Tagebuch zum Kirchenkampf in Thüringen 1933-1938 9783412507459, 9783412206611, 1933194549

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Tagebuch zum Kirchenkampf in Thüringen 1933-1938
 9783412507459, 9783412206611, 1933194549

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Marie Begas Tagebücher zum Kirchenkampf 1933–1938

Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen Große Reihe Band 19

Marie Begas

Tagebücher zum Kirchenkampf 1933–1938 Herausgegeben von Heinz-Werner Koch, Folkert Rickers und Hannelore Schneider Zum Druck gebracht von Johannes Mötsch

2016 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN

Gedruckt mit Unterstützung der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland und des Freistaats Thüringen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Umschlagabbildung: Marie Begas (Foto: Landeskirchenarchiv Eisenach, Personalakte Marie Begas Nr. L 3002)

© 2016 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Wissenschaftliche Redaktion: Pierre Fütterer, Jena Register: Marco Krüger, Jena Gesamtherstellung: WBD Wissenschaftlicher Bücherdienst, Köln Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in the EU ISBN 978-3-412-20661-1

Inhalt

Vorwort .........................................................................................................................7 Vorbemerkung zur Entstehung der Edition .................................................................11 1. 1.1. 1.2. 1.2.1. 1.2.2. 1.2.3. 1.2.4. 1.2.5. 1.2.6. 1.2.7. 1.3. 1.3.1. 1.3.2.

Einleitung .......................................................................................................13 Die Textgrundlage ..........................................................................................13 Die Autorin: Zur Biographie der Marie Begas ...............................................15 Quellen zur Biographie ..................................................................................15 Herkunft, Schulbildung, Studium, Ehen ........................................................17 Frühe Tagebücher und Kriegstagebuch 1915 .................................................24 Rückkehr nach Weimar, Tätigkeit beim Landeskirchenrat bis 1932 .............28 Tätigkeit beim Landeskirchenrat in nationalsozialistischer Zeit ....................34 Entstehung und Verbleib der Aufzeichnungen ..............................................39 Tätigkeit beim Landeskirchenrat nach 1945 und Ruhestand .........................43 Die Aufzeichnungen aus den Jahren 1933–1945 ...........................................49 Die Aufzeichnungen als Tagebuch ............................................................... 49 Inhalt und Intentionen des Tagebuchs ............................................................54

2. 2.1. 2.2. 2.2.1. 2.2.2. 2.2.3. 2.2.4. 2.2.5. 2.2.6.

Das Tagebuch .................................................................................................81 Zur Textgestaltung und Kommentierung .......................................................81 Das Tagebuch, kommentierte Texte...............................................................86 Die Tagebucheintragungen 1933 ...................................................................86 Die Tagebucheintragungen 1934 .................................................................118 Die Tagebucheintragungen 1935 .................................................................185 Die Tagebucheintragungen 1936 .................................................................379 Die Tagebucheintragungen 1937 .................................................................586 Die Tagebucheintragungen 1938 .................................................................774

3. 3.1. 3.2. 3.3. 3.4. 3.5. 3.6. 3.6.1. 3.6.2.

Anhang .........................................................................................................939 Biogramme 1933–1938 ................................................................................939 Übersicht Strichzeichnungen......................................................................1059 Ortsbezeichnungen und eigentümliche Begriffe im Tagebuch ..................1060 Abkürzungsverzeichnis ..............................................................................1064 Literaturverzeichnis....................................................................................1069 Register ......................................................................................................1088 Personen .....................................................................................................1089 Orte, Länder, Regionen ..............................................................................1109

Vorwort

Die Geschichte der Thüringer evangelischen Kirche in der Zeit zwischen 1933 und 1945 steht nach wie vor im Mittelpunkt der Forschung. In den letzten Jahren konnten durch die Nutzbarmachung und Auswertung zahlreicher Quellen weitere Differenzierungen kirchengeschichtlicher Vorgänge vorgenommen und eine Vielzahl an Forschungsimpulsen ausgelöst werden. Das Tagebuch von Marie Begas zum Kirchenkampf in Thüringen 1933–1938, ediert und kommentiert von Folkert Rickers, HeinzWerner Koch und Hannelore Schneider, ist in diesem Zusammenhang ein besonders herausragendes Dokument zur Thüringer Kirchengeschichte. Marie Begas hatte als Mitarbeiterin der Kirchenverwaltung in Eisenach und gleichzeitig als aktives Mitglied der Bekennenden Kirche die Innensicht auf die wichtigsten Vorgänge während der Zeit des Thüringer Kirchenkampfes. Durch die Menge und die Dichte der im vorliegenden Tagebuch festgehaltenen Informationen ergibt sich ein einzigartiges Bild dieser dramatischen historischen Vorgänge im politischen Kontext jener Jahre in Thüringen und darüber hinaus. Im einzelnen berichtet das Tagebuch über die Politik der Deutschen Christen und ihre Bemühungen, skrupellos die Macht in der Thüringer evangelischen Kirche an sich zu reißen, ideologisch nicht genehme Pfarrer und kirchliche Mitarbeiter mit aller Härte zu disziplinieren und für ihre Zwecke gefügig zu machen. Das Tagebuch war als Gedächtnisstütze für eine spätere Geschichte des Kirchenkampfes in Thüringen gedacht. Die Anregung kam von Ernst Otto, dem Leiter der 1934 gegründeten Lutherischen Bekenntnisgemeinschaft. In einer Zeit, als die Deutschen Christen gerade erst begonnen hatten, ihren Einfluss auf die Thüringer Landeskirche auszubauen, waren sich Ernst Otto und Marie Begas bereits der Tragweite der Situation bewusst, in der sich ihre Kirche seinerzeit befand. So begann Marie Begas sehr frühzeitig, im Mai 1933, mit der Dokumentation des Kirchenkampfes, dieses sich reichsweit anbahnenden Konflikts. Sie notierte im Tagebuch, was sie aus verschiedenen Quellen im Hause hörte, oder las, was ihr über konspirative Kontakte aus Berlin oder von anderswoher zugetragen wurde, welche oft üppig wuchernden Gerüchte, Spekulationen und Verdächtigungen in Umlauf kamen und wie sie einzuschätzen waren. Eine weitere Quelle ihrer Informationen vom Alltag des Kirchenkampfes in Thüringen waren allgemeine und kirchliche lokale und überregionale Zeitungen und Zeitschriften aus den unterschiedlichsten kirchenpolitischen Lagern, die sie ständig las und auswertete. Aufgrund ihrer ausgezeichneten Fremdsprachenkenntnisse war die Pressearbeit immer ihr Ressort. Es gehörte zu ihren dienstlichen Aufgaben, ausgewählte Passagen aus der englischen, französischen, später auch italienischen und niederländischen Presse zu übersetzen und ihren Dienstherren zur Verfügung zu stellen. Auch dadurch war sie meist auf der Höhe des jeweiligen Standes des Kirchenkampfes und konnte abschätzen, wie sich die Lage in Thüringen in Korrespondenz mit den Verhältnissen im Reich und den anderen Landeskirchen entwickeln würde.

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VORWORT

Eine einzigartige Quelle ist dieses Tagebuch schon deshalb, weil Marie Begas, selbst von Anfang an Mitglied der Lutherischen Bekenntnisgemeinschaft und enge Vertraute von Ernst Otto, Zugang zu allen Dokumenten und Vorgängen des Kirchenkampfes hatte, die durch die Geschäftsstelle der Bekennenden Kirche gingen, ja, diese oft selbst mit beraten und aufgesetzt hat. Marie Begas befand sich bis 1938 im Zentrum der Auseinandersetzungen. Sie beschreibt in diesem Tagebuch praktisch das gesamte Panorama des Kirchenkampfes. Besonders wertvoll sind die Ausführungen über die Auseinandersetzungen in den Gemeinden oder im Landeskirchenrat. Hier wird eine ganz neue – bis dahin wenig beachtete – Dimension des Kirchenkampfes deutlich. Erst mit dem Blick auf das Alltagsgeschehen des Kirchenkampfes erschließt sich das Material des Tagebuchs in seiner ganzen Breite und Vielfalt. Marie Begas zeigt an zahlreichen Beispielen, dass Kirchenkampf nicht nur der Schlagabtausch der großen kirchenpolitischen Parteien gewesen ist, sondern auch zermürbender Alltag in vielen Gemeinden und in den kirchlichen Verwaltungen. In ihren Aufzeichnungen gibt sie auch Zeugnis vom Umgang der Menschen untereinander im Landeskirchenrat. Vom Hausmeister und Fahrer bis zum Bischof waren alle Arbeiter, Angestellten und Beamten irgendwie von dieser unheilvollen Situation erfasst und mussten darauf reagieren. Durch die Schilderungen im Tagebuch kann man geradezu handgreiflich nacherleben, wie der Kirchenkampf im Verhalten der Menschen seine Spuren hinterließ. Ergänzt wird die Tagebuchedition durch eine ausführliche biographische Skizze über die Verfasserin Marie Begas, die ihrem Status nach eine einfache, wenngleich hochqualifizierte Verwaltungskraft, zuletzt in der Position einer Kirchenverwaltungsoberinspektorin bei der Thüringer evangelischen Kirche gewesen ist. Es liegt auf der Hand, dass die näheren Lebensumstände der Marie Begas, ihre Herkunft, Bildung, Kontakte, Auslandsaufenthalte etc. ausschlaggebend für die Tätigkeit und auch die Wirkung ihrer Persönlichkeit in späteren Jahren gewesen sind. Das Tagebuch umfasst insgesamt einen Zeitraum von 12 Jahren. In kommentierter Form zum Druck gebracht sind nur die Jahrgänge 1933–1938. Diese Beschränkung ergibt sich daraus, dass der eigentliche Kirchenkampf in Thüringen in diesen Jahren stattgefunden hat. Die unmittelbare Nähe zum Kirchenkampf gibt auch dem Tagebuch eine besondere Qualität, die nach dem Weggang von Otto 1938/1939 so nicht mehr gegeben war. Ab 1939 ändert das Tagebuch seinen Charakter und wird eher zu einem Kriegstagebuch. Die Edition ist von Folkert Rickers und Heinz-Werner Koch in jahrelanger Arbeit sorgsam kommentiert und durch Biogramme der beteiligten Personen ergänzt worden. Eine bei der Arbeit an der Edition entstandene Sammlung von Kirchenkampfdokumenten steht im Landeskirchenarchiv für die Benutzung durch die Forschung zur Verfügung. Das Original der Tagebuchaufzeichnungen, die von Marie Begas angelegte Sammlung von Zeitdokumenten sowie der überwiegende Teil der in der Kommentierung angeführten Dokumente befinden sich ebenfalls im Landeskirchenarchiv Eisenach.

VORWORT

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Nach Jahrzehnten kommen die ursprünglichen Intentionen der Tagebuchschreiberin, nämlich die Geschichte des Kirchenkampfes zu dokumentieren, mit dieser Publikation doch noch zum Tragen. Die vorliegende Edition ist ein Meilenstein in der Quellenforschung zur Thüringer Kirchengeschichte und darüber hinaus. Durch die Ursprünglichkeit und die Dichte der hier vorliegenden Dokumente eröffnen sich weitreichende neue Forschungsperspektiven. Die Historische Kommission für Thüringen hat das Tagebuch zum Kirchenkampf von Marie Begas in ihre Große Reihe aufgenommen und die Herausgabe des Werkes maßgeblich befördert. Dafür ist ihr die Landeskirche zu großem Dank verpflichtet.

Ilse Junkermann Landesbischöfin der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland

Vorbemerkung zur Entstehung der Edition

Diese Edition ist zum weitaus größten Teil die Arbeitsleistung von Pfarrer Heinz-Werner Koch (1929–2011) und Prof. Dr. Folkert Rickers (1938–2011). Heinz-Werner Koch, Leiter des Landeskirchlichen Archivs von 1987 bis 1994, hat die Quelle in seinem Archiv entdeckt, ihren Wert für die Kirchen- und die Landesgeschichte erkannt und daraufhin gemeinsam mit Folkert Rickers das Projekt einer Edition entwickelt. Dr. Hannelore Schneider, Leiterin des Archivs seit 2005, hat dieses Projekt an die „Historische Kommission für Thüringen“ herangetragen. Gemeinsam haben Bearbeiter und Vorstand der Kommission im Jahr 2007 die Struktur einer solchen Edition beraten und die hierzu erforderlichen Arbeitsschritte festgelegt. Unter Leitung von Heinz-Werner Koch und Hannelore Schneider wurden die transkribierten Texte noch einmal mit der Vorlage verglichen und – wo nötig – korrigiert. Im Jahr 2010 schien dann der Abschluss der Arbeiten absehbar, weshalb die „Historische Kommission für Thüringen“ die Edition in ihr Jahresprogramm für 2010 aufgenommen hat. Zur Drucklegung ist es damals allerdings nicht gekommen, da beide Bearbeiter kurz nacheinander verstorben sind und die letzten Arbeitsschritte zu diesem Zeitpunkt noch ausstanden. Die „Historische Kommission für Thüringen“, der der große Wert dieser Edition bewusst war, hat sich in der Folge intensiv um einen Bearbeiter bemüht, der das Manuskript zum Abschluss bringt und für die Drucklegung vorbereitet. Dr. Johannes Mötsch, von 1997 bis 2014 Leiter des Thüringischen Staatsarchivs Meiningen, hat sich nach seinem Eintritt in den Ruhestand dieser Herausforderung gestellt, die noch ausstehende Beschreibung der Handschrift angefertigt und die Biographie von Marie Begas sowie die Biogramme im Anhang der Edition überarbeitet. Ergänzungen in diesen Biogrammen sind durch seine Initialen gekennzeichnet. Bei Erscheinen der Edition sei deshalb nicht nur den beiden Initiatoren und langjährigen Bearbeitern posthum, sondern auch Dr. Hannelore Schneider, die die Arbeiten mit Rat und Tat begleitet hat, und vor allem Dr. Johannes Mötsch sehr herzlich gedankt.

Professor Dr. Werner Greiling Vorsitzender der „Historischen Kommission für Thüringen“

1. Einleitung

1.1. Die Textgrundlage Das Landeskirchliche Archiv Eisenach besitzt im Bestand „Lutherische Bekenntnisgemeinschaft“ (LBG) als Nr. 280 zwei Kartons (Nr. 280/1 und 280/2) mit den Aufzeichnungen der Marie Begas zum Kirchenkampf in Thüringen. Von M. Begas benutzt wurden Hefte von meist fünf, gelegentlich auch drei oder vier Doppelblättern ohne Liniierung. Folgende Lagen (Hefte) sind vorhanden: Karton LBG 280/1: Mappe 1, Lagen Nr. 1–17 (27. Mai 1933 bis 31. Dez. 1934; das Jahr 1934 beginnt in Lage 7). Mappe 2, Lagen Nr. 18–45 (14. Jan. 1935 bis 10. Dez. 1935). Mappe 3, Lagen Nr. 46–81 (Dez. 1935 / 2. Jan. 1936 bis 8. Jan. 1937). Mappe 4, Lagen Nr. 82–122 (9. Jan. 1937 bis 28. Dez. 1937). Mappe 5, vier Lagen ohne Zählung, Lagen Nr. 1–28, weitere sechs Lagen ohne Zählung (3. Jan. 1938 bis 24. Dez. 1938). Diese Aufzeichnungen bilden die Textgrundlage der Edition. Für die spätere Zeit sind vorhanden (sämtliche Lagen ohne Zählung): Karton 280/1: Noch Mappe 5 (2. Jan. 1939 bis 15. Sept. 1939). Mappe 6 (15. Sept. 1939 bis 18. April 1940) Karton LBG 280/2: Mappe 1 (17. Nov. 1939 bis 15. April 1940) Mappe 2 (19. April 1940 bis 31. Dez. 1941) Mappe 3 (2. Jan. 1942 bis 7. Jan. 1943) Mappe 4 (7. Jan. 1943 bis 7. Oktober 1943) Mappe 5 (5. Nov. 1943 bis 17. April 1944) Mappe 6 (25. April 1944 bis 8. Febr. 1945) Mappe 7 (13. Febr. 1945 bis 26. Mai 1945). Für die Eintragungen verwendete M. Begas einen Füller mit einer dunkelblauen Tinte - nicht durchgehend die gleiche, in wenigen Fällen auch Bleistift. Am Anfang gibt es wenige Unterstreichungen und Querverweise mit blauem Kugelschreiber, zu deren Datierung nichts gesagt werden kann; vermutlich stammen sie aus späterer Zeit. Fast überall finden sich Markierungen mit Bleistift (Streichungen, Unterstreichungen, Klammern), die wohl im Zusammenhang mit der Anfertigung der maschinenschrift-

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MARIE BEGAS

lichen Abschrift (Typoskript, dazu unten) angebracht worden sind. Vergleiche zwischen den Markierungen und dem Typoskript zeigen jedoch, dass diese Absichten nicht durchgehend umgesetzt worden sind. Offenbar hat sich M. Begas bei Anfertigung des Typoskripts entschieden, bestimmte Textpassagen dennoch aufzunehmen, andere jedoch, die nicht markiert waren, wegzulassen. Anhand der beschriebenen äußeren Merkmale lässt sich feststellen: Die Aufzeichnungen sind, soweit feststellbar, möglichst zeitnah angefertigt worden. Einzelne Abschnitte können mehrere Tage umfassen. In anderen Fällen beziehen sich umfangreiche Passagen auf einen einzigen Tag bzw. Tagesabschnitte (Vormittag, Nachmittag, Abend). Leere Blätter am Schluss einzelner Lagen zeigen, dass die folgenden Eintragungen auf der neuen Lage erst später angefertigt worden sind. Häufig ziehen sich jedoch die Eintragungen über zwei oder mehr Lagen hin. Sie sind, auch wenn sie mehrere Tage betreffen, in einem Zug niedergeschrieben worden. Offenbar hat M. Begas, wenn möglich, unmittelbar nach den Ereignissen oder Gesprächen Notizen angefertigt, aus denen sie später die Eintragungen entwickelt hat. In Einzelfällen war es ihr jedoch nicht mehr möglich, den Sinn dieser Notizen zu erschließen. Bei Schilderung der Ereignisse von Ende Juni 1933 stellte sie fest: „Das Folgende aus kurzen Notizen, deren Sinn mir z. Teil entfallen ist“ (der nächste Eintrag stammt vom 18. November). Es liegt nahe, dass M. Begas nur in Abständen zur Anfertigung der teilweise sehr umfangreichen Eintragungen gekommen ist. Auf diese Punkte wird unten bei Behandlung der inneren Merkmale des Tagebuchs ausführlicher eingegangen. Auf der Grundlage dieser handschriftlichen Aufzeichnungen fertigte M. Begas später eine erheblich gekürzte maschinenschriftliche Fassung (Typoskript) an. Davon sind Durchschläge (teilweise auch mit den damaligen technischen Mitteln hergestellte Abzüge) vorhanden: LBG Nr. 281 fehlt. Nr. 282 (S. 137–266; 12. Nov. 1935 bis 4. Dez. 1936). Nr. 283 (S. 267–365; 5. Dez. 1936 bis 21. Febr. 1938). Nr. 284 (S. 366–516; 24. Febr. 1938 bis 2. Jan. 1941). Nr. 285 (S. 518–665; 30. Dez. 1940 bis 24. Nov. 1942). Nr. 286 (S. 666–820; 24. Nov. 1942 bis 30. Juli 1945). Zweitschrift: Nr. 287 (S. 1–140; 27. Mai 1933 bis 11. Nov. 1935). Nr. 287a (S. 141–416; 12. Nov. 1935 bis 21. Febr. 1938). Nr. 287b (S. 417–513; 24. Febr. 1938 bis 24. Jan. 1941); dazu eine Mappe mit „Resten“. Nach den Erinnerungen von Heinz-Werner Koch (geäußert gegenüber Hannelore Schneider) hatte M. Begas die Absicht, ihre Aufzeichnungen fortzusetzen. Dies wurde ihr jedoch untersagt. M. Begas hat dies selbst am Ende des Typoskripts dokumentiert: „Ende ungewollt“ (Nr. 286, S. 820). Das macht neugierig auf die Person, die diese Quelle angefertigt hat.

