Theatrum Scientiarum, Band 3, Spektakuläre Experimente: Praktiken der Evidenzproduktion im 17. Jahrhundert 3110193000, 9783110193008

Dieser Band ist der dritte der auf insgesamt acht Bände angelegten Reihe Theatrum Scientiarum, die die Konstituierungsph

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Theatrum Scientiarum, Band 3, Spektakuläre Experimente: Praktiken der Evidenzproduktion im 17. Jahrhundert
 3110193000, 9783110193008

Table of contents :
Frontmatter
Inhaltsverzeichnis
Die Evidenz des Präparates
Die Books of Secrets und die Magie des Lichts im frühneuzeitlichen Theater
Cumulus ex machina. Wolkeninszenierungen in Theater und Wissenschaft
Sehen am Faden der Linie. Spiele des Bildermachens bei Abraham Bosse
Bernini und das Experiment als Katastrophe
Die logische Form des Dramas im 17. Jahrhundert
Die Rhetorik der Mühelosigkeit in der Wissenschaft und ihre barocken Ursprünge
„Masque der Possibilität“. Experiment und Spektakel barocker Projektemacherei
Die Leiche des Herrn Mariotte. Beobachtungen zum Objekt des Experimentierens
Experiment und Öffentlichkeit. Cartesianismus und Salonkultur im französischen 17. Jahrhundert
Was demonstriert ein Experiment? Überlegungen zum Verhältnis von Erkenntnisgewinn und Wissensvermittlung in der Frühen Neuzeit
Vibration und Vernunft. Zur experimentellen Agenda in Marin Mersennes Harmonie universelle (Paris, 1636)
„I thought it worth the tryal“. Wissenschaftliche und literarische Experimente der englischen Restaurationszeit
Sezierte Augen und achromatische Fernrohre. Experimentelle Episteme der Erscheinungen
Fernrohr, Mikroskop, Luftballon. Wahrnehmungstechnik und Literatur in der Goethezeit
Experiment und Instrument
Pyrophonie. Anmerkungen zur Theatralität des Experimentierens
Funken sichtbar und öffentlich machen. Spektakel und Kontroversen um die historischen Experimente von Heinrich Hertz
Evidenz wofür? Newton, Einstein und die kosmische Hintergrundstrahlung
Ontologisches Theater. Gordon Pask, Kybernetik und die Künste
Explosive Experimente und die Fragilität des Experimentellen. Adorno, Bacon und Cage
Backmatter

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Spektakuläre Experimente



Theatrum Scientiarum Herausgegeben von Helmar Schramm, Ludger Schwarte, Jan Lazardzig Wissenschaftlicher Beirat Hartmut Böhme, Olaf Breidbach, Georges Didi-Huberman, Peter Galison, Hans-Jörg Rheinberger, Wilhelm Schmidt-Biggemann und Barbara Maria Stafford

Band 3

Walter de Gruyter · Berlin · New York

Spektakuläre Experimente Praktiken der Evidenzproduktion im 17. Jahrhundert Herausgegeben von Helmar Schramm, Ludger Schwarte, Jan Lazardzig

Walter de Gruyter · Berlin · New York

앝 Gedruckt auf säurefreiem Papier, 앪 das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.

ISBN-13: 978-3-11-019300-8 ISBN-10: 3-11-019300-0 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. 쑔 Copyright 2006 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Einbandgestaltung: Christopher Schneider, Berlin Druck und buchbinderische Verarbeitung: Hubert & Co., Göttingen

Vorwort der Herausgeber

Der vorliegende Band ist der dritte der auf insgesamt acht Bände angelegten Reihe Theatrum Scientiarum, die auf neuartige Weise entscheidende Schnittstellen von Kunst und Wissenschaft in den Blick nehmen soll. Ausgangspunkt ist die These, dass im Prozess der Neukonstituierung der Wissenschaften im 17. Jahrhundert Praktiken der Darstellung, der Beobachtung und der medialen Bemeisterung wichtig werden, deren produktive Kraft erst durch eine interdisziplinäre Perspektive adäquat beschreibbar wird. Dies beschränkt sich keinesfalls auf die Legitimierungs- und Durchsetzungsprozesse von Erkenntnis; vielmehr entfaltet sich in der experimentellen Praxis, dem Modellieren und Handhaben von Welt eine Eigendynamik kunstvoller Beobachtungs- und Darstellungsvorgänge. Die Fragestellungen, denen sich die Reihe Theatrum Scientiarum widmet, erwachsen aus den kulturellen Umbrüchen unserer Zeit. Sie sind von der Überzeugung getragen, dass sich ein Verständnis des Zusammenwirkens heutiger medialer Konfigurationen wissenschaftlicher Programme und künstlerischer Praxis erst vor dem Hintergrund historischer Langzeitprozesse erschließt. Dieser dritte Band vereint die Ergebnisse einer internationalen Konferenz, die vom 04.-06.11.2004 in Berlin vom Forschungsprojekt „Spektakuläre Experimente – Historische Momentaufnahmen zur Performanz von Wissen“ des Sonderforschungsbereiches „Kulturen des Performativen“ an der Freien Universität Berlin ausgerichtet wurde. Diese Konferenz wäre nicht möglich gewesen ohne die großzügige Förderung durch die Freie Universität Berlin, die Deutsche Forschungsgemeinschaft sowie die Fritz Thyssen Stiftung. Der Archenhold-Sternwarte Berlin, namentlich Herrn Professor Dieter Hermann, ist für die freundliche Gastgeberschaft während der Konferenz zu danken. Die anregende Atmosphäre der historischen Räumlichkeiten im Treptower Park in Berlin trug ganz wesentlich zum Gelingen der Konferenz bei. Die Herausgeber danken ferner dem Walter de Gruyter Verlag, insbesondere Herrn Dr. Heiko Hartmann, für die nunmehr langjährige und vertrauensvolle Zusammenarbeit sowie das entgegengebrachte Interesse. Die positive

VI

Vorwort

Resonanz, die die ersten beiden Bände „Kunstkammer, Laboratorium, Bühne“ (2003) und „Instrumente in Kunst und Wissenschaft“ (2006) gefunden haben – eine englischsprachige Ausgabe des ersten Bandes ist unter dem Titel „Collection, Laboratory, Theater“ (2005) erschienen und eine Übersetzung des zweiten Bandes wird unter dem Titel „Instruments in Art and Science“ in Kürze erscheinen – lässt uns hoffen, dass auch dieser Band dazu beitragen wird, die Diskussion des komplexen Verhältnisses von Kunst und Wissenschaft zu bereichern. Ein so arbeitsreiches Unternehmen wie diese Buchreihe wäre nicht zu realisieren ohne ein Netzwerk von verlässlichen Mitarbeitern. Hervorzuheben sind an dieser Stelle die Übersetzer (sie sind am Ende der entsprechenden Beiträge genannt) sowie Wiebke Hensle und Gerke Schlickmann, die das Register erstellt haben. Ein ganz besonderer Dank gebührt Daniela Hahn und Michael Lorber für ihre umsichtige, gewissenhafte und überaus fachkundige Lektoratsarbeit sowie ihre Mitarbeit bei der redaktionellen und technischen Realisierung. Die Herausgeber

Inhaltsverzeichnis

Vorwort der Herausgeber .........................................................................

V

Inhaltsverzeichnis .....................................................................................

VII

Helmar Schramm Einleitung. Kunst des Experimentellen, Theater des Wissens .................

XI

Hans-Jörg Rheinberger Die Evidenz des Präparates ......................................................................

1

Philip Butterworth Die Books of Secrets und die Magie des Lichts im frühneuzeitlichen Theater ......................................................................................................

18

Viktoria Tkaczyk Cumulus ex machina. Wolkeninszenierungen in Theater und Wissenschaft .............................................................................................

43

Robert Felfe Sehen am Faden der Linie. Spiele des Bildermachens bei Abraham Bosse .........................................................................................

78

Florian Nelle Bernini und das Experiment als Katastrophe ...........................................

114

Volkhard Wels Die logische Form des Dramas im 17. Jahrhundert .................................

131

James W. McAllister Die Rhetorik der Mühelosigkeit in der Wissenschaft und ihre barocken Ursprünge .................................................................................................

154

VIII

Inhaltsverzeichnis

Jan Lazardzig „Masque der Possibilität“. Experiment und Spektakel barocker Projektemacherei ......................................................................................

176

Ludger Schwarte Die Leiche des Herrn Mariotte. Beobachtungen zum Objekt des Experimentierens ......................................................................................

213

Andreas Gipper Experiment und Öffentlichkeit. Cartesianismus und Salonkultur im französischen 17. Jahrhundert ..................................................................

242

Gerhard Wiesenfeldt Was demonstriert ein Experiment? Überlegungen zum Verhältnis von Erkenntnisgewinn und Wissensvermittlung in der Frühen Neuzeit .........

260

Sebastian Klotz Vibration und Vernunft. Zur experimentellen Agenda in Marin Mersennes Harmonie universelle (Paris, 1636) .......................................

279

Richard Nate „I thought it worth the tryal“. Wissenschaftliche und literarische Experimente der englischen Restaurationszeit .........................................

295

Wladimir Velminski Sezierte Augen und achromatische Fernrohre. Experimentelle Episteme der Erscheinungen ....................................................................................

318

Gerhard Neumann Fernrohr, Mikroskop und Luftballon. Wahrnehmungstechnik und Literatur in der Goethezeit ........................................................................

345

Michael Heidelberger Experiment und Instrument ......................................................................

378

Helmar Schramm Pyrophonie. Anmerkungen zur Theatralität des Experimentierens ..........

398

Dominique Pestre Funken sichtbar und öffentlich machen. Spektakel und Kontroversen um die historischen Experimente von Heinrich Hertz .............................

414

Rainer Gruber Evidenz wofür? Newton, Einstein und die kosmische Hintergrundstrahlung ................................................................................

432

Inhaltsverzeichnis

IX

Andrew Pickering Ontologisches Theater. Gordon Pask, Kybernetik und die Künste ..........

454

Lydia Goehr Explosive Experimente und die Fragilität des Experimentellen. Adorno, Bacon und Cage ........................................................................................

477

Zu den Autorinnen und Autoren ...............................................................

507

Bildnachweise/Bildrechte .........................................................................

513

Gesamtliteraturverzeichnis .......................................................................

517

Personenregister .......................................................................................

551

Sachregister ..............................................................................................

557

HELMAR SCHRAMM

Einleitung. Kunst des Experimentellen, Theater des Wissens I. Stellen wir uns zunächst eine Bühne vor, eine ganz gewöhnliche Theaterbühne. Aber was da passiert, ist in mancher Hinsicht nicht mit herkömmlichen Vorstellungen vereinbar. In der Schwärze des Guckkastens, angeordnet um einen Schreibtisch, suggerieren seltsame Aufbauten eine aberwitzige Mischung aus Laboratorium und Bastelwerkstatt. Urgrund einer Architektonik des Traumes, des Albtraums und des aus kryptischer Tiefe aufsteigenden Witzes. Da hängen wie in endloser Spiegelung Magrittes Vogelkäfige, aufgereiht als seltsame Vermessungsstationen der Raumtiefe und da steht ein Fahrrad auf dem Kopf, kompletter zwar als das berühmte Dekonstrukt von Duchamp, aber in dieser Umgebung fehlt auch diesem Rad gleichsam ein Rad zur denkbaren Verwendung als banales Fahrwerkzeug. Und in der Tat, wenn dann dies alles in Gang kommt und das in Schwung gebrachte brennende Hinterrad zum leuchtenden Experiment auf die Bewegung rotierender Masse wird, zum Feuerring einer optischen Illusionsmaschine, und wenn sich die Tastatur auf dem Schreibtisch als Klaviatur entpuppt, die dem Raum skurrile Tonspuren aus Geräuschen, Stimmen, Musik einschreibt, dann wird das ganze Bühnenbild zur Kombination von Klangskulptur und surrealer Bildermaschine. Es ist, als sei die ganze Anordnung übersättigt von einer verdrängten Energie, die sich Ausbruch verschafft als knisternde, knallende Funken allgegenwärtiger Elektrizität, die sich ausdrückt als imposantes Feuerwerk, das an seltsamen Zündschnüren, blitzverwandten Schlangen gleich, den Boden entlangzischt. Augenblicke des Erschreckens, der knallenden Plötzlichkeit halten sich die Waage mit Momenten einer ganz ursprünglichen, kindlichen Lust: wenn etwa aus einem Kasten eine Kanonade rettungsringgroßer Rauchringe abgeschossen wird. Eigensinnig wie das Sichtbare auch alles Hörbare: Worte werden gesprochen und

XII

Helmar Schramm

hallend verstärkt oder mit technischer Gewalt in Rhythmen transformiert, um dann als Versatzstücke einer tiefgefrorenen Spracherinnerung nach minutenlanger Verzögerung gleichsam im Auftauen aus einer Schublade, einem Schrank, einem Irgendwo und Nirgendwo kleine eigensinnige Aufstände der Stimme gegen den Sprecher zu markieren. Theater als Komposition einer Musik, die in seltsamer Instrumentierung ausbricht aus ihrem angestammten Reich und übergeht in Bild, bewegtes Bild. Im Zentrum des Ganzen aber, eingespannt in die kommunikativen Kreisläufe einer sich verselbstständigenden Technik, eingekreist wie die berühmte Proportionsfigur Leonardo da Vincis, determiniert von den Spielvorgaben einer zum Instrumentarium geronnenen Fantasie agiert da ein einziger Schauspieler.1 Seine Gänge und Aktionen, sein unentwegtes Repetieren rätselhafter Formeln, sein überdeutliches Nichtverstehen der eigenen Worte, Nachdenken als ein Denken, das immer zu spät kommt, – all dies verdichtet sich zum Verweis auf ein gewaltiges Problem, mit dem wir heute konfrontiert sind, zum Verweis auf das Problem der Sprache, der Zeichen und Zeichensysteme, die in ihrer unendlichen Vervielfältigung, Verstärkung und Spiegelung selbst den Genauigkeitsanspruch mathematischer Formeln und Zahlenreihen hinübertreiben ins ambivalente Spiel von Paradoxie und Zweifel. Verweis auch auf jene problematischen Momente der Wahrnehmung, da sich dem Hören und Sehen keine stabilen Anhaltspunkte mehr darbieten, sondern nur noch Konstellationen der Verschiebung, Verrückung, Verrücktheit. Max Black hat sich mit solchen Fragen ausführlich befasst; Max Black, dessen Nachdenken im Spannungsfeld moderner Bild- und Textsysteme vor allem immer wieder um Fragen der Metapher kreiste und der sich auch nicht zu schade war, über den Sinn scheinbaren Unsinns nachzudenken.2 Sein Name ist hier selbst zur Übermetapher geworden, zur Über-Schrift, die mit äußerster Präzision genau jenen Mittelpunkt der Performance bezeichnet, in dem der Schauspieler agiert. Und die titelgebende Verwendung dieses Namens hat bei aller Präzision zugleich etwas vom sprichwörtlichen ‚Namen sind Schall und Rauch‘ an sich, denn letztendlich geht es in der Performance keineswegs um Personifizierung einer konkreten Figur. Das Biografische verwandelt sich hier ganz vorsätzlich in Schall und Rauch und Farbe: der Hintergrund ist Black. 1 2

André Wilms in der von Heiner Goebbels inszenierten Performance Max Black am TAT Frankfurt a. M., Gastspiel im Hebbel-Theater Berlin (1998). Vgl. Max Black. The Prevalence of Humbug, and Other Essays. Ithaka, N. Y., 1983.

Einleitung

XIII

Nachdenkend über spektakuläre Experimente drängen sich mir Erinnerungen an die Bühnenkomposition Max Black von Heiner Goebbels auf, die vor einigen Jahren in Berlin zu sehen war, weil darin in verdichteter Form wesentliche Widersprüche und Paradoxien eines spielerischen Experimentierens auf spektakuläre Weise erfahrbar gewesen sind, die vor allem das problematische Verhältnis von Darstellung, Beobachtung und Aufzeichnung betrafen sowie das potentielle Wechselspiel zwischen einer Kunst des Experimentellen und einem Theater des Wissens. II. Die lange Geschichte spektakulärer Experimente vermag auf exemplarische Weise eine gleichermaßen wichtige wie auch komplizierte Seite der zivilisatorischen Entfaltung europäischer Wissenskultur zu erhellen, treten uns darin doch gerade jene Interferenzen von Wissenschaft, Kunst und Theater vor Augen, die allzu oft im Zuge disziplinärer Abgrenzung übersehen werden. Es gibt jedoch seit dem 17. Jahrhundert eine intensive Wechselbeziehung zwischen wissenschaftlichem Experimentieren und experimentellen Künsten, die für das Begreifen dynamischer Seiten der Erzeugung und Relativierung von Evidenz, Wahrscheinlichkeit, Wahrheit, die für das Verständnis kulturhistorisch variierender Muster der Produktion von Erfahrung und Wissen besonders aufschlussreich sind. Begibt man sich hinein in das Labyrinth der historischen Quellen, so ist einerseits sehr bald erkennbar, dass sich die Herausbildung neuer Konzepte in Wissenschaft, Kunst, Theater zwischen 1650 und 1800 mit einer vielschichtigen Praxis des spektakulären Experiments verbunden hat. Andererseits stellt sich angesichts einer Fülle heterogener Materialien die Frage, wie sich dieses komplexe Untersuchungsfeld überhaupt sinnvoll erschließen lässt. In welchem Sinne kann man im Wandel der Zeiten überhaupt von spektakulären Experimenten sprechen? Wie sähe eine provisorische Orientierungsskizze aus, mit deren Hilfe man gleichsam als Sammler in dieses Feld hineinzugehen hätte? In erster Annäherung lassen sich zumindest drei Schichten einer solchen heuristischen Karte entwerfen, die jedoch erst in ihrer wechselseitigen Überlagerung und Ergänzung ein relativ klares Bild hervortreten lassen. In diesem Sinne wären die Ebenen der räumlichen Lokalisierung, der körperlichsinnlichen Präsenz und der instrumentell-apparativen Zurichtung voneinander zu unterscheiden.

XIV

Helmar Schramm

Fragen wir also zunächst einmal, wie sich spektakuläre Experimente in der Zeit zwischen 1650 und 1800 überhaupt zeigten. Wo fanden sie statt, auf welche Weise drangen sie ein in den öffentlichen Raum? Da wären an erster Stelle solche Versuche zu nennen, die aufgrund ihrer Fragestellung und Versuchsanordnung weithin sichtbar oder hörbar sein mussten und die daher zwangsläufig ein Publikum fanden, ganz egal, ob dies von den experimentierenden Virtuosi beabsichtigt war oder nicht. So berichtete etwa im Jahre 1800 das Weimar’sche Magazin fuer den neuesten Zustand der Naturkunde Folgendes: Herr Garnier hat am 3. März einen Versuch mit einem Fallschirm im Garten von Tivoli in Gegenwart von beinahe 10.000 Menschen angestellt. Er stieg in die Höhe um 8:20 Uhr morgens. Um 8:29 Uhr sah man, wie er sich von seinem Ballon losmachte und ganz langsam und majestätisch mit seinem Fallschirm herabsank. Diese Niederfahrt dauerte 5 Minuten. Oben war der Barometerstand 23 Zoll [58 cm] und unten 28 Zoll [71 cm] – dies gab also eine Höhe von 1664 Metern.3

Ein ähnlich weit gespannter Wirkungskreis dürfte sich auch bei einem Experiment hergestellt haben, über das im Jahre 1751 die Philosophical Transactions unter der Überschrift Beobachtungen der Höhe, zu welcher die Raketen steigen berichteten: Die Raketen sind sehr nützlich; oder koennen sehr nuetzlich seyn, zur Bestimmung der Lage unterschiedlicher Oerter gegen einander, und zu Schiffe oder im Kriege Zeichen damit zu geben. Ich habe es also der Mühe für werth gehalten, zu untersuchen, wie hoch sie steigen, damit man desto besser bestimmen koenne, wie weit man sie sehen kann.4

Es folgen sehr schöne Beschreibungen über Abschüsse von einem Feuerwerksgerüst und über Flugbahnen hinein in eine dichte Wolkendecke, wo man „den Augenblick ihrer Zerberstung nur durch ein plötzliches Licht beobachten konnte“.5 Nach abschließenden Berechnungen des Experimentators müssen seine Experimente an diesem Tage in einem Umkreis von etwa 80 Kilometern sichtbar gewesen sein. Spektakuläre Momente spielten in den Experimenten zur Raketen- und Waffentechnik seit dem 17. Jahrhundert auch insofern eine besonders wichtige Rolle, weil sie sich über weite Strecken mit der Entwicklung jener Feuerwerkstechnik überlagerten, die eine zentrale Bedeutung im Rahmen höfischer Thea3

4 5

Johann Heinrich Voigt. Magazin fuer den neuesten Zustand der Naturkunde mit Ruecksicht auf die dazugehoerigen Huelfswissenschaften. Weimar, 1800, Bd. 2, S. 129. Philosophical Transactions zit. n. Christian Friedrich Voß (Hg.). Physikalische Belustigungen. 3 Bde. Berlin, 1751-1753, Bd. 1, S. 380. Ebd., S. 383.

Einleitung

XV

ter- und Festkultur innehatte. Eine Grenze zwischen Festkultur und experimenteller Demonstration lässt sich teilweise überhaupt nicht deutlich ziehen. So versammelte sich am 9. März 1712 die gesamte sächsische Generalität, um in Gegenwart des Königs die neuesten Schöpfungen des Modell-Meisters und Hof-Mechanicus Andreas Gaertner zu feiern, darunter „gegossene Granaten und Kugeln von sonderbarem Effect, [...] Feuers-Mörser, daraus man in einer Viertelstunde über 200 mahl Granaten werffen“ konnte u. a. m.6 Gaertner war sich übrigens darüber im Klaren, dass es im Krieg von großem Vorteil sein konnte, weithin sichtbare oder hörbare Aktivitäten tunlichst zu vermeiden, und deshalb stellte er auch eine ganze Reihe von Experimenten an, um herauszufinden, „woher doch das Knallen und Donnern beim Losbrennen des Geschützes kommen möchte, auch ob solches nicht gar zu verhindern waere“.7 Fanden also einerseits weithin sichtbare und hörbare Großversuche unter Verwendung von Kanonen, Raketen, Fahrzeugen, Geräten stets im Freien statt, so bot sich andererseits auch die freie Natur selber nicht selten als spektakulärer Ereignisraum, als Naturschauspiel dar. Sarah J. Schechner hat auf eindrucksvolle Weise gezeigt, wie etwa die beunruhigende Himmelsspur von Kometen sich gleichsam niederschlug in Formen der Popular Culture.8 Vulkanausbrüche und Blitzschläge, Erdbeben und Regenbogen, Wind und Wetter, Ebbe und Flut, Sonne, Mond und Sterne fanden Eingang in die Welt des Experiments und des Modells. In dieser Hinsicht gibt es ganz direkte Parallelen zum Theater, wo immer wieder versucht worden ist, spektakuläre Naturerscheinungen auf die Bühne zu übertragen. So berichtete beispielsweise ein in Weimar um 1800 erschienenes Naturjournal, dass auf der Göttinger Sternwarte „die äußerst seltene Erscheinung eines Mondregenbogens beobachtet worden (sei)“.9 Kurze Zeit später notiert G.W.F. Hegel, Johann Wolfgang von Goethe habe für ein geplantes Gespräch keine Zeit gehabt „wegen eines Mondregenbogens und anderer wunderbarer Dinge, die in Wilhelm Tell sollen aufs Theater gebracht werden“.10 6

7 8 9 10

Andreas Gaertner. Gärtneriana Oder: Des weyl. weitberuehmten und Kunst-Erfahrnen Koenigl. Pohlnischen und Chur-Saechsischen Modell-Meisters und HoffMechanici Andrea Gaertners Leben, und Verfertigte Kunst-Wercke [...]. Leipzig, 1727, S. 15. Ebd., S. 16. Vgl. Sarah J. Schechner. Comets Popular Culture and the Birth of Modern Cosmology. Princeton, N. J., 1997. Voigt (Anm. 3), S. 238. Zit. nach Johann Wolfgang von Goethe. Werke. Weimarer Ausgabe. 55 Bde. Weimar, 1887-1919, Bd. 17, Gespräche (vor 27.02.1804).

XVI

Helmar Schramm

Eine Tendenz zum Spektakulären haftete aber nicht allein Versuchen in freier Natur an, sondern auch all jenen Experimenten, die aus unterschiedlichen Motiven in öffentlichen Gebäuden oder auf Messen und Märkten veranstaltet wurden. Berühmtheit erlangten in diesem Zusammenhang jene wahrlich theatralen Demonstrationen, die Benjamin Wilson 1777 im Londoner Pantheon veranstaltete, und zwar aufgrund einer Blitzschlagkatastrophe, die ein königliches Magazin für Schießpulver vernichtet hatte. Für die Vorführung wurde nicht nur ein exaktes Modell des Gebäudes hergestellt, sondern auch eine bedrohlich wirkende, quasi bühnenreife Gewitterwolke. Gar nicht stark genug betont werden kann die Rolle von Kirchen als Räumen öffentlichen Experimentierens. Sie wurden nicht nur umfunktioniert zum Theatrum anatomicum, sondern zwischen 1650 und 1750 vor allem auch zu Solarobservatorien, wie J.L. Heilbron in seinem Werk The Sun in the Church zeigen konnte.11 Auch Theater wurden bis weit ins 19. Jahrhundert benutzt, um naturwissenschaftliche Experimentalkunst angemessen in Szene zu setzen, woraus sich schließlich unter Titeln wie Lecture Theatre oder auch Automatical Theatre spezialisierte Einrichtungen entwickelten, deren tiefe Wesensverwandtschaft mit den Schauspielhäusern aber nie wirklich verloren ging. Bemerkenswert sind diesbezüglich die vergleichenden Betrachtungen Michael Faradays von verschiedenen Theatergebäuden mit jenem „Theatre of the Royal Institution“12, in dem als besondere Attraktion alljährlich experimentelle Weihnachtsvorträge präsentiert wurden, u. a. Faradays berühmte Darbietung der Chemical History of a Candle.13 Eine herausragende Rolle spielte auch die demonstrative Präsentation von Experimenten auf Messen und Märkten sowie überhaupt in Verbindung mit bedeutenden öffentlichen Ereignissen. So versuchten Experimentalkünstler des 17. Jahrhunderts, darunter Otto von Guericke, nicht zufällig gerade in Regensburg, der Stadt der Reichs- und Fürstentage, mit ihren Vorführungen Aufmerksamkeit zu erzielen. Als besonderes Ereignis der öffentlichen Präsentation im Zeichen des Marktes muss eine Ausstellung im Jahre 1747 in London angesehen werden, die 11 12 13

Vgl. John Lewis Heilbron. The Sun in the Church. Cathedrals as Solar Observatories. Cambridge, Mass., 1999. Vgl. Michael Faraday. The Correspondence of M. Faraday. 4 Bde. Hg. v. Frank A.J.L. James. London, 1991, Bd. 1, S. 56. Vgl. Michael Faraday. „The Chemical History of a Candle“. Scientific Papers. Physics, Chemistry, Astronomy, Geology (= Harvard Classics, Bd. 30). New York, 1965, S. 86-172.

Einleitung

XVII

der einflussreiche Kaufmann Peter Collison, ein Freund Benjamin Franklins, organisiert hatte, um alle bis dahin in Europa bekannten elektrischen Versuche zu zeigen.14 Zur spektakulären Fernwirkung und der Präsentation auf Märkten sowie in öffentlichen Gebäuden gesellt sich als weiterer Faktor einer intensiven öffentlichen Wirkung das System der Publikation von Büchern, Zeitschriften, Bildmaterialien, d. h. die Art und Weise der Ankündigung und Auswertung von Resultaten, in denen die Ereignishaftigkeit von Erfahrung oft ins Superlative gesteigert wurde. Ich stehe nicht an, freimütig zu erklären, daß ich niemals etwas gleich Wunderbares in dieser Art gesehen, davon gehört, gelesen oder mir vorgestellt habe; auch glaube ich nicht, daß die Sonne jemals etwas ähnliches, geschweige denn Wunderbareres seit Erschaffung der Welt beschienen hat.15

Mit dieser Euphorie erinnert sich Caspar Schott in seiner Technica curiosa jenes Versuches Otto von Guerickes, der auf spektakuläre Weise zeigte, „wie infolge des Luftdrucks zwei Halbkugeln so fest aneinander haften, daß sie von 16 Pferden nicht auseinander gerissen werden können“.16 Im 18. Jahrhundert verbindet sich die überdeutliche Herausstellung neuer Experimente und Erfindungen zunehmend mit einer erkennbaren Verschärfung des Zeitfaktors; Momente des demonstrativ Spektakulären werden u. a. stimuliert unter dem Einfluss von Verwertungsinteressen und urheberrechtlichen Fragen. So schreibt Jean Paul Marat in seinen Physikalischen Untersuchungen ueber das Feuer, er hoffe, dass er „nicht zu spät komme, wenn anders eine Menge neuer Versuche, welche glückliche Entdeckungen zur Folge haben, noch die Neubegierigen reitzen kann“.17 Joseph Priestley spricht vom rasanten Fortgang experimenteller Kenntnisse, „der sich wie jener der Wellen auf der See, des Schalls und der Sonnenstrahlen, nicht nach diesem oder einem andern Weg allein, sondern nach allen Richtungen ausbreitet“.18 Über die naturwissenschaftliche Publikationskultur des 18. Jahrhunderts bildeten sich europäische Kreisläufe der Information, auf deren Bahn sich allmählich so etwas wie ein Bestand unterhaltsamer Repertoire-Experimente herausbildete. 14 15 16 17 18

Vgl. Heinrich Meidinger. Geschichte des Blitzableiters. Karlsruhe, 1898, S. 11. Zit. nach Otto von Guericke. Neue Magdeburger Versuche über den leeren Raum [1672]. Düsseldorf, 1996, S. 3. Ebd., S. 116. Jean Paul Marat. Physikalische Untersuchungen ueber das Feuer [1780]. Übs. v. Christian Ehrenfried Weigel. Leipzig, 1782, S. 8. Joseph Priestley. Versuche und Beobachtungen ueber verschiedene Gattungen der Luft. 3 Bde. Übs. v. Christian Ludwig. Wien, 1778-1780, Bd. 1, Vorwort (o. P.)

XVIII

Helmar Schramm

Dem entsprach auch die Ausprägung eines in sich stark differenzierten Publikums. Entscheidender Kristallisationspunkt einer Kultur der experimentellen Unterhaltung war seit Mitte des 18. Jahrhunderts die Elektrizität. Die enorme Faszinationskraft der überall auftauchenden Elektrisiermaschinen kann aus heutiger Sicht kaum nachvollzogen werden. In privaten Wohnungen trafen sich nicht selten um die fünfzig Leute, um aufwändig vorbereiteten Vorführungen beizuwohnen, die man ohne Weiteres als ‚elektrisches Theater‘ bezeichnen kann, oder um am eigenen Leib das angenehme Grauen elektrischer Schläge zu erfahren.19 Meine bisherigen Ausführungen haben sich darauf konzentriert, die Skizze einer raumbezogenen Orientierungskarte zu entwerfen und zu zeigen, inwiefern freie Natur, öffentliche Gebäude, Messen und Märkte sowie das sich entfaltende Publikationswesen zu wesentlichen Orten der öffentlichen Experimentalkultur wurden. Auf diesen Hintergrund wäre nun die Folie eines ganz anderen, aber gleichermaßen wichtigen Orientierungsplanes zu projizieren; wir können provisorisch von einer anthropologischen Karte des spektakulären Experiments sprechen. Hierbei geht es um vielfältige Bezüge auf den menschlichen Körper. Ausgangspunkt ist hierbei die These, dass spektakuläre Ereignisse sich stets mit einer mehr oder weniger starken psychophysischen Wirkung verbinden. Um es in ein extremes Bild zu rücken: Der Beobachter wird gleichsam elektrisiert, die Haare stehen zu Berge, das Herz rast, der Blick weitet sich oder die Haltung erstarrt zur sprichwörtlichen Salzsäule. Lust und Schmerz können einander dabei überlagern, seltsame Mischungen wie ‚angenehmes Grauen‘ oder ‚angstvolle Neugier‘ können entstehen und sich über die Ansteckungskräfte einer zuschauenden Menge noch verstärken. In der Tat finden sich entsprechende Wirkungsbeschreibungen nicht selten, und sie beziehen sich nicht nur auf ein Publikum, sondern auch auf die experimentierenden Beobachter selbst, ja gerade auf sie. Man könnte in diesem Zusammenhang sagen: Momente großer Entdeckungen sind Momente der Ekstase. Auf dieses Bild des ekstatischen Beobachters werde ich im weiteren Verlauf meiner Ausführungen noch einmal zurückkommen und es wird vielleicht überraschen, in welcher Verkleidung die Figur dann erscheint. Interessant daran ist nun, dass sich auf diese Weise seit den Anfängen systematischen Experimentierens die Beobachtung einer Versuchsanord19

Vgl. M.G.C. Bohnenberger. Beschreibung einer auf eine neue sehr bequeme Art eingerichteten Elektrisir-Maschine nebst e. neuen Erfindung, die elektrische Flaschen und Batterien betreffend. Stuttgart, 1784, S.10f. sowie Georg Christoph Schmidt. Beschreibung einer Elektrisir-Maschine und deren Gebrauch. 2. Aufl. Berlin u. Stralsund, 1778, S. 29ff.

Einleitung

XIX

nung häufig mit der Wahrnehmung des menschlichen Körpers selbst verbinden musste. Diese doppelte Fokussierung der Aufmerksamkeit lässt sich tatsächlich sehr genau zeigen.20 Und sie trägt auf ihre Weise dazu bei, dass sich die Kartografie der Experimentalkultur zunächst weithin an der Gliederung menschlicher Sinne ausrichtet. Diese Tendenz reicht vom groß angelegten Entwurf eines Francis Bacon über eine sich in bestimmten thematischen Kanälen und Kreisläufen fortschreibende Praxis bis in die Gegenwart einer gewissen Fraktion der medientheoretischen Diskussion: Medien werden da gedeutet als Verlängerung, Verstärkung, Bewaffnung menschlicher Sinne. Neben den Versuchsanordnungen der mechanischen Bewegung, des Druckund Tastempfindens, des Sehens und Hörens gab es natürlich auch diverse spektakuläre Experimente zum Geruch. So befasste sich eine ehrbare Gesellschaft in der Accademia del Cimento im Jahre 1665 bis an den Rand der körperlichen Leistungsfähigkeit mit dem Extrakt von Pferdeurin, um herauszufinden, ob Glas eigentlich undurchdringlich gegen Gerüche sei.21 Die Nutzung des Körpers als Gliederungsvorlage für den Entwurf experimenteller Suchstrategien korrespondierte auf vielfältige Weise mit seiner Realzergliederung im Theatrum anatomicum. Diese Demonstrationen am offenen Leib hatten innerhalb einer Kultur des spektakulären Experiments zweifellos eine Sonderstellung inne, nicht zuletzt deshalb, weil sich hier das Empfinden des eigenen Körpers im spektakulären Augenblick potenzierte durch den intensiven Reiz der Begegnung mit dem Tod. Bei der öffentlichen Hinrichtung wie auch im Tierversuch steigerte sich die Konfrontation mit dem Tod zur Erfahrung des Tötens, und es fällt auf, in welcher Häufung und auf welche Art und Weise diese Spur sich der europäischen Geschichte des Experimentierens eingeschrieben hat. Interessanterweise erscheint das Spektakuläre gerade hier nicht selten unter der Maske selbstverständlicher Normalität. Joseph Priestley, der das experimentelle Forschen auf höchst poetische Weise mit Alexander Popes Gedicht der „Alpenreise“ vergleicht, gibt 1780 kühl und sachlich einen Bericht über gewisse Versuchsreihen. 20

21

Wenn man sich beispielsweise die Geschichte alchemistischer Versuche der Frühen Neuzeit ansieht: Es geht dabei einerseits um das Material, um die Substanzen, das Kochen und Scheiden, andererseits um die Veränderung der Alchemisten selbst. Vgl. Helmar Schramm. „Das offene Buch der Alchemie und die stumme Sprache des Theaters. ‚Theatralität‘ als ein Schlüssel gegenwärtiger Theaterforschung“. Wahrnehmung und Geschichte. Markierungen zur Aisthesis materialis. Hg. v. Bernhard Dotzler u. Ernst Müller. Berlin, 1995, S. 103-118. Vgl. Lorenzo Magalotti u. Richard Waller. Essays of Natural Experiments Made in the Academie del Cimento. London, 1684, S. 155.

Helmar Schramm

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Die entzündbare Luft tödtete die Thiere ebenso geschwind, als die fixe Luft, öfters so geschwind, daß man es kaum gewahr werden kann, und auf die nähmliche Art; denn sie werden mit Zuckungen befallen, die sogleich den Tod verursachen. Ich glaubte anfänglich, daß die entzündbare Luft mit der Zeit ihre schädliche Wirkung verlieren würde, wenn man sehr viele Thiere in ihr hatte umkommen lassen. Allein, es schien sich nicht so zu verhalten, denn ich konnte eine große Zahl von Mäusen in einer kleinen Portion dieser Luft, die ich verschiedene Monate in dieser Absicht hatte stehen lassen, umbringen, ohne daß die Luft dadurch merklich verbessert ward. Es kam die letzte Maus, so wie die erste, den Augenblick, als ich sie hineinsetzte, um.22

Nicht selten wurde allerdings das Töten auch regelrecht dramatisch inszeniert. Eine breite Spur zieht sich von jenen Experimenten der Royal Society, in denen 1670 beobachtet wurde, wie Hunde auf spektakuläre Weise an Schlangenbissen starben, bis zu jener Ameisenschlacht, über die im Jahre 1753 eine Zeitschrift für Naturforschung Folgendes berichtete: Ich war begierig, zu sehen, wie Ameisen von verschiedenem Geschlecht oder Volk sich miteinander vertragen wuerden. Ich holte also eine Schachtel voll Ameisen aus einem andern Garten und that sie in zwey Löcher in meinem Garten [...], so daß die fremden Ameisen, um ihre Gemeinschaft miteinander zu unterhalten, immer die Landstraße der eingebornen Ameisen meines Gartens durchkreuzen mußten.23

Minutiös wurde dann die Entstehung eines dramatischen Konflikts geschildert, der sich zum mörderischen Gemetzel steigert. Am Ende resümierte der Autor sein Experiment mit folgenden Worten: Also endigte sich ein Krieg, welchen meine fatale Neugierde veranlaßt hatte, und welcher bald eine gantze Nation zugrunde gerichtet hatte. Ich konnte mich nur nicht genug verwundern, daß dieses sonst so friedliche und arbeitsame kleine Volk so wütend, trotzig und grausam im Kriege sein kann.24

Über die raumbezogene und anthropologische Ebene hinaus wäre noch eine dritte zu berücksichtigen, und zwar jene, die sich auf Apparate, Maschinen und Instrumente des Experimentierens, auf Modelle und Materialien bezieht. Ohne die vielen Facetten dieser Problematik hier ausführen zu können, sei aber doch die prinzipielle Bedeutung kurz umrissen, und zwar vor allem im Kontrast zur angedeuteten anthropologischen Ebene. Maschinerien, Apparaturen und Instrumentarien, ja selbst gewisse Materialien und Substanzen werden insofern zu wichtigen Komponenten me22 23 24

Priestley (Anm. 18), S. 59. Voß (Anm. 4), Bd. 3, S. 843. Ebd.

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dial vermittelter Kommunikation, als die in ihnen vergegenständlichte, verdinglichte, materialisierte Rationalität ein relativ festes System von Regeln und Normen bildet. Dieses System von Spielregeln entzaubert nun gleichsam die anthropologisch fundierte Vision von Medien als Verlängerung bzw. Potenzierung menschlicher Sinne. Nicht die Technik hängt den Sinnen als Verlängerung an, man kann es auch – und vielleicht gar realistischer – aus einer diametral entgegengesetzten Position betrachten. In unserem Zusammenhang ist die Einbeziehung dieser Ebene verdinglichter Rationalität auch deshalb unverzichtbar, weil damit eine entscheidend wichtige, auf mathematischer Berechnung fußende Seite der Wissenschaftsentwicklung ins Spiel kommt, die der sinnlichen Anschaulichkeit des Experiments in mancher Hinsicht ganz konträr entgegensteht. Nur in ihrer Verflochtenheit mit jener Dimension der abstrakten Berechnungen, Daten und Formeln kann die Geschichte des experimentellen Darstellens und Beobachtens aber überhaupt angemessen betrachtet werden. Interesse verdienen mit Blick auf die instrumentelle, apparative Seite übrigens auch solche spektakulären Experimente und Erfindungen, die sich als eindrucksvolle Monumente jener Sackgassen begreifen lassen, in denen eine einseitige Orientierung auf abstrakt-instrumentelle oder anthropologische Standards nicht selten landen musste. Dazu hier abschließend ein besonders prägnantes Beispiel. 1796 schlägt Gottfried Huth nach dem Modell der Telegrafie über weithin sichtbare Signalkarten, das die Franzosen in kriegerischem Erfindungsgeist entwickelt hatten, ein ähnliches System schneller Datenübertragung auf der Basis von Sprachröhren vor. Er denkt im Banne einer langen experimentellen Tradition zu Problemen des Gehörsinns ernsthaft darüber nach, eine ganze Nation mittels spezieller Stationen akustisch zu vernetzen. Als angemessenen Begriff für seine Erfindung, so schreibt er, „würde hier nun sich schicklich empfehlen, der aus dem Griechischen entlehnte: Telephon, oder Fernsprecher“.25 Und falls die Geräte in Kriegszeiten zusammensteckbar auf großen Wagen untergebracht werden müssen, heißen sie dann eben ‚Mobil-Telephon‘.

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J.H. Lambert u. Gottfried Huth. Abhandlung ueber einige akustische Instrumente. Aus dem Französischen uebersetzt nebst Zusaetzen ueber das so genannte Horn Alexanders des Großen, ueber Erfahrungen mit einem ellyptischen Sprachrohre und ueber die Anwendung der Sprachroehre zur Telegraphie. Berlin, 1796, S. 109.

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III. Es wäre zu kurz gegriffen, wollte man das überreiche Archiv spektakulärer Experimente nur hinsichtlich extremer Formen der Darstellung oder des theatralen Sensationscharakters beleuchten. Wirklich interessant sind solche Experimente letztlich nur dann, wenn sie als symptomatische Fälle der kulturhistorischen Entwicklung von Experimentalsystemen betrachtet werden. Im Kern geht es dabei stets um spezifische Praktiken der Evidenzproduktion, deren wechselvolle Geschichten sich sowohl mit der Herstellung und Fundierung von Fakten, von Wahrscheinlichkeit und Wahrheit verbinden wie auch mit der Untergrabung und Relativierung ‚unumstößlicher Tatsachen‘. Entscheidende Probleme der Produktion von Evidenz, einschließlich damit verbundener Schwierigkeiten, die sich gelegentlich bis zur Paradoxie steigern können, verdeutlicht im vorliegenden Band Hans-Jörg Rheinberger, indem er seine Aufmerksamkeit auf die Rolle von Präparaten im Rahmen biowissenschaftlichen Experimentierens richtet. Die Fokussierung auf diesen Untersuchungsgegenstand verbindet sich mit weit reichenden Konsequenzen, von denen auch die Begriffe des Spektakulären und des Experiments betroffen sind. Nach einer ausdrücklichen Unterscheidung des ‚Präparats‘ vom ‚Modell‘ wird ein reiches Spektrum epistemologischer Probleme mit Blick auf vier Grundtypen des Präparats sehr prägnant und anschaulich diskutiert. Im Einzelnen geht es dabei um anatomische Präparate, Herbarien sowie mikroskopische und molekularbiologische Präparate, deren jeweilige Zurichtung sich auf vielfältige Weise mit der Geschichte experimenteller Strategien und Instrumentarien verbindet. Genau besehen impliziert die skizzierte Typologie auch vier historische Miniaturen, die quasi als Bausteine einer Kulturgeschichte des Experimentierens verstanden werden könnten. Auch Viktoria Tkaczyk, die sich in ihrer Studie zu Wolkeninszenierungen in Theater und Wissenschaft ausdrücklich auf den seinerzeit von Hans-Jörg Rheinberger ins Spiel gebrachten Begriff der Experimentalsysteme bezieht, lässt im Zuge ihrer überaus materialreichen Darstellung die Notwendigkeit eines kulturhistorischen Herangehens erkennen. Nicht allein die Welten der Wissenschaft und des Theaters treten da höchst facettenreich in Erscheinung – auch Fragen des Handwerks, des Ingenieurwesens und der Öffentlichkeit tragen dazu bei, einen dynamischen Kulturraum zu konstituieren. So ist es letztlich auch nicht verwunderlich, wenn neben einschlägig bekannten Namen wie René Descartes, Galileo Galilei, Nicola Sabbattini, Joseph Furttenbach oder Robert Hooke plötzlich auch ein Handwerksmeister aus Gotha im

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Rahmen eines brillanten Exkurses zur lokalen Theater(maschinen)-Situation Bedeutung erlangt. Gerade der Versuch, ein komplexes Zusammenspiel kultureller Faktoren zu erfassen, erfordert ein sehr sensibles, problembewusstes Vorgehen. So wird denn auch der Beitrag durch eine ‚Topografie der Evidenz‘ eröffnet, und im Zuge der Darstellung finden sich immer wieder grundsätzliche theoretische Überlegungen, die der Untersuchung insgesamt ein klares Profil verleihen, vorschnellen Parallelen und Analogiebildungen zwischen Theater und Wissenschaft entgegenstehen sowie Raum schaffen für anregende Hypothesen und Fragestellungen. Wenn etwa die potentielle Produktivität gewisser Unschärfen im Grenzbereich augenscheinlicher Evidenz betont wird, schließt sich gleichsam der Kreis zu jenen Wolken(inszenierungen), die ja den Kern der Untersuchung bilden und deren Natur sich meist mit unscharfen Rändern und atmosphärischen Dimensionen eines Helldunkel verbindet. Eine interessante Ergänzung zur Sondierung jener spektakulären Experimente barocker Theaterkultur, die sich effektvollen Wolken- und Wetterphänomenen widmeten, bildet die Studie von Philip Butterworth, in der es um Lichteffekte frühneuzeitlichen Theaters geht. Von methodischem Interesse ist dabei die systematische Verknüpfung zweier grundsätzlich verschiedener Textsorten als Quellen relevanter Informationen. Im Ergebnis einer äußerst gründlichen Lektüre zahlreicher Bühnenanweisungen dramatischer Spielvorlagen bezüglich vielfältiger Lichteffekte verdichtete sich allmählich mehr und mehr die Frage nach der technischen Machbarkeit solcher Zeichen und Wunder. Eine Antwort darauf ließ sich im Fundus theaterhistorischer Quellen nicht finden, wohl aber in den so genannten Books of Secrets, Publikationen aus den frühen Zeiten des Buchdrucks zu Themenfeldern wie Kosmogonie, Alchemie, Pharmazie, Medizin und Technik. Der nun mögliche ‚Dialog‘ zweier Textsorten eröffnet in vielen Details aufschlussreiche Perspektiven auf Zusammenhänge von Experimentalkultur, Technik- und Theatergeschichte. Zugleich werden aber auch eine Reihe theoretischer Fragen markiert, die sich aus heutiger Sicht mit derartigen Gegenständen verbinden. Allein schon gewisse Besonderheiten der Sprache, d. h. das Fehlen einer klaren Terminologie auf den Feldern der Technik und des Experimentierens sowie die Tendenz zur metaphorischen Umschreibung atmosphärischer Effekte im Theater, lässt zwangsläufig einige Zweifel bestehen, ob es sich im jeweiligen Fall tatsächlich um experimentelle Praktiken, Gedankenexperimente oder bloße Wunschvorstellungen handelte. Eine Antwort auf die Frage, wie sich alle denkbaren Wolken- und Lichteffekte barocker Theatromanie weiter steigern und übertreffen lie-

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ßen, gibt Florian Nelle in seinem Beitrag zu Gian Lorenzo Berninis Katastrophensimulationen, mit denen dieser seit 1638 weithin Aufsehen zu erregen vermochte. Abgesehen von einer detailreichen Schilderung dieser Sensationen, deren Spektrum sich vom Theaterbrand bis hin zur sintflutartigen Überschwemmung erstreckte und das Publikum nicht nur in Erstaunen, sondern geradezu in lustvolles Entsetzen bannte, abgesehen also von derlei anschaulichen Schilderungen, sind auch eine ganze Reihe theoretischer Implikationen von Interesse. Hervorhebenswert ist diesbezüglich etwa die These, Berninis Katastrophenexperimente seien als spielerische Reflexion zum Wesen des Theaters deutbar. Ausgehend von Berninis experimenteller Praxis, so eine weitere Überlegung, ließe sich das Wesen spektakulären Experimentierens im frühen 17. Jahrhundert exemplarisch fassen. In letzter Konsequenz mündet der Beitrag in eine anspruchsvolle Reflexion zum Verhältnis von Theater, Katastrophe und Experiment, um schließlich auf die Frage hinauszulaufen, ob nicht gar dem Experimentieren stets ein Element des Katastrophischen innewohnen müsse. Angesichts solcher Überlegungen zur barocken Theaterästhetik, zu effektvollen und spektakulären Seiten der Theaterpraxis des 17. Jahrhunderts ergibt sich ein harter Kontrast zum Beitrag von Volkhard Wels, in dem die These zur Diskussion gestellt wird, das Drama des 17. Jahrhunderts stünde überhaupt nicht in ästhetischem, sondern (als Argument) ausschließlich in sozialem, politischem, moralphilosophischem Kontext und müsse entsprechend gedeutet werden. Diese Auffassung begründet sich aus der Tatsache, dass die Poetik seinerzeit tatsächlich als Teil der Logik begriffen wurde und dass das Drama auf dieser Grundlage als kunstvolle Form der Evidenz funktionierte. Eine derartige Instrumentalisierung von Dichtung wird dann nicht nur anhand prägnanter dramentheoretischer Belege untermauert, sondern auch durch die exemplarische Analyse einiger Dramen. Von übergreifender Bedeutung für die Untersuchung zeittypischer Experimentalkultur dürfte jedoch vor allem der Hinweis auf den rhetorischen Ursprung des Evidenzbegriffs sein, und zwar unter ausdrücklicher Hervorhebung der Tatsache, dass es sich dabei nicht etwa nur um bloße bildliche Anschaulichkeit, sondern um ein komplexes Verfahren handelte. Barocke rhetorische Traditionen, dies wird von James W. McAllister nachgewiesen, wirken nach in einer ‚Rhetorik der Mühelosigkeit‘, von der das Bild und Selbstbild moderner Wissenschaften bis heute nachhaltig geprägt scheint. Mit Blick auf Vorträge, Experimentalberichte und öffentliche Vorlesungen lässt sich diese Tendenz differenziert belegen und auf kulturgeschichtliche Kontexte experimenteller Praktiken

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im 17. Jahrhundert zurückführen. Die Verfechter der frühen Experimentalwissenschaften waren aus vielerlei Gründen gezwungen, sich im Interesse der Verbreitung ihrer Konzepte dem Ideal der honnêteté zu verschreiben, so dass sich zwischen dem Präsentationsstil spektakulärer Experimente und der Stilisierung höfisch-gefälliger Verhaltensweisen ein raffiniertes Netz von Bezüglichkeiten auftat. Im Wesentlichen ging es dabei um Grundregeln einer höchst künstlichen, kunstvoll in Szene gesetzten Natürlichkeit, deren äußeres Bild durch eine untrennbare Verschmelzung von Glaubwürdigkeit und Mühelosigkeit charakterisiert war. Dieses Prinzip blieb auch erhalten, nachdem der soziale Rahmen barocker Hofkultur mehr und mehr erodierte. Für die Zeit nach 1800 lässt sich sogar zeigen, wie die ‚Rhetorik der Mühelosigkeit‘ im Zuge der Professionalisierung und Institutionalisierung moderner Wissenschaften weiter ausgebaut wird, was sich beispielsweise dem Lecture Theatre Michael Faradays auf exemplarische Weise eingeschrieben hat. Wenngleich Robert Felfe in seiner beeindruckenden Studie zu „Spiele[n] des Bildermachens bei Abraham Bosse“ nicht ausdrücklich darauf eingeht, lässt sich aus dem von ihm erschlossenen Material doch ablesen, dass auch die Spiel-Regelsysteme projektiver Geometrie und die damit verbundenen praktisch-experimentellen Übungen des „Sehens am Faden der Linie“ letztendlich einer ‚Rhetorik der Mühelosigkeit‘ verpflichtet sind. Bosses in mancher Hinsicht fast surreal anmutende Kupferstiche, auf denen die Einübung eines zentralperspektivisch determinierten Wahrnehmungsmodus in prägnanten Szenen des Agierens mit Raum schaffenden (Leit-)Fäden demonstriert wird, erweisen sich als anschauliche Dreh- und Angelpunkte seiner 1648 erschienenen Manière Universelle, die nicht allein für Fragen einer Wissens- und Mediengeschichte des Bildes von unschätzbarem Wert ist, sondern durch das darin so prägnant verankerte Zusammenspiel von Auge und Hand konsequenterweise auch eine allgemeine Theorie praktischer Tätigkeiten impliziert. Das somit erscheinende Gefüge von Handlungsanweisungen, Kunstgriffen, Objekten, Räumlichkeiten und bildlichen Aufzeichnungen lässt sich auf erhellende Weise als dynamisches Experimentalsystem deuten. Die zeittypische Tendenz einer weit verbreiteten Orientierung an rhetorischen Spielregeln und Mustern einer durchgreifenden Rationalisierung darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Wissenskultur des 17. Jahrhunderts in vielerlei Hinsicht als Unruhephase einer ‚offenen Epistemologie‘ zu begreifen ist. Jan Lazardzig verdeutlicht dies in seinem Beitrag, indem er den Projektemacher exemplarisch als signifikante Figur einer barocken Ordnung des Wunderbaren und Spektakulären her-

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vortreten lässt. Auf faszinierende Weise wird die Ambivalenz ausschweifender Experimentalkünste und eines entfesselten Erfindungswesens gezeigt, woraus im Spannungsfeld zwischen Gesten der kreativen Zerstörung und des aufbauenden Entwurfs ein utopisches Möglichkeitsdenken wie auch die Melancholie absehbaren Scheiterns erwuchsen. Inwiefern sich die Vorhaben der Projektemacherei nicht bloß auf ganz konkrete Gegenstände des Experimentierens und Erfindens, sondern auf umfassende Weltentwürfe bezogen haben, offenbart sich prägnant in ganz konkreten Versuchen einer Einverleibung der Schöpfungsgeschichte als Zivilisationsgeschichte, wobei die Arche Noah und der Turmbau zu Babel wesentliche Eckdaten bildeten. Insgesamt spannt sich der Bogen von Johann Joachim Bechers Närrische[r] Weißheit und Weise[r] Narrheit als Standardwerk der Projektemacherei über den Entwurf einer Akademie der Spiele und Spektakel im Drôle de pensée von Gottfried Wilhelm Leibniz bis hin zu Johann Heinrich Gottlob von Justis Gedanken von Projecten und Projectmachern von 1761, worin sich die im 18. Jahrhundert vollzogene Vertreibung des Projektemachers im Zuge einer Politik der Entzauberung, Assimilierung und Normalisierung eindrucksvoll abzeichnet. Ausgehend von einer 1684 in der französischen Akademie der Wissenschaften veranstalteten Öffnung der Leiche des bekannten Physikers und Akademiemitgliedes Edme Mariotte untersucht Ludger Schwarte auf höchst pointierte Weise das experimentelle Programm der Académie Royale des Sciences und verdeutlicht, warum und auf welche Weise darin die systematische Erforschung des ‚nackten Lebens‘ eine exponierte Stellung innehatte, die sich in letzter Konsequenz wahrlich umwälzend auf das gesamte Verständnis des Experimentierens auswirken sollte. Mariotte hatte 1667 im Zuge der Sektion von Menschen- und Tieraugen, verbunden mit sachbezogenen Selbstbeobachtungen den so genannten ‚blinden Fleck‘ entdeckt und damit entscheidende Anhaltspunkte für die Neuverortung des Experimentators im Rahmen von Experimentalordnungen gegeben. Der Status des Objekts des Experimentierens veränderte sich infolge einer solchen Akzentverschiebung nachhaltig; das experimentelle Beobachten richtete sich fortan nicht mehr auf Spuren einer vorgegebenen einheitlichen Naturordnung, sondern ging in einer sinnlich-dynamischen Relation von Subjekt und Objekt auf. Zugleich wurde ‚Leben‘ als epistemische Kategorie nunmehr abhängig von einer Ordnung der Sichtbarkeit, die das Experiment definierte. Hierin darf zugleich der Beginn eines neuen Politik-Regimes gesehen werden: Bio-Politik wurzelt in der experimentalwissenschaftlichen Sichtbarmachung des Lebens. Die materialreiche Bestandsaufnahme wird

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theoretisch fundiert durch eine Freilegung der philosophischen Grundlagen des Experimentierens am Menschen, wobei vor allem deutlich wird, dass Experimente als ‚Theater des Organismus‘ entscheidend durch Verfahren der Imagination geprägt wurden. Politische, soziale und kulturelle Implikationen des Experimentierens im Frankreich der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts werden von Andreas Gipper freigelegt durch die systematische Analyse eines zeittypischen Wechselspiels von Cartesianismus und Salonkultur. Gegen eine immer noch weit verbreitete schematische Gegenüberstellung des experimentierfreudigen englischen Sensualismus und des französischen Rationalismus wird hier eine bedeutende cartesianische Linie experimenteller Praktiken aufgezeigt, wobei sich die Darlegung nicht primär auf einschlägige Texte Descartes’ stützt, sondern eher auf dessen Umfeld, in dem Jacques Rohault als einer der wichtigsten Vertreter der ersten Generation nach Descartes mit seinem 1671 publizierten Werk Traité de physique spezielle Aufmerksamkeit erfährt. Auf sehr lebendige Weise wird geschildert, wie praktische Experimente über interessierte Zirkel, Privatakademien sowie öffentliche Vorträge (conférences) an ein breites Publikum vermittelt wurden und in welchem Maße dabei eine Rhetorik des Experimentierens als spezifische Evidenzproduktion durch das Muster höfischer Salonkultur determiniert wurde. Besondere Beachtung verdient zweifellos die sich wandelnde Relation zwischen praktischem Experimentieren und anschaulicher Beschreibung, die sich gegen Ende des Jahrhunderts mehr und mehr in Richtung einer Verdrängung experimenteller Praxis verschob, wobei der theatrale und spektakuläre Charakter entsprechender Texte umso stärker zunahm, je mehr das praktische Experiment als ‚Pedanterie‘ in einen harten Kontrast zur Rhetorik von Mühelosigkeit und eleganter Leichtigkeit höfischer Salonkultur geriet und daher zwangsläufig aus diesem Rahmen repräsentativer Öffentlichkeit verdrängt wurde. Auch Gerhard Wiesenfeldt konzentriert sich in seinem Beitrag auf Prozesse der Verdrängung, Verschiebung und Veränderung, denen das Experimentieren seit Ende des 17. Jahrhunderts immer stärker unterworfen war, wobei er sich insbesondere auf Wandlungen der einflussreichen niederländischen Wissenskultur bezieht. Anhand konkreter Experimente dreier Generationen von Naturforschern aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, Anfang und Mitte des 18. Jahrhunderts sowie aus der Zeit des Hervortretens einer professionellen Experimentalphysik in der Zeit um 1800 geht er der grundlegenden Frage nach, was ein Experiment eigentlich demonstriert. Indem er die unterschiedlichsten Kontextualisierungen von Experimentalpraktiken aufzeigt und dabei äußerst

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aufschlussreiche Einflüsse erhellt, die sich vom Entwicklungsstand handwerklicher Tätigkeiten über die Rhetorik von Gerichtsverfahren bis hin zu religiösen Konnotationen, zur potentiellen Priesterrolle des Experimentators erstrecken, gelangt er zu der detailliert begründeten Überzeugung, dass sich eine prinzipielle Trennung zwischen Produktion und Vermittlung von Wissen erst seit der Professionalisierung der Naturwissenschaften um 1800 durchgesetzt hat. Erst in dieser Zeit kommt es zu einem wirklichen Traditionsbruch, der im Rahmen der vorliegenden Studie durch Martinus van Marum repräsentiert wird, der seinen Zeitgenossen zwischen 1785 und 1795 vor allem durch den spektakulären Charakter seiner ‚ungemein grossen Elektrisiermaschine‘ bekannt geworden war, vor allem jedoch aufgrund seiner Durchführung reiner Forschungsexperimente im Rahmen einer Kulturgeschichte des Experimentierens spezifische Beachtung verdient. Die untrennbare Verschmelzung von Demonstrations- und Forschungsexperiment im 17. Jahrhundert und die damit einhergehende hochkomplexe Kontextualisierung experimenteller Aktivitäten wird auf schöne Weise verdeutlicht in der 1637 erschienenen Harmonie universelle von Marin Mersenne, wenn es darin heißt, Kriterien der Evidenz seien über das Experiment hinaus auch in Handwerk, Medizin, Rechtssprechung, Regierungskunst und Ästhetik anwendbar. Sebastian Klotz rückt mit seiner Studie über Mersennes Experimente zu nieder- und hochfrequenten Schwingungen von Saiten genau jenen Bereich frühneuzeitlicher Forschungen zur Akustik, zu Klang, Geräusch und Musik ins Zentrum, die im 17. Jahrhundert vielleicht von ganz besonderer Wichtigkeit waren für die Herausbildung eines neuen Verständnisses wissenschaftlicher Instrumente. Mersenne gelangte im Rahmen seiner Schwingungsexperimente zu einer Quantifizierung der akustischen Wahrnehmung und bezog seine Erkenntnisse auf das seinerzeit wirkungsmächtige Axiom einer universellen Harmonie der Natur, um aus der Tatsache, dass Schwingungen in bestimmten Frequenzbereichen für das menschliche Ohr nicht wahrnehmbar sind, eine Vorahnung des Leibniz’schen Konzepts unmerklicher Perzeptionen abzuleiten. Dimensionen eines spektakulären Experimentierens erwachsen aus akustischen Experimenten vor allem dort, wo es zu direkten Überlagerungen mit Fragen der Musik kommt. Komponieren wird vor dem Hintergrund quantifizierbarer Klangexperimente als spezifische Form der Evidenzproduktion begriffen. So zeichnet sich im vorliegenden Beitrag auf besonders erhellende Weise ein Begriff des frühen Experimentierens ab, in dem die Bereiche von Wissenschaft und Kunst als Energiezentren einander bedingen und beeinflussen.

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Auch Richard Nate betont das Wechselverhältnis von künstlerischer und wissenschaftlicher Dimension des Experiments, indem er seine Analyse von Wissenskultur in der englischen Restaurationszeit gezielt auf literarische Experimente bezieht. Dies wird vor allem ermöglicht durch hochinteressante Textanalysen früher Experimentalberichte, die vielleicht überhaupt als entscheidende Schnittstelle zwischen Diskursen der Wissenschaft und der Literatur angesehen werden dürfen. Dokumente wie etwa Thomas Sprats 1667 publizierte Geschichte der Royal Society offenbaren bei genauerer Betrachtung ein enormes rhetorisches Potential, das sich um Kristallisationskerne einer mehr oder weniger spektakulären experimentellen Praxis ausbildete. Gerade die nicht selten direkt auf nachhaltige Wirkung beim Publikum angelegten Experimentalberichte fördern auch bis weit ins 18. und 19. Jahrhundert hinein eine aufmerksame Rezeption und Adaption durch Künstler und Literaten. Neben zahlreichen literarischen Quellen wird in diesem Zusammenhang auch Joseph Wright of Derbys berühmtes Gemälde des Vogels im Vakuum von 1768 als anschaulicher Beleg herangezogen. Die konzeptuelle, begriffliche und instrumentelle Modifikation und Umwälzung barocker Experimentalpraktiken vollzog sich im Laufe des 18. Jahrhunderts als überaus widersprüchlicher Prozess, verbunden mit ganz unterschiedlichen Momenten der Stagnation oder auch der plötzlichen Beschleunigung. Wladimir Velminski zeigt an einem sehr prägnanten Beispiel, welche Rolle dabei dem Wechselspiel unterschiedlicher Wissensgebiete sowie der technischen Weiterentwicklung des Instrumentariums zukam. Vor dem Hintergrund einer recht ausführlich geratenen Skizze zur Kulturgeschichte optischer Experimente wird Leonhard Eulers bahnbrechende Leistung herausgestellt, auf deren Grundlage nach langen Zeiten der Stagnation das Fernrohr und das Mikroskop zu völlig neuer Leistungsfähigkeit weiterentwickelt werden konnten. Blockiert war die Entwicklung lange Zeit unter anderem deshalb, weil Newton die Herstellung achromatischer Linsen auf Basis der ihm zur Verfügung stehenden mathematischen Methoden für unmöglich erklärt hatte. Euler dagegen gelang es mit Hilfe der Differentialgleichung, mathematische Grundlagen für die Produktion von Objektiven zu liefern, welche es ermöglichten – frei von störenden Farbspektren – den Blick in neue, bisher unsichtbare Tiefen des Kosmos und der Mikrowelten zu richten. Der inspirierende Impuls dazu hatte sich aus physiologischen Untersuchungen des organischen Auges in seiner Petersburger Zeit ergeben und so kann man in Eulers genialer Leistung auch jenes Prinzip der Modellübertragung erkennen, das in der Geschichte des Experimentierens stets als Quelle der Imagination, Inspiration und Kreativität wirkte.

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Fernrohr, Mikroskop und Luftballon charakterisiert Gerhard Neumann als entscheidende Symptome, Wirkungsgrößen und Voraussetzungen einer Krise der Wahrnehmung um 1800, die sich nicht allein mit einer radikalen Umwälzung bislang denkbarer Strategien des Experimentierens verband, sondern auch gravierende Spuren auf dem Feld der Literatur hinterließ, die die Entstehung völlig neuartiger narrativer Strategien beförderte. Nicht allein Experimente mit optischen Instrumenten neuer Qualität sorgten plötzlich für Aufsehen, – auch die dem Ballon geschuldete Möglichkeit einer radikalen Relativierung und Flexibilisierung des Beobachterstandpunktes evozierte eine Situation, in der sich Schau-Lust und Wahrnehmungsschock gleichsam überlagerten. Die These dieses überaus komplexen und anregenden Beitrags läuft darauf hinaus, dass sich genau aus dieser Konstellation von Mikroskop, Fernrohr und Ballon sowie der daraus entspringenden, irritierenden Polyperspektivität im konfrontativen Zusammenspiel mit einem Wahrnehmungsmodus, den Hegel im antiken Mythos verankert sah, die Geburt romantischer Wissenspoetik der Goethezeit erklärt. Als Echo klingt in diesen neuen instabilen und unheimlichen Räumen auch bereits die Wahrnehmungskatastrophe der Moderne an. Scharfsinnig und treffend wird vor diesem Hintergrund angedeutet, welche Resonanzen bzw. Dissonanzen hieraus auf dem Feld der Literatur erwachsen, wobei sich ein Bogen von Jean Paul, Georg Christoph Lichtenberg und Adalbert Stifter über Sigmund Freud bis hin zu Botho Strauß spannt. Der tiefe Einschnitt um 1800 rückt auch in der Studie von Michael Heidelberger zum Verhältnis von Instrument und Experiment gleichsam ins Zentrum der Betrachtung. Im Rahmen einer ausführlichen Überblicksskizze wesentlicher theoretisch-philosophischer Positionen zur Rolle des Experiments wird deutlich, dass Diskussionen in der Wissenschaftsphilosophie des 19. Jahrhunderts letztlich auf eine Art Negativgeschichte des Experimentierens hinausliefen und dass dieser Trend bis in die 1980er Jahre anhielt, bevor ein ‚neuer Experimentalismus‘ auf völlig veränderten Grundlagen und verbunden mit völlig neuartigen Fragestellungen hervortrat, der seither beständig an Einfluss gewonnen hat. Die im 19. Jahrhundert favorisierte negative Sicht aber lässt sich als folgerichtige Begleiterscheinung jenes Umbruchs begreifen, in dem aus den Traditionen einer im 17. Jahrhundert verwurzelten Experimentalpraxis ein professionalisierter und institutionalisierter Wissenschaftsbetrieb einschließlich der damit verbundenen Geschichtsschreibung hervorging, dessen Intentionen sich allererst darauf richteten, in strikter Abgrenzung gegen die Vergangenheit gleichsam zu sich selbst zu kommen.

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In gewisser Weise trägt Dominique Pestre mit seiner Studie über Kontroversen um die historischen Experimente von Heinrich Hertz dazu bei, Aversionen gegen das Experiment im 19. Jahrhundert als nachvollziehbar erscheinen zu lassen. Hertz wurde aufgrund seiner Experimente mit dem Funken-Generator gefeiert, weil es ihm offenbar gelungen war, eine praktische Bestätigung der Maxwell’schen theoretischen Konstruktion zur Existenz elektromagnetischer Wellen zu liefern. War dieses Experiment zunächst durchaus nicht spektakulär, so fanden sich doch in der Folgezeit eine ganze Reihe begeisterter Nachahmer, die das Experiment von Hertz nicht nur zu wiederholen versuchten, sondern es auch Schritt für Schritt zur immer spektakuläreren Demonstration ausbauten. Hierbei verbanden sich wissenschaftliche und wirtschaftliche Interessen mit Strategien der Selbstdarstellung und der Werbung. Seltsamerweise kam jedoch in diesem Rausch des Nachvollzugs niemand auf die Idee, die Hertz’schen Berechnungen einer genaueren Prüfung zu unterziehen. Es wurde deshalb weithin als Schock empfunden, als Henri Poincaré 1890 einen beachtlichen Rechenfehler von Hertz nachwies, der einen tiefen Abgrund zwischen mathematisch-theoretischem Ansatz und praktisch demonstrierter Evidenz öffnete. Dieser exemplarische Fall wird in der vorliegenden Studie auf sehr überzeugende Weise präsentiert und vermittelt Einblicke in die ökonomischen, sozialen und kulturellen Rahmenbedingungen experimenteller Praxis gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Noch stärker radikalisiert wird die Problematisierung der Produktion von Evidenz im Bereich physikalischer Experimente durch Rainer Gruber. Ausgehend von neuesten Beobachtungsresultaten des 2001 gestarteten Satelliten WMAP zur kosmischen Hintergrundstrahlung schlägt er in seinem Beitrag einen eleganten Bogen, der von Newtons Bemühungen um Evidenz zur Bestätigung des Gravitationsgesetzes über die Revolutionierung des Bildes vom Kosmos durch Albert Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie bis hin zu den bildgebenden Techniken neuester Satelliten und den damit verbundenen kosmologischen Hypothesen reicht. Auf diese Weise wird eindrucksvoll gezeigt, wie die evidente Bestätigung eines theoretischen Ansatzes plötzlich im Lichte einer grundlegend neuen Theorie sich urplötzlich zur Evidenz für Letztere verwandeln kann. Die Geschichte kosmologischer Forschungen hat dazu geführt, die Grenze der Sichtbarkeit immer tiefer in den Weltraum zu verschieben, und im Zuge dieses Vordringens zu immer neuen Firmamenten hat sich auch das Verhältnis von Theorie und Evidenz grundlegend gewandelt. Möglicherweise, so lassen aktuelle Publikationen vermuten, stehen wir derzeit erneut vor einer ungeheuer folgenreichen Re-

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volutionierung des Bildes vom Weltraum. ‚Evidenz wofür?‘, fragt Rainer Gruber in seinem Aufsatz, und er beantwortet diese Frage, indem er die Rolle der Evidenz einerseits relativiert, sie aber andererseits im Wechselspiel mit der Theoriebildung als ständige Herausforderung neuer Kreativität zu schätzen weiß. Es geht also nicht so sehr um die Produktion unerschütterlicher Tatsachen, sondern eher um einen dynamischen, flexiblen Denk- und Arbeitsstil im Gefüge unendlich komplexer, sich ständig verändernder Welten. In eine durchaus ähnliche Richtung zielt auch Andrew Pickering, der unter Bezug auf die Ideen und praktisch-experimentellen Arbeiten Gordon Pasks Grundzüge einer kybernetischen Ästhetik entwirft, die als krasser Gegenentwurf zur Ästhetik der Moderne begreifbar ist. Die Differenz begründet sich aus einer grundverschiedenen Ontologie, deren Wesen darauf hinausläuft, die Welt als Vielheit letztlich unergründlicher Instanzen zu sehen, von denen jede am Werden der anderen teilhat. Auf Basis eines solchen Ansatzes lässt sich im Gegensatz zur modernen Wissenschaft keine Behauptung einer völligen Enträtselung und finalen Verstehbarkeit der Welt konstituieren, wohl aber ein lustvoller Denk-, Arbeits- und Lebensstil, dessen politische Dimension im Experimentalismus der Sechziger Jahre für kurze Zeit ahnbar geworden ist. Das ‚Ontologische Theater‘ Gordon Pasks, seine interaktiven Kunstprojekte wie etwa die ‚Musicolour-Machine‘, das ‚Colloquy of Mobiles‘, der Entwurf eines ‚Fun Palace‘ oder die Visionen einer interaktiven Architektur, – all dies versteht sich stets zugleich als Kunst(werk) und Modell der kybernetischen Ontologie. Uneingelöst, wie Pasks 30 Seiten umfassender Entwurf eines ‚Kybernetischen Theaters‘, bilden diese Modelle heute gleichsam einen schwarzen Spiegel, in dem die düsteren Züge moderner Spaßkultur überscharf in Erscheinung treten. Auch aus dem Beitrag Lydia Goehrs ist das Politikum eines demonstrativen Bruchs mit maßgebenden Zügen der Moderne ablesbar, wenngleich auf ganz andere Weise und unter direktem Bezug auf entscheidende Hintergründe und kreative Dimensionen moderner Ästhetik und experimenteller Kunstpraxis. Der erwähnte Bruch wird hier erkennbar aus einer tiefgründigen Unterscheidung der Begriffe und Praktiken des Experiments und des Experimentellen. Im Brückenschlag zwischen Francis Bacon, dem ‚Vater der experimentellen Wissenschaften‘, und John Cage, dem ‚Vater der experimentellen Musik‘, konstituiert sich ein Spannungsfeld, aus dem höchst kreative Fragen und Infragestellungen erwachsen, denen die Verfasserin im Lichte einer Re-Lektüre Adornos nachgeht und die in ihrer Gesamtheit darauf hinauslaufen, eine Kulturgeschichte der Moderne als Geschichte des Experiments und des Expe-

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rimentellen vorzuschlagen. Und der Beitrag zeigt, wie sehr es bei der Beurteilung pathologischer Züge der Gegenwart darauf ankommt, angemessene Distanzpositionen in den Weiten des historischen Raums zu entdecken. IV. Stellen wir uns abschließend einen Kupferstich vor, dessen inszenierter Bildraum ganz und gar von spektakulärer Theatralik durchwaltet scheint. Auf unsicherem Grund eines Globus, dessen Absturz von der Kante eines Altarsockels nach allen bekannten Gesetzen des freien Falls jederzeit möglich wäre, balanciert eine Frau mit geflügelten Schläfen in „ekstatischer Haltung“26 (beiläufig erinnert sei hier übrigens an den weiter oben erwähnten ekstatischen Beobachter). Fast scheint sie sich mit einer Hand abstützen zu wollen an der trügerischen Stabilität des rechten Bildrahmens, während ihr Blick fixiert ist auf ein göttliches Auge in strahlendem Dreieck, dessen Licht düsteres Gewölk verdrängt. Im Vordergrund die marmorne Statue eines Denkers in kontemplativer Haltung und ein ganzes Arsenal symbolträchtiger Requisiten. Die Frau verkörpert Metaphysik, die Weltkugel das Reich der Natur, die Statue Homers den mythologischen Grund unseres Wissens über die Anfänge des Wissens. Beherrscht aber wird die gesamte Bildstruktur durch die geometrische Brechung eines einzigen, kräftigen Lichtstrahls, der als unübersehbare Spur wahrer Erkenntnis das Auge der Vorsehung, die Metaphysik und Homer verbindet. Fast vierzig Seiten widmet Giambattista Vico der andeutenden Ausdeutung dieses Titelkupfers seiner Scienza Nuova als einer Szenerie, „die dem Leser behilflich sein soll, die Idee dieses Werkes vor der Lektüre zu erfassen und sie nach der Lektüre mit Hilfe der Phantasie leichter im Gedächtnis zu behalten“.27 Die hier in der Konstellation von Bild und Text aufscheinende Wichtigkeit der Fantasie verweist direkt auf den Kern des Werkes: Poesie, Imagination, Fantasie werden darin als Urgrund menschlichen Wissens behauptet. Die weit reichenden Folgen lassen sich allein schon aus dem bloßen Auftauchen von Begriffen wie poetische Metaphysik, poetische Logik, poetische Politik oder poetische Physik erahnen. Mit dieser Position 26

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Giambattista Vico. Prinzipien einer neuen Wissenschaft über die gemeinsame Natur der Völker [1744]. 2 Bde. Hg. u. übs. v. Vittorio Hösle u. Christoph Jerman. Hamburg, 1990, Bd. 1, S. 3. Ebd.

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stand Vico auf provozierende Weise jener mächtigen Tendenz entgegen, die sich seit Descartes anschickte, den Raum des Wissens auf geometrisch-philosophischer Grundlage im Zeichen einer methodischen Rationalisierung neu zu kartografieren. The New Map of the World lautet der Titel eines Buches von Giuseppe Mazzotta über Vicos poetische Philosophie.28 Der treffende Titel weist in zwei ganz verschiedene Richtungen. Zunächst bezieht er sich natürlich auf jenen Gegenentwurf Vicos, dessen kartografisches Prinzip darauf basiert, den Dreh- und Angelpunkt einer Welt des Wissens aus den Ursprungstiefen der Zeit und nicht aus dem idealen Raum einer methodischen Setzung zu erschließen. Auch für Vico sind Grenzen wichtig, aber sie haben im Zeichen einer doppelten Dynamik von Imagination und Geschichtsprozess eine völlig andere Qualität, markieren gleichsam Orte der Berührung, des Übergangs, des Zusammenspiels eines Ganzen der Kultur. Der Titel The New Map of the World spielt aber auch darauf an, dass es gegenwärtig viele gute Gründe gibt, die Kartografie der Kultur des Wissens grundsätzlich neu zu durchdenken. Das bezieht sich nicht allein auf Natur- und Geisteswissenschaften, sondern gerade auch auf das Verhältnis von Wissenschaft und Kunst. Warum aber erscheint gerade Vicos Position hier als ausdrücklich hervorhebenswert? Von Bacons Novum Organon bis zu Kants Kritik der reinen Vernunft spannt sich ein Bogen groß angelegter Systematisierungsversuche menschlichen Wissens, die sich immer wieder als überfälliger Neuanfang begreifen, als kopernikanische Wenden. Unter all diesen Versuchen ragt Vico heraus, weil sich bei ihm die kritische Reflektion des Wissens und des Experimentierens untrennbar mit dem ersten tiefgründigen Entwurf einer Kulturgeschichte verbindet. Das Experiment und die damit verbundene induktive Methode hat aus seiner Sicht eine wichtige Funktion in der Naturforschung inne. Hier sieht er gar einen gravierenden Kontrast zur cartesianischen Methode, die seiner Meinung nach die Geister spitzfindig mache, aber nicht schärfe. Eine Übertragung methodischer Grundzüge des naturwissenschaftlichen Experiments auf die Erforschung menschlicher Kultur ist ihm möglich, weil sein erkenntnistheoretischer Ansatz auf einem verum factum-Prinzip beruht: Sicheres Wissen könne es nur über solche Erkenntnisgegenstände geben, die auch von Menschen selber hergestellt worden sind, wie etwa die ständig produzierte und reproduzierte Geschichte der Kultur. Es ist schon paradox: So sehr diese These ei28

Vgl. Giuseppe Mazzotta. The New Map of the World. The Poetic Philosophy of Giambattista Vico. Princeton, N. J., 1999.

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nerseits darauf zielt, den Geltungsanspruch exakter Naturforschung zu relativieren, so sehr bestätigt sie andererseits gerade das entscheidende Kriterium naturwissenschaftlichen Experimentierens gegenüber der bloßen Beobachtung: Forschungsgegenstand und Beobachtungsrahmen sind ja im Falle des Experiments stets vom Beobachter selbst gesetzt und kontrolliert. Viele konkrete methodische Züge des Experimentierens lassen sich im Text der Scienza Nuova bemerken. Zu nennen wäre diesbezüglich etwa eine auffällige Fülle von Eingrenzungstechniken und Rahmensetzungen, immer wieder wird versucht, größere Prozesse in nuce einzufangen, eine Tendenz, die ja schon in der Deutung des Eingangsbildes aufblitzt. Da werden exemplarische Fälle und Beispiele dargeboten und über das Netzwerk eines komplexen Verweissystems miteinander verknüpft. Da wird ein intensives Zusammenwirken von Beobachtungs- und Deutungsstrategie erkennbar. Und auch die zahlreichen Wiederholungen implizieren einen ausgeprägten Gestus des Experimentierens, der Auswertung, Ausdeutung von Beobachtungsserien. Worin besteht nun aber eigentlich das Material, an dessen experimenteller Ausdeutung sich Vico versucht? Nun, sein Material ist die Sprache selbst, sind die vielen ‚geistigen Wörterbücher‘, in denen Kulturgeschichte lagert, sind die Wortspiele, Sinnsprüche und Gleichnisse als Speicher historischer Formen der Imagination, sind die Systeme dinghafter, bildhafter, stummer Zeichen, sind die Wörter als Bildarchive und Instanzen begrifflicher Rationalität. Und daher heißt das Laboratorium seiner Experimentierkunst, und daher heißt das Legitimationszentrum seiner Neuen Wissenschaft: Philologie. Indem sich nun aber seine ganze Aufmerksamkeit im Medium der Sprache auf den Prozess der Imagination richtet, der in seiner dynamischen Ambivalenz alle Bereiche der Kultur durchwirkt und deren unauftrennbare Verbundenheit stiftet, indem er auf diese Weise im buchstäblichen Sinne des Wortes zur Vielschichtigkeit realer Sprachprozesse vordringt, macht er Entdeckungen von ungeheurer Reichweite, die in gewissem Sinne erst 200 Jahre nach ihm auf den Begriff gebracht werden, nämlich auf den Begriff der ‚Sprachspiele‘ von Wittgenstein. Ein Zusammendenken von Wittgensteins Konzept der Sprachspiele mit Vicos Philologie der Imagination könnte vor dem Hintergrund medienhistorischer Fragestellungen höchst aufschlussreiche Resultate erbringen. Direkt im Gefüge des praktizierten Konzepts des Experiments, direkt im methodischen Bewegungszentrum der Neuen Wissenschaft taucht also ein anderer Begriff auf, und zwar der des Spiels. Nur am Rande sei

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hier vermerkt, dass Formen des Spielens auch vielfach explizit thematisiert werden. Worauf es mir jedoch an dieser Stelle besonders ankommt, ist Folgendes: In der Scienza Nuova tritt die tiefe Wesensverwandtschaft von Experiment und Spiel auf eindrucksvolle Weise aus dem weit gespannten Lektürefeld eines Entwurfs von Kulturgeschichte hervor. Und genau darin liegt ein Schlüssel für das Verständnis jener nie wirklich abreißenden Beziehung zwischen Wissenschaften und Künsten, um die es hier geht. In letzter Konsequenz wäre vielleicht sogar eine Archäologie des Experiments denkbar als Geschichte von Spielen. Zunächst ist dabei auf performative Seiten des Experimentellen zu verweisen, auf Darstellungsmomente, die sich unter anderem Vorzeichen auch in weiten Bereichen der jeweils zeittypischen Spielkultur, in den Künsten und vor allem im Theater offenbaren. Hinzu kommt die gezielte Intensivierung von Wahrnehmung in Experiment und Spiel, die gezielte Hegung und Konzentration von Aufmerksamkeit. Vor allem aber verdient die historisch weit verbreitete Spielregel der Modellübertragung Beachtung: als Entfesselung des Augen-Blicks und des Gedankens – willkommener Einbruch, Einfall des Neuen, Geburt des Einfalls. Geht es beispielsweise darum, in den Wunderwerken der Natur nützliche Verfahren und Techniken zu entdecken, so bilden umgekehrt Erfindungen und Versuchsanordnungen einen originären Deutungsrahmen für Natur. Die Dynamik des Spiels umschließt mit je unterschiedlichem Akzent gleichsam beide Linien der Wissenschaftsentwicklung, nämlich jene auf methodischer Abstraktion und Berechnung beruhende und jene des anschaulichen Experiments. Neben den bislang skizzierten Aspekten des Performativen, der Hegung von Aufmerksamkeit und der Modellübertragung ist schließlich als weiterer, grundsätzlich wichtiger Anhaltspunkt das Prinzip der Wiederholung zu betonen. Genauer gesagt, ein Prinzip, eine Spielregel der Wiederholung bei gleichzeitiger Tendenz zur Variation. Wieder anders gesagt: eine Dynamik von Differenz und Wiederholung.29 Ist diese Konstellation für die Entwicklung europäischer Philosophie und Wissenschaft durchgehend von größter Bedeutung, so lassen sich – bezogen auf unterschiedliche Zeiträume – doch sehr prägnante Akzentverschiebungen ausmachen. Ein weiterer Berührungspunkt von Experiment und Spiel liegt schließlich im Gestus, in den Regeln, den Praktiken der Grenze, des Rahmens, der kultivierten Schranke. Kein Spiel ohne Grenzen, kein Experiment 29

Vgl. Gilles Deleuze. Differenz und Wiederholung [1969]. München, 1992.

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ohne begrenzende Spielregeln. Von daher ist es interessant, dass diese Tendenz bereits im 17. Jahrhundert nicht bloß in Laboratorien zu finden ist, sondern in allen Bereichen der Künste und Kultur. So kann man erahnen, inwiefern sich auch soziale und politische Mikrobereiche bilden, in denen Spiel und Experiment nicht zuletzt auch als Stilisierung von Verhaltenspraktiken wirksam werden. Die gesamte Verhaltensökonomie der Zeit ist tatsächlich in erheblichem Maße von repräsentativen Regeln der disziplinierenden und disziplinären Beschränkung sowie habitualisierten Blickschranken determiniert. Man kann in Bezug auf diese exemplarische Situation einer Kulturgeschichte des Experimentierens erahnen, wie gleichsam hinter dem Rücken der großen Denker, strategischen Köpfe, Projektemacher, Erfinder und Experimentatoren immer wieder Blickschranken heraufwachsen, die spontan und unbeherrschbar den Prozess des Fragens, Suchens und der Wissensakkumulation begleiten.

LITERATURVERZEICHNIS Black, Max. The Prevalence of Humbug, and Other Essays. Ithaka, N. Y., 1983. Bohnenberger, M.G.C. Beschreibung einer auf eine neue sehr bequeme Art eingerichteten Elektrisir-Maschine nebst e. neuen Erfindung, die elektrische Flaschen und Batterien betreffend. Stuttgart, 1784. Deleuze, Gilles. Differenz und Wiederholung [1969]. München, 1992. Faraday, Michael. „The Chemical History of a Candle“. Scientific Papers. Physics, Chemistry, Astronomy, Geology (= Harvard Classics, Bd. 30). New York, 1965, S. 86172. Faraday, Michael. The Correspondence of M. Faraday. 4 Bde. Hg. v. Frank A.J.L. James. London, 1991, Bd. 1. Gaertner, Andreas. Gärtneriana Oder: Des weyl. weitberuehmten und Kunst-Erfahrnen Koenigl. Pohlnischen und Chur-Saechsischen Modell-Meisters und Hoff-Mechanici Andrea Gaertners Leben, und Verfertigte Kunst-Wercke [...]. Leipzig, 1727. Goethe, Johann Wolfgang von. Werke. Weimarer Ausgabe. 55 Bde. Weimar, 18871919, Bd. 17. Guericke, Otto von. Neue Magdeburger Versuche über den leeren Raum [1672]. Düsseldorf, 1996. Heilbron, John Lewis. The Sun in the Church. Cathedrals as Solar Observatories. Cambridge, Mass., 1999. Lambert, J.H. u. Gottfried Huth. Abhandlung ueber einige akustische Instrumente. Aus dem Französischen uebersetzt nebst Zusaetzen ueber das so genannte Horn Alexanders des Großen, ueber Erfahrungen mit einem ellyptischen Sprachrohre und ueber die Anwendung der Sprachroehre zur Telegraphie. Berlin, 1796. Magalotti, Lorenzo u. Richard Waller. Essays of Natural Experiments Made in the Academie del Cimento. London, 1684, S. 155.

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Helmar Schramm

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HANS-JÖRG RHEINBERGER

Die Evidenz des Präparates1

1. Einleitung Mit diesem Aufsatz möchte ich an die Ausführungen meines Vortrages auf der Tagung „Instrumente in Kunst und Wissenschaft“ anknüpfen, auf der ich über Schnittstellen zwischen Instrument und Objekt in den Biowissenschaften gesprochen habe.2 Dieser Beitrag wendet sich ganz der Seite der Objekte in den Biowissenschaften zu und konzentriert sich dabei auf eine ganz bestimmte Kategorie von experimentellen Gegenständen: die Präparate. Einige allgemeine Bemerkungen seien vorangestellt. Materielle Dinge, die in der Produktion von Wissen eine Rolle spielen, an denen und durch die sich die Gewinnung von Erkenntnis vollzieht, epistemische Dinge also, können zwar, müssen aber nicht unbedingt unter die Kategorie des Spektakulären fallen. Des Öfteren sind sie eher von der unscheinbaren Art. Die Wissenschaftsgeschichte der vergangenen drei Jahrzehnte hat uns jedoch zu Bewusstsein gebracht, in welchem Ausmaß gerade auch die wissenschaftliche Forschung selbst – und keineswegs nur ihre technischen Produkte – an eine Kultur oder vielmehr an ganz unterschiedliche Kulturen des Umgangs mit materiellen Dingen gebunden ist. Die Untersuchung der Kulturen dieser Dinge hat lange Zeit im Hintergrund des wissenschaftshistorischen Interesses gestanden. Wer sich mit der Geschichte der Wissenschaften befasste, war eher an der begrifflichen Seite ihrer Verzweigungen und ihrer Synthesen interessiert. Das hat sich geändert. Nicht unerhebliches 1

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Der Beitrag stellt die geringfügig veränderte Fassung des Aufsatzes „Epistemologica: Präparate“ dar, der erschienen ist in Anke te Heesen u. Petra Lutz (Hg.). Dingwelten. Das Museum als Erkenntnisort (= Schriften des Deutschen HygieneMuseums Dresden, Bd. 4). Köln, 2005, S. 65-75. Vgl. hierzu Hans-Jörg Rheinberger. „Schnittstellen. Instrumente und Objekte im experimentellen Kontext der Wissenschaften vom Leben“. Instrumente in Kunst und Wissenschaft. Zur Architektonik kultureller Grenzen im 17. Jahrhundert. Hg. v. Helmar Schramm, Ludger Schwarte u. Jan Lazardzig. Berlin, 2006, S. 1-20.

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Hans-Jörg Rheinberger

Interesse ist in letzter Zeit vor allem den Instrumenten der Erkenntnisproduktion sowie den Räumen gewidmet worden, in denen sich diese Produktion abspielt. Die Dinge jedoch, an denen sich in den empirischen Wissenschaften der Prozess der Erkenntnisgewinnung abspielt, kamen in diesen Geschichten, wenn überhaupt, dann nur am Rande vor. Für den Gang des Wissens spielen sie aber eine entscheidende Rolle. Die vorwiegend deskriptiven, systematisierenden Wissenschaften lösen ihre Gegenstände in der Regel aus einem gegebenen Naturzusammenhang heraus und stellen sie in einen anderen Kontext. Ein botanischer Garten, eine Gesteinssammlung oder ein Herbarium sind zu besonderen Räumen ausgestaltete Beispiele für einen solchen Vorgang. Davon bleiben die umgestellten Dinge nicht unberührt. Indem sie in eine andere, theoretisch und praktisch motivierte Konfiguration versetzt werden, geht ein Bedeutungswandel mit ihnen vor. Es werden vielleicht überhaupt erst Aspekte an ihnen sichtbar, die ohne diese Umordnung bedeutungslos und damit auch unsichtbar geblieben wären. Es wird Sinn in sie investiert, sie werden damit zu epistemischen Objekten, zu Erkenntnisdingen. In den experimentellen Wissenschaften ist dieser Vorgang noch radikaler. Dort werden im Zusammenspiel mit der Entwicklung von Beobachtungs- und Messinstrumenten die Objekte des Beobachtens und Messens in eine Konfiguration gebracht, in der sie der instrumentell vermittelten Erkenntnis überhaupt erst zugänglich werden. So hat der französische Wissenschaftshistoriker und Epistemologe Gaston Bachelard immer wieder und eindringlich darauf hingewiesen, dass die modernen Naturwissenschaften eine ganze „Phänomenotechnik“, eine Technik der Erscheinungen – man müsste vielleicht korrekter sagen: eine Technik des In-Erscheinung-Bringens – in Szene setzten.3 Man kann solche durch die Bewegung der Wissenschaft selbst hervorgebrachten epistemischen Dinge in der Vielfalt ihrer historischen Gestalten auch als Epistemologica bezeichnen. Eine besondere Klasse von Epistemologica stellen die Präparate dar. Sie haben insbesondere in den mit Lebewesen beschäftigten Wissenschaften ganz spezifische Ausprägungen erfahren. Das hängt damit zusammen, dass es in der Regel besonderer Vorkehrungen bedarf, um lebendige Dinge auf Dauer zu stellen, sie für den erkennenden Blick zu stabilisieren. Der Duden nennt zwei Bedeutungen des Wortes Präparat. Die erste lautet: „Etwas kunstgerecht Zubereitetes.“ Die zweite ist noch3

Gaston Bachelard. „Noumène et microphysique“ [1931-1932]. Études. Paris, 1970, S. 18f.

Die Evidenz des Präparates

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mals zweigeteilt: „konservierte Pflanze od. konservierter Tierkörper“ und „Gewebeschnitt zum Mikroskopieren“.4 Die erste Verwendung stammt aus dem Bereich der Pharmakologie und Medizin. Die zweite ist den biologischen Wissenschaften zugeordnet. Diese soll uns hier beschäftigen. Es geht um präparierte Organismen oder kleine und kleinste Teile und Bestandteile von Lebewesen. Im heute noch gängigen Sprachgebrauch der Chemie, aber auch der Biologie, ist häufig von einer ‚Darstellung‘ von Präparaten die Rede. Bei einer aus einem Gemisch abgetrennten Substanz spricht man dann entsprechend von einer ‚Reindarstellung‘. Ich erwähne diese Redeweise, weil in ihr der Begriff ‚Darstellung‘ nicht Repräsentation im üblichen Sinne eines Abbildes bedeutet, sondern in die Bedeutung einer Herstellung hinüberführt. Als Ergebnis solcher Darstellung sollen die Dinge jedoch, so ist es zumindest der Anspruch der Wissenschaft, nicht nach Belieben umgeformt, sondern gewissermaßen zu sich selbst gebracht werden. Sie sollen sich selbst zu erkennen geben, sich evident machen durch eben jene Eigenschaften, die an ihnen hervorgehoben werden und dann zu ihrer Definition Verwendung finden. Das Paradox des wissenschaftlichen Präparates, so könnte man sagen, besteht also darin, dass die ganze Arbeit der Zurüstung, die im lateinischen Wortsinn des ‚Präparierens‘ steckt, genau dann als erfolgreich verlaufen betrachtet wird, wenn sie im Objekt schließlich zum Verschwinden gebracht wurde. Ein Präparat zählt, insofern es in diesem Sinne als authentisch gilt. Und man könnte hinzufügen, dass in genau dem Maße, wie dies gelingt, das Präparat den Charakter des Spektakulären annimmt. Präparate unterscheiden sich in dieser Hinsicht grundsätzlich von einer anderen Klasse von Epistemologica, die hier außer Acht bleiben muss: den Modellen. Das Modell hält sich immer in einem anderen Medium auf, es ist geradezu definiert durch den Übergang vom Gegenstand, den es modelliert, in ein anderes Medium. Während also das Modell immer auch eine Grenze markiert, es also bestenfalls beanspruchen kann, dem Modellierten ‚täuschend ähnlich‘ zu sein, hat das Präparat konstitutiv teil an der Materialität des untersuchten Sachverhalts. Das ist sein wesentliches Kennzeichen. An dieser Stelle sei noch einem Missverständnis vorgebeugt. Obwohl die folgende Darstellung von vier Formen des Präparates grosso modo chronologisch vorgeht und damit eine Geschichte nahelegt, ist sie doch bescheidener, bloß aufzählend gemeint. Die vier dargestellten Präparatformen können nicht als eine 4

Art. „Präparat“. Duden. Das große Fremdwörterbuch. 3. Aufl. Mannheim u. a., 2003, S. 1085.

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Entwicklungsreihe gelesen werden. Jede von ihnen hat ihre eigenen historischen Entstehungsbedingungen. Sie setzen einander nicht voraus und können auch koexistieren. 2. Anatomische Präparate5 Im Rahmen einer Geschichte der Erkenntnistechniken reicht die Form der anatomischen Präparate in Naturgeschichte, Medizin und Biologie vielleicht am weitesten zurück. Ausgeklügelte Verfahren zu ihrer Darstellung und Erhaltung in trockener oder nasser Form wurden entwickelt. Dementsprechend breit ist die Palette, auf der Mumien und Skelette, gehärtete oder ausgeschäumte Körperteile und einzelne Knochen auf der trockenen Seite, normale oder missgestaltete Embryonen, Organsysteme und Organe im Alkoholglas auf der nassen Seite vertreten sind. Der holländische Anatom Frederik Ruysch legte Ende des 17. Jahrhunderts eine der ersten anatomischen Sammlungen von Organpräparaten an, welche die Zeitgenossen tief beeindruckte. Zusammen mit seinem Kollegen, dem Naturhistoriker Jan Swammerdam, entwickelte er eine Einspritztechnik, die damals niemand nachzuahmen in der Lage war. Mit ihr konnten Gefäße nicht nur auf der Oberfläche etwa des Herzmuskels (Abb. 1), sondern auch in ihren Verästelungen im Körper allererst aufgefunden und sichtbar gemacht werden. Die anatomische Sammlung des Franzosen Honoré Fragonard stammt aus dem 18. Jahrhundert. Er versuchte, das Opake des Ganzkörpers zu durchbrechen und seine Gegenstände so aufzuschließen, dass sie Tiefendimensionen zum Durchschein bringen, ohne dass die Oberflächenkonturen aufgegeben werden (Abb. 2). Seine fragmentierten und mazerierten Mumien treiben das Spiel mit Haut, Fleisch und Knochen auf eine bizarre Spitze. Der Schichtenbau des Körpers wird durch Zerfetzung und Durchlöcherung zur Darstellung gebracht. Man sieht an solchen Beispielen, mit welchen Mitteln der Kampf der Präparatoren um die Tiefe, um das an der Oberfläche Unsichtbare geführt wird. Die Domäne des anatomischen Präparates ist ursprünglich die sichtbare Oberfläche, auf deren organisierende Rolle für die Wissenschaften vom Leben des 17. und frühen 18. Jahrhunderts François Jacob 5

Zum Folgenden vgl. auch Hans-Jörg Rheinberger. „Präparate – ‚Bilder‘ ihrer selbst. Eine bildtheoretische Glosse“. Oberflächen der Theorie (= Bildwelten des Wissens. Kunsthistorisches Jahrbuch für Bildkritik, 1,2). Hg. v. Horst Bredekamp u. Gabriele Werner. Berlin, 2003, S. 9-19.

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Abb. 1: Herz eines erwachsenen Menschen, Trockenpräparat von Frederik Ruysch, Ende 17., Anfang 18. Jahrhundert, aus der Kunst- und Wunderkammer Zar Peter des Großen.

Abb. 2: Mann mit Unterkieferknochen (1766-1771) von Honoré Fragonard.

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in seinem Buch über die Logik des Lebenden eindrücklich hingewiesen hat.6 Der Blick in die Tiefe wird zur eigentlichen Herausforderung des anatomischen Präparates. Sie wird in dem Augenblick aufgegriffen, in dem in der Biologie des späten 18. Jahrhunderts die verborgene Organisation der Lebewesen zum beherrschenden Thema wird. Das 18. und vor allem das 19. Jahrhundert sind die Blütezeit des anatomischen Präparates. Es entstehen überall an den Universitäten ausgedehnte anatomische und morphologische Sammlungen, die vor allem auch Pathologica und Teratologica mit einschließen. Anatomische Präparate können zwei verschiedenen epistemischen Registern zugeordnet werden. Zum einen können sie der typologischen Überhöhung dienen. Das einzelne Stück wird dann zum Vertreter einer Klasse von Gegenständen, die es in ihren Eigenschaften prominent vertritt. Das Stück wird zum Schaustück. Es wird zum Exemplar. Was sich an ihm zeigen soll, wird in Szene gesetzt. Das anatomische Präparat ist in dieser Ausformung immer eine Hypostase. Es gibt aber auch das entgegengesetzte Register, das auf Individualisierung und Singularisierung zielt. Hier ist das Stück nicht Exemplar im Sinne eines Typusvertreters, sondern etwas Einzigartiges, etwas, das in seiner ganzen Ausschließlichkeit nur auf sich selbst verweist. Es ist das Unikum, das Unikat. Es hält das Spiel der Natur genau an dem Punkt fest, wo es am extremsten vom Typus abweicht. In der Spannung zwischen diesen zwei Polen, der Klassenvertretung und der Singularität, bewegt sich das anatomische Präparat. Zugleich handelt es sich um eine Spannung, die für die Erforschung biologischer Formen überhaupt charakteristisch ist. Ähnliches ließe sich von taxonomischen Sammlungen sagen. Zwischen zwei Polen bewegt sich beim anatomischen Präparat auch die bereits angesprochene Frage des Authentischen. Auch Authentizität kann zwei Formen annehmen. Entweder das Präparat gibt sich als etwas zu sehen, mit dem gar nichts angestellt worden ist: etwa eine in Alkohol gelegte, ausgebleichte Darmschlinge. Es mag in diesem Falle sein, dass das Echte des Präparates gerade dadurch zur Wahrnehmung gelangt, dass auch die Alterungen und Alterierungen, die es durch Abtrennen und Aufbewahren erfahren hat, ihm belassen werden. Es beansprucht, ohne Retusche und ohne Nachhilfe auszukommen. Das kann jedoch dazu führen, dass sich das Schaustück bis zur Unkenntlichkeit verändert und damit letztlich seinen Charakter als Präparat verliert. Die zweite Form des Authentischen resultiert aus dem umgekehrten Bemü6

François Jacob. Die Logik des Lebenden. Eine Geschichte der Vererbung [1970]. Übs. v. Jutta u. Klaus Scherrer. Nachw. v. Hans-Jörg Rheinberger. Frankfurt a. M., 2002.

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hen, mit allen Mitteln der Präparation den Eindruck zu verhindern, dass das Stück nicht mehr frisch aus dem Leben stammt. Authentizität wird in diesem Falle dadurch erreicht, dass alles daran gesetzt wird, um die Tatsache der Präparation vergessen zu machen und das Teil als das vorzustellen, was es gerade nicht mehr ist: nämlich ein Stück Leben. In beiden Formen erkennt man das Paradox des Präparates in seinen unterschiedlichen Äußerungen wieder, und damit auch das Paradox der Evidenz. Alle Evidenz spielt mit diesem Trick der Selbstverständlichkeit: angesiedelt zu sein auf dem schmalen Grat zwischen Reflexion und Unvermitteltheit und doch in keiner der beiden aufzugehen. 3. Herbarien Die Geschichte der botanischen Wissenschaften offeriert eine weitere Form der Sammlung von Präparaten: das Herbarium. Man kann es als das Äquivalent zum Schaukasten des Anatomen betrachten. Es entwickelte sich zu einem besonderen Wissensbehälter als lebendiges Gegenstück zu den Kräuterbüchern des 16. und 17. Jahrhunderts. Dementsprechend wurde es auch als herbarium vivum bezeichnet. Das Bologneser Herbarium von Ulysse Aldrovandi ist eines der bekanntesten aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Die getrocknete Pflanzensammlung entwickelte sich aber auch parallel zur Entstehung botanischer Gärten – in diesem Falle als ihr mortifiziertes Pendant. Ähnlich wie die anatomischen Präparate kann auch eine Herbarpflanze zwei epistemische Funktionen erfüllen. Sie kann zum einen den Platz eines typischen Exemplars einer Art einnehmen und sie dementsprechend exemplarisch repräsentieren wie bei der hier gezeigten Esch(sc)hol(t)zia californica aus dem Botanischen Museum in Berlin (Abb. 3). Die Erstbeschreibung stammt von Adalbert von Chamisso; gewidmet ist die Pflanze seinem Freund, dem Arzt Johann Friedrich Eschscholtz. Eine Herbarpflanze kann aber auch als ein Fundstück fungieren, als eine trouvaille, die als Beweis für das Vorkommen einer Art oder einer Varietät in einer bestimmten Region oder in einem bestimmten Land dient. Hier ein Beispiel: eine Silene chlorantha, die im Jahre 1854 von Friedrich August Körnicke „auf sonnigen Hügeln bei Reinickendorf gesammelt“ wurde (Abb. 4). In diesem Falle fungiert das Fundstück als Dokument oder ‚Beleg‘, wie es in der botanischen Fachsprache heißt. Im Gegensatz zur Darstellung eines Wissensobjektes in einem anderen Medium – wie dies bei Modellen, aber grundsätzlich auch bei Abbildungen oder Formeln der Fall ist – kann die Herbariumspflanze jeder-

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Abb. 3: Esch(sc)hol(t)zia californica, Erstbeschreibung von Adalbert von Chamisso, gewidmet seinem Reisebegleiter Johann Friedrich Eschscholtz.

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Abb. 4: Silene chlorantha, von Friedrich August Körnicke 1854 „auf sonnigen Hügeln bei Reinickendorf“ gesammelt.

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zeit reaktiviert und als Original zum Gegenstand neuer Studien gemacht werden. Wie für alle Präparationen gilt für sie, dass sie – um es mit linguistischem Vokabular auszudrücken – als Zeichen an der Materialität des Relatums teilhat. Das Wesen des Präparates besteht ja genau in dieser materiellen Teilhaberschaft, die dieser Art von Wissensobjekten Dauer und jederzeitige Reaktivierbarkeit verleiht. Die Herbarpflanze erlaubt dies aber in einem Ausmaß, wie das bei anatomischen Präparaten aufgrund ihrer intensiveren Bearbeitung in der Regel nicht möglich ist. Die getrocknete Pflanze ist damit ein auf Vorrat gehaltenes epistemisches Ding par excellence, ein reversibles Erkenntnisding. Auch ihre taxonomische Einordnung kann jederzeit aufgehoben werden und zu neuen Bestimmungen führen. 4. Mikroskopische Präparate Mit dem Aufkommen und der Ausbreitung des Mikroskops seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts stellt sich die Frage des Objekts der Beobachtung in der Naturgeschichte neu. Die Einführung des Instrumentes zieht auch eine der neuen Vergrößerungstechnologie entsprechende neuartige Form des Präparates kleiner Dimensionen nach sich. Die Mikroskopie ist somit ein markantes Beispiel dafür, wie die technische Umsetzung einer durch ein neues Instrument ermöglichten Beobachtungsform immer mehr den Zustand bestimmt, in den die Objekte zu versetzen sind, um neue Sichtbarkeiten zu erzeugen.7 Zum einen sind die für die Linse hergerichteten Dinge in der Regel beim Herstellungsvorgang selbst gar nicht zu sehen. Dies gilt jedenfalls für die Einzelheiten, auf die es letztlich ankommt. Ihre Verfertigung bleibt somit der Kontrolle des Auges entzogen; ob die Herstellung gelingt, wird immer erst der nachträgliche Blick durch das Mikroskop zeigen. Alle Aufmerksamkeit muss dementsprechend auf die Regelung des Herstellungsverfahrens gelenkt werden. Es ist deshalb kein Zufall, wenn die wissenschaftliche Literatur der Präpariertechnik in umständlichen Ausführungen zunehmend Aufmerksamkeit schenkt. Beim Frischpräparat ist es zum anderen entscheidend und liegt in der Natur der Sache, dass es immer wieder neu verfertigt werden muss. Man hat es hier also mit ephemeren, flüchtigen Gegenständen zu tun, deren Kontinuität allein in der Möglichkeit ihrer Wieder-Herstellung liegt. Nachvollziehbarkeit in der Wiederholung der Darstellung wird des7

Vgl. hierzu Rheinberger (Anm. 2).

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halb zu einem Kriterium höchster Priorität. Hier gilt denn auch ein Minimalprinzip: je weniger Manipulationen am Objekt, umso besser. Am besten ist es, wie der Botaniker Matthias Jacob Schleiden es einmal ausdrückte, wenn im frischen Pflanzenpräparat, das man sich mit dem Rasiermesser zurechtschneidet, die zu beobachtenden Dinge „schon durch den Schnitt selbst blosgelegt sind“.8 Bald genügt diese Askese jedoch nicht mehr. Vor allem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickeln sich neue Zurichtungstechniken. Sie können unter drei Gesichtspunkte gebracht werden. Zum einen geht es ums Haltbarmachen. Nur das Dauerpräparat gewährleistet die Permanenz des Gesehenen und damit sowohl seine jederzeitige Abrufbarkeit als auch seine Vergleichbarkeit mit späteren, neuen Präparationen. Die Auf-Dauer-Stellung des Präparates verlangt aber zusätzliche Eingriffe am Objekt. Das Fixieren gibt den mikroskopischen Dingen oft überraschend neue, oft auch überhaupt erst Konturen. Zweitens geht es um Kontrastverstärkung. Differentielle Färbeverfahren, mittels deren bestimmte Zellbestandteile und Gewebebereiche ausgezeichnet werden können, haben hier eine entscheidende Rolle gespielt. Drittens schließlich geht es um das Verfestigen von allzu Weichem und Flüssigem. Die Einbettung in Harze und andere festigende Materialien hat hier für die nötige Konsistenz gesorgt wie bei dem Würfelpräparat einer Leber von Josef Hyrtl aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts (Abb. 5). Alle diese Verfahren der Fixierung, der Färbung und der Härtung von Geweben und Zellen machen natürlich die Frage, was Natur ist am Präparat und was Artefakt, epistemologisch besonders dringlich. Bei der Mikroskopie fehlt im Gegensatz zur makroskopischen Beobachtung, wie sie beim anatomischen Präparat immer gegeben ist, die Sichtkontrolle am ‚lebenden‘, unpräparierten Gegenstück. Mikroskopische Präparate sind demnach höchst prekäre Erkenntnisdinge. Hier wird die Kalibrierung zum Bestandteil des epistemischen Prozesses, die Reflexion auf das Verfahren muss möglichst in der Prozedur selbst verankert werden. Es wundert deshalb nicht, dass sich zu einem erheblichen Teil gerade um die mikroskopischen Präparate herum die Methodenkritik der Erkenntnispraktiken in den Lebenswissenschaften des 19. Jahrhunderts kristallisierte. Schließlich ist es eine Eigenart mikroskopischer Präparate, dass sie die in ihnen stillgestellten Objekte im Prinzip auf zwei Dimensionen, 8

Matthias Jacob Schleiden. Die Botanik als inductive Wissenschaft behandelt. Zweite, ganzlich umgearbeitete Auflage der Grundzüge der Wissenschaftlichen Botanik. Zweiter Theil: Morphologie, Organologie. Leipzig, 1846, S. 371.

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Abb. 5: Mikroskopisches Präparat Hepar cuniculi, Schnitt, Originalpräparat von Josef Hyrtl, Geschenk an Rudolf Virchow.

Abb. 6: Mikroskopiersaal des Instituts für Pathologie auf dem Gelände der Charité in Berlin um 1880.

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auf Flächigkeit reduzieren. Die Notwendigkeit einer solchen Reduktion liegt in der Funktionsweise des optischen Gerätes begründet. Das mikroskopische Präparat bleibt damit nicht, wie das anatomische Präparat, an die Oberfläche, sondern an die ebene Fläche gebunden. Das flächige, zweidimensionale Objekt wird in der mikroskopischen Präparation mittels verschiedener Techniken verwirklicht. Die Zoologen, Botaniker, Anatomen und Physiologen wurden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in enger Verbindung mit der Ausbildung der Zellenlehre zu Meistern des Herstellens dünner Filme wässriger oder sonstiger Konsistenz, des Schneidens und des Quetschens, damit des Gewebeschnitt- und Quetschpräparates. Die Mikrobiologen und Protozoologen haben diesem Arsenal ihre Klatsch- oder Stempelpräparate und ihre Ausstriche hinzugefügt. Das mikroskopische Präparat wurde nicht nur zum wesentlichen Werkzeug der Entwicklungsgeschichte, sondern auch zum Goldstandard der Infektionsmedizin. Es entwickelte sich eine Kultur von Mikroobjekten, die den Biowissenschaften und der Medizin des ausgehenden 19. Jahrhunderts ihr besonderes Gepräge verlieh. Sie machte auch vor der Architektur der Wissensräume nicht Halt, wie ein Blick in den Mikroskopiersaal des Instituts für Pathologie auf dem Gelände der Charité in Berlin um 1880 zeigt (Abb. 6). In den Laboratorien entstanden riesige Repositorien für alle die Dinge, die man eingeschweißt zwischen Objektträger und Deckglas unbegrenzt lange aufheben und immer wieder konsultieren konnte. Ganze Schrankwände mit ihren Schubladen nahmen diese Sammlungen auf. Projektionsgeräte machten sie größeren Auditorien zugänglich, Präparate-Kästchen wie das hier gezeigte Geschenk von Josef Hyrtl an Rudolf Virchow begleiteten die Wissenschaftler auf ihren Vortragsreisen (Abb. 7). Die im 19. Jahrhundert entwickelten Verfahren zur Objektbearbeitung ermöglichten es erst, das Potential der mikroskopischen Optik auszuschöpfen. Ein ganzes Arsenal neuer Techniken ließ das Präparieren zu einem Raum werden, in dessen Koordinaten sich eine fortgesetzte Dialektik von Fakt und Artefakt einschrieb. Je deutlicher und schärfer man etwas sichtbar macht, desto mehr nähert man es jener Grenze, an der nicht mehr zu entscheiden ist, was man konserviert hat: das Objekt selbst oder die Mittel seiner Vergegenständlichung. Im Grenzfall bringt sich im Präparat die Präparationstechnik selbst zur Darstellung. Auf dieser Kippe bewegt sich aber das forschende Darstellen überhaupt. Es kennzeichnet somit Epistemologica als experimentelle Erkenntnisobjekte in ihrer ganzen Ambivalenz. Anstatt jedoch diese Zwieschlächtigkeit nur als Erkenntnisfalle zu problematisieren, als Quelle epistemischen Übels, sollte man sie vielmehr in

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Abb. 7: Präparate-Kästchen, Geschenk von Josef Hyrtl an Rudolf Virchow.

ihrer Positivität verstehen und schätzen: als Triebwerk, als Motor der Forschungsdynamik. Ihr Prinzip besteht darin, den untersuchten Gegenstand in eine Form zu bringen, die man, gerade weil man sie vorläufig fixiert hat, auch hinter sich lassen kann. Objekte des Wissens sind grundsätzlich von dieser überholbaren Art. Sie bleiben so lange forschungsrelevant, als der beständige Rückgriff auf sie zugleich zu ihrer Modifizierung führt. Sie leben von dem niemals ganz antizipierbaren Überschuss, der in ihnen steckt. Wenn dieser Überschuss erschöpft ist, verschwinden sie aus den Laboren und wandern ins Museum. 5. Molekularbiologische Präparate Zum Schluss möchte ich noch auf eine Art von Präparaten zu sprechen kommen, die insbesondere für die Molekularbiologie des 20. Jahrhunderts charakteristisch geworden sind. Wie die anderen beschriebenen Formen sind auch sie spezielle Zurichtungen eines Stoffes, der untersucht werden soll. Man bezeichnet diese Präparate auch als Chromatogramme, das Verfahren als Chromatographie. Im Namen steckt eine dop-

Die Evidenz des Präparates

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pelte Charakteristik: Zum einen geht es um eine Sichtbarmachung durch Färbung, zum anderen um ein graphisches Verfahren, das mit der Spurenerzeugung gleichzeitig ihre Aufzeichnung verbindet. Die Produkte dieser Verfahren sollen also entziffert, gelesen werden können. Doch unterscheiden sie sich von den bekannteren, da historisch viel eingehender untersuchten graphischen Verfahren des 19. Jahrhunderts in einem entscheidenden Punkt: Sie haben am Charakter des Präparates oder der Probe teil, sie gehen in den Untersuchungsgegenstand mit ein, insofern hier die Dinge selbst auseinander gelegt und in eine graphische Konfiguration gebracht werden. Sie schreiben sich nicht nur selbst, ohne sich dabei zu verändern, wie das in der Metapher des ‚pencil of nature‘ gedacht ist, sondern hier wandert die Technik direkt in die Umformung der Dinge ein. Sie wird zum Bestandteil ihrer Rekonfiguration. Damit ist angedeutet, dass hier einerseits gegenüber dem mikroskopischen Präparat Kontinuität gewahrt bleibt, andererseits aber eine merkwürdige Verschiebung stattfindet. Die mikroskopischen Präparate – übrigens auch die hier nicht behandelten elektronenmikroskopischen – bleiben als Objekte selbst Miniaturen. Damit sind sie aber auf den Apparat der Vergrößerung angewiesen, der ihnen seinerseits als Vergrößerungstechnologie letztlich äußerlich bleibt. Anders die chromatographischen Epistemologica. Obwohl ihre Bestandteile in der Regel Moleküle sind, also weit unterhalb des Auflösungsvermögens der Lichtmikroskopie liegen, entspricht es dem Charakter des Chromatogramms, dass es diese Moleküle aus dem Bereich kleiner Dimensionen herauslöst und sie im Bereich mittlerer Dimensionen zu einer neuen Anordnung bringt, die mit dem bloßen Auge wahrgenommen werden kann. Die chromatographische Platte setzt also die Technologie selbst mit ins Bild, sie inkorporiert ihr Dehnungsprinzip ins Präparat. Die folgende Abbildung (Abb. 8) stellt ein Chromatogramm vor, das auf dem Prinzip der Elektrophorese beruht. Es handelt sich um die Eiweißkomponenten einer Zellorganelle. Hier ist das Ribosom – der Proteinanteil seiner großen Untereinheit – des Bakteriums Escherichia coli dargestellt. Es ist die molekulare Maschine, die in der Zelle selbst die Aufgabe hat, für die Herstellung der Eiweiße zu sorgen – und zwar einschließlich derer, aus denen sie selbst besteht –, und die die Zelle in ihre Bestandteile zerlegt, und diese Bestandteile sind in ein Koordinatensystem eingetragen. Die Platte besteht aus einem porösen Gel synthetischer Fasern aus Polyacrylamid. Das zu trennende Stoffgemisch, welches die mehr als 30 Proteine der großen Untereinheit der Zellorganelle beinhaltet, ist in zwei Dimensionen hinsichtlich zweier physikalischer Parameter entwickelt. In der ersten Dimension wandern die Bestandteile gemäß ihrer

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Abb. 8: Polyacrylamidgel ribosomaler Proteine der 50S-Untereinheit (E. coli).

elektrischen Ladung unterschiedlich weit, entweder in Richtung auf die Kathode oder die Anode des angelegten Stromkreises. In der zweiten Dimension wurde die Ladung durch Veränderung des Säuregrades der Pufferlösung neutralisiert, und die Teile wandern nun gemäß ihres Molekulargewichtes bzw. ihrer Größe alle in die gleiche Richtung, aber unterschiedlich weit. Anschließend werden sie durch den Farbstoff Methylenblau gefärbt und erscheinen auf der Platte als mehr oder weniger ausgedehnte blaue Flecken. Diese Art von Präparaten kann man vielleicht am besten als analytische bezeichnen. In ihnen ordnet sich ein Stoffgemisch nach bestimmten physikalisch-chemischen Parametern; es tritt auseinander und liefert diskrete Muster. Auch das Sequenzgel einer DNA-Probe entsteht nach diesem Prinzip. Wenn hier die Abstraktion auch sehr weit fortgeschritten ist, so ist doch diese Art digitaler Darstellung neben der Doppelhelix zur zweiten Ikone des Zeitalters der Genomforschung geworden. In der Abfolge der Basen eines Sequenzgels, im Inbegriff molekularbiologischen Präparierens, bringt sich die ‚Logik des Lebens‘ selbst auf den Begriff – eines Strichcodes.

Die Evidenz des Präparates

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6. Schluss Ich komme zum Schluss. Präparate, wie die hier beschriebenen Anatomica, Herbarica, Microscopica und Analytica, sind eine ganz besondere Sorte epistemischer Dinge. Es sind Wissensdinge – Forschungsdinge –, deren Eigenheit darin besteht, materialidentisch mit ihrer Referenz zu sein. Modelle hingegen sind Wissensdinge, die den Übergang zu einem anderen Material und damit einen Darstellungswechsel voraussetzen. Eine dritte Form von Wissensdingen mag man in analog und digital erzeugten Bildern sowie Simulationen erblicken. Sie setzen den Übergang in einen anderen Raum voraus. Eine erschöpfende Typologie von Epistemologica gibt es meines Wissens nicht. In ihren Konfigurationen sedimentiert sich aber der neuzeitliche Forschungsprozess. Sie sollten sich dementsprechend auch dazu eignen, diesen Forschungsprozess zu visualisieren und damit Wissenschaft als Forschung sichtbar zu machen. In der Regel sind es einzig die Instrumente, denen die Aufmerksamkeit einer das Spektakuläre betonenden Wissenschafts- und Technikgeschichte gilt und die auch die Wissenschaftsmuseen bevölkern. Die Formen und Techniken der Objektkonfiguration, deren es bedarf, um die Instrumente ins Werk zu setzen, und die zugleich das mit diesen Apparaten gewonnene Wissen verkörpern, mögen zwar in der Regel unscheinbarer sein. Für die Frage aber, wie das Wissen ins Bild kommt, sind sie entscheidend.

LITERATURVERZEICHNIS Art. „Präparat“. Duden. Das große Fremdwörterbuch. 3. Aufl. Mannheim u. a., 2003. Bachelard, Gaston. „Noumène et microphysique“ [1931-1932]. Études. Paris, 1970, S. 11-24. Jacob, François. Die Logik des Lebenden. Eine Geschichte der Vererbung [1970]. Übs. v. Jutta u. Klaus Scherrer. Nachw. v. Hans-Jörg Rheinberger. Frankfurt a. M., 2002. Rheinberger, Hans-Jörg. „Präparate – ‚Bilder‘ ihrer selbst. Eine bildtheoretische Glosse“. Oberflächen der Theorie (= Bildwelten des Wissens. Kunsthistorisches Jahrbuch für Bildkritik, 1,2). Hg. v. Horst Bredekamp u. Gabriele Werner. Berlin, 2003, S. 9-19. Rheinberger, Hans-Jörg. „Schnittstellen. Instrumente und Objekte im experimentellen Kontext der Wissenschaften vom Leben“. Instrumente in Kunst und Wissenschaft. Zur Architektonik kultureller Grenzen im 17. Jahrhundert. Hg. v. Helmar Schramm, Ludger Schwarte u. Jan Lazardzig. Berlin, 2006, S. 1-20. Schleiden, Matthias Jacob. Die Botanik als inductive Wissenschaft behandelt. Zweite, ganzlich umgearbeitete Auflage der Grundzüge der Wissenschaftlichen Botanik. Zweiter Theil: Morphologie, Organologie. Leipzig, 1846.

PHILIP BUTTERWORTH

Die Books of Secrets und die Magie des Lichts im frühneuzeitlichen Theater Die Frage nach der technischen Inszenierungspraxis im frühneuzeitlichen Theater führt zu einem Genre, das zwar einen aufschlussreichen Ausgangspunkt der Forschung darstellt, zugleich aber auch neue Fragen aufwirft. Die Rede ist von den Szenenanweisungen der Theaterautoren des Mittelalters und der Renaissance. Diese Anweisungen sind keineswegs einheitlich, weder hinsichtlich der Form noch was die Intention der szenischen Angaben betrifft. Häufig bleibt im Dunkeln, wer sie überhaupt verfasst hat. Und es lässt sich auch nicht eindeutig feststellen, an wen sie adressiert waren – ob an die Leser der Manuskripte oder an diejenigen, die das Stück szenisch gestalteten. Zu welchem Zeitpunkt des Produktionsprozesses wurden die Bühnenanweisungen zu Papier gebracht, bevor oder nachdem das Stück aufgeführt worden war? Lassen sich diese Quellen als Dokumentationen von Aufführungen lesen oder handelt es sich vielmehr um Anweisungen, die a priori bestimmten, wie die Inszenierungen zu gestalten waren? Und an welcher Stelle des Textflusses lassen sich die Szenenanweisungen verorten? Auf diese Fragen finden sich nicht immer eindeutige Antworten. Zunächst sei jedoch unterschieden zwischen ‚expliziten‘ und ‚impliziten‘ Szenenanweisungen. Explizite Anweisungen stellen dem dramatischen Text konkrete szenische Anleitungen zur Seite. Sie weisen den Leser und/oder den Schauspieler darauf hin, wie die narrative Ebene in eine Bühnenhandlung umzusetzen ist. Solche Hinweise stehen oft getrennt vom übrigen Textkörper. Zuweilen stammen sie gar von einem anderen Verfasser als dem Autor des Stückes selbst, manchmal sind sie dem Manuskript zu einem späteren Zeitpunkt hinzugefügt worden. Einige Szenenanweisungen wirken wie Spuren nachträglicher Einfälle, die sich in den noch verbleibenden Raum auf den Seiten der Textbücher eingeschrieben haben.1 Andere Anweisungen hingegen scheinen gerade1

Arthur C. Cawley u. Martin Stevens (Hg.). The Towneley Cycle. A Facsimile of

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zu dafür gedacht gewesen zu sein, die narrative Aussagekraft des Stücktextes zu stützen. Und genau diese Funktion ist es, durch welche der explizite Charakter der Anweisung aufbricht oder zumindest fraglich wird.2 Durch implizite Szenenanweisungen hingegen ergibt sich das Bühnengeschehen aus der dramatischen Erzählung selbst. Eine dramatische Vorlage kann so präzise und klar in ihrer Absicht sein, dass die szenische Handlung unvermittelt daraus hervorgeht. Insofern jedoch die implizite Szenenanweisung mit der Handlung verschränkt ist und selbst fiktionalen Charakter hat, ist sie in Bezug auf ihren kommunikativen Informationswert weniger verlässlich als die explizite Form. Letztere erfüllt verschiedene Funktionen und eröffnet qualitativ sich voneinander unterscheidende Ebenen der Evidenz. Explizite Anweisungen sind deshalb verlässlich, weil an ihnen unmittelbar abzulesen ist, was sich auf der Bühne ereignet. Diese Form szenischer Anweisung stellt nicht nur Anforderungen an die praktische Umsetzung, aus ihr spricht auch ein Bewusstsein und Verständnis des Autors und/oder Schreibers hinsichtlich der Durchführbarkeit der gewünschten Effekte. Die explizite Szenenanweisung verweist darauf, dass der Autor zumindest über die Machbarkeit des Effekts im Bilde ist, auch wenn er nicht über das Wissen zur technischen Umsetzung verfügt. Die exemplarischen Szenenanforderungen der Autoren, die im Folgenden vorgestellt werden sollen, verweisen auf durchaus unterschiedliche Verfahren der Bühnenbeleuchtung. Einige Stücktexte verlangen über die Beleuchtung des Schauspiels hinaus nach Lichteffekten für besondere Zwecke. So wird beispielsweise zu Beginn von York Saddlers Harrowing of Hell aus dem 15. Jahrhundert auf eine helle Erscheinung verwiesen, die aus einer realen Lichtquelle auf der Bühne hervorgeht, doch fehlt an dieser Stelle eine konkrete technische Anweisung für diesen Effekt. Zwar finden sich solche Anweisungen in der Ausgabe des Stückes von Lucy Toulmin Smith, doch handelt es sich dabei um Anmerkungen der Herausgeberin, die im York Manuscript nicht vorkommen.3 Das Extraccio animarum aus dem Towneley-Zyklus, das ebenfalls

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Huntington MS HM1 (= Leeds Texts and Monographs. Medieval Drama Facsimiles, 2). Leeds, 1976, fol. 17 r-v. Philip Butterworth. „Stage Directions in the Towneley Play of Jacob“. National Arts Education Archive Occasional Papers in the Arts and Education 6 (1996), S. 1-8. Lucy Toulmin Smith (Hg.). York Plays. The Plays Performed by the Crafts or Mysteries of York on the Day of Corpus Christi in the 14th, 15th and 16th Centuries. New York, 1963 [Nachdruck d. Ausgabe Oxford, 1885], S. 374. Vgl. zum York Manuscript Richard Beadle u. Peter Meredith (Hg.). The York Play. A Facsimile

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aus dem 15. Jahrhundert stammt, gibt jedoch nahezu identische Hinweise auf den Bedarf hell schimmernder Lichteffekte.4 Chester Skinners The Resurrection verlangt nach einem „great light“, das die römischen Soldaten erwarten soll, wenn sie nach der Himmelfahrtsszene erwachen.5 Diese mannigfachen Anzeichen in den Texten scheinen bedeutsam zu sein, insofern sie die biblische Erzählung oder das Evangelium Nicodemi anschaulich machen und auf diese Weise zu unterstützen suchen. Doch es finden sich auch einige Hinweise auf Lichtinszenierungen in expliziten Szenenanweisungen, wenngleich diese unbestimmt bleiben. So heißt es beispielsweise in der Passio Domini des Cornish Ordinalia-Zyklus an der Stelle, die den Tod der Christusfigur umschreibt: „Here the sun is darkened.“6 Diese Anweisung legt weder fest, welcher Natur diese Sonne zu sein hat, noch beschreibt sie die Methode, durch die dieser Effekt bewerkstelligt werden soll. In The Life of Saint Meriasek (spätes 15. Jahrhundert) findet sich an der Stelle, an der die Taufe Konstantins durch Silvester dargestellt werden soll, folgende Szenenanweisung: „Als er in das Taufwasser stieg, ward er in einen wunderbaren Lichtstrahl getaucht. So kehrte er von dort gereinigt zurück und erklärte, er habe Christus gesehen.“7 Obwohl die intendierte Wirkung des Lichteffekts offensichtlich ist, enthält diese szenische Anweisung keine Angabe zur Herkunft des „splendor lucis“, des glanzvollen Lichtstrahls. Mit welchen technischen Mitteln mag dieses Ereignis wohl inszeniert worden sein? Auch später datierte Szenenanweisungen verlangen nach ähnlichen Effekten. In einem Textbuch aus Bourges von 1586 beispielsweise ist von einem „großen Licht“ die Rede, dessen Glanz in der Szene zur Geltung kommen soll, wenn Petrus und Paulus durch die Hilfe der Engel befreit werden. Und in einer ähnlichen Anweisung aus Bourges heißt es: Der Heilige Michael öffnet Jesus Christus seine Seele. Dann senken sie sich, umringt vom gesamten Reigen der Engel, aus dem Paradies herab, und sobald

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of British Library MS Additional 35290. (= Leeds Texts and Monographs. Medieval Drama Facsimiles, 7). Leeds, 1983. Martin Stevens u. Arthur C. Cawley (Hg.). The Towneley Plays (= Early English Text Society, Supplementary Series, 13/14). 2 Bde. Oxford, 1994, Bd. 1, S. 324. Robert M. Lumiansky u. David Mills (Hg.). The Chester Mystery Cycle. 2 Bde. London, 1974, Bd. 1, S. 347. Edwin Norris (Hg.). The Ancient Cornish Drama. Übs. v. dems. 2 Bde. Oxford, 1859, Bd. 1, S. 459. „Cum in aquam descendisset baptismatis mirabilis/ enituit splendor lucis Sic inde mundus exiuit et/ christum se vidisse asseruit.“ Beunans Meriasek. The Life of Saint Meriasek, Bishop and Confessor. A Cornish Drama. Hg. u. übs. v. Whitley Stokes. London, 1872, S. 104f.

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Jesus Christus das Monument erreicht hat, muss ein großes Licht scheinen, das die Apostel in Staunen versetzt.8

Neben dieser Forderung nach einem „großen Licht“ finden sich aber weder Hinweise darauf, welche Gestalt dieses Licht haben, noch wie es inszeniert werden soll. Es stellt sich also erneut die Frage, wie ein solches „Licht scheinen [soll], das die Apostel in Staunen versetzt“. Aus dem Jahr 1501 ist folgende Szenenanweisung aus dem Textbuch einer Himmelfahrtsinszenierung in Mons erhalten: Die beiden Engel schieben den Stein beiseite, Jesus erhebt sich, und sobald sein rechter Fuß aus dem Grab hervortritt, sollte er von großer Helligkeit, Weihrauch und einem lichten Nebel umhüllt sein.9

Der Bedarf nach „großer Helligkeit, Weihrauch und einem lichten Nebel“ verdeutlicht, wie die Szene zu gestalten ist, wenngleich ohne Präzisierung der technischen Mittel, die jene Lichteffekte hervorbringen sollten. Eine ähnliche, aber verbindlichere Anweisung findet sich in The Second Maiden’s Tragedy von 1611: Plötzlich, mit einem Lärmen, dem Rauschen des Windes gleich, und mit klappernden Toren, öffnet sich der Grabstein, und ein großer Lichtschein erstrahlt in der Mitte des Grabes.10

Einen weiteren, wenn auch unvollständigen Hinweis gibt eine Szenenanweisung zu Beginn von Chester Cooks Harrowing of Hell aus dem späten 16. Jahrhundert, wo es heißt: „Zuerst werde ein unterirdisches Licht bereitet durch irgendeine klug ersonnene Vorrichtung, und dann spreche Adam […].“11 Diese Szenenanweisung bezieht sich nicht nur auf die Beschaffenheit des Lichtes, das gestaltet werden soll, sondern vielmehr auch auf die Mittel der Inszenierung. Doch angesichts der 8

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Simon Greban. „Mystère des Actes des apôtres“ représenté à Bourges en Avril 1536 [...] publ. d’après le manuscrit original par le Baron A. de Girardot. Paris, 1854, S. 4-24, zit. n. Peter Meredith u. John E. Tailby (Hg.). The Staging of Religious Drama in Europe in the Later Middle Ages. Texts and Documents in English Translation (= Early Drama, Art, and Music. Monograph Series, 4). Kalamazoo, Mich., 1983, S. 102. Gustave Cohen. Le Livre de conduite du régisseur; et, Le compte des dépenses pour le Mystère de la passion, joué à Mons en 1501. Paris, 1925, zit. n. Meredith u. Tailby (Anm. 8), S. 114. „On a sodayne in a kinde of Noyse like a Wynde, the dores clattering, the Toombstone flies open, and a great light appeares in the midst of the Toombe.“ Thomas Middleton. The Second Maiden’s Tragedy [1611]. Hg. v. Walter Wilson Greg. Oxford, 1909, S. 61. „Et primo fiat lux in inferno materialis aliqua subtilitate machinata, et postea dicat Adam […].“ Lumiansky u. Mills (Anm. 5), S. 325.

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denkbaren Möglichkeiten für eine solche Lichtinszenierung erscheint die Umschreibung „aliqua subtilitate machinata“ (irgendeine klug ersonnene Vorrichtung) noch immer sehr vage. Zwar lässt sich die Qualität des Bühnenlichts, die in den angeführten Szenenanweisungen angedeutet wird, nicht präzise nachvollziehen, doch sind die Anweisungen spezifisch genug, um von einer Lichtregie sprechen zu können, die über die gewöhnliche Beleuchtung des Bühnenraums hinausgeht. Erfüllt wurden diese szenografischen Wünsche vermutlich durch reflektierende und sich verstärkende Lichtspiele. Welche Methoden aber mag man dafür nun genau angewandt haben? Wie lassen sich die frühneuzeitlichen Inszenierungstechniken rekonstruieren? Ein Weg zum Verständnis der praktischen und/oder technischen Anforderungen der oben zitierten Szenenanweisungen führt über dasjenige Genre des frühen Buchdrucks, das man heute als Books of Secrets bezeichnet: Aus diesen Quellen spricht das praktische, experimentelle und technische Vermögen der Frühen Neuzeit. Das Genre wurde erstmals durch den Bibliografen John Ferguson definiert, der von 1874 bis 1915 als Regius Professor of Chemistry an der University of Glasgow in Schottland tätig war. Ferguson verlieh den Books of Secrets nicht nur ihren Namen, er erstellte darüber hinaus eine umfangreiche Sammlung dieser Literatur, die sich heute in der Glasgower Universitätsbibliothek befindet. Bei einigen der dort aufbewahrten Werke handelt es sich um die einzigen weltweit noch erhaltenen Exemplare.12 Die thematische Breite, die dieses Genre beansprucht, erstreckt sich von der Beschäftigung mit Naturgeheimnissen über Naturgeschichte bis hin zu Überlegungen im Bereich der Kosmogonie, Chemie, Pharmazie, Medizin, Optik und des Magnetismus. Neben Schriften zur natürlichen Magie, die sich von der schwarzen Magie unterscheidet, finden sich hier Traktate zu biologischen Fragen, physiologischen Rätseln und Abhandlungen über das geheime Wissen der Technik und Kunst. Zu den Autoren, die diese thematische Bandbreite bedienen, zählen Heinrich Cornelius Agrippa von Nettesheim, Albertus Magnus, Girolamo Ruscelli, 12

Bibliografien der Glasgower Sammlung finden sich in Elisabeth Helen Alexander. A Bibliography of John Ferguson. Glasgow, 1920; dies. A Further Bibliography of the Late John Ferguson. Glasgow, 1934; John Ferguson. Bibliographical Notes on Histories of Inventions and Books of Secrets. 2 Bde. London, 1959 u. 2 Bde. in 1 Bd. London, 1981 [Nachdrucke d. Ausgabe Glasgow, 1883]; W.R. Cunningham. Catalogue of the Ferguson Collection of Books, mainly relating to Alchemy, Chemistry, Witchcraft and Gipsies in the Library of the University of Glasgow. 2 Bde. Mansfield Centre, Conn., 2002 [Nachdruck d. Ausgabe Glasgow, 1943].

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Conrad Gesner, Paracelsus, Giambattista della Porta, John Bate, Girolamo Cardano, Thomas Hill und Sir Hugh Platt.13 Nicht wenige dieser Autoren befassen sich mit den Techniken der Lichtgestaltung durch Spiegelungen und Steigerung der Leuchtkraft. Hugh Platt beispielsweise schildert in The Jewell House of Art and Nature von 1594, wie eine Laterne durch eine Spiegelrahmung an Helligkeit gewinnt (Abb. 1): Welches Licht eine Kerze versprühen würde, wenn sie in einem großen Zylinder – gleich einer halb geöffneten Laterne – aus hellem, glänzendem ‚Laton‘ [Metallverbindung] platziert würde, die inwendig mit verschiedenen stählernen Spiegeln versehen ist, und zwar auf solch kunstvolle Weise, dass ein Lichtreflex den anderen spiegelt.14 13

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Heinrich Cornelius Agrippae von Nettesheym. De Incertitudine et Vanitate Scientiarum et Artium, atque excellentia Verbi Dei, declamatio. Paris, 1531; ders. Of the Vanitie and vncertaintie of Artes and Sciences. Übs. v. Ja[mes] San[ford] Gent. London, 1569; Albertus Magnus. The Boke of Secretes of Albertus Magnus, of the Vertues of Herbes, Stones and Certaine Beastes. Also a Book of the Marvaylous Thinges of the World. London, 1560 [The Book of Secrets of Albertus Magnus, of the Virtues of Herbs, Stones and Certain Beasts. Also a Book of the Marvels of the World (= Series of Studies in Tudor and Stuart Literature, 2). Hg. v. Michael R. Best u. Frank H. Brightman. Oxford, 1973]; Girolamo Ruscelli [pseud. Alessio Piemontese]. The Secretes of the Reverend Maister Alexis of Piemont. London, 1562; ders. The Seconde Part of the Secretes of Maister Alexis of Piemont. London, 1580; ders. The Third and Last Part [sic] of the Reuerend Maister Alexis of Piemont. London, 1578; Conrad Gesner. The Newe Jewell of Health wherein is Contayned the Most Excellent Secretes of Phisicke and Philosophie, deuided into Fower Bookes [...]. Hg. v. George Baker. London, 1576; Paracelsus. A Hundred and Fourteene Experiments and Cures. Hg. v. Iohn Hester. London, 1583; John Bate. The Mysteryes of Natvre and Art. Conteined in Foure Severall Tretises, The first of water workes, The second of Fyer workes, The third of Drawing, Colouring, Painting, and Engrauing. The fourth of divers Experiments, as wel serviceable as delightful: partly Collected, and partly of the Authors Peculiar Practice, and Invention. London, 1634; Girolamo Cardano. De Svbtilitate libri XXI. Nürnberg, 1550; ders. De Subtilitate libri XXI. Basel, 1560; ders. De Rervm Varietate Libri XVII. Basel, 1557; Thomas Hill. A Briefe and Pleasaunt Treatise, Entituled, Naturall and Artificiall Conclusions. London, 1581; Giambattista della Porta [Io. Bapt. Portae]. Magiae Natvralis, sive De Miracvlis Rervm Natvralivm Libri IIII. Neapel, 1558; ders. Magiae Natvralis Libri XX. Ab ipso authore expurgati, & superaucti, in quibus scientiarum Naturalium diuitiae, & deliae demonstrantur. Neapel, 1589; ders. Natural Magick. Hg. v. Derek J. Price. New York, 1957 [Nachdruck d. Ausgabe London, 1658]; Sir Hugh Platt. The Jewell House of Art and Natvre. London, 1594. „What light a Candle woulde shewe if it were placed in a large Cilinder like vnto a halfe Lanterne, all of Latten kept bright and glistring, the same being inwardly garnished with diuerse steele Looking-glasses, so artificially placed as that one of them might reflect vnto an other.“ Platt (Anm. 13), S. 32.

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Abb. 1: Halb geöffnete Laterne nach Sir Hugh Platt. The Jewell House of Art and Nature (London, 1594).

Die winkelförmige Vorrichtung aus „diuerse steele Looking-glasses“ erlaubt es, mehrere Lichtquellen zu erzeugen, indem das Licht einer Kerze wieder und wieder reflektiert wird, so dass ein noch helleres Licht daraus hervorgeht. Dabei kommt dasselbe Prinzip zum Tragen wie bei den Stufenlinsen der Fresnel’schen Apparate. In der englischen Übersetzung von Giambattista della Portas Magia Naturalis aus dem Jahr 1658 werden zwei Beleuchtungstechniken beschrieben, deren Funktionsprinzip eine Abbildung verdeutlicht (Abb. 2). Diese Beschreibungen sind im lateinischen Original der Magia Naturalis (Neapel, 1558) allerdings nicht enthalten. Die erste Anleitung trägt

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Abb. 2: Entwurf eines „amphitheatralen Spiegels“ aus Giambattista della Porta. Natural Magick (London, 1658).

den Titel „How to make an Amphitheatrical Glass“: Es soll ein Kreis auf einen Tisch gezeichnet werden, und zwar „[of] what largeness you desire“: Innerhalb des Kreises soll eine achteckige Form eingetragen werden, und an sieben der acht Linien des Oktogons, so fordert der Übersetzer den Leser auf, sollen Spiegel senkrecht stehend angeordnet werden, so dass ein Gesicht gegenüber des Spiegels, der in der Mitte platziert ist, auf den Betrachter zurückgeworfen und von dort durch einen weiteren Spiegel reflektiert wird, und von dort wiederum durch einen nächsten. Durch diese vielen Spiegelungen wirst Du eine nahezu unendliche Anzahl an Gesichtern erblicken, und je mehr Spiegel vorhanden sind, desto mehr Gesichter werden sichtbar: Wenn Du eine Kerze vor diese Apparatur stellst, wirst du unzählige Kerzen erblicken.15 15

„[L]et Looking-glasses be raised perpendicularly; for the face that shall be against the Looking-glass, placed in the middle, will fly back to the beholder of it, and so

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In der zweiten Anleitung eines „amphitheatralen Spiegels“ erklärt der Autor bzw. der Übersetzer, man werde jetzt eine [Spiegelapparatur] herstellen, die noch viel wundervoller und zauberhafter ist. Denn in dieser werde der Betrachter nicht sein eigenes Antlitz sehen, sondern eine ganz wunderbare, eindrucksvolle Säulenformation, sowohl in ihrer Grundstruktur als auch in Variationen dieser Architektur.16

Der folgende Ausschnitt lässt auf die Größe der Apparatur schließen: Die beste Apparatur ist, denke ich, die mit einem Durchmesser von zweieinhalb Fuß [76 cm]: Dividiere den Umfang in gleiche Teile, beispielsweise in vierzehn; an den Teilungspunkten sollen die Säulen errichtet werden. Der Raum, den der Betrachter einnimmt, soll zwei Teile ausmachen; entferne eine Säule, so dass noch dreizehn verbleiben […]. Dann errichte Spiegel in den Zwischenräumen, nicht ganz aufrecht, sondern ein wenig geneigt […]. Auf diese Weise wirst Du durch die wechselseitige Reflektion der Spiegel so viele Säulen erblicken, an ihrem Standort und in anderen Formationen, die von solcher architektonischer Ordnung sind, dass nichts Eindrucksvolleres und Wunderbareres jemals gesehen ward […]. Wenn Du die Kerze in die Mitte [der Apparatur] stellst, wird sie sich in den Spiegelbildern so vervielfältigen, dass dieser Effekt den des Sternenhimmels übertrifft, auf solche Weise, dass Du Dich über alle Maßen wundern wirst über die Ordnung und Symmetrie wie über den Anblick.17

Mit Hilfe solcher Spiegelapparaturen mag es wohl am einfachsten gewesen sein, die Helligkeit einer Lichtquelle zu steigern. Doch um nicht nur die Intensität zu erhöhen, sondern auch die Richtung des Lichts zu kontrollieren, wurde vornehmlich eine Linsentechnik angewandt. Durch Linsen lassen sich Konvergenzen und Divergenzen des Lichts herstellen. Zwar waren Augengläser und Linsen bereits im 13. Jahrhundert kein No-

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rebounding to another, and from that to another, and by many reflections you shall see almost infinite faces, and the more the Glasses are, the more will be the faces: If you set a Candle against it, you shall see innumerable Candles.“ Porta (Anm. 13), 1957, S. 359. „[...] now make one that is far more wonderful and beautiful. For in that the beholder shall not see his own face, but a most wonderful, and pleasant, and orderly form of pillars, and the basis of them, and variety of Architecture.“ Ebd. „I hold the best to be where the diameter is two foot and a half: divide the circumference into equal parts; as for example into fourteen; the points of the divisions shall be the places, where the pillars must be erected. Let the place where the spectator must look, contain two parts; and take one pillar away, so there will be thirteen pillars: […] then raise Looking-glasses upon the lines of space between, not exactly, but inclined: […]. Hence by the reciprocal reflection of the Glasses, you shall see so many pillars, basis, and varieties, keeping the right order of Architecture, that nothing can be more pleasant, or more wonderful to behold […]. If you set a Candle in the middle, it will seem so to multiply by the Images rebounding, that you shall not see so many Stars in the skies, that you can never wonder enough at the Order, Symmetry, and the Prospect.“ Ebd., S. 359f.

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Abb. 3: Rundes, kugelförmiges Doppelglas nach Sir Hugh Platt. The Jewell House of Art and Nature (London, 1594).

vum mehr, doch wurden die für Beleuchtungszwecke hergestellten Linsen nicht immer aus massivem Glas gefertigt, sondern häufig aus runden Glasgefäßen, die mit Wasser gefüllt waren. In The Jewell House of Art and Nature beschreibt Sir Hugh Platt folgende Methode zur Herstellung eines solchen Apparates, der als Linse fungiert (Abb. 3): Verwende ein rundes, kugelförmiges Doppelglas mit einer großen Öffnung an der Oberseite, und platziere im konkaven Bereich des obersten Glases eine Kerze in einer losen Fassung, und fülle dieses durch eine Art Loch oder Rohr, das dort an der Seite angebracht werden muss, mit Weindestillaten oder einer anderen destillierten Flüssigkeit, die nicht verdirbt, und diese eine Kerze wird ein so außerordentliches, wunderbares Licht ausstrahlen, das beinahe den Strahlen der Sonne gleichkommt.18 18

„Cause a round & double Glasse to bee made of a large size, & in fashió like a globe, but with a great rounde hole in the toppe, and in the concaue part of the vppermost Glasse place a Candle in a loose socket, and at some hole or pipe which must bee made in the side thereof, fill the same with spirite of Wine or

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Das Doppelglas des Gefäßes, von dem hier die Rede ist, wird mit „spirite of Wine“ (Weingeist) oder „cleare distilled water“ gefüllt und dient als Medium, welches das Licht der Kerzenflamme durch die konvexe Außenfläche bündelt. Platts Beschreibung des „wonderfull light, somewhat resembling the Sun beames“, ist keine fantastische Übertreibung, sondern vielmehr ein Versuch, die Wirkung der feinen, aber so eindrucksvollen Lichtstrahlen, die von diesem Gefäß ausgehen, in Worte zu fassen. Ähnliche Effekte sind aus dem Theater des 17. Jahrhunderts überliefert, allerdings kamen dabei weitaus komplexere „machinae“ zum Einsatz. Für diese deus ex machina-Effekte, das Erscheinen und Einschreiten antiker Götterfiguren und biblischen Personals in das Bühnengeschehen, wurden so genannte ‚Gloires‘ (Glorienwagen) entwickelt. Im Mannhafften Kunst-Spiegel des Architekten Joseph Furttenbach des Älteren von 1663 findet sich dazu folgende Beschreibung: In der mitten [des Glorienwagen] aber/ so wird ein etwann 5. Zoll im Diametro grosses [13 cm]/ zwifaches/ vnd gegen der Scena herausswarts/ halb rund geformirtes Cristalinen Glaß/ (oder aber ein geknorretes/ flaches/ gläserin Fläschlin/ da man nichts bessers gehaben kan/ hierbey auch etwas præstieren) dergestallt hierzu mit sonderbarem Fleiß in der Glasshütten verfertiget werden/ das man zweyer zwerchfinger breit/ Wasser (darunder gleichwol nur gar wenig rother Safft/ oder Farb geschwungen wird/ damit dasselbige Wasser/ vmb etwas röthlechts werde) zwischen das hindere vnd vordere Glaß/ einem Gutterglaß ähnlich (aber wie ein halber Mond mit eingebogener halben runde/ oben muss eines Fingers weite/ ein Ansatz/ oder Loch gelassen werden/ damit man durch dasselbige Loch das Wasser hinein giessen/ auch widerumben herauss lassen möge/ vnden so hat das vilernannte Glaß ein Zapffen mit welchem es kan eingesteckt/ hierdurch neben dem obern Ansatz oder Pfeiffen/ desto besser in sein Gehäuß befestiget werden) hinein schitten möge/ welches Glaß nun hernach in sonderbare/ hinden auff die Sonnen auffgelöttete Rinnelin mag gestellt/ alsdann mit Häcklin hinzu-gerucket/ damit es beständig vnd vnzerbrochen also hinden an der Sonnen verbleibe.19

Die Gloire ist eine zwei Fuß [61 cm] tiefe Kastenkonstruktion, die sich, vorne drei Fuß breit [91 cm], nach hinten perspektivisch auf zwei Fuß verengt [61 cm]. Inwendig solle sie, so schreibt Furttenbach, mit Flendergold ausgekleidet werden. Zudem sei darin eine messingfarbene Sonnen-

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some other cleare distilled water that will not putrifie, and this one Candle will give a great and wonderfull light, somewhat resembling the Sun beames.“ Platt (Anm. 13), S. 31. Joseph Furttenbach. Mannhaffter Kunst-Spiegel, oder Continuatio, und fortsetzung allerhand Mathematisch- und Mechanisch-hochnutzlich sowol auch sehr erfrölichen delectationen, und respective im Werck selbsten experimentirten freyen Künsten. Augsburg, 1663, S. 128.

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konstruktion „an einem eysern Stängelin“ zu befestigen, wodurch die Konstruktion drehbar sei und von allen Seiten beleuchtet werde, so dass deren „goldglantzende“ Reflektion dem Strahlen der Sonne gleichkomme. Hinter dieser Sonnenkonstruktion solle die oben beschriebene Kristallkugel oder ein gläsernes Fläschchen platziert und solchermaßen „auff gelöttete Rinnlein mag gestellt [werden]/ als dann mit Häcklin hinzu gerucket/ damit es beständig und unzerbrochen also hinden an der Sonnen verbleibe“. Die gläserne Kugel sei, so heißt es in der Instruktion weiter, aus einem Doppelglas herzustellen, dessen zwei Finger breiter Zwischenraum mit rötlich gefärbtem Wasser gefüllt werden solle. Dieses Wasser gelange durch eine Ausbuchtung oder eine fingerbreite Öffnung in die Kugel, die anschließend mit einem Zapfen zu verschließen sei. Der lichte Glanz, der von dem Wassergefäß, dem reflektierenden Flendergold und der messingfarbenen Sonne ausgeht, blende und verwundere, so schreibt Furttenbach, den Betrachter mit einer den Sonnenstrahlen gleichkommenden Kraft, die solchermaßen „schimmert und zwitzert/ worob dem Menschen der etwann gar zu eyferig darein sehen wolte/ gleichsam das Gesicht vergehn möchte“.20 Die grundlegenden Elemente des gläsernen Globus aus Furttenbachs Kunst-Spiegel werden nahezu identisch in der Anleitung von Platts fast 70 Jahre früher erschienenem Werk The Jewell House of Art and Nature beschrieben. Doch gibt es einen signifikanten Unterschied zwischen Furttenbach und Platt: Bei Platt dient eine Kerzenflamme als Lichtquelle, die im Zentrum des Doppelglases platziert ist. Bei Furttenbach hingegen scheint eine Quelle von größerer Leuchtkraft im Spiel zu sein, denn hier ist die Rede von einem „solch scharpffen durch das Flendergold im Kasten verursachten Splendor“.21 Dieser Glanz rührt von „vier Lichtern [her, die] nicht gesehen werden“: von zwei Kerzen, die an den Seitenwänden angebracht werden, und von zwei weiteren, die sich im hinteren Bereich der Gloire verbergen.22 Geht man davon aus, dass der Effekt der Gloire ein zweidimensionaler ist, so spielt es keine Rolle, dass die Lichtquellen hinter dem Glas und nicht im Zwischenraum platziert sind. Für den Fall, dass kein Kristallglas vorhanden sei, schlägt Furttenbach den Gebrauch von „einem doppelten halb runden/ mit Wasser eingefülltem Glas“ vor.23 Auch Platt wiederum beschreibt ein ähnliches Wassergefäß, das nach dem System einer Linse funktioniert. 20 21 22 23

Ebd., S. 128. Ebd., S. 127. Ebd. Ebd., S. 128.

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Philip Butterworth Ich kannte einen erfahrenen Juwelier, der sich zu Lebzeiten in Blackfriars [London] aufhielt und der ein Glas besaß von rundbäuchiger Form und mit einem flachen Rücken, das auf einer Stütze stand. Dahinter war eine Lampe so platziert, dass sich die Lichtquelle genau gegenüber der Mitte des Glasbauches befand, durch welchen ein so über alle Maßen funkelndes Licht drang, dass er mit Hilfe dessen jeden denkbaren Gegenstand in goldenes Licht tauchen konnte, sowohl des Nachts als auch zu jeder Tageszeit.24

Die konvexe Außenfläche eines solchen Glases ermöglicht die hier beschriebene Form der Lichtbündelung. Nur über die exakte Position zwischen Lichtquelle und dem Bauch des Glases lassen sich die Lichtstrahlen einfangen. In diesem Fall wird die Lichtquelle als „Lampe“ bezeichnet. Die Größe und die Leuchtkraft dieser Quelle sind nicht dokumentiert, wenngleich Sebastiano Serlio in Tutte l’Opere d’Architettura einen ähnlichen Entwurf vorlegt, der allerdings von größerem Ausmaß gewesen sein muss: Und hinter die Glaskugeln stelle man einen Lampion, also eine Art Lampe, damit der Schein immer gleich stark bleibt, und wenn die Glaskugeln zur Lampe hin flach sind, oder vielmehr konkav, werden sie das Licht viel besser empfangen.25

Wenn Serlio meint, dass „das Licht besser empfangen würde“, so spricht er hier vermutlich von gebündeltem Licht. Deutlich erkennbar wird das dabei angewandte Prinzip der Lichtbündelung an den Illustrationen der lacemaker’s lamp,26 einer mit Wasser gefüllten und an einem Gestell hängenden Glaskugel (Abb. 4). An der Stütze ist eine Kerzenhalterung montiert, die sich auf verschiedenen Höhenstufen befestigen lässt, so dass sich die Kerzenflamme genau gegenüber dem Glasbauch befindet. Auf 24

25

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„I knewe an expert Ieweller, dwelling (whilest he liued) in the Blackefriers, who had a Glasse with a round bellie, and a flat backe standing vpon a foote, with a Lampe placed so at the backer part thereof, as that the light thereof, was iust opposite to the center of the bellie through which (the Glasse being first filled with spirite of Wine) there would so brim and glittering light appeare, as that by the helpe thereof he would graue anie curious worke in golde as well at midnight as at the noone day.“ Platt (Anm. 13), S. 32. „[…] & dietro le boccie si metterà uno cesendelo, ouero lampada, acciò il lume sia sempre uguale, & se le boccie uerso la lampada saranno piane, anzi concaue, riceueranno meglio la luce.“ Sebastiano Serlio. Tutte l’Opere d’Architettura. 8 Bde. Venedig, 1584, S. 52; vgl. ders. Von der Architectur. Fünff Bücher. 5 Bde. Hg. v. Ludwig König. Basel, 1609, Bd. II, o. P. [S. 88]. Die lacemaker’s lamp – diesen Begriff verwendet der Autor hier im Original – funktioniert nach demselben Prinzip wie die so genannte Schusterkugel. Im Folgenden wird lacemaker’s lamp aus Rücksicht auf den historischen Kontext in diesem Beitrag deshalb weder wörtlich mit „Klöppler-Lampe“ noch mit Schusterkugel übersetzt, sondern im englischen Original beibehalten [Anm. d. Übs.].

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Abb. 4: Schema einer lacemaker’s lamp.

Abb. 5: Darstellung eines Kondensors aus John White. A Rich Cabinet with Variety of Inventions [...] (London, 1651).

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diese Weise arbeitet der Klöppler (lacemaker) mit einem fein gebündelten und hellen Lichtstrahl. Der Durchmesser einer solchen Glaskugel liegt zwischen vier und acht Zoll [10 und 20 cm]. Diese Vorrichtung ist als Kondensor bekannt (Abb. 5). Eine solche mit Flüssigkeit gefüllte und leicht abweichende Form wird 1651 von John White ewähnt, der hierzu schreibt: Gehe zu einer Glasbläserei oder einem Glasgeschäft und lasse Dir ein dünnes, rundes Glas anfertigen, das größer ist als ein Brotlaib (je größer, desto besser), mit einem kurzen Hals wie bei einer Flasche – sie [die Glasbläser] wissen, wie dies gefertigt wird. Dann binde mit einer klebenden Flüssigkeit oder mit Wachs einen Zwirn oder Bindfaden um den Hals, mit einer kleinen Schlaufe zum Einhängen; fülle das Glas dann mit dem reinsten Brunnen- oder Quellwasser, das verfügbar ist (mische darin etwas aqua vitae, um es am Gefrieren zu hindern) und verschließe es, um Staub fernzuhalten; anschließend, wenn Du es über einem Tisch oder einer Bank benutzen möchtest, schlage einen Spannhaken oder Nagel in die Decke oder in ein Wandregal und verbinde dieses mit einem Zwirn oder einem Bindfaden mit der Schleife und hänge es auf (aber besser wäre es, man würde einen runden Stab als Hängevorrichtung verwenden, den man in ein Loch in der Wand schlägt, so dass Du es nach Belieben senken und aufrichten kannst, indem Du den Stab bewegst); stelle dann eine brennende Kerze auf den Tisch hinter das Glas, und Du wirst das erforderliche prachtvolle Licht durch das mit Wasser gefüllte Glas empfangen.27

Gemeinhin wurde für diese Glaskugeln oder Kondensoren ein im Verhältnis zu ihrer Gesamtgröße dünnes Glas verwendet. Der Schein einer solchen lacemaker’s lamp zeichnet sich – verglichen mit dem Licht, das durch ein annähernd gleich großes, aber aus dickerem Material bestehendes Goldfischglas fällt – durch stärkere Leuchtkraft und einen präzisen Fokus aus. White betont, die Kugelleuchte solle aus dünnwandigem Glas bestehen. Und zur Bündelung des Lichts dürfe die Kerze 27

„Goe to the Glasse-house, or Glasse-shop, and let them blow you a thin round Globe glasse, bigger then a penny Loafe, (the bigger the better) with a short neck like a Bottle, they know how to make them. When you have this Glasse, with Glew or Wax bind a piece of Tape or Packthread about the neck or top, making a little loope therewith to hang by; Then fill your Glasse with the purest Conduit or Spring-water you can get, (putting some Aqua-vitae therein to keepe it from freezing) stopping it close to keepe the dust out; having thus done, if you will use it at a Table or Bench, knock a Tenter-hooke or Naile into the Seeling or Shelfe, and with a Tape or Packthread fasten it to the loope and hang it up; (but a round stick were better to hang it on, putting it into a poast or hole in the wall, that you may let it higher or lower at your pleasure in turning the stick:) Then behind your Glasse set a Candle lighted upon the Table and you shal have a glorious light through the Glasse, and water for your purpose.“ John White. A Rich Cabinet with Variety of Inventions. Unlock’d and Opened, for the Recreation of Ingenious Spirits at their Vacant Hours, etc. London, 1651, fol. B 1v.

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Abb. 6: Klöpplerinnen arbeiten im Licht einer speziellen lacemaker’s lamp, dem so genannten ‚candle block‘.

nicht allzu weit von dem Kugelglas entfernt sein. Normalerweise beträgt der Abstand zwischen einer Kerzenflamme und der Glasfläche einer lacemaker’s lamp ein bis drei Zoll [2,5 bis 7,6 cm] (Abb. 6). Gemäß den White’schen Instruktionen wird der Einfallswinkel des Lichts durch die variable Höhe des Glasbauchs und dem damit verbundenen Abstand zur Kerzenflamme geregelt. Durch die Abstimmung des Glaskörpers auf die Flamme ist die Richtung des Lichtstrahls lenkbar. Auf diese Technik bezieht sich White, wenn er davon spricht, „that you may let it higher or lower at your pleasure in turning the stick“.28 Die meisten Nachweise für jene bisher besprochenen Beleuchtungstechniken, die auf Linsen oder mit Wasser gefüllten Gefäßen beruhen, finden sich im Bereich der Privathaushalte oder des Handwerks. Doch die technischen Prinzipien, die Platt beschreibt, wurden auch für weiterführende Beleuchtungszwecke angewandt, bei denen stärkere Lichtquellen zum Einsatz kamen: Fackeln, Laternen und voluminösere Glasgefäße. Die Konstruktion größerer Kondensoren wird 1613 von John Rovenzon beschrieben: Für solche Arbeiten, die nachts und an Orten ausgeführt werden, die weit entfernt von Feuerstätten [Öfen] liegen, wurde eine neue Form von Lichtquelle 28

Ebd.

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Philip Butterworth entwickelt, bestehend aus einem Glas, das häufig mit Wasser gefüllt ist, oder einer Kerze, die so platziert ist, dass sie [durch das Glas] hindurch scheint und ohne großen Aufwand ein äußerst starkes Licht über eine große Distanz hinweg spendet; und [diese Vorrichtung] eignet sich hervorragend für erhöhte Orte, für Kreuzungen und Straßen großer und kleinerer Städte, um so Laternen und Kerzenlicht einzusparen und Unannehmlichkeiten bei Dunkelheit zu vermeiden.29

Obwohl in diesem Fall noch immer eine Kerze als Lichtquelle dient, müssen die gläsernen Wassergefäße, die hier bereits für Straßenbeleuchtungen konzipiert sind, doch größere Ausmaße haben, als dies in den bisher zitierten Quellen der Fall war. Rovenzons Bemerkung, man könne Laternen und Kerzenlicht einsparen („sauing of lathorne, and candle-light“), scheint sich darauf zu beziehen, dass sich hier eine einzige Kerze oder Laterne im Zentrum einer symmetrischen Anordnung von Glasgefäßen in solcher Höhe platzieren lasse, dass sie alle Straßen, die auf eine Kreuzung führen, beleuchte. Dies ist keine schillernde Fantasie des Autors, wenn man die späteren Beleuchtungspraktiken der Klöppler bedenkt. Die lacemaker’s lamp bestand zuweilen aus einem Arrangement von vier solchen Glasgefäßen, das als „candle-block“ (Kerzengruppe) oder auch als „flash“ (Blitzlicht, Fackel) bezeichnet wurde (Abb. 6). Die vier hölzernen Lampenständer waren auf einen hölzernen Schemel montiert. In die Mitte der vier Glasgefäße wurde eine Kerze gestellt, deren Licht auf diese Weise die Arbeitsplätze von vier Klöpplern, die um den Tisch saßen, erhellte. Einige Konstruktionen waren so gebaut, dass sich der hölzerne Schemel neigen ließ und das Licht variabel auf den jeweiligen Arbeitplatz gerichtet werden konnte. Hätte man im Falle der Rovenzon’schen Vorrichtung anstelle des Kerzenlichts eine Laterne oder eine Fackel benutzt, wäre die Intensität noch stärker gewesen. Eine solche Konstruktion wurde von Bastiano (alias Aristotile) da Sangallo für die Feierlichkeiten zur Hochzeit von Cosimo I. und Donna Leonora von Toledo im Juni 1539 am Hof der Medici in Florenz angefertigt. Giorgio Vasari berichtet dies folgendermaßen: Außerdem traf er die sehr sinnreiche Anordnung an, einem Bogen im Rücken sämmtlicher Gebäude eine Laterne von Holz anzubringen mit einer Sonne von 29

„For such of the workes as require light to worke by in the night, being distant from the places where the Furnaces are, there is a new-deuised luminary of glasse, or glasses filled with water, & a candle placed to giue light through it, which giueth a very great light a great distance off, with small charge; and may be conuerted to excellent vse, being placed in high places, in crosse-wayes, and streets of Citties and Townes, to the sauing of lanthorne, and candle-light, and the auoyding of inconueniences happening by darknesse.“ John Rovenzon. A Treatise of Metallica. London, 1613, fol. C 2 r-v.

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einer Elle Höhe, das heißt einer Krystallkugel voll distillirten Wassers, welche durch zwei hinter ihr brennende Fackeln also glänzte, daß sie den Himmel der Bühne und die Decorationen erleuchtete, gleich als ob es die Sonne selbst wäre. Diese Kugel, umgeben von einem Kranz goldener Strahlen, welche den Vorhang verdeckten, wurde vermittelst eines kleinen Flaschenzuges also regiert, daß es schien, als ob die Sonne beim Beginn der Komödie aufgehe, und nachdem sie sich allmählich bis zur Mitte des Bogens erhoben und an der anderen Seite wieder herabgesenkt hatte, beim Schluß der Komödie untergehe.30

Dieser Beschreibung zufolge bestand die Laterne aus einem Holzrahmen oder einer Kippvorrichtung, in der zwei Fackeln („due torchi“) und eine Kristallkugel („una palla di cristallo“) befestigt waren. Dieser Rahmen verlief auf einer Schiene hinter dem Gewölbe, die vermutlich dieselbe Bogenform wie das Gewölbe hatte. Über eine Winde wurde der Rahmen vom Fuß bis zur Spitze des Bogens und auf der anderen Seite wieder nach unten befördert. Wurde diese Winde ordnungsgemäß ausgerichtet, so konnte durch sie allein der gesamte Rahmen bewegt werden. Andernfalls waren zwei Winden notwendig: eine, um den Rahmen nach oben zu ziehen, und eine, um ihn kontrolliert wieder zu senken. Die Größe der Kristallkugel wird mit einer Breite von einem „braccio“ (Armlänge) angegeben, also etwas weniger als zwei Fuß [61 cm]. Folglich weist dieser Globus einen gänzlich anderen Umfang auf als die bisher genannten. Die lodernden Flammen der beiden Fackeln müssen die schwachen Lichtquellen der lacemaker’s lamps an Leuchtkraft überboten haben. Und der Effekt dieser Fackeln mag eher dem schimmernden Glanz des Sonnenlichts („che pareva veramente il sole vivo e naturale“) gleichgekommen sein als dem stetigen, gebündelten Lichtstrahl der Kerzenflamme. Vasari spricht von einem „ornamento di razzi d’oro che coprivano la cortina“. Vermutlich war der Vorhang auf irgendeine Weise mit dem Rahmen der Glaskugel verbunden, so dass die Kugel und die „razzi d’oro“, die goldenen Strahlen, die den Vorhang zierten, gemeinsam bewegt wurden. Und womöglich spiegelte sich der Flammenschein in diesen „razzi d’oro“ auf ähnliche Weise wider, wie Furttenbach es für das Lichtspiel der Gloire beschreibt. Die Möglichkeit, einen Kondensor zur Erzeugung dekorativer Lichteffekte und Strahlen einzusetzen, findet sich auch in der Bühnenbestandsliste der ‚Lincoln Cordwainers‘, wo für den Pageant of Bethelem aus dem frühen 16. Jahrhundert Folgendes verzeichnet ist: 30

Giorgio Vasari. „Das Leben des florentinischen Malers und Baumeisters Bastiano, genannt Aristotile von Sangallo“. Leben der ausgezeichnetsten Maler, Bildhauer und Baumeister, von Cimabue bis zum Jahre 1567. 6 Bde. Hg. v. Julian Kliemann. Übs. v. Ernst Förster u. Ludwig Schorn. Darmstadt, 1983 [Nachdruck d. Ausgabe Stuttgart u. Tübingen, 1846], Bd. 4, S. 372.

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Philip Butterworth Ebenso wird ein großer vergoldeter Kopf [eine Vorrichtung] mit sieben Strahlen und sieben Gläsern für denselben und mit einem langen Strahl für den Mund [das Zentrum der Vorrichtung] versehen/ Ebenso sollen drei große Sterne an demselben angebracht werden und drei Gläser sowie eine Schnur für diese Sterne.31

Höchstwahrscheinlich sollten die sieben Glasgefäße („vii glassez“) den Effekt der sieben Strahlen („vii Beames“) verstärken, die ein integraler Bestandteil der Vorrichtung gewesen sein müssen. Von den Glasgefäßen scheint ein Licht ausgegangen zu sein, das von den Strahlen reflektiert wurde. Es ist anzunehmen, dass es sich dabei um eine zweidimensionale Konstruktion handelte, deren Strahlen entweder malerisch gestaltet waren oder aus reflektierenden Materialien bestanden. Die Glasgefäße waren vermutlich mit Wasser gefüllt und rückseitig beleuchtet. Jedes der sieben Gefäße wurde aller Wahrscheinlichkeit nach gegenüber den entsprechenden Löchern an den spitzen Enden der sieben Strahlen befestigt, wobei der Schein ihres Lichts dem Zentrum der Vorrichtung zugewandt war. Als Lichtquelle mögen Kerzen, Laternen oder Fackeln gedient haben. Wie die Sonnenapparatur, so scheinen auch die drei Sterne („iij greatt stars“) aus großen, zweidimensional gemalten bzw. sternförmigen und vergoldeten Dekorationen bestanden zu haben, die glänzende Flächen oder Strahlen aufwiesen und in deren Zentrum drei Glasgefäße Platz fanden. Gestaltete sich die narrative Ebene des Pageant of Bethelem als Krippenspiel, so ist anzunehmen, dass das Licht der drei großen Sterne stärker und schwächer wurde oder die Sterne sogar scheinbar ihre Position verließen. Die Schnur für diese Sterne („cord for ye sam steris“) scheint dafür gedacht gewesen zu sein, die drei Glasgefäße auf eine Linie mit den Löchern im Zentrum der drei großen Sterne zu bringen. Es bleibt jedoch unklar, ob durch diese Schnur tatsächlich die mit Wasser gefüllten Gefäße oder die Sternendekorationen bewegt wurden. Vermutlich war, allein schon aus praktischen Gründen, eher Letzteres der Fall. In der Schilderung eines französischen Banketts in Hall’s Chronicles (1547) ist die Rede davon, dass „die Decke voller vergoldeter Sterne und Gläser zwischen dem Zierwerk“ gewesen sei.32 Möglicherweise 31

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„Item a great hed gildyd sett wt vii Beamez & vii glassez for ye sam And on long beame for ye / mouthe of ye said hed / Item iijre greatt stars for ye sam wt iijre glassez And a cord for ye sam steris.“ Zit. n. Stanley J. Kahrl (Hg.). Records of Plays and Players in Lincolnshire 1300-1585 (= Malone Society Collections, 8). Oxford, 1974, S. 96. „[T]he roofe was set full of starres gilt furnished with glasses betweene the fretes.“ Edward Halle. Hall’s Chronicle. Containing the History of England, dur-

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waren die Glaselemente dazu gedacht, das Licht zu spiegeln, in dem der Ballsaal erstrahlte. Oder aber das Licht sollte von den ‚vergoldeten Sternen‘ ausstrahlen, ähnlich wie es in den Rechnungsbüchern der ‚Lincoln Cordwainers‘ beschrieben worden war. Entscheidend für die Bündelung und Lenkung des Lichts durch einen Kondensor ist das Höhenund Abstandsverhältnis zwischen der Lichtquelle und dem Bauch des Glasgefäßes. Die Gestaltungstechnik eines von oben herabfallenden Lichts beschreibt Serlio in der bereits zitierten Instruktion. Er empfiehlt hier, brennenden Kampfer unter Wasser zu halten und von unten mit einer Kerze zu erhitzen.33 Vermutlich wurde die Leuchtkraft des Kampfers durch den Glasboden verstärkt. Ein weiteres Beispiel eines vertikal von der Decke herabfallenden Lichtstrahls wird 1565 durch Leone de Sommi für die Inszenierung eines Schäferspiels beschrieben. Hier ist von einem „großen Glanz“ die Rede, erzeugt durch mehrere mit Wasser gefüllte Gefäße, die in einem Bogengang platziert waren. Über den Gefäßen soll eine so große Anzahl von Leuchten befestigt werden, dass jeder Bogen durch ein loderndes Licht beleuchtet wird und heller als die Sonne um die Mittagszeit scheint.34 Auch in diesem Fall scheinen die Glasgefäße von weit größerem Ausmaß zu sein als die der lacemaker’s lamp. Sie mögen so groß gewesen sein wie die des oben erwähnten Bastiano (Aristotile) da Sangallo. Sowohl durch Linsentechniken als auch durch Spiegel lassen sich Lichter von großer Leuchtkraft erzeugen, und noch heller und glänzender sind diese Lichter durch die Kombination beider Medien. Beispielhaft dafür ist eine Schilderung Serlios:

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ing the Reign of Henry the Fourth, and the Succeeding Monarchs to the End of the Reign of Henry the Eighth. Hg. v. Sir Henry Ellis. London, 1809, S. 596. Teile dieser Chronik erschienen erstmals 1547. „Si potrá ancora su per la Scena mettere alcuni candelieri con torcie sopra, & ancora sopra essi candelieri vi sia vn vaso pieno d’acqua dentro, nellaquale metterai vn pezzo di canfora, ilquale ar dentro fa bellissimo lume, & è odorifero.“ – „[...] kampffer in ein glas mit wasser gethan/ gibt ein schön wolriechend liecht.“ Serlio, Tutte l’Opere (Anm. 25), S. 52. Übs. aus Serlio, Von der Architectur (Anm. 25), Bd. II, o. P. [S. 88]. „[S]till greater splendour was provided by several great globes filled with water, cleverly set in the middle of each archway. Above these, lamps had been placed in such number that each arch seemed lit up by a blazing sun. Indeed, it seemed brighter than high noon.“ Leone de Sommi. Quattro dialoghi in materia di rappresentazioni sceniche. Zit. n. Allardyce Nicoll. The Development of the Theatre. A Study of Theatrical Art from the Beginnings to the Present Day. London, 1966, S. 277.

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Philip Butterworth Wil man etwann an eim ort ein grossen starcken schein haben/ sol dz glaß mit dem gefärbten wasser desto grösser seyn/ unn hinder dem glaß ein Torschen oder Fackel stehen/ hinder der facklen aber ein schön lauter außgeriben becke/ welches die stralen dopplieren/ unn dem Sonnenschein gleich machen wird.35

Es fällt auf, dass die Anweisungen für Lichtinszenierungen in den Textbüchern den Schilderungen von Theaterzuschauern gleichkommen, und auch die Instruktionen in technischen Traktaten greifen auf ein ähnliches Vokabular zurück. Nicht nur die Bühnenanweisungen fordern einen „marvellous splendor of light“, „great light“ oder „great brightness“, auch in den Books of Secrets werden die Lichteffekte unterschiedlicher Glasgefäße auf ähnliche Weise beschrieben. Furttenbach spricht vom „Splendor, oder Glanz“ der Gloire, die solchermaßen „schimmert und zwitzert/ worob dem Menschen der erwann gar zu eyferig darein sehen wolte/ gleichsam das Gesicht vergehn möchte“. Platts Instruktion zum Bau einer Lampe aus rundem Doppelglas verspricht, dass diese „a great and wonderfull light“ gebe. Und seine glanzvollen Erinnerungen an das rundbäuchige Glas eines benachbarten Juweliers schildert Platt mit den Worten des „glittering light“. White bezeichnet das Licht, das durch seinen Kondensor dringt, als „glorious light“. Und in Rovenzons Beschreibung seines Kondensors wird das ausströmende Licht als „a very great light“ bezeichnet. Doch sowohl die technischen Beschreibungen als auch die Szenenanleitungen weisen einen gewissen Grad an Unschärfe auf. Dies ist wenig verwunderlich angesichts der Tatsache eines technischen Vokabulars, das sich zu jener Zeit gerade erst im Prozess seiner Herausbildung befindet, und der begrenzten Mittel, um Lichtgrößen überhaupt messen zu können. Damals wie auch heute noch ist Licht in den Augen des Betrachters eine relative Größe. Auch wenn sich im Blick des Beobachters im 21. Jahrhundert die Erfahrung künstlichen Lichts von gewaltiger Helligkeit eingeschrieben hat – eine Erfahrung, die der Betrachter des Mittelalters entbehrt –, wird die Wahrnehmung heute noch durch relative Begrifflichkeiten wiedergegeben. Noch immer gebraucht der Beobachter dieselbe Terminologie für die Beleuchtung von Theateraufführungen, spricht von ‚beeindruckenden Lichteffekten‘ oder der ‚gelungenen Lichtregie‘. Die Begrifflichkeiten sind dieselben geblieben, das Bezeichnete jedoch hat sich gewandelt. Die Beleuchtungstechnik heutiger Theater verfügt über Scheinwerfer mit Lichtstär35

„Ma se accaderà [tal fiata un lume grande & gagliardo, sarà] da metterui di dietro vna torcia, dopò laquale sia vn bacino da barbiere ben lucido & nuouo, la relessione del quale farà certi splendori, come di raggi del Sole.“ Serlio, Tutte l’Opere (Anm. 25), S. 52. Übs. aus Serlio, Von der Architectur (Anm. 25), Bd. 2, o. P. [S. 88].

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ken zwischen 500 und 3000 Watt. So ließe sich die Skala der frühneuzeitlichen Brennstoffe leicht unter die Lichtstärkenskala der modernen Elektrizität subsumieren. Doch obwohl sich der Zuschauer dieser technischen Umstände durchaus bewusst ist, greift er trotzdem auf atmosphärische Umschreibungen des Lichteindrucks zurück. Für den Effekt des inszenierten Sonnenlichts im Passio Domini des Cornish Ordinalia-Zyklus mag ein Kondensor als Lichtquelle gedient haben. Der überraschende Effekt wurde vermutlich dadurch erzeugt, dass ein Tuch, welches das Glasgefäß bedeckte, schnell entfernt oder aber die Flamme näher an das Glas gestellt wurde. In The Life of Saint Meriasek mag die Signifikanz der Taufe Konstantins durch jenen „marvellous splendor of light“ dargestellt worden sein, der auf den Darsteller des Konstantin niederfiel. Die Szenenanweisung erfordert für diese Zwecke ein spiegelblankes Becken, das den Strahl der Lichtquelle reflektiert und den Gegenstand auf diese Weise beleuchtet. Es zeigt vor allem dann seine Wirkung, wenn genügend Abstand zwischen Lichtquelle und dem illuminierten Gegenstand vorhanden ist. Auf ähnliche Weise scheint auch das „great light“, das in den Textbüchern aus Bourges beschrieben wird, durch die Technik eines Spiegelkörpers erzeugt worden zu sein, denn hier wird verlangt, das Licht solle auf die Petrus- und Paulusdarsteller fallen. So mag die „erstaunte“ („amazed“) Reaktion der Apostel im Lichte dieser Technik vollzogen worden sein. Und so wird auch die „glanzvolle Helligkeit“ („great brightness“), von der in der Second Maiden’s Tragedy sowie im Himmelfahrtsmysterium von Mons die Rede ist, durch ähnliche Lichteffekte erzeugt worden sein. Diese Effekte wurden vermutlich darüber hinaus noch verstärkt, indem die Laternen und Fackeln mit reflektierenden Materialien kombiniert wurden. Es scheint, als sei in solchen theatralen Momenten ein relativ konstanter Lichtstrom vonnöten gewesen, kein flammendes Fackellicht. Zudem mögen diese Effekte noch eindrucksvoller gewesen sein, wenn Lichtquellen eingesetzt wurden, wie beispielsweise die durch Platt beschriebene halb geöffnete Laterne, deren Innenwände aus stählernen Spiegeln bestehen, oder das amphitheatrale Glas, das der PortaÜbersetzer schildert. Und die zuletzt genannte Form von Lichtquelle war vermutlich auch in der Szenenanweisung von Chester Cooks’ Harrowing of Hell vorgesehen. Diese kräftige Beleuchtungsform scheint der szenischen Anforderung gerecht zu werden, welche den relativ begrenzten Platz eines Festwagens in der Chester Street beschreibt. Eine solchermaßen gestaltete Lichtregie mag auch als Zeugnis von großem Geschick und Erfindungsreichtum empfunden worden sein.

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Philip Butterworth

In dem vorliegenden Aufsatz habe ich zwei Formen der Evidenz untersucht. Die eine geht aus den Anforderungen expliziter Bühnenanweisungen hervor, wie sie in Textbüchern zu finden sind. Die andere Form der Evidenz gründet auf Prozessen und Techniken, wie sie in den Books of Secrets veranschaulicht werden. Ich habe diese zweite Textsorte als Mittel zum Verständnis der ersten Textsorte verwendet. Auf welche Weise aber haben die Bühnenanforderungen in Textbüchern aus der Theaterpraxis und die technischen Beschreibungen in den Books of Secrets einen experimentellen Anspruch? Zeugen die Techniken, die in den Books of Secrets beschrieben werden, von einer experimentellen Praxis oder handelt es sich hier um Gedankenexperimente, um neue Ideen? Oder sind hier längst bekannte Techniken auf neue Weise beschrieben worden? Experimente sind, sowohl was ihre Form als auch ihren Zweck anbelangt, intentionale Praktiken. Wie viele der Berichte in den Books of Secrets zeugen tatsächlich von gezielten Versuchen, etwas zu beweisen? Handelt es sich dabei um ein Rezept oder um eine Technik, die experimentelle Ausführungen nach sich ziehen oder folgt darauf die ‚Trial and Error-Methode‘, der Weg der eigenen Erfahrung? Man könnte ebenso die These vertreten, dass nicht nur wissenschaftliche Experimente, sondern auch die Anforderungen einer Bühnenanweisung in Hinblick auf eine bestimmte Frage- oder Problemstellung konzipiert sind. Dennoch: Szenografische Anweisungen stellen eine künstlerische Aufgabe dar, deren Lösung in einem kreativen Prozess besteht. So mag das wissenschaftliche (und technische) Verständnis in diesem Prozess zwar zweifelsohne eine methodische Hilfe sein, doch stellt sich die Herausforderung der Kunst jedes Mal von neuem – in einem anderen Licht.

Übersetzung: Viktoria Tkaczyk

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Cumulus ex machina. Wolkeninszenierungen in Theater und Wissenschaft Topografie der Evidenz Natürlich hegen wir mehr Bewunderung für diejenigen Dinge, die sich über uns befinden, als für jene, die auf gleicher Höhe oder unter uns zu finden sind. Auch wenn Wolken kaum die Gipfel einiger Berge überragen und man zuweilen sogar solche erblickt, die tiefer als Kirchturmspitzen hängen, stellen wir sie uns doch – da wir die Blicke zum Himmel erheben müssen, um sie zu betrachten – als etwas von solcher Erhabenheit vor, dass selbst Dichter und Maler sie zum Thron Gottes formen und uns suggerieren, dass Er an diesen Orten eigenhändig die Türen der Winde öffnet und schließt [...]. Daraus resultiert für mich folgende Hoffnung: Wenn ich die Natur der Wolken nun auf solche Weise erkläre, dass man keine Gelegenheit mehr haben wird, das zu bewundern, was man darin sieht oder was von dort [scheinbar] herabsinkt, wird man es gleichfalls für möglich halten, ebensolche Ursachen für all das zu finden, was auf Erden noch bewundernswerter erscheint.1

Mit diesen Worten beginnt René Descartes Les Météores, jenes Essay, das 1637 gemeinsam mit dem Discours de la méthode erscheint. Darin wird den Wolken abgesprochen, was der ehrfürchtig zum Himmel erhobene Blick im frühneuzeitlichen Europa bislang in ihnen zu sehen 1

„Nous avons naturellement plus d’admiration pour les choses qui sont au dessus de nous que pour celles qui sont a pareille hauteur, ou au dessous. Et quoy que les nues n’excedent gueres les sommets de quelques montaignes, & qu’on en voye mesme souvent de plus basses que les pointes de nos clochers, toutefois a cause qu’il faut tourner les yeux vers le ciel pour les regarder, nous les imaginons si relevées, que mesme les Poëtes & les Peintres en composent le throsne de Dieu, & font que là il employe ses propres mains a ouvrir & fermer les portes des vens, […]. Ce qui me fait esperer que, si j’explique icy leur nature, en telle sorte, qu’on n’ait plus occasion d’admirer rien de ce qui s’y voit, ou qui en descent, on croyra facilement qu’il est possible en mesme façon de trouver les causes de tout ce qu’il y a de plus admirable dessus la terre.“ René Descartes. Discours de la méthode pour bien conduire sa raison, et chercher la vérité dans les sciences. Plus La Dioptrique, les Météores et la Géométrie, qui sont des essais de cette méthode [1637]. Hg. v. Jean-Robert Armogathe u. a. Paris, 1987, S. 211.

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glaubte: Orte einer göttlichen Präsenz. Für Descartes aber stellt das undurchsichtige Weiß des Himmels weder ein Wunderwerk der Natur dar noch die Grenze menschlichen Erkennens und Forschens. Vielmehr erklärt er Wolken- und alle übrigen Wetterphänomene zu Prüfsteinen des Denkens, und das heißt letztlich: zu Tatsachen cartesianischer Evidenz. Dies soll im Folgenden näher erläutert werden, zuvor aber sei auf eine bemerkenswerte Koinzidenz hingewiesen: 1638, ein Jahr nach Erscheinen des Discours, publiziert der italienische Architekt Nicola Sabbattini seine Pratica di fabricar scene, e machine ne’ teatri. Darin finden sich Anleitungen zum Bau effektvoller Theatermaschinen, die Blitze und Donner, Regenbogen und vor allem Wolkenformationen simulieren. Sabbattini erläutert, wie man auf der Bühne „eine Wolke querüber ziehen lassen kann“ oder „wie man in einem Augenblick den Himmel sich bewölken lassen kann“ (Abb. 1.1 & 1.2).2 Diese Anleitungen markieren ein theaterhistorisches Novum. Denn bislang, und vor allem in der frühen Renaissance, waren die Bühnenmaschinen vornehmlich dem Auftritt von Götterfiguren – ex machina – vorbehalten. Wolkendekorationen dienten lediglich dazu, die geheimen Mechanismen zu verhüllen. Sabbattini stellt sie nun ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Ohne Götter, ohne im Licht eines scheinbar himmlischen Schimmers zu erglänzen, werden Wolkengebilde so im Theater als spektakuläre, zugleich aber auch als profane Tatsachen der Natur sichtbar. Wolken, nichts als Wolken? Es ließe sich aus dieser Koinzidenz schließen, dass Descartes’ Meteorologie und Sabbattinis Bühnenpraxis derselbe Paradigmenwechsel zugrunde liegt. Und so ist bereits mehrfach argumentiert worden, obgleich aus zwei gegensätzlichen Perspektiven: Entweder geht man davon aus, dass Wetterphänomene durch frühneuzeitliche Erfindungen wie das Teleskop durchschaubar werden und dadurch nicht nur Naturphilosophen wie Descartes gezwungen sind, sich ein neues Bild von der Natur zu machen. Auch das Theater bedarf eines Bühnenbildes, das diese neuen Sichtweisen repräsentiert.3 Oder aber man erklärt umge2

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Nicola Sabbattini. Anleitung Dekorationen und Theatermaschinen herzustellen [1638/39]. 2 Bde. Hg., übs. u. Nachw. v. Willi Flemming. Weimar, 1929, Bd. 2, S. 253-271. Die sechs Skizzen in Abb. 1 folgen der Reihe der hier zit. Bauanleitungen. Zu Interferenzen zwischen Descartes’ Regenbogenexperiment und Sabbattinis Dekorationen vgl. Florian Nelle. „Von der beobachteten zur inszenierten Natur. Des-

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kehrt Maschinenbücher wie Sabbattinis Pratica zur Voraussetzung naturphilosophischer Erkenntnisse: Die Ingenieurskunst gibt der Wissenschaft mechanische Modelle an die Hand, die auf verborgene Mechanismen der Natur übertragen werden und diese gleichsam in einem anderen Licht zeigen.4 Beiden Perspektiven liegt die einhellige Auffassung zugrunde, dass sich das Verhältnis von Schauspiel und Wissenschaft gegenüber der Natur im 17. Jahrhundert gleichermaßen mit dem Begriff des theatrum beschreiben lässt.5 Ob es darum geht, singuläre Phänomene oder verborgene Seiten der Natur zu erkennen bzw einen Gesamtüberblick zu geben, stets ist dies nur über den Bruch der Repräsentation möglich: Über literarische Beschreibungen, Bilder und bewegliche Modelle wird die Natur anschaulich. Die Wahl der Repräsentationsformen mag sich dabei durch gewisse Interferenzen (im Sinne von Feldüberlagerungen) zwischen Schauspiel, Laboratorium und Literatur auszeichnen. Doch lässt sich deshalb von einer einheitlichen Form der Evidenzproduktion in diesen Feldern sprechen? Ist theatrum gleich theatrum? Im Folgenden möchte ich den Blick auf die spezifischen Orte der Evidenzproduktion (theatra) im europäischen Theater und in der Naturphilosophie des 17. Jahrhunderts lenken. Gilles Deleuze beschreibt Evidenz in seinem Foucault-Buch als eine epochenspezifische Konfiguration, die das Sichtbare eines bestimmten Kulturraums hervorbringt.6 Zen-

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cartes und der Regenbogen im Wasserglas“. Theatralität und die Krisen der Repräsentation. Hg. v. Erika Fischer-Lichte. Stuttgart u. Weimar, 2001, S. 392-410. Zum Einfluss der Automaten in den Renaissancegärten auf die cartesianische Meteorologie vgl. Simon Werrett. „Wonders never cease. Descartes’s ‚Météores‘ and the Rainbow Fountain“. British Journal for the History of Science 34 (2001), S. 129-147. Zur Theatermetaphorik, die sich im Wettertagebuch eines anonymen Wissenschaftlers widerspiegelt, vgl. Jan Golinski. „‚Exquisite Atmography‘. Theories of the World and Experiences of the Weather in a Diary of 1703“. British Journal for the History of Science 34 (2001), S. 149-171 (insbes. S. 159) u. S. 161. Zu Bedeutungsvarianten des theatrum-Begriffs in der Frühen Neuzeit vgl. Helmar Schramm. Karneval des Denkens. Theatralität im Spiegel philosophischer Texte des 16. und 17. Jahrhunderts. Berlin, 1996, S. 49-109; Horst Bredekamp. Die Fenster der Monade. Gottfried Wilhelm Leibniz’ Theater der Natur und Kunst. Berlin, 2004, S. 23-44. Zur temporären Auflösung und Verschiebung der Grenze zwischen (darstellender) Kunst und Natur im Verständnis der Frühen Neuzeit vgl. Lorraine Daston. „Nature by Design“. Picturing Science, Producing Art. Hg. v. Caroline A. Jones u. Peter Galison. London u. New York, 1998, S. 232-253. Deleuze definiert Evidenz als Pendant zu Foucaults Diskursbegriff. In gleichem Maße wie sprachliche Ordnungen das Aussagbare hervorbringen, resultiere das Sichtbare aus ‚maschinellen Konfigurationen‘, die spezifische Wahrnehmungsstrukturen, Imaginationsmuster und Denkfiguren produzieren. „Sowenig die Aussagen ablösbar sind von ihren Ordnungen, sowenig sind die Sichtbarkeiten von ihren Maschinen ablösbar. Nicht dass jede Maschine von optischem Charakter wäre; aber

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tral an Deleuze’ Evidenzbegriff ist, dass er nicht nur umfasst, was klar und deutlich vor Augen tritt – denn so wird der Begriff gemeinhin in der frühneuzeitlichen Literatur verwendet. Vielmehr steht er für ein Korpus an Sichtbarkeiten, in welches auch eingeschlossen ist, was sich an den Rändern der Konfiguration ins Unscharfe zerstreut. Dieser Definition folgend möchte ich auf den nachstehenden Seiten jene Architekturen der Evidenzproduktion beschreiben, in welche der frühneuzeitliche Beobachter im Feld der Wissenschaft und des Theaters eingebettet ist. Wie gezeigt werden soll, verbergen sich gerade in den Randbereichen beider Felder Potentiale neuer Aufmerksamkeit; dort wird der Blick für bislang unbeachtete Naturphänomene geschärft. Dabei folge ich der Annahme, dass die spezifischen Repräsentationsformen von Wissenschaft und Theater zwar einerseits auf ‚natürliche Objekte‘ verweisen. Andererseits verfügen die medialen Arrangements beider Felder – ob maschineller, ikonografischer oder sprachlicher Art – über Eigenqualitäten, die von repräsentativen Funktionen abweichen. Sie entfalten eine eigene Wirkungsästhetik und eine unscharfe Logik, die derjenigen widerstrebt, die im Zentrum der Evidenzproduktion steht. Diese Qualität ist der spezifischen Materialität der Medien geschuldet, ihrer Veränderbarkeit und interkontextuellen Übertragbarkeit. In diesem Sinne unterscheidet Hubert Damisch in seiner Théorie du nuage zwischen der repräsentativen Funktion von nuage und der indexikalischen Eigenqualität des Graphen /nuage/ in der Wolkenmalerei.7 Doch lassen sich mediale Qualitäten in Theater und Wissenschaft meines Erachtens nicht allein mit einer zeichentheoretischen Terminologie beschreiben. Was dem Zuschauer, dem Leser oder Betrachter am Rande des Sichtbaren ins Auge fällt, hat darüber hinaus mit einer Ästhetik zu tun, die vor dem Hintergrund eines vermittelnden Imaginären mit Aufmerksamkeiten spielt. Wesentlich ist für die folgende Untersuchung, dass Naturphilosophie und Theater im Zuge ihres Produktionsprozesses durch die feldspezifische Einbettung und Entfaltung medialer Konfigurationen tradierte Sehgewohnheiten an neue Schauplätze entführen. Topografisch gesehen entfernen sich dabei die Orte voneinander, an denen Dinge sichtbar werden. Diese Dynamik sei im Folgenden als ein Divergenzprozess zwischen

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es handelt sich um eine Zusammenstellung von Organen und Funktionen, die etwas sehen lässt, die ans Licht bringt, zur Evidenz.“ Gilles Deleuze. Foucault. Übs. v. Hermann Kocyba. Frankfurt a. M., 1987, S. 83, vgl. auch S. 69-98. Damisch argumentiert hier mit Charles Sanders Peirce. Vgl. Hubert Damisch. Théorie du nuage. Pour une histoire de la peinture. Paris, 1972, S. 20-31, S. 253-256.

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beiden Feldern bezeichnet.8 Doch soll es dabei weniger um den „archäologischen Riss“ gehen,9 der das „audio-visuelle Archiv“ einer Epoche durchzieht, um jenen Spalt zwischen Diskurs und Evidenz also, den Deleuze in seiner Foucault-Lektüre unterstreicht. Im Zentrum der Untersuchung stehen vielmehr die einzelnen Akte der „Überbrückung“ zwischen Sag- und Sichtbarem.10 Es soll deutlich werden, auf welche Weise sich Naturphilosophie und Theater trotz divergierender Praktiken und den Bruchlinien zwischen den Schauräumen (theatra) in ihrer Evidenz gegenseitig beleuchten. So, wie sich im physikalischen Sinne zwei gleiche Frequenzen gegenseitig verstärken, ohne lokal zu interferieren, lassen sich auch zwischen diesen beiden Feldern Resonanzeffekte beobachten.11 Bühnendekorationen und wissenschaftliche Repräsentationen gewinnen an Schärfe und Sichtbarkeit, sobald das historische Umfeld (das andere theatrum) mitschwingt. „Dont la raison est evidente, en supposant que […].“ (Descartes) Die evidentialistische Theologie, gegen die Descartes im Discours anschreibt, bringt Wolken durch den Glauben, sie seien göttliche Wohnstätten, als solche erst hervor. Dabei schöpft der sichtbare Gottesbeweis seine Kraft aus dem Blick des Betrachters.12 Als Beispiel einer solchen 8

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Von lat. divergere 1. verschieden sein, 2. auseinander gehen, sich abwenden. Vgl. Friedrich Kluge. Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Hg. v. Elmar Seebold. Berlin, 2002, S. 206. Deleuze (Anm. 6), S. 93. Ebd. Ich folge hier dem Resonanzmodell des New Historicism. „For the effect of resonance does not necessarily depend upon a collapse of the distinction between art and non-art; it can be achieved by awakening in the viewer a sense of the cultural and historically contingent construction of the art objects, the negotiations, exchanges, swerves, exclusions by which certain representational practices come to be set apart from other representational practices that they partially resemble.“ Stephen J. Greenblatt. „Resonance and Wonder“. Learning to Curse. Essays in Early Modern Culture. New York, 1990, S. 172. Lorraine Daston definiert „evidence“ (engl.) im Sinne von Beweiskraft und -fähigkeit sowie von certitudo. „Evidentiary theology“ steht für die Annahme der empirischen Beweisbarkeit Gottes. An anderer Stelle zeigt sie, wie frühneuzeitliche Wetterphänomene ihre Evidenz als göttliches Wunder verlieren und als wissenschaftliche Tatsachen sichtbar werden. Lorraine Daston. „Wunder und Beweise im frühneuzeitlichen Europa“ [1991]. Wunder, Beweise und Tatsachen. Zur Geschichte der Rationalität. Übs. v. Susanne Scharnowski. Frankfurt a. M., 2001, S. 29-76; dies. u. Katharine Park. Wunder und die Ordnung der Natur, 1150-1750. Übs. v. Christa Krüger u. Sebastian Wohlfeil. Frankfurt a. M., 2002, S. 292ff.

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Evidenzproduktion sei ein Ballett zitiert, dessen Autorschaft lange Zeit Descartes zugeschrieben wurde, aus biografischen Gründen aber kaum aus dessen Feder stammen kann. Es handelt sich um La naissance de la paix, uraufgeführt im Dezember 1649 am Stockholmer Hof. Das Stück thematisiert den Westfälischen Frieden, im Prolog verkündet der Kriegsgott Mars: Ich laß nach Wunsch die Erde an allen Enden zittern/ Den Sterblichen zu zeigen, daß nie an dieser Statt/ Irgendein anderer Gott, des Donnerkeile splittern/ Sein Blitzen und sein Feuer machen uns kaum erschrecken/ Dagegen meine Blitze: Kanonen und Maschinen/ Die Mörser und Raketen, das Brandwerk und die Minen/ Verbreiten ringsumher den Tod und auch den Schrecken.13

Obwohl diese Metaphorik der Veranschaulichung kriegerischer Gewalt dient, scheint am Rande der Worte doch eine althergebrachte Annahme auf: Die meteorologischen Vorgänge der Natur liegen in den Händen eines Gottes, auch wenn das Kanonengewitter es mit dessen „Blitzen und Feuern“ aufzunehmen versucht. Ob mit dem Wettergott nun Jupiter, Zeus oder ein anderer gemeint ist, diese Zeilen stammen wohl kaum von Descartes. Würde dieser sonst in der eingangs zitierten Passage des Météores-Essays jene Künstler kritisiert haben, die Wettererscheinungen zum „Thron Gottes formen“, um es ihnen später gleichzutun? In Les Météores versucht Descartes, die evidentialistische Theologie zu widerlegen. Doch bringt die Beweisführung dabei keine theorieneutralen Fakten, sondern Artefakte cartesianischen Denkens hervor. Im Discours gebraucht er den aus der Mathematik entliehenen Evidenzbegriff sowohl metaphysisch als auch naturwissenschaftlich. Er erklärt „das, was sich meinem Geist so klar und deutlich zeigt“ zum Bewältigungsmodell aller „Erkenntnisprobleme anderer Wissenschaften.“.14 Was sich dem Beobachter in der sinnlich erfahrbaren Natur zeige, gründe (deduktiv) in der Selbstgewissheit. Es ist jedoch bereits mehrfach dargestellt worden, dass Descartes’ Konstruktionsverfahren der Selbstevidenz wiederum von den perspektivischen Strukturen der frühneuzeitli13

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René Descartes. Die Geburt des Friedens [1649]. Übs. v. Hans Paeschke. Neuwied a. R., 1949, S. 12f. Descartes’ erster Biograf schreibt ihm das traditionelle Stück zwar zu, bezweifelt die Autorschaft aber aus stilistischen Gründen, vgl. Adrien Baillet. La Vie de M. Des-Cartes [1691]. 2 Bde. New York, 1987, Bd. 2, S. 395 u. S. 407f. Zur Aufführungsrekonstruktion und Erörterung der Autorschaft vgl. Agne Beijer. „La naissance de la paix. Ballet de cour de René Descartes“. Le lieu théâtral à la Renaissance. Hg. v. Jean Jacquot. Paris, 1964, S. 409-422 und Richard Watson. Cogito, Ergo Sum. The Life of René Descartes. Boston, 2002, S. 295-305. „[...] ce qui se presenteroit si clairement et si distinctement à mon esprit [...] difficultez des autres sciences“. Descartes (Anm. 1), S. 21 u. S. 23.

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chen Malerei geprägt ist. Häufig wird der letzte Punkt cartesianischer Gewissheit mit dem idealen Beobachterstandpunkt der Zentralperspektive verbunden.15 Auch die Wetterphänomene, die Descartes in Les Météores untersucht, erscheinen in einem deutlich konstruierten Licht. Wolken, so heißt es hier, formieren sich durch die Kondensation von „vapeurs“, kleinen Wasserteilchen, die sich unter Kälte- und Windeinflüssen zu Aggregaten verdichten.16 Wie diese „vapeurs“ in der Luft schweben, veranschaulicht Descartes an einem mechanischem Modell: Betrachtet man zwei kreuzweise angeordnete Stäbe, die sich um die eigene Achse drehen, so scheinen sie den gesamten Bewegungsradius auszufüllen. Ebenso schnell bewegen sich auch die vom Sonnenlicht erwärmten Wasserteilchen. Sie dehnen sich kugelförmig aus, ihre große Oberfläche und das geringe Gewicht lassen sie aufsteigen.17 Verdampfungsprozesse und die Entstehung des Windes vergleicht Descartes mit einer Maschine, die seit dem 17. Jahrhundert auch im Theater zur Erzeugung von Nebeleffekten verwendet wurde: die „Aeolipile“, eine erhitzbare und mit Wasser gefüllte kugelförmige Konstruktion mit kleiner Öffnung.18 Doch gleichzeitig unterscheidet er zwischen dem Modell und natürlichen Winden, denn Letztere bestünden nicht allein aus Wasserdampf und ihre Richtung ließe sich nicht lenken. Auf ähnliche Weise geht Descartes auch bei der Erklärung des Regenbogens vor. Mit Hilfe von Experimenten zur Lichtbrechung an Kristallen beschreibt er, wie sich an einem Springbrunnen durch kalkulierte Winkelverhältnisse künstliche Farbeffekte erzeugen lassen. Doch werde dem Beobachter dabei, so merkt Descartes an, zwar ein ähnliches, doch nicht dasselbe Wunderspektakel wie in der Natur geboten.19 15

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Die Zentralperspektive wird als Kulturtechnik bezeichnet, die zu Wahrnehmungsdispositiven führt, die sich in der cartesianischen Metaphysik und Körperphilosophie entfalteten. Vgl. Sybille Krämer. „Über die Rationalisierung der Visualität und die Visualisierung der Ratio. Zentralperspektive und Kalkül als Kulturtechniken des ‚geistigen Auges‘“. Bühnen des Wissens. Interferenzen zwischen Wissenschaft und Kunst. Hg. v. Helmar Schramm u. a. Berlin, 2003, S. 50-67. Zur ‚Zentralperspektive des Lesers‘ von Descartes’ Werk vgl. Angelica Horn. „Das Experiment mit der Zentralperspektive. Filippo Brunelleschi und René Descartes“. Descartes im Diskurs der Neuzeit. Hg. v. ders., Wilhelm Friedrich Niebel u. Herbert Schnädelbach. Frankfurt a. M., 2000, S. 9-32. Descartes (Anm. 1), S. 218-225 u. S. 251-261. Ebd., S. 221. Ebd., S. 239-250. Ebd., S. 291-309. Zum Status des Beobachters bei Descartes vgl. Nelle (Anm. 3), S. 401 sowie Schramm (Anm. 5), S. 159.

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Die Descartes’sche Meteorologie ersetzt den Mythos eines Wettergottes durch eine Wolke von Modellen, Metaphern und Faktoren. Die Komplexität der Wetterphänomene demonstriert der Philosoph durch grafische Darstellungen, Kalkulationen und ausschweifende Erläuterungen.20 Doch stellt er seine Erkenntnisse dabei in ein diffuses Licht. Einerseits entleiht er aus der Hand von Mechanikern stammende Maschinen und erklärt sie zu Denkmodellen für Naturprozesse. Zu Modellen nobilitiert dienen diese Maschinen als ‚Sehhilfen‘ für eine neue Natur und hinterlassen ihre materielle Spur im Bild, das der Leser des Essays von den meteorologischen Phänomenen gewinnt. Andererseits betont Descartes, die Mechanismen der Natur seien zuweilen weitaus komplexer als der Mensch sie sich vorstellen, geschweige denn herstellen oder berechnen könne. Das cartesianische Kopftheater spricht von einer neuen Natur, die mit idealen Mechanismen ausgestattet ist. Die Maschinen werden zu Metaphern für das Unbeschreibliche, sie bleiben provisorische Analogien.21 So evoziert die poetische Verklärung der ‚Maschine‘ im Leser zugleich ein diffuses Bild von der Natur, das im Schatten des Unvorstellbaren bleibt: Wetterphänomene werden zu Wundern numinoser Kalkulierbarkeit. Während Descartes also die Entzauberung der Natur ins Zentrum seiner Evidenzproduktion stellt, erscheint sie am Rande seiner Argumentation erneut in einem unscharfen Licht. Zwar wird diese Unschärfe in der cartesianischen Optik beschrieben, für die philosophische Methode jedoch bleibt sie ein blinder Fleck.22

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Zur Kritik an Descartes’ und Fontenelles Meteorologie vgl. Hans Blumenberg. Arbeit am Mythos. Frankfurt a. M., 1996, S. 294. Simon Werrett hat gezeigt, wie Descartes, im Versuch die Grenze zwischen Wundern der Kunst und Natur zu nivellieren, die Natur erneut als erhabeneres Wunder etabliert. Werrett (Anm. 4), S. 141-147. Zur Ambivalenz des cartesianischen Naturbegriffs, der zwischen der Autonomie der Natur und deren Status als göttliches Werk oszilliert, vgl. Daston, Wunder und die Ordnung der Natur (Anm. 12), S. 300-305, S. 332 u. S. 343-346. Descartes’ Maschinenbegriff oszilliert zwischen technischer Bedeutung, Denkmodell und Metapher für das Göttliche. Vgl. Alex Sutter. Göttliche Maschinen. Die Automaten für Lebendiges bei Descartes, Leibniz, La Mettrie und Kant. Frankfurt a. M., 1988, S. 55. Die „Mängel“ optischer Unschärfe beschreibt Descartes damit, dass nur ein fixiertes Zentrum eines Sehfeldes in die „Mitte der Rückwand des Auges“ falle. „Aus diesem Grund ist das Bild an den Seiten niemals ebenso scharf wie in der Mitte.“ René Descartes. Descartes’ Dioptrik. Hg. u. übs. v. Gertrud Leisegang. Meisenheim a. Glan, 1954, S. 94.

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Ein Schiff voller Wolken Im Gegensatz zu Descartes ist es nicht das Ziel Galileo Galileis, eine neue Meteorologie begründen. Im Dialog über die Weltsysteme (1632) liegt der Fokus der Evidenzproduktion auf einem gänzlich anderen Phänomen: auf der Bewegung der Erde im Kosmos. „Schließt Euch in Gesellschaft eines Freundes in einem möglichst großen Raum unter dem Deck eines großen Schiffes ein“, heißt es in dem Gedankenexperiment, das Galilei Salviati in den Mund legt: Verbrennt man ein Korn Weihrauch, so wird sich ein wenig Rauch bilden, man wird ihn in die Höhe steigen, wie eine kleine Wolke dort schweben und unterschiedslos sich nicht mehr nach der einen als der anderen Seite hin bewegen sehen. Die Ursache dieser Übereinstimmung aller Erscheinungen liegt darin, daß die Bewegung des Schiffes allen darin enthaltenden Dingen, auch der Luft, gemeinsam zukommt.23

Das Schiff symbolisiert die Erdposition im Weltsystem. Wie das Schiff, so schreibt Galilei, bewegt sich auch die Luft. Gemeint ist die irdische Atmosphäre, die die Drehung des Erdballs unmerklich mitvollzieht. Ohne dass Galilei dies zu intendieren scheint, ergeben sich aus diesem Experiment weit reichende Konsequenzen für die Meteorologie, die deutlich radikaler sind als bei Descartes. Dadurch, dass Galilei Wolken zu einfachen Tatsachen der Natur erklärt, die denselben physikalischen Gesetzmäßigkeiten unterliegen wie die Erde, verlieren sie ihren sakralen Status. Sie stellen nicht länger die Grenze zwischen irdischer und überirdischer Welt oder die Wohnstätten übernatürlicher Mächte dar. Fast nebensächlich zieht Galilei zur Beschreibung der Wolkenbildung in diesem Gedankenexperiment noch ein zweites Modell heran: den Weihrauchkessel, der sich zwar mit dem Schiff bewegt, aber gleichzeitig einen eigenen Mechanismus aufweist. Damit werden Wolkenformationen zudem als isoliert zu betrachtende mechanische Tatsachen sichtbar. Das Modell ähnelt der Aeolipile Descartes’. Während bei Letzterem die Maschine Modell und Metapher zugleich verkörpert und deren Unzulänglichkeit zur Beschreibung natürlicher Phänomene am Rande der Argumentation aufscheint, wirkt Galileis Analogiebildung so beiläufig, dass es dem Leser überlassen bleibt, Konsequenzen daraus zu ziehen. Die meteorologische Evidenzproduktion vollzieht sich hier am 23

Galileo Galilei. „Dialog über die Weltsysteme“ [1632]. Sidereus Nuncius. Nachricht von den neuen Sternen. Dialog über die Weltsysteme. Vermessung der Hölle Dantes. Marginalien zu Tasso. Hg. u. eingel. v. Hans Blumenberg. Übs. v. Ferdi-

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unscharfen Rand einer gänzlich anders gerichteten Beweisführung. Und dennoch sprechen aus dem Denkmodell eigenwillige, neue Bilder der Natur.24 Sabbattinis Spiel mit der Meteorologie Sabbattinis Pratica erscheint nahezu zeitgleich mit Descartes’ Discours und etwas später als Galileis Dialog. Auch wenn Sabbattini die Werke seiner Zeitgenossen gekannt haben mag, steht im Zentrum seiner Bühnentheorie jedoch kein naturphilosophisches Paradigma.25 Dennoch wird auch hier ein neuer Blick auf Wetterphänomene evident. Den Sinn seiner Entwürfe sieht der Architekt darin, dem „Zuschauer nicht weniger Vergnügen als Verwunderung zu bereiten, […] besonders, wenn es mit Geschwindigkeit geschieht und ohne daß kaum irgendjemand es bemerkt“.26 Er verfasst das Maschinenbuch aber weder für das Theaterpublikum noch als technische Anleitung für Kollegen.27 Adressiert ist es an den Titularbischof Honorato Visconti, von dem er sich den Auf24

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Zu Descartes’ und Galileis Einfluss auf die Meteorologie vgl. William Edgar Knowles Middleton. The Experimenters. A Study of the Accademia del Cimento. Baltimore, 1971, S. 4ff.; ders. The Invention of the Meteorological Instruments. Baltimore, 1969, S. 3-25 u. S. 44-46 sowie Hans-Günther Körber. Vom Wetteraberglauben zur Wetterforschung. Aus Geschichte und Kulturgeschichte der Meteorologie. Leipzig, 1987, S. 116-120 u. S. 133ff. Sabbattini bewegt sich zur Entstehungszeit der Pratica in den Gelehrtenkreisen von Perusa und Ravenna und pflegt Kontakte zur Universität in Modena. Er beruft sich in der Pratica auf seinen Lehrer Guido Ubaldo, der im Vorwort des Mechanicorum liber zur Legitimierung der Maschinenkunst auch die Natur als ‚mechanisch‘ bezeichnet. Vgl. Willi Flemming. „Nachwort“. Sabbattini (Anm. 2), S. 281292. Dies veranschaulicht Ubaldo durch das biblische Moment der Schutzlosigkeit Adams, der bei den „Angriffen des Himmels […] damit beschäftigt war, Regen, Schnee, Wind, Sonne und Kälte abzuhalten – was auch immer der Fall war, die Situation war durchweg mechanisch.“ Guido Ubaldo. „Vorwort“. Le Mechaniche [1577]. Venedig, 1581, o. P. Es verwundert also nicht, dass Ubaldos Schüler Sabbattini umgekehrt versucht, Wetterphänomene mechanisch nachzubauen. Sabbattini (Anm. 2), S. 217. Sabbattini vermeidet in der Pratica präzise Maßangaben, was aber nicht einer mangelnden Theaterpraxis zugeschrieben werden kann. Er stattete unter anderem das Teatro del Sol in Pesaro (1631) aus. Sabbattini scheint dadurch vielmehr den Nachbau der Erfindungen durch andere Architekten verhindern zu wollen; vgl. Sabbattini (Anm. 2), S. 171-173. Diese bewusste Detailausblendung ist typisch für frühneuzeitliche Maschinenbücher. Vgl. dazu Marcus Popplow. Neu, nützlich und erfindungsreich. Die Idealisierung von Technik in der frühen Neuzeit (= Cottbuser Studien zur Geschichte der Technik, Arbeit und Umwelt, 5). Münster, 1998, S. 65ff.

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trag für den Bau eines Theaters erhofft. Die effektvolle und differenzierte Darstellung ist geprägt von der Strategie, diesen einen Leser zu faszinieren und zu gewinnen. Wenn sich aus der Pratica dennoch Konsequenzen für die Meteorologie ergeben, sind diese als zufällige Randerscheinungen der bunten Werbeschrift zu betrachten. Nicht nur der Stil des Sabbattini’schen Schreibens, auch seine Entwürfe selbst sind auf eine Perspektive ausgerichtet: auf die des Financiers und Ehrengastes des projektierten Hoftheaters. Dabei unterliegen alle Dekorationselemente, die Kulissen und Versatzstücke den räumlichen Gesetzmäßigkeiten der Zentralperspektive. Auch für den Bühnenhimmel schlägt der Architekt eine Unterteilung in Luken und Sektionen vor, die derselben „Neigung“ folgen wie der übrige Raum. Durch die Öffnungen im Himmel werden Winkelrahmen in Wolkenform und -farbe herabgelassen, die sich in die perspektivische Einheit des Raumes einfügen.28 In mittelalterlichen Mysterienspielen und höfischen Festinszenierungen der Frührenaissance war dies nicht der Fall. Wolkendekorationen bezeichneten dort stets jenen göttlichen Ort, jene unkalkulierbare Form der Bewegung, die nicht in den geschlossenen Bühnenraum integrierbar war.29 Erst die Zentralperspektive, die sich im Theater des italienischen Cinquecento entwickelte, unterstellt alle Dekorationselemente einem geometrischen Kalkül. Obgleich das Bühnenbild im Betrachter den Eindruck erweckt, er blicke durch ein Fenster hindurch auf die Außenwelt, unterliegt alles Sichtbare der Idealperspektive eines fixierten Standpunktes und nicht der psychophysiologischen Wahrnehmung des Menschen.30 Auch Wolkendekorationen, die sich meist im Fluchtpunkt des perspektivischen Bühnenbildes befinden, obliegen dieser künstlichen Objektivierung. Sie wirken berechenbar, konstruiert. Dabei durchbricht die Perspektive die mythische Wolkengrenze, indem sie den Blick 28 29

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Sabbattini (Anm. 2), S. 253f. Noch in Brunelleschis Spiegelexperiment, in welchem der Raum aus der Perspektive des Schlüsselloches einer Kathedrale dargestellt ist, wird der bewölkte Himmel aus der Bildgeometrie ausgeschlossen; Silberpapier ist collagenhaft in das Gemälde eingefügt und spiegelt das Unkalkulierbare wider. Hubert Damisch verweist darauf, dass die Zeichenfunktion der „nuvola“ des frühen Renaissancetheaters auch in der Malerei zu finden ist. Dort werden häufig zwei Formen von Wolken gleichzeitig gezeigt. In Dürers Himmelfahrt Christis (1510) z. B. stellen einige Wolken die irdische Atmosphäre dar, Wolken von anderer Gestalt repräsentieren hingegen eine göttliche Form der Mobilität. Vgl. Damisch (Anm. 9), S. 102-110 u. S. 166-171. Vgl. Erwin Panofsky. „Die Perspektive als ‚symbolische Form‘“ [1927]. Deutschsprachige Aufsätze. 2 Bde. Hg. v. Karen Michels u. Martin Warnke. Berlin, 1998, Bd. 2, S. 664-757.

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ins Unendliche freizugeben scheint. Wie bereits erwähnt, wird Descartes’ Evidenzproduktion häufig mit zentralperspektivischen Konstruktionsverfahren verglichen. Umgekehrt ließe sich die Wolkendarstellung auf Sabbattinis Bühne als ein (wenngleich nicht intendiertes) Zitat cartesianischer Evidenz bezeichnen. Und noch eine Parallele liegt auf der Hand: jene zwischen Galileis Schiffsmodell und Sabbattinis Theaterraum.31 Während Galilei im Dialog den Wolkenbereich und die Erde den Bewegungsgesetzen unterstellt, die auf dem Schiff herrschen, d. h. den physikalischen Gesetzmäßigkeiten der Erde, integriert der Architekt Sabbattini den Bühnenhimmel in die Geometrie des geschlossenen perspektivischen Theaterraums. Neben den Wolkenrahmen entwirft Sabbattini Konstruktionen, die sich innerhalb des Bühnenraums selbstständig bewegen. Da ist etwa die Rede davon, „wie man einen Teil des Himmels sich bewölken lassen kann, indem man mit einer kleinen Wolke anfängt, die immer größer wird und dauernd die Farbe wechselt“.32 Es folgt die Beschreibung einer zylindrischen Vorrichtung, die so in den Bühnenhimmel eingepasst ist, dass sie auf Zahnrädern vom Hintergrund nach vorne bewegt werden kann und dabei der perspektivischen Raumgeometrie entsprechend ihre Form und Größe verändert (vgl. Abb. 1.3). Entwürfe wie dieser weisen Parallelen zu den Denkmodellen Descartes’ und Galileis auf. So, wie diese Modelle die mechanische Eigenbewegung der Wolkennatur umschreiben, zeigt auch die Pratica technische Konstruktionen, die sich hinter den Wolkeneffekten verbergen. In ähnlicher Weise wie Descartes es mit seiner Meteorologie intendiert, stellt Sabbattini seine Leser und Zuschauer vor visuelle Herausforderungen, die sich letztlich auf deren Aufmerksamkeit für die Gegenstände der Natur auswirken mögen. Doch scheint diese Parallele weniger die Folge einer gegenseitigen Einflussnahme von Theater und Wissenschaft zu sein. Vielmehr handelt es sich dabei um theaterhistorische Entwicklungen, die unabhängig von der Naturphilosophie ähnliche Evidenzen hervorbringen. Hier ließe 31

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Galileis Schiffsexperiment weist eine bemerkenswerte Parallele zur Theatermechanik des 17. Jahrhunderts auf. Während Sabbattini für Dekorationswechsel noch Bühnenarbeiter vorsieht, werden Soffitten- und Kulissendekorationen im Hoftheater ab dem späten 17. Jahrhundert häufig simultan durch Drehspindelmechanismen bewegt, die dem Schiffbau entstammen (z. B. in Drottningholm). Ähnlich wie Galilei alle Bewegungen dem Mechanismus seines ‚Gedankenschiffes‘ unterstellt, ist auch das Theater als Schiff konzipiert, in dem alle Dekorationswechsel einem zentralen Mechanismus unterliegen. Vgl. Klaus-Dieter Reus (Hg.). Faszination der Bühne. Barockes Welttheater in Bayreuth. Barocke Bühnentechnik in Europa. Bayreuth, 2001, S. 78 und Sabbattini (Anm. 2), S. 221. Sabbattini (Anm. 2), S. 256.

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sich von einem Resonanzphänomen sprechen, bei dem sich Sichtbarkeiten innerhalb zweier Repräsentationsfelder gegenseitig verschärfen, ohne dass sich die Orte der Evidenzproduktion unmittelbar berühren. Zur Ausführung dieser These sei auf die grundlegende Distanz zwischen Sabbattinis Entwürfen und den wissenschaftlichen Beweisführungen Descartes’ und Galileis hingewiesen. Denn der Architekt erläutert nicht nur, wie Wolkenformationen im gesamten Bühnenbereich ex machina inszeniert werden können, er unterteilt zudem die dazu notwendigen Vorrichtungen in acht unterschiedliche Wolkentypen. Neben den bereits erwähnten Anleitungen beschreibt er, „wie man nach und nach einen Teil des Himmels sich bewölken lassen kann“, „wie man eine Wolke sich senken lassen kann, die sich in drei Teile teilt und nachher beim Aufsteigen wieder vereinigt“ und „wie man eine kleine Wolke sich senken lassen kann, die dabei immer größer wird“ (Abb. 1.4, 1.5 & 1.6).33 Sabbattini zufolge wirken diese Szenografien mal so, „wie es der Natur entspricht“, mal, wie es „freilich nicht natürlich ist“.34 Paradoxerweise entwickelt er gerade durch den Versuch, die Natur in ihrer spektakulären Erscheinung noch zu übertreffen, eine repräsentative Wolkentypologie, die der zeitgenössischen Wissenschaft weit voraus ist und ins Zentrum späterer meteorologischer Erkenntnisse trifft. Obwohl auch Descartes bemüht ist, Wetterphänomene als erklärbare Tatsachen evident zu machen, bleibt seine Beschreibung der Wolkenformen und -höhen äußerst undifferenziert.35 Präziser wird diesbezüglich erst Luke Howard in dem Essay On the Modification of Clouds von 1803. Er entwickelt die bis heute geläufige lateinische Nomenklatur zur Unterscheidung der Wolkenformen: Cirrus, Cumulus und Stratus etc. Zudem werden auch flüchtige Veränderungen der Wolken durch Komposita wie Cirrocumulus, Cirro-stratus etc. erfassbar.36 Es entsteht so ein sprachliches In33 34 35

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Sabbattini (Anm. 2), S. 253-271. Ebd., S. 254 u. S. 257. Vgl. dazu Descartes (Anm. 1), S. 251-261. Wolkenhöhenmessung unternimmt erstmals Johannes Kepler; vgl. Middleton (Anm. 24), S. 265ff. Differenzierungen der Wolkenhöhen finden sich erstmals in Immanuel Kants Geografie-Vorlesungen (1756). Die erste, jedoch unpraktikable Wolkennomenklatur entwickelt Robert Hooke 1663. Vgl. Körber (Anm. 24), S. 138 u. S. 168. Howard versteht die Studie als „an attempt to describe forms which, being the sport of winds, must be ever varying, and therefore not to be defined.“ Luke Howard. On the Modifications of Clouds, and on the Principles of their Production, Suspension, and Destruction. Being the Substance of an Essay read before the Askesian Society in the Session 1802-1803. Hg. v. Gustav Hellmann. Berlin, 1969 [Nachdruck d. Ausgabe Berlin, 1894], S. 3. Vgl. hierzu Richard Hamblyn. The Invention of Clouds. How an Amateur Meteorologist Forged the Language of the Skies. London, 2001.

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Abb. 1: Nicola Sabbattini. Pratica di fabricar scene, e machine ne’ teatri (Ravenna, 1639).

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strumentarium jenseits von Zahlenwundern und dem Zauber göttlich anmutender Modelle, durch das der Beobachter die notwendige Distanz gewinnt, um im diffusen Wolkenmeer evidente Formen zu erkennen. Bereits 1638 vollzieht sich in Sabbattinis Pratica eine vergleichbare ‚Arbeit am Wolken-Mythos‘. Der Architekt macht seine Inszenierungen transparent, indem er den Wolkendarstellungen eine Reihe von Maschinentypen zuordnet, die sich in Form und Modifikation der Wolken unterscheiden. Cumulus und Cirro-cumulus werden also bereits hier durch Bühnenmaschinen ex machina augenfällig. Die Pratica erzeugt Evidenzen, denen gegenüber die zeitgenössische Forschung noch blind ist. Sie entfaltet eine ‚Meteoro-Logik‘, die auch beim Theaterbesucher noch auf Unverständnis trifft. Sabbattinis, Descartes’ und Galileis Schriften weisen also teilweise evidentialistische Resonanzen auf, teilweise widersprechen sie sich. Wie kommt es dazu? Das Theater des frühen 17. Jahrhunderts ist kein Raum philosophischer Zitate. Vielmehr steht es am Ende einer historischen Entwicklung, die sich, stark vereinfacht, folgendermaßen darstellen ließe:37 In den religiösen Spielen des Mittelalters und selbst noch in den Triumphzügen der frühen Renaissance waren die unvereinbaren Orte, an denen sich die irdischen, dämonischen und paradiesischen Szenen abspielten, entweder durch nebeneinander stehende Bühnen auf Kirchenplätzen oder durch aufeinander folgende Wagen der Festzüge streng voneinander getrennt. Als sich im Zuge der Säkularisierung im 16. Jahrhundert das Hoftheater mit der Einortbühne entwickelte, wurden diese unvereinbaren Handlungsräume nun, nach antikem Vorbild, durch eine vertikale Unterteilung der Bühne repräsentiert. Der Darstellungsraum, der sich zuvor über die Horizontale erstreckte, drehte sich also um 90 Grad in die Vertikale. Die dafür konzipierten Flugwerke nahmen dabei jedoch weitaus komplexere Formen an als die antiken Maschinen und übertrafen auch die mittelalterlichen Konstruktionen für Himmelfahrtsszenen. Sie dienten bald nicht mehr allein zur Repräsentation göttlicher Mobilitäten, sondern zu szenischen Verwandlungen, deren oberstes Ziel es war, effektvoll zu sein und die Bühne möglichst in Gänze prachtvoll auszuschmücken. Sabbattini steht in dieser theaterhistorischen Tradition. Er übernimmt die komplexen Erfindungen seiner Vorgänger und arrangiert sie zu Wolkenmaschinen, die auch ohne jegliches göttliches 37

Vgl. Agne Beijer. „Visions célestes et infernales dans le théâtre du Moyen-Âge et de la Renaissance“. Les fêtes de la Renaissance I. Hg. v. Jean Jacquot. Paris, 1956, S. 405-418; Gustave Cohen. Histoire de la mise en scène dans le théâtre religieux français du Moyen Âge [1906]. Paris, 1926, insbes. S. 152-155 ; John A. McKinven. Stage Flying. 431 B C. to Modern Times. Glenwood, 1995, S. 1-51.

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Personal per se ihre Wirkung entfalten. Damit leistet die Theaterpraxis am Rande der eigentlichen Intention – das höfische Publikum durch das Wunderspektakel zu beeindrucken – einen Beitrag zur Meteorologie des 17. Jahrhunderts. Hier lässt sich von einer Divergenz zwischen Schauspiel und Wissenschaft sprechen. Ihrer medialen Neigung folgend führt die Bühnenentwicklung zu einem Schauplatz der Evidenzproduktion, fernab von naturphilosophischen Beweisführungen. Doch finden bestimmte Bühnenentwürfe, wie etwa Sabbattinis Modifikation der Wolkentypologie, in der Meteorologie noch keine Resonanz, der Grad ihrer Sichtbarkeit bleibt dadurch abgeschwächt. Sabbattini beschreibt in der Pratica auch, „wie man eine Wolke gerade auf die Bühne herunter lassen kann, mit Personen darin“ (Abb. 1.7).38 Doch ist der Platz auf dem Flugwerk dabei nicht mehr zwangsläufig sakralem Personal vorbehalten, wie dies zu Beginn des Renaissancetheaters üblich war. Am Bühnenhimmel des 17. Jahrhunderts tummeln sich vielmehr allerhand ikarische Gestalten. Dieser Umstand ist einerseits einem Bedeutungswandel des Fliegens in der Frühen Neuzeit geschuldet, das allmählich seine religiöse Symbolkraft verliert.39 Andererseits trägt die Theaterpraxis zu einer Entmystifizierung dieser ehemals sakralen Bewegungsform selbst bei. Denn die Götter werden hier nicht plötzlich von den Maschinen ‚gestürzt‘. Vielmehr ist von einer schleichenden Umsetzung des Personals auszugehen: Die Flugmaschinen transportieren neben sakralen Figuren zunächst historisches und allegorisches Personal, später auch Herrscherfiguren und schließlich Naturphänomene wie Kometen, Sonnen und Wolken, und nichts als Wolken.40 38 39

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Sabbattini (Anm. 2), S. 258. Auf Zusammenhänge zwischen der frühneuzeitlichen Flugästhetik des Theaters und der Luftfahrtforschung habe ich hingewiesen in „Kurz vor dem Abheben. Zu den Flugexperimenten Robert Hookes“. Zeitschrift für Sprache und Literatur 1 (2005), S. 99-119. Dieser Prozess des europäischen Hoftheaters vollzieht sich am Gothaer Theater auf Schloss Friedenstein mit einiger Verspätung im ‚Schnelldurchlauf‘. Dies zeigt eine Rekonstruktion der Besetzung der Flugwerke zwischen 1670 und 1693: Die Maschinen transportieren erst sakrale, dann dämonische Figuren der christlichen Kultur, antike Gottheiten, allegorisches sowie historisches Personal und das Herrscherpaar selbst. Zum Erscheinen Christus ex machina vgl. die Apotheose in Daniel Richters Entwurf eines Trauer- und Lustspiels/ Von der Argen Grund-Suppe der Welt (1670) (Landesbibliothek Gotha, Poes 4° 2168 (15) R). In Johann H. Hess Die geraubte Proserpina (1683) heißt es, dass im 5. Akt der Name der Fürstin Christina auf einer Vorrichtung „durch die Wolcken steigt“. (Landesbibliothek Gotha, Poes 4° 2169/1 (5) R). Im Ballett Die Wiederkehr Jovis (1688) ist im 1. Akt die „grosse mit Wolcken bedeckte Machine, worauff der gesamte Chor hernieder fähret“ beschrieben. Der Chor besteht aus acht römischen Göttern (Landes-

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Wie bereits erwähnt, kommen in den Schauspielhäusern zuweilen Sichtweisen auf die Natur zur Darstellung, die im Denken der Bühnenhandwerker noch keine Resonanz finden. Versetzen wir uns beispielsweise in den Tischler Christian Käseweis aus Gotha. Dieser reicht am 22. Juli 1676 beim Sekretär des Hofes eine Rechnung ein, die besagt, dass er „aufs Theatrum auf befehl des herrn Dantzmeisters gearbeitet“ und dabei auch „die Morgenröthe gemahlet“ und „sechs perspektivische Wende“ aufgestellt habe, worauf „unterschiedlich Gewolcke gemahlet“ worden seien.41 Einerseits also zimmert der Tischler solche Wolkendekorationen, wie sie am Hofe Mode sind. Er lässt professionelles Kalkül zur Berechnung der Größe sowie zur Erwägung der Materialien und Kosten an ihnen walten. Andererseits jedoch mag auch er im stillen Kämmerlein ein treuer Leser des weit verbreiteten Christlichen Hauß=Büchlein der Gothaer gewesen sein. Dieses kritisiert – die Anspielung auf die Theaterpraxis ist unmissverständlich – die Übernahme römischer Göttervorstellungen und insbesondere die Herrschaft über das Wetter durch deren „Abgott, den Jupiter“.42 Denn Gott allein herr-

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bibliothek Gotha, Poes 4° 2164-2165 (48) R). In Die durch des Himmels Güte unter dem Schatten der immergrünen Raute dem gesamten Sachsen-Land zuwachsende Glückseligkeit und Ruhestand (1689) kommen die Grafschaften Thüringen und Meißen in einer „himmlischen Machine“ durch den Wolkenhimmel auf die Bühne. (Landesbibliothek Gotha, Poes 4° 2164-2165 (57) R). In Johann F. Keils Nachspiel von Die unverändert treue Ehegattin Penelope (1690) sinkt Fama „durch die Luft hernieder.“ (Landesbibliothek Gotha, Poes 4° 2164-2165 (82) R). Vgl. Antje Kniffka. Quellenforschung zur Theatergeschichte des Ekhof-Theaters. Unveröff. Manuskript. Staatsarchiv Gotha (O-Go 347), S. 7. Um welches Ballett es sich hier handelt, lässt sich nicht eindeutig feststellen. 1676 veranstaltet Friedrich I. im Ostturm des Schlosses zahlreiche Aufführungen. Er notiert im Tagebuch für den 19., 20. und 21. Juli die „Singende Comedie so die Verborgene liebe Genennet war“, „Die brobirte Liebe“ sowie die „Printzen von Sicilien“. Vgl. Elisabeth Dobritzsch. Barocker Bühnenzauber. Das Ekhof-Theater in Gotha. München, 1995, S. 13; Roswitha Jacobsen (Hg.). Friedrich von Sachsen-Gotha und Altenburg. Die Tagebücher 1667-1686. 3 Bde. Weimar, 1998, Bd. 1, S. 413. Vgl. Salomon Glassen. Christliches Hauß-Kirch-Büchlein: Darinnen gelehret und gezeiget wird/ Wie ein Christ nicht allein für sich/ in der Wissenschafft derer zur ewigen Seligkeit gehörigen nothwendigen Stück/ sich gründen/ und in dem wahren Gottes-Dienst üben/ sondern auch die Seinen hierin recht anführen und aufferziehen solle/ Zu der Ehre Gottes >...@ Am Ende ist angefüget Ein Christliches BetBüchlein/ Nach Ordnung des Catechismi Lutheri eingetheilet. Gotha, 1647, S. 222. Zudem wettert das Gebetsbuch gegen die „Natur=Kündigen“, welche die „natürliche Ursachen vorzubringen wissen/ aus welchen Blitze und Donner entstehen“. (S. 212). Während Glassen die Naturwissenschaft ablehnt, heißt es nach der Gothaer Schulreform in einem Lehrbuch, dass „die Wolcken/ welche nichts anderes/ als ein dicker Nebel sind/ so aus den Dünsten der Erde ausdämpffet/ Und in der Lufft schwebet.“ Andreas Reyher. Kurtzer Unterricht/ I. Von Natürlichen Dingen/

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sche über das Wetter: „Groß Dampff aus seiner Nasen geht: Er neigt den Himmel/ fährt hinein/ Daß man in Wolcken seht den Schein.“43 Da mag der Gothaer Tischler die Welt also mit dem einen Auge aus der Perspektive des Theaters, mit dem anderen im Glauben seiner Zeit erblicken. Womöglich wissen hier die Hände bereits mehr, als die Augen zu sehen vermögen. Theateratmosphäre Die Theateringenieure des frühen 17. Jahrhunderts konzentrieren sich auf die Wirksamkeit ihrer Dekorationsentwürfe. Gehen daraus meteorologische Evidenzen hervor, so geschieht dies ohne wissenschaftliche Motivation, als Randeffekt der Theaterpraxis. Anders verhält sich dies bei dem Bühnenbildner Johann Oswald Harms, der 1678 im Dresdner Comödienhaus die Musicalische Opera und Ballett von Wirckung der Sieben Planeten gestaltet.44 Harms orientiert sich explizit an der astrometeorologischen Annahme, dass Planeten durch ihre Stellung zur Erde das Wetter beeinflussen.45 In der ersten Szene des Stücks erscheint Saturn auf einer Wolkenstraße, neben ihm sind die Tierkreiszeichen Steinbock und Wassermann erkennbar. Die Szene wirkt düster und kalt, ähnlich wie die Astrometeorologie es für die Stellung des Saturns in einem dieser beiden Häuser beschreibt. Auch im Schlussballett ist die

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II. Von etlichen nützlichen Wissenschafften/ III. Von Geist- und Weltlichen LandesSachen./ IV. Von etlichen Hauß=Reguln. Auff gnädige Fürstliche Verordnung. Für gemeine Deutsche Schulen im Fürstenthumb Gotha einfältig verfasset [1657]. Gotha, 1677, S. 6f. Glassen (Anm. 42), S. 235. Vgl. die Aufführungsbeschreibung von Gabriel Tzschimmer. Die Durchlauchtigste Zusammenkunfft/ Oder: Historische Erzehlung/ Was >...@ Bey Anwesenheit Seiner Churfürstlichen Durchlauchtigkeit [...] An allerhand Aufzügen/ Ritterlichen Exercitien, Schau-Spielen/ Schiessen/ Jagten/ Operen, Comœdien, Balleten, Masqueraden, Königreiche/ Feuerwercke/ und andern/ Denkwürdiges aufführen und vorstellen lassen >...@. Nürnberg, 1680, Teil I, S. 67-75; ferner Horst Richter. Johann Oswald Harms. Ein deutscher Theaterdekorateur des Barock. Emsdetten, 1963, S. 28-41. Vgl. William Cock. Meteorologia Oder der rechte Weg vorher zu wissen/ zu beurtheilen die Veränderung der Lufft und Abwechselung des Wetters in verschiedenen Landern [...] [1671]. Übs. anonym. Hamburg, 1691. Zur Ablösung des religiösen Wetterglaubens im 17. Jahrhundert durch Agro- und Astrometeorologie und später durch experimentelle, chemische und quantitative Methoden vgl. Vladimir Jankoviü. Reading the Skies. A Cultural History of the English Weather, 1650-1820. Manchester, 2000, S. 14-90.

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Zusammenkunft der Planeten durch einen reich bewölkten Himmel umrahmt, wie es für solche Konjunktionen vorhergesagt wird.46 Verfolgt man hingegen Harms spätere Entwürfe für Wolfenbüttel, Braunschweig und Hamburg, so lassen sich diffuse Wolkenarchitekturen beobachten: bauschig umsäumte Säulen, Säle und Türme sowie fantasiereiche Wolkenlandschaften.47 Das Maschinentheater geht hier einen eigenen, ästhetischen Weg, der von wissenschaftlichen Sichtweisen abweicht. Diese Tendenz ist charakteristisch für die Bühnenästhetik des späten 17. Jahrhunderts. Noch in Sabbattinis Pratica aus den 30er Jahren bemisst sich der Grad des Spektakulären vorwiegend an der Ähnlichkeit des Bühnenwunders mit der Natur.48 Die Maschinen fungieren dabei als medialer Hintergrund. Ab der Mitte des Jahrhunderts treten die mechanischen Künste ins Rampenlicht. Treibende Kraft dieser Dynamik ist die Konkurrenzsituation der Bühnenbildner an den europäischen Hoftheatern, die zu einer überbordenden Theateratmosphäre führt.49 Exemplarisch dafür ist Pierre Corneilles Andromède, uraufgeführt 1650 am Pariser Petit Bourbon. Die szenische Anweisung für die Entführungsszene Andromèdes (durch Aeolus) zeigt deutlich, woher der Wind dieser neuen Ästhetik weht: Es beginnt ein lautes Geräusch von rollenden Donnern, begleitet von vielfachen Blitzen – und zwar mit solcher Exaktheit durchgeführt, dass diese Vorspiegelungen [Feinte] Entsetzen und Bewunderung einflößt, ob ihrer Ähnlichkeit mit der Natur. Man sieht indessen Aeolus herabsteigen mit acht Winden, an jeder Seite sind vier Winde […]. Die beiden Winde, die zu seiner Seiten in der Luft schwebten, fliegen nun, der eine nach der linken, der andere nach der rechten Seite […]. Die beiden weiteren Winde, die zur Linken des Aeolus auf den Seitenflügeln des Théâtre waren, bewegen sich nun in luftiger Höhe vorwärts und begeben sich, nachdem sie vorher eine kunstvolle Tour, so wie zwei Wirbel, vollbracht haben, auf die rechte Seite des Théâtre.50 46

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Cock (Anm. 45), zu Saturn S. 21, „große Conjunktion“ S. 23, 27f., 40 u. S. 52. Vgl. Erläuterung des Dresdner Bürgermeisters zur Astrometeorologie Tzschimmer (Anm. 44), Teil II, S. 184-186. Zu Harms Wolkendekorationen vgl. Richter (Anm. 44), S. 190-192 und die Abbildungen im Anhang. Ziel sei es, „soweit als irgend möglich das Natürliche und Wahre nachzubilden“. Sabbattini (Anm. 2), S. 175. Einige Maschinen sind noch erhalten; vgl. Reus (Anm. 31), S. 56-129. Im 18. Jahrhundert stehen akustische Maschinen im Vordergrund; vgl. Florian Nelle. „Theaterdonner. Geräusch und Illusion um 1800“. Stimmen, Klänge, Töne. Synergien im szenischen Spiel. Hg. v. Hans-Peter Bayerdörfer. Tübingen, 2002, S. 493-506. Zit. n. d. Übersetzung. v. Margret Dietrich. „Der barocke Corneille. Ein Beitrag zum Maschinentheater des 17. Jahrhunderts“. Maske und Kothurn 3/4 (1958), S. 215f. Für die Andromède werden Torellis Dekorationen der Orphée-Oper er-

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Noch immer argumentiert Corneille mit der Naturähnlichkeit des Schauspiels. Doch verliert sich dieser Vorwand gleichsam in einem spielerischen Spektakel, das er ins Zentrum seiner Dramaturgie stellt. Der Autor betont auch, dass es nicht um die Wortgewalt des Dramas gehe. Vielmehr solle die Wirkungskraft der von Giacomo Torelli entworfenen Maschinen den „Geist“ des Zuschauers bewegen.51 Wie und wohin aber wird dieser Geist bewegt? Meteorologisches Lehrtheater Im Folgenden möchte ich detaillierter auf die Frage eingehen, welche Rolle dem Imaginären im Prozess der Evidenzerzeugung zukommt. Dazu sei auf den Architekten Joseph Furttenbach verwiesen, der 1663 im Mannhafften Kunst-Spiegel explizit damit wirbt, dass seine Bühnenkunst ein ‚meteorologisches Lehrtheater‘ avant la lettre darstelle. So jedenfalls formuliert er es in einem Gedicht, das dem Kapitel über die Prospectiva vorausgeht: Wie sich das blaw Gewölb/ sampt Sonn, Mond und den Sternen/ und das Gewülck erzeig/ kan man hierinnen [im Theater] lernen./ Der Donner und der Blitz/ der Regen und der Schnee/ wird allhie fürgestellt/ [...] Das nun diß alles fall dem Menschen in die Augen/ [...].52

„Dass nun dies alles fall dem Menschen in die Augen“! Worauf baut der Architekt die Beweiskraft seiner Kunst? Man könnte meinen, Furttenbach orientiere sich, wie sein Kollege Harms, an der Naturphilosophie. Hatte er doch 1608, während des Studiums in Florenz, auch Galilei kennen gelernt und verkehrte auch später an seinem Ulmer Wohnort in Gelehrtenkreisen.53 Doch bezieht er sich im Kunst-Spiegel nicht auf die

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neut verwendet; vgl. Per Bjurström. Giacomo Torelli and Baroque Stage Design. Stockholm, 1961, S. 151. Corneille rechtfertigt den Mangel an schönen Versen damit, dass das Schauspiel dazu diene, visuelle Eindrücke zu wecken, „nicht aber den Geist zu bewegen durch die Kraft der Gedanken [der Literatur], oder das Herz zu rühren durch die Delikatesse der Passionen.“ Dietrich (Anm. 50), S. 212. Wie Sabbattini wirbt Furttenbach mit der Schrift um einen Auftraggeber. Joseph Furttenbach. Mannhaffter Kunst-Spiegel, oder Continuatio, und fortsetzung allerhand Mathematisch- und Mechanisch-hochnutzlich sowol auch sehr erfrölichen delectationen, und respective im Werck selbsten experimentirten freyen Künsten. Augsburg, 1663, S. 111. Furttenbach rühmt sich, von Galilei diverses Spindelwerk erhalten zu haben, das er in seiner Ulmer Kunstkammer aufbewahrte. Vgl. Margot Berthold. „Josef Furttenbach von Leutkirch. Architekt und Ratsherr in Ulm (1591-1667)“. Ulm und Oberschwaben. Zeitschrift für Geschichte und Kunst 33 (1953), S. 121.

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Meteorologie. Ebenso wenig schwebt ihm darin ein Schauspiel vor, das im Stil seiner Garten- und Heckentheater den Blick auf die Natur freigibt.54 Die Bühnenentwürfe sind vielmehr für abgeschlossene Kunsträume ohne natürliches Licht konzipiert.55 Was die Zuschauer in diesem Theater „lernen“ sollen, hat mit der Schulung ihrer Wahrnehmung zu tun. Während sich andere Maschinenbücher der Zeit hauptsächlich auf technische Anleitungen beschränken, skizziert Furttenbach nicht nur die jeweiligen „Machinae“,56 er erläutert zudem, wie das Publikum auf die Maschinen zu reagieren habe. Zwar wirken diese Beschreibungen idealisiert, doch geht er dabei, wie es im Untertitel des Kunst-Spiegels heißt, von „im Werke selbsten experimentirten Künsten“ aus, eine Anspielung auf seine Erfahrung im Theaterbau.57 Wie Torelli baut auch Furttenbach in seinen „experimentirten Künsten“ auf eine Ästhetik, die mit dem Spiel von Naturähnlichkeit und -verfremdung arbeitet. Das Fundament bilden dabei zunächst möglichst ‚naturnahe‘ Wetterbilder.58 Dabei spielt der Ingenieur mit einer Evidenzerfahrung, die von wissenschaftlichen Lektüren divergiert. Denn was der Theaterzuschauer erleben soll, ist an Momente physischer Teilhabe gebunden. Zur ...@. Augsburg, 1640, Teil III, S. 62f.

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Nachtszeiten/ einem natürlichen Wetter gleich sehen thut“.59 Das „Gleich-Sehen“ entspricht keinem Bild, das Furttenbach zu inszenieren gedenkt, sondern einer Stimmung, die der „Zuseher“ akustisch und haptisch wahrnimmt. Furttenbach entwirft gleichsam ein ‚gefühltes Wetter‘, bei dem das Theater zu einem Erfahrungsraum wird, der zeichentheoretisch nicht beschreibbar ist.60 Womöglich spielt Furttenbach dabei mit jener „Evidenz des Augenblicks“, die Manfred Sommer in seiner Phänomenologie der reinen Empfindung mit Worten wie „Plötzlichkeit“ oder „unmittelbarer Präsenz“ umschreibt.61 Er bildet Naturphänomene nicht rein und klar ab, er überhöht sie poetisch. Dies verdeutlicht auch die Anleitung zu einem Szenenwechsel, der so schnell vonstatten gehen solle, dass die Zuseher in solcher so eilfertigen Verwandlung bestürzt werden/ auch kaum wissen mögen/ wie ihnen geschihet/ dannenhero sie gleichsam verzucktes Sinnes da sitzen/ welche transmutation dann/ deß Menschen Geist sonderbare Erquickung bringet.62

So will der Architekt das Fassungsvermögen des Publikums überwältigen, das für einen Moment das Bühnenbild auf sich wirken lässt und sich im nächsten Augenblick seines Eindrucks gleichsam wieder beraubt fühlt. Was ihm nach der augenblicklichen Evidenz „dann“ aber „Erquickung bringet“, ließe sich als nachträgliche Evidenz bezeichnen. In seiner Instruktion zur „ersten Wolcke“ beschreibt Furttenbach, wie die Maschine „vor der Zuseher Auge“ verschwindet, doch: „Der verständige wird im weitern nachsinnen noch vil mehr Ergötzligkeit bey diser machina finden.“63 Erst im „Nachsinnen“ des Betrachters entfaltet die Maschinenästhetik also ihre Wirkung. Was im „Verständigen“ dabei vorgehe, sei jedoch nicht in Worte zu fassen: Was für ein holdseelig/ tieff nachsinndendes/ beneben des Menschen Auge und Herz erquickendes Anschawen umb die Prospectiva [...] seye/ das mag mit ei59 60

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Furttenbach (Anm. 52), S. 130. Vgl. dazu Gernot Böhmes Forderung nach einer Meteorologie, die sich an Wettergefühlen orientiert. Gernot Böhme. „Das Wetter und die Gefühle. Für eine Phänomenologie des Wetters“. Luft. Elemente des Naturhaushalts IV (= Schriftenreihe Forum, Bd. 12). Hg. v. Bernd Busch. Bonn, 2003, S. 148-161. Manfred Sommer entwickelt den Terminus „Evidenz im Augenblick“ als Gegenbegriff zur cartesianischen Evidenz. Das cogito, so argumentiert er mit Ernst Mach, sei ein „Vorurteil“, das Denkstrukturen repräsentiere. „Evidenz im Augenblick“ hingegen sei ein Ereignis jenseits des Denkbaren. Manfred Sommer. Evidenz im Augenblick. Eine Phänomenologie der reinen Empfindung. Frankfurt a. M., 1996, S. 9-11, 205 u. S. 244-271. Furttenbach (Anm. 52), S. 119. Ebd., S. 125.

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gener Feder nit zur genüge beschrieben/ noch vil weniger deroselben vil insich habende/ so wol erfrewliche Ding/ ausgesprochen werden. Sintemahlen der also hinein lauffenden Augenpuncten/ nicht allein den hierinn unerfahrenen/ sondern auch den Meister selbsten/ […]/ dermassen verführet/ ja solcher massen bestürtzet/ das der so unvollkommene Mensch gleichsam darüber erstummet/ und sein Sinnlichkeit entzucket wird. Dannerhero er mit seiner Vernunft in einer anderen newen liebreichen Welt umbherschweiffen thut/ so gar/ das hierdurch manichmal die Melancolische Gemüther erfrischet/ gestärcket/ und zu längerem Leben angereizet wird.64

Das tiefe Nachsinnen, von dem hier die Rede ist, deutet auf ein Imaginäres hin, das von der Bühnenkunst „dermassen verführet“ werde, dass der Zuschauer auch außerhalb des Schauspielhauses „newe, liebreiche Welten“ entdecke. Dort kommt also jene nachträgliche Evidenz zum Tragen, die allein in den inneren Augen des Betrachters wirksam wird. Die Reaktion des Zuschauers ist Bestandteil der Theatermaschinerie, die Furttenbach in Gang setzen möchte. Sie gründet auf einem Wissen, das „nit zur genüge beschrieben“ werden kann. Es liegt außerhalb sprachlicher Erfahrung und mag jenem „tacit knowledge“ gleichen, das Michael Polanyi für wissenschaftliche Arbeitsprozesse untersucht hat: ein stummes Gewahrwerden, Erlernen und Verarbeiten unaussprechlicher Eindrücke, das jenseits intentionalen Wissens den Zugang zu neuen Welten eröffnet.65 Furttenbachs Zuschauer soll während der Aufführung den an die Wirklichkeit gefesselten Blick gleichsam lösen. Die Bühne gleicht einem Simulationskabinett unverfügbarer Welten. Blitzschnelle Szenenverwandlungen, Lichtspiele und aufwändige Maschineneffekte überfordern die Aufmerksamkeit und nähren zugleich die Imagination. Die Wahrnehmung befindet sich im Experiment. Das Schauspiel wird zu einer ‚Augenschule‘, die auf neue Evidenzerfahrungen, auch außerhalb des Kunstraums vorbereitet. Was sich in diesem Randbezirk zwischen augenblicklicher und nachhaltiger Evidenz abspielt, fällt in den Bereich des Zuschauers, dessen Vorstellungskraft ihren Zündstoff aus der Bühnenmaschinerie erhält. Dabei mag Furttenbach eine Wirkungsästhetik vorschweben, die mit dem vergleichbar ist, was Gaston Bachelard in L’Air et les Songes in Bezug auf literarische Metaphern beschreibt. Die „images littéraires“ weisen dem Leser eine materielle Spur von Luft, Bewegungen, Formlosigkeit. Gleichzeitig aber entziehen sie sich jeder stabilen Vorstellung und inspirieren zur „imagination rêveuse“, zu je64 65

Ebd., S. 111. Vgl. Michael Polanyi. Implizites Wissen [1966]. Übs. v. Horst Brühmann. Frankfurt a. M., 1985.

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nem Bereich des Imaginären, der über bildliche Vorstellungen hinausreicht, ein poetischer Randbereich, der aber doch zur Erfindung immer neuer Bilder verführt.66 – Zwar spricht aus den Quellen des 17. Jahrhunderts häufig die „Angst und Abscheu vor der Einbildungskraft“,67 Furttenbachs Kunst-Spiegel verdeutlicht aber, dass das freie Spiel der Gedanken in dieser Epoche dennoch gefordert ist. Er umschreibt diesen Umstand mit Begriffen wie „tiefes Nachsinnen“ oder „deß Menschen Geist sonderbare Erquickung“. Dabei baut er auf einen „Verständigen“, der die „liebreichen Welten“ zu sehen vermag, in die das Bühnenwerk den Weg weisen soll. Utopien zwischen Schauspiel und Wissenschaft Während im Schauspiel ab der Mitte des 17. Jahrhunderts am imaginären Randbereich der Inszenierungen fast unbemerkt neue Sichtweisen auf die Natur emergieren, entwirft Francis Bacon bereits 1624 in dem utopischen Fragment Nova Atlantis spektakuläre Methoden zur Neuerfindung der Natur. Wo der menschliche Verstand und die Sinne irreführende Theorien (Idols) hervorbringen, will er die Tatsachen der Natur experimentell evident machen. Bacon möchte sich vom Paradigma des contemplator coeli als Sinnbild des antiken Denkers endgültig lösen, die Theorie soll sich nicht mehr aus der kontemplativen Betrachtung des Himmels ableiten. Bacons Idealfigur ist der Gelehrte des Hauses Salomon, der theoretische Evidenz durch aktives Beobachten und experimentelles Nachahmen der Natur gewinnt. Diese Türme dienen uns – je nach Höhe und Lage – dazu, Bestrahlungen, Abkühlungen oder Konservierungen vorzunehmen und die verschiedenen meteorologischen Erscheinungen wie Wind, Regen, Schnee, Hagel und feurige Meteore zu beobachten. [...] Wir haben ferner große und geräumige Gebäude, in denen wir meteorologische Erscheinungen – Schnee, Hagel, Regen (auch künstlichen Regen, der aus festen Körpern und nicht aus Wasser besteht) [...] nachahmen und zur Darstellung bringen.68 66

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Bachelard definiert „Imagination“ als Kraft, die eine Serie neuer Bilder entwirft/ erfindet und von den „images littéraires“ inspiriert wird. Das „Imaginäre“ hingegen befinde sich jenseits stabiler Vorstellungswelten, es stelle die Totalität aller möglichen Bilder dar. Gaston Bachelard. L’Air et les Songes. Essai sur l’imagination du mouvement. Paris, 1943, S. 5-26 u. S. 239-254. Vgl. Lorraine Daston. „Angst und Abscheu vor der Einbildungskraft in der Wissenschaft“ [1998]. Wunder, Beweise, Tatsachen (Anm. 12), insbes. S. 101-104. Francis Bacon. Neu-Atlantis [1627]. Hg. v. Jürgen Klein. Übs. v. Günther Bugge. Stuttgart, 2003, S. 44f.

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Bacons Utopie der experimentellen Wettererzeugung im Labor steht der Theaterpraxis sehr nahe. Noch einmal sei zum Vergleich Furttenbach zitiert: Im währendem Wetter/ auch etwann zum Ende desselbigen/ damit die Aspectoren widerumben erquicket wurden/ [...] so thäte man oben in der Bühne […] vil kleine Löchlin bohren/ dadurch Rosen- und ander wolriechendes Wasser als ein herrlicher Regen herunter tröpffelte. Neben disem/ dass es auch von verzuckerten Confect/ Coriander/ Mandel/ Zimmet/ ein Zuckerhagel/ darmit die Comoedien in Fröligkeit zu enden/ […].69

Die Hoffnung, die Furttenbach und Bacon in ihre künstlich erzeugten Maschinenwunder setzen, ist eine ähnliche. Der Architekt möchte die Vorstellungskraft der Zuschauer ‚erquicken‘, sie durch das Schauspiel hindurch in neue Welten entführen. Und auch für Bacon zeigt sich in den Maschinenkünsten das Außergewöhnliche. Ähnlich wie die Wundererscheinungen der Natur hat auch die Automatenkunst für ihn Potentiale wissenschaftlicher Evidenzproduktion.70 Durch sie werde, so Bacon, die Imagination des Beobachters beflügelt. Die Kunst verweise auf die unendlichen Möglichkeiten der Natur. Sie ermuntere dazu, jenseits voreiliger Fiktionen und Verallgemeinerungen auch „die geheimen Bewegungen in den Dingen und die innere Kraft der Natur zu erforschen“.71 Neue Evidenzerfahrungen stammen also auch für Bacon, zumindest in seiner Utopie, aus kunstvoll gestalteten Maschinen, die die Vorstellungskraft ex machina anregen. Bacon meint, im imaginären Randbereich der projektierten Experimente neue Sichtweisen auf Wetterphänomene hervorbringen zu können. – Auch wenn Gedankenexperimente wie dieses im 17. Jahrhundert nicht als wissenschaftliches Projekt realisierbar sind,72 wird der utopische Text doch zu einem Ort, an dem der 69 70

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Furttenbach (Anm. 52), S. 131. Zur Bedeutung von Wunderwerken der Kunst und Natur in Bacons Reform der Philosophie des Außernatürlichen vgl. Daston u. Park, Wunder und die Ordnung der Natur (Anm. 12), S. 260-273. Zur Ambivalenz des Wunderbegriffs in Bacons Meteorologie, die noch immer von religiösen Vorstellungen geprägt ist, vgl. Jankoviü (Anm. 45), S. 44ff. Bacon (Anm. 68), S. 43. Zur Problematik des Bacon’schen Imaginations- und Fiktionsbegriffes vgl. Wolfgang Iser. Das Fiktive und das Imaginäre. Perspektiven literarischer Anthropologie. Frankfurt a. M., 1993, S. 292-316 (insbes. S. 298) u. S. 166-194. 1675 erhofft sich auch Gottfried Wilhelm Leibniz in seinem Essay Drôle de pensée, man könne an einer wissenschaftlichen Akademie verschiedene Naturerscheinungen künstlich darstellen, darunter auch Wettererscheinungen. Dadurch will er die Kreativität der Besucher beflügeln, „ihnen die Augen öffnen, sie zu Erfindungen anregen, schöne Ansichten bieten und die Leute mit unendlich vielen sowohl

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Leser neue Denkmodelle und Evidenzen für Naturerscheinungen auffindet. In den utopischen Texten steckt gleichsam ein mit dem Maschinenzauber des höfischen Theaters vergleichbares kreatives Potential. Der Alltag des akademischen Betriebs gestaltet sich hingegen weniger spektakulär, als die Utopien es suggerieren, zumindest was die Repräsentation von Wettererscheinungen anbetrifft. Wetteruhren Exemplarisch für die Evidenzproduktion an den Akademien ist eine Erfindung des englischen Naturphilosophen Robert Hooke: die Wetteruhr. Schon Christopher Wren hatte versucht, Wetteruhren zu konstruieren (vgl. Abb. 2). Doch gelingt es Hooke nach jahrelangem Bemühen erstmals, eine funktionsfähige Automatik zu entwickeln, die zahlreiche Instrumente integriert.73 Am 5. Dezember 1678 heißt es im Protokoll der Royal Society: Mr. Hooke produced part of his new weather-clock, […] which was to keep an account of all the changes of weather, which should happen, viz: 1. The quarters and points, in which the wind should blow. 2. The strength of the wind in that quarter. 3. The heat and cold of the air. 4. The gravity and levity of the air. 5. The dryness and moistness of the air. 6. The quantity of rain that should fall. 7. The quantity of snow or hail that should fall in the winter. 8. The times of the shining of the sun.74

Die Uhr wird am 6. Januar 1679 im Turm des Gresham Colleges erstmals demonstriert und die fertige Konstruktion am 29. Mai bei Harry Hunt vorgeführt.75 Eine Pendeluhr sorgt dafür, dass ein Zylinder mit Registrierpapier zweimal täglich rotiert. Zudem aktiviert sie einen Hammer, der 15-minütig ein Set von Stiften berührt, die Nadelstiche im Papier hinterlassen, welche Lufttemperatur, -feuchtigkeit und -druck, Windstärke und -richtung sowie Regenmengen anzeigen. Die Uhr ist über Schnurkonstruktionen mit einem Wassereimer, der sich selbstständig entleert, sobald er mit Regenwasser gefüllt ist, sowie mit verschiedenen Instru-

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nützlichen wie geistreichen Neuheiten bekannt machen“. Zit. n. Bredekamp (Anm. 5), S. 242. Wren versucht bereits in den 1650er Jahren, in Oxford Wetteruhren herzustellen, und stellt seine Erfindung 1662 der Royal Society vor. Hooke entwickelt Wrens Maschine weiter. Vgl. Middleton (Anm. 24), S. 245-249. Thomas Birch. The History of the Royal Society of London for Improving of Natural Knowledge from its first Rise. 4 Bde. London, 1968 [Nachdruck d. Ausgabe London, 1756/57], Bd. 3, S. 445. Ebd., S. 453 u. S. 487f.

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Abb. 2: Skizze der Wetteruhr von Christopher Wren, die von Hooke weiterentwickelt wurde (um 1663).

menten verbunden, darunter Hookes Erfindungen wie das Radbarometer, Thermometer (mit Gefrierpunktkalibrierung), Hygroskop und Anemometer.76 Die Mitglieder der Royal Society bezeichnen diese Uhr als „engine“,77 was den Schritt vom einfachen Messinstrument zum Automaten verdeutlicht, der zahlreiche Instrumente integriert. Die Uhr erweckt den Anschein, als könne sie sämtliche meteorologische Erscheinungen zugleich erfassen und veranschaulichen. Die Spuren auf dem meterlangen Papier repräsentieren jedoch nur, was die Summe der Instrumente über das Wetter auszusagen vermag: die Evidenz eines großen Apparats. Was sich dem Betrachter zeigt, ist vor allem der technische Stand der meteorologischen Dinge. Es liegt nahe, hier von einer Eigendynamik zu sprechen, die die meteorologischen Instrumente im Verlauf des 17. Jahrhunderts entfaltet haben und die letztlich zur Konstruktion der 76 77

Middleton (Anm. 24), S. 249-255. Im März 1673 wird Hooke wiederholt zum Bau der Uhr aufgefordert: „He was desired to take care, that an engine be made with speed.“ Birch (Anm. 74), Bd. 3, S. 78.

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Wetteruhr führte, ähnlich wie Hans-Jörg Rheinberger es für Experimentalsysteme im 20. Jahrhundert konstatiert.78 Für Hooke sind Instrumente „künstliche Organe“, die die Defizite der Sinneswahrnehmung ausgleichen.79 Diese Aussage ist paradigmatisch für das Instrumentenverständnis des 17. Jahrhunderts. Und es stellt sich die Frage, ob auch die Wetteruhr eine solche Prothese des menschlichen Körpers darstellt. Um dieser Frage nachzugehen, sei auf Hookes Method for Making the History of the Weather von 1663 verwiesen:80 Die Skizze eines meteorologischen Projekts, bei dem ein Netz von Korrespondenten gleichzeitig an verschiedenen Orten Europas die Veränderungen des Himmels beobachten soll. Hookes Beobachtungsinstruktionen sind dabei von auffällig theatralem Charakter.81 Ähnlich wie Furttenbach im Kunst-Spiegel die Reaktion des Zuschauers vorgibt, schreibt auch er vor, worauf der Beobachter des Wetterspektakels zu achten habe: auf die Stellung der Sonne im Tierkreis, auf die körperlichen Auswirkungen des Wetters auf den menschlichen Körper etc.82 Hooke erwartet den Einsatz aller menschlichen Sinne. Sein Katalog fragt nach Geräuschen des Gewitters, dem Geschmack der Milch 78

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Nach Hans-Jörg Rheinberger bestehen Experimentalsysteme aus technischen Dingen, Denkmodellen und Praktiken, die sich eigenzeitlich substituieren. Das technische Ding „west“ (im Heidegger’schen Sinne) und stiftet seiner Eigenqualität folgend spezifischen Sinn. Daraus gehen grafemische Dispositionen hervor, durch die das epistemische Ding emergiert. Im Prozess der differentiellen Reproduktion (im Sinne der Derrida’schen différance) produziert das System so Ergebnisse jenseits des Primats der Theorie. Vgl. Hans-Jörg Rheinberger. Experiment, Differenz, Schrift. Marburg, 1992; ders. Experimentalsysteme und epistemische Dinge. Eine Geschichte der Proteinsynthese im Reagenzglas. Göttingen, 2001, insbes. S. 10, 29, 67 u. S. 151. Robert Hooke. „The Preface“. Micrographia or Some Physiological Descriptions of Minute Bodies Made by Magnifying Glasses with Observations and Inquiries thereupon. Hg. v. R.T. Gunther. Weinheim u. New York, 1961 [Nachdruck d. Ausgabe London, 1665], o. P. [S. 3]. Es gibt zwei Versionen der Method: Robert Hooke. „Method for Making the History of the Weather“. Thomas Sprat. The History of the Royal-Society Of London, For the Improving of Natural Knowledge. Hg. v. Jackson Irving Cope u. Harold Whitmore Jones. St. Louis, 1959 [Nachdruck d. Ausgabe London, 1667], S. 173179 (1. Version) und in Thomas Sprat. „Appendix C“. Ebd., S. 75-78 (2. Version). Hooke schreibt häufig in Theatermetaphern: „Nor can I believe indeed that there is any such thing in Nature, as a body whose particles are at rest, or lazy and unactive in the great Theatre of the World […].“ Hinter dem Naturschauspiel vermutet er unsichtbare Bewegungsprinzipien, die nicht durch Berechnungen, sondern nur experimentell und über die Beobachtung ergründbar sind. Hooke (Anm. 79), S. 16. Vgl. John Henry. „Robert Hooke, Incongruous mechanist“. Robert Hooke. New Studies. Hg. v. Michael Hunter u. Simon Schaffer. Woodbridge, 1989, S. 157ff. Vgl. Sprat (Anm. 80), 1. Version, S. 173-179.

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bei wechselndem Luftdruck etc. Zudem beschreibt er die Instrumente, mit denen das Wetter registriert werden soll.83 Große Tabellen sollen die Ergebnisse der Korrespondenten abschließend veranschaulichen.84 Vergleicht man Hookes Projekt nun mit der 15 Jahre später erfundenen Wetteruhr, so wird deren Bedeutung deutlich. Die Uhr indiziert nicht nur die Summe der Messdaten einzelner Instrumente, sie substituiert auch die menschliche Wahrnehmung zahlreicher Beobachter. Sie erzeugt eine Evidenz, die die Kunst des Beobachtens in sich selbst integriert. Die Uhr ist, um mit Hookes Worten zu sprechen, ein „künstliches Organ“ vielfältiger Observationen. Wie die zuvor beschriebenen Wettermaschinen des Theaters ist auch die Uhr als ein Schaustück konzipiert. Zwar ist Hooke ein leidenschaftlicher Theatergänger und besucht Inszenierungen, in denen aufwändige Wettermaschinen verwendet werden, wie etwa in Elkanah Settles Tragödie The Empress of Morocco, die er am 6. Dezember 1673 im Londoner Dorset Garden sieht.85 Doch geht aus seiner Uhr eine andere Form von Evidenz hervor, als dies im Theater der Fall ist. Das Theater ahmt Naturerscheinungen nach oder verfremdet sie, niemals aber ersetzt es die Rolle des Zuschauers. Es lässt ihm seinen Platz in der Imaginationsmaschinerie – am Rande der Evidenzproduktion – zuteil werden. Die Wetteruhr hingegen funktioniert eher ‚filmisch‘: In 15-minütigen Abständen gibt sie meteorologische Veränderungen wieder und täuscht vor, auf den meterlangen Seiten des durchlöcherten Papiers die ganze Bewegung der Natur zu repräsentieren. Aufgrund der komplizierten Lesbarkeit findet die Wetteruhr zunächst wenig Anklang; erst im 19. Jahrhundert stößt sie auf breitere Resonanz.86 Womöglich bleibt der Meteorograf lange Zeit auch deshalb ein nahezu singuläres Experi83

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Wie später Luke Howard macht auch Hooke eine Wissenschaftssprache zur instrumentellen Voraussetzung der Meteorologie. Auch er entwickelt eine, allerdings noch sehr undifferenzierte Wolkennomenklatur. Vgl. Sprat (Anm. 81), 2. Version, S. 77. Auch hier lässt sich von Evidenzproduktion sprechen. Die Messdaten seien so anzuordnen, dass „the Scheme of a whole Moneth, may at one view be presented to the Eye“. Sprat (Anm. 80), 1. Version, S. 175. Hooke vermerkt den Besuch kommentarlos im Tagebuch, vgl. Robert Hooke. The Diary, 1672-1680. Hg. v. Henry W. Robinson u. a. London, 1935, S. 73. Zwei Kupferstiche im Textbuch der Empress dokumentieren die Wolkendekoration der Erstaufführung, für die vermutlich bewegliche Flugwerke und Dampf erzeugende Maschinen verwendet wurden. Zur Aufführungsrekonstruktion vgl. Harald Zielske. Handlungsort und Bühnenbild im 17. Jahrhundert. Untersuchungen zur Raumdarstellung im europäischen Barocktheater. Berlin, 1965, S. 169ff. Zur Rezeption der Hooke’schen Uhr in der Royal Society und zur Weiterentwicklung des Meteorografen ab Ende des 18. Jahrhunderts vgl. Middleton (Anm. 24), S. 255-263 u. S. 287-346 sowie Körber (Anm. 24), S. 133.

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ment, weil er die Sinneswahrnehmung des Naturbeobachters bereits in Symbole verwandelt. Das hochgradig „künstliche Organ“ überlässt dem Betrachter die Interpretation abstrakter Messdaten, die den Sehgewohnheiten noch fremd sind. Erst sehr viel später werden Wetteruhren zu Standardinstrumenten meteorologischer Erfahrung. Wolkengrenzen Die Orte, an denen im 17. Jahrhundert Evidenz produziert wird, liegen häufig im Dunkeln. Während Descartes’ Fokus auf der Entzauberung der Meteorologie liegt, schlummert am Rande seiner Argumentation noch immer theologisches Evidenzpotential. In Galileis Gedankenspiel hingegen, das eine gänzlich andere Beweisführung intendiert, gehen aus den gewählten Denkmodellen neue Sichtweisen auf Wettererscheinungen hervor. Wieder anders verhält es sich bei Sabbattini. Seine Maschinenentwürfe sind exemplarisch für die Ästhetik des Hoftheaters in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Am Rande des Spektakulären werden dort Wetterphänomene evident, die ihre Resonanz ganz unbeabsichtigt in naturphilosophischen Erkenntnissen finden. Ohne dass dabei von einem einheitlichen Paradigmenwechsel in Theater und Wissenschaft gesprochen werden könnte, lassen sich die Resonanzeffekte zwischen diesen beiden Feldern doch als eine Art kooperative Evidenzproduktion beschreiben. Zuweilen werden im Theater jedoch auch Dinge sichtbar, die wissenschaftlich noch undenkbar sind. Grund dafür ist die Eigendynamik medialer Entwicklungen innerhalb dieses Feldes. Wie das Beispiel des Gothaer Tischlers Christian Käseweis zeigt, birgt die Theaterpraxis gelegentlich Evidenzen, die von der Lehrmeinung der theologischen Literatur und Naturphilosophie divergieren. Ab der Mitte des 17. Jahrhunderts nimmt die Bühnenästhetik eine zusätzliche Wende. Weder Harms noch Torelli noch Furttenbach geht es um die identische Nachahmung der Natur. Die Theaterarchitekten spielen mit einer Ästhetik, die in dem Maße von den Sehgewohnheiten des Zuschauers abweicht, als sie ihn dazu anregt, auch außerhalb des Schauspielhauses nach neuen Sichtweisen auf die Natur zu suchen. Aus dem imaginären Randbereich der Inszenierungen geht eine nachträgliche Evidenz hervor, wie sie sich Experimentalphilosophen wie Bacon in ihren kühnsten Utopien erträumen. Doch gestaltet sich der akademische Alltag der neuen Wissenschaft weniger spektakulär. Wie anhand von Hookes Wetteruhr gezeigt werden konnte, führen zwar auch dort die Instrumente ein mediales Eigenleben; der daraus resultierende Automat erfordert

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jedoch eine neue Kunst wissenschaftlichen Beobachtens, die sich erst viel später entfaltet. Den hier skizzierten Repräsentationsmitteln des Schauspiels wird im 18. Jahrhundert zunehmend mit Skepsis begegnet. Bei einer Aufführung von Jean-Nicolas Servandonis aufwändig gestaltetem Maschinentheater La chûte des anges rebelles von 1758 etwa bemängelt der Kritiker des Année littéraire mehrmals die Wolkendekoration: Ihre Form wirke zu rechteckig, die Wolken seien zu gleichförmig und empfingen zu viele Lichtreflexe, der Architekt solle mehr transparente Materialien verwenden.87 Der in London tätige Künstler Philipp Jacques de Loutherbourg hingegen bemüht sich ab 1782 wieder um ‚naturgetreue‘ Theaterbilder. Sein Miniaturtheater, das Eidophusikon, soll den Anschein erwecken, die Bühne sei tatsächlich ein Fenster zur Außenwelt. Er bedient sich dabei auch natürlicher Stoffe wie z. B. Moosen und Schwefeldämpfen, um den Eindruck des Naturerlebnisses zu evozieren.88 Gegen Ende des 18. Jahrhunderts ist man also wieder bestrebt, den Repräsentationscharakter zu überspielen, der in der vorhergehenden Epoche zum Bestandteil einer Ästhetik wurde, die zwischen Naturähnlichkeit und -verfremdung oszilliert. Andererseits erlebt diese Ästhetik in der Experimentalkultur des 19. Jahrhunderts ihre Renaissance. Peter Galison hat gezeigt, dass Charles T.R. Wilson die „cloud chamber“ (1895) ursprünglich nicht als Instrument der Teilchenphysik konzipierte. In der Nebelkammer sollten spektakuläre Wettereffekte experimentell nachgeahmt werden, ähnlich wie Bacon es für seine utopischen Wetterwundermaschinen formulierte. Galison verortet die Nebelkammer in einer „trading zone“ zwischen Morphologie, abstrakter Physik und viktorianischer Wolkenfotografie.89 Meines Erachtens besteht zudem eine familiäre 87

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Wie aus dem Programmheft hervorgeht, will der Regisseur damit keine Naturähnlichkeit suggerieren. „Der Ritter Servandoni gibt den geistigen Dingen körperliche Formen und stellt mit Hilfe von sinnlich wahrnehmbaren Gestalten Dinge vor, die die Tragweite des menschlichen Geistes überschreiten.“ Entgegen der Praxis des 17. Jahrhunderts informiert das Heft den Zuschauer auch über technische Details der Inszenierung. Vgl. Christel Heybrock. Jean Nicolas Servandoni (1695-1766). Eine Untersuchung seiner Pariser Bühnenwerke. Köln, 1970, S. 269. Vgl. Rüdiger Joppien. „Philipp Jacques de Loutherbourgs Eidophusikon. Ein darstellerloses Miniaturtheater“. Wolkenbilder. Die Entdeckung des Himmels [Ausst.kat.]. Hg. v. Bärbel Hedinger u. Inés Richter-Musso. München, 2004, S. 134-135. Der „trading zone“-Begriff stammt aus der Linguistik. Galison beschreibt damit Grenzbereiche zwischen Subkulturen verschiedener wissenschaftlicher und kultureller Domänen jenseits globaler Paradigmenwechsel. Bedeutsam sind dabei die Delokalisierung, Transformation und Neuentstehung von Praktiken, Theorien und Techniken. Vgl. Peter Galison. Image & Logic. A Material Culture of Microphysics. Chicago, 1997, S. 65-141.

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Ähnlichkeit zwischen Wilsons Experiment, den Nebelmaschinen des Barocktheaters und den Phantasmagorien im 19. Jahrhundert.90 Stets geht es um eine nebulöse Ästhetik, die mit der Vorstellungskraft des Betrachters spielt. Auch Wilsons Kammer eröffnet am Rande der intendierten Evidenzproduktion neue Perspektiven. Von diesem abgelegenen Ort her setzt sich eine Imaginationsmaschinerie in Gang, welche die Nebelkammerbauer bis heute auf Schwindel erregende Weise auf Trab hält.

LITERATURVERZEICHNIS Bachelard, Gaston. L’Air et les Songes. Essai sur l’imagination du mouvement. Paris, 1943. Bacon, Francis. Neu-Atlantis [1627]. Hg. v. Jürgen Klein. Übs. v. Günther Bugge. Stuttgart, 2003. Baillet, Adrien. La Vie de M. Des-Cartes [1691]. 2 Bde. New York, 1987. Beijer, Agne. „Visions célestes et infernales dans le théâtre du Moyen-Âge et de la Renaissance“. Les fêtes de la Renaissance I. Hg. v. Jean Jacquot. Paris, 1956, S. 405-418. Beijer, Agne. „La naissance de la paix. Ballet de cour de René Descartes“. Le lieu théâtral à la Renaissance. Hg. v. Jean Jacquot. Paris, 1964, S. 409-422. Berthold, Margot. „Josef Furttenbach von Leutkirch. Architekt und Ratsherr in Ulm (1591-1667)“. Ulm und Oberschwaben. Zeitschrift für Geschichte und Kunst 33 (1953), S. 119-179. Birch, Thomas. The History of the Royal Society of London for Improving of Natural Knowledge from its first Rise. 4 Bde. London, 1968 [Nachdruck d. Ausgabe London, 1756/57]. Bjurström, Per. Giacomo Torelli and Baroque Stage Design. Stockholm, 1961. Blumenberg, Hans. Arbeit am Mythos. Frankfurt a. M., 1996. Böhme, Gernot. „Das Wetter und die Gefühle. Für eine Phänomenologie des Wetters“. Luft. Elemente des Naturhaushalts IV (= Schriftenreihe Forum, Bd. 12). Hg. v. Bernd Busch. Bonn, 2003, S. 148-161. Bredekamp, Horst. Die Fenster der Monade. Gottfried Wilhelm Leibniz’ Theater der Natur und Kunst. Berlin, 2004. Cock, William. Meteorologia Oder der rechte Weg vorher zu wissen/ zu beurtheilen die Veränderung der Lufft und Abwechselung des Wetters in verschiedenen Landern [...] [1671]. Übs. anonym. Hamburg, 1691. Cohen, Gustave. Histoire de la mise en scène dans le théâtre religieux français du Moyen Âge [1906]. Paris, 1926. Damisch, Hubert. Théorie du nuage. Pour une histoire de la peinture. Paris, 1972. 90

Die Projektionstechnik der Phantasmagorien wird häufig zwischen Wissenschaft und Showbusiness verortet. Vgl. Thomas L. Hankins u. Robert J. Silverman (Hg.). Instruments and the Imagination. Princeton, 1995, S. 63-71.

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Sehen am Faden der Linie. Spiele des Bildermachens bei Abraham Bosse

Ihre Berühmtheit verdankt die zweite Bildtafel der 1648 erschienenen Manière Universelle von Abraham Bosse sicher nicht in erster Linie ihrem wissenschaftlichen Gehalt (Abb. 1). Es scheinen vielmehr die verschiedenen Tonlagen dieses Kupferstichs zu sein, die seine ungebrochene Attraktivität ausmachen. Er gehört zum festen Repertoire sowohl der Wissens- als auch der Mediengeschichte des Bildes,1 und er bietet Ansätze für gegenwärtige künstlerische Reflexionen über den Status und die Genese von Bildern.2 Dennoch scheint das Interesse an dieser Tafel bislang weitgehend blind geblieben zu sein für einige Details: So etwa die Fäden, mit denen die Akteure im Bild sich selbst und dem Betrachter eine der Prämissen zentralperspektivischer Bildkonstruktion vor Augen führen. Diese Fäden, so wird zu zeigen sein, sind keineswegs bloß das Mittel einer originellen Veranschaulichung, sondern in ihnen verdichten sich einige um die Mitte des 17. Jahrhunderts höchst relevante und ungelöste Probleme. Abraham Bosse versuchte mit seltener Konsequenz, diese Probleme im Sinne einer eigenständigen Begründung des Wahrheitsanspruchs von Bildwerken zu lösen. Dabei wur1

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Verwiesen sei hier auf einen Klassiker wie Jurgis Baltrušaitis. Les perspectives dépravées. Teil 2: Anamorphoses ou Thaumaturgus opticus [1984]. Paris, 1996, S. 105 oder Bodo von Dewitz u. Werner Nekes (Hg.). Ich sehe was, was du nicht siehst! Sehmaschinen und Bilderwelten. Die Sammlung Werner Nekes [Ausst.kat.]. Göttingen, 2002, S. 188 u. Cover. So zum Beispiel Sigmar Polke in dem Werk Vermessen der Kleider von 1994 sowie in einer Serie von 20 anamorphotischen Variationen auf das Motiv von Bosse, publiziert als Beitrag in Britta Schmitz (Hg.). Sigmar Polke. Die drei Lügen der Malerei [Ausst.kat.]. Berlin, 1997, o. P. Dabei werden verschiedene, der Vorlage durchaus implizite Aspekte herausgelöst und ausgereizt. In Vermessen der Kleider wird mit den applizierten Kleidungsstücken ebenso das Textile der Fäden weitergeführt wie auch das Moment der messenden Arbeit am eigenen Körper. Die Serie der Zerrbilder akzentuiert hingegen den medialen Aspekt von Bildern als optischen Konstrukten.

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Abb. 1: Abraham Bosse. Manière Universelle de Mr. Desargues, pour pratiquer la Perspective par petit-pied [...] (Paris, 1648), Bildtafel 2.

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den die Mittel und Instrumente zum Teil radikal neu bestimmt und geordnet: etwa in Hinblick auf die Verfahren und den Geltungsbereich der perspektivischen Konstruktion oder auf die Linie als Grundelement jeder zweidimensionalen bildlichen Darstellung. Jene Szenen, mit denen Bosse seine Manière Universelle auf der Ebene der Bilder eröffnet, bilden als experimentelle Verfahren einen Strang im Zusammenhang dieser Neubegründung des Bildes. Er ist eingebunden in ein weitaus umfassenderes Wissensgefüge, innerhalb dessen der Zeichner und Kupferstecher Abraham Bosse ein wichtiger Akteur war.3 Abraham Bosse und die Manière Universelle Die genannten Berufsbezeichnungen sind in Hinblick auf Bosse ebenso zutreffend wie ungenügend. Gerade in seinen Publikationen kommt die Vielgestaltigkeit der Tätigkeiten dieses Handwerkers, Künstlers und Theoretikers zum Tragen. Auf der Grundlage einer handwerklichen Ausbildung bei Melchior Tavernier und beeinflusst von Jacques Callots Radierungen wurde Bosse zunächst ein erfolgreicher Grafiker. Seine wichtigsten Arbeitsbereiche waren Reproduktionsdrucke, Buchillustrationen sowie die Ausführung selbst entworfener Einzelblätter und Folgen.4 Wenn Abraham Bosse von der neueren Forschung eine wichtige Rolle bei der Entstehung einer eigenständigen französischen Kunsttheorie zugewiesen wird, dann ist dies jedoch vor allem auf seine Publikationen zurückzuführen, verbunden mit seinen Ambitionen als Lehrbeauftragter an der Académie Royale de peinture et de sculpture. Dabei wirkten die Impulse, die er der zeitgenössischen Kunsttheorie gab, in zwei verschiedene Richtungen. Beide lassen sich als komplementäre Seiten der intellektuellen Emanzipation der bildenden Kunst verstehen. Ein wichtiger Aspekt in diesem Prozess war eine Institutionalisierung der künstlerischen Praxis, die mit der Distanzierung von einem „bloß“ handwerklichen Hintergrund der eigenen Arbeit einherging. Angesichts dieser Tendenz hat Bosse eine sehr eigenwillige Rolle ge3

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Allgemein zu Abraham Bosse vgl. inbes. zwei jüngst erschienene Publikationen: Sophie Join-Lambert u. Maxime Préaud (Hg.). Abraham Bosse, savant graveur. Tours, vers 1604-1676 Paris [Ausst.kat.]. Paris u. Tours, 2004 und Marianne Le Blanc. D’acide et d’encre. Abraham Bosse (1604?-1676) et son siècle en perspective. Paris, 2004. Zu den bekanntesten grafischen Blättern nach eigenem Entwurf gehören zwei Genrebilder aus dem eigenen Metier: die Graveurs en taille douce au burin et à l’eau forte und Les Imprimeurs en taille douce, beide von 1642.

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spielt: So sehr er sich für eine Kunst auf gleichsam naturwissenschaftlicher Grundlage einsetzte, koppelte er dennoch den spezifischen Wert und Status von Kunstwerken nie vom Wissen und von der Erfahrung handwerklicher Arbeit ab. Die genaue Kenntnis technischer Verfahren und die Übung der Hand blieben für ihn eine unerlässliche und in gewisser Weise kreative Ebene künstlerischer Arbeit – allerdings in Absetzung zu dem, was er mehrfach als bloß gewohnheitsmäßige Anwendung übernommener Praktiken kritisierte.5 Bosse ist somit im Bereich der bildenden Kunst ein historisch spätes Beispiel für das Selbstbewusstsein einer auf praktischem Wissen basierenden „artisanal epistemology“.6 Parallel dazu äußerte sich der gebildete Kupferstecher auch im Sinne einer Erziehung der Rezipienten, d. h. er trat für eine spezifische Diskursivierung der bildenden Künste ein.7 Es ist durchaus im Zusammenhang weitaus umfassenderer Transformationen des Wissens im 17. Jahrhundert zu sehen, wenn Bosse dabei den Curieux als einen gewissen Typus bzw. mentalen Habitus derer kritisierte, die etwa als Sammler und Auftraggeber exponierte Adressaten der Kunst waren.8 Dem Curieux mit seinem oft bloß eingebildeten Wissen und einem auf ge5

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Vgl. Abraham Bosse. Manière Universelle de Mr. Desargues, pour pratiquer la Perspective par petit-pied [...]. Paris, 1648, S. 17. Besonders scharf disqualifiziert Bosse bloße „mauvais habitudes“ als Grundlage der künstlerischen Arbeit in seinem 1665 erschienenen Traité. Er reagiert hier auf jene massive Kritik am Geltungsanspruch seines Regelwerks, die inzwischen zu seinem Ausschluss aus der Académie geführt hatte. Abraham Bosse. „Vorrede“. Traité de Pratiques géométrales et perspectives enseignées dans l’Académie Royale de la peinture et sculpture. Paris, 1665, o. P. Als „artisanal epistemology“ beschreibt Pamela H. Smith einen insbesondere für das 15. und 16. Jahrhundert charakteristischen Typus von Wissen, der vorwiegend auf praktisch-handwerklicher Arbeit beruht und der, mit einer neuen Autorität versehen, wichtige Impulse für den Prozess der wissenschaftlichen Revolution im 17. Jahrhundert gab. Dabei sieht Smith im 17. Jahrhundert bereits die Gegentendenz einer zunehmenden Distanzierung der sich festigenden Wissenschaften vom praxisbezogenen Wissen der Handwerker. Vgl. Pamela H. Smith. The Body of the Artisan. Art and Experience in the Scientific Revolution. Chicago, 2004. Vgl. hierzu Marianne Le Blanc. „Les Sentiments d’Abraham Bosse sur la distinction des diverses manières de peinture, dessin et gravure [...]: stratégie d’un discours sur l’art à la fin des années 1640“. Littérature et Peinture au temps de Le Sueur. Actes du Colloque organisé par le Musée de Grenoble et de l’Université Stendhal, 12./13. mai 2000. Hg. v. Jean Serroy. Grenoble, 2003, S. 35-42. Zu Bedeutung, Kritik und Abwertung der „Curiosité“ als mentaler Disposition und Habitus in wissenschaftsgeschichtlicher Hinsicht vgl. Lorraine Daston u. Katharine Park. Wonders and the Order of Nature, 1150-1750. New York, 1998, insbes. S. 303-364.

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sellschaftliche Anerkennung zielenden mondänen Gebaren wird der Connaisseur gegenübergestellt. Er verfügt über einen hohen Grad an Erfahrung und systematischem Wissen, der ihn zu einem analytischen Diskurs befähigt, von dem wiederum auch die Künstler profitieren können. Hinsichtlich dieser beiden Ebenen machte Abraham Bosse einen grundsätzlichen Anspruch für die Kunst geltend. Ihre Praxis wie ihre angemessene Rezeption beruhen auf Regeln, die zu kennen und anzuwenden unerlässliche Grundlage dafür sei, dass Bildwerke richtig ausgeführt und als richtig oder falsch erkannt werden. Der immer wieder betonte Maßstab dieser Richtigkeit ist die Übereinstimmung zwischen der Wahrnehmung des Bildes und den sinnlichen Eindrücken, die man vor dem dargestellten Objekt in der Natur haben würde.9 Dabei scheint eine gewisse Spannung zwischen dieser Forderung und der Vehemenz zu bestehen, mit der Bosse in Hinblick auf das richtige Bildermachen für die unbedingte Notwendigkeit einer strikten Anwendung von Regeln eintrat. Dieses Beharren auf einem strikt regelgerecht methodischen Vorgehen lässt es durchaus plausibel erscheinen, ihn in die Tradition des cartesianischen Rationalismus zu stellen;10 zumal es Indizien dafür gibt, dass sich die Notwendigkeit strikter Regelbefolgung aus einem ähnlichen Zweifel an der Zuverlässigkeit sinnlicher Wahrnehmungen herleitete, wie jener methodische Zweifel, der bei Descartes auf die Konstitution des denkenden Ichs hinausläuft.11 Mehrfach betont Bosse, dass der Künstler nicht in erster Linie danach arbeiten soll, wie seine Augen sehen, sondern eben nach jenem Regelsystem, das der Autor in Hin9

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So heißt es an einer diesbezüglich markanten Stelle: „Or l’intention & la fin de la pratique de la pourtraicture, ou perspective estant que l’oeil venant à la regarder, comme on entend, elle luy fasse avoir la mesme sensation visuelle, non seulement de l’estendu, & forme de figure, mais aussi des touches, teintes, ou couleurs, qu’il auroit s’il regardoit effectivement le sujet mesme en la situation determinée: S’il advient qu’elle ne luy fasse avoir seulement la mesme sensation visuelle de l’estendu, & forme de figure, & non pas celle des touches, teintes, ou couleurs, qu’il auroit en regardant ainsi le sujet, cette pourtraicture au lieu d’estre achevée, comme on auroit pretendu, se trouve imparfaite, autant vaut de moitié.“ Bosse, Manière (Anm. 5), S. 222. Explizit z. B. bei Jean-Pierre Manceau. „Abraham Bosse, un cartésien dans les milieux artistiques et scientifiques du XVIIe siècle“. Join-Lambert u. Préaud (Anm. 3), S. 53-63. René Descartes. Discours de la méthode pour bien conduire sa raison, et chercher la verité dans les sciences. Leiden, 1637, zit. n. René Descartes. Philosophische Schriften in einem Band. Eingel. v. Rainer Specht. Hamburg, 1996, S. 52ff.

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blick auf verschiedene Anwendungsgebiete als allgemeingültig propagierte.12 Im Zentrum jenes Regelsystems, das Abraham Bosse so rigoros verfocht, stand eine geometrisch innovative Form der linearperspektivischen Konstruktion. Entwickelt und erstmals publiziert hatte sie der Ingenieur und Architekt Girard Desargues.13 Diesem Verfahren lag eine neue, so genannte projektive Geometrie zugrunde, die auf anderen Prämissen beruhte als die Geometrie Euklids.14 Für die Praxis bildlicher Darstellung ergab sich daraus vor allem eine vorteilhafte Neuerung. Die gesamte Konstruktion eines Bildraumes, einschließlich aller Hilfslinien, konnte mit diesem Verfahren innerhalb der Bildfläche ausgeführt werden.15 Im vollständigen Titel seiner Manière Universelle de Mr. Desargues, pour pratiquer la Perspective berief sich Bosse ausdrücklich auf den Architekten, dessen Methode er in Text und Bild erklärte und weiterführte. Auf beiden Ebenen zielt die Darstellung auf praktische Anwendung, wobei die minutiöse Demonstration eine eigene Qualität der Publikation ausmacht. Für wichtig befundene Probleme werden zunächst in einzelnen Kapiteln abgehandelt; die darauf folgenden Bildtafeln werden jeweils auf der gegenüberliegenden Seite, im Sinne einer Anleitung zur selbstständigen Ausführung, eingehend kommentiert. Dabei leisten die qualitativ hochwertig ausgeführten Grafiken weit mehr als eine bloße Illustration des Verfahrens. Als primäre Form der Darstellung führen sie Probleme und Lösungswege vor Augen, und in ihnen erweist sich Bosse – Autor und Stecher in einer Person – als Beispiel für die 12

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„Je parle aussi de la maniere de bien desseigner & peindre à vue d’oeil d’apres le naturel, afin que l’on ne tombe pas dans l’erreur ordinaire de desseigner & peindre comme l’oeil voit; mais faire en sorte que ce que l’on fera suivant les regles que je donne, fasse à l’oeil du Regardant la mesme vision que le naturel, vue d’une pareille distance & élevation d’oeil.“ Bosse. „Vorrede“ (Anm. 5), o. P. Girard Desargues. Exemple de l’une des manières universelles […] touchant la pratique de la perspective. Paris, 1636. Zu Desargues und seinem Konstruktionsverfahren vgl. Judith Veronica Field. The Invention of Infinity. Mathematics and Art in the Renaissance. Oxford u. a., 1997, S. 192-206; Martin Kemp. The Science of Art. Optical Themes in Western Art from Brunelleschi to Seurat. New Haven u. London, 1990, S. 119-125. In älteren Verfahren hingegen, etwa bei Dürer, wurden die einzelnen Raumebenen mit Hilfe von Distanzpunkten ermittelt, die je nach der Entfernung des Betrachters mitunter weit außerhalb des Bildes – d. h. auf zusätzlichen Bildflächen, die nur für die Konstruktion benötigt wurden – auf der Horizontlinie zu markieren waren. Bei Desargues ist dies unnötig, da es ihm gelang, eine exakte Konstruktion zu erfinden, mit der alle räumlichen Verkürzungen aus zwei Skalen abgeleitet werden, deren Einrichtung und Gebrauch die Ränder des entstehenden Bildes nicht überschreiten.

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gelungene Einheit von theoretischem Wissen und praktischem Können.16 In seiner Manière Universelle baute Bosse das von Desargues übernommene Konstruktionsverfahren zu einem Regelsystem bildlicher Darstellung aus, das nicht allein Raum-, Größe- und Lagebeziehungen im Bild umfasste, sondern auch die richtige Wiedergabe von Licht und Schatten, Tonwerten und Farbe beinhaltete. Erst damit konnte seine Unterweisung den Anspruch erheben, ein umfassendes System für jede Art zweidimensionaler bildlicher Darstellung zu sein.17 Dieser umfassende, ja absolute Geltungsanspruch und die schroffe Entschiedenheit, mit der Bosse ihn verfocht, sollten den bereits 1642 um die Methode von Desargues entstandenen „Perspektiv-Krieg“ im Rahmen der Akademie erneut entfesseln. In Folge dieser Auseinandersetzungen wurde Abraham Bosse 1661 aus dem Lehrbetrieb ausgeschlossen. Zunächst aber hatte sich der Autor gerade mit seiner Manière Universelle für eine Lehrtätigkeit an der Akademie empfohlen. Ohne vollwertiges Mitglied zu werden, was ihm aufgrund seiner handwerklichen „Herkunft“ nicht möglich war, hatte er (nach dem Erscheinen seines Buches) dort 1649 einen Lehrauftrag für Perspektive übernommen.18 Fadenspiele der Perspektive Der skizzierte Hintergrund von Bosses Ambitionen und seine ambivalente Position konkretisiert den Reiz der eingangs erwähnten Bildtafel (Abb. 1). Und er schärft die Kontraste innerhalb des Bildes. Das Faszinierende an dieser Darstellung hat eigentlich wenig mit der Perspektive – im engeren Sinne – zu tun. Der kleinformatige Kupferstich wurde mit hoher grafischer Finesse ausgeführt. In feinsten Nuancen variierende Linienstärken entfalten eine surreal anmutende Szenerie. Verteilt in ei16

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Deutlich übertrifft er damit konkurrierende Publikationen, wie etwa die seit 1642 unter dem Autorennamen Jean Du Breuil in drei Bänden erscheinende Perspective pratique [...], die erst im letzten Band von 1649 – und möglicherweise in Reaktion auf die Manière Universelle – mit Bildtafeln ausgestattet wurde, in denen die grafischen Mittel wenigstens annähernd so differenziert eingesetzt wurden wie bei Bosse. Eine Zusammenfassung der theoretischen Implikationen dieses von Bosse als Kunst der portraiture (häufig auch pourtraicture) bezeichneten praktischen Regelwerks gibt Marianne Le Blanc. „De la ‚portraiture‘ à la peinture: la place de Bosse dans l’essor des arts et de leur théorie ‚à la française‘“. Join-Lambert u. Préaud (Anm. 3), S. 71-75. Sehr detailliert über Bosses Verhältnis zur Akademie vgl. Le Blanc (Anm. 3), S. 143-151 u. S. 203-224.

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nem Raum, der mit nur wenigen Konturen angedeutet wird, finden sich drei Kavaliere à la mode. Sie bewegen sich mit kalkulierter Eleganz und hantieren alle drei mit eigenartigen Gebilden, die sich im Folgenden als Grundlage der perspektivischen Konstruktion erweisen werden. Wer diese Grundlagen kennt, sieht sofort, was auch der nebenstehende Text erläutert: Die Akteure im Bild führen dem Betrachter die in Fäden materialisierten so genannten Sehstrahlen vor Augen. Anders gesagt, hält jeder von ihnen die Spitze einer Pyramide nahe ans Auge, wobei der eingeschlossene Raum alle Sehstrahlen beinhaltet, die von der markierten Fläche ausgehend das Auge erreichen. Die vorgeführte Demonstration des Sehens ist in ihrem geometrischen Gehalt fester Bestandteil der Perspektivlehren seit Leon Battista Alberti. Jedes linearperspektivisch konstruierte Bild ist nichts anderes als ein Querschnitt durch jene Sehpyramide, die Bosses Kavaliere sich und dem Betrachter so graziös vor Auge führen. Die Idee, die Sehpyramide unter anderem mit Hilfe derartiger Fäden zu erklären, war ebenfalls keineswegs neu. Sie lässt sich bis auf Albertis De pictura (1435/1436) zurückverfolgen und wurde zur Grundlage für eine Reihe von Perspektiv- und Zeichenmaschinen.19 Ganz eigen ist hingegen die Inszenierung dieser Geometrie durch Bosse. Seine Bildtafeln erzeugen einen Überschuss, der nicht im Regelsystem der perspektivischen Konstruktion aufgeht und dennoch wesentlich mitbestimmt, als was diese hier entwickelt und vorgeführt wird. Am auffälligsten wird dieses „Mehr“ auf Seiten der Bilder an jenen Enden der Fäden, die hinter den Händen der Akteure im Bild – wie von selbst bewegt – in unregelmäßigen Windungen in den Raum ausgreifen. Im Sinne der geometrischen Demonstration sind sie vollkommen funktionslos. Sie sind die nutzlosen Enden jener Fäden, die unter Spannung zugleich materiell vorhandene Instrumente und – zur Linie gestrafft – Elemente der geometrischen Konstruktion werden. Anders gesagt: Was als gegenständliche Formbewegungen nicht dem instrumentellen Gebrauch der Fäden unterworfen ist, ist zugleich eine bestimmte Art von Linie, die sich unregelmäßig auf der Fläche der Buchseite ausbreitet. Der Gebrauch von Fäden als Instrumente der Messung bzw. der perspektivischen Konstruktion hatte Mitte des 17. Jahrhunderts bereits eine 19

Zu Alberti und seinen Fäden vgl. Samuel Y. Edgerton. Die Entdeckung der Perspektive. Übs. v. Heinz Jatho. München, 2002, S. 75-84; zu einer Reihe derartiger Konstruktionsverfahren bzw. -maschinen vgl. Peter Frieß. Kunst und Maschine. 500 Jahre Maschinenlinien in Bild und Skulptur. München, 1993, S. 56ff., S. 8492 u. S. 99ff.

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differenzierte Geschichte. Teil dieser Geschichte ist eine ikonografische Spur, in deren Verlauf sich im Medium des Bildes der Faden als bildlich dargestelltes Instrument mehrfach mit einer bestimmten Linienart kreuzt und überlagert. Es handelt sich dabei um unregelmäßig gewundene Linien, die zum einen Fäden darstellen und zugleich als abstrakte Linien frei sind von einer abbildenden Funktion. Dieses Spiel mit Linie und Faden greift Bosse in den ersten Bildtafeln seiner Manière Universelle explizit auf. Dabei verbindet er auf neue Weise den gewissermaßen narrativen Aspekt des Handelns im instrumentellen Gebrauch der Fäden mit einer Reflexion über den Status und den Wert der Linie als Grundelement der bildlichen Darstellung.20 Fäden als Instrumente der Messung Hatte bereits Alberti in seinem Traktat De pictura empfohlen, sich die Sehpyramide als ein Fadenbündel zwischen dem Auge und den Objekten vorzustellen, so dürfte für eine Bildgeschichte dieser Verkörperung sowie ihres instrumentellen Gebrauchs erst knapp einhundert Jahre später Albrecht Dürer maßgebliche Impulse gegeben haben. In seiner 1525 erschienen Underweysung der Messung publizierte er verschiedene Verfahren der perspektivischen Darstellung, wobei seinen schriftlichen Ausführungen neben reinen Konstruktionszeichnungen auch szenische Darstellungen an die Seite gestellt wurden, in denen Zeichner mit den beschriebenen Methoden arbeiten. Eine von diesen Szenen zeigt die Abbildung einer Laute mit Hilfe einer aufwändigen Apparatur (Abb. 2).21 Es ist das einzige der von Dürer 20

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Der Fokus wird sich im Folgenden daher auf solche Darstellungen richten, in denen nicht allein die Fäden als Instrumente, sondern auch das Hantieren mit ihnen explizit Thema des Bildes ist. Lediglich hingewiesen sei daher auf Samuel Marolois. La perspective contenant tant la théorie que la pratique et instruction fondamentale d’icelle. Amsterdam, 1629 und Desargues (Anm. 13). In beiden Publikationen aus dem näheren bzw. unmittelbaren Umfeld Bosses erscheinen gewundene Fäden ohne Akteure als Teile der Apparatur bzw. eines Schauplatzes der Konstruktion. Die gewundenen Fäden bei Desargues deutet Field lediglich als Reminiszenz an die Praxis, wobei sich die Fäden als Hilfsmittel der Konstruktion vor allem deutlich von den tatsächlichen Linien unterscheiden sollen. Vgl. Field (Anm. 14), S. 195. Dieser Holzschnitt war zusammen mit dem so genannten Zeichner des sitzenden Mannes bereits in der Erstausgabe von 1525 erschienen, der Zeichner des nackten Weibes und der Zeichner der Kanne hingegen erst in der posthumen, erw. Ausg. von 1538. Eingehende Erläuterungen der Verfahren Dürers und einiger Nachfolger, die im Folgenden erwähnt werden (Jamnitzer, Pfinzing von Henfenfeld), finden sich in Frieß (Anm. 19), S. 54ff. u. 87ff.

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Abb. 2: „Der Zeichner mit der Laute“ aus Albrecht Dürer. Underweysung der Messung (Nürnberg, 1525).

empfohlenen Verfahren, das darauf beruht, dass die Sehstrahlen des Zeichners sich in einem Faden verkörpern, der als Instrument für die sukzessive Übertragung aller wichtigen Punkte des Objekts auf die Bildfläche dient. Ein Gehilfe setzt das eine Ende des Fadens am jeweiligen Punkt des Objekts an, während der Zeichner mit zwei beweglichen Fäden, die sich – ähnlich einem Koordinatensystem – in einem Rahmen kreuzen, jenen Punkt markiert, an dem der Sehstrahl-Faden die gerahmte Fläche durchdringt. Die so in der Fläche ermittelten Punkte werden sukzessive auf einer schwenkbaren Bildfläche eingetragen und später zur Kontur des Gegenstandes verbunden. Für diese Übertragung muss der Faden in jeder Position straff gespannt sein, da er nur dann die Bildebene genauso wie der Sehstrahl schneidet. Aufrechterhalten wird diese Spannung durch ein Gewicht, das an dem durch die Öse in der Wand gezogenen Ende des Fadens hängt. Dieses vermutlich nicht von Dürer selbst erfundene Verfahren fand im Laufe des 16. Jahrhunderts nördlich der Alpen wie auch in Italien große Verbreitung.22 Dabei wurde der hier beschriebene Gebrauch ei22

In Italien z. B. durch Daniele Barbaro. La pratica della perspettiva. Opera molto

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nes Fadens bisweilen weiterentwickelt bzw. „rationalisiert“. Der Nürnberger Goldschmied Wenzel Jamnitzer zum Beispiel veränderte die Apparatur so, dass eine Person alleine mit ihr arbeiten konnte, wobei das perspektivische Bild nicht mehr vom Gegenstand selbst abgeleitet wurde, sondern aus dessen Geometria, d. h. einem Grundriss in der Horizontalen konstruiert wurde.23 Die Apparatur von Jamnitzer wurde wiederum von Paul Pfinzing von Henfenfeld in seinem historisch didaktischen Perspektivtraktat abgewandelt. Das Prinzip der Übertragung von Bildpunkten ist dabei dasselbe wie bei Jamnitzer. Nun aber ist die Funktion der Zeichenmaschine nicht an einen bestimmten architektonischen Raum gebunden, an dessen Wand der Augenpunkt fixiert wird, sondern als vollkommen autonomes und transportables Arrangement eingerichtet worden. Alles findet Platz in dem kleinen „Kästlein“, das (mit einigen Aufbauten) in wenigen Handgriffen zum Arbeitstisch und somit zum Schauplatz der Konstruktion umgerüstet werden kann.24 Bei all diesen Varianten beruht die Konstruktion des perspektivischen Bildes noch mehr oder weniger unmittelbar auf einem Faden, in dem sich die Sehstrahlen des Zeichners bzw. des künftigen Betrachters materialisieren. Dieser Faden überträgt die markanten Punkte eines Gegenstandes aus dem realen Raum in die Fläche der perspektivischen Darstellung und erzeugt damit den illusionären Raum der bildlichen Darstellung. Im Kontrast zu den unmotivierten Fadenwindungen bei Bosse verweisen in den genannten Beispielen die Fäden in der bildlichen Darstellung auf nichts anderes als auf die realen Fäden und als solche sind sie auch im Bild vollständig funktional gebunden. Gewundener Faden – Arabeske Ebenfalls im 16. Jahrhundert finden sich jedoch Darstellungen, in denen in beiderlei Hinsicht die eindeutige Bestimmung der Fäden unterlaufen wird. Das heißt: Sowohl die Referenzbeziehung zwischen bildlicher Darstellung und realem Gegenstand als auch die funktionale Bin-

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utile a Pittori, a Scultori, & ad Architetti. Venedig, 1568 und Giacomo Barozzi da Vignola. Le due Regole della prospettiva pratica. Rom, 1583. In einem Stich von Jost Amman (1568) wurde Jamnitzers Perspektiv-Maschine denn auch ganz deutlich in Abwandlung der Dürer’schen Ikonografie des Zeichners mit der Laute dargestellt. Vgl. Wenzel Jamnitzer. Perspectiva Corporum Regularium [...]. Nürnberg, 1568. Paul Pfinzing von Henfenfeld. Ein schöner kurtzer Extract der Geometriae unnd Perspectivae, wie die Perspectivae ohne Geometriae nicht sein kann, hernacher wie die Perspectiva in ihren Wercken auff drey Weg zuverstehen. Nürnberg, 1599.

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Abb. 3: Hans Lencker. Perspectiva – Hierinnen auffs kürtzte beschrieben [...] (Nürnberg, 1571).

dung der Fäden als Instrumente der Konstruktion werden zugleich evoziert und in Frage gestellt. So publiziert Hans Lencker 1571 ein Verfahren, in dem Fäden dazu verwendet werden, bestimmte Maße, wie mit dem Zirkel, abzunehmen und zu übertragen (Abb. 3).25 In den zugehörigen Bildtafeln werden die verwendeten Fäden einerseits in Funktion vorgeführt, wobei ausdrücklich das Hantieren mit ihnen betont wird. In anderen Tafeln desselben Traktats erscheinen Fäden zwar auch als Instrumente, sie sind dort aber nicht in Funktion (Abb. 4). Es handelt sich hierbei einerseits nach wie vor um Darstellungen gegenständlicher Fäden, zugleich aber treten 25

Hans Lencker. Perspectiva – Hierinnen auffs kürtzte beschrieben, mit Exempeln eröffnet und an Tag gegeben wird, ein neuer besonder kurtzer, doch gerechter und sehr leichter weg, wie allerley ding, es seyen Corpora, Gebew, oder was möglich zuerdencken und in Grund zulegen ist, […] in die Perspectif gebracht werden. Nürnberg, 1571. Zur Erläuterung von Lenckers Zeichenverfahren vgl. Frieß (Anm. 19), S. 84ff.

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Abb. 4: Hans Lencker. Perspectiva – Hierinnen auffs kürtzte beschrieben [...] (Nürnberg, 1571).

diese als grafische Formen zwischen andere Instrumente und die reinen Linien der Geometrie. Zwischen Gewichten und gebundenen Schlingen winden sich die Fäden hier in unregelmäßigen Schwüngen, kreuzen sich und füllen dabei Leerstellen in der Fläche der Bildtafel. Es ergeben sich spielerische Korrespondenzen zu kalligrafisch ornamentalen Elementen inmitten des Bildes und zu den virtuos ornamentierten Initialen der Textblöcke.26 Auf einer gegenständlichen Ebene sind diese Fäden nach wie vor Instrumente der perspektivischen Konstruktion. Zugleich aber sind sie nichts anderes als Linien. Als solche wiederum weisen sie eine ganz bestimmte Qualität auf, eine Qualität, die mit Geometrie und Perspektive wenig zu tun hat. 26

Gleichsam übereinander geschoben finden sich diese korrespondierenden Elemente dort, wo sich die ornamentierten Initialen des Textblocks auf der Verso-Seite in der Bildtafel durchgedrückt haben (vgl. Abb. 4, rechts oben).

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Abb. 5: Albrecht Dürer. Randzeichnungen zum Gebetbuch Kaiser Maximilians I., 1515, fol. 55v.

Gerade diese Form gewundener Linien war keine bloß dekorative Ornamentik, und sie war mehr als ein beliebiges Virtuosenstück. Mit ihr verband sich ein eigener Sinn, der sich der Geometrie entzieht und möglicherweise gerade deshalb für bildende Künstler ebenso problematisch wie unverzichtbar war. Als ein Spiel der Resonanzen und Übergänge hatte wiederum Albrecht Dürer – ohne unmittelbare Verbindung zu seinen Arbeiten zu Messung und Perspektive – auch diese Kunst der Linie auf verblüffende Weise kultiviert. An Dürers Randzeichnungen im Gebetbuch Kaiser Maximilians konnte Friedrich Teja Bach zeigen, dass in ähnlicher Weise gekringelte Linien vielfältige Resonanzen und Übergänge zwischen verschiedenen Ebenen zeichnerischer Darstellung hervorbringen (Abb. 5).27 27

Friedrich Teja Bach. Struktur und Erscheinung. Untersuchungen zu Dürers graphischer Kunst. Berlin, 1996, S. 165ff.

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So findet sich zum Beispiel auf einem dieser Blätter eine markante Ähnlichkeit in der Form zwischen abstrakten Linien auf dem oberen und einer Kampfszene auf dem unteren Rand der Seite. Der einfache Linienkringel links lässt sich exakt in die Beinstellung des sich verteidigenden Landsknechtes eintragen. Entsprechend umreißt die doppelte Windung der großen Arabeske daneben Hinterschenkel und Kruppe sowie gepanzerten Kopf und Nacken des anstürmenden Pferdes. Die Arabeskenlinien lassen sich dabei als Strukturlinien des unten stattfindenden Kampfes zwischen Landsknecht und Ritter verstehen. Sie geben sowohl charakteristische Aspekte von deren Erscheinung wieder als auch Bewegungsmomente der dargestellten Körper. In diesen Ähnlichkeitsbeziehungen sind die Arabesken aus rankenartig gewundenen Linien in hohem Grad dynamische, sich potentiell wandelnde Formengebilde. In verschiedenen Varianten metamorphotischer Zuordnungen stiften sie auf den Rändern des Gebetbuchs ein Kontinuum grafischer Darstellungsformen zwischen der Kalligrafie gedruckter Schrift, abstrakter Linie und figürlicher Darstellung. Das Formprinzip dieser abstrakten Linien sind unregelmäßige Windungen. Soweit sie dabei irgendwelche Referenzbeziehungen zur Welt der Dinge aufweisen, sind sie „Ableger“ eines vegetabilen Wachstums, das sich vor allem in solchen Pflanzenteilen zeigt, die selbst so etwas wie pflanzliche Linien sind. Im Werk Dürers bleibt diese Kunst der Linie ohne schlüssige Verbindung zu Geometrie und Perspektive. Zwar sind von ihm durchaus Versuche überliefert, auch unregelmäßig erscheinende gekrümmte Linien geometrisch herzuleiten, gleichwohl kommt den Arabesken und der geometrischen Konstruktion von Kurven ein jeweils ganz eigener Wert zu.28 Der Arabeske gehört dabei gerade in Hinblick auf ihre metamorphotischen Möglichkeiten ein eigenständiges Terrain der freien Linie. Sie ist weder eine Spielart der Geometrie noch vollkommen autonom gegenüber der Natur. Als Abstraktion von Realem steht sie einerseits in einer mimetischen Beziehung zur Erscheinung der Dinge, und sie entfaltet sich zugleich als abstrakte Form aus der Bewegung des Zeichnens. In der Konsequenz bedeutet dies, dass die darstellende Funktion von Linien schlechthin, d. h. ihr Gebrauch beim Bildermachen, sich nur sehr begrenzt aus der Geometrie und aus Verfahren wie der perspektivischen Konstruktion herleiten lässt. Wenn die Eigenständigkeit der Arabeske gegenüber der geometrischen Konstruktion bei Dürer eine Differenz zweier Modalitäten bildlicher Darstellung markiert, mit der es jeder Zeichner zu tun hat und die 28

Speziell zum Verhältnis dieser Arabesken zur Geometrie vgl. ebd., S. 279ff.

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Abb. 6: Augustin Hirschvogel, Serie von Perspektivkörpern (1549), Deckblatt.

sich nicht ohne weiteres überwinden lässt, so stellten bereits Künstler und Geometer der folgenden Generation bisweilen beide Seiten unmittelbar einander gegenüber. Ihr Nebeneinander im selben Bildraum behauptet eine Kompatibilität beider Modalitäten, wobei die direkte Nachbarschaft zugleich die Kontraste zwischen ihnen unterstreicht. 1549 zum Beispiel publizierte Augustin Hirschvogel eine Serie von Lehrtafeln, in denen Verfahren der Konstruktion mit jenen fünf platonischen Körpern verknüpft werden, die als geometrische Bilder der Elemente wiederum eine naturphilosophische bzw. ontologische Dimension der Perspektive aufscheinen lassen. Das Deckblatt dieser Serie zeigt eine Reihe einfacher und komplexerer Körper sowie einen abgestellten Zirkel, sorgfältig arrangiert auf einer gerasterten Grundfläche (Abb. 6). Wie auf einem Bühnenboden erscheint diese abstrakte „Landschaft“ eingefasst von einem Astgeflecht. Aus dessen gebogenen Zweigen scheinen einzelne Arabesken wie feine Triebe auszuschlagen. Deren Formen generierendes Wachstum steht in Variationen eines freien Spiels der Linie den geradlinig begrenzten Flächen und Volumen der perspektivisch konstruierten Körper in unvermittelter Heterogenität gegenüber.

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Abb. 7: Wenzel Jamnitzer. Perspectiva Corporum Regularium (Nürnberg, 1568), letzte Bildtafel.

Eine im wahrsten Sinne physische Verknüpfung von geometrischem Körper und belebter Linie führte wiederum der bereits erwähnte Wenzel Jamnitzer vor Augen (Abb. 7). Auch seine Perspectiva Corporum Regularium von 1568 beruht auf den fünf platonischen Körpern in ihrer Elementarsymbolik. Im gesamten ersten Teil werden diese regulären Körper in zahlreichen Variationen ausdifferenziert, bevor im zweiten Teil eine Reihe hybrider Gebilde geschaffen wird, für deren Genese die platonischen Körper nur noch die Einzelformen bereitstellen. Auf der letzten Tafel kommt nach den unermüdlichen Variationen der geometrischen Grundbausteine der Welt eine Linie ins Spiel, die das Feld der bildlichen Darstellung als solche noch einmal und in ganz andere Richtung öffnet. Hier hängen sorgfältig konstruierte Sterne an dünnen Fäden an eigens dafür vorgesehenen Gestellen. Die freien Enden dieser Fäden schwingen sich geradezu übermütig zu unregelmäßig gewundenen, weit ausgreifenden Arabesken auf. Als sollte dieses dynamische Formenspiel noch einmal kontrastiv pointiert werden, hängt ganz im Vordergrund ein weiterer Faden: Klein und geradlinig unter dem Gewicht eines Lotbleis gespannt ist dieser Faden – gewissermaßen in Demut – ganz Instrument.

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Linien zwischen Geometrie und Naturform Angesichts dieser Beobachtungen stellt sich die Frage, inwiefern sich der Status und spezifische Sinn der unregelmäßig gewundenen Linie im Verhältnis zu den Elementen der Konstruktion präzisieren lässt. War sie tatsächlich systematisch kompatibel mit der Geometrie und, wenn ja, auf welche Weise? Eine deutliche Antwort auf diese Frage gibt Jean Cousin d. Ä. in seinem Livre de Perspective von 1560 (Abb. 8). Auf der ersten Bildtafel werden elementare Bestandteile der Geometrie und der perspektivischen Konstruktion vor den Augen des Lesers ausgebreitet, parallel dazu im Text kurz beschrieben und definiert: Von einfachen Linien und deren Lage über Relationen, in denen Linien zueinander stehen können, bis hin zu einfachen Flächen und Körpern. Dabei impliziert die Abfolge ein Voranschreiten von Relationen in der Fläche zu räumlichen Figuren. Im Zentrum des Bildfeldes, mit dem Index „H“ versehen, findet sich eine Linie mit auffällig unregelmäßiger Form. Auf den ersten Blick erscheint sie als unvermittelbar fremd im Umkreis der geometrischen Figuren. Gerade in dieser Eigenschaft weist ihr der Text jedoch einen Sinn zu, der ihre zentrale Position in dem Bildfeld voll und ganz rechtfertigt. Die kurze Definition bezeichnet diese Linie als „ligne Spirale & tortue“, die sowohl in der Natur als auch als künstliche Linie vorkommen kann.29 Abschließend bemerkt der Text, dass sie sich in perspektivischer Darstellung sehr verändern kann und dass gleichwohl aus ihr die festen Körper bestehen. Damit kommt gerade dieser Linie ein besonderer Status zu: Sie ist sowohl Form der Natur als auch Element der Kunst. In diesem Changieren und dank ihrer Veränderbarkeit ist sie dabei genau das, woraus alle Dinge, als Sujets von Bildern, geformt werden. Dieses gleichsam naturalistische Konzept der Linie mag bei einem Perspektiv- und Architekturtheoretiker wie Cousin befremdlich erscheinen. Gleichwohl ist lediglich die explizite Einbettung dieser Linie in die Grundlagen der Geometrie ein Sonderfall. Die Art der mimetischen Beziehung zwischen Linie und physischer Welt, die dabei deutlich wird, ist Zeichnern des 16. Jahrhunderts durchaus vertraut gewesen. Im Kern geht es dabei um eine unmittelbare, bereits in den sichtba29

„H. est une ligne Spirale & tortue, laquelle peut advenir tant naturellement qu’

artificiellement, & se peut reduire en cest Art de Perspective; & fussent mesmes les corps solides.“ Jean Cousin d. Ä. Livre de Perspective. Paris, 1560, o. P.

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Abb. 8: Jean Cousin d. Ä. Livre de Perspective (Paris, 1560).

ren Formen und in den Möglichkeiten der Natur liegende direkte Ähnlichkeitsbeziehung zwischen den Dingen und deren Darstellung im Bild. Gerade indem sie anderen Prinzipien folgt als denen der geometrischen Konstruktion, kann die unregelmäßig gekrümmte, bewegliche Linie diese Ähnlichkeit auf einer zugleich konkreten und abstrakten Ebene verkörpern bzw. Träger dieser Ähnlichkeit sein.30 Dass Cousin – im 30

Dabei zielt diese Ähnlichkeitsbeziehung weder zwangsläufig auf ein tatsächliches Vorkommen der Linie in der Natur – wie Cousins Definition vermuten lässt –, noch ist sie eingeschränkt auf eine Ähnlichkeit zwischen Linien und sichtbaren Formen und Konturen der Dinge. Über die einzelne Linie hinaus schließt sie vielmehr das Zeichnen als Praxis und imaginären Prozess in Hinblick auf ein mimetisches Verhältnis von Kunst und Natur mit ein. So zum Beispiel in der viel zitierten Passage im so genannten Großen Ästhetischen Exkurs: „Dann wahrhaftig steckt die Kunst in der Natur, wer sie heraus kann reissen, der hat sie.“ Im Verb „reissen“ überlagern sich bei Dürer der Aspekt des Entnehmens als ein gezieltes Auswählen und der geläufige Gebrauch des Wortes für die Tätigkeit des Zeichnens. Im Textzusammenhang dieser Stelle verknüpft der Autor in didaktischer Absicht ein mimetisches Verhältnis zur Natur mit einem freien Arbeiten aus einer

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Unterschied zu Dürer – diese Linie zu den geometrischen Elementen seiner Perspektive zählt, ist vor allem als ein Versuch der Integration zu verstehen, als ein Versuch jedoch, der erneut das prekäre Verhältnis dieser Art von Linie zur Geometrie deutlich werden lässt. Den geometrischen Verfahren der Konstruktion bleibt diese Linie auch bei ihm äußerlich; dennoch ist sie für das Bildermachen als Darstellung von etwas unerlässlich. Angesichts dieser Bildtradition unregelmäßig gewundener Linien einerseits und dem Faden als Instrument der Konstruktion andererseits wird deutlich, dass Abraham Bosse in seinen Bildtafeln explizit beide Stränge zu einer Synthese brachte. Gleichwohl ist es sehr unwahrscheinlich, dass diese Synthese beide Traditionen ungebrochen fortsetzte. Insbesondere jene hohe Autorität, die der frei gezogenen, sich windenden Linie als zugleich naturgegebenem und abstraktem Element der Darstellung im 16. Jahrhundert zukam, war für Abraham Bosse zumindest nicht mehr theoretisch als jenes darstellerische Mittel tragfähig, von dem sich ein Wahrheitsanspruch des Bildes herleiten ließ. Die sich schlängelnden Faden-Enden in seiner Bildtafel (Abb. 1) demonstrieren einen singulären Modus der Darstellung: Ihre gewundenen Linien sind Fremdkörper in einem zwar nur sparsam angedeuteten, aber bereits perspektivisch durchkonstruierten Bildraum. Das Einzige, womit sie – im Sinne visueller Ähnlichkeit – korrespondieren, sind die von praktischer Erfahrung gespeisten, produktiven Imagination. Zit. n. Albrecht Dürer. Schriftlicher Nachlass. Eine Auswahl. Hg., Vorw. u. Anm. v. Hubert Faensen. Berlin, 1963, S. 199. Die Vorstellung, dass sich in den Naturformen ein zeichnerisch entwickelter Plan und ein Prozess der Zeichnung manifestiere, findet sich zudem in der Disegno-Theorie Federico Zuccaros. Der Akzent beim disegno naturale, als ein Bereich des disegno esterno, liegt dabei auf der theologischen Prämisse, dass sich in jener sichtbaren Natur, die dem Künstler zum Vorbild wird, der wiederum zeichnerisch-figurativ gedachte göttliche Plan, das disegno interno divino realisiert habe. Federico Zuccaro. „L’idea de’ pittori, scultori, et architetti. Divisa in due libri“ [Turin, 1607]. Scritti d’arte. Hg. v. Detlef Heikamp. Florenz, 1961, S. 225. Äußerst vielfältig sind die Relationen zwischen der Linie und der Außenwelt bei Leonardo. Einerseits leugnet er explizit das Vorkommen von Linien als Umrissen von Dingen in der Natur, zugleich bleiben Linien für den Zeichner unerlässliche visuelle Indikatoren der Begrenzungen von Dingen. Darüber hinaus ist gerade bei Leonardo die Verwendung der Linie zur Darstellung verschiedener Formen bzw. Typen von Bewegung markant. Mit weiteren Hinweisen auf die umfangreiche Literatur vgl. Janis C. Bell. „Sfumato, Linien und Natur“. Leonardo da Vinci. Natur im Übergang. Beiträge zu Wissenschaft, Kunst und Technik. Hg. v. Frank Fehrenbach. München, 2002, S. 229-256 und Martin Kemp. „Die Zeichen lesen. Zur graphischen Darstellung von physischer und mentaler Bewegung in den Manuskripten Leonardos“. Ebd., S. 207-228.

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Haare der Kavaliere. Alle anderen Sujets sind in deutlich anderen Linien gebildet. In einem anderen Zusammenhang hat Bosse einige Jahre nach Erscheinen der Manière Universelle denn auch das Zusammenfallen von Naturform und Darstellungsmittel in der Linie explizit als Sonderfall und Ausnahme bezeichnet. Allein in diesen besonderen Fällen geben die Dinge von sich aus dem Künstler die Art und Weise in die Hand, wie sie darzustellen und zu stechen sind. An erster Stelle jener Referenzobjekte, auf die dieser Sonderfall zutrifft, wird der menschliche Haarschopf genannt.31 Sicher, das Problem, das Bosse hier berührt, ist ein sehr allgemeines Problem jeder Zeichnung und jeder grafischen Technik – zumindest solange die Linie deren Grundlage ist. Für jeden Körper und für jede Oberfläche, die nicht von sich aus gewissermaßen schon aus Linien besteht, muss eine grafische Umsetzung erfunden werden. Sie muss ausreichend Differenzierungsmöglichkeiten bieten, um mit ihren Mitteln einen ähnlichen Anblick erzeugen zu können, wie die Objekte ihn selbst evozieren. Und doch ist das, was der Künstler dabei ausführt, nichts anderes als eine Erfindung, eine komplette Neuerschaffung des Objekts aus Linien und Schraffuren. Wenn Bosse mit den gewundenen FadenLinien neben deren instrumentellem Sinn auch an eine Tradition der künstlerischen Reflexion über die Linie anknüpft, in der diese Träger einer direkten Ähnlichkeitsbeziehung zwischen Kunst und Natur waren, dann steht dies zumindest in einem auffälligen Kontrast zu seiner eigenen breiten grafischen Praxis und zu einer explizit formulierten Skepsis gegenüber genau diesem theoretisch-praktischen Wert der Linie. Es ist mithin zu vermuten, dass der Sinn dieser Linien auf den ersten Tafeln der Manière Universelle neu akzentuiert wird. Perspektive als Handarbeit? Bosses Spiel mit den Fäden beginnt nicht erst auf der so gern gezeigten zweiten Tafel seiner Manière Universelle. Es wird bereits auf der ersten Bildtafel initiiert, und die ist weitgehend unbekannt (Abb. 9). Das Erstaunliche an dieser Tafel ist, dass in ihr das Auge eines Betrachters und damit der für jede perspektivische Konstruktion übliche Ausgangspunkt noch gar nicht vorkommt. Es sind drei isolierte Hände mit Manschetten, die an den erwähnten Fäden jeweils eine viereckige Flächenfigur halten. 31

Abraham Bosse. Moyen universel de pratiquer la perspective sur les tableaux, ou Surfaces Irrégulières [...]. Paris, 1653, S. 36f.

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Abb. 9: Abraham Bosse. Manière Universelle de Mr. Desargues, pour pratiquer la Perspective par petit-pied [...] (Paris, 1648), Bildtafel 1.

Mit dieser Tafel akzentuiert Abraham Bosse seine Methode der Konstruktion auf sehr ungewöhnliche Weise. Was im Folgenden zur Sehpyramide wird, ist hier noch gleichsam reines Hantieren. Passend zu dem, was die Tafel zeigt, empfiehlt der Text dem Leser denn auch eine eher haptische Übung, in der das Auge als Bezugspunkt noch keine Rolle spielt. Dabei sollen viereckige Flächen aus einem bestimmten Material und von einem gewissen Gewicht mit Fäden an jeder Ecke, an verschiedenen Orten und in verschiedenen Positionen platziert werden. Es ist allein die Hand, die daraufhin die Fäden straffen und mit den gespannten Fäden sukzessive möglichst viele verschiedene Positionen zum Gegenstand einnehmen soll. Das Sehen kommt erst insofern ins Spiel, als Bosse den Leser beauftragt, bei diesem Experiment besonders die Stellung der gestrafften Fäden zueinander sowie den Raum, den sie einschließen, und dessen Veränderungen zu beobachten.32 Auf 32

„Ayez une forme de Carreau plat b c d f, de quelque matiere ferme et pesante, at-

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dieser Ausgangsebene stellen sie als physisch vorhandene und variable geometrische Körper Lagebeziehungen dar zwischen einem Objekt und dem Körper, genauer gesagt der Hand eines künftigen Betrachters. Alle drei – und erst jetzt wird dieser Akzent im Szenarium der zweiten Tafel deutlich (Abb. 1) – befinden sich in ein und demselben physikalischen Raum. Dabei zeigt der Stich noch etwas, was der Text nicht sagt: Die erste Tafel ist die einzige des Buches, die ohne einen Rahmen auskommt. Auf einer Metaebene der eigentlichen Perspektivlehre wird deren Anfang somit in einen Raum verlegt, der konsequenterweise selbst noch nicht in jenem festgelegten Tableau dargestellt wird, als das alle folgenden Kupferstiche eindeutig definiert sind. Die in verschiedene Richtungen ausgelegten Vierecke, die Hände, die sie halten, und die besonders langen und schwungvollen Faden-Enden sind in diesem Fall vor allem Instrumente der Konstitution einer räumlichen Beziehung, die jedem Bildraum zeitlich vorangeht und die allein durch das Hantieren mit den Objekten definiert und variiert wird. Die auf diese Weise hergestellten Lagebeziehungen sind jene primären Situationen, die erst im weiteren Ablauf messend erfasst und im Zuge der Konstruktion regelgerecht systematisch ausgebaut werden. Noch außerhalb festgelegter Bildgrenzen demonstriert und reflektiert diese erste Tafel auf sehr originelle Weise den meist ausgeblendeten Aspekt, dass es immer eine situative Relation und eine Art Interaktion mit den Dingen ist, auf denen jenes optisch-geometrisch variable Konstrukt beruht, mit dem die Linearperspektive seit Alberti arbeitet. Mit Blick auf diese ersten Tafeln bei Bosse dürfte es denn auch kein Zufall sein, dass im unmittelbaren Umfeld seiner Manière Universelle das Hantieren mit Fäden, die zugleich Instrumente der Konstruktion sind und als frei bewegliche Linien im Bildraum mäandern, gerade dort zu finden ist, wo die Konstruktion des Bildes in Hinblick auf extreme Verzerrungen der üblichen Situation zwischen Betrachter und Bildobertachez y au quatre coins quatre filets souples & deliez, plutost longs que courts b0, c0 d0, f0; puis le mettez en lieu qu’il ne puisse bouger d’une place, à terre, contre un mur, ou tenant au plancher; puis prenez ces quatres filets ensemble entre vos doigts comme vous voyez, & les faisant tenir chaqun tendu toûsjours en ligne droite; portez vostre main çà & là de tous costez, haut & bas à la entour de ce Carreau, comme les figures monstrent; & à mesure que vous porterez ainsi la main d’un & d’autre costé, regardez l’ordre ou l’arrangement que ces filets gardent ensemble, & considerez le ieu qu’ils font entr’eux, & les diverses formes qu’ils prennent en s’approchant ou s’escartant l’un de l’autre. La planche suivante acheve de monstrer ce que vous devez faire apres.“ Bosse, Manière (Anm. 5), S. 59f.

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Abb. 10: Jean-François Nicéron. Thaumaturgus opticus, seu Admiranda optices per radium directum [...] (Paris, 1646), Bildtafel LXVI/LXVII.

fläche realisiert werden soll (Abb. 10). Auf einer Doppeltafel des 1646 erschienenen Thaumaturgus opticus von Jean-François Nicéron wird die Anamorphose eines Gemäldes als Fresko auf der Wand eines Raumes konstruiert. Der rechte der beiden Akteure (oben) markiert dabei jenen Blickpunkt, von dem aus sich quer durch die Breite des Raumes dem künftigen Betrachter das Fresko erschließen soll. Sein Auge befindet sich an der Spitze der Sehpyramide; in ihm laufen die gespannten Fäden in ihren je verschiedenen Positionen zusammen. Auf der anderen Seite ist jemand damit beschäftigt, das Bild in einer bizarr erscheinenden Anordnung aller Elemente und Details auf der Wandfläche einzutragen. Auf dieser Seite windet sich das Ende des Fadens demonstrativ, frei von jeder Funktion und in deutlicher Korrespondenz zu den verzerrten Konturen der auf der Wand angelegten Darstellung, in unregelmäßigen Krümmungen durch den Raum. Der Faden verbindet hier in seinem doppelten Sinn als Instrument und als Modalität der Linie die Konstruktion des Bildes mit einer notwendigen Bewegung des Betrachters im Raum – notwendig, insofern sich die bloßen, in Frontalansicht ihrem Referenzobjekt unähnlichen Linienzüge auf der Wand nur in der Bewegung zu einem erkennbaren Bild zusammenfügen.

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Dimensionen des Experimentellen Vor dem Hintergrund der skizzierten Bildtraditionen treten zwei Aspekte bei Bosse besonders markant hervor: die Spezifik seines Ausgangspunktes als Experimentalsituation und Momente einer eigenständigen Theorie der Linie und deren praktische Implikationen. Die zentralperspektivische Konstruktion als experimentelles Verfahren zu verstehen, ist keineswegs neu.33 In der Manière Universelle wird dieser Aspekt jedoch in zwei Richtungen vertieft und erweitert. Zum einen ist die Vehemenz erstaunlich, mit der das geometrische Regelsystem als Verfahren der Bildkonstruktion mit einer analytischen Ebene verknüpft wird. In den ersten Tafeln geht es um die Klärung von Lagebeziehungen als jenen Umständen, von denen die Erkenntnis der Dinge abhängt. Diese Erkenntnis ist wiederum unerlässlich für die richtige bildliche Darstellung der Dinge, dem eigentlichen Anliegen des Autors.34 Die Bildtafeln und die Aufforderung zur selbstständigen Realisierung, Variation und Beobachtung dieser Bedingungen visueller Wahrnehmung eröffnet einen Raum für „kollektive Experimente“, in denen räumliche Beziehungen als jeweils konkrete Bedingungen der Dingerkenntnis selbst zum Gegenstand der Reflexion werden.35 Gerade in Hinblick auf den instrumentellen bzw. demonstrativen Gebrauch von Fäden setzt Bosse in seinen Eingangstafeln dabei eine Zäsur. Von Dürers Zeichner der Laute (Abb. 2) bis zu Nicérons Anamorphose-Maschine (Abb. 10) beruhte dieser Gebrauch der Fäden und dessen Ikonografie auf einer ebenso einfachen wie faszinierenden Operation: In all diesen Fällen verkörpert sich die Sehpyramide in einer Apparatur, die zugleich das Modell eines optisch-geometrischen Re33

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Aus den vielen Publikationen zum Thema, in denen dieser Aspekt erwähnt wird, sei hier lediglich auf Edgertons Analyse der Erfindung der Linearperspektive durch Filippo Brunelleschi hingewiesen, wo der Aspekt des Experimentellen auch für die historische Interpretation von besonderem heuristischem Wert ist. Vgl. Edgerton (Anm. 19), S. 113-137. Dies gilt auch, wenn das Sehen und das Bildermachen von Bosse nicht schlechthin und generell als kongruent verstanden werden. Vgl. hierzu den von mir verfassten Abschnitt zur Druckgrafik bei Bosse und in seiner Umgebung in Karin Leonhard u. Robert Felfe. Lochmuster und Linienspiel. Überlegungen zur Druckgrafik des 17. Jahrhunderts. Freiburg, 2006. Vgl. jene „kollektiven Experimente“, die Ludger Schwarte durch Descartes’ Philosophie bzw. seine Publikationen sowie in dem von Charles Perrault konzipierten Observatoriumsgebäude initiiert sieht. Ludger Schwarte. „Anatomische Theater als experimentelle Räume“. Kunstkammer, Laboratorium, Bühne. Schauplätze des Wissens im 17. Jahrhundert. Hg. v. Helmar Schramm, Ludger Schwarte u. Jan Lazardzig. Berlin u. New York, 2003, S. 75-102.

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gelwerks und ein räumlich-instrumentelles Gefüge darstellt, in dem der Zeichner agiert. Die Fäden sind dabei nicht nur Verkörperungen der Sehstrahlen, sondern sie sind für die Bewegungen des Zeichners im wahrsten Sinne bindend. An ihnen wird einerseits das Auge fixiert, und es werden im Dienste der korrekten Übertragung von Formen die Bewegungen der ausführenden Hand gesteuert. Im Gebrauch dieser Apparaturen findet mithin eine weit gehende Verschmelzung von Maschine und Zeichner statt, wobei der unmittelbare Vorgang des Zeichnens sich auf die Notation und Weiterverarbeitung maschinell gewonnener Daten beschränkt. Die Art und Weise, wie Bosse die Sehpyramide einführt, knüpft an diese Synthese mit der Maschine an und bricht zugleich mit ihr. Indem die Sehpyramide, vom Auge abgekoppelt, selbst zum Gegenstand der Betrachtung und der freien Variationen wird, ist auch der Betrachter zunächst frei von einer visuell-mechanischen Bindung an die Gegenstände. Die erste Bildtafel setzt mit ihrem Experiment einen Erkenntnisprozess in Gang, der darauf beruht, die Beziehung zwischen Subjekt und Objekt selbst weit gehend zu objektivieren. Ein Aspekt dieser Objektivierung ist die beliebig vielfältige und doch gezielt durchzuführende Variation dieser Beziehung. Auf einer zugleich konkreten und abstrakten Ebene realisiert der beflissene Leser, wenn er den Anweisungen des Autors folgt, in diesen Variationen jene Differenzen, die nach Hans-Jörg Rheinberger bei allen a priori gegebenen Zurichtungen und technischen Konstanten eines Experimentalsystems gleichwohl eine gewisse Erkenntnisoffenheit ermöglichen.36 In dieser Offenheit wird zugleich – und auch dies geschieht maßgeblich über das Bild – die Autorität des Experimentierenden gesetzt. Die Hände des Akteurs greifen eine Ikonografie auf, die häufig in der bildlichen Darstellung von Experimenten zu finden ist und auf bestimmte Details der Apparatur oder auf Vorgänge hinweist. Darüber hinaus sind diese Hände entpersonalisierte Garanten wirkender Gesetzeszusammenhänge oder steuernder Eingriffe. In ihrer Entstehung weist diese Ikonografie der Hände deutliche Anklänge an eine Emblematik auf, in deren Rahmen sich in den Händen vielfach unmittelbar göttliches Gesetz und göttlicher Wille verkörperten. Der dezidierte Experimentalcharakter, wie ihn die ersten Bildtafeln der Manière Universelle evozieren, kommt zudem auf einer viel umfassenderen Ebene von Bosses Regelwerk zum Tragen. In der Vorrede 36

Vgl. Hans-Jörg Rheinberger. Experiment, Differenz, Schrift. Zur Geschichte epistemischer Dinge. Marburg, 1992, bes. S. 26ff. u. S. 69ff.

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entwickelt der Autor so etwas wie eine allgemeine Theorie praktischer Tätigkeiten. Der unmittelbare Bezug sind solche Künste, die per Hand ausgeführt werden. Zugleich wird in dieser Passage jedoch ein wirklich universeller Rahmen in Hinblick auf jede menschliche Arbeit eröffnet, sofern sie eine physisch ausführende Seite hat. Zuerst gelte es, so der Autor, drei Dinge zu unterscheiden und sich in Bezug auf jedes einzelne Klarheit zu verschaffen: 1. hinsichtlich dessen, was gemacht, im Sinne von ausgeführt, werden soll, 2. in Hinblick auf die dazu notwendigen Mittel und 3. in Hinblick auf eine effektive Ausführung. Punkt eins – das „Was?“ – ist schnell geklärt: Es ist eine Frage der eigenen Wahl oder des Auftrags. Mit dieser schnellen Abfertigung übergeht der Autor recht zügig einige zentrale kunsttheoretische Begriffe, wie den der Invention, des Geschmacks und der Schönheit. Das eigentliche Interesse richtet sich auf eine systematische bzw. didaktische Verschränkung der Aspekte 2 und 3, d. h. der praktischen Mittel einer Kunst mit deren effektiver Ausführung. Wie die meisten Perspektivtraktate, so will auch die Manière Universelle ein gut handhabbares Regelwerk für die richtige Konstruktion sein. Das Korpus dieser klar definierten Regeln und Methoden aber ist bei Bosse eingebettet in eine Praxis, die notwendigerweise mehr umfasst als die Anwendung und Realisierung der Regeln selbst. So werden in Hinblick auf die Mittel der Ausführung – neben jenen unfehlbaren, präzisen, die aus dem Raisonnement herrühren – auch solche Mittel erwähnt, die aus einer wörtlich „tastenden, herumtappenden Suche“ gewonnen werden.37 Ohne Zweifel, soweit vorhanden, sind vorzugsweise Erstere zu gebrauchen. Allein sie gewährleisten eine sichere Ausführung, ihre Erarbeitung und Vermittlung sind ein zentrales Anliegen des Autors. Dabei galten jedoch offenbar auch von Zufällen abhängige, stets von Irrtümern bedrohte „trial and error“37

„Outre ce que dessus, l’on se sert il y a long-temps de deux façons de proceder à faire la representation, autrement le pourtraict de quoy que ce soit. Je veux dire qu’entre ceux qui se meslent de pratiquer la Pourtraicture, il y a deux façons d’y proceder lesquelles paroissent assez differentes. L’une est à force de chercher en tastónant à la vue du Naturel, sans autre conduite ou regle de l’oeil, (qui est extremement sujet à se tromper) & sans sçavoir la raison demonstrative de l’effect que l’ouvrage pourra faire aprés estre achevé, laquelle façon est celle qu’on nomme de Pratique. L’autre est en travaillant par regle, avec une conduite & conoissance de quelque sorte de cause ou raison de l’effect qu’aura l’ouvrage: Et qui est celle qu’on nomme travailler en Perspective, ou bien par les regles de la perspective.“ Bosse, Manière (Anm. 5), S. 21f.

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Verfahren als bisweilen unverzichtbar. Sie kommen an den Rändern des Wissens und der gesicherten Methoden zum Einsatz, und zwangsläufig assoziiert man als Organ dieser tastenden Suche die Hand.38 Auf dem Feld der darstellerischen Praxis – und vor allem darauf zielt die Manière Universelle – gerät das durchaus als hierarchisch beschriebene Verhältnis verschiedener Wissensformen nachhaltig in Bewegung. Die Suche nach Mitteln führt zu verschiedenen Arten des Umgangs mit den Regeln selbst, einschließlich der Erfindung von Regeln als dem eigentlichen Bereich der Theorie. Im Laufe des Textes äußert sich Bosse gegen die absolute Superiorität theoretischer Fähigkeiten gegenüber praktischen, und er öffnet damit unter der Hand die Theorie für mögliche Modifizierungen durch die praktische Arbeit. Diese Aufweichung der Grenze zwischen Theorie und Praxis wird flankiert von der bereits angedeuteten demonstrativen Marginalisierung traditioneller kunsttheoretischer Kategorien sowie der mehrfachen Betonung, wie wichtig eine lange und permanente Einübung der ausführenden Operationen der Hand sei.39 Im Rahmen seiner Vorrede formuliert Bosse für die von ihm angewandte Perspektive somit implizit den Anspruch, dass eine Praxis des Bildermachens, die bei der taktilen Interaktion mit ihren Objekten und einer experimentellen Analyse der Sehpyramide ansetzt, in der Lage sei, nicht nur die regelgerechte Ausführung von Werken zu garantieren, sondern selbst theoriebildend zu wirken. In seiner Verbindung von theoretischem Wissen mit der praktischen Arbeit ging Bosse weit über jene Methode der Konstruktion an sich hinaus, die er von dem Ingenieur Girard Desargues übernommen hatte.40 Der darin enthaltene Anspruch dürfte mit dafür gesorgt haben, dass sich der Perspektiv-Streit schließlich um die Person Abraham Bosses zuspitzte. Er hatte ihn in die noch junge Akademie getragen, und das Scheitern seines Versuchs, einen Wahrheitsanspruch von Bildwerken 38

39 40

Dabei mögen sich Konzepte der visuellen Wahrnehmung analog zum Tasten der Hand – etwa bei Descartes – aufdrängen. Indessen wird die Frage, inwiefern auch in den Fadenspielen aus Bosses Perspektive eine Art Sehen mit der Hand als Form der Orientierung mitschwingt, allenfalls in jener historisch-anthropologischen Hinsicht sinnvoll sein, in der Brusatin Linie und Faden in einer Dialektik bindender und lösender Kräfte und Techniken verbunden sieht. Vgl. Manlio Brusatin. Geschichte der Linien. Berlin, 2003, hier bes. S. 19-37. „[O]perations actuelles de la main“. Bosse, Manière (Anm. 5), S. 2. Desargues war nach Bosses eigenen Aussagen kaum mit der handwerklichen Praxis bildlicher Darstellung vertraut und eher auf einer rein theoretischen Ebene an mathematisch-geometrischen Problemen interessiert. Als er 1636 sein Verfahren erstmals publizierte, reagierten denn auch primär Mathematiker mit teils heftiger Kritik.

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im Lehrbetrieb der Akademie zu etablieren, der auf der strikten Anwendung eines experimentell begründeten Regelwerkes beruht, geht unmittelbar jener eminent wichtigen politischen Rolle dieser Institution voraus, wie sie sich vor allem in den 60er Jahren des 17. Jahrhunderts herauskristallisierte.41 Sein Wirken an der Akademie kam zunächst durchaus dem dortigen Bestreben nach einer theoretischen Konsolidierung der Ausbildung entgegen. Dem Gesamtzusammenhang entzog sich seine Kunst der pourtraicture jedoch auf einer ganz basalen Ebene den zunehmend deutlicher werdenden Intentionen und Aufgaben dieser Institution, auch wenn diese durchaus kein homogenes Gebilde war. Die absolute Vorrangstellung, die er seiner manière universelle gegenüber allen anderen Aspekten bildender Kunst einräumte – etwa Problemen der Anatomie und Proportion, der Architektur und Historie –, hebelte per se das hierarchische Gefüge der Gattungen aus.42 Die gattungshierarchische Priorität der Historie im System der Kunst war im Sinne der Repräsentation absolutistischer Herrschaft jedoch unerlässlich. Noch einmal die Linie Mit Blick auf den Anspruch der Manière Universelle, ihr Umfeld und die skizzierten Traditionen stellt sich noch einmal die Frage nach der Linie – insbesondere der unregelmäßig gewundenen Faden-Linie. Welche Rolle spielt sie, oder was ist sie eigentlich im Rahmen von Bosses Perspektivlehre, verstanden als Experimentalsystem? Der mehrfache bzw. changierende Sinn dieser Linie lässt sich in vier Aspekte auffächern, von denen sich jeweils zwei überlagern. So sind die gespannten Fäden einerseits als tatsächliche Fäden materielle Instrumente, und sie sind als Linien Elemente der geometrischen Konstruktion. In beiden Fällen stellen sie dabei Sehstrahlen dar. Die gewundenen Faden-Enden sind frei von diesen Funktionen. In ihnen zeigt die Grafik den bloßen Gegenstand in einer zufälligen und flüchtigen 41

42

Vgl. Jutta Held. Französische Kunsttheorie des 17. Jahrhunderts und der absolutistische Staat. Le Brun und die ersten acht Vorlesungen der königlichen Akademie. Berlin 2001; zu André Félibien, einem Schüler Bosses, der in zunehmender Opposition zu diesem zu einer der intellektuellen Schlüsselfiguren in den kunsttheoretischen Debatten an der Akademie wurde, vgl. Stefan Germer. Kunst – Macht – Diskurs. Die intellektuelle Karriere des André Félibien im Frankreich von Louis XIV. München, 1997, hier bes. S. 119ff. So am Ende der Vorrede der Manière Universelle. Vgl. Bosse, Manière (Anm. 5), S. 18.

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Gestalt an, und zugleich kommt hier eine bestimmte Qualität der Linie ins Spiel. Diese bewegte Linie war – zumindest im 16. Jahrhundert – zugleich abstrakt und Form bildend, Teil der Natur und Element der Kunst. In seinen Faden-Linien brachte Bosse diese Aspekte demonstrativ zusammen. Changierend zwischen dem Gegenstand „Faden“, den sie darstellen, und verschiedenen Werten der Linie, durchlaufen sie dabei den Prozess der bildlichen Darstellung nach den Regeln der Perspektive: von der Positionierung zum Gegenstand, über dessen messende Analyse und die geometrischen Mittel der Bildkonstruktion, bis zur bewegten Linie als Mittel der Darstellung auch irregulär geformter Objekte. Genau hier lag jedoch – wie bereits erwähnt – für einen Grafiker und Autor mit Bosses Anspruch auf theoretische Durchdringung der Praxis ein Problem bzw. eine große Herausforderung. Wenn die Linie nur in wenigen Fällen unmittelbar eine Ähnlichkeit zwischen den visuellen Eindrücken angesichts des Objekts und seiner Darstellung zu stiften vermag, dann markiert auch die gewundene Linie eher eine theoretische Leerstelle, deren Besetzung jedoch wichtig ist. Es kann hier lediglich darauf hingewiesen werden, in welche Richtung Bosse die Linie neu konzipierte, nachdem sie von ihrer Rolle als Trägerin einer Formähnlichkeit in Hinblick auf Natur weitgehend freigestellt war. Zum einen fing er das Problem auf im Konzept eines zweifachen Sehens. Danach seien die Wahrnehmung von Konturen, Ausdehnung und Lagebeziehungen zu unterscheiden von der Wahrnehmung von Tonwerten und Farben, auch wenn beide simultan und über dieselben Sehstrahlen erfolgten. Dieser letzte Wahrnehmungsbereich ist nun das Feld der eigentlichen Vollendung der Kunst der pourtraicture. Folgerichtig nehmen auch Versuche zur Messung und die differenzierte Modulierung von Tonwerten in der Grafik eine wichtige Stelle in Bosses Publikationen ein. Dabei wird nun die Linie – insbesondere als Element strikt regulierter Schraffursysteme – zum Träger einer Wahrheit des Bildes, die sich erst in den Tonwerten der Körperoberflächen realisiert. Diesen Wert der Linie als grafisches Faktum und Element der Darstellung auch theoretisch zu begründen, gelingt Bosse wiederum maßgeblich in einigen erstaunlichen Experimenten – gegenständlich ausgeführt oder in Form reiner Gedankenexperimente.43 Dennoch hatte die einzelne Linie in ihrem Form beschreibenden Potential nicht schlechthin jegliche Relevanz verloren. Für den Prozess 43

Zu diesen Operationen von Bosse (mit entsprechenden Textauszügen) vgl. die entsprechenden Kapitel des Autors in Leonhard u. Felfe (Anm. 34).

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Abb. 11: Abraham Bosse. Traité des Manières de graver en taille douce sur l’airin [...] (Paris, 1645), Bildtafel 10, Detail.

des Bildermachens war sie unerlässlich, und es scheint, als wäre sie gerade in ihrer doppelten Freiheit – gegenüber der Geometrie und gegenüber der Naturform – insbesondere für den Kupferstecher Abraham Bosse geradezu ein Sinnbild seiner Kunst der Linie geblieben. Ohne irgendeinen Kommentar zu ihrer Verlaufsform findet sich eine einzelne unregelmäßig gewundene Linie an markanter Stelle in seinem Handbuch für den Grafiker (Abb. 11).44 In dieser praktischen Anleitung für die Techniken von Kupferstich und Radierung ist sie Beispiel einer optimalen Handhabung der Werkzeuge und der Kupferplatte. Wie von selbst, so scheint es, entsteht hier eine sich windende Linie, wenn der Grabstichel, richtig geschliffen und zugeschnitten, von der Hand frei und flüssig geführt wird. Das einzige Formmerkmal, das im Text zu dieser Darstellung erwähnt wird, betrifft die Leichtigkeit, mit der in diesem Idealfall das An- und Abschwellen der Linie gesteuert werden kann. Dies ist aber genau jene Qualität der Linie, die es ermöglicht, die Sujets eines Bildes nicht primär aus Konturen, sondern aus den Tonwerten ihrer Oberflächen zu erschaffen. Bild und Text verleihen der Linie hier eine unlösbare Doppelgestalt. Die Linie im Bild steht Dürers Arabesken als 44

Abraham Bosse. Traité des Manières de graver en taille douce sur l’airin [...]. Paris, 1645.

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abstrakter Formbewegung in Analogie zur Natur nahe, während im Text die Qualität der gelungenen Linie aus ihren Hell-Dunkel-Effekten neu begründet wird. Auffällig nüchtern begründet Bosse dieses Vermögen der grafischen Linie vollständig in einem virtuosen Können der Hand, derselben Hand, die in der ersten Tafel der Manière Universelle mit taktiler Sensibilität die Faden-Modelle der Sehpyramide variiert. Wie wenig selbstverständlich dieser Umgang mit einer traditionell hochgradig aufgeladenen Linie um die Mitte des 17. Jahrhunderts war, lässt ein Stich im Werk eines berühmten Kollegen von Bosse erkennen.45 Ebenfalls ohne Erklärung, aber recht bedeutungsvoll hat Sébastien Le Clerc die gewundene Linie in seiner handlichen Pratique de la géométrie von 1669 inszeniert.46 Wie einst Jean Cousin d. Ä. ordnet Le Clerc sie den Grundelementen der Geometrie zu. Zunächst den gekrümmten Linien schlechthin subsumiert, erscheint sie dann auf einer weiteren Tafel zusammen mit unendlichen und punktierten Linien ohne Index und Kommentar (Abb. 12). Aus der Bildtafel selbst lässt sich dennoch ersehen, dass diese Linie noch immer eine Schlüsselrolle spielt. Nicht nur, dass der kleine Putto oder Genius gerade auf diese Linie hindeutet – er berührt sie beinahe mit dem Finger, ebenso wie den Schatten seiner eigenen Hand auf der Bildfläche. Am Rande der Geometrie, und während alle Instrumente ruhen, werden somit die Welt außerhalb des Bildes und die wesentlichen Elemente der bildlichen Darstellung in ganz pragmatischem und zugleich allegorischem Sinne zusammengeführt. Dabei bleibt in diesem Gestus zunächst auch die unaufhebbare Differenz sichtbar. Zur Darstellung zumal belebter Körper bedarf es des Zusammentreffens der unregelmäßig geschwungenen, bewegten Linie als potentiell Form beschreibendem Element. Erst Licht und Schatten jedoch verleihen den in Konturen erfassten Formen Plastizität. Einerseits bleibt die Grenze zwischen bildlicher Darstellung und physischer Welt bestehen, da es im Zeigegestus nur fast zur Berührung der Elemente kommt. Gleichzeitig ist der kleine Assistent des Betrachters mit seinen drallen Rundungen selbst nichts anderes als die Fleisch gewordene Synthese aus der geschwungenen Linie und den Abstufungen von Licht und Schatten. 45

46

Ein Resultat der direkten „Zusammenarbeit“ von Le Clerc und Bosse ist die nach einer Zeichnung Sébastien Le Clercs von Bosse ausgeführte Radierung der Anatomie eines Chamäleons, die ebenfalls 1669 in Claude Perrault. Description anatomique d’un caméléon, d’un castor, d’un dromadaire, d’un ours, et d’une gazelle. Paris, 1669 erschien. Vgl. Sébastien Le Clerc. Pratique de la géometrie, sur le papier et sur le terrain avec un nouvel ordre et une méthode particulière. Paris, 1669.

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Abb. 12: Sébastien Le Clerc. Pratique de la géométrie, sur le papier et sur le terrain [...] (Paris, 1669).

Im Kontrast zu Bosse wird die gewundene Linie als eigentlich nicht geometrisierbares Schlüsselelement bildlicher Darstellung bei Le Clerc in eine Metaphysik der Linie heimgeholt – auch wenn diese sich mit einigem Witz als Reflexion auf das Medium des Bildes inszeniert. Diese Metaphysik wurzelt zum einen in der euklidischen Geometrie, wo die Linie genau genommen als Länge ohne Breite unsichtbar ist. Prägnanter jedoch ist in Hinblick auf die gewundene Linie eine Tradition, die von Disegno-Theorien des 16. Jahrhunderts bis zu jener Line of Beauty reicht, die William Hogarth 1753 seiner Analysis of Beauty gleichsam als Emblem voranstellen wird. Hier spiegelt die Form der gewundenen Linie – als Ausdruck einer richtungsvariablen Bewegung im Raum – ei-

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nen idealen Plan und dessen Realisierung in den Formen der Dinge und Geschöpfe wider.47 Dieser theologische oder ästhetisch normative Hintergrund ist bei Bosse so gut wie vollständig ausgeblendet. Mag sein, dass er in seinen Variationen gewundener Linien ganz gezielt eine Autorität der Linie aufgriff, die sich maßgeblich aus der Tradition des disegno speiste. Dennoch hat er den Leser seines Traktats am Faden dieser Linien auf ein radikal offenes Terrain geführt. Die Suche nach dem richtigen Bild musste hier in einem geradezu programmatischen Sinne ein experimentelles Unternehmen sein. Bosses Kunst der pourtraicture hatte keinen anderen epistemologischen Ort als die immer wieder neu zu praktizierende gegenseitige Durchdringung eines zugleich sensualistisch urteilsfähigen und dabei für Irrtümer anfälligen Sehens mit einem geometrischen Regelwerk der Analyse und Bildkonstruktion. Darin liegt die Kühnheit seiner theoretischen Ansprüche, aber auch eine gewisse Enge seiner Kunst.

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Zum disegno vgl. Gerhard Wolf. „Gestörte Kreise. Zum Wahrheitsanspruch des Bildes im Zeitalter des Disegno“. Räume des Wissens. Repräsentation, Codierung, Spur. Hg. v. Hans-Jörg Rheinberger, Michael Hagner u. Bettina Wahrig-Schmidt. Berlin, 1997, S. 39-62. Auf einem Bosses Konzept von pourtraicture gleichsam komplementär gegenüberliegenden Sektor bildnerisch-praktischer Selbstreflexion beschreibt Wolf Krisenmomente des disegno im 17. Jahrhundert in Hinblick auf Darstellungen der Vera icon, deren Wahrheitsanspruch ursprünglich daher rührt, dass sie ein nicht von Menschenhand gemachtes Bild Christi ist.

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Bernini und das Experiment als Katastrophe Zu den spektakulärsten Experimenten der Theatergeschichte und zu den Highlights der Geschichte des special effects zählt Gian Lorenzo Berninis Erfindung der Katastrophensimulation. Sie datiert auf den römischen Karneval des Jahres 1638 und findet sich in einer der Komödien Berninis, deren Ruf sich im 17. Jahrhundert bis zu Ludwig XIV. verbreitete und die zum zeitgenössischen Ruhm des Künstlers nicht weniger beitrug als die dauerhafteren Werke, die er als Bildhauer, Maler und Architekt hinterließ. Glaubt man einem zeitgenössischen Chronisten, dann war das Schauspiel dazu geeignet, „die ganze Welt zum Staunen zu bringen“.1 Dafür bürgten die auf offener Szene eingestürzten Häuser samt täuschend echt dargestellten Opfern – sie waren so schrecklich entstellt, dass sie beim Betrachter ein „angenehmes Grauen“ erregten –, vor allem aber Berninis Inszenierung der Überflutung Roms. Vor einem Prospekt, der ferne Gebäude und den Petersdom zeigte, sah man den allmählich ansteigenden Tiber und im vorderen Teil der Bühne war echtes Wasser gestaut. Plötzlich brachen die Dämme und das Wasser strömte auf das Publikum zu. Die Zuschauer in den ersten Reihen sprangen auf, um die Flucht zu ergreifen, aber kurz bevor das Wasser sie erreichte, stieg plötzlich ein zweiter Damm empor, und „das Wasser zerstreute sich, ohne irgendjemandem Schaden zugefügt zu haben“.2 In einer späteren Komödie steigerte sich die Bedrohlichkeit des Katastrophenszenarios noch. Auf der Bühne war ein mit brennenden Fackeln ausgerüsteter Karnevalszug dargestellt und einer der Akteure setzte versehentlich die Dekoration in Brand. Die Flamme züngelte an der Dekoration empor und erfasste eine große Wolke, „so dass alle glaubten, das Feuer sei aus Versehen entstanden, und nur noch daran 1

2

„Tre scene da far stupire tutto l’universo.“ Gian Lorenzo Bernini. Fontana di Trevi. Commedia inedita. Hg. v. Cesare d’Onofrio. Rom, 1963, Dokumentenanhang, S. 96 [Zitate aus fremdsprachigen Ausgaben wurden, sofern nicht anders angegeben, vom Verfasser übersetzt]. Ebd.

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dachten, sich in Sicherheit zu bringen“.3 Bernini musste selbst auf dem Theater erscheinen, um die Zuschauer zu beruhigen, während sich die Szene in einen blühenden Garten verwandelte und so den Theaterbrand als Illusion entlarvte. Die Vorstellung soll so überzeugend gewesen sein, dass es selbst den von Bernini vorgewarnten Antonio Kardinal Barberini nicht auf seinem Platz hielt, und das nicht ganz ohne Grund. Angesichts der unzähligen auf der Bühne verwandten offenen Lichter und pyrotechnischen Effekte, flammenden Höllenfeuer und stimmungsvollen Illuminationen stellte der Theaterbrand ein Risiko dar, vor dem in einschlägigen Traktaten eindringlich gewarnt wurde. Bei spektakulären Inszenierungen waren Reihen von Bühnenarbeitern damit beschäftigt, die Lichter hinter den Kulissen zu bewachen, wo für den Notfall große Mengen an Wassereimern und -kesseln bereitstanden.4 Die Angst vor einem Brand war also nicht ganz unbegründet. Dank der gezielten Weise, in der Bernini sie zu nutzen wusste, kann er mit Fug und Recht als Erfinder der Katastrophensimulation gelten. Was es genau mit dieser Katastrophensimulation auf sich hat, soll im Folgenden umrissen werden. Es handelt sich hier, so meine These, um eine spielerische Reflexion über das Wesen des Theaters. Diese bestimmt die Katastrophe als Zentrum der Bühnenkunst und führt dabei zugleich die zeitgenössische Auffassung eines illusionistischen Theaterideals ad absurdum. Stellt man sie in den Kontext zeitgenössischer Experimentalkultur, dann wirft sie aber auch die Frage auf, ob hier mit dem Katastrophischen nicht überhaupt ein zentrales Element spektakulärer Experimente in Szene gesetzt wird. Die Katastrophe und das Wesen der Bühnenkunst Die Katastrophe ist kein beiläufiges Element des Theaters. Ganz im Gegenteil: Ein Theater ohne Katastrophe ist kein Theater im klassischen Sinn. Als schicksalhafte Wendung des Dramas zum Tragischen stellt sie seit der Antike das Moment größter emotionaler Ansprache des Publikums dar. Ohne die Katastrophe wäre der kathartische Effekt der Tragödie nicht denkbar, ganz so wie die Komödie gemeinhin aus einer Verkettung von Katastrophen besteht, die um ein Haar vermieden werden. Theater, so ließe sich daher definieren, ist seit jeher ein Raum zum Betrachten von Katastrophen, und da wo es ganz Theater ist, nehmen diese Katastrophen ebenso handfeste wie spektakuläre Formen an. 3 4

Ebd. Federico Zuccari. Il Passaggio per l’Italia con la dimora di Parma [1608]. Hg. v. Vincenzo Lanciarini. Rom, 1893, S. 27.

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Von den Höllenfeuern und Unwettern der Renaissance- und Barockbühne, über Schiffsuntergänge, Hausbrände, Erdbeben, Lawinenunglücke und Bergwerkseinstürze des 19. Jahrhunderts bis hin zum Untergang von Ninive und anderen Götterdämmerungen gehört sie zum Repertoire der szenischen Kunst, das vom Film kongenial aufgegriffen wurde und das uns nunmehr in Form von Vulkanausbrüchen, Klimakatastrophen, Asteroidenhagel, Flugzeugabstürzen und anderem mehr heimsucht. Es handelt sich dabei nicht etwa um eine Randerscheinung, sondern um einen Hauptschauplatz der Theatergeschichte. Denn die Katastropheninszenierung stellt den technischen und emotionalen Höhepunkt des Theaters dar. Sie repräsentiert das Moment maximaler Fesselung der Zuschauer durch das Schauspiel, sie steht darüber hinaus für die technische Perfektion des Bühnenapparats. Nicht erst seit der filmischen Zertrümmerung von Empire State Building und Freiheitsstatue oder der digital animierten Überschwemmung von New York ist die Katastropheninszenierung ein Paradebeispiel medientechnischer Innovation. Schon zu Berninis Zeiten arbeitete die Bühnentechnik mit dem neuesten Know-how aus Kunst und Wissenschaft. Bernini selbst war äußerst vielseitig und erwarb seine Kenntnisse in unterschiedlichen Bereichen. Er begann seine Karriere als Bildhauer, wurde dann von Urban VIII. mit der Errichtung des großen Baldachins im Petersdom betraut und avancierte zugleich zum Oberaufseher über die päpstliche Kanonengießerei und die Wasserleitungen. Es ist dabei mehr als nur Anekdote, dass die elefantösen Säulen des Baldachins in der gleichen Gießerei hergestellt wurden, die Urban VIII. für sein militärisches Aufrüstungsprogramm benötigte. Politische und religiöse Macht waren hier ebenso verbunden wie künstlerische und militärische Technik.5 Ohne die architektonischen Erfahrungen und Statikkenntnisse, die Bernini durch seine Tätigkeiten im Petersdom erwarb, ohne die hydraulischen Kenntnisse, die ihm sein Amt als Oberaufseher der Wasserleitungen eintrug, wären seine Katastrophensimulationen so nicht denkbar gewesen – ebenso wenig übrigens wie die berühmten Brunnen, die er in Rom erschuf. Berninis Theatercoups, insbesondere die Überflutung Roms, waren ein eher beiläufiges Ergebnis frühen, barocken Multitaskings. Spektakuläre Bühnenkatastrophen stellten auch in den folgenden Jahrhunderten eine besondere Herausforderung für die Bühneningenieure dar. Das französische Boulevardtheater des 19. Jahrhunderts mit seinem „mélodrame à grand spectacle“ etwa und sein englisches Pendant kann5

Vgl. William Chandler Kirwin. Powers Matchless. The Pontificate of Urban VIII, the Baldachin, and Gian Lorenzo Bernini. New York, 1997.

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ten neben Sturmszenen, Explosionen und dem Ausbruch des Ätna Schiffbrüche, Lawinen, Bergwerksunglücke, Überschwemmungen, Erdbeben und Feuersbrünste.6 In Dion Boucicaults Melodrama The Octoroon wurde ein Flussdampfer in die Luft gejagt, in After Dark ein Mann erst im letzten Moment vor dem heranrasenden Zug von den Schienen befreit, in Pauvrette eine Hütte in den Bergen von einer Schneelawine verschüttet. In Charles Keans Inszenierung von Lord Byrons Sardanapal gingen auf der Bühne der Palast und die Stadt Ninive in Flammen auf,7 und Théophile Gautier konnte 1839 gleich zwei unterschiedliche Inszenierungen des Schiffbruchs der Medusa sehen.8 Aber „Bühnenbrände“, so bemerkte Germain Bapst 1893 lapidar, „sind im Theater noch häufiger als Meeresszenen“.9 Auch im 19. Jahrhundert galt es als Höhepunkt der Theatergeschichte, wenn die Zuschauer wie einst bei Bernini angesichts eines spektakulären Bühnenbrandes die Flucht ergriffen – so geschehen in der Schlussszene von Victor Séjours längst vergessenem Stück La Madone des roses, in der eine Nachbildung der Villa d’Este in Flammen aufging.10 Wie sich hier schon andeutet, ging es nicht allein darum, ein großartiges Spektakel zu bieten, sondern zugleich ein Moment maximaler emotionaler Fesselung der Zuschauer zu erzielen. Konsequent war in diesem Sinn der im Cyclorama des Londoner Collosseums unternommene Versuch, technisches Spektakel mit körperlicher und seelischer Erschütterung in eins zu setzen und so eine Katastrophe leibhaftig erfahrbar werden zu lassen. 1845 konnte hier das Erdbeben von Lissabon nacherlebt werden, was mit ohrenbetäubendem Lärm und dumpfem Grummeln unter den Füßen der Zuschauer einherging. 6

7

8 9 10

Vgl. Michael R. Booth. Victorian Spectacular Theatre 1850-1910. Boston u. London, 1981, S. 12; Marie-Antoinette Allevy. La mise en scène en France dans la première moitié du dix-neuvième siècle (= Édition critique d’une mise en scène romantique, 10/11). Paris, 1938, S. 24 u. S. 63. Über den Effekt dieser Katastropheninszenierungen gehen die Meinungen auseinander. Booth sieht hier eine „glaubwürdige und eindrucksvolle“ Wirkung, wohingegen A. Nicholas Vardac den unzureichenden Illusionscharakter dieser Spektakel betont. Booth (Anm. 6), S. 12; A. Nicholas Vardac. Stage to Screen. Theatrical Origins of Early Film. New York, 1987 [Nachdruck d. Ausgabe Cambridge, Mass., 1949], S. 1-19. Vgl. Théophile Gautier. Histoire de l’art dramatique en France depuis vingt-cinq ans. 6 Bde. Leipzig, 1858/59, Bd. 1, S. 258. „Les incendies au théâtre sont encore plus fréquents que les scènes maritimes.“ Germain Bapst. Essai sur l’histoire du théâtre. Paris, 1893, S. 593. Vgl. M.J. Moynet. L’envers du théâtre. Machines et décorations. Paris, 1875, S. 156; Bapst (Anm. 9), S. 593f.

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Schiffe wurden Furcht erregend auf dem Fluss hin- und hergeworfen, Klöster und Burgen stürzten vor unseren Augen zusammen und gingen in Flammen auf. Wir hörten die Schreie von Seeleuten im Sturm, das Stöhnen der elenden Menschen, die in den Ruinen verschüttet oder zerschmettert wurden – schreckliche Dunkelheit, düstere Blitze und grausiges Donnern brüllte in unseren Ohren, blendete unsere Augen und erschreckte unsere Sinne, so dass ich wahrlich mehr tot als lebendig war, als ich das Gebäude verließ.11

Der Versuch einer veritablen Erschütterung des Zuschauers wurde also immer wieder mit der Inszenierung von Katastrophen verbunden. Sicher handelt es sich bei den zitierten Beispielen um eine trivialisierende Verselbstständigung dessen, was eigentlich seelisch berühren sollte. Schon im 18. Jahrhundert wurden vergleichbare Szenarien als bloßer Theatercoup oder „Knalleffekt“ verurteilt, wie er in direkter Anspielung auf die unterschiedlichen Techniken zur Erzeugung des sprichwörtlichen Theaterdonners genannt wurde. Gegen diese szenische Spektakularität wurde die Begründung der Katastrophe in der Psychologie der Charaktere gesetzt. So trat neben die trivial-spektakuläre Katastropheninszenierung die literarisch-psychologische Variante. Letztlich aber war dies nur ein anderer Weg zum gleichen Ziel, ging es doch auch hier um die Erzeugung eines Moments äußerster Intensität und Ergriffenheit, wie ihn schon Bernini produzieren wollte. Eine entscheidende Frage war dabei die nach der Position des Zuschauers. Traditionell verläuft die Scheidelinie hier zwischen dem mitgerissenen voyeuristischen ‚Pöbel‘ und dem reflektierenden Philosophen. Erwähnt sei hier nur Lukrez’ berühmtes Bild vom „Schiffbruch mit Zuschauer“, wie Hans Blumenberg es pointierte.12 An der moralischen Anrüchigkeit des damit thematisierten Katastrophenvoyeurismus arbeitete sich noch die deutsche Aufklärung ab. Während Edmund Burke die Begeisterung des Publikums für Grässlichkeiten fiktiver Bühnenspektakel als sympathetischen Voyeurismus interpretierte,13 bemühte 11

12 13

„Ships were tossed and dashed about the river before us in a frightful manner. Convents and castles toppled down before our eyes and burst into flames. We heard the shrieks of the mariners in the storm, the groans of the miserable people being swallowed up or smashed in the rocking, reeling ruins – tremendous darkness, lurid lightning flashed, and the awful booming of thunderbolts roared in our ears, dazzled our eyes, and frightened our senses, so that I protest I was more dead than alive when I quitted the premises.“ Richard Daniel Altick. Shows of London. Cambridge, Mass., 1978, S. 158. Hans Blumenberg. Schiffbruch mit Zuschauer. Paradigma einer Daseinsmetapher. Frankfurt a. M., 1979. Edmund Burke. A Philosophical Inquiry into the Origin of Our Ideas of the Sublime and Beautiful [1757]. New York, 1909, S. 42.

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sich Johann Georg Sulzer darum, die Lust an der Betrachtung von Katastrophen mit der Vorstellung vom Guten im Menschen zu vereinbaren.14 Immanuel Kant hingegen erhob die Betrachtung überwältigender und Furcht erregender Naturschauspiele zum Ausgangspunkt für seine Begründung der Souveränität des Individuums, das sich über die katastrophale Macht der Naturgewalten erhaben weiß – zumindest solange es sie vom sicheren Standort des Zuschauers aus betrachten kann. Die Größe des Menschen wird hier in der Souveränität des unbeteiligten Zuschauers verankert – ganz so wie Denis Diderot in seinem berühmten Traktat über die Schauspielkunst erklärt, dass die Genies im Parkett säßen.15 Der Zuschauerraum, das ist der Ort des Philosophen, der über die Welt und ihre Katastrophen reflektiert. Berninis szenisches Experiment nun versucht, diese distanziert kommentierende Haltung zu durchbrechen. Sein Theatercoup unterscheidet sich dabei grundlegend von den beiden zuvor erwähnten Arten der Katastrophendarstellung. Dem späteren Programm einer Literarisierung des Theaters, das den Schauspieler als Buch betrachtet und die Mimik als Schriftzüge, die seine Seelenregungen verzeichnen, ist Berninis Katastrophensimulation selbstverständlich diametral entgegengesetzt. Aber auch von den sonstigen Höllenfeuern und Bergwerkseinstürzen unterscheidet sie sich grundlegend, indem sie das Publikum aus der Rolle des bloßen Zuschauers herausdrängt. Bei Bernini wird die Katastrophe nicht repräsentiert, sie wird vielmehr im wahrsten Sinne des Wortes performativ und bricht über den Zuschauerraum herein. Berninis Innovation ist ja nicht allein technischer, sondern vor allem psychologischer und wirkungsästhetischer Natur. Seine Katastrophe wirkt nicht nur, wie zeitgenössische Höllenfeuer, durch die unmittelbare Einwirkung auf die Sinne, sondern durch die Illusion einer realen Präsenz, einer lebensbedrohlichen Gegenwart. Das lustvolle Grauen, das ein Chronist angesichts der verstümmelten Leichen auf der Bühne empfand, sollte sich in die Angst um die eigene körperliche Unversehrtheit wandeln. So ver14

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„Man geht bisweilen, Szenen der Furcht und des Schreckens zu sehen, ob man gleich voraussieht, daß man selbst dabey leiden werde. Doch wird nicht leicht ein empfindsamer Mensch zum zweytenmale solche Scenen zu sehen verlangen, die würklich mit einer traurigen Catastrophe sich endigen. Wenn wir mit Begierde zusehen, wie Menschen bey einem Schiffbruch das äußerste thun, sich zu retten, so wenden wir doch gern die Augen weg, indem wir sie umkommen sehen.“ Johann Georg Sulzer. Allgemeine Theorie der Schönen Künste. 4 Bde. Leipzig, 1793, Bd. 3, S. 234. Denis Diderot. „Das Paradox über den Schauspieler“ [1770-1773]. Ästhetische Schriften. Übs. v. Friedrich Bassenge u. Theodor Lücke. 2 Bde. Berlin u. Weimar, 1967, Bd. 2, S. 481-538.

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sucht die Katastrophensimulation den Rahmen der Repräsentation zu überschreiten und das Bühnenschauspiel für einen Moment lang im wahrsten Sinn des Wortes zur Wirklichkeit werden zu lassen, die den Zuschauer unmittelbar ergreift. Damit stellt sie nicht zuletzt einen Schlüssel zu Berninis Kunstverständnis dar. Das Motiv unmittelbarer Sinnlichkeit war ein wichtiges Thema Berninis. Schon seine Skulpturen zeichnen sich durch die Betonung des körperlichen-sinnlichen Aspektes aus. Berninis nackte „Wahrheit“ ist eine ans Obszöne grenzende, auch in der heutigen Zeit noch durchaus lasziv wirkende Frau. Und als er in der Cornaro-Kapelle von Santa Maria della Vittoria die unio mystica der Heiligen Teresa von Ávila darstellte, musste er sich den Vorwurf gefallen lassen, er habe die keusche Jungfrau in eine „Prostituierte“ verwandelt.16 Die Statue, die hier nicht zuletzt als Sinnbild der Eucharistie fungiert, setzt die wohl berühmteste Episode aus Teresa von Ávilas Autobiographie Libro de la Vida um. Mehrmals sticht der Cherub in dieser Vision einen Pfeil in ihr Herz und bohrt ihn tief bis in ihre Eingeweide, wobei sie ein Gefühl von Schmerz und Lust empfindet, das rein geistig sein soll, obgleich der Körper großen Anteil an ihm hat.17 Diese an einen Geschlechtsakt mahnende Form der unio mystica entsprach durchaus Berninis Kunstverständnis. Mit seiner Skulptur, in der noch Jacob Burckhardt ein hysterisches Weib erkannte und damit die spirituelle Erfahrung zu grobschlächtigster Sinnlichkeit degradiert sah, erhob Bernini das Prinzip der physischen Erfahrung geradezu zum Wesen von Kunst und Religion gleichermaßen. So wie die Eucharistie, das Zentrum des gegenreformatorischen Glaubens der Zeit, eine wirkliche Präsenz Gottes verbürgte, zeichnete sich auch Kunst nicht durch die Repräsentation aus, sondern durch die Intensität der sinnlich wahrnehmbaren Gegenwart des Kunstwerks. Der ideale Betrachter sollte von ihr so berührt werden wie die Heilige Teresa vom Pfeil Gottes. Nun ist die Durchbohrung der Heiligen Teresa von Bernini nicht nur als sinnlich-erotischer Akt dargestellt, sie wird auch als Schauspiel vor Zuschauern in Szene gesetzt. Genau genommen findet sie unter den teils interessierten, teils beiläufigen Blicken von sechs Kardinälen aus der Familie der Auftraggeber statt, deren Statuen in den steinernen Logen der Kapelle platziert sind und die das Geschehen auf der Bühne kom16 17

Vgl. Irving Lavin. Bernini and the Unity of the Visual Arts. 2 Bde. New York, 1980, Bd. 1, S. 121, Anm. 52. Teresa de Ávila. Libro de la Vida. Hg., eingel. u. Anm. v. Otger Steggink. Madrid, 1986, S. 384.

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mentieren. Die Szene selbst scheint sie kaum zu berühren. Während die Heilige Teresa auf ihrer Wolke in ekstatischer Wollust schwelgt, bleiben sie vergleichsweise unberührt. Sie repräsentieren gewissermaßen die Stein gewordene Institution Kirche, die genau über die Visionen und Aufzeichnungen Teresa de Ávilas wachte. Was Bernini so in Szene setzte, war der Gegensatz zwischen den zwei Seiten zeitgenössischer Glaubenspraxis: dem gelehrten Diskurs und dem sinnlich-erotischen Wundergeschehen. Einer Flut von Abhandlungen, die sich insbesondere mit dem Status und Charakter von Bildern, Reliquien und Eucharistie beschäftigten, stand ja gerade im Zuge eucharistischer Frömmigkeit der Versuch einer organisierten Produktion ekstatischer Verzückung gegenüber. Aber es soll hier nicht darum gehen, von der Cornaro-Kapelle ausgehend die zeitgenössische Glaubenspraxis zu untersuchen. Denn das Aufeinandertreffen von Wundergeschehen und gelehrtem Diskurs verweist auch auf das zentrale Charakteristikum zeitgenössischen Theaters. Und die Katastrophensimulation ist das Mittel der Wahl, diesen Gegensatz momenthaft zu überwinden. Konventionelle Illusionen Glaubt man zeitgenössischen Berichten über die großen Theaterfeste des 17. Jahrhunderts, dann handelte es sich um eine Zeit des wirklich Wunderbaren, in der die Zuschauer sich beständig durch die Kunst von Malern und Bühneningenieuren getäuscht sahen und Gemaltes und Konstruiertes für wahre Natur hielten. Aber ob mit Holzrahmen, Leinwand und Farbe, nach hinten ansteigendem Bühnenboden, Periakten und später dann gestaffelt aufgestellten Kulissen eine wirklich überzeugende Illusion erzielt werden konnte, scheint fraglich. „Das Maschinentheater“, schrieb François-Hédelin Abbé d’Aubignac 1657, „stellt uns neue Himmel und eine neue Erde vor Augen und viele andere Wunder, die wir gegenwärtig zu sehen glauben, während wir doch wissen, dass wir getäuscht werden.“18 Damit ist aber noch nicht gesagt, wie überzeugend die Täuschungen waren und wie groß der Anteil der Einbildungskraft sein musste. Zwar kann man mit Hilfe von Computersimulationen die special effects auf dem Bildschirm rekonstruieren, wie sie im Raum 18

François-Hédelin Abbé d’Aubignac. La pratique du théâtre und andere Schriften zur Doctrin classique. München, 1971 [Nachdruck d. Ausgabe Amsterdam, 1715], S. 319. Vgl. hierzu auch die Website The Development of Scenic Spectacle. Quellenstandort online: http://www1.appstate.edu/orgs/spectacle/index.html.

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auf den Betrachter der Zeit gewirkt haben mögen, lässt sich daraus nicht schließen. Auch die überlieferten Zeugnisse des Staunens sind von zweideutiger Aussagekraft. Denn wenn die Bewunderung der täuschenden Echtheit der Szenarien und des Staunen erregend schnellen Wandels der Bühnenbilder von der Mitte des 16. bis zum Ende des 17. Jahrhunderts kein Ende nimmt, so wirft die Monotonie der verwendeten Formeln ein zweifelhaftes Licht auf die Originalität der hier geschilderten Eindrücke. Ob es sich nun um höfische Feste, um Berninis Szenarien oder um die Feier der Eucharistie handelt, stets ist von vaghezza und meraviglie, der Ununterscheidbarkeit des Gemalten vom Lebendigen die Rede, und die Menge der Schauspiele, die es wert wären, von der ganzen Welt betrachtet zu werden, ist im 17. Jahrhundert schwerlich zu überschauen: kaum ein großer Künstler, der nicht über die eigentlich der göttlichen Schöpfung vorbehaltene Fähigkeit verfügt, neues Leben zu schaffen und im gemalten Bildnis die Verstorbenen zu neuem Leben zu erwecken.19 Schon von Leonardo da Vinci berichtet Vasari, er habe einen Schild mit dem Haupt der Medusa so lebensecht bemalt, dass es den überraschten Betrachter fast in die Flucht schlug.20 Und so wie bei Bernini die gemalten Figuren auf der Kulisse kaum vom lebenden Publikum im Theater zu unterscheiden waren, ließ sich 1650 auch die auf einem Teatro Sacro in Il Gesù abgebildete Festgemeinde des dargestellten Salomotempels nicht von den Gemeindemitgliedern unterscheiden. Als Andrea Pozzo 1658 in derselben Kirche anlässlich des vierzigstündigen Gebets vor der Hostie auf einer Schauwand die Hochzeit zu Kana darstellt, rühmt er sich: „allermassen ich mich noch wohl erinnere/ daß ich etliche Persohnen gesehen/ die diese Staffeln hinauf steigen wolten/ auch den Betrug nicht eher vermerckt/ biß sie selbige mit den Händen betastet.“21 Das war zu diesem Zeitpunkt eine obligatorische Behauptung, denn nur diese Reaktion des Publikums erwies die Meisterschaft des Künstlers.22 Bei der Rede von der perfekten Illusion 19 20 21

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Vgl. Klaus Krüger. Das Bild als Schleier des Unsichtbaren. Ästhetische Illusion in der Kunst der frühen Neuzeit in Italien. München, 2001, S. 206f. Giorgio Vasari. Lebensläufe der berühmtesten Maler, Bildhauer und Architekten. Übs. v. Trude Fein. Zürich, 1993, S. 319. Zit. in Hans Tintelnot. Barocktheater und barocke Kunst. Die Entwicklungsgeschichte der Fest- und Theater-Dekoration in ihrem Verhältnis zur barocken Kunst. Berlin, 1939, S. 278. Aber auch die Perfektion der Bilder von Camera obscura und Laterna magica wurde so unter Beweis gestellt. Jean-François Nicéron dachte sich 1638 auf der „Leinwand“ der Camera obscura die Darstellung eines Hexensabbats, den die Zuschauer, wie er glaubte, für wirklich halten würden, sofern ihnen das Kunststück neu sei. Vgl. Jean-François Nicéron. La perspective curieuse. Paris, 1663, S. 21f.

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handelt es sich offensichtlich um einen konventionalisierten Diskurs der Bewunderung, der mit der Apotheose des Künstlers als höchstem Repräsentanten menschlicher Fähigkeiten in der Renaissance einhergeht – der Künstler avanciert hier ja zum zweiten Gott, der eine neue Welt vor Augen stellen kann. Dieser Diskurs des Wunderbaren erstarrte zu einer Serie von Gemeinplätzen. Das lässt es nicht nur schwer werden, eine ‚authentische‘ Zuschauererfahrung zu rekonstruieren, man muss vielmehr davon ausgehen, dass diese Form des konventionalisierten Staunens auch die Publikumshaltung prägte. Offensichtlich ist also die Frage, wie illusionär denn Gemälde und Inszenierungen waren, falsch gestellt. Es gilt vielmehr zu verstehen, wann eine Illusion als gelungen bezeichnet wurde. Als Beispiel mag hier die Beschreibung eines weiteren szenischen Einfalls von Bernini dienen, der gleichfalls aus dem Jahre 1638 stammt.23 Das Publikum sah sich hier einem spiegelbildlich konstruierten Theater gegenüber, das komplett mit Bühne, Schauspieler und Publikum ausgestattet war, wobei letzteres „teils echt, teils vorgetäuscht“, also wohl gemalt war.24 Raimondo Montecuccolis ausführliche Beschreibung lobte vor allem die technische Kunstfertigkeit des Bühneningenieurs. Hier präsentierte die Meisterschaft der Kunst den Augen der Zuschauer auf bewundernswürdige Weise eine hinreißende [vaghissima] und (in Anbetracht des begrenzten Raumes) ferne Ansicht so kunstvoll, dass dem Verstand kaum Raum blieb, sie zu begreifen oder vorzustellen.25

Das Schauspiel der Fernsicht überwältigte also nicht zuletzt angesichts des zur Verfügung stehenden Raumes. Von einer wirklichen Täuschung der Zuschauer kann also keine Rede sein. Die Faszination für die perspektivisch gestalteten Dekorationen und für die mit Hilfe der Bühnenmaschinerie gestalteten special effects lässt sich vielmehr als konventionalisiertes Staunen deuten, das der „Meisterschaft der Kunst“ und dem Einfallsreichtum des Künstlers galt.

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24 25

u. ebd., Abb. 28. Experimente dieser Art will Athanasius Kircher angestellt haben, der mit der Laterna magica Dämonen auf die Wände projizierte und dies für eine wirkungsvolle Methode hielt, die Ketzer das Fürchten zu lehren und zu bekehren. „La scena che l’anno passato fece tanto strepito, et che il Cavaliere ha representata nuovamente per sodisfare alla curiosità di quelli che non poternono verderla la prima volta.“ Bernini (Anm. 1), S. 97. „[...] un popolo parte vero, parte finto.“ Ebd., S. 95. „Quivi l’eccellenza dell’arte presentò mirabilmente agli occhi de riguardanti una Prospettiva vaghissima et in distanza (considerata l’angustia del loco) così artificiosa, che appena lasciava loco all’intendimento di poterla formar, o immaginarsela tale.“ Ebd.

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Staunen über den getriebenen Aufwand mischt sich dabei mit der faszinierten Bewunderung dessen, was ein versierter Bühneningenieur zustande bringen kann – durchaus vergleichbar der Werbung für Hollywood-Blockbuster, wo die Kosten der Produktion und die Perfektion der special effects zum Garanten für filmische Qualität werden. Die formelhafte Beteuerung „täuschender Echtheit“ bestätigt nur, dass ein Schauspiel den Erwartungen genügt hat und eindrucksvoll war. Zugleich jedoch versucht die Beschwörung der Ähnlichkeit von Kunst und Natur, wie sie im Begriff der „viva naturalezza d’artifitio“ zu Tage tritt, sich der Gottähnlichkeit des Menschen zu vergewissern, die in der Fähigkeit verortet wird, dem Kunstwerk Leben einzuhauchen.26 Im Applaus für die gelungene Inszenierung des Himmels, so schreibt Montecuccoli als kongenialer Chronist, war denn auch das Lob für den Schöpfer nicht vom Lob für den Bühneningenieur zu trennen. „Da war niemand, der durch diese sozusagen lebendige Natur des Kunstwerks nicht gefesselt wurde und der nicht tausend Lobessprüche und Segnungen an den Schöpfer gesandt hätte.“ Selbstverständlich war dieser Gottähnlichkeit eine obligatorische Grenze gezogen, reitet doch zum Schluss des Stücks der Tod über die Bühne, der „am Ende den Faden jeder Komödie abschneidet“.27 Wichtiger jedoch ist, dass Montecuccoli mit seinem Brief als Kenner auftritt, der die Pointe – die argutezza, wie sie im Jargon manieristischer Poetik heißt – verstanden hat und zu würdigen weiß. „Nicht das Volk applaudiert den Pointenmachern, sondern die Halbgebildeten (infarinati di studio)“, schreibt Matteo Peregrini in seiner Ab26

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Aufschlussreich ist in dieser Hinsicht ein Vergleich mit der Autobiografie von Teresa de Ávila. Dort belegt sie die Echtheit ihrer Christusvisionen – immerhin eine Frage, bei der es um den Scheiterhaufen gehen konnte – mit einem Vergleich zur Malerei. So lebensecht sei ihr Christus erschienen, dass es sich unmöglich um ein Bild handeln könne. Denn das bleibe, so gut es auch ausgeführt sein möge, ein „totes Ding“ (cosa muerta). So wird die Echtheit der Vision mit dem Verweis auf „den Unterschied“ belegt, der „zwischen dem Echten und dem Gemalten“ besteht. „No digo que es comparación, que nunca son tan cabales, sino verdad, que hay la diferencia que de lo vivo a lo pintado, no más ni menos.“ Teresa de Ávila (Anm. 17), S. 367. Während Teresa de Ávila die Fähigkeit zur Sinn stiftenden Vergegenwärtigung alleine der von göttlicher Gnade gesandten Vision zuspricht, wird diese nun dem Künstler überantwortet. „E pure è vero Signori che questa effigie è simulacro di morte a quello che ultima et reccide il filo di tutte le comedie, e che per fatale decreto tronca qualunque gusto o passatempo mondano, che perciò ha pure anco voluto fare il simile a questa nostra rappresentata Comedia.“ Bernini (Anm. 1), S. 96. So gesehen verweisen die Katastrophensimulationen Berninis allerdings auch schon auf die albtraumhaften Visionen Piranesis, in denen die wunderbare Welt der Maschinen zu einem Gefängnis geworden ist, das die Menschen fremd und unheimlich umgibt.

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handlung über die acutezza.28 Mit anderen Worten: Das Staunen der Gebildeten oder Halbgebildeten – und welches wäre uns sonst überliefert – lässt sich nicht ohne einen poetologischen Hintergrund und seine philosophischen Konsequenzen verstehen. Die perfekte Illusion ist das Ergebnis einer diskursiven Übereinkunft, nicht mehr und nicht weniger als eine kulturelle Konvention. Unter Beweis gestellt wird sie durch die Reaktion des Publikums – so dass deren Überlieferung selbst zum Teil der Inszenierung avanciert. Wenn die Rede von der perfekten Illusion eine bloße Konvention darstellt, in der sich philosophische und poetologische Positionen mit einer Vorstellung von den Fähigkeiten und der Bestimmung des Menschen verbinden, so stellt Berninis Katastrophensimulation eine Übererfüllung des Ideals dar, die zugleich mit der Konvention bricht: In der Übererfüllung der Konvention wird diese überschritten und spielerisch zu Fall gebracht. Die Katastrophensimulation durchbricht den Diskurs konventionalisierten Staunens, indem sie die perfekte Illusion für einen kurzen, erschreckenden Moment Wirklichkeit werden lässt. Sie verhindert momenthaft jede distanziert kommentierende Haltung und erzeugt einen Augenblick wahrer Präsenz des Bühnengeschehens, der keinerlei Reflexion mehr zulässt. Die Vorgehensweise ist äußerst raffiniert. Denn wo die szenische Illusion auf der Bühne immer nur eine Annäherung an die Wirklichkeit sein kann, wird einzig die Darstellung ihres Scheiterns zur perfekten Illusion. Nur dort kann die Illusion wirklich perfekt sein, wo sie zu versagen scheint und wo die Konvention so scheinbar durchbrochen wird. Das ist das Prinzip von Berninis Katastrophensimulation. Es ist im Übrigen auch die Pointe der einzig von ihm überlieferten Komödie. Sie handelt von einem Bühneningenieur, und ihr Gegenstand ist das Misslingen der szenischen Illusion durch den fehlerhaften Einsatz und das Versagen der Maschinen.29 Als Nachahmer der Natur und zweiter Gott, so die Pointe, ist der Mensch nur im Modus des Katastrophischen perfekt.

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„[...] non è il popolo che plaude agl’infilzatori di acutezze, ma sono gl’infarinati di studio. E se pure i popolari concorrono ancor essi, ciò non fanno di propio talento, ma per accordarsi con quelli ch’eglino stimano periti dell’arte.“ Matteo Pellegrini. „Delle Acutezze“ [1699]. Trattatisti e narratori del seicento. Hg. v. Ezio Raimondi. Mailand u. Neapel, 1960, S. 164f. Bernini (Anm. 1), S. 39ff.; vgl. auch die neuere Ausgabe Gian Lorenzo Bernini. L’impresario. Hg. v. Massimo Ciavolella. Rom, 1992.

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Katastrophe und Experiment Aber wie genau nun ist der experimentelle Charakter von Berninis Katastrophensimulation beschaffen? Sie demonstriert Fähigkeiten und Grenzen menschlichen Kunstschaffens am lebenden Objekt – am Zuschauer – und entzaubert dabei zugleich einen konventionalisierten Diskurs über die Kunst. Nahe liegend wäre es hier, eine Parallele zur mythischen Gründung moderner Wissenschaft in der Frühen Neuzeit zu sehen. So wie das Experiment als empirische Instanz neuer Wissenschaft der aristotelischen Naturphilosophie die Autorität entzog, führte Berninis Katastrophensimulation ebenso einen ästhetischen Diskurs ad absurdum. Aber das trifft nicht ganz zu, denn Bernini war nicht revolutionär und auch seine Katastrophensimulation stellte sich letztlich nicht gegen den ästhetischen Diskurs der Zeit, sie bildete vielmehr den Kulminationspunkt eines Kunstideals, das um das Phantasma wahrer Präsenz kreiste. Darüber hinaus könnte Berninis Katastrophensimulation dank des verstörenden Charakters der sinnlichen Ansprache des Publikums als entfernter Vorläufer avantgardistischer Theaterexperimente reklamiert werden. Gewohntes zu verfremden, den Zuschauer zu überraschen und ihn aus der distanzierten Beobachterposition herauszuzwingen ist ja seit jeher ein Anliegen experimentellen Theaters. Die Nähe zum frühen zwanzigsten Jahrhundert lässt sich im Übrigen nicht alleine durch die Renaissance belegen, die der Barock in dieser Zeit ganz allgemein erfährt – gerade in Deutschland lässt sich bei Richard Alewyn und anderen eine fast schon manische Formen annehmende Barockbegeisterung konstatieren –, sie wird auch durch eine Renaissance von Berninis Technik evident. Denn in der Geschichte des Theaters blieb Berninis Katastrophensimulation für lange Zeit und trotz aller Bühnenkatastrophen des 19. Jahrhunderts nahezu einzigartig. Erst im 20. Jahrhundert findet sich eine vergleichbare Irritation der Zuschauer, als Orson Welles mit seinem Radiotheater, dem Mercury Theatre on the Air und einer fiktiven Reportage über die Invasion vom Mars, einige hundert oder vielleicht auch einige tausend Menschen in Angst und Schrecken versetzte. Was Orson Welles – eher unbeabsichtigt – veranstaltete, war ein soziologisches Experiment im Brecht’schen Sinne. Dieses bringt keine neuen Erkenntnisse, es hat vielmehr den Charakter einer Demonstration. So illustriert das „soziologische Experiment“ des Dreigroschenopernprozesses, dass die bürgerliche Vorstellung vom autonomen Kunstwerk im Zeitalter der kommerziellen Industrialisierung der Kunst durch den Film zutiefst anachronistisch

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ist.30 So gesehen war Welles’ Reportage ein Experiment, das die Macht der Medien demonstrierte – und dessen Erfolg wiederum durch die von Welles virtuos gehandhabten Medien im Nachhinein weit übertrieben wurde, wozu es allerdings keiner besonderen Anstrengung bedurfte. Denn von nichts wird in Medien so gerne geredet wie von ihrer scheinbar grenzenlosen Macht – das war schon im 17. Jahrhundert nicht anders. Letztlich wissen wir nicht, ob der angebliche Erfolg von Berninis Theatercoup – dieser Moment einer vollkommenen Illusion – wirklich stattgefunden hat oder ob er auf die in der Zeit übliche Weise zur perfekten Illusion überhöht wurde, wie es mit Welles’ fiktiver Radioreportage geschah. Zweifellos also passt Berninis Katastrophensimulation gut zu diesen Formen moderner Kunstpraxis. Dennoch liegt der substantiellere Beitrag, der sich seiner Katastrophensimulation abgewinnen lässt, in dem Licht, dass er auf das Wesen spektakulärer Experimente an sich wirft. Berninis Erfindung der Katastrophensimulation fällt in das frühe 17. Jahrhundert, in eine Zeit also, in der das Experiment eine zentrale Bedeutung für die Begründung neuer Wissenssysteme gewann und in der Kunst und Wissenschaft sich nicht streng voneinander trennen ließen. Das gilt ganz besonders für die Bühnenkunst. Spätestens seit dem letzten Drittel des 17. Jahrhunderts war sie nicht denkbar ohne eine Verschränkung mit Wissenschaft und Religion. Bühneningenieure arbeiteten mit Kenntnissen aus Befestigungskunst, Hydraulik, Artillerie und Schiffbau. Religiöse Inszenierungen wie Quarantore-Andachten bedienten sich theatraler Apparate, wie sie auch bei höfischen Festen zum Einsatz kamen,31 und wissenschaftliche Experimente thematisierten die Täuschbarkeit der Sinne und Fragen der Wahrnehmung, wie sie in poetologischen Traktaten und Abhandlungen über die Optik gleichermaßen verhandelt wurden. In der Person des Bühneningenieurs fanden, wie das Beispiel Berninis zeigt, Kunst und Wissenschaft dabei einen exemplarischen Konvergenzpunkt.32 30

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Bertolt Brecht. „Der Dreigroschenopernprozeß. Ein soziologisches Experiment“ [1931-1932]. Werke. Hg. v. Werner Hecht. 30 Bde. Berlin, Weimar u. Frankfurt a. M., 1992, Bd. 21: Schriften I. 1914-1933, S. 448-514. Vgl. Joseph Imorde. Präsenz und Repräsentanz oder: die Kunst, den Leib Christi auszustellen. Das vierzigstündige Gebet von den Anfängen bis in das Pontifikat Innocenz X. Emsdetten u. Berlin, 1997. Bernardo Buontalenti etwa war Architekt, Festungsbauer und Erfinder hydraulischer Maschinen. Joseph Furttenbach betätigte sich als Theateringenieur und Festungsbaumeister, und der in Ferrara tätige Francesco Guitti vereinigte die Tätigkeit von Theaterarchitekt, Bühneningenieur, Szenograf, Erfinder von militärischen und hydraulischen Maschinen mit der Funktion des Diplomaten, Dichters

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Umgekehrt war der theatrale Charakter wissenschaftlicher Experimente immer wieder Gegenstand unterschiedlicher Debatten, bei denen es etwa darum ging, die Schauspiele der Wissenschaft gegen die Tricks von Gauklern und Jahrmarktkünstlern abzugrenzen.33 Tatsächlich stellte die Fähigkeit, Zuschauer durch eine geschickte Inszenierung zu täuschen, oft genug den Maßstab wissenschaftlicher Autorität dar. Es scheint fast so, als würde der Beweis für das wahre Verständnis der Natur – der endgültige Beweis, ihre Geheimnisse gelüftet zu haben – durch die Fähigkeit zu ihrer Reproduktion erbracht. Bacon etwa entwarf für die gelehrte Gesellschaft seiner Utopie Neu-Atlantis ein groß angelegtes Spektrum zur Untersuchung von Naturphänomenen und Sinneseindrücken, das in der Fähigkeit gipfelte, dank der gezielten Erzeugung von Wetterphänomenen als Magier aufzutreten.34 Descartes griff diesen Gedanken 1637 auf, im Jahr vor Berninis Katastrophensimulation. Er fügte seiner Erklärung des Regenbogens einen Vorschlag bei, wie man künstliche Zeichen am Himmel erscheinen lassen könnte und ließ den Naturphilosophen so zum potentiellen Wundertäter werden, der eine ungebildete Menge in ehrfurchtsvolles Staunen versetzen könnte.35 Offensichtlich teilt die Wissenschaft hier das künstlerische Ideal einer Nachahmung der Natur und ihrer Produktionsweise. So wie der Künstler sich durch die Fähigkeit auszeichnet, die Natur perfekt zu imitieren, legitimiert sich auch die Naturphilosophie durch die Fähigkeit zur willkürlichen Erzeugung von Naturphänomenen. Wenn aber Experimente in Termini illusionistischer Theaterpraxis beschrieben werden können, wenn spektakuläre Experimente einer Theaterinszenierung ähneln, dann stellt sich die Frage, ob ihnen nicht auch ein Element des Katastrophischen innewohnen muss. Ganz wie Berninis Katastrophensimulation durchbricht das spektakuläre Experiment – vermeintlich – die Ebene der Repräsentation und erzeugt einen Moment wahrer Präsenz, idealerweise eine Gegenwart dessen, was sich den Sinnen

33 34 35

und Spions. Giuseppe Adami. „L’ingegnere-scenografo e l’ingegnere-venturiero“. Barocke Inszenierung. Akten des Internationalen Forschungscolloquiums an der Technischen Universität Berlin. Hg. v. Joseph Imorde, Fritz Neumeyer u. Tristan Weddigen. Emsdetten u. Zürich, 1999, S. 160. Steven Shapin u. Simon Schaffer. Leviathan and the Air-Pump. Hobbes, Boyle and the Experimental Life. Princeton, N. J., 1985. Francis Bacon. Neu-Atlantis. Übs. v. Georg Gerber. Eingel. u. Anm. v. F.A. KoganBernstein. Berlin, 1959, S. 89ff. René Descartes. „Les Meteores“. Œuvres de Descartes. Hg. v. Charles Adam u. Paul Tannery. 12 Bde. u. Ergänzungsbd. Paris, 1969 [Nachdruck d. Ausgabe Paris, 1897-1913], Bd. 6: Discours de la méthode & essais, S. 231ff.

Bernini und das Experiment als Katastrophe

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außerhalb des Experiments per definitionem entzieht.36 Es ist ein Theatercoup, der das Moment seiner eigenen Inszenierung ausblendet, um die Zuschauer unmittelbar zu ergreifen. Wo sich spektakuläre Experimente gar als historische Wendepunkte verstehen, die überkommene Vorstellungen und Weltbilder außer Kraft setzen sollen, da ist am katastrophalen Charakter überhaupt nicht zu zweifeln. Sie lassen alte Vorstellungswelten in Trümmer versinken – wie die Experimente mit der Luftpumpe – oder suchen den Zuschauer körperlich zu erschüttern – wie die im 18. Jahrhundert veranstalteten Experimente mit der Leidener Flasche – und erzeugen so eine unmittelbare Evidenz, die sich jenseits aller Repräsentation anzusiedeln scheint. So gesehen wäre Berninis Katastrophensimulation also nicht mehr und nicht weniger als das Musterbeispiel eines spektakulären Experiments.

LITERATURVERZEICHNIS Adami, Giuseppe. „L’ingegnere-scenografo e l’ingegnere-venturiero“. Barocke Inszenierung. Akten des Internationalen Forschungscolloquiums an der Technischen Universität Berlin. Hg. v. Joseph Imorde, Fritz Neumeyer u. Tristan Weddigen. Emsdetten u. Zürich, 1999, S. 159-189. Allevy, Marie-Antoinette. La mise en scène en France dans la première moitié du dixneuvième siècle (= Édition critique d’une mise en scène romantique, 10/11). Paris, 1938. Altick, Richard Daniel. Shows of London. Cambridge, Mass., 1978. Aubignac, François-Hédelin Abbé d’. La pratique du théâtre und andere Schriften zur Doctrin classique. München, 1971 [Nachdruck d. Ausgabe Amsterdam, 1715]. Bacon, Francis. Neu-Atlantis. Übs. v. Georg Gerber. Eingel. u. Anm. v. F.A. KoganBernstein. Berlin, 1959. Bapst, Germain. Essai sur l’histoire du théâtre. Paris, 1893. Bernini, Gian Lorenzo. Fontana di Trevi. Commedia inedita. Hg. v. Cesare d’Onofrio. Rom, 1963. Bernini, Gian Lorenzo. L’impresario. Hg. v. Massimo Ciavolella. Rom, 1992. Brecht, Bertolt. „Der Dreigroschenopernprozeß. Ein soziologisches Experiment“ [1931-1932]. Werke. Hg. v. Werner Hecht. 30 Bde. Berlin, Weimar u. Frankfurt a. M., 1992, Bd. 21: Schriften I. 1914-1933, S. 448-514. Blumenberg, Hans. Schiffbruch mit Zuschauer. Paradigma einer Daseinsmetapher. Frankfurt a. M., 1979. Booth, Michael R. Victorian Spectacular Theatre 1850-1910. Boston u. London, 1981. Burke, Edmund. A Philosophical Inquiry into the Origin of Our Ideas of the Sublime and Beautiful [1757]. New York, 1909. 36

Vgl. Florian Nelle. „Im Rausch der Dinge. Poetik des Experiments im 17. Jahrhundert“. Bühnen des Wissens. Interferenzen zwischen Wissenschaft und Kunst. Hg. v. Helmar Schramm, Florian Nelle u. a. Berlin, 2003, S. 140-167.

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Descartes, René. „Les Meteores“. Œuvres de Descartes. Hg. v. Charles Adam u. Paul Tannery. 12 Bde. u. Ergänzungsbd. Paris, 1969 [Nachdruck d. Ausgabe Paris, 1897-1913], Bd. 6: Discours de la méthode & essais, S. 229-366. The Development of Scenic Spectacle. Quellenstandort online: http://www1.appstate.edu/orgs/spectacle/index.html. Diderot, Denis. „Das Paradox über den Schauspieler“ [1770-1773]. Ästhetische Schriften. Übs. v. Friedrich Bassenge u. Theodor Lücke. 2 Bde. Berlin u. Weimar, 1967, Bd. 2, S. 481-538. Gautier, Théophile. Histoire de l’art dramatique en France depuis vingt-cinq ans. 6 Bde. Leipzig, 1858/59, Bd. 1. Imorde, Joseph. Präsenz und Repräsentanz oder: die Kunst, den Leib Christi auszustellen. Das vierzigstündige Gebet von den Anfängen bis in das Pontifikat Innocenz X. Emsdetten u. Berlin, 1997. Kirwin, William Chandler. Powers Matchless. The Pontificate of Urban VIII, the Baldachin, and Gian Lorenzo Bernini. New York, 1997. Krüger, Klaus. Das Bild als Schleier des Unsichtbaren. Ästhetische Illusion in der Kunst der frühen Neuzeit in Italien. München, 2001. Lavin, Irving. Bernini and the Unity of the Visual Arts. 2 Bde. New York, 1980. Moynet, M.J. L’envers du théâtre. Machines et décorations. Paris, 1875. Nelle, Florian. „Im Rausch der Dinge. Poetik des Experiments im 17. Jahrhundert“. Bühnen des Wissens. Interferenzen zwischen Wissenschaft und Kunst. Hg. v. Helmar Schramm, Florian Nelle u. a. Berlin, 2003, S. 140-167. Nicéron, Jean-François. La perspective curieuse. Paris, 1663. Pellegrini, Matteo. „Delle Acutezze“ [1699]. Trattatisti e narratori del seicento. Hg. v. Ezio Raimondi. Mailand u. Neapel, 1960, S. 109-192. Shapin, Steven u. Simon Schaffer. Leviathan and the Air-Pump. Hobbes, Boyle, and the Experimental Life. Princeton, N. J., 1985. Sulzer, Johann Georg. Allgemeine Theorie der Schönen Künste. 4 Bde. Leipzig, 1793. Teresa de Ávila. Libro de la Vida. Hg., eingel. u. Anm. v. Otger Steggink. Madrid, 1986. Tintelnot, Hans. Barocktheater und barocke Kunst. Die Entwicklungsgeschichte der Festund Theater-Dekoration in ihrem Verhältnis zur barocken Kunst. Berlin, 1939. Vardac, A. Nicholas. Stage to Screen. Theatrical Origins of Early Film. New York, 1987 [Nachdruck d. Ausgabe Cambridge, Mass., 1949]. Vasari, Giorgio. Lebensläufe der berühmtesten Maler, Bildhauer und Architekten. Übs. v. Trude Fein. Zürich, 1993. Zuccari, Federico. Il Passaggio per l’Italia con .a dimora di Parma [1608]. Hg. v. Vincenzo Lanciarini. Rom, 1893.

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Die logische Form des Dramas im 17. Jahrhundert Die These, die ich im Folgenden vertreten möchte, lautet, dass das Drama des 17. Jahrhunderts nicht in einem ästhetischen, sondern als Argument in einem sozialen, politischen oder, in der Sprache der Zeit, moralphilosophischen Kontext steht. Diese These begründe ich in fünf Schritten. In einem ersten Schritt zeige ich, dass die Poetik im 17. Jahrhundert in der aristotelischen Schulphilosophie als Teil der Logik, d. h. der Argumentationstheorie im weitesten Sinne galt und die Dichtung selbst somit als Anwendung einer argumentativen Form. In einem zweiten Schritt zeige ich an drei Beispielen, dass diese logische, argumentationstheoretische Auffassung des Dramas auch den Poetiken der Zeit zugrunde liegt. In einem dritten Schritt führe ich an einigen Dramen kurz vor, in welcher Form sie als Argument zu verstehen sind. Viertens versuche ich dann zu zeigen, dass die Auffassung des Dramas als Argument ihren sozialhistorischen Kontext in der didaktischen Instrumentalisierung des Dramas im Schultheater findet. Fünftens komme ich schließlich zu der Frage, was nach Überzeugung der Frühen Neuzeit die Eigentümlichkeit des Dramas ausmacht, wenn es sich als Argument nicht von anderen Argumentationsformen unterscheidet. 1. Die Poetik in der Wissenschaftsklassifikation Zabarellas Iacopo Zabarella gibt in seiner Abhandlung über das Wesen der Logik De natura logicae aus dem Jahr 1578, einem Kommentar zum aristotelischen Organon, eine Begründung für den wissenschaftlichen Charakter der Poetik, d. h. er gibt eine Antwort auf die Frage, welchen Ort die Dichtungstheorie innerhalb der aristotelischen Schriften einnimmt.1 Da1

Zu Zabarellas Bestimmung von Rhetorik und Poetik vgl. W. Edwards, „Jacopo Zabarella. A Renaissance Aristotelian’s View of Rhetoric and Poetry and their Relation to Philosophy“. Arts Libéraux et Philosophie au Moyen Age. Actes du quatrième Congrès international de philosophie médiévale (Montreal 1967). Hg.

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mit ist natürlich zwangsweise auch die Frage nach dem Wesen der Dichtung gestellt. Um Zabarellas Bestimmung der Dichtung zu verstehen, ist es notwendig, wenigstens grob die Grundlagen seiner Wissenschaftsklassifikation darzustellen.2 Grundsätzlich zu unterscheiden ist zwischen kontemplativen und aktiven Wissenschaften. Die kontemplativen Wissenschaften haben ein allgemeines und notwendiges Wissen zum Gegenstand, die aktiven dagegen ein kontingentes und vom menschlichen Willen abhängiges. Zu den kontemplativen Wissenschaften gehören Metaphysik, Mathematik und Naturphilosophie, zu den aktiven die Wissenschaften, die nicht nur auf eine Erkenntnis, sondern durch diese und über diese hinaus auf eine Handlung oder Tätigkeit gerichtet sind. Die Moralphilosophie ist in diesem Sinne auf das menschliche Verhalten gerichtet, die ‚technischen‘ Wissenschaften auf die Herstellung von Gegenständen. Innerhalb der Moralphilosophie wird zwischen der philosophia civilis, deren Aufgabe es ist zu lehren, wie man andere zu guten Menschen macht, und der philosophia moralis, die lehrt, wie man sich selbst zu einem guten Menschen macht, unterschieden. Von diesen Wissenschaften im eigentlichen Sinne sind die instrumentellen Disziplinen zu unterscheiden, d. h. jene Disziplinen, die notwendig sind, damit Wissenschaft überhaupt möglich ist. Zu diesen Disziplinen zählen Grammatik und Logik. Die Grammatik macht Wissen möglich, indem sie richtiges Sprechen und Schreiben lehrt und für das Erlernen einer Sprache unerlässlich ist, die Logik, indem sie die Methodik vermittelt, durch die Wissen zustande kommt und als solches

2

v. Institute d’Études Médiévales Montréal. Montréal u. Paris, 1969, S. 843-854; Heikki Mikkeli. An Aristotelian Response to Renaissance Humanism. Jacopo Zabarella on the Nature of Arts and Sciences. Helsinki, 1992, S. 59-79 und Giorgio Tonelli. „Zabarella inspirateur de Baumgarten ou l’origine de la connexion entre esthétique et logique“. Revue esthétique 9 (1956), S. 182-192. Zu Zabarella allgemein vgl. stellvertretend Antonino Poppi. La dottrina della scienza in Giacomo Zabarella. Padua, 1972 und Wilhelm Risse. Die Logik der Neuzeit. 2 Bde. Stuttgart-Bad Cannstatt, 1964, Bd. 1, S. 278ff. Bibliographischer Nachweis der Ausgaben bei Wilhelm Risse. Bibliographia Logica. 4 Bde. Hildesheim, 1965, Bd. 1: Verzeichnis der Druckschriften zur Logik mit Angabe ihrer Fundorte: 1472-1800. Zu Zabarellas Einfluss auf die protestantische Schulphilosophie vgl. Ulrich Gottfried Leinsle. Das Ding und die Methode. Methodische Konstitution und Gegenstand der frühen protestantischen Metaphysik. Augsburg, 1985, S. 43 und Peter Petersen. Geschichte der aristotelischen Philosophie im protestantischen Deutschland. Leipzig, 1921, S. 196ff. Vgl. Jakob Zabarella. „De natura logicae“. Opera Logica. Frankfurt a. M., 1966 [Nachdruck d. Ausgabe Frankfurt, 1608], Sp. 2ff. Die folgende Zusammenfassung ist notwendigerweise stark verkürzend.

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überprüft werden kann.3 Die Logik zerfällt entsprechend den aristotelischen Schriften, die seit der Spätantike im so genannten Organon zusammengefasst werden, in einen allgemeinen und einen besonderen Teil. Der allgemeine Teil besteht aus der Schrift über die Kategorien, die die Möglichkeit eines Urteils als solches behandelt, aus der Schrift De interpretatione, die zeigt, wie eine Behauptung gebildet wird, und aus der Ersten Analytik, die die Form des Syllogismus behandelt.4 Der besondere Teil enthält die Zweite Analytik, die Topik, die Schrift über die sophistischen Trugschlüsse, die Rhetorik und die Poetik. Diese fünf aristotelischen Schriften ordnet Zabarella entsprechend dem unterschiedlichen Gebrauch an, der von den argumentativen Formen gemacht wird. Die Zweite Analytik zeigt, wie der Syllogismus anzuwenden ist, um ein notwendig wahres Wissen zu erzeugen. Die Topik oder Dialektik zeigt, wie der Syllogismus durch glaubhafte Behauptungen eine bestimmte Meinung, d. h. ein wahrscheinliches Wissen erzeugt, und die Sophistik zeigt, auf welche Art der Syllogismus falsches Wissen erzeugt.5 Dass die Rhetorik die Anwendung argumentativer Formen lehren muss und deshalb als Teil der Logik gelten kann, ist einsichtig. Allerdings unterscheidet sie sich von den ersten drei Wissenschaften dadurch, dass sie keine spezifische Argumentationsform zu ihrem Gegenstand hat.6 Schwieriger ist zu begründen, warum die Poetik ein Teil der Logik sein soll. Ein solcher kann sie natürlich nicht nur deshalb sein, weil sich etwa die dargestellten Personen in einem Drama logischer, d. h. argumentativer Formen bedienen, wenn sie miteinander sprechen. Denn nicht durch die Anwendung logischer Formen wird eine Disziplin zu einem Teil der Logik – das tun alle Disziplinen und Wissenschaften –, sondern durch die Formulierung von Regeln zur Anwendung argumentativer Formen. Die Dichtung – oder spezifischer: das Drama und das Epos, denn nur von diesen beiden Formen ist in der aristotelischen Poetik die Rede – muss als ganze Ausdruck einer argumentativen Absicht sein.7 Diese logische Form der Dichtung bestimmt Zabarella als das exemplum: Die Verhaltensweisen, Gefühle und Handlungen der Menschen, die in Dichtungen eingeführt werden, sind exempla, die den Zuschauern vorgeführt wer3 4 5 6 7

Vgl. Zabarella (Anm. 2), Sp. 21ff. Vgl. ebd., Sp. 66. Vgl. ebd., Sp. 71. Zu Zabarellas Auseinandersetzung mit Rhetorik und Poetik, die im Folgenden ebenfalls stark verkürzt wiedergegeben wird, vgl. ebd., Sp. 78-100. Vgl. ebd., Sp. 85 u. Sp. 94.

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den, um nachgeahmt oder vermieden zu werden. Natürlich sind es erfundene exempla, aber sie sind erfunden, um die Verhaltensweisen der Menschen zu verbessern.8

Gegenstand der Poetik sind also die Regeln für den Gebrauch von exempla, und weil das exemplum eine logische Form darstellt, ist die Poetik ein Teil der Logik. Zwar verwendet auch die Rhetorik exempla, der entscheidende Unterschied zu dieser besteht jedoch darin, dass die Rhetorik, wenn sie das exemplum verwendet, dies nur in sprachlicher Form tut, die Dichtung dagegen stellt ihre exempla den Zuschauern und Zuhörern als tatsächliches Geschehen vor Augen, um diese „davon zu überzeugen, die guten [exempla] nachzuahmen, die schlechten aber zu meiden und zu fliehen“.9 Die dramatische Aufführung des exemplum dient also allein der Überzeugungskraft seines argumentativen Gehalts. Auf die damit angesprochene, spezifische Form der Evidenz, die ausschließlich dem Drama eigen ist, werde ich im letzten Teil dieses Beitrags zurückkommen, zuvor jedoch ist der logische Charakter des exemplum näher zu bestimmen. In der aristotelischen Logik werden vier Formen der Argumentation unterschieden, zwei vollständige und zwei unvollständige. Zabarella unterscheidet sie als deduktive und induktive Formen. Die vollständige deduktive Form ist der Syllogismus, wird eine der Prämissen des Syllogismus weggelassen, entsteht das Enthymem als unvollständiger Syllogismus. Auf der anderen Seite stehen die beiden induktiven Formen, die als vollständige Form in der Aufzählung aller Einzelfälle besteht und als unvollständige Kurzform im exemplum, das einen Einzelfall nennt und von diesem Einzelfall unter Annahme einer allgemeinen Regel auf einen anderen Einzelfall zurückschließt. Das exemplum beruht also auf einem Analogieschluss, der seine Gültigkeit aus der Ähnlichkeit der beiden Einzelfälle bezieht. Das exemplum ist gültig, wenn die beiden Einzelfälle tatsächlich unter die allgemeine Regel fallen, die dem exemplum unausgesprochen zugrunde liegt. Die Begründung für diese beiden Kurzformen Enthymem und exemplum ist keine logische, sondern eine pragmatische, denn nach Zabarella bedient man sich dieser Kurzformen dann, wenn man in einer konkre8

9

Ebd., Sp. 95: „[...] hominum mores, et affectiones, et actiones, quae in poematibus introducuntur, exempla sunt, quae imitanda, vel evitanda spectatoribus proponuntur; ficta quidem a poetis, tamen apta ad mores hominum corrigendos.“ Übersetzung hier und im Folgenden vom Verfasser. Ebd.: „Nam oratores verbo exemplis utuntur, poetae vero non verbo, sed re exempla ficta ob oculos spectantium ponunt, ut persuadeant bonos esse imitandos: pravos autem abhorrendos, ac fugiendos.“

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ten Situation beim Diskussionspartner nicht nur eine Erkenntnis, sondern eine Handlung bewirken will.10 Weil Handlungen immer konkret sind und also Einzelfälle darstellen, so Zabarella, sei das exemplum als argumentative Form besser dafür geeignet, von einer bestimmten Handlung zu überzeugen, als die Induktion, die auf die allgemeine Regel zielt.11 Warum ein konkreter Einzelfall überzeugender ist als eine allgemeine Regel – vor allem wenn diese allgemeine Regel natürlich unausgesprochen auch dem exemplum zugrunde liegt –, betrifft wiederum die spezifische Evidenz des exemplum, und deswegen muss ich hier noch einmal auf den letzten Teil dieses Beitrags verweisen. Rhetorik und Poetik sind logische Disziplinen, weil sie Regeln für die Anwendungen von Enthymemen und exempla aufstellen. Im Unterschied zur Analytik, Dialektik und Sophistik zielen sie jedoch nicht auf die bloße Erkenntnis, sondern über die Erkenntnis hinaus auf eine Handlung. Eng mit diesem ersten Unterschied hängen ein zweiter und dritter Unterschied zusammen, den Zabarella zwischen Rhetorik und Poetik einerseits und den übrigen Teilen der ‚besonderen Logik‘ andererseits macht. Der zweite Unterschied besteht darin, dass Analytik und Topik, weil ihre Anwendung nur auf die Erkenntnis zielt, sich einer sprachlich anspruchslosen Form bedienen, also nur das Argument in seiner logischen Form nennen. Was Zabarella hier im Auge hat, ist eine – im modernen Sinne ‚sachliche‘ – Sprache, deren einziges Ziel die Vermittlung ihres argumentativen Inhalts ist. Wer dagegen beim Zuhörer oder Leser eine Handlung bewirken will, wie Rhetorik und Dichtung, muss das Argument in einer sprachlich ausgestalteten Form vorbringen.12 Der dritte Unterschied besteht für Zabarella darin, dass Analytik, Dialektik und Sophistik allen Wissenschaften – kontemplativen und aktiven – vorgeschaltet sind, denn alle Wissenschaften müssen sich dieser logischen Formen bedienen, um zu ihren Inhalten zu gelangen. Dies gilt aber offensichtlich nicht für Rhetorik und Poetik. Die kontemplati10 11

12

Ebd.: „Duo sunt logica instrumenta, syllogismus, et inductio, quae, dum ad actiones diriguntur, vocantur enthymema, et exemplum.“ Ebd.: „Exemplum autem est inductio imperfecta, ut Aristoteles docuit in secundo libro Priorum Analyticorum, et ab inductione in eo differt, quod inductio a singularibus ad universale progrediens in ipso universali conquiescit: at exemplum a singularibus transiens ad universale non desinit in universali, sed ab eo descendit ad aliud singulare simile primis: quoniam igitur actiones sunt rerum singularium, exemplum in agendis rebus magis locum habet, quam inductio, quae ad universalium cognitionem dirigitur.“ Vgl. ebd., Sp. 86ff.

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ven Wissenschaften zielen nicht auf eine Handlung, sondern nur auf eine Erkenntnis, und deshalb haben sie für rhetorische und poetische Formen keine Verwendung. Rhetorik und Poetik können sich also nur auf die Moralphilosophie beziehen. Indem man aber keine rhetorischen oder poetischen Formen braucht, um sich selbst von einer bestimmten Handlung zu überzeugen, können beide Disziplinen nur in der philosophia civilis zur Anwendung kommen, d. h. in der argumentativen Auseinandersetzung mit anderen.13 Ein letzter Unterschied schließlich resultiert aus der Tatsache, dass die Logik den Wissenschaften vorgeordnet ist, weil sie zur Erkenntnis der Inhalte notwendig ist. Aber auch dies trifft offenbar auf Rhetorik und Poetik nicht zu, die nicht zur Erkenntnis, sondern nur zur Vermittlung der Erkenntnis eingesetzt werden. Während also Analytik, Dialektik und Sophistik allen Wissenschaften als Instrumente vorgeordnet sind, sind Rhetorik und Poetik der philosophia civilis als Instrumente nachgeordnet.14 Damit haben Rhetorik und Poetik in der Wissenschaftsklassifikation Zabarellas eine doppelte Position: Einerseits sind sie, weil sie die Anwendung logischer Formen lehren, Teile der Logik, andererseits aber sind sie, weil sie ausschließlich auf menschliche Handlungen zielen, Instrumente der philosophia civilis. Rückbezogen auf die logische Form des exemplum heißt das, dass der Gegenstand des exemplum, in der Terminologie der Zeit, tugendoder lasterhaftes Verhalten ist, denn dies ist der Gegenstand der philosophia civilis. Der Redner und der Dichter wirken bessernd auf das menschliche Sozialverhalten ein, indem sie Vorbilder für tugendhaftes und abschreckende Bilder von lasterhaftem Verhalten vorführen. In einem Drama stellt also die ganze Handlung die Prämisse eines exemplum dar, aus der der Zuschauer jeweils für sich die conclusio zieht und damit die moralphilosophische Erkenntnis auf sein eigenes Verhalten anwendet.15 Das Drama zeigt an einem konkreten Einzelfall, wie tugendhaftes Verhalten belohnt und lasterhaftes bestraft wird, und von diesem Einzelfall schließt der Zuschauer auf sein eigenes Verhalten zurück. Das ist es, was Zabarella meint, wenn er schreibt, dass die Dichtung nicht auf eine Erkenntnis, sondern auf eine Handlung zielt. Scipione Gentili stellt sich 1588, ausgehend von Zabarellas Klassifikation der Poetik, die Frage, warum, wenn das exemplum das Wesen 13 14 15

Vgl. ebd., Sp. 79ff. Vgl. ebd., Sp. 97ff. Ebd., Sp. 95: „Itaque solum argumentationis assumptum a poeta proponitur non verbis, sed factis, consequens autem ipsi auditores, et spectatores colligunt, quo ad bene agendum trahuntur.“

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der Dichtung ist, in der aristotelischen Poetik nirgendwo davon die Rede sei. Seine Antwort lautet, dass das, was in der Logik exemplum heiße, in der Poetik imitatio genannt werde. Der Dichter erfinde menschliche Handlungen, die der Zuhörer oder Leser als exempla für eine richtige Lebensführung benutze, indem er von den dargestellten Handlungen auf seine eigenen Handlungen zurückschließe. Die Dichtung formuliere die Prämissen, der Zuhörer ziehe daraus die Schlussfolgerung: „Dieser stumme Syllogismus des Zuhörers ist ein exemplum, dessen Obersatz vom Dichter abhängt, die anderen Sätze von ihm selbst.“16 2. Die Erkenntnis vermittelnde Funktion der Dichtung in der Poetik Im sechsten Kapitel des dritten Teiles seines Poetischen Trichters (1648) erklärt Georg Philipp Harsdörffer die Ähnlichkeit oder Gleichnishaftigkeit zum Prinzip der Dichtung: Der Lehrbegierige Verstand hat zwey Mittel sich zu vergnügen: 1. in Erkantniß der Sachen selbsten/ ohne Betrachtung/ was derselben Eigenschaft/ und Beschaffenheit seye/ wann sie mit andern vereinbaret wird. 2. Durch die Gegenhaltung gleichständiger Sachen/ wann man viel auf einmahl anschauet/ und solche gegeneinander hält/ ihre Gleichheit und Ungleichheit betrachtet/ und diese Erkantniß vergnüget den Verstand so vielmehr/ so viel weiter sie sich erstrecket/ eine Sache vollständiger an das Liecht setzet/ und gleichsam von einer Warheit/ in die andre leitet. Diesem nach ist die Gleichniß der Hebel oder die Hebstangen/ welche durch Kunstfügige Ein- und Anwendung aus dem Schlamm der Unwissenheit empor schwinget/ was man sonder solche Geretschafft unbewegt muß erliegen lassen.17

Während die erste Form der Erkenntnis nach Harsdörffer dem analytischen Vorgehen der Philosophie entspricht, entspricht die zweite Form der Dichtung. Der Dichter stellt im Gleichnis eine Verbindung zwischen zwei partikulären Fällen her und vermittelt diese Erkenntnis sei16

17

Scipione Gentili. Parergorum ad Pandectas libri II. Frankfurt, 1588, S. 149f.: „Sed dicendum est, quod in arte rhetorica exemplum, id in poetica imitationem appellari. Imitatur enim poeta et effingit actiones humanas, quas qui audit vel legit, iis tanquam exemplis utatur ad bene vivendum. Cogitabit enim, si ipse ita egerit, ut proponitur a poeta is, cuius actiones moresque repraesentat, parem se cum illo exitum suarum actionum habiturum. Haec igitur auditoris tacita ratiocinatio exemplum est, cuius maior propositio pendet a poeta: caetera ab ipso.“ Georg Philipp Harsdörffer. Poetischer Trichter: die teutsche Dicht- und Reimkunst, ohne Behuf der lateinischen Sprache, in 6 Stunden einzugiessen. 3 Bde. Darmstadt, 1969 [Nachdruck d. Ausgabe Nürnberg, 1648-1653], Bd. 3: Prob und Lob der teutschen Wolredenheit, S. 57.

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nem Leser. Die Dichtung selbst ist das Argument, das diese Erkenntnis transportiert. Die aristotelische Begrifflichkeit ist mit Händen zu greifen, wenn Harsdörffer die Ähnlichkeit als „Geretschaft“ der Erkenntisvermittlung bezeichnet, denn „Geretschaft“ ist der deutsche Begriff für das lateinische „instrumentum“ und das griechische „organon“. Die Ähnlichkeit versichert die Dichtung ihres instrumentellen Charakters, die bei Zabarella den Platz der Poetik im Organon garantierte. „Gleichniß“ dürfte deshalb bei Harsdörffer, wie bei Gentili, den aristotelischen Begriff der imitatio bezeichnen. Zwar gibt es nach Harsdörffer auch eine Form der Dichtung, die nicht auf Gleichnishaftigkeit oder Ähnlichkeit basiert, diese ist jedoch, weil sie keine Erkenntnis vermittelt, auch nicht zu legitimieren. Als „Fabeln und gemeine Mährlein“ überlässt er sie „Kindern und alten Mütterlein“.18 Wenn Harsdörffer sich des Begriffes des Gleichnisses und nicht des Begriffes des exemplum bedient, liegt dies in terminologischen Traditionen innerhalb der Poetik begründet. Das Prinzip ist jedoch dasselbe, was Harsdörffer auch ausdrücklich vermerkt: „Es scheinet aber daß solche Gleichnisse die Eigenschaft der Exempel haben/ die auch sonsten eine Sache zu beweisen angeführet werden.“19 Wenn die Handlung einer Dichtung als ganze ein exemplum ist, so vollzieht sich die Erkenntnis vermittelnde Funktion der Dichtung durch die Erkenntnis einer Ähnlichkeit, nämlich der Ähnlichkeit, die den exemplarischen Fall, den der Zuschauer in der Dichtung vorgeführt bekommt, mit dem Verhalten des Zuschauers verbindet. Denn was der Zuschauer erkennt, ist die Tatsache, dass tugendhaftes Verhalten belohnt und lasterhaftes Verhalten bestraft wird, und indem er die jeweilige Ähnlichkeit zu seinem eigenen Verhalten sieht, erkennt er, dass auch sein eigenes Verhalten belohnt oder bestraft werden wird. Der exemplarische Schluss ist immer ein Analogieschluss, und die Analogie, die ihm zugrunde liegt, ist genau das, was Harsdörffer als Gleichnis oder similitudo bezeichnet.20 18

19 20

Georg Philipp Harsdörffer. Nathan und Jotham: das ist Geistliche und Weltliche Lehrgedichte. Hg. u. eingel. v. Guillaume van Gemert. 2 Bde. Frankfurt a. M., 1991 [Nachdruck d. Ausgabe Nürnberg, 1659], Bd. 1, S. 18. Vgl. auch ders. Frauenzimmer Gesprächspiele. Hg. v. Irmgard Böttcher. 8 Bde. Tübingen, 1968/69 [Nachdruck d. Ausgabe Nürnberg, 1644-1649], Bd. 7, S. 168. An beiden Stellen findet sich ebenfalls eine ausführliche Theorie des Gleichnisses oder „Lehrgedichts“ als Form der Dichtung. Harsdörffer, Frauenzimmer (Anm. 18), Bd. 3, S. 59. Der Begriff der Allegorie, der in der Forschung immer wieder angewendet worden ist, um dieses Phänomen zu bezeichnen, verfehlt aus der Perspektive des 17. Jahrhunderts den Sachverhalt im Kern, auch wenn Allegorie auf der einen und Gleichnis oder exemplum auf der anderen Seite verwandt sind. Die antike Rhetorik

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Auch in der zweiten Poetik, die ich hier als Beispiel anführen möchte, ist der Begriff der similitudo von entscheidender Bedeutung. Jacob Masens Palaestra eloquentiae ligatae, 1654-1657 erschienen, ist die bedeutendste jesuitische Poetik des 17. Jahrhunderts. Masen schaltet wie Harsdörffer an erster Stelle die „altweiberhaften und ersponnenen Fabeln“ aus, die nichts zur Erkenntnis beitragen. Nur solche Dichtungen verdienen auch diesen Namen, die „deutliche Bilder der darzustellenden Sachverhalte sind und die durch ihre Neuheit und Verwunderung zuerst die Aufmerksamkeit des Lesers erregen und ihn dadurch zur Suche einer verborgenen Wahrheit anregen“.21 Diese „verborgene Wahrheit“, die nach Masen in jeder ernsthaften, d. h. Erkenntnis vermittelnden Dichtung enthalten ist, bleibt seines Erachtens deshalb verborgen, weil sie der Handlung der Dichtung gleichnishaft zugrunde

21

unterscheidet zwischem dem Gleichnis als Beweis- und als Schmuckmittel, also zwischen dem Gleichnis als Topos der inventio und als Figur der elocutio. Vgl. z. B. Marcus Fabius Quintilian. Institutio oratoriae. V.11, der in diesem Kapitel die verschiedenen Formen der Ähnlichkeit als Beweismittel behandelt, die Allegorie dagegen VIII.6.44ff. als Trope. In V.11.5 und VIII.3.72 unterscheidet er zwischen Gleichnissen, die als Argumente fungieren und Gleichnissen, die der Anschaulichkeit (ad exprimendam rerum imaginem) dienen. Vgl. auch Heinrich Lausberg. Handbuch der literarischen Rhetorik. München, 1960, § 422 und § 843. Harsdörffer unterscheidet im Poetischen Trichter (Anm. 17), S. 57ff. mit Berufung auf Quintilian VIII.3.72 zwischen Gleichnissen, die einen Sachverhalt „erklären“ (d. h. im Sinne der rhetorischen Anschaulichkeit illustrieren), und Gleichnissen, die einen Sachverhalt beweisen. Unabhängig von der Terminologie ist der entscheidende Unterschied, dass das Gleichnis und das exemplum als Beweismittel aus dem Topos der Ähnlichkeit abgeleitet und im Sinne der Logik eingesetzt werden, um einem Sachverhalt als Argument Gültigkeit zu verleihen, während das Gleichnis und die Allegorie als Schmuckmittel nicht mehr als eine explizit gemachte (im Falle des Gleichnisses) oder eine über mehrere Satzglieder verlängerte Metapher (im Falle der Allegorie) darstellen. Die Bedeutung der Schmuckmittel ist sprachlich ornamental, die Bedeutung der Beweismittel logisch argumentativ. Selbstverständlich kann der Übergang zwischen Beweis- und Schmuckmittel fließend sein und hängt in letzter Instanz von der Intention des Autors ab. Es dürfte sich jedoch empfehlen, im Sinne der terminologischen Genauigkeit dort, wo der argumentative Charakter einer Dichtung bezeichnet werden soll, von einem Gleichnis oder exemplum und nicht von einer Allegorie zu sprechen. Jacob Masen. Palaestra eloquentiae ligatae. Pars I-III. Köln, 1654-1657, Pars I, S. 7: „Et vero ratio ipsa suffragatur: quis enim ferat, ab homine docto ac sapiente, ad eruditionem aliorum, aniles ductasque a colo fabulas obtrudi, quae nihil solidae veritatis, nihil succi sanguinisque, pro sapientia, adferant? Hoc indoctae nugacisque plebeculae, non purgati excultique cerebri commentum sit. [...] Fingendae omnino fabulae erunt, tanquam illustres quaedam rerum exponendarum imagines, quae novitate atque admiratione primum lectoris animum rapiant, deinde ad latentem veritatem investigandam excitent, quae tanto altius insideat, quanto attentius quaesita innotuit.“

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liegt. Der Begriff, dessen sich Masen dabei bedient, ist jener der „verisimilitudo“, der „Ähnlichkeit zum Wahren“.22 Es handelt sich bei Masens Theorie der verisimilitudo also nicht um eine frühe Theorie der poetischen Wahrscheinlichkeit, sondern um eine weitere Formulierung des Erkenntnis vermittelnden Charakters der Dichtung. Durch ihre „Ähnlichkeit zu einer Wahrheit“ überzeugt die dramatische Handlung den Zuschauer von dieser Wahrheit. Was der Dichter erfindet, steht als Fiktion in einem metaphorischen, gleichnishaften Sinne für eine moraldidaktische Lehre. Auch hier ist, in aristotelischer Terminologie, similitudo die Übersetzung des aristotelischen Begriffes der imitatio. Die vielleicht deutlichste Formulierung dieses logischen Dichtungsbegriffes findet sich 1656 in der Vorrede zu einem Drama von Masen, dem Androphilus, wobei diese Vorrede nicht von Masen selbst, sondern von dem Übersetzer Sigmund von Birken stammt: DJe Griechischen Philosophen oder Weltweisen/ wie auch die Spartaner/ wann sie jhre Schulhörer und Kinder von dem Laster der Trunckenheit abmahnen wollen/ haben sie einen truncknen und vollen Menschen ins Mittel kommen lassen/ und also jhnen die Thorheit und den Übelstand dieses Lasters/ gleich als durch ein lebendiges Bildniß/ vorgestellet. Eben einen solchen Zweck haben die Schauspiele.23

Präziser kann man die Dramentheorie des 17. Jahrhunderts nicht auf den Punkt bringen. Was auf der Bühne geschieht, hat keinerlei illusionären Charakter, sondern ist unmittelbar als moralischer Lehrsatz aufzufassen, der durch das Gleichnis oder exemplum der dramatischen Handlung vermittelt wird. Der Zuschauer, der in nüchternem Zustand sieht, wie sich ein Betrunkener benimmt, wird selbst in Zukunft vor Alkoholmissbrauch zurückschrecken. Damit vollzieht er einen exemplarischen Schluss. In den Worten von Birken: Und man kann nicht besser von den Lastern ab- und zur Tugend anmahnen/ als wann man vor Augen stellet/ wie jene an andern abgestraffet/ und diese belohnet worden. Solche Beyspiele sind die besten LehrSätze und SittenLehren.24

In logischer Terminologie: Diese Dramen sind überzeugende Argumente für die Tugend und gegen das Laster. Die letzte Poetik, die ich hier anführen möchte, stammt von Johann Christoph Gottsched und gehört damit nicht mehr ins 17. Jahrhundert. 22

23 24

Vgl. Masen (Anm. 21), caput VI, S. 9ff.: „De fictionum poeticarum verisimilitudine.“ Die komplexen Unterscheidungen und Ausführungen an dieser Stelle kann ich hier nicht darstellen. Sigmund von Birken. Neues Schauspiel/ Betitelt Androfilo Oder Die Wunderliebe [...]. Lüneburg u. Wolfenbüttel, 1656, Vorrede (o. P.). Ebd.

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In seiner Critischen Dichtkunst aus dem Jahr 1729 beschreibt Gottsched das Vorgehen eines Dichters, der ein Drama schreiben will, folgendermaßen: „Der Poet wählet sich einen moralischen Lehr-Satz, den er seinen Zuschauern auf eine sinnliche Art einprägen will. Dazu ersinnt er sich eine allgemeine Fabel, daraus die Wahrheit [s]eines Satzes erhellet.“25 Zuerst wählt der Dichter einen moralischen Lehrsatz, dann überlegt er sich dazu die passende Handlung. Der Zweck der dramatischen Fabel ist die ‚sinnliche Einprägung‘ eines moralischen Lehrsatzes, nicht mehr und nicht weniger. „Ein Gedichte hält in der That das Mittel zwischen einem moralischen Lehrbuche, und einer wahrhaftigen Geschichte. Die gründlichste Sittenlehre ist für den großen Haufen der Menschen viel zu mager und zu trocken.“26 Mit dieser Bestimmung der Dichtung als Instrument der Moralphilosophie steht Gottsched nahtlos in der Tradition des 17. Jahrhunderts. 3. Exemplarische Analyse der Argumente einiger Dramen27 Mein erstes Beispiel ist die Catharina von Georgien des Andreas Gryphius, um 1647 entstanden, 1657 gedruckt. Catharina, die Königin des christlichen Georgien, wird von Chach Abas, dem persischen König, gefangen genommen. Der König verliebt sich in sie und bietet ihr, um den Preis eines Übertritts zum Islam, die Ehe und die Freiheit an. Als Catharina beides ausschlägt, droht Abas ihr Folter und Tod an. Doch auch unter der Folter bleibt Catharina ihrem Glauben treu und stirbt als Märtyrerin. Schon der Untertitel des Dramas – Catharina von Georgien Oder Bewehrete Beständikeit – kündigt den exemplarischen, gleichnishaften Gehalt des Dramas an. Catharina ist, im logischen Sinne, ein exemplum oder Gleichnis für den Christen, der auch in der lebensbedrohlichen Bewährung treu in seinem Glauben verharrt. Die Vorrede an den Leser lässt keinen Zweifel an dieser Identifikation, und auch der von der Ewigkeit gesprochene Prolog identifiziert das Martyrium Catharinas mit dem irdischen Leidensweg des Christen. Der Pro25

26 27

Johann Christoph Gottsched. Ausgewählte Werke. 12 Bde. Hg. v. Joachim u. Brigitte Birke u. P.M. Mitchell. Berlin u. New York, 1973-1987, Bd. 6: Versuch einer critischen Dichtkunst (1973), Teil 2: Anderer besonderer Theil, X. Capitel, § 11, S. 31. Zur Konjektur „[s]eines“ vgl. dort den kritischen Apparat. Gottsched (Anm. 25), Bd. 6, Teil 1: Allgemeiner Theil, IV. Capitel, § 28, S. 221. Selbstverständlich wäre dasselbe auch für den Roman zu demonstrieren, der im Gegensatz zum Drama jedoch den Nachteil hat, dass er in der Theorie der Zeit, also in den Poetiken, nicht erfasst worden ist.

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log endet mit den an die Zuschauer gerichteten Versen, die das Argument des Dramas prägnant zusammenfassen: Jhr/ wo nach gleicher Ehr der hohe Sinn euch steht; Verlacht mit jhr/ [also Catharina] was hir vergeht. Last so wie Sie das werthe Blutt zu Pfand: Vnd lebt vnd sterbt getrost für Gott vnd Ehr vnd Land.28

Das im Gleichnis von Catharinas schrecklichem Tod vermittelte Argument des Dramas ist die Martyriumsbereitschaft des echten Christen. In einen Satz gebracht lautet dieses Argument: Wer die himmlische Seligkeit erlangen will, muss bereit sein, für seinen Glauben zu sterben. Dieses Martyrium war im protestantischen Schlesien des Jahres 1647 durchaus realistisch, denn das protestantische Schlesien stand unter katholischer, habsburgischer Verwaltung, und die erzwungene Rekatholisierung war eine ernst zu nehmende Bedrohung. Gryphius bereitet seine Zuschauer darauf vor, für ihren Glauben das Martyrium zu erleiden, und das Argument, dessen er sich zu diesem Zweck bedient, ist die himmlische Seligkeit, die Catharina in einer ähnlichen Situation durch ihre Beständigkeit erworben hat. Catharina ist ein exemplum für die Martyriumsbereitschaft des echten Christen, der als Zuschauer von dem Einzelfall Catharinas auf seine eigene Person als einen ähnlich gelagerten Einzelfall zurückschließt. Mein zweites Beispiel ist ein heute nahezu unbekanntes, dafür in seiner Zeit äußerst erfolgreiches Stück, nämlich der 1645 entstandene, 1657 gedruckte Androphilus Jacob Masens, aus dem Vorwort zu dessen deutscher Übersetzung ich bereits zitiert habe.29 Ein König mit Namen Andropater verstößt seinen Vasallen Andromiso, weil dieser einen Umsturzversuch unternommen hat. An dessen Stelle nimmt er den Bettler Anthropo an Sohnes statt an. Um sich am König zu rächen, verleitet Andromiso Anthropo zum Ungehorsam. Zur Strafe für seine Leichtfertigkeit macht der König diesen daraufhin zum Rudersklaven auf der Galeere des Thanatos. Androphilus, der Sohn des Königs, ist jedoch in brüderlicher Liebe zu Anthropo entbrannt und folgt diesem auf die Galeere des Thanatos. Dort wird er gefoltert und scheinbar tot zurückgelassen. Anthropo will ebenfalls sterben, bis sich herausstellt, dass

28 29

Andreas Gryphius. „Catharina von Georgien. Oder Bewehrete Beständikeit“. Dramen. Hg. v. Eberhard Mannack. Frankfurt a. M., 1991, S. 128, V. 85-88. Masen. „Androphilus“ (Anm. 21), Pars III: Dramatica, S. 388-442. Deutsche Übertragung von Birken (Anm. 23). Moderne englische Übersetzung bei Michael C. Halbig. The Jesuit Theater of Jacob Masen. Three Plays in Translation with an Introduction. New York u. a., 1987, S. 197-300.

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Androphilus noch nicht ganz tot ist. Der König vergibt beiden und holt sie an seinen Hof zurück. Diese Handlung wird durch die aus dem Griechischen abgeleiteten Namen als Gleichnis der christlichen Heilsgeschichte deutlich. Andropater ist Gott, Andromiso, der Vasall, der den Umsturzversuch macht, der Teufel, Anthropo, der Bettler, der vom König an Sohnes statt angenommen wird, ist der Mensch, der sich dann im Sündenfall von Gott abwendet und auf die Galeere von Thanatos, dem Tod, verbannt wird. Der Sohn des Königs, der aus Liebe zum Menschen sich ebenfalls der Galeere, also dem Tod ausliefert, ist Christus. Der Mensch, der ihm aus Liebe nachsterben will, ist der gläubige Christ, der Hof des Königs, an den beide zurückkehren, die ewige Seligkeit. Dieses Drama ist unwahrscheinlich erfolgreich gewesen – es könnte wohl, was die Zahl seiner Nachahmungen betrifft, als das erfolgreichste Drama des 17. Jahrhunderts gelten. Sigmund von Birkens Psyche (1652, Druck 1679), Anton Ulrichs Amelinde (1657) und Selimena (1663), Johann Ludwig Praschs Psyche cretica (1674), Christian Knorrs von Rosenroth Die Vermählung Christi mit der Seelen (1684) und Gottfried Hoffmanns Eviana (1696) sind Nachahmungen von Masens Androphilus. Masens Drama dürfte diesen Erfolg gerade der Deutlichkeit seines Arguments verdanken. Es lautet: Der Mensch, der bereit ist, Christus im Tod nachzufolgen, erlangt die ewige Seligkeit. Als Gleichnis ist das Drama ein Argument für die Tatsache, dass Christus für die Menschheit am Kreuz gestorben ist und der Mensch diese Erlösung durch seine Bereitschaft, Christus nachzuleben, annehmen muss. Damit unterscheidet sich das Argument von Masens Androphilus – wenigstens auf dieser obersten Ebene – nicht wesentlich vom Argument der Catharina.30 Der entscheidende Unterschied aus poetologischer Perspektive ist, dass es sich bei der Catharina um ein ‚historisches‘, d. h. der Geschichte entnommenes exemplum handelt, bei Masens Androphilus jedoch um ein Gleichnis, dessen Handlung erfunden ist. Diese Unterscheidung bestätigt die Poetik. Masen unterscheidet in seiner Palaestra zwischen zwei Arten der „Wahrheitsähnlichkeit“ (verisimilitudo): derjenigen, die in einer Ähnlichkeit der dramatischen Handlung zur Geschichte (historia, res gestae) besteht – die dramatische Handlung ist ein Gleichnis tatsächlicher geschichtlicher Fakten – und 30

Freilich betrifft diese Ähnlichkeit nur die oberste Ebene des Arguments. Schon die Möglichkeit, Chach Abas und seinen islamischen Glauben auf den Kaiser, unter dessen Verwaltung Schlesien stand, und dessen katholischen Glauben zu beziehen, zeigt die vielfältigen argumentativen Verknüpfungen dieses Stoffes (im Gegensatz zum Androphilus Masens) auf.

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derjenigen, die im Verweis der dramatischen Handlung auf einen wahren Sachverhalt besteht, obwohl die Handlung des Dramas frei erfunden ist. Die erste Form entwickelt ihre Gleichnishaftigkeit an einem historischen, die zweite an einem frei erfundenen Stoff.31 Ganz analog (und wahrscheinlich in direkter Abhängigkeit) unterscheidet Birken in der Vorrede zu seiner Übersetzung des Androphilus zwischen „Geschichtgedichten“ und „Spielgedichten“. Das „Geschichtgedicht“ ist eine „wahrhafftige Geschichte“, die in ein „Gedicht“ „verkappt“ wird, die also so verändert wird, dass sie gleichnishaft auf eine Wahrheit verweist. Das „Spielgedicht“ ist dagegen in seinen „ümständen“ – d. h. in seiner ganzen konkreten Gestalt, seinen Personen und seiner Handlung – frei erfunden, aber so, dass diese „ümstände“ gleichnishaft auf den Lehrsatz oder die Wahrheit verweisen, die der Dichter ausdrücken möchte.32 Weitere Beispiele mögen illustrieren, dass die Gleichnishaftigkeit nicht auf theologische Gehalte beschränkt ist. In Kaspar Stielers Willmut aus dem Jahr 1680 lässt sich Prinz Willmut (der menschliche Wille), Sohn von König Adelheld (der Verstand) und Königin Redewinna (die Vernunft), von Fräulein Scheinguda (das scheinbar Gute) und ihrer Zofe Wunna (die Wollust) entführen. Seine Eltern schicken ihm Ehrlieb (die Ehre) und Wahrmund (die Wahrheit) nach. Aber erst als sie ihm selbst mit dem Ritter Dagobert (die Tugend) folgen, dieser den Drachen Hybris (das Laster) tötet und der Kerkermeister Wißmut (das Gewissen) den Prinzen gequält hat, kehrt dieser reumütig zurück und heiratet die Fürstin Allguda (das höchste Gut). Birkens Komödie Silvia Oder Die Wunderthätige Schönheit zeigt, wie sich der flegelhafte, bäurisch benehmende, bildungsunwillige Patriziersohn Cymon durch die Begegnung mit der „wunderthätigen Schönheit“ Silvias in einen bildungswilligen, gesitteten, höflichen jungen Mann verwandelt. Diese Haupthandlung wird mit mehreren Parallelhandlungen kontrastiert. Davus, der Knecht Cymons, wirbt in grobianischer Weise vergeblich um Gracula, die Dienerin Silvias. Der junge Eusebius, später der Konkurrent um die Hand Silvias, entscheidet sich am Scheide31

32

Masen (Anm. 21), Pars III, S. 178: „Fabula, nisi per similitudinem aut significationem veri, nihil persuadet. Haec autem verisimilitudo duplex est: quod res sit similis historia sive rei gestae […] vel quod significationem rei alterius certa ac vera contineat, licet in se ficta videatur.“ Die Klassifikation Masens ist allerdings wesentlich komplexer und erklärungsbedürftiger, als dies hier ausgeführt werden kann. Vgl. Birken (Anm. 23), unpag. Vorrede. Auch Birkens Klassifikation ist komplexer, als sie hier dargestellt werden kann.

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weg zwischen Tugend und Laster für die Tugend, während seine drei Weggefährten sich für das Laster entscheiden, was sie schließlich im fünften Akt zu Mord und Selbstmord führt. Eine weitere Parallelhandlung zeigt den ‚Miles gloriosus‘ Stolzart, der die Hure Geilwig hofiert und später im Duell stirbt, während Geilwig Selbstmord begeht. Auch wenn die Hauptpersonen keine sprechenden Namen tragen, so ist diese Komödie doch ein Gleichnis, denn hier wird gezeigt, wie die Tugend belohnt und das Laster bestraft wird. Weil sie sich tugendhaft verhalten, bekommen Cymon und Eusebius anständige Ehefrauen und führen ein glückliches Leben, während Geilwig, Stolzart und Epikurus unter brutalen Umständen sterben und, wie die bei ihrem Tod auf der Bühne anwesenden Geister zeigen, in die Hölle kommen. Auch hier bietet sich die Parallele zur schlesischen Tradition an: Andreas Gryphius’ Horribilicribrifax (1648) zeigt, genau wie Birkens Silvia, dass tugendhaftes Verhalten in der Liebe zu einer glücklichen Ehe und lasterhaftes zum Scheitern oder in die Lächerlichkeit führt. Auch hier offenbart der Untertitel – Wehlende Liebhaber – den gleichnishaften, argumentativen Gehalt. Der tugendhafte Cleander bekommt die tugendhafte Sophia, der verdorbene Dorfschulmeister aber die alte Kupplerin und der bramarbasierende Soldat die habgierige, verarmte Adlige. Die Dramen des 17. Jahrhunderts unterscheiden sich vielleicht in der Explizitheit ihres gleichnishaften Gehaltes, nicht aber in der Gleichnishaftigkeit als solcher, die allein den argumentativen Gehalt und damit die Legitimität gegenüber den Märchen der „alten Mütterlein“ versichert. Diese argumentative Struktur wäre leicht an weiteren Dramen zu demonstrieren. Der Jephtias von Jacob Balde ist wiederum ein Gleichnis der Heilsgeschichte, in diesem Fall ist der Stoff allerdings dem Alten Testament entnommen, so dass er im theologischen Sinne typologisch ist. Der Cenodoxus des Jacob Bidermann ist, gegen die protestantische Überzeugung, ein Argument dafür, dass es für Todsünden keine Gnade gibt. Eine ganze Reihe von Dramen des 17. Jahrhunderts, wie etwa die Friedensspiele Johann Rists, sind irenisch in ihrem Gehalt, denn sie stellen Argumente für eine Beendigung des Dreißigjährigen Krieges dar, indem sie die zerstörerischen Auswirkungen des Krieges und die heilsamen Auswirkungen des Friedens vor Augen führen. Simon Dachs Cleomedes ist ein panegyrisches Gleichnis, d. h. es nennt ein Argument für das Lob eines Herrschers, in diesem Fall Wladislaws IV. Die auftretenden Personen sind Personifikationen Polens, Russlands, Englands usw. Das Conjugium Phoebi et Palladis Christian Knorrs von Rosenroth feiert die kaiserliche Hochzeit in einem alchemistischen Gleichnis: Kaiser Leopold I. erscheint als das Gold, das sich mit Pallas

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(Eleonora Magdalena Theresia von Pfalz-Neuburg), der Weisheit, verbindet und auf diese Art den Stein der Weisen erzeugt. Schäferspiele sind, wo sie nicht politische oder religiöse Gleichnisse sind, Lehrstücke für das richtige Verhalten in der Liebe. Die Komödien Christian Weises und Christian Reuters sind Lehrstücke für richtiges Sozialverhalten in bürgerlichen Kreisen. Harsdörffers „Redkunst“ und „Vernunftkunst“ sind Gleichnisse für die Schulfächer der Rhetorik und Logik, Heinrich Tolles Kundegis, Wahrgilt und Willbald sind Gleichnisse für die moralphilosophische Bedeutung der Wissenschaften. Es gibt historisch-politische Gleichnisse wie Birkens Margenis, Harsdörffers Japeta, die anonyme Leonilda, Johannes Riemers Erlöste Germania oder Sophie Elisabeths Frewden Spiell, die das Zeitgeschehen moralisch deuten. Es gibt politische Gleichnisse, die als Argumente wie ein negativer Fürstenspiegel funktionieren, wie die so genannten ratio-status-Dramen, zu denen etwa das anonyme Ratio Status/ oder ietziger Alamodisierender rechter Staats-Teufel und Daniel Richters Trauer- und Lust-Spiel/ von der argen Grund-Suppe der Welt gehören. Neben diese könnte man die Dramen Daniel Caspars von Lohenstein stellen, die ähnliche Argumente aus historischen Stoffen entwickeln. Christian Weises Masaniello ist ein politisches Gleichnis für die Korruption eines absolutistischen Staatswesens genauso wie für die blutigen Folgen von Umsturzversuchen. Auch in diesem Punkt bildet Gottsched nicht das Ende, sondern die Fortsetzung dieser Tradition. Gottscheds Sterbender Cato ist, wie es in der Vorrede zum Stück heißt, ein „Muster der stoischen Standhaftigkeit“, und genau diese Standhaftigkeit ist der exemplarische Gehalt des Dramas. Auf der anderen Seite ist die argumentative Form des Dramas auch keine Innovation des 17. Jahrhunderts, sondern die Fortsetzung einer bis in die Anfänge der Reformation zurückreichenden Tradition. Burkard Waldis’ Verlorener Sohn aus dem Jahr 1527, ein Argument für die protestantische Lehre von der Rechtfertigung allein aus der Gnade, könnte mit einigem Recht an den Anfang dieser Tradition gestellt werden.33 Diese Tradition ist, in sozialgeschichtlicher Perspektive, die Tradition des Schultheaters.

33

Vgl. die Analyse in dem Kapitel „Der verlorene Sohn“ in Volkhard Wels. Triviale Künste. Die humanistische Reform der grammatischen, dialektischen und rhetorischen Ausbildung an der Wende zum 16. Jahrhundert. Berlin, 2000, S. 270-288.

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4. Das Drama des 17. Jahrhunderts als didaktische Veranstaltung Die logische, argumentative Form des Dramas findet ihre sozusagen natürliche Entfaltung in der Tatsache, dass das Drama des 17. Jahrhunderts keine ästhetische Veranstaltung ist, sondern eine didaktische. Von seinem sozialgeschichtlichen Hintergrund her ist das Drama des 17. Jahrhunderts Schultheater.34 Bis weit über die Mitte des 17. Jahrhunderts hinaus gibt es in Deutschland noch keine feststehenden Bühnen oder gar Schauspielhäuser, gar nicht zu reden von hauptberuflichen Schauspielern, sondern die Dramen werden von Schülern aufgeführt, für die solche Aufführungen zum Lehrplan gehören. Im Falle der Jesuitengymnasien waren es die Poetik-Professoren, die jährlich ein Stück schreiben und mit den Schülern aufführen mussten. Als Schultheater ist das Drama des 17. Jahrhunderts eine didaktische Veranstaltung, dessen Autoren Lehrer sind, die verhaltenspädagogische Intentionen verfolgen, dessen Darsteller Schüler der örtlichen Gymnasien sind, die durch die Aufführung etwas lernen sollen, und dessen Zuschauer Stadtbürger sind, die sehen wollen, dass ihre Kinder etwas gelernt haben. Man könnte einwenden, dass es neben dem Schultheater auch eine Wanderbühne und ein Hoftheater gegeben hat. Diesem Einwand wäre entgegenzuhalten, dass erstens die Wanderbühne und das Hoftheater sowohl von ihrer Dramenproduktion wie von ihrem Wirkungskreis her mit dem Schultheater nicht zu vergleichen sind. Was heute als das Drama des 17. Jahrhunderts bekannt ist, ist zum weitaus größten Teil Schultheater. Zweitens, ungleich wichtiger, orientierten sich auch die Wanderbühne und das Hoftheater, wo versucht wurde, sie zu legitimieren, am didaktischen Konzept des Schultheaters. Ein Drama, das keine didaktische Veranstaltung ist, wäre im 17. Jahrhundert nicht zu rechtfertigen. Es würde dem Verdikt verfallen, das Harsdörffer und Masen über die „altweiberhaften und ersponnenen Fabeln“ gefällt haben. Als didaktisches Drama ist das Schultheater das Modell des Dramas, und diese spezifisch deutsche Entwicklung geht auf Martin Luther zurück. Denn Luther war es, der die pädagogische Instrumentalisierung des Dramas gefordert und sie im Zuge der protestantischen Reformation des Schulwesens in den Lehrplänen umgesetzt hatte. Die großen Dramatiker des 16. Jahrhunderts, vom bereits erwähnten Burkard Waldis über Paul Rebhun, Sixt Birck und Thomas Naogeorg bis hin zu 34

Zum Schultheater vgl. stellvertretend den Artikel von Barbara Könneker. „Schuldrama“. Literatur Lexikon. 15 Bde. Hg. v. Walther Killy. Gütersloh, 1988-1993, Bd. 14: Begriffe, Realien, Methoden (hg. v. Volker Meid), S. 345-348.

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Nicodemus Frischlin, sind alle Autoren des Schultheaters. Es ist diese Tradition, in der das Drama des 17. Jahrhunderts steht. Das Schultheater der Jesuiten, das merkwürdigerweise in der Forschung ungleich berühmter ist, entstand als Nachahmung und Konkurrenz des protestantischen Vorgängers und gehorcht denselben Vorgaben. Dieser literaturgeschichtliche und sozialhistorische Hintergrund des Schultheaters wird von der Literatur- und Theaterwissenschaft nicht zur Genüge beachtet. Das Drama des 17. Jahrhunderts wird, noch in der neuesten Forschung, als ästhetisches Phänomen behandelt, d. h. den Personen werden psychologische Motivationen unterstellt und der Bühne ein illusionärer Charakter. Nichts liegt der Bühne des 17. Jahrhunderts ferner. Das Verhalten der Personen ist nicht psychologisch, sondern logisch bestimmt, und die Bühne ist kein Illusionsraum, sondern ein exemplarischer Raum – im konkreten argumentationstheoretischen Sinne des Wortes, wie ihn Zabarellas Logik entwickelt. Das Schultheater ist der sozialhistorische Kontext, in dem die logische, argumentative Form des Dramas ihren natürlichen Ort findet. 5. Die sprachliche Ausgestaltung der Dichtung: Evidenz und Gefühl Von ihrer logischen Form her unterscheidet sich eine Dichtung, wie es bei Gottsched heißt, nicht von einem moralischen Lehrbuch. Es stellt sich damit die Frage, was die Eigentümlichkeit der dichterischen und hier spezifisch der dramatischen Form ausmacht. Ich habe darauf hingewiesen, dass nach Zabarella Rhetorik und Poetik denselben Gegenstand wie die Dialektik haben, nämlich das bloß Glaubwürdige oder Wahrscheinliche, im Gegensatz zur apodiktischen Notwendigkeit des deduktiven Syllogismus, der Gegenstand der Analytik ist. Was die rhetorische und poetische Schlussform von der dialektischen unterscheidet, ist nicht der Zweck, sondern die Tatsache, dass Rhetorik und Poetik über die bloße Erkenntnis hinaus auf eine Handlung des Zuhörers oder Zuschauers zielen. Aus diesem unterschiedlichen Zweck leiten sich für Zabarella drei weitere Unterschiede ab: erstens, dass Rhetorik und Poetik der philosophia civilis zugeordnet sind, zweitens, dass sie sich der logischen Formen des Enthymems und des exemplum bedienen, und drittens, dass sie sich einer sprachlich ausgestalteten Form bedienen, während der wissenschaftliche Traktat sich der Argumente in ihrer sozusagen ‚nackten‘ Form bedient. Von der exemplarischen Form und der Beschränkung auf die philosophia civilis abgesehen, besteht also der einzige Unterschied zwischen

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einem wissenschaftlichen Traktat und einem Drama in der sprachlichen Ausgestaltung. Unter diese sprachliche Ausgestaltung fällt die Tatsache, dass ein Drama eine Handlung hat, dass es aufgeführt wird, dass es Personen gibt, die miteinander sprechen, sich gegenseitig umbringen oder heiraten, bis hin zu der Tatsache, dass diese Personen sich der Form des Verses oder der gewöhnlichen Umgangssprache bedienen. Alles, was über den einen Satz hinausgeht, in dem der logische Gehalt des exemplum ausgedrückt wird, ist nach der Überzeugung der Frühen Neuzeit eine Funktion der sprachlichen Ausgestaltung. Die entscheidende Frage ist, warum Zabarella der Überzeugung ist, dass eine solche sprachlich ausgestaltete, exemplarische Form eher dazu geeignet ist, den Zuschauer zu einer Handlung zu bewegen als das bloße Argument in seiner dialektischen Form. Die Antwort auf diese Frage findet sich nicht mehr in der Logik, sondern in der Rhetorik, die der frühneuzeitlichen Theorie zufolge für die sprachliche Form, insoweit sie über die bloß grammatische Korrektheit hinausgeht, zuständig ist. Entscheidend sind dabei die rhetorischen Konzepte der Evidenz und der Erregung von Gefühlen. Der Begriff der evidentia oder enargeia ist rhetorischen Ursprungs.35 Er bezeichnet in der Rhetorik die Anschaulichkeit oder sinnliche Konkretheit, die der Redner seinem Argument verleihen muss, um es glaubhaft und damit überzeugend zu machen. Der Begriff bezeichnet deshalb nicht ein einzelnes Phänomen, sondern ein komplexes Verfahren, das sich einer Vielzahl rhetorischer Strategien bedient. Das beginnt bei der Wortwahl und dem Satzbau, setzt sich fort bei der Anwendung rhetorischer Stilmittel, die der Veranschaulichung dienen, wie etwa Metapher oder Epitheton, führt auf der nächsten Ebene etwa zur descriptio, also der detaillierten Beschreibung, die einen Sachverhalt vor die Augen des Zuhörers treten lässt, und kann in letzter Instanz eben auch zu dialogischen und dramatischen Formen führen. Das Ziel der evidentia ist als Bildlichkeit, Anschaulichkeit oder sinnliche Konkretheit zu umschreiben. Der Redner entwirft ein Bild, das durch seine suggestive Kraft dem Argument Glaubhaftigkeit verleiht. Der Satz „Die Stadt wurde erobert“ – das Beispiel stammt von Quintilian (VIII.3.67-69) – erfasst den Sachverhalt präzise, gibt ihm aber keine Anschaulichkeit oder Konkretheit. Wer dagegen das Flammenmeer beschreibt, das sich über die Häuser ergießt, das Krachen der einstürzen35

Zum Begriff der evidentia vgl. stellvertretend den Artikel „Evidentia, Evidenz“ von Ansgar Kemmann im Historischen Wörterbuch der Rhetorik. Hg. v. Gert Ueding. Tübingen, 1996, Bd. 3, S. 33-47.

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den Dächer, den allgemeinen Lärm, die ungewisse Flucht der einen, die letzten Umarmungen der anderen, das Weinen der Kinder und Frauen, die alten Leute, denen ein solches Schicksal noch in ihrem Alter widerfährt, die Plünderungen des feindlichen Heeres, die Soldaten, die ihre Gefangenen zusammentreiben, die Mütter, die von ihren Kindern getrennt werden und so weiter – wer dies alles beschreibt, der sagt zwar nicht mehr, als dass die Stadt erobert wurde, aber er lässt die schrecklichen Umstände dieses Sachverhalts in ihren konkreten Details vor die Augen der Zuhörer treten. Ein zweites Beispiel aus der antiken Rhetorik: Cicero schildert in der Rede für Milo, wie dieser unbewaffnet mit Frau und Kindern in der Reisekutsche von Clodius aus dem Hinterhalt angegriffen wird. Indem er das Bild des schutzlosen, unbewaffneten Milo, der von Clodius hinterhältig überfallen wird, vor den Augen der Zuhörer entstehen lässt, ist ihm die Empörung seiner Zuhörer über die feige und ruchlose Tat des Clodius sicher – obwohl es Milo ist, der Clodius umgebracht hat. Die genauen Umstände als solche, also die Behauptungen, dass Milo von seiner Familie begleitet wurde und unbewaffnet war und dass Clodius aus dem Hinterhalt angegriffen hat, lassen das Argument Ciceros glaubhaft werden, nämlich dass Milo Clodius aus Notwehr getötet hat. Milo war unbewaffnet und wurde von seiner Familie begleitet, also muss er aus Notwehr gehandelt haben, und deswegen muss er freigesprochen werden, das ist das Argument Ciceros. Je genauer und konkreter das Bild wird, das Cicero vom unbewaffneten Milo entwirft, desto größer wird die Empörung über Clodius und desto wahrscheinlicher ein Freispruch Milos. Bilder sind Argumente, und sie sind – im rhetorischen, nicht im logischen Sinne – wesentlich überzeugendere Argumente als jede abstrakt-begriffliche Erörterung. Diese Überzeugungskraft der Anschaulichkeit steht damit in einem engen wechselseitigen Verhältnis zu einer anderen wichtigen rhetorischen Strategie, nämlich der Erregung von Gefühlen. Bilder erregen Gefühle, weil sie konkret und anschaulich sind, weil sie etwa das Leiden von Menschen nicht abstrakt, sondern immer an einem konkreten Einzelschicksal behandeln. Genauso wie das exemplum als logische Form, so betrifft die Anschaulichkeit als rhetorische Form immer den konkreten Einzelfall, und es ist nur ein konkreter Einzelfall, der starke Gefühle auslösen kann. Dass Tausende bei einem Krieg sterben können, ist zwar ein Argument gegen einen Krieg, bleibt als Behauptung aber abstrakt. Die bildliche Darstellung des qualvollen Todes weniger Einzelner ist dagegen zwar als Argument wesentlich schwächer, gewinnt aber durch die emotionale Qualität eine ungleich größere Über-

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zeugungskraft. Die Gefühle, die durch eine solche Konkretisierung erzeugt werden, ersetzen keine Argumente, aber sie können Argumente in ihrer Wirkung potenzieren. Sie können eine Handlung auslösen, ohne dass man sich des Arguments im logischen Sinne überhaupt bewusst wird. Mit diesem kleinen Exkurs in die Rhetorik komme ich wieder zu Zabarella und der Frage, warum er der Meinung ist, dass eine sprachlich ausgestaltete, exemplarische Form eher dazu geeignet ist, den Zuschauer zu einer Handlung zu bewegen als das Argument in seiner sachlichen, logischen Form. Die logische Form zielt auf eine Erkenntnis, weil sie begrifflich abstrakt ist, die exemplarische, sprachlich ausgestaltete Form zielt auf eine Handlung, weil sie durch die Anschaulichkeit und die sinnliche Konkretheit, mit der sie ein Einzelschicksal darstellt, diesem exemplum emotionale Überzeugungskraft verleiht. Diese emotionale Überzeugungskraft kann unmittelbar eine Handlung auslösen, im Gegensatz zur wissenschaftlichen Erkenntnis, die immer den Weg über den Verstand gehen muss. Ich schlage den Bogen zurück zum Drama des 17. Jahrhunderts. Dieses erscheint in seiner sprachlich ausgestalteten Form als eine Veranstaltung mit dem Ziel, dem logischen Gehalt, der ihm als exemplum zugrunde liegt, Anschaulichkeit zu verleihen und damit Gefühle auszulösen. Das logische Argument wird auf eine dramatische Handlung gebracht und am Schicksal einzelner Personen exemplifiziert, damit es sinnliche Konkretheit bekommt. Eine solche Konkretheit kann von allen Argumentationsformen nur das exemplum annehmen, denn allein dieses hat einen Einzelfall zum Gegenstand. Aus der Anschaulichkeit und Gefühlserregung als Ziel leiten sich damit alle anderen dramatischen Gebote ab, wie etwa die Forderungen nach poetischer Wahrscheinlichkeit, nach ausreichender Motivierung des Geschehens oder nach psychologisch konsistenter Personendarstellung. Nur wenn das dramatische Geschehen anschaulich wird, wird es glaubhaft. Diesem Ziel dient das gesamte Drama mit seiner Handlung und seinen Personen, einschließlich der Tatsache seiner Aufführung. Gerade die Aufführung als solche trägt natürlich aus rhetorischer Perspektive besonders stark zur Evidenz bei, denn was könnte anschaulicher oder konkreter sein als die Verkörperung auf einer Bühne. Deswegen ist der didaktische Kontext, in dem das Drama des 17. Jahrhunderts steht – also die Tatsache, dass es sich bei diesem Drama um Schultheater handelt – so wichtig.

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6. Zusammenfassung Was ich zu zeigen versucht habe, war, dass das Drama der Frühen Neuzeit nicht ästhetisch im Sinne des 18. Jahrhunderts zu verstehen ist, sondern als Argument, das als solches immer in einem konkreten Kontext steht. Dichtung ist eine Form der Argumentation, sie entwickelt ein Argument für eine bestimmte Behauptung, und indem diese Behauptung der Moralphilosophie angehört, wird die Dichtung zu einer „Dienerin“ der Moralphilosophie, wie es in den zeitgenössischen Traktaten heißt. Wie sich die Dichtung von ihrem Zweck her der Moralphilosophie unterordnet, so bildet auf der anderen Seite die Poetik einen Teil des Organon, weil sie das instrumentelle Wissen vermittelt, das nötig ist, um diese Form der Argumentation anwenden zu können. In ihrem argumentativen Gehalt bedient sich die Dichtung der Logik, in ihrer konkreten sprachlichen Form der Rhetorik. Viel ist es nicht, was der Poetik als Disziplin damit als spezifischer Bereich verbleibt. Man hat in der Forschung zu Recht bemerkt, dass sich die Poetiken der Frühen Neuzeit zum überwiegenden Teil in Metrik (soweit diese nicht der Grammatik zugesprochen wird) und Gattungslehre erschöpfen, d. h. in der Lehre von den Versformen und in der Erläuterung der gattungsspezifischen Anforderungen. Eine allgemeine Theorie der Dichtung, eine ästhetische Reflexion, wie man sie aus dem 18. Jahrhundert kennt, sucht man in diesen Poetiken vergebens. Der Grund dafür sollte nun klar geworden sein. Wenn es in der Frühen Neuzeit keine allgemeine Dichtungstheorie gibt, so deswegen, weil es die Dichtung als einen autonomen Bereich nicht gibt. Pointiert könnte man sagen, dass das Drama des 17. Jahrhunderts gar nicht in die Literaturgeschichte (als eine Form der „Kunst“-Geschichte), sondern in die Pädagogikgeschichte gehört. In der Sprache Zabarellas: Mit ihrem Zweck gehört die Dichtung zur Moralphilosophie, mit ihrem argumentativen Gehalt zur Logik, mit ihrer sprachlichen Gestalt zur Rhetorik.

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Die Rhetorik der Mühelosigkeit in der Wissenschaft und ihre barocken Ursprünge

1. Einleitung Die Rekonstruktionen, die Wissenschaftler nachträglich von ihren Verfahrensweisen anbieten, weichen häufig von den Prozessen ab, die tatsächlich zu ihren Untersuchungsergebnissen geführt haben. Gewöhnlich sind sie in solchen Rekonstruktionen bemüht, sowohl die Notwendigkeit bestimmter Vorauswahlen als auch das Maß an Willkür, das ihre Arbeit prägt, herunterzuspielen und ihre Behauptungen als natürlich und unausweichlich darzustellen. In diesem Aufsatz verfolge ich die Spuren dieser Praxis der Wissenschaftler, nach außen ein sorgfältig gestaltetes Bild ihrer Verfahren zu projizieren, bis zur ästhetischen Theorie des Barocks zurück. Betrachtet man einige Elemente barocker Ästhetik, so findet sich hier die Auffassung des Individuums, das als Schauspieler auf der gesellschaftlichen Bühne darauf angewiesen ist, ein kunstvolles Selbstbild zu entwerfen. Als höchstes Ideal gilt es, ein natürliches und tadelloses Selbstbild zu präsentieren, ohne jemals die Kunstfertigkeiten und die Anstrengungen aufzudecken, die zu dessen Aufrechterhaltung nötig sind. Meiner Ansicht nach liegt es in eben diesem ästhetischen Ideal begründet, dass auch die Naturphilosophen des 17. Jahrhunderts ihre experimentelle Praxis als ein Schauspiel betrachteten, dessen Kunstgriffe im Verborgenen bleiben sollten. Dementsprechend stellten sie ihre Experimente und Überlegungen als objektiv und unausweichlich dar und verschleierten zugleich die Anstrengungen und Entscheidungen, die ihnen zugrunde lagen. Diese Beobachtung erlaubt die Annahme, dass die moderne Praxis des Verbergens wissenschaftlicher Verfahren hinter rationalisierten Rekonstruktionen in der ästhetischen Theorie des Barocks ihre Wurzeln hat.

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2. Mühelosigkeit und die Objektivität wissenschaftlicher Behauptungen Moderne Naturwissenschaftler setzen diverse rhetorische Strategien ein, um ihren Behauptungen größere Glaubwürdigkeit zu verleihen. Einige dieser Strategien stellen Lösungen eines grundlegenden Problems bereit, das sich in der Frage nach der Objektivität von Wissenschaft artikuliert: Inwiefern können Aussagen über die Natur objektiv sein, wenn menschliche Forscher eine so große Rolle bei ihrer Entstehung und Durchsetzung spielen? Jene rhetorischen Strategien stellen die Rolle des Wissenschaftlers in der Konstruktion wissenschaftlicher Tatsachen implizit in einer Weise dar, welche den offensichtlichen Widerspruch zwischen menschlicher Beteiligung und intendierter Objektivität auflöst. Die bekannteste rhetorische Strategie dieser Art besteht darin, den Eindruck zu vermitteln, wissenschaftliche Entdeckungen würden sich ohne jede Beteiligung des Forschers gleichsam von selbst ergeben. Ich nenne diese Strategie die Rhetorik der Selbstauslöschung. Diese zielt darauf, die Rolle des Forschers in der wissenschaftlichen Praxis weitestgehend zu verdecken und Experimente wie auch wissenschaftliche Untersuchungen als unpersönlich erscheinen zu lassen. In wissenschaftlichen Texten manifestiert sich diese Rhetorik der Selbstauslöschung im Gebrauch von unpersönlichen grammatischen Konstruktionen, zum Beispiel im Einsatz der dritten Person oder eines fingierten Subjekts sowie durch die Verwendung von Passivkonstruktionen. Von Wissenschaftlern ist diese Rhetorik der Selbstauslöschung seit dem frühen 20. Jahrhundert in offiziell veröffentlichten Berichten, insbesondere in Beiträgen für wissenschaftliche Zeitschriften, eingesetzt worden. Dass der Gebrauch von Passivkonstruktionen eine besondere Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat, zeigt sich vor allem in der eingehenden Diskussion dieser rhetorischen Strategie in der wissenschaftstheoretischen Literatur.1 Trotz dieses Befundes lassen sich wenigstens drei Bereiche ausmachen, in denen die Rhetorik der Selbstauslöschung selten Gebrauch fin1

Zu den Untersuchungen der Rhetorik wissenschaftlicher Publikationen vgl. Charles Bazerman. Shaping Written Knowledge. The Genre and Activity of the Experimental Article in Science. Madison, Wis., 1988; Alan Gross. The Rhetoric of Science. Cambridge, Mass., 1990; Peter Dear (Hg.). The Literary Structure of Scientific Argument. Historical Studies. Philadelphia, Pa., 1991 und Alan Gross u. a. Communicating Science. The Scientific Article from the 17th Century to the Present. New York, 2002. Zum Gebrauch von Passivkonstruktionen in wissenschaftlichen Schriften vgl. Dan Ding. „Rationality Reborn. Historical Roots of the Passive Voice in Scientific Discourse“. Essays in the Study of Scientific Discourse. Methods, Practice, and Pedagogy. Hg. v. John T. Battalio. Stamford, Conn., 1998, S. 117-134.

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det. Der erste Bereich umfasst die privaten, informellen Interaktionen zwischen Wissenschaftlern und ihren Kollegen. Wie viele ethnografische Studien zur Laborarbeit gezeigt haben, nimmt dieser Diskurs gewöhnlich die Form von Erzählungen persönlicher Erfahrungen an, in denen das Subjekt als ein aktiv handelndes – im Sinne des Erzielens von Ergebnissen und des Überwindens von Schwierigkeiten – dargestellt wird.2 Zweitens verwenden Wissenschaftler die Rhetorik der Selbstauslöschung ebenso wenig in Vorträgen über wissenschaftliche Entdeckungen vor einem Publikum. Solche Vorträge zu wissenschaftlichen Forschungsergebnissen nehmen verschiedene Formen an, zum Beispiel die des öffentlichen Vortrags vor einem fachfremden Publikum, der Vorlesung vor Studenten oder der Präsentation vor Fachkollegen auf wissenschaftlichen Konferenzen und Kolloquien. Und obwohl es wichtige Unterschiede zwischen diesen Gattungen gibt, sind gemeinsame Aspekte unübersehbar: Im Gegensatz zu schriftlichen Publikationen bieten all diese verbalen Präsentationsformen den Anblick eines Redners aus Fleisch und Blut auf dem Podium, der das Publikum unvermeidlich an den Handlungsträger erinnert, der in wissenschaftlichen Prozessen involviert ist. Diese Form der Präsentation lädt den Vortragenden darüber hinaus dazu ein, seine Beziehung zu einem bestimmten Gegenstand und zum anwesenden Publikum anzudeuten. Aus diesem Grund wird sich der Einsatz einer Rhetorik der Selbstauslöschung in einer solchen Situation gewöhnlich als zwecklos erweisen. Stattdessen verweisen Wissenschaftler in Vorträgen sogar häufig ganz explizit auf sich selbst als Agenten der Konstruktion wissenschaftlicher Erkenntnisse und verwenden in diesem Fall auch andere rhetorische Strategien, um den Eindruck der Objektivität ihrer Behauptungen zu untermauern.3 2

3

Zu Untersuchungen der Rhetorik der informellen Interaktionen zwischen Wissenschaftlern vgl. Bruno Latour u. Steve Woolgar. Laboratory Life. The Social Construction of Scientific Facts. London, 1979 und G. Nigel Gilbert u. Michael Mulkay. Opening Pandora’s Box. A Sociological Analysis of Scientists’ Discourse. Cambridge, 1984. Das Engagement des Redners in Vorlesungen wurde z. B. untersucht von Wallace Chafe u. Jane Danielewicz. „Properties of Spoken and Written Language“. Comprehending Oral and Written Language. Hg. v. Rosalind Horowitz u. S. Jay Samuels. San Diego, Cal., 1987, S. 83-113. Zu weiterführenden Studien zur Sprache und Rhetorik akademischer Vorlesungen vgl. Erving Goffman. Forms of Talk. Philadelphia, 1981, S. 160-196 und Deborah Tannen. „The Commingling of Orality and Literacy in Giving a Paper at a Scholarly Conference“. American Speech 63 (1988), S. 34-43. Die Rolle von Vorträgen bei der Etablierung einer öffentlichen Kultur der Wissenschaft wurde untersucht von Jan Golinski. Science as Public Culture.

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Nicht zu finden ist die Rhetorik der Selbstauslöschung drittens in den veröffentlichten Berichten der experimentellen Naturphilosophie des 17. Jahrhunderts. Robert Boyles und Robert Hookes Beschreibungen von Experimenten zum Beispiel enthalten zahlreiche Beschreibungen ihrer Vorgehensweisen, die in der Ich-Form verfasst sind. Ein Grund dafür ist, dass dem Moment der Augenzeugenschaft für die Glaubwürdigkeit von Experimentberichten im 17. Jahrhundert eine große Bedeutung zugemessen wurde: Eine wissenschaftliche Tatsache war ein Ereignis, von dem durch eine glaubwürdige Person – üblicherweise einem Mitglied einer wissenschaftlichen Gesellschaft – und durch weitere vertrauenswürdige Beobachter, manchmal durch Namen und sozialen Rang ausgewiesen, berichtet wurde. Demzufolge hätte ein unpersönlicher Stil wenig dazu beigetragen, die Glaubwürdigkeit von Berichten über wissenschaftliche Entdeckungen zu erhöhen. Ein weiterer möglicher Grund dafür, dass die Rhetorik der Selbstauslöschung im 17. Jahrhundert keinen Einsatz fand, mag darin liegen, dass es in jener Zeit, in der das Experiment noch eine vollkommen neue und unbekannte Praxis darstellte, äußerst abwegig erschienen wäre, von einem wissenschaftlichen Untersuchungsergebnis zu behaupten, es sei ohne jede menschliche Intervention zu Stande gekommen.4 Sowohl in heutigen wissenschaftlichen Vorträgen als auch in den Experimentberichten des 17. Jahrhunderts, in denen die Rhetorik der Selbstauslöschung nicht zu finden ist, wird häufig eine andere rhetorische Strategie eingesetzt, die ebenfalls darauf zielt, den Behauptungen den Eindruck höchstmöglicher Objektivität zu verleihen. Ziel dieser Strategie ist es nicht, die Rolle des Forschers bei der Produktion von Erkenntnissen zu bestreiten; sie hebt vielmehr hervor, welchen gerin-

4

Chemistry and Enlightenment in Britain, 1760-1820. Cambridge, 1992 und Larry Stewart. The Rise of Public Science. Rhetoric, Technology, and Natural Philosophy in Newtonian Britain, 1660-1750. Cambridge, 1992. Zur öffentlichen Vorführung von Experimenten vgl. Simon Schaffer. „Natural Philosophy and Public Spectacle in the Eighteenth Century“. History of Science 21 (1983), S. 1-43 und ders. „Machine Philosophy. Demonstration Devices in Georgian Mechanics“. Osiris 9 (1994), S. 157-182. Zur Konstruktion wissenschaftlicher Tatsachen in der englischen Naturphilosophie des 17. Jahrhunderts vgl. Steven Shapin. „Pump and Circumstance. Robert Boyle’s Literary Technology“. Social Studies of Science 14 (1984), S. 481-520; Peter Dear. „Totius in Verba. Rhetoric and Authority in the Early Royal Society“. Isis 76 (1985), S. 145-161; Steven Shapin u. Simon Schaffer. Leviathan and the AirPump. Hobbes, Boyle, and the Experimental Life. Princeton, N. J., 1985; Lorraine Daston. „Baconian Facts, Academic Civility, and the Prehistory of Objectivity“. Annals of Scholarship 8 (1991), S. 337-363 und Steven Shapin. A Social History of Truth. Civility and Science in Seventeenth-Century England. Chicago, Ill., 1994.

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gen Aufwand an Mühe der Beitrag des Forschers erfordert hat. Diese zweite Strategie nenne ich die Rhetorik der Mühelosigkeit. Anders als der Strategie der Selbstauslöschung ist dieser Strategie bis heute wenig Aufmerksamkeit gewidmet worden. Wie kann die Abwesenheit von Mühe die Glaubwürdigkeit einer wissenschaftlichen Entdeckung erhöhen? Die Rhetorik der Mühelosigkeit basiert auf der Unterstellung, dass Entdeckungen, die mit geringem Aufwand gemacht wurden, wahrscheinlich wahr sind, wohingegen ein hoher Aufwand nötig ist, um falsche Ergebnisse herzustellen. Die Rhetorik der Mühelosigkeit rekurriert damit auf die traditionelle Ansicht, dass Wahrheiten natürlich und einsichtig, Unwahrheiten dagegen künstlich und konstruiert sind. Unter dieser Prämisse wird die Vortäuschung von Mühelosigkeit im Forschungsprozess zu einem Mittel, die Wahrheit der eigenen Entdeckung zu behaupten – jedes Mehr an Mühe würde dagegen den Verdacht erregen, man habe stattdessen eine Unwahrheit konstruiert. Die Asymmetrie zwischen Wahrheit und Unwahrheit bezieht sich dabei auf das heute von einigen Wissenschaftsphilosophen vertretene Prinzip, dass wahre und falsche Überzeugungen auf unterschiedliche Weise erklärt werden müssen. Diesem Prinzip zufolge könnte die Tatsache, dass ein Wissenschaftler eine wahre Überzeugung vertritt, möglicherweise dadurch erklärt werden, dass er diese durch rationale Argumentation gewonnen hat; dass ein Wissenschaftler eine falsche Überzeugung vertritt, müsste hingegen durch den Verweis auf soziale und psychologische Einflüsse erklärt werden, die ihn in die Irre geführt haben. Im Rahmen dieses Prinzips wird rationales Verhalten nicht mehr als mühelos dargestellt: Vielmehr suggeriert dieses, dass Rationalität eine natürliche Eigenschaft von Wissenschaftlern darstellt, während Abweichungen von der Rationalität als Effekte externer Kräfte erscheinen. Einige Wissenschaftsphilosophen berufen sich auf dieses Prinzip, um ihre Disziplin von der Wissenschaftssoziologie abzugrenzen, der die vorrangige Aufgabe zugeschrieben wird, Irrtümer zu erklären; im Gegensatz dazu weisen Wissenschaftssoziologen dieses Prinzip zurück, indem sie behaupten, dass wahre und falsche Überzeugungen im Rahmen derselben kausalen Zusammenhänge erklärt werden müssen.5 5

Zur Befürwortung dieses Prinzips der Asymmetrie in der jüngsten Wissenschaftsphilosophie vgl. Imre Lakatos. „History of Science and Its Rational Reconstructions“. PSA 1970. Proceedings of the 1970 Biennial Meeting of the Philosophy of Science Association. Hg. v. Roger C. Buck u. Robert S. Cohen. Dordrecht, 1971, S. 91-135 und Larry Laudan. Progress and Its Problems. Towards a Theory of Sci-

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Die Rhetorik der Mühelosigkeit verstärkt also nicht nur die Glaubwürdigkeit wissenschaftlicher Entdeckungen, sondern erhöht auch das Ansehen des Forschers, und zwar indem sie die Existenz von Kraftreserven suggeriert, die ihm, wenn er diese voll einsetzte, noch eindrucksvollere Ergebnisse ermöglichen würden. Welche Mittel sind es also, die es den Wissenschaftlern ermöglichen, ihre Arbeit als mühelos darzustellen? Zunächst und ganz konkret gilt es den Eindruck zu vermitteln, dass sie nur ein geringes Maß an körperlicher Arbeit aufgewandt haben. Diese Strategie eignet sich besonders für Beschreibungen von Experimenten: Das Ergebnis eines mit Leichtigkeit durchgeführten Experiments, so könnte man meinen, entspricht einer überzeugenden und stabilen Größe in der Welt und ist deshalb vertrauenswürdig. Dagegen mag ein experimentelles Ergebnis, das nur mittels mühsamer und komplizierter Manipulation erreicht wurde, lediglich einem flüchtigen Effekt oder Artefakt entsprechen. Darüber hinaus könnten Wissenschaftler den Eindruck vermitteln, dass sie nur ein geringes Maß an geistiger Arbeit investiert haben: Sie könnten zum Beispiel behaupten, sich dem Ockhams Rasiermesser genannten Sparsamkeitsprinzip als wissenschaftlicher Methode in einer seiner Formen angeschlossen und keinerlei kreative oder imaginative Energien verbraucht zu haben, oder angeben, dass sie nicht gezwungen waren, in ihrer Arbeit Entscheidungen oder eine Auswahl zu treffen. Wenn ein Wissenschaftler im Verlauf einer Versuchsreihe an keinem Punkt mit Alternativen konfrontiert wird, zwischen denen er sich entscheiden muss, können die Ergebnisse als natürlich und unausweichlich und damit als objektiv betrachtet werden. Natürlich ist ein Wissenschaftler in Wirklichkeit gezwungen, hinter den Kulissen große Mühen auf sich zu nehmen, um zu einem stichhaltigen Ergebnis zu gelangen.6 Die Rhetorik der Mühelosigkeit besteht demnach darin, die Mühe, die notwendig ist, um wissenschaftliche Erkenntnisse zu gewinnen, zu verbergen. In einem Bericht über ein Experiment z. B. kann dies bedeuten, dass Details der angewandten Verfahrensweise weggelassen werden – sei es entweder im Interesse der Einfachheit oder um der Konkurrenz die Feinheiten der Methode nicht zu enthüllen. Der Eindruck der Natürlichkeit, den die Rhetorik der Mühelosigkeit kultiviert, gleicht also zum Teil einer Täuschung.7

6 7

entific Growth. Berkeley, 1977, S. 196-222. Als Kritik an diesem Prinzip vgl. David Bloor. Knowledge and Social Imagery. London, 1976, S. 5-10. Vgl. Bruno Latour. Science in Action. How to Follow Scientists and Engineers through Society. Milton Keynes, 1987. Die Aufforderung, dass Wissenschaftler in ihren Publikationen die Mühe, die sie

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In welcher Weise manifestiert sich nun die Rhetorik der Mühelosigkeit in Beschreibungen wissenschaftlicher Ergebnisse, beispielsweise in Publikationen und Vorträgen? Im engeren Sinne besteht diese darin, dass ein Wissenschaftler, der einen Bericht über eine Versuchsreihe vorlegt, diese Untersuchung so darstellt, als hätte sie wenig oder gar keine Mühe gekostet. In der Praxis wird dieser Effekt der Rhetorik der Mühelosigkeit jedoch noch verstärkt, wenn auch der Bericht selbst mühelos erscheint. Auf diese Weise erweckt der Wissenschaftler den Anschein, die Materie sowohl in der Phase des Experimentierens als auch in der der Präsentation der Ergebnisse leicht zu beherrschen. Wie es in allen rhetorischen Strategien der Fall ist, verschmelzen hier Inhalt und Form, um ein einziges überzeugendes Ganzes hervorzubringen. Die Rhetorik der Mühelosigkeit steht mit der Rhetorik der Selbstauslöschung offensichtlich in einem engen Zusammenhang. In vielerlei Hinsicht kann Letztere als ein Extremfall der Ersteren gesehen werden, denn der beste Weg, die Mühelosigkeit einer Tätigkeit auszustellen, besteht darin, jede Form der menschlichen Beteiligung überhaupt zu leugnen. Die Rhetorik der Mühelosigkeit ist jedoch vielseitiger und flexibler: Sie erlaubt es dem Wissenschaftler, einerseits die Erkenntnisse als persönliche Leistung unverhohlen für sich in Anspruch zu nehmen und diese andererseits als objektiv darzustellen. Die Rhetorik der Mühelosigkeit stellt ein wichtiges und bekanntes Element moderner Wissenschaftspraxis dar. Sie erhöht nicht nur die Glaubwürdigkeit einzelner wissenschaftlicher Behauptungen und das Ansehen einzelner Forscher, sondern sie bestimmt auch in hohem Maße unsere Auffassung von Wissenschaft. Mit ihrer Hilfe wird ein faszinierendes Bild von Wissenschaft als immaterieller, transparenter und gemächlicher Unternehmung entworfen, der Forscher – jenseits all der schmutzigen und verschwitzten Mühen anderer Tätigkeiten – mit leichter Anmut und Natürlichkeit nachgehen. In den Naturwissenschaften sind neben der Rhetorik der Selbstauslöschung und der der Mühelosigkeit unzählige andere rhetorische Strategien verfügbar, um die Glaubwürdigkeit von Erkenntnissen zu untermauern. Eine dieser alternativen Strategien kann als das Gegenteil der Rhetorik der Mühelosigkeit bezeichnet werden: Sie besteht darin, das große Maß an Mühe zu betonen, das investiert wurde, um ein Ergebnis zu erzielen. Diese rhetorische Strategie wird oft in Bereichen eingefür ihre Experimente aufgewandt haben, ehrlich offen legen sollten, geht zurück auf Harry M. Collins. „Tacit Knowledge, Trust and the Q of Sapphire“. Social Studies of Science 31 (2001), S. 71-85.

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setzt, in denen Forschungsergebnisse von komplexen und kostspieligen Apparaturen abhängen, wie zum Beispiel in der Hochenergiephysik. Forscher, die in diesem Feld arbeiten, versuchen häufig, die Glaubwürdigkeit ihrer Behauptungen dadurch zu untermauern, indem sie auf die arbeitsintensive Entwicklung der Apparate verweisen; aus diesem Grund werden Konferenzvorträge häufig mit der Präsentation von Bildern der experimentellen Apparate eröffnet. Diese Strategie erweist sich als ebenso effektiv, wenn es um Forschungsgebiete geht, in denen es auf die genaue Messung physikalischer Parameter, wie etwa Naturkonstanten, ankommt; die Glaubwürdigkeit eines Ergebnisses wird hier durch die Ausstellung der Sorgfalt, die auf die Kalibrierung der Instrumente oder die Analyse experimenteller Fehlerquellen verwandt wurde, erzeugt.8 3. Die Rhetorik der Mühelosigkeit in Vorträgen der modernen Wissenschaft Um den Gebrauch der Rhetorik der Mühelosigkeit in der modernen Wissenschaft zu veranschaulichen, will ich nun die drei bereits erwähnten Formen des Vortrages näher betrachten: öffentliche Vorlesungen, Vorlesungen vor Studenten und Konferenzbeiträge. Ein berühmtes Beispiel der Rhetorik der Mühelosigkeit bei öffentlichen Vorlesungen bieten die Friday Evening Discourses, die Michael Faraday an der Royal Institution in London zwischen 1825 und etwa 1860 hielt. Faraday präsentierte bei diesen Veranstaltungen, die einen Vortrag und die Vorführung von Experimenten miteinander verbanden, oft seine eigenen Entdeckungen im Bereich der Chemie, des Elektromagnetismus und auf anderen Gebieten. Er benutzte nicht die Rhetorik der Selbstauslöschung, ganz im Gegenteil: Vielmehr betonte er seine persönliche Rolle bei der Herstellung dieser Ergebnisse. Was er verwandte, war jedoch die Rhetorik der Mühelosigkeit. 8

Beispiele der Ausstellung von Mühe in experimentellen Berichten finden sich u. a. bei Graeme J.N. Gooday. „Instrumentation and Interpretation. Managing and Representing the Working Environments of Victorian Experimental Science“. Victorian Science in Context. Hg. v. Bernard Lightman. Chicago, Ill., 1997, S. 409-437. Rhetorische Verweise auf komplexe Versuchsanordnungen von Hochenergie-Physikern beschreibt z. B. Sharon Traweek. „Border Crossings. Narrative Strategies in Science Studies and among Physicists in Tsukuba Science City, Japan“. Science as Practice and Culture. Hg. v. Andrew Pickering. Chicago, Ill., 1992, S. 429466.

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Faradays Diskurse wurden von seinem modernen Publikum wegen ihrer Leichtigkeit und Natürlichkeit gefeiert. Henry Bence Jones, Sekretär der Royal Institution und Faradays Biograf, zufolge „war sein Auftreten so natürlich, dass niemand je auf den Gedanken kam, seine Vorlesung mit irgendeiner Form von Kunst in Verbindung zu bringen“. In Wirklichkeit jedoch war dieser Eindruck von Natürlichkeit nur auf Kosten harter Arbeit hinter den Kulissen möglich. Erstens war Faraday sich der Notwendigkeit, Ideen mit Leichtigkeit und Klarheit zu präsentieren, sehr wohl bewusst: Zu Beginn seiner Karriere als Laborassistent hatte er Rhetorikunterricht genommen, um seine Sprech- und Vortragsweise zu verbessern. Zweitens waren die experimentellen Demonstrationen, die seine Vorlesungen begleiteten, gewissenhaft vorbereitet. Der Physiker Silvanus P. Thompson legt dies in seiner Faraday-Biografie offen: Für seine Freitagsdiskurse und andere seiner Vorlesungen im Theater traf er im Vorhinein immer umfassende Vorbereitungen. Er verwendete eine unüberschaubare Menge von Materialien, und dass seine Experimente immer erfolgreich waren, war nicht ausschließlich seinen herausragenden handwerklichen Fähigkeiten zuzuschreiben. So unschlagbar er als Manipulator auch war: Wenn er vorhatte, komplizierte und schwierige Experimente zu zeigen, wurde das, was gezeigt werden sollte, im Labor vorher immer sehr gut geprobt.9

Der daraus resultierende Eindruck der Natürlichkeit spielte eine wichtige Rolle bei der Untermauerung der Glaubwürdigkeit der wissenschaftlichen Entdeckungen von Faraday, erhöhte sein Ansehen und vermittelte seinem Publikum ein bestimmtes Bild von Wissenschaft. Die zweite Vortragsform ist die Vorlesung vor Studenten. Ein Beispiel für die Kultivierung des Eindrucks der Mühelosigkeit im 20. Jahrhundert auf dem Feld des Unterrichtens ist Enrico Fermi. Sein Kollege Chen Ning Yang schreibt: 9

„[H]is manner was so natural, that the thought of any art in his lecturing never occurred to anyone.“; „For his Friday discourses, and for his other set lectures in the theatre, he always made ample preparation beforehand. His matter was always over-abundant, and, if his experiments were always successful, this was not solely attributable to his exceeding skill of hand. For, unrivalled as he was as a manipulator, in the cases in which he attempted to show complicated or difficult experiments, that which was to be shown was always well rehearsed beforehand in the laboratory.“ Henry Bence Jones u. Silvanus P. Thompson zit. n. Iwan Rhys Morus. Frankenstein’s Children. Electricity, Exhibition, and Experiment in EarlyNineteenth-Century London. Princeton, N. J., 1998, S. 29. Für eine weiterführende Diskussion der Faraday’schen Demonstrationen und ihrer scheinbaren Mühelosigkeit vgl. David Gooding. „‚In Nature’s School‘. Faraday as an Experimentalist“. Faraday Rediscovered. Essays on the Life and Work of Michael Faraday, 17911867. Hg. v. dems. u. Frank A.J.L. James. London, 1985, S. 105-135 und Morus, ebd., S. 13-42.

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Wie wohl bekannt ist, hielt Fermi extrem klar verständliche Vorlesungen. Auf eine Art und Weise, die bezeichnend für ihn ist, begann er bei jedem Thema immer ganz am Anfang, behandelte einfache Beispiele und vermied, so weit wie möglich, so genannte „Formalismen“. [...] Eben diese Einfachheit seiner Argumentation vermittelte den Eindruck der Mühelosigkeit, aber eben dieser ist falsch: Die Einfachheit war das Ergebnis sorgfältiger Vorbereitung und bewusster Abwägung verschiedener Möglichkeiten der Präsentation. Im Frühling 1949, als Fermi einen Kurs in Nuklearphysik gab [...], musste er Chicago für einige Tage verlassen. Er bat mich, eine Vorlesung zu übernehmen, und gab mir ein kleines Notizbuch, in dem er jede Vorlesung bis ins Detail sorgfältig geplant hatte. Vor seiner Abfahrt ging er die Vorlesung mit mir durch, nicht ohne mir den Grund für jeden einzelnen Schritt der Darstellung zu erläutern.10

In seinen Vorlesungen verbarg Fermi die Entscheidungen, die der Vorführung zugrunde lagen, und die Anstrengung, die nötig war, um diese Entscheidungen zu treffen. Er erzeugte damit den Eindruck, als seien sowohl seine Forschungsergebnisse als auch deren Präsentation natürlich und unausweichlich. Der dritte und letzte Vortragstypus ist der Konferenzvortrag. Heute passen sich in den Naturwissenschaften die meisten Vortragenden auf Konferenzen einem vorherrschenden Stil an: der Kultivierung des Eindrucks von Mühelosigkeit. Anstatt zum Beispiel von einem Manuskript abzulesen, sprechen sie auf scheinbar improvisierte, lässige und informelle Weise und benutzen Overhead-Folien oder Dias als visuelle Stichwortgeber. Zudem tendieren sie dazu, sich einer einfachen Sprache zu bedienen. Während sie zwar die in ihrem Forschungsfeld gebräuchlichen technischen Termini und Ausdrücke verwenden, vermeiden sie indessen kunstvolle und auffällige elegante sprachliche Konstruktionen. Das impliziert die Botschaft, dass der Redner wenig Mühe auf die Vorbereitung des Vortrags verwandt hat; er möchte dem Publikum lediglich seine Ergebnisse auf eine ungeschminkte Art und Weise vorlegen, in 10

„As is well known, Fermi gave extremely lucid lectures. In a fashion that is characteristic of him, for each topic he always started from the beginning, treated simple examples and avoided as much as possible ‚formalisms‘. [...] The very simplicity of his reasoning conveyed the impression of effortlessness. But this impression is false: the simplicity was the result of careful preparation and of deliberate weighing of different alternatives of presentation. In the spring of 1949 when Fermi was giving a course on Nuclear Physics [...], he had to be away from Chicago for a few days. He asked me to take over for one lecture and gave me a small notebook in which he had carefully prepared each lecture in great detail. He went over the lecture with me before going away, explaining the reasons behind each particular line of presentation.“ Chen Ning Yang. „Introduction to Enrico Fermi and Chen Ning Yang, Are Mesons Elementary Particles?“. Enrico Fermi. Note e Memorie. 2 Bde. Hg. v. Edoardo Amaldi u. a. Rom, 1965, Bd. 2, S. 673.

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der Erwartung, dass diese auch ohne rhetorische Ornamente hinreichend überzeugend sind. Dieser Stil unterscheidet sich deutlich von Konferenzbeiträgen in den Geisteswissenschaften. Redner auf geisteswissenschaftlichen Konferenzen lesen sehr viel häufiger vom Manuskript ab, selten sprechen sie aus dem Stegreif. Diese Praxis ermöglicht es ihnen, sorgfältig komponierte Charakterisierungen und Argumente wiederzugeben und richtet die Aufmerksamkeit in den Beiträgen auf die Bedeutung präziser Formulierungen. Dass der Redner hier ein nicht unerhebliches Maß an Mühe auf die Ausarbeitung des Vortrags investiert hat, ist unübersehbar. 4. Der Aufstieg der Rhetorik der Mühelosigkeit im 17. Jahrhundert Wenden wir uns nun derjenigen Spur zu, die bewirkte, dass Mühelosigkeit mit wissenschaftlicher Glaubwürdigkeit und Objektivität assoziiert wird. Ich schicke die Hypothese vorweg, dass die Rhetorik der Mühelosigkeit ihren Ursprung in Elementen barocker Ästhetik des 17. Jahrhunderts hat. Das Ideal vermeintlicher Mühelosigkeit war seit der Antike in der Rhetorik, Ästhetik und Kultur verbreitet. Antike Rhetorik basierte weitestgehend auf der Grundannahme, dass eine natürliche und spontane Rede überzeugender sei, als jene, die kunstvoll und konstruiert erscheine. Während Rhetorik-Theoretiker auf der einen Seite feststellten, dass jeder Teil einer Rede sorgfältige Komposition und Übung erfordert, betonten sie auf der anderen Seite, dass die Überzeugungskraft des Ergebnisses wesentlich vom Verbergen dieser Anstrengung abhängt. Quintilian riet dem Redner z. B., sich um eine einfache und natürliche Sprache zu bemühen und Prahlerei und Weitschweifigkeit zu vermeiden. Der ideale Redner verbirgt die Geschicklichkeit und Disziplin in seinem Vortrag und vermeidet es, den Eindruck einer einstudierten und arbeitsaufwändigen Rede zu vermitteln.11 In der Renaissance verdichtete sich das Ideal der scheinbaren Mühelosigkeit im Begriff der sprezzatura. Mit Bezug auf klassische Quellen der Rhetorik findet sich dieser Begriff zum ersten Mal in Baldassare Castigliones Dialog Il libro del cortegiano von 1528: Die sprezzatura markiert dabei jenen Anschein von Mühelosigkeit und Nonchalance, den Castiglione als Essenz vornehmen Verhaltens beschreibt. Er führt diesen Begriff durch seine Figur Graf Lodovico da Canossa ein: 11

Vgl. Brian Vickers. In Defence of Rhetoric. Oxford, 1988.

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Da ich aber schon häufig bei mir bedacht habe, woraus die Anmut entsteht, bin ich immer, wenn ich diejenigen beiseite lasse, die sie von den Sternen haben, auf eine allgemeine Regel gestoßen, die mir in dieser Hinsicht bei allen menschlichen Angelegenheiten, die man tut oder sagt, mehr als irgendeine andere zu gelten scheint: nämlich so sehr man es vermag, die Künstelei als eine rauhe und gefährliche Klippe zu vermeiden und bei allem, um vielleicht ein neues Wort zu gebrauchen, eine gewisse Art von Lässigkeit (sprezzatura) anzuwenden, die die Kunst verbirgt und bezeigt, daß das, was man tut oder sagt, anscheinend mühelos und fast ohne Nachdenken zustande gekommen ist. Davon rührt, glaube ich, großenteils die Anmut her. Denn jeder weiß um die Schwierigkeit bei seltenen und wohlgelungenen Dingen; wogegen Leichtigkeit dabei größte Bewunderung erregt. Das Erzwingen und, wie man sagt, an den Haaren herbeiziehen, erweckt dagegen den Eindruck höchster Ungeschicklichkeit und läßt alles, so groß es auch sein mag, für gering geachtet werden. Man kann daher sagen, daß wahre Kunst ist, was keine Kunst zu sein scheint; und man hat seinen Fleiß in nichts anderes zu setzen, als sie zu verbergen. Denn wenn sie offenbar wird, hebt sie allen Ruf auf und macht den Menschen wenig geschätzt.12

Der ideale Hofmann war begabt im Tanzen und den Militärkünsten, bewandert in Musik, Malerei, Dichtung, klassischen wie modernen Sprachen und vor allem zeigte er sich anmutig in der Konversation und im sozialen Umgang. Der Höfling bediente sich dieser Fähigkeiten, als verfüge er von Natur aus über sie, ohne jemals die Mühe zu offenbaren, die zu ihrer Beherrschung und Einübung notwendig war. Die Zurschaustellung von sprezzatura hatte dabei Einfluss auf das Ansehen des Höflings: Zum einen bewies er damit, dass er jede Tätigkeit leicht beherrschte, zum anderen verwies er so auf den Umstand, noch über freie Kapazitäten im Hintergrund zu verfügen. Viele Elemente des Begriffes der sprezzatura lassen sich im französischen Hof-Ideal der honnêteté wiederfinden, das ausgehend von den Schriften der antiken Rhetorik von den Humanisten des 17. Jahrhunderts entwickelt worden war. Honnêteté ist eine Art des Verhaltens, das Kunstfertigkeit, Mühe und Geschicklichkeit hinter einer scheinbar natürlichen und gefälligen höfischen Fassade verbirgt. Honnêtes gens erscheinen ehrlich, zwanglos und unprätentiös, zeigen makellose Anmut 12

Baldassare Castiglione. Das Buch vom Hofmann. Übs. u. eingel. v. Fritz Baumgart. Bremen, 1960, S. 53f. Für eine weiterführende Diskussion der sprezzatura vgl. Robert W. Hanning u. David Rosand (Hg). Castiglione. The Ideal and the Real in Renaissance Culture. New Haven, Conn., 1983 und Harry Berger, Jr. The Absence of Grace. Sprezzatura and Suspicion in Two Renaissance Courtesy Books. Stanford, Cal., 2000. Zum Verhältnis von sprezzatura und Rhetorik vgl. Jennifer Richards. Rhetoric and Courtliness in Early Modern Literature. Cambridge, 2003. Zur Verbreitung des Begriffes sprezzatura in der europäischen Kultur vgl. Peter Burke. The Fortunes of the Courtier. The European Reception of Castiglione’s Cortegiano. Cambridge, 1995.

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und gefällige Manieren, denen eine perfekte, aber von anderen unbemerkte Selbstkontrolle zugrunde liegt. Vor allem am französischen Hof und im Salonleben des 17. Jahrhunderts war man bemüht, das Ideal der honnêteté zu erfüllen. Das zeitgenössische Standardwerk ist Nicolas Farets Abhandlung L’Honneste homme ou l’art de plaire à la court von 1630.13 Eine der wichtigsten Fertigkeiten der honnêtes gens wie auch der Höflinge Castigliones ist ihre Gewandtheit in der Konversation. Gesprächsbeiträge sollen gefällig, natürlich, originell, elegant, bescheiden, vernünftig und feinsinnig erscheinen. In der Unterhaltung geäußerte Meinungen sollen nicht durch eingefahrene Doktrinen und Auswendiggelerntes bestimmt sein, sondern vielmehr den Eindruck vermitteln, sich spontan im mühelosen Abwägen der Sachverhalte herausgebildet zu haben. Nicht die Überzeugung der anderen Gesprächsteilnehmer durch Gelehrsamkeit und stichhaltige Argumente ist das erklärte Ziel, es geht vielmehr darum, sie gleichsam durch Zauber dazu zu bringen, den Standpunkt des Redners wie von selbst einzunehmen. Dementsprechend vermeiden honnêtes gens Kontroversen und Polemik und zielen stattdessen auf Zustimmung. Pedanterie, Schulmäßigkeit, Festhalten an Lehrmeinungen, Schwerfälligkeit, Unverständlichkeit und Streitlust galten in den Dingen der Konversation als das Gegenteil der honnêteté. Auf der Suche nach einer Rhetorik für die Verbreitung ihrer Konzeption wandten sich die Verfechter der Neuen Wissenschaft im 17. Jahrhundert dem Ideal der honnêteté zu. Die Haltung, die die honnêtes gens in der Konversation einnahmen, schien der Situation, in der sich die Verfechter der Neuen Wissenschaft innerhalb des wissenschaftsphilosophischen Diskurses ihrer Zeit befanden, in besonderer Weise angemessen. Diese sahen sich mit der systematischen und fest etablierten Lehre des Aristotelismus konfrontiert, innerhalb deren sich eine Form des Diskurses herausgebildet hatte, deren Grundlage Gelehrsam13

Vgl. Nicolas Faret. L’Honneste homme ou l’art de plaire à la court. Hg. v. Maurice Magendie. Paris, 1925. Für eine weiterführende Diskussion der honnêteté vgl. Domna C. Stanton. The Aristocrat as Art. A Study of the Honnête Homme and the Dandy in Seventeenth- and Nineteenth-Century French Literature. New York, 1980; Emmanuel Bury. Littérature et politesse. L’invention de l’honnête homme, 1580-1750. Paris, 1996; Benedetta Craveri. La civiltà della conversazione. Mailand, 2001 und Don Fader. „The Honnête homme as Music Critic. Taste, Rhetoric, and Politesse in the 17th-Century French Reception of Italian Music“. Journal of Musicology 20 (2003), S. 3-44. Zur Rolle von Heuchelei im Ideal der honnêteté vgl. Louis van Delft. „La notion de ‚dissimulation honnête‘ dans la culture classique“. Prémices et floraison de l’âge classique. Mélanges en l’honneur de Jean Jehasse. Hg. v. Bernard Yon. Saint-Étienne, 1995, S. 251-267.

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keit, Beweisführung und Treue gegenüber der Doktrin darstellten. Naturphilosophische Behauptungen wurden nach ihrer Übereinstimmung mit den Schriften von Aristoteles und anderen autoritativen Texten beurteilt. Aristoteles-Kommentare wurden eingehend studiert, um die Bedeutung schwieriger Passagen zu verstehen, und Unstimmigkeiten durch Streitgespräche gelöst, in denen weitschweifige formale Argumente und die Kenntnis handschriftlicher Quellen aufgeboten wurden. Eine Teilnahme an diesem Diskurs hätte es den Verfechtern der Neuen Wissenschaft – die in vielerlei Hinsicht immer noch unvollständig und provisorisch war – erschwert, neue Anhänger zu gewinnen. Stattdessen wandten sich die Verfechter der Neuen Wissenschaft von der Universität ab und ließen sich vielmehr von der Rhetorik der honnêteté an den Höfen und in den Salons inspirieren. Im Zuge dieser Annäherung an die höfische Kultur adaptierten sie neue Präsentationsformen zur Darlegung ihrer naturphilosophischen und mechanischen Theorien. Anstatt zur Überredung ihrer Gegner umfassende geistige Ressourcen zu mobilisieren, subvertierten sie die aristotelische Rhetorik. Sie stellten ihre eigenen Behauptungen als Schlussfolgerungen dar, zu denen jede feinsinnige und undogmatische Person spontan durch vorurteilsfreie Abwägung der Sachlage gelangen würde, kurz: Sie präsentierten ihre Argumente so, als sollten diese bei honnêtes gens Anklang finden.14 Diese Strategie eröffnete den Verfechtern der Neuen Wissenschaft eine Vielzahl von Vorteilen. Erstens ermöglichte ihnen die der honnêteté innewohnende Haltung eines gemäßigten Skeptizismus, sich auf der intellektuellen Ebene der Lehren des Aristotelismus zu entledigen, ohne dass es detaillierter Widerlegungen bedurfte.15 Zweitens ermunterte die honnêteté zum Einsatz eindrucksvoller Beispiele und spektakulärer experimenteller Vorführungen, welche unmittelbar zugänglich und äußerst ausdrucksvoll erschienen. Drittens versetzte die Rhetorik der honnêteté die Verfechter der Neuen Wissenschaft in die Lage, sich ein neues Publikum unter gebildeten Laien zu erschließen und neue Unterstützung in den Kreisen des Hofes zu finden.16 14 15 16

Zur Figur des Naturphilosophen im 17. Jahrhundert vgl. Paolo Rossi. „Der Wissenschaftler“. Der Mensch des Barock. Hg. v. Rosario Villari. Essen, 2004, S. 264-295. Zum gemäßigten Skeptizismus vgl. Richard H. Popkin. The History of Skepticism from Erasmus to Spinoza. Berkeley, 1979. Zur Verbindung höfischer Verhaltensmodelle und früher moderner Wissenschaft vgl. Jay Tribby. „Cooking (with) Clio and Cleo. Eloquence and Experiment in Seventeenth-Century Florence“. Journal of the History of Ideas 52 (1991), S. 417439; Mario Biagioli. „Scientific Revolution, Social Bricolage, and Etiquette“. The

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Diese Strategie stellt eine frühe Version dessen dar, was wir als Rhetorik der Mühelosigkeit in der modernen Wissenschaft identifiziert haben. Sie hat sowohl rhetorische als auch epistemologische Aspekte, welche, wie üblich in diesem Bereich, nicht klar voneinander geschieden werden können. Diese Strategie geht einher mit der Zurückweisung der Verbindung von Glaubwürdigkeit naturphilosophischer Behauptungen und der Zurschaustellung argumentativer und kognitiver Bemühungen, die für den Aristotelismus kennzeichnend war. Die Verfechter der Neuen Wissenschaft gingen stattdessen von einer Verbindung von Glaubwürdigkeit und der Zurschaustellung von Mühelosigkeit aus: Als Behauptungen von höchster Glaubwürdigkeit galten demnach solche, die die Zustimmung von Personen erlangten, die weder komplexe Argumente verwendeten noch auf die Kenntnis von Quellen verweisen konnten, vielleicht weil ihnen ohnehin die nötige Ausbildung und Übung fehlte. Der neuen Strategie zufolge enthüllt sich die Wahrheit am leichtesten denjenigen, die sich dafür entscheiden, keine großen kognitiven Anstrengungen zu unternehmen, aber bereit sind, Sachverhalte auf eine natürliche und ungezwungene Weise zu beurteilen. Beispiele dafür finden sich in der gesamten Wissenschaft des 17. Jahrhunderts, sowohl in der experimentellen Naturphilosophie Englands als auch in den eher rationalistischen Traditionen Kontinentaleuropas. Die Luftpumpenexperimente waren arbeitsaufwändig und schwierig durchzuführen, und Boyle konnte in Bezug auf seine Experimente sowohl misslungene als auch erfolgreiche Versuche vorweisen. Nichtsdestotrotz breitete sich im gebildeten Umfeld der englischen experimentellen Naturphilosophie des 17. Jahrhunderts ein Sinn für Mühelosigkeit aus. In diesem Zusammenhang wurde der Begriff der honnêteté in die Tugenden der Bescheidenheit, der schnörkellosen Rede und der Vermeidung von Streitgesprächen übersetzt. Boyle präsentierte sich als bescheidener Mann, der niemals mehr behauptete, als er beweisen konnte, und ebenso wenig versuchte, ein System zu etablieren.17

17

Scientific Revolution in National Context. Hg. v. Roy Porter u. Mikulás Teich. Cambridge, 1992, S. 11-54; ders. Galileo, Courtier. The Practice of Science in the Culture of Absolutism. Chicago, Ill., 1993; Paula Findlen. „Controlling the Experiment. Rhetoric, Court Patronage and the Experimental Method of Francesco Redi“. History of Science 31 (1993), S. 35-64. Zu den bürgerlichen Tugenden der experimentellen Naturphilosophie des 17. Jahrhunderts vgl. Shapin u. Schaffer (Anm. 4) sowie Shapin, A Social History of Truth (Anm. 4). Zur Rhetorik des Verbergens in der Rhetorik der frühen modernen Wissenschaft vgl. Brian Vickers. „The Royal Society and English Prose Style. A Reassessment“. Ders. u. Nancy S. Struever. Rhetoric and the Pursuit of Truth. Language Change in the Seventeenth and Eighteenth Centuries. Los Angeles, 1985,

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René Descartes wandte sich ebenfalls dem Gedanken der Mühelosigkeit zu, um dem Aristotelismus eine Alternative entgegenzusetzen. Seine Zweifel an der aristotelischen Naturphilosophie brachten ihn zu dem Schluss, dass ein solcher Skeptizismus nicht durch noch größere kognitive Anstrengungen, sondern am besten durch einfache und natürliche Kontemplation überwunden werden könne. In den Regulae von 1628 stellt Descartes die Intuition als eine geistige Tätigkeit vor, die einen unmittelbaren und mühelosen Zugang zur Wahrheit erlaube: Unter Intuition verstehe ich nicht das schwankende Zeugnis der sinnlichen Wahrnehmung oder das trügerische Urteil der verkehrt verbindenden Einbildungskraft, sondern ein so müheloses und deutlich bestimmtes Begreifen des reinen und aufmerksamen Geistes, daß über das, was wir erkennen, gar kein Zweifel zurückbleibt, oder was dasselbe ist: eines reinen und aufmerksamen Geistes unbezweifelbares Begreifen, welches allein dem Lichte der Vernunft entspringt [...].18

Für Descartes schloss Intuition die Unmittelbarkeit und Gewissheit des Blicks ein. Im Gegensatz zur Methode der Scholastiker, die ihre Aufmerksamkeit – Descartes’ Darstellung zufolge – immer auf die kompliziertesten Aspekte eines Gegenstandes richte, konzentriere sich die Intuition auf die grundlegendsten und einfachsten Elemente einer Fragestellung. Den Gedanken der Verbindung von Wissenschaft und Mühelosigkeit entwickelt Descartes in dem kurzen, vermutlich um 1634 verfassten und posthum erschienenen Dialog La Recherche de la vérité par la lumière naturelle weiter. Im Vorwort erklärt Descartes, dass sich dieses Werk an diejenigen honnêtes gens richte, die akademisch nicht gut ausgebildet, aber gegenüber neuen Ideen aufgeschlossen und der Vernunft nicht abgeneigt seien. Der folgende Dialog entspinnt sich zwischen drei Personen. Eudoxe ist ein Philosoph, der, obgleich kein brillanter Kopf, aus Überzeugung allein seiner Vernunft vertraut, um Schlussfolgerungen zu ziehen. Sein Hauptgesprächspartner, Epistémon, ist ein Repräsentant der Scholastik. Poliandre schließlich verkörpert die honnêtes gens, an die sich der Text richtet: Er ist ein Soldat und Höfling, der wenig Zeit auf

18

S. 1-76; Michael Wintroub. „The Looking Glass of Facts. Collecting, Rhetoric and Citing the Self in the Experimental Natural Philosophy of Robert Boyle“. History of Science 35 (1997), S. 189-217 und Fernand Hallyn. „Dialectique et rhétorique devant la ‚nouvelle science‘ du XVIIe siècle“. Histoire de la rhétorique dans l’Europe moderne, 1450-1950. Hg. v. Marc Fumaroli. Paris, 1999, S. 601-628. René Descartes. Regulae ad directionem ingenii/Regeln zur Ausrichtung der Erkenntniskraft. Hg., übs. u. krit. rev. v. Heinrich Springmeyer u. a. Hamburg, 1973, S. 17f.

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den Erwerb von Bücherwissen verwandt hat. Durch die Befragung des Epistémon durch Eudoxe schließt sich Poliandre den Prinzipien der cartesianischen Metaphysik an. Wie der Dialog zeigt, ist Poliandre gerade aufgrund seiner honnêteté dem Cartesianismus gegenüber offen: Er wurde durch keine philosophische Schule beeinflusst.19 Sogar Galileo Galilei übernahm die Rhetorik der honnêteté, obgleich er gewöhnlich als scharfzüngige und polemische Figur gezeichnet wird. Dies wird auf drei Ebenen deutlich: Erstens wählte Galileo für seine Hauptwerke eher die Form des Dialogs als die der Abhandlung. Während die Abhandlung den Eindruck einer Ausstellung von Gelehrsamkeit und des Durchsetzens einer These vermitteln konnte, bot der Dialog – als die den höfischen Beziehungen angemessene Form – vielmehr die Gelegenheit, Theorien auf undogmatische und gefällige Art und Weise zu unterbreiten und zu erwägen.20 Zweitens kommt die Auswahl der Personen in Galileis Dialogen einem Lobpreis der honnêteté gleich. Sagredo als derjenige, mit dem sich der Lesende identifizieren soll, hat die Züge des honnête homme: Er ist ein gebildeter Laie, bescheiden, gesellig, keiner Lehre anhängend und bereit, mit Ideen konstruktiv umzugehen. Schnell erkennt er die Attraktivität der Ideen, die Salviati, Galileis Sprachrohr, ihm unterbreitet. Im Gegensatz dazu verkörpert Simplicio, der aristotelische Gewährsmann, den Widerpart zur honnêteté, nämlich eine dogmatische, schulmäßige und pedantische Argumentationsweise. Drittens veranschaulicht die Methode, der Galileis Dialoge folgen, die Prinzipien der honnêteté. Galilei weist den Gedanken zurück, dass man durch das Aufgebot elaborierter analytischer und argumentativer Mittel zu naturphilosophischen Erkenntnissen gelangen könne. Stattdessen wartet er mit der entwaffnenden These auf, dass die Aufzeichnung einiger einfacher empirischer Fakten und mit Hilfe des gesunden Menschenverstands gezogene Schlussfolgerungen dafür ausreichend seien. 19

20

Vgl. Ettore Lojacono u. a. (Hg.). La Recherche de la vérité par la lumière naturelle de René Descartes. Mailand, 2002; ferner Alberto Guillermo Ranea. „A ‚Science for honnêtes hommes‘. La Recherche de la vérité and the Deconstruction of Experimental Knowledge“. Descartes’ Natural Philosophy. Hg. v. Stephen Gaukroger u. a. London, 2000, S. 313-329 und Stephen Gaukroger. Descartes’ System of Natural Philosophy. Cambridge, 2002, S. 30f. Zur Rhetorik der Galilei’schen Dialoge vgl. Nicholas Jardine. „Demonstration, Dialectic, and Rhetoric in Galileo’s Dialogue“. The Shapes of Knowledge from the Renaissance to the Enlightenment. Hg. v. Donald R. Kelley u. Richard H. Popkin. Dordrecht, 1991, S. 101-121. Zu weiter gehenden Fragen die Dialogform dieser Zeit betreffend vgl. Virginia Cox. The Renaissance Dialogue. Literary Dialogue in Its Social and Political Contexts, Castiglione to Galileo. Cambridge, 1992.

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Jeder Mensch sei dazu in der Lage, und in der Tat kämen spontane Denker, die nicht durch Bildung und philosophische Gefolgschaften belastet sind, leichter zu diesen Schlüssen. Sagredo kommentiert die Mühelosigkeit des Vorgehens am Ende des Dialogs über die beiden hauptsächlichsten Weltsysteme: Ihr, Signore Salvati, habt mich von Stufe zu Stufe so sanft geleitet, daß ich zu meiner Verwunderung ohne jede Mühe auf der Höhe angekommen bin, die mir vorher unerreichbar schien. […] Wie das Ersteigen einer Stufe keine Mühe ist, so sind mir Eure Behauptungen Schritt für Schritt so klar vorgekommen, es trat von Fall zu Fall so wenig, fast nichts Neues hinzu, daß mir der Fortschritt klein und ganz verschwindend schien. Um so höher steigt meine Verwunderung über den unvermuteten Ausgang dieser Untersuchung, die mir das Verständnis für einen scheinbar unerklärlichen Umstand eröffnet hat.21

Als weitere Beispiele der Mühelosigkeit in der Naturphilosophie ließen sich Galileis berühmte Gedankenexperimente anführen. Galilei behauptete zum Beispiel, dass sein Gedankenexperiment über fallende Körper sein Gesetz über den freien Fall bestätige, und stellte zudem ein Gedankenexperiment zur Unterstützung des Kopernikanismus vor, in dem Vögel und tropfendes Wasser in einer Schiffskabine eine Rolle spielten. Ein Kennzeichen dieser Gedankenexperimente ist es, dass sie wenig Mühe erfordern, vor allem im Vergleich zu praktischen Experimenten. Während ein praktisches Experiment, d. h. – um bei diesem Beispiel zu bleiben – von einem Turm fallende Körper, manuelle Arbeit, sorgfältige Koordination und gewissenhafte Vermeidung von Fehlern erfordern, kann das entsprechende Gedankenexperiment unmittelbar durchgeführt werden.22 In der Arbeit all dieser Naturphilosophen wird Mühelosigkeit mit Wahrheit und Glaubwürdigkeit assoziiert. Boyles Bescheidenheit suggeriert, dass man ihm in Bezug auf die Darstellung von Tatsachen Vertrauen schenken darf. Eine größere Zurschaustellung von Mühe würde Zweifel an seinen Erkenntnissen aufkommen lassen. Descartes’ Aufruf der Intuition in der Naturphilosophie basiert auf der Prämisse, dass Klarheit und Gewissheit nur durch die Vermeidung von Mühe erreicht werden können. Schließlich verkörpern Galileis Dialoge die Überzeu21

22

Galileo Galilei. Dialog über die beiden hauptsächlichsten Weltsysteme: das ptolemäische und das kopernikanische. Hg. v. Roman Sexl u. Karl von Meyenn. Übs. v. Emil Strauss. Darmstadt, 1982, S. 474f. Zu Galileis Gedankenexperimenten vgl. James W. McAllister. „Das virtuelle Labor. Gedankenexperimente in der Mechanik des siebzehnten Jahrhunderts“. Kunstkammer, Laboratorium, Bühne. Schauplätze des Wissens im 17. Jahrhundert. Hg. v. Helmar Schramm, Ludger Schwarte u. Jan Lazardzig. Berlin, 2003, S. 35-55.

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gung, dass exzessive Arbeit den Naturphilosophen davon abhält, der Wahrheit näher zu kommen. 5. Schluss Die Aneignung der honnêteté durch die Verfechter einer Neuen Wissenschaft im 17. Jahrhundert veränderte die Vorstellung von wissenschaftlicher Praxis. Erschien Wissenschaft zuvor als ein Teil der Gelehrsamkeit, in welcher Erkenntnisse auf der Grundlage wissenschaftlicher Bildung und geistiger Arbeit etabliert wurden, nahm diese danach die Gestalt einer höfischen und gefälligen Tätigkeit an: Erkenntnisse wurden unter Verschleierung des Arbeitsaufwandes etabliert, und es entstand der Eindruck, dass sich Entdeckungen auf natürlichem Wege ereigneten. Der soziale Rahmen des barocken Hofs und der honnêtes gens bröckelte zunehmend. Dennoch überdauerte die Verbindung von Glaubwürdigkeit und Mühelosigkeit die Veränderung der sozialen Strukturen. Diese Verbindung führte zu dem, was wir als Rhetorik der Mühelosigkeit in der modernen Wissenschaft bestimmt haben: Wissenschaft wird demnach der Natur und nicht der Kunst entsprechend durchgeführt. Doch um diesen Eindruck zu vermitteln, bedarf es wiederum der höchsten Form der Kunst.23 Übersetzung: Christiane Hitzemann

23

Dieser Beitrag ist eine überarbeitete und erweiterte Fassung meines Vortrages auf der Konferenz „Spektakuläre Experimente. Praktiken der Evidenzproduktion im 17. Jahrhundert“ an der Freien Universität Berlin, November 2004. Ich danke den Organisatoren Helmar Schramm, Ludger Schwarte und Jan Lazardzig für die Einladung. Ich bin den anderen Teilnehmern für ihre hilfreichen Kommentare und Ludger Schwarte für die einsichtige Kritik eines früheren Entwurfes dankbar. Dieser Beitrag entstand, als ich 2005 Fellow des Netherlands Institute for Advanced Study in Wassenaar war.

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JAN LAZARDZIG

„Masque der Possibilität“. Experiment und Spektakel barocker Projektemacherei

Tief greifende Umbrüche von Wissenssystemen scheinen stets verbunden zu sein mit einer gesteigerten Theatralisierung von Wissen.1 Eine diesbezügliche Aufmerksamkeit für Wahrnehmungs- und Verhaltensweisen, für Sprach- und Denkformen entdeckt an den Rändern epistemologischer Brüche, Revolutionen oder Paradigmenwechsel eine Vielfalt theaterhaften Vokabulars, maskenhaften Verhaltens, kostümierenden Denkens und spektakulärer Darstellungsformen.2 In den Unruhephasen einer „offenen Epistemologie“ scheint ein Hang zum Karnevalesken und Paradoxen ebenso sehr zu kulminieren wie die Tendenz zur Selbstreflexion, zur Spiegelung und Hinterfragung des eigenen Standpunktes:3 „An welchen Grenzpfahl immer wir uns binden und halten möchten“, so 1

2 3

Die Krise der Repräsentation, durch die sich die neuzeitliche Episteme im 17. Jahrhundert grundlegend wandelt, geht in ihrem Kern mit einer Theatralisierung von Wissen einher, insofern nämlich jedes Zeigen, Ausstellen, Sichtbarmachen auf der Bühne der Äußerungen selbst von nun an untrennbar mit einem Akt des Verbergens, Verdeckens und Unsichtbarmachens verbunden ist. Vgl. Erika Fischer-Lichte (Hg.). Theatralität und die Krisen der Repräsentation. DFG-Symposion 1999. Stuttgart u. Weimar, 2001. Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang ganz allgemein eine feststellbare Prävalenz des Ästhetischen in den Umbruchphasen von Wissenssystemen. Vgl. James McAllister. Beauty and Revolution in Science. London, 1996. Für vielfältige Anregungen zum Thema ‚Projektemacherei‘ danke ich sehr herzlich Herrn Dr. Volker Bauer, Wolfenbüttel. Vgl. auch Jan Lazardzig. Theatermaschine und Festungsbau. Paradoxe Seiten der Wissensproduktion im 17. Jahrhundert. Diss. Freie Universität Berlin, 2006. Vgl. hierzu Helmar Schramm. Karneval des Denkens. Theatralität im Spiegel philosophischer Texte des 16. und 17. Jahrhunderts. Berlin, 1996. Zum Begriff der „offenen Epistemologie“ vgl. Ralph Kray u. Karl Ludwig Pfeiffer. „Paradoxien, Dissonanzen, Zusammenbrüche. Vom Ende und Fortgang der Provokationen“. Paradoxien, Dissonanzen, Zusammenbrüche. Situationen offener Epistemologie. Hg. v. Hans-Ulrich Gumbrecht u. Karl Ludwig Pfeiffer. Frankfurt a. M., 1991, S. 13-31.

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beschreibt Blaise Pascal seinen Versuch, den Ort des eigenen Denkens zu bestimmen, jeder schwankt und entschwindet, und wenn wir ihm folgen, entschlüpft er unserem Griff und entgleitet uns und flieht in einer Flucht ohne Ende. […] Das ist die Lage, die uns natürlich ist und in jedem Fall die gegensätzlichste zu unseren Wünschen.4

Die Unruhe und Ungewissheit, die Pascal hier stellvertretend für die Konstitutionsphase neuzeitlicher Wissenschaft zum Ausdruck bringt, findet sich vielleicht nirgends deutlicher verkörpert als in dem Bild des unsteten, von Hof zu Hof, von Stadt zu Stadt vagabundierenden Projektemachers: Als Magus, Alchemist, irrlichternder Ideenverkäufer und tolldreister Erfinder steht er gleichsam im Mittelpunkt jener Neubegründung der Wissenschaften im 17. Jahrhundert – Wissenschaften, die ihrerseits aus dem Geiste des Projektiven, d. h. des Entwerfens und Erfindens hervorgehen. Ihre Protagonisten, die Projektemacher, werden im 18. Jahrhundert regelrecht ausgeschieden und herausbefördert aus einem sich institutionalisierenden und zunehmend autonom agierenden Wissenschaftssystem. Jene barocke Ordnung des Wunderbaren und Spektakulären, die im 17. Jahrhundert der im Umbruch befindlichen Wissenschaft ihre besondere ‚Sichtbarkeit‘ gibt, ist hundert Jahre später nur mehr außerhalb der Begründungszusammenhänge wissenschaftlichen Wissens explizit.5 Dieser Tendenz gegenläufig hat sich die spezifische Theatralität frühneuzeitlicher Wissenschaft, die nicht zuletzt ja auch Medium ihrer Konstituierungsphase ist, mehr und mehr zu einem Binnenphänomen autonomer Systeme gewandelt: Dasjenige, was im 17. Jahrhundert mit einigem inszenatorischen Aufwand (und in aller Vorläufigkeit) als Projekt, Entwurf oder Idee von Wissenschaft propagiert und erprobt wird, hat seinen projektiven, seinen prekären Charakter verloren und ist nun entweder selbstverständlich oder ‚vergessen‘. Damit wird in den nun selbstbewussten Wissenschaften auch eine paradoxe Ambivalenz vergessen, 4 5

Blaise Pascal. Gedanken. Hg. u. eingel. v. Jean-Robert Armogathe. Übs. v. Ulrich Kunzmann. Leipzig, 1987, S. 47. Sie finden nun Eingang in die Strategien der literarischen Vulgarisierung von Wissen. Diesbezüglich nimmt die „Wunderbare Wissenschaft“ des 18. Jahrhunderts (vgl. Andreas Gipper. Wunderbare Wissenschaft. Literarische Strategien naturwissenschaftlicher Vulgarisierung in Frankreich. Von Cyrano de Bergerac bis zur Encyclopédie. München, 2002) einen ähnlichen Platz ein wie jene von James Joyce postulierten „inexact sciences“, deren Historisierung Karlheinz Barck in einem am 05.11.2005 in Berlin gehaltenen Vortrag unter dem Titel „Spuren der Avantgarde ‚in treating of the inexact sciences‘ (James Joyce)“ vorschlug – verbunden mit der Frage, wo diese ‚inexakten Wissenschaften‘ heute zu finden seien.

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die die Projektemacherei auszeichnete. Die Projektemacherei trägt das Zukünftige als Verheißung einer besseren Welt auf den Lippen, die Zukunft scheint – wie in den großen Utopien dieser Zeit – beherrsch- und kalkulierbar. Doch die Realitätsgebundenheit, d. h. das allfällige Scheitern der Projektemacher, hält zugleich jedem Fortschreiten eine Unverfügbarkeit und Unplanbarkeit der Zukunft entgegen. Diese Dialektik aus Fortschrittsglaube und Fatalismus, so scheint es, erzeugt eine merkwürdige Melancholie, die den Schriften zur Projektemacherei eigen ist. Wenn also bereits im 17. Jahrhundert der Baconismus, d. h. dessen institutionelle Ausprägung in der Royal Society, die Inszenierungshoheit über den ‚Fortgang der Wissenschaften‘ übernimmt, dann ist es bemerkenswert, dass heute erneut eine radikale Infragestellung fortschrittsorientierten Denkens unter dem Signum des Projektes ansetzt.6 In dieser Situation scheint es lohnenswert, sich anhand des historischen Phänomens der ‚Projektemacherei‘ noch einmal den prekären Status jener Phase einer ‚offenen Epistemologie‘ zu vergegenwärtigen.7 6

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Zu dieser Diagnose vgl. Robert K. Faulkner. Francis Bacon and the Project of Progress. London, 1993 oder Lothar Schäfer. Das Bacon-Projekt. Frankfurt a. M., 1999. Faulkner beginnt seine Studie mit der Bemerkung: „Sometimes the importance of a topic is obvious. Need I argue that modernity and its plan for progress have become controversial?“ (S. 3). Kray u. Pfeiffer (Anm. 3), S. 14. Zur Projektemacherei bzw. zur Figur des Projektemachers vgl. neuerdings den grundlegenden Band von Markus Krajewski (Hg.). Projektemacher. Zur Produktion von Wissen in der Vorform des Scheiterns. Berlin, 2004. Die Beiträge in diesem Buch gehen leider so gut wie gar nicht auf die Projektemacherei des 17. Jahrhunderts ein, sondern geben der Projektemacherei eher die Züge einer anthropologischen Konstante neuzeitlicher Subjektivität. Dabei ist gerade im 17. Jahrhundert im Phänomen der Projektemacherei ein Scheideund Differenzierungsvorgang zwischen respektablem und ‚närrischem‘ Wissen im Gange, der von höchster Bedeutung für die Herausbildung eines modernen Wissens-, Wissenschafts- und Wissenschaftlerverständnisses ist. Vgl. Ulrich Troitzsch. „Erfinder, Forscher und Projektemacher. Der Aufstieg der praktischen Wissenschaften“. Macht des Wissens. Die Entstehung der modernen Wissensgesellschaft. Hg. v. Richard van Dülmen u. Sina Rauschenbach. Köln, Weimar u. Wien, 2004, S. 439-464. Generell lässt sich festhalten, dass die Projektemacherei bisher in der Forschung vernachlässigt wurde. Es gibt nur wenige explizite Studien: Ernst Gerhard Jacob. Daniel Defoe, Essay on [sic!] Projects (1697). Eine wirtschafts- und sozialgeschichtliche Studie. Leipzig, 1929; Alex Keller. „The Age of the Projectors“. History Today 16.7 (1966), S. 443-474; Fritz Redlich. „Die Rolle der Neuerung in einer quasi-statischen Welt. Francis Bacon und seine Nachfolger“. Der Unternehmer. Wirtschafts- und sozialgeschichtliche Studien. Mit einem Nachwort von Edgar Salin. Göttingen, 1964, S. 233-247; Herbert Breger. „Närrische Weisheit und weise Narrheit in Erfindungen des Barock“. Ästhetik und Kommunikation 45/46 (1981), S. 114-122; speziell zum 18. Jahrhundert Georg Stanitzek. „Der Projektmacher. Projektionen auf eine ‚unmögliche‘ moderne Kategorie“. Ästhetik und Kom-

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I. Wissen als Entwurf und Bastelei: Das Zeitalter der Projekte Lange vor seinem Schiffbruch-Roman Robinson Crusoe drückt Daniel Defoe in seinem ersten Prosawerk, dem Essay upon Projects (1697), seiner Zeit einen Stempel auf: Man lebe in einem Projecting Age, einem Zeitalter der Projekte.8 Im engeren Sinne reagiert er damit auf die so genannte South Sea Bubble, eine Spekulationsblase aus Börsengeschäften und Finanzspekulationen, die durch staatliche Intervention zum Platzen gebracht wurde.9 Defoe erinnert mit seiner Diagnose an den prekären Ursprung des neuzeitlichen technischen und wissenschaftlichen Fortschrittsparadigmas – angesiedelt zwischen barocker Spekulationslust, alchemistischem Laborieren, spektakulärem Erfindertum auf der einen Seite und einer systematischen Förderung sozialer, technischer und administrativer Innovationen auf der anderen Seite. Der Begriff Projekt, abgeleitet aus dem lateinischen Partizip proiectus (hingeworfen, entworfen), bezeichnet nach Zedlers Universal-Lexikon von 1741 „insgemein so viel, als ein blosses Concept, Auffsatz, Entwurff, Vorschlag oder Vorbereitungs=Schrifft“.10 Zusammengesetzt aus dem lateinischen Verb iacere und der Vorsilbe pro, umfasst es die Bedeutungen „vorwärts-, vorwerfen, hervortreten lassen, hin-, niederwerfen“.11 Doch ist mit dieser lexikalischen Festlegung des 18. Jahrhunderts

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munikation 65/66 (1987), S. 135-146. Zahlreiche Hinweise finden sich in der gründlichen Studie zu Johann Joachim Becher von Pamela H. Smith. The Business of Alchemy. Science and Culture in the Holy Roman Empire. Princeton, N. J., 1994. Vgl. Daniel Defoe. „Essay upon Projects (1697)“. Political and Economical Writings of Daniel Defoe. 8 Bde. Hg. v. W.R. Owens. London, 2000, Bd. 8: Social Reform, S. 34. Im Folgenden zitiere ich nach der deutschen Übersetzung Daniel Defoe. Sociale Fragen vor zweihundert Jahren (An Essay on [sic!] Projects). Übs. v. Hugo Fischer. Leipzig, 1890. Zu den biografischen Hintergründen des Essay vgl. auch Paula R. Backschneider. Daniel Defoe. His Life. Baltimore u. London, 1989, S. 71ff. Zu dieser Episode vgl. Jacob (Anm. 7). Johann Heinrich Zedler. „Project“. Grosses vollständiges Universal-Lexikon Aller Wissenschafften und Künste, welche bißhero durch menschlichen Verstand und Witz erfunden und verbessert worden. 64 Bde. Leipzig u. Halle, 1732-1750, Bd. 29, Sp. 784. Hier wird insbesondere auf die rechtliche Unverbindlichkeit des ‚Projektes‘ hingewiesen. Wolfgang Pfeiffer (Hg.). Etymologisches Wörterbuch des Deutschen. 3 Bde. Berlin, 1989, Bd. 2, Sp. 1325. Markus Krajewski erinnert daran, dass sich neben der progressiven Semantik auch eine resignierende Komponente ausmachen lässt, die die enttäuschte Hoffnung, das Scheitern sowie den Vorwurf in sich birgt. Entsprechend interpretiert er die Projektemacherei als eine dialektische Figur des Entwerfens und Scheiterns. Vgl. Krajewski (Anm. 7), S. 11 u. passim.

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Abb. 1: Frontispiz zu August Hauptmann. Neues Chymisches Kunst Project und sehr wichtiges Bergk Bedencken (Leipzig, 1658).

nur eine Seite des Projektierens benannt. Im 17. Jahrhundert findet der Begriff projektieren außerdem noch eine Verwendung im Sinne einer alchemischen Arbeitsmethode, der Projektion (Abb. 1). Diese beschreibt die Transmutation unedler Materialien in Gold (bzw. Silber), die den Schluss- und Höhepunkt des Opus Magnum darstellt.12 In diesem transformierenden Sinn wird projektieren bspw. auch von Gottfried Wilhelm Leibniz und Johann Joachim Becher verwandt. Die (al)chemische Semantik des Begriffes tritt zwar im Laufe des 17. Jahrhunderts in den Hintergund, ist aber als Doppeldeutigkeit fassbar, wenn etwa Robert Boyle 1691 in der History of the Air schreibt: „The women […] think 12

Claus Priesner u. Karin Figala (Hg.). Alchemie. Lexikon einer hermetischen Wissenschaft. München, 1998, S. 262.

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us still either projectors or conjurers.“13 Auch in dem synonymen Gebrauch von projektieren und erfinden hält sich die alchemische Bedeutung, insofern erfinden die Veredelung und Verbesserung des Existierenden meint. Untrennbar verbunden mit dem Projekt ist der Projektemacher. So wird in England von einem great projector gesprochen, als „einem, der mit mancherley projecten schwanger geht“.14 Zedlers Universal-Lexikon definiert „Projectenmacher“ als „diejenigen, welche den Leuten dieses oder jenes Project, davon sie sich vor die Erfinder ausgeben, entdecken, und sie zu deren Ausführung unter scheinbahren Vorstellungen eines daraus zu erwartenden grossen Gewinnstes anermuntern“.15 Über hundert Jahre vor Zedlers lexikalischer Erfassung des Projektemachers betritt dieser (bezeichnenderweise gerade in England) als Narrenfigur die Bühne. „What is a projector? I would conceive“, lässt Ben Jonson, ein Bekannter Francis Bacons, Fitzdottrel in The devil is an ass (uraufgeführt 1616) fragen, woraufhin die Antwort Ingines [sic!] lautet: „Why, one Sir, that projects Wayes to enrich men, or to make ‘hem great.“16 In Jonsons Volpone (uraufgeführt 1605) trägt er den sprechenden Namen Sir Politick Would-be und verdingt sich als Heringshändler, Erfinder von Zündholzschachteln oder einer Quarantäne- und Desinfektionsanstalt für Schiffe.17 John Wilsons Komödie The Projectors (1664) schließlich liest sich als dramatisierte Fassung einer satirischen Abhandlung, die der Arzt Thomas Brugis 1641 in London unter dem Titel The Discovery of a Proiector – Shewing the Beginning, Progresse, and End of the Projector and his Projects veröffentlicht hatte.18 Im Kern geht es Brugis (wie Wilson) darum, das Streben nach Neuerung („striving for innovating“) als das Ergebnis der Mühe und Arbeit („paines and labour“) von Projektemachern zu disqualifizieren. Da diese ihre Theorien nicht genügend ausarbeiteten, seien sie nicht in der Lage, vollkommene Anweisungen („perfect directions“) zu geben, wie ihr Projekt in die Tat umzusetzen sei. Vor dem Hintergrund der Gründung der 13 14 15 16 17 18

Zit n. Smith (Anm. 7), S. 269. Hier können sowohl der artificer als auch der alchemist gemeint sein. Christian Ludwig. Teutsch-Englisches Lexicon (1716), Sp. 1428. Zit. n. Krajewski (Anm. 7), S. 11. Zedler (Anm. 10), Sp. 784. Ben Jonson. „The Devil is an Ass. Acted in the Year 1616“. The Works of Ben Jonson […]. London, 1692, S. 464 (I. Akt, 7. Szene). Vgl. Ben Jonson. „Volpone, Or the Fox. A Comedy. First Acted in the Year 1605“. Works (Anm. 16), S. 160ff. (I. Akt, 5. Szene). Thomas Brugis. The Discovery of a Proiector. Shewing the Beginning, Progresse, and End of the Projector and his Projects. London, 1641. Vgl. Redlich (Anm. 7), 236ff.

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Royal Society 1660 in London verdichtet sich bei Wilson das Problem der sprachlichen Vermittlung zu einer regelrechten Kaskade von Paradoxien – „Heat without Fire or Smoke“, „making Cloth without Wool“, „A devise to stop up the Rivers“, „A Whirliging for Dreining the Sea“ oder „sealing of Butter, without the charge of Butter Prints“ heißen nur einige der Projekte.19 Ausschweifendes und versponnenes Experimentieren und Laborieren wird zum Erkennungsmerkmal der Projektemacherei. In der Figur des auf Kleinsttier- und Transfusionsexperimente spezialisierten Sir Nicolas Gimcrack in Thomas Shadwells The Virtuoso (1676) entsteht nicht bloß ein ironisches Zerrbild der frühen Royal Society. Experimentieren bedeutet hier eine das gemeinschaftliche Zusammenleben moralisch destabilisierende Kraft.20 Ein kaum verborgenes Vorbild des schnell zum Stereotyp geronnenen Sir Gimcrack ist Robert Hooke, der nach einem Besuch der Aufführung erbost in sein Tagebuch schreibt, dass die Leute fast mit dem Finger auf ihn zeigen würden.21 Wie furchtsam die Gentlemen-Wissenschaft auf die bedrohlich nahe rückende Lächerlichkeit des Projektemachers und den ihm anhaftenden Odeur des Ziellosen, Scheiternden reagierte, zeigt sich auch, wenn einer der größten Projektemacher des Jahrhunderts, Leibniz, im Vorfeld der Gründung der Preußischen Akademie der Wissenschaften mit Bezugname auf The Virtuoso warnt, dass die Sozietät „nicht auf blosse Curiosität oder Wissens-Begierde und unfruchtbare Experimenta gerichtet seyn“ dürfe, „wie etwa in Paris, London und Florenz geschehen“.22

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John Wilson. The Projectors. A Comedy. London, 1664, S. 13 u. S. 37f. In Christian Felix Weißes fünfaktigem Lustspiel Der Projektmacher (Leipzig, 1769) kann gut hundert Jahre nach Wilson die Figur des Projektemachers kaum noch diese Brisanz entfalten. Weiße präsentiert einen vertrottelten, gutgläubigen Patrizier, der ganz offensichtlich jeden Bezug zur Realität verloren hat. Weißes Wissenschaftskritik ist dabei rückwärtsgewandt und spielt nicht – wie etwa Wilson – mit Ähnlichkeiten zu zeitgenössischen Wissenschaftlern. Die überaus erfolgreiche Komödie, die eine Reihe von Nachahmungen fand, wurde mit Unterbrechungen bis 1705 gespielt. Vgl. die editorische Notiz v. Montague Summers in Thomas Shadwell. „The Virtuoso“ [1676]. The Complete Works of Thomas Shadwell. 5 Bde. Hg. v. Montague Sommers. London, 1927, Bd. 3, S. 98. Am 25.05.1676 notiert Hooke in seinem Tagebuch „Mr. Hill gave Sir J. Hoskins, Aubery and I an account of the Vertuoso play“. Am 2. Juni besucht er eine Aufführung und schimpft: „With Godfroy and Tompion at Play […] Damned Doggs. Vidica me Deus. People almost pointed.“ Robert Hooke. The Diary, 1672-80. Hg. v. Henry W. Robinson u. Walter Adams. London, 1935, S. 235 u. S. 238f. „Weilen Churfürstl. Durchl. zu Brandenburg ein gloriöses und recht Königliches Werck vorhaben, eine Societatem Scientiarum & artium zu fundieren, so wäre auf solche Anstalt zu dencken, dass der wahre Zweck und Nutzen mit geringer Be-

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Auch in Frankreich ist der donneur d’avis, brasseurs d’affairs eine häufig vorkommende Gestalt.23 In Molières Fascheux (1661) ist der Projektemacher Armin eine der häufig auftauchenden Figuren der Pariser Gesellschaft. Auf die Frage, ob er endlich jenen „bénite pierre“ gefunden habe, „[q]ui peut seule enrichir tous les rois de la terre?“, verneint er dies. Sein Projekt sei solide und trüge dem König 400 Millionen Francs ein: ohne Steuern. Sein Projekt besteht darin, alle Küsten Frankreichs mit Häfen auszustatten.24 So kurios, seltsam und lachhaft die Bühnenfigur des Projektemachers aus heutiger Perspektive anmutet, steht der Projektemacher im 17. Jahrhundert gleichwohl im Zentrum wissenschaftlicher Praxis. Akademie- und Sozietätsentwürfe, Maschinen-, Instrumenten- und Automatenmodelle, administrative wie sozialfürsorgerische Erfindungen sind Gegenstände der Projektemacherei.25 Aus heutiger Sicht fügen sich die Entwürfe, Modelle, Erfindungen in eine Geschichte des technischen und

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schwerde erhalten werde. Solche Churfürstl. Societät müsste nicht auf blosse Curiosität oder Wissens-Begierde und unfruchtbare Experimenta gerichtet seyn, oder bey der blossen Erfindung nützlicher Dinge, ohne Application und Anbringung beruhen, wie etwa zu Paris, London und Florenz geschehen, daher eine Verspottung, und die bekannte Englische Comödie The Virtuoso erfolget, auch endlich die Hände abgezogen worden; sondern man müsste gleich anfangs das Werk samt der Wissenschaft auf den Nutzen richten, und auf solche specimina dencken, davon der hohe Urheber Ehre, und das gemeine Wesen ein mehrers zu erwarten Ursach habe.“ J.E. Kapp. Sammlung einiger Vertrauten Briefe, welche zwischen dem weltberühmten Freyherrn Gottfried Wilhelm von Leibnitz und dem berühmten Berlinischen Hof=Prediger Herrn Daniel Ernst Jablonski […] gewechselt worden sind. Leipzig, 1745, S. 172. In Werner Sombarts Beschreibung von 1913 wird der Projektemacher des Pariser 17. Jahrhunderts gleichsam zum Inbegriff des eigenen nervösen Jahrzehnts: „Man begegnet ihnen immer in dem Augenblick, in dem sie irgendeine glänzende Sache ausfindig gemacht haben. Sie schlüpfen in die Vorzimmer, treten die Schwellen der Staatsbeamten ab und pflegen mit den galanten Frauen geheimnisvolle Zwiesprache. Ihr Heute ist bejammernswert; ihr Morgen ist voll von Versprechungen und von Licht. […] voll Unruhe, voller Spürsinn, immer im Anschlag, mit durchbohrendem Blick, mit scharfen Klauen, immer auf der Jagd nach den Talern. Unter ihnen findet man die verkannten Erfinder, die Romantiker der Tat, die unruhigen und fein organisierten Gehirne, Bankerotteurs mit einem möglichst düstern Hut auf dem Kopfe, Bohemiens, die aus der Bourgoisie entwischt sind und nun wieder hinein möchten, kühne und auskunftsreiche Leute, die ihr Brot im Rauch der Garküche verzehren, […] schmutzige Abenteurer, die im Kot auf der Straße oder in der vergoldeten Haut eines großen Finanziers endigen.“ Werner Sombart. Studien zur Entwicklungsgeschichte des modernen Kapitalismus. 2 Bde. München u. a., 1913, Bd. 1: Luxus und Kapitalismus, S. 57; vgl. Jacob (Anm. 7), S. 45. Molière. Les Fascheux. Comédie. Amsterdam, 1684, S. 45f. Zahlreiche Beispiele barocker Projektemacherei bietet Breger (Anm. 7).

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wissenschaftlichen Fortschritts. Die Projektemacherei ist aber – genau besehen – einer jener Schauplätze des Wissens, an dem Realität und Illusion, das Machbare und das Denkbare, das Wahrscheinliche und das Unmögliche beständig miteinander in Konflikt geraten. Kaum eine Person verdeutlicht dies anschaulicher als Leibniz, zu dessen lebenslang verfolgten Projekten nicht nur leidlich räsonabel erscheinende Sozietätsentwürfe, Kunst- und Wunderkammern, Bergwerkswie Rechenmaschinen gehören, sondern auch zahlreiche sehr sonderbar anmutende Projekte. Darunter findet sich auch jenes bislang fast unbeachtet gebliebene Projet d’une manufacture militaire, in dem er einen Vorschlag für soldatische Schutzbewaffnung unterbreitet: Ich habe mir oft vorgestellt, ob es nicht möglich wäre, einen Stoff herzustellen, der zur gleichen Zeit leicht, geschmeidig und wehrhaft genug ist, einen Pistolenschuss abzuwehren. Wenn es möglich wäre, ihn preiswert zu erlangen, dann wäre es der Gipfel aller Wünsche, ihn in untenstehender Weise zu verarbeiten, weil man mit ihm sogar die einfachen Soldaten ausstatten kann. Dies erwiese dem Menschengeschlecht einen großen Dienst, und insbesondere der Christenheit, die sich rüsten könnte, die türkischen Heere mit einem Schlag zurückzudrängen.26

Tatsächlich schwebt Leibniz hier eine Art seidenes Panzerhemd vor, welches praktische Leichtigkeit und Geschmeidigkeit mit Wehrhaftigkeit verbindet. Aber über den Gegenstand seines Nachdenkens hinausgehend erscheint es bemerkenswert, wie der Versuch einer Differenzierung von Theorie und Praxis im Text von Leibniz immer wieder in sich zusammenfällt. Das Gedachte gewinnt als Mögliches unmittelbare Realität: Dies ist die Methode, die ich für machbar und in der angestrebten Absicht für tauglich halte. […] Man muss Stück auf Stück legen und zwar solange, dass es beweglich bleibt und ich stelle mir vor, dass es keine Schutzbekleidung gibt, die zugleich so leicht und so beweglich ist, die jedoch mehr abwehren wird.27

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„J’ay souvent songé, s’il ne seroit pas possible de fabriquer une estoffe, qui fut en même temps legere, pliante et capable de resister à une bonne mousquetade; s’il estoit possible, de l’avoir encor a bon marché, ce seroit le comble des souhaits qu’on pourroit former là dessus, car on en pourroit fournir jusqu’aux simples soldats. Ce seroit rendre sans doute un grand service au genre humain, et sur tout à la chrestienté qui s’en pourroit prevaloir pour renverser tout d’un coup les forces Ottomannes.“ Zit. n. Max Jähns. Geschichte der Kriegswissenschaften vornehmlich in Deutschland. 3 Bde. München u. Leipzig, 1889-1891, Bd. 2: 17. und 18. Jahrhundert bis zum Auftreten Friedrichs des Großen 1740, S. 1211. Leibniz’ bislang wenig beachtete (und im Rahmen der Akademie-Ausgabe noch nicht veröffentlichte) kriegswissenschaftliche Projekte sind bei Max Jähns dokumentiert. „En voicy la methode que je croy faisable et propre au dessein, dont il s’agit. […] Il en faudroit mettre pieces sur pieces, tant qu’elle demeureroit pliante, et je m’ima-

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In seiner spielerischen Zuversicht, die das Denkbare als das scheinbar Mögliche und damit als Realität anzuerkennen scheint, weiß sich dieses Projekt eins mit vielen anderen, ganz anders gelagerten Projekten. Sei es das allgegenwärtige Streben nach einem perpetuum mobile, die Verwandlung von Sand in Gold oder eine Postkutsche, die die Strecke von Hannover nach Amsterdam in sechs Stunden zurücklegt – die Grenze zwischen Möglichem und Unmöglichem ist seltsam durchlässig. Der Ökonom Paul Jacob Marperger hat in seiner Abhandlung zu Projekt und Projektemacherei (veröffentlicht 1733) dieses Changieren zwischen Möglichem und Realem auf den Begriff gebracht, wenn er das Ansinnen der Projektemacher gleichsam hinter einer „Masque der Possibilität“ vermutet.28 Damit spielt er auf originäre Weise auf die fast zwanghafte Theatralisierung in der Wissensproduktion seiner Zeit an. Immer wieder stellt sich die Frage, warum gerade jenes aussichtslos erscheinende Projekt bis zur wütenden Vertreibung des Projektemachers vom Hofe eines vormaligen Gönners verfolgt, jenes andere viel versprechende Vorhaben aber in einem Konvolut dicht beschriebener Papiere vergessen wird. Leibniz’ seidenes Schutzhemd für Soldaten ist in seiner Zeit ebenso folgenlos geblieben wie sein früher Entwurf einer Académie des Représentations, den er unter dem Titel „Drôle de pensée, touchant une nouvelle sorte de REPRESENTATIONS“ zur Zeit seines Parisaufenthaltes abgefasst hat (1675).29 Dieser schillernde Entwurf einer Spektakelakademie, die dazu dienen sollte, neuen Erfindungen, ungewöhnlichen Denkweisen und Ein-

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gine, qu’il n’y auroit rien d’aussi leger et d’aussi pliable, qui resisterait d’avantage.“ Jähns (Anm. 26), S. 1212f. Paul Jacob Marperger. „Beweiß, daß zur Beförderung des Public- und Privat-Interesse auch das Studium Curiositas nöthig sey“. Auserlesene kleine Schriften, Welche Allerhand Historische, Politische, Mathematische, zur Gelehrsamkeit sowohl, als zur Kauffmannschafft und Haußhaltung dienliche, überhaupt aber dem Publico nützliche Nachrichten und Vorschläge in sich halten […]. Leipzig u. Rudelstadt, 1733, S. 356. Vgl. Gottfried Wilhelm Leibniz. „Drôle de pensée, touchant une nouvelle sorte de REPRESENTATIONS“. Sämtliche Schriften und Briefe. Hg. v. d. Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Berlin, 1970, Reihe IV, Bd. 1, S. 562568 u. Anm. S. 694-696; vgl. hierzu auch Ines Böger. „Ein seculum … da man zu Societäten Lust hat“. Darstellung und Analyse der Leibnizschen Sozietätspläne vor dem Hintergund der europäischen Akademiebewegung im 17. und 18. Jahrhundert. 2 Bde. München, 1997, insbes. Bd. 1, S. 96-114 (Leibniz’ Paris-Aufenthalt 1672-1676); mit Schwerpunkt auf Leibniz’ Kunstkammer-Projekte vgl. Horst Bredekamp. Die Fenster der Monade. Gottfried Wilhelm Leibniz’ Theater der Natur und Kunst. Berlin, 2004; für umfangreiche Literaturangaben sowie aus der Perspektive barocker Projektemacherei vgl. Lazardzig (Anm. 1).

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sichten einen Ort zu geben, ist im Gestus dem heutigen Deutschen Museum in München nicht unähnlich. Engagiert werden sollten für diese kunst- und wunderkammerhafte Einrichtung Maler, Bildhauer, Zimmerleute, Uhrenmacher und ferner Mathematiker, Ingenieure, Architekten, Gaukler, Scharlatane, Musiker, Dichter, Buchhändler, Schriftsetzer und Stecher. Die in größter Dichte aufgelisteten Repräsentationen und Einrichtungen, die in dieser Akademie zusammengefasst werden sollten, umfassen Komödien, Naumachien, Rossballette, Feuerwerke, Laterna magica-Vorführungen, Lotterien und Glücksspiele, anatomische Demonstrationen, Automaten- und Maschinen-Aufführungen wie auch öffentliche Experimente, Kunst- und Raritätenkabinette, außerdem ein Registrierbüro für Erfindungen, Galerien, Sportstätten und einen Heilkräutergarten. Dieses Projekt war keineswegs nur eine Gedankenspielerei. Tatsächlich steht dieser Entwurf nicht nur im Mittelpunkt der Leibniz’schen Akademiebemühungen, sondern findet sich auch im Umfeld ähnlich gelagerter Entwürfe, die Jean Baptiste Colbert, dem Finanzminister Ludwigs XIV., eingereicht wurden.30 Der unruhige, atemlose Gestus, mit dem der Leibniz’sche Entwurf abgefasst ist, trägt eine Ungeduld und Rastlosigkeit in sich, die charak30

So heißt es fälschlich bei Paul Wiedeburg. Der junge Leibniz. Das Reich und Europa. 2 Teile in 6 Bänden. Wiesbaden, 1970, Teil 2: Paris, Bd. 1: Europäische Politik, S. 622: „Niemals aber kann es sich um einen Vorentwurf für eine Colbert einzureichende Denkschrift zur Erweiterung oder gar Verbesserung der bestehenden französischen Institutionen gehandelt haben.“ Dieser Annahme Wiedeburgs widerspricht eine Eingabe, die der Gebäude- und Gartenvorsteher des Herzoges von Orléans (dem Bruder des Königs), ein gewisser Henry Guichard, im August 1674 bei Colbert, dem allmächtigen Minister Ludwigs XIV., machte. Nur zwei Jahre nach Einrichtung der Académie de musique unter der Leitung des von Leibniz abfällig erwähnten Jean-Baptiste Lully – Leibniz gilt als Verehrer des LullyKonkurrenten Molière – erteilt Colbert Guichard ein Privileg zur Errichtung einer Académie Royale des spectacles. Das Patent beginnt: „Les spectacles publics ayant toujours fait les divertissemens les plus ordinaires des peuples et pouvant servir à leur félicité aussy bien que le repos et l’abondance, nous ne nous contenons pas de veiller à la tranquilité de nos sujets par nos travaux et nos soins continuels, nous voulons bien y contribuer encore par des divertissemens publics. C’est pourquoy nous avons agrée la très-humble supplication qui nous a esté faite par nostre cher et bien-amé Henry Guichard, intendant des bastimens et jardins de nostre très-cher et très-amé frère unique le duc d’Orléans, de luy permettre de faire construire des cirques et des amphithéâtres pour y faire des caroussels, des tournois, des courses, des joustes, des luttes, des combats d’animaux, des illuminations, des feux d’artifice et géneralement tout ce qui peut imiter les anciens jeux des Grecs et des Romains.“ Pierre Clément (Hg.). Lettres, instructions et mémoires de Colbert. 8 Bde. Paris, 1861-1882, Bd. 5: Fortification. Sciences, Lettres, Beaux-Arts. Batiments, S. 551f. u. Kommentar S. LXXIVf.

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teristisch ist für die Begründungsphase der Neuen Wissenschaft im 17. Jahrhundert. Alles scheint ad hoc realisierbar; Zeit und Geld sind in diesem rechnenden Jahrhundert zu vernachlässigende Werte, wenn es um das Neue, Spektakuläre und Wunderbare einer Erfindung, eines Projektes, eines Experimentes geht. II. Geschichte der Projekte als Fortschrittsgeschichte der Menschheit „[T]he investigation of nature and of all sciences will be the work of a few years.“31 Für die Realisierung seines groß angelegten Reformprojektes Instauratio magna (1620) veranschlagt der englische Politiker und Philosoph Francis Bacon (1561-1626) eine bemerkenswert kurze Zeitspanne. Bacons Überschwang verdankt sich der Hoffnung, mit der neuartigen Methode systematischen Experimentierens ein funktionierendes Instrumentarium entwickelt zu haben, welches sozusagen selbsttätig einer vollständigen Enträtselung und Entlarvung der Natur zuarbeitet. Bacon, der um die opiate, gleichsam blind und taub machende Wirkung der Hoffnung weiß, hält sie dennoch für den entscheidenden ‚Motor‘ der Entdeckungen. Das größte Hindernis für den Fortschritt der Wissenschaften bestehe darin, so heißt es etwa in dem der Hoffnung gewidmeten Aphorismus seines Novum Organon, „that men despair and think things impossible“.32 In der methodischen Reflexion der Hoff31

32

Francis Bacon. The Works of Francis Bacon. 14 Bde. Hg. v. James Spedding, Robert Leslie Ellis u. Douglas Danon Heath. Stuttgart-Bad Cannstatt, 1963 [Nachdruck d. Ausgabe London, 1857-1874], Bd. IV, S. 252. Hier heißt es aber auch: „For as much as relates to the work itself of the intellect, I shall perhaps be able to master that by myself; but the materials on which has to work are so widely spread, that one must employ factors and merchants to go everywhere in search of them and bring them in.“ Bacon (Anm. 31), Bd. IV, S. 90. Für sein Projekt einer allumfassenden Naturgeschichte sei es ausschlaggebend, sich über die Gründe der Hoffnung Rechenschaft abzulegen. Wie Columbus auch, „before that wonderful voyage of his across the Atlantic, when he gave the reasons for his conviction that new lands and continents might be discovered besides those which were known before; which reasons, though rejected at first, were afterwards made good by experience, and were the causes and beginnings of great events.“ Bacon (Anm. 31), Bd. IV, S. 92. Die Gefahr übermäßiger Hoffnung schildert Bacon in der Einleitung zu einer nie geschriebenen History of the Sympathy and Antipathy of Things; vgl. Bacon (Anm. 31), Bd. V, S. 213ff. Die blind und taub machende Wirkung zu starker Hoffnung ist hier das Ende jeder Erkenntnis. Die Träume übernehmen die Herrschaft über die Realität. In einer solchermaßen verkehrten Welt werden auch die äußeren Erscheinungen der Natur für die wahre Natur gehalten. Zur bislang wenig beachteten Rolle der Hoffnung bei Bacon siehe Michèle Le Doeuff. „L’espérance dans la science“.

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nung findet sich bei Bacon eine deutliche Parallele zum Possibilitätsdenken Leibniz’. Die Verführungskraft der Bacon’schen Experimentalmethode zeigt sich bei Bacon im metaphorischen Gewand territorialer Entdeckungen und Vermessungen. Die Welt habe ihre Unnachahmbarkeit verloren, so begründet er in De dignitate et augmentis scientiarum (1623) die Notwendigkeit zur Erneuerung der Wissenschaften. Himmel wie Erde seien umsegelt, Blitz und Donner zu Menschenwerk geworden.33 Doch während sich das Angesicht der Welt verändert habe, würden immer noch die Gewissheiten einer überkommenen Wissenschaft gelten. Seine Experimentalprogrammatik übernimmt deshalb den Gestus der Weltentdecker und bedient sich der Metaphorik der Landnahme und Landvermessung.34 Die experimentelle Wissenschaft sei einem Kompass vergleichbar, da auch „Westindien niemals für uns erfunden worden wäre, wo nicht die Erfindung des Compaßes vorhergegangen: obwohl jene Gegenden unendlich groß, die Bewegung der Nadel aber sehr klein ist“.35 Ihren Niederschlag findet diese Metaphorik in dem berühmten Frontispiz zum Novum Organon (1620) (Abb. 2). Dort bilden die Säulen des Herkules – die symbolischen Grenzen der Alten Welt an der Meeresenge von Gibraltar – den bühnenhaften Rahmen für den Blick auf einen in die Unendlichkeit reichenden Horizont.36 In unterschiedlicher Entfernung sieht der Betrachter zwei Segelschiffe, die Kurs auf die Meeresenge nehmen. Die weite, aufgewühlte See steht sinnbildlich für die Unbegrenztheit möglicher Entdeckungen und verdeutlicht zugleich die Gefahren, die der experimentellen Wissensproduktion als praktischer Aneignung und Beherrschung der Natur eigen ist. Die heimkehrenden

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Francis Bacon. Science et Méthode. Hg. v. Michel Malherbe u. Jean-Marie Pousseur. Paris, 1965, S. 37-51. Bacons Forschungsprogramm als policy of hope schildert Faulkner (Anm. 6). Vgl. Bacon (Anm. 31), Bd. I, S. 514f. Zum kolonialistischen Wissenschaftsverständnis in New Atlantis vgl. Charles C. Whitney. „Merchants of Light. Science as Colonization in the New Atlantis“. Francis Bacon’s Legacy of Texts. „The Art of Discovery Grows With Discovery“. Hg. v. William A. Sessions. New York, 1990, S. 255-268. „Atque sicut India Occidentalis nunquam nobis inventa fuisset nisi praecessisset acus nauticae inventio, licet regiones illae immensae, versoriae motus pusillus sit.“ Bacon (Anm. 31), Bd. I, S. 617. Zit. n. Francis Bacon. Lord Franz Bacon über die Würde und den Fortgang der Wissenschaften. Verdeutschet und mit dem Leben des Verfassers und einigen historischen Anmerkungen hg. v. D. Johann Hermann Pfingsten. Pest, 1783, S. 446. Vgl. zum Frontispiz des Novum Organum die Studie von A.D. Burnett. The Engraved Title-Page of Bacon’s Instauratio magna. An Icon and Paradigm of Science and its Wider Implications. Durham, 1998.

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Abb. 2: Frontispiz zu Francis Bacon. Novum Organon (London, 1620).

Schiffe symbolisieren die – aufgrund des Instrumentariums, der Methode – sichere Rückkehr aus unbekannten, neuen Welten. Mit dem Bild der Seefahrt durch einen ‚Ozean des Wissens‘ bedient sich Bacon in seiner experimentellen Neubegründung der Wissenschaften des ikonologischen und imaginären Reservoirs des Projektiven. Allemal ist im Rahmen barocken Projektierens das Meer als unkalkulierbarer Gefahrenraum, als Wagnis Ausdruck der prekären Lage des Projektemachers: Der Schiffbruch als Daseinsmetapher ist hier sprichwörtlich – das nächste Projekt verheißt Erlösung.37 Daniel Defoe, dessen Karriere als Kaufmann, Landbesitzer, Schiffseigner, Spekulant, Händler von Zibeth-Katzen, Anteilseigner einer Schatztaucherfirma und nicht zuletzt als Versicherer von Handelsschiffen im Schuldnergefängnis endete, be37

Vgl. Hans Blumenberg. Schiffbruch mit Zuschauer. Paradigma einer Daseinsmetapher. Frankfurt a. M., 1997.

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zeichnet entsprechend „jede neue Seereise, die ein Kaufmann plant“, als ein Projekt.38 Das Möglichkeitsdenken der Projektemacher des 17. Jahrhunderts bewegt sich zwischen Zerstörung und Aufbau, tabula rasa und Neuerschaffung. Defoe hat diese spannungsreiche Fortschrittsrhythmik in der History of Projects, die seinen Essay upon Projects einleitet, schöpfungsgeschichtlich legitimiert: Noahs Bau der Arche und der Turmbau zu Babel fungieren hier gleichsam als Leitmotive für den zivilisatorischen und wissenschaftlichen Fortschritt.39 Allein die göttliche Weisung, so bemerkt Defoe ironisch, habe den Projektemacher Noah davor bewahrt, „sein ganz sinnloses und lächerliches Projekt“ aufzugeben. Der Turmbau zu Babel sei hingegen „ein richtiges Projekt“, da „zu breit angelegt, als daß aus ihm etwas werden könnte“. Doch der lakonische Tonfall Defoes schlägt in Bewunderung um „für das große Wissen“, welches beim Bau des Turmes noch nicht auf früheren Erfahrungen und Erfindungen hätte fußen können.40 Noch der Herausgeber von Johann Joachim Bechers Närrische[r] Weißheit und weise[r] Narrheit, also von der Programmschrift barocker Projektemacherei schlechthin, kritisiert 1707, dass Becher 38 39

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„Every new Voyage the Merchant contrives, is a Project“. Defoe (Anm. 8), 1697, S. 36 und Defoe (Anm. 8), 1890, S. 10. Die vollständige Passage lautet im Original: „The Building of the Ark by Noah, so far as you will allow it a human Work, was the very first Project I read of; and no question seem’d so ridiculous to the Greaver Heads of that Wise, tho’ Wicked Age, that poor Noah was sufficiently banter’d for it; and had he not been set on work by a very peculiar Direction from Heaven, the Good old Man would certainly have been laugh’d out of it, as a most senseless ridiculous Project. The Building of Babel was a Right Project; for indeed the true definition of a Project, according to Modern Acceptation, is, as is said before, a vast Undertaking too big to be manag’d, and therefore likely enough to come to nothing; […] Thus ’twas most certainly true, That if the People of the Old World cou’d have Built a House up to Heaven, they shou’d never be Drown’d again on Earth, and they only had forgot to Measure the Heigth, that is, as in other Projects, it only Miscarri’d, or else ’twou’d have Succeeded. And yet when all’s done, that very Building, and the incredible Heighth it was carri’d, is a Demonstration of the vast Knowledge of that Infant-Age of the World, who had no advantage of the Experiments or Invention of any before themselves.“ Defoe (Anm. 8), 1697, S. 40f. [Herv. d. Verf.]. Dass die Erwähnung dieser beiden Projekte zivilisationsgeschichtlich ernst zu nehmen ist, zeigt sich daran, dass Defoe auch seine General History of Discoveries and Improvements, In useful Arts (1725/26) ebenso wie seinen Essay Upon Literature (1726) mit der Geschichte von Sintflut und Turmbau beginnen lässt. Vgl. Daniel Defoe. Writings on Travel, Discovery and History by Daniel Defoe. 8 Bde. Hg. v. P.N. Furbank. London, 2001, Bd. 4: A General History of Discoveries and Improvements (1725-6) and An Essay Upon Literature (1726), S. 29ff. u. S. 255ff. Alle Zitate Defoe (Anm. 8), 1890, S. 15.

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diese beiden biblischen Projekte nicht erwähnt hat.41 Dieses aus heutiger Sicht merkwürdig anmutende Manko ist durchaus ernst zu nehmen. Die überseeischen Entdeckungen fremder Hochkulturen führen an der Wende zum 17. Jahrhundert zu einer immer schärfer ins Bewusstsein tretenden Inkommensurabilität biblischer und menschlicher Historie.42 Diese offenbart sich gerade dort, wo Versuche angestellt werden, die biblische Chronologie (insbesondere die der Genesis) mit archäologischen Findungen, mathematischen Berechnungen und experimentellen Befunden in Einklang zu bringen.43 Biblische Architekturen wie der Paradiesgarten, die Arche Noah, der Turmbau zu Babel und der Salomonische Tempel fungieren vor diesem Hintergrund als epistemologisch relevante Leitbilder neuzeitlicher Wissenschaft.44 Der Bau der Arche stellt als Re-Evokation des Paradiesgartens Handlungsmuster bereit, die zum Rückgewinn menschlicher Herrschaft nach dem Sündenfall führen. Die Arche ist Vorbild für die Sammlung und Klassifizie41

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Vgl. Johann Joachim Becher. Närrische Weißheit Und Weise Narrheit: Oder Ein hundert so Politische als Physicalische, Mechanische und Mercantilische Concepten und Propositionen, deren etliche zu nichts worden. 3. Aufl. Hg. v. Jacob Friedrich Reimmann. [Frankfurt a. M.], 1707, Vorrede. Vgl. hierzu grundlegend den Ausstellungskatalog von Jim Bennett u. Scott Mandelbrote. The Garden, the Ark, the Tower, the Temple. Biblical Metaphors of Knowledge in Early Modern Europe. Oxford, 1998. Die Verfasser widmen sich den zahlreichen (Re-)Konstruktionen alttestamentarischer Architekturen im 16. und 17. Jahrhundert. Bereits das zweibändige Werk Itinerarium Sacrae Scripturae. Das ist/ Ein Reisebuch, Uber die gantze heilige Schrifft/ in zwey Bücher getheilt (Helmstedt, 1582) des Pfarrers Heinrich Bünting aus Braunschweig zeigt sich diesbezüglich auf der Höhe naturwissenschaftlicher Erkenntnisse der Zeit. En détail werden laut Titel „alle Reisen der lieben Patriarchen/ Richter/ Könige/ Propheten/ Fürsten“ des Alten Testaments nachvollzogen, um der Bibel ihre menschheitsgeschichtliche Glaubwürdigkeit vermittels jüngster wissenschaftlicher Erkenntnisse zu geben. Bei Bünting wird der wissenschaftliche und didaktische (!) Gestus seines Reisebuches durch eine Reihe prachtvoller Weltkarten unterstrichen. Widmet sich der erste Band der Geografie der Heiligen Schrift, so zielt der zweite Band auf die Maßeinheiten, die die Bibel bietet und die Bünting in zeitgenössische Maßeinheiten umrechnet. Vgl. Hans Martin von Erffa. Ikonologie der Genesis. Die christlichen Bildthemen aus dem Alten Testament und ihre Quellen. 2 Bde. München, 1989/1995, Bd. 1, S. 432-511 (Sintflut) und S. 511-518 (Turmbau zu Babel) mit weiterführenden Literaturangaben. La Peyère, ein calvinistischer Theologe, hatte 1655 in seinem Werk Praeadamitae vorgeschlagen, dass es vor Adam schon Menschen gegeben haben musste und dieser nur Stammvater der Israeliten, nicht aber der ganzen Menschheit sei – ein Vorschlag, der heftige Reaktionen hervorrief und dadurch eindrucksvoll verdeutlicht, wie übermächtig die biblische Historie trotz aller Anfechtungen noch war. Vgl. Bennett u. Mandelbrote (Anm. 42), S. 7-11.

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rung von Tieren und Naturalien, um zu einem wahren, philosophischen Wissen zu gelangen.45 Inspiriert durch die Geschichte der Arche, sehen sich viele Autoren und Sammler als Retter: Sie bewahren menschliches Wissen vor dem Vergessen und vor der Verderbtheit des Menschengeschlechts. Die Geschichte der Arche hat in der Bibel ein warnendes Komplement: die Geschichte des Turmbaus zu Babel. Gott bestraft die hochtrabenden Ambitionen der Turmbauer durch eine Verwirrung der Sprachen. Dieser menschliche Sprachverlust ist zugleich ein Kontrollverlust über die Natur. Viele Autoren des 17. Jahrhunderts setzen hier an: Das vergleichende Studium der Sprachen sowie das ihrer Ausbreitung dient vielen Autoren des 17. Jahrhunderts als ein Schlüssel, um der ursprünglichen Ausbreitung der Völker auf die Spur zu kommen. Linguistische und ethnografische Studien gehen hier Hand in Hand mit naturphilosophischen Erkundungen, da Adams Sprache, die vor dem Turmbau (wenn auch bereits in korrumpierter Form) universale Gültigkeit beanspruchen konnte, auf perfekte Weise dem Verständnis der gesamten Physik gedient habe, so die Annahme.46 Die Rückgewinnung einer ‚adamitischen Essenz‘, d. h. einer ‚philosophischen‘ Sprache, würde zugleich zu einem wahren Verständnis der Natur führen, da sie eine direkte Verbindung der Worte mit den Dingen wiederherstellte, welche durch den Sündenfall verloren gegangen sei. Ihre Grammatik, so die Hoffnung, würde eine nicht auf Konvention basierende Eindeutigkeit von Ding und Wort gewährleisten, die gleichsam als Grundlage universaler Kommunikation dienen könnte. Die messende, wägende und rechnende Auseinandersetzung mit der biblischen Historie findet ihren Höhepunkt schließlich im Bau des Salomonischen Tempels.47 In diesem nach göttlichem Maß errichteten Bau 45

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Am deutlichsten reflektiert vielleicht das Musaeum Tradescantianum (John Tradescant. Musaeum Tradescantianum: or, a Collection of Rarities Preserved at SouthLambeth Near London. London, 1656) die Verbindung zwischen Noahs Arche und der Naturgeschichte, da es allgemein als ‚The Ark‘ bekannt war. Vgl. Bennett u. Mandelbrote (Anm. 42), S. 88. Dieser Gedanke ist grundlegend für die Studie des späteren Präsidenten der Royal Society John Wilkins. An Essay Towards a Real Character and a Philosophical Language. London, 1668. Vgl. Bennett u. Mandelbrote (Anm. 42), S. 92f. Den wohl einflussreichsten Rekonstruktionsversuch – „Mathematicarum demonstrationum“ – des Salomonischen Tempels unternahm der spanische Jesuit Johannes Baptista Villalpando im dritten Buch seines Hesekiel-Kommentars. Hieronymus Pradi u. Johannes Baptista Villalpando. In Ezechielem Explanationes et Apparatus Urbis, ac Templi Hierosolymitani. Commentariis et imaginibus illustratus opus tribus tomis distinctum. Rom, 1596-1604; vgl. hierzu ausführlich Paul von Naredi-

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befindet sich der Sitz der Sapientia Salomonis: Architektur und Architektonik universalen Wissens sind hier im Einklang. Wohl keine der naturphilosophisch ausgerichteten Akademiegründungen des 17. Jahrhunderts verzichtet auf den expliziten oder impliziten Verweis auf den weisen Herrscher Salomon und seinen Tempel. Vor diesem Hintergrund einer Interpretation von biblischer Historie und neuzeitlicher Wissenschaft sind auch die aufeinander aufbauenden Werke Arca Noë (1675) und Turris Babel (1679) des jesuitischen Universalgelehrten Athanasius Kircher zu sehen.48 Sie verdienen Beachtung, weil sie die menschliche Idolatrie als einen Akt mangelhafter technischer Planung und Vorausschau interpretieren. Die Frage nach den Möglichkeiten technischer Machbarkeit steht im Mittelpunkt. Dadurch liest sich sein Doppelwerk gleichsam als eine Zivilisationsgeschichte projektiver, fortschrittsorientierter Wissenskunst. Arca Noë schildert die nachsintflutliche Zeit als einen an technischen Neuerungen orientierten Zivilisationsprozess. Noah ist hier nicht der Acker- und Weinbauer, als der er in der Bibel beschrieben wird (Gen. 9,20), sondern ein universeller, von Gott eingesetzter Zivilisationsbringer. Hatte die Sintflut eine tabula rasa menschlicher Kultur und Zivilisation beschert (Abb. 3.1), entwickelt sich innerhalb einer Generation unter der Führung Noahs eine arbeitsteilig differenzierte Gesellschaft. Es finden sich die Grundlagen aller artes mechanicae. Einzig die Theaterkunst, die prospectiva, fehlt, was den utopischen, antiillusionistischen Charakter dieser Gesellschaftsordnung zeigt. Kircher begründet den kulturellen Fortschritt mit Noahs Weitblick. Dieser habe „vorausschauend, was nach der Flut nötig sei“,49 nicht nur Lebensmittel, sondern die verschiedenartigsten Pflanzensamen, einfache Werkzeuge

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Rainer. Salomos Tempel und das Abendland. Monumentale Folgen historischer Irrtümer. Köln, 1994, S. 173ff. u. passim. Athanasius Kircher. Arca Noë. In tres libros digesta, quorum I. De rebus quae ante Diluvium, II. De iis, quae ipso Diluvio ejusque duratione, III. De iis, quae post Diluvium à Noëmo gesta sunt, Quae omnia novâ Methodo, Nec non Summa Argumentorum varietate, explicantur, & demonstrantur. Amsterdam, 1675 und ders. Turris Babel, Sive Archeonologia qua Primo Priscorum post diluvium hominum vita, mores rerumque gestarum magnitudo, Secundo Turris fabrica civitatumque exstructio, confusio linguarum, & inde gentium transmigrationis, cum principalium inde enatorum idiomatum historia, multiplici eruditione describuntur & explicantur […]. Amsterdam, 1679. Zu diesen Büchern Kirchers vgl. Ulrike B. Wegener. Die Faszination des Maßlosen. Der Turmbau zu Babel von Pieter Bruegel bis Athanasius Kircher. Hildesheim, Zürich u. New York, 1995 sowie Bennett u. Mandelbrote (Anm. 42), S. 97ff. u. S. 122ff. „Praeviderat enim Noe cuncta haec post diluvium necessaria“. Kircher (Anm. 48), 1675, S. 141.

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Abb. 3.1: Sintflut-Darstellung aus Athanasius Kircher. Arce Noë [...] (Amsterdam, 1675).

Abb. 3.2: Arche Noah-Bau (Detail) aus Johann Jacob Scheuchzer. Kupfer=Bibel [...] (Augsburg u. Ulm, 1731-1735).

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sowie grundlegende Rohstoffe auf die Arche mitgenommen.50 Auch der Turmbau zu Babel wird von Kircher auf seine technischen Leistungen hin befragt. Der Turm gilt ihm als das großartigste Bauwerk nach der (165 Jahre zurückliegenden) Sintflut und zugleich in seiner Monumentalität und technischen Perfektion als eine nie wieder erreichte Architektur. Kircher unterscheidet dabei in einer komplexen Argumentation zwischen dem biblischen Plan, dem Bau des Noah-Enkels Nimrod, und einem zweiten, maßvollen Turmbau, der im Gegensatz zum ersten tatsächlich vollendet wurde. Die Trennung des Bauvorhabens von der bis zur göttlichen Intervention reichenden Verwirklichung ermöglicht es Kircher, die architektonischen und mechanischen Leistungen Nimrods ausgiebig zu würdigen. Die Undurchführbarkeit des Nimrod’schen Turmbaus erzwingt schließlich die göttliche Intervention: Gottes Handeln begründet sich aus einer mathematischen und naturwissenschaftlichen Notwendigkeit, die Kircher darlegt. Auf den Ruinen des ersten Turmes lässt Kircher nun durch die Nachfahren Nimrods einen zweiten Turm erstellen (Abb. 4.1). Durch diesen – vorbildlosen – Eingriff in die biblische Geschichtsschreibung gelingt es Kircher, die antiken Berichte des Turmbaus (Diodor und Herodot) zu integrieren. Das von Noahs Sohn Cham auf Steintafeln tradierte Weltwissen bildet, nunmehr bereinigt, als weiße Magie den naturkundlichen Hintergrund seiner Baukunst.51 Dieses Weltwissen deckt sich thematisch mit den mechanischen Künsten der Maschinenbücher des 16. und 17. Jahrhunderts.52 Die gigantomanische Baustelle des Turmbaus entspricht jenem auf Naturnachahmung basierenden Technikphantasma, das auch Defoe zu Beginn seines Essay beschwört, wenn er „das neu erfundene Kind der Hölle, die Maschine“, anführt, „welche Donner, Blitz und Erdbeben in ihrem Bauche trägt“.53

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Ein Inventar der magazinierten Kulturgüter bei Kircher (Anm. 48), 1675, S. 5 u. S. 109. Die weiße Magie wird von dem Kircher-Schüler Caspar Schott definiert: „[D]ie höchste Vollkommenheit der natürlich geschöpfmäßigen Weißheit/ und gleichsam aller geheimen Wissenschaften alleroberster Gipffel/ das ist/ eine geschickte Tüchtigkeitswunderliche und ungewonte Sachen auff eine geheime und andern unbewuste Weise zubewerkstelligen.“ Caspar Schott. Magia optica, Das ist, Geheime doch naturmässige Gesicht- und Augen-Lehr […]. Bamberg, 1671, S. 3. Kircher reagierte damit wohl auf die zeitgenössischen Berichte, die die Trümmer des Turmbaus beschrieben. Vgl. Wegener (Anm. 48). „[O]ur new-invented Child of Hell, the Machine, which carries Thunder, Lightening, and Earthquakes in its Bowels, and tears up the most impregnable Fortifications.“ Defoe (Anm. 8), 1697, S. 34 und Defoe (Anm. 8), 1890, S. 9.

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Abb. 4.1: Visueller Nachweis der technischen Unmöglichkeit des Nimrod’schen Turmbaus aus Athanasius Kircher. Turris Babel [...] (Amsterdam, 1675).

Die Zivilisationsgeschichte, die Kircher amplitudenhaft zwischen tabula rasa und Turmbau verdichtet, spiegelt sich demnach in drei verschiedenen ‚Projektionen‘ wider: Der Begründung allen Wissens aus der göttlich inspirierten Vorausschau Noahs folgt die maßlose Projektion (des in der Antike häufig als Giganten geschilderten) Nimrods. Erst der auf eingeschränktem Grundriss errichtete und in der Höhe begrenzte zweite Turmbau wird von Kircher mit vernunftgemäßer Weitsicht identifiziert: Die mosaische Chronologie, die zwischen Arche und Turmbau in eine buchstäblich maßlose Beschleunigung technischer Neuerungen gerät, mündet in die Vision einer befriedeten und zur Ruhe gekommenen Stadt Babylon, die das Wissen der Welt in ihren Mauern umschließt. Einen letzten groß angelegten Versuch, die Schöpfungsgeschichte mit dem neuartigen Fortschrittsparadigma experimenteller Wissenschaft in Einklang zu bringen, stellt wohl die vierbändige Kupfer=Bibel (17311735) des Schweizer Physikotheologen Johann Jacob Scheuchzer dar.

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Abb. 4.2: Turmbau zu Babel aus Johann Jacob Scheuchzer. Kupfer=Bibel [...] (Augsburg u. Ulm, 1731-1735).

Auf der Grundlage der Bücher Kirchers sowie des deutschen Architekten Leonhard Christoph Sturm widmet sich Scheuchzer ausführlich der Sintflut-Erzählung sowie dem Turmbau zu Babel.54 Sein Anliegen, „den Text der Heil. Schrifft nach denen Grund=Sätzen der neuern Philosophie und Natur=Wissenschafften zu erklären“, schlägt sich in der Bewunderung nieder, die er dem Bau der Arche entgegenbringt: „Die Arche ein Meisterstueck der Baukunst“ (Abb. 3.2). Sie sei es „würdig, daß man eine genaue An= und Einsicht mache, ja, nach denen Grundsätzen der Rechen= Meß= und Schiff= Bau= Kunst eine Capell= Probe nehme“.55 Im Gegensatz zu Kircher dient Scheuchzer der biblische Erzähl54

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Zu Leonhard Christoph Sturm vgl. dessen Schrift Mathesis ad Sacrae Scripturae […]. Nürnberg, 1710 und ders. Sciagraphia Templi Hierosolymitani […]. Leipzig, 1694. Johann Jacob Scheuchzer. Kupfer=Bibel/ In welcher Die Physica Sacra Oder Beheiligte Natur=Wissenschafft Derer In Heil. Schrifft vorkommenden Natürlichen Sa-

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zusammenhang jedoch fast nur noch als Stichwortgeber, um die wissenschaftlich-systematischen Erkenntnisse und Verfahrensweisen seiner Zeit darzubieten. Nicht die technische Verifikation der Arche steht nun im Vordergrund, sondern die vergleichende Betrachtung der Konstruktionsvorschläge zeitgenössischer Architekten.56 Auch die äußerst dürftigen Begründungszusammenhänge, die die Bibel für die Sintflut bereithält, interessieren Scheuchzer nicht mehr. Sein Schwerpunkt liegt auf der Klassifikation geologischer Fundstücke, an denen er seine Sintfluttheorie entwickelt: „Dieses sind unfehlbare, ob wohl stumme Zeugen der allgemeinen Wasserfluth, welche an Alterthum, vornehmer Ankunfft, wahrhafter Aufrichtigkeit allen Müntzen, Obelisken, Pyramiden, Auf- und Überschriften, und andern Denkmalen der ersten Zeit den Vorzug rauben.“57 175 Jahre – zehn Jahre mehr als Kircher – gibt Scheuchzer der menschlichen Zivilisation, um sich alle technischen Kenntnisse anzueignen, die den Turmbau zu Babel ermöglichten (Abb. 4.2). Erneut folgt er den Erwägungen Sturms, wenn er annimmt, dass etwa ein Fünftel der damaligen Weltbevölkerung (ca. 9 Mio. Menschen) an den Arbeiten beteiligt war, welche sich seiner Ansicht nach über zwölf Jahre erstreckten. Auch zielt Scheuchzer in seinen verhältnismäßig knapp gehaltenen Ausführungen zum Turmbau nicht auf die biblische Bedeutung der Turmbau-Geschichte, sondern nutzt diese, um „zur Ehre der sogenandten Ciuil-Bau=Kunst eine Anzeige zu thun, was selbige zu thun im stand gewesen wäre“.58 Die von Daniel Defoe in seinem Essay upon Projects scheinbar so launisch herbeizitierten biblischen Projekte der Arche Noah und des Turmbaus zu Babel – dies sollten die wenigen hier angeführten Beispiele zeigen –, sind also keinesfalls nur als satirische Einsprengsel zu

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chen/ Deutlich erklärt und bewährt […]. Augsburg u. Ulm, 1731-1735, Vorbericht und Einleitung Zu der Physica Sacra (o. P.). Er erwähnt neben Leonhard Christoph Sturm auch Joseph Furttenbach (Feriae Architecturae, 1662), Jean Buteo (Opera geometrica [...] De arca Noe, cuius formae, capacitatisq; fuerit, 1554), Christoff Murer (Emblemata miscella nova, 1622), Jean LePelletier (Dissertations sur l’Arche de Noé, 1700), Johann Heinrich Heidegger, Samuel Reyher (Mathesis Mosaica, 1679; Dissertatio Juridico-Historica de Crucifixi Jesu titulis, 1697 und Mathesis Biblica, 1712) – entgegen seines einleitenden Bekenntnisses, Autoren beider Konfessionen zu verwenden, ist seine Auswahl also fast durchweg ‚protestantisch‘. Scheuchzer (Anm. 55), S. 72. Zur Sintflut-Theorie Scheuchzers vgl. Robert Felfe. Naturgeschichte als kunstvolle Synthese. Physikotheologie und Bildpraxis bei Johann Jacob Scheuchzer. Berlin, 2003. Scheuchzer (Anm. 55), S. 86.

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verstehen. Vielmehr verdeutlichen sie, inwiefern die Projektemacherei gleichsam als Avantgarde eines neuartigen experimentalwissenschaftlichen Fortschrittsparadigmas angesehen werden kann, welche die Schöpfungsgeschichte als Zivilisationsgeschichte auszudeuten (und sich einzuverleiben) versucht. III. Grenzen des Wissens: Melancholie und Policey Wenn Defoe allein den Turmbau als ‚wahres‘ Projekt gelten lassen möchte, dann deshalb, weil dieses gescheiterte Menschheitsprojekt in seinem eigenen Krisenbewusstsein als scheiternder Projektemacher eine Entsprechung findet. Das Scheitern, dem sich die Abhandlung Defoes allererst verdankt, scheint verantwortlich für jene sonderbare melancholische Grundhaltung, die auch aus den Seiten von Johann Joachim Bechers Traktat Närrische Weißheit und weise Narrheit (1682) spricht;59 eine gelassene Traurigkeit, die sich – darin Miguel de Cervantes’ Don Quijote nicht unähnlich – aus einem heimlichen Wissen um die Vergeblichkeit und Fragwürdigkeit des eigenen Tuns und aus jenem Wissen um die (durch eine überbordende Rhetorik kaschierte) Bedeutungslosigkeit der eigenen Person speist.60 Die einhundert von Becher gelisteten Concepta unterteilen sich in solche, die „dem eusserlichen Ansehn nach närrisch/ irraisonnable und ohnmöglich geschienen/ dennoch in praxi wohl succedirt und mit Nutzen reussiret“, sowie in solche, die „dem äusserlichen Ansehen nach guten Schein hatten/ von Raison waren/ und gute Intention demonstrirten/ dennoch aber in p[r]axi nicht succedirten/ und derentwegen bey 59

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Johann Joachim Becher. Johann Joachim Bechers Röm. Kays. Maj. Cammer= und Commercien=Raths Närrische Weißheit Und Weise Narrheit: Oder Ein hundert/ so politische alß Physicalische/ Mechanische und Mercantilische Concepten und Propositionen/ deren etliche gut gethan/ etliche zu nichts worden/ Sampt den Ursachen/ Umbständen und Beschriebungen derselben […]. Franckfurt, 1682. Zu Becher vgl. die biografische Studie von Herbert Hassinger. Johann Joachim Becher 1635-1682. Ein Beitrag zur Geschichte des Merkantilismus. Wien, 1951 sowie jetzt Smith (Anm. 7). Miguel de Cervantes reagiert mit Don Quijote (1605, 1615), ebenso wie Francisco de Quevedo mit seiner Satire Los Sueños – La Fortuna con seso y la hora de todos (1635), literarisch auf die späterhin so genannten arbitrista, die sich im Spanien der 1580er Jahre an die kastilische Krone wenden (memorials al Rey), um Vorschläge zur Beseitigung der desolaten Lage der habsburgischen Staatsfinanzen zu unterbreiten. Vgl. Krajewski (Anm. 7), S. 16f. Bereits Defoe beschreibt die Projektemacherei in seinem Essay als Donquichotterie. Vgl. Defoe (Anm. 8), 1697, S. 38.

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dem gemeinen Mann für närrisch und unbedacht ausgeschryen worden“. Dabei geht es Becher weniger darum, die Initiatoren der versammelten Projekte (unter ihnen bspw. auch Leibniz) der Scharlatanerie und des Gaukelspiels zu überführen – auch seine eigenen Projekte stellt er unter das Signum der närrischen Weisheit als auch unter das der weisen Narrheit.61 Becher bietet vielmehr eine Apologie des Projektierens an, in deren Zentrum die Relativität kategorialer Zuweisungen steht. Denn obgleich die Hälfte der versammelten Concepta unter Narrheiten gesetzt seyn/ soll der Leser doch wissen/ daß darunter viel Weißheit verborgen/ und was heute diesem oder jenem/ auff diese oder jene Art nicht gut gethan/ das kan vielleicht auff eine andere Zeit/ durch andere Leuth/ und auff andere Manier noch gut thun.62

Bereits der Entstehungsort dieses Traktats – „auff dem Meere geschrieben in höchstem Sturm“63 – kann als eigensinniger Kontrapunkt zur glatten, bis an den Horizont sich streckenden Oberfläche des Bacon’schen Frontispizes des Novum Organon gesehen werden (Abb. 2). Auf unterschiedliche Weise offenbart sich bei Bacon und bei Becher der Zusammenhang 61

62 63

In der Vorrede schreibt er, dass der Leser „aus eben diesem Tractat spüren [wird], daß ich unpartheyisch von mir selber geschrieben/ sowol in die Närrische Weißheit/ als Weise Narrheit auffrichtig gesetzt/ und fürwar in meiner Conscientz/ niemand zu Liebe noch zu Leyd aus einiger Passion geschrieben.“ Becher (Anm. 59), Vorrede (o. P.). Becher (Anm. 59), S. 179. Becher (Anm. 59), Vorrede (o. P.). Becher befand sich auf der Flucht vor den Folgen seines aus Sicht des Rates der Stadt Antwerpen gescheiterten ‚Sand-zu-GoldProjektes‘. Vgl. hierzu ausführlich Gerald Hartung. „Johann Joachim Becher, oder: Die Projekte und Konzepte eines närrischen Gelehrten“. Zwischen Narretei und Weisheit. Biographische Skizzen und Konturen alter Gelehrsamkeit. Hg. v. dems. u. Wolf Peter Klein. Hildesheim, Zürich u. New York, 1997, S. 262-287. Immer wieder ist zu beobachten, wie das Scheitern der Projektemacher zur Reflexion über die Projektemacherei führt. Wie bei Becher ist auch bei Defoe der Anlass seines Essays im finanziellen Ruin (1692) zu suchen. Defoe nimmt auf seinen Bankrott Bezug, wenn er ein Projekt zur Hilfe für Bankrotteure vorschlägt. Bei dem „Oekonomisten“ Paul Jacob Marperger ist das Verhältnis von literarischer Produktion und finanzieller Notlage besonders evident. Auf deren Höhepunkt verfasst er in den 1720er Jahren seine Abhandlung über Projekte und Projektemacher, die allerdings erst nach seinem Tod erscheint. Vgl. Paul Jacob Marperger. „Von Projecten und Projectenmachern, deroselben Nutzen und Schaden, und was bey Examinirung, Acceptirung, und Rejicirung derselben zu beobachten sey“. Auserlesene kleine Schriften, Welche Allerhand Historische, Politische, Mathematische, zur Gelehrsamkeit sowohl, als zur Kauffmannschafft und Haußhaltung dienliche, überhaupt aber dem Publico nützliche Nachrichten und Vorschläge in sich halten […]. Leipzig u. Rudelstadt, 1733, S. 371f.; vgl. auch Historische Commission b. d. Königl. Akademie der Wissenschaften (Hg.). „Marperger, Paul Jacob“. Allgemeine Deutsche Biographie. 56 Bde. Leipzig, 1884, Bd. 20, S. 405-407.

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Abb. 5: Frontispiz aus Johann Joachim Becher. Närrische Weißheit Und Weise Narrheit [...] (o. O., 1707).

von Wissens- und Illusionskunst im Zeichen des Projektiven. Das Frontispiz, das etwa zwanzig Jahre nach Bechers Tod der dritten Auflage des Traktats vorangestellt wird (Abb. 5), kann diesbezüglich als ein medialer Ordnungsversuch des frühen 18. Jahrhunderts verstanden werden, der darauf zielt, Bechers ‚weise Narrheit‘ in die Sprache des Theaters zu überführen, d. h. seine Wissens- und Erfindungskunst als ‚theatralisch‘ zu decouvrieren.64 Unter dem paradoxen Motto Multi videntur, 64

Die dritte Auflage (1707) ist „Mit einem Vorbericht von Bechers Person“ herausgegeben worden von Jacob Friedrich Reimmann (vgl. Anm. 41). Der „Vorbericht“ zeigt ein Kategorisierungsproblem, welches auch Urban Gottfried Bucher, den ersten Biografen Bechers, angesichts des unsteten und schwer fassbaren Projektemachers zu einer Wortneuschöpfung animierte: „Ob nun Herr D. Becher mehr unter die Politicos oder Medicos zu zehlen, mögen andere urtheilen; ich will mich nicht unterstehen, das Praedicat, so ihm eigentlich zukommt, zu determinieren, daher ich ihn auf dem Titul lieber einen nützlich gelehrten nennen wollen.“ Urban Gott-

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sed non sunt wird hier der Blick auf eine sich perspektivisch verjüngende, durch Wechselrahmen und Wolkensoffitten parzellierte Bühne gewährt, auf der sechs Schauspieler vor dem eine Schlossfassade andeutenden Hintergrundprospekt stehen. Das Motiv ist insofern von Belang, als es das Theater- und Illusionshafte unterstreicht, welches dem Inhalt des Traktats zu eigen ist. Während das Bacon’sche Frontispiz die neue Methode des Experiments als eine Eroberung und Kolonisierung bisher unbekannter Territorien des Wissens inszeniert, verweist das Frontispiz zu Bechers Traktat auf eine andere, dem illusionistischen Spiel des Theaters verwandte Wissenspraxis. Das Frontispiz von Bechers Schrift antizipiert damit die Grundthematik des Traktats und darüber hinaus der Projektemacherei selbst. Der melancholische Gestus des paradoxen Mottos Multi videntur, sed non sunt entspricht einer Wissensform, deren spielerischer, fantastisch-prekärer Charakter sich in beständiger Nähe zum Scheitern, d. h. zur Des-Illusionierung des Zuschauers befindet. Dabei hat man es mit dem paradoxen Sachverhalt zu tun, dass, genau besehen, im 17. Jahrhundert kaum ein Unterschied zwischen ‚ernsthafter Wissenschaft‘ und ‚Projektemacherei‘ besteht, da auch wichtige Aspekte der ‚Neuen Wissenschaft‘ allererst als Projektiererei, Bastelei und Entwurf daherkommen. Erst die begriffliche und konzeptionelle Erfassung des Projektemachers und der Projektemacherei im Laufe des 18. Jahrhunderts, so scheint es, verbannt jenes närrisch-tumbe Bild des ‚Projektemachers‘ aus einer gelehrten, ‚ernsten‘ Wissenschaft, zu deren Gründungsfigur Francis Bacon stilisiert wird.65 Die unstete, Zeit seines Lebens an keinen Ort gebundene Existenz des Projektemachers Becher wird vielleicht durch keine seiner Erfindungen so gut ins Bild gesetzt wie durch jenes Laboratorium portatile, einen praktikablen, alchemischen Reise-Ofen, den er kurz vor seinem Tod, nachdem er vor enttäuschten Gläubigern nach England geflohen ist, entwirft und bauen lässt (Abb. 6). „Scribebam Truro in Cornubia penes Portum Falmouth ad extrema Angliae ora, vulgò Landes Ende“66 – schreibt

65

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fried Bucher. Das Muster eines Nützlich-Gelehrten in der Person Herrn Doctor Johann Joachim Bechers, Kayserl. Majestät Cammer- und Commercien-Raths. Nach seinen Philologischen, Mathematischen, Physicalischen, Politischen und Moralischen Schrifften beurtheilet, und nebst seinem Lebens-Lauff vorgestellet. Nürnberg u. a., 1722, S. 12. 1783 bemerkt Johann Hermann Pfingsten, der deutsche Übersetzer von Bacons De dignitate et augmentis scientiarum (1623), dass Bacon „von arglistigen Proiektenmacher hintergangen worden sey“. Bacon (Anm. 35), S. 24. „Ich schrieb in Truro in Cornwall auf Seiten des Hafens von Falmouth an der äußersten Grenze von England, gewöhnlich Landes Ende genannt.“ Johann Joachim Becher. Opuscula chymica rariora […]. Nürnberg u. Altdorf, 1719, Vorrede (o. P.).

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Abb. 6: Alchemischer Reise-Ofen aus Johann Joachim Becher. Opuscula chymica rariora [...] (Nürnberg, 1719).

er vieldeutig über den ‚unmöglichen‘ Entstehungsort seiner Erfindung. Die Spruchbänder, die den Kupferstich des Scyphus Becheriani umwehen, drücken die Sehnsucht nach Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft aus, die ebenso utopisch und spekulativ bleibt wie sein Tun: „bibat qui potest/ lavet qui vult/ turbet qui audet“ („Trinke aus mir, wer kann/ wasche sich, wer mag/ Trübe mich, wer es wagt“), heißt es dort in wörtlicher Wiedergabe eines Tafelspruches aus Johann Valentin Andreaes Rosencreutzer-Manifest.67 Vielleicht eine Reaktion auf die kurz zuvor erfolg67

Johann Joachim Becher. „Scyphus Becherianus sive Laboratorium portatile […]“. Opuscula chymica rariora […] (Anm. 66), S. 33-198, Abb. 1. Vgl. Johann Valentin Andreae. Chymische Hochzeit: Christiani Rosencreutz: Anno 1459 [1616]. Hg. u. eingel. v. Richard van Dülmen. Stuttgart, 1981, S. 85 (S. 74).

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te, letztgültige Verweigerung einer Aufnahme in die Royal Society. Die ‚Ortlosigkeit‘ seiner Existenz als Projektemacher und Alchemist, die das zerlegbare, transportable Laboratorium verkörpert, wird schließlich dadurch unterstrichen, dass er sich selbst immer wieder um Abgrenzung von den ‚falschen Chymisten‘ bemüht: „Dann die falsche Chymisten suchen das Gold/ die Philosophen aber die Wissenschafft/ die allem Gold vorzuziehen. Jene machen einen blauen Dunst/ Betrügereyen/ Narretheyungen vor die Augen: Diese lassen sich bey derer Dinge Ursachen finden.“68 Diesem Bewusstsein um den Verlust jeder Zugehörigkeit scheint auch jener melancholische Tonfall am Ende der Närrischen Weißheit zu entspringen, in dem die eigene Ortlosigkeit und Entwurzelung gleich durch ein neues Projekt, eine eigene Sozietät, überblendet wird: Ich hätte die Sachen noch viel weiter ausführen könen/ aber die Lust ist mir vergangen/ und ich hab hierdurch ein Prob zeigen wolen/ wornach sich die Societates Curiosorum zu richten/ wiewol ich selbsten in keiner solchen Societät bin/ sondern vor mich eine fundire/ die ich Societatem Psychosophicam nenne.69

Die quirlige Gestalt des Projektemachers, der mit seinen Konzepten und Erfindungen an den europäischen Höfen hausieren geht, Geldgeber und Unterstützer sucht, Allianzen und Intrigen schmiedet, verliert im 18. Jahrhundert ganz entschieden an Bedeutung. Mit ihm ‚verschwindet‘ auch jene in den Schriften der Projektemacher offen zur Schau gestellte Melancholie des Scheiterns. Diese Entwicklung geht paradoxerweise einher mit einer Zunahme von Abhandlungen, die sich aus gleichsam distanzierter Perspektive dem Phänomen der Projektemacherei widmen. Dasjenige, was zuvor als sonderbare Überlagerung und Durchdringung von Realität und Illusion, Denk- und Machbarem die Gestalt experimentellen Wissens bestimmte, wird nun von einer neuen Tendenz in den Wissenschaften erfasst, die die Idee eines Fortschritts mit einer systematisch betriebenen Politik der Entzauberung verbindet. Das Basteln und Probieren, Erfinden und Spekulieren der Projektemacher wird durch die Suche nach überprüfbaren Regeln ersetzt, die – nunmehr glaubhaft – den Zufall planbar, die Zukunft kalkulierbar, das Kontingente beherrschbar erscheinen lassen. Die Figur des Projektemachers, die von der barocken Bühne aus die sich konstituierende Experimentalwissenschaft in Verlegenheit bringen konnte, wird nun – außerhalb des Theaters – durch ihre Theaterhaftigkeit, d. h. ihr scheinhaftes Auftreten und ihr gesellschaftlich deviantes Verhalten gebrandmarkt. Interessanter68 69

Johann Joachim Becher. Chymisches Laboratorium, Oder Unter=erdische Naturkündigung […]. Franckfurt, 1680, Vorrede (o. P.). Becher (Anm. 59), S. 179.

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weise geschieht dies gerade durch verstärkte Versuche der Assimilierung und Normalisierung. Projektemacherei wird umgedeutet und eingeschränkt auf projektives, d. h. strategisches, regelhaftes, fortschrittsorientiertes Denken. Der gemeinsame Nenner der unterschiedlichen ökonomischen, inventiven oder progressiven Rationalitäten ist dabei das Verbot jener Widersprüche und Paradoxien, welche sich aus der buchstäblich ‚wunderbaren‘ Durchdringung von Illusion und Realität, Vernunft und Fiktion ergeben. Die Konjunktur des Begriffes projet, das als modisches Lehnwort im Deutschen noch bis weit ins 18. Jahrhundert eine Parallelexistenz führt, lässt die französischen Enzyklopädisten nun mit einem lexikalischen Seufzer antworten: „[W]ieviel Männer geben sich verrückten Unternehmungen hin!“70 Sie bemängeln eine oft unüberbrückbare Differenz zwischen Vorhaben, Ausführung und Erfolg, die durch die Schönheit (beauté) des Projektes gleichsam überdeckt werde.71 Diese hänge mit „der offensichtlichen Ordnung und Größe“ zusammen.72 Doch solle man sich durch die bewunderungswürdige Schematik und die vorteilhafte Idee eines Projektes nicht täuschen lassen, da die Praxis sich oftmals mit solcherart Spekulation nicht vertrage. Indem sie das Illusionshafte der Projektemacherei betonen, stellen sich die aufgeklärten Enzyklopädisten an die Spitze derjenigen, die seitens der Kameral-, Policey- und Staatswissenschaften die Projektemacherei, d. h. – historisch besehen – ihre eigenen Wurzeln, von allem Fantastischen, 70

71

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„[C]ombien l’homme forme-t-il de folles entreprises!“ Denis Diderot u. Jean LeRond d’Alembert (Hg.). „Projet“. Encyclopédie, ou Dictionnaire raisonné des Sciences, des Arts et des Métiers, par une société de gens de lettre [...]. 35 Bde. Paris, 1751-1780, Bd. 13. S. 441. Der Konjunktiv ist ihnen dabei Ausdruck einer oftmals unüberbrückbaren Differenz zwischen Vorhaben, Ausführung und Erfolg: „Combien perd-il de pas,/ S’outrant pour acquérir des biens ou de la gloire!/ Si j’arrondissois mes états;/ Si je pouvois/ remplir mes coffres de ducats;/ Si j’apprenois l’hébreu, les sciences, l’histoire.“ Antoine Furetière zitiert in seinem Dictionnaire universel Boileau: „Quand je vois ta sageße en ses justes projets/ D’une heureuse abondance enrichir tes sujets./ Des projets des humains la fortune se jouë.“ Antoine Furetière. Dictionnaire universel […]. 4 Bde. Den Haag u. Rotterdam, 1727, Bd. 3, s. v. projet. „Weder in Brugis Schrift noch in Sprats Buch [gemeint ist Thomas Sprats History of the Royal Society (1667)], noch in zeitgenössischen deutschen Veröffentlichungen, die dasselbe Wort gebrauchen, wurde ein klarer Unterschied zwischen dem bloßen Vorschlag oder Plan einer Neuerung und dem Unternehmen ihrer Durchführung gemacht. ‚Projekt‘ deckte beides.“ Redlich (Anm. 7), S. 237. „[L]’ordre & de la magnificence qu’on y remarque“. Diderot u. d’Alembert (Anm. 70), S. 441. „Projet, Dessein, (Synonymes.) Le projet est un plan, ou un arrangement de moyens, pour l’exécution d’un dessein: le dessein est ce qu’on veut exécuter. On dit ordinairement des projets, qu’ils sont beaux; des desseins, qu’ils sont grands.“ (Ebd.).

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Spektakulären und Überbordenden zu bereinigen versuchen. Entsprechend vielfältig sind die Warnungen, dass das „ad oculum demonstrirte“ Projekt eine „Teuscherey der Menschen“, ein „Deceptio visus“, ein „New-Nothing“, eine auf „Schein=Grunde“ basierende „Chimäre“ sein könne.73 Am Gegenstand des Projektes vollzieht sich folglich die Scheidung „einer guten Einbildungs= und Erfindungs=Krafft“ von „schlimmsten Moquerien“, einer „gute[n] Vernunft und Vorstellungskraft“ von „ausschweifende[n] Einfälle[n]“ und „närrische[n] Hirngeburt[en]“.74 Der lange und proskriptive Eintrag in Zedlers Universallexikon, der in auffallendem Kontrast zu dem knapp und nüchtern gehaltenen Eintrag des Grimm’schen Wörterbuchs im 19. Jahrhundert steht, verweist eine Generation nach Becher auf eine kontroverse Arbeit am Begriff.75 Dabei geht es zum einen um eine Typologie des von Fürstenhof zu Fürstenhof vagabundierenden Pläneschmiedes und donneur d’avis. Definitorisch erfasst, geht es zum anderen nun darum, das „Schwindel=Gehirn“ des Projektemachers als Negativfolie des „gelehrten und vernünftigen Mannes“76 herauszuarbeiten. Während jener sich durch bloße Phantasmagorien und täuschende Worthülsen auszeichne, habe sich das ‚vernünftige‘ Projekt an der ‚zeitlichen Glückseligkeit‘, an langfristigen, die ‚staatliche Wohlfahrt‘ betreffenden Zielen zu orientieren: „Alle Menschen sind Projectmacher“, versichert sich der Policey- und Staats-Wissenschaftler Johann Heinrich Gottlob von Justi der Aufmerksamkeit der Leser seiner Gedanken von Projecten und Projectmachern (1761). Er nutzt den negativen Odeur des Begriffes, um seiner Forderung nach planvoller, d. h. kontrollier- und administrierbarer Lebensgestaltung auf paradoxe Weise Nachdruck zu verleihen, denn dem Projekt hafte stets 73

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Marperger (Anm. 63), 371f.; Defoe (Anm. 8), 1697, S. 37f.; Georg Heinrich Zincke. „Vorrede“. Peter Krezschmers, nunmehrigen Hauß=Vaters im Leipziger Waysen= und Zucht=Hause, Oeconomische Vorschläge […]. Auch eine Vorrede Hrn. D. Georg Heinrich Zinckens, worinnen von Projecten und Projecten=Machern gehandelt wird. 2. Aufl. Leipzig, 1746, S. 9 u. S. 18. Zincke (Anm. 73), S. 11 u. S. 14; Johann Heinrich Gottlob von Justi. „Gedanken von Projecten und Projectmachern“. Johann Heinrich Gottlobs von Justi gesammelte politische und Finanzschriften über wichtige Gegenstände der Staatskunst, der Kriegswissenschaften und des Cameral= und Finanzwesens. 3 Bde. Kopenhagen u. Leipzig, 1761-1764, Bd. 1, S. 263 u. S. 269. Vgl. Jacob u. Wilhelm Grimm. „Project, Projekt“. Deutsches Wörterbuch. Leipzig, 1889, Bd. 7, Sp. 2163f. Noch bündiger ist Johann Georg Krünitz. Oeconomische Encyclopädie. Berlin, 1811, Theil 117 (Heinrich Gustav Flörke), S. 720. Zincke (Anm. 73) verweist auf den „verwirrten Gebrauch dieses Wortes“ (S. 13) und moniert den „schwanckende[n] Sprachgebrauch“, den „insonderheit das Wort Proiect in mancherley Verstande anbringe“ (S. 15). Marperger (Anm. 63), S. 371 und Justi (Anm. 74), S. 262.

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auch das „Ungereimte, Lächerliche, und Unmögliche“ an, vor welchem er seine Landsleute ausdrücklich warnt.77 Ein die gemeinsame Morphologie von Projekt und Projektion aufgreifendes Bild, welches den Unterschied zwischen der barocken Projektemacherei und dem vernünftigen, ‚staatserhaltenden‘ Projekt veranschaulicht, bietet Georg Heinrich Zincke, Kameralist und Herausgeber einer Neuauflage des Politischen Discurs von Becher, im Jahr 1746. Das Zukünftige solle wie durch einen Blick auf eine Landkarte visiert werden. Entsprechend sieht er „das Französische Wort Proiet, oder das Lateinisch=Teutsche Wort Proiecte sonderlich aus der Mathemathique hergenommen“. Da die Vorstellung einer Kugel=Fläche, wie sie dem Auge auf einer gläsernen Tafel in einer gewissen Weite auf einmal in einem Blicke erscheinen würde, […] eine Proiection genennet, und […] dergleichen Entwerffungen ihren Nutzen in Verfertigung der Land=Charten haben […]. Eben darinne aber bestehet die Aehnlichkeit eines zuverläßigen Entwurffs, den wir in Staats= und oeconomischen Sachen ein Proiect nennen, mit jenen, daß er uns gleichsam in einem Blick und zum voraus in der Ferne das ganze Vorhaben, die Sache, den Zweck, die Mittel und Gegenmittel vorstelle, damit man eine rechte genaue Ueberlegung zum Entschluß und eine geschickte Einrichtung zur Ausführung machen könne.78

Diesem planvollen, in das Bild der Landkarte gekleideten Handeln entsprechend, konstatiert der Policey-Wissenschaftler Justi wenige Jahre später: Das heißt einen wohlüberlegten Plan und Project seines Lebens machen; und wenn man nach einem solchen Plane alle seine Bemühungen einrichtet, wenn man den einmal bezeichneten Weg beständig vor Augen hat, und weder zur Rechten noch zur Linken davon jemals ausweichet; so müßte das Glück auf eine besondere grausame und heimtückische Art mit uns umgehen, wenn wir nicht unser vorgestecktes Ziel erreichen wollten. Allein die wenigsten Menschen machen ein solches wohl überlegtes Project ihres Lebens.79

Justi zeichnet hier das Gegenbild des unruhigen, unsteten Projektemachers. Die policeyliche Erfassung, die Ausweisung und Verbannung dessen, was keine hundert Jahre zuvor mit Johann Joachim Bechers Programmschrift barocker Projektemacherei begann, findet hier einen Schlusspunkt. Erst von dieser ‚reinen Positivität‘, dieser ‚narrenfreien‘ Diktion der Policey-Wissenschaft aus wird der sich bei Becher bereits anbahnende Verlust als Ursprungsort des Melancholischen vollständig greifbar: 77 78 79

Justi (Anm. 74), S. 267. Zincke (Anm. 73), S. 14f. Justi (Anm. 74), S. 259f.

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O selige Wanderschaft! O schöne Beschauung! O wahrhafte Träume! O erwünschte Entzückung! So heißt es also bald/ man sey ein Narr/ ein Enthusiast/ ein Phantast/ Dem aber nur der geringste Vorgeschmack der Philosophie bekant/ wird aber gern alle diese Schimpf=Reden dulden.80

Die seltsame ‚Ortlosigkeit‘ der Projektemacherei, die immer wieder die Grenzenlosigkeit einer vagabundierenden Einbildungskraft mit dem peregrinierenden Lebenswandel der Projektierer zur Deckung bringt, findet in der policey-wissenschaftlichen Erfassung des 18. Jahrhunderts ihre Grenze.

LITERATURVERZEICHNIS Andreae, Johann Valentin. Chymische Hochzeit: Christiani Rosencreutz: Anno 1459 [1616]. Hg. u. eingel. v. Richard van Dülmen. Stuttgart, 1981. Backschneider, Paula R. Daniel Defoe. His Life. Baltimore u. London, 1989. Bacon, Francis. Lord Franz Bacon über die Würde und den Fortgang der Wissenschaften. Verdeutschet und mit dem Leben des Verfassers und einigen historischen Anmerkungen hg. v. D. Johann Hermann Pfingsten. Pest, 1783. Bacon, Francis. The Works of Francis Bacon. 14 Bde. Hg. v. James Spedding, Robert Leslie Ellis u. Douglas Danon Heath. Stuttgart-Bad Cannstatt, 1963 [Nachdruck d. Ausgabe London, 1857-1874]. Becher, Johann Joachim. Chymisches Laboratorium, Oder Unter=erdische Naturkündigung […]. Franckfurt, 1680. Becher, Johann Joachim. Johann Joachim Bechers Röm. Kays. Maj. Cammer= und Commercien=Raths Närrische Weißheit Und Weise Narrheit: Oder Ein hundert/ so politische alß Physicalische/ Mechanische und Mercantilische Concepten und Propositionen/ deren etliche gut gethan/ etliche zu nichts worden/ Sampt den Ursachen/ Umbständen und Beschriebungen derselben […]. Franckfurt, 1682. Becher, Johann Joachim. Psychosophia Oder Seelen=Weißheit/ Wie nemlich jeder Mensch aus Betrachtung seiner Seelen selbst alle Wissenschaft und Weißheit gründlich und beständig erlangen könne. 2. Aufl. Hamburg, 1705. Becher, Johann Joachim. Närrische Weißheit Und Weise Narrheit: Oder Ein hundert so Politische als Physicalische, Mechanische und Mercantilische Concepten und Propositionen, deren etliche zu nichts worden. 3. Aufl. Hg. v. Jacob Friedrich Reimmann. [Frankfurt a. M.], 1707. Becher, Johann Joachim. Opuscula chymica rariora […]. Nürnberg u. Altdorf, 1719. Bennett, Jim u. Scott Mandelbrote. The Garden, the Ark, the Tower, the Temple. Biblical Metaphors of Knowledge in Early Modern Europe. Oxford, 1998. Blumenberg, Hans. Schiffbruch mit Zuschauer. Paradigma einer Daseinsmetapher. Frankfurt a. M., 1997. Böger, Ines. „Ein seculum … da man zu Societäten Lust hat“. Darstellung und Ana80

Johann Joachim Becher. Psychosophia Oder Seelen=Weißheit/ Wie nemlich jeder Mensch aus Betrachtung seiner Seelen selbst alle Wissenschaft und Weißheit gründlich und beständig erlangen könne. 2. Aufl. Hamburg, 1705, Vorrede (o. P.).

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„Masque der Possibilität“

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LUDGER SCHWARTE

Die Leiche des Herrn Mariotte. Beobachtungen zum Objekt des Experimentierens

I. Die unspektakuläre Dissektion eines Experimentators Am 22. Mai 1684 öffnet Joseph-Guichart Du Verney die Leiche des Herrn Edme Mariotte. Für die nächstfolgende Sitzung verzeichnet das Protokoll der französischen Akademie der Wissenschaften das Zusammentreffen seiner Mitglieder in gewohnter Manier: Am Mittwoch, den 24. Mai 1684, hat sich die Akademie versammelt. Herr Du Verney hat seinen Bericht über die Öffnung vorgetragen, die er am Körper des Herrn Mariotte durchgeführt hat. Er hat einen fetten Polypen im rechten Herzvorhof und viel Wasser in seiner Brust gefunden. Der Puls war stark unterbrochen, wie es oft bei den Polypen geschieht. Das Blut konnte durch einige Löcher hindurchströmen, die sich in den Polypen befinden. Herr Perrault fuhr mit der Lesung seiner Geschichte der Tiere fort.1

Die gelehrige Versammlung präsentiert sich als Schauspiel der Routine. Herr Du Verney verliest seinen Bericht, woraufhin Herr Perrault, der die Unterbrechung kaum ertragen haben wird, wie man den übergangslosen Sätzen des Protokolls anmerkt, endlich mit der Lektüre seines Manuskriptes fortfahren kann.2 Doch aus der Verbindung von nüchter1

„Le Mercredy 24 de May 1684 La Compagnie estant assemblée [...]. M. Du Verney a fait son rapport de l’ouverture qu’il a faitte du corps de Mr. Mariotte. Il a trouvé un gros polype dans l’aureillette droite du coeur et beaucoup d’eau dans sa poitrine. Le Poux estout fort intermittant comme il arrive souvent dans les Polypes. Le Sang pouvoit passer à travers de quelques trous qui sont dans les polypes. Mr. Perrault a continue la lecture de l’histoire des Animaux.“ Archives de l’Académie des Sciences. Procès-verbaux. Paris, o. J., Bd. 11 (Registre de Physique):

2

Claude Perrault ließ sich offenbar durch nichts von seiner Vorlesestunde abbringen – vielleicht ein Zeichen der frühen Sklerose einer derartigen Institution. Ein weiterer Grund ist sicherlich die durch die Religionskriege bedingte Isolierung. Vgl. Roger Hahn. L’anatomie d’une institution scientifique. L’Académie des Sciences de Paris, 1666-1803. Brüssel u. Paris, 1993, S. 27f.

23 juin 1683 – 20 avril 1686, fol. 68v.

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nem Tagesablauf, anatomischen Details und illustren Namen treten die Schatten eines irritierenden Ereignisses. Denn bei der Leiche mit ihren Geschwülsten handelt es sich um diejenige des bekannten Physikers Edme Mariotte, eines langjährigen Kollegen der hier versammelten Akademiemitglieder. Der Bericht von der Leichenöffnung ist zur Zeit das einzige bekannte Dokument für diesen Vorgang. Dennoch hat er mehreren Experten Anlass zu der Vermutung gegeben, dass Mariottes Leiche in einer öffentlichen Sitzung seziert worden ist und dass sich an diese Autopsie eine akademische Konsultation über die Todesursachen angeschlossen hat.3 Aus bislang noch unbekannten Gründen sind mehrere Mitglieder der Académie Royale des Sciences nach ihrem Ableben unter das Messer und die neugierigen Blicke ihrer Kollegen geraten – vermutlich freiwillig, im Sinne einer Spende an die Wissenschaft, denn derartige Autopsien waren durchaus keine Routine. Da die Geschichte der Anatomie zumeist die Leichenbeschaffung bis hin zur Grabräuberei untersucht und dabei den Akzent auf die oft anonymen Opfer eines Willens zum Wissen gelegt hat, ist es für uns erstaunlich, dass sich Mariotte offenbar selbst zum Gegenstand der anatomischen Untersuchung gemacht hat. Mariottes Entdeckung des blinden Flecks im Jahr 1667 zählt zu den spektakulärsten Erfolgen der Académie Royale des Sciences.4 In einem Brief an Jean Pecquet führt Mariotte aus, dass er die Augen von Menschen und Tieren seziert habe und von deren Anatomie ausgegangen sei, um sein Experiment zu entwerfen. Er habe es zunächst selbst ausprobiert und dann seinen Freunden mitgeteilt. „Schließlich haben Sie es selbst in der Bibliothek des Königs gemacht, wo ich es den Herren von 3

4

Mirko D. Grmek. La première révolution biologique. Réflexions sur la physiologie et la médecine du XVIIe siècle. Paris, 1990, S. 226; Claire Salomon-Bayet. L’institution de la science et l’expérience du vivant. Méthode et expérience à l’Académie Royale des Sciences, 1666-1793. Paris, 1978, S. 67; Guy Picolet. „Sur la biographie de Mariotte. État des recherches récentes“. Mariotte, savant et philosophe († 1684). Analyse d’une renommée. Hg. v. Pierre Costabel. Paris, 1986, S. 245-277. Die erste Spur dieser Entdeckung ist der lapidare Eintrag vom 4. Juni 1667: „Monsieur Mariotte a donné un escrit où il montre que la choroïde est le principal organe de la vue et non pas la rétine.“ Archives de l’Académie des Sciences. Registres des Procès-verbaux. Paris, o. J., Bd. 2, fol. 163r. In diesen Registern findet sich auch eine Kopie des Textes von Mariotte. Dort wird die ursprüngliche Versuchsanordnung beschrieben. Vgl. Edme Mariotte. „Proposition d’Optique“. Registres des Procès-verbaux. Archives de l’Académie des Sciences. Paris, o. J., Bd. 2, fol. 78f. Offenbar schätzt Mariotte seine Entdeckung lediglich als experimentellen Nachweis zur Stützung seiner neuen Theorie über den Sitz der optischen Sensibilität.

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Ihrer Versammlung vorgeführt habe“,5 schreibt er an Pecquet. Dieser gratuliert ihm zu seiner Entdeckung mit folgenden Worten: Der Zufall führt zuweilen dazu, dass man etwas findet, was man gar nicht gesucht hat. Ich verdanke ihm viele Neuheiten. Aber wenige Menschen finden, so wie Sie, auch Neuigkeiten, nach denen sie gesucht haben. Dafür bedarf es eines Genies wie des Ihrigen und so klar sehender Augen, wie Sie sie haben.6

In dieser Antwort klingt die Bacon’sche Unterscheidung zwischen den Erfahrungen, die man durch Zufall macht, und den durch Experimente herbeigeführten an.7 Aber Pecquet betont nicht nur die methodische Planung des Experimentes, sondern auch die physische Disposition: die scharfsichtigen Augen Mariottes. Mariotte hat seine Entdeckung offenbar nur machen können, weil er das, was er an zerschnittenen Menschen- und Tieraugen sah und was er vom fixierten Auge in der Perspektivkonstruktion vorausberechnen konnte,8 auf sich selbst übertrug und sich einem Selbstexperiment unterzog. Dass ihm das Experiment gelang, ist nicht allein der Berechnung von 5

6

7

8

„Vous l’avez faite vous mesme dans la Bibliothèque du Roy, où ie la fis voir à Messieurs de vostre Assemblée.“ Edme Mariotte. Nouvelle découverte touchant la veüe. Extrait d’une lettre de M. l’Abbé Mariotte à M. Pecquet. Réponse de M. Pecquet à la lettre de M. l’Abbé Mariotte. Paris, 1668, S. 5. Wiederabgedruckt in Edme Mariotte. Œuvres. 2 Bde. Leiden, 1717, Bd. 2, S. 495-534. Die Ausgabe von 1676 enthält auch den Kommentar von Perrault: Edme Mariotte, Jean Pecquet u. Claude Perrault. Lettres écrites par MM. Mariotte, Pecquet et Perrault, sur le sujet d’une nouvelle découverte touchant le veüe faite par M. Mariotte. Paris, 1676. Die Entdeckung ist sofort (am 9. Mai 1668) per „Wissenschaftsspionage“ von Henri Justel nach England (an Henry Oldenburg von der Royal Society) und Italien (an Lorenzo Magalotti von der Accademia del Cimento) weitergetragen worden. Henry Oldenburg publiziert sie am 18. Mai 1668. Vgl. Henry Oldenburg. „A New Discovery Touching Vision“. Philosophical Transactions 3.35 (1668), S. 668-671. „Le hazard fait quelquefois trouver ce qu’on ne cherchoit point; je lui suis redevable de beaucoup de nouveautez. Mais il y a peu de gens qui en trouvent, comme vous, en les cherchant; il faut avoir pour cela un génie comme le vôtre, et des yeux aussi clairvoyants que vous en avez.“ Mariotte, Nouvelle découverte (Anm. 5), S. 14. Francis Bacon schreibt über die gesuchte Erfahrung: „Es bleibt eine reine Erfahrung, die, wenn sie zustößt, Zufall, wenn sie gesucht wird, Experiment heißt.“ Francis Bacon. Neues Organon. Lateinisch-deutsch. 2 Bde. Hg. u. eingel. v. Wolfgang Krohn. Hamburg, 1990, Bd. 1, Aph. 82, S. 177 (Übersetzung modifiziert). Mariotte ist der Autor eines Manuskriptes über die Perspektive. Vgl. Edme Mariotte. „La Scénographie ou Perspective“. Registres des Procès-verbaux. Archives de l’Académie des Sciences. Paris, o. J., Bd. 3: Séances des 13-20 juin 1668, fol. 63-73. Mariotte situiert seine optische Arbeit im Rahmen der grafischen Repräsentationstechniken des dreidimensionalen Raums im zweidimensionalen. Vgl. Roger Laurent. „Note sur le Manuscrit“. Costabel (Anm. 3), S. 326-327.

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Sichtlinien, Brechungswinkeln und Nervenbahnen zuzuschreiben, sondern eben auch dem Einsatz seines Körpers. In den folgenden Jahren verbesserte Mariotte seine Versuchsanordnung, bis es ihm sogar gelang, zwei Objekte aus dem Sichtfeld seiner beiden geöffneten Augen verschwinden zu lassen.9 Er bildete offenbar seinen Körper zum Versuchsfeld der Autopsie aus. Eine Autopsie war nach dem damaligen Sprachgebrauch die Produktion von Wissen durch das Selbst-Sehen.10 Dabei praktizierte Mariotte eine reflexive Autopsie: Er vollzog die Erfahrungsanordnung mit dem eigenen Körper, benutzte seine eigenen Augen, um zu entdecken. Er sah jedoch nicht nur selbst mit eigenen Augen, sondern sah zugleich auch mit dem blinden Fleck das Selbst, das lebendige Sehen. Mit den nachfolgenden Untersuchungen der Linien, die Mariottes experimentelles Verfahren mit der Dissektion seiner Leiche durch seine vormaligen Kollegen verbinden, verfolge ich drei Hypothesen: 1. Das experimentelle Programm der Académie Royale des Sciences macht eine systematische Erforschung des nackten Lebens notwendig. 2. Die Erforschung des Lebens wird nur möglich durch eine Veränderung der experimentellen Praxis, die nun nicht mehr Gewissheit aus der Reduktion auf eine einheitliche Naturordnung (Logik, Mathematik) zieht, sondern in der sinnlichen Relation von Subjekt und Objekt gründet. Deren Erfahrbarkeit hängt, innerhalb einer Ästhetik der Lebendigkeit, auch von der Unterwerfung des Experimentierenden unter eine Experimentalordnung ab. 3. Diese sich im 17. Jahrhundert vollziehende Transformation macht Experimente an lebenden Menschen und Selbstexperimente notwendig. Das Leben (als epistemische Kategorie) wird abhängig von der Ordnung der Sichtbarkeit, die das Experiment definiert. Die Erforschung 9 10

Vgl. Mariotte, Œuvre (Anm. 5), Bd. 2, S. 56 und Grmek (Anm. 3), S. 199. André Du Laurens unterscheidet zwei Arten der Anatomie: „Autopsia“ und „Doctrina“. Erstere stützt sich auf „Historiae“, Fallsammlungen, Letztere ist „scientifica“. Die Inspektion schließt die Dissektion des menschlichen Körpers, die Vivisektion von Tieren sowie Illustrationen und Diagramme ein, die Doktrin zielt auf den aristotelischen demonstrativen Beweis, stützt sich auf anerkannte Autoritäten, um von ähnlichen Teilen zu einer Synthese des ganzen Körpers und von universellen Theoremen zum Beweis fortzuschreiten. Die Öffnung der Leiche des Herrn Mariotte ist daher eine Autopsie in genau diesem Sinne. Vgl. André Du Laurens. Historia Anatomica Humani Corporis, Et Singularum Eius Partium Multis controuersijs et obseruationibus nouis Illustrata. Frankfurt a. M., 1599, S. 10f. u. 15. Für Du Laurens ist der Körper neuplatonisch das ‚Arbeitshaus‘ („ergastulum“) der Seele. Der Körper ist auch das Bild der politischen Hierarchie, mit dem Prinzen als Hirn.

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des Lebens schließt daher von Beginn an ein neues politisches Regime ein: die Bio-Politik wurzelt in dieser experimentalwissenschaftlichen Sichtbarmachung des Lebens. Mariottes Experiment ist eines von mehreren Beispielen für Selbstversuche im Bereich der Anatomie (bzw. der Physiologie und der Biologie), die, wie im Folgenden zu zeigen sein wird, kennzeichnend für die Konzeption des Experimentes im 17. Jahrhundert sind. Eindrucksvoll ist in diesem Zusammenhang das Beispiel von Santorio Santorio, der mit seiner Sitzwaage über 25 Jahre Buch geführt hat über das Schwanken eines Gewichtes vor der Nahrungsaufnahme, während der Verdauung und nach der Ausscheidung. Diese Messungen veranlassen Santorio zu der Feststellung, dass es eine „transpiratio insensibilis“ gebe, die größer sei als alle sinnlich erfassbaren Exkremente unseres Körpers zusammen.11 Ein weiteres Beispiel sind die Versuche des Pioniers der Mikroskopie Antoni van Leeuwenhoek, der seinen eigenen Samen unters Mikroskop bringt, bewegliche Tierchen mit Kopf und Schwanz darin entdeckt und darüber der Royal Society berichtet.12 In den Protokollen der Akademie mehren sich vivisektorische Experimente. Am Mittwoch, den 13. August 1692, untersucht sie die Wirkung von Schlangengift. Sie beobachtet die eintretenden Lähmungen bei Tauben, Hunden und Fröschen und registriert deren Tod.13 Sie seziert die Leichen, ohne auch nur Ergebnisse zu vermerken. Unachtsam viviseziert sie zudem die Schlangen. Dabei rhythmisiert die reguläre Sitzungsdauer der Akademie, und nicht das Sterben der Tiere, die Dramaturgie des Experimentes. Das Sezieren als methodisches, fast rituelles Einüben einer Praxis und Ausbildung der eigenen Sinne ist der Kern ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit. Auch hierin zeigt sich die Bedeutung des Beobachterkörpers für das Experiment. Eine Woche später, am Mittwoch, den 20. August 1692, heißt es: Herr Charas wurde unglücklicherweise am selben Tag von einer Viper gebissen. Er hat sich gut gehalten und einen Abstrich seiner Wunde an einen Frosch weitergegeben, dem man zuvor schon Tabak-Öl verabreicht hatte. Er starb an11 12

13

Santorio Santorio (Sanctorius Sanctorius). Ars de statica medicina aphorismorum sectionibus septem comprehensa. 2 Bde. Leipzig, 1614, Bd. 1, Aph. 56. Antoni van Leeuwenhoek untersuchte seinen Zahnpelz und seine Exkremente bei variierender Nahrung. In einem Brief vom 18. März 1678 an die Royal Society in London beschreibt er seine Untersuchungen am eigenen Sperma unterm Mikroskop. Vgl. Antoni van Leeuwenhoek. „Letter“. Philosophical Transactions 12.142 (1678), S. 1044-1046. Procès-verbaux (Anm. 1), Bd. 12 (Registre de Physique): 24 avril 1686 – 7 sept. 1689, fol. 110ff.

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derthalb Minuten später. Man hat dasselbe Experiment an einem anderen Frosch wiederholt. Er starb ebenso anderthalb Minuten später.14

Das unfreiwillige Selbstexperiment demonstriert nicht nur die Verschiedenartigkeit der Wirkung von Giften bei unterschiedlichen Lebewesen, sondern auch, dass Moyse Charas innerhalb weniger Minuten die Seiten wechseln kann und sich selbst mal als Versuchstier, mal als Teil einer (todbringenden) Experimentalapparatur verhält. Charas ist später bekannt geworden durch seine pharmakologischen Selbstexperimente. Am 4. August 1694 präsentierte er einen Opium-Selbstversuch in der Akademie.15 Was ist überhaupt ein anatomisches Experiment für die Académie Royale des Sciences in ihren Anfangsjahren? In einem Manuskript mit dem Titel „Projet pour les Expériences et Observations Anatomiques“ schreibt Claude Perrault, die Wahrheiten, die man durch die Dissektion von menschlichen und tierischen Körpern suche, seien nicht die „eklatantesten“, bildeten aber doch die Grundlage all der anderen Forschungen der Akademie. Anatomische Wahrheiten seien das „Subjekt der Anwendung“ („sujet de l’employ“) aller anderen.16 Parallel zu seiner 1673 erschienenen Architekturtheorie und deren zentraler Unterscheidung zwischen positiver und arbiträrer Schönheit, mit der er die traditionelle Begründung der Proportionslehre als Imitation der Naturordnung revolutioniert und als bloße Architektenkonvention entlarvt hatte,17 entfaltet Perrault am 15. Januar 1667 eine Theorie der zwei anatomischen Wahrheiten: 14

15

16

17

„Mr Charas par malheur fut mordu ce meme jour par une vipere. Il s’est bien porté et donnera une relation de sa blessure à une grenouille, à qui on a donné du huile de tabac. Elle est morte une minute et demie apres. On a reiteré la meme experience sur une autre grenouille. Elle est aussy morte, une minute et demie après.“ Ebd. Zu den Selbstexperimenten des Moyse Charas (1619-1698) mit Opium vgl. Claire Salomon-Bayet. „Opiologia, imposture et célébration de l’opium“. Revue d’histoire des sciences et de leurs applications 25.2 (1972), S. 124-150. „On a parlé de l’opium. M. Dodart a dit qu’il n’avait point trouvé de meilleurs remèdes pour le mal de dent que de prendre un demi-grain d’opium deux ou trois jours durant plus ou moins. Monsieur Charas en a pris pour les expérimenter sur luimesmes. Il a dit aussi que l’esprit de sel ammoniac mis avec du coton, dans le trou de dent, il n’a point trouvé de meilleurs remèdes.“ Procès-verbaux (Anm. 1), Bd. 14: 14 nov. 1693 – 21 mars 1696, fol. 21. Claude Perrault. „Projet pour les Expériences et Observations Anatomiques“. Procès-verbaux (Anm. 1), Bd. 1 (Registre de Physique): 22 décembre 1666 – avril 1668, fol. 22. Claude Perrault. Les dix livres d’Architecture de Vitruve corrigez et traduits nouvellement en François, avec des Notes & des Figures [1673]. 2. Aufl. Paris, 1684, S. 214, Anm. 6.

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Diese Wahrheiten, die man anatomische nennt, sind von zwei Arten: Die einen bestehen aus Tatsachen, die anderen können Rechts-Dinge genannt werden. Erstere bestehen aus der Kenntnis der Struktur der Organe, die anderen aus der Entdeckung ihres Nutzens und ihrer Aktivitäten.18

In seiner Architekturtheorie ist nicht die Nachahmung universeller Proportionsprinzipien, sondern der Nutzen, für den jede Sache ihrer jeweiligen Natur nach bestimmt ist, der entscheidende Faktor der Ästhetik eines Bauwerks. Auch in der Anatomie wird von keinem Bauplan der Natur mehr ausgegangen, den die Mikrostruktur eines Körpers (und allen voran der menschliche) zu imitieren hätte. Vielmehr geht Perraults anatomischer Ansatz davon aus, dass jeder Körper eine individuelle Einheit aus Struktur und Funktion ist. So kann die Struktur der Organe Aufschluss über ihre Funktion geben, aber umgekehrt kann ein bekannter Nutzen auch Anlass geben, nach Organen zu suchen.19 Anatomische Experimente setzen Phänomene der Lebendigkeit als Indikator für die Nützlichkeit von Organen ein. Die Vereinigung von Beobachtung und Vernunft im Experiment ergibt eine Vielzahl von Wegen zur Wahrheit, die dann weiterhelfen, wenn der direkte Zugang durch die Sinne verstellt ist. Perrault zählt einige Untersuchungsmodelle auf, durch die bekannte Aktionen auf Organe und Kreisläufe im Körper zurückgeführt werden könnten, darunter Ligaturen und Öffnungen von Kanälen, die Einführung von Sonden und Injektionen, das Aufpumpen und die Dissektion von Organen.20 Die Techniken der Manipulation und Sichtbarmachung, die Perrault hier nennt, sollen dazu dienen, den Nutzen aus der jeweiligen Struktur der Organe im Zusammenwirken mit bestimmten äußeren Umständen zu erklären. Die anatomische Tatsachenwahrheit „Geht das überhaupt?“ soll mit der Rechtswahrheit „Unter welchen Umständen kann das passieren?“ in Verbindung gebracht werden; zugleich entkoppelt Perrault Struktur und Funktion. Das Experiment bezieht sich nicht mehr nur auf das natürliche Vorkommen, sondern auf die verschiedenen Reali18

19

20

„Ces veritez que l’on appele Anathomiques sont de deux especes, les unes sont de faict, les autres peuvent estre appellées des choses de droit: ces premieres consistent dans la connoissance de la structure des organes, les autres dans la decouverte de leur usage et de leurs actions.“ Perrault (Anm. 16), fol. 23; vgl. Claude Perrault. Essais de Physique ou Recueil de plusieurs traitez touchant les choses naturelles. 3 Bde. Paris, 1680, Bd. 1, S. 325ff. Perrault (Anm. 16), fol. 23. Die Vernunft kann (bei der Funktionszuordnung) letztlich nur Wahrscheinlichkeiten hervorbringen. Nur die Erfahrung (der Struktur) produziert Evidenz. Perrault vergleicht hier auch „Anciens“ und „Modernes.“ Ebd., fol. 25f. Ebd., fol. 28f.

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sationsmöglichkeiten. Die Natur ist nicht mehr die hierarchische Ordnung, sondern ein vergleichendes, auf Wahrscheinlichkeit beruhendes System von Artikulationen. Voraussetzung für dessen Erforschung aber sind einerseits die Einrichtung eines experimentellen Raumes, einschließlich diverser geeigneter Instrumente, andererseits bestimmte experimentelle Subjekte, vorzugsweise menschliche Kadaver oder Versuchstiere.21 Dass Perrault in diesem Zusammenhang wiederum von „Sujet“ spricht, zeigt, dass die Kadaver und vivisezierten Tiere nicht als Objekte des Wissens oder als Objekte der Erprobung von Methoden gebraucht werden, sondern den Objektstatus in dem Maße verwandeln, wie sie als „anatomische Wahrheiten“ auftreten und „Subjekt der Anwendung“ werden. In der Möglichkeitswelt des Experimentes sind es diese Subjekte, die Gewissheit erzeugen. Die Körper müssen verschiedene Eingriffe zulassen, aufnehmen und darauf antworten. Erst aus den Performanzen der Dissektionsobjekte erklärt sich der lebendige Zusammenhang der verschiedenen Einzelteile. Daher verbindet Perrault das historische Wissen um das Sichtbare mit dem philosophischen des Unsichtbaren, der Ursachen, Funktionen und Zwecke, indem er einerseits die Klassifikations- und Aufzählungstechnik einführt, andererseits aber die Zergliederung und Analyse der physiologischen Organisation. Diese experimentelle Kombination beruht auf der Entdeckung der gegenseitigen Abhängigkeit in einem lebendigen Kreislauf,22 erweitert diesen Gedanken jedoch um den Experimentator: Alle Teile eines Organismus sind gleichgeordnet, Ursachen und Wirkungen im Inneren einer lebendigen Individualität. Lebendigkeit entsteht aus dem Zusammenwirken. Kein Teil ist privilegiert; es gibt keine Hierarchie unter den lebendigen Organen. Nur deshalb können die Dissektionsobjekte als Subjekte der Anwendung den Experimentator spiegeln, nur deshalb kann die Anatomie Auskunft geben über die Behandelbarkeit des lebenden Menschen. Das Experiment wird als Theater des Organischen konzipiert.

21 22

Ebd., fol. 29. Vgl. Claude Perrault. „Expériences pour l’éclaircissement de la circulation de la Sève des plantes“. Perrault, Essais de Physique (Anm. 18), Bd. 1, S. 79. „Claude Perrault saisit et désigne l’unité du corps organisé, cette totalité dans laquelle Kant verra, plus tard, un ensemble où tout est moyen et fin réciproquement.“ SalomonBayet (Anm. 3), S. 78.

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II. Experiment als Erzeugung von Selbstgewissheit Perraults Projekt ist eine Programmschrift für die Akademie. Typisch für das 17. Jahrhundert enthält sie a) eine Verpflichtung auf das soziale Programm, wie es am deutlichsten in den Statuten der Akademien formuliert wird. b) Zudem zeichnet sie eine Orientierung an der experimentellen Methode aus. Diese Methode zielt auf neue Entdeckungen (Bacon, Boyle).23 c) Die experimentelle Methode, angewandt auf bekannte Phänomene, zielt auf sichere Erkenntnis (Bacon, Glanvill, Cowley, Newton).24 d) Die experimentelle Methode zielt auch auf Selbstveränderung. Beispiel hierfür sind die Meditationen von Descartes, ein Experiment der Vernunft mit sich selbst.25 Perraults Projekt greift das soziale Programm auf, zielt auf neue Entdeckungen und die Produktion von Gewissheit. Auch bereitet Perrault eine Wendung zum Selbstexperiment innerhalb der Geschichte des ana23

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Bacon situiert die experimentelle Methode zwischen Empirismus und Rationalismus. Vgl. Bacon (Anm. 7), S. 211. Robert Boyles Experimente fragen nicht mehr danach, wie aus Substanzen Akzidenzien hervorgehen, sondern auf welche Weise Erscheinungen in Prozessen voneinander abhängig sind und prozessuale Faktoren Geschehnisse herbeiführen. Experimente sind eine Weise, „to perform philosophy“, die Augen zu öffnen und durch ungewöhnliche Effekte zu überzeugen. Robert Boyle. „The Usefulness of Experimental Philosophy“. The Works. 6 Bde. Hg. v. Thomas Birch. Eingel. v. Douglas McKie. Hildesheim, 1966 [Nachdruck d. Ausgabe London, 1772], Bd. 3, S. 418ff. Populäre und überlieferte Irrtümer müssen, so Cowley, durch „tryals“ und „publick lectures“ beseitigt werden. Abraham Cowley. „A Proposition for the Advancement of Experimental Philosophy“ [1661]. The Complete Works in Verse and Prose (= Anglistica & Americana, Bd. 2). 2 Bde. Hg. v. Alexander B. Grosart. Hildesheim, 1969 [Nachdruck d. Ausgabe Edinburgh, 1881], Bd. 2, S. 288f. Joseph Glanvill führt zudem die wissenschaftliche Skepsis und das Eingeständnis positiv bestimmten Nichtwissens ein, um die Wissenschaft von Dogmatisierung frei zu halten. Vgl. Joseph Glanvill. Scepsis scientifica. Or, Confest Ignorance, the Way to Science. In an Essay of the Vanity of Dogmatizing, and Confident Opinion. London, 1665. Wichtig hierfür ist auch die quantitative Methode, die Galileo, Santorio und Harvey mit Erfolg anwenden. Bacon ist der Ansicht, dass „das Experiment das Urteil über die Sache spricht“ und dass die Sinne lediglich die Instrumente und das Experiment beurteilen. Francis Bacon (Anm. 7), S. 49 u. S. 113. Isaac Newton übernimmt von Bacon diese Idee eines „Experimentum Crucis“. Isaac Newton. „Letter to Mr. Oldenburg, February 6, 1671/72“. Philosophical Transactions 80 (1671), S. 3075-3087. Vgl. René Descartes. „Meditationes“. Œuvres Complètes. 13 Bde. Hg. v. Charles Adam u. Paul Tannery. Paris, 1999, Bd. 7, S. 13, 17 u. S. 23; Hans Blumenberg. Säkularisierung und Selbstbehauptung. Frankfurt a. M., 1974, S. 214f.

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tomischen Experimentes vor, eine Wendung, die in einer späteren Schrift von Edme Mariotte vollzogen wird. Die Selbstunterwerfung unter das Experimentalsystem ist vergleichsweise neu und bemerkenswert. Seit der Antike, seit Aristoteles, sind anatomische Experimente durchgeführt worden.26 Sie wirkten stets auch als spektakuläre Inszenierungen eines Herrschaftswissens. Die Freilegung allgemeiner Prinzipien des Körperaufbaus und der Natur des Menschen zielt zunächst nicht auf medizinisches Anwendungswissen, sondern auf eine philosophische Grundlegung der Medizin als Wissenschaft. Nur die Anatomie lässt einen Schluss von der Struktur auf die Funktion, auf die Dysfunktion und von dort auf die Behandlungsmethode zu. Mondino dei Luzzi greift daher ein Projekt wieder auf, das auf Aristoteles’ Buch über die Tiere und auf Galens Schrift Über den Nutzen der Körperteile zurückgeht, als er um 1315 wieder mit der Dissektion von menschlichen Kadavern beginnt.27 Die öffentliche Zerschneidungs-Zeremonie ist eher ein rhetorisches als ein pädagogisches Instrument. Ihre Hauptaufgabe ist nicht die Ausbildung in der Anatomie als Teil des medizinischen Unterrichtes, sondern eine öffentliche Demonstration, dass die gelehrten Ärzte Prinzipien des Körperaufbaus und Ursachen, die bei rationalen Prognosen Anwendung finden, aufzeigen können.28 Die Kraft dieser Demonstration geht deshalb über die öffentliche „Ostension“ hinaus, weil nicht nur etwas an einem Körper aufgezeigt wird, sondern auch ein Protagonist eine soziale Stellung behauptet. Er bezieht aus dem Aufzeigen einer Analysemethode seine prognostische Kompetenz. Die Anatomie als Ausstellung von Wissen findet zunächst in anatomischen Theatern statt. Die Theaterbauten beziehen das Publikum als „Jury“ in das Geschehen ein; in den ersten Rängen saßen meist wichtige, glaubwürdige Personen. Ihre Gegenwart und Bezeugung ist Teil des Versuches, den normalen Körper zu konstruieren und gegen den pathologischen abzugrenzen.29 Dies erklärt das Interesse an anatomi26

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Vgl. Carolin M. Oser-Grote. Aristoteles und das Corpus Hippocraticum. Die Anatomie und Physiologie des Menschen (= Philosophie der Antike, Bd. 7). Stuttgart, 2004, insbes. der Abschnitt zu Experimenten im Umkreis von „De Corde“, S. 82-95. In seiner 1316 verfassten „Anathomia“ erwähnt Mondino dei Luzzi zwei Dissektionen, die er im Januar und im März 1315 durchgeführt hat. Zeitgleich beginnt die Dissektion auch in Montpellier. Vgl. Roger French. William Harvey’s Natural Philosophy. Cambridge, 1994, S. 6. Der Mensch ist das Maß und der „Horizont“ aller Tiere. Gabriele Zerbi. Liber Anathomiae Corporis Humani et singulorum membrorum illius. Venedig, 1502, fol. 3ra. Siehe auch die Diskussion von Riesen, Pygmäen und Affen („babuini“, „cercipithecus“, „canicipites“) zur Bestimmung der „Quantität“ des „menschlichen

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schen Besonderheiten. Nicht nur Kriminelle, sondern auch Heilige wurden daher seziert.30 Die Selbststilisierung und die Konstruktion eines Normalkörpers sind Ausdruck eines Programms, das darauf zielt, eine Gesellschaft dem Wissen zu unterwerfen. Die Anatomie dient zur Erweiterung und Überprüfung von Wissen. Sie prägt experimentelle Verfahren aus, wie sich bei Jacopo Berengario da Carpi zeigt, der um 1520 in einer experimentellen Vorführung herausfinden will, ob Föten urinieren.31 Dies zeigt er vor einer großen Anzahl von Doktoren und Scholaren, die des Glaubens würdig seien.32 Zum Beweis seiner Kompetenz und der Richtigkeit seiner Schlüsse zitiert Berengario auch die Namen seiner noch lebendigen Patienten.33 Unter Johann Winter (Guinter), der 1531 als Gräzist Galens De Anatomicis Administrationibus übersetzt und veröffentlicht, wird die Anatomie in Paris für Studenten ein formaler Teil des Curriculums, weil das anatomische Wissen dasjenige der Alten sei und nur so der Sinn der Texte wiederhergestellt werden könne. Die Dissektion ist hier Teil einer humanistischen Philologie. Winter konzentriert sich auf Instrumente und Praktiken und gibt seinen Studenten spezielle Instruktionen für den Fall, dass sie eine Frau sezieren sollten.34 Auch Winters Kollege an der Pariser medizinischen Fakultät, Jacques Dubois (Sylvius), der seine medizinischen Kenntnisse in Montpellier gewonnen hatte, legt größten Wert auf die Rekonstruktion der anatomischen Praxis Galens und des chirurgischen Geschicks auf Seiten der Studenten.35 Es ist daher nicht

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Körpers im Allgemeinen“ bei Jacopo Berengario da Carpi. Commentaria cum amplissimis Additionibus super Anatomia Mundini una cum textu eiusdem in pristinum et verum nitorem redacto. Bologna, 1521, fol. 13r/v. Vgl. Katharine Park. „The Criminal and the Saintly Body. Autopsy and Dissection in Renaissance Italy“. Renaissance Quarterly 46 (1994), S. 1-29. Vgl. Berengario da Carpi (Anm. 29), fol. 260r. Vgl. ebd., fol. 254r. Vgl. ebd., fol. 221r u. fol. 225r; Roger French. Dissection and Vivisection in the European Renaissance. Aldershot, 1999, S. 114. Während sich Berengarios Epistemologie auf eine „anatomia sensibilis“ stützt, die sich auf wahrnehmbare Strukturen bezieht, um theoretische Diskussionen über die rationale Beweisbarkeit der Existenz eines Körperteiles etc. zu vermeiden, zielt Niccolò Massa (1485-1569), der hauptsächlich in den Hospitälern Venedigs und nicht im „studium“ von Padua sezierte, auf eine „anatomia sensata“, eine Anatomie der tatsächlich gesehenen Dinge, und nicht nur der prinzipiell sichtbaren. Niccolò Massa. Anatomiae liber introductorius, in quo quamplurimae partes, actiones, atque utilitates humani corporis nunc primum manifestantur. Venedig, 1559, fol. 5r u. fol. 48f. „Si foemina disseces […].“ Johann Winter (Guinter). Institutionum Anatomicarum secundum Galeni sententiam, ad candidatos Medicinae, libri quatuor. Paris, 1536, S. 31. Vgl. Jacques Dubois (Jacobus Sylvius). In Hippocratis et Galeni Physiologiae par-

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völlig abwegig, die Wurzeln der praktischen anatomischen Ausbildung der Studenten, die als wichtiger und charakteristischer Beitrag der Pariser Medizin gilt, vom 18. in das 16. Jahrhundert zurückzuverlegen.36 Andreas Vesalius hat in Paris bei Sylvius studiert und in diesem Kontext erste kritische Interventionen von Studenten bei Dissektionen erlebt.37 Realdo Colombo (ca. 1515-1559), Vesalius’ Nachfolger in Padua, war davon überzeugt, dass sich die Kenntnis über die Aktion und Funktion von inneren Organen nicht aus der Kenntnis der anatomischen Struktur, sondern nur aufgrund von Vivisektionen gewinnen lasse. Colombo sezierte vorzugsweise Hunde.38 Sein Ansatz zielt weniger auf die Ostension des schon etablierten Wissens als darauf, die Objekte in ihrer Lebenswirklichkeit zum Sprechen zu bringen. Daher kombiniert er die Vivisektion mit der Beobachtung von Besonderheiten.39 Auch beschreibt er in großer Ausführlichkeit die Vivisektionen an Tieren, die er durchgeführt hat. Besonders detailreich versucht er, die Szene der Vivisektion einer schwangeren Hündin vor dem Auge des Lesers wieder erstehen zu lassen, wie er sie im Anatomischen Theater von Padua veranstaltet hat. Er zeigt die Barmherzigkeit und Frömmigkeit der sterbenden Hündin, die ihre auf diese künstliche Weise geborenen Sprösslinge liebevoll und still ableckt.40 Die physiologischen Experimente befragen lebende Organismen; dabei werden verschiedene Verfahren angewandt:41

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tem Anatomicam Isagoge. Venedig, 1556; Charles D. O’Malley. Andreas Vesalius of Brussels, 1514-1564. 2. Aufl. Berkeley u. Los Angeles, 1965, S. 47; C.E. Kellet. „Sylvius and the Reform of Anatomy“. Medical History 5 (1961), S. 101-116. Für diese Sicht vgl. Toby Gelfand. „The ‚Paris Manner‘ of Dissection. Student Anatomical Dissection in Early Eighteenth-Century Paris“. Bulletin of the History of Medicine 46.2 (1972), S. 99-130; Marie-José Imbault-Huart. L’école pratique de dissection de Paris de 1750 à 1822 ou l’influence du concept de médecine pratique et de médecine d’observation dans l’enseignement médico-chirurgical au XVIIIème siécle et au début du XIXème siècle. Lille, 1975, S. 96ff.; Michel Foucault. Naissance de la clinique. Une archéologie du regard médical. Paris, 1963. Vgl. O’Malley (Anm. 35), S. 57 u. S. 61. Vgl. Realdo Colombo. De re anatomica Libri XV. Venedig, 1559, S. 257. Vgl. ebd., S. 256. Daneben obduziert Colombo päpstliche Legaten und Kardinäle. Unter anderem erfahren wir, dass er bei Ignatius von Loyola Steine in den Nieren, der Lunge, der Leber und in der Vena Cava gefunden hat. Vgl. ebd., S. 266. Vgl. ebd., S. 258ff.; Hieronymus Fabricius ab Aquapendente greift diese Experimente an Tieren wieder auf. Vgl. Hieronymus Fabricius ab Aquapendente. De formato foetu. Padua, 1604; ders. Opera physica anatomica. Padua, 1625. Die folgende Liste orientiert sich an einem Gliederungsvorschlag von Nikolaus Mani. „Naturwissenschaftlich-biologische Grundlagenforschung in der Medizin des 17. Jahrhunderts“. Medizinhistorisches Journal 11 (1976), S. 191.

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a) das Abbinden von Gefäßen (um Strömungsrichtungen nachzuweisen), b) das Herausschneiden von Organen (um deren Funktion und Lebenswichtigkeit zu ermitteln),42 c) das Anlegen von Speichel-, Pankreas- und Gallenfisteln,43 d) die Injektion von Drogen, Giften und Medikamenten,44 e) die Bluttransfusion und künstliche Beatmung,45 f) die Isolation und Reizung von Fasern und neuromuskulären Präparaten.46 Das medizinische Experiment am Menschen ist im 16. Jahrhundert noch weitgehend ein Gerücht, während die Vivisektion von Tieren sich etabliert. Viele medizinische Entdeckungen wären ohne diese nicht möglich gewesen. So kann Colombo zeigen, dass das Blut vom rechten Herzventrikel die Lungen durch die Lungenvenen (venae pulmonariae dextrae) erreicht und nachdem es sich in der Lunge mit Luft durchmischt hat, wieder durch die linken Lungenvenen (v. p. sinistrae) in den linken Herzvorhof fließt. Später zeigt William Harvey unter anderem durch Vivisektionen den Blutkreislauf. Im 17. Jahrhundert kommt es zu Experimenten mit lebenden Menschen. Nachdem Christopher Wren erkannt hatte, dass der Kreislauf nicht nur die Verbreitung einer Krankheit im Körper verständlich macht, sondern auch für die Verteilung von Medikamenten genutzt werden kann,47 entwickelte der brandenburgische Leibarzt Johann Sigismund Elsholtz 42

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Vgl. Boyle (Anm. 23), S. 9f., 16f. u. S. 302ff.; Guiseppe Zambeccari. „Experimenta diversorum viscerum a diversis animalibus viventibus exsectorum“. Miscellanea curiosa sive ephemeridum medico-physicarum Germanicarum Academiae Caesareo-Leopoldinae Naturae Curiosorum […] annus 5 (1697), Appendix ad annum 4, Decuria 3, S. 97-114; Johann Conrad Brunner. Experimenta nova circa pancreas. Amsterdam, 1683. Vgl. Regnier de Graaf. Tractatus anatomico-medicus de succi pancreatici natura et usu. Leiden, 1671, cap. 4, S. 65f. Vgl. Johann Jakob Wepfer. Cicutae aquaticae historia et noxae commentario illustrata. Basel, 1679. Die künstliche Beatmung ist von Vesalius im Appendix seiner Fabrica zuerst beschrieben worden. Vgl. Andreas Vesalius. De humani corporis fabrica. Basel, 1543. Die Arbeit an Fibern und Fasern geht auf Francis Glisson zurück. Jan Swammerdam untersucht die Phänomene der Muskelkontraktion. Vgl. hierzu Jan Swammerdam. Biblia naturae sive historia insectorum. Leiden, 1737/38, S. 839ff. u. S. 852ff. Er spritzte Hunden Wein und Opiumtinktur in die Schenkelvene und erreichte dadurch, dass sie berauscht bzw. betäubt wurden. Dies gilt als eine erste intravenöse Narkose. Zuerst erschienen in Robert Boyle. Some Considerations Touching the Usefulnesse of Experimental Naturall Philosophy. 2. Aufl. Oxford, 1664, postscriptum.

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(1623-1688) die intravenöse Injektion am Menschen. Seine ersten Versuche machte er an den kurfürstlichen Soldaten.48 Matthias Gottfried Purmann unternimmt um 1670 an sich selbst Versuche zur intravenösen Injektion.49 Zu den eindrucksvollsten Versuchen am Menschen zählt sicherlich die erste Bluttransfusion in der Académie Royale des Sciences in Paris.50 Hintergrund der Bluttransfusion waren Auffassungen von der heilenden und verjüngenden Kraft des Blutes,51 aber eben auch das anatomische Projekt Perraults. Die Versuchsanordnung wird im Januar 1667 erfolgreich an Hunden getestet. Am 15. Juni 1667 nimmt Jean-Baptiste Denis zum ersten Mal an einem Menschen, nämlich an einem 15-jährigen Fieberpatienten, erfolgreich eine Bluttransfusion vor. Am 19. Dezember 1667 erzielt Denis durch die Transfusion von Kalbsblut einen Heilungserfolg bei einem Geisteskranken. Am 20. Februar 1668 heilt er durch Transfusion die Lähmung einer Frau.52 48

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Vgl. Johann Sigismund Elsholtz. Clysmatica nova, sive ratio, qua in venam sectam medicamenta immitti possint, ut eodem modo, ac si per os assumta fuissent, operentur, in animantibus per drastica, in homine per leniora hactenus probata, & adserta. Berlin, 1665. Zuvor veröffentlichte Major seine an Tieren gewonnenen Injektions-Erkenntnisse. Vgl. Johann Daniel Major. Prodromus inventae a se chirurgiae infusoriae, sive quo pacto agonizantes quidam, pro deploratis habiti, servari aliquandiu possint infuso in venam sectam liquore peculiari. Leipzig, 1664. Vgl. Matthäus Gottfried Purmann. Chirurgischer Lorbeer-Krantz oder Wund-Artzney. Halberstadt, 1684. Vgl. hierzu Erwin H. Ackerknecht. „Le médecin et l’autoexpérimentation thérapeutique“. Documenta Geigy. Basel, 1969, S. 5-6. Vgl. Anonymus. „Description de l’expérience (De la transfusion du sang)“. Registres des Procès-verbaux manuscrits des séances de l’Académie royale des sciences (du 22 au 28 janvier 1667). Archives de l’Académie des Sciences. Paris, o. J., fol. 212-238. Marsilio Ficino empfahl bereits in seinen Drei Büchern über das Leben, die Alten sollten sich an der Milch eines jungen Mädchens oder am Blut eines Jünglings, am offenen Unterarm, laben und verjüngen. Vgl. Marsilius Ficinus. De vita libri tres. Hg. v. Martin Plessner. Hildesheim u. a., 1978 [Nachdruck d. Ausgabe Venedig, 1498]. Libavius schlägt eine Röhrenverbindung zwischen den Arterien eines gesunden Jungen und eines kranken Alten vor. Vgl. Andreas Libavius. Appendix necessaria syntagmatis arcanorum chymicorum. Frankfurt a. M., 1615. La Martinière zählt alle Anhänger dieser Auffassung auf: von Herophilus, Celsus, Ovid, Libanios, Menasse Ben-Israel über Ficino, Tritheim, Fabricius bis zu Harvey. Vgl. Pierre Martin de La Martinière. Les Opuscules contre les circulateurs et transfuseurs de sang, ceux qui veulent que toutes maladies proviennent d’intempérie chaude, que la mélancolie ne soit une humeur, mais bien le suc pancréatique, et en faveur des médicamens vomitifs, etc. Paris, o. J. [1667], darin „Lettre à M. de Colbert“. Jean-Baptiste Denis. „Extrait d’une lettre de M. Denis […] à M. […] touchant la transfusion du sang. De Paris, ce 9 mars 1667“. Journal des Sçavans (1667), S. 6972 (14 mars); ders. „Extrait d’une lettre de M. Denis […] à M… touchant la trans-

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Dieser Übergang von den Tieren zu den Menschen wird durch experimentelle Apparaturen und Versuchsanordnungen hergestellt. Die Versuchsanordnung, ein System von Röhren, befestigten Körpern und umstehenden Beobachtern, fasst die Zirkulation des Blutes als quantifizierbares Tableau des Lebendigen. Die Vielfalt des Lebendigen wird einem gleichen Verfahren zur Produktion von Effekten unterworfen. So entwickelt sich einerseits seit Marco Aurelio Severino, Thomas Willis und Claude Perrault die komparative Anatomie.53 Perrault und Mariotte verbinden andererseits Ar-

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fusion du sang. Du 2 avril 1667“. Journal des Sçavans (1667), S. 96 (25 avril); ders. Lettre escrite à M. de Montmor, touchant une nouvelle manière de guérir plusieurs maladies par la transfusion du sang, confirmée par deux expériences faites sur des hommes [25. Juni 1667]. Paris, o. J. [1667]; ders. Lettre escrite à M***, touchant une folie invétérée qui a esté guérie depuis peu par la transfusion du sang [12. Januar 1668]. Paris, o. J. [1668]; ders. Lettre écrite à M. Sorbière, touchant l’origine de la transfusion du sang et la manière de la pratiquer sur les hommes. Avec le récit d’une cure faite depuis peu sur une personne paralytique [2. März 1668]. Paris, o. J. [1668]. Auch Richard Lower, der an der Royal Society wohl die erste Transfusion von Tier zu Tier unternommen hatte, berichtet von einem Transfusions-Experiment. Aufgrund der Eigenschaften, die dem Blut von William Harvey zugesprochen wurden, injizierte Lower einem Geisteskranken im „Arundel House“ vor über vierzig Zuschauern am 23. November 1667 Schafsblut, ein christologisches Symbol, wobei der Patient das Ende der Transfusion bestimmte. Vgl. Edmund King u. Richard Lower. „An Account of the Experiment of Transfusion, Practised upon a Man in London“. Philosophical Transactions 30 (1667), S. 557-559; ferner Richard Lower. Tractatus de corde, item de motu et colore sanguinis et chyli in eum transitu. London, 1669, S. 198f. Der Patient hieß Arthur Coga, ein geistig verwirrter ehemaliger Cambridge-Student. Vgl. hierzu Simon Schaffer. „Regeneration. The Body of Natural Philosophers in Restoration England“. Science Incarnate. Historical Embodiments of Natural Knowledge. Hg. v. Christopher Lawrence u. Steven Shapin. Chicago u. London, 1998, S. 83-121. Gegen die Transfusion argumentiert Lamy ab Juli 1667. Vgl. Guillaume Lamy. Lettre écrite à M. Moreau [...] par G. Lamy [...] contre les prétenduës utilités de la transfusion du sang pour la guérison des maladies, avec la réponse aux raisons et expériences de M. Denys. Paris, 1667. Im Jahre 1689 untersuchen Blondel und Du Hamel einen „sehr robusten Mann“, an dem man eine Bluttransfusion vorgenommen hatte, um ihn vom Wahnsinn zu heilen. Du Hamel resümiert ironisch: „Il n’en était pas moins fou, et n’en courat pas moins les rues qu’auparavant; et ce qu’il avait de plus raisonnable, c’est qu’il se nommait lui-même le martyr de la Société Royale.“ Jean-Baptiste Du Hamel. Histoire de l’Académie Royale des Sciences. Paris, 1733, S. 39. Zur „Clystier-Kunst“ Vgl. Walter Artelt. „Die Experimente des 17. Jahrhunderts und der Strukturwandel der medizinischen Literatur“. Il metodo sperimentale in biologia da Vallisneri ad oggi. III. centenario della nascita di Antonio Vallisneri. 29. settembre – 1. ottobre 1961 (= Atti e memorie dell’Accademia Patavina di scienze lettere ed arti, Suppl.bd. 73). Hg. v. Accademia Patavina di scienze lettere ed arti. Padua, 1962, S. 11. Vgl. Marco Aurelio Severino. Zootomia Democritaea, id est, Anatome Generalis

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beiten zur Anatomie mit Untersuchungen zur Botanik, insbesondere zur Zirkulation des Saftes in den Pflanzen.54 Erst das anatomische Experiment erlaubt einen konzeptuellen Kurzschluss humaner, tierischer und pflanzlicher Lebensformen. Die Entdeckung der Besonderheit und der Vergleich der Organismen geht einher mit der Investition und Ausbildung des eigenen Körpers des Anatomen. Schon Harvey begründete den Erfolg seiner Forschungen mit der „Autopsia“, mit den „experimenta ocularia“.55 Zu den Augen gesellt sich die Hand. Thomas Bartholin stellt fest: „Ich glaube nur, was ich sehe und mit der Hand greifen kann.“56 Johann Jakob Wepfer formuliert allgemein: „Um die Existenz einer sichtbaren und tastbaren Körperstruktur zu beweisen, darf man nur dem Auge und der geschickten Hand des Beobachters Glauben schenken.“57 Dass beim medizinischen Experiment auch die eigenen Sinne eingebracht werden müssen, wird bei Willis deutlich, der den Harn von Diabetikern mit der Zunge geprüft und einen süßen Geschmack festgestellt hat.58 Das Risiko dieser Investition der eigenen Sinne wird kompensiert durch den größeren Nutzen der Wissenschaft, durch den Gewinn an Gewissheit und durch das symbolische Kapital des wissenschaftlichen Ansehens. Die Nützlichkeit des Eingriffs lässt alte Vorstellungen von leib-seelischer Integrität verschwinden. Die Subjektivität des Wissenschaftlers wird geprägt von der Individualität seines Körpers im Reaktionsgefüge der Experimentalanordnung. Im 18. Jahrhundert billigt Denis Diderot das medizinische Experiment am Menschen. Dabei stützt auch er seine Position auf Nützlich-

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totius animantium Opificii. Nürnberg, 1645; ferner Walter Charleton. Physiologia Epicuro-Gassendo-Charltoniana, or A Fabrick of Science Natural upon the Hypothesis of Atoms. London, 1654; vgl. hierzu auch Charles B. Schmitt u. C. Webster. „Harvey and M.A. Severino. A Neglected Medical Relationship“. Bulletin of the History of Medicine 45.1 (1971), S. 49-76 und Georges Canguilhem. La Connaissance de la vie. 2. Aufl. Paris, 1965, S. 129-154. Vgl. Claude Perrault. „Projet pour la botanique“. Procès-verbaux (Anm. 1), Bd. 1, fol. 32. William Harvey. Exercitatio anatomica de motu cordis et sanguinis in animalibus. Frankfurt a. M., 1628. Zit. n. Nicolaus Mani. „Darmresorption und Blutbildung im Lichte der experimentellen Physiolgie des 17. Jahrhunderts“. Gesnerus 18 (1961), S. 86. „Ad partis enim visibilis et palpabilis existentiam demonstrandam, firmissimum testimonium nonnisi ab oculis et dextra artificis manu petitur, imo solis his fides debetur.“ Johann Jakob Wepfer. Observationes anatomicae, ex cadaveribus eorum, quos sustulit apoplexia. Schaffhausen, 1658, S. 36. Vgl. Thomas Willis. Pharmaceutice rationalis sive diatriba de medicamentorum operationibus in humano corpore. 2 Bde. London, 1674/75, Bd. 1, sect. 4, cap. 3.

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keitserwägungen. Für die Kriminellen sei diese Form der Todesstrafe nicht weniger grausam als andere und der Seziersaal sei eine nützlichere Hinrichtungsstelle als das Schafott. Nur wenige Verbrecher würden den sicheren Tod einer schmerzlichen Operation vorziehen, insbesondere dann, wenn den Überlebenden Straffreiheit zugesichert würde.59 Hier zeigt sich, dass die Tiere und Menschen weder nur Erkenntnisobjekte noch bloße „Instrumente“ zur Vergrößerung des Wissens sind. Sie werden nicht geschlachtet oder geopfert. Sie werden vielmehr als soziale Akteure in dem Maße anerkannt, wie sie sich nutzbringend in das Experiment einbringen. Die politische Bedeutung des Experiments liegt in dieser tastenden Produktion von Nutzen. Wer wurde zum Objekt des Sezierens in der Akademie? In den ersten Jahren (1667-1669) der Akademietätigkeit wurden hauptsächlich Tierkadaver – Fische, Löwen, Dromedare, Bären, Gazellen – geöffnet. Eines der ersten Beispiele für die Zerschneidung eines menschlichen Leichnams liefert eine Notiz Perraults: „Am 17. Sept. 1667 habe ich dieses Monster von einem Mädchen seziert […].“60 Der Unterschied zwischen Pflanzen, Tieren und Menschen wird graduell. Die Ästhetik des Organismus bzw. des Lebewesens umfasst den Kadaver wie den lebenden Menschen. In dem Maße, wie die Anatomie sich als Grundlage des sozialen Lebenszusammenhanges begreift, werden verschiedene Lebewesen dem Experiment unterworfen: Kadaver oder lebende Tiere, Monster, Kriminelle oder Heilige. Diesen Schattierungen von Lebewesen entspricht das Experiment als Vorgang der Objektivierung. Die Objektwerdung ist dabei, mit Sartre gesprochen, eine Befreiung vom Anblick des Anderen.61 Was am Tier59

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Vgl. Denis Diderot. „Anatomie“. Encyclopédie, ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers, par une société de gens de lettre [...]. 35 Bde. Hg. v. dems. u. Jean LeRond d’Alembert. Stuttgart-Bad Cannstatt 1966/67 [Nachdruck d. Ausgabe Paris, 1751-1780], Bd. 1, S. 409-410. Frivol sinniert Diderot an anderer Stelle, dass nur der Arzt wird, der durch gescheiterte Versuche an Menschen reift: „Un jeune médecin fait donc ses premiers essais sur nous, et ne devient un homme habile qu’à force d’assassinats.“ Denis Diderot. „Plan d’une Université ou d’une Éducation Publique Dans Toutes les Sciences“. Œuvres Complètes. Paris, 1971, Bd. 11, S. 439. „Le 17. Sept. 1667 j’ay dissecé ce monstre qui etoit une fille […].“ Claude Perrault. „Monstre Humain“. Manuscrits. Fonds des Archives de l’Académie des Sciences. Paris, o. J., o. P. Vgl. Jean-Paul Sartre. L’être et le néant. Essai d’ontologie phénoménologique. Paris, 1943, S. 308. In der Zeit Albrecht Dürers hebt „die Zurichtung der Körper“ an, „die sie unter der Dramaturgie des Forschungsaktes erfahren: Sie finden sich aufgespalten in ‚Objekt-Körper‘ und ‚Subjekt-Körper‘, Untersuchungsgegenstand und Untersuchungsmittel.“ Werner Kutschmann. Der Naturwissenschaftler und

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kadaver zunächst noch einfach zu vollziehen ist, wird so lange eingeübt, bis ich es an mir selbst vollziehen kann. Dies gelingt nur, wenn dem Ding systematisch eine Reaktion entlockt werden kann, die ich dann auch unwillkürlich bzw. reflexhaft bei mir selbst wiederfinde. Das Lebewesen wird als ein Ding betrachtet. Doch diese Betrachtung ist zugleich eine Einübung, bei der der Betrachter etwas über sich selbst erfährt. Er erfährt sich als Ding innerhalb der Lebensform des Experimentalsystems. Die Subjektivierung ist die Investition der eigenen Sinnlichkeit in die Ökonomie des Experimentes. Für die Encyclopédie besteht das Wesen des Menschen, überspitzt formuliert, darin, dass man ihn nur beobachten, aber keine Experimente mit ihm machen kann.62 Genauer hätte es heißen müssen: Mensch wird, wem es gelingt, Beobachter in einem Experiment zu sein. Denn bereits das Dictionnaire von Antoine Furetière schreibt unter dem Eintrag „Expérimenter“, man könne Risiken ausschließlich „sur des personnes de peu d’importance“ eingehen.63 Die Ökonomie des Experimentes allein verteilt derartige Wichtigkeiten. Die Dissektionspraktik der Académie Royale des Sciences hat im Grunde nur Wissen über einige Individuen zu Tage gebracht: über bestimmte Hunde, Hasen, Hühner, Tauben, Vipern und die Leiche des Herrn Mariotte. Aber die Systematisierung des Experimentes am Tier und der Vergleich zum Menschen präpariert das Lebendige als Objekt der Wissenschaft heraus. Das experimentelle Objekt bewirkt den Übergang von der Vielzahl des Lebendigen zur Einheit des Lebens, die erforschbar und behandelbar wird.64

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sein Körper. Die Rolle der „inneren Natur“ in der experimentellen Naturwissenschaft der frühen Neuzeit. Frankfurt a. M., 1986, S. 25. Diese vergegenständlichende dinghafte Bezugnahme auf die eigene und fremde Natur entspricht einer Dramaturgie des Blickes, der zunächst zum Objekt gemacht wird, diese Objektivation dann auf den Anderen richtet und schließlich auf sich selbst. „L’homme enfin, de quelque côté qu’on l’envisage, est le moins propre à être sujet d’expérience; il est l’objet le plus convenable, le plus noble, et le plus intéressant de l’observation, et ce n’est que par elle qu’on peut faire quelque progrès dans les sciences qui le regardent; l’expérience est ici souvent plus qu’inutile.“ Denis Diderot. „Observation“. Encyclopédie (Anm. 59), Bd. 11, S. 315. Antoine Furetière. „Expérimenter“. Dictionnaire universel, contenant généralement tous les mots françois tant vieux que modernes & les termes de toutes les sciences et des arts. 4 Bde. Den Haag u. Rotterdam, 1690, Bd. 2, o. P. Vgl. hierzu Georges Canguilhem. La formation du concept de réflexe au XVIIe et XVIIIe siècles. Paris, 1955, S. 57-79 u. S. 172-200.

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III. Philosophische Grundlagen des Experimentes am Menschen Der Term „médecine expérimentale“ taucht im Essai de Logique von Mariotte auf.65 Dieser Essay vollzieht die Wendung hin zum Selbstexperiment, die sich bei Perrault nur andeutet. Aus Mariottes Überlegungen wird deutlich, welche philosophischen Voraussetzungen für eine experimentelle Medizin notwendig sind. Die Ärzte, schreibt Mariotte, könnten sich mit therapeutischen Erfahrungen begnügen, die besagen, dass dieses Medikament bei jenem Menschen wirkt. Besser aber sei es, ein exaktes Wissen von diesen Erfahrungen zu haben. Eine experimentelle Medizin baue auf wiederholten, wahrheitsfähigen und lokal bestimmten Erfahrungen auf und führe methodisch Experimente mit allen bekannten Erscheinungen durch. So könne man sich mit der umfassenden Kenntnis der prinzipiellen Effekte der Natur begnügen, anstatt endlos und vergeblich den Ursachen hinterherzujagen und falsche Hypothesen aufzustellen.66 Warum kann man sich mit der Kenntnis der Effekte zufrieden geben? Weil das Objekt hinter dem Phänomen ohnehin unbekannt bleibt. Es ist unmöglich zu wissen, was ein Ding an sich selbst ist, so Mariotte. Denn wir kennen die Dinge nur durch die Wirkungen, die sie in uns und an anderen Dingen auslösen, oder durch das, was wir oder andere Dinge in ihnen bewirken. Diese Wirkungen aber entstehen nur aus der Beziehung, in der die Dinge zueinander stehen.67 Objekt und Subjekt gehen hier eine konstitutive Verknüpfung ein, die in keiner Naturordnung, sondern in der Anordnung des Experimentes gründet, das beobachtbare Effekte produziert. Weil Wirkung und Ursache in dieser Weise relativ sind, entsprechen die Wirkungen lediglich einer wahrscheinlichen Disposition der Dinge.68 Ausgehend von den verschiedenen bekannten Wirkungen kann man auf die abstrakte Möglichkeit dieser Wir65

66

67 68

Edme Mariotte. „Essai de Logique. Les principes des sciences et la manière de s’en servir pour faire des bons raisonnements“ [1678]. Œuvres (Anm. 5), Bd. 2, S. 624ff. Mariotte bezieht sich auf die Schrift De la recherche de la vérité von Malebranche, worin dieser die „médecine expérimentale“ der „médecine raisonnée“ entgegenstellt. Nicolas de Malebranche. De la recherche de la vérité. Ou l’on traitte de la nature de l’esprit de l’homme, & de l’usage qu’il en doit faire pour éviter l’erreur dans les sciences. Paris, 1674. Mariotte (Anm. 65), S. 663. Dass der Essai de Logique viele Einsichten Roberval verdankt, der womöglich Autor, jedenfalls aber Korrektor eines fast textidentischen Manuskriptes ist, wird erörtert in Alan Gabbey. „Mariotte et Roberval, son collaborateur involontaire“. Costabel (Anm. 3), S. 212-244. Mariotte (Anm. 65), S. 657. Vgl. ebd., S. 615f.

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kungen schließen und auf die konkrete Disposition, die eine bestimmte Wirkung zeitigt.69 Die meisten natürlichen Qualitäten seien, so Mariotte weiter, nichts anderes als diese Disposition der Materie, bestimmte Effekte auszulösen und zu empfangen. So erzeuge eine angeschlagene Lautensaite einen Ton, obschon sie selbst nur aus Bewegung bestehe. Die natürlichen Qualitäten erschienen folglich nur durch den Bezug, den die Substanzen zu unseren Sinnen haben, und wenn unsere Sinne ihre Disposition ändern, so erschienen uns die Qualitäten auf andere Weise.70 Die uns durch die Sinne zugänglichen Phänomene entstehen aus der Partizipation des Subjektes an der Wirkung: „Genauso, wie wir an ihren Qualitäten partizipieren, erscheinen sie uns nicht so, wie sie absolut und an sich selbst sind, sondern nur durch Vergleich.“71 Experimente sind dieser Theorie zufolge einerseits Vergleichsserien, mit denen wir die Disposition unserer Sinne testen.72 Andererseits lassen sich neue Sinnesqualitäten von Objekten aufgrund von Experimenten erfassen, die es uns erlauben, die Zuordnung von Wirkung und Ursache zu vertauschen.73 So können wir uns von der falschen Auffassung befreien, das Licht sei eine Wirkung eines leuchtenden Körpers auf das Auge, wenn wir verstehen, dass das Licht diesen Körper überhaupt erst leuchtend macht.74 Gleichwohl unterstreicht Mariotte, dass die Qualitäten der Dinge nicht erst durch unsere Sinnlichkeit erzeugt werden, denn die Dinge besitzen sinnliche Eigenschaften jenseits unseres Sinnenapparates.75 Die Abhängigkeit der Wirkung der Dinge von unserer Sinnlichkeit lässt bestimmte Urteile über die Wahrscheinlichkeit ihres Eintretens, ihrer Verteilung und Veränderung zu. Diese Urteile sind nicht zuletzt moralisch erheblich, weil der Kontakt mit den Dingen, so Mariotte, uns Vergnügen verschafft.76 Aufgrund ihrer unterschiedlichen sinnlichen Dispositionen kann die Aktion eines Dinges bei der einen Person Lust, bei der anderen aber Schmerz hervorrufen. Dieses „Vrai-Semblable“ ist abhängig von der Vollständigkeit und der Kohärenz unserer Eindrücke. Weil kein Wahrscheinlichkeitsurteil 69 70 71 72 73 74 75 76

Vgl. ebd., S. 617. Vgl. ebd., S. 618. Vgl. ebd. Vgl. ebd., S. 680ff. Vgl. ebd., S. 655. Vgl. ebd., S. 657. Vgl. ebd., S. 658. Vgl. ebd., S. 625.

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absolut evident und infallibel ist, sind wir gezwungen zu glauben bzw. bestimmte Hypothesen zu akzeptieren, um handeln zu können, z. B. dass wir wach sind und dass wir wirklich handeln und dass die Dinge existieren.77 Aber Mariotte geht nicht davon aus, dass jeder nur für sich selbst denkt und nur über seine individuellen Erfahrungen Gewissheit erlangt. Experimente erzeugen Naturregeln, die systematisch überprüfte Experimental-Kollektive hervorbringen. Naturgesetze sind Hypothesen, deren Evidenz auf einer Serie von experimentellen Variationen beruhen kann oder auf der großen Anzahl unabhängiger Überprüfungen durch verschiedene Subjekte.78 Auch ein fremder Einzelner kann eine wahrscheinliche Überzeugung beisteuern, wenn man auf kein Ding sinnen kann, das seiner Erfahrung entgegensteht. Die Zusammenfassung dieser experimentell erbrachten Beobachtungen zu einem Erklärungsmodell ergibt ein System, wie beispielsweise das heliozentrische oder das geozentrische System, das VierElemente- oder das Atommodell. Ein System ist wahrscheinlicher als ein anderes und muss daher eher als Hypothese den Handlungen zurunde gelegt werden, wenn man dadurch eine größere Anzahl von Wirkungen erklärt.79 Als Handlungsnotwendigkeit bildet das System die Wirklichkeit, in der wir leben. Wenn die Realität die Vorlage der Illusion ist, so kann man davon ausgehen, dass sich die Realität als das Vollständigere, Umfassendere in der Praxis erweist.80 Aus dem Durchschauen von Illusionen durch Experimente und einfache Induktionsschlüsse kann man, so hofft Mariotte, zur Wahrheit gelangen. Man müsse sich nur der falschen Erscheinungen bedienen, um die Wahrheit zu entdecken.81 Diese Wahrheit bleibt allerdings abhängig von den mit dem Experimentalsystem gegebenen Grundlagen des Handelns. Um daher das Objekt in seiner Realität zu erfahren, bleibt uns, so schließt Mariotte, nichts anderes übrig, als die unterschiedlichsten Erscheinungen aufzusuchen und zugleich unsere Imagination so weit wie möglich auszubauen.82 Denn es ist der Fehler einer zu eng gefassten Imagination, wenn wir nicht zugleich alle Eindrücke, d. h. alle Umstände einer Handlungs-Hypothese, sehen. Experimente sind folglich Verfah77 78 79 80 81 82

Vgl. ebd., S. 621. Vgl. ebd., S. 623. Vgl. ebd., S. 652. Vgl. ebd., S. 653. Vgl. ebd., S. 684. Vgl. ebd., S. 687ff.

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ren, die Imagination über das ganze Feld der Möglichkeiten von Phänomenen auszustrecken,83 d. h. das Erfahrungssystem zu totalisieren. IV. Schluss Mariottes Überlegungen machen deutlich, warum im 17. Jahrhundert die Vivisektion und das Selbstexperiment zur Produktion von Evidenz notwendig wurden. Darüber hinaus zeigen sie, dass die Experimentalisierung in einer Welt der Wahrscheinlichkeit genau deshalb von der Sinnlichkeit des Experimentators ausgehen muss, weil diese die relevanten Phänomene und Qualitäten ausprägt und erfährt. Das Experiment ist im 17. Jahrhundert weder ausschließlich ein Ritual zur Demonstration von Wissen noch eine passive Registrierung von Phänomenen. Das Experiment wird aktiv, plural und systematisch. Bei Mariotte verliert die Mathematik die Rolle des Vorbilds. Die Vernunft des Experimentes wird bei ihm als Steigerung der Vorstellungskraft und Vorbereitung einer Handlung gefasst, nicht als geometrischer Ausdruck.84 Beispielhaft für diese forschende Vernunft ist das Selbstexperiment, das zur Entdeckung des blinden Fleckes führt: Wenn man Objekte seziert und Perspektiven errechnet, ist eine derartige Entdeckung lediglich wahrscheinlich. Erst wenn man sich selbst dem Experiment ausliefert, weiß man um den Anteil der Imagination am Sehen.85 Derartige Techniken der Selbstvergewisserung haben ebenso wie die Dissektion von Leichen und die Vivisektion von Tieren teil an der Erforschung des Lebens. Die Experimente der Académie stellen die Lebendigkeit zur Disposition, indem sie sie erfahrbar, stimulierbar und zum Gegenstand des Wissens machen. Im Rahmen einer Erforschung der philosophischen Grundlagen des Experimentes am Menschen lassen sich daher aus diesen Fallbeispielen Rückschlüsse auf die Entstehung der Bio-Politik ziehen: 1. Das anatomische Experiment markiert den Eintritt des nackten Lebens in die polizeiliche Ordnung des Erkennens.86 Der zergliederte 83 84 85

86

Vgl. ebd., S. 696. Vgl. Salomon-Bayet (Anm. 3), S. 90 sowie S. 97 u. S. 99. „Mais ces principes d’expérience ne seront principes qu’à ceux qui auront fait les mêmes observations; & seront seulement vrai-semblables aux autres.“ Mariotte (Anm. 65), S. 680. „[L]a police veille au vivant.“ Michel Foucault. „‚Omnes et singulatim‘, vers une critique de la raison politique“. Dits et écrits. 1954-1988. 2 Bde. Hg. v. Daniel Defert, François Ewald u. Jacques Lagrange. Paris, 2001, Bd. 2, S. 976. Foucault verweist auf Louis Turquet de Mayerne. La monarchie aristodémocratique, ou le

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Körper spiegelt die Figur des homo sacer – der „getötet werden kann, ohne dass ein Mord begangen wird“. Der Körper stützt die Souveränität der Experimentalordnung, denn er bildet unter dem Signum der Nützlichkeit die Schwelle der Ununterscheidbarkeit von Leben und Tod.87 Das Experiment erklärt den Körper zum Ausnahmezustand, der die Souveränität des Lebenden über sich selbst begründet.88 2. Die Beobachterposition in einem Experiment bezeugt das Geschehen nicht losgelöst und neutral. Vielmehr greift das Sehen aktiv in das ein, was geschieht. Weil erst die Fülle des Sinnlichen in Abhängigkeit von den verschiedenen organischen Dispositionen Hypothesen über die Realität falsifizieren kann, erzeugt das Experiment Lebendigkeit in dem Maße, wie auch die Wissenschaftler sich dem Experiment selbst aussetzen und sich in der Experimentalanordnung verkörpern. Die Unterwerfung des Körpers unter die Ordnung des Experimentes ermöglicht daher, dass auch der Wissenschaftler sich dahin bringt, das eigene Selbst zu objektivieren und sich als Subjekt zu konstituieren, indem er sich selbst an eine äußerliche Kontrollmacht bindet.89 Der Vielfalt von analysierten Lebewesen entspricht eine Topologie der Wahrnehmungsorgane, deren Vergleich und Verwaltung eine Aussage und ein Wahrheitsgeschehen erst hervorbringen. Dies wird besonders deutlich in Szenarien, bei denen das Untersuchungsobjekt die Organe des Wissenschaftlers frustriert und sie um die Möglichkeit bringt, die Wahrheit zu sprechen. Dies zeigt ein Versuch der Académie Royale des Sciences vom Februar 1667. Das Protokoll schildert die Dissektion eines „Mädchens von 24 bis 25 Jahren“ durch Monsieur Louis Gayant. Wie in einer Art Dialog ordnet es bestimmten Anwesenden bestimmte Beobachtungssätze zu. Wer auch immer das Messer führt, die Beobachter dringen auf den Körper ein, nehmen ihn auseinander, konkurrieren um die Gunst einer Entdeckung. Aber die junge Frau geizt mit Enthüllungen. So beschwert sich Perrault schon bald, man könne die Experimente, für die das Subjekt vorbereitet worden sei, mit diesem überhaupt nicht durchführen.

87 88 89

gouvernement composé et meslé des trois formes de légitimes républiques. Paris, 1611, III. Buch, S. 208; vgl. ferner Nicolas de LaMare. Traité de la police. 4 Bde. Paris, 1705, Bd. 1, S. 4. Giorgio Agamben. Homo sacer. Die souveräne Macht und das nackte Leben. Übs. v. Hubert Thüring. Frankfurt a. M., 2002, S. 19 u. S. 131ff. Ebd., S. 145 u. S. 163-168. Vgl. Michel Foucault. „Usage des plaisirs et techniques de soi“. Dits et écrits (Anm. 86), Bd. 2, S. 1358-1380; ders. „Foucault“. Dits et écrits (Anm. 86), Bd. 2, S. 1451 und Agamben (Anm. 87), S. 127.

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Denn es gebe keinen Hinweis, dass man in einem derart fetten Leib den Milchkanal zu den Brustwarzen entdecken könne. Adrien Auzout bedauert, sie sei schon vor über sechs Monaten niedergekommen. Am Folgetag pumpt die Académie die Lungen des Mädchens auf, spritzt hier und dort Liköre und Milch, zerschneidet das Hirn und untersucht ausgiebig die Zirbeldrüse (für Descartes der Sitz des Geistes). Auch bei der Untersuchung des Uterus („matrice“), obschon sorgfältigst ausgeführt, findet Perrault nichts, was eine beachtenswerte Beobachtung begründen könnte, und seine Kollegen Gayant, Pecquet sowie Bernard Frénicle de Bessy beschweren sich darüber, wie wenig sie dort erkennen und dass sich diese Partien auch nicht aufblasen lassen. Als die Akademiker bei der Sektion der Kieferregion auch noch auf kaputte Zähne und allerhand eitrige Flüssigkeiten stoßen, versuchen sie den Tag mit der Dissektion eines Kalbsschädels zu retten, bei dem sie die Verbindung der Hirnventrikel überprüfen und die Abmessungen des Auges für die Dioptrik sichern.90 Wenn Mariotte seinen Leichnam der Wissenschaft zur Verfügung stellt, so ist dies die Konsequenz daraus, dass er überhaupt nur durch die Auslieferung seines Körpers an das experimentelle Regime Mariotte geworden ist.

90

Louis Gayant u. a. „Observations Anatomiques“. Procès-verbaux (Anm. 1), Bd. 1, fol. 52-57. Die Quantifizierung bringt eine Ebene der Gleichheit zwischen messendem und bemessenem Körper hervor.

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ANDREAS GIPPER

Experiment und Öffentlichkeit. Cartesianismus und Salonkultur im französischen 17. Jahrhundert Gilt es die Anfänge der modernen Experimentalwissenschaften im 17. Jahrhundert zu rekonstruieren, so verweist die Kultur- und Wissenschaftsgeschichte gewöhnlich auf die englische Experimentalwissenschaft aus der Mitte des 17. Jahrhunderts, als deren führende Vertreter Robert Boyle (1627-1691) und Robert Hooke (1635-1703) erscheinen. Das von ihnen im Umfeld der 1660 gegründeten Royal Society entwickelte Programm hat sich nicht zufällig unter dem englischen Titel der „new sciences“ in der Wissenschaftsgeschichte durchgesetzt. Diese neue Experimentalwissenschaft muss sich auf der europäischen Bühne im späten 17. und frühen 18. Jahrhundert, so die geläufige Auffassung, mühsam gegen ein großes Konkurrenzmodell durchsetzen, das im französischen Rationalismus Descartes’scher Ausprägung besteht. Das wissenschaftstheoretische Komplement zu René Descartes’ Metaphysik, wie sie exemplarisch in den Méditations durchgeführt wird, bildet demnach sein tiefes Misstrauen gegenüber aller empirischen Erkenntnis. So revolutionär und folgenreich die Descartes’sche Philosophie mit ihrer Fundierung aller Erkenntnis im Subjekt ist, so erscheint sie doch wissenschaftsgeschichtlich als eines der nachdrücklichsten Hemmnisse, die sich der „new science“ auf dem Weg zu ihrer gesamteuropäischen Durchsetzung in den Weg gestellt haben. Diese schematische Gegenüberstellung von englischem Empirismus und französischem Rationalismus bezeichnet zweifellos in vieler Hinsicht einen zentralen Punkt im Profil der beiden wichtigsten Wissenschaftskulturen des 17. und 18. Jahrhunderts. Gerade die großen und unverzichtbaren Arbeiten der jüngeren Wissenschaftsgeschichte, als deren vielleicht wichtigster Exponent an dieser Stelle nur Steven Shapin genannt werden soll,1 haben diesen Unterschied aber zum Teil in einer 1

Vgl. Steven Shapin u. Simon Schaffer. Leviathan and the Air-Pump. Hobbes, Boyle,

Experiment und Öffentlichkeit

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Weise betont und zementiert, dass wichtige Teile der französischen Wissenschaftskultur des 17. Jahrhunderts gänzlich aus dem Blick zu geraten drohen. Dies führt bisweilen zu einseitigen Wahrnehmungen, die ihrerseits auch historische Eigentümlichkeiten der englischen Wissenschaftstraditionen verschatten. Dabei hat die etwas stereotype Gegenüberstellung von englischer Empirie und französischem Rationalismus, die Konfrontation der Romane Descartes’ mit der nüchternen Faktenorientierung Robert Boyles und Isaac Newtons ihre Wurzeln bereits im 18. Jahrhundert und ist nicht zuletzt auch ein Produkt der französischen „philosophes“. Wirkmächtiger als kaum ein anderer hat Voltaire seit seinen Lettres anglaises den Franzosen den Newtonianismus als Antidot gegen die nunmehr als Produkt einer überbordenden Imagination erscheinenden Systementwürfe Descartes’ anempfohlen, und er hat dieses Programm mit seinen Éléments de la philosophie de Newton (1738/1741) zu einer umfassenden Darstellung der Newton’schen Physik als Inbegriff einer modernen Experimentalwissenschaft ausgebaut. Vor dem Hintergrund dieser in ihren Grundzügen unstrittigen Beschreibung der europäischen Wissenschaftslandschaft im 17. und 18. Jahrhundert soll im Folgenden ein spezifischer Aspekt herausgestellt werden, der in der Diskussion der letzten Jahre aus dem Blick zu geraten drohte. Die Rede ist von der Tatsache, dass es auch innerhalb des Cartesianismus eine bedeutende experimentalwissenschaftliche Strömung gegeben hat, die im späten 17. Jahrhundert eine europaweite Wirkung entfaltete. Deshalb hat es in jüngster Zeit auch auf dem engeren Feld der Wissenschaftsgeschichte Stimmen gegeben, die die oben skizzierte communis opinio differenziert sehen möchten.2 Besonders griffig hat dies Alberto Guillermo Ranea formuliert, der in seinem Aufsatz „A ‚science for honnêtes hommes‘“ die These vertritt, „that experiment and observation, far from being a puzzling relic of incidental practices, do actually belong to the very core of Cartesianism in science and philosophy“.3 Dabei betont er bereits in seinem Titel einen Aspekt, der in der Tat besondere Beachtung verdient: In

2

3

and the Experimental Life. Princeton, N. J., 1989; Steven Shapin. The Scientific Revolution. Chicago, 1997. Zu nennen sind hier vor allem die Arbeiten von Desmond Clarke. Occult Powers and Hypotheses. Cartesian Natural Philosophy under Louis XIV. Oxford, 1989 sowie von Trevor McClaughlin. „Descartes, Experiments, and a First Generation Cartesian, Jacques Rohault“. Descartes’ Natural Philosophy. Hg. v. Stephen Gaukroger, John Schuster u. John Sutton. London, 2000, S. 330-346. Alberto Guillermo Ranea. „A ‚science for honnêtes hommes‘. La Recherche de la Vérité and the Deconstruction of Experimental Knowledge“. Descartes’ Natural Philosophy (Anm. 2), S. 314.

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dramatischer Form stellt sich gerade im Falle Descartes’ die Frage nach den Adressaten seines philosophischen Diskurses. Diese Frage ist dabei nicht ein mehr oder weniger beiläufiges Problem der Rezeptionsgeschichte Descartes’, sondern sie bezeichnet eine zentrale epistemologische Frage, nämlich die, auf welches Problem die Descartes’sche Philosophie denn überhaupt eine Antwort sein will. Es zeigt sich, dass die Descartes’sche Philosophie als eine Art Streitschlichtungsinstrument interpretiert werden kann, das als solches nicht zuletzt der aristokratischen Salongesellschaft anempfohlen wird. Sie richtet sich damit gleichermaßen gegen die aristotelische Schulphilosophie, welche sich in einen nicht enden wollenden Kampf der Meinungen verstrickt, sowie gegen einen unkritischen Sensationalismus, der den Raum des Wissens unter dem Siegel der Gewissheit sinnlicher Erfahrung mit Kuriositäten anfüllt. Gegenüber dem Aristoteliker ebenso wie gegenüber dem Sammler von Kuriositäten setzt Descartes eine neue soziale Richterinstanz ein, die sich vor allem als Träger des ‚bon sens‘ auszeichnet. Diese Richterschicht aber konstituiert sich aus den „honnêtes hommes“, welche zwar nicht umstandslos mit der Salongesellschaft identifiziert werden dürfen, die aber die Permeabilität des neuen philosophischen Diskurses in die sozial tonangebenden Schichten sicherstellen.4 Dabei sind es vor allem drei Aspekte des Cartesianismus, die sein Einsickern in das Milieu der Salons begünstigen: Da ist zum ersten die Tatsache, dass die Vermeidung von Kontroversen zu den ehernen Gesetzen der konversationellen Salonethik zählt, so wie sie in der französischen Honnêtehomme-Traktatistik des 17. Jahrhunderts von Nicolas Faret bis Jean de La Bruyère kodifiziert worden ist.5 Besonders heikle Fragen, wie zum Beispiel solche religiöser Natur, wurden deshalb in der Regel vermieden. Hinzu kommt zweitens das Streben der Salongesellschaft nach konversationeller Gleichheit. Zu den goldenen Regeln des Salons ge4

5

Das ansonsten so verdienstvolle Projekt einer „Sozialgeschichte der Wahrheit“ von Steven Shapin, das ja gerade dem Verhältnis von sozialem Stand und Wahrheitskonstitution zentrale Aufmerksamkeit widmet, hat hier einen deutlichen blinden Fleck. Vgl. Steven Shapin. A Social History of Truth. Civility and Science in Seventeenth-Century England. Chicago, 1995. Einer der in europäischer Perspektive wichtigsten Operatoren der Verquickung von ‚Civility and Science‘ im 17. Jahrhundert, nämlich die Descartes’sche Philosophie, kommt bei Shapin praktisch nicht vor. Es steht zu vermuten, dass das alte Vorurteil, Cartesianismus und Experimentalwissenschaft schlössen sich aus, einer solchen Blindheit das Feld bereitet hat. Vgl. dazu Ulrich Schulz-Buschhaus. „Konversation als Machtkampf. Beispiele zu einem moralistischen Thema zwischen Giovanni Della Casa und La Bruyère“. Konfigurationen der Macht in der Frühen Neuzeit. Hg. v. Rudolf Behrens u. Roland Galle. Heidelberg, 2000, S. 329-347.

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hört es insofern, dass Spezialthemen vermieden werden. Niemand darf sich von der Konversation ausgeschlossen fühlen. Den Schlüssel zum Salon bilden keine Spezialkenntnisse, sondern ‚esprit‘ und ‚bon sens‘. Indem der Cartesianismus an diesen ‚bon sens‘ appelliert, öffnet er sich eine wichtige Tür zum Salon. Aus eben diesem Grund schätzt der Cartesianismus drittens auch das weibliche Publikum der Salons. Dieser Umstand ist bei der Verbreitung des Cartesianismus im ausgehenden 17. Jahrhundert nicht zu unterschätzen. Der Cartesianismus betrachtet die Frauen nicht nur in gleicher Weise wie die Männer als Träger des ‚bon sens‘, sondern sogar als privilegierte Ansprechpartner, insofern Frauen im Bereich der Philosophie und der Physik weniger als die Männer durch Bildungsballast bei der Ausübung des ‚bon sens‘ behindert werden. Durch seinen Appell an den ‚bon sens‘ konstituiert der Cartesianismus also die Philosophie von Anfang an als möglichen Gegenstand eines öffentlichen Diskurses. Und in diesem öffentlichen Diskurs kommt nun der realen oder imaginären Inszenierung von Experimenten eine nicht zu unterschätzende Rolle zu. Um dieses komplexe Verhältnis von Cartesianismus, Experimentalismus und Öffentlichkeit im französischen 17. Jahrhundert näher zu skizzieren, möchte ich mich im Folgenden weniger dem Werk Descartes’ selbst zuwenden, als vielmehr seinem Umfeld und der im engeren Sinne cartesianischen Tradition.6 Spielt der Cartesianismus bei der öffentlichen Thematisierung und Inszenierung von Wissenschaft im 17. Jahrhundert auch eine fraglos wichtige Rolle, so wäre es doch falsch, ihn als einzigen Akteur in diesem epistemologischen Transformationsprozess zu betrachten. Schaut man auf die Wissenschaftskultur des französischen 17. Jahrhunderts, so fällt auf, dass sich diese bereits unabhängig vom Cartesianismus und von der englischen Wissenschaftskultur in besonderer Weise als öffentlich konstituiert. Der Cartesianismus spielt in dieser Abkehr von der sozialen Abgeschlossenheit der reinen Gelehrtenkultur und dem Hermetismus der alchemistischen Tradition sicher eine wichtige Rolle, ist aber gewiss nicht ihr einziger Akteur. Bereits vor der Gründung der französischen Académie des Sciences (1666) und ihrer folgenreichen Umstrukturierung (1699) konstituiert sich die neue Naturwissenschaft nicht nur in mehr oder weniger geschlossenen Privatzirkeln, sondern auch als öffent6

Zur Rolle des Experiments im Werk Descartes’ vgl. auch die freilich bisweilen etwas generischen Bemerkungen von Florian Nelle. „Von der beobachteten zur inszenierten Natur. Descartes und der Regenbogen im Wasserglas“. Theatralität und die Krisen der Repräsentation. Hg. v. Erika Fischer-Lichte. Stuttgart, 2001, S. 392-410.

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liche Einrichtung. Unter den privaten Akademien sind an dieser Stelle zu nennen die nach ihrem Gründer Pierre Michon Bourdelot benannte Académie Bourdelot (ab ca. 1635), die Académie des Henri-Louis Habert de Montmor (ca. 1657-1663) sowie der Zirkel von Melchisédech Thévenot, aus dem später die Académie des Sciences hervorgegangen ist.7 Zwar gibt es zwischen den Zirkeln von Montmort und Thévenot auf der einen Seite und den cartesianischen Zirkeln auf der anderen Seite durchaus vielfältige Berührungen. So verkehrt einer der einflussreichsten Propagandisten der neuen Experimentalkultur, Marin Mersenne, bei Montmor und korrespondiert gleichzeitig intensiv mit Descartes. Dennoch konstituiert sich zum Beispiel der Zirkel von Thévenot unter bewusstem Ausschluss der Cartesianer und auch von der neu gegründeten Académie des Sciences werden die Cartesianer im Wesentlichen ferngehalten. Die Gründe hierfür sind höchst unterschiedlicher, persönlicher, wissenssoziologischer und religiöser Natur. Dass die Cartesianer es über Jahrzehnte schwer haben, sich in den Milieus der staatlichen Wissenschaftsorganisationen durchzusetzen, ist jedenfalls schon allein deshalb bemerkenswert, weil diese Tatsache die Mär von einer dominant cartesianischen Wissenschaftskultur im Frankreich des 17. Jahrhunderts eindrucksvoll widerlegt. Während sich die durchaus experimentalistisch orientierte Académie des Sciences zunächst also lange Jahre eher descartesfeindlich zeigt, bleibt dem Cartesianismus nichts anderes übrig, als sich andere soziale Kanäle außerhalb der staatlichen Wissenschaftsinstitutionen zu suchen. Diese findet er neben der bereits genannten Infiltrierung des Salonmilieus vor allem im direkten Appell an die Öffentlichkeit mittels öffentlicher Vorträge. Diese Institution des öffentlichen Vortrages, der so genannten ‚conférences‘, spielt nun bereits seit dem frühen 17. Jahrhundert in Frankreich eine wichtige Rolle.8 Ein Blick auf die wissenschaftliche Praxis um die Mitte des 17. Jahrhunderts zeigt, dass man in diesen ‚conférences‘ die vielleicht wichtigste Instanz wissenschaftlicher Evidenzproduktion 7

8

Vgl. Trevor McClaughlin. „Sur les rapports entre la Compagnie de Thévenot et l’Académie royale des Sciences“. Revue de l’histoire des sciences 28 (1975), S. 235242. Vgl. dazu die vorzügliche Studie von Christian Licoppe. La formation de la pratique scientifique. Le discours de l’expérience en France et en Angleterre, 1630-1820. Paris, 1996, S. 35-52. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auch auf die Vorträge im Rahmen des so genannten Bureau d’adresse von Théophraste Renaudot; vgl. hierzu Théophraste Renaudot. De la petite fille velue et autres conférences du Bureau d’adresse. Hg. u. ausgew. v. Simone Mazauric. Paris, 2004 sowie Simone Mazauric. Savoirs et philosophie à Paris dans la première moitié du XVIIe siècle. „Les Conférences du Bureau d’adresse“ de Théophraste Renaudot. Paris, 1997.

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in dieser Zeit sehen kann. Dabei wird deutlich, dass das Experiment in diesen öffentlichen Versammlungen über lange Zeit mit einer anderen Form der Evidenzproduktion konkurriert, nämlich mit der öffentlichen Lektüre. Dieser Umstand scheint wissenschaftshistorisch in hohem Maße signifikant. Tatsächlich gibt es eine Reihe von Zeugnissen, die belegen, wie die Wahrheit einer wissenschaftlichen Frage durch die öffentliche Lektüre etwa eines Briefes etabliert werden soll etc. Man hat solche Praktiken vermutlich nicht ganz zu Unrecht mit religiösen Lektürepraktiken in Verbindung gebracht.9 Dabei darf man sicher auch nicht vergessen, dass die Behandlung wissenschaftlicher Mirabilia oftmals – und nicht nur in der physikotheologisch fundierten englischen Experimentalwissenschaft – den Charakter einer Explikation der göttlichen Schöpfung hatte. Dennoch scheinen solche Praktiken auf den ersten Blick auf – im Foucault’schen Sinne – vormoderne epistemische Strukturen zu verweisen, für die die Ebenen der Dinge und der Zeichen noch einen undurchdringlichen, kontinuierlichen Raum bilden. Entscheidend für das Verständnis dieses engen Konkurrenzverhältnisses, in welchem Experiment und öffentliche Lektüre in der Frühzeit der modernen Naturforschung stehen, dürfte freilich die Tatsache sein, dass die ‚conférence‘ vor allem der Ort eines sozial vermittelten Wissens ist. Die Evidenz des schriftlich oder experimentell Dargelegten ist dabei nicht zuletzt von dem sozialen Gewicht abhängig, welches das jeweilige Publikum in die Waagschale werfen kann. Das öffentliche Experiment weist insofern in der Tat jene rhetorische Struktur auf, auf die die neuere Wissenschaftsgeschichte wiederholt hingewiesen hat. Ein besonders anschauliches Beispiel für diesen Mechanismus bildet ein Brief des französischen Cartesianers Pierre Petit (1598-1667) an den am schwedischen Hof residierenden Diplomaten Pierre Chanut (16011667), in dem er diesem von Blaise Pascals Experimenten zum Vakuum berichtet: [M]eine Absicht ist lediglich, Ihnen die Fakten zu übermitteln und Ihnen ganz naiv Hergang und Protokoll des von uns durchgeführten Experiments vorzustellen, damit Sie uns bitte, wenn Sie das Experiment durchgeführt haben, wie ich es beschrieben habe, Ihre Eindrücke von dem, was Sie selbst gesehen haben, schildern können: Zu diesem Zwecke teile ich Ihnen alle damit verbundenen Details und Schwierigkeiten mit. Auf diese Weise können Sie dem Herrn Botschafter, mit dem ich darüber gesprochen habe, und Seiner Majestät, dem König von Schweden, die beide Sinn für schöne Dinge haben, falls sie in des9

Vgl. Roger Chartier. „Die Praktiken des Schreibens“. Geschichte des privaten Lebens [1986]. 5 Bde. Hg. v. Georges Duby, Philippe Ariès u. Roger Chartier. Augsburg, 2000, Bd. 3: Von der Renaissance zur Aufklärung, S. 115-165.

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sen Genuss kommen möchten, das Experiment vorführen und daraus gemeinsam mit den tüchtigsten Köpfen Schwedens die Schlussfolgerungen ziehen, die ihnen die besten erscheinen.10

Gerade das Beispiel Pascals zeigt im Übrigen, wie in der frühen französischen Experimentalwissenschaft die Grenzen zwischen Experimentalbeschreibung und Experiment oftmals unscharf bleiben. Bekanntlich hat bereits Boyle Zweifel geäußert, ob Pascal die von ihm beschriebenen Experimente überhaupt alle durchgeführt haben kann. Alexandre Koyré hat den Experimentator Pascal gegenüber solchen Insinuationen in Schutz genommen.11 Interessanter als die Frage, ob die in der Experimentalliteratur des 17. Jahrhunderts beschriebenen Experimente wirklich durchgeführt worden sind, dürfte freilich die Frage sein, welchen Status sie, durchgeführt oder nicht, für die Evidenzproduktion hatten. Betrachtet man den spektakulären Charakter experimenteller Inszenierungen in dieser Zeit, so wird man also stets verschiedene Ebenen im Auge behalten müssen. Neben der angestrebten Persuasion einer Ästhetik des Außerordentlichen und einer Art Ersetzung der Autoritäten und der Welt der Zeichen durch die Dinge selbst, dürfte dabei der Substitution des ‚virtual witnessing‘ durch die reale Zeugenschaft eines neuen, allein durch seinen ‚bon sens‘ qualifizierten Publikums besonderes Gewicht zukommen. Dass es so ausgesprochen schwer ist, den Status öffentlicher Experimente in dieser Zeit zu bestimmen, hängt auch mit einer auffälligen Diskretion der einschlägigen Quellen zusammen. Zwar verfügen wir über zahlreiche Dokumente, die Experimente in den unterschiedlichsten Zirkeln belegen, wir wissen aber bemerkenswert wenig darüber, welcher Art diese waren und wie sie vom Ablauf her in die entsprechenden Veranstaltungen eingebunden waren. Dennoch, oder gerade deshalb, scheint es angebracht, sich einem charakteristischen Fallbeispiel etwas näher zuzuwenden.

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„[J]e n’ai dessein que de vous écrire le fait et vous déduire naïvement l’histoire et le procès-verbal de l’expérience que nous avons faite, pour en avoir, s’il vous plaît, vos sentiments [...] sur ce que vous-même en aurez vu, quand vous aurez pris la peine de la faire, comme je la décris: vous en mandant à ce dessein toutes les particularités et les difficultés qui s’y rencontrent, afin que si Monsieur l’Ambassadeur, auquel j’en ai parlé, et sa Majesté de Suède, à qui plaisent toutes les belles choses, en veulent avoir le plaisir, vous le leur puissiez donner sans faillir, et en tirer tous ensemble et avec les plus habiles de Suède, les conséquences que vous jugerez les meilleures.“ Pierre Petit. „Lettre à M. Chanut“. Blaise Pascal. Œuvres complètes. 4 Bde. Hg. v. Jean Mesnard. Paris, 1970, Bd. 2, S. 355. Alexandre Koyré. „Pascal savant“. Études d’histoire de la pensée scientifique. Paris, 1973, S. 376-389.

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Eines der bemerkenswertesten Beispiele für den skizzierten Appell an eine sozial weitgefächerte Öffentlichkeit finden wir in der Person und im Werk von Jacques Rohault. Rohault ist in den 1660er und 70er Jahren einer der wichtigsten Vertreter der ersten Generation von Cartesianern, und er vertritt einen dezidiert naturwissenschaftlich-experimentell ausgerichteten Cartesianismus. Seine Darstellung der Descartes’schen Physik, wie er sie in seinem Traité de physique von 1671 vorgelegt hat, wird europaweit für fast ein halbes Jahrhundert zum Standardwerk und zum meistbenutzten Lehrbuch der sich konstituierenden modernen Physik. Das gilt paradoxerweise gerade auch für England, wo Rohault bis in die 30er Jahre des 18. Jahrhunderts mehrfach neu, zunächst in lateinischer, dann in englischer Übersetzung aufgelegt wird. Zwar geschieht dies seit 1692 in einer Ausgabe, die vom Newtonianer Samuel Clarke herausgegeben und mit ausgiebigen Fußnoten und newtonianisch inspirierten Widerlegungen versehen wurde,12 dennoch bleibt bemerkenswert, dass selbst noch den ersten Studentengenerationen der Newton-Ära in England die Physik anhand eines cartesianischen Lehrbuches vermittelt wurde. Wie sehr der Traité de physique von einem methodisch kontrollierten Experimentalismus geprägt wird, ist in jüngerer Zeit mehrfach betont worden. Besonders bemerkenswert ist diesbezüglich das Vorwort Rohaults, in dem er zunächst ein Plädoyer für das Experiment hält, dabei freilich vor einem Experimentalismus warnt, der meint, sich in einem theoriefreien Raum zu bewegen: Experimente sind also notwendig für die Begründung der Physik; [...]. Aber andererseits hieße es in ein noch schädlicheres Extrem [...] zu verfallen, wollte man jedes Raisonnement absolut verbannen, um nur noch Experimente durchzuführen. Denn dies bedeutet nichts anderes, als sich völlig von der Vernunft abzuwenden, um ganz auf die Sinne zu bauen und damit unserer Erkenntnis sehr enge Grenzen zu ziehen. Denn Experimente können nur dazu dienen, uns die groben und sinnlich wahrnehmbaren Dinge zur Kenntnis zu bringen. Um also bei der Erforschung der Naturdinge richtig zu verfahren, muss man notwendigerweise diese beiden Erkenntnisinstrumente miteinander koppeln und das Raisonnement mit dem Experiment verbinden.13 12

13

Vgl. dazu Volkmar Schüller. „Samuel Clarke’s Annotations in Jacques Rohault’s ‚Traité de physique‘, and how they contributed to Popularising Newton’s Physics“. Between Leibniz, Newton, and Kant. Philosophy and Science in the Eighteenth Century. Hg. v. Wolfgang Lefèvre. Dordrecht u. a., 2001, S. 95-110. „Les experiences sont donc necessaires pour l’établissement de la Physique; [...]. Mais d’un autre côté de vouloir absolument rejetter le raisonnement pour ne faire que des experiences, c’est se jetter dans une extremité beaucoup plus préjudiciable que la premiere: Car enfin c’est s’écarter entierement de la raison pour donner tout

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Rohault unterscheidet in der Folge zwischen drei unterschiedlichen Formen des Experiments: erstens, der reinen Wahrnehmung von Dingen durch die Sinne, wobei hier der französische Doppelsinn des Wortes ‚expérience‘ als ‚Erfahrung‘ und ‚Experiment‘ zum Tragen kommt, zweitens, dem systematischen experimentellen Ausprobieren, so wie er es in der zeitgenössischen Chemie am Werk sieht, und drittens, dem theoriegeleiteten Experiment zur Überprüfung von Hypothesen. Die Experimente der dritten Art sind schließlich jene, die von theoretischer Überlegung geleitet werden und dazu dienen, diese zu widerlegen oder zu bestätigen. So kommt es, dass wir nach der Betrachtung der gewöhnlichen Wirkungen eines bestimmten Gegenstandes und nach der Entwicklung einer bestimmten Vorstellung von dessen Natur, das heißt von dem, was es fähig zu diesen Wirkungen macht, durch theoretische Überlegung erkennen, ob unsere Annahmen über seine Natur der Wahrheit entsprechen, und indem wir den Gegenstand einer bestimmten Versuchsanordnung unterwerfen, entsteht notwendig eine neue Wirkung, an die wir noch nicht gedacht hatten; und um die theoretische Überlegung zu überprüfen, setzen wir den Gegenstand dem aus, von dem wir glauben, dass es geeignet sei, ihn diese Wirkung hervorbringen zu lassen.14

Da es Rohault, wie angedeutet, um einen methodisch kontrollierten Experimentalismus geht, ist klar, dass er die dritte Art des Experimentierens für die fruchtbarste und wissenschaftlich tragfähigste hält. Diese Form des Experimentierens als empirische Bestätigung einer umfassenden vernunftgestützten Theorie, d. h. konkret der Philosophie Descartes’, wird Rohault sowohl in den salonähnlichen Gesellschaften Bourdelots und Montmors als auch in eigenen wöchentlichen Vorlesungen in seinem Privathaus in Paris über viele Jahre hinweg vertreten. Leider haben diese öffentlichen Vorträge und Vorführungen in der umfangreichen wissenschaftshistorischen Literatur bislang kaum vertiefte

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au sens, & renfermer nos connoissances dans des bornes bien étroites; puisque les experiences ne peuvent servir qu’à nous faire connoître les choses grossieres & sensibles; De sorte que pour proceder juste dans la recherche des choses naturelles, il faut necessairement allier ces deux moyens de connoissance, & joindre ensemble le raisonnement avec l’experience.“ Jacques Rohault. „Préface“. Traité de physique [1671]. Paris, 1730, o. P. [S. 9]. „Enfin, les experiences de la troisieme sorte sont celles que le raisonnement previent, & qui servent à justifier ensuite s’il est faux, ou s’il est juste; ce qui arrive, lorsqu’aprés avoir consideré les effets ordinaires d’un certain sujet, & formé une certaine idée de sa Nature, c’est à dire, de ce qui est en luy qui le rend capable de ces effets, nous venons par raisonnement à connoître que si ce que nous croyons de sa nature est veritable, il faut necessairement qu’en le disposant d’une certaine maniere, il en arrive un nouvel effet, auquel nous n’avions pas encore pensé; & que pour éprouver ce raisonnement, nous faisons sur ce sujet ce que nous avions crû capable de luy faire produire cet effet.“ Ebd., o. P. [S. 10f.].

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Aufmerksamkeit gefunden. Die, soweit ich sehe, bislang einzige zusammenfassende Darstellung findet sich bei Pierre Clair in seiner bio-bibliografischen Notiz zu seiner kritischen Ausgabe von Rohaults Entretiens sur la philosophie von 1671.15 Immerhin erfährt man hier doch einiges über die konkreten Formen dieser neuen Art der Wissenschaftsvermittlung, wie sie in Frankreich vermutlich der als Begründer des modernen Journalismus geltende Théophraste Renaudot mit seinen Vorträgen im von ihm initiierten Bureau d’adresse begründet hat. Aus den Dokumenten, die Clair zusammengetragen hat, wird vor allem zweierlei deutlich: Es zeigt sich erstens, dass das Publikum, welches sich bei Rohault trifft, ein weites soziales Spektrum abdeckt. Dieser Umstand wird bereits von Rohaults Schwiegervater Claude Clerselier, dem Herausgeber von Rohaults nachgelassenen Schriften, besonders hervorgehoben. Die öffentlichen Vorträge, die er regelmäßig einmal pro Woche veranstaltete, bei denen sich Personen unterschiedlichsten Standes und unterschiedlichster Stellung einfanden, Prälaten, Abbés, Hofleute, Doktoren, Ärzte, Philosophen, Mathematiker, Lehrer, Schüler, Leute aus der Provinz, Ausländer, Handwerker, mit einem Wort Personen jeden Alters, Geschlechts und Berufsstandes, und bei denen er fast ebenso viele profunde Erkenntnisse verkündete, wie er auf Einwände antwortete, die ihm von den unterschiedlichsten Seiten vorgetragen wurden, hatten ihm einen solchen Ruf eingetragen, dass mancher – sei es bloß aus Neugierde, um ihn zu hören, sei es aus Eifersucht, um seine Lehre kennen zu lernen und sie, wenn möglich, zu bekämpfen – sein Land verlassen und sich auf eine lange Reise gemacht hat.16

Hervorzuheben ist dabei vor allem der Umstand, dass sich bei Rohault wie in einer Theatervorstellung Aristokraten, Bürger, Handwerker und Gelehrte trafen und dass dort insbesondere auch Frauen ein und aus gingen. Tatsächlich gibt es Zeugnisse, die berichten, dass das Publikum 15 16

Pierre Clair. Jacques Rohault (1618-1672). Bio-Bibliographie avec l’édition critique des Entretiens sur la philosophie. Paris, 1978. „Les conferences publiques qu’il faisoit une fois toutes les semaines, où se trouvoient des personnes de toutes sortes de qualitez & conditions, Prélats, Abbez, Courtisans, Docteurs, Médecins, Philosophes, Geometres, Regens, Ecoliers, Provinciaux, Etrangers, Artisans, en un mot des personnes de tout âge, de tout sexe, & de toute profession, & où il prononçoit presqu’autant d’oracles, qu’il faisoit de réponses aux difficultez qui lui étoient proposées indifferemment par toutes sortes de personnes, l’avoient mis dans une si grande réputation, qu’il s’en est trouvé plusieurs, les uns par curiosité, pour se donner la satisfaction de l’entendre, les autres par jalousie, pour juger de sa doctrine & tâcher de la combattre, qui ont quitté leur païs, & entrepris de grands voyages.“ Claude Clerselier. „Préface“. Œuvres posthumes de Mr. Rohault. 2. Bde. Hg. v. dems. Den Haag, 1690 [Nachdruck d. Ausgabe Paris, 1682], Bd. 1, o. P. [S. 7].

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bisweilen so zahlreich war, dass es nicht nur den Vortragssaal, sondern das gesamte Haus füllte. Dabei ist ebenfalls überliefert, dass Rohault selbst danach strebte, seine Vorträge auch für Besucher niederer Stände zu öffnen. Offenbar stieß er hier zunächst auf den Widerstand seiner ersten Frau, von der die Chroniken berichten, sie habe an der Tür gestanden und das Publikum nach seinem Äußeren handverlesen: Rohaults erste Frau stand an diesen Tagen in der Tür ihres Hauses und verwehrte allen denen den Zutritt, die nicht von angemessenem Stande schienen; sie war davon überzeugt, dass man von solchem sein müsse, um ihren Ehemann hören zu dürfen. Der gute Mann [gemeint ist Rohault] mühte sich redlich, ihr begreiflich zu machen, dass das Schicksal dem Philosophen nicht immer vornehme Kleider verleiht: Sie dagegen wollte Samt sehen und war nicht davon abzubringen.17

Es scheint also zunächst der soziale Stand, d. h. das samtene Wams, über den Zutritt zu den Experimentalvorführungen entschieden zu haben, und nicht Bildungsgrad und physikalische Kompetenz. Es ist zu vermuten, dass Rohaults Heirat mit seiner zweiten Frau, der Tochter Clerseliers, zu einer sozialen Öffnung seiner Vorträge und damit zu einer noch breiteren Streuung des Publikums beigetragen hat. Während also auf der einen Seite sich die bedeutendsten Physiker und Philosophen der Zeit bei Rohault die Klinke in die Hand gaben, hatte auch das interessierte Laienpublikum bei ihm seinen festen Platz. Die ‚conférences‘ unterschieden sich in diesem Punkt deutlich von den privaten Akademien, bei denen man ausschließlich auf Einladung erschien und deren Bedeutung sozialgeschichtlich vor allem darin bestand, dass sich in ihnen wie in der erwähnten Académie von Habert de Montmor ein hocharistokratisches und ein bürgerliches Gelehrtenpublikum begegnete. Ein zweites Charakteristikum der Rohault’schen Vorträge besteht darin, dass diese zwar in Rohaults Augen – wie bereits gesehen – primär zur Stützung der cartesianischen Theorie dienten, dass sie ihre öffentliche Attraktivität aber vor allem aus den in ihnen vorgeführten spektakulären Experimenten zogen. Leider sind die diesbezüglichen Belege wenig zahlreich und lückenhaft. Vor allem die Zeugnisse Clerseliers 17

„La premiere femme de Mr. Rohault [...] se mettoit ces jours-là sur la porte de sa maison, & en refusoit l’entrée à tous ceux, qui n’avoient pas l’air de qualité; persuadée qu’il falloit avoir cet air pour meriter d’écouter son mari. Le bonhomme [gemeint ist Rohault] se tuoit de lui dire, que la fortune ne donne pas toujours de riches habits aux Philosophes: elle vouloit voir du velours, & n’en démordoit point.“ Bonaventure d’Argonne. Mélanges d’histoire et de littérature. 3 Bde. Hg. v. M. de Vigneul-Marville. Rotterdam, 1700, Bd. 1, S. 23; vgl. auch Clair (Anm. 15), S. 46.

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und eine Reihe von Briefen von Christiaan Huygens vermögen aber immerhin einen Eindruck zu geben von der Vielfalt der Themen, die in den ‚conférences‘ zur Sprache kamen. So sind für die Jahre 1660 und 1661 die folgenden Themen belegt: Probleme des Luftdrucks, der Magnetismus, Schlaf und Traum, das Cogito, Körper und Ausdehnung, Problem des Vakuums, die Gerüche, die Klänge und das Gehör, die Farben und das Licht etc. Eine indirekte Bestätigung dafür, dass diese Themen auch in den vorgeführten Experimenten Rohaults eine Rolle gespielt haben, liefert das Nachlassverzeichnis Rohaults, welches eine lange Liste von Apparaten und Gerätschaften aufführt, die Rohault für seine öffentlichen Experimente genutzt hat. Einige dieser Hilfsmittel und Apparate scheint Rohault speziell für den Zweck der öffentlichen Vorführungen selbst entwickelt zu haben. Für besondere Wirkung sorgten dabei offenbar vor allem die Experimente zur Farbenlehre und zum Magnetismus. Während bereits Descartes in seiner Dioptrique eine Inszenierung mit einem künstlichen Regenbogen imaginiert,18 scheint Rohault selbige in seinen Vorträgen real auf die Bühne gebracht zu haben. Clerselier jedenfalls berichtet uns: Manchmal ließ er mit großer Kunstfertigkeit in seinem Kabinett einen künstlichen Regenbogen erscheinen, indem er geschickt an der Stelle, an der er erscheinen sollte und je nachdem wo die Sonne gerade stand, einen Regen niedergehen ließ und den Regenbogen auf einem weißen glatten Tuch auffing, wo sich die Farben sehr genau abzeichneten und die Zuschauer diese eingehend und genau betrachten konnten.19

Zwar lassen die Dokumente keinen Zweifel daran, dass es Rohault bei diesen Experimenten zunächst und vor allem um die ernsthafte Untermauerung einer physikalischen Theorie ging, dennoch ist kaum zu übersehen, dass sich die Wirkung der ‚conférences’ nicht zuletzt aus dem Effekt der Verblüffung speiste, der von ihren spektakulären Experimenten ausging. Die Äußerungen Clerseliers sprechen diesbezüglich eine deutliche Sprache. Eine gute Portion Stolz über den medialen Erfolg des Schwiegersohnes ist darin kaum zu überhören: Es wäre unmöglich, all die unterschiedlichen Experimente Revue passieren zu lassen, mit denen er seine Theorien belegte. Aber unter all denen, die er seinem 18 19

Vgl. Nelle (Anm. 6). „Quelquefois même il avoit l’industrie de faire paroître dans sa chambre un Arcen-ciel artificiel, par le moyen d’une pluye qu’il avoit l’adresse de répandre aux lieux où il devoit paroître, selon l’endroit où le soleil étoit alors ; & de le recevoir sur une toile bien blanche et bien unie; où ses Couleurs se peignant fort exactement, donnoient le moyen aux spectateurs de les pouvoir considerer avec soin & exactitude.“ Clerselier (Anm. 16), o. P.

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Publikum vorführte, waren keine, welche die Zuschauer in größeres Erstaunen versetzten, sie mit größerer Bewunderung erfüllten und stärker ihre Neugierde anregten, als jene mit dem Magneten. Wenn man daher wusste, dass er wieder einmal dessen Eigenschaften erklären und die entsprechenden Experimente vorführen würde, kamen so viele Menschen, dass weder der Raum, in dem er sie machte, noch das ganze Haus ausreichte, um alle zu fassen.20

Das Beispiel Rohaults scheint schnell Schule gemacht zu haben. Als Rohaults Vorträge mit seinem Tode enden, wird die Tradition der öffentlichen Vorträge und Experimentalvorführungen zum einen von seinem Schüler Pierre-Sylvain Régis und zum anderen von dem Chemiker Nicolas Lemery fortgesetzt. Auch Lemery frequentiert in seinen jungen Jahren Rohault und vor allem die Académie von Bourdelot, hält einen „Cours de chymie“ im Pariser Hôtel de Condé unter den Augen des Grand Condé, eines der mächtigsten Hocharistokraten und ehemaligen Frondeure, und beschließt am Ende, ein eigenes Labor einzurichten und ebenfalls öffentliche Vorführungen zu veranstalten. Zwar wissen wir es nicht genau, aber es steht zu vermuten, dass Lemery die kostspielige Einrichtung seines Labors z. T. über Eintrittsgelder amortisiert hat. Die Atmosphäre dieser Veranstaltungen wird von Bernard le Bouvier de Fontenelle in seinen Elogen auf die verstorbenen Mitglieder der Académie des Sciences anschaulich beschrieben: Lemery wollte schließlich ein eigenes und unabhängiges Labor. Er hätte sich genauso gut als Doktor der Medizin oder als Apotheker niederlassen können. Am Ende entschied er sich für die Chemie und begann sogleich in der Rue Galande, wo er wohnte, öffentliche Vorlesungen darüber zu veranstalten. Sein Laboratorium war weniger ein Zimmer als ein Keller und fast eine magische Höhle, die nur vom Schein der Öfen erleuchtet wurde. Dennoch war der Besucherandrang so groß, dass er kaum Platz für seine Vorführungen hatte. Die bekanntesten Namen wie Rohault, Bernier, Auzout, Regis, Tournefort zählten zu seinen Zuhörern. Selbst die Damenwelt ließ sich von der Mode mitreißen und hatte die Kühnheit, an diesen hoch gelehrten Versammlungen teilzunehmen.21 20

21

„Je n’auroit jamais fait, si je voulois parcourir toutes les diverses experiences dont il se servoit pour justifier ses raisonnemens. Mais entre toutes celles qu’il communiquoit au Public, il n’y en avoit point qui surprît avec plus d’étonnement l’Esprit des spectateurs, qui leur donnât davantage d’admiration, & qui excitât plus vivement leur curiosité, que celle de l’Aymant. Aussi quand on sçavoit qu’il en devoit expliquer les proprietez, & en faire les experiences, il y accouroit tant de monde, que non seulement la salle où il les faisoit, mais toute sa maison, n’étoit pas capable de le contenir.“ Ebd. „M. Lemery voulut enfin avoir un laboratoire à lui, et indépendant. Il pouvoit également se faire recevoir Docteur en Médecine, ou Maître Apothicaire. La Chymie le détermina au dernier parti, et aussi-tôt il en ouvrit des cours publics dans la rue Galande où il se logea. Son laboratoire étoit moins une chambre qu’une cave, et

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Die Beschreibung zeigt, dass Lemery, der zweifellos ein seriöser Forscher und immerhin Mitglied der Académie des Sciences war, bei seinen Vorführungen bewusst auf die geheimnisvolle Atmosphäre seines düsteren Labors gesetzt hat, um seine Vorführungen für ein Laienpublikum zusätzlich interessant zu machen. Angesichts des breiten Zuspruchs, dessen sich seine Veranstaltungen erfreuten, kann es nicht verwundern, dass Fontenelle auch von Lemerys 1675 erscheinenden Cours de Chymie schreibt, dieser sei geradezu ein Kassenschlager gewesen und habe sich wie ein „Ouvrage de Galanterie ou de Satyre“ verkauft.22 „C’étoit une Science toute nouvelle qui paroissoit au jour, et qui remuoit la curiosité de tous les esprits.“23 Die Verbindung, die Fontenelle zwischen der „Science toute nouvelle“ und der Galanterie herstellt, kommt keinesfalls von ungefähr. Die Tatsache, dass wissenschaftliches Interesse und cartesianische Ideen auch im Milieu der so genannten Präziösen Fortüne hatten, fand in der Literaturwissenschaft schon durch Molières Femmes savantes immer einige Aufmerksamkeit. In einem berühmten Dialog zwischen den femmes savantes Philaminte, Armande und Bélise sowie ihrem pedantischen Idol Trissotin heißt es: Trissotin: Philaminte: Armande: Bélise:

Mir liegt die Systematik des Peripatetismus. Den Sinn für Abstraktion lieb’ ich am Platonismus. Das Weltbild Epikurs ist’s, dem ich mich nahe fühle. Ich neig’ zu Epikurs Doktrin der Moleküle; Doch mit dem leeren Raum weiß ich nichts anzufangen, Ich fühle mich unbezähmbar nach der Substanz Verlangen. Trissotin: Ich lasse bei Descartes den Magnetismus gelten. Armande: Auch seine Kreisbewegung. Philaminte: Den Sturz erloschener Welten. Armande: Wären wir nur schon vereint in der gelehrten Runde Und durch eine Entdeckung dann bald in aller Munde! Trissotin: Ja, man erwartet viel von dem erlauchten Kreis, Ihm gibt wohl die Natur aus ihr Geheimnis preis. Philaminte: Ich will mich selbst nicht loben, doch darf ich es gestehen: Ich hab’ ganz deutlich Menschen auf unserem Mond gesehen.

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presque un antre magique éclairé de la seule lueur des fourneaux; cependant l’affluence du monde y étoit si grande, qu’à peine avoit-il de la place pour ses opérations. Les noms les plus fameux entrent dans la liste de ses Auditeurs, les Rohault [sic], les Bernier, les Auzout, les Regis, les Tournefort. Les Dames même, entraînées par la mode, avoient l’audace de venir se montrer à des Assemblées si savantes.“ Bernard le Bovier de Fontenelle. Œuvres complètes. Hg. v. Alain Niderst. Paris, 1994, Bd. 6: Histoire de l’Académie des Sciences, S. 312f. Ebd., S. 314. Ebd., S. 315.

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Andreas Gipper Ich sah dort keine Menschen – hingegen, es ist wahr, Sah ich dort viele Türme, exakt, präzis und klar. Und wir vertiefen, außer den Lehren der Physik, Poetik und Grammatik, Moral und Politik.24

Bereits der frühe Molière-Biograf Jean-Léonor Grimarest berichtet im Übrigen von engen freundschaftlichen Kontakten zwischen Molière und Rohault.25 Es scheint insofern mehr als wahrscheinlich, dass Molière bisweilen selbst den Rohault’schen Vorlesungen beigewohnt hat. Man wird deshalb davon ausgehen dürfen, dass die hier zitierten großen Themen der Descartes’schen Physik, das Vakuum, der Äther (matière subtile), die Wirbeltheorie (tourbillons), der Magnetismus (l’aimant) und das Problem der Meteore (les mondes tombants) sowie last but not least das Thema der Vielheit der Welten in direktem Zusammenhang mit den auch von Frauen besuchten Vorträgen Rohaults stehen. Festzuhalten ist, dass die Femmes savantes 1672 zu einem Augenblick erscheinen, wo die cartesianische Physik in ihrer Rohault’schen Form der Experimentalphysik mit dem Erscheinen des Traité de physique 1671 den vorläufigen Höhepunkt ihres Einflusses erreicht. Dass die Verbindung von Galanterie und cartesianischem Wissenschaftsmilieu dauerhafter war als man vielleicht vermutet hätte, demon24

25

„Trissotin: Philaminte: Armande: Bélise:

Je m’attache, pour l’ordre, au péripatétisme. Pour les abstractions j’aime le platonisme. Epicure me plaît, et ses dogmes sont forts. Je m’accomode assez, pour moi, des petits corps; Mais le vide à souffrir me semble difficile, Et je goûte bien mieux la matière subtile. Trissotin: Descartes, pour l’aimant, donne fort dans mon sens. Armande: J’aime ses tourbillons. Philaminte: Moi, ses mondes tombants. Armande: Il me tarde de voir notre assemblée ouverte, Et de nous signaler par quelque découverte. Trissotin: On en attend beaucoup de vos vives clartés, Et pour vous la nature a peu d’obscurités. Philaminte: Pour moi, sans me flatter, j’en ai déjà fait une, Et j’ai vu clairement des hommes dans la lune. Bélise: Je n’ai point encore vu d’hommes, comme je croi; Mais j’ai vu des clochers tout comme je vous voi. Armande: Nous approfondirons, ainsi que la physique Grammaire, histoire, vers, morale et politique.“ Molière. „Les Femmes savantes“. Œuvres complètes. 2 Bde. Hg. v. Maurice Rat. Paris, 1956, Bd. 2, Acte III/scène 2, S. 784. Dt. Übs. aus Molière. „Die gelehrten Frauen“. Komödien. 7 Bde. Übs. v. Hans Weigel. Zürich, 1975, Bd. 5, S. 162f. Vgl. Jean-Léonor Le Gallois de Grimarest. La vie de M. de Molière [1705]. Kritische Ausgabe hg. v. Georges Montgrédien. Paris, 1955, S. 82f.

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striert etwa 15 Jahre später der bereits erwähnte Fontenelle mit seinen berühmten Entretiens sur la pluralité des mondes (1686). Die Entretiens sind der historisch bedeutsamste und erfolgreichste Versuch, der Descartes’schen Physik und Kosmologie gesellschaftlich zum Durchbruch zu verhelfen. Dieser Durchbruch ist spätestens im Jahre 1699 definitiv vollzogen, als Fontenelle mit der Reorganisation der Académie des Sciences zu deren ständigem Sekretär ernannt wird, einen Posten, den Fontenelle fast ein halbes Jahrhundert ausfüllen wird. Als Fontenelle 1686 die Entretiens veröffentlicht, kann aber wie erwähnt von einer Dominanz des Cartesianismus in der Académie und in den entscheidenden wissenschaftlichen Milieus noch keine Rede sein. Fontenelle selbst hat diese Problematik in seinen Eloges und in seiner Histoire de l’Académie des Sciences mehrfach selbst dargestellt. Noch Anfang der 1680er Jahre waren etwa die öffentlichen Vorträge des Rohault-Schülers Régis vom Erzbischof von Paris kurzerhand verboten worden. Die Entretiens sind also ebenfalls als Versuch zu interpretieren, die cartesianische Physik gewissermaßen an der alten res publica litteraria und ihren Institutionen vorbei vor den Richterstuhl einer neuen Öffentlichkeit als Verkörperung des ‚bon sens‘ zu tragen. Gerade die Entretiens vermögen aber auf besondere Weise zu demonstrieren, wie der Cartesianismus mit seinem Appell an den bloßen ‚bon sens‘ einerseits den spezifischen Konversationsnormen der Salongesellschaft besonders entgegenkommt und wie andererseits die Salongesellschaft dem Descartes’schen Wissenschaftsdiskurs dennoch nicht unerhebliche Widerstände entgegensetzt. Das gilt zunächst in besonderem Maße für Mathematik und Geometrie, die ja vom Descartes’schen Selbstverständnis der Königsweg zu wahrer wissenschaftlicher Erkenntnis bilden. Der Vorschlag des Erzählers der Gespräche, seiner schönen Marquise einige Figuren in den Sand des Parks zu malen, wird umgehend mit dem Argument zurückgewiesen, dass geometrische Figuren dem Park etwas Pedantisches verleihen würden. Pedantismus aber bildet die Todsünde des Salonlebens. Man wird vermuten dürfen, dass das Hantieren mit Luftpumpen, Quecksilbersäulen und Reagenzgläsern vor den Augen der Marquise einem ähnlichen Verdikt wie das Zeichnen von geometrischen Figuren anheim gefallen wäre. Tatsächlich fällt auf, dass in der galanten Wissenschaftsliteratur bei Fontenelle das vorgeführte Experiment im eigentlichen Sinne vom beschriebenen Experiment und schließlich vom Gedankenexperiment verdrängt wird. Das heißt nicht, dass das Experiment bzw. die spektakuläre apparative Beobachtung bei Fontenelle keine Rolle spielt. Es fällt jedoch auf, dass die Evidenz der experimentellen Performanz bei Fontenelle und

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Andreas Gipper

bei seinen Nachfolgern bis zu Francesco Algarotti durch die Evidenz des narrativen Nachvollzuges von Experimenten bzw. apparativer Beobachtung ersetzt wird. Entscheidend ist, dass im gleichen Maße, wie das reale Experiment durch das erzählte oder bloß imaginierte Experiment ersetzt wird, das theatralische Moment der entworfenen Kosmologie immer stärker in den Vordergrund rückt. Tatsächlich liegt den gesamten Entretiens eine ausgeführte Opernmetaphorik zugrunde, in deren Rahmen die gesamte Natur, d. h. der gesamte Gegenstand des astronomischphysikalischen Diskurses, mit einer Operninszenierung verglichen wird, während die Tätigkeit des Forschers darin besteht, hinter der Bühne das komplexe Spiel der Opernmaschinerie zu entschlüsseln. Während Rohault und seine Schüler die Wunder der Natur auf der Bühne reproduzieren und in Szene setzen, begreift Fontenelle das Wirken der Natur an sich bereits als Inszenierung, welche vom Forscher lediglich nachvollzogen werden muss. Insofern zeugt gerade die galante Wissenschaftsliteratur des ausgehenden Jahrhunderts in gewissem Sinne von einer Auflösung jener kurzzeitig erreichten Symbiose von Experiment und Öffentlichkeit, wie sie im Wirken Rohaults in Frankreich realisiert wird. Fontenelles Entretiens zeigen zwar, wie sich die ‚new sciences‘ mit Hilfe der Opern-Allegorie in eine umfassende Metaphorik des Spektakulären kleiden, das Experiment selbst wird aber aus dem Salon verbannt, weil es zu einem Ausdruck einer als pedantisch empfundenen Spezialistenkultur geworden ist und weil es eine Art Zustimmungszwang ausübt, dem sich die Salongesellschaft gerade nicht unterwerfen will. So kommt es, dass am Ende des 17. Jahrhunderts die neuen Wissenschaften zwar gegenüber dem breiten Publikum den Gestus des Theatralischen auf breiter Front aufgreifen, die reale Praxis des Experiments aber in der Öffentlichkeit wieder hinter einer Narration des Experiments, einen ‚discours expérimental‘, zurücktritt.

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GERHARD WIESENFELDT

Was demonstriert ein Experiment? Überlegungen zum Verhältnis von Erkenntnisgewinn und Wissensvermittlung in der Frühen Neuzeit In den modernen Naturwissenschaften nehmen Experimente bekanntermaßen einen zentralen Platz ein. Jedoch begegnet man hier zwei höchst unterschiedlichen Experimenttypen. Der eine Typ von Experimenten dient der Gewinnung neuer Erkenntnisse, sei es durch das Überprüfen von Hypothesen, das Sichten unbekannten wissenschaftlichen Terrains oder die systematische Ermittlung experimenteller Daten.1 Die meisten aktuell durchgeführten Experimente besitzen hingegen eine ganz andere Bedeutung: Mit ihnen sollen gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse einem mehr oder weniger vorgebildeten Publikum auf möglichst prägnante Weise dargebracht werden. Ihr Ausgang ist für den Status des im Experiment behandelten Wissens dabei irrelevant, sind doch genau gleichartige Experimente schon vielfach durchgeführt worden, im Fall des Misslingens lässt sich der korrekte Ausgang durch Nachschlagen in geeigneten Lehrbüchern ermitteln. Da solche Demonstrationsexperimente keinerlei epistemologische Bedeutung besitzen, sind sie in der wissenschaftsforschenden Literatur weit weniger beachtet worden, sie scheinen nur ein Problem der Wissenschaftsdidaktik und nicht der Wissenschaftstheorie zu sein.2 Zwar ist des Öfteren betont worden, dass die für Demonstrationsexperimente zentralen Kategorien – die Glaubwürdigkeit des Experimentators, die überzeugende Darbietung, die Rhetorik der Darstellung sowie die Lokalität des Wissens – auch für Forschungsexperimente eine große Bedeutung besaßen und noch besit1

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Grundlegend für die Analyse dieser Art Experimente ist nach wie vor Ian Hacking. Representing and Intervening. Introductory Topics in the Philosophy of Natural Science. Cambridge, 1983. Ausnahmen diesbezüglich sind im wesentlichen Ansätze, die die Entwicklung von Demonstrationsexperimenten als Abschluss des Forschungsprozesses beschreiben, vgl. etwa David Gooding. Experiment and the Making of Meaning. Human Agency in Scientific Observation and Experiment. Dordrecht, 1990.

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zen,3 doch tangiert dies nicht die kategoriale Trennung zwischen Forschungs- und Demonstrationsexperiment, zwischen Erkenntnisgewinnung und Wissensvermittlung, allenfalls verläuft die Grenze zwischen beiden leicht anders als vorher gedacht. Auch in diesem Beitrag soll die Erklärungskraft einer solchen Trennung für die modernen Naturwissenschaften keineswegs geleugnet werden, hingegen soll die These vertreten werden, dass die prinzipielle Trennung zwischen der Produktion und der Vermittlung von Wissen erst mit der Professionalisierung der Naturwissenschaften um 1800 einsetzte, in der sich eben auch ein Forschungsbegriff etablierte, der im Gegensatz zur akademischen Lehre stand.4 Wenn sich dagegen für die Experimentalwissenschaften des 17. Jahrhunderts überhaupt ein Forschungsbegriff produktiv entwickeln lässt, so ist in diesem die Bewertung des Bekannten hinsichtlich des Neuen immer mitzudenken, während neue Erkenntnisse nur über einen – wie auch immer gearteten – Nutzen legitimierbar waren, etwa im Sinne einer „Promotion of useful knowledge“ der Royal Society of London. Sie stellten eben keine Ergebnisse ,reiner‘ Forschung dar. In diesen unterschiedlichen Forschungsbegriffen und dem unterschiedlichen Verhältnis von Demonstration und Epistemologie manifestiert sich ein grundlegender Bruch zwischen frühneuzeitlicher und moderner Experimentalkultur, der hier näher untersucht werden soll. Zunächst soll daher die Stellung experimenteller Evidenz in der Frühen Neuzeit zwischen Erkenntnisgewinnung und Wissensvermittlung betrachtet werden. Dabei wird der Fokus auf der niederländischen Wissenschaftskultur liegen, die insbesondere im frühen 18. Jahrhundert über die dortige Newton-Rezeption für die experimentelle Naturlehre in weiten Teilen Europas prägend wurde. Im Einzelnen sollen die Experimente dreier Generationen von Naturforschern betrachtet werden: die Experimente in der Periode der Etablierung experimenteller Naturlehre in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, jene der Vertreter der klassischen Naturlehre Anfang und Mitte des 18. Jahrhunderts sowie schließlich die in der Zeit der beginnenden professionellen Experimentalphysik kurz vor 1800. 3

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Hierzu sind beispielsweise einschlägig Steven Shapin u. Simon Schaffer. Leviathan and the Air-Pump. Hobbes, Boyle, and the Experimental Life. Princeton, N. J., 1985; Peter Dear. „Totius in verba. Rhetoric and Authority in the Early Royal Society“. Isis 76 (1985), S. 145-161. Analoge Ideen zur Veränderung des Forschungsbegriffs sind entwickelt worden in Gert Schubring. „Spezialschulmodell versus Universitätsmodell. Die Institutionalisierung von Forschung“. ‚Einsamkeit und Freiheit‘ neu besichtigt. Universitätsreformen und Disziplinenbildung in Preussen als Modell für Wissenschaftspolitik im Europa des 19. Jahrhunderts. Hg. v. dems. Stuttgart, 1991, S. 276-326.

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Gerhard Wiesenfeldt

Ein besonders prägnantes Beispiel der Experimentalwissenschaften des 17. Jahrhunderts stellt die Disputation Exercitium experimentale de aëris gravitate secundum des Studenten Frederik Willem van Westhoven dar, die am 3. Mai 1698 unter der Leitung des Philosophieprofessors Wolferd Senguerd stattfand.5 In dieser Disputation ging es um die quantitative Bestimmung der Schwere der Luft und insbesondere um ein Experiment, das kurz vor der Disputation für eben diese durchgeführt worden war. Das Experiment ist vom Prinzip her sehr einfach gehalten. Senguerd hatte eine mit einem Hahn versehene Glaskugel gewogen. Danach hatte er die Luft mit Hilfe einer Vakuumpumpe aus der Kugel entfernt und die Kugel erneut gewogen. Schließlich füllte er die Kugel mit Wasser und wog sie ein drittes Mal. Aus den Differenzen der Messungen konnte er so einen Wert für das Verhältnis des Gewichts von Luft und Wasser erhalten, den er mit 1 zu 753 ermittelte. Nach der Wiedergabe dieses Experiments fährt der von Senguerd verfasste Disputationstext fort, dass sich schon andere diesem Problem mit ähnlichen Methoden zugewandt hätten. So habe Marin Mersenne in den Hydraulica pneumatica phaenomena es als erwiesen angeführt, dass das Verhältnis 1 zu 1300 betrage, Robert Boyle dagegen in den New Experiments Physico-Mechanical Touching the Spring of the Air einen Wert von 1 zu 938 angegeben. Jedoch gebe es keinerlei Einigkeit darüber, wie schwer Luft nun tatsächlich sei. Dies belegt Senguerd mit einer Reihe von Literaturstellen, in denen experimentelle wie theoretische Resultate hierzu angeführt werden. So habe Giovanni Riccoli laut Boyle den Wert mit ungefähr 1 zu 10000 abgeschätzt, während Galileo Galilei ihn mit 1 zu 400 bestimmt habe, Francesco Lana nach Johann Christoph Sturms Collegium experimentale mit 1 zu 640, Jean Leclerc gebe ihn in seiner Physica mit 1 zu 840 an, Sturm selbst mit 1 zu 970, während Jakob Bernoulli in De gravitate aetheris schreibe, er betrage 1 zu 1000. Diese Textpassage erscheint nicht nur wegen des darin zu Tage tretenden Umgangs mit quantitativen Größen bemerkenswert, befand es Senguerd doch nicht für notwendig, die Diskrepanzen zwischen den angegebenen Werten zu kommentieren. Bemerkenswert ist vor allem auch die behandelte Literatur. Denn Senguerd stellt hier Werke nebeneinander, die nach heutigem Verständnis vollkommen unterschiedliche Funktion besitzen sollten. Boyles New Experiments Physico-Mechanical und Bernoullis De gravitate aetheris waren gelehrte Abhandlungen, in 5

Frederik Willem van Westhoven (Respondent) u. Wolferd Senguerd (Präses). Exercitium experimentale quintum decimum, quod est de aëris gravitate, secundum. Leiden, 1698.

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denen, so wäre zu erwarten, neue Erkenntnisse vorgestellt werden. Dagegen waren die Werke Sturms und Leclercs Lehrbücher zum Gebrauch an Universitäten. Doch besteht diese Gleichsetzung nicht nur auf Textebene, auch unter den erwähnten Experimenten befinden sich sowohl die Versuche Boyles und Robert Hookes in der Royal Society wie diejenigen, die Sturm in seinen Privatkollegien an der Universität Altdorf durchführte. Eine Unterscheidung zwischen Forschungs- und Demonstrationsexperiment findet sich hier nicht. Die angeführte Textstelle lässt sich nicht anders verstehen, als dass für Senguerd die im Universitätshörsaal gemachten und im Lehrbuch wiedergegebenen Experimente denen in der Royal Society durchgeführten prinzipiell gleichrangig waren. Wolferd Senguerd war einer der ersten Universitätsprofessoren, der regelmäßig Vorlesungen in experimenteller Naturlehre abhielt, dabei entwickelte er ab ca. 1675 ein ausgeprägtes Lehrprogramm mit experimentellen Demonstrationen, das für das 17. Jahrhundert neben den Arbeiten Sturms zu den ausführlichsten experimentellen Aktivitäten an Universitäten führte.6 Aus Senguerds Darstellung von Experimenten geht deutlich hervor, dass er seinen in Lehrveranstaltungen durchgeführten Experimenten sehr wohl epistemologische Bedeutung, etwa in der Beweisführung bei Disputationen, zuspricht. Wie im Fall von van Westhoven wurden die Daten tatsächlich durchgeführter Experimente in Disputationen jeweils genannt. Der Ablauf des Experiments mit allen Umständen, einschließlich möglicher Probleme, bestimmte, was in der Disputation genau verhandelt wurde. Daneben finden sich aber auch Erwähnungen anderer Experimente ohne nähere Lokalisierung, bei denen unklar ist, ob sie überhaupt jemals von irgendjemandem durchgeführt worden waren. Grundsätzlich scheint Senguerd das Experiment als eine argumentative Struktur verstanden zu haben, die in einen Beweis eingepasst werden kann, ohne dass dieser Beweis nur durch das konkrete Experiment führbar gewesen wäre. Experimente erscheinen hier als ein ausgezeichnetes Mittel, um aktuelle Wissenschaften mit den traditionellen Methoden der Schulphilosophie in der disputatorischen Beweisführung zu verbinden. Gleichzeitig verbanden sich bei Senguerd diese eher auf traditionelle Gelehrsamkeit bezogenen Strategien mit den Erfordernissen der frühaufklärerischen Gelehrtenrepublik, indem er systematische Disputationsreihen durchführen ließ, die er anschließend als eine eigenständige 6

Zu Senguerd vgl. Gerhard Wiesenfeldt. Leerer Raum in Minervas Haus. Experimentelle Naturlehre an der Universität Leiden, 1675-1715. Amsterdam, Diepholz u. Berlin, 2002, insb. S. 132-184.

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zusammenhängende Abhandlung mit dem Titel Inquisitiones experimentales veröffentlichte, was durchaus eine der typischen Publikationsstrategien von naturforschenden Professoren des späten 17. Jahrhunderts darstellte.7 Wie komplex die Verbindung von neuen Erkenntnissen und universitärer Didaktik war, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass die Inquisitiones experimentales neben einer Darstellung neu erfundener Schröpfköpfe und einer der ersten systematischen Messreihen des Luftdrucks über ein Jahr hinweg auch einen Teil enthält, der vordergründig bekannte Ergebnisse über die Vakuumphysik wiedergibt, tatsächlich aber vor allen Dingen didaktische Bedeutung hat, insofern Senguerd nach 25 Jahren Experimentalvorlesungen zu jedem bekannten Phänomen ein bekanntes und ein neues Experiment vorstellt. Die Inquisitiones experimentales waren somit als naturphilosophisches Werk gedacht, dessen Nutzen vorwiegend auf didaktischem Gebiet lag. Vorlesungsexperimente Doch gab es in der Naturlehre nicht nur solche Experimente, die als Gegenstand für Disputationen dienten und daher eine herausgehobene Bedeutung als besondere Einzelexperimente besaßen. Schließlich gab es auch jene Versuche, die zweimal wöchentlich im Rahmen der öffentlichen Vorlesungen von Senguerd und von seinem Kollegen Burchard de Volder vorgeführt wurden.8 Diese Versuche waren anderen Büchern, häufig genug Boyles New Experiments Physico-Mechanical, entnommen und stellten somit explizit eine Wiederholung bekannter Experimente dar. Hätte es an der Universität Leiden im 17. Jahrhundert reine Demonstrationsexperimente gegeben, so wäre zu erwarten, dass diese Versuche solche darstellten. Gerade der Fall de Volders zeigt aber, dass auch Vorlesungsexperimenten epistemologische Bedeutung zugesprochen wurde. Schon zu Beginn seiner Experimentalvorlesungen 1675 hatte ihn Constantijn Huygens aufgefordert, die Ergebnisse seiner Vorlesungen der Gelehrtenwelt zur Kenntnis zu bringen, damit sie mit denen der Royal Society vergli-

7

8

Wolferd Senguerd. Inquisitiones experimentales. 2. Aufl. Leiden, 1699. Für einen vergleichbaren Fall vgl. Erasmus Bartholin. De naturae mirabilibus quaestiones academicae. Kopenhagen, 1674. Zu de Volders Experimenten vgl. Adriaan de Hoog. Some Currents of Thought in Dutch Natural Philosophy, 1675-1720. Diss. Oxford, 1974 u. Wiesenfeldt (Anm. 6), S. 108-132.

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chen werden könnten.9 Nachdem sich de Volder diesem Ratschlag verweigerte – er verfasste überhaupt keine eigenen Publikationen –, publizierte ein ehemaliger Student zwei Berichte über hydrostatische Experimente, die er in den Vorlesungen gesehen hatte, in den Nouvelles de la République de Lettres.10 De Volders eigenes Verständnis der Bedeutung seiner Experimente wird aus einer Mitschrift deutlich, die der englische Medizinstudent Charles Vinson 1676 zum eigenen Gebrauch anfertigte.11 Doch auch in dieser Mitschrift findet sich eine Struktur des Experimenteinsatzes, der der Argumentation in einer Disputation entlehnt ist. Demnach begann de Volder die Vorlesung jeweils mit einer Aussage, die noch im Rahmen der Vorlesung durch Experimente oder andere Belege bewiesen oder widerlegt werden sollte. Sie endete jeweils mit der Feststellung, dass der in Rede stehende Satz somit bewiesen sei. Der dabei verwendete Sprachgebrauch geht notwendig davon aus, dass dem Experiment Beweiskraft auch über den unmittelbaren Vorlesungskontext hinaus zukommt. So finden sich in der Mitschrift Formulierungen wie „Hence hee refuteth Paschalius“ oder „His subiect was to prove the elasticke power of the ayre“.12 Wie ernst de Volder diese Beweisrhetorik nahm, wird nicht zuletzt an seinem Umgang mit Störungen im geplanten Vorlesungsverlauf deutlich. Gleich sein erstes Experiment konnte nicht zu Ende geführt werden, weil ein an einer Marmorplatte angebrachter Haken ob des zu hohen angehängten Gewichtes abbrach.13 De Volder beendete daraufhin seine Vorlesung vorzeitig, um in der folgenden Stunde nicht etwa nur dieses Experiment zu wiederholen, sondern die gesamte Beweiskette neu aufzurollen. Im Übrigen verzichtete er völlig darauf, nicht selbst vorgeführte Experimente anzuführen, während er identische Experimente anderer Naturforscher durchaus diskutierte. Bei de Volder wie bei Senguerd finden wir somit eine Einbindung der Experimente in die traditionellen Formen universitärer Gelehrsamkeit, die weitgehend scholastischen Mustern folgte. Demnach ist die Beweis9

10

11 12 13

Vgl. den Brief von Constantijn Huygens an Henry Oldenburg vom 21. Januar 1676. Henry Oldenburg. The Correspondence of Henry Oldenburg. 13 Bde. Hg. v. A. Rupert Hall u. Marie Boas Hall. London u. Philadelphia, 1965-1986, Bd. 12, S. 143. Herman Lufneu. „Mémoire sur une expérience curieuse d’Hydrostatique“. Nouvelles de la République de Lettres (1685), S. 381-389; ders. „Response à la difficulté que Mr. Puiolas luy a faite dans les Nouvelles de Mois de Janvier dernier“. Nouvelles de la République de Lettres (1687), S. 239-249. Charles Vinson. Experimenta philosophica naturalia de Kaldo. British Library, Ms. Sloane 1292, fol. 78-141. Ebd., fol. 32v., 88r. Ebd., fol. 79-81.

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kraft von Experimenten eine, die jeweils aktual erbracht werden muss. Die bedeutet nicht, dass dieses Experiment auch in jedem Fall tatsächlich durchgeführt werden musste, auch wenn de Volder dies offensichtlich praktizierte. Aber die Notwendigkeit zur Darlegung der Beweiskraft von Experimenten impliziert sehr wohl, dass es für die Beweisführung keine Rolle spielt, ob dieses Experiment erstmals so durchgeführt wurde oder ob es sich um eine Wiederholung des Experiments anderer handelte. Diese Einführung von Experimenten in Leiden korrespondiert mit der Art, wie Johann Christoph Sturm in Altdorf, neben Leiden eine der zentralen Universitäten für die Experimentalkultur im 17. Jahrhundert, Experimente behandelte. Er gliederte seine Experimentalvorlesungen jeweils in eigene Tentamina, die ausgebreitete Untersuchungen über mehr oder weniger eng definierte Gegenstandsbereiche – vom Luftdruck über menschliche Muskelbewegung bis hin zum Lesen von Texten in unbekannten Sprachen – darstellte, in denen die Versuche, ganz ähnlich wie bei de Volder, als Beweise in einer längeren Argumentationskette fungierten.14 Royal Society Dieser Befund einer Integration experimenteller Praktiken in die traditionellen Gelehrsamkeitsformen der Universitäten mag insbesondere für Universitätshistoriker wenig bemerkenswert, wenn nicht gar trivial erscheinen. Doch zeigt er einen markanten Unterschied zu der Experimentalkultur der frühen Royal Society, wo eben nicht auf Disputationsformen zurückgegriffen wurde, sondern auf die etablierte Gerichtspraxis. Auch dies ist an sich wenig erstaunlich ist, weil sich die Mitglieder der Royal Society in diesem Rückgriff auf Francis Bacon berufen konnten, dem wiederum das Gerichtswesen allein schon biografisch wesentlich näher stand als die Universitätswelt. Der Zusammenhang zwischen Gerichtswesen und Experimentalkultur in England ist ausführlich von Barbara J. Shapiro untersucht und von Steven Shapin und Simon Schaffer sowie von Robert W. Serjeantson diskutiert worden.15 Dabei ist die unter diesen Autoren vor allem strit14

15

Vgl. Johann Christoph Sturm. Collegium experimentale sive curiosum. Nürnberg, 1676; Gerhard Wiesenfeldt. „Das Collegium experimentale sive curiosum und die Anfänge experimenteller Naturlehre in Deutschland“. Johann Christoph Sturm (1635-1703). Hg. v. Hans Gaab, Pierre Leich u. Günter Löffladt. Frankfurt a. M., 2004. Vgl. Barbara J. Shapiro. Probability and Certainty in Seventeenth-Century England.

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tige Frage der Verbindung von Zeugnisaussage und sozialer Zuordnung zur Gruppe der Gentlemen für den hier behandelten Zusammenhang allerdings nur von untergeordneter Bedeutung. Zentral ist dagegen der prinzipielle Befund der in der Royal Society vorgenommenen Übertragung der experimentellen Beobachtung in eine Zeugenaussage und die damit einhergehende Etablierung von Tatsachen als Ergebnis des experimentellen Prozesses. Diese Vorgehensweise hat einen wichtigen Unterschied zur und eine wichtige Gemeinsamkeit mit der experimentellen Disputierweise in Leiden. Denn die mit der Etablierung von Tatsachen einhergehende Isolierung experimenteller Ergebnisse ermöglichte hier die Herauslösung von Experimenten aus dem Argumentationszusammenhang, was an Universitäten so zunächst einmal nicht möglich war. Zum anderen benötigte aber die experimentelle Erkenntnis auch in der Royal Society eine aktuale Repräsentation, jemand musste schlicht ein Zeugnis ablegen, damit es vor dem Tribunal der Gesellschaft gehört werden konnte. Zwar unterschied die Royal Society hier sehr wohl Bekanntes und Neues, der Maßstab hierfür war aber nicht absolut, sondern ausschließlich das, was schon vor der Royal Society vorgetragen worden war. Die Wiederholung der Experimente anderer diente dabei nicht nur der Überprüfung der korrekten Arbeitsweise anderer Gelehrter, sondern fungierte vor allem als Demonstration der Aussage vor dem eigenen Tribunal, in dem die Wiedergabe eigenen Sinneszeugnisses vom bloßen Hörensagen zu trennen sei. Damit wiederum wird, selbst wenn das Experiment durch den Rekurs auf die experimentelle Tatsache gewissermaßen auf ein punktuelles Ereignis reduziert wird, das Verfahren der Wiedergabe der Beobachtung zu einem andauernden Prozess. Experiment und Gottesdienst: Die niederländischen Newtonianer Die Betonung des Prozesscharakters des Experimentierens und dessen Einbindung in eine umfassendere intellektuelle Tätigkeit stellt ein zentrales Moment der Naturlehre um 1700 dar. Dies wird besonders bei der dritten hier zu behandelnden Gruppe von Experimentatoren deutlich. Es handelt sich dabei allesamt um Schüler von de Volder und Senguerd, die nach ihrer Studienzeit eine intensive Auseinandersetzung mit der Princeton, N. J., 1983; Shapin u. Schaffer (Anm. 3); Robert W. Serjeantson. „Testimony and Proof in Early-Modern England“. Studies in History and Philosophy of Science 30A (1999), S. 195-236; Barbara J. Shapiro. „Testimony in Seventeenth-Century English Natural Philosophy. Legal Origins and Early Development“. Studies in History and Philosophy of Science 33A (2002), S. 243-263.

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Naturphilosophie Isaac Newtons begannen und dadurch auch unter dem Sammelbegriff der „niederländischen Newtonianer“ bekannt geworden sind. Im Einzelnen sind dies der Mathematiker und Philosoph Willem Jacob ‘s Gravesande, der Naturphilosoph Petrus van Musschenbroek, der Mediziner und Chemiker Herman Boerhaave sowie der Physikotheologe und Mathematiker Bernard Nieuwentijt.16 Inwieweit der Begriff ‚Newtonianer‘ sie zutreffend charakterisiert und inwieweit sie überhaupt in ihrer naturphilosophischen Gesamtschau sinnvoll zu einer Gruppe gerechnet werden können, sei einmal dahingestellt. Zumindest sind sie durch eine gemeinsame Grundhaltung zur Bedeutung des Experiments in der Naturlehre gekennzeichnet. Für sie besitzt das Experiment nämlich eine herausragende Bedeutung als eine Form des Gottesdienstes. Diese Haltung hat ihre Wurzeln in einer spezifischen Interpretation calvinistischer Glaubenssätze, nach denen die Naturwissenschaften und insbesondere die Astronomie nicht nur vereinbar mit der Heiligen Schrift sind, sondern auch eine religiöse Pflicht eines jeden Christen darstellen, da sie das Verständnis von Bibelstellen erleichtern und die Weisheit Gottes dem menschlichen Verstand offenbaren könnten.17 In dieser spezifischen Art der Physikotheologie geht es also nicht nur um einen Gottesbeweis über die Wunder seiner Schöpfung, sondern vor allen Dingen um ein aus sich selbst heraus gerechtfertigten religiösen Dienst. In diesem Sinn ist ein Experiment etwas, was jeder für sich selbst erleben muss, eine Wiederholung eines bekannten Experiments vor einem anderen Publikum ist für jeden der dort Teilnehmenden eben kein Nachvollziehen dessen, was andere vor ihm gesehen haben, sondern eine unmittelbare Offenbarung. Freilich unterscheiden sich die vier Gelehrten erheblich in der Interpretation, mit der sie diesen Dienst jeweils versehen und an welcher Stelle sie die Offenbarung im experimentellen Prozess ansiedeln.

16

17

Vgl. Cornelis de Pater. Petrus van Musschenbroek (1692-1761), een Newoniaans natuuronderzoeker. Utrecht, 1979; ders. Willem Jacob ‘s Gravesande. Welzijn, wijsbegeerte en wetenschap. Baarn, 1988; Rienk Vermij. Secularisering en natuurwetenschap in de seventiende en achtiende eeuw. Bernard Nieuwentijt. Amsterdam, 1991; Gerrit A. Lindeboom. Herman Boerhaave. The Man and his Work. London, 1968; Rina Knoeff. Herman Boerhaave (1668-1738). Calvinist Chemist and Physician. Amsterdam; 2002. Zu diesem calvinistischen Akkomodationsprinzip vgl. Gary B. Deason. „Reformation Theology and the Mechanistic Conception of Nature“. God and Nature. Historical Essays on the Encounter between Christianity and Science. Hg. v. David C. Lindberg u. Ronald L. Numbers. Berkeley, 1986, S. 167-191; Knoeff (Anm. 16), S. 69-78.

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Bei ‘s Gravesande und Nieuwentijt lag der Schwerpunkt auf einer Reflektion über die Funktion menschlicher Sinnes- und Verstandesorgane, deren rechtgläubiges Ausüben einerseits von der göttlichen Vorsehung ermöglicht sei, andererseits aber auch den Menschen vor Unglaube und Hoffärtigkeit schütze. Für ‘s Gravesande folgte daraus eine Adaption der Newton’scher Methodologie als zentraler Methode in den empirischen Wissenschaften.18 Nieuwentijt übertrug diese von ihm „dingliche Philosophie“ genannte Methodologie auf die Physikotheologie, in der die Demonstration göttliche Allmacht zur zentralen Aufgabe wurde.19 In dieser Verbindung von Auffassungen über die Funktion der Sinnesorgane, Analogieschluss und der göttlichen Versicherung der Wahrnehmung wurde nun nicht nach Publikum oder Akteuren einer experimentellen Demonstration differenziert. Ihr Ziel bestand in jedem Fall im experimentellen Nachvollzug göttlichen Wirkens und dessen Wiedererkennen im eigenen Handeln. Ging es für Nieuwentijt und ‘s Gravesande zentral um eine religiöse Grundlegung einer philosophischen Methodologie, so rückte in der Newton-Interpretation Herman Boerhaaves die Bedeutung des experimentellen Prozesses für das Handeln des Experimentators insgesamt in den Mittelpunkt der Betrachtung. In seiner Rektoratsrede De comparando certo in physicis des Jahres 1715 hatte er sich grundlegend mit dem Problem sicherer Naturerkenntis befasst und dabei auf die empirische Tradition und das Vorbild Newtons verwiesen.20 Boerhaave hob dabei die notwendigen Tugenden von Naturphilosophen hervor, die bei experimentellen Wissenschaftlern eher gegeben seien als etwa bei Cartesianern, gerade weil Experimentatoren eine Zurückhaltung innewohne, „wie man sie bei einem Philosophen nur selten findet“. Philosophen hielten, so Boerhaave, häufig „so viel von ihrer eigenen weitsichtigen Intelligenz“ und fielen damit doch nur „einer üblichen Quelle der Verderbtheit“ anheim.21 Die Ursache für die Bescheidenheit experimenteller Philosophen entstamme aber der religiösen Offenbarung im Experiment, gerade bei der Untersuchung des besonders Kleinen und Unschein18 19 20

21

Vgl. Cornelis de Pater. „Willem Jacob ‘s Gravesande (1688-1742) and Newton’s Regulae Philosophandi“. Lias 21 (1994), S. 257-294. Vgl. Bernard Nieuwentijt. Een zekere, zakelijke wijsbegeerte. Hg. v. Rienk Vermij. Baarn, 1988. Vgl. Herman Boerhaave. De comparando certo in physicis. Leiden, 1715 sowie ders. Boerhaave’s Orations. Hg. v. Antonie Luyendijk-Elshout u. Elze KegelBrinkgreve. Leiden, 1983. Ebd., S. 17: „rara Philospho continentia“, S. 2: „tam splendide opinantur de perspicacia suae intelligentiae“.

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Abb. 1: Petrus van Musschenbroek (1692-1761).

baren: „Gesunde physikalische Wissenschaft steht vor diesen Dingen in Erstaunen, wann immer sie darüber nachdenkt, und hält sie doch für vollkommen wahr!“22 Damit kann ein Experiment nicht ohne das Erstaunen ob der Wunder der Natur gedacht werden, die experimentelle Demonstration hat eben diese Aufgabe, und zwar unabhängig davon, ob es das Erstaunen beim Experimentator selbst oder beim Zuschauer ist. Der Experimentator schlüpft damit in eine Priesterrolle, in der er sowohl eigene Gotteserfahrung macht als auch anderen zu einer solchen verhilft. Diese Priesterrolle wurde einige Zeit später von Petrus van Musschenbroek bekräftigt. Van Musschenbroek ließ sich nicht nur als Naturforscher in Gestalt eines calvinistischen Prädikanten porträtieren (Abb. 1), er stellte seine gesamte experimentelle Tätigkeit in einen religiösen Kontext. Im Vorwort seines Lehrbuchs Beginselen der Natuurkunde bemerkte er 1736: 22

Ebd., S. 27: „Stupet ad haec, quoties de iis cogitat, verissima tamen esse fatetur sana Physice!“

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Wenn mein Werk auch dazu dienen mag und man aus den geschaffenen Körpern im Weltall und aus ihren wunderbaren Eigenschaften das wahre Wesen des allmächtigen und unendlich weisen Gottes deutlich wahrzunehmen und zu erkennen lernt, und ihn um all seine Macht wissend verherrlicht, so werde ich mein Augenmerk erreicht und meine Arbeit wohlgetan haben.23

Der Begriff der Arbeit ist dabei durchaus in einem strengen Sinn zu verstehen. Sowohl Boerhaave als auch van Musschenbroek betonten immer wieder die körperlichen Mühsale der Experimentierpraxis. Experimentalwissenschaften setzten sich für sie auch dadurch von der traditionellen Gelehrsamkeit ab, indem sie sie nicht als herausgehobenes Produkt menschlichen Handelns verstanden. Sie seien vielmehr „mühselig, ungeschlacht, anstrengend, außerhalb der Beachtung durch die Weisen, den Gelehrten unbekannt oder verdächtig, nach Feuer, Rauch, Asche und Schmutz riechend“ und „kaum durch irgendetwas Anmutiges ausgezeichnet“. Van Musschenbroek beschrieb seine Arbeitspraxis als „stinkend“, „schmutzig“, „ermüdend“ und „einer Tagelöhnerarbeit gleichend“.24 In diesen Charakterisierungen zeigt sich nicht zuletzt der sehr enge – teilweise auch biografische – Zusammenhang zwischen den niederländischen Experimentalwissenschaften und handwerklichen Traditionen. Aus diesem die protestantische Arbeitsethik widerspiegelnden Selbstverständnis heraus beschäftigte sich van Musschenbroek intensiv mit der Methodologie experimenteller Wissenschaften. Insbesondere betonte er die Bedeutung der Wiederholung von Experimenten als zentralem Element wissenschaftlicher Praxis. Im Vorwort zur Neuausgabe der Saggi der Accademia del Cimento schrieb er 1730: 23

24

Petrus van Musschenbroek. Beginselen der Natuurkunde, Beschreven ten dienste der Landgenooten. Leiden, 1736, S. viii: „Indie hier toe ook myn werk strekken mag, en men uit de geschapen lighaamen van ‘t Heelal, en hunne Eigenschappen het waare Aanwezen van den Almagtigen en Oneindigwyzen GOD klaar leert zien en kennen, en hem kennende uyt alle zyne magt verheerlykt, zal ik myn oogwit bereikt hebben, en mynen arbeid wel besteed achten.“ So etwa Herman Boerhaave über die Chemie in De chemia suos errores expurgante. Leiden, 1718, S. 2: „de Chemia! quae aspera horrida, laboriosa, a commercio Sapientum remota, ignota Eruditis vel suspecta, ignem, fumos, cineres, sordes spirans, vix ulla amoenitatis specie commendata habetur.“ Petrus van Musschenbroek. Oratio de certa methodo philosophiae experimentalis. Utrecht, 1723, S. 47: „ast haec sordet, haec foetet rerum experiundarum squaloribus, inficiuntur, manus, commaculantur vestes, labor fatigat, sudamus, operariis evadimus similes, hyeme per totam frigidissimam noctem coelo inhaeremus, algemus; Chemicous invisimus, et ignis ardore tooremur, eritne hoc Philosophari?“ Vgl. Cornelis de Pater. „Nicolaus Engelhardt (1696-1765) en zijn kritiek op ‚De Beginselen der Natuurkunde‘ van Petrus van Musschenbroek (1692-1761). Wolffianisme versus Newtonianisme“. Tijdschrift voor Geschiedenis van de Geneeskunde, Natuurwetenschappen, Wiskunde en Techniek 13 (1990), S. 141-162.

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[Auf die Wiederholung von Experimenten] kann gar nicht genug Wert gelegt werden. Schließlich sind dem menschlichen Verstand so enge Grenzen gesetzt, dass er in schwierigen Dingen nicht alles erkennen kann, wenn er dies nur einmal auf eine Weise untersucht. [...] Es muss für Physiker eine Heiligenschändung sein, lediglich einen Versuch durchzuführen, um einen Körper zu untersuchen.25

Jede neue Ausführung eines Experiments erhöhe unsere Fähigkeiten; denn wie geschickt wir auch seien: Sobald wir ein neues Experiment begännen, seien wir immer wieder aufs Neue „grob und unerfahren“. Zudem bestünde immer die Möglichkeit, durch unvorhergesehene Umstände bei der Wiederholung doch etwas Neues entdecken zu können. Das Experiment wird hier zu einem Ritual, welches – auch darin einem Gottesdienst gleichend – der beständigen Wiederholung bedarf, damit der Experimentator wie auch der Zuschauer seine Fähigkeiten zu möglichst großer Meisterschaft bringen kann. Hier zeigt sich also einerseits ein Verständnis experimenteller Wissenschaft, das in fundamentaler Weise einen Unterschied zwischen Experimenten mit Evidenzcharakter zur Erfahrung neuen Wissens und Experimenten zur Demonstration von Bekanntem negiert. Doch deutet andererseits die umfangreiche Rhetorik an, dass hier ein Problem aufgetreten zu sein scheint, durch das der von van Musschenbroek postulierte Zusammenhang offenbar nicht mehr so selbstverständlich war wie für seine Lehrer Senguerd und de Volder. Der Bruch mit der Tradition: Martinus van Marum Die Herausbildung eines eigenständigen Forschungsexperiments zeigt sich sehr deutlich in den elektrischen Experimenten Martinus van Marums. Van Marum entstammte als Schüler von Petrus Camper eben der von Boerhaave, van Musschenbroek und anderen begründeten newtonianischen Tradition in den Niederlanden.26 Mit van Musschenbroek verband ihn auch der gemeinsame handwerkliche Hintergrund seiner Familie. Wie stark sich van Marum selbst als Teil dieser Tradition sah, wird nicht zuletzt daran deutlich, dass er sich wie kein zweiter Forscher Ende 25 26

Petrus van Musschenbroek (Hg.). Tentamina experimentorum naturalium captorum in Academia del Cimento. Leiden, 1730, S. xxiv, vgl. Pater (Anm. 16), S. 67-69. Zur Biografie van Marums vgl. Bert Theunissen. „Martinus van Marum, 17501837. ‚Ten nutte en ten genoegen der ingezetenen‘“. Een elektriserend geleerde. Martinus van Marum 1750-1837. Hg. v. Anton Wiechmann u. Lodewijk C. Palm. Haarlem, 1987, S. 11-33.

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Abb. 2: Kolorierte Radierung des Niederschlags eines kalzinierten Metalldrahts (1787/88) nach Martinus van Marum.

des 18. Jahrhunderts mit den experimentellen und instrumentellen Arbeiten von Senguerd befasste, die er als vorbildlich ansah. Obwohl sich van Marum vorwiegend mit botanischen und chemischen Problemen beschäftigte, erlangte er vor allem durch seine Arbeiten mit der „ungemein großen Elektrisiermaschine“ im Teylers Museum (Haarlem) zwischen 1785 und 1795 Bekanntheit. In den Publikationen zu diesen Experimenten tritt die Beschreibung der Versuche zurück gegenüber der Diskussion der Ergebnisse. Trotz der offensichtlichen Spektakularität der Elektrisiermaschine legte van Marum Wert auf die demonstrative Wirkung der durch die Maschine erzeugten Artefakte. Der Aufwand, der hierfür betrieben wurde, wird besonders an sieben handkolorierten Radierungen kalzinierter Metalldrähte deutlich, die dem zweiten Teil der Publikationen beigefügt waren (Abb. 2).27 Im zugehörigen 27

Vgl. Martinus van Marum. Beschreibung einer ungemein großen Elektrisier-Maschine und der damit im Teylerschen Museum zu Haarlem angestelten Versuche. Erste Fortsetzung. Leipzig, 1788.

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Text ging es vorrangig darum, was man auf diesen Abbildungen sehen könne, der experimentelle Prozess besaß nur mehr für die Kenntnis der Entstehung der Bilder Bedeutung.28 Laut van Marum waren sie eine akkurate Wiedergabe des Niederschlags, der sich auf einem Papier bildete, wenn man über einen dicht über dem Papier gespannten Draht eine große Ladungsmenge entlud. Den experimentellen Prozess beschrieb van Marum dabei als etwas, das sich jenseits aller aktiven Eingriffe in die Natur ereignet, es agiert die Natur selbst. Zitate wie: „Das Blei wird [...] durch eine elektrischen Entladung verkalkt“ oder „Die augenblikliche Verkalkung dieses Metals macht also, wie mir scheint, die flammigte Zeichnung an der Stelle“ erwecken den Eindruck, bei dem Versuchsaufbau handele es sich um eine Frühform eines self-registering device, in dem der Experimentator lediglich noch die Aufgabe hat, dass die Natur ihm etwas demonstriert, was er dann theoretisch einordnen kann.29 Die Abbildungen werden im Text somit als eine von ihrem Entstehungskontext gelöste Tatsache behandelt, ihre Funktion ist der Verweis darauf, dass ein verbrannter Metalldraht genau so aussieht. Van Marum kann die so produzierten Tatsachen nunmehr dazu benutzen, den Unterschied von verbranntem und geschmolzenem Metalldraht zu demonstrieren, um zu beweisen, dass beide Prozesse nicht von einem Wirkstoff, dem Phlogiston, sondern von zwei unterschiedlichen, den Prinzipien Oxygen und Caloricum, verursacht sind. Tatsächlich waren Abbildungen, die einen isolierten experimentellen Effekt repräsentierten, eine Neuheit in der Naturlehre kurz vor 1800. Van Marums Abbildungen kalzinierter Metalldrähte besaßen hier eine Parallele in Georg Christoph Lichtenbergs 1778 publizierten Experimenten mit elektrostatischen Entladungen auf Harzkuchen, die später als Lichtenberg-Figuren bekannt wurden (Abb. 3).30 Zwar waren Lichtenbergs Arbeiten nicht so klar in einem theoretischen Kontext verortet wie diejenigen van Marums und entsprachen somit noch eher der auch in Deutschland wirkmächtigen Tradition niederländischer Newtonianer. Gleichzeitig lag aber auch bei Lichtenberg der Fokus auf der durch die Abbildungen von der Natur selbst hervorgebrachten Demonstration: 28

29 30

Zu den Abbildungen vgl. Gerhard Wiesenfeldt. „Politische Ikonographie von Wissenschaft. Die Abbildung von Teylers ‚ungemein großer‘ Elektrisiermaschine, 1785/87“. NTM 10 (2002), S. 222-233; Gerhard Wiesenfeldt. „‚... von ein oder zwei der schönsten Zeichnungen ... eine Abbildung hier beifügen‘. Ästhetik und Naturerkenntnis in den Experimenten Martinus van Marums (1750-1837)“. Die Sache selbst. Hg. v. Silke Opitz und dems. Weimar, 2002, S. 150-157. Marum (Anm. 27), S. 14 u. S. 16. Vgl. Georg Christoph Lichtenberg. De nova methodo naturam ac motum fluidi electrici investigandi. Göttingen, 1778.

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Abb. 3: Elektrische Figuren auf einem Harzkuchen (1778) nach Georg Christoph Lichtenberg.

In meinem Zimmer war noch alles voll von feinstem Harzstaub, der beim Abhobeln und Glätten des Kuchens und Deckels emporgestiegen war und sich später an die Wände und auf die Bücher gelegt hatte. Entstand eine Luftbewegung, so setzte er sich zu meinem großen Verdruß oft auf den Deckel des Elektrophors nieder. Aber erst nachdem ich den Deckel des öfteren an der Decke des Zimmers aufgehängt hatte, da geschah es einmal, daß sich der Staub auf den Kuchen niedersetzte und ihn nun nicht, wie es vorher auf dem Deckel geschehen war, gleichmäßig bedeckte, sondern sich zu meiner größten Freude an bestimmten Stellen zu Sternchen anordnete. Sie waren zwar anfangs matt und schwer zu sehen; als ich aber absichtlich mehr Staub aufstreute, wurden sie sehr deutlich und schön und glichen oft einer erhabenen Arbeit. Es zeigten sich bisweilen fast unzählige Sterne, Milchstraßen und größere Sonnen. Die Bogen waren an ihrer konkaven Seite matt, an ihrer konvexen Seite mannigfaltig mit Strahlen verziert. Herrliche kleine Ästchen entstanden, denen ähnlich, die der Frost an den Fensterscheiben hervorbringt; kleine Wolken in den mannigfaltigsten Formen und Graden der Schattierung und endlich mancherlei Figuren von besonderer Gestalt waren zu sehen.31 31

Georg Christoph Lichtenberg. Über eine neue Methode, die Natur und die Bewegung der elektrischen Materie zu erforschen. Hg. u. übs. v. Herbert Pupke. Leipzig, 1956.

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Gleichzeitig waren sowohl Lichtenberg wie van Marum als öffentliche Experimentatoren tätig und dabei höchst erfolgreich.32 Im Gegensatz zu den Experimentalwissenschaftlern vor 1750 gab es bei ihnen jedoch eine klare Differenzierung zwischen ihrer Vorlesungstätigkeit, in deren Rahmen sie als aktiv Handelnde auftraten und der hier zur Schau gestellten Zurücknahme der eigenen Person im Experiment. Bei van Marum ging dies soweit, dass er seine öffentlichen Experimentalvorlesungen nicht im eigentlich dafür vorgesehenen Teylers Museum abhielt, sondern in einer nahe gelegenen Kirche. Van Marum vollzog die Trennung von Laboratorium und Hörsaal: Forschungs- und Demonstrationsexperimente waren nunmehr klar und deutlich unterscheidbar. Es soll hier nicht die These vertreten werden, dass die aufkommende Trennung von Demonstrations- und Forschungsexperimenten durch das Verschwinden des Experimentators aus dem experimentellen Prozess und die Verschiebung von Bedeutungsebenen experimenteller Praxis hin zur Isolierung von Resultaten geprägt ist. Wenngleich beides mit der aufkommenden Differenzierung einhergeht, soll hier keine wie auch immer geartete Kausalität postuliert werden. Dies verbietet sich schon deshalb, weil hier auch Prozesse wesentlich sind, die an dieser Stelle außerhalb der Betrachtung geblieben sind. Sicherlich wäre hier das Entstehen populären Experimentierwesens zu nennen, das, wie Oliver Hochadel dargelegt hat, zu einer Abgrenzung gelehrter Naturforscher von nichtakademischen Popularisierern oder auch reinen Demonstratoren führte.33 Auch die Herausbildung eines von der Wissensvermittlung grundsätzlich abgegrenzten Forschungsbegriffs im 18. Jahrhundert wäre sehr viel ausführlicher zu begründen. An dieser Stelle hingegen war zu zeigen, dass die Experimentalkultur der Naturlehre des 17. und frühen 18. Jahrhunderts diesem Begriff in weiten Teilen eben nicht entsprach. Daraus folgt auch, dass die experimentelle Demonstration in einem sehr viel umfassenderen Sinn Bedeutung für die Wissenschaftsentwicklung besaß, als dies für die Zeit um und nach 1800 gilt.

32

33

Vgl. Oliver Hochadel. Öffentliche Wissenschaft. Elektrizität in der deutschen Aufklärung. Göttingen, 2003, S. 250-273; Anton Wiechmann u. Lydie Touret. „Frappez, frappez toujours! Van Marum als verzamelaar en bezieler van het geleerd bedrijf in Haarlem“. Een elektrisierend geleerde. Martinus van Marum 1750-1837. Hg. v. Anton Wiechmann u. Lodewijk C. Palm. Haarlem, 1987, S. 103-154. Vgl. Hochadel (Anm. 32).

Was demonstriert ein Experiment?

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Vibration und Vernunft. Zur experimentellen Agenda in Marin Mersennes Harmonie universelle (Paris, 1636)

Bereits im Jahre 1975 hatte Alistair C. Crombie den französischen Kleriker Marin Mersenne als Gewährsmann für seine Spurensuche nach der Geschichte wissenschaftlicher Akzeptanz auserkoren. Kriterien für die Evidenzerzeugung sollten nicht nur in den Wissenschaften, sondern auch im Handwerk, in der Medizin und der Rechtsprechung, der Regierungskunst und der Ästhetik aufgespürt werden.1 In der Tat führt uns Mersenne in seiner Harmonie universelle eine Kultur des Messens vor, die zu neuen Erzeugungs- und Bewertungsweisen einer experimentell gewonnenen Evidenz führt. Hier sind eine Vielzahl philosophischer Konzepte und mechanistischer Praktiken eingeflossen. Mit seinen Untersuchungen zu vibrierenden Saiten zählt Mersenne zu den Pionieren eines adaptierten experimentellen Designs mit gradueller Parameter-Modifikation, umfassender Dokumentation sowie mit der Maßgabe, diese Experimente zum Zweck ihrer Bestätigung bzw. Widerlegung zu wiederholen. So objektiv die damit eingeführten Maßstäbe auch erscheinen, stellt sich Mersennes Experimentalpraxis keineswegs als eine in sich abgeschlossene, unabhängige Prozedur dar.2 Vielmehr bleiben die Experimente eingebettet in axiomatische Prinzipien, die sowohl auf Pythagoras als auch auf mechanistische Traditionen zurückgehen.3 1

2

3

Vgl. Alistair C. Crombie. „Marin Mersenne and Scientific Acceptability“. Physis 7 (1975), S. 186-204 und ders. Science, Art and Nature in Medieval and Modern Thought. London, 1996, S. 416. Vgl. Penelope Gouk. „Marin Mersenne. A Model of Harmony“. Music, Science and Natural Magic in Seventeenth-Century England. New Haven u. London, 1999, S. 170-178. Diesen Nachweis führt Peter Dear. Mersenne and the Learning of the Schools. Ithaca u. London, 1988.

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Mersennes Experimente verlassen den Raum des Spektakulären in einem wörtlichen Sinn, da sie sich den unsichtbaren nieder- oder hochfrequenten Schwingungen von Saiten zuwenden. Gerade dort, wo das Auge versagt und Vibration nur noch als Klang wahrgenommen werden kann, kommt jedoch die Instanz der Vernunft ins Spiel, da sie allein dem Wahrgenommenen Bedeutung zu verleihen mag. Somit muss jedes Experiment, das sich außerhalb der Reichweite der Sinne ansiedelt, durch Vernunft supplementiert werden. Diese Neubestimmung des Verhältnisses von Sinneswahrnehmung und Vernunft – so die These – wird sich auf den Status von demonstratio und persuasio auswirken, da sie auf einer Vernunft fußt, die selbst nicht experimentell validiert oder hinterfragt wird. Dieses ambivalente Verhältnis, ja Misstrauen gegenüber Experimenten, die einerseits offenbar notwendig sind, andererseits aber nicht allein die Substanz des Wissenschaftlichen garantieren können, durchzieht Mersennes Darstellung. 1. Hat der Klang ein „estre reel“? Der Autor will elementare Fragen klären und nutzt dazu elementare Versuchsaufbauten. Es geht um die in Musik überhaupt demonstrablen Sachverhalte, die Mersenne mit ausgeprägtem Methodenbewusstsein in Angriff nimmt: [B]etrachtet man die Verfahrensweise, deren ich mich bediene, um das Verhältnis der Oktave und anderer konsonanter, harmonischer Intervalle zu beweisen, so hängt diese in keiner Weise von der Länge oder Dicke der Saiten ab; weil ich von nichts anderem ausgehe als von den Bewegungen oder Schlägen der Luft; so dass man, wenn es in der Musik überhaupt etwas Beweisbares geben sollte, meiner Ansicht nach, zu dessen Bestimmung kein besseres Verfahren anwenden kann.4

Mersenne entwirft eine problemorientierte Agenda, auf der spezifische Fragen und Probleme formuliert sind, die eine Untersuchung erfordern und zu einer Schlussfolgerung führen. Die Verben, die in die Überschrif4

„[Q]uoy que si l’on considere la maniere dont ie me sers pour prouuer la raison de l’octaue, & des autres consonantes interualles harmoniques, elle ne depend nullement de la longueur, ou grosseur des chordes, parce qu ie n’vse d’autres chose que des seuls mouuemens, ou batemens d’air; de sorte que s’il y a quelque chose de demonstrable dans la Musique, l’on ne peut, à mon auis, y proceder auec vne meilleure methode [...].“ Marin Mersenne. „Premiere preface generale au lecteur“. Harmonie universelle, contenant la théorie et la pratique de la musique. 3 Bde. Anm. v. Autor u. eingel. v. François Lesure. Paris, 1963 [Nachdruck d. Ausgabe Paris, 1636], Bd. 1, S. Af.

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ten der verschiedenen propositions eingehen, lauten considérer, déterminer, expliquer, démonstrer. Sie lenken den Fokus auf konkretes Tun, auf ein unvoreingenommenes Erproben, Errechnen, auf Gegenproben. Im Text werden diese Tätigkeiten entfaltet, während sie geschehen bzw. ausgeführt werden. So wird der Leser Zeuge des Aufbaus und Fortgangs der konsequent empirisch ausgerichteten Untersuchung, ohne dass in umständlicher Weise andere Anschauungen oder Wissenspositionen kommentiert werden. Der Text konzentriert sich hier ganz auf die Formulierung des experimentellen Moments, das als spezifische Herausforderung erscheint. Zudem tritt die systematische und kumulative Herangehensweise hervor, mit der sich Mersenne allen denkbaren Dimensionen eines Phänomens nähert. Diese anwendungsorientierte Haltung wird dem Leser bereits im Premiere preface generale vermittelt. Nicht der Verweis auf hehre pythagoreische Traditionen findet hier Platz, sondern die gezielte Einstimmung auf technische Fragen, etwa nach der potentiellen Übereinstimmung von Luft- und ihnen entsprechenden Saitenbewegungen. Auch die Einladung zur Überprüfung der Aussagen durch den Leser,5 die bereits im „Preface au Lecteur“ angeklungen war,6 wird hier ausgesprochen. Mersennes Ausgangspunkt bei der Erkundung der physikalischen Grundlagen von Klang und Musik bildet die Kategorie der Bewegung (mouvement). Ihn interessiert, ob der Klang über eine wirkliche Existenz verfügt und wie er überhaupt gebildet wird: [...] zu wissen, ob der Klang – als Gegenstand oder Objekt der Musik und des Gehörs – ein wirkliche Existenz besitzt und was dieser ist: Denn es gibt viele, die glauben, dass der Klang, solange man ihn nicht hört, nichts sei und dass eine einfache Bewegung der Luft in keiner Weise Klang genannt werden könne, [...].7

Diese Überlegungen lassen die Einteilung der ersten Bücher der Harmonie universelle plausibel werden, in denen das Forschungsprogramm schrittweise umgesetzt wird: Erstes Buch: Über die Natur und die Eigenschaften des Klangs Zweites Buch: Über die Bewegungen von Körpern aller Art 5 6 7

„[...] selon les experiences que chacun peut faire à son loisir“. Ebd. Das ist die Einleitung zu den ersten Büchern, zusammengefasst als „Traitez de la natvre des sons, et des movvemens de toutes sortes de Corps“. Ebd., o. P. „[...] de sçauoir si le Son, que est le suiet, ou l’obiet de la Musique & de l’ouye, a vn estre reel, & quel il est: car il s’en trouue plusieurs qui croyent que le Son n’est rien, s’il n’est entendu, & que c’est vne simple impression de l’air qui ne doit point estre appellée Son, [...].“ Ebd. „Liure premier de la nature & des proprietez du Son“, Bd. 1, S. 1.

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Drittes Buch: Über die Bewegung, die Spannung, die Kraft, die Trägheit und andere Eigenschaften harmonischer Saiten und anderer Körper.8

Mersenne bietet zunächst keine völlig neuen Erkenntnisse, sondern knüpft an frühere Untersuchungen an. Gleichsam programmatisch beginnt er das Livre second mit einer kritischen Auseinandersetzung mit Galileis Experimenten zu fallenden Körpern.9 Ausgehend von der Überprüfung von Galileis Annahmen und der Wiederholung der Experimente korrigiert Mersenne dessen Schlussfolgerungen. Es handelt sich um eine umfassende kritische Sondierung von Galileis Versuchsaufbau, der verwendeten Maßeinheiten und mechanischen Annahmen. Mersenne kann sich auf nicht weniger als 50 eigene Wiederholungen berufen und untermauert seine Ergebnisse mit Hilfe einer Tabelle. Sie rundet eine Argumentation ab, die schrittweise Beobachtungen und eigenen Handlungsbericht verschränkt. Durch die genaue Mitteilung der Versuchsbedingungen und Ergebnisse zieht eine Objektivität ein, die auf empirisch-quantifizierenden Erkenntnissen beruht. Das Kriterium einer Validierbarkeit durch unabhängige Dritte verleiht der durch Mersenne textlich und tabellarisch erzeugten Evidenz erst ihre eigentliche Überzeugungskraft, ja sie scheint die Essenz eines guten Experiments auszumachen. Dass sich Mersenne bezüglich seiner physikalischen Prämissen im Rahmen der pseudoaristotelischen Mechanik bewegt und seinem Harmonie-Konzept der Charakter eines Axioms zukommt,10 die Experimente also nicht eigentlich die universelle Harmonie auf den Prüfstand heben, sondern eher die im Axiom beschlossenen Gewissheiten möglichst präzise zu erhärten suchen,11 muss hier vermerkt werden. Warum richtet Mersenne sein Augenmerk auf schwingende Saiten, denen der Großteil des dritten Buches gewidmet ist? Schwingende Saiten bieten eine anschauliche bzw. durch Mersenne ins Anschauliche gesteigerte Manifestation jener Luftschläge, deren Existenz er untersuchen möchte. Aus diesen Luftschlägen gehen Klänge hervor, die in Verbindung mit Musik und mit Harmonie stehen.12 Darüber hinaus lassen sich die Phänomene, Mersenne zufolge, auf der Basis der mechani8

9 10 11 12

„Liure premier de la nature et des proprietez du son Liure second des mouuemens de toutes sortes de corps Liure troisiesme du mouuement, de la tension, de la force, de la pesanteur, & des autres proprietez des chordes Harmoniques, & des autres corps.“ Ebd., Bd. 1. Vgl. ebd. „Liure second des mouuemens de toutes sortes de Corps“, Bd. 1, S. 85-156. Vgl. Dear (Anm. 3), S. 116. Vgl. Crombie (Anm. 1), S. 406. Vgl. Dear (Anm. 3), S. 167.

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Abb. 1: Diskussion der Galilei’schen Experimente mit fallenden Körpern mit Angaben eigener Messreihen aus dem „Livre second des Mouvements de toutes sortes de corps“ der Harmonie universelle von Marin Mersenne (Paris, 1636).

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schen Eigenschaften von Gewichten analysieren und experimentell darstellen. Seine Überlegungen, die in die Entwicklung des nach ihm benannten Gesetzes mündeten,13 kreisen um die Frage, inwieweit die Schwingungsfrequenz mit physikalischen Variablen der Klangerzeugung wie Saitenspannung, -dichte und -durchmesser sowie mit der jeweils erzeugten Tonhöhe zusammenhängt und inwieweit diese Beziehungen die mathematischen Harmonien verkörpern, die in Form des Klanges ausgedrückt werden.14 Mersenne entdeckt in den Frequenzverhältnissen konsonanter Intervalle die gleichen Verhältnisse wie in pythagoreischen Zahlen, jedoch in inverser Form. Da dies auf sein Axiom universeller Harmonie zurückgeht, wird die Natur dieser Beziehung nicht näher überprüft. Mersenne gelingt es, den vormals als formale Voraussetzungen erachteten pythagoreischen Verhältnissen eine gleichsam physikalische Intelligibilität – Klang wird reine Bewegung – zu verleihen, er befasst sich jedoch nicht mit der Frage, warum wir bestimmte Intervalle als konsonant erachten.15 Dafür dringt Mersenne in zuvor nicht unternommener Art in die Mechanik schwingender Saiten und die damit verbundenen Probleme der Quantifizierung und Wahrnehmung ein. 2. Vernunft als Korrektiv Im Livre troisieme, das die Bewegungen physikalischer Körper untersucht, präzisiert er das Wechselspiel von physikalischen Phänomenen, deren Messung und der Rolle der Vernunft. In der Proposition II, die das Ausschwingverhalten von Saiten in den Mittelpunkt rückt, insbe13

14 15

Vgl. einführend in die Akustik der Frühen Neuzeit Sebastian Klotz. „Akustik“. Enzyklopädie der Neuzeit. Hg. v. Friedrich Jaeger. Stuttgart u. Weimar, 2005, Bd. 1, S. 175-178; zu Mersennes Gesetz vgl. Sigalia Dostrovsky u. a. „Physics of Music“. The New Grove Dictionary of Music and Musicians. 29 Bde. Hg. v. Stanley Sadie. 2. Aufl. London, 2001, Bd. 19, S. 635-649. Eine detaillierte Diskussion bieten Sigalia Dostrovsky u. John T. Cannon. „Entstehung der musikalischen Akustik (1600-1750)“. Carl Dahlhaus u. a. Hören, Messen und Rechnen in der frühen Neuzeit (= Geschichte der Musiktheorie, Bd. 6). Darmstadt, 1987, S. 7-79. Zu Mersennes Musiktheorie vgl. Wilhelm Seidel. „Französische Musiktheorie im 16. und 17. Jahrhundert“. Ders. u. Barry Cooper. Entstehung nationaler Traditionen: Frankreich, England (= Geschichte der Musiktheorie, Bd. 9). Darmstadt, 1986, S. 5682. Vgl. Dear (Anm. 3), S. 152 u. S. 158. Ebd, S. 158.

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sondere die Frage, in welchem Maß und unter welchen Bedingungen sich die Schwingungen beim Durchgang durch die gedachte Ruheposition reduzieren, konstatiert er angesichts extrem kleiner kontinuierlicher Modifikationen: Aber die Experimente sind so schwierig, dass man selbst bei einer 1000 Fuß langen Saite nicht sicher sein und dass man die Orte, zu denen die Saite jedes Mal zurückschwingt, nicht genau bestimmen kann, so dass man bezweifeln könnte, ob die Saite diese nicht doch überschritten hat; und ob sie genau innerhalb der markierten Punkte hin und her schwingt; deshalb ist es immer notwendig, dass die Vernunft in den Experimenten, die für sich genommen nur die Grundsätze der Genauigkeit erfordernden Wissenschaften liefern können, das ergänzt, was den Sinnen entgeht.16

Diese Bedenken gegenüber dem bloßen Hinschauen oder Hinhören erstrecken sich auch auf Gewissheiten wie das pythagoreisch legitimierte Verhältnis 2:1 für die Oktave: [M]ittels der Sinne kann man zum Beispiel nicht zeigen, dass die Saite eines Spinetts zwei oder drei Mal so lang, so dick oder gespannt ist wie eine andere, denn selbst wenn man dafür nur den hunderttausendsten Teil einer Länge von zwei Fuß benötigt, so ist es unmöglich, es zu bemerken: Aus diesem Grund wäre es unmöglich, jemanden, der behauptet, dass die Oktave nicht einem Verhältnis von 2 zu 1 entspricht und dass die längste Saite wenigstens die Hälfte, ungefähr den hunderttausendsten Teil, überschreiten muss, durch die Erfahrung des Auges, der Hand und des Ohres vom Gegenteil zu überzeugen.17

Aus dieser sinnlichen Unzulänglichkeit des Menschen ergibt sich die Unfähigkeit, die den Menschen umgebende ewige Harmonie der Natur wahrzunehmen und rein experimentell zu begründen. Damit relativiert sich die erkenntnisfördernde Funktion der Experimente, die genau dort versagen, wo die menschlichen Sinne und motorischen Vermögen an 16

17

„Mais les experiences sont si difficiles qu’à moins d’vne chorde de mille pieds on ne peut s’en asseurer; & l’on n’est iamais si certain des endroits où elle reuient à chaque tour, que l’on ne puisse douter si elle n’a point passé outre, & si elle a iustement terminé ses allées & ses venuës aux points que l’on marque; de sorte qu’il est tousiours necessaire que la raison supplée quelque chose dans les experiences, qui seules ne peuuent seruir de principes pour les sciences, qui desirent vne parfaite iustesse, que les sens ne peuuent remarquer […].“ Mersenne. „Liure troisiesme du mouuement & du son des chordes“ (Anm. 4), Bd. 1, S. 162. „[...] par exemple l’on ne peut demonstrer par les sens qu’vne chorde d’Epinette soit deux, ou trois fois plus longue, plus grosse, ou plus tenduë qu’vne autre, car s’il s’en faut seulement vne cent milliesme partie sur deux pieds, [...] c’est pourquoy si quelqu’vn maintenoit que l’Octaue n’est pas de deux à vn, & que la plus longue chorde doit exceder la moindre de moitié, plus ou moins d’vne cent milliesme partie, il seroit impossible de le conuaincre par l’experience de l’œil, de la main, ou de l’oreille.“ Ebd., S. 162f.

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ihre mechanischen und wahrnehmungstechnischen Grenzen stoßen. Bezeichnenderweise leitet Mersenne den Passus mit einem Fazit seiner saitenphysikalischen Untersuchungen ein. Der axiomatische Charakter der harmonie universelle manifestiert sich auch in den Bezirken, die wahrnehmungstechnisch keine Bestätigung erhalten können: Die letzten Schwingungen der Saite sind so klein, dass, wenn alles in der Welt Existierende, zum Beispiel die Erde, die Mauern und alles, was wir sehen und berühren, sich in gleicher Weise hin und her bewegen würde, wir es unter keinen Umständen wahrnehmen könnten; auch wenn niemand es hört, können die Körper der Welt eine ewige Harmonie bilden, so dass wir geneigt sind, uns demütig in unsere Unwissenheit zu fügen, der wir nur insofern Abhilfe schaffen können, so weit es Gott gefällt, uns aus der uns auferlegten Unzulänglichkeit der Sinne zu befreien.18

Die durch Mersenne angegebenen Fraktionen in Form eines Dezimalbruches, der im Nenner eine mehrere Dutzend Nullen umfassende Größe aufweist, lassen sich zwar notieren und sie repräsentieren die physikalische Differenz zwischen zwei unmittelbar aufeinander folgenden Saitendehnungen im Ausschwingvorgang, können aber kein sinnliches Korrelat mehr erhalten. Das Axiom der universellen Harmonie bürgt für die Kontinuität der Natur; lediglich kraft der theologischen Einbettung der Mersenne’schen Experimente und der Mobilisierung der raison lassen sich die beobachteten Phänomene überhaupt auf diese Kontinuität beziehen,19 so dass nicht mehr eine beobachtbare, im wörtlichen Sinn spektakuläre, sondern lediglich eine notierbare Evidenz (Dezimalbrüche) für die Kontinuität der Natur einstehen kann. Raison fungiert als Korrektiv für experimentell gewonnene Evidenz, in der Sicht- und Hörbares nicht mehr enggeführt werden können. Der Klang verfügt offenbar über eine reelle, materielle Existenz, die sich unter bestimmten Bedingungen weder visuell noch akustisch bemerken lässt. Wo die Augen bei der Unterscheidung einzelner Vibrationen versagen, nimmt das Ohr eben „Klang“ wahr – es sei denn, sie liegen im nieder- oder extrem hochfrequenten Bereich. Das Auge könne mehr als zehn Vibrationen pro Sekunde nicht unterscheiden, während 18

19

„Les derniers retours de la chorde sont si petits que si tout ce qui est au monde, par exemple la terre, les murailles, & tout ce que nous voyons, & ce que nous touchons se mouuoir par de semblables tours & retours, nous ne pourrions l’apperceuoir en aucune façon; de sorte que tous les corps du monde peuuent faire vne perpetuelle harmonie, quoy que nul ne l’entende, & que nous auons sujet de nous humilier dans nostre ignorance, à laquelle nous ne pouuons remedier iusques à ce qu’il plaise à Dieu de nous deliurer de l’obligation que nous auons à la stupidité des sens.“ Ebd., S. 168. Zur theologischen Einbettung vgl. Gouk (Anm. 2), S. 171.

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das Ohr erst ab zwanzig Vibrationen pro Sekunde den Klang einer schwingenden Saite wahrnehmen könne.20 Das Spektakulär-Sichtbare erweist sich damit als ein Sonderfall der Realität von Klängen. Die Performanz des Wissens aus akustischen Beobachtungen reicht kraft der axiomatischen Potenz der harmonie universelle, die im Einklang mit der raison steht, über diesen Sonderfall hinaus. 3. Musikalische ars combinatoria als Auffaltung von Evidenz Neben dieser experimentell und durch Vernunftgebrauch regulierten Evidenz greift Mersenne in der Harmonie universelle auf einen anderen Modus der Evidenzerzeugung zurück: auf die ars combinatoria. Dieser Modus trägt insofern ebenfalls experimentelle Züge, als Mersenne den sich quasi selbst entfaltenden Tonpermutationen freien Lauf lässt, um im Nachhinein zu entscheiden, welche von diesen auch ästhetisch akzeptabel seien.21 In der umfassenden, jede Variante enthaltenen mehrseitigen Wiedergabe der Permutationen scheint eine Evidenz auf, die einerseits mit dem Topos des mundus combinatus verknüpft ist, andererseits ein pragmatisch nutzbares Archiv aller denkbaren Optionen darstellt. Die systematisch aufgefächerten, diskreten Varianten erscheinen wie das Protokoll eines Experiments, dessen Gegenstand nun nicht mehr schwingende Saiten, sondern Tongruppen sind. Mit Hilfe der Prozedur können sie vollständig dokumentiert werden. Die Varianten leisten eine ähnliche Auffächerung des Mediums Musik wie Mersennes schrittweise Überprüfung des Vibrationsspektrums von Saiten, jedoch ist ihre Evidenzerzeugung unabhängig von den Sinnen.22

20 21

22

Vgl. Mersenne (Anm. 16), S. 170. Mersenne erläutert das Verfahren im „Livre des chants“ seiner Harmonie universelle. Dort sind beispielsweise die 720 resultierenden Hexachordpermutationen abgedruckt, was mehrere Seiten in Anspruch nimmt. Vgl. Mersenne (Anm. 4), Bd. 2, S. 111-115. Vgl. dazu ausführlich das dritte Kapitel „Musikalische Anwendungen des kombinatorischen Kalküls von Mersenne bis Caramuel“ in Sebastian Klotz. Kombinatorik und die Verbindungskünste der Zeichen in der Musik zwischen 1630 und 1780. Berlin, 2006.

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4. Komponieren als Evidentmachen Ein weiterer Modus der Evidenzerzeugung lässt sich in der zeitgenössischen Komposition entdecken, die in enger Verbindung mit wissenschaftlichen Prämissen und der Praxis des Experiments stand. Der Komponist und königliche Kapellmeister Eustache Du Caurroy (1549-1609), den Mersenne ob der „grande harmonie de sa composition“ ebenso würdigte wie Salomon de Caus in seiner Institution harmonique (1615),23 paraphrasierte seine kompositorische Tätigkeit explizit als eine Form des Lösens von Problemen. Die Musik, die er als Teil der Mathematik erachtete, verfüge wegen dieser wissenschaftlichen Fundierung über eine hohe Anschaulichkeit und über unfehlbare, sichere Wirkungen. In der Widmung an den König heißt es: [S]o begannen sich vor meinen wachen Augen die Schwierigkeiten dieser Wissenschaft mehr und mehr aufzulösen [...]. Und in dem Maße, wie diese Wissenschaft – als Teil der Mathematik – anschaulich und sehr gewiss ist, ist es ebenso unmöglich, dass sie keine bewundernswerten Effekte erzeugt.24

Du Caurroys Argumentation ist ähnlich wie Mersennes axiomatischer Gebrauch der harmonie universelle angelegt. Die eigentlichen Funktionsweisen der wundersamen musikalischen Wirkungen (Du Caurroy) und der Universalharmonie (Mersenne) werden nicht ergründet, sondern liegen allen Erwägungen unhinterfragt zugrunde. Der Komponist disponiert seinen musikalischen Satz genauso sorgfältig wie Mersenne seine Experimentaldesigns. Beide vergewissern ihre Leser bzw. Hörer von der Existenz der universellen Harmonie. Der Komponist operiert zwar nur im Raum des Wahrnehmbaren, betreibt aber wie Mersenne eine Form von Mathematik, deren Regulativ die Harmonie ist. War es Mersenne gelungen, den Schwingungsphänomenen eine physikalische Intelligibilität zu verleihen, führt Du Caurroy diese Intelligibilität hinüber in die Sphäre ästhetisch-rhetorischer Wirkungen. Die Herausforderung des Komponierens besteht in der Ummünzung einer mathematischen in eine sinnlich vernehmbare Evidenz. Die Gattung der fantasie erfüllt ihren Demonstrationszweck, indem es ihr gelingt, allein aus ih23

24

Vgl. hierzu die Einleitung von Marie-Alexis Colin zu Eustache Du Caurroy. Preces ecclesiasticæ (= Musica Gallica, Centre d’Études Supérieures de la Renaissance, Collection „Épitome musical“, 3). Hg. v. Marie-Alexis Colin. Paris, 2000 [Nachdruck d. Ausgabe Paris, 1609], S. XII u. S. XIV. „[...] ç’a esté les yeux ouuerts pour me resoudre de plus en plus sur les difficultez de ceste science [...]. Et d’autant que ceste science faisant partie des Mathematiques, est demonstratiue & tres-certaine, il est impossible qu’elle ne produise d’admirables effects [...].“ Ebd., S. LIX.

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ren Klängen heraus eine Evidenz zu stiften, die keine außermusikalischen Verweise mehr in Anspruch nimmt.25 Als reine Performanz von „batemens d’air“ im Mersenne’schen Sinn wird die Fantasie zu einem Schauplatz gleichsam experimentell erkundeter, klanglicher Möglichkeiten der corps harmonieux. Die Parallelen zwischen Mersennes Traktat und Du Caurroys Sammlung von Fantasien gehen über diese Betrachtungen hinaus. Der Komponist durchschreitet in seinen 42 Werken wie in einer Summa des musikalisch Möglichen die verschiedensten kontrapunktischen Stilistiken, Imitationen, Proportionen und Schlussarten. Auf das sorgfältige considérer dieser von der pythagoreischen Zahl beherrschten Zusammenhänge folgt ihre Demonstration, die stets in eine Harmonie mündet. Du Caurroy legt dieselbe Ordnung offen,26 bemüht sich um das Evidentmachen derselben Wahrheiten, die Mersenne in seinen Experimenten und seinen systematisch angelegten propositions thesenartig formuliert und im Laufe der Diskussion bestätigt findet. Du Caurroy gelingen dabei musikalische Lösungen, die das prompte Verständnis seitens der Zuhörer ermöglichen.27 Dieses Verstehen bezieht sich auch auf moralische Qualitäten, die in der Musik angelegt sind.28 So kann Du Caurroy der Musik hier eine moralische Intelligibilität verleihen. Er ähnelt darin Mersenne, dem an der Intelligibilität physikalischer Vorgänge gelegen ist: Ohr und Verstand werden gleichermaßen adressiert. Mersenne nimmt analytisch Bezug auf eine Psalm-Motette Misericordias Domini Du Caurroys, um auf physikalisch-mathematische Zusammenhänge hinzuweisen. Er trägt seine Erkenntnisse über Schwingungszahlen an ein komplexes polyphones Werk heran, um gleichsam die Güte seiner eigenen physikalischen Argumentation, die einer tiefer 25

26

27

28

Die Instrumental-Fantasie, ob für Soloinstrument oder für Ensemble, emanzipiert sich im frühen 17. Jahrhundert von der Vokalmusik. Anders als die Gattungsbezeichnung suggeriert, ist sie eine strenge Gattung, in der das Medium Musik ‚zu sich selbst‘ kommen muss. Das systematische Durchschreiten musikalischer Parameter, aber auch die rhetorische Diskursivierung, mit der die Fantasie auf die abstrakte Artikulation von Affektlagen zielt, wurden als Strategien herangezogen, mit der die Fantasie ihre Struktur allein aus sich selbst begründete. Vgl. Jean-Michel Vaccaros Begleittext zur CD Du Caurroy. XXIII Fantasies à III. IIII. V. et VI. parties. Hespèrion XX, Jordi Savall. Erschienen auf Astrée Audivis 1999, dt. Fassung, S. 10f.; dort ohne Verweis auf Mersenne. „Prompt entendement“ heißt es in der Widmung der Fantasies. Zit. n. d. Ausgabe Eustache Du Caurroy. Fantasies à III. IIII. V. et VI. parties (= Les Œuvres Complètes de Eustache du Caurroy, Collected Works, 9/1). Hg. v. Blaise Pidoux u. d. Institute of Mediaeval Music. New York, 1975 [Nachdruck d. Ausgabe Paris, 1610]. „[L]a facilité de discerner promptement le bien & le mal“. Ebd.

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liegenden Wahrheit Ausdruck verleiht, anhand von Du Caurroys Stimmfortschreitungen zu belegen.29 Mersenne misst das Werk regelrecht aus. Bisher war in Traktaten auf Kompositionen als exempla verwiesen worden, um die kontrapunktische Regelhaftigkeit bzw. Verstöße gegen diese zu verdeutlichen. Das minutiöse, in Tabellenform wiedergegebene Abmessen von Schwingungsverhältnissen einer Komposition stellt ein Novum dar. Es führt vor Augen, dass von einer Trennung von Kunst und Wissenschaft nicht die Rede sein kann. Beide Modi unterliegen schlicht einer zahlenbasierten science. ‚Musik‘ lässt sich diagrammatisch offenbar genau so anschreiben wie die Messergebnisse der Schwerkraftversuche, die Mersenne zur Überprüfung der Ergebnisse Galileis notiert hatte. Die tabellarische Evidenz tut der moralischen Macht der Musik keinen Abbruch. Der 1609 verstorbene königliche Kapellmeister dürfte Mersenne vorgeschwebt haben, als er als eigentliche Zielgruppe seiner Harmonie universelle nicht etwa Philosophen, Mathematiker oder Naturforscher, sondern Musiker ins Auge fasste. Eine Du Caurroy gewidmete Elegie von Laurent de la Hyre in den 1610 postum erschienenen Fantasies beschwört im fünften Vers das Vermögen des Komponisten, die verschiedenen musikalischen Parameter zu integrieren: Les beaux airs, les accords, l’ordre, les consonances Sont des sens l’ameçon, Et l’art des liaysons, le terme des cadences Les mét à l’vnisson.30

Im Ideal des einstimmigen unisono, das Mersenne als wirkungsmächtigste, noch über der Oktave stehende Konsonanz einschätzte,31 vollzieht sich eine Apotheose aller akustisch-mathematischen Gesetze und Experimente. Gegenüber dem anderen Extrem, der kunstvollen Auffächerung und Diversifizierung des Satzes und aller musikalischen Mittel, stellt der unisono die Kulmination experimenteller Engführung der Parameter und der Evidenz von Harmonie schlechthin dar.32 Im Bedürfnis der Einschwörung auf den unisono, in dem die Luftschläge in idealer Einheitlichkeit erfolgen und damit eine höhere Kraft und Resonanz als bei anderen Konsonanzen erlangen, dürften religiöse Interessenlagen eine Rolle gespielt haben. Du Caurroy galt als Reformator der französi29 30 31 32

Vgl. Mersenne. „Livre qvatriesme de la composition de Mvsiqve“ (Anm. 4), Bd. 2, S. 197-282. Vgl. dazu detailliert Seidel (Anm. 13), S. 64-69. Zit. n. Du Caurroy (Anm. 27), Abb. 2. Vgl. Seidel (Anm. 13), S. 70-72. Seidel spricht davon, dass der Unisonus bei Mersenne für eine „stumme Kontemplation [...] als höchste Form der Musik“ einsteht. Seidel (Anm. 13), S. 71.

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Abb. 2: Ausschnitt aus der Diskussion der Motette Misericordias Domini von Du Caurroy im „Livre quatrième de la composition de musique“ der Harmonie universelle von Marin Mersenne (Paris, 1636). Dem vierstimmigen Ausschnitt der Komposition weist Mersenne relative Schwingungszahlen zu (oben). Die absoluten Schwingungszahlen sind für die Bassstimme unten dargestellt.

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schen Kirchenmusik. Mersenne vertrat eine konservative, auf den Erhalt von Harmonie im axiomatischen Sinn gerichtete Haltung. 5. Musik als Modell experimenteller Forschung Mersennes experimentell basierte Evidenzproduktion wird nur im Spannungsfeld aus Innovation und Apologie, von Neugier und Konservatismus zu beschreiben sein. Sein hochgradig reduktionistischer und damit tatsächlich neuzeitlicher Ansatz – Musik wird zu einer Folge von Luftschlägen – konnte wohl nur deshalb durchgehalten werden, weil die über das Akustische weit hinausreichende Substanz von Musik wegen der ontologischen Gültigkeit der harmonie universelle nie wirklich zur Disposition stand. Diese Konstellation führt Mersenne zur Entwicklung einer Experimentalagenda für schwingende Körper, in der sich die Problematik der durch Gottfried Wilhelm Leibniz formulierten unmerklichen Perzeptionen ankündigt. Gleichzeitig betrachtet Mersenne infinitesimale Größen nur unter dem Gesichtspunkt der Quantifizierung, nicht im Hinblick auf die eigentlich innovative Thematik der Wahrnehmung. Die programmatische Kondensierung von harmonie in Gestalt des unisono wich den konkurrierenden Subjektivitätskonzepten aus, die Thomas Hobbes und Robert Hooke entwickelten. Ein und dasselbe Phänomen, schwingende Saiten, wurde durch Mersenne im Einklang quasi als pure Potenz von harmonie stillgestellt, bei seinen englischen Zeitgenossen dagegen als Metapher für die spannungsgeladene frühmoderne Subjektivität genutzt.33 Das Verhältnis von Vibration und Vernunft sowie zwischen den Agenturen seiner Evidenzbildung wurde damit neuerlich umgepolt und verlieh dem akustischen Forschungsprogramm der Royal Society Profil. Der Minorit Mersenne praktiziert eine Neubegründung der Performanz des Wissens in dem Sinn, dass er alle metaphorischen und symbolischen Zuschreibungen der Harmonie, wie sie in neuplatonischen Traditionen und im barocken Wissensraum geprägt wurden, zugunsten einer auf das pure mechanische Vibrieren und dessen Quantifizierung gerichteten Analyse abstreift. Sein experimentelles Handeln ist extrem sachlich. Mersenne studiert nicht die Effekte der Natur. Sein Traktat lotet experimentelle Verfahren narrativ aus. In der systematischen Abfolge von proposition, resolution, conclusion behandelt Mersenne die Phä33

Vgl. Jamie Croy Kassler. Inner Music. Hobbes, Hooke and North on Internal Character. London, 1995.

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nomene, die sich prinzipiell mit sprachlichen Mitteln beschreiben lassen. Skalierungen und Parametrisierungen erscheinen nur am Rande. Unter Verzicht auf komplizierte Versuchsanordnungen und auf spezialisierte Instrumente operiert er bei der Analyse von Schwingungseigenschaften im Raum der klassischen Mechanik. Dabei installiert er eine Präzision, die sich aus der raison und aus einem Gespür für physikalische Phänomene speist. An die Stelle der jesuitischen Instruktion, die didaktisch an ästhetische Wahrnehmungsweisen gebunden war, setzt der ausgebildete Jesuit Mersenne die Autorität von Präzision und Quantifizierung. Aus der akustischen Naturforschung des 16. Jahrhunderts wird bei Mersenne eine Experimentalwissenschaft. Mit der Harmonie universelle dokumentiert Mersenne den unglaublich hohen Anspruch an wissenschaftlicher Neugier und Aufnahmefähigkeit, den er bei seinen potentiellen Lesern, den Musikern, voraussetzte. Schließlich erweist sich die Musik einmal mehr als Modell in den frühneuzeitlichen Wissenschaften, das zur Formulierung neuer Experimentalpraktiken herausforderte, obgleich dies, wie im Falle Mersennes, nur unter dem schützenden Schirm einer garantierten universellen Harmonie geschehen konnte.

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LITERATURVERZEICHNIS Crombie, Alistair C. „Marin Mersenne and Scientific Acceptability“. Physis 7 (1975), S. 186-204. Crombie, Alistair C. Science, Art and Nature in Medieval and Modern Thought. London, 1996. Dear, Peter. Mersenne and the Learning of the Schools. Ithaca u. London, 1988. Dostrovsky, Sigalia u. a. „Physics of Music“. The New Grove Dictionary of Music and Musicians. 29 Bde. Hg. v. Stanley Sadie. 2. Aufl. London, 2001, Bd. 19, S. 635-649. Dostrovsky, Sigalia u. John T. Cannon. „Entstehung der musikalischen Akustik (16001750)“. Carl Dahlhaus u. a. Hören, Messen und Rechnen in der frühen Neuzeit (= Geschichte der Musiktheorie, Bd. 6). Darmstadt, 1987, S. 7-79. Du Caurroy, Eustache. Fantasies à III. IIII. V. et VI. parties (= Les Œuvres Complètes de Eustache du Caurroy, Collected Works, 9/1). Hg. v. Blaise Pidoux u. d. Institute of Mediaeval Music. New York, 1975 [Nachdruck d. Ausgabe Paris, 1610]. Du Caurroy, Eustache. Preces ecclesiasticæ (= Musica Gallica, Centre d’Études Supérieures de la Renaissance, Collection „Épitome musical“, 3). Hg. v. Marie-Alexis Colin. Paris, 2000 [Nachdruck d. Ausgabe Paris, 1609]. Gouk, Penelope. „Marin Mersenne. A Model of Harmony“. Music, Science and Natural Magic in Seventeenth-Century England. New Haven u. London, 1999, S. 170178. Kassler, Jamie Croy. Inner Music. Hobbes, Hooke and North on Internal Character. London, 1995. Klotz, Sebastian. „Akustik“. Enzyklopädie der Neuzeit. Hg. v. Friedrich Jaeger. Stuttgart u. Weimar, 2005, Bd. 1, S. 175-178. Klotz, Sebastian. Kombinatorik und die Verbindungskünste der Zeichen in der Musik zwischen 1630 und 1780. Berlin, 2006. Mersenne, Marin. Harmonie universelle, contenant la théorie et la pratique de la musique. 3 Bde. Anm. v. Autor u. eingel. v. François Lesure. Paris, 1963 [Nachdruck d. Ausgabe Paris, 1636]. Seidel, Wilhelm. „Französische Musiktheorie im 16. und 17. Jahrhundert“. Ders. u. Barry Cooper. Entstehung nationaler Traditionen: Frankreich, England (= Geschichte der Musiktheorie, Bd. 9). Darmstadt, 1986, S. 56-82.

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„I thought it worth the tryal“. Wissenschaftliche und literarische Experimente der englischen Restaurationszeit 1. Spektakuläre Wissenschaft: Rhetorik des Experiments Wenn Wissenschaftler der englischen Restaurationsjahre sich zur „experimentellen Philosophie“ ihrer Zeit äußerten, bezogen sie sich in aller Regel auf die Schriften eines Renaissance-Philosophen. So ließ etwa Thomas Sprat in seiner History of the Royal Society (1667) keinen Zweifel daran, dass es Francis Bacon war, der am Beginn des Jahrhunderts die Maßstäbe für die neue experimentelle Wissenschaft gesetzt hatte: In [Bacon’s] Books there are every where scattered the best arguments, that can be produc’d for the defence of Experimental Philosophy; and the best directions, that are needful to promote it.1

Tatsächlich hatte Bacon die theoretischen Grundlagen für eine neue „experimental philosophy“ formuliert. Rhetorisch geschickt präsentierte Bacon diese als goldenen Mittelweg zwischen zwei existierenden Formen der Wissenschaft, deren einseitige Ausrichtung bislang einen wahren Wissensfortschritt verhindert hatte. So mochten zeitgenössische Erfinder und Techniker zwar nutzenorientiert arbeiten, doch mangelte es ihnen dabei an methodisch-systematischem Vorgehen. Die Anhänger der mittelalterlichen Scholastik hingegen entwickelten zwar hochkomplexe Begriffssysteme, doch versäumten sie es, diese an der Praxis zu prüfen. Die „experimentelle Philosophie“ sollte die Vorzüge beider Arbeitsweisen verbinden; sie verstand sich, wie Bacon formulierte, als Neuvermählung der Werkzeuge der Erfahrung mit denen des Denkens.2 Eine 1

2

Thomas Sprat. The History Of The Royal-Society Of London, For the Improving of Natural Knowledge. Hg. v. Jackson Irving Cope u. Harold Whitmore Jones. St. Louis, 1958 [Nachdruck d. Ausgabe London, 1667], S. 35. Vgl. Francis Bacon. „The Great Instauration. Preface“. The Works of Francis Bacon.

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zentrale Bedeutung in dieser neuen Wissenschaft kam Instrumenten zu, die nach Bacon als „verlängerte Organe“ des Menschen anzusehen waren. Hatten die Unzulänglichkeiten der menschlichen Wahrnehmung, „the dulness, incompetency, and deceptions of the senses“,3 in der Vergangenheit zu zahlreichen Fehleinschätzungen über die Natur geführt, so sollten technische Instrumente diese nun kompensieren. Mit Blick auf die von ihm propagierte Erneuerung der Wissenschaften schrieb Bacon: Neither the naked hand nor the understanding left to itself can effect much. It is by instruments and helps that the work is done, which are as much wanted for the understanding as for the hand.4

Wenn im England des siebzehnten Jahrhunderts der Aufschwung der Naturwissenschaften von zahlreichen Polemiken gegen die rhetorischen Künste und die poetische Literatur begleitet wurde,5 so hatte Bacon auch hierfür erste Anstöße gegeben. Die fiktionale Literatur richtete sich nach Ansicht des Philosophen an genau jene Vorurteilsstrukturen des menschlichen Intellekts, welche die Wissenschaft gerade zu beseitigen suchte. Wenn Bacon die Neigung des Menschen bemängelte, der Natur in vorschneller Weise eine Regelmäßigkeit und Schönheit zu unterstellen, welche diese tatsächlich nicht besaß,6 so richtete sich dieser Vorwurf gegen eine Wirklichkeitserfahrung, welche die Literatur für sich in Anspruch nahm.7 Dass Bacon die falschen Lehrmeinungen in den Wissenschaften mit den Produktionen eines philosophical theatre verglich, verwundert deshalb nicht.8 Mochte Bacon sein abschließendes Urteil über die Literatur aber auch mit der lapidaren Bemerkung wiedergeben: „It is not good to stay too long in the theatre“, so sollte dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Wissenschaften des siebzehnten Jahrhunderts sich zugleich mit sehr viel Pathos zu inszenieren wussten. Seit Bacon die experimentelle Forschung zum Werkzeug einer Erneuerung des menschlichen Wissens erklärt hatte, haftete der Wissenschaft in der Tat etwas Spektakuläres an. Bacon bediente sich der Rhetorik des Neuen dabei keineswegs nur, um das Interesse der Öffentlichkeit auf seine

3 4 5 6 7 8

14 Bde. Hg. v. James Spedding, Robert L. Ellis u. Douglas D. Heath. StuttgartBad Cannstatt, 1963 [Nachdruck d. Ausgabe London, 1857-1874], Bd. IV, S. 19. Francis Bacon. „The New Organon“. The Works of Francis Bacon (Anm. 2), Bd. IV, S. 58. Ebd., S. 47. Vgl. ausführlicher hierzu Richard Nate. Wissenschaft und Literatur im England der frühen Neuzeit. München, 2001, S. 143ff. Vgl. Bacon (Anm. 3), S. 55. Vgl. ebd., S. 63. Vgl. ebd., S. 63f.

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Schriften zu lenken, sondern er nutzte sie auch, um die Wissenschaft insgesamt mit einer heilsgeschichtlichen Bedeutung auszustatten. So zeigt etwa das Vorwort seiner Instauratio Magna sehr deutlich, dass sich mit der angestrebten „großen Erneuerung“ nicht weniger verbinden sollte als eine Aufhebung der Folgen des Sündenfalls. Das reformierte Wissen, welches die experimentelle Forschung ermöglichen sollte, markierte nach dieser Rhetorik auch den Anbruch einer neuen Menschheitsepoche. Die Symbolik des Emblems, welches Bacon seiner Instauratio Magna voranstellte, zeigt, dass die Neue Wissenschaft tatsächlich als ein Ereignis von epochaler Bedeutung präsentiert wurde. So wie die zeitgenössischen Seefahrer jenseits der „Säulen des Herkules“, welche die Grenze der antiken Welt bezeichnet hatten, den Europäern eine neue Wirklichkeit erschlossen, so sollten die Wissenschaftler die Grenzen des antiken Wissens sprengen. Für die heilsgeschichtliche Bedeutung, die Bacon beiden Vorgängen zumaß, spricht das dem Emblem beigefügte Zitat des biblischen Propheten Daniel: „Multi pertransibunt et augebitur scientia“ oder in zeitgenössischer englischer Übersetzung: „Many shall run to and fro, and knowledge shall be increased.“9 Als Thomas Sprat, der wie viele seiner Zeitgenossen ein erklärter Bewunderer Bacons war, seine Geschichte der Royal Society publizierte, bot er darin der königlichen Gesellschaft vor allem eine Gelegenheit zur öffentlichen Selbstdarstellung. Auch bei Sprat zeigt sich, dass die experimentelle Philosophie nicht nur wissenschaftliche, sondern auch kulturelle und politische Implikationen besaß. Für den Anglikaner Sprat diente die wissenschaftsmethodische Ausrichtung der Royal Society nicht zuletzt als Beweis dafür, dass nach zwei Jahrzehnten eines puritanischen Irrationalismus in England nun endlich wieder die Vernunft das Sagen hatte. Im siebten Jahr der Restauration der Monarchie durch Charles II. schien es ratsam, dass Sprat die puritanischen Vorläufer, welche die Royal Society durchaus besaß, herunterspielte und stattdessen die Seelenverwandtschaft betonte, die zwischen einer vernunftorientierten Wissenschaft und der restaurierten englischen Monarchie bestand. Mit dem königlichen Privileg aus dem Jahre 1662, das Sprat im Wortlaut wiedergibt,10 war die englische Wissenschaftsgesellschaft auch zu einem offiziellen Aushängeschild der Restaurationskultur geworden. Demgemäß erscheint der König auf der Titelseite der History im Zentrum des Bildes mit Francis Bacon als spiritus rector auf 9 10

Francis Bacon. „Novum Organum. Instauratio Magna“. The Works of Francis Bacon (Anm. 2), Bd. I, S. 119. Vgl. Sprat (Anm. 1), S. 134ff.

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Abb. 1: Frontispiz zu Thomas Sprat. History Of the Royal-Society Of London, For the Improving of Natural Knowledge (London, 1667).

der rechten und Lord Brouncker, dem ersten Präsidenten der Gesellschaft, auf der linken Seite. Mit einigem Stolz vermerkte Sprat, niemand anderes als der König selbst habe sich der „experimentellen Philosophie“ verschrieben und unterstütze die Anliegen der Gesellschaft mit seinen eigenen Forschungen.11 11

Vgl. ebd., S. 133.

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Die repräsentative Funktion, welche die Royal Society erfüllte, zeigt sich nicht zuletzt darin, dass Sprat den Siegeszug der „experimentellen Philosophie“ explizit mit dem politischen Schicksal Englands verknüpfte. Die erfolgreiche Umsetzung des Bacon’schen Wissenschaftsprogramms, so der Autor, sei ein Zeichen dafür, dass England in zukünftigen Jahrzehnten eine Führungsrolle in der Welt einnehmen werde. Bacons Seereisende, so ließen Sprats Ausführungen im Nachhinein erahnen, waren nicht nur als Entdecker, sondern auch als Eroberer unterwegs. Überhaupt war es, wie Sprat hervorhob, kein Zufall, dass die experimentelle Philosophie gerade in England ihre Blüte erlebte, entsprach sie doch in besonderer Weise dem englischen Nationalcharakter: If there can be a true character given of the Universal Temper of any Nation under Heaven: then certainly this must be ascrib’d to our Countrymen: that they have commonly an unaffected sincerity [...] and that an universal modesty possesses them. [...] even the position of our climate, the air, the influence of the heaven, the composition of the English blood; as well as the embraces of the Ocean, seem to joyn with the labours of the Royal Society, to render our Country, a Land of Experimental knowledge. And it is a good sign, that Nature will reveal more of its secrets to the English, than to others; because it has already furnish’d them with a Genius so well proportion’d, for the receiving, and retaining its mysteries.12

In Sprats History stellt das Experiment mehr dar als ein bloßes Laborgeschehen. Es wird zum Symbol einer neuen Kultur. Und so erscheint es durchaus folgerichtig, dass die in der Royal Society durchgeführten Experimente nicht nur dem Fortschritt des Wissens dienten, sondern auch die Sensationsgelüste einer Öffentlichkeit befriedigten, für die die Naturwissenschaft längst zu einer gesellschaftlichen Attraktion geworden war. So belegen etwa die Tagebucheintragungen des interessierten Laien Samuel Pepys, dass der Besuch von wissenschaftlichen Vorträgen und Experimenten auch dann als lohnenswert angesehen werden konnte, wenn es dem Zuschauer an dem nötigen wissenschaftlichen Verständnis mangelte. Am 1. März 1665 notierte der Sekretär der königlichen Marine in sein Tagebuch: At noon I to dinner at Trinity House – and thence to Gresham College, where Mr Hooke [i.e. Robert Hooke] read a very curious lecture about the late comett [...]. And this day I did pay my admission money [...] to the [Royal] Society. Here was very fine discourses and experiments; but I do lack philosophy enough to understand them, and so cannot remember them.13

12 13

Ebd., S. 114f. Samuel Pepys. The Illustrated Pepys. Extracts from the Diary. Hg. Robert Latham. London, 1978, S. 82.

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Als die wissenschaftlich interessierte Margaret Cavendish, Duchess of Newcastle, die Royal Society zwei Jahre später mit einem Besuch beehrte, kam auch sie in den Genuss der Vorführung spektakulärer Experimente.14 Tatsächlich hatte sich die Duchess, die bereits eine Reihe von naturphilosophischen Abhandlungen veröffentlicht hatte, lange Zeit vergeblich bemüht, mit der männlich dominierten Gesellschaft Kontakt aufzunehmen. Als schließlich doch ein Besuch zustande kam, begrüßte man sie nicht als Wissenschaftlerin, sondern als Vertreterin des Hochadels. Pepys, der auch dieses Ereignis in seinem Tagebuch festhielt, war von der Erscheinung der Duchess nicht sehr angetan. Ihre offensichtlich anerkennenden Worte interpretierte er als unkritische Bewunderung: [...] I do not like her at all, nor did I hear her say anything that was worth hearing, but that she was full of admiration, all admiration. [...] After they had shown her many experiments, and she cried still she was „full of admiration“, she departed [...].15

Neben dem von Pepys erwähnten Robert Hooke zählte auch der Chemiker Robert Boyle zu den Wissenschaftlern, die in den frühen Restaurationsjahren nicht nur mit ihren Forschungen, sondern auch mit der Art der Präsentation wissenschaftlicher Inhalte zum gesellschaftlichen Ansehen der Royal Society beitrugen.16 Der junge Hooke hatte Boyle bereits während der Zeit des Cromwell-Interregnums im Oxford Experimental Philosophy Club bei Versuchen zur Beschaffenheit der Luft assistiert und auch bei der Konstruktion der Boyle’schen Luftpumpe mitgewirkt. Mit Boyles Unterstützung wurde Hooke 1662 zum „Curator of Experiments“ der Royal Society ernannt. Wenn Hooke und Boyle in ihren Experimenten Instrumente wie das Mikroskop und die Luftpumpe verwendeten, so betrieben sie nicht nur eine äußerst kostspielige Forschung, sondern sorgten auch für eine beträchtliche Außenwirkung der Gesellschaft.17 Schließlich ließen das Mikroskop und die Luftpumpe 14

15 16

17

Zum Besuch Cavendishs vgl. S.I. Mintz. „The Duchess of Newcastle’s Visit to the Royal Society“. Journal of English and Germanic Philology 51 (1952), S. 168176. Pepys (Anm. 13), S. 144. Vgl. hierzu Paul B. Wood. „Die wichtigsten Vertreter der Royal Society. Robert Boyle, Robert Hooke“. Die Philosophie des 17. Jahrhunderts. Hg. v. Jean-Pierre Schobinger. Basel, 1988, Bd. 3: England, 2. Halbbd., S. 395-407. Zu Hooke und anderen Mikroskopisten vgl. Marjorie Hope Nicolson. The Microscope and the English Imagination. Northampton, Mass., 1935; zu Boyle vgl. das Kap. „The Air-Pump as Emblem“ in Steven Shapin u. Simon Schaffer. Leviathan and the Air-Pump. Hobbes, Boyle, and the Experimental Life. Princeton, N. J., 1985, S. 30-35.

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Dinge erfahrbar werden, die der menschlichen Wahrnehmung bislang nicht zugänglich gewesen waren. Während Hooke mit seinem Mikroskop der staunenden Öffentlichkeit eine kleine Welt präsentierte, überzeugte Boyles Luftpumpe Skeptiker von der Existenz des Vakuums. Henry Power, Mitglied der Royal Society, fühlte sich durch die Ergebnisse der Mikroskopie gar zur Abfassung eines panegyrischen Gedichts veranlasst. Danach erschien das Mikroskop nicht nur in wissenschaftlicher, sondern auch in theologischer Hinsicht als aufschlussreich, war es doch geeignet, die Vollkommenheit der göttlichen Schöpfung auf neuartige Weise zu illustrieren: This to our mind the a’theriall wisdome bringes how God is greatest in ye Least of things And in the smallest print wee gather hence the world may Best reade his omnipotence.18

Eine Figur wie Sir Nicholas Gimcrack in Thomas Shadwells The Virtuoso (1676), der seine Freizeit damit verbringt, „to find out the Nature of Eels in Vinegar, Mites in a Cheese, and the Blue of Plums, which he has subtilly found out to be living Creatures“,19 zeigt, dass auch satirische Darstellungen des Mikroskopisten in dieser Zeit nicht lange auf sich warten ließen, doch bestätigen sie eigentlich nur die hohe Attraktivität eines wissenschaftlichen Instruments, das sogar wissenschaftsbegeisterte Laien in seinen Bann schlagen konnte. Dass Hooke und Boyle mit ihren effektvollen Experimenten wesentlich dazu beitrugen, die Popularität der Royal Society zu erhöhen, steht außer Frage.20 2. Unspektakulärer Stil: Rhetorik des Experimentberichts Bildete sich im England des siebzehnten Jahrhunderts das Experiment als zentrale Form der wissenschaftlichen Praxis heraus, so entsprach dem auf sprachlicher Seite die Etablierung des Experimentberichts als Textform.21 Dessen charakteristische Eigenschaften verfestigten sich eben18 19 20

21

Eine Transkription des Manuskripts findet sich in Thomas Cowles. „Dr. Henry Power’s Poem on the Microscope“. Isis 21 (1934), S. 73. Thomas Shadwell. „The Virtuoso“ [1676]. The Complete Works of Thomas Shadwell. 5 Bde. Hg. v. Montague Summers. London, 1927, Bd. 3, S. 113. Zur Popularität des Mikroskops in der frühen Restaurationszeit sowie zu seinen erkenntnistheoretischen Implikationen vgl. auch Catherine Wilson. „Visual Surface and Visual Symbol. The Microscope and the Occult in Early Modern Science“. Journal of the History of Ideas 49 (1988), S. 85-108. Vgl. Charles Bazerman. Shaping Written Knowledge. The Genre and Activity of the Experimental Article in Science. Madison, Wis., 1988.

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falls in den ersten Restaurationsjahren.22 Ein praktisches Vorbild fanden die Verfasser von Experimentberichten in den frühen Schriften Galileis; theoretisch konnten sie sich wiederum an Francis Bacon orientieren, hatte dieser in seine wissenschaftstheoretischen Ausführungen doch auch sprach- und stilkritische Überlegungen einbezogen.23 1610 veröffentlichte Galileo Galilei seinen Sidereus Nuncius, in dem er erstmals die Beschaffenheit von Himmelskörpern mit Hilfe des neu entwickelten Teleskops beschrieb. Mit seinem sehr persönlichen Erfahrungsbericht hatte Galilei ein stilistisches Muster vorgegeben, welches auch für die englische Restaurationszeit maßgeblich bleiben sollte. Demgemäß präsentierte sich der Wissenschaftler nicht nur als Autor eines faktenbezogenen Textes, sondern auch als persönlicher Zeuge eines Geschehens. Seine narrative Darstellungsweise war vor allem dem Prinzip der Vollständigkeit verpflichtet und nahm deshalb auch Redundanzen in Kauf. Galileis Text wies darüber hinaus jedoch noch zwei weitere Eigenschaften auf: zum einen die Pflege eines rhetorischen attentum parare, das dem Leser gleich zu Beginn bislang nie Gehörtes oder Gesehenes versprach,24 zum anderen eine affektrhetorische Komponente, ließ sich doch der Wissenschaftler von seinen Entdeckungen manchmal so überwältigen, dass an die Stelle nüchterner Naturbeschreibungen plötzlich eine Panegyrik auf die Schönheit der Schöpfung treten konnte. Obwohl sich solches mit der von der Royal Society geforderten Faktenorientierung nur schlecht vertrug, sollten auch diese Elemente in der Wissenschaftsrhetorik des siebzehnten Jahrhunderts wiederkehren. Bacon hatte in zahlreichen seiner Schriften die Entwicklung einer klaren und präzisen Wissenschaftssprache gefordert, die er der Abstraktheit scholastischer Begriffssysteme und der Obskurität der hermetischen Wissenschaften entgegensetzte. Eine Sprache, die sich vor allem auf empirische Beobachtungsdaten stützte, sollte nach Bacon in der Lage sein, die sprachlichen Vorurteile über die Wirklichkeit zu beseitigen. Die Mitglieder der Royal Society suchten ihrem Vorbild auch in sprachlicher Hinsicht nachzueifern. So bemerkte Thomas Sprat, die Royal Society strebe nach einer Beschreibungssprache, die sich jeder rhetorischen Ausschmückung enthielt und sich allein der nüchternen Wie22 23 24

Vgl. dazu Werner Hüllen. „Their Manner of Discourse“. Nachdenken über Sprache im Umkreis der Royal Society. Tübingen, 1989, S. 71. Vgl. dazu ausführlicher Nate (Anm. 5), S. 64ff. u. S. 89ff. Vgl. Galileo Galilei. „Sidereus Nuncius. Nachricht von neuen Sternen“. Sidereus Nuncius. Nachricht von neuen Sternen. Dialog über die Weltsysteme. Vermessung der Hölle Dantes. Marginalien zu Tasso. Hg. u. eingel. v. Hans Blumenberg. Übs. v. Ferdinand Fellmann u. Emil Strauß. Frankfurt a. M., 1980, S. 83.

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dergabe des Faktischen verpflichtet fühlte.25 Wenn Sprat den neuen Stil in metaphorischer Weise als „naked“ und „masculine“ beschrieb und ihm darüber hinaus eine „primitive purity“ bescheinigte, die an zeitgenössische Spekulationen über eine adamitische Ursprache denken lassen konnte, so zeigt sich darin natürlich auch die Rhetorizität seines eigenen Stils.26 Schien ihm diese für die apologetischen Zwecke seiner Darstellung offensichtlich angemessen, so lehnte Sprat sie für die Wissenschaftssprache dennoch ab. Diese sollte sich vielmehr die Sprache der einfachen Leute zum Vorbild nehmen.27 Die mit technischen Instrumenten umgehenden Handwerker waren es unter anderem, deren unprätentiösen Sprachstil Sprat demjenigen der rhetorisch geschulten „wits“ und der scholastisch geprägten „scholars“ programmatisch entgegensetzte.28 Dass die Wissenschaftler der Royal Society sich um einen Wissenschaftsstil im Sinne Bacons und Sprats bemühten, steht außer Frage. Und doch mag der personale und narrative Stil, der die Experimentberichte Robert Hookes und Robert Boyles auszeichnet, den heutigen Leser befremden. Im Gegensatz zu modernen wissenschaftlichen Präsentationsformen waren die Experimentberichte der Royal Society nicht durch das unpersönliche Passiv, sondern durch aktivische Formulierungen gekennzeichnet. Nicht das Ergebnis, sondern der Prozess, der einem bestimmten Ergebnis vorausging, stand im Zentrum der Darstellung. Entsprechend herrschen in den Texten die erste Person Singular und das narrative Präteritum vor. Das Moment der Dekontextualisierung, welches moderne Wissenschaftstexte in der Regel auszeichnet, lassen die Darstellungen Hookes und Boyles vermissen. Weniger die zeitlose, naturgesetzliche Gültigkeit eines Versuchsablaufs akzentuieren die Texte als vielmehr ein in den Lebenszusammenhang des Forschers eingebettetes Laborgeschehen. Neben objektiven Zeitangaben wie „Novemb. 12th about 8 a Clock at night“ finden sich deshalb auch solche, die sich in deiktischer Form 25 26

27

28

Sprat (Anm. 1), S. 113. Zu Theorie und Praxis der Rhetorik in der Royal Society vgl. ausführlicher Richard Nate. „Rhetoric in the Early Royal Society“. Rhetorica Movet. Studies in Historical and Modern Rhetoric in Honour of Heinrich F. Plett. Hg. v. Peter L. Oesterreich u. Thomas O. Sloane. Leiden, 1999, S. 215-231. Vgl. Werner Hüllen. „Mit den gemeinen Leuten. Der Aufbruch der Royal Society zu einer neuen Wissenschaftssprache“. Sprache und Sprachen in den Wissenschaften. Geschichte und Gegenwart. Hg. v. Herbert Ernst Wiegand. Berlin u. New York, 1999, S. 630ff. Sprat (Anm. 1), S. 113.

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auf Ereignisse des Tages beziehen: „this night after Supper“. Zudem konnte das Bemühen um Vollständigkeit dazu führen, dass auch räumlich-zeitliche und situative Umstände, unter denen ein bestimmtes Experiment durchgeführt wurde, zum Gegenstand des Textes gerieten. Robert Boyle hatte schon 1660 hinsichtlich des Stils seiner Texte bekannt: [...] in divers cases I thought it necessary to deliver things circumstantially, that the person I addressed them to might, without mistake, and with as little trouble as is possible, be able to repeat such unusual experiments.29

Anders als es das Zitat suggeriert, bezog sich die Ausführlichkeit der Darstellung jedoch nicht nur auf den experimentellen Vorgang, sondern stellte auch eine Umständlichkeit im eigentlichen Sinne des Wortes dar. Hooke und Boyle erwähnten in ihren Berichten nämlich auch solche Begleiterscheinungen, die zum eigentlichen Experiment und dessen Ablauf kaum in einer sachlichen Beziehung standen. Wenn zufällige Randereignisse in die Aufzeichnungen aufgenommen wurden, so trugen diese nicht zu einem besseren Verständnis des experimentellen Ablaufs bei, wohl aber zu dessen atmosphärischer Ausstattung. Die mikroskopischen Beobachtungen, von denen Hooke 1665 in seiner Micrographia berichtete, waren insofern spektakulär, als sie dem Leser Zugang zu einer bis dahin unbekannten Welt versprachen.30 Das luxuriös ausgestattete, mit zahlreichen Illustrationen des Autors versehene Buch enthält Aufzeichnungen zu mikroskopischen Untersuchungen von leblosen Objekten wie Schneeflocken, Kristallen und Flüssigkeiten, aber auch von Pflanzen, Kleintieren und menschlichen Körperteilen. Im Vorwort formulierte der Autor die hohen Erwartungen, die er an seine Untersuchungen knüpfte. Den von Bacon geprägten Explorationstopos aufgreifend bezeichnete Hooke die durch das Mikroskop beobachteten Phänomene als „a new visible World discovered to the understanding“.31 Ebenso folgte der Forscher der Rhetorik seines Vorbildes Bacon, als er hervorhob, sein Mikroskop werde als „artificial organ“ dazu beitragen, dass der Mensch jene Vorurteile über die Natur, die er allein seiner unvollkommenen Wahrnehmung verdanke, abstreifen könne. 29

30

31

Robert Boyle. „New Experiments Physico-Mechanical, Touching the Spring of the Air, and its Effects“. The Works. 6 Bde. Hg. v. Thomas Birch. Eingel. v. Douglas McKie. Hildesheim, 1965/66 [Nachdruck d. Ausgabe London, 1772], Bd. 1, S. 1f. Vgl. Robert Hooke. Micrographia, Or Some Physiological Descriptions of Minute Bodies Made by Magnifying Glasses with Observations and Inquiries thereupon. Hg. v. R.T. Gunther. Weinheim u. New York, 1961 [Nachdruck d. Ausgabe London, 1665]. Hooke, „Preface“ (Anm. 30), o. P.

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Einen Teil jener „Terra-Incognita“, deren Vermessung Hooke im Vorwort versprach, bildete die Physiologie von Kleinstlebewesen. Hooke präsentierte seinen Lesern unter anderem minutiöse Abbildungen von Spinnen, Milben, Mücken und Fliegen. Anekdotenhaften Charakter gewinnt vor allem die Schilderung des Versuchs, eine Ameise für die Mikroskopierung zu präparieren. Obwohl Hooke das Insekt mehrfach mit Alkohol betäubt, läuft ihm dieses doch immer wieder davon. Erst am Ende eines nervenaufreibenden Kampfes gelingt es dem Wissenschaftler, seine Zeichnung fertig zu stellen. Zum anekdotenhaften Charakter des Berichts trägt entscheidend bei, dass Hooke das Geschehen nicht von seinem Ergebnis her schildert, sondern dessen Prozesshaftigkeit textlich nachvollzieht. Unter dem Diktum der Vollständigkeit geraten dabei auch solche Abläufe in den Bericht, die mit dem eigentlich interessierenden Sachverhalt, nämlich der Anatomie des Insekts, kaum etwas zu tun haben. Das Gesagte gilt in ähnlicher Weise für eine Reihe von Experimenten, die Robert Boyle in den sechziger Jahren mit der Luftpumpe durchführte. Dieser veröffentlichte seine „New Pneumatical Experiments About Respiration“ 1670, im fünften Jahrgang der Philosophical Transactions of the Royal Society. Um das Verhalten von Lebewesen unter den Bedingungen des Sauerstoffentzugs zu beschreiben, setzte Boyle Tiere unterschiedlicher Art und Größe unter eine Glasglocke und entzog dieser anschließend die Luft. Obwohl Boyle angab, die Experimente sollten dazu beitragen, Erkenntnisse über die Ursachen menschlicher Atemwegserkrankungen zu erhalten,32 standen die unmittelbaren Auswirkungen auf die Tiere im Zentrum des wissenschaftlichen Interesses. Auf medizinische Erwägungen, die sich aus solchen Beobachtungen eventuell ableiten ließen, verzichtete der Autor ausdrücklich. Stilistisch gesehen stellen Boyles Beschreibungen eine eigentümliche Mischung aus tagebuchartigen Vermerken und reinen Versuchsabläufen dar. Durch das Fehlen von unpersönlichen Passivkonstruktionen, wie sie in einem wissenschaftlichen Bericht der Gegenwart wohl zu erwarten wären, erscheinen die Qualen, welche die Tiere zu erleiden haben, nicht als Elemente eines unabänderlichen naturgesetzlichen Zusammenhangs, sondern als das Ergebnis menschlicher Willkür. Einleitende Sätze wie „I thought it worth the tryal“ oder „I thought it fit to try whether“ verraten nichts über das Erkenntnisziel des Forschers, wohl aber etwas über dessen Neugier. Mitunter entscheidet nur der pure Zu32

Vgl. Robert Boyle. „New Pneumatical Experiments About Respiration“. Philosophical Transactions of the Royal Society 5/6 (1670), S. 2036.

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fall über Leben und Tod der Versuchstiere. So berichtet Boyle etwa über eine Schlange, die er tot in seiner Glasglocke vorfand, nur weil er es aufgrund nicht genannter anderweitiger Verpflichtungen versäumt hatte, vorher nach ihr zu sehen: In that condition I left [the snake], and, by reason of several avocations, came not to look upon him again till the next day early in the afternoon; at which time he was grown past recovery, and his jaws, which were formerly shut, gaped exceeding wide, as if they had been stretched open by some external violence.33

Ein Vogel hingegen verdankt dem Forscher nur deshalb sein Leben, weil er nicht innerhalb des erwarteten Zeitraums verendet und die Glasglocke für andere Zwecke benötigt wird: At the end of a full quarter of an hour from the first Exhaustion of the Receiver, the Bird appearing not likely to dye in a great while, and the Engine being needed for other Uses, we took out the Bird and thereby put a period to the Experiment.34

So befremdend sie auf den heutigen Leser auch wirken mögen, waren Boyles Experimentberichte doch spektakulär genug, um in der Kunst und Literatur auch nachfolgender Jahrhunderte ihre Spuren zu hinterlassen. Als der Maler Joseph Wright of Derby auf seinem Gemälde An Experiment on a Bird in the Air Pump (1768) ein pneumatisches Experiment festhielt, stellte er dies noch immer als gesellschaftliches Ereignis dar. Zwar kann vermutet werden, dass Wright sich zu dem Bild durch die Experimente des mit ihm befreundeten Wissenschaftlers James Ferguson hatte inspirieren lassen,35 doch ist es bezeichnend, dass Ferguson selbst bereits Abstand davon genommen hatte, den Erstickungstod von Tieren öffentlich vorzuführen, und es stattdessen vorzog, den Effekt des Vakuums auf die Atmungsorgane anhand einer in einem Glas befindlichen Lungenblase vorzuführen. Auch Wrights Bild lässt, wenngleich es sich auf die ursprüngliche Anordnung der Boyle’schen Experimente zurückbesinnt, eine veränderte Haltung gegenüber dem naturwissenschaftlichen Experiment erkennen. Weniger der wissenschaftliche Vorgang scheint den Maler zu interessieren als vielmehr dessen kulturelle Bedeutung, welche sich in den Reaktionen der Zuschauer ablesen lässt. Da33 34 35

Ebd., S. 2015. Ebd., S. 2037. Vgl. Peter Wagner. „Gendering Science. Joseph Wright of Derby’s An Experiment on a Bird in the Air Pump“. Proceedings. Hg. v. Christoph Bode u. a. Trier, 2004, S. 141-149.

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Abb. 2: Joseph Wright of Derby. An Experiment on a Bird in the Air Pump (1768).

bei stehen die ängstlichen Blicke des Kindes und die abwehrende Geste der jungen Frau im Vordergrund in deutlichem Gegensatz zu den interessiert bis fasziniert wirkenden männlichen Beobachtern sowie zum Experimentator selbst, der als Mittelpunkt der Szene zugleich mit einer Aura des Geheimnisvollen ausgestattet ist. Obwohl die unterschiedlichen Reaktionen die zeitgenössische Ansicht zu bestätigen scheinen, nach der Wissenschaft eine männliche Domäne darstellte und Frauen und Kindern nur schwer zu vermitteln war,36 wird das Luftpumpen-Experiment durch Wrights bildliches Arrangement doch zu einer ambivalenten Angelegenheit. Zwar darf man davon ausgehen, dass Wright, zu dessen Freunden neben dem bereits erwähnten James Ferguson auch James Watt und Erasmus Darwin zählten, kein Gegner der Naturwissenschaften war, doch unterscheidet sich seine bildliche Wiedergabe des Laborereignisses deutlich von der emotionslosen Haltung, die Boyle gegenüber seinen Versuchstieren noch an den Tag gelegt hatte. Im späten achtzehnten Jahrhundert, dem Zeitalter der Empfindsamkeit, des Schauerromans und der Philosophie des Erhabenen, betont Wright nicht die utilitaristischen Aspekte des Experiments, sondern versieht es mit einer 36

Vgl. ebd., S. 144f.

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Atmosphäre der Bedrohlichkeit. Wenige Jahre später sollte Mary Shelley in ihrem Roman Frankenstein, or, The Modern Prometheus (1818) ein Bild des Wissenschaftlers zeichnen, welches diesen als Sklaven eines ebenso krankhaften wie destruktiven Forschertriebs erscheinen ließ. Einem von Dämonen besessenen Forscher, so sollten es auch andere Autoren des neunzehnten Jahrhunderts herausstellen, diente die Berufung auf das Prinzip wissenschaftlicher Rationalität doch lediglich dazu, die eigentlich irrationalen Motive seines Handelns zu kaschieren. Einer dieser Autoren war Edgar Allan Poe, der im frühen neunzehnten Jahrhundert die Versuchstiere aus der Boyle’schen Luftpumpe noch einmal auferstehen ließ. Als der Schriftsteller sich in seiner amerikanischen Heimat mit den Philosophical Transactions of the Royal Society beschäftigte, dürften diese ihn kaum allein aufgrund ihres wissenschaftlichen Erkenntniswertes interessiert haben. Vielmehr ist anzunehmen, dass sie ihm Inspirationen für seine Imaginationen des Terrors lieferten. In der fantastischen Erzählung The Unparalleled Adventure of One Hans Pfaall (1835), in der sich ein mit der Gesellschaft in Konflikt geratenes Individuum in einem Fesselballon auf eine Reise zum Mond begibt, spielt das Problem des sich verknappenden Sauerstoffs eine zentrale Rolle.37 Der mit wissenschaftlichem Forschergeist ausgestattete Protagonist brennt darauf zu erfahren, ob drei im Ballon zur Welt gekommene Kätzchen eventuell weniger Sauerstoff zum Leben benötigen, da sie ja schließlich nie ein anderes Milieu erfahren hätten, und führt zur Beantwortung dieser Frage ein entsprechendes Experiment durch.38 Kaum einem zeitgenössischen Leser Poes dürfte dabei bewusst gewesen sein, dass Robert Boyle in den Philosophical Transactions bereits einen ganz ähnlichen Gedanken formuliert hatte. Boyle hatte drei neugeborenen Kätzchen den Sauerstoff aufgrund der nachfolgenden Überlegung entzogen: Being desirous to try, whether Animals, that had lately been accustomed to live without any, or without a full Respiration, would not be more difficultly or slowly killed by the want of the Air, than others, which had been longer used to a free Respiration; We took a Kitling that had been kitten’d the day before.39 37

38 39

Edgar Allan Poe. „The Unparalleled Adventure of One Hans Pfaall“. The Science Fiction of Edgar Allan Poe. Hg., eingel. u. komm. v. Harold Beaver. Harmondsworth, 1976, S. 12-64. Wie sorgfältig Poe die Philosophical Transactions studierte, ist unklar; in Hans Pfaall zumindest findet sich ein Verweis auf einen Artikel von John J. Schroeter, der im 82. Jahrgang der Zeitschrift erschienen war. Dass sich Poe mit der Wissenschaftsliteratur des siebzehnten Jahrhunderts beschäftigte, zeigen auch seine wiederholten Bezugnahmen auf das Royal Society-Mitglied Joseph Glanvill. Vgl. ebd., S. 34ff. Boyle (Anm. 32), S. 2017f.

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Nachdem das erste Tier den Versuch zur Überraschung Boyles überlebt, wird es durch ein anderes ersetzt. Das zweite Versuchstier scheint die Prozedur zunächst nicht zu verkraften, doch erholt es sich nach der Beifügung eines heftigen Schmerzes, der es aus seiner Lethargie reißt. Das dritte Tier überlebt die Prozedur nicht. 3. Literarische Experimente Dass der Experimentbericht sich für literarische Adaptionen außerordentlich gut eignete, zeigt nicht nur das Beispiel Edgar Allan Poe. Tatsächlich vollzog sich die Aneignung des neuen Genres durch die Literatur nahezu zeitgleich mit seiner Etablierung im wissenschaftlichen Diskurs. Es waren die bereits angeführten Eigenschaften des Experimentberichts í seine Personenbezogenheit, seine Narrativität und seine Kontextbezogenheit í, welche diese Aneignung begünstigten. Betrachtet man diese Eigenschaften im Lichte frühneuzeitlicher Beschreibungskategorien, so entsprach der Experimentbericht weniger den Darstellungsmustern der so genannten Naturphilosophie als vielmehr denen der Historiographie. Insbesondere durch seine Narrativität wies der Experimentbericht eine Nähe zur Geschichtsschreibung auf, und so erscheint es plausibel, dass auch Robert Boyle sich bei der Abfassung seiner Berichte die Methode des Historikers zum Vorbild nahm. Boyle bezeichnete den Experimentbericht als „historical narrative“, als Erzählung, die vor allem den Prinzipien der Objektivität und Vollständigkeit verpflichtet war.40 Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass Francis Bacon die fiktionale Literatur bereits am Beginn des Jahrhunderts als eine feigned history definiert hatte.41 Bacon, dessen eigentliches Interesse der Wissenschaft galt, hatte diese zwar gegenüber der Literatur scharf abgegrenzt, doch hatte er zugleich auf die Ähnlichkeiten zwischen Literatur und Geschichtsschreibung verwiesen. Nach Bacon war die Literatur isomorph mit der Historiographie, deren Darstellungsformen sie nachahmte. Der Unterschied bestand allein darin, dass die Darstellungen der poetischen Literatur nicht durch Faktizität, sondern durch Fiktionalität gekennzeichnet waren. Im Hinblick auf den Roman des frühen achtzehnten Jahrhunderts sollte sich Bacons Bestimmung als zukunftsweisend herausstellen, war doch für diesen nicht die schmuck40 41

Boyle (Anm. 29), S. 2 u. (Anm. 32), S. 2035. Francis Bacon. „Of the Dignity and Advancement of Learning. Book II“. The Works of Francis Bacon (Anm. 2), Bd. IV, S. 315.

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reiche Rhetorik des sechzehnten Jahrhunderts, sondern gerade der neue, faktenbezogene Stil des siebzehnten maßgeblich. Am Ende erlebte der von Sprat propagierte „plain style“, der doch eigentlich in Abgrenzung zu dem „delightful deceit of Fables“ entwickelt worden war,42 in der Literatur seinen vielleicht größten Erfolg. Im siebzehnten Jahrhundert bildet der Experimentbericht gleichsam die Schnittstelle zwischen den Diskursen der Wissenschaft und der Literatur. Der experimentierende Wissenschaftler stellte der Literatur nicht nur einen neuen Erzählertypus, sondern auch neue Strategien der Glaubwürdigkeitserzeugung zur Verfügung. Bereits in Francis Godwins fantastischer Erzählung The Man in the Moone (1638) zeigt sich dies deutlich.43 Der Text beruht auf der durch Galilei wieder populär gewordenen Hypothese, nach welcher der Mond nicht Teil einer perfekten Himmelswelt war, sondern eine „andere Erde“ darstellte. Godwins Text, der von zeitgenössischen Lesern interessanterweise ebenso als wissenschaftliche Spekulation wie als fantastische Erzählung rezipiert wurde,44 steht in direktem Bezug zu Galileis Sidereus Nuncius, auf den Godwin mehrfach anspielt. Indem die Erzählung nicht nur wissenschaftliche Themen behandelt, sondern auch deren Darstellungsformen imitiert, ist sie eine science fiction im wörtlichen Sinne. Zwar lässt Godwins Protagonist zu Beginn noch die Züge des älteren Picaro erkennen, doch präsentiert er sich im Laufe der Erzählung zunehmend als Wissenschaftler. Wenn er es bewerkstelligt, mit Hilfe von Gänsen und einer mechanischen Apparatur zum Mond zu fliegen, so legt er in seiner Darstellung nicht weniger Wert auf die technische Funktionsweise seiner Flugapparatur als auf die Vermittlung spektakulärer Inhalte. So wie Galilei vor ihm und Hooke und Boyle nach ihm lässt auch der Mondreisende die Leser an seinem Erkenntnisprozess teilhaben í von der Bildung von Hypothesen über deren Falsifikation, Modifizierung und Verifikation bis hin zur erfolgreichen technischen Umsetzung, dem Flug zum Mond. Wie sehr Jonathan Swifts literarische Fantasie durch Texte der zeitgenössischen Wissenschaft inspiriert wurde, ist bekannt. So zeigt eine vergleichende Lektüre des 1726 erschienenen fingierten Reiseberichts Gulliver’s Travels und den Philosophical Transactions of the Royal Society, dass die absurd anmutenden Experimente, welche die Wissen42 43

44

Sprat (Anm. 1), S. 62. Vgl. Francis Godwin. The Man in the Moone. Or A Discourse Of A Voyage thither By Domingo Gonsales The Speedy Messenger. Amsterdam u. New York, 1972 [Nachdruck d. Ausgabe London, 1638]. Vgl. Anke Janssen. „Wirkung eines Romans als Inspirationsquelle. Francis Godwins The Man in the Moone“. Arcadia 20 (1985), S. 20-46.

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schaftler der Akademie von Lagado dem naiven Ich-Erzähler im dritten Buch der Reisen vorführen, sich manchmal kaum von ihren realen Vorbildern unterscheiden.45 Wenn in Lagado ein verwirrter Wissenschaftler einem Hund die Därme aufbläst, bis dieser verendet, so finden sich die Vorstücke dazu bei Thomas Sprat, der in einer Art Forschungsbericht stolz auf die Vielzahl der in der Royal Society durchgeführten Experimente hingewiesen hatte. Unter anderem verwies Sprat auf: Experiments of keeping Creatures many hours alive, by blowing into the Lungs with Bellows, after that all the Thorax, and Abdomen were open’d and cut away, and all the Intrails save Heart, and Lungs remov’d: of reviving Chickens, after they have been strangled, by blowing into their Lungs: to try how long a man can live, by expiring, and inspiring again the same Air [...].46

Sprats Aufzählung lässt erahnen, dass es in einigen Fällen nur noch einer geringfügigen Änderung bedurfte, um den gewünschten satirischen Effekt zu erzielen. Präsentierte Swift dem Leser in Gulliver’s Travels aber eine ins Groteske verzerrte Wirklichkeit, so verdankt diese ihre Existenz nicht nur dem traditionellen Verfahren der satirischen Inversion, sondern auch jenen neuen Wahrnehmungsformen, die durch die Experimentbeschreibungen Hookes und Boyles überhaupt erst möglich geworden waren. So sind etwa die Wahrnehmungen Gullivers im Lande der Riesen durch eine mikroskopische Genauigkeit gekennzeichnet. Hatte sich für Robert Hooke in der durchs Mikroskop betrachteten Wirklichkeit jedoch die Vollkommenheit der Schöpfung offenbart, so präsentiert sich dem Auge Gullivers lediglich die Hässlichkeit der Welt. Zudem wendet sich die ins Monströse vergrößerte Natur nun gegen ihren menschlichen Beobachter. Zu einem Zwerg degradiert, wird Gulliver in ähnlicher Weise zum Objekt fremder Neugierde wie zuvor Hookes mikroskopierte Kleinstlebewesen. Nicht nur muss sich Gulliver vom König des Riesenreiches als hässliches „Insekt“ titulieren lassen, er muss sich auch gegen angriffslüsterne Rieseninsekten zur Wehr setzen.47 In Swifts Satire, so könnte man sagen, blasen die Versuchstiere des siebzehnten Jahrhunderts zum Gegenangriff.

45

46 47

Vgl. hierzu die frühe Studie von Marjorie Hope Nicolson u. Nora M. Mohler. „The Scientific Background to Swift’s ‚Voyage to Laputa‘“. Fair Liberty Was all His Cry. A Tercentenary Tribute to Jonathan Swift, 1667-1745. Hg. v. Alexander Norman Jeffares. London, 1967, S. 226-269. Sprat (Anm. 1), S. 218. Auf welche Weise und mit wem der zuletzt erwähnte Menschenversuch durchgeführt wurde, lässt Sprat offen. Vgl. Jonathan Swift. Gulliver’s Travels. Hg. v. Peter Dixon u. John Chalker. Eingel. v. Michael Foot. Harmondsworth, 1967, S. 148f.

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Auch Swift nutzte nicht nur die Themen der Wissenschaft für seine Satire, sondern bediente sich zugleich ihrer Darstellungsformen. Für Swifts Zwecke boten sich die Experimente der Royal Society nämlich nicht nur aufgrund der bisweilen skurril anmutenden Ideen ihrer Betreiber an, sondern auch aufgrund ihres anekdotischen Charakters.48 Mochte Swift dem Leser auch einen satirischen mundus inversus präsentieren, in dem das Kleine groß, das Große klein, das Bedeutende unbedeutend und das Unbedeutende bedeutend erschien, so blieb das Instrument seiner Satire doch der Stil der zeitgenössischen Wissenschaft. Wissenschaftler wie Hooke und Boyle hatten ihre Erlebnisse in einer Weise geschildert, die für den Ich-Erzähler literarischer Prosa typisch werden sollte, und so hält sich auch Swift, der sich die Reiseberichte zeitgenössischer Entdecker zum Vorbild genommen hat, an die Direktiven des wissenschaftlichen plain-style-Modells. Demgemäß verspricht Gulliver seinen Lesern, „to relate plain matter of fact in the simplest manner and style“.49 Die Rückwirkungen der frühneuzeitlichen Wissenschaft auf die Literatur reichen jedoch noch weiter. Angesichts des Ansehens, welches das Experiment als Wegbereiter des Neuen in der Restaurationszeit genoss, verwundert es kaum, wenn die ihm zugrunde liegende Logik alsbald auch auf nichtwissenschaftliche Bereiche übertragen wurde. Mit dem Verlauf eines Experiments ließen sich nämlich nicht zuletzt die literarische Imagination und der Prozess des kreativen Schreibens vergleichen. Ein frühes Beispiel hierfür bietet Margaret Cavendishs fantastische Erzählung The Blazing World, die 1666 zusammen mit dem Traktat Observations upon Natural Philosophy erschien, welches den Wahrheitswert von Beobachtungen mit Hilfe von optischen Instrumenten anzweifelte.50 Auch die fiktive Blazing World ist von experimentierenden Wissenschaftlern bevölkert, doch führen Blicke durch das Teleskop und Mikroskop hier lediglich zu Meinungsverschiedenheiten. Als die Forscher stolz einige optisch vergrößerte Insekten aus Hookes Micrographia í unter anderem einen Floh und eine Laus í der Protagonistin präsentieren, veranlasst sie dies nicht, wie Hooke, zu einer Panegyrik auf die Feingliedrigkeit der göttlichen Schöpfung; vielmehr wendet sie sich angewidert ab: „Lastly, they showed [her] a flea and a louse, 48

49 50

So schon Frederik N. Smith. „Scientific Discourse. Gulliver’s Travels and The Philosophical Transactions“. The Genres of Gulliver’s Travels. Hg. v. Frederik N. Smith. Newark, London u. Toronto, 1990, S. 152. Swift (Anm. 47), S. 340. Vgl. Margaret Cavendish. Observations Upon Experimental Philosophy, To which is added, The Description Of A New Blazing World. London, 1666.

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Abb. 3: Darstellung eines Flohs aus Robert Hooke. Micrographia, Or Some Physiological Descriptions of Minute Bodies Made by Magnifying Glasses (London, 1665).

which creatures through the microscope appeared so terrible to her sight that they had almost put her into a swoon.“51 Interessant ist jedoch, dass die Autorin der Blazing World es nicht bei ihrer fiktional verkleideten Kritik an der „experimentellen Philosophie“ belässt, sondern die Idee des Experiments in einen anderen Bereich überträgt: nämlich den der literarischen Imagination. Hatte Cavendish in ihren naturphilosophischen Schriften die Wirklichkeitsmodelle antiker und moderner Philosophen lediglich kritisiert,52 so nutzt sie nun die literarische Fiktion, um diese Modelle einer imaginativen experimentellen Prüfung zu unterziehen. Von den virtuellen Welten, welche Cavendish ihre Protagonistin erschaffen lässt, besteht jedoch kaum eine den Test. So bereitet etwa eine nach den anthropologischen Prämissen von Thomas 51

52

Margaret Cavendish. The Description of a New World Called the Blazing World and Other Writings. Hg. v. Kate Lilley. London, 1992, S. 144. Bezeichnend ist hier auch der Unterschied zu Henry Power, der in seinem Gedicht „In Commendation of ye Microscope“ Vergrößerungen von Flöhen, Läusen und anderer Insekten als Belege für die Vollkommenheit der göttlichen Natur angeführt hatte; vgl. Cowles (Anm. 18), S. 71f. Vgl. Margaret Cavendish. Philosophical Letters. Or, Modest Reflections Upon some Opinions in Natural Philosophy. London, 1664.

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Hobbes konstruierte Wirklichkeit der Experimentatorin beträchtliche Kopfschmerzen: [...] when all the parts of this imaginary world came to press and drive each other, they seemed like a company of wolves that worry sheep, or like so many dogs that hunt after hares; and when she found a reaction equal to those pressures, her mind was so squeezed together, that her thoughts could neither move forward nor backward, which caused an horrible pain in her head [...].53

Letztlich hält nur eine Welt der experimentellen Prüfung stand, und zwar die von der Autorin Margaret Cavendish selbst geschaffene fiktive Wirklichkeit. Freilich zeigt das Experiment seine Effektivität damit gerade nicht in jenem Bereich, für den es eigentlich konzipiert war, nämlich den der Naturwissenschaft. Cavendishs Experimente bleiben auf den Bereich der Literatur beschränkt. Cavendishs Erzählung ist insofern autoreflexiv, als sie jenen imaginativen Prozess beschreibt, aus dem sie selbst hervorgegangen ist. Auch Jonathan Swift veröffentlicht 1704 einen Text, der zwar vorgibt, die Welt zu erklären, der aber am Ende nur sich selbst zum Gegenstand zu haben scheint. In der Prosasatire A Tale of a Tub verbirgt sich Swift hinter der Maske eines Erzählers, der sich als Vertreter einer wissenschaftsfreundlichen Moderne ausgibt. Entgegen dem Anspruch der Neuen Wissenschaft thematisiert dieser jedoch am Ende nicht die Wirklichkeit der Dinge, sondern nur sich selbst. Wenngleich die Vertreter der frühneuzeitlichen Wissenschaft immer wieder beteuert hatten, ihre Aufmerksamkeit den res und nicht den verba zu schenken, war Swifts Vorwurf, die Wissenschaft böte einer sensationslüsternen Öffentlichkeit lediglich selbstgefällige Inszenierungen, nicht so abwegig, wie es zunächst erscheinen mag. Zu berücksichtigen ist dabei etwa, dass ausführliche Bekundungen von Wissenschaftlern, sich um eine faktenorientierte Darstellung zu bemühen, keine Seltenheit waren. Längere Passagen eines Textes konnten damit ausgefüllt werden, dass der Autor lediglich beteuerte, einen „matter-of-fact“-Diskurs zu pflegen. Dass solche Erklärungen gerade nicht der Forderung nach faktenorientierter Darstellung entsprachen, sondern die Aufmerksamkeit des Lesers auf den Modus der Erzählung lenkten, ist offensichtlich. Entgegen allen Beteuerungen rückte wiederum die stilistische Seite der Darstellung in den Vordergrund; der so oft beschworene Primat der res vor den verba drohte unterlaufen zu werden. In seiner Satire auf die Selbsttäuschungen der Moderne führte Swift seinen Lesern genau dieses Paradoxon des neuen Wissenschaftsstils vor Augen. Mehr noch, er 53

Cavendish (Anm. 51), S. 188.

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entlarvte die Bescheidenheit, die sich vordergründig mit dem Bekenntnis zu einer sachbezogenen Darstellung verband, als verkapptes Eigenlob, das zurückzuführen sei auf die „Modern Inclination to expatiate upon the Beauty of [one’s] own Productions, and display the bright Parts of [one’s] Discourse“.54 Auch Swifts an notorischer Selbstüberschätzung leidender Erzähler hebt am Ende zu einem Experiment an. Dessen autoreferentieller Charakter indes ist allenfalls noch dazu geeignet, die Inhaltsleere einer einstmals zukunftsträchtigen „experimental philosophy“ zu illustrieren: I am now trying an Experiment very frequent among Modern Authors; which is, to write upon Nothing; When the Subject is utterly exhausted, to let the Pen still move on; by some called, the Ghost of Wit, delighting to walk after the Death of its Body.55

LITERATURVERZEICHNIS Bacon, Francis. „Novum Organum. Instauratio Magna“. The Works of Francis Bacon. 14 Bde. Hg. v. James Spedding, Robert L. Ellis u. Douglas D. Heath. Stuttgart-Bad Cannstatt, 1963 [Nachdruck d. Ausgabe London, 1857-1874], Bd. I, S. 119-145. Bacon, Francis. „The Great Instauration. Preface“. The Works of Francis Bacon. 14 Bde. Hg. v. James Spedding, Robert L. Ellis u. Douglas D. Heath. Stuttgart-Bad Cannstatt, 1963 [Nachdruck d. Ausgabe London, 1857-1874], Bd. IV, S. 13-21. Bacon, Francis. „The New Organon“. The Works of Francis Bacon. 14 Bde. Hg. v. James Spedding, Robert L. Ellis u. Douglas D. Heath. Stuttgart-Bad Cannstatt, 1963 [Nachdruck d. Ausgabe London, 1857-1874], Bd. IV, S. 37-248. Bacon, Francis. „Of the Dignity and Advancement of Learning. Book II“. The Works of Francis Bacon. 14 Bde. Hg. v. James Spedding, Robert L. Ellis u. Douglas D. Heath. Stuttgart-Bad Cannstatt, 1963 [Nachdruck d. Ausgabe London, 1857-1874], Bd. IV, S. 283-335. Bazerman, Charles. Shaping Written Knowledge. The Genre and Activity of the Experimental Article in Science. Madison, Wis., 1988. Boyle, Robert. „New Pneumatical Experiments About Respiration“. Philosophical Transactions of the Royal Society 5/6 (1670), S. 2011-2031 u. S. 2035-2056. Boyle, Robert. „New Experiments Physico-Mechanical, Touching the Spring of the Air, and its Effects“. The Works. 6 Bde. Hg. v. Thomas Birch. Eingel. v. Douglas McKie. Hildesheim, 1965/66 [Nachdruck d. Ausgabe London, 1772], Bd. 1, S. 1117. Cavendish, Margaret (Duchess of Newcastle). Philosophical Letters. Or, Modest Reflections Upon some Opinions in Natural Philosophy. London, 1664. 54 55

Jonathan Swift. A Tale of a Tub and Other Satires. Hg. u. eingel. v. Kathleen Williams. London u. New York, 1975, S. 132. Swift (Anm. 54), S. 133.

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WLADIMIR VELMINSKI

Sezierte Augen und achromatische Fernrohre. Experimentelle Episteme der Erscheinungen „Nachdem man in der zweiten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts dem Mikroskop so unendlich viel schuldig geworden war“, schreibt Johann Wolfgang von Goethe in seinen Einzelnen Betrachtungen und Aphorismen, „so suchte man zu Anfang des achtzehnten Jahrhunderts dasselbe geringschätzig zu behandeln.“1 Der Stillstand, zu dem die optischen Instrumente wie Mikroskope und Teleskope gelangt sind und den Goethe hier anspricht, hat allerdings mit der Entwicklung dieser Geräte zu tun, die im 18. Jahrhundert weitgehend stagnierte. Isaac Newton, auf den Goethe an dieser Stelle auch versteckt anzuspielen scheint, hatte nämlich den Bau eines achromatischen Objektivs für unmöglich erklärt. Er glaubte herausgefunden zu haben, dass das Licht, durch wie vielerlei verschiedene brechende Mittel es auch gehen mag, immer weiß bleibe, wenn sich die Richtung des Strahls beim Ausgang parallel zur Richtung des Strahls am Eingang verhalte. Hingegen werde das Licht immer in Farben zerstreut, wenn der ausgehende Strahl eine andere Richtung nehme, als er beim Eingang gehabt habe. Weil nun aus dem Objektivglas eines Fernrohrs die von entlegenen Punkten einfallenden Strahlen wieder so ausgehen müssen, dass diese nach dem Brennraum zusammenlaufen, und also ihre Richtung beim Ausgang nie zu ihrer Richtung beim Eingang in das Glas parallel verlaufen kann, so hält Newton es für eine entschiedene Unmöglichkeit, durch das Objektivglas eines Fernrohrs weißes Licht und ungefärbte Bilder zu erhalten.2 1

2

Johann Wolfgang von Goethe. „Über Naturwissenschaft im Allgemeinen. Einzelne Betrachtungen und Aphorismen“. Sämtliche Werke. 40 Bde. Frankfurt a. M., 1989, Bd. 25: Naturkundliche Schriften III, Schriften zur Allgemeinen Naturlehre, Geologie und Mineralogie, Allgemeine Naturlehre (hg. v. Manfred Wenzel u. a.), S. 100. Vgl. Isaac Newton. Optik oder Abhandlungen über Spiegelungen, Brechungen, Beugungen und Farben des Lichts. Hg. u. übs. v. William Abendroth. Braunschweig u. Wiesbaden, 1983 [Nachdruck d. Ausgabe Leipzig, 1898], Das erste Buch der Optik, Erster Teil, S. 55-71.

Sezierte Augen und achromatische Fernrohre

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Bei dem großen Ansehen, das Newtons Behauptungen und Versuche genossen, bleibt die Frage nach der Vermeidung der Farbenzerstreuung bei Objektivgläsern auf viele Jahre unberührt, was mit zur Folge hat, dass optische Geräte eher distanziert behandelt werden. Schließlich macht Leonhard Euler den Vorschlag, die Objektivgläser zur Vermeidung der Farbenzerstreuung aus verschiedenen Materien zusammenzusetzen; statt eines Glases sollten zwei benutzt und zwischen sie Wasser gefüllt werden.3 Diesen Gedanken entwickelt Euler aus den physiologischen Untersuchungen, denen er sich in seiner Petersburger Zeit zuwendet und in denen er die Geheimnisse des Sehens erforscht. Aus diesen Arbeiten leitet er, wie zu zeigen sein wird, den Aufbau des organischen Auges als epistemologische Grundlage her. Daraus deduziert der Mathematiker, dass eine Achromasie auch bei Linsen durch Kombination verschiedener Medien möglich sei und eröffnet damit den Weg für die Konstruktion achromatischer Objektive und der genauen Optik. Der folgende Beitrag wendet sich dieser komplexen Geschichte der achromatischen experimentellen Praxis zu und wird die Erscheinungen bis zu den Euler’schen Beobachtungen in einer Kulturgeschichte des Experiments verorten. 1. Der Irrtum der Poesie Es käme niemand mit der Brille auf der Nase in ein vertrauliches Gemach, wenn er wüßte, daß uns Frauen sogleich die Lust vergeht, ihn anzusehen und uns mit ihm zu unterhalten. Johann Wolfgang von Goethe, Die Wahlverwandtschaften

In manchen Erscheinungen bzw. Offenbarungen der Natur sieht Goethe das Unsichtbare der Welt hervorleuchten und sucht durch seine Beschäftigung mit den verschiedensten Bereichen der Naturwissenschaft das Obskure, das Dunkle, der in der Natur wirkenden göttlichen Kraft zu erschließen.4 Im Jahre 1790 wendet sich der Dichter der Farbenlehre 3

4

Im Jahre 1749 erscheint dieser Gedanke in den Schriften der Berliner Akademie unter dem Titel „Sur la perfection des verres objectifs des lunettes“. Mémoires de l’Académie Royale des Sciences de Prusse 3 (1749), S. 274-296. Vgl. u. a. Werner Heisenberg. „Die Goethesche und Newtonsche Farbenlehre im Lichte der modernen Physik“ [Vortrag v. 1941]. Wandlungen in den Grundlagen der Naturwissenschaft. Sieben Vorträge von Werner Heisenberg. Leipzig u. a., 1947, S. 54-70.

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zu und leiht sich von Hofrat Büttner, dem Jenaer Physikprofessor, zahlreiche wissenschaftliche Instrumente aus – Linsen, farbige Gläser und Prismen –, hauptsächlich, um Newtons Feststellung, dass das „weiße Sonnenlicht aus verschiedenen gefärbten Strahlen, die ungleich brechbar sind, zusammengesetzt“ sei, zu erkunden.5 Doch seine wiederholten Reisen nach Italien, sein Besuch in Schlesien und seine ersten Arbeiten am Faust lenken den Dichter so lange von seinen naturwissenschaftlichen Experimenten ab, bis sein Physikerfreund die optischen Apparate zurückfordert. Kurz bevor der Bote die Instrumente zusammenpackt, wirft Goethe endlich einen Blick durch das geschliffene Glas: Schon hatte ich den Kasten hervorgenommen, um ihn dem Boten zu übergeben, als mir einfiel, ich wolle doch noch geschwind durch ein Prisma sehen, was ich seit meiner frühsten Jugend nicht getan hatte. Ich erinnerte mich wohl, daß alles bunt erschien, auf welche Weise jedoch, war mir nicht mehr gegenwärtig.6

Was Goethe in diesem Moment nicht mehr einfällt, sind wahrscheinlich seine Beobachtungen zu Zeiten seiner naturwissenschaftlichen und medizinischen Studien an der Universität Straßburg. Mit Hilfe eines Prismas hatte man dort weißes Licht in Regenbogenfarben zerlegt, wodurch die sieben Grundfarben des so genannten Spektrums – Rot, Orange, Gelb, Grün, Blau, Indigo und Violett – entstanden waren. Diese prismatische Farbenstreuung will sich Goethe noch einmal vor Augen führen, bevor er die Prismen zurückgehen lässt: [I]ch erwartete, als ich das Prisma vor die Augen nahm, eingedenk der Newtonischen Theorie, die ganze weiße Wand nach verschiedenen Stufen gefärbt, das von da ins Auge zurückkehrende Licht in so viel farbige Lichter zersplittert zu sehen.7

Und er ist sehr verwundert, als die durchs Prisma angeschaute weiße Wand nach wie vor weiß blieb, daß nur da, wo ein Dunkles dran stieß, sich eine mehr oder weniger entschiedene Farbe zeigte, daß zuletzt die Fensterstäbe am allerlebhaftesten farbig erschienen, indessen am lichtgrauen Himmel draußen keine Spur von Färbung zu sehen war.8

5 6

7 8

Vgl. hierzu P. Martell. „Goethes Farbenlehre“. Central-Zeitung für Optik und Mechanik, Elektrotechnik und verwandte Berufszweige 24 (1926), S. 331-332. Johann Wolfgang von Goethe. „Zur Farbenlehre“. Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 23,1: Historischer Teil, Sechste Abteilung, Konfession des Verfassers (hg. v. Manfred Wenzel), S. 976. Ebd. Ebd.

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Goethe denkt nicht lange nach und erkennt, „daß eine Grenze notwendig sei, um Farben hervorzubringen, und ich sprach wie durch einen Instinkt sogleich vor mich laut aus, daß die Newtonische Lehre falsch sei.“9 Dieser Entschluss veranlasst Goethe, die Prismen Büttners weiter bei sich zu behalten und sich intensiv dem Studium der Farben zu widmen. Der verhängnisvolle Fehler des Dichters, der offensichtlich nicht einmal Goethes Lehrer an der Universität in Straßburg unterlaufen war, liegt in der Gestaltung und Durchführung des Experiments. Mit der Camera obscura kann Goethe allerdings nicht ebenso gut operieren, wie er es dichterisch auszudrücken versteht: Freunde flieht die dunkle Kammer Wo man euch das Licht verzwickt, Und mit kümmerlichstem Jammer Sich verschrobnen Bilden bückt. Abergläubische Verehrer Gab’s die Jahre her genug, In den Köpfen eurer Lehrer Laßt Gespenst und Wahn und Trug.10

Diese Kritik treibt Goethe unter anderem dazu, in seinen Experimenten einen Sonnenstrahl nur durch eine kleine Öffnung eines verdunkelten Zimmers zu leiten und als feinen Strahl auf ein Prisma treffen zu lassen. Somit liest Goethe in den optischen Farbenspektren keine Hindernisse für die Optik, sondern eine naturgebundene Bestätigung für seine Farbenlehre: Wenn der Blick an heitern Tagen Sich zur Himmelsbläue lenkt, Beim Siroc der Sonnenwagen Purpurrot sich niedersenkt, Da gebt der Natur die Ehre, Froh, an Aug’ und Herz gesund, Und erkennt der Farbenlehre Allgemeinen ewigen Grund.11

Newton ist hier findiger und entdeckt durch einen derart aufgebauten Versuch die unterschiedliche Brechbarkeit der Lichtstrahlen, die von der Wellenlänge zwischen 800mȝ für das rote und 400mȝ für das violette Licht abhängt.12 Newtons Interesse an der Erforschung der Farb9 10

11 12

Ebd. Johann Wolfgang von Goethe. „Zahme Xenien VI“. Sämtliche Werke (Anm. 1), Bd. 2: Gedichte 1800-1832, Die Sammlung von 1827 (hg. v. Manfred Wenzel u. a.), S. 677. Ebd., S. 678. Am gleichen Versuchsaufbau erkennt Joseph von Fraunhofer innerhalb der Farben

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erscheinungen wird jedoch durch die Beobachtung erregt, dass der wichtigste Abbildungsfehler in den optischen Geräten sich in den farbigen Rändern der beobachteten Bilder zeigt und deswegen von dem Forscher als ‚Geist‘ (spectre) bezeichnet wird. So postuliert er, dass das Licht (der entsprechenden Wellenlänge) beim Übergang von einem Medium in ein anderes umso stärker gebrochen wird, je kleiner die Wellenlänge ist.13 Um wieder auf Goethe zurückzukommen: Dieser sieht durch das Prisma auf die weiße Wand und erwartet í nach seiner falschen Auslegung der Newton’schen Lehre í eine Wand voller Spektralfarben. Es ist bemerkenswert, wie Goethe durch diesen experimentellen Irrtum in seinen falschen Folgerungen bestärkt wird, dass die Entdeckung Newtons í nach der farbloses Licht eine Vermengung farbiger Lichtstrahlen ist í falsch sei. Hingegen erklärt der deutsche Denker, dass weißes Licht homogen sei und die Farben nur durch Abänderungen entstehen, die an dem ursprünglichen Licht durch die äußerlichen Körper hervorgerufen werden, weshalb er sie auch ‚farbige Schatten‘ nennt.14 Goethe geht nicht von einer wissenschaftlichen Problemstellung innerhalb der Optik aus, sondern von dem Problem, das durch Kolorit in der Malerei

13

14

auffallende dunkle Linien, die teils schmaler, teils breiter sind, und gibt diesen Linien seinen Namen. Vgl. Joseph von Fraunhofer. Neue Modifikation des Lichtes durch gegenseitige Einwirkung und Beugung der Strahlen, und Gesetze desselben. München, 1824. Im Kontext der achromatischen Fernrohre vgl. ders. Bestimmung des Brechungs- und Farbenzerstreuungs-Vermögens verschiedener Glasarten in bezug auf die Vervollkommnung achromatischer Fernröhre. Hg. v. Arthur Joachim von Oettingen. Leipzig, 1905. Dass alle Farben zusammen wieder weiß ergeben, lässt sich dadurch beweisen, dass man das Spektrum durch eine Linse sammelt. Es entsteht dann auf dem Auffangschirm wieder ein weißes Spaltbild. Gleichzeitig kann man auch feststellen, dass unbedingt alle Farben des Spektrums gemischt sein müssen, damit sich weiß ergibt. Lenkt man durch ein Prisma eine Farbe des Spektrums ab und sammelt nur die übrigen, so ergibt sich kein weißes, sondern ein farbiges Bild des Spalts, wobei die Farbe des Bildes von jener Farbe des Spektrums abhängig ist, die abgelenkt wurde. Während Goethe in diesen Äußerungen den Widerspruch aller Physiker herausfordert, führt sein Ansatz zu wertvollen Einsichten in die physiologischen und psychologischen Qualitäten der Farberscheinungen. „In dem Kapitel ‚Physiologische Farben‘ hat er die heute noch tragenden Grundlagen für die Wissenschaft von den subjektiven, aus inneren, physiologischen Ursachen erklärbaren Farbempfindungen, wie Kontrastwirkungen, Nachbilder u. ä., gelegt. Und in den Abschnitten ‚Sinnlichsittliche Wirkung der Farbe‘ und ‚Ästhetische Wirkung‘ hat er Wesentliches zur Farbenpsychologie und zur Theorie der Farben in der Malerei vorgearbeitet.“ Johann Wolfgang von Goethe. „Schriften zur Naturwissenschaft. Zur Farbenlehre“. Goethe – Werke in fünf Bänden. Hg. v. Walter Hoyer. Leipzig, 1959, Bd. 3: Der alte Goethe 1806-1832, S. 855 (Anmerkungen zur Farbenlehre).

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aufgeworfen wird – aus diesem Grund spricht er auch von Chromatik. Hier nimmt der Maler „drei Grundfarben [an], indem er aus diesen die übrigen sämtlich zusammensetzt. Der Physiker hingegen nimmt nur zwei Grundfarben an, aus denen er die übrigen entwickelt und zusammensetzt.“15 Goethe ordnet die Farben als Erscheinungen ein, die nur unter Einbeziehung des menschlichen Auges experimentell zu erforschen sind. Dabei kommt er durch seine zahlreichen Beobachtungen zu der durchaus richtigen Einsicht, dass das durch ein trübes Medium hindurchgehende Licht die Grundfarben rot und blau erzeugt. In eben diesen beiden Farben sieht Goethe nicht weiter erklärbare Urphänomene und leitet aus ihrer Vermischung alle anderen Farben ab.16 Einige Zeitgenossen bestärken Goethe in der Richtigkeit seiner Versuche, darunter allerdings vor allem jene, die von physikalischen Untersuchungen noch weniger verstehen als der von ihnen verehrte Goethe.17 Der Herzog von Weimar, dem ich von jeher alle Bedingungen eines tätigen und frohen Lebens schuldig geworden, vergönnte mir auch diesmal den Raum, die Muße, die Bequemlichkeit zu diesem neuen Vorhaben. Der Herzog Ernst von Gotha eröffnete mir sein physikalisches Kabinett, wodurch ich die Versuche zu vermannigfaltigen und ins Größere zu führen in Stand gesetzt wurde. Der Prinz August von Gotha verehrte mir aus England verschriebene köstliche, sowohl einfache als zusammengesetzte, achromatische Prismen. Der Fürst Primas, damals in Erfurt, schenkte meinen ersten und allen folgenden Versuchen eine ununterbrochene Aufmerksamkeit, ja er begnadigte einen umständlichen Aufsatz mit durchgehenden Randbemerkungen von eigner Hand, den ich noch als eine höchst schätzbare Erinnerung unter meinen Papieren verwahre.18

Unter Fachleuten wiederum, die nur „mit den Gasarten und mit dem Galvanismus beschäftigt“ sind, findet Goethe keine Zustimmung; statt15

16 17

18

Goethe (Anm. 6), Bd. 23,1: Didaktischer Teil, Vierte Abteilung, Allgemeine Ansichten, Verbindung der gesteigerten Enden, S. 229. Der Fehler, den Goethe hier wiederum begeht, ist, dass er zwar von bestimmten Farbpaaren ausgeht, die bei einer optischen Mischung weiß bilden, doch nur, weil sie zusammen alle Farben des Spektrums ergeben. Wird z. B. vor der Sammellinse das Rot abgelenkt, so entstehen auf dem Schirm ein rotes und ein grünes Spaltbild, das durch die Mischung der übrigen Farben des Spektrums entsteht. Diese komplementären Farben ergeben weiß, wenn man sie optisch mischt. Mischt man dagegen diese Farben in Form von Wasserfarben, so ergibt sich eine dritte Farbe. Vgl. Johann Wolfgang Goethe. Farbenlehre. 5 Bde. Hg. v. Gerhard Ott u. Heinrich O. Proskauer. Eingel. u. komm. v. Rudolf Steiner. Stuttgart, 2003. Während Goethes Farbenlehre von den Physikern allgemein abgelehnt wurde, fand sie unter Malern teilweise Anklang. Der Romantiker Philipp Otto Runge stimmte mit der Farbenlehre überein, während Arthur Schopenhauer ihr teils zustimmend, teils ablehnend gegenüberstand. Goethe (Anm. 6), S. 980.

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dessen entdeckt er überall „Unglauben an meinen Beruf zu dieser Sache; überall eine Art von Abneigung gegen meine Bemühungen, die sich, je gelehrter und kenntnisreicher die Männer waren, immer mehr als unfreundlicher Widerwille zu äußern pflegte“.19 Worauf Goethe hier anspielt, ist das Faktum, dass zeitgenössische Physiker in ihren Korrespondenzen immer wieder auf Newtons Experiment hinweisen. Newton hatte seine Versuche selbst kommentiert und in seinen Beschreibungen festgehalten, dass die Wand beim Versuch, den der Dichter durchführt, weiß bleibt und die Farben nur an den Rändern der beleuchteten Wand auftreten. Der Physiker Newton befindet sich im Vergleich zu Goethe zwar deutlich auf der richtigeren Spur, doch zieht auch er einen falschen Schluss, indem er annimmt, dass die ‚Geister‘ an den Rändern grundsätzlich nicht zu verhindern sind, was ihn auch zur Konstruktion eines Spiegelteleskops treibt.20 An dieser Stelle tut sich eine Parallele zwischen den beiden Forschergeistern auf, denn in der Sturheit, niemandes Belehrung anzunehmen und sich in den o. g. Punkten auf keine echte Auseinandersetzung mit den Zeitgenossen einzulassen, ähneln sich Newton und Goethe letztlich: Newton ist bis zu seinem Tode von der Richtigkeit seiner Ergebnisse in der Farbforschung überzeugt, genauso wie sein Kritiker Goethe, der glaubt, den Engländer in seinem umfassenden Werk Zur Farbenlehre auf 1400 Seiten zu widerlegen und mit dem Glauben an seine Naturforschung, nicht an die Poesie, stirbt. 2. Episteme des Regenbogens […] den Regenbogen will ich ihnen zeigen und alle die Treppen des Übermenschen. Friedrich Nietzsche, Also sprach Zarathustra

Bevor die farbigen Schatten jedoch an die Ränder des Beobachtungsfeldes rücken und die exakte optische Untersuchung des Unsichtbaren erschweren,21 werden sie zu Beginn des 17. Jahrhunderts zum experi19 20 21

Ebd., S. 979. Vgl. Newton (Anm. 2), Buch 1, S. 55-66 u. S. 71-74. Für die mediologischen Episteme des 17. Jahrhunderts markiert Hartmut Böhme vier Formen des Unsichtbaren: die Öffnung und Zergliederung des Leibesinneren, die Erschließung der makroskopischen, aber auch der mikroskopischen Welt und die experimentelle Darstellung des Vakuums. Vgl. Hartmut Böhme. „Die Metaphysik der Erscheinungen. Teleskop und Mikroskop bei Goethe, Leeuwenhoek und Hooke“. Kunstkammer, Laboratorium, Bühne. Schauplätze des Wissens im 17. Jahrhundert. Hg. v. Helmar Schramm, Ludger Schwarte u. Jan Lazardzig. Berlin u. New York, 2003, S. 359-396.

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mentellen Ort des Geschehens. Regentropfen, die das Licht in sich ‚einfangen‘ und somit – als optisch eher dichte Medien – als die Ursache der Regenbogen erkannt werden, bilden die Episteme der Optik und vereinen die Grundlagen – Reflexion und Refraktion – der neuen Experimente in sich. Indem das Licht in ein Medium mit einer anderen optischen Dichte ‚schief‘ eintritt, erfährt es eine Richtungsänderung und wird gebrochen.22 Willebrord Snellius ist es, der mit dem nach ihm benannten Brechungsgesetz erstmals eine mathematische Ableitung und Formel für den Winkel angibt, in dem ein Lichtstrahl von seiner Ursprungsbahn abgelenkt wird, wenn er von einem Medium in ein anderes übergeht.23 Snellius beginnt mit seinen Berechnungen, nachdem er die Methode der Landvermessung durch Triangulation beschrieben hat. Im Jahr 1621 münden seine Forschungen dann in die Formulierung des Grundgesetzes der Optik: „Der einfallende und der gebrochene Strahl liegen mit dem Einfallsort in einer Ebene. Der Sinus des Einfallswinkels steht zum Sinus des Brechungswinkels für jedes Paar von Medien in einem konstanten Verhältnis, das nur von der Natur der Medien abhängt [...].“24 In jedem Fall ist das Verhältnis der beiden Winkel konstant, und die sich daraus ergebende Zahl bezeichnet Snellius als Brechungsindex, den er mit n benennt:

n

sin i sin i '

v' . v

Dieses Gesetz der Refraktion, das für die Entwicklung der Optik das bedeutendste geworden ist, reicht indes nicht aus, um die Entstehung des Regenbogens wissenschaftlich zu erklären. Wenige Jahre später kommt René Descartes, der lange als der Erfinder des Brechungsgesetzes galt,25 durch seine spielerischen Ballversuche zu der gleichen Vermutung: […] wie ein Ball zurückgeworfen wird, wenn er gegen die Mauer eines Spielfeldes prallt, und wie er eine Brechung erleidet, wenn er schräg ins Wasser fällt oder daraus hervorkommt, genauso müssen auch die Lichtstrahlen, wenn 22

23

24 25

Die Ursache ist die Geschwindigkeitsänderung des Lichtes, die sich in einem optisch dichteren Medium verkleinert und dadurch die Richtung ändert. Bei senkrechtem Auftreffen auf die Trennungslinie zweier optischer Medien tritt keine Refraktion ein. Zur Geschichte des Brechungsgesetzes vgl. Hans Boegenhold. „Einiges aus der Geschichte des Brechungsgesetzes“. Central-Zeitung für Optik und Mechanik, Elektrotechnik und verwandte Berufszweige 10-13 (1919), S. 94, 103, 113 u. S. 121. Vgl. Willebrord Snellius. Tiphys Batavus [1624]. Zit. n. Emil-Heinz Schmitz. Handbuch zur Geschichte der Optik. 5 Bde u. 3 Erg.bde. Bonn, 1981, Bd. 1, S. 284. Vgl. Peter Kramer. „Descartes und das Brechungsgesetz des Lichtes“. Abhandlungen zur Geschichte der Mathematik 4 (1882), S. 235-278.

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Abb. 1: Konstruktion zum Beweis der Ball-Hypothese aus René Descartes. La Dioptrique (Paris, 1637), Blatt 115.

sie auf einen Körper stoßen, der ihnen nicht erlaubt hindurchzugehen, zurückgeworfen werden; und wenn sie schräg in einen beliebigen Ort eindringen, wo sie sich mehr oder weniger leicht als dort, wo sie herkommen, ausbreiten können, müssen sie ebenfalls am Punkt dieser Veränderung die Bahn wechseln und eine Brechung erleiden.26

Diese Ball-Hypothese, die in seiner philosophischen Betrachtung des Lichtes eine zentrale Rolle einnimmt, versucht Descartes durch die Konstruktion einer einfachen Vorrichtung in seinem Labor experimentell zu beweisen: Er bohrt zwei Löcher so in ein Gestell, dass diese den Weg des durch sie hindurchtretenden Lichtbündels dahingehend steuern, dass es auf dem zu untersuchenden Stoff auftrifft, der die Form eines Prismas hat.27 Der Lichtstrahl wird gebrochen, auf der Bodenplatte erscheint ein Lichtfleck (Abb. 1). Nachdem Descartes auch den Rechenvorgang angegeben hat, der die Bestimmung des Brechungsindexes ermöglicht, macht er sich an eine weitere Konstruktion, durch die er das Regenbogen-Problem endlich zu lösen glaubt. Eine dünnwandige, mit Wasser gefüllte Glaskugel soll das Rätsel des Regenbogens aufdecken. Descartes inszeniert das Naturereignis in seinem Laboratorium, indem er die Glaskugel an einer Schnur aufund niedersteigen lässt und die Winkel zwischen dem einfallenden und dem ins Auge gehenden Sonnenstrahl misst.28 Und obwohl Descartes 26

27 28

René Descartes. Le Monde ou Traité de la Lumière. Die Welt oder Abhandlung über das Licht. Hg., übs. u. Nachw. v. Günter Matthias Tripp. Weinheim, 1989, S. 119. Vgl. René Descartes. La Dioptrique. Paris, 1637, S. 89-93 und ders. Descartes’ Dioptrik. Hg. u. übs. v. Gertrud Leisegang. Meisenheim a. Glan, 1954, S. 93-105. Vgl. Adolf Kistner. Geschichte der Physik. 2 Bde. Berlin u. Leipzig, 1919, Bd. 1: Die Physik bis Newton, S. 81.

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auf diese Weise zu keinem neuen Ergebnis kommt, markiert er mit diesem Experiment zum einen die ersten mathematischen Untersuchungen über den Radius von Haupt- und Nebenbogen, und zum anderen schafft er die Grundlage spektakulärer Vorführ-Experimente bei höfischen Festen.29 Erst als Descartes seine Ballversuche mit der Glaskugel-Konstruktion kombiniert, dringt er auf dem Gebiet der Optik zu seiner größten Leistung vor: der im Ansatz richtigen Erklärung der Entstehung des Regenbogens.30 Er kommt zu dieser richtigen Erklärung, indem er im Wassertropfen neben der Refraktion die darauf folgende Reflexion des Lichtes annimmt und darin die Ähnlichkeit mit einem vollelastischen Stoß eines Balls erkennt. Der erneuten Refraktion beim Austritt des Sonnenstrahles aus dem Tropfen misst Descartes indes keine Bedeutung bei und somit bleibt die Erklärung der Regenbogenfarben Newton überlassen. Um die Natur des Lichtes zu beschreiben und um zu beweisen, dass weißes Licht nicht homogen ist, sondern aus verschiedenen Farben besteht, die sich im Objektiv in ‚Geister‘ verwandeln und die erst durch optische Mischung wieder weiß ergeben, greift Newton zu den Prismen. Um sein Experiment effektvoller zu gestalten, stellt er das Prisma in den Weg des Lichtes, das durch eine Sammellinse aus einem von der Sonne stark beleuchteten Spalt dringt. Genau dieser Spalt ist es, dem Goethe keine Beachtung schenkt und daher in seinen Experimenten nur an den Rändern seines Beobachtungsfeldes farbige Schatten nachweisen kann. In Newtons Versuch erscheint an der Stelle des weißen Spaltbildes ein breites ‚Farbenband der Geister‘ auf dem Schirm (Abb. 2). Diese ineinander übergehenden Farben bezeichnet Newton als ‚farbige Spectra‘ und postuliert, dass die Brechbarkeit der Farben verschieden sei.31 29

30

31

Zur Attraktion des Regenbogens vgl. Florian Nelle. „Von der beobachteten zur inszenierten Natur. Descartes und der Regenbogen im Wasserglas“. Theatralität und die Krisen der Repräsentation. Hg. v. Erika Fischer-Lichte. Stuttgart u. Weimar, 2001, S. 392-410. Vgl. Descartes (Anm. 26). In der Wissenschaftsgeschichte wird oft die Meinung vertreten, dass eine annähernd richtige Erklärung bereits dreihundert Jahre zuvor von Theodoricus Teutonicus de Vriberg geliefert wurde. Vgl. Carl Benjamin Boyer. The Rainbow. From Myth to Mathematics. Princeton, N. J., 1987, S. 200. Die Richtigkeit dieser Erklärung basiert jedoch nur auf einer Deutung der Ursache des Regenbogens und nicht auf einer optischen Untersuchung der Refraktion und Reflektion. Newton (Anm. 2), Buch 1, S. 19-43; vgl. auch Simon Schaffer. „Glass Works. Newton’s Prisms and the Uses of Experiment“. The Uses of Experiment. Studies in the Natural Sciences. Hg. v. David Gooding, Trevor Pinch u. dems. Cambridge u. a., 1989, S. 67-104.

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Abb. 2: Newtons Skizze zu Farberscheinungen (1675).

Dann baut er sein Experiment weiter aus und lässt nur eine Spektralfarbe durch ein Loch im Schirm durchscheinen, die er durch ein Prisma umlenkt. Als Ergebnis betrachtet er genau die Farbe auf der Wand, die er ausgesucht hat, und beweist damit, dass der ‚Geist‘ nicht weiter zerlegt werden kann; aus diesem Grund nennt Newton die Spektralfarben „monochromatisch“.32 Des Weiteren glaubt Newton, dass die Brechung des weißen Lichtes und seine Zerlegung in die Spektralfarben immer gemeinsam auftreten müssen und verwirft daher die Machbarkeit von Linsen, die keine ‚Farbgeister‘ an den Bildrändern aufweisen. 3. Das Geistern der Farben in den Objektiven Das Erscheinen der ‚farbigen Geister‘ im Objektiv und die damit zusammenhängende Unmöglichkeit, das Betrachtete exakt zu untersuchen, verweist auf zwei interferierende Bereiche des Visuellen und lässt damit die schimmernden ‚Geister‘ als wahre Episteme erscheinen. Diese Interferenz der technischen und imaginativen Potenzen dient der immer weiter fortschreitenden Entwicklung von optischen Geräten und gleichzeitig der spekulativ-spektakulären Repräsentation des Betrachteten.33 32 33

Zur optischen Mischung der Spektralfarben und ihrer Komplementarität vgl. die Ausführungen in Anm. 13. Horst Bredekamp hat am Beispiel der Mondzeichnungen Galileis deutlich gezeigt,

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Das Herumgeistern der Farben, die das betrachtete Objekt umgeben (chromatische Aberration), bildet nur eine signifikante Abweichung, die zu dessen mangelhafter Wahrnehmung beiträgt. Ein anderer bedeutender Fehler besteht darin, dass die Randstrahlen in den Teleskopen und Mikroskopen stärker gebrochen werden als diejenigen, die nahe der Achse auftreffen. Ursache solcher Irrwege der Strahlen ist die sphärische Krümmung der Linsenflächen, die zur Folge hat, dass sich die Strahlen nach ihrer Brechung nicht alle im Brennpunkt vereinigen, sondern diese auch die Mittelachse in verschiedenen Punkten unweit des Brennpunktes schneiden. Die Schnittpunkte der Randstrahlen liegen der Linse näher, während sich die in Achsennähe verlaufenden Strahlen weiter entfernt schneiden und statt eines Brennpunktes eine ganze Brennlinie bilden. Der Einfluss einer solchen Aberration ist umso größer, je stärker die Linse ist; die damit zusammenhängende größere Krümmung stellt wiederum einen Grund für die beachtliche Länge der astronomischen Fernrohre des 17. Jahrhunderts dar.34 Obwohl die Verlängerung der Fernrohre ein Mittel zu sein scheint, ihre Leistungskraft zu verbessern, kritisieren viele Gelehrte, darunter auch Newton, die Ungenauigkeit dieser Instrumente: „Denn sehr lange Fernrohre sind unbequem und schwer zu handhaben, auch wegen ihrer Länge sehr geneigt, sich zu biegen und zu wanken, dass sie die Objecte beständig zittern und nur schwer deutlich erkennen lassen […].“35 Es ist die ‚schöpferische‘ Imagination, der sich viele Forscher bedienen, um ihre Ergebnisse publik zu machen,36 und die Newton als unzureichend erscheint: Wie in der Mathematik, so sollte auch in der Naturforschung bei Erforschung schwieriger Dinge die analytische Methode der synthetischen vorausgehen. Diese Analysis besteht darin, daß man aus Experimenten und Beobachtungen durch Induction allgemeine Schlüsse zieht und gegen diese keine Einwendungen zuläßt, die nicht aus Experimenten oder aus anderen gewissen Wahrheiten entnommen sind. Denn Hypothesen werden in der experimentellen Naturforschung nicht betrachtet.37

34

35 36 37

dass das ‚fehlerhafte‘ Sehen ein Bild Galileis als Künstler evozierte. Vgl. Horst Bredekamp. „Galileo Galilei als Künstler“. Übergangsbogen und Überhöhungsrampe. Naturwissenschaftliche und künstlerische Verfahren. Hg. v. Bogomir Ecker u. Bettina Sefkow. Hamburg, 1996, S. 54-63. Während bei den Linsen der Objektive die Aberration von großem Einfluss auf die Bildgestaltung ist, hat sie bei Brillengläsern nur eine untergeordnete Bedeutung, weil das Auge nur mit engen Lichtbüscheln arbeitet, so dass die Randstrahlen kaum zur Wirkung kommen. Vgl. Eduard Raskop. Der Augenoptikermeister. Des praktischen Optikers Handbuch. Erfurt, 1951, S. 58. Newton (Anm. 2), Buch 1, S. 68. Vgl. Böhme (Anm. 21), S. 362. Newton (Anm. 2), Buch 3, S. 146.

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Somit begrüßt Newton die Erfindung eines Luftfernrohrs von Christiaan Huygens,38 das es ohne den Einsatz eines Rohrs erlaubt, die Objektivbrennweite bis zu einer Länge von 200 Metern auszubauen. Denn mit diesem werden „die Gläser leicht handlich und das Objectiv durch Befestigung an einem aufrechten, festen Gestelle standhafter“.39 Auch wenn man die Genauigkeit der Fernrohre durch ihre Verlängerung und die Platzierung mehrerer Linsen verbessern kann und dadurch die sphärische Aberration gering hält, bleibt die chromatische Aberration in den Konstruktionen erhalten. Beim Nachdenken über andere optische Konstruktionen entwickeln verschiedene Gelehrte die Idee, statt der Sammellinse einen sphärischen Spiegel zu gebrauchen, um die chromatische Aberration auf diese Weise zu vermeiden.40 Diesen Gedanken verfolgt auch Newton und so wendet er im Jahre 1668 „anstatt eines Objectivglases ein concaves Metall“ an. Als Newton seine neue Erfindung mit einem alten „4 Fuss langen Perspectiv verglich, welches ein concaves Ocular hatte“, stellt der Konstrukteur fest, dass er mit seinem „eigenen Instrumente auf größere Entfernungen hin lesen“ kann.41 Gleichzeitig konstatiert Newton, dass ihm „die Objecte viel dunkler [erscheinen], als im Glase, theils deshalb, weil durch die Reflexion im Metall mehr Licht verloren ging, als durch die Brechung im Glase“.42 Vier Jahre später präsentiert Newton der Royal Society ein Modell seines Spiegelteleskops, das die Society-Mitglieder so begeistert, dass sie den Gelehrten sofort in ihren Kreis aufnehmen (Abb. 3). In der Folgezeit vernachlässigt Newton seine Pläne zur Verbesserung von Objektivgläser zugunsten einer Konzentration auf die Spiegelteleskope, die 38

39 40

41 42

In der Optik ist Christiaan Huygens vor allem durch seine Ondulationstheorie des Lichtes bekannt geworden, nach der sich das Licht mit Hilfe von Schwingungen des Äthers in Form von Wellen fortpflanzt. Diese Theorie musste lange Zeit um ihre Anerkennung kämpfen, weil Newton mit seiner Emissionstheorie bereits zuvor eine andere Ansicht vertreten hatte, aber auch, weil die Lehre der alten Griechen in den Vorstellungen der damaligen Zeit weit verbreitet war. Ihr zufolge ist das Sehen ein Vorgang, der mit Hilfe von vom Auge ausgehender Strahlen erfolgt. Vgl. Schmitz (Anm. 24), Bd. 1, S. 395. Newton (Anm. 2), Buch 1, S. 68. Erwähnenswert sind dabei die Spiegelfernrohr-Konstruktionen von Niccolò Zucchi, Marin Mersenne und James Gregory. Zur Geschichte der Spiegelteleskope vgl. u. a. Johann Gottfried Geissler. Technische Geschichte des reflektirenden oder SpiegelTeleskops, nebst vollständiger Beschreibung desselben sowohl als alle derjenigen Instrumente, welche sich auf Reflexionen gründen, und der Art ihrer Aufstellung. Dresden, 1807. Newton (Anm. 2), Buch 1, S. 69. Ebd.

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Abb. 3: Newtons Skizze zum Spiegelteleskop (1668).

das Erscheinen der ‚Geister‘ zwar sehr stark einschränken, jedoch nicht gänzlich vermeiden. Es ist offensichtlich, dass in Newtons Untersuchungen die ‚analytische Methode‘ der ‚synthetischen‘ vorausgeht bzw. Letztere ganz ausbleibt – Hinweise dafür liefert die in seinen optischen Ausführungen zu findende Erläuterung der Methode zur Konstruktion solcher Gläser: Wäre nicht diese verschiedene Brechbarkeit der Strahlen, so liessen sich die Fernrohre zu grösserer Vollkommenheit bringen, als die bisher beschriebenen, wenn man die Objective aus zwei Gläsern zusammensetzte und den Raum zwischen ihnen mit Wasser füllte.43

Ganz in seinem Verständnis der analytischen Vorgehensweise rechnet Newton eine solche Konstruktion durch und stellt am Ende fest: [S]o werden die Brechungen an den concaven Seiten der Gläser die Fehler der Brechungen an den convexen Seiten, insoweit sie von der sphärischen Gestalt her rühren, bedeutend verbessern. Dies wäre ein Mittel, die Fernrohre zu genügender Vollkommenheit zu bringen, wenn nicht die verschiedene Brechbarkeit der verschiedenen Strahlenarten bestünde.44 43 44

Ebd., S. 67f. Ebd., S. 68.

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Newton nimmt die Proportionalität des Brechungsindexes und der Dispersion – die Zerlegung seiner ‚Geister‘ – zueinander an, mit der, vorausgesetzt diese Annahme ist richtig, sich auch in Wirklichkeit kein Achromat konstruieren lässt. Doch gerade an dieser Stelle fehlt Newton die von ihm so stark kritisierte ‚synthetische Methode‘; vielleicht hätte er mit ihrer Hilfe erkennen können, dass die ‚farbigen Geister‘ mit der Richtigkeit seiner Annahme auch im menschlichen Auge irrlichtern würden. 4. Vom toten Auge der Camera obscura zum lebendigen Auge der Objektive Dioptrik oder Schilderung der Folgen, die sich aus der unlängst gemachten Erfindung des Fernrohrs für das Sehen und die sichtbaren Gegenstände ergeben lautet der Titel einer Schrift, in der Johannes Kepler sein Verständnis des Auges erklärt. Er verweist darin auf die Wissenschaft, die ihren Ursprung in der Sternenkunde genommen hat und sich nun mit der Refraktion und später auch der Reflexion des Lichtes beschäftigt.45 Damit überträgt Kepler die technischen Episteme der Astronomie, wie das Modell des Fernrohrs und der daraus folgenden Galilei’schen Wahrnehmungstheorie, auf seine Theorie der Netzhaut.46 Neben der Konstruktion eines Fernrohrs vergleicht Kepler die Struktur des Augapfels auch mit den Gesetzen in einem dunklen Loch-Raum. Er ist davon überzeugt, dass das Netzhautbild wie ein umgekehrtes Gemälde zu denken sei, das ohne das Zutun eines aktiven Auges im Menschen 45

46

Keplers Idee wird beim Bau eines Teleskops durch den deutschen Jesuiten und Astronomen Christoph Scheiner 1630 angewandt. Kepler begründet damit die geometrische Optik, obwohl er das richtige Brechungsgesetz noch nicht kennt und nur ein konstantes Winkelverhältnis für die Brechung annimmt. Vgl. Johannes Kepler. Dioptrik oder Schilderung der Folgen, die sich aus der unlängst gemachten Erfindung der Fernrohre für das Sehen und die sichtbaren Gegenstände ergeben [1611]. Hg. u. übs. v. Ferdinand Plehn. Thun, 1997. Ebenso wie viele Gelehrte, die sich mit dem Aufbau des Auges und der Wahrnehmungstheorie beschäftigten, vertrat auch Kepler die Ansicht der alten Griechen, dass die vom Auge ausgehenden Strahlen die betrachteten Objekte abtasten und dann wieder in das Auge zurücksenden. Unter denen, die sich mit der Theorie des Sehens auseinander setzen, sticht Andreas Vesalius, der den Sehnerv erkennt, als einziger Arzt unter den Optikern, Physikern und Astronomen hervor. Erwähnenswert sind u. a. Leonardo da Vinci, Giovanni Battista Della Porta und Christoph Scheiner, der durch Sektion eines Schafauges beweist, dass sich auf der Netzhaut ein umgekehrtes Bild des vor dem Auge befindlichen Gegenstandes zeigt. Vgl. Schmitz (Anm. 24), Bd. 1, S. 271.

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abgebildet wird, mithin also genau wie das Bild einer Camera obscura aufgebaut ist. In der Camera obscura, einem seit der Antike bekannten Prinzip, fällt das Licht durch eine kleine Öffnung in eine dunkle Kammer, in der sich der Betrachter befindet, und erzeugt ein invertiertes Bild an der Wand, die der Öffnung gegenüberliegt. Das für die dunkle Kammer zentrale Prinzip der Trennung des Betrachters von der Außenwelt zieht diesen so in eine asketische Sehpraktik hinein, in der durch die klare Darstellung die Welt „da draußen“ visuell und intellektuell bewältigt werden kann; somit scheinen objektive Wahrheiten möglich zu werden. Neben dieser Trennung von Betrachter und Welt, die eine haptische Depotenzierung erzeugt,47 inszeniert die Camera noch eine weitere Trennung, nämlich die des Betrachters von seinem eigenen Körper,48 an welchen die sinnliche Erkenntnis zwar gebunden bleibt, der aber nur noch als Organisator eines wahren Bildes fungiert. Diese Ansicht eines unfehlbaren, toten Auges, das als Linse an der Öffnung das Bild quasi vor-sieht, wird vor allem durch Descartes vertreten, für den die Repräsentation bereits a priori ent-anthropomorphisiert ist. Das menschliche Auge wird gleichsam in Analogie zur Camera obscura gedacht,49 in welcher der Betrachter in der Lage ist, eine körperlose Wahrheit herzustellen, in der das Bild von diesem unabhängig erscheint und als stabiler Referent etwaigen Täuschungen entgeht.50 Während Descartes sich dem Modell des Auges zuwendet und neben der genauen Darstellung des Strahlengangs im Auge davon spricht, dass objektive Erkenntnis nur aus objektivem Sehen zu gewinnen sei,51 vollzieht er eine strikte Trennung zwischen Betrachter und Auge. Dies geschieht vor allem dadurch, dass er den Vorgang des Sehens am Beispiel eines Blinden erläutert, womit die Ausblendung und Verdrängung 47 48 49

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51

Vgl. Peter Bexte. Blinde Seher. Wahrnehmung von Wahrnehmung in der Kunst des 17. Jahrhunderts. Amsterdam u. Dresden, 1999. Hierzu besonders Jonathan Crary. Techniken des Betrachters. Sehen und Moderne im 19. Jahrhundert. Dresden, 1996. Crary schildert, dass das Funktionieren des menschlichen Auges bis zum Beginn der „visuellen Moderne“ überwiegend in Analogie zu den Funktionsprinzipien von zeitgenössischen optischen Medien gedacht wurde. Zu experimentell-mediologischen Strategien in literarischen Texten vgl. Gunnar Schmidt. „Von Tropfen und Spiegeln. Medienlogik und Wissen im 17. und frühen 18. Jahrhundert“. Ders. u. Marianne Schuller. Mikrologien. Literarische und philosophische Figuren des Kleinen. Bielefeld, 2003, S. 33-57. Descartes (Anm. 26). Aus medizinischer Sicht gibt Descartes die erste Erklärung über das Anpassungsvermögen des Auges an das Nah- und Fernsehen, erläutert die ersten Möglichkeiten, die Schwächen des Auges zu beseitigen, und markiert damit die Grundlagen für eine brauchbare Erklärung der Akkommodation.

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sinnlicher Faktoren aus der Repräsentation einhergeht.52 Das Licht der Vernunft wird somit apparativ geordnet in eine rationalistische Schau überführt, in ein einheitliches Feld von Welt und Betrachter. Damit wird ein Individuationsprozess in Gang gesetzt, der dem Sehenden bzw. Nicht-Sehenden letztlich ermöglicht, Identität mit sich und der Welt herzustellen. Doch obwohl sich diese Wahrnehmungstheorie in der Folgezeit durchsetzt, bleibt der Blick in die inneren Strukturen des Auges für viele unbeantwortet. Somit wechselt der optische Diskurs „von Keplers Sternwarte in den Seziersaal der Akademie der Wissenschaften“.53 – Bereits Newton rekurriert auf die Arbeit des Anatomen, wenn er den Brechungsvorgang des Lichts im Auge beschreibt: [W]enn der Anatom von der Hinterseite des Auges die äussere dickste Haut, welche Sclerotica [...] heisst, abhebt, so kann er durch die dünneren Häute hindurch die Bilder der Gegenstände ganz deutlich auf der Retina sehen. Darin, dass diese Bilder durch die Erregung des Sehnervs dem Gehirne mitgeteilt werden, beruht das Sehen.54

Einen regelrechten ‚Brennpunkt‘ anatomischer Augen-Experimente stellt der Seziertisch in der Kunstkammer, dem Hauptgebäude der neu formierten Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg, dar.55 Dort ver52

53

54 55

Für Hans Blumenberg beginnt der Zweifel an den Sinnen und die sich daraus ableitende notwendige Entsinnlichung im technischen Medium bereits im 16. Jahrhundert mit Michel Montaignes „skeptischer Anthropologie“, um dann im „Galileistreit“ über das Teleskop erstmals zu eskalieren. Somit leitet Blumenberg die Verdrängung des Körpers aus der „wahrhaftigen“ und objektiven wissenschaftslegitimierenden Repräsentation ab. Vgl. Hans Blumenberg. Die Genesis der kopernikanischen Welt. 3 Bde. Frankfurt a. M., 1981, Bd. 3: Der kopernikanische Komparativ. Die kopernikanische Optik, S. 726-729. Bexte (Anm. 47), S. 27. Am Beispiel der Entdeckung des blinden Flecks durch Edme Mariotte widmet sich Peter Bexte der Kultur- und Wissenschaftsgeschichte der Blindheit, die er in die Wahrnehmungstheorie zurückholt und vor allem auf die Kunst des 17. Jahrhunderts projiziert. Newton (Anm. 2), Buch 1, S. 12f. Zur Kulturgeschichte der St. Petersburger Kunstkammer vgl. Wladimir Velminski. „Folterkammer – Kunstkammer. Werkzeuge der Wissensvermittlung“. Werkzeuge (= Plurale, 4). Hg. v. Mirjam Goller. Berlin, 2005, S. 69-94. Vgl. auch die zwei grundlegenden, wenn auch in mancher Hinsicht veralteten Monografien von Tatjana Stanjukoviþ. Die Kunstkammer der Petersburger Akademie (Ʉɭɧɫɬɤɚɦɟɪɚ ɩɟɬɟɪɛɭɪɝɫɤɨɣ Ⱥɤɚɞɟɦɢɢ). Moskau, 1953 und Jurij Kopeleviþ. Die Gründung der Petersburger Akademie der Wissenschaften (Ɉɫɧɨɜɚɧɢɟ ɩɟɬɟɪɛɭɪɝɫɤɨɣ Ⱥɤɚɞɟɦɢɢ ɧɚɭɤ). Leningrad, 1977. Den aktuellen Stand über die petrinische Kunstkammer liefert der Ausstellungskatalog Palast des Wissens. Die Kunst- und Wunderkammer Zar Peters des Großen [Ausst.kat.]. 2 Bde. Hg. v. Brigitte Buberl. München, 2003.

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sammeln sich in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts Forscher wie die beiden Mathematiker Daniel und Nikolaus Bernoulli, der Physiker Johann Georg Wolfgang Kraft und der Astronom und Kartograf JosephNicolas Delisle. Einberufen hat die Zusammenkunft der Anatom Johann Georg Duvernoy, den noch Peter der Große nach St. Petersburg eingeladen hatte.56 Neben der Sektion eines Elefanten-Penis’ oder des Riesen-Bourgeois’,57 der mit seinen 2,27 Metern Körpergröße von Peter dem Großen mit der Absicht gekauft worden war, besonders große Soldaten für seine Armee zu zeugen,58 finden hier auch die Augen-Experimente statt. Duvernoy führt die Augenmuskeln der von ihm sezierten Katzen, Leoparden und Löwen vor,59 wobei ihm sein Student Josias Weitbrecht und der junge Leonhard Euler assistieren. Ergebnis der Augen-Sektionen des Wissenschaftler-Teams an den bereits erwähnten Tieren, und darüber hinaus an einer Robbe, einer Eule und einer Fliege, ist die konsequente und logische Darstellung der Augenpräparate im Katalog der Kunstkammer,60 in welchem die systematische Beschreibung der Präparate unter dem Kapitel „Über das Sehen“ aufgelistet ist.61 In einer ähn56

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58 59

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61

Dem Ruf des Zaren folgte Duvernoy aber erst eineinhalb Jahre nach dessen Tod, also im Herbst 1725. Vgl. Anna Radsjun. „Die ersten Anatomen der Petersburger Akademie der Wissenschaften“ (ɉɟɪɜɵɟ ɚɧɚɬɨɦɵ ɉɟɬɟɪɛɭɪɝɫɤɨɣ Ⱥɤɚɞɟɦɢɢ ɧɚɭɤ). Mitteilungen der russisch-niederländischen wissenschaftlichen Gesellschaft (ɋɨɨɛɳɟɧɢɹ Ɋɨɫɫɢɣɫɤɨ-ɇɢɞɟɪɥɚɧɞɫɤɨɝɨ ɧɚɭɱɧɨɝɨ ɨɛɳɟɫɬɜɚ). Hg. v. Gennadja Wilinbachowa. St. Petersburg, 2003, S. 159-172. Vgl. Johann Georg Duvernoy. „De Pene Elephanti. De Pingvedine, Prostata, Mvscvlis, Nervis, Vasis Sangvi Neis, Corporibvs Nerveo Spongiosis Eorvmqve Septo, Balano Penis, Vrethrae Bvlbo, Elvsqve Corpose Spongioso“. Commentarii Imperialis Petropolitani (1727), S. 372-403. Vgl. Johann Georg Duvernoy. „Monstrvm Petropolitanvm“. Commentarii Imperialis Petropolitani (1726), S. 188-193. Der Aufbau der Sehorgane interessiert Duvernoy vor allem deshalb, weil er zur selben Zeit an einem Katalog der Sammlung Frederik Ruyschs arbeitet – Peter der Große hatte sie dem holländischen Anatom abgekauft – und genau jenen Teil der Sammlung untersucht, der mehr als 100 Präparate von Menschen- und Tieraugen enthält. Zur Geschichte der Ruysch-Sammlung vgl. Velminski (Anm. 55), S. 85f. Bemerkenswert erscheint an dieser Stelle die ins Lateinische übersetzte Optik [1240] des arabischen Gelehrten Ibn al-Haithams, in der sich eine verblüffend naturgetreue Zeichnung eines menschlichen Auges findet, die viele Wissenschaftler begeistert hat. Vgl. Marija Alekseje’wa. Die Gravierkammer der Akademie der Wissenschaften XVIII (Ƚɪɚɜɢɪɨɜɚɥɶɧɚɹ ɩɚɥɚɬɚ Ⱥɤɚɞɟɦɢɢ ɧɚɭɤ XVIII). Leningrad, 1985, S. 124. Vgl. Academiae Scientiarum Petropolitanae (Hg.). Mvsei Imperialis Petropolitani. 2 Bde. St. Petersburg, 1742-1745, Bd. 1: Pars Prima Qva Continentvr Res Natvrales ex Regno Animali, S. 80-94.

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lichen Situation, wie sie Descartes über das Beobachten der Bilder auf der Netzhaut eines Tieres in seinem Experiment beschreibt – wozu man das Auge eines Rindes herausoperieren und es so in einer Apparatur befestigen muss, dass es seine ‚natürliche‘ Form bewahrt –, befinden sich die Wissenschaftler, vor den Augen des Elefanten und Löwen in der Kunstkammer stehend.62 Im Experiment gelangen sie zu der Überzeugung, dass die Entwicklung des Sehorgans vom Einfachen zum Komplizierten verlaufen sei, von einfachen Einlinsensystemen zu Mehrlinsensystemen. Sie schließen daraus, dass Linsenteleskope und Mikroskope verbessert werden könnten, wenn die Anzahl der gewählten Linsen erhöht werden würde, was allerdings zu diesem Zeitpunkt schon bewiesen worden war. Das Mehr an Linsen löst indes immer noch nicht das Problem der ‚farbigen Geister‘, die nach wie vor durch die Teleskope und Mikroskope der Forscher ‚spuken‘. Zwar untersuchen die Wissenschaftler an der Petersburger Kunstkammer die bereits präparierten Augen, um die Haupteigenschaften der Diffraktion des Lichts experimentell zu erklären,63 doch sie schaffen es dabei nicht, über die bewunderten Versuche und Erkenntnisse Newtons hinauszugehen. Der junge Schweizer Leonhard Euler, der sich bereits vor Antritt seiner Stelle an der Petersburger Akademie der Wissenschaften auf Rat seines Freundes Daniel Bernoulli mit Physiologe befasst hat, ist jedoch davon überzeugt, dass sich die Erkenntnisse über die komplexen Strukturen des menschlichen Auges auf die Verbesserung der Fernrohre anwenden lassen. Er schaut sich die Newton’sche Herleitung genauer an,64 und als er sie mit dem Aufbau des Auges vergleicht, erkennt er, dass die Rechnung des englischen Physikers nicht ausreicht, um die Brechung an den Übergängen zwischen verschiedenen Medien (Luft – Hornhaut, Hornhaut – Kammerwasser, Kammerwasser – Linse, Linse – Glaskörper) zu bestimmen.65 Um dieses Problem zu lösen, stellt Euler eine Dif62

63

64 65

Johann Georg Duvernoy. „De Liene“. Commentarii Imperialis Petropolitani (1729), S. 156-163. Zu den Untersuchungen der Wissenschaftler an den Präparaten siehe PF Archiv ɊȺɇ, F 3, OP-I, Nr. 2, 1., ɫ. 41, 80, 85 – 86, 107ob., 120ob. (St. Petersburger Filiale des Archivs der Akademie der Wissenschaften). Die Präparate der Sammlung von Ruysch in der Kunstkammer demonstrieren, dass sie nicht nur reine Museumsexponate sind. Sie dienen als Grundlage für wissenschaftliche Forschungen, als Maßstab für die Meisterschaft in der Injektionstechnik und als Anschauungsmaterial für Studenten. Vgl. dazu Velminski (Anm. 55), S. 88. Vgl. Newton (Anm. 2), Buch 1, S. 68. In der bereits erwähnten Schrift „Sur la perfection des verres objectifs des lunettes“ aus dem Jahre 1749 veröffentlicht Leonhard Euler diese Überlegungen. Vgl. Euler (Anm. 3).

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ferentialgleichung auf. Indem das Sehen für ihn zum Rechnen wird, überträgt er die Geheimnisse des Auges auf die Konstruktion der achromatischen Linsenfernrohre. 5. Das Vertreiben der Farbengeister „In Paris hat man ein Fernglas von 120 und in London eins von 130 Fuß“, schreibt Leonhard Euler in einem seiner Briefe an die deutsche Prinzessin Friederike Charlotte Ludovica Luise, allein, die entsetzlichen Schwierigkeiten, sie auf ihre Gestelle zu bringen und zu regieren, vereiteln beynahe die Vortheile, die man sich davon versprochen hatte. Hieraus werden Ew. Hoheit leicht urtheilen, wie wichtig es seyn würde, wenn man in der Verfertigung dieser zusammengesetzten Objektivgläser […] glücklich wäre.66

Euler gibt zu, dass seine Idee von Newton abgeleitet ist, denn [s]chon Newton hat vermutet, daß Objectivgläser aus zwei Linsen, deren Zwischenraum mit Wasser angefüllt wäre, zur Verbesserung der Fernröhren in Absicht auf die Abweichung wegen der Gestalt der Gläser dienen könnten: aber den Gedanken, daß man durch eben dieses Mittel den Raum verkleinern könne, durch welchen sich die Vereinigungspunkte der verschiedenen Farbenstrahlen ausbreiten, scheint er dabei ganz und gar nicht gehabt zu haben.67

Dabei glaubt Euler, genau wie Newton, an einen gesetzmäßigen Zusammenhang zwischen der Refraktion und der Farbenzerstreuung und ist in seiner Methode sehr ‚analytisch‘, denn er stellt zwei Differentialgleichungen auf, mit denen er die verschiedenen Objektivformen errechnen kann. In der ersten wird die sphärische Aberration nicht berücksichtigt und so nur der Strahlenweg durch zwei gleiche, negative und stark durchbogene Glasmenisken, die eine bikonvexe Wasserlinse einschließen, errechnet. In der zweiten Differentialgleichung betrachtet Euler den Strahlengang nur durch einen negativen Glasmeniskus und eine planparallele Glasplatte, zwischen denen sich wiederum eine plankonvexe Wasserlinse befindet. Seine Ergebnisse, die den mathematischen Pfad zur Herstellung von achromatisch-organischen Glas-Wasser66

67

Leonard Euler. Briefe an eine deutsche Prinzessin über verschiedene Gegenstände aus der Physik und Philosophie. Hg. u. eingel. v. Andreas Speiser. Braunschweig, 1986 [Nachdruck d. Ausgabe Leipzig, 1769-1773], S. 272. Leonard Euler. „Brief an Daniel Bernoulli v. 24. März 1738“. Leonhard Euler – Briefe an die Wissenschaftler (Ʌɟɨɧɚɪɞ ɗɣɥɟɪ – ɩɢɫɶɦɚ ɤ ɭɱɟɧɵɦ). Hg. v. Wladimir Smirnow. Moskau u. Leningrad, 1963, S. 56.

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Abb. 4: Eulers tabellarische Auflistung der Spektren aus „Sur la perfection des verres objectifs des lunettes“ (1749).

Objektiven aufweisen und der Vertreibung der Farbengeister dienen sollen, stellt Euler in Tabellen zusammen (Abb. 4). Eulers Arbeit in der Kunstkammer, bei der er etliche Augen seziert, lässt sich nicht anders als ‚synthetisch‘ deuten – ebenso wie seine lebensgefährliche Erkrankung im Sommer 1738, in deren Folge er zunächst sein rechtes Auge verliert.68 So schreibt Euler (und mit dieser Erkenntnis unterscheidet er sich von Newton): 68

Zur Pathografie und Pathogenese von Eulers Augenkrankheiten, die schließlich zur Erblindung führten, vgl. René Bernoulli. „Leonhard Eulers Augenkrankhei-

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Mir hingegen ist es sogleich vom ersten Anfange wahrscheinlich gewesen, daß man durch gewisse Zusammensetzungen verschiedener durchsichtiger Mittel auch diesem Fehler werde abhelfen können, und ich bin überzeugt, daß die verschiedenen Feuchtigkeiten in unserm Auge so geordnet sind, daß durch dieselben die Ausbreitung und Zerstreuung der Vereinigungspunkte gänzlich gehoben wird. Dies ist, so viel ich glaube, eine ganz neue Seite, von welcher der Bau des Auges unsere Bewunderung verdient: denn wäre es nur darauf angekommen, Bilder der Gegenstände im Auge darzustellen, so wäre dazu ein einziger durchsichtiger Körper hinreichend gewesen […].69

Es sind gerade diese ‚synthetischen‘ Motive, die den Wissenschaftler dazu treiben, sich mit den Epistemen des Auges auseinander zu setzen und sie auf die Verbesserung der Teleskope und Mikroskope zu übertragen.70 Die ersten Ideen davon hatte ich schon vor vielen Jahren mitgetheilt, und seit dieser Zeit arbeiten die geschicktesten Künstler in England und Frankreich an ihrer Ausführung; die Sache erfordert viele Versuche und eine grosse Geschicklichkeit von Seiten des Arbeiters, und ob ich gleich durch den Mechanicus unsrer Akademie einige Versuche nicht ohne Erfolg habe machen lassen, so haben mich dennoch die Unkosten, die ein solches Unternehmen erfordert, genöthiget, es wieder aufzugeben.71

Eulers Abhandlung und seine ersten Konstruktionen erregen die Aufmerksamkeit John Dollonds, eines englischen Künstlers, der Eulers Berechnungen für falsch erklärt, weil er sie nach Newtons Grundsätzen prüft. Der anständige Euler wagt es jedoch nicht, Newtons Ergebnisse für alle sichtbar zu widerlegen und macht nur darauf aufmerksam: [S]ollte aber das Auge ein vollkommnes Werkzeug sein, so mußten mehrere verschiedene durchsichtige Materien dazu gebraucht, und in gehöriger Gestalt nach den Regeln der erhabensten Geometrie verbunden werden, damit die Deutlichkeit des Bildes nicht durch die verschiedene Brechbarkeit der Strahlen gestört würde.72

Erst im Jahre 1754, nachdem der schwedische Mathematiker Samuel Klingenstierna, angeregt durch Eulers Abhandlungen, das Newton’sche

69 70

71 72

ten“. Leonhard Euler: 1707-1783. Beiträge zu Leben und Werk. Hg. v. Marcel Jenni. Basel, 1983, S. 471-487. Euler (Anm. 66), S. 57. Diese scharfsinnige Bemerkung über die Absicht des Schöpfers beim Bau des Auges hat bereits David Gregory in seinen Catoptricae et Dioptricae sphaerica elementa. Oxford, 1695, S. 8 gemacht und als Vorschlag zur Verbesserung der Fernrohre vorgetragen; damals war man jedoch gleichgültig darüber hinweggegangen. Eulers Verdienst liegt in den Berechnungen hinsichtlich der Gestalten und Verhältnisse, welche die aus Glas und Wasser zusammengesetzten Objektivgläser erfordern. Euler (Anm. 66), S. 272. Ebd., S. 57.

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Abb. 5: John Dollonds Heliometer.

Dispersionsgesetz widerlegt,73 wird Dollond erneut auf das Problem aufmerksam und beginnt zu experimentieren. Er klebt zwei Glasplatten an den Rändern zusammen und stellt an ihren Seitenkanten dreieckige Glasplatten so auf, dass daraus ein prismatisches Gefäß entsteht (Abb. 5). Indem er die gemeinsame Kante der beiden planparallelen Glasplatten horizontal aufstellt, ist es nun möglich, den Hohlraum mit jeder beliebigen Flüssigkeit zu füllen.74 Als Dollond einen feinen Sonnenstrahl durch die Konstruktion leitet, gelingt es ihm, die ‚farbigen Geister‘ aus der erwünschten Projektion zu vertreiben.75 Am 16. März 1762 schreibt Leonhard Euler an die deutsche Prinzessin, daß ein sehr geschickter Künstler, Namens Dollond, glücklich damit zu Stande gekommen; und nunmehr werden seine Ferngläser aller Orten bewundert. In Paris rühmt sich ein eben so grosser Künstler, Namens Passement, eines ähnlichen Erfolgs; beyde haben mir ehemals die Ehre erzeigt, über diese Materie einen Briefwechsel mit mir zu unterhalten; allein, da es hauptsächlich darum zu thun war, einige grosse Hindernisse in der Ausführung zu übersteigen, womit ich mich niemals abgegeben hatte, so ist es wohl billig, daß ich ihnen die Ehre der Entdeckung überlasse: nur der theoretische Theil gehört mir zu, und der hat mich sehr tief geholte Untersuchungen und die mühsamsten Berech73

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Samuel Klingenstierna. „Anmerkungen über das Gesetz der Brechung bei Lichtstrahlen von verschiedener Art beim Übergang von einem durchsichtigen Mittel in verschiedene andere“ (Anmärkning Vid Brytnings-Lagen af sårskilta slags Ljusstrålar, då de gå ur et genomskinande medel in i åt skilliga andra). Kongliga Svenska Vetenskaps Academiens handlingar 15 (1754), S. 297. Vgl. Schmitz (Anm. 24), Bd. 2, S. 12. Auf der Grundlage der durchgeführten Arbeiten schuf Euler später die Theorie der Achromaten und half Friedrich Aepinus, das erste achromatische Mikroskop zu konstruieren.

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nungen gekostet, vor deren bloßen Anblick Ew. Hoheit erschrecken würden; also werde ich mich hüten, Dieselben über diese schreckliche Materie zu unterhalten.76

Diese ‚schreckliche Materie‘, mit der Euler an dieser Stelle wohl eher auf seine Berechnungen und nicht auf die sezierten Augen zielt, ist in diesen Briefen dennoch verankert: So versucht Euler in seinen nachfolgenden Briefen an die Prinzessin, das cartesianische Analogiemodell der Camera obscura mit seiner Wahrnehmungsphysiologie zu verbinden,77 indem er die organischen Strukturen des Auges mit den Stimulationen des Gehirns in Einklang bringt.78 Dadurch, dass Euler die ‚farbigen Geister‘ erstmals seit ihrem Erscheinen in den Teleskopen und Mikroskopen ins Zentrum des optischen Diskurses rückt, wird das Sehen nicht länger als de-naturalisierender Akt im Rahmen einer geometrisch geordneten Optik begriffen, sondern es erfährt eine organische Rekonstruktion. Das Schicksal fordert Euler in außergewöhnlicher Weise heraus und in seinem Fall liegt darin eine besondere Ironie. Denn im Jahr 1766 – siebzehn Jahre vor seinem Tod – erscheint dem Mathematiker am verbliebenen linken Auge ein grauer Stern, das sichere Zeichen für seine baldige Erblindung, die auch durch einen operativen Eingriff nicht aufgehalten werden kann. Doch gerade in seiner Blindheit kann Euler der Mathematik zu größerem Sehen verhelfen: Für das ‚Wunder der Analysis‘, das ‚Monstrum der realen Welt‘, für die Zahl, die zwischen ‚Sein und Nicht-Sein‘ angesiedelt ist,79 führt er das Symbol i für die imaginäre Einheit ein.

76 77 78

79

Euler (Anm. 66), S. 272. Ebd., vgl. besonders die Briefe Nr. 13-17, 35-37 und Nr. 53-68. Vgl. Caroline Welsh. „Leonhard Eulers Seele in der Camera obscura des Körpers und die Probleme der Wahrnehmung“. Hirnhöhlenpoetiken. Theorien zur Wahrnehmung in Wissenschaft, Ästhetik und Literatur um 1800. Freiburg, 2003, S. 19-28. Diese Ausdrücke zur Beschreibung der imaginären Zahl verwendet Gottfried Wilhelm Leibniz. Die wesentlichen Rechenregeln wurden bereits im 16. Jahrhundert von dem Mediziner und Mathematiker Girolamo Cardano und seinem Landsmann, dem Ingenieur Rafael Bombelli, eingeführt. Vgl. Geschichte der Naturwissenschaften. Hg. v. Hans Wußing u. a. Köln, 1987, S. 308.

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Sezierte Augen und achromatische Fernrohre

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Fernrohr, Mikroskop, Luftballon. Wahrnehmungstechnik und Literatur in der Goethezeit [...] daß der Künstler, der diese [...] fünffingrige Hand seiner Sinne zu immer regerem und geistigerem Griffe entwickelt, am entscheidendsten an einer Erweiterung der einzelnen Sinn-Gebiete arbeitet [...]. Rainer Maria Rilke, Ur-Geräusch (1919)

I. Unlängst war im Altonaer Museum in Hamburg unter dem Titel „Schaulust. Sehmaschinen, optisches Theater & andere Spektakel“ ein Teil der legendären Sammlung optischer Geräte von Werner Nekes zu sehen, die dieser in bewundernswerter Fülle zusammengetragen hat.1 Diese faszinierende Sammlung macht auf eines der wichtigsten Themen der Kulturgeschichte aufmerksam: den Zusammenhang zwischen ‚natürlichem‘ Sehen und dem Sehen mit Hilfe technischer Medien, in jenem Akt experimenteller Weltwahrnehmung, den man ‚Schaulust‘ nennen kann;2 ästhetisches Vergnügen also – ein Akt, der freilich die lustvolle Wahrnehmung der Welt zugleich mit einem Erschrecken über das, was man plötzlich neu sieht, verknüpft. Ich nenne das einen WahrnehmungsSchock, der aus dem kühnen Experiment mit den Mitteln der Wahrnehmung entspringt. Diese Frage nach Schau-Lust und Wahrnehmungs1

2

Vgl. hierzu auch die Vortragsreihe zur Ausstellung Bilder Sehen Lernen. Zur Geschichte der optischen Medien vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Die Ausstellung war im Winter 2005/2006 zu sehen. Vgl. Bodo von Dewitz u. Werner Nekes (Hg.). Ich sehe was, was du nicht siehst! Sehmaschinen und Bilderwelten. Die Sammlung Werner Nekes [Ausst.kat.]. Göttingen, 2002. ‚Theoria‘ heißt in der griechischen Bedeutung, und durchaus im ‚philosophischen‘ Sinne, unter anderem auch ‚Schaulust‘, ‚Schauplatz‘, ‚Schaubühne‘.

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Schock gehört in den Zusammenhang der Wahrnehmungsgeschichte, die zugleich eine Geschichte der Experimente mit den Medien der Wahrnehmung ist: also der Frage, wie Wahrnehmung der Welt als Ordnungsstiftung erfahren wird und welche Rolle dabei nicht nur die Erfindung neuer optischer Medien, sondern zugleich auch die Experimente mit dem Beobachterstandpunkt spielen. Meine Überlegungen sollen dabei in zwei Richtungen gehen. Zum einen möchte ich die spezifische Krise in diesem Prozess der Wahrnehmung beschreiben, die sich durch den Einsatz neuer technischer Wahrnehmungsmedien um 1800 zuspitzt. Zum anderen möchte ich zeigen, wie sich dieser Paradigmenwechsel im Wahrnehmungsmodus in der Literatur der Zeit spiegelt und wie mit dem Wandel der Weltwahrnehmung auch ein Wandel der Erzählstruktur und der Erzählperspektive einhergeht. Meine These könnte lauten: Literarische Texte greifen die Errungenschaften der technischen optischen Medien auf und werden so zu Generatoren neuer Textlandschaften, zu Ausgangspunkten für neue ‚Narrative‘, wie man heute gern sagt. In der letzten Zeit ist sehr viel von Kulturwissenschaft und Kulturgeschichte die Rede gewesen; man hat wiederholt daran erinnert, dass auch die Literaturwissenschaft die Verpflichtung habe, sich als Kulturwissenschaft zu verstehen, sich zu einer solchen zu erweitern. Das Thema der Wahrnehmung, das ich zum Grundtenor meiner Überlegungen machen möchte, scheint mir für eine solche Absicht besonders geeignet. Ist doch das Spiel von Wahrnehmung und Darstellung – also das Spiel der Mimesis, wie schon Aristoteles sie bestimmt hatte – das eigentliche Verfahren künstlerischer Formung. In der Forderung, Bilder neu sehen zu lernen, ist beides zugleich enthalten: der Wahrnehmungsund der Darstellungsimpuls. Man könnte beinahe behaupten, dass Kulturgeschichte in der Wahrnehmungsgeschichte ihren eigentlichen Kern besitzt, ihre anthropologische Substanz gewissermaßen. Wahrnehmungsgeschichte aber stellt die Frage nach den fünf Sinnen und ihrer Funktion im Wahrnehmungsgeschehen. Es ist die Frage nach dem Repertoire von Wahrnehmungsorganen, deren sich der menschliche Körper mit Absicht auf seine Situierung in der Welt bedient: jenen verschiedenen Sinnesorganen, mit denen der Mensch für seine Welterkundung ausgestattet ist: Gesicht, Gehör, Tastsinn, Geschmack und Geruch. Dabei geht es um die Wahrnehmung und ‚Gliederung‘ des Chaos der so genannten natürlichen Dinge, des Chaos der Sinneseindrücke – um jenen Prozess also, der zugleich die Konstruktion von kulturellem Sinn zum Ziel hat. Man könnte auch sagen, dass es dem Menschen in allen seinen kulturellen Stufen um die Belehnung des mit den Sinnen Wahrgenommenen, der

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‚Dinge der Natur‘, mit Bedeutung zu tun ist. Kurz: Es geht um den Akt der Konstruktion von kultureller Wirklichkeit. Dabei ergibt sich eine spezifische Konstellation von wahrnehmendem Körper und Rezeption – oder Selektion – von Sinnesdaten. Man könnte dies die Erarbeitung der Konstellation, der Konfiguration von Subjekt und Objekt, von Ich und Umwelt nennen, genauer gesagt, die Modellierung des einen durch das andere. Diese Arbeit an der Modellierung von Welt ist freilich nicht einem homogenen Ensemble der fünf Sinne anvertraut, sondern obliegt einem je nach historischer Lage wechselnden Sinnen-Kombinat. Aristoteles geht in seiner Schrift Über die Seele allein von fünf Sinnen aus: Gesicht, Gehör, Geruch, Geschmack und Tastsinn.3 Im Lauf der Wahrnehmungsgeschichte hat es dann zwar Versuche gegeben, diese Fünfzahl noch zu erweitern – durch den Gleichgewichtssinn zum Beispiel, durch den magnetischen Sinn, wie er im animalischen Magnetismus der Romantik gedacht wird, durch den Geschlechtstrieb, wie Georg Forster einmal vorgeschlagen hatte; aber im Großen und Ganzen blieb es dabei, dass es fünf Sinne seien und nicht mehr, die den Zugang des Menschen zur Welt öffnen. Auffallend ist freilich, dass schon Aristoteles unter der Hand eine Hierarchie der Sinne in Anschlag bringt: auf der einen Seite die allen anderen weit übergeordneten Fernsinne Gesicht und Gehör, auf der anderen Seite die subalternen Nahsinne Geruch, Geschmack (die beiden ‚chemischen‘ Sinne also) und ganz zuletzt den Tastsinn. So zeigt sich, dass die Geschichte der Wahrnehmung ganz wesentlich durch einen Prozess der Privilegierung eines oder mehrerer dieser Sinne bei der Wahrnehmung und kulturellen Konstruktion der Welt bestimmt ist. Von der Regel der Dominanz der Fernsinne, also Auge und Ohr, gibt es nur gelegentlich Abweichungen. Eine davon ist die aus dem französischen Materialismus abzuleitende Bevorzugung des Tastsinns. Étienne Bonnot de Condillac fingiert in seinem Traité des Sensations von 1754 sein berühmtes Statuen-Experiment.4 Er ersinnt das Modell einer griechischen Statue, die Schritt um Schritt mit je einem der fünf Sinne begabt wird: zuerst mit dem Geruch, der einer Rose entströmt, wobei die Statue diese nicht ‚erkennt‘, sondern sich zuletzt nur selbst für eine Rose hält – „[I]n Bezug auf sich wird sie nur der Duft dieser Blume selbst 3 4

Vgl. Aristoteles. Über die Seele (= Schriften, VI). Hamburg, 1995, S. 62, 424b. Étienne Bonnot de Condillac. Abhandlung über die Empfindungen. Hg. v. Lothar Kreimendahl. Übs. v. Eduard Johnson. Hamburg, 1983, S. 1ff. Vgl. hierzu Gerhard Neumann. „Pygmalion. Metamorphosen des Mythos“. Pygmalion. Die Geschichte des Mythos in der abendländischen Literatur. Hg. v. dems. u. Mathias Mayer. Freiburg i. Br., 1997, S. 11-60.

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sein“ –, um erst zuletzt, mit dem Tastsinn, die Erfahrung des Objekts, als eines Gegenübers, und damit zugleich ihrer selbst als Subjekt zu machen. Es ist eine gleichermaßen erotisch gesättigte Erfahrung, also die Selbsterfahrung in der Berührung des Objekts des Begehrens! Diesem Muster wird dann Johann Gottfried Herder in seinem berühmten „Plastik“-Aufsatz von 1778 folgen. Ihm wird der Tastsinn zum Organ der Erschließung von Kultur und ihrer Zeichenwelt, Berührung gestaltet sich ihm zur Kulturformel schlechthin. Eine andere merkwürdige Ausnahmestellung in der herkömmlichen Hierarchie der Sinne bietet dann der französische Philosoph Charles Fourier, ein Zeitgenosse Goethes. Für ihn erlangt das Aroma – der seit Aristoteles verachtete Geruchssinn – erkenntnis- und wahrnehmungstheoretische Würde. Das Universum sei, so Fourier, aus einer „Kopulation von Aromen“ hervorgegangen!5 Ein für den hier in meinen Überlegungen zur Diskussion stehenden Zusammenhang von Wahrnehmung und Kunst entscheidender historischer Punkt wird dann aber von dem Werk mit dem Titel Aesthetica des Alexander Gottlieb Baumgarten markiert, das zwischen 1750 und 1758 erschien. Dieses Buch, die „Ästhetik“ Baumgartens, wie sie genannt wird, ist der erste von philosophischer Seite unternommene Versuch, Wahrnehmungsgeschehen und Kunstproduktion in einer kulturrelevanten Reflexion zusammenzuführen, also eben jenen Augenblick zu bedenken, wo Wahrnehmung der Welt in Schöpfung durch die Kunst umspringt. Es ist der Moment, wo aisthesis, als Lehre von der sinnlichen Wahrnehmung, zugleich zur „Lehre von den Schönen Künsten“ mutiert, als Lehre von der Kunst und der durch sie mit Bedeutung und kulturellem Wert belehnten, auf neue Weise wahrgenommenen Natur. Natürlich war es dann Georg Wilhelm Friedrich Hegel, der etwa siebzig Jahre nach Baumgarten diese brisanten Fragen für die Goethezeit auf den Punkt gebracht hat, und zwar in seinen Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, die er von 1822 bis 1831 mehrmals abhielt.6 Man könnte die Philosophie der Geschichte Hegels mit gutem Recht eine Weltgeschichte der Kultur nennen, den Versuch nämlich, bezogen auf eine umfassende Anthropologie der Wahrnehmung einzelne Kulturen in ihrer spezifischen anthropologischen, geografischen, politischen und künstlerischen Herausbildung zu zeigen. Als für unseren Zu5

6

Vgl. Gerhard Neumann. „‚Kunst des Nicht-Lesens‘. Hofmannsthals Ästhetik des Flüchtigen“. Hofmannsthal-Jahrbuch. Zur europäischen Moderne 4 (1996), S. 227260. Vgl. Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Werke. 20 Bde. Hg. v. Eva Moldenhauer u. Karl Markus Michel. Frankfurt a. M., 1989, Bd. 12: Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte.

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sammenhang besonders bedeutsam erweist sich dabei das Kapitel über die ‚griechische Welt‘, in dem Hegel den Versuch macht, den Prozess der Wahrnehmung der Natur (und ihrer ‚Zivilisierung‘) zu rekonstruieren, wie dieser sich ihm in der griechischen Kultur zu vollziehen scheint.7 Dabei sind es – gut aristotelisch – die Sinne des Gesichts und des Gehörs, die sich für Hegel bei den Griechen in demjenigen Wahrnehmungsorgan der Seele verbinden, welches Hegel das „Ahnen“ nennt. Hegel schreibt: Denn die Griechen lauschen nur auf die Naturgegenstände und ahnen sie mit der innerlichen Frage nach ihrer Bedeutung. Wie Aristoteles sagt, daß die Philosophie von der Verwunderung ausgehe, so geht auch die griechische Naturanschauung von dieser Verwunderung aus. Damit ist nicht gemeint, daß der Geist einem Außerordentlichen begegne, das er mit dem Gewöhnlichen vergleicht [...], sondern der aufgeregte griechische Geist verwundert sich vielmehr über das Natürliche der Natur; er verhält sich nicht stumpf zu ihr als zu einem Gegebenen, sondern als zu einem dem Geiste zunächst Fremden, zu welchem er jedoch die ahnende Zuversicht und den Glauben hat, als trage es etwas in sich, das ihm freundlich sei, zu dem er sich positiv zu verhalten vermöge.8

Es ist dieser Akt der Wahrnehmung des „Schauers“ der Bedeutung, der in den Naturdingen erwacht, aus dem die „Bildung“ des griechischen Geistes abgeleitet wird. Hegel fährt fort: Das ahnungsvolle, lauschende, auf die Bedeutung begierige Verhalten wird uns im Gesamtbilde des [Gottes] Pan vorgestellt. [...] er ist der allgemeine Schauer in der Stille der Wälder. [... so] ist das, was vernommen wird, eigenes subjektives Einbilden [...] des Vernehmenden.9

So wie Pan als mythische Gestalt zum Schauer der Bedeutung der Dinge erwacht, so auch die Musen – durch ihre Gestaltwerdung – aus dem Quell. Hegel schreibt: Ebenso horchten die Griechen auf das Gemurmel der Quellen und fragten, was das zu bedeuten habe; die Bedeutung aber ist nicht die objektive Sinnigkeit der Quelle; sondern die subjektive des Subjekts selbst, welches dann weiter die Najade zur Muse erhebt. Die Najaden oder Quellen sind der äußerliche Anfang der Musen [...].10

Mit seiner Unterscheidung zwischen der ‚Sinnlichkeit‘ der Wahrnehmung, dem Schauern der Wälder, dem Rauschen der Quelle und der ‚Sinnigkeit‘ des horchenden, Bedeutung schaffenden Geistes hat Hegel den Prozess der aisthesis präzise umschrieben: als doppelte „Bezüglich7 8 9 10

Ebd., S. 275ff. Ebd., S. 288. Ebd., S. 289. Ebd.

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keit des Menschen auf die Natur“. Er schreibt: „Die Anschauung wird dadurch rein poetisch, denn der Geist macht darin den Sinn, den das natürliche Gebilde ausdrückt.“11 Hegel formuliert diese Einsicht folgendermaßen: „Von Ahnung und Verwunderung geht der griechische Geist aus und geht dann weiter zum Setzen der Bedeutung fort“;12 daraus schließt Hegel, dass die Dichter „die Lehrer der Griechen gewesen“ sind.13 Und er fügt hinzu: „Der griechische Geist ist der plastische Künstler, welcher den Stein zum Kunstwerke bildet.“14 In dieser Weise wird die Wahrnehmung der Natur als deren Belehnung mit Bedeutung auf dreifache Art zum Kunstwerk gebildet: als das subjektive Kunstwerk, nämlich die Bildung des Menschen selbst; als das objektive Kunstwerk, das heißt aber: als die Gestaltung der Götterwelt in der Natur; und als das politische Kunstwerk schließlich, die Weise der sozialen Verfassung und der Individuen in ihr.15 Man könnte also sagen, dass es für Hegel – am Beispiel der Griechen und ihrer Weltanschauung – der Mythos ist, der, als ein sinnlichsinniges Medium, die Wahrnehmung der Natur in Bildung, in Darstellung, in Kunst verwandelt. Der Mythos und seine Gestalten werden zu Reglern der natürlichen Ordnung, so wie Pan, die Nymphen oder die Musen zur Ordnungskraft im Chaos der natürlichen Dinge werden. Man muss sich freilich klar darüber sein, dass Hegel dieses Modell vom Mythos als Ordner der Naturwahrnehmung in einem sehr kritischen historischen Augenblick entwickelt, der Epoche nach der Französischen Revolution nämlich, in der die Welt transzendenzlos zu werden beginnt, in der das griechische Bildungsmuster in der modernen Diskursgesellschaft seine Geltung verliert. Es ist die Epoche des „Endes der Kunst“, wie Hegel sagt. Von dieser Krise des Mythos als Ordnungskraft der Natur aus gesehen muss ich nun noch einen zweiten Strang der europäischen Wahrnehmungsgeschichte beleuchten, der mit dem von Hegel thematisierten seit langem konkurriert. Es ist die Wahrnehmungstradition der Naturwissenschaft, d. h. die Beobachtung, die Strukturierung des Chaos der Natur nicht durch den Mythos, sondern durch die Physik, die Optik und ihre Techniken. Es ist der Beginn jener technisch-medial angetriebenen ‚Schau-Lust‘ (als ‚Schau‘-Schrecken), um den es in meinen weiteren Überlegungen gehen soll. 11 12 13 14 15

Ebd., S. 290. Ebd., S. 293. Ebd., S. 291. Ebd., S. 293f. Ebd., S. 295.

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II. Diese Wahrnehmungsgeschichte im Feld und in der Verantwortung der Naturwissenschaften ist durch die Gestalt René Descartes am deutlichsten repräsentiert, und zwar in seinem denkwürdigen Versuch, Wahrnehmung auf doppelte, komplementäre Weise zu perspektivieren – oder besser: zu fokussieren!16 Da ist auf der einen Seite Descartes’ bekannte Formel ‚Ich denke, also bin ich‘, die, beispielsweise im Discours de la méthode von 1637, zum Strukturmuster für die Perspektivierung des mentalen Aktes, der Performanz des Gedankens wird – seiner Orientierung durch den Fluchtpunkt des Ich, als Denk-Instanz gewissermaßen, die Wahrnehmung generiert. Da ist aber auf der anderen Seite René Descartes’ Arbeit an der Bestimmung des Wahrnehmungsaktes durch die Augen – niedergelegt in seinen Arbeiten zur Optik (1629) und zur Dioptrik (1641): zur Fokussierung des Blicks und zur Strahlenbrechung also, wie sie beispielsweise durch Spiegel erfolgt. Die hierzu gehörige Formel könnte lauten: ‚Ich habe eine Zentralperspektive, also bin ich!‘ Es ist diese Komplementarität von Denk- und Wahrnehmungsakt, auf die es bei Descartes’ Wahrnehmungskonzept ankommt: die komplementäre Zuordnung von mentalem Apparat und optischem Gerät. Jacques Lacan, der die Geschichte der Wahrnehmung für seine Theorie des Imaginären noch einmal aufgerollt hat, macht in seinem Seminar XI im Rückgriff auf Maurice Merleau-Ponty darauf aufmerksam: Bei Vignola und Alberti finden wir eine weiterführende Untersuchung der geometralen Gesetze der Perspektive. Um solche Untersuchungen zur Perspektive bildet sich ein besonderes Interesse am Bereich des Sehens heraus – dessen Beziehung zur Einrichtung des cartesischen Subjekts, das selbst eine Art Geometralpunkt, Perspektivpunkt darstellt, nicht zu übersehen ist.17

16

17

Das im Folgenden entwickelte Szenario habe ich in einem Aufsatz über die Anamorphose eingehend entwickelt. Vgl. Gerhard Neumann. „Anamorphose. E.T.A. Hoffmanns Poetik der Defiguration“. Mimesis und Simulation. Hg. v. Andreas Kablitz u. dems. Freiburg i. Br., 1998, S. 377-417. Jacques Lacan. Das Seminar von Jacques Lacan. Hg. v. Jacques-Alain Miller. Übs. v. Norbert Haas. Weinheim, 1987, Buch XI: Die vier Grundbegriffe der Psychoanalyse, S. 92. „C’est dans Vignola et dans Alberti que nous trouvons l’interrogation progressive des lois géométrales de la perspective, et c’est autour des recherches sur la perspective que se centre un intérêt privilégié pour le domaine de la vision – dont nous ne pouvons pas voir la relation avec l’institution du sujet cartésien qui est lui aussi une sorte de point géométral, de point de perspective.“ Jacques Lacan. Le Séminaire de Jacques Lacan. Hg. v. Jacques-Alain Miller. Buch XI: Les quatre concepts fondamentaux de la psychanalyse. Paris, 1973. S. 81.

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In Descartes’ Wechselzuordnung von mentalem Apparat und optischem Gerät ist es offenbar nicht, wie von Hegel im Rückblick auf die Griechen beschrieben, der Mythos, der die Ordnung der wahrgenommenen Sinnenwelt als die Belehnung des natürlichen Chaos der Sinneseindrücke mit Bedeutung leistet, sondern es ist die Apparatur, die technische Zurichtung der Perspektive, die diese Wahrnehmung und durch sie das Erscheinen von ‚Welt‘ leistet. Genauer gesagt: Mit Descartes erweist sich die Bemühung um die Zentralperspektive als eigentliches Dispositiv der Wahrnehmung von Welt in der Konstituierung des Ich. Bekanntlich ist ja dieses Problem in der bildenden Kunst schon bei Leon Battista Alberti und Filippo Brunelleschi virulent – man denke an Albertis Traktat Della pittura von 1435.18 Für unseren poetologischen Zusammenhang erhält dieses Dispositiv seine entscheidende Dimensionierung dann aber erst durch die Erfindung des Fernrohrs und des Mikroskops. Des Fernrohrs zum einen: Der niederländische Brillenmacher Jan (auch Hans) Lippershey konstruiert um 1608 das dioptrische Fernrohr durch Vereinigung einer Konvex- mit einer Konkav-Linse in einem Rohr. Unmittelbar danach baut Galilei dann die holländische Erfindung nach und nimmt erste Gestirnbeobachtungen mit dem Fernrohr vor. Da ist dann der Freund Descartes’, Marin Mersenne, Pater im Orden der Minimen, der eine Vorform des Spiegelteleskops entwirft (1643). Da ist ebenso der immense Fortschritt durch Friedrich Wilhelm Herschels Verbesserung (1766), von welcher der große Naturwissenschaftler und literarische Autor Georg Christoph Lichtenberg profitieren wird! Da ist aber, zum anderen und parallel dazu, der entscheidende Einfluss auf die Wahrnehmungsgeschichte durch die Erfindung des Mikroskops, und zwar durch die holländischen Brillenmacher Hans und Zacharias Janssen um das Jahr 1590 und die dann im 17. Jahrhundert erfolgende Verbesserung durch Robert Hooke (1665). Des Weiteren ist Antoni van Leeuwenhoek zu nennen, der mit seiner Linsenschleiftechnik die Mikroskopie in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts revolutioniert. 1712 konstruiert Christian Gottlieb Hertel das erste Mikroskop mit Beleuchtungsspiegel. Chester Moor Hall (1729), John Dollond (1758) und Joseph von Fraunhofer (1815) liefern mit ihren Forschungen zur chromatischen Aberration weitere entscheidende Impulse.19 18 19

Vgl. Leon Battista Alberti. Über die Malkunst. Hg., eingel., übs. u. komm. v. Oskar Bätschmann u. Sandra Gianfreda. Darmstadt, 2002, S. 93. Hier sei auf die kurz vor dem Abschluss stehende Münchner Dissertation von Florian Welle Der irdische Blick durch das Fernrohr. Literarische und kulturwissenschaftliche Wahrnehmungsexperimente vom 17. bis zum 20. Jahrhundert hingewiesen.

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Bei Betrachtung dieser keineswegs geradlinigen Entwicklung kommt es mir im Hinblick auf die Geschichte der optischen Wahrnehmung auf ein Paradox an: Indem es nämlich gelingt, die Wahrnehmungsperspektive systematisch zu konstruieren, durch technische Mittel die Fokussierung zu schärfen und zu präzisieren sowie darüber hinaus mit der Strahlenbrechung zu experimentieren und den Beobachter-Standpunkt beweglich zu machen, ergibt sich gerade keine Verfestigung des optischen Wahrnehmungsaktes, sondern umgekehrt eine stark reflektierte Irritation, also eine massive Verunsicherung der Wahrnehmungsperspektive. Und zwar durch drei verschiedene Umstände: zum einen durch die Perspektivierung auf das unendlich Große durch das Teleskop, das Fernrohr, also durch den Blick auf das Erhabene des gestirnten Himmels, des Weiteren durch die Ausrichtung der Vergrößerung auf das unendlich Kleine durch das Mikroskop und schließlich durch das Experimentieren mit der Veränderung des Standpunkts des Beobachters als Etablierung von exzentrischen Perspektiven, also die sich extrem dynamisierende Instabilität der Aussichtspositionen des Beobachters. Hier, in dieser letztgenannten zentralen Frage eines Paradigmenwechsels in der Wahrnehmungsstrategie, nämlich der Destabilisierung der Position des Beobachters, spielt – neben Fernrohr und Mikroskop – nun aber eine dritte Erfindung eine entscheidende Rolle: die Erfindung des Luftballons, zuerst als Fessel- und dann als Freiballon. Während die beiden Erfindungen von Teleskop und Mikroskop sich über einen längeren Zeitraum entwickeln, erfolgt das Experiment mit dem Luftballon (und dem in ihm installierten beweglichen Beobachter) in der kürzestmöglichen Zeitspanne. Durch den Zusammenstoß von longue durée und Plötzlichkeit entsteht so eine einzigartige und neue Experimentiersituation. Denn für die Frage der Destabilisierung der Beobachterposition spielt nun in der Tat die Erfindung des Luftballons eine entscheidende Rolle. 1783 lassen die Brüder Joseph-Michel und Jacques-Étienne Montgolfier in Paris ihren Fesselballon steigen (Abb. 1), S. Adorne erprobt dasselbe im gleichen Jahr in Straßburg (Abb. 2) und Antonio Carnicero tut es ihnen, immer noch 1783, nach (Abb. 3).20 Noch im gleichen Jahr erfolgt aber durch Jean-François Pilâtre de Rozier auch der erste bemannte Flug. Der Physiker Jacques Charles steigt in Paris mit seinem Wasserstoffballon, der nach ihm benannten „Charlière“, in den Himmel. Schon am 7. Januar 1785 ist es dann Jean-Pierre (oder François) Blanchard, der im Freiballon den Kanal zwischen Dover und Calais überquert. Er wird seine Kunst 20

Vgl. Jean Clair (Hg.). Cosmos. From Goya to de Chirico, from Friedrich to Kiefer. Art in Pursuit of the Infinite [Ausst.kat.]. Mailand, 2000, S. 172.

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Abb. 1: Aerostatisches Experiment der Brüder Joseph-Michel und Jacques-Étienne Montgolfier in Versailles (19. September 1783).

dann in Deutschland, Holland und Belgien als Ballonschausteller und Wissenschaftsimpresario zeigen – und Jean Paul, wie immer einer der aufmerksamsten Beobachter naturwissenschaftlicher Experimente, wird in seinem Seebuch des Luftschiffers Giannozzo von 1801 auf ihn Bezug nehmen.21 Ab 1806 werden Ballons als militärische Aufklärungsfahrzeuge im napoleonischen Krieg zum Einsatz gebracht – ein Gemälde Goyas hält diese neue strategische Beobachtungsposition fest (Abb. 4). Seit 1803 21

Vgl. Jean Paul. „Des Luftschiffers Giannozzo Seebuch“. Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. 19 Bde. Hg. v. Eduard Berend. Weimar, 1927ff., Abt. 1, Bd. 8, S. 474.

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Abb. 2: Aerostatisches Experiment von S. Adorne in Straßburg im Jahr 1783.

gibt es auch Ballonaufstiege in Deutschland, so zum Beispiel in Hamburg, nun mit wissenschaftlicher Zielsetzung. 1821 erfolgt durch den Engländer Charles Green die Kommerzialisierung und weitere Verbreitung von Ballonaufstiegen.22 In diesen drei Erfindungen – Fernrohr, Mikroskop und Luftballon –, die in ihrer Kombination eine neue Experimentier-Situation der Wahrnehmung darstellen, spiegelt sich aber die tief greifende Irritation des Wahrnehmungsgeschehens, das durch die Konstruierbarkeit der Zentralperspektive als gesichert gegolten hatte und nun erst recht von neuem in Diffusion gerät. Was sich einstellt, und zwar neben der Literatur auch in der Malerei, ist das Experimentieren mit der Polyperspektivität. Darauf hat der Kunsthistoriker Werner Hofmann in zwei Büchern hingewiesen.23 Damit verbunden werden weitere Versuche mit Fokussierungs22

23

Für zahlreiche Kupferstichabbildungen der ersten Ballonaufstiege vgl. Otto Weber. Die Erben des Ikarus. Lichtenberg und die Anfänge der Ballonfahrt. Ober-Ramstadt, 1983, S. 39-58. Vgl. Werner Hofmann. Die Moderne im Rückspiegel. Hauptwege der Kunstge-

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Abb. 3: Antonio Carnicero. Aufstieg eines Heißluftballon am Hofe Charles IV. (1783).

wechsel, Heranrückung und Beobachterstandpunkt angestellt: Es sind in allen Künsten irritierende Experimente mit dem Vergrößern und Verkleinern. Es sind Experimente mit dem Konflikt zwischen Vogelperspektive (Panoramablick) und beschränktester Mikrofokussierung – in eins damit Experimente mit den Problemen der Horizontfixierung und Horizontverschiebung. Hierauf hat Albrecht Koschorke in seinem wichtigen Buch Geschichte des Horizonts von 1990 aufmerksam gemacht.24 Es sind Experimente mit dem Standortwechsel des Beobachters: im Hochgebirge, auf dem Turm, im Fessel- oder Freiballon, in der Beweglich-Machung des Standpunkts, in vertikalem Aufstieg oder im gleitenden Flug über die Landschaft. Es sind aber auch Experimente mit der Fokussierung und der damit verbundenen Skotomisierung, also dem Ausfall eines Teils des Gesichtsfeldes bei genauem Blick auf Details. Es ist die Aufmerksamkeit auf die Grenze zwischen Sichtbarem und Unsichtbarem als dem durch Ausblendung Abwesenden. Die spektakulärsten Experimente unter all diesen aber sind solche mit der Anamorpho-

24

schichte. München, 1998 und ders. Das entzweite Jahrhundert. Kunst zwischen 1750 und 1830. München, 1995. Vgl. Albrecht Koschorke. Die Geschichte des Horizonts. Grenze und Grenzüberschreitung in literarischen Landschaftsbildern. Frankfurt a. M., 1990.

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Abb. 4: Francisco Goya. Der Ballon (1813-1816).

se.25 Anamorphose heißt mit einem deutschen Wort „Verstreckung“. Es ist ein optisches Spiel mit der Entstellung eines Bildes und seiner Wiederherstellung, also Deformation, die durch Restitution zurechtgerückt erscheint, und zwar hervorgerufen entweder durch einen Standpunktwechsel des Betrachters oder durch Einfügung eines optischen Geräts zwischen Bild und Betrachter, eines so genannten ‚Anamorphots‘. Das Phänomen der Anamorphose ist in der Malerei schon seit langem bekannt; wahrnehmungspolitisch relevant wird es dann erneut (und zumal in der Literatur) in der Goethezeit und im Kontext der Romantik, zum Beispiel in den Texten E.T.A. Hoffmanns. In der Anamorphose sind – lange vor der Erfindung des Luftballons – beide Momente der genannten Wahrnehmungsirritation versuchsweise verbunden: einmal die Brechung der Lichtstrahlen und die Verzerrung des Bildes durch diese, zum anderen die Bewegung des Beobachterstandpunkts (nach oben oder zur Seite) und die Wiederherstellung des unverzerrten Bildes durch eben diese. 25

Vgl. Jurgis Baltrušaitis. Anamorphoses ou perspectives curieuses. Paris, 1969.

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Abb. 5: Holbein d. J. Die Gesandten (1533).

Ich gebe ein Beispiel für die Anamorphose durch Standortwechsel. Es handelt sich um das Bild Hans Holbeins d. J. mit dem Titel Die Gesandten von 1533 (Abb. 5). Das Bild zeigt, aus präziser Aufsicht betrachtet, in seiner mittleren unteren Partie ein undefinierbares Objekt (Abb. 6). Wenn sich der Bildbetrachter aber durch den Raum bewegt, also die Perspektive wechselt und über die Schulter schräg zurückblickt, erkennt er in dem blinden Fleck einen Totenkopf (Abb. 7). Dieses viel interpretierte Bild Holbeins d. J. exponiert auf exemplarische Weise das Wahrnehmungsproblem als Perspektivenirritation durch den Standortwechsel des Betrachters. Auf dem Gemälde sieht man im Regal zwischen beiden dargestellten Figuren einerseits wissenschaftliche Geräte aufgereiht, andererseits Geräte und Instrumente der Kunstübung. Damit wird das Wahrnehmungsproblem durch Zentralperspektivierung gewissermaßen allegorisiert und zugleich in Frage gestellt: Es erscheint plötzlich im Spiel zwischen Poesie und Naturwissenschaft als kon-

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Abb. 6, 7 u. 8: Detailansichten von Holbein d. J. Die Gesandten (1533).

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kurrierenden und einander ergänzenden Erkenntnisorganen. Erst durch ein Verlassen dieser Zentralperspektive wird der Herr aller Wahrnehmung, der Tod – im Totenkopf symbolisiert – sichtbar. In das Bild installiert erweist sich aber noch eine andere Perspektivenirritation. Am linken oberen Rand hinter dem Vorhang wird nämlich ein weiterer, fast verborgener Fluchtpunkt einer Perspektive erkennbar, die das Bild durchquert: der Blick des Erlösers am Kreuz auf die Welt (Abb. 8). Sein diagonaler Blick öffnet eine weitere Bahnung des Wahrgenommenen durch das Bild und setzt so einander überkreuzende, ja einander schräg zuwiderlaufende Perspektivierungen auf die Dinge der Welt in Szene, namentlich aber auf den sie beherrschenden Tod und die heilsgeschichtliche Perspektive auf das ewige Leben, die durch das Kreuzesopfer gestiftet wird. Es ist nicht ganz abzuweisen, wenn man in dieser Wahrnehmungsirritation das Zurücktreten der mythischen Orientierungskraft der Wahrnehmung – gleichsam ‚hinter den Vorhang‘ – und das In-denVordergrund-Treten des naturwissenschaftlichen und poetischen (experimentellen) Blicks auf die Welt zu sehen meint. Es gibt aber, wie schon angedeutet, neben dem Standortwechsel des Betrachters als movens der Anamorphose noch ein weiteres Mittel solcher Verstreckungspraxis. Man betrachtet nämlich, in diesem zweiten Fall, ein verzerrt gemaltes Bild durch eine spezielle Linse oder einen gewölbten Spiegel, ein so genanntes Anamorphot, wodurch die Verzerrung durch gezielte Strahlenbrechung korrigiert bzw. die anamorphotische Abbildung entzerrt wird. Dieses Entzerrungsmedium erweist sich als optisches Gerät zur Refiguration des Defigurierten!26 Für den hier in Rede stehenden Zusammenhang der Wahrnehmungsgeschichte und der von Descartes etablierten Zentralperspektivierung von Denken und Blick ist es dabei von größter Bedeutung, dass der wichtigste Theoretiker der Anamorphose – als einer Brechungsstrategie der Zentralperspektive – ausgerechnet aus dem naturwissenschaftlichen Umfeld von Descartes kam. Es war der Minimennpater Jean-François Nicéron, ein Schüler Mersennes, der 1638 eine Schrift mit dem Titel La perspective curieuse verfasste, die später in lateinischer Sprache als Thaumaturgus opticus – als „optischer Wundertäter“ – erschien (1646). Man könnte so die Anamorphose als das Instrument einer aus der experimentellen Arbeit an der Zentralperspektive heraus entwickelten ‚Dialektik der Aufklärung‘ bezeichnen. 26

Der Katalog der Nekes-Ausstellung in Altona zeigt mehrere Beispiele einer solcher Entzerrung durch Anamorphoten, so zum Beispiel durch Spiegelzylinder, wie in einem anamorphischen Bildnis des Künstlers William Hogarth (Abb. 9). Vgl. Dewitz u. Nekes (Anm. 1), S. 73.

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Abb. 9: William Hogarth. Zylinderanamorphose (um 1750).

III. Es ist, wie ich zu zeigen versucht habe, ein lang sich hinstreckender Prozess, in dem diese zwei konkurrierenden Muster der Weltwahrnehmung und ihrer Transformation in Weltdarstellung sich entwickeln und theoretisch profilieren: zum einen die Wahrnehmung von Welt und Ich im Lichte des Mythos, wie sie Hegel am Beispiel der griechischen Kultur zeigt, zum anderen die Wahrnehmung von Welt und Ich im Zeichen technisch-medialer Apparate eben jener Naturwissenschaft, wie sie in der cartesianischen Tradition hervortritt. Der interessanteste Krisenpunkt in diesem Prozess ist nun aber die Goethezeit, jene Sattelzeit um die Französische Revolution, in der die Emphatisierung wie die Löschung des in der Welt sich situierenden Subjekts zur Debatte stehen wie nie zuvor. Es ist der Augenblick, wo einerseits die Stützung des Subjekts durch das mythische Modell der griechischen „schönen Individualität“,27 wie Hegel es ausdrückt, in Geltung tritt, gleichzeitig aber dessen höchste Gefährdung durch den Verlust der Transzendenz als das „Ende der Kunst“ ins Bewusstsein kommt; andererseits aber der Augenblick, wo die Stützung des Subjekts durch das cartesianische Modell 27

Hegel (Anm. 6), S. 295.

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der Zentralperspektive im mentalen wie im optischen Apparat zur Erscheinung kommt und zugleich die Subversion eben dieses Subjekts durch die verschiedenen Brechungen der Zentralperspektive experimentell erprobt wird: durch Verkleinerung und Vergrößerung des Fokus, durch permanenten irritierenden Standortwechsel des Betrachters – auf den Weg gebracht durch anamorphotische Strategien, wahrhaft hervorgelockt aber erst durch die in den 80er Jahren des 18. Jahrhunderts angestellten Experimente mit Flugapparaten, den Fessel- und Freiballons. Man könnte sagen, dass diese prekäre Situation der Geburtsort der Wissenspoetik in der Goethezeit ist;28 der Wissenspoetik als einer neuen Form der Mimesis, also einer Wahrnehmungs- und Darstellungspraxis, die auf der heiklen Grenze zwischen mythischen und naturwissenschaftlich-optischen Ordnungsmodellen für das Chaos der Dinge und ihrer Darstellbarkeit in der Kunst balanciert: bald bemüht, den Mythos in einer transzendenzlos gewordenen Welt wieder zu beleben, bald darauf aus, sich einer exakten Zentralperspektive zu bemächtigen, in einem Areal irreparabel gebrochener Perspektiven und nicht mehr fixierbarer Standortwechsel der Beobachter. In der Literatur der Goethezeit hat diese Wahrnehmungsaporie ihren genauen Niederschlag gefunden. Es sind zwei deutsche Autoren, die auf diese heikle Situation eines wahrnehmungspoetischen Paradigmenwechsels am sensibelsten reagiert haben: der damals in Europa hoch renommierte Physikprofessor und literarische Autor Georg Christoph Lichtenberg aus Göttingen und das literarische Universalgenie Jean Paul aus Bayreuth. Beide haben sie auf unvergleichliche Weise Experimente auf das Problem der veränderten Wahrnehmungssituation angestellt und diese literarisch gestaltet. Jean Paul beobachtete wie kein anderer Autor der Zeit nicht nur die literarische, sondern auch die wissenschaftliche, die naturwissenschaftliche Welt: von der Geografie zur Anthropologie, von der Traumpsychologie bis zum tierischen Magnetismus, von der Physik bis zur Chemie! In seinem Aufsatz Mutmaßungen über einige Wunder des organischen Magnetismus von 1814 beispielsweise reflektiert er über die Möglichkeit, in Gestalt des Mesmerismus über das „fünfsinnliche Sensorium“ hinaus weitere Wahrnehmungsorgane des Menschen zu erschließen.29 Ein Schlüs28

29

Die Idee einer ‚Wissenspoetik‘ als einer epistemischen Verbindung von Naturwissenschaft und Poesie wird entwickelt in Gabriele Brandstetter u. Gerhard Neumann. „Romantische Wissenspoetik. Die Künste und die Wissenschaften um 1800“. Romantische Wissenspoetik. Die Künste und die Wissenschaften um 1800. Hg. v. dens. Würzburg, 2004, S. 9-13. „Aber warum wäre dieses noch fünfsinnliche mechanische Gewand das letzte? Warum soll den Geist kein dynamisches umgeben, gleichsam ein allgemeines Sen-

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seltext für unseren Zusammenhang der Wahrnehmungsproblematik ist aber sein kleiner Roman Das Kampaner Tal von 1796. Jean Paul versucht hier aus der Konstellation von vier Liebenden eine Art Auferstehungsfantasie herauszuerzählen, in der von einem erhöhten Standpunkt – gewissermaßen außerhalb dieser Welt – ein Blick auf das Ganze der Schöpfung gewonnen werden soll. Durch einen bestochenen Zufall – wie er bei Jean Paul eigentlich die Regel ist – finden die Liebenden an einem nächtlichen Schloss plötzlich zwei Montgolfieren, zwei Fesselballons, mit deren Hilfe erst Gione, die eine der beiden Frauen, allein in den nächtlichen Himmel steigt, dann der Erzähler mit Nadine, ihrer Schwester. Was Jean Paul durch diesen doppelten Aufstieg in Szene setzt, ist die durch das ganz und gar neue Medium des Ballons möglich gewordene Erfahrung des ‚Überblicks‘ über die Welt: der philosophischpoetische Gestus des „Seelenaufschwungs“ also, mit naturwissenschaftlichen Mitteln in Szene gesetzt. Das Erhabene erscheint nun als die Erfahrung des Unermesslichen, die aus der Wahrnehmung der Natur durch einen Standortwechsel des Beobachters, den vertikalen Aufstieg des Fesselballons, hervortritt und zu einem Drama der Wahrnehmung wird. Die gefährdete Situation des Zerbrechens der Welt- und Ich-Wahrnehmung wird zuletzt in das Medium der Poesie und ihres mythischen Hintergrunds zurückgeholt. Aus dem naturwissenschaftlichen Experiment wird so die Rehabilitierung der Einbildungskraft entbunden. Die schwere Erde sank wie eine Vergangenheit zurück – Flügel, wie der Mensch in glücklichen Träumen bewegt, wiegten uns aufwärts – die erhabene Leere und Stille der Meere ruhte vor uns bis an die Sterne hin – wie wir stiegen, verlängerten sich die schwarzen Waldungen zu Gewitterwolken und die beschneieten beglänzten Gebirge zu lichten Schneewolken – die auftreibende Kugel flog mit uns vor die stummen Blitze des Mondes [...] und dann wurd’ es dem leichtern Herz, das hoch über dem schweren Dunstkreis schlug, als flatter’ es im Äther und sei aus der Erde gezogen, ohne die Hülle zurückzuwerfen.30

Es war diese wahrscheinlich erste poetische Gestaltung eines Ballonaufstiegs, die Lichtenberg, den Göttinger Naturwissenschaftler, entzückte: „Haben sie wohl die Stelle in dem Kampaner Tal gelesen“, schreibt er an den Mathematiker Benzenberg, „wo Gione in einem Luftballon aufsteigt? – Ich kann mich nicht erinnern, daß seit langer Zeit irgend nur ein Bild einen so hinreißenden Eindruck auf mich gemacht hat.“31 Die

30 31

sorium [...]?“ schreibt Jean Paul in seinem Aufsatz „Mutmaßungen über einige Wunder des organischen Magnetismus“. (Anm. 21), Abt. 1, Bd. 16, S. 15. Jean Paul. „Das Kampaner Tal“. Werke (Anm. 21), Abt. 1, Bd. 7, S. 63. Georg Christoph Lichtenberg. Schriften und Briefe. 4 Bde. Hg. v. Wolfgang Promies. Darmstadt, 1967-1974, Bd. 4: Briefe, S. 988.

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Zustimmung kommt nicht von ungefähr, denn auch Lichtenberg experimentiert seit längerem mit dem gleichen Problem der Perspektivierung, der Fokussierung, der Distanzierung von Wahrnehmung und der Dislozierung des Beobachterstandpunkts! So schreibt er einmal, die Perspektive Jean Pauls aus dem Fesselballon noch weiter in den Himmel verlängernd: „Wenn sie auf dem Monde Ferngläser haben wie wir, so müssen sie Troja, Rom und London haben brennen sehen [...].“32 Und dann die vielleicht berühmteste Reflexion Lichtenbergs zu diesem Thema: Wenn Scharfsinn ein Vergrößerungs-Glas ist, so ist der Witz ein VerkleinerungsGlas. Glaubt ihr denn, daß sich bloß Entdeckungen mit Vergrößerungs-Gläsern machen lassen? Ich glaube mit Verkleinerungs-Gläsern, oder wenigstens durch ähnliche Instrumente in der Intellektual-Welt sind wohl mehr Entdeckungen gemacht worden. Der Mond sieht durch einen verkehrten Tubum aus wie die Venus [...]. Die Welt, die so schön mit Bäumen und Kraut bewachsen ist, hält ein höheres Wesen als wir vielleicht eben deswegen für verschimmelt. Der schönste gestirnte Himmel sieht uns durch ein umgekehrtes Fern-Rohr leer aus.33

Lichtenbergs zentrales Argument ist die Nutzung der optisch-technischen wie der mentalen Perspektivierung gerade nicht zur Etablierung, sondern zur Irritierung der Wahrnehmung. Die Arbeit mit den optischen Medien der Wahrnehmung erscheint als Strategie der Sichtbarmachung und Entdeckung neuer, unerhörter Dinge, unsichtbarer Wirklichkeiten. So spricht Lichtenberg einmal von einem „Tubus Heuristicus“34 und er fügt hinzu: „Auch ist Mikroskop und Verkleinerungs-Glas, mit analogischen Schlüssen verbunden, ein Haupt-Mittel zur Erfindung“35 – gerade weil es auf dem skotomisierten Blick beruht, das Sichtbare, das „im Hof des Unsichtbaren“ erscheint, um eine Formulierung Gottfried Boehms aufzugreifen. Jean Paul ist dann 1801 auf das Thema des Ballonflugs als Erkenntnis-Medium noch einmal zurückgekommen, und zwar im „Komischen Anhang“ zu seinem Titan-Roman, dem bereits erwähnten Text mit dem Titel Des Luftschiffers Giannozzo Seebuch!36 Es ist die Geschichte eines Außenseiters, der, in einer satirischen Wiederholung von Laurence Sternes Sentimental Journey, eine Art kritischer Weltbetrachtung aus der Luft unternimmt: im Flug mit einem Freiballon in vierzehn Fahrten über das „Theater des Lebens“,37 ja des Kosmos, und zwar als ein nahezu 32 33 34 35 36 37

Vgl. ebd., Bd. 1: Sudelbücher I u. Bd. 2: Sudelbücher II. Hg. v. Wolfgang Promies. Darmstadt, 1968/1971, Bd. 1, Heft C, S. 197, Nr. 203. Ebd., Bd. 1, Heft D, S. 301f., Nr. 469. Ebd., Bd. 2, Heft J (2), S. 297, Nr. 1622. Ebd., Bd. 1, Heft F, S. 536, Nr. 559. Jean Paul (Anm. 21), S. 419-502. Ebd., S. 453.

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apokalyptisches Experiment auf den Weltenrichter und das Universum, ein weltpoetisches Experiment, könnte man sagen, das als naturwissenschaftliches in Szene gesetzt wird. „[I]st das die berühmte Erde“,38 lautet denn auch seine Diagnose von „oben“. Giannozzo ist mit einem englischen Kriegs-Perspektiv ausgerüstet; er arbeitet mit der die Perspektive der Wahrnehmung fortgesetzt brechenden Differenz zwischen Panorama-Blick und Minimal-Fokussierung. Er „mappier[t]“ die Welt von oben,39 arbeitet bald als militärischer Flugaufklärer, bald beobachtet er eine erotische Verführungsszene, wobei der Ballon bei der Verfolgungsjagd auf dem offenen Dach einer Rotonde strandet. Aber dieser Flug Giannozzos im Freiballon endet nicht, wie der Aufstieg Giones im Fesselballon, im Empyreum der Poesie, sondern in einem Inferno. Er zerschellt zwischen zwei Gewittern am Schweizer Hochgebirge. Der Tod Giannozzos findet zwischen dem „Basiliskenauge des Todes“ und dem „großen Auge“ der Sonne seinen Ort.40 Der Flug Giannozzos endet schließlich als Katastrophe in schonungslosem Perspektiv-Verfall und in einem das Weltgericht zitierenden Mythos, dem Finale von Mozarts Don Giovanni; zuvor hatte Jean Paul erwogen, mit Mozarts Requiem zu schließen. Jean Pauls Giannozzo ist der erste die Romantik vorbereitende Text, in dem die konkurrierenden Wahrnehmungsszenarien des Mythos und des optischen Experiments (der Beobachtung durch das Fernrohr und des fliegenden Standortwechsels) auf unversöhnbare Weise zusammenstoßen, also die Wahrnehmungskatastrophe der Moderne als Weltuntergang inszeniert wird! Der Tod Giannozzos, der Zusammensturz seines Wahrnehmungsexperiments, ereignet sich zwischen zwei überdimensionalen, „erhabenen“ Wahrnehmungsorganen, dem Auge des Todes und dem Auge des Lebens im Bild der Sonne. Im Kern des Gewitters starrt Giannozzo, wie es heißt, „das Basiliskenauge des Todes“ an und darüber, im kalten Himmel, erscheint das Auge der Sonne: „Wie glänzte die Sonne in ihrem stillen Himmel so ruhig und kalt über der schwülen irdischen Hölle als wären die Kriegsfeuer der Menschen nur kranke fliegende Funken vor ihrem großen Auge.“ Diese beiden gewissermaßen „transzendenten“ Augen werden aber von Jean Paul auf Kopf und Herz des wahrnehmenden Ballonfahrers und seines aerostatischen Geräts zurückbezogen: „so wurden meine beiden besten Kugeln, die im Kopf und die in der Brust, bloß durch die ärostatische gehoben“:41 also durch den Ballon! 38 39 40 41

Ebd., S. 427. Ebd., S. 437. Ebd., S. 498. Ebd.

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Abb. 10: Odilon Redon. Das Auge bewegt sich, wie ein seltsamer Ballon, auf die Unendlichkeit zu (1882).

Eine Vision dieser Dissoziation hat achtzig Jahre später Odilon Redon in einer Grafik geliefert, die – auf E. A. Poe hinzielend – den Titel trägt: Das Auge bewegt sich, wie ein seltsamer Ballon, auf die Unendlichkeit zu (Abb. 10). Diese Ablösung des Auges aus der Sehsituation – also aus der Fokussierung und deren Beobachterstandpunkt – wird in der Romantik – in der Nachfolge Jean Pauls – teils gefürchtet, teils begrüßt. Da ist einerseits der entschiedene Wahrnehmungsexperimentator Novalis, der, wie er sagt, „die Sinne überhaupt“ als „Armaturen“, als Wahrnehmungswaffen und Wahrnehmungsmittel auffassen will; die „Augen sind Fernröhre“, heißt es in einer Aufzeichnung.42 Da ist aber 42

Novalis. Schriften. 4 Bde. Hg. v. Richard Samuel, Hans-Joachim Mähl u. Gerhard Schulz. Darmstadt, 1968, Bd. 3: Das philosophische Werk II, S. 55 u. S. 400.

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Abb. 11: Hubert Robert. Römische Phantasievedute (1789).

andererseits immer noch der Versuch, mit Hilfe des mythischen, nicht des naturwissenschaftlichen Musters zu sehen, indem die Struktur des Auges, des Umrisses, den die Lider bilden, in das wahrgenommene natürlich-künstliche Objekt integriert wird. Als Beispiel kann Hubert Roberts Römische Phantasievedute (1789) aus der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe dienen (Abb. 11). Sie zeigt den Blick auf die Marmorgruppe Eros und Psyche aus dem Kapitolinischen Museum, die sich innerhalb einer Ruine befindet, also den Blick auf die Welt des ‚liebenden Menschen‘ in Kultur-Natur, indem sie diese als Blick-Landschaft, als Verschmelzung von Objekt und Wahrnehmungsmedium des Auges in einem ‚natürlichen‘ Ensemble erschafft.43 Der Clou der Wahrnehmungssituation besteht also darin, dass der Umriss des Auges selbst, die Struktur der Lidöffnung, in das Objekt integriert wird und die Marmorgruppe genau an der Stelle der Pupille erscheint – die Liebenden mit ‚geschlossenen Augen‘! In einer Kontur-Verschmelzung von SehOrgan und gesehenem Objekt erfolgt damit eine Leugnung der technischen Medien bei der Wahrnehmung. 43

Ich verdanke den Hinweis auf dieses Bild und seine Deutung als Augenöffnung Christiane Holm aus Halle.

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Die literarischen Beispiele eines Jean Paul und Lichtenberg und vor allem aber eines Friedrich von Hardenberg dokumentieren den Kampf zwischen den beiden konkurrierenden Wahrnehmungsdispositiven: dem Mythos einerseits (in der Hegel’schen Beschreibung), dem optischen Medium (in der Nachfolge der cartesianischen Wahrnehmungsauffassung) andererseits. IV. Die Experimente mit den technischen Medien der Wahrnehmung, die Jean Paul und Lichtenberg und natürlich auch Novalis zur Diskussion stellen, werden dann von den Romantikern, namentlich E.T.A. Hoffmann, den Klassikern, zum Beispiel Goethe, und den Realisten, wie etwa Adalbert Stifter, aufgegriffen und erzählstrategisch weiter erprobt. Bei Hoffmann ist dies ganz offensichtlich. In seinem Werk wimmelt es nur so von Ferngläsern, Opernguckern, Mikroskopen, Anamorphosen, Linsen und Fernrohren.44 Auf ein herausragendes Beispiel sei hingedeutet, in dem E.T.A. Hoffmann, ein großer Bewunderer Jean Pauls, das Paradigma durchexerziert. Es ist die Novelle Der Sandmann, die Geschichte Nathanaels, dessen Leben an einem Wahrnehmungsschock scheitert. Aus dem Blick auf die Familiensituation, die dort gesehene und verleugnete Verquickung von Sexualität und Aggression, erwächst ein Trauma, dessen Nathanael nicht mehr Herr zu werden vermag. Er sieht und sieht doch nicht, anerkennt und verleugnet das Wahrgenommene zugleich: An diesem Unbewältigten der Wahrnehmung entzündet sich sein Wahnsinn. Dann wird ihm ein „Taschenperspektiv“, ein kleines Fernrohr, zugespielt, mit welchem er versucht, einen klaren Blick zu erlangen: auf die Familiensituation, auf die Geliebte! Aber der Blick durch das Fernrohr, der ‚fokussieren‘ soll, verstört zugleich die Perspektive und deformiert definitiv die Wahrnehmung. Zuletzt erklimmt Nathanael mit Clara, der Frau, die er liebt, einen Turm – es ist einfach kein Ballon zur Hand –, blickt durch das Perspektiv erst auf sie, dann auf die Schreckensgestalt des Familienparasiten, den Sandmann, den Doppelgänger des Vaters unten am Turm, und stürzt sich, von Wahnsinn geschüttelt, in die Tiefe. Der Wahrnehmungsschock, mit dem die Geschichte beginnt – „Etwas Entsetzliches ist in mein Leben getreten“ –, 44

Vgl. hierzu meinen oben erwähnten Aufsatz „Anamorphose“ (Anm. 16) und meine Darstellung in „Ausblicke. E.T.A. Hoffmanns letzte Erzählung Des Vetters Eckfenster“. ‚Hoffmaneske Geschichte‘. Zu einer Literaturwissenschaft als Kulturwissenschaft. Hg. v. dems. Würzburg, 2005, S. 223-242.

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führt aus dem unlösbaren Konflikt zwischen mythischem Familienmodell und optischem Wahrnehmungsapparat zur Katastrophe, die sich übrigens ihrerseits als Erzählschock äußert, als Unmöglichkeit des Erzählers, dieses Wahrnehmungsereignis poetisch auch zur Sprache zu bringen. Es ist das grauenvolle Zerbrechen der mythologischen Perspektive durch die maschinelle – freilich die Katastrophe nunmehr definitiv herbeiführend. Bei Stifter ist es die Erzählung Der Kondor, ein Ballon-Aufstieg, der explizit auf den vom jungen Stifter verehrten „Vater Hans Paul“ bezogen ist. Goethe schließlich, der Dichter und Naturwissenschaftler, der Theoretiker der Seh-Lehre als „Farben-Lehre“, experimentiert in seiner Novelle, einem Grundsatzwerk über die Technik von Wahrnehmung und Erzählen, auf sehr subtile Weise mit Fernrohr und Bewegungs-Verschiebung durch Wechsel des Beobachterstandorts. Es seien zunächst einige Worte zu Adalbert Stifters Der Kondor von 1840, seiner ersten wichtigen Erzählung, gesagt, welche die Wahrnehmungsexperimente Jean Pauls mit dem Ballonaufstieg, mit dem Spiel zwischen Panorama- und Fokus-Blick und dem Fernrohr als Blickprothese und -stimulator aufgreift und die von Jean Paul vorgegebene Konfiguration nachstellt. Was die Erzählung zeigt, ist die Konfiguration des nunmehr wissenschaftlich motivierten Ballonaufstiegs – mit einer Frau –, und es sind die Wahrnehmungs- und Darstellungsaporien, die sich für einen Künstler daraus ergeben. Stifter hat die Jean Paul’sche Szene unter den Bedingungen des einsetzenden literarischen Realismus noch einmal wiederholt: als einen Bildungsroman in nuce, der aus dem Frevel des Blicks auf die Welt aus einer exzentrischen Perspektive – durch Luftballon und Fernrohr verzerrt – erwächst. Dieser Blick muss zunächst fehlgehen, soweit es die Beziehung des naturfrommen Mannes zu der von wissenschaftlicher Neugier getriebenen Frau angeht; zuletzt glückt er aber, was die entsagungsvolle Entwicklung des Künstlers – aus der wiedergewonnenen natürlichen und unverzerrten Perspektive auf die Natur – angeht. V. Es ist aber dann Goethe, der – gewissermaßen abschließend – auf dieses Moment widerstreitender Wahrnehmungsstrategien, der mythischen wie der technischen, reagiert, und zwar in einem späten Text, der den programmatischen Titel Novelle trägt und im Jahre 1828 erscheint.45 45

Johann Wolfgang von Goethe. „Novelle“. Sämtliche Werke. 40 Bde. Frankfurt a. M.,

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Goethes Novelle beginnt mit eben jener Situation, die Hegel als Urszene griechischer Weltwahrnehmung entworfen hatte: mit dem Blick auf die Natur und dem Versuch, diesem ‚Natürlichen‘ der Natur sein Sinnpotential zu entlocken. Da ist der Blick auf eine herbstliche Landschaft, das Chaos der Dinge, Nebel, der sich ein wenig lichtet. Da ist der Blick in die gegliederte Landschaft und da ist der Blick durch das Teleskop, die Fokussierung auf einen trüben Fleck in diesem Chaos, die einbrechende Katastrophe, den Ausbruch des Brandes, nämlich in der Menagerie im Städtchen im Tal. Auch dieser Text Novelle von Goethe könnte – wie Hoffmanns Sandmann-Erzählung – unter dem Motto stehen: „Etwas Entsetzliches ist in mein Leben getreten.“ Die Novelle Goethes hält den Augenblick fest, in dem in eine geordnete, feudale Welt ein doppeltes Schreckensereignis einbricht, eine Feuersbrunst zunächst, die Bedrohung der Menschen durch wilde Tiere – Löwe und Tiger, die aus einer Menagerie ausbrechen. Hinter diesem Szenario deutet sich der Umriss eines politischen Bedrohungsmodells an. Goethes Interesse gilt nun aber in erster Linie dem Wahrnehmungs-Augenblick, der sich aus diesem Ereignis des Entsetzlichen in einer zuverlässig geordneten Welt entwickelt. Diese anfängliche Geordnetheit betrifft das Ganze der dargestellten Welt: das Verhältnis zwischen dem liebenden Fürstenpaar, die hierarchische Konfiguration der beteiligten Personen, die morphologische Ordnung der Landschaft, in der das Ereignis sich abspielt. In diesem Ordnungsraum lässt Goethe, ausgelöst durch das unerhörte Ereignis, die zwei Wahrnehmungsdispositive spielen, die zu Leitmustern seiner Epoche geworden sind: zum einen das Dispositiv des optischen Geräts, eines Fernrohrs, des fokussierten und des durch Fenster gerahmten Blicks, welches das ganze Geschehen wie ein Leitmotiv begleitet, und zwar in seiner Funktion als panoramatischer Mediator; als Instrument der skotomisierenden Fokussierung auf das Entsetzliche, den Brand und die Bestien, als durch verschiedene Standortwechsel des Benutzers ins Spiel gebrachte Irritation der Perspektivierung, oben auf dem neuen Schloss installiert, im Aufstieg auf den Berg benutzt, im Blick auf den Brand bewährt, von oben aus der Vogelschau in Szene gesetzt. Der durch diese Irritation ins Werk gesetzte Wahrnehmungsschock – wenn man es so nennen darf – wird dann aber von Goethe durch das mit dem Fernrohr konkurrierende Wahrnehmungsdispositiv des Mythos aufgefangen: den Auftritt des 1994, I. Abteilung, Bd. 8: Briefe, Tagebücher und Gespräche (hg. v. Waltraud Wiethölter u. Christoph Brecht), S. 531-557.

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‚biblischen‘ Heldenknaben, der mit der Musik seiner Flöte den Löwen zähmt. Man könnte sagen, dass dieses Mythische zur Heilung des Orientierungsschadens dient, der durch den Einbruch des Fremden, des ExotischPhantasmatischen in die geordnete Welt gebracht und durch das technisch-optische Gerät des Teleskops ‚verzerrt‘ worden ist. Goethe lässt dieses mythische Paradigma sich nämlich im Verlauf des Geschehens Schritt um Schritt als Gegenbewegung zu der Weltbeobachtung durch das Fernrohr entwickeln. Der Knabe der Tierhalterfamilie, der den ausgebrochenen Löwen wieder domestiziert, wird mit einem Repertoire von biblischen und griechisch-antiken Mythenelementen ausgestattet und zum charismatischen Heilsbringer erhöht, und zwar in Konstellation mit seinen Eltern, die mit ihm zusammen eine heilige, morgenländische Familie bilden, durch die die naturwissenschaftliche Wahrnehmung der Natur – im Schauer der Sinnstiftung, wie Hegel gesagt hätte – in ein mythisches Wahrnehmungsmuster zurückgeführt wird. Dieser Mythos steht im Zeichen der Musik, als Remedium des durch den optischen Apparat des Sehrohrs irritierten wahrnehmenden Blicks. Mit dieser Rehabilitierung des Mythos – gegenüber der isolierenden Irritation durch das optische Gerät – kehrt Goethe, so könnte man sagen, zu den Prämissen zurück, die Hegel in seinen Vorlesungen zur Philosophie der Geschichte etwa gleichzeitig entwickelt hatte: zu jenem Schauer, der aus der Wahrnehmung der Natur über Vermittlung des Mythos die Bedeutung, also das ‚Bedeutende‘, wie Goethe zu sagen pflegt, erweckt, oder besser: erwachen lässt. Goethe zeigt, wie sich das ‚Reale‘ gewissermaßen morphologisch im Akt der Wahrnehmung stufenweise entwickelt: vom Imaginären über das Historische zum Mythischen! Dieser gestaffelte Prozess der Wahrnehmung, als der Akt der Kulturgewinnung im Spannungsfeld zwischen technisch-optischem und mythischem Medium, ist das eigentliche Thema der Novelle. Die entscheidende Situation in der Novelle, wo die beiden Paradigmen des Mythischen und des Optisch-Instrumentellen in Konkurrenz treten, ist nach dem griechischen Muster modelliert, das Hegel zitiert hatte: „Über die große Weite“, heißt es an jener Stelle, wo Honorio und die Fürstin an einem Aussichtspunkt angelangt sind, der zwischen „malerischer“ Aussicht und „Blick des Vogels“ angesiedelt ist,46 lag eine heitere Stille, wie es am Mittag zu sein pflegt, wo die Alten sagten, der Pan schlafe, und alle Natur halte den Atem an, um ihn nicht aufzuwecken. „Es ist nicht das erstemal“, sagte die Fürstin, „daß ich auf so hoher weitum46

Ebd., S. 541.

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schauender Stelle die Betrachtung mache, wie doch die klare Natur so reinlich und friedlich aussieht, und den Eindruck verleiht als wenn gar nichts Widerwärtiges in der Welt sein könne [...].“ Honorio, der indessen durch das Sehrohr nach der Stadt geschaut hatte, rief: „Seht hin! Seht hin! Auf dem Markte fängt es an zu brennen [...].“47

Entscheidend an dieser Stelle ist das Moment, dass das mythische Wahrnehmungsmuster der Natur – wie bei Hegel repräsentiert durch den Gott Pan – mit dem durch das Teleskop initiierten Wahrnehmungsschock des unerhörten Ereignisses konfrontiert wird; paradigmatisch in Szene gesetzt an einem idealen Aussichtspunkt, morphologisch legitimiert – noch nicht Vogelschau, noch nicht Ballon, aber auch nicht mehr aus den Niederungen der Horizontlosigkeit wahrgenommen. Die Spannung zwischen Mythos und optischem Gerät entfaltet sich in einer Entscheidungssituation, in der Wahrnehmungsstruktur und Erzählstruktur kollidieren. Es ist genau der Krisenpunkt der Novelle. E.T.A. Hoffmanns Sandmann dagegen – wollte man noch einmal einen Vergleich mit der Goethe’schen Novelle anstellen – insistiert nicht auf der Heilkraft des Mythischen, sondern auf der Spaltung der Wahrnehmung, die durch das die Wahrnehmung brechende Taschenperspektiv in Szene gesetzt wird. Der Schauer, der durch den Wahrnehmungsschock bei Hoffmanns Helden ausgelöst wird, ist nicht der die Aura einer schönen Individualität stiftende Mythos, sondern das Schaurige, das Schauerliche einer gespalten bleibenden Wahrnehmung. Sigmund Freud hat in seiner Analyse von Hoffmanns Sandmann von 1919 dieses Entsetzen, das aus dem Wahrnehmungsschock entspringt, das „Unheimliche“ genannt, als das Vertraute, das eine traumatische Verdrängung erfahren hat und unaufhaltsam in die Wahrnehmung zurückdrängt.48 Es ist der Schock der traumatisierten Wahrnehmung, der an den durch das optische Gerät nicht geschärften, sondern irritierten Blick geknüpft ist: den skotomisierten Blick, der durch einen zu scharfen Fokus erzwungen wird – eine Vorstellung, die Goethe zutiefst zuwider war. Mit dem Bogen, den ich von den ersten Irritationen des Wahrnehmungsvorgangs bei Lichtenberg und Jean Paul über Hoffmanns kardinale Experimente und Stifters Kontrafaktur Jean Pauls zu Goethes Vermittlung von Mythos und optischem Apparat zu schlagen versuchte, scheint mir die prekäre Auffassung des Wahrnehmungsproblems in der Goethezeit skizziert zu sein. Die weitere Entwicklung zeigt sich mir da47 48

Ebd., S. 542. Vgl. Sigmund Freud. „Das Unheimliche“. Freud-Studienausgabe. 10 Bde. u. 1 Erg.bd. Hg. v. Alexander Mitscherlich u. a. Frankfurt a. M., 1982, Bd. 3: Psychologische Schriften, S. 241-274.

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durch bestimmt, dass zusehends nicht mehr das Wahrnehmungs-Ereignis, sondern dessen mediale Bedingungen selbst in den Mittelpunkt des Interesses rücken. Es sei wiederum die Stimme eines Dichters und die eines Naturwissenschaftlers ins Feld geführt: die Rilkes einerseits, die Sigmund Freuds andererseits. So ist es Rainer Maria Rilke, der in einem Brief vom 12. Dezember 1916, also mitten im ersten Weltkrieg, auf dieses Dilemma zurückgreift. Er schreibt an Hans Tietze – im Zusammenhang mit der Schau-Lust und dem an sie gekoppelten Wahrnehmungs-Schock – von einer „subkutanen Malerei“, die „unter der eigentlich heilen Bildoberfläche“ liege, gegeben durch die „Anarchie eines durch Mikroskope verdorbenen und durch die zunehmende Unsicherheit vieler Erlebnisse zum äußersten gereizten Blicks“.49 Und an anderer Stelle fragt er sich, [o]b nicht die Erwerbung des Mikroskops, des Fernrohrs und so vieler, die Sinne nach oben oder unten verschiebender Vorrichtungen in eine andere Schichtung zu liegen kommen, da doch der meiste, so gewonnene Zuwachs sinnlich nicht durchdrungen, also nicht eigentlich ‚erlebt‘ werden kann.50

Rilke steht seinerseits schon an der Schwelle eines neuen Zeitalters, in dem die Wahrnehmungsmodelle – des Mythos einerseits, der optischen und aerostatischen Maschine andererseits – noch durch ein drittes Medium überholt werden: das der elektronisch gestützten Virtualität, einer computergesteuerten Wahrnehmung der Welt. Dieser Wende hat sich Freud, ein Zeitgenosse Rilkes, angenommen – und es scheint, als habe auch Botho Strauß, in unserer Gegenwart, die Frage wieder aufgegriffen. Besonders interessant als Gegenstimme zu Rilke ist Sigmund Freuds Versuch, der Frage mit einem technisch-optischen Gleichnis beizukommen. Ihn interessiert die Grenze zwischen dem Unbewussten und dem Bewusstsein als zwei in kompliziertem Austausch stehenden Systemen: die Grenze zwischen beiden als der Ort, an dem Wahrnehmung sich ereignet, als ‚innere Wahrnehmung‘ sozusagen, und zwar als ein virtueller Vorgang, wie Freud ausdrücklich hervorhebt. Sigmund Freud versucht diesen Vorgang der Bedeutungsbildung auf der Grenze zwischen Bewusstsein und Unbewusstem noch einmal mit dem Modell des Fernrohrs als eines dioptrischen Geräts zu erläutern. Am Ende der Traumdeutung, wo Freud abschließend auf das komplexe Problem der Vermittlung zwischen Primärvorgang und Sekundärvorgang zu sprechen kommt, beschreibt er das Verhältnis zwischen Unbewusstem einerseits und Vorbe49 50

Rainer Maria Rilke. „Brief an Hans Tietze“ (12. Dezember 1916). Rainer Maria Rilke. „Ur-Geräusch“. Sämtliche Werke. 7 Bde. Hg. v. Rilke-Archiv u. Ruth Sieber-Rilke. Frankfurt a. M., 1966, Bd. 6, S. 1092.

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wusst/Bewusstem andererseits folgendermaßen. Wir erinnern uns daran, schreibt Freud, daß Vorstellungen, Gedanken, psychische Gebilde im allgemeinen überhaupt nicht in organischen Elementen des Nervensystems lokalisiert werden dürfen, sondern sozusagen zwischen ihnen, wo Widerstände und Bahnungen das ihnen entsprechende Korrelat bilden. Alles, was Gegenstand unserer inneren Wahrnehmung werden kann, ist virtuell, wie das durch den Gang der Lichtstrahlen gegebene Bild im Fernrohr. Die Systeme aber [also die Systeme des Unbewussten und des Bewussten], die selbst nichts Psychisches sind und nie unserer psychischen Wahrnehmung zugänglich werden, sind wir berechtigt anzunehmen gleich den Linsen des Fernrohrs, die das Bild entwerfen. In der Fortsetzung dieses Gleichnisses entspräche die Zensur zwischen zwei Systemen der Strahlenbrechung beim Übergang in ein neues Medium.51

Soweit Freuds Gleichnis. Zwischen den Kategorien des Mythischen und des Technisch-Optischen errichtet er eine dritte Kategorie, die des Virtuellen. Wollte man noch einen Sprung bis vor die Jahrhundertwende 2000 wagen, so müsste man auf Botho Strauß’ Buch Das Partikular zu sprechen kommen,52 ein Buch, das seinerseits einen Wahrnehmungsakt und Wahrnehmungsschock zum Gegenstand hat. Dieser ist dreifach in Szene gesetzt: als Blick des Künstlers auf sein Modell, als Blick des Todes auf das Leben sowie als Blick des Universums – oder sollte man sagen Gottes – auf das Einzelne, auf das im irdischen Chaos „herumlungernde“ Ding. „Das Partikular, durch das der Ewige uns sucht, umfaßt uns ohne zeitliches Brimborium, ohne geschichtliche Ergänzung und Verfälschung“, schreibt Botho Strauß.53 Strauß wählt als Umschlagbild seines Buchs ein Gemälde von Wolfgang Otto Schulze, der sich WOLS nennt. Es hat den Titel L’œil de Dieu, das Auge Gottes (Abb. 12). Man erinnere sich an Jean Pauls Giannozzo zwischen Basiliskenblick des Todes und dem Lebensblick der Sonne! Um dieses Auge, das auf die Welt blickt, und um den Vorgang der Wahrnehmung des bedingungslos Einzelnen, als noch möglicher Sinnstiftung im Chaos der Objekte, geht es in Botho Strauß’ Buch. Das „Partikular“ – Strauß spricht auch vom „Hypnoskop“54 – ist das nicht näher bestimmte optische Instrument, mit dem eine solche Wahrnehmung vielleicht zu leisten wäre: „ein neues Ordnungsorganon“.55 Freilich scheint auch solche Wahrnehmung in Strauß’ Buch zuletzt zu misslingen. Er schreibt: 51 52 53 54 55

Sigmund Freud. Die Traumdeutung (= Freud-Studienausgabe, Bd. 2). Hg. v. Alexander Mitscherlich u. a. Frankfurt a. M., 1982, Bd. 2, S. 579. Vgl. Botho Strauß. Das Partikular. München, 2000. Ebd., S. 84. Ebd., S. 87. Ebd., S. 182.

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Abb. 12: Wolfgang Otto Schulze (WOLS). L’œil de Dieu (1948).

So wie es Forschung über Unordnung und Chaos gibt, sollte man eine Wissenschaft des Versehens und des universellen Danebengehens begründen [...]. Wir alle leben in einem solchen zweiten, widrigen Universum der Desutilität, der Desintegration, der Dysfunktionalität [...], einem Universum der unbrauchbaren Dinge [...].“56

Was damit ausgedrückt wird, ist ein Scheitern mit aller Bedeutungsstiftung am vereinzelten Naturobjekt selbst. Dieses kann weder durch den Mythos noch durch die optische Apparatur, noch durch die virtuelle Modellierungskraft der Chaosforschung zu einem „Bedeutungsträger“ erweckt werden. Im „Tumult der Dinge“ – wie Strauß sagt – kann nur das „Verfehlen“ des Partikularen als solchem im Akt der Wahrnehmung konstatiert werden, als ein „universelles Danebengehen“. „Wir besitzen nicht das Zeug“, schreibt Botho Strauß, „um von unseren Sinnesorganen etwas Wahrheitsgemäßes zu sagen!“57

56 57

Ebd., S. 202. Ebd., S. 61.

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fenster“. ‚Hoffmaneske Geschichte‘. Zu einer Literaturwissenschaft als Kulturwissenschaft. Hg. v. dems. Würzburg, 2005, S. 223-242. Novalis. Schriften. 4 Bde. Hg. v. Richard Samuel, Hans-Joachim Mähl u. Gerhard Schulz. Darmstadt, 1968, Bd. 3: Das philosophische Werk II. Paul, Jean. „Des Luftschiffers Giannozzo Seebuch“. Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. 19 Bde. Hg. v. Eduard Berend. Weimar, 1927ff., Abt. 1, Bd. 8, S. 419-502. Paul, Jean. „Das Kampaner Tal“. Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. 19 Bde. Hg. v. Eduard Berend. Weimar, 1927ff., Abt. 1, Bd. 7, S. 1-150. Paul, Jean. „Mutmaßungen über einige Wunder des organischen Magnetismus“. Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. 19 Bde. Hg. v. Eduard Berend. Weimar, 1927ff., Abt. 1, Bd. 16, S. 9-43. Rilke, Rainer Maria. „Brief an Hans Tietze“ (12. Dezember 1916). Rilke, Rainer Maria. „Ur-Geräusch“. Sämtliche Werke. 7 Bde. Hg. v. Rilke-Archiv u. Ruth Sieber-Rilke. Frankfurt a. M., 1966, Bd. 6, S. 1085-1093. Strauß, Botho. Das Partikular. München, 2000. Weber, Otto. Die Erben des Ikarus. Lichtenberg und die Anfänge der Ballonfahrt. OberRamstadt, 1983.

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Experiment und Instrument Der Aufschwung von Experiment und Instrumentgebrauch Experimentieren, schrieb John F.W. Herschel, heißt „Ursachen und Wirkstoffe, über die wir verfügen, in Aktivität zu versetzen und ihre Verbindungen zu variieren, und dann zu sehen, welche Wirkungen eintreten“.1 In diesem Sinne waren die frühesten bekannten Experimente biologischer und medizinischer Natur.2 Im 2. Jahrhundert n. Chr. experimentierte der Arzt Galen eingehend mit Tieren, um die Funktionen der verschiedenen Organe zu erforschen und im 16. Jahrhundert sezierte Andreas Vesalius als Erster Leichen. William Harvey untermauerte seine Argumente für den Blutkreislauf mit sorgfältigen Experimenten, ungeachtet der aristotelischen Ausrichtung seiner Denkweise. Schon vom 13. Jahrhundert an benutzten Alchemisten Laborinstrumente, um neue Wirkstoffe zu erzeugen, und wendeten sich gegen die allzu enge Deutung der aristotelischen Trennung zwischen dem Natürlichen und dem Künstlichen. Ein dritter Bereich, in dem vor dem frühneuzeitlichen Aufschwung der Naturwissenschaften das Experiment eine entscheidende Rolle spielte, war die Optik in der Tradition des Ptolemäus (2. Jahrhundert n. Chr.). Ptolemäus formulierte ein experimentelles quantitatives Gesetz für die Brechung des Lichts beim Übergang von Luft in Wasser und wollte experimentell das beidäugige Sehen ergründen. Aus dieser Tradition kommend schrieb der Araber Ibn al-Haitham (Alhazen) im frühen 11. Jahrhundert eine Abhandlung zur Optik, die man mit Fug und Recht 1

2

„[...] by putting in action causes and agents over which we have control, and purposely varying their combinations, and noticing what effects take place; this is EXPERIMENT.“ John F.W. Herschel. A Preliminary Discourse on the Study of Natural Philosophy. New York, 1966 [Nachdruck d. Ausgabe London, 1830], S. 76. Vgl. Frederic L. Holmes. „The Logic of Discovery in the Experimental Life Sciences“. Biology and Epistemlogy. Hg. v. Richard Creath u. Jane Maienschein. Cambridge, 2000, S. 167-190.

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experimentell nennen kann: Er versuchte, die Physik und Geometrie des Lichts mit Annahmen über die Anatomie des Auges zu verbinden. AlHaithams Werk wurde im 13. Jahrhundert ins Lateinische übersetzt und war bis zu Johannes Kepler im frühen 17. Jahrhundert für die Optik maßgebend. Der Wissenschaftshistoriker Alistair C. Crombie sah wegen dieser und ähnlicher Entwicklungen die experimentelle Wissenschaft als eine Errungenschaft der abendländischen Philosophen des 13. Jahrhunderts an, in der sich die griechische geometrische Methode mit der experimentellen Einstellung der praktischen Künste verband.3 All diese unterschiedlichen Versuche, die Natur experimentell zu untersuchen, haben auf die eine oder andere Weise dazu beigetragen, dass sich im 17. Jahrhundert die experimentelle Methode als bewusste und kontrollierte Form der wissenschaftlichen Erfahrung ausbildete. Galileo Galileis Experimente und Messungen, die seit ca. 1604 zu einem neuen Begriff der Ortsbewegung führten, spielten dabei eine entscheidende und vorbildliche Rolle.4 In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts waren es vor allem die wissenschaftlichen Akademien, die sich den neuen Wissenschaften widmeten und zu Zentren experimenteller Aktivität wurden. Von dieser Zeit an wurden beim Experimentieren immer öfter neue oder verbesserte Instrumente eingesetzt. Nach einem Vorschlag von Thomas S. Kuhn kann man die Instrumente der Zeit in zwei Kategorien einteilen, je nach ihrer Herkunft aus der „klassischen“ oder „Baconischen“ Tradition der Naturwissenschaften.5 Zu den klassischen Wissenschaften gehören diejenigen mathematischen Disziplinen, wie geometrische Optik, Astronomie, Statik, Harmonielehre und Geometrie, die sich schon im Altertum konstituiert und zu reifen Wissenschaften ausgebildet haben. Bis tief ins 19. Jahrhundert hinein waren diese verschiedenen Gebiete mit Ausnahme der musikalischen Harmonielehre eng miteinander verbunden. Die Instrumente, die in dieser Tradition zum Einsatz kamen, wurden meist „mathematische Instrumente“ genannt und beschränkten sich hauptsächlich auf Zirkel und Lineal, Waage, Uhren sowie geometrisch-astronomische Vorrichtungen. Sie dienten der so ge3 4 5

Vgl. Alistair C. Crombie. Robert Grosseteste and the Origins of Experimental Science, 1100-1700. Oxford, 1953. Vgl. Charles B. Schmitt. „Experience and Experiment. Comparison of Zabarella’s View with Galileo’s in De Motu“. Studies in the Renaissance 16 (1969), S. 80-138. Vgl. Thomas S. Kuhn. „Mathematische versus experimentelle Traditionen in der Entwicklung der physikalischen Wissenschaften“ [1976]. Die Entstehung des Neuen. Studien zur Struktur der Wissenschaftsgeschichte. Übs. v. Hermann Vetter. Frankfurt a. M., 1977, S. 84-124.

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nannten „mathematica mixta“, die neben abstrakten mathematischen Eigenschaften noch gewisse physische Qualitäten mitberücksichtigte. Unter einem Experiment verstand man in dieser Tradition in der Hauptsache die Überprüfung einer zuvor rational erdachten oder die Verfeinerung oder Ausweitung einer schon anerkannten Theorie. Viele Experimente dieser Tradition erweisen sich als bloße Gedankenexperimente, deren Ergebnisse man schon aus alltäglichen Erfahrungen zu kennen glaubte. Auch und gerade Galilei ist in diese Tradition einzuordnen. Die zweite Tradition, der wir viele oder sogar die meisten Instrumente der Zeit zuordnen können, ist die Baconische Tradition. Ihre Disziplinen stammen erst aus der Experimentierbewegung des 17. Jahrhunderts selbst, aus der Praxis der „Naturgeschichten“ bzw. den verschiedenen praktischen Künsten, die in dieser Zeit eine ungemeine Aufwertung erfahren haben. Die Kluft zwischen den handwerklichen und universitären Traditionen, die bisher die „mechanischen“ von den „freien Künsten“ trennte, wurde überbrückt. Zu den Baconischen Wissenschaften gehören die Wärmelehre, Elektrizitätstheorie, Lehre vom Magnetismus, Chemie, Pharmazie, Metallurgie, Glasmacherkunst und ähnliche Gebiete. Mit den Instrumenten aus diesen Bereichen, die man „philosophische Instrumente“ nannte, untersuchte man die Natur unter bisher noch nicht beobachteten oder nicht verwirklichten Bedingungen. In den nächsten Jahrzehnten brachte die Baconische Bewegung das Fernrohr, das Mikroskop, das Thermometer und das Barometer, die Luftpumpe zum Erzeugen eines Vakuums, elektrische Ladungsdetektoren, die Leidener Flasche und viele ähnliche Vorrichtungen hervor. Es ist interessant zu sehen, dass diese Instrumente hauptsächlich auf qualitative Art und Weise verwendet wurden und dass eine quantitative Anwendung erst sehr spät am Ende des 18. oder zu Beginn des 19. Jahrhunderts einsetzte, als nämlich die beiden Traditionen – die klassische und die Baconische – miteinander zu verschmelzen begannen. Seit der Mitte des 17. Jahrhunderts verband sich der Baconianismus auch mit der Renaissance des Atomismus, der als „Korpuskularphilosophie“ zur offiziellen experimentellen Philosophie der Royal Society in England wurde. Philosophische Reaktionen auf Experiment und Instrumentgebrauch Im 2. Buch seiner Physik hatte Aristoteles zwischen „Physis“ (Natur) und „Techné“ (Kunst) unterschieden, also dem Bereich der natürlichen Gegenstände, die in sich selbst ihr eigenes Veränderungsprinzip tragen,

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wie z. B. Pflanzen, Tiere und Menschen, aber auch Steine und Wolken usw., und dem Bereich der künstlichen Gegenstände, wie Bettgestelle und Kleider. Bis zur Frühen Neuzeit und ihrer wissenschaftlichen Revolution benutzten Aristoteliker diese Unterscheidung dazu, die erkenntnistheoretische Relevanz künstlicher Eingriffe in die Natur abzuleugnen. Nach ihrer Meinung durfte man nicht künstlich in die Ordnung der Natur eingreifen, um ihr Wirken erklären zu können. Wenn Aristoteles schreibt, dass die Kunst(fertigkeit) in der Lage sei, die Natur zu imitieren oder ihre unvollständigen Prozesse zu vervollständigen, so steht das nur scheinbar mit dieser Lehre in Widerspruch. Die Natur zu imitieren, hieß, die Form und Materie eines Gegenstandes in eine solch innige Vereinigung zu bringen, wie sie die Gegenstände der Natur besitzen; und einen natürlichen Gegenstand seinem Ziel zuzuführen, hieß, ihm alle Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Francis Bacon war wohl der wichtigste Autor in der Frühen Neuzeit, der den Gegensatz zwischen Natur und Kunst philosophisch zu überwinden lehrte. Kuhns Wahl seines Namens als Bezeichnung für eine ganze Experimentiertradition ist also durchaus gerechtfertigt. Bacon versuchte zu zeigen, dass ein künstlicher Eingriff die Natur in einen Zustand bringt, aus dem heraus die Natur selbst auf natürliche Weise das intendierte Resultat produziert. Zu diesem Zweck definierte er Aristoteles’ Begriff der Form um und verstand ihn – unter Abtrennung aller teleologischen Konnotationen – als den Inbegriff der operationalen Eigenschaften, die einem Gegenstand innewohnen. Die Wirkung eines Gegenstandes unter gegebenen Bedingungen konnte nun mit der „wahren Form“ oder dem „wirklichen Wesen“ seiner „einfachen Naturen“ gleichgesetzt werden. Folgerichtig ließ Bacon nur die causa efficiens gelten und verwarf die drei anderen aristotelischen Ursachen – die Material-, Formal- und Finalursache – und verstand unter Form „nichts anderes als diejenigen Gesetze und Bestimmungen absoluter Aktualität, die jede einfache Natur in jeder Art Materie, die für sie empfänglich ist, regieren und konstituieren, wie Wärme, Licht, Gewicht“.6 Diese Auffassung hatte zur Konsequenz, dass sich das Wissen von der Welt nicht mehr sozusagen auf der Oberfläche kundgibt. Wir können uns durch die „viscera naturae“, die Gedärme der Natur, wie Bacon es ausdrückt, nur durch methodische und experimentelle Verfahren der Induktion hindurcharbeiten. Vielleicht war es Bacons tiefste und wirkungsvollste Einsicht, dass die einfache enumerative Induktion, wie sie Aristoteles gelehrt hatte, also die Induktion ohne Experiment und ohne 6

Francis Bacon. Novum Organon. London, 1620, ii, S. XVII.

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eliminative Methode, nicht ausreicht, kausale Beziehungen von zufälligen Korrelationen zu unterscheiden. Bacons Induktionsmethoden wurden bis ins 20. Jahrhundert hinein als Verfahren zur Erzeugung empirischer Theorien und Gesetze gesehen. Ihren Höhepunkt erreichte die Baconische Tradition mit John Stuart Mills Ausarbeitung und Verbesserung von Bacons und Herschels induktiven Regeln. Bei Mill wird jedoch eine Tendenz sichtbar, das Experiment nicht ganz so ernst zu nehmen, wie es noch bei Bacon der Fall war. Bacon hielt das Experiment für ein notwendiges Mittel, um der Natur ihre Rätsel abzutrotzen. Ohne Experimente behält sie ihre Geheimnisse für sich. Für Mill jedoch sind Situationen vorstellbar, in denen die Beobachtung denselben Zweck wie das Experiment erfüllen kann: Um die Umstände zu variieren [die zur Auffindung der wirklichen Gesetze führen sollen, M.H.], können wir entweder auf die Beobachtung oder das Experiment zurückgreifen; wir können entweder einen Fall in der Natur auffinden, der unseren Zwecken dient, oder durch eine künstliche Anordnung der Umstände einen solchen Fall herstellen. Der Wert des Falls hängt von seiner eigenen Beschaffenheit ab, nicht von der Art und Weise, mit der er zustande gekommen ist: Seine Verwendung für die Zwecke der Induktion hängt im einen wie im anderen Fall von denselben Prinzipien ab, so wie das Geldausgeben gleich ist, ob man es nun geerbt oder erarbeitet hat. Kurz gesagt, es gibt keinen kategoriellen Unterschied, keine wirkliche logische Unterscheidung zwischen den beiden Untersuchungsvorgängen.7

Die Überzeugung, dass es keinen „logischen Unterschied“ zwischen Beobachtung und Experiment gibt, wurde für fast alle Schulen der Wissenschaftsphilosophie des 20. Jahrhunderts bis in die 80er Jahre hinein selbstverständlich. Es ist sehr interessant zu sehen, wie ein herausragender Experimentalist des 19. Jahrhunderts, Hermann von Helmholtz, der Versuchung, die Dinge so zu sehen, widerstand, obwohl er sonst in vielen und wichtigen Hinsichten Mill folgte. Seine Gründe waren allerdings andere als die Bacons: Wenn ich die Bedingungen eines Ereignis7

„For the purpose of varying the circumstances, we may have recourse [...] either to observation or to experiment; we may either find an instance in nature suited to our purposes, or, by an artificial arrangement of circumstances, make one. The value of the instance depends on what it is in itself, not on the mode in which it is obtained: its employment for the purposes of induction depends on the same principles in the one case and in the other; as the uses of money are the same whether it is inherited or acquired. There is, in short, no difference in kind, no real logical distinction between the two processes of investigation.“ John Stuart Mill. „A System of Logic, Ratiocinative and Inductive“ [1843]. Collected Works. 33 Bde. Hg. v. John M. Robson u. a., Toronto 1973/74, Bd. 7, 3. Buch, Kap. 7, § 2, S. 381.

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ses in verschiedenen Hinsichten verändern kann, so behauptete er, kann ich mir sicher sein, dass mein Eingriff die Ursache für die beobachtete Veränderung war, weil wir „unseren Willensimpuls [...] aus innerer Anschauung [kennen] und wissen, durch welche Motive er zu Stande gekommen ist“. Die „Kette der Ursachen“ läuft „durch unser Selbstbewußtsein hindurch“. Wenn ich jedoch passiv Korrelationen in der Natur beobachte ohne einzugreifen, dann kann ich niemals sicher sein, ob sie auf echten kausalen Wirkungen beruhen oder nur eine zufällige Variation vorliegt.8 Während für Bacon die „Heimlichtuerei“ der Natur die Menschen zum Experiment zwingt, ist es für Helmholtz die erkenntnistheoretische Beschränkung ihres passiven Geistes, die den Eingriff in die Natur erforderlich macht. Einer der stärksten und einflussreichsten Angriffe, der gegen den Induktivismus jemals geführt worden ist, stammt aus der Feder des Physikers, Wissenschaftshistorikers und Philosophen Pierre Duhem. Um die Unangemessenheit des Induktivismus aufzuweisen, zerpflückte er in seinem Buch über Ziel und Struktur physikalischer Theorien (1906) die „Newtonsche Methode“, wie sie angeblich sowohl von Isaac Newton selbst in der Mechanik als auch von André Marie Ampère in der Elektrodynamik angewandt wurde. Er wies auf brillante Art und Weise nach, dass Newton seine Hypothesen niemals durch Induktion aus Experimenten gewonnen hat, wie er selbst im general scholium der Principia forderte, noch dass Ampère seine mathematische Theorie der elektrodynamischen Phänomene „aus dem Experiment“ deduzierte, wie er es schon im Titel seiner Abhandlung von 1827 behauptete. Folgerichtig zog Duhem den Schluss, dass es einer physikalischen Theorie im Lauf ihrer Entwicklung freisteht, „einen beliebigen Weg einzuschlagen, vorausgesetzt, dass sie jeden logischen Widerspruch vermeidet; im speziellen steht es ihr frei, keinerlei Rechenschaft von den experimentellen Tatsachen zu geben“.9 Damit das Experiment seine wahre Funktion unter Beweis stellen kann – die Überprüfung von Theorien –, muss ihm also eine Theorie vorausgehen. Duhem beharrte auf der Priorität der Theorie vor dem Experiment, wenn er forderte, dass die Konfrontierung mit den Tatsachen [...] sich ausschließlich auf die Schlußfolgerungen der Theorie erstrecken [muss], da sie allein als ein Bild der Wirk8 9

Hermann von Helmholtz. „Die Thatsachen in der Wahrnehmung“ [1878]. Vorträge und Reden. Braunschweig, 1903, S. 237. Pierre Duhem. Ziel und Struktur der physikalischen Theorien [1906]. Übs. v. Friedrich Adler. Hamburg, 1978, S. 275.

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lichkeit anzusehen sind; die Postulate, die als Ausgangspunkt der Theorie dienen, die Zwischenglieder, durch die man von den Postulaten zu den Schlußfolgerungen kommt, dürfen ihr nicht unterworfen werden.10

Duhems Kritik wurde später von dem Wissenschaftsphilosophen Karl Popper weiterentwickelt. Im selben Geist wie Duhem verfügte Popper, dass „der Experimentator [...] durch den Theoretiker vor ganz bestimmte Fragen gestellt [wird] und [...] durch seine Experimente für diese Fragen und nur für sie eine Entscheidung zu erzwingen [sucht]“.11 Für Popper ist es daher nur der Theoretiker, der dem Experimentator den Weg weist, und niemals umgekehrt. Die einzige Funktion, die das Experiment besitzt, ist die, uns von sterilen und falschen Theorien zu befreien. Mit Popper wurde das Experiment also vollständig zur Dienstmagd der Theorie. Duhem war dessen ungeachtet noch einen Schritt weiter gegangen als Popper, wenn er dem Experiment sogar die kritische Funktion absprach, Theorien zu widerlegen. Selbst in dem Fall, dass eine Theorie genug Reife hat, experimentell überprüft zu werden, kann man mit einem Experiment nicht mechanisch zwischen dieser Theorie und ihren Rivalen entscheiden. „Ein physikalisches Experiment kann niemals zur Verwerfung einer isolierten Hypothese, sondern immer nur zu der einer ganzen theoretischen Gruppe führen.“12 Und es ist selten, wenn überhaupt möglich, die für die experimentelle Widerlegung verantwortlichen Annahmen eines theoretischen Systems scharf von den übrigen zu trennen. Für Duhem gleicht der Physiker einem Arzt und nicht einem Uhrmacher, wenn er einer lahmen Theorie wieder auf die Beine helfen will. Der Uhrmacher kann die Uhr zerlegen und jedes Einzelteil für sich untersuchen, bis er den Fehler gefunden hat. Der Arzt jedoch kann den Patienten nicht auseinander nehmen, um das Problem zu beheben, sondern muss seine Wurzel durch Betrachtung des Körpers im Ganzen zu ergründen versuchen. Und selbst wenn alle Annahmen einer theoretischen Gruppe außer einer als wahr bekannt wären, wäre das rivalisierende Lager nie als überlegen nachweisbar. Dies könnte man nur dann nachweisen, wenn jede mögliche Alternative schlüssig widerlegt wäre. Aber wir wissen natürlich nicht, welche Alternativen noch entdeckt werden können. Alle diese Überlegungen führten Duhem zur Verwerfung von Bacons Begriff des „experimentum crucis“. Bacon hatte die Meinung vertreten, 10 11 12

Ebd., S. 276. Karl Popper. Logik der Forschung [1935]. Tübingen, 1973, S. 72. Duhem (Anm. 9), S. 243.

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dass es in der Tat entscheidende Experimente gibt, die endgültig zwischen Rivalen entscheiden können. Sie tun dies gleichsam als instantiae crucis oder „fingerposts“ (Wegweiser), die man an Wegkreuzungen findet. 1951 bekam Duhem in seiner Ablehnung entscheidender Experimente gewichtige Verstärkung durch den amerikanischen Logiker und Philosophen Willard V.O. Quine. Dieser verallgemeinerte Duhems Argumentation auf alle erfahrungsmäßigen Überzeugungen. Nach seiner Meinung widerspricht eine unpassende und unerwartete empirische Beobachtung nicht nur einer wissenschaftlichen Theorie, wie Duhem es gelehrt hatte, sondern allen unseren Überzeugungen und Theorien: [U]nsere Behauptungen über die Außenwelt müssen sich nicht einzeln dem Tribunal der Sinneserfahrung stellen, sondern nur im Kollektiv. [...] Die kleinste empirische Bedeutung tragende Einheit ist das Ganze der Naturwissenschaft.13

Quine benutzte diese Feststellung zu einer tief greifenden Kritik am Logischen Empirismus. Als eine Folgerung dieser Auffassung kann jede anscheinend durch Beobachtung widerlegte Annahme so lange aufrechterhalten werden, wie wir woanders im System unserer Überzeugungen passende Änderungen anzubringen bereit sind. Dieses holistische Argument für die erfahrungsmäßige Unterdeterminiertheit von Theorien wurde als „Duhem-Quine-These“ bekannt. Die Reihe der philosophischen Argumente, die die Rolle des Experiments herunterspielten, setzte sich weiter ins 20. Jahrhundert hinein fort. Der logische Empirist Hans Reichenbach prägte das einflussreiche Gegensatzpaar von „Entdeckungszusammenhang“ und „Begründungszusammenhang“ für eine Unterscheidung, die auf ähnliche Weise unter anderer Bezeichnung schon früher von den Philosophen Alois Riehl, Gottlob Frege und anderen entwickelt worden war.14 Nach diesem Gegensatzpaar können die tatsächlichen historischen und sozialen Umstände der Erschaffung einer Theorie, eingeschlossen ihre (falls es sie gab) experimentelle Erzeugung, nicht zu ihrer Rechtfertigung dienen. Das Experiment taugt höchstens als eine Heuristik zur Entwicklung einer nützlichen Theorie, aber es ist weder notwendig noch hinreichend für ihre Gültigkeit. Die Folge von Reichenbachs Unterscheidung war, dass sich alle Aufmerksamkeit auf die erkenntnistheoretischen Prob13

14

„[...] our statements about the external world face the tribunal of sense experience not individually but only as a corporate body. [...] The unit of empirical significance is the whole of science.“ Willard V.O. Quine. „Two Dogmas of Empiricism“ [1951]. From a Logical Point of View. 9 Logico-Philosophical Essays. New York, 1963, S. 41f. Vgl. Hans Reichenbach. The Rise of Scientific Philosophy. Berkeley, 1951.

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leme der Theorie richtete und nicht auf ihre Entdeckung und die Möglichkeiten des Experiments. Obwohl Thomas S. Kuhn normalerweise als Hauptkritiker sowohl des Logischen Empirismus mit seinem Vorläufer Duhem als auch von Poppers kritischem Rationalismus gilt, stimmte er doch überraschenderweise mit seinen Gegnern in Bezug auf die untergeordnete Rolle des Experiments überein – zumindest in seinem Hauptwerk Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen von 1962. Im Gegensatz zu Reichenbach wollte Kuhn jedoch die Trennung zwischen Entdeckung und Begründung überwinden. Gleichwohl beruhte für ihn auch die Entdeckungsseite von Theorien auf übergreifenden Theoriegebilden, den so genannten Paradigmen, aber nicht in Experimenten. Darin folgte er seinem Lehrer Alexandre Koyré und anderen, die den Erfolg der modernen Naturwissenschaft in der Überlegenheit des mathematisch orientierten Platonismus über den Aristotelismus mit seiner „groben Alltagserfahrung“ und über andere experimentell und technisch orientierte historische Entwicklungen sahen. Für Koyré wie für Kuhn ist eine wissenschaftliche Revolution vor allem eine „intellektuelle Mutation“,15 also eine Revolution des Geistes und keine durch experimentelle Innovation. Paradigmen haben Priorität über Theorien „in bezug auf Begriffsbildung, Beobachtung und Apparaturen“.16 Echte experimentelle Forschung ist nur möglich, wenn die Fragen an die Natur in einer passenden (unter Umständen mathematischen) Sprache gestellt sind. Nach dieser Auffassung kann eine Geschichte des Experiments nur ein zufälliges Epiphänomen der Paradigmenentwicklung ohne großen Erklärungswert sein. Eine gegenteilige Auffassung wurde vehement von Derek J. de Solla Price 1984 verfochten.17 Erst als Kuhn in seinen späteren Arbeiten die Baconischen Wissenschaften als eigenständige Bewegung anerkannte, begann er, eine Geschichte des naturwissenschaftlichen Experimentierens für möglich und sinnvoll zu halten.18 Im Nachhinein gesehen erscheint die Diskussion um das Experiment in der Wissenschaftsphilosophie des 19. Jahrhunderts bis in die 1980er Jahre als eine Reihe negativer Ergebnisse: Wir wissen immer besser, was Experimente nicht erreichen können und wo sie erkenntnistheore15 16 17 18

Alexandre Koyré. „Galileo and Plato“. Journal of the History of Ideas 4 (1943), S. 400. Thomas S. Kuhn. Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen [1962]. Übs. v. Hermann Vetter. Frankfurt a. M., 1976, S. 57 Vgl. Derek J. de Solla Price. „Of Sealing Wax and String“. Natural History 93 (1984), S. 48-57. Vgl. Kuhn (Anm. 5).

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tisch gesehen an ihre Grenze stoßen. Als Ergebnis können wir eine „Unsichtbarkeit des Experiments“ diagnostizieren. Auf dieselbe Weise, in der Kuhn die Unsichtbarkeit früherer wissenschaftlicher Revolutionen für die Wissenschaft selbst festgestellt hat, ist die Wissenschaftsphilosophie für Experimente blind, weil sie in ihrer Ideologie nur die Theorienprüfung als Rolle für sie zulässt. Der neue Experimentalismus Seit den 1980er Jahren ist jedoch in der wissenschaftsphilosophischen Untersuchung des Experiments ein Wandel eingetreten. Es lässt sich ein wachsendes Bewusstsein für die reiche Geschichte des Experimentierens und für die Vielfalt seiner Funktionen feststellen. Der Umschlag des Pendels ist hauptsächlich das Ergebnis ausführlicher Forschung von wissenschaftsgeschichtlicher und -soziologischer Seite. Zwar hat die Wissenschaftsgeschichtsschreibung das Experiment nie ganz aus den Augen verloren, aber es stand auch selten im Zentrum des Interesses. Soziohistorische Untersuchungen konzentrieren sich mehr und mehr auf die Mikrostruktur des Experiments und berücksichtigen nun neben den offiziellen Veröffentlichungen jede Art von Quelle wie Tage- oder Laborbücher. Als besonders reichhaltige Quellen erwiesen sich die Laborbücher und Briefe von Michael Faraday, das „dossier“ André Marie Ampères im Archiv der Pariser Académie des Sciences und Hans Krebs’ Labortagebücher und Interviewprotokolle.19 Manche Historiker gingen sogar so weit, dass sie historische Experimente mit nachgebauten Apparaten nachstellten, um vernachlässigte oder verborgene Dimensionen des Experiments ans Licht zu bringen.20 Soziologen versuchten zu zeigen, dass die Formulierung experimenteller Resultate spezielle Kommunikationsstrukturen der Wissenschaftlergemeinschaft erfordert und dass ein Resultat gehörig ausgehandelt werden muss, bevor es als erreicht angesehen werden kann.21 Die Vielfalt der Bereiche, aus denen 19

20 21

Vgl. David Gooding. Experiment and the Making of Meaning. Human Agency in Scientific Observation. Dordrecht, 1990; Friedrich Steinle. Explorative Experimente. Ampère, Faraday und die Ursprünge der Elektrodynamik. Stuttgart, 2005; Frederic L. Holmes. Hans Krebs. 2 Bde. Oxford, 1993, Bd. 2: Architect of Intermediary Metabolism, 1933-1937 sowie Gerd Graßhoff, Robert Casties u. Kärin Nickelsen. Zur Theorie des Experiments. Untersuchungen am Beispiel der Entdeckung des Harnstoffzyklus. Bern, 2000. Vgl. Peter Heering, Falk Rieß u. Christian Sichau (Hg.). Im Labor der Physikgeschichte. Zur Untersuchung historischer Experimentalpraxis. Oldenburg, 2000. Vgl. Steven Shapin u. Simon Schaffer. Leviathan and the Air-Pump. Hobbes,

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diese Fallstudien kommen, geben Hoffnung, dass die traditionelle Konzentration auf die Experimente der Physik bald der Vergangenheit angehören wird. Dass sich in der Wissenschaftsphilosophie der Wind gedreht hat, ist hauptsächlich dem Werk von Ian Hacking zu verdanken. Zwei Wendungen aus seinem Buch Representing and Intervening von 1983 wurden zu Losungsworten des „neuen Experimentalismus“: „Wenn man sie versprühen kann, sind sie real“ und „Die Experimentiertätigkeit führt ein Eigenleben“.22 Das erste Schlagwort steht für ein neuartiges Argument zugunsten des naturwissenschaftlichen Realismus. Der unter Philosophen beliebteste theoretische Gegenstand der Naturwissenschaft ist das Elektron, das niemals direkt in unsere Sinne fällt, aber für die moderne Teilchenphysik von zentraler Bedeutung ist. Zwischen naturwissenschaftlichen Realisten und ihren Widersachern hat sich eine endlose Debatte entsponnen, ob der Erklärungserfolg einer Theorie Grund genug für den Glauben an ihre theoretisch postulierten Gegenstände wie eben z. B. das Elektron darstellt. Hacking schätzt diesen „Schluß auf die beste Erklärung“, der für den normalen naturwissenschaftlichen Realisten den Glauben an die Realität des Elektrons verbürgt, nicht allzu hoch ein. Stattdessen setzt er seine Hoffnung darauf, dass sich in der Welt etwas verändert, wenn man z. B. eine Niob-Kugel mit Elektronen besprüht: Die Ladung der Kugel aus Niob wird vermindert. „Von diesem Tage an“, als man ihm von dieser Möglichkeit berichtete, schreibt Hacking, „vertrete ich den wissenschaftlichen Realismus.“23 In gewisser Weise ist Hackings Argument eine Version von Dr. Johnsons Widerlegung des metaphysischen Immaterialismus George Berkeleys (Antirealismus in Bezug auf Materie), indem er einem Stein einen Fußtritt versetzte – angewandt auf den naturwissenschaftlichen Antirealismus: „Letztlich macht uns nicht das Nachdenken über die Welt, sondern ihre Veränderung zu wissenschaftlichen Realisten.“24 Mit dem zweiten Schlagwort wendet sich Hacking gegen die angebliche Beherrschung des Experiments durch die Theorie: Es gibt, so be-

22 23 24

Boyle, and the Experimental Life. Princeton, N. J., 1985 sowie Christian Licoppe. La formation de la pratique scientifique. Le discours de l’expérience en France et en Angleterre, 1630-1820. Paris, 1996. Für eine Diskussion vgl. Frederic L. Holmes. „Do We Understand Historically How Experimental Knowledge Is Aquired?“. History of Science 30 (1992), S. 119-136. Ian Hacking. Einführung in die Philosophie der Naturwissenschaften. Übs. v. Joachim Schulte. Stuttgart, 1983, S. 47 u. S. 250. Ebd., S. 47. Ian Hacking. Representing and Intervening. Introductory Topics in the Philosophy of Natural Science. Cambridge, 1983, S. XIV (fehlt in dt. Ausgabe, vgl. Anm. 22).

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hauptet er, tatsächlich eine experimentelle Praxis, die nicht der Theorie untergeordnet ist und die sich als äußerst wichtig erwiesen hat. Diese Behauptung wird durch eine große Zahl von hochinteressanten Beispielen belegt. Aber das Experiment aus seiner Rolle als Dienstmagd der Theorie zu befreien, zeigt nicht automatisch, welche andere Rolle es annehmen kann und welche Prinzipien seiner Vielfalt es gibt. Darüber sagt Hacking relativ wenig. Die einzige andere Rolle, die er im Detail behandelt, ist die, wie er sagt, „Hauptrolle“ des Experiments: die „Erzeugung der Phänomene“. Einige Aspekte dieser Rolle kommen mit Friedrich Steinles Begriff des „exploratorischen Experiments“ zum Vorschein oder mit meiner Konzeption des „produktiven“ im Gegensatz zum „konstruktiven“ und „repräsentierenden“ Instrument.25 Insgesamt scheint Hacking zufrieden zu sein mit einem „Baconianschen Gewimmel von Beispielen für zahlreiche verschiedene Beziehungen zwischen Experiment und Theorie“.26 Dies hat sicherlich ausgereicht, um eine „Bewegung ‚Zurück zu Bacon!‘“ anzustoßen, „in deren Rahmen wir der experimentellen Wissenschaft ernsthaftere Aufmerksamkeit schenken werden“.27 Aber auch wenn der Neobaconianismus vernünftig und akzeptabel ist, dann ist damit noch nichts darüber gesagt, wie man mit den Auffassungen der Wissenschaftsphilosophie von der theoretischen Seite der Wissenschaften umzugehen hat, z. B. mit der Auffassung von der Theoriebeladenheit der Beobachtung. Diese Doktrin, die vielen Wissenschaftsphilosophen aus anderen Gründen am Herzen liegt, gerät – wenigstens prima facie – in Konflikt mit Hackings Glauben an die Priorität des Experiments. Im Gefolge des neu erwachten Interesses am Experiment sind verschiedene solide Studien und Sammelbände erschienen. Es gibt unterschiedliche Meinungen in Bezug auf die philosophische Frage, ob das Experiment zwischen konkurrierenden Theorien entscheiden kann und daher eine objektive Bedeutung besitzt oder ob soziale und politische Faktoren am Ende für eine naturwissenschaftliche Entwicklung verantwortlich sind. Da gibt es z. B. Andrew Pickerings soziologische Geschichte der Teilchenphysik oder Harry M. Collins Studie zur Gravitationswellendetektion, in denen die soziale Konstruktion der wissenschaft25

26 27

Vgl. Steinle (Anm. 19) sowie Michael Heidelberger. „Die Erweiterung der Wirklichkeit im Experiment“. Experimental Essays – Versuche zum Experiment. Hg. v. dems. u. Friedrich Steinle. Baden-Baden, 1998, S. 71-92 und ders. „Theory-Ladenness and Scientific Instruments in Experimentation“. The Philosophy of Scientific Experimentation. Hg. v. Hans Radder. Pittsburgh, Pa., 2003, S. 138-151. Hacking (Anm. 22), S. 276. Ebd., S. 250.

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lichen Belege behauptet wird,28 während Allan Franklin oder Deborah G. Mayo die Existenz von Strategien für ausgemacht halten, die verlässliche experimentelle Ergebnisse und damit rationale Überzeugungen liefern.29 Es wäre jedoch falsch, die Polarisierung zwischen Geschichte, Soziologie und Philosophie der Naturwissenschaften weiterzutreiben. Es ist gerade eines der Ergebnisse der Experimentaufwertung, dass diese Frontstellungen als veraltet erscheinen. Ein Versuch in die Richtung einer weiteren Versöhnung wurde z. B. von Hans-Jörg Rheinberger unternommen, der „Experimentalsysteme“ als funktionale Forschungseinheiten besonders der biologischen Wissenschaften nimmt.30 Solche Systeme bestehen einerseits aus Forschungsobjekten, Theorien, Experimentalanordnungen und Instrumenten, aber auch aus disziplinären, sozialen, kulturellen und institutionellen Konstellationen, die für eine gewisse Zeit in bestimmten stabilen Verbindungen eine feste Form annehmen. Experiment und Theoriebeladenheit Die Idee der Theoriebeladenheit der Erfahrung brachte eine starke und wirkungsvolle Kritik am Logischen Empirismus hervor. Dies ist die schon mit dem Werk Karl Poppers diskutierte Auffassung, dass es keine theorieneutralen Daten gibt und dass die Bedeutung von Beobachtungsbegriffen wesentlich vom theoretischen Kontext, in dem sie auftreten, abhängt. Diese Auffassung kann leicht zu einer konstruktivistischen und antiempiristischen Deutung der Naturwissenschaft verstärkt werden: Die Kategorien, mit deren Hilfe wir die Erfahrung fassen, können nicht einfach aus der Erfahrung „abgelesen“ werden, sondern folgen aus vorgängigen theoretischen Bindungen der Beobachter, entweder als Individuen oder im sozialen Kollektiv. Die Implikationen der Theoriebeladenheit für die Einschätzung des wissenschaftlichen Experiments liegen auf der Hand: Wenn Beobachtungen theoriebeladen sind und wenn das Experiment die Beobachtung 28

29

30

Vgl. Andrew Pickering. The Mangle of Practice. Time, Agency, and Science. Chicago, 1995 und Harry M. Collins. Changing Order. Replication and Induction in Scientific Practice. London u. a., 1985. Vgl. Allan Franklin. The Neglect of Experiment. Cambridge, 1986; ders. Experiment, Right or Wrong. Cambridge, 1990 und Deborah G. Mayo. Error and the Growth of Experimental Knowledge. Chicago, 1996. Für eine programmatische Übersicht vgl. Michael Hagner u. Hans-Jörg Rheinberger. „Experimental Systems, Objects of Investigation, and Spaces of Representation“. Experimental Essays (Anm. 25), S. 355-373.

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von Resultaten beinhaltet, dann ist auch das Experiment theoriebeladen. Da Experimente nach dieser Auffassung nur auf dem Hintergrund theoretischer Überzeugungen Sinn haben, können sie auch keine theorienunabhängige und damit autonome Rolle spielen. Damit entsteht nun aber die Frage: Wenn der neue Experimentalismus Recht hat, müssen wir dann die Vorstellung von der Theorieabhängigkeit der Erfahrung aufgeben und zu einem überwunden geglaubten Positivismus zurückkehren? Es ist schwierig, sich hier ein direktes „ja“ als Antwort vorzustellen, weil der Geist, in dem die Idee der Theoriebeladenheit entstanden ist, auf weiten Strecken derselbe ist, der auch dem Experiment eine Eigenleben zugesteht. Es ist der Geist, den Hacking am Beginn seines Buches beschwört, wenn er schreibt, dass die „Philosophen aus der Wissenschaft eine Mumie gemacht“ hätten – derselbe Geist, der im Lichte der Geschichte und der Realität des Labors den „gemeinsamen Boden“ der Philosophie Rudolf Carnaps und der Philosophie Karl Poppers verwirft. Eine Leugnung der Theoriebeladenheit würde schon fast eine Rückkehr zum Logischen Empirismus und damit eine neuerliche „Mumifizierung“ bedeuten, selbst wenn sie die Autonomie des Experiments zum Ergebnis hätte. Bevor eine Art von Auflösung dieser Frage formuliert werden kann, soll näher auf die Argumente der wichtigsten Vertreter der Theoriebeladenheit eingegangen werden. Einer der ersten Vertreter dieser Ansicht war Pierre Duhem, der schrieb: Ein physikalisches Experiment ist die genaue Beobachtung einer Gruppe von Erscheinungen, die verbunden wird mit einer Interpretation derselben; diese Interpretation ersetzt das konkret Gegebene, mit Hilfe der Beobachtung wirklich Erhaltene durch abstrakte und symbolische Darstellungen, die mit ihnen übereinstimmen auf Grund der Theorien, die der Beobachter als zulässig annimmt. [...] Das Resultat eines physikalischen Experimentes ist ein abstraktes und symbolisches Urteil.

Für einen Experimentbericht würde es nicht ausreichen, eine Beobachtung wie ein Laie zu formulieren, z. B. dass ein einen Spiegel tragender Eisenstab oszilliert. Der Physiker wird vielmehr sagen, dass er den elektrischen Widerstand einer Spule messe. Dies zeigt, dass der Physiker nur mit Hilfe abstrakter und symbolischer Begriffe Schlüsse aus dem Experiment zieht, „denen wir keinen Sinn unterlegen können, wenn wir nicht die physikalischen Theorien kennen, auf die sich der Autor stützt“.31 In Wissenschaften wie der Physiologie, die weniger fortgeschritten ist wie die Physik, oder in gewissen Zweigen der Chemie, „in denen die mathematische Theorie noch nicht ihre symbolischen Darstellungen einge31

Duhem (Anm. 9), S. 192f.

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führt hat“ und wo noch kausale Erklärungen regieren statt kausal neutraler Beschreibungen, kann der Experimentator „die Tatsachen direkt in Gedanken behandeln, in denen die Methode, die er benützt, nur die des gewöhnlichen, zu größerer Aufmerksamkeit angeregten Verstandes ist“.32 Diese Art von Theoriebeladenheit durch theoretische Deutung, wie wir sie nennen können, wird sehr häufig verwechselt mit einer anderen Art, die Norwood Russell Hanson 1958 konstatiert hat und die wir „Theoriebeladenheit durch vorhergehende Überzeugung oder Wissen“ nennen können. „Einen Gegenstand x zu sehen,“ schrieb Hanson, „heißt zu sehen, dass er sich so verhält, wie wir wissen, dass sich Gegenstände wie x verhalten“.33 Deswegen haben auch Johannes Kepler und sein Lehrer Tycho Brahe unterschiedliche Gegenstände gesehen, als sie im Morgenrot die Sonne betrachteten: Tycho, der an die Wanderung der Sonne um die Erde glaubte, sah die Sonne am Beginn ihres täglichen Umlaufs, während Kepler als Verteidiger des Heliozentrismus die Erde sich wieder in das Licht der Sonne hineinbewegen sah. „Ganz in Analogie dazu,“ schrieb Hanson, „sieht der Physiker einen Röntgenapparat nicht dadurch, dass er zuerst reflektiertes Licht aufnimmt und dann daran Interpretationen festklemmt, sondern genauso wie Du [lieber Leser] diese Buchseite jetzt vor Dir siehst.“34 Überdies heißt Theoriebeladenheit in der Wissenschaft für Hanson auch „Kausalitätsbeladenheit“. Er schließt nicht aus, dass es nicht doch theorieneutrale Sprechweisen gibt, aber diese kommen nur in der Augenarztsprechstunde oder ähnlichen Umständen vor, aber nicht bei wissenschaftlicher Beobachtung oder beim Experimentieren. Daraus ersieht man, dass Hanson alle Behauptungen Duhems zurückweist: 1. Ein experimentelles Ergebnis zu sehen, heißt nicht, es zu interpretieren. 2. Sowohl der Laie als auch der Physiker haben vorgängige Überzeugungen und deshalb ist beider Blick theoriebeladen und nicht nur der des Physikers allein, und 3. sind physikalische Theorien, genauso wie unsere alltäglichen Überzeugungen über die Welt, Theorien, die von kausalen Wirkungen sprechen und nicht bloß kausalitätsfreie Beschreibungen. Während für Hanson das bloße Registrieren von Phänomenen erst durch eine „Injektion“ von Kausalität theoretisch wird, beginnt für Duhem die Theorie mit der Repräsentation (ursprünglich kausaler) Beziehungen in einer abstrakten, kausal neutralen Struktur. 32 33 34

Ebd., S. 239. „Seeing an object x is to see that it may behave in the ways we know x’s do behave [...].“ Norwood Russell Hanson. Patterns of Discovery. Cambridge, 1958, S. 22. „Analogously, the physicist sees an X-ray tube, not by first soaking up reflected light and then clamping on interpretations, but just as you see this page before you.“ Ebd., S. 23.

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In Thomas S. Kuhns Werk finden wir verschiedene Arten von Theoriebeladenheit, die nicht immer klar auseinander gehalten werden. Die vorherrschende Konzeption ist ähnlich zu der Hansons, außer dass es dabei nicht vorgängiges Wissen ist, das die Wahrnehmung beeinflusst und formt, sondern das übergreifende Paradigma, und dass die Wahrnehmungspsychologie noch sehr viel deutlicher als bei Hanson in Anspruch genommen wird: [F]ür die Wahrnehmung [muss] selbst etwas Ähnliches wie ein Paradigma vorausgesetzt werden [...]. Was ein Mensch sieht, hängt sowohl davon ab, worauf er blickt, wie davon, worauf zu sehen ihn seine visuell-begriffliche Erfahrung gelehrt hat.35

Um die weiteren Gebrauchsweisen von Theoriebeladenheit bei Kuhn verstehen zu können, wenden wir uns seiner Behandlung der wissenschaftlichen Entdeckung zu. Kuhn gibt die Möglichkeit „grundlegend neuer Fakten“ und „neuer und unvermuteter Phänomene“, die nicht zu dem etablierten Paradigma passen, zu. Es ist Kuhn selbst klar geworden, dass sich Naturwissenschaft ohne diese Möglichkeit nur in theoretischer Hinsicht und niemals durch Anpassung an Fakten weiterentwickeln könnte. Die Entdeckung beginnt mit dem Bewußtwerden einer Anomalie, das heißt mit der Erkenntnis, daß die Natur in irgendeiner Weise die von einem Paradigma erzeugten, die normale Wissenschaft beherrschenden Erwartungen nicht erfüllt hat.36

Was ist nach Kuhns Auffassung der Grund dafür, dass durch Paradigmen erzeugte Erwartungen manchmal enttäuscht werden? Kommt dies durch einen kausalen Prozess zustande, der die überkommene Auffassung verletzt, oder von einer neuen theoretischen Interpretation, die alte Fakten in neuem Lichte erscheinen lässt? Es scheint so, als ob es bei Kuhn immer nur die theoretische Interpretation sein kann, die Anpassung an die Theorie, die zu einer Entdeckung führt und kaum jemals eine unerwartete Erfahrung. Das Assimilieren eines neuen Faktums verlangt mehr als eine additive Anpassung der Theorie, und solange diese Anpassung nicht abgeschlossen ist, die Wissenschaftler also nicht gelernt haben, die Natur anders zu sehen, ist die neue Tatsache gar kein richtiges wissenschaftliches Faktum.37

Dies klingt eher danach, dass Fakten und Kausalprozesse durch neue Paradigmen erzeugt werden als umgekehrt. Antoine Laurent Lavoisier, 35 36 37

Kuhn (Anm. 16), S. 125. Ebd., S. 65f. Ebd., S. 66.

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so hören wir zum Beispiel, wurde durch seine neue Sauerstofftheorie in die Lage versetzt, „in Experimenten wie denen von Joseph Priestley ein Gas zu sehen, das Priestley selbst dort zu sehen nicht in der Lage gewesen war“ und „bis ans Ende seines langen Lebens nicht zu sehen vermochte“.38 Der einzige Fall, für den Kuhn ausdrücklich zuzugeben scheint, dass eine völlig neue kausale Erfahrung (und nicht eine neue Interpretation von Erfahrungen) zu einer Entdeckung führte, sind die Röntgenstrahlen. Die Geschichte dieser Entdeckung beginnt an dem Tag, da der Physiker Röntgen eine normale Untersuchung von Kathodenstrahlen unterbrach, weil er bemerkt hatte, dass ein Barium-Platin-Zyanür-Schirm in einiger Entfernung von seinem abgeschirmten Apparat aufleuchtete, als die Entladung im Gange war.39

Obwohl Kuhn Wilhelm Conrad Röntgens Beobachtung für theoriebeladen zu halten scheint, ist sie es, wenigstens im Sinne von Duhem, nicht. Wäre sie es nämlich, dann wäre Röntgen per definitionem in der Lage gewesen, sie im Lichte der ihm zur Verfügung stehenden Theorien der Physik zu deuten. Aber gerade dies ist ja der springende Punkt: Röntgen wusste mit seinen Theorien nicht weiter und fand in seinen überkommenen theoretischen Strukturen keinen Platz für diese neue Erfahrung. Aus diesem Grunde unterbrach er seine Untersuchungen und fragte sich, warum der Schirm aufleuchtet. Die neue Beobachtung ist jedoch theoriebeladen im Sinne von Hanson, denn Röntgen suchte sofort nach einer kausalen Beziehung zwischen seinem Apparat und dem Aufleuchten des Schirms, obwohl das Phänomen gegen alle Erwartungen eingetreten war. Kuhn scheint sagen zu wollen, dass Röntgen niemals auf den aufleuchtenden Schirm geachtet hätte, wenn er nicht tief verwurzelt in physikalischen Theorien gewesen wäre, die solch ein Phänomen für unmöglich erachteten. Wenn dies zutrifft, dann haben wir hier einen dritten Sinn, in dem der Begriff der „Theoriebeladenheit“ gebraucht wird. Er drückt hier eine psychologische Hypothese darüber aus, wie leicht ein Phänomen auffällt, wenn es einem Paradigma widerspricht, also in seinem Lichte eigentlich unmöglich ist. Eine Beobachtung ist in diesem Sinne theoriebeladen, wenn es unwahrscheinlich wäre, dass ein Beobachter sie gemacht hätte (auf sie geachtet oder ihr eine Bedeutung zugeschrieben hätte), wenn er nicht über eine Theorie verfügt hätte, die gegenteilige Erwartungen erweckt. Es wäre vielleicht besser, in diesem 38 39

Ebd., S. 69. Ebd., S. 70.

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Fall nicht von „Theoriebeladenheit“ zu sprechen, sondern von „Theoriegeleitetheit“, weil ja das experimentelle Resultat in seiner einfachen kausalen Struktur ganz ohne den theoretischen Hintergrund der Theorie Sinn hatte, die Röntgen zu der Beobachtung anleitete. „Theoriegeleitetheit“ bezieht sich auf die psychische Disposition, eine besondere Erscheinung in bestimmten Situationen zu bemerken. Nachdem Röntgen die Anomalie aufgefallen war, führte er verschiedene Experimente durch, um die Ursache des Vorfalls zu ergründen: Weitere Untersuchungen – sie erforderten sieben hektische Wochen, in denen Röntgen kaum das Labor verließ – zeigten, daß die Ursache des Leuchtens Strahlen waren, die geradlinig von der Kathodenstrahlröhre ausgingen, daß die Strahlung Schatten warf, durch einen Magneten nicht abzulenken war, und vieles andere. Vor Verkündung seiner Entdeckung hatte sich Röntgen davon überzeugt, daß dieser Effekt nicht auf die Kathodenstrahlen zurückzuführen war, sondern auf einen Faktor, der zumindest einige Ähnlichkeit mit dem Licht hatte.40

Dies ist wahrscheinlich das einzige Mal in Kuhns Buch, wo Kuhn den Ausdruck „Ursache“ (oder etwas Gleichbedeutendes) in Bezug auf experimentelle Untersuchung gebraucht. Das Zitat zeigt deutlich, dass Röntgen seine Experimente nicht zur Prüfung einer Theorie durchführte, sondern um sein kausales Wissen in Bezug auf die wissenschaftlichen Instrumente und Apparate zu erweitern, das ihm zur Verfügung stand. Wie sollte man nun im Lichte unserer Diskussion Röntgens frühe Experimente am besten charakterisieren? Sie waren sicherlich theoriegeleitet in Kuhns Sinne und sie waren kausalitätsbeladen im Sinne von Hanson (oder wurden es nach kurzer Zeit), aber sie waren sicherlich nicht theoriebeladen im Sinne von Duhem – einen Sinn, den Kuhn ja mit Duhem teilt. Kuhn hat völlig Recht damit, dass wir erst dann von der „Entdeckung“ der Röntgenstrahlen sprechen können, nachdem die Erscheinungen ihre abstrakte und symbolische Repräsentation gefunden haben. Aber zumindest konnte man schon vor dieser Interpretation sagen, dass eine Anomalie aufgetreten ist, die auf bestimmte Weise replizierbar war – nicht mehr, aber auch nicht weniger! Falls hiermit die Entdeckung der Röntgenstrahlen angemessen beschrieben ist, kann Kuhn der These Hackings ohne großen Verlust nachgeben, dass die Experimentiertätigkeit häufig autonom und theoriefrei ist oder sein kann. Man muss aus dieser Überlegung die Lehre ziehen, dass es zwei Arten von Experimenten gibt: solche, die zwar kausal, aber (noch) nicht in theoretische Strukturen und Paradigmen eingebettet sind, und solche, die ein Wissen um einen derartigen theoretischen Rahmen vor40

Ebd.

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aussetzen. Wenn man auf diese Weise darauf besteht, dass es auch eine „niedrigere“ Art von Experimentieren gibt, dann fällt man nicht in positivistische Träume der Theoriebegründung durch „Beobachtungs-“ und „Protokollsätze“ zurück, mit deren Vorliegen eine Theorie erst Bedeutung erhalten soll. Die Behauptung ist vielmehr, dass man zwei Sorten von Experimenten auseinander halten sollte: Experimente auf der kausalen Ebene, auf der die Manipulation von Instrumenten und den zu untersuchenden Objekten stattfindet, und Experimente sozusagen auf der theoretischen Ebene, auf der die Ergebnisse der kausalen Stufe in einem theoretischen Überbau repräsentiert und überprüft werden.

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HELMAR SCHRAMM

Pyrophonie. Anmerkungen zur Theatralität des Experimentierens

Am 13. Januar 1875 wird vor der Royal Institution ein von Frédéric Kastner gerade neu erfundenes Instrument der Physik und der Musik vorgeführt, das so genannte Pyrophon. Als abschließender Höhepunkt der Präsentation vor einer Versammlung von Physikern und Musikspezialisten wird die Hymne „God save the Queen“ in nie zuvor gehörter Klangfärbung intoniert (Abb. 1).1 Das Ereignis verband sich im doppelten Sinne des Wortes mit einer ganz außerordentlichen Resonanz. Zum einen darf man dies im akustisch-musikalischen Sinn verstehen: nämlich hinsichtlich der Spannweite nie zuvor gehörter Klänge, deren Besonderheit nicht allein in ihrem Bezug auf kosmische Dimensionen, auf Sphärisches, Übersinnliches lag. Seine geheimnisvolle, ja geradezu schockierende Wirkung erwuchs mehr noch aus einer verblüffenden Nähe zur menschlichen Stimme. Beide Dimensionen, das kosmisch Übersinnliche und die Sinnlichkeit der menschlichen Stimme, schienen da rätselhaft miteinander verschmolzen. Gerade in dieser Verschmelzung wurzelte ein tiefer Bezug auf jene spielerischen Konzepte des Gesamtkunstwerkes, die seit etwa 1850 diskutiert und erprobt worden waren.2 Von einer außerordentlichen Resonanz der ersten Vorführung des Pyrophons als Instrument der Musik und Physik kann man zum anderen aber auch sprechen hinsichtlich einer enormen öffentlichen Wirkung. Schnell entstanden zahlreiche Diskussionen, Berichte und Gerüchte, die sich um das neue Wunderinstrument ausbreiteten wie Wellen nach einem Steinwurf ins Wasser. 1 2

Vgl. Frédéric Kastner. Le Pyrophone. Flammes chantantes. 4. Aufl. Paris, 1875, S. 2. Vgl. hierzu Harald Szeemann (Hg.). Der Hang zum Gesamtkunstwerk. Europäische Utopien seit 1800 [Ausst.kat]. Aarau u. Frankfurt a. M., 1983.

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Abb. 1: Wendelin Weißheimer (1836-1910) beim Spielen des Pyrophons.

Nun muss man freilich konstatieren, dass die seltsame Erfindung genauso schnell wie sie zum spektakulären Ereignis wurde, auch wieder in Vergessenheit geriet. Und zwar äußerst gründlich. Aus heutiger Sicht fällt auf, dass der Name „Pyrophon“ selbst in soliden enzyklopädischen Werken und Wörterbüchern häufig fehlt. Gleiches trifft auf den Namen Frédéric Kastner zu, der gemeinsam mit seinem entscheidenden Lebenswerk fast völlig vergessen worden ist. Und auch sein kleines Büchlein, in dem er Hintergründe, technischen Aufbau und potentielle Einsatzmöglichkeiten seiner Erfindung darlegte, ist in den Labyrinthen vieler Bibliotheken heute unauffindbar vergraben oder gar nicht mehr vorhanden (Abb. 2). Warum also ist das Pyrophon, dieses seltsame Instrument der Musik und Physik, in unserem Zusammenhang dennoch interessant und erinnernswert? Ich will im Folgenden verdeutlichen, inwiefern wir es hier mit einem exemplarischen Fall zu tun haben, von dem aus theatrale Implikationen des Experimentierens beleuchtet werden können. Dabei geht es vor allem um Entwicklungen experimenteller Praxis im 19. Jahrhundert, deren Verständnis jedoch einen Rückblick auf die Herausbildung neuer Experimentalkünste seit dem 17. Jahrhundert erforderlich macht.

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Abb. 2: Frédéric Kastners Pyrophon (1875).

Genau besehen ist übrigens an der kurz und heftig aufflammenden Wirkungsgeschichte des Pyrophons gerade auch die Gründlichkeit seines Vergessens, seiner Verdrängung, seines Verschwindens hochinteressant. Darauf werde ich am Ende meiner Ausführungen noch einmal kurz zurückkommen. Will man das Pyrophon als Instrument im Grenzbereich von Physik und Musik, will man seine spektakuläre Wirkung begreifen, so ist es zunächst einmal wichtig, eine angemessene kunst- und wissenschaftsgeschichtliche Distanz herzustellen, denn die Erfindung des Pyrophons ist mit spezifischen Seiten einer Kulturgeschichte des Experimentierens verbunden. Um 1800 kommt es bekanntlich zu eindrucksvollen Veränderungen im Verhältnis von Wissenschaft und Kunst. Und diese Veränderungen lassen sich auf prägnante Weise nachvollziehen an einer grundlegenden Wandlung des experimentellen Verhältnisses zum Feuer. Zwischen 1750 und 1800 entstehen nicht zufällig zahllose Traktate über das Feuer. Erwähnt sei hier Jean-Paul Marats Physische Untersuchungen ueber das

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Feuer,3 weil darin besonders deutlich wird, mit welcher Intensität seinerzeit immer neue Ergebnisse einer experimentellen Praxis auf den Markt drängten. Bezeichnenderweise schreibt Marat in seinem Vorwort ausdrücklich über die Sorge, mit der Publikation seiner experimentellen Ergebnisse zu spät zu kommen. Warum aber kreisen so viele Experimente um das Feuer, worin besteht die Besonderheit und das Neue dieser Versuche? Zur Geltung kommt hier unter völlig verändertem Vorzeichen eine große Tradition der experimentellen Feuerpraxis im Rahmen der alten Chemie, der Alchemie, die im 17. Jahrhundert einen gleichermaßen wichtigen wie auch zwiespältigen Hintergrund für die Entstehung einer neuen Experimentalkultur bildete. Nicht zufällig fügt denn auch Johann Peter Eberhard seinen Gedanken vom Feuer und denen damit verwandten Körpern, dem Licht und der elektrischen Materie einen „Anhang ueber das alchemistische Feuer“ bei.4 Als ein praktisches Philosophieren mit Materialien war die permanente Arbeit von Alchemisten am ‚Grossen Werk‘ bis ins 17. Jahrhundert gleichsam verortet in einem gewaltigen theatralen Gesamtkunstwerk, das auf ganz eigenen Wahrnehmungs- und Aufzeichnungssystemen beruhte, auf tradierten Symbolen, Bildwelten, Praktiken und Instrumenten. Komplizierte allegorische Bilderfolgen durchziehen die Chymischen Werke des Nicolai Flamelli,5 die Quinta Essentia Leonhart Thurneyssers und das Letzte Testament des Basilius Valentinus.6 Und die Wichtigkeit solcher Bildelemente wird immer wieder betont. Der theatrale Charakter der klassischen Alchemie erwächst zum einen aus ritualisierten Rollenspielen im Rahmen experimenteller Abläufe und Demonstrationen, zum anderen aus Strategien der Personifizierung und dramaturgischen Durchformung chemischer Prozesse. Das Feuer ist dabei stets von zentraler Bedeutung in den alchemistischen Traktaten und Bilderserien, vor allem aber in einer Praxis, die sich zu großen Teilen ganz und gar auf das instrumentalisierte Feuer, auf 3 4 5 6

Vgl. Jean-Paul Marat. Physische Untersuchungen ueber das Feuer [1780]. Übs. v. Christian Ehrenfried Weigel. Leipzig, 1782. Vgl. John Peter Eberhard. Gedanken vom Feuer und denen damit verwandten Körpern, dem Licht und der elektrischen Materie [...]. Halle, 1750. Vgl. Nicolai Flamelli. Chymische Wercke [...] [1399]. Übs. v. J.L.M.C. Wien, 1751. Leonhart Thurneysser. Quinta Essentia. Das ist die Hoechste Subtilitet/ Krafft/ und Wirkung/ Beyder der Furtrefelichsten (und menschlichem geschlecht den nutzlichsten) Könsten der Medicina/ und Alchemia, auch wie nahe dise beide/ mit Sibschafft Verwandt. Und das eine On beystandt der andren kein nutz sey. Munster, 1570 und Basilius Valentinus. Letztes Testament und Offenbahrung der himmlischen und irdischen Geheimnüß. Jena, 1626.

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den philosophischen Ofen (Athanor) konzentriert. Feuer erscheint hier als Bewegungsprinzip schlechthin, als dynamisches Weltprinzip, eine Verbindung stiftend zwischen den Abläufen im menschlichen Körper und jenen im kosmischen Weltenbau. Feuer erscheint hier als Kernprinzip und Gegenstand beim Erschließen von Zusammenhängen und beim Scheiden bzw. Transformieren von Materialien und Substanzen. Feuer erscheint hier nicht zuletzt im Helldunkel seiner flackernden Ambivalenz auch als Batterie einer spielerischen poetisch-symbolischen Aufladung alchemistischen Denkens, wie sie sich speziell seit dem 15. und 16. Jahrhundert machtvoll durchsetzt und die dann ins 17. Jahrhundert hineingetragen wird (Abb. 3). Hierbei kommt es zu immensen Austauschprozessen mit anderen Sphären der Kulturen und Religionen, in denen das Feuer seit alters her eine Art Tresor symbolischer Kräfte darstellt. Und hinzu kommt Folgendes: Neben dem Feuer ist es die Musik, die das Prozesshafte, Lebendige, Dynamische des großen alchemistischen Werkes entscheidend ausmacht – Musik als Weltmusik und Sphärenharmonie, Musik als rhythmische Kraft. So wird das große Werk der Alchemie im Zusammenspiel von Feuer und Musik, von philosophischem Ofen und Weltenorgel im wahrsten Sinne des Wortes zu einem originären Gesamtkunstwerk, von dem her sich hochinteressante Brückenschläge zum Konzept des Gesamtkunstwerks im 19. Jahrhundert ergeben. So gesehen scheinen die Traktate über das Feuer zwischen 1750 und 1800 also auf einer langen, kraftvollen Tradition zu beruhen. Paradoxerweise ist es aber gerade jene Tendenz, die sich seit dem 17. Jahrhundert mit dem Untergang der Alchemie verbindet, in deren Folge das experimentelle Interesse am Feuer völlig neue Nahrung erhält. Die in jahrhundertelanger Tradition erprobte Praxis der Zerlegung, Reinigung und Sublimierung von Stoffen wird zunehmend auf das alchemistische Schriftgut selbst bezogen. Im Spiegel ihrer publizistischen Kontroversen gerät die Alchemie in einen durchgreifenden Prozess der Selbstreinigung. Das alchemistische Feuer wird gar in einem Traktat zum Fegefeuer der Scheidekunst umfunktioniert, das einer scharfen Sortierung der Texte dienen soll.7 Die Ausgrenzung richtet sich dabei massiv auf den ‚dunklen‘ poetischen Überschuss, auf die zweckfrei-spie7

Vgl. Johann Anton Soeldner. Keren Happuch, Posaunen Eliae des Künstlers, oder, Teutsches Fegfeuer der Scheide-Kunst, worinnen nebst den neu-gierigsten und grössesten Geheimnüssen für Augen gestellet die wahren Besitzer der Kunst; wie auch die Ketzer, Betrieger/ Pfuscher/ Stuemper/ und Herren Gern-Grosse. Hamburg, 1702.

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Abb. 3: Alchemistische Beherrschung des Feuers im Prozess des ‚Grossen Werkes‘. Jacob Saulat. Mutus liber [...] (La Rochelle, 1677).

lerischen Seiten der Alchemie. Mit dem Korpus der Texte aber wird der Körper der Mutter Alchemie systematisch seziert, bis Christian Wiegleb 1777 in seiner Historisch-kritischen Untersuchung der Alchemie konstatieren kann, die Alchemie sei nun endlich von ihrem Altar heruntergestürzt, läge „mit abgeschlagenem Haupte und zerstreuten Gliedern zum allgemeinen Spott da, und nur die Kinder wälzen noch mit dem gemeinen Pöbel den verstümmelten Rumpf bald hie bald dahin“.8 Dieses Sinnbild, dieser Prozess der Selbstreinigung aber ist letztlich nichts anderes als ein Symptom für die im 17. Jahrhundert neu begründeten und durchgesetzten Praktiken der Evidenzproduktion. Solche Prak8

Johann Christian Wiegleb. Historisch-kritische Untersuchung der Alchemie, oder der eingebildeten Goldmacher-Kunst; von ihrem Ursprunge sowohl als Fortgange, und was von ihr zu halten sey. Weimar, 1777, S. 379.

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tiken verbinden sich auf unterschiedlichen, zunehmend systematisch gegeneinander abgegrenzten Teilgebieten des Wissens mit ganz unterschiedlichen Begriffen, Methoden, Instrumentarien. Exemplarisch deutlich wird dies, wenn Gottfried Wilhelm Leibniz die Formen der Wahrscheinlichkeitsproduktion in den Bereichen von Theologie, Jurisprudenz, Geschichtsschreibung, Logik und Naturforschung miteinander vergleicht.9 Festzuhalten bleibt hier zunächst einmal der Eindruck, dass sich das Streben nach Evidenz möglicherweise stets mit der Dekonstruktion von Ganzheitsvorstellungen verbindet (und damit indirekt auch neue Fragestellungen provoziert). Es lohnt sich in diesem Zusammenhang, neben der ganz konkreten Lokalisierung experimenteller Praxis auch historische Langzeitprozesse im Blick zu haben, um zu erkennen, inwiefern sich gewisse gelöste Fragen als verdrängte Probleme nicht wirklich ruhig stellen lassen, wie sie unter anderem Vorzeichen, zu anderen Zeiten wieder hervorbrechen. Fragt man etwa nach dem Verbleib des poetischen Überschusses der Alchemie, so ist festzustellen, dass dieser um 1800 von Romantikern wie Friedrich Schlegel, Novalis, Friedrich Wilhelm Schelling und Johann Wilhelm Ritter gewissermaßen ‚aufgefangen‘ wird. Ritter schreibt den Versuch einer Geschichte der chemischen Theorien und bezweifelt darin mit durchaus starken Argumenten den selbstverständlichen Nutzen scharfer disziplinärer Grenzen.10 In seinem Aufsatz Physik als Kunst entwirft er ein weitreichendes Gegenmodell.11 Dennoch sei hier noch einmal unterstrichen, dass sich das neue experimentelle Interesse am Feuer um 1800 vor allem aus jener Tendenz erklärt, die sich seit dem 17. Jahrhundert mit dem Untergang der Alchemie bzw. mit der Durchrationalisierung chemischen Denkens und chemischer Experimentalpraxis verbindet. Grundsätzlich lässt sich mit Blick auf das Feuer sagen, dass es auf der Grundlage der physikalisch-chemischen Untersuchungen zu den Eigenschaften unterschiedlicher Gase gegen Ende des 18. Jahrhunderts zunehmend möglich wird, die ambivalente Ganzheit des Feuers systema9

10

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Vgl. Gottfried Wilhelm Leibniz. Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand (Nouveaux essais sur l’entendement humain) [1746]. Frankfurt a. M., 1996, S. 495-539. Vgl. Johann Wilhelm Ritter. „Versuch einer Geschichte der Schicksale der chemischen Theorie in den letzten Jahrhunderten“. Journal für die Chemie, Physik und die Mineralogie 7 (1808), S. 1-66. Vgl. Johann Wilhelm Ritter. „Physik als Kunst. Ein Versuch, die Tendenz der Physik aus ihrer Geschichte zu deuten“ [1806]. Fragmente aus dem Nachlasse eines jungen Physikers. Ein Taschenbuch für Freunde der Natur. Hg. v. Steffen u. Birgit Dietzsch. Leipzig u. Weimar, 1984 [Nachdruck d. Ausg. Heidelberg, 1810], S. 60.

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Abb. 4: Systematische Aufgliederung unterschiedlich empfindlicher Flammen (nach John Tyndall).

tisch zu zerlegen. Wir haben es gewissermaßen mit einer Leidenschaft des Sezierens zu tun und es wäre nicht uninteressant, die Zerlegung des Feuers in einem komparatistischen Vergleich auf Praktiken des Theatrum anatomicum zu beziehen (Abb. 4). Insbesondere Antoine Laurent de Lavoisier war es, der dazu beitrug, die experimentelle Aufmerksamkeit weg von der Ganzheit des Feuers und hin zum Aufbau und Funktionieren der Flamme und ihrer Bestandteile zu wenden. Während die poetisch-symbolische Dimension des Feuers und insbesondere seine elementare Beziehung auf das Ganze von Natur und Welt gleichsam abdelegiert wurde in den Bereich der Ästhetik, um dort in Kategorien wie dem Helldunkel, dem Clair-obscur oder dem Erhabenen aufzugehen, konzentrierten sich physikalisch-chemische Untersuchungen darauf, die Flamme nicht allein in ihrer differenzierten Erscheinung zu analysieren, sondern sie auch in ganz neue Kontexte zu

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stellen (Elektrizität, Blitz, Magnetismus u. a. m.). Auf wellentheoretischer Grundlage war es nun möglich, völlig neue Zusammenhänge und ‚Ganzheiten‘ auszumachen, die sich gleichsam über die Gliederung der menschlichen Sinne hinwegsetzten, d. h. deren Gemeinsamkeit jenseits der Kriterien von Hörbarkeit und Sichtbarkeit wellentheoretisch berechenbar erschien. Elektrizität, Magnetismus, Lichterscheinungen und Akustik traten in ein völlig neues Verhältnis zueinander, und so kann es nicht verwundern, wenn das erstmals 1777 von Bryan Higgins entdeckte Phänomen der „singenden Flammen“ in der Folgezeit größte Aufmerksamkeit erregte und Anlass vielfältigster Untersuchungen großartiger Naturwissenschaftler und Experimentalkünstler wurde.12 Die Reihe der Namen reicht von Alexander Nicolaus Scherer, Jean-André De Luc, Sigismund Friedrich Hermbstädt und Ernst Florens Friedrich Chladni über Hermann von Helmholtz und F.G. Schaffgotsch bis hin zu Michael Faraday und John Tyndall. Im Folgenden möchte ich hinsichtlich der erwähnten Experimente mit singenden Flammen auf John Tyndalls außerordentlich publikumswirksam angelegte Vorlesungen über den Schall eingehen. Er hatte sie in enger Bezugnahme auf Hermann von Helmholtzens Lehre von den Tonempfindungen konzipiert,13 und er präsentierte darin 1869, kurz vor der Erfindung des Pyrophons durch Kastner, gewissermaßen die Quintessenz einer beinahe hundertjährigen Entwicklung. Helmholtz meinte übrigens, Tyndall besäße in ungewöhnlichem Grade die Gabe, durch die glückliche Vereinigung einer ebenso klaren wie eleganten Darstellung mit vortrefflich ersonnenen und schlagenden Versuchen selbst die schwierigeren Lehren der Physik dem gebildeten Publicum zugänglich zu machen.14

Auffällig und wichtig erscheint mir dabei zunächst einmal ein deutlich erkennbarer Einfluss ästhetischer Konzepte auf die experimentelle Praxis. Immer wieder kommt es zur ästhetischen Bewertung experimenteller Phänomene, immer wieder ist die Rede von schönen Formen. So spricht Tyndall etwa von der außerordentlichen Schönheit der berühmten akustischen Sandfiguren Chladnis, so fasst er Musikinstrumente als Instrumente der Physik, physikalische Instrumente dagegen als Musikinstrumente etc. 12 13 14

Vgl. Kastner (Anm. 1), S. 23. Vgl. Hermann von Helmholtz. Die Lehre von den Tonempfindungen als physiologische Grundlage für die Theorie der Musik. Braunschweig, 1863. Hermann von Helmholtz u. Gustav H. Wiedemann. „Vorwort“. John Tyndall. Der Schall. Acht Vorlesungen gehalten in der Royal Institution von Grossbritannien. Hg. v. dens. Braunschweig, 1869, S. XV.

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In der zweiten Vorlesung geht es nicht zuletzt um den physikalischen Unterschied zwischen Geräusch und Musik. Ein musikalischer Ton wird durch regelmäßig wiederkehrende, ein Geräusch durch unregelmäßige Schwingungen erzeugt. Wenn ich diesen Werkzeugkasten mit seinen Nägeln, Pfriemen, Meisseln und Feilen schüttele, so hören Sie das, was wir ein Geräusch nennen. Führe ich einen Violinbogen quer über diese Stimmgabel, so hören Sie das, was wir einen musikalischen Ton nennen. Das Geräusch berührt uns wie eine unregelmässige Aufeinanderfolge von Erschütterungen. Während wir auf dasselbe lauschen, sind wir uns eines Stossens und Rüttelns des Gehörnervs bewusst, während der musikalische Ton glatt und ohne Rauhheit dahinfließt.15

Geräusche stürzen verworren in unser Ohr und wiederholen ihre eigene unerfreuliche Verwirrung in unserer Empfindung. Die Musik gleicht einem Gedicht mit feinstem und vollkommenem Rhythmus, das Geräusch der harten, rasselnden Prosa. Aber wie die Worte der Prosa durch eine geeignete Anordnung in Poesie übertragen werden können, so könnten wir auch den Tumult der Straßen in Musik für den Concertsaal verwandeln, wenn wir seine einzelnen Bestandtheile periodisch machten.16

Zeittypische Beobachtungen werden von ihm einbezogen, die Stadt wird als großes Geräuschinstrument charakterisiert, die Pariser Börse als echoreiches Klanginstrument, das Donnern der Artillerie auf den Schlachtfeldern als erhabenes Donnerkonzert. Neben solchen ästhetischen Aspekten des experimentellen Beobachtens und Beschreibens fällt eine Rückbindung anthropologischer Fragen an eine instrumentell-technische Grundlage auf: Die Stimme erscheint als das großartigste Instrument, Wechselbezüge zwischen Physiologie und Technik (Nachrichtentechnik) etc. werden ins Spiel gebracht. „Das vollkommenste aller Zungeninstrumente ist das Stimmorgan [...]“, heißt es bei Tyndall.17 Und weiter: Wollte man den Stimmapparat, der jetzt zu Ihnen spricht, untersuchen, so würde sich ohne Zweifel zeigen, dass entweder die Ränder der Stimmbänder mehr oder weniger ausgezackt sind, oder dass sie sich streifen, oder dass sie den Spalt während der Schwingung unvollkommen schliessen. Dadurch ließe sich die Rauhheit ihres Tones erklären, die Sie mit so viel Geduld ertragen.18

Und er beruft sich auf den berühmten Anatom Johannes Müller, der die Tätigkeit der Stimmbänder durch Kautschukstreifen nachahmte. Auch 15 16 17 18

Tyndall (Anm. 14), S. 58. Ebd., S. 59. Ebd., S. 233. Ebd., S. 234.

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auf die Apparate von Christian Gottlieb Kratzenstein und von Wolfgang von Kempelen zur Nachahmung von Vokaltönen nimmt er in seinen Demonstrationen Bezug, war doch das Nachstellen solcher Repertoireexperimente von großer Publikumswirksamkeit (und zwar insbesondere wegen ihrer Nähe zur menschlichen Stimme). Tyndall erläutert die Effekte seiner Vorführungen, wenn er sagt, man höre das Wort „Mama“ so deutlich, als wenn es von einem Kinde gesprochen wäre. Ich nehme nun statt dieses kegelförmigen Ansatzrohres ein kürzeres und mache damit dasselbe Experiment. Das Wort Mama klingt jetzt, als wäre es von einem Kinde mit zugehaltener Nase gesprochen.19

Analog zu den Elementarfarben waren seiner Meinung nach Mischungen aller Klangfarben aller Vokale denkbar. Tendenziell erweist sich die Stimme letztlich als ganz berechenbar, sie erscheint durch einen Apparat, ein Instrument perfekt simulierbar. Experimentieren bewegt sich hier gewissermaßen im Grenzbereich der spielerischen Erzeugung und Entzauberung einer wunderbaren Welt. Und die spielerisch-theatralen Implikationen betreffen sowohl die Darstellungskunst des Experimentators als auch seine Bezugnahme auf das Publikum und den Vorführraum. Diesbezüglich erscheinen dann die Experimente zur singenden Flamme als absoluter Höhepunkt einer durchinszenierten Wirkungsstrategie (Abb. 5). Nachdem Tyndall die physikalischen Grundlagen der Flammenmusik erläutert hat, die in einer angemessenen Röhre hörbar sei, führt er verschiedene äußerst überraschende Experimente durch: Wieder spricht er dabei von der außerordentlichen Schönheit und den wunderbaren Effekten. Die singende Flamme wird zur tanzenden Flamme durch Interferenzen mit einer eingesetzten Sirene, schließlich durch Einfluss der menschlichen Stimme des Experimentators selbst. Jetzt mündet die Performance in einen echten Dialog zwischen Experimentator und singender Flamme über große Entfernung, wobei es auf eine bestimmte Tonhöhe der Stimme ankommt. Nun stelle ich mich so weit von der Flamme fort, als das Zimmer es gestattet und befehle der Flamme zu singen. Sie gehorcht augenblicklich. Ich kehre ihr den Rücken zu und wiederhole den Versuch.20 Die wunderbarste aller bis jetzt entdeckten Flammen steht nun vor Ihnen. Sie brennt aus einer einzigen Oeffnung eines Steatitbrenners und hat eine Höhe von 24 Zoll [61 cm]. Der leiseste Schlag auf einen entfernten Amboss lässt sie auf 19 20

Ebd., S. 237. Ebd., S. 272.

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Abb. 5: Singende Flammen. Das Experiment beweist, dass die Flamme von der Röhre geregelt wird (nach John Tyndall).

7 Zoll fallen [18 cm] [...]. Das entfernte Gezwitscher eines Sperlings schlägt sie nieder und das Zirpen eines Heimchens würde ebenso wirken. Ich habe auf eine Entfernung von 90 Fuss [27,5 m] gegen die Flamme gezischt und sie dadurch zum Fallen und Brausen gebracht. Ich werde einige Strophen von Spenser [eines Gedichtes] sprechen [...]. Die Flamme sucht aus meinen Worten einzelne Töne heraus. Manche hebt sie nur durch ein leichtes Nicken hervor, bei anderen verneigt sie sich entschiedener und für einige macht sie das allertiefste Compliment, während sie für viele ein völlig taubes Ohr hat [...]. Die Abbildungen sind nach Photographien der Flamme gemacht. Als wir im Laboratorium mit der Flamme experimentierten, haben wir sie immer die „Vocalflamme“ genannt, weil die verschiedenen Vocalklänge verschieden auf sie wirken.21

Die bisher skizzierten Aspekte lassen erkennen, dass Tyndalls Experimente durch eine sehr ausgeprägte Dramaturgie des Demonstrierens charakterisiert waren. Gerade deshalb sind sie von speziellem Interesse, wenn wir nach theatralen Seiten des Experimentierens fragen. Wie lässt sich die Theatralität des Experiments am besten fassen? Ich denke, dass 21

Ebd., S. 286ff.

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Abb. 6: Flammen von Schallschlägen bewegt (nach John Tyndall).

es genau in diesem Zusammenhang angebracht ist, auf das Verhältnis von Experiment und Spiel besonders zu achten. Bereits Leibniz hatte die Bedeutung dieser Konstellation scharfsinnig erkannt. So regte er an, ein geschickter Mathematiker möge doch einmal versuchen, alle umlaufenden Spiele zu sammeln und zu katalogisieren. Denn in den Spielen würden sich die Feinheiten menschlicher Verhaltensweisen und die Kraft des menschlichen Geistes sehr viel klarer offenbaren als in allen anderen Bereichen menschlichen Tätigseins. Bemerkenswert ist daran zum einen die Überzeugung, mit unbestechlicher, mathematischer Genauigkeit lasse sich die schwer überschaubare, trügerische Vielfalt der Spiele durchschauen und systematisieren. Zum anderen geht es ihm darum, aus den Spielen ein nützliches, verwertbares Element herauszufiltern und es sodann einem besseren Zweck, nämlich der Welt des Experiments und der Erfindungskunst zuzuführen. Produktivität soll also aus jener Sphäre, in der sie sich durch unmittelbare Vernetzung mit menschlicher Lust, mit Vergnügen und Genuss besonders stark entfaltet, übertragen werden in eine andere, die

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größeren Nutzen verspricht. Nützlich und übernehmbar sind allein gewisse Spiel-Regeln, und zwar als Modelle zur Steigerung der Effektivität. Spiel und Experiment weisen in der Tat viele Gemeinsamkeiten auf. Das reicht von Fragen der räumlichen Zurichtung (kein Spiel, kein Experiment ohne Framing) über Dimensionen der Regelhaftigkeit (kein Spiel, kein Experiment ohne Regeln) bis hin zu ästhetischen Aspekten. So gesehen wäre es zweifellos möglich, eine Geschichte des Experimentierens als Geschichte von Spielen zu fassen. Welche speziellen Konsequenzen aber hätte dies mit Blick auf die Entwicklung der Experimentalkultur des 19. Jahrhunderts? Erinnern wir uns noch einmal an das Pyrophon, jenes seltsame Instrument der Physik und der Musik. Symptomatisch weist es über bestehende Grenzziehungen hinweg auf bedeutsame Interferenzen zwischen Wissenschaft und Kunst. Und das ist hier entscheidend wichtig. Denn Strategien und Techniken des Experimentierens werden im 19. Jahrhundert auf beiden Feldern entwickelt und verfeinert. So könnte z. B. eine systematische Auseinandersetzung mit der experimentellen Ästhetik des Gesamtkunstwerks um 1850 wesentlich dazu beitragen, theatrale Implikationen des wissenschaftlichen Experimentierens zu entschlüsseln und umgekehrt. Gerade im 19. Jahrhundert spielen solche Wechselbezüge aus vielen Gründen eine sehr wichtige Rolle, sie sind jedoch normalerweise ausgeblendet durch übermächtige kulturelle Blickschranken oder mit Gaston Bachelard gesprochen: durch ‚obstacles épistémologiques‘.22 Im Lichte der Konstellation von Experiment und Spiel aber ist es möglich, solche hermetischen Abschirmungen von Experimenten in Wissenschaft und Kunst zu relativieren und das Funktionieren besagter Blickschranken besser zu verstehen. Solche Blickschranken hängen gleichermaßen mit anthropologischen wie auch technisch-instrumentellen, sozialen und politischen Gegebenheiten der Wahrnehmung und der körperlichen Bewegung, der Sprache und des Denkens zusammen. Als notwendige Sekundäreffekte wohnen sie dem Aufbau jeglicher Kultur inne, und es gehört zu ihrem Wesen, dass sie äußerst schwer zu identifizieren sind. Zweifellos gibt es gut funktionierende kulturelle Gefüge (wie Wissenschaft, Kunst, Politik und Lebensstil), die regelrecht taub und blind machen. Nicht zuletzt daher erklärt sich im Gegenzug eine starke Affinität avancierter Künstler zu experimentellen Strategien der Störung, der Unterbrechung, der Dissonanz und der bewussten Umkehr gewöhnlicher Perspektiven. Wenn etwa für Marcel Duchamp der Staub auf ei22

Vgl. Gaston Bachelard. La psychanalyse du feu [1938]. Paris, 1949, S. 101.

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nem Objekt zum eigentlich interessierenden Beobachtungs- und Zuchtobjekt wird, wenn Nam June Paik im Rauschen eines Radioapparats der Selbstpräsenz des Mediums nachlauscht, wenn Joseph Beuys seine Energie auf das Geheimnis von Materialien richtet, so geht es dabei im Grunde stets um eine radikale Verfremdung der Beobachtungssituation. So gesehen ließe sich die Avantgarde-Bewegung des 20. Jahrhunderts aus heutiger Perspektive, unter ausdrücklichem Bezug auf wissensarchäologische Spuren, vielleicht als groß angelegte Experimentalanordnung beschreiben, gerichtet auf die radikale Infragestellung kulturprägender Blickschranken in Kunst, Politik, Wissenschaft und Alltagsleben. Genau dieser konzeptionelle Kern bleibt anschlussfähig und verweist, jenseits aller verebbten Skandale, Utopien und Illusionen, auf die Dringlichkeit eines noch ausstehenden Projekts, die ambivalente Architektonik kultureller Grenzen in ihrer ganzen Dynamik zu untersuchen. Nur im Rahmen einer solchen Architektonik kultureller Grenzen aber lassen sich theatrale Implikationen des Experimentierens wirklich verstehen und beschreiben. Noch ein abschließendes Wort zum radikalen Verdrängen und Vergessen des Pyrophons. Das Pyrophon gehört zur großen Gruppe jener Erfindungen, die markante Sackgassen der wissenschaftlichen und technischen Entwicklung markieren. Basierend auf den Wirkungen der singenden Flamme vermochte dieses Instrument vor allem auch die menschliche Stimme auf geheimnisvolle Weise nachzuahmen und dadurch spektakuläres Interesse bei einem großen Publikum zu wecken. Fast im gleichen Jahr bringt Thomas Alva Edison allerdings seinen Phonographen auf den Markt, der es nicht nur möglich machen wird, alle denkbaren Stimmen zu reproduzieren, sondern auch alle Geräusche der Welt aufzuzeichnen und zu reproduzieren. Man muss in dieser Reproduzierbarkeit der Geräusche technische Voraussetzungen einer neuen Versuchsanordnung sehen, die nicht zuletzt auch dazu beitragen wird, das Verhältnis von Geräusch und Musik im Rahmen avantgardistischer Kunstexperimente grundlegend zu revidieren.

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LITERATURVERZEICHNIS Bachelard, Gaston. La psychanalyse du feu [1938]. Paris, 1949. Eberhard, John Peter. Gedanken vom Feuer und denen damit verwandten Körpern, dem Licht und der elektrischen Materie [...]. Halle, 1750. Flamelli, Nicolai. Chymische Wercke [...] [1399]. Übs. v. J.L.M.C. Wien, 1751. Helmholtz, Hermann von. Die Lehre von den Tonempfindungen als physiologische Grundlage für die Theorie der Musik. Braunschweig, 1863. Helmholtz, Hermann von u. Gustav H. Wiedemann. „Vorwort“. John Tyndall. Der Schall. Acht Vorlesungen gehalten in der Royal Institution von Grossbritannien. Hg. v. dens. Braunschweig, 1869, S. XV-XVI. Kastner, Frédéric. Le Pyrophone. Flammes chantantes. 4. Aufl. Paris, 1875. Leibniz, Gottfried Wilhelm. Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand (Nouveaux essais sur l’entendement humain) [1746]. Frankfurt a. M., 1996. Marat, Jean-Paul. Physische Untersuchungen ueber das Feuer [1780]. Übs. v. Christian Ehrenfried Weigel. Leipzig, 1782. Ritter, Johann Wilhelm. „Versuch einer Geschichte der Schicksale der chemischen Theorie in den letzten Jahrhunderten“. Journal für die Chemie, Physik und die Mineralogie 7 (1808), S. 1-66. Ritter, Johann Wilhelm. „Physik als Kunst. Ein Versuch, die Tendenz der Physik aus ihrer Geschichte zu deuten“ [1806]. Fragmente aus dem Nachlasse eines jungen Physikers. Ein Taschenbuch für Freunde der Natur. Hg. v. Steffen u. Birgit Dietzsch. Leipzig u. Weimar, 1984 [Nachdruck d. Ausgabe Heidelberg, 1810], S. 288-320. Soeldner, Johann Anton. Keren Happuch, Posaunen Eliae des Künstlers, oder, Teutsches Fegfeuer der Scheide-Kunst, worinnen nebst den neu-gierigsten und grössesten Geheimnüssen für Augen gestellet die wahren Besitzer der Kunst; wie auch die Ketzer, Betrieger/ Pfuscher/ Stuemper/ und Herren Gern-Grosse. Hamburg, 1702. Szeemann, Harald (Hg.). Der Hang zum Gesamtkunstwerk. Europäische Utopien seit 1800 [Ausst.kat]. Aarau u. Frankfurt a. M., 1983. Thurneysser, Leonhart. Quinta Essentia. Das ist die Hoechste Subtilitet/ Krafft/ und Wirkung/ Beyder der Furtrefelichsten (und menschlichem geschlecht den nutzlichsten) Könsten der Medicina/ und Alchemia, auch wie nahe dise beide /mit Sibschafft Verwandt. Und das eine On beystandt der andren kein nutz sey. Munster, 1570. Tyndall, John. Der Schall. Acht Vorlesungen gehalten in der Royal Institution von Grossbritannien. Braunschweig, 1869 Valentinus, Basilius. Letztes Testament und Offenbahrung der himmlischen und irdischen Geheimnüß. Jena, 1626. Wiegleb, Johann Christian. Historisch-kritische Untersuchung der Alchemie, oder der eingebildeten Goldmacher-Kunst; von ihrem Ursprunge sowohl als Fortgange, und was von ihr zu halten sey. Weimar, 1777.

DOMINIQUE PESTRE

Funken sichtbar und öffentlich machen. Spektakel und Kontroversen um die historischen Experimente von Heinrich Hertz

1. In einem kürzlich erschienenen Artikel hat uns Christine Blondel daran erinnert, dass bis zur Französischen Revolution das Wort physicien (‚Physiker‘ wäre hierfür wohl die übliche deutsche Übersetzung, die aber – wie zu zeigen sein wird – in diesem besonderen Zusammenhang ungenau ist) zwei Bedeutungen hatte: „der Zauberer, der sich auf Schaubühnen in Szene setzt“, der Magier, der Illusionist, derjenige, der im Stande ist, Kunststücke vorzuführen und Dinge vor einem Publikum verschwinden oder wieder erscheinen zu lassen; sowie derjenige, der das Fach Physik lehrt oder praktiziert und im privaten Bereich seines eigenen Kabinetts Experimente durchführt. Diese beiden Bedeutungen stehen, obwohl es so scheint, nicht zueinander in Widerspruch – gerade ihr Schnittpunkt markiert die Möglichkeit eines besseren Verständnisses der Bedeutung dieses Wortes. In einer weiteren Annäherung fügt Christine Blondel hinzu, dass im Dictionnaire de l’Académie das Wort ‚physicien‘ sich auf eine Fertigkeit beziehe, das heißt darauf, dass all diese Menschen ‚geschickt‘, also kunstfertig, raffiniert oder erfinderisch seien.1 Wir wissen auch um die Wichtigkeit der physique curieuse in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, eine zugleich öffentliche wie spektakuläre Wissenschaft, die auf unerwarteten und außergewöhnlichen Dimensionen einiger physikalischer Phänomene beruhte und die insbesondere vom Abbé Nollet, einer wohl bekannten Persönlichkeit, praktiziert 1

Vgl. Christine Blondel. „René-Just Haüy. D’un manuscrit de cours pour l’École normale de l’an III au Traité élémentaire de physique. Le physicien et le charlatan“. Genesis. Manucrits, Recherche, Invention. Revue internationale de critique génétique 20 (2003), S. 185-205.

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wurde. Er übte diese Kunst in vielen sozialen Räumen aus, nicht nur in den Salons der Zeit, sondern auch in Vorlesungssälen, vor allem am Collège de Navarre. Schließlich sind wir nur allzu vertraut mit dem schnellen Übergang hin zu einer Physik der Präzisions-Messungen – der Präzisionsphysik –, der sich zwischen den letzten Jahrzehnten des 18. und dem frühen 19. Jahrhundert vollzog, eine Wissenschaft, für welche die Coulomb’sche elektrische Waage das beste Beispiel abgibt. Dieses subtile und raffinierte Instrument funktionierte nur unter Ausschaltung von Störungen, die durch eine von Menschen geschaffene Umwelt hervorgerufen wurden, d. h. nur in der grundlegenden Isolation eines leeren Laboratoriums und in Abwesenheit jeglicher Zeugen, geschweige denn eines Publikums.2 Diese neue Wissenschaft – die Präzisionsphysik – ersetzte die physique curieuse jedoch nicht schlagartig in jedem Bereich des gesellschaftlichen Lebens, ganz im Gegenteil. Im französischen Kontext der durch die Revolution und ihre Nachwirkungen hervorgerufenen drastischen institutionellen, politischen und normativen Transformationen setzte sie sich jedoch als Norm für Elite-Wissenschaftler durch. In diesem Zuge wurden neue Unterscheidungen getroffen: hinsichtlich der Definition von Wissenschaft und ihrer Abgrenzung von ‚Kunststücken‘ oder Zauberkunst, zwischen zulässigen Räumen für Wissenschaft und unzulässigen Orten, zwischen Stadt und Land, privat und öffentlich und in Hinblick auf eine Bestimmung dessen, was einer zuverlässigen Wissenschaft zweckdienlich wäre. René-Just Haüy, der bekannteste Kristallograf und Mineraloge im Paris der Wende zum 19. Jahrhundert, ist ein ideales Beispiel, um einen Teil dieser Veränderung zu veranschaulichen. Während der 1780er Jahre lehrte Haüy an unterschiedlichen collèges – ein durchaus gewöhnlicher Schritt, was die von ihm eingeschlagene Laufbahn anbelangt –, doch er war auch ein ‚öffentlicher Vorführer wissenschaftlicher Spektakel‘ (um Christine Blondel zu zitieren), eine Person also, die einem Publikum staunenswerte und spektakuläre Phänomene, vor allem durch den Einsatz elektrischer Maschinen und des Magnetismus, vor Augen führte. Er tat dies jedoch nicht in Paris, sondern auf dem Lande für die Bauern in der Nähe des Klosters, in dem er seine Sommer verbrachte und wo er mit Vorliebe künstliche Gewitterstürme erzeugte. In den folgenden Jahrzehnten, als er begann an der renommierten École Normale de l’an III zu 2

Vgl. Christine Blondel u. Matthias Dörries (Hg.). Restaging Coulomb. Usages, controverses et réplications autour de la balance de torsion. Florenz, 1994; zur Präzisionsphysik vgl. Christian Licoppe. La formation de la pratique scientifique. Le discours de l’expérience en France et en Angleterre, 1630-1820. Paris, 1996.

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lehren – einer im Jahre 1794 von der neuen Republik gegründeten Schule, an der alle namhaften Wissenschaftler der Zeit unterrichteten – und später, während der napoleonischen Ära, an der École des Mines, änderte er nicht nur seine Rhetorik, sondern auch seine Art der Selbstdarstellung. Er bestand nun darauf, den größtmöglichen Abstand zwischen der Vorgehensweise eines Scharlatans und einer ‚wissenschaftlichen Haltung‘ herzustellen, zwischen dem Standpunkt einer Person, der lediglich daran gelegen ist, Menschen durch den Einsatz von Tricks zu täuschen, und derjenigen, deren Ziel im genauen Gegenteil besteht: der Sichtbarmachung der physikalischen Ursachen, die die Vorführung von Tricks erst ermöglichen. Selbstverständlich war diese Einstellung aufs Engste mit zeitgenössischen Tendenzen verwoben und an den neuen sozialen Raum gebunden, in dem er nun unterrichtete, wie auch an die neue Rolle, die er und die Institution, die ihn beschäftigte, in der Gesellschaft spielen sollte.3 Eine solche dramatische Wandlung in der Selbstdefinition und Selbstdarstellung ist jedoch nicht auf Haüy beschränkt, auch wenn es ein typisch französisches Phänomen sein mag, zumindest in Anbetracht der Geschwindigkeit, mit der sich diese in den Reihen der Elite-Wissenschaftler vollzog. Dieselbe Transformation wurde für ganz Frankreich verzeichnet. So wurde, um das Beispiel der Kleinstadt Toulouse aufzugreifen, die aristokratische und öffentliche Weise der Ausübung der Astronomie sowie die Präsentation ihrer Ergebnisse und Instrumente im Laufe von weniger als zwei Jahrzehnten durch eine strenger kontrollierte Praxis ersetzt, in der Fachkräfte agierten, die dafür bezahlt wurden, gemäß vorgeschriebener Regeln zu lehren und zu forschen. Die Revolution und das Kaiserreich führten eine neue Konzeption von Wissenschaft in die Gesellschaft ein, in welcher Wissenschaft wesentlich als ein Instrument zur staatlichen Verwaltung von Menschen und Gegenständen diente, wie es beispielsweise die Vielzahl der statistischen Erhebungen dieser Zeit veranschaulicht. Die Neuordnung der Lehre (vor allem durch die Einrichtung der École polytechnique und der lycées) zielte dabei auf die Unterstützung des Staates und der gesamten französischen Gesellschaft bei der effizienteren Gestaltung von Kriegsführung und Industrie. Wissenschaft ermöglichte es, Staatsbeamte auszuwählen, eine neue Verwaltung aufzubauen; es wurden technische Körperschaften (zivile wie auch militärische) gegründet, die durch eine auf der Vorherrschaft der Wissenschaft beruhenden Leistungsgesellschaft reglementiert wurden. Man begann zum Beispiel zwischen 3

Vgl. Blondel (Anm. 1).

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Wissenschaftler-Professoren, verantwortlich für Lehre und Forschung, und Verwaltern und Leitern nationaler oder lokaler Institutionen, die enger an die Politik angebunden waren, zu unterscheiden. Lebens- und Gesellschaftsformen wurden neu geordnet: Der provinzielle AristokratAstronom, der seine eigenen Instrumente besaß und in seinem Haus in nicht öffentlicher Weise arbeitete und lehrte, der seine Zeit selbst einteilte und eine Unzahl von Gästen zu sich nach Hause einlud, wurde durch den in einem öffentlichen Umfeld arbeitenden Wissenschaftler verdrängt, der gemäß nicht selbst festgelegter Regeln und Methoden lehrte und dafür nun ein Gehalt erhielt. Noch wesentlicher war das Aufkommen neuer Unterscheidungen zwischen dem, was als privat und was als öffentlich galt, insbesondere deshalb, weil das Wort „öffentlich“ mit neuen Bedeutungen belegt wurde: Ein „öffentlicher Raum“ war demnach auch ein Raum, der ‚dem Volk‘, dem Staat oder der Stadt gehörte. Das Private wurde so zu einer völlig anderen Welt, eine Tatsache, die dementsprechend zu neuen sozialen Beziehungen mit der Tendenz zu einer immer stärkeren Versachlichung von Regeln führte.4 Es liegt mir jedoch fern zu behaupten, dass an diesem Wendepunkt das Spektakuläre und Wunderliche aus den Praktiken und Tricks der Wissenschaft verschwand. Im Gegenteil, sie blieben ein wesentlicher Bestandteil der Wissenschaft – und das bis heute: Man denke nur an die Implikationen einer erfolgreichen Popularisierung von Wissenschaft. Der Grund dafür ist, dass Wissenschaft (selbst die neue Präzisionsphysik) nicht ohne einige völlig unerwartete und wundervolle Effekte auskommt. Dies hängt mit der Tatsache zusammen, dass Wissenschaft nicht nur auf der De- und Rekonstruktion von Phänomenen basiert, sondern auch darauf angewiesen ist, diese vor Publikum vorzuführen, um Aufmerksamkeit zu erregen sowie um Geld und Unterstützung zu erhalten. Wir sollten nicht vergessen, dass das Ziel von Wissenschaft oft darin besteht, diese Phänomene auszutesten und durch technisches Handeln zur Anwendung zu bringen. Wissenschaft ist gleichsam gezwungen, ihren Erfindungsreichtum und den Stolz über ihre Fähigkeit zur Erzeugung neuer, unbekannter oder zumindest außergewöhnlicher Phänomene zur Schau zu stellen. Das Spektakuläre verschwindet nicht einfach im Zeitalter der Entwicklung einer professionelleren und präziseren Physik, es findet sich nur innerhalb neuer Räume und neuer Formen wieder. 4

Vgl. Jérôme Lamy. Archéologie d’un espace savant. L’Observatoire de Toulouse aux 18e et 19e siècles. Lieux, acteurs, pratiques, réseaux. Diss. EHESS, Paris, 2004.

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Beschränkte man sich nur auf die offizielle Wissenschaft – die Wissenschaften, für die wissenschaftliche Institutionen wie die Akademien und Universitäten des 19. Jahrhunderts stehen –, so könnte man sagen, dass die offizielle Wissenschaft öffentliche Räume ohne kontrollierte und abgesicherte Grenzen zu vermeiden suchte, ja vermeiden musste. Die offiziellen Institutionen der Wissenschaft selbst waren dabei für die Regulierung der Grenzen des physischen Raums verantwortlich. Zweifellos kam man nicht umhin, Zuschauern weiterhin zu bestimmten Anlässen als Betrachter und Zeugen zuzulassen – und in diesem Sinne musste Wissenschaft öffentlich bleiben –, doch ihre Anzahl musste begrenzt und ihre Anwesenheit unter unmittelbare Kontrolle gestellt werden. Wissenschaft und ihre erstaunlichen Effekte mussten nach wie vor unterschiedlichem Publikum präsentiert und zur Schau gestellt werden; vorgeführt werden durften diese Effekte mitsamt den sie begleitenden Diskursen und bedeutungsgenerierenden Darstellungen dabei nicht mehr durch jedermann, sondern nur noch durch den Wissenschaftler. Ganz allgemein könnte man sagen, dass im Europa des 19. Jahrhunderts volkstümliche Jahrmärkte keine angemessenen Schauplätze mehr für die Wissenschaft abgaben, gelehrte Gesellschaften (learned societies) und Weltausstellungen hingegen schon, da die Tricks und Experimente in diesen Kontexten durch die Wissenschaftler selbst oder ihre unmittelbaren Gehilfen – die Instrumentenmacher – entworfen und ausgeführt werden konnten. 2. Im verbleibenden Teil dieses Beitrags möchte ich diese Ideen anhand der Analyse eines bekannten Ereignisses in der Physik des späten 19. Jahrhunderts veranschaulichen und verdeutlichen: Es handelt sich dabei um die Entdeckung oder, genauer gesagt, die Erfindung und Vorführung dessen, was wir heute „elektromagnetische Wellen“ nennen. Diese Wellen wurden vom jungen deutschen Physiker Heinrich Hertz entdeckt, der im Karlsruhe der späten 1880er Jahre wirkte. Dieser Fall ist deshalb so interessant, weil diese Entdeckung oder Erfindung ein bedeutendes wissenschaftliches Ereignis, ja eines der wichtigsten Experimente innerhalb der Wissenschaft des 19. Jahrhunderts darstellt. Die in den Experimenten erzielten Ergebnisse und deren Diskussion ließen selbst die ältesten und bekanntesten europäischen Physiker und Mathematiker jener Zeit aufhorchen. Darüber hinaus war die Entdeckung von zentraler technischer Bedeutung. In weniger als einem Jahrzehnt

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führte diese zum Einsatz der Radio-Übertragung – der spektakulären Möglichkeit des Fern-Sprechens.5 2.1 Was Hertz in seinem Experiment vermutlich tat Im Folgenden möchte ich zunächst eine Vorstellung von dem tatsächlichen Aufbau des Hertz’schen Experiments geben. Seiner eigenen Beschreibung zufolge erfand er ein Gerät, das (elektromagnetische) Wellen erzeugte, die er beeinflussen und an anderen Stellen nachweisen konnte. Die Beobachtung der Wechselwirkungen dieser Wellen führte ihn zu der Überzeugung, dass er die bedeutende theoretische Konstruktion von James Clark Maxwell auf experimentellem Wege nachgewiesen hatte. Phänomenologisch betrachtet, benutzte Hertz einen Generator, um Funken zu produzieren, die zwischen zwei einwandfrei polierten und eng aneinander stehenden Kugeln erschienen. Der Abstand zwischen den zwei Kugeln entsprach einer Unterbrechung in einem elektrischen Kreislauf, in den Hertz einen Stromfluss in beide Richtungen induzierte. Hertz zufolge wurde jedes Mal, wenn ein Stromfluss die Unterbrechung überbrückte, eine Luft-Welle erzeugt, die sich in der Erscheinung eines Funkens manifestierte. Die Funken waren gleichsam die sichtbaren Zeichen der Aussendung von Wellen, ihre Signatur. Nach jahrelanger Arbeit an diesem Thema hatte Hertz – was Wellen, Stromkreise und Funken anbelangte – ein fantastisches praktisches Wissen erworben und zu ihrer Beschreibung ein umfangreiches phänomenologisches Vokabular entwickelt. So konnten Funken beispielsweise hinsichtlich ihrer Formen, Farben, Geräusche und ihres Geruchs unterschieden werden. Die Ortung der von ihm erzeugten Wellen stellte im Hertz’schen Experiment einen wesentlichen Bestandteil dar, ermöglichte diese ihm doch, das Verhalten der Wellen in ihrer Bewegung im Raum zu verstehen sowie ihre Interferenz, Abweichung, Polarisierung, Veränderung usw. zu beobachten. Um den Durchgang der Welle an einer spezifischen Stelle zu ermitteln, benutzte Hertz einen offenen Metallring. Wenn eine Welle den Metallring passierte, wurde – der Theorie zufolge – in diesem Strom erzeugt, worauf ein Funken zwischen den beiden Kugeln erschien. Aus der Beobachtung der Farbe, Größe, Helligkeit und Form des induzierten Funkens wie auch aus der Messung der Abstände zwi5

Für nähere Hinweise vgl. Michel Atten u. Dominique Pestre. Heinrich Hertz. L’administration de la preuve. Paris, 2002.

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schen den Vorgängen zog Hertz hinsichtlich der Wellen Schlussfolgerungen, insbesondere bezüglich ihrer Ausbreitungsgeschwindigkeit. Die extreme Schwierigkeit dieser Ortungstechniken – Funken im Dunkeln mit bloßem Auge zu beobachten, sie zu vergleichen und daraus Schlüsse zu ziehen – war für die damalige Zeit nicht ungewöhnlich. Vielmehr spiegeln diese die Bedingungen der experimentellen Physik im „vor-elektronischen Zeitalter“ wider. Ein Aspekt dieses experimentellen Aufbaus scheint mir hier dennoch von besonderer Bedeutung zu sein: die Anfälligkeit des Effekts und sein flüchtiger Charakter. Da es Hertz auch auf die Interferenz seiner Wellen ankam, benötigte er einen sehr großen Raum (zehn oder zwanzig Meter lang und so hoch wie möglich) mit einem minimalen Anteil an Metall im Raum oder in den Wänden, da metallische Strukturen elektromagnetische Wellen verzerren. Die Anfälligkeit des Effekts wurde dadurch verstärkt, dass das Experiment in absoluter Dunkelheit und absoluter Stille durchgeführt werden musste, um überhaupt zwischen verschiedenen Funkentypen differenzieren zu können. Folglich schlossen die experimentellen Bedingungen eine Präsenz mehrerer Augenzeugen aus. In der Dunkelheit des Raumes war es für eine Vielzahl von Menschen unmöglich, sich darin zugleich hin und her zu bewegen; zudem war der schwach leuchtende Funken nur aus einer Entfernung von wenigen Zentimetern sichtbar. Kurz, das Experiment erforderte höchstens zwei oder drei Personen für die Bedienung des Generators und Detektors sowie zwei oder drei weitere, die in dem großen dunklen Raum umherlaufen konnten – das heißt: Es war keineswegs ein spektakuläres Experiment! Dies führt uns aber genau zum Wesentlichen der Geschichte. Hertz’ Experiment wurde nicht nur schnell als ausschlaggebend und entscheidend erachtet, sondern zeigte auch, dass die Vorführung von Effekten vor einem Publikum ein geeignetes Mittel war, das Experiment als Beweis zu begreifen und anzuerkennen. So versuchten im Jahr nach Hertz’ eigenem Experiment andere Physiker verzweifelt, diese intime Erfahrung zu einer Theater-Vorführung umzugestalten, mit dem Ziel, dieses höchst un-spektakuläre Experiment in eine höchst sichtbare Show zu verwandeln. Genau aus diesem Grund aber waren die von Hertz vorgelegten Zahlenergebnisse für sie von keinerlei Interesse, sie versuchten nicht, seine Messungen auf die Probe zu stellen und zu bestätigen (oder zu widerlegen). Sie bemühten sich – mit anderen Worten – nicht wirklich darum, das Experiment in Hinblick auf die Genauigkeitsbestimmungen zu wiederholen. Zusammenfassend könnte man sagen, dass sie ihr Hauptaugenmerk nicht auf das Experimentieren im Kontext eines Laboratoriums richteten – eine Vorgehensweise, die wir im Rahmen über-

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kommener Wissenschaftserzählungen (man denke an Karl Popper und sein Beharren auf Falsifikation) verstörend finden mögen. Stattdessen konzentrierten sie sich auf die Optimierung der optischen Effekte für den Konsum durch ein Laienpublikum. 2.2 Fitzgerald und der BAAS-Kongress: Analogie, Metonymie und Performance Die Experimente von Heinrich Hertz wurden im Februar und Mai des Jahres 1888 veröffentlicht. Britische durch Maxwell beeinflusste Physiker erfuhren davon im Juli desselben Jahres und verliehen ihnen unverzüglich den Status eines „entscheidenden Experiments“ (crucial experiment). Ein als entscheidend bezeichnetes Experiment – ein für diese Zeit sehr gebräuchlicher Ausdruck – war eines jener seltenen und außergewöhnlichen Experimente, die es ermöglichten, zwischen zwei konkurrierenden Theorien zu entscheiden, indem sie eine zugunsten der anderen diskreditierten. In diesem Falle hatte Hertz’ Experiment (oder genauer gesagt seine Experimente) bewiesen, dass Helmholtz’ Theorie falsch und die Maxwells richtig war, eine Tatsache, von der britische Maxwellianer zweifellos schon im Vorhinein überzeugt waren – sie wussten, dass Maxwell recht haben musste –, die endgültige experimentelle Bestätigung seiner Theorie begrüßten sie aber sehr. Folgen wir Hertz’ eigenen Gedanken und Texten, so bestand seine Vorstellung eines idealen Experimentes darin, (1) eine Welle zu generieren, deren Authentizität der Funke garantierte, der zwischen den zwei Kugeln des Hauptstromkreises erschien; (2) diese Welle mit sich selbst durch Spiegelreflexion interferieren zu lassen (als Spiegel fungierte dabei ein breites, an die gegenüberliegende Wand des Raumes genageltes Stück Zink); (3) die Knotenpunkte zu ermitteln, die sich aus der Interferenz der sich ausbreitenden und der reflektierten Welle ergaben (Knotenpunkte resultierten dabei an den Stellen, wo die Wellen sich außerhalb ihrer Phase bewegten und sich so gegenseitig aufhoben, so dass kein Funke – oder nur ein sehr schwacher – festgestellt werden konnte); (4) die Entfernung zwischen zwei Knotenpunkten zu messen – und, dank einer auf der Frequenz des Generators beruhenden Berechnung, die Ableitung der Geschwindigkeit, mit der die Welle sich bewegt hatte. Die Bedeutsamkeit des Ergebnisses bestand darin, dass Hertz die magische Zahl von 300 000 km/s ermittelte, die Maxwell vorausgesagt hatte. Dies war selbstverständlich die Lichtgeschwindigkeit und die Ge-

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schwindigkeit, mit der sich, wie man annahm, auch elektromagnetische Wellen ausbreiteten. Da das Ergebnis in den Augen der Maxwellianer so offensichtlich richtig war – Hertz fand genau das heraus, was sie erwartet hatten –, sahen sie keine Notwendigkeit, die Messungen im Detail zu wiederholen – auch wenn sie alle äußerst bestrebt waren, die Wellen, von denen Maxwell geträumt hatte, vorzuführen, um durch Induktion von Funken, als die sichtbare „Signatur“ dieser Wellen, jedermann die Richtigkeit der Maxwell’schen Vorhersagen zu demonstrieren. George Francis Fitzgerald – ein bekannter theoretischer Physiker aus Dublin und Präsident des im September 1888 in Bath abgehaltenen Kongresses der British Association for the Advancement of Science [BAAS] – war der Erste, der die Träume Maxwells in öffentliche Handlungen übersetzte. Seine Ansprache auf dem Kongress drehte sich genau um jenes Hertz’sche Experiment. Da es ihm im Hauptkonferenzsaal nicht möglich war, das Experiment zu wiederholen oder gar seinem Publikum „Funken“ vorzuführen, weil er weder über die Ausrüstung verfügte noch die Übung dazu besaß, tat er drei Dinge, um sein Publikum von der Richtigkeit der Hertz’schen Ergebnisse zu überzeugen. Zunächst beschrieb er das Prinzip des Experiments, das im Grunde bekannt und einfach zu verstehen war, da die Kunst, Interferenzen zu erzeugen, in der Mechanik und Akustik gängige Praxis war. Dann präsentierte er Teile der Instrumente, in diesem Falle jenes, das Hertz als Detektor verwendete: einen offenen Metallring, der an zwei polierten Kugeln angebracht war, zwischen denen die Funken hin und her fliegen konnten. Abschließend führte er ein klassisches Experiment vor: Er zeigte, wie sich entlang eines am Dach befestigten Seils Wellen auf und ab bewegten. Nachdem er also eine einfache Argumentation, einen Nachbau eines Teils der experimentellen Ausstattung und ein einfaches Experiment präsentiert hatte, das ein Äquivalent des Hertz’schen darstellen sollte, schloss er – nicht ohne Hertz’ erstaunliches Ergebnis zu erwähnen (die gemessene Geschwindigkeit von 300 000 km/s) – mit einer Erklärung der Überlegenheit Maxwells. Dieses Vorgehen ist in der Wissenschaft durchaus üblich. Die Bildung einer Analogie – es wird behauptet, dass ein bekanntes Experiment und ein anderes, das aus diesem oder jenem Grund nicht vorgeführt werden kann, äquivalent seien – und der metonymische Akt der Vorführung eines Teils der Ausstattung anstelle des gesamten experimentellen Aufbaus treten an die Stelle der Wiederholung. Oder, genauer gesagt, es könnte für den größten Teil der Wissenschaftler und über eine recht lange Zeit als Äquivalent einer noch ausstehenden expe-

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rimentellen Wiederholung funktionieren, solange niemand das Ergebnis oder die Konzeption des Experimentes radikal in Frage stellt. 2.3 Zweiter Schritt hin zur Wiederholung in England – Vorführung von Funken und Sichtbarmachung von Effekten vor Publikum Es sollten jedoch noch einige Monate vergehen, bis man in der Lage war, Funken sichtbar zu machen und sie zur Erhellung komplexerer Sachverhalte zu nutzen, d. h. etwas darzubieten, das über die bloße Metonymie hinausging und eine direktere, „physikalische“ Verbindung zu den Wellen herstellte. Das Vorhaben der britischen Maxwellianer, die zu dieser Zeit wohl die Einzigen waren, die sich an solchen Versuchen interessiert zeigten, bestand zunächst darin, die Experimentiermethoden zu erlernen, sich praktisches Wissen zu erarbeiten sowie sich die Hertz’schen Techniken und sein praxisbezogenes Wissen anzueignen. Im Herbst 1888 beherrschten sie diese Techniken annähernd und konnten nun vorführen, wie geschickt, raffiniert und erfinderisch sie im Funkenerzeugen – als das nahezu ausschließliche Ziel dieser ersten Phase ihrer Arbeit – waren. Im Kern ging es darum, Zuschauer in jenem Raum zu versammeln, in dem die Apparatur installiert war (anfänglich in ihrem Laboratorium), ansässige Gentlemen, Mitglieder gelehrter Gesellschaften, Universitätskollegen, Studenten und Freunde, um dann den Generator in Betrieb zu setzen und vorzuführen, dass bei Einsatz eines geeigneten Detektors Funken auch in anderen Teilen des Raumes erzeugt werden konnten. Das Publikum bewegte sich mit den Funken im Raum, und es entstand der Eindruck, dass es einfach sei, diese Funken zu erzeugen, vielleicht zu einfach! Im Endeffekt bestand das Problem darin, dass es zu viele Funken gab, dass überall Funken waren, so dass es de facto schwierig war, all diese Funken zu unterscheiden – eine Tatsache, die Joseph John Thomson, Erbe des Maxwell’schen Lehrstuhls in Cambridge, im Mai 1889 selbst bestätigte. In einem Artikel, den er im selben Monat publizierte, bekannte er, dass er aufgrund der unüberschaubaren Situation außer Stande war, eine exakte Messung durchzuführen. Dies besagte für ihn jedoch nicht, dass Hertz in Wirklichkeit selbst dazu nicht im Stande gewesen war oder dass dessen Messung unglaubwürdig war. Es bedeutete lediglich, dass er, Thomson, noch nicht über das nötige Fachwissen verfügte, das Hertz offensichtlich besessen haben musste. Ausgestattet mit leistungsfähigeren Apparaturen, die vor allem hinsichtlich der Erzeugung stärkerer Funken optimiert worden waren, konn-

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ten die britischen Maxwellianer spektakulärere Wunder vorführen, wie zum Beispiel Funken in anderen Räumen als demjenigen erscheinen zu lassen, in dem der Generator aufgestellt war, oder sogar unter freiem Himmel, in einem Garten. Da für sie Maxwells Theorie schon immer richtig gewesen war, bedurfte es keiner genauen Wiederholung, und diese Funkenvorführungen scheinen auf ihr Publikum sehr überzeugend gewirkt zu haben. Dennoch ist es wichtig zu berücksichtigen, dass diese Vorführungen in kleinem Rahmen stattfanden und sich an kleine Besuchergruppen richteten, die sich im Raum des „Physiker/Magiers“, des Funkenmachers, umherbewegen konnten. Diese ersten öffentlichen Experimente waren zweifellos eindrucksvoll, sie waren spektakulär in Bezug auf das Wunder, das sie vor Augen führten, sie blieben jedoch „lokal“ und waren nicht einfach für ein größeres Publikum zugänglich. Diese Lage veränderte sich jedoch in den nachfolgenden Jahren, als Funken in andere physikalische Effekte umgewandelt wurden, die in normal beleuchteten Vorlesungssälen vorgeführt werden konnten, ohne dass sich das Publikum mit dem Experimentator durch den Raum bewegen musste. Das Ziel bestand darin, einen kleinen Funken in ein Phänomen zu verwandeln, das einfach zu beobachten und das möglicherweise für irgendeine Art der Messung zugänglich war. Bemerkenswert in diesem Kontext ist die außerordentliche Vorstellungskraft, die die Physiker aufwiesen und die heute noch für die physikalische Praxis charakteristisch ist. Im Laufe einiger Jahre erfanden sie etliche Wege, um das Experiment spektakulärer, vielgestaltiger zu machen und zu verfeinern. Eine der Standard-Lösungen bestand darin, ein Galvanometer zu verwenden, das sensibel auf den Elektrizitätsfluss reagierte, der den induzierten Funken begleitete. Die durch den Strom erzeugte Bewegung des Galvanometers konnte durch die Bewegung eines Lichtstrahls veranschaulicht werden, der über eine graduierte Skala auf der Wand des Vorlesungssaales wanderte. Dies bedeutet nicht, dass tatsächlich eine exakte Messung getätigt wurde, doch das Publikum konnte so ein Gefühl für das Phänomen entwickeln. Der originellste Detektor stammte vermutlich aus der Hand von E. Robinson aus Liverpool: „ein elektrisches Auge mit einer bestimmten Bandbreite von Farbempfindungen“, wie er ihn selber nannte. Die Vorrichtung bestand im Wesentlichen aus einem Stück Glas, auf das Zinnstreifen unterschiedlicher Länge geklebt waren; so konnte der Detektor auf die empfangene Strahlung differenziert reagieren, in Abhängigkeit davon, welche Metalllänge der eingehenden Wellenlänge entsprach.

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2.4 Versuche in Frankreich: der Versuch, eine wirklich spektakuläre Wiederholung aufzuführen Der spektakulärste Versuch wurde durch die französischen Maxwellianer anlässlich der Pariser Weltausstellung 1889 vorbereitet, die Ausstellung, für die der Eiffelturm gebaut wurde. Wie allgemein bekannt, boten Weltausstellungen seit ihren Anfängen eine besondere Gelegenheit, um wissenschaftliche und technologische Kompetenz auszustellen. So nutzten zum Beispiel französische Astronomen die Gelegenheit der Pariser Weltmesse 1900, um das größte Teleskop der Welt vorzustellen, welches länger als die „optische Kanone“ war, die sich auf dem Dach des Gebäudes befindet, in dem jene Konferenz stattfand, der sich dieser Beitrag verdankt.6 Es war daher nicht überraschend, dass 1889 die Frage aufkam, ob man versuchen sollte, die Hertz’sche Entdeckung den Millionen von Ausstellungsbesuchern zu präsentieren. Unglücklicherweise gelang es den französischen Maxwellianern nicht, das Experiment während der Messe vorzuführen, was sie zweifellos zutiefst bedauerten. Den gesamten Frühling hindurch arbeiteten sie daran, und die Französische Gesellschaft für Physik (Société Française de Physique) versammelte sich mehrmalig zur Besprechung der entworfenen Instrumente – anscheinend fanden sie jedoch für die Vorführung des Phänomens kein ausreichend spektakuläres Mittel, so dass aus dem Projekt letztendlich nichts wurde. 3. Nehmen wir uns einen Augenblick, um über die Chronologie dieser verschiedenen Versuche nachzudenken. Mit dem französischen Unterfangen, ein öffentliches Experiment für die Weltausstellung vorzubereiten, befinden wir uns im Sommer des Jahres 1889, seit der Veröffentlichung der zwei berühmten Artikel von Hertz ist also schon mehr als ein Jahr vergangen. Zwei Dinge wurden im Laufe dieser Zeit erreicht: erstens die progressive Beherrschung des Verfahrens durch die Gemeinschaft der professionellen Physiker und dessen Eingang in das Repertoire der physikalischen Techniken, ein durchaus langwieriger Vorgang. Zweitens wurden diese Experimente oft vor unterschiedlichem Pu6

Der Verfasser bezieht sich auf das so genannte ‚Kanonenfernrohr‘ auf dem Dach der Archenhold-Sternwarte in Berlin-Treptow, in der die Konferenz „Spektakuläre Experimente. Praktiken der Evidenzproduktion im 17. Jahrhundert“ im November 2004 stattfand [Anm. d. Übs.].

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blikum aufgeführt, was zweifellos zu der allgemein verbreiteten Überzeugung führte, dass Hertz ein wahres Genie gewesen sei, da es ihm offensichtlich gelungen war, eines der entscheidendsten Experimente des 19. Jahrhunderts zu entwerfen und durchzuführen. Darüber hinaus lautete die Botschaft, dass er in der Durchführung des Experiments mit Bravour den Beweis für die wellenartige Bewegung von Elektrizität im Raum erbracht und ihre Ausbreitungsgeschwindigkeit bestimmt habe. Kurz: Man war allgemein der Auffassung, dass er Maxwells und Helmholtz’ Theorie erfolgreich im Experiment getestet und die Letztere widerlegt habe – zweifellos eine bemerkenswerte Leistung. Etwas wurde während dieses anfänglichen Zeitraums jedoch nicht getan – ja nicht einmal versucht: und zwar die ursprüngliche Experimentalreihe auf von Wissenschaftlern üblicherweise so genannten ‚wissenschaftlichem‘ oder ‚systematischem‘ Wege zu wiederholen. Wenn wir der Ansicht derjenigen folgen, die es für nicht ausreichend erachteten, Funken zu produzieren und mit ihnen zu spielen, hieße das Folgendes: (1) den ursprünglichen Experimentalaufbau – oder eine verbesserte Version – neu zu entwerfen und aufzubauen; (2) das Interferenzexperiment mit der strengen Variation aller Parameter (die Größe des Generators und Detektors zum Beispiel) durchzuführen und Messungen zu tätigen, um festzustellen, ob Hertz’ Ergebnisse vollständig waren oder bestimmte blinde Flecken aufwiesen. Erstaunlich dürfte die Tatsache erscheinen, dass kein Physiker sich die Mühe machte, das Interferenzexperiment in den 15 Monaten, die auf die erste Version folgten, angemessen zu wiederholen (außer zwei jungen Schweizer Wissenschaftlern aus Genf, die darauf erpicht waren, das neue Gebiet zu erschließen) und stattdessen die spektakulären Vorführungen fortgeführt wurden. Dies scheint sowohl dem geläufigen Bild von Wissenschaft und ihrer Methode zu widersprechen als auch den Regeln, die im Rahmen von philosophischen Analysen wissenschaftlicher Methodologie so häufig behauptet werden. Anderen hingegen dürfte diese Reaktion ganz gewöhnlich und leicht verständlich erscheinen, da Wissenschaft eben nicht gemäß dieser methodologischen Regeln verfährt. Wenn wir davon ausgehen, dass Wissenschaft ein soziales Unternehmen ist, eine Tätigkeit, die immer in bestimmten und jeweils einzigartigen kulturellen Kontexten stattfindet, und dass Leidenschaft (und die Freude am Entdecken und seine Entdeckung mit anderen zu teilen) oft eine starke Motivation dafür ist, Experimente vorzuführen, so erscheint es vielleicht nicht allzu erstaunlich, dass „öffentliche Vorführungen“ der außergewöhnlichen Effekte, von denen Hertz berichtet hatte, an der Spitze experimenteller Anstrengung standen und mehrfach wiederholt wurden, bevor man ver-

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suchte, eine exakte Replikation der ursprünglichen Experimente durchzuführen. 3.1 Experimente von Sarazin und de la Rive in Genf: Die ersten Zweifel Im Sommer des Jahres 1889 begannen zwei junge, französischsprachige Schweizer Physiker aus Genf, Berichte ihrer genauen Wiederholung des Hertz’schen Experiments zu veröffentlichen, deren Ergebnisse ziemlich irritierend waren. Ich werde hier nicht ins Detail gehen – was für diese Geschichte ohnehin nicht zentral ist – und mich auf folgende Bemerkungen beschränken:7 (1) Édouard Sarazin und Lucien de la Rive zeigten, dass Hertz’ Grundannahme – eine von einem Generator ausgesandte, von einem Spiegel reflektierte und mit sich selbst interferierende Welle sowie die Bestimmung ihrer Geschwindigkeit durch Messung – mit ziemlicher Sicherheit eine starke Vereinfachung des tatsächlichen Vorgangs darstellte. Sie behaupteten, dass der Generator vermutlich ein ganzes Spektrum von Wellenlängen ausgesandt und der „Detektor“ nur eine von diesen „ausgewählt“ habe. Dies widersprach der ursprünglichen Idee eines Generators, der eine einzige Welle emittierte, die mit sich selbst interferierte. (2) Späteren Interpretationen zufolge veranlasste die Arbeit von Sarazin und de la Rive nachfolgende Forscher dazu, die Möglichkeit einer raschen Abschwächung der ursprünglichen Welle in Betracht zu ziehen, die das Zustandekommen von Interferenz letztlich unmöglich machte. Hertz hätte in diesem Fall also etwas anderes gemessen. Obgleich offensichtlich Interferenzphänomene stattfanden, war es also nicht jene Interferenz, die er ursprünglich zu messen behauptet hatte. (3) Häufig deutete man Sarazins und de la Rives Ergebnisse auch so, dass der Rezeptor – wenn die ursprüngliche Welle ihn durchlief – de facto eine neue Welle emittiert habe und dass es diese sekundäre Welle gewesen sei, die reflektiert wurde und mit sich selbst interferierte. Folglich müsste man, um die Messungen genau vorzunehmen, den Aufbau des Experiments in anderer Weise einrichten. Die durch die Veröffentlichungen von Sarazin und de la Rive hervorgerufene Situation führte zu einer Unmenge von Experimenten neuen Typs. Das Ziel war nun nicht mehr die öffentliche Vorführung der Wellen und Funken, sondern die Ermittlung exakter Messergebnisse, die im privaten Raum des Laboratoriums durchgeführt wurde, ohne öffentliche 7

Für Details vgl. Atten u. Pestre (Anm. 5).

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Zeugen und ohne Publikum. In dieser Zeit herrschte verhältnismäßig wenig Konsens unter den Physikern. Dennoch waren sich alle hinsichtlich einer ‚Tatsache‘ einig, nämlich der sozialen Tatsache, derzufolge jeder für sich in Anspruch nahm, das Experiment – im Gegensatz zu allen anderen – genau durchgeführt zu haben; und derzufolge eine Reihe individueller Behauptungen den ‚wahren Beweis‘ dafür lieferte, dass die Ausbreitungsgeschwindigkeit dieser elektromagnetischen Wellen derjenigen des Lichts entsprechen würde. So kam also jedermann zum gleichen Ergebnis: Alle behaupteten, eine Geschwindigkeit von 300 000 km/s gemessen zu haben, obgleich weiterhin die Meinungen darüber auseinander gingen, wer dies auf exakte Weise nachgewiesen und wer sich eines schlechten Experimentierens schuldig gemacht habe. Es gab folglich einen weit reichenden Konsens hinsichtlich der Ausbreitungsgeschwindigkeit von 300 000 km/s – doch waren die Unstimmigkeiten hinsichtlich dieses Ergebnisses mindestens genauso groß, da die meisten Physiker das Zustandekommen der Ergebnisse der jeweils anderen bezweifelten. 3.2 Poincarés Entdeckung, dass Hertz in seinen Berechnungen ein Fehler unterlaufen war Die Zweifel und Fragen, was Hertz im Einzelnen gemessen hatte, waren nicht beseitigt. Im Frühling 1890, inmitten dieser entmutigenden Debatten, entdeckte Henri Poincaré ein weiteres Problem: Hertz hatte in seinen Berechnungen einen dummen Fehler gemacht. Der Fehler war geringfügig (er hatte in der Bestimmung der Frequenz des Generators ¥2 vergessen), doch seine Konsequenz war verheerend, da die von Hertz vorgeschlagene Ausbreitungsgeschwindigkeit der Welle von diesem Wert abhing. Konkret bedeutete die von Poincaré aufgestellte Berichtigung, dass Hertz eine Geschwindigkeit von 300 000 km/s mal ¥2 gemessen hatte, was zu einem Wert führte, der für Physiker im Rahmen der Maxwell’schen Theorie keinen Sinn ergab. Noch schlimmer und wohl noch irritierender war die Tatsache, dass Hertz genau die richtige Zahl von 300 000 km/s ‚gefunden‘ hatte, obwohl ihm ein so schwerwiegender Fehler unterlaufen war. Kurz gesagt, waren für Hertz das zweite und dritte Jahr nach seiner Entdeckung ziemlich vernichtend. Als die Wiederholungen seiner Experimente die Form präziser Messungen in geschlossenen Räumen anzunehmen begannen, löste sich allmählich das auf, was bisher so offensichtlich erschienen und so wunderbar öffentlich vorgeführt worden war: Die Ergebnisse wurden undurchsichtig.

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4. Lassen sie mich zwei abschließende Bemerkungen machen. Zunächst will ich zu meiner Ausgangsfrage zurückkehren – die der öffentlichen Aufführungen und „Beweisvorführungen“ – und hervorheben, dass die von Sarazin und de la Rive durchgeführten Replikationen des Experiments etwas auf die Bühne brachten, was sich als ziemlich spektakuläre Show herausstellte und dies genau deshalb, weil es eine Reihe tief greifender Unstimmigkeiten hervorrief. Nachdem ihre Experimente von einigen Maxwellianern mit der Begründung angefochten wurden, dass sie keineswegs verlässlicher als Hertz’ ursprüngliche Experimente wären, entwarfen Sarazin und de la Rive schließlich ein neues, noch spektakuläreres Experiment. Die Ausführung dieses Experiments war größeren Ausmaßes und spielte sich auf professionellerer Ebene ab – ein Experiment, das, wie sie hofften, endgültig die Kontroverse beilegen würde (was es nicht tat). Sie machten sich die Räumlichkeit eines sehr großen Industriegebäudes am Ufer der Rhône zunutze, eine für ein Elektrizitätswerk gebaute Halle, die 1892 immer noch leer stand, und versuchten, das ‚perfekteste‘ Hertz’sche Experiment aufzubauen, was ihnen schließlich auch gelang. Dieser riesige Raum, größer als jedes Laboratorium, ermöglichte es ihnen, eine zwanzig bis dreißig Meter lange Holzkonstruktion zu installieren, die vier Meter über dem Boden (aber immer noch sechs oder sieben Meter unter dem Dach) angebracht war. Aufgrund dieser Konstruktion konnten Menschen in absoluter Dunkelheit umherlaufen und zugleich sehr präzise Experimente durchgeführt werden. Gewiss konnte sich in der dunklen Holzkonstruktion keine Menschenmenge versammeln, um das Funkensprühen zu beobachten, da der Raum zu klein war und das Experiment nach wie vor Ruhe erforderte. Nichtsdestotrotz bereitete die Sichtbarmachung der Funken nun keinerlei Schwierigkeiten mehr, so dass die Presse und die lokalen Eliten in die Haupthalle eingeladen werden konnten. Angesichts dieser Ausrüstung „großer Wissenschaft“ wurden diese in Erstaunen versetzt und konnten zugleich die Ernsthaftigkeit des Unternehmens bezeugen und der Außenwelt von der Bedeutung des Projekts berichten. Geld und Spitzentechnologie, Öffentlichkeitswirksamkeit und heroische Schilderungen begleiteten dieses spektakuläre Unternehmen, das die Genfer Bevölkerung anscheinend wirklich faszinierte. Meine zweite Bemerkung stellt eine Art Epilog dar, insofern sie den Blick in Richtung Zukunft öffnet. Einige Jahre später, Ende der 1890er Jahre, entwarf Guglielmo Marconi, ein brillanter junger italienischer Ingenieur, ein System, das durch die Ausbreitung elektromagnetischer

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Wellen „entzifferbare Signale“ ausstrahlen und empfangen konnte: das erste funktionierende Radiosystem. Sein Ziel war nicht etwa die Veröffentlichung seiner Ergebnisse und die Teilnahme an der öffentlichen Wissenschaft, sondern er strebte danach, seine Erfindung zu verkaufen, um davon zu leben. Diesbezüglich boten sich ihm verschiedene Strategien, die nicht notwendigerweise in Widerspruch zueinander standen: ein Patent anzumelden, die Exklusivrechte seines Systems zu verkaufen, sein eigenes Unternehmen zu gründen etc. Er entschied sich zunächst dafür, mit dem britischen General Post Office – und dadurch auch mit der Marine – Kontakt aufzunehmen und sein System öffentlich testen zu lassen. Nachdem beide von der Leistungsfähigkeit seiner Erfindung überzeugt waren, ließ er diese patentieren, gründete ein Unternehmen und etablierte Geschäftsbeziehungen zu den British Armed Forces, die sehr interessiert daran waren, sich den exklusiven Gebrauch des Systems zu sichern. Während dieser ersten Testphase musste Marconi, wie jeder andere Erfinder, seine ‚Kunden‘ vom Wert und der Effizienz seines Apparates überzeugen – ohne ihnen jedoch die Möglichkeit zu bieten, seine Erfindung zu kopieren oder zu stehlen. Eine gängige und effiziente Lösung bestand darin, die Wirkung auf möglichst spektakuläre Weise vor Augen zu führen. Bei Marconi sah dies so aus, dass er Menschen auf einem Schiff mit dem Festland kommunizieren ließ, ohne die dabei verwendete Technik offen zu legen. Genau darin bestand auch die Verkaufsstrategie Marconis für seine ‚Blackbox‘: Öffentlich führte er dem britischen General Post Office und der Marine nur das Senden und Empfangen von Nachrichten vor. Doch dies ist eine andere Geschichte, die ich heute nicht erzählen werde.8

Übersetzung: Eric Raidl

8

Der aufschlussreichste Artikel zu dieser Reihe von Ereignissen stammt von Anna Guagnini. „Patent Agents, Legal Advisers and Guglielmo Marconi’s Breakthrough in Wireless Telegraphy“. History of Technology 24 (2002), S. 171-201.

Funken sichtbar und öffentlich machen

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LITERATURVERZEICHNIS Atten, Michel u. Dominique Pestre. Heinrich Hertz. L’administration de la preuve. Paris, 2002. Blondel, Christine u. Matthias Dörries (Hg.). Restaging Coulomb. Usages, controverses et réplications autour de la balance de torsion. Florenz, 1994. Blondel, Christine. „René-Just Haüy. D’un manuscrit de cours pour l’École normale de l’an III au Traité élémentaire de physique. Le physicien et le charlatan“. Genesis. Manucrits, Recherche, Invention. Revue internationale de critique génétique 20 (2003), S. 185-205. Guagnini, Anna. „Patent Agents, Legal Advisers and Guglielmo Marconi’s Breakthrough in Wireless Telegraphy“. History of Technology 24 (2002), S. 171-201. Lamy, Jérôme. Archéologie d’un espace savant. L’Observatoire de Toulouse aux 18e et 19e siècles. Lieux, acteurs, pratiques, réseaux. Diss. EHESS. Paris, 2004. Licoppe, Christian. La formation de la pratique scientifique. Le discours de l’expérience en France et en Angleterre, 1630-1820. Paris, 1996.

RAINER GRUBER

Evidenz wofür? Newton, Einstein und die kosmische Hintergrundstrahlung

1. Prolog: Das Evidente an der Evidenz Wie sehr der Begriff der Evidenz, der ‚Wahrheit durch Augenschein‘, in die Irre führen kann, dafür bieten sich in der Physik erhellende Beispiele. Isaac Newton (1643-1727) setzte sein Leben lang alles daran, die Gültigkeit seines Gravitationsgesetzes durch Interpretation von Beobachtungen zu erhärten. Generationen von Physikern brachten immer scharfsinnigere Belege für dessen Richtigkeit, die in triumphaler Weise das Universum als ein mathematisches zu erweisen schienen: bis mit Albert Einstein (1879-1955) alle beobachtete Evidenz für Newton sang- und klanglos umschlug in Evidenz für die Allgemeine Relativitätstheorie. Ähnliches mag sich heute am so genannten Konkordanzmodell der Kosmologie wiederholen. Es ist verblüffend, mit welcher Präzision die Beobachtungen aus allen Epochen des Universums evident machen, dass dieses Modell des Universums seinen Namen zu Recht zu tragen scheint. Und dennoch behaupten Paul J. Steinhardt und Neil Turok mit einem neu entwickelten Modell, alle diese Beobachtungsbefunde ebenfalls erklären zu können.1 Es unterscheidet sich fundamental vom Konkordanzmodell. Insbesondere kennt es keinen Anfang von Raum und Zeit, das Universum durchläuft vielmehr zyklische Zustände der Kontraktion und Expansion. Es muss sich erst noch herausstellen, ob die Angaben der Autoren tragfähig sind. Wenn ja, so könnten wir Zeuge eines Umbruchs in der Theoriebildung sein, der dem von Albert Einstein ausgelösten Umbruch in nichts nachsteht. 1

Vgl. Paul. J. Steinhardt u. Neil Turok. „The Cyclic Universe. An Informal Introduction“. Nuclear Physics B – Proceeding Supplements 124 (2003), S. 38-59.

Evidenz wofür?

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Abb. 1: Der typische Himmel im sichtbaren Wellenlängenbereich (Hubble Space Telescope).

Evidenz wird also immer relativiert durch die skeptische Frage: Evidenz wofür? Andererseits ist evident, wie unverzichtbar das Erzielen von Evidenz ist, um Alternativen überhaupt erst in den Blick zu bekommen. Produktion von Evidenz ist ein waghalsiges Geschäft und, wenn man die Physik nur ein bißchen mag, auch ein ungeheuer spannendes. Ein Vordringen in die physikalische Beschreibung und in die Anstrengungen ihrer Begrifflichkeit lässt sich allerdings kaum vermeiden, auch wenn es hier so knapp wie möglich gehalten werden soll. 2. WMAP: Ein Satellit vermisst die kosmische Hintergrundstrahlung 2.1 Temperatur-Fühler ins All WMAP, der Satellit, auf dessen Resultate ich mich hier stützen möchte, wurde Ende 2001 gestartet. Durch das Hubble Space Telescope kennen wir einen Himmel voller Galaxien im sichtbaren Wellenlängenbereich (Abb. 1). WMAP misst dagegen im Mikrowellenbereich. Er erzeugt ein Wärmebild des Himmels, das sich am ehesten mit einem Wärmebild der Erde vergleichen

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Abb. 2: Himmel und Erde als Wärmebild. Beide Bilder repräsentieren die Kugel auf einer ebenen Fläche mit Hilfe einer Aitoff-Projektion. Auf die Erde schaut unser Blick von außen. Die beiden äußersten Punkte rechts und links sind identisch und müssen nach hinten um die Kugel geschlagen werden. Im Falle von WMAP schauen wir von innen in die Himmelskugel. Die Betrachter muss sich das Bild rechts und links nach hinten um die Ohren klappen, so dass die beiden äußersten Punkte sich am Hinterkopf berühren.

lässt (Abb. 2). Diese beiden Temperaturbilder repräsentieren die Kugel auf einer ebenen Fläche mit Hilfe einer speziellen Projektion. Im Falle der Erde schauen wir von außen auf den Globus, im Falle von WMAP von innen auf die Himmelskugel, die uns umgibt. Der Unterschied der beiden Bilder liegt in den Temperaturen, die sie darstellen. Auf dem Erdbild bewegen sie sich zwischen -63 und +37°C, während das von WMAP erzeugte Bild Temperaturen wiedergibt, die nahe dem absoluten Nullpunkt liegen und nur um winzigste Bruchteile von Graden schwanken: Das sind die so genannten Anisotropien der kosmischen Mikrowellenstrahlung, und daraus leitet sich auch der Name WMAP ab: Wilkinson Microwave Anisotropy Probe.2 Was interessiert uns an diesen Tüpfelchen eines Himmel, der wie ein Ausschnitt aus einem pointillistischen Bild von Georges Seurat aussieht? Wofür bietet es Evidenz? Augenscheinlich ist Evidenz ohne Theorie nicht zu haben.

2

‚Wilkinson‘ steht für die Ehrung eines der Begründer dieser Mission, der im frühen Verlauf der Mission (2002) starb.

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2.2 Modellierte Evidenz: Der Bigbang Die Modelle der Astrophysik sind Weltanschauung im besten Sinne des Wortes. Die Welt hat sich nach heutiger Anschauung aus einem Zustand extrem hoher Materiedichte und mit extrem heißen Temperaturen entwickelt; ein heißes Plasma, in dem alle Sorten von Elementarteilchen durcheinander wirbelten und sich ineinander umwandelten, darunter auch die Protonen, die Neutronen und die Photonen, die heute noch uns und unsere ureigenste Welt aufbauen. Dieser Zustand wird öfter mit einem Anfang versehen, für den sich der bildhafte Name Bigbang eingebürgert hat. Diese Vorstellung speist sich aus der Tatsache, dass in bestimmten Lösungen der Allgemeinen Relativitätstheorie der Anfang der ‚RaumZeit‘ zwar in einer mathematischen Singularität verschwindet, aber uns doch immerhin das Aufstellen und das Reden von einer Zeitskala ermöglicht, so dass wir uns weithin problemlos verständigen können. Die Raumzeit des Weltalls expandiert, und diese Expansion wird bestimmt durch die Zusammensetzung des Weltalls. Nach heutiger Auffassung besteht das Weltall in unserer Zeit ganz überwiegend aus dunkler Energie und aus dunkler Materie und nur zu einem verschwindend kleinen Bruchteil von wenigen Prozenten aus der Materie, die unser Leben bestimmt und die unser Blick am Sternenhimmel registriert. Dieses Bild – ob es nun stimmig ist oder nicht – liegt der Konzeption eines Experiments, wie es WMAP darstellt, zugrunde. Und es sind spezielle Fragen innerhalb oder am Rand dieses Bildes, die geklärt werden sollen. Und es ist immer auch das Bild selbst, das womöglich zur Disposition steht. Unsere anschaulichen Bilder aber handeln stets von der gewöhnlichen Materie: In Abb. 3 ist von dunkler Materie und dunkler Energie nichts zu sehen. Sie zeigt schematisch von links nach rechts die zeitliche Entwicklung des Weltalls mittels der Entwicklung der uns vertrauten Materie. Aus der expandierenden heißen Ursuppe ganz links bilden sich durch Abkühlung und unter dem Sog der Schwerkraft nach 200 Millionen Jahren die ersten Sterne, und noch vor der ersten Milliarde Jahre Lebenszeit des Weltalls sind bereits Galaxien anzutreffen, die sich später zu Galaxienhaufen zusammenklumpen werden. Unsere Zeit befindet sich am rechten Bildrand, wir schauen mit verschiedenen Teleskopen zurück in die Geschichte des Weltalls. Das Hubble Space Telescope (im Bild rechts oben) schaut im sichtbaren Wellenlängenbereich und ist aufgrund der enormen Auflösung seiner

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Abb. 3: Ein Blick in die Tiefe des Universums ist ein Blick zurück aus der Jetztzeit (rechts im Bild) in die Entwicklungsepochen des Universums. WMAP schaut 13 Milliarden Jahre zurück, bis direkt – 380 000 Jahre – vor die Haustüre des Bigbang (links).

Instrumente in der Lage, mehr als 12 Milliarden Jahre zurückzublicken (vgl. Abb. 1). Das bedeutet, dass es die Entstehung von Galaxien bereits eine Milliarde Jahre nach dem Bigbang registriert. WMAP dagegen untersucht eine Strahlung, die bereits 380 000 Jahre nach dem Bigbang entstanden ist. 380 000 Jahre, das ist die Zeit, die das Universum benötigte, um aufgrund seiner Expansion auf 3 000 °Kelvin abzukühlen. Diese kosmische Hintergrundstrahlung entstand sozusagen direkt vor der Haustüre des Bigbang. Die Frage ist: Was anderes als die größte Unordnung sollte von einer solchen Hintergrundstrahlung zu erwarten sein, die einem heißen Plasma durcheinander wirbelnder Protonen, Neutronen, Elektronen und Photonen entkommen ist? 2.3 Hintergrundstrahlung: Die Welt wird durchsichtig Wie kommt es zu dieser Strahlung? Dazu müssen wir uns klar machen, dass das heiße Gemisch von Teilchen erst einmal undurchsichtig ist. Jedes Photon, das uns ein Bild vermitteln könnte, wird augenblicklich wieder an einem der frei umherfliegenden Elektronen gestreut. Ist das

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Universum jedoch auf 3 000 °K abgekühlt, so ist der Moment gekommen, an dem erstmals die Elektronen sich mit Nukleonen zu einem Atom zusammenschließen können, ohne sogleich von der hohen Energie wieder auseinander getrieben zu werden. Ab diesem Moment wurde die Welt für die Photonen durchsichtig. Dies ist die Geburt der Hintergrundstrahlung, die seitdem und bis heute das gesamte Weltall durchdringt. Sie wird Kosmische Mikrowellen-Hintergrundstrahlung (CMB, cosmic microwave background) genannt, weil sich in der Zeit seit ihrer Entstehung das Weltall von 3 000 bis auf 2,7 °K abgekühlt und das Maximum dieser Strahlung sich damit für unsere Detektoren in den Bereich der Mikrowellen verschoben hat. Ihre Existenz wurde von George A. Gamow 1949 vorausgesagt und 16 Jahre später von Arno A. Penzias und Robert W. Wilson entdeckt.3 Die Tatsache, dass diese Strahlung einem heißen Plasma entstammt, legte die Vermutung nahe, dass sie den Weltraum absolut gleichmäßig erfüllt. Und dies ist in der Tat das, was Penzias und Wilson 1965 herausfanden. Gerade weil die Strahlung so isotrop war, brachte sie die beiden nahezu zur Verzweiflung. Denn sie hielten dieses Signal zuerst fälschlicherweise für ein elektronisches Rauschen ihrer Geräte. Mit der Entdeckung der Hintergrundstrahlung wurde evident, dass die Gamow’sche Theorie einen wichtigen Aspekt der Realität richtig erfasst hatte. 3. Das Firmament als Grenze Die ungeheure Gleichmäßigkeit dieser Strahlung verweist auf ein Problem. Könnte es sein, dass die Entstehung dieser Photonen im Chaos eines Temperaturbades von 3 000 °K prinzipiell verunmöglicht, näher als 380 000 Lichtjahre in Richtung Bigbang zurückzuschauen? Könnte es sein, dass diese so überaus glatte Photonenwand die Entstehung eines neuen, nunmehr kosmologischen Firmaments bedeutet? Ein Blick in die Geschichte ist hier nützlich. Die antiken Denker wie Aristoteles, Hipparchos und Ptolemäus kannten das Konzept der Bewegung, aber die Frage nach der Ursache einer Bewegung war ihnen fremd. Die ptolemäische Kosmologie basierte auf geometrischer Abstraktion, ohne irgendeine Kausalität zu enthalten. In der Renaissance erweiterte sich die Bühne zu einem Szenarium, in dem die Planeten, die Kometen und unser Zentralgestirn scheinbar 3

Vgl. Arno A. Penzias u. Robert W. Wilson. „A Measurement of Excess Antenna Temperature at 4080 Mc/s“. The Astrophysical Journal 142 (1965), S. 419-421.

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die Hauptrolle spielten, tatsächlich aber vom Himmel geholt und dem menschlichen Verstand zugeschlagen wurden. Das Konzept der Kraft, das sich als Frage nach der Ursache einer Bewegung stellte, kam, sowohl in der Mechanik als auch in der Himmelsmechanik, erst in der Renaissance auf. Die Deformierung der ptolemäischen Kreise – die als Inbegriff göttlicher Vollkommenheit dem Fragen ein Ende setzten – zu Kepler’schen Ellipsen, die zur Frage nötigten – nämlich zu der Frage, was es denn sei, das die Planeten dazu bestimmt, in jedem Punkt ihres Umlaufs um die Sonne ihre Richtung und ihre Geschwindigkeit zu ändern –, dieser Übergang führte zur Entdeckung des Konzepts der Gravitationskraft und damit zur vernunftweisen Erklärbarkeit desjenigen Teils des Himmels, der Bewegung zeigte. Der Fixsternhimmel wurde, nachdem die Eigenbewegung der rotierenden Erde abgezogen war, unbeweglich und blieb damit für jede Erklärung unzugänglich, die auf Bewegung aufbaute. Newton, indem er das mathematische Gesetz der Gravitation postulierte und mit seiner Hilfe aufzeigen konnte, dass der Lauf einer irdischen Kanonenkugel derselben Gesetzmäßigkeit unterliegt wie die himmlische Bahn der Planeten, hob damit zwar die Trennung zwischen himmlischen und irdischen Phänomenen auf, aber nur, um nun den Fixsternhimmel als unerklärbar abzusondern. Das neue Firmament hatte gewissermaßen das Sonnensystem ausgespieen und blieb seinerseits als Unbewegtes zurück. Die Entwicklung der darauf folgenden Jahrhunderte hat auch den Fixsternhimmel durchsichtig gemacht. Die Spektralanalyse, munitioniert mit den Gesetzen der Quantenmechanik und der Speziellen Relativitätstheorie, hat die Fixsterne in Bewegung versetzt. Der Universalitätsanspruch der Newton’schen Gravitation wurde eingelöst in der Allgemeinen Relativitätstheorie, die nun zur Theorie des Universums selbst wurde, mit Newtons Gravitationsgesetz als einer linearen Näherung im Schlepptau, die in vielen praktischen Fällen der Kosmologie ausgezeichnete Dienste leistet. Mit einer immer höheren Empfindlichkeit der auf Satelliten stationierten Teleskope und mit der Entwicklung immer besserer Detektoren wurde die Grenze der Sichtbarkeit tief in den Weltraum verschoben. Die kosmische Hintergrundstrahlung schließlich macht den Himmel durchsichtig bis in eine Tiefe von über 13 Milliarden Lichtjahren; mit einer scharfen Grenze, die am Ort ihrer Entstehung liegt: 380 000 Jahre nach dem Bigbang. Vor diesem Zeitpunkt waren die Photonen aufgrund der schnell aufeinander folgenden Stöße mit den freien Elektronen des Plasmas nicht in der Lage, ein Bild zu erzeugen.

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Bedeutete das ein neues Firmament, das nun nicht durch Mangel an Bewegung, sondern durch ein Zuviel an Bewegung, durch eine wilde Temperaturbewegung gekennzeichnet war? 3.1 Die Isotropie des Anfangs: Wo rührt die Struktur des Universums her? Die enorme Isotropie der Strahlung warf zugleich auch ein theoretisches Problem auf. Denn das Universum, wie es sich heute darstellt, wenn es über sehr große Skalen gemittelt wird, ist zwar in der Tat sehr gleichmäßig, aber auf kleineren Skalen stellt es sich als ein inhomogenes Gebilde dar: Die Materie im Universum hat eine Struktur. Diese Struktur ist durch Galaxien gekennzeichnet, die hunderte Milliarden Sterne enthalten, und durch weite Leerräume, in denen die Galaxien selbst wiederum meist zu großen Haufen zusammenklumpen, zu so genannten Galaxienclustern. Diese Klumpungen und die Leerräume sind durch die Gravitation verursacht, durch ihre Instabilität. Wo mehr Masse, da ist die Anziehung der Gravitation größer, und es wird umso mehr Masse dorthin gezogen. Wir kennen das aus den Gesetzen der Reichtumsbildung. Winzige Unregelmäßigkeiten in der ursprünglichen Materieverteilung, so genannte Inhomogenitäten, müssen die Ursache dieser Struktur sein. Wenn es diese aber gibt, so sollte sich ihre Anwesenheit in gleicher Weise auch als Anisotropien in der Hintergrundstrahlung niederschlagen. 1992 schließlich – 28 Jahre waren seit der Entdeckung der Hintergrundstrahlung vergangen – wurden diese winzigen Fluktuationen durch den Satelliten COBE entdeckt.4 In diesen 28 Jahren suchten die Beobachter verzweifelt nach diesen Abweichungen. Aber so sehr sie auch die Empfindlichkeit der Geräte verbesserten, sie fanden nichts außer Gleichmäßigkeit (Abb. 4, oben). Im Millikelvinbereich fanden sie endlich Struktur, aber es war lediglich die Signatur der linearen Bewegung unserer Erde gegen den Mikrowellenhintergrund, so wie sich aufgrund der Rotation unserer Erde auch der Fixsternhimmel zu drehen scheint (Abb. 4, Mitte). Sie lernten verblüfft, dass der Mikrowellenhimmel im Gegensatz zur Materie des Universums außergewöhnlich gleichmäßig ist. Es dauerte fast ein drittel Jahrhundert, bis sich die Anisotropien auf einer Skala von Mikrograden zeigten, d. h. bis die Forscher die Empfindlichkeit um einen Faktor 1:100 000 verbessert hatten (Abb. 4, unten). 4

George F. Smoot u. a. „Structure in the COBE Differential Microwave Radiometer First-Year Maps“. The Astrophysical Journal 396 (1992), L1-L5.

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Abb. 4: Die erst völlig isotrop erscheinende Mikrowellenhintergrundstrahlung (oben) zeigte – als schließlich Abweichungen von tausendstel Grad Kelvin untersucht wurden – eine Struktur, die jedoch nur die Bewegung der Erde gegen die Hintergrundstrahlung repräsentierte (Mitte). Bei einer Genauigkeit von millionstel Grad Kelvin wurden dann die ersten Anisotropien gefunden (unten), die allerdings noch mit störenden Artefakten der galaktischen Scheibe unserer Milchstraße vermischt sind.

Dieses 28 Jahre währende Anrennen gegen die sich auf immer neuen Skalen erweisende Gleichmäßigkeit des Mikrowellenhintergrunds war ein Anrennen gegen die Vorstellung eines neuerlichen Firmaments. Den Fortschritt, der gegenüber dem ersten Blick auf die Anisotropien durch COBE in der darauf folgenden Dekade durch WMAP erzielt wurde, beschreibt das WMAP-Team mit der in Abb. 5 angedeuteten Gegenüberstellung: Wir schauen in das Universum zu seiner ‚Babyzeit‘ zurück und erstmals ergibt sich ein scharfes Bild. 4. Anisotropien als Fingerabdruck des Vakuums Das von WMAP erzeugte Bild enthält zwar die Verheißung, die Undurchdringlichkeit des Himmels zu durchbrechen (Abb. 5), aber gleichzeitig scheint seine pointillistische Struktur außer chaotischem Flimmern

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Abb. 5: Der Blick zurück ins Baby-Universum und der seit dem Satelliten COBE erzielte Fortschritt. In diesem Bild sind die Effekte der Milchstrasse bereits herauskorrigiert. Der Kreis (rechts unten) weist darauf hin, dass wir stets nur einen Ausschnitt – den für uns beobachtbaren Teil des Universums – sehen können.

wenig Informationen zu bieten. Nachdem die enorme Steigerung der instrumentellen Auflösefähigkeit Voraussetzung war, die Anisotropien überhaupt in den Blick zu bekommen, wird nun deutlich: Ohne Theorie gibt es kein Weiterkommen. Und die Theorie bietet tatsächlich eine überraschende Lösung. Aufgrund anderer Beobachtungen postuliert die Theorie, dass sich das Universum in winzigsten Bruchteilen der ersten Sekunde nach dem Bigbang exponentiell aufgebläht hat. Sie nennt das Inflation und sucht den Grund dafür in der Existenz eines hypothetischen ‚skalaren‘ Teilchens, des so genannten Inflatons. Hier trifft sich die kosmologische Theorie mit der Theorie des Kleinsten: der Theorie der Elementarteilchen. Gemäß der Quantenfeldtheorie erzeugt jedes Teilchen so genannte Vakuumfluktuationen, deren Existenz für das elektromagnetische Feld mit unglaublicher Präzision nachgewiesen ist.5 Die Vakuumfluktuationen des Inflatons also verursachen gemäß dieser Theorie winzige Dichtestörungen im Plasma. Unter dem Einfluss der 5

Vgl. Rainer Gruber. „Imaginationen des Leeren“. Vortrag auf der Konferenz Wissenschaft und Kunst an der Muthesius Hochschule Kiel. Mai, 2004 [unveröff. Manuskript].

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Gravitation bilden sich akustische Oszillationen aus, die später zu Galaxien und Galaxienclustern führen. Das wurde bereits Anfang der 80er Jahre vorausgesagt. Ebendiese akustischen Oszillationen geben den Photonen der letzten Streufläche die winzigen Anisotropien mit, die WMAP beobachtet. 4.1 Das theoretisch vorhergesagte Spektrum der Anisotropien Wie wir den Schall nach Frequenzen zerlegen und in einem Spektrum die Stärke der einzelnen Frequenzanteile darstellen können, so lassen sich auch Plasmaschwingungen in einem Spektrum darstellen, allerdings nicht nach Frequenzen wie bei einer longitudinalen Schallwelle, sondern nach den Schwingungsmöglichkeiten einer Kugel geordnet. Sie werden nicht durch eine Frequenz, sondern durch einen Drehimpuls l charakterisiert. Tragen wir das nach Drehimpulsen zerlegte Spektrum der Anisotropien auf, wie sie aus den Oszillationen des Plasmas zu erwarten sind, so stoßen wir auf unerwartete Einsichten: 1. Das Spektrum kann mit einer überraschenden Präzision angegeben werden (Abb. 6).6 2. Das Spektrum zeigt eine charakteristische Serie von harmonischen Peaks, die auch „akustische Peaks“ genannt werden, weil sie durch die akustischen Oszillationen des Plasmas erzeugt werden. 3. Die Lage der Peaks gibt genauen Aufschluss über die Zusammensetzung und Struktur des Plasmas und damit des Universums zu jener Zeit. 4. Insbesondere sagt das Modell einen ersten Peak bei l |200 voraus, der angibt, dass das Universum flach ist; ein wesentliches Ingrediens des inflationären Modells und deshalb ein wichtiger Prüfstein. 5. Ab dem 3. Peak sollte sich eine Dämpfung der Oszillationen einstellen. Und 6. wird eine abwechselnd erhöhte und erniedrigte Amplitude von Peak zu Peak vorhergesagt. Insbesondere sollte eine Erhöhung der Amplitude des 3. Peaks gegenüber dem 2. Peak zu beobachten sein, als direkte Evidenz für die Existenz dunkler Materie.

6

Vgl. Wayne Hu u. a. „CMB Observables and Their Cosmological Implications“ [Astrophysics (abstracts), 26. Oktober 2000, vs. 2]. Quellenstandort online http://arxiv.org/ abs/astro-ph/0006436.

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Abb. 6: Theoretisch errechnetes Spektrum der Hintergrundstrahlung, wie es die akustischen Oszillationen des Plasmas erzeugen sollten (vgl. Anm. 6). Ein flaches Universum lässt den ersten Peak bei l |200 erscheinen, während die Existenz dunkler Materie dafür sorgt, dass die Amplitude des dritten Peaks gegenüber der des zweiten Peaks erhöht sein sollte.

Abb. 7: Das gemessene Multipolspektrum weist in großer Prägnanz die Merkmale auf, die das /CDM-Modell vorhersagte (vgl. Anm. 7). Das erlaubt eine präzise Bestimmung der kosmologischen Parameter des frühen Universums.

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4.2 Das gemessene Spektrum der Anisotropien Das tatsächlich von WMAP und anderen Detektoren gemessene Spektrum der Anisotropien entspricht in verblüffender Weise der theoretischen Erwartung. Abb. 7 zeigt das Ergebnis einer veröffentlichten Analyse jüngsten Datums.7 Auf der unteren Abszisse sind die Drehimpulse aufgetragen bis zu einem Wert l = 2000 (rechts). Die Tatsache, dass wir unseren Blick auf die Kugel des Himmels gerichtet haben, spiegelt sich in der Beschriftung der oberen Abszisse. Dort sind (gegenläufig) die Winkelgrade angegeben, auf denen sich die zugehörigen Korrelationen am Himmel abspielen. Das reicht von großräumigen Skalen der Galaxienverteilung ganz links bis herunter zu Distanzen von wenigen Bogenminuten (rechts). Schon der bloße morphologische Vergleich der beiden Schlangenlinien in Abb. 6 und Abb. 7 zeigt, wie erstaunlich präzise theoretische Erwartung und Messung sich entsprechen.8 Das Bild zeigt die enorme Präzision der von WMAP gelieferten Daten für den ersten und den zweiten Peak. Die vertikalen Markierungen geben die Fehlerbalken an. Vor allem aber zeigt diese verblüffend genaue theoretische Beschreibung der gemessenen Anisotropien eines: Was uns als undurchdringliches Firmament erscheinen mochte, ist durchsichtig geworden. Man könnte fast den Eindruck eines beiseite geschobenen Vorhangs gewinnen, der den Blick nicht nur auf das Plasma, seine Zusammensetzung und seine Schwingungen freigibt. Die Analyse scheint sogar Rückschlüsse auf die Vakuumfluktuationen des skalaren Feldes zu erlauben, das die Inflation antreibt. 5. Wann ist Evidenz evident und wovon spricht sie? Die Analyse des Mikrowellenhintergrunds macht evident, dass das zugrunde gelegte Modell zur Beschreibung der Entwicklung des Kosmos brauchbar ist. Doch wie sehr ist dieser Evidenz zu trauen? Seit Newton zieht sich die Frage nach der Gültigkeit der Theorie wie ein roter Faden durch die gesamte Geschichte der Gravitation. Newton 7

8

Vgl. Max Tegmark u. a. „Cosmological Parameters from SDSS and WMAP“ [Astrophysics (abstracts), 15. Januar 2004, vs. 2]. Quellenstandort online: http://arxiv.org/ abs/astro-ph/0310723. Der Eindruck wird noch vertieft, wenn man die unterschiedliche Skalierung der Achsen in den beiden Bildern (im einen Fall ist sie logarithmisch) in Rechnung stellt.

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selbst, der das Gravitationsgesetz aus den Kepler’schen Gesetzen abstrahiert hatte, begann unmittelbar nach der Publikation 1686, unter großen Anstrengungen ständig Evidenzen für dessen Gültigkeit zu sammeln. Der Grund hierfür lag darin, dass seine Theorie von nahezu allen Wissenschaftlern des Kontinents abgelehnt wurde und auch er selber nicht glücklich damit war, weil sie eine Fernwirkung postulierte. Die Evidenz für die Gültigkeit seiner Theorie wurde im Laufe der Zeit allerdings überwältigend.9 Zu ihrer Festigung trugen eine erfolgreich postulierte Korrektur des 3. Kepler’schen Gesetzes bei; weiterhin die Berechnung der parabolischen Bahnen der Kometen, der Nachweis der Sonne als Ursache der Störungen der Bahn des Mondes, die theoretische Begründung der Gezeiten sowie die Ableitung der Abplattung der Erde an den Polen und ihre Aufwölbung am Äquator. Letzteres war von besonderem Belang, weil es von systematisch anderer Natur als die vorhergehenden Phänomene war. Es ermöglichte Newton, die Präzession der Erdachse, eine Umdrehung in 26 000 Jahren, theoretisch als Wirkung von Sonne und Mond auf den Erdwulst abzuschätzen und nachzuweisen, dass der Einfluss des Mondes doppelt so groß wie der der Sonne ist. Fast 20 Jahrhunderte lang, seit Hipparchos (180-125 v. Chr.), war diese Präzession bekannt. Da aber niemand den äquatorialen Wulst der Erde kannte, konnte auch niemand eine Erklärung dafür finden. Die endgültige Anerkennung als universal erhielt Newtons Gesetz allerdings erst 30 Jahre nach dessen Tod (1727), als Halley die Wiederkehr des nach ihm benannten Kometen (1456, 1531, 1607, 1682) nach einer Umlaufzeit von 76 Jahren für das Jahr 1758 prognostizierte. Der junge französische Astronom Alexis Claude Clairot widersprach und datierte aufgrund von komplizierten Berechnungen die Ankunft – über Störungen durch Jupiter um 518 Tage und durch Saturn um 100 Tage verspätet – auf den 13. April 1759. Die astronomische Welt hielt den Atem an, und das tatsächliche Eintreffen des Kometen am 14. Mai 1759, nur einen Monat und einen Tag nach dem vorausgesagten Termin Clairots, wurde zum Triumph für das Gravitationsgesetz.10 Dieser Triumph wurde gefestigt, als es Friedrich Wilhelm Herschel und vielen anderen erstmals nicht gelang, die Bahn des von ihm 1781 entdeckten Planeten Uranus richtig zu berechnen. Erst 65 Jahre später, im Jahr 1846, konnte aus den Störungen die Bahn eines bislang unbe9 10

Vgl. Grigor A. Gurzadyan. Space Dynamics. London u. New York, 2002, S. 20ff. Vgl. ebd, S. 23. Zu einer abweichenden Version vgl. Andreas Guthmann. Einführung in die Himmelsmechanik und Ephemeridenrechnung. Heidelberg, 1999, S. 20.

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kannten Planeten abgeleitet werden. Die Entdeckung des neuen Planeten Neptun an einer nur auf dem Papier vorausberechneten Stelle wurde zum endgültigen Triumph des Newton’schen Gesetzes.11 Ab diesem Zeitpunkt war die Universalität der Newton’schen Gravitation unangefochten. Uns Nachgeborenen ist klar: Es war dies eine „Universalität“ auf der Skala des Sonnensystems. Aber das Wissen um die in 300 Jahren aufgehäufte Evidenz hat mit zu der Unverrückbarkeit beigetragen, mit der das Newton’sche Weltbild auch heute noch in unsere Köpfe eingebrannt ist. Es erwies sich allerdings, dass all diese überragende Evidenz für die Gültigkeit des Newton’schen Kraftgesetzes 1919 bruchlos auf die Allgemeine Relativitätstheorie Einsteins überging, die nun ihrerseits Universalität, aber auf der Ebene des Kosmos, beanspruchte. Sie basiert auf dem Konzept einer Nahwirkung. Newton’s Gravitationsgesetz findet sich in Einsteins Theorie als Näherung wieder, eine Näherung, die Abweichungen erst dort erwarten lässt, wo Geschwindigkeiten mit der Lichtgeschwindigkeit vergleichbar werden oder die Raumzeit sich merklich krümmt. Im Sonnensystem lagen diese Effekte lange an der Grenze des instrumentellen Auflösungsvermögens. 6. Festigung der kosmologischen Evidenz Wenn wir uns also über die von WMAP erbrachte Evidenz im Klaren sein wollen, so ist eine wichtige Frage, wie die Ergebnisse, die aus dem Mikrowellenhintergrund, also aus einer nur 380 000 Jahre vom Bigbang entfernten Epoche, ermittelt wurden, zusammenpassen mit Daten, die in anderen Regionen des Universums gewonnen werden. Ich möchte als wichtiges Beispiel die Auswertung von Supernova-Daten vorstellen. 6.1 Supernovae und die beschleunigte Expansion des Universums Supernovae sind im Allgemeinen das Ergebnis der Explosion eines Sterns, wenn am Ende seines Lebens der Brennstoffvorrat verbraucht ist. In Abb. 8 ist die Supernova zu sehen, deren Erscheinen Kepler am 9. Oktober 1604 mit bloßen Augen – es gab noch keine Fernrohre – beobachten konnte; ein kleines Jubiläumspräsent für diesen Kongress unter dem Stichwort 400 Jahre Evidenzproduktion. 11

Vgl. Guthmann (Anm. 10), S. 23ff.

Evidenz wofür?

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Abb. 8: Die von Kepler am 9. Oktober 1604 mit dem bloßen Auge beobachtete „Kepler’sche“ Supernova zeigt sich heute im Licht von harten und weichen Röntgenstrahlen sowie optischen und infraroten Wellenlängen, deren Bilder übereinander gelegt wurden. Die verschiedenen Wellenlängenbereiche zeigen verschiedene Seiten des Geschehens (unten); die Zusammensicht aller Wellenlängenbereiche erlaubt ein vollständigeres Bild (oben), als es ein einzelnes Teleskop vermöchte. Die Röntgendaten zeigen Bereiche mit vielen Millionen Grad heißem Gas oder extrem hochenergetischen Teilchen. Die höher energetischen Röntgenstrahlen (1. Bild unten) stammen vorwiegend aus Regionen direkt hinter der Stoßwelle, während die niederenergetischen Röntgenstrahlen (2. Bild) den Ort heißer Überreste des explodierten Sterns markieren. Das optische Bild zeigt 10 000 Grad heißes Gas dort, wo die Supernova-Stoßwelle in die dichtesten Regionen des umgebenden Gases prallt (3. Bild). Das infrarote Bild weist auf Staubpartikel, die von der Schockwelle aufgewirbelt und aufgeheizt wurden (4. Bild).

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Rainer Gruber

Abb. 9: Links das Erscheinen der Supernova SN1998dh im Jahr 1998 (Lick Observatory, San Jose, California). Die Nomenklatur verweist darauf, dass Supernovae durchaus nicht selten sind. Rechts einige Bilder des Hubble Space Telescope jeweils nach (links) und vor (Mitte) der Entdeckung einer Supernova sowie das Differenzbild (rechts), das die Position der Supernova (Pfeil) deutlicher macht.

Die Wolke aus Gas und Staub hat eine Ausdehnung von 14 Lichtjahren und expandiert mit einer Geschwindigkeit von 2 000 Kilometern pro Sekunde, das sind 4 Millionen Meilen pro Stunde. Sie besteht aus einer schnell bewegten Schale von Material, das reich an Eisen aus dem explodierten Stern ist, umgeben von einer expandierenden Schockwelle, die interstellares Gas und Staub mit sich reißt. Die enge Kombination aller Wellenlängenbereiche ist charakteristisch für die Astrophysik unserer Tage. Erst aus dem Zusammenwirken aller Wellenlängenbereiche lässt sich ein umfassendes Bild rekonstruieren. Abb. 9 (links) zeigt eine Galaxie vor und nach dem Auftauchen einer Supernova. Es gibt nun einen ganz speziellen Typ von Supernovae, der den Kosmologen als Marker für Distanzen dient. Dieser Typ wird SN Ia genannt. Er ist dadurch bestimmt, dass ein Stern von seinem Begleiter Materie über eine kritische Grenze hinaus akkretiert, so dass er thermonuklear explodiert.

Evidenz wofür?

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Abb. 10: Die Advanced Camera for Surveys (ACS) des Hubble Space Telescope (HST) entdeckte 2003 zwei Supernovae des Typs Ia, die vermutlich während der Übergangsphase von der Verlangsamung zur Beschleunigung der Expansion des Universums existierten. Inzwischen entdeckte das HST 16 Supernovae Ia, die aus der frühen Epoche der Verlangsamung der Expansion stammen.

Abb. 9 (rechts) zeigt einen Ausschnitt aus der umfangreichen Arbeit, Kataloge aus Supernovae diesen Typs zu erstellen. Die systematische Beobachtung dieser Supernovae durch das Hubble Space Telescope brachte das Aufsehen erregende Ergebnis, dass das Universum seine Expansion nur in einer frühen Epoche verlangsamte, wie das aufgrund der im Universum versammelten Materie erwartet wurde. Seit einigen Milliarden Jahren jedoch scheint die Expansion beschleunigt zu sein (Abb. 10).12 Der Grund für die Beschleunigung der Expansion wird in der Existenz einer dunklen Energie vermutet, und zur theoretischen Deutung dieses Sachverhalts wird ein neues Feld postuliert: Quintessence, benannt nach einem Vorbild aus der Antike. 12

Vgl. Adam G. Riess u. a. „Snapshot Distances to Type Ia Supernovae: All in ‚One‘ Night’s Work“. The Astrophysical Journal 504 (1998), S. 935-944; Saul Perlmutter u. a. „Measurements of ȍ and ǹ from 42 High-Redshift Supernovae“. The Astrophysical Journal 517 (1999), S. 565-586 und Adam G. Riess u. a. „Type Ia Supernova Discoveries at z > 1 from the Hubble Space Telescope. Evidence for Past Deceleration and Constraints on Dark Energy Evolution“. The Astrophysical Journal 607 (2004), S. 665-687.

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Rainer Gruber

Es muss vor etwa 5 Milliarden Jahren gewesen sein, als die dunkle Energie anfing, die Entwicklung des Kosmos zu dominieren. Es ist bemerkenswert, wie viel Ähnlichkeit die Einführung von Quintessence mit dem Problem hat, vor dem Newton stand. Er hatte eine geheimnisvolle anziehende Kraft postuliert, deren Realitätsgehalt und Charakter erst 75 Jahre nach seiner Veröffentlichung und nach Ansammlung eines großen Vorrats an Evidenz uneingeschränkt akzeptiert wurde. Heute wird eine geheimnisvolle abstoßende Kraft postuliert. Sie wird als dunkle Energie bezeichnet und kann zunehmend mehr Evidenz für sich beanspruchen. Hinweise auf die Existenz dieser dunklen Energie und ihre abstoßende Wirkung gibt es erst seit etwa sechs Jahren. Zwei große Teams von Wissenschaftlern, das Supernova Cosmology Project (SCP) und das High-Z Supernovae Search Team (HSST), fahnden heute nach diesen Supernovae. Aus ihren Beobachtungen ergeben sich ebenfalls Bestimmungen der kosmologischen Parameter, die den Vergleich mit den von WMAP gemessenen ermöglichen. 6.2 Namen für Evidenz: Das Konkordanzmodell All diese inzwischen zahlreichen Projekte weisen in großer Übereinstimmung auf dieselben Wertebereiche der kosmologischen Parameter hin. Das ist deshalb bemerkenswert, weil die Aussagen zum einen in weit auseinander liegenden Entwicklungsphasen des Kosmos und zum anderen mit sehr verschiedenen und voneinander unabhängigen Methoden gewonnen werden. Die weißen Regionen auf der Landkarte der kosmologischen Parameter sind in der letzten Dekade stark geschrumpft.13 Insbesondere die Untersuchung der Anisotropien hat einige der kühnsten Spekulationen über das Universum, in dem wir leben, in ein funktionierendes kosmologisches Modell verwandelt. Nach diesem Modell – /CDM genannt, wobei / die Anwesenheit dunkler Energie bezeichnet und CDM für „cold dark matter“ steht – hat sich das Universum vor 13,7 Milliarden Jahren aus einem mit Bigbang abgekürzten Zustand gebildet, der einen Beginn von Raum und Zeit bezeichnet. 379 000 Jahre nach dem Bigbang bildeten sich die ersten, leichten Atome, das Universum wurde durchsichtig und die Hintergrundstrahlung entstand. Bereits 200 Millionen Jahre nach dem Bigbang bildeten sich die ersten Sterne, und dieselben Dichteschwankungen, die die Anisotropie der 13

Vgl. Tegmark u. a. (Anm. 7).

Evidenz wofür?

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Hintergrundstrahlung bewirkten, bildeten unter dem Einfluss der Gravitation die Strukturen des Universums aus, die uns als Galaxien und Galaxiencluster bekannt sind. Den Löwenanteil von 73% der Dichte des Universums trägt die bislang unbekannte dunkle Energie, weitere 23% liefert die dunkle Materie und nur 4% der Gesamtdichte besteht aus baryonischer Materie, der Materie, die wir um uns herum wahrnehmen und aus der wir gemacht sind. Die Expansionsrate des Universums ergibt sich zu 71 km/s/Mpc (1Mpc = 3,3 106 Lichtjahre). Die Anisotropien der kosmischen Hintergrundstrahlung liefern im Rahmen dieses Modells präzise den erwarteten Fingerabdruck der Dichteschwankungen, die auch zu den Materiestrukturen im Universum führen. Damit ist der Grundstein gelegt für eine Erklärung des Strukturreichtums der Galaxien und Galaxiencluster im Kosmos. Die „splendid isolation“ der kosmischen Hintergrundstrahlung als der mit Abstand weitest vorgeschobenen Sonde zur Erforschung des Weltraums ist aufgehoben. Die Ergebnisse aller Projekte verweisen darauf, dass das /CDM Modell, das nun das Konkordanzmodell genannt wird, als ein Gerüst betrachtet werden kann, das die Wirklichkeit des Kosmos angemessen repräsentiert. In den Worten der Autoren: The fact that any simple model fits such accurate and diverse measurements is impressive evidence that the basic theoretical framework of modern cosmology is correct, and that we need to take its implications seriously however surprising they may be.14

7. Evidenz wofür? Das zyklische Modell So recht die Autoren haben mit dem Hinweis auf die überzeugende Evidenz, so bleibt die skeptische Frage dennoch bestehen: Evidenz wofür? 2003 erschien eine Arbeit von Steinhardt und Turok, in der ein fundamentaler Paradigmenwechsel vorgeschlagen wird.15 In diesem Modell haben Raum und Zeit keinen Anfang. Zyklisch wechseln sich auf ewig Expansion und Kompression des Universums ab. Der Bigbang wird zum einfachen Bang, in dem die Kompression des Universums wieder in Expansion umschlägt. Bisher scheiterten solche zyklischen Modelle 14

15

Tegmark u. a. (Anm. 7), S. 20. Mit „surprising“ ist insbesondere die Existenz der dunklen Energie gemeint, die nun von drei unabhängigen Seiten Evidenz erhält: von den Supernovae Ia, von WMAP und vom so genannten Integrierten SachsWolfe-Effekt, dessen Stärke von der dunklen Energie abhängt und davon, wie spät sie die Expansion dominiert. Vgl. Steinhardt u. Turok (Anm. 1).

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des Universums an Fragen der Entropie. Die Aufgabe der Inflation, das Universum aufzublähen und damit isotrop und homogen zu machen, wird hier übernommen von einer Phase der Kompression, die vor dem Zeitpunkt des endlich gewordenen Bang stattfindet, nun allerdings über eventuell Trillionen von Jahren gestreckt. Auf einfache Weise ergeben sich auch die nahezu skalen-invarianten Fluktuationen. Ein extra Inflationsfeld ist nicht mehr nötig. Das Modell ist entstanden im Rahmen der Stringtheorie, aber weitestgehend im klassischen Rahmen beschreibbar. Von Seiten der Stringtheorie ist der Bang nun der Zusammenstoß zweier Branes, zweier 3dimensionaler Universen, von denen eines die dunkle Materie enthält. Bei diesem Zusammenstoß verschwindet für einen winzigen Moment eine extra Dimension, um sofort wieder zu erscheinen. Gleichzeitig vollzieht sich der Wechsel von der Kompressions- zur erneuten Expansionsphase. Die Autoren beanspruchen, mit ihrem Modell dieselben Daten wie das Konkordanzmodell reproduzieren zu können. Der gegenwärtige Konsens der Kosmologen liegt beim Konkordanzmodell. Es geht von der Existenz des Bigbang aus, einem Anfang von Raum und Zeit, der hinter dem Schleier einer noch nicht gefundenen Synthese mit der Quantenmechanik liegt und der sich vor diesem Schleier als eine mathematisch nicht behandelbare Singularität ausdrückt. Das neue Paradigma, wenn es sich denn bewähren wird, würde bedeuten, dass mit derselben aus beobachtungsmäßigen Tatsachen gespeisten Evidenz eine völlig andere Theorie gestützt werden kann, in der Raum und Zeit keinen Anfang haben. Vielleicht ist das ja gar kein Widerspruch? Vielleicht erscheint die zeitliche Raffung der Inflation mit dem Bigbang am einen Ende nur als Projektion einer Wegbiegung, die weitergeht, wenn wir dorthin gelangen? Produktion von Evidenz erweist sich als eines der wichtigsten Triebmittel, um solche Wegbiegungen aufzufinden. Das Konstrukt des Firmaments, das sich letztendlich immer noch an der mathematischen Unfassbarkeit des singulären Bigbang festmachen könnte, wäre dann aufgelöst in einer Konstruktion von Erklärbarkeit, die mühelos das ehemalige Firmament durchschreitet, so oft dies nötig wird. Die Welt als ein Zirkelschluss – ein großer und schöner. Wer möchte da nicht – frei nach Peter Sloterdijk – in ein großes kynisches Gelächter ausbrechen.16 16

Ich denke an Ute Stammberger, meine geliebte, diese leuchtende und nun entschwundene Frau, Regisseurin von Comedia Opera Instabile, und an ihren belebenden Spruch: Das Gegenteil ist auch falsch.

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LITERATURVERZEICHNIS Gruber, Rainer. „Imaginationen des Leeren“. Vortrag auf der Konferenz Wissenschaft und Kunst an der Muthesius Hochschule Kiel. Mai, 2004 [unveröff. Manuskript]. Gurzadyan, Grigor A. Space Dynamics. London u. New York, 2002. Guthmann, Andreas. Einführung in die Himmelsmechanik und Ephemeridenrechnung. Heidelberg, 1999. Hu, Wayne u. a. „CMB Observables and Their Cosmological Implications“ [Astrophysics (abstracts), 26. Oktober 2000, vs. 2]. Quellenstandort online: http://arxiv.org/abs/astro-ph/0006436. Penzias, Arno A. u. Robert W. Wilson. „A Measurement of Excess Antenna Temperature at 4080 Mc/s“. The Astrophysical Journal 142 (1965), S. 419-421. Perlmutter, Saul u. a. „Measurements of ȍ and ǹ from 42 High-Redshift Supernovae“. The Astrophysical Journal 517 (1999), S. 565-586. Riess, Adam G. u. a. „Snapshot Distances to Type Ia Supernovae: All in ‚One‘ Night’s Work“. The Astrophysical Journal 504 (1998), S. 935-944. Riess, Adam G. u. a. „Type Ia Supernova Discoveries at z > 1 from the Hubble Space Telescope. Evidence for Past Deceleration and Constraints on Dark Energy Evolution“. The Astrophysical Journal 607 (2004), S. 665-687. Smoot, George F. u. a. „Structure in the COBE Differential Microwave Radiometer First-Year Maps“. The Astrophysical Journal 396 (1992), L1-L5. Steinhardt, Paul. J. u. Neil Turok. „The Cyclic Universe. An Informal Introduction“. Nuclear Physics B – Proceeding Supplements 124 (2003), S. 38-59. Tegmark, Max u. a. „Cosmological Parameters from SDSS and WMAP“ [Astrophysics (abstracts), 15. Januar 2004, vs. 2]. Quellenstandort online: http://arxiv.org/abs/astro-ph/0310723.

ANDREW PICKERING

Ontologisches Theater. Gordon Pask, Kybernetik und die Künste

Eine evolutionäre Architektur [...]. Nicht ein statisches Bild des Seins, sondern ein dynamisches Bild des Werdens und Entfaltens – eine direkte Analogie zu einer Beschreibung der natürlichen Welt. John Hamilton Frazer, An Evolutionary Architecture

In diesem Aufsatz geht es in einem sehr wörtlichen Sinne um die Beziehung zwischen Wissenschaft und Schauspiel: Er untersucht den Entwurf einer kybernetischen Ästhetik, der sich im Werk Gordon Pasks, eines der führenden britischen Kybernetiker im Bereich des Theaters, der Architektur und der Kunst im Allgemeinen, realisiert. Ich werde zunächst Kybernetik allgemein charakterisieren, bevor ich näher auf Gordon Pask zu sprechen komme. Was war (oder ist) Kybernetik? Norbert Wiener hat das Wort vom griechischen Wort für „Steuermann“ abgeleitet, und wir sollten diese Ableitung ernst nehmen. Man denke insbesondere an Segelboote. Segeln bringt es mit sich, dass man mit einem System umgehen muss, welches – dies ist der entscheidende Punkt – eine eigene Dynamik hat, die nicht gänzlich unter menschlicher Kontrolle steht. Man kann ein Boot nicht einfach anhalten oder es nach rechts lenken, auch dann nicht, wenn es um Leben und Tod geht. Man kann allerdings in die Dynamik des Bootes eingreifen oder an ihr teilhaben, indem man die Takelage justiert, das Ruder bewegt oder sich über den Rand lehnt usw. Das bedeutet, dass der Kurs, den man segelt, ein gemeinschaftliches Produkt des inhärent performativen und zeitlichen Zusammenwirkens von menschlichen und nichtmenschlichen Akteuren ist – nämlich von Besatzung und Schiff, von Wind und Wellen. Die Kybernetik, so wie ich sie verstehe, ontologisiert dieses Bild. Sie versteht die Welt als eine Vielheit von letztlich unergründlichen Instanzen, von denen jede am Werden der jeweils anderen teilhat, so wie der Segler an der Dynamik des Schiffes partizipiert. Offensichtlich handelt es sich hierbei um eine

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Ontologie, die sich klar von jener der modernen Wissenschaften, welche die Welt als vollständig verstehbaren und damit beherrschbaren Ort betrachten, unterscheidet. Aus diesem Grund bezeichne ich die Kybernetik als nicht-modern. Was aber haben die Kybernetiker getan? Wie sah die Kybernetik in der Praxis aus? Zunächst erschien die Kybernetik offenbar als eine Form des adaptiven Ingenieurwesens, das sich der Konstruktion von Geräten widmete, die auf irgendeine Art und Weise mit unvorhersagbaren Fluktuationen und Prozessen in ihrer Umgebung umzugehen vermochten: Servo-Mechanismen, W. Grey Walters Roboter-Schildkröten, W. Ross Ashbys Homeostat und die erstaunlichen biologischen und chemischen Computer, an denen Pask und Stafford Beer in den späten 1950er und frühen 1960er Jahren gearbeitet haben.1 Zudem konnten diese Geräte als Modelle für das sowohl normale wie pathologisch adaptive Gehirn betrachtet werden; damit stellte die Kybernetik einen wesentlichen Beitrag zur Gehirn-Forschung und Psychiatrie dar. Darüber hinaus dehnten die Kybernetiker ihre Vision adaptiver Systeme auf eine enorme Anzahl ganz unterschiedlicher Gebiete aus, zu denen Management, Politik, Spiritualität, Mathematik, Wirtschaftswissenschaften, Chemie, Biologie, die Künste und die Unterhaltung gehörten. Die beiden letztgenannten Elemente – Kunst und Unterhaltung – sollen hier im Vordergrund stehen. Vor allem will ich versuchen, die Besonderheiten der kybernetischen Kunst in dem, was sie von der vertrauten modernen Ästhetik unterscheidet, herauszuarbeiten – was ich hier zeigen will, ist, dass die Differenz der beiden in ihrer Ontologie liegt. Damit zu Pask.2 Andrew Gordon Speedie Pask wurde im Juni 1928 in Derby als Sohn eines Gemüsehändlers geboren, der später ein wohl1

2

Der vorliegende Aufsatz entstammt einem größeren Projekt über die Geschichte der Kybernetik in Großbritannien, das sich auf die Arbeit von W. Grey Walter, W. Ross Ashby, Stafford Beer und Gordon Pask konzentriert. Vgl. auch Andrew Pickering. „Cybernetics and the Mangle. Ashby, Beer and Pask“. Social Studies of Science 32 (2002), S. 413-437; ders. „Mit der Schildkröte gegen die Moderne. Gehirn, Technologie und Unterhaltung bei Grey Walter“. Kultur im Experiment. Hg. v. Henning Schmidgen, Peter Geimer u. Sven Dierig. Übs. v. Gustav Rossler. Berlin, 2004, S. 102-119; ders. „The Science of the Unknowable. Stafford Beer’s Cybernetic Informatics“. Kybernetes 33 (2004), S. 499-521 und ders. „Psychiatry, Synthetic Brains and Cybernetics in the Work of W. Ross Ashby“ (vorgestellt auf der W. Ross Ashby Centenary Conference, University of Illinois at Urbana Champaign, 4.-6. März 2004; ein Sammelband mit den Beiträgen dieser Konferenz, hg. v. Peter Asaro, ist in Vorbereitung). Für die vielen wertvollen Informationen und Dokumente die folgenden Ausführungen betreffend möchte ich Amanda Heitler, Paul Pangaro, Jasia Reichardt, Yolanda Sonnabend, John Hamilton Frazer und Joseph Zeidner danken.

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Abb. 1: Gordon Pask als junger Mann.

habender Früchte-Importeur wurde. Er war der jüngste von drei Brüdern und starb im März 1996 in London. Von 1949 bis 1953 studierte Pask am Downing College, Cambridge, wo er mit einem Bachelor in Physiologie abschloss. Zunächst hatte er die Absicht, in die Fußstapfen seines Bruders Edgar, eines hervorragenden Mediziners, zu treten. Allerdings, so formuliert es der Psychologe Richard Gregory, einer seiner Altersgenossen in Cambridge, sollte man diese Ambitionen Pasks „vermutlich am besten vergessen“.3 Pasks Lebensweg wurde, zum Vorteil der Medizingeschichte, noch einmal umgeleitet, und zwar von niemand anderem als Norbert Wiener, dem Begründer und meistpublizierten Vertreter der Kybernetik. Pasks Frau hat dies so beschrieben: 3

Richard Gregory. „Memories of Gordon“. Kybernetes 30 (2001), S. 685-687.

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Die Offenbarung in seinem [Gordons] Cambridger Leben war, als er gebeten wurde, [...] sich um Professor Norbert Wiener, der zu Besuch war, zu kümmern [...]. Gordon, der schon seit einigen Jahren erfolglos zu entscheiden versucht hatte, was er tun wolle, stellte fest, dass Wiener genau die Wissenschaft beschrieb, in der zu arbeiten er ersehnt hatte, von der er aber nicht gewusst hatte, wie er sie benennen sollte. [...] Er hatte schon seit einiger Zeit gewusst, dass er die Funktionsweise von Lernprozessen simulieren wollte, indem er Elektronik benutzte, um das Nervensystem darzustellen. [...] [Und] um zu untersuchen, wie eine adaptive Maschine lernt, beschloss Gordon, seine Kenntnisse über Theaterbeleuchtung zu nutzen, um diesen Prozess zu illustrieren. [...] [Dies] kostete ihn mehrere Jahre, in denen er sein Tripos Examen machte und in Cambridge promovierte. [...] Gordon hatte ernsthaft Mediziner werden wollen, wie Gar, aber als er einmal angefangen hatte, an seiner Musicolour-Maschine zu arbeiten, wurde die Medizin sekundär.4

Ich werde die Musicolour-Maschine anschließend kurz beschreiben, aber zunächst scheint es hilfreich, Pasks Entwurf einer allgemeinen kybernetischen Ästhetik, den er in den 1950er und 1960er Jahren entwickelte, vorzustellen. Um bei meinem Beispiel zu bleiben, könnte ich sagen, dass Menschen aus mindestens zwei Gründen segeln: erstens, um von A nach B zu kommen, und zweitens, um Spaß zu haben. Sieht man von dem funktionalen Aspekt ab, bleibt man mit so etwas wie Kunst zurück. Dies war Pasks Schlussfolgerung, und sie führte ihn zum Konzept dessen, was er ‚aesthetically potent environments‘ nannte: „Räume, die darauf angelegt sind, eine besondere Art von Interaktion zu begünstigen oder zu fördern, die (so die Hypothese) vergnüglich ist“. In einem wichtigen Aufsatz von 1968 benennt Pask eine Reihe von Eigenschaften, die seiner Ansicht nach für solche Räume charakteristisch sind und von denen vor allem die letzte ganz im Zeichen der Kybernetik steht: „d Sie könnten darüber hinaus auf einen Menschen reagieren, ihn in ein Gespräch 4

„[T]he epiphany of [Gordon’s] Cambridge life came when he was invited [...] to look after Professor Norbert Wiener, who was visiting [...]. Gordon who had been struggling for some years to define what he wanted to do, found that Wiener was describing the very science he had longed to work on, but had not known what to call.“ „He had known for some time that what he wanted to do was to simulate how learning took place, using electronics to represent the nervous system. [...] [And] [i]n order to study how an adaptive machine could learn, Gordon decided to use his expertise in theatrical lighting to demonstrate the process. [...] [This] took him several years, during which he took his Tripos examinations and graduated from Cambridge. [...] Gordon had sincerely wanted to be a doctor, like Gar, but once he had begun to work on his Musicolour machine, medicine took second place.“ Aus unveröffentlichten biografischen Notizen von Elisabeth Pask. Ich danke Amanda Heitler für die Möglichkeit der Einsicht in diese Notizen und die Erlaubnis, sie zu verwenden.

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verwickeln und ihre Eigenschaften somit an die vorherrschende Redeweise anpassen.“5 Interessanterweise konnte Pask freimütig behaupten, dass „jedes sachverständige Kunstwerk“, sogar ein konventionelles Gemälde, ein ‚aesthetically potent environment‘ sei, da sich die „Bedingung d implizit und in einer häufig komplexen Weise erfüllt, die von der sensorischen Modalität des Kunstwerks abhängt“. Inwiefern jedoch unterscheidet sich die kybernetische Ästhetik hier von anderen ästhetischen Modellen? Pask hatte eine Antwort auf diese Frage. Es ist nicht so, dass die Kybernetik von uns verlangt, auf eine andere Art und Weise Kunst zu machen. Pasks Analyse stellt keine Verdammung der Studiomalerei oder von was auch immer dar. Aber die Kybernetik legt andere Strategien für die Erschaffung von Kunstobjekten nahe. Wir könnten versuchen, Werke zu konstruieren, die Pasks Bedingung d in den Vordergrund stellen, die explizit „Menschen in ein Gespräch verwickeln“, die „diesen Diskurs offen legen“, wie Pask auch sagt – anstatt diese Interaktion auszulöschen oder zu verschleiern, wie es konventionelle Kunstwerke tun. Die Kybernetik fordert, anders als die konventionelle Ästhetik, dazu auf, sich innerhalb der Welt der Kunst mit einer bestimmten Haltung oder Strategie zu positionieren, und es ist eben diese Form der Positionierung, die gegenüber allen möglichen Lebensformen stattfinden kann, die mich an der Kybernetik am meisten interessiert.6 Wie sah eine solche Positionierung in der Praxis aus? Diese Frage führt uns zu Pasks erstem ernsthaften kybernetischen Projekt zurück – der Musicolour-Maschine, die er als junger Student in den frühen 1950er Jahren baute. Ihr Name ist eine Zusammenziehung von ‚music‘ und ‚colour‘ und bezeichnet ein Gerät, das die Klänge einer musikalischen Aufführung in eine Licht-Show transformieren konnte, indem es die Musik mit Hilfe eines Mikrofons in ein elektrisches Signal übersetzte, 5 6

Gordon Pask. „A Comment, a Case History and a Plan“. Cybernetics, Art, and Ideas. Hg. v. Jasia Reichardt. Greenwich, Conn., 1971, S. 76. Ebd., S. 77. Pask hat auch festgestellt, dass „der größte Verdienst der Externalisierung [...] zu sein scheint, dass der externalisierte Diskurs mit der Zweideutigkeit von Rollen korreliert. Wenn ich ein Bild anschaue, so bin ich in der Rolle des Betrachters gefangen, obwohl ich in gewisser Weise meine inneren Vorstellungen übermalen kann und dies auch tue. Wenn ich mit einer reaktionsfreudigen und adaptiven Umgebung spiele, kann ich die Rollen des Malers und des Betrachters je nach Wunsch wechseln. Ob das irgendeinen Wert hat, weiß ich nicht. Aber es könnte einen haben.“ Ebd. Die kybernetische Haltung fordert also, auch wenn ich an dieser Stelle nicht näher darauf eingehen werde, zu einer Veränderung sowohl der Natur der Kunstwerke als auch zu einer Verlagerung dessen auf, was man sehr simpel die Machtbeziehung zwischen Künstler und Zuschauer nennen könnte.

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welches dann als ‚input‘ der Musicolour-Maschine eine Reihe von Filtern passierte, die sensibel waren für verschiedene Frequenzen, den Beat der Musik usw. Und dieses gefilterte Endsignal dirigierte verschiedene Lichter. Man kann sich das so vorstellen, dass der Filter für die höchsten Frequenzen eine Reihe von roten Lichtern steuerte, der für die nächst höheren die blauen usw. Das Prinzip scheint zunächst sehr einfach, abgesehen davon, dass die internen Parameter der Schaltkreise der Musicolour-Maschine nicht konstant waren. In ähnlicher Weise wie biologische Neuronen wurden die Lichtreihen nur dann aktiviert, wenn das Endsignal des relevanten Filters einen bestimmten Schwellenwert überschritt, und diese Schwellen variierten zeitlich, insofern sich die Spannungen in den Kondensatoren entsprechend dem Verlauf der Performance und dem vorhergehenden Verhalten der Maschine erhöhten. Die Musicolour-Maschine war demnach so konstruiert, dass sie irgendwann anfangen musste, „sich zu langweilen“.7 Wurde dieselbe musikalische Trope zu häufig wiederholt, erhöhte sich unter Umständen der Schwellenwert für das entsprechende Lichtmuster, und die Maschine hörte auf zu reagieren, um den Musiker zu ermuntern, etwas Neues zu versuchen. Was können wir über die Musicolour-Maschine sagen? Wir können sie aus zwei verschiedenen Perspektiven betrachten. Zunächst erscheint sie als ein Stück materialisierte Philosophie – als ein kleines Modell jener kybernetischen Ontologie, die ich oben bereits beschrieben habe. Das Spiel mit der Musicolour-Maschine glich dem Segeln mit einem Segelboot. Ein menschlicher Akteur konnte im Zusammenspiel mit der Maschine agieren, sie aber nicht dominieren; eine Musicolour-Performance war die gemeinsame Leistung eines menschlichen Akteurs und einer Maschine. In den Worten Pasks „leitete jener die Maschine an und diese spielte ein Spiel mit ihm. In diesem Sinne handelte das System als Erweiterung des Akteurs, der mit ihm kooperieren konnte, um Effekte zu erzielen, die er allein nicht hervorbringen konnte.“8 Musicolour war demnach eine Ikone für das kybernetische Verständnis der Beschaffenheit der Welt und exemplarisch für die Art und Weise, in der wir mit ihr in einer performativen, wechselseitigen Verkopplung verbunden sind, nämlich dezentralisiert und flexibel. Betrachtet man Musicolour für eine Weile, wird klar, worauf es in der kybernetischen Ontologie wirklich ankommt.

7 8

Ebd., S. 80. Ebd., S. 78.

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Abb. 2: Musicolour-Maschine (A); Stromkasten (B); Licht-Show (C).

Aber die Musicolour-Maschine war nicht nur eine philosophische Ikone, sie war, soweit ich weiß, auch das erste kybernetische Kunstwerk; ich will sie an dieser Stelle auch unter diesem Aspekt betrachten. Ein erster wichtiger Punkt ist, dass sie im Wesentlichen ästhetisch funktionierte. Pask fand heraus, dass „sich schnell ein enges, kooperatives Verhältnis zwischen dem Menschen und der Maschine herstellte“, welches oft „mit einem Verlust des Zeitsinns auf Seiten des Performers

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einherging. Einer der Performer trötete zum Beispiel von 10 Uhr morgens bis 5 Uhr nachmittags auf seinem Instrument herum, und es schien ihm nicht bewusst zu sein, dass viel Zeit vergangen war; eine Stunde, dachte er, höchstens.“ Pask nahm sogar eine Studie vor, in der er „zufällige Störungen in die Feedback-Schleife einführte“, und er fand heraus, dass der Performer „unter Umständen dadurch so wütend gemacht wurde, dass er sich aus der Situation zurückzog“.9 Nun, da ich Musicolour als eine Art von Kunstwerk beschrieben habe, möchte ich anmerken, dass seltsamer- und interessanterweise nicht klar war, worum es sich dabei eigentlich handelte, in welche Kategorie sie passen könnte. Sie hatte etwas mit Musik zu tun, war aber kein Musikinstrument. Sie steuerte eine Licht-Show und war dennoch nicht nur Beleuchtung. Sie war ein materielles Objekt, aber ein ziemlich hässliches, und von sich aus kein Kunstwerk. In der Tat haben Pask und seine Freunde in den 1950er Jahren lange versucht herauszufinden, wo und wie Musicolour in die Welt passen könnte, indem sie mit verschiedenen Ensembles an verschiedenen Aufführungsorten experimentierten. Die erste Musicolour-Performance fand 1955 im Bolton’s Theatre in London statt und hatte eine traditionelle theatrale Form. In einem Stück mit dem Titel „Moon Music“ gab es einen Musiker, Musicolour modulierte das Licht innerhalb des Bühnenbilds, und es tanzten Marionetten auf der Bühne, um die Sache lebendiger zu machen. Die Marionetten sollten eigentlich synchron zum Licht tanzen, zerstörten sich an jenem Abend jedoch gegenseitig und verstreuten ihre Gliedmaßen ins Publikum.10 Die nächste Aufführung fand in der Krypta der St. Anne’s Kirche in der Shaftesbury Avenue statt. Hier, in einem Stück mit dem Titel „Nocturne“, wurde versucht, die Bewegungen eines menschlichen Tänzers mit dem Endsignal von Musicolour zu verbinden – „dies erwies sich als technisch schwierig, aber die ästhetischen Möglichkeiten sind unbestreitbar“. Die Eingliederung von zunächst Marionetten und dann einem menschlichen Tänzer in diese frühen Performances kann als Versuch der ‚Zähmung‘ der Musicolour-Maschine verstanden werden, als Versuch ihrer Integration in ein Genre, welches das Publikum bereits als Teil der theatralen Erfahrung kannte und schätzte. Was dann passierte, ist ebenfalls interessant: 9

10

Pask erwähnt auch die gemeinsam mit einem Psychiater angestellten Beobachtungen der typischen Schritte, die dazu nötig sind, um eine Verbindung mit Musicolour einzugehen. Ebd., S. 83-86. Vgl. ebd., S. 82f.

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Da es teuer war, das System zu unterhalten und da der finanzielle Nutzen bescheiden war, geriet das Musicolour Unternehmen in Schulden. Wir sicherten uns günstige Räumlichkeiten über dem King’s Arms in der Tabernacle Street, einer erstaunlich schäbigen Gegend in London, oft versunken in eine Art Bier geschwängerten Nebel. Dort richteten wir das System ein und versuchten es auf jede erdenkliche Art und Weise zu verkaufen: dies reichte vom Extrem einer reinen Kunstform bis hin zum anderen Extrem, dem Verkauf als bloßes Beiwerk zu einer Jukebox.11

Die ganze Geschichte verlagerte sich dann in Churchill’s Club (wo „Kellner Besteck in die Eingeweide [Musicolours] fallen ließen“) und den Mecca Locarno Ballsaal in Streatham, bis die Maschine schließlich auf dem London Ball 1957 zum letzten Mal in Erscheinung trat. Aber ich möchte mich auf Parks Anmerkung über den Versuch, „es auf jede erdenkliche Art und Weise zu verkaufen“,12 konzentrieren. Es ist bemerkenswert, dass sich nicht einmal die Erbauer von Musicolour vorstellen konnten, wie sie in den zeitgenössischen kulturellen Kontext passen sollte. Musicolour, das erste kybernetische Kunstwerk, kollidierte unvereinbar mit den etablierten Konventionen der Kunstwelt und der Unterhaltung.13 Dies veranschaulicht wiederum meine Bemerkung, dass es hier um verschiedene Ontologien geht. An dieser Stelle sei eine soziologische Beobachtung eingefügt, die ähnliche Implikationen hat. Immer wieder beeindruckt mich die enorme Relevanz der Amateurhaftigkeit für die Geschichte der Kybernetik, die Tatsache, dass viele der grundlegenden Erfolge der Kybernetik außerhalb der konventionellen sozialen Strukturen entstanden.14 Pask baute z. B. die erste Musicolour-Maschine in seiner Freizeit, auf einem alten Esszimmertisch in seinem Schlafzimmer in Cambridge. Dies ist, so scheint es mir, die soziologische Konsequenz des Zusammenpralls der Ontologien der Kybernetik und der Moderne. Für die Kybernetiker ließ sich ebenso wenig wie für die Musicolor-Maschine ausmachen, wie sie in die Nachkriegswelt passen sollten. Im Anschluss an sein Studium in Cambridge reagierte Pask auf diesen Umstand mit der Gründung einer 11

12 13 14

„Since the system was costly to maintain and since the returns were modest, the Musicolour enterprise fell into debt. We secured inexpensive premises above the King’s Arms in Tabernacle Street which is a curiously dingy part of the City of London, often engulfed in a sort of beer-sodden mist. There, we set up the system and tried to sell it in any possible way: at one extreme as a pure art form, at the other as an attachment for juke boxes.“ Ebd., S. 86 [Herv. d. Verf.]. Ebd., S. 86ff. Vgl. auch die Diskussion über Grey Walters Roboter Schildkröten in Pickering, „Mit der Schildkröte gegen die Moderne“ (Anm. 1). Vgl. Pickering (Anm. 1).

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eigenen Firma (zusammen mit seiner Frau und zwei Freunden): System Research Limited, angesiedelt im Keller seines Hauses und zwischen den 1950er und 1980er Jahren seine improvisierte institutionelle Basis. Das erste Gerät, das Pask Geld einbrachte, war ein Schreibmaschinenschreib-Trainer, „SAKI“ genannt, der direkt aus Musicolour entwickelt wurde. Ein großer Teil seiner nachfolgenden Arbeit drehte sich um die Entwicklung interessanter Trainings- und Lernmaschinen.15 Ich werde hier nicht näher auf diese Arbeit eingehen, aber sie ist erwähnenswert, um klar zu machen, dass die Arbeit, die ich diskutieren möchte, nicht Pasks ganzes Leben einnahm. Er hatte auch andere Interessen und, zu seinem Glück, auch andere Einnahmequellen. Wir können uns nun Pasks zweitbekanntestem Kunstwerk zuwenden, seine ‚Colloquy of Mobiles‘, vorgestellt auf der „Cybernetic Serendipity“-Ausstellung, die von Jasia Reichardt 1968 am Institute for Contemporary Arts (ICA) in London organisiert wurde.16 Die betreffenden Mobiles waren komplizierte elektromechanische Roboter, jeweils als männlich oder weiblich gekennzeichnet, die mit Hilfe von Lichtern und Tönen miteinander kommunizierten und sich in unsicheren und komplizierten Paarungen zusammenfanden. Die Männchen sendeten Lichtstrahlen aus, welche die Weibchen wiederum versuchten, auf sie zurück zu reflektieren. Wenn der reflektierte Strahl eine bestimmte Stelle am Unterteil der Männchen traf, waren diese ‚befriedigt‘ und wurden untätig –, bis ihre Triebe sich wieder aufbauten. Die Weibchen hatten ebenfalls Triebe, die sie zu befriedigen suchten und waren insofern adaptiv, als sie lernen konnten, bestimmte Männchen zu identifizieren und deren Eigenarten zu erinnern. Auch die ‚Colloquy‘ kann man sowohl als ein ungewöhnliches Kunstwerk als auch als Demonstrationsmodell der kybernetischen Ontologie auffassen, das sich in diesem Fall als Ansammlung von interagierenden Maschinen realisiert, ohne irgendeine menschliche Komponente einzubeziehen. Tatsächlich entdeckten die Besucher der Ausstellung dennoch, dass sie in das Spiel der Mobiles (störend) eingreifen konnten, indem sie Handtaschenspiegel benutzten, um die Lichtstrahlen umzulenken. Dies stellte sich als ziemlich beliebtes Ziel heraus: „Einige der Besucher blieben stundenlang und unterhielten sich mit den Mobiles.“17 Die ‚Colloquy‘ waren in der Tat ein ‚aesthetically potent environment‘. 15 16 17

Gordon Pask. „SAKI. Twenty-Five Years of Adaptive Training into the Microprocessor Era“. International Journal of Man-Machine Studies 17 (1982), S. 69-74. Vgl. Pask (Anm. 5); Jasia Reichardt (Hg.). Cybernetic Serendipity. The Computer and the Arts. London, 1968 und dies. (Hg.). Cybernetics, Art, and Ideas. Greenwich, 1971. Interview mit John Hamilton Frazer, London 3. September 2004; Joseph Zeidner, D.

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Abb. 3: „Konversation der Mobiles“.

Noch ein weiterer Gedanke zu der ICA Ausstellung. Ich habe die Schwierigkeiten erwähnt, denen die Kybernetik und die Kybernetiker angesichts des ontologischen Zusammenpralls mit den Klassifikationen und Disziplinen der Moderne ausgesetzt waren. Es ist interessant, vor diesem Hintergrund über die Fortschritte der Kybernetik nachzudenken. ‚Cybernetic Serendipity‘ wurde von dem damaligen Minister für Technologie Anthony Wedgewood-Benn eröffnet. Lord Snowdon (Anthony Armstrong-Jones, Fotograf) und Prinzessin Margaret waren ebenfalls Zeugen.18 Dies war demnach eine der Gelegenheiten, bei welcher die Kybernetik dem Herzen des britischen Establishments am nächsten

18

Scholarios u. C.D. Johnson. „Classification techniques for Person-Job Matching. An Illustration Using the US Army“. Kybernetes 30 (2001), S. 984. Interview mit Jasia Reichardt, London, 21. Februar 2003.

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kam. Und es ist vermutlich bezeichnend, dass dies 1968 passierte –, dem absoluten Höhepunkt der 1960er Jahre. Ich glaube, man kann behaupten, dass es eine ontologische Affinität zwischen der Kybernetik und den 60er Jahren – als spezifisches kulturelles Phänomen – gab, die sich als eine prinzipiell nicht-moderne Haltung abzeichnete, welche Aspekte der Emergenz und des Werdens aufnahm und thematisierte. Der weit verbreitete performative Experimentalismus der 1960er fand in Arbeiten wie Pasks ‚Colloquy‘ gewissermaßen seinen Kristallisationspunkt. Und denkt man darüber hinaus an den darauf folgenden Verfall der Kybernetik, den sie zumindest im öffentlichen Bewusstsein erlitt, scheint es angemessen, auch an die Tatsache zu erinnern, dass die kulturelle und experimentelle Flut in jener Zeit bereits verebbte –, vielleicht schon von 1968 an, mit Sicherheit seit der Ölkrise von 1973, die uns an den grauen und disziplinierten Küsten des Dritten Jahrtausends gestrandet zurückließ.19 Nun möchte ich auf das Theater zurückkommen, und die Gestalt, die ich beschwören will, ist die legendäre, radikale Theaterdirektorin Joan Littlewood, die in der Nachkriegszeit den so genannten Theatre Workshop sowie das Theatre Royal in Stratford, London, gründete. Sie starb im Jahr 2002. „Gordon Pask huschte von Zeit zu Zeit durch mein Leben wie ein provokativer Kobold“, schrieb Littlewood 2001. „Er hatte wohl eine Ahnung davon, was wir im Schilde führten. Ich schrieb ihm einige Male. Er schien genauso de trop in der englischen Gesellschaft zu sein wie wir. Sie wusste einfach nicht, was sie mit ihm anfangen sollte –, die Yankees dagegen wussten es.“ Hier Littlewoods Erinnerung an ihre erste Begegnung mit Pask: Ich erzählte ihm von zwei Indianern, die ihren Frühstückskaffee im „Reservation Café“ einnahmen und sich über den Film des letzten Abends unterhielten. „Ich dachte, wir würden gewinnen, bis zur letzten Filmrolle“, sagte einer. „Es wäre unterhaltsam“, sagte ich, „wenn die Indianer zur Abwechslung mal gewinnen würden.“ Das zündete einen Funken. Er [Pask] wusste, dass ich mit einfallsreichen Faxenmachern arbeitete. „Wir könnten eine Reihe von verschiedenen Enden haben“, sagte er. „Mindestens acht, und die Zuschauer können entscheiden, welches sie wollen.“ „Wie?“ „Indem sie einen an ihrem Stuhl angebrachten Knopf drücken, ganz einfach.“20

19

20

Zur Marginalisierung der kybernetischen Kunst seit den späten 1960ern vgl. Charlie Gere. „The Beginning of the End of Early Computer Art“. Digital Culture. London, 2002, S. 102-109. „I told him about two Red Indians taking their morning coffee in the Reservation Cafe and discussing last night’s film. ‚I thought we were going to win till that last reel,‘ said one. ‚It would be fun,‘ I said, ‚if the Red Indians did win for a change.‘

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Das Ergebnis dieser Unterhaltung war ein 30 Seiten langes Schriftstück mit dem Titel „Vorschlag für ein kybernetisches Theater“, verfasst von Pask im Namen des Theatre Workshop und seiner eigenen Firma. In ihm beschreibt Pask in beachtlicher Detailliertheit, wie Zuschauer und Schauspieler verkoppelt werden können, wobei verschiedene Teile des Publikums sich mit verschiedenen Schauspielern identifizieren und Feedback-Schleifen die Entwicklung der Handlung an entscheidenden Stellen so beeinflussen können, dass sie sich entweder in die eine oder die andere Richtung entwickelt. Hierbei handelt es sich um eine weitere Erscheinungsform der grundlegenden kybernetischen Ontologie, bei der Schauspieler und Publikum einander ohne festgeschriebenen Ausgang durch die Aufführung dirigieren. Ich hielt diesen Plan für vollkommen verrückt, als ich zum ersten Mal davon erfuhr, aber als ich Littlewoods Nachrufe las, wurde mir klar, dass ich im Gegensatz zu ihr noch immer nicht kybernetisch genug war: Sie verachtete nicht die Schriftsteller selbst, allerdings hatte sie eine große Abneigung gegen die Institution ‚Text‘ und die Vorstellung, dass das, was auf der Bühne gesagt und getan wurde, festgelegt und reglos gemacht werden konnte. Sie glaubte an ‚die Chemie des aktuellen Ereignisses‘, was mit einschloss, das Publikum aufzufordern, das Stück zu unterbrechen und die Schauspieler aufzufordern zu antworten –, eine aktive Form der Verfremdung, für die Brecht argumentiert, die er aber niemals praktiziert hat.21

Pasks Projektentwurf deutete an, dass der Theatre Workshop bereits Versuche mit interaktiven Arrangements im Theater unternommen hatte, und zwar mit einem Publikum von etwa 50 bis 100 Leuten; in dem Text ersucht er um Unterstützung für die Einrichtung eines größeren Systems mit einem Publikum von 550 bis 750 Zuschauern.22 Ich weiß nicht, ob dieses experimentelle System jemals realisiert worden ist, aber man kann mit Sicherheit sagen, dass Pasks Antrag auf Vergrößerung

21

22

This caused a spark. He [Pask] knew that I worked with inventive clowns. ‚We could have a set of different endings,‘ he said. ‚At least eight and the audience could decide which they wanted,‘ ‚How?‘ ‚By pressing a button attached to their seat, quite simple.‘“ Joan Littlewood. „Gordon Pask“. Kybernetes 30 (2001), S. 760f. „She didn’t disrespect writers, but she had a contempt for ‚text‘ and the notion that what was said and done on stage could become fixed and inert. She believed in ‚the chemistry of the actual event‘, which included encouraging the audience to interrupt the play and the actors to reply – an active form of alienation that Brecht argued for but never practised.“ Richard Eyre. „Oh, What a Lovely Woman“. Guardian (25. September 2002), S. 12. Vgl. Gordon Pask. „Proposal for a Cybernetic Theatre. Theatre Workshop & System Research“ [1964], S. 2 (unveröff. Manuskript).

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Abb. 4: Logisches Diagramm für ein kybernetisches Theater.

unerwidert blieb. Welch ein Jammer angesichts der Tatsache, dass sich damit auf wunderbare Weise hätte zeigen lassen, dass die Differenz der Kunstauffassungen in ihrer Ontologie liegt. Nun zur Architektur. Und um eine Weile bei Joan Littlewood zu bleiben, können wir uns einem anderen ihrer Projekte zuwenden, in das auch Pask involviert war. In den frühen 1960er Jahren „wandte sich [Littlewood] einem Kindheitstraum von einem Volkspalast, einer Universität der Straßen, zu, in dem die Vauxhall Gardens, die themseseitige Unterhaltungs-Promenade des 18. Jahrhunderts, mit Musik, Vorträgen, Spielen, Restaurants und einer Allwetterkuppelhalle neu erfunden werden sollte“.23 Sie erzählte Pask von dieser Idee – dem Fun Palace, wie er genannt wurde –, und „[e]r war begeistert von dieser Idee, gründete 23

John Ezard. „Joan Littlewood“. Guardian (23. September 2002), S. 20.

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ein Komitee, analysierte die Struktur, sagte die Schwierigkeiten voraus, arbeitete endlos und half bei unserer Werbung“ –, alles ohne irgendeine Form von Bezahlung.24 Pasks bemerkenswerter Beitrag zum Design des Fun Palace hatte die Gestalt eines interaktiv konzipierten architektonischen Entwurfs des Gebäudes, in dem der Fun Palace untergebracht sein sollte. Das Gebäude sollte auf seine Einwohner und deren Verhalten reagieren und sich ihnen anpassen, indem es sich um sie herum immer wieder rekonfigurierte, ähnlich wie Musicolour sich mit musikalischen Performances harmonisierte. Die interne Konfiguration des Fun Palace-Gebäudes, so die Absicht, sollte in der Lage sein, ihre Form in der Abstimmung auf bestimmte Gebrauchsmuster zu verändern: „Ein 8-stündiger Zyklus und ein wöchentlicher Zyklus bildeten einen Teil des Prozesses.“25 Wundervoll fantasievolles Zeug. Obwohl viele Leute sich an dieses Projekt erinnern und es immer noch einen zentralen Ort im Bilderfundus der britischen Architektur einnimmt, wurde daraus nichts, ungeachtet der Unterstützung des Greater London Council und der Unterstützung von Yehudi Menuhin und Lord Harewood im Kuratorium. Schon der Ausdruck ‚Fun Palace‘ „rief bei den Stadtverordneten Bilder von in Büschen kopulierenden Schauspielern hervor“, und Littlewoods „Unterstützung erschöpfte sich in der fruchtlosen Suche nach einem Ort“.26 Sie selbst hat das stärker formuliert: Welch ein Pech für jene von uns, die sich für die Idee so stark gemacht hatten. Die Mächtigen wollten uns kein Grundstück für die neuen Vauxhall Gardens geben – überhaupt kein Grundstück! Eine moralisch bereinigte Version der Struktur wurde in Paris errichtet [das Centre Georges Pompidou], welche sich allerdings, wie wir vorausgesehen hatten, ohne Aktivisten, die in der Organisation eines solchen Unternehmens bewandert sind, lediglich als ein gefälliger, leerer Raum entpuppte.27 24

25 26 27

Littlewood (Anm. 20), S. 761. Vgl. ausführlich zur faszinierenden Geschichte des Fun Palace-Projektes und der Zusammenarbeit zwischen Littlewood, Pask und Cedric Price, dem Architekten des Projektes, James Stanley Mathews. An Architecture for the New Britain. The Social Vision of Cedric Price’s Fun Palace and Potteries Thinkbelt. Diss. Columbia University, 2003 (unveröff. Manuskript); für eine zeitgenössische Darstellung vgl. Royston Landau. New Directions in British Architecture. London, 1968. Gordon Pask. „The Architectural Relevance of Cybernetics“. Architectural Design 39 (September 1969), S. 496. Ezard (Anm. 23). „Alas, for those of us who had given our lives to an idea, the powers that be wouldn’t let us have the land for the new Vauxhall Gardens—any land! A bowdlerised version of the structure was erected in Paris [the Pompidou Centre] but, without activists skilled in managing such activities, as we had foreseen, it became merely a rather pleasant empty space.“ Littlewood (Anm. 20), S. 761.

Abb. 5: Teil des Fun Palace.

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Hier können wir wieder an einen ontologischen Zusammenprall denken, sogar an Inkommensurabilität. Littlewood war nicht nur eine AntiEstablishment-Figur, wie das Establishment sie in den eigenen Begriffen konstruierte. Der Fun Palace sollte die wahren Grenzen zwischen Arbeit, Vergnügen und Erziehung, die die Moderne als gegeben voraussetzt und reproduziert, auflösen.28 Der Gedanke, den Fun Palace innerhalb einer quasi-biologischen, kybernetischen Struktur zu beheimaten, war einfach eine weitere Achse, auf der das Projekt der konventionellen Kultur entgegenlief. Es ist in dieser Hinsicht aufschlussreich, die Schwierigkeiten, mit denen sich das Fun Palace-Projekt konfrontiert sah, tatsächlich realisierten Gebäudekonstruktionen wie Londons gefürchtetem Millenium-Dome gegenüberzustellen (der im Moment leer und unerwünscht ist, wenn er tatsächlich noch steht). Wir können bei der Architektur bleiben und mit einem weit gesteckten Ausblick enden. Cedric Price zufolge, dem Architekten des Projektes, war der Fun Palace Pasks erster ernsthafter Kontakt mit der Welt der Architektur, und Pask genoss dies ganz offensichtlich.29 Umgekehrt fand die Architektur ihr Vergnügen an Pask, jedenfalls einige Vertreter dieser Profession in London und in Cambridge (Mass.). In London gelang es Pask, eine langfristige Kooperation mit der Architecture Association (AA) zu etablieren, einer privaten, 1847 gegründeten Schule, an der seine öffentlichen Vorträge großen Zuspruch fanden. Auch auf die Architekturschule des University College hatte er starken Einfluss. In Cambridge besuchte er regelmäßig die von Nicholas Negroponte geleitete Architecture Machine Group am MIT, die irgendwann zum Media Lab mutierte. Pask wurde kein Architekt, aber er betreute Studenten und ihre Projekte; zudem waren seine Schriften von großer Wichtigkeit.30 Hier finden sich sogar Hinweise auf eine gewisse Disziplintreue. „Von zwölf erfolgreichen Studenten, die Pask an der Brunel Universität betreute“, wo er eine halbe Stelle am Fachbereich für Kybernetik innehatte, „waren acht Architekten und sechs kamen von der Architectural Association.“31 28 29

30

31

Vgl. zu diesem Thema Mathews (Anm. 24). Vgl. Cedric Price. „Gordon Pask“. Kybernetes 30 (2001), S. 819-820. Vgl. auch John Hamilton Frazer. „The Cybernetics of Architecture. A Tribute to the Contribution of Gordon Pask“. Kybernetes 30 (2001), S. 641-651. Vgl. Pask (Anm. 25) und ders. „Aspects of Machine Intelligence. Introduction“. Soft Architecture Machines. Hg. v. Nicholas Negroponte. Cambridge, Mass., 1975, S. 6-30. Bernard Scott u. Ranulph Glanville. „Introduction“. Kybernetes 30 (2001), o. P.; vgl. auch Peter Cook. „The Extraordinary Gordon Pask“. Kybernetes 30 (2001),

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Die britischen 1960er Jahre waren architektonisch von einer brutalen Form des Modernismus dominiert. Es war das Jahrzehnt, welches das Aufkommen der Postmoderne in der Architektur erlebte. Kybernetische Architektur jedoch gehörte zu keiner dieser Schulen; sie war wieder etwas anderes. Wie sah nun die Pask’sche kybernetische Architektur in der Praxis aus? Es gibt bedauernswerterweise keine kanonischen kybernetischen Gebäude, die mit den klassischen Beispielen der modernen und postmodernen Architektur vergleichbar wären. Es gab allerdings eine florierende, fantasievolle Tradition architektonischer Imagination an den gerade erwähnten Institutionen, auf die man stattdessen verweisen kann. Was diese Traditionen gemeinsam haben, ist die Pask’sche Idee einer sich dynamisch entwickelnden Beziehung zwischen dem Menschlichen und dem Nichtmenschlichen. Im Jahr 2001 erschien eine Studie zu den Projekten, die an der Bartlett School of Architecture des University College London entstanden. Sie trägt den Untertitel „A Tribute to Gordon Pask“ und steht ganz in der Musicolour/Fun Palace-Tradition, insofern sie alle Elemente jener Strukturen zusammenführt, die sich während des Gebrauchs selbst transformieren können. In einem dieser Projekte ging es zum Beispiel um die Konstruktion einer digital gesteuerten, transformierbaren Struktur – sozusagen um die Haut eines Gebäudes –, die ein Schlüsselelement eines jeden Gebäudes darstellt, das nach dem Prinzip des Fun Palace funktioniert, insofern es sich während des Gebrauchs selbstständig umzustrukturieren vermag. Ein anderes Projekt konzentrierte sich auf die Kommunikation mit Hilfe von Geräuschen, Licht und Gesten zwischen Gebäuden und ihren Bewohnern, was an die Kommunikationssysteme erinnert, die die Roboter in Pasks ‚Colloquy of Mobiles‘ einsetzten.32 In einer anderen Gedenkschrift für Pask diskutiert John Hamilton Frazer die Geschichte eines großen Langzeitprojektes der Architecture Association, an dem Pask bis zu seinem Tode mitgearbeitet hat.33 Das so genannte Morphogenese-Projekt lief von 1989 bis 1996 und intendierte, in Frazers Worten, „[e]ine evolutionäre Architektur [...]. Nicht ein statisches Bild des Seins, sondern ein dynamisches Bild des Werdens und sich Entfaltens – eine direkte Analogie zu einer Beschreibung der natürlichen Welt.“ Es war außerdem ein sehr komplexes und technisch

32 33

S. 571-572. Cook spricht von „einer ganzen Generation von jungen Architekten. [...] Sie sind natürlich die direkten Nachkommen von Gordon.“ Peter Silver u. a. „Prototypical Applications of Cybernetic Systems in Architectural Contexts. A Tribute to Gordon Pask“. Kybernetes 30 (2001), S. 902-920. Vgl. Frazer (Anm. 29).

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anspruchsvolles Projekt, und ich will ganz allgemein auf lediglich zwei Aspekte eingehen.34 Bisher haben wir kybernetische Architektur im Hinblick auf die Beziehung zwischen Gebäuden und ihren Bewohnern diskutiert: Erstere sollen ein ‚aesthetically potent environment‘, eine adaptive Umgebung für Letztere darstellen. Es ist jedoch noch eine weitere Konstellation vorstellbar, in der Architektur und kybernetische Ästhetik einander durchdringen, und zwar im Zusammenspiel von Architekt und architektonischem Zeicheninstrument. Das klassische Planungswerkzeug des Architekten ist das Zeichenbrett – ein passives Objekt, in das dieser seine Vision einschreibt. Das Zeichenbrett ist demnach kein ‚aesthetically potent environment‘ in Pasks Sinne. Und ein großer Teil von Pasks frühem Engagement in der Architektur konzentrierte sich darauf, diese Situation durch die Entwicklung von Planungswerkzeugen zu ändern, die sich dem Architekten anpassen und ihn anspornen konnten – wieder ging er von Musicolour als Modell aus. Dies war das Problem, an dem er zusammen mit Nicholas Negroponte am MIT arbeitete: an der Entwicklung von dem, was Negroponte die „Architecture Machine“ nannte – ein computerisiertes System, das beim Entwerfen von Gebäuden mehr oder minder symmetrisch mit dem Architekten zusammenarbeiten konnte. Es machte aus groben Skizzen Pläne, wies auf mögliche Probleme hin, schlug Erweiterungen vor usw.35 Frazers Morphogenese-Projekt trieb die Idee, ein ‚aesthetically potent environment‘ für die Planung zu entwickeln, noch einen Schritt weiter, indem er einen weiteren Aspekt mitberücksichtigte, nämlich den, dass architektonische Einheiten – Gebäude, Städte, Ballungsgebiete – quasi-biologisch wachsen und sich mit der Zeit an ihre Umgebung anpassen. In den 1950er und frühen 1960er Jahren hatte Pask mit anorganischen Analogiemodellen für organische Wachstumsprozesse experimentiert. Im Gegensatz dazu machte sich das MorphogeneseProjekt neue mathematische Strukturen zunutze, etwa genetische Algorithmen und zellenförmige Automaten, um Wachstums-, Evolutionsund Anpassungsprozesse mit Hilfe eines Computers zu simulieren.36 Der 34

35

36

John Hamilton Frazer. An Evolutionary Architecture. London, 1995. Für diesen Band hat Pask auch das Vorwort geschrieben, und eine Fotografie von Pask zeigt den „Universal Constructor“. Ebd., S. 7. Zu einer frühen Diskussion der MIT „Architecture Machine“ vgl. Negroponte (Anm. 30) und ders. „Towards a Humanism through Machines“. Architectural Design 39 (September 1969), S. 510-513. Vgl. Peter Cariani. „To Evolve an Ear. Epistemological Implications of Gordon Pask’s Electrochemical Devices“. Systems Research 10 (1993), S. 19-33.

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Abb. 6: Das Groningen-Modell.

Architekt würde den Computer mit so etwas wie der ‚Samen‘-Struktur eines Gebäudes speisen, die die Maschine unter Berücksichtigung von ko-evolutionären Wechselwirkungen mit der Umgebung des Gebäudes weiterentwickeln könnte. Gleichzeitig konnte der Architekt durch die Wahl der ‚Samen‘ und die Auswahl von bestimmten Vektoren für die Entwicklung der weiteren Forschungen usw. auf den Prozess Einfluss nehmen. Auf diese Weise würde der Computer selbst ein aktiver Akteur im Entwicklungsprozess, mit dem der Architekt symmetrisch interagieren könnte, indem er sich mit dem Auf und Ab des Algorithmus bewegte, ohne diesen zu kontrollieren – ein schönes Beispiel für die kybernetische Ontologie. Ich kann in Bezug auf Frasers Morphogenese-Projekt nicht weiter ins Detail gehen, aber Abbildung 6 zeigt eines seiner vielen Produkte. Dies ist eine Computersimulation der potentiellen Entwicklung der Stadt Groningen, die die Wechselbeziehungen zwischen der wachsenden Stadt selbst, ihren Einwohnern und ihrer geografischen Umgebung berücksichtigt. Die quasi-organische Struktur ist offensichtlich. Wie aus der Bildlegende ersichtlich wird, war das zugrunde liegende Computermodell von Pasks Arbeit in den 50er Jahren inspiriert, und dies war in der Tat das letzte Studentenprojekt, das Pask selbst betreute. Und nun ein letztes Beispiel kybernetischer Architektur: Abbildung 7 zeigt ein Arrangement von Nicholas Negroponte, einem Mitarbeiter Pasks, das von September bis November 1970 im Jüdischen Museum in

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Abb. 7: Wüstenrennmaus-Architektur.

New York ausgestellt war. Bei genauerem Hinsehen wird erkennbar, dass es sich um die Fotografie einer Ansammlung kleiner Kuben handelt, die jeweils von einer Wüstenrennmausfamilie bewohnt sind. Die Wüstenrennmäuse stoßen an die Kuben und schieben sie herum, während sie so vor sich hin leben. In gewissen Abständen tastet ein Computer die Szene ab und verschiebt die Blöcke – wenn sie nicht viel bewegt worden sind – oder schließt sie in ihren neuen Positionen zu einem Netz zusammen. Die Wüstenrennmäuse schieben dann wieder alles herum, der Computer erledigt wieder seinen Teil, und so formiert und re-formiert sich die Struktur endlos und bringt dabei Konstellationen hervor, die weder der Computer noch die Wüstenrennmäuse voraussehen konnten –, genau wie eine Musicolour-Performance. Ich sollte zur Zusammenfassung kommen. Begonnen habe ich mit der Beschreibung der grundlegenden Ontologie der Kybernetik – einer Vorstellung der Welt bevölkert von unergründlichen Akteuren (sowohl menschlichen als auch nichtmenschlichen), die innerhalb eines perfor-

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mativen Wechselspiels miteinander übereinkommen. Und wir haben die Wege erkundet, auf denen diese bezeichnenderweise nicht-moderne Ontologie sich in Gordon Pasks künstlerischer Arbeit darstellte. Pask ästhetisierte diese ontologische Vorstellung, indem er behauptete, dass der Prozess der adaptiven Verbindung vergnüglich sei und dass er durch die Konstruktion von bestimmten Maschinen und Gegebenheiten gefördert werden könne, die konstruktiv auf menschliche Annäherungsversuche reagierten. Unsere Beispiele waren die Musicolour-Maschine, die ‚Colloquy of Mobiles‘, kybernetisches Theater, der Fun Palace und Traditionen in architektonischen Anlagen und Entwicklungen, die Elemente von Pasks Arbeit am Fun Palace weiterführten. Dabei ist, wie ich hoffe, klar geworden, dass die Differenz in der Tat in einer anderen Ontologie liegt: dass all diese Unternehmungen sich in klar bestimmbaren Aspekten von ihren konventionellen, ‚modernen‘ Entsprechungen in der Welt der Unterhaltung, des Theaters, der Kunst und der Architektur unterscheiden. Allgemein gesprochen ist es folgender Gedanke, der mich an der Kybernetik fasziniert: Die ungewöhnliche kybernetische Ontologie hängt mit einer Vielzahl von korrespondierenden, ungewöhnlichen Objekten, Praktiken und Lebensformen zusammen. Die Kybernetik veranschaulicht damit Arten des Denkens, Träumens und Handelns, die sich von hegemonialen sozialen, kulturellen und politischen Formationen des frühen Dritten Jahrtausends wesentlich unterscheiden. Und solche Alternativen, so glaube ich, sind dringend notwendig. Übersetzung: Christiane Hitzemann

LITERATURVERZEICHNIS Cariani, Peter. „To Evolve an Ear. Epistemological Implications of Gordon Pask’s Electrochemical Devices“. Systems Research 10 (1993), S. 19-33. Cook, Peter. „The Extraordinary Gordon Pask“. Kybernetes 30 (2001), S. 571-572. Eyre, Richard. „Oh, What a Lovely Woman“. Guardian (25. September 2002), S. 12-13. Ezard, John. „Joan Littlewood“. Guardian (23. September 2002), S. 20. Frazer, John Hamilton. An Evolutionary Architecture. London, 1995. Frazer, John Hamilton. „The Cybernetics of Architecture. A Tribute to the Contribution of Gordon Pask“. Kybernetes 30 (2001), S. 641-651. Gregory, Richard. „Memories of Gordon“. Kybernetes 30 (2001), S. 685-687. Gere, Charlie. „The Beginning of the End of Early Computer Art“. Digital Culture. London, 2002, S. 102-109. Landau, Royston. New Directions in British Architecture. London, 1968.

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Littlewood, Joan. „Gordon Pask“. Kybernetes 30 (2001), S. 760-761. Mathews, James Stanley. An Architecture for the New Britain. The Social Vision of Cedric Price’s Fun Palace and Potteries Thinkbelt. Diss. Columbia University, 2003 (unveröff. Manuskript). Negroponte, Nicholas. „Towards a Humanism through Machines“. Architectural Design 39 (September 1969), S. 510-513. Negroponte, Nicholas (Hg.). Soft Architecture Machines. Cambridge, Mass., 1975. Pask, Gordon. „Proposal for a Cybernetic Theatre. Theatre Workshop & System Research“ [1964] (unveröff. Manuskript). Pask, Gordon. „The Architectural Relevance of Cybernetics“. Architectural Design 39 (September 1969), S. 494-496. Pask, Gordon. „A Comment, a Case History and a Plan“. Cybernetics, Art, and Ideas. Hg. v. Jasia Reichardt. Greenwich, Conn., 1971, S. 76-99. Pask, Gordon. „Aspects of Machine Intelligence. Introduction“. Soft Architecture Machines. Hg. v. Nicholas Negroponte. Cambridge, Mass., 1975, S. 6-30. Pask, Gordon. „SAKI. Twenty-Five Years of Adaptive Training into the Microprocessor Era“. International Journal of Man-Machine Studies 17 (1982), S. 69-74. Pickering, Andrew. „Cybernetics and the Mangle. Ashby, Beer and Pask“. Social Studies of Science 32 (2002), S. 413-437. Pickering, Andrew. „Mit der Schildkröte gegen die Moderne. Gehirn, Technologie und Unterhaltung bei Grey Walter“. Kultur im Experiment. Hg. v. Henning Schmidgen, Peter Geimer u. Sven Dierig. Übs. v. Gustav Rossler. Berlin, 2004, S. 102-119. Pickering, Andrew. „The Science of the Unknowable. Stafford Beer’s Cybernetic Informatics“. Kybernetes 33 (2004), S. 499-521. Price, Cedric. „Gordon Pask“. Kybernetes 30 (2001), S. 819-820. Reichardt, Jasia (Hg.). Cybernetic Serendipity. The Computer and the Arts. London, 1968. Reichardt, Jasia (Hg.). Cybernetics, Art, and Ideas. Greenwich, Conn., 1971. Scott, Bernard u. Ranulph Glanville. „Introduction“. Kybernetes 30 (2001), o. P. Silver, Peter u. a. „Prototypical Applications of Cybernetic Systems in Architectural Contexts. A Tribute to Gordon Pask“. Kybernetes 30 (2001), S. 902-920. Zeidner, Joseph, D. Scholarios u. C.D. Johnson. „Classification techniques for PersonJob Matching. An Illustration Using the US Army“. Kybernetes 30 (2001), S. 9841005.

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Explosive Experimente und die Fragilität des Experimentellen. Adorno, Bacon und Cage 1. Das englische Wort „to explode“ hat mindestens eine Wurzel im Theater, zum Beispiel in dem Ausdruck „to applaud“ – ex-plaudere. Dabei geht es weniger darum, die Schauspieler auf der Bühne zu halten, als sie vielmehr durch Klatschen, Zischen und Buhen wegzujagen, was wiederum klingt, als würde das Publikum den Klang eines missratenen Experiments nachahmen oder auf etwas reagieren, das gerade vor seinen Augen in die Luft gegangen ist. Wenn Experimente gelingen, führen sie typischerweise nicht zu Explosionen – es sei denn natürlich, sie sind gerade darauf angelegt –, sondern zur stillen Übereinstimmung und Harmonie der Elemente. Woraus sich der seltsame Gedanke ergibt, dass man im Theater der Kunst und der Wissenschaft vielleicht besser mit leisem Murmeln der Ehrfurcht reagieren sollte als mit jenen lauten „Bravos“ und „Heurekas“, die wir gewohnt sind. Was Theodor W. Adorno über den Applaus schrieb, weicht davon ab, insofern dieser grundsätzlich davon ausging, dass Applaus Lob bedeutet, wenngleich das, was seiner Meinung nach gelobt wurde, nicht dem entspricht, was wir erwarten würden. In einem Text über die Naturgeschichte des Theaters erklärte er: „Applaus ist die letzte Form objektiver Kommunikation von Musik und Hörer.“ Unter den fortgeschrittenen Bedingungen der verwalteten Gesellschaft versäumen die immerfort abgelenkten Zuhörer der Musik sogar dann zuzuhören, wenn sie gerade spielt. Sobald sie jedoch aufhört, applaudieren sie. Adorno sah in diesem Verhalten etwas, das auf „alte, längst vergessene Opferrituale“ zurückdeutet, als unsere Vorfahren dem Schlachten von Tieren Beifall spendeten. Applaus ist immer zeremoniell oder ritualhaft gewesen und bleibt es ihm zufolge auch in unseren modernen Institutionen. Wenn wir also bei einem Konzert applaudieren, so ist es nicht so sehr unser Wohlgefallen oder Missfallen an der Musik, das wir damit ausdrücken, als vielmehr un-

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sere Wertschätzung des Rituals. Im Ritual finden wir unsere Lust, aber es ist eine verschobene, falsche Lust, rührt sie doch nur vom geborgten Andenken an etwas her, das wir praktizierten, als die Menschheit noch in einer nicht-entfremdeten Verbindung mit der Welt stand.1 2. In diesem Aufsatz geht es weniger um Applaus denn um eine umfassendere Geschichte der Moderne, in der sowohl Wissenschaftler als auch Künstler die Bedingungen des Bedeutens und der Erfahrung formulierten, um sich jenem Abgrund zu stellen, den sie zwischen der Welt und den Menschen sich auftun sahen. Es geht insbesondere um diejenigen, welche mittels experimenteller Wissenschaft oder experimenteller Kunst die Ansicht vertraten, die Natur könne noch immer als lebendige Präsenz in der menschlichen Erfahrung existieren. Der Aufsatz konzentriert sich auf zwei spezifische historische Momente, welche nur auf den ersten Blick als nicht zusammenhängend erscheinen. Rhetorisch gesagt, markiert der erste einen Neubeginn am Anfang der Disziplin der Wissenschaft, der zweite einen Neubeginn am Ende der Disziplin der Kunst. Jeder dieser Momente wird durch eine einzelne Figur vertreten: der erste durch einen der Väter der experimentellen Wissenschaft, Francis Bacon, der gewöhnlich sogar eindeutig als „der Vater der experimentellen Wissenschaft“ gilt. Der zweite Moment wird repräsentiert durch einen der Väter der experimentellen Musik, John Cage, auch wenn hier die Rede vom „Vater“ jemandem Autorität zuspricht, der sein ganzes Leben in offener Verweigerung derselben lebte. Trotz offensichtlicher Differenzen ist Bacon und Cage in den Formen ihres Experimentierens eine spezifische Haltung zur Natur gemein, die sich mehr durch Würde und Respekt denn durch gewalttätiges Eingreifen auszeichnet. Wohlwollend gesagt, versuchte keiner der beiden die Natur durch technologische Mittel zu quälen oder zu manipulieren. Beide suchten vielmehr nach einem Weg, die Rätsel und Geheimnisse der Natur dazu zu bringen, sich dem forschenden Geist von selbst zu enthüllen. Für beide ist der Experimentalismus mit einem Moment der Emergenz verknüpft: Sie wollten wissen, was sich dem beobachtenden Auge oder dem horchenden Ohr in der Natur zeigt. Anders gesagt, versuchten beide ein Element des Zaubers oder des Zufalls in ihrer jeweili1

Theodor W. Adorno. „Naturgeschichte des Theaters“. Musikalische Schriften I-III (= Gesammelte Schriften [im Folgenden mit GS abgek.]. 20 Bde. Hg. v. Rolf Tiedemann, Bd. 16). Frankfurt a. M., 1978, S. 309.

Explosive Experimente und die Fragilität des Experimentellen

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gen modernistischen Sprache der Wissenschaft und der Kunst zu bewahren. Beide dachten schließlich eingehend über die Natur ihres Forschens nach. Bacon war ein Essayist, der Aphorismen schrieb, um sich von den traditionellen methodischen Autoren zu unterscheiden. Cage war ein Komponist und Autor, der jede auch nur annähernd autoritative Grammatik zurückwies. Diese beiden Figuren zusammenzubringen, ist nicht gänzlich originell. Adorno hat das in seiner weit gespannten Beschreibung der Dialektik der Aufklärung vor mir getan, zwar philosophisch weniger enggeführt, aber in weitaus kritischerer Weise als ich. Adorno sah bei Bacon und Cage trotz ihrer Plädoyers für eine genuin offene und respektvolle Forschung Tendenzen zu einer absoluten Beherrschung der Natur. Für ihn ermutigte Bacons frühes „Hetzen“ nach absolutem Wissen nachfolgende Denker dazu, einen Pfad einzuschlagen, der bei Versuchen wie denjenigen Cages enden würde, einer von der Menschheit bereits getöteten Natur wieder Leben einzuflößen.2 Obwohl Adorno den Pfad der Aufklärung in düstersten Worten beschrieb, gab er doch die Hoffnung nicht auf, dass die Welt eines Tages anders sein würde, als sie ihm gegenwärtig erschien. So suchte auch er, ebenso wie Bacon und Cage, nach den ästhetischen, wissenschaftlichen und philosophischen Samen für eine freie und nicht verwaltete Art der Erfahrung. Obwohl er den Pfad, der vom Wissenschaftler Bacon zum Künstler Cage führte, für irrig hielt, teilte er doch deren Ziel, in der Erfahrung die Dimension des genuin „Experimentellen“ zu finden, den Punkt, wo die tiefe Verbindung (oder gar Identität) der Begriffe „Erfahrung“ [„experience“] und „experimentell“ alles andere als zufällig ist. Adorno zeigte damit, dass, obwohl er mit Bacon als Vater der experimentellen Wissenschaft streng ins Gericht gegangen war, er doch willens war, dessen essayistischen und aphoristischen Zugang zur Philosophie weiterzuführen.3 2 3

Vgl. Theodor W. Adorno u. Max Horkheimer. Dialektik der Aufklärung (= GS, Bd. 3). Frankfurt a. M., 1981, S. 19. Vgl. Theodor W. Adorno. „Die Aktualität der Philosophie“. Philosophische Frühschriften (= GS, Bd. 1). Frankfurt a. M., 1973, S. 343 und ders. „Der Essay als Form“. Noten zur Literatur (GS, Bd. 11). Frankfurt a. M., 1974, S. 17. Bacon selbst schreibt: „Ein Unterschied der Methode, welcher große Folgen hat, ist der Vortrag von Wissen durch Aphorismen oder methodisch; hierin wollen wir bemerken, dass es zu sehr zur Gewohnheit geworden ist, aus nur wenigen Axiomen oder Beobachtungen zu irgendeinem Thema eine feierliche und formale Kunst zu machen, die mit Reden ausgestopft, mit Beispielen erläutert und zusammengefasst wird in eine vernünftige Methode; aber das Schreiben in Aphorismen hat viele hervorragende Tugenden, an die das methodische Schreiben nicht heranreicht.“ Francis Bacon.

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3. Im vorliegenden Aufsatz wird der Begriff des Experimentellen herausgestellt und seine Entwicklung in einer Geschichte der Aufklärung nachgezeichnet, die zunehmend dominiert wird durch den ihm entgegengesetzten Begriff des Experiments. Obwohl Bacon und Cage das Experimentelle propagierten, gelangten sie doch schließlich, so behauptete Adorno, auf den gefährlicheren Pfad des Experiments und zu dessen Tendenz, die Natur durch Folterung in den Laboratorien der Aufklärung zu zähmen oder gar zu töten. Inwieweit Adorno die Arbeit von Bacon und Cage falsch deutete, interessiert mich nur am Rande; viel eher geht es mir darum zu zeigen, was bei der Unterscheidung des Experimentellen und des Experiments auf dem Spiel steht. Im Hinblick auf die erste Frage sollte man jedoch bedenken, dass Adorno – auch jenseits seiner Zusammenarbeit mit Horkheimer – keineswegs allein war mit seiner Interpretation von Bacon als demjenigen, der die experimentelle Wissenschaft zuerst auf einen Weg gebracht habe, der zum tödlichsten menschlichen Experiment an der Natur führen sollte: einem Experiment, in dem die Experimentatoren und Philosophen in ihrer rationalen Suche nach absolutem Wissen die respektvolle und auch würdevolle Distanz, welche ihre Vorgänger bis dahin zum Objekt der Untersuchung gewahrt hatten, hinter sich zu lassen trachteten. Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich Schiller kritisierten den Bacon’schen Weg ebenfalls scharf, wie es auch später beispielsweise Martin Heidegger, Karl Popper, Herbert Marcuse und Ernst Cassirer taten. Vor allem am Kommentar des Letzteren orientieren sich viele zeitgenössische kritische Lektüren. Cassirers Kommentar zu Bacon hob zunächst an dessen Regeln des experimentellen Verfahrens die radikale Abgrenzung der „neuen Zeit“ vom Mittelalter hervor und die Tatsache, dass Bacon mit diesen Regeln Wissen ununterscheidbar von Macht machte – beides Dinge, die Bacon auch selber sagte. Statt aber die Natur als etwas Gegebenes zu betrachten, über das man spekulieren kann und das durch sinnliche Erfahrung zu beobachten ist, so wandte Cassirer ein, passte Bacon sie dem künstlichen Experiment an. Er führte in die wissenschaftliche Untersuchung das ein, was Cassirer einen essentiell „juridischen“ oder gar inquisitorischen Charakter nannte und was seine Kritiker dazu führte, den Vater „The Two Books of Francis Bacon, of the Proficience and Advancement of Learning, Divine and Human“. The Works of Francis Bacon. 14 Bde. Hg. v. James Spedding, Robert Leslie Ellis u. Douglas Denon Heath. London, 1857-1874, Bd. 3, S. 405.

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der experimentellen Wissenschaft als ersten Folterknecht der Natur zu bezeichnen. Cassirer schreibt über Bacon: [Er] sitzt über die Wirklichkeit zu Gericht, und er verhört sie, wie man einen Angeschuldigten verhört. Nicht selten ist die Rede davon, daß man ihr die Antwort, die man begehrt, abnötigen, daß man die Natur ‚auf die Folter spannen‘ muß. Das Verfahren ist nicht einfach betrachtend oder beobachtend, sondern es ist streng inquisitorisch. Die Zeugen werden verhört und miteinander konfrontiert: Den ‚affirmativen‘ treten die ‚negativen‘ Instanzen, wie den Belastungszeugen die Entlastungszeugen, gegenüber. Und nachdem alle verfügbaren Zeugnisse gesammelt und in ihrem Wahrheitswert gegeneinander abgewogen sind, gilt es zuletzt, das Geständnis zu gewinnen, das die Frage endgültig entscheidet. Ein solches Geständnis ist ohne Zwangsmittel nicht erreichbar. ‚Wie man [hier zitiert Cassirer Bacon] die Denkweise eines Menschen nur dadurch erkennt und erprobt, daß man ihn aufreizt und herausfordert […], so wird auch die Natur, wenn sie durch die Kunst gereizt und bedrängt wird, sich uns weit klarer offenbaren, als wenn man sie in Freiheit läßt.‘ Man sieht: Das ist nicht die Sprache des kontemplativen Denkers, der der Harmonie zwischen dem menschlichen Geist und der Wirklichkeit vertraut und der sich liebevoll den reinen Offenbarungen der Natur überläßt.4

Ich werde auf diese Lektüre von Bacon später zurückkommen; hier muss es einstweilen genügen anzumerken, dass es in Wirklichkeit nicht Bacon war, der davon sprach, die Natur „auf die Folter zu spannen“, sondern erst Gottfried Wilhelm Leibniz im Jahr 1696.5 Nichtsdestoweniger nahmen Bacons Kritiker schon früh stark divergierende Positionen ein; die einen sahen ihn als den Anstifter des gewalttätigsten Experiments, die anderen nahmen in seiner Arbeit einen zutiefst ästhetischen und experimentellen Kern wahr, und dies trotz der inquisitorischen Natur seiner Sprache. Es ist mein Eindruck, dass die Debatte, die Bacons Rezeption geprägt hat, immer auch paradigmatisch war für eine größere Debatte, welche den Begriff des Experiments und den des Experimentellen betrifft. Ich wende mich jetzt dieser Unterscheidung zu. 4

5

Ernst Cassirer. „Die platonische Renaissance in England und die Schule von Cambridge“. Gesammelte Werke (Hamburger Ausgabe). 26 Bde. Hg. v. Birgit Recki. Hamburg, 2002, Bd. 14, S. 260f. Vgl. Peter Pesic. „Wrestling with Proteus. Francis Bacon and the ‚Torture‘ of Nature“. Isis 90 (1999), S. 81f. Pesic zitiert hier Alan G. Gross. The Rhetoric of Science. Cambridge, Mass., 1990: „Die Redewendung stammt von Leibniz, auch wenn die Haltung eine Bacon’sche ist.“ Vgl. auch Nieves Mathews. Francis Bacon. The History of a Character Assassination. New Haven u. a., 1996 und John Bossy. „Torturing the Truth. Is there a Connection between Bacon’s Science and his Statecraft?“. Times Literary Supplement 11. Oktober (1996), S. 3-4. Vieles an meiner Argumentation in diesem Aufsatz ist diesen Arbeiten verpflichtet, aber sie bezieht sich auch unabhängig davon auf Bacons eigene Werke, vor allem auf sein Novum Organon.

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4. Diese beiden Begriffe sind im Verlauf ihrer sich unbestreitbar überlappenden Geschichten zu Kennzeichnungen geworden für zunehmend gegensätzliche Tendenzen der Gewalt und der Gewaltlosigkeit, des lauten Lärms und der leisen Geräusche, wobei nicht immer klar ist, welcher Begriff welche Tendenz zu einer bestimmten Zeit verkörpert. Nicht alles am Experiment ist schlecht, und nicht alles am Experimentellen ist gut. Dass diese Termini im Laufe der Zeit zu Konkurrenzbegriffen geworden sind, wird augenfällig, wenn man darauf achtet, wie sie die Entwicklung und die Vorgehensweisen in den Bereichen nicht nur der Wissenschaft und der Kunst, sondern auch des Sozialen, Religiösen und Politischen gelenkt haben. Es überrascht mich, dass die Unterscheidung zwischen dem Experiment und dem Experimentellen, obwohl weithin vorausgesetzt, in keinem der erwähnten Gebiete explizit erfasst worden ist. Nun könnte man denken, dass sie immer so selbstverständlich war, dass es keiner expliziten Anerkennung bedurfte, aber das ist nicht wahr. Oder man könnte sich vorstellen, dass die Bewegung zwischen den beiden Begriffen über die gesamte Reichweite ihres Gebrauchs so fließend war, dass eine strikte Unterscheidung niemals wirklich nötig wurde. So kann man ja tatsächlich von Experimenten im Hinblick auf die experimentellen Techniken, die sie mit sich bringen, oder die experimentellen Daten, die sie hervorbringen, sprechen; so wie man auch von einer experimentellen Vorgehensweise sprechen kann, die Experimente mit verschiedenen Arten von Materialien, Werkzeugen oder Instrumenten einschließt. Man kann also offensichtlich zwischen den beiden Begriffen ohne semantischen Gewinn oder Verlust hin und her wechseln. Und doch ist es nicht nur sinnvoll, sondern manchmal sogar entscheidend, von einem bestimmten Experiment zu sagen, dass es nichts vom Charakter des Experimentellen habe; ebenso umgekehrt vom Experimentellen, dass es nichts vom Charakter des Experiments habe. Was wiederum die Behauptung bestärkt, dass sich zwischen den beiden Begriffen zumindest eine starke Differenz der Konnotation entwickelt hat. Diese Differenz explizit zu machen heißt, einige der antagonistischen Tendenzen der Moderne aufzudecken. Die Differenz ist umso mehr gewachsen, je weiter sie in kritische Interventionen einbezogen wurde, gerade wenn es dabei wie im Fall von Bacon, Adorno oder Cage darum ging, die Beziehung der Natur zur Menschheit oder zur Kunst neu zu fassen. Die Begriffe „Natur“ und „Kunst“ werden nicht nur zur Unterscheidung von leider getrennten Sphären gebraucht, sondern auch zur Unterscheidung von Vorstellungen des Natürlichen, Spontanen oder

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Freien einerseits und des Künstlichen, Intentionalen oder Menschengemachten andererseits. Wenn die Geschichte des Experimentellen und des Experiments eine Geschichte der Moderne ist, dann weil sie einen Beitrag leistet zum Verständnis unserer Beziehung zu Natur und Kunst. In diesem Verständnis wird der Fokus schnell auf Dinge gelenkt, die das Leben und den Tod der Natur, der Menschheit und der Kunst gleichermaßen betreffen, und in diesem Zusammenhang hat der Ausdruck „Experiment“ die negativere Konnotation angenommen. Es sei zunächst an die verschiedenen Gebiete erinnert, in denen der Gebrauch der allgemeinen Begriffe des Experiments und des Experimentellen besondere Bedeutung erlangt hat, ohne dass es bereits um die genaue Differenzierung der beiden ginge. Am stärksten ins Auge fällt zuerst die Geschichte der Experimente in den Laboratorien der bis ins 17. Jahrhundert zurückreichenden experimentellen Wissenschaft. Dann gibt es aber auch die komplexe Geschichte der politischen und religiösen Experimente – die oft erwähnten „wunderbaren Experimente“, die mit den Entwicklungen von Sozialismus, Kommunismus, Faschismus, Puritanismus und Demokratie einhergingen. Von politischen Experimenten zu sprechen wurde vor allem nach 1900 üblich; aber bereits 1845 sprach Karl Marx von der Französischen Revolution als einem „Experiment“, und zwar einem bourgeoisen, das ihm zufolge mehr zum 18. denn zum 19. Jahrhundert gehörte und damit dialektisch bereits veraltet war. Mit den politischen Experimenten kamen die ganzen sozialen Experimente: Jeremy Benthams so genannte „humane Experimente in der Strafreform“, Friedrich Engels industrielle Experimente und die späteren pragmatistischen Experimente John Deweys in der Erziehung. Darüber hinaus ist auch an die uralte Geschichte der philosophischen Gedankenexperimente zu denken, die im 19. Jahrhundert von John Stuart Mill und Ernst Mach auf einen merklich positivistischen Pfad geführt wurden. Schließlich gibt es die Geschichte der modernen Künste, in der lange galt, dass je experimenteller die Technik, die Technologie oder das künstlerische Prinzip, desto avantgardistischer die Kunst sei. In keinem dieser Gebiete wurde der Begriff des Experiments oder der des Experimentellen neutral angewandt. Seit dem Beginn der Moderne waren beide untrennbar verflochten mit wertebeladenen Theorien des Fortschritts. In diesem Zusammenhang haben einige Theoretiker behauptet, dass alle neue Kunst notwendig experimentell sein müsse, wobei das Neue und das Experimentelle unmittelbar die Idee des Erprobens von noch Unerprobtem suggerieren. Mit diesem Gefühl des Ausprobierens ist das Eingeständnis der Möglichkeit des Scheiterns verbunden: Experimentell zu sein bedeutet, Risiken einzugehen. Damit geht

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die Anerkennung von Mehrdeutigkeiten und Unschärfen in unseren Erkenntnisweisen einher. Andere Theoretiker haben dagegen das Experiment stärker betont als das Experimentelle und darin eine nüchterne Weise zur Entwicklung eines risikofreien und sicheren Weges gesehen, das Wissen voranzubringen, den Dingen gerecht zu werden und durch zunehmend differenziertes und kontrolliertes Überprüfen Gewissheit zu erlangen. Betrachten wir nun eine Bewegung in der Geschichte der Kunst, die uns nichtsdestoweniger zur Wissenschaft zurückbringen wird, nämlich den italienischen Futurismus. Seine Vertreter zelebrierten in ihrem berühmten Manifest von 1913 ihre lärmenden Experimente, indem sie mit Lautsprechern eine neue „Kunst der Geräusche“ verkündeten, ausdrücklich um sich der angeblichen Stille eines „alten Lebens“ und einer „Natur“ zu widersetzen, welche einst in glücklicher Harmonie existierten. „Wenn wir solche außergewöhnlichen Erschütterungen wie Unwetter, Wirbelstürme, Lawinen, Flut und Erdbeben beiseite lassen“, so schrieben sie, dann sei die Natur „still“. Erst jetzt sei der Lärm geboren, um über unsere einst ruhigen Sensibilitäten zu triumphieren. Viele Jahrhunderte lang spielte sich das Leben in den gedämpftesten und musikalischsten Tönen ab. Nun hingegen seien die moderne Welt und darum auch unsere neuen technologischen Künste gemacht aus „Gepolter, Gebrüll und Explosionen“. Die Futuristen sagten aber auch, und mit dieser Meinung waren sie nicht allein, dass die neuen Geräusche nicht nur in die traditionellen Künste des Ohrs, sondern auch in diejenigen des Auges eingebracht werden könnten. Folglich waren Fotografie und Film – die neuen Formen der visuellen Kunst – gezwungen, ihren Lärm anzuerkennen oder sich sogar daran zu erfreuen, wie dies – zumindest im Englischen seit 1890 – das Überwiegen der gewalttätigen Sprache des „shot“ oder des „taking a shoot“ zeigt. Diese Sprache wurde zur vorherrschenden Bezeichnungsweise für die Art, wie die Kamera ihre Bilder herstellt, auch wenn die Metapher wohl lediglich im Hinblick auf die Mechanik des Klickens (und nicht im Hinblick auf den Knall) entstand. Nichtsdestoweniger wurde der Lärm der Kamera zweifellos zum Problem, als die frühen Filmemacher bemerkten, dass sie den Lärm der brummenden Kamera bei der Ausstrahlung ihrer Filme nicht verhindern konnten, und darum beschlossen, noch mehr Lärm einzuführen – dieses Mal in Form von Musik –, um den anderen Lärm zu überdecken. Das sei einer der Gründe, so wurde argumentiert, dem bereits nicht sehr stummen Film Musik beizufügen. Für viele Filmtheoretiker war das Hinzufügen von Musik zum Film natürlich anders motiviert; es war dasjenige, was diese Kunstform zur

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Vollendung und zu ihrer unvergleichlichen Fähigkeit führte, alle sinnlichen Dimensionen in einer einzigen Konstruktion unterbringen zu können: die Fähigkeit sowohl ein totales (synthetisierendes) als auch ein totalisierendes (alles in sich absorbierendes) Werk zu sein. Als Steigerung der großen wagnerianischen Synthese konnte der Film die absolute Illusion kreieren, ja die perfekte Kopie modernen Lebens, auch wenn die Verwendung des Wortes „Kopie“ einem Medium, das für sich beanspruchte, den Unterschied zwischen dem Fiktionalen und dem Realen (Kunst und Leben) überwunden zu haben, nicht mehr entsprach. Wo ehemals in den mimetisch unperfekten Künsten die Illusion des Realen (als Natur) geschützt wurde durch eine die Illusion als Illusion aufrechterhaltende Distanzierung und Ungläubigkeit, beanspruchte der Film in seinem fortgeschrittenen Zustand, diesen Abstand überwunden zu haben. Viele Theoretiker feierten, was sie als die neue Macht und Herrschaft über das Reale verstanden. Andere hingegen beklagten vielmehr den Verlust des alten, ruhigen und würdigen Realismus, je mehr er durch einen, wie sie sagten, neuen, lärmenden und offen herrischen Idealismus ersetzt wurde. Natürlich war das, was sich im Bereich der Kunst gegen Ende der Moderne ereignete, in der Wissenschaft (wenn nicht auch in der Kunst) in gewisser Weise schon lange vorher eingetreten: Bereits in der Wissenschaft des 17. Jahrhunderts begannen die Experimentatoren, die Natur nicht länger als etwas in sicherer Entfernung vor ihren beobachtenden Augen Stehendes zu begreifen, sondern als etwas, an dem sie ihre experimentellen Messer ansetzen konnten. In diesem Moment, so wurde bereits zu jener Zeit gesagt, spalteten sich die Wissenschaftler von den Zauberern ab. In den 1930er Jahren bezog sich Walter Benjamin genau auf diese Begriffe, um die neu auftretende Analogie zwischen dem Filmemacher und dem Chirurgen im Zeitalter technischer Reproduzierbarkeit zu beschreiben. Im Zeitalter kultischer Kunst, so schrieb er, hätten Künstler wie Magier gehandelt und Illusionen der natürlichen Welt erschaffen, ohne sie zu zerstückeln. Am Ende dieses Zeitalters jedoch seien sie vollkommen zu dem geworden, was die Wissenschaftler schon waren: Experimentatoren, die die Natur nicht so lassen wollten, wie sie war, sondern sie im Namen des Fortschritts zu instrumentalisieren suchten. Viele Kritiker machten Francis Bacon für die Initiierung dieser chirurgischen Bewegung verantwortlich. Im Laufe der Zeit hat die Vorstellung des Experiments, sei es in der Wissenschaft, in der Politik oder in der Kunst, eine Aura der Gewalt über das zu Untersuchende auszustrahlen begonnen. Das hat kürzlich einen meiner Kollegen zu der Frage veranlasst, ob die Rede von politi-

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schen Experimenten automatisch ihre Assoziation mit Tyrannei voraussetzt. Tatsächlich wurde dem harten (deutschen) Substantiv „das Experiment“ [im Original dt.] eine weitaus extremere Konnotation beigelegt, als es das Sprechen von Experimenten in der Politik oder, mehr noch, von Experimentieren oder Experimentalismus in diesem oder jenem politischen System mit sich bringt. Es klingt viel besser davon zu sprechen, Dinge in einer Demokratie auszuprobieren, als das System Demokratie einem Land aufzuzwingen, so als ob ihre Folgen bereits von vornherein ausgemacht wären oder als ob Demokratie ein System in einer Fertigpackung wäre. Als Goethe in einem anderen Kontext seine Farbenlehre entwickelte, schlug er eine experimentelle Methode vor, die genau deshalb ganz anders sein sollte als die analytische Haltung der Newton’schen Methode, weil Newton als „Inquisitor“ die Natur gefoltert habe, um von ihr das Geständnis dessen zu erzwingen, was er schon „vorher bei sich festgesetzt hatte“.6 Hier bezog sich Goethe nicht nur auf die bereits etablierte Idee des Folterns der Natur, um ihr ein Geständnis zu entlocken, sondern auch auf ein offensichtlich für das Experiment zentral gewordenes Charakteristikum, nämlich dass sein Ausgang in irgendeiner Weise vor der tatsächlichen Überprüfung entschieden sei. In extremis hat der Bezug auf „das Experiment“ den Beigeschmack einer Form der Kontrolle bekommen, die versucht, das zu Erklärende im Voraus zu subsumieren, woraus sich eine Methode des Prüfens ergibt, in der das Ergebnis schon von Beginn an feststeht und bei der es im Experiment nur noch darum geht, die Hypothese unter strengen begrifflichen Vorgaben und optimalen Beobachtungsbedingungen zu bestätigen oder zu falsifizieren. Damit wird die maximale Kontrolle des Materials, der Stichprobengruppen, der Fragen und Beobachtungsprozeduren befördert; ermöglicht wird dies durch fortgeschrittene Statistik- und Messmethoden, die Muster der Ähnlichkeit, Einförmigkeit und Variation kontrollieren; letztendlich werden so die Kriterien der Korrektheit oder des Erfolgs in einer Weise festgelegt, dass ein Ergebnis, das als Scheitern des Experiments gelten müsste, als Teil seines Wahrheitsgehalts absor6

„Es ist dieses das sogenannte experimentum crucis, wobei der Forscher die Natur auf die Folter spannte, um sie zu dem Bekenntnis dessen zu nötigen, was er schon vorher bei sich festgesetzt hatte. Allein die Natur gleicht einer standhaften und edelmütigen Person, welche selbst unter allen Qualen bei der Wahrheit verharrt. Steht es anders im Protokoll, so hat der Inquisitor falsch gehört, der Schreiber falsch niedergeschrieben.“ Johann Wolfgang von Goethe. Zur Farbenlehre. Polemischer Teil (= Die Schriften zur Naturwissenschaft, Abt. 1, Bd. 5). Hg. v. Dorothea Kuhn u. Wolf von Engelhardt. Weimar, 1958, S. 45. Zit. n. Albrecht Schöne. Goethes Farbentheologie. München, 1987, S. 64-66 [Herv. d. Verf].

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bierbar wird. Kurz, in einem Experiment geschieht das Planen im Voraus, werden klare Ziele festgelegt, optimale Bedingungen gesucht: Wo ein Fehler vorkommt, ist dieser optimal theoretisiert und kontrolliert. Am anderen Ende des begrifflichen Spektrums hat der Begriff des Experimentellen die Aura der Offenheit, der Revidierbarkeit und der Unvollständigkeit angenommen. Er erinnert an Michel Montaignes Ausdruck „Essay“, den auch Bacon und Leibniz verwendet haben sowie diejenigen Schriftsteller, die ihre Texte mit „Versuch zur“ oder „Entwurf zur“ betitelten: Wendungen, die im 18. Jahrhundert auftraten und das dynamische Gefühl der unvollendeten Reise vermittelten. Damit geht – nicht zufälligerweise – auch die Vorliebe für Erfahrung (von fahren) im Gegensatz zum vollständigen, in sich geschlossenen Erlebnis einher. Hier wurden Versuche, die auf dem fortschreitenden Pfad der wissenschaftlichen Forschung gemacht wurden, von den meisten Experimentatoren nicht mit Foltergerichten nach streng inquisitorischem Gesetz assoziiert, sondern viel eher mit (wissenschaftlichen) Theatern, wo das Untersuchungsmaterial mit sanfteren und besser ausbalancierten Waagen geprüft wurde. So kontrastiert Goethe sein Bild genau mit demjenigen des „analytischen“ Newton, wenn er die Farben in einem Kreis angeordnet sieht. Während bei Newton die Farben durch ein Prisma gebrochen werden, wird bei Goethe dem Spektrum hingegen erlaubt, sanft die organische Harmonie zwischen der Natur und uns selbst als wissenden Subjekten zum Vorschein zu bringen. Auch Bacon schrieb über diese Art von organischer Harmonie, aber allem Anschein nach überzeugte er damit nicht. Was er als eine harmonische Beziehung beschrieb, wurde von anderen als nichts Besseres denn als eine patriarchale Ehe gesehen: „Die glückliche Ehe zwischen dem menschlichen Verstand und der Natur der Dinge, die er im Sinne hat, ist patriarchal: der Verstand, der den Aberglauben besiegt, soll über die entzauberte Natur gebieten.“7 Interessanterweise sah Goethe selbst in Bacons Experimenten nicht das Ansinnen einer Entzauberung, sondern einer Opferung – der Opferung der Natur um des menschlichen Fortschritts willen. Mit Blick auf die Experimente von Robert Hooke verwies Goethe auf Bacons „experimentum crucis“ und sah in diesem Ausdruck nicht nur einen entscheidenden Scheideweg oder ein maßgebliches Experiment, sondern auch das Kreuz, an das eine Person geschlagen wird, deren Blutgefäße – in Bacons Redeweise – dabei bersten.

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Adorno u. Horkheimer (Anm. 2), S. 20.

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5. Wenn Bacons Werk zu Beginn der modernen Wissenschaft einen tief gehenden Streit zwischen gegnerischen Tendenzen initiierte, so tat John Cages Werk das Gleiche am Ende der modernen Kunst, wenn auch sicherlich nicht in demselben Maße. Aber es war 1939 und später doch genau der Dogmatismus des Experiments, den Cage aufzugeben entschlossen war, als er seine eigene Konzeption von Anti- oder Post-Kunst experimenteller Musik beschrieb. In seinem passenderweise Silence betitelten Buch schien er die gesamte Lärmbesessenheit der modernen westlichen Welt zu verwerfen. Zunächst bekundete er noch Zweifel am Gebrauch des Wortes „experimentell“ und befürchtete, dass durch diesen Begriff sein Projekt mit anderen Avantgarde-Projekten verwechselt werden könnte, aber später fand er Gefallen an dem Ausdruck. Denn später, so meine ich, wurde ihm klar, bis zu welchem Grad experimentelle Musik den kontrollierenden Charakter des Experiments vermeiden konnte.8 Cage unterschied seine Idee der experimentellen Musik von hochmodernistischen Zugängen zum Komponieren, wie er sie in den Werken von Milton Babbitt oder Eliot Carter sah, Zugängen, die, wie er spöttelte, durch die Hinzufügung eines „neuen Flügels“ zur bereits etablierten Akademie „keine Türen zur Außenwelt öffneten“. Er nahm auch Abstand von jenen Komponisten, die lediglich populäre oder Jazzelemente in ihre immer eklektischeren Kompositionsformen einführten. Schließlich distanzierte er sich von jenen, die vorrangig mit dem Experimentieren mit neuem Material und neuen Instrumenten beschäftigt waren, auch wenn er selbst oft gerne dasselbe tat. Was seine Idee der experimentellen Musik von anderen unterschied, war die entschiedene Absicht, mit der Art von autoritativen Werken zu brechen, die in Konzertsälen gespielt wurden; diese Werke hatten Künstlern und Hörenden die Erfahrung gänzlich entzogen, weil sie die Tendenz hatten, wie Experimente mit vorherbestimmtem Resultat zu funktionieren. Wie Adorno meinte auch Cage, dass der abstumpfende Einfluss des traditionellen Werkbegriffs auf die Hörerfahrung nicht zu unterschätzen sei. Wer eine Karte für ein Werk-Konzert kauft, weiß von Anfang an, was er hören wird. Live-Konzerte näherten sich zunehmend dem Wohnzimmerhören an, wo an Schallplatten gerade die Erwartung herangetragen wird, jedes Mal das Gleiche zu hören, und wo das Risiko 8

Vgl. John Cage. Silence. Cambridge, Mass., 1973, darin insbes. „Experimental Music“ (S. 7-12), „Experimental Music. Doctrine“ (S. 13-17) und „History of Experimental Music in the United States“ (S. 67-75).

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oder der Experimentalismus der Erfahrung zugunsten des bereits Bekannten unterdrückt wird. Wenn die Kritik des bürgerlichen Live-Konzerts übertrieben wurde, dann um darauf aufmerksam zu machen, wie sehr der Werkbegriff in der Aufführungspraxis der klassischen Musik an Autorität gewonnen hatte, in der die Vorstellung von Musik als Performancepraxis zunehmend zugunsten einer hochkontrollierten Herstellung von „Produkten“ verdrängt worden war. Cage entschied sich folglich, den Werkbegriff bis hin zu dem paradoxen Grad zu öffnen, dass dieser alle Kontrolle – oder zumindest alle traditionelle Kontrolle – über das Ereignis der Aufführung aufgeben würde, welches sich nichtsdestoweniger weiterhin in seinem Namen ereignen würde. Diesen Wandel beschrieb er als die Ersetzung des geschlossenen Werkes durch ein nicht festgelegtes oder „offenes Werk“. Er beschrieb enthusiastisch mit neuen Worten und Zeichnungen Ereignisse, Happenings und Anlässe der experimentellen Musik, wo die wesentliche kreative Aktivität von Künstlern und Hörern auf einer neuen Bühne glücklicher und offener Zusammenarbeit vollzogen werden würde. Der Beitrag von Komponisten und Dirigenten zu solch einem Anlass würde derjenige einer nur mehr teilnehmenden Rolle als (Mit-)Aufführende und Hörer sein: „[D]er Dirigent eines Orchesters ist nicht länger ein Polizist.“9 Experimentelle Werke stellen damit, so könnte man sagen, Anlässe für Erfahrungen dar, im Unterschied zu Anlässen für Erlebnisse, bei denen schon vor dem eigentlichen Erleben gewusst wird, was passiert. In seinen Happenings wüsste man nicht genau, wofür man eine Karte gekauft habe, und das, so glaubte er, könnte befreiend sein. Für Cage war das kritische Element des Experimentalismus gegen Institution und Methode und auf die Wiederbelebung der musikalischen Erfahrung gerichtet. Er benutzte dementsprechend den Ausdruck „experimentell“, um einen „Akt“ zu bezeichnen, dessen „Ergebnis“ nicht nach Erfolg oder Misserfolg beurteilt werden könnte, bevor er stattgefunden hatte. „Was ist die Natur einer experimentellen Aktion?“, fragte Cage und antwortete: „Es ist einfach eine Aktion, deren Ergebnis nicht vorhergesehen ist […], denn nichts, was man tut, führt zu etwas im Voraus Geplantem.“10 Aber selbst nach dem Ereignis kann kein Urteil gefällt werden, wenn eine Aufführung nicht mehr als eine Wiederholung oder Veranschaulichung einer bereits existierenden Sache betrachtet werden soll. Es wird mithin in einer Aufführung nichts über das Werk als solches definitiv bewiesen. Ein Werk kann in einer bestimmten Auf9 10

Cage, „History of Experimental Music in the United States“ (Anm. 8), S. 72. Ebd., S. 69.

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führung vollkommen anders klingen als in jeder anderen Aufführung, es soll dies sogar. Cage schrieb dementsprechend: „Das Wort ‚experimentell‘ ist treffend, solange es nicht als Bezeichnung für einen Akt verstanden wird, der im Nachhinein im Hinblick auf Erfolg oder Misserfolg beurteilt werden soll.“11 Die experimentelle Aktion „bewegt sich nicht im Rahmen von Annäherungen und Irrtümern […], denn es werden keine mentalen Bilder dessen, was passieren wird, im Voraus aufgestellt; sie sieht Dinge direkt, wie sie sind.“12 Sich gegen den bürgerlichen Werkbegriff zu stellen, bedeutete für Cage, sich gegen die menschliche – oder vielmehr, so meine ich, die traditionelle westliche oder europäische – Beherrschung des Klanges zu stellen. Musik war durch eine menschliche Grammatik oder ein Konventionssystem zu sehr eingeschränkt worden. Zu viel war aus der musikalischen Sphäre ausgeschlossen und das Zugelassene war zu sehr ausgebeutet worden. Den Klang zu befreien bedeutete, alles in die musikalische Sphäre hineinzuholen oder aber alles Musikalische herauszunehmen, um damit die künstliche Kluft zwischen Kunst und Leben, zwischen Musik und natürlichen (oder nicht westlichen) Klängen zu überwinden. Traditionelle Musik aufzugeben, bedeutet nach Cage, sich psychologisch hinzuwenden zur Welt der Natur, wo man allmählich oder plötzlich sieht, dass Menschheit und Natur nicht getrennt sind, sondern gemeinsam in dieser Welt; dass nichts verloren ging, als alles [d. h. unsere Bestimmungen] weggegeben wurde. In Wahrheit ist alles gewonnen. In musikalischer Hinsicht können jegliche Klänge in jeglicher Kombination und in jeglicher Abfolge vorkommen.13

Cage sprach so von der Notwendigkeit, Klänge für sich selbst sprechen zu lassen, um die Hörerfahrung für etwas Unbekanntes – das Element des Zufalls oder der Überraschung – zu öffnen. Das würde nur geschehen, so schloss er, wenn „der messende Verstand“ aufhörte zu glauben, dass er eines Tages endlich erfolgreich die Natur vermessen könnte. Meiner Ansicht nach ist es wichtig festzuhalten, dass Cage hier eine psychologische Wende beschreibt; wenn er diese immer wieder als ontologische Wende ausgibt, wird das Ganze weitaus widersprüchlicher und trügerischer. Cage konzentrierte sich auf die Neuschöpfung einer musikalischer Erfahrung, die sich unter seiner Lenkung in einer herrschaftsfreien, zweckfreien und naturalisierten Umgebung abspielen sollte. Er verkün11 12 13

Cage, „Experimental Music. Doctrine“ (Anm. 8), S. 13. Ebd., S. 15. Cage, „Experimental Music“ (Anm. 8), S. 8.

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dete, seine Musik sei absichtslos, allumfassend und der Hervorbringung einer neuen Aufmerksamkeit für die umgebende Klangwelt gewidmet. „Wir sind tatsächlich technisch dazu ausgerüstet, unser zeitgenössisches Bewusstsein von den Wirkungsweisen der Natur in Kunst umzuwandeln“, schrieb er. Wohin oder zu was führt uns diese neue Art des Hörens auf die Wirkung der Natur? Zum Theater, antwortete er, zur Beteiligung unserer Augen und Ohren an einem Theater des Werdens, welches sich vollständig auf die neue Idee einer naturalisierten und umweltorientierten Theatralität stützt. Indem Cage das abgenutzte europäische Erbe von sich abwarf, konnte er das, was er für einen genuin amerikanischen Experimentalismus hielt, beschreiben (wenn nur, so fügte er hinzu, Amerika diesen auch tatsächlich unterstützen würde!): In der Tat hat Amerika ein für das radikale Experimentieren geeignetes intellektuelles Klima. Wir sind, wie Gertrude Stein sagte, das älteste Land des 20. Jahrhunderts. Und ich möchte hinzufügen: in unserer Art, Jetztheit zu kennen.

Cage zitiert die gegen ihn gerichtete Bemerkung: „Es muss für euch in Amerika schwierig sein, Musik zu schreiben, denn ihr seid so weit weg von den Zentren der Tradition.“ Darauf antwortet er sogleich: „Es muss für euch in Europa schwierig sein, Musik zu schreiben, denn ihr seid so nahe dran an den Zentren der Tradition.“14 Selbstverständlich war der Kontrast zwischen Amerika und Europa mehr politisch denn geografisch; auch viele Europäer behaupteten schließlich, alle Verbindungen zur Vergangenheit zu kappen. 6. John Cage ging mit seiner Vorstellung von Experimentalismus weiter als Francis Bacon, und das nicht nur aufgrund der zeitlichen Distanz von mehreren Jahrhunderten. Die Frage bleibt jedoch, ob die beiden eine grundsätzlich gleiche Richtung verfolgten. Um diese Frage zu beantworten, gehe ich zunächst zurück zu Bacon, bevor ich wieder auf Cage zu sprechen komme. Auf den ersten Blick sieht es aus, als ob Bacon viel früher ausdrücklich genau dasjenige verneint hätte, was Cage propagierte, nämlich dass unsere Erfahrung „über das eigentliche Experiment“ hinausreichen sollte. Bacon bestand darauf, dass unser Herumschweifen nie „ein blindes oder dummes Herumirren“ werden sollte; das Experiment muss gelenkt werden. Aber folgte daraus, dass ein kontrolliertes Experiment all-beherrschend werden müsse? Im Unterschied zu 14

Cage, „History of Experimental Music in the United States“ (Anm. 8), S. 73.

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Cassirers juridischer Lektüre Bacons schien Bacon das selbst nicht zu glauben. In seinem Text De Sapientia Veterum setzt er sich genau mit derjenigen Situation auseinander, in welcher der selbsternannte Diener der Natur unversehens zu ihrem Herren wird; wo also der Wissenschaftler, in Bacons Worten, die Allmacht Gottes oder, modern ausgedrückt, die schöpferische Macht des alles unter Kontrolle habenden Künstlers annimmt. Wenn sich der Experimentator wirklich eine solche Selbstüberhebung anmaße, so Bacon, dann stelle sich die Natur letztendlich dem Menschen entgegen, indem sie eine proteushafte, transformative und restorative Selbsttätigkeit entwickele.15 Es ist nicht vollständig klar, wie weit Bacon in seinem Denken des experimentellen Eingreifens der Kunst in die Natur gehen wollte; daher auch die Uneinigkeit unter seinen Kritikern. Indes scheint er hier doch zu vertreten, dass, wenn die Natur den Eingriff des Experimentators überlebt, beide Seiten bekommen, was sie wollen: Die Natur widersteht dem Eingriff und die Experimentatoren erhalten ihr Wissen. Diese Interpretation stimmt mit einem der bekanntesten Aphorismen aus dem Novum Organon überein: „Denn der Natur bemächtigt man sich nur, indem man ihr nachgibt.“16 Gewiss benutzt Bacon eine juridische Sprache, wie Cassirer sagt, aber zu welchem Zweck? Cassirer hierin folgend, haben manche Kritiker in jüngerer Zeit dieses Eingreifen in die Natur sogar mit der Vergewaltigung einer Frau verglichen. Die Natur, immer weiblich konnotiert, wird in Bacons Modell dem „Schütteln“, „Aufrühren“, „Stören“ und „Hetzen“ der Experimentatoren unterworfen. Diese Analogie geht aber zu weit. Bacon sucht eine bescheidenere Analogie, plausiblerweise in Anlehnung an Platon diejenige zum ‚Belästigen‘ oder Überbelasten der Saiten eines Musikinstruments, wie sie im siebten Buch der Politeia vorkommt. In einer Diskussion über Experimente mit musikalischen Harmonien liest man dort, wie die Experimentatoren sich über das Messen kleinster Töne streiten und dabei die Ohren an ihre In15

16

„Nichtsdestoweniger, wenn irgendein geschickter Diener der Natur Kraft auf Materie zu wirken bringt und diese belästigt und zum Äußersten treibt [vexet atque urgeat], gleichsam mit dem Ziel, sie zu vernichten, dann wird die sich in solcher Beklemmung findende Materie (da Vernichtung oder wahre Zerstörung unmöglich ist außer durch die Allmacht Gottes) sich in seltsame Formen wenden und wandeln und von einer Veränderung zur nächsten gehen, bis sie durch einen ganzen Kreis gegangen ist und den Zyklus abgeschlossen hat; dann aber, wenn die Krafteinwirkung weitergeführt wird, schließlich zu sich selbst zurückkehren.“ Francis Bacon. „Of the Wisdom of the Ancients [De sapientia veterum]“. The Works of Francis Bacon (Anm. 3), Bd. 6, S. 726. Zit. n. Pesic (Anm. 5), S. 86. Francis Bacon. Neues Organ der Wissenschaften. Hg. u. übs. v. Anton Theobald Brück. Darmstadt, 1962 [Nachdruck d. Ausgabe Leipzig, 1830], S. 26.

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strumente legen, ganz so als ob sie versuchten, durch die Wand ihre Nachbarn zu belauschen. Indem sie dem Gegenstand ihrer Forschung so nahe kommen (und für Platon ist das zu nahe), sind sie gezwungen, die Saiten mit den Wirbeln zu quälen, zu belästigen und zu foltern.17 Bacon störte sich anscheinend weniger an dieser Nähe als Platon. Wenn man sich diesen Passus aus der Politeia in Erinnerung ruft, kann man nicht umhin, an Bacons eigene Beschreibung von Salomons glücklichem Klanghaus auf Neu-Atlantis zu denken, wo unter der gütigen Herrschaft des Königs die Experimentatoren „alle Töne und ihre Erzeugungsarten“ vorführen, „Harmonien, [die] auch die Viertel der Töne und gewisse sehr zarte Tremolos“ enthalten, erforschen und auf „Musikinstrumenten [...] dünne Töne“ in „starke und volle“ verwandeln. Sie bilden sogar „alle Stimmen und Laute“ der Tiere und Vögel nach.18 John Cage hätte dieses Haus gewiss gerne besucht, wenn es nicht 1939 bereits eine andere Aufgabe angenommen hätte. Denn nachdem es vom Kaiser von Atlantis aufgekauft worden war, wurde es zu einem Ort, an dem die Experimentatoren beschlossen, via Lautsprecher Kontrolle über alle dort Lebenden auszuüben, und schließlich denjenigen das Leben nahmen, die die musikalischen Klänge produzierten. In Viktor Ullmanns in Theresienstadt komponierter Oper wird nicht mehr mit dem Klang, sondern mit dem Tod experimentiert; Experimente der Wissenschaft sind zu Experimenten des Kriegs geworden. Auch Adorno und Horkheimer schrieben über diesen Wandel: Die vielen Dinge, die es [das Wissen] nach Bacon noch aufbewahrt, sind selbst wieder nur Instrumente: das Radio als sublimierte Druckerpresse, das Sturzkampfflugzeug als wirksamere Artillerie, die Fernsteuerung als der verläßlichere Kompaß. Was die Menschen von der Natur lernen wollen, ist, sie anzuwenden, um sie und die Menschen vollends zu beherrschen. Nichts anderes gilt. Rücksichtslos gegen sich selbst hat die Aufklärung noch den letzten Rest ihres eigenen Selbstbewußtseins ausgebrannt.19

In seinen jüngsten Arbeiten zur Wissenschaftsgeschichte hat der Musikhistoriker Peter Pesic versucht, den Bacon’schen Mythos zu sprengen, also jene Ansicht, dass Bacon ein Folterknecht der Natur war. Wenn vom Belästigen der Natur die Rede ist, dann bedeutet das nicht automatisch ihre Folterung, und wie es scheint, bemühte Bacon sich sehr, die

17 18 19

Vgl. Platon. Politeia (= Werke in acht Bänden, Bd. 4). Hg. v. Gunther Eigler. Übs. v. Friedrich Schleiermacher. Darmstadt, 1973, 531a. Francis Bacon. „Neu-Atlantis“. Der utopische Staat. Hg. u. übs. v. Klaus J. Heinisch. Reinbek b. Hamburg, 1960, S. 211. Adorno u. Horkheimer (Anm. 2), S. 20.

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beiden Redeweisen nicht zu verwechseln.20 Tatsächlich schrieb er über seine eigene Missbilligung der Folter, sei es die der Natur, des Menschen oder die der Tiere, insofern Folter, definiert als physische Misshandlung oder exzessive und unrechtmäßige Gewalt, in den Handlungen der zeitgenössischen Justiz durchaus anzutreffen war. Den entgegengesetzten Ausdrück „belästigen“ verband Bacon nur mit der Anspannung und der Sorge um die mentale Aktivität auf Seiten des Experimentators, der die Natur kennen lernt und sie zu äußersten Verwandlungen und Variationen treibt, ohne jedoch damit schon darauf aus zu sein, ihr das experimentelle Messer in den Leib zu stoßen. Wir setzen unseren Geist ebenso der ‚Belästigung‘ aus wie die Saiten eines Instrumentes. Für Bacon bestand die experimentelle Aufgabe nicht so sehr darin, in die Natur einzudringen, als ihr vielmehr so nahe wie möglich zu kommen, um ihre „genuinen Formen“ zu entdecken. Weil aber diese Formen „tief und schwer zu finden“ sind, muss der Experimentator tief unter der Oberfläche graben. Der Körper der Natur muss ebenso wie derjenige eines Instruments zum Schwingen gebracht werden, wenn er denn klingen soll. Die Tiefen der Natur aufzudecken bedeutete für Bacon, ihre Mysterien oder Geheimnisse zu entdecken; Experimentieren ist damit am ehesten so etwas wie Enthüllung. Die Natur zu enthüllen war aber bei weitem nicht Folter und weitaus wahrhaftiger, denn während die Folter nur falsche Geständnisse bewirkt, bringt das Belästigen der Natur die Wahrheit hervor. Über den Trugschluss des falschen Geständnisses schrieb Bacon dementsprechend, dass es „etwas anderes sei, der Natur eine Handschelle anzulegen, als ihre Gefäße zum Bersten zu bringen“. Wie wir gesehen haben, konnten viele Kritiker keinen Unterschied erkennen; diejenigen aber, die es konnten, sahen, dass Respekt das Ideal des legitimen Experimentators war, der zugegebenermaßen wünscht, die Natur in Handschellen zu legen und zu befragen, aber nicht bis zum Äußersten der Folter geht. Möglicherweise ist die Unterscheidung zu subtil; wie man sie interpretiert, stellt aber zweifellos einen bedeutenden Unterschied für die Rezeption von Bacons Werk dar. Zeitgleich mit seiner Unterscheidung zwischen legitimen Handschellen und illegitimer Folter drängte Bacon darauf, dass ein wenig von der 20

Bacon unterscheidet hier im englischen Original zwischen „vex“ und „torture“. Über das Wort „vex“, das hier mit „Belästigen“ wiedergegeben wird, schreibt der schon mehrfach zitierte Pesic klärend: „Die lateinische Wurzel ‚vexare‘ legt Schütteln, Agitieren, Störung (shaking, agitation, disturbance) nahe; im zeitgenössischen Englisch Bacons geht die Verwendung von ‚vexation‘ auf Zustände zurück, die beunruhigend, peinigend, belästigend (troubling, afflicting, harassing) sind.“ Pesic (Anm. 5), S. 88 [Anm. d. Übs.].

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Kunst der Zauberer in seiner eigenen Methode bewahrt werde. In diesem Sinne schrieb er: Noch auch bin ich der Meinung, dass in dieser Geschichte der Wunder abergläubische Erzählungen von Zaubereien, Hexereien, Träumen, Wahrsagungen und Ähnlichem, wo es Sicherheit und klare Evidenz des Faktums gibt, vollkommen ausgeschlossen werden sollten. Denn es ist noch nicht bekannt, in welchen Fällen und wie weit Wirkungen, welche dem Aberglauben zugesprochen werden, an natürlichen Ursachen teilhaben; und wie sehr die Praxis solcher Dinge auch zu verurteilen ist, so kann darum doch durch die Spekulation und das Nachdenken über sie Licht nicht nur für das Feststellen von Verstößen gewonnen werden, sondern auch für das weitere Enthüllen der Natur.21

Trotz dieses Zugeständnisses bestand Bacon aber darauf, dass seine Schilderung von dem, was natürlich und wahr ist, nicht verwechselt werde mit den „unverschämten“ Erzählungen, die mit Aberglauben „vermischt“ seien oder die „Wunder und Mirakel der Religionen“ beträfen. Im Anschluss an Cassirer bemerkt Pesic, dass Bacon stark darum bemüht war, sich von seinen Vorgängern abzugrenzen. Was er ablehnte, war die spekulative und unbeherrschte Art des Forschens, welche mehr Befriedigung „des Begehrens von neugierigen und eitlen Geistern“ brachte denn eigentliches Wissen. Gleichwohl bedeutete das Experiment unter Kontrolle zu haben bei Bacon nicht eine übermäßige Kontrolle; es bedeutete Kriterien für die Einschätzung des Materials zu sichern und zu etablieren. Wiederholbarkeit war das Herzstück seines Experiments. Um dieser Tatsache Nachdruck zu verleihen, verwendete Bacon zwar nicht eine inquisitorische, aber doch eine unbestreitbar aggressive Sprache: „der Natur in ihrem Umherschweifen nachzuhetzen, um sie nachher an denselben Platz zurückführen zu können“.22 In diesem Satz werden zwei Dinge festgehalten: erstens, dass das Hetzen der Natur wiederholbar sei, und zweitens, dass nach dem Hetzen die Natur an ihren Ausgangsort zurückkehre, als ob sie keinen Schaden genommen hätte – die Frage bleibt, ob sie nicht doch Schaden nimmt. Mit diesem Satz stellt sich Bacon aber auch gegen den Typus des Experimentators, der – wie Cage, so könnte man sagen – lieber den Weg ganz verliert und die Dinge einfach geschehen lässt. Denn Bacon ist um dieser Kontrolle willen auch bereit, Verantwortung zu übernehmen; wenn ein Experiment aus irgendwelchen Gründen schief laufe, so schreibt er, sei es immer die Schuld des Experimentators und nie diejenige der Natur selbst. Was beim Experimentieren fehlgeht, ist immer nur der voreingenommene Geist, welcher der verlässlichen Beobachtung in die Quere kommt. 21 22

Bacon (Anm. 3), S. 331f. Ebd.

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Trotz seiner gelegentlichen Proklamationen könnte es sein, dass Cages Ansicht sich von derjenigen Bacons nicht grundlegend unterschied. Als er über die Befreiung der Musik schrieb, verlangte er, dass man seinen Geist von Intention und Neigung losmache, aber möglicherweise meinte er nur das Loslassen von derjenigen Sorte von Intention, welche die europäische Tradition so geprägt hatte, dass sie ein Werk vor seiner Aufführung vollständig komponiert haben wollte. Die Rede davon, dass man die Dinge einfach geschehen lassen müsse, könnte sich nur auf dasjenige beziehen, was bis dahin in einem (traditionellen) Konzertsaal nicht geschehen durfte. So gelesen ist Cages Plädoyer für die Befreiung von Intention nicht weit von Bacons Plädoyer für die Reinigung des Geistes von Vorurteilen und Idolen entfernt, die in Bacons Beschreibung der wahrhaftigen Beobachtung der Natur in die Quere kommen, unabhängig davon, ob nun die Natur Gegenstand der Wissenschaft oder der Kunst ist. Folgten Bacon und Cage also ähnlichen oder unterschiedlichen Pfaden? Die Frage bleibt kompliziert. Man könnte immer noch sagen, dass aufgrund der historischen Distanz Cages extreme Freiheit genau eine Reaktion auf jene extreme Beherrschung war, für die das Bacon’sche Experiment lange verantwortlich gemacht worden war, selbst wenn beide in Wirklichkeit zurückhaltender waren und weder alle Kontrolle über das Streben nach Wissen aufgaben, noch umgekehrt bis zum Äußersten der Folter und Misshandlung der Natur gingen. Wie wir gesehen haben, passt der erste Teil dieses Satzes zu einer schärferen Interpretation, der zweite zu einer wohlwollenderen. Ich wende mich nun der schärferen Interpretation zu, um festzustellen, was auf dem Spiel steht, wenn man diese Theoretiker gegen den Strich liest oder zumindest im Lichte ihrer negativsten historischen Rezeption. Hierzu komme ich jetzt auf Adorno zurück, der die beiden Theoretiker absichtlich nicht wohlwollend las. In seiner extremen (die historischen Tendenzen aufnehmenden) Lesweise zeigte Adorno, warum es wichtig ist, dass wir die Geschichte des Begriffs des Experiments von derjenigen des Begriffs des Experimentellen unterscheiden, selbst wenn er diese beiden Begriffe nicht ganz so explizit unterschieden hat, wie ich es hier tue. Was wir in Adornos dialektischen Argumentationen exemplifiziert sehen werden, ist das Ausmaß, in dem moderne Wissenschaft, Gesellschaft und Kunst am selben Diskurs teilhaben, wonach es ganz irrig wäre zu denken, dass das Experiment immer auf Seiten der Wissenschaft und Gesellschaft und das Experimentieren immer auf Seiten der Kunst steht. Aber im Gegenteil: Um zu zeigen, wie sehr dies doch der Fall ist, konzentriere ich mich im Rest dieses Aufsatzes weniger

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auf Adornos Argumentation gegen das Experiment-Konzept von Bacon, sondern vor allem auf das Experimentelle bei Cage, auf das Adorno mit einem eigenen Konzept des Experimentellen antwortete. 7. Adorno behauptete, dass am Ende der Aufklärung die Bacon’schen Extreme des kontrollierten Experiments, gleichsam im Umlauf eines Kreises, auf die Cage’schen Extreme der experimentellen Freiheit gestoßen seien und sich dabei in einem vollkommen autoritären Raum getroffen haben. Warum es sich dabei um einen autoritären Raum handelt, versuchte er mittels seiner dialektischen Argumentation zu erklären. So habe Cage genau in dem Moment, als er die Aufgabe der menschlichen Herrschaft über die Natur forderte, um alle künstlichen Elemente oder bürgerlichen Einschränkungen aus der musikalischen Welt zu entfernen, tatsächlich von Neuem eine vollständige Herrschaft etabliert; und zwar auf – und hier kommt die Pointe – „ganz ähnliche Weise“, wie die Faschisten ihre Herrschaft errichteten, als sie eine unmittelbare Beziehung zur Natur behaupteten, um die Auslöschung aller nicht-natürlichen Elemente aus ihrer Gesellschaft zu rechtfertigen. Oder in anderen Worten, just als Cage behauptete, die Natur zu erreichen, traf sich seine Produktion, so Adorno, in Wahrheit mit der am meisten fortgeschrittenen, kontrollierten und technologieabhängigen seriellen Musik der Zeit. Cages befreite Musik klinge überhaupt nicht wie der Gesang von Vögeln, sondern vielmehr wie eine Emanation der Computergeräusche der Zeit. Adorno war Cage gegenüber nicht immer so kritisch, ebenso wenig war er es Bacon oder auch den fortgeschrittenen Komponisten serieller Musik gegenüber, aber er war emphatisch, wenn es darum ging, die regressiven Tendenzen der Aufklärung zu beschreiben. Über diese allgemeinen Tendenzen schrieb er dementsprechend einmal, dass – von den automatischen Niederschriften der Surrealisten bis zur Zufallsmusik zeitgenössischer Komponisten – Künstler, die sich auf „absolute Unwillkürlichkeit“ verlassen, in Tat und Wahrheit zusammentreffen mit genau denjenigen Künstlern, von denen sie sich am meisten abgrenzen, nämlich solchen, die mit einer vollends integralen Konstruktion arbeiten; und sie treffen deshalb aufeinander, weil – und das ist die dialektische Wendung – „das scheinbar überhaupt nicht Gemachte erst recht gemacht“ ist.23 23

Theodor W. Adorno. Ästhetische Theorie (= GS, Bd. 7). Frankfurt a. M., 1972, S. 47.

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An anderer Stelle behauptete Adorno, dass Cage in seiner Ablehnung des Werkbegriffs zu weit ginge und darum dessen Autorität nicht erfolgreich herausfordern konnte. Auch Adornos Ziel war die Anfechtung der Autorität des Werkbegriffs. Aber anstatt ihn aufzugeben oder auch völlig zu öffnen, was man Adorno zufolge sowieso nicht ohne Widerspruch tun könne, sollte man besser mit kritischen Aufführungen die impliziten Widersprüche des Werkbegriffs aufzudecken versuchen. Diese Widersprüche aufzudecken – etwa die konkurrierenden Ansprüche des Werks auf Autorität und Freiheit –, sei nicht zuletzt deswegen produktiver, weil es helfe, den Begriff vor seinen eigenen schlimmsten Tendenzen zu retten und ihn auf einen wahrhaftigeren Gebrauch umzulenken. Eine andere Möglichkeit bestünde darin, dass Komponisten den Werkbegriff herausfordern durch die Erzeugung von dem, was Adorno als Anti-Werk-Werke der Neuen Musik begriff. Solche Werke hatte aus Adornos Sicht Arnold Schönberg bereits vorgelegt, lange bevor Cage bewusst mit dem Versuch begann, so etwas wie Anti-Werk-Nicht-Werke-von-Nicht-Musik hervorzubringen. Was aber hatte Schönberg mit seinen Anti-Werk-Werken erreicht? Dass, obwohl der Komponist Kontrolle über die Komposition ausübte, nicht in kontrollierender Weise angenommen wurde, dass vor der Aufführung vollständig (oder überhaupt) gewusst werden konnte, wie das Werk tatsächlich klingen würde. AntiWerk-Werke konnten so dialektisch erreichen, was große Komponisten und Musiker einst beim Erschaffen von Werken vollbringen konnten, nämlich den autoritären Anspruch des Werkes, seine Aufführungen vollständig zu bestimmen, ernsthaft herauszufordern.24 Adorno zeigte, dass das Experimentelle ebenso wie das Experiment in seiner Extremform schief laufen konnte. Der Punkt war zentral. Wenn Musik – in Cages eigener experimenteller Sprache – zu viel Unmittelbarkeit, Zufall und Unbestimmtheit begünstige, dann würde sie zuletzt in einem ziel- und zwecklosen Raum des Werdens schweben, was Cage für sehr gut hielt, Adorno aber deshalb für sehr schlecht, weil es dann keine Kriterien mehr zur Unterscheidung von recht und unrecht, wahr und falsch geben könne. Wenn dies für Adorno gefährlich war, so galt das in gleichem Maße dafür, was aus Cages vollständiger Zerstörung der imaginären Begrenzungen der musikalischen Sphäre zu folgen schien. Denn für diese Zerstörung gab Cage nicht nur den Werkbegriff auf, sondern anscheinend den Begriff der Musik selbst. Damit entledigte er sich aber genau der Seite der Beziehung zwischen Mensch und Natur, 24

Vgl. Theodor W. Adorno. „Vers une musique informelle“. Musikalische Schriften I-III (Anm. 1), S. 523.

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die sein Experimentalismus zu bewahren trachtete, nämlich derjenigen des Menschen. Wenn alle menschliche Intentionalität abgeschafft und die Natur oder der Klang allein gelassen würde, dann würde damit genau das verraten, worum es explizit eigentlich ging, nämlich die Wiederherstellung jener Beziehung. Anders als ich es tue, interpretierte Adorno Cages Vorhaben nicht als das Aufgeben von einer Art der menschlichen Intentionalität zugunsten einer anderen, eher nach östlichen Lehren des Zufalls zugeschnittenen Form. Aber selbst wenn er das getan hätte, wäre die von ihm gestellte Frage noch immer relevant gewesen, nämlich wie eine künstlerische Intention sich durch Zufall ausdrücken kann und ob Cage bei der Beantwortung dieser Frage nicht doch, anders als behauptet, Kriterien zur Beurteilung seiner Erzeugnisse geliefert hatte. Diese Frage stellt sich, wie immer wir Cage lesen. In einer vergleichbaren Überlegung erklärte Adorno, dass es keinen Sinn ergab, ja eine ästhetische Lüge war, zu behaupten, dass wir unsere intentionale Beteiligung an der Kunst aufgeben könnten. Denn wenn man das versuchte, um die Natur unmittelbar zu erreichen, dann fände man sich schließlich nicht mit weniger menschlichem Kunstwerk wieder, sondern mit mehr, und zudem mit einem Kunstwerk und einem menschlichem Geist, die für immer von der Natur, die sie zu berühren ersehnten, abgeschnitten waren. Die Sehnsucht nach Berührung erinnert an jene Nostalgie, mit der dieser Aufsatz begann: jene Nostalgie entfremdeter Hörer, die zwar sehnsüchtig wissen wollen, wie es sich anfühlt, in tatsächlichem Kontakt mit Musik zu stehen, stattdessen aber ihre Wertschätzung in ein totes und artifizielles Ritual verlagern. Wie Cage schrieb Adorno über Unbestimmtheit, Spontaneität und Offenheit. Wie ich gezeigt habe, weigerte er sich aber, solche Elemente der Erfahrung durch geläuterte Anrufungen der Natur zu rationalisieren. In einem Passus mit dem Titel „Experiment“ trat er, wie auch sonst so oft, für die notwendige Vermittlung des menschlichen Bewusstseins in der Natur ein: Wenn etwas über die Natur von Neuem erkannt oder enthüllt würde, so Adorno, geschehe dies nicht deshalb, weil die Natur so erscheine (oder weil ein direkter Kontakt zur Natur wiederhergestellt sei), sondern weil eine gewisse Form der experimentellen Kunst das gesellschaftliche Gewebe dialektisch durchbrechen kann, ein Gewebe, das die Natur überhaupt erst in so großer Distanz von uns gehalten hat.25 Bei der Beschreibung des Übergangs von der Aufklärung zur Katastrophe schloss Adorno einmal, dass das, was wir brauchen, mehr Aufklärung sei 25

Theodor W. Adorno. „Musikalische Aphorismen“. Musikalische Schriften V (GS, Bd. 18). Frankfurt a. M., 1984, S. 26f.

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und nicht weniger. Hier war die Schlussfolgerung demnach dieselbe: Wenn Kunst auf dem Weg zu einer immer stärker werkbasierten WarenProduktion vollkommen von der Natur abgekoppelt wurde, dann ist das, was wir brauchen, mehr Kunst oder Anti-Werk-Werke – aber eben immer noch Werke. Anders formuliert: Was wir den dominanten Experimenten der Kunst-Produktion in den Laboratorien zeitgenössischer Institutionen entgegensetzen müssen, ist mehr Experimentalismus. Was wollte Adorno also erreichen, als er positiv über experimentelle Kunst sprach? Aus seiner Sicht war jede genuin neue Kunst experimentell. Eine Möglichkeit, den konstatierten Unterschied zwischen dem künstlerischen Experiment einerseits und dem Experimentellen andererseits aufrechtzuerhalten, bestand für Adorno in Bezug auf das, was Pierre Schaeffer in den 1950er Jahren als Vers une musique expérimentale eingeführt hatte und was Adorno in Anlehnung an Heinz-Klaus Metzger „vers une musique informelle“ nannte: Genau die Eigenschaft, „informelle“ zu sein, war dasjenige, was der Musik erlauben würde, nicht nur der kontrollierten Musik, sondern auch der kontrollierten Gesellschaft zu widerstehen.26 Somit hat für Adorno Kunst nur durch das Experimentelle und nicht durch das harte Experiment die Möglichkeit, das zu erreichen, was er eine radikale und genuin „neue“ Haltung nannte: die Weigerung, vor der Macht einer Verwaltungsgesellschaft zu kapitulieren.27 Experimentelle Werke könnten die Spannung zwischen Freiheit und Herrschaft bewahren und würden sich dadurch sowohl von der Gesellschaft distanzieren, die mit aller Kraft versucht, sich eben dieser Spannung im Namen der Kontrolle zu entledigen, als auch von jener Sorte Cage’scher Produktionen extremer Freiheit, die behaupten, sich vollständig der Kontrolle entzogen zu haben. Adornos Experimentalismus implizierte Risiko und Scheitern, gepaart mit der Einsicht, dass eine Gesellschaft, die viel Sicherheit verspricht, ihren Mitgliedern üblicherweise aber alles andere als diese gibt. Über die literarischen und musikalischen Experimente von Hans G Helms schrieb er dementsprechend, dass „das diffamierende Wort Experiment“ seinen „positiven“ Sinn nur dann zurückerhalte, wenn es der Kunst erlaubt würde, unsicher zu sein: „[N]ur als experimentierende, nicht als geborgene hat Kunst überhaupt noch ihre Chance.“28 Oder anders formuliert: „Nur Werke, die einmal sich exponieren, haben die Chance des 26 27 28

Pierre Schaeffer. „Vers une musique expérimentale“. La Revue Musicale 236 (1957), S. 11-27. Adorno (Anm. 23), S. 42. Theodor W. Adorno. „Voraussetzungen“. Noten zur Literatur (= GS, Bd. 11). Frankfurt a. M., 1974, S. 440.

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Nachlebens.“29 Ein Werk, das sich auf die Tradition verlässt, ist von Anfang an dazu verurteilt, in Vergessenheit zu geraten: Sein Misslingen würde eben durch diese Absicht garantiert werden. Die einzige Überlebenschance eines Werkes bestehe darin, experimentell zu sein, und durch Nichtanpassung Bereitschaft zum Risiko zu zeigen. Dass ein Werk ein Risiko eingeht, garantiert ihm allerdings noch nicht den Erfolg; es öffnet sich damit erst der Chance oder der Möglichkeit des Überlebens. Adorno schrieb: „Das Experimentelle ist nicht automatisch in der Wahrheit, sondern kann genauso gut mißlingen; sonst hätte der Begriff des Experiments überhaupt keinen vernünftigen Sinn.“30 War Cage das Risiko nicht eingegangen? In Adornos Augen nicht. Vielmehr habe Cage versucht, Erfolg dadurch zu garantieren, indem er seine Erzeugnisse an zweifelhafte philosophische Behauptungen über das Risiko angepasst habe, ohne jedoch innerhalb der Produktion selbst ein Risiko einzugehen. Anders gesagt, zwischen der Not, experimentell zu sein, und der Produktion experimenteller Kunst liegt bei Adorno all die dialektische Differenz der Welt: Und das ist keine geringere Differenz als die zwischen Überleben und Erfolg. Adornos Experimentalismus handelte davon, neue Möglichkeiten innerhalb der Kunst auszuprobieren, wobei aber diese Idee immer eingeschränkt werden musste durch die Einsicht, dass man als Künstler sehr wohl mehr Interesse an Experimenten entwickeln könne als an der Produktion experimenteller Kunst. Experimentatoren, die wie Cage die Unvorhersehbarkeit des Ergebnisses betonten, schufen Werke, die im Endeffekt überhaupt nichts Überraschendes hatten, auch wenn sie, wie Adorno spöttelte, ihre eigenen Komponisten zu überraschen schienen. Wie kann ein Werk von sich aus überraschen, wenn nichts mehr von der Entscheidung des Komponisten abhängt? Oder wenn kein Raum mehr bleibt zwischen dem, was der Experimentator beweisen will, und dem, was bewiesen wird, und darum nichts mehr als Beweis oder Widerlegung dessen gilt, was der Experimentator beweisen wollte? In einer seinem Rivalen Karl Popper nahen Argumentation stellte sich Adorno damit gegen die Gefahren eines Experiments, über das der Experimentator volle Kontrolle ausübt, insofern dabei gemäß Plan und Verordnung nichts mehr schief laufen kann. Nur Werke, die sorgfältig konstruiert sind, aber nichtsdestoweniger so etwas wie eine eigene Wirksamkeit entfalten, sind Werke, die noch wahrhaft überraschen können, nicht 29 30

Adorno (Anm. 23), S. 58. Theodor W. Adorno. „Schwierigkeiten“. Musikalische Schriften IV (= GS, Bd. 17). Frankfurt a. M., 1982, S. 262.

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zuletzt weil sie zeigen, dass menschliche Einbildungskraft noch immer fähig ist, die Bedingungen der Arbeit, der Konstruktion und der Produktion zu übersteigen. An anderer Stelle wies Adorno darauf hin, dass echte Experimentatoren dazu neigen, ihre Werke als Misserfolge zu beurteilen, eben weil sie sich der Risiken, die sie eingehen, so bewusst sind. Aber indem sie ihre Werke derart verurteilen, riskieren sie, in die Hände ihrer Gegner zu fallen, in die Hände jener Kritiker, die ihnen mit Begeisterung zustimmen und frohlockend versichern, dass ihnen der Erfolg sicher gewesen wäre, hätten sie nur auf die sichere Karte gesetzt. Adorno machte hier auf eine Tendenz aufmerksam, die selbst den Experimentalisten eigen war, nämlich sich dem anzupassen, was die Gesellschaft von ihrer Musik und ihren Musikern erwartet. Was uns heute bedroht, schrieb er, ist unglücklicherweise nicht die experimentelle Kunst selbst, sondern ihre Domestizierung oder ihr Konformismus, aufgrund deren die experimentelle Kunst in Wirklichkeit gar keine Bedrohung mehr darstellt.31 Der von Adorno bevorzugte Experimentalismus hatte eine andere Qualität als Bacons menschliches Hetzen, aber auch als Cages menschliche Stille, obwohl er bewusst Elemente von beiden aufgriff. So erkannte Adorno an, dass Gewalt eine notwendige Rolle in dem spielen müsse, was für ihn dialektisch eine stille Form der Kunst war. Die Gewalt experimenteller Kunst sollte nur die Gewalt der innerlichen Ablehnung sein, sich der noch gewalttätigeren Gewalt der Gesellschaft anzupassen, in der diese Kunst existieren und auf die sie reagieren musste. Adorno unterschied mit anderen Worten sein eigenes Votum für Explosionen, Schocks und Feuerwerke von demjenigen der Futuristen, Surrealisten oder Aleatoristen, die, so kommentierte er, dazu neigten, solche Dinge um ihrer selbst willen zu zelebrieren. Adorno befürwortete sie hingegen nur, insofern Explosionen dazu dienen würden, die totalitären Mythen oder idola theatri der zeitgenössischen Gesellschaft zu zerschlagen, wie er nun in Erinnerung an Bacon schrieb. In die gewalttätige Welt sollte man nicht noch mehr Gewalt bringen, und dennoch bedürfe es, dialektisch gesehen, einer Form von Gewalt, um die Macht einer anderen Gewalt einzudämmen. Echte Schocks, so Adorno, können die Unwahrheit nicht nur der zunehmend autoritativen Werke, sondern auch der autoritären Gesellschaft, in der sie produziert werden, zur Explosion bringen.32 Totali31 32

Vgl. Theodor W. Adorno. „Für die Kranichsteiner Idee“. Musikalische Schriften VI (= GS, Bd. 19). Frankfurt a. M., 1984, S. 631. Vgl. Theodor W. Adorno. „Postscriptum“. Soziologische Schriften I (= GS, Bd. 8). Frankfurt a. M., 1972, S. 92.

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sierende Mythen über Kunst, Natur oder persönliches Glück hätten ihre Gewalt unter einem ästhetischen Schein verborgen, ähnlich, so schrieb er, wie erklärende Formeln dazu neigten, Masken vor dem zu Erklärenden zu sein.33 Die Mythen müssten nun durch explosive Werke gesprengt werden, die ihre eigenen „Male der Zerrüttung“ ehrlich zeigten. Solche „Male der Zerrüttung“ zu tragen, wie vielleicht Soldaten ihre Narben tragen, sei eine Art, die Mythen des Sieges zu zerschlagen und aus der „Geschlossenheit des Immergleichen“ auszubrechen, das als Verhaltensweise scheinbar für die Gesellschaft als Ganzes akzeptiert und akzeptabel geworden sei. Die Mythen zur Explosion zu bringen, bedeutete, die Mythen zur Implosion zu bringen und die hinter den Illusionen der Harmonie verborgene barbarische Geschichte zu enthüllen. Die Kunst explosiv zu machen, bedeutete deshalb, sowohl die Werke als auch die Mythen selbst mit einer „selbst-implodierenden“ oder „antitraditionalistischen Energie“ auszustatten.34 Adorno wandte sich der experimentellen Kunst nicht zu, um dem, was er die „Krise von Erfahrung“ nannte, zu entfliehen, sondern um sich ihr zu stellen. Er fragte wiederholt, ob Erfahrung in einer Welt möglich sei, in der man das tödlichste aller Experimente ausgeführt hatte. Er glaubte, sie sei in der Tat möglich, aber nur im Sinne einer negativen Dialektik, die stets von neuem die Frage stelle, ob überhaupt irgendeine experimentelle Kunst, Wissenschaft oder Philosophie genuin experimentell sei. Im Experimentalismus fand er einen Modus der Explosion, der zugleich laut und hart auftrat – wie vielleicht aus dem rhetorischen Exzess deutlich wird, mit dem ich seine Argumentationen zusammengefasst habe –, in Anbetracht seines Rückzugs von zeitgenössischen Konventionen und Bedeutungsstrukturen metaphysisch aber still war. Sich zurückzuziehen bedeutete für Adorno, sich dem Kommunizieren und der Komplizenschaft zu verweigern, sich den Fragen nach dem Wahrheitsgehalt aber nach wie vor zu stellen. All dies lege eine Art des Schweigens nahe, das in den selbst-implodierenden Werken dennoch gehört werden würde; in Werken, die die Möglichkeit hätten, der Welt der etablierten gesellschaftlichen Mythen echte Gewalt anzutun. Adorno unterstrich immer, wie schwierig es für ein Kunstwerk, eine wissenschaftliche Theorie oder seine eigene experimentelle Kritik war, 33 34

Vgl. Theodor W. Adorno. Dissonanzen. Einleitung in die Musiksoziologie (= GS, Bd. 14). Frankfurt a. M., 1973, S. 427. „Die Male der Zerrüttung sind das Echtheitssiegel von Moderne; das, wodurch sie die Geschlossenheit des Immergleichen verzweifelt negiert; Explosion ist eine ihrer Invarianten. Antitraditionalistische Energie wird zum verschlingenden Wirbel. Insofern ist Moderne Mythos, gegen sich selbst gewandt.“ Adorno (Anm. 23), S. 41.

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genuin experimentell zu sein. Die Wahrheit sei fragil und habe nur die geringste Überlebenschance. Jeder experimentelle Akt könne den Charakter des Experiments annehmen. Ich mag die Idee der Fragilität; sie erinnert mich an die wenig selbstverständliche Frage, mit der ich diesen Aufsatz begonnen habe, die Frage danach, ob unsere Wertschätzung des Experimentalismus leise oder laut sein sollte. Ich glaube, Adorno stellte eine ähnliche Frage, als er überlegte, ob Explosionen immer in Lärm resultieren müssen oder ob Experimente, indem sie den Charakter des Experimentellen bewahren, etwas von der Fragilität des Denkens zurückerlangen können, die charakteristisch ist für die Erfahrung vor dem Moment ihrer Krise. 8. In diesem Aufsatz habe ich die Unterscheidung zwischen dem Experiment und dem Experimentellem keineswegs deshalb in den Mittelpunkt gestellt, um mich mit dem einen oder dem anderen Begriff zufrieden zu geben (wenn sie denn überhaupt unterschieden werden können.) Vielleicht sollte man sie nur als die zwei Seiten einer Medaille sehen. Es war auch nicht mein Ziel zu zeigen, dass das Experiment zur Wissenschaft und der Experimentalismus zur Kunst gehört, auch wenn ich in jedem der beiden Gebiete nach einem Vertreter für einen der beiden Begriffe gesucht habe. Beide Begriffe finden sich in beiden Gebieten ebenso wie in allen anderen. Im Anschluss an Adorno war es vielmehr mein Ziel, ein Gefühl dafür auszubilden, was in Experimenten verloren geht, wenn sie zu kontrolliert sind, und was im Experimentalismus verloren geht, wenn er zu oberflächlich unter dem naturalisierenden Banner der Freiheit von menschlichen Zwängen reist. Ich habe aber auch versucht, Adornos Interpretationen von Bacon und Cage dadurch abzumildern und zu komplizieren, dass ich deren Ansichten wohlwollender dargelegt habe und nicht nur, wie Adorno es tat, im Lichte ihrer extremsten Tendenzen. Bacon war nicht ein vollkommen Bacon’scher Wissenschaftler, und Cage war nicht genuin ‚Cage’isch‘ in der Musik, obwohl ihre Sprechweise manchmal das Gegenteil nahe legt. Dies zu sagen, heißt aber noch nicht, über ihre Ansichten zu urteilen. In diesem Aufsatz ging es mir vor allem darum, ihre Ansichten als Reaktionen auf die Wahrnehmung einer Krise der Erfahrung zu beschreiben, die ihrerseits den Ausschlag gab für eine lange und komplizierte Geschichte der Begriffe des Experiments und des Experimentellen. Ich habe versucht, die Sprache des Experiments und des Experimentellen nachzuzeichnen,

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so wie sie unaufhörlich und kontextübergreifend in ihren Argumentationen auftaucht. Für mich bleibt es faszinierend, dass die beiden Begriffe – oder die beiden Aspekte eines einzigen Begriffs – solch stark entgegengesetzte Bedeutungen angenommen haben: eine Tatsache, die selten bemerkt wird und die am Ursprung meines Interesses für dieses Thema stand.

Übersetzung: Catherine Newmark

LITERATURVERZEICHNIS Adorno, Theodor W. Ästhetische Theorie (= Gesammelte Schriften, Bd. 7). Hg. v. Rolf Tiedemann. Frankfurt a. M., 1972. Adorno, Theodor W. „Postscriptum“. Soziologische Schriften I (= Gesammelte Schriften, Bd. 8). Hg. v. Rolf Tiedemann. Frankfurt a. M., 1972, S. 86-92. Adorno, Theodor W. „Die Aktualität der Philosophie“. Philosophische Frühschriften (= Gesammelte Schriften, Bd. 1). Hg. v. Rolf Tiedemann. Frankfurt a. M., 1973, S. 325-344. Adorno, Theodor W. Dissonanzen. Einleitung in die Musiksoziologie (= Gesammelte Schriften, Bd. 14). Hg. v. Rolf Tiedemann. Frankfurt a. M., 1973. Adorno, Theodor W. „Der Essay als Form“. Noten zur Literatur (= Gesammelte Schriften, Bd. 11). Hg. v. Rolf Tiedemann. Frankfurt a. M., 1974, S. 9-33. Adorno, Theodor W. „Voraussetzungen“. Noten zur Literatur (= Gesammelte Schriften, Bd. 11). Hg. v. Rolf Tiedemann. Frankfurt a. M., 1974, S. 431-446. Adorno, Theodor W. „Naturgeschichte des Theaters“. Musikalische Schriften I-III (= Gesammelte Schriften, Bd. 16). Hg. v. Rolf Tiedemann. Frankfurt a. M., 1978, S. 309320. Adorno, Theodor W. „Vers une musique informelle“. Musikalische Schriften I-III (= Gesammelte Schriften, Bd. 16). Hg. v. Rolf Tiedemann. Frankfurt a. M., 1978, S. 493540. Adorno, Theodor W. u. Max Horkheimer. Dialektik der Aufklärung (= Gesammelte Schriften, Bd. 3). Hg. v. Rolf Tiedemann. Frankfurt a. M., 1981. Adorno, Theodor W. „Schwierigkeiten“. Musikalische Schriften IV (= Gesammelte Schriften, Bd. 17). Hg. v. Rolf Tiedemann. Frankfurt a. M., 1982, S. 253-290. Adorno, Theodor W. „Für die Kranichsteiner Idee“. Musikalische Schriften VI (= Gesammelte Schriften, Bd. 19). Hg. v. Rolf Tiedemann. Frankfurt a. M., 1984, S. 630632. Adorno, Theodor W. „Musikalische Aphorismen“. Musikalische Schriften V (= Gesammelte Schriften, Bd. 18). Hg. v. Rolf Tiedemann. Frankfurt a. M., 1984, S. 11-44. Bacon, Francis. „The Two Books of Francis Bacon, of the Proficience and Advancement of Learning, Divine and Human“. The Works of Francis Bacon. 14 Bde. Hg. v. James Spedding, Robert Leslie Ellis u. Douglas Denon Heath. London, 18571874, Bd. 3, S. 259-491.

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Lydia Goehr

Bacon, Francis. „Of the Wisdom of the Ancients [De sapientia veterum]“. The Works of Francis Bacon. 14 Bde. Hg. v. James Spedding, Robert Leslie Ellis u. Douglas Denon Heath. London, 1857-1874, Bd. 6, S. 605-764. Bacon, Francis. „Neu-Atlantis“. Der utopische Staat. Hg. u. übs. v. Klaus J. Heinisch. Reinbek b. Hamburg, 1960, S. 173-215. Bacon, Francis. Neues Organ der Wissenschaften. Hg. u. übs. v. Anton Theobald Brück. Darmstadt, 1962 [Nachdruck d. Ausgabe Leipzig, 1830]. Bossy, John. „Torturing the Truth. Is there a Connection between Bacon’s Science and his Statecraft?“. Times Literary Supplement 11. Oktober (1996), S. 3-4. Cage, John. „Experimental Music“. Silence. Cambridge, Mass., 1973, S. 7-12. Cage, John. „Experimental Music. Doctrine“. Silence. Cambridge, Mass., 1973, S. 13-17. Cage, John. „History of Experimental Music in the United States“. Silence. Cambridge, Mass., 1973, S. 67-75. Cassirer, Ernst. „Die platonische Renaissance in England und die Schule von Cambridge“. Gesammelte Werke (Hamburger Ausgabe). 26 Bde. Hg. v. Birgit Recki. Hamburg, 2002, Bd. 14, S. 221-380. Goethe, Johann Wolfgang von. Zur Farbenlehre. Polemischer Teil (= Die Schriften zur Naturwissenschaft, Abt. 1, Bd. 5). Hg. v. Dorothea Kuhn u. Wolf von Engelhardt. Weimar, 1958. Gross, Alan G. The Rhetoric of Science. Cambridge, Mass., 1990. Mathews, Nieves. Francis Bacon. The History of a Character Assassination. New Haven u. a., 1996. Platon. Politeia (= Werke in acht Bänden, Bd. 4). Hg. v. Gunther Eigler. Übs. v. Friedrich Schleiermacher. Darmstadt, 1973. Pesic, Peter. „Wrestling with Proteus. Francis Bacon and the ‚Torture‘ of Nature“. Isis 90 (1999), S. 81-94. Schaeffer, Pierre. „Vers une musique expérimentale“. La Revue Musicale 236 (1957), S. 11-27. Schöne, Albrecht. Goethes Farbentheologie. München, 1987.

Zu den Autorinnen und Autoren

PHILIP BUTTERWORTH PhD; Dozent für mittelalterliches Theater und Forschungsdekan an der Faculty of Music, Visual and Performing Arts der University of Leeds. Arbeitsschwerpunkte: Theaterregie, Regiekonventionen und Spezialeffekte wie Pyrotechnik und Magie. Publikationen u. a.: Theatre of Fire. Special Effects in Early English and Scottish Theatre (London, 1998); Magic on the Early English Stage (Cambridge, 2005); The Cambridge Introduction to Scenography (Mhg., Cambridge, erscheint 2007); The Narrator, the Expositor and the Prompter in European Medieval Theatre (in Vorbereitung). ROBERT FELFE Dr. phil.; Kunsthistoriker; wissenschaftlicher Mitarbeiter am Sonderforschungsbereich „Kulturen des Performativen“ der Freien Universität Berlin. Arbeitsschwerpunkte: Sammlungsgeschichte Frühe Neuzeit, Graphik des 16. u. 17. Jahrhunderts; Naturästhetik und zeitgenössische Kunst. Publikationen u. a.: Naturgeschichte als kunstvolle Synthese. Physikotheologie und Bildpraxis bei Johann Jakob Scheuchzer (Berlin, 2003); Lochmuster und Linienspiel. Überlegungen zur Druckgrafik des 17. Jahrhunderts (gemeinsam mit Karin Leonhard, Freiburg, 2006); Frühneuzeitliche Sammlungspraxis und Literatur (Mhg., Berlin, 2006). ANDREAS GIPPER Professor für französische und italienische Kulturwissenschaft an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Arbeitsschwerpunkte: Geschichte und Vorgeschichte der Intellektuellen in Frankreich und Italien seit dem 18. Jahrhundert; Literatur und Wissenschaft; Geschichte der populärwissenschaftlichen Literatur in Frankreich. Publikationen u. a.: Der Intellektuelle. Konzeption und Selbstverständnis schriftstellerischer Intelligenz in Frankreich und Italien 1918-1930 (Stuttgart, 1993); Wunderbare Wissenschaft. Literarische Strategien naturwissenschaftlicher Vulgarisierung in Frankreich von Cyrano de Bergerac bis zur Encyclopédie (München, 2002). LYDIA GOEHR Professorin für Philosophie an der Columbia Universität New York. Arbeitsschwerpunkte: Philosophie der Musik; Ästhetik u. Philosophie des 19. und 20. Jahrhunderts, besonders Adorno und Kritische Theorie (bes. Musik und Politik); Autonomie, Exil und Zensur in Bezug zur Geschichte und Musik. Publikationen u. a.: The Imaginary Museum of Musical Works. An Essay in the Philosophy of Music (Oxford, 1992); The Quest for Voice. Music, Politics, and the Limits of Philosophy (Oxford, 1998); The Don Giovanni Moment. Essays on the Legacy of an Opera (Mhg., New York, 2006); Elective Affinities. Musical Essays on the History of Aesthetic Theory (in Vorbereitung).

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Zu den Autorinnen und Autoren

RAINER GRUBER Dr. rer. nat.; wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Extraterrestrische Physik in Garching bei München. Arbeitsschwerpunkte: Quantenfeldtheorie, Photomorphogenese, Röntgenastronomie. Publikationen u. a.: „Das abenteuerliche Verhältnis von Physik und Geometrie. Newtons Raum aus Sicht der heutigen Physik“. Kunstkammer, Laboratorium, Bühne. Schauplätze des Wissens im 17. Jahrhundert. Hg. v. Helmar Schramm, Ludger Schwarte u. Jan Lazardzig. Berlin, 2003, S. 477-500; „Das Besondere des Fallens. Tanzmoderne, Gravitation und Allgemeine Relativitätstheorie“. Tanz als Anthropologie. Hg. v. Gabriele Brandstetter u. Christoph Wulf (in Vorbereitung). MICHAEL HEIDELBERGER Professor für Logik und Wissenschaftstheorie am Philosophischen Seminar der Eberhard Karls Universität Tübingen. Arbeitsschwerpunkte: Wissenschaftsphilosophie (Kausalität und Wahrscheinlichkeit, Philosophie des Experiments); Geschichte der Wissenschaftsphilosophie, Sinnesphysiologie, Psychologie und Biologie (besonders des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts). Publikationen u. a.: Natur und Erfahrung. Von der mittelalterlichen zur neuzeitlichen Naturwissenschaft (gemeinsam mit Sigrun Thiessen, Reinbek bei Hamburg, 1981); The Probabilistic Revolution. Bd. 1: Ideas in History (Mhg., Cambridge, Mass., 1987); Die innere Seite der Natur. Gustav Theodor Fechners wissenschaftlich-philosophische Weltauffassung (Frankfurt a. M., 1993); Experimental Essays – Versuche zum Experiment (Mhg., Baden-Baden, 1998); History of Philosophy of Science. New Trends and Perspectives (Mhg., Dordrecht, 2002); Wissenschaftsphilosophie und Politik / Philosophy of Science and Politics (Mhg., Wien, 2003); Nature from Within. Gustav Theodor Fechner’s Psychophysical Worldview (Pittsburgh, 2004). SEBASTIAN KLOTZ Professor für Systematische Musikwissenschaft an der Universität Leipzig. Arbeitsschwerpunkte: Musik und die Artikulation frühneuzeitlicher Subjektivität; „Resonanz“ und „Sympathie“ in Akustik, Emblematik und musikalischer Anthropologie (16001800); Wissenschaftsgeschichte der Musikethnologie und Musikpsychologie; Dimensionen des Urbanen in der musikalischen Popkultur der Gegenwart; Geschichte und Gegenwart von Auditory Cultures. Publikationen u. a.: Vom tönenden Wirbel menschlichen Tuns. Erich M. von Hornbostel als Gestaltpsychologe, Archivar und Musikwissenschaftler. Studien und Dokumente (Hg., Berlin, 1998); ‚Music with her silver sound‘. Kommunikationsformen im Goldenen Zeitalter der englischen Musik (Kassel, 1998); Kombinatorik und die Verbindungskünste der Zeichen in der Musik zwischen 1630 und 1780 (Berlin, 2006). JAN LAZARDZIG Dr. des.; wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Theaterwissenschaft der Freien Universität Berlin und am Sonderforschungsbereich „Kulturen des Performativen“ der Freien Universität Berlin. Arbeitsschwerpunkte: Theatralität der Wissenskultur im 17. Jahrhundert; frühneuzeitliche Theaterarchitektur; Geschichte der Theaterzensur. Publikationen u. a.: Kunstkammer, Laboratorium, Bühne. Schauplätze des Wissens im 17. Jahrhundert (Mhg., Berlin, 2003); Collection, Laboratory, Theater. Scenes of Knowledge in the 17th Century (Mhg., Berlin, 2005); Instrumente in Kunst und Wissenschaft. Zur Architektonik kultureller Grenzen im 17. Jahrhundert (Mhg., Berlin, 2006); Theatermaschine und Festungsbau. Paradoxe Seiten der Wissensproduktion im 17. Jahrhundert (Diss. Freie Universität, Berlin, 2006).

Zu den Autorinnen und Autoren

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JAMES W. MCALLISTER Professor an der Philosophischen Fakultät der Universität Leiden. Gastdozenturen an den Universitäten Pittsburgh und Delft, am Institute for Advanced Study (Princeton) sowie am Netherlands Institute for Advanced Study (Wassenaar). Herausgeber der Zeitschrift International Studies in the Philosophy of Science. Arbeitsschwerpunkte: Wissenschaftsphilosophie; Wissenschaft des 17. Jahrhunderts. Publikationen u. a.: The Question of Style in Philosophy and the Arts (Mhg., Cambridge, 1995); Beauty and Revolution in Science (Cornell, 1996). RICHARD NATE Professor für Englische Literaturwissenschaft an der Katholischen Universität EichstättIngolstadt. Arbeitsschwerpunkte: Wissenschaft und Literatur; Kulturelle Selbst- und Fremdwahrnehmung; Geschichte und Theorie der Rhetorik; Sprachtheorien der Frühen Neuzeit. Publikationen u. a.: Natursprachenmodelle des 17. Jahrhunderts (Münster, 1993); Wissenschaft und Literatur im England der Frühen Neuzeit (München, 2001); Amerikanische Träume. Die Kultur der Vereinigten Staaten in der Zeit des New Deals (Würzburg, 2003); H.G. Wells und die Krise der modernen Utopie (im Erscheinen). FLORIAN NELLE PD Dr. phil.; Privatdozent am Institut für Theaterwissenschaft der Freien Universität Berlin. Arbeitsschwerpunkte: ästhetische Dimensionen der Wissenschaft im 17. Jahrhundert, insbesondere das Verhältnis von manieristischer Poetik und experimenteller Wissenschaft; Geschichte der künstlichen Paradiese (Welttheater, Landschaftsgarten, Weltausstellung, Filmpalast). Publikationen u. a.: Atlantische Passagen. Paris am Schnittpunkt südamerikanischer Lebensläufe zwischen Unabhängigkeit und kubanischer Revolution (Berlin, 1996); Exzentrische Räume. Festschrift für Carlos Rincón (Mhg., Stuttgart, 2000); Bühnen des Wissens. Interferenzen zwischen Wissenschaft und Kunst (Mhg., Berlin, 2003); Künstliche Paradiese. Vom Barocktheater zum Filmpalast (Würzburg, 2005). GERHARD NEUMANN Professor für Neuere deutsche Literatur an den Universitäten Bonn, Erlangen, Freiburg i. Br. und München; em. Ordinarius für Neuere deutsche Literaturwissenschaft an der Universität München; seit 2005 Honorarprofessor an der Freien Universität Berlin; Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Publikationen u. a.: Franz Kafka. Schriftverkehr (Mhg., Freiburg, 1990); Lesbarkeit der Kultur. Literaturwissenschaften zwischen Kulturtechnik und Ethnographie (Mhg., München, 2000); Essen und Lebensqualität. Natur- und kulturwissenschaftliche Perspektiven (Mhg., Frankfurt a. M., 2001); Transgressionen. Literatur als Ethnographie (Hg., Freiburg, 2003); Goethes Lyrik (Mhg., Freiburg, 2006, im Erscheinen). DOMINIQUE PESTRE Professor und Forschungsdirektor im Bereich Wissenschaftsgeschichte an der École des Hautes Études en Sciences Sociales (EHESS) in Paris; Direktor des Centre Koyré, Paris. Arbeitsschwerpunkte: Wissenschaftsgeschichte der Physik im 19. und 20. Jahrhundert, v. a. aus kulturhistorischer Perspektive; Geschichte der großen technischwissenschaftlichen Systeme des 20. Jahrhunderts. Publikationen u. a.: Physique et physiciens en France, 1918-1940 (Paris, 1984); History of CERN, Vol. 1: Launching the European Organization for Nuclear Research (Mhg., Amsterdam, 1987); History of CERN, Vol. 2: Building and Running the Laboratory (Mhg., Amsterdam, 1990); In-

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Zu den Autorinnen und Autoren

nover dans la regression. Régions et industries menacées de déclin (Mhg., Paris, 1996); Science in the Twentieth Century (Mhg., Amsterdam, 1997); Heinrich Hertz. L’administration de la preuve (Paris, 2002); Science, argent et politique (Paris, 2003); The Public Nature of Science under Assault. Politics, Markets, Science and the Law (Berlin, 2005). ANDREW PICKERING Professor für Soziologie und Direktor des Department of Sociology an der University of Illinois. PhD in Physik und in Wissenschaftsforschung. Arbeitsschwerpunkt: Soziologie der Wissenschaft und Technologie. Publikationen u. a.: Constructing Quarks. A Sociological History of Particle Physics (Chicago, 1984); Knowledge and Society. Studies in the Sociology of Science, Past and Present (Bd. 8, Mhg., Stamford, 1989); The Mangle of Practice. Time, Agency, and Science (Chicago, 1995); Science as Practice and Culture (Hg., Chicago, 1992). HANS-JÖRG RHEINBERGER Dr. rer. nat.; Direktor am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte, Berlin; Honorarprofessor am Institut für Philosophie, Wissenschaftstheorie, Wissenschafts- und Technikgeschichte an der Technischen Universität Berlin. Arbeitsschwerpunkte: Epistemologie des Experimentierens; Geschichte der Naturwissenschaften; Experimentalsysteme. Publikationen u. a.: Experiment, Differenz, Schrift. Zur Geschichte epistemischer Dinge (Marburg, 1992); Toward a History of Epistemic Things. Synthesizing Proteins in the Test Tube (Stanford, Cal., 1997); Experimentalsysteme und epistemische Dinge. Eine Geschichte der Proteinsynthese im Reagenzglas (Göttingen, 2001); From Molecular Genetics to Genomics. The Mapping Cultures of Twentieth-Century Genetics (London, 2004); Classical Genetic Research and its Legacy. The Mapping Cultures of Twentieth-Century Genetics (Hg., London, 2005); Iterationen (Berlin, 2005); Epistemologie des Konkreten. Studien zur Geschichte der modernen Biologie (Frankfurt a. M., 2006). HELMAR SCHRAMM Professor für Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin. Arbeitsschwerpunkt: theatrale Kultur im Spannungsfeld von Medien- und Wissenschaftsgeschichte. Publikationen u. a.: Cachaça. Fragmente zur Geschichte von Poesie und Imagination (Mhg., Berlin, 1996); Karneval des Denkens. Theatralität im Spiegel philosophischer Texte des 16. und 17. Jahrhunderts (Berlin, 1996); Bühnen des Wissens. Interferenzen zwischen Wissenschaft und Kunst (Hg., Berlin, 2003); Kunstkammer, Laboratorium, Bühne. Schauplätze des Wissens im 17. Jahrhundert (Mhg., Berlin, 2003); Collection, Laboratory, Theater. Scenes of Knowledge in the 17th Century (Mhg., Berlin, 2005); Instrumente in Kunst und Wissenschaft. Zur Architektonik kultureller Grenzen im 17. Jahrhundert (Mhg., Berlin, 2006). LUDGER SCHWARTE Dr. phil., Assistenzprofessor für Theorie der Bilder am NFS „Bildkritik“ der Universität Basel. Forschungsaufenthalte und Dozenturen an der Universität Paris 8 und am GACVS (Washington); Gastprofessuren an der Maison des Sciences de l’Homme (Paris), der Columbia University (New York) sowie der École des Hautes Études en Sciences Sociales (Paris). Arbeitsschwerpunkt: Philosophie der Wissenschaftsarchitektur. Publikationen u. a.: Gene. Mären (Berlin, 1998); Die Regeln der Intuition. Kunstphilosophie nach Adorno, Heidegger und Wittgenstein (München, 2000); Kunst als Strafe.

Zu den Autorinnen und Autoren

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Zur Ästhetik der Disziplinierung (Mhg., München, 2003); Körper und Recht. Anthropologische Dimensionen der Rechtsphilosophie (Mhg., Paderborn, 2003); Kunstkammer, Laboratorium, Bühne. Schauplätze des Wissens im 17. Jahrhundert (Mhg., Berlin, 2003); Collection, Laboratory, Theater. Scenes of Knowledge in the 17th Century (Mhg., Berlin, 2005); Instrumente in Kunst und Wissenschaft. Zur Architektonik kultureller Grenzen im 17. Jahrhundert (Mhg., Berlin, 2006). VIKTORIA TKACZYK M. A.; Studium der Theaterwissenschaft, Neueren deutschen Literatur und Soziologie in München (LMU), Madrid (Complutense) und Berlin (FU/HU). DFG-Stipendiatin am Graduiertenkolleg „Körper-Inszenierungen“ der Freien Universität Berlin. Thema der Dissertation: „Himmels-Falten. Zur Theatralität des Fliegens in der Frühen Neuzeit“. Arbeitsschwerpunkte: Theater- und Wissenschaftsgeschichte der Frühen Neuzeit; Performancestudies (Themen: Luftfahrt, Tiere, akustisches Theater). Publikationen: „Kurz vor dem Abheben. Zu den Flugexperimenten Robert Hookes“. Sprache und Literatur 1 (2005), S. 98-119; „Europas Wahn. Eine Klangreise in 5 Etappen“. CDEd., gem. mit Marcus Gammel; liegt dem Buch Welche Sprache spricht Europa? (Berlin, 2005) bei. WLADIMIR VELMINSKI Dipl.-Math.; Studium der Mathematik, Physik, Slawistik und Kulturwissenschaft in Moskau und Berlin. Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Hermann von Helmholtz-Zentrum für Kulturtechnik der Humboldt Universität zu Berlin. Stipendiat der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius. Arbeitsschwerpunkt: Interferenzen zwischen Wissenschaft und Kunst. Publikationen u. a: „Folterkammer – Kunstkammer. Werkzeuge der Wissensvermittlung“. Werkzeuge (= Plurale, 4). Hg. v. Mirjam Goller. Berlin, 2005, S. 69-94. VOLKHARD WELS Dr. phil.; wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Potsdam in einem DFGProjekt zum Begriff der Dichtung in der Frühen Neuzeit; Lehrbeauftragter am Institut für Germanistik der Universität Potsdam. Arbeitsschwerpunkte: neulateinische Literatur, Rhetorik, Poetik und Ästhetik; Rhetorik und Argumentationstheorie; Interferenzen von Theologie und Literatur; Editionswissenschaft. Publikationen u. a.: Triviale Künste. Die humanistische Reform der grammatischen, dialektischen und rhetorischen Ausbildung an der Wende zum 16. Jahrhundert (Berlin, 2000); Philipp Melanchthon. Elementa rhetorices. Grundbegriffe der Rhetorik (Hg., komm. u. übers., Berlin, 2001). GERHARD WIESENFELDT Dr. rer. nat.; wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Geschichte der Medizin, Naturwissenschaft und Technik der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Arbeitsschwerpunkte: Konzeptionen der Romantik in den Naturwissenschaften; Experimentalwissenschaften vom 17. bis ins frühe 19. Jahrhundert; Wissenschaften an frühneuzeitlichen Universitäten; visuelle Kultur der Naturwissenschaften. Publikationen u. a.: Wahrnehmung der Natur – Natur der Wahrnehmung. Studien zur Geschichte visueller Kultur um 1800 (Mhg., Amsterdam u. Dresden, 2001); Leerer Raum in Minervas Haus. Experimentelle Naturlehre an der Universität Leiden, 1675-1715 (Amsterdam, 2002).

Bildnachweise/Bildrechte Rheinberger: (Abb. 1) Menschliches Herz. Brigitte Buberl u. Michael Dückershoff (Hg.). Palast des Wissens. Die Kunst- und Wunderkammer Zar Peters des Großen. München, 2003; (Abb. 2) Mann mit Unterkieferknochen. © Christophe Degueurce, Musée Fragonard, Paris. (Abb. 3 u. 4) © Botanisches Museum Berlin; (Abb. 5, 6 u. 7) © Berliner Medizinhistorisches Museum; (Abb. 8) Polyacrylamidgel. © Max-Planck-Institut für molekulare Genetik, Arbeitsgruppe Knud Nierhaus. Butterworth: (Abb. 1, 3 u. 4) © Philip Butterworth; (Abb. 2) Entwurf eines „amphitheatralen Spiegels“. Giambattista della Porta. Natural Magick. Hg. v. Derek J. Price. New York, 1957 [Nachdruck d. Ausgabe London, 1658], S. 359-360; (Abb. 5) Kondensor. John White. A Rich Cabinet with Variety of Inventions. Unlock’d and Opened, for the Recreation of Ingenious Spirits at their Vacant Hours, etc. London, 1651; (Abb. 6) Klöpplerinnen bei der Arbeit. Blaise Castle House Museum, reg. no. TD.1940. Mit freundlicher Genehmigung des City of Bristol Museum & Art Gallery. Tkaczyk: (Abb. 1) Nicola Sabbattini. Pratica di fabricar scene, e machine ne’ teatri. Ravenna, 1639; (Abb. 2) Wetteruhr. Robert W.T. Gunther. Early Science in Oxford. The Life and Work of Robert Hooke. 8 Bde. Oxford, 1930, Bd. 6, S. 162. Mit freundlicher Genehmigung der Royal Society, London. Felfe: (Abb. 1) Bildtafel 2 (Kupferstich). Abraham Bosse. Maniere Universelle de Mr. Desargues pour pratiquer la Perspective. Paris, 1648. Mit freundlicher Genehmigung der Kunstbibliothek. Staatliche Museen zu Berlin (Sign.: Os 4716 kl); (Abb. 2) Der Zeichner mit der Laute (Holzschnitt). Albrecht Dürer. Underweysung der Messung […]. Nürnberg, 1525; Abb. nach Peter Frieß. Kunst und Maschine. 500 Jahre Maschinenlinien in Bild und Skulptur. München, 1993, S. 57; (Abb. 3 u. 4) Abbildung (Holzschnitt). Hans Lencker. Perspectiva – Hierinnen auffs Kürtzte beschrieben […]. Nürnberg, 1571. Mit freundlicher Genehmigung der Kunstbibliothek. Staatliche Museen zu Berlin (Sign.: Os 4696 mtl); (Abb. 5) Albrecht Dürer. Landsknecht und Reiter. Randzeichnung im Gebetbuch Kaiser Maximilian I., 1515 (Federzeichnung, fol. 55v.). Abbildung nach Friedrich Teja Bach. Struktur und Erscheinung. Untersuchungen zu Dürers graphischer Kunst. Berlin, 1996, S. 178; (Abb. 6) Deckblatt (Kupferstich). Augustin Hirschvogel. (Serie von Perspektivkörpern), 1549. Mit freundlicher Genehmigung der Kunstbibliothek. Staatliche Museen zu Berlin (Sign.: Os 4689 aufg.); (Abb. 7) Letzte Bildtafel (Kupferstich). Wenzel Jamnitzer. Perspectiva Corporum Regularium […]. Nürnberg, 1568. Mit freundlicher Genehmigung der Kunstbibliothek. Staatliche Museen zu Berlin (Sign.: Os 4693 mtl). (Abb. 8) Abbildung (Holzschnitt). Jean Cousin d. Ä. Livre de Perspective. Paris, 1560. Mit freundlicher Genehmigung der Kunstbibliothek. Staatliche Museen zu Berlin (Sign.: Os 4690 mtl); (Abb. 9) Bildtafel 1 (Kupferstich). Abraham Bosse. Maniere Universelle de Mr. Desargues pour pratiquer la Perspective. Paris, 1648. Mit freundlicher Genehmigung der Kunstbibliothek. Staatliche Museen zu Berlin (Sign.: Os 4716 kl); (Abb. 10) Bildtafel LXVI/LXVII (Kupferstich). Jean-François Nicéron. Thaumaturgus opticus, seu Admiranda optices per radium directum […]. Paris, 1646; Abb. nach Peter Frieß. Kunst und Maschine. 500 Jahre Maschinenlinien in Bild und Skulptur. München,

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Bildnachweise/Bildrechte

1993, S. 100f.; (Abb. 11) Bildtafel 10 (Radierung). Abraham Bosse. Manières de Graver en taille douce […]. Paris, 1645. Mit freundlicher Genehmigung der Kunstbibliothek. Staatliche Museen zu Berlin (Sign.: Os 4652 kl); (Abb. 12) Abbildung (Kupferstich). Sébastien Le Clerc. Pratique de la Géométrie, sur le Papier et sur le Terrain […]. Paris, 1669, S. 12. Mit freundlicher Genehmigung der Kunstbibliothek. Staatliche Museen zu Berlin (Sign.: Os 4720 kl). Lazardzig: (Abb. 1) August Hauptmann. Neues Chymisches Kunst Project und sehr wichtiges Bergk Bedencken […]. Leipzig, 1658, Frontispiz. Mit freundlicher Genehmigung der Herzog August Bibliothek, Wolfenbüttel (Sign.: A: 93.3 Phys. (6)); (Abb. 2) Francis Bacon. Neues Organon. Lateinisch-Deutsch. 2 Bde. Hg. u. eingel. v. Wolfgang Krohn. Hamburg, 1990, Frontispiz; (Abb. 3.1) Athanasius Kircher. Arca Noë. In tres libros digesta, quorum I. De rebus quae ante Diluvium, II. De iis, quae ipso Diluvio ejusque duratione, III. De iis, quae post Diluvium à Noëmo gesta sunt, Quae omnia novâ Methodo, Nec non Summa Argumentorum varietate, explicantur, & demonstrantur. Amsterdam, 1675, S. X. Mit freundlicher Genehmigung der Herzog August Bibliothek, Wolfenbüttel (Sign.: M: Li 2o 89); (Abb. 3.2) Johann Jacob Scheuchzer. Kupfer=Bibel/ In welcher Die Physica Sacra Oder Beheiligte Natur=Wissenschafft Derer In Heil. Schrifft vorkommenden Natürlichen Sachen/ Deutlich erklärt und bewährt […]. Augsburg u. Ulm, 1731, Abb. 35. Mit freundlicher Genehmigung der Herzog August Bibliothek, Wolfenbüttel (Sign.: M: Tb 2o 33); (Abb. 4.1) Athanasius Kircher. Turris Babel, Sive Archeonologia qua Primo Priscorum post diluvium hominum vita, mores rerumque gestarum magnitudo, Secundo Turris fabrica civitatumque exstructio, confusio linguarum, & inde gentium transmigrationis, cum principalium inde enatorum idiomatum historia, multiplici eruditione describuntur & explicantur […]. Amsterdam, 1679, S. X. Mit freundlicher Genehmigung der Herzog August Bibliothek, Wolfenbüttel (Sign.: 22.5 Hist. 20 (2)); (Abb. 4.2) Johann Jacob Scheuchzer. Kupfer=Bibel/ In welcher Die Physica Sacra Oder Beheiligte Natur=Wissenschafft Derer In Heil. Schrifft vorkommenden Natürlichen Sachen/ Deutlich erklärt und bewährt […]. Augsburg u. Ulm, 1731, Abb. 73. Mit freundlicher Genehmigung der Herzog August Bibliothek, Wolfenbüttel (Sign.: M: Tb 2o 33); (Abb. 5) Johann Joachim Becher. Närrische Weißheit Und Weise Narrheit: Oder Ein hundert so Politische als Physicalische, Mechanische und Mercantilische Concepten und Propositionen, deren etliche zu nichts worden. [o. O.], 1707, Frontispiz. Mit freundlicher Genehmigung der Herzog August Bibliothek, Wolfenbüttel (Sign.: M: Od 16); (Abb. 6) Johann Joachim Becher. Opuscula chymica rariora add. nova praef. […] multisque figuris aeneis illustr. a Friderico Roth-Sholtzio [Friedrich RothScholtz]. Nürnberg, 1719, Abb. 32. Mit freundlicher Genehmigung der Herzog August Bibliothek, Wolfenbüttel (Sign.: M: Nd 19). Wiesenfeldt: (Abb. 1) Porträt Petrus van Musschenbroek. © Museum Boerhaave, Leiden; (Abb. 2) Kolorierte Radierung. Martinus van Marum. Beschreibung einer ungemein großen Elektrisier-Maschine und der damit im Teylerschen Museum zu Haarlem angestelten Versuche. Leipzig, 1788. Zweiter Teil; (Abb. 3) Elektrische Figuren auf einem Harzkuchen. Georg Christoph Lichtenberg. De nova methodo naturam ac motum fluidi electrici investigandi. Göttingen, 1778. Klotz: (Abb. 1 u. 2) Marin Mersenne. Harmonie universelle, contenant la théorie et la pratique de la musique. Paris, 1986 [Nachdruck d. Ausgabe Paris, 1636], Bd. 1, S. 87 u. Bd. 2, S. 249. Nate: (Abb. 1) Fronzispiz. Thomas Sprat. History Of the Royal-Society Of London, For the Improving of Natural Knowledge. London, 1667; (Abb. 2) Joseph Wright of Derby. An Experiment on a Bird in the Air Pump. Öl auf Leinwand, 1768. © National Gallery, London; (Abb. 3) Floh. Robert Hooke. Micrographia, Or Some Physiological Descriptions of Minute Bodies Made by Magnifying Glasses. London, 1665. Velminski: (Abb. 1-5) © Bildarchiv des Museums für Anthropologie und Ethnographie (Kunstkammer), St. Petersburg. Neumann: (Abb. 1-2) Montgolfiere in Versailles © Archiv

Bildnachweise/Bildrechte

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Gerhard Neumann; (Abb. 3) Antonio Carnicero. Aufstieg eines Heißluftballon am Hofe Charles IV. (1783). © Museo de Bellas Artes, Bilbao; (Abb. 4) Francisco Goya, Der Ballon (1813-1816). © Hugo Maertens (Bruges), Musée des Beaux-Arts d’Agen; (Abb. 5-8) Hans Holbein d. J., Die Gesandten (1533). © National Gallery, London; (Abb. 9) William Hogarth, Zylinderanamorphose (um 1750) © Sammlung Werner Nekes; (Abb. 10) Odilon Redon, Das Auge bewegt sich, wie ein seltsamer Ballon, auf die Unendlichkeit zu (1882). © Harvard University Art Museums, Fogg Art Museum, Cambridge (Mass.); (Abb. 11) Hubert Robert, Römische Phantasievedute (1789). © Staatliche Kunsthalle Karlsruhe; (Abb. 12) Wolfgang Otto Schulze (WOLS), L’œil de Dieu (1948). © VG Bild-Kunst, Bonn. Schramm: (Abb. 1) Wendelin Weißheimer (18361910) beim Spielen des Pyrophons. Harald Szeemann (Hg.). Der Hang zum Gesamtkunstwerk. Europäische Utopien seit 1800. [Ausst.kat]. Aaarau u. Frankfurt a. M., 1983, S. 199; (Abb. 2) Frédéric Kastners Pyrophon. Frédéric Kastner. Le Pyrophone. Flammes chantantes. 4. Aufl. Paris, 1875, Anhang; (Abb. 3) Alchemistische Beherrschung des Feuers. Eugene Canseliet (Hg.). Die Alchemie und ihr stummes Buch (Mutus Liber). Amsterdam, 1991 [Nachdruck d. Ausgabe La Rochelle, 1677]; (Abb. 4-6) John Tyndall. Der Schall. Acht Vorlesungen gehalten in der Royal Institution von Grossbritannien. Braunschweig, 1869. Gruber: (Abb. 1) Aufnahme des Hubble Space Teleskops. © R. Williams (STSci), NASA; (Abb. 2) Wärmebild von Himmel und Erde. © NASA/WMAP Science Team; (Abb. 3) Zeit-Blick ins Universum. © NASA/WMAP Science Team; (Abb. 4) Mikrowellenhintergrundstrahlung. © Guido Saathoff, Max-Planck-Institut für Kernphysik, Heidelberg; (Abb. 5) Blick zurück ins ‚Baby-Universum‘. © NASA/WMAP Science Team; (Abb. 6) Theoretisch errechnetes Spektrum der Hintergrundstrahlung. Wayne Hu u. a. „CMB Observables and Their Cosmological Implications“ [Astrophysics (abstracts), 26. Oktober 2000, vs. 2]. Quellenstandort online: http://arxiv.org/abs/astro-ph/0006436; (Abb. 7) Mulitpolspektrum. Max Tegmark u. a. „Cosmological Parameters from SDSS and WMAP“ [Astrophysics (abstracts), 15. Januar 2004, vs. 2]. Quellenstandort online: http://arxiv.org/abs/astro-ph/0310723; (Abb. 8) „Kepler’sche“ Supernova. © NASA/ESA/ JHU/ R. Sankrit & W. Blair; (Abb. 9) Supernova SN1998dh. Adam G. Riess u. a. „Type Ia Supernova Discoveries at z > 1 from the Hubble Space Telescope. Evidence for Past Deceleration and Constraints on Dark Energy Evolution“. The Astrophysical Journal 607 (2004), S. 665-687; Quellenstandort online: http://arxiv.org/ PS_cache/astro-ph/ps/0402/ 0402512.fig1.jpg; (Abb. 10) Advanced Camera for Surveys (ACS) des Hubble Space Telescope. © NASA/ A. Feild (STScI). Pickering: (Abb. 1) Gordon Pask als junger Mann. Mit freundlicher Genehmigung von Amanda Heitler; (Abb. 2 u. 3) Jasia Reichardt (Hg.). Cybernetics, Art, and Ideas. Greenwich, Conn., 1971, S. 83, Abb. 28 u. S. 97, Abb. 40. Mit freundlicher Genehmigung von Amanda Heitler; (Abb. 4) Logisches Diagramm für ein kybernetisches Theater. Gordon Pask. „Proposals for a Cybernetic Theatre“. Theatre Workshop & System Research, 1964. Unveröffentl. Manuskript, S. 25, Diagramm 10. Mit freundlicher Genehmigung von Amanda Heitler; (Abb. 5) Fun Palace. Royston Landau. New Directions in British Architecture. London, 1968, S. 79, Abb. 56; (Abb. 6) Das Groningen-Modell. John Frazer. „The Cybernetics of Architecture. A Tribute to the Contribution of Gordon Pask“. Kybernetes 30 (2001), S. 648, Abb. 1. Mit freundlicher Genehmigung von John Frazer; (Abb. 7) Wüstenrennmaus-Architektur. Nicholas Negroponte. Soft Architecture Machines. Cambridge, Mass., 1975, S. 47, Abb. 4. Mit freundlicher Genehmigung von MIT Press.

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Personenregister

Adorne, S. 353 Adorno, Theodor W. 477, 479f., 482, 488, 493, 496-504 Agrippa von Nettesheim, Heinrich Cornelius 22 Alberti, Leon Battista 85f., 100, 351f. Aldrovandi, Ulysse 7 Alewyn, Richard 126 Alhazen (Ibn al-Haitham) 378f. Ampère, André Marie 383, 387 Andreae, Johann Valentin 203 Aristoteles 167, 222, 346-349, 380f., 437 Ashby, W. Ross 455 Aubignac, François-Hédelin Abbé d’ 121 August von Sachsen-Gotha-Altenburg 323 Auzout, Adrien 236, 254 Babbitt, Milton 488 Bach, Friedrich Teja 91 Bachelard, Gaston 2, 65, 411 Bacon, Francis 66f., 72f., 128, 181, 187ff., 200, 202, 221, 266, 295ff., 299, 302ff., 309, 380-384, 389, 477482, 485, 487f., 491-497, 502, 504 Balde, Jacob 145 Bapst, Germain 117 Barberini, Antonio Kardinal 115 Bartholin, Thomas 228 Bate, John 23 Baumgarten, Alexander Gottlieb 348 Becher, Johann Joachim 180, 190, 199-203, 206f. Beer, Stafford 455 Bence Jones, Henry 162 Benjamin, Walter 485 Bentham, Jeremy 483

Berkeley, George 388 Bernier, François 254 Bernini, Gian Lorenzo 114-123, 125129 Bernoulli, Daniel 336 Bernoulli, Jakob 262 Bernoulli, Nikolaus 335 Bessy, Bernard Frénicle de 236 Beuys, Joseph 412 Bidermann, Jacob 145 Birck, Sixt 147 Birken, Sigmund von 140, 143-146 Blanchard, Jean-Pierre (François) 353 Blondel, Christine 414f. Blumenberg, Hans 118 Boerhaave, Herman 268f., 271f. Bosse, Abraham 78-86, 88, 97-100, 102-111 Boucicault, Dion 117 Bourdelot, Pierre Michon 246, 250, 254 Boyle, Robert 157, 168, 171, 180, 221, 242f., 248, 262ff., 300f., 303312 Brahe, Tycho 392 Brecht, Bertolt 126, 466 Brouncker, William 298 Brugis, Thomas 181 Brunelleschi, Filippo 352 Burckhardt, Jacob 120 Burke, Edmund 118 Büttner, Christian Wilhelm 320f. Byron, George Gordon (Lord Byron) 117 Cage, John 477-480, 482, 488-491, 493, 495-499, 500ff., 504 Callot, Jacques 80 Camper, Petrus 272

552 Cardano, Girolamo 23 Carnap, Rudolf 391 Carnicero, Antonio 353 Carpi, Jacopo Berengario da 223 Carter, Eliot 488 Cassirer, Ernst 480f., 492, 495 Castiglione, Baldassare 164, 166 Catharina von Georgien 141ff. Caus, Salomon de 288 Cavendish, Margaret (Duchess of Newcastle) 300, 312ff. Cervantes, Miguel de 199 Chamisso, Adalbert von 7 Chanut, Pierre 247 Charas, Moyse 217f. Charles II. 297 Charles, Jacques 353 Chladni, Ernst Florens Friedrich 406 Cicero, Marcus Tullius 150 Clair, Pierre 251 Clairot, Alexis Claude 445 Clarke, Samuel 249 Clerselier, Claude 251ff. Colbert, Jean-Baptiste 186 Collins, Harry M. 389 Colombo, Realdo 224f. Le Grand Condé (Ludwig II. von Bourbon) 254 Condillac, Étienne Bonnot de 347 Cooks, Chester 21, 39 Corneille, Pierre 61f. Coulomb, Charles Augustin de 415 Cousin, Jean d. Ä. 95f., 109 Cowley, Abraham 221 Crombie, Alistair C. 279, 379 Dach, Simon 145 Damisch, Hubert 46 Darwin, Erasmus 307 Defoe, Daniel 179, 189f., 195, 198f. Deleuze, Gilles 45ff. Delisle, Joseph Georg 335 De Luc, Jean-André 406 Denis, Jean-Baptiste 226 Desargues, Girard 83f., 105 Descartes, René 43f., 47-52, 54f., 57, 72, 82, 128, 169, 171, 221, 236, 242-246, 249f., 253, 255ff., 325ff., 333, 336, 351f., 360 Dewey, John 483

Personenregister Diderot, Denis 119, 228 Dollond, John 339f., 352 Dubois, Jacques (Sylvius) 223 Du Caurroy, Eustache 288ff. Duchamp, Marcel 411 Duhem, Pierre 383-386, 391f., 394f. Dürer, Albrecht 86f., 91f., 97, 102, 108 Du Verney, Joseph-Guichart 213 Duvernoy, Johann Georg 335 Eberhard, Johann Peter 401 Edison, Thomas Alva 412 Einstein, Albert 432, 446 Eleonora Magdalena Theresia von Pfalz-Neuburg 146 Elsholtz, Johann Sigismund 225 Engels, Friedrich 483 Epikur 145, 255 Ernst II. von Sachsen-Gotha 323 Eschscholtz, Johann Friedrich 7 Euklid 83, 110 Euler, Leonhard 319, 335-341 Faraday, Michael 161f., 387, 406 Faret, Nicolas 166, 244 Ferguson, John 22, 306f. Fermi, Enrico 162f. Fitzgerald, George Francio 421f. Flamelli, Nicolai 401 Fontenelle, Bernard le Bouvier de 254f., 257f. Forster, Georg 347 Foucault, Michel 45, 47, 247 Fourier, Charles 348 Fragonard, Honoré 4 Franklin, Allan 390 Fraunhofer, Joseph von 352 Frazer, John Hamilton 454, 471f. Frege, Gottlob 385 Freud, Sigmund 372ff. Friederike Charlotte von Herford 337 Frischlin, Nicodemus 148 Furetière, Antoine 230 Furttenbach, Joseph 28f., 35, 38, 6267, 70, 72 Galen 222f., 378 Galilei, Galileo 51f., 54f., 57, 62, 72,

Personenregister 170f., 262, 282, 290, 302, 310, 332, 352, 379f. Galison, Peter 73 Gamow, George A. 437 Gautier, Théophile 117 Gayant, Louis 235f. Gentili, Scipione 136, 138 Gesner, Conrad 23 Glanvill, Joseph 221 Godwin, Francis 310 Goethe, Johann Wolfgang von 318324, 327, 345, 348, 368-372, 480, 486f. Gottsched, Johann Christoph 140f., 146, 148 Goya, Francisco de 354, 357 ‘s Gravesande, Willem Jacob 268f. Green, Charles 355 Gregory, Richard 456 Grimarest, Jean-Léonor 256 Gryphius, Andreas 141f., 145 Habert de Montmort, Henri-Louis 246, 252 Hacking, Ian 388f., 391, 395 Halley, Edmond 445 Hanson, Norwood Russell 392-95 Hardenberg, Friedrich von siehe Novalis Harms, Johann Oswald 60ff. Harsdörffer, Georg Philipp 137ff., 146f. Harvey, William 225, 228, 378 Haüy, René-Just 415f. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 348ff., 352, 361, 368, 370ff. Heidegger, Martin 480 Helmholtz, Hermann von 382f., 406, 421, 426 Helms, Hans G 500 Herder, Johann Gottfried 348 Hermbstädt, Sigismund Friedrich 406 Herschel, Friedrich Wilhelm 352, 445 Herschel, John F.W. 378, 382 Hertz, Heinrich 414, 418-423, 425429 Higgins, Bryan 406 Hill, Thomas 23 Hipparchos 437, 445 Hirschvogel, Augustin 93

553 Hobbes, Thomas 292, 314 Hochadel, Oliver 276 Hoffmann, E.T.A. 357, 368, 370, 372 Hoffmann, Gottfried 143 Hofmann, Werner 355 Hogarth, William 110, 361 Holbein, Hans d. J. 358f. Hooke, Robert 68-72, 157, 182, 242, 263, 292, 299ff., 303ff., 310-313, 352, 487 Horkheimer, Max 480, 493 Howard, Luke 55 Huygens, Christiaan 253, 330 Huygens, Constantijn 264 Hyre, Laurent de la 290 Hyrtl, Josef 11-14 Jacob, François 4 Jamnitzer, Wenzel 88, 94 Janssen, Hans 352 Janssen, Zacharias 352 Jonson, Ben 181 Justi, Johann Heinrich Gottlob von 206f. Kant, Immanuel 119 Karl August von Weimar 323 Kastner, Frédéric 398ff., 406 Kean, Charles 117 Kempelen, Wolfgang von 408 Kepler, Johannes 332, 334, 379, 392, 438, 445f. Kircher, Athanasius 193-198 Klingenstierna, Samuel 339 Knorr von Rosenroth, Christian 143, 145 Körnicke, Friedrich August 7 Koschorke, Albrecht 356 Koyré, Alexandre 248, 386 Kraft, Johann Georg Wolfgang 335 Kratzenstein, Christian Gottlieb 408 Krebs, Hans 387 Kuhn, Thomas S. 379, 381, 386f., 393ff. La Bruyère, Jean de 244 Lacan, Jacques 351 Lana, Francesco 262 Lavoisier, Antoine Laurent de 393, 405

554 Leclerc, Jean 262 Le Clerc, Sébastien 109f. Leeuwenhoek, Antoni van 217, 352 Leibniz, Gottfried Wilhelm 180, 182, 184ff., 188, 200, 292, 404, 410, 481, 487 Lemery, Nicolas 254f. Lencker, Hans 89f. Leonardo da Vinci 122 Leonora von Toledo 34 Leopold I. von Habsburg 145 Lichtenberg, Georg Christoph 274ff., 352, 362ff., 368, 372 Lippershey, Jan (Hans) 352 Littlewood, Joan 465-468, 470 Lohenstein, Daniel Caspar von 146 Lord Snowdon (Anthony ArmstrongJones) 464 Loutherbourg, Philipp Jacques de 73 Ludwig XIV. 114, 186 Luther, Martin 147 Luzzi, Mondino dei 222 Mach, Ernst 483 Magnus, Albertus 22 Marat, Jean-Paul 400f. Marconi, Guglielmo 429f. Marcuse, Herbert 480 Margaret von York (Countess of Snowdon) 464 Mariotte, Edme 213-217, 222, 227, 230-234, 236 Marperger, Paul Jacob 185 Marx, Karl 483 Masen, Jacob 139f., 142f., 147 Maximilian I. von Habsburg 91 Maxwell, James Clark 419, 421-426, 428f. Mayo, Deborah G. 390 Medici, Cosimo I. de 34 Menuhin, Yehudi 468 Merleau-Ponty, Maurice 351 Mersenne, Marin 246, 262, 279-284, 286-293, 352, 360 Metzger, Heinz-Klaus 500 Mill, John Stuart 382, 483 Molière 183, 255f. Montaigne, Michel de 487 Montecuccoli, Raimondo 123f. Montgolfier, Jacques-Étienne 353f.

Personenregister Montgolfier, Joseph-Michel 353f. Moor Hall, Chester 352 Mozart, Wolfgang Amadeus 365 Müller, Johannes 407 Naogeorg, Thomas 147 Negroponte, Nicholas 470, 472f. Nekes, Werner 345 Newton, Isaac 221, 243, 249, 261, 267ff., 272, 274, 318-324, 327, 332, 334, 336-339, 383, 431, 438, 444ff., 450, 486f. Nicéron, Jean-François 101f., 360 Nietzsche, Friedrich 324 Nieuwentijt, Bernard 268f. Nollet, Jean-Antoine 414 Novalis 366, 368, 404 Ockham, Wilhelm von 159 Paik, Nam June 412 Paracelsus 23 Pascal, Blaise 117, 247f. Pask, Edgar 456 Pask, Elisabeth 456f. Pask, (Andrew) Gordon 454, 456-468, 470-473, 475 Paul, Jean 354, 362-366, 368f., 372, 374 Pecquet, Jean 214f., 236 Penzias, Arno A. 437 Pepys, Samuel 299f. Peregrini, Matteo 124 Perrault, Claude 213, 218-221, 226f., 229, 231, 235f. Pesic, Peter 493, 495 Peter der Große 335 Petit, Pierre 247 Pfinzing von Henfenfeld, Paul 88 Pickering, Andrew 389 Platon 93f., 255, 292, 386, 492f. Platt, Sir Hugh 23, 27ff., 33, 38f. Poe, Edgar Allan 308f., 366 Poincaré, Henri 428 Polanyi, Michael 65 Popper, Karl 384, 386, 390f., 421, 480, 501 Porta, Giambattista della 23, 34, 39 Power, Henry 301 Pozzo, Andrea 122

Personenregister Prasch, Ludwig 143 Priestley, Joseph 394 Ptolemäus 378, 437 Purmann, Matthias Gottfried 226 Pythagoras 279 Quine, Willard V.O. 385 Quintilian 149, 164 Ranea, Alberto Guillermo 243 Rebhun, Paul 147 Régis, Pierre-Sylvain 254, 257 Reichardt, Jasia 463 Reichenbach, Hans 285f. Renaudot, Théophraste 251 Reuter, Christian 146 Rheinberger, Hans-Jörg 70, 103, 390 Riccoli, Giovanni 262 Richter, Daniel 146 Riehl, Alois 385 Riemer, Johannes 146 Rilke, Rainer Maria 345, 373 Rist, Johann 145 Ritter, Johann Wilhelm 404 Rive, Lucien de la 427, 429 Robert, Hubert 367 Robinson, E. 424 Rohault, Jacques 249-254, 256ff. Röntgen, Wilhelm Conrad 394f. Rozier, Jean-François Pilâtre de 353 Ruysch, Frederik 4 Sabbattini, Nicola 44f., 52-55, 57, 61, 72 Saddler, York 19 Sangallo, Bastiano da (Aristotile) 34, 37 Santorio, Santorio 217 Sarazin, Édouard 427, 429 Schaeffer, Pierre 500 Schaffer, Simon 266 Schaffgotsch, F.G. 406 Schelling, Friedrich Wilhelm 404 Scherer, Alexander Nicolaus 406 Schiller, Friedrich 408 Schlegel, Friedrich 404 Schleiden, Matthias Jacob 11 Schönberg, Arnold 498 Senguerd, Wolferd 262-265, 267, 272f.

555 Serjeantson, Robert W. 266 Serlio, Sebastiano 30, 37 Servandoni, Jean-Nicolas 73 Settle, Elkanah 71 Seurat, Georges 434 Severino, Marco Aurelio 227 Shadwell, Thomas 182, 301 Shapin, Steven 242, 266 Shapiro, Barbara J. 266 Shelley, Mary 308 Skinners, Chester 20 Sloterdijk, Peter 452 Snellius, Willebrord 325 Solla Price, Derek J. de 386 Sommer, Manfred 64 Sommi, Leone de 37 Sprat, Thomas 295, 297ff., 302f., 310f. Stein, Gertrude 491 Steinhardt, Paul J. 432, 451 Steinle, Friedrich 389 Sterne, Laurence 346 Stieler, Kaspar 144 Stifter, Adalbert 368f., 372 Strauß, Botho 373ff. Sturm, Johann Christoph 262f., 266 Sturm, Leonard Christoph 197f. Sulzer, Johann Georg 119 Swammerdam, Jan 4 Swift, Jonathan 310ff., 314f. Tavernier, Melchior 80 Theresa von Ávila 120f. Thévenot, Melchisédech 246 Thompson, Silvanus P. 162 Thomson, John Joseph 423 Tietze, Hans 373 Tolle, Heinrich 146 Torelli, Giacomo 62f., 72 Toulmin Smith, Lucy 19 Tournefort, Joseph Pitton de 254 Turok, Neil 432, 451 Tyndall, John 406ff. Ullmann, Viktor 493 Ulrich, Anton 143 Urban VIII. (Maffeo Barberini) 116 Valentinus, Basilius 401 Van Marum, Martinus 272ff., 276

556 Van Musschenbroek, Petrus 268, 270ff. Vasari, Giorgio 34f., 122 Vesalius, Andreas 224, 378 Vignola, Giacomo Barozzi da 351 Vinson, Charles 265 Virchow, Rudolf 13 Visconti, Honorato 52 Volder, Burchard de 264-267, 272 Voltaire 243 Wagner, Richard 485 Waldis, Burkard 146f. Walter, W. Grey 455 Watt, James 307 Wedgewood-Benn, Anthony 464 Weise, Christian 146 Weitbrecht, Josias 335 Welles, Orson 126f.

Personenregister Wepfer, Johann Jakob 228 Westhoven, Frederik Willem van 262f. White, John 32f., 38 Wiegleb, Christian 403 Wiener, Norbert 454, 456f. Willis, Thomas 227f. Wilson, Charles T.R. 73f. Wilson, John 181f. Wilson, Robert W. 437 Winter (Guinter), Johann 223 Wladislaw IV. 145 Wren, Christopher 68 Wright of Derby, Joseph 306f. Yang, Chen Ning 162 Zabarella, Jakob 131-136, 138, 148f., 151f. Zincke, Georg Heinrich 207

Sachregister

Aberglaube 487, 495 Achromasie/achromatisch 318f., 323, 332, 337 Ähnlichkeit 61ff., 73f., 92, 96ff., 107, 124, 134, 137f., 140, 143, 309, 327, 395, 450, 486 Aisthesis 348f. Akademie 68, 84, 105f., 182f., 185f. 193, 213f., 217f., 221, 229, 246, 252, 254, 257, 331, 334, 336, 339, 379, 414, 418, 488 Académie des Sciences 213, 245f., 254f., 257, 387 Académie Royale des Sciences 80, 214, 216, 218, 226, 230, 234ff., 257 Akademie der Wissenschaften 182, 213 Royal Society 68f., 178, 182, 204, 217, 242, 261, 263f., 266f., 292, 295, 297, 299-303, 305, 308, 310ff., 330, 380 Alchemie 145, 177, 179ff., 202, 204, 245, 401-404 Analytik 133, 135f., 148 Anamorphose 101f., 357f., 360, 368 Anatomie 106, 214, 217, 219f., 222f., 227ff., 305, 379 Anisotropie 434, 439-442, 444, 450f. Anschauung 281, 349f., 383, 453 Anthropologie 348, 362 Antike 28, 57, 66, 115, 133, 150, 164f., 195f., 222, 297, 313, 333, 371, 437, 449 Apparat/Apparatur 15, 24-27, 69, 88, 102f., 116, 127, 161, 218, 227, 232, 253, 257f., 310, 320, 334, 336, 351f., 361f., 369, 371, 375, 386f., 392, 394, 402f., 407f., 412, 421, 430

-optischer 24-27, 102f., 320, 351f., 362, 369, 371, 375 Arabeske 88, 92ff., 108 Architektur/Architektonik 114, 116, 186, 191, 193, 195, 197f., 218f., 412, 454, 467f., 470-473, 475 Archiv 47, 287, 387 Argutezza 124 Aristotelismus/aristotelisch 126, 131, 133f., 137f., 140, 166-170, 244, 282, 349, 378, 381, 386 Ars combinatoria 287 Artes mechanicae 193 Ästhetik 46, 61, 63ff., 72ff., 154, 164, 216, 219, 229, 248, 279, 348, 405, 411, 454f., 457f., 472 Astronomie 258, 268, 329, 332, 335, 341, 379, 416f., 425, 445 Astrophysik 435, 448 Aufführung 18, 38, 64, 73, 134, 147, 151, 132, 182, 186, 429, 458, 461, 466, 489f., 498 Aufklärung 118, 360, 479f., 493, 497, 499 Aufmerksamkeit 10, 17, 44, 46, 54, 65, 139, 155, 158, 164, 169, 174, 206, 251, 255, 314, 335, 339, 356, 385, 389, 392, 405f., 417, 491 Automaten 67ff., 72, 183, 186, 472 Autopsie 214, 216 Avantgarde 199, 412, 488 Baconianismus/Baconismus 178, 188, 200, 202, 299, 379f., 382, 386, 389, 480, 493, 496f., 504 Ballon 308, 353-357, 362-369, 372 Barock 74, 116, 126, 154, 164, 172, 176f., 179, 189f., 204, 292

558 Beobachter/Beobachtung 2, 10f., 38, 46, 48f., 57, 67, 70ff., 95, 102, 126, 154, 157, 213, 217, 219, 224, 227f., 230, 233, 235f., 257f., 267, 282, 287, 302, 304f., 307, 310, 312, 319f., 322ff., 327, 329, 341, 346, 350, 352-357, 362-366, 371, 382, 385f., 390ff., 394ff., 407, 412, 419, 432, 439, 441, 449f., 452, 462, 486, 495f. Betrachter 25f., 29, 38, 46f., 53, 64f., 69, 72, 74, 78, 85, 88, 98, 100f., 103, 109, 114, 120, 122, 188, 230, 333f., 341, 357f., 360, 362, 418, 434 Bewegung 2, 49, 51, 53f., 58, 65, 67, 71, 85, 92, 101, 103, 105, 109f., 188, 232, 255, 266, 275, 280ff., 284, 357, 369, 371, 379f., 386, 389, 402, 411f., 419, 424, 426, 437ff. Beweis 7, 47f., 52, 55, 58, 62, 72, 125, 128, 167, 223, 263, 265f., 268, 280, 297, 326, 383, 420, 426, 428f., 501 Bewusstsein 1, 19, 81, 191, 199, 204, 280, 371f., 387, 465, 491, 499 Bibliothek 22, 214, 399 Biowissenschaften siehe Leben Books of Secrets 22, 38, 40 Botanik 11, 13, 228 Brille siehe Instrument Bühne 18f., 28, 35, 38, 40, 44, 52-55, 57ff., 61-67, 72f., 93, 114-121, 123127, 140, 145, 147f., 151, 154, 181, 183, 188, 202, 204, 242, 253, 258, 414, 429, 437, 489 Bühnenbeleuchtung 19, 22, 115 Bühnenbild 44, 53, 60f., 64, 122, 461 Bühnenmaschine 44, 57, 65, 116, 123 Bühnenraum 22, 47, 53ff., 58, 63f., 73, 115, 121, 466, 477 Bühnentechnik 116 Camera obscura 321, 332f., 341 Cartesianismus/cartesianisch 44, 48ff., 54, 82, 170, 242-246, 249, 255ff., 334, 361, 368 Chaos 346, 350, 352, 362, 370, 374f., 437 Chemie 3, 22, 161, 250, 254, 362, 380, 391, 401, 455, 466 Computer 455, 472ff., 497

Sachregister Dekonstruktion 404 Demokratie 483, 486 Demonstration 83, 85, 125, 162, 186, 222, 234, 260f., 263f., 267, 269f., 272, 274, 276, 288f., 401, 408, 463 Deus ex machina 28 Dialektik 13, 105, 133, 135f., 148, 178, 360, 479, 503 Dichtung 131, 133ff., 137-141, 148, 152, 165 Dilemma 373 Disegno 110f. Diskurs 121, 123, 125f., 156, 162, 166f., 244f., 257f., 309f., 314, 334, 341, 350, 418, 458, 496 Dispositiv 352, 368, 370 Distanz 400, 444, 448, 480, 485, 488, 491, 496, 499f. Dogma/Dogmatismus 488 Drama 62, 115, 117, 131, 133f., 136, 140-144, 146-149, 151f., 363 Dramentheorie 140 Dynamik 14, 46, 61, 69, 72, 383, 412, 456 Effekt siehe auch Lichteffekt 19f., 26, 28f., 35f., 38f., 47, 49, 54, 60, 63, 65, 72f., 109, 115, 118, 158ff., 227, 231f., 253, 274, 288, 292, 306, 311, 395, 408, 411, 417f., 420f., 423f., 426, 441, 446, 459 -optischer 19ff., 26, 28f., 35f., 38f., 49, 109, 231, 395, 421, 423 -theatraler 19ff., 26, 28f., 35f., 38f., 49, 54, 60, 63, 65, 115, 118 Emergenz 465, 478 Empirie/Empirismus 2, 126, 170, 240, 242f., 282, 302, 382, 385f., 390f. Entdeckung 155-159, 161f., 172, 187f., 191, 204, 215, 219ff., 225, 228, 234f., 255, 302, 322, 340, 364, 375, 386, 393ff., 418, 425f., 428, 437ff., 446, 448, Enthüllung 235, 492 Enzyklopädie 205, 230, 399 Epistem/epistemisch/Epistemologie 1ff., 6f., 10f., 13, 15, 17, 81, 111, 168, 176, 178, 191, 217, 244f., 247, 260f., 263f., 318f., 324f., 328, 332, 339, 341 Erfahrung 38, 40, 63ff., 67, 72, 81f.,

Sachregister 116, 120, 123, 156, 190, 215f., 231, 233f., 244, 250, 270, 272, 285, 295f., 302, 348, 363, 379f., 385f., 390f., 393f., 461, 478ff., 487-491, 499, 503f. Erkenntnis 1f., 4, 10f., 13, 45, 48, 50, 55, 72, 102f., 126, 132, 135-140, 148, 151, 156f., 159f., 170ff., 198, 221, 229, 242, 249, 251, 257, 260f., 263f., 267, 282, 289, 305, 308, 310, 333, 336, 338, 348, 360, 364, 393, 484 Erscheinung 2, 19, 48, 51, 53, 55, 6669, 71f., 92, 116, 231, 233, 300, 318f., 322f., 362, 391, 395, 405f., 419, 462 Erzeugung 15, 35, 49, 67, 118, 128, 221, 279, 284, 287, 310, 382, 385, 389, 408, 417, 423, 493, 498 Ethik 224, 271 Europa 43, 70, 168, 261, 297, 362, 418, 491 Evidentia 149 Evidenz 1, 7, 19, 40, 43-48, 54, 57, 60, 63-69, 71f., 129, 134f., 148f., 151, 233f., 247, 257f., 261, 272, 279, 282, 286-290, 404, 432ff., 442, 444ff., 450f., 454, 495 Evidenzerzeugung/Evidenzproduktion 45f., 48, 50, 54f., 58, 62, 67f., 71f., 74, 246ff., 279, 287f., 292, 446 Experiment Demonstrationsexperiment 260f., 263f., 276 Experimentum crucis 384, 487 Forschungsexperiment 260, 272, 276 Gedankenexperiment 40, 51, 67, 107, 171, 257, 380, 483 Interferenzexperiment 426 Kunstexperiment 412 Luftpumpenexperiment 168 Regenbogenexperiment 253, 325f. Selbstexperiment 215ff., 218, 221, 231, 234 Theaterexperiment 126 Transfusionsexperiment 182 Wahrnehmungsexperiment 369 Experimentalanordnung 228, 235, 390, 412 Experimentalaufbau 426 Experimentalismus 245, 249f., 387f.,

559 391, 465, 478, 486, 489, 491, 499504 Experimentalkultur 73, 115, 246, 261, 266, 276, 401, 411 Experimentalkunst 399f. Experimentalliteratur 248 Experimentalphysik 256, 261 Experimentalpraxis 40, 155, 157, 216, 258, 271, 279, 288, 301, 319, 389, 399, 401, 404, 406 Experimentalsystem 70, 103, 106, 222, 230, 233, 390 Experimentalvorführung 167, 223, 252, 254, 300 Experimentator 213, 220, 234, 248, 260, 267, 269f., 272, 274, 276, 307, 314, 366, 384, 392, 408, 424, 480, 485, 487, 492-495, 501f. Experimentalwissenschaft 199, 204, 217, 242f., 247f., 261f., 271, 276, 293 Experimentbericht 157, 301ff., 306, 309f., 391 Faktizität 309 Falsifikation 310, 421 Faden siehe Instrument Fantasie 34, 61, 289, 310, 363, 468, 471 Farbe 54, 84, 107, 121, 253, 318-324, 327ff., 337f., 369, 408, 419, 424, 487 Farbenlehre 253, 319, 321, 324, 486 Faschismus 483 Fernrohr siehe Instrument Fest 121f., 127, 327 Feuer 48, 112, 115ff., 119, 271, 365, 370, 400ff., 404f. Feuerwerk 186, 502 Figur 58, 95, 122, 164, 170, 182f., 235, 257, 274f., 301, 358, 470, 478f. Fiktion/fiktiv 19, 67, 140, 205, 296, 309, 313, 485 Film 116, 136, 465, 484f. Flugmaschine siehe Maschine Fortschritt 171, 178f., 184, 187, 190, 193, 196, 199, 204, 299, 352, 440f., 464, 483, 485, 487 Fotografie 409, 474, 484 Frühe Neuzeit 22, 58, 126, 131, 149, 152, 260f., 381 Funktion 7, 13, 19, 24, 46, 86, 88f., 92, 101, 106, 137f., 219f., 222, 224f.,

560 262, 269, 274, 285, 288, 299, 310, 346, 370, 378, 383f., 387, 457 Futurismus 484 Galvanismus 323 Gattung 8, 152, 156, 288 Gaukler 128, 186 Gegenreformation 120 Geheimnis 22, 128, 255, 307, 319, 337, 382, 412, 478, 494 Gelehrte 62, 66, 245, 251f., 263f., 267f., 271, 329f. Genauigkeit siehe auch Präzision 285, 311, 330, 410, 420, 440 Geografie 362 Geometrie 54, 83, 85, 90ff., 95, 97, 108ff., 257, 339, 379 Geräusch 61, 70, 345, 407, 412, 419, 471, 482, 484, 497 Geruch siehe Sinne Gesamtkunstwerk 398, 401f., 411 Geschlecht 120, 184, 192, 251, 347 Geschmack siehe Sinne Gesellschaft 128, 157, 183, 193, 224, 250, 267, 297f., 300, 308, 350, 416ff., 423, 425, 465, 477, 496f., 500, 502f. Salongesellschaft 244, 250, 257f. Gesetz/Gesetzmäßigkeit 51, 53f., 103, 171, 233, 244, 284, 290, 325, 332, 340, 351, 378, 381f., 432, 438f., 445f., 487 Gestalt 2, 21, 58, 107, 144, 152, 172, 183, 204, 270, 275, 292, 331, 337, 339, 349ff., 362, 465, 468 Geste 307, 471 Gewalt 48, 62, 119, 482, 485, 494, 502f. Gewissheit 48f., 169, 171, 188, 216, 220f., 228, 233, 244, 282, 285, 484 Glaube 47, 60, 120f., 141f., 223, 268 Glaubwürdigkeit 155, 157-162, 164, 168, 171f. Globus/global/Globalisierung 29, 35, 434 Gott/Götter/göttlich 28, 43f., 47f., 50, 53, 57ff., 103, 116, 120, 122f., 125, 142f., 190, 192f., 195f., 247, 268271, 286, 301, 312, 319, 349f., 372, 374, 438, 492 Gottähnlichkeit 124

Sachregister Gottesdienst 267f., 272 Grammatik 132, 152, 192, 256, 479, 490 Gravitation 389, 432, 438f., 442, 444ff., 451 Grenze 3, 13, 44, 51, 105, 109, 124, 126, 185, 188, 199, 208, 248f., 261, 272, 286, 297, 321, 356, 362, 373, 387, 404, 412, 418, 437f., 446, 448, 470 Groteske 311 Habitus 81 Hand 45, 48, 50, 54, 60, 81, 85, 98ff., 103ff., 108f., 122, 138, 144, 192, 228, 252, 285, 323, 345, 347, 368, 424, 502 Handel 189 Handlung/Handeln 19, 57, 86, 132f., 135-141, 143f., 148f., 151, 156, 191, 195, 207, 233f., 269, 271, 276, 282, 292, 308, 417, 422, 466, 475, 494 Handwerk 30, 33, 251, 278, 303 Harmonie 279, 281f., 284-290, 292f., 379, 402, 477, 481, 484, 487, 492f., 503 Hermetik/hermetisch 302, 411 Herrschaft 59, 106, 191, 222, 416, 485, 493, 497, 500 Herz 4f., 64, 120, 213, 225, 321, 363, 365, 389, 464 Himmelskörper 302 Honnêteté 165-168, 170, 172 Humanismus/humanistisch 165, 223 Hybrid/Hybridisierung 94 Hydraulik 127 Ideal/Idealisierung 53, 66, 108, 115, 125f., 128, 154, 164ff., 290, 427, 494 Ikonografie 102f. Illusion/Illusionismus 115, 119, 121ff., 125, 127, 148, 184, 201, 204f., 233, 412, 485, 503 Imagination 46, 62, 65ff., 71f., 74, 189, 233f., 243, 245, 308, 312, 314, 329, 341, 351, 371, 471, 498 Individuum 119, 154, 308 Industrie/Industrialisierung 416, 429, 308

Sachregister Ingenieur 45, 60, 63, 83, 105, 116, 121, 123ff., 127, 186, 429, 455 Inkommensurabilität 191, 470 Instrument 1f., 10, 17, 68-73, 80, 85ff., 89f., 94, 97, 100f., 106, 109, 136, 138, 141, 161, 183, 187, 189, 220, 222f., 229, 244, 249, 293, 296, 300f., 303, 312, 318, 320, 329f., 358, 360, 364, 370, 374, 378ff., 389f., 395, 398-401, 404, 406ff., 411f., 415-418, 422, 425, 436, 461, 472, 482, 488, 493f. Brille 319, 352 Faden 32, 78, 84-90, 94, 97-103, 106f., 109, 111, 124, 444 Fernrohr/Teleskop 44, 302, 312, 318, 324, 329-332, 336f., 339, 341, 345, 352f., 355, 365f., 368-374, 380, 425, 446f. Lineal 379 Messinstrument 2, 69, 71f., 85f. Mikroskop 3, 10f., 13, 15, 217, 300f., 304f., 311f., 318, 329, 336, 339, 341, 352f., 355, 364, 368, 373, 380 Musikinstrument 406f., 461, 492f. Pumpe/Luftpumpe 129, 168, 257, 262, 300f., 305, 307f., 380 Thermometer 69, 380 Uhr 68f., 71, 186, 379, 384, 461 Zeicheninstrument 472 Instrumentalisierung 131, 147 Instrumentenmacher 418 Inszenierung 18, 20ff., 37f., 53, 57, 66, 71f., 85, 114-118, 123ff., 127ff., 178, 222, 245, 248, 253, 258, 314 Interaktion 100, 105, 156, 457f. Intuition 169, 171 Jesuit/jesuitisch 139, 147f., 193, 293 Kabinett 65, 186, 253, 323, 414 Kalligrafie 92 Karneval 114, 176 Karte/Kartografie 207, 335, 450, 488f. Katastrophe 114-119, 126, 365, 369f., 499 Kirche/Kirchenraum 57, 121f., 461 Kirchenmusik 292 Klang 253, 280ff., 284, 286f., 289, 398, 407ff., 458, 477, 490f., 493, 499

561 Kloster 118, 415 Kombinatorik siehe Ars combinatoria Komödie 35, 114f., 124f., 144ff., 181, 186 Komposition 164, 288, 290, 488, 498 Konfiguration 2, 15, 17, 45f., 347, 369f., 468 Kontingenz 132, 204 Kontinuität 10, 15, 286 Kontinuum 92 Kontrolle 10f., 166, 418, 454, 486, 489, 492f., 495f., 498, 500f. Konzept/Konzeption 95, 107, 147, 149, 166, 204, 217, 279, 282, 292, 351, 389, 393, 398, 402, 406, 416, 423, 435, 437f., 446, 457, 488, 497 Kopie 485 Körper 4, 66, 70, 92-95, 98, 100, 107, 109, 120, 171, 213, 216-220, 222f., 225, 227f., 232, 236, 253, 271f., 281f., 284, 286, 292, 322, 326, 333, 339, 346f., 384, 401ff., 494 -platonische 94 Kosmos/Kosmologie 51, 257f., 364, 412, 437f., 444, 446, 450f. Krieg 84, 145, 150, 354, 365, 373, 416, 493 Dreißigjähriger Krieg 145 Erster Weltkrieg 373 Napoleonischer Krieg 354 Kulisse 53, 115, 121f., 159, 162 Kultur 11, 13, 164, 167, 191, 193, 245, 258, 279, 297, 299, 348f., 361, 367, 371, 402, 411, 470 Kulturgeschichte 319, 345f., 400 Kulturwissenschaft 346 Kunst 1, 22, 40, 61ff., 65, 67, 71, 73, 80ff., 91f., 95, 98, 104, 106ff., 111, 116, 120f., 123f., 126f., 146, 152, 162, 165, 172, 193, 290, 296, 306, 348, 350, 361f., 379ff., 400, 404, 411f., 415, 422, 454f., 457, 462, 475, 477ff., 481-485, 488, 490ff., 495f., 499-504 -bildende 80f., 91, 106, 352 Baukunst 195, 197f. Bühnenkunst 62, 65, 115, 127 Schauspielkunst 119 Kunstfertigkeit 123, 154, 165, 253

562 Kunstkammer/Wunderkammer 184, 186, 334ff., 338 Künstler 48, 73, 80, 82, 91, 93, 98, 114, 122f., 128, 339f., 345, 350, 369, 374, 406, 411, 478f., 485, 488f., 492, 497, 499, 501 Kunsttheorie 80 Kuriosität 244 Kybernetik 454-458, 462, 464f., 474f. Labor/Laboratorium 13f., 45, 67, 156, 162, 202, 204, 254f., 276, 299, 303, 307, 326, 378, 387, 391, 395, 409, 415, 420, 423, 427, 429, 480 Labyrinth 399 Lacemaker’s lamp 30-35, 37 Laie/Laienpublikum 167, 170, 252, 255, 299, 301, 391f., 421 Landschaft 61, 93, 356, 367, 370 Laterna Magica 186 Leben/Lebenswissenschaften/Biowissenschaften 4, 7, 11, 16, 32, 65, 113, 122, 124, 145, 202, 207, 216f., 219f., 224f., 227-230, 234f., 303, 306, 308, 323, 360, 364f., 368, 370, 374, 388, 391, 394, 402, 412, 415, 417, 432, 435, 446, 454, 457f., 463, 465, 475, 478f., 483ff., 490, 493 Leiche 119, 213f., 216f., 230, 234, 378 Licht 20-24, 27-30, 32f., 34, 36-40, 44f., 49f., 63, 73, 84, 109, 115, 122, 127, 169, 232, 253, 318, 320-323, 325-328, 330, 332ff., 336, 357, 361, 374, 378f., 381, 387, 392, 395, 401, 406, 424, 428, 447, 458f., 461, 463, 471, 495 Lichteffekt 19ff., 38f., 406 Lichtquelle 19, 24, 26, 29f., 33-37, 39 Lichtregie/Lichtinszenierung 20, 22f., 38f., 458f., 461 Lichtspiel 22, 35, 65 Lichtgeschwindigkeit 421, 446 Lineal siehe Instrument Linie 25, 36, 78, 80, 84ff., 90-98, 100ff., 106-111, 216, 370 Linse 10, 24, 26f., 29, 33, 37, 319f., 327-330, 333, 336f., 352, 360, 368, 374 Literatur 10, 22, 45f., 72, 148, 152, 155,

Sachregister 248, 250, 257f., 260, 262, 296, 306, 309f., 312, 314, 355, 357, 362 Literaturwissenschaft 255, 346 Logik 6, 16, 46, 57, 130, 132-137, 146, 148f., 152, 216, 312, 385, 404 Luftpumpe siehe Instrument Macht 15, 116, 119, 127, 271, 290, 480, 485, 492, 500, 502 Magie 12, 22, 128, 195, 414, 424, 485 Magnet/Magnetismus 22, 161, 253-256, 347, 362, 380, 395, 406, 415, 418ff., 422, 428, 441 Malerei 36, 46, 49, 165, 322, 355, 357, 373, 458 Manierismus 124 Manipulation 11, 159, 162, 219, 396, 478 Maschine 15, 28, 43-46, 48-52, 55, 57f., 61-65, 67f., 71-74, 85, 88, 102f., 125, 183, 186, 195, 273, 346, 369, 373, 415, 457-463, 473, 475 Flugmaschine 58 Rechenmaschine 185 Theatermaschine 44, 57, 65, 258 Maschinentheater 61, 73, 121, 123 Maske 176, 314, 503 Maß/Maßstab 30, 34, 37, 82, 89, 128, 192, 267, 279, 282, 295 Material/Materialität 1, 3, 10f., 17, 32, 36, 39, 46, 50, 59, 65, 73, 85, 88, 99, 106, 162, 180, 232, 286, 319, 339, 381, 388, 401f., 412, 435, 439, 442, 448f., 451f., 459, 461, 482, 486ff., 495 Mathematik 48, 132, 191, 195, 216, 234, 257, 269, 284, 288ff., 325, 327, 329, 337, 341, 379f., 383, 386, 391, 410, 432, 435, 438, 452, 455, 472 Mechanik 45, 49, 51, 54, 61, 103, 167, 195, 282, 284, 286, 292f., 310, 380, 383f., 422, 438, 463, 484 Mechanismus 44f., 50f., 279, 455 Medien/medial 37, 46, 58, 61, 72, 78, 116, 127, 201, 253, 319, 325, 336, 345f., 350, 361, 364, 367f., 373 Medium 3, 7, 28, 86, 110, 177, 287, 322f., 325, 350, 360, 363f., 367f., 371, 373f., 412, 485 Medizin 3f., 13, 22, 222-225, 228, 231,

Sachregister 254, 265, 268, 279, 305, 320, 378, 456f. Melancholie 178, 199, 202, 204, 207 Mesmerismus 362 Messen/Messung 2, 71f., 85f., 91, 100, 107, 161, 188, 217, 236, 263f., 279, 284, 290, 305, 325, 379, 391, 415, 419-424, 426ff., 444, 485f., 490, 492 Metamorphose 92 Metapher/Metaphorik 15, 48, 50f., 65, 140, 149, 188f., 258, 292, 303, 484 Metaphysik 48, 110, 132, 170, 242, 388, 503 Meteorologie 44, 48, 50-55, 58, 60, 62f., 66, 69-72 Methode 11, 20, 22, 27, 40, 50, 66, 82ff., 86, 99, 104f., 132, 159, 169f., 180, 184, 187ff., 202, 215, 217, 220ff., 231, 249f., 262f., 269, 271, 280, 295, 297, 309, 325, 329, 331f., 337, 379, 381ff., 392, 404, 417, 423, 426, 450, 486, 489, 495 Mikroskop siehe Instrument Militär/militärisch 116, 165, 354, 365, 416 Mimesis siehe auch Nachahmung 92, 95, 346, 362, 485 Mineralogie 415 Mirakel siehe auch Wunder 495 Mittelalter 18, 38, 53, 57, 295, 480 Modell 3, 7, 17, 45, 48-52, 54, 57, 102, 109, 147, 183, 219, 242, 292f., 312f., 330, 332f., 341, 347, 350, 361f., 369ff., 373ff., 404, 411, 432, 435, 442, 444, 450ff., 455, 458f., 463, 472f., 492 Erklärungsmodell/Denkmodell 48, 50, 52, 54, 68, 72, 233 Weltmodell 347 Moderne 314, 365, 462, 464, 470, 478, 482f., 485 Monster/Monstrosität 229, 311, 341 Moral 118, 140f., 146, 148, 182, 232, 256, 289f., 468 Moralphilosophie 131f., 136, 141, 146, 152 Morphologie 6, 73, 207, 370ff., 444 Mühelosigkeit 154f., 158-166, 168f., 171f.

563 Museum 7, 14, 186, 273, 276, 345, 367, 473 Musik 165, 280ff., 287-290, 292f., 371, 379, 398, 400, 402, 406ff., 411f., 458f., 461, 467f., 477f., 484, 488493, 496-500, 502, 504 Mythos/Mythologie 50, 53, 126, 350, 352, 361f., 365, 368-373, 375 Nachahmung siehe auch Mimesis 72, 128, 143, 148, 195, 219, 408 Naturgeschichte 4, 10, 22, 380, 477 Naturgesetz 233, 303, 305 Naturlehre 261, 263f., 267f., 274, 276 Naturphilosophie 45ff., 52, 54, 58, 62, 72, 93, 126, 128, 132, 157, 167-171, 192f., 264, 268, 300, 309, 313 Naturwissenschaft 2, 48, 81, 160, 163, 195, 245, 249, 260f., 268, 296, 299, 306f., 314, 319f., 350f., 354, 358, 360-363, 365, 367, 371, 378f., 385f., 388ff., 393 Nervensystem 216, 374, 457 Neugier 214, 251, 254, 292f., 305, 311, 369, 495 Newtonianismus 243, 249, 272 Notation 103 Null 286 Oberfläche 4, 13, 49, 98, 107f., 200, 373, 381, 494 Objektivierung 53, 103, 229, 235 Objektivität 155ff., 164, 282, 309 Offenbarung 268f., 319, 481 Öffentlichkeit 245f., 249, 257f., 296, 299, 301, 314, 429 Ökonomie 205, 230 Ontologie 93, 292, 454f., 459, 462-467, 470, 473ff. Oper 60, 126, 258, 493 Optik 13, 22, 50, 100, 102, 127, 312, 318-322, 324f., 327f., 330f., 334, 341, 345f., 350-353, 357, 360, 362, 364f., 368-375, 378f., 421, 425 Opus magnum 180, 402 Ornament/Ornamentik 35, 90f., 164 Paradies 20, 57, 191 Paradigma 44, 52, 66, 70, 72, 176, 179,

564 196, 199, 346, 353, 362, 368, 371f., 386, 393, 451f., 481 Paradox 3, 7, 55, 176f., 182, 201f., 204ff., 249, 314, 353, 402, 489 Pathos 296 Performance 408, 421, 459, 461, 468, 474, 489 Performanz 220, 257, 287, 289, 292, 351 Performativität 119, 454, 459, 465 Perspektive 44f., 53, 60, 74, 84, 90-93, 97f., 100, 105, 107, 143, 146, 151, 183, 204, 234, 346, 351ff., 356, 358, 360, 362, 364f., 368f., 411f., 459 Phantasma/Phantasmagorie 74, 206, 226, 295, 371 Philosophie 131, 137, 197, 208, 242, 244f., 250, 263, 295, 297ff., 307, 313, 349, 380, 382, 386-391, 401, 459, 479, 503 -experimentelle 295, 297, 299, 313, 380 Physik 15f., 47, 51, 54, 73, 100, 161ff., 192, 243, 245, 249, 252f., 256ff., 261, 264, 270, 281f., 284, 286, 288f., 293, 323f., 350, 362, 379, 383f., 388f., 391f., 394, 398ff., 404-408, 411, 414418, 420-428, 432f., 435, 448 Physikotheologie 169, 247, 268f. Physiologie 22, 53, 217, 220, 224, 305, 319, 341, 407, 456 Plastik/Plastizität 109, 348, 350 Poetik/poetisch 50, 64, 66, 124, 131, 133-140, 143, 147f., 151f., 256, 296, 309, 350, 360, 362f., 365, 369, 402405 Poetologie/poetologisch 125, 127, 143, 352 Politik 106, 116, 131, 146, 204, 217, 229, 234, 256, 297, 299, 348, 350, 357, 370, 389, 411f., 415, 417, 455, 475, 482f., 485f., 491 Postmoderne 471 Präparat 1-7, 10-17, 225, 335 Präsentation 156, 160f., 163, 167, 300, 303, 398, 416 Präsenz 44, 64, 119f., 125f., 128, 412, 420, 478 Präzision siehe auch Genauigkeit 293, 415, 432, 441f., 444

Sachregister Präzisionsphysik 415, 417 Produktion/Produktivität 1f., 18, 46, 121, 124, 128, 147, 157, 185, 188, 216, 221, 227, 229, 234, 261, 296, 348, 389, 404, 410, 497f., 500ff. Projektemacher/Projektemacherei 176ff., 181-185, 189f., 199, 202, 204208 Projektion 13, 196, 207, 340f., 434, 452 Proportion 106, 218f., 289, 299, 332 Psychologie 118f., 148, 151, 158, 362, 393f., 490 Publikum 52, 58, 63f., 114f., 118f., 122f., 125f., 156, 162f., 167, 222, 245, 247f., 251f., 254f., 258, 260, 268f., 406, 408, 412, 414f., 417f., 420-424, 426, 428, 430, 461, 466, 477 Puritanismus 297, 483 Pyrophon/Pyrophonie 398ff., 406, 411f. Pyrotechnik siehe auch Feuerwerk 115 Pythagoreer/pythagoreisch 281, 284f., 289 Qualität 22, 46, 83, 90, 107ff., 124, 150, 232, 234, 289, 380, 502 Quantenmechanik 438, 452 Rahmen 35, 53f., 87, 100, 104, 120f., 188, 122 Raritätenkabinett 186 Rationalisierung 88, 154, 404, 499 Rationalismus 82, 242f., 386 Rätsel 22, 187, 326, 382, 398, 478 Reagenzglas 257 Rechenmaschine siehe Maschine Regel 10, 82-85, 102-107, 111, 133ff., 165, 204, 233, 244, 290, 296, 339, 347, 382, 411, 416f., 426, 480 Regenbogen 44, 49, 128, 253, 320, 324-327 Registratur 234 Reise 13, 150, 190, 202, 251, 299, 308, 310ff., 320, 487 Relativitätstheorie -allgemeine 432, 435, 438, 446 -spezielle 438 Religion/religiös 57f., 116, 120, 127, 146, 244, 246f., 268ff., 290, 402, 482f., 495

Sachregister Reliquie 121 Renaissance 18, 44, 53, 57f., 73, 116, 123, 126, 164, 295, 380, 437f., Repräsentation 3, 45ff., 55, 57, 68, 73, 106, 120, 128f., 186, 267, 328, 333, 392, 395 Reproduktion 80, 128 Reproduzierbarkeit 412, 485 Resonanz 47, 55, 72, 91, 290, 398 Restauration 295, 297, 300, 302, 312 Revolution 178, 218, 352, 381, 386f. -französische 350, 361, 414ff., 483 Rhetorik 133-136, 146, 148-152, 154162, 164-168, 170, 172, 199, 222, 247, 260, 265, 272, 288, 295ff., 301304, 310, 416, 478, 503 Rhythmus 190, 217, 402, 407 Risiko 115, 228, 488, 500f. Ritual 234, 272, 401, 477f., 499 Romantik 347, 357, 365f., 368, 404 Royal Society siehe Akademie Sammlung 2, 4, 6f., 13, 22, 191, 289, 345 Schall 406, 442 Scharlatan/Scharlatanerie 186, 200, 416 Schaulust 345 Schauspiel/Schauspieler 18f., 45, 58, 62f., 65ff., 73, 114, 116, 119f., 122ff., 128, 140, 147, 154, 202, 213, 454, 466, 468, 477 Schnitt/Schnittstelle 1, 3, 11, 13, 85, 310, 341 Scholastik 169, 265, 295, 302f. Schrift 22, 53, 57, 92, 119, 131, 133, 165, 167, 178, 190, 202, 204, 207, 221f., 251, 265, 268, 295ff., 302, 313, 332, 347, 360, 402, 444, 466, 470f., 497 Sektion/Dissektion 213f., 216f., 218ff., 222ff., 229f., 234ff., 318, 334f., 338, 341, 378, 405 Serie/seriell 93, 123, 232f., 401, 442, 497 Sichtbarkeit 2, 4, 10, 13, 17, 44-47, 51, 53, 55, 58, 72, 109, 177, 216, 220, 228, 287, 332, 339, 356, 360, 364, 406, 419-423, 433, 435, 438 Sichtbarmachung siehe Visualisierung

565 Simulation 17, 44, 63, 65, 114ff., 119ff., 125-129, 341, 408, 457, 472f. Katastrophensimulation 114-121, 125-129 Sinne/sinnlich 48, 64ff., 70, 72, 82, 118121, 126ff., 141, 149, 151, 169, 216f., 219, 228, 230, 232, 234f., 244, 249f., 267, 269, 280, 285-289, 333, 345350, 352, 366, 370, 373, 375, 385, 398, 406, 480, 485 Gehör 253, 281, 346f., 349, 407 Geruch 346ff. Geschmack 346f. Gesichtssinn/Sehen 64, 78, 85, 99, 107, 111, 216, 234f., 319, 332-337, 341, 345-349, 351, 356, 378 Tastsinn 104f., 122, 228f., 333, 346ff. Skelett 4 Skeptizismus 73, 98, 167, 169, 301, 433, 451 Skulptur 120 Sozietät 182ff., 204 Spektakel/spektakulär/Spektakularität 1, 3, 17, 44, 49, 55, 58, 61f., 66, 68, 70, 72f., 114f., 117f., 127ff., 167, 176f., 179, 185, 187, 202, 205, 214, 222, 248, 252f., 257f., 273, 280, 286f., 295f., 300, 304, 306, 310, 327f., 345, 356, 399f., 412, 414f., 419f., 424ff., 429f. Spekulation 179, 189, 203ff., 303, 310, 328, 450, 480, 495 Sphärenharmonie 402 Spiegel/Spiegelung 23, 25f., 28, 35, 37, 39, 123, 176, 324, 330, 351f., 360, 351f., 369, 391, 421, 427, 444, 463 Spiel 4, 6, 52, 57, 63, 66, 78, 86, 91ff., 98, 144, 202, 258, 325, 346, 357f., 369, 410f., 459, 463, 467 Sprezzatura 164f. Spur 15, 18, 50, 65, 69, 86, 154, 164, 192, 279, 306, 320, 324, 412 Staunen/Wundern/Bewundern siehe auch Wunder 21, 29, 43, 52, 61, 114, 122-125, 128, 139, 165, 171, 190, 197, 254, 270, 297, 300f., 336, 339f., 349f., 368, 415, 429 Stil 53, 63, 149, 157, 163f., 289, 301305, 310, 312, 314

566 Stimme 243, 290, 373, 398, 407f., 412, 493 Störung 265, 339, 411, 415, 441, 445, 461, 463, 492 Strahlen/Strahlung 20f., 27-30, 32f., 35, 37, 66, 85, 87f., 103, 106f., 275, 318, 320ff., 325ff., 329, 331, 333f., 337, 339f., 351, 353, 357, 360, 374, 394f., 424, 430, 432ff., 436-440, 443, 450f., 463 Surrealismus 497, 502 Syllogismus 133f., 137, 148 Symbol/Symbolik 51, 58, 72, 94, 188f., 228, 292, 297, 299, 341, 360, 391, 395, 401f., 405 Szene 2, 6, 18-22, 38ff., 55, 57, 60f., 64f., 80, 84, 86, 92, 100, 114-123, 125, 224, 235, 258, 307, 360, 363, 365, 369f., 372, 374, 414, 437, 474 Tableau 100, 227 Tanz 165, 461 Täuschung 3, 114, 121-124, 128, 158f., 206, 314, 333, 416 Taxonomie 6, 10 Technik 2, 4, 10f., 13, 15, 17, 22ff., 26, 33, 37-40, 98, 108, 116, 118, 126, 195, 219f., 234, 345, 350, 352, 369, 407, 411, 420, 423, 425, 430, 482f. Technologie 10, 15, 425, 429, 464, 478, 483f., 497 Teleskop siehe Instrument Tempel 122, 191ff. Teufel 143 Theater 18, 28, 38, 40, 43-47, 49f., 52ff., 57-64, 67f., 71-74, 114-119, 121ff., 126-129, 131, 146-151, 162, 176, 193, 201f., 204, 220, 251, 345, 364, 420, 454, 457, 465f., 475, 477, 487, 491 Anatomisches Theater 222, 224 Hoftheater 53, 57, 61, 72, 147 Ontologisches Theater 454 Physikalisches Theater 345 Schultheater 131, 146ff., 151 Theatermaschine siehe Maschine Theatralisierung 176, 185, 258, 298f., 401, 408f., 411f., 461, 491 Theatralität/theatral 39, 70, 127f., 177, 201

Sachregister Theologie 47f., 72, 111, 144f., 286, 301, 404 Thermometer siehe Instrument Tier 3, 182, 192, 213ff., 217f., 220, 222, 224f., 227-230, 334, 305-309, 311, 335f., 371, 378, 381, 477, 493f. Topik 133, 135 Topografie 43 Tragödie 71, 115 Traum 208, 253, 362f., 368, 396, 422, 467, 475, 495 Trial-and-error 40, 104 Trick 7, 128, 416ff. Uhr siehe Instrument Universalgelehrter 193 Universalität 438, 446 Universität 264f. Universum/Weltraum 348, 356, 374f., 432, 436-442, 446, 449-452 Unschärfe 38, 46, 50, 52, 248, 484 Unsichtbarkeit 2, 4, 110, 220, 280, 319, 324, 356, 364, 387 Urteil/Urteilsvermögen 232, 296, 302, 304, 391, 489f., 496, 499, 504 Utilitarismus 307 Utopie 66ff., 72, 128, 178, 412 Vakuum 247, 253, 256, 262, 264, 301, 306, 380, 440f., 444 Veranschaulichung siehe Visualisierung Verifikation 198, 310 Verkörperung 17, 51, 86f., 96, 102f., 151, 169ff., 177, 204, 235, 257, 284, 482 Vernunft 65, 144, 146, 169, 196, 205ff., 219, 221, 234, 249f., 279f., 284f., 287, 292, 297, 334, 389, 438, 501 Versuchsanordnung 216, 226f., 250, 293, 412 Verwaltung 142, 235, 416, 500 Vibration 279f., 286f., 292 Virtualität 313, 373ff. Virtuose/Virtuosität 90f., 109, 127 Visualisierung 15, 17, 217, 219, 364, 416, 423, 429 Visualität siehe Sichtbarkeit Vivisektion 224f., 234 Vormoderne 247 Voyeurismus 118

Sachregister Waffe 366 Wahrnehmung 6, 38, 53, 63, 65, 70ff., 82, 102, 107, 127, 169, 176, 235, 243, 250, 269, 280, 284, 286, 292f., 296, 301, 304, 311, 329, 341, 345-353, 355, 357f., 360-375, 393, 401, 411, 504 Wahrnehmungsgeschichte 346f., 350ff., 360 Wahrnehmungsschock 368, 370, 372, 374 Wahrnehmungstheorie 332, 334, 351 Weisheit 146, 200, 268 Werk 17, 22, 29, 52, 63, 92, 105, 109, 114, 169, 193, 245, 249, 262ff., 271, 289f., 324, 348, 368, 370, 379, 388, 390, 393, 399, 401f., 454, 458, 485, 488f., 494, 496, 498, 500-503 Werkbegriff 488ff., 498 Werkzeug 13, 108, 193, 295f., 339, 407, 482 Wiederholung 10, 264, 266ff., 271f., 282, 364, 422-425, 428, 489 Wissenschaftsgeschichte 1f., 242f., 247, 250, 379, 383, 387, 400, 493 Wissenschaftskultur 242f., 245f., 261 Wissenschaftsphilosophie 166, 382, 386-389 Wissensproduktion 185, 188 Wissenssystem 127, 176

567 Wunder/Wunderbares siehe auch Staunen 26, 44, 49f., 58, 67, 121, 123, 128, 177, 187, 258, 268, 270, 341, 360, 398, 417, 424, 468, 495 Wunderkammer siehe Kunstkammer Zahl 57, 284, 289, 325, 341, 420f., 428 Zeichen 10, 128, 201, 247f., 299, 341, 348, 419 Zeit 187, 303, 353, 432, 435f., 450ff., 460 Zentralperspektive 49, 53, 351f., 355, 360, 362 Zeremonie/zeremoniell 222, 477 Zerlegung 328, 332, 402, 405 Zeuge/Zeugenschaft 157, 198, 248, 267, 281, 302, 415, 418, 420, 428, 432, 464, 481 Zoologie 13 Zufall 10, 100, 104, 204, 215, 299, 363, 478, 490, 497ff. Zuhörer 134f., 137, 148ff., 254, 289, 477 Zukunft 140, 178, 204, 207, 299, 309, 315, 429 Zuschauer siehe auch Betrachter 39, 46, 52, 54, 62f., 65, 67, 70ff., 114-121, 123, 126, 128f., 133f., 136, 138, 140ff., 147ff., 151, 253f., 270, 272, 299, 306, 418, 423, 465f.