in der der jeweilige Denker steht. Das überrascht kaum, weil Gottesideen niemals isoliert vorhanden sind. Sie sind kontextgebunden und bilden einen Teil eines umfassenderen Denkzusammenhangs, der wiederum Bestandteil einer spezifischen Lebensform ist. Gottesbeweise erwachsen aus einem bereits lebenden Organismus, einem lebendigen Glauben (oder werden ihm bisweilen auch eingepflanzt). Dabei werden solche „Beweise" bevorzugt, welche eine Stütze für die Vorstellung des Gottes bieten, an den die Überlieferung bereits glaubt bzw. die einer solchen Stützfunktion dienstbar gemacht werden können. Daß dies der Fall ist, legt sich durch den Sachverhalt nahe, daß für die Beweisbarkeit sehr verschiedener Götter gleichwohl einige sehr ähnliche Argumente vorgebracht worden sind. Kants sogenannter „moralischer Gottesbeweis" wird beispielsweise von dem chinesischen Denker Mo Tzu vorweggenommen, wobei letzterer ihn nicht dazu verwendete, um die Existenz eines höchsten Seienden zu beweisen, sondern die einer Vielfalt von Geistern und Geistwesen. Aristoteles wiederum entwickelte seinen Beweis ex parte motus (aus der Veränderung bzw. Bewegung) nicht, um die Existenz eines Gottes zu beweisen, sondern einer oder mehrerer immanenter erster Ursachen innerhalb des Universums bzw. an seinen äußersten Rändern (Physika, VII, VIII). Aber durch eine fruchtbare „Mißdeutung" des Aristoteles gelang es den muslimischen falasifa, seine Argumente den Erfordernissen eines etwas deterministisch gefärbten Monotheismus anzupassen. Und dieses „Mißverstehen" wurde in der Folgezeit von Maimonides und sodann von Thomas von Aquin so modifiziert, daß schließlich das Argument ex parte motus zur Apologie der Existenz eines Gottes verwandt werden konnte, dessen Eigenschaften wesentlich von denen des Gottes des Islam

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Gottesbeweise III

abwichen. Um schließlich noch einen geographisch wie geistig entlegeneren Horizont in diesen Z u s a m m e n h a n g einzubringen: Der dem Pantheismus zuneigende Sañkara gab noch eine andere Variante des Argumentes von der „Bewegung" her, und zwar f ü r eine Begründung des Brahman als Paramesvara (vgl. seinen Kommentar zu den Brahma Sütras II, ii,l). Es ist also unmöglich, eine einzige Definition aller Götter zu geben, deren Existenz Gegenstand argumentativer Beweisführung ist. Aber so wie dieses einerseits nicht möglich ist, ist es andererseits auch nicht notwendig, eine normative Bestimmung des Gottesbegriffes zu geben, weil der Schwerpunkt dieses Artikels näher bei der Frage der Gottesbeweise als der Goííesbeweise liegt. Das besagt, daß in ihm die Frage nach den Argumenten wichtiger ist als die nach den Gottheiten. Deshalb ist es auch nicht notwendig, sich auf schwer durchzuhaltende Distinktionen einzulassen - etwa zwischen „ d e m Gott (den Göttern) der T h e o l o g e n " einerseits und „ d e m Gott (den Göttern) der Philosophen" andererseits. Freilich ist der Gottesbegriff nicht irrelevant für die Schlüssigkeit eines Gottesbeweises. Ein äußerst wirksamer Weg, einer ernsthaften Auseinandersetzung mit der Frage der Gottesbeweise aus dem Weg zu gehen, ist etwa so zu argumentieren, d a ß der Gottesbegriff als solcher bereits logisch inkohärent ist (vgl. Anthony Kenny, T h e God of the Philosophers). Falls er inkohärent ist, kann er nicht instantiiert werden; wenn er nicht instantiierbar ist, k a n n kein Argument f ü r seine Instantiierung (d.h. f ü r Gottes Existenz in re) gültig sein. Im Blick auf die vermeintliche Kohärenz des Gottesbegriffs ergeben sich echte Schwierigkeiten, von denen Richard Swinburne (The Coherence of Theism) einige einer näheren Betrachtung unterzogen hat. Für den vorliegenden Artikel soll allerdings schlicht angenommen werden, d a ß der Begriff von Gott (Göttern), wie er in einem jeden der angesprochenen Gottesbeweise beschlossen ist, in jedem Einzelfall logisch kohärent ist. Zugleich sind freilich einige Bemerkungen hinsichtlich einer möglichen Inkohärenz des Begriffs des „notwendigen Seienden" zu treffen, wie er in einigen Versionen des sogenannten ontologischen Gottesbeweises impliziert ist. 1.3. Der Begriff der Existenz. O b etwas, das dem N a m e n „ G o t t " entspricht, auch existenz-möglich ist, hängt nicht allein von der Kohärenz des Gottesbegriffs ab, sondern auch davon, wie man den Existenzbegriff eingrenzt. Unterschiedliche Intentionen ermöglichen unterschiedliche Eingrenzungen. Zieht man die Grenzen auf eine Weise, dann könnte nichts existieren, was ein Theist f ü r wert hielte, den N a m e n „ G o t t " zu tragen. Zieht man sie auf eine andere Weise, so kann allein von G o t t gesagt werden, er existiere wirklich. Logische Positivisten neigten in der Regel zu einem Existenzbegriff, der Gott per definitionem ausschloß. Nicht nur Atheisten erachteten es als in ihrem Interesse stehend, d a ß Gott nicht als existenz-möglich angesehen werden könne. M a n c h e Theisten haben in Gottes N a m e n argumentiert, daß alles, was existieren könne, weniger sei als Gott. N u r Seiendes k ö n n e existieren; Gott sei kein Seiendes, er sei Sein-Selbst; er stehe daher jenseits der Distinktion von Existenz und Nicht-Existenz. In der abendländischen Neuzeit sind Seren ->Kierkegaard (1813-1855) und Paul ->TiIlich (1886-1965) zwei charakteristische Vertreter dieser Auffassung. Kierkegaard vertrat die Meinung: „ G o t t existiert nicht, er ist ewig" (Abschließende unwissenschaftliche Nachschrift zu den phil. Brocken, 2. Teil, GW, 16. Abt., Düsseldorf/Köln 1958, 35). Und Tillich postulierte ähnlich: „ G o t t existiert n i c h t . . . Z u behaupten, daß G o t t existiert, heißt ihn zu leugnen" (Syst. Theol. I, 239). Weder Kierkegaard noch Tillich wollten damit die Wirklichkeit Gottes oder seine Wirksamkeit in der Welt leugnen. Zumindest eines der Motive, Gottes Existenz zu bestreiten, w a r f ü r sie, die volle Gottheit Gottes gegenüber der endlichen und kontingenten Existenz der Dinge in R a u m und Zeit zu bewahren, so d a ß er in bezug auf die Schöpfung in Heiligkeit, M a c h t und Liebe frei handeln kann. Aber gerade dies versuchten altprotestantische Theologen d a d u r c h zu erreichen, d a ß sie von der Existenz Gottes sprachen (vgl. C . H . Ratschow, G o t t existiert). Ebensowenig ist diese Intention weit von dem entfernt, was Augustin und Anselm durch den Satz auszudrücken versuchten, daß allein Gott existiert. O b w o h l es in diesem J a h r h u n d e r t zumindest in der deutschen protestanti-

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Gottesbeweise III

sehen Theologie zunehmend üblich geworden ist, vom „Sein G o t t e s " statt von seiner „ E x i s t e n z " zu sprechen, werden in diesem Artikel die Grenzen der Begriffsbestimmung weit genug gezogen werden, so daß etwas, das dem N a m e n „ G o t t " entspricht, unter denjenigen Dingen zu sein vermag, von welchen zumindest im Prinzip gesagt werden kann, daß sie existenz-möglich sind. Indes steht jeder mögliche Beweis für die Existenz Gottes noch einer anderen Art von Schwierigkeit gegenüber. Bertrand Russell hat die Aufmerksamkeit auf einige jener Schwierigkeiten gelenkt, die immer dann entstehen, wenn von einem x gesagt wird, daß x existiere - nämlich auf die solcher Aussage innewohnende Gefahr sich vorzustellen, daß das grammatische Prädikat „ e x i s t i e r t " auch ein reales Prädikat ist, so daß „ E x i s t e n z " unversehens in unangemessener Weise als eine Eigenschaft oder ein Attribut von x angesehen wird. Auf diese Schwierigkeit wird weiter unten im Z u s a m m e n h a n g mit dem ontologischen Gottesbeweis noch näher einzugehen sein. Hier soll zunächst ohne weitere Begründung behauptet werden, daß es nicht bloß „schlechte G r a m m a t i k " (Russell) ist zu sagen, daß „Sokrates existiert" oder „ G o t t existiert", vorausgesetzt, daß bestimmte Unterscheidungen getroffen werden können, nämlich zwischen den Prädikaten, die man Prädikate auf der ersten Stufe nennen kann (wie z. B. „ g u t " , „liebevoll", „freundlich"), und Prädikaten einer zweiten Ebene, d. h. solchen, die eine weitgehend metasprachliche Funktion besitzen. So gesehen bedeutet der N a m e „ S o k r a t e s " in dem Satz „Sokrates existiert" den Verweis auf die Verwendung dieses N a m e n s in der Sprache der Tatsachen; der Satz, daß Sherlock Holmes nicht existiert, bedeutet demgemäß schlicht, daß es für den N a m e n „Sherlock H o l m e s " eben keine Verwendung in der Sprache der Tatsachen gibt. Aber das schließt nicht aus, daß er in der Sprache der Dichtung Anwendung finden kann. Wenn man „existiert" als einen Verweis auf die metasprachliche Ebene versteht, wird damit etliche Verwirrung beseitigt, die mit singulären Existenzaussagen verbunden ist, während umgekehrt das Urteil des c o m m o n sense bestehen bleibt, daß der Satz „ G o t t existiert" keine schlechte Grammatik ist.

2. Gottesbeweise

in der neuzeitlichen

abendländischen

Philosophie

Die Auseinandersetzung um die Gottesbeweise in der abendländischen Religionsphilosophie der Moderne ist auf einzigartige Weise durch die Darstellung geprägt worden, die Kant in der Kritik der reinen Vernunft von ihnen gegeben hat (A 5 8 3 - 6 4 2 ; B 6 1 1 - 6 7 0 ) — und dies in doppelter Hinsicht: Kants Einwände gegen die traditionellen Gottesbeweise sind nicht allein der M a ß s t a b geworden, an welchem die Gültigkeit aller nachfolgenden Versuche, die Beweise zu verteidigen oder zu kritisieren, gemessen worden ist; vielmehr ist seine spezifische Zurückführung von möglichen Arten einer theologia rationalis auf vier solcher Arten der übliche Weg geworden, die Frage der Gottesbeweise, sofern sie in der abendländischen Philosophie bleibende Bedeutung behalten haben, zu behandeln. Die verschiedenen möglichen Gottesbeweise von der „spekulativen" oder „ r e i n e n " Vernunft her reduzierte Kant zunächst auf drei (Ontotheologie, Kosmotheologie, Physikotheologie), bevor er einen vierten, eigenen hinzufügte, nämlich den moralischen Gottesbeweis (Moraltheologie). Seiner Ansicht nach gibt es allein diese - und keine anderen möglichen Beweise für Gottes Existenz (A 591; B 619). Es ist allgemein bekannt, daß Kant sie alle außer dem letzten für gänzlich gescheitert hielt, weil sie auf einem hoffnungslos illegitimen Gebrauch der reinen Vernunft gründeten, d. h. darauf, menschliche Erkenntnis über die Grenzen der Sinneswahrnehmung hinaus auszudehnen. Der ontologische und der kosmologische Beweis zusammen bilden für Kant dabei das, was er die transcendentale Theologie nennt, insofern, als sie versprechen, die Existenz Gottes allein durch eine transzendentale Begrifflichkeit - mit keinem oder nur geringem Rückhalt in den Dingen der empirischen Welt ( A 6 3 2 ; B 6 6 0 ) - zu begründen. Die natürliche Theologie andererseits „schließt auf die Eigenschaften und das Dasein eines Welturhebers aus der Beschaffenheit, der Ordnung und Einheit, die in dieser Welt angetroffen wird, in welcher zweierlei Causalität und deren Regel angenommen werden muß, nämlich Natur und Freiheit. Daher steigt sie von dieser Welt zur höchsten Intelligenz auf, entweder als dem Prinzip aller natürlichen, oder aller sittlichen Ordnung und V o l l k o m m e n h e i t " ( A 6 3 2 ; B 6 6 0 ) . Auf diese Weise werden die möglichen Typen einer theologia rationalis auf vier reduziert. Niemals zuvor waren die Gottesbeweise so handlich präsentiert worden. Im Sinne eines angemessenen Vorgehens - und zugleich in Anerkenntnis von Kants entschei-

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G o t t e s b e w e i s e III

d e n d e m Einfluß auf die neuere Auseinandersetzung in diesem B e r e i c h - werden wir in diesem A b s c h n i t t den G r ü n d z ü g e n der theologia rationalis folgen, welche K a n t in seiner ersten Kritik skizziert h a t . D a d u r c h ist es m ö g l i c h , s o w o h l die drei beständigsten Beweise, die i n n e r h a l b des neuzeitlich-abendländischen D e n k e n s v o r g e b r a c h t worden sind, als auch K a n t s eigenen subtilen Beitrag in der F o r m u l i e r u n g des grundsätzlich neuen moralischen G o t t e s b e w e i s e s in angemessener Weise darzustellen. A u f jeden Fall müssen auch die älteren oder „ k l a s s i s c h e n " Gestalten der einzelnen G o t t e s b e w e i s e e r w ä h n t werden, wie sie im O s t e n und im Westen vorgelegt w o r d e n sind. 2.1. Der ontologische Gottesbeweis stellt einen Versuch dar, v o n einer Analyse des Gottesbegriffs ausgehend, die notwendige E x i s t e n z des Seienden nachzuweisen, auf den dieser Begriff ausschließlich zutrifft. Z u e r s t von dem islamischen Philosphen Ibn STnä ( 9 8 0 - 1 0 3 7 ) f o r m u l i e r t , wird der o n t o l o g i s c h e G o t t e s b e w e i s fast überall Anselm von C a n t e r b u r y (1033—1109) zugeschrieben. K o n t r o v e r s ist freilich zugleich, w a s genau d i e im M i t t e l a l t e r s o g e n a n n t e - ratio Anselmi zu beweisen sucht. D i e anselmianische F o r m des Beweises, wie sie in Proslogion II—IV e n t w i c k e l t wird, w u r d e schon früh von dem B e n e d i k t i n e r m ö n c h G a u n i l o in seinem Liber pro Insipiente kritisiert. Auch T h o m a s von Aquin ( 1 2 2 5 - 1 2 7 5 ) wies jedes A r g u m e n t für G o t t e s E x i s t e n z zurück, das besagte, d a ß diese E x i s t e n z allein aus der Bedeutung des N a m e n s „ G o t t " abgeleitet werden k ö n n e ( S . t h . l a . 2 . 1 ) . D e r heute allgemein als der „ o n t o l o g i s c h e G o t t e s b e w e i s " b e k a n n t e Beweis g e w a n n , o b s c h o n nicht o h n e A p o l o g e t e n im M i t t e l a l t e r - e t w a in der G e s t a l t B o n a v e n t u ras ( 1 2 1 7 - 1 2 7 4 ) o d e r des J o h a n n e s D u n s S c o t u s ( 1 2 6 6 - 1 3 0 8 ) 1 - , seinen eigentlichen Impuls in der Neuzeit durch seine Unterstützung von Seiten D e s c a r t e s ' , und seine Revision durch Leibniz. R e n é - » D e s c a r t e s , der den Beweis m ö g l i c h e r w e i s e o h n e eine u n m i t t e l b a r e Beeinflussung durch Anselm e n t w i c k e l t h a b e n m a g , liefert eine kurze Darlegung des ontologischen Beweises im IV. Teil seines Discours de la Méthode und eine längere A p o l o g i e in der dritten und — detaillierter n o c h — in der fünften seiner Meditationes de Prima Philosophia. D i e Idee G o t t e s als eines schlechthin v o l l k o m m e n e n Seienden ( u n être souverainement parfait) wird von D e s c a r t e s als eine idea innata verstanden, m e h r n o c h , als die klarste und deutlichste aller eingeborenen Ideen, klarer und deutlicher als selbst die Vorstellung unserer eigenen E x i s t e n z . D i e cartesianische F o r m dieses A r g u m e n t s unterscheidet sich von der anselmianischen in wichtigen H i n s i c h t e n , nicht zuletzt darin, d a ß D e s c a r t e s ausdrücklich die A n n a h m e m a c h t , d a ß E x i s t e n z ein P r ä d i k a t (der ersten Stufe) darstellt, und weiterhin eine V o l l k o m m e n h e i t bedeutet, so d a ß die E x i s t e n z notwendig zu G o t t gehört, sofern in ihm alle V o l l k o m m e n h e i t e n vereint sind. D a m i t setzt die cartesianische F o r m des Beweises den Begriff des „ n o t w e n d i g e n S e i e n d e n " in seiner a m schwierigsten zu verteidigenden B e d e u t u n g voraus. „ E x i s t e n z " wird dabei in zumindest zweifacher Weise als ein G o t t n o t w e n d i g Z u g e h ö r i g e s verstanden. Sie gehört zumindest in der Weise zur G o t t h e i t , in w e l c h e r der Satz „ D i e S u m m e der W i n k e l eines D r e i e c k s beträgt 1 8 0 ° " zum Begriff des D r e i e c k s oder eine Steigung zu einem Gefälle g e h ö r t . 2 D o c h ist die E x i s t e n z von G e g e n s t ä n d e n von der F o r m eines D r e i e c k s bleibend k o n t i n g e n t , so d a ß aus ihrer Vorstellung nicht gefolgert werden k a n n , d a ß sie existieren. Bei G o t t , erklärt D e s cartes, liegen die D i n g e anders: Seine E x i s t e n z wird von ihm als (logisch?) notwendig a n g e n o m m e n . S o g e h ö r t die E x i s t e n z a u c h in dem Sinne zu der Vorstellung von G o t t , d a ß seine Existenz in re n o t w e n d i g e r w e i s e zu seiner Essenz hinzugehört: „ D a g e g e n folgt d a r a u s , d a ß ich G o t t nur als existierend denken k a n n , d a ß das Dasein von G o t t untrennb a r ist und d e m n a c h d a ß er in W a h r h e i t e x i s t i e r t " ( M e d i t a t i o n e n über die Grundlagen der Philosophie, hg. v. L ü d e r G ä b e , 1 9 5 9 [PhB 2 5 0 a ] 121). Ferner wird gesagt, d a ß diese N o t w e n d i g k e i t in G o t t e s eigenem Wesen angelegt ist und nicht allein in unserer Vorstellung von G o t t (121 f). D e r G o t t e s b e w e i s D e s c a r t e s ' wurde von einigen seiner Zeitgenossen — u . a . von Pierre G a s s e n d i ( 1 5 9 2 - 1 6 5 5 ) heftig kritisiert, und er w u r d e in signifikanter Weise von dem g r ö ß t e n Philosophen der nächsten G e n e r a t i o n , n ä m l i c h von G o t t f r i e d Wilhelm -»Leibniz ( 1 6 4 6 - 1 7 1 6 ) abgewandelt.

Gottesbeweise III

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Die cartesianische Form des ontologischen Gottesbeweises wurde von Leibniz zwar als „unzureichend" und „sehr u n v o l l k o m m e n " , aber doch als verbesserungsfähig angesehen (Discours de Métaphysique § 2 3 ) . Allenfalls gibt er Descartes darin recht, als dieser gezeigt habe, daß die Existenz Gottes, wenn sie möglich ist, auch notwendig ist, ohne daß es ihm allerdings gelungen sei zu zeigen, daß die Existenz möglich ist. Leibniz erkennt in seiner Monadenlehre an, daß allein G o t t als notwendiges Seiendes das Vorrecht hat, wirklich zu existieren, wenn es ihm möglich ist zu existieren, da seine ihm eigene Essenz seine Existenz impliziert, so daß sein Sein als Sein in actu erwiesen werden kann, wenn seine Möglichkeit zu erweisen ist ( § § 4 f ) . Diese „ M ö g l i c h k e i t " kann nach Leibniz bewiesen werden, wenn sich zeigen läßt, daß alle positiven Attribute oder Vollkommenheiten in ihm widerspruchslos versammelt sein können. Dies bemüht sich Leibniz zu begründen und damit zugleich nachzuweisen, daß G o t t wahrhaft existiert, da „ein notwendiges Seiendes, wenn es ein mögliches ist, existiert" (vgl. Specimen inventorum de admirandis naturae generalis arcanis). Leibniz dürfte in der jüngsten Gegenwart wohl einen Verbündeten in dem amerikanischen Logiker Alvin Plantinga (geb. 1932) gefunden haben, der vermittels eines geschickten Gebrauchs der Techniken der Modallogik — den Versuch unternommen hat, die (logische) Notwendigkeit von Gottes Existenz von der Möglichkeit seiner Existenz her nachzuweisen (vgl. God and Other Minds u. The Nature of Necessity). Plantinga besteht darauf, daß es völlig vernünftig sei, von der Möglichkeit der Existenz Gottes hin zu ihrer Notwendigkeit einen in sich stringenten Argumentationsgang aufzubauen, und zwar durch den Nachweis der logischen Unmöglichkeit seiner Nicht-Existenz in einer möglichen Welt (wobei Plantinga von dem Axiom Gebrauch macht, daß das, was in einer möglichen Welt logisch unmöglich ist, in allen möglichen Welten logisch unmöglich ist). Anders als Leibniz ist Plantinga jedoch nicht von der Erwartung bestimmt, daß irgend jemand diesen Beweis als Begründung des Theismus annehmen würde, der nicht schon vorher dazu bereit ist. Allerdings glaubt er zumindest die vernünftige Begründbarkeit des Gottesglaubens nachgewiesen zu haben (God, Freedom and Evil 112). Leibniz mag sich mit der Überlegung begnügt haben, daß Gottes Existenz notwendig aus ihrer Möglichkeit folgt. Seine Folgerungen beeindruckten Kant allerdings nicht im geringsten; dieser sah vielmehr an einer Beschäftigung mit dem ontologischen Gottesbeweis in seiner durch Descartes und Leibniz abgewandelten Gestalt „alle M ü h e und Arbeit verloren" ( A 6 0 2 ; B 6 3 0 ) . Leibniz' Unternehmen, das analytische Kriterium der „ M ö g lichkeit" oder der bloßen logischen Widerspruchsfreiheit dem Begriff des notwendigen Seienden hinzuzufügen, konnte seiner Ansicht nach nicht den schon im Ansatz brüchigen Versuch Descartes' heilen, die tatsächliche Existenz eines notwendigen Seienden aus der bloßen Vorstellung eines solchen abzuleiten. Kant legt die Bruchstellen des Arguments auf zweierlei Weise dar. Zunächst gibt er die logische Möglichkeit der Vorstellung eines schlechthin vollkommenen oder absolut notwendigen Seienden zu und erkennt sogar zunächst an, daß die Existenz zu seinen Vollkommenheiten gehöre. Dies aber müßte zu dem Widerspruch führen, einerseits das Prädikat (Existenz) zu verneinen und zugleich das Subjekt (notwendiges Seiendes) zu bejahen. Aber, so fragt er weiter, wo bleibt der Widerspruch, wenn man zugleich Subjekt und Prädikat verneint? „Einen Triangel setzen und doch die drei Winkel desselben aufheben, ist widersprechend; aber den Triangel samt seinen drei Winkeln aufheben, ist kein Widerspruch. Gerade eben so ist es mit dem Begriffe eines absolut nothwendigen Wesens bewandt. Wenn ihr das Dasein desselben aufhebt, so hebt ihr das Ding selbst mit allen seinen Prädicaten a u f " (A 5 9 4 - 5 ; B 6 2 2 - 3 ) . Und eben dies geschieht, wenn man sagt „ G o t t ist n i c h t " , so daß es durchaus möglich ist, Gottes Existenz zu verneinen, ohne in Widersprüche zu geraten. Aber zum anderen ist es höchst unangemessen, „ E x i s t e n z " als ein Prädikat oder eine Vollkommenheit in dem Sinne zu verstehen, wie etwa Allmacht oder Allwissenheit Prädikate oder Vollkommenheiten sind. „ S e i n " oder „ E x i s t e n z " ist ein grammatisches, aber kein reales Prädikat. Beides zeigt einfach an, daß der fragliche Begriff in der Welt der Tatsachen v o r k o m m t ,

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G o t t e s b e w e i s e III

o h n e e t w a s zu den A t t r i b u t e n des instantiierten G e g e n s t a n d e s hinzuzufügen. Kants Vera n s c h a u l i c h u n g dieses Punktes ist geradezu klassisch: „ H u n d e r t w i r k l i c h e T h a l e r enthalten nicht das M i n d e s t e m e h r , als hundert m ö g l i c h e " ( A 5 9 9 ; B 6 2 7 ) . Kants Einspruch gegen Descartes und Leibniz wurde auf grundsätzliche Weise - wenn auch ohne einen ausdrücklichen Hinweis auf beider ontologische Gottesbeweise - von Bertrand Russell (1872-1970) verstärkt. U. a. in seiner Introduction to Mathematical Philosophy (Kap. 16) versuchte Russell, den Begriff „Sein" oder „Existenz" vermittels des Nachweises zu entmystifizieren, daß beides Eigenschaften von Aussagefunktionen sind, nicht aber von Dingen. Diese Einsicht, in Russells Theorie der Beschreibung verkörpert, verhalf dazu, den Nebel zu vertreiben, der sich über manche Verlegenheiten in der Philosophiegeschichte zumindest seit Plato verbreitet hat (vgl. den Tbeaetet). Z . B . kann der Satz „Pferde existieren, aber Einhörner existieren nicht" restlos in den Satz verwandelt werden, daß die Aussagefunktion „ x ist ein Pferd" manchmal wahr ist, wohingegen die Aussagefunktion „x ist ein Einhorn" niemals wahr ist. Russell argumentierte weiter, daß selbst wenn der Satz „x existiert" mitunter eine korrekte Allgemeinaussage ist, er dennoch niemals eine korrekte Einzelaussage ist; d.h. die Sätze „Sokrates existiert" und „Gott existiert" sind nach Russells Auffassung einfach Beispiele einer „schlechten Grammatik". Wenn das Subjekt ein Eigenname ist, sind bejahende singulare Existenzaussagen immer tautologisch und deshalb ohne Informationswert. Aber die entsprechenden negativen Existenzaussagen sind stets selbstwidersprüchlich, da das Prädikat das negiert, was im Subjekt gesetzt worden ist. Wenn dies der Fall ist, dann wäre (im Rahmen der Analyse Russells) der Satz „Sokrates existiert nicht" nicht weniger selbstwidersprüchlich als der Satz „Gott existiert nicht". Aber in beiden Fällen ergibt sich der Widerspruch nicht aus einem besonderen Attribut bestimmter Arten von Dingen (Philosophen oder Göttern), sondern aus der Unangemessenheit, Existenz als ein Prädikat (der ersten Stufe) anzusehen. Wenn Russell recht hat - und es könnte sein, daß er hinsichtlich der Prädikate der ersten Stufe (allerdings nicht der zweiten Stufe) Recht hat - , dann unterliefe seine Theorie bestimmter Beschreibungen anscheinend jedes mögliche ontologische Argument des cartesianischen Typs. Ob sie gleichermaßen jedes mögliche ontologische Argument unterläuft, ist weniger ersichtlich. „ E x i s t e n z " m a g zwar kein reales Prädikat sein, aber wie steht es mit dem Begriff der „ n o t w e n d i g e n E x i s t e n z " ? D a ß G o t t ein „ n o t w e n d i g e s S e i e n d e s " ist, w a r unter den mittelalterlichen T h e o l o g e n o p i n i o c o m m u n i s , auch unter denjenigen, w e l c h e (wie T h o m a s ) der ratio Anselmi m i ß t r a u t e n . A b e r der G e d a n k e der n o t w e n d i g e n E x i s t e n z G o t t e s spielt in Anselms G o t t e s b e w e i s eine herausragende R o l l e , vor allem in Proslogion III, einem A b s c h n i t t , der in der neuesten philosophischen D i s k u s s i o n über den o n t o l o g i s c h e n G o t tesbeweis gespannte A u f m e r k s a m k e i t gefunden h a t . D i e entscheidende Bedeutung des Begriffs der „ n o t w e n d i g e n E x i s t e n z " in der ratio Anselmi ist - wenn auch aus unterschiedlichen M o t i v e n und mit unterschiedlichen Zielen - von so unterschiedlichen Philosophen wie J . N . F i n d l a y , C h a r l e s H a r t s h o r n e und N o r m a n M a l c o l m h e r v o r g e h o b e n w o r d e n . Findlay erklärt, d a ß der Begriff einer (logisch) notwendigen E x i s t e n z nicht n u r für Anselms G o t t e s b e w e i s wesentlich sei, sondern für jeden religiös befriedigenden G o t tesglauben. A b e r der Begriff einer n o t w e n d i g e n E x i s t e n z sei in sich logisch widersprüchlich, so d a ß der G o t t e s b e g r i f f einer Instantiierung völlig unfähig sei. D e s h a l b existiere G o t t n o t w e n d i g nicht ( „ C a n G o d ' s E x i s t e n c e be D i s p r o v e d ? " : N e w Essays in Philosophical T h e o l o g y , hg. v. F l e w / M a c l n t y r e , 4 7 - 5 6 ) . Eine im S i n n e des T h e i s m u s positivere A n w e n d u n g des Begriffs von G o t t e s „ n o t w e n d i g e r E x i s t e n z " findet sich bei H a r t s h o r n e und M a l c o l m : Beide vertreten die Überzeugung, d a ß im Proslogion zwei logisch unterschiedliche F o r m u l i e r u n g e n des o n t o l o g i s c h e n G o t t e s b e w e i s e s vorliegen, von denen n u r eine den kritischen E i n w ä n d e n u n t e r w o r f e n sei, wie sie von H u m e , K a n t und Russell e r h o b e n w o r d e n sind. D i e m u t m a ß l i c h „ e r s t e " und mit M ä n g e l n behaftete F o r m des Beweises liegt ihrer A n s i c h t nach in Proslogion II; die a n g e n o m m e n e „ z w e i t e " und gültige F o r m in Proslogion III. Als eine I n t e r p r e t a t i o n der klaren Bedeutung des T e x t e s ist diese Auslegung des Proslogion u n h a l t b a r und o h n e zureichenden G r u n d : II und III enthalten einen durchgehenden A r g u m e n t a t i o n s g a n g und nicht zwei logisch unterschiedliche G o t tesbeweise ( s . o . A b s c h n . II). D e n n o c h werden F r a g e n von p h i l o s o p h i s c h e m Interesse an b e s t i m m t e n Stellen der (Fehl-)Interpretation des a n s e l m i a n i s c h e n T e x t e s durch H a r t s h o r n e und M a l c o l m a u f g e w o r f e n . Vor allem ist b e m e r k e n s w e r t , d a ß beide in ihren j e w e i ligen Untersuchungen die F r a g e n a c h der N a t u r von N o t w e n d i g k e i t stellen. Denn „ n o t -

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wendig" kann wenigstens zwei Bedeutungen besitzen, so daß der Begriff der „notwendigen E x i s t e n z " Gottes zumindest auf eine zweifache Weise verstanden werden kann. Z u nächst kann „ n o t w e n d i g " logische Notwendigkeit bedeuten, d . h . analytisch im Sinne Kants. Aber alle Existenzaussagen sind synthetisch. Keine Tatsache kann durch die bloße Zergliederung einer analytischen Aussage aufgedeckt werden. Aber gerade dies ist es, was besonders Hartshorne zu versuchen scheint. Wenn das der Fall ist, dann ist es schwer begreiflich, warum sein formales Argument für Gottes Existenz nicht der gleichen Kritik unterworfen ist, wie sie Kant und andere erhoben haben. Z u m anderen kann „notwendig" schlicht faktisch oder ontologisch notwendig bedeuten, d . h . hinsichtlich der Existenz nicht von etwas anderem kausal abhängig sein. In der Sprache der mittelalterlichen Philosophie ist ein „notwendiges Seiendes" ein solches, dessen Existenz ewig oder unvergänglich ist; ein „absolut notwendiges Seiendes" ist ein solches, dessen Existenz zusätzlich a se oder per se ist und nicht ab alio. Nach den Theologen der Scholastik wäre das Universum ein notwendiges Seiendes im ersteren, aber allein G o t t ein notwendiges Seiendes im letzteren Sinn. Es mag innerhalb dieses R a h m e n s wohl zutreffen, daß Gottes Nicht-Existenz als „unvorstellbar" gedacht werden kann, aber es ließe sich nicht aus dieser Art von Unvorstellbarkeit folgern, daß Gottes Nicht-Existenz auch logisch unmöglich ist. Ein ontologisches Argument, das von dieser Sinngebung von „notwendiger Existenz" Gebrauch machte, wäre vielleicht nicht imstande zu beweisen, daß G o t t im Sinne einer strengen logischen Notwendigkeit existierte {et in intellectu et in re), aber es könnte dennoch dazu geeignet sein aufzuzeigen, daß die (ontologisch) notwendige Existenz G o t tes ein kohärenter Begriff ist und damit wenigstens Findlay, wenn nicht sogar dem Toren, von dem der Psalmist spricht, eine Niederlage bereiten. In der Tat wäre der Nachweis, daß die (ontologisch) notwendige Existenz Gottes ein kohärenter Begriff ist, lohnenswert, weil sie zumindest zeigte, daß der Glaube an G o t t als an ein (ontologisch) notwendiges Seiendes eine vernünftige Überzeugung ist. Damit würde auch dem Verstehen etwas zugänglich, was bereits eine Sache des Glaubens ist. Aber sowohl Hartshorne wie M a l colm wollten beide mehr zeigen als dies. Sie wollten zeigen, daß Gottes Existenz et in intellectu et in re logisch notwendig ist. Darin sind sie gescheitert. Und, so ist man geneigt hinzuzufügen, dieses Scheitern ist selbst (logisch) notwendig. 2.2. Die kosmologischen Gottesbeweise bilden eine eng miteinander verbundene Familie verschiedener Beweisarten, die von der Kontingenz oder dem nicht aus sich selbst heraus zu verstehenden Charakter des Universums ausgehen und zu einem Seienden fortschreiten, dessen Existenz notwendig oder aus sich selbst heraus erklärbar ist. Kosmologische Gottesbeweise mögen als eine ihrer Prämissen eine sehr allgemeine Annahme über die Welt enthalten (z. B. daß sie existiert, daß manche Dinge in Bewegung sind usw.), aber ihre Beweiskraft gewinnen sie aus einem Denkvorgang weitgehend apriorischer Natur. Zu R e c h t gilt der kosmologische Gottesbeweis als „das philosophische Argument für den Gottesglauben par excellence" ( J . L . M a c k i e 81). Er ist in seiner ganzen Vielfarbigkeit sicherlich einer der zeitlich dauerhaftesten und kulturell am weitesten verbreiteten Gottesbeweise in der Geschichte des menschlichen Denkens gewesen. Er hat Befürworter (Sarikara) und Kritiker (Rämänuja) im Denken Indiens wie auch - zumindest seit Plato ( N o m o i X ) und Aristoteles (Phys. VII, VIII) - in der abendländischen Philosophie gefunden. Muslims, Juden und Christen waren in gleicher Weise der Ansicht, daß er für die Erfordernisse ihres jeweiligen Gottesglaubens hilfreich sei. Selbst Kant bezeichnete den kosmologischen Gottesbeweis als einen Beweis, der „nicht für den gemeinen, sondern auch den speculativen Verstand die meiste Überredung bei sich f ü h r t " (A 604; B 632). Er ist zudem in gewisser Hinsicht als die Grundlage aller möglichen Argumente einer theologia naturalis (etwa der teleologisch bestimmten) anzusehen, sofern diese - wie verfeinert sie auch immer werden mochten - von Kants Blickwinkel aus die wesentlichen Umrisse einer solchen Theologie unangetastet ließen. Aber dies bedeutet auch, d a ß , wenn der kosmologische Gottesbeweis scheitert, auch der teleologische hinfällig wird.

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Die besondere Form des kosmologischen Gottesbeweises, die Kant bei seinen Beobachtungen so deutlich vor sich sah, war diejenige, die ihm durch Leibniz gegeben worden war. In einer Sprache, die mehr an -»Descartes als an Leibniz erinnert, faßt Kant Leibniz' Beweis ziemlich frei folgendermaßen zusammen: „Wenn etwas existirt, so muß auch ein schlechterdings nothwendiges Wesen existiren. Nun existire zum mindesten ich selbst: also existirt ein absolut nothwendiges Wesen" (A 604; B 632). O b dies nun eine ganz angemessene Zusammenfassung des recht vielschichtigen Arguments ist, wie es Leibniz vom Satz vom zureichenden Grund her entwickelt hat oder nicht - es ist sicherlich eine Form, die der kosmologische Gottesbeweis annehmen könnte. Allerdings ist es keineswegs die einzig mögliche Form, wie sich schon aus den Unterartikeln zum Stichwort Gottesbeweise im Judentum und im Mittelalter ergeben haben dürfte. Der Familienstammbaum der kosmologischen Gottesbeweise ist unübersichtlich, aber es gibt zumindest drei Hauptzweige, die in verschiedene Richtungen auseinandergewachsen sind: 1) die Leibniz-Wölfische Linie, deren Gottesbeweis in seiner Überzeugungskraft auf dem Satz vom zureichenden Grunde beruht; 2) die Linie, zu der Aristoteles und die faläsifa gehören, und die auch Maimonides und T h o m a s von Aquin einschließt; hier beruht die Wirksamkeit des Beweises auf dem Kausalitätsprinzip; 3) der Zweig der mutakallimün, deren Gottesbeweis auf der Zeitlichkeit des Universums gründet und seine Wirksamkeit aus dem erhält, was man „das Prinzip der Determinierung" nennen könnte (W.L. Craig, T h e Cosmological Argument 282ff). Der Stammbaum selbst ist keineswegs ordentlich, und seine kleineren Zweige sind so ineinander verwachsen, daß es nicht immer möglich ist, mit Sicherheit festzustellen, aus welchem größeren Zweig sie hervorgekommen sind. Aber jeder dieser drei Hauptzweige kann deutlich charakterisiert werden, und in jedem Fall lassen sich die jeweilig führenden Vertreter ausmachen, auch wenn es eher üblich sein mag, die einzelnen Positionen in der Geschichtsschreibung des menschlichen Denkens miteinander vermischt zu finden. Selbst in der Regel genaue Kommentatoren haben sich solcher Vermischung schuldig gemacht, etwa der, die via tertia von T h o m a s mit Leibniz' Gottesbeweis zusammenzubringen. Sie beruht hier etwa darauf, daß T h o m a s von Aquin fälschlicherweise der Satz vom zureichenden Grund zugeschrieben wird (so R . Garrigou-Lagrange, Dieu. Son existence et sa nature) oder Leibniz das Argument von der Unmöglichkeit eines Regresses ins Unendliche (so G . H. R . Parkinson). In jedem Fall wird der grundlegende Unterschied zwischen den verschiedenen Typen des kosmologischen Gottesbeweises verwischt. Scharf akzentuiert wird der Unterschied von W. L. Craig, der zugleich die Gültigkeit wenigstens einer bestimmten Art des kosmologischen Gottesbeweises vertritt (vgl. T h e Kaläm Cosmological Argument), und von J . L . Mackie, der energisch das Versagen aller kosmologischen Gottesbeweise anprangert (vgl. T h e Miracle of Theism). Leibniz war der Ansicht, daß es vernünftig sei zu glauben, daß nichts ohne Grund geschieht; und das besagt für ihn anscheinend nicht nur „ohne eine (Wirk- oder End-) Ursache", sondern auch „ohne eine Erklärung" dessen, warum etwas so und nicht anders geschieht. G e m ä ß seinen Ausführungen in Principes de la nature et de la gräce bedeutet der Satz „daß sich nichts ohne zureichenden Grund ereignet": „daß nichts geschieht, ohne daß es für jemanden, der genügend Erkenntnis der Dinge hat, möglich ist, einen zureichenden Grund anzugeben, warum es so und nicht anders i s t " (§7). Wenn dieser Grundsatz anerkannt wird, dann ist nach Leibniz eine Antwort auf die metaphysische Grundfrage möglich: „Warum gibt es etwas und nicht vielmehr nichts?" In dieser und anderen Abhandlungen verbindet Leibniz die Frage „Warum ist überhaupt etwas?" mit der Frage „Warum sind die Dinge gerade so, wie sie sind, und nicht anders?" Aber dies sind deutlich verschiedene Fragen, und aus jeder von ihnen ergibt sich eine unterschiedliche Reihe von Fragestellungen. Die Fragestellungen, die sich aus der ersten Frage ergeben, gehören wesentlich zum kosmologischen Gottesbeweis; diejenigen, die sich aus der zweiten Frage ergeben, führen eher zum teleologischen Gottesbeweis. Die Tatsache, daß die beiden Fragen leicht miteinander verwechselt und die zwei Problembereiche

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leicht vermischt werden, wird durch H u g o Meynell bestätigt, der kürzlich in seinem Buch The lntelligible Universe einen teleologischen Gottesbeweis im G e w a n d eines kosmologischen vorgetragen hat. Wenn wir die beiden A r t e n der Fragestellung auseinanderhalten (und z w a r deutlicher als es Leibniz getan hat), zeigt sich, daß Leibniz mit seiner Frage „ W a r u m ist etwas, w a r u m nicht n i c h t s ? " nicht eigentlich fragt, w a r u m die Welt so ist, wie sie ist und nicht vielmehr anders; er fragt noch unmittelbarer, w a r u m überhaupt eine Welt ist - und das ist die Frage, die eigentlich v o m kosmologischen Gottesbeweis aufgeworfen wird. Es ist wichtig, scharf im Auge zu behalten, daß Leibniz' Fragestellung nicht so sehr auf die im Universum wirksame Kausalität gerichtet ist als vielmehr auf die Intelligibilität des Universums, d . h . auf seinen letzten vernünftigen Grund. Von der Tatsache aus, daß überhaupt etwas existiert, und von dem Prinzip her, daß es eine rationale Begründung oder „einen zureichenden G r u n d " dafür geben muß, daß es etwas gibt und nicht nichts, versucht Leibniz des weiteren, die Existenz Gottes zu beweisen. U m diesen Beweisgang schlüssig zu gestalten, ist es für ihn notwendig, unter anderem zu zeigen, daß dieser „zureichende G r u n d " nicht bloß immanent ist in dem Sinne, daß er einem beliebigen Ding oder dem G e s a m t der Dinge, die das Universum konstituieren, zugeschrieben werden könnte: nicht einem Ding, weil jedes Ding in der Welt kontingent ist, nicht der Gesamtheit aller Dinge, weil alle Dinge in der Welt nicht weniger kontingent sind als jedes einzelne. Hieraus folgert Leibniz, daß der zureichende Grund dafür, daß es etwas gibt und nicht vielmehr nichts, auf irgendeine Weise außerhalb der Gesamtheit der Dinge, die das Universum als Ganzes konstituieren, existieren muß. Es muß, nach Leibniz, ein notwendiges Seiendes sein, eines, das in sich selbst den zureichenden Grund seiner eigenen E x i stenz enthält. Dieses notwendige Seiende, welches „ G o t t " genannt wird, besitzt notwendigerweise alle Vollkommenheiten als Folge der Fülle seines Seins (vgl. seine Monadenlehre). Diese besondere Fassung des kosmologischen Gottesbeweises wurde - wenngleich weniger subtil - von Christian —>Wolff ( 1 6 7 9 — 1 7 5 4 ) weiterentwickelt und hat in der neueren Z e i t in dem amerikanischen Philosophen R i c h a r d Taylor einen gleichermaßen subtilen wie für das Wesen von Religion empfänglichen Verteidiger gefunden. In seiner Schrift Metaphysics verteidigt Taylor Leibniz' Prinzip des zureichenden Grundes als „eine Voraussetzung der Vernunft selbst" (105). Es kann nicht bewiesen werden, weil alle Betrachtungsweisen, auf die man sich zu seinem Beweis berufen könnte, weniger überzeugend wären als der zu beweisende Grundsatz selbst. Mehr noch, jeder Versuch, diesen Grundsatz zu beweisen, würde ihn nahezu mit Sicherheit selbst voraussetzen. Dennoch sei er eine unaufgebbare Überzeugung, sofern allein er die menschliche Fähigkeit ermögliche, sich über die alltäglichsten Dinge des Lebens rational klar zu werden (104f). Nachdem er dargelegt hat, daß der Satz vom zureichenden Grund vorausgesetzt zu werden vermag, argumentiert Taylor weiter, daß sich die Reichweite der Anwendbarkeit dieses Satzes nicht allein auf alle Einzeldinge in der Welt erstreckt, sondern auch auf die Welt als Ganzes. Die Reichweite der Anwendung dieses Satzes auf das zu beschränken, was weniger ist als das Ganzes, wäre nach Taylor ganz und gar willkürlich. Damit muß von seinem Blickwinkel aus die Frage gelten können: „Warum gibt es etwas und nicht nichts?" Dabei erfordert die Fragestellung (im Gegensatz etwa zum fea/ä»j-Beweis) durchaus nicht, daß die Welt einen Anfang in der Zeit gehabt habe. Selbst eine ewige Welt bliebe nach Taylors Ansicht kontingent und bedürfte eines zureichenden Grundes. In einem solchen Falle könnte die Frage abgewandelt werden: „Warum hat es immer etwas gegeben und nicht nichts?" Falls der Satz vom zureichenden Grunde gültig ist - und Taylor besteht d a r a u f - , dann muß es eine Antwort auf eben diese Frage geben ( 1 0 6 - 1 0 7 ) . Schließlich müsse die Antwort auf diese Frage so lauten, daß die Welt in ihrer Existenz von etwas abhänge, „das notwendig und unvergänglich ist und das demgemäß nicht in Abhängigkeit von einem anderen existiert, sondern durch seine eigene Natur" (llOf). Taylor kann dieses „etwas" problemlos als „Schöpfer des Himmels und der Erden" beschreiben, aber er zögert, es „ G o t t " zu nennen, obwohl er immer wieder sagt, daß dieses „etwas" bisweilen „ G o t t " genannt worden ist (107 ff). Taylors kosmologischer Gottesbeweis, der, nebenbei bemerkt, in den Metaphysics durch andere Beweise ergänzt wird, ist fast gänzlich von Leibniz inspiriert, wenn auch Taylor bescheidener als sein Vorgänger hinsichtlich der Behauptungen ist, die er für die Reichweite des kosmologischen Beweises erhebt: „Es wäre in der Tat übertrieben", bekennt er, „anzunehmen, daß diese Überlegungen in irgendeiner Weise auf eine Bestätigung der Religion hinauslaufen, oder sogar, daß sie viel mit Religion zu tun haben. Sie stellen rein metaphysische und philosophische Betrachtungen dar, enthalten Implikate rein spekulativer Natur... Sie implizieren fast nichts im Blick auf irgendwelche Eigenschaften Gottes wie etwa sein

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Wohlwollen, und man könnte mit einigem Recht darauf bestehen, daß sogar das Wort Gott, welches gemeinhin als der Eigenname eines persönlichen Wesens angenommen wird und nicht als ein Etikett, das metaphysischen Folgerungen angehängt wird, in diesen Betrachtungen nicht am Platz ist" (119f).

Diese metaphysische Bescheidenheit - oder sollte man sagen, religiöse Demut? - unterscheidet Taylors Beweis von den kühneren Gottesbeweisen eines Descartes oder Leibniz, aber sie sollte nicht von der Kühnheit mancher Behauptungen ablenken, die innerhalb des Beweises selbst erhoben werden. Z u m einen ist ganz und gar nicht einsichtig, daß der Satz vom zureichenden Grunde die umfassende Bedeutung im alltäglichen Vernunftgebrauch besitzt, die Taylor ihm zuschreibt. Wir nehmen zwar zweifellos - und vielleicht zu Recht — schweigend an, daß manche Dinge, die in der Welt geschehen, intelligibel und erklärbar sind. Weniger einsichtig ist, daß wir schweigend annehmen, daß alle Dinge, die in der Welt geschehen, intelligibel oder erklärbar sind. Die Vorstellungen des Unheimlichen, des Willkürlichen und Zufälligen gehören gleichermaßen zum Vorrat der Annahmen, welche unser alltägliches Urteilen ermöglichen. Doch selbst wenn man zugeben sollte, daß alles, was in der Welt geschieht, einsichtig sei - würde daraus notwendig folgen, daß die Welt als Ganzes in dem Sinne intelligibel sei, daß ein zureichender Grund nicht nur für alles, was geschieht, gegeben werden kann, sondern auch dafür, daß überhaupt etwas existiert? Selbst wenn zuzugeben wäre, daß die Frage „Warum gibt es etwas und nicht vielmehr nichts?" gestellt werden kann, scheint doch aus diesem Sachverhalt nicht ohne zusätzliche Beweisgänge gefolgert werden zu können, daß sie auch zu beantworten ist. Denn es ist eine Frage, deren Beantwortung über die Grenzen der Sinnenerfahrung hinausführt, mithin weit über das Land hinaus, das etwa Kant als den Heimatboden der menschlichen Vernunft abmaß. Kant selbst gab zwar zu, daß sich die Frage als solche ganz selbstverständlich jedem stellt, der über das Wesen der Existenz tiefer nachdenkt; aber er hegte keineswegs die Ansicht, daß ihre Beantwortung ein Naturrecht sei (A 613; B 641). Ebensowenig haben Taylor (oder Leibniz) eine überzeugende Begründung dafür angegeben, warum ein ewig existierendes Universum seinen eigenen zureichenden Grund nicht in sich selbst tragen kann. Selbst wenn alles, was in der Welt geschieht, im Blick auf seinen zureichenden Grund von etwas anderem abhängt, das innerhalb dieser Welt geschieht, scheint daraus nicht ohne gewichtige zusätzliche Gründe zu folgen, daß alles, was in der Welt geschieht, im Blick auf seinen zureichenden Grund von etwas abhängig ist, das „außerhalb" der Welt liegt. Und selbst wenn zugegeben würde, daß es etwas „außerhalb" der Welt geben muß, von dem die Welt als ihrem zureichenden Grund abhängt, kann nicht angenommen werden, daß dieses „etwas" notwendigerweise seinen eigenen zureichenden Grund in sich selbst trägt. Diese letztgenannten Gesichtspunkte könnten nicht allein gegen die von Leibniz und Taylor verteidigten kosmologischen Gottesbeweise vorgebracht werden, sondern gleichermaßen gegen die anderen kosmologischen Gottesbeweise, sowohl in ihrer falsafa- als auch in ihrer ¿a/äw-Fassung. Zusätzlich zu den bereits genannten bieten diese von den zuvor behandelten abweichenden Gestalten des kosmologischen Gottesbeweises neue, für sie charakteristische Schwierigkeiten einschließlich der Schwierigkeit, die Behauptung rechtfertigen zu müssen, daß die Vorstellung eines kausalen Regresses in die Unendlichkeit problematischer sei als die Vorstellung einer unverursachten Ursache (falsafa), und der Schwierigkeit, allein durch den Vernunftgebrauch die Zeitlichkeit des Universums zu begründen (kaläm). Ebenso erscheinen alle drei Arten des kosmologischen Gottesbeweises mit dem Problem konfrontiert, wie die Denkbewegung von der Vorstellung zur Existenz Gottes gerechtfertigt werden könne. Ob ein solches Seiendes der Vorstellung von Gott entspricht, entzieht sich nicht allein dem rationalen Beweis, sondern übersteigt auch die Grenzen der menschlichen Erfahrung. Nach alledem scheint es, daß alle kosmologischen Gottesbeweise zumindest aus dem Grund scheitern, den bereits Kant in bezug auf seine Kritik des kosmologischen Gottesbeweises von Leibniz herausgearbeitet hat, nämlich, daß es letztlich der ontologische Gottesbeweis in einem pseudo-empirischen Gewand ist.

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Es mag erwidert werden, daß der kantische Einwand nur dann Geltung hat, wenn der kosmologische Gottesbeweis als Deduktionsbeweis verstanden wird. Zwei Abwandlungen des kosmologischen Gottesbeweises sind in jüngster Zeit ins Spiel gebracht worden, für die ihre Urheber zumindest die Behauptung erheben, daß sie außerhalb der kantianischen Kritik stehen. Hugo Meynell hat einen solchen Beweis in einer Form geliefert, die er als „Hypothesen-Bestätigung" bezeichnet, wobei dieser Beweis jedoch, wie schon erwähnt, am Ende auf den teleologischen Gottesbeweis hinausläuft. In seiner Schrift The Existence of God hat Swinburne jedoch programmatisch eine induktive Fassung des kosmologischen Beweises geliefert, eine Fassung, die Elemente aller drei der oben beschriebenen Grundmodelle des kosmologischen Beweises aufweist. Die Argumentation, die Swinburnes Induktionsbeweis stützt, ist höchst sorgfältig entfaltet, wobei sie sich auf die jüngsten Arbeiten zur Bestätigungstheorie (confirmation theory) gründet; der Beweis selbst kann jedoch recht einfach zusammengefaßt werden. „Wenn es einen G o t t gibt, ist es recht wahrscheinlich anzunehmen, d a ß er etwas aus der Endlichkeit und Vielgestaltigkeit eines Universums m a c h t . Es ist sehr unwahrscheinlich, daß ein Universum unverursacht existieren k ö n n t e , schon wahrscheinlicher ist es, d a ß G o t t unverursacht existiert. Die Existenz des Universums ist eigentümlich verwirrend. Sie kann verständlich gemacht werden, wenn vorausgesetzt werden kann, daß es durch G o t t verursacht ist. Diese A n n a h m e setzt einen einfacheren Anfang der Erklärung als die A n n a h m e der Existenz eines unverursachten Universums, und das ist G r u n d genug, die erste A n n a h m e für w a h r zu h a l t e n " (131 f). Die sorgfältig abgewogenen Aussagen wirken im Hauptteil des Beweises bestrickend: „ E s ist recht wahrscheinlich anzunehmen, daß p..."; „es ist sehr unwahrscheinlich, d a ß p..., aber schon wahrscheinlicher, d a ß q...". Um so unvorbereiteter wird man j e d o c h durch die Entschiedenheit der Schlußfolgerung getroffen: „und das ist Grund genug, p für w a h r zu h a l t e n . " M a n ist unter diesen Umständen gezwungen, nach den Gründen zu fragen. Und man erkennt, d a ß sie nicht schlüssig, ja nicht einmal die bestmöglichen, geschweige denn durchschlagend sind. Was S w i n b u r n e aus seinen tatsächlich beigebrachten Gründen folgern kann, ist nur, daß die Existenz G o t t e s etwas wahrscheinlicher ist als seine Nicht-Existenz. Was er nicht auf der Grundlage des von ihm gebotenen Beweises nachweisen kann ist, o b es starke und zureichende G r ü n d e dafür gibt, die hohe Wahrscheinlichkeit von G o t t e s Existenz zu bejahen. Somit mag Swinburnes Beweis insofern einleuchtend sein, als er den Wahrscheinlichkeitsgrad der Argumente für G o t t e s Existenz erhöht hat, aber es ist ihm nicht gelungen zu zeigen, d a ß dies ausreiche, einen vernünftigen Glauben an G o t t e s Existenz zu gewährleisten. Es mag zutreffen, daß die Evidenz für p und die für q nahezu gleich schwach sind - sich in beiden Fällen dem Wahrscheinlichkeitsgrad Null annähern - , d a ß die Evidenz von p aber ein wenig größer ist als die von q. Unter diesen Umständen w ä r e es z w a r richtig zu sagen, d a ß p wahrscheinlicher ist als qy aber es w ä r e nicht angemessen zu behaupten, daß p deshalb wahrscheinlich ist. Eine großzügige Auslegung der Arbeit Swinburnes k ö n n t e zwar dazu veranlassen anzuerkennen, d a ß ihm der N a c h w e i s gelungen sei, die Beweisgründe für G o t t e s E x i s t e n z seien ein wenig wahrscheinlicher als diejenigen gegen sie, aber diese Großzügigkeit k ö n n t e sich nicht auf das Zugeständnis erstrecken, er habe gezeigt, d a ß die Beweisgründe für G o t t selbst wahrscheinlich seien. Sicherlich wären also stärkere Beweisgründe notwendig, als sie S w i n b u r n e für den kosmologischen Gottesbeweis aufzuführen gelungen sind, um aus solchen G r ü n den die Wahrscheinlichkeit der Existenz G o t t e s zu beweisen. U m S w i n b u r n e kein Unrecht zu tun, m u ß jedoch hinzugefügt werden, daß die Beweisführung in seiner Arbeit nicht ausschließlich auf einer Entfaltung des kosmologischen Gottesbeweises beruht. Um zu zeigen, warum seine spezifische „ k u m u l a t i v e A r g u m e n t a t i o n " nicht stichhaltig ist, wäre es im übrigen erforderlich, tiefer als es hier angemessen wäre, in die Bestätigungstheorie einzudringen (einschließlich ihrer Differenzierung zwischen C-Induktionsargumenten und P-Induktionsargumenten). Immerhin k ö n n t e man abschließend die Warnung aussprechen, daß eine R e i h e von schwachen C-Indikationsargumenten nicht einem einzigen guten P-Induktionsargument gleichwertig ist. Eine R e i h e von Schlußfolgerungen der Art, d a ß p wahrscheinlicher ist als q, läßt gleichwohl nicht die Schlußfolgerung zu, daß p wahrscheinlich ist.

2.3. Der physikotheologische Beweis unternimmt es, per analogiam von der Evidenz der Geordnetheit und Zielgerichtetheit der Welt her zu der Existenz eines vernunftbegabten Seienden zu gelangen, das für die geordnete Zielgerichtetheit des Universums in seiner Ganzheit verantwortlich ist. In der indischen Philosophie sind solche Beweise weit verbreitet (z.B. bei Sañkara, Udayana, Madhva) wie in der abendländischen Philosophie, von der sie ihre Ursprünge zu haben scheinen. Sie mögen tatsächlich den ältesten Typus eines Beweises für die Existenz Gottes (oder von Göttern) darstellen.

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Die Wurzeln dieses Beweises reichen weit in die abendländische Geistesgeschichte zurück. Er wurde von Vorsokratikern wie Anaximander und Heraklit vorweggenommen, von Anaxagoras bereits ausführlicher dargelegt, bevor er von Sokrates (Xenophon, Memorabilia 1,4) entfaltet und von Plato (Nomoi, Timäus) und Aristoteles (Physika) weiterentwickelt wurde. Nicht überraschend ist es, daß er der von den Stoikern bevorzugte Gottesbeweis war (vgl. M . Pohlenz, 95). In der westlichen wie östlichen Christenheit kam er im Mittelalter zur Blüte, wie die Zustimmung von Johannes von Damaskus (De fid. orth. 1,3) und T h o m a s von Aquin (S.th. Ia,2,3; ScG, 1,13) in gleicher Weise zeigt. Auch für die Reformatoren war er nicht gänzlich ohne Faszination - wie zumindest Luthers eingeschränkte Zustimmung belegt (s. u.) - und hat bis in die Gegenwart hinein seine Wirkung behalten. Kein Wunder also, daß er der einzige Gottesbeweis ist, der von Hume ernstgenommen wurde oder über den auch Kant anerkennend schreibt: „ D i e s e r Beweis verdient jederzeit mit Achtung genannt zu werden. Er ist der älteste, klarste und der gemeinen M e n s c h e n v e r n u n f t am meisten angemessene. Er belebt das Studium der N a t u r , so wie er selbst von diesem sein Dasein hat und dadurch i m m e r neue K r a f t b e k o m m t . . . Es w ü r d e daher nicht allein trostlos, sondern auch ganz umsonst sein, dem Ansehen dieses Beweises etwas entziehen zu wollen. Die Vernunft, die durch so mächtige und unter ihren H ä n d e n i m m e r wachsende, obzwar nur empirische Beweisgründe unablässig gehoben wird, k a n n durch seine Zweifel subtiler, abgezogener Speculation so niedergedrückt werden, daß sie nicht aus jeder grüblerischen Unentschlossenheit, gleich als aus einem T r a u m e , durch einen Blick, den sie auf die Wunder der N a t u r und der M a j e s t ä t des Weltbaues wirft, gerissen werden sollte, um sich von G r ö ß e zu G r ö ß e bis zur allerhöchsten, vom Bedingten zur Bedingung bis zum obersten und unbedingten Urheber zu e r h e b e n " (A 623-624; B 651-652).

Anders als die beiden im vorigen Abschnitt behandelten Typen des Gottesbeweises, die von ihrem Charakter her transzendental sind, ist der teleologische Gottesbeweis unverhohlen empirischer Natur. Aus diesem Grund ist er jedoch auch empirischer Kritik gegenüber ungeschützter (z.B. Hume) und reagiert auf „radikale Paradigmenwechsel" (Thomas Kuhn) innerhalb des naturwissenschaftlichen Weltbildes empfindlicher. Anders als er stehen und fallen weder der kosmologische noch der ontologische Typus aufgrund rein emprischer Betrachtungsweisen oder der Wandlungen innerhalb der wissenschaftlichen Theoriebildung. Wenngleich auch der kosmologische Gottesbeweis in hohem M a ß e von den jeweils zeitgenössischen Konzeptionen der Kausalität abhängig ist (vgl. Anthony Kenny, T h e Five Ways), sind diese nicht notwendigerweise entscheidend für ihre Gültigkeit oder ihr Versagen als Beweise. Und der ontologische Gottesbeweis bedarf allein der Existenz eines denkenden Ichs, das fähig ist, klare und deutliche Vorstellungen zu entwickeln, aber nicht notwendigerweise einer Welt, um überzeugend zu sein, so daß er gegen Einflüsse durch zeitgenössische Theorien über diesen oder jenen Aspekt der Naturordnung gänzlich gefeit ist. Auf bestimmte teleologische Argumente jedoch können schon verhältnismäßig bescheidene Wandlungen im naturwissenschaftlichen Weltbild eine erhebliche Wirkung ausüben; denn diese sind unauflöslich verknüpft mit den Sichtweisen der jeweiligen zeitgenössischen „Naturwissenschaft". Obgleich selbstverständlich viel älter, wurde der teleologische Gottesbeweis vor allem während und nach Lebzeiten -»Newtons (1642—1727) gebräuchlich: Newton berechnete in seinen Principia Mathematica von 1687 mit großer Genauigkeit die Mechanik der Bewegung sowohl der Himmelskörper als auch auf der Erde. Und so wie für ihn schien für viele seiner Zeitgenossen die Geordnetheit der Mechanik des Universums ein klarer Hinweis auf das planende Tun eines göttlichen Baumeisters oder Künstlers zu sein. Durchweg herrschte das Gefühl, daß jede neue Errungenschaft im Bereich wissenschaftlicher Welterklärung bloß dazu diente, die Existenz eines vernunftbegabten Seienden zu bestätigen, welches allein dazu fähig gewesen sei, eine so wohlgeordnete Welt zu erschaffen. Diese Gesinnung - keineswegs nur Newton und seinen Bewunderern eigen - kann besonders deutlich an den Schriften seines deutschen Rivalen Leibniz abgelesen werden. Das harmonische Zusammenwirken von kausal voneinander unabhängigen Monaden wurde von Leibniz als Teil der prästabilierten Harmonie von Gottes Plan dieser besten aller möglichen Welten erklärt (vgl. seine

G o t t e s b e w e i s e III

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D e r G o t t Leibniz' tut nichts, w a s nicht seine O r d n u n g hat. N i c h t s ereig-

Monadenlehre).

n e t sich in d i e s e r W e l t o h n e R e g e l - d a s w ä r e u n v o r s t e l l b a r . D e n n G o t t will G e o r d n e t h e i t u n d H a r m o n i e als T e i l s e i n e s u r s p r ü n g l i c h e n P l a n e s . D i e G e o r d n e t h e i t d e r W e l t w i r d d a m i t n i c h t allein B e w e i s v o n G o t t e s b l o ß e r E x i s t e n z , s o n d e r n a u c h s e i n e r W e i s h e i t . Z w a r n i c h t o h n e s i c h g e l e g e n t l i c h a u s t a k t i s c h e n Ü b e r l e g u n g e n a u f e i n e n deus

ex machina

zu

berufen - nämlich d a n n , w e n n er u m eine bessere E r k l ä r u n g physikalischer Erscheinungen verlegen w a r

h i e ß g l e i c h w o h l a u c h N e w t o n d e n a u f d e m G e d a n k e n des W e l t e n p l a -

nes b e r u h e n d e n G o t t e s b e w e i s g u t , w i e s e i n General III d e r Principia

Scholium

zeigt, welches er 1 7 1 3 B u c h

z u f ü g t e u n d in b e d e u t s a m e r W e i s e 1 7 2 6 r e v i d i e r t e . A l l e r d i n g s s c h e i n t e r s t

d e r in O x f o r d l e h r e n d e N a t u r p h i l o s o p h R o b e r t - > B o y l e d i e A n a l o g i e z w i s c h e n d e n W i r k weisen des U n i v e r s u m s u n d d e n e n eines U h r w e r k s n ä h e r e r f o r s c h t zu h a b e n , d . h . jene B e z i e h u n g , d i e d u r c h d e n G e b r a u c h , d e n s p ä t e r W i l l i a m P a l e y ( 1 7 4 3 - 1 8 0 5 ) in s e i n e r Natural

Theology

v o n ihr m a c h t e , so b e r ü h m t w e r d e n sollte. M i t u n t e r jedoch w u r d e d e r

auf d e m G e d a n k e n des Weltplanes beruhende Gottesbeweis nicht so sehr deshalb geführt, u m die G e o r d n e t h e i t d e r S c h ö p f u n g h e r v o r z u h e b e n , s o n d e r n v i e l m e h r w e g e n d e r A u s r i c h t u n g b e s t i m m t e r D i n g e i n n e r h a l b d e r W e l t o r d n u n g a u f b e s t i m m t e Z w e c k e hin. D i e s e V e r s i o n d e s t e l e o l o g i s c h e n G o t t e s b e w e i s e s ist n i c h t w e n i g e r a l s j e n e a n d e r e a n d i e jeweiligen Weltbilder g e b u n d e n . D a ß dies der Fall ist, kann durch drei Ausprägungen des teleologischen Gottesbeweises veranschaulicht werden, in denen die Ausrichtung auf bestimmte Ziele betont wird: der von T h o m a s von Aquin in Anschlag g e b r a c h t e , derjenige, den der amerikanische Philosoph und T h e o l o g e J o n a t h a n - • E d w a r d s darlegte, und die A b w a n d l u n g des auf dem G e d a n k e n des Weltenplanes beruhende Gottesbeweises in diesem J a h r h u n d e r t durch den in C a m b r i d g e lehrenden philosophischen T h e o l o gen F. R . T e n n a n t ( 1 8 6 6 - 1 9 5 7 ) . T h o m a s ' „fünfter W e g " , ex gubernatione rerum, gründet sich weitgehend auf die aristotelische Anschauung, d a ß ein absichtsvolles und zielgerichtetes Handeln mit Notwendigkeit den G e d a n k e n eines vernunftbegabten H a n d l u n g s s u b j e k t s einschließt. Wenn das, was absichtsvoll handelt, belebt ist, ist es sein eigenes H a n d l u n g s s u b j e k t ; wenn es unbelebt ist, dann muß es eine a u ß e r h a l b seiner bestehende Vernunft besitzen, deren Absichten es dient. Bezeichnenderweise bezieht sich T h o m a s nur auf die offenkundige Zielgerichtetheit einiger unbelebter Dinge (corpora naturaliä), sofern diese per definitionem nicht dazu fähig sind, ein solches absichtsvolles Handeln hervorzubringen, a b e r aus deren Zielgerichtetheit das Handeln einer a u ß e r h a l b ihrer liegenden Intelligenz gefolgert werden k a n n . T h o m a s spricht hier beispielsweise davon, d a ß ein Bogen von einem Bogenschützen auf eine Zielscheibe gerichtet ist (S.th. l a , 2 , 3 ) . Ausdrücklich ausgenommen aus dieser thomasianischen Vielfalt vom Gottesbegriff her erklärbarer Zielgerichtetheit ist jedoch das zielgerichtete Handeln belebter Dinge, wie zum Beispiel - um eine von T h o m a s ' eigenen besonders erwähnten A u s n a h m e n zu nennen - das T u n von Spinnen (Phys.lib. I I , § 2 5 9 ) . Was aber T h o m a s von dem, w a s er durch den teleologischen Gottesbeweis erklären will, besonders ausschließt, wird nun das für den aus Neuengland stammenden Geistlichen J o n a t h a n Edwards das wesentliche Beispiel für T e l e o l o g i e . Es w a r die a c h t s a m e B e o b a c h t u n g ungewöhnlicher Verhaltensweisen einer bestimmten „ f l i e g e n d e n " Spinne, die sich in den Küstengebieten Neuenglands findet, welche das Interesse des jungen Edwards an der Teleologie erweckte, die so offensichtlich in der Welt der N a t u r wirksam schien (Works V I , 1 5 4 - 1 6 9 ) . E d w a r d s ' Erklärung der offenkundigen Fähigkeit der Spinne zu fliegen b r a u c h t uns hier nicht zu beschäftigen; um so mehr jedoch die T a t s a c h e , daß er in den besonderen Fähigkeiten dieser K r e a t u r einen sicheren Beweis von G o t t e s Existenz und Lenkung der natürlichen O r d n u n g fand. D i e Spinne, so sagt er, erweist einen absichtsvollen Weltenplan nicht nur durch ihre Fähigkeit zu jagen und zu überleben, sondern auch durch das bloße Vergnügen, welches sie bei ihrem Gleiten durch die Luft empfinden muß: „ W i r sehen daraus die überströmende G ü t e des Schöpfers, der nicht allein Sorge für alles N o t w e n d i g e getroffen hat, sondern auch für das Vergnügen und die Ergötzung aller Arten der Kreatur, sogar der Insekten (!) und solcher Lebewesen, die überaus verachtenswert s i n d " (Works V I , 1 5 8 . 1 6 7 ) . Fernerhin verweist die Spinne auch insofern auf einen Weltenplan, als sie deutlich in die größere Weltordnung eingefügt ist. Spinnen mögen w o h l dazu geeignet sein, Insekten zu fangen, aber sie selbst werden zur N a h r u n g der Vögel, so d a ß sie ein notwendiges Glied in einer staunenswerten ökologischen Kette bilden, welche durch den Plan des Schöpfers im G l e i c h g e w i c h t gehalten wird. „ B e w u n d e r e den Schöpfer auch darin, d a ß er so schön und mathematisch ihre natürliche Vermehrung geordnet h a t , d a ß trotz ihrer Vernichtung durch solche Gegebenheiten, trotz der Vielzahl derer, die durch Vögel gefressen werden, sie nicht in ihrer Z a h l abnehmen und allmählich verschwinden: D a d u r c h daß ihre Vernichtung so an ihre Vermehrung angepaßt ist, nehmen sie auch nicht zu, vielmehr, vergleicht man ein J a h r mit dem anderen, bleibt

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Gottesbeweise III

ihre Z a h l doch g l e i c h " (VI, 161). O b w o h l Edwards „der K a m p f ums Dasein in der N a t u r " bekannt w a r (und sich leicht genug mit seiner Art des teleologischen Gottesbeweises vereinbaren ließ), war ihm doch die T h e o r i e der E n t w i c k l u n g der Arten vermittels Anpassung und natürliche Auslese gänzlich u n b e k a n n t (und ließe sich nicht so ohne weiteres mit seiner spezifischen Konzeption eines göttlichen Weltplans vereinbaren). Sein Gottesbeweis bleibt an seine Z e i t gebunden.

Im 19. Jahrhundert wurde nicht selten die Auffassung vertreten, daß dieser und ihm verwandte Arten des Gottesbeweises durch die Darwinsche Revolution unterlaufen worden sei. Innerhalb dieses Jahrhunderts wurde jedoch die Anpassungsfähigkeit (!) des Beweises selbst durch seine Neuformulierung beispielsweise durch Frederick Tennant unterstrichen, und zwar im Sinne des Beweises, daß G o t t die absichtsvolle Intelligenz ist, welche den gesamten Prozeß der biologischen Entwicklung lenkt (11,78-120). Allerdings zögerte Tennant - anders als seine zielgerichteten Vorgänger - zu behaupten, daß dieses „wirkende, vernunftbegabte, sittliche Seiende", auf welches hin der teleologische Gottesbeweis seine Folgerungen zulaufen läßt, als Eines (und nicht als viele) ausgesagt werden kann, und hält endgültig vor der Behauptung inne, daß dieses Seiende unendlich sei (11,121-122). Um zu verstehen, warum Tennant nur solche bescheidenen Folgerungen aus dem voreinst so kühnen teleologischen Gottesbeweis zieht, bleibt nur auf dessen klassische Kritik durch das Denken Humes zu verweisen. Der in dem Gedanken eines Weltenplans - sei es von der Regelhaftigkeit oder der Zielgerichtetheit der Welt her - begründete Gottesbeweis ist der einzige, der auch von David - > H u m e ernstgenommen wurde. O b w o h l H u m e als sein vernichtendster Kritiker im Gedächtnis geblieben ist, scheint er persönlich von ihm fasziniert gewesen zu sein. Zumindest scheint es in seiner nicht allzu bekannten Würdigung des teleologischen Beweises, wie sie sich in seiner sonst eher respektlosen Naturgeschichte der Religion findet, keine ironischen Beiklänge zu geben: „Alle Dinge des Universums sind offenkundig aus einem Stück. Alles ist allem zugeordnet. Ein Plan durchwaltet das Ganze. Und diese Einheitlichkeit führt den Verstand dazu, einen Urheber a n z u e r k e n n e n . . . " (§2). Dieser „ B e w e i s " mag zwar vor dem innehalten, was die Vertreter der theologia naturalis von der Geregeltheit und Zielgerichtetheit in der Naturordnung zu lehren pflegten; aber er geht weit über das hinaus, was der allgemeinen Ansicht nach für H u m e in der Zeit, als er sich anschickte, seinen Enquiry concerning Human Understanding (§ 11) zu schreiben oder sein noch kühneres postum veröffentlichtes Werk Dialogues concerning Natural Religion, aus diesem argumentum a posteriori folgerungsmöglich erschien. In dem letztgenannten Werk übernimmt „ C l e a n t h e s " als Hauptperson des Dialogs (aber deswegen noch nicht als Humes Sprachrohr) die Rolle, den Beweis Gottes durch den Gedanken des Weltplans vorzubringen: „ S c h a u dich um in der Welt: Versenke dich in das G a n z e und jeden seiner Teile: All dies zeigt sich dir ganz und gar als eine einzige g r o ß e M a s c h i n e , in eine unendliche Z a h l kleinerer M a s c h i n e n aufgeteilt, und auch diese geben R a u m für Unterteilungen in einem A u s m a ß , das jenseits dessen liegt, w a s menschliche Sinne und Fähigkeiten aufspüren und erklären k ö n n e n . All diese verschiedenen M a s c h i n e n sind selbst mit ihren kleinsten Einzelteilen mit einer Genauigkeit einander zugeordnet, die alle M e n s c h e n , die sie jemals betrachtet h a b e n , zur Bewunderung hinreißt. Die eigentümliche Z u o r d n u n g von M i t t e l n zu Z w e c k e n , die in der ganzen N a t u r zu beobachten ist, ähnelt genau dem, w a s menschlicher Erfindungsgeist hervorbringt, o b w o h l es noch weit darüber hinausreicht. D a aber die Wirkungen einander ähneln, werden wir per a n a l o g i a m zu der Folgerung geführt, d a ß sich auch die Ursachen ähneln und d a ß der U r h e b e r der N a t u r in gewisser Hinsicht dem menschlichen Geiste ähnlich ist, o b w o h l er im Besitz viel größerer Fähigkeiten ist, nämlich solcher, die der G r ö ß e des Werkes angemessen sind, welches er geschaffen h a t " ( § 2 ) .

Die Haupteinwände, die H u m e in den Dialogues und der ersten Enquiry gegen diesen Beweis erhebt, können ungefähr in vier Einwänden zusammengefaßt werden. Erstens: H u m e bezieht sich auf das Prinzip „gleiche Wirkungen beweisen gleiche U r s a c h e n " , d . h . auf die Grundlage all jener Gottesbeweise, die per analogiam von der Welt auf Gottes Existenz schließen (-»Analogie). H u m e legt dar, daß dann, wenn eine Ursache außer durch ihre Wirkungen unbekannt ist, wir allein auf eine Ursache schließen können, die

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ausreicht, um die bekannten Wirkungen hervorzubringen. Es scheint, daß die Ursache(n) der Welt der menschlichen Erfahrung nicht unmittelbar zugänglich ist (sind). Wenn wir aber auf nichts mehr schließen können als zureichend ist, um der Erfahrung zugängliche Wirkungen hervorzubringen, dann enthält dies eine Fülle von Konsequenzen, die jedem Befürworter des teleologischen Gottesbeweises nur unwillkommen sein können. Zum Beispiel: Da die Welt endlich ist, läßt sich nicht folgern, ihre Ursache sei unendlich.Da es Vielfalt in der Welt gibt, läßt sich nicht folgern, ihre Ursache sei eine. Da es Mängel in der Welt gibt, läßt sich nicht folgern, daß ihre Ursache vollkommen ist. Da es Böses und bitteres Leiden in der Welt gibt, läßt sich nicht folgern, daß ihre Ursache gut ist. Von diesen Problemen wird von Hume das letztgenannte - das Problem des Bösen - mit der gründlichsten Aufmerksamkeit bedacht (§§10f). Mehr noch: Hume erklärt, daß selbst dann, wenn die Welt vollkommen wäre usw., sich daraus nicht mit Sicherheit schließen ließe, daß die Vortrefflichkeiten dieses Werkes einem, der es auch gewirkt hat, zuzuschreiben wären. Zweitens: Hume erklärt, daß der dem teleologischen Gottesbeweis zugrundeliegende Analogiegedanke einfach nicht so weit trägt, daß er die intendierten Behauptungen über die Weltursache zu stützen vermöchte. Das von der Idee des Weltplans her begründete Argument nimmt an, daß die Erde als ganze einem menschlichen Kunstwerk etwa einer Uhr - gleicht, so daß sie auf einen vernunftbegabten Schöpfer verweist wie das Kunstwerk auf einen vernunftbegabten Künstler. Aber der Ausgangspunkt der Analogie hat auch keine innere Glaubwürdigkeit, und ihre Schlüssigkeit hängt weitgehend von der Ähnlichkeit zwischen dem Weltganzen und einem menschlichen Kunstwerk ab. Vieles in der Weltordnung gleicht einem menschlichen Kunstwerk eben nicht. Pflanzen und Tiere etwa vermehren sich nicht durch eine handwerkliche oder künstlerische Tätigkeit. Man könnte also mit gleicher Wahrscheinlichkeit behaupten, daß das Weltganze einer Pflanze oder einem Organismus ähnelt, als daß es mit einem Kunstwerk zu vergleichen sei. Keine dieser Analogien hat darüber hinaus eine größere Glaubwürdigkeit als eine andere. Jede ist gleichermaßen einleuchtend (oder auch nicht), wenn sie als eine mögliche Hypothese betrachtet wird, den Lauf der Weltdinge zu erklären. Es gibt einfach keinen guten Grund dafür, daß die Ursache(n) des Universums deshalb einem vernunftbegabten Architekten oder Handwerker ähnelt(en). Vielmehr ist es für Hume allein ein Beispiel menschlicher Anmaßung anzunehmen, daß die Ursache des Weltganzen den Prinzipien gleicht, durch die der menschliche Verstand wirkt. Drittens: Für Hume birgt auch der Begriff der „Ursache des Weltganzen" Schwierigkeiten in sich; denn Hume vertritt die Ansicht, daß man auf die Ursachen von Wirkungen nur dann schließen kann, wenn die Wirkungen als Wirkungen, d.h. als ein Verursachtes bekannt sind. Man schließt etwa auf die Existenz eines Uhrmachers aufgrund der Existenz einer besonderen Uhr, weil man bereits weiß, daß in anderen vergleichbaren Fällen Uhren von Uhrmachern verfertigt worden sind; wir schließen von der Wahrnehmung eines halbfertigen Hauses auf die Bautätigkeit von Maurern, weil wir schon von anderen vergleichbaren Fällen her wissen, daß Häuser gebaut und nicht etwa gezeugt werden. Aber das Weltganze ist anders als diese Beispiele. Es ist als solches innerhalb der menschlichen Erfahrung vielmehr einzigartig. Es gibt nichts Vergleichbares, das wir ihm gegenüberstellen können und aus dem wir seine Ursache ableiten können. Wir können nicht eine Ursache einem Ereignis zuschreiben, das in der menschlichen Erfahrung einzigartig ist. Um schließen zu können, daß diese Welt eine Ursache hat und daß diese Ursache von einer besonderen Art ist, hätten wir zuvor eine Reihe von Kosmogonien beobachten müssen, von welchen her wir genügend Erfahrungen hätten sammeln können, um uns über die Ursache(n) dieser Welt äußern zu können. Aber in dieser Lage sind wir offenkundig nicht. Viertens: In jedem Fall gibt es andere mögliche Erklärungen für die Geordnetheit, die wir in der Welt erleben. Zusätzlich zur theistischen Erklärung sind rein naturalistische Erklärungen gleichermaßen möglich. Um diese Feststellung zu unterstützen, führt Hume Beispiele aus der antiken Philosophie an, wie sie etwa in Ciceros Schrift De Natura Deorum vorgebracht werden, dem Dialog, der das Vorbild für Humes eigene Dialogues geliefert haben soll. Als Beispiel zitiert Hume

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den Glauben der Epikureer, daß die Welt - nach ihrer Ansicht eine Zusammensetzung einer endlichen Anzahl von Atomen in willkürlicher Bewegung in unendlicher Zeit - in Ewigkeit alle vorstellbaren Zusammensetzungen dieser A t o m e unendlich oft hervorbringt. Z w a r leben wir nach H u m e gegenwärtig in einer Zeit verhältnismäßiger Stabilität; aber dieser Zustand der Ordnung ist nur vorübergehend: Schon vordem ist er nicht nur hervorgebracht, sondern auch wieder vernichtet worden, und dies wird sich ad infinitum fortsetzen. G e w i ß vertritt H u m e diese Meinung über Ordnung und Ziel der Welt nicht wirklich. Er behauptet lediglich, daß eine solche Welterklärung in gleicher Weise befürwortet werden kann, wie die theistische Auffassung, die den Vertretern des teleologischen Gottesbeweises einleuchtend erscheint. Insgesamt bleibt H u m e in dieser Fragestellung skeptisch. Unsere naturgemäße Neigung ist auf Skepsis hin ausgerichtet, so sagt er, nur daß diese Neigung zugleich durch die Tatsachen in den Grenzen menschlicher Erfahrung gehalten wird. Überschreitet man freilich diese Grenzen, dann gibt es für unsere natürlichen Neigungen in dieser Hinsicht keine Schranken mehr. H u m e erhob allerdings noch andere Einwände gegen den auf dem Gedanken des Weltenplans beruhenden Gottesbeweis; und einige von ihnen sind zweifellos gewichtig (vgl. J . C . A. Gaskin); die vier genannten dürften jedoch zureichen, um nahezulegen, daß das argumentum a posteriori als ein möglicher Gottesbeweis sich beträchtlichen Schwierigkeiten ausgesetzt sieht. Zweifellos ist Humes Kritik dieses Beweises die klassische. Kant konnte ihr nur noch die - allerdings wichtige - Beobachtung hinzufügen, daß „der physikotheologische B e w e i s " als solcher niemals die Existenz eines Höchsten Seienden begründen kann, ohne zum einen in den kosmologischen und sodann letztlich auch in den ontologischen Gottesbeweis zurückzufallen, so daß er - wenn nicht schon aus anderem Grund - gänzlich als Beweis versagen müßte, weil die Beweise, von denen er abhängig ist, bereits als gescheitert erwiesen sind (A 6 2 4 - 6 3 0 ; B 6 5 2 - 6 5 8 ) . Humes klassische Kritik des Beweises zeichnet sich weiterhin dadurch aus, daß sie etwa zwanzig J a h r e früher als die Schrift veröffentlicht worden ist, welche viele als seine klassische Apologie bezeichnen, nämlich Paleys Natural Theology: So reiches Einzelmaterial diese Schrift auch bieten mag, so bildet sie zugleich in keiner Weise eine Antwort auf Humes wesentliche Kritikpunkte. Der Gottesbeweis besitzt auch einige neuere Verteidiger, vor allem in Richard Swinburne ( T h e Existence o f G o d , 133ff); aber zugleich zeigt sich, daß auch seine Kritik nichts von der Entschiedenheit verloren hat, die Humes eigene Kritik so deutlich charakterisierte. M a n hat hier nicht allein an Antony Flew zu denken (God and Philosophy), sondern auch an Gaskin (Hume's Philosophy o f Religion) und M a c k i e ( T h e Miracle of T h e i s m ) . Verteidiger und Kritiker nehmen dabei gleichermaßen ihren Ausgangspunkt bei H u m e selbst. Im Angesicht dieser Tatsache sollten sich die gegenüberstehenden Lager einmal der eigentümlichen Tatsache bewußt werden, daß jeder einzelne der Einwände Humes bereits etwa sechs oder sieben Jahrhunderte früher von dem indischen Philosophen und Theologen R ä m ä n u j a bedacht worden ist; mehr noch: ihm ist es bereits gelungen, einige zusätzliche Einwände zu finden, die H u m e anscheinend entgangen waren (vgl. seinen Kommentar zum Brahma Sütra, I,i,3). D a dieser Abschnitt des Artikels über die Gottesbeweise aber ihrem Schicksal in der modernen abendländischen Philosophie gewidmet ist, ist in diesem Z u s a m m e n h a n g kein Rückbezug auf das Denken R ä m ä n u j a s möglich, das zumindest nach abendländischen M a ß s t ä b e n seiner Zeit weit voraus war.

2.4. Die moralischen Beweise für Gottes Existenz lassen sich in zwei Typen untergliedern, welche beide von der notwendigen Voraussetzung ausgehen, daß das Sittengesetz absolut ist und nicht rein naturalistisch erklärt werden kann. Diese Beweise liegen deshalb auch gänzlich außerhalb des Horizonts des Verständnisses von M o r a l , wie es in der Philosophie des zwanzigsten Jahrhunderts mit ihren weitgehend naturalistischen Ten50 denzen vorherrscht (vgl. G . C . W a r n o c k , Contemporary M o r a l Philosophy). Das eine Grundmodell des Beweises, dessen entschiedenster Verfechter J o h n Henry —»Newman war, versucht die Existenz Gottes aus der Wirksamkeit des Sittengesetzes im menschli-

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chen Bewußtsein zu folgern. Das andere Grundmodell, dessen wirkungsvollster Vertreter Kant war, versucht allein darzulegen, daß die Existenz Gottes als einer regulativen Idee ein notwendiges Postulat der praktischen Vernunft ist, wenn es überhaupt eine angemessene Darstellung unserer moralischen Erfahrung geben soll. Das erste Modell dokumentiert den spekulativen Gebrauch der Vernunft, und das zweite ist ein Beispiel für ihren rein praktischen Gebrauch. Sie sind deshalb auch voneinander gänzlich unterschieden, obwohl sie beide eine ähnliche Voraussetzung enthalten, nämlich die Überzeugung von der Unbedingtheit des Sittengesetzes. In welcher Form der moralische Gottesbeweis auch auftreten mag - in der abendländischen Philosophie erscheint er erst in der Zeit der Moderne. Die angemessene Beziehung zwischen Moral und Religion ist zwar zumindest seit Sokrates und Plato ( E u t h y p h r o n ) ein wesentliches Anliegen der abendländischen Philosophie gewesen; aber anscheinend ist in der Philosophie der europäischen Antike kein Versuch unternommen worden, die Existenz der Götter aus der sittlichen Erfahrung zu beweisen. Die größte Annäherung an den moralischen Gottesbeweis im Altertum ereignet sich vielmehr nicht im Abendland, sondern im Denken des Ostens. Etwas Ähnliches wie der moralische Gottesbeweis ist nämlich in den Schriften des chinesischen Denkers M o Tzu ( 4 7 9 - 3 8 1 v. Chr.) zu finden, eines vormaligen Anhängers, jedoch später wichtigen Gegners des Konfuzius. M o s Ethik ist eine eigentümliche Mischung von anscheinend unverträglichen Elementen: Er entwickelte auf einer weitgehend utilitaristischen Grundlage eine Ethik der Liebe (A/), bestand aber zugleich darauf, daß die Praxis einer allgemeinen Liebe gleichermaßen auch dem Willen des Himmels entspreche. Er suchte darüber hinaus die Existenz von Geistern und Geistwesen mit der Begründung zu beweisen, daß solche Wesen erforderlich seien, um das Tun des Rechten {Li) unter den Menschen zu bezeugen, so daß der Gerechte belohnt werden könne und der Übeltäter bestraft. Dadurch wird sichergestellt, daß nach dem Willen des Himmels das M a ß des Glücks dem M a ß der Tugend entspricht („Explaining G h o s t s " III, § 3 1 ; Mei Yi-pao, T h e Ethical and Political Works o f Motzu 1 6 1 - 1 7 0 ) . Kant jedoch dürfte der erste abendländische Philosoph sein, der einen moralischen Gottesbeweis entwickelt hat. Und obwohl seine Art des moralischen Gottesbeweises niemals allgemein akzeptiert wurde, blieb sie dennoch nicht ohne Einfluß. Beispielsweise vertrat der große jüdische Neukantianer Hermann Cohen ( 1 8 4 2 - 1 9 1 8 ) eine abgewandelte Fassung dieses moralischen Beweises für die Vorstellung von Gott ( E t h i k des reinen Willens), und selbst in seinen späteren, spezifischer jüdischen Schriften betrachtete er den moralischen Gottesbeweis als den einzig möglichen (Jüd. Sehr. I, 44ff; vgl. auch 2 8 4 - 3 0 5 ) . Innerhalb des britischen Denkens vertrat William Ritchie Sorley ( 1 8 5 5 - 1 9 3 5 ) die Überzeugung, daß das Sittengesetz ewige Gültigkeit dann - und nur dann - haben könnte, wenn es einen ewigen Geist gäbe, dessen Denken und Wille in einem solchen Gesetz zum Ausdruck kämen (Moral Values and the Idea of God). Seinen vielleicht eloquentesten Fürsprecher fand der moralische Gottesbeweis in Alfred Edward Taylor ( 1 8 6 9 - 1 9 4 5 ) mit seiner abgewandelten Fassung des kantianischen Gottesbeweises in The Faith o f a Moralist (2 Bde., vgl. aber Charlie Dunbar Broads abwägende Beurteilung: Mind 15 [1931] 3 6 4 - 3 7 5 ) . Bis auf den heutigen Tag bleibt jedoch die klassische Ausprägung des moralischen Gottesbeweises die Gestalt, die ihm sein Urheber Kant gegeben hat. Kant legte nicht dar, daß die Existenz Gottes als eines Seienden durch diesen Beweis nachgewiesen werden könne. Das wäre in seinen Augen ein nicht weniger ernsthafter Mißbrauch der Vernunft als derjenige, den er schon hinsichtlich der anderen, spekulativen Gottesbeweise gezeigt hat ( A 6 3 6 ; B 6 6 4 ) . Aber nach Kant ist der moralische Gottesbeweis doch insoweit schlüssig, als er zum Begriff eines Göttlichen Seienden führt, zu welchem sich die spekulative Vernunft aus sich selbst heraus nicht zu erheben vermag (A 8 1 4 - 5 ; B 8 4 2 - 3 ) . „ G o t t " bedeutet einzig eine regulative Idee, deren Existenz ein notwendiges Postulat der praktischen oder moralischen Vernunft ist ( A 6 3 4 ; B 8 4 2 - 3 ) . Gottes Existenz ist neben der Willensfreiheit und der Unsterblichkeit der Seele eines der drei Postulate, die nach Kants Überzeugung als Bedingung der verpflichtenden Kraft des Sit-

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t e n g e s e t z e s n o t w e n d i g s i n d ( G S 5 , 1 2 2 - 1 3 4 ) . D a s b e s a g t , d a ß d e r G o t t e s b e w e i s als solc h e r T e i l e i n e s u m f a s s e n d e r e n B e w e i s g a n g e s ist, d e r a m E n d e d i e G r u n d l e g u n g v o n K a n t s M o r a l p h i l o s o p h i e ü b e r h a u p t b i l d e t . N a t u r g e m ä ß ist es n i c h t m ö g l i c h , d i e s e n e i n z e l n e n B e w e i s aus s e i n e m g r ö ß e r e n Z u s a m m e n h a n g zu reißen, o h n e d e m subtilen G l e i c h g e w i c h t s

v o n K a n t s D e n k e n f a s t m i t S i c h e r h e i t G e w a l t a n z u t u n . A b e r g e r a d e d i e s m u ß hier g e s c h e hen, weil -

u n d d a s liegt u n m i t t e l b a r in d e r N a t u r e i n e r E n z y k l o p ä d i e - die a n d e r e n

E l e m e n t e v o n K a n t s M o r a l p h i l o s o p h i e in v e r s c h i e d e n e n a n d e r e n A r t i k e l n d i e s e s S a m m e l w e r k e s zu b e h a n d e l n s i n d ( - » K a n t , - » E t h i k ,

—»Autonomie).

In einer knappen Z u s a m m e n f a s s u n g stellt sich Kants Beweis wie folgt dar: Es ist unsere Pflicht, 10 das höchste G u t zu befördern. Das wahre Ziel allen guten Willens, d. h. dessen, was überhaupt nur in sich selbst gut ist, ist das summum bonum (vgl. 5 , l l O f ) . Es m u ß möglich sein, das h ö c h s t e G u t zu erreichen, denn „ s o l l e n " impliziert „ k ö n n e n " . O b w o h l das h ö c h s t e G u t verwirklicht werden k a n n , kann dies nicht vermittels unserer Kraft als der Kraft endlicher Wesen geschehen im Angesicht der T a t s a c h e , daß das höchste G u t nicht allein als supremum, sondern auch als consummatum zu 15 begreifen ist. D a s bedeutet, daß wir Tugend erreichen, aber nicht sicherstellen k ö n n e n , daß der Tugend auch die Glückseligkeit z u k o m m e n wird. Erst wenn dies geschieht, ist das h ö c h s t e G u t vollständig und v o l l k o m m e n erreicht. Die Vernunft erfordert, d a ß dies möglich sein muß und d a ß es deshalb auch eine Ursache geben muß, die dieser W i r k u n g entspricht ( 5 , 1 2 4 ) . M i t h i n m u ß es ein vernunftbegabtes und moralisches Wesen geben, das als Schöpfer und E r h a l t e r der Welt genügend 20 M a c h t hat, der Tugend die entsprechende Glückseligkeit zuzumessen. Anders gewendet: Erst wenn es menschenmöglich ist, das h ö c h s t e G u t hervorzubringen, k a n n es auch Pflicht sein, es zu befördern; a b e r eine notwendige Bedingung dieser M ö g l i c h k e i t ist die Existenz G o t t e s , die allein die A n n a h m e der M ö g l i c h k e i t , das höchste G u t hervorzubringen, zuläßt. D a h e r folgert Kant: „es ist moralisch nothwendig, das Dasein G o t t e s a n z u n e h m e n " (5,125). N a c h dieser Schlußfolgerung betont Kant 25 freilich zugleich unmittelbar, daß eine solche „ m o r a l i s c h e N o t w e n d i g k e i t " keine „ f a k t i s c h e N o t w e n d i g k e i t " ist; sie ist gänzlich subjektiv und ein „ B e d ü r f n i ß " , nicht dagegen „ o b j e k t i v " und als solche eine Pflicht. „ Z u r Pflicht gehört hier nur die Bearbeitung zu H e r v o r b r i n g u n g und Beförderung des höchsten G u t s in der Welt, dessen M ö g l i c h k e i t also postuliert werden k a n n , die a b e r unsere Vernunft nicht anders d e n k b a r findet, als unter Voraussetzung einer höchsten Intelligenz, deren 30 Dasein anzunehmen also mit dem Bewußtsein unserer Pflicht verbunden ist, o b z w a r diese Annehmung selbst für die theoretische Vernunft gehört, in Ansehung deren allein sie, als Erklärungsgrund betrachtet, H y p o t h e s e , in Beziehung aber auf die Verständlichkeit eines uns d o c h durchs moralische Gesetz aufgegebenen O b j e c t s (des H ö c h s t e n G u t s ) , mithin eines Bedürfnisses in praktischer Absicht, G l a u b e und zwar reiner Vernunftglaube heißen k a n n , weil blos reine Vernunft (sowohl ihrem theore35 tischen als praktischen G e b r a u c h e nach) die Q u e l l e ist, daraus er e n t s p r i n g t " (5,126). D i e I m p l i k a t i o n e n d i e s e s „ r e i n e n V e r n u n f t g l a u b e n s " w e r d e n in d e r Kritik schen Grenzen

Vernunft der

a n g e d e u t e t , a u s f ü h r l i c h e r e n t f a l t e t j e d o c h in Die bloßen

Vernunft.

Religion

der

innerhalb

praktider

Ihre Darstellung im einzelnen führte jedoch über unsere

g e g e n w ä r t i g e A u f g a b e h i n a u s . F ü r d i e s e n Z u s a m m e n h a n g d ü r f t e es z u r e i c h e n , d a s z u 40

1

unterstreichen, w a s bereits hinsichtlich der Postulate der p r a k t i s c h e n Vernunft angedeut e t w o r d e n ist. K e i n e s d i e s e r d r e i P o s t u l a t e w u r d e v o n K a n t in s e i n e r Kritik schen

Vernunft

der

prakti-

a l s „ o b j e k t i v " b e g r ü n d e t . Sie s i n d alle d i e in v e r s c h i e d e n e r W e i s e n o t w e n -

digen und zureichenden Bedingungen für den G e h o r s a m g e g e n ü b e r d e m G e b o t des Sitteng e s e t z e s , a u s w e l c h e m sie h e r v o r g e h e n . Sie a l l e i n s i n d m i t h i n a u c h d e r G r u n d f ü r d i e 45

V e r n u n f t g e m ä ß h e i t des Sittengesetzes und seiner a b s o l u t e n F o r d e r u n g e n . Als m ö g l i c h k ö n n e n diese drei Ideen d u r c h die reine Vernunft e r w i e s e n w e r d e n , a b e r als n o t w e n d i g a l l e i n d u r c h d i e p r a k t i s c h e V e r n u n f t . U n s e r e A n n a h m e d e r d r e i P o s t u l a t e ist d a n n d u r c h d e n P r i m a t d e r p r a k t i s c h e n V e r n u n f t g e r e c h t f e r t i g t . E s k ö n n t e s c h e i n e n , als e r h i e l t e n sie d a m i t e i n e B e d e u t u n g , n a c h d e r sie u n s e r e „ E r k e n n t n i s " z u e r w e i t e r n s c h e i n e n , a l l e r d i n g s

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allein a u s d e r P e r s p e k t i v e d e r p r a k t i s c h e n V e r n u n f t : „ D e n n wir erkennen z w a r dadurch weder unserer Seele N a t u r , noch die intelligibele Welt, noch das höchste Wesen nach dem, was sie an sich selbst sind, sondern haben nur die Begriffe von ihnen im praktischen Begriffe des höchsten G u t s vereinigt, als dem O b j e c t e unseres Willens, und völlig a priori durch reine Vernunft, aber nur vermittelst des moralischen Gesetzes und auch blos in Beziehung auf dasselbe, in Ansehung des O b j e c t s , das er g e b i e t e t " (5,133). Nichts weiter w u r d e von Kant behauptet.

Gottesbeweise III

759

Um so mehr jedoch wurde in bezug auf den Gottesbeweis das menschliche Gewissen her von -»Newman beansprucht. Seine Art des moralischen Gottesbeweises - sie gehört eher zur „reinen" als zur „praktischen" Vernunft - wird in der Schrift The Grammar of Assent (Entwurf einer Zustimmungslehre; 5, § 1) entwickelt. Darin behauptet Newman, daß das Gewissen ein integraler Bestandteil der menschlichen Natur ist und in den Handlungen des menschlichen Geistes einen so festen Platz innehat wie der Vernunftgebrauch oder der Schönheitssinn. Obwohl der moralische Akt als solcher unteilbar ist, ist nach Newman das Gewissen gleichwohl unter zwei Gesichtspunkten zu betrachten: Es enthält erstens den Sinn für das Moralische; dieser konstituiert die Elemente der Moral, die ihrerseits zugleich ethische Überzeugungen hervorbringen. Es enthält andererseits das Bewußtsein von Pflicht und Verantwortung, welches diese Gebote verstärkt. Newman nennt diese Aspekte das kritische und richterliche Amt des Gewissens und spricht von der Macht seines Zeugnisses und seiner Billigung, „seines Zeugnisses, daß es Recht und Unrecht gibt, und seiner Billigung, die die Gefühle, die rechtes und unrechtes Handeln begleiten, mit sich bringt" (Entwurf einer Zustimmungslehre, durchgesehene NA der Übers, v. Theodor Haecker, Ausgew. Werke VII, hg. v. M . Lasos/W. Becker, Mainz 1961, 74). Der eine Gesichtspunkt handelt mithin von der Regel rechten Verhaltens und der andere von seiner Bestätigung. Dieser letztere Aspekt des Gewissens erklärt nach Newman nicht allein den Ursprung der Religion, sondern liefert ihm auch gute Gründe für den Gottesglauben. Newmans Argumentation scheint hier die zu sein, daß bereits die Tatsache unseres Pflichtbewußtseins notwendigerweise über den moralisch Handelnden selbst auf eine Quelle außerhalb seiner verweist, deren Stimme (oder zumindest ihr Echo) im Gewissen vernommen werden kann, „herrisch und nötigend wie kein anderer Befehl im ganzen Bereich unserer Erfahrung" (75). Solche Gefühle in ihrer bedrängenden Gewalt können aber kaum von einer unbelebten oder unpersönlichen Ursache kommen; Newman argumentiert: „Wenn wir, wie es ja der Fall ist, uns verantwortlich fühlen, beschämt sind, erschreckt sind bei einer Verfehlung gegen die Stimme des Gewissens, so schließt das ein, daß hier Einer ist, dem wir verantwortlich sind; vor dem wir beschämt sind; dessen Ansprüche auf uns wir fürchten... Diese Gefühle sind in uns derart, daß sie als erregende Ursache ein intelligentes Wesen erfordern... Wenn die Ursachen dieser Gemütsbewegungen nicht dieser sichtbaren Welt angehören, so muß der Gegenstand, auf den seine Wahrnehmung gerichtet ist, übernatürlich und göttlich sein. So ist also das Phänomen des Gewissens als das eines Befehls dazu geeignet, dem Geist das Bild eines höchsten Herrschers einzuprägen, eines Richters, heilig, gerecht, mächtig, allsehend, vergeltend. Es ist das schöpferische Prinzip der Religion, wie der Sinn für das Sittliche das Prinzip der Ethik ist" (2,77). Dieser „höchste Herrscher" ist, wie er von Newman verstanden wird, jedoch mehr als eine bloße „regulative Idee". Er ist das lebendige, personhafte, souveräne Wesen, welches wir „ G o t t " nennen (79ff) und dessen Existenz wir nicht allein „begriffliche", sondern „wirkliche" Zustimmung schulden (vgl. Kap. IV). Untadelig ist die skrupulöse moralische Sensibilität, welche in fast jedem Satz von Newmans Überlegungen in The Grammar of Assent offenkundig ist. Der Beweis als solcher ist jedoch insoweit zu tadeln, als er als Argument für Gottes Existenz präsentiert wird, das seine Überzeugungskraft unabhängig von aller Nötigung von außen erhalte (81 ff). Denn das Argument beruht auf einer Verwechslung der Art und Weise, wie man vor. etwas überzeugt werden kann, und der Gründe, auf die man eine solche Überzeugung verstandesmäßig stützt. Die ohne Zweifel tiefen Bewegungen, die von einem empfindlichen Gewissen hervorgerufen werden, mögen in einigen Fällen den Gottesglauben hervorbringen oder bewahren helfen. Sie könnten deshalb jedoch nicht als Unterstützung des Goctesglaubens als solche gelten. Das ließe sich dann und nur dann von ihnen sagen, wenn sie aus sich selbst heraus als von Gott verursacht evident wären und nicht anders erklärt werden könnten. In dieser Prämisse wäre das, was doch als Frage ansteht, aber bereits vorgängig beantwortet. Doch abgesehen von diesem Problem ist unser gegenwär-

760

Gottesbeweise III

tiges Denken vielleicht deutlicher als Newman (oder vor ihm auch Kant) der gesellschaftlichen und psychologischen Determinanten moralischer Werte bewußt. Und dieses Bewußtsein dürfte den Verweis auf das Gewissen als einen zureichend verläßlichen Grund für die Arten von Behauptungen, die nicht erst Newman, sondern auch Kant durch seine Inanspruchnahme beweisen wollten, ausschließen. Fehlt aber diese Voraussetzung, dann kann kein moralischer Gottesbeweis auf Gelingen hoffen. 3. Die religiöse Bedeutung

der

Gottesbeweise

Betrachtet man die Gottesbeweise allein als rationale Versuche, Gottes Existenz schlüssig zu demonstrieren oder auch innerhalb bestimmter Grenzen wahrscheinlich zu machen, dann können sie in der Neuzeit insgesamt nur als gescheitert beurteilt werden. Ihr Versagen mag in gewissem M a ß unvermeidlich gewesen sein, sei es angesichts von Gottes Transzendenz oder der Wissensgrenzen menschlicher Vernunft, sei es aufgrund der Zweideutigkeiten menschlicher Welterfahrung, so daß auch analoge Gotteserkenntnis offenbar ausgeschlossen zu sein scheint. Aus der Tatsache, daß diese Beweise als demonstrationes oder auch nur als persuasiones letztendlich versagt haben, folgt jedoch nicht, daß sie als solche für das eigentliche Geschäft des Theologen, Religionswissenschaftlers oder Religionsphilosophen bedeutungslos wären. Um dies zu zeigen, ist nicht nur ein Überblick über die gegenwärtigen Meinungen notwendig, sondern auch ein unbefangener Blick auf den Ort der Gottesbeweise innerhalb der religiösen - einschließlich der christlichen — Überlieferungen. 3.1. Eine Beurteilung der religiösen Bedeutung der Gottesbeweise wird durch jüngere philosophische Entwicklungen hermeneutischer wie analytischer Provenienz erleichtert. Neuere deutsche wie anglo-amerikanische Philosophen haben aus jeweils verschiedenen Gründen die Notwendigkeit hervorgehoben, einzelne Aussagen und Beweise nicht isoliert zu interpretieren, sondern als Teil des Gesamtzusammenhangs oder der „Lebensf o r m " , innerhalb welcher sie auftreten und ihre genaue Bedeutung und Funktion erhalten (vgl. J.P. Clayton, Sprache, Sinn und Verifizierungsverfahren: PhJ 85/1 [1978] 144-162). Die Relevanz dieses weitgehend geteilten Ansatzes für einen neuen Zugang zum Problem der Gottesbeweise kann sowohl negativ wie positiv ausgedrückt werden. Negativ: Die Gottesbeweise wurden in der Neuzeit allmählich aus ihrem religiösen Entstehungszusammenhang herausgelöst, um schließlich Funktionen zu erfüllen, für die sie weder gedacht noch geeignet waren, so daß ihr Versagen kaum überraschen kann. Positiv: Es läßt sich erkennen, daß sowohl im Westen wie im Osten die Gottesbeweise aus einer Vielzahl von Gründen und Zielsetzungen in Anspruch genommen worden sind. Ihre Rollen in den einzelnen Religionen sind immer sowohl faszinierend wie auch vielschichtig gewesen. 3.1.1. Im Gefolge des Zusammenbruchs der mittelalterlichen Synthese von Glaube und Vernunft im vierzehnten Jahrhundert und danach — verbunden mit dem Aufstieg der modernen Philosophie ungefähr seit Descartes - gewannen die Beweise für Gottes Existenz in der abendländischen Geistestradition eine weitgehend unabhängige Stellung. Obwohl in der Scholastik Glaube und Vernunft keineswegs miteinander verwechselt wurden, erfreuten sie sich doch mannigfacher Überschneidungen, so daß nicht allein bei Anselm, sondern - wie zu zeigen wäre - auch bei Thomas Glaube stets denkender Glaube und Denken stets gläubiges Denken waren. Die Koexistenz von Philosophie und Theologie in der höheren Einheit des christlichen Glaubens bestand innerhalb des römischen Katholizismus durchaus bis in die Moderne hinein fort. M a n denke etwa an einen Spätscholastiker wie den Spanier Francisco -»Suárez (1548-1617), der die Ansicht vertrat, daß, auch wenn die Existenz Gottes beweisbar ist, solch ein Beweis nur im Glauben verstanden werden könne. Der Mythos der „autonomen Vernunft" war den großen Theologen der Scholastik unbekannt. Das jener Epoche folgende Hervortreten dieser Vorstellung kann als ein Zeichen jener Form der Trennung von Glaube und Vernunft gewertet werden, welche nach dem Zusammenbruch der lebendigen Scholastik Raum

Gottesbeweise III

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gewann. Wilhelm von O c k h a m (um 1 2 8 5 - 1 3 4 9 ) und auch die protestantischen R e f o r m a toren des sechzehnten Jahrhunderts hatten zu dieser Trennung beigetragen; die allmähliche Umformung der Gottesbeweise geschah aber erst in der europäischen Aufklärung. W ä h r e n d der -»Aufklärung wurden die Gottesbeweise in wachsendem M a ß e einer sogenannten „natürlichen R e l i g i o n " nutzbar gemacht (vgl. William Wollaston), ein Begriff, der außerhalb der Vorstellung einiger deistischer Philosophen oder dilettierender Intellektueller keine Instanz hatte. Nicht alle Deisten waren Apologeten der Gottesbeweise. Der anerkannte „ V a t e r " des englischen Deismus, Edward Lord -»-Herbert of Cherbury, lehrte beispielsweise, daß die Existenz eines Gottes, der im Sinne frommer Tugendübung verehrungswürdig ist, ein allgemeines und von G o t t selbst eingegebenes Prinzip (:notitiae communes) sei, das einen zusätzlichen Beweis weder zuläßt noch erfordert. D o c h so unterschiedliche Denker wie J o h n Locke ( 1 6 3 2 - 1 7 0 4 ) , der die Existenz eingeborener Ideen bestritt, und Leibniz, der sie - vorausgesetzt, sie seien hinreichend rudim e n t ä r - akzeptierte, maßen der Möglichkeit rationaler Gottesbeweise große Bedeutung zu, weil sie in ihnen ein zureichendes Mittel sahen, zu einer sicheren Erkenntnis von Gottes Existenz und einem deutlichen Verstehen seiner Wesenseigenschaften zu gelangen. Die Positionen von Leibniz und besonders die von Locke - der für eine den Menschen durch Offenbarung eingeprägte Gotteserkenntnis eintrat, die grundsätzlich nicht der Vernunft zugänglich ist, ohne deshalb „vernunftwidrig" zu sein (An Essay concerning Human Understanding, IV, 17) - zeigen unverkennbare Ähnlichkeiten mit der mittelalterlich-scholastischen Überzeugung, daß die Funktion der Gottesbeweise eingeschränkt sei, da diese durch die Offenbarung ergänzt werden müßten (vgl. T h o m a s v. Aquin, ScG I, 1-9). Die gleichen unverkennbaren Zeichen des neuzeitlichen Wandels trägt ihre jeweilige Bestimmung der Beziehung von Vernunft und Glaube. Von hier aus war es deshalb eine zumindest teilweise vorauszusehende Entwicklung, wenn etwa Lockes im wesentlichen noch traditionelle Auffassung von einem „vernünftigen C h r i s t e n t u m " (vgl. The Reasonableness of Christianity, 1695) sich im nächsten Jahrhundert allmählich zu einer von der Kirche unabhängigeren „ V e r n u n f t - " bzw. „ N a t u r r e l i g i o n " weiterentwickelte; und für ihre Bekenner bedurfte diese neue Religion keiner Ergänzung mehr durch eine Offenbarung. So weit es möglich war, versuchten sie sogar, diese in ihrem Gehalt zu entchristlichen, da ihrer Überzeugung nach sich alle positiven oder historischen Religionen auf Aberglauben gründeten, durch Priesterbetrug aufrechterhalten würden und zu Streitsucht und Intoleranz führten. Eine Zwischenposition auf dem Weg zu dieser - vornehmlich von den französischen philosophes vertretenen - Uberzeugung markierten Denker wie Samuel Clarke ( 1 6 7 5 - 1 7 2 9 ) ; sie verwendeten die Gottesbeweise nicht nur dazu, um die Existenz und Natur Gottes mit einer Sicherheit begründen zu können, die ihrer Ansicht nach der Sicherheit geometrischer Einsichten gleichkam, sondern sie verstanden sie darüber hinaus auch als M a ß s t ä b e , an welchen die zusätzlichen Behauptungen der christlichen Offenbarung zu messen seien. Sofern man die Offenbarung überhaupt akzeptierte, w a r diese - nach der Überzeugung von Clarkes Bewunderer M a t t h e w Tindal (1632?—1733) - allein dazu da, das zu bestätigen, was von Gottes Existenz und Natur bereits rational bewiesen werden konnte. Tindal schrieb in seiner Schrift Christianity as Old as the Creation (1730), daß die Religion der Natur universal und das Evangelium nur ihre „ N e u a u s g a b e " , nicht aber eine „neue R e l i g i o n " sei. Das Christentum wird all dessen beraubt, worin es sich von der „ N a t u r r e l i g i o n " unterscheidet, so daß seine besonderen Behauptungen nur in dem M a ß e anerkannt werden, in welchem sie mit dem „durch das Licht der V e r n u n f t " bereits Erkannten in Übereinstimmung zu bringen sind. Selbst wenn man sich nicht über die vermittelnden Positionen von Clarke und Tindal hinausbegibt, ist klar erkennbar, daß bereits in ihrem Denken die Gottesbeweise eine Bedeutung erlangt haben, die sie in der scholastischen Periode des abendländischen religiösen Denkens nicht hatten. Die scholastische Verhältnisbestimmung von G l a u b e und Vernunft erscheint bei ihnen geradezu umgekehrt. Die mittelalterlichen Theologen waren

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Gottesbeweise III

eher dazu geneigt, die Angemessenheit möglicher Gottesbeweise an ihrer Fähigkeit zu messen, inwieweit sie der Vernunft die Existenz und Natur des Gottes des Glaubens zu zeigen vermöchten. Solche Theologen konnten aus dem umfassenden Vorrat der Beweise schöpfen, welche seit der Antike in Umlauf waren. Von ihnen wählten sie nur die Argumente aus, die mit dem aus der autoritativen Tradition bereits über Gottes Wesen Geglaubten in Übereinstimmung gebracht werden konnten. Das läßt sich etwa an der Art und Weise ablesen, auf welche ursprünglich griechische Gottesbeweise von muslimischen, jüdischen und christlichen Theologen in den Dienst ihrer gegenüber der Antike deutlicher monotheistischen Fragestellungen genommen wurden (-»Gottesbeweise II). Für diese Theologen stellte also die Offenbarung bzw. die Tradition die Maßstäbe bereit, an denen die Gottesbeweise gemessen wurden; für die Deisten dagegen lieferten die Gottesbeweise den Maßstab, an welchem die Sätze der Offenbarung und Tradition gemessen wurden. Die letztendlich ausschließliche Abhängigkeit „moderner" Denker von den Beweisen für Gottes Existenz und Natur legte diesen Beweisen eine Last auf, welche von denjenigen nicht vorausgesehen worden war, die in ihnen allein mögliche viae sahen, nämlich hin zu einer höchst elementaren Erkenntnis durch Beschreibung dessen, quod Deum vocamus. Die Bedeutung, die den Gottesbeweisen innerhalb der Aufklärung allmählich zugewachsen war, hätte die Geistesverwandten eines Thomas von Aquin vermutlich sehr erstaunt; und gerade Thomas wäre vermutlich darüber bestürzt gewesen, daß sie später nicht mehr im Dienste des christlichen Glaubens verwendet werden sollten, sondern eines fremden Herrn, dessen Namen er kaum wiedererkannt hätte. Auf dem ausgetrockneten Boden, der sich weiter diesseits jener Deisten ausbreitete, die noch geneigt waren, sich als „christlich" zu bezeichnen, bezeugten freidenkerische Philosophen ihr ausschließliches Vertrauen auf die Gottesbeweise als einzige Quelle der Erkenntnis von Gottes Wesen und Eigenschaften. Hier aber hatten diese Beweise dann eine Last zu tragen, für die sie nicht ausreichend ausgerüstet waren und unter welcher sie über kurz oder lang zusammenbrechen mußten. In dem Skeptiker Hume und dem Kritiker Kant fand die „Vernunftreligion" Anlaß zu ihrer eigenen Selbstzerstörung. Und dennoch hatte das, was von ihnen so wirksam unterlaufen wurde, nur noch eine höchst lockere Beziehung zu den Beweggründen und Zielsetzungen, welchen die Gottesbeweise in den Konzeptionen umsichtigerer mittelalterlicher Theologen voreinst dienten. Wenn die Theologen und Philosophen nach Hume und Kant das ablehnten, was jene abgelehnt hatten, waren sie damit zweifellos im Recht; im Unrecht waren sie indes mit ihrer Uberzeugung, eine Beschäftigung mit den Gottesbeweisen sei damit erledigt. Wenn deshalb im Blick auf die gegenwärtigen Aufgaben christlicher Theologie unvoreingenommene Einsichten in eine mögliche Bedeutung der Gottesbeweise gewonnen werden sollen, so ist es notwendig, hinter die Neuzeit zurückzugehen, um zumindest ansatzweise die essentiell religiöse Funktion dieser Beweise im Kontext lebendigen Glaubens aufzuspüren. Die Neuzeit bietet in dieser Hinsicht leider wenig Wegweisung. Ihre Lehren sind fast einhellig negativ, ohne freilich deswegen weniger wichtig zu sein. Sie zeigen beispielsweise die Vergeblichkeit des Versuchs, die Gottesbeweise aus der Lebensform herauszulösen, deren lebendiger Bestandteil sie waren und innerhalb derer sie zu ihrer gelungensten Ausprägung gelangt sind. In diesem Sinne läßt sich viel aus dem Schicksal lernen, welches die Gottesbeweise in der Neuzeit erfahren haben. 3.1.2. Betrachtet man die Gottesbeweise in ihrem spezifisch religiösen Horizont, dann sieht man, daß sie faszinierend vielseitige Rollen innerhalb der östlichen wie westlichen Religionsgeschichte gespielt haben. Die Vertreter des ehemals beliebten argumentum e consensu gentium mögen mit ihrer Überzeugung von der Allgemeinheit des Gottesglaubens allzu optimistisch gewesen sein, aber sie können sich zugleich durch die Tatsache beruhigen lassen, daß die Beweise für Gottes Existenz unter allen Völkern der Erde weit verbreitet sind, selbst wenn es den Gottesbeweisen versagt geblieben ist, auch nur in einer der bedeutenderen religiösen Traditionen einhellige Zustimmung zu finden. Diese Tatsa-

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che ihrer weiten Verbreitung legt aber zugleich die Vermutung nahe, daß sie spezifischen religiösen Bedürfnissen entsprechen. Umgekehrt zeigt die Tatsache, daß innerhalb der Weltreligionen auch der Widerstand gegen sie gleichermaßen verbreitet ist, daß sie für das religiöse Empfinden immer auch eine deutlich wahrgenommene Gefahr darstellen. In jedem Falle jedoch sind die Gottesbeweise kein bloßer Zufall innerhalb der abendländischen Geistesgeschichte, eine Eigenart griechischen Denkens; ebensowenig ist der Widerstand gegen sie allein eine Eigentümlichkeit protestantischen Denkens. Ihre Betrachtung und zugleich die Betrachtung der Weite religiöser Antworten auf sie bedeutet vielmehr Beschäftigung mit wichtigen Erscheinungsformen von Religion. Versteht man die Funktion der Gottesbeweise innerhalb der religiösen Überlieferungen, so versteht man zugleich diese Überlieferungen selbst besser. 3.1.2.1. Die Unterschiedlichkeit der Stellungnahmen zu den Gottesbeweisen, wie sie sich in Geschichte und Gegenwart des Christentums finden, ist in der neueren theologischen und philosophischen Literatur zum T h e m a der Gottesbeweise (und ihrer Widerlegung) ausführlich aufgelistet worden, so daß für unsere Z w e c k e hier ein kurzer Überblick genügt. Die Mehrzahl der innerhalb des Christentums vorfindlichen Positionen bewegt sich zwischen zwei Extremen: auf der einen Seite einer radikalen Ablehnung der Gottesbeweise zugunsten einer strikten Berufung auf die biblische Offenbarung bzw. auf religiöse Erfahrungen irgendwelcher Art (vgl. den linken Flügel der Reformation und die Spiritualisten) und auf der anderen Seite einer geradezu völligen Abhängigkeit von ihnen als dem einzig möglichen Weg, zu wahrer Gotteserkenntnis zu gelangen (vgl. die englischen Deisten). Jedes dieser beiden E x t r e m e vertritt gleichwohl einen besonderen - nämlich auf verschiedene Arten religiöser Erfahrung gegründeten - Frömmigkeitstypus, so daß die jeweils gegenläufige Bewertung der Gottesbeweise weniger philosophische als vielmehr grundsätzlich religiöse Unterschiede widerspiegelt. Das gilt nicht weniger für die Deisten als auch für die Spiritualisten und ihre enthusiastische Frömmigkeit. O b w o h l „gesetzter" in ihren Frömmigkeitsäußerungen, waren doch auch die Deisten dazu fähig, in überströmenden Lobpreis der wundersamen Ordnung auszubrechen, die sich im Universum darstellt. Bezeichnend ist etwa, was in der Kirchenlieddichtung von Joseph Addison ( 1 6 7 2 - 1 7 1 9 ) als poetische Darstellung dessen erkennbar wird, was in der Tat den teleologischen Gottesbeweis ausmacht: Versteht sich Addison in seinem Hymnus A spacious Firmament zu einer rühmenden Beschreibung des Himmels, der Bewegung der Gestirne und des Laufes der Tageszeiten, dann deshalb, weil ihm all dies nichts als eine große, bis an die Enden der Erde reichende Predigt des „ U r h e b e r s " der Welt und seiner Schöpfermacht ist - vernehmbar gewiß „in feierlichem S c h w e i g e n " , nicht als eine „wirkl i c h e " Stimme, aber gleichwohl deutlich: nämlich mit dem „ O h r der Vernunft" und insofern das Ich des Dichters zu der poetischen Aussage hinreißend: „ D i e Hand, die uns gemacht hat, ist g ö t t l i c h " . Solche hymnischen Ausbrüche als „überzivilisierte Salonfrömm i g k e i t " zu charakterisieren, wie es Pollard gegenüber Addison getan hat (English Hymns 14), wäre unangemessen; vielmehr liegen der „ s c h w ä r m e r i s c h e n " Zustimmung mancher Deisten zu dem auf dem Gedanken des Weltenplans beruhenden Gottesbeweis deutlich religiöse Impulse zugrunde. Allein schon die Tatsache, daß dieser Gottesbeweis in die Gestalt eines Kirchenliedes gebracht werden konnte, zeigt, daß er für jene Ausdruck der Anbetung „jener göttlichen Hand, die uns gemacht h a t " , war. Innerhalb des Christentums mögen mithin die jeweils gegensätzlichen Stellungnahmen gegenüber den G o t tesbeweisen verschiedene Arten von Frömmigkeit anzeigen, keinesfalls aber verschiedene

Grade. Eine Sichtung der beiden Extreme hilft auch, die christlichen Stellungnahmen einzuordnen, die zwischen ihnen liegen und die jeweils sowohl die unterschiedlichen theologischen Lehrmeinungen wie die verschiedenen Frömmigkeitsausprägungen widerspiegeln. D i e Tatsache, daß z . B . die -»Franziskaner und - > D o m i n i k a n e r im Mittelalter anscheinend jeweils verschiedene Arten des Gottesbeweises bevorzugten, ist andernorts bereits betont worden (Gottesbeweise II). Die Grenzen zwischen „ G l a u b e " und „ V e r n u n f t "

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Gottesbeweise III

wurden deutlicher markiert, als die mittelalterliche Synthese sich aufzulösen begann, so daß einige spätmittelalterliche Theologen, die alles Gewicht darauf legten, daß der Glaube allein ausreichend sei und keiner Ergänzung bedürfe, etwas rhetorisch fragten: „Wozu brauchen wir solche Beweise?" In einer späteren Epoche zeigten die Reformatoren eine in gewisser Hinsicht zwiespältige Haltung gegenüber der Frage natürlicher Gotteserkenntnis allgemein und den Gottesbeweisen gegenüber insbesondere. -»Luthers etwas hitzige Bemerkungen über „Narristoteles" und „diese Hure Vernunft" illustrieren markant die Stärke der reformatorischen Überzeugung von dem dreifachen Primat von Gnade, Glaube und Schrift als der ausschließlichen Voraussetzung wahrer Erkenntnis Gottes und seines Willens gegenüber dem Menschen. -»Calvin drückte seine im wesentlichen ganz ähnliche Überzeugung etwas maßvoller aus (vgl. Institutio I). Obgleich sowohl Luthers wie Calvins diesbezügliche Überzeugungen der Subtilität nicht ermangeln, wäre die Bemerkung nicht ganz unangemessen, daß Luther wie Calvin nur in dem M a ß e der Möglichkeit natürlicher Gotteserkenntnis zuzustimmen scheinen, als diese ihnen zwar für die menschliche Erlösung unzureichend erschien, nicht dagegen aber für die menschliche Verdammnis. Beide Theologen betonten, daß Gott in seiner Gnade nur insoweit erkennbar ist, als es ihm selbst beliebt sich zu offenbaren; und besonders Calvin zeigte sich gegenüber der Auffassung Zwingiis unduldsam, daß die griechischen „Heiden" bisweilen genügend wahre Gotteserkenntnis besessen hätten, um durch natürliche Vernunft und moralische Vollkommenheit zur Erlösung zu gelangen (vgl. Institutio II, 2, §18ff). Wie auch in anderen Fragestellungen von zentraler Bedeutung setzte —»Melanchthon dagegen auch hier die Akzente anders als andere führende Reformatoren. Besonders in späteren Ausgaben seiner Loci gab er rein rationalen Beweisen für Gottes Existenz durchaus Raum, vor allem den Beweisen von der (Wirk- oder End-)Ursache der Dinge her, der Ordnung, die in Natur und Gesellschaft sichtbar ist, der dem menschlichen Bewußtsein eingeborenen Gottesidee, der menschlichen Fähigkeit zu sittlichem Urteil und der Tatsache menschlicher Rationalität selbst. Damit war zugleich der Grund für die protestantische Aristoteles-Rezeption und das Aufkommen der Orthodoxie in der nach-reformatorischen Theologie gelegt. In der Ubergangszeit von der Orthodoxie zur Aufklärung übernahmen Theologen wie Franz —»Buddeus die Gottesbeweise als Bestandteile einer theologia naturalis, die ihrerseits als eine Art preparatio evangelica diente. Z u m mindesten seit Kant sind sich freilich die protestantischen Theologen nahezu einhellig einig in ihrer Ablehnung sowohl der Möglichkeit wie der Notwendigkeit von Gottesbeweisen (abgesehen von einem kurzen Wiederaufleben des Interesses an ihnen im Gefolge des Einflusses Hegels auf manche Strömungen der deutschen und nordeuropäischen protestantischen Theologie). So unterschiedliche Theologen wie -»Schleiermacher, -»Kierkegaard, —•Ritsehl, -»Barth, -»Bultmann und -»Tillich haben in diesem einen Punkt mehr oder weniger übereingestimmt. Lediglich Tillich maß den Gottesbeweisen auch eine positive Stellung zu, nämlich sofern sie als Ausdruck der Gottes frage verstanden werden können, allerdings nicht als mögliche Beantwortung dieser Frage (vgl. Syst. Theol. I, 238-245). Wie groß diese Übereinstimmung zeitweise gewesen sein muß, zeigt sich daran, daß die Realencyclopädie für protestantische Theologie und Kirche - die Vorgängerin der Theologischen Realenzyklopädie - nicht einmal einen eigenen Artikel zum Thema „Gottesbeweise" enthält. Schwieriger dagegen ist die Lage in der neueren römisch-katholischen Theologie teilweise aufgrund der Vielzahl der Deutungen, denen die von Thomas von Aquin in der Summa Theologiae befürworteten quinque viae in ihrer Zielsetzung und ihrer Leistungsfähigkeit offenstehen (vgl. etwa Gerald A. McCool, Catholic Theology in the Nineteenth Century und seine Übersicht: JR Suppl. 1978; The Centenary of Aeterni Patris: HPR 79 [1979] 8 - 1 5 ) . Mit einigem Recht kann man jedoch sagen, daß die römisch-katholischen Theologen - die etwas weniger als ihr protestantisches Gegenüber von den Leistungen Humes oder Kants beeindruckt - auch in der Zeit der Aufklärung in der Regel weiterhin eine positivere Haltung gegenüber den Gottesbeweisen eingenommen haben. Zumindest

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mittelbar wurden die Gottesbeweise im Vaticanum I befürwortet, deutlicher noch im Zusammenhang mit der Verurteilung der Auswüchse des Modernismus. Die genaue Bedeutung solcher Zustimmung blieb jedoch quälend unbestimmt, so daß die neue römischkatholische Theologie durch eine Vielfalt des Gebrauchs und Mißbrauchs der Gottesbeweise charakterisiert ist (vgl. W. Norris Clarke, T h e Philosophical Approach to God). Wohl mit Recht darf freilich angemerkt werden, daß im gegenwärtigen römisch-katholischen Denken selbst unter denjenigen Theologen, die sich als Thomisten bezeichnen, den viae weniger Bedeutung beigemessen wird, als es in den stürmischen Tagen des aufkommenden Neuthomismus besonders in Frankreich üblich war (vgl. Maritain und Gilson). Unter den zeitgenössischen römisch-katholischen Theologen haben vor allem Karl Rahner und Bernard Lonergan herausragende Beiträge zur Diskussion um die Gottesbeweise geliefert. Aus dieser kurzen Übersicht wird deutlich, daß sich innerhalb der verschiedenen Zweige des historischen Christentums ein weites Spektrum an Meinungen hinsichtlich der religiösen Bedeutsamkeit und des theologischen Gewichtes möglicher Gottesbeweise entfaltet hat. Jedoch ist die christliche Überlieferung in dieser Hinsicht keineswegs einzigartig in den Weltreligionen. Das Ausmaß der Vielfalt in dieser Hinsicht außerhalb des Christentums kann durch einen Überblick über einige der wesentlichen Ansätze veranschaulicht werden, und zwar die Zugänge, die in einer radikal monotheistischen Überlieferung vorherrschen (—»Islam), in einer hinsichtlich des Gottesglaubens eher pluralistischen Tradition (-»Hinduismus), und in einer mehr oder weniger eindeutig atheistischen Überlieferung (Theraväda Buddhismus). Nach diesem Überblick wird sich (hoffentlich) ein besserer Ausgangspunkt ergeben, von welchem aus man die Bedeutung der Gottesbeweise für die Aufgaben von Theologie und Religionsphilosophie bestimmen kann. 3.1.2.2. Um der großen Verschiedenartigkeit der Stellungnahmen gegenüber den Gottesbeweisen innerhalb des Islam von Anfang an einen gewissen inneren Zusammenhang zu geben, ist es hilfreich, sich der Einteilung in drei Grundrichtungen zu bedienen, wie sie von dem spanischen Philosophen Ibn Rushd ( 1 1 2 6 - 1 1 9 8 ; lateinisch: „Averroes") in seinem einflußreichen Traktat Al-Kashf 'an Manahij al-Adillah vorgeschlagen worden ist: zum einen in die Richtung der Traditionalisten bzw. koranischen „Literalisten", die jegliche philosophische Argumentation ablehnten und sich zu der Überzeugung bekannten, daß wahre Gotteserkenntnis allein durch die Autorität der Offenbarung komme; zum anderen in die Richtung jener, welche die Möglichkeit eines rationalen Gottesbeweises bejahten, sei es vom Gedanken der Zeitlichkeit (hudüth) her oder dem eines möglichen Seienden (jawäz)\ schließlich in die Richtung der Sufis. Diese behaupteten die Möglichkeit unmittelbarer Gotteserkenntnis aufgrund mystischer Schau. Die rationalen Gottesbeweise fanden weder beim engen Traditionalismus noch im voll entwickelten Sufismus Gegenliebe. Die Traditionalisten lehnten sie ab, weil sie den Glauben für die Anhänger des Islams als eine Pflicht ansahen; den Koran in Frage zu stellen, schien ihnen eine Häresie, möglicherweise gefährlicher als der Unglaube selbst; und die sogenannte Tröstung durch die Philosophie war ihnen eine Illusion und ein klarer Beweis von Glaubenskalam-Schule schwäche. Obwohl der Sufismus in den Anfängen seiner Entwicklung die duldete (ohne sie jedoch notwendig zu fördern), sah er zunehmend die mystische Erfahrung für den Gottesglauben als ganz und gar zureichend an. In der Geschichte des Islam spielten die Gottesbeweise mithin in den Konzeptionen eine wichtige Rolle, die vornehmlich von den mutakallimün und den faläsifa bevorzugt wurden. Allerdings setzten sich diese zwei Richtungen unter den islamischen Denkern (s.o. S . 7 2 8 f f ) für sehr verschiedene Arten des Beweises ein. Und ihre unterschiedlichen Optionen verraten dabei in der Tat auch Unterschiede in ihren Grundüberzeugungen bezüglich der eigentlichen Funktion von Gottesbeweisen. Diese Unterschiede können folgendermaßen erläutert werden. Die kaläm-Schule hatte ihre Ursprünge innerhalb der frühen Versuche islamischer Theologen, die Bedeutung des Korans und seiner Bezüge auf islamisches Leben und

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Gottesbeweise III

Denken zu verstehen. Zwar mögen die mutakallimün gelegentlich von dem Literalismus ihrer entschieden konservativeren Gegner abgewichen sein, aber deutlich ist, daß sie die Wahrheit des islamischen Glaubens oder die einzigartige Autorität des Korans für den Islam eindeutig nicht anzweifelten. Der Glaube war für sie in der Tat in gleicher Weise der Ausgangspunkt wie innerhalb der christlichen Tradition, etwa für Augustinus oder Anselm von Canterbury. Rationale Argumente hatten für die mutakallimün eine bloße Hilfsfunktion. In der Frage der Gottesbeweise neigten sie dem hudüth-Beweis zu, und zwar aus zwei gleichermaßen religiös bestimmten Gründen. Allein der auf dem Gedanken der Zeitlichkeit der Welt gegründete Gottesbeweis drückte ihren auf dem Koran gegründeten Glauben an Gott als den creator ex nihilo angemessen aus; demgegenüber brachte für sie der von Aristoteles inspirierten Kontingenz-Beweis ein theologisch mangelhaftes Gottesbild zum Ausdruck, das nur unwesentlich vom Atheismus unterschieden sei bzw. unvermeidlich zu ihm hinführen müsse. Die mutakallimün vertraten die Überzeugung, daß ein ewiges Universum, ob unverursacht oder selbst-verursacht, nicht eines Gottes als Ursache bedürfe, der es in seiner Existenz zu bewahren hätte; ein ewiges Universum wäre völlig sich selbst genügend. Ihr vorrangiges Bemühen war mithin, die Lehre des Koran von Gott als dem Schöpfer und Erhalter des Seienden mit rationalen Beweisgründen zu schützen. Obwohl sie nicht weniger treue Anhänger des Islam waren, vertraten die falasifa im Blick auf die Gottesbeweise andere Prioritäten: Ihr vorrangiges Anliegen war es, auf der Grundlage allgemein anerkannter Prinzipien einen Beweis für die Existenz eines ewigen Gottes zu liefern, welcher als Ursache und Bewahrer alles Seienden handelt. Z u m Zweck dieses Beweises wurde die Autorität des Korans zeitweilig außer Kraft gesetzt. Einige der falasifa maßen zwar der Bedeutung der Schöpfung in der Zeit eine unterschiedliche Wertigkeit zu, aber sie alle stimmten darin überein, daß die Lehre eine Folge der Bejahung der Existenz Gottes sei und nicht ihre Voraussetzung. Gottes Priorität vor der Welt war in jedem Fall eine kausale und nicht eine zeitliche. Diese kausale Priorität Gottes vor allem Seienden konnte ihrer Meinung nach ohne einen Rückbezug auf die Lehre von der Schöpfung in der Zeit angemessen geschützt werden.

Doch es gibt nicht allein genuin philosophische Unterschiede zwischen den mutakallimün und den falasifa, sondern auch einen wesentlich religiösen Unterschied. Beide Richtungen vertreten zwei mögliche muslimische Frömmigkeitstypen, wie sie in zwei verschiedenen Auslegungen des Verhältnisses von Glaube und Vernunft und in der Deutung der Autorität des Korans zum Ausdruck kommen. Die Überzeugung der mutakallimün läßt sich dabei so darlegen, daß für sie ein fester Glaube notwendig zur rationalen Betrachtung der Natur und der Existenz Gottes führt, wie sie im Koran offenbart ist. Sie hätten insofern auch nicht dem augustinischen credo ut intelligam oder dem anselmianischen ftdes quaerens intellectum widersprochen. Die Meinung der in kirchlichen Fragen unabhängiger gesinnten falasifa andererseits kann so verstanden werden, daß für sie allein solche Lehren schließlich auch glaubens-würdig waren, welche rational beweisbar waren, selbst wenn dies bisweilen zu Abweichungen von der Lehre des Korans und der muslimischen Tradition führen mochte. In jedem Fall sind aber die im Islam vorhandenen Zugänge zum Problem des Gottesbeweises ebenso breit gefächert und entfalten sich auf eine sehr ähnliche Weise wie die in der Geschichte des Christentums. 3.1.2.3. Vielschichtiger noch ist die Fragestellung im indischen Denken. Wie meistens im Umgang mit den Fragen der Religion oder Religionsphilosophie haben die indischen religiösen Überlieferungen in der Frage möglicher Stellungnahmen gegenüber den Beweisen für oder gegen Gottes Existenz eine fast grenzenlose Vielfalt hervorgebracht, selbst wenn die diesbezügliche Auseinandersetzung innerhalb dieser Überlieferungen sehr häufig anderen Anliegen untergeordnet blieb. Die erhebliche Unterschiedlichkeit in den Gottesbeweisen entwickelte sich bereits deshalb, weil innerhalb des in der Gottesfrage liberalen Umfeldes des -> Hinduismus immer schon eine große Fülle theo-logischer oder auch atheo-logischer Konzeptionen gedeihen konnte, weil hier die „rechte Lehre" niemals jenen hohen Stellenwert besessen

G o t t e s b e w e i s e III

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hat wie bisweilen im A b e n d l a n d . Für m a n c h e o r t h o d o x e n hinduistischen Sekten ist die L e h r e von der E x i s t e n z eines einzigen, ungeschaffenen und ewigen H e r r n der Welt, Isvara, c h a r a k t e r i s t i s c h , der in unterschiedlicher Weise (um an eine b e k a n n t e T r i a s zu erinnern) als Brahma, Visnu, Siva verstanden werden k a n n . D a b e i ist die E x i s t e n z Tsvaras bisweilen von einer u n m i t t e l b a r e n B e r u f u n g auf die O f f e n b a r u n g (sruti) her begründet w o r d e n , wie sie in den Veden o d e r a n d e r e m heiligen S c h r i f t t u m überliefert ist. R ä m ä n u j a ( 1 0 1 7 - 1 1 3 7 ? ) beispielsweise wies alle d e n k b a r e n G o t t e s b e w e i s e als s o w o h l logisch unzureichend wie religiös irreführend, ja spirituell schädlich zurück. G o t t e s S e l b s t - O f f e n b a rung, nicht m e n s c h l i c h e D e n k k ü n s t e , ist der eigentliche Weg, a u f dem G o t t in seiner G n a d e (prasäda) e r k a n n t wird. G e g e n ü b e r R ä m ä n u j a vertrat U d a y a n a ( 9 2 0 - 9 9 0 ) die A n s i c h t , d a ß die A u t o r i t ä t der Veden nicht selbstverifizierend, sondern aus ihrer allgemeinen G l a u b w ü r d i g k e i t abgeleitet ist, wie sie teilweise durch die Schlüssigkeit der G o t t e s b e weise aufgezeigt w i r d , durch die allein die E x i s t e n z Tsvaras logisch bewiesen werden k a n n (,anumana). G e g e n ü b e r U d a y a n a einerseits und R ä m ä n u j a andererseits n i m m t M a d h v a ( 1 1 9 7 - 1 2 7 6 ) , der vaisnavitische G e g n e r der von S a n k a r a (um 7 8 8 - u m 820) entwickelten Advaita V e d ä n t a - R i c h t u n g , eine vermittelnde Stellung ein. E r vertrat die A n s i c h t , d a ß die Beweise für G o t t e s E x i s t e n z — o b w o h l sie für den S k e p t i k e r o d e r Z w e i f l e r keine zwingende Ü b e r z e u g u n g s k r a f t besitzen - gleichwohl die G l a u b e n s ü b e r z e u g u n g desjenigen zu bestätigen v e r m ö g e n , w e l c h e r bereits die A u t o r i t ä t der vedischen sruti a n g e n o m m e n h a t . In dieser B e t r a c h t u n g s w e i s e steht m e h r a u f d e m Spiel, als vielleicht auf den ersten B l i c k deutlich sein m a g . Z u n ä c h s t scheint M a d h v a einer Position nahezustehen, die von der a b e n d l ä n d i s c h e n T h e o l o g i e her genügend vertraut ist. A b e r wenn m a n sie a u f d e m H i n t e r g r u n d der Alternativen b e t r a c h t e t , die in der Religion Indiens möglich sind, erweist sich M a d h v a s Überzeugung als assertorischer als zunächst scheint. D e n n die b l o ß e Anerk e n n u n g der vedischen A u t o r i t ä t schloß ja nicht ihre Auslegung in einem theistischen S i n n e ein. Einige D e n k e r - a m deutlichsten die der S ä m k h y a und der MTmärhsä-Schule e r k a n n t e n z w a r die gleiche A u t o r i t ä t an, hatten a b e r die Veden in durchgängig atheistis c h e m Sinne interpretiert. Aus diesem G r u n d e w ä r e es für M a d h v a sehr wesentlich, Beweise beibringen zu k ö n n e n , die eine H i l f e für die B e a n t w o r t u n g der F r a g e bieten k ö n n t e n , o b die Heiligen Schriften der Überlieferung einen Atheismus oder einen T h e i s mus Qsvaraväda) unterstützen. O b w o h l sich nicht sagen läßt, d a ß dieser spezifische Lehrstreit jene ü b e r r a g e n d e B e d e u t u n g besessen h a t , w e l c h e er hätte erlangen k ö n n e n , w e n n er sich i n n e r h a l b der a b e n d l ä n d i s c h - m o n o t h e i s t i s c h e n Überlieferungen ereignet h ä t t e , bietet er in unserem Z u s a m m e n h a n g d o c h eine a u f s c h l u ß r e i c h e V e r a n s c h a u l i c h u n g des U m gangs mit diesen F r a g e n i n n e r h a l b eines einzigen (wenngleich pluralistischen) Überlieferungsstranges der G o t t e s b e w e i s e . D e r H a u p t z w e c k , w e l c h e m hier die Beweise für und gegen G o t t e s E x i s t e n z zu dienen h a t t e n , bestand in diesem Fall d a r i n , einen h e r m e n e u t i schen D i s p u t beizulegen, der im H i n d u i s m u s zur F r a g e der rechten Auslegung seiner eigenen O f f e n b a r u n g e n t s t a n d e n w a r , d . h . der letztgültigen A u t o r i t ä t , die von beiden Seiten g l e i c h e r m a ß e n a n e r k a n n t war. Anscheinend w a r e n die einzelnen A r g u m e n t e nicht v o r n e h m l i c h d a r a u f g e r i c h t e t , solche M e n s c h e n durch den G e b r a u c h der a u t o n o m e n Vernunft zu überzeugen, w e l c h e a u ß e r h a l b der Überlieferung standen o d e r die A u t o r i t ä t der Veden s c h l i c h t w e g leugneten. Die fehlende Ü b e r e i n s t i m m u n g in der F r a g e der E x i stenz oder N i c h t - E x i s t e n z des Isvara w a r in diesem Falle ausschließlich eine Angelegenheit i n n e r h a l b ein- und derselben T r a d i t i o n . Z u s ä t z l i c h ist h e r v o r z u h e b e n , d a ß dieser h e r m e n e u t i s c h e D i s p u t spezifisch religiösen Zielen diente. D i e s c h e i n b a r „ s p e k u l a t i v e n " B e w e i s e , wie sie von beiden Seiten in die Diskussion e i n g e b r a c h t wurden, hatten in W i r k lichkeit eine „ p r a k t i s c h e " Z i e l r i c h t u n g ; in diesem indischen „ A t h e i s m u s s t r e i t " stand die s o t e r i o l o g i s c h e G r u n d f r a g e auf dem Spiel: W i r d die E r l ö s u n g des M e n s c h e n durch die E x i s t e n z G o t t e s g e f ö r d e r t o d e r behindert? 3.1.2.4. In der hinduistischen T r a d i t i o n waren gegensätzliche A n t w o r t e n a u f diese F r a g e g l e i c h e r m a ß e n v e r t r e t b a r . D i e von Siddhärta G a u t a m a , d e m „ B u d d h a " , bevorzugte atheistische A n t w o r t w u r d e zunächst im H i n d u i s m u s selbst gegeben und hätte durch-

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Gottesbeweise III

aus in dieser Überlieferung einen Platz finden können, wäre die Art und Weise, wie Buddha diese Antwort gab, nicht zugleich von seiner Verwerfung bestimmter anderer, im Hinduglauben allgemein anerkannter Lehren begleitet gewesen - einschließlich der Lehre von der Seele (Ätman) und der etwas deterministischen hinduistischen Auslegung von karma und safnsara. Die Atheo-logie Buddhas ist de facto eine Funktion seiner Ablehnung dieser und anderer für die hinduistische sruti und die Tradition (smrti) des Hinduismus noch fundamentalerer Lehren. Was also als ein Streit innerhalb der Überlieferung begonnen haben mag, wandelte sich am Ende in einen Streit zwischen den Überlieferungen. Und die atheo-logischen Beweise Buddhas gewannen damit zugleich eine Bedeutung und eine Durchschlagskraft, die sie innerhalb des Hinduismus nicht hatten - insofern als sie nunmehr Bestandteil einer umfassenderen Kritik wurden, d. h. nicht mehr allein einer besonderen Auslegung der vedischen sruti, etwa durch die Vedänta-Schule, sondern der Autorität der sruti als solcher. Die Verwerfung der vedischen Autorität bedeutete für den Buddha natürlich nicht, daß alles in den Veden Geschriebene abgelehnt würde. Aber es bedeutete doch, daß all dies nicht mehr Autorität besitzt als das, was sich andernorts findet: Der Buddha vertrat die Ansicht, daß alles - seine eigene Lehre eingeschlossen - an seiner Übereinstimmung mit der Erfahrung und der praktischen Vernunft zu messen sei. Was er als dhamnta beschrieb, wird nicht als eine neue Ideologie in einer Reihe mit anderen Ideologien angesehen. Es ist allein als ein Leitfaden zum Verstehen entworfen. Aus diesem Grunde ließ sich der Buddha auch nicht in rein spekulative Dispute verwickeln. Für ihn lenken solche schlichtweg von dem ab, was für den Menschen grundlegend Ziel und Pflicht ist. Wenn dies aber die Ansicht des Buddhas war, warum hielt er es dann für lohnend, negative Gottesbeweise zu entwickeln? Ihr Ort in seinem Denken ist deutlich umgrenzt. So bemühte er sich beispielsweise nicht darum, die Existenz von Göttern (devas) als kontingenter Wesen zu widerlegen. Aber umso nachdrücklicher verwarf er die Existenz dessen, was ein Monotheist als einen der Verehrung würdigen G o t t ansehen würde. Und diese Verwerfung geschieht aus ganz und gar religiös-praktischen Gründen. Um frei zu sein, muß der Mensch aller Bindung an Götter wie an andere Menschen ledig werden

{Dhammapada,

§ 417).

Dieses existentielle Anliegen macht die Vorliebe des Buddhas besonders für zwei atheistische Beweise erklärlich, obwohl er sich gelegentlich auch auf andere berief. Zunächst führte er den Nachweis, daß unter der Voraussetzung der Existenz Gottes im Sinne des Theismus der Mensch nicht der Herr seines eigenen Geschicks ist und deshalb auch keine verantwortliche Freiheit in der Wahl seiner Handlungen besitzt. Und wenn ein theistischer Gottesglaube das Erreichen des nibbana in gewissem M a ß e von Gott abhängig macht, unterläuft er zumindest teilweise die persönliche Verantwortung und bildet insofern ein Hindernis für die Erleuchtung ( b o d h i ) . Die neuzeitliche Kritik an Gott als dem „obersten Puppenspieler", welcher freies Handeln unmöglich macht (vgl. Flew, God and Philosophy 44), ist von dem Buddha vorweggenommen worden. Im Jätaka (V, 238) wird folgende Lehrmeinung von ihm überliefert: Wenn Gott das Leben der ganzen Welt entworfen hat - den R u h m und das Elend, die guten und die bösen Taten, dann ist der Mensch nur ein Werkzeug seines Willens, und G o t t allein ist verantwortlich. Der zweite wesentliche atheistische Beweis, den der Buddha der Überlieferung nach bevorzugt hat, wirft das dornenreichste Problem auf, mit dem sowohl westlicher wie östlicher Gottesglaube zu tun hat, nämlich die Frage des Bösen: Wenn Brahma der Herr der ganzen Welt und der Schöpfer der Vielheit der Wesen ist, warum hat er dann (1) das Unglück in der Welt verfügt und nicht die ganze Welt glücklich gemacht, oder (2) zu welchem Z w e c k läßt er die Welt voll sein von Ungerechtigkeit, Täuschung, Falschheit und Betrug? Oder aber (3) der Herr aller Wesen ist insofern böse, als er Ungerechtigkeit verfügt hat, obwohl es in ihr doch hätte Gerechtigkeit geben können (VI, 208). Diese zweifache Vorliebe legt die Überlegung nahe, daß der Buddha den Gottesglau-

Gottesbeweise III

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ben nicht deshalb verwarf, weil er angesichts der Grenzen der reinen Vernunft als unhaltbar angesehen wird, sondern weil der Glaube an G o t t in einem moralischen Widerspruch zu den Erfordernissen praktischer Religion steht. Die menschliche Erlösung steht auf dem Spiel. Somit bezeugen gerade diese negativen Gottesbeweise ein tiefes religiöses Empfinden, und man sollte sich nicht durch ihren ausdrücklich atheistischen Charakter blenden lassen. Die „ F r ö m m i g k e i t " , die sie verkörpern, ist eher von der Art der Kontemplation (yoga) als der Devotion ( b h a k t i ) . 3.2. Natürlich ist Vorsicht angeraten, aus einer so flüchtigen und unvollständigen Darstellung einiger in der Frage des Gottesbeweises möglicher Positionen zu weitgehende Folgerungen abzuleiten, wie sie in einigen der wesentlichen religiösen Überlieferungen der Welt eingenommen worden sind. Das Angeführte dürfte jedoch im Blick auf einen Versuch, die religiöse Bedeutung dieser Beweise zu würdigen, genügen, um zumindest zwei Beobachtungen zu stützen. Z u m einen: Theistische und „atheistische" Gottesbeweise sind ein weitverbreitetes Charakteristikum innerhalb religiöser Überlieferungen und keinesfalls auf die — entscheidend von der griechischen Philosophie her bestimmten abendländischen Überlieferungen beschränkt. Gründe für die Sichtweisen anzugeben, die bezüglich der N a t u r und Existenz von Göttern angenommen oder verworfen werden, scheint ein integraler Bestandteil aller Religionen zu sein, o b w o h l die ihnen zugemessene Bedeutung von Überlieferung zu Überlieferung und ebenfalls von Überlieferungsstrang zu Überlieferungsstrang innerhalb der einzelnen Überlieferungen jeweils verschieden ist. Z u m anderen scheinen theistische und atheistische Beweise aus spezifisch religiösen Bedürfnissen hervorgegangen zu sein, so daß sie vornehmlich religiösen Zielsetzungen dienen. D a s aber legt nahe, sich in einem nächsten Schritt mit der Vielfalt der Umgangsweisen auseinanderzusetzen, der die Gottesbeweise in den religiösen Überlieferungen zugeordnet worden sind, um abschließend mögliche Arten eines Umgangs mit den Gottesbeweisen innerhalb der zeitgenössischen Theologie und Religionsphilosophie aufzuzeigen. Die Untersuchung in diese Richtung weiterzuführen, wird um so dringlicher angesichts der Schlußfolgerung in § 2, daß alle Gottesbeweise im Sinne eines Nachweises der Existenz Gottes versagt haben. 3.2.1. O b w o h l Gottesbeweise in der Geschichte der religiösen Überlieferungen bisweilen als vorgebliche demonstrationes verwendet worden sind, ist ebenso deutlich, daß sie bisweilen auch im weiten Horizont von Gebrauchsweisen stehen, in welchen sie einen solchen Charakter als demonstrationes nicht haben. Es mag sogar sein, daß diese Weisen des Umgangs mit ihnen ihrem eigentlichen Gebrauch in den Religionen (gegenüber ihrem Gebrauch in der neuzeitlichen Philosophie) näherstehen. In diesem Abschnitt wird der Versuch unternommen, einige aufschlußreichere und bedeutendere dieser nicht-demonstrativen Umgangsweisen herauszuarbeiten, welchen die Gottesbeweise innerhalb der theistischen Traditionen zugeführt worden sind. 3.2.1.1. Z u n ä c h s t sind Gottesbeweise bisweilen dazu verwendet worden, um Empfindungen der Ehrfurcht oder des Staunens auszudrücken. Diese Verwendung, die am angemessensten in Gebeten, in Poesie oder in Hymnen zum Ausdruck gekommen zu sein scheint, k o m m t vielleicht dem Herzstück des religiösen Empfindens der theistischen Religionen des eher „ n u m i n o s e n " Typs am nächsten (vgl. Ninian Smart, Reasons and Faiths). Eine besonders machtvolle und ohne den Anspruch eines „ B e w e i s e s " vorgebrachte Darstellung eines solchen Staunens im Sinne einer Antwort auf die Schöpfung Gottes findet sich in der ersten und anscheinend ursprünglichen Hälfte von Psalm 19 der Hebräischen Bibel. In neueren Zeiten drückt Addisons Lied The Spacious Firmament einen ähnlichen Sinn für das Wunderbare im Angesichts „der Werke einer allmächtigen H a n d " aus. Inhaltlich steht dieses Lied dem 19. Psalm ganz nahe, seiner Gestalt nach steht es allerdings dem neuzeitlichen Beweis Gottes von dem Gedanken des Weltenplans her näher. In beiden Fällen jedoch ist der Verfasser stärker durch die Evidenz von Gottes „alltäglicher" Gegenwart und Handlungsweise in seinem Schöpfungswerk ergriffen als durch die Evi-

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G o t t e s b e w e i s e III

d e n z s e i n e r „ a u ß e r g e w ö h n l i c h e n " G e g e n w a r t u n d H a n d l u n g s w e i s e in s e i n e n m ä c h t i g e n H e i l s t a t e n o d e r s e i n e m u n m i t t e l b a r e n E i n g r e i f e n in d i e G e s c h ä f t e d e r M e n s c h e n .

Das

S t a u n e n i m A n g e s i c h t d e s A l l t ä g l i c h e n ist a u c h d a s , w a s L u t h e r a m t e l e o l o g i s c h e n G o t t e s b e w e i s s o f a s z i n i e r t e , o b w o h l e r d e n G o t t e s b e w e i s e n g e g e n ü b e r in d e r R e g e l n i c h t w o h l gesonnen war. „ W i r können G o t t fein erkennen aus der gewissen und unwandelbaren Bewegung, L a u f und U m g a n g des Gestirns am H i m m e l . W i r finden die S o n n e alle J a h r an ihrem O r t e aufgehen und niedergehen. Item, aus G e w i ß h e i t der Z e i t , d a ß wir so gewissen W i n t e r und S o m m e r haben. Aber weil solchs immerdar und täglich geschieht und gemein ist, so achten wirs noch verwundern uns nicht. Aber wenn man sollte ein Kind von Jugend auf in einem finstern O r t erziehen, und darnach im 20. J a h r heraus lassen, so würde es sich verwundern über die S o n n e , was es wäre, und wie sie allezeit so einen gewissen G a n g hätte, wie so eine gewisse Z e i t wäre; a b e r uns ists nichts; denn was gemeine ist und täglich geschieht, das achtet man n i c h t " ( W A . T R 5 , 155, 3 0 - 3 9 ; N r . 5 4 4 0 , 1542). L u t h e r b r i n g t h i e r s e l b s t v e r s t ä n d l i c h k e i n A r g u m e n t f ü r die E x i s t e n z G o t t e s m i t d e r A b s i c h t v o r , e i n e m U n g l ä u b i g e n z u d e m o n s t r i e r e n , d a ß es e i n e n G o t t g i b t . M i t S i c h e r h e i t v e r s u c h t e r d a g e g e n , in s e i n e m H ö r e r , d e r b e r e i t s a n G o t t g l a u b t u n d i h m v e r t r a u t , e i n e g r ö ß e r e E m p f ä n g l i c h k e i t f ü r die a l l t ä g l i c h e n ( u n d a l l g e m e i n u n b e s e h e n h i n g e n o m m e n e n ) E r e i g n i s s e d e s L e b e n s z u e r w e c k e n . Sein Z i e l ist n i c h t w e i t v o n d e m j e n i g e n d e s V e r f a s s e r s v o n P s a l m 1 9 o d e r d e m d e s L i e d e s The

Spacious

Firmament

e n t f e r n t . D a s s c h e i n t ein

g e m e i n s a m e r n i c h t - d e m o n s t r a t i v e r u n d n i c h t - d e d u k t i v e r G e b r a u c h d e r G o t t e s b e w e i s e zu sein, der g l e i c h w o h l spezifisch religiösen Z i e l s e t z u n g e n dient. 3.2.1.2.

Z w e i t e n s sind G o t t e s b e w e i s e m a n c h m a l d a z u v e r w e n d e t w o r d e n , d e m Ver-

s t a n d z u b e s t ä t i g e n , w a s b e r e i t s e i n e S a c h e f e s t e n G l a u b e n s ist. D a s a u g u s t i n i s c h e credo intelligam

ut

wird auch a n d e r n o r t s innerhalb und außerhalb der christlichen Überlieferung

a u f g e n o m m e n . M a n k a n n innerhalb der christlichen Überlieferung nicht u m h i n , an dieser Stelle A n s e l m v o n C a n t e r b u r y z u e r w ä h n e n . Außerhalb der christlichen Uberlieferung m ü ß t e u . a . der mittelalterliche jüdische Gelehrte - • S a a d j a ben J o s e p h genannt werden. G a n z ähnlich wie die islamischen mutakallimün verwarf auch S a a d j a die Überzeugung, daß die Vernunft in religiösen Fragen zureiche, aber dennoch bestand er darauf, daß die Vernunft für eine Bestätigung der O f f e n b a r u n g hilfreich sei, sofern sie dem Glauben seine wesentliche Vernunftgemäßheit zu zeigen vermöchte. Seine Vorgehensweise ist eine doppelte. Bezeichnenderweise beginnt er seinen Beweisgang mit der Darlegung einer Lehre, welche in den jüdischen Schriften dargelegt ist, um sodann zu zeigen, daß sie aufgrund göttlicher Offenbarung nicht nur für den Glauben w a h r , sondern vermittels philosophischen Beweises auch für die Vernunft einsichtig ist. Aber diese beiden Beweise sind nicht völlig voneinander unabhängig, sondern für Saadja zumindest aufs engste miteinander verknüpft. Ein gutes Beispiel für seine Vorgehensweise ist dabei seine Verteidigung der Lehre von der creatio ex nihilo (s. o. S. 7 0 9 ff), die dann wiederum als ein Beweis für G o t t e s Existenz verwendet wird. D a s Vorhandensein dieser Lehre in den jüdischen Schriften als solches war dabei für Saadja zureichend, um zu dem Schluß zu gelangen, daß wir keine andere Wahl haben, als ihre Wahrheit aufgrund göttlicher Autorität anzuerkennen. Zugleich freilich vertrat er die M e i n u n g , es sei für den Gläubigen hilfreich, wenn diese Lehre auch durch einen rationalen Beweisgang bestätigt zu werden vermöchte. A u f überraschend engem R a u m liefert Saadja vier Beweise für die Zeitlichkeit des Universums: von seiner Endlichkeit, seiner zusammengesetzten N a t u r , von dem Vorhandensein von Zufälligkeiten in ihm und seiner Existenz in der Zeit her. N a c h d e m e r zumindest zu seiner eigenen Befriedigung - nachgewiesen hat, d a ß das Universum einen Anfang in der Z e i t besitze, begibt er sich an die Untersuchung, o b es aus sich selbst heraus verursacht oder von einer außerhalb seiner liegenden Ursache geschaffen worden sei. Er legt dar, daß nichts selbstverursacht sein k ö n n t e , so daß das Universum von einem a u ß e r h a l b seiner Handelnden verursacht sein müsse. Es wird sodann von Saadja gezeigt, d a ß die äußere Ursache, welche durch die spekulative Vernunft nachgewiesen werden k a n n , völlig mit dem übereinstimmt, was bereits das jüdische Schrifttum ausgesprochen hat: „ B e v o r die Berge geschaffen wurden oder du das Antlitz der Erde gestaltet hattest, warst du, G o t t , von Ewigkeit zu E w i g k e i t " (Psalm 9 0 , 2 ) . Dieser Vers hat für S a a d j a mehr als eine Veranschaulichungsfunktion; er selbst ist ein Argumentationsschritt. D u r c h das Z i t a t aus dem 90. Psalm hielt S a a d j a seinen Beweis für besiegelt, daß er an seinen Ausgangspunkt zurückkehren k o n n t e , so daß erst dann der Argumentationsgang abgeschlossen war. Saadjas „ B e w e i s " soll m e h r als einer Absicht dienen; aber zumindest eine dieser Absichten liegt darin, dem Verstand eine Lehre zu bestätigen, die aus völlig anderen Gründen bereits a n g e n o m m e n worden ist. Eng mit dieser

G o t t e s b e w e i s e III

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Zielsetzung verbunden ist Saadjas Absicht, dem schwankenden Glauben von Mitgliedern der jüdischen Gemeinde zu einer Absicherung zu verhelfen. Anscheinend liegt aber keine Zielsetzung des Beweises darin, jemanden, der noch nicht zu glauben geneigt ist, daß Gott wahrhaft existiert, zu einem solchen Glauben hin zu überzeugen. Die „Ungläubigen", auf die er sich bezieht, sind anscheinend die Vertreter eines falschen Gottesbildes, nicht aber diejenigen, welche Gottes Existenz schlechthin leugnen. 3.2.1.3. D r i t t e n s sind G o t t e s b e w e i s e nicht n u r d a z u v e r w e n d e t w o r d e n , u m den w a h ren G l a u b e n zu befestigen, s o n d e r n a u c h , u m falsche o d e r h ä r e t i s c h e A n n a h m e n ü b e r G o t t e s Wesen zu berichtigen. O b s c h o n m a n in v e r s c h i e d e n e n religiösen Ü b e r l i e f e r u n g e n Beispiele findet, k a n n als Beispiel dieser wesentlich inner-religiösen U m g a n g s w e i s e mit d e n G o t t e s b e w e i s e n a u c h hier w i e d e r u m S a a d j a g e n a n n t w e r d e n , d a seine G o t t e s b e w e i s e z u m Teil a u c h auf die „vielen G l ä u b i g e n " abzielen, „ d e r e n G l a u b e nicht rein ist u n d d e r e n A n s i c h t e n nicht w o h l b e g r ü n d e t s i n d " (Kitäb al-'Amänät wa'l-l'tikädät, einleitende Abh a n d l u n g , 3). Wer sind diese „vielen G l ä u b i g e n " ? M a n k a n n n u r a n n e h m e n , d a ß z w a r jeder zu i h n e n zu r e c h n e n ist, d e r b e h a u p t e t e , sich zu G o t t e s E x i s t e n z zu b e k e n n e n , d e r a b e r n i c h t die Zeitlichkeit des U n i v e r s u m s b e j a h e n w o l l t e . Dies w a r g e r a d e a u c h d e r T y p u s v o n G l ä u b i g e n , gegen w e l c h e die i s l a m i s c h e n mutakallimün ihre eigene a r g u m e n tative (wie politische) K u n s t f e r t i g k e i t r i c h t e t e n . U n g l ä u b i g e im Sinne v o n Atheisten stellten in d e r Welt des mittelalterlichen Islam eine w e n i g e r u n m i t t e l b a r e B e d r o h u n g d a r als die faläsifa, i n s o f e r n , als ihre A r i s t o t e l e s - R e z e p t i o n d e n G l a u b e n an eine im K o r a n mit g r o ß e r Sicherheit festgelegte L e h r e b e d r o h t e . N a c h a l l e d e m zeigt sich e r n e u t , w e l c h e n v e r s c h i e d e n e n U m g a n g s w e i s e n d i e G o t t e s b e w e i s e i n n e r h a l b d e r religiösen Ü b e r l i e f e r u n gen z u g e f ü h r t w e r d e n k ö n n e n . In diesem Fall w u r d e n sie d a z u v e r w e n d e t , eine L e h r e zu s c h ü t z e n , die w e s e n s m ä ß i g z u r T r a d i t i o n g e h ö r t e , u n d z w a r gegen eine P o s i t i o n , die, o b w o h l gegenläufig, d e n n o c h z u r gleichen T r a d i t i o n g e h ö r t e . Eine K o n t r o v e r s e , die im w e s e n t l i c h e n sich i n n e r h a l b ein u n d derselben T r a d i t i o n abspielte, w u r d e mit A r g u m e n ten g e f ü h r t , die - z u m i n d e s t o b e r f l ä c h l i c h gesehen - v o r allem an d e n „ U n g l ä u b i g e n " gerichtet zu sein schienen. U n d in d e r T a t w a r e n die mutakallimün d e r Ansicht, d a ß m a n s e h r w o h l ein U n g l ä u b i g e r sei, w e n n die L e h r e v o n d e r creatio ex nihilo v e r w o r f e n w e r d e , d a d a n n d a s U n i v e r s u m folglich sich selbst g e n ü g e . Wer mit Aristoteles b e g i n n t - s o l a u t e t e hier die M e i n u n g - , w i r d bei S t r a t o e n d e n . O b diese Sichtweise gerecht ist, k a n n hier nicht z u r D i s k u s s i o n s t e h e n . H i e r sollen k e i n e S c h i e d s s p r ü c h e zwischen d e n mutakallimün u n d d e n faläsifa gefällt w e r d e n , s o n d e r n es soll vielmehr die A u f m e r k s a m k e i t d a r a u f gerichtet w e r d e n , d a ß die G o t t e s b e w e i s e d a z u v e r w e n d e t w u r d e n , u m einen wesentlich sich i n n e r h a l b d e r T r a d i t i o n a b s p i e l e n d e n Streit im Islam u n d im J u d e n t u m beizulegen, g e r a d e d a d u r c h , d a ß sie nicht als demonstrationes d e r Existenz G o t t e s verwendet wurden. 3.2.1.4. Viertens h a b e n die G o t t e s b e w e i s e in der R e l i g i o n s g e s c h i c h t e g a n z offensichtlich a u c h eine a n d e r e V e r w e n d u n g g e f u n d e n als in d e n Lehrstreitigkeiten der jeweiligen B e k e n n t n i s s e . N i c h t selten w a r e n sie a u c h a n die gerichtet, w e l c h e jenseits jeglicher religiö s e n Ü b e r l i e f e r u n g stehen - o d e r z u m i n d e s t jenseits d e r b e s o n d e r e n Ü b e r l i e f e r u n g , d e r e n B e h a u p t u n g e n d u r c h die G o t t e s b e w e i s e in a p o l o g e t i s c h e r A b s i c h t n a h e g e b r a c h t w e r d e n sollen. D o c h selbst in diesem Falle w ä r e es verfehlt a n z u n e h m e n , d a ß d a s G r u n d a n l i e g e n d e r G o t t e s b e w e i s e i m m e r n u r d a r i n b e s t ü n d e , ihre A d r e s s a t e n d a v o n zu ü b e r z e u g e n , daß G o t t existiert. M i t u n t e r ist dies g e w i ß d a s Ziel. Z u a n d e r e n Z e i t e n sind jedoch a n d e r e Z i e l s e t z u n g e n v o r g e o r d n e t . Z w e i h i s t o r i s c h e Beispiele sollen die g r ö ß e r e Vielfalt belegen, w e l c h e s o g a r in diesem eigentlich a p o l o g e t i s c h e n G e b r a u c h des G o t t e s b e w e i s e s m ö g l i c h ist. Sie e n t s t a m m e n d e m r ö m i s c h e n K a t h o l i z i s m u s u n d d e m f r ü h e n P r o t e s t a n t i s m u s . I n n e r h a l b des r ö m i s c h e n K a t h o l i z i s m u s zeigt sich eine V e r w e n d u n g dieses G o t t e s b e weises in b e s o n d e r s h e r a u s r a g e n d e r (wenngleich zu seiner Z e i t u m s t r i t t e n e r ) Weise bei Roberto de Nobili (1577-1656), dem bahnbrechenden Jesuitenmissionar. Anfänglich h a t t e er e r f o l g l o s v e r s u c h t , die Veden als G r u n d l a g e einer christlichen theologia naturalis zu v e r w e n d e n - g a n z ä h n l i c h w i e T h o m a s v o n A q u i n auf Aristoteles z u r ü c k g e g r i f f e n

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Gottesbeweise III

hatte. Schließlich, und zudem mit größerem Erfolg, übernahm er die theologia naturalis (einschließlich der quinque viae) von T h o m a s selbst, und zwar in gänzlich irenischer Zielsetzung als Grundlegung eines Konsenses mit dem Hinduismus, auf dem er einen spezifisch christlichen „ Ü b e r b a u " errichten konnte. Durch die thomasianischen Gottesbeweise hoffte de Nobili nicht, nachdenkliche Hindus davon zu überzeugen, daß G o t t e x i s t i e r t - sie glaubten dies ja bereits - sondern daß ihr G o t t und der G o t t der Christen ein und derselbe seien. Dies sollte nach der Hoffnung de Nobilis einen positiven Anknüpfungspunkt zwischen den beiden religiösen Überlieferungen bilden und die Hindus für eine Annahme der Verkündigung des Evangeliums empfänglicher machen. Von dieser Zielrichtung her wäre de Nobilis Umgang mit den Gottesbeweisen dem Umgang des T h o m a s von Aquin mit ihnen geistesverwandt. Die „ B e w e i s e " in dessen Summa contra Gentiles waren beispielsweise mehr darauf angelegt, einen positiven Anknüpfungspunkt zu Muslims und Juden zu bilden, als radikale Skeptiker (von denen es im mittelalterlichen Europa zwar nur wenige, aber doch einige gab) davon zu überzeugen, daß G o t t existiert und in seiner Existenz erkannt werden kann. Diese spezifisch römisch-katholische Auffassung eines positiven Anknüpfungspunktes steht zu Calvins Auffassung eines eher negativen Anknüpfungspunktes in scharfem Kontrast, die bei seiner eingeschränkten Bejahung der Gottesbeweise eine R o l l e spielt. Calvin vertrat in seiner Institutio die Überzeugung, daß zwar eine bestimmte Gotteserkenntnis von Natur aus in allen Menschen angelegt sei, freilich ohne Heilswirkung und allein dazu, den Menschen dafür zu verdammen, daß er versagt hat, auf Gottes Anspruch zu antworten, wie er im menschlichen Bewußtsein und Gottes eigenen Werken offenbar ist (Institutio, Buch I, Kap. 3). O h n e offensichtliche Einschränkung bejaht Calvin dabei das ciceronianische argumentum e consensu gentium und - mehr noch — eine Art des teleologischen Gottesbeweises (1,5). In beiden Fällen jedoch besteht er darauf, daß eine solche Erkenntnis, obwohl sie grundsätzlich deutlich genug ist, den Menschen bei seinem Versagen gegenüber Gottes Anspruch zu behaften, nicht eigentlich „wahre E r k e n n t n i s " ist, weil sie nicht in Gottes eigenem Tun, sondern in dem des Menschen gründet. Vor allem lenkt Calvin die Aufmerksamkeit auf die Unfähigkeit aller menschlichen „ R e l i g i o n e n " , zur wahren Erkenntnis nicht allein von Gottes Wesen, sondern auch von seiner Existenz zu führen (11,18). W i e auch immer man Calvins Wertschätzung eines negativen Gebrauchs der Gottesbeweise bezeichnen mag, bleibt er von de Nobilis irenischem Gebrauch durch Welten getrennt. In diesem Z u s a m m e n h a n g bleibt jedoch nur zu betonen, daß weder de Nobili noch Calvin wirklich die Absicht hatten, irgend jemanden von Gottes Existenz durch einen Beweis zu überzeugen. De Nobili nahm als Voraussetzung an, daß im Hinduismus „ w a h r e " Erkenntnis von Gottes Existenz bereits vorlag, so daß es unnötig sei, sie zu beweisen; Calvin ging von der Voraussetzung aus, daß „ w a h r e " Erkenntnis der Existenz Gottes allein in gehorsamer Antwort auf Gottes Selbst-Erschließung in seiner Offenbarung gewährt werden könne, so daß es ganz unmöglich wäre, sie auf andere Weise zu „ b e w e i s e n " . In keinem Fall jedoch gibt es bei beiden auch nur das geringste Bestreben, die Gottesbeweise als demonstrationes zu verwenden. 3.2.2. Dieser kurze Uberblick dürfte nicht allein etwas von der Vielfalt der Stellungnahmen - von ihrer offenen Ablehnung bis hin zu einer geradezu totalen Abhängigkeit von ihnen - gezeigt haben, die in den religiösen Überlieferungen der Welt gegenüber den Gottesbeweisen eingenommen worden sind, sondern auch etwas von der Vielfalt ihrer Verwendung, die diesen Beweisen innerhalb der Geschichte der Religionen allgemein wie der des Christentums insbesondere zugekommen ist. Die neuzeitliche Tendenz, die G o t tesbeweise allein als (zum Scheitern verurteilte) Nachweise der Existenz Gottes zu verstehen, wird ihrem reicheren, vielfältigeren Gebrauch innerhalb der religiösen Überlieferungen kaum gerecht. Die vier oben dargestellten nicht-demonstrativen Umgangsweisen wollen im übrigen als eine Aufzählung und nicht als eine erschöpfende Darstellung verstanden werden. Ebenso ist zu betonen, daß sie, genaugenommen, weder aufeinander folgende noch sich

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gegenseitig ausschließende Umgangsweisen darstellen. Der Umgang mit den Gottesbeweisen kann komplex und vielschichtig sein. Schon in der mittelalterlichen ratio Anseltni läßt sich beispielsweise diese Vielschichtigkeit nachweisen. Zum einen bringt dieser Beweis den „unendlichen qualitativen Unterschied" zwischen dem Gottesverehrer und dem Wesen, das allein der Verehrung würdig ist, in der Form des Beweises als Gebet zum Ausdruck. Und diese Sprache des Gebetes ist ja nicht bloßes Gewand eines auch in anderer Weise vollziehbaren Beweises. Die Ausdrucksweise ist Teil dessen, was zum Ausdruck gebracht wird. Daß die Schrift, in welcher der Beweis erscheint, zunächst unter dem Titel fides quaerens intellectum umlief, läßt zweitens die Deutung zu, daß Anselms Beweis darauf abzielt, dem Verstehen etwas zugänglich zu machen, was bereits eine Sache des Glaubens ist - nämlich, daß allein Gott „in Wahrheit existiert". Drittens scheint Anselms Gottesbeweis zumindest mittelbar (vermutlich sogar unmittelbar) dafür entworfen worden zu sein, die nach Anselms Überzeugung völlig unangemessene, aber gleichwohl geläufige Ansicht zu berichtigen, daß Gott ein Seiendes sei, dessen NichtExistenz rational gedacht werden könne. Viertens stünde vermutlich jeder „apologetische" Umgang mit dem Beweis in einer gewissen Spannung zu der Dynamik, die seiner Bewegung von einem Gegenstand des Glaubens her zu einer Sache des Verstehens hin innewohnt. Gerade dieser Gebrauch des Beweises wird aber zum Teil durch die Tatsache nahegelegt, daß Anselm im Gottesbeweis von Proslogion II im Sinne einer Schlüsselfunktion den Gedanken äußert, daß „das, über welches hinaus nichts Größeres gedacht werden kann", im Verstehen jedes Menschen (auch des Toren!) - und wenn im Verstehen, dann auch in der Wirklichkeit - existiert. Es bleibt also angesichts des bisher Gesagten dabei, daß Anselm seinen Gottesbeweis auch im Sinne einer demonstratio als schlüssig empfunden hat, obwohl hinzuzufügen ist, daß der Zusammenhang, in welchem dem Beweis eine solche Schlüssigkeit berechtigterweise zugesprochen werden kann, sicherlich auf die Gemeinschaft der Gläubigen beschränkt bleibt. Zugleich aber schärfen die getroffenen Beobachtungen das Auge für die anderen Schichten innerhalb eines Gottesbeweises, der - wie auch alle anderen überlieferten Gottesbeweise - in seiner Rezeptionsgeschichte allzuoft nur von einer Schicht her verstanden worden ist, nämlich derjenigen einer bloßen demonstratio . In der Verwendungsweise der ratio Anselmi in der Geschichte stand, wie auch bei allen anderen traditionellen Gottesbeweisen, ihre Funktion als demonstratio im Vordergrund. Und jede der oben herausgearbeiteten nicht-demonstrativen Umgangsweisen mit diesem Beweis verträgt sich in der Tat mit der fortgesetzten Verwendung der Gottesbeweise als Demonstrationsbeweise. Umgekehrt macht es aber auch keine der vier Umgangsweisen unbedingt erforderlich, die Gottesbeweise als demonstrationes der Existenz Gottes zu betrachten. Was aber geschähe mit den Gottesbeweisen, wenn diese Schicht schlichtweg entfiele? In diesem Falle blieben die Gottesbeweise in der Tat Verweise auf Gottes Natur, nicht auf seine bloße Existenz. Damit aber könnte man ihnen, obwohl Philosophen wie Theologen die überlieferten Gottesbeweise übereinstimmend als demonstrationes von Gottes Existenz als fehlgeschlagen ansehen, dennoch weiterhin eine Reihe wichtiger Aufgaben innerhalb der zeitgenössischen Theologie und Religionsphilosophie zumessen. Grundsätzlich könnte jeder einzelne oder auch alle vier der oben angeführten Umgangsweisen weiterhin als Leitfaden für ein Bedenken des Wesens Gottes gelten, und die Verwendung eines von ihnen würde die bleibende religiöse Bedeutung der Gottesbeweise hinreichend bestätigen. Zum Abschluß seien jedoch noch zwei zusätzliche Sichtweisen aufgezeigt, aufgrund welcher den Gottesbeweisen in der zeitgenössischen Theologie und Philosophie Beachtung zuteil werden könnte. In gewissem Maße überschneiden sie sich mit den oben dargelegten Umgangsweisen, werfen aber zugleich weitere Fragestellungen auf. 3.2.2.1. Die Gottesbeweise zeigen an sich welche die Menschen nicht allein zum Glauben Verehrung. In ihnen muß mehr am Werk sein Glasperlenspiel, um ihre dauernde Faszination

selbst die Weite religiöser Erfahrungen, an Gott bewegen, sondern auch zu seiner als bloße Neugier oder ein gedankliches trotz aller Unbarmherzigkeit, mit der sie

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in der neuzeitlichen Philosophie und Theologie kritisiert worden sind, erklärlich zu machen. Was ist der Grund dieser fortgesetzten Faszination? Offensichtlich haben manche jüngere Apologeten der Gottesbeweise sehr stark das Gefühl, daß Gottesglaube, wenn er überhaupt lebensfähig sein soll, einer rationalen Gründung bedarf; und eben diese ist es, welche die Gottesbeweise - o b als einzelne oder in ihrer wechselseitigen Verbundenheit zu liefern vorgeben. Dieser Zugang zu einer philosophischen Theologie ist in der neueren Religionsphilosophie, insbesondere von denjenigen, die sich sehr dezidiert dem Einfluß Wittgensteins ausgesetzt haben (vgl. D. Z . Phillips), eindringlich hinterfragt worden. Eine Auseinandersetzung darüber kann hier nicht geführt werden. Z w e i im vorigen bereits getroffene Bemerkungen seien jedoch wiederholt: daß auf beiden Seiten der Fragestellung verschiedene, aber gleichermaßen intensive Arten von Frömmigkeit vertreten sind und daß ihre philosophischen Unterschiede diese verschiedenen Frömmigkeitstypen widerspiegeln. Abgesehen von dieser besonderen Debatte muß es deutlich sein, daß zumindest ein wesentlicher Grund für das Fortbestehen der Gottesbeweise trotz aller philosophischen wie religiösen Gegnerschaft darin liegt, daß sie in sich eine Fülle von Haltungen verkörpern, die für den Gottesglauben grundlegend sind. Dies gilt gleichermaßen für Beweise a priori wie a posteriori und für Beweise von der „ r e i n e n " wie der „praktischen" Vernunft her. Der ontologische Gottesbeweis drückt, zumindest in seiner anselmianischen F o r m , eindrucksvoll eine gelassene, aber tiefe Erfahrung der Ehrfurcht gegenüber G o t t als G o t t aus. Die kosmologischen Gottesbeweise manifestieren in ihren verschiedenen Spielarten jene Erfahrung des Geheimnisses, daß überhaupt etwas sein soll und nicht nur das bloße Nichts. Der teleologische Gottesbeweis bezeugt das Gefühl des Staunens, welches angesichts der offenkundigen Regelmäßigkeit und Zielstrebigkeit des Weltgeschehens selbst a m ganz Alltäglichen wach werden kann: des Auf- und Unterganges der Sonne oder der Geburt eines Kindes. Der moralische Gottesbeweis veranschaulicht zumindest in seiner kantianischen F o r m die Erfahrung des Sollens, welche als gleichsam göttliches G e b o t zum Guten hinlenkt. Jede dieser Erfahrungsweisen läßt sich mit verschiedenen Frömmigkeitstypen in Übereinstimmung bringen, sowohl mit dem Typus kontemplativer Innenschau und seiner Neigung zu der eher abstrakten Sprache der O n t o logie als auch einem mehr auf Anbetung hin ausgerichteten Typus, der Gottes Hand in aller Schöpfung wahrnimmt und zu einer Bevorzugung der eher anthropomorphen Sprache der Volksfrömmigkeit und quasi-empirischen Beweisen neigt; schließlich mit jenem Frömmigkeitstypus, der in der Übung der Tugend die einzige Art der Verehrung anerkennt, welche von G o t t geboten oder seiner würdig ist. So gibt es also nicht allein unterschiedliche Weisen religiöser Erfahrung, die sich in den verschiedenen Arten des Gottesbeweises niederschlagen, sondern diese entsprechen ebenso verschiedenen Frömmigkeitstypen. Deshalb muß daran festgehalten werden, daß die Gottesbeweise in das innerste Zentrum der Empfänglichkeit für das Religiöse gehören. 3.2.2.2. Die Gottesbeweise liefern einen wichtigen Beitrag zu einem Verstehen der religiösen G r a m m a t i k , indem sie den Verweisungshorizont des Wortes „ G o t t " und damit zugleich seine Logik im religiösen Sprachgebrauch zu orten verhelfen. Gewiß kann nicht alles, was ein T h e o l o g e oder selbst ein Philosoph über diese G r a m m a t i k oder Logik zu sagen wünschte, von einer Analyse der überlieferten Gottesbeweise allein gewonnen werden, und sei sie noch so gründlich. Beispielsweise war die Logik des Wortes „ G o t t " für Anselm in den Ausführungen seines Proslogion II—IV ebensowenig erschöpft wie in T h o m a s ' geradezu wegwerfender Zusammenfassung seiner quinque viae in der Summa Theologiae. Beide Theologen lieferten vielmehr andernorts weitere beachtliche Beweise: Anselm in Proslogion V - X X V I (für ihn selbst auch ein Teil des Beweisganges von Proslogion II—IV!), T h o m a s in der Summa Theologiae l a . 1 2 - 1 1 9 und 3a. 1 - 2 6 (um nur die offenkundigsten Stellen zu nennen). Zugleich aber liefern die ratio Anselmi und die thomasianischen quinque viae einen unschätzbaren Beitrag für ein Verstehen dessen, was es für G o t t heißt, G o t t zu sein und welcher Art von Seiendem der N a m e „ G o t t " angemessen sei. Und dieser Beitrag ist so hoch zu werten, daß selbst dann, wenn man das Versagen

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aller Gottesbeweise als demonstrationes zugeben muß, Anselm und T h o m a s darin ihre bleibende Bedeutung behalten, daß sie uns etliches über die Referenz und Identifikation von „ G o t t " zu sagen haben. Zwar möglicherweise ihres Anspruches beraubt, demonstrationes zu sein, blieben die thomasianischen und anselmianischen „Beweise" dennoch beispielhaft für die Begriffsanalyse von „ G o t t " . So grundverschieden ihre jeweiligen Ausgangspunkte auch sind, ist es ihnen doch beiden gelungen, Aspekte des Gottesbegriffs ans Licht zu bringen, die Schlüsselfunktion besitzen. Auf der einen Seite hat Anselm die Aufmerksamkeit auf bestimmte Implikationen des gängigen Gottesbildes gelenkt, welche sich auf die besondere Weise von Gottes Existenzform beziehen. Auf der anderen Seite hat T h o m a s verschiedene Wege herausgearbeitet, durch die unsere gängige Welterfahrung dazu verhilft, deutlicher auszumachen, welches Seiende mit Recht „ G o t t " genannt zu werden vermöchte. Anselm und T h o m a s sind freilich nur Beispiele für die große Zahl derer, die sich in der Geschichte des Christentums um die Gottesbeweise bemühten. Was über sie gesagt worden ist, bezieht sich auch auf andere Gestalten der Theologiegeschichte, die das Verstehen des Gottesbegriffs durch eine entschiedene Apologie eines oder mehrerer Gottesbeweise geschärft haben. Man möchte hier noch Johannes Duns Scotus anführen; denn in seinem Werk sind die verschiedenen Richtungen der Gottesbeweise, wie sie zunächst an die Namen von Anselm und T h o m a s geknüpft sind, miteinander verbunden. Luzide und bisweilen virtuos lieferte Johannes Duns Scotus in seinem eigenen Gottesbeweis die durchdringendste Analyse des Gottesbegriffs, die sich in der mittelalterlichen Theologie finden läßt, wobei insbesondere viel von seiner Untersuchung der Unendlichkeit Gottes zu lernen wäre. Die hier gegebene Anregung, die historischen Gottesbeweise als verschlüsselte Übungen auf dem Felde begrifflicher Analyse neu zu interpretieren, kommt dem sehr nahe, was bereits Kant ihnen in seiner Kritik der reinen Vernunft letztlich als Aufgabe zuwies. Anders als Hume, dessen Schwäche darin zu bestehen scheint, im teleologischen Gottesbeweis eine (wenn auch äußerst geringe) Erweiterung des menschlichen Wissens über den Ursprung der Ordnung der Dinge zu sehen, machte Kant weder diesem noch einem anderen der spekulativen Gottesbeweise ein solches Zugeständnis. Freilich war das Problem für Kant damit noch nicht erledigt. Vielmehr widmete er der Frage möglicher anderer Umgangsweisen mit den traditionellen Gottesbeweisen innerhalb der Grenzen einer streng regulativen Vernunft nicht unbeträchtliche Aufmerksamkeit. Das Ideal eines fehllosen höchsten Seienden oder Gottes ist in der kritischen Philosophie ein regulatives Prinzip der reinen Vernunft, dessen Existenz höchstens postuliert, aber nicht bewiesen werden kann. Es ist ein Postulat, das zugelassen ist, nämlich um der Welterfahrung ihre Einheit zu geben, aber zugleich auch notwendig ist, um die sittliche Erfahrung zu erklären. Obwohl es heißt, daß Gott ein notwendiges Postulat der praktischen Vernunft sei, kann die praktische Vernunft allein keinen M a ß s t a b liefern, an dem ein „idealer" Gottesbegriff zu messen sei. Allein die ansonsten diskreditierte „transzendentale T h e o l o g i e " (d.h. die ontologischen und kosmologischen Gottesbeweise) ist kompetent, als „eine beständige Censur unserer Vernunft" zu dienen, so daß sie allein zeigen kann, daß das Ideal" bleibt: „ein Höchste Seiende, obwohl nur ein bloßes Ideal, „aber doch fehlerfreies Begriff, welcher die ganze menschliche Erkenntniß schließt und krönt, dessen objective Realität auf diesem Wege zwar nicht bewiesen, aber auch nicht widerlegt werden kann; und wenn es eine Moraltheologie geben sollte, die diesen Mangel ergänzen kann, so beweiset alsdann die vorher nur problematische transscendentale Theologie ihre Unentbehrlichkeit, durch Bestimmung ihres Begriffs und unaufhörliche Zensur einer durch Sinnlichkeit oft genug getäuschten und mit ihren eigenen Ideen nicht immer einstimmigen Vernunft. Die Nothwendigkeit, die Unendlichkeit, die Einheit, das Dasein außer der Welt (nicht als Weltseele), die Ewigkeit ohne Bedingungen der Zeit, die Allgegenwart ohne Bedingungen des Raumes, die Allmacht usw. sind lauter transscendentale Prädicate, und daher kann der gereinigte Begriff derselben, den eine jede Theologie so sehr nötig hat, bloß aus der transscendentalen gezogen werden" (A 6 4 1 - 6 4 2 ; B 6 6 9 - 6 7 0 ) .

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Mithin mißt selbst Kant den diskreditierten spekulativen Gottesbeweisen insofern eine notwendige Aufgabe zu, als sie dazu geeignet sein können, den Gottesbegriff zu berichtigen und zu reinigen, ihn in sich schlüssig zu machen und so von allen Stigmata zu befreien, welche mit dem fehlerfreien Ideal' eines H ö c h s t e n Seienden unvereinbar sind. All dies erwies sich im Denken Kants deshalb als notwendig, weil die praktische Vernunft einer ausreichenden Ursache bedurfte, die den kategorischen Imperativ zu erklären vermochte. Zugleich ist dies aber auch im Z u s a m m e n h a n g mit dem zu sehen, w a s unabhängig von jenen besonderen Erfordernissen der kantianischen Philosophie v o r g e b r a c h t w o r den ist, nämlich, daß zumindest auf einigen Ebenen die Gottesbeweise als Begriffsanalysen verstanden werden können, deren Wert nicht durch ihr offenkundiges Versagen als demonstrationes von Gottes Existenz gemindert wird. Was aber könnte abschließend von solchen Begriffsanalysen vernünftigerweise e r w a r tet werden? Es w ä r e eine berechtigte E r w a r t u n g , d a ß die Gottesbeweise, ihres Charakters als Demonstrationsbeweise ledig, zu zeigen vermögen, daß der Gottesbegriff (a) logisch kohärent, d . h . widerspruchsfrei ist; (b) d a ß er sprachlich bedeutungsvoll ist, nämlich in dem Sinne, d a ß er nicht mit jedem möglichen Sachverhalt gleichermaßen verwendbar ist; (c) d a ß er hinsichtlich seines Tatsachengehalts plausibel ist, sofern er im Einklang mit menschlicher Welterfahrung zu stehen v e r m a g ; (d) d a ß er moralisch zu verteidigen ist, sofern er sittlicher Erfahrung eine innere Einheit zu geben vermag. Das ist n a t u r g e m ä ß viel weniger, als was von den Gottesbeweisen im Laufe ihrer Geschichte e r w a r t e t w o r d e n ist, und einige mögen das Gefühl haben, es sei für ihre zukünftige Bedeutung zu wenig. Aber sicherlich sollte nicht weniger von ihnen erwartet werden, als was soeben skizziert wurde. Anmerkungen 1

2

Eine entschiedene Apologie der von Duns Scotus entwickelten Gestalt des ontologischen Gottesbeweises findet sich bei James F. Ross, Philosophical Theology, New York 1969. Mit diesen Vergleichen wird auf eine weniger fragwürdige Weise das ausgesagt, was Descartes anscheinend mit seiner mißverstandenen Behauptung ausdrücken wollte, daß der Begriff „Berg" zugleich den Begriff „ T a l " enthält. Vgl. Anthony Kenny, Descartes. Quellen

und

Literatur

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Anhang 1. Register 2.2. Übersetzer

1.1. Bibelstellen 1.2. N a m e n / O r t e / S a c h e n 2. M i t a r b e i t e r 2.3. Registerbearbeiter 3. Artikel- u n d Verweisstichwörter

2.1. A u t o r e n 4. Bildquellen

1. Register 1.1.

Bibelstellen

(bearbeitet von H a n n e l o r e Hollstein) Es w e r d e n n u r die Bibelstellen a u f g e f ü h r t , zu denen sich im Text n ä h e r e A u s f ü h r u n g e n finden. Z u r Vororientierung wird z u n ä c h s t der Artikel g e n a n n t , in d e m die registrierte Bibelstelle vork o m m t . - N a c h der Seitenangabe wird (durch K o m m a getrennt) in der Regel die Zeile g e n a n n t , in welcher eine Bibelstelle v o r k o m m t b z w . ein Bibelzitat beginnt, in Einzelfällen die Zeile, in welcher Darlegungen über eine Bibelstelle einsetzen. 1

Gott

1,3-5 1,26 f 1,27 2,7 3 4,26 6,5-8 9,6 14,18 ff 14,19ff 15,6

Gott Gott Gott Golem G l a u b e u. Denken Gott Gott Golem Gott Gott Glaube

15,7 16,13 17,1 21,33 26,24.28 31,53

Gott Gott Gott Gott Gott Gott

33,20 35,7 37,7

Gott Gott Gesten/ Gebärden, Liturg. Gott 609,50 Gott 610,52 Gott 693,5 Gott 609,34 Gott 629,51 Gott 611,3 Gott 628,40 ff; 629,26; 631,4 ff; 632,5 ff; 633,20 ff

49,25 2,15ff 3,4-15 3,6.15 f 3,13 3,13 ff 3,14

615, 18.30 ff 637,2 699,19 698,36 584,6 366,16 609,9 617,30 584,11 610,8 615,9 282,48; 283,2.11 ff; 284,5 ff; 288,3 f; 298,18 ff; 299,10; 305,34 614,7 610,7 610,18 610,6.27 610,34 609,17. 26.32.51 610,13 610,7 153,11

Lev

Num

4,1.5.8.9.31 6,2 6,3 12,14 14,13 f.25 14,31

Glaube Gott Gott Gott Gott Glaube

15,1-18 15,21 16,7.10 18,12 19,9 19,16 ff 20,2 f 20,3 20,4 20,5 21,2-11. 18-22,16 24,10f

Gott Gott Gott Gott Glaube Gott Golem Gott Gott Gott Gesetz

28,39 29,45 f 33,12ff 33,16 33,19 33,20

Gewänder, Liturg. Gesetz Gott Gott Gnade Gott

34,6

Gnade

34,6

Gott

35,31 4,2.13.22.27 5,17 10,10f 17-26 18,5 19,18

Golem Gesetz Gesetz Gesetz Gesetz Glaube Goldene Regel

6,25

Gnade

Gott

284,44 ff 609,3 610,18 614,14 611,42 285,9.22; 286,18 611,15 611,10 613,49 610,51 285,9 611,28 583,45 612,10 613,8.10.28 616,43 43,57 611,37; 613,36 159,33 48,9 613,47 638,21 461,7 613,40; 696,46 460,52; 462,16 631,38; 641,30 583,35 48,16 48,16 44,49 48,23 298,51 571,51; 572,11. 40.43 461,14

786 Dtn

Bibelstellen 4,8.32 4,12 4,15 ff 4,40 6,4 6,4 6,4-9 7,9.12 7,25

8,17 9,6 10,17ff ll,29f 12 17,14ff 19,14

26,5-9 27,14-26 32,39 Jos

3f 5,9 24,2 I Sam 2,2 2,6 f II Sam 7,14 13,12

8,16 ff.29 18 20,31 1,2 1,9 2,2-5 2,2 ff 7 7,9

9,1-6 9,6 11,2

Gesetz Gott

47,27 611,30: 613,32 Gott 613,30 Gesetz 47,44 Glaubens- 388,4; bekennt- 442,30 nis(se) Gott 612,44; 642,40 Glaubens- 389,52 bekenntnisse) Gnade 462,28 Gewohn243,36 heit/ Gewohnheitsrecht Gott 610,47 Gesetz 47,42 Gott 700,2 Gilgal 269,30 Gesetz 47,21 Gesetz 47,23 Gewohn245,43 heit/ Gewohnheitsrecht Glaubens- 388,6f bekenntnisse) Gesetz 44,19 Glaubens- 390,25 bekenntnisse) Gilgal 268,44 Gilgal 268,38 Gott 608,44 Gott 616,51 Gott 623,42 Gott 619,4 Gewohn243,36 heit/ Gewohnheitsrecht Gott 613,48 Gott 612,40 Gnade 461,49 Gott 621,53 Gott 614,24 Gesetz 46,56 Gott 623,50 Glaube 280,39; 282,14.19 Glaube 279,34; 280,22.41; 281,15 ff; 282,25.27. 30.35 f; 285,48; 288,3; 307,40; 310,24 Gott 618,37 Gott 616,47 Gott 618,48

28,16

Glaube

40,21-26

Gottesbeweise Glaube

43,10 44,6 44,6 45,5 45,15 52,7-10 53,1 59,2 60,21 Jer

6,14 10,10 10,10 14,10.12 16,5 31,31-34 32,6 ff

Ez

1,22 ff 18 18,9.17.21 f 36,24-28 36,26 37,5 f 1,9 4,15 5,4 8,4 ff 11,1 11,8 13,4 1,3-2,6 3,2 4,4 5,18 5,21 3,5 4,2 3,11 4,1-5 4,5 1,12 2,4

Hos

Am

Jon Mi Hab

2,4 Sach

9,9 14,9

Glaubensbekenntnisse) Gott Gnosis/ Gnostizismus Gott Gott Glaube Golem Glaubensbekenntnisse) Gott Golem Gott Gnade Gott Gesetz Gewohnheit/ Gewohnheitsrecht Gott Gesetz Gesetz Gesetz Gott Gott Gott Gilgal Gott Gott Gott Gott Gott Gott Gott Gilgal Gott Gott Glaube Gott Gott Gesetz Gott Gott Glaube

282,35; 288,3 708,25 285,47. 49.51 388,12 613,1 546,9 680,6 616,18 285,47; 286,13 583,48 389,23 620,41 585,11 617,4 462,49 620,22 46,38 245,36

613,37 46,45 46,28 46,27 621,24 621,23 620,10 269,28 621,5 613,16 619,11 617,39 612,16 619,52 620,1 269,28 620,36 620,49 287,4.18 617,25 620,43 46,56 612,15 608,42 278,6.11; 287,33.41 288,6; 294,43; 298,31.4i 300,26 390,35

Glaubensbekenntnisse) Gott 618,48 Gott 616,22

Bibelstellen Ps

2,7

Gott

8,4 f 13,6 14,1 f 21,4-8 23,16

Gott Gnade Gott Gott Glaubensbekenntnisse) Gott 618,31 Gott 617,6 Glaubens- 387,11 bekenntnisse) Gnade 462,16 Gott 617,19 Glaubens- 387,33 bekenntnisse) Gott 622,28 Gott 608,39 Gottes770,52 beweise Gott 616,8 Gott 611,12 Gott 617,14 Gott 617,21 Gott 618.28 Gesetz 52,50 Glaube 286,43.47 Gott 623,5 Golem 583,24 Gott 624,4 Gnade 462,22 Gott 622,21 Gott 622,5 Gewohn245,42 heit/ Gewohnheitsrecht Gesetz 56,4 Gott 623,38 Golem 583,35 Gott 621,50 Gnade 461,48 Gott 621,49 Gott 621,44 Gewohn245,41 heit/ Gewohnheitsrecht Gott 621,44 Gewohn245,33 heit/ Gewohnheitsrecht Gott 622,12 Gott 623,39 Gott 616,28 Glaube 286,37.39 Gesetz 41,44 Gott 613,39 Gesetz 48,48 Gesetz 49,4 Gnosis/ 531,55 Gnostizismus

33,16.18 42,3.9 62,7 63,4 63,4 68,9 73,23-26 90,2 90,2

Hi Prov

95,3 103,2 103,8 106,1 110,1 119 119,66 121,4 139,16 143,2 147,11 16,19-21 1,7 1,8

3,6 3,11 f 3,19 f 10,22 11,17 16,9 21,2 22,28

Ruth

Koh Dan

Esr Neh Jub

24,12 4,7

2,24 f 7,14 4,31 6 6,13 7,9 ff 7,12ff 8,9-12 10,1-12

618,26; 619,7 624,6 462,21 622,51 618,20 387,10

787

IV S,19-21 Makk Sir 24 Tob 4,15 Mt

1,23

Gesetz Goldene Regel Gott

49,52 570,34

Gott Gott Goldene Regel

7,15 ff 10,5 b - 6 10,34

Gesetz Gesetz Gewalt/ Gewaltlosigkeit Gnosis/ Gnostizismus Glaube Glaube Gewalt/ Gewaltlosigkeit Gesetz Goldene Regel Glaube Glaube Gott Gott Glaube Gesetz Glaube Gesetz Gott Glaube Glaubensbekenntnisse) Gott Gnosis/ Gnostizismus Gott Gott Gnade Gnade

16,24 17,20 21 par. 22,34-40 22,40 28,19 1,15 1,15 2,1-11 2 , 1 - 1 2 par. 2,27 5,34 par. 7,15 8,34 9,22-24 9,24 11,23 12,25 par.

Lk

53,4

5,8 5,23 f 7,12

11,27

Mk

Gesetz

12,28 ff par. 15,26 par. 1,30 2,40 4,22 6,31 6,32-35 7,48-50 9,57-62 10,18 11,20 18,8b 18,9-14 18,13

693,42; 700,10 696,44 671,2 572,10; 573,24; 575,7.11; 576,1.50; 577,21 73,4 61,30 170,1 523,6 361,42 294,11 f 169,57 60,15 573,29 363,2 292,45.50 648,26 648,48 293,52 59,18 293,38 59,23 649,2 294,19 441,55 649,10 528,28 700,23 695,35 473,10 473,15. 25.27 473,30 573,47; 574,34 574,6

Gnade Goldene Regel Goldene Regel Glaube 293,52 Gott 649,3 Gott 648,36 Gott 648,36 Glaube 294,41 Gesetz 60,3 Gesten/ 154,50 Gebärden J Liture.

Bibelstellen

788 22,35-38

1,13 1,14

Gewalt/ Gewaltlosigkeit Glaubensbekenntnisse) Glaube Glaube

1,14.16 1,17 1,18 4,22 4,24

Gnade Gesetz Gott Gott Gott

4,48 5,45 f 6,26-35 14,6 14,9 14,16.26 17,3 20,30 f 4,33 6 7,2-53 8,10

Glaube Gesetz Gott Gott Gott Gott Gott Glaube Gnade Gesetz Gesetz Gnosis/ Gnostizismus Glaubensbekenntnisse) Goldene Regel Gott Gott Glaube Gott Glaubensbekenntnisse)

24,34

8,37 15,20.29 17,23 ff 17,25 20,21 1,1-3 1,3 f

1,16 f

1,17 l,18ff 1,18 ff 1,20 1,23 2 2,12 2,14f 2,15 3,20 3,20.28 3,24 f 3,25 3,27 4,1-8 4,17

Gnade Gott Glaube u. Denken Gott Gott Gott Gesetz Goldene Regel Gewissen Gewissen

170,1 437,39

4,18-21 4,25 5,1-11

333,46 295,39; 296,9 473,44 72,24 669,37 627,26 649,35; 650,30 295,31.36 72,31 649,47 649,50 650,17 650,37 649,36 295,37 473,26 61,13.43 62,2 523,13

5,5 5,12-21 6,2-11 6,14 7f 7,7 ff 7,7-25 7,10 8,15.26 8,16 8,32

Glaube 298,40 Glaubens- 396,22 bekenntnis(se) Gnade 468,36 ff; 469,52 Gnade 482,50; 486,5 Gnade 469,7 ff Gnade 469,43 Gnade 469,44 Gnosis/ 529,25.60 Gnostizismus Gesetz 67,14; 70,7 ff Gesetz 80,37 Gesetz 71,20 Gott 663,33 Glaube 340,52 Glaubens- 394,40 bekennt-

nisse)

10,3 10,4

Gesetz Gesetz

10,8

Glaubensbekennt-

406,6.22

10,9

Glaubens- 396,34; bekennt- 401,9

574,22; 575,8 691,37 645,41 297,2 645,19 393,3.39. 39 ff; 394,4; 401,17 468,18 664,20 366,24

10,9 10,12 10,17 ll,32-36a 12,3 13,1-7

Gott Gott Glaube Gott Glaube Gesellschaft/ Gesellschaft u. Christentum Gesetz Gewalt/ Gewaltlosigkeit Gewissen

691,38; 694,48 645,39 645,40 68,4 576,51 219,46 216,33; 217,17; 221,10 71,8.14 664,20 468,23 395,21

Gesetz Gott Gnade Glaubensbekenntnisse) Gesetz 69,2 Gnade 468,29 Gott 702,25

13,1 ff 13,1 13,5 13,10 14,1 ff 14,23 15,8 16,16 1,18 f 1,18 ff 2,11 2,12-3,16 3,11 3,11

69,10 65,50; 66,39 441,48

nisse)

nisse)

Goldene Regel Glaube Gewissen Gott Gesten/ Gebärden, Liturg. Gott Glaube Gewissen Gnosis/ Gnostizismus Glaube Gott

647,5 646,10 321,39 646,6 327,32 21,15

85,10 170,12 216,9.23; 217,17 576,52 363,12 221,15 610,29 154,19 647,11; 692,44 320,8 219,12.22 531,10 362,39 691,10

Bibelstellen 4,7 6,12-14 8,1-6 8,5 8,6 8,7-13 10,1-12 10,23-30 11,1 ff 11,1 f.16

12-14 12,3 12,3 13,12 15,3-5 15,14 15,24 15,26 15,28 15,29 15,55 f 16,22 16,22 f II Kor 1,12 1,20 4,1-18 4,2 4,6 5,11

Gal

5,11-6,1 5,19 8-9 13,13 2,1 ff 3,6-14 3,10 3,10-12

Gnade Gnosis/ Gnostizismus Gott Gott Glaubensbekenntnisse) Gewissen Gnosis/ Gnostizismus Gewissen

482,39 524,4

3,10-14 3,13 3,13 3,19 3,23.25 3,27 f

645,22 646,15 397,3; 400,36; 403,41 214,47; 215,12. 18.34 524,18.36

3,28

4,2 ff 4,6 4,8-11 4,8 f 5f

214,47; 215,17 524,22

Gnosis/ Gnostizismus Gewohn249,47 heit/ Gewohnheitsrecht Gnosis/ 524,26 Gnostizismus 319,2; Glaube 361,8 Gott 669,47; 695,31 Gott 670,7; 696,44; 697,23 Glaubens- 395,33 bekenntnisse) Gott 701,37 Gewalt/ 170,10 Gewaltlosigkeit Gott 697,17 Gott 702,38 Gnosis/ 524,35.38 Gnostizismus Gott 701,23 Glaubens- 392,48 bekenntnisse) Glaube 320,10 Gnade 470,13 Gott 693,35 Gnade 470,21 Gewissen 215,41 Gott 646,23.26 Gewissen 215,42; 217,14 Gnade 470,9 Gott 692,52 Gnade 470,28 Gnade 471,6 Gesetz 63,24 Glaube 298,30 Gesetz 66,21; 67,6 Gesetz 68,12

789

Eph

1,3-14 1,19 £ 2,1-10 2,14 2,14f 3,1-3.7-9 5,2.25

Phil

2 2,5 ff 2,6-11

3,5 ff IThess 1,9 £ 1,9 II Thess 2,2 I Tim

1,5.19 1,9 1,12-17 2,4 2,5 6,20

II T i m 1,9 f Tit 2,1-15 Hebr 9,9.14 10,2.22 11

Glaube Gesetz Gott Gesetz Glaube Gnosis/ Gnostizismus Gesellschaft/ Gesellschaft u. Christentum Gott Glaube Gott Gott Gnosis/ Gnostizismus Gnade Gott Gnade Gesetz Gnosis/ Gnostizismus Gnade Glaubensbekenntnisse) Gott Gewalt/ Gewaltlosigkeit Gnosis/ Gnostizismus Gesetz Glaubensbekenntnisse) Gott Gnosis/ Gnostizismus Gewissen Gesetz Gnade Glaube Gnosis/ Gnostizismus Gnosis/ Gnostizismus Gnade Gnade Gewissen Gewissen Glaube

298,47 66,5 701,22 67,20.22 278,22 529,25. 32.39 35,51

646,18 322,44 646,16 665,38 523,40 471,34 647,8 471,43 72,10 527,23 472,19 394,41 647,30. 34 168,27 524,47 68,33 392,38 646,13 523,30.33 217,41.43 93,34 472,34 363,2 525,16 541,19 472,39 472,47 218,4 218,4 278,20; 299,35 ff; 300,25

Namen/Orte/Sachen

790

Jak

11,1 12,2 13,22 1,17 2,14ff 3,15

I Petr l,10f 4,10 5,12 I Joh 1,5 4,8.16

1.2.

Glaube Glaube Glaube Gott Glaube Gnosis/ Gnostizismus Gnade Gnade Gnade Gott Gott

306,23 320,8 299,26 645,41 299,11 531,3 474,33 474,55 475,6 649,35 649,35; 650,27

4,15 4,16-21 4,i9fr 3 1,4 1,8 17,14 21,3 f 21,18 ff

Glaubensbekenntnisse) Gott Gott Gnade Gott Gott Gewalt/ Gewaltlosigkeit Gott Glasmalerei

397,40 664,40 700,26 473,45 631,10 702,29 170,30 696,48 272,21

Namen/Orte/Sachen

(bearbeitet von Klaus Breuer/Michael Wolter) Das TRE-Register enthält alle Sachbegriffe, Personen- und Ortsnamen, zu denen sich an den angegebenen Stellen registrierwürdige Informationen finden. - Fettdruck von Registerwörtern und Seitenzahlen weisen auf einen eigenen Artikel hin. - Die Verweisung nennt zur Vororientierung durchgängig zuerst den Artikel, in dem das registrierte Wort vorkommt, danach Seite und Zeile. Mit ff ist ein für das Registerwort relevanter längerer Zusammenhang gekennzeichnet. Auf systematische Zu- und Unterordnungen ist verzichtet; man findet daher systematische Unterbegriffe an ihrem alphabetischen Ort. - Sammelregistrierungen sind vorgenommen für: Klöster und Stifte, Missionsgesellschaften, Päpste, Päpstliche Bullen und Enzykliken, Synoden, Universitäten. Die gesuchten Klöster, Missionsgesellschaften usw. findet man bei diesen Registerwörtern nach alphabetischer Ordnung. Abaelard, Petrus: Gespräch 149,26 ff; Gewissen 219,47ff; Glaube 308,37ff; Gnade 485,44 f; Goldene Regel 576,27 f Abendmahl: Glaubensbekenntnisse 413,20 ff; 415,7; Gnesiolutheraner 516,32ff; Gore 587.27 f Abraham: Glaube 282,48 ff; 305,33 ff; Gnade 468.28 f Abraham ibn Daud: Gottesbeweise 714,49 ff Achtzehngebet: Glaubensbekenntnisse 389,31 ff Addison, Joseph: Gottesbeweise 763,29ff; 769,47 f Adel: Gesellschaft 6,5 f Adiaphora: Gesetz 93,4 Adiaphoristischer Streit: Gnesiolutheraner 513,13 ff Adoptianismus/Adoptianischer Streit: Glaubensbekenntnisse 413,8 ff Ägypten: Gewalt 169,7f Aggression: Gewalt 178,20ff Agricola, Johann: Gesetz 86,6; Gnade 496,34 Akiba ben Josef: Goldene Regel 571,33 ff Akklamation: Glaubensbekenntnisse 396,33 ff; 400,36 ff Alanus ab Insulis: Glaube 311,15 ff Alba: Gewänder 160,48 ff; 164,18 Albert d. Gr.: Glaube 314,22ff Albert, Hans: Glaube u. Denken 372,9 ff Alexander Halesius: Gewissen 220,13 ff; Gnade 486,39 ff Allegationen: Glossen 457,40 Al-Farabi: Gottesbeweise 730,35ff Al-Ghazali: Gottesbeweise 729,33 ff Al-Kindi: Gottesbeweise 729,14 ff Aisted, Johann Heinrich: Gesetz 95,51

Altes Testament: Gnosis 538,11 ff Althaus, Paul: Gesetz 124,42; Gesetz u. Evangelium 132,6 ff; 134,10 ff Ambrosiaster: Gesetz 80,16ff Ambrosius v. Mailand: Gesetz 79,35 ff Amikt: Gewänder 160,27 ff Arnos: Gott 619,50ff Amsdorf, Nikolaus v.: Gnesiolutheraner 512,21 Analogie: Glaube 354,42 f; Gott 662,3 f; Gottesbeweise 755,14ff Andachtsbild: Gotik 601,5ff; Gott 607,16f Andreae, Joh. Valentin: Gesetz 93,36 Anhauchen: Gesten 154,47ff Animismus: Gott 603,16 ff Anselm v. Canterbury: Glaube 308,20 ff; Glaube u. Denken 366,37 f; Gnade 485,38 f; Gott 659,8 ff; Gottesbeweise 725,46; 726,9 ff; 773,2 ff Anselm v. Laon: Glossa ordinaria 453,4 ff Anthropomorphismus: Gott 602,8 f; 623,4 f; 697.2 ff Antimodernisteneid: Glaubensbekenntnisse 432,15 f Antinomistischer Streit: Gesetz 86,4ff; Gnesiolutheraner 515,28 ff Antiochien: Gesetz 62,40 f Antisemitismus: Gott 626,46 ff Antitrinitarier: Gott 677,34ff Apokalyptik: Gesetz 50,8 ff; Gnosis 538,48 ff Apologetik: Glaube u. Denken 366,18 ff; Gott 653.3 ff Apologie des Augsburger Bekenntnisses: Glaubensbekenntnisse 417,23 f Apostel: Gnade 470,3 ff; 472,16 ff Apostelgeschichte: Gesetz 72,49 ff

Namen/Orte/Sachen Apostelkonvent: Gesetz 63,25 ff Apostolikumstreit: Glaubensbekenntnisse 432,56 ff Arbeit: Gesellschaft 8,53 ff Arbeiter/Arbeiterbewegung: Gesellschaft 34,26 ff; Gewerkschaften 184,36 ff Arendt, H a n n a h : Gewalt 174,14ff Argument (Begriff): Gottesbeweise 740,26ff Aristoteles/Aristotelismus: G l a u b e u. Denken 366,50; Gottesbeweise 733,47 ff; 741,48 f Armenfürsorge: Gesellschaft 8,19 ff Arndt, J o h a n n : Gesetz 93,30; G l a u b e 334,11 ff Arnold, Gottfried: G l a u b e 335,33; Gießen 262,51 Askese: G n o s i s 526,54ff Athanasianisches Symbol: Glaubensbekenntnisse 411,48 f Athanasius v. Alexandrien: G n a d e 479,7ff; Gott 655,50 f Atheismus: G o t t 686,44ff; 689,36ff Auferstehung (Jesu): Glaubensbekenntnisse 392,16ff Aufklärung: Gesetz 99,42; 102,22 ff; Gesetz u. Evangelium 128,30; G l a u b e 336,36ff; Glaube u. Denken 367,45f; Glaubensbekenntnisse 432,29ff; G n a d e 499,49ff; G o t t 680,31 ff Augsburger Bekenntnis: G l a u b e 329,4 ff; Glaubensbekenntnisse 416,37ff; G n a d e 492,10ff Augustin, Aurelius: Gesetz 80,32 ff; Giau'be 307,32 ff; G n a d e 476,30 f; 480,6 ff; Goldene Regel 575,44ff; Gott 656,28ff; 658,4ff; Gottesbeweise 725,39 ff Autonomie: Gesetz 118,15 ff; Gesetz u. Evangelium 133,1 ff Autorität: G e w a l t 168,37 f Averroes (Ibn Rushd): Gottesbeweise 731,15 ff.44 ff Avicenna (Ibn Sina): Gottesbeweise 731,13 ff Avot (Sprüche der Väter): Gesetz 54,32ff Babylonien u. Israel: Gesetz 40,34 ff Bachja ben J o s e f ibn Paquda: Gesetz 55,45; Gottesbeweise 713,44ff Bacori, Roger: G l a u b e 314,81 f Backsteingotik: Gotik 597,6 ff Baptisten: Glaubensbekenntnisse 430,26 ff Barclay, Robert: Glaubensbekenntnisse 431,8 Bardesanes v. Edessa: Gnosis 525,62 f Barett: G e w ä n d e r 165,23 Barmer Theologische Erklärung (1934): Glaubensbekenntnisse 434,8 ff; 443,46 ff Barnabasbrief: Gesetz 75,21 f Barth, Karl: Gesetz 124,28 f; Gesetz u. Evangelium 134,50ff; Gewissen 229,22ff; G l a u b e 352,5ff; 353,18ff; G l a u b e u. Denken 374.45 ff; G n a d e 504,49 ff; Göttingen 562,6; Gott 688,42.51 ff Basel, Christentumsgesellschaft: Goßner 591.46 ff Basilides: G n a d e 477,9 f Basilika: Glasmalerei 271,18 f Basilius v. C a e s a r e a : Glaube 307,7f; G n a d e 479,31 ff Batak-Kirche: Glaubensbekenntnisse 434,38 f; 444,30 f Bauernkrieg: G e w a l t 171,41 f

791

Bauerntum: Gesellschaft 6,53 ff Baumgarten, Siegmund J a c o b : Gesetz 103,5ff Bayle, Pierre: Gewissen 203,32 Beck, J o h a n n Tobias: G l a u b e 344,21 Beffchen: Gewänder 1 6 5 , 7 f . l 9 f Behaviorismus: Gesellschaft 20,2 Beichte: Gespräch 148,50 ff Bekehrung: G l a u b e 287,3 ff; 296,45 ff; Goldene Regel 574,17 ff Bekenntnis: s. Glaubensbekenntnisse Bekenntnisschriften: Glaubensbekenntnisse 416,23 ff Bellarmini, Roberto: Gesetz 88,7ff Benediktusregel: Gorze 588,19f.41f Berengar v. Tours: Glaubensbekenntnisse 413,21 ff Bergpredigt (Antithesen): Gesetz 58,50ff Bernhard v. Clairvaux: Gilbert Porreta 267,51; G l a u b e 308,37ff Bewegung (motus): Gottesbeweise 734,5 ff Beweis (Begriff): Gottesbeweise 740,26ff Bewußtsein: Gewissen 197,49ff Bibelübersetzungen: Gott 633,19 ff Biedermann, Alois Emanuel: G n a d e 503,39ff Bilder: s. Andachtsbild; Götterbild; Kultbild Bilderverbot: G o t t 613,6 ff Bildung: Gesellschaft 5,28 ff Birett: Gewänder 162,31 Bischof: Gesellschaft 2,24 ff Blanquismus: Gewerkschaften 187,51 Boehmer, J o h . Heinrich: Gesetz 99,34 Böhmisches Bekenntnis: Glaubensbekenntnisse 423,30f Böse, D a s : Gewalt 179,21 ff Boethius: Gott 658,20 ff Bonaventura: Gewissen 220,28 ff; G l a u b e 313,1 ff; G n a d e 486,40ff Bonhoeffer, Dietrich: Gewissen 229,35 ff; Gnade 506,19 ff B o o s , Martin: Goßner 591,17.26; 592,12 Boyle, Robert: Gottesbeweise 753,9 Brandenburg: Glaubensbekenntnisse 422,52ff Brauchtum: s. Gewohnheit Brenz, Johannes: Gnesiolutheraner 516,48; Gott 666,45 f Briefformular (paulin.): G n a d e 470,41 ff Brown, J . N e w t o n : Glaubensbekenntnisse 430,45 Brüder (Church of the Brethren): Gewalt 172,4 Brunner, Emil: G l a u b e 353,4f; G n a d e 505,15ff Brunner, Peter: Gesetz u. Evangelium 134,32 ff Buber, Martin: Gesetz 57,18f; Gottesbeweise 722,45 f Bucer, Martin: Gott 666,40f Buchstabensymbolik: G o l e m 583,35f; 584,17ff Buddeus, J o h a n n Franz: Gesetz 94,9 Buddhismus: G l a u b e 276,47 ff; Glaubensbekenntnisse 385,22 ff; Gott 604,49 f; Gottesbeweise 767,51 ff Bürgertum: Gesellschaft 6,30 ff Bullinger, Heinrich: G n a d e 498,5 f Bultmann, Rudolf: G l a u b e 356,32ff; G n a d e 505,33ff; Gott 671,29f; 688,46f Bund: Gesetz 95,44 f; G n a d e 497,30 ff Bundesbuch: Gesetz 45,26 ff

792

Namen/Orte/Sachen

Calixt, Georg: Gesetz 91,32f; 93,43 f Calvin, Johannes: Gesetz 85,28 ff; Gewissen 224,29 ff; Glaube 326,47 ff; Glaubensbekenntnisse 420,27 ff; Gnade 492,23 ff; 498,9; Gott 667,9ff; Gottesbeweise 764,10ff; 772,15 ff Case Work: Gespräch 150,7 Cassianus, Johannes: Gnade 484,21 ff Catechismus Romanus: Glaubensbekenntnisse 427, 34 f Chartres (Kathedrale): Glasmalerei 270,32; 271,50; Gotik 595,33 f Chartres, Schule von: Gott 659,40f Chasdaj Crescas: Gott 641,33 f; Gottesbeweise 720,17ff Christentum: Gesellschaft 15,14ff christianisation: Gesellschaft 9,21 ff Chronistisches Geschichtswerk: Gesetz 49,9 ff Cingulum: Gewänder 161,13 ff Clarke, Samuel: Gottesbeweise 761,36f Clemens v. Alexandrien: Gesetz 77,27 ff; Glaube 306,17 ff; Gnade 478,25 f; Gnosis 548,9 ff; Gott 655,28 f Clemens v. Rom: Gesetz 75,13; Gnade 476,55 ff Coccejus, Johannes: Gesetz 97,26f; Gnade 498,25 f Cohen, Hermann: Gottesbeweise 757,3 l f Confessio Belgica: Glaubensbekenntnisse 421,43 f Confessio Czengeriana: Glaubensbekenntnisse 424,2 Confessio Gallica: Glaubensbekenntnisse 421,32 f Confessio Helvetica Posterior: Glaubensbekenntnisse 420,10 ff Confessio Mühlhusana: Glaubensbekenntnisse 419,52ff Confessio Saxonica: Glaubensbekenntnisse 418.36 Confessio Scotica: Glaubensbekenntnisse 425,18 Confessio Tetrapolitana: Glaubensbekenntnisse 422,13 f Confessio Württembergica: Glaubensbekenntnisse 418,37 Confutatio Confessionis Augustanae: Glaubensbekenntnisse 417,17ff Consensus Genevensis (1552): Glaubensbekenntnisse 421,4f Consensus Tigurinus: Glaubensbekenntnisse 420,54 f Consilia evangelica: Gewalt 171,53 ff Corpus Iuris Canonici (1983): Gewohnheit 254,31 ff Craig, John: Glaubensbekenntnisse 425,25 f Credo: Glaubensbekenntnisse 401,6 ff; 442.37 ff Cremer, Hermann: Gnade 504,31 f Curaeus, Joachim: Gnesiolutheraner 517,3 f Cyprian v. Karthago: Gesetz 79,18 ff; Glaube 306,51 f Cyrill v. Jerusalem: Glaube 307,11 f Dämonen: Gnosis 531,55ff Dalmatika: Gewänder 162,13 ff

Daub, Carl: Gesetz 114,7f Deismus: Gott 682,17 f; Gottesbeweise 763,21.26 ff Dekalog: Gesetz 44,21 ff; 92,7 f Dekretalisten: Gewohnheit 251,50 Descartes, René: Gesetz 97,19 f; Gewissen 203,14 ff; Gottesbeweise 744,24 ff Deuterojesaja: Glaube 285,46ff Deuteronomium: Gesetz 47,1 ff Deutsche Christen: Glaubensbekenntnisse 433,26.46 ff Deutschgläubige Bewegungen: Glaubensbekenntnisse 433,28.38 ff Deutschland: Gewerkschaften 188,17 ff; Gotik 596,36 ff Dialektische Theologie: Gesetz 124,4 ff; Glaube 352,4 ff; Gott 688,11 ff Dialog: Gespräch 149,23 ff Diaspora, jüd.: Gesetz 50,41 ff; 53,1 ff Diognetbrief: Gnade 477,45 f Dionysius Areopagita: Gotik 598,12; Gott 656,22 f Distinktionen: Glossen 458,1 f Dollard, John: Gewalt 180,18 Dorner, Isaak August: Glaube 341,46 ff Doxologie: Glaubensbekenntnisse 439,34ff Dualismus: Gnosis 532,34 ff; 537,1 f; Gott 605,25 ff Duns Scotus: Glaube 315,33 ff; Gnade 488,51 ff; Goldene Regel 576,30; Gott 660,43 ff; Gottesbeweise 736,15 ff Durkheim, Emile: Gesellschaft 16,35 f Dynamismus: Gott 603,36 ff Ebeling, Gerhard: Gesetz u. Evangelium 133,30ff; Gewissen 231,35ff Ebner, Ferdinand: Gott 690,4 Eckhart, Meister: Gewissen 221,44 Edelmann, Johann Christian: Gesetz 104,11 Edwards, Jonathan: Gottesbeweise 753,36ff Ehe: Gesellschaft 8,5 ff Ehre: Gott 667,20 ff Eibl-Eibesfeld, Irenäus: Gewalt 180,9 f Eigengesetzlichkeit: s. Autonomie Eigentum: Gesellschaft 8,32ff El/Elohim: Gott 609,40 ff Eiert, Werner: Gesetz 124,43; Gesetz u. Evangelium 131,6ff Elevation: Gesten 154,37ff Elkesaiten: Gnosis 547,10 ff Empirismus: Goldene Regel 577,41 ff Engel: Gnosis 531,55 ff England: Gewerkschaften 187,30ff; Glaubensbekenntnisse 424,12ff; Gotik 596,32f Entwicklung: Gesellschaft 23,17 f; Gesetz 115,34f Epheserbrief: Gesetz 72,22ff; Gnade 471,34ff Epigonation: Gewänder 162,47f Epimanika: Gewänder 161,6 Epitrachilion: Gewänder 163,31 Erasmus, Desiderius: Gesetz 84,32; Gott 672,3 ff Erbauungsliteratur: Goßner 592,38 ff Erfahrung: Glaube 335,28ff; Glaube u. Denken 371,20 ff; Gott 681,6 f.21 ff

Namen/Orte/Sachen Erkenntnis: Gott 660,13f; 670,17ff; 674,17ff; 679,13f; 697,34ff; Gottesbeweise 720,1 ff Erlanger Schule: Glaube 344,30ff Erlösermythos: Gnosis 547,22 ff Erwählung: Glaube 328,1 f Erweckungsbewegungen: Glaube 344,25 Erziehung: Gewalt 183,11 ff; Gewissen 239,24 ff Eschatologie: Gnosis 527,27 ff Esra/Esraschriften: Gesetz 48,44 ff Ethik: Gesellschaft 20,37ff; 36,28ff; Gesetz u. Evangelium 142,56 ff; Gewissen 232,1 ff; Gogarten 565,lOff Euhemeros v. Messene/Euhemerismus: Gott 602,42 ff Eusebius v. Caesarea: Gesetz 78,3 ff Evangelismus: Giberti 258,44 Evangelium: Gesetz 82,19ff; 84,21 ff; 92,17f; 124,17ff Evolutionismus: Gott 603,7 ff Ewigkeit: Gott 608,33 ff Exil (babylonisches): Gesetz 46,42ff Existenz: Gottesbeweise 742,27 ff Existenzphilosophie/Existentialismus: Glaube u. Denken 370,9 ff Exodusmotiv: Glaube 285,21 ff Ezechiel: Gesetz 46,26ff Familie: Gewalt 181,35 ff; (in Israel:) Gewohnheit 242,33 ff Fanone: Gewänder 160,42 f Fechner, G . T h . : Gesetz 116,45 Feindesliebe: Goldene Regel 573,46ff Feuerbach, Ludwig: Gewissen 208,47ff; Glaube 342,25 ff; Glaube u. Denken 368,7 ff; Gott 683,48ff Fichte, Johann Gottlieb: Gewissen 207,32 ff; Gnade 501,22 ff Findlay, John N.: Gottesbeweise 746,38 f Flacius, Matthias: Gnesiolutheraner 512,15 ff Fluch: Gesetz 44,18 f Föderaltheologie: Gesetz 95,44 ff; Gnade 497,30 ff Formula Consensus Helvetica (1675): Glaubensbekenntnisse 421,9 ff Fortschritt: Gesellschaft 26,28 ff Francke, August Hermann: Gesetz 101,5ff; Gesetz u. Evangelium 128,5; Gnade 499,16 f Frank, Franz Hermann Reinhold: Gesetz u. Evangelium 129,32; Glaube 341,42 Frankfurt a . M . (Stadt): Getto 157,13ff.35 f Frankfurter Rezeß (1558): Gnesiolutheraner 517,28 f Frankreich: Gewerkschaften 187,51 ff; Glaubensbekenntnisse 421,31 f; Gotik 594,48 ff Franziskanerschule: Glaube 312,19ff; 315,29ff, Gnade 486,38 ff Französische Revolution: Gewalt 172,51 f Frau: Gewalt 181,39ff Freiheit: Gesellschaft 14,25 ff; Gesetz 104,1 f; 108,51 ff; Gewissen 232,32ff Freud, Sigmund: Gewalt 178,30 ff; Gewissen 212,5 ff Frieden: Gewalt 171,27ff Friedensgruß/-kuß: Gesten 154,19 ff

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Friedrich Wilhelm III. (König v. Preußen): Gewänder 165,14f.39 Frömmigkeit: Gesellschaft 33,22 f; Glaube 286,23 ff Fromm, Erich: Gewissen 212,25ff Frustration: Gewalt 180,16 ff Fürstenethik: Gesetz 99,22 Fundamentaltheologie: Gesellschaft 20,48 ff Funktionalismus: Gesellschaft 23,29 ff Gandhi, Mahatma: Gewalt 172,10ff Gebet: Gewohnheit 247,49 ff; Glaube 322,33 f; Glaube u. Denken 372,1 f; Glaubensbekenntnisse 387,1 ff Gegenseitigkeit: Goldene Regel 578,45 ff; 580,31 f; 581,30 ff Geist/Heiliger Geist/Geistesgaben: Gnade 480,19ff; 483,9ff; Gott 638,19f; 666,41 f; 669,50 f; 673,40.52 ff Geister: Gott 603,30ff Geld: Gesellschaft 23,20f Gemeinde: Gewohnheit 255,15 ff; Glaube 325,3ff; 362,7ff Gemeinschaft: Glaube 362,5ff; Glaubensbekenntnisse 437,48 ff Genfer Katechismus: Glaubensbekenntnisse 420,34 ff Genuflexion: Gesten 153,14ff Gerechtigkeit: Gott 672,42 ff Gerhard v. Brogne: Gorze 588,46.51 f Gerhard, Johann: Gesetz 91,41 ff; Gesetz u. Evangelium 127,21 f Gericht Gottes: Gott 617,51 f; 620,27 f Geschichte: Gesetz 115,1 ff; Goethe 554,46 ff; Gott 614,3 ff Gesellschaft/Gesellschaft und Christentum: 1 - 3 9 ; atl.: Gewohnheit 243,32ff Gesenius, Wilhelm: 3 9 - 4 0 Gesetz: 4 0 - 1 2 6 ; Gewohnheit 245,30 ff; Gnesiolutheraner 515,28 ff; Gogarten 564,12; 565,40 ff; Goldene Regel 573,23 ff Gesetz und Evangelium: 1 2 6 - 1 4 7 Gesinnungsethik: Gesellschaft 19,18 f Gesner, Johann Matthias: Göttingen 559,16 Gespräch: 1 4 7 - 1 5 1 Gesten/Gebärden, Liturgische: 1 5 1 - 1 5 5 Getto: 1 5 5 - 1 5 9 Gewänder, Liturgische: 1 5 9 - 1 6 7 Gewalt/Gewaltlosigkeit: 1 6 8 - 1 8 4 Gewerkschaften: 1 8 4 - 1 9 1 Gewissen: 1 9 2 - 2 4 1 ; Gottesbeweise 759,4ff Gewißheit: s. Heilsgewißheit Gewohnheit/Gewohnheitsrecht: 2 4 1 - 2 5 6 Gibeon: 2 5 6 - 2 5 7 Giberti, Gian Matteo: 2 5 7 - 2 6 1 Gießen, Universität: 2 6 1 - 2 6 6 Gilbert Porreta: 2 6 6 - 268; Glaube 310,53ff; Glaubensbekenntnisse 413,45 ff; Glossa ordinaria 454,1 ff Gilbert Universalis: Glossa ordinaria 453,25 ff Gilgal: 2 6 8 - 2 7 0 Glasmalerei: 2 7 0 - 275; Gotik 600,13ff Glaube: 2 7 5 - 3 6 5 ; Glaubensbekenntnisse 388,46ff; 441,42ff; Gnade 482,37f; Gott 660,46ff; 664,11 f; 677,26f; 691,4ff

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Namen/Orte/Sachen

Glaube und Denken: 3 6 5 - 3 8 4 ; Glaube 308,14ff; Gottesbeweise 760,36ff Glaubensbekenntnis(se): 3 8 4 - 4 4 6 ; Glaube 307,4 f; Gott 617,8 ff Glaubenslehre: Glaube 336,35 ff Gleichnisse Jesu: Gott 648,18 ff Glocken: 4 4 6 - 4 5 2 Glossa ordinaria: 4 5 2 - 4 5 7 Glossen, kanonistische: 4 5 7 - 4 5 9 ; Gewohnheit 251,23 ff Gnade: 4 5 9 - 5 1 1 ; Gesetz 82,19ff Gnesiolutheraner: 5 1 2 - 5 1 9 Gnosis/Gnostizismus: 5 1 9 - 5 5 0 ; Gesetz 75,46ff; Gnade 477,7ff; Gott 655,2f Görres, Joseph von: 5 5 0 - 5 5 2 Goethe, Johann Wolfgang von: 5 5 2 - 5 5 8 Götterbild: Gott 607,6 ff Götterspaltung: Gott 606,38 f Göttingen, Universität: 5 5 8 - 5 6 3 Gogarten, Friedrich: 5 6 3 - 5 6 7 ; Gesetz 124,45; Gesetz u. Evangelium 132,39 ff; Glaube 353.8 f Goguel, Maurice: 5 6 7 - 5 7 0 Goldene Regel: 5 7 0 - 5 8 3 ; Gesetz 104,11 Golem: 5 8 3 - 5 8 5 Gore, Charles: 5 8 6 - 5 8 8 Gorze: 5 8 8 - 5 9 0 Goßner, Johannes Evangelista: 5 9 1 - 5 9 4 Gotik: 5 9 4 - 6 0 1 Gott: 6 0 1 - 7 0 8 ; Glaube u. Denken 370,22ff; Gogarten 564,31 f; Gottesbeweise 741,32ff; 774,39ff; s.a. Verborgenheit Gottes Gottesattribute: Gott 616,32 ff; 639,8 ff; 645,38 f Gottesbeweise: 7 0 8 - 7 8 4 ; Glaube u. Denken 381.9 ff Gottesdienst: Glaube 362,6; Glaubensbekenntnisse 387,24ff; 442,29ff; (atl.:) Gewohnheit 243,17 ff; 244,10 ff Gratian v. Bologna: Gewohnheit 251,lOf Gregor v. Nyssa: Gesetz 78,23 ff; Glaube 307,8f; Gnade 479,39ff Griechische Religion: Gesetz 42,1 ff Grotius, Hugo: Gewalt 172,41 f Habitus: Gnade 486,20 ff Haeckel, Ernst: Gesetz 115,34 f Händefalten: Gesten 153,25 ff Häresie: Glaubensbekenntnisse 397,29 ff Halacha: Gesetz 52,39 f; Gewohnheit 247,28 ff Haller, Albrecht v.: Göttingen 559,19 Handauflegung: Gesten 154,12ff Handeln: Glaube u. Denken 380,35 f Hare, Richard Mervin: Goldene Regel 580,5ff Harleß, Adolf v.: Gesetz u. Evangelium 129,38; Glaube 341,35; 344,32ff Harnack Adolf v.: Glaubensbekenntnisse 433,3 f Harnack, Theodosius: Gesetz u. Evangelium 129,35 Hartshorne, Charles: Gottesbeweise 746,43 ff Haus: Gesellschaft 4,13 f Hebräerbrief: Gewissen 218,3ff; Glaube 299,25 ff Hebraistik: Gesenius 39,21 ff

Hegel/Hegelianismus: Gesellschaft 14,34 ff; Gesetz 112,20ff; Gewalt 173,4ff; Gewissen 208,1 ff; Glaube 338,31; 340,42ff; Glaube u. Denken 367,53 f; Gnade 501,43 ff; Gott 686,10ff Heidegger, Martin: Gewissen 212,43 ff; Glaube u. Denken 369,lOf; 371,3f Heidelberger Katechismus: Glaubensbekenntnisse 422,24 ff Heil und Erlösung: Gott 621,6ff Heilige, Das: Gott 602,22 f Heiligkeitsgesetz: Gesetz 48,23 ff Heilsgeschichte: Gnade 477,35 ff; Gott 642,9 ff Heilsgewißheit: Glaube 310,lOf; 313,21 f; 334,50ff; 341,41ff; 358,55ff; Gott 673,46f Heilsordnung: Glaube 332,50 ff Heim, Karl: Glaube 357,55 ff; Glaube u. Denken 374,31 f Heinrich v. Gent: Gewissen 221,38 f Hekalot-Mystik: Gnosis 531,24ff; 539,35f Hellenisten (in der Urgemeinde): Gesetz 61,41 ff Herbert v. Cherbury, Edward: Gewissen 204,37 ff; Gottesbeweise 761,8 f Herder, Johann Gottfried: Gnade 500,10ff; Goldene Regel 578,23 f Hermas: Gesetz 75,18 f Herrmann, Wilhelm: Gesetz 122,6ff; Glaube 346,13ff; Gott 687,40ff Herrschaft Gottes/Reich Gottes: Gesetz 60,50ff; Gott 648,18ff Heshusius, Tilemann: Gnesiolutheraner 516,37.43 Hessen: Gießen 261,21 ff Hethitische Religion: Gesetz 40,34 ff Hieronymus: Gewissen 219,19ff Hillel/Hillelschule/Schammaj/Schammajschule: Goldene Regel 571,8 ff Hinduismus: Glaube 276,40ff; Gottesbeweise 766,44 ff Hiob: Gott 622,15 ff Hirsch, Emanuel: Gesetz 124,45 Hirsch, Samson Raphael: Gesetz 57,28 f Hobbes, Thomas: Gesetz 98,36 f; Gewalt 172,46 f Hochgottglaube: Gott 605,12f Hochkirchliche Bewegung: Gewänder 166,12 Höchstes Gut: Gottesbeweise 758,10ff Holl, Karl: Gesetz 124,4; Gesetz u. Evangelium 130,35; Gewissen 228,52 ff; Gnade 504,43 f Hollaz, David: Gesetz 93,9 f; Glaube 333,7 ff Homologie: Glaubensbekenntnisse 401,6ff Homunculus: Golem 585,23 f Hosea: Gott 620,8 ff Hugo v. St. Viktor: Glaube 309,32 ff Hume, David: Gottesbeweise 754,21 ff Humerale: Gewänder 160,27ff Husserl, Edmund: Gesellschaft 24,50 ff Idealismus: Gnade 501,1 ff Ideologie: Gesellschaft 32,17 ff Ignatius v. Antiochien: Gesetz 75,15 f; Glaubensbekenntnisse 401,32 ff Indien: Gewalt 169,13f Individuum: Gesetz 113,31 f

Namen/Orte/Sachen Industrialisierung: Gesellschaft 3 1 , 2 7 ff Inklination: Gesten 1 5 3 , 1 0 f f Innere M i s s i o n : G o ß n e r 5 9 3 , 1 3 f Interaktionismus: Gesellschaft 2 0 , 3 Interim: Gnesiolutheraner 5 1 3 , 1 5 f f Irenaus v. L y o n : Gesetz 7 6 , 5 1 ff; G l a u b e 3 0 6 , 9 ff; Glaubensbekenntnisse 4 0 2 , 4 9 f; 4 0 3 , 2 0 ff; G n a d e 4 7 7 , 5 1 ff; G o t t 6 5 4 , 3 7 ff Irland: Glaubensbekenntnisse 4 2 5 , 8 f Isidor v. Sevilla: G e w o h n h e i t 2 5 0 , 8 Islam: G l a u b e 2 7 6 , 2 2 f f ; Glaubensbekenntnisse 3 8 5 , 9 f f ; Gottesbeweise 7 2 8 , 4 5 f f ; 7 6 5 , 2 5 f f Iwand, H a n s J o a c h i m : Gesetz u. Evangelium 1 3 6 , 2 7 ff J a c o b i , Friedrich Heinrich: G l a u b e 3 3 8 , 3 6 f f ; G l a u b e u. Denken 3 6 9 , 4 6 J a h w e : G o t t 6 1 0 , 4 9 ff; 6 2 8 , 4 6 ff J a k o b u s b r i e f : Gesetz 7 3 , 1 9 f f ; G l a u b e 2 9 9 , 8 f f J a s p e r s , Karl: G l a u b e u. Denken 3 7 2 , 3 9 f f J e a n Paul: G o t t 6 8 3 , 4 0 f J e h u d a Hallevi: Gesetz 5 5 , 4 6 f Jeremia: Gott 620,19 f J e s a j a : G l a u b e 2 8 0 , 3 6 ff; G o t t 6 2 0 , 1 3 f J e s h u a ben J u d a : Gottesbeweise 7 1 3 , 3 3 f f Jesus Christus: Gewissen 2 3 1 , 6 ff; G l a u b e 3 2 2 , 4 6 ff; 3 5 5 , 3 ff; G n a d e 4 8 2 , 1 8 f; 4 8 3 , 2 8 ff; G o g a r t e n 5 6 5 , 4 6 ff; G o r e 5 8 6 , 4 8 ff; G o t t 6 6 5 , 2 6 ff; 6 6 9 , 4 5 ff; 6 7 0 , 2 6 ff; 6 7 3 , 3 6 f f ; 691,5ff; 698,14ff J o h a n n Sigismund v. Brandenburg: Glaubensbekenntnisse 4 2 3 , 2 Johannes Chrysostomus: Gnade 479,45 f J o h a n n e s Scotus Eriugena: G o t t 6 5 8 , 4 2 f f J o h a n n e s Teutonicus: Glossen 4 5 8 , 5 0 Johannesapokryphon: Gnosis 545,30; 546,25 J o h a n n e s b r i e f e : Gnosis 5 4 1 , 2 1 f; G o t t 6 4 9 , 3 2 f f Johannesevangelium: Gesetz 7 2 , 3 9 f f ; G l a u b e 295,lff; Gnosis 523,18ff; 541,46ff; Gott 6 4 9 , 3 2 ff Josef Albo: Gott 641,18f J o s e f ibn Z a d d i k : Gottesbeweise 7 1 4 , 3 2 f f J o s e p h u s , Flavius: Gesetz 5 3 , 1 1 J u b i l ä e n b u c h : Gesetz 4 9 , 3 6 f J u d e n c h r i s t e n t u m : Gesetz 6 1 , 1 3 ff; 7 5 , 2 8 ff J u d e n t u m : Gesetz 6 8 , 5 1 ff; G n o s i s 5 3 7 , 4 0 f f J u d e x , M a t t h ä u s : Gnesiolutheraner 5 1 2 , 2 8 . 3 3 f; 5 1 3 , 3 J ü n g e l , E b e r h a r d : G n a d e 5 0 8 , 2 4 ff Jugendstil: G n o s i s 5 2 2 , 8 . 1 9 . 2 3 f J u n g , Carl Gustav: Gewissen 2 1 2 , 1 9 f f J u n g e Kirchen: Glaubensbekenntnisse 4 3 4 , 3 5 ff J u n g r e f o r m a t o r i s c h e Bewegung: G l a u b e n s b e kenntnisse 4 3 3 , 3 1 . 5 5 f f Justin der M ä r t y r e r : Gesetz 7 6 , 2 8 ff; G n a d e 4 7 7 , 2 2 ; G o t t 6 5 3 , 1 1 ff K a b b a l a : Gesetz 5 6 , 1 3 f f Kahler, M a r t i n : G l a u b e 3 4 9 , 1 5 ff; G n a d e 5 0 4 , 2 0 ff Kanonistik: s. Glossen, kanonistische Kant, Immanuel: Gesetz 1 0 5 , 4 7 f f ; Gewissen 2 0 6 , 3 6 ff; G l a u b e u. Denken 3 6 7 , 4 9 f; G n a d e 5 0 1 , 9 f f ; G o l d e n e Regel 5 7 8 , 1 3 f f . 3 4 f ; G o t t 6 8 4 , 3 4 ff; Gottesbeweise 7 4 3 , 2 6 ff; 7 4 5 , 3 0 ff; 7 4 7 , 4 5 f f ; 7 5 2 , 1 2 f f ; 757,1 f . 2 8 f f ; 7 7 5 , 2 3 f f

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Kaplan, Mordechai: Gnade 467,6 f Karl V. (dt. Kaiser): Giberti 2 5 8 , 2 6 f Kasel: G e w ä n d e r 161,37 ff; 1 6 4 , 1 6 Katechetik: G l a u b e n s b e k e n n t n i s s e 4 4 0 , 8 f f ; 4 4 3 , 3 ff Katechismus: Glaubensbekenntnisse 4 1 8 , 4 4 f f ; 423,25f K a t e c h u m e n a t : Glaubensbekenntnisse 4 4 3 , 4 ff Katharer: G l a u b e n s b e k e n n t n i s s e 4 1 4 , 8 f f Katholische R e f o r m : Giberti 2 5 9 , 1 1 ff Kausalität: Gottesbeweise 7 3 2 , 1 3 f f ; 7 3 3 , 2 2 f f ; 7 3 8 , 3 ff; 7 5 5 , 3 2 ff Kerygma: G l a u b e n s b e k e n n t n i s s e 4 3 9 , 1 2 f f Ketteier, W i l h e l m E m a n u e l v.: Gießen 2 6 3 , 3 5 K i e r k e g a a r d , Sören Aaby: G l a u b e 3 5 0 , 5 0 ff; G o t t 6 8 6 , 3 0 f; G o t t e s b e w e i s e 7 4 2 , 3 0 f Kind: G e w a l t 1 8 2 , 1 4 f f Kirche: Gesellschaft 1,21 ff; 17,39ff; Glaubensbekenntnisse 4 1 5 , 3 ; G n a d e 4 8 3 , 3 8 f f K i r c h e n b a u : Glasmalerei 2 7 4 , 7 f; G o t i k 5 9 4 , 3 3 ff Kirchenentfremdung: Gesellschaft 3 3 , 4 4 f ; 3 4 , 2 6 ff; G l a u b e 3 4 9 , 1 3 Kirchenfenster: Glasmalerei 2 7 0 , 3 1 K i r c h e n k a m p f : Glaubensbekenntnisse 4 3 3 , 1 5 ff Kirchenrecht: G e w o h n h e i t 2 5 5 , 5 f; Glaubensbekenntnisse 4 4 3 , 2 5 f f ; s . a . Glossen, kanonistische Kirchlichkeit: Gesellschaft 3 3 , 3 ff Klöster und Stifte: Cluny: G o r z e 5 8 8 , 4 ; 5 8 9 , 2 3 Gorze: 5 8 8 - 5 9 0 Lerins: G n a d e 4 8 4 , 2 2 ff Marseille: G n a d e 4 8 4 , 2 2 f f Knien: Gesten 152,41 ff Knutzen, M a t t h i a s : Gewissen 2 2 7 , 3 1 f Köln (Stadt): G e t t o 156,41 f . 4 7 f Königsherrschaft Christi: Gesetz 124,20 Königtum: (in Israel:) G o t t 6 1 8 , 1 5 f f ; 6 1 9 , 4 f f ; (Gottes:) 6 1 6 , 1 ff Kohelet: G o t t 6 2 2 , 8 ff Kohlbrügge, H e r m a n n : G n a d e 5 0 2 , 5 0 K o m m u n i s m u s : G e w e r k s c h a f t e n 185,40 f Konfession: Glaubensbekenntnisse 4 4 1 , 3 6 f Konfessionalismus: Gesellschaft 1,5 ff Konflikt: Gesellschaft 2 6 , 4 8 ff Kongregationalismus: Glaubensbekenntnisse 4 3 0 , 1 0 ff K o n k o r d i e n b u c h : Glaubensbekenntnisse 418,13f K o n k o r d i e n f o r m e l : Gesetz 8 7 , 1 9 f; G l a u b e n s bekenntnisse 4 1 7 , 5 0 f f ; G n a d e 4 9 7 , 8 f; G n e siolutheraner 5 1 7 , 4 3 ff Konservatismus: Gesellschaft 3 2 , 1 0 f f Kontingenz: Gottesbeweise 7 3 0 , 3 5 ff Kosmologie: Gottesbeweise 7 2 8 , 4 6 ff; 7 4 7 , 3 1 ff; 774,20f; s.a. Schöpfer/Schöpfung Kratologie: G e w a l t 1 7 4 , 2 2 Kreuz: G o t i k 5 9 9 , 4 3 ff; G o t t 6 9 5 , 2 1 ff Kreuzzeichen: Gesten 1 5 3 , 3 5 ff Kritische T h e o r i e : Gesellschaft 2 7 , 2 3 ff Kuk, A b r a h a m Isaak: G o t t 6 4 2 , 3 f Kultbescheid: Gesetz 4 4 , 5 2 ; 4 5 , 9 Kultbild: G o t t 6 0 7 , 2 1 f Kultkritik: G o t t 6 2 0 , 4 7 f Kulturwissenschaft: Gesellschaft 1 9 , 2 7 f f

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Namen/Orte/Sachen

Kunst: Goethe 555,27 ff Kuß, heiliger: Gesten 154,19ff Kyrios: Gott 629,11 Kyrios (christologischer Hoheitstitel): Glaubensbekenntnisse 396,47 ff Lactantius: Gesetz 79,24 ff; Glaube 307,1 ff Laie: Gesellschaft 3,45 ff Lamprecht, Karl: Gesetz 116,50 Laon, Schule v.: Glossa ordinaria 453,40ff Lebensphilosophie: Gesetz 121,19 ff; Gewalt 174.1 f Legitimation: Gesellschaft 25,29 Leibniz; Gottfried Wilhelm: Goldene Regel 578,30 f; Gottesbeweise 745,1 ff; 748,38 ff; 752,50 ff Leibowitz, Jeshajahu: Gesetz 57,35 f; Gott 640,26 f Lenin/Leninismus: Gesetz 116,35 f Lernpsychologie: Gewalt 180,51 ff Lessing, Gotthold Ephraim: Glaube 338,7 ff Leuenberger Konkordie: Glaubensbekenntnisse 435,16 f Liberalismus: Gesellschaft 31,52 ff; Gewerkschaften 185,20 f Licht/Lichtsymbolik: Gotik 598,18ff Liebe: Gesetz 104,9; Gott 699,32 ff Liebesgebot: Gesetz 60,12ff; Goldene Regel 571,70f; 572,11 f.35ff; 5 7 3 , 3 0 f Lima-Erklärung (1982): Glaubensbekenntnisse 435,37 f Locke, John: Gesetz 99,9; Gewissen 205,8 ff; Goldene Regel 578,26 f; Gottesbeweise 761,12.17f Löhe, Wilhelm: Gewänder 165,45 ff Löscher, Valentin Emst: Glaube 334,39 Logos: Gott 636,17ff Lorenz, Konrad: Gewalt 179,21 ff Lucian v. Antiochien: Glaubensbekenntnisse 409,13 ff Ludwig V., Landgraf v. Hessen: Gießen 261,34 Lücke, Friedrich: Göttingen 561,17 Luhmann, Niklas: Gesellschaft 22,16 ff Lukasevangelium: Gesetz 72,49 ff Luther, Martin: Gesetz 82,16ff; Gewalt 168,24ff; 171,8ff; Gewissen 197,32ff; 222.2 ff; Gewohnheit 254,45; Glaube 320, 11 ff; 330,15 ff; Glaube u. Denken 367,18 ff; Glaubensbekenntnisse 418,44 ff; Gnade 490,20 ff; Goldene Regel 576,34 ff; Gott 663,50 ff; 672,2 ff; Gottesbeweise 764,6 ff; 770.3 f Lutherische Kirchen: Glaubensbekenntnisse 416,34ff Luzzato, Mose Chaim: Gott 642,26 f Macht: Gewalt 168,37 f Madhva: Gottesbeweise 7 6 7 , 1 4 f M a j o r , Georg/Majoristischer Streit: Gnesiolutheraner 515,3 ff Makarius (Symeon v. Mesopotamien): Gnade 479,49 ff Makkabäer: Gesetz 50,3 f

Malcolm, Norman: Gottesbeweise 723,1; 746,43 ff Mana: Gott 603,44f Mandäismus: Gnosis 526,3 f Manichäismus: Gnosis 525,50 f Manipel: Gewänder 162,42ff Mantik: Gnosis 530,45ff Maranatha: Glaubensbekenntnisse 392,47 ff Marcion: Gesetz 76,7ff; Gnade 477,25 ff; Gnosis 543,1 f Marheineke, Philipp Konrad: Glaube 341,32 Marius Victorinus: Gesetz 80,5 ff Marx/Marxismus: Gesellschaft 14,39 f; 32,29ff; Gesetz 116,19f; Gewalt 173,13ff Melanchthon, Philipp: Gesetz 84,51 ff; Gewissen 224,42 f; Glaube 325,23 ff; Gnade 491,44ff; Goldene Regel 577,20ff; Gott 666,13 ff; Gottesbeweise 764,20 ff Melito v. Sardes: Gesetz 77,21 f; Gnade 477,36 f Memrä: Gott 636,20.52ff Mendelssohn, Moses: Gesetz 56,45; Gewissen 206,6 ff Mennoniten: Glaubensbekenntnisse 426,27f Mensch: Gesellschaft 30,4 ff; Gesetz 69,43 ff; Gesetz u. Evangelium 143,32 ff; Gewissen 230,23 ff; Glaube u. Denken 367,21 f; 369,21 ff; Gnade 488,1 ff; Gogarten 565,21 ff; Gott 670,39ff; 671,27ff; 697,39ff; 700,38ff Messias: Gott 618,34 ff Metanie: Gesten 152,50 Methodismus: Glaubensbekenntnisse 431,12 ff Meynell, Hugo: Gottesbeweise 751,5 f Michaelsbruderschaft: Gewänder 166,13 Minhag: Gewohnheit 245,5 ff Mission: Goßner 593,23 ff; (im Urchristentum:) Gesetz 62,52ff; Glaube 296,45ff Missionsgesellschaften: Berliner Mission: Goßner 593,19 f Goßner-Mission: Goßner 593,18 ff Mitmenschlichkeit: Gott 700,11 ff Mitra: Gewänder 162,32 M o Tzu: Gottesbeweise 741,46f; 757,14ff Möhler, Johann Adam: Glaube 343,44 Mönchtum: Gorze 588,8 ff Mogilas, Peter: Glaubensbekenntnisse 427,48 Monolatrie: Gott 605,7; 61^,17 Monotheismus: Gott 603,52 ff; 612,6 ff Montaigne, M.-E. de: Gewissen 202,42 ff Moral: Gottesbeweise 756,45 ff; 774,25 f Moral sense: Gewissen 205,51 Moralphilosophie: Gesetz 105,47 Moritz v. Sachsen: Gnesiolutheraner 513,18 f.38f Mose: Glaube 284,39 ff Mose ben Maimon: Gesetz 55,32ff.49ff; Glaubensbekenntnisse 391,4 ff; Gnade 466,31 f; Gott 639,36 ff; Gottesbeweise 716,47 ff Moser, Johann Jakob: Gesetz 101,44 Mosheim, Johann Lorenz v.: Göttingen 559,22; 560,47 f Müller, Julius: Gesetz 119,14f Münchhausen, Gerlach Adolf v.: Göttingen 558,31 f Müntzer, Thomas: Gesetz 84,44 Musäus, Johannes: Gewissen 227,37 f

Namen/Orte/Sachen Mutaziliten: Gott 637,16ff M y s t i k : Gesellschaft 17,50 ff M y t h o s / M y t h o l o g i e : G n o s i s 5 3 0 , 1 3 ff Naassener: G n o s i s 5 4 4 , 5 f f N ä c h s t e n l i e b e : Goldene Regel 5 7 2 , 3 4 f f ; G o t t 7 0 0 . 1 7 ff N a g H a m m a d i : Gnosis 5 2 6 , 9 f Name Gottes: Gott 609,16ff; 628,30ff Natürliche Theologie: Glaube 337,17ff; Glaube u. D e n k e n 3 7 7 , 3 8 f f ; G o t t 6 7 5 , 3 4 f f N a t u r : Gesetz 115,1 ff; G l a u b e u. Denken 3 7 8 . 1 8 f; G o e t h e 5 3 , 3 8 ff N a t u r r e c h t : Gesellschaft 1 7 , 2 8 f f ; Gesetz 9 8 , 1 2 ff ; Gesetz u. Evangelium 144,1 ff; G o l dene Regel 5 7 6 , 2 0 f f ; 5 7 7 , 4 1 ; 5 7 8 , 1 6 f N a u m b u r g e r Fürstentag (1561): Gnesiolutheraner 5 1 7 , 3 5 f N e u k a n t i a n i s m u s : Gesetz 1 2 1 , 5 f f N e u l u t h e r t u m : Gesetz 1 1 9 , 3 8 ff Neuzeit: Gesellschaft 3 5 , 3 9 f N e w m a n , J o h n Henry: G l a u b e 3 4 4 , 1 ; G o t t e s beweise 7 5 6 , 5 1 ; 7 5 9 , 1 ff N e w t o n , Isaac: Gottesbeweise 7 5 2 , 4 3 ; 7 5 3 , 7 f Nicäno-Konstantinopolitanisches Glaubensbekenntnis: Glaubensbekenntnisse 4 1 1 , 1 4 f f Nietzsche, Friedrich: Gesetz 1 1 6 , 9 f ; G e w a l t 174,6; Gewissen 2 0 9 , 18 ff; G l a u b e u. D e n ken 3 7 0 , 3 5 f; G o l d e n e Regel 5 7 8 , 4 6 f; G o t t 6 8 4 , 1 2 ff Nihilismus: G o t t 6 8 9 , 4 0 f f N i k o l a u s v. Amiens: G l a u b e 3 1 1 , 2 7 ff N i k o l a u s v. Kues: G l a u b e 3 1 6 , 1 6 f N o b i l i , R o b e r t o de: Gottesbeweise 7 7 1 , 5 1 ff N o m i n a l i s m u s : Glaubensbekenntnisse 4 1 3 , 2 3 N o t k e r der Deutsche: G e w o h n h e i t 2 5 0 , 2 6 f N o t w e n d i g k e i t : G o t t e s b e w e i s e 7 4 6 , 5 5 ff Novatian: Glaube 306,51 f O b r i g k e i t : G e w a l t 170,46 ff Ockham/Ockhamismus: Glaube 316,4f; Gnade 4 8 9 , 4 2 f f ; G o t t 6 6 1 , 5 f f ; G o t t e s b e w e i s e 7 3 9 , 5 ff O d e n S a l o m o s : Gnosis 5 2 5 , 5 6 f Ö k u m e n e / ö k u m e n i s c h : Gesetz u. Evangelium 137,21 ff; 147,18 ff; G l a u b e n s b e k e n n t n i s s e 434,49ff; 444,10ff; Gott 690,32ff Oetinger, Friedrich C h r i s t o p h : Gesetz 101,33; G l a u b e 3 3 5 , 5 ff Offenbarung: Gesetz u. Evangelium 1 3 0 , 3 1 ; G o g a r t e n 5 6 4 , 5 0 ff; G o t t 6 7 5 , 3 4 ff; 6 9 2 , 3 7 ff O l e v i a n , Kaspar: G n a d e 4 9 8 , 1 5 f Omophorion: Gewänder 163,24ff O n t o l o g i e : Gottesbeweise 7 2 1 , 2 9 f f ; 7 2 6 , 2 3 f f ; 7 4 4 , 9 ff; 7 7 4 , 1 8 f O p h i t e n / O p h i a n e r : G n o s i s 5 4 4 , 2 5 ff Orantengestus: Gesten 1 5 2 , 2 5 f Orarion: Gewänder 163,27f Origenes: Gesetz 7 7 , 3 6 f f ; Gewissen 2 1 9 , 1 4 f ; G l a u b e 3 0 6 , 3 0 f f ; G n a d e 4 7 8 , 3 1 ff; G n o s i s 548,17ff; Gott 655,32f O r t h o d o x e Kirchen: Glaubensbekenntnisse 4 2 7 , 2 3 ff O r t h o d o x i e , altluth.: Gesetz 8 6 , 3 9 f f ; 9 0 , 5 5 f f ; Gesetz u. Evangelium 126,33 ff; Gießen 262,1; Glaube 332,35ff; Gnade 496, 20ff; G o t t 6 7 5 , 3 4 ff

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O r t h o d o x i e , altref.: Gesetz 9 5 , 3 0 f f ; Gesetz u. Evangelium 1 2 7 , 3 7 f f ; G o t t 6 7 5 , 3 4 f f Osiander, Andreas: G n a d e 4 9 6 , 4 0 Osiandrischer Streit: G l a u b e 3 3 2 , 2 1 f; G n e s i o lutheraner 5 1 4 , 2 3 ff O t t o v. Freising: G i l b e r t Porreta 2 6 7 , 3 3 Otto, Rudolf: Gott 688,24 f Päpste: Clemens VII.: Giberti 2 5 8 , 5 0 ; 2 5 9 , 1 3 . 1 9 Eugen III.: Glaubensbekenntnisse 414,1 G r e g o r I.: G n a d e 4 8 4 , 4 2 f f Gregor IX.: Gewohnheit 251,16f Paul III.: Giberti 2 5 9 , 3 4 Pius I X . : Glaubensbekenntnisse 4 3 1 , 5 0 f Päpstliche Bullen und Enzykliken: R e r u m N o v a r u m (1891): Gewerkschaften 185,48 Pallium: G e w ä n d e r 1 6 3 , 1 7 f f Panentheismus: G o t t 6 0 4 , 4 6 Pantheismus: G o t t 6 0 4 , 3 6 ff Paränese: G l a u b e 2 9 9 , 1 9 f f Parsismus: Glaubensbekenntnisse 3 8 5 , 4 5 f f Parsons, T a l c o t t : Gesellschaft 19,46 f; 2 1 , 4 4 ff; 23,3 f Parteien: G e w e r k s c h a f t e n 1 8 6 , 2 6 f f Pascal, Blaise: G o t t 6 7 8 , 3 7 ff Pastoralbriefe: Gewissen 2 1 7 , 3 4 ff; G n a d e 472,33ff; Gnosis 525,5ff; 541,15ff Paulus (Apostel): G o t t 6 4 6 , 3 9 f f Pelagius/Pelagianischer Streit: G n a d e 4 8 1 , 4 0 f f Perserreich u. Israel: Gesetz 4 1 , 4 3 ff Person: G o t t 6 8 9 , 4 f f ; 6 9 8 , 3 3 f f Petrus D a m i a n i : G o t t 6 5 9 , 5 f Petrus L o m b a r d u s : G l a u b e 3 1 0 , 3 3 ff; Glossa ordinaria 4 5 4 , 4 ff; G n a d e 4 8 5 , 5 3 ff Petrusbriefe: G n a d e 4 7 4 , 2 7 ff II Petr: G n o s i s 5 3 3 , 6 ff Pfarrer: Gesellschaft 2 , 4 9 ff Pfeffinger, J o h a n n : Gnesiolutheraner 5 1 5 , 5 0 f Pharisäer: Gesetz 5 0 , 3 4 ff Philipp der Kanzler: G l a u b e 3 1 2 , l O f ; G n a d e 486,32 f Philo v. Alexandrien: Gesetz 5 3 , 6 f; Gewissen 201,48ff; Glaube 305,29ff; Gnade 465,16ff; Gnosis 526,16f; 539,24ff Physikotheologie: G o t t 6 8 1 , 5 3 f; G o t t e s b e w e i se 7 5 1 , 5 2 ff Pietismus: Gesetz 9 9 , 4 2 ; 100,34 ff; Gesetz u. Evangelium 128,1 ff; Gewissen 2 2 7 , 1 1 ff; Gießen 2 6 2 , 4 1 ; G l a u b e 3 3 3 , 2 7 ff; G l a u b e n s bekenntnisse 4 3 2 , 2 4 f; G n a d e 4 9 8 , 4 4 ff; G o t t 6 8 0 , 3 1 ff Planck, G o t t l i e b J a k o b : Göttingen 5 6 1 , 1 3 Plantinga, Alvin: Gottesbeweise 7 4 5 , 1 5 ff Plastik: G o t i k 5 9 8 , 4 3 ff P l a t o / P l a t o n i s m u s : G i l b e r t Porreta 2 6 7 , 3 9 Pluralismus: Gesellschaft 3 0 , 3 9 f Pluviale: G e w ä n d e r 1 6 2 , 2 2 f f Pneumatologie: G o t t 6 9 4 , 1 8 ff Poimandres: G n o s i s 5 2 5 , 4 1 f Polen: G l a u b e n s b e k e n n t n i s s e 4 2 3 , 4 3 f Polytheismus: G o t t 6 0 4 , 1 2 f f ; 605,1 ff; 6 0 6 , 6 f f Prädestination: Gesetz 9 6 , 1 8 f; G n a d e 4 7 7 , 1 5 f Prag (Stadt): G e t t o 1 5 8 , 2 1 ff Predigt: Gewissen 2 3 9 , 1 4 f f

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Namen/Orte/Sachen

Priester: Gesellschaft 2,38 ff Priesterschrift: Gesetz 47,54 ff Privatbekenntnisse: Glaubensbekenntnisse 408,33 ff Professio fidei Tridentinae: Glaubensbekenntnisse 427,2 f Propheten/Prophetie (atl.): Gesetz 45,44ff; Gott 619,29ff Prostration: Gesten 152,45 f Protestantismus: Gesellschaft 2,47 ff Protologie: Gnosis 527,20 ff Prozeßphilosophie: Glaube u. Denken 378,41 ff Psalmen: Gott 622,31 ff Psychoanalyse: Gewissen 235,35 ff Ptolemaeus der Gnostiker: Gesetz 76,14ff Quäker: Gewalt 172,3; Glaubensbekenntnisse 431,3 ff Quaestionen: Glossen 4 5 8 , 4 f Qumran: Gesetz 50,27 ff; Gnade 465,27 ff; Gnosis 526,20 f; 538,31 ff Rabbinismus: Gesetz 53,23ff Rämänuja: Gottesbeweise 7 6 7 , 6 f Rationale: Gewänder 163,33 ff Rationalismus: Gesetz u. Evangelium 128,30; Gießen 262,49 Rawls, John: Goldene Regel 580,31 f Recht/Rechtswesen: Goldene Regel 581,10ff; s. a. Gewohnheit/Gewohnheitsrecht Rechtfertigung: Gesetz 64,35 ff, Gewissen 231,22ff; Glaube 297,50ff; 320,12ff; 329,1 ff; 332,38 f; Gnade 490,29 ff; Gnesiolutheraner 514,31 f Rechtsbücher: Gewohnheit 250,51 Reformation: Gesellschaft 5,11 ff; Gnade 490,5 ff Reformierte Kirchen: Gesellschaft 4,22 ff; Glaubensbekenntnisse 419,19ff; Gnade 497,18ff Reformjudentum: Gesetz 56,48 ff regula fidei: Glaubensbekenntnisse 402,40ff Reich Gottes: s. Herrschaft Gottes/Reich Gottes Reinheit: Gesetz 59,22 ff Religiöse Sozialisten: Glaube 348,52 Religion: Gesellschaft 23,3 ff; 25,21 ff; Gogarten 564,18ff; Goguel 568,52ff Religionsgeschichtliche Schule: Göttingen 561,53 f Religionskritik: Gott 683,5 ff Religionssoziologie: Gesellschaft 20,9 ff Religionsunterricht: Gewalt 183,39ff Reliquien: Gotik 600,47 ff Revolution: Gewalt 175,19ff Richard v. St. Viktor: Glaube 310,17ff Ritsehl, Albrecht: Gesetz u. Evangelium 129,5 ff; Glaube 345,5 ff; Gnade 503,9 ff; Göttingen 561,41 f; Gott 687,12ff Ritual (Kultsatzung): Gesetz 4 5 , 8 f Rochett: Gewänder 161,31 ff Rochow, Friedrich Eberhard v.: Glaubensbekenntnisse 432,41 f Römerbrief: Gnade 468,15 ff

Römisch-katholische Kirche: Gesellschaft 2,18 ff; Glaubensbekenntnisse 426,43 ff; 431,46 ff Rolle: Gesellschaft 22,1 l f Rosenmüller, Johann Georg: Gewänder 164,42 Rosenzweig, Franz: Gesetz 57,23 f; Gottesbeweise 722,44 f Rothe, Richard: Gesetz 119,7f Rousseau, Jean-Jacques: Gewissen 203,53 ff; 227,44 ff Russell, Bertrand: Gottesbeweise 743,7 ff; 746,4ff Saadja ben Josef: Gesetz 55,42f; Gnade 466,28 f; Gott 637,23 f; 638,28 f; Gottesbeweise 709,30ff; 770,27 ff Säkularisierung: Gesellschaft 35,11 ff; Gesetz u. Evangelium 132,41 ff; Gogarten 566,15 ff; Gott 686,39 ff Sailer, Johann Michael: Goßner 5 9 1 , 7 f . l 6 f f Sakramente: Glaube 322,7 ff; Gnade 485,4 ff Salomo ibn Gabirol: Gott 640,54ff Sandomir, Consensus v.: Glaubensbekenntnisse 423,45 Sankara: Gottesbeweise 742,2 f Sartre, Jean Paul: Gewalt 174,8 Savoy Declaration: Glaubensbekenntnisse 430,18 f Schaddaj: Gott 610,15ff Schaeder, Erich: Gott 688,22 Schechina: Gott 637,30 ff Scheler, M a x : Goldene Regel 578,52 ff Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph: Glaube 338,37 Sch e ma: Glaubensbekenntnisse 389,50ff Schenkel, Daniel: Gewissen 228,23ff Schlatter, Adolf: Glaube 289,43 ff; 349,41 ff Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Gesetz 109,17 ff; Gesetz u. Evangelium 128,42 ff; Gewissen 208,33 ff; Glaube 339,5 ff; Gnade 502,1 ff; Gott 684,48 ff Schleitheimer Bekenntnis: Glaubensbekenntnisse 428,28 Schmalkaldische Artikel: Glaubensbekenntnisse 417,28 ff Schmitt, Carl: Gewalt 173,48 Schöpfer/Schöpfung: Gott 614,45 ff; Gottesbeweise 709,5ff.34ff; 713,45ff; 729,14ff Schöpfungsordnung: Gesetz u. Evangelium 132,5 ff Scholastik: Glasmalerei 272,12; Glaube 311,36ff; Gott 658,38ff Schopenhauer, Arthur: Goldene Regel 5 7 8 , 3 7 f Schottland: Glaubensbekenntnisse 425,14 ff Schriftauslegung: s. Glossa ordinaria Schriftprinzip: Gott 676,44 ff Schütz, Alfred: Gesellschaft 24,34 ff Schweitzer, Albert: Goldene Regel 579,50 f Schweiz: Glaubensbekenntnisse 419,18 ff Seelsorge: Gespräch 150,3ff; Gewalt 182,39ff; Gewissen 238,39 ff Sefira/Sefirot: Gott 641,31 ff Sekten: Gesellschaft 17,46 f Selbstbewußtsein, religiöses: Gott 684,32 ff Semler, Johann Salomo: Gesetz 103,19ff

Namen/Orte/Sachen Seripando, G i r o l a m o : Gesetz 8 7 , 4 5 Sethianer: G n o s i s 5 4 4 , 4 0 ff Shaftesbury, A . A . C . (3 , d Earl of): Gewissen 2 0 5 , 1 8 ff Simmel, G e o r g : Gesetz 1 2 1 , 2 4 f Simon M a g u s : Gnosis 5 2 3 , 1 1 f; 5 2 5 , 3 6 f; 542,40 f Sinai: G o t t 6 1 1 , 2 3 f f Sinn: Gesellschaft 22,31 Sittenlehre: G e s e t z 110,55 f Situationsethik: G o l d e n e Regel 5 8 2 , 1 0 f f Sitzen: Gesten 1 5 2 , 3 2 f f Social G o s p e l : G l a u b e 3 4 8 , 5 2 Solidarität: G o l d e n e Regel 5 7 9 , 1 ff Sorley, W i l l i a m Ritchie: Gottesbeweise 757,35 f Soteriologie: G o t t 6 9 3 , 1 8 ff Sozialismus: G e w e r k s c h a f t e n 185,28 f Sozialkonflikt: Gesellschaft 3 1 , 1 7 f Sozialphilosophie: Gesellschaft 2 4 , 1 5 ff Sozialpsychologie: Gewissen 2 3 6 , 2 4 ff Sozial Wissenschaften: Gesellschaft 18,46 ff Soziologie: Gesellschaft 16,28 ff Spalding, J o h a n n J o a c h i m : Gewissen 2 0 6 , 1 9 f f ; Glaube 337,36ff; Gnade 500,6 Spener, Philipp J a k o b : Gesetz 1 0 0 , 4 0 ff; Gesetz u. Evangelium 128,7; G l a u b e 3 3 3 , 2 7 f f Spinoza, B a r u c h : Gewissen 2 0 3 , 2 3 ff; G o t t 6 4 0 , 1 7 f ; Gottesbeweise 7 2 1 , 1 9 f f Sport: G e w a l t 179,55 f S p r a c h e / S p r a c h w i s s e n s c h a f t : G i l b e r t Porreta 267,30 Sprachphilosophie: G l a u b e u. D e n k e n 3 7 9 , 2 6 ff Staat: Gesellschaft 13,54 ff; 2 9 , 3 8 ff; G e w a l t 1 7 4 , 3 9 ff; G o g a r t e n 5 6 5 , 2 1 f Stäudlin, Karl Friedrich: Göttingen 5 6 1 , 1 5 Stahl, Friedrich Julius: Gesetz 1 1 3 , 4 0 f Stapel, W i l h e l m : Gesetz 124,45 Statuta Ecclesiae Antiqua: G l a u b e n s b e k e n n t nisse 4 1 4 , 1 1 ff Stehen: Gesten 1 5 2 , 1 7 f f Sticharion: G e w ä n d e r 161,3 S t o k e r , H . G . : Gewissen 1 9 3 , 4 2 f f Stola: G e w ä n d e r 163,1 ff; 164,14 Strafe/Strafrecht: Gewohnheit 254,22 S t r a u ß , D a v i d Friedrich: Gesetz 1 1 5 , 4 6 ff; G l a u b e 3 4 2 , 4 5 f f ; Glaubensbekenntnisse 4 3 2 , 4 6 ff Streik: G e w e r k s c h a f t e n 1 8 6 , 4 0 f f Stuttgarter Schuldbekenntnis (1945): G l a u bensbekenntnisse 4 3 4 , 1 9 f f Suärez, F r a n c i s c o : Gottesbeweise 7 6 0 , 4 6 f Subjekt: Gesetz 118,49 Sühne: Gesetz 6 6 , 6 ff Sühnetod J e s u : G l a u b e n s b e k e n n t n i s s e 3 9 4 , 1 0 f f Sünde: G e s e t z 6 7 , 3 f f ; 7 0 , 1 1 ff; G n a d e 4 8 1 , 1 7 f f Suger v. St. Denis: G o t i k 5 9 8 , 1 6 f Superpelliceum: G e w ä n d e r 1 6 1 , 2 5 f f S w i n b u r n e , R i c h a r d G . : Gottesbeweise 7 5 1 , 7 f f Syllogismus: Gottesbeweise 7 4 0 , 5 2 f S y m b o l : G o e t h e 5 5 5 , 3 8 ff S y m b o l (Glaubensbekenntnis): G l a u b e n s b e kenntnisse 4 0 5 , 9 f Synergistischer Streit: G n a d e 4 9 6 , 3 8 ; Gnesiolutheraner 5 1 5 , 4 9 f f

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Synkretismus: Gnosis 5 2 6 , 3 7 Synoden: Antiochien 2 6 8 : Glaubensbekenntnisse 409,39 Antiochien 3 2 4 / 3 2 5 : Glaubensbekenntnisse 410, lOf B a r m e n 1934: Glaubensbekenntnisse 4 3 4 , 6 ff Breslau 1266: G e t t o 157,5 f Czenger 1557 (1558): Glaubensbekenntnisse 424,1 f D o r d r e c h t 1 6 1 8 - 1 9 : Glaubensbekenntnisse 4 2 2 , 1 ff Eisenach 1556: Gesetz 8 6 , 4 3 ; Gnesiolutheraner 5 1 5 , 2 2 f . 3 1 f Florenz 1439: Glaubensbekenntnisse 415,41 f F r a n k f u r t 7 9 4 : Glaubensbekenntnisse 413.15 Friaul 7 9 6 / 7 9 7 : Glaubensbekenntnisse 413.16 J e r u s a l e m 1672: Glaubensbekenntnisse 427,31; 428,4 K a r t h a g o 4 1 8 : G n a d e 4 8 4 , 2 ff 4 . L a t e r a n s y n o d e 1215: Glaubensbekenntnisse 4 1 4 , 2 4 f f ; 4 1 5 , 4 8 f f L y o n 1274: Glaubensbekenntnisse 4 1 5 , 2 6 f f N i c ä a 3 2 5 : Glaubensbekenntnisse 4 1 1 , 1 ff Orange 529: Gnade 484,37 f R o m 1059: Glaubensbekenntnisse 4 1 3 , 3 5 R o m 1079: Glaubensbekenntnisse 4 1 3 , 4 0 T o l e d o 6 7 5 : Glaubensbekenntnisse 4 1 4 , 5 0 T r i e n t 1 5 4 5 - 6 3 : G e s e t z 87,45; Giberti 2 5 9 , 4 0 ; G l a u b e 3 2 9 , 2 8 ff; G l a u b e n s b e kenntnisse 4 2 6 , 4 7 ff; G n a d e 4 9 2 , 4 5 ff Vaticanum I 1 8 6 9 - 7 0 : G l a u b e 3 4 4 , 2 f ; Glaubensbekenntnisse 432,3 f Vaticanum II 1 9 6 2 - 6 5 : G l a u b e n s b e k e n n t nisse 4 3 2 , 1 1 f Vienne 1312: Glaubensbekenntnisse 4 1 5 , 1 5 ff; G n a d e 4 8 9 , 3 1 f Synteresis: Gewissen 2 1 0 , 4 6 ; 2 1 9 , 4 0 ff; 2 2 0 , 1 3 ff; 2 2 2 , 2 4 f Systematische T h e o l o g i e : G l a u b e u. D e n k e n 3 7 7 , 4 ff Systemtheorie: Gesellschaft 2 1 , 2 5 ff T a l a r : G e w ä n d e r 165,1 ff; 1 6 6 , 2 8 f Taufe: Glaube 3 2 2 , 4 f ; Glaubensbekenntnisse 393,41.53ff; 405, 15ff.41ff; 440,14ff; Gnade 482,14f T a u s c h t h e o r i e : Gesellschaft 19,51 ff T a y l o r , Alfred E d w a r d : Gottesbeweise 757,39 f T a y l o r , R i c h a r d : Gottesbeweise 7 4 9 , 2 7 f f Teleologie: Gottesbeweise 7 5 1 , 5 2 ff; 7 7 4 , 2 2 f T e n n a n t , Frederick R . : Gottesbeweise 7 5 3 , 2 4 ; 7 5 4 , 8 ff tertius usus legis: Gesetz 8 7 , 3 0 ; Gesetz u. Evangelium 146,3 ff Tertullian: G e w o h n h e i t 2 4 9 , 5 0 ; G l a u b e 3 0 6 , 4 3 ff; Glaubensbekenntnisse 4 0 3 , 1 ff; 4 0 4 , 4 ff; G o t t 6 5 5 , 1 0 ff Theodizeeproblem: Goethe 553,47ff T h e o d o r e t v. Kyros: G l a u b e 3 0 7 , 1 3 ff Theokrasie: Gott 606,48 f T h e o l o g i a crucis: s. Kreuz

800

Namen/Orte/Sachen

Theologia gloriae: Gott 696,29 ff Theologie: Glaube 360,18 ff Theologie, philosophische: Glaube u. Denken 372,21 ff Theologie der Revolution: Gewalt 175,6f Theonomie: Gesetz 108,51 ff; 114,18f; 119,18ff Theopanismus: Gott 604,44 Theorie und Praxis: Gewissen 232,49 ff Thirty-nine Articles: Glaubensbekenntnisse 424,29 ff Tholuck, Friedrich August Gottreu: Glaube 344,12 f; Gnade 502,35 ff Thomas v. Aquino: Gewalt 171,3 f; Gewissen 220,43ff; Glaube 314,39ff; Glaube u. Denken 367,1 f; Gnade 487,42ff; Gott 659,45; 660,5 ff; Gottesbeweise 732,24 ff; 753,24 ff Thomasevangelium: Gnosis 525,53 f Thomasius, Gottfried: Glaube 344,51 ff; Goldene Regel 577,51 ff Tiara: Gewänder 162,34 Tillich, Paul: Gesetz u. Evangelium; 138,20ff; Gewissen 229, 53 ff; Glaube 358,45 ff; Glaube u. Denken 372,35; Gnade 505, 48 ff; Gottesbeweise 742,39.42 f; 764,38 f Tindal, Matthew: Gottesbeweise 761,41 f Tittmann, Carl Christian: Gesetz 103,30 ff Tod: Gott 697,14ff; 701,12ff Tod-Gottes-Philosophie/-Theologie: Gott 684,12 ff; 700,48 ff Todestrieb: Gewalt 178,30 ff Toleranz: Glaube u. Denken 373,20ff Tora/Torafrömmigkeit: Gesetz 44,48 ff; 52,38 ff; 59,54ff Transzendenz: Gott 682,26 ff Trinität: Glaubensbekenntnisse 415,37; Gott 665,43ff; 669,45ff; 673,36ff; 693,50ff Troeltsch, Ernst: Gesellschaft 10,3 ff; 17,9 ff; Gesetz 122,44ff Tugend: Gnade 485,23 f Tunizella: Gewänder 162,13 ff Udayana: Gottesbeweise 767,lOf Unendlichkeit: Gottesbeweise 710,15 ff; 711,42ff; 715,3ff; 721,16ff Ungarn: Glaubensbekenntnisse 423,53f Unionsbestrebungen: Glaubensbekenntnisse 415,26ff Universalien: Gott 658,30 f; 659,34 f Universalismus: Glaube 359,11; 363,3ff Universitäten: Gießen: 2 6 1 - 2 6 6 Göttingen: 5 5 8 - 5 6 3 Jena: Gnesiolutheraner 512,37ff; 516,4ff Marburg: Gießen 261,19ff Urchristentum: Gesetz 61,5 ff Urmensch: Gnosis 547,22 ff Valentin (Gnostiker): Gnade 477,13f; Gnosis 545.21 ff; 546,3 ff Venedig: Getto 155,41; 157,25 ff Verantwortungsethik: Gesellschaft 19,18 f; Gogarten 566,8 ff Verborgenheit Gottes: Gott 660,20 f; 673,3ff; 692.22 ff Verdienst (meritum)-. Gnade 487,2; 488,44f; 493,24 ff

Verheißung: Gott 610,37 ff Vermittlungstheologie: Gesetz 117,51 ff; Glaube 341,25 ff Verneigung: Gesten 153,10ff Vernunft: Gesetz 112,42ff; Glaube 308,14ff; Gottesbeweise 727,1 ff; 761,24ff; s.a. Glaube u. Denken Verona: Giberti 258,14ff Vinet, Alexandre: Gewissen 228,2ff Völkerrecht: Gewohnheit 253,3 f; 254,21 Voethius, Gisbert: Gesetz 97,20 Volksnomos: Gesetz 124,46 Voltaire: Goldene Regel 578,5 ff Vulgarrecht: Gewohnheit 249,36 Wahrheit: Glaube u. Denken 365,40ff Walahfrid Strabo: Glossa ordinaria 455,41 Walch, Christian Wilhelm Franz: Göttingen 560,53 Waldensischer Katechismus: Glaubensbekenntnisse 423,20 f Walther, Carl Ferd. Wilh.: Gesetz u. Evangelium 129,41 Weber, M a x : Gesellschaft 18,42 ff; Gewalt 173,36 ff Wegscheider, Julius August Ludwig: Glaube 338,21 Weigel, Valentin: Glaube 334,4 f Weisheit: Gesetz 49,48 ff; Gnosis 527,4 ff; 539,10ff; Gott 621,38ff Weiß, Johannes: Gnade 503,20 Welt: Gnosis 531,55 ff; Gott 672,29 ff Werk: Glaube 357,17 ff; Gnesiolutheraner 515,7f Wertrationalität: Gesellschaft 19,7 f Westminster Confession: Glaubensbekenntnisse 425,31 ff Westphal, Joachim: Gnesiolutheraner 516,33 Widerstandsrecht: Gewalt 173,29 Wiedergeburt: Glaube 334,22 Wiener Kreis: Glaube u. Denken 379,32ff Wigand, Johann: Gnesiolutheraner 512,28.33 f; 513,3 Wilhelm v. Auvergne: Glaube 312,1 f Wilhelm v. Auxerre: Glaube 311,38 ff; Glaube u. Denken 366,46 Wilhelm v. St.-Benigne: Gorze 589,37 Wille/Willensfreiheit: Gnade 485,30ff; 489,9ff; Gnesiolutheraner 515,51 ff Wirklichkeit: Gogarten 564,45 ff Wisdom, John: Gottesbeweise 7 4 1 , 2 2 f Wissen: Glaube 313,43 ff; 338,27 ff Wissenschaftstheorie: Glaube u. Denken 373,31 ff Wissenssoziologie: Gesellschaft 25,21 ff; 26,6 Wolff, Christian: Gnade 500,3 Wormser Kolloquium (1557): Gnesiolutheraner 517,18 ff Wort Gottes: Glaube 321,38 ff Wunder: Glaube 285,lff; 293,23ff; 295,26ff Wuttke, Adolf: Gesetz 118,17f Zalman, Schneur: Gott 640,21 f Zarathustra: Glaube 276,33ff Zeit: Gottesbeweise 711,28ff; 718,35 ff; 729,5ff Zinzendorf, Nik. Lud. v.: Gesetz 101,24

Mitarbeiter Zisterzienser: Gotik 596,12 Zivilrecht: Gewohnheit 254,19 Zorn Gottes: Gott 620,34 Zwang: Gewalt 168,42 f Zweckrationalität: Gesellschaft 19,11 f Zweifel: Glaube 351,30f; 356,30; 358,18ff; Glaube u. Denken 370,7ff

801

Zweireichelehre: Gesetz 124,20 Zwillingsgottheiten: Gott 605,48 f Zwingli, Ulrich: Gesetz 84,35; Gewissen 224,25 f; Glaubensbekenntnisse 419,33 ff; Gnade 497,18ff; Gott 666,37f

2. Mitarbeiter 2.1. Autoren Prof. Dr. Giuseppe Alberigo, Bologna/Italien (Giberti) Prof. Dr. Yehoshua Amir, Jerusalem/Israel (Gesetz II) Prof. Dr. Dr. Ernst Bammel, Münster (Glaube III) Prof. Dr. Hans-Martin Barth, Marburg (Gesetz u. Evangelium I) Prof. Dr. Hans-Jürgen Becker, Köln (Gewohnheit/Gewohnheitsrecht III) Prof. Dr. Klaus Berger, Heidelberg (Gnosis/Gnostizismus I) Prof. Dr. Horst Beintker, Jena/DDR (Gott VII) Dr. Jürgen-Gerhard Blühdorn, Münster (Gewissen I) Dr. Maurice Carrez, Montreuil/Frankreich (Goguel) Dr. John Clayton, Lancaster/England (Gottesbeweise II; III) Bischof Dr. Christoph Demke, Magdeburg/DDR (Gott IV) P. Dr. Willehad Paul Eckert, Köln (Getto) Dr. Bernd Faulenbach, Bochum (Gewerkschaften) Prof. Dr. Asher Finkel, New York, N.Y./USA (Glaubensbekenntnisse] III) Prof. Dr. Raymonde Foreville, Paris/Frankreich (Glaubensbekenntnisse] VI) Prof. Dr. Christofer Frey, Dortmund (Gesellschaft u. Christentum VII) Prof. Dr. Erhard S. Gerstenberger, Gießen (Gewohnheit/Gewohnheitsrecht I; Glaubensbekenntnisfse] II) Prof. Dr. Christof Gestrich, Berlin (Glaube und Denken) Prof. Dr. Elisabeth Gössmann, Tokio/Japan (Glaube V) Prof. Dr. Robert Goldenberg, New York, N.Y./USA (Gnade II) Dr. Friedrich Wilhelm Graf, München (Gesetz VI) Prof. Dr. Hans Georg Gundel, Gießen (Gießen, Univ.) Prof. Dr. Klaus Haacker, Wuppertal (Glaube II/1.2.3) f Prof. Dr. Nikolaus M. Häring (Gilbert Porreta) Dr. Joachim Hahn, Stuttgart (Gesenius) Prof. the Rev. Stuart George Hall, London/England (Glaube IV) Prof. Dr. Wolf-Dieter Hauschild, Münster (Gnade IV) Dr. Roman Heiligenthal, Mannheim (Goldene Regel II) Prof. Dr. Hans-Günter Heimbrock, Köln (Gewissen V) Prof. Dr. Peter Henke, Marburg (Gogarten) Studieninspektor Pfr. Ernst Hofhansl, Wien/Österreich (Gewänder, Liturgische) Prof. Dr. Yoshiro Ishida, Genf/Schweiz (Gesetz u. Evangelium II) Dr. Rudolf Keller, Erlangen (Gnesiolutheraner) Prof. Dr. Günter Klein, Münster (Gesetz III) Prof. Dr. Karl Adolf Knappe, Erlangen (Glasmalerei) Prof. Dr. Klaus Koch, Hamburg (Gesetz I) Privatdozent Dr. Friedhelm Krüger, Bielefeld (Gewissen III) Prof. Dr. Günter Lanczkowski, Heidelberg (Glaube I; Glaubensbekenntnisse] I; Gott I) Dr. Simon Lauer, Luzern/Schweiz (Golem) Prof. Dr. Inge Lonning, Oslo/Norwegen (Gott VIII) Dr. Hanspeter Mathys, Saignelegier/Schweiz (Goldene Regel I) Doz. Dr. Rudolf Mau, Berlin/DDR (Gesetz V)

Mitarbeiter Zisterzienser: Gotik 596,12 Zivilrecht: Gewohnheit 254,19 Zorn Gottes: Gott 620,34 Zwang: Gewalt 168,42 f Zweckrationalität: Gesellschaft 19,11 f Zweifel: Glaube 351,30f; 356,30; 358,18ff; Glaube u. Denken 370,7ff

801

Zweireichelehre: Gesetz 124,20 Zwillingsgottheiten: Gott 605,48 f Zwingli, Ulrich: Gesetz 84,35; Gewissen 224,25 f; Glaubensbekenntnisse 419,33 ff; Gnade 497,18ff; Gott 666,37f

2. Mitarbeiter 2.1. Autoren Prof. Dr. Giuseppe Alberigo, Bologna/Italien (Giberti) Prof. Dr. Yehoshua Amir, Jerusalem/Israel (Gesetz II) Prof. Dr. Dr. Ernst Bammel, Münster (Glaube III) Prof. Dr. Hans-Martin Barth, Marburg (Gesetz u. Evangelium I) Prof. Dr. Hans-Jürgen Becker, Köln (Gewohnheit/Gewohnheitsrecht III) Prof. Dr. Klaus Berger, Heidelberg (Gnosis/Gnostizismus I) Prof. Dr. Horst Beintker, Jena/DDR (Gott VII) Dr. Jürgen-Gerhard Blühdorn, Münster (Gewissen I) Dr. Maurice Carrez, Montreuil/Frankreich (Goguel) Dr. John Clayton, Lancaster/England (Gottesbeweise II; III) Bischof Dr. Christoph Demke, Magdeburg/DDR (Gott IV) P. Dr. Willehad Paul Eckert, Köln (Getto) Dr. Bernd Faulenbach, Bochum (Gewerkschaften) Prof. Dr. Asher Finkel, New York, N.Y./USA (Glaubensbekenntnisse] III) Prof. Dr. Raymonde Foreville, Paris/Frankreich (Glaubensbekenntnisse] VI) Prof. Dr. Christofer Frey, Dortmund (Gesellschaft u. Christentum VII) Prof. Dr. Erhard S. Gerstenberger, Gießen (Gewohnheit/Gewohnheitsrecht I; Glaubensbekenntnisfse] II) Prof. Dr. Christof Gestrich, Berlin (Glaube und Denken) Prof. Dr. Elisabeth Gössmann, Tokio/Japan (Glaube V) Prof. Dr. Robert Goldenberg, New York, N.Y./USA (Gnade II) Dr. Friedrich Wilhelm Graf, München (Gesetz VI) Prof. Dr. Hans Georg Gundel, Gießen (Gießen, Univ.) Prof. Dr. Klaus Haacker, Wuppertal (Glaube II/1.2.3) f Prof. Dr. Nikolaus M. Häring (Gilbert Porreta) Dr. Joachim Hahn, Stuttgart (Gesenius) Prof. the Rev. Stuart George Hall, London/England (Glaube IV) Prof. Dr. Wolf-Dieter Hauschild, Münster (Gnade IV) Dr. Roman Heiligenthal, Mannheim (Goldene Regel II) Prof. Dr. Hans-Günter Heimbrock, Köln (Gewissen V) Prof. Dr. Peter Henke, Marburg (Gogarten) Studieninspektor Pfr. Ernst Hofhansl, Wien/Österreich (Gewänder, Liturgische) Prof. Dr. Yoshiro Ishida, Genf/Schweiz (Gesetz u. Evangelium II) Dr. Rudolf Keller, Erlangen (Gnesiolutheraner) Prof. Dr. Günter Klein, Münster (Gesetz III) Prof. Dr. Karl Adolf Knappe, Erlangen (Glasmalerei) Prof. Dr. Klaus Koch, Hamburg (Gesetz I) Privatdozent Dr. Friedhelm Krüger, Bielefeld (Gewissen III) Prof. Dr. Günter Lanczkowski, Heidelberg (Glaube I; Glaubensbekenntnisse] I; Gott I) Dr. Simon Lauer, Luzern/Schweiz (Golem) Prof. Dr. Inge Lonning, Oslo/Norwegen (Gott VIII) Dr. Hanspeter Mathys, Saignelegier/Schweiz (Goldene Regel I) Doz. Dr. Rudolf Mau, Berlin/DDR (Gesetz V)

802

Mitarbeiter

Prof. Dr. Helmut Merkel, Erlangen (Gesetz IV) Prof. Dr. Niels-Peter Moritzen, Erlangen (Goßner, Johannes Evangelista) Dr. Manfred Moser, Heidelberg (Gewalt/Gewaltlosigkeit II) The Rev. Dr. George M. Newlands, Cambridge/England (Gott VI) Oberkirchenrat Hartwig Niemann, Darmstadt (Glocken) Priv.-Doz. Dr. Klaus Otte, Mehren (Gnade V) Prof. Dr. Eckart Otto, Hamburg (Gilgal) Prof. Dr. Hayim Goren Perelmuter, Chicago, Iii./USA (Gewohnheit/Gewohnheitsrecht II) Dr. Peter Pfaff, Heidelberg (Goethe) The Rev. Dr. Bernard M . G . Reardon, Newcastle/England (Gore) Prof. Dr. Henning Graf Reventlow, Bochum (Gnade I) Prof. Dr. Adolf Martin Ritter, Heidelberg (Glaubensbekenntnisfsel V) Prof. Dr. Hans-Christoph Rublack, Tübingen (Gesellschaft u. Christentum VI) Prof. Dr. Eugen Ruckstuhl, Luzern/Schweiz (Gnade III) Prof. Dr. Norbert Samuelson, Philadelphia/USA (Gottesbeweise I) Prof. Dr. Werner H. Schmidt, Bonn (Gott II) Prof. Dr. Hans-Christoph Schmidt-Lauber, Wien/Österreich (Gesten/Gebärden, Liturgische) Prof. Dr. Heinz-Horst Schrey, Heidelberg (Gewalt/Gewaltlosigkeit I; Goldene Regel III) Prof. Dr. Henning Schröer, Bonn (Glaubensbekenntnis[se] X) Prof. Dr. Georg Schwaiger, München (Görres) Prof. Dr. Hans Schwarz, Regensburg (Glaubensbekenntnisse] VII; VIII; IX) Prof. Dr. Josef Semmler, Düsseldorf (Gorze) Prof. Dr. Otto v. Simson, Berlin (Gotik) Prof. Dr. Reinhard Slenczka, Erlangen (Glaube VI) Prof. Dr. Beryl Smalley, Oxford/England (Glossa ordinaria) Prof. Dr. Rudolf Smend, Göttingen (Göttingen, Univ.) Prof. the Rev. G. Christopher Stead, Ely, Cambs./England (Gott V) Prof. Dr. Dr. Albert Stein, Karlsruhe (Gewohnheit/Gewohnheitsrecht IV) Prof. Dr. Hans-Joachim Thilo, Lübeck (Gespräch) Prof. Dr. Clemens Thoma, Luzern/Schweiz (Gott III) Prof. Dr. Gunther Wanke, Erlangen (Gibeon) Prof. Dr. Rudolf Weigand, Würzburg (Glossen, kanonistische) Prof. Dr. Klaus Wengst, Bochum (Glaubensbekenntnis[se] IV) Prof. Dr. Adam Weyer, Duisburg (Gewissen IV) Prof. the Rev. Robert McL. Wilson B.D.Ph.D., Fife/Schottland (Gnosis II) Dr. Michael Wolter, Mainz (Gewissen II) 2.2. Übersetzer Aus dem Englischen: Ingeburg Benthin, Berlin (Gore) Prof. Dr. Klaus Berger, Heidelberg (Gnosis/Gnostizismus II) Dr. Gustav A. Krieg, Köln (Gottesbeweise II; III) Prof. Dr. Peter von der Osten-Sacken, Berlin (Gewohnheit/Gewohnheitsrecht II) Prof. Dr. Knut Schäferdiek, Bonn (Glossa ordinaria; Gott V; VI) Dr. Michael Schröter, Berlin (Gesetz u. Evangelium II; Glaube II; Glaubensbekenntnisse] III; Gottesbeweise I) Mariann Wolter, Mainz (Gnade II) Aus dem Französischen: Dr. Gustav A. Krieg, Köln (Glaubensbekenntnisse] VI) Mariann Wolter, Mainz (Goguel)

Artikel- u. Verweisstichwörter Aus dem

803

Italienischen:

Dr. Gerhard Philipp Wolf, Pegnitz (Giberti) 2.3.

Registerbearbeiter

Dr. Klaus Breuer, Heidelberg (Namen/Orte/Sachen) Hannelore Hollstein, Lünen (Bibelstellen) Dr. Michael Wolter, Mainz (Namen/Orte/Sachen)

3. Artikel u. Verweisstichwörter Gesellschaft/Gesellschaft und Christentum (H.-Chr. Rublack/Chr. Frey) Gesellschaftswissenschaften -»Sozialwissenschaften Gesenius, Wilhelm (J. Hahn) Gesetz (K. Koch/Y. Amir/G. Klein/H. Merkel/R. Mau/Fr. W. Graf) Gesetz und Evangelium (H.-M. Barth/Y. Ishida) Gesinnung -»Ethik Gespräch (H.J. Thilo) Gesten/Gebärden, Liturgische (H.-Chr. Schmidt-Lauber) Gesundheit/Gesundheitswesen -» Krankheit Getto (W.P. Eckert) Geulincx, Arnold -»Okkasionalismus Gewänder, Liturgische (E. Hofhansl) Gewalt/Gewaltlosigkeit (H.-H. Schrey/M. Moser) Gewaltenteilung -»Macht, -»Staat Gewerkschaften (B. Faulenbach) Gewissen (J.-G. Blühdorn/M. Wolter/Fr. Krüger/A. Weyer/H.-G. Heimbrock). . . Gewißheit -»Heilsgewißheit, -»Wahrheit Gewohnheit/Gewohnheitsrecht (E.S. Gerstenberger/ H . G . Perelmuter/H.-J. Becker/A. Stein) Gibeon (G. Wanke) Giberti, Gian Matteo (G. Alberigo) Gichtel, Johann Georg -»Mystik, -»Spiritualismus Gideon -»Geschichte Israels Gießen, Universität ( H . G . Gundel) Gilbert Porreta (f N. Häring) Gilead —»Geschichte Israels Gilgal (E. Otto) Gilgamesch-Epos —»Babylonien und Israel Gladstone, William Ewart -»Liberalismus Glasmalerei (K.A. Knappe) Glaube (G. Lanczkowski/K. Haacker/E. Bammel/S. G. Hall/ E. Gössmann/R. Slenczka) Glaube' und Denken (Chr. Gestrich) Glaubensbekenntnis(se) (G. Lanczkowski/E.S. Gerstenberger/A. Finkel/K. Wengst/A.M. Ritter/R. Foreville/H. Schwarz/H. Schröer) Gleichheit —»Gesellschaft/Gesellschaft und Christentum, —»Menschenrechte Gleichnisse -»Formgeschichte/Formenkritik, -»Herrschaft Gottes/ Reich Gottes, -»Jesus Christus Glocken (H.A.W. Niemann) Gloria -»Liturgie Glossa ordinaria (B. Smalley) Glossen, kanonistische (R. Weigand)

1 39 40 126 147 151 155 159 168 184 192

241 256 257

261 266 268

270 275 365 384

446 452 457

Artikel- u. Verweisstichwörter Aus dem

803

Italienischen:

Dr. Gerhard Philipp Wolf, Pegnitz (Giberti) 2.3.

Registerbearbeiter

Dr. Klaus Breuer, Heidelberg (Namen/Orte/Sachen) Hannelore Hollstein, Lünen (Bibelstellen) Dr. Michael Wolter, Mainz (Namen/Orte/Sachen)

3. Artikel u. Verweisstichwörter Gesellschaft/Gesellschaft und Christentum (H.-Chr. Rublack/Chr. Frey) Gesellschaftswissenschaften -»Sozialwissenschaften Gesenius, Wilhelm (J. Hahn) Gesetz (K. Koch/Y. Amir/G. Klein/H. Merkel/R. Mau/Fr. W. Graf) Gesetz und Evangelium (H.-M. Barth/Y. Ishida) Gesinnung -»Ethik Gespräch (H.J. Thilo) Gesten/Gebärden, Liturgische (H.-Chr. Schmidt-Lauber) Gesundheit/Gesundheitswesen -» Krankheit Getto (W.P. Eckert) Geulincx, Arnold -»Okkasionalismus Gewänder, Liturgische (E. Hofhansl) Gewalt/Gewaltlosigkeit (H.-H. Schrey/M. Moser) Gewaltenteilung -»Macht, -»Staat Gewerkschaften (B. Faulenbach) Gewissen (J.-G. Blühdorn/M. Wolter/Fr. Krüger/A. Weyer/H.-G. Heimbrock). . . Gewißheit -»Heilsgewißheit, -»Wahrheit Gewohnheit/Gewohnheitsrecht (E.S. Gerstenberger/ H . G . Perelmuter/H.-J. Becker/A. Stein) Gibeon (G. Wanke) Giberti, Gian Matteo (G. Alberigo) Gichtel, Johann Georg -»Mystik, -»Spiritualismus Gideon -»Geschichte Israels Gießen, Universität ( H . G . Gundel) Gilbert Porreta (f N. Häring) Gilead —»Geschichte Israels Gilgal (E. Otto) Gilgamesch-Epos —»Babylonien und Israel Gladstone, William Ewart -»Liberalismus Glasmalerei (K.A. Knappe) Glaube (G. Lanczkowski/K. Haacker/E. Bammel/S. G. Hall/ E. Gössmann/R. Slenczka) Glaube' und Denken (Chr. Gestrich) Glaubensbekenntnis(se) (G. Lanczkowski/E.S. Gerstenberger/A. Finkel/K. Wengst/A.M. Ritter/R. Foreville/H. Schwarz/H. Schröer) Gleichheit —»Gesellschaft/Gesellschaft und Christentum, —»Menschenrechte Gleichnisse -»Formgeschichte/Formenkritik, -»Herrschaft Gottes/ Reich Gottes, -»Jesus Christus Glocken (H.A.W. Niemann) Gloria -»Liturgie Glossa ordinaria (B. Smalley) Glossen, kanonistische (R. Weigand)

1 39 40 126 147 151 155 159 168 184 192

241 256 257

261 266 268

270 275 365 384

446 452 457

804

Bildquellen/Corrigenda

Glossolalie - » Zungenrede Gnadauer Verband —» Gemeinschaftsbewegung Gnade (H. Graf Reventlow/R. Goldenberg/E. Ruckstuhl/ W.-D. Hauschild/K. Otte) Gnesiolutheraner (R. Keller) Gnosis/Gnostizismus (K. Berger/R. McL. Wilson) G o b a t , Samuel -»Jerusalem Göhre, Paul -»Sozialismus Görres, Joseph von (G. Schwaiger) Goethe, Johann Wolfgang von (P. Pfaff) Göttingen, Universität (R. Smend) Göttliches Recht -»Kirchenrecht, -»Recht/Rechtswesen Goeze, Johann Melchior -»Lessing, Gotthold Ephraim, - » O r t h o d o x i e , Altlutherische Gogarten, Friedrich (P. Henke) Goguel, Maurice (M. Carrez) Goldene Regel (H. M a t h y s / R . Heiligenthal/H.-H. Schrey) Goldschmiedekunst -»Plastik Golem (S. Lauer) Gomarus, Franciscus -»Niederlande Gore, Charles ( B . M . G . Reardon) Gorze (J. Semmler) Goßner, Johannes Evangelista (N.-P. Moritzen) Goten —»Germanenmission (arianische) Gotik (O.v. Simson) Gott (G. Lanczkowski/W. H. Schmidt/C. T h o m a / C h . D e m k e / G . C . Stead/ G . Newlands/H. Beintker/I. Lenning) Gottebenbildlichkeit -»Bild Gottes, -»Schöpfer/Schöpfung Gottesbeweise (N. Samuelson/J. Clayton)

459 512 519

550 552 558

563 567 570 583 586 588 591 594 601 708

4. Bildquellen Art.

Glasmalerei:

Abb. 1; 2: L. Grodecki, Romanische Glasmalerei, Stuttgart 1977, Abb. 3 6 - 3 9 ; Abb. 58. Abb. 3: E. Frodl-Kraft, Die Glasmalerei, Wien/München 1972, Taf. X V I . Abb. 4: W. Schöne, Über das Licht in der Malerei, Berlin 1954, Abb. 3. Abb. 5: La Cathédrale de Lausanne, Fig. 278. Abb. 6; 13: Le Vitrail Français, Paris, Taf. X V I I ; Abb. 213. Abb. 7: H. Rode, Die mittelalterlichen Glasgemälde des Kölner Domes, Berlin, Abb. 324. Abb. 8; 12; 14; 15; 16: Die Welt der Glasfenster, Freiburg 1977, Abb. S. 40; 127; 156; 160; 166. Abb. 9: E. Frodl-Kraft, Die mittelalterlichen Glasgemälde in Wien, Graz 1962, Abb. 79. Abb. 10: J . Bialostocki, Spätmittelalter und beginnende Neuzeit, 1977 (PKG 7), Taf. LI. Abb. 11: G. Marchini, Italienische Glasmalerei, München 1957, Abb. 79. Art.

Gotik:

Abb.1 — 15: O t t o von Simson, Das Mittelalter II, Das Hohe Mittelalter, 1972 (PKG 6), Abb. 3; 16; 20; 13; 17; 47; 2 1 7 a und b; 226; X I X ; 178; 189; 249; 460; 443; 205.

804

Bildquellen/Corrigenda

Glossolalie - » Zungenrede Gnadauer Verband —» Gemeinschaftsbewegung Gnade (H. Graf Reventlow/R. Goldenberg/E. Ruckstuhl/ W.-D. Hauschild/K. Otte) Gnesiolutheraner (R. Keller) Gnosis/Gnostizismus (K. Berger/R. McL. Wilson) G o b a t , Samuel -»Jerusalem Göhre, Paul -»Sozialismus Görres, Joseph von (G. Schwaiger) Goethe, Johann Wolfgang von (P. Pfaff) Göttingen, Universität (R. Smend) Göttliches Recht -»Kirchenrecht, -»Recht/Rechtswesen Goeze, Johann Melchior -»Lessing, Gotthold Ephraim, - » O r t h o d o x i e , Altlutherische Gogarten, Friedrich (P. Henke) Goguel, Maurice (M. Carrez) Goldene Regel (H. M a t h y s / R . Heiligenthal/H.-H. Schrey) Goldschmiedekunst -»Plastik Golem (S. Lauer) Gomarus, Franciscus -»Niederlande Gore, Charles ( B . M . G . Reardon) Gorze (J. Semmler) Goßner, Johannes Evangelista (N.-P. Moritzen) Goten —»Germanenmission (arianische) Gotik (O.v. Simson) Gott (G. Lanczkowski/W. H. Schmidt/C. T h o m a / C h . D e m k e / G . C . Stead/ G . Newlands/H. Beintker/I. Lenning) Gottebenbildlichkeit -»Bild Gottes, -»Schöpfer/Schöpfung Gottesbeweise (N. Samuelson/J. Clayton)

459 512 519

550 552 558

563 567 570 583 586 588 591 594 601 708

4. Bildquellen Art.

Glasmalerei:

Abb. 1; 2: L. Grodecki, Romanische Glasmalerei, Stuttgart 1977, Abb. 3 6 - 3 9 ; Abb. 58. Abb. 3: E. Frodl-Kraft, Die Glasmalerei, Wien/München 1972, Taf. X V I . Abb. 4: W. Schöne, Über das Licht in der Malerei, Berlin 1954, Abb. 3. Abb. 5: La Cathédrale de Lausanne, Fig. 278. Abb. 6; 13: Le Vitrail Français, Paris, Taf. X V I I ; Abb. 213. Abb. 7: H. Rode, Die mittelalterlichen Glasgemälde des Kölner Domes, Berlin, Abb. 324. Abb. 8; 12; 14; 15; 16: Die Welt der Glasfenster, Freiburg 1977, Abb. S. 40; 127; 156; 160; 166. Abb. 9: E. Frodl-Kraft, Die mittelalterlichen Glasgemälde in Wien, Graz 1962, Abb. 79. Abb. 10: J . Bialostocki, Spätmittelalter und beginnende Neuzeit, 1977 (PKG 7), Taf. LI. Abb. 11: G. Marchini, Italienische Glasmalerei, München 1957, Abb. 79. Art.

Gotik:

Abb.1 — 15: O t t o von Simson, Das Mittelalter II, Das Hohe Mittelalter, 1972 (PKG 6), Abb. 3; 16; 20; 13; 17; 47; 2 1 7 a und b; 226; X I X ; 178; 189; 249; 460; 443; 205.