EINLEITUNG

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1.2. Die Autorin: Zur Biographie der Marie Begas 1.2.1. Quellen zur Biographie Eine Biographie der Tagebuchschreiberin Marie Begas vorzulegen, ist wegen der lückenhaften Quellenlage nicht möglich. Es gibt einfach zu wenige Dokumente, die Auskunft über ihren Lebensweg geben. Das ist im Grunde auch nicht anders zu erwarten, denn M. Begas war keine bekannte Gestalt des öffentlichen Lebens und hat auch im Spektrum der Öffentlichkeit wenig Nachhaltiges bewirkt. Sie war vielmehr eine einfache, wenngleich hochgebildete Verwaltungskraft, zuletzt in der Position einer Kirchenverwaltungsoberinspektorin. Und wer hebt – abgesehen von der Familie – für eine solche schon biographierelevantes Material auf! Aber sie war eben – in einem schwer zu beschreibenden Sinn – mehr als eine Verwaltungskraft. Natürlich war sie Kind ihrer Zeit, aber sie hat sich nach zwei gescheiterten Ehen vielleicht mehr als andere Frauen auch als selbständig agierende Frau behauptet, hat einen beachtlichen beruflichen Status beim Landeskirchenrat der Thüringer evangelischen Kirche erworben, hat – besonders im Kirchenkampf – ihre eigene Identität gefunden und stark gemacht und von Zeit zu Zeit darüber geschrieben. Deshalb ist es nun auch wieder nicht ganz verwunderlich, dass die Dokumente immerhin ausreichen, um eine aus vielen Mosaiksteinen zusammengesetzte biographische Skizze vorzulegen, in der das Tagebuch mit einer konkreten Person verbunden werden kann und von hier manche Erhellung erfährt. Erhalten geblieben ist die Personalakte im Landeskirchenarchiv Eisenach; sie ermöglicht, den beruflichen Werdegang in formaler Hinsicht nachzuzeichnen. Darüber hinaus ist sie aber weniger ergiebig, als zunächst zu vermuten wäre. Aus ihr geht z.B. nicht einmal hervor, in welchen Abteilungen des Landeskirchenamtes sie gearbeitet hat, nachdem sie Anfang 1934 aus dem „Volksdienst“ ausgeschieden war. Aufschlussreicher ist schon der Nachlass Marie Begas, der sich im Besitz ihres Urenkels, Jochim Ohrtmann, befindet und der für die Rekonstruktion ihres Lebens in einzelnen Dokumenten, Fotos und Reproduktionen (Portraits von Ottmar Begas, dem zweiten Mann der M. Begas) zur Verfügung gestellt worden ist.1 Ihm kann man mehr entnehmen als Daten zur Familiengeschichte. Im Nachlass befindet sich auch das »Kriegstagebuch« von M. Begas aus dem Jahre 1915; es konnte eingesehen, transkribiert und ausgewertet werden. Ebenfalls im Familienarchiv Jochim Ohrtmann befinden sich einzelne für die Biographie Marie Begas relevante Dokumente, die freundlicherweise eingesehen werden konnten. Im Jahre 2009 tauchte durch einen Zufall ein weiterer Nachlassteil auf, hier als Nachlass Marie Begas (H.) bezeichnet, der kurz vor Abschluss des Manuskripts noch eingesehen werden konnte. Dieser Teil enthält mehrere Tagebücher von M. Begas, ein Poesiealbum, ein Manuskript für eine Erzählung, mehr als hundert Fotos, vor allem aus der mexikanischen Zeit des Ehepaares O. und M. Wagner, von Überfahrten und von 1

Der Nachlass Marie Begas war zunächst im Besitz ihrer Tochter Ruth Ohrtmann, geb. Wagner, ging dann z.T. an deren Sohn Johan-Jochim Ohrtmann über und kam schließlich in die Hände von dessen Sohn, Jochim Ohrtmann, dem derzeitigen Besitzer. Er ist weder archivalisch geordnet noch foliiert.

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MARIE BEGAS

Mihla, zwei Scherenschnitte des Ehepaares O. und M. Wagner sowie einzelne Dokumente und zahlreiche Briefe persönlichen Charakters an verschiedene Verwandte. Beide Nachlassteile haben aller Wahrscheinlichkeit nach einmal zusammengehört. Wie und unter welchen Umständen es zu ihrer Teilung gekommen ist, ist derzeit nicht zu klären. Der Nachlaß Marie Begas (H.) soll dem Vernehmen nach im Besitz des Sohnes von Ruth Ohrtmann, Hans-Otto Ohrtmann (»Hatto«), gewesen und aus dessen Erbmasse verkauft worden sein.2 Auch dieser Teil ist weder archivalisch geordnet noch foliiert. Dazu gehörten schließlich wohl auch zwei von Ottmar Begas gemalte Portraits der M. Begas und ihrer Schwiegermutter Harriet Wagner, die im Besitz von Georg Ohrtmann sind. Er hat für diese Arbeit Kopien zur Verfügung gestellt. Auf Bitten des Bearbeiters hat G. Ohrtmann darüber hinaus »Erinnerungen von Georg Ohrtmann an seine Großmutter Marie Begas, Januar 2010« niedergeschrieben (zitiert als »Erinnerungen G. Ohrtmann«). Eine weitere Spur führt nach Heinsberg und zur Malerfamilie Begas, die im dortigen Begas Haus (Kreismuseum) wissenschaftlich erforscht wird. Dieses besitzt den Nachlass von Ottmar Begas, einem Portraitmaler, mit dem M. Begas für einige Jahre verheiratet war. Unter anderem findet sich darin auch ein bemerkenswert einfühlsames Portrait (Bleistiftzeichnung) der Tagebuchschreiberin. Über die Ehe mit O. Begas und über die Reisen, die beide gemeinsam unternommen haben, findet sich in beiden Nachlässen nichts mehr, mit Ausnahme eines Rechtsanwaltsbriefes, in dem es aber bereits um die Scheidung geht. Eine weitere Quelle zur Begas-Biographie ist ein Paket mit neun Briefen, von denen sieben aus der Feder von M. Begas stammen, die sie an Ihre Cousine Frau Annemarie Große-Brauckmann, Lenningsen, Kreisstraße 74, gerichtet hat, umfassend den Zeitraum 9. Juli 1948 bis 15. August 1949. Sie wurden im Jahre 2008 von Frau Kuhlmann, der Tochter von Annemarie Große-Brauckmann, mithin eine Enkelin der Familie Harstall, dem Ortsarchiv Mihla übergeben. Es handelt sich um reine Privatbriefe, die sich vor allem auf die verwandtschaftlichen Verhältnisse beziehen. Sie haben zeitgeschichtliche Bedeutung allerdings darin, dass in ihnen auch über den schwierigen Alltag in der Sowjetisch Besetzten Zone berichtet wird. M. Begas schreibt aber auch von ihren Versuchen, ihrer ausgebürgerten bzw. in den Westen übersiedelten Verwandten aus dem einstigen Familienbesitz in Mihla (Schloss der von Harstalls) bestimmte Gegenstände zukommen zu lassen. Schließlich kann man dem Tagebuch selbst eine Reihe von Angaben zur Biographie seiner Schreiberin entnehmen. Im Folgenden soll ein biographisches Mosaik entstehen, wobei unterschiedslos Bedeutsames neben weniger Bedeutsamem zu stehen kommt, Kirchenpolitisches und Berufliches neben sehr Persönlichem. Ein solches Vorgehen ist bei dem lückenhaften

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Nach Einsicht in den »Nachlass Marie Begas (H.)« wurde ein erster biografischer Versuch über die Tagebuchschreiberin vorgelegt: [Rainer Lämmerhirt], Der Lebensweg der Maria Begas – Portrait einer ungewöhnlichen Frau, Dorfbilder aus dem alten Mihla 2 (Westthüringer Heimatschriften. Veröffentlichungen des Heimat- und Verkehrsvereins e.V. Mihla 8), Mihla 1997, 90–92. In diesem Beitrag findet sich auch ein Hinweis auf die Besitzerin des Nachlasses.

EINLEITUNG

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Quellenmaterial naheliegend. Denn jetzt weniger Gewichtiges kann in anderem Zusammenhang bei besserer Quellenlage für die Biographie als besonders gewichtig erscheinen.

1.2.2. Herkunft, Schulbildung, Studium, Ehen Anna Julie Marie Trautvetter wurde am 6. April 1883 in Vacha vor der Rhön, im damaligen Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach geboren.3 Ihr Vater, Paul Trautvetter, war zur Zeit ihrer Geburt Förster in Vacha. Die Mutter, Helene Trautvetter war eine geborene Freiin von Harstall aus Mihla in Thüringen. M. Begas hatte zwei Brüder, Hans Georg und Paul. Hans Georg fiel 1916 im Ersten Weltkrieg. Paul war um diese Zeit Opernsänger am Theater in Weimar; er starb 1959. Über ihre Schulausbildung ist nur wenig bekannt. Von 1889–1895 besuchte Marie Trautvetter die »Karolinenschule« in Eisenach, eine sogenannte »höhere Töchterschule«4. Danach erhielt sie von 1895 bis 1898 Privatunterricht durch den Hilfsgeistlichen der Dornburger Superintendentur, weil der Vater nach Dornburg an der Saale versetzt worden war. Er wechselte bald danach noch einmal den Berufsort und wurde Oberforstrat in Weimar. Im Nachlass finden sich zwei Fotos mit aufgestellten Schülergruppen, auf denen die Tagebuchschreiberin gut zu erkennen ist. Beide Fotos sind allerdings nur schwer zuzuordnen. Eines zeigt typische Schülerinnen im Alter von acht bis zehn Jahren und dürfte damit eine Abbildung einer Grundschulklasse sein. Das andere, junge Damen und Herren im Alter von etwa 16 Jahren darstellend, kann kein Klassenfoto aus dem höheren Schulbereich sein, sondern dürfte eher eine Tanzstundengruppe in Weimar abbilden. Die Tagebuchschreiberin tanzte gern und oft, wie ihren Tagebüchern zu entnehmen ist. Sie hatte den Wunsch, Lehrerin zu werden.5 Das war aber nicht zu realisieren, weil – anders als in Eisenach – in Weimar kein Seminar bestand. Gern wäre sie auch Krankenschwester geworden; das scheiterte aber an der Mutter. Stattdessen studierte sie ab 1898 an der Musikschule Weimar.6 Über diese Zeit berichtet sie später selbst: »In den jährlichen Examina in der Musikschule hatte ich stets die besten Zensuren.7 Ich höre den Direktor noch sagen: ›Fräulein Trautvetter, lauter einsen!‹ Bei den anderen sagte er nichts. In meinem alten 3

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Die biographischen Angaben zu M. Begas im Zusammenhang der Familiengeschichte stellte Jochim Ohrtmann, Urenkel der Tagebuchschreiberin und im Besitz eines Teils ihres Nachlasses, zur Verfügung. Nach Auskunft von Jochim Ohrtmann: »Reformgymnasium für Mädchen mit Lehrerinnen-Seminar«. Nach dem Eisenacher Stadtbuch von 1925: »Karolinenlyzeum« mit Oberlyzeum (im Abbau) und deutsche Mittelschule für Mädchen«. Vgl. zum Folgenden Schreiben von M. Begas an ihre Tochter Ruth vom 23. September 1956, Nachlass Marie Begas. Amtliche Bezeihnung: »Großherzogliche Musik-, Opern- und Theaterschule in Weimar«. Im Nachlass Marie Begas (H.) finden sich drei »Censur«-Zeugnisse der Jahre 1901 bis 1902, in denen Fleiß und Leistung bescheinigt werden. Die »Schülerin« Marie Trautvetter hat mit einer Ausnahme in der Tat nur »Einsen«.

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MARIE BEGAS

Tagebuch habe ich einmal voll Stolz aufgeschrieben, wie der Direktor der Musikschule (jetzt staatliche Hochschule), mich nach dem Examen, als alle Schüler die Treppe hinunter strömten, mitten im Strom anhielt und laut sagte: ›Fräulein Trautvetter, es war außerordentlich, was wir von Ihnen zu hören bekamen. Ich hoffe, Sie werden nach der Harmonielehre auch den Kontrapunkt studieren!‹ Ich versicherte, daß ich die Absicht hätte! All dieses Lob machte mir furchtbar viel Spaß und steigerte meinen Lerneifer und meinen Ehrgeiz, wie du dir denken kannst.«8 Allerdings brach sie im Mai 1903 das Studium ab, weil sie sich in diesem Monat mit Otto Wagner verlobt hatte.9 Am 28. Oktober 1903 fand in Weimar die Eheschließung statt.10 Otto Wagner war Kaufmann in Mexiko-Stadt, »engaged in piano business« bzw. »piano king of Mexiko«, wie es in zeitgenössischen Zeitungen hieß.11 Der Abstammung nach war er Deutscher – wie seine Eltern –, besaß aber seit dem 12. Oktober 1900 die amerikanische Staatsbürgerschaft. Die Wagners führten in Mexiko-City ein großbürgerliches Haus mit dem entsprechenden Hauspersonal (Indios) sowie einem Chauffeur, der Belgier war; er steuerte einen Renault. Zum Haushalt gehörte weiter eine »Jungfer« für Marie Wagner, eine Französin, und ein deutsches (Kinder-)Fräulein für die Tochter Ruth. Neben dem Stadthaus besaß die Familie ein Landhaus mit Garten in einem Vorort von Mexiko-City, in Cojaacan. Mehrsprachigkeit war im Hause Marie und Otto Wagner also eine selbstverständliche und tägliche Erfahrung. »Die Lebensführung war durchaus Englisch. Meine Eltern setzten sich Abends immer, auch wenn sie nur zu zweit aßen, in Frack und großer Abendtoilette zu Tisch. Der Diener servierte.«12 Am 23. August 1905 wurde die Tochter Ruth in Mexiko-City geboren, am 28. März 1907 Tochter Sabina, die allerdings ein Jahr später in Mexiko-City verstarb. Sabina Wagner wurde zunächst in Mexiko bestattet, aber 14 Jahre später mit der Leiche des inzwischen verstorbenen Vaters Otto Wagner exhumiert und zur Verbrennung nach New York überführt. Von diesem Vorgang –

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Schreiben von M. Begas an ihre Tochter Ruth vom 23. September 1956, Nachlass Marie Begas. Zur Quelle vgl. den folgenden Abschnitt (2.1.2.). Die Verlobung wurde gleichzeitig in Weimar und in Mexico auf einer gemeinsamen Karte angezeigt; vgl. Nachlass Marie Begas (H.). Eintrag in die Hochzeitsbibel (= NT), Nachlaß Marie Begas (H.). Erhalten geblieben ist weiter eine Karte mit der Speisenfolge und den für die einzelnen Gänge vorgesehenen Weinen bei der Hochzeitsfeier, Nachlaß Marie Begas (H.). So speiste man nur in höheren gesellschaftlichen Kreisen! Sie dürfte das Budget der Trautvetter-Familie erheblich überstiegen haben. M. Begas hat später erzählt, wie es zu dieser Ehe gekommen ist: »Also Otto zeigte sich in Eisenach [Weimar!] von sehr spendabler Seite. So mietete er z.B. für einen ganzen Abend die angesehenste Gaststätte in Eisenach [Weimar!] (oder war es Weimar) und kam für alle Kosten der eingeladenen Gesellschaft auf. Dieses imponierte vielen ihrer Freundinnen und Bekannten und als Otto dann um ihre Hand anhielt, meinten viele ihrer Freundinnen, das wäre eine ›gute Partie‹. Oma erinnerte sich mir gegenüber daran, daß sie sich auch ganz gut einen anderen Partner aus der dortigen Gesellschaft als späteren Mann vorstellen konnte, denn an jungen Männern, die für sie Interesse zeigten, fehlte es nicht. Zudem hatte Otto ein steifes Knie, er konnte nicht tanzen« (Erinnerungen G. Ohrtmann). Zeitungsausschnitte, Nachlass Marie Begas. Lebenserinnerungen von Ruth Ohrtmann, geb. Wagner, Familienarchiv Jochim Ohrtmann.

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so die Version von Marie Begas13 – wurde die Mutter nicht informiert, obwohl für die deutschen wie für die mexikanischen Verwandten, die in den Vorgang involviert waren, dazu wohl die Möglichkeit bestanden hätte. Die amerikanischen Behörden weigerten sich allerdings, die Verbrennung ohne Einwilligung der Mutter vornehmen zu lassen. Diese wurde schließlich erteilt, nachdem der Onkel von Marie Begas, Hermann Trautvetter, ihr zugesichert hatte, dass die Beisetzung der kleinen Sabina nicht ohne die Teilnahme der Mutter durchgeführt würde. Die Urne wurde dem Pfarrer einer reformierten Kirche in Hamburg übergeben. Wegen einer längeren Erkrankung von M. Begas, die eine Reise nicht zuließ, verzögerte sich die Beisetzung allerdings. Nun wollten die Verwandten die Bestattung auch ohne die Mutter – und im Übrigen auch nicht in Gegenwart der Tochter Ruth – vornehmen lassen. Sie wünschten auch keine kirchliche Feier, schließlich – so schrieb Hermann Trauvetter – sei Tochter Sabina bereits zweimal kirchlich eingesegnet worden, in Mexiko und in New York; auch könne die Belastung mit der Urne der reformierten Kirche nicht länger zugemutet werden. Nun wandte sich die Mutter im Mai 1922 an den Pfarrer dieser reformierten Kirche, um ihn zu bitten, die Sache noch so lange hinauszuzögern, bis sie, M. Begas, wieder reisefähig sei. Die Urne verblieb in Hamburg. Nach beiderseitiger Einschätzung war die Ehe nicht glücklich.14 1908 kehrten M. und O. Wagner nach Deutschland zurück wegen gesundheitlicher Probleme der Ehefrau. Man bezog eine »feudale Wohnung« auf dem Kurfürstendamm, vermutlich Nr. 67. Das Ehepaar verkehrte auch in Künstlerkreisen und war u.a. mit dem Brüdern Carl Begas d.J. und Reinhold Begas (beide Bildhauer) bekannt, aber auch mit dem Portraitmaler Ottmar Begas (1878–1931), dem Sohn von Carl Begas d.J.15 Vermutlich wegen der Beziehung zu Ottmar Begas, aber auch wegen der Untreue ihres Mannes, seiner Spielsucht und seinen Alkoholproblemen16 verließ Marie Wagner Ehemann und Tochter. 1910 wurde das Ehepaar Wagner unter beiderseitigem Schuldeingeständnis von einem deutschen Gericht geschieden. Im Scheidungsverfahren war allerdings nicht eigens festgelegt worden, wer das Sorgerecht über die damals fünfjährige Tochter Ruth bekommen sollte. Daraus entwickelt sich ein Konflikt, über dessen Verlauf die Tochter Ruth selbst in ihren Lebenserinnerungen höchst anschaulich berichtet, dabei auf Erzählungen ihrer Mutter zurückgreifend.17 Zum anderen gibt es im Nachlass Begas eine Reihe von amerikanischen Zeitungsberichten über den Fall, wahrscheinlich alle aus dem Jahre 1911, soweit er vor einem amerikanischen Gericht ausgetragen wurde.18 Es liegt auch das schriftliche Urteil des Richters Fowler aus New 13 14 15 16 17 18

Zum Folgenden: Schreiben von M. Begas an einen reformierten Pastor in Hamburg vom 19. Mai 1922, Nachlass Marie Begas. Schreiben von M. Begas an Lotte [Brand?] vom 6. November 1966, Nachlass Marie Begas (H.). Angaben nach: Lebenserinnerungen von Ruth Ohrtmann, Familienarchiv Jochim Ohrtmann, Bl. A und B. Schreiben von M. Begas an Lotte [Brand?] vom 6. November 1966, Nachlaß Marie Begas (H.). Lebenserinnerungen Ruth Ohrtmann, Familienarchiv Jochim Ohrtmann, Bl. D ff. Nachlass Marie Begas und Nachlass Marie Begas (H.). Ein Artikel im Nachlass Marie Begas ist einer – vermutlich amerikanischen – deutschsprachigen Zeitung, entnommen. Einen weiteren Zeitungsartikel über den Fall Wagner-Begas fand Rita Müllejans-Dickmann im Internet: »Wagner suit over Daughter. Action of former Husband of Mrs. Begas Coming Before Surrogate, The New

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York vor, der letztlich über den Verbleib der Tochter Ruth zu entscheiden hatte.19 Aus diesen Quellen läßt sich der Fall wie folgt rekonstruieren:20 Nach deutschem und preußischem Recht war klar, dass das Sorgerecht für Ruth der Mutter zustand, sofern sie das Kind bei sich hatte. Gleichwohl stimmte sie offenbar zu – aus welchen Gründen auch immer –, dass der Vater die Tochter mit nach Amerika nahm. Er brachte sie allerdings nicht wieder mit zurück. Daraufhin beantragte die Mutter in New York ein Habeas-Corpus-Verfahren gegen den Vater, um ihn zu zwingen, die Tochter herauszugeben. Es kam auch zu einer ersten Verhandlung, in der sich die ehemaligen Eheleute darauf einigten (Richter Greenbaum), dass beide das Kind abwechselnd jeweils für ein halbes Jahr bei sich haben sollten. Eine Fortsetzung des Prozesses erübrigte sich dadurch. Allerdings kam der Vater des Mädchens seinen Verpflichtungen nicht nach. Er brachte das Kind zwar wieder mit nach Berlin, entschied sich dann aber, sie bei sich zu behalten und nach Amerika zurück zu bringen. Wie diese »Rückführung« arrangiert war und wie die Mutter sie zu verhindert suchte, darüber berichtet Ruth Wagner selbst: Es habe nun ein regelrechter Kampf um sie stattgefunden. Die Perlenkette wurde verkauft (um einen Prozeß finanzieren zu können), Anwälte wurden befragt, Gutachten namhafter Juristen eingeholt. Genau erinnert sie, Objekt von Kidnapping geworden zu sein. Ihre Mutter habe nämlich zusammen mit Ottmar Begas versucht, sie während eines Spaziergangs in New York in einem Taxi zu entführen. Das verhinderte nach einer offenbar recht handgreiflichen Szene das Kinderfräulein Stemmler, die mit Ruth wegzulaufen begann; sie erreichten »unser Etagenhaus« in New York. Ruth erinnert weiter, dann in einer ihr fremden Wohnung gelebt zu haben, mit anderen Worten: sie wurde versteckt. Die Auseinandersetzung zwischen den beiden Elternteilen habe aber bereits auf dem Schiff bei der Überfahrt begonnen. Am ersten Weihnachtstag (1910?) habe ihr Vater sich mit dem Schiff auf den Weg nach Amerika gemacht, samt Tochter, die als Junge verkleidet gewesen sei und einen anderen Namen getragen habe. Das hätten aber zwei von der Mutter engagierte Detektive in Erfahrung gebracht. Nun habe allerdings auch der Vater zwei Detektive bemüht, die das Kind zu bewachen hatten. Auf dem Schiff hätten sich allerdings alle Beteiligten noch ruhig verhalten. Als man dann aber von Bord gegangen sei, habe sich das Folgende abgespielt: »Da hätte Vater mit mir und Fräulein in einem Wagen Platz genommen, und das Gepäck in einem anderen Wagen. Die Detektive meiner Mutter hätten sich auch geteilt, einer hinter uns her; der andere sollte hinter dem Gepäck herfahren. Zuerst fuhr mein Vater vorneweg, das Gepäck hinterher, die Detektive in den beiden Wagen verteilt. Alles schön und gut, die Kolonne saust los, und dann auf einer schmalen Landstraße stellt sich der Wagen mit dem Gepäck plötzlich quer, die Wagen der hinterherfahrenden Detektive müssen halten, und

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York Times vom 16. April 1911«. Dieser Artikel ist zeitlich früher erschienen als die Artikel im Nachlass Marie Begas. Fowler, Foreigner Not Eligible for Person of Infant Citizen. Surrogate Court. County of New York. January, 1912. In the matter of Ruth Wagner, an infant, New York Law Journal 46 (1912) Nr. 82 vom 10. Januar, page 1615–1616, Nachlass Marie Begas (H.). Bei der Auswertung der englischsprachigen Zeitungsberichte und insbesondere des juristisch komplizierten Urteils des Richters Fowler war Dr. Hartwig Wittje (Hamburg) behilflich.

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wir fahren auf Nimmerwiedersehen davon!« Möglicherweise seien die Detektive (der Mutter) vom Vater aber bereits auf dem Schiff mit einer erheblichen Summe bestochen worden.21 Nachdem diese Aktion misslungen war, versuchte die Mutter erneut, einen HabeasCorpus-Befehl vor dem Supreme Court in New York zu erwirken. Aber auch dieses rechtliche Mittel brachte keinen Erfolg. Der Vater beantragte im März 1911 vor dem Surrogate’s Court das Sorgerecht für sein Kind, das ihm nach dem für ihn und das Kind geltenden amerikanischen Recht zugesprochen wurde (Richter Fowler). Amerikanische Jurisdiktion war hier anzuwenden, weil beide amerikanische Staatsbürgerschaft hatten. O. Wagner war seit 1900 naturalisierter Bürger der USA, folglich war es auch seine Tochter. Der Richter konnte nicht anders entscheiden. Wenn es in seiner Macht gestanden hätte, anders zu urteilen, hätte er es vorgezogen, der Entscheidung zuzufügen, dass die Mutter das Kind von Zeit zu Zeit sehen dürfe. Da Otto Wagner wegen ständiger Geschäftsreisen die Tochter nicht selbst erziehen konnte, überließ er die Erziehung der Großmutter väterlicherseits, Harriet Wagner, zunächst in Amerika, später in Hamburg.22 Erst im Jahre 1920 kam es zu einem Wiedersehen zwischen Mutter und Tochter.23 Das Verhältnis beider zueinander war nicht besonders gut. Ruth nahm ihrer Mutter wohl übel, nicht wieder nach Mexiko zurückgegangen zu sein. Am 5. Dezember 1910 heiratete Marie Wagner Ottmar Begas (1878–1931) in Hoboken / New Jersey. Danach waren beide viel auf Reisen, besonders in Italien, lebten zeitweise in Capri24 und wohl auch in Rom25, sonst aber in Berlin.26 Ottmar Begas ist erstmals im Berliner Adreßbuch 1912 und 1913 als wohnhaft Kaiserdamm 101 (Charlottendorf) verzeichnet. Auf die jahrelangen Reisen sowohl mit ihrem ersten als auch mit ihrem zweiten Mann ist M. Begas erstaunlicherweise später nicht mehr zurück gekommen. Nur einmal notiert sie in ihr Tagebuch aus nationalsozialistischer Zeit – dabei allerdings nur indirekt auf ihre auf Reisen gewonnene Weltläufigkeit verweisend: »Man müßte solche Leute wirklich erst einmal ein paar Jahre auf Reisen ins Ausland schicken. Sie glauben, die Welt sähe so aus, wie ihre Hirngespinste.«27 21 22 23 24 25 26

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Es ist nicht ganz klar, aber doch wahrscheinlich, dass sich die Entführungsszenen zwischen den beiden Gerichtsverfahren abgespielt haben. Die Eltern von Otto Wagner (August und Harriet Wagner) waren Deutsche, die zeitweilig in Mexiko gelebt haben. Vgl. Schreiben von Otto Wagner, New York, an seine Tochter Ruth vom 1. April 1920 und vom 23. April 1920, Familienarchiv Jochim Ohrtmann. Fowler, Foreigner Not Eligible for Person of Infant Citizen, 1615. Erinnerungen G. Ohrtmann. Lebenserinnerungen Ruth Ohrtmann (Familienarchiv Jochim Ohrtmann, Bl. D). Vgl. dazu auch die Erinnerung von Hintzenstern: »Mit ihm [Ottmar Begas] war sie viel auf Reisen. Gern erzählte sie von der Begegnung mit Maxim Gorki in Italien. Ihr Mann malte ihn dort« (Marie Begas, Das Ärgernis. Historia von einem Hilfsprediger, einem Hasen und einem Herzog, Evangelische Verlagsanstalt Berlin (Ost) 1970, mit einem Nachwort versehen und hg.v. Herbert von Hintzenstern, 62). Das Porträt von Gorki befindet sich im Begas Haus Heinsberg, Inv. Nr. B 123. Tgb. 13. November 1936.

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Ottmar Begas wurde am 10. Mai 1878 in Rom geboren. Seine Kindheit verlebte er in Köthen. 1890 heiratete der Vater Carl Begas d.J. ein zweites Mal, nämlich Emmy Bramigk, und siedelte mit der Familie nach Kassel über. An der Kasseler Kunstakademie lehrte der Vater Bildhauerei. Seine Ausbildung als Maler erhielt Ottmar Begas in Kassel und München.28 Er unternahm auch Studienreisen nach Amerika, Ägypten, Jemen, der Südsee und Ostasien29. Im Jahre 1907 hielt er sich in Rom auf und malte Pius X.30 Als Freiwilliger nahm er am Ersten Weltkrieg teil.31 1916 trennte sich M. Begas von ihrem Ehemann. Für den Fall der Scheidung wurde unterstellt, dass Ottmar die Schuld auf sich zu nehmen hätte und zu Unterhaltszahlungen verpflichtet wäre.32 Das geht aus einem Rechtsanwaltsschreiben hervor. Die Ehe, die kinderlos geblieben und ebenfalls nicht glücklich war33, wurde am 14. Juli 1920 geschieden. Marie kehrte aber bereits 1916 in ihr Elternhaus in Weimar zurück. Ottmar Begas heiratete 1921 erneut. Seine zweite Frau hieß ebenfalls Marie, geborene Alberti. 1931 nahm er sich in Neapel das Leben.34 Über Ottmar Begas hat Marie Begas später wenig erzählt. Der Enkel Georg aber erinnert sich an folgende Begebenheit: »Oma hat mir erzählt, daß er gerne gefeiert hätte, viele Freunde hatte, aber nur dann gemalt hätte, wenn er sehr verschuldet war. Oma hat wohl in Rom mit Ottmar gewohnt. Wie er mal wieder Geld für seine Arbeit bekommen hat und Oma es gegeben hat, hat Oma, so hat sie es mir erzählt, alle Schulden bei ihren Gläubigern bezahlt, hat sich in den Zug gesetzt und ist nach Eisenach gefahren. Von dort hat sie Ottmar mitgeteilt, daß sie nicht mit ihm, Ottmar, leben könne.«35 Im Bestand des Begas Hauses Heinsberg findet sich eine kleine Zeichnung (18 x 11,5 cm) einer jungen Frau in nach oben strebender schwungvoller Tanzhaltung, die in beiden über den Kopf erhobenen Händen je eine Maske hält.36 Die Bildunterschrift 28 29

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Zur künstlerischen Bedeutung von Begas vgl. http://de.wikipedia.org/…/Ottmar_Begas (eingesehen 1. 7. 2015) sowie die folgende Anm. Vgl. dazu »Verweilen im Tropischen. Die Ostasienreise des Malers Ottmar Begas im Jahr 1901« [Ausstellung vom 27. April – 8. Juni 2008], Texte von Rita Müllejans-Dickmann, Ausstellungskatalog des Kreismuseums Heinsberg, Heinsberg 2008. Das Bild befindet sich im BEGAS HAUS. Museum für Kunst und Regionalgeschichte Heinsberg (früher: Kreismuseum Heinsberg), Inv. Nr. B 124. Es existiert im Bestand des Begas Hauses (Nachlass Marie Begas, geb. Alberti) ein Foto von Ottmar Begas in Uniform. Nach Einschätzung eines Militariasammlers – so die Auskunft von Rita Müllejans-Dickmann – trägt er die Uniform eines Kriegsfreiwilligen, der sich für ein Jahr verpflichtet hat. Einem bestimmten Regiment ist die Uniform nicht zuzuordnen. Schreiben von Dr. Max Liebert an Marie Begas vom 23. September 1916 (Nachlass Marie Begas). U.a. führte der Rechtsanwalt aus: »Ich sprach mit ihm auch über eine Scheidung; er wäre dazu bereit, wenn er die Überzeugung erlangt, daß Ihnen wirklich daran gelegen ist; er möchte allerdings augenscheinlich lieber, daß sie eine Zeit getrennt voneinander leben, damit dann die Zeit ergibt, ob eine Scheidung wirklich notwendig ist.« Schreiben von M. Begas an »Lotte« [Brand?] vom 6. November 1966, Nachlass Marie Begas (H.). Über ihn vgl. Goetz, »Größenwahn« bei Pschorr und anderswo, 1936, 29–37. Erinnerungen G. Ohrtmann. Marie Begas, 1910 [?], Bleistiftzeichnung (Begas Haus Heinsberg, »Skizzenmappe Ottmar Begas«, »Nachlass Marie Begas, geb. Alberti«).

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lautet: »ANNIE VAN HOBOKEN«. Nach Einschätzung der Ottmar Begas-Expertin Rita Müllejans-Dickmann (Kreismuseum Heinsberg) ist es mit Sicherheit Ottmar Begas zuzuordnen. Die Frau kann dann nur M. Begas sein, deren erster Vorname »Anna« hier in der Form von »Annie« wiedergegeben ist. Hoboken ist ein Ort in New Jersey, in der Nähe von New York, an dem Ottmar und Marie geheiratet haben.37 In Hoboken gab es nicht nur viele Deutsche, sondern auch eine deutsche Kirche. Der Ort wurde regelmäßig angefahren vom Norddeutschen Lloyd, zu dem Ottmar in guter Beziehung stand.38 Außer dieser Zeichnung porträtierte O. Begas seine Frau noch zwei weitere Male: (1) Marie Begas, um 1910, Öl, 33 x 47 cm (Georg Ohrtmann, Hof Hundemühle, Scharbeutz);39 (2) Marie Begas, um 1910, Bleistiftzeichnung, 18,5 x 24,3 cm (Begas Haus Heinsberg). Aus dem Verwandtenkreis seiner Frau malte/zeichnete Ottmar Begas die folgenden Personen: (1) Otto Wagner, erster Ehemann von Marie Begas, um 1909, farbige Kreide, 34,5 x 39,5 cm (Nachlass Marie Begas); (2) Harriet Wagner, geb. Thieriot, Schwiegermutter von Marie Begas, 1909, Öl, 26 x 30 cm (Georg Ohrtmann, Scharbeutz);40 (3) 37

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In einem Artikel der New York Times vom 16. April 1911 wird über diese Hochzeit berichtet: »In November last Mrs. Wagner married Mr. Begas at Hoboken« (Mitteilung von Rita MüllejansDickmann Dezember 2007). Vgl. auch Fowler, Foreigner Not Eligible for Person of Infant Citizen, 1615: »The application is resisted by the mother of the infant, now the wife of Mr. Ottmar Begas, a German citizen, to whom she was married while temporarily at Hoboken, N. J., on December 5, 1910.« Auskunft von Rita Müllejans-Dickmann. Vermutlich handelt es sich um das Bild, das auf Wunsch von Otto Wagner gemalt wurde – und zwar zu einem Zeitpunkt, an dem noch keine Beziehung zwischen beiden bestand; vgl. Schreiben vom M. Begas an Lotte [Brand?] vom 6. November 1966, Nachlass Marie Begas (H.). Dazu heißt es in den »Erinnerungen G. Ohrtmann«: »Auf dem Gemälde von Ottmar Begas hat Oma viele Ringe mit Steinen; die soll Oma alle für die Sorgerechtsklage verkauft haben. Oma hat, wenn sie in Gronenberg war, immer auf dem Boden nach diesem Gemälde gesucht. Meine Mutter hat es aber gut versteckt, denn Oma wollte es zerstören. Wie ich es übernommen habe, hatte es einen großen schwarzen Rahmen, ich habe Oma einen zeitgemäßen Goldrahmen spendiert.« Zur Sorgerechtsklage vgl. oben. In ihren Urlaubswochen hat sich M. Begas immer in Gronenberg, dem Wohnsitz ihrer Tochter Ruth, aufgehalten. Gelegentlich machte sie auch in Gronenberg Tagebucheintragungen. Dazu heißt es in den Erinnerungen von Ruth Ohrtmann, geb. Wagner, Seite B (Nachlass Marie Begas): »Sein Meisterstück ist meine Großmutter väterlicherseits, die geborene Thieriot. Das war so. Großmutter konnte Begas nicht leiden. Er war ihr ausgesprochen zuwider. Man kanns verstehen, denn so begabt und begnadet er war, als Mensch, moralisch war er wohl nur mit der Feuerzange anzufassen. Natürlich mochte er Großmutter auch nicht leiden, die waren wie Feuer und Wasser. Und dann malte er sie! Und wie! Das einzigste lebensechte Bild, das von Großmutter existiert! Und dabei war Großmutter nicht einmal zu photographieren! Kaum wußte sie, daß ein Bild von ihr gemacht werden sollte, machte sie ein todernstes, strenges Gesicht, ganz steif und starr! Und nun beim Sitzen für das Ölgemälde erst! Außerdem, wenn sie nicht ihr Photographiergesicht machte, dann hatte sie, ihrer Lebhaftigkeit zu Folge ein dauerndes wechselndes Minenspiel. Und so jemand sollte Begas nun malen! Er hat es geschafft, und was ich hoch anrechne, er hat keinen häßlichen Zug in ihr Gesicht gesetzt, sich nicht verleiten lassen, Strenge oder Härte hineinzusetzen, und das wäre so leicht und auch nicht zu beanstanden gewesen, denn Großmutter war eine harte Frau in gewissem Sinn, und streng. Nein er hat Großmutter unbeeinflußt von Antipathien so gemalt, wie er sie sah, und er konnte die Seele eines Menschen hinter dem Gesicht

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Helene Dorothea Trautvetter geb. Freiin von Harstall, die Mutter von Marie Begas, Bleistiftzeichnung, 10 x 11,2 cm (Nachlass Marie Begas); (4) August Wagner, Vater von Otto Wagner und Schwiegervater von Marie Begas; von diesem Portrait existiert nur noch ein Schwarz-Weiß-Foto (Nachlass Marie Begas)41.

1.2.3. Frühe Tagebücher und Kriegstagebuch 1915 Marie Begas war eine ambitionierte Tagebuchschreiberin. In einem Brief an die Tochter Ruth verweist sie bei einer bestimmten Erinnerung auf »mein altes Tagebuch«.42 In einem anderen Brief heißt es: »Sie hat einen besonderen historischen Sinn (mit 14 Jahren schrieb sie z.B. in aller Stille Tagebuch über den Dreyfusprozeß43 – welches Kind kommt auf sowas!). Mit ihrer lebendigen Teilnahme an allem gegenwärtigen und vergangenen Geschehen, ihrem Sinn für das Wesentliche, das Charakteristische und die Zusammenhänge, mit ihrem guten Gedächtnis verbindet sie ein glückliches Erzähltalent.«44 Neben dem Tagebuch über den Kirchenkampf hat sie noch weitere tagebuchartige Aufzeichnungen aus dieser Zeit gemacht: Von Zeit zu Zeit hat sie »Erinnerungen meiner Mutter« niedergeschrieben, beginnend Juni (?) 1936 und endend 1942 bzw. 1943, in dem sie aus den Erzählungen ihrer Mutter nicht nur Persönliches wiedergibt, sondern auch die Zeitgeschichte aufscheinen läßt.45 M. Begas hatte – wie man ihren Tagebüchern entnehmen kann – ein ausgeprägtes Interesse für Geschichte. Das zeigt sich neben den Aufzeichnungen aus nationalsozialistischer Zeit vor allem auch in ihren Kriegstagebüchern: 1915, beginnend mit dem

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sehen und dem Ausdruck geben, auch im Bild, das er nachher von meiner Mutter malte! Da habe ich übrigens meinem quasi Stiefvater ein Loblied gesungen. Übrigens auf dem berühmten Begasschen Familienbild ist er auch drauf« Dieses Begassche Familienbild ist derzeit nicht nachweisbar. Bilder von Ottmar Begas – wie überhaupt der Malerfamilie Begas – sind ein Sammlungsschwerpunkt des Begas Hauses. Dieses erhielt 1990 auch einen Teil des Nachlasses Marie Alberti-Begas, der zweiten Frau von Ottmar Begas, mit ca. 200 Werken von O. Begas (freundl. Mitteilung von Dr. W. Cortjaens, Heinsberg, vom 1. Juli 2015). Schreiben von M. Begas an ihre Tochter Ruth vom 23. September 1956, Nachlass Marie Begas. Im Nachlass Marie Begas (H.) befinden sich zwei Tagebücher von M. Begas, die hier wohl gemeint sind. Das erste bezieht sich auf die Jahre 1898 bis 1890 (Tgb. I), das zweite auf die Jahre 1901 bis 1903 (Tgb. II). In ihnen beschreibt sie sich als junge Frau, die als hervorragende Tänzerin von jungen Offizieren, Studenten und Dozenten der Musikschule Weimar begehrt gewesen sei und solches Begehren auch genossen habe. Von gesellschaftlichen Einladungen, Bällen und Vergnügungen mit Tänzen ist in den Tagebüchern die Rede, im zweiten Band gelegentlich auch von der Musikschule Weimar (Dozenten, Prüfungen, Vorspielen). Alles ist sehr persönlich gehalten, wie man es vom Tagebuch einer lebensbejahenden jungen Frau nicht anders erwartet. Für die Biographie tragen die Ausführungen nicht sehr viel bei. Dieses Tagebuch ist in den beiden Teilnachlässen Marie Begas nicht mehr vorhanden. Schreiben von Lotte Brand an Dr. Rauch vom Böhlau-Verlag in Weimar vom 18. September 1958, Nachlass Marie Begas. Nachlass Marie Begas (H.). Die Aufzeichnungen sind in einer Oktavheft-Kladde vorgenommen worden und umfassen 111 nummerierte Seiten.

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1. Januar, schrieb sie ein »Kriegstagebuch«; die letzte Eintragung datiert allerdings bereits vom 15. August 1915.46 Das Tagebuch bricht ab; vermutlich hat es eine Fortsetzung gegeben. Daneben finden sich zwei miteinander verklebte Kladden mit einem »Kriegstagebuch. Vom 19.5.17 bis 23.5.18.«47 Man kann davon ausgehen, daß M. Begas auch für das Jahr 1916 Aufzeichnungen vorgenommen hat. Sie schreibt ausdrücklich ein »Kriegstagebuch« und unterscheidet sich damit von herkömmlichen Tagebüchern, in denen – unsystematisch und sehr persönlich gefärbt – alles Mögliche notiert ist, wie z. B. Empfindungen über Natur, Poesie und Musik, über Erlebnisse von Reisen, menschliche Beziehungen, Erkenntnisse aus Literatur, allgemeine oder philosophische Lebensweisheiten, Religion und Glauben, zufällige Begegnungen mit anderen u.ä.48 Abgesehen von ihrem ersten, nur auf persönliche Erlebnisse und Gefühle abhebenden Tagebuch, sind die dann folgenden Tagebücher von Begas jeweils auf einen bestimmten Focus bezogen, und zwar auf einen historischen, auf den Dreyfus-Prozess, auf den Ersten Weltkrieg und schließlich auf den Kirchenkampf in Thüringen. Damit erweist sich die Tagebuchschreiberin eher als Chronistin. Gleichwohl enthält das Tagebuch auch typische Tagebuchelemente. Denn Begas berichtet nicht nur nüchtern über die ihr zugänglichen Ereignisse, sondern gibt durchaus auch ihre ganz persönlichen Empfindungen preis, lässt parteinehmendes Engagement erkennen, nimmt politisch Stellung, urteilt entschieden, verteilt Sympathien und Antipathien.49 M. Begas ist sich dessen selbst bewusst, dass sie in einem besonderen Sinn Geschichte dokumentiert und ihre Tagebücher vor allem Chroniken sind. Im Kriegstagebuch gibt sie dazu an, wie sie mit ihrem besonderen Zugang zur Geschichte als Tagebuchschreiberin verstanden werden möchte. Zwar wolle sie das Tagebuch ganz »absichtslos führen. Einfach nur niederschreiben, was mich bewegt«. Aber das »Bild der Zeit«, das sie gleichsam in sich erzeuge, habe doch »immer schon seinen historischen Wert«.50 Das gilt wohl auch für das Tagebuch in nationalsozialistischer Zeit. Nun zeigt aber das Kriegstagebuch auch, dass sie zwar guten Glaubens war, das Tagesgeschehen »absichtslos« zu dokumentieren, dass ihr dieses aber nicht wirklich 46

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Das Tagebuch umfaßt 96 Seiten und ist handschriftlich mit Tinte geschrieben; es ist Bestandteil des Nachlasses Marie Begas. Im Originaltext finden sich sekundäre Unterstreichungen sowie Änderungen und Einschübe von anderer Hand, geschrieben mit Kugelschreiber. Sie dürften wesentlich jünger sein. Für die Benutzung in dieser biographischen Skizze wurde es eigens transkribiert von Leo Gillessen [Erkelenz], ehemals Leiter des Kreismuseums Heinsberg, und von Frau Nelli Gillessen. Für dieses ganz uneigennützige Engagement sind die Herausgeber beiden zu großem Dank verpflichtet. Nachlass Marie Begas (H.). Das Tagebuch enthält wie das von 1915 Aufzeichnungen über den Verlauf des Krieges und den Niederschlag in der Presse sowie über lokale Ereignisse, aber auch kurze Bemerkungen über ihre Tätigkeit auf dem Gericht. Das Tagebuch 1917/18 war erst kurz vor Abschluss der biographischen Skizze zugänglich und konnte deshalb nicht im gleichen Maße mehr wie das von 1915 ausgewertet werden. Wie Stichproben zeigen, ergibt sich durch das Tagebuch von 1917/18 aber kein grundsätzlich anderes Bild von der Einstellung der M. Begas. Es handelt sich also um ein rein privates »Kriegstagebuch«, nicht ein offizielles, von einer militärischen Institution geführte Protokoll kriegerischer Ereignisse, z.B. eines Schiffes, für das es auch bestimmte Vorschriften gibt. Zur Einordnung des Tagebuchs in die Tagebuchforschung vgl. unten den Abschnitt 1.3.1. Kr.-Tgb. 1. Januar 1915.

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gelungen ist. Denn sie hat entschieden und gefühlsbetont Partei genommen für die deutsche Sache, dabei einstimmend auch in die deutsche Kriegsproganda. Ideologiekritische Vorbehalte waren ihr so fremd wie seinerzeit den meisten Deutschen – hier wie im übrigen in den späteren Aufzeichnungen. Sie wähnt sich 1915 noch stehend »unter dem erfrischenden Eindruck des Sieges von Hindenburg«, zu dem die Amerikaner »eine dumme und aufgeblasene Note geschickt« hätten, während die deutsche »glänzend« bzw. »prachtvoll« war. »Mit soviel Energie hat noch keiner mit diesen Schafsköpfen gesprochen.«51 Auch sonst werden die Amerikaner als »Dummköpfe« hingestellt.52 Angewidert notiert sie an anderer Stelle verwundert: »Daß die Engländer und Franzosen ihr eigenes Gerede überhaupt noch ertragen können.«53 Sie glaubt offenbar auch den Greuelnachrichten, dass Deutsche in Nizza auf offener Straße gelyncht worden seien.54 Von den Engländern gibt sie die Meinung wieder (unkommentiert!), dass sie alle so dünn seien, lange Gesichter hätten und immer gerne Süßes essen würden. Scheußliches notiert sie – ebenfalls unkommentiert – über Polen; einem Bericht zufolge würden die Schweine dort auf den Feldern herumlaufen und die Leichen fressen.55 Am schlimmsten geht sie mit den Italienern ins Gericht. Wegen ihrer bevorstehenden Kriegserklärung an Deutschland gelten sie ihr als »Verräter«;56 hinterlistig seien sie wie die Franzosen, die z.B. verkleidet in deutschen Uniformen Verwundete mit Messern niederstechen würden;57 sie spricht gar von der »italienischen Schweinerei«, die sie, die Tagebuchschreiberin, »ganz krank« gemacht habe; drastischer noch erklärt sie : »Ich bin krank vor Wut«.58 Und sie bedauert mehrfach, nichts tun zu können als Frau, mit anderen Worten, nicht als militärisch Handelnde tätig werden zu können. Sie könne nicht einmal mitleiden, sondern nur die Situation ertragen. Sie »fühlt die Last auf den Nerven wie Eisenplatten«.59 Und sie »schämt« sich dafür. Am Sinn und an der Rechtmäßigkeit des Krieges für Deutschland zweifelt sie nicht. Zwar bekennt sie, überhaupt nicht mit dem Krieg gerechnet zu haben »in unserer aufgeklärten Zeit!«.60 Und sie nimmt auch bewusst wahr, dass Soldaten in diesem Kriege getötet und verwundet werden. »Ich dachte an die Verwundeten, die sich auf dem Schlachtfeld jetzt in Schmerzen winden, an die Toten, die uns diesen Sieg erkämpft haben, und dessen wir uns freuen.«61 In Weimar erlebte sie die Ankunft von Verwundeten in Lazarettzügen sowie den Einsatz ihrer Mutter im Sanitätsdienst. Auf der Straße 51 52 53 54 55 56 57

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Kr.-Tgb. 28. Februar 1915. Kr.-Tgb. 12. Mai 1915. Kr.-Tgb. 28. Februar 1915. Kr.-Tgb. 28. Februar 1915. Kr.-Tgb. 28. Februar 1915. Kr.-Tgb. 21. Mai 1915. Kr.-Tgb. 21. Mai 1915. An anderer Stelle heißt es zum Verhalten Italiens: »Das ist schon die größte Schweinerei der Weltgeschichte« (Kr.-Tgb. 12. Mai 1915). Oder sie spricht von den »eingebildeten italienischen Schreihälsen« (Kr.-Tgb. 25. Mai 1915). Kr.-Tgb. 22. Februar 1915. Kr.-Tgb. 22. Mai 1915. Kr.-Tgb. 28. Mai 1915. Kr.-Tgb. 4. Juni 1915.

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begegnet sie einmal einem Wagen mit drei leichter Verwundeten und bemerkt dazu: Sie »strahlten! Nie habe ich 3 so selig lachende Gesichter gesehen«.62 Das Leiden ist in der Sicht von Begas ambivalent, wird auch nationalistisch überhöht; die Begeisterung für die Sache eines gerechten Krieges tritt für die Tagebuchschreiberin in den Vordergrund. Wichtiger als das Leiden ist ihr zu schildern, wie Soldaten ausziehen und die Extrazüge an die Front besteigen mit blumengeschmückten Gewehrläufen. »Ich habe geheult, als ich diese frischen kräftigen Menschen sah, von denen so viele nicht wiederkommen. Und die armen Mädchen und Frauen, die mit rot geweinten Augen nebenher laufen. Es ist zu furchtbar.«63 Sie berichtet mehrfach auch von Bruder Hans Trautvetter, der unter die »Feldgrauen« eingerückt sei, und lobt den Feinden gegenüber »unsere größere Stoßkraft und Tüchtigkeit«, die durchaus aufgewogen werden könnten gegen die immer neuen Hilfstruppen, die England herbeischaffe bzw. gegen den unbeschränkten Nachschub an Getreide und Kriegsmaterial, den die Engländer und Franzosen aus Amerika geliefert bekämen.64 Den Untergang der Kriegsschiffes Blücher kommentiert die Tagebuchschreiberin folgendermaßen: Sie »hat gefeuert bis zuletzt. Dann ist die ganze Mannschaft angetreten, ein dreimaliges Hoch auf ihr geliebtes Schiff und auf den Kaiser, während dessen alle salutierten. Dann bekam das Schiff noch ein Torpedo und die englische Mannschaft gab ihnen ein Zeichen vom Torpedoboot (nach englischem Bericht). Darauf schwenkten sie ihre Mützen und sprangen mit Hurra über Bord. Von 800 Mann der Besatzung 230 gerettet.«65 Ansonsten wird eher auf die Erfolge deutscher Kriegsführung hingewiesen. Die Tagebuchschreiberin berichtet z.B. über den »großen Sieg in den Karpathen«, bei dem viele Gefangene gemacht worden seien, oder über das englische Schiff »Lusitania«, dass »unsere famosen Unterseebootleute« beschossen hatten und das mit 1600 Menschen gesunken war.66 Die Tagebuchschreiberin berichtet aber auch vom Alltag im Krieg. Penibel notiert sie mehrfach die Einschränkungen bei der Beschaffung von Lebensmitteln, denen die deutsche Bevölkerung ausgesetzt ist, sie gedenkt der Opfer und registriert in einem konkreten Fall die »Fassung und Stärke bei den Zurückgebliebenen.« Sie trügen ihren »Schmerz sehr vornehm und wortlos«.67 In ähnlicher Weise, wenngleich nicht in dieser emotional zugespitzen Form, hat sie in nationalsozialistischer Zeit für die deutsche Sache politisch optiert, am deutlichsten in den Aufzeichnungen im Zweiten Weltkrieg.68

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Kr.-Tgb. 26. Juni 1915. Kriegs-Tagebuch 29. Mai 1915; vgl. auch: »Feldgrau, bei strahlendem Wetter, blumengeschmückt. Man wird ganz krank davon« (Kr.-Tgb.18. Juni 1915). Kr.-Tgb. 1. Januar 1915. Kr.-Tgb. 28. Februar 1915. Kr.-Tgb. 12. Mai 1915. Kr.-Tgb. 21. März 1915. Wie auch die späteren Aufzeichnungen zeigen, war sie allem Militärischen gegenüber sehr aufgeschlossen: vgl. die Textauszüge aus den Tagebüchern der Kriegszeit, Kap. 1.3.2 S. 65 ff.

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MARIE BEGAS

1.2.4. Rückkehr nach Weimar, Tätigkeit beim Landeskirchenrat bis 1932 Nach Weimar zurückgekehrt 1916 und wohl mittellos, stand M. Begas vor der Notwendigkeit, für ihren Lebensunterhalt selbst sorgen zu müssen.69 Allerdings war sie ohne Berufsausbildung. Zu einer gründlichen Ausbildung wie z.B. zum Besuch einer Frauenschule fehlten ihr die Mittel. Deshalb absolvierte sie zunächst einen Halbjahreslehrgang an der Weimarer Handelsakademie.70 Im Jahre 1918 wurde sie als Hilfsarbeiterin im Sekretariat der Staatsanwaltschaft beim Landgericht in Weimar angestellt, beschäftigt zunächst mit Maschinenschreibarbeiten; später wurde ihr die selbständige Bearbeitung von Kriegsvergehenssachen übertragen. Über diese Tätigkeit berichtet M. Begas später in einem Brief: »Ich machte damals die Arbeit eines 3. Staatsanwaltes, der die allgemeinen Bestimmungen des ganzen Stoffes mir in 2 Stunden vortrug. (Die betr. Gesetze mußte ich mir selbst heraussuchen). Mein Gedächtnis war damals noch glänzend und ich hatte nicht die geringste Bemerkung vergessen, auch Freude an diesem Fall. Ich habe nie einen Fehler gemacht …Der III. Staatsanwalt hat damals meine Arbeiten, wie er mir selbst sagte, unterschrieben, ohne sie gelesen zu haben. Er war verantwortlich.«71 Zur gleichen Zeit engagierte sie sich ehrenamtlich als Helferin im Verein Jugendgerichtshilfe, Weimar. Obschon beruflich erfolgreich, wurde M. Begas im März 1919 aufgrund der Demobilmachungsverordnung entlassen. Rückkehrer von der Front mussten als männliche Hilfskräfte vorrangig bei der Staatsanwaltschaft eingestellt werden. Am 1. Juli 1919 fand M. Begas eine Anstellung beim Landesamt für Jugendpflege in Weimar als Sekretärin. Es wurden ihr verschiedene Tätigkeiten übertragen, nämlich allgemeine Büroarbeiten, die Verwaltung von Bücherei, Spielzentrale und Lichtbildstelle des Landesamtes. Im Rahmen dieser Arbeit hatte sie Gelegenheit, an Lehrgängen zur Ausbildung von Jugendpflegern teilzunehmen. Schließlich trat sie am 16. März 1921 als Bürokraft in den Dienst der Thüringer evangelischen Kirche (TheK) beim Landeskirchenrat (LKR) in Eisenach ein. Zugleich engagierte sie sich ehrenamtlich in der Thüringischen Gefängnisgesellschaft und war hier die engste Mitarbeiterin des ersten Vorsitzenden Dr. Volk, den sie bei ihrer Arbeit in der Staatsanwaltschaft kennen gelernt hatte. Später war sie Vorstandsmitglied und Geschäftsführerin dieser Gesellschaft.

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70 71

»Als ich anfing, im Beruf zu arbeiten, war Inflation. Ich mußte sofort für meine Eltern Geld verdienen, denn auch meines Vaters Pension wurde, wie alle Pensionen und meist auch die Gehälter, in entwertetem Geld ausbezahlt. (Mein Bruder Hans war im Weltkrieg gefallen 1916, mein Bruder Paul damals beim Weimarischen Theater angestellt. Er konnte seine Familie ernähren. Er heiratete Annemarie von Kutzleben, die hunderttausend Mark Vermögen besaß, das dann auch der Inflation zum Opfer fiel« (Schreiben von Marie Begas an ihre Tochter Ruth vom 23. September 1956, Nachlass Marie Begas). Dazu und zum Folgenden vgl. (eigenhändiger) Lebenslauf, LKAE, L 3002, 25–26. Schreiben von Marie Begas an ihre Tochter Ruth vom 23. September 1956, Nachlass Marie Begas.

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Seit dem 1. Dezember 1921 war sie in der Abteilung »Volksdienst« des Landeskirchenamtes tätig.72 Über diese Arbeit wurde ihr schon nach wenigen Jahren ein bemerkenswertes Zeugnis ausgestellt: »Nach Begründung des Volksdienstes der Thüringer evangelischen Kirche im Oktober 1921 ist Frau Begas am 1. Dezember 1921 als erste Angestellte und später Beamtin in diesem tätig gewesen und ist jetzt darin die erste Büroleiterin eines Betriebes von etwa 10 Angestellten. Die Arbeit des Volksdienstes besteht in evangelischer Volkserziehung und Volksbildung; sie erstreckt sich auf Jugend-, Frauen- und Männerarbeit im Dienste der Kirchgemeinden; sie wird geleistet im besonderen im Pressedienst und Werbedienst. Zum Arbeitsgebiet der Frau Begas gehört die Behandlung sozialethischer Aufgaben und sittlichen Jugendschutzes. Die Volksdienstarbeit ist eine durchaus eigenartige Schöpfung der Thür. evangelischen Kirche, die kein Vorbild in anderen Kirchengebieten hat. Ihre Praxis wird befruchtet durch die Teilnahme an Tagungen über soziale Arbeitsgebiete der verschiedensten Art. Frau Begas hat an vielen dieser Tagungen teilgenommen, besonders auch an den umfassenden Tagungen der sozialen Arbeitsgemeinschaft, die unter der Leitung von Dr. Siegmund Schulze aus Berlin O. im Juni auf dem Lauenstein stattgefunden und die Wohnungs-, Alkohol-, Geschlechter- und Friedensfrage, Berufsehre und Berufstreue, Jugendfürsorge und Fragen der Gestaltung des Verhältnisses zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer in dem Gedanken einer Vorbereitung für das Stockholmer Weltkonzil unter der Führung hervorragender Referenten behandelt hat. An ähnlichen Tagungen hat Frau Begas auch außerhalb Thüringens teilgenommen, so an einem Lehrgang von einer Woche an der evangelischen sozialen Schule in Spandau. Frau Begas genießt das volle Vertrauen ihrer Chefs auch im Volksdienste und steht ihrer Arbeit darin mit derselben inneren Einstellung und Selbständigkeit vor, wie sie oben für ihre Arbeit in der Thüringer Gefängnisgesellschaft gekennzeichnet worden ist.«73 72

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Der 1921 als eine Abteilung des LKR gegründete »Volksdienst« war eine eigentümliche Einrichtung der im selben Jahr gegründeten TheK. Sein Ziel war nach der Trennung von Kirche und Staat die innere Erneuerung des Thüringischen Volkes vom Boden evangelischen Christentums, mithin die Schaffung einer evangelischen Volksgemeinschaft. »Thüringen für Christus« – so hieß seine Losung. Der Volksdienst betrieb auf den verschiedensten Ebenen gemeindlicher und übergemeindlicher Art evangelische Volksbildung, in Öffentlichkeits- und Pressearbeit, in Familienarbeit, Frauen- und Jugenddienst u.ä. Er sollte auch einen Beitrag leisten zur Bildung eines gemeinsamen Bewusstseins der aus sieben Regionalkirchen zusammengeführten TheK. Aber man strebte über die Region hinaus. Denn »in Thüringen« sollte »eine neue evangelische Einheitsfront« geschaffen werden, »die unser Volk zu neuer religiöser, geistiger und sittlicher Kraftentfaltung zusammenschließt. Das Heimatland der Reformation muß vorangehen im Aufbau deutsch-evangelischer Volksgemeinschaft.« Diesem Ziel sollte auch die Herausgabe des kirchlichen Blattes Glaube und Heimat dienen, das im Jahre 1924 zum ersten Mal erschien (Unser Volksdienst, Glaube und Heimat 1924, 11). »Diese Dienststelle war bald nach der Gründung der Thüringer evangelischen Kirche eingerichtet worden. Er [der VD] entsprach in etwa dem heutigen ›Gemeindedienst‹. Von 1927 bis 1932 war Pfarrer Ernst Otto der sehr aktive Leiter des Volksdienstes. Sein ihm befreundeter Nachfolger, Pfarrer Lothar Thomas, wurde 1933 durch Kirchenrat Julius Leutheuser ersetzt. Nunmehr bildete sich der Volksdienst zur Propagandastelle der Deutschen Christen aus« (Stegmann, Kirchenkampf, 44). Zeugnis für Frau Marie Begas von Kirchenrat Dr. Otto Volk vom 26. September 1925, LKAE, L 3002, 28.

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MARIE BEGAS

M. Begas war von Anfang an die rechte Hand von Kirchenrat Otto Senffleben, dem Leiter des Volksdienstes, und praktisch die Geschäftsführerin dieser schnell wachsenden Abteilung des LKR. In seinem Gesuch an den LKR um ihre Anstellung riet Senffleben, »diese Kraft nicht im Bürodienst brach zu legen. Die Arbeit des Volksdienstes wird sicher in aller Kürze so reich und vielgestaltig werden, daß die besondere Eignung der Frau Begas auch ihr Tätigkeitsfeld finden wird. Ich denke mir, daß sie neben dem Tagesbericht (und dem allgemeinen Bürodienst) regelmäßig Tagesaufgaben erledigen kann, um beim weiteren Ausbau des Volksdienstes in 1 und 4 (Presse und Propaganda) ein selbständiges Arbeitsgebiet zu finden. Darf ich sie ab 10/12 übernehmen?«74 In einer handschriftlichen Notiz vom 6. Dezember 1921 bekundete Senffleben, dass er sie »für eine geradezu ideale Kraft für den Volksdienst« halte, »besonders für die Beurteilung der Eingänge und für die Arbeit des Pressedienstes«.75 Neben den unterschiedlichsten Aufgaben wie Frauendienst, Jugenddienst, Redearbeit, Evangelisation, Propagandatätigkeit und vieles andere galt im Volksdienst die Pressearbeit als die bedeutsamste. Sie war zweifellos die eigentliche Domäne von M. Begas. Mehr oder weniger dürfte sie sich bald ganz allein dieser Aufgabe gewidmet haben. In einem Bericht des Jahres 1925 heißt es dazu: »Für den Nachrichtenverkehr wurden 9 thüringische und 3 außerthüringische Zeitungen im Hause auf die für Landeskirchenrat und Volksdienst wichtigen Artikel und Notizen hin täglich gelesen; dazu kamen die von regelmäßigen oder gelegentlichen Mitarbeitern eingesandten Ausschnitte, sodaß die Wochenbeobachtung sich auf durchschnittlich 84 Tageszeitungen erstreckte. Seit kurzem ist eine fünfbändige Pressekartei angelegt, die über alle nennenswerten Vorgänge jeder Zeit zuverlässig unterrichten kann. Die Auswertung der Pressebeobachtung erfolgt in der Weise, daß die Referenten und Hilfsreferenten im Landeskirchenrat täglich mit dem für sie wertvollen Material versorgt werden; ferner erhält der Gemeindedienst vielfach Anregungen, die weitere praktische Auswirkung erfahren; endlich aber geben die Presseausschnitte Anlaß, entweder unmittelbar von der Presseabteilung des Volksdienstes selbst oder von seinen Mitarbeitern im Lande oder auch durch die Thüringer evangelische Korrespondenz in Weimar die Thüringer Blätter mit Aufsätzen allgemein unterrichtenden oder abwehrenden Inhalts zu versorgen. Welchen Einfluß im Thüringer Kirchengebiet der Volksdienst gewonnen hat, ist schon mehrfach im Öffentlichkeitsdienst zutage getreten und konnte erneut im Verfolg eines Aufrufes an die Thür. Presse beobachtet werden, die im Volksinteresse ersucht worden war, gewisse Sensationsberichte (Haarmannprozeß) überhaupt nicht oder nur in skizzierter Form zu bringen. Außer den Tageszeitungen werden im Volksdienst noch laufend etwa 50 Zeitschriften gelesen. Das Studium dieser Blätter wird für die Arbeit des Volksdienstes und des Landeskirchenrates dauernd fruchtbar gemacht.«76 74 75 76

Schreiben von Senffleben an den LKR in Eisenach vom 6. Dezember 1921, LKAE, V 43, 27. LKAE, L 3002, 4. Aus: Tätigkeitsbericht des Landesoberpfarrers vom 21. April 1925, in: 1. Sitzung der 6. Tagung des Ersten Thüringer Landeskirchentags vom 21.–28. April 1925, S. 27 (Im Verlag des LKR der TheK in Eisenach, 1925). Es war gängige Praxis, dass Institutionen oder auch Privatpersonen (z.B. Wissenschaftler) bei speziellen Firmen zu bestimmten Themen Zeitungsausschnitte orderten, die dann von Zeit zu Zeit zugestellt wurden (vgl. dazu den Katalog zur Ausstellung »cut und paste um 1900« des Berliner Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte, Berlin 2002). Der

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In der Zeit vom 1.1. bis 31.12.1925 wurden »7300 Presseausschnitte … gelesen, ausgeschnitten, aufgeklebt, registriert, in Umlauf gebracht, schließlich zum Teil in das Presse-Archiv eingeordnet«.77 Für das Aufgabengebiet »Pressebeobachtung« wurde am 1. Januar 1926 eigens ein Mitarbeiter eingestellt, nämlich Friedrich Bernewitz, der im Kirchenkampf der engste Vertraute der Tagebuchschreiberin war.78 Die Zuständigkeit von M. Begas erstreckte sich insbesondere auf die Herstellung des Wochen- und Monatsblattes »Glaube und Heimat«, das 1924 im ersten Jahrgang erschien. Sie schrieb Protokolle, meistens ausführliche Verlaufsprotokolle, entwarf handschriftlich die Schreiben an Autoren und an den Verleger, kümmerte sich um Vertrieb und Werbung. Mit anderen Worten: Sie managte das Kirchenblatt, ohne dafür im Impressum genannt zu werden; alle verwaltungsmäßigen Vorgänge gingen über ihren Schreibtisch; sie nahm an allen Sitzungen der Schriftleitung teil, bearbeitete Verträge mit dem Verleger, kümmerte sich um Abdrucksrechte, war zuständig für die Registrierung und dürfte die meisten – in den zwanziger Jahren immer umfangreicher werdenden – Redaktionsartikel und Informationsrubriken selbst abgefasst haben (für die Ausgabe 1929 z.B.: »Aus der Volksdienstarbeit«; »Aus der Thüringer Kirche«; »Kirchliches aus aller Welt« sowie Betreuung des »Briefkastens«). Ab Oktober 1929 war M. Begas verantwortlich für den Lokalteil der vom Evangelischen Preßverband in Berlin gelieferten Bildbeilage; nun wurde sie für diese spezielle Verantwortung auch im Impressum genannt. Man muss wohl davon ausgehen, daß die Idee zu dieser Arbeit und ihre Organisation das ausschließliche Verdienst von M. Begas war.79 1927 übernahm Pfarrer Ernst Otto, der spätere Leiter der Lutherischen Bekenntnisgemeinschaft (LBG), die Schriftleitung von Glaube und Heimat; 1929 wurde er Leiter des Volksdienstes. Das war der Beginn einer erfolgreichen Zusammenarbeit und einer lebenslangen Freundschaft, die sich besonders in der Zeit des Dritten Reiches bewährten.80 Als Otto zum 31. Oktober 1932 die Schriftleitung an Lothar Thomas abgab, hob er in einem »Abschiedwort« auch den Anteil hervor, den M. Begas an dem Werk hatte:

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LKR in Eisenach bezog solche Zeitungsbündel spätestens seit 1934 vom »ARGUS NachrichtenBureau G.m.b.H., Berlin SW, Wilhelmstr. 30–31, Fernsprecher FS Bergmann 4797«. Niederschrift von M. Begas auf Wunsch von Kirchenrat Köhler zur Tagung des L.K.Tages Frühjahr 1926, LKAE, Lose Einlage im Findbuch Volksdienst, S. 10. Niederschrift von M. Begas auf Wunsch von Kirchenrat Köhler zur Tagung des L.K.Tages Frühjahr 1926, LKAE, Lose Einlage im Findbuch Volksdienst. Über ihren Anteil an Herausgabe von Glaube und Heimat berichtet M. Begas in ihrer ersten Tagebucheintragung vom 27. Mai 1933 (zur Wahl des Reichsbischofs): Sie prüfte eingehende Artikel von Presseagenturen, ob sie abgedruckt werden sollten, und bearbeitete sie redaktionell. Auch wenn sie letztlich für den Abdruck nicht verantwortlich war, hatte sie doch erhebliche Freiheit in der Gestaltung der Artikel: sie griff auch direkt in die Artikel ein, vergewisserte sich aber in schwierigen Fällen bei den Kirchenräten. Außerdem zeichnete sie verantwortlich für das Layout und für die Übergabe der jeweiligen Ausgabe an die Druckerei. Aus der ersten Tagebucheintragung geht nicht hervor, wer letztlich für GuH verantwortlich zeichnet. Offenbar lag die letzte Zuständigkeit aber bei den Kirchenräten allgemein und konnte von Fall zu Fall wechseln. Im Falle des Artikels über die Wahl von Bodelschwingh zum Reichsbischof lag die Verantwortung bei Dr. Volk; aber auch der Landesoberpfarrer hatte sich in den Vorgang eingeschaltet. Vgl. LKAE, Volksdienst 519; 520; 529; 536; Volksdienst »Liturgischer Arbeitsring«.

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»Außerdem muß ich gerade zum Abschied auch einmal der treuen Mitarbeiterin an ›Glaube und Heimat‹, die immer die Hauptlast am Blatt getragen hat, ohne deswegen mit ihrem Namen in den Vordergrund zu treten, Frau Marie Begas, herzlich und dankbar gedenken. Sie wird die Arbeit auch weiterhin in der Hand behalten und schon damit ist auch für die Zukunft der Zusammenhang mit der bisherigen Entwicklung gewahrt.«81 In einem Brief von Otto an Begas vom 16. Oktober 1928 heißt es: »Sie und Ihre Übersicht sind jetzt mein Trost bei allen Angstanfällen, wie die V.D.-Wochenarbeit klappen wird … Grundsätzlich: Handeln sie so selbständig wie möglich, wenn ich nicht da bin: Vor allem darf durch Schreiberei keine Zeit verloren werden. Ich stelle immer wieder fest, daß Sie fast durchweg entscheiden, wie ich es auch getan hätte …«82 Von der Mitarbeit im Volksdienst kannte sie auch Pfarrer Lothar Thomas, der nur für wenige Monate Leiter des Volksdienstes und ab 1933 Schriftleiter von Glaube und Heimat war. Am 1. Oktober 1933 übernahm dann der Deutsche Christ Julius Leutheuser den Volksdienst. Wie lange M. Begas in der Herausgabe von Glaube und Heimat tätig war, lässt sich nicht mehr sagen. Nach eigener Aussage war sie noch bis Ende November 1933 für das Blatt mit zuständig, zusammen mit Wilhelm Bauer, den sie als ihren »neuen Chef« bezeichnet.83 Mit der November-Nummer 1933 wurde Bauer zum Schriftleiter genannt. Er löste Lothar Thomas ab. Begas war weiterhin für die Bildbeilage verantwortlich. Spätestens mit GuH 2/1935 (Nr. 1 fehlt in LKAE) zeichnete Bauer für die Bildbeilage verantwortlich.84 Nach einer Tagebuchnotiz vom Dezember 193385 könnte M. Begas zu diesem Zeitpunkt auch mit der Herausgabe der Thüringer Heimatkorrespondenz zu tun gehabt haben. Deren Schriftleitung hatte um 1932/1933 Pfarrer Michaelis (Weimar) inne; 1934 übernahm Dr. Wilhelm Bauer auch dieses Blatt als Schriftleiter. Für ihr ehrenamtliches Engagement in der Thüringer Gefängnisgesellschaft erhielt sie ebenfalls viel Anerkennung: »Sie hat an der ganzen Wiederaufbauarbeit der Thüringischen Gefängnisgesellschaft, deren Tätigkeit durch Kriegs- und Umwälzungszeit starke Einschränkung erfahren hatte, teilgenommen, und zwar schon vor offizieller Übernahme des Geschäftsführeramtes[; sie hat] mit großer Selbständigkeit die Angelegenheiten der Gesellschaft besorgt, selbst Anregungen für die Fortentwicklung der Gesellschaft und für ihre Arbeit im Einzelnen gegeben. Die Arbeit der Gesellschaft besteht 81 82

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GuH 9 (1932), Nr. 40, 4. Otto hatte M. Begas von Zeit zu Zeit immer wieder seine besondere Anerkennung für ihre Arbeit ausgesprochen. Abschriften (beglaubigte) vom 23. April 1949, LKAE, L 3002, 100. Vermutlich am 1. Ostertag 1930 schrieb Otto an Begas: »Ich danke Ihnen von Herzen für das feste, treue Zusammenstehen mit mir und für das Mittragen der Verantwortung und für das Mitraten und Mitsorgen in vielen Dingen in dem vergangenen Jahr. Ich kann mir nur wünschen, daß es weiter so bleibe« (ebd.). Tgb. 18. November 1933. Bauer war zum 1. Oktober 1933 zunächst vorläufig für ein Jahr für den Dienst in der TheK übernommen worden, offenbar mit dem Auftrag, innerhalb des Volksdienstes die Pressearbeit der TheK zu übernehmen. Mit dem 1. Oktober 1934 wurde ihm die beim LKR neu eingerichtete »Thüringer kirchliche Nachrichten- und Presse-Stelle« in leitender Funktion übertragen; er fungierte als deren »Direktor« und war direkt dem Landesbischof unterstellt. Aus den Akten ist nicht eindeutig zu klären, ob die Stelle damit aus dem Volksdienst ausgegliedert worden ist; vgl. LKAE, L 3051. GuH 1934 konnte leider nicht eingesehen werden. Tgb. 4. Dezember 1933.

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in der Fürsorge für entlassene Strafgefangene sowie in der Fürsorge für Verhaftete und ihre Familien. Diese Arbeit mußte, bis Ortsgruppen und Vertrauensleute für ganz Thüringen gewonnen waren, zum großen Teil von der Zentralstelle der Gesellschaft selbst besorgt werden. Frau Begas hat diese Einzelarbeit zeitweise vollständig selbständig geleistet und leistet sie noch, soweit die örtlichen Stellen nicht eingreifen können. An der Arbeit der Ortsgruppe Eisenach, deren Vorsitzender zunächst der frühere Fürsorger des Eisenacher Jugendgefängnisses Dr. Zirker war, und seit dessen Tode ich bin, hat sich Frau Begas ebenfalls als die Gehilfin der Vorsitzenden und als die Beraterin der Helfer und Helferinnen und des Fürsorgers der Ortsgruppe beteiligt. Frau Begas hat ihre Arbeit mit verständnisvollster Einfühlung in die Aufgaben der Gesellschaft und mit innerster Teilnahme an dem Leben und Schicksal der Gefangenen und ihrer Familien geleistet und erfreut sich größter Anerkennung aller derjenigen, die auf dem Gebiete des Gefängniswesens als Referenten im Ministerium als Leiter und Seelsorger der Gefängnisanstalten mit ihr zu tun haben. Ich würde bei meiner starken Inanspruchnahme als stellvertretender Vorsitzender des Landeskirchenrates den Wiederaufbau der Arbeit der Thüringischen Gefängnisgesellschaft zu seinem jetzigen Stande ohne die verständnisvolle, pflichtreue und lebhafte Mitarbeit von Frau Begas nicht haben leisten können. Sie hat mich in den letzten Jahren auch bei großen Tagungen, bei denen Fragen des Gefängniswesens und der Straf- und Gefängnisreform beraten wurden, vertreten, und dadurch großen Überblick über die Entwicklung auf dem ganzen Arbeitsgebiete gewonnen. Zur Zeit nimmt sie an Vorarbeiten teil, die auf Einrichtung einer Erwachsenen-Gerichtshilfe für Thüringen hinausgehen.« 86 1923 wurde M. Begas zur Beamtin der Thüringer evangelischen Kirche auf Lebenszeit ernannt mit der Dienstbezeichnung »Kirchenassistentin«.87 Dabei leistete sie den folgenden Diensteid: »Ich gelobe vor Gott dem Allmächtigen und Allwissenden Treue der Thüringer evangelischen Kirche und ihrer Verfassung, Gehorsam ihren Gesetzen, Förderung ihrer inneren und äußeren Wohlfahrt, gewissenhafte Erfüllung meiner Dienstpflichten als Beamter (sic!) des Landeskirchenrats der Thüringer evangelischen Kirche. So wahr mir Gott helfe!«88 Ab Oktober 1924 führte sie die Dienstbezeichnung einer »Kirchensekretärin«89, ab 1926 einer »Kirchenobersekretärin«.90 Vom 1. Oktober bis zum 31. Dezember 1925 wurde ihr für die Teilnahme an einem »staatlichen Nachschulungslehrgang für sozial arbeitende Frauen« unbezahlter Urlaub gewährt.91 Sie schloss ihn am 22. Dezember ab

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Zeugnis für Frau Marie Begas von Kirchenrat Dr. Otto Volk vom 26. September 1925, LKAE, L 3002, 27–28. Anstellungsvertrag v. 1. Juli 1923, LKAE, L 3002, 15. Erklärung vom 20. Oktober 1923, LKAE, L 3002, 19. Anstellungsurkunde v. 11. November 1924, LKAE, L 3002, 22. Schreiben des LKR der TheK an Marie Begas vom Juni 1926, LKAE, L 3002, 37. Die Ernennung wurde zum 1. Juli 1926 wirksam. Sitzungsprotokoll des LKR der TheK vom 30. September 1925, LKAE, L 3002, 29.

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mit der Prüfung als staatlich anerkannte Wohlfahrtspflegerin (Fürsorgerin)92, und zwar mit der Note I (»vorzüglich«).93

1.2.5. Tätigkeit beim Landeskirchenrat in nationalsozialistischer Zeit Nachdem die Deutschen Christen (DC) im Landeskirchenrat der Thüringer evangelischen Kirche die Macht übernommen hatten, arbeitete M. Begas zunächst weiter in der Pressestelle des Volksdienstes, empfand aber ihre Tätigkeit, mit der sie nolens volens die neue kirchenpolitische Richtung unterstützte, als unerträglich. Im Tagebuch notiert sie dazu: »Meine Situation im Volksdienst ist schrecklich. Ich muß als Mitarbeiterin im Pressedienst die Korrekturen der niederträchtigen Artikel lesen, die [Wilhelm] Bauer gegen [Ernst] Otto losläßt – u. muß noch dafür sorgen, daß alles ordentlich und pünktlich und ohne Fehler expediert wird. Und darf nicht mit der Wimper zucken, wo ich ihn am liebsten anspucken möchte.«94 Diese Aussage spiegelt etwas von der scharfen Frontstellung wider zwischen der Tagebuchschreiberin und den deutschchristlich orientierten Mitarbeitern des LKR, aber auch grundsätzlich zwischen der Bekennenden Kirche (BK) und den Deutschen Christen, die sich wie ein roter Faden durch das Tagebuch zieht und den Begriff des Kirchenkampfes hier sinnfällig macht. Um ihr aus diesem Dilemma heraus zu helfen, schlug ihr der erste Jurist des Hauses, Dr. Otto Volk, vor, eine Versetzung zu beantragen. Sie sollte »Hilfsarbeiterin«, d.h. wohl Sachbearbeiterin, in seinem Arbeitsbereich werden. Obwohl sie den Wechsel kaum abwarten konnte, wie sie bekundete, hatte sie doch auch wieder Vorbehalte gegen die neue Tätigkeit. Denn zum einen bearbeitete Volk die Disziplinarsachen gegen Pfarrer der BK. Zum anderen argwöhnte sie, dass es wegen der unklaren theologischen und kirchenpolitischen Einstellung Volks zu Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit kommen könnte.95 Dass der Wechsel in dieser Weise vollzogen wurde, ist aus vielerlei Indizien, die auf eine gewisse Nähe zum Arbeitsbereich Volks schließen lassen, anzunehmen, aber durch Dokumente und Tagebuchaussagen nicht zu belegen. Sicher ist, dass sie im Mai 1934 nicht mehr im Volksdienst tätig war. In einer Tagebuchnotiz berichtet sie, dass sie »gestern […] mal wieder einen Augenblick im Volksdienst« gewesen sei.96 Ein Jahr später notierte sie, dass zum 1. Mai 1935 vorgesehen sei, sie in eine andere Dienststelle zu versetzen97, deren Geschäftsbereich sie aber nicht nennt und wohl auch nicht

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Schreiben des Thüringischen Ministeriums für Inneres und Wirtschaft (Abt. Inneres [Wohlfahrt]) an Marie Begas vom 30. Januar 1926, LKAE, L 3002, 35. Schreiben von M. Begas an ihre Tochter Ruth Ohrtmann vom 23. September 1956, Nachlass Marie Begas. Tgb. 14. Januar 1934. Einige Wochen vorher bemerkte sie im Tgb., indirekt auf ihre unhaltbare Situation hinweisend: »Am 27. haben wir eine Korrespondenz (ThHtK) mit einem Aufsatz von [Wilhelm] Bauer und Leutheuser herausgegeben, der sehr deutlich war und u.a. eine unglaubliche Beleidigung der Pfarrerschaft enthielt« (Tgb. 29. November 1933). Vgl. Tgb. 20. Januar 1934. Tgb. 13. Mai 1934. Tgb. 29. April 1935.

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für wichtig hält. Wieder nur aus Indizien geht hervor, dass die neue Stelle mit der »Bücherei« des Hauses zu tun hatte.98 1938 notierte sie, dass sie an der Drucklegung einer neuen Ausgabe der Verfassung beteiligt sei.99 1939 wurde sie mit der Aufgabe betraut, sich in die Versorgungsabteilung des Hauses einzuarbeiten.100 Allerdings gab es eine Tätigkeit, die sie aus der Zeit des Volksdienstes weiterführte, nämlich die Beobachtung und Archivierung der Presse.101 Es scheint Teil ihrer regulären Dienstobliegenheiten gewesen zu sein, gleichsam amtlich Zeitungen zu lesen, zu sichten, wichtige kirchenpolitisch relevante Nachrichten auszusondern, sie den kirchenleitenden Gremien und Personen im LKR zugänglich zu machen und schließlich zu archivieren. Im Auftrag des für die Presse im LKR Verantwortlichen, Dr. Wilhelm Bauer, wurden ihr Zeitungsmappen zugeleitet.102 Ihre Arbeit war nicht nur erwünscht, sondern begehrt. Und sie war sich ihrer Bedeutung in der Nachrichtenweitergabe durchaus bewusst. 1934 notierte sie: »Die Kirchenräte wissen übrigens meist sehr wenig; man informiert sich gern bei mir, aber ich sage natürlich nur, was ich aus Zeitungen weiß. Alles stürzt sich auf dieses Material, das ich zuerst in die Hände bekomme. Die französischen und englischen Zeitungsausschnitte übersetze ich.«103 Die Artikel aus ausländischen Zeitungen waren eigens wegen ihrer Dolmetscherfähigkeiten bestellt worden.104 Sie übersetzte schließlich auch italienische105 und niederländische106 Berichte – und sie übersetzte für beide Seiten. Erst 1938 wurde ihr von Seiten der DC bedeutet, dass für den VD nun keine Übersetzungen mehr nötig seien; man habe dafür jemanden aus der eigenen Bewegung.107 Ein Jahr später hatte sich das Blatt aber schon gewendet: Ihre englischen, französischen und italienischen Übersetzungen dienten 1939 als Material für eine deutschchristliche Presseumschau.108 Aufgrund dieser Pressebeobachtung war sie eine der über die kirchenpolitischen Vorgänge am besten informierten Personen im LKR. Nach Ausweis des »Pressearchivs des LKR (Volksdienst)« 98

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Vgl. Tgb. 8. Juni, 2. und 19. Juli, 15. und 20. Oktober 1935. Das wird in gewisser Weise bestätigt durch Herbert von Hintzenstern, der im Nachwort zu M. Begas, Das Ärgernis (wie Anm. 26), 62, berichtet, dass sie nach ihrer Tätigkeit im Volksdienst (ab 1921) und in der Redaktion von Glaube und Heimat (ab 1924) »schließlich in der Bibliothek des Landeskirchenrates« (vermutlich ab 1934) tätig gewesen sei. Tgb. 27. Januar 1938. Tgb. 30. August 1939. Vgl. »Pressearchiv des LKR (Volksdienst) – verwaltet von Marie Begas« (LKAE). Es ist im Jahre 2009 geordnet und durch ein Register erschlossen worden. Vgl. Tgb. 6. Januar 1935. Tgb. 14. September 1934. Auf ihre – für die kirchenpolitische Diskussion im LKR wie in der BK durchaus belangreichen – Übersetzungstätigkeit war M. Begas mit Recht sehr stolz (Tgb. 7. Dezember 1935). Vgl. auch Tgb. 20. Februar 1937. Die Tagebuchschreiberin notiert: »Heute kamen zum ersten Mal die bestellten englischen und französischen Zeitungsausschnitte mit Nachrichten vom deutschen Kirchenkampf im Volksdienst an. ›Six mille pasteurs contre l’Hitlerisation …‹« (Tgb. 16. Januar 1934). Tgb. 2. November 1938. Tgb. 19. Mai 1938. Tgb. 27. Januar 1938. Sie »werden vom VD an einen DC-Pfarrer geschickt, der sie zur Zusammenstellung einer außenpolitischen Umschau für das DC-Blatt ›Deutsche Frömmigkeit‹ benutzt!« (Tgb. 29. März 1939).

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begann M. Begas ihre Übersetzungstätigkeit im Mai 1934; sie legte ihre ersten Ergebnisse handschriftlich vor. Das lässt darauf schließen, dass sie zunächst damit mehr an ihre eigene Information und die ihrer Vertrauten gedacht hat. Im Oktober 1934 begann sie damit, die handschriftlichen Übersetzungen in maschinenschriftliche zu übertragen und davon häufig mehrere Kopien herzustellen. Häufig sind noch beide Fassungen erhalten. Schließlich finden sich auch rein maschinenschriftliche Texte. Die maschinenschriftlichen waren in erster Linie wohl für die Vertreter der Kirchenleitung bestimmt. Im Jahr 1936 häufen sich die Übersetzungen, sie erscheinen im Abstand weniger Tage: Man wird wohl davon ausgehen müssen, dass die Übersetzungen einen wesentlichen Teil ihrer Tätigkeit ausgemacht haben, in welchem Ressort sie auch immer sonst tätig gewesen ist. Grundlage ihrer Nachrichtenauswertung waren die von Zeit zu Zeit zugesandten, vom LKR abonnierten Bündel mit Ausschnitten aus Zeitungen und anderen Periodica des Argus-Nachrichtenbüros in Berlin.109 Deshalb ist nicht verwunderlich, dass sie in ihrem Tagebuch auf die unterschiedlichsten Presseerzeugnisse des In- und Auslands Bezug nimmt. Dazu las und beobachtete sie die vom LKR selbst gehaltenen Zeitungen und anderen periodischen Veröffentlichungen, im übrigen aus den verschiedenen kirchenpolitischen Lagern. Einen besonderen Rang nahmen dabei die »Baseler Nachtrichten« ein, die wohl vom LKR nicht gehalten wurden, bis 1935 aber noch im Eisenacher Bahnhof zu haben waren. Ihr Vertrieb wurde Mitte des Jahres auf unbestimmte Zeit verboten.110 M. Begas kaufte von Zeit zu Zeit im Bahnhof oder in der Buchhandlung Klante auch die »Times«, oft täglich, in der Hoffnung, einen objektiveren Einblick in die kirchenpolitischen Verhältnisse und Auseinandersetzungen in Deutschland zu gewinnen.111 Dabei muss hervorgehoben werden, dass die Presseauswahl ausschließlich unter Gesichtspunkt erfolgte, ob und in welcher Weise dort die »Kirchenfrage« behandelt wurde. Hocherfreut registrierte sie deshalb das »Pressewunder«, dass ihr eines Tages Presseausschnitte zugänglich gemacht wurden von Zeitungen, die in den vergangenen Jahren über die Kirchenfrage praktisch nichts gebracht hatten.112 Ihr Umgang mit Zeitungen war insgesamt durchaus kritischer Natur. Ihr war bewusst, dass die gängigen Blätter unterschiedliche Interessen vertraten. Zur programmatischen Rede des Kirchenministers notierte sie: »Interessant ist, daß jede Zeitung nur das daraus bringt und hervorhebt, was ihr paßt. Am besten fand ich den Auszug in der »Tagespost«, entstellend »Eisenacher Zeitung« und »Völkischer Beobachter«. Otto hatte einen günstigen Auszug gelesen. Er betonte, daß man von dem Minister nicht verlangen könnte, daß er plötzlich redete wie ein Christ.«113 Der kritische Vorbehalt von M. Begas war allerdings nicht antinationalsozialistisch bzw. ideologiekritisch intendiert. Im Zusammenhang mit der Rede Kerrls betonte sie sogar die Zustimmung der Bekennenden Kirche zum nationalsozialistischen Staat, auch die von E. Otto. Gegenüber dem Völkischen Beobachter fiel ihre Kritik durchaus moderat aus. Sie monierte 109 110 111 112 113

Vgl. dazu Tgb. 27. Mai 1933. Vgl. Tgb. 2. Juli 1935. Vgl. Tgb. 6. Dezember 1935 u. 28. Dezember 1935. Vgl Tgb. 4. Oktober 1935. Tgb. 18. Oktober 1935.

EINLEITUNG

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lediglich, dass der Artikel über die Kerrl-Rede Angaben zur Zusammensetzung des Reichskirchenausschusses vermissen lasse, in dem auch BK-Mitglieder vertreten seien. Sie mochte den Völkischen Beobachter nicht114, warf ihm Fälschung und »Sabotage« am nationalsozialistischen Staat vor, bezichtigte ihn aber nicht der politischen Indoktrination.115 Es wird hier besonders deutlich, dass M. Begas in der Beurteilung der Presse nur den einen Gesichtspunkt im Blick hatte: wie die BK einen ihr angemessenen Platz im nationalsozialistischen Staat finden könne, in der selbstverständlichen Annahme, dass Hitler dieses Begehren billige und unterstütze – zum Wohl des nationalsozialistischen Staates. Insgesamt gesehen hat M. Begas nach der Versetzung aus dem Volksdienst keine sie befriedigende Tätigkeit mehr gefunden. Darüber schreibt sie selbst, kennzeichnend wohl auch für die Jahre ihres Dienstes im LKR: »Ich selbst habe z.Zt. kaum etwas zu tun – ich übersetze u. ordne Presseausschnitte. Lotz, den ich um Arbeit bat, antwortete mit schöner Offenheit, er müßte z.Zt. seine eigene Arbeit strecken u. könnte also für mich kaum welche beschaffen. In der Pfründe sprach einer vom ›Zeit totschlagen‹, selbst Stenotypistinnen sagten, sie hätten nicht viel zu tun. Allgemeine Lähmung.«116 Es zeichnet sich hier bereits ein Phänomen ab, das sich später, nach 1945 wiederholt. Es bestand offenbar keine Neigung seitens irgendeiner landeskirchlichen Behörde, sie ihren Fähigkeiten entsprechend einzusetzen. Schließlich suchte sie sich selbst Arbeit: »Ich bin z.Zt. damit beschäftigt, das Pressearchiv des VD, das auf meine Anregung hin beim Umzug des VD ins »Gärtnerhaus« gerettet wurde, zu ordnen. Da steigt die Zeit von 1921–33 vor mir wieder auf, wo wir auch so ratlos waren und den Bolschewismus herannahen fühlten.«117 1942 spricht sie davon, dass sie eine nicht näher bestimmte »Archivarbeit« übernehmen werde. Dazu ist es aber wegen einer Intrige gegen sie nicht gekommen. Nun befürchtete sie, dass man sie »stattdessen irgendwo hinsteckt, wo ich ungern arbeite.«118 Mehrfach wird darauf angespielt, dass sie in der »Bücherei« arbeitete.119 Dabei wird nicht klar gesagt, dass diese Arbeit ihre eigentliche Tätigkeit sei. Vom Amt als Schriftführerin in der Thüringischen Gefängnisgesellschaft wurde sie zum 1. April 1938 entbunden, weil diese in den neu gegründeten (nationalsozialistisch orientierten) Landesverein Thüringen für Straffälligenbetreuung und Ermittlungshilfe e.V. mit Sitz in Jena überführt worden war.120 Darüber hinaus war M. Begas gesellschaftlich interessiert und engagiert. Für das Jahr 1935 ist ihre Mitgliedschaft, ihre Mitarbeit bzw. ihr Kontakt dokumentiert für den Hausfrauenverein, die Beamtenfachschaft121 und den Geschichtsverein122.

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Vgl. Tgb. 18. Oktober 1935. Vgl. Tgb. 21. Oktober 1935. Tgb. 3. September 1938. Tgb. 1. Dezember 1938. Tgb. 29. Juni 1942. Vgl. z.B. auch Tgb. 6. Juni 1944. Vgl. Schreiben (Abschrift) Dr. Volk an Marie Begas vom 31. März 1938, LKAE, L 3002, 98. Vgl. für beide Institutionen: Tgb. 8. März 1935. Vgl. Tgb. 22. März 1935.

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Seit dem 20. April 1942 führte sie die Dienstbezeichnung »Kirchenverwaltungsoberinspektorin«.123 Mit dem Dritten Reich wurden auch M. Begas auf die Zeit bezogene Erklärungen abverlangt: (1) [August 1933] »Durch Anordnung des Thür. Ministeriums des Inneren vom 23. Juni 1933 (Reg. Bl. S. 266), die auch für Personen gilt, die aus kirchlichen Mitteln Bezüge erhalten, (Kirchl. Anz. 1933 S. 175) ist die Zugehörigkeit von Beamten, Angestellten und Arbeitern, die aus öffentlichen Mitteln Gehalt, Lohn oder Ruhegeld beziehen, zur sozialdemokratischen Partei untersagt.« 124 (2) [Oktober 1933] »Ich versichere, daß ich trotz sorgfältiger Prüfung keine Umstände habe finden können, die zu der Annahme führen könnten, daß ich nichtarischer Abstammung sei oder daß einer meiner Eltern- oder Großelternteile jemals der jüdischen Religion angehört habe.«125 (3) [September 1934] leistete sie den Diensteid auf den Führer: »Ich schwöre: Ich werde dem Führer des Deutschen Reiches und Volkes Adolf Hitler treu und gehorsam sein, die Gesetze beachten und meine Amtspflichten gewissenshaft erfüllen, so wahr mir Gott helfe.«126

Mit den vorstehenden Erklärungen hatte M. Begas so wenig Schwierigkeiten wie die anderen Bediensteten des LKR. Es ist kein Fall bekannt geworden, dass einer sich hier verweigert hätte. Dabei wird nichts Nebensächliches abverlangt. In der Frage des Eides auf den Führer war Begas allerdings in besonderer Weise sensibilisiert durch E. Otto. Denn der Eid war in der BK außerordentlich umstritten. Am 9. August 1934 verabschiedete die Nationalsynode auf die besondere Initiative von Reichsbischof Müller das »Gesetz über den Diensteid der Geistlichen und Beamten der DEK«. Das war der Versuch, die gesamte evangelische Kirche unter den Willen des Führers zu zwingen, auch die Verkündigung.127 Von E. Otto gefragt, was sie von dieser Maßnahme halte, antwortete M. Begas, dass einem Pfarrer ein solcher Eid nicht möglich sei.128 Beide waren sich aber zum Zeitpunkt dieses Gesprächs einig, dass M. Begas als Kirchenbeamtin den Eid ohne Bedenken leisten könne. Sie war erleichtert und E. Otto dankbar für diese Solidarität. Erwartungsgemäß lehnte wenige Tage später der Bruderrat der Lutherischen Bekenntnisgemeinschaft (LBG) in Thüringen das Gesetz einstimmig ab, auch wenn das bedeuten könnte »Amtsentlassung, Brotlosigkeit, vielleicht Gefängnis. Und alle werden nicht standhalten.« E. Otto informierte von dieser Entscheidung des Bruderrats auch Landesbischof Sasse. Da die Vereidigung der Pfarrer offenbar schwierig war, sollten im LKR in Eisenach zunächst die Kirchenbeamten vereidigt werden.129 Das entsprach einer Verordnung der DEK, wonach das auf der Nationalsynode beschlossene Gesetz modifiziert worden 123 124 125 126 127 128 129

Ernennungsurkunde vom 20. April 1942, LKAE, L 3002, 63. Erklärung vom 15. August 1933, LKAE, L 3002, 55. Erklärung vom 16. Oktober 1933, LKAE, L 3002, 56. Erklärung vom 20. September 1934, LKAE, L 3002, 57. Gerlach, Die Kirche vor der Eidesfrage, 1967, 61–67. Tgb. 19. August 1934. Zum folgenden vgl. Tgb. 22. September 1934.

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war. Froh, dass sie dem für Pfarrer im Hinblick auf den Verkündigungsauftrag verbundenen, existentiellen Konflikt nicht ausgesetzt war, leistete M. Begas den Eid vor dem LKR in Eisenach. Ihr war unbekannt, dass die Bekenntnissynode inzwischen davor gewarnt hatte, den Eid vor einer nichtstaatlichen Instanz abzulegen. Otto hatte sie zwar kurz vor ihrer Vereidigung über die Weisung der Bekenntnissynode informiert; aber sie hatte das nicht sogleich auf sich bezogen, weil sonst immer nur von dem Eid der Pfarrer die Rede war. Ihre Betroffenheit, in einem so wichtigen persönlichen Akt nicht ganz durchgeblickt und dem Standpunkt der BK in glaubensmäßiger Hinsicht nicht wirklich entsprochen zu haben, brachte sie folgendermaßen zum Ausdruck: »Ich war einigermaßen erschlagen. Früher hat es immer geheißen, die Beamten – da liegt die Sache ja ganz anders! Da handelt es sich nicht um die Verkündigung! Trotzdem ist die Weisung natürlich richtig. Aber dann hätte man die Beamten vorher in anderer Weise zusammenfassen und für den schweren Entschluß stärken müssen. Ich glaube außerdem, daß die Weisung der Bekenntnissynode wohl für die meisten Beamten zu spät gekommen ist, und kann dafür in meinem Fall nur dankbar sein. Ich glaube kaum, daß ich in meiner Lage – so wie die Dinge liegen – diesen Entschluß hätte fassen können. Es ging ja nicht um Christus selbst. Ich hoffe, daß ich, wenn es ums Ganze gegangen wäre, den Mut gehabt hätte. Aber – obwohl die Bekenntnissynode in jeder Weise Recht hat – kam mir mein persönliches Opfer in diesem Falle nutzlos vor. Wer fragt nach mir! Die Verantwortung liegt hier auf den Pfarrern. Trotzdem schmerzt mich das Ganze und ich werde nicht leicht darüber hinwegkommen – obwohl ich ja guten Glaubens war. Bestärkt hat mich in meiner Sicherheit auch die Tatsache, daß die Württembergischen Kirchenbeamten dem Kommissar Jäger den Beamtendiensteid sofort geschworen haben – und sie hatten doch sicher Weisungen von Wurm! Aber da waren eben die weitergehenden Weisungen der Bekenntnissynode noch nicht da.« Nach dem Weggang Ottos aus Eisenach im Jahre 1938 hat sie aber ihre alte Sicherheit in der Beziehung zum »Führer« wiedergewonnen. Mit einer Verlautbarung des Evangelischen Oberkirchenrats (EOK) begrüßte sie dessen Hinweis, dass der Eid auf den Führer jenseits aller kirchenpolitischen Optionen eine persönliche Bindung an den Führer darstelle. Das empfinde sie als ein »erlösendes Wort«.130

1.2.6. Entstehung und Verbleib der Aufzeichnungen Im Mai 1933 begann M. Begas auf Anregung und Bitte von E. Otto mit der Abfassung eines Tagebuchs über den Kirchenkampf in Thüringen, das sie dann auch in ziemlich regelmäßigen Abständen über die gesamte Zeit des Dritten Reiches geführt hat. Die erste Eintragung erfolgte am 27. Mai 1933, die letzte am 30. Juli 1945. Das Tagebuch sollte eine »Gedächtnisstütze« für E. Otto sein. »Er wollte einmal die Geschichte des Kirchenkampfes in Thüringen schreiben.«131

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Tgb. 19. Mai 1938. Schreiben an einen Pfarrer in der Schweiz (vermutlich Michaelis) vom 1. Juli 1952, Nachlass Marie Begas.

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Sowohl Otto wie die Tagebuchschreiberin waren sich also dessen bewusst, in einer besonderen Zeit, in einer Zeit von historischer Bedeutung zu leben und zu agieren. Es zeugt von erheblicher Weitsicht beider, dass das Tagebuchunternehmen zu einem Zeitpunkt begonnen wurde, als die Deutschen Christen zwar bereits dabei waren, ihren Einfluss auf den LKR der Thüringer evangelischen Kirche geltend zu machen, aber noch nicht die Macht auf dem Pflugensberg übernommen hatten. Es dürften sich reichsweit nur wenige Personen bereits zu diesem frühen Zeitpunkt auf den Weg gemacht haben, den sich anbahnenden kirchlichen Konflikt zu dokumentieren.132 E. Otto hatte den Anstoß gegeben; aber das Unternehmen wäre wohl nicht gelungen, wenn nicht M. Begas dieses auch zu ihrem eigenen Anliegen gemacht hätte. 12 Jahre lang, oft Tag für Tag, ist sie als Tagebuchschreiberin aktiv gewesen! Von erheblicher Bedeutung ist dabei, dass die Tagebuchschreiberin mit E. Otto und seiner Frau auf das engste verbunden war, menschlich wie theologisch und kirchenpolitisch, wohl auch politisch: »Ja, er hat auf mich entscheidend eingewirkt. Er und seine Frau waren die besten Freunde, die ich je gehabt habe, die ich mir überhaupt vorstellen kann.«133 E. Otto war bis 1938 der Leiter der Lutherischen Bekentnisgemeinschaft (LBG), wie die Bekennende Kirche in Thüringen hieß; ihr gehörte M. Begas seit ihrer Gründung im Jahre 1934 an. Sie wird aber auch schon Mitglied der Untergruppe der Jungreformatorischen Bewegung in Thüringen gewesen sein, die Otto auf Bitten von Walter Künneth Anfang Juni 1933 gegründet hatte.134 Bedeutsam für das Tagebuch war die enge Freundschaft beider vor allem deshalb, weil M. Begas als Vertraute von Otto Zugang zu allen Dokumenten und Vorgängen des Kirchenkampfes hatte, die über den Schreibtisch von Otto bzw. durch die in dessen Wohnung eingerichtete Geschäftsstelle der LBG gingen. Am ersten Ostertag 1935 gab Otto der Tagebuchschreiberin »einen ganzen Schwung seiner Eingänge zum Lesen mit«, die sie dann am nächsten Tag zurückbrachte.135 Aus dieser Notiz geht hervor, dass Otto M. Begas als Gesprächspartnerin in der Einschätzung kirchenpolitischer Vorgänge suchte und schätzte.136 Das kann auch durch andere Vorgänge bestätigt werden. So bat er sie z.B. am Anfang des Kirchenkampfes um ihre Meinung zu einem bestimmten Schriftsatz, den er ausgehen lassen wollte.137 In einem anderen Fall las sie eine Schrift von Otto gegen und schlug Korrekturen vor, die der Verfasser auch akzeptierte.138 Die Kooperation zwischen beiden ging so weit, dass sie Otto nicht nur bei der Abfassung wichtiger 132 133 134 135 136 137 138

Das hier vergleichbare Tagebuch von Klugkist Hesse beginnt mit dem Jahr 1936; vgl. Abrath, Subjekt und Milieu im NS-Staat, 1994. Schreiben an einen Pfarrer in der Schweiz (vermutlich Michaelis) vom 1. Juli 1952, Nachlass Marie Begas. Helaseppä, Die Lutherische Bekenntnisgemeinschaft, 42–43. Tgb. 18. April 1935. Tgb. 17. September 1934. Schreiben von M. Begas an Otto [ohne Datum, aus dem Anfang des Kirchenkampfs 1933/1934], LKAE, LBG 274, 164. »Ottos kleines Heft ist erschienen: ›Evangelischer oder deutsch-christlicher Glaube‹ ? Ich weiß nicht, ob ich festhielt, daß ich die Korrektur gelesen und noch Änderungen vorgeschlagen hatte, die O. auch alle beachtet hat.« (Tgb. 15. April 1937).

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Schreiben beriet, sondern in einem Falle sich auch – allerdings bangen Herzens – dazu brachte, einen wichtigen Brief Ottos an den LKR, den sie abgeben sollte, zurückzuhalten und bei Otto darauf zu dringen, ihn noch einmal zu überdenken. Ihr waren zwischenzeitlich Bedenken gekommen.139 Otto und Begas, die sich aus der gemeinsamen Zeit im Volksdienst kannten, waren bis 1938 ständig in Kontakt miteinander, nahezu täglich. An zahlreichen Stellen im Tagebuch ist davon die Rede, dass sie Otto und/oder seine Frau aufgesucht, mit ihnen einen gemeinsamen Spaziergang gemacht oder nach Bibelstunden noch mit ihnen geredet hatte im Kreis der Vertrauten. Es dürfte in diesen Jahren kaum einen kirchenpolitischen Vorgang gegeben haben, von dem die Tagebuchschreiberin nicht gewusst und den sie von Fall zu Fall gar mit beraten hat.140 Es ist insgesamt ein bemerkenswerter und möglicherweise ganz singulärer Vorgang, dass ein Theologe einer einfachen Verwaltungsfachkraft und überdies einer Laiin zugetraut hat, kompetent über die kirchenpolitischen Vorgänge der Zeit zu berichten und sie eben auch zu bewerten. Bei dieser engen Zusammenarbeit konnte wohl im Betrieb des Eisenacher deutschchristlich dominierten LKR der Eindruck entstehen, sie sei Otto »hörig«.141 Nachdem Otto 1941 verstorben war, sah M. Begas sich offenbar verpflichtet, das Tagebuch in seinem Sinne fortzuführen.142 Aber sie war durchaus auch im Zweifel, ob sie wohl das dafür nötige Engagement weiter werde aufbringen können.143 Unter dem Verlust Ottos hat sie stark gelitten, tröstete sich aber damit, dass sie zum wiederholten Male seine Predigten, Andachten und Briefe las. Dabei wurde sie sich immer stärker der geistigen (und wohl auch politischen) Übereinstimmung mit Otto bewußt: »Wenn ich Ottos Briefe wieder lese, wird mirs immer wieder klar, daß ich trotz aller Bewußtheit, den Reichtum, den ich in dieser Freundschaft hatte, doch nicht voll ermessen habe. Aber mir ist, als faßte ich immer mehr Fuß in seiner geistigen Heimat. In nächster Woche fahre ich für 8 Tage zu Frau Otto nach Marburg.«144 Geschrieben hat sie das Tagebuch teilweise, wenn nicht überhaupt zum größten Teil, in ihrer Dienstzeit. Das wird zwar nicht direkt gesagt, ergibt sich aber doch deutlich aus relativ häufigen Angaben über die Tageszeiten, zu denen sie schrieb und die eindeutig in die Dienstzeit fielen. Oft reagierte sie mit einer Niederschrift unmittelbar auf Vorgänge, die ihr im LKR gerade begegnet waren. Es mag sein, dass sie die Führung des Tagebuchs für sich gleichsam als dienstlichen Auftrag von E. Otto verstanden

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Vgl. Tgb. 19. Januar 1938. Vgl. Tgb. 16. Februar 1937. Vgl. Tgb. 5. April 1938. »Ich führe dieses Tagebuch weiter, da es von Ernst Otto s.Zt. angeregt wurde, u. er die Niederschrift, soweit er sie in ganz kurzen Auszügen zum kleinen Teil kennen lernte, wertvoll fand« (Tgb. 19. Februar 1941). »Es wird mir schwer, dieses Tagebuch fortzuführen. Es fehlt die Freudigkeit – es sollte doch einmal eine Gedächtnisstütze sein für Otto bei einer Darstellung der Jahre des Kirchenkampfes in späteren Zeiten. So hatte ich es mir gedacht und er sich wohl auch.« (Tgb. 28. Februar 1941). Tgb. 30. September 1941.

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hat, obwohl zwischen ihnen kein Dienstverhältnis bestand. An einer Stelle schreibt sie, dass sie ihr »Manuskript gerade verstaut hatte«, als jemand ihr Dienstzimmer betrat.145 Bestehend aus »handschriftlich gefertigten Tagebuchnotizen sowie zwei nicht vollständigen Übertragungen (Reinschriften) in Maschinenschrift, bisher je 510 Blatt« (sic!) hat sie das Tagebuch am 7. August 1961 der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen übereignet. Sie behielt sich aber das Recht vor, die Notizen bei Anwesenheit in Eisenach einsehen und die Reinschrift vervollständigen zu können. Darüber wurde eigens eine dreifach unterzeichnete Niederschrift angefertigt.146 Die Übereignung zu diesem Zeitpunkt dürfte unmittelbar mit der Übersiedlung der Tagebuchschreiberin in die Bundesrepublik Deutschland zusammenhängen. In Kenntnis ihres Übersiedlungsantrages hatte Landesbischof Mitzenheim sie nämlich darum gebeten, »daß diese Akten [der LBG] zum Landeskirchenrat kommen, um im Archiv Aufnahme zu finden und für die Bearbeitung der Geschichte der Bekennenden Kirche mit verwendet zu werden«.147 Für die Überlassung des Tagebuchs erhielt M. Begas am 9. August 1961 einen Betrag von 500 DM aus der Landeskirchenkasse überwiesen als »Entschädigung«. Dieser Vorgang war aber nicht Bestandteil der Niederschrift über die Übereignung. Die Zahlung, die nicht weiter begründet wurde, dürfte wohl erfolgt sein aufgrund einer persönlichen Absprache zwischen Begas und Mitzenheim. Das geht indirekt daraus hervor, dass der Betrag zu Lasten des »Dispositionsfonds des Landesbischofs« gebucht wurde. Die einschlägige Akte im Landeskirchenarchiv ist bezeichnenderweise betitelt »Erwerb des Tagebuchs von Frau Begas«. Ursprünglich hatte M. Begas wohl an einen höheren Betrag gedacht. Wie bei der Zeitschriftenserie »Das Ärgernis« machte sie Schreibkosten für die maschinenschriftliche Übertragung des Tagebuchs geltend und erwartete wohl auch ein Honorar. Als Autorin habe sie damals 720 M erhalten; an Schreibkosten seien 80 M angefallen.148 Im Vorfeld der Übereignung hatte es Missverständnisse gegeben: M. Begas hätte ihr Tagebuch »zur Benutzung angeboten« so lautete offenbar ein Vorwurf.149 Das wies sie allerdings entschieden zurück. Sie habe es Kirchenrat Dahinten, der im Auftrag von Oberkirchenrat Dr. Schanze zu ihr gekommen sei, »vertrauensvoll übergeben« und dabei beide um »unbedingte Geheimhaltung und ausdrücklich auch um Aufbewahrung unter Verschluß dringend gebeten«.150 Aus dieser Zurückweisung und anderen Andeutungen ergibt sich, dass offenbar ein allgemeiner – ebenso schwer fassbarer wie im Übrigen wohl auch lang anhaltender – Verdacht bestand, das Tagebuch enthielte belastende Aussagen über einzelne Personen,

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Tgb. 7. November 1935. Vor Schreck erstarrt sei sie, als jemand sie in ihrem Dienstzimmer besuchte und das Tagebuch offen vor ihr lag; vgl. Tgb. 14. Januar 1936. Vgl. dazu die »Niederschrift« vom 7. August 1961, LKAE, A 780, Bd. 12 [Erwerb des Tagebuches von Frau Begas], 3–4. Es waren 513 Seiten. Schreiben von Mitzenheim an M. Begas vom 28. September 1960, LKAE, L 3002, 129. Mit den Akten kann nur das Tagebuch gemeint gewesen sein; M. Begas hatte – das geht auch aus dem Schreiben hervor – Mitzenheim zwei Jahre zuvor davon erzählt. Schreiben von M. Begas an einen Kirchenrat vom 18. Juni 1961, LKAE, MM 55, nicht foliiert. Schreiben von M. Begas an den Landesbischof vom 30. Juli 1961, LKAE, A 780, Bd. 12, 1. Ebenda.

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insbesondere solche in kirchenleitender Position. Dieser Eindruck wird auch nahegelegt durch die Niederschrift bei Übereignung des Tagebuchs. Darin hielt die Tagebuchschreiberin im vorletzten Satz ausdrücklich noch einmal (!) fest: »Ich versichere, daß ich sämtliche Tagebuchnotizen und sämtliche bisher angefertigten Reinschriften abgegeben habe.« Und als sei das noch nicht ausreichend, fügte sie einen letzten Satz an: »Ich habe von den Aufzeichnungen über den Kirchenkampf nichts mehr in meinen Händen« – mit anderen Worten: durch die sie andere Personen hätte belasten können. Nach Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland versuchte M. Begas, über den Landeskirchenrat in Eisenach eine Einreisegenehmigung in die DDR zu erhalten, um die Übertragung des Tagebuchs zu Ende zu bringen; sie veranschlagte dafür etwa vier Wochen. Die Genehmigung wurde aber nicht erteilt.151 Parallel zum Tagebuch hat M. Begas eine Sammlung von Zeitdokumenten zum Kirchenkampf in Thüringen angelegt. Auf sie kommt die Tagebuchschreiberin im Tagebuch gelegentlich zu sprechen.152

1.2.7. Tätigkeit beim Landeskirchenrat nach 1945 und Ruhestand Am 30. Juni 1945 wurde der Volksdienst aufgelöst. Für M. Begas musste ein neuer Arbeitsbereich gefunden werden. Das sollte sich als schwierig erweisen. Es wurden ihr verschiedene andere Verwaltungstätigkeiten zugewiesen; u.a. erhielt sie am 19. August 1945 den Auftrag, »die Bücherei des Landeskirchenrats, die des Predigerseminars und die des Volksdienstes von nazistischer Literatur zu reinigen«. Nach Durchsicht von etwa der Hälfte des Buchbestandes legte sie am 25. August 1945 einen ersten Bericht vor153, dem am 23. Oktober 1945 ein weiterer folgte, der vor allem die Bibliothek des Predigerseminars betraf.154 »Frau Begas ist« – so heißt es in einem Aktenvermerk – »wiederholt vorstellig geworden und hat um Zuweisung eines Arbeitsgebietes bzw. um Arbeit gebeten. Es wurden ihr verschiedene Tätigkeiten aus den verschiedenen Arbeitsgebieten zugewiesen, die sie aber nach der Erklärung der betreffenden Dienststellenleiter bzw. Dezernenten nicht zur Zufriedenheit ausübte. Obwohl Frau Begas bereits 28 Jahre im Dienst des LKR steht, besitzt sie keine besonderen Eigenschaften, um in der eigentlichen Verwaltung nutzbringend eingesetzt zu werden.«155 Hier wird eine Spannung deutlich, die sich daraus ergab, dass ihr normale Bürotätigkeit angeboten wurde, für die sie ausgebildet war, für die sie bezahlt wurde und die sie ohne jeden Zweifel auch exakt hätte bewältigen können, an der sie aber kein wirkliches Interesse hatte. Sie war gewohnt,

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Briefwechsel M. Begas mit Mitzenheim 1963–1964, LKAE, A 780, Bd. 12, 6–11. »Gestern Abend hatte ich eine ›Times‹ vom 7.9. zu übersetzen, Abschrift in meiner Sammlung« (Tgb. 14. September 1935). Vorläufiger Bericht (Entwurf), Nachlass Marie Begas. Niederschrift betr.: Bücherei des Volksdienstes (Abschrift), Nachlass Marie Begas (H.). Aktenvermerk über die Versetzung von Frau Marie Begas in den Wartestand vom 22. Februar 1949, LKAE, L 3002, 96.

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anspruchsvoller und vor allem selbständig beschäftigt zu sein wie seinerzeit in der Pressearbeit des Volksdienstes, aber auch schon früher in ihrer Tätigkeit für die Staatsanwaltschaft beim Landgericht in Weimar. Wegen dieser Fähigkeit zu selbständiger Arbeit hatten Senffleben und Otto sie im Volksdienst ebenso geschätzt wie Dr. Volk von der Thüringer Gefängnisgesellschaft.156 Beide Institutionen waren maßgeblich durch ihre Arbeit geprägt worden. Daran erinnerte Dr. Volk später in einem Schreiben an die Tochter Ruth: »Was wäre der Volksdienst ohne sie gewesen! Was die Thüringische Gefängnisgesellschaft ohne ihr ständiges Mitraten!«157 Einer Niederschrift zufolge hatte man ihr u.a. auf Anregung des Landesbischofs (Mitzenheim!) die Aufgabe zugewiesen, »eine Zusammenstellung der Kirchenchöre nach Kirchenkreisen vorzunehmen«. Nach fehlerhafter Bearbeitung gab sie diese Arbeit zurück mit der Bemerkung, »sie habe Wichtigeres zu tun«.158 In einem Kondolenzschreiben aus dem Jahre 1969 wird ebenfalls an ihre selbständige Tätigkeit für Volksdienst und Thüringische Gefängnisgesellschaft erinnert: »Nie wäre der Volksdienst zu dem geworden, was er tatsächlich bedeutet hat, ohne die hingebende Kraft, ohne das organisatorische Talent und vor allem ohne die tiefblickende Menschenkenntnis ihrer lieben Mutter … Wie nur selten jemand, waren ihr die Probleme des Strafvollzugs und der nachgehenden Fürsorge aufgegangen … Die Gefangenenfürsorge wurde so zu einem Teil des kirchlichen Volksdienstes.«159 Der Landeskirchenrat hatte ihr also keine ihrem Selbstverständnis und ihren Fähigkeiten entsprechende selbständige Arbeit mehr zugewiesen.160 Typisch ist daher für M. Begas auf die Frage, welcher Beschäftigung sie derzeit nachgehe, ihre Antwort, »daß sie … hauptsächlich Zeitungen und Zeitschriften lese«.161 Das hat sie ihr Leben lang getan. Es könnte aber noch ein anderer Sachverhalt dabei eine Rolle gespielt haben, dass für sie keine befriedigende Tätigkeit gefunden werden konnte. Vermutlich wussten im Landeskirchenamt alle davon, dass M. Begas über die nationalsozialistische Zeit interne Vorgänge des Betriebs tagebuchmäßig festgehalten hatte. Niemand aber hatte darüber genaue Kenntnis. Der Verdacht, dass sie über belastendes Material, besonders auch zu kirchenleitenden Personen verfügte, könnte maßgeblich dazu beigetragen haben, dass sich ihre dienstliche Position nach 1945 so schwierig gestaltete. Wer wollte mit ihr zusammenarbeiten? Eigentlich hätte sie – entsprechend ihren Fähigkeiten – eine hochwillkommene Mitarbeiterin sein müssen. 156

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Elsbeth Senffleben brachte diese Fähigkeit zur selbständigen Tätigkeit und ihre Führungsqualität in dem folgenden Satz auf den Punkt: »Die Abteilung Volksdienst von anfänglich 4 Mitarbeitern, an der Spitze Frau Begas, die Domina, wie Senffleben sie nannte, entwickelte sich allmählich zu einer stattlichen Abteilung.« (E. Senffleben, Kirchenrat Otto Senffleben. Sein Werden und Wirken, dargestellt von seiner Lebensgefährtin, Köln-Mülheim 1960, LKAE, M 2 / 44, 89). Schreiben von Dr. Volk an Ruth Ohrtmann vom 27. Juli 1969, Nachlass Marie Begas. Aktenvermerk vom 22. Februar 1949, LKAE, L 3002, 96. Schreiben von Burkhard Michaelis an Ruth Ohrtmann vom 16. Juli 1969, Nachlass M. Begas. Auf diesen Punkt zielt wohl auch eine Zusammenstellung von drei Briefpassagen von Otto an sie (in beglaubigter Abschrift), in denen Otto ihr dankt für das Mittragen der Verantwortung in der Arbeit des Volksdienstes und sie im Falle seiner Abwesenheit zu weitestgehender selbständiger Entscheidung ermuntert, LKAE, L 3002, 100. Niederschrift von Phieler vom 18. Februar 1949, LKAