Tariffähigkeit und Tarifzuständigkeit von Arbeitgeberverbänden: Verfassungs- und tarifrechtliche Anforderungen an Arbeitgebervereinigungen als Parteien wirksamer Tarifvertragsschlüsse [1 ed.] 9783428547470, 9783428147472

Arbeitnehmer- wie Arbeitgebervereinigungen müssen tariffähig und tarifzuständig sein, um wirksame Tarifverträge abschlie

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Tariffähigkeit und Tarifzuständigkeit von Arbeitgeberverbänden: Verfassungs- und tarifrechtliche Anforderungen an Arbeitgebervereinigungen als Parteien wirksamer Tarifvertragsschlüsse [1 ed.]
 9783428547470, 9783428147472

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Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band 332

Tariffähigkeit und Tarifzuständigkeit von Arbeitgeberverbänden Verfassungs- und tarifrechtliche Anforderungen an Arbeitgeber vereinigungen als Parteien wirksamer Tarifvertragsschlüsse

Von

David Stoppelmann

Duncker & Humblot · Berlin

DAVID STOPPELMANN

Tariffähigkeit und Tarifzuständigkeit von Arbeitgeberverbänden

Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Herausgegeben von Prof. Dr. Matthias Jacobs, Hamburg Prof. Dr. Rüdiger Krause, Göttingen Prof. Dr. Sebastian Krebber, Freiburg Prof. Dr. Thomas Lobinger, Heidelberg Prof. Dr. Markus Stoffels, Heidelberg Prof. Dr. Raimund Waltermann, Bonn

Band 332

Tariffähigkeit und Tarifzuständigkeit von Arbeitgeberverbänden Verfassungs- und tarifrechtliche Anforderungen an Arbeitgebervereinigungen als Parteien wirksamer Tarifvertragsschlüsse

Von

David Stoppelmann

Duncker & Humblot · Berlin

Die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn hat diese Arbeit im Jahr 2014 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2015 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0582-0227 ISBN 978-3-428-14747-2 (Print) ISBN 978-3-428-54747-0 (E-Book) ISBN 978-3-428-84747-1 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Diese Arbeit wurde im Wintersemester 2014 / 2015 von der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn als Dissertation angenommen. Das Manuskript wurde im August 2014 abgeschlossen; die Disputation fand am 3.  März 2015 statt. Herzlich bedanken möchte ich mich bei meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Stefan Greiner, für die Anregung zum Thema sowie die jederzeit engagierte Betreuung. Meiner Schwester, Rebecca Stoppelmann, danke ich für die gewissenhafte Durchsicht des Manuskripts. Mein besonderer Dank gilt meinen Eltern, Maria Elisabeth und Gerschon Stoppelmann, sowie meiner Freundin, Kira Weiler, für die Unterstützung und den Rückhalt während der Anfertigung dieser Arbeit, meiner gesamten Ausbildung und darüber hinaus. Ihnen möchte ich diese Arbeit widmen. Düsseldorf, im Juli 2015

David Stoppelmann

Inhaltsverzeichnis Einleitung und Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 1. Teil

Die Rolle des Arbeitgeberverbandes im Tarifvertragssystem 

18

§ 1

Historische Entwicklung des Arbeitgeberverbandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 I. Entstehung und Entwicklung bis 1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 II. 1945 bis 1990 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 III. Seit 1990 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 IV. Gegenwärtige Situation  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22

§ 2

Arbeitgeberverband und Tarifvertragssystem in der Kritik . . . . . . . . . . . . 23 I. Arbeitnehmerschutz noch zeitgemäß? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 II. Flächentarifvertrag zu unflexibel? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 III. Gefahr durch OT-Mitgliedschaften? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26

§ 3

Der Arbeitgeberverband als Garant des Flächentarifvertrags . . . . . . . . . . . 26 2. Teil

Tariffähigkeit 

29

§ 4

Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtsnatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Grundlegendes zu den Anforderungen der Tariffähigkeit . . . . . . . . .

29 29 30 33

§ 5

Voraussetzungen des Koalitionsbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 I. Konkretisierung des Koalitionsbegriffs durch Auslegung des Art. 9 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 II. Vereinigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 1. Zusammenschluss einer Personenmehrheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 2. Dauerhaftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 3. Organisierte Willensbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 4. Freiwilligkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 III. Besonderer Verbandszweck: Wahrung und Förderung der Arbeitsund Wirtschaftsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 IV. Keine weiteren Anforderungen des Koalitionsbegriffs . . . . . . . . . . . 45

8

Inhaltsverzeichnis

§ 6

Tarifrechtsspezifische Anforderungen: Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 I. Ausgestaltungsspielraum für Gesetzgeber und Rechtsprechung . . . . 46 II. Funktionale Einordung der Anforderungen: Zugangskontrolle zur Normsetzungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 1. Sicherstellung der Regelungsqualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 a) Herstellung eines Kräftegleichgewichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 b) Gewährleistung gesamtwirtschaftlich sinnvoller Regelungen . 52 2. Mitgliederschutz zwecks Legitimation der Tarifmacht . . . . . . . . 54 III. Verfassungsdogmatische Einordnung der Anforderungen . . . . . . . . . 56 IV. Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 V. Funktional gebotene Differenzierung zwischen Gewerkschaft und Arbeitgeberverband . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 1. Arbeitgeberverband und Herstellung eines Kräftegleichgewichts . 65 2. Schutz des einzelnen Arbeitgebers gegenüber der Tarifmacht des Verbandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 VI. Bedeutung des Gemeinsamen Protokolls über die Leitsätze zum Staatsvertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion vom 18.  Mai  1990 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 VII. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74

§ 7

Tarifrechtsspezifische Anforderungen: Die einzelnen Kriterien . . . . . . . . . 75 I. Tarifwilligkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 1. Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 2. Transparenzerfordernis zum Schutz potentieller Mitglieder und Tarifpartner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 3. Tarifwilligkeit und OT-Mitgliedschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 II. Demokratische Binnenorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 1. Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 2. Auf die Gewerkschaft fokussierte Begründung . . . . . . . . . . . . . . 84 3. Beurteilung für den Arbeitgeberverband . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 III. Soziale Mächtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 1. Entwicklung in der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 2. Funktionale Einordnung des Erfordernisses der sozialen Mächtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 3. Mächtigkeitserfordernis beim Arbeitgeberverband: Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 a) Bundesarbeitsgericht: Kein Mächtigkeitserfordernis beim Arbeitgeberverband . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 b) Meinungsstand in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 4. Mächtigkeitserfordernis beim Arbeitgeberverband: Stellungnahme  99 a) Keine Erforderlichkeit zwecks Gewährleistung einer sinnvollen Ordnung des Arbeitslebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 b) Keine Erforderlichkeit aus Legitimations- bzw. Schutzerwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 c) Überdies: Ungelöste Probleme bei der praktischen Umsetzung. 104



Inhaltsverzeichnis

9

IV. Organisatorische Leistungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 V. Gegnerunabhängigkeit und Gegnerfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 1. Hintergrund und funktionale Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 2. Begründung und Geltung für den Arbeitgeberverband . . . . . . . . 111 VI. Überbetrieblichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 VII. Weitere Unabhängigkeitserfordernisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 1. Unabhängigkeit vom Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 2. Unabhängigkeit von Parteien und Religionsgemeinschaften . . . . 116 VIII. Anerkennung des Tarif-, Schlichtungs- und Arbeitskampfrechts . . . 120 1. Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 2. Begründung und Geltung für den Arbeitgeberverband . . . . . . . . 121 3. Umfang des Erfordernisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 IX. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 3. Teil Tarifzuständigkeit 

129

§ 8

Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 I. Begriff und historische Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 II. Rechtsfolgen fehlender Tarifzuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 III. Erforderlichkeit und dogmatische Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 IV. Verhältnis zur Tariffähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136

§ 9

Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 I. Satzungsautonome Festlegung eines Zuständigkeitsbereichs . . . . . . 139 II. Hinreichende Bestimmtheit der Zuständigkeitsregelung . . . . . . . . . . 141 1. Grundlagen zum Bestimmtheitsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 a) Rechtsprechung und Literatur im Überblick: Bestimmtheitsgebot versus Auslegungsspielraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 b) Herleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 c) Auslegungsmaßgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 2. Bestimmtheitsgebot und räumliche Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . 147 3. Bestimmtheitsgebot und fachlich-betriebliche Abgrenzung . . . . . 148 a) Gestaltungen in der Verbandspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 b) Unternehmensart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 c) Branche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 d) „Flexible“ Erweiterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 4. Unwirksamkeit der Festlegung auf den jeweiligen Mitgliederbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 5. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 III. Keine zusätzlichen Anforderungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 IV. Exkurs: OT-Mitgliedschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161

10

Inhaltsverzeichnis 4. Teil



Anforderungen in benachbarten Rechtsordnungen 

165

§ 10 Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 I. Das Erfordernis der Repräsentativität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 1. Begriff und Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 2. Zweck: Legitimierung der erga-omnes-Wirkung . . . . . . . . . . . . . 168 II. Repräsentativität von Arbeitgeberverbänden: Die einzelnen Krite­ rien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 1. Rechtslage vor dem Gesetz vom 5.  März  2014 . . . . . . . . . . . . . . 169 2. Rechtslage nach dem Gesetz vom 5.  März  2014 . . . . . . . . . . . . 171 a) Achtung republikanischer Werte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 b) Unabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 c) Finanzielle Transparenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 d) Bestandsdauer von mindestens zwei Jahren . . . . . . . . . . . . . . 173 e) Einfluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 f) Zusätzliche ebenenabhängige Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 g) Audience . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 III. Wertender Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 § 11 Vereinigtes Königreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 I. Grundlagen zum Tarifsystem und zur Tariflandschaft . . . . . . . . . . . 182 1. Von Freiwilligkeit geprägtes Tarifsystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 2. Geringe tarifpraktische Bedeutung des Flächentarifvertrags . . . . 183 II. Regulierung des Zugangs zur Tarifpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 1. Keine besonderen Anforderungen beim Arbeitgeberverband . . . . 183 2. Anerkennungsprinzip auf Seiten der Gewerkschaft . . . . . . . . . . . 184 III. Wertender Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 5. Teil Schluss 

188

§ 12 Zusammenfassung des wesentlichen Gedankengangs . . . . . . . . . . . . . . . . 188 § 13 Die wichtigsten Ergebnisse in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 Literaturverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 Sachwortverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210

Abkürzungsverzeichnis AcP

Archiv für die civilistische Praxis (Zeitschrift)

AGG

Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

AGV Postdienste

Arbeitgeberverband Postdienste e. V.

AnwBl

Anwaltsblatt (Zeitschrift)

AP

Arbeitsrechtliche Praxis, Nachschlagewerk des Bundesarbeitsgerichts

ArbGG

Arbeitsgerichtsgesetz

ArbRGeg.

Das Arbeitsrecht der Gegenwart (Jahrbuch)

ARS

Arbeitsrechts-Sammlung, Entscheidungen des Reichsarbeitsgerichts und der Landesarbeitsgerichte

AuR

Arbeit und Recht (Zeitschrift)

BABl.

Bundesarbeitsblatt (Zeitschrift)

BAG

Bundesarbeitsgericht

BAGE

Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts

Bay. GVBl.

Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt

BB

Betriebs-Berater (Zeitschrift)

BDA

Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände

BGB

Bürgerliches Gesetzbuch

BGBl.

Bundesgesetzblatt

BGH

Bundesgerichtshof

BGHZ

Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen

BetrVG

Betriebsverfassungsgesetz

BT-Drucks.

Drucksache des Deutschen Bundestages

BVerfG

Bundesverfassungsgericht

BVerfGE

Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts

BVerwG

Bundesverwaltungsgericht

BVerwGE

Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts

CAC

Central Arbitration Committee

CCZ

Corporate Compliance Zeitschrift

CFDT

Confédération française démocratique du travail

CGM

Christliche Gewerkschaft Metall

12

Abkürzungsverzeichnis

CGPME

Confédération générale des petites et moyennes entreprises

CGT

Confédération générale du travail

DB

Der Betrieb (Zeitschrift)

DGB

Deutscher Gewerkschaftsbund

Dr. soc.

Droit social (Zeitschrift)

EuZA

Europäische Zeitschrift für Arbeitsrecht

EWiR

Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht (Zeitschrift)

FNSEA

Fédération nationale des syndicats d’exploitants agricoles

GewArch

Gewerbearchiv (Zeitschrift)

GG

Grundgesetz

GKH

Gewerkschaft für Kunststoffgewerbe und Holzverarbeitung im Christlichen Gewerkschaftsbund

HwO

Handwerksordnung

IG Metall

Industriegewerkschaft Metall

JCP S

La Semaine juridique – Édition sociale (Zeitschrift)

JöR

Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart

JuS

Juristische Schulung (Zeitschrift)

JZ

JuristenZeitung (Zeitschrift)

Medef

Mouvement des entreprises de France

NJW

Neue Juristische Wochenschrift (Zeitschrift)

NVWZ-RR

Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Rechtsprechungs-Report

NZA

Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht

OT

Ohne Tarifbindung

PBefG

Personenbeförderungsgesetz

RABl.

Reichsarbeitsblatt

RAG

Reichsarbeitsgericht

RAGE

Entscheidungen des Reichsarbeitsgerichts

RdA

Recht der Arbeit (Zeitschrift)

RDT

Revue de Droit du Travail (Zeitschrift)

RGBl.

Reichsgesetzblatt

SAE

Sammlung Arbeitsrechtlicher Entscheidungen (Zeitschrift)

TULRCA 1992

Trade Union and Labour Relations (Consolidation) Act 1992

TVG

Tarifvertragsgesetz

UDES

Union des employeurs de l’économie sociale et solidaire

UFO

Unabhängige Flugbegleiter Organisation

UNAPL

Union nationale des professions libérales



Abkürzungsverzeichnis

UPA

Union professionnelle artisanale

Verdi

Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft

VereinsG

Vereinsgesetz

VGH

Verfassungsgerichtshof

WA

Westdeutsche Arbeitsrechtsprechung (Zeitschrift)

WissZeitVG

Wissenschaftszeitvertragsgesetz

ZAF

Zeitschrift für ArbeitsmarktForschung

ZBJV

Zeitschrift des Bernischen Juristenvereins

ZfA

Zeitschrift für Arbeitsrecht

ZRP

Zeitschrift für Rechtspolitik

13

Einleitung und Gang der Untersuchung „Tarifhoheit und Tariffreiheit bedeutet Tarifverantwortung“ – mit diesen Worten hat Richard von Weizsäcker als Bundespräsident einmal vor Gewerkschaftsvertretern für eine sozial verantwortungsvolle Tarifpolitik geworben.1 Nur wenn die Tarifpartner diese Verantwortung ausfüllen, geht das Konzept der Tarifautonomie auf. Gesetzgeber und Rechtsprechung tragen der Bedeutung der Tarifverantwortung Rechnung, indem sie die Teilnahme an der Tarifautonomie für Verbände von verschiedenen Voraussetzungen abhängig machen. Diese Tariffähigkeitsvoraussetzungen sind auf die Gewerkschaft bezogen in großem Maße Gegenstand rechtswissenschaftlicher Diskussion – exemplarisch sei allein auf die breit geführte Diskussion zum Mächtigkeitserfordernis2 hingewiesen. Dieselben Fragen werden für den Arbeitgeberverband bislang gemeinhin stiefmütterlich behandelt. In den meisten Fällen beschränkt sich die Auseinandersetzung darauf, für die Gewerkschaft entwickelte Grundsätze unbesehen auf den Arbeitgeberverband zu übertragen.3 Eine derart undifferenzierte Herangehensweise aber verkennt, dass sich die Tarifverantwortung, die Gewerkschaft und Arbeitgeberverband tragen, nicht gleichförmig darstellt. In den Funktionen, die Gewerkschaft und Arbeitgeberverband als Tarifpartner für die Tarifautonomie gewährleisten, weichen beide jedenfalls in Teilen voneinander ab. Besonders deutlich wird dies an zwei Merkmalen: Die Gewerkschaft ist Garant für den Schutz des strukturell unterlegenen Arbeitnehmers und gewährleistet damit die historische Kernfunktion der Tarifautonomie. Arbeitgeberverbände vertreten hingegen die Interessen der grundsätzlich überlegenen Arbeitsvertragspartei – ihre funktionale Einordnung ist daher ungleich schwieriger. Das zweite Unterscheidungsmerkmal betrifft die tarifrechtliche Stellung der jeweiligen Verbandsmitglieder. Während Arbeitgeber nach § 2 Abs. 1 TVG auch ohne Verbandszugehörigkeit tariffähig sind, gibt es für Arbeitnehmer grundsätzlich keine tarifpolitische Teilhabe ohne Mitgliedschaft in einer 1  Anlass war der Gewerkschaftstag der IG Metall am 25. Oktober 1989 in Berlin; die Ansprache Weizsäckers ist abgedruckt im Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung 112–89. 2  Für einen kurzen Überblick siehe Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2, Rn. 383 f. m. w. N. in Fn. 407 u. 409; eine ausführliche Darstellung findet sich etwa in Giere, Soziale Mächtigkeit als Voraussetzung für die Tariffähigkeit, S. 26 ff. 3  Mit derselben Beobachtung Oetker in: Jacobs / Krause / Oetker, Tarifvertragsrecht, 1. Aufl., § 2, Rn. 101.

16

Einleitung und Gang der Untersuchung

Gewerkschaft. Diese Unterschiede legen den Schluss nahe, dass sich die Tarifverantwortung von Gewerkschaft und Arbeitgeberverband unterscheidet. Jedenfalls gebieten sie eine differenzierte Beurteilung der Tariffähigkeitsvoraussetzungen bei Gewerkschaft und Arbeitgeberverband. Soweit dem indes Rechnung getragen wird, indem an den Arbeitgeberverband keine oder jedenfalls weitgehend keine Tariffähigkeitsvoraussetzungen gestellt werden, wird dies der Tarifautonomie ebenfalls nicht gerecht.4 Als Verhandlungspartner der Gewerkschaft beim Abschluss von Flächentarifverträgen trägt der Arbeitgeberverband bei allen funktionalen Unterschieden zweifellos ebenfalls Tarifverantwortung. Das zentrale Anliegen dieser Arbeit ist es, unter Berücksichtigung der dem Arbeitgeberverband eigenen Wesensmerkmale und seiner Funktion für das Tarifvertragssystem das Differenzierungsmaß abzustecken und die Anforderungen herauszuarbeiten, die eine Arbeitgebervereinigung erfüllen muss, um wirksame Tarifverträge schließen zu können. Im ersten Teil der Arbeit wird als Einführung in das Thema die Rolle des Arbeitgeberverbandes im Tarifvertragssystem beleuchtet. Auf eine kurze Darstellung der historischen Entwicklung des Arbeitgeberverbandes folgt ein Überblick über die Kritik, mit der sich Arbeitgeberverbände seit einigen Jahren konfrontiert sehen und die teils in enger Verbindung zu ihrer tarifrechtsfunktionalen Bedeutung steht. Sodann wird auf die – bei aller Kritik bestehenden – praxisrelevanten Vorzüge von Flächentarifverträgen als Produkt der tarifpolitischen Betätigung von Arbeitgeberverbänden eingegangen. Im zweiten Teil der Arbeit stehen sodann nach einigen allgemeinen Ausführungen zum Begriff und zur Rechtsnatur der Tariffähigkeit zunächst jene Voraussetzungen der Tariffähigkeit im Fokus, die sich aus dem Koalitionsbegriff im Sinne von Art. 9 Abs. 3 GG ergeben, die mithin nicht ausschließlich der mit der Tariffähigkeit einhergehenden besonderen Normsetzungsbefugnis Rechnung tragen. Anschließend geht es gleichsam als Schwerpunkt dieser Arbeit um die Frage, inwieweit die für die Gewerkschaft entwickelten tarifrechtsspezifischen Anforderungen, die tariffähige Koalitionen von nichttariffähigen Koalitionen abgrenzen, auf den Arbeitgeberverband übertragbar sind. Um dies beurteilen zu können, wird zunächst grundlegend erörtert, woraus sich die Berechtigung der Rechtsprechung ergibt, konkrete Anforderungen zu entwickeln, wie diese Anforderungen dogmatisch einzuordnen sind, welche Motive ihnen zugrunde liegen und inwieweit die Rechtsprechung bei der Entwicklung der Anforderungen Grenzen unterliegt. Ausgangspunkt dieser Untersuchungen ist § 2 Abs. 1 TVG mit den enthaltenen unbestimmten 4  So

aber Stein in: Kempen / Zachert, TVG, § 2, Rn. 112.



Einleitung und Gang der Untersuchung17

Rechtsbegriffen der Gewerkschaft und der Vereinigung, die mit Blick auf Art. 9 Abs. 3 GG und den darin enthaltenen Auftrag zur einfachgesetzlichen Ausgestaltung der Tarifautonomie auszulegen sind. Anschließend werden die Unterschiede zwischen Gewerkschaft und Arbeitgeberverband in ihren Funktionen innerhalb des Tarifvertragssystems dargestellt, die eine differenzierte Betrachtung erst erforderlich machen. Es folgt eine Projektion der für die Gewerkschaft entwickelten Kriterien auf den Arbeitgeberverband, durch die jedes für sich kritisch darauf überprüft wird, ob und in welcher konkreten Ausgestaltung es auch als Kriterium auf Seiten des Arbeitgeberverbandes seine Daseinsberechtigung hat. Bisweilen rückt dabei zwangsläufig auch die Tariffähigkeit der Gewerkschaft in den Fokus der Untersuchung. Hinsichtlich dieses Gegenstandes erhebt die Arbeit jedoch keinen Anspruch auf vollständige Darstellung; vielmehr soll er angesichts hinreichender Berücksichtigung in der rechtswissenschaftlichen Literatur ausdrücklich nur soweit beleuchtet werden, wie der originäre Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit es erfordert. Im Anschluss an die Ausführungen zur Tariffähigkeit befasst sich die Arbeit in ihrem dritten Teil mit Fragen der Tarifzuständigkeit von Arbeitgeberverbänden. Nach einer Darstellung einiger Grundlagen zum Erfordernis der Tarifzuständigkeit wird herausgearbeitet, welche konkreten Anforderungen die Tarifzuständigkeit an Arbeitgeberverbände als Parteien wirksamer Tarifverträge stellt. Der Schwerpunkt wird dabei auf jene Anforderungen gelegt, die sich aus dem tarifrechtlichen Bestimmtheitsgebot ergeben. Abschließend setzt sich die Arbeit in diesem Teil mit der Frage auseinander, ob die Tarifzuständigkeit allein anhand der Verbandssatzung zu bestimmen ist oder zusätzlich legitimationsfördernd auf objektive Kriterien abgestellt werden muss. In ihrem vierten Teil wirft die Arbeit einen Blick auf die Tarifrechtsordnungen Frankreichs und des Vereinigten Königreichs, um zu untersuchen, welche Anforderungen diese an Arbeitgeberverbände als Tarifvertragsparteien stellen und inwieweit die so gewonnenen Erkenntnisse Schlüsse für die Beurteilung der deutschen Rechtslage zulassen. Der fünfte Teil widmet sich einer abschließenden Gesamtbetrachtung, indem er zunächst in groben Zügen den wesentlichen Gedankengang der Arbeit wiedergibt und sodann die wichtigsten Thesen zusammenfasst.

1. Teil

Die Rolle des Arbeitgeberverbandes im Tarifvertragssystem § 1  Historische Entwicklung des Arbeitgeberverbandes1 Eine Betrachtung der historischen Entwicklung des Arbeitgeberverbandes hilft dabei, seine Rolle im Tarifvertragssystem zu verstehen. Die Machteroberung durch die Nationalsozialisten sowie die Wiedervereinigung Deutschlands, als wohl einschneidendste Ereignisse der jüngeren deutschen Geschichte, stellen auch für die Entwicklungsgeschichte des Arbeitgeberverbandes die größten Zäsuren dar. Daher unterteilt die folgende Darstellung die Entwicklung des Arbeitgeberverbandes in drei Phasen, die durch die genannten Ereignisse voneinander getrennt werden.2 I. Entstehung und Entwicklung bis 1945 Die ersten Arbeitgeberverbände wurden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gegründet. Diese Gründungen stellen jedoch nicht den Ursprung jedes kollektiven Handelns deutscher Unternehmen dar; mit den Handelskammern und Wirtschaftsverbänden bestanden vielmehr zu dieser Zeit bereits Institutionen, in denen sich Arbeitgeber organisierten. Die Notwendigkeit einer weiteren Organisationsform sahen viele Unternehmen im Hinblick darauf, dass sich Arbeitnehmer zunehmend zu Gewerkschaften zusammenschlossen. Arbeitgeberverbände wurden mithin zunächst überwiegend als „Gegenverbände“ zu den Gewerkschaften gegründet.3 Mit dem Centralverband Deutscher Industrieller wurde 1876 der erste große industrielle Spitzenverband gegründet. Ein zweiter Spitzenverband folgte 1895 mit dem Bund der Industriellen, der mit dem Centralverband Deutscher 1  Die nachfolgend genannten historischen Daten sind – sofern nicht abweichend gekennzeichnet – entnommen aus Schroeder / Weßels, Handbuch; Erdmann, Die deutschen Arbeitgeberverbände im sozialgeschichtlichen Wandel der Zeit; Tänzler, Die deutschen Arbeitgeberverbände 1904–1929. 2  Diese naheliegende Untergliederung entspricht den Darstellungen in den zitierten Werken, insb. in Schroeder / Weßels, Handbuch. 3  Schroeder / Weßels, Handbuch, S. 26.



§ 1  Historische Entwicklung des Arbeitgeberverbandes

19

Industrieller in groß angelegtem Wettbewerb um Mitglieder trat. Oftmals war die Gründung eines Verbandes unmittelbare Reaktion auf einen Streik4; umfangreiche Streiks hatten teils gar zur Folge, dass sich in einzelnen Regionen Arbeitgeberverbände flächendeckend etablieren konnten.5 Streiks waren mithin eine zentrale Ursache für die Entstehung dauerhaft angelegter Arbeitgeberverbände – daneben gab es aber weitere wichtige Faktoren: Die Gewerkschaften gewannen zunehmend an Einfluss und steigerten so die Organisationsbereitschaft der Unternehmer.6 Außerdem unterstützte der Staat die Etablierung der Arbeitgeberverbände: Es gab etwa staatliche Initiativen, öffentliche Aufträge ausschließlich oder jedenfalls bevorzugt an Unternehmen zu vergeben, die zu Tarifvertragsabschlüssen bereit waren.7 1904 wurden die ersten Dachverbände gegründet: die Hauptstelle der deutschen Arbeitgeberverbände und der Verein deutscher Arbeitgeberverbände. Mit der Koexistenz zweier Dachverbände ging eine Aufspaltung der Verbände in zwei Lager einher.8 Diese wurde jedoch bereits 1913 durch Gründung der Vereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände aufgehoben. Die Arbeitgeberverbände gewannen zunehmend an Einfluss, was sich besonders an ihren Kompetenzen bei Entscheidungen über Aussperrungen erkennen lässt. Den Arbeitgeberverbänden wurde die Verantwortlichkeit übertragen, zu entscheiden, ob auf einen Streik mit Aussperrungen reagiert werden darf. Durch diesen Schritt wurde die Aussperrrung reguliert: Anstatt die Entscheidung der Beliebigkeit des einzelnen Arbeitgebers zu überlassen, wurde sie einer „verbändedemokratischen Kontrolle“ unterworfen.9 Im Jahre 1919 wurde die Rolle des Arbeitgeberverbandes auch gesetzlich niedergelegt: Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August  1919 (Weimarer Reichsverfassung) erkennt in Art. 165 Abs. 1 S. 2 den Arbeitgeberverband als Tarifvertragspartei an. Mit der Machteroberung der Nationalsozialisten 1933 erfuhren die Arbeitgeberverbände einen radikalen Bruch, indem sie ausnahmslos aufgelöst und überwiegend in die Deutsche Arbeitsfront zwangsintegriert wurden.10

4  Schroeder / Weßels,

Handbuch, S. 29. z. B. der Streik der Textilarbeiter in Crimmitschau, 1903 / 1904. 6  Zapka, Politisch-ökonomische Entwicklungs- und Durchsetzungsbedingungen des Tarifvertragssystems, S. 214. 7  Knips, Deutsche Arbeitgeberverbände der Eisen- und Metallindustrie, S. 75. 8  Vgl. Schroeder / Weßels, Handbuch, S. 30. 9  Knips, Deutsche Arbeitgeberverbände der Eisen- und Metallindustrie, S. 101. 10  Moser, Bayerns Arbeitgeberverbände im Wiederaufbau, S. 36 ff. 5  So

20

1. Teil: Die Rolle des Arbeitgeberverbandes im Tarifvertragssystem

II. 1945 bis 1990 Nach Kriegsende versuchte man in der Bundesrepublik Deutschland, möglichst nahtlos an die Gegebenheiten vor 1933 anzuknüpfen. Die Besatzungsmächte beeinflussten den Prozess jedoch mit verzögernder Wirkung11, so dass erst 1949 wieder ein Dachverband gegründet wurde: die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA).12 Es folgte ein „politisches Erprobungsjahrzehnt“13 für die Arbeitgeberverbände, in dem sie ihre Rolle im Tarifsystem neu finden mussten. In den 1960er Jahren zeigte sich aber deutlich, dass sich die Arbeitgeberverbände wieder zu einflussreichen tarifpolitischen Mitspielern entwickelten. Die Arbeitgeberverbände der Metall- und Elektroindustrie etwa stellten dies eindrucksvoll im Tarifkonflikt 1963 unter Beweis, indem sie für die erste Flächenaussperrung nach dem Zweiten Weltkrieg sorgten. Für die Arbeitgeberverbände war dies nicht nur ein Beleg ihrer Handlungsfähigkeit; es zeigte vielmehr auch, dass eine Konfliktlösung auf einem Wege möglich ist, bei dem sich Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften ebenbürtig und machtvoll gegenübertreten, ohne dadurch den sozialen Frieden zu gefährden.14 Es folgte eine Zeit, in der die Arbeitgeberverbände ihren tarifpolitischen Einfluss massiv ausbauen konnten. Ursächlich hierfür waren vor allem das anhaltende starke Wirtschaftswachstum in der Bundesrepublik sowie die Entwicklung der Sozialpartnerschaft zwischen Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften. Beide erkannten sich nicht nur formal gegenseitig an, sondern entwickelten eine tatsächliche gegenseitige Akzeptanz.15 Eine ebenfalls wichtige Ursache für den Einflussgewinn der Arbeitgeberverbände war der Kalte Krieg. Dieser verschärfte die weit überwiegend antikommunistische Haltung unter den bundesdeutschen Unternehmern. Die gemeinsame politische Haltung verband die Unternehmer und ermunterte allseitig dazu, sich gemeinsam zu organisieren.16 Mitte der 1980er Jahre wurde die Entwicklung der Arbeitgeberverbände empfindlich gebremst. Die zu dieser Zeit einsetzende betriebliche Flexibilisierung der Arbeitszeit führte dazu, dass zentrale Regulierungen vermehrt unzweckmäßig wurden.17 Hinzu kam, dass sich das Wirtschaftswachstum deutlich verlangsamte und den Arbeitgeberverbänden die Begleiterscheinungen der anziehenden Globalisierung zu schaffen machte.18 11  Ricken,

Autonomie und tarifliche Rechtsetzung, S. 44 m. w. N. Handbuch, S. 32. 13  Schroeder / Weßels, Handbuch, S. 32. 14  Vgl. Schroeder / Weßels, Handbuch, S. 32. 15  Schroeder / Weßels, Handbuch, S. 33. 16  Vgl. Schroeder / Weßels, Handbuch, S. 33. 17  Schroeder / Weßels, Handbuch, S. 33. 18  Schroeder / Weßels, Handbuch, S. 33. 12  Schroeder / Weßels,



§ 1  Historische Entwicklung des Arbeitgeberverbandes21

III. Seit 1990 Nach der Wiedervereinigung bemühte man sich, auch in den neuen Bundesländern zügig Arbeitgeberverbände aufzubauen, wobei man sich stark an den Arbeitgeberverbänden in den alten Bundesländern orientierte. Der Mauerfall erschwerte es vielen Arbeitgeberverbänden, Mitglieder zu halten und neue Mitglieder zu werben. Denn mit der Auflösung der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) fiel der ideologische Gegenspieler weg, der die Mehrheit der Unternehmer in ihrer antikommunistischen Haltung geeint und zur gemeinsamen Organisation angetrieben hatte.19 Daneben gab es in den 1990er Jahren zahlreiche weitere Faktoren, die die Arbeitgeberverbände vor Probleme stellten, etwa die Wirtschaftskrise sowie veränderte Branchenstrukturen und Wettbewerbsbedingungen. Außerdem herrschte in immer mehr Unternehmen ein bedingungsloser Rationalisierungsgedanke vor, durch den oftmals auch Verbandsmitgliedschaften auf den Prüfstand gestellt wurden.20 Viele Verbände hatten große Probleme, den unterschiedlichen Interessen ihrer Mitglieder gerecht zu werden; gerade kleine Unternehmen sahen ihre Interessen oft nicht angemessen vertreten.21 Als vermehrt existenziell bedrohliche Austrittszahlen verzeichnet wurden, reagierten viele Arbeitgeberverbände darauf, indem sie Mitgliedschaften ohne Tarifbindung  – sogenannte OT-Mitgliedschaften – anboten.22 Zu diesem Zweck schufen einige Verbände unterschiedliche Mitgliedschaftsformen innerhalb eines einheitlichen Verbandes (Stufenmodell); andere Verbände gründeten zusätzliche rechtlich eigenständige Verbände ohne tarifpolitische Betätigung (Aufteilungsmodell).23 Anstelle des Abschlusses von Tarifverträgen bestand das Kernangebot dieser OT-Verbände in einem breiten Angebot an Dienstleistungen, insbesondere in Form von Beratungsleistungen. Ein vergleichender Blick auf die Gewerkschaft zeigt, dass sich Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften in ihrem Bestreben, die Mitgliedschaft attraktiv zu gestalten, grundlegend voneinander unterscheiden: Auch die Gewerkschaften hatten in der Vergangenheit zu weiten Teilen mit schwindenden Mitgliederzahlen zu kämpfen. Um dem entgegenzuwirken, begannen Gewerkschaften in den 1960er Jahren vermehrt, sogenannte Differenzierungsklauseln zu verhandeln.24 Danach sollen Mitgliedern der am Tarifver19  Schroeder / Weßels,

Handbuch, S. 34. Handbuch, S. 35. 21  Schnabel, ZAF 2005, 181 (187). 22  Schnabel, ZAF 2005, 181 (188). 23  Näher zu beiden Modellen Melot de Beauregard, Mitgliedschaft in Arbeitgeberverbänden und Tarifbindung, S. 66 ff. 24  Zur Geschichte der Differenzierungsklausel, die ihren Ursprung bereits im frühen 20. Jahrhundert hat, siehe Leydecker, Der Tarifvertrag als exklusives Gut, S. 44 ff. 20  Schroeder / Weßels,

22

1. Teil: Die Rolle des Arbeitgeberverbandes im Tarifvertragssystem

tragsschluss beteiligten Gewerkschaft besondere Leistungen eingeräumt werden, etwa zusätzlicher Urlaub oder verlängerte Kündigungsfristen.25 Auf diese Weise soll eine Besserstellung der Gewerkschaftsmitglieder gegenüber jenen Arbeitnehmern erreicht werden, auf deren Arbeitsverhältnisse die übrigen tarifvertraglichen Regelungen über Bezugnahmeklauseln Anwendung finden. Hierdurch wollen die Gewerkschaften Arbeitnehmer motivieren, ihre Mitgliedschaft aufrechtzuerhalten bzw. der Gewerkschaft überhaupt erst beizutreten. Hieran wird klar erkennbar: Für die Gewerkschaften steht die Stärkung der Tarifbindung noch über dem Ziel, eine möglichst umfangreiche Anwendbarkeit tarifvertraglicher Regelungen zu erreichen.26 Anders die Strategie der Arbeitgeberverbände: Indem sie OT-Mitgliedschaften anbieten und ausdrücklich auch Arbeitgebern, die eine Tarifbindung ablehnen, erlauben, von Verbandsleistungen zu profitieren, nehmen Arbeitgeberverbände bewusst eine Schwächung der Tarifbindung in Kauf. In den 1990er Jahren traten derart viele Unternehmen aus den Arbeitgeberverbänden aus, dass die Verbände in ihrem tarifpolitischen Einfluss empfindlich geschwächt wurden. Deutlich erkennbar wird diese Schwächung an den Aussperrungs- und Streikzahlen und ihrem Verhältnis zueinander. Die Zahlen zeigen, dass die Arbeitgeberverbände mit dem Mittel der Aussperrung kaum noch auf Streiks reagieren.27 Im Übrigen gibt es zahlreiche Beispiele für Tarifrunden in den 1990er Jahren, die zu Ergebnissen geführt haben, die den Vorstellungen der Arbeitgeberschaft stark zuwiderliefen.28 IV. Gegenwärtige Situation Die Entwicklung, die in den 1990er Jahren eingesetzt hat, setzt sich bis heute fort. OT-Mitgliedschaften haben sich nicht als vorübergehender Trend herausgestellt, sondern prägen heute in bedeutendem Maße die Arbeitgeberverbandslandschaft. Damit einher geht unwillkürlich eine Verlagerung der Tätigkeitsschwerpunkte. Die Tarifpolitik ist nicht mehr unangefochtene Kernaufgabe der Verbände; Beratungs- und andere Dienstleistungen stehen vielmehr gleichrangig daneben. 25  Zu den unterschiedlichen Formen von Differenzierungsklauseln und ihrer Zulässigkeit siehe etwa Schiek in: Däubler, TVG, Einl., Rn. 283; Wendeling-Schröder in: Kempen / Zachert, TVG, § 3, Rn. 292; Löwisch / Rieble, TVG, § 1, Rn. 1852 ff. jeweils m. w. N. 26  Vgl. Wendeling-Schröder in: Kempen / Zachert, TVG, § 3, Rn. 293. 27  Zur Entwicklung der Aussperrungszahlen von 1950 bis 2008 siehe Schroe­ der / Weßels, Handbuch, S. 35 Tabelle 1. 28  Etwa die Tarifrunde der Eisen- und Metallindustrie in Bayern 1995, die Lohnsteigerungen und die Einführung der 35-Stunden-Woche zum Ergebnis hatte.



§ 2  Arbeitgeberverband und Tarifvertragssystem in der Kritik 

23

Die BDA umfasst heute 14 fachübergreifende Landesvereinigungen29 sowie 54  Bundesfachspitzenverbände, die sich in die Fachbereiche Industrie, Handel, Finanzwirtschaft, Verkehr, Handwerk, Dienstleistung und Landwirtschaft aufteilen und denen jeweils regionale Fachverbände untergeordnet sind.30 Insgesamt gehören den Verbänden, die sich unter dem Dach der BDA versammeln, ca. 1  Mio. Betriebe an, die etwa 20  Mio. Arbeitnehmer beschäftigen.31 Außerhalb der BDA existieren vor allem im Bereich des öffentlichen Dienstes weitere Arbeitgeberverbände. Insgesamt ist von etwa 1000 Arbeitgeberverbänden in Deutschland auszugehen.32

§ 2  Arbeitgeberverband und Tarifvertragssystem in der Kritik Die Schwächung der Arbeitgeberverbände in den 1990er Jahren wurde begleitet von lauter Kritik am Modell des Flächentarifvertrags. Besonders der Trend der Arbeitgeberverbände, vermehrt OT-Mitgliedschaften zuzu­ lassen, führte zu heftigen Reaktionen im Schrifttum. Neben dieser Kritik an konkreten Entwicklungen, die durch die tarifpolitischen Akteure be­ einflussbar sind, wird von vielen Seiten generelle Kritik am Tarifvertragssystem geübt. Teils wird der Flächentarifvertrag für schlicht überholt gehalten. I. Arbeitnehmerschutz noch zeitgemäß? Immer wieder werden einzelne Stimmen laut, die in der Entwicklung der Arbeitsmärkte Anhaltspunkte dafür sehen, dass eine Reduzierung des Arbeitnehmerschutzes geboten sei. Prominente Vertreterin dieser Ansicht ist die Deregulierungskommission, die 1990 / 1991 im Auftrag der Bundesregierung Vorschläge zur Reduzierung der Marktregulierung entwickelt hat.33 Es handelt sich um grundlegende Kritik, die nicht vorrangig Flächentarifverträge und Arbeitgeberverbände betrifft, sondern den Tarifvertrag im Allgemeinen. Dabei wird in Frage gestellt, ob die Schutzfunktion, auf dem die Le29  Berlin und Brandenburg sowie Hamburg und Schleswig-Holstein sind jeweils zu einer Landesvereinigung zusammengeschlossen. 30  Vgl. die eigenen Angaben der BDA unter http: /  / www.arbeitgeber.de / www / ar beitgeber.nsf / id / de_unsere-mitglieder (4.7.2014). 31  Geschäftsbericht 2013 der BDA, S. 2, abrufbar unter http: /  / www.arbeitgeber. de / www / arbeitgeber.nsf / id / DE_Geschaeftsberichte (4.7.2014). 32  Schroeder / Silvia in: Schroeder / Weßels, Gewerkschaften, S. 244 (255). 33  Deregulierungskommission, Marktöffnung und Wettbewerb, Berichte 1990 und 1991.

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1. Teil: Die Rolle des Arbeitgeberverbandes im Tarifvertragssystem

gitimität des Tarifvertrags ganz wesentlich fußt34, noch zeitgemäß ist. Die Kritiker zweifeln dies an unter Hinweis auf eine Entwicklung der Arbeitsmärkte, die Arbeitnehmer gemeinhin in die Lage versetze, selbständig individuell angemessene Arbeitsbedingungen auszuhandeln. Mangels Schutzbedürftigkeit sei es daher erforderlich, die tarifvertraglichen Befugnisse einzuschränken.35 Einzelne Stimmen sehen als Folge der kollektiven Vertretung der Arbeitnehmerinteressen in bestimmten Konstellationen sogar den Arbeitgeber in der bedeutend schutzbedürftigeren Position.36 Überwiegend wird diese Einschätzung nicht geteilt. Wiedemann räumt zwar ein, der Schutzzweck sei als Legitimation des Tarifvertrags zwischenzeitlich angesichts einer dauerhaft guten Wirtschaftslage etwas in den Hintergrund getreten.37 In veränderten Zeiten von Wirtschaftskrise, allgegenwärtiger Rationalisierung und Auslandsverlagerungen sieht er dem Tarifvertrag jedoch ganz neue Bedeutung für den Arbeitnehmerschutz zukommen. Andere vertreten zutreffend, der Arbeitnehmerschutz sei zu keinem Zeitpunkt unangemessen gewesen. Markmann etwa hat zum Bericht der Deregulierungskommission ein Minderheitsvotum38 verfasst und ausgeführt, ein gravierendes Machtungleichgewicht bestünde nach wie vor, wenn sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht regelmäßig kollektiv organisiert gegenüberständen. An den Ursachen für die Unterlegenheit der Arbeitnehmer, die Markmann im Einzelnen aufzählt, habe sich nichts geändert. Dem ist zuzustimmen: Zwar ist evident, dass das Maß der Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers entscheidend von den wirtschaftlichen Umständen abhängt. Das bedeutet aber nicht, dass eine gute Wirtschaftslage jede Unterlegenheit der Arbeitnehmer aufheben würde. Vielmehr bedingen strukturelle Unterschiede zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer das Mächteverhältnis zwischen beiden Parteien – Arbeitgeber verfügen etwa über wesentlich leichteren Zugang zu den Kapital- und Kreditmärkten.39 Diese Unterschiede bestehen unabhängig von jeder – zumindest derzeit absehbaren – Entwicklung der Wirtschaftslage. II. Flächentarifvertrag zu unflexibel? Indem der Gesetzgeber in § 2  Abs. 1 TVG neben dem Arbeitgeber auch Arbeitgeberverbände zu potentiellen Tarifvertragsparteien erklärt, ermöglicht 34  Unten

§ 6 II. 1. a). Bericht der Deregulierungskommission, Ziff. 563 ff., 596 ff. 36  Vgl. Möschel, BB 2003, 1951 (1952). 37  Wiedemann in: Wiedemann, TVG, Einl., Rn. 5. 38  Bericht der Deregulierungskommission, Ziff. 631. 39  Vgl. Bericht der Deregulierungskommission, Ziff. 631 (Minderheitsvotum). 35  Vgl.



§ 2  Arbeitgeberverband und Tarifvertragssystem in der Kritik 

25

er den Abschluss von Flächentarifverträgen, also von Tarifverträgen zwischen Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften, die Regelungen für eine bestimmte Branche in einer bestimmten Region treffen. Seit den frühen 1990er Jahren steht der Flächentarifvertrag im besonderen Fokus der Kritik. Diese Kritik hält bis heute an, wenngleich sich die Stoßrichtung zwischenzeitlich verändert hat. Lange Zeit wurde überwiegend kritisiert, der Flächentarifvertrag sorge für zu hohe Arbeitskosten, die gemessen am internationalen Vergleich die Wettbewerbschancen deutscher Unternehmen empfindlich verschlechtern würden.40 In letzter Zeit hingegen konzentriert sich die Kritik vor allem auf den Vorwurf, der Flächentarifvertrag sei zu unflexibel.41 Der Flächentarifvertrag trifft eine zentrale Regelung für eine Vielzahl von Unternehmen, die naturgemäß wenig Raum für Differenzierungen nach den individuellen betrieblichen Bedürfnissen bietet. Hieran knüpft die Kritik an, indem sie bemängelt, dass die zentralen Regelungen den Gestaltungsspielraum der Betriebe zu weit einschränken würden.42 Überdies würde auch den unterschiedlichen Bedingungen in unterschiedlichen Branchen und Regionen meist nicht hinreichend Rechnung getragen, da sich die Tarifpartner häufig zu stark an sogenannten Pilotabschlüssen orientierten.43 In den letzten Jahren verwenden die Tarifpartner zunehmend Öffnungsklauseln, um Flächentarifverträge flexibler zu gestalten. Dies hat jedoch nicht dazu geführt, dass die Kritik am Flächentarifvertrag verstummt ist. Der jüngst eingeführte flächendeckende gesetzliche Mindestlohn44 könnte dazu beitragen, dass die Kritik an der fehlenden Flexibilität von Flächentarifverträgen neu entfacht wird. Denn bei Lohnuntergrenzen handelt es sich um einen Regelungsgegenstand, der einer einheitlichen Regelung vergleichsweise gut zugänglich und daher einer der zentralen Regelungspunkte der allermeisten Flächentarifverträge ist. Wird dieser Gegenstand durch gesetzliche Regelung der tarifvertraglichen Regelungsmöglichkeit entzogen45, wiegt die Kritik im Hinblick auf die verbleibenden potentiellen Regelungsgegenstände umso schwerer.

Konzen, NZA 1995, 913 (917). Schnabel, NZA-Beil. 2011, 56 (56). 42  Näher Franzen, RdA 2001, 1 (1 ff.); Schaub, NZA 1998, 617 (617 ff.); Winkler, NZA-Beil. 2000, 10 (10 ff.); Zachert, NZA-Beil. 2000, 17 (17 ff.). 43  Schnabel, NZA-Beil. 2011, 56 (56). 44  Zum 16. August 2014 ist das Gesetz zur Regelung eines allgemeinen Mindestlohns – BGBl. 2014  I, S. 1348 – in Kraft getreten. Danach gilt in Deutschland seit dem 1.  Januar 2015 ein flächendeckender Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro, der zunächst mit einigen Ausnahmen und ab 2017 ausnahmslos Anwendung findet. 45  Freilich bleibt es den Tarifpartnern unbenommen, Lohnuntergrenzen zu vereinbaren, die über dem gesetzlichen Mindestlohn liegen. 40  Etwa 41  Vgl.

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1. Teil: Die Rolle des Arbeitgeberverbandes im Tarifvertragssystem

III. Gefahr durch OT-Mitgliedschaften? Während die vorstehend genannten Kritikpunkte systemischer Natur sind und das Tarifvertragssystem in seiner derzeitigen Form grundlegend in Frage stellen, wird auch Kritik geäußert, die unmittelbar den Arbeitgeberverband anspricht und konkretes Fehlverhalten anprangert. Wie oben dargestellt, reagierten viele Arbeitgeberverbände auf anhaltende Mitgliederverluste in den 1990er Jahren, indem sie den Unternehmen OT-Mitgliedschaften anboten.46 Unabhängig von der Frage der rechtlichen Zulässigkeit47 äußern weite Teile des Schrifttums die Sorge, diese Entwicklung gehe zwangsläufig mit einer Schwächung der tarifpolitischen Macht der Arbeitgeberverbände einher.48 Befürchtet wird, dass sich mit zunehmender Anzahl an OT-Mitgliedern der Schwerpunkt der Arbeitgeberverbände immer weiter weg vom Tarifvertragsabschluss hin zu sonstigen Dienstleistungen und Lobbyarbeit verschiebt. In dieser Entwicklung sehen viele eine Gefahr für die Sozialpartnerschaft und für einzelne Funktionen des Tarifvertragssystems.49

§ 3  Der Arbeitgeberverband als Garant des Flächentarifvertrags Trotz der umfangreichen Kritik spielen Flächentarifverträge nach wie vor eine große Rolle in der Tarifpraxis. Im Jahr 2012 unterlagen 50 % aller Arbeitnehmer einem Flächentarifvertrag, hingegen nur 8 % einem Unternehmenstarifvertrag.50 Den Nachteilen des Flächentarifvertrags, auf die sich die Kritiker berufen, steht eine Reihe praktisch höchst relevanter Vorteile gegenüber, die berücksichtigt werden müssen, will man die Zweckmäßigkeit von Flächentarifverträgen beurteilen. Für diese Vorteile ist der Arbeitgeberverband Garant, ohne ihn ist der Abschluss von Flächentarifverträgen nicht möglich. Hierin besteht die zentrale praktische Bedeutung des Arbeitgeberverbandes für das Tarifvertragssystem. Flächentarifverträge weisen erhebliche wirtschaftliche Vorzüge gegenüber Unternehmenstarifverträgen auf. Sie treffen Regelungen über Gegenstände, 46  Oben

§ 1 III. Bundesarbeitsgericht hält OT-Mitgliedschaften gegen viele Bedenken in der Literatur für grundsätzlich zulässig, BAG 18.7.2006 AP Nr. 19 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit, und wurde vom Bundesverfassungsgericht in dieser Auffassung bestätigt, BVerfG 1.12.2010 AP Nr. 146 zu Art. 9 GG. 48  Etwa Schaub, NZA 1998, 617 (622). 49  Vgl. Melot de Beauregard, Mitgliedschaft in Arbeitgeberverbänden und Tarifbindung, S. 182 ff. 50  Hans-Böckler-Stiftung, Statistisches Taschenbuch Tarifpolitik 2014, Tabelle 1.7. 47  Das



§ 3  Der Arbeitgeberverband als Garant des Flächentarifvertrags 27

die sonst jeweils individualvertraglich oder durch Verhandlung und Abschluss eines Unternehmenstarifvertrags getroffen werden müssten. Dies bedeutet beachtliche Einsparungen an Transaktionskosten für den Arbeitgeber. Ganz erheblichen Aufwand müsste der einzelne Arbeitgeber indessen betreiben, wollte er im eigenen Hause eine Qualität der Verhandlungsführung sicherstellen, die der des Arbeitgeberverbandes vergleichbar wäre. Für den Arbeitgeberverband ist das Führen von Tarifvertragsverhandlungen einer der Hauptbestandteile seiner Arbeit. Er weist daher regelmäßig Verhandlungserfahrung auf, die der einzelne Arbeitgeber nur erreichen kann, indem er – kostenintensiv – externes Fachpersonal hinzuzieht. Dass Verhandlungserfahrung und -expertise von großer Bedeutung sind, ergibt sich vor allem daraus, dass auch auf Seiten der Gewerkschaft regelmäßig erfahrene Verhandlungsführer am Verhandlungstisch sitzen.51 Auf der anderen Seite bedeutet es auch für die Gewerkschaften erheblich mehr Aufwand, wenn statt eines Flächentarifvertrags eine Vielzahl an Unternehmenstarifverträgen abgeschlossen werden müssen.52 Flächentarifverträge sind darüber hinaus in der Lage, volkswirtschaftliche Belange zu berücksichtigen. So schlägt sich etwa die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit als Ziel in vielen Flächentarifverträgen nieder. Ein prominentes Beispiel ist die Vereinbarung zur Weiterentwicklung der Förderung der ganzjährigen Beschäftigung in der Bauwirtschaft53, die am 29. Juli 2005 zwischen dem Zentralverband des Deutschen Baugewerbes und dem Hauptverband der Deutschen Bauindustrie sowie der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt geschlossen wurde. Die Tarifvertragsparteien haben darin ein gemeinsames Konzept für ein SaisonKurzarbeitergeld entwickelt, das Entlassungen in den – witterungsbedingt für das Baugewerbe problematischen – Wintermonaten verhindern soll. Das Konzept wurde vom Gesetzgeber weitgehend übernommen und hat den winterbedingten Beschäftigungsrückgang im Baugewerbe erheblich reduziert.54 In Unternehmenstarifverträgen hingegen finden volkswirtschaftliche Belange gemeinhin keinen Niederschlag. Die Interessen der beteiligten Verhandlungspartner erschöpfen sich in aller Regel darin, die Bedingungen für die derzeit im Unternehmen Beschäftigten zu regeln.55 Des Weiteren bringen Flächentarifverträge ein hohes Maß an Rechts- und Planungssicher51  Schaub,

NZA 1998, 617 (618). NZA 1998, 617 (618). 53  Abgedruckt in: Biedermann / Brettschneider / Wulf / Zander, Saison-Kurzarbeitergeld in der Bauwirtschaft 2006 / 2007, S. 172 ff. 54  Siehe hierzu den Bericht des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zu den Wirkungen des Saison-Kurzarbeitergeldes und der damit einhergehenden ergänzenden Leistungen, BT-Drucks. 16 / 11487 v. 18.12.2008. 55  Schaub, NZA 1998, 617 (618): „Die Betriebspartner werden eher an Überstunden als an Neueinstellungen interessiert sein.“. 52  Schaub,

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1. Teil: Die Rolle des Arbeitgeberverbandes im Tarifvertragssystem

heit für die Betroffenen mit sich. Herausragende Bedeutung hat dies für Bereiche, in denen Zulieferer und Kunden derselben Branche angehören und eng vernetzt und voneinander abhängig sind – etwa die Metall- und Elektroindustrie. Hier können Produktionsausfälle wegen Arbeitskonflikten in einzelnen Betrieben schnell zu einem Flächenbrand führen. Fallen diese voneinander abhängigen Unternehmen unter einen einheitlichen Flächentarifvertrag, profitiert die gesamte Branche von der Friedenspflicht, die mit dem Tarifvertrag einhergeht, da arbeitskonfliktbedingte Produktionsausfälle von Zulieferern weitgehend ausgeschlossen werden können. Hinzu kommt, dass Arbeitskonflikte durch Flächentarifverträge häufig ein höheres Maß an Befriedung erfahren als durch Unternehmenstarifverträge. Dies ist zum einen darauf zurückzuführen, dass Flächentarifverträge auf der Idee möglichst gleicher Arbeitsbedingungen basieren, während die Parteien von Unternehmenstarifverträgen gemeinhin das aus ihrer Sicht optimale Verhandlungsergebnis zum Ziel haben56 – härtere Verhandlungen bei Unternehmenstarifverträgen sind häufig die Folge. Zum andern wird durch Flächentarifverträge der Arbeitskonflikt aus dem Betrieb herausverlagert. Harte Verhandlungen zwischen Arbeitgeberverband und Gewerkschaft wirken sich regelmäßig weniger schädlich auf das Betriebsklima aus, als wenn der Arbeitgeber selbst unmittelbar an den Verhandlungen beteiligt ist. Zudem weisen Flächentarifverträge auf Grund der Masse an Betroffenen regelmäßig eine größere Transparenz auf, was zu einer gesteigerten Akzeptanz führt. Ein ganz wesentlicher Vorteil besteht letztlich in der Kartellwirkung57, die nur Flächentarifverträgen zu eigen ist. Indem der Flächentarifvertrag innerhalb einer Branche die Personalkosten einheitlich festlegt, verhindert er destruktiven Preiswettbewerb und wirkt so auch „marktmachtbegrenzend“.58 Besondere Bedeutung hat der Flächentarifvertrag daher für arbeitskostenintensive Branchen, wie die Bauwirtschaft. Extremer Preiswettbewerb hat in diesen Branchen massive unerwünschte Nebenwirkungen: Er fördert Lohndumping und Schwarzarbeit und geht letztlich meist zwingend zulasten der Qualität des Produkts. Dem kann durch einen Flächentarifvertrag effektiv entgegengewirkt werden.

56  Schaub,

NZA 1998, 617 (618). unten § 6 II. 1. b). 58  Löwisch / Rieble, TVG, Grundl., Rn. 32 ff. 57  Näher

2. Teil

Tariffähigkeit Die im ersten Teil skizzierte Rolle kommt freilich nur solchen Arbeitgebervereinigungen zu, die Parteien wirksamer Tarifverträge sein können. Das Recht zum Tarifvertragsschluss steht nicht jedem beliebigen Zusammenschluss von Arbeitgebern zu, es ist vielmehr solchen Vereinigungen vorbehalten, die die Anforderungen der Tariffähigkeit erfüllen. Im Folgenden wird zunächst das Institut der Tariffähigkeit grundlegend dargestellt; anschließend werden die einzelnen Anforderungen herausgearbeitet, die die Tariffähigkeit an Arbeitgebervereinigungen stellt.

§ 4  Grundlagen I. Begriff Der Begriff der Tariffähigkeit findet bereits Verwendung, seitdem Tarifverträge als rechtsverbindlich anerkannt werden, mithin dem frühen 20. Jahrhundert.1 Sinzheimer gebrauchte ihn schon 1916 in seinem Vorschlag für ein Arbeitstarifgesetz.2 Gleichwohl hat er bis heute keinen Einzug in tarifrechtliche Normen erhalten. Die Verordnung über Tarifverträge, Arbeiter- und Angestelltenausschüsse und Schlichtung von Arbeitsstreitigkeiten3 von 1918, die dem Tarifvertragsgesetz vorausging, räumte in § 1 Vereinigungen von Arbeitnehmern das Recht ein, Tarifverträge zu schließen, ohne hierfür die Tariffähigkeit als Voraussetzung zu bestimmen. Auch in der geltenden Regelung des § 2 Abs. 1  TVG taucht der Begriff Tariffähigkeit nicht auf; die Vorschrift beschränkt sich darauf, die potentiellen Tarifvertragsparteien zu benennen. Dabei handelt es sich wohl um eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers. Denn der Verabschiedung des Tarifvertragsgesetzes gingen während der Weimarer Zeit Gesetzesentwürfe voraus, die teils detaillierte Vorgaben zu den Anforderungen der Tariffähigkeit enthielten.4 Das Reichsarbeitsministerium veröffentlichte im Mai  1931 einen Re1  Kempen

in: Kempen / Zachert, TVG, § 2, Rn. 3. Ein Arbeitstarifgesetz, S. 211 ff. 3  Abgedruckt in RGBl. 1918, S. 1456. 4  Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2, Rn. 201. 2  Sinzheimer,

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2. Teil: Tariffähigkeit

ferentenentwurf5, der einen vollständigen, mehrere Paragraphen umfassenden Unterabschnitt zur Tariffähigkeit beinhaltete. In § 5 enthielt der Entwurf konkrete Vorgaben zur „Tariffähigkeit im Allgemeinen“. Nach diesen sollten nur solche Vereinigungen tariffähig sein, die u. a. eine nicht nur vorübergehende Verbindung darstellten und gegnerunabhängig waren. Dem Referentenentwurf vorausgegangen waren bereits ein Entwurf des von der Reichsregierung 1919 einberufenen Arbeitsrechtsausschusses von 19216 sowie ein Entwurf von Nipperdey von 19247, die beide ebenfalls konkrete Anforderungen an die Tariffähigkeit formulierten. Doch auch ohne Aufnahme des Begriffs Tariffähigkeit in das Tarifvertragsgesetz kann kein Zweifel daran bestehen, dass der Gesetzgeber die Tariffähigkeit als Oberbegriff bestimmter Anforderungen anerkennt. Nur so lässt sich erklären, dass er in einigen anderen Normierungen auf die Begrifflichkeit zurückgegriffen hat – so insbesondere im Arbeitsgerichtsgesetz8 sowie im Betriebsverfassungsgesetz9. II. Rechtsnatur Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bedeutet Tariffähigkeit „die Fähigkeit, durch Vereinbarung mit dem sozialen Gegenspieler unter anderem die Arbeitsbedingungen des Einzelarbeitsvertrags mit der Wirkung zu regeln, daß sie für die tarifgebundenen Personen unmittelbar und unabdingbar wie Rechtsnormen gelten.“10 Dem entspricht im Wesentlichen die ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts.11 Neben der Beschreibung der Wirkung der Tariffähigkeit verzichtet sowohl das Bundesverfassungsgericht als auch das Bundesarbeitsgericht auf eine dogmatische Einordnung, so dass die Rechtsnatur der Tariffähigkeit ungeklärt bleibt. Im Schrifttum finden sich unterschiedliche Ansätze, ohne dass sich eine klar herrschende Meinung herausgebildet hat. Nach einer Auffassung12 soll es sich bei der Tariffähigkeit um eine besondere Form der Geschäftsfähigkeit handeln. Die Tariffähigkeit ermächtige dazu, am Ordnen des Arbeitslebens teilzunehmen; hierbei handele es sich 5  Abgedruckt bei Oetker, Die Arbeiten zur deutsch-österreichischen Tarifrechts­ angleichung, S. 319 ff. 6  Abgedruckt in RABl. 1921, Amtlicher Teil, S. 491 ff. 7  Nipperdey, Beiträge zum Tarifrecht, S. 107 ff. 8  Namentlich in den §§ 2 Abs. 1 Nr. 2, 2a Abs. 1 Nr. 4, 97 ArbGG. 9  Namentlich in § 74 Abs. 2 BetrVG. 10  BVerfG 19.10.1966 BVerfGE 20, 312 (313). 11  Etwa BAG 25.11.1986 AP Nr. 36 zu § 2 TVG = NZA 1987, 492 (492). 12  Herschel, Tariffähigkeit und Tarifmacht, S. 5 ff.; Ramm, Die Parteien des Tarifvertrages, S. 70; Herschel, RdA 1959, 361 (365); Herschel, BABl. 1950, 377 (378).



§ 4  Grundlagen

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um etwas Dynamisches und damit ein rechtsgeschäftliches Handeln.13 Eine zweite Auffassung14 sieht in der Tariffähigkeit eine besondere Rechtsfähigkeit. Diese unterscheide sich aber in zweifacher Hinsicht von der allgemeinen Rechtsfähigkeit. Zum einen gehe sie über diese hinaus, indem sie weitergehende Anforderungen stelle. Auf der anderen Seite bleibe die Tariffähigkeit hinter ihr zurück, indem sie die allgemeine Rechtsfähigkeit nicht einmal zur Voraussetzung habe – Gewerkschaften sind in der Regel nicht rechtsfähige Vereine, gleichwohl aber tariffähig.15 Nach einer dritten Auffassung16 handelt es sich bei der Tariffähigkeit um eine öffentlich-rechtliche Regelungsbefugnis mit Außenwirkung. Dies ergebe sich aus dem Rechtscharakter der Tarifnormen und der öffentlich-rechtlichen Natur der Tätigkeit der Tarifvertragsparteien, die auf die Schöpfung objektiven Rechts gerichtet sei.17 Eine vierte Auffassung18 hält die Tariffähigkeit für eine Rechtsgestaltungsmacht sui generis, da an sie besondere, rechtlich eigenständige Voraussetzungen geknüpft werden. Die zitierten Fundstellen sind zu großen Teilen bereits vergleichsweise alt – überwiegend liegt ihre Niederschrift bereits mehrere Jahrzehnte zurück. Der Großteil des heutigen Schrifttums geht über die Frage der Rechtsnatur der Tariffähigkeit hinweg, indem er sich darauf beschränkt, die Begriffsbestimmung des Bundesverfassungsgerichts oder des Bundesarbeitsgerichts wiederzugeben und terminologisch schlicht von einer rechtlichen Fähigkeit oder Normsetzungsbefugnis ausgeht.19 Die Bestimmung der Rechtsnatur der Tariffähigkeit ist indes nicht ohne Bedeutung für ihre inhaltliche Ausgestaltung, so dass die Frage nach der Rechtsnatur nicht unbeantwortet gelassen werden sollte. Geschäftsfähigkeit ist die Fähigkeit, allgemein zulässige Rechtsgeschäfte selbständig vollwirksam vornehmen zu können.20 Sie bezieht sich damit auf den dynamischen Vorgang des Abschlusses eines Rechtsgeschäfts. Hier knüpfen die Vertreter der ersten Auffassung an, indem sie zugrunde legen, das Ordnen des Arbeitslebens – insbesondere durch den Abschluss von Tarifverträgen – stelle ebenfalls etwas Dynamisches dar. Mit Nikisch ist jedoch festzustellen, dass diese Argumentation das besondere Wesen der 13  Herschel,

BABl. 1950, 377 (378). KollArbR I, S. 522; Hueck / Nipperdey, Arbeitsrecht II / 1, S. 421 f.; Kaskel / Dersch, Arbeitsrecht, S. 50; Buchner, NZA 1994, 2 (4). 15  Gamillscheg, KollArbR I, S. 522; Hueck / Nipperdey, Arbeitsrecht II / 1, S. 421 f.; Kaskel / Dersch, Arbeitsrecht, S. 50. 16  Nikisch, Arbeitsrecht II, S. 236 f.; Wiedemann, TVG, § 2, Rn. 7 ff. 17  Nikisch, Arbeitsrecht II, S. 236 f. 18  Kempen in: Kempen / Zachert, TVG, § 2, Rn. 14. 19  Etwa Peter in: Däubler, TVG, § 2, Rn. 2; Treber in: Schaub, ArbR-Hdb., § 197, Rn. 3. 20  Schmitt in: Säcker, MünchKomm BGB I, § 104, Rn. 1. 14  Gamillscheg,

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2. Teil: Tariffähigkeit

Tariffähigkeit außer Acht lässt. Die Tariffähigkeit ermächtigt in erster Linie dazu, Partei eines Tarifvertrags zu sein.21 Die Befugnis zum dynamischen Teil – dem Abschluss des Tarifvertrags – ist hingegen nur zusätzlicher notwendiger Bestandteil der Tariffähigkeit, nicht aber ihr Kern. Nikisch liegt richtig, wenn er die Abschlussfähigkeit lediglich als zwingende Folge der Tariffähigkeit bezeichnet.22 Diese Argumentation wird untermauert durch den Hinweis, dass tariffähige Rechtssubjekte Partei eines Tarifvertrags werden können, ohne dass es zu einem Vertragsschluss kommt – namentlich im Falle eines Schiedsspruchs, sofern sich die Parteien diesem vorab verbindlich unterworfen haben.23 Aber auch dessen ungeachtet erscheint die Einordnung als besondere Geschäftsfähigkeit zu abstrakt: Sie hätte zur Folge, dass ein geschäftsunfähiger Arbeitgeber tariffähig und damit „sondergeschäftsfähig“ sein könnte.24 Angesichts dessen wäre die Einordnung mindestens verwirrend und gleichzeitig ohne jeden Mehrwert.25 Die Tariffähigkeit ist daher nicht als besondere Geschäftsfähigkeit zu sehen. Rechtsfähigkeit ist nach herrschender Meinung die Fähigkeit, Träger von Rechten und Pflichten zu sein.26 Die Vertreter der zweiten Auffassung meinen, die Tariffähigkeit als besondere Ausprägung unter diese Begriffsbestimmung subsumieren zu können. Eine Begründung bleiben sie indes schuldig. Stattdessen zeigen sie selbst die elementaren Unterschiede zwischen der allgemeinen Rechtsfähigkeit und der Tariffähigkeit auf: Zum einen kommt die Tariffähigkeit nur einem eng umgrenzten Kreis an Rechtssubjekten zu; zum andern setzt die Tariffähigkeit die allgemeine Rechtsfähigkeit nicht einmal voraus. Angesichts dieser strukturellen Unterschiede sind Tariffähigkeit und allgemeine Rechtsfähigkeit als vollständig wesensverschieden zu bewerten.27 Es erscheint widersinnig, einer nicht rechtsfähigen Gewerkschaft dogmatisch eine besondere Rechtsfähigkeit beizumessen, weil sie die Anforderungen der Tariffähigkeit erfüllt.28 Die Tariffähigkeit kann daher auch nicht als besondere Rechtsfähigkeit betrachtet werden. Auch gegen die dritte Auffassung, nach der die Tariffähigkeit eine öffentlich-rechtliche Regelungsbefugnis mit Außenwirkung sein soll, bestehen Bedenken. Grundidee des Tarifvertragssystems ist, dass die Tarifhoheit Nikisch, Arbeitsrecht II, S. 236 f. Arbeitsrecht II, S. 236 f. 23  Vgl. Nikisch, Arbeitsrecht II, S. 236 f. 24  Vgl. Nikisch, Arbeitsrecht II, S. 236 f. 25  In diesem Sinne auch Richardi, Kollektivgewalt, S. 130. 26  Schmitt in: Säcker, MünchKomm BGB I, § 1, Rn. 6. 27  In diesem Sinne auch Nikisch, Arbeitsrecht II, S. 236 f.; Wiedemann, TVG, § 2, Rn. 10. 28  Vgl. Wiedemann, TVG, § 2, Rn. 10 ff. 21  Vgl.

22  Nikisch,



§ 4  Grundlagen

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nichtstaatlichen Parteien zukommt, die privatrechtlich organisiert sind. Nikisch verneint einen Widerspruch zwar mit dem Hinweis, es handele sich um eine Beleihung mit hoheitlichen Aufgaben.29 Allerdings geht es nicht um die dogmatische Einordnung des Aktes, durch den Tariffähigkeit verliehen wird – vielmehr steht die Rechtsnatur der Fähigkeit an sich in Frage. Überzeugend ist allein, der Tariffähigkeit eine individuelle Rechtsnatur zuzusprechen, die in Anlehnung an Kempen30 als Rechtsgestaltungsmacht sui generis bezeichnet werden kann. Die Tariffähigkeit beinhaltet in ihren Anforderungen wie auch auf der Rechtsfolgenseite eigenständige Kriterien, die nicht in die hergebrachten Muster passen. Sie einer der bekannten Rechtsfiguren unterzuordnen, würde ihr zum einen nicht gerecht; zum andern wäre dies angesichts der stets auftretenden Unstimmigkeiten auch nicht zweckdienlich. III. Grundlegendes zu den Anforderungen der Tariffähigkeit Die Anforderungen, die sich hinter dem Begriff der Tariffähigkeit verbergen, sind ganz wesentlich auf die Rechtsprechung der Arbeitsgerichtsbarkeit und des Bundesverfassungsgerichts zurückzuführen. Bereits 1928 hat das Reichsarbeitsgericht Anforderungen formuliert: Danach sollten solche Arbeitnehmervereinigungen tariffähig sein, „deren Mitglieder sich in ihrer Eigenschaft als Arbeitnehmer zu einer organisierten Einheit zusammengetan haben und zu deren Aufgaben es […] gehört, den Arbeitgebern gegenüber die wirtschaftlichen Arbeitnehmerinteressen zu wahren und zu ihrer Förderung Einfluß auf die Festsetzung von Arbeits- und Lohnbedingungen zu gewinnen“.31 Die Befugnis der Gerichte, selbständig Anforderungen der Tariffähigkeit zu entwickeln, resultiert daraus, dass sich der Gesetzgeber in § 2 Abs. 1  TVG mit den Begriffen Gewerkschaften und Vereinigungen unbestimmter Rechtsbegriffe bedient hat. Solange der Gesetzgeber auf eine weitergehende Regelung verzichtet, liegt es nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts bei der Arbeitsgerichtsbarkeit, „die Voraussetzungen für die Tariffähigkeit […] näher zu umschreiben.“32 Die fehlende weitergehende gesetzliche Regelung wird teils als Säumnis des Gesetzgebers bewertet. Löwisch / Rieble bezeichnen die Regelung des § 2  TVG etwa als „unzureichend“ und kritisieren als bedenklich, dass „demokratisch beschränkt legitimierte Richter“ über die Zulassung von Gewerkschaften und Arbeitgeber29  Nikisch,

Arbeitsrecht II, S. 237. in: Kempen / Zachert, TVG, § 2, Rn. 14. 31  RAG 9.5.1928 ARS 2, S. 277 = RAGE 1, 349 (352). 32  BVerfG 20.10.1981 AP Nr. 31 zu § 2 TVG = BVerfGE 58, 233 (247). 30  Kempen

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2. Teil: Tariffähigkeit

verbänden zur Teilnahme an der Tarifautonomie entscheiden.33 Andere halten den Verzicht auf eine detailliertere gesetzliche Ausgestaltung im Sinne einer besseren Lesbarkeit und Verständlichkeit für gerechtfertigt.34 Maßgebliches Motiv des Gesetzgebers dürfte indes weniger die Verständlichkeit, als vielmehr die auf diese Weise geschaffene Flexibilität sein.35 Die Anforderungen der Tariffähigkeit des Arbeitgeberverbandes ergeben sich also aus einer Auslegung des Vereinigungsbegriffs in § 2 Abs. 1 TVG.36 Isoliert betrachtet ist § 2 Abs. 1 TVG indes einer Auslegung kaum zugänglich. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch sind Vereinigungen Zusammenschlüsse von Personen mit gemeinsamen Zielen oder zur Verfolgung eines gemeinsamen Zwecks.37 Damit verlangt der Wortlaut, dass eine Vereinigung aus mehreren Personen besteht. Zudem dürfte ein gewisser Vereinigungszweck Wesensmerkmal einer jeden Vereinigung und damit auch Voraussetzung der Tariffähigkeit sein. Weitere Rückschlüsse lässt die semantische Bedeutung des Vereinigungsbegriffs allein nicht zu. Die Gesetzesmaterialien halten ebenfalls wenig Anhaltspunkte für eine Auslegung des Vereinigungsbegriffs bereit. Das Tarifvertragsgesetz wurde 1949 durch den Wirtschaftsrat des Vereinigten Wirtschaftsgebietes (Wirtschaftsrat) verabschiedet. Vorausgegangen waren zahlreiche Entwürfe aus den verschiedenen politischen Lagern, vor allem aber auch aus der Rechtswissenschaft.38 Erste Arbeitsgrundlage des Wirtschaftsrates war ein Initiativantrag39 der SPDFraktion, dem die Entwürfe der Gewerkschaften zugrunde lagen. Nach diesem Entwurf sollten „wirtschaftliche Vereinigungen von Arbeitgebern“ tariffähig sein. Im weiteren Gesetzgebungsverfahren wurde den Gegenstand der Tariffähigkeit betreffend nur noch über die Frage diskutiert, ob Zusammenschlüsse von Arbeitgebern als „wirtschaftliche Vereinigungen“ oder nur als „Vereinigungen“ bezeichnet werden sollten, wobei letztlich auf den Begriff „wirtschaftliche“ verzichtet wurde. Aufschlussreicher als die Auslegung nach Wortlaut und Normhistorie sind systematische und teleologische Erwägungen: § 2 Abs. 1 TVG und der enthaltene Vereinigungsbegriff sind „im Lichte des Art. 9 Abs. 3 GG“40 und vor 33  Löwisch / Rieble,

TVG, § 2, Rn. 9 u. 11. Herschel, ZfA 1973, 183 (189). 35  Zur Sinnhaftigkeit einer gesetzlichen Regelung der Tariffähigkeitsanforderungen unten § 10  III. 36  Vgl. Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2, Rn. 207. 37  Duden, S. 1874, Stichwort „Vereinigung“. 38  Ausführlich hierzu Oetker in: Wiedemann, TVG, Geschichte, Rn. 6 ff. 39  Drucksache des Wirtschaftsrates Nr. 613 vom 8.  Oktober 1948; außerdem abgedruckt in Wiedemann, TVG, Geschichte, Rn. 37. 40  BVerfG 20.10.1981 AP Nr. 31 zu § 2 TVG = BVerfGE 58, 233 (247). 34  Vgl.



§ 5  Voraussetzungen des Koalitionsbegriffs

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dem Hintergrund auszulegen, dass § 2 Abs. 1 TVG Teil der einfachgesetz­ lichen Ausgestaltung der kollektiven Koalitionsfreiheit ist. Mit den Begriffen Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern bedient sich der Gesetzgeber in § 2 Abs. 1 TVG Begrifflichkeiten, die historisch im verfassungsrechtlichen Zusammenhang belegt sind. Unter dem Oberbegriff der Koalitionen finden sich zu ihnen umfangreiche Begriffsbestimmungen, die im Zusammenhang mit der Schutzbereichsbestimmung der Koalitionsfreiheit entwickelt wurden. Es wird allgemein – vorrangig wohl im Wege einer verfassungskonformen Auslegung – davon ausgegangen, dass § 2 Abs. 1 TVG auf diese Begriffsbestimmungen Bezug nimmt.41 Daher können nur solche Verbände tariffähig sein, die Koalition im Sinne von Art. 9 Abs. 3 GG sind.42 Der Koalitionsbegriff dient somit als Ausgangspunkt der Anforderungen der Tariffähigkeit. Über die Anforderungen des Koalitionsbegriffs hinaus werden weitere Anforderungen an den tarifrechtlichen Vereinigungsbegriff gestellt. Sie ergeben sich aus einer teleologischen Auslegung des § 2 Abs. 1  TVG mit Blick auf seinen Charakter als einfachgesetzliche Ausgestaltung der kollektiven Koalitionsfreiheit und sind als Zugangskontrolle zur bedeutendsten koalitionsmäßigen Betätigung43 zu verstehen.44

§ 5  Voraussetzungen des Koalitionsbegriffs I. Konkretisierung des Koalitionsbegriffs durch Auslegung des Art. 9 Abs. 3 GG Um tariffähig zu sein, muss der Arbeitgeberverband zunächst Koalition im Sinne von Art. 9 Abs. 3 GG sein; er muss also alle Merkmale des Koalitionsbegriffs aufweisen. Das Grundgesetz kennt den Begriff der „Koalition“ nicht. Gleichwohl wird er gemeinhin für diejenigen „Vereinigungen“ verwendet, die in den Schutzbereich der Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG fallen. An den Koalitionsbegriff wird eine Reihe von Anforderungen gestellt. Dem Wortlaut des Grundgesetzes ist unmittelbar nur zu 41  Vgl. schon Hueck / Nipperdey, Arbeitsrecht II / 1, S. 426; Löwisch, ZfA 1970, 295 (297). 42  Hiervon geht seit jeher ohne nähere systematische Begründung auch das Bundesarbeitsgericht aus, etwa in BAG 15.11.1963 AP Nr. 14 zu § 2 TVG. 43  Zum Abschluss von Tarifverträgen als bedeutendste koalitionsmäßige Betätigung BVerfG 3.4.2001 AP Nr. 2 zu § 10 BurlG Kur = BVerfGE 103, 293 (304); BVerfG 27.4.1999 BVerfGE 100, 271 (282); BVerfG 10.1.1995 AP Nr. 76 zu Art. 9 GG = BVerfGE 92, 26 (38); BVerfG 26.6.1991 AP Nr. 117 zu Art. 9 GG Arbeitskampf = BVerfGE 84, 212 (224); BVerfG 18.12.1974 AP Nr. 23 zu Art. 9 GG = BVerfGE 38, 281 (304); BVerfG 18.11.1954 BVerfGE 4, 96 (106). 44  Näher unten §§ 6 u. 7.

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2. Teil: Tariffähigkeit

entnehmen, dass es sich um „Vereinigungen“ handeln muss, die „zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ gebildet sind. Hieraus werden indes weitere ungeschriebene Kriterien abgeleitet. Für eine Bestimmung des Koalitionsbegriffs muss man sich mit dem Gewährleistungsbereich der Koalitionsfreiheit auseinandersetzen. Das Grundrecht der Koalitionsfreiheit verfügt über einen zweigleisigen Gewährleistungsbereich – es ist ein sogenanntes „Doppelgrundrecht“45: Es garantiert zum einen die individuelle Koalitionsfreiheit des Einzelnen und zugleich die kollektive Koalitionsfreiheit der Vereinigung selbst.46 Der Schutzbereich der individuellen Koalitionsfreiheit erstreckt sich in positiver Hinsicht auf die Bildung und Entstehung von Koalitionen, den Beitritt zu und den Verbleib in Koalitionen sowie das Recht auf koalitionsmäßige Betätigung der einzelnen Mitglieder.47 In negativer Hinsicht schützt die individuelle Koalitionsfreiheit die Nichtgründung von Koalitionen, den Nichtbeitritt zu sowie den Austritt aus Koalitionen.48 Den kollektiven Gehalt der Koalitionsfreiheit begründet das Bundesverfassungsgericht maßgeblich mit der historischen Entwicklung des Grundrechts und dem Sozialstaatsprinzip: Das „Bekenntnis des Grundgesetzes zum sozialen Rechtsstaat“ schließe es aus, „ein Grundrecht, dessen Ausdehnung auf soziale Gemeinschaften sich bereits in der Weimarer Zeit angebahnt hatte, nunmehr ohne zwingenden Grund in seiner Wirksamkeit auf Einzelpersonen zu beschränken“.49 Die kollektive Koalitionsfreiheit gewährleistet „das Recht der Vereinigungen selbst, durch spezifisch koalitionsmäßige Betätigung die in Art. 9 Abs. 3 GG genannten Zwecke zu verfolgen“50 – also die Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen. Dabei geht sie über ein bloßes Abwehrrecht hinaus: Sie sichert nicht nur den Bestand der Koalitionen, sondern gewährleistet auch ihre organisatorische Ausgestaltung und garantiert den Koalitionen ihre spezifische koalitionsmäßige Betätigung.51 Früher vertrat das Bundesverfassungsgericht die Auf45  Treber

in: Schaub, ArbR-Hdb., § 190, Rn. 19. Jarass in: Jarass / Pieroth, Art. 9, Rn. 36 f. 47  BVerfG 11.7.2006 AP Nr. 129 zu Art. 9 GG = BVerfGE 116, 202 (217); BVerfG 14.6.1983 AP Nr. 21 zu § 9 BergmannsVersorgScheinG NRW = BVerfGE 64, 208 (213); BVerfG 15.7.1980 AP Nr. 17 zu § 5 TVG = BVerfGE 55, 7 (21); BVerfG 27.3.1979 AP Nr. 31 zu Art. 9 GG = BVerfGE 51, 77 (87 f.). 48  BVerfG 11.7.2006 AP Nr. 129 zu Art. 9 GG = BVerfGE 116, 202 (218); BVerfG 23.4.1986 AP Nr. 28 zu Art. 2 GG = BVerfGE 73, 261 (270); BVerfG 14.6.1983 AP Nr. 21 zu § 9 BergmannsVersorgScheinG NRW = BVerfGE 64, 208 (213). 49  BVerfG 18.11.1954 BVerfGE 4, 96 (102). 50  BVerfG 4.7.1995 AP Nr. 4 zu § 116 AFG = BVerfGE 92, 365 (393). 51  BVerfG 27.4.1999 BVerfGE 100, 271 (282); BVerfG 14.11.1995 AP Nr. 80 zu Art. 9 GG = BVerfGE 93, 352 (357); BVerfG 26.6.1991 AP Nr. 117 zu Art. 9 GG 46  Vgl.



§ 5  Voraussetzungen des Koalitionsbegriffs

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fassung, die kollektive Koalitionsfreiheit gewährleiste nur den „Kernbereich koalitionsmäßiger Betätigung“, also nur solche Tätigkeiten, die für den Bestand der Koalition unerlässlich sind.52 Nach einer Änderung dieser Rechtsprechung geht das Bundesverfassungsgericht heute hingegen davon aus, dass die Koalitionsfreiheit „alle koalitionsspezifischen Verhaltensweisen“ schützt.53 Der Verfassungsgeber sichert also den Bestand der Koalitionen ebenso wie ihre koalitionsspezifischen Betätigungen. Auf diese Weise räumt er den Koalitionen mittels der Koalitionsfreiheit die Rechte ein, die sie benötigen, um überhaupt zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen beitragen zu können. Gleichzeitig will der Verfassungsgeber durch einen von der Rechtsprechung konkretisierbaren Koalitionsbegriff darauf hinwirken, dass nur solche Vereinigungen als Koalition anerkannt werden, die grundsätzlich in der Lage sind, einen eben solchen Beitrag zu leisten – generell ungeeignete Vereinigungen würden die Koalitionsbetätigung der geeigneten Koalitionen stören.54 Dies hat zur Folge, dass die Bestimmung des Schutzbereichs der Koalitionsfreiheit entscheidend von der Definition des Koalitionsbegriffs abhängt.55 Die verfassungsmäßige Funktion der Koalitionsfreiheit und der Koalitionsbegriff sind also eng miteinander verwoben. Daher muss sich die Bestimmung des Koalitionsbegriffs – entsprechend dem Willen des Verfassungsgebers – streng an der Funktion der Koalitionsfreiheit orientieren. Däubler / Hege formulieren treffend, der Koalitionsbegriff sei „aus der Funktion der Koalitionsfreiheit […] heraus zu konkretisieren“.56 Daraus folgt, dass Anforderungen, die nicht erforderlich sind, damit die funktionsgerechte Betätigung der Koalitionen sichergestellt ist, unzulässigerweise in das Grundrecht der Koalitionsfreiheit eingreifen.57 Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Abschluss von Tarifverträgen nur eine von diversen Möglichkeiten koalitionsmäßiger Betätigungen darstellt. Andere liegen etwa in der Mitbestimmungstätigkeit der Gewerkschaften oder der Vertretung von Mitgliedern vor Gericht durch Gewerkschaften wie Arbeitgeberverbände. Anforderungen, die allein der Sicherstellung einer Arbeitskampf = BVerfGE 84, 212 (224); BVerfG 20.10.1981 AP Nr. 31 zu § 2 TVG = BVerfGE 58, 233 (246). 52  Etwa BVerfG 17.2.1981 BVerfGE 57, 220 = AP Nr. 9 zu Art. 140 GG unter C. II. 4. a). 53  Insb. BVerfG 24.2.1999 BVerfGE 100, 214 = AP Nr. 18 zu § 20 BetrVG 1972 unter B.  II.  1. 54  Däubler / Hege, Koalitionsfreiheit, S. 57. 55  Vgl. Däubler / Hege, Koalitionsfreiheit, S. 57. 56  Däubler / Hege, Koalitionsfreiheit, S. 57. 57  Vgl. BVerfG 6.5.1964 AP Nr. 15 zu § 2 TVG = BVerfGE 18, 18 (27); Däubler / Hege, Koalitionsfreiheit, S. 57 f.

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2. Teil: Tariffähigkeit

funktionsgerechten Tarifnormsetzung dienen, sind daher keine zulässigen Voraussetzungen des Koalitionsbegriffs, sondern besondere Voraussetzungen der Tariffähigkeit.58 II. Vereinigung Aus der Systematik des Art. 9 Abs. 3 GG ergibt sich, dass eine Koalition zunächst alle Merkmale des Vereinigungsbegriffs im Sinne von Art. 9 Abs. 1  u.  2  GG aufweisen muss. Denn die Koalitionsfreiheit ist ein Unterfall der Vereinigungsfreiheit.59 Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist eine Vereinigung im Sinne von Art. 9 Abs. 1  GG jeder auf Dauer angelegte, freiwillige Zusammenschluss einer Mehrheit natürlicher oder juristischer Personen, welcher der Verfolgung eines gemeinsamen Zwecks dient und eine organisierte Willensbildung aufweist.60 Dieser Definition liegt eine langjährige Entwicklung in Rechtsprechung und Schrifttum zugrunde. Sie hat zudem im Wesentlichen inhaltsgleich Niederschlag gefunden in § 2 Abs. 1  VereinsG. Diese einfachgesetzliche Legaldefinition kann bei der Auslegung des verfassungsrechtlichen Vereinigungsbegriffs als systematische Hilfe herangezogen werden – weiter geht ihre Bedeutung indes nicht. Löwisch / Rieble meinen hingegen, der Verfassungsgeber knüpfe mit seinem Vereinigungsbegriff an die vereinsrechtliche Legaldefinition an; entsprechend eng halten sie sich bei der Konkretisierung des verfassungsrechtlichen Vereinigungsbegriffs an diese Definition.61 Dieser Annahme fehlt jedoch die systematische Grundlage.62 1. Zusammenschluss einer Personenmehrheit Eine Vereinigung setzt schon begrifflich eine Personenmehrzahl voraus, bedarf also mindestens zweier Mitglieder. Streit herrscht einzig über die Frage, ob eine darüber hinausgehende bestimmte Mindestmitgliederzahl zu verlangen ist. Dem Verfassungswortlaut ist dergleichen nicht zu entnehmen. Entgegen einzelner Stimmen63 ergibt sich ein derartiges Erfordernis auch 58  Vgl. hierzu besonders Greiner, Rechtsfragen der Koalitions-, Tarif- und Arbeitskampfpluralität, S. 81 ff. 59  Vgl. Scholz in: Maunz / Dürig, Art. 9, Rn. 154. 60  BVerwG 12.2.1998 BVerwGE 106, 177 (181). 61  Löwisch / Rieble, TVG, § 2, Rn. 49. 62  In diesem Sinne auch Kempen in: Kempen / Zachert, TVG, § 2, Rn. 31 und Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2, Rn. 229. 63  Früher etwa Löwer in: Münch / Kunig I, 4. Aufl., Art. 9, Rn. 25, der sich inzwischen jedoch der herrschenden Meinung angeschlossen hat: Löwer in: Münch / Kunig I, Art. 9, Rn. 36.



§ 5  Voraussetzungen des Koalitionsbegriffs

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nicht mit Blick auf vereinsrechtliche Normen des Bürgerlichen Gesetzbuches64. Denn einfachgesetzliche Vorschriften eignen sich nicht aus sich heraus, den Schutzbereich von Grundrechten einzuschränken.65 Die vereinsrechtlichen Vorschriften wären allenfalls als Orientierung geeignet, wenn teleologische Erwägungen eine Mindestmitgliederzahl erforderlich erscheinen ließen. In diesem Fall obläge es der Rechtsprechung, den Vereinigungsbegriff insoweit zu konkretisieren. Es ist indes nicht ersichtlich, welchen funktional begründbaren Zweck das Erfordernis einer Mindestmitgliederzahl erfüllen könnte. Auch mitgliederschwache Verbände können sich in sinnvoller Weise koalitionsmäßig betätigen. Bedenken könnten sich allenfalls daraus ergeben, dass bei kleineren Arbeitgeberverbänden häufiger Zweifel an der tarifpolitischen Durchsetzungsfähigkeit bestehen dürften. Inwieweit Arbeitgeberverbände durchsetzungsfähig sein müssen, ist aber eine noch zu klärende Frage, die indes bei den tarifrechtsspezifischen Anforderungen zu verorten ist. Dessen ungeachtet hängt die Durchsetzungsfähigkeit keineswegs zwingend von der Mitgliederzahl ab. Ein Arbeitgeberverband, dessen Mitglieder sich auf sehr wenige, aber große Unternehmen beschränken, kann erheblich durchsetzungsstärker sein als ein Arbeitgeberverband mit einer Vielzahl kleiner Mitgliedsunternehmen.66 Mit der herrschenden Meinung67 ist daher davon auszugehen, dass bereits zwei Mitglieder ausreichen. Im Übrigen ist die Streitfrage im Hinblick auf Arbeitgeberverbände von geringer praktischer Relevanz. Zwar leiden viele Arbeitgeberverbände an Mitgliederschwund, Mitgliederzahlen im unteren einstelligen Bereich entsprechen aber kaum der Realität. In Betracht kommen derartige Sach­ verhalte allenfalls bei Konzernarbeitgeberverbänden, obschon auch diese regelmäßig eine Vielzahl an Mitgliedern aufweisen, da sie weit überwiegend bei Großkonzernen mit zahlreichen Konzernunternehmen vorzufinden sind.68 2. Dauerhaftigkeit Die Definition des Bundesverwaltungsgerichts verlangt, dass der Zusammenschluss auf Dauer angelegt ist. Die Anforderungen an dieses Merkmal dürfen nicht überzogen werden. Es ist allgemeine Ansicht, dass hierdurch 64  Insb.

§§ 56 und 73 BGB. Bauer in: Dreier, GG, Art. 9, Rn. 39. 66  Hierzu auch unten § 7 III. 4. c). 67  Insb. von Münch in: Dolzer, Bonner Kommentar GG, Art. 9, Rn. 29; Kemper in: Mangoldt / Klein / Starck I, Art. 9, Rn. 13; Scholz in: Maunz / Dürig, Art. 9, Rn. 59. 68  Vgl. Sattler, Tarifvereinheitlichung im Konzern, S. 99. 65  Vgl.

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2. Teil: Tariffähigkeit

die Vereinigung nur von der Versammlung als „Augenblicksverband“ abgegrenzt werden soll.69 Hieraus folgt auch, dass das Kriterium der Dauerhaftigkeit der Koalitionseigenschaft neu gegründeter Verbände nicht entgegensteht.70 Damit beschränkt sich dieses Merkmal in seiner Relevanz auf das Grundrecht der Vereinigungsfreiheit. Dass ein „Augenblicksverband“ nicht in der Lage wäre, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen beizutragen, liegt auf der Hand. Davon abgesehen sind Sachverhalte, in denen der Koalitionseigenschaft eines Arbeitgeberverbandes fehlende Dauerhaftigkeit entgegengebracht werden könnte, praktisch kaum vorstellbar. 3. Organisierte Willensbildung Weiter verlangt die Definition des Bundesverwaltungsgerichts, dass der Zusammenschluss eine organisierte Willensbildung aufweist. Ebenso wie die Dauerhaftigkeit soll dieses Kriterium sicherstellen, dass Vereinigungen über ein Mindestmaß an Stabilität verfügen.71 Voraussetzung ist letztlich nur, dass der Zusammenschluss „eine vom Willen jedes einzelnen Mitglieds losgelöste Gesamtwillensbildung besitzt und das einzelne Mitglied kraft der rechtlich wirksamen Verbandsdisziplin dieser Gesamtwillensbildung unterworfen ist“.72 Im Kern geht es darum sicherzustellen, dass die Vereinigung über Handlungsfähigkeit verfügt. Es soll aber ausreichen, dass Handlungsfähigkeit grundsätzlich ermöglicht wird, so dass auch dieses Kriterium weit auszulegen ist.73 Gesteigerte Anforderungen an die Handlungsfähigkeit einer Koalition ergeben sich allenfalls im Rahmen der tarifrechtsspezifischen Anforderungen der Tariffähigkeit. Überwiegend wird aus dem Erfordernis der organisierten Willensbildung zusätzlich abgeleitet, eine Vereinigung müsse körperschaftlich organisiert sein, damit ihre Unabhängigkeit vom Mitgliederwechsel sichergestellt ist.74 Das würde bedeuten, dass eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts keine Koalition sein kann. Vereinzelt wird dies aber für möglich gehalten mit der Begründung, die Gewährleistung der Willensbildung hänge nicht von einer 69  Statt vieler Löwer in: Münch / Kunig I, Art. 9, Rn. 37; Scholz in: Maunz / Dürig, Art. 9, Rn. 65. 70  Scholz in: Maunz / Dürig, Art. 9, Rn. 65. 71  Bauer in: Dreier, GG, Art. 9, Rn. 41. 72  Schnorr, Öffentliches Vereinsrecht, § 2, Rn. 17. 73  Vgl. Scholz in: Maunz / Dürig, Art. 9, Rn. 65; Löwisch / Rieble, TVG, § 2, Rn. 51. 74  Hueck / Nipperdey, Arbeitsrecht II / 1, S. 83 ff.; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2, Rn. 279; Peter in: Däubler, TVG, § 2, Rn. 12; Zöllner / Loritz / Hergenröder, Arbeitsrecht, S. 95; Stein, RdA 2000, 129 (135).



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körperschaftlichen Struktur ab.75 Richtig ist, dass auch die Gesellschaft bürgerlichen Rechts eine Gesamtwillensbildung gewährleistet. Gleichwohl kommt sie nicht als tariffähige Koalition in Betracht. Denn die Unabhängigkeit vom Mitgliederwechsel gewährleistet einen wichtigen Bestandteil der Tarifautonomie, nämlich dass jedermann grundsätzlich jederzeit die Möglichkeit hat, durch den Beitritt zu einem der Tarifpartner in den Wirkungsbereich eines Tarifvertrags zu gelangen.76 Das gilt auf Seiten der Gewerkschaft ebenso wie im Arbeitgeberverband. 4. Freiwilligkeit Nach der Definition des Bundesverwaltungsgerichts fallen unter den Vereinigungsbegriff des Art. 9 Abs. 1 GG nur freiwillige Zusammenschlüsse. Das bedeutet, dass die Gründung einer Koalition nicht erzwungen werden darf und potentiellen Mitgliedern jederzeit der Eintritt sowie allen Mitgliedern der Austritt möglich sein muss.77 Danach können insbesondere öffentlich-rechtliche Zwangsverbände keine Koalitionen sein.78 Das Freiwilligkeitserfordernis ist bereits Voraussetzung des Koalitionsbegriffs, trägt aber in besonderem Maße auch der Normsetzungsbefugnis Rechnung, die nur tariffähigen Koalitionen zukommt: Zum einen soll die Grundentscheidung der Übertragung der Ordnungsaufgabe nicht dadurch ausgehöhlt werden können, dass der Staat durch die Schaffung von Zwangsverbänden mittelbar auf die Tarifregelungen Einfluss nimmt.79 Zum andern verspricht sich der Gesetzgeber von autonom geschaffenen Regelungen nicht nur sachlich bessere Normen, sondern auch eine größere Akzeptanz seitens der Beteiligten – Regelungen, an denen die Betroffenen selbst mitgewirkt haben, werden erheblich bereitwilliger angenommen als staatlich aufoktroyierte Normen. Durch einen Zwang zur Teilnahme würde dieser Effekt der „Befriedung des Arbeitslebens“80 freilich untergraben. In der Regel bestehen keine Bedenken, dass die Mitgliedschaft der in Arbeitgeberverbänden organisierten Unternehmen auf freien Willensentschlüssen basiert. Einen Sonderfall stellen derweil Konzernarbeitgeberverbände dar. Bei diesen Verbänden, denen ausschließlich Unternehmen eines 75  So insb. Löwisch / Rieble, TVG, § 2, Rn. 51; Henssler in: Henssler / Willemsen / Kalb, § 1 TVG, Rn. 11. 76  Vgl. Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2, Rn. 235. 77  Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2, Rn. 279. 78  Löwisch / Rieble, TVG, § 2, Rn. 51; Scholz in: Maunz / Dürig, Art. 9, Rn. 66. 79  Vgl. Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2, Rn. 276. 80  Vgl. BVerfG 20.10.1981 BVerfGE 58, 233 = AP Nr. 31 zu § 2 TVG unter B. I. 1.

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2. Teil: Tariffähigkeit

Konzerns angehören, können Zweifel an der Freiwilligkeit entstehen, wenn – wie in der Praxis üblich – der Eintritt eines beherrschten Unternehmens auf eine Anweisung des beherrschenden Unternehmens zurückzuführen ist. Konzernarbeitgeberverbände sind von praktisch erheblicher Bedeutung, denn die Konzernführung hat regelmäßig großes Interesse an einheitlich normierten Arbeitsbedingungen innerhalb des Konzerns. Der Konzern selbst ist jedoch nach ganz herrschender Meinung generell nicht tariffähig.81 Nach hier vertretener Auffassung, nach der es sich bei der Tariffähigkeit um eine Rechtsgestaltungsmacht sui generis und nicht um eine besondere Form der Rechts- oder Geschäftsfähigkeit handelt82, kann die generelle Tarifunfähigkeit des Konzerns zwar nicht auf dessen fehlende Rechts- und Geschäftsfähigkeit gestützt werden.83 Der Konzern ist jedoch generell nicht in der Lage, Träger irgendwelcher Rechte und Pflichten zu sein.84 Aus diesem Grund ist ihm auch die Tariffähigkeit als besondere Rechtsgestaltungsmacht verwehrt. Hinzu kommt, dass der Konzern keine Arbeitgeberstellung im Verhältnis zu den bei den Konzernunternehmen beschäftigten Arbeitnehmern inne hat.85 Auf Grund seiner Tarifunfähigkeit ist der Konzern auf andere Wege angewiesen, um für normativ-verbindliche einheitliche Arbeitsbedingungen innerhalb des Konzerns zu sorgen. Freilich besteht die Möglichkeit, dass alle Konzernunternehmen in denselben Arbeitgeberverband eintreten und sich so einem einheitlichen Tarifvertrag unterwerfen. Gerade große Konzerne halten es aber oftmals für zweckmäßiger, einen exklusiven Verband zu schaffen, dessen Politik auf die Bedürfnisse des Konzerns zugeschnitten ist. Derartigen Verbänden wird jedoch im Schrifttum teils die Tariffähigkeit abgesprochen, weil es am Kriterium der Freiwilligkeit fehle, wenn der Beitritt der Mitgliedsunternehmen auf eine Weisung des beherrschenden Unternehmens zurückzuführen ist. Windbichler setzt sich sehr ausführlich mit der Frage auseinander, wie eine „konzerneinheitliche Tarifsituation“ hergestellt werden kann und untersucht dabei auch die Möglichkeit der Gründung von Konzernarbeitgeberverbänden.86 Dabei kommt sie zu dem Ergebnis, dass ein Konzernarbeitgeberverband das Freiwilligkeitserfordernis in aller Regel nicht erfüllen könne. Windbichler begründet ihre Bedenken im Kern mit der Dominanz des herrschenden Unternehmens im Konzern, die die körperschaftliche Organisation des Verbandes konterkariere. Sie führt an, die Beziehung der Konvieler Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2, Rn. 141 m. w. N. § 4 II. 83  So aber Löwisch / Rieble, TVG, § 2, Rn. 359. 84  Vgl. Windbichler, Arbeitsrecht im Konzern, S. 461. 85  Vgl. Löwisch / Rieble, TVG, § 2, Rn. 359. 86  Windbichler, Arbeitsrecht im Konzern, S. 460 ff. 81  Statt

82  Oben



§ 5  Voraussetzungen des Koalitionsbegriffs

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zernunternehmen sei „durch unfreiwillige Fremdsteuerung geprägt“. Aus diesem Grunde sei „eine körperschaftliche Verbindung gleichberechtigter Mitglieder […] kaum vereinbar“. Es sei nicht sichergestellt, dass die Willensbildung durch Kollegialorgane – und nicht im Wege der Konzernleitungsmacht – erfolge. Im Gegenteil sei vielmehr stets zu erwarten, dass die Konzernleitung die tarifliche Normsetzungsbefugnis an sich zieht.87 Entgegen Windbichler geht die herrschende Meinung – zu großen Teilen ohne nähere Begründung – davon aus, dass das Freiwilligkeitserfordernis der Tariffähigkeit von Konzernarbeitgeberverbänden nicht entgegensteht.88 Eine ausführliche Bearbeitung der Fragestellung bietet indes Sattler, der sich mit den Ausführungen von Windbichler eingehend auseinandersetzt.89 Sattler ist der Auffassung, die Einflussnahme des beherrschenden Unternehmens mache aus der Beitrittsentscheidung des beherrschten Unternehmens keine unfreiwillige Entscheidung. Die Entscheidungsfreiheit stehe „von vornherein unter dem Vorbehalt der Einflussnahme durch die jeweils weisungsbefugte Konzerngesellschaft“.90 Löwisch / Rieble bringen es unter Verweis auf Sattler auf den Punkt, indem sie formulieren, es sei „autonomieimmanent“, „daß Anteilseigner auf die innere Willensbildung einer juristischen Person Einfluß nehmen“.91 Der herrschenden Meinung ist darin zuzustimmen, dass der Tariffähigkeit von Konzernarbeitgeberverbänden das Kriterium der Freiwilligkeit nicht entgegensteht. Windbichler räumt selbst ein, dass sich das Freiwilligkeitserfordernis nach seiner Entwicklungsgeschichte in erster Linie auf das Verhältnis des Verbandes zum Staat bezieht.92 Primär zielt es darauf ab, zwangsweise staatliche Einflussnahme zu verhindern.93 Schon aus diesem Grund sind zu strenge Anforderungen an die Freiwilligkeit in Bezug auf private Maßnahmen kritisch zu sehen. Dies gilt besonders, wenn auf diese Weise restriktive Vorgaben geschaffen würden, die der Funktionsfähigkeit des Tarifvertragssystems zuwiderlaufen. Windbichler selbst bedient sich eines funktionalen Ansatzes, indem sie in Frage stellt, ob die Umstände der Entstehung von Konzernarbeitgeberverbänden mit der von ihnen wahrzu87  Windbichler,

Arbeitsrecht im Konzern, S. 480 f. in: Dieterich, ErfK, TVG, § 2, Rn. 24; Löwisch / Rieble, TVG, § 2, Rn. 53; Gamillscheg, KollArbR I, S. 506; Höpfner in: Rieble, Arbeitsrecht im Konzern, S. 113 (139 f.); Rieble, Der Konzern 2005, 475 (479); Sattler, Tarifvereinheitlichung im Konzern, S. 109, der die Tariffähigkeit des Konzernarbeitgeberverbandes stattdessen aber an der fehlenden demokratischen Binnenorganisation scheitern sieht. 89  Sattler, Tarifvereinheitlichung im Konzern, S. 96 ff. 90  Sattler, Tarifvereinheitlichung im Konzern, S. 109. 91  Löwisch / Rieble, TVG, § 2, Rn. 53. 92  Windbichler, Arbeitsrecht im Konzern, S. 480. 93  Vgl. Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2, Rn. 276. 88  Franzen

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2. Teil: Tariffähigkeit

nehmenden Aufgabe als Sozialpartner verträglich sind.94 Allerdings zieht sie in der Folge die falschen Schlüsse, indem sie nicht nur annimmt, tariffähige Konzernarbeitgeberverbände gefährdeten das Tarifvertragssystem, sondern auch unterstellt, dass „aus dem Blickwinkel der Funktionsgerechtigkeit […] keine zwingende Notwendigkeit, Konzernarbeitgeberverbände als tariffähig anzuerkennen“ bestehe.95 Zum einen verkennt sie die Notwendigkeit der Rechtfertigung einschränkender Anforderungen: Es bedarf gerade keiner Notwendigkeit einer Anerkennung, sondern der Notwendigkeit einer Einschränkung, da mit zunehmenden Anforderungen der Schutzbereich der Koalitionsfreiheit beeinträchtigt wird.96 Zum andern übersieht sie die tarifrechtssystemimmanente Bedeutung des Arbeitgeberverbandes. Dass die Sozialpartner überwiegend einseitig die Interessen ihrer Mitglieder vertreten, ist systemimmanent. Dass auch den Arbeitgebern eine interessengerechte Organisation zumindest ermöglicht wird, ist im Hinblick auf das Gegenmachtprinzip notwendiger Bestandteil des Tarifvertragssystems.97 Konzernarbeitgeberverbände stellen – besonders aus ökonomischen Gesichtspunkten – gerade für große Konzerne ein wichtiges Instrument interessengerechter Organisation dar. Im Sinne eines funktionsfähigen Tarifvertragssystems ist dies zu berücksichtigen. Im Übrigen ist der Argumentation von Sattler und Löwisch / Rieble zu folgen. Die Möglichkeit der Einflussnahme des herrschenden Unternehmens auf die beherrschten Unternehmen ist keine Besonderheit bei Konzernarbeitgeberverbänden, sondern dem allgemein anerkannten Weisungsrecht innerhalb des Konzerns geschuldet.98 Soweit Sattler Konzernarbeitgeberverbände gleichwohl für tarifunfähig hält, weil es ihnen an der demokratischen Binnenorganisation fehle99, weil eine Gleichberechtigung unter den Mitgliedern ebenso wenig gewährleistet sei wie Meinungsund Willenspluralität, wenn die Mitglieder zueinander in einem hierarchischen Verhältnis stünden100, kann dem nicht gefolgt werden. Konsequenterweise müssen auch diese Bedenken mit Blick auf die Autonomie-Immanenz der konzerninternen Einflussnahme zurückgewiesen werden.101

94  Windbichler,

Arbeitsrecht im Konzern, S. 479. Arbeitsrecht im Konzern, S. 480. 96  Vgl. unten § 6 IV. 97  Näher unten § 6 V. 1. 98  Vgl. Sattler, Tarifvereinheitlichung im Konzern, S. 99. 99  Sattler, Tarifvereinheitlichung im Konzern, S. 110 ff. 100  Sattler, Tarifvereinheitlichung im Konzern, S. 110. 101  Näher zu den Anforderungen demokratischer Binnenorganisation unten § 7 II. 95  Windbichler,



§ 5  Voraussetzungen des Koalitionsbegriffs

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III. Besonderer Verbandszweck: Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Über die Merkmale des Vereinigungsbegriffs hinaus muss eine Koalition nach dem Wortlaut des Art. 9 Abs. 3 GG den Zweck verfolgen, die Arbeitsund Wirtschaftsbedingungen zu wahren und zu fördern. Eine Vereinigung, die diesen Zweck nicht verfolgt, ist von vornherein ungeeignet, einen Beitrag zur Ordnungsaufgabe zu leisten. Für die Bestimmung des Zwecks eines konkreten Verbandes kommt es maßgeblich auf dessen Satzung an.102 Das Begriffspaar „Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ ist nach herrschender Meinung als Einheit zu sehen.103 Die herrschende Lehre definiert dieses Begriffspaar – unter Orientierung an der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts104 – als Bedingungen, unter denen abhängige Arbeit geleistet wird.105 Demzufolge sind „Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“ weit zu verstehen, sie beschränken sich mithin ebenso wenig auf klassische Arbeitswie auf typische Wirtschaftsbedingungen.106 Aus diesem weiten Verständnis folgt, dass die Tariffähigkeit von Arbeitgeberverbänden, die eine umfassende Wahrnehmung der Interessen ihrer Mitglieder als Arbeitgeber verfolgen, regelmäßig nicht am fehlenden besonderen Verbandszweck scheitern wird. Anders verhält es sich nur, wenn eine derartige Interessenvertretung gerade nicht beabsichtigt ist. So können Wirtschaftsverbände, die sich ausschließlich mit der Verbesserung der Wirtschaftsbedingungen für ihre Mitglieder, nicht hingegen mit ihren Bedürfnissen als Arbeitgeber befassen möchten, aus diesem Grunde nicht tariffähig sein.107 IV. Keine weiteren Anforderungen des Koalitionsbegriffs Dem Koalitionsbegriff werden teils weitere Anforderungen zugerechnet. Als Ableitung aus dem besonderen Verbandszweck der Wahrung und Förderung der Wirtschafts- und Arbeitsbedingungen wird verlangt, dass Koalitionen gegnerfrei und -unabhängig, überbetrieblich organisiert und unabhängig von Staat, Parteien und Religionsgemeinschaften sind.108 Teilweise 102  Oetker

in: Wiedemann, TVG, § 2, Rn. 357. vieler Dieterich in: Dieterich, ErfK, GG, Art. 9, Rn. 23. 104  Insb. BVerfG 3.4.2001 BVerfGE 103, 293 = AP Nr. 2 zu § 10 BurlG Kur unter B. 1.; BVerfG 18.11.1954 BVerfGE 4, 96 (102 ff.). 105  Etwa Dieterich in: Dieterich, ErfK, GG, Art. 9, Rn. 23; Gamillscheg, Koll­ ArbR I, S. 219; Löwisch / Rieble in: Richardi, MünchHdb., § 155, Rn. 15. 106  Dieterich in: Dieterich, ErfK, GG, Art. 9, Rn. 23. 107  Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2, Rn. 359 m. w. N. 108  Etwa Däubler in: Däubler, TVG, Einl., Rn. 87 ff.; Löwisch / Rieble, TVG, § 2, Rn. 56 ff., jeweils m. w. N. 103  Statt

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2. Teil: Tariffähigkeit

wird auch eine demokratische Binnenorganisation zu den zwingenden Voraussetzungen der Koalitionseigenschaft gezählt.109 Richtigerweise sind diese Kriterien aber nur als Voraussetzungen der Tariffähigkeit zu verlangen.110 Bei Zugrundelegung des hier vertretenen funktionalen Verständnisses des Koalitionsbegriffs111 engen die genannten Kriterien, sofern man sie als Anforderungen des Koalitionsbegriffs versteht, den Koalitionsbegriff in nicht erforderlichem und damit unzulässigem Maße ein. Die hier genannten Kriterien zielen nicht darauf ab sicherzustellen, dass die Koalitionen zu koalitionsmäßiger Betätigung grundsätzlich geeignet sind, vielmehr tragen sie alle der besonderen Normsetzungsbefugnis Rechnung, die eben nicht allen Koalitionen, sondern nur den tariffähigen zukommt.112

§ 6  Tarifrechtsspezifische Anforderungen: Grundlagen I. Ausgestaltungsspielraum für Gesetzgeber und Rechtsprechung Der Ausarbeitung des Tarifvertragsgesetzes liegt ein verfassungsrechtlicher Ausgestaltungsauftrag in Art. 9 Abs. 3 GG zugrunde, der im Wesentlichen auf die Verwirklichung der Tarifautonomie abzielt. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Mitbestimmungsurteil113 ausdrücklich festgestellt, dass es sich bei der Koalitionsfreiheit um ein ausgestaltungsbedürftiges Grundrecht handelt. Ausgestaltungsbedürftig sind jene Grundrechte, die über einen „normgeprägten Schutzbereich“ verfügen, d. h. die dem Grundrechtsträger nicht naturgegeben, sondern erst durch eine Ausgestaltung auf einfachgesetzlicher Ebene offenstehen.114 Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG etwa gewährleistet nur das Eigentum als Rechtsinstitut, während es die Definition des Eigentumsbegriffs dem Gesetzgeber überlässt.115 Die Verwirklichung der Rundfunkfreiheit ist ebenfalls in ihren Einzelheiten dem Gesetzgeber überlassen, der eine Ordnung zu schaffen hat, die gewährleistet, dass der Rundfunk der individuellen und öffentlichen Meinungsbildung dient.116 Art. 9 Abs. 3 GG ist normgeprägt, weil er neben seinen abwehrrechtlichen Komponenten eine Einrichtungsgarantie beinhaltet, die insbesondere die 109  Etwa 110  Vgl.

Föhr, Willensbildung in den Gewerkschaften und Grundgesetz, S. 123 ff. Greiner, Rechtsfragen der Koalitions-, Tarif- und Arbeitskampfpluralität,

S. 81 ff. 111  Oben § 5 I. 112  Mit demselben Ergebnis ausführlich Greiner, Rechtsfragen der Koalitions-, Tarif- und Arbeitskampfpluralität, S. 81 ff. 113  BVerfG 1.3.1979 AP Nr. 1 zu § 1 MitbestG = BVerfGE 50, 290. 114  Pieroth / Schlink / Kingreen / Poscher, Grundrechte, Rn. 225. 115  Papier in: Maunz / Dürig, Art. 14, Rn. 12. 116  BVerfG 6.10.1992 BVerfGE 87, 181 (198).



§ 6  Tarifrechtsspezifische Anforderungen: Grundlagen47

Tarifautonomie gewährleistet.117 Wie Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG das Eigentum garantiert Art. 9 Abs. 3 GG die Tarifautonomie nur als abstraktes Rechtsinstitut. Däubler spricht von einem „relativ hohen Abstraktionsniveau“.118 Die Koalitionen benötigen ein Tarifsystem, das ihnen die autonome Regelung der Arbeitsbedingungen ermöglicht. Daher kommt dem Gesetzgeber der verfassungsrechtliche Auftrag zu, die rechtlichen Rahmenbedingungen für ein funktionsfähiges Tarifsystem zu schaffen, aufrechtzuerhalten und etwaigen Veränderungen anzupassen.119 Um diesem Ausgestaltungsauftrag gerecht zu werden, hat der Gesetzgeber in § 2 Abs. 1 TVG eine offene Regelung getroffen, die es Literatur und Rechtsprechung ermöglicht, Anforderungen zu entwickeln, die die Funktionsfähigkeit des Tarifvertragssystems gewährleisten. Damit verhält sich der Gesetzgeber grundsätzlich innerhalb der verfassungsrechtlichen Vorgaben. Denn Adressat des Ausgestaltungsauftrags ist nicht allein der Gesetzgeber. Wo dieser keine hinreichende Ausgestaltung vorgenommen hat, liegt es bei der Rechtsprechung, Ausgestaltungsräume zu füllen.120 Hiervon gehen konkret für § 2 Abs. 1 TVG auch das herrschende Schrifttum121 und das Bundesverfassungsgericht122 aus. Das Bundesverfassungsgericht hat wiederholt Anforderungen an die tarifrechtliche Koalition bestätigt, die über jene Anforderungen hinausgehen, die es an die verfassungsrechtliche Koalition stellt. Die Verfassungsrichter betonen dabei, dass sie davon ausgehen, dass Koalitionen ihre originäre Aufgabe – die Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen – auch auf andere Weise als durch den Abschluss von Tarifverträgen erfüllen können.123 Das Bundesarbeitsgericht hat sich dieser Auffassung angeschlossen.124 Es begegnet keinen systematischen Bedenken, dass durch die Annahme tarifrechtsspezifischer Anforderungen in § 2 Abs. 1  TVG und Art. 9 Abs. 3 GG verschiedene Vereinigungsbegriffe existieren. Im Hinblick auf die identische Wortwahl in § 2 Abs. 1  TVG und Art. 9 Abs. 3  GG könnte man 117  Vgl. BVerfG 1.3.1979 BVerfGE 50, 290 = AP Nr. 1 zu § 1 MitbestG, insb. unter C.  IV.  1. 118  Däubler in: Däubler, TVG, Einl., Rn. 124. 119  Vgl. Dieterich / Linsenmaier in: Dieterich, ErfK, GG, Art. 9, Rn. 83. 120  Däubler in: Däubler, TVG, Einl., Rn. 124. 121  Vgl. etwa Franzen in: Dieterich, ErfK, TVG, § 2, Rn. 7; Löwisch / Rieble, TVG, § 2, Rn. 90; Scholz in: Maunz / Dürig, Art. 9, Rn. 194. 122  BVerfG 20.10.1981 AP Nr. 31 zu § 2 TVG = BVerfGE 58, 233 (248 f.); BVerfG 1.3.1979 AP Nr. 1 zu § 1 MitbestG = BVerfGE 50, 290 (371); BVerfG 30.11.1965 AP Nr. 7 zu Art. 9 GG = BVerfGE 19, 303 (313 ff.); BVerfG 6.5.1964 AP Nr. 15 zu § 2 TVG = BVerfGE 18, 18 (26 ff.); BVerfG 18.11.1954 BVerfGE 4, 96 (106). 123  Etwa BVerfG 1.3.1979 BVerfGE 50, 290 = AP Nr. 1 zu § 1 MitbestG unter C. IV. 2. b). 124  Etwa BAG 9.7.1968 AP Nr. 25 zu § 2 TVG.

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2. Teil: Tariffähigkeit

freilich zu dem Schluss neigen, dass sich die Voraussetzungen der tariffähigen Vereinigung und der Koalition decken. Entsprechend finden sich im Schrifttum vereinzelt Stimmen, die von einem einheitlichen Vereinigungsbegriff ausgehen.125 Danach müssten die Voraussetzungen der tarifrechtlichen und der verfassungsrechtlichen Vereinigung angeglichen werden. Dies hätte aber, würde man schwerpunktmäßig die Anforderungen des tarifrechtlichen Vereinigungsbegriffs anpassen, zur Folge, dass auf mitunter wichtige Voraussetzungen der Tariffähigkeit verzichtet werden müsste. Hierdurch würde die Funktionsfähigkeit des Tarifsystems massiv gefährdet.126 Würde die Angleichung maßgeblich beim verfassungsrechtlichen Vereinigungsbegriff ansetzen, müsste dieser spürbar verengt, d. h. mit zusätzlichen Anforderungen ausgestattet werden. Vereinigungen, die die tarifrechtsspezifischen Anforderungen nicht erfüllen, würden die Gewährleistungen der Koalitionsfreiheit genommen.127 Angesichts der Bandbreite an Möglichkeiten, sich für die Verbesserung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen einzusetzen, besteht für derartige Anforderungen beim verfassungsrechtlichen Vereinigungsbegriff kein Bedürfnis. Im Übrigen wäre eine Anpassung des verfassungsrechtlichen an den tarifrechtlichen Vereinigungsbegriff verfassungsgrundsätzlich überaus bedenklich: Das Grundrecht der Koalitionsfreiheit wäre so von der fachrechtlichen Auslegung einer einfachgesetzlichen Regelung abhängig – und vor allem auch einschränkbar. Dadurch würde der besondere Schutzbereich des Grundrechts der Koalitionsfreiheit unterwandert.128 Grundsätzliche Bedenken dagegen, wortgleiche Begrifflichkeiten unterschiedlich auszulegen, bestehen ohnehin nicht. Jeder – auch mehrfach verwendete Begriff – ist stets individuell in seinem jeweiligen Kontext auszulegen.129 II. Funktionale Einordung der Anforderungen: Zugangskontrolle zur Normsetzungsbefugnis Die tarifrechtsspezifischen Anforderungen basieren funktional auf der Idee einer besonderen Zugangskontrolle. Der Abschluss von Tarifverträgen steht nicht auf einer Stufe mit den anderen Formen koalitionsmäßiger Betätigung – er ist vielmehr die bei weitem wichtigste Form.130 Tariffähigen 125  Hueck / Nipperdey, Arbeitsrecht II / 1, S. 105 f.; Nipperdey, RdA 1964, 361 f.; tendenziell auch Gamillscheg, KollArbR I, S. 528. 126  Vgl. Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2, Rn. 27. 127  Vgl. Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2, Rn. 27. 128  Vgl. BVerfG 18.11.1954 BVerfGE 4, 96 (104 f.); Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2, Rn. 29. 129  Vgl. BVerwG 9.12.2004 NVwZ-RR 2005, 399 (400). 130  BVerfG 3.4.2001 AP Nr. 2 zu § 10 BurlG Kur = BVerfGE 103, 293 (304); BVerfG 27.4.1999 BVerfGE 100, 271 (282); BVerfG 10.1.1995 AP Nr. 76 zu Art. 9



§ 6  Tarifrechtsspezifische Anforderungen: Grundlagen

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Koalitionen wird die Befugnis eingeräumt, autonom das Arbeitsleben zu ordnen, indem sie im Bereich der Tarifbindung verbindliche Regelungen schaffen.131 Diese Normsetzungsbefugnis einer nichtstaatlichen Einrichtung ist in dieser Form einzigartig in der deutschen Rechtsordnung. Ihr liegt u. a. die Idee einer effizienteren Normsetzung bei gleichzeitiger Entlastung staatlicher Institutionen zugrunde.132 Es wird allgemein davon ausgegangen, dass die Sozialpartner auf Grund der deutlich größeren Sachnähe zum einen bessere Regelungen treffen, weil sie mit den Interessen der Betroffenen vertrauter sind. Zum andern sollen sie zu diesen Regelungen auch regelmäßig mit erheblich weniger Aufwand gelangen können, als es staatlichen Institutionen möglich wäre.133 Die Tarifautonomie hat aber eine Kehrseite: Autonomie geht naturgemäß mit einem staatlichen Kontrollverlust einher, der die Gefahr birgt, dass die Qualität der Normsetzung leidet oder gar Missbrauch betrieben wird. Das Bundesverfassungsgericht hat daher schon 1954 postuliert, dem Gesetzgeber könne es „nicht gleichgültig sein, zu wessen Gunsten er sich durch die Verleihung der Tariffähigkeit seines Normsetzungsrechts begibt“.134 Dass der Gesetzgeber des Tarifvertragsgesetzes dies erkannt hat, obwohl er es nicht ausdrücklich in § 2 Abs. 1 TVG niedergelegt hat, wird deutlich erkennbar mit Blick auf die §§ 2a Abs. 1 Nr. 4, 97 Abs. 1 u. Abs. 5 S. 1 ArbGG.135 Die im Sinne einer Zugangskontrolle entwickelten Anforderungen sind auf zwei Grundanliegen zurückzuführen. Zum einen soll sichergestellt werden, dass die Tarifpartner sinnvolle Regelungen treffen, zum andern soll die Tarifmacht der Verbände gegenüber ihren Mitgliedern legitimiert werden. 1. Sicherstellung der Regelungsqualität Die Qualität der Normsetzung hängt naturgemäß von den Tarifpartnern ab  – insbesondere von ihrer Zuverlässigkeit und ihrem Verantwortungsbewusstsein. Eine Nachbesserung schlechter Tarifnormsetzung ist nicht möglich, denn auf Grund der Annahme der Richtigkeitsgewähr136 unterliegen geGG = BVerfGE 92, 26 (38); BVerfG 26.6.1991 AP Nr. 117 zu Art. 9 GG Arbeitskampf = BVerfGE 84, 212 (224); BVerfG 18.12.1974 AP Nr. 23 zu Art. 9 GG = BVerfGE 38, 281 (304); BVerfG 18.11.1954 BVerfGE 4, 96 (106). 131  Vgl. BVerfG 19.10.1966 BVerfGE 20, 312 = NJW 1966, 2305 (2305). 132  Gamillscheg, KollArbR I, S. 292. 133  Gamillscheg, KollArbR I, S. 292. 134  BVerfG 18.11.1954 BVerfGE 4, 96 (108). 135  Vgl. Greiner in: Henssler / Moll / Bepler, Der Tarifvertrag, Teil 2, Rn. 52. 136  Ausführlich BAG 28.3.2006 AP Nr. 4 zu § 2 TVG Tariffähigkeit = NZA 2006, 1112 (1116 f.).

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2. Teil: Tariffähigkeit

schlossene Tarifverträge grundsätzlich keiner Inhaltskontrolle durch Gerichte.137 Zuverlässigkeit und Verantwortungsbewusstsein der Tarifpartner können daher nur durch ein Anforderungssystem sichergestellt werden, das ungeeignete Verbände von vornherein ausschließt.138 Worin im Einzelnen „sinnvolle Tarifnormen“ zu sehen sind, ist freilich zu weiten Teilen subjektiv. Der Tarifautonomie liegen jedoch klare Motive zugrunde, an denen sich die Qualität der Tarifnormsetzung aus Sicht des Gesetzgebers bemisst und die auch Maßstab für die Auswahl geeigneter Tarifvertragsparteien sein müssen. a) Herstellung eines Kräftegleichgewichts Durch die Tarifautonomie soll ein Kräftegleichgewicht zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern hergestellt werden. Historisch gesehen versteht sich dieses Motiv als Schutzanliegen zugunsten der Arbeitnehmer, dem die Annahme zugrunde liegt, dass zwischen den Arbeitsvertragsparteien ein prinzipielles Ungleichgewicht zulasten des Arbeitnehmers besteht, der Arbeitgeber mithin unter gewöhnlichen Umständen die bedeutend bessere Verhandlungsposition inne hat. Das Bundesverfassungsgericht hat für diese Ausgangssituation die Terminologie der strukturellen Unterlegenheit des Arbeitnehmers geprägt.139 Seinen Höhepunkt hatte das beschriebene Ungleichgewicht während der industriellen Revolution, in Deutschland beginnend im frühen 19. Jahrhundert. Im Zuge des Übergangs von der Agrar- zur Industriegesellschaft strömten Arbeiter vom Land in die Städte zu den Fabriken. Hierdurch und als Folge des zu dieser Zeit rasant ansteigenden Bevölkerungswachstums entstand ein erhebliches Überangebot an Arbeitskraft.140 Dies machte ein Aufbegehren gegen die zu dieser Zeit teils ohnehin desolaten Arbeitsbedingungen aussichtslos, da der Austausch von Arbeitern problemlos möglich war.141 Die Tarifautonomie soll der Unterlegenheit Abhilfe schaffen, indem sie den Arbeitnehmern ermöglicht, dem Arbeitgeber als Kollektiv gegenüberzutreten und als solches Entgelte und Arbeitsbedingungen auszuhandeln. Auf diese Weise sollen zumindest annähernd gleichrangige Verhandlungspositionen geschaffen142 und so ein Mindestmaß an 137  Zu Ausnahmen von diesem Grundsatz siehe Löwisch / Rieble, TVG, Grundl., Rn. 217 f. 138  Vgl. BAG 28.3.2006 AP Nr. 4 zu § 2 TVG Tariffähigkeit = NZA 2006, 1112 (1116 f.). 139  BVerfG 26.6.1991 BVerfGE 84, 212 = AP Nr. 117 zu Art. 9 GG Arbeitskampf unter C.  I.  3.  b)  aa). 140  Hahn, Die industrielle Revolution in Deutschland, S. 14 f. 141  Wiedemann in: Wiedemann, TVG, Einl., Rn. 3 f. 142  Vgl. BVerfG 26.6.1991 BVerfGE 84, 212 = AP Nr. 117 zu Art. 9 GG Arbeitskampf unter C.  I.  3.  b)  aa).



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Arbeitsbedingungen sichergestellt werden.143 Darüber hinaus soll eine angemessene Beteiligung des einzelnen Arbeitnehmers am wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens gewährleistet werden. Die Tarifautonomie soll also auch eine Verteilungsfunktion erfüllen, die ebenfalls den Schutz des Arbeitnehmers bezweckt, in ihrer Zielrichtung aber über die Schutzfunktion hinausgeht. Auf Grund der Nähe zueinander werden Schutz- und Verteilungsfunktion in der Literatur nicht konsequent getrennt. So sieht etwa Däubler in der Verteilungsfunktion keine gesonderte Funktion der Tarifautonomie.144 Überwiegend findet die Verteilungsfunktion aber eigenständige Beachtung in der Literatur.145 Dies hat seine Berechtigung, denn die Verteilungsfunktion der Tarifautonomie meint nicht nur, dass der einzelne Arbeitnehmer isoliert betrachtet angemessen am Ergebnis seiner Arbeitsleistung beteiligt werden soll; sie zielt vielmehr gleichermaßen auf die Schaffung einer Entgeltgerechtigkeit unter den tarifgebundenen Arbeitnehmern146 – und weist damit eine deutlich von der Schutzfunktion abweichende Zielrichtung auf.147 Die kollektivvertragliche Verteilung soll sicherstellen, dass die Vergütungen der tarifgebundenen Arbeitnehmer in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen. Anders als die individualvertragliche Aushandlung durch den einzelnen Arbeitnehmer kann sich die kollektivvertragliche Regelung konsequent an der zu verteilenden Gesamtsumme orientieren und diesen Vorteil in den Dienst einer gerechten Verteilung stellen.148 Gerecht meint dabei nicht zwingend ausschließlich leistungsgerecht; die Maßstäbe der Verteilung sollen vielmehr auch einer gewissen Bedürfnisorientierung folgen.149 Die autonome Möglichkeit der Herstellung eines Kräftegleichgewichts soll außerdem eine sozialen Frieden stiftende Wirkung haben.150 Man kann insofern von einer Friedensfunktion der Tarifautonomie sprechen, die in der Friedenspflicht Niederschlag findet. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts wohnt dem Tarifvertrag eine beiderseitige Friedens143  Franzen in: Dieterich, ErfK, TVG, § 1, Rn. 2; Rieble / Klumpp in: Richardi, MünchHdb., § 162, Rn. 25. 144  Däubler in: Däubler, TVG, Einl., Rn. 77 ff. 145  Etwa Treber in: Schaub, ArbR-Hdb., § 197, Rn. 4; Wiedemann in: Wiedemann, TVG, Einl., Rn. 7 ff.; Rieble / Klumpp in: Richardi, MünchHdb., § 163, Rn. 31. 146  A. A. insb. Greiner, RdA 2015, 36 (36); Thüsing / van Medem, ZIP 2007, 510 (515), die sich im Zuge der aktuellen Diskussionen für den Grundsatz der Tarifpluralität aussprechen und insbesondere eine Verteilungsfunktion der Tarifautonomie nicht als Argument für eine gesetzlich verordnete Tarifeinheit gelten lassen wollen. 147  Treber in: Schaub, ArbR-Hdb., § 197, Rn. 4. 148  Vgl. Wiedemann, RdA 1997, 297 (298). 149  Wiedemann in: Wiedemann, TVG, Einl., Rn. 8; Wiedemann in: 25 Jahre BAG, S. 635  (641). 150  Vgl. etwa BVerfG 20.10.1981 BVerfGE 58, 233 = AP Nr. 31 zu § 2 TVG unter B. I. 2.

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2. Teil: Tariffähigkeit

pflicht wesensmäßig inne, die jede Tarifvertragspartei zur Unterlassung von Arbeitskampfmaßnahmen gegen den Tarifvertrag verpflichtet.151 Zur Befriedung soll maßgeblich beitragen, dass die Betroffenen eine autonome Regelung treffen. Das Bewusstsein, selbst an der Regelung mitgewirkt zu haben, führt zu einer deutlich gesteigerten Akzeptanz seitens der Beteiligten.152 b) Gewährleistung gesamtwirtschaftlich sinnvoller Regelungen Der Verfassungsgeber verspricht sich von der Tarifautonomie nicht nur die Herstellung eines Kräftegleichgewichts, sondern auch Tarifregelungen, die gesamtwirtschaftlich sinnvoll sind. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinen Entscheidungen wiederholt formuliert, Zweck des Tarifvertragssystems sei insbesondere die sinnvolle Ordnung des Arbeitslebens.153 Das Bundesarbeitsgericht spricht mitunter von der Ordnungsaufgabe der Tarifvertragsparteien, die darin bestehe, die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu wahren und zu fördern.154 Die Ordnungsaufgabe erfüllen die Koalitionen nicht ausschließlich durch den Abschluss von Tarifverträgen, sondern auch durch andere koalitionsmäßige Betätigungen wie die Mitbestimmungstätigkeit der Gewerkschaften oder die Vertretung ihrer Mitglieder vor Gericht durch Gewerkschaften wie Arbeitgeberverbände. Gleichwohl spricht die Rechtsprechung in diesen Formulierungen auch gerade der Tarifautonomie eine Ordnungsfunktion zu.155 Diese fasst als übergeordnete Terminologie drei Funktionen zusammen: Erstens sollen Tarifverträge zu einer Vereinheitlichung der Arbeitsbedingungen beitragen, d. h. ihnen kommt eine Kartellfunktion zu. Indem sie die Mindestarbeitsbedingungen einheitlich festlegen, verhindern sie im tarifgebundenen Bereich jeden Wettbewerb um die Arbeitskosten.156 Der zweite Bestandteil der Ordnungsfunktion besteht in der Staatsentlastung. Der Staat gibt die Aufgabe, die Arbeitsbedingungen fair zu ordnen, an die Tarifvertragsparteien ab, um sich selbst zu entlasten.157 Die Funktion der Staatsentlastung geht einher mit der dritten Funktion: der effizienten Erzielung sinnvoller Regelungen. Es wird allgemein davon ausge151  BAG

21.12.1982 AP Nr. 76 zu Art. 9 GG Arbeitskampf unter A. II. 1. a). in: Wiedemann, TVG, Einl., Rn. 26. 153  Etwa BVerfG 6.5.1964 AP Nr. 15 zu § 2 TVG = BVerfGE 18, 18 (27); BVerfG 18.11.1954 BVerfGE 4, 96 (107). 154  BAG 9.6.1982 AP Nr. 1 zu § 1 TVG Durchführungspflicht. 155  Zu beachten ist, dass die Ordnungsfunktion der Tarifautonomie in letzter Zeit – wie die Verteilungsfunktion vor allem im Zusammenhang mit der Diskussion Tarifeinheit vs. Tarifpluralität – zunehmend in Frage gestellt wird, vgl. etwa Löwisch / Rieble, TVG, Grundl., Rn. 36 ff. m. w. N. 156  Franzen in: Dieterich, ErfK, TVG, § 1, Rn. 2. 157  Gamillscheg, KollArbR I, S. 292. 152  Wiedemann



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gangen, dass die Sozialpartner auf Grund der deutlich größeren Sachnähe sachgerechtere Regelungen treffen, weil sie mit den Interessen der Betroffenen besser vertraut sind – und dies mit regelmäßig erheblich weniger Aufwand, als es staatlichen Institutionen möglich wäre.158 Auch der oben dargestellten Verteilungsfunktion kommt neben dem Arbeitnehmerschutz zusätzlich eine gesamtwirtschaftliche Bedeutung zu.159 Denn Tarifverträge beeinflussen die Lohnstruktur in der gesamten Volkswirtschaft. Insofern kann man von einer Orientierungsfunktion der Tarifverträge sprechen.160 Tarifverträge wirken nicht ausschließlich auf die tarifgebundenen Parteien, vielmehr wird an verschiedenen Stellen erkennbar, dass sie auch außerhalb der Tarifbindung Einfluss üben. Zuvorderst entsteht dieser Einfluss dadurch, dass viele Arbeitsverträge zwischen Arbeitsvertragsparteien ohne Tarifbindung auf einen Tarifvertrag Bezug nehmen. Im Jahr 2012 war bei 52 % aller nicht tarifgebundenen Arbeitsverhältnisse eine Orientierung an bestehenden Flächentarifverträgen zu verzeichnen.161 Darüber hinaus orientiert sich die Rechtsprechung an bestehenden Tarifverträgen, um die übliche Vergütung im Sinne des § 612 Abs. 2  BGB zu bestimmen.162 Der gesamtwirtschaftlichen Bedeutung wird in der Literatur teils ihre Eigenschaft als Funktion der Tarifautonomie abgesprochen. Zwar wird nicht in Abrede gestellt, dass Tarifverträge sich auf das nationale Lohngefüge auswirken können. Dies wird aber – unter Hinweis auf die Mitgliederbezogenheit des Regelungsinstruments Tarifvertrag – allein als Reflex bewertet, aus dem keine Funktion abgeleitet werden könne.163 Speziell die Kartellfunktion sei nur eine „Kartellwirkung“, weil sie lediglich ökonomische Auswirkungen beschreibe, die indes kein Resultat normativer Festlegung seien.164 Es ist jedenfalls davon auszugehen, dass dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der Tarifautonomie die gesamtwirtschaftlichen Konsequenzen nicht gleichgültig sind.165 Es ist nicht ersichtlich, wieso der Arbeitnehmerschutz ein derart überragendes Interesse des Staates sein soll, dass dahinter andere volkswirtschaftliche Belange vollständig zurücktreten. Im Gegenteil ist davon auszugehen, dass der Staat durch die Tarifautono158  Gamillscheg,

KollArbR I, S. 292. allem Wiedemann in: Wiedemann, TVG, Einl., Rn. 7 ff. 160  Treber in: Schaub, ArbR-Hdb., § 197, Rn. 7. 161  Hans-Böckler-Stiftung, Statistisches Taschenbuch Tarifpolitik 2014, Ta­bel­ le 1.7. 162  Etwa BAG 26.5.1993 AP Nr. 2 zu § 612 BGB Diskriminierung = NZA 1993, 1049  (1050). 163  Rieble / Klumpp in: Richardi, MünchHdb., § 163, Rn. 31. 164  Däubler in: Däubler, TVG, Einl., Rn. 83a; Franzen in: Dieterich, ErfK, TVG, § 1, Rn. 2. 165  Vgl. Löwisch, ZfA 1970, 295 (303). 159  Vor

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mie gerade Tarifregelungen ermöglichen will, die die divergierenden Interessen zu einem – auch gesamtwirtschaftlich gesehen – bestmöglichen Kompromiss hinführen. 2. Mitgliederschutz zwecks Legitimation der Tarifmacht Neben dem Ziel einer sinnvollen Normsetzung verfolgen Gesetzgeber und Rechtsprechung mit den tarifrechtsspezifischen Anforderungen den Zweck, die Auswirkungen der Tarifautonomie auf die von der Tarifnormsetzung unmittelbar Betroffenen zu rechtfertigen. Löwisch spricht vom Leitgedanken des „Legitimationsinteresses der Tarifunterworfenen“.166 Durch die Tarifautonomie setzt der Staat Arbeitgeber und Arbeitnehmer der Tarifnormsetzung nichtstaatlicher Einrichtungen aus und schränkt sie selbst in ihren Regelungsbefugnissen ein.167 Rechte der betrieblichen Mitbestimmung werden – jedenfalls potentiell – eingeschränkt, gesetzliche Schutzvorschriften werden zur Disposition der Tarifpartner gestellt. Um dies zu rechtfertigen, sind Gesetzgeber und Rechtsprechung darauf bedacht, möglichst große Transparenz für die (potentiell) Tarifunterworfenen herzustellen. Vor allem aber wollen sie durch tarifrechtsspezifische Anforderungen vermeiden, dass Verbände ihre Machtstellung auf Kosten ihrer Mitglieder missbrauchen.168 Es geht also vorrangig um Kriterien des Mitgliederschutzes, zu dem der Staat verpflichtet ist, weil er Individuen der Tarifmacht nichtstaatlicher Einrichtungen überlässt. Nicklisch formuliert anschaulich, die zum Schutz der Mitglieder postulierten Anforderungen seien als „Korrelat zu ihrer Unterwerfung unter die Verbandsgewalt“ zu verstehen.169 Mittelbar dürften auch die aus diesen Erwägungen heraus entstehenden Anforderungen einer sinnvollen Tarifnormsetzung zuträglich sein, denn sie sorgen für Vertrauen der Mitglieder in die Verbände und stärken so die Tarifautonomie insgesamt. Hintergrund des Schutzbedürfnisses ist nach hier vertretener Auffassung die Bindung an rechts- und sozialstaatliche Grundsätze. Obwohl es sich bei den Koalitionen um nichtstaatliche Einrichtungen handelt, muss sich die Tariffähigkeit an rechtsstaatlichen Grundsätzen messen lassen, weil die tariffähigen Koalitionen ihre Normsetzungsbefugnis jedenfalls auch durch staatliche Delegation erhalten. Der Grundsatzstreit, ob die Tarifmacht der Tarifvertragsparteien am ehesten mit der Delegationslehre oder der Legiti166  Löwisch,

ZfA 1970, 295 (318). Löwisch, ZfA 1970, 295 (303). 168  Vgl. Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2, Rn. 12. 169  Nicklisch, FS Schiedermair, S. 459 (474). 167  Vgl.



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mationslehre – als vermittelnde Auffassung wird inzwischen auch vermehrt eine Mischtheorie170 vertreten – erklärt werden kann, soll hier nicht erschöpfend behandelt werden.171 Nicht zielführend erscheint indes jedenfalls, der Tarifnormsetzungsbefugnis jeden delegatorischen Ursprung abzusprechen. Obwohl in der Literatur inzwischen wohl mehrheitlich vertreten, kann demnach der reinen Legitimationslehre nicht gefolgt werden. Entscheidend spricht gegen diese Auffassung, dass sie nicht zufriedenstellend erklären kann, auf welcher Grundlage die Tarifvertragsparteien zur Setzung objektiv verbindlicher Rechtsnormen berechtigt sein sollen.172 Dies gilt besonders mit Blick auf den Arbeitgeber ohne Verbandszugehörigkeit, der im Wege des Arbeitskampfes zu einem Unternehmenstarifvertrag gezwungen werden kann.173 Im Übrigen können auf Grundlage der reinen Legitimationslehre die tarifrechtsspezifischen Anforderungen, die eine sinnvolle Normsetzung gewährleisten sollen – insbesondere das Mächtigkeitskriterium – kaum schlüssig begründet werden. Den Begründungsansätzen lässt sich stets entgegenhalten, eine vollständig privatautonom begründete Tarifnormsetzungsbefugnis verbiete gerade jede staatliche Einmischung durch spezifische Anforderungen an die Tariffähigkeit.174 Die Legitimationslehre konsequent angewendet, müsste man wohl von tarifrechtsspezifischen Anforderungen generell absehen.175 Dieser Schluss stünde aber im krassen Widerspruch zur höchstrichterlichen Rechtsprechung, die einzelne tarifrechtsspezifische Anforderungen ausdrücklich anerkennt.176

170  Insb. Greiner, Rechtsfragen der Koalitions-, Tarif- und Arbeitskampfpluralität, S. 99 ff. 171  Ausführliche Darstellung des Streits mit umfangreichen Verweisen bei Thüsing in: Wiedemann, TVG, § 1, Rn. 42 ff. 172  Franzen in: Dieterich, ErfK, TVG, § 1, Rn. 6. 173  Vgl. Greiner, Rechtsfragen der Koalitions-, Tarif- und Arbeitskampfpluralität, S. 101. 174  Vgl. Grunsky, JZ 1977, 473 f. und dessen Gedanken aufnehmend Greiner, Rechtsfragen der Koalitions-, Tarif- und Arbeitskampfpluralität, S. 214. 175  Vgl. Greiner in: Henssler / Moll / Bepler, Der Tarifvertrag, Teil 2, Rn. 37. 176  Vgl. insbesondere die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum Erfordernis der sozialen Mächtigkeit als Voraussetzung der Tariffähigkeit einer Gewerkchaft: BAG 28.3.2006 AP Nr. 4 zu § 2 TVG Tariffähigkeit; BAG 14.12.2004 AP Nr. 1 zu § 2 TVG Tariffähigkeit; BAG 6.6.2000 AP Nr. 55 zu § 2 TVG; BAG 16.11.1982 AP Nr. 32 zu § 2 TVG; BAG 14.3.1978 AP Nr. 30 zu § 2 TVG; BAG 15.3.1977 AP Nr. 24 zu Art. 9 GG; BAG 23.4.1971 AP Nr. 2 zu § 97 ArbGG 1953; BAG 9.7.1968 AP Nr. 25 zu § 2  TVG; siehe hierzu auch unten § 7 III.

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III. Verfassungsdogmatische Einordnung der Anforderungen Die tarifrechtsspezifischen Anforderungen sind im Einzelnen teils heftig umstritten.177 Teilweise werden tarifrechtsspezifische Anforderungen pauschal bereits in ihrem Grundanliegen für verfassungswidrig gehalten.178 Offenkundig ist, dass sich zusätzliche Voraussetzungen auf den Schutzbereich der Koalitionsfreiheit auswirken. Jedes zusätzliche Kriterium schließt potentiell Koalitionen von der Möglichkeit aus, wirksame Tarifverträge zu schließen und versagt diesen damit den bedeutendsten Teil der koalitionsspezifischen Betätigung. Wie diese Wirkung grundsätzlich – d. h. ohne nähere Auseinandersetzung mit den konkreten Kriterien – verfassungsrechtlich zu bewerten ist, ist umstritten.179 Einige sehen darin unter Hinweis auf die kollektive Betätigungsfreiheit einen Grundrechtseingriff180, andere klassifizieren sie mit Blick auf die Institutsgarantie und den damit verbundenen Ausgestaltungsauftrag als Grundrechtsausgestaltung181. Da Eingriff und Ausgestaltung im Verhältnis zum jeweils anderen ein Aliud darstellen182, bedarf die Frage nach der verfassungsrechtlichen Einordnung einer Klärung. Von ihr hängt ab, unter welchen Voraussetzungen die tarifrechtsspezifischen Anforderungen im Einzelnen Bestand haben können. Als kollektives Abwehrrecht schützt Art. 9 Abs. 3 GG die Koalitionen vor staatlichen Eingriffen. Geschützt ist neben der freien Gründung von Koalitionen vor allem auch die freie koalitionsmäßige Betätigung.183 Zu dieser zählen nach heutiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts „alle koalitionsspezifischen Verhaltensweisen“184, also auch alle Tätigkeiten, die im Zusammenhang mit dem Abschluss von Tarifverträgen stehen. Kriterien, die Koalitionen von dieser Betätigung ausschließen, beeinträchtigen die kollektive Koalitionsfreiheit. Ohne ihre finale verfassungsrechtliche Einordnung vorwegzunehmen ist festzustellen, dass die tarifrechtsspezifischen Anforderungen zumindest Eingriffscharakter aufweisen. Gleichwohl lassen einen Überblick siehe Franzen in: Dieterich, ErfK, TVG, § 2, Rn. 7 ff. Stein in: Kempen / Zachert, TVG, § 2, Rn. 112 in Bezug auf tarifrechtsspezifische Anforderungen beim Arbeitgeberverband. 179  Vgl. hierzu Däubler in: Däubler, TVG, Einl., Rn. 124, 130a; Löwisch / Rieble, TVG, Grundl., Rn. 95 ff.; Dieterich, RdA 2002, 1 (11). 180  Höfling in: Sachs, GG, Art. 9, Rn. 62; Höfling, RdA 1999, 182 (185); Bayreuther, BB 2005, 2633  (2636). 181  Kannengießer in: Schmidt-Bleibtreu, GG, Art. 9, Rn. 27; Greiner in: Henssler / Moll / Bepler, Der Tarifvertrag, Teil 2, Rn. 43; Richardi, FS Wißmann, S. 159 (170); Wank / Schmidt, RdA 2008, 257 (266 f.). 182  So auch Burkiczak, Grundgesetz und Deregulierung, S. 159. 183  Oben § 5 I. 184  Insb. BVerfG 24.2.1999 BVerfGE 100, 214 = AP Nr. 18 zu § 20 BetrVG 1972 unter B.  II.  1. 177  Für 178  So



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sich die Anforderungen verfassungsdogmatisch nicht ohne Weiteres als Grundrechtseingriffe einordnen. Die tarifrechtsspezifischen Anforderungen sind Teil des Tarifvertragssystems, das der Gesetzgeber und die Rechtsprechung geschaffen haben, um der Ausgestaltungsbedürftigkeit der Koalitionsfreiheit Rechnung zu tragen.185 Ihnen kommt mithin zweifellos auch Ausgestaltungscharakter zu. Zu der Frage, wie die tarifrechtsspezifischen Anforderungen vor diesem Hintergrund grundrechtsdogmatisch einzuordnen sind, hat sich im Schrifttum noch keine klar herrschende Meinung herausgebildet. Einige werten sie als Eingriff, ohne ihrem Ausgestaltungscharakter bei der Frage der Einordnung Bedeutung beizumessen.186 Ob bestimmte Einschränkungen unter funktionalen Gesichtspunkten sinnvoll sind, ändere an der grundrechtsdogmatischen Einordnung als Eingriff nichts, sondern könne allenfalls im Rahmen der Eingriffsrechtfertigung berücksichtigt werden.187 Hiervon ist früher auch das Bundesarbeitsgericht ausgegangen. In seiner zweiten Entscheidung zur Tariffähigkeit der Christlichen Gewerkschaft Metall (CGM) hat es im Erfordernis der organisatorischen Leistungsfähigkeit einen „Eingriff in die Betätigungsfreiheit“ der Gewerkschaft gesehen und dessen verfassungsrechtliche Rechtfertigung geprüft.188 Diese Auffassung lässt die besondere Konfliktlage außer Acht, in der sich Gesetzgeber und Rechtsprechung durch den komplexen Schutzbereich der Koalitionsfreiheit befinden. Auf der einen Seite trifft sie die verfassungsgegebene Pflicht189, die Voraussetzungen für ein praktikables Tarifsystem zu schaffen. Auf der anderen Seite müssen sie die durch eben dieses System geschaffene Autonomie der Koalitionen achten.190 Der Ausgestaltungsgeber bewegt sich dabei auf einem schmalen Grat der Verfassungskonformität. Kommt er dem Ausgestaltungsauftrag nicht oder nicht in hinreichendem Umfang nach, verstößt er gegen das jedem Ausgestaltungsauftrag innewohnende Untermaßverbot.191 Beeinträchtigt er durch die Ausgestaltung den Schutzbereich des Grundrechts, kann darin ein Verfassungsverstoß liegen, weil die Maßnahme dann als Eingriff zu qualifizieren ist, der für seine 185  Näher

oben § 6 I. Höfling in: Sachs, GG, Art. 9, Rn. 62; Höfling, RdA 1999, 182 (185); Bayreuther, BB 2005, 2633 (2636). 187  Höfling, RdA 1999, 182 (185). 188  BAG 28.3.2006 AP Nr. 4 zu § 2 TVG Tariffähigkeit = NZA 2006, 1112 (1115 ff.). 189  Vgl. Wiedemann, TVG, Einl., Rn. 91. 190  Vgl. Dieterich / Linsenmaier in: Dieterich, ErfK, GG, Art. 9, Rn. 82; Dieterich formuliert in RdA 2002, 1 (11) anschaulich, der Gesetzgeber habe „die Mauer selbst zu errichten, die vor ihm schützen soll“. 191  Dieterich / Linsenmaier in: Dieterich, ErfK, GG, Art. 9, Rn. 86. 186  Etwa

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Verfassungsmäßigkeit einer Rechtfertigung bedarf. Das Problem besteht darin, dass es dem Ausgestaltungsgeber praktisch nicht möglich ist, dem Ausgestaltungsauftrag nachzukommen, ohne dass dieser auch Eingriffscharakter hat. Zwar existieren Abgrenzungsdefinitionen: Entsprechend den obigen Ausführungen soll es sich um eine Ausgestaltung handeln, wenn die Regelungen erst die „Voraussetzungen für eine Wahrnehmung“ des Grundrechts bilden192, während ein Eingriff vorliegen soll, wenn der Schutzbereich des Grundrechts verkürzt wird und die Verhaltensmöglichkeiten des Grundrechtsberechtigten beschränkt werden193 – oder noch abstrakter, wenn der „Schutzbereich der abwehrrechtlichen Grundrechtsdimension negativ betroffen ist“194. Es liegt jedoch in der Natur der Sache, dass ein erheblicher Teil der Ausgestaltungsregelungen auch den Schutzbereich der Koalitionsfreiheit beeinträchtigt. Reine Ausgestaltungen liegen nur vor, soweit nicht mehr als das „abstrakte Instrumentarium“ zur Verfügung gestellt wird.195 Der Ausgestaltungsauftrag des Art. 9 Abs. 3  GG geht aber erheblich weiter. Er zielt ganz wesentlich darauf ab, kollidierende Interessen zu koordinieren.196 Der Arbeitswelt sind Konflikte zwischen den Trägern der individuellen und der kollektiven Koalitionsfreiheit ebenso immanent wie Konflikte innerhalb der kollektiven Koalitionsfreiheit, d. h. unter den sozialen Gegenspielern. Der Ausgestaltungsgeber kann also dem Ausgestaltungsauftrag praktisch nicht sachgerecht nachkommen, ohne dass es zu Schutzbereichsbeeinträchtigungen kommt.197 Der Eingriffscharakter ist damit im Ausgestaltungsauftrag angelegt. Eine generelle verfassungsrechtliche Einordnung als Eingriff liefe dem verfassungsgegebenen Ausgestaltungsauftrag zuwider. Die Eingriffsvertreter wenden sinngemäß ein, die Kriterien stellten generell keinen möglichen Ausgestaltungsgehalt dar. Unter Ablehnung der Delegationslehre198 meint Bayreuther, die Tariffähigkeit werde den Koalitionen nicht vom Staat im Wege einer in seinem Ermessen stehenden Ausgestaltung verliehen. Jede Koalition habe vielmehr mit ihrer Gründung einen sich unmittelbar aus Art. 9 Abs. 3 GG ergebenden Anspruch auf Teilhabe an der Tarifautonomie.199 Höfling argumentiert ähnlich, die Umsetzung der Gestaltungsspielräume, die Art. 9 Abs. 3 GG als Freiheitsrecht eröffnet, sei „zu192  BVerfG

10.1.1995 BVerfGE 92, 26 = AP Nr. 76 zu Art. 9 GG unter B. II. b) bb). in: Däubler, TVG, Einl., Rn. 125b. 194  Burkiczak, Grundgesetz und Deregulierung, S. 154. 195  Däubler in: Däubler, TVG, Einl., Rn. 130a. 196  Vgl. Dieterich / Linsenmaier in: Dieterich, ErfK, GG, Art. 9, Rn. 84. 197  Vgl. Dieterich / Linsenmaier in: Dieterich, ErfK, GG, Art. 9, Rn. 84. 198  Siehe hierzu überblicksweise m. w. N. Thüsing in: Wiedemann, TVG, § 1, Rn. 42 ff.; außerdem oben § 6 II. 2. 199  Bayreuther, BB 2005, 2633 (2636). 193  Däubler



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nächst einmal der Entscheidung der jeweiligen Grundrechtsträger überantwortet“. Art. 9 Abs. 3 GG sehe unter den Koalitionen ein „freies Spiel der Kräfte“ vor.200 Wenn man annimmt, jeder Koalition sei bereits aus Art. 9 Abs. 3 GG der Zugang zur Tarifautonomie gewährleistet, muss man in der Tat schließen, dass der Eingriffscharakter überwiegt. Allerdings ist dieser Annahme nicht zu folgen. Mit der Gegenauffassung201, die die tarifrechtsspezifischen Anforderungen als Ausgestaltung bewertet, ist davon auszugehen, dass es im Ausgestaltungsspielraum liegt, den Zugang der Koalitionen zur Tarifautonomie zu regulieren. Es ist nicht erkennbar, dass sich aus Art. 9 Abs. 3 GG konkrete Mindestanforderungen an das Tarifvertragssystem ergeben, nach denen allen Koalitionen der Zugang zur Tarifautonomie gewährt werden muss. In diesem Sinne ist auch das Mitbestimmungsurteil des Bundesverfassungsgerichts zu verstehen, das dem Ausgestaltungsgeber einen „weiten Spielraum zur Ausgestaltung“ einräumt.202 Freilich kann das nicht bedeuten, dass jede Regelung auf dem Gebiet des Tarifrechts der Einordnung als Eingriff entzogen ist. Das darf vielmehr nur für solche Regelungen gelten, mit denen unmittelbar der Ausgestaltungsauftrag verfolgt wird. Richtigerweise ist daher die Abgrenzung anhand des Regelungsziels vorzunehmen. Wank / Schmidt schlagen eine Abgrenzung „nach Zielrichtung, Inhalt und Rechtscharakter“ vor203; Maschmann, der ebenfalls maßgeblich auf das Regelungsziel abstellt, will einen Eingriff erst sehen, wenn die Tarifautonomie zugunsten eines anderen Rechtsguts beeinträchtigt wird204. Danach fällt die Abgrenzungsfrage bei den tarifrechtsspezifischen Anforderungen zugunsten einer Einordnung als Ausgestaltung aus, denn sie zielen unmissverständlich auf die Sicherung der Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie. Hierin unterscheiden sie sich von anderen Regelungen, die ebenfalls unter der Abgrenzungsproblematik diskutiert werden. Dabei geht es namentlich um Regelungen, die konkrete materielle Arbeitsbedingungen dem Regelungsbereich der Koalitionen entziehen, indem sie eine Abweichung durch Tarifvertrag verbieten. Als Beispiel205 eignet sich die Tarifsperre in § 1 Abs. 1 S. 2 WissZeitVG, die eine tarifvertragliche Abweichung von den in §§ 2, 3 WissZeitVG geregelten Befristungsgrundsätzen 200  Höfling,

RdA 1999, 182 (185). in: Däubler, TVG, Einl., Rn. 127; Kannengießer in: Schmidt-Bleibtreu, GG, Art. 9, Rn. 27; Greiner in: Henssler / Moll / Bepler, Der Tarifvertrag, Teil 2, Rn. 43; Richardi, FS Wißmann, S. 159 (170); Wank / Schmidt, RdA 2008, 257 (266 f.). 202  BVerfG 1.3.1979 BVerfGE 50, 290 = AP Nr. 1 zu § 1 MitbestG unter B. IV. 1. 203  Wank / Schmidt, RdA 2008, 257 (266 f.). 204  Maschmann, Tarifautonomie im Zugriff des Gesetzgebers, S. 64 f. u. S. 183 ff. 205  Auf das Däubler in: Däubler, TVG, Einl., Rn. 131 verweist. 201  Däubler

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ausschließt.206 Hier ist teils schwer zu sagen, welche Motive die Regelung maßgeblich prägen. Die tarifrechtsspezifischen Tariffähigkeitsvoraussetzungen indes beschränken die Tarifautonomie, um dieselbe zu sichern. Einzelne Koalitionen werden ausgeschlossen, um die Tarifautonomie insgesamt zu gwährleisten und funktionsfähig zu halten. Hier ist das Regelungsziel zweifelsfrei identifizierbar207, denn das beeinträchtigte Rechtsgut ist identisch mit dem Rechtsgut, dem die Regelung zugutekommen soll. Unter Zugrundelegung der Annahme, dass die Tarifnormsetzung jedenfalls auch delegatorisch geprägt ist208, ist davon auszugehen, dass den Koalitionen durch die Koalitionsfreiheit keine uneingeschränkte Regelungskompetenz eingeräumt ist. Mit Greiner entspricht die Einordnung der tarifrechtsspezifischen Tariffähigkeitsanforderungen als Ausgestaltung daher viel eher dem „Verhältnis von staatlicher und tarifautonomer Normset­ zung“.209 Inzwischen teilt auch das Bundesarbeitsgericht diese Einschätzung. Es hat 2008 in einem Aussetzungsverfahren nach § 97 ArbGG, in dem es um die Tariffähigkeit der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen ging210, und 2011 in einer Entscheidung zur Tariffähigkeit der Gewerkschaft für Kunststoff­ gewerbe und Holzverarbeitung211 tarifrechtsspezifische Anforderungen als Ausgestaltung behandelt. IV. Grenzen Um sich im Rahmen des Verfassungsauftrags zu bewegen, muss sich die Ausgestaltung „am Normziel von Art. 9 Abs. 3 GG orientieren“.212 Restriktiver ausgedrückt findet der Ausgestaltungsspielraum seine Grenzen „am objektiven Gehalt des Art. 9 Abs. 3 GG“.213 Der Ausgestaltende soll sich „von dem Gedanken leiten lassen, dass das Grundrecht möglichst umfas206  Für Einzelheiten siehe Schmidt in: Ascheid / Preis / Schmidt, Kündigungsrecht, § 2 WissZeitVG, Rn. 26. 207  Insofern gelten für die Einordnung der tarifrechtsspezifischen Anforderungen auch nicht die von Löwisch / Rieble, TVG, Grundl., Rn. 95 geäußerten Bedenken, die Orientierung am Regelungsziel mache die Abgrenzung von einer „unmöglichen Motivkontrolle des Gesetzgebers“ abhängig. 208  Vgl. oben § 6 II. 2. 209  Greiner, Rechtsfragen der Koalitions-, Tarif- und Arbeitskampfpluralität, S. 73 ff.; Greiner in: Henssler / Moll / Bepler, Der Tarifvertrag, Teil 2, Rn. 43. 210  BAG 28.1.2008 AP Nr. 17 zu § 97 ArbGG 1979 Nr. 9. 211  BAG 5.10.2010 AP Nr. 7 zu § 2 TVG Tariffähigkeit. 212  BVerfG 10.1.1995 BVerfGE 92, 26 = AP Nr. 76 zu Art. 9 GG unter B. II. b) bb). 213  BVerfG 4.7.1995 BVerfGE 92, 365 = AP Nr. 4 zu § 116 AFG unter C. I. 1. c).



§ 6  Tarifrechtsspezifische Anforderungen: Grundlagen61

send realisiert wird“.214 Das übergeordnete Anliegen der Koalitionsfreiheit ist die Verwirklichung der Tarifautonomie, schließlich liegt im Abschluss von Tarifverträgen zweifellos die wichtigste koalitionsmäßige Betätigung.215 Für die Ausgestaltung bedeutet dies, dass sie konsequent im Dienste der Verwirklichung der Tarifautonomie stehen muss – keinesfalls darf die Ausgestaltung die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie gefährden.216 Dabei muss das Leitbild eine Tarifautonomie sein, die die oben217 dargestellten Funktionen erfüllt: die also zuverlässige Tarifvertragsparteien ebenso wie eine hinreichende Legitimation dieser gegenüber ihren Mitgliedern sicherstellt. Der Ausgestaltungsauftrag räumt dem Ausgestaltungsgeber einen weiten Gestaltungsspielraum ein.218 Der Ausgestaltungsgeber verhält sich daher verfassungskonform, solange er seine Ausgestaltung streng am Normziel des Art. 9 Abs. 3 GG ausrichtet. Die Anforderungen bleiben insofern hinter denen der Eingriffsrechtfertigung zurück, die eine umfassende Verhältnismäßigkeitsprüfung erfordert. Dies gilt in dem Maße allerdings nur für „reine Ausgestaltungen“219. Geht die Ausgestaltung indes – wie bei den tarifrechtsspezifischen Anforderungen – mit einer Beeinträchtigung des freiheitsrechtlichen Schutzbereichs einher, müssen die Anforderungen denen der Eingriffsrechtfertigung angenähert werden.220 Sie sind dann ebenfalls an einer umfassenden Verhältnismäßigkeitsprüfung zu messen.221 Davon geht auch das Bundesarbeitsgericht aus, das solche tarifrechtsspezifischen Anforderungen als verfassungswidrig ablehnt, die „nicht zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie geeignet, erforderlich und angemessen 214  Däubler

in: Däubler, TVG, Einl., Rn. 129. 3.4.2001 AP Nr. 2 zu § 10 BurlG Kur = BVerfGE 103, 293 (304); BVerfG 27.4.1999 BVerfGE 100, 271 (282); BVerfG 10.1.1995 AP Nr. 76 zu Art. 9 GG = BVerfGE 92, 26 (38); BVerfG 26.6.1991 AP Nr. 117 zu Art. 9 GG Arbeitskampf = BVerfGE 84, 212 (224); BVerfG 18.12.1974 AP Nr. 23 zu Art. 9 GG = BVerfGE 38, 281 (304); BVerfG 18.11.1954 BVerfGE 4, 96 (106). 216  BVerfG 4.7.1995 BVerfGE 92, 365 = AP Nr. 4 zu § 116 AFG unter C. I. 1. c). 217  § 6 II. 218  Vgl. BVerfG 19.10.1966 BVerfGE 20, 312 (317). 219  Diese liegen nur vor, wenn das reine Instrumentarium zur Grundrechtsausübung zur Verfügung gestellt wird, vgl. oben § 6 III. sowie Däubler in: Däubler, TVG, Einl., Rn. 130a. Das trifft etwa auf die reinen Formvorschriften des Tarifvertragsgesetzes zu. 220  So auch Greiner in: Henssler / Moll / Bepler, Der Tarifvertrag, Teil 2, Rn. 44. 221  Vgl. BVerfG 26.6.1991 BVerfGE 84, 212 = AP Nr. 117 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, insb. unter C. I. 3. b) cc); Däubler in: Däubler, TVG, Einl., Rn. 130a; Löwisch / Rieble, TVG, Grundl., Rn. 114; Cornils, Die Ausgestaltung der Grundrechte, S. 650 ff.; Kovács, Das Spannungsverhältnis zwischen Koalitionsfreiheit und Tariffähigkeit, S. 234. 215  BVerfG

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2. Teil: Tariffähigkeit

sind“.222 Bei der insofern gebotenen Verhältnismäßigkeitsprüfung muss allerdings die besondere Ausgangslage des Ausgestaltungsgebers Berücksichtigung finden: Anders als bei einem „reinen Eingriff“ handelt der Ausgestaltungsgeber auf Grund einer verfassungsrechtlichen Pflicht223 – das Unterlassen der Ausgestaltung wäre ein Verstoß gegen das Untermaßverbot und damit in jedem Fall verfassungswidrig.224 Die tarifrechtsspezifischen Anforderungen müssen einem legitimen Zweck dienen. Der legitime Zweck ist der Referenzpunkt der sich anschließenden Verhältnismäßigkeitsprüfung; er muss sich innerhalb der durch das Grundgesetz vorgegebenen Grenzen bewegen.225 Freilich unterscheiden sich die tarifrechtsspezifischen Anforderungen jeweils in ihrer konkreten Zielrichtung. Alle Zielrichtungen lassen sich aber dem übergeordneten Zweck unterordnen, eine funktionsfähige – am oben genannten Leitbild orientierte – Tarifautonomie zu gewährleisten. Dass es sich dabei um einen legitimen Zweck handelt, ergibt sich schon daraus, dass Gesetzgeber und Rechtsprechung mit der Aufstellung der Anforderungen dem Ausgestaltungsauftrag in Art. 9 Abs. 3 GG nachkommen, der gerade auf die Verwirklichung der Tarifautonomie zielt.226 Die tarifrechtsspezifischen Anforderungen müssen zur Zweckerreichung geeignet sein. Die Anforderungen sind vergleichsweise gering, es reicht aus, dass durch das Mittel „der gewünschte Erfolg gefördert werden kann, wobei die Möglichkeit der Zweckerreichung genügt“.227 Indem Koalitionen, die mangels bestimmter Eigenschaften ungeeignet zu einer sinnvollen Tarifnormsetzung sind, von der Tarifautonomie ausgeschlossen werden, wird die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie gefördert. Voraussetzung ist freilich, dass zwischen der jeweiligen Eigenschaft und der Eignung zu einer sinnvollen Tarifnormsetzung objektiv ein Zusammenhang besteht. Weiter müssen die tarifrechtsspezifischen Anforderungen erforderlich sein, um den Zweck zu erreichen. Dafür muss der Ausgestaltungsgeber von allen Mitteln, die zur Zweckerreichung geeignet wären, das mildeste wählen – also jenes, das den Schutzbereich der Koalitionsfreiheit am wenigsten beeinträchtigt.228 Jedes Kriterium bedarf einer Prüfung, ob es in seiner konkreten Ausgestaltung das mildeste Mittel ist. Auf abstrakter Ebene kann 222  BAG

5.10.2010 AP Nr. 7 zu § 2 TVG Tariffähigkeit, Rn. 35. TVG, Einl., Rn. 91. 224  Vgl. Dieterich / Linsenmaier in: Dieterich, ErfK, GG, Art. 9, Rn. 86. 225  Grzeszick in: Maunz / Dürig, Art. 20, Rn. 111. 226  Vgl. BAG 5.10.2010 AP Nr. 7 zu § 2 TVG Tariffähigkeit, Rn. 33 ff. 227  BVerfG 29.12.2004 AP Nr. 2 zu § 3 AEntG = NZA 2005, 153 (154). 228  Vgl. Grzeszick in: Maunz / Dürig, Art. 20, Rn. 113. 223  Wiedemann,



§ 6  Tarifrechtsspezifische Anforderungen: Grundlagen

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man vorab fragen, ob zur Zugangskontrolle – wie sie durch die tarifrechtsspezifischen Anforderungen stattfindet – grundsätzlich eine Alternative besteht. Es wird vorgeschlagen, auf besondere Anforderungen zu verzichten und Tarifverträge stattdessen einer Inhaltskontrolle zu unterwerfen.229 Unabhängig von der Frage, ob diese Alternative gleich wirksam ist230, muss beachtet werden, dass die Verfassung dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Tarifsystems weitreichenden Gestaltungsspielraum einräumt. Das Kriterium der Erforderlichkeit darf nicht dazu führen, dass sich dieser Spielraum auf ein mögliches Ausgestaltungsmodell reduziert. Letztlich muss jedes tarifrechtsspezifische Kriterium verhältnismäßig im engeren Sinne sein, d. h. es muss in einem angemessenen Verhältnis zu seinem Zweck stehen. Es muss also abgewogen werden zwischen dem Nutzen des jeweiligen Kriteriums und der Beeinträchtigung, die damit einhergeht.231 Auf der Nutzenseite steht für jedes Kriterium der Beitrag, den es zur Verwirklichung oder Aufrechterhaltung einer funktionsfähigen und funktionsgerechten Tarifautonomie leistet. Auf der anderen Seite ist zu untersuchen, inwieweit Koalitionen durch das jeweilige Kriterium potentiell von der Tarifautonomie ausgeschlossen werden und wie schwer die Beeinträchtigung für diese wiegt. Löwisch / Rieble meinen etwa, der Zweck überwiege tendenziell die Beeinträchtigung, weil tarifunfähigen Koalitionen die Möglichkeit unbenommen bliebe, Vereinbarungen über Arbeitsbedingungen durch gewöhnlichen schuldrechtlichen Vertrag zu treffen.232 Freilich kann diese Aussage nicht pauschal für alle Kriterien bestätigt werden, sondern bedarf einer differenzierten Betrachtung. Teils wird gefordert, dass strengere Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit einer Ausgestaltungsmaßnahme zu stellen sind, wenn die Ausgestaltung nicht durch den Gesetzgeber, sondern durch die Rechtsprechung vorgenommen wird.233 Anders als der Gesetzgeber, dem ein umfangreicher Spielraum eingeräumt ist, soll die Rechtsprechung nur solche Maßnahmen treffen können, die „unerlässlich“ sind. Dies läuft jedoch dem hier dargestellten Verständnis des Ausgestaltungsauftrags zuwider. Es ist durchaus im Sinne der Verfassung, dass der Gesetzgeber einzelne Regelungspunkte der Rechtsprechung überlässt – vor allem im Interesse flexibler Regelungen. Der dadurch übertragenen Verantwortung könnte die Rechtsprechung aber 229  Henssler,

CGM-Gutachten, S. 31 f.; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2, Rn. 406. wenden zu Recht ein, dies ginge mit beträchtlicher Rechts­ unsicherheit einher, Löwisch / Rieble, TVG, Grundl., Rn. 130; ausführlicher zu den Bedenken siehe Greiner in: Henssler / Moll / Bepler, Der Tarifvertrag, Teil 2, Rn. 57. 231  Vgl. Grzeszick in: Maunz / Dürig, Art. 20, Rn. 117. 232  Löwisch / Rieble, TVG, Grundl., Rn. 130. 233  Wank, FS ZVK, S. 141 (146); Wank / Schmidt, RdA 2008, 257 (267). 230  Löwisch / Rieble

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2. Teil: Tariffähigkeit

nicht gerecht werden, wenn ihrem Gestaltungsraum enge Grenzen gesetzt wären. Dadurch würde auch der Ausgestaltungsspielraum des Gesetzgebers letztlich stark geschmälert, da er – sofern es nicht um „Unerlässliches“ geht – vor die Wahl gestellt würde, selbst zu regeln oder auf eine Regelung zu verzichten. Wenn die tarifrechtsspezifischen Anforderungen als Ausgestaltung mit Eingriffscharakter einer umfassenden Verhältnismäßigkeitsprüfung zu unterziehen sind, stellt sich die Frage, welche Bedeutung die Differenzierung zwischen Eingriff und Ausgestaltung hat. Es lässt sich nicht leugnen, dass die Anforderungen an eine Ausgestaltung mit Eingriffscharakter und jene an einen Eingriff nah beieinander liegen. Die vergleichbare Behandlung ist indes wenig überraschend angesichts der Schwierigkeiten, die die Abgrenzung zwischen Eingriff und Ausgestaltung bereitet. Gleichwohl herrscht keine Anforderungsidentität: Zunächst ist anders als bei der herkömmlichen Eingriffsrechtfertigung der legitime Zweck, der als Maßstab der Verhältnismäßigkeitsprüfung dient, mit der Verwirklichung einer funktionsfähigen und funktionsgerechten Tarifautonomie klar vorgegeben; grundsätzliche Zweifel an dessen Legitimität sind ausgeschlossen. Zudem ist bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der besondere Gestaltungsspielraum zu berücksichtigen, der dem Ausgestaltungsgeber kraft Ausgestaltungsauftrags eingeräumt ist.234 Dieser verbietet eine allzu restriktive Anwendung der Anforderungen der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne. Der am besten greifbare Unterschied besteht indes darin, dass ein Eingriff in Art. 9 Abs. 3 GG auf Grund der grundsätzlich schrankenlosen Gewährleistung nur zugunsten kollidierenden Verfassungsrechts gewährleistet sein kann235, während bei der Ausgestaltung auch andere Aspekte, insbesondere funktionale Erwägungen, in der Abwägung zu berücksichtigen sind.236 Zwar wird diesem Unterschied wenig praktische Bedeutung beigemessen, weil tarifrechtlichen Regelungen in aller Regel verfassungsrechtlich geprägte Erwägungen zugrunde liegen237 – der Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie wird ganz überwiegend Verfassungsrang beigemessen.238 Allerdings ist die zu beobachtende inflationäre Zuweisung des Verfassungsrangs nicht unkritisch zu sehen.239

234  Tendenziell in diesem Sinne Löwisch / Rieble, TVG, Grundl., Rn. 115; vgl. auch Dieterich, RdA 2002, 1 (11). 235  Vgl. Höfling in: Sachs, GG, Art. 9, Rn. 126 ff. 236  Löwisch / Rieble, TVG, Grundl., Rn. 116. 237  Vgl. Ossenbühl / Cornils, Tarifautonomie und staatliche Gesetzgebung, S. 148 f. 238  Vgl. Löwisch / Rieble, TVG, Grundl., Rn. 119 m. w. N. 239  Vorsichtige Kritik etwa auch bei Wank, FS ZVK, 141 (145).



§ 6  Tarifrechtsspezifische Anforderungen: Grundlagen

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V. Funktional gebotene Differenzierung zwischen Gewerkschaft und Arbeitgeberverband Wie die bisherigen Ausführungen zeigen, tragen Gesetzgeber und Rechtsprechung mit den tarifrechtsspezifischen Anforderungen den Funktionen der Tarifautonomie Rechnung. Dabei muss angesichts der Auswirkungen auf die Koalitionsfreiheit jedes Kriterium bezogen auf seinen konkreten Zweck ein verhältnismäßiges Mittel darstellen. Nach diesen Grundsätzen verbietet sich eine generalisierende Betrachtung, die hinsichtlich der Anforderungen nicht zwischen Gewerkschaft und Arbeitgeberverband unterscheidet.240 Beide verfügen nämlich über unterschiedliche Ausgangssituationen in ihrem funktionalen Verhältnis zur Tarifautonomie. Das muss im Ergebnis nicht zwingend zu unterschiedlichen Anforderungen führen, verlangt aber jedenfalls nach einer differenzierten Beurteilung. Dass sich der Gesetzgeber einer Differenzierung nicht grundsätzlich verschließt, wird schon daran deutlich, dass er Handwerksinnungen und Innungsverbänden Tariffähigkeit kraft Gesetzes241 verleiht. Hierdurch räumt der Gesetzgeber Zusammenschlüssen auf Arbeitgeberseite Tariffähigkeit ein, ohne dass Voraussetzungen vorliegen müssen, die Gewerkschaften in jedem Fall erfüllen müssen, und nimmt damit eine ausdrückliche Differenzierung vor.242 Solange die Differenzierung durch sachliche Gründe gerechtfertigt ist – was im Einzelnen zu prüfen ist – liegt in ihr auch kein Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG.243 Ohne bereits konkrete Schlüsse für das Bestehen oder Nichtbestehen einzelner Anforderungen zu ziehen, wird im Folgenden dargelegt, inwieweit sich Gewerkschaft und Arbeitgeberverband mit Blick auf ihre funktionale Rolle für die Tarifautonomie unterscheiden. 1. Arbeitgeberverband und Herstellung eines Kräftegleichgewichts Die funktionale Einordnung der tarifrechtsspezifischen Anforderungen hat gezeigt, dass die Tarifautonomie zuvorderst die Herstellung eines Kräftegleichgewichts zum Ziel hat.244 Historischer Hintergrund ist die einseitige strukturelle Benachteiligung der Arbeitnehmer, der die Gewerkschaft als Interessenvertretung der Arbeitnehmer entgegenwirken soll. Die Gewerk240  So insb. auch Peter in: Däubler, TVG, § 2, Rn. 77; Ramm, JuS 1966, 223 (227 f.); Reuß, RdA 1972, 4 (7). 241  §§ 54 III Nr. 1, 82 S. 1 Nr. 3, 85 II i. V. m. § 82 Nr. 3 HwO. 242  Peter in: Däubler, TVG, § 2, Rn. 77. 243  BVerfG 20.10.1981 AP Nr. 31 zu § 2 TVG = BVerfGE 58, 233 = NJW 1982, 815 (817). 244  Oben § 6 II. 1. a).

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2. Teil: Tariffähigkeit

schaft kann daher ohne Frage als Garantin für die Schutzfunktion der Tarifautonomie bezeichnet werden. Damit die Gewerkschaft dieser Rolle gerecht werden kann, muss sie nach einhelliger Meinung bestimmte Eigenschaften – an vorderster Stelle eine gewisse soziale Mächtigkeit – aufweisen, um tariffähig zu sein.245 Dahinter steht die Besorgnis, dass „ungeeignete“ Arbeitnehmervertretungen nicht nur unfähig sind, einen Ausgleich des strukturellen Ungleichgewichts für ihre Mitglieder herzustellen, sie mehr noch den Arbeitnehmerschutz geradezu konterkarieren, weil sie die konstruktive Tariftätigkeit der „geeigneten“ Gewerkschaften stören.246 Die Entstehung der Tarifautonomie ist untrennbar mit der Geschichte der Gewerkschaften verbunden, der Gewerkschaft kommt also originäre Bedeutung für die Tarif­ autonomie – im Besonderen ihre Schutzfunktion – zu. Anders die Rolle des Arbeitgeberverbandes: Arbeitgeberverbände wurden erst als Reaktion auf zunehmend entstehende Gewerkschaften in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gegründet, um dem Machtzuwachs der Arbeitnehmer entgegenzuwirken, gleichsam als „Gegenverbände“247 zu den Gewerkschaften.248 Im Gegensatz zur Gewerkschaft kommt dem Arbeitgeberverband, der mit den Arbeitgebern die traditionell strukturell überlegene Arbeitsvertragspartei vertritt, daher keine originäre Bedeutung für die Schutzfunktion der Tarifautonomie zu.249 Gleichwohl kann der Schutz der Arbeitgeber in einer funktionsgerecht ausgestalteten Tarifautonomie nicht völlig außer Acht gelassen werden. Ihre Schutzbedürftigkeit mag sich nicht originär mit den Realitäten des Arbeitslebens vor und bei Entstehung der Tarifautonomie begründen lassen, sie ergibt sich indes reflexhaft aus der Koalierungsmöglichkeit der Arbeitnehmer.250 Teils wird in der zum Schutz der Arbeitnehmer eingeräumten Möglichkeit zur Organisation in tariffähigen Gewerkschaften die erhebliche Gefahr gesehen, dass der Arbeitgeber zur schwächeren Arbeitsvertragspartei wird und es zu einer Verschiebung der Mächteverhältnisse kommt: Eucken warnte etwa, die Gewerkschaften könnten zu „Machtkörpern werden, die die Wettbewerbsordnung gefährden“.251 Bartholomeyczik sah die Vertragsfreiheit durch das kollektive Auftreten der Arbeitnehmer bereits soweit eingeschränkt, dass die Arbeitgeber vorübergehend schon zur schwächeren 245  Unten

§ 7 III. unten § 7 III. 2. 247  Schroeder / Weßels, Handbuch, S. 26. 248  Zum geschichtlichen Hintergrund oben § 1 1. 249  In diesem Sinne Stein in: Kempen / Zachert, TVG, § 2, Rn. 112, der daraus ableitet, der Arbeitgeberverband müsse für seine Tariffähigkeit generell keine tarifrechtsspezifischen Anforderungen erfüllen. 250  Vgl. Löwisch / Rieble, TVG, Grundl., Rn. 20. 251  Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, S. 323. 246  Näher



§ 6  Tarifrechtsspezifische Anforderungen: Grundlagen67

Partei geworden seien.252 Das geht sicher zu weit und entspricht nicht den Wirklichkeiten des Arbeitslebens. Umgekehrt kann aber auch nicht jede Schutzbedürftigkeit der Arbeitgeberseite verneint werden. Vor allem kleine Arbeitgeber dürften großen Gewerkschaften oftmals unterlegen sein.253 Gerade ihnen wird durch die Einräumung der Möglichkeit zur Koalierung auch auf Arbeitgeberseite die Herstellung eines Kräftegleichgewichts ermöglicht. Hieran wird deutlich, dass die Tarifautonomie auf einem Gegenmachtprinzip basiert, das auf den Schutz beider Arbeitsvertragsparteien ausgerichtet sein muss.254 Sieht der einzelne Arbeitgeber die Gewerkschaft zu mächtig werden, kann er sich mit anderen Arbeitgebern zusammenschließen und auf einen Machtausgleich hinwirken, so dass in gewisser Weise ein Hochrüsten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern stattfindet.255 Das Machtgleichgewicht soll sich danach automatisch einpendeln, da immer diejenige Partei einen größeren Organisationsanreiz verspüren wird, die sich in ihrer gegenwärtigen Situation unterlegen fühlt.256 Ein Ungleichgewicht zulasten des Arbeitgebers wäre – auch aus gesamtwirtschaftlichen Gesichtspunkten – ebenso unerwünscht wie ein Ungleichgewicht zulasten der Arbeitnehmer. Ideal für das Tarifvertragssystem sind schließlich in etwa gleich starke Sozialpartner.257 Das hier vertretene Verständnis eines wechselseitig zu berücksichtigenden Gegenmachtprinzips ist aber nicht geeignet, die funktionalen Unterschiede zwischen Gewerkschaft und Arbeitgeberverband vollständig zu relativieren. Dass den Arbeitgebern, gleichsam als Reflex auf die Einräumung der Koalierungsmöglichkeit der Arbeitnehmer, ebenfalls die Möglichkeit eingeräumt wird, sich zu tariffähigen Vereinigungen zusammenzuschließen, ändert nichts an der originär primären Zielrichtung der Tarifautonomie, die Position der Arbeitnehmer zu verbessern. Es kann auch nicht geleugnet werden, dass die – zweifellos verbesserte – Stellung des Arbeitnehmers auch heute noch die gegenüber der Position des Arbeitgebers tendenziell unterlegene ist. Der hier aufgezeigte funktionale Unterschied zwischen Gewerkschaft und Arbeitgeberverband spiegelt sich auch im Selbstverständnis der Verbände wider: Während sich die Arbeitgeberverbände im Bereich der OT-Mitgliedschaft ein zweites Standbein jenseits der unmittelbaren tarifpolitischen Interessenvertretung geschaffen und so die Bedeutung der arbeitgeberseitig 252  Bartholomeyczik,

AcP 166, 30 (65). auch Löwisch / Rieble, TVG, § 2, Rn. 137. 254  Vgl. Löwisch / Rieble, TVG, Grundl., Rn. 20. 255  Vgl. Rieble, Gedenkb. Eucken, S. 199 (206). 256  Löwisch / Rieble, TVG, Grundl., Rn. 20. 257  Rieble, Gedenkb. Eucken, S. 199 (206). 253  So

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2. Teil: Tariffähigkeit

kollektiven Tarifverhandlung merklich relativiert haben, ist für die Gewerkschaften die tarifgebundene Mitgliedschaft bislang alternativlos.258 Inwiefern die bestehenden Unterschiede unterschiedliche Anforderungen rechtfertigen, wird im Einzelnen bei den einzelnen Anforderungen zu prüfen sein.259 2. Schutz des einzelnen Arbeitgebers gegenüber der Tarifmacht des Verbandes Vor allem um der Missbrauchsgefahr entgegenzuwirken, die mit der besonderen Normsetzungsbefugnis der Tariffähigkeit einhergeht, wurden Anforderungen entwickelt, die dem Schutz der Koalitionsmitglieder dienen.260 Wie der Arbeitnehmer begibt sich auch der Arbeitgeber durch den Beitritt zum Verband in ein Verhältnis der Über- und Unterordnung, das der Beziehung zwischen Individuum und Staat gleicht.261 Wie der Arbeitnehmer muss auch der Arbeitgeber vor den Gefahren, die ein solches Verhältnis birgt, geschützt werden. Die rechtsstaatlichen Bindungen, denen der Staat infolge der – jedenfalls auch delegatorisch geprägten262 – Überlassung der Tarifmacht an die Verbände unterliegt, verpflichtet ihn gleichermaßen zum Schutz der Arbeitgeber, die schließlich als juristische Personen nach Art. 19 Abs. 3 GG grundrechtsfähig sind. Auch im Hinblick auf den Mitgliederschutz stehen Gewerkschaft und Arbeitgeberverband gleichwohl nicht auf einer Stufe. Für den Arbeitnehmer ist die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft die einzige Möglichkeit unmittelbarer tarifpolitischer Teilnahme. Echte Wahlmöglichkeiten stünden dem Arbeitnehmer nur bei durchgängiger „Existenz pluralistisch miteinander konkurrierender Gewerkschaften“263 zur Verfügung, die gegenwärtig nicht gewährleistet ist.264 Dem Arbeitgeber hingegen stehen in der Regel adäquate Optionen offen. Wie der Arbeitnehmer kann er aus dem Verband austreten. Anders als beim Arbeitnehmer bedeutet der Austritt für den Arbeitgeber nicht, dass er zukünftig keine Tarifverträge schließen kann – hierzu ist er nach § 2 Abs. 1  TVG schließlich auch als einzelner Arbeitge258  Näher

oben § 1 III. § 7. 260  Oben § 6 II. 2. 261  Vgl. Nicklisch, FS Schiedermair, S. 459 (472), allerdings nicht auf den Arbeitgeberverband bezogen. 262  Vgl. oben § 6 II. 2. 263  Greiner in: Henssler / Moll / Bepler, Der Tarifvertrag, Teil 2, Rn. 38. 264  Greiner, Rechtsfragen der Koalitions-, Tarif- und Arbeitskampfpluralität, S. 215. 259  Unten



§ 6  Tarifrechtsspezifische Anforderungen: Grundlagen

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ber befugt.265 Es besteht auch kein Zweifel daran, dass von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht wird: Die Geschichte hat gezeigt, dass Unternehmen Arbeitgeberverbände massiv durch Austritte abstrafen, wenn sie mit deren Politik unzufrieden sind.266 Dieser Unterschied wird jedoch zu weiten Teilen dadurch relativiert, dass der Verbandsaustritt nicht zur sofortigen Beendigung der Tarifbindung führt. Durch die Nachbindung nach § 3 Abs. 3 TVG gelten Tarifverträge trotz Verbandsaustritt grundsätzlich bis zum Ende der vereinbarten Laufzeit fort. Die Schutzbedürftigkeit des einzelnen Arbeitgebers besteht daher trotz der adäquaten Alternative des Verbandsaustritts. VI. Bedeutung des Gemeinsamen Protokolls über die Leitsätze zum Staatsvertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion vom 18. Mai 1990 § 2 Abs. 1 TVG enthält keine ausdrücklichen tarifrechtsspezifischen Anforderungen, er ermöglicht durch unbestimmte Rechtsbegriffe nur die Entwicklung solcher durch die Rechtsprechung. Konkrete Anforderungen formuliert derweil der Staatsvertrag zur Schaffung einer Währungs-, Wirtschaftsund Sozialunion vom 18. Mai 1990267 (Staatsvertrag) im dazugehörigen Gemeinsamen Protokoll über Leitsätze (Gemeinsames Protokoll). Sähe man hierin eine verbindliche Auslegungsvorschrift zu § 2 Abs. 1  TVG, wäre die Auslegung des Vereinigungsbegriffs grundlegend vorbestimmt. Durch den Staatsvertrag wurde die DDR währungs- und wirtschaftspolitisch in die Bundesrepublik integriert. Bei dem Gemeinsamen Protokoll handelt es sich um eine Anlage des Staatsvertrags, die Teil dessen ist und dieselbe völkerrechtliche Verbindlichkeit inne hat wie die Haupturkunde.268 Gemeinsam mit Art. 4 des Staatsvertrags bilden die Leitsätze des Gemeinsamen Protokolls die Grundlage, auf der das Recht der DDR dem der Bundesrepublik angepasst wurde.269 In Anlehnung an frühere Rechtsprechung zur Tariffähigkeit270 formuliert das Protokoll unter A. III. 2. den folgenden Leitsatz: 265  Vgl. zur Option der künftigen eigenständigen Tarifpolitik Greiner in: Henssler / Moll / Bepler, Der Tarifvertrag, Teil 2, Rn. 114; Greiner, Rechtsfragen der Koalitions-, Tarif- und Arbeitskampfpluralität, S. 233. 266  Vgl. oben § 1 III.; außerdem Schnabel, ZAF 2005, 181 (187). 267  BGBl. 1990 II, S. 537 ff. 268  Stern, Staatsvertrag, S. 64 u. 144. 269  Stern, Staatsvertrag, S. 144. 270  Vgl. Kempen in: Kempen / Zachert, TVG, § 2, Rn. 13; Löwisch / Rieble, TVG, § 2, Rn. 12.

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2. Teil: Tariffähigkeit

„Tariffähige Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände müssen frei gebildet, gegnerfrei, auf überbetrieblicher Grundlage organisiert und unabhängig sein sowie das geltende Tarifrecht als für sich verbindlich anerkennen; ferner müssen sie in der Lage sein, durch Ausüben von Druck auf den Tarifpartner zu einem Tarifabschluss zu kommen.“

Da der Bundestag dem Staatsvertrag mit Zustimmungsgesetz vom 25. Juni 1990 zugestimmt hat271, existiert in dem zitierten Leitsatz eine Definition der Tariffähigkeit, die vom Gesetzgeber jedenfalls gebilligt wurde. Seine rechtliche Bedeutung ist jedoch umstritten. Für den Gegenstand dieser Arbeit ist die Frage der rechtlichen Bedeutung des Leitsatzes von besonderer Relevanz, denn er formuliert identische Anforderungen für Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände.272 Misst man ihm Verbindlichkeit bei, wäre die oben aufgestellte These, dass de lege lata eine differenzierte Bestimmung von Anforderungen an Gewerkschaft und Arbeitgeberverband geboten ist, nicht haltbar. Im Wesentlichen wird darüber gestritten, ob der Leitsatz mit vollzogener Wiedervereinigung jede bindende Bedeutung für die deutsche Rechtspraxis verloren hat oder ob er heute als verbindliche gesetzliche Auslegungsvorschrift zu § 2 Abs. 1 TVG fortwirkt. Die Vertreter einer rechtsverbindlichen Bedeutung des Leitsatzes273 befinden sich im Schrifttum in der Minderheit. Dem Einwand, dass der Staatsvertrag seinem Wortlaut nach nur für die Rechtsanpassung in der DDR gelten sollte, begegnen sie im Wesentlichen mit folgender Argumentation: Ziel des Staatsvertrages sei die Schaffung einer gesamtdeutschen einheitlichen Rechtsordnung gewesen; eine Beschränkung der Wirksamkeit der Regelungen auf die DDR und den Eingliederungsprozess würde dem Gedanken der Vereinheitlichung der Rechtsordnung aber zuwiderlaufen.274 Die Vertreter der Gegenauffassung275 lehnen eine Verbindlichkeit des Leitsatzes ab. Bei den Regelungen des Staatsvertrags habe es sich um Übergangsrecht gehandelt, das mit der Integration der DDR in die Bundesrepublik gegenstandslos geworden sei.276 Der Leitsatz, der im Zuge des Wiedervereinigungsprozesses entstanden ist, sei den besonderen historischen Umständen geschuldet; eine Regelung des Koalitionsrechts für das gesamt271  BGBl. 1990

II, S. 518. jede Differenzierung heißt es „Tariffähige Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände müssen […]“. 273  Gitter, FS Kissel, S. 265 (271 ff.); Kissel, NZA 1990, 545 (549); Schrader, NZA 2001, 1337  (1339). 274  Gitter, FS Kissel, S. 265 (271 f.). 275  Kempen in: Kempen / Zachert, TVG, § 2, Rn. 13; Löwisch / Rieble, TVG, § 2, Rn. 14; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2, Rn. 6 u. 201; Peter in: Däubler, TVG, § 2, Rn. 116; Richardi in: Richardi, BetrVG, § 2, Rn. 40. 276  Löwisch / Rieble, TVG, § 2, Rn. 14; Peter in: Däubler, TVG, § 2, Rn. 116. 272  Ohne



§ 6  Tarifrechtsspezifische Anforderungen: Grundlagen71

deutsche Recht habe der Gesetzgeber dadurch nicht treffen wollen.277 Hätte er einen solchen Willen gehabt, so hätte er diesem eigens Ausdruck verliehen.278 Die Vertreter dieser Auffassung sprechen dem Leitsatz nicht jede Bedeutung für die Auslegung des § 2 Abs. 1  TVG ab. Sie messen ihm vielmehr  – in unterschiedlichem Maße – Bedeutung jenseits einer rechtlichen Verbindlichkeit zu. So soll er zumindest als „Auslegungs­hilfe“279 oder „wie eine Gesetzesbegründung“280 zu berücksichtigen sein. Begründet wird dies damit, dass der Leitsatz infolge der Ratifizierung eine Willensäußerung des deutschen Gesetzgebers darstelle.281 Richardi geht daher sogar so weit, den Leitsatz als „Bestandteil der gesamtdeutschen Rechtseinheit“ zu bezeichnen, ohne hiermit jedoch für seine Verbindlichkeit eintreten zu wollen.282 Das Bundesarbeitsgericht hatte seit 1990 wiederholt über die Gewerkschaftseigenschaft bzw. die Tariffähigkeit von Arbeitnehmer- und Arbeitgebervereinigungen zu entscheiden und musste sich deswegen mit der Bedeutung des Leitsatzes auseinandersetzen.283 Dabei hat es nicht von Beginn an eine durchgängig einheitliche Auffassung vertreten, sondern seine Position im Laufe der Zeit entwickelt. Noch im Jahre 1990 – nur wenige Monate nach Ratifizierung des Staatsvertrags – entschied das Bundesarbeitsgericht über die Tariffähigkeit der Arbeitgebervereinigung Tarifgemeinschaft Berliner Rechtsanwälte und stellte fest, dass an die Tariffähigkeit von Arbeitgeberverbänden kein Mächtigkeitserfordernis zu knüpfen ist.284 Obgleich diese Feststellung dem Leitsatz zuwiderläuft, der für Arbeitnehmer- wie Arbeitgeberverbände gleichermaßen Mächtigkeit verlangt, hat sich das Bundesarbeitsgericht in seinen Entscheidungsgründen mit dem Staatsvertrag in keiner Weise auseinandergesetzt. Es folgten Entscheidungen, in denen das Bundesarbeitsgericht dem Leitsatz bemerkenswerte Bedeutung beigemessen hat, ohne ihn jedoch abschließend rechtlich einzuordnen.285 In 277  Peter

in: Däubler, TVG, § 2, Rn. 116. TVG, § 2, Rn. 14. 279  Löwisch / Rieble, TVG, § 2, Rn. 14; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2, Rn. 201. 280  Kempen in: Kempen / Zachert, TVG, § 2, Rn. 13; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2, Rn. 201. 281  Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2, Rn. 204. 282  Richardi in: Richardi, BetrVG, § 2, Rn. 40. 283  BAG 5.10.2010 AP Nr. 7 zu § 2 TVG Tariffähigkeit; BAG 19.9.2006 AP Nr. 5 zu § 2 BetrVG 1972; BAG 28.3.2006 AP Nr. 4 zu § 2 TVG Tariffähigkeit; BAG 14.12.2004 AP Nr. 1 zu § 2 TVG Tariffähigkeit; BAG 6.6.2000 AP Nr. 55 zu § 2 TVG; BAG 6.6.2000 AP Nr. 9 zu § 97 ArbGG 1979; BAG 20.11.1990 AP Nr. 40 zu § 2 TVG. 284  BAG 20.11.1990 AP Nr. 40 zu § 2 TVG. 285  BAG 6.6.2000 AP Nr. 55 zu § 2 TVG; BAG 6.6.2000 AP Nr. 9 zu § 97 ArbGG 1979; BAG 14.12.2004 AP Nr. 1 zu § 2 TVG Tariffähigkeit. 278  Löwisch / Rieble,

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2. Teil: Tariffähigkeit

seiner ersten CGM-Entscheidung286 ging es um die Tariffähigkeit der CGM, die im Jahre 1972 bereits durch das Arbeitsgericht Stuttgart festgestellt worden war. Das Bundesarbeitsgericht sah in dem Staatsvertrag in Verbindung mit dem Zustimmungsgesetz des Bundestages eine wesentliche Änderung der rechtlichen Verhältnisse, die die Rechtskraft des Beschlusses des Arbeitsgerichts Stuttgart beendet habe. Zur Begründung führte es an, durch das Zustimmungsgesetz zum Staatsvertrag hätten „die Beurteilungskriterien für die Annahme einer tariffähigen Gewerkschaft eine andere rechtliche Qualität bekommen.“287 Hierdurch sei eine Änderung der Kri­ terien eingetreten, „die einer Gesetzesänderung gleichzusetzen ist.“288 Der  Gesetzgeber habe durch das Zustimmungsgesetz „die ‚Durchsetzungsfähigkeit‘ von Koalitionen in seinen Willen aufgenommen“. Wenngleich das Bundesarbeitsgericht auch festgestellt hat, dass es sich bei den Regelungen des Staatsvertrags nicht um materielles Gesetz handelt289, so fällt in jedem Fall die bemerkenswert starke Sprache auf, mit der das Bundesarbeitsgericht die Bedeutung des Leitsatzes unterstreicht. Mit seiner zweiten CGM-Entscheidung290 hat das Bundesarbeitsgericht 2006 die Bedeutung des Staatsvertrags erstmals klar eingeordnet und eine Formulierung gefunden, auf die es in späteren Entscheidungen291 wiederholt zurückgegriffen hat: „Die Regelung in A III 2 des Staatsvertrags […] und dem Gemeinsamen Protokoll über Leitsätze, die nahezu wortgleich den von der Rechtsprechung entwickelten Anforderungen entspricht, stellt ebenfalls keine gesetzliche Normierung der an die Tariffähigkeit einer Arbeitnehmervereinigung zu stellenden Voraussetzungen dar. Sie hat zwar durch das Zustimmungsgesetz des Bundestags […] Aufnahme in den Willen des Gesetzgebers gefunden […]. Materielles Gesetz ist sie dadurch aber nicht geworden […]. Solange der Gesetzgeber auf die ausdrückliche Normierung der Voraussetzungen der Tariffähigkeit verzichtet hat, bleibt es Aufgabe der Gerichte für Arbeitssachen, im Rahmen der an sie herangetragenen Streitigkeit den unbestimmten Rechtsbegriff durch Auslegung im Lichte des Art. 9 Abs. 3 GG auszufüllen […]. Dabei ist die im Zustimmungsgesetz […] zum Ausdruck kommende, von den Gesetzgebungsorganen der Bundesrepublik Deutschland getragene Willensbekundung zu beachten […].“292 286  BAG

6.6.2000 AP Nr. 9 zu § 97 ArbGG 1979. 6.6.2000 AP Nr. 9 zu § 97 ArbGG 1979 = NZA 2001, 156 (159). 288  BAG 6.6.2000 AP Nr. 9 zu § 97 ArbGG 1979 = NZA 2001, 156 (159). 289  BAG 6.6.2000 AP Nr. 9 zu § 97 ArbGG 1979 = NZA 2001, 156 (159). 290  BAG 28.3.2006 AP Nr. 4 zu § 2 TVG Tariffähigkeit = NZA 2006, 1112 (1115). 291  BAG 5.10.2010 AP Nr. 7 zu § 2 TVG Tariffähigkeit = NZA 2011, 300 (302); BAG 14.12.2004 AP Nr. 1 zu § 2 TVG Tariffähigkeit = NZA 2011, 289 (295). 292  BAG 28.3.2006 AP Nr. 4 zu § 2 TVG Tariffähigkeit = NZA 2006, 1112 (1115). 287  BAG



§ 6  Tarifrechtsspezifische Anforderungen: Grundlagen

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Demnach sieht das Bundesarbeitsgericht wie das herrschende Schrifttum in dem Leitsatz letztlich nur eine Auslegungshilfe. Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts wird teils kritisiert. Löwisch / Rieble halten sie für widersprüchlich und werfen den Richtern vor, dem Staatsvertrag eine Rechtswirkung „nach taktischem Belieben“ beizumessen.293 Sie verweisen insbesondere darauf, dass das Bundesarbeitsgericht demselben Staatsvertrag, den es für die Frage des Mächtigkeitserfordernisses beim Arbeitgeberverband gar nicht berücksichtigt hat294, an anderer Stelle rechtskraftdurchbrechende Bedeutung zugesprochen hat295. In der Tat ist es nicht nachvollziehbar, warum das Bundesarbeitsgericht 1990 den Staatsvertrag vollständig außer Acht gelassen hat – die Erklärung hierfür bleibt es schuldig. Der Vorwurf einer Berücksichtigung des Staatsvertrags nach taktischem Belieben dürfte indes überzogen sein. Denn seit der einmaligen Nichtberücksichtigung 1990 hat das Gericht den Staatsvertrag stets gewürdigt, wenn es um Fragen der Tariffähigkeit ging. Dabei hat das Gericht dem Staatsvertrag nicht willkürlich mal mehr, mal weniger Bedeutung eingeräumt, sondern lässt – im Gegenteil – eine stringente Entwicklung erkennen. Dass das Bundesarbeitsgericht von seiner nunmehr gefestigten Auffassung wieder abrücken wird, ist nicht anzunehmen. Das ist zu begrüßen, denn nur eine vermittelnde Auffassung, wie sie das Bundesarbeitsgericht vertritt, wird den besonderen Umständen des Sachverhalts gerecht. Mit dem Zustimmungsgesetz zum Staatsvertrag liegt ein gesetzgeberischer Akt vor, den die Rechtsprechung unmöglich vollständig ignorieren kann. Zweifellos ist in diesem Akt – unabhängig von seiner Entstehungsgeschichte – eine Willensbekundung des Gesetzgebers enthalten. Ebenso wichtig ist aber: Es war nicht das Anliegen des Gesetzgebers, durch das Zustimmungsgesetz die Anforderungen der Tariffähigkeit in der Bundesrepublik Deutschland zu konkretisieren. Auf einen gesetzgeberischen Akt mit dieser Zielrichtung hat der Gesetzgeber bis heute verzichtet. Es ging vielmehr darum, die Rechtsordnung der DDR an die bundesdeutsche Rechtsordnung anzupassen. Dem Gesetzgeber steht es frei, den Wortlaut des § 2 Abs. 1 TVG zu ergänzen und so verbindlichen Einfluss auf die Anforderungen der Tariffähigkeit zu üben. Anzeichen dafür, dass dies dem Willen des Gesetzgebers entspricht, gibt es nicht. Folgerichtig existiert in dem Staatsvertrag in Verbindung mit dem Zustimmungsgesetz eine Willensbekundung des Gesetzgebers, die bei der Auslegung des § 2 Abs. 1  TVG zu berücksichtigen ist, daneben aber Raum für weitere Auslegungserwägungen lässt.

293  Löwisch / Rieble,

TVG, § 2, Rn. 13. in BAG 20.11.1990 AP Nr. 40 zu § 2 TVG. 295  In BAG 6.6.2000 AP Nr. 9 zu § 97 ArbGG 1979. 294  Namentlich

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2. Teil: Tariffähigkeit

VII. Zusammenfassung Das Grundgesetz räumt dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Tarifvertragssystems beachtlichen Spielraum ein. Was die Anforderungen an die Tariffähigkeit betrifft, hat der Gesetzgeber diesen Spielraum durch die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe weitergereicht an die Rechtsprechung, die über den Koalitionsbegriff hinausgehende konkrete Kriterien entwickelt hat. Diese tarifrechtsspezifischen Anforderungen verstehen sich als Zugangskontrolle zur Tarifautonomie, deren Funktionsfähigkeit auf Grund ihrer besonderen Bedeutung sichergestellt werden muss. Die Zugangskontrolle soll zum einen gewährleisten, dass nur solche Koalitionen Tarifverträge schließen, von denen die Vereinbarung sinnvoller Regelungen zu erwarten ist – was sinnvoll ist, richtet sich nach den Funktionen der Tarifautonomie, die insbesondere auf die Herstellung eines Kräftegleichgewichts zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern zielt. Zum andern soll die Zugangskontrolle sicherstellen, dass die tarifpolitisch aktiven Verbände über hinreichende Legitimation verfügen und ihre Tarifmacht nicht zulasten ihrer Mitglieder missbrauchen. Obwohl die tarifrechtsspezifischen Anforderungen Eigenschaften eines Grundrechtseingriffs aufweisen, sind sie verfassungsdogmatisch als Ausgestaltung des Grundrechts der Koalitionsfreiheit zu qualifizieren. Auch als solche unterliegen sie indes grundsätzlich den Grenzen der Verhältnismäßigkeit. Für jedes Kriterium ist folglich zu prüfen, ob es an seinem im Rahmen des Ausgestaltungsauftrags bestehenden Zweck gemessen verhältnismäßig ist. Dabei ist allerdings der verfassungsmäßig eingeräumte besondere Gestaltungsspielraum zu berücksichtigen. Tarifrechtsspezifische Anforderungen sind für Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände gesondert zu bestimmen, denn beide stehen in unterschiedlichem funktionalem Verhältnis zur Tarifautonomie. Das äußert sich vor allem darin, dass allein die Gewerkschaft originärer Garant der Schutzfunktion der Tarifautonomie ist, sowie in dem Umstand, dass Arbeitgeber auf Grund ihrer eigenständigen Tariffähigkeit der Tarifmacht eines Verbandes prinzipiell in geringerem Maße ausgesetzt sind als Arbeitnehmer der Tarifmacht einer Gewerkschaft. Bei der Bestimmung der Anforderungen ist der Staatsvertrag, der eine ausdrückliche Aussage zu den Tariffähigkeitsanforderungen von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden trifft und als Willensbekundung des Gesetzgebers zu qualifizieren ist, als Auslegungshilfe heranzuziehen. Eine darüber hinausgehende gesetzesgleiche Wirkung kommt ihm indes mit Blick auf seine Entstehungsgeschichte nicht zu.



§ 7  Tarifrechtsspezifische Anforderungen: Die einzelnen Kriterien 

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§ 7  Tarifrechtsspezifische Anforderungen: Die einzelnen Kriterien I. Tarifwilligkeit 1. Hintergrund Bereits das Reichsarbeitsgericht machte die Tariffähigkeit der Arbeitnehmer- wie Arbeitgebervereinigungen von ihrer Tarifwilligkeit abhängig.296 Der Abschluss von Tarifverträgen müsse zumindest „einer der Zwecke des Verbandes sein und dieser Verbandszweck aus der Satzung wenigstens mittelbar entnommen werden können“.297 Hintergrund dieser Rechtsprechung war vorrangig, dass Arbeitgeberverbände in der Weimarer Republik versuchten, sich der Zwangsschlichtung298 zu entziehen, indem sie in ihrer Satzung den Tarifvertragsschluss aus dem Aufgabenbereich des Verbandes ausschlossen.299 Dieser gewollten Tarifunfähigkeit wollte das Reichsarbeitsgericht mit seiner Rechtsprechung entgegenwirken.300 An die Rechtsprechung des Reichsarbeitsgerichts anknüpfend hat auch das Bundesarbeitsgericht bereits in einer Entscheidung von 1956 die Tarifwilligkeit als Voraussetzung der Tariffähigkeit einer Koalition anerkannt.301 Es hatte über die Tariffähigkeit der Arbeitnehmervereinigung Allgemeiner Beamtenschutzbund zu entscheiden. Dessen Vorsitzender hatte einen Arbeitnehmer bei der Einlegung einer Berufung beim Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg vertreten. Das Landesarbeitsgericht hatte die Berufung mangels formgerechter Einlegung als unzulässig verworfen, weil der Vorsitzende nicht zur Vertretung vor dem Landesarbeitsgericht zugelassen gewesen sei, da es sich bei dessen Vereinigung nicht um eine Gewerkschaft im Sinne des § 11 Abs. 2 ArbGG gehandelt habe. Das Landesarbeitsgericht hatte die Tariffähigkeit der Vereinigung verneint, weil diese nicht den Abschluss von Tarifverträgen bezweckt habe. Auf Beschwerde des Arbeitnehmers hin hatte sich das Bundesarbeitsgericht mit dem Fall zu befassen. In der Entscheidung ging es vorrangig darum, ob der Gewerkschaftsbegriff Tariffähigkeit voraussetzt. 296  RAG 7.2.1931 ARS 12, S. 133 (135); RAG 31.5.1930 ARS 9, S. 478 (481); RAG 10.11.1928 ARS 4, S. 231 (235). 297  RAG 7.2.1931 ARS 12, S. 133 (135). 298  Zur Zwangsschlichtung in der Weimarer Republik siehe etwa ausführlich v. Brauchitsch, Staatliche Zwangsschlichtung. 299  Vgl. Gamillscheg, KollArbR I, S. 528; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2, Rn. 365; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 67. 300  Insb. RAG 7.2.1931 ARS 12, S. 133 (135); RAG 31.5.1930 ARS 9, S. 478 (481). 301  BAG 6.7.1956 AP Nr. 11 zu § 11 ArbGG 1953 = BAGE 4, 351 (352).

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2. Teil: Tariffähigkeit

Zumindest am Rande musste sich das Bundesarbeitsgericht aber auch mit den Voraussetzungen der Tariffähigkeit auseinandersetzen. In der Entscheidung heißt es, zur Tariffähigkeit gehöre, „daß die Koalition die Herbeiführung von Tarifverträgen und Regelung von Arbeitsbedingungen zu ihren Aufgaben zählt, daß sie also tarifwillig ist“.302 In einer weiteren Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts heißt es, die Vereinigung müsse „sich selbst zur Aufgabe gesetzt haben, Tarifverträge abzuschließen.“303 In der Folge hat das Bundesarbeitsgericht diese Auffassung immer wieder bestätigt.304 2. Transparenzerfordernis zum Schutz potentieller Mitglieder und Tarifpartner Gewährleistet die Koalitionsfreiheit den Koalitionen auf der einen Seite unter bestimmten Voraussetzungen die Teilnahme an der Tarifautonomie, räumt sie ihnen auf der anderen Seite die Freiheit ein zu wählen, ob sie sich tarifpolitisch betätigen möchten. Koalitionen, die die Anforderungen erfüllen, sind nicht zur Teilnahme an der Tarifautonomie verpflichtet, es besteht vielmehr „Koalitionsmittelwahlfreiheit“.305 Jede Koalition kann grundsätzlich darauf verzichten, ihren Beitrag zur Ordnungsaufgabe durch den Abschluss von Tarifverträgen zu leisten.306 Daraus folgt als subjektive Voraussetzung der Tariffähigkeit der Koalition ihr Wille, Tarifverträge zu schließen. Eine Vereinigung, der dieser Wille fehlt, kann gleichwohl Koalition im Sinne von Art. 9 Abs. 3 GG sein.307 Es handelt sich bei der Tarifwilligkeit um eine tarifrechtsspezifische Anforderung, die den Besonderheiten Rechnung tragen soll, die sich aus der Tarifnormsetzungsbefugnis ergeben. Auch ohne Teilnahme an der Tarifautonomie können Koalitionen einen Beitrag zur Ordnung des Arbeitslebens leisten, etwa durch rechtliche Beratung oder prozessuale Vertretung ihrer Mitglieder – das gilt für Gewerkschaften und Koalitionen gleichermaßen. Aus diesem Grund ist die Auffassung Nikischs308 abzulehnen, nach der das Erfordernis der Tarifwilligkeit nicht für Arbeitgeberverbände 302  BAG

6.7.1956 AP Nr. 11 zu § 11 ArbGG 1953 = BAGE 4, 351 (352). 15.11.1963 AP Nr. 14 zu § 2 TVG = SAE 1964, 193 (197). 304  Siehe nur BAG 28.3.2006 AP Nr. 4 zu § 2 TVG Tariffähigkeit = NZA 2006, 1112 (1114); BAG 14.12.2004 AP Nr. 1 zu § 2 TVG Tariffähigkeit = NZA 2005, 697 (699 f.); BAG 16.11.1982 AP Nr. 32 zu § 2 TVG unter B. III. 2. a). 305  Greiner in: Henssler / Moll / Bepler, Der Tarifvertrag, Teil 2, Rn. 53, 123; vgl. auch Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2, Rn. 25. 306  Vgl. Gamillscheg, KollArbR I, S. 527 f. 307  So auch Greiner in: Henssler / Moll / Bepler, Der Tarifvertrag, Teil 2, Rn. 53 m. w. N.; a. A. aber Hueck / Nipperdey, Arbeitsrecht II / 1, S. 105; Gamillscheg, Koll­ ArbR I, S. 528; Stein in: Kempen / Zachert, TVG, § 2, Rn. 116. 308  Nikisch, Arbeitsrecht II, S. 244 f. 303  BAG



§ 7  Tarifrechtsspezifische Anforderungen: Die einzelnen Kriterien 77

bestehen soll, sondern nur für Gewerkschaften, weil nur für Letztere der Abschluss von Tarifverträgen das „einzige und notwendige Mittel zur Erreichung des Koalitionszweckes“ sei. Zur Koalitionsmittelwahlfreiheit gehört, dass die Tarifwilligkeit grundsätzlich jederzeit widerrufen werden kann.309 Damit dies nicht dazu führt, dass sich Koalitionen der Wirkung unliebsamer Tarifverträge entziehen können, muss eine Missbrauchskontrolle stattfinden, nach der im Fall des Missbrauchs der Tarifvertrag trotz Tarifunwilligkeit bis zum Ende der vereinbarten Laufzeit fortwirkt.310 Soweit die Tariffähigkeit einer Koalition anlässlich der Feststellung der Wirksamkeit eines abgeschlossenen Tarifvertrags in Frage steht, kann am subjektiven Vorliegen der Tarifwilligkeit kein Zweifel bestehen – andernfalls würde sich die Unwirksamkeit des Tarifvertrags schon aus fehlendem Rechtsbindungswillen ergeben.311 Schwierigkeiten bestehen indes im Vorfeld: Die Koalitionsmittelwahlfreiheit hat zur Folge, dass die Tariffähigkeit von Koalitionen, die an sich alle Voraussetzungen der Tariffähigkeit erfüllen, gleichwohl ungewiss ist, soweit ihre Tarifwilligkeit im Dunkeln liegt. Aus verschiedenen Gründen ist dies eine unbefriedigende Ausgangssituation. In der Zeit der Weimarer Republik, als das Kriterium der Tarifwilligkeit entwickelt wurde, versuchten die Arbeitgeberverbände, sich die unklare Lage zunutze zu machen, um sich durch Berufung auf Tarifunwilligkeit der Zwangsschlichtung zu entziehen.312 Heute wird überwiegend befürchtet, dass Unklarheiten über die Tarifwilligkeit der Koalitionen zulasten potentieller Mitglieder gehen.313 Für sie wäre kaum ersichtlich, ob sie sich mit einem Beitritt einer potentiellen Tarifnormsetzung unterwerfen oder nicht. Zudem würde die fehlende Transparenz zulasten potentieller Tarifpartner 309  Löwisch / Rieble,

TVG, § 2, Rn. 152. in: Henssler / Moll / Bepler, Der Tarifvertrag, Teil 2, Rn. 123; Stein in: Kempen / Zachert, TVG, § 2, Rn. 116 meint indes, eine Arbeitgebervereinigung könne nur auf ihre Tarifwilligkeit verzichten, indem sie „generell die Interessenvertretung ihrer Mitglieder im Bereich der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen aufgibt und damit z. B. nur noch als Wirtschafts- bzw. Industrieverband tätig wird“, ebenso Peter in: Däubler, TVG, § 2, Rn. 110. 311  Oftmals wird die Tarifwilligkeit aber auch in Sachverhalten relevant, die mit dem Abschluss von Tarifverträgen nicht unmittelbar zusammenhängen, auf die § 2 Abs. 1 TVG aber ausstrahlt; etwa wenn um die Prozessvertretungsbefugnis eines Angehörigen einer Arbeitnehmer- oder Arbeitgeberkoalition nach § 11 Abs. 2 Nr. 4 ArbGG gestritten wird, vgl. Stein, Tarifvertragsrecht, Rn. 41. Sofern entgegen BAG 16.11.1989 AP Nr. 11 zu § 11 ArbGG 1979 = NZA 1990, 666 von einem einheitlichen Gewerkschafts- / Arbeitgeberverbandsbegriff ausgegangen wird, sind die hier niedergelegten Grundsätze zur Tarifwilligkeit auf diese Sachverhalte übertragbar. 312  Siehe bereits oben § 7 I. 1. 313  Löwisch / Rieble, TVG, § 2, Rn. 149; Löwisch, ZfA 1970, 295 (304); Hromadka / Maschmann, Arbeitsrecht II, § 12, Rn. 28. 310  Greiner

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2. Teil: Tariffähigkeit

gehen, die vor einer Aufforderung zu Tarifverhandlungen in Unkenntnis über die Tariffähigkeit des potentiellen Partners wären.314 Um die unklare Ausgangslage zu beseitigen, wird ganz überwiegend verlangt, dass Koalitionen ihre Tarifwilligkeit manifestieren müssen, um tariffähig zu sein.315 Ist von Tarifwilligkeit die Rede, geht es mithin in aller Regel weniger um die subjektive Komponente dieses Kriteriums, als vielmehr um dessen Manifestation, sprich seine Projektion nach außen. Sinnvoller wäre es daher, umfassend vom Kriterium der manifestierten Tarifwilligkeit zu sprechen. Nach der herrschenden Meinung muss die Manifestation in der Satzung erfolgen316, wobei die Mehrheit es ausreichen lässt, dass sie sich aus einer Auslegung der Satzung ergibt317. Als Argument wird angeführt, angesichts § 2 Abs. 3 TVG, der die Tariffähigkeit von Spitzenverbänden von einer entsprechenden Satzungsbestimmung abhängig macht, müsse dies auch von einfachen Koalitionen verlangt werden.318 Teilweise wird hingegen vertreten, die Satzung sei für das Bestehen der Tarifwilligkeit zu vernachlässigen, es komme vielmehr auf das tatsächliche Verhalten der jeweiligen Koalition an.319 Maßgebend soll vor allem das „ernsthafte Bemühen um Tarifvertragsabschlüsse“ sein.320 Die Vertreter dieser Auffassung ziehen ebenfalls § 2 Abs. 3 TVG zur Begründung heran, entnehmen diesem aber im Umkehrschluss, dass eine satzungsmäßige Manifestation der Tarifwilligkeit bei einfachen Koalitionen anders als bei Spitzenverbänden vom Gesetzgeber gerade nicht gewollt sei.321 Es sei sinnwidrig, wenn in konsequenter Anwendung der Gegenauffassung eine Koalition, die bereits zahlreiche Tarifverträge abgeschlossen hat, mangels Tarifwilligkeit für tarifunfähig erklärt werde.322 Die Frage, in welcher Form die Manifestation der Tarifwilligkeit zu erfolgen hat, ist zunächst zurückzustellen. Vorrangig ist zu klären, ob eine 314  Kempen

in: Kempen / Zachert, § 2, Rn. 16. in: Dieterich, ErfK, TVG, § 2, Rn. 8; Löwisch / Rieble, TVG, § 2, Rn. 147; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2, Rn. 366; Peter in: Däubler, TVG, § 2, Rn. 46; § 2, Rn. 46; Hromadka / Maschmann, Arbeitsrecht II, § 12, Rn. 28; Hueck / Nipperdey, Arbeitsrecht II / 1, S. 105. 316  Franzen in: Dieterich, ErfK, TVG, § 2, Rn. 8; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2, Rn. 366; 368; Greiner in: Henssler / Moll / Bepler, Der Tarifvertrag, Teil 2, Rn. 53; Hromadka / Maschmann, Arbeitsrecht II, § 12, Rn. 28. 317  Insb. Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2, Rn. 368 m. w. N. 318  Löwisch / Rieble, TVG, § 2, Rn. 147; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2, Rn. 366. 319  Peter in: Däubler, TVG, § 2, Rn. 46; Kempen in: Kempen / Zachert, TVG, § 2, Rn. 34. 320  Peter in: Däubler, TVG, § 2, Rn. 47. 321  Peter in: Däubler, TVG, § 2, Rn. 46; Kempen in: Kempen / Zachert, TVG, § 2, Rn. 34; Stein, Tarifvertragsrecht, Rn. 42. 322  Peter in: Däubler, TVG, § 2, Rn. 46. 315  Franzen



§ 7  Tarifrechtsspezifische Anforderungen: Die einzelnen Kriterien 

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Manifestation der Tarifwilligkeit als tarifrechtsspezifische Anforderung überhaupt verfassungskonform ist. Wie eingangs ausgeführt, ist es gerade Bestandteil der Koalitionsfreiheit, dass die Koalitionen über das Ob ihrer tarifpolitischen Betätigung frei entscheiden können. Diese Freiheit wird beeinträchtigt, wenn von den Koalitionen die Manifestation ihrer Tarifwilligkeit verlangt wird, damit sie tariffähig sein können. Wie oben dargestellt, hat das Reichsarbeitsgericht in der Weimarer Zeit hohe Anforderungen an die Tarifwilligkeit gestellt, um zu verhindern, dass sich Arbeitgeberverbände durch Berufung auf ihre Tarifunwilligkeit der Zwangsschlichtung entziehen. Die Umgehung der Zwangsschlichtung hätte einen Bestandteil des Tarifvertragssystems ausgehebelt und damit die Tarifautonomie in der seinerzeitigen Form gefährdet. Das Erfordernis war mithin ein grundsätzlich geeignetes Mittel zur Gewährleistung der Tarifautonomie. Allerdings sieht das heutige Tarifrecht eine Zwangsschlichtung nicht vor, das Erfordernis der Tarifwilligkeit kann heute daher nicht mehr mit dem Zweck legitimiert werden, einer Umgehung der Zwangsschlichtung entgegenzuwirken. Es bedarf stattdessen einer Legitimierung, die den heutigen Umständen Rechnung trägt. Kempen sieht heute kein Bedürfnis für eine manifestierte Tarifwilligkeit, weil „die Teilnahme solcher Vereinigungen an der Tarifautonomie, die die Tarifwilligkeit nicht in der Satzung zum Ausdruck bringen, den Schutzzweck der Tarifautonomie nicht gefährdet“.323 Damit stellt er sich gegen die herrschende Meinung, die richtigerweise hauptsächlich auf den Schutz potentieller Mitglieder abstellt324: Diese sollen erkennen können, ob sie sich durch einen Beitritt der Tarifnormsetzung des Verbandes aussetzen. Der Ansatz wurde überwiegend mit Blick auf die Gewerkschaften zum Schutz der Arbeitnehmer entwickelt, lässt sich aber auf den Schutz der Arbeitgeber als Mitglieder von Arbeitgeberverbänden übertragen. Über den Schutzgedanken hinaus trägt die durch eine manifestierte Tarifwilligkeit gewährleistete Transparenz dazu bei, dass die Ordnungsfunktion der Tarifautonomie erfüllt wird. Denn Voraussetzung einer insgesamt funktionsfähigen Tarifautonomie ist, dass die betroffenen Individuen Vertrauen in die Sozialpartner haben. Bleiben Beitritte weitgehend aus, weil die potentiellen Mitglieder die Folgen des Beitritts nicht absehen können, würde die Tarifautonomie nachhaltig Schaden nehmen. Ein Grund zur Differenzierung zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern ist hier nicht auszumachen. Bruhn hält die Manifestation der Tarifwilligkeit ebenfalls für geboten – allerdings nicht als konstitutive Voraussetzung der Tariffähigkeit, sondern 323  Kempen in: Kempen / Zachert, TVG, § 2, Rn. 34; ablehnend auch schon Herschel, BABl. 1950, 377 (378). 324  Insb. Löwisch / Rieble, TVG, § 2, Rn. 149; Löwisch, ZfA 1970, 295 (304); Hromadka / Maschmann, Arbeitsrecht II, § 12, Rn. 28.

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2. Teil: Tariffähigkeit

nur als im Innenverhältnis gegebene Verpflichtung der Koalition gegenüber ihren Mitgliedern.325 Tarifunwilligkeit soll danach nicht die Tarifunfähigkeit der Koalition zur Folge haben, der wirksame Abschluss eines Tarifvertrags soll aber an der fehlenden Vertretungsmacht gegenüber den Mitgliedern scheitern. Bruhn verkennt dabei den umfassenden Schutzgedanken, der der Forderung nach einer manifestierten Tarifwilligkeit zugrunde liegt. Nicht nur Arbeitnehmer und Arbeitgeber als Individuen sollen von der dadurch entstehenden Transparenz profitieren, sondern auch andere Akteure des Tarifvertragssystems, namentlich potentielle Tarifvertragspartner.326 Die Manifestation der Tarifwilligkeit ist demnach als Voraussetzung der Tariffähigkeit anzuerkennen. Folglich ist weiter zu fragen, ob es stets einer Festlegung der Tarifwilligkeit in der Satzung bedarf oder ob es ausreicht, dass sich die Tarifwilligkeit aus dem Verhalten der Koalition ergibt. Die Vertreter beider Auffassungen ziehen § 2 Abs. 3 TVG, nach dem Spitzenverbände nur bei satzungsgemäßer Festlegung ihrer Tarifwilligkeit tariffähig sind, zur Begründung ihres Standpunktes heran. Die eine Gruppe argumentiert, der in § 2 Abs. 3 TVG niedergeschriebene Gedanke lasse sich auf einfache Verbände übertragen.327 Die andere meint, der Gesetzgeber hätte auch für die einfachen Verbände eine ausdrückliche Regelung getroffen, hätte er das Erfordernis gewollt.328 Einen zuverlässigen Schluss lässt § 2 Abs. 3 TVG nicht zu – zu kontrovers sind die möglichen Lesarten. Maßgeblich ist stattdessen auch hier auf den Schutzgedanken abzustellen, der dem Erfordernis zugrunde liegt. Potentielle Mitglieder werden am besten geschützt, wenn sich die Tarifwilligkeit durch einen Blick in die Satzung feststellen lässt – Unklarheiten gingen schließlich stets zu ihren Lasten. Peter verneint dies exklusiv für den Arbeitgeberverband.329 Es sei – besonders angesichts hoher Beitragszahlungen – falsch, davon auszugehen, „dass sich der Arbeitgeber vor seinem Beitritt nicht über die Zielsetzung des Verbandes und die Vor- und Nachteile einer Mitgliedschaft informieren würde“. Diese Differenzierung ist nicht nachzuvollziehen. Die Konsequenzen eines Beitritts können für Arbeitnehmer wie Arbeitgeber gleichermaßen einschneidend sein. Freilich sind die Beitragszahlungen der Arbeitgeber in absoluten Zahlen erheblich höher als die Mitgliedsbeiträge in den Gewerkschaften; die Beurteilung der individuellen subjektiven Belastung ist jedoch keiner kategorischen Differenzierung nach Arbeitgeber und Arbeitnehmer 325  Bruhn,

Tariffähigkeit von Gewerkschaften und Autonomie, S. 183 ff. Kempen in: Kempen / Zachert, § 2, Rn. 16. 327  Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2, Rn. 366; Löwisch / Rieble, TVG, § 2, Rn. 147. 328  Peter in: Däubler, TVG, § 2, Rn. 46; Kempen in: Kempen / Zachert, TVG, § 2, Rn. 34; Stein, Tarifvertragsrecht, Rn. 42. 329  Peter in: Däubler, TVG, § 2, Rn. 108. 326  Vgl.



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zugänglich. Hinzu kommt, dass – wie oben ausgeführt – die Erkennbarkeit der Tarifwilligkeit auch dem potentiellen Tarifpartner dient und damit letztlich auch zur Herstellung eines Kräftegleichgewichts zugunsten der Arbeitnehmer beiträgt. Neben der Satzung darf das tatsächliche Verhalten der Verbände indes nicht völlig außer Acht gelassen werden. Laut Bundesarbeitsgericht ist eine Satzungsbestimmung, die die Tarifwilligkeit festlegt, bedeutungslos, „wenn es sich nur um eine auf dem Papier stehende Formulierung handelt“.330 Löwisch / Rieble formulieren plakativ, die Tarifwilligkeit müsse „auch gelebt werden“.331 Die Anforderungen an die Satzungsbestimmung dürfen überdies nicht formalistisch überzogen werden – das gilt besonders, wenn das tatsächliche Verhalten der Koalition über einen längeren Zeitraum unmissverständlich Tarifwilligkeit signalisiert. 3. Tarifwilligkeit und OT-Mitgliedschaften Die Tarifwilligkeit wird teilweise angezweifelt, wenn Arbeitgeberverbände OT-Mitgliedschaften anbieten. Als Reaktion auf zunehmenden Mitgliederschwund, vor allem in den 1990er Jahren, gingen viele Verbände dazu über, ein zusätzliches Angebot für Arbeitgeber zu schaffen, die eine Tarifbindung ablehnen.332 Es ist zwischen zwei Modellen zu differenzieren: Beim Aufteilungsmodell bestehen zwei rechtlich selbständige Verbände nebeneinander, von denen einer tarifpolitisch tätig ist, während der andere die übrigen Verbandsaufgaben, wie Beratungsleistungen oder Prozessvertretungen, wahrnimmt. Die tarifgebundenen Arbeitgeber sind in beiden Verbänden Mitglied, die tarifungebundenen nur in Letzterem. Beim Stufenmodell bietet ein einheitlicher Verband sowohl tarifgebundene als auch tarifungebundene Mitgliedschaft an.333 Die Zulässigkeit des Aufteilungsmodells ist bereits seit langem allgemein anerkannt.334 Der für die außerhalb der Tarifpolitik liegenden Aufgaben zuständige Verband macht zulässigerweise von seiner Koalitionsmittelwahlfreiheit Gebrauch und ist gleichwohl Koalition im Sinne von Art. 9 Abs. 3 GG. Inzwischen ist auch die grundsätzliche Zulässigkeit des Stufenmodells höchstrichterlich bestätigt.335 Die Rechtsprechung 330  BAG

15.3.1977 AP Nr. 24 zu Art. 9 GG unter IV 3. TVG, § 2, Rn. 151. 332  Näher oben § 1 III. 333  Näher zu beiden Modellen Melot de Beauregard, Mitgliedschaft in Arbeit­ geberverbänden und Tarifbindung, S. 66 ff. 334  Vgl. statt vieler Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2, Rn. 25. 335  BAG 18.7.2006 AP Nr. 19 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit; BVerfG 1.12.2010 AP Nr. 146 zu Art. 9 GG. 331  Löwisch / Rieble,

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geht damit zu Recht davon aus, dass auch ein Verband, der nicht ausschließlich tarifgebundene Mitglieder aufweist, tarifwillig und damit tariffähig sein kann. Die Tariffähigkeit bezieht sich stets auf den gesamten Verband, eine Differenzierung nach Mitgliedern findet nicht statt.336 Diese „einheitliche Tarifwilligkeit“ des Verbandes wird durch das Angebot unterschiedlicher Mitgliedschaftsformen und die Koexistenz tarifgebundener und tarifungebundener Mitglieder grundsätzlich nicht berührt.337 Unklar ist, ob dies auch noch gilt, wenn die OT-Mitglieder einen Großteil der Mitglieder des Verbandes ausmachen. In der Literatur wird die Tarifwilligkeit teils für den Fall verneint, dass „die tarifgebundenen Mitglieder nur noch die Ausnahme im Arbeitgeberverband darstellen“.338 Teilweise wird die Tarifwilligkeit bereits angezweifelt, sobald die tarifgebundenen Mitglieder nicht mehr in der Überzahl sind.339 Bisweilen wird eine feste quotenmäßige Beurteilung zugunsten einer differenzierten Einzelfallbetrachtung abgelehnt, wobei u. a. eine „abnehmende Tendenz“ der tarifgebundenen Mitgliedschaften zulasten der Tarifwilligkeit zu berücksichtigen sein soll.340 Als Begründung wird von allen im Wesentlichen angeführt, die zahlenmäßige Unterlegenheit der tarifgebundenen Mitglieder führe dazu, dass Ziel des Verbandes nicht mehr sein könne, durch den Abschluss von Tarifverträgen die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu regeln. Ab einem bestimmten Grad sei der Tarifvertragsschluss „nicht einmal mehr Nebenziel“ des Verbandes.341 Verbänden mit einer Mehrheit tarifungebundener Mitglieder wird also abgesprochen, einen Beitrag zur Erfüllung der Ordnungsfunktion der Tarifautonomie leisten zu können.342 Hiergegen wenden sich Thüsing / Stelljes.343 Sie kritisieren, die Frage der Tarifwilligkeit könne nicht anhand des Verhältnisses zwischen tarifgebundenen und tarifungebundenen Arbeitgebern beurteilt werden. Aussagekräftig im Hinblick auf den Ordnungsbeitrag sei nicht die Zahl der von der Tarifbindung betroffenen Arbeitgeber, sondern der betroffenen Arbeitsverhältnisse. TatOtto, NZA 1996, 624 (627). TVG, § 2, Rn. 148. 338  Otto, NZA 1996, 624 (627). 339  Kissel, Arbeitskampfrecht, § 7, Rn. 15; Schlochauer, FS Schaub, S. 699 (705 f.); wohl auch Gamillscheg, KollArbR I, S. 529. Um einer Tarifunfähigkeit wegen zu vieler OT-Mitglieder entgegenzuwirken, wird vorgeschlagen, in der Satzung die OT-Mitgliedschaften quotenmäßig zu begrenzen, vgl. Deinert, RdA 2007, 83 (90); Schlochauer, FS Schaub, S. 699 (706). 340  Besgen, Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband ohne Tarifbindung, S. 116. 341  Otto, NZA 1996, 624 (627); dem folgend Besgen, Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband ohne Tarifbindung, S. 116. 342  Vgl. insb. Kissel, Arbeitskampfrecht, § 7, Rn. 15. 343  Thüsing / Stelljes, ZfA 2005, 527 (544 f.). 336  Vgl.

337  Löwisch / Rieble,



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sächlich kann eine Minderheit tarifgebundener Arbeitgeber mehr Arbeitsverhältnisse umfassen als die ihr gegenüberstehende Mehrheit tarifungebundener Arbeitgeber.344 Umgekehrt ist es ebenso möglich, dass hinter einer Mehrheit tarifgebundener Arbeitgeber deutlich weniger Arbeitsverhältnisse stehen als hinter der tarifungebundenen Minderheit, die womöglich aus wenigen großen Unternehmen besteht. Gleichwohl plädieren Thüsing / Stelljes nicht für eine andere Berechnungsweise – im Interesse der Rechtssicherheit soll vielmehr das Vorliegen der Tarifwilligkeit unabhängig von OT-Mitgliedschaften allein nach der Satzung des Verbandes zu bestimmen sein.345 Dies verdient Zustimmung. Der Aussagewert von Statistiken über die Tarifbindung im jeweiligen Verband ist denkbar gering. Generalisierende Schlüsse von der Statistik auf die Tarifwilligkeit des Verbandes sind verfehlt. Eine deutliche Mehrheit tarifungebundener Mitglieder schließt nicht aus, dass die Interessen weniger großer Unternehmen im Verband so schwer wiegen, dass der Abschluss von Tarifverträgen gleichwohl ein bedeutendes Verbandsziel darstellt. Aber auch wenn eine Einzelfallbetrachtung ergibt, dass sich der Abschluss von Tarifverträgen zum Nebenzweck entwickelt hat, schließt das die Tarifwilligkeit des Verbandes nicht aus. Es mag zwar zutreffen, dass Verbände, die den Abschluss von Tarifverträgen als oberstes Verbandsziel verfolgen, tendenziell einen größeren Beitrag zur Ordnungsaufgabe leisten. Darauf kann es aber nicht ankommen. Dies gilt umso mehr, wenn man in Erinnerung ruft, dass das Erfordernis der Tarifwilligkeit maßgeblich auf Erwägungen des Mitgliederschutzes basiert. Die Tariffähigkeit von Verbänden, die nur nebensächlich am Abschluss von Tarifverträgen interessiert sind, hat keine negativen Auswirkungen, solange hinreichende Transparenz besteht, damit der Schutz potentieller Mitglieder gewahrt wird. Eine engere Auslegung des Tarifwilligkeitskriteriums dient nicht der Gewährleistung der Tarifautonomie, sie wäre daher eine nicht gerechtfertigte Verletzung der Koalitionsfreiheit. Wenn darauf abgestellt wird, dass der Abschluss von Tarifverträgen soweit zur Nebensache verkommen könne, dass ihm keinerlei eigenständige Bedeutung als Verbandsziel mehr zukomme346, so stützt dies nicht die Auffassung, eine Mehrheit tarifungebundener Mitglieder führe zur Tarifunwilligkeit. Ein solcher Fall läge nur vor, wenn der Verband offenkundig keine Tarifverträge mehr abschließen will. In diesem Fall fehlt es – auch bei entgegenstehender Satzungsbestimmung – an der Tarifwilligkeit, ohne dass für diesen Schluss auf die Menge an tarifungebundenen Mitgliedern abgestellt werden müsste. Thüsing / Stelljes, ZfA 2005, 527 (544 f.). ZfA 2005, 527 (544 f.). 346  So insb. Besgen, Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband ohne Tarifbindung, S. 116. 344  Vgl.

345  Thüsing / Stelljes,

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II. Demokratische Binnenorganisation 1. Hintergrund In den 1960er und 1970er Jahren gab es innerhalb der Gewerkschaften eine laute Debatte über die Frage, ob eine demokratische Binnenorganisation Voraussetzung effizienter gewerkschaftlicher Arbeit sei oder – im Gegenteil – dieser zuwiderlaufe.347 Diese politische Debatte hat auch eine rechtliche Diskussion angestoßen. Es wurde darüber gestritten, ob eine demokratische Organisation nicht nur politisch sinnvoll, sondern rechtlich zu fordern sei. Ihren Höhepunkt fand diese Diskussion in den 1970er Jahren im Zuge der Bestrebungen, ein Verbändegesetz zu schaffen. Der Entwurf der FDP vom 19. Dezember 1976348 enthielt in § 14 Bestimmungen, die ausdrücklich eine demokratische Willensbildung in den Verbänden vorschrieben. Diese legislativen Bestrebungen taten ihr Übriges, die Diskussion weiter anzuheizen. So findet sich im Schrifttum der 1960er und 1970er Jahre eine Vielzahl an Ansichten zu der Frage, ob tariffähige Koalitionen demokratisch organisiert sein müssen. Seinerzeit wie heute wird diese Frage im Schrifttum weit überwiegend bejaht.349 Vorwiegend beziehen sich die Autoren in ihren Ausführungen terminologisch allgemein auf Koalitionen. Gleichwohl ergibt sich in den meisten Fällen aus der inhaltlichen Einbettung und mit Blick auf den geschichtlichen Kontext, dass sich die dargestellten Auffassungen – jedenfalls primär – auf Gewerkschaften beziehen sollen. In den meisten Fällen kann wohl davon ausgegangen werden, dass sich die Autoren nicht bedeutend mit der Frage auseinandergesetzt haben, ob ihre Aussagen auch Gültigkeit in Bezug auf Arbeitgeberverbände besitzen. 2. Auf die Gewerkschaft fokussierte Begründung Zur Begründung des Erfordernisses demokratischer Binnenorganisation werden im Schrifttum verschiedene Lösungsansätze vorgetragen.350 Es wird Frerichs / Pohl, Zukunft der Gewerkschaften, S. 44 m. w. N. in RdA 1977, 235 ff. 349  Franzen in: Dieterich, ErfK, TVG, § 2, Rn. 15; Löwisch / Rieble, TVG, § 2, Rn. 91 ff.; Föhr, Willensbildung in den Gewerkschaften und Grundgesetz, S. 123 ff.; Hanau / Adomeit, Arbeitsrecht, Rn. 175; Henssler in: Henssler / Willemsen / Kalb, § 2 TVG, Rn. 13; Hromadka / Maschmann, Arbeitsrecht II, § 12, Rn. 23; Hueck / Nipperdey, Arbeitsrecht II / 1, S. 102; Lieb / Jacobs, Arbeitsrecht, § 6, Rn. 557; Stindt, Verfassungsgebot und Wirklichkeit, S. 207 f.; Zöllner / Loritz / Hergenröder, Arbeitsrecht, S. 97 f. 350  Ein ausführlicher Überblick über die Begründungsansätze findet sich auch bei Schüren, Die Legitimation der tariflichen Normsetzung, S. 230 ff. 347  Näher

348  Abgedruckt



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vertreten, dass Art. 21 Abs. 1 S. 2  GG, der von Parteien verlangt, dass ihre innere Ordnung demokratischen Grundsätzen entspricht351, im Wege einer analogen Anwendung auch für Gewerkschaften gelten soll. Die Vertreter dieser Auffassung sehen eine „funktionale Vergleichbarkeit“352 zwischen Gewerkschaften und Parteien, die eine Gleichbehandlung beider Organisationsformen gebiete.353 Leisner spricht bei der Gewerkschaftstätigkeit von „parteiähnlichen, häufig parteiunterstützenden Aktivitäten“.354 Föhr meint sogar, die Funktionen der Gewerkschaften entsprächen weitgehend denen der Parteien.355 Nicklisch ist der Auffassung, das Erfordernis eines Mindestmaßes demokratischer Organisation ergebe sich aus einer „Horizontalwirkung“ der Grundrechte. Mit Eintritt des Mitglieds in den Verband entstehe zwischen beiden ein Verhältnis der Über- und Unterordnung, das mit der Beziehung zwischen Individuum und Staat vergleichbar sei.356 Um das Mitglied vor den Gefahren eines solchen Verhältnisses zu schützen, sei – insbesondere im Hinblick auf das Sozialstaatsprinzip357 – von einer Wirkung der Grundrechte auszugehen. Die relevanten Grundrechte sieht Nicklisch vor allem in dem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, dem Recht auf Meinungsfreiheit und dem Recht der individuellen Vereinigungsfreiheit. Aus diesen ergebe sich, dass Verbände insbesondere einen gewissen Minderheitenschutz, Meinungsfreiheit und Transparenz gewährleisten müssten.358 Diese Rechte der Mitglieder sind – so Nicklisch – als „Korrelat zu ihrer Unterwerfung unter die Verbandsgewalt“ zu verstehen.359 Ridder begründet das Erfordernis demokratischer Binnenorganisation ebenfalls anknüpfend an das Sozialstaatsprinzip, aus dem sich eine „Bindung […] an bestimmte demokratische Grundprinzipien“ ergebe.360 An sich sieht Ridder den sozialen Staat durch einen „gleichheitssichernden Pluralismus der Gesellschaft“ hinreichend gewährleistet. Sobald dieser jedoch gefährdet sei, was namentlich durch die Zunahme großer Verbände zu befürchten sei, 351  Einzelheiten zum Erfordernis der demokratischen Organisation für Parteien bei Klein in: Maunz / Dürig, Art. 21, Rn. 331 ff. 352  Die Terminologie stammt von Schüren, Die Legitimation der tariflichen Normsetzung, S. 233. 353  Föhr, Willensbildung in den Gewerkschaften und Grundgesetz, S. 123 ff.; teilweise bejahend Popp, JöR 1977, 145 (165 ff.); ohne ausdrücklich von einer analogen Anwendung zu sprechen auch Hueck / Nipperdey, Arbeitsrecht II / 1, S. 102 und Stindt, Verfassungsgebot und Wirklichkeit, S. 207 f. 354  Leisner, ZRP 1979, 275 (276). 355  Föhr, Willensbildung in den Gewerkschaften und Grundgesetz, S. 126. 356  Nicklisch, FS Schiedermair, S. 459 (471 ff.). 357  Vgl. diesbezüglich auch Ramm, Die Freiheit der Willensbildung, S. 114. 358  Nicklisch, FS Schiedermair, S. 459 (473 f.). 359  Nicklisch, FS Schiedermair, S. 459 (474). 360  Ridder, Zur verfassungsrechtlichen Stellung der Gewerkschaften, S. 18 f.

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müssten besondere Anforderungen gestellt werden. In „Massenorganisationen“ seien daher demokratische Grundsätze – insbesondere die „Unantastbarkeit der Oppositions- und Meinungsfreiheit“ – zu beachten.361 Teils wird das Erfordernis demokratischer Organisation mit dem Hinweis begründet, dass Koalitionen mit der Ordnung des Arbeitslebens eine öffentliche Aufgabe erfüllen.362 Lerche misst dieser öffentlichen Aufgabe eine derart große Bedeutung für die soziale Ordnung bei, dass er in Koalitionen „Mitträger der freiheitlich demokratischen Grundordnung“ sieht. Als solche müssten sie in ihrer Binnenorganisation ebenfalls demokratische Grundsätze einhalten.363 Aus einer analogen Anwendung des Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG kann sich das Erfordernis einer demokratischen Binnenorganisation nicht ergeben. Zweifelhaft ist schon, ob eine planwidrige Regelungslücke besteht. Allerdings ist dieser Einwand zu vernachlässigen, da ein wesentlicher Teil der Vertreter nicht ausdrücklich auf eine analoge Anwendung abstellt, sondern eher auf eine Übertragung der Grundsätze des Art. 21 Abs. 1 S. 2  GG aus allgemeinen Erwägungen plädiert.364 Dessen ungeachtet ist auch die angenommene Vergleichbarkeit von Parteien und Gewerkschaften kritisch zu sehen. Zweifelsohne gibt es Überschneidungspunkte in den Tätigkeitsspektren von Parteien und Gewerkschaften. In ihrer jeweiligen Kernfunktion unterscheiden sich Parteien und Gewerkschaften indes erheblich: Während Parteien essentieller Bestandteil der repräsentativen Demokratie sind – nur Parteien können Kandidaten für politische Wahlen aufstellen365 –, besteht die Hauptfunktion der Gewerkschaften in der Interessenvertretung366. Hierin liegt ein elementarer Unterschied, über den die Vertreter einer analogen Anwendung des Art. 21 Abs. 1 S. 2  GG bzw. einer Übertragung der darin enthaltenen Grundsätze hinweggehen. Die übrigen Begründungsansätze stellen im Kern alle auf das besondere Verhältnis zwischen Verband und Verbandsmitglied ab. Sie wollen der Tarifmacht, der sich das Mitglied durch die Unterwerfung unter die Verbandsgewalt aussetzt, dadurch Rechnung getragen sehen, dass für dieses besondere Verhältnis sozialstaatliche Grundsätze Anwendung finden. Das Verhältnis zwischen Verband und Verbandsmitglied betrachtet Nicklisch als ein 361  Ridder,

Zur verfassungsrechtlichen Stellung der Gewerkschaften, S. 19. Arbeitsrecht, Rn. 175; Lerche, Verfassungsrechtliche Zentralfragen des Arbeitskampfes, S. 29. 363  Lerche, Verfassungsrechtliche Zentralfragen des Arbeitskampfes, S. 29. 364  Vor allem Hueck / Nipperdey, Arbeitsrecht II / 1, S. 102; Stindt, Verfassungsgebot und Wirklichkeit, S. 207 f. 365  Vgl. Popp, JöR 1977, 145 (168). 366  Vgl. Scholz, Die Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, S. 174 ff. 362  Hanau / Adomeit,



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Verhältnis der Über- und Unterordnung.367 Gerade mit Blick auf die Gewerkschaft ist dem zuzustimmen. Gewerkschaftsmitglieder sind natürliche Personen, die als Einzelne den Organen der Gewerkschaft gegenüberstehen und deren Persönlichkeitsrechte beachtet werden müssen.368 Gerade in großen Gewerkschaften hat das einzelne Mitglied ohne manifestierte Beteiligungsrechte kaum nennenswerte Möglichkeiten der Einflussnahme. Druckmittel gegenüber der Gewerkschaft sind rar, weil eine Alternative zur Aufrechterhaltung der Mitgliedschaft praktisch kaum besteht. Ein echter Gewerkschaftspluralismus ist nicht gewährleistet.369 Nur in den wenigsten Branchen können Arbeitnehmer sich tatsächlich zwischen verschiedenen Gewerkschaften entscheiden. Es ist auch nicht davon auszugehen, dass sich diese Situation durch eine gesetzlich festgelegte Tarifeinheit370 entscheidend verändern wird. So bleibt zumeist nur die Möglichkeit, aus der Gewerkschaft auszutreten – mit der Folge, dass dem Arbeitnehmer eine Teilnahme an der Tarifautonomie versagt ist. Wenn der Staat trotz dieses verbandsinternen Ungleichgewichts den tariffähigen Koalitionen die weitreichende Befugnis überlässt, materiell verbindliches Recht zu schaffen, muss er dem Rechnung tragen, indem er sozialstaatliche Grundsätze innerhalb des Verbandes Anwendung finden lässt. Mit Biedenkopf muss eine solch weitreichende Befugnis insbesondere voraussetzen, „daß die Regierten auf den Inhalt der Regelung einwirken können“.371 Ohne dies zu gewährleisten, wäre es mit rechts- und sozialstaatlichen Grundsätzen nicht vereinbar, dass der Gesetzgeber entsprechende Zuständigkeiten nichtstaatlichen Organisationsformen überlässt.372 Für die Gewerkschaften ist der herrschenden Meinung im Schrifttum also darin zuzustimmen, dass innerhalb des Verbandes demokratische Grundsätze gelten müssen, wenngleich fraglich ist, welche konkreten Anforderungen daraus zu folgern sind. Das Bundesarbeitsgericht hat 2006 erstmals vorsichtig Stellung bezogen.373 Danach sieht es – auch im Hinblick auf die fehlende Nennung der demokratischen Organisation im Staatsvertrag374 – kein Bedürf367  Nicklisch,

FS Schiedermair, S. 459 (472). Stein in: Kempen / Zachert, TVG, § 2, Rn. 127; Greiner in: Henssler / Moll / Bepler, Der Tarifvertrag, Teil 2, Rn. 115. 369  Greiner, Rechtsfragen der Koalitions-, Tarif- und Arbeitskampfpluralität, S. 215; Greiner in: Henssler / Moll / Bepler, Der Tarifvertrag, Teil 2, Rn. 38; hierzu auch schon oben § 6  V.  2. 370  Zu den legislativen Bestrebungen siehe den Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 18. Legislaturperiode, S. 70. 371  Biedenkopf; Grenzen der Tarifautonomie, S. 54. 372  Vgl. Biedenkopf; Grenzen der Tarifautonomie, S. 52. 373  BAG 28.3.2006 AP Nr. 4 zu § 2 TVG Tariffähigkeit. 374  Oben § 6 VI. 368  Vgl.

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nis einer strengen demokratischen Binnenorganisation. Gleichwohl hält es „gewisse Mindestanforderungen an die demokratische Verfassung einer Gewerkschaft“ für notwendig.375 Diese sollen aber bereits erfüllt sein, wenn „die Statuten einer Arbeitnehmervereinigung […] die Gleichheit der Mitglieder und deren Teilnahme am innerverbandlichen Willensbildungsprozess vorsehen“.376 Es verwundert angesichts der Fülle an Literaturmeinungen, in welcher Kürze sich das Bundesarbeitsgericht mit der Frage auseinandersetzt. 3. Beurteilung für den Arbeitgeberverband Das Schrifttum differenziert überwiegend nicht zwischen Gewerkschaft und Arbeitgeberverband. Nennenswerte Beachtung findet nur die Frage, ob auch für Arbeitgeberverbände das Mehrheitsprinzip gelten soll. Praktischer Hintergrund ist, dass große Unternehmen, die hohe Beitragszahlungen leisten, auch eine entsprechend größere Beteiligungsmöglichkeit beanspruchen. Hierzu wird überwiegend vertreten, dass eine Abweichung vom Mehrheitsprinzip zugunsten einer Berücksichtigung der Belegschaftsgröße oder der wirtschaftlichen Bedeutung eines Unternehmens zulässig sei.377 Auch ohne dies ausdrücklich zu benennen, bringen die Vertreter dieser Auffassung unmissverständlich zum Ausdruck, dass sie grundsätzlich auch für Arbeitgeberverbände eine demokratische Binnenorganisation als Voraussetzung der Tariffähigkeit verlangen. Das verdient Zustimmung. Dass der Staat nichtstaatlichen Verbänden die Tarifmacht überlässt, gebietet auch auf Arbeitgeberseite die Gewährleistung eines Mitgliederschutzes.378 Gleichwohl verbietet sich eine pauschale Aufstellung identischer Anforderungen für Gewerkschaft und Arbeitgeberverband, weil sich beide strukturell voneinander unterscheiden. Der Arbeitgeber hat als Mitglied innerhalb des Verbandes eine Stellung inne, die mit der des einzelnen Arbeitnehmers innerhalb der Gewerkschaft nur begrenzt vergleichbar ist. Das Verhältnis zwischen Arbeitgeberverband und Arbeitgeber weist zwar ebenfalls Züge eines Über- und Unterordnungsverhältnisses auf, indes in abgeschwächter Form. Dies liegt daran, dass der Arbeitgeber unabhängig von den Strukturen im Verband für gewöhnlich nicht als machtloses Mitglied untergeht. Arbeitgeberverbände weisen regelmäßig weit weniger 375  BAG 28.3.2006 AP Nr. 4 zu § 2 TVG Tariffähigkeit = NZA 2006, 1112 (1117). 376  BAG 28.3.2006 AP Nr. 4 zu § 2 TVG Tariffähigkeit = NZA 2006, 1112 (1117 f.). 377  Peter in: Däubler, TVG, § 2, Rn. 117; Kempen in: Kempen / Zachert, TVG, § 2, Rn. 127; Löwisch / Rieble, TVG, § 2, Rn. 102. 378  Grundlegend oben § 6 V. 2.



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Mitglieder auf als Gewerkschaften.379 Schon dieser Umstand macht es Arbeitgebern leichter, im Verband Gehör zu finden. Während der einzelne Arbeitnehmer kaum eine nennenswerte Alternative hat, wenn er mit der Gewerkschaftspolitik unzufrieden ist, stehen dem Arbeitgeber in der Regel adäquate Optionen offen. Tritt der Arbeitgeber aus dem Verband aus, bleibt er anders als der einzelne Arbeitnehmer weiterhin tariffähig, da § 2 Abs. 1  TVG auch den einzelnen Arbeitgeber als Tarifvertragspartei benennt.380 Die Geschichte hat gezeigt, dass Arbeitgeber von dieser Möglichkeit Gebrauch machen und die Verbände verlassen, wenn sie sich nicht angemessen repräsentiert fühlen.381 Daneben besteht für Unternehmen die Möglichkeit, selber auf die Gründung eines Arbeitgeberverbandes hinzuwirken. Zwar ist auch Arbeitnehmern die Neugründung einer Gewerkschaft möglich; die herkömmlicher Weise bestehenden wirtschaftlichen Divergenzen zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber stellen eine Verbandsneugründung auf Arbeitgeberseite aber als realistischere Option dar. Diese Unterschiede machen die demokratische Binnenorganisation als essentielles „Korrelat“382 zur Unterwerfung unter die Tarifmacht des Verbandes indes nicht entbehrlich. Auch der Arbeitgeberverband trifft durch den Abschluss von Tarifverträgen verbindliche Regelungen für seine Mitglieder. Der Austritt des Arbeitgebers aus dem Verband führt nicht zur sofortigen Beendigung der Tarifbindung – die grundsätzlich bestehenden Wahlmöglichkeiten zwischen der Verbandsmitgliedschaft und anderen Optionen ändern mithin nichts daran, dass der Arbeitgeber zunächst einem Tarifvertrag unterworfen bleibt, auf dessen Aushandlung er keinen Einfluss nehmen konnte und den er folglich nicht legitimiert hat. Es wäre daher verfehlt, die Organisation der Verbände vollständig einer Selbstregulierung zu überlassen. Gleichwohl erscheint es angemessen, von allzu strengen Anforderungen abzusehen383 – im Hinblick auf die aufgezeigten Unterschiede und auch aus tariffunktionalen Erwägungen: Konsequent demokratische Strukturen würden als zwingende Voraussetzung die Handlungsfähigkeit des Verbandes unverhältnismäßig einschränken.384 Wie schnell und unbürokratisch ein Verband – insbesondere in Tarifvertragsverhandlungen – auf veränderte Verhältnisse reagieren kann, hat großen Einfluss auf seine VerhandlungspoSchnabel, ZAF 2005, 181 (186). zur Option der künftigen eigenständigen Tarifpolitik Greiner in: Henssler / Moll / Bepler, Der Tarifvertrag, Teil 2, Rn. 114; Greiner, Rechtsfragen der Koalitions-, Tarif- und Arbeitskampfpluralität, S. 233. 381  Vgl. oben § 6 V. 2. 382  Nicklisch, FS Schiedermair, S. 459 (474). 383  Vgl. Greiner in: Henssler / Moll / Bepler, Der Tarifvertrag, Teil 2, Rn. 114, der von einem „reduzierten Schutzbedürfnis“ ausgeht. 384  Vgl. Schüren, Die Legitimation der tariflichen Normsetzung, S. 232. 379  Vgl. 380  Vgl.

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sition. Außerdem besteht einer der bedeutenden Vorteile von Flächentarifverträgen darin, dass in ihnen auch allgemeine volkswirtschaftliche Belange Berücksichtigung finden können. Gerade Entscheidungen, die derartige Belange berücksichtigen, sind häufig nicht mehrheitsfähig. Strenge demokratische Willensbildungsstrukturen schließen solche Entscheidungen oftmals praktisch aus. Es genügt grundsätzlich, dass eine Teilnahme der Mitglieder an der Willensbildung gewährleistet ist. Mit der herrschenden Meinung385 ist nichts dagegen einzuwenden, wenn dem Prozess der Willensbildung eine unterschiedliche Stimmgewichtung nach Beschäftigtenzahlen oder vergleichbaren Kriterien zugrunde gelegt wird. Soweit die Kriterien sachgerecht ausgewählt sind, trägt eine unterschiedliche Stimmgewichtung sogar zur erhöhten Legitimierung der Tarifmacht bei, indem sie den Einfluss auf die Willensbildung des Verbandes am Umfang der Betroffenheit von der Tarifbindung ausrichtet.386 Fraglich ist aber, ob die Zulässigkeit unterschiedlicher Stimmgewichtung gewissen Grenzen unter dem Gesichtspunkt des Minderheitenschutzes unterliegt. Wird ein Verband von einem Großunternehmen dominiert, führt die unterschiedliche Stimmgewichtung mitunter dazu, dass die übrigen Mitglieder faktisch keinen nennenswerten Einfluss auf die Tarifpolitik des Verbandes ausüben können. Vor wenigen Jahren wurde angesichts eines solchen Sachverhalts die Tariffähigkeit des Arbeitgeberverbandes Postdienste (AGV Postdienste) diskutiert. Mit dem Ziel, eine flächendeckende Lohnuntergrenze in der Postdienstleistungsbranche zu schaffen, schloss der AGV Postdienste mit der Gewerkschaft Verdi im Jahr 2007 einen Tarifvertrag mit einer Mindestlohnregelung, der in der Folge für allgemeinverbindlich erklärt werden sollte. Der AGV Postdienste war zuvor auf maßgebliche Initiative der Deutschen Post gegründet worden. Der Hintergrund der Bestrebungen bestand darin, dass die Deutsche Post angesichts des bevorstehenden Wegfalls des Briefmonopols einem zulasten der Löhne geführten Wettbewerb vorbeugen wollte. Die Tariffähigkeit des AGV Postdienste, von der die Wirksamkeit des Tarifvertrags und damit auch eine mögliche Allgemeinverbindlicherklärung abhängig war, wurde seitens der auf den deutschen Briefmarkt drängenden Wettbewerber der Deutschen Post unter Hinweis auf die massive Dominanz der Deutschen Post innerhalb des AGV Postdienste angezweifelt. Dem Verband gehörten zwar im Zeitpunkt des Tarifvertragsschlusses neben der Deutschen Post 25 weitere Postdienstleistungsunternehmen an; dabei handelte es sich aber durchweg um mittelständische Unternehmen, die auf Grund der Satzungsregelung zur Stimmgewichtung keinen 385  Peter in: Däubler, TVG, § 2, Rn. 117; Kempen in: Kempen / Zachert, TVG, § 2, Rn. 127; Löwisch / Rieble, TVG, § 2, Rn. 102, jeweils m. w. N. 386  Vgl. Löwisch / Rieble, TVG, § 2, Rn. 102.



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nennenswerten Einfluss auf die Willensbildung im Verband nehmen konnten.387 Der Streit um die Tariffähigkeit des AGV Postdienste fand Niederschlag in den im Ergebnis gegenläufigen Gutachten von Kämmerer / Thüsing388 auf der einen und Preis / Greiner389 auf der anderen Seite. Kämmerer / Thüsing verneinen die Tariffähigkeit der AGV Postdienste mangels hinreichenden Minderheitenschutzes in der Satzung des Verbandes.390 Eine abgestufte Stimmgewichtung sei nur zulässig, solange der Minderheitenschutz gewahrt werde; hierfür müsste die Satzung u. a. „besondere Abstimmungsverfahren in existenziellen Fragen“ vorsehen. Preis / Greiner hingegen weisen Bedenken an der Tariffähigkeit des AGV Postdienste zurück.391 Auch bei massiver Dominanz eines Mitgliedsunternehmens bestünden keine Gründe für eine Verletzung des Erfordernisses demokratischer Binnenorganisation, da die Dominanz „lediglich das Gewicht der Deutschen Post in der Branche und damit auch in Tarifverhandlungen“ widerspiegele und sich die Mehrheitsverhältnisse grundsätzlich jederzeit ändern könnten.392 Es erscheint auf den ersten Blick in der Tat nicht ganz unbedenklich, wenn die Dominanz eines einzelnen Unternehmens die Stimmen der übrigen Mitglieder praktisch wertlos macht. Zunächst liegt der Schluss nahe, dass die Hinnahme derartiger Konstellationen das Erfordernis demokratischer Binnenorganisation insgesamt unterminiert, weil sie dazu führt, dass die nach hier vertretener Auffassung erforderliche Gewährleistung der Teilnahme jedes Mitglieds an der Willensbildung in einigen Fällen rein theoretischer Natur ist. Allerdings muss man sich vor Augen führen, dass die beherrschende Stellung des dominanten Unternehmens nicht in der Satzung angelegt ist, sie vielmehr – wie Preis / Greiner zutreffend anführen – den tatsächlichen Marktmachtverhältnissen geschuldet ist. Ändern sich die tatsächlichen Machtverhältnisse, ändern sich auch die Machtstrukturen im 387  Nach § 8 Abs. 9 der Satzung des AGV Postdienste bestimmte sich das Stimmgewicht nach den Beschäftigtenzahlen des jeweiligen Mitglieds. 388  Kämmerer / Thüsing, Tariferstreckung in der Postdienstleistungsbranche, 21.  September 2007. Dem Gutachten liegt ein Auftrag des Bundesverbandes Internationaler Express- und Kurierdienste, dem einige der größten Wettbewerber der Deutschen Post angehören, zugrunde. 389  Preis / Greiner, Rechtsgutachten zur Allgemeinverbindlicherklärung (§ 5 TVG) oder Geltungserstreckung (§ 1 Abs. 3a AEntG) eines Mindestlohn-Tarifvertrags in der Postdienstleistungsbranche, 8. Oktober 2007. Das Gutachten geht auf einen Auftrag des AGV Postdienste zurück und nimmt Bezug auf das zuvor erstellte Gutachten von Kämmerer / Thüsing. 390  Kämmerer / Thüsing, Gutachten, S. 9 ff. 391  Preis / Greiner, Gutachten, S. 58 ff. 392  In erster Linie lehnen Preis / Greiner aber schon grundsätzlich – entgegen der hier vertretenen Auffassung – das Erfordernis demokratischer Binnenorganisation beim Arbeitgeberverband ab.

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2. Teil: Tariffähigkeit

Verband. Aus diesem Grunde kann zu keinem Zeitpunkt von einer grundsätzlichen Aushebelung der Gewährleistung der Teilnahme aller Mitglieder an der Willensbildung ausgegangen werden. Gleichwohl stellt sich die Frage, ob kleinere Unternehmen generell vor extremen Dominanzkonstellationen im Verband zu schützen sind. Indem der Staat privaten Verbänden die Tarifmacht einräumt, setzt er schließlich die Grundvoraussetzung dafür, dass in gewissen Konstellationen die faktische kollektive Tarifmacht einem einzelnen Unternehmen zukommen kann. Gegenüber dieser faktischen Tarifmacht muss das einzelne Unternehmen grundsätzlich ebenso geschützt werden wie gegenüber der Tarifmacht des Verbandes an sich.393 Erwächst hieraus eine staatliche Verantwortung, generelle Vorkehrungen zum Minderheitenschutz in Verbänden sicherzustellen? Wie bereits ausgeführt reicht der Umstand, dass ein Mitglied jederzeit aus dem Verband austreten kann, auf Grund der Nachbindung nicht aus, um ein Schutzbedürfnis vollständig abzulehnen. Allerdings kann der Hinweis auf die Nachbindung hier nur in reduziertem Maße eine Schutzbedürftigkeit begründen: Extreme einseitige Dominanzstrukturen in Verbänden sind vor allem in Branchen mit jedenfalls annähernd monopolistischen Strukturen vorzufinden. Innerhalb dieser Branchen muss davon ausgegangen werden, dass sich kleinere Unternehmen der Verbandsgewalt in Kenntnis der Machtverhältnisse unterwerfen. Sofern ihnen daran gelegen ist, der verbandsinternen Dominanz großer Wettbewerber zu entgehen, steht es kleineren Unternehmen frei, sich eigenständig alternativ zu organisieren. Das Beispiel des Postdienstleistungsbereichs zeigt, dass dies eine realistische Option darstellt: Wettbewerber der Deutschen Post gründeten im September  2007 als Reaktion auf den Abschluss des ihrerseits missbilligten Mindestlohn-Tarifvertrags durch den AGV Postdienste den Arbeitgeberverband Neue Brief- und Zustelldienste (heute: Bundesverband Briefdienste). Schon aus diesem Grunde ist die Schutzbedürftigkeit kleinerer Verbände angesichts einzelner dominierender Unternehmen zweifelhaft. Letztlich spricht gegen zwingende Vorgaben zum Minderheitenschutz zudem ein tariffunktionales Argument: Den Auswirkungen einseitig dominanter Strukturen im Verband ließe sich – ohne gleichzeitige Ablehnung der grundsätzlichen Zulässigkeit abgestufter Stimmgewichtung – nur durch besondere Schutzinstrumente entgegenwirken. In Betracht kommen insbesondere Vetorechte sowie Abstimmungsverfahren ohne abgestufte Stimmgewichtung für bestimmte Themen.394 Die Einrichtung derartiger Instrumente hätte aber zur Folge, dass sich kleinere Unternehmen bei einzelnen Fragen 393  Grundlegend

zur Schutzbedürftigkeit des einzelnen Mitglieds oben § 6 V. 2. diese Richtung gehen auch die Vorschläge von Kämmerer / Thüsing, Gutachten, S. 10. 394  In



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kategorisch querstellen und auf diese Weise u. U. eine interessengerechte Tarifpolitik für den Großteil aller Betroffenen verhindern könnten. Das wäre zum einen ebenfalls – jedenfalls bei Zugrundelegung restriktiver Grundsätze – aus demokratischen Gesichtspunkten bedenklich395; zum andern liefe dies dem grundsätzlichen Bedürfnis größtmöglicher Legitimation der Tarifmacht zuwider. Konkrete Vorkehrungen zum Minderheitenschutz sind von Arbeitgeberverbänden daher nicht zu verlangen. III. Soziale Mächtigkeit 1. Entwicklung in der Rechtsprechung Das Bundesarbeitsgericht erklärte 1956 zunächst die Arbeitskampfbereitschaft zu einem zwingenden Erfordernis der Tariffähigkeit und postulierte damit erstmals ein Kriterium, das auf die Gewährleistung der Durchsetzungsfähigkeit einer Koalition zielt.396 Eine nähere Auseinandersetzung mit diesem Kriterium durch das Bundesarbeitsgericht fand aber erst 1962 statt. Das Bundesarbeitsgericht hatte in einem Verfahren zu entscheiden, dem erstinstanzlich ein arbeitsgerichtliches Beschlussverfahren nach § 97 Abs. 1 ArbGG zugrunde lag, in dem eine dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) zugehörige Gewerkschaft die Feststellung der Tarifunfähigkeit einer konkurrierenden Arbeitnehmervereinigung begehrt hatte.397 Die konkurrierende Vereinigung bestand aus katholischen Hausgehilfinnen und Hausangestellten und war am Abschluss eines Tarifvertrags für Hausgehilfinnen beteiligt. Die DGB-Gewerkschaft hatte ihren Antrag damit begründet, die Vereinigung „habe es sich nicht zur Aufgabe gemacht, die Arbeitsbedingungen seiner Mitglieder durch den Abschluß von Tarifverträgen zu regeln“, sie sei „vom sozialen Gegenspieler und von kirchlichen Einflüssen abhängig“ und „weder bereit noch fähig […], einen Arbeitskampf zu führen“, „schließlich seien Mitgliederzahl und Geldkraft […] zu gering, um eine schlagkräftige gewerkschaftliche Arbeit zu gewährleisten“.398 Nachdem Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht die Tariffähigkeit der Vereinigung verneint hatten, hatte sich das Bundesarbeitsgericht mit der Angelegenheit zu befassen. Während das Landesarbeitsgericht seine Begründung der fehlenden Tariffähigkeit auf mehrere Säulen gestellt hatte, indem es angeführt hatte, die Vereinigung sei von ihrem sozialen Gegenspieler abhängig, stehe unter kirchlichem Einfluss und sei nicht zum Arbeitskampf bereit, beschränkte auch Löwisch / Rieble, TVG, § 2, Rn. 106. 6.7.1956 AP Nr. 11 zu § 11 ArbGG 1953 = BAGE 4, 351 (352). 397  BAG 19.1.1962 AP Nr. 13 zu § 2 TVG = BAGE 12, 184. 398  BAG 19.1.1962 AP Nr. 13 zu § 2 TVG = BAGE 12, 184 (185). 395  So

396  BAG

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2. Teil: Tariffähigkeit

sich das Bundesarbeitsgericht in seiner Begründung auf die fehlende Arbeitskampfbereitschaft. Diese sei erforderlich, weil ein „Sinnzusammenhang zwischen dem Koalitionszweck, der Ablehnung der Zwangsschlichtung und dem Bekenntnis zum Arbeitskampf als ultima ratio“ bestehe.399 Dabei ist das Bundesarbeitsgericht bewusst von der Rechtsprechung des Reichsarbeitsgerichts abgewichen, das die Arbeitskampfbereitschaft als Voraussetzung der Tariffähigkeit stets ausdrücklich abgelehnt hatte.400 In einem späteren Beschluss nahm das Bundesarbeitsgericht Abstand von seiner Auffassung, Arbeitskampfbereitschaft sei zwingende Voraussetzung der Tariffähigkeit – ohne sie indes aufzugeben.401 Es verwies auf die erhebliche Kritik im Schrifttum402, um die Frage sodann mangels Entscheidungserheblichkeit offen zu lassen. Deutlicher positionierte sich das Bundesverfassungsgericht: In seiner Entscheidung über eine Verfassungsbeschwerde, die sich gegen den o. g. Beschluss BAG 19.1.1962403 richtet, lehnte es die Auffassung des Bundesarbeitsgerichts ab, soweit dieses in der Arbeitskampfbereitschaft ein „unerlässliches“ Erfordernis der Tariffähigkeit sah.404 Diese Auffassung schränke die Koalitionen unnötig in der Wahl ihrer Mittel zur Erreichung des Koalitionszwecks ein. Arbeitskampfunwillige Koalitionen sollen tariffähig sein, soweit es ihnen gelinge, Tarifverträge abzuschließen, da solche Tarifverträge ebenfalls der Aufgabe der Ordnung und Befriedung des Arbeitslebens dienen könnten.405 In der Folge verzichtete auch das Bundesarbeitsgericht auf das restriktive Kriterium der Arbeitskampfbereitschaft. Stattdessen verlangte es nunmehr, dass eine tariffähige Vereinigung in der Lage sein muss, Druck auf die Gegenseite auszuüben.406 In weiteren Entscheidungen hat das Bundesarbeitsgericht seine Auffassung gefestigt.407 Auch das Bundesverfassungsgericht hat in der Folge die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts bestätigt.408 399  BAG

19.1.1962 AP Nr. 13 zu § 2 TVG = BAGE 12, 184 (190). 21.5.1930 RAGE 6, 139 (143); RAG 9.2.1929 RAGE 3, 170 (173); RAG 10.10.1928 RAGE 2, 299 (303); RAG 29.9.1928 RAGE 2, 289 (293). 401  BAG 15.11.1963 AP Nr. 14 zu § 2 TVG = SAE 1964, 193 (197). 402  Siehe BAG 15.11.1963 SAE 1964, 193 (197), wo das Bundesarbeitsgericht neben anderen auf Nikisch, SAE 1962, 60 und Frey, AuR 1962, 224 verweist. 403  AP Nr. 13 zu § 2 TVG. 404  BVerfG 6.5.1964 AP Nr. 15 zu § 2 TVG = BVerfGE 18, 18 = NJW 1964, 1267 (1269). 405  BVerfG 6.5.1964 AP Nr. 15 zu § 2 TVG = BVerfGE 18, 18 = NJW 1964, 1267 (1269). 406  So bereits in BAG 9.7.1968 AP Nr. 25 zu § 2 TVG = BAGE 21, 98 (101 f.). 407  Etwa BAG 14.3.1978 AP Nr. 30 zu § 2 TVG unter III; BAG 15.3.1977 AP Nr. 24 zu Art. 9 GG unter III. 1. 408  BVerfG 20.10.1981 BVerfGE 58, 233 = AP Nr. 31 zu § 2 TVG unter B. I. 400  RAG



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In den letzten Jahren hat sich das Bundesarbeitsgericht verstärkt damit auseinandergesetzt, welche Anforderungen aus dem Kriterium der sozialen Mächtigkeit im Einzelnen folgen und wie die Gewichtung der Anforderungen untereinander vorzunehmen ist. Im Fall der Unabhängigen Flugbegleiter Organisation (UFO) hat das Bundesarbeitsgericht trotz geringer Größe der Vereinigung hinreichende Durchsetzungsfähigkeit angenommen.409 Der hohe Organisationsgrad410 versetze die Vereinigung in eine gute Verhandlungsposition, weil Flugbegleiter nicht ohne Weiteres kurzfristig durch andere Arbeitnehmer ersetzbar seien.411 In der zweiten CGM-Entscheidung hat das Bundesarbeitsgericht die CGM trotz geringem Organisationsgrad für tariffähig erklärt, weil zahlreiche Tarifvertragsabschlüsse belegten, „dass die Arbeitnehmervereinigung von der Arbeitgeberseite wahr- und ernstgenommen wird“.412 Im GKH-Beschluss ließ das Bundesarbeitsgericht indes eine Vielzahl von Tarifvertragsabschlüssen nicht ausreichen, um hinreichende Mächtigkeit zu bejahen.413 Vorrangiger Indikator der Mächtigkeit sei vielmehr die Mitgliederzahl der Vereinigung.414 2. Funktionale Einordnung des Erfordernisses der sozialen Mächtigkeit Ohne die Gewährleistung einer gewissen Mächtigkeit der Gewerkschaften sieht das Bundesarbeitsgericht die Herstellung einer sinnvollen Ordnung des Arbeitslebens in Gefahr, weil dann jeder sachgerechte Tarifvertragsschluss allein vom guten Willen des sozialen Gegenspielers abhängig wäre. Druck sei mithin notwendig als „Mittel zur Herbeiführung einer Friedensordnung“.415 Laut Bundesverfassungsgericht kann ein Interessenausgleich durch Tarifvertrag nur zustande kommen, „wenn eine Arbeitnehmerkoalition so leistungsfähig ist, daß sich die Arbeitgeberseite veranlaßt sieht, auf Verhandlungen über tarifliche Regelungen der Arbeitsbedingungen einzugehen und zum Abschluß eines Tarifvertrags zu kommen“.416 Funktionsbezogen bedeutet das: Die Durchsetzungsfähigkeit einer Arbeitnehmerkoalition ist Vorausset409  BAG 410  Zu

14.12.2004 AP Nr. 1 zu § 2 TVG Tariffähigkeit, insb. unter B. III. 2. e). diesem Zeitpunkt waren laut Beschluss 32 % aller Flugbegleiter Mitglied

der UFO. 411  BAG 14.12.2004 AP Nr. 1 zu § 2 TVG Tariffähigkeit unter B. III. 2. e) bb) (1). 412  BAG 28.3.2006 AP Nr. 4 zu § 2 TVG Tariffähigkeit = NZA 2006, 1112 (1121). 413  BAG 5.10.2010 AP Nr. 7 zu § 2 TVG Tariffähigkeit. 414  BAG 5.10.2010 AP Nr. 7 zu § 2 TVG Tariffähigkeit, Rn. 38 ff. 415  BAG 9.7.1968 AP Nr. 25 zu § 2 TVG = BAGE 21, 98 (102). 416  BVerfG 20.10.1981 BVerfGE 58, 233 = AP Nr. 31 zu § 2 TVG unter B. I. 2.

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2. Teil: Tariffähigkeit

zung dafür, dass sie einen sinnvollen Beitrag zur Schutz-, Ordnungs- und Friedensfunktion der Tarifautonomie leistet.417 Dabei geht es nicht allein darum, Missbrauch der Tarifautonomie durch – vom sozialen Gegenspieler unterwanderte – Phantom-Organisationen zu verhindern.418 Neben diesen laufen auch solche Arbeitnehmervereinigungen einer funktionsfähigen Tarifautonomie zuwider, die zwar subjektiv die Wahrnehmung von Arbeitnehmerinteressen verfolgen, objektiv aber nicht in der Lage sind, auf Augenhöhe mit der Arbeitgeberseite zu verhandeln. Denn diese Vereinigungen entziehen den starken Verbänden Zuständigkeiten. Zweck der Versagung der Tariffähigkeit von schwachen Vereinigungen ist demnach insbesondere die mittelbare Stärkung der durchsetzungsfähigen Verbände.419 3. Mächtigkeitserfordernis beim Arbeitgeberverband: Rechtsprechung und Literatur a) Bundesarbeitsgericht: Kein Mächtigkeitserfordernis beim Arbeitgeberverband Das Bundesarbeitsgericht hat früher für Arbeitnehmer- und Arbeitgeberkoalitionen einheitlich soziale Mächtigkeit als Voraussetzung der Tariffähigkeit verlangt. Im ersten Leitsatz zu BAG 9.7.1968420 heißt es, tariffähig seien nur „Vereinigungen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern […], die die tarifrechtlichen Aufgaben einer Koalition sinnvoll, d. h. durch einen im Rahmen der Rechtsordnung sich haltenden wirkungsvollen Druck und Gegendruck erfüllen können.“ Im Streit stand allerdings die Tariffähigkeit einer Arbeitnehmervereinigung. Für Arbeitgeberkoalitionen erfolgte die Aussage des Gerichts nur als obiter dictum, ihr ist daher begrenzte Bedeutung beizumessen. In BAG  20.11.1990421 stand erstmals die Mächtigkeit einer ­Arbeitgeberkoalition im Fokus. Dabei ging es um die Tariffähigkeit der Tarifgemeinschaft Berliner Rechtsanwälte, einer Vereinigung aus 41 Rechtsanwälten mit etwa 80  Beschäftigten. Die Vereinigung hatte mehrere Tarifverträge geschlossen, insbesondere einen Entgelttarifvertrag, der eine Mindestvergütungsregelung enthielt. Die Tariffähigkeit der Tarifgemeinschaft Berliner Rechtsanwälte stand im Streit anlässlich der Klage einer Arbeitnehmerin eines Vereinigungsmitglieds, die Ausbildungsvergütung in Höhe der Gamillscheg, KollArbR I, S. 428. diesem Phänomen näher unten § 7 V. 1. 419  Vgl. BVerfG 20.10.1981 BVerfGE 58, 233 = AP Nr. 31 zu § 2 TVG unter B. I. 4. 420  AP Nr. 25 zu § 2 TVG = BAGE 21, 98. 421  AP Nr. 40 zu § 2 TVG. 417  Vgl. 418  Zu



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im Entgelttarifvertrag festgelegten Mindestvergütung geltend machte. Das Bundesarbeitsgericht stellte die Tariffähigkeit der Tarifgemeinschaft Berliner Rechtsanwälte fest und lehnte ein Mächtigkeitserfordernis als Voraussetzung der Tariffähigkeit von Arbeitgeberkoalitionen generell ab. Als Begründung führte es im Wesentlichen an, wenn der einzelne Arbeitgeber ohne Weiteres tariffähig sei422, so könne nichts anderes für eine Vereinigung von Arbeitgebern gelten.423 Sonst bestünde die Gefahr, dass einzelne Arbeitgeber machtlosen Verbänden beitreten, um sich der Geltung von Tarifverträgen zu entziehen. Dies widerspreche dem Zweck der bedingungslosen Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers, der darin bestehe sicherzustellen, dass der Gewerkschaft stets ein Verhandlungspartner gegenübersteht. Das Bundesarbeitsgericht hat diese Rechtsprechung in BAG  6.6.2000424 bestätigt. b) Meinungsstand in der Literatur Die Literatur ist gespalten in der Frage, ob Arbeitgeberkoalitionen durchsetzungsfähig sein müssen, um tariffähig zu sein. Die ablehnende Auffassung425 entspricht in ihrer Begründung zu weiten Teilen den Ausführungen des Bundesarbeitsgerichts, stellt mithin ebenfalls hauptsächlich darauf ab, dass auch der einzelne Arbeitgeber tariffähig ist.426 Gamillscheg sieht unterschiedliche Interessenlagen bei Gewerkschaft und Arbeitgeberverband. Es sei nicht ersichtlich, wieso Verhandlungen zwischen einer Gewerkschaft und einem schwachen Arbeitgeberverband nicht sinnvolle Tarifregelungen zum Ergebnis haben sollten.427 Untermauernd weist er darauf hin, dass der Antrag auf Feststellung in dem BAG 20.11.1990428 zugrunde liegenden Verfahren sowohl von der Gewerkschaft als auch vom Arbeitgeberverband gestützt wurde.429 Ähnlich argumentiert Zöllner: Indem der Gesetzgeber dem einzelnen Arbeitgeber ohne Weiteres Tariffähigkeit zuspreche, gehe er offenkundig 422  So schon BVerfG 20.10.1981 BVerfGE 58, 233 = AP Nr. 31 zu § 2 TVG unter B. II. 2. 423  BAG 20.11.1990 AP Nr. 40 zu § 2 TVG unter B. I. 2. b). 424  AP Nr. 55 zu § 2 TVG unter B. II. 1. 425  Peter in: Däubler, TVG, § 2, Rn. 116; Gamillscheg, KollArbR I, S. 438 f.; Greiner in: Henssler / Moll / Bepler, Der Tarifvertrag, Teil 2, Rn. 125 ff.; Reuß, RdA 1972, 4 (7); Stahlhacke, ArbRGeg. Bd. 11 (1973), S. 21 (32), Fn. 61; Zöllner, SAE 1969, 140 (141). 426  Insb. Gamillscheg, KollArbR I, S. 438; Zöllner, SAE 1969, 140 (141). 427  Gamillscheg, KollArbR I, S. 439. 428  AP Nr. 40 zu § 2 TVG. 429  Den Antrag auf Feststellung der Tariffähigkeit hatten die Gewerkschaft und die betroffene Arbeitnehmerin gestellt; der Arbeitgeberverband hatte sich dem Antrag angeschlossen. Allein das beklagte Mitglied des Arbeitgeberverbandes hatte beantragt, den Antrag abzuweisen.

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2. Teil: Tariffähigkeit

davon aus, dass der einzelne Arbeitgeber auch ohne Weiteres zu einer vernünftigen Tarifnormsetzung geeignet sei.430 Ein Zusammenschluss aus Arbeitgebern müsse dann zumindest in gleichem Maße geeignet sein. Soweit das Bundesarbeitsgericht in BAG 9.7.1968431 noch ein einheitliches Mächtigkeitserfordernis postuliert, hält Zöllner dies für das Ergebnis eines sachlich unbegründeten formalistischen „Symmetriestrebens“.432 Reuß spricht der Arbeitgeberseite eine generelle Durchsetzungsfähigkeit zu, die auf ihre „typische Machtposition“ zurückzuführen sei.433 Insoweit weicht er aber von der Argumentation des Bundesarbeitsgerichts ab. Indem es auf die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers und dessen Zweck der Gewährleistung eines Verhandlungspartners auf Arbeitgeberseite abstellt, dürfte das Bundesarbeitsgericht eher nicht von einer generellen Durchsetzungsfähigkeit der Arbeitgeberseite ausgehen, sondern eine solche gerade für entbehrlich halten.434 Teile der Literatur lehnen die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts entschieden ab und verlangen auch beim Arbeitgeberverband eine gewisse Durchsetzungsfähigkeit als Voraussetzung der Tariffähigkeit.435 Einige stützen sich dabei maßgeblich auf den Staatsvertrag.436 Vor allem aber wird auf die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie abgestellt, die mit Blick auf das Gegenmachtprinzip auch durch machtlose Arbeitgeberverbände gefährdet sei.437 Darüber hinaus sei die „Durchführung von Tarifverträgen“ gefährdet, weil sich machtlose Verbände jederzeit auflösen könnten.438 Die Argumentation der Gegenauffassung, die auf die bedingungslose Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers verweist, wird für wenig tragfähig gehalten. Vor allem würdige sie den tatsächlichen Zweck der Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers nicht hinreichend.439 Diese sichere – im Sinne eines Auffang430  Zöllner,

SAE 1969, 140 (141). Nr. 25 zu § 2 TVG = BAGE 21, 98. 432  Zöllner, SAE 1969, 140 (141). 433  Reuß, RdA 1972, 4 (7). 434  Mit diesem Verständnis von BAG 20.11.1990 auch Hanau, EWiR 1991, 917 (918) und Gitter, FS Kissel, S. 265 (267). 435  Dieterich in: Dieterich, ErfK, GG, Art. 9, Rn. 67; Franzen in: Dieterich, ErfK, TVG, § 2, Rn. 11; Löwisch / Rieble, TVG, § 2, Rn. 136 ff.; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2, Rn. 397 f.; Gitter, FS Kissel, S. 265 (275); Hanau, NZA 2003, 128 (129); Schrader, „Durchsetzungsfähigkeit“, S. 106 ff.; Müller, DB 1992, 269 (271 ff.), der sogar die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers von dessen Mächtigkeit abhängig machen will. 436  Gitter, FS Kissel, S. 265 (275); Schrader, NZA 2001, 1337 (1340). 437  Insb. Löwisch / Rieble, TVG, § 2, Rn. 137. 438  Löwisch / Rieble, TVG, § 2, Rn. 138. 439  Insb. Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2, Rn. 316. 431  AP



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netzes – die durchgängige Existenz eines Verhandlungspartners der Gewerkschaft. Hieraus dürfe nicht auf die „Regelanforderungen des Tarifverbandssystems“ geschlossen werden.440 Der Sorge, dass sich Arbeitgeber der Tarifbindung entziehen, wird entgegnet, die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers bleibe grundsätzlich auch mit dem Verbandsbeitritt bestehen.441 4. Mächtigkeitserfordernis beim Arbeitgeberverband: Stellungnahme Mit der Begründung oben442 ist vorwegzunehmen, dass sich der Staatsvertrag mangels Gesetzeskraft nicht als maßgebliche Grundlage für ein Mächtigkeitserfordernis beim Arbeitgeberverband eignet. Stattdessen ist wie bei allen tarifrechtsspezifischen Anforderungen zu untersuchen, ob in dem Kriterium der sozialen Mächtigkeit im Hinblick auf seine Bedeutung für die Tarifautonomie eine verhältnismäßige Ausgestaltung des Grundrechts der Koalitionsfreiheit liegt.443 a) Keine Erforderlichkeit zwecks Gewährleistung einer sinnvollen Ordnung des Arbeitslebens Auf Seiten der Gewerkschaft ist das Mächtigkeitserfordernis Teil der verhältnismäßigen Ausgestaltung der Koalitionsfreiheit, weil ohne die Gewährleistung einer gewissen Mächtigkeit der Gewerkschaften keine sinnvolle Ordnung des Arbeitslebens stattfinden kann. Fehlende Durchsetzungsstärke auf Seiten der Gewerkschaft führt in vielen Fällen dazu, dass die Gewerkschaft gar nicht erst zum Tarifabschluss gelangt. Diese Folge ist der Rolle geschuldet, die der Gewerkschaft im Tarifsystem zukommt: Als Garantin der Arbeitnehmerschutzfunktion obliegt es der Gewerkschaft, die strukturelle Unterlegenheit der Arbeitnehmer auszugleichen. Ihre Aufgabe liegt demnach darin, bestehende Missstände zu verändern und verlangt als solche ein offensives Verhalten. In der Tarifpraxis spiegelt sich dies darin wider, dass es stets die Gewerkschaft ist, von der die Initiative für Tarifverhandlungen ausgeht. Die Gewerkschaft kann ihre offensive Rolle nur mit einer gewissen Durchsetzungsstärke ausfüllen, weil andernfalls ihre Bemühungen von der Arbeitgeberseite in aller Regel im Keim erstickt würden. Schwachen Arbeitnehmervereinigungen gelingt es in der Regel gar nicht 440  Löwisch / Rieble, TVG, § 2, Rn. 137; Dieterich in: Dieterich, ErfK, GG, Art. 9, Rn. 67; Franzen in: Dieterich, ErfK, TVG, § 2, Rn. 11; Hanau, NZA 2003, 128 (129). 441  Gitter, FS Kissel, S. 265 (276); Löwisch / Rieble, TVG, § 2, Rn. 138. 442  § 6 VI. 443  Grundlegend oben § 6 IV.

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2. Teil: Tariffähigkeit

erst, den Sozialpartner dazu zu bewegen, überhaupt in ernsthafte Tarifverhandlungen einzutreten.444 Kommt es gleichwohl zum Tarifabschluss unter Beteiligung einer schwachen Gewerkschaft, schlägt sich die fehlende Durchsetzungsstärke der Gewerkschaft zumeist darin nieder, dass die Tarifregelungen einseitig von der Arbeitgeberseite bestimmt werden.445 Schwache Gewerkschaften sind daher unfähig, die Rolle der Garantin der Arbeitnehmerschutzfunktion funktionsgerecht auszufüllen. Sie sind nicht in der Lage, zur Herstellung eines Kräftegleichwichts zugunsten der strukturell unterlegenen Arbeitnehmer und damit einer sinnvollen Ordnung des Arbeitslebens beizutragen. Wird die Arbeitnehmerschutzfunktion als zentrales Anliegen der Tarifautonomie nicht gewährleistet, kann von einer funktionsfähigen Tarifautonomie keine Rede sein. Soviel zur Gewerkschaft – fraglich ist, ob der Stärke von Arbeitgeberverbänden eine vergleichbare Bedeutung für die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie zukommt. Anders als bei der Gewerkschaft hat die Durchsetzungsfähigkeit von Arbeitgeberverbänden keinen besonderen Einfluss darauf, ob es überhaupt zu Tarifabschlüssen kommt: Der Arbeitgeberverband ist in seiner Schutzfunktion für die Arbeitgeberseite nicht maßgeblich dazu bestimmt, aus Arbeitgebersicht nachteilige Gegebenheiten zu verändern. Seine Aufgabe besteht vielmehr darin, Gegenmacht gegenüber der Gewerkschaft zu bilden und Sorge dafür zu tragen, dass das Kräfteverhältnis nicht zulasten der Arbeitgeberseite kippt. Angesichts dieser Aufgabe nimmt der Arbeitgeberverband – gleichsam als Reaktionsinstrument der Arbeitgeberseite – funktional bedingt eine defensive Rolle ein. Der Arbeitgeberverband sieht sich unwillkürlich mit Verhandlungsangeboten der Gewerkschaften konfrontiert. Während er eine schwache Gewerkschaft missachten und auf diese Weise u. U. erfolgreich die Interessen seiner Mitglieder vertreten kann, ist die Gewerkschaft für eine zweckmäßige Interessenvertretung zwingend auf die aktive Beteiligung ihres sozialen Gegenspielers angewiesen – unabhängig von dessen Mächtigkeit. Schwache Arbeitgeberverbände stehen der Entstehung von Tarifabschlüssen also grundsätzlich nicht entgegen. In diesem Punkt unterscheiden sich Gewerkschaft und Arbeitgeberverband rollenbedingt. Gewerkschaft und Arbeitgeberverband ist indes gemein, dass die fehlende Durchsetzungsfähigkeit einer Partei regelmäßig dazu führt, dass geschlossene Tarifverträge von einseitig diktierten Regelungen seitens der anderen 444  Vgl. BVerfG 20.10.1981 BVerfGE 58, 233 = AP Nr. 31 zu § 2 TVG unter B.  I. 2. 445  Vgl. BAG 14.12.2004 AP Nr. 1 zu § 2 TVG Tariffähigkeit unter B. III. 2. e) aa).



§ 7  Tarifrechtsspezifische Anforderungen: Die einzelnen Kriterien 101

Partei dominiert werden. Schwache Arbeitgeberverbände laufen wie schwache Gewerkschaften Gefahr, der Gegenseite in Tarifverhandlungen derart unterlegen zu sein, dass sie Verhandlungsergebnisse erzielen, die den Interessen der eigenen Mitglieder nicht gerecht werden. Muss dieser Gefahr aus tariffunktionalen Gründen auch auf Seiten des Arbeitgeberverbandes mit einem Mächtigkeitserfordernis begegnet werden? Auch der Arbeitgeberverband erfüllt eine Schutzfunktion. Das reflexhafte Schutzbedürfnis der Arbeitgeberseite steht aber, wie oben446 dargelegt, nicht auf einer Stufe mit dem historischen Kernanliegen der Tarifautonomie, die strukturelle Unterlegenheit der Arbeitnehmer auszugleichen. Aus dem Gegenmachtprinzip ergibt sich zwar, dass auch den Arbeitgebern die Möglichkeit zur Koalierung eingeräumt werden muss, um der Macht der Gewerkschaften etwas entgegensetzen zu können. Die Erforderlichkeit einer darüber hinausgehenden Garantie mächtiger Verbände lässt sich aus dem Gegenmachtprinzip aber nicht ableiten. Es obliegt vielmehr der Eigenverantwortung der Arbeitgeber, die Möglichkeit der Koalierung zu nutzen, um starke Verbände zu schaffen. Gelingt es der Arbeitgeberseite nicht durchweg, ihre Verbände mit einer aus ihrer Sicht hinreichenden Durchsetzungsstärke auszustatten, besteht darin keine grundlegende Gefahr für die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie. Nur am Rande sei angemerkt: Dies soll nicht bedeuten, dass das Idealbild der Tarifautonomie in keiner Weise von der Stärke der Arbeitgeberverbände abhängt. Starke Arbeitgeberverbände sind objektiv betrachtet zu begrüßen, weil zunehmend schwache Verbände mittelfristig dazu führen würden, dass Arbeitgeber auf Verbandszugehörigkeiten verzichten oder jedenfalls von tarifgebundenen Mitgliedschaften absehen. Dies wäre auch aus Arbeitnehmersicht keine erfreuliche Entwicklung, denn wirkungsvollen Arbeitnehmerschutz erzielen Gewerkschaften am effizientesten durch den Abschluss von Flächentarifverträgen mit mitgliederstarken Verbänden und entsprechend umfangreichen Geltungsbereichen. Gleichwohl ist nach den voranstehenden Ausführungen davon auszugehen, dass eine besondere Sicherstellung der Durchsetzungsstärke auf Arbeitgeberseite unter tariffunktionalen Gesichtspunkten nicht erforderlich ist. Dies steht im Einklang mit der gesetzgeberischen Entscheidung, dem einzelnen Arbeitgeber die Tariffähigkeit bedingungslos zuzusprechen, auf die die Gegner des Mächtigkeitserfordernisses beim Arbeitgeberverband ihre Auffassung richtigerweise maßgeblich stützen.447 Es ist weitgehend unstrei446  § 6

V. 1. BAG 20.11.1990 AP Nr. 40 zu § 2 TVG; Gamillscheg, KollArbR I, S. 438 f.; Greiner in: Henssler / Moll / Bepler, Der Tarifvertrag, Teil 2, Rn. 125 ff.; Reuß, RdA 1972, 4 (7); Stahlhacke, ArbRGeg. Bd. 11 (1973), S. 21 (32), Fn. 61; Zöllner, SAE 1969, 140 (141). 447  Insb.

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tig, dass § 2 Abs. 1 TVG die gesetzgeberische Entscheidung widerspiegelt, dass der einzelne Arbeitgeber tariffähig sein soll, ohne besondere Mächtigkeitsanforderungen zu erfüllen.448 Damit legt der Gesetzgeber die Grundannahme fest, dass schon der einzelne Arbeitgeber ohne Weiteres zu einer sinnvollen Tarifnormsetzung beitragen kann. Für den Arbeitgeberverband, der nicht schwächer sein kann als jedes einzelne seiner Mitglieder, kann nichts anderes gelten.449 Dieser Schlussfolgerung vom einzelnen Arbeitgeber auf den Arbeitgeberverband kann nicht entgegengehalten werden, die Tariffähigkeit von Arbeitgeberverbänden sei nicht mit der des einzelnen Arbeitgebers vergleichbar, weil der einzelne Arbeitgeber in erster Linie tariffähig sei, um einen Verhandlungspartner der Gewerkschaft sicherzustellen.450 Zwar dürfte die funktionale Beurteilung, nach der die Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers als eine Art „Auffang-Verhandlungspartner“ vor allem im Interesse des Arbeitnehmerschutzes steht, zutreffen.451 Dies ändert indes nichts daran, dass der Gesetzgeber dem einzelnen Arbeitgeber die Fähigkeit zu einer sinnvollen Tarifnormsetzung zuspricht. Nur wenn man – sachlich unzutreffend – das Instrument des Unternehmenstarifvertrags als Mittel sinnvoller Tarifnormsetzung grundlegend in Frage stellen würde, bestünde zwischen der Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers und der des Arbeitgeberverbandes ein Unterschied, der sich der oben gezogenen Schlussfolgerung entgegenhalten ließe. b) Keine Erforderlichkeit aus Legitimationsbzw. Schutzerwägungen Die tarifrechtsspezifischen Anforderungen dienen nicht ausschließlich der Sicherstellung einer sinnvollen Tarifnormsetzung. Sie tragen darüber hinaus zur Legitimation der Tarifmacht der Verbände gegenüber ihren Mitgliedern bei und schützen die Mitglieder vor den Gefahren, die mit dem Eintritt in das Verhältnis der Über- und Unterordnung im Verband einhergehen.452 Es ist daher auch in Betracht zu ziehen, dass sich ein Mächtigkeitserfordernis vieler Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2, Rn. 139. zutreffend also Gamillscheg, KollArbR I, S. 438 f.; Greiner in: Henssler / Moll / Bepler, Der Tarifvertrag, Teil 2, Rn. 125 ff.; Reuß, RdA 1972, 4 (7); Stahlhacke, ArbRGeg. Bd. 11 (1973), S. 21 (32), Fn. 61; Zöllner, SAE 1969, 140 (141). 450  So aber Löwisch / Rieble, TVG, § 2, Rn. 137; Dieterich in: Dieterich, ErfK, GG, Art. 9, Rn. 67; Franzen in: Dieterich, ErfK, TVG, § 2, Rn. 11; Hanau, NZA 2003, 128 (129). 451  Vgl. BVerfG 19.10.1966 AP Nr. 24 zu § 2 TVG = BVerfGE 20, 312 (318); Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2, Rn. 95. 452  Näher oben § 6 II. 2. 448  Statt

449  Insofern



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beim Arbeitgeberverband aus Legitimations- oder Schutzerwägungen ergeben könnte. Tarifrechtsspezifische Anforderungen, die auf Legitimationsoder Schutzerwägungen beruhen, lassen sich für den Arbeitgeberverband nicht ohne Weiteres mit dem Hinweis auf die bedingungslose Tariffähigkeit des einzelnen Arbeitgebers verneinen. Schließlich tragen sie dem besonderen Verhältnis zwischen dem einzelnen Arbeitgeber und dem Verband Rechnung. Bei jedem Arbeitgeber, der sich der Tarifmacht eines Verbandes unterstellt, entsteht mit diesem Akt ein Schutzbedürfnis, das bei einer eigenständigen Tarifbindung nicht besteht. Auch wenn der Verband insgesamt nicht schwächer sein dürfte als jedes einzelne Mitglied, ist es gleichwohl etwas anderes, ob Tarifverhandlungen durch einen schwachen Arbeitgeber selbst geführt werden oder ob ein schwacher Verband sie für ihn führt.453 Schließlich ist etwa vorstellbar, dass der schwache Verband in seiner nachgiebigen Verhandlungsposition einzelne Regelungsgegenstände zugunsten anderer opfert und damit möglicherweise auch die Interessen einzelner Mitglieder. Dieser alternative Begründungsansatz findet vergleichsweise wenig Beachtung. Auch das Bundesarbeitsgericht stellt entsprechende Überlegungen in seiner Entscheidung BAG 20.11.1990454 nicht an. Im Ergebnis allerdings zu Recht: Auch mit Legitimations- oder Schutzerwägungen kann ein Mächtigkeitserfordernis beim Arbeitgeberverband nicht begründet werden. Tarifrechtsspezifische Anforderungen zwecks Legitimation und Mitgliederschutzes sind erforderlich, weil der Staat Individuen der Tarifmacht nichtstaatlicher Einrichtungen überlässt, diese ihre Tarifmacht mithin jedenfalls auch durch staatliche Delegation erhalten.455 Als Konsequenz hieraus muss sich das Verhältnis zwischen Mitglied und Verband an rechts- und sozialstaatlichen Grundsätzen orientieren. Im Wesentlichen folgt daraus, dass der einzelne Arbeitgeber durch tarifrechtsspezifische Anforderungen vor Missbrauch der Tarifmacht durch den Verband geschützt werden muss. Die Anforderungen müssen gewisse Mindeststandards sicherstellen, die solchen Gefahren vorbeugen, die speziell dem Verhältnis der Über- und Unterordnung geschuldet sind. Für Mindeststandards im Hinblick auf eine Beteiligung an der Willensbildung im Verband und eine gewisse Transparenz sorgen die Kriterien der demokratischen Binnenorganisation456 und der Tarifwilligkeit457. Ein Mächtigkeitserfordernis beim Arbeitgeberverband, das einen kategorischen Ausschluss schwacher Arbeitgeberverbände bedeuten diese Richtung auch Dieterich in: Dieterich, ErfK, GG, Art. 9, Rn. 67. Nr. 40 zu § 2 TVG. 455  Näher oben § 6 II. 2. 456  Oben § 7 II. 457  Oben § 7 I. 453  In

454  AP

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2. Teil: Tariffähigkeit

würde, stellt indes keinen unter rechts- und sozialstaatlichen Erwägungen erforderlichen Mindeststandard dar. Es dient nicht der Verhinderung möglichen Missbrauchs der Tarifmacht durch den Verband. Denn das maßgebliche Risiko, das durch schwache Verbände entsteht, ist eine unzureichende Tarifpolitik, die indes mit einem möglichen Missbrauch der Tarifmacht in keinem besonderen Zusammenhang steht. Die Gefahren, die für Arbeitgeber mit schwachen Verbänden verbunden sind, sind auch nicht speziell dem Verhältnis der Über- und Unterordnung geschuldet. Die Möglichkeit, dass die Interessen einzelner Mitglieder vernachlässigt werden, besteht grundsätzlich auch in Verbänden, die über erhebliche Durchsetzungsfähigkeit verfügen. Dessen ungeachtet ginge ein entsprechendes Erfordernis weit über den gebotenen Mindeststandard hinaus. Es käme für den einzelnen Arbeitgeber einer Garantie für eine starke Tarifpolitik gleich. Ein Erfordernis mit einer derart weitreichenden Gewährleistung hätte erheblichen Einfluss auf die grundlegende Funktionsweise des Tarifsystems und wäre daher allein mit Schutzerwägungen nicht legitimierbar. Es könnte nur durch unmittelbar tariffunktionale Erwägungen gerechtfertigt werden, d. h. mit Blick darauf, dass konkrete Ziele der Tarifautonomie von einem entsprechenden Erfordernis abhängen – was wie oben festgestellt zu verneinen ist. c) Überdies: Ungelöste Probleme bei der praktischen Umsetzung Nach hier vertretener Auffassung ist ein Mächtigkeitserfordernis beim Arbeitgeberverband mangels Erforderlichkeit abzulehnen. Davon abgesehen sprechen gegen ein derartiges Erfordernis erhebliche Schwierigkeiten bei der praktischen Handhabung. Die Erforderlichkeit vorausgesetzt wären diese Schwierigkeiten im Rahmen der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne zu berücksichtigen. Die Mächtigkeit einer Arbeitnehmerkoalition bestimmt sich anhand von verschiedenen Indizien, insbesondere ihrer Mitgliederzahl, ihrer Infrastruktur sowie ihrem bisherigen Tarifverhalten.458 Die Vertreter des Mächtigkeitserfordernisses beim Arbeitgeberverband versuchen, diese Kriterien – teils in leicht angepasster Form – auf den Arbeitgeberverband zu übertragen. Vor allem Schrader befasst sich ausführlich mit möglichen Kriterien und kommt dabei zu dem Schluss, die Mächtigkeit eines Arbeitgeberverbandes hänge insbesondere von seinem bisherigen Tarifverhalten sowie den Beschäftigtenzahlen der im Verband organisierten Arbeitgeber ab.459 Wie bei Gewerkschaften soll der Abschluss von Tarifverträgen ein Indiz für Durchsetzungs458  Vgl. nur BAG 28.3.2006 AP Nr. 4 zu § 2 TVG Tariffähigkeit unter B. III. 3. m. w. N. 459  Schrader, NZA 2001, 1337 (1341 ff.).



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stärke sein, weil tatsächlich ausgehandelte Tarifverträge davon abhingen, dass die Parteien sich gegenseitig ernst nehmen. Diese Argumentation verkennt die funktional bedingten Unterschiede zwischen Gewerkschaft und Arbeitgeberverband: Wie oben dargelegt stehen sich Gewerkschaft und Arbeitgeberverband in einem Verhältnis gegenüber, in dem der Gewerkschaft die offensive, initiative Rolle zukommt, während sich der Arbeitgeberverband funktionsgemäß defensiv verhält. Die Gewerkschaft kann ihre zentrale tariffunktionale Aufgabe allein durch das Aushandeln von Tarifverträgen erfüllen. Sie ist daher darauf angewiesen, mit Arbeitgeberverbänden zu verhandeln. Dass eine Gewerkschaft mit einem bestimmten Arbeitgeberverband in Verhandlung tritt, lässt daher keine Schlüsse darauf zu, in welchem Maße sie diesen Verband ernst nimmt. Umgekehrt füllt der Arbeitgeberverband seine Rolle aus Arbeitgebersicht u. U. am erfolgreichsten aus, wenn es ihm gelingt, ernsthafte Tarifverhandlungen zu verhindern. Die Stärke eines Arbeitgeberverbandes lässt sich daher nicht anhand der Menge geschlossener Tarifverträge bestimmen. Freilich könnte man versuchen, die geschlossenen Tarifverträge inhaltlich zu bewerten, um daraus Schlüsse auf die Durchsetzungsfähigkeit zu ziehen. Ein objektiver Maßstab dafür, welche Inhalte für die Durchsetzungsstärke einer Vertragspartei sprechen und welche nicht, lässt sich indes nur sehr schwer festzulegen. Hinzu kommt, dass eine aussagekräftige inhaltliche Bewertung nicht losgelöst von den individuellen Umständen im Zeitpunkt der Verhandlung vorgenommen werden kann und daher äußerst aufwendig wäre. Den Beschäftigtenzahlen misst Schrader in ihrem Aussagewert beim Arbeitgeberverband die Bedeutung bei, die auf Seiten der Gewerkschaft den Mitgliederzahlen zugeordnet wird. Mitgliederzahlen sind beim Arbeitgeberverband offenkundig ohne Aussagewert, weil sie isoliert betrachtet keine nennenswerten Schlüsse zulassen. Verbänden mit wenigen großen Mitgliedern ist, jedenfalls wirtschaftlich betrachtet, mitunter erheblich mehr Gewicht beizumessen als Verbänden mit einer Vielzahl kleiner Mitgliedsunternehmen – vor allem wenn die wenigen großen Unternehmen den Großteil der Arbeitsverhältnisse einer Branche erfassen. Daher stellt Schrader anstelle des Indizes der Mitgliederzahl beim Arbeitgeberverband auf die Beschäftigtenzahl und ihr Verhältnis zu den insgesamt in der jeweiligen Branche Beschäftigten ab.460 Tatsächlich sind aber auch die Beschäftigtenzahlen wenig aufschlussreich. Zwar mag das wirtschaftliche Gewicht tendenziell mit den Beschäftigtenzahlen zusammenhängen. Es darf aber nicht übersehen werden, dass mit der Zahl der Beschäftigten vor allem auch die Anfälligkeit für Arbeitskampfmaßnahmen seitens der Gewerkschaften steigt. 460  Schrader, NZA 2001, 1337 (1341 f.); in diese Richtung auch Gitter, FS Kissel, S. 265 (275), Fn. 48.

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2. Teil: Tariffähigkeit

Im Hinblick auf die oben dargelegte funktionale Rolle des Arbeitgeberverbandes dürfte sich die Durchsetzungsfähigkeit eines Verbandes am ehesten danach bemessen, wie er sich in der Vergangenheit arbeitskampfpraktisch bewährt hat. Schließlich hängt die Durchsetzungsfähigkeit eines Arbeitgeberverbandes maßgeblich davon ab, inwieweit er in der Lage ist, Druck der Gewerkschaften standzuhalten. Allerdings ist dieses Kriterium kaum justiziabel und daher ebenfalls problematisch in der praktischen Umsetzung. IV. Organisatorische Leistungsfähigkeit Arbeitnehmerkoalitionen müssen des Weiteren über eine gewisse organisatorische Leistungsfähigkeit verfügen.461 Dadurch soll sichergestellt werden, dass die Gewerkschaften organisatorisch in der Lage sind, jene Aufgaben zu erfüllen, die mit dem Abschluss von Tarifverträgen im Zusammenhang stehen. Gemeint sind insbesondere die Vorbereitung von Tarifvertragsschlüssen, die langfristige Beobachtung wirtschaftlicher Entwicklungen, die Überwachung der Durchführung geschlossener Tarifverträge sowie die interne Kommunikation von Verhandlungsergebnissen.462 Diese Tätigkeiten gehören wie der Tarifvertragsschluss selbst zu den Kernaufgaben einer Gewerkschaft; sie sind gleichermaßen Grundvoraussetzung einer wirkungsvollen Vertretung der Arbeitnehmerinteressen. Das Erfordernis der organisatorischen Leistungsfähigkeit lässt sich bei der Gewerkschaft daher mit denselben Erwägungen begründen wie das Kriterium der Durchsetzungsfähigkeit: Ohne eine gewisse Organisation ist die Gewerkschaft nicht in der Lage, ihre Rolle als Garantin der Arbeitnehmerschutzfunktion funktionsgerecht auszufüllen. Für diese Begründung gilt wie schon hinsichtlich der Durchsetzungsfähigkeit, dass sie auf den Arbeitgeberverband nicht übertragbar ist. Wenn schon der einzelne Arbeitgeber ohne jede tarifpolitische Infrastruktur tariffähig ist, können an den Arbeitgeberverband keine besonderen Anforderungen an seinen Organisationsaufbau mit der Begründung gestellt werden, eine funktionsgerechte Interessenvertretung sei sonst nicht möglich. Die Arbeitgeberseite ist schon dadurch in hinreichendem Maße geschützt, dass ihr die Möglichkeit zur Koalierung und damit zur Gegenmachtbildung eingeräumt wird. Für eine Garantie leistungsfähig organisierter Verbände besteht – ebenso wie für eine Garantie durchsetzungsfähiger Verbände – zur Gewährleistung eines Kräftegleichgewichts zwischen den sozialen Gegen461  BAG 28.3.2006 AP Nr. 4 zu § 2 TVG Tariffähigkeit; BAG 14.12.2004 AP Nr. 1 zu § 2 TVG Tariffähigkeit; BAG 14.3.1978 AP Nr. 30 zu § 2 TVG unter III. 3; BAG 15.3.1977 AP Nr. 24 zu Art. 9 GG, insb. unter III. 5.; BVerfG 20.10.1981 BVerfGE 58, 233 = AP Nr. 31 zu § 2 TVG unter B. I. 2. 462  Vgl. BAG 28.3.2006 AP Nr. 4 zu § 2 TVG Tariffähigkeit, Rn. 53.



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spielern kein zwingendes Bedürfnis. Die Ausstattung der Verbände zwecks Gewährleistung einer aus Arbeitgebersicht hinreichend wirkungsvollen Interessenvertretung obliegt vielmehr insgesamt der Eigenverantwortung der Arbeitgeber. Das gilt indes nur, soweit die sich aus dem Kriterium der organisatorischen Leistungsfähigkeit ergebenden Anforderungen der wirkungsvollen Interessenvertretung, mithin dem Schutz der eigenen Mitglieder dienen. Das Kriterium der organisatorischen Leistungsfähigkeit ist in seiner Zweckausrichtung aber ambivalenter Natur: Die Gewährleistung, dass die Koalition ihre Aufgaben im Interesse ihrer Mitglieder wirkungsvoll erfüllen kann, ist die eine Seite. Einer gewissen Organisation bedarf es aber auch, damit die Koalition bestmöglich für die Einhaltung geschlossener Tarifverträge durch die eigenen Mitglieder Sorge tragen kann.463 Nur wenn auf Seiten beider Sozialpartner weitgehend sichergestellt ist, dass sich die Mitglieder vertragskonform verhalten und nicht gegen die Friedenspflicht verstoßen, kann die Friedensfunktion464 der Tarifautonomie verwirklicht werden. Im Hinblick darauf sind gewisse organisatorische Anforderungen Voraussetzung einer funktionsfähigen Tarifautonomie. Freilich stehen gegen tarifwidriges Verhalten und Verletzungen der Friedenspflicht rechtliche Mittel zur Verfügung. Diese sind aber zum einen nicht immer hinreichend schnell erreichbar465; zum andern würde ein ständiges Zurückgreifenmüssen auf gerichtlichen Schutz das Vertrauen in den Tarifvertragspartner nachhaltig beschädigen – und damit auch weitgehend das Vertrauen in das Tarifvertragssystem. Ohne ein Mindestmaß an Vertrauen in die Zuverlässigkeit des sozialen Gegenspielers ist eine Ordnung des Arbeitslebens, die die Interessen beider Seiten zu einem gerechten Ausgleich bringen soll, durch die Koalitionen nicht zu erreichen.466 Unter diesem Gesichtspunkt sind gewisse Anforderungen an die organisatorische Leistungsfähigkeit auch vom Arbeitgeberverband zu verlangen. Diese Anforderungen stehen vorwiegend im Interesse des Arbeitnehmerschutzes, weil sie Sorge dafür tragen, dass die Arbeitnehmerseite darauf vertrauen kann, dass sich die Mitglieder der Arbeitgeberverbände tarifvertragskonform verhalten. Fraglich ist, in welchem konkreten Umfang sich aus diesen Erwägungen Anforderungen an den Organisationsaufbau von Arbeitgeberverbänden ergeben. Löwisch / Rieble gehen so weit, hieraus das „Erfordernis einer Complianceorganisation“ für Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände abzuleiLöwisch / Rieble, TVG, § 2, Rn. 142. zur Friedensfunktion der Tarifautonomie oben § 6 II. 1. a). 465  Vgl. Löwisch, ZfA 1970, 295 (310 f.), allerdings zum Erfordernis der Anerkennung des Tarif-, Schlichtungs- und Arbeitskampfrechts. 466  In diese Richtung auch Thüsing / Stelljes, ZfA 2005, 527 (546). 463  Vgl.

464  Grundlegend

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2. Teil: Tariffähigkeit

ten.467 Die Verbände sollen in der Satzung ihre Mitglieder ausdrücklich dazu verpflichten, geschlossene Tarifverträge einzuhalten, und für den Verletzungsfall Repressalien bestimmen. Darüber hinaus soll jeder Verband über eine mit der Verbandscompliance betraute organisatorische Einheit verfügen.468 In dieser generalisierenden Form kann dem nicht zugestimmt werden. Das Bundesarbeitsgericht hat im Hinblick auf jene Anforderungen der organisatorischen Leistungsfähigkeit, die die effektive Aufgabenerfüllung der Gewerkschaft zugunsten der eigenen Mitglieder gewährleisten sollen, festgestellt, dass von „starren Mindestanforderungen“ abzusehen ist.469 Die konkreten Anforderungen sollen sich vielmehr mit Blick auf den Einzelfall ergeben, wobei insbesondere der Umfang des Zuständigkeitsbereichs des jeweiligen Verbandes maßgeblich sein soll. Bei einer Gewerkschaft, die ihre Zuständigkeit fachlich auf eine Berufsgruppe und in räumlicher Hinsicht auf einen überschaubaren Bereich beschränkt, soll demnach bereits ein „relativ kleiner, zentralisierter Apparat“ genügen können, um den Anforderungen gerecht zu werden.470 Mitunter soll nicht einmal die Beschäftigung hauptamtlicher Mitarbeiter zwingende Voraussetzung der organisatorischen Leistungsfähigkeit sein.471 Diese grundsätzlichen Erwägungen sind auf jene Anforderungen an die organisatorische Leistungsfähigkeit einer Koalition, die der Friedensfunktion der Tarifautonomie Rechnung tragen, übertragbar. Anstelle von statischen Kriterien sind daher auch die konkreten Anforderungen an den Arbeitgeberverband von den individuellen Eigenheiten des jeweiligen Verbandes abhängig. Maßgeblich ist vor allem auf die Größe des Verbandes und den Umfang seines fachlichen und räumlichen Zuständigkeitsbereichs abzustellen – je komplexer die Strukturen des Verbandes, desto höher die Anforderungsintensität. Bei Arbeitgeberverbänden mit einer überschaubaren räumlichen Zuständigkeit, etwa für das Gebiet einer Kommune oder eines Regierungsbezirks, und einer fachlichen Zuständigkeit, die sich auf eine Branche beschränkt, sind nur geringe Anforderungen zu stellen. Konkrete präventive Maßnahmen gegen tarifwidriges Verhalten durch eigene Mitglieder sind von ihnen nicht zu verlangen. Erst recht ist mit Blick auf solche Verbände die Forderung nach einer planvollen Complianceorganisation deutlich überzogen. Gerade sehr kleine Verbände dürfte ein solches Erfordernis personell erheblich überfordern, ohne dass dies sachlich gerechtfertigt wäre. Zu ver467  Löwisch / Rieble,

TVG, § 2, Rn. 159. TVG, § 2, Rn. 142. 469  BAG 28.3.2006 AP Nr. 4 zu § 2 TVG Tariffähigkeit, Rn. 53. 470  BAG 28.3.2006 AP Nr. 4 zu § 2 TVG Tariffähigkeit, Rn. 53. 471  BAG 28.3.2006 AP Nr. 4 zu § 2 TVG Tariffähigkeit, Rn. 54; BAG 14.12.2004 AP Nr. 1 zu § 2 TVG Tariffähigkeit unter B. III. 2. f) aa). 468  Löwisch / Rieble,



§ 7  Tarifrechtsspezifische Anforderungen: Die einzelnen Kriterien 

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langen ist hier stattdessen nur, dass organisatorisch gewährleistet ist, dass im Verletzungsfall schnell und wirkungsvoll auf die Verletzung reagiert werden kann. Hierfür genügt es, dass verbandsintern personell klar geregelt ist, wer in einem solchen Fall zuständig ist. Nicht zwingend erforderlich ist indes, dass die verantwortlichen Mitarbeiter ausschließlich für die Klärung derartiger Sachverhalte zuständig sind; sie können schwerpunktmäßig grundsätzlich mit anderen Aufgaben betraut sein. Mit dem Umfang und der Komplexität des Zuständigkeitsbereichs steigen die Anforderungen an den Organisationsaufbau. Von überregional zuständigen Verbänden mit branchenübergreifenden Zuständigkeiten sind weitergehende Vorkehrungen zu verlangen, die nicht nur personelle Zuständigkeiten regeln, sondern darüber hinaus etwa den Informationsfluss sicherstellen. In komplexen Verbandsstrukturen wäre sonst zu befürchten, dass eine angemessene Reaktion auf Tarifverletzungen an organisatorischen Hindernissen scheitert. Darüber hinausgehende Anforderungen, die von einfachen präventiven Vorkehrungen bis hin zu einer planvollen Complianceorganisation reichen können, sind nur auf Grund zusätzlicher besonderer Umstände zu verlangen. Solche Umstände können insbesondere darin liegen, dass es in der Vergangenheit bereits wiederholt zu tarifwidrigem Verhalten durch Verbandsmitglieder gekommen ist. Die Anforderungen an die organisatorische Leistungsfähigkeit sind beim Arbeitgeberverband demnach erheblich geringer als bei der Gewerkschaft. Dies liegt zuvorderst daran, dass sich beim Arbeitgeberverband anders als bei der Gewerkschaft keine Anforderungen zwecks Gewährleistung einer funktionsgerechten Vertretung der Mitgliederinteressen ergeben. Aber auch jene Anforderungen an die organisatorische Leistungsfähigkeit, die im Hinblick auf die Gewährleistung der Friedensfunktion von den Verbänden beider Seiten zu verlangen sind, sind aus praktischen Gründen beim Arbeitgeberverband zumeist geringer als bei der Gewerkschaft. Denn der Großteil der Arbeitgeberverbände ist in seiner räumlichen und fachlichen Zuständigkeit stärker beschränkt als die Gewerkschaften, die zu großen Teilen überregional agieren und teils überaus komplexe Strukturen aufweisen. V. Gegnerunabhängigkeit und Gegnerfreiheit 1. Hintergrund und funktionale Einordnung Durch das Kriterium der Gegnerunabhängigkeit soll sichergestellt werden, dass Koalitionen die Belange ihrer Mitglieder ausschließlich an deren Interessen orientiert vertreten können. In erster Linie geht es darum, wirtschaftliche Abhängigkeit vom sozialen Gegenspieler zu vermeiden. Sie würde

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2. Teil: Tariffähigkeit

dem Gegenspieler eine Machtposition einräumen, die eine freie Willensbildung auf Seiten der abhängigen Koalition praktisch ausschlösse.472 Die Rechtsprechung versteht das Erfordernis der Gegnerunabhängigkeit nicht in einem formellen Sinne, nach dem jede Form der Abhängigkeit zu einer Versagung der Koalitionseigenschaft führen soll. Sie geht vielmehr von einem materiellen Verständnis aus, nach dem das Erfordernis der Gegnerunabhängigkeit nur dann unerfüllt bleibt, „wenn die Abhängigkeit vom sozialen Gegenspieler in der Struktur der Arbeitnehmervereinigung angelegt und verstetigt und die eigenständige Interessenwahrnehmung der Tarifvertragspartei durch personelle Verflechtungen, auf organisatorischem Weg oder durch wesentliche finanzielle Zuwendungen ernsthaft gefährdet ist“. Das soll insbesondere der Fall sein, wenn sich die Vereinigung „im Wesentlichen nicht aus den Beiträgen ihrer Mitglieder finanziert und deshalb zu befürchten ist, dass die Arbeitgeberseite durch Androhung der Zahlungseinstellung die Willensbildung auf Arbeitnehmerseite beeinflussen kann“.473 Entwicklungsgeschichtlich ist das Erfordernis maßgeblich zurückzuführen auf die Gründung sogenannter „gelber Gewerkschaften“ oder „Werksvereine“, vor allem in den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts.474 Hierbei handelte es sich um Verbände, die auf Maßnahmen des Arbeitskampfes verzichteten und überwiegend finanziell von Arbeitgebern abhängig waren. Arbeitgeber versuchten, durch die Unterstützung derartiger Verbände den Einflussreichtum der Gewerkschaften zu unterminieren. Im Hinblick auf den geschichtlichen Hintergrund ist Gegnerunabhängigkeit vor allem erforderlich, damit die Gewerkschaften ihrer Aufgabe, den strukturell benachteiligten Arbeitnehmer zu schützen, nachkommen können. Das grundsätzlich bestehende Machtgefälle kann nur durch – vom jeweiligen Gegenspieler – unabhängige Koalitionen ausgeglichen werden.475 Die Entwicklungsgeschichte des Erfordernisses zeigt bereits, dass seine Geltung für den Arbeitgeberverband jedenfalls nicht offenkundig ist. Während Arbeitgeber in der Geschichte immer wieder versucht haben, eigene Gewerkschaften zu gründen oder auf bestehende Gewerkschaften Einfluss zu üben, um einen gefügigen Tarifverhandlungspartner zu erschaffen, sind umgekehrte Fälle nicht bekannt und auch nur schwer vorstellbar.476 Insge472  Vgl.

BAG 14.12.2004 AP Nr. 1 zu § 2 TVG Tariffähigkeit unter B. III. 2) d) aa). 14.12.2004 AP Nr. 1 zu § 2 TVG Tariffähigkeit unter B. III. 2) d) aa); BAG 5.10.2010 AP Nr. 7 zu § 2 TVG Tariffähigkeit unter B. III. 2. b) aa). 474  Kempen in: Kempen / Zachert, TVG, Grdl., Rn. 31 u. § 2, Rn. 73; Gamillscheg, KollArbR I, S. 98. 475  Vgl. Kempen in: Kempen / Zachert, TVG, § 2, Rn. 74; Löwisch / Rieble, TVG, § 2, Rn. 56. 476  In diesem Sinne auch Gamillscheg, KollArbR I, S. 415. 473  BAG



§ 7  Tarifrechtsspezifische Anforderungen: Die einzelnen Kriterien 111

samt drängen sich Konstellationen, in denen sich Arbeitgeberverbände in ein Abhängigkeitsverhältnis gegenüber Gewerkschaften begeben, nicht unbedingt auf. Kaum vorstellbar ist insbesondere, dass eine finanzielle Abhängigkeit eines Arbeitgeberverbandes von einer Gewerkschaft entsteht. Gleichwohl sind bei näherem Hinsehen Fallgestaltungen ersichtlich, in denen ein Abhängigkeitsverhältnis zulasten des Arbeitgeberverbandes jedenfalls nicht ohne Weiteres von der Hand zu weisen ist. In erster Linie sind dies Konstellationen, die den gesetzlichen Bestimmungen zur paritätischen Mitbestimmung geschuldet sind. Es ist nicht auszuschließen, dass Gewerkschaftsmitglieder, die als Arbeitnehmervertreter paritätisch besetzten Aufsichtsräten angehören, Einfluss auf die Tarifpolitik des Unternehmens üben. Daneben können Abhängigkeitsverhältnisse als Folge gemeinsamer Einrichtungen der Tarifvertragsparteien im Sinne von § 4 Abs. 2 TVG – insbesondere gemeinsamer Kassen – entstehen. Zur Frage, inwiefern paritätische Mitbestimmung und Tarifautonomie vereinbar sind, hat es zu Beginn der 1970er Jahre eine ausgiebige Debatte gegeben.477 Das Bundesverfassungsgericht hat diese beendet, indem es entschieden hat, dass die Ausübung unternehmerischer Mitbestimmung in den gesetzlichen Grenzen nicht dem Erfordernis der Gegnerunabhängigkeit zuwiderläuft.478 Damit geht das Bundesverfassungsgericht offenkundig aber davon aus, dass Gegnerunabhängigkeit grundsätzlich Bedingung der Tariffähigkeit des Arbeitgeberverbandes ist. Es beschränkt sich hinsichtlich der Begründung indes auf die recht pauschale Aussage, die Unabhängigkeit von der Gegenseite sei Voraussetzung einer wirksamen und nachhaltigen Interessenvertretung.479 2. Begründung und Geltung für den Arbeitgeberverband Das Erfordernis der Gegnerunabhängigkeit lässt sich für die Gewerkschaft mit Blick auf die Schutzfunktion der Tarifautonomie und das Gegenmachtprinzip überzeugend begründen: Nur eine in ihrer Willensbildung unabhängige Gewerkschaft kann zu einem Ausgleich des Machtdefizits auf Arbeitnehmerseite beitragen. Damit ist das Erfordernis der Gegnerunabhängigkeit bei der Gewerkschaft in seiner Zielrichtung vergleichbar mit dem Mächtigkeitserfordernis. Dass fehlende Unabhängigkeit eine berechtigte Sorge ist, zeigen die historischen Erfahrungen mit „gelben Gewerkschaften“. Teile der Literatur begründen auch das Erfordernis der Gegnerunabhängigkeit beim 477  Einen ausführlichen Überblick bietet Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2, Rn. 322 ff. 478  BVerfG 1.3.1979 BVerfGE 50, 290 = AP Nr. 1 zu § 1 MitbestG unter C. IV. 2. 479  BVerfG 1.3.1979 BVerfGE 50, 290 = AP Nr. 1 zu § 1 MitbestG unter C. IV. 2. d) bb).

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2. Teil: Tariffähigkeit

Arbeitgeberverband mit dem Gegenmachtprinzip. Insbesondere Zöllner / Seiter sehen in der Unabhängigkeit beider Sozialpartner eine unverzichtbare Voraussetzung für ein Kräftegleichgewicht, das wiederum Bedingung für ein funktionierendes Tarifvertragssystem sei.480 Diese Argumentation hat viel Kritik erfahren. Stein etwa meint, es sei widersprüchlich, wenn das Erfordernis der Gegnerunabhängigkeit einerseits die interessengerechte Verhandlungsposition der Arbeitnehmer sichern, gleichzeitig aber die Arbeitgeberseite stärken solle. Dies, so Stein, führe zu einem „erneuten Abbau der Gleichheit“.481 Dem kann nicht gefolgt werden. Die Gegnerunabhängigkeit zielt in erster Linie auf die Sicherstellung einer freien Willensbildung, zu der zweifellos beide Seiten in der Lage sein müssen. Es ist nicht ersichtlich, inwiefern eine gesicherte freie Willensbildung im Arbeitgeberverband zulasten der Verhandlungsposition der Gewerkschaft gehen sollte. Gleichwohl kommt dem Erfordernis der Gegnerunabhängigkeit in seiner Bedeutung für die Tariffähigkeit von Arbeitgeberverbänden nur wenig Bedeutung zu. Denn die gegnerunabhängige Willensbildung ist auf Arbeitgeberseite ersichtlich nicht gefährdet. Die Anfälligkeit für Einflussnahme durch den sozialen Gegenspieler, die auf Arbeitnehmerseite zweifellos gegeben ist, ist auf der Arbeitgeberseite nicht festzustellen. Insbesondere sind Phantom-Arbeitgeberverbände kein ernsthaft zu befürchtendes Szenario. Dass mitbestimmungsbedingte Einflussnahmemöglichkeiten von Gewerkschaftsmitgliedern zu vernachlässigen sind, hat das Bundesverfassungsgericht richtigerweise festgestellt. Bezogen auf den Arbeitgeberverband versteht sich das Erfordernis der Gegnerunabhängigkeit mithin als – jedenfalls unter den gegenwärtigen Umständen – praktisch wenig bedeutsamer Mindeststandard.482 Weite Teile der Literatur begründen das Erfordernis der Gegnerunabhängigkeit beim Arbeitgeberverband unabhängig von tariffunktionalen Gesichtspunkten mit der allgemeinen vertragsgrundsätzlichen Erwägung, dass ein wirksam geschlossener Vertrag voraussetze, dass beide Vertragsparteien voneinander unabhängig seien.483 Andernfalls läge ein In-Sich-Geschäft oder jedenfalls eine vergleichbare Sachlage vor, die nach § 181  BGB oder unter Heranziehung der Überlegungen, die dieser Vorschrift zugrunde liegen, zur Unwirksamkeit des Vertrags führen würde. Stein wendet gegen 480  Zöllner / Seiter,

Paritätische Mitbestimmung, S. 34 ff. in: Kempen / Zachert, TVG, § 2, Rn. 121. 482  Im Ergebnis ähnlich Greiner in: Henssler / Moll / Bepler, Der Tarifvertrag, Teil  2, Rn. 120. 483  Vgl. etwa Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2, Rn. 302 ff.; Greiner in: Henssler / Moll / Bepler, Der Tarifvertrag, Teil 2, Rn. 119; auch Zöllner / Seiter, Paritätische Mitbestimmung, S. 34 ff., die allerdings in ihrer Argumentation weiter gehen und das Erfordernis der Gegnerunabhängigkeit beim Arbeitgeberverband zudem auf das Gegenmachtprinzip stützen. 481  Stein



§ 7  Tarifrechtsspezifische Anforderungen: Die einzelnen Kriterien 

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diese Argumentation ein, die Unwirksamkeit eines Vertrags nach § 181 BGB setze Personenidentität voraus, die selbst im Fall des Tarifvertragsabschlusses mitbestimmter Unternehmen nicht angenommen werden könne.484 Es trifft zu, dass durchschlagende Abhängigkeit einem wirksamen Vertragsschluss mit Blick auf § 181 BGB entgegensteht. Dogmatisch muss allerdings berücksichtigt werden, dass es sich insofern bei der Gegnerunabhängigkeit um kein „echtes“ Tariffähigkeitserfordernis handelt. Das wird schon daran deutlich, dass je nach Lage der Abhängigkeit nur der Tarifvertragsschluss mit einer bestimmten Gewerkschaft verwehrt sein kann, die Tariffähigkeit einem relativen Verständnis – jedenfalls nach herrschender Meinung485 – aber nicht zugänglich ist. Mit Blick auf Steins Einwand müssen im Übrigen hohe Hürden gelten, bevor die Wirksamkeit eines Tarifvertrags im Hinblick auf § 181 BGB verneint wird. Andernfalls mäße man § 181 BGB einen derart gesteigerten Anwendungsbereich zu, dass eine Vielzahl von Verträgen aus allen Lebensbereichen unwirksam sein müsste.486 Bei der gebotenen Zugrundelegung hoher Anforderungen fällt von den dargestellten Fällen, in denen eine Abhängigkeit des Arbeitgeberverbandes von der Gewerkschaft denkbar entstehen kann, erkennbar keiner in den Anwendungsbereich des § 181 BGB. Auch unter diesem Gesichtspunkt ist die praktische Bedeutung bezogen auf den Arbeitgeberverband daher denkbar gering. Tariffähige Koalitionen sollen nicht nur gegnerunabhängig, sondern auch gegnerfrei sein. In Bezug auf den Arbeitgeberverband bedeutet dies, dass sich dieser zumindest überwiegend aus Arbeitgebern zusammensetzen muss.487 Das Erfordernis der Gegnerfreiheit ist indes nicht wirklich als eigenständiges Kriterium zu erfassen, sondern folgt aus dem Erfordernis der Gegnerunabhängigkeit.488 Man kann beide Kriterien grob so trennen, dass mit dem Kriterium der Gegnerunabhängigkeit der Einfluss von außen, mit dem Kriterium der Gegnerfreiheit hingegen der Einfluss von innen verhindert werden soll.489 Eine konsequente Abgrenzung ist im Einzelfall jedoch zumeist nicht möglich.

484  Stein

in: Kempen / Zachert, TVG, § 2, Rn. 120. vieler Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2, Rn. 19 m. w. N. 486  Vgl. Stein in: Kempen / Zachert, TVG, § 2, Rn. 120. 487  BVerfGE 50, 290, 368; 100, 214, 223. 488  Vgl. Richardi in: Richardi, BetrVG, § 2, Rn. 45; Stern, Staatsrecht IV / 1, S. 2034 f. 489  Vgl. Löwisch / Rieble in: Richardi, MünchHdb., § 155, Rn. 60 f. 485  Statt

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2. Teil: Tariffähigkeit

VI. Überbetrieblichkeit Die Rechtsprechung verlangt, dass tariffähigen Gewerkschaften Arbeitnehmer unterschiedlicher Betriebe angehören müssen.490 Andernfalls könne der Arbeitgeber durch Kündigungen auf den Mitgliederbestand des sozialen Gegenspielers Einfluss nehmen. Damit ist die Überbetrieblichkeit eher als besondere Ausprägung des Erfordernisses der Gegnerunabhängigkeit denn als eigenständiges Kriterium einzuordnen.491 Auch der Staatsvertrag nennt die Überbetrieblichkeit als Voraussetzung der Tariffähigkeit. Ob sie erforderlich ist, ist jedoch bereits für die Gewerkschaften kritisch zu sehen. Es wird vertreten, das Erfordernis sei angesichts des heute bestehenden hohen Kündigungsschutzniveaus überholt; ihm komme allenfalls noch Relevanz als „Teilaspekt und Indiztatsache“ in Bezug auf die Erfordernisse der Gegnerunabhängigkeit und Gegnerfreiheit zu.492 Andere meinen, das Tarifvertragssystem setze ein solches Erfordernis funktional generell nicht voraus.493 Ob das Erfordernis der Überbetrieblichkeit beim Arbeitgeberverband zu verlangen ist, kann unabhängig von der Beurteilung dieser Streitfrage beantwortet werden: Ein solches Erfordernis hätte keine praktische Bedeutung und ist daher abzulehnen. Die Tariffähigkeit eines Arbeitgeberverbandes, der nur einen Betrieb zum Mitglied hat, scheitert schon daran, dass es sich bei der Organisation um keinen Zusammenschluss handeln würde.494 VII. Weitere Unabhängigkeitserfordernisse Eine Koalition soll nicht nur vom sozialen Gegenspieler unabhängig sein, sondern auch von Staat, Parteien und Religionsgemeinschaften. Mitunter werden diese zusätzlichen Unabhängigkeitserfordernisse pauschal unter dem Oberbegriff der Unabhängigkeit vom Einfluss „dritter Mächte“ abgehandelt.495 Zwar verfügen alle Ausprägungen des Unabhängigkeitserfordernisses über Gemeinsamkeiten, indem sie jedenfalls auch darauf abzielen, dass sich das Handeln der Koalition in erster Linie nach den Interessen ihrer Mitglieder richten soll und nicht nach dem Einfluss außenstehender Dritter. Im 490  Etwa

BAG 14.12.2010 AP Nr. 6 zu § 2 TVG Tariffähigkeit, Rn. 67. Hamacher in: Moll, MünchAnwHdb., § 71, Rn. 14. 492  So etwa Dieterich / Linsenmaier in: Dieterich, ErfK, GG, Art. 9, Rn. 25; vgl. auch Franzen in: Dieterich, ErfK,. TVG, § 2, Rn. 6 m. w. N. 493  Vgl. Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2, Rn. 349 m. w. N. 494  Vgl. Greiner in: Henssler / Moll / Bepler, Der Tarifvertrag, Teil 2, Rn. 121; Stein in: Kempen / Zachert, TVG, § 2, Rn. 117. 495  So etwa bei Löwisch / Rieble in: Richardi, MünchHdb., § 155, Rn. 66; Hromadka / Maschmann, Arbeitsrecht II, § 12, Rn. 22. 491  Vgl.



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Übrigen aber liegen ihnen unterschiedliche Erwägungen zugrunde, die eine differenzierte Behandlung erfordern. 1. Unabhängigkeit vom Staat Unabhängigkeit von staatlichen Institutionen verlangt die annähernd ganz herrschende Meinung.496 Auch das Bundesverfassungsgericht erkennt das Kriterium an, sieht darin sogar ein „entscheidendes Element der Koalitions­ freiheit“.497 Grundlegend kritisch äußert sich ersichtlich nur Bruhn, der eine Abhängigkeit für unschädlich hält, solange sie für die Mitglieder der Koalition bei Eintritt erkennbar war.498 Dass eine Koalition unabhängig von staatlichen Institutionen sein muss, ergibt sich aus der Ordnungsfunktion der Tarifautonomie. Wenn der Staat im Interesse sachgerechter Regelungen die Tarifmacht den Sozialpartnern als in seinen Augen kompetenten Parteien überlässt, dann muss er dabei auch konsequent sein.499 Es ergibt sich aus der Natur der Sache, dass es ohne staatliche Neutralität keine Tarifautonomie geben kann.500 Verfassungstechnisch steht einer staatlichen Einmischung die Eigenschaft des Grundrechts der Koalitionsfreiheit als Abwehrrecht entgegen.501 Wie oben ausgeführt garantiert Art. 9 Abs. 3 GG als Doppelgrundrecht die individuelle und die kollektive Koalitionsfreiheit. Bruhns Einwand greift daher zu kurz, denn die Unabhängigkeit der Koalition von staatlichen Institutionen soll nicht nur den Mitgliederinteressen dienen, sondern auch die Koalition als Kollektiv schützen. Einer Differenzierung zwischen Gewerkschaft und Arbeitgeberverband ist das Kriterium der staatlichen Unabhängigkeit nicht zugänglich. Beim Arbeitgeberverband gilt wie bei der Gewerkschaft, dass ohne die Freiheit von staatlichem Einfluss eine autonome Ordnung des Arbeitslebens nicht möglich ist. Für das Erfordernis staatlicher Unabhängigkeit gerade beim Arbeitgeberverband spricht ein weiterer Grund: Eine Einmischung des Staates 496  Franzen in: Dieterich, ErfK, TVG, § 2, Rn. 6; Kempen in: Kempen / Zachert, TVG, § 2, Rn. 81; Stein in: Kempen / Zachert, TVG, § 2, Rn. 117; Löwisch / Rieble, TVG, § 2, Rn. 83 ff.; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2, Rn. 30; Peter in: Däubler, TVG, § 2, Rn. 35; Berg in: Däubler / Kittner / Klebe / Wedde, BetrVG, § 2, Rn. 60; Löwisch / Rieble in: Richardi, MünchHdb., § 155, Rn. 66; Hromadka / Maschmann, Arbeitsrecht II, § 12, Rn. 22. 497  BVerfG 13.3.1979 BVerfGE 50, 290 = AP Nr. 1 zu § 1 MitbestG unter C. IV. 2. a). 498  Bruhn, Tariffähigkeit von Gewerkschaften und Autonomie, S. 175. 499  Vgl. etwa Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2, Rn. 330. 500  Vgl. Jung, Die Unabhängigkeit als konstitutives Element, S. 211. 501  Vgl. Jung, Die Unabhängigkeit als konstitutives Element, S. 211.

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2. Teil: Tariffähigkeit

kann nicht nur die Koalition verletzen, auf deren Seite die staatliche Institution aktiv wird, sondern auch den sozialen Gegenspieler, wenn der Staat zu dessen Ungunsten auf das Kräftegleichgewicht einwirkt.502 Eine solche Einmischung läuft der elementaren Funktion der Tarifautonomie zuwider, auf autonome Weise ein Kräftegleichgewicht herzustellen. Das Erfordernis staatlicher Unabhängigkeit beim Arbeitgeberverband sichert demnach auch die Möglichkeit der Herstellung eines Kräftegleichgewichts zugunsten der Arbeitnehmer. Stein ist der Auffassung, Unabhängigkeit von staatlicher Einflussnahme sei ausnahmsweise nicht erforderlich bei Arbeitgeberverbänden, deren Mitglieder ausschließlich öffentliche Arbeitgeber seien.503 Diese Konstellation findet sich insbesondere bei den kommunalen Arbeitgeberverbänden in den Bundesländern. In der Tat können in diesen Fällen keine besonderen Anforderungen gestellt werden. Wo ausschließlich Arbeitgeber der öffentlichen Hand betroffen sind, ist eine staatliche Einflussnahme auf die Willensbildung der Art des Verbandes immanent. Der Staat ist in diesem Fall nicht mehr „dritte Macht“, sondern selbst betroffen. 2. Unabhängigkeit von Parteien und Religionsgemeinschaften Dass eine Koalition zudem von Parteien und Religionsgemeinschaften unabhängig sein soll, hat als erster Nipperdey geäußert.504 Heute wird diese Auffassung weit überwiegend geteilt.505 Es gibt aber auch kritische Stimmen, die eine Neutralität zwar mehrheitlich für „wünschenswert“ halten, darin aber kein notwendiges Kriterium sehen.506 Nicht gefordert wird, dass sich Koalitionen parteipolitisch und konfessionell vollständig neutral verhalJung, Die Unabhängigkeit als konstitutives Element, S. 212. in: Kempen / Zachert, TVG, § 2, Rn. 117. 504  So Müller, FS Nipperdey, S. 435 (435) unter Verweis auf Hueck / Nipperdey, TVG, 1. Aufl., § 2, Anm. 30. 505  Franzen in: Dieterich, ErfK, TVG, § 2, Rn. 6; Kempen in: Kempen / Zachert, TVG, § 2, Rn. 81; Stein in: Kempen / Zachert, TVG, § 2, Rn. 117; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2, Rn. 331; Peter in: Däubler, TVG, § 2, Rn. 36; Löwisch / Rieble, TVG, § 2, Rn. 83, 88 f.; Löwisch / Rieble in: Richardi, MünchHdb., § 155, Rn. 66; Berg in: Däubler / Kittner / Klebe / Wedde, BetrVG, § 2, Rn. 60; Gamillscheg, Koll­ ArbR I, S. 411 ff.; Hromadka / Maschmann, Arbeitsrecht II, § 12, Rn. 22. 506  v. Münch in: Dolzer, Bonner Kommentar GG, Art. 9, Rn. 132; Dietz in: Bettermann / Nipperdey / Scheuner, Die Grundrechte 3,1, S. 434; Bruhn, Tariffähigkeit von Gewerkschaften und Autonomie, S. 175 ff.; Herschel, BABl. 1950, 377 (378); Reuß, ArbRGeg. Bd. 1 (1963), S. 145 (147 ff.), der sogar Zweifel daran äußert, dass eine größtmögliche parteipolitische und konfessionelle Neutralität wünschenswert sei. 502  Vgl.

503  Stein



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ten.507 Das kann auch nicht verlangt werden – ist es doch nicht nur zu billigen, sondern geradezu zu begrüßen, dass Koalitionen ihrer Politik bestimmte gesellschaftliche Einstellungen zugrunde legen.508 Dies gewährleistet stabile Politik und gibt potentiellen Mitgliedern zuverlässige Auswahlkriterien an die Hand. Man könnte einwenden, die Entwicklung gesellschaftlicher Grundeinstellungen bedinge nicht zwingend eine Orientierung an konkreten Parteien oder Religionsgemeinschaften. Das trifft zu, erlaubt aber keine weiteren Schlüsse. Denn es wäre nicht gerechtfertigt, Koalitionen mit eigens entwickelten Leitbildern besser zu stellen als Koalitionen, die sich an den Werten bestimmter Parteien oder Religionsgemeinschaften orientieren. Letztlich muss die Herkunft des Leitbildes außer Acht bleiben.509 Anstelle einer vollständigen Neutralität wird daher verlangt, dass Parteien oder Religionsgemeinschaften keinen Einfluss nehmen, der die autonome Willensbildung der Koalition in Frage stellt.510 Die Abgrenzung, wann eine Einflussnahme so groß ist, dass die Tariffähigkeit entfällt, ist schwierig. Die Grenze soll etwa überschritten sein bei einem „beherrschenden Einfluss“511 oder bei einer „existentiellen Abhängigkeit“512. Oetker erkennt in den verschiedenen Ansätzen unterschiedliche Wertungen.513 Tatsächlich scheinen die Ansätze in der Sache überwiegend sehr nah beieinander zu liegen, während sich die wesentlichen Unterschiede auf terminologische Feinheiten beschränken. Neben den Versuchen abstrakter Abgrenzung haben sich Fallgruppen herausgebildet. Unterschieden wird im Wesentlichen zwischen personellen514 und organisatorischen515 Verflechtungen sowie finanziellen Abhängigkeiten516. Keine dieser Fallgruppen ist in ihrer praktischen Bedeutung auf Gewerkschaften beschränkt. Gewisse Einschränkungen sind einzig in Bezug auf finanzielle Abhängigkeiten zu machen. Hier soll die Grenze jedenfalls überschritten sein, wenn der Verband über keinerlei eigene Mittel 507  LAG Düsseldorf 14.12.1957 AP Nr. 2 zu Art. 9 GG = WA 1958, Nr. 152; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2, Rn. 332; Greiner in: Henssler / Moll / Bepler, Der Tarifvertrag, Teil  2, Rn. 49. 508  In diesem Sinne auch Müller, FS Nipperdey, S. 435 (438). 509  Vgl. v. Münch in: Dolzer, Bonner Kommentar GG, Art. 9, Rn. 132; Müller, FS Nipperdey, S. 435  (437). 510  Vgl. Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2, Rn. 332. 511  Oetker in: Wiedemann, TVG, 6. Aufl., § 2, Rn. 267. 512  Müller, FS Nipperdey, S. 435 (445). 513  Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2, Rn. 333. 514  Vgl. BAG 21.11.1975 AP Nr. 6 zu § 118 BetrVG 1972; zudem Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2, Rn. 333 m. w. N. 515  Gemeint sind in erster Linie Unterorganisationen von Parteien. Zu deren unzureichender Unabhängigkeit Löwisch / Rieble, TVG, § 2, Rn. 28; Stein in: Kempen / Zachert, TVG, § 2, Rn. 117. 516  Siehe Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2, Rn. 336.

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2. Teil: Tariffähigkeit

verfügt, sondern vollständig von finanziellen Zuwendungen einer Partei oder Religionsgemeinschaft abhängig ist.517 Diese Konstellation ist beim Arbeitgeberverband angesichts des grundsätzlich zu unterstellenden finanziellen Potenzials der Mitglieder schwer vorstellbar. Abhängigkeiten eines Arbeitgeberverbandes von Parteien oder Religionsgemeinschaften können sich also grundsätzlich ebenso ergeben wie bei Gewerkschaften. Hiermit lässt sich freilich noch nicht begründen, dass die Unabhängigkeit beim Arbeitgeberverband ein erforderliches Kriterium darstellt. Für die parteipolitische und konfessionelle Unabhängigkeit von Koalitionen gibt es im Schrifttum verschiedene Begründungsansätze. Oetker sieht die Gefahr der Abhängigkeit vor allem darin, dass „sich die Zielsetzung des Verbandes infolge seiner Abhängigkeit ändert und nicht mehr der durch Art. 9 Abs. 3 GG vorgegebenen Ausrichtung auf die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen entspricht“.518 Müller befürchtet Interessenkonflikte, weil Parteien519 – jedenfalls soweit es sich um Volksparteien handelt – grundsätzlich die Interessen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern berücksichtigen.520 Kempen sieht die die Normsetzungsbefugnis rechtfertigende „demokratische Selbstbestimmung“ der Koalitionen in Gefahr.521 Bei näherer Betrachtung sind die genannten Ansätze nicht in der Lage, ein eigenständiges Tariffähigkeitskriterium zu begründen. Sofern Einflussnahme durch Parteien oder Religionsgemeinschaften die demokratische Binnenorganisation essentiell beeinträchtigt, ist die Tariffähigkeit ggf. mangels hinreichender demokratischer Strukturen zu verneinen. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass Parteien, die Einfluss auf eine Koalition nehmen, in Interessenkonflikte geraten können. Allerdings ginge es zu weit, hieraus zu schließen, dass eine Gegnerunabhängigkeit generell nicht gewährleistet sei.522 Nur in diesem Fall sind Interessenkonflikte aber schädlich, so dass auch unter diesem Gesichtspunkt der parteipolitischen Unabhängigkeit keine eigenständige Bedeutung zukommt. Wird durch parteipolitische oder konfessionelle Einflussnahme die Zielrichtung des Verbandes derart gravierend verändert, dass die Verfolgung der Mitgliederinteressen der Verfolgung 517  Oetker

in: Wiedemann, TVG, § 2, Rn. 336. in: Wiedemann, TVG, § 2, Rn. 332 unter Bezugnahme auf BVerfG 26.1.1995AP Nr. 77 zu Art. 9 GG. 519  Für Kirchen sieht Müller dieses Problem nicht, da sie in seinen Augen „ihrem Wesen nach über den Interessenspannungen und Interessengegensätzen, die zwischen der Arbeitnehmer- und der Arbeitgeberseite vorliegen“ stehen, Müller, FS Nipperdey, S. 435  (444). 520  Müller, FS Nipperdey, S. 435 (441 ff.). 521  Kempen in: Kempen / Zachert, TVG, § 2, Rn. 81, allerdings nur für die Gewerkschaft. 522  So aber wohl Müller, FS Nipperdey, S. 435 (441 ff.). 518  Oetker



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parteipolitischer oder konfessioneller Ziele untergeordnet wird, wird die Koalition in der Regel nicht mehr die Wahrung und Förderung der Arbeitsund Wirtschaftsbedingungen zum Zweck haben. Die Koalitionseigenschaft scheiterte mithin bereits am fehlenden besonderen Vereinigungszweck. Auch insofern kommt der parteipolitischen und konfessionellen Unabhängigkeit keine eigenständige Bedeutung zu. Denkbar sind indes Fälle, in denen im Verband die Verfolgung parteipolitischer oder konfessioneller Interessen und die der originären Koalitionsinteressen gleichrangig nebeneinander stehen. In diesem Fall dürfte der besondere Vereinigungszweck, der keine allzu hohen Anforderungen stellt, zumeist erfüllt sein. Fraglich ist, ob in diesen Fällen der parteipolitische oder konfessionelle Einfluss zur Versagung der Tariffähigkeit des Verbandes führen muss. Eine „vernünftige“ Normsetzung wird auch durch eine starke parteipolitische oder konfessionelle Ausrichtung des Verbandes nicht ausgeschlossen. Die Ordnungsfunktion der Tarifautonomie und das Ziel, ein Kräftegleichgewicht herzustellen, werden mithin durch eine Einflussnahme seitens Parteien oder Religionsgemeinschaften nicht grundsätzlich berührt. Das Erfordernis zur Unabhängigkeit ergibt sich stattdessen aber aus Gründen des Mitgliederschutzes. Das gilt jedenfalls für die Gewerkschaft. Denn dem einzelnen Arbeitnehmer, dem häufig nur der Austritt aus der Gewerkschaft als Alternative bereitsteht523, kann nicht zugemutet werden, sich als einzige Option tarifpolitischer Teilhabe einer Tarifmacht auszusetzen, die spürbar parteipolitisch oder konfessionell geprägt ist. Beim Arbeitgeberverband stellt sich die Situation anders dar: Da dem Arbeitgeber grundsätzlich mehrere adäquate Optionen zur Verfügung stehen524, ist er im Hinblick auf die Nachwirkung der Tarifbindung nur davor zu schützen, dass er sich ohne Kenntnis des parteipolitischen oder konfessionellen Einflusses an einen unter eben diesem Einfluss zustande gekommenen Tarifvertrag bindet. Schließlich ist auch der einzelne konfessionelle Arbeitgeber tariffähig.525 Es erscheint daher ausreichend, dass der Verband auf die parteipolitische oder konfessionelle Ausrichtung in seiner Satzung hinweist und so die nötige Transparenz schafft, die den einzelnen Arbeitgeber in die Lage versetzt, von seinen Handlungsoptionen aktiv Gebrauch zu machen.

523  Näher

oben § 6 V. 2. und § 7 II. 3. oben § 6 5. b. und § 7 II. 3. 525  Vgl Müller, FS Nipperdey, S. 435 (447). 524  Näher

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2. Teil: Tariffähigkeit

VIII. Anerkennung des Tarif-, Schlichtungsund Arbeitskampfrechts 1. Hintergrund Das Bundesverfassungsgericht hat sich bereits 1954 mit der Tariffähigkeit einer Arbeitgebervereinigung befasst.526 Dem Verfahren ging ein Rechtsstreit vor dem Arbeitsgericht Bamberg voraus, gegen das der unterlegene Arbeitgeber Berufung beim Landesarbeitsgericht Bayern eingelegt hatte. Dabei wurde er durch einen Angestellten der Arbeitgebervereinigung Vereinigung der Wirtschaft vertreten. Das Landesarbeitsgericht hatte die Berufung mangels formgerechter Einlegung als unzulässig verworfen, weil der Angestellte der Arbeitgebervereinigung nicht zur Vertretung vor dem Landesarbeitsgericht zugelassen gewesen sei. Nach der Auffassung des Landesarbeitsgerichts fehlte es der Vereinigung dafür an der nach Art. 11 Abs. 2 Arbeitsgerichtsgesetz des Landes Bayern527 erforderlichen Tariffähigkeit. Hiergegen wehrte sich der Arbeitgeber mittels Verfassungsbeschwerde. Das Bundesverfassungsgericht formulierte anlässlich dieser Streitfrage erstmals umfassende Anforderungen der Tariffähigkeit. Unter Bezugnahme auf Rechtsprechung528 und Rechtswissenschaft während der Geltung der Weimarer Reichsverfassung erklärte das Bundesverfassungsgericht neben den Anforderungen, die sich aus dem Koalitionsbegriff ergeben, die Anerkennung des geltenden Tarif- und Schlichtungsrecht zur Voraussetzung der Tariffähigkeit. In der Folge hat es diese Auffassung mehrfach bestätigt.529 Auch das Bundesarbeitsgericht hat die Anerkennung des geltenden Tarifrechts als zwingendes Erfordernis der Tariffähigkeit in inzwischen ständiger Rechtsprechung anerkannt.530 Es fällt auf, dass weder das Bundesverfassungsgericht noch das Bundesarbeitsgericht dieses Erfordernis je näher begründen. Bislang haben beide es aber auch stets nur beiläufig im Zuge der 526  BVerfG

18.11.1954 BVerfGE 4, 96. GVBl. 1947, S. 1. 528  Etwa RAG 10.11.1928 ARS 4, S. 231 (236): „Denn die Anerkennung der Tariffähigkeit […] setzt voraus, daß der in Frage kommende Verband das geltende Schlichtungs- und Tarifvertragswesen, wenn er auch mit seinen Grundsätzen nicht einverstanden sein mag und daher seine Änderung oder Beseitigung erstrebt, doch als geltend anerkennt […]“. 529  BVerfG 20.10.1981 BVerfGE 58, 233 = AP Nr. 31 zu § 2 TVG unter B. I. 1; BVerfG 6.5.1964 AP Nr. 15 zu § 2 TVG = BVerfGE 18, 18 = NJW 1964, 1267 (1268). 530  BAG 28.3.2006 AP Nr. 4 zu § 2 TVG Tariffähigkeit = NZA 2006, 1112 (1114); BAG 25.11.1986 AP Nr. 36 zu § 2 TVG unter B. II. 2.; BAG 10.9.1985 AP Nr. 34 zu § 2 TVG unter B. IV. 1.; BAG 15.3.1977 AP Nr. 24 zu Art. 9 GG unter III. 1.; BAG 15.11.1963 DB 1964, 590  (591). 527  Bay.



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Aufführung der gesamten Tariffähigkeitsvoraussetzungen genannt, ohne dass gerade die Anerkennung des Tarifrechts durch eine Koalition zweifelhaft gewesen wäre. Die praktische Relevanz des Kriteriums ist mithin – jedenfalls bislang531 – als gering anzusehen. Das macht eine Begründung freilich nicht entbehrlich. 2. Begründung und Geltung für den Arbeitgeberverband Der Staatsvertrag verlangt von Gewerkschaften wie Arbeitgeberverbänden einheitlich, dass sie das geltende Tarifrecht als für sich verbindlich anerkennen. Allerdings sind hieraus mangels Gesetzeskraft des Staatsvertrags keine zwingenden Schlüsse zu ziehen.532 Das Schrifttum stimmt weit überwiegend mit der Rechtsprechung überein und verlangt ebenfalls einheitlich von tariffähigen Koalitionen die Anerkennung des geltenden Tarifrechts.533 Als Begründung wird angeführt, nur bei Anerkennung der gesetzlichen Grundlagen sei eine „Gewähr für Vertragstreue“ gegeben.534 Das Tarifvertragssystem könne nur funktionieren, wenn die „Akteure die Spielregeln befolgen“.535 Oetker bejaht ebenfalls das Erfordernis an sich, kritisiert aber die genannten Begründungsansätze mit dem Hinweis, der Status der Geschäftsfähigkeit im Sinne der §§ 104 ff. BGB verlange auch nicht, „dass die Akteure des Rechtsgeschäftsverkehrs das normative Gefüge des Vertragsrechts als für sich verbindlich ansehen.“536 Stattdessen sucht Oetker die Begründung in der Übertragung der Rechtsetzungsbefugnis, die mit der Tariffähigkeit einhergeht; das Erfordernis der Anerkennung des Tarifrechts sei „der notwendige Ausgleich für die fehlende staatliche Kontrolle bei der Zulassung zur Rechtsetzung“.537 Ähnlich 531  Bedeutung könnte das Kriterium der Anerkennung des Tarif-, Schlichtungsund Arbeitskampfrechts insbesondere erlangen, wenn der Gesetzgeber Veränderungen im Schlichtungsrecht vornehmen würde (vgl. schon Herschel, BABl. 1950, 377 (378)) – die Arbeitgeberverbände haben sich mit der Anerkennung der Zwangsschlichtung in der Zeit der Weimarer Republik schwer getan. Derartige Änderungen sind aber gegenwärtig nicht absehbar. 532  Näher oben § 6 VI. 533  Löwisch / Rieble, TVG, § 2, Rn. 156; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2, Rn. 411 ff.; Greiner in: Henssler / Moll / Bepler, Der Tarifvertrag, Teil 2, Rn. 83; Hromadka / Maschmann, Arbeitsrecht II, § 12, Rn. 29; Hueck / Nipperdey, Arbeitsrecht II / 1, S. 105; Löwisch, ZfA 1970, 295 (310 f.). 534  Hueck / Nipperdey, Arbeitsrecht II / 1, S. 105. 535  Franzen in: Dieterich, ErfK, TVG, § 2, Rn. 10; ebenso Glaubitz, NZA 2003, 140 (141). 536  Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2, Rn. 413 f. unter Verweis auf Herschel, BABl. 1950, 377 (378) und Däubler, AuR 1977, 286 (287). 537  In diese Richtung auch Gamillscheg, KollArbR I, S. 409, der in dem Kriterium „ein Stück staatlicher Aufsicht durch das Gericht“ festmacht.

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2. Teil: Tariffähigkeit

begründet Greiner, der in dem Kriterium den erforderlichen Garanten für die Sicherstellung der Zuverlässigkeit der Koalitionen sieht.538 Unter den Befürwortern des Erfordernisses herrscht Einigkeit, dass dieses die Koalition nicht davon abhalten darf, von der vorherrschenden Meinung abweichende Auffassungen zu vertreten oder auf Gesetzesänderungen hinzuwirken.539 Teilweise wird das Erfordernis der Anerkennung des Tarifrechts indes kritisch gesehen.540 Kempen stellt zwar nicht in Abrede, dass tariffähige Koalitionen das Tarifrecht respektieren müssen, hält dies aber für eine Selbstverständlichkeit, die keine zwingende Voraussetzung der Tariffähigkeit sein dürfe.541 Mit dem Erfordernis sieht Kempen die Gefahr geschaffen, dass die Koalitionen sich nicht mehr an der Weiterentwicklung des Rechts – einer ihrer wesentlichen koalitionsmäßigen Aufgaben – beteiligen. Besonders kritisch sieht Kempen das Kriterium für Gewerkschaften, da diese „seit ihrer rechtlichen Anerkennung nie Anlass für Zweifel an der Einhaltung demokratisch legitimierter Gesetze gegeben haben“. Däubler lehnt das Erfordernis kategorisch ab.542 Es diskriminiere die Koalitionen gegenüber Sportvereinen und Aktiengesellschaften, die unstreitig geschäftsfähig seien, ohne zuvor die Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuches anerkennen zu müssen.543 Däubler befürchtet, dass durch das Erfordernis „unerwünschte Organisationen“ aus dem Schutzbereich der Koalitionsfreiheit gedrängt werden. Gamillscheg bejaht das Erfordernis grundsätzlich, postuliert als Rechtsfolge aber nicht die Versagung der Tariffähigkeit, sondern allenfalls die Anfechtbarkeit des Tarifvertrags und betrachtet die Anerkennung des geltenden Tarifrechts damit letztlich nicht als Tariffähigkeitsvoraussetzung.544 Als Begründung führt er im Wesentlichen an, gegen rechtswidriges Verhalten des Tarifpartners stünden andere rechtliche Mittel zur Verfügung. Mit der Rechtsprechung und der herrschenden Meinung im Schrifttum ist die Anerkennung des geltenden Tarifrechts als Voraussetzung der Tariffähig538  Greiner in: Henssler / Moll / Bepler, Der Tarifvertrag, Teil 2, Rn. 83; ähnlich auch Löwisch / Rieble, TVG, § 2, Rn. 156; Löwisch, ZfA 1970, 295 (311); Thüsing / Stelljes, ZfA 2005, 527 (546). 539  Löwisch / Rieble, TVG, § 2, Rn. 157; Gamillscheg, KollArbR I, S. 409; Greiner in: Henssler / Moll / Bepler, Der Tarifvertrag, Teil 2, Rn. 84; im Übrigen auch schon RAG 10.11.1928 ARS 4, S. 231 (236). 540  Ablehnend insb. Däubler in: Däubler, TVG, Einl., Rn. 91; Däubler, AuR 1977, 286 (287); Bruhn, Tariffähigkeit von Gewerkschaften und Autonomie, S. 181 ff. 541  Kempen in: Kempen / Zachert, TVG, § 1, Rn. 84; genauso auch schon Hagemeier, AuR 1988, 193 (196). 542  Däubler in: Däubler, TVG, Einl., Rn. 91; auch schon Däubler, AuR 1977, 286 (287). 543  In diesem Sinne auch Herschel, BABl. 1950, 377 (378). 544  Gamillscheg, KollArbR I, S. 526.



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keit von Gewerkschaften wie von Arbeitgeberverbänden zu verlangen. Das Erfordernis ist eine verhältnismäßige Ausgestaltung der Koalitionsfreiheit: Es gewährleistet die Friedensfunktion545 der Tarifautonomie und sichert dadurch ihre Funktionsfähigkeit. Die Tarifautonomie kann ihre Friedensfunktion nur erfüllen, wenn sich die Koalitionen auf beiden Seiten an die Regeln halten, die die Beziehung der Sozialpartner zueinander bestimmen.546 Eine Diskriminierung kann in dem Erfordernis nicht gesehen werden. Die Andersbehandlung gegenüber Sportvereinen oder Aktiengesellschaften ist sachlich begründet. Nach hier vertretener Auffassung handelt es sich bei der Tariffähigkeit nicht um eine Form der Rechts- oder Geschäftsfähigkeit, sondern um eine Rechtsgestaltungsmacht sui generis.547 Als solche räumt sie eine Rechtsetzungsbefugnis ein, die eine besondere Zugangskontrolle rechtfertigt. Ein Vergleich mit Sportvereinen und Aktiengesellschaften verbietet sich, weil diese kein verbindliches Recht setzen dürfen.548 Unberechtigt ist überdies die Befürchtung, das Kriterium dränge „unerwünschte Koalitionen“ aus dem Schutzbereich der Koalitionsfreiheit.549 Der Koalitionsstatus wird von der fehlenden Anerkennung des Tarif-, Schlichtungs- und Arbeitskampfrechts nicht berührt – Folge ist allein die Versagung der Tariffähigkeit. 3. Umfang des Erfordernisses Während in weiten Teilen der Rechtsprechung wie im Staatsvertrag begrifflich allein auf das Tarifrecht abgestellt wird550, wird in der Literatur darüber hinaus die Anerkennung des Schlichtungs- und Arbeitskampfrechts gefordert.551 Diesem erweiterten Verständnis des Erfordernisses ist zuzustim545  Grundlegend

zur Friedensfunktion der Tarifautonomie oben § 6 II. 1. a). Thüsing / Stelljes, ZfA 2005, 527 (546), nach denen das Kriterium „insbesondere der Einhaltung der Friedenspflicht“ dient. 547  Oben § 4 II. 548  So auch Gamillscheg, KollArbR I, S. 409: „Der Sportverein braucht sich nicht zum BGB zu bekennen […], weil das BGB auch gegen seinen Willen gilt und die Rechtsordnung dem Sportverein keine Sonderrechte einräumt.“. 549  So Däubler in: Däubler, TVG, Einl., Rn. 91. 550  BVerfG 20.10.1981 BVerfGE 58, 233 = AP Nr. 31 zu § 2 TVG unter B. I. 1; BVerfG 6.5.1964 AP Nr. 15 zu § 2 TVG = BVerfGE 18, 18 = NJW 1964, 1267 (1268); BAG 28.3.2006 AP Nr. 4 zu § 2 TVG Tariffähigkeit = NZA 2006, 1112 (1114); BAG 25.11.1986 AP Nr. 36 zu § 2 TVG unter B. II. 2.; BAG 10.9.1985 AP Nr. 34 zu § 2 TVG unter B. IV. 1.; BAG 15.3.1977 AP Nr. 24 zu Art. 9 GG unter III. 1.; BAG 15.11.1963 DB 1964, 590  (591). 551  Etwa Löwisch / Rieble, TVG, § 2, Rn. 156; Franzen in: Dieterich, ErfK, TVG, § 2, Rn. 10. Auf das Schlichtungsrecht stellt auch schon das Reichsarbeitsgericht ab in RAG 10.11.1929 ARS 4, S. 231 (236). 546  Ähnlich

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2. Teil: Tariffähigkeit

men. Wie festgestellt, hängt die Erfüllung der Friedensfunktion davon ab, dass die Koalitionen sich an jene Regeln halten, die die Beziehung der Sozialpartner zueinander bestimmen. Zu diesen Regelungen gehören auch – und besonders – die Vorschriften des Schlichtungs- und Arbeitskampfrechts. Wenn der Tarifvertragspartner jederzeit mit rechtswidrigen Streiks oder Aussperrungen rechnen müsste, würde dadurch die Friedensfunktion vollständig ausgehebelt.552 Dem kann – wie schon oben553 im Rahmen des Erfordernisses der organisatorischen Leistungsfähigkeit, das beim Arbeitgeberverband ebenfalls maßgeblich im Hinblick auf die Friedensfunktion zu begründen ist, vorgebracht wurde – nicht entgegengehalten werden, dass gegen rechtswidrige Arbeitskampfmaßnahmen rechtliche Mittel zur Verfügung stünden. Ungeachtet des Umstands, dass diese nicht immer hinreichend schnell erreichbar sind554, würde ein ständiges Zurückgreifenmüssen auf gerichtlichen Schutz das Vertrauen in den Tarifvertragspartner und damit auch in das Tarifvertragssystem insgesamt nachhaltig beschädigen. Ein Mindestmaß an Vertrauen in die Zuverlässigkeit des sozialen Gegenspielers ist aber zwingende Voraussetzung der Ordnung des Arbeitslebens durch die Koalitionen.555 Es stellt sich die Frage, welche konkreten praktischen Anforderungen sich aus dem Erfordernis für die Verbände ergeben. Überwiegend wird bislang kein ausdrückliches Bekenntnis der Verbände verlangt. Das Erfordernis wird vornehmlich so verstanden, dass der Verband nicht positiv auf die Erfüllung hinwirken muss, es vielmehr ausreicht, dass er jedes Verhalten unterlässt, das eine Missachtung tarifrechtsrelevanter Vorschriften manifestiert.556 Auch aus diesem Grund hat das Kriterium – wie oben bereits angedeutet – bislang keine nennenswerte praktische Bedeutung erlangt. Hauptsächlich muss der Verband – als praktisch denkbar relevanteste Fallgruppe – rechtswidrige Arbeitskampfmaßnahmen unterlassen. Das Erfordernis wäre demnach etwa nicht erfüllt, wenn ein Verband Arbeitskampf mittels lösender Aussperrung als standardmäßiger Maßnahme betreiben würde.557 Es ist zweifelhaft, ob das Unterlassen rechtswidrigen Verhaltens ausreichen kann, die Anerkennung des Tarif-, Schlichtungs- und Arbeitskampfrechts als Voraussetzung der Tariffähigkeit zu erfüllen. Man könnte erwägen, eine konkludente Anerkennung der relevanten Vorschriften anzunehmen, soweit der Verband sich tarifpolitisch betätigt und konkret tarifrechtsmäßig 552  Vgl. Gamillscheg, KollArbR I, S. 409, der meint, mit unzulässigen Arbeitskampfmaßnahmen sei „die Absage an die Friedenspflicht verbunden“. 553  § 7 IV. 554  Vgl. Löwisch, ZfA 1970, 295 (310 f.). 555  In diese Richtung auch Thüsing / Stelljes, ZfA 2005, 527 (546). 556  Vgl. etwa Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2, Rn. 415. 557  Beispiel von Löwisch / Rieble, TVG, § 2, Rn. 158.



§ 7  Tarifrechtsspezifische Anforderungen: Die einzelnen Kriterien 

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verhält – in der Grundannahme, der Verband wolle sich nicht widersprüchlich verhalten. So aber präsentiert sich das Kriterium als stumpfes Schwert. Vertrauen in die Zuverlässigkeit des sozialen Gegenspielers wird in ungleich größerem Maße erreicht, wenn sich dieser ausdrücklich zur Anerkennung der Vorschriften, die das Verhältnis zueinander regeln, bekennt. Es ist nicht überzogen, ein aktives Bekenntnis zu jenen Rechtsgrundlagen zu verlangen, auf Grund derer die Tarifpartner ihre besondere Rechtsetzungsbefugnis erlangen. Von tariffähigen Verbänden sollte daher verlangt werden, dass sie in ihrer Satzung die Anerkennung dieses Rechts zum Ausdruck bringen. Weitergehende Vorkehrungen zwecks Vorbeugung rechtswidrigen Verhaltens sind indes nicht zu verlangen. Das von Löwisch / Rieble vorgeschlagene „Erfordernis einer Complianceorganisation“, das hier bereits im Rahmen der organisatorischen Leistungsfähigkeit als generell zu verlangendes Kriterium abgelehnt wurde558, ergibt sich auch nicht aus dem Erfordernis der Anerkennung des Tarif-, Schlichtungs- und Arbeitskampfrechts.559 Das soll der Complianceorganisation im Verband aber keinesfalls ihre grundsätzliche Sinnhaftigkeit absprechen. Compliancemaßnahmen können für Arbeitgeberverbände u. U. äußerst zweckdienlich sein – auch in Bezug auf andere Rechtsbereiche. Verbände können schließlich nicht nur gegen tarif-, schlichtungs- und arbeitskampfrechtliche Vorschriften verstoßen. In einzelnen Bereichen weisen sie sogar eine besondere Anfälligkeit für rechtswidriges Verhalten auf, hierzu zählt zuvorderst das Kartellrecht. Wenn auf Verbandsveranstaltungen Mitgliedsunternehmen durch Informationsaustausch oder Absprachen gegen das Kartellrecht verstoßen, kann dies auch einen Verstoß des Verbandes selbst darstellen.560 Weitere Risikofelder liegen im Datenschutzrecht, Steuerrecht und Korruptionsstrafrecht.561 Rechtsverletzungen des Verbandes fallen auf seine Mitglieder zurück; Imageschäden des Verbandes schlagen auf die Mitglieder durch und wirken sich zudem negativ auf die Handlungsfähigkeit des Verbandes aus. Mitgliedsunternehmen dürften dies überaus kritisch betrachten – schließlich installieren sie zunehmend bei sich selbst teils mit erheblichem Aufwand umfassende Compliancesysteme, um Gefahren durch Rechtsverletzungen zu minimieren.562 Wenn sich 558  Oben

§ 7 IV. Löwisch / Rieble ergibt sich das „Erfordernis einer Complianceorganisation“ aus einer gemeinsamen Betrachtung der Kriterien der organisatorischen Leistungsfähigkeit und der Anerkennung des Tarif-, Schlichtungs- und Arbeitskampfrechts, Löwisch / Rieble, TVG, § 2, Rn. 142. 560  Vgl. Kopp, FS EMR, S. 447 (451). 561  Näher Brouwer, AnwBl 2010, 663 ff.; Brouwer, CCZ 2009, 161 (162 ff.); Kopp, FS  EMR, S. 447 ff. 562  Zum unverkennbaren Trend deutscher Unternehmen zu Compliance-Programmen etwa Ringleb in: Ringleb, DCGK, Rn. 586 ff. 559  Für

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2. Teil: Tariffähigkeit

Rechtsverletzungen häufen, ist daher zu befürchten, dass Unternehmen verstärkt mit Austritten reagieren werden.563 Dass sich Unzufriedenheit der Mitglieder in für die Verbände existenziell bedrohlichem Umfang niederschlagen kann, hat sich besonders in den 1990er Jahren gezeigt.564 Gegenwärtig zeichnet sich eine solche Entwicklung noch nicht konkret ab, sie ist aber keineswegs abwegig. Sofern es zu einer derartigen Entwicklung käme, wäre in ihr eine Gefahr für die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie zu sehen. Dann wäre darüber zu diskutieren, ob tariffähigen Verbänden eine gewisse Complianceorganisation abverlangt werden muss. Unabhängig von der Bedeutung für die Tariffähigkeit ist eine Complianceorganisation für Arbeitgeberverbände auf Grund der genannten Risiken jedenfalls sehr empfehlenswert. Neben der Anerkennung des Tarif-, Schlichtungs- und Arbeitskampfrechts wird teilweise ein „Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung“ verlangt.565 Dieser Auffassung ist beizupflichten. Es kann nicht dem Willen des Gesetzgebers entsprechen, dass verfassungsfeindlich orientierte Verbände die Tarifnormsetzungsbefugnis erhalten. Vor allem wäre dies mit Erwägungen des Mitgliederschutzes nicht vereinbar. Allerdings bedarf es insoweit keines ausdrücklichen satzungsmäßigen Bekenntnisses. Angesichts der historischen Erfahrungen mit den Verbänden – Probleme mit verfassungsfeindlichen Verbänden sind nicht bekannt – dürfte grundsätzlich von der Verfassungstreue der Verbände auszugehen sein, solange kein konkret verfassungswidriges Verhalten erkennbar wird. IX. Zusammenfassung Zusammengefasst ergeben sich aus der voranstehenden Betrachtung folgende Ergebnisse: Wie von Gewerkschaften ist auch von Arbeitgeberverbänden zu verlangen, dass sie ihre Tarifwilligkeit in der Satzung zum Ausdruck bringen. Nur so können potentielle Mitgliedsunternehmen erkennen, inwieweit sie sich mit einem Beitritt der Tarifnormsetzung des Verbandes unterwerfen. Zudem steigert die so geschaffene Transparenz das Vertrauen in die Sozialpartner insgesamt und fördert damit die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie. OT-Mitgliedschaften stehen der Tarifwilligkeit eines Verbandes nicht grundsätzlich entgegen – auch nicht wenn diese einen Großteil der Mitglieder des Verbandes ausmachen. Des Weiteren ist auch von ArbeitBrouwer, AnwBl 2010, 663 (663). oben § 1 III. 565  Gamillscheg, KollArbR I, S. 409; vgl. auch Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2, Rn. 414 f.; Löwisch / Rieble, TVG, § 2, Rn. 156 betonen besonders die Pflicht zur „Achtung der Koalitionsfreiheit“. 563  Vgl. 564  Vgl.



§ 7  Tarifrechtsspezifische Anforderungen: Die einzelnen Kriterien 127

geberverbänden zu verlangen, dass sie eine demokratische Binnenorganisation aufweisen. Wie der Arbeitnehmer begibt sich auch der Arbeitgeber mit dem Beitritt zu einem Verband in ein Verhältnis der Über- und Unterordnung, in dem er der Tarifmacht des Verbandes ausgesetzt und damit grundsätzlich schutzbedürftig ist. Allerdings handelt es sich um eine im Vergleich zum Arbeitnehmer herabgesetzte Schutzbedürftigkeit, vor allem weil dem Arbeitgeber anders als dem Arbeitnehmer adäquate Optionen neben der Mitgliedschaft in einem konkreten Verband zur Verfügung stehen, die ebenfalls eine tarifpolitische Teilhabe beinhalten: Der einzelne Arbeitgeber ist auch eigenständig tariffähig und kann sich überdies gemeinsam mit anderen Arbeitgebern anderweitig organisieren. Konkrete Anforderungen ergeben sich daher nur in begrenztem Maße: Im Wesentlichen muss gewährleistet sein, dass jedes Mitglied grundsätzlich an der Willensbildung im Verband teilnehmen kann. Besondere Vorkehrungen zum Minderheitenschutz – insbesondere vor der Dominanz einzelner Großunternehmen – sind indes nicht zu verlangen. Beim Kriterium der sozialen Mächtigkeit ist im Hinblick auf Gewerkschaft und Arbeitgeberverband zu differenzieren: Anders als von der Gewerkschaft ist vom Arbeitgeberverband keine besondere Durchsetzungsfähigkeit zu verlangen. Wenn schon der einzelne Arbeitgeber ohne Weiteres tariffähig ist, kann für einen Zusammenschluss von Arbeitgebern nichts anderes gelten. Mit Blick auf die Friedensfunktion sind aber gewisse Anforderungen an die organisatorische Leistungsfähigkeit von Arbeitgeberverbänden zu stellen. Sie müssen weitgehend gewährleisten, dass sich die Verbandsmitglieder tariftreu verhalten und nicht gegen die Friedenspflicht verstoßen. Weiter muss der Arbeitgeberverband wie die Gewerkschaft gegnerunabhängig und gegnerfrei sein. Es muss also insbesondere gewährleistet sein, dass die verbandsinterne Willensbildung frei von Beeinflussung seitens des sozialen Gegenspielers stattfindet. Das ergibt sich aus Gründen des Mitgliederschutzes sowie aus tariffunktionalen Erwägungen und ist auch mit Blick auf § 181 BGB erforderlich. Allerdings handelt es sich auf Seiten des Arbeitgeberverbandes bei diesem Erfordernis um einen kaum bedeutsamen Mindeststandard, weil Arbeitgeberverbände – anders als Gewerkschaften – erfahrungsgemäß keine Anfälligkeit für gegnerische Beeinflussungen aufweisen. Das schon auf Seiten der Gewerkschaft umstrittene Erfordernis der Überbetrieblichkeit hat beim Arbeitgeberverband keine Geltung, da Verbände, denen nur ein Betrieb angehört, schon keinen Zusammenschluss darstellen. Arbeitgeberverbände müssen ferner wie Gewerkschaften unabhängig vom Staat sein. Da staatliche Neutralität fundamentale Voraussetzung der Autonomie ist, ist beim Erfordernis der staatlichen Unabhängigkeit grundsätzlich nicht zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden zu differenzieren. Eine Ausnahme gilt für Verbände, denen ausschließlich öffentliche Arbeitgeber angehören, da derartigen Verbänden staatliche Beeinflussung immanent ist. Parteipolitische und konfessionelle Unabhängigkeit

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2. Teil: Tariffähigkeit

ist hingegen keine Voraussetzung der Tariffähigkeit von Arbeitgeberverbänden. Bei Gewerkschaften basiert das Erfordernis maßgeblich auf Erwägungen des Mitgliederschutzes: Dem Arbeitnehmer, der regelmäßig über keine adäquate Alternative zur Mitgliedschaft in einer konkreten Gewerkschaft verfügt, ist es nicht zumutbar, dass die eine Option u. U. parteipolitisch oder konfessionell – womöglich entgegen seinen persönlichen Überzeugungen – geprägt ist. Für den Schutz des Arbeitgebers, dem zusätzliche Wahlmöglichkeiten bereit stehen, reicht es aus, dass die parteipolitische oder konfessionelle Prägung erkennbar und ihm so eine umsichtige Entscheidung zwischen seinen Optionen möglich ist. Tariffähige Arbeitgeberverbände müssen im Übrigen – wie Gewerkschaften – das geltende Tarif-, Schlichtungs- und Arbeitskampfrecht anerkennen. Das dient der Gewährleistung der Friedensfunktion der Tarifautonomie und stellt ein Mindestmaß an Vertrauen zwischen den sozialen Gegenspielern sicher. Die Ergebnisse zeigen, dass an Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände teils unterschiedliche Anforderungen zu stellen sind. Sie bestätigen damit die Notwendigkeit einer differenzierten Beurteilung. Die Unterschiede lassen sich im Wesentlichen wie folgt zusammenfassen: − Das Erfordernis demokratischer Binnenorganisation ist an den Arbeitgeberverband mit der Maßgabe herabgesetzter Anforderungen zu stellen. − Durchsetzungsfähigkeit als Teilkriterium der sozialen Mächtigkeit ist vom Arbeitgeberverband nicht zu verlangen. − Anforderungen an die organisatorische Leistungsfähigkeit des Arbeitgeberverbandes sind nur in geringem Maße zu stellen. − Das Erfordernis der Gegnerunabhängigkeit ist zwar grundsätzlich auch vom Arbeitgeberverband zu verlangen, hat auf Arbeitgeberseite aber kaum nennenswerte praktische Bedeutung. − Dem Erfordernis der Überbetrieblichkeit kommt beim Arbeitgeberverband keine eigenständige Bedeutung zu. − Staatliche Unabhängigkeit ist nur von solchen Arbeitgeberverbänden zu verlangen, denen nicht ausschließlich öffentliche Arbeitgeber angehören. − Parteipolitische und konfessionelle Unabhängigkeit ist vom Arbeitgeberverband – unter dem Vorbehalt hinreichender Transparenz – nicht zu verlangen. Abgesehen von diesen Unterschieden sind indes zu weiten Teilen identische Tariffähigkeitsanforderungen an Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände zu stellen.

3. Teil

Tarifzuständigkeit Die Wirksamkeit eines Flächentarifvertrags hängt neben der Tariffähigkeit von der Tarifzuständigkeit der am Vertrag beteiligten Verbände ab. Ohne einen Tarifzuständigkeitsbereich hält der tariffähige Verband ein inhaltloses abstraktes Recht in den Händen, das ihm allein – jedenfalls nach herrschender Meinung – nicht den Abschluss wirksamer Tarifverträge ermöglicht.1 Die an sich unbeschränkte Tariffähigkeit findet also ihre Grenzen in der vom Verband eigenständig festgelegten Tarifzuständigkeit.2 Schon daher sind Tariffähigkeit und Tarifzuständigkeit gleichsam als „zentrale Zugangsfragen für die Koalitionsbetätigung“3 eng miteinander verbunden. Neben dieser kontextuellen Verknüpfung besteht zwischen der Tariffähigkeit und der Tarifzuständigkeit eine systematische Verbindung: Die Tarifzuständigkeit bildet den Rahmen für die Bewertung der sozialen Mächtigkeit einer Koalition – innerhalb des Bereichs der Tarifzuständigkeit muss sie über hinreichende Durchsetzungsfähigkeit verfügen. Zwar ist dies ohne Bedeutung für den Arbeitgeberverband, weil – jedenfalls nach hier vertretener Auffassung4 – Anforderungen an die Durchsetzungsfähigkeit nur bei der Gewerkschaft zu stellen sind. Der Arbeitgeberverband muss aber gewisse Anforderungen an seine organisatorische Leistungsfähigkeit erfüllen. Die Höhe dieser Anforderungen bemisst sich ebenfalls maßgeblich nach dem Umfang des Bereichs seiner Tarifzuständigkeit.5 Eine abschließende Bewertung der Tariffähigkeit eines Arbeitgeberverbandes ist daher von einer Bestimmung der Tarifzuständigkeit abhängig. Im Folgenden werden nach einer kurzen Darstellung allgemeiner Grundlagen zur Tarifzuständigkeit die konkreten Anforderungen herausgearbeitet, die sich aus diesem Rechtsinstitut für den Arbeitgeberverband als Partei wirksamer Tarifverträge ergeben.

1  Hierzu

unten § 8 II. Konzen, FS Kraft, S. 291 (292). 3  Greiner, Rechtsfragen der Koalitions-, Tarif- und Arbeitskampfpluralität, S. 179. 4  Oben § 7 III. 4. 5  Näher oben § 7 IV. 2  Vgl.

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3. Teil: Tarifzuständigkeit

§ 8  Grundlagen I. Begriff und historische Entwicklung Nach der Definition des Bundesarbeitsgerichts bedeutet Tarifzuständigkeit die „Fähigkeit eines an sich tariffähigen Verbandes, Tarifverträge mit bestimmtem Geltungsbereich abschließen zu können“.6 Die Verbände legen anhand von betrieblichen, fachlichen, räumlichen und bzw. oder persönlichen Merkmalen in ihrer Satzung den Bereich fest, in dem sie tarifpolitisch tätig sein wollen.7 Dadurch definieren sie den „maximalen tariflichen Geltungsbereich“.8 Da die Verbände ihre Tarifzuständigkeit autonom festlegen9, lässt sich diese auch als Befugnis der Verbände beschreiben, „im Rahmen ihrer autonomen Zwecksetzung […] selbst zu bestimmen, für welchen Raum, welche Branche und welchen Personenkreis sie Tarifnormen setzen wollen“.10 Wie die Tariffähigkeit sucht man auch die Tarifzuständigkeit als Begriff im Tarifvertragsgesetz vergebens. Während für die Tariffähigkeit indes nach allgemeiner Auffassung in § 2 Abs. 1 TVG eine normative Grundlage existiert11, lässt sich die Tarifzuständigkeit aus dem Tarifvertragsgesetz nicht ableiten. Der Gesetzgeber verwendet zwar seit der Neufassung des Arbeitsgerichtsgesetzes im Jahre 197912 den Begriff der Tarifzuständigkeit in den §§ 2a Abs. 1 Nr. 4, 97 Abs. 5 S. 1 ArbGG. Damit hat er aber nicht konstitutiv das Erfordernis der Tarifzuständigkeit begründet, sondern nur die entsprechende, zu dieser Zeit bereits herrschende Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum anerkannt.13 Sinzheimer plädierte bereits 1927 für das Kriterium der Tarifzuständigkeit14, erfuhr aber zunächst kaum Zuspruch.15 Namentlich das Reichsarbeitsgericht lehnte die Tarifzuständigkeit 6  BAG 27.11.1964 AP Nr. 1 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit = BAGE 16, 329 (332). 7  Vgl. Gamillscheg, KollArbR I, S. 530. 8  Wiedemann, RdA 1975, 78 (79). 9  Vgl. BAG 19.11.1985 AP Nr. 4 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit, insb. unter B.  IV.  3.  a); BAG 27.11.1964 AP Nr. 1 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit. 10  Heinze, DB 1997, 2122 (2122). 11  Vgl. oben § 4 III. 12  BGBl. 1979 I, S. 853 ff. 13  Vgl. Gamillscheg, KollArbR I, S. 530; Hillebrand, Das Merkmal „Tarifzuständigkeit“, S. 12; Kutscher, Die Tarifzuständigkeit, S. 4 f. 14  Sinzheimer, Grundzüge des Arbeitsrechts, S. 255. 15  Neben Sinzheimer gab es zwar schon während der Zeit der Weimarer Republik weitere Stimmen, die eine Tarifzuständigkeit als Wirksamkeitsvoraussetzung des Tarifvertrags verlangten. Allerdings sahen diese Anlass für das Erfordernis nur im



§ 8  Grundlagen

131

als Wirksamkeitsvoraussetzung konsequent ab.16 In der Nachkriegszeit kam es zu einem Meinungsumschwung: Nachdem im Schrifttum vermehrt für das Kriterium der Tarifzuständigkeit eingetreten wurde17 – vorrangig angetrieben von dem Willen, Tarifkonkurrenzen zu vermeiden18 –, legte auch das Bundesarbeitsgericht seiner Rechtsprechung das Kriterium der Tarifzuständigkeit als Wirksamkeitsvoraussetzung von Tarifverträgen zugrunde.19 Zunächst hatte das Bundesarbeitsgericht lange Zeit nur über die Tarifzuständigkeit von Gewerkschaften zu entscheiden. In jüngerer Zeit war es aber auch mit der Tarifzuständigkeit von Arbeitgeberverbänden befasst und hat dabei das Erfordernis auch für diese ausdrücklich anerkannt.20 II. Rechtsfolgen fehlender Tarifzuständigkeit Nach der herrschenden Meinung im Schrifttum21 und der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts22 ist die Tarifzuständigkeit als Bedingung zu begreifen, die sich zusätzlich zu den Anforderungen der Tariffähigkeit an die Wirksamkeit eines Tarifvertrags stellt, deren Fehlen also die Nichtigkeit des Tarifvertrags zur Folge hat. Ein wirksamer Tarifvertrag setzt voraus, dass die Tarifzuständigkeitsbereiche beider Parteien kongruieren, wobei eine gemeinsame Schnittmenge genügt.23 Ist der kongruierende Zusammenhang mit der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen, so dass die insoweit geforderte Tarifzuständigkeit mit derjenigen nach heutigem Verständnis kaum vergleichbar ist – näher Hillebrand, Das Merkmal „Tarifzuständigkeit“, S. 5 ff.; auch Ebert, Die Zuständigkeit der Tarifvertragsparteien, S. 25 ff. 16  RAG 1.3.1930 ARS 9, 272 (272 f.); RAG 17.9.1930 ARS 10, 242 (246); RAG 25.10.1930 ARS 10, 369 (370); RAG 14.10.1931 ARS 13, 190 (190 ff.). 17  Insb. Meissinger, DB 1952, 101 (101 f.); Nikisch, Arbeitsrecht II, S. 239. 18  Vgl. Kraft, FS Schnorr v. Carolsfeld, S. 255 (257 f.); Wiedemann, RdA 1975, 78 (79). 19  BAG 27.7.1956 AP Nr. 3 zu § 4 TVG Geltungsbereich; BAG 19.12.1958 AP Nr. 3 zu § 2 TVG; BAG 27.11.1964 AP Nr. 1 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit. 20  BAG 18.7.2006 AP Nr. 19 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit; BAG 29.6.2004 AP Nr. 10 zu § 97 ArbGG 1979. 21  Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2, Rn. 52 ff.; Peter in: Däubler, TVG, § 2, Rn. 172 ff.; Hueck / Nipperdey, Arbeitsrecht II / 1, S. 446; Nikisch, Arbeitsrecht II, S. 239; Delheid, Tarifzuständigkeit, S. 111; Link, Die Tarifzuständigkeit, S. 82; Wiedemann, RdA 1975, 78 ff. 22  BAG 25.9.1996 AP Nr. 10 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit; BAG 24.7.1990 AP Nr. 7 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit; BAG 10.5.1989 AP Nr. 8 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit; BAG 22.11.1988 AP Nr. 5 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit; BAG 17.2.1970 AP Nr. 3 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit = BAGE 22, 295; BAG 27.11.1964 AP Nr. 1 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit = BAGE 16, 329; BAG 19.12.1958 AP Nr. 3 zu § 2 TVG = BAGE 7, 153  (155). 23  Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2, Rn. 64 ff. m. w. N.

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3. Teil: Tarifzuständigkeit

Zuständigkeitsbereich kleiner als der im Tarifvertrag vereinbarte Geltungsbereich, ist der Tarifvertrag soweit wirksam, wie die gemeinsame Zuständigkeit besteht.24 Die Tarifzuständigkeit muss zwingend im Zeitpunkt des Vertragsschlusses bestehen, eine nachträgliche Heilung fehlender Tarifzuständigkeit durch Satzungsänderung ist nicht möglich.25 Entfällt eine ursprünglich bestehende Tarifzuständigkeit während der Laufzeit des Tarifvertrags, endet die Tarifwirkung und es tritt eine Nachwirkung nach § 4 Abs. 5 TVG ein.26 Das gilt unstreitig, wenn Veränderungen im Unternehmen zum veränderten Tarifzuständigkeitsbereich geführt haben. Technische und strukturelle Umgestaltungen in den Unternehmen, die sich auf die Tarifzuständigkeit auswirken, sind seit einigen Jahren von höchster praktischer Relevanz. Der in vielen Branchen rasante technische Fortschritt kann – etwa in Form von veränderten Werkverfahren – Auswirkungen auf die betrieblich-fachliche Einordnung haben.27 Mehr noch schlägt sich die zunehmende Auslagerungs- und Dezentralisierungspraxis vieler Unternehmen nieder.28 Neben strukturellen Veränderungen im Unternehmen können freilich Änderungen der Verbandssatzung den Tarifzuständigkeitsbereich verschieben. Die Rechtsfolgen eines Wegfalls der Tarifzuständigkeit infolge einer Satzungsänderung sind streitig. Um Arbeitnehmer davor zu schützen, dass Arbeitgeberverbände unliebsame Tarifverträge jederzeit einseitig beenden können, lehnen einige Stimmen in der Literatur eine automatische Beendigung der Tarifwirkung als Rechtsfolge ab. Sie sind der Auffassung, der Wegfall der Tarifzuständigkeit lasse die Wirkung des Tarifvertrags unberührt, begründe aber ein Recht zur außerordentlichen Kündigung, dessen Ausübung eine Nachwirkung nach § 4 Abs. 5 TVG zur Folge habe.29 Zu Recht lehnt dies die Gegenauffassung ab. Sie geht stattdessen davon aus, dass der Tarifvertrag mit dem Wegfall der Tarifzuständigkeit endet und eine Nachwirkung entsprechend § 4 Abs. 5 TVG eintritt.30 Diese Auffassung ist nicht nur dogmatisch stringenter, weil sie eine einheitliche Behandlung von 24  BAG 15.11.2006 AP Nr. 34 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz, Rn. 26; Franzen in: Dieterich, ErfK, TVG, § 2, Rn. 38; Kutscher, Die Tarifzuständigkeit, S. 113 f.; Sittard in: Henssler / Moll / Bepler, Der Tarifvertrag, Teil 2, Rn. 235. 25  Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2, Rn. 42. 26  Statt aller Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2, Rn. 96. 27  Vgl. Konzen, FS Kraft, S. 291 (294 f.). 28  Vgl. Ricken, RdA 2007, 35 (36). 29  Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2, Rn. 95; darüber hinaus für eine Fortgeltung ohne Kündigungsrecht: Peter in: Däubler, TVG, § 2, Rn. 175 ff.; Däubler, Tarifvertragsrecht, Rn. 92; Kutscher, Die Tarifzuständigkeit, S. 112. 30  Löwisch / Rieble, TVG, § 2, Rn. 272; Franzen in: Dieterich, ErfK, TVG, § 4, Rn. 60; Sittard in: Henssler / Moll / Bepler, Der Tarifvertrag, Teil 2, Rn. 235; weiter-



§ 8  Grundlagen

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Fällen des Wegfalls der Tarifzuständigkeit postuliert.31 Vor allem vermeidet sie der Tarifautonomie zuwiderlaufende Legitimationsdefizite, die entstehen würden, wenn Unternehmen der Tarifmacht eines Verbandes unterworfen wären, auf dessen Willensbildung sie keinerlei Einfluss üben können.32 III. Erforderlichkeit und dogmatische Begründung Die Tarifzuständigkeit wird nicht durchweg als Bedingung der Wirksamkeit von Tarifverträgen anerkannt. Im Schrifttum finden sich einige Stellungnahmen, die die Nichtigkeit des Tarifvertrags als Folge fehlender Tarifzuständigkeit ablehnen.33 In grundlegender Weise wird der herrschenden Meinung und der Rechtsprechung entgegengehalten, es fehle für diese Rechtsfolge sowohl an der praktischen Erforderlichkeit als auch an einer dogmatischen Grundlage.34 Der Kritik kann nicht gefolgt werden. Die Tarifzuständigkeit als echte Wirksamkeitsvoraussetzung ist erforderlich zur Gewährleistung von Ordnung, sachnaher Regelung und Transparenz innerhalb der Tarifautonomie. Gamillscheg rückt den Ordnungsaspekt der Tarifzuständigkeit in den Vordergrund: „In das Vielerlei der Verbände wird damit etwas Ordnung gebracht: Einheitliche Arbeitsbedingungen im Gewerbezweig im Interesse der Kartellwirkung, aber auch Abgrenzung innerhalb des gemeinsamen Dachverbandes, Selbstbeschränkung, wo die Schwestergewerkschaft für den Regelungsbereich die bessere Sachkunde besitzt, Vermeidung der Häufung mehrerer Tarifverträge im Betrieb.“35 Ricken spricht von der „Abgrenzungsfunktion“ der Tarifzuständigkeit.36 Durch sauber abgegrenzte Zuständigkeiten werden Tarifkonkurrenzen weitgehend vermieden, was ohne Zweifel der Ordnung des Arbeitslebens zuträglich ist.37 Soweit die Tarifzuständigkeit konkret als Mittel zum Zweck der Gewährleistung der Tarifeinheit und des Industrieverbandsprinzips gesehen wird38, steht auch dahinter letztlich die Ordnungsidee. gehend Ricken, Autonomie und tarifliche Rechtsetzung, S. 254 ff., der sogar gegen eine Nachwirkung nach § 4 Abs. 5 TVG argumentiert. 31  Vgl. Sittard in: Henssler / Moll / Bepler, Der Tarifvertrag, Teil 2, Rn. 238. 32  Vgl. Löwisch / Rieble, TVG, § 2, Rn. 170 u. 272. 33  Kraft, FS Schnorr v. Carolsfeld, S. 255 (255 ff.); van Venrooy, ZfA 1983, 49; Konzen, FS Kraft, S. 291 (299 ff.); kritisch auch Gamillscheg, KollArbR I, S. 536 f. und Greiner, Rechtsfragen der Koalitions-, Tarif- und Arbeitskampfpluralität, S. 184 f. 34  Besonders Kraft, FS Schnorr v. Carolsfeld, S. 255 (255 ff.) und van Venrooy, ZfA 1983,  49. 35  Gamillscheg, KollArbR I, S. 530. 36  Ricken, RdA 2007, 35 (36). 37  Vgl. insb. Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2, Rn. 56. 38  Etwa Wiedemann, RdA 1975, 78 (79); Zachert, AuR 1982, 181 (181).

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3. Teil: Tarifzuständigkeit

Wichtiger als die pauschale Ordnungsfunktion erscheint die Gewährleistung sachnaher Regelung, die freilich eng mit der Ordnungsidee verknüpft ist. Nur die Abgrenzung der Zuständigkeit kann wenigstens in gewissem Maße sicherstellen, dass die Tarifregelungen durch sachnahe Parteien getroffen werden.39 Die Sachnähe der Tarifpartner ist eine Prämisse der Tarifautonomie – sie liegt als essentieller Teilaspekt der Annahme zugrunde, dass private Verbände zu einer sinnvollen Regelung der Arbeitsbedingungen in der Lage sind.40 Oftmals übersehen wird die erhebliche Bedeutung der Transparenz, die durch die satzungsmäßig festgelegte Tarifzuständigkeit hergestellt wird. Für die Mitglieder der Verbände bedeutet sie Sicherheit in verschiedener Hinsicht: Arbeitnehmer wie Arbeitgeber können bei Eintritt in den Verband überblicken, inwieweit sie sich der Tarifmacht des Verbandes unterwerfen. Arbeitgeber können überdies einschätzen, inwieweit sie mit Arbeitskampfmaßnahmen seitens der Gewerkschaften zu rechnen haben. Schließlich fällt ein Unternehmen, das strukturelle Veränderungen vornimmt, die die Tarifzuständigkeit entfallen lassen, automatisch aus dem Geltungsbereich, so dass „sachwidrige Tarifbindungen“ nicht zu befürchten sind.41 Rieble bringt daran anknüpfend den Charakter des Erfordernisses der Tarifzuständigkeit auf den Punkt, indem er schreibt, dieses sei „Ausdruck eines besonderen Rechtssicherheits- und Normenklarheits­bedürf­nisses“.42 Neben der Erforderlichkeit bedarf es einer dogmatischen Grundlage für die Tarifzuständigkeit als Wirksamkeitsvoraussetzung. Wie bereits festgestellt existiert keine gesetzliche Regelung – die Erwähnung der Tarifzuständigkeit in den §§ 2a Abs. 1 Nr. 4, 97 Abs. 5 S. 1 ArbGG ist nur als Anerkennung der zur Zeit der Normierung ohnehin bereits in Schrifttum und Rechtsprechung herrschenden Sicht durch den Gesetzgeber zu verstehen.43 Über die Frage der dogmatischen Begründung ist im Schrifttum umfangreich diskutiert worden.44 Seitdem das Verständnis der Tarifzuständigkeit als Wirksamkeitsvoraussetzung als Rechtsauffassung existiert, wurden unterschiedliche Begründungsansätze entwickelt, von denen die meisten indes 39  Vgl. Wiedemann, RdA 1975, 78 (79); Zachert, AuR 1982, 181 (181); Ricken, RdA 2007, 35  (37). 40  Vgl. oben § 6 II. 1. b). 41  Rieble, FS Buchner, S. 756 (761 ff.). 42  Rieble, FS Buchner, S. 756 (761). 43  Hierzu schon oben § 8 I. 44  Das zeigt allein die Fülle an Dissertationen zur Tarifzuständigkeit, die sich teils zentral, teils neben anderen Fragen mit der Eigenschaft der Tarifzuständigkeit als Wirksamkeitsvoraussetzung befassen: insb. Link, Die Tarifzuständigkeit; Delheid, Tarifzuständigkeit; Kutscher, Die Tarifzuständigkeit; Hillebrand, Das Merkmal „Tarifzuständigkeit“; Graf, Die Tarifzuständigkeit; Ebert, Die Zuständigkeit der Tarifvertragsparteien.



§ 8  Grundlagen

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heute nicht mehr nennenswert vertreten werden.45 Die Tarifzuständigkeit als Wirksamkeitsvoraussetzung lässt sich nicht aus den §§ 3 und 4 TVG ableiten, nach denen die Anwendbarkeit der Tarifnormen auf den Mitgliederbestand der am Tarifvertrag beteiligten Parteien begrenzt ist.46 Denn von der Unanwendbarkeit lässt sich nicht auf die Unwirksamkeit schließen.47 § 5 TVG lässt ebenso wenig Schlüsse auf die Wirksamkeitsvoraussetzungen von Tarifverträgen zu.48 Denn diese Vorschrift, die die Anforderungen der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen bestimmt, setzt bereits wirksame Tarifverträge voraus.49 Eine Ableitung aus tarifpolitischen Ordnungsprinzipien ist ebenfalls abzulehnen.50 Unabhängig von der Beurteilung ihrer rechtspolitischen Sinnhaftigkeit handelt sich weder beim Industrieverbandsprinzip51 noch beim Grundsatz der Tarifeinheit52 um Rechtssätze, auf die die Rechtsfolge der Unwirksamkeit gestützt werden könnte.53 Die vielfach herangezogene ultra-vires-Lehre bzw. – jenseits der Bezugnahme auf diese Doktrin des anglo-amerikanischen Rechts – der Grundsatz, dass die Grenze des rechtlichen Wollens auch die Grenze des rechtlichen Könnens ist, beschreibt freilich die weitgehend anerkannte Wirkung der Tarifzuständigkeit, kann aber für sich nicht die dogmatische Grundlage bilden54, weil dieser Grundsatz im deutschen Recht nicht gilt.55 Wiedemann verweist zwar auf eine Vergleichbarkeit mit der Zuständigkeit von Behörden und Gerichten, für die auch in Deutschland der ultra-vires-Grundsatz Anwendung 45  Ausführliche Darstellungen dieser Ansätze finden sich bei Ricken, Autonomie und tarifliche Rechtsetzung, S. 81 ff. und Ebert, Die Zuständigkeit der Tarifvertragsparteien, S. 28 ff. 46  So aber Hueck / Nipperdey, Arbeitsrecht II / 1, S. 447. 47  So bereits Link, Die Tarifzuständigkeit, S. 33 f.; ausführlich auch Kutscher, Die Tarifzuständigkeit, S. 6 ff.; Hillebrand, Das Merkmal „Tarifzuständigkeit“, S. 8 ff. 48  Anders aber Hueck / Nipperdey, Arbeitsrecht II / 1, S. 673. 49  Link, Die Tarifzuständigkeit, S. 34 f.; Kutscher, Die Tarifzuständigkeit, S. 7 f.; Ebert, Die Zuständigkeit der Tarifvertragsparteien, S. 30 ff. 50  A. A. Meissinger, DB 1952, 101 (102); Meissinger, RdA 1951, 46 (49); Gumpert, BB 1959, 488 (488 f.); Zachert, AuR 1982, 181 (181). 51  Hierfür aber Meissinger, DB 1952, 101 (102); Meissinger, RdA 1951, 46 (49); Gumpert, BB 1959, 488 (488 f.). 52  So aber etwa Zachert, AuR 1982, 181 (181) und ebenfalls Meissinger, DB 1952, 101  (101 f.). 53  Vgl. BAG 19.11.1985 AP Nr. 4 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit, insb. unter B.  IV.  3.  c.; BAG 27.11.1964 AP Nr. 1 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit = BAGE 16, 329 (335); ausführlich Ebert, Die Zuständigkeit der Tarifvertragsparteien, S. 56 ff. m. w. N. 54  So dennoch insb. Hueck / Nipperdey, Arbeitsrecht II / 1, S. 446 f.; Söllner, Grundriß des Arbeitsrechts, S. 132; Link, Die Tarifzuständigkeit, S. 39. 55  Vgl. Ricken, RdA 2007, 35 (35); Kutscher, Die Tarifzuständigkeit, S. 10 ff.

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3. Teil: Tarifzuständigkeit

findet.56 Dem liegt das Verständnis einer – jedenfalls auch – delegatorisch geprägten Tarifautonomie zugrunde, das auch hier vertreten wird.57 Allerdings kann die delegatorische Prägung der Tarifmacht nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich bei den Koalitionen nicht um hoheitliche Einrichtungen, sondern um Privatrechtssubjekte handelt. Richtigerweise findet die Tarifzuständigkeit als Wirksamkeitsvoraussetzung ihre dogmatische Grundlage in Art. 9 Abs. 3 GG58 und dem darin enthaltenen Grundsatz der Tarifautonomie in Verbindung mit rechts- und sozialstaatlichen Grundsätzen. Zusätzlich zu den dem Schutz der Koalitionsmitglieder dienenden Tariffähigkeitsanforderungen bedarf es des Erfordernisses der Tarifzuständigkeit, damit die Tarifmacht des Verbandes gegenüber dem einzelnen Mitglied die erforderliche Legitimation erfährt.59 Wie bereits erörtert setzt der Staat durch das Modell der Tarifautonomie Arbeitgeber und Arbeitnehmer der Tarifnormsetzung nichtstaatlicher Einrichtungen aus und schränkt sie selbst in ihren Regelungsbefugnissen ein.60 Um dies zu rechtfertigen bedarf es aus rechts- und sozialstaatlichen Erwägungen einer möglichst umfassenden Transparenz für die (potentiell) Tarifunterworfenen – insbesondere um zu vermeiden, dass Verbände ihre Machtstellung auf Kosten ihrer Mitglieder missbrauchen.61 Dieser Mitgliederschutz, zu dem der Staat verpflichtet ist, weil er selbst zurücktritt und Individuen der Tarifmacht nichtstaatlicher Einrichtungen überlässt, verlangt nach einer abgegrenzten Tarifzuständigkeit. Ein abweichendes Verständnis liefe den wesentlich auf eben diesen Erwägungen basierenden Tariffähigkeitsanforderungen einer demokratischen Binnenorganisation und einer manifestierten Tarifwilligkeit zuwider.62 IV. Verhältnis zur Tariffähigkeit Wie eingangs erwähnt stehen Tariffähigkeit und Tarifzuständigkeit in einem engen Verhältnis zueinander. Die aus der Tariffähigkeit an sich unbeschränkt folgende Befugnis zum Tarifvertragsschluss wird durch das Erfordernis der Tarifzuständigkeit eingegrenzt.63 Mit Blick auf diese Wirkung 56  Wiedemann,

RdA 1975, 78 (79). § 6 II. 2. 58  In diese Richtung auch Heinze, DB 1997, 2122 (2122). 59  Vgl. Rieble, FS Buchner, S. 756 (762); auch Delheid, Tarifzuständigkeit, S. 25 f. 60  Näher oben § 6 II. 2. 61  Vgl. Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2, Rn. 12. 62  Ähnlich Peter in: Däubler, TVG, § 2, Rn. 172. 63  Vgl. Konzen, FS Kraft, S. 291 (292): „Die Satzung engt die von der Tarif­ fähigkeit […] eröffnete umfassende Kompetenz zum Tarifabschluß ein.“. 57  Oben



§ 8  Grundlagen

137

und die jedenfalls teilweise funktionale Vergleichbarkeit stellt sich die Frage, wie sich Tariffähigkeit und Tarifzuständigkeit dogmatisch zueinander verhalten. Teils wird die Tarifzuständigkeit als Teilaspekt der Tariffähigkeit – genauer der Tarifwilligkeit – bewertet.64 Während der gemeinhin zur Tariffähigkeit zählende Bestandteil der Tarifwilligkeit65 das „Ob“ der Tariftätigkeit regele, bestimme die Tarifzuständigkeit „für wen unter den Mitgliedern“ Tarifverträge geschlossen werden sollen.66 Einen „qualitativen Unterschied“ sehen die Vertreter dieser Auffassung nicht, weil Tariffähigkeit und Tarifzuständigkeit gleichermaßen „freie Verbandsentscheidungen über den Koalitionszweck“ zugrunde lägen.67 Buchner meint, beide Begriffe umschrieben letztlich die „Handlungskompetenz der Tarifparteien“.68 Vor allem Wiedemann will indes die Tarifzuständigkeit als eigenständiges – dogmatisch von der Tariffähigkeit zu trennendes – Merkmal qualifizieren.69 Den entscheidenden Unterschied sieht er darin, dass die Tarifwilligkeit vollständig „im freien Ermessen der Mitglieder“ stehe, während dies bei der Bestimmung der Tarifzuständigkeit nicht der Fall sei, weil sie sich nach den „Gesetzmäßigkeiten einer rechtssetzenden Tätigkeit“ zu richten habe. Insbesondere müsse für die Zuständigkeitsabgrenzung stets „ein sachlich begründeter und sozial gerechtfertigter Anlaß vorliegen“.70 Aus der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts lassen sich keine konkreten Schlüsse zur Beantwortung der Frage ziehen. Einerseits prüft das Bundesarbeitsgericht die Tariffähigkeit und die Tarifzuständigkeit einer Koalition stets gesondert71, andererseits äußert es, die Frage der Tarifzuständigkeit betreffe „in einem weiteren Sinn ebenfalls die Tariffähigkeit“72. Wiedemanns Annahme einer dogmatischen Trennung liegt sein Verständnis einer eingeschränkten Satzungsautonomie zugrunde. Er geht von einem Willkürverbot aus, nach dem Verbände ihre Zuständigkeit nicht „willkürlich oder auch nur funktionswidrig abgrenzen“ dürfen. Die Koalitionsfreiheit sei „nicht um ihrer selbst willen, sondern funktionsgebunden verliehen wor64  Löwisch / Rieble, TVG, § 2, Rn. 179; Rieble, FS Buchner, S. 756 (759 f.); Buchner, ZfA 1995, 95 (97); Richardi, Anm. zu BAG 17.2.1970 AP Nr. 2 u. Nr. 3 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit. 65  Hierzu im Einzelnen oben § 7 I. 66  Rieble, FS Buchner, S. 756 (759 f.); Löwisch / Rieble, TVG, § 2, Rn. 179. 67  Rieble, FS Buchner, S. 756 (759 f.); Löwisch / Rieble, TVG, § 2, Rn. 179. 68  Buchner, ZfA 1995, 95 (97). 69  Wiedemann, RdA 1975, 78 (79 f.); zustimmend insb. Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2, Rn. 60 ff. 70  Wiedemann, RdA 1975, 78 (80). 71  Vgl. etwa BAG 23.5.2012 BAGE 141, 382. 72  BAG 17.2.1970 AP Nr. 3 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit = BAGE 22, 295 (299).

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3. Teil: Tarifzuständigkeit

den“, daher erfahre die Satzungsautonomie „durch den Verfassungsauftrag gleichzeitig ihre sachliche Grenze“.73 Einzelne Stimmen im Schrifttum haben sich dieser Auffassung im Laufe der Zeit angeschlossen.74 Diese Auffassung scheint indes nur insoweit zustimmenswert, als die Satzungsautonomie nicht als Rechtfertigung rechtsmissbräuchlichen Verhaltens herhalten darf.75 Für eine engere Überprüfung auf Willkürlosigkeit und Funktionskonformität lassen sich kaum zuverlässige Kriterien aufstellen, die gewährleisten, dass nicht im Einzelfall durch das Ansetzen eines zu strengen Maßstabes unzulässigerweise in die Betätigungsfreiheit des betroffenen Verbandes eingegriffen wird.76 Es ist daher von einer weitgehend uneingeschränkten Satzungsautonomie auszugehen77, die zur Folge hat, dass die Tarifzuständigkeit – wie die Tarifwilligkeit – ganz wesentlich auf der freien Willensbildung im Verband basiert. Daher erscheint es überzeugender, die Tarifzuständigkeit als Teil der Tariffähigkeit zu verstehen. Dieser Schluss soll indes nicht als Plädoyer gegen die prüfungstechnische Abgrenzung der Tarifzuständigkeit von der Tariffähigkeit, wie sie das Bundesarbeitsgericht vornimmt, verstanden werden. Mit Blick auf inhaltliche Unterschiede der Anforderungen von Tariffähigkeit und Tarifzuständigkeit ist hiergegen nichts einzuwenden.78

73  Wiedemann,

RdA 1975, 78 (81). Henssler in: Henssler / Willemsen / Kalb, § 2 TVG, Rn. 44; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2, Rn. 73; auch Reuter, Anm. zu BAG 19.11.1985 AP Nr. 4 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit unter 2, der auf die „Schranke nach § 138 Abs. 1 BGB“ abstellt. 75  Vgl. BAG 19.11.1985 AP Nr. 4 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit, das eine Grenzüberschreitung bei Verhalten „in vorsätzlicher und sittenwidriger Schädigungsabsicht“ sieht. 76  In diese Richtung auch Gamillscheg, KollArbR I, S. 531; vgl. auch Richardi in: Staudinger, BGB, Vorbem. zu §§ 611 ff. BGB, Rn. 682. 77  Von einer vollständigen Einschränkungsfreiheit kann indes nicht gesprochen werden, weil insbesondere diskriminierende Bestimmungen nicht von der Satzungsautonomie gedeckt sind – das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz erklärt ausdrücklich seine Anwendbarkeit auf die Mitgliedschaft in Tarifvertragsparteien, § 18 Abs. 1 Nr. 1 AGG. Das bedeutet konkret, dass Koalitionen potentielle Mitglieder nicht auf Grund von AGG-relevanten Merkmalen von einer Mitgliedschaft – oder auch nur einer tarifgebundenen Mitgliedschaft – ausschließen dürfen, solange hierfür kein sachlicher Grund besteht, vgl. Löwisch / Rieble; TVG, § 2, Rn. 259 ff. 78  In diese Richtung auch Buchner, ZfA 1995, 95 (97). 74  Insb.



§ 9  Anforderungen

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§ 9  Anforderungen I. Satzungsautonome Festlegung eines Zuständigkeitsbereichs Der Arbeitgeberverband muss für den Geltungsbereich eines geschlossenen Tarifvertrags tarifzuständig sein, andernfalls ist der Tarifvertrag unwirksam.79 Ist er nur für einen Teil des Geltungsbereichs zuständig, kann der Tarifvertrag nur insoweit wirksam sein.80 Jeder Verband legt den Umfang seiner Tarifzuständigkeit selbständig fest – dieses Recht ist Ausfluss der Betätigungsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG.81 Die Festlegung muss durch Regelung in der Verbandssatzung erfolgen, weil andernfalls der Zweck der Tarifzuständigkeit, Transparenz herzustellen, von vornherein nicht erfüllt werden könnte. Hieraus ergibt sich das grundlegende Erfordernis der Tarifzuständigkeit: Um überhaupt wirksame Tarifverträge abschließen zu können, muss sich in der Satzung des Verbandes eine Bestimmung des Tarifzuständigkeitsbereichs befinden. Diese Bestimmung ist die exklusive Grundlage für die Abgrenzung der Zuständigkeit.82 Umstände außerhalb der Satzung – etwa tatsächliches tarifpolitisches Verhalten des Verbandes – spielen grundsätzlich keine Rolle. Sie können eine Zuständigkeitsbestimmung weder vollständig ersetzen noch maßgeblich ergänzen. Aus der Betätigungsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG ergibt sich weiter, dass der Verband in der Ausgestaltung der Zuständigkeitsbestimmung grundsätzlich frei ist – ihm kommt Satzungsautonomie zu.83 Diese belässt den Koalitionen „einen nicht tangierbaren, erst recht nicht fremdbestimmten Freiraum der Selbstbestimmung und Selbstgestaltung ihrer Zuständigkeit nach eigener freier Wahl“.84 Danach sind dem Umfang der Tarifzuständigkeit nach oben grundsätzlich keine Grenzen gesetzt. Innerhalb des Geltungsbereichs des Tarifvertragsgesetzes85 kann ein Verband grundsätzlich auch seine Allzuständigkeit bestimmen. Allerdings hätte dies gesteigerte Anforde79  Oben

§ 8 II. bereits oben § 8 III. 1. 81  Vgl. Peter in: Däubler, TVG, § 2, Rn. 165. 82  Vgl. BAG 12.12.1995 AP Nr. 8 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit; Peter in: Däubler, TVG, § 2, Rn. 165. 83  BAG 25.9.1996 AP Nr. 10 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit, insb. unter B. IV. 2. b); BAG 19.11.1985 AP Nr. 4 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit unter B. IV. 3. a); BAG 27.11.1964 AP Nr. 1 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit = BAGE 16, 329 (335); vgl. auch oben § 7  I.  2. die Ausführungen zur „Koalitionsmittelwahlfreiheit“. 84  Heinze, DB 1997, 2122 (2122). 85  Das Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland bildet naturgemäß die räum­ liche Obergrenze der Tarifzuständigkeit, vgl. Löwisch / Rieble, TVG, § 2, Rn. 199. 80  Hierzu

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3. Teil: Tarifzuständigkeit

rungen an die organisatorische Leistungsfähigkeit des Verbandes zur Folge, weil sich diese maßgeblich im Verhältnis zum Umfang der Tarifzuständigkeit bestimmen.86 Davon abgesehen ist eine Allzuständigkeit von den Verbänden praktisch in aller Regel nicht gewollt. Sie würden sich dadurch insoweit uneingeschränkten Arbeitskampfmaßnahmen der Gewerkschaften aussetzen und ihren Mitgliedern von vornherein jede Möglichkeit der Tarifflucht nehmen. Neben der den Umfang betreffenden Gestaltungsfreiheit folgt aus der Satzungsautonomie auch, dass der Verband seine Tarifzuständigkeit jederzeit ändern kann.87 Arbeitgeberverbände grenzen ihre Tarifzuständigkeit räumlich und bzw. oder fachlich-betrieblich ab. Soweit eine Abgrenzung nur nach dem einen oder dem anderen Kriterium erfolgt, lassen sich die Verbände somit in Fachverbände und gemischtgewerbliche Verbände unterteilen.88 Für eine räumliche Tarifzuständigkeitsbestimmung wird an den Sitz des Unternehmens oder die Lage der Betriebsstätte angeknüpft, für die fachlich-betriebliche Zuständigkeitsbestimmung an die Branche. Eine Abgrenzung in persönlicher Hinsicht, wie sie Gewerkschaften für bestimmte Berufsgruppen vornehmen, ist Arbeitgeberverbänden nicht möglich. Sie würde dazu führen, dass Arbeitgeberverbände ihre Zuständigkeit faktisch auf einzelne Regelungsgegenstände beschränken könnten, was mit der Unzulässigkeit der Teiltariffähigkeit89 nicht zu vereinbaren wäre.90 Im Übrigen bestünde die Gefahr, dass Arbeitgeber ein „Outsourcing“ ihrer Tarif­ fähigkeit bezogen auf Berufsgruppen betreiben, hinsichtlich derer sie sich selbst in einer ungünstigen Verhandlungsposition sehen.91 Dem einzelnen Arbeitgeber würde gestattet, gleichsam im Wege der „Rosinenpickerei“ für jede Berufsgruppe gesondert zu entscheiden, ob er die Arbeitsbedingungen selbst aushandeln oder dies dem Verband überlassen will. Hierdurch würde die Verteilungsfunktion der Tarifautonomie, nach der durch den Tarifvertrag eine gewisse Verteilungsgerechtigkeit zwischen den Arbeitnehmern erzielt werden soll92, unterwandert. 86  Näher

oben § 7 IV. BAG 14.12.1999 AP Nr. 14 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit unter B.  III.  2.  a) m. w. N.; zu den Auswirkungen einer den Zuständigkeitsbereich verändernden Satzungsänderung auf laufende Tarifverträge oben § 8 III. 2. 88  Gamillscheg, KollArbR I, S. 534. 89  Statt vieler Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2, Rn. 370. 90  Löwisch / Rieble, TVG, § 2, Rn. 192 u. 155. 91  Vgl. zur ähnlichen Konstellation der Übertragung der Tariffähigkeit von Koa­ litionen auf Spitzenverbände Greiner, Anm. zu BAG 14.12.2010 EzA § 2 TVG Nr. 31, insb. S. 59 f. 92  Näher oben § 6 II. 1. a). 87  Vgl.



§ 9  Anforderungen141

II. Hinreichende Bestimmtheit der Zuständigkeitsregelung Als weitere Folge des Transparenzgedankens unterliegt die Zuständigkeitsbestimmung dem Bestimmtheitsgebot.93 Danach muss die Regelung der Zuständigkeit so bestimmt sein, dass Mitglieder, Verbandsorgane und Dritte den Umfang der Zuständigkeit erkennen können.94 Gerade bei Satzungen von Arbeitgeberverbänden ist dies oft fraglich.95 Verletzungen des Bestimmtheitsgebots können im Einzelfall zur Unwirksamkeit eines Tarifvertrags führen. Damit stellt das Bestimmtheitsgebot konkrete Anforderungen an den Arbeitgeberverband als Partei wirksamer Tarifvertragsschlüsse. Teilweise Unbestimmtheit führt nicht zur vollständigen Unwirksamkeit der Regelung, die Tarifzuständigkeit besteht stattdessen soweit, wie sie hinreichend bestimmt ist. 1. Grundlagen zum Bestimmtheitsgebot a) Rechtsprechung und Literatur im Überblick: Bestimmtheitsgebot versus Auslegungsspielraum Während das Bestimmtheitsgebot dem Grunde nach einhellig angenommen wird, besteht über seine nähere Ausgestaltung weniger Klarheit. Die Literatur beschränkt sich überwiegend auf die pauschale Aussage, es bedürfe einer „hinreichenden“96 oder „eindeutigen“97 Bestimmtheit, ohne im Einzelnen darzulegen, was hinreichend oder eindeutig ist. Auffällig ist, dass selbst grundlegende Monografien98 zur Tarifzuständigkeit Fragen zur Bestimmtheit – jedenfalls weitgehend – außen vor lassen.99 Teilweise lassen sich der Literatur aber zumindest tendenzielle Einschätzungen zu der Frage entnehmen, ob ein restriktives oder ein weites Verständnis des Bestimmtheitsgebotes vorzugswürdig ist. So sprechen sich Wendeling-Schröder und 93  Ganz h. M.: BAG 10.2.2009 AP Nr. 138 zu Art. 9 GG, Rn. 27; BAG 18.7.2006 AP Nr. 19 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit, Rn. 37 ff.; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2, Rn. 72; Franzen in: Dieterich, ErfK, TVG, § 2, Rn. 33; Löwisch / Rieble, TVG, § 2, Rn. 253 ff.; Rieble, FS Buchner, S. 756 (756 ff.). 94  BAG 10.2.2009 AP Nr. 138 zu Art. 9 GG, Rn. 27. 95  Näher mit Beispielen unten § 9 II. 3. a). 96  Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2, Rn. 72; Franzen in: Dieterich, ErfK, TVG, § 2, Rn. 33. 97  Peter in: Däubler, TVG, § 2, Rn. 165. 98  Etwa Ricken, Autonomie und tarifliche Rechtsetzung; Ebert, Die Tarifzuständigkeit der Tarifvertragsparteien; Graf, Die Tarifzuständigkeit; Hillebrand, Das Merkmal „Tarifzuständigkeit“; Kutscher, Die Tarifzuständigkeit. 99  Mit derselben Beobachtung Rieble, FS Buchner, S. 756 (758).

142

3. Teil: Tarifzuständigkeit

Greiner für eine „zuständigkeitsfreundliche Auslegung“100 aus.101 Allein Rieble102 und Löwisch / Rieble103 nähern sich der Fragestellung mit konkreten Beispielen und Fallgruppen; dabei nehmen sie den Standpunkt eines eher restriktiven Verständnisses des Bestimmtheitsgebotes ein. Das Bundesarbeitsgericht tendiert in den wenigen Entscheidungen, die Fragen der Bestimmtheit von Tarifzuständigkeitsregelungen betreffen, zu einer zuständigkeitsfreundlichen Auslegung. In BAG 12.12.1995104 bejahte es die Tarifzuständigkeit der Gewerkschaft für Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr, die satzungsgemäß u. a. für Unternehmen im Bereich der „Entsorgung und Verwertung von Siedlungs-, Industrie- und Sonderabfällen“ zuständig ist, für ein Unternehmen, das hauptgeschäftlich Datenträger vernichtet. In BAG 29.6.2004105 – einer von zwei Entscheidungen zur Tarifzuständigkeit von Arbeitgeberverbänden – nahm das Bundesarbeitsgericht eine Zuständigkeit des satzungsgemäß für die holz- und kunststoffverarbeitende Industrie zuständigen Landesverbandes Sachsen-Anhalt Holz und Kunststoffe auch für Handwerksbetriebe an. Einzig in BAG 18.7.2006106 hat das Bundesarbeitsgericht eine konkrete Grenze des Bestimmtheitsgebotes aufgezeigt: Danach soll die Beschränkung der Zuständigkeit auf die jeweiligen Mitglieder des Verbandes nicht hinreichend bestimmt sein. Die damit verbundene Abhängigkeit der Tarifzuständigkeit vom Verhalten einzelner Mitglieder wäre „mit der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie und den darauf bezogenen Erfordernissen eines funktionierenden Tarifvertragssystems unvereinbar.“107 Anders als es auf den ersten Blick vermuten lässt, deutet auch BAG 10.2.2009108 nicht auf ein restriktiveres Verständnis des Bundesarbeitsgerichts hin. Zwar lehnte das Bundesarbeitsgericht in dieser Entscheidung die Zuständigkeit der DHV – Die Berufsgewerkschaft, die satzungsgemäß für Arbeitnehmer „insbesondere in kaufmännischen und verwaltenden Berufen“ zuständig zeichnet, für andere als kaufmännische und verwaltende Berufe ab. Allerdings stützte es sich dabei nicht auf die generelle Unklarheit des Begriffs „insbesondere“, sondern auf die Unmög100  Greiner, Rechtsfragen der Koalitions-, Tarif- und Arbeitskampfpluralität, S. 185. 101  Wendeling-Schröder in: Kempen / Zachert, TVG, § 2, Rn. 224 ff.; Greiner, Rechtsfragen der Koalitions-, Tarif- und Arbeitskampfpluralität, S. 185. Für einen eher weiten Auslegungsspielraum auch schon Wiedemann, RdA 1975, 78 (82). 102  Rieble, FS Buchner, S. 756 (insb. 772 ff.). 103  Löwisch / Rieble, TVG, § 2, Rn. 253 ff. 104  AP Nr. 8 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit. 105  AP Nr. 10 zu § 97 ArbGG 1979. 106  AP Nr. 19 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit. 107  BAG 18.7.2006 AP Nr. 19 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit, Rn. 43. 108  AP Nr. 138 zu Art. 9 GG.



§ 9  Anforderungen

143

lichkeit der von der Gewerkschaft ins Feld geführten Lesart, nach der ihre Tarifzuständigkeit zwar über kaufmännische und verwaltende Berufe hi­ nausgehen, indes keine Allzuständigkeit festgelegt werden sollte.109 Die Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts eignen sich als stark einzelfallgeprägt und angesichts ihrer geringen Anzahl kaum als Grundlage, um zuverlässige Fallgruppen herauszustellen und so einen allgemeingültigen Rahmen der Anforderungen des Bestimmtheitsgebotes abzustecken. Daher – und angesichts der nur wenigen aufschlussreichen Darstellungen in der Literatur – handelt es sich um ein vergleichsweise ungeklärtes Thema, das gerade für Arbeitgeberverbände von erheblicher praktischer Bedeutung ist, weil ihre Zuständigkeitsbestimmungen in vielen Fällen sehr vage formuliert sind.110 Käme es – was denkbar ist – zu gerichtlichen Entscheidungen, in denen die Geltung eines Tarifvertrags für einzelne Unternehmen mangels Bestimmtheit der Zuständigkeitsregelung in der Verbandssatzung abgelehnt wird111, fände sich das Thema schnell auf den Agenden der Verbände wieder. b) Herleitung Das Bestimmtheitsgebot steht unmittelbar im Dienste der Verwirklichung einer der wesentlichen Funktionen der Tarifzuständigkeit: der Herstellung von Transparenz.112 Misst man diese Funktion der Tarifzuständigkeit zu, ist das Bestimmtheitsgebot zwingend als funktional immanent anzuerkennen. An dieser funktionalen Verbindung orientiert, nimmt auch das Bundesarbeitsgericht eine kurze Begründung vor: „Die den Tarifvertragsparteien […] zukommende Normsetzungsbefugnis verlangt nach einer ausreichenden Transparenz der Zuständigkeitsgrenzen. […] Das gebietet die Rechts­ sicherheit.“113 Ausführlicher begründet Rieble.114 Er stellt zunächst ebenfalls auf die Normsetzungsbefugnis und das Erfordernis hinreichender Legitimation der Tarifmacht des Verbandes gegenüber seinen Mitgliedern ab. Unterstützend zieht er einen Erst-Recht-Schluss aus dem sich aus dem tarifrechtlichen Normklarheitsgebot ergebenden Bestimmtheitsgebot für die Tarifnor109  BAG

10.2.2009 AP Nr. 138 zu Art. 9 GG, Rn. 32 ff. mit Beispielen unten § 9 II. 3. a). 111  Eine theoretisch ebenfalls denkbare vollständige Unbestimmtheit mit der Folge der vollständigen Tarifunzuständigkeit des Verbandes ist praktisch kaum realistisch und daher zu vernachlässigen; vgl. Rieble, FS Buchner, S. 756 (772). 112  Vgl. oben § 8 III. 113  Vgl. BAG 10.2.2009 AP Nr. 138 zu Art. 9 GG, Rn. 38. 114  Rieble, FS Buchner, S. 756 (760 ff.); außerdem Löwisch / Rieble, TVG, § 2, Rn. 255. 110  Näher

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3. Teil: Tarifzuständigkeit

men, die den Geltungsbereich des Tarifvertrags betreffen.115 Darüber hinaus stützt Rieble das Bestimmtheitsgebot auf eine spezifisch verbandsrechtliche Begründung. Danach gelte für Satzungsregelungen nach vereins- und gesellschaftsrechtlichen Regelungen generell ein Bestimmtheitsgebot – und die Tarifzuständigkeit sei als essentielle Entscheidung Teil der Verfassung des Verbandes und als solcher zwingend durch die Satzung zu bestimmen.116 Das mag zutreffen, dürfte sich aber nicht als Grundlage eines Bestimmtheitserfordernisses eignen, das Teil der Tarifzuständigkeit als Wirksamkeitsvoraussetzung eines Tarifvertrags ist. Die besondere Rechtsfolge der Unwirksamkeit des Tarifvertrags kann nicht darauf gestützt werden, dass die Zuständigkeitsregelung an vereinsrechtlichen Grundsätzen gemessen zu unbestimmt ist. Maßgeblich können hier allein tarifrechtliche Erwägungen sein. c) Auslegungsmaßgaben Die Anforderungen des Bestimmtheitsgebotes ergeben sich aus seiner funktionalen Einordnung. Mangels normativer Grundlage gibt es keine formellen Anforderungen; die Anforderungen sind vielmehr allein aus der Funktion – mithin der Herstellung der erforderlichen Transparenz – heraus zu entwickeln. Danach verlangt das Bestimmtheitsgebot nicht, dass die Zuständigkeitsbestimmung keinerlei Spielraum zur Auslegung lässt. Es genügt stattdessen, dass sich durch Auslegung eine hinreichend bestimmte Regelung ermitteln lässt.117 Freilich existiert ein vollständig ohne Auslegung auskommender Rechtsbegriff ohnehin nicht118 – erforderlich ist indes aber auch keine Zuständigkeitsbestimmung, die ihre Auslegungsbedürftigkeit so gering wie nur irgend möglich hält. Das wäre praktisch kaum zu erfüllen und ist funktional auch nicht geboten, soweit dürfte in Rechtsprechung und Literatur Einigkeit bestehen. Fraglich ist, welche Umstände bei der erforderlichen Auslegung Berücksichtigung finden dürfen. Teilweise wird nahezu jeder Umstand, der der Auslegung objektiv dienlich sein kann, für berücksichtigungsfähig gehalten. Nach Wiedemann etwa sind dies „Wortlaut, Sinn und Zweck, Entstehungsgeschichte sowie Gesamtzusammenhang der Satzung“ und daneben auch die „tatsächliche Handha115  Rieble,

FS Buchner, S. 756 (765). Rieble, FS Buchner, S. 756 (766 ff.); bestätigend Löwisch / Rieble, TVG, § 2, Rn. 255. 117  Vgl. BAG 10.2.2009 AP Nr. 138 zu Art. 9 GG, Rn. 27; Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2, Rn. 89; Sittard in: Henssler / Moll / Bepler, Der Tarifvertrag, Teil 2, Rn. 212. 118  Vgl. Rieble, FS Buchner, S. 756 (769). 116  Ausführlich



§ 9  Anforderungen

145

bung und die Anschauungen der beteiligten Berufskreise“.119 Das Bundesarbeitsgericht grenzt die potentiellen Auslegungsmittel etwas ein, indem es allein auf die „Grundsätze der Gesetzesauslegung“ abstellt, „Umstände außerhalb der Satzung, die sich in ihr nicht niederschlagen“ hingegen unberücksichtigt lassen will.120 Danach ist die jeweilige Satzungsbestimmung grammatikalisch, systematisch, teleologisch und historisch auszulegen.121 Rieble will weiter einschränkend nur solche Umstände berücksichtigen, für die sich „Anhaltspunkte in der Satzung finden“.122 Eine Ausnahme soll nur gelten, wenn Kenntnis von diesen Umständen „bei den Mitgliedern und Organen allgemein vorausgesetzt werden kann.“123 Danach soll im Regelfall auch die historische Auslegung keine Beachtung finden, weil sich zur Entstehungsgeschichte der Bestimmung aus der Satzung selbst nichts ergibt.124 Für diese gelte wie für die tatsächlichen Verbandsgebräuchlichkeiten und -anschauungen, dass gewöhnliche Mitglieder unter normalen Umständen keine Kenntnis davon haben. Rieble betont, die Anforderungen an die Bestimmtheit müssten sich wie im Verbandsrecht am „Mitgliederhorizont“ orientieren.125 Nahezu alle Umstände bei der Auslegung zu berücksichtigen, geht zweifellos zu weit. Stellt man entscheidend auch auf Verbandsgebräuchlichkeiten und -anschauungen ab, wird der Zweck der Herstellung von Transparenz unterlaufen, weil der Aussagewert der Satzungsbestimmung selbst erheblich verringert würde. Einer anderen Bewertung unterliegt die Entstehungsgeschichte. Freilich führt ihre Berücksichtigung dazu, dass eine umfassende Auslegung mit einem höheren Aufwand verbunden ist – gerade bei einfachen Mitgliedern, die keinen besonderen fachlichen Bezug zur Verbandsgeschichte haben, trifft dies zu. Es bestehen aber keine Zweifel daran, dass auch das einfache Mitglied prinzipiell zu einer Auslegung der Zuständigkeitsbestimmung auch unter historischen Gesichtspunkten in der Lage ist  – nötigenfalls unter Rückgriff auf fachliche Beratung. Dass ein derartiger Aufwand realistischerweise betrieben wird, erscheint nicht abwegig, denn der Beitritt zu einem Berufsverband ist ein bedeutender Schritt, der nicht willkürlich und unbedacht vorgenommen wird. Wenngleich nicht davon ausgegangen werden kann, dass jedes Mitglied einen derartigen Aufwand 119  Wiedemann,

RdA 1975, 78 (82). 10.2.2009 AP Nr. 138 zu Art. 9 GG, Rn. 27 u. 38. 121  Vgl. BAG 10.2.2009 AP Nr. 138 zu Art. 9 GG, Rn. 27. 122  Rieble, FS Buchner, S. 756 (770). 123  Rieble, FS Buchner, S. 756 (770) unter Verweis auf BGH 11.10.1993 BGHZ 123, 347 und BGH 2.12.1974 BGHZ 63, 282 (290). 124  Rieble, FS Buchner, S. 756 (770) unter Verweis auf BGH 6.3.1967 BGHZ 47, 172. 125  Rieble, FS Buchner, S. 756 (770). 120  BAG

146

3. Teil: Tarifzuständigkeit

betreibt, wäre gleichwohl auch bei Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte jedenfalls die „potentielle Transparenz“ gewahrt. Fraglich ist, ob das ausreicht. Bei der Beantwortung dieser Frage ist zu bedenken, welche Auswirkungen restriktive Auslegungsanforderungen hätten. Rieble suggeriert, ein restriktiv angewandtes Bestimmtheitsgebot diene Arbeitnehmer­ interessen, weil Arbeitnehmer, die in der Regel rechtlich unerfahren sind, besonders anfällig für die Risiken unbestimmter Regelungen seien.126 Tatsächlich ist es aber doch so: Strengere Anforderungen führen in den allermeisten Fällen dazu, dass die Tarifzuständigkeit für einen bestimmten Bereich oder ein bestimmtes Unternehmen eher verneint wird. Das läuft aber dem Willen des beitretenden Mitglieds in aller Regel zuwider, denn Anlass des Beitritts ist – soweit es sich nicht um eine gewollte OT-Mitgliedschaft handelt – vor allem die Unterwerfung unter die Tarifbindung. Eine über­ zogen restriktive Anwendung des Bestimmtheitsgebots würde also seiner Funktion gerade zuwiderlaufen, weil die Interessen derjenigen, die von der Transparenz profitieren sollen, unterlaufen werden. Sofern ein Beitritt – aus welchen Gründen auch immer – gerade ohne den Willen zur Unterwerfung unter die Tarifbindung erfolgt, muss es dem Beitretenden zumutbar sein, sich zuvor auf Grund der besonderen Ausgangssituation mit der Zuständigkeitsregelung umfassend auseinanderzusetzen und dabei, soweit erforderlich, auch die Entstehungsgeschichte zu bemühen. Nach alldem erscheint es richtig, dem Bundesarbeitsgericht in der Auffassung zu folgen, bei der Bestimmung der Tarifzuständigkeit auch die Entstehungsgeschichte zu berücksichtigen. Gleichwohl ist der historischen Auslegung keine allzu große Bedeutung beizumessen. Sofern sich aus der Satzungsregelung eine bestimmte Zuständigkeit ohne Weiteres ergibt, ist ein Blick auf die Entstehungsgeschichte entbehrlich. Umgekehrt wird die historische Auslegung eine an sich weitgehend unklare Satzungsbestimmung in der Regel nicht zu einer hinreichend bestimmten machen. Denn das liefe jener Funktion der Tarifzuständigkeit zuwider, nach der auch Dritte von der Transparenz profitieren sollen, denen regelmäßig weniger Informationsaufwand zumutbar sein dürfte. Dies entspricht aber ohnehin den Grundsätzen der Gesetzesauslegung, nach denen die Entstehungsgeschichte regelmäßig nicht erstes und maßgebliches Auslegungsmittel ist, sondern vorrangig als Ergänzung zu einer nicht ganz klaren Wortlautauslegung heranzuziehen ist.127 126  Rieble,

FS Buchner, S. 756 (768). Säcker in: Säcker, MünchKomm BGB I, Einl., Rn. 138; außerdem BAG 10.2.2009 AP Nr. 138 zu Art. 9 GG, Rn. 27, wonach „zunächst der Wortlaut“ maßgeblich sein soll, während das Bundesarbeitsgericht die Entstehungsgeschichte in der Reihe der Auslegungsmittel als letztes nennt. 127  Vgl.



§ 9  Anforderungen147

Wie oben dargestellt, vertritt Rieble, dass sich die Anforderungen an die Bestimmtheit am „Mitgliederhorizont“ orientieren müssen. Hieraus schließt er weiter, dass an die Zuständigkeitsbestimmung der Gewerkschaft strengere Anforderungen zu stellen sind als an die des Arbeitgeberverbandes, weil bei Arbeitgebern in der Regel umfangreichere fachliche und rechtliche Kenntnisse und Erfahrungen vorauszusetzen sind.128 Rieble spricht von einem „unterschiedlichen Adressatenhorizont“.129 Dies soll vor allem für fachlich-betriebliche Zuständigkeitsregelungen gelten, weil Arbeitgeber gerade mit der Bedeutung von Branchenbeschreibungen in aller Regel gut vertraut seien. Rieble ist sicher darin zuzustimmen, dass im Regelfall die Kenntnislage des Arbeitgebers umfangreicher ist als die des Arbeitnehmers. Die Schlussfolgerung erscheint dennoch viel zu pauschal, denn sie berücksichtigt nicht in hinreichendem Maße, dass Ausnahmen von der Regel bestehen. Bei einem Kleinunternehmer mit wenigen Beschäftigten wird in vielen Fällen ein geringerer Kenntnisstand bestehen als bei einem leitenden Angestellten eines Großunternehmens. Aus diesem Grund ist eine generalisierende Differenzierung abzulehnen. 2. Bestimmtheitsgebot und räumliche Abgrenzung Verbände knüpfen für die räumliche Abgrenzung ihrer Tarifzuständigkeit entweder an den Sitz des Unternehmens oder an die Lage der Betriebsstätte an.130 Im Wesentlichen ergeben sich bei der räumlichen Zuständigkeit von Arbeitgeberverbänden keine Probleme, weil die Zuständigkeitsbestimmungen auf hoheitlich klar definierte geografische Bereiche Bezug nehmen, etwa Kommunen, Regierungsbezirke oder Bundesländer. Hierbei ist nur zu berücksichtigen, dass eine dynamische Verweisung – etwa auf die jeweils aktuellen Landesgrenzen – nicht hinreichend bestimmt ist.131 Problematisch wird es indes, wenn Verbände, um ihren räumlichen Zuständigkeitsbereich flexibel zu gestalten, feststehende geografische Bereiche durch nicht eindeutig abgrenzbare Begriffe erweitern. Rieble nennt als Beispiel die praktisch vorzufindende Eingrenzung „Düsseldorf und Umge­ bung“.132 Nach Rieble ist diese Beschreibung zu unbestimmt, soweit der Begriff „Umgebung“ nicht in der Satzung durch Bezugnahme auf festste128  Rieble,

FS Buchner, S. 756 (773 u. 776). FS Buchner, S. 756 (776). 130  Oben § 9 I. 131  Rieble, FS Buchner, S. 756 (772 f.); a. A. LAG Köln 20.4.2004 BeckRS 2004, 42122. 132  Rieble, FS Buchner, S. 756 (773) unter Verweis auf den Arbeitgeberverband Metall- und Elektroindustrie Düsseldorf und Umgebung u. a. 129  Rieble,

148

3. Teil: Tarifzuständigkeit

hende Grenzen konkretisiert wird. Als Rechtsfolge soll sich die räumliche Zuständigkeit auf den bestimmbaren Bereich beschränken, am genannten Beispiel namentlich auf das Stadtgebiet Düsseldorf.133 Hierin ist Rieble zuzustimmen. Der Begriff „Umgebung“ ist – ebenso wie vergleichbare Beschreibungen, etwa „Umland“ oder „angrenzende Regionen“ – einer einheitlichen Auslegung nicht zugänglich. „Umgebung“ lässt sich im Kontext des Beispiels definieren als Gesamtheit dessen, was das Stadtgebiet Düsseldorf umgibt oder als Umkreis um das Stadtgebiet Düsseldorf.134 Damit ist der Abgrenzung der Zuständigkeit aber kein Stück weitergeholfen, die Reichweite bleibt unklar. Entgegen der Auffassung Riebles kann die Beschreibung aber hinreichend bestimmt sein, wenn sich aus der Entstehungsgeschichte der Satzung Anhaltspunkte ergeben, die eine konkrete geografische Eingrenzung ermöglichen.135 Denkbar ist, dass Beschlussprotokolle o. ä. existieren, die detaillierte Beschreibungen enthalten, über die inhaltlich im Verband Einigkeit besteht, obwohl sie keinen ausdrücklichen Niederschlag in der Satzung gefunden haben. 3. Bestimmtheitsgebot und fachlich-betriebliche Abgrenzung a) Gestaltungen in der Verbandspraxis Erheblich problematischer als die räumliche Abgrenzung der Tarifzuständigkeit von Arbeitgeberverbänden ist die fachlich-betriebliche. Sieht man sich Verbandssatzungen an, fällt zunächst auf, dass sich gerade die fachlichbetrieblichen Zuständigkeitsbestimmungen von Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften in aller Regel deutlich voneinander unterscheiden. Gewerkschaften definieren in ihren Satzungen zumeist ausführliche Zuständigkeitsbereiche, teils mit zahlreichen Untergruppen und Regelbeispielen.136 Häufig umschreiben sie ihren Zuständigkeitsbereich katalogartig sogar in gesonderten Anhängen zur Satzung.137 Die gerade in jüngerer Zeit zu beobachtende intensive Auseinandersetzung vieler Gewerkschaften mit ihren Zuständigkeitsbestimmungen ist vor allem darauf zurückzuführen, dass sie sich der Dynamik der beharrlich umstrukturierenden Unternehmen anzupassen ver133  Rieble,

FS Buchner, S. 756 (773); ebenso Löwisch / Rieble, TVG, § 2, Rn. 256. Duden, S. 1814, Stichwort „Umgebung“. 135  Vgl. oben § 9 II. 1. c). 136  Siehe etwa § 2 der Satzung der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten, abrufbar unter https: /  / www.ngg.net / unsere_ngg / ziele / satzung / (4.7.2014). 137  Siehe etwa den Anhang 1 zur Satzung von ver.di – Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft, abrufbar unter http: /  / www.verdi.de / ueber-uns / bundeskongress / down loads / ++co++004cc9cc-c73c-11e0-7b24-0019b9e321e1 (4.7.2014). 134  Vgl.



§ 9  Anforderungen

149

suchen.138 Die Zuständigkeitsbestimmungen von Arbeitgeberverbänden beschränken sich hingegen zumeist auf vergleichsweise holzschnittartige Branchenbeschreibungen, die sich in der Regel allein aus den Formulierungen der Anforderungen ergeben, die der Verband an den Mitgliedsbeitritt stellt.139 Um einige Beispiele zu nennen: Nach der Satzung des Einzelhandelsverbandes Westfalen-Münsterland erstreckt sich dessen Zuständigkeit auf „Unternehmen aller Branchen, Betriebsformen oder -größen des Einzelhandels und angrenzender Handelsund Dienstleistungsbereiche“.140 Der Bauindustrieverband Hessen-Thüringen erklärt seine Zuständigkeit für „jedes Unternehmen […], das vom Vorstand als bauindustrielle Unternehmung anerkannt wird“.141 Die Satzung des Arbeitgeberverbandes Nordostchemie nennt „Unternehmen der chemischen oder einer verwandten Industrie“.142 Der Handelsverband Bayern ist nach seiner Satzung zuständig für „alle natürlichen und juristischen Personen, Handelsgesellschaften und andere nicht rechtsfähige Personenmehrheiten, die Einzelhandel, gleich mit welchen Produkten oder Leistungen, in welcher Betriebsform und -größe und auf welchem Vertriebsweg, betreiben oder eine mit dem Einzelhandel in Zusammenhang stehende Funktion oder Dienstleistung ausüben“.143 Nach der Satzung des Verbandes der Metall- und Elektro-Industrie in Thüringen erstreckt sich dessen Zuständigkeit neben „Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie“ auch auf „artverwandte oder zugehörige Industrie-, Dienstleistungs- oder Zulieferunternehmen, insbesondere auch IT- und Optik-Unternehmen“.144 Der BDE Bundesverband der deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Rohstoffwirtschaft erklärt sich zuständig für „alle Unternehmen und Betriebe der Rieble, FS Buchner, S. 756 (758). Bestimmung des Organisationszuständigkeitsbereichs ist nicht zwangsläufig – wenngleich oftmals – deckungsgleich mit der Tarifzuständigkeit. Ob dies der Fall ist, ergibt sich aus weiteren Satzungsbestimmungen, die teils unterschied­ liche Mitgliedschaftsstufen vorsehen, insbesondere solche mit und ohne Tarifbindung. Vgl. zur Abgrenzung von Organisations- und Tarifzuständigkeit Ricken, RdA 2007, 35 (36) m. w. N. 140  § 3 Ziff. 3 der Satzung des Einzelhandelsverbandes Westfalen-Münsterland, abrufbar unter http: /  / www.ehv-wm.de / mitglied-werden / satzung / (4.7.2014). 141  § 5 Ziff. 1 der Satzung des Bauindustrieverbandes Hessen-Thüringen, abrufbar unter http: /  / www.bauindustrie-mitte.de / satzung.html (4.7.2014). 142  § 3 Ziff. 1 der Satzung des Arbeitgeberverbandes Nordostchemie, abrufbar unter http: /  / www.nordostchemie.de / nordostchemie / verbaende / agv / (4.7.2014). 143  § 3 Ziff. 2 der Satzung des Handelsverbandes Bayern, abrufbar unter http: /  /  www.hv-bayern.de / scripts / cms_view.php?id_file=1583&id_cti=3497 (4.7.2014). 144  § 3 Ziff. 2 der Satzung des Verbandes der Metall- und Elektro-Industrie in Thüringen, abrufbar unter https: /  / www.vmet.de / vwt / cms_de.nsf / vmet / satzungbei tragbeitritt.htm (4.7.2014). 138  Vgl.

139  Diese

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3. Teil: Tarifzuständigkeit

Kreislauf- und Entsorgungswirtschaft sowie der Wasser- und Abwasserwirtschaft einschließlich der mit diesen verwandten Servicebetrieben“.145 Der Kommunale Arbeitgeberverband Bayern zeichnet zuständig für „Gemeinden und Gemeindeverbände, kommunale Zweckverbände sowie andere Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts“, aber auch für „Unternehmen mit eigener Rechtspersönlichkeit, die kapitalmäßig oder tatsächlich unter maßgeblichem kommunalen Einfluß stehen“ sowie für „Organisationen und Einrichtungen, die eine enge Zusammenarbeit mit den Kommunen pflegen“.146 Es liegt auf der Hand, dass ein erheblicher Teil der voranstehenden Formulierungen stark auslegungsbedürftig ist. Was unter „angrenzende Bereiche“, „verwandte Industrien“ oder „in Zusammenhang stehende Funktionen“ fällt, erschließt sich jedenfalls nicht auf den ersten Blick. Im Folgenden wird zu untersuchen sein, welche Formulierungen noch innerhalb des zulässigen Auslegungsspielraums liegen und in welchen Fällen die Auslegung an ihre Grenzen stößt, die Grenzen des Bestimmtheitsgebots mithin überschritten sind. b) Unternehmensart Wie an den Beispielen erkennbar ist, beschränken die meisten Satzungen die Zuständigkeit des Verbandes in betrieblicher Hinsicht auf bestimmte Unternehmensarten. Hierfür werden Begriffe verwendet wie „natürliche Personen“, „juristische Personen“, „Handelsgesellschaften“, „Industrieunternehmen“, „Handwerksbetriebe“, „Dienstleistungsunternehmen“, „Gewerbebetriebe“, „Körperschaften des öffentlichen Rechts“ u. a. Hierbei handelt es sich durchweg um rechtlich belegte Begriffe. Ihre nähere Bedeutung lässt sich entweder unmittelbar aus gesetzlichen Regelungen ableiten – so etwa der Begriff der natürlichen Person aus § 1 BGB. Oder sie verfügen zumindest über eine durch Rechtsprechung oder Rechtswissenschaft entwickelte und allgemein anerkannte Definition. Gewerbe ist nach Definition des Bundesverwaltungsgerichts etwa „eine nicht sozial unwertige […], auf Gewinnerzielungsabsicht gerichtete und auf Dauer angelegte selbstständige Tätigkeit […], die nicht zur Urproduktion, zu den Freien Berufen oder zur Verwaltung eigenen Vermögens zu rechnen ist“.147 Die Definitionen von Industrie und Handwerk bestehen im Wesentlichen aus Merkmalen zur gegenseitigen Ab145  § 3 Ziff. 2 der Satzung des BDE Bundesverband der deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Rohstoffwirtschaft, abrufbar unter http: /  / www.bde-berlin.org / ?p=107 (4.7.2014). 146  § 3 der Satzung des Kommunalen Arbeitgeberverbandes Bayern, abrufbar unter http: /  / www.kav-bayern.de / index.php?id=98 (4.7.2014). 147  BVerwG 11.3.2008 NJW 2008, 1974 (1974), Rn. 5 m. w. N.



§ 9  Anforderungen

151

grenzung. Danach sind Industriebetriebe vor allem geprägt von Arbeitsteilung, ausgiebigem Einsatz technischer Hilfsmittel und vergleichsweise hohem Kapitaleinsatz, während sich Handwerksbetriebe insbesondere durch einen umfangreichen Einsatz von Beschäftigten mit handwerklicher Ausbildung und eine große Nähe des Betriebsinhabers zu den Betriebsabläufen auszeichnen.148 Hinter den genannten Begriffen stecken inhaltliche Bedeutungen, über die gemeinhin Einigkeit besteht und die aus diesem Grunde hinreichend bestimmt sind. Dass sich die Bedeutungen fachunkundigen Mitgliedern oder Dritten nicht stets ohne eine gewisse Auseinandersetzung, u. U. sogar die Inanspruchnahme von Beratung erschließen, ist unbeachtlich.149 c) Branche Wie ebenfalls an den beispielhaft aufgeführten Satzungsbestimmungen zu sehen ist, umschreiben die Arbeitgeberverbände ihre Zuständigkeit in fachlicher Hinsicht überwiegend durch vergleichsweise pauschale Branchenbegriffe. „Einzelhandel“, „Bauindustrie“, „Chemische Industrie“, „Metall- und Elektroindustrie“, „Entsorgungs-, Wasser- und Abfallwirtschaft“ sowie „Per­ sonaldienstleistungen“ sind anschauliche Beispiele. Rieble hält diese Begriffe für „aus sich heraus schwer auszulegen“.150 Er meint, die Verbandsmitglieder verfügten eher nicht über ein hinreichendes Verständnis dieser Begriffe und äußert entsprechende Zweifel an der Bestimmtheit von Satzungsbestimmungen, die derartige Begriffe verwenden. Unter Vorbehalt sieht Rieble zumindest die Möglichkeit einer hinreichenden Auslegung unter Zuhilfenahme der Klassifikation der Wirtschaftszweige des Statistischen Bundesamtes151 – „als Maßstab für ein allgemeines Begriffsverständnis“.152 Das von Rieble zugrunde gelegte restriktive Verständnis des Bestimmtheitsgebotes erscheint an dieser Stelle deutlich überzogen. Die gängigen Branchenbezeichnungen greifen in aller Regel auf Begrifflichkeiten zurück, denen durch eine verständige Würdigung ein konkreter Inhalt beigemessen werden kann. In den meisten Fällen genügt es hierfür, sich des allgemeinen 148  Vgl.

VGH Mannheim 16.12.2005 GewArch 2006, 126, insb. unter 2. a). oben § 9 II. 1. c). die Begründung zur Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte; außerdem Rieble, FS Buchner, S. 756 (773). 150  Rieble, FS Buchner, S. 756 (773). 151  Statistisches Bundesamt, Klassifikation der Wirtschaftszweige, abrufbar unter https: /  / www.destatis.de / DE / Methoden / Klassifikationen / GueterWirtschaftklassifika tionen / klassifikationwz2008_erl.pdf;jsessionid=81EC2EAE9FDA02B91FA9CF2316 EE7BA3.cae3?__blob=publicationFile (4.7.2014). 152  Rieble, FS Buchner, S. 756 (774); im Wesentlichen wortgleich Löwisch /  Rieble, TVG, § 2, Rn. 207. 149  Vgl.

152

3. Teil: Tarifzuständigkeit

Sprachgebrauchs zu bedienen und lexikalische Bedeutungen heranzuziehen. – so etwa bei dem Begriff des Einzelhandels, bei dem es sich umfassend um jenen Handelsbereich handelt, bei dem Waren dem Endverbraucher angeboten werden.153 Daher dürften darunter neben einfachen Ladengeschäften auch große Warenhäuser und Versandhändler fallen. Teils ist es darüber hinaus erforderlich, fachspezifisches Wissen heranzuziehen – etwa naturwissenschaftlicher Art, um näher bestimmen zu können, was zur Chemischen Industrie gehört. Es soll nicht bestritten werden, dass die Verwendung pauschaler Branchenbezeichnungen im Einzelfall Subsumtionsprobleme zur Folge haben kann. Freilich wird es immer Grenzfälle geben, bei denen sich über die Zuordnung zu einem allgemeinen Branchenbegriff streiten lässt. Dies rechtfertigt aber nicht den Schluss, dass es sich bei der jeweiligen Satzungsregelung um eine nicht hinreichend bestimmte handelt. Auch einer ergiebigen Auslegung ist regelmäßig immanent, dass sie keine vollständig unstreitige – über jeden Zweifel erhabene – Konkretisierung erzielt. Ganz unproblematisch sind Branchenbegriffe, die gesetzlich Niederschlag gefunden haben. So richtet sich etwa die fachliche Reichweite eines satzungsgemäß für Unternehmen der Personenbeförderung zuständigen Verbandes – vorbehaltlich abweichender Regelungen in der Satzung – nach der Begriffskonkretisierung in § 1  PBefG.154 d) „Flexible“ Erweiterungen Mehr noch als bei der räumlichen Abgrenzung versuchen die Verbände in fachlich-betrieblicher Hinsicht flexible Regelungen zu treffen, indem sie die Kernbeschreibung um offene Formulierungen ergänzen. Diese Erweiterungen knüpfen entweder an die Branche an, durch Formulierungen wie „verwandte Industrien“ oder „angrenzende Bereiche“;155 oder sie beziehen sich auf betriebsorganisatorische Verbindungen, vor allem durch die Formulierung „zugehörige Unternehmen“. Soweit an die Branche angeknüpft wird, will der Verband durch derartige Bestimmungen – gleichsam als Auffang­ regelung – seine fachliche Zuständigkeit auch auf Randbereiche der jeweiligen Branche erstrecken, um diese umfassend zu bedienen. Betriebsorganisatorische Anknüpfungen sind vor allem vor dem Hintergrund der stetig zunehmenden Auslagerungspraxis der Unternehmen156 zu sehen. Für unselbständige Betriebe ist nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsge153  Vgl. etwa Piekenbrock, Gabler Kompakt-Lexikon Wirtschaft, S. 116 f., Stichwort „Einzelhandel“ u. „Einzelhandelsunternehmung“. 154  Vgl. Löwisch / Rieble, TVG, § 2, Rn. 203 mit weiteren Beispielen. 155  Vgl. die praktischen Beispiele oben § 9 II. 3. a). 156  Hierzu schon oben § 8 II.



§ 9  Anforderungen

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richts157 und der herrschenden Meinung158 unabhängig von einer isoliert betrachteten Branchenzugehörigkeit der Verband tarifzuständig, der für das hinter dem Betrieb stehende Unternehmen insgesamt zuständig ist. Erlangt ein solcher Betrieb indes rechtliche Selbständigkeit, besteht diese Zuständigkeit grundsätzlich nicht fort, stattdessen kommt es sodann auf die Branchenzugehörigkeit des Betriebes selbst an.159 Oftmals handelt es sich bei der strukturellen Änderung um eine Maßnahme, die an der faktischen Zugehörigkeit des Betriebes zum Unternehmen nichts ändert, etwa weil trotz rechtlicher Selbständigkeit weiterhin ausschließlich Arbeiten für das Unternehmen ausgeführt werden, dem das nunmehr selbständige Unternehmen zuvor rechtlich angehörte. Durch flexible Formulierungen versuchen die Verbände, in diesen Fällen die Tarifzuständigkeit für den jeweiligen Betrieb zu erhalten. Rieble und Löwisch / Rieble halten erweiternde Formulierungen, wie die vorstehend genannten, durchweg für zu unbestimmt.160 Einzig die Kombination mit Regelbeispielen könne zu einer hinreichenden Bestimmtheit führen, allerdings nur hinsichtlich der darin ausdrücklich genannten Beispiele.161 Für hinreichend bestimmt halten Löwisch / Rieble hingegen Formulierungen, die ausdrücklich „auf die rechtliche Verbindung zu einem Unternehmen […] abstellen“ – insbesondere auf die Konzernzugehörigkeit.162 In der Tat sind die genannten Formulierungen überaus problematisch. Soweit für ihre Auslegung allein der Wortlaut zur Verfügung steht, ist eine ergiebige Auslegung in der Regel nicht möglich. Freilich kann sich aus dem Zusammenhang mit anderen Satzungsbestimmungen, die nicht primär die Tarifzuständigkeit betreffen, etwas anderes ergeben. Ebenso ist denkbar, dass die Heranziehung der Entstehungsgeschichte eine ergiebige Auslegung ermöglicht.163 In der Mehrzahl der Fälle werden sich aber aus diesen Quellen keine nennenswerten Anhaltspunkte ergeben. Wie oben festgestellt müssen Verbandsgebräuchlichkeiten und -anschauungen bei der Auslegung außer Acht bleiben.164 Ohne weitere Anhaltspunkte sind jedenfalls an die Branche anknüpfende Formulierungen wie „verwandte Industrien“ oder 157  BAG 19.2.2003 AP Nr. 17 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit; BAG 7.11.2001 AP Nr. 79 zu § 1 TVG Tarifverträge; BAG 22.11.1988 AP Nr. 5 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit. 158  Statt vieler Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2, Rn. 68 m. w. N. 159  Löwisch / Rieble, TVG, § 2, Rn. 215. 160  Löwisch / Rieble, TVG, § 2, Rn. 217; Rieble, FS Buchner, S. 756 (774). 161  Rieble, FS Buchner, S. 756 (774). 162  Löwisch / Rieble, TVG, § 2, Rn. 218. 163  Zur Berücksichtigungsfähigkeit der Entstehungsgeschichte oben § 9 II. 1. c). 164  Oben § 9 II. 1. c).

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3. Teil: Tarifzuständigkeit

„angrenzende Bereiche“ nicht hinreichend bestimmt. Das gilt gleichermaßen für den Begriff „insbesondere“, wenn er nicht zur Einleitung von ergänzenden Regelbeispielen verwendet wird, sondern der Branchenbeschreibung schlicht vorangestellt wird165 – in der Absicht, auf diese Weise die Zuständigkeit flexibel zu halten.166 Im Hinblick auf die Verwendung von Regelbeispielen scheint indes eine von der Auffassung Riebles abweichende Bewertung geboten. Wie bemerkt sieht Rieble eine hinreichend bestimmte Zuständigkeit nur für die ausdrücklich genannten Beispiele.167 Nach diesem Verständnis handelt es sich bei entsprechenden Aufzählungen aber gar nicht um Regelbeispiele, sondern um enumerative Aufzählungen der Zuständigkeitsbereiche – Regelbeispiele zeichnen sich schließlich gerade dadurch aus, dass sie nicht abschließend sind. Sie führen vielmehr dazu, dass „unbenannten, aber vergleichbaren Fällen“ dieselbe Behandlung zukommt wie den ausdrücklich aufgeführten.168 Es ist aber durchaus mit dem Bestimmtheitsgebot vereinbar, Regelbeispiele entsprechend ihrem Einsatzzweck einer nicht abschließenden Aufzählung zu verwenden. Danach können Regelbeispiele richtigerweise eine Tarifzuständigkeit auch für Unternehmen begründen, die nicht ausdrücklich beispielhaft genannt werden. Voraussetzung ist aber, dass die Regelbeispiele ihrem Inhalt und Umfang nach so verwendet werden, dass sie ein einheitliches und aussagekräftiges Bild davon zeichnen, was die Tarifzuständigkeit umfassen soll. Anders als Formulierungen, die an die Branche anknüpfen, sind an die Betriebsorganisation anknüpfende Formulierungen – insbesondere unter Verwendung des Begriffs „zugehörig“ – nicht generell gänzlich unbestimmt. Derartige Formulierungen können zumindest so ausgelegt werden, dass sie Unternehmen erfassen, die eine rechtliche Verbindung zu einem Unternehmen aufweisen, das branchenmäßig in den Zuständigkeitsbereich fällt. Entgegen der Auffassung von Rieble und Löwisch / Rieble ist hierfür keine Satzungsbestimmung erforderlich, die sich ausdrücklich auf die rechtliche Verbindung bezieht.169 Auch ohne zusätzliche Anhaltspunkte können keine ernsthaften Zweifel daran bestehen, dass der Satzungsgeber mit „zugehörigen Unternehmen“ jedenfalls die Unternehmen eines Konzerns meint. 165  Z. B. bei einer ohne weitere Zusätze versehenen Erklärung der Zuständigkeit „insb. für Unternehmen der Chemieindustrie“. 166  A. A. wohl das Bundesarbeitsgericht in BAG 10.2.2009 AP Nr. 138 zu Art. 9 GG, das in der Satzungsbestimmung einer Gewerkschaft mit der Formulierung „insbesondere in kaufmännischen und verwaltenden Berufen“ zumindest die Möglichkeit gesehen hat, dass diese Formulierung als Festlegung einer Allzuständigkeit auszulegen ist; vgl. hierzu auch oben § 9 II. 1. a). 167  Rieble, FS Buchner, S. 756 (774). 168  Vgl. Schmitz in: Joecks / Miebach, MünchKomm StGB IV, § 243, Rn. 1. 169  So Löwisch / Rieble, TVG, § 2, Rn. 218.



§ 9  Anforderungen

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4. Unwirksamkeit der Festlegung auf den jeweiligen Mitgliederbestand Eingangs wurde bereits auf BAG 18.7.2006170 Bezug genommen. In dieser Entscheidung hat das Bundesarbeitsgericht die satzungsmäßige Beschränkung der Zuständigkeit auf die jeweiligen Mitglieder des Verbandes zutreffend für nicht hinreichend bestimmt erklärt. Die damit verbundene Abhängigkeit der Tarifzuständigkeit vom Verhalten einzelner Mitglieder wäre „mit der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie und den darauf bezogenen Erfordernissen eines funktionierenden Tarifvertragssystems unvereinbar.“171 An der hinreichenden Bestimmtheit fehlte es in diesem Fall, weil der Verband durch eine derartige Regelung eine tatsächliche Bestimmung des Tarifzuständigkeitsbereichs umging, indem er dessen Umfang von der Beitrittsentscheidung der Unternehmen abhängig machte.172 Die Zulässigkeit einer solchen Regelung hätte neben der fehlenden Erkennbarkeit des Tarifzuständigkeitsbereichs für Dritte auch zur Folge, dass die Wirkungen der Tarifbindung weitgehend unterlaufen werden könnten.173 5. Zusammenfassung Die Anforderungen, die sich aus dem Bestimmtheitsgebot für Tarifzuständigkeitsregelungen ergeben, sind mit Augenmaß zu definieren – dies gebietet der dem Bestimmtheitsgebot zugrunde liegende Transparenzgedanke. Damit das Bestimmtheitsgebot seine Funktion erfüllen kann, müssen gewisse Maßgaben berücksichtigt werden. Mit einem allzu großzügigen Verständnis läuft man Gefahr, dass das Bestimmtheitsgebot ins Leere geht und ein Beitrag zur Herstellung von Transparenz ausbleibt. Aus diesem Grunde müssen etwa Verbandsgebräuchlichkeit und -anschauungen bei der Auslegung der Zuständigkeitsbestimmungen außen vor bleiben. Sehr vage Formulierungen wie „verwandte Industrien“ können aus eben diesem Grunde für sich genommen keine Zuständigkeit begründen. Andererseits besteht für ein allzu restriktives Verständnis des Bestimmtheitsgebotes kein praktisches Bedürfnis. Die Mitglieder, denen der Schutz des Bestimmtheitsgebotes vorrangig zu Gute kommen soll, wollen sich – wenn sie sich nicht bewusst für eine OT-Mitgliedschaft entscheiden – in der Regel durch 170  AP

Nr. 19 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit. 18.7.2006 AP Nr. 19 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit, Rn. 43. 172  Vgl. BAG 18.7.2006 AP Nr. 19 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit, Rn. 44; Wendeling-Schröder in: Kempen / Zachert, TVG, § 2, Rn. 222. 173  Nähe BAG 18.7.2006 AP Nr. 19 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit, Rn. 46 ff. 171  BAG

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3. Teil: Tarifzuständigkeit

ihren Beitritt gerade der Tarifmacht des Verbandes unterwerfen. Daher ist es etwa abzulehnen, die Entstehungsgeschichte der jeweiligen Satzungsbestimmung bei der Auslegung außen vor zu lassen, nur weil ihre Einbeziehung mit größerem Aufwand verbunden ist. Vor diesem Hintergrund sind auch gängige Branchenbezeichnungen in der Regel als hinreichend bestimmt anzusehen. Offene Formulierungen können zumindest im Einzelfall – mitunter jedenfalls teilweise – hinreichend bestimmt sein, etwa wenn sie durch die Ergänzung mit umfangreichen Regelbeispielen ein ergiebiges Gesamtbild zeichnen. III. Keine zusätzlichen Anforderungen Die herrschende Meinung bemisst die Tarifzuständigkeit allein anhand der Satzung, überlässt sie mithin grundsätzlich dem freien Gestaltungswillen der Verbände. Gegen diese herrschende Meinung wendet sich Ricken. Er ist der Auffassung, Arbeitgeberverbände könnten „mangels mitgliedschaftlicher Legitimation keine Verbandstarifverträge für gesamte Branchen abschließen, wenn sie im Hinblick auf diese Branchen nur sehr wenige oder gar keine Mitglieder haben“. Dann fehle „die Gewähr dafür, dass die so ausgehandelten Tarifverträge die tatsächlichen Arbeitsbedingungen wiedergeben und gestalten“.174 Dieser Auffassung liegt Rickens grundlegendes Gegenmodell zur herrschenden Meinung zugrunde, in dem er das Erfordernis der Satzungsfestlegung anerkennt, zusätzlich aber für ein objektives Kriterium plädiert: Die Tarifzuständigkeit soll generell nur für solche Bereiche bestehen können, hinsichtlich derer die Koalition über eine hinreichende mitgliedschaftliche Legitimation verfügt.175 Rickens Idee ist nicht gänzlich neu, Wiedemann hat schon 1975 vertreten, dass die wirksame Festlegung der Tarifzuständigkeit davon abhänge, dass der Verband in dem entsprechenden Bereich über Mitglieder verfüge.176 Ein für den Großhandel zuständig zeichnender Arbeitgeberverband könne, so Wiedemann, für Tarifverträge für den Versandhandel nur zuständig sein, wenn er im Versandhandel tätige Unternehmen tatsächlich zu seinen Mitgliedern zähle. Rickens These geht aber über die Wiedemanns hinaus, indem er die Tarifzuständigkeit nicht nur von der einfachen Existenz von Mitgliedern aus dem jeweiligen Bereich abhängig macht, sondern zusätzlich eine hinreichende „Repräsentativität“177 174  Ricken,

Autonomie und tarifliche Rechtsetzung, S. 155 f. Autonomie und tarifliche Rechtsetzung, S. 151 ff. 176  Wiedemann, RdA 1975, 78 (82); vgl. auch Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2, Rn. 77. 177  Vgl. Greiner, Rechtsfragen der Koalitions-, Tarif- und Arbeitskampfpluralität, S. 186. 175  Ricken,



§ 9  Anforderungen

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verlangt, die sich in einem gewissen „Organisationsgrad“ wiederspiegeln muss.178 Rickens Ansatz basiert auf der Grundannahme, dass die Fähigkeit der Koa­ litionen zur Tarifnormsetzung nur gerechtfertigt ist, soweit die jeweilige Normsetzung mitgliedschaftlich legitimiert ist. Der Staat nehme sich bei der Regelung der Arbeitsbedingungen zurück, um „interessengeleitete und inte­ ressenausgleichende“ Regelungen zu ermöglichen. Dafür aber müsse „der Einfluss der Normunterworfenen auf den vertraglichen Mechanismus im Rahmen der Normsetzung sichergestellt“ sein.179 Tarifnormsetzung soll mithin nur als „Rechtsetzung für Mitglieder“ der Grundidee der Tarifautonomie entsprechen.180 Ricken verweist darauf, dass der Tarifautonomie die Idee zugrunde liegt, dass man sich von autonomen Regelungen der Betroffenen  – insbesondere auf Grund der größeren Sachnähe – bessere Regelungen verspricht. Diese Idee setze aber voraus, dass die Normsetzung die Interessen der Betroffenen – gleichsam als „eigene Rechtsetzung der Tarifunterworfenen“ – tatsächlich widerspiegelt.181 Die besondere Sachnähe sei schließlich keine den Koalitionen per se anhaftende Eigenschaft, sondern folge aus der Mitgliedschaft konkret Betroffener. Das Legitimationserfordernis sieht Ricken in engstem Bezug zur Tarifnormsetzung der Koalition, indem er eine hinreichende mitgliedschaftliche Legitimation ganz konkret für den Geltungsbereich jedes geschlossenen Tarifvertrags verlangt. Für diesen müsse „ein solcher Organisationsgrad“ bestehen, dass „eine hinreichende Interessenberücksichtigung gewahrt ist“.182 Dies sei anzunehmen, wenn die unter den jeweiligen Geltungsbereich fallenden „Arbeitsverhältnisse von Mitgliedern der tarifschließenden Koalition repräsentativ für die dem Tarifvertrag unterfallenden Arbeitsverhältnisse sind“.183 Danach muss also in Verhältnis gesetzt werden, wie viele Arbeitsverhältnisse der Geltungsbereich insgesamt erfasst und wie viele davon zu Mitgliedern der Koalition gehören. Durchaus schlüssig und überzeugend liest sich, wie Ricken die mitgliedschaftliche Legitimation als essentielle Grundvoraussetzung der Tarifautonomie herausstellt. Insoweit steht Rickens These grundsätzlich im Einklang mit dem hier zugrunde gelegten Verständnis der Tarifautonomie. Wie sich vor allem aus den Ausführungen zur funktionalen Einordnung der tarifrechtsspezifischen Anforderungen der Tariffähigkeit184 ergibt, verfolgt der 178  Ricken,

Autonomie Autonomie 180  Ricken, Autonomie 181  Ricken, Autonomie 182  Ricken, Autonomie 183  Ricken, Autonomie 184  Oben § 6 II. 2. 179  Ricken,

und und und und und und

tarifliche tarifliche tarifliche tarifliche tarifliche tarifliche

Rechtsetzung, Rechtsetzung, Rechtsetzung, Rechtsetzung, Rechtsetzung, Rechtsetzung,

S. 164 ff. S. 149. S. 155. S. 163. S. 155. S. 165.

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3. Teil: Tarifzuständigkeit

Gesetzgeber schon mit diesen Anforderungen – jedenfalls auch – einen legitimationsstiftenden Zweck.185 Das bedeutet allerdings auch, dass dem Legitimationsbedürfnis bereits im Rahmen der Tariffähigkeitsanforderungen Rechnung getragen wird. Fraglich ist, ob es weitergehender Anforderungen bedarf. Die konkreten Anforderungen, die Ricken aus dem Legitimationserfordernis ableitet, beeinträchtigen in erheblichem Maße die kollektive Koalitionsfreiheit der Verbände. Indem ihre potentielle Tariftätigkeit auf einen eng abgesteckten Raum, dessen Rahmen durch den Mitgliederbestand definiert wird, begrenzt wird, erfahren die Verbände vor allem eine Beschränkung in ihrer Betätigungsfreiheit.186 Daraus folgt noch nicht die Unvereinbarkeit mit Art. 9 Abs. 3 GG – erweiterte Anforderungen an die Tarifzuständigkeit können als Teil der einfachgesetzlichen Ausgestaltung des Tarifrechts ebenso wie die tarifrechtsspezifischen Anforderungen der Tariffähigkeit187 verfassungskonform sein.188 So betrachtet Ricken selbst das Legitimationserfordernis als Ausfluss der „Ausgestaltungsdimension“ von Art. 9 Abs. 3 GG.189 Die Ausgestaltungsbedürftigkeit des Grundrechts der Koalitionsfreiheit wurde oben näher erläutert.190 Ziel der Ausgestaltung ist die möglichst umfassende Realisierung der Tarifautonomie. Leitbild ist dabei eine funktionsgerechte Tarifautonomie, mithin eine solche, die zuverlässige Tarifparteien gewährleistet und zugleich eine hinreichende Legitimation dieser gegenüber ihren Mitgliedern sicherstellt.191 Das von Ricken entwickelte Legitimationserfordernis fügt sich grundsätzlich in dieses Bild. Die Qualifizierung des Erfordernisses als Ausgestaltung entbindet indes nicht davon, es einer Verfassungskonformitätsprüfung zu unterziehen, die vor allem eine Verhältnismäßigkeitsprüfung beinhaltet.192 Es ergibt sich aus den voranstehenden Ausführungen, dass das Legitimationserfordernis einem legitimen Zweck dient. Es soll die der Tarifmacht unterworfenen Individuen schützen und steht so grundsätzlich im Interesse einer funktionsgerechten Realisierung der Tarifautonomie.193 Es dürften auch keine ernsthaften Zweifel daran bestehen, dass das Erfordernis nach 185  Dies dürfte unabhängig davon gelten, ob man die Tarifnormsetzungsbefugnis für vornehmlich legitimatorisch oder delegatorisch geprägt hält. 186  Vgl. Junker, ZfA 2007, 229 (238 f.). 187  Oben § 6 I. 188  Vgl. Greiner, Rechtsfragen der Koalitions-, Tarif- und Arbeitskampfpluralität, S. 187. 189  Ricken, Autonomie und tarifliche Rechtsetzung, S. 133. 190  Oben § 6 I. 191  Oben § 6 II. 192  Vgl. Oben § 6 IV. 193  Vgl. Greiner, Rechtsfragen der Koalitions-, Tarif- und Arbeitskampfpluralität, S. 187.



§ 9  Anforderungen

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dem Verständnis Rickens zur Erreichung dieses Zwecks geeignet ist. Die Koppelung der Tarifzuständigkeit an den Mitgliederbestand bietet eine erhöhte Sicherheit dafür, dass die kontrahierenden Parteien über große Sachnähe verfügen. Eine größere Gewähr hierfür als die Mitgliedschaft eines repräsentativen Teils der vom Geltungsbereich des Tarifvertrags erfassten Subjekte, kann praktisch nicht erreicht werden. Gesteigerte Sachnähe führt wiederum – jedenfalls tendenziell – zu einer erhöhten Regelungsqualität. Fraglich ist aber, ob das von Ricken postulierte Kriterium erforderlich und verhältnismäßig im engeren Sinne ist. Ricken ist der Auffassung, es sei in der Form erforderlich, weil eine Normsetzung für Dritte nicht vom Tarifautonomiegedanken gedeckt sei. Hieran bestehen Zweifel. Es ist keineswegs offensichtlich, dass jedenfalls die Tarifregelung auch für Dritte der Idee der Tarifautonomie zuwiderläuft. Wirkungen von Tarifnormen, die über die Mitglieder der kontrahierenden Tarifparteien hinausgehen, sind mitunter ausdrücklich gewollt – man denke vor allem an das Institut der Allgemeinverbindlicherklärung. Jedenfalls nach hier vertretener Auffassung kommt Tarifverträgen auch darüber hinaus eine Orientierungsfunktion zu.194 Dass Tarifverträge auf Bereiche außerhalb der Tarifbindung ausstrahlen – vor allem durch individualvertragliche Bezugnahmen und dadurch, dass sich die Rechtsprechung bei der Bestimmung der üblichen Vergütung im Sinne des § 612 Abs. 2 BGB an bestehenden Tarifverträgen orientiert – ist kein reiner Nebeneffekt195, sondern funktionaler Bestandteil der Tarifautonomie. Ricken meint, der autonomen Normsetzung komme im Hinblick auf Tarifungebunde kein Mehrwert gegenüber einer staatlichen Rechtsetzung zu, weil dann keine größere Sachnähe bei den Normsetzenden vorläge.196 Dabei verkennt Ricken zum einen, dass sich Sachnähe nicht allein aus der Existenz betroffener Mitglieder ergeben kann, sondern auch aus einer besonderen fachlichen Spezialisierung des Verbandes. Sachnähe ist nicht zwingend gleichbedeutend mit Nähe zum konkreten Sachverhalt; sie kann auch in Form einer fachlich-ab­ strakten Expertise bestehen. Ob eine solche vorliegt, hängt maßgeblich von den entscheidenden Organen im Verband ab und weniger von den einzelnen Mitgliedern. Zum andern übersieht Ricken, dass der Tarifautonomie neben der größeren Sachnähe der Tarifparteien weitere funktionale Erwägungen zugrunde liegen.197 Die autonome Regelung der Arbeitsbedingungen soll auch staatliche Institutionen entlasten und Frieden stiftende Wirkung entfalten, indem sie für Regelungen sorgt, die ein höheres Maß an Anerkennung erfahren, weil sie nicht von hoheitlicher Seite oktroyiert werden.198 194  Oben

§ 6 II. 1. b). aber u. a. Rieble / Klumpp in: Richardi, MünchHdb., § 163, Rn. 31. 196  Ricken, Autonomie und tarifliche Rechtsetzung, S. 148. 197  In diese Richtung auch Junker, ZfA 2007, 229 (241). 198  Näher oben § 6 II. 1. a). 195  So

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3. Teil: Tarifzuständigkeit

Es soll nicht in Abrede gestellt werden, dass eine Normsetzung nur für Dritte nicht im Sinne einer bestmöglichen Realisierung der Tarifautonomie ist.199 Indem Tarifverträge in den tarifungebundenen Bereich ausstrahlen, wird dadurch sicher nicht die Kernfunktion der Tarifautonomie erfüllt. Eine unmittelbare Gefahr für die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie dürfte aber darin erst einmal nicht zu sehen sein. Problematisch wäre indes, wenn die Koalitionen mit Blick auf tarifvertragliche Wirkungen außerhalb des Bereichs der Tarifbindung die Berücksichtigung der Mitgliederinteressen vernachlässigen würden. In diesem Fall bestünde in der Tat ein bedenkliches Legitimationsdefizit. Um die Mitglieder vor einem funktionswidrigen – oder sogar missbräuchlichen – Gebrauch der Tarifmacht zu schützen, stellt aber bereits die Tariffähigkeit hinreichende Anforderungen an die Koalitionen. Durch das Erfordernis der demokratischen Binnenorganisation und umfangreiche Unabhängigkeitserfordernisse wird in hinreichender Weise gewährleistet, dass die Koalitionen ihre Tarifmacht im Interesse der Mitglieder ausüben. Angesichts dessen erscheint ein zusätzliches restriktives Legitimationserfordernis nicht erforderlich. Hinzu kommt, dass ein solches Kriterium mit erheblichen rechtspraktischen Schwierigkeiten verbunden wäre, die – die Erforderlichkeit des Kriteriums unterstellt – im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne Berücksichtigung finden müssten. Neu gegründeten Verbänden würde das Legitimationserfordernis – jedenfalls bei restriktiver Handhabung – erheblich erschweren, tarifpolitisch Fuß zu fassen. Die Anforderungen müssten zumindest insofern – ähnlich wie das Bundesarbeitsgericht dies auch für das Erfordernis der sozialen Mächtigkeit bei der Gewerkschaft anerkennt200 – einen gewissen Spielraum bereit halten, damit neuen Verbänden der Zugang zum tarifpolitischen Markt nicht unverhältnismäßig erschwert würde. Daneben hätte die Anerkennung des Legitimationserfordernisses im Sinne Rickens erhebliche Rechtsunsicherheit zur Folge. Der Tarifzuständigkeitsbereich wäre einer ständigen Veränderung ausgesetzt, in einzelnen Bereichen dürften on-off-Tarifzuständigkeiten zu befürchten sein, die immerzu zwischen bestehender und fehlender Tarifzuständigkeit pendeln.201 Junker weist zu Recht darauf hin, dass diese Unsicherheiten auch zulasten des Arbeitnehmerschutzes gingen.202 Denn es wäre zu befürchten, dass sich 199  Vgl. Junker, ZfA 2007, 229 (240), nach dem die Geltung von Tarifnormen ausschließlich über individualvertragliche Bezugnahmeklauseln „jedenfalls nicht der Idealfall ausgeübter Tarifautonomie“ ist. 200  BAG 5.10.2010 AP Nr. 7 zu § 2 TVG Tariffähigkeit. 201  In diese Richtung auch Greiner, Rechtsfragen der Koalitions-, Tarif- und Arbeitskampfpluralität, S. 187; vgl. auch Junker, ZfA 2007, 229 (237), der von einem „höchst unsicheren Kriterium“ spricht. 202  Vgl. Junker, ZfA 2007, 229 (238).



§ 9  Anforderungen161

Arbeitgeber, die sich der Tarifbindung entziehen wollen, vielfach auf eine unzureichende mitgliedschaftliche Legitimation berufen würden. Greiner bemerkt zutreffend, dass in jedem Fall rechtliche Möglichkeiten geschaffen werden müssten, Informationen über den Mitgliederbestand der Koalitionen zu erhalten.203 Das von Ricken postulierte Erfordernis mitgliedschaftlicher Legitimation erscheint also angesichts hinreichender Berücksichtigung des Legitimationsbedürfnisses im Rahmen der Tariffähigkeitsanforderungen schon nicht erforderlich. Daneben sprechen gewichtige rechtspraktische Gründe gegen das Kriterium als verhältnismäßige Grundrechtsausgestaltung. Es ist daher vorzugswürdig, die Tarifzuständigkeit entgegen der Auffassung Rickens allein anhand der Verbandssatzung zu bestimmen. IV. Exkurs: OT-Mitgliedschaften OT-Mitgliedschaften wurden bereits im Rahmen des Kriteriums der Tarifwilligkeit problematisiert.204 Arbeitgeberverbände bieten diese Mitgliedschaftsformen – mittels Aufteilungs- oder Stufenmodell205 – an, um Austritte solcher Unternehmen zu verhindern, denen es nur um eine Vermeidung der Tarifbindung geht. Inwieweit OT-Mitgliedschaften im Stufenmodell wirksam sind, wurde früher überwiegend als Frage der Tarifzuständigkeit bewertet.206 Daher soll an dieser Stelle kurz auf dieses Thema eingegangen werden – indes nur im Sinne eines Exkurses.207 Denn zum einen ist die Frage der Zulässigkeit von OT-Mitgliedschaften entgegen der früher vorherrschenden Auffassung richtigerweise dogmatisch nicht der Tarifzuständigkeit zuzuordnen. Zum andern fällt sie in der Sache nur bedingt unter den Gegenstand dieser Arbeit. Denn die Unwirksamkeit einer Satzungsbestimmung, die die Möglichkeit von OT-Mitgliedschaften vorsieht, hätte nicht die 203  Vgl. Greiner, Rechtsfragen der Koalitions-, Tarif- und Arbeitskampfpluralität, S. 187. 204  Oben § 7 I. 3. 205  Näher oben § 7 I. 3. 206  BAG 23.2.2005 AP Nr. 42 zu § 4 TVG Nachwirkung unter I 2. b); BAG 23.10.1996 AP Nr. 15 zu § 3 TVG Verbandszugehörigkeit unter 2.1; Besgen, Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband ohne Tarifbindung, S. 84 ff.; Melot de Beauregard, Mitgliedschaft in Arbeitgeberverbänden und Tarifbindung, S. 132 f.; Buchner, NZA 1994, 2 (4 ff.); Löwisch, ZfA 1974, 29 (37); Reuter, RdA 1996, 201 (202); Thüsing / Stelljes, ZfA 2005, 527  (561 ff.); Wiedemann / Thüsing, RdA 1995, 280 (282). 207  Ausführliche Behandlungen bieten insbesondere zahlreiche monografische Abhandlungen, etwa Besgen, Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband ohne Tarifbindung; Melot de Beauregard, Mitgliedschaft in Arbeitgeberverbänden und Tarifbindung; Rhodius, Die OT-Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband.

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3. Teil: Tarifzuständigkeit

Unwirksamkeit eines Tarifvertrags, sondern im Gegenteil dessen erweiterte Wirksamkeit zur Folge: OT-Mitglieder unterlägen zusätzlich zu den tarifgebundenen Mitgliedern trotz entgegenstehendem Willen der Tarifbindung. Die Frage der Zulässigkeit von OT-Mitgliedschaften betrifft daher nicht die tarifrechtlichen Anforderungen an den Arbeitgeberverband als Partei wirksamer Tarifverträge. Es handelt sich dabei vielmehr um eine Frage der inhaltlichen Grenzen der Satzungsgestaltung. Wäre die Frage der Wirksamkeit von OT-Mitgliedschaften dogmatisch der Tarifzuständigkeit zuzuordnen, wäre die Wirksamkeit konkreter Satzungsgestaltungen zu OT-Mitgliedschafts-Modellen im Wege des besonderen Beschlussverfahrens nach § 97 ArbGG zu klären. Inzwischen gehen das Bundesarbeitsgericht208 und weite Teile des Schrifttums209 aber zutreffend davon aus, dass es sich dabei um eine Frage der Tarifbindung des einzelnen Mitglieds nach § 3 Abs. 1 TVG handelt. Wenn das Mitglied frei zwischen einer Mitgliedschaft mit und ohne Tarifbindung wählen kann, bleibt dies ohne jeden Einfluss auf die Tarifzuständigkeit des Verbandes. Wie das Bundesarbeitsgericht überzeugend darlegt, sind die Tarifzuständigkeit als „rechtliche Eigenschaft“ des Verbandes „als solchem“ und die Tarifgebundenheit als Eigenschaft des einzelnen Mitglieds klar voneinander zu trennen.210 Beide verfügen über unterschiedliche dogmatische Grundlagen: Während sich das Recht des Verbandes zur autonomen Festlegung der Tarifzuständigkeit als Ausfluss aus der kollektiven Koalitionsfreiheit – genauer der Betätigungsfreiheit – darstellt, folgt das Recht des einzelnen Arbeitgebers, frei zwischen Beitritt oder Nichtbeitritt zu wählen, aus der individuellen Koalitionsfreiheit.211 Die Tarifzuständigkeit bestimmt sich ausschließlich nach der Satzung, die Unterwerfung unter die Tarifbindung hängt hingegen grundsätzlich allein von der Beitrittsentscheidung des Mitglieds ab.212 Löwisch / Rieble veranschaulichen den Unterschied durch Hinweis auf die Folgen einer Allgemeinverbindlicherklärung: Diese hat zur Folge, dass der betroffene Tarifvertrag auch für OT-Mitglieder gilt, obwohl sie nach § 5 Abs. 4 TVG keinen Einfluss auf den von der Tarifzuständigkeit abhängenden Geltungsbereich hat.213 208  BAG

18.7.2006 AP Nr. 19 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit, Rn. 33 ff. in: Wiedemann, TVG, § 2, Rn. 80; § 3, Rn. 136; Löwisch / Rieble, TVG, § 2, Rn. 226 ff.; Höpfner in: Henssler / Moll / Bepler, Der Tarifvertrag, Teil 2, Rn. 154 ff.; Deinert, AuR 2006, 217 (221); Otto, NZA 1996, 624 (629); Rieble, FS Buchner, S. 756  (764), Fn. 48. 210  BAG 18.7.2006 AP Nr. 19 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit, Rn. 35. 211  BAG 18.7.2006 AP Nr. 19 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit, Rn. 36. 212  BAG 18.7.2006 AP Nr. 19 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit, Rn. 37. 213  Löwisch / Rieble, TVG, § 2, Rn. 226. 209  Oetker



§ 9  Anforderungen

163

Das Bundesarbeitsgericht hält OT-Mitgliedschaften im Rahmen des Stufenmodells214 grundsätzlich für zulässig.215 Es stellt aber strenge Anforderungen an die konkrete Ausgestaltung, deren Nichterfüllung dazu führen kann, dass die OT-Mitglieder gleichwohl tarifgebunden sind. Auch wenn dies keine unmittelbare Bedeutung für die Tarifzuständigkeit als Wirksamkeitsvoraussetzung eines Tarifvertrags hat, soll im Folgenden auf Grund der hohen praktischen Relevanz dennoch kurz darauf eingegangen werden, was die Verbände bei der Satzungsgestaltung beachten müssen, damit diese im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts steht. Diese Anforderungen werden in der Literatur teils mit dem Erfordernis einer demokratischen Binnenorganisation im Verband begründet216, teils mit dem Erfordernis der Unabhängigkeit von der Einflussnahme außenstehender Dritter217, so dass insofern auch ein Bezug zu den Anforderungen der Tariffähigkeit besteht. Das Bundesarbeitsgericht verlangt, dass für die OT-Mitgliedschaft eine klare Grundlage in der Satzung existiert.218 Die entsprechende Bestimmung muss auf Grund der konstitutiven Wirkung im Zeitpunkt der Begründung der OT-Mitgliedschaft ins Vereinsregister eingetragen sein.219 Der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts lag ein Sachverhalt zugrunde, in dem es um den Wechsel eines Vollmitglieds in eine tarifungebundene Mitgliedschaft ging. Dasselbe muss aber für den Beitritt in die OT-Mitgliedschaft durch ein vollständig neu eintretendes Unternehmen gelten.220 Die Satzungsbestimmung muss eine klare Trennung zwischen tarifgebundenen und tarifungebundenen Mitgliedern vorsehen.221 Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hat insoweit eine ausdrückliche Bestätigung durch das Bundesver214  Die Zulässigkeit von OT-Mitgliedschaften im Aufteilungsmodells ist bereits seit langem allgemein anerkannt, vgl. statt vieler Oetker in: Wiedemann, TVG, § 2, Rn. 25; dazu auch schon oben § 7 I. 3. 215  BAG 18.7.2006 AP Nr. 19 zu § 2 TVG Tarifzuständigkeit; BVerfG 1.12.2010 AP Nr. 146 zu Art. 9 GG; a. A. Deinert, AuR 2006, 217 (223); Glaubitz, NZA 2003, 140 (141 ff.); Hensche, NZA 2009, 815 (815 ff.); Thüsing / Stelljes, ZfA 2005, 527 (537 ff.), die dem Bundesarbeitsgericht im Wesentlichen entgegenhalten, OT-Mitgliedschaften seien generell nicht mit § 3 Abs. 1  TVG vereinbar und verhinderten eine Parität zwischen den Tarifparteien. 216  Löwisch / Rieble, TVG, § 2, Rn. 107 ff.; Deinert, RdA 2007, 83 (86). 217  Höpfner, ZfA 2009, 541 (549 f.); Deinert, RdA 2007, 83 (86). 218  BAG 26.8.2009 AP Nr. 28 zu § 3 TVG Verbandszugehörigkeit, Rn. 29 ff. 219  Vgl. BAG 26.8.2009 AP Nr. 28 zu § 3 TVG Verbandszugehörigkeit, Rn. 33. 220  Höpfner in: Henssler / Moll / Bepler, Der Tarifvertrag, Teil 2, Rn. 160. 221  BAG 15.12.2010 AP Nr. 50 zu § 3 TVG, Rn. 26; BAG 20.5.2009 AP Nr. 27 zu § 3 TVG Verbandszugehörigkeit, Rn. 17; BAG 22.4.2009 AP Nr. 26 zu § 3 TVG Verbandszugehörigkeit, Rn. 29; BAG 4.6.2008 AP Nr. 38 zu § 3 TVG, Rn. 39.

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3. Teil: Tarifzuständigkeit

fassungsgericht erfahren.222 Das Bundesarbeitsgericht spricht von einem „im Hinblick auf die verfassungsrechtlich geschützte Tarifautonomie erforderlichen Gleichlauf von Verantwortlichkeit und Betroffenheit hinsichtlich tarifpolitischer Entscheidungen“.223 Das bedeutet im Wesentlichen, dass satzungsmäßig sichergestellt sein muss, dass OT-Mitglieder keine Möglichkeiten der Einflussnahme auf tarifpolitische Entscheidungen haben dürfen. Insbesondere dürfen sie sich nicht an Tarifkommissionen oder ähnlichen Gremien beteiligen, bei Abstimmungen zu tarifpolitischen Gegenständen in allgemeinen Gremien dürfen ihnen keine Stimmrechte eingeräumt werden und sie dürfen den Verband in tarifpolitischen Sachverhalten nicht nach außen hin vertreten.224

222  BVerfG

1.12.2010 AP Nr. 146 zu Art. 9 GG, insb. Rn. 23. 20.5.2009 AP Nr. 27 zu § 3 TVG Verbandszugehörigkeit, Rn. 17. 224  Ausführlicher und m. w. N. Löwisch / Rieble, TVG, § 2, Rn. 107 ff. 223  BAG

4. Teil

Anforderungen in benachbarten Rechtsordnungen Flächentarifverträge sind freilich kein deutsches Phänomen. Überall dort, wo Tarifverträge zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden als Instrument zur Regelung von Arbeitsbedingungen zur Tarifpraxis gehören, muss die jeweilige Rechtspraxis einen bestimmten Umgang mit dem Arbeitgeberverband als Tarifvertragspartei pflegen. Es lohnt, hier vereinzelt genauer hinzusehen, denn ein Blick über den nationalen Tellerrand eröffnet neue Perspektiven auf die eigene Rechtsordnung und lässt mitunter Gesichtspunkte in den Fokus rücken, die bei isolierter Betrachtung des eigenen Systems übersehen werden. Es bedarf heute wohl keiner näheren Ausführungen mehr zum grundsätzlichen Mehrwert grenzüberschreitender Betrachtungen; die Bedeutung der Rechtsvergleichung für die Bewertung der na­tio­ nalen Rechtslage wird allgemein anerkannt.1 Um ein Mindestmaß an Vergleichbarkeit der zu untersuchenden Rechtsordnungen sicherzustellen2, ist es zweckmäßig, den potentiellen Vergleichskreis auf die Mitgliedstaaten des Europäischen Wirtschaftsraumes zu beschränken3 – innerhalb dieses Rechtskreises wird die Tarifautonomie durchweg anerkannt und die Tariflandschaften sind zu weiten Teilen vergleichbar4. Unter den demnach in Betracht kommenden Vergleichsobjekten beschränkt sich die folgende Untersuchung auf die Rechtsordnungen Frankreichs und des Vereinigten Königreichs. Hiermit wird der Fokus auf Länder gerichtet, die zum einen als Vertreter der – gerade auch in kollektiv-arbeits1  Grundlegend zur Bedeutung der Rechtsvergleichung etwa Rösler, JuS 1999, 1084 ff. u. 1186 ff. m. w. N.; speziell zum Nutzen der Rechtsvergleichung im kollektiven Arbeitsrecht etwa Krause, EuZA 2010, 19 (19). 2  Zum Erfordernis einer gewissen Vergleichbarkeit der Vergleichsrechtsordnungen etwa Thüsing, NZA-Beil. 2010, 104 (104 f.). 3  Das Tarifsystem der Schweiz wäre indes ebenfalls ein grundsätzlich geeignetes Vergleichsobjekt. Die Verhältnisse in der Schweiz sind zu weiten Teilen mit den deutschen Verhältnissen vergleichbar: Die schweizerische Rechtsprechung und Rechtswissenschaft haben den deutschen Tariffähigkeitsanforderungen vergleichbare Kriterien entwickelt, deren Übertragbarkeit auf den Arbeitgeberverband weitgehend ungeklärt ist, vgl. Geiser / Uhlig, ZBJV 2010, 1 (15 f.). 4  Vgl. Maschmann, FS Eich, S. 77 (77 ff.).

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4. Teil: Anforderungen in benachbarten Rechtsordnungen

rechtlicher Hinsicht – bedeutenden Rechtskreise des romanischen5 und des angloamerikanischen Raumes begreifbar sind und denen zum andern innerhalb der Europäischen Union (EU), speziell aus deutscher Perspektive, herausragende wirtschaftliche und politische Bedeutung zukommt.6 Die Zweckmäßigkeit eines Rechtsvergleichs ist gerade im Bereich des kollektiven Arbeitsrechts an strenge Auflagen geknüpft. Das kollektive ­Arbeitsrecht ist eng verwoben mit den „wirtschaftlichen und sozialen Machtverhältnissen im jeweiligen Land“.7 Aufschlussreiche wechselseitige Schlussfolgerungen sind daher nur dann von Nutzen, wenn sie neben den rechtlichen Eigenheiten auch den jeweiligen individuellen tatsächlichen Verhältnissen sorgfältig Rechnung tragen. Mit Blick auf den konkreten Gegenstand des hier vorzunehmenden Rechtsvergleichs ist zudem vor einer Rechtsvergleichung zu warnen, die den tarifsystematischen Kontext vernachlässigt. Freilich sind Rechtsfragen stets unter Berücksichtigung des Gesamtkontextes zu vergleichen – für Fragen der Tariffähigkeit gilt das aber in besonderem Maße. Denn in ihrer Funktion als Zugangskontrolle zur Tarifpolitik spiegelt die Tariffähigkeit in ihren Anforderungen sensibelst die Eigenheiten des Tarifsystems – insbesondere die Modalitäten der Wirkung von Tarifverträgen – wider. Ziel der folgenden Vergleichsbetrachtung ist weniger eine detaillierte Gegenüberstellung der einzelnen Kriterien, die Arbeitgeberverbände in den unterschiedlichen Rechtsordnungen erfüllen müssen, um Tarifverträge schließen zu können. Schwerpunktmäßig soll vielmehr ein struktureller Vergleich gezogen werden, der vor allem das Verhältnis der Anforderungen an Gewerkschaften und jener an Arbeitgeberverbände in den jeweiligen Rechtsordnungen beleuchtet.

5  Zur kollektiv-arbeitsrechtlichen Vergleichbarkeit der romanischen Länder Frankreich, Italien, Portugal und Spanien vgl. Rebhahn, NZA 2001, 763 (763). 6  Ein weiterer bedeutender Rechtskreis umfasst die skandinavischen Länder Schweden, Norwegen und Dänemark, deren Tarifsysteme oft pauschalisierend als nordisches Modell zusammengefasst werden. Diese Systeme sehen schon auf Seiten der Gewerkschaft praktisch keine besonderen Anforderungen an die Tariffähigkeit vor, vgl. Evju, EuZA 2010, 48 (51), so dass von einer Vergleichsbetrachtung wenig aufschlussreiche Erkenntnisse in Bezug auf die Tariffähigkeit deutscher Arbeitgeberverbände zu erwarten wären. 7  Deinert, ZfA 1999, 361 (362); vgl. auch Krause, EuZA 2010, 19 (19).



§ 10  Frankreich167

§ 10  Frankreich I. Das Erfordernis der Repräsentativität 1. Begriff und Anwendungsbereich In Frankreich existiert mit dem Erfordernis der Repräsentativität ein Rechtsinstitut, das mit der Tariffähigkeit vergleichbar ist.8 Anders als die Tariffähigkeit findet es gesetzlich ausdrücklich Niederschlag. Art. L.2231-1 Code  du  travail bestimmt unter dem Titel Capacité à négocier (Verhandlungsfähigkeit), dass nur repräsentative Gewerkschaften Tarifverträge schließen können. Die Vorschrift nennt auch den Arbeitgeberverband als potentielle Tarifvertragspartei, ohne indes dafür seine Repräsentativität vorauszusetzen. Nach dieser unmissverständlichen Regelung müssen Arbeitgeberverbände in Frankreich grundsätzlich nicht repräsentativ sein, um Tarifverträge schließen zu können.9 Der kollektive Tarifvertragsschluss ist auf Arbeitgeberseite nicht einmal Arbeitgeberverbänden vorbehalten, jeder wie auch immer geartete Zusammenschluss von Arbeitgebern ist grundsätzlich zum Abschluss von Tarifverträgen befugt.10 Gleichwohl ist das Erfordernis der Repräsentativität auch für Arbeitgeberverbände von signifikanter Bedeutung – namentlich in Bezug auf die Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen (Extension). Für allgemeinverbindlich erklärt werden können nur solche Tarifverträge, die durch eine paritätische Kommission verhandelt und geschlossen wurden.11 Eine solche Kommission setzt zwingend die Beteiligung eines repräsentativen Arbeitgeberverbandes voraus.12 Die Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen spielt in der französischen Tarifpraxis eine herausragende Rolle.13 In den letzten Jahren wurden jährlich jeweils annähernd 1000  Tarifverträge und damit etwa 85 bis 90 % aller geschlossenen Flächentarifverträge für allgemeinverbindlich erklärt.14

8  Damit steht Frankreich nicht allein da: Ein Repräsentativitätserfordernis existiert in unterschiedlichen Ausprägungen und mit teils unterschiedlichen Anwendungsbereichen in einigen europäischen Rechtsordnungen, insbesondere in Spanien, Belgien, Luxemburg und Griechenland, vgl. Deinert, ZfA 1999, 361 (388). 9  Pélissier / Auzero / Dockès, Droit du travail, Rn. 239. 10  Art. L.2231-1 Code  du  travail. 11  Art. L.2261-19 Code  du  travail. 12  Art. L.2261-19 Code  du  travail. 13  Vgl. Aubry, Dr. soc. 2014, 228 (229). 14  Dufresne / Maggi-Germain, WSI-Mitteilungen 2012, 534 (534 f.).

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4. Teil: Anforderungen in benachbarten Rechtsordnungen

2. Zweck: Legitimierung der erga-omnes-Wirkung Anders als in Deutschland üben französische Gewerkschaften ihre Tarifmacht generell nicht nur mit Wirkung für ihre Mitglieder aus, sondern auch für jene Arbeitnehmer, die in Deutschland als Außenseiter bezeichnet werden.15 Flächentarifverträge gelten – unabhängig von Gewerkschaftszugehörigkeiten – für alle Arbeitnehmer, die bei einem an den jeweiligen Tarifvertrag gebundenen Unternehmen beschäftigt sind.16 Auf Grund dieser ergaomnes-Wirkung geht die Tarifmacht der Gewerkschaften über ihren Mitgliederbestand hinaus. Das Ausmaß dieser „Ausstrahlung“17 wird deutlich, wenn man den Organisationsgrad und die Tarifbindung der Arbeitnehmer in Frankreich in Verhältnis zueinander setzt: Einem Organisationsgrad von 7 %18 steht eine Tarifbindung von etwa 90 %19 gegenüber.20 Die ergaomnes-Wirkung schafft ein besonderes Legitimationsbedürfnis, dessen Befriedigung das Erfordernis der Repräsentativität dient. Das wird besonders deutlich, wenn man sich das Kriterium der Audience – das wohl bedeutendste Kriterium der Repräsentativität – ansieht. Dieses bemisst sich nach dem Zuspruch, den der Verband seitens der Arbeitnehmer bzw. Arbeitgeber erhält – und nicht wie die Mächtigkeit deutscher Gewerkschaften überwiegend nach der Stärke im Verhältnis zum sozialen Gegenspieler.21 Arbeitgeberverbände hingegen üben ihre Tarifmacht grundsätzlich nur mit Wirkung für ihre Mitglieder aus. Eine darüber hinausgehende Wirkung erzielen sie nur durch Tarifverträge, die für allgemeinverbindlich erklärt werden. Nur insoweit lässt sich auch für die Tarifmacht von Arbeitgeberverbänden eine erga-omnes-Wirkung feststellen.22 Angesichts dessen sieht das französische Recht keine Notwendigkeit für ein Repräsentativitätserfordernis 15  In diesem Unterscheidungskriterium nimmt Deutschland unter den Ländern, die besondere Anforderungen an Tarifvertragsparteien stellen, eher die Ausnahmerolle ein als Frankreich; Wirkung auf Außenseiter haben Tarifverträge auch in Belgien, Luxemburg, und Österreich sowie teilweise in Spanien und Griechenland, näher Deinert, ZfA 1999, 361 (390), Fn. 216. 16  Favennec-Héry / Verkindt, Droit du travail, Rn. 196. 17  Maggi-Germain / Offerlé / Pernot, Dr. soc. 2014, 244 (245). 18  Pusch in: Hümmerich u. a., AnwaltKommentarArbR, Bd. 2, 220 Länderbericht, Rn. 34. 19  Pusch in: Hümmerich u. a., AnwaltKommentarArbR, Bd. 2, 220 Länderbericht, Rn. 45. 20  Allerdings ist diese Diskrepanz nicht allein auf die erga-omnes-Wirkung der gewerkschaftlichen Tarifmacht zurückzuführen, sondern daneben auch auf die in Frankreich typischerweise große Zahl von Allgemeinverbindlicherklärungen, vgl. oben § 10 1. a). 21  Näher unten § 10 II. 2. g). 22  Vgl. Maggi-Germain / Offerlé / Pernot, Dr. soc. 2014, 244 (245).



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beim Arbeitgeberverband als Voraussetzung eines einfachen Tarifvertragsschlusses23 –, sondern erst als Voraussetzung der Allgemeinverbindlich­erklä­ rung, da nur insoweit auch auf Arbeitgeberseite ein gesteigertes Legitima­ tionsbedürfnis besteht. II. Repräsentativität von Arbeitgeberverbänden: Die einzelnen Kriterien Was die Anforderungen der Repräsentativität betrifft, befindet sich das französische Tarifrecht in einer Umbruchphase. Bis vor wenigen Jahren existierte keine ausdrückliche gesetzliche Regelung der einzelnen Kriterien. Durch das Loi du 20 août 2008 portant rénovation de la démocratie so­ciale et réforme du temps de travail24 (Gesetz vom 20.  August  2008) wurde in Art. L.2121-1 Code du travail eine ausführliche Regelung der Repräsentativität von Gewerkschaften getroffen. Jüngst wurde mit dem Loi du 5 mars 2014 relative à la formation professionnelle, à l’emploi et à la démocratie sociale25 (Gesetz vom 5.  März  2014) eine vergleichbare Regelung für Arbeitgeberverbände eingeführt. 1. Rechtslage vor dem Gesetz vom 5. März 2014 Ein kurzer Blick auf den Status quo ante ist nicht nur zwecks besseren Verständnisses der künftigen Rechtslage sinnvoll, er ist vielmehr geboten, weil die neue Regelung erst ab dem Jahr 2017 vollständig zur Anwendung kommt. Erst dann wird – im Gleichlauf mit den Gewerkschaften – zum ersten Mal die Audience der Arbeitgeberverbände nach den neuen Grundsätzen festgestellt.26 Bis dahin wird die bisherige Rechtspraxis fortgeführt.27 Bisher wird die Repräsentativität der Arbeitgeberverbände maßgeblich durch die Verwaltung und die Gerichte bestimmt.28 Dabei muss differen23  Wenngleich dies in der Literatur von einzelnen gefordert wird, vgl. insb. Maggi-Germain, Dr. soc. 2011, 1072 (1080); Teyssié / Cesaro / Martinon, JCP S 2011 (1102), 11  (12 f.). 24  „Gesetz zur Erneuerung der sozialen Demokratie und Reformierung der Arbeitszeit“, veröffentlicht im Journal officiel de la République française vom 21. August  2008, S. 13064. 25  „Gesetz zur Berufsausbildung, Beschäftigung und sozialen Demokratie“, veröffentlicht im Journal officiel de la République française vom 6.  März  2014, S. 4848. 26  Gesetz vom 5.  März  2014, Art. 29 VI. 27  Vgl. Antonmattei, Dr. soc. 2014, 233 (234 f.), insb. Fn. 16. 28  Aubry, Dr. soc. 2014, 228 (228 ff.).

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4. Teil: Anforderungen in benachbarten Rechtsordnungen

ziert werden zwischen den Ebenen, auf denen in Frankreich Tarifverträge geschlossen werden können. Anders als in Deutschland, wo die Tariffähigkeit grundsätzlich ein absolutes Recht darstellt29, wird die Repräsentativität stets nur in Bezug auf die jeweilige Ebene beurteilt. Flächentarifverträge können in Frankreich auf Branchenebene und branchenübergreifend auf nationaler Ebene geschlossen werden.30 Auf nationaler Ebene – d. h. für den Abschluss von landesweit für alle Branchen geltenden Tarifverträgen – sind bisher nur die drei großen Arbeitgeberverbände Medef, CGPME und UPA als repräsentativ anerkannt. Ihre Anerkennung basiert auf einer hoheitlichen Entscheidung des Ministeriums für Arbeit, Beschäftigung und sozialen Dialog, für die keine normative Grundlage existiert.31 Auf Branchenebene gibt es bisher keinen besonderen Anerkennungsakt. Die Repräsentativität der Verbände basiert, wie grundsätzlich auch in Deutschland, auf der gegenseitigen Anerkennung der Sozialpartner. Nur im Fall von Streitigkeiten – insbesondere anlässlich angestrebter Allgemeinverbindlicherklärungen – findet eine gerichtliche Überprüfung der Repräsentativität statt.32 Diese stellt auf verschiedene in Rechtsprechung und Literatur entwickelt Kriterien ab, zuvorderst auf die Mitgliederzahl des Verbandes.33 Seit der ausführlichen Regelung der Repräsentativität der Gewerkschaften  durch das Gesetz vom 20.  August  2008 wurde darüber gestritten, ob sich auch die Repräsentativität des Arbeitgeberverbandes nach den in Art. L.2121-1 Code  du  travail eingeführten Kriterien richten müsse.34 Einer unmittelbaren Anwendbarkeit stand indes vor allem entgegen, dass das Kriterium der Audience in den Art. L.2122-1 ff. Code  du  travail klar auf die Gewerkschaft ausgerichtet ist, weil es sich nach den Ergebnissen der Arbeitnehmervertreterwahlen in den Unternehmen und Betrieben richtet. Mit dem Gesetz vom 5.  März  2014 hat sich der Streit erledigt, künftig existiert in Art. L.2151-1 Code  du  travail eine Regelung eigens für die Repräsentativität von Arbeitgeberverbänden.

29  Einschränkungen sind nur insoweit zu machen, als sich die Mächtigkeit eines Verbandes mit Blick auf den jeweiligen Tarifzuständigkeitsbereich bemisst. 30  Näher Schwarzbach, Die Geltung von Tarifverträgen in Frankreich, S. 45 ff. 31  Aubry, Dr. soc. 2014, 228 (229); Chassang, Dr. soc. 2014, 260 (260). 32  Aubry, Dr. soc. 2014, 228 (229 ff.). 33  Etwa Conseil d’État, 6.9.2013 N˚  370627, Dr. soc. 2013, 1016; vgl. auch Héas, Dr. soc. 2014, 198 (198 u. 202). 34  Bejahend etwa Héas, RDT 2011, 91 (95).



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2. Rechtslage nach dem Gesetz vom 5. März 2014 Mit dem Gesetz vom 5. März 2014 hat der französische Gesetzgeber eine Regelung der Anforderungen der Repräsentativität von Arbeitgeberverbänden getroffen, die zu weiten Teilen mit der bereits bestehenden Regelung für Gewerkschaften vergleichbar ist. Art. L.2151-1 Code  du  travail führt nun diejenigen Voraussetzungen auf, die ein Arbeitgeberverband erfüllen muss, um repräsentativ zu sein. Neben der ausdrücklichen Festlegung konkreter Kriterien besteht eine bedeutende Veränderung darin, dass die Repräsentativität künftig nicht mehr zunächst schon bei gegenseitiger Anerkennung der Sozialpartner vorliegt, sondern – wie auch bei den Gewerkschaften  – periodisch festgestellt wird.35 Im Folgenden werden die einzelnen Kriterien überblicksweise dargestellt36 und zugleich einem kurzen Vergleich mit den Anforderungen der Tariffähigkeit unterzogen.37 a) Achtung republikanischer Werte Die Repräsentativität des Arbeitgeberverbandes setzt als erstgenanntes Kriterium die Achtung republikanischer Werte voraus.38 Historischer Vorläufer dieses Kriteriums ist das Erfordernis der patriotischen Haltung während der Besatzungszeit, dem allerdings schon vor den 2008 beginnenden Reformen keine praktische Bedeutung mehr zukam.39 Das Kriterium ist offenkundig schwer greifbar. Es gewinnt aber an Gestalt, wenn man die position commune vom 9.  April  2009 zur Hilfe nimmt40, nach der es die Maggi-Germain / Offerlé / Pernot, Dr. soc. 2014, 244 (246). Ermangelung kommentierender Bearbeitungen zu den erst jüngst verabschiedeten Regelungen in Art. 2151-1 ff. Code  du  travail wird im Folgenden – soweit die Einheitlichkeit der Regelungen es zulässt – teils auf Bearbeitungen zu den Regelungen der Repräsentativität der Gewerkschaft in Art. 2121-1 Code  du  travail Bezug genommen. 37  Ein ausführlicherer Vergleich – allerdings der Anforderungen an die Gewerkschaft – findet sich bei Intrup-Dopheide, Tariffähigkeit, Gewerkschaftspluralität und Tarifmehrheiten in Frankreich, S. 157 ff. 38  Art. L.2151-1, 1˚ Code du travail. 39  Lardy-Pélissier / Pélissier / Roset / Tholy, Le Nouveau Code du Travail Annoté, S. 474; Pélissier / Auzero / Dockès, Droit du travail, Rn. 987. 40  Die „Position commune du 9 avril 2008 sur la représentativité, le développement du dialogue social et le financement du syndicalisme“, abrufbar unter http: /  /  www.cgt.fr / IMG / pdf_Position_commune.pdf (4.7.2014) ist eine gemeinsame Stellungnahme der Gewerkschaftsverbände CGT und CFDT sowie der Arbeitgeberverbände MEDEF und CGPME mit konkreten Vorschlägen zur Gestaltung einer gesetzlichen Regelung der Repräsentativitätsanforderungen an Gewerkschaften. Da das 35  Vgl. 36  In

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4. Teil: Anforderungen in benachbarten Rechtsordnungen

Achtung der Meinungsfreiheit in politischer, weltanschaulicher und konfessioneller Hinsicht sowie die Ablehnung jeder Form von Diskriminierung, Fundamentalismus und Intoleranz umfasst.41 Das Kriterium weist eine Schnittmenge mit dem in Deutschland an die Tariffähigkeit gestellten Rechts­ treueerfordernis auf, das vor allem die Anerkennung staatlichen Tarif-, Schlichtungs- und Arbeitskampfrechts verlangt, nach zutreffender Auffassung daneben aber auch ein „Bekenntnis zur freiheitlichen Grundordnung“42 voraussetzt.43 Das deutsche Erfordernis geht indes deutlich über das französische hinaus – ein Tarifrechtstreueerfordernis ist dem französischen Tarifrecht grundsätzlich fremd.44 b) Unabhängigkeit Weitere Voraussetzung der Repräsentativität des Arbeitgeberverbandes ist seine Unabhängigkeit.45 Mangels näherer Umschreibung durch das Gesetz oder die position commune vom 9. April 2009 ist dieses Kriterium von einer umfassenden Konkretisierung durch Rechtsprechung und Literatur abhängig. In der Literatur wird hinsichtlich der Gewerkschaft vor allem Unabhängigkeit von der Arbeitgeberseite verlangt46 – daneben aber teils auch Unabhängigkeit im Verhältnis zum Staat und zu politischen Parteien47. Das Kriterium ist zu weiten Teilen vergleichbar mit den Unabhängigkeitserfordernissen der Tariffähigkeit. c) Finanzielle Transparenz In engem Zusammenhang zum Unabhängigkeitserfordernis steht das Erfordernis finanzieller Transparenz48, weil beide darauf abzielen sicherzustelGesetz vom 20. August 2008 die Vorschläge der position commune zu weiten Teilen übernommen hat, ist sie bei der Gesetzesauslegung zu berücksichtigen, vgl. Pélissier / Auzero / Dockès, Droit du travail, Rn. 979 u. 987. Soweit sich Art. L.2121-1 und Art. L.2151-1 Code du travail entsprechen, kann die position commune freilich auch bei der Auslegung des Art. L.2151-1 Code  du  travail herangezogen werden. 41  Art. 1 Abs. 6 der position commune. 42  Gamillscheg, KollArbR I, S. 409. 43  Oben § 7 VIII. 3. 44  Vgl. Intrup-Dopheide, Tariffähigkeit, Gewerkschaftspluralität und Tarifmehrheiten in Frankreich, S. 159. 45  Art. L.2151-1, 2˚ Code du travail. 46  Cœuret / Gauriau / Miné, Droit du travail, Rn. 874; Pélissier / Auzero / Dockès, Droit du travail, Rn. 988. 47  Etwa Teyssié, Droit du travail – Relations collectives, Rn. 65. 48  Art. L.2151-1, 3˚ Code du travail.



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len, dass die Verbände grundsätzlich frei von externer Beeinflussung agieren.49 Die eigenständige Bedeutung des Transparenzerfordernisses ergibt sich indes mit Blick auf Art. L.2135-1 ff. Code du travail, wonach Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften Jahresabschlüsse nach konkreten Vorgaben erstellen und umfangreiche Offenlegungspflichten erfüllen müssen. Hintergrund dieser Anforderungen sind schlechte Erfahrungen mit der Finanzierung der Verbände in Frankreich. Französische Verbände sind nicht in der Lage, in ausreichendem Maße Finanzmittel aus Mitgliedsbeiträgen zu generieren. Das gilt wegen des geringen Organisationsgrades50 in besonderem Maße für die Gewerkschaften51; aber auch Arbeitgeberverbände finanzieren sich nur zu etwa 80 % aus Mitgliedsbeiträgen52. Die Angewiesenheit der Verbände auf zusätzliche Finanzmittel hat in der jüngeren Vergangenheit zu undurchsichtigen Finanzierungen bis hin zu Skandalen um schwarze Kassen und arbeitgeberseitig finanzierte Gewerkschaften geführt.53 In Deutschland wird finanzielle Unabhängigkeit von der Gegenseite als Bestandteil der Gegnerunabhängigkeit vorausgesetzt.54 Darüber hinaus verlangt die deutsche Tariffähigkeit keine besonderen Offenlegungspflichten oder dergleichen. Hierfür dürfte auch keine zwingende Notwendigkeit bestehen, weil sich die deutschen Verbände ganz wesentlich über Mitgliederbeiträge finanzieren.55 d) Bestandsdauer von mindestens zwei Jahren Die Repräsentativität von Arbeitgeberverbänden setzt weiter eine Mindestbestandsdauer des Verbandes von zwei Jahren im jeweiligen fachlichen und geografischen Tarifbereich voraus.56 Dieses Kriterium schließt neu gegründete Verbände unabhängig von ihren übrigen Eigenschaften von der Teilnahme an der Tarifautonomie aus.57 Die deutsche Tariffähigkeit kennt Pélissier / Auzero / Dockès, Droit du travail, Rn. 989. § 10 I. 2. 51  Vgl. Intrup-Dopheide, Tariffähigkeit, Gewerkschaftspluralität und Tarifmehrheiten in Frankreich, S. 166. 52  Bois, Dr. soc. 2014, 204 (205). 53  Siehe etwa Davet / Lhomme, Le scandale de l’UIMM sera jugé devant le tribunal, in: Le  Monde vom 29.  August  2012, abrufbar unter http: /  / www.lemonde. fr / societe / article / 2012 / 08 / 29 / le-scandale-de-l-uimm-sera-juge-devant-le-tribunal_ 1752614_3224.html (4.7.2014). 54  Oben § 7 V. 55  Vgl. Intrup-Dopheide, Tariffähigkeit, Gewerkschaftspluralität und Tarifmehrheiten in Frankreich, S. 166. 56  Art. L.2151-1, 4˚ Code du travail. 57  Den bislang auf nationaler Ebene als repräsentativ anerkannten Arbeitgeberverbänden geht die Regelung teils gleichwohl nicht weit genug; sie schlagen eine 49  Vgl.

50  Oben

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4. Teil: Anforderungen in benachbarten Rechtsordnungen

kein vergleichbares Kriterium – auch sehr junge Verbände können prinzi­ piell tariffähig sein.58 Das verfassungsrechtliche Erfordernis, nach dem deutsche Koalitionen auf Dauer angelegt sein müssen59, macht zwar eine zeitliche Komponente zur Voraussetzung der Tariffähigkeit, weist aber bei genauer Betrachtung kaum Vergleichbarkeit mit dem französischen Erfordernis der Mindestbestandsdauer auf. Bereits äußerlich unterscheiden sich beide Kriterien evident, weil sich das deutsche Erfordernis auf die Zukunft bezieht, während das französische Kriterium die Vergangenheit betrachtet.60 Das ist kein Zufall, sondern funktional bedingt: Das deutsche Erfordernis soll nur die Abgrenzung vom „Augenblicksverband“ gewährleisten61; entsprechend gering sind die konkreten Anforderungen, die sich aus dem Erfordernis ergeben.62 Das französische Kriterium indes soll sicherstellen, dass die Verbände über ein Mindestmaß an Erfahrung verfügen und so eine gewisse tarifpolitische Eignung gewährleisten.63 Zu diesem Zweck hält es eine restriktive Vorgabe bereit, deren Einhaltung auf Grund ihres Bezugs zur Vergangenheit klar messbar ist. Funktional weist das französische Erfordernis damit eher eine Nähe zum in Deutschland an die Gewerkschaft gestellten Mächtigkeitserfordernis auf – erfahrene Verbände sind schließlich in der Regel auch stärkere Verbände. Die Bestandsdauer muss auf einen bestimmten fachlichen und räumlichen Tarifbereich bezogen sein. Insoweit bestehen auch Parallelen zum deutschen Erfordernis der Tarifzuständigkeit: Eine Gewerkschaft, die über zwei Jahre Bestand hat, bislang aber in einem anderen räumlichen oder fachlichen Bereich tätig war, ist insoweit nicht repräsentativ – mangels Zuständigkeit könnte man ergänzen. Morin liest in Art. L.2121-1, 4˚ Code du travail eigens ein Zuständigkeitserfordernis hinein und behandelt dieses grundsätzlich getrennt vom Erfordernis der Mindestbestandsdauer.64 Die Vergleichbarkeit wird in funktionaler Hinsicht bestätigt: Das Bestandsdauererfordernis sichert durch seine Bereichsbezogenheit, dass nur solche Verbände repräsentativ fünfjährige Mindestbestandsdauer als angemessene Hürde vor, vgl. Roy, Dr. soc. 2014, 256 (256). 58  Die größte Hürde für junge Gewerkschaften besteht in der Regel im Erfordernis der sozialen Mächtigkeit. 59  Oben § 5 II. 2. 60  Vgl. Intrup-Dopheide, Tariffähigkeit, Gewerkschaftspluralität und Tarifmehrheiten in Frankreich, S. 166. 61  Vgl. Löwer in: Münch / Kunig I, Art. 9, Rn. 37; Scholz in: Maunz / Dürig, Art. 9, Rn. 65. 62  Näher oben § 5 II. 2. 63  Vgl. Intrup-Dopheide, Tariffähigkeit, Gewerkschaftspluralität und Tarifmehrheiten in Frankreich, S. 166. 64  Morin, Dr. soc. 2011, 62 (67 f.).



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sind, die über Erfahrungen mit der konkreten Materie verfügen. Das geht funktional in dieselbe Richtung wie die Sachnähegewährleistung der Tarifzuständigkeit.65 e) Einfluss Ein repräsentativer Arbeitgeberverband muss ferner Einfluss haben, der sich vorrangig in Aktivität und Erfahrung des Verbandes niederschlagen soll.66 Trotz der Spezifizierung ist das Erfordernis vergleichsweise vage.67 Wie das Erfordernis der Bestandsdauer weist auch dieses Kriterium Parallelen zum deutschen Mächtigkeitserfordernis, genauer dem Erfordernis der Durchsetzungsfähigkeit auf, das indes nur die Gewerkschaft erfüllen muss.68 Für die Beurteilung der Durchsetzungsfähigkeit kann das bisherige Tarifverhalten einer Gewerkschaft von entscheidender Bedeutung sein.69 f) Zusätzliche ebenenabhängige Kriterien Art. L.2152-1 ff. Code  du  travail formulieren zusätzliche Anforderungen an die Repräsentativität von Arbeitgeberverbänden, die sich abhängig von der Tarifebene unterscheiden. Auf Branchenebene wird verlangt, dass der Verband über eine ausgewogene territoriale Präsenz („implantation territo­ riale équilibrée“) innerhalb der Branche verfügt.70 Nach Combrexelle soll durch dieses Kriterium sichergestellt werden, dass der Verband über Mitglieder in den Regionen verfügt, in denen die Unternehmen der jeweiligen Branche am stärksten präsent und verwurzelt sind.71 Der Verband soll – 65  Hierzu

oben § 8 III. 5˚ Code du travail. 67  Das Fehlen konkreter Mindestanforderungen im Rahmen des Kriteriums wird – insbesondere seitens der national etablierten Arbeitgeberverbände – auch kritisiert, vgl. etwa Tellier, Dr. soc. 2014, 254 (255). 68  Oben § 7 III. 4. 69  Vgl. oben § 7 III. 1. 70  Art. L.2152-1, 2˚ Code du travail. 71  Combrexelle, Rapport sur la réforme de la représentativité patronale, S. 43, abrufbar unter http: /  / www.ladocumentationfrancaise.fr / var / storage / rapports-publics / 134000707 / 0000.pdf (4.7.2014). Der von Jean-Denis Combrexelle im Auftrag des Ministeriums für Arbeit, Beschäftigung und sozialen Dialog angefertigte Bericht bildet die wesentliche Grundlage für die Neuregelung der Repräsentativität der Arbeitgeberverbände durch das Gesetz vom 5. März 2014, vgl. Exposé des motifs zum Gesetz vom 5. März 2014, unter L’article 16, abrufbar unter http: /  / www.legifrance. gouv.fr / affichLoiPubliee.do;jsessionid=C57C66F907D7305471B1711213500D3D.tp djo13v_2?idDocument=JORFDOLE000028505680&type=expose&typeLoi=&legisla ture=14 (4.7.2014). 66  Art. L.2151-1,

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gemessen an den Gesamtverhältnissen in der jeweiligen Branche – nicht in einzelnen Regionen überrepräsentiert, gleichzeitig aber in anderen Regionen kaum präsent sein. Auf nationaler branchenübergreifender Ebene müssen dem Verband repräsentative Verbände aus allen vier großen Wirtschaftssektoren angehören, namentlich der Industrie, der Bauwirtschaft, dem Handel und dem Dienstleistungsbereich.72 Neben der Branchenebene und der nationalen branchenübergreifenden Ebene wird durch das Gesetz vom 5.  März  2014 mit der nationalen multi­ sektoralen Ebene eine neue Ebene anerkannt. Diese betrifft Verbände, die zwar nicht alle Sektoren bedienen, gleichwohl aber einen erheblichen Teil der nationalen Wirtschaft abdecken73 – und unter Hinweis auf diesen Umstand schon seit einigen Jahren Zugang zur nationalen Tarifebene forderten74. Um auf nationaler Ebene repräsentativ zu sein, müssen diese Verbände über repräsentative Mitgliedsverbände in mindestens zehn Branchen verfügen, die nicht zugleich durch nationale branchenübergreifende Verbände abgedeckt sind75; ihnen müssen mindestens fünfzehn Verbände aus bestimmten im Gesetz näher bezeichneten Wirtschaftssektoren angehören76; schließlich müssen sie über eine abdeckende territoriale Präsenz verfügen, die sich über wenigstens ein Drittel des französischen Staatsgebiets erstreckt77. Das deutsche Tarifrecht kennt keine entsprechenden ebenenabhängigen Anforderungen. In der deutschen Tariflandschaft existieren zwar auch Tarifverträge mit stark unterschiedlichen fachlichen und geografischen Geltungsbereichen, eine dem französischen System vergleichbare kategorische Einteilung ist dem deutschen Tarifrecht aber fremd. Die Tariffähigkeit ist anders als die Repräsentativität vielmehr eine grundsätzlich uneingeschränkte Befugnis. Das bedeutet indes nicht, dass die Tariffähigkeit generell mit umfangreicheren Rechten verknüpft ist als die Repräsentativität – man kann auch nicht davon sprechen, dass die Tariffähigkeit auf Grund ihrer prinzipiellen Uneingeschränktheit allein mit der nationalen branchenübergreifenden Repräsentativität vergleichbar wäre. Denn die Tariffähigkeit findet ihre Grenzen zum einen in der Tarifzuständigkeit – wobei dies eher 72  Art. L.2152-4,

2˚ Code du travail. geht namentlich um die Verbände UDES, UNAPL und FNSEA. Die Zielgruppe der UNAPL, die Unternehmen im Bereich der freien Berufe, macht z. B. 27 % der Unternehmen Frankreichs aus und beschäftigt insgesamt etwa eine Million Arbeitnehmer, vgl. Chassang, Dr. soc. 2014, 260 (260). 74  Vgl. Chassang, Dr. soc. 2014, 260 (260 f.). 75  Art. L.2152-2, 2˚ Code du travail. 76  Art. L.2152-2, 3˚ Code du travail. 77  Art. L.2152-2, 4˚ Code du travail. 73  Es



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zu vernachlässigen ist, weil die Tarifzuständigkeit von den Verbänden autonom festgelegt wird. Zum andern – dies ist von größerer Bedeutung – berechtigt die Tariffähigkeit nur zum Abschluss von Tarifverträgen, die unmittelbar ausschließlich für die Mitglieder der Tarifvertragsparteien gelten. Anders die Repräsentativität, die auf Grund der erga-omnes-Wirkung auch unmittelbar für nicht- sowie andersorganisierte Arbeitnehmer gilt.78 Vor diesem Hintergrund sind die besonderen ebenenabhängigen Anforderungen zu sehen. g) Audience In seiner konkreten Ausgestaltung desgleichen ebenenabhängig ist das Kriterium der Audience, das in der Auflistung des Art. L.2151-1 Code du travail genannt ist, aber erst durch die Art. L.2152-1 und L.2152-4. Code du travail konkretisiert wird. Eine treffende Übersetzung lässt sich für die Audience nur schwer finden. Zumfelde / Remy bieten mit dem Begriff „Anklang“ eine anschauliche Übersetzung an.79 Gleichwohl wird im Folgenden, um übersetzungsbedingte Ungenauigkeiten zu vermeiden, der französische Begriff verwendet.80 Der Audience kommt unter den Kriterien der Repräsentativität herausragende Bedeutung zu. Sie macht die Repräsentativität des Arbeitgeberverbandes von seiner Mitgliederstärke abhängig. Auf Branchenebene müssen Verbände mindestens 8 % aller innerhalb der jeweiligen Branche organisierten Unternehmen zu ihren beitragszahlenden Mitgliedern zählen81; auf nationaler Ebene müssen es mindestens 8 % aller insgesamt kollektiv organisierten Unternehmen sein82. Die Audience der Arbeitgeberverbände wird alle vier Jahre im Gleichlauf mit der Audience der Gewerkschaften festgestellt.83 Im Vorfeld der Reform durch das Gesetz vom 5. März 2014 wurde intensiv über die Bemessungsgrundlage der Audience diskutiert. Als Alternative zur Mitgliederstärke stand zur Debatte, die Audience – wie bei den Gewerk78  Zur

erga-omnes-Wirkung schon oben § 10 I. 2. NZA 2009, 186 (187) – anschaulich, weil die Verbände auf messbaren „Anklang“ bei den Arbeitnehmern bzw. Arbeitgebern stoßen müssen. 80  So wird es in der deutschen rechtsvergleichenden Literatur überwiegend gehandhabt, etwa Intrup-Dopheide, Tariffähigkeit, Gewerkschaftspluralität und Tarifmehrheiten in Frankreich, S. 42, Fn. 99 oder auch Zumfelde / Remy, NZA 2009, 186 (187) selbst, die auf die Übersetzungsmöglichkeit „Anklang“ nur einmalig in Klammern hinweisen, in der Folge indes ebenfalls bei der Begrifflichkeit „Audience“ verbeiben. 81  Art. L.2152-1, 3˚ Code du travail. 82  Art. L.2152-4, 3˚ Code du travail. 83  Art. L.2152-1, 3˚ u. L.2152-4, 3˚ Code du travail. 79  Zumfelde / Remy,

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schaften84 – durch Wahlen zu ermitteln.85 Die Entscheidung des Gesetzgebers für die Mitgliederstärke als Bemessungsgrundlage wird teils erheblich kritisiert.86 Grundsätzliche Befürworter einer Beurteilung nach der Mitgliederstärke bemängeln, dass die Beschäftigtenzahlen der Unternehmen keine Berücksichtigung finden. Dass jedes Unternehmen unabhängig von seinen Beschäftigtenzahlen in gleichem Maße zählt, könne dazu führen, dass ein Verband als unrepräsentativ bewertet wird, obwohl er die Mehrzahl aller Beschäftigten einer Branche umfasst.87 Dieser Einwand wird zumindest entschärft durch das auf Arbeitgeberseite ebenfalls neu eingeführte Oppositionsrecht nach Art. L.2261-19, al.  3 Code  du  travail. Danach können sich Verbände, deren Mitglieder mehr als 50 % der betroffenen Arbeitnehmer beschäftigen, gegen die Allgemeinverbindlicherklärung eines Tarifvertrags stellen. Die Audience als bedeutendstes Kriterium der Repräsentativität weist eine begrenzte Vergleichbarkeit mit dem in Deutschland nur für die Gewerkschaft geltenden Erfordernis der Durchsetzungsfähigkeit auf. In der Regel korreliert die Mitgliederstärke eines Verbandes zumindest tendenziell mit seiner Durchsetzungsfähigkeit. Die Audience gewährleistet somit, dass nur Verbände mit einer gewissen Stärke repräsentativ sind. Allerdings ist dies nicht der zentrale Zweck des Kriteriums der Audience. Wie die Repräsentativität insgesamt dient ganz besonders das Kriterium der Audience dem Zweck, die durch die erga-omnes-Wirkung bedingte – dem Arbeitgeberverband nur mit Blick auf allgemeinverbindliche Tarifverträge zukommende – umfangreiche Tarifmacht zu legitimieren.88 Deshalb bestimmt sich die Audience mit ihrer Bemessungsgrundlage der Mitgliederstärke allein im Verhältnis zu den Arbeitnehmern, während die Durchsetzungsfähigkeit der

84  Für die Gewerkschaften bemisst sich die Audience nach ihrem Ergebnis bei den Wahlen der Arbeitnehmervertreter in den Unternehmen und Betrieben, wobei das Ergebnis des ersten Wahlganges, unabhängig von der Wahlbeteiligung, maßgeblich ist. Auf Unternehmens- / Betriebsebene müssen mindestens 10 % der Stimmen erreicht werden, auf Branchen- und nationaler Ebene sind 8 % erforderlich, Art. L.2122-1 ff. Code  du  travail. 85  Näher Antonmattei, Dr. soc. 2014, 233 (234). 86  Insb. von Maggi-Germain / Offerlé / Pernot, Dr. soc. 2014, 244 (247 ff.); vgl. auch Braun, Dr. soc. 2014, 262 (263) m. w. N. in Fn. 4. Ein zentraler Kritikpunkt bemängelt fehlende Transparenz, etwa weil bei gleichzeitiger Mitgliedschaft von Unternehmen in mehreren Verbänden – was vielfach der Fall ist – die Verbände auf nationaler Ebene nach Art. L.2152-4, 3˚ Code  du  travail selbst entscheiden, welches Unternehmen für welchen Verband bei der Beurteilung der Audience zählen soll, vgl. Braun, Dr. soc. 2014, 262  (263). 87  Vgl. Tellier, Dr. soc. 2014, 254 (255). 88  Hierzu schon oben § 10 I. 2.



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Gewerkschaft in Deutschland maßgeblich im Verhältnis zum sozialen Gegenspieler beurteilt wird89. Vom repräsentativen Arbeitgeberverband wird – anders als bei der Gewerkschaft90 – nicht als gesondertes Kriterium verlangt, dass er über eine gewisse Mitgliederzahl und Mitgliedsbeiträge verfügt. Das liegt nicht daran, dass dies für die Repräsentativität von Arbeitgeberverbänden keine Relevanz hat, sondern daran, dass diese Gesichtspunkte bereits umfangreiche Berücksichtigung innerhalb des Kriteriums der Audience finden. III. Wertender Vergleich Während in Deutschland de lege lata darüber diskutiert werden kann, welche Kriterien der Tariffähigkeit der Gewerkschaft inwieweit auf den Arbeitgeberverband übertragbar sind, hat der französische Gesetzgeber gesetzliche Tatsachen geschaffen und für beide Seiten nahezu identische Anforderungen formuliert. Die wenigen Unterschiede – insbesondere bei der Bemessungsgrundlage der Audience – sind nicht als Abstufungen der Anforderungsintensität zu verstehen, sondern Eigenheiten auf beiden Seiten geschuldet. Mit dieser Entscheidung wird ein grundlegender Unterschied zum deutschen Tarifrecht geschaffen – in diesem postuliert die prägende Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts erheblich divergierende Krite­ rien, insbesondere indem sie auf ein Mächtigkeitserfordernis beim Arbeit­ geberverband verzichtet.91 Auf der anderen Seite differenziert das französische Recht grundlegend schon im Anwendungsbereich des Erfordernisses der Repräsentativität: Arbeitgeberverbände müssen gar nicht repräsentativ sein, um einfache Tarifverträge abschließen zu können. Dies scheint – im Widerspruch zur hier vertretenen Auffassung – auf den ersten Blick Wasser auf die Mühlen derer zu sein, die Tariffähigkeitsanforderungen beim Arbeitgeberverband in Deutschland (weitgehend) ablehnen. Eine nähere Auseinandersetzung mit dem französischen Tarifsystem und dem Institut der Repräsentativität führt indes zu einem anderen Verständnis. Der überragende Zweck des Erforder89  Näher

hierzu oben § 7 III. die Repräsentativität der Gewerkschaft stellt das Kriterium der Mitgliederzahl / -beiträge nach Art. L.2121-1, 7˚ Code  du  travail keine absoluten Grenzen auf; die konkreten Anforderungen richten sich vielmehr nach den individuellen Umständen, insbesondere den Vergleichswerten anderer Gewerkschaften und dem Organisationsgrad in der Branche, vgl. Pélissier / Auzero / Dockès, Droit du travail, Rn. 990. Im Hinblick auf den insgesamt niedrigen Organisationsgrad der Arbeitnehmer in Frankreich dürfen die Anforderungen nicht zu hoch angesetzt werden. 91  BAG 20.11.1990 AP Nr. 40 zu § 2 TVG; näher oben § 7 III. 3. a). 90  Für

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4. Teil: Anforderungen in benachbarten Rechtsordnungen

nisses der Repräsentativität besteht in der Legitimation der erga-omnesWirkung.92 Bei einfachen Tarifverträgen besteht eine erga-omnes-Wirkung aber nur für Arbeitnehmer, da auf Arbeitgeberseite nur jene Unternehmen der Tarifbindung unterliegen, die einem am Tarifvertrag beteiligten Verband angehören. Sobald aber auch auf der Arbeitgeberseite eine erga-omnesWirkung zu verzeichnen ist, namentlich bei der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen, stellt das französische Tarifrecht auch an den Arbeitgeberverband das Erfordernis der Repräsentativität – und zwar ohne Abstriche, was die einzelnen Anforderungen betrifft. Ein hypothetisches französisches Tarifsystem ohne erga-omnes-Wirkung müsste daher konsequenterweise auch bei der Gewerkschaft auf das Erfordernis der Repräsentativität als Voraussetzung einfacher Tarifvertragsschlüsse verzichten.93 So liegt dem Erfordernis der Repräsentativität insgesamt ein weitgehend symmetrisches Verständnis zugrunde, nicht nur weil es nahezu identische Anforderungen an Gewerkschaft und Arbeitgeberverband stellt, sondern auch im Hinblick auf seinen Anwendungsbereich – auch wenn der erste Eindruck insofern ein anderes Bild zeichnet. Ein Blick auf die französischen Gegebenheiten dürfte daher unterstützend für die auch hier tendenziell vertretene Auffassung herangezogen werden können, nach der in Deutschland an tariffähige Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände zumindest zu erheblichen Teilen vergleichbare Anforderungen zu stellen sind.94 Der Aussagewert der Vergleichsbetrachtung darf angesichts einiger grundlegender Unterschiede zwischen dem deutschen und dem französischen Tarifsystem allerdings nicht überbewertet werden. Der Blick auf das französische Recht wirft die Frage auf, ob nicht auch in Deutschland eine gesetzliche Regelung der Anforderungen der Tariffähigkeit von Gewerkschaften wie von Arbeitgeberverbänden zweckmäßig wäre.95 Die Ausführungen vor allem im 2. Teil dieser Arbeit zeigen, dass die Anforderungen an die Tariffähigkeit von Arbeitgeberverbänden zu großen Teilen ungeklärt sind. Einzelne Kriterien waren Gegenstand höchstrichter­ licher Rechtsprechung, viele Einzelfragen wurden bislang aber ausschließlich im rechtswissenschaftlichen Schrifttum diskutiert – mit teils erheblich divergierenden Ansichten. Damit verbunden ist eine beträchtliche Rechtsun92  Vgl. Maggi-Germain, Dr. soc. 2014, 196 (197); Héas, Dr. soc. 2014, 198 (199); siehe auch schon oben § 10 I. 2. 93  Jedenfalls in diese Richtung Héas, Dr. soc. 2014, 198 (199): „…  même si la représentativité n’est pas indispensable à un groupement pour représenter ses membres  …“ (…  selbst wenn die Repräsentativität nicht unabdingbar ist, damit eine Gruppe seine Mitglieder repräsentieren kann  …). 94  Vgl. das Resümee oben § 7 IX. 95  Zur Kritik an der Regelungssituation bereits oben § 4 III.



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sicherheit für die Verbände selbst, vor allem aber auch für (potentielle) Mitglieder, die bei einem Beitritt zum Verband oft kaum zuverlässig beurteilen können, ob die Tariffähigkeit des Verbandes gewährleistet ist. Die Rechtsunsicherheit schlägt sich darüber hinaus zulasten der Arbeitnehmer nieder. Zum einen beschränken sich die Unklarheiten nicht auf die Tarif­ fähigkeit von Arbeitgeberverbänden, auch hinsichtlich der Tariffähigkeit von Gewerkschaften ist einiges ungeklärt. Hinzu kommt, dass freilich auch die Bindung der Arbeitnehmer an einen Flächentarifvertag von der Tariffähigkeit des Verbandes, dem der Arbeitgeber angehört, abhängt. Eine gesetzliche Regelung der Tariffähigkeitsanforderungen würde daher grundsätzlich auf beiden Seiten zu einer gesteigerten Rechtssicherheit führen. Die gegenwärtige offene Regelung hat freilich den Vorteil erheblicher Flexibilität. Die Anforderungen der Tariffähigkeit sind eng verknüpft mit den tatsächlichen tarifpolitischen Umständen. Indem die Festlegung der Anforderungen weitgehend der Rechtsprechung überlassen wird, kann diese auf tarifpolitische Entwicklungen unmittelbar reagieren. Allerdings spricht dieser Umstand nicht entscheidend gegen eine gesetzliche Regelung. Schließlich müsste eine solche nicht in Form einer hochgradigen Detailregelung vorgenommen werden. Sofern sie sich auf eine Aufzählung der Kriterien beschränkt und die inhaltliche Ausgestaltung Rechtsprechung und Schrifttum überlässt, bleibt die erforderliche Flexibilität erhalten. Die französische Regelung verfährt teils auf diese Weise – insbesondere die Kriterien der Unabhängigkeit und des Einflusses sind stark auslegungsbedürftig. Man ist versucht einzuwenden, eine Regelung auf hohem abstraktem Niveau entbehre der wesentlichen Vorteile gegenüber der bisherigen Situation. Vor allem mit Blick auf die Anforderungen an Arbeitgeberverbände trifft dies indes nicht zu. Während auf Gewerkschaftsseite vor allem über inhaltliche Einzelheiten innerhalb der überwiegend anerkannten und höchstrichterlich bestätigten Kriterien gestritten wird – etwa wonach sich die Mächtigkeit vorrangig bemisst – betreffen die Unklarheiten auf Seiten des Arbeitgeberverbandes wesentlich auch die Daseinsberechtigung einzelner Kriterien in ihrer Gesamtheit. Hier könnte durch eine allgemein gehaltene gesetzliche Regelung ein erhebliches Mehr an Rechtssicherheit geschaffen werden. Eine gesetzliche Regelung wäre daher zu begrüßen. Die Herausforderung für den Gesetzgeber bestünde darin, den angemessenen Detailgrad zu treffen – der einerseits derart hinreichend bestimmt ist, dass er zu einer gesteigerten Rechtssicherheit führt, der aber gleichzeitig genügend Spielraum für Rechtsprechung und Rechtswissenschaft lässt, um möglichst flexible Reaktionen auf tarifpolitische Entwicklungen zu gewährleisten.

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4. Teil: Anforderungen in benachbarten Rechtsordnungen

§ 11  Vereinigtes Königreich I. Grundlagen zum Tarifsystem und zur Tariflandschaft 1. Von Freiwilligkeit geprägtes Tarifsystem Das kollektive Arbeitsrecht spielt im Vereinigten Königreich eine bedeutend geringere Rolle als in den meisten kontinentaleuropäischen Ländern.96 Das ist maßgeblich darauf zurückzuführen, dass die britische Politik traditionell eine liberale Einstellung zu den kollektivrechtlichen Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern pflegt.97 Dem britischen Tarifrecht liegt das Prinzip des „collective laissez faire“ zugrunde, was im Wesentlichen bedeutet, dass der Gesetzgeber auf bindende Vorgaben soweit wie möglich verzichtet.98 Das zeigt sich besonders bei der rechtlichen Einordnung des Tarifvertrags: Dieser hat im Vereinigten Königreich grundsätzlich keine verbindliche Wirkung.99 Der Trade Union and Labour Relations (Consolidation) Act 1992 (TULRCA 1992), die maßgebliche normative Grundlage des britischen Tarifrechts, enthält in Section  179  (1) eine gesetzliche Vermutung des fehlenden Rechtsbindungswillens der Tarifvertragsparteien. Eine Ausnahme gilt nur für schriftliche Tarifverträge, die eine ausdrückliche Regelung der Verbindlichkeit enthalten.100 Derartige Tarifverträge kommen aber kaum vor.101 Die grundsätzliche Unverbindlichkeit von Tarifverträgen bedeutet indes nicht, dass der Regelungsgehalt geschlossener Vereinbarungen im Vereinigten Königreich generell jeder Anwendung entbehrt. Oftmals erlangen tarifvertragliche Vereinbarungen verbindliche Anwendung über individualvertragliche Bezugnahmeklau96  Vgl. Pusch in: Hümmerich u. a., AnwaltKommentarArbR, Bd. 2, 220 Länderbericht, Rn. 55. 97  Wergin / White in: Hekimler / Ring, Tarifrecht in Europa, S. 131 (136). 98  Collins / Ewing / McColgan, Labour Law, S. 538; Morris / Archer, Collective Labour Law, Rn. 4.2; näher auch Wergin / White in: Hekimler / Ring, Tarifrecht in Europa, S. 131 (136). 99  Angesichts der fehlenden Rechtsverbindlichkeit von collective agreements wird in der deutschen rechtsvergleichenden Literatur als Übersetzung teils der Begriff Tarifvereinbarung dem Begriff des Tarifvertrags vorgezogen, so etwa bei Hart / Taggart in: Henssler / Braun, Arbeitsrecht in Europa, Großbritannien, Rn. 102 ff.  – oder der Begriff collective agreement wird unübersetzt verwendet, so etwa bei Krieger / Schmidt-Klie, EuZA 2014, 161 (167 ff.). Hier wird bewusst im Interesse einer einheitlichen Bezeichnung des Regelungsinstruments der Begriff des Tarifvertrags verwendet, wenngleich dies bisweilen begriffstechnisch nicht ganz sauber sein mag. 100  Section  179 (1) u. (2) TULRCA 1992. 101  Collins / Ewing / McColgan, Labour Law, S. 123; Morris / Archer, Collective Labour Law, Rn.  4.71.



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seln.102 Im Übrigen gelingt es Gewerkschaften in vielen Fällen, Arbeitgeber durch Androhung von Arbeitskampfmaßnahmen zur „freiwilligen“ Anwendung zu bewegen.103 2. Geringe tarifpraktische Bedeutung des Flächentarifvertrags Das Vereinigte Königreich nimmt im Hinblick auf sein Tarifsystem aus einem weiteren Grund eine Sonderrolle innerhalb der EU ein: Flächentarifverträge werden im Vereinigten Königreich nur in überaus geringem Maße geschlossen – allein im öffentlichen Sektor kommt ihnen nennenswerte Bedeutung zu. Eine vergleichbar geringe Bedeutung des Flächentarifvertrags findet sich nur in den neueren Mitgliedstaaten Mittelosteuropas.104 Im Vereinigten Königreich liegt die Hauptursache für die geringe Bedeutung des Flächentarifvertrags in der auf Dezentralisierung ausgerichteten Politik der konservativen Regierung unter Margaret Thatcher, die ihren Ursprung in den 1980er Jahren hat.105 Dem Flächentarifvertrag folgt in seiner geringen Bedeutung zwangsläufig der Arbeitgeberverband – jedenfalls was seine tarifpolitische Bedeutung betrifft.106 Die Frage, inwieweit an den Arbeitgeberverband als Partei eines Tarifvertrags besondere Anforderungen zu stellen sind, nimmt im Vereinigten Königreich daher schon auf Grund der tatsächlichen tarifpraktischen Umstände eine untergeordnete Rolle ein. II. Regulierung des Zugangs zur Tarifpolitik 1. Keine besonderen Anforderungen beim Arbeitgeberverband Ganz im Sinne des Konzepts des collective laissez faire stellt das britische Tarifrecht keine besonderen Anforderungen an den Arbeitgeberverband als Partei eines Tarifvertrags, die mit den Anforderungen der Tariffähigkeit nach deutschem Recht vergleichbar wären. Geringfügige Anforderungen ergeben sich allein aus der in Section  122 TULRCA 1992 enthaltenen Definition des Begriffs der employers’ association. Danach ist als Arbeitgeber102  Collins / Ewing / McColgan, Labour Law, S. 124 f.; Deinert, ZfA 1999, 361 (382 ff.). 103  Collins / Ewing / McColgan, Labour Law, S. 123; Hart / Taggart in: Henssler / Braun, Arbeitsrecht in Europa, Großbritannien, Rn. 105. 104  Maschmann, FS Eich, S. 77 (90 f.). 105  Näher Wergin / White in: Hekimler / Ring, Tarifrecht in Europa, S. 131 (135); siehe auch Maschmann, FS Eich, S. 77 (90). 106  Vgl. Wergin / White in: Hekimler / Ring, Tarifrecht in Europa, S. 131 (143 f.).

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4. Teil: Anforderungen in benachbarten Rechtsordnungen

verband jede vorübergehend oder dauerhaft errichtete Organisation zu sehen, die sich aus Arbeitgebern zusammensetzt und deren hauptsächlicher Zweck darin besteht, die Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu regeln.107 Diese begrifflichen Anforderungen weisen Überschneidungen mit den auch für Arbeitgeberverbände geltenden Anforderungen des deutschen Koalitionsbegriffs auf, indem beide eine gewisse Dauerhaftigkeit und einen vergleichbaren Verbandszweck verlangen.108 Arbeitgeberverbände können sich nach britischem Tarifrecht in eine behördlich geführte Liste eintragen lassen.109 Die Eintragung ist aber keine Voraussetzung, um Tarifverträge schließen zu dürfen; sie entbindet den Verband lediglich von der Beweislast hinsichtlich seiner Eigenschaft als Arbeitgeberverband, wenn diese angezweifelt wird.110 2. Anerkennungsprinzip auf Seiten der Gewerkschaft Nicht nur auf Seiten des Arbeitgeberverbandes verzichtet das britische Tarifrecht auf abstrakte Kriterien, wie sie das deutsche Erfordernis der Tariffähigkeit enthält, sondern auch hinsichtlich der Gewerkschaft. Stattdessen knüpft es die Befugnis zum Tarifvertragsschluss für die Gewerkschaft daran, dass sie vom Arbeitgeber anerkannt wird.111 Die Anerkennung kann zum einen durch freiwillige Verständigung des Arbeitgebers mit der Gewerkschaft erfolgen. Verweigert der Arbeitgeber die Anerkennung, kann die Gewerkschaft zum andern ein gesetzliches Anerkennungsverfahren bemühen, das seit dem Jahr 2000 im Schedule A1112 zur TULRCA 1992 umfangreich geregelt ist.113 Danach kann eine Gewerkschaft in Unternehmen mit wenigstens 21 Arbeitnehmern schriftlich die Anerkennung für eine bestimm107  Section 122 (1) TULRCA 1992: „In this Act an ‚employers’ association‘ means an organisation (whether temporary or permanent) […] which consists wholly or mainly of employers or individual owners of undertakings of one or more descriptions and whose principal purposes include the regulation of relations between employers of that description or those descriptions and workers or trade unions […]“. 108  Zu den Anforderungen des deutschen Koalitionsbegriffs oben § 5 II. u. III. 109  Sections 123 ff. TULRCA 1992. 110  Section 123 (4) TULRCA 1992. 111  Honeyball, Textbook on Employment Law, S. 377 f.; Collins / Ewing / McColgan, Labour Law, S. 550 ff. 112  Schedule A1 wurde mit dem Employment Relations Act 1999 vom 27. Juli 1999 der TULRCA 1992 beigefügt. 113  Das gesetzliche Anerkennungsverfahren ist überaus komplex und weist – gerade im Vergleich zum ansonsten vergleichsweise regulierungsarmen britischen Arbeitsrecht – zahlreiche Detailregelungen auf. Mangels zentraler Bedeutung für den Kerngegenstand dieser Arbeit wird das Verfahren nur in groben Grundzügen darge-



§ 11  Vereinigtes Königreich

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te Verhandlungseinheit114 beim Arbeitgeber beantragen.115 Entspricht der Arbeitgeber dem Antrag nicht, kann die Gewerkschaft das Central Arbitration Committee116 (CAC) anrufen.117 Das CAC entscheidet in der Sache, wenn der Antrag zulässig ist. Dafür müssen insbesondere 10 % der Arbeitnehmer in der jeweiligen Verhandlungseinheit Mitglieder der die Anerkennung begehrenden Gewerkschaft sein118; das CAC muss zu der Annahme gelangen, dass die Mehrheit der Arbeitnehmer in der Verhandlungseinheit die Anerkennung der Gewerkschaft befürwortet119; schließlich darf es keine Verständigung des Arbeitgebers über die Anerkennung einer anderen Gewerkschaft bestehen, die Arbeitnehmer in der Verhandlungseinheit betrifft120. Bei zulässigem Antrag erklärt das CAC die Gewerkschaft ohne Weiteres für anerkannt, wenn mindestens 50 % der Arbeitnehmer aus der jeweiligen Verhandlungseinheit der Gewerkschaft angehören.121 Wird diese Quote nicht erreicht, leitet das CAC eine Abstimmung in der Verhandlungseinheit ein.122 Diese hat die Anerkennung der Gewerkschaft zur Folge, wenn die Mehrheit der tatsächlich abstimmenden und mindestens 40 % der abstimmungsberechtigten Arbeitnehmer (also aller Arbeitnehmer der Einheit) für die Anerkennung stimmen.123 Das gesetzliche Anerkennungsverfahren steht nur solchen Gewerkschaften offen, die über eine Bescheinigung ihrer Unabhängigkeit verfügen.124 Diese erhalten nur die Gewerkschaften, die nicht von der Arbeitgeberseite beherrscht oder kontrolliert werden und die keiner besonderen Beeinflussbarkeit von Arbeitgeberseite – etwa infolge finanzieller Abhängigkeit – unstellt. Für eine genauere Darstellung siehe etwa Morris / Archer, Collective Labour Law, Rn. 4.5 ff. m. w. N. 114  Die Anerkennung ist in ihrem Umfang nicht zwingend an die Organisationseinheit des Betriebs nach deutschem Verständnis gekoppelt; die Verhandlungseinheit (bargaining unit) kann vielmehr individuell bestimmt werden; die Gewerkschaften orientieren sich typischerweise an den Berufsgruppen, vgl. Junker, RdA-Beil. 2009, 4 (6). Da die Anerkennung jeweils auf die Verhandlungseinheit begrenzt ist, kann man davon sprechen, dass die Anerkennung zu einer relativen Tariffähigkeit führt, so Junker, RdA-Beil. 2009, 4 (4) und dem folgend Krieger / Schmidt-Klie, EuZA 2014, 161 (164). 115  Sections 4 ff. Schedule A1 TULRCA 1992. 116  „Zentrale Einigungsstelle“. 117  Sections 11 u. 12 Schedule A1 TULRCA 1992. 118  Section 36 (1) (a) Schedule A1 TULRCA 1992. 119  Section 36 (1) (b) Schedule A1 TULRCA 1992. 120  Section 35 (1) Schedule A1 TULRCA 1992. 121  Section 22 Schedule A1 TULRCA 1992. 122  Section 23 Schedule A1 TULRCA 1992. 123  Section 29 (3) Schedule A1 TULRCA 1992. 124  Section 6 Schedule A1 TULRCA 1992.

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4. Teil: Anforderungen in benachbarten Rechtsordnungen

terliegen.125 Was seinen Anforderungsgehalt betrifft, kommt dieses Unabhängigkeitserfordernis dem deutschen Erfordernis der Gegnerunabhängigkeit nahe.126 Es stellt aber keine tatsächliche Voraussetzung der Befugnis zum Tarifvertragsschluss dar. Es verwehrt zwar Gewerkschaften, die das Erfordernis nicht erfüllen, das gesetzliche Anerkennungsverfahren. Gewerkschaften, die vom Arbeitgeber freiwillig anerkannt werden, können indes ohne Rücksicht auf etwaige Abhängigkeiten Tarifverträge schließen. Allerdings privilegiert das britische Tarifrecht unabhängige Gewerkschaften in weiteren Bereichen – nur unabhängige Gewerkschaften können etwa tarifvertragliche Regelungen treffen, die sich beschränkend auf die Rechte der Arbeitnehmer zur Durchführung von Arbeitskampfmaßnahmen auswirken127 – und schränkt so die potentielle Tarifbetätigung abhängiger Gewerkschaften zumindest teilweise ein. III. Wertender Vergleich Abgesehen von vergleichsweise geringfügigen Anforderungen an den Begriff des Arbeitgeberverbandes verzichtet das britische Tarifrecht darauf, die tarifpolitische Betätigung von Arbeitgeberverbänden von besonderen Voraussetzungen abhängig zu machen. Auf den ersten Blick erscheint dieser Umstand aus deutscher Perspektive – besonders im Hinblick auf die hier getroffenen Feststellungen weitgehender Anforderungen an die Tariffähigkeit von Arbeitgeberverbänden – kritikwürdig. Er ist aber vor dem Hintergrund der tatsächlichen und rechtlichen Gesamtumstände des britischen Tarifsystems zu sehen: In tatsächlicher Hinsicht lässt vor allem die aufgezeigte geringe Bedeutung des Flächentarifvertrags die Absenz besonderer Anforderungen beim Arbeitgeberverband erheblich annehmbarer erscheinen, als es in einer von Flächentarifverträgen geprägten Tariflandschaft der Fall wäre. In rechtlicher Hinsicht ist zu berücksichtigen, dass wegen der grundsätzlichen Unverbindlichkeit von Tarifverträgen den Verbänden keine echte Normsetzungsbefugnis zukommt, die es zu legitimieren gilt bzw. vor deren Missbrauch Arbeitgeber geschützt werden müssten. Die Tarifsysteme Deutschlands und des Vereinigten Königreichs unterscheiden sich nicht nur im Hinblick auf die Anforderungen, die sie an die Tariffähigkeit von Arbeitgeberverbänden stellen. Sie weichen auch in der Bewertung der Tariffähigkeit der Gewerkschaften erheblich voneinander ab. Es stellt keine zutreffende Beschreibung der Verhältnisse dar, wenn man davon spricht, dass das Erfordernis der Anerkennung im Vereinigten König125  Section

5 TULRCA 1992. deutschen Erfordernis der Gegnerunabhängigkeit oben § 7 V. 127  Section 180 (2) (d) TULRCA 1992. 126  Zum



§ 11  Vereinigtes Königreich187

reich die in Deutschland geltenden Anforderungen der Tariffähigkeit mit vergleichbarem Ergebnis ersetzt.128 Zwar ist anzunehmen, dass anerkannte Gewerkschaften tendenziell über eine gewisse Mächtigkeit verfügen: Die freiwillige Anerkennung dürfte in der Regel maßgeblich auf die Sorge des Arbeitgebers vor einschneidenden Arbeitskampfmaßnahmen zurückzuführen sein129 und bei der gesetzlichen Anerkennung stellen die Quotenanforderungen einen gewissen Rückhalt in der Arbeitnehmerschaft sicher.130 Von einer Gewährleistung starker Gewerkschaften kann aber keine Rede sein. Denn Arbeitgeber können die gesetzliche Anerkennung im Vorfeld durch freiwillige Anerkennung einer anderen Gewerkschaft in der jeweiligen Verhandlungseinheit verhindern131, was mutmaßlich seit Einführung der Regelungen zum gesetzlichen Anerkennungsverfahren rege praktiziert wird132. In diesen Fällen dürften viele Arbeitgeber dazu neigen, vorwiegend möglichst schwache bzw. gefällige Gewerkschaften freiwillig anzuerkennen.133 Die Unterschiede zwischen beiden Tarifsystemen führen dazu, dass Schlüsse vom britischen auf das deutsche Recht – etwa dass auch dort der (weitgehende) Verzicht auf Anforderungen beim Arbeitgeberverband sinnvoll wäre – kaum gezogen werden können. Anders als in Deutschland lässt sich im Vereinigten Königreich de lege lata nicht über Anforderungen beim Arbeitgeberverband diskutieren. Denn das Fehlen derartiger Anforderungen ist systemimmanent: In einem Tarifrecht, dem das Konzept der arbeitgeberseitigen Anerkennung zugrunde liegt, bleiben Arbeitgeberverbände bei der Regulierung des Zugangs zur Tarifpolitik zwangsläufig außen vor.134 Jedenfalls lassen sich in einem solchen System die an die Gewerkschaft gestellten Anforderungen nicht auf den Arbeitgeberverband übertragen.

diese Richtung aber wohl Deinert, ZfA 1999, 361 (389 f.). Davies, EuZA 2010, 37 (38). 130  Hier bestehen Parallelen zum Kriterium der Audience, das in Frankreich Teilvoraussetzung der Repräsentativität ist, zu diesem oben § 10 II. 2. g). 131  Vgl. Section 35 (1) Schedule A1 TULRCA 1992. 132  Vgl. Davies, EuZA 2010, 37 (40 ff.). 133  Dass das Anerkennungskonzept nicht zu einer sicheren Gewährleistung starker Gewerkschaften führt, rechtfertigt nicht etwa zwingend den Schluss seiner Zweckwidrigkeit. Denn das Anerkennungsverfahren dient jedenfalls auch – auf vergleichsweise effiziente Weise – der Verhinderung von Tarifpluralität, vgl. Junker, RdA-Beil. 2009, 4 (4 ff.). 134  In diese Richtung auch Junker, RdA-Beil. 2009, 4 (6). 128  In

129  Vgl.

5. Teil

Schluss § 12  Zusammenfassung des wesentlichen Gedankengangs Die eingangs dieser Arbeit zitierte Aussage Richard von Weizsäckers, Tariffreiheit und Tarifhoheit bedeute Tarifverantwortung, die er mit Blick auf die Gewerkschaften getroffen hat, gilt unbedingt auch für Arbeitgeberverbände. Wie die Gewerkschaften nehmen auch Arbeitgeberverbände Tarifverantwortung wahr, wenn sie von ihrer Tarifmacht Gebrauch machen und für ihre Mitglieder verbindliche Regelungen treffen. Die praktische Bedeutung dieser Tarifverantwortung wird greifbar, wenn man sich den nach wie vor erheblichen Stellenwert des Flächentarifvertrags in der deutschen Tariflandschaft vor Augen führt.1 Wie bei den Gewerkschaften bedarf es daher auch bei den Arbeitgeberverbänden besonderer Anforderungen an die Tariffähigkeit, die gleichsam als Zugangskontrolle die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie sicherstellen. Nur so können auf beiden Seiten zuverlässige Tarifpartner gewährleistet werden, die umsichtige Regelungen treffen und dabei die Interessen ihrer Mitglieder wahren. Wie in der Einleitung dieser Arbeit bereits angeklungen ist, bedeutet beidseitige Tarifverantwortung indes nicht, dass auf beiden Seiten zwingend identische Anforderungen an die Tariffähigkeit zu stellen sind. Im Gegenteil ist eine differenzierte Betrachtung geboten. Zentrales Ziel der vorliegenden Arbeit war es herauszuarbeiten, inwieweit bei den Anforderungen an die Tariffähigkeit beider Sozialpartner im Einzelnen differenziert werden muss. Die Feststellungen und der Gedankengang, der zu ihnen hingeführt hat, lassen sich in groben Zügen wie folgt zusammenfassen. Tariffunktionale Unterschiede zwischen den Sozialpartnern Eine differenzierte Betrachtung ist verfassungsrechtlich geboten. Die Anforderungen der Tariffähigkeit sind – soweit sie über die Voraussetzungen des Koalitionsbegriffs hinausgehen – als einfachgesetzliche Ausgestaltung des Grundrechts der Koalitionsfreiheit zu bewerten, die indes auch Eigen1  Hierzu

oben § 3.



§ 12  Zusammenfassung des wesentlichen Gedankengangs

189

schaften eines Grundrechtseingriffs aufweisen und daher am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu messen sind.2 Unverhältnismäßige Kriterien wären verfassungswidrig. Ob ein Kriterium verhältnismäßig ist, kann nicht einheitlich für Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände beurteilt werden, weil beide teils in unterschiedlichem funktionalem Verhältnis zur Tarifautonomie stehen. Das äußert sich im Wesentlichen anhand von zwei Merkmalen: Erstens garantiert die Gewerkschaft die Schutzfunktion der Tarifautonomie zugunsten der Arbeitnehmer – und damit das wohl originäre Kernanliegen der Tarifautonomie –, während der Arbeitgeberverband die Interessen der grundsätzlich strukturell überlegenen Partei vertritt.3 Der zweite wesentliche Unterschied besteht darin, dass die Gewerkschaft für ihre Mitglieder die einzige Möglichkeit unmittelbarer tarifpolitischer Teilhabe bietet, während der einzelne Arbeitgeber nicht auf eine Mitgliedschaft im konkreten Verband angewiesen ist, um an der Tarifautonomie zu partizipieren. Das ist darauf zurückzuführen, dass der einzelne Arbeitgeber auch eigenständig tariffähig ist und überdies für Arbeitgeber die Neugründung eines Verbandes mitunter eine realistische Alternative darstellt.4 Die funktionalen Unterschiede verleiten zunächst zu der Einschätzung, dass sie in grundlegend divergierenden Anforderungen der Tariffähigkeit von Gewerkschaft und Arbeitgeberverband Ausdruck finden müssten. Mit Blick auf die unterschiedliche Bedeutung von Gewerkschaft und Arbeitgeberverband für die Schutzfunktion der Tarifautonomie ließe sich prima facie vor allem die Geltung der Kriterien der sozialen Mächtigkeit und der Gegnerunabhängigkeit als Voraussetzung der Tariffähigkeit einer Arbeitgebervereinigung ablehnen, weil gerade diese Kriterien auf Seiten der Gewerkschaft ihrem Ursprung nach den Arbeitnehmern zu einem Kräftegleichgewicht im Verhältnis zum Arbeitgeber verhelfen sollen. Im Hinblick auf die unterschiedliche Mitgliederstellung von Arbeitnehmern und Arbeitgebern liegt der Schluss nahe, dass der einzelne Arbeitgeber keine besondere Schutzbedürftigkeit gegenüber der Tarifmacht des Verbandes aufweist, weil er grundsätzlich jederzeit aus dem Verband austreten kann, ohne dadurch jede Teilnahme an der Tarifautonomie aufzugeben. Konsequenterweise wären danach vor allem die Kriterien der Tarifwilligkeit und der demokratischen Binnenorganisation als Voraussetzung der Tariffähigkeit einer Arbeitgebervereinigung abzulehnen, weil sie maßgeblich auf Schutzerwägungen zugunsten der Mitglieder gegenüber der Tarifmacht des Verbandes basieren.

2  Im

Einzelnen oben § 6 III. u. IV. Einzelnen oben § 6 II. 1. a). 4  Im Einzelnen oben § 6 II. 1. b). 3  Im

190

5. Teil: Schluss

Teilweise Relativierung der tariffunktionalen Unterschiede Entgegen diesem ersten Eindruck schlagen sich die aufgezeigten funktionalen Unterschiede nach dem hier entwickelten Verständnis aber nicht in überwiegend divergierenden Anforderungen der Tariffähigkeit von Gewerkschaft und Arbeitgeberverband nieder. Das ist im Wesentlichen darauf zurückzuführen, dass die Unterschiede bei näherer Betrachtung zu beachtlichen Teilen relativiert werden müssen: Die Gewährleistung des Arbeitgeberschutzes mag anders als der Arbeitnehmerschutz kein originäres Anliegen der Tarifautonomie sein – sie ist gleichwohl Voraussetzung einer funktionsgerechten Ausgestaltung der Tarifautonomie. Ihre Erforderlichkeit ergibt sich reflexhaft aus der mit der Tarifautonomie geschaffenen Koalierungsmöglichkeit der Arbeitnehmer, die vor allem kleine Arbeitgeber benachteiligen würde, räumte man ihnen nicht ebenfalls die Möglichkeit zur Koalierung ein.5 Ferner setzen die für den einzelnen Arbeitgeber neben der Verbandsmitgliedschaft bestehenden adäquaten Optionen seine Schutzwürdigkeit gegenüber der Tarifmacht des Verbandes letztlich nur geringfügig herab. Denn der Austritt aus einem Verband führt wegen der Nachbindung nach § 3 Abs. 3 TVG nicht zur sofortigen Beendigung der Tarifbindung, so dass der Arbeitgeber mitunter der Tarifmacht eines Verbandes – jedenfalls vorübergehend – auch gegen seinen Willen ausgesetzt sein kann.6 Im Ergebnis stehen zu weiten Teilen vergleichbare ­Tariffähigkeitsanforderungen einigen bedeutenden Unterschieden gegenüber Vor diesem Hintergrund ergeben sich Anforderungen der Tariffähigkeit des Arbeitgeberverbandes, die zu weiten Teilen denen der Gewerkschaft entsprechen: Wie von Gewerkschaften ist auch von Arbeitgeberverbänden im Interesse größtmöglicher Transparenz zu verlangen, dass sie in ihrer Satzung ihre Tarifwilligkeit zum Ausdruck bringen.7 Arbeitgeberverbände müssen wie Gewerkschaften – wenngleich regelmäßig in geringerem Maße  – Anforderungen an ihre organisatorische Leistungsfähigkeit erfüllen, um die Friedensfunktion der Tarifautonomie zu gewährleisten.8 Weiter müssen auch Arbeitgeberverbände vor allem aus Mitgliederschutzerwägungen grundsätzlich gegnerunabhängig und gegnerfrei sein.9 Als grundlegende 5  Im

Einzelnen Einzelnen 7  Im Einzelnen 8  Im Einzelnen 9  Im Einzelnen 6  Im

oben oben oben oben oben

§ 6 § 6 § 7 § 7 § 7

V. 1. V. 2. I. IV. V.



§ 12  Zusammenfassung des wesentlichen Gedankengangs

191

Voraussetzung der Tarifautonomie müssen sie zudem wie Gewerkschaften unabhängig vom Staat sein.10 Außerdem müssen sie vor allem zwecks Gewährleistung der Friedensfunktion wie die Gewerkschaften das geltende Tarif-, Schlichtungs- und Arbeitskampfrecht anerkennen.11 Im Übrigen stellt auch das Erfordernis der Tarifzuständigkeit grundsätzlich dieselben Anforderungen an Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände.12 Gleichwohl bestehen auch Unterschiede – die bedeutendsten betreffen die Kriterien der sozialen Mächtigkeit, der demokratischen Binnenorganisation und der parteipolitischen und konfessionellen Unabhängigkeit. Von Arbeitgeberverbänden ist anders als von Gewerkschaften keine besondere Durchsetzungsfähigkeit zu verlangen. Wenn schon der einzelne Arbeitgeber ohne Weiteres tariffähig ist, kann für einen Zusammenschluss von Arbeitgebern nichts anderes gelten.13 Eine demokratische Binnenorganisation ist von Arbeitgeberverbänden zwar grundsätzlich zu verlangen; die konkreten Anforderungen dieses Kriteriums sind indes im Hinblick auf die verringerte Schutzbedürftigkeit des Arbeitgebers gegenüber der Tarifmacht des Verbandes herabzusenken. Danach setzt die Tariffähigkeit einer Arbeitgebervereinigung insbesondere keine speziellen Vorkehrungen zum verbandsinternen Minderheitenschutz voraus.14 Parteipolitische und konfessionelle Unabhängigkeit ist als zwingende Voraussetzung der Tariffähigkeit einer Arbeitgebervereinigung vollständig abzulehnen. Angesichts der Optionen, die für den einzelnen Arbeitgeber neben der Mitgliedschaft in einem konkreten Verband ohne Verzicht auf tarifpolitische Teilhabe bestehen, reicht es aus, dass der Verband hinreichende Transparenz hinsichtlich etwaiger Abhängigkeiten sicherstellt.15 Die Anforderungen, die an die Tariffähigkeit von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden zu stellen sind, sind also zu weiten Teilen identisch – aber eben nur zu weiten Teilen. Die festgestellten Unterschiede mögen quantitativ überschaubar sein, in der Sache sind sie von erheblicher Bedeutung. Sie bestätigen damit, dass eine differenzierte Beurteilung unbedingt erforderlich ist.

10  Im 11  Im

12  Im 13  Im 14  Im 15  Im

Einzelnen Einzelnen Einzelnen Einzelnen Einzelnen Einzelnen

oben oben oben oben oben oben

§ 7 VII. 1. § 7 VIII. § 9. § 7 III. 4. § 7 II. § 7 VII. 2.

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5. Teil: Schluss

§ 13  Die wichtigsten Ergebnisse in Thesen Anforderungen des Koalitionsbegriffs 1.  Eine Arbeitgebervereinigung muss zunächst die Voraussetzungen des Koalitionsbegriffs im Sinne von Art. 9 Abs. 3 GG erfüllen, um tariffähig sein zu können. Danach muss es sich bei ihr um einen freiwilligen Zusammenschluss einer Personenmehrheit handeln, der auf eine gewisse Dauer angelegt ist, eine organisierte Willensbildung aufweist und den Zweck verfolgt, die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu wahren und zu fördern. Die konkreten Anforderungen, die sich aus diesen Kriterien ergeben, sind vergleichsweise gering und werden von den bestehenden Verbänden soweit ersichtlich erfüllt. 2.  Weitere Anforderungen an die Tariffähigkeit ergeben sich aus dem Koalitionsbegriff nicht. Die übrigen Anforderungen der Tariffähigkeit zielen nicht darauf ab sicherzustellen, dass die Koalitionen überhaupt zu koali­ tionsmäßiger Betätigung geeignet sind. Sie tragen vielmehr der besonderen Normsetzungsbefugnis Rechnung, die nicht allen, sondern nur den tariffähigen Koalitionen zukommt und sind daher als tarifrechtsspezifische Anforderungen einzuordnen. 3.  Das Erfordernis der Freiwilligkeit steht der Tariffähigkeit von Konzern­ arbeitgeberverbänden nicht entgegen. Konzernarbeitgeberverbände ermöglicht Konzernen eine interessengerechte Organisation, die im Hinblick auf das Gegenmachtprinzip im Interesse eines funktionsfähigen Tarifsystems ist. Die Möglichkeit der Einflussnahme des herrschenden Unternehmens auf die beherrschten Unternehmen ist keine Besonderheit von Konzernarbeitgeberverbänden, sondern dem allgemein anerkannten Weisungsrecht im Konzern geschuldet. Tarifrechtsspezifische Anforderungen 4.  Ein tariffähiger Arbeitgeberverband muss in der Satzung seine Tarifwilligkeit zum Ausdruck bringen. Nur so können potentielle Mitglieder erkennen, inwieweit sie sich mit einem Beitritt der Tarifnormsetzung des Verbandes unterwerfen. Zudem steigert die so geschaffene Transparenz das Vertrauen in die Sozialpartner und stärkt auf diese Weise die Tarifautonomie. 5. OT-Mitgliedschaften stehen der Tarifwilligkeit eines Arbeitgeberverbandes nicht grundsätzlich entgegen – auch nicht wenn sie einen Großteil der Mitglieder des Verbandes ausmachen. Selbst eine deutliche Mehrheit tarifungebundener Mitglieder schließt nicht aus, dass die Interessen der



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übrigen Mitglieder so schwer wiegen, dass der Abschluss von Tarifverträgen ein bedeutendes Verbandsziel darstellt. Im Übrigen genügt es, dass es sich beim Abschluss von Tarifverträgen um eines von mehreren Zielen des Verbandes handelt. 6.  Ein tariffähiger Arbeitgeberverband muss eine demokratische Binnenorganisation aufweisen. Wie der Arbeitnehmer begibt sich auch der Arbeitgeber mit dem Beitritt zu einem Verband in ein Verhältnis der Über- und Unterordnung, in dem er der Tarifmacht des Verbandes ausgesetzt und damit grundsätzlich schutzbedürftig ist. Allerdings handelt es sich um eine im Vergleich zum Arbeitnehmer herabgesetzte Schutzbedürftigkeit, vor allem weil dem Arbeitgeber anders als dem Arbeitnehmer adäquate Optionen neben der Mitgliedschaft in einem konkreten Verband zur Verfügung stehen, die ebenfalls tarifpolitische Teilhabe gewährleisten: Der einzelne Arbeitgeber ist auch eigenständig tariffähig und kann sich überdies gemeinsam mit anderen Arbeitgebern anderweitig organisieren. Konkrete Anforderungen ergeben sich daher nur in begrenztem Maße: Im Wesentlichen muss gewährleistet sein, dass jedes Mitglied grundsätzlich an der Willensbildung im Verband teilnehmen kann. Besondere Vorkehrungen zum Minderheitenschutz – insbesondere vor der Dominanz einzelner Großunternehmen – sind indes nicht zu verlangen. 7. Durchsetzungsfähigkeit als Teilkriterium der sozialen Mächtigkeit ist keine Voraussetzung der Tariffähigkeit eines Arbeitgeberverbandes. Wenn schon der einzelne Arbeitgeber ohne Weiteres tariffähig ist, kann für einen Zusammenschluss von Arbeitgebern nichts anderes gelten. 8.  Mit Blick auf die Friedensfunktion der Tarifautonomie sind aber gewisse Anforderungen an die organisatorische Leistungsfähigkeit von Arbeitgeberverbänden zu stellen. Sie müssen weitgehend sicherstellen, dass sich die Verbandsmitglieder tariftreu verhalten und nicht gegen die Friedenspflicht verstoßen. 9.  Ein tariffähiger Arbeitgeberverband muss gegnerunabhängig und gegnerfrei sein. Vor allem muss gewährleistet sein, dass die verbandsinterne Willensbildung frei von Beeinflussung seitens des sozialen Gegenspielers stattfindet. Das ergibt sich aus Gründen des Mitgliederschutzes sowie aus tariffunktionalen Erwägungen und ist grundsätzlich auch mit Blick auf § 181 BGB erforderlich. Allerdings handelt es sich auf Seiten des Arbeitgeberverbandes bei diesem Erfordernis um einen kaum bedeutsamen Mindeststandard, weil Arbeitgeberverbände – anders als Gewerkschaften – erfahrungsgemäß keine Anfälligkeit für gegnerische Beeinflussungen aufweisen. 10. Überbetrieblichkeit ist keine Voraussetzung der Tariffähigkeit eines Arbeitgeberverbandes. Das schon auf Seiten der Gewerkschaft umstrittene Erfordernis kann beim Arbeitgeberverband keine Geltung haben, weil Ar-

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5. Teil: Schluss

beitgeberverbände, denen nur ein Betrieb angehört, schon keinen Zusammenschluss darstellen. 11.  Ein tariffähiger Arbeitgeberverband muss unabhängig vom Staat sein. Staatliche Neutralität ist eine fundamentale Voraussetzung der Autonomie. Eine Ausnahme gilt indes für Verbände, denen ausschließlich öffentliche Arbeitgeber angehören, da derartigen Verbänden staatliche Beeinflussung immanent ist. 12.  Keine Voraussetzung der Tariffähigkeit eines Arbeitgeberverbandes ist seine parteipolitische und konfessionelle Unabhängigkeit. Bei Gewerkschaften basiert das Erfordernis maßgeblich auf Erwägungen des Mitgliederschutzes: Dem Arbeitnehmer, der regelmäßig über keine adäquate Alternative zur Mitgliedschaft in einer konkreten Gewerkschaft verfügt, ist es nicht zumutbar, dass die eine Option u. U. parteipolitisch oder konfessionell – womöglich entgegen seinen persönlichen Überzeugungen – geprägt ist. Für den Schutz des Arbeitgebers, dem adäquate Optionen neben der Mitgliedschaft im konkreten Verband zur Verfügung stehen, reicht es hingegen aus, dass die parteipolitische oder konfessionelle Prägung erkennbar und ihm so eine umsichtige Entscheidung zwischen seinen Optionen möglich ist. 13.  Ein tariffähiger Arbeitgeberverband muss das geltende Tarif-, Schlichtungs- und Arbeitskampfrecht anerkennen. Konkret bedeutet das, dass der Arbeitgeberverband sich in seiner Satzung ausdrücklich zu jenen Rechtsgrundlagen bekennen muss, auf Grund derer er seine besondere Rechtsetzungsbefugnis erlangt. Das dient der Gewährleistung der Friedensfunktion der Tarifautonomie und stellt ein Mindestmaß an Vertrauen zwischen den sozialen Gegenspielern sicher. Tarifzuständigkeit 14.  Der Tarifvertragsschluss eines tariffähigen Arbeitgeberverbandes ist nur wirksam, soweit sich der Verband für den Geltungsbereich in seiner Satzung tarifzuständig erklärt hat. Zusätzliche objektive Anforderungen, namentlich dass sich eine gewisse Menge an Verbandsmitgliedern unter jeweils tarifgebundenen Unternehmen befinden muss, stellt das Erfordernis der Tarifzuständigkeit nicht. 15.  Eine der wesentlichen Funktionen des Erfordernisses der Tarifzuständigkeit ist die Herstellung von Transparenz. Um diese Funktion zu gewährleisten, ist jede Zuständigkeitsbestimmung am Bestimmtheitsgebot zu messen, dessen Anforderungen mit Augenmaß definiert werden müssen. Mit einem allzu großzügigen Verständnis liefe man Gefahr, dass das Bestimmtheitsgebot ins Leere geht und ein Beitrag zur Herstellung von Transparenz ausbleibt. Aus diesem Grunde müssen etwa Verbandsgebräuchlichkeit und



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-anschauungen bei der Auslegung der Zuständigkeitsbestimmungen außen vor bleiben. Sehr vage Formulierungen wie „verwandte Industrien“ können aus eben diesem Grunde für sich genommen keine Zuständigkeit begründen. Andererseits besteht für ein allzu restriktives Verständnis des Bestimmtheitsgebotes kein praktisches Bedürfnis. Die Mitglieder, denen der Schutz des Bestimmtheitsgebotes vorrangig zu Gute kommen soll, wollen sich – wenn sie sich nicht bewusst für eine OT-Mitgliedschaft entscheiden – in der Regel durch ihren Beitritt gerade der Tarifmacht des Verbandes unterwerfen. Daher ist etwa abzulehnen, die Entstehungsgeschichte der jeweiligen Satzungsbestimmung bei der Auslegung außen vor zu lassen, nur weil ihre Einbeziehung mit größerem Aufwand verbunden ist. Vor diesem Hintergrund sind auch gängige Branchenbezeichnungen in der Regel als hinreichend bestimmt anzusehen. Offene Formulierungen können zumindest im Einzelfall – mitunter jedenfalls teilweise – hinreichend bestimmt sein, etwa wenn sie durch die Ergänzung mit umfangreichen Regelbeispielen ein ergiebiges Gesamtbild zeichnen. Rechtsvergleichung 16.  Das französische Tarifrecht enthält mit dem Erfordernis der Repräsentativität ein Rechtsinstitut, das mit der deutschen Tariffähigkeit zu weiten Teilen vergleichbar ist und das nahezu identische Anforderungen an Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände stellt. Ein Blick auf das französische System kann damit die hier getroffene These stützen, nach der an die Tariffähigkeit von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden jedenfalls zu weiten Teilen identische Anforderungen zu stellen sind. Diesem Schluss steht nicht entgegen, dass das Erfordernis der Repräsentativität beim Arbeitgeberverband anders als bei der Gewerkschaft nur in Bezug auf allgemeinverbindliche Tarifverträge und nicht auch bei einfachen Tarifvertragsschlüssen gilt. Denn diese Differenzierung ist darauf zurückzuführen, dass das Erfordernis der Repräsentativität anders als das der Tariffähigkeit in erster Linie der erga-omnes-Wirkung von Tarifverträgen Rechnung trägt. Diese Wirkung weisen französische Tarifverträge anders als deutsche hinsichtlich der Arbeitnehmer stets auf, während hinsichtlich der Arbeitgeberseite auch in Frankreich nur allgemeinverbindlichen Tarifverträgen erga-omnes-Wirkung zukommt. 17.  Eine gesetzliche Regelung der Anforderungen der Tariffähigkeit von Gewerkschaften wie Arbeitgeberverbänden – wie sie in Frankreich existiert – wäre grundsätzlich auch in Deutschland zu begrüßen. Sie könnte vor allem Unklarheiten hinsichtlich der Anforderungen an Arbeitgeberverbände beseitigen. Die Herausforderung für den Gesetzgeber bestünde darin, einen Regelungsgrad zu treffen, der einerseits eine gesteigerte Rechtssicherheit

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bedeutet, andererseits aber die im Bereich der Tariffähigkeitsanforderungen erforderliche Flexibilität aufrechterhält. Die Frage, wie eine solche Regelung im Einzelnen aussehen könnte, eignet sich als Gegenstand einer gesonderten Untersuchung. 18.  Das britische Tarifrecht knüpft praktisch keine besonderen Anforderungen an den Arbeitgeberverband als Tarifvertragspartei. Schlüsse in Bezug auf die deutsche Rechtslage lassen sich hieraus jedoch kaum ziehen. Denn zum einen findet der Arbeitgeberverband im britischen Tarifrecht ohnehin wenig Beachtung, weil die praktische Bedeutung von Flächentarifverträgen äußerst gering ist. Zum andern bestehen zwischen dem britischen und dem deutschen Tarifsystem grundlegende Unterschiede, die vor allem darauf beruhen, dass britischen Tarifverträgen grundsätzlich keine verbindliche Wirkung zukommt. Insbesondere liegt dem britischen Tarifrecht das Anerkennungsverfahren zugrunde, nach dem die Zulassung von Gewerkschaften zur tarifpolitischen Betätigung nicht von abstrakten Kriterien abhängt, sondern von der Anerkennung durch den Arbeitgeber. Daher lässt sich im Vereinigten Königreich de lege lata nicht wie in Deutschland darüber diskutieren, ob sich Anforderungen, die für die Gewerkschaft gelten, auf Arbeitgeberverbände übertragen lassen.

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Sachwortverzeichnis Allzuständigkeit  139 f., 143, 154 Anerkennung des Tarif-, Schlichtungsund Arbeitskampfrechts  120 ff., 128, 134, 172, 191, 194 Anerkennungsprinzip  184 ff. Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen  45 Arbeitskampfbereitschaft  93 f. Ausgestaltungsauftrag  46 f., 56 ff., 74 Begriff der Tariffähigkeit  29 f. Begriff der Tarifzuständigkeit  130 f. Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung  126, 172 besonderer Verbandszweck  45 Bestimmtheitsgebot  17, 141 ff., 194 f. capacité à négocier  167 Central Arbitration Committee  185 CGM-Entscheidung, erste  72 CGM-Entscheidung, zweite  57, 72, 95 collective laissez faire  182 f. Complianceorganisation  107 ff., 125 f. Dauerhaftigkeit des Zusammenschusses  39 f., 184 Delegationslehre  54, 58 demokratische Binnenorganisation  44, 46, 84 ff., 103, 118, 127 f., 136, 160, 163, 189, 191, 193 Differenzierungsklauseln  21 Entlastung staatlicher Institutionen  49, 52, 159 erga-omnes-Wirkung  168, 177 f., 180, 195 Extension  167

fachlich-betriebliche Tarifzuständigkeit  140, 147 ff. – Branchenbeschreibungen  140, 147, 149, 151 ff., 154, 156, 195 – Regelbeispiele  153 ff., 195 – Unternehmensart  150 f. Frankreich  17, 165, 167 ff., 195 Freiwilligkeit  38, 41 ff., 192 Friedensfunktion  51, 96, 107 ff., 123 f., 127 f., 190 f., 193 f. Friedenspflicht  28, 51, 107, 123 f., 127, 193 Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie  59, 61 f., 64, 98, 100 f., 126, 160, 188 Gegenmachtprinzip  44, 67, 98, 100 f., 106, 111 f., 192 Gegenverbände  18, 66 Gegnerfreiheit  45, 109, 113 f., 127, 190, 193 Gegnerunabhängigkeit  30, 109 ff., 118, 127 f., 173, 186, 189 f., 193 gelbe Gewerkschaften  110 f. gewollte Tarifunfähigkeit  75 GKH-Beschluss  95 Gleichheitssatz  65 Grundrechtsausgestaltung  56 ff., 74, 99, 123, 161 Grundrechtseingriff  56 ff., 61 f., 64, 74, 189 historische Entwicklung des Arbeitgeberverbandes  18 ff. Industrieverbandsprinzip  133, 135 Kartellfunktion  52 f., 133 Kartellwirkung  28



Sachwortverzeichnis211

Koalitionsbegriff  16, 35 ff., 41, 45 f., 74, 120, 184, 188, 192 koalitionsmäßige Betätigung  35 ff., 39, 46, 48, 52, 56, 61, 192 Koalitionsmittelwahlfreiheit  76 f., 81 kommunale Arbeitgeberverbände  116 Konzernarbeitgeberverbände  39, 41 ff., 192 körperschaftliche Organisation  42 Kräftegleichgewicht  50 ff., 65, 67, 74, 81, 106, 112, 116, 119, 189 Legitimation der Tarifmacht  54, 93, 102, 143 Legitimationslehre  55 Mächtigkeitserfordernis  15, 55, 64, 71, 73, 93 ff., 111, 127 f., 160, 168, 174 f., 179, 181, 187, 189, 191, 193 manifestierte Tarifwilligkeit  78 ff., 136 Mehrheitsprinzip  88 Mindestmitgliederzahl  38 f. Mischtheorie  55 Mitbestimmungsurteil  46, 59 Mitgliederhorizont  145, 147 Mitgliederschutz  54, 68, 83, 88, 103, 119, 126 ff., 136, 190, 193 f. mitgliedschaftliche Legitimation  156 ff. Normsetzungsbefugnis  16, 31, 41, 43, 46, 48 f, 54 f., 68, 76, 118, 126, 143, 186, 192 Oppositionsrecht  178 Ordnungsaufgabe  41, 45, 52, 76, 83 Ordnungsfunktion  52, 79, 82, 115, 119, 134 organisatorische Leistungsfähigkeit  57, 106 ff., 124 f., 127 ff., 140, 190, 193 organisierte Willensbildung  38, 40 f., 192 Orientierungsfunktion  53, 159

OT-Mitgliedschaften  21 ff., 26, 67, 81 ff., 126, 146, 155, 161 ff., 192, 195 – Aufteilungsmodell  21, 81, 161 – Stufenmodell  21, 81, 161, 163 paritätische Kommission  167 paritätische Mitbestimmung  111 f. Phantom-Arbeitgeberverbände  112 räumliche Tarifzuständigkeit  140, 147 f. – dynamische Verweisung  147 Rechtsnatur der Tariffähigkeit  16, 30 ff. Rechtsvergleichung  165 ff. Repräsentativität  167 ff. – Achtung republikanischer Werte  171 f. – Audience  168 ff., 177 ff., 187 – ausgewogene territoriale Präsenz  175 – Einfluss  175 – finanzielle Transparenz  172 f. – Mindestbestandsdauer  173 ff. Richtigkeitsgewähr  49 Sachnähe  49, 53, 133 f., 157, 159, 175 Satzungsautonomie  137 ff. Schutzfunktion  23, 51, 66, 74, 99 ff., 106, 111, 189 sinnvolle Ordnung des Arbeitslebens  52, 95, 99, 100 Staatsvertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion  69 ff., 87, 98 f., 114, 121, 123 strukturelle Unterlegenheit der Arbeitnehmer  50, 65 f., 99, 101 Tarifeinheit  51 f., 87, 133, 135 Tarifwilligkeit  75 ff., 103, 126, 136 ff., 161, 189 f., 192 Teiltariffähigkeit  140 Überbetrieblichkeit  45, 114, 127 f., 193 UFO-Beschluss  95 ultra-vires-Grundsatz  135

212

Sachwortverzeichnis

Unabhängigkeit vom Staat  45, 114 ff., 127 f., 191, 194 Unabhängigkeit von Parteien und Religionsgemeinschaften  45, 114, 116 ff., 127 f., 191, 194 Verbändegesetz  84 Vereinigtes Königreich  17, 165, 182 ff., 196 Vereinigungsbegriff  34 f., 38 f., 41, 45, 47 f., 69 – einheitlicher  46 – tarifrechtlicher  48 – verfassungsrechtlicher  48

Verfassungstreue  126 Verhältnismäßigkeitsprüfung  61 f., 64, 158 Verteilungsfunktion  51, 53, 140 Wahrung und Förderung der Arbeitsund Wirtschaftsbedingungen  36 f., 40, 45, 119 Werksvereine  110 Zugangskontrolle  48 f., 63, 74, 123, 166, 188 Zusammenschluss einer Personenmehrheit  38 f. Zwangsverbände  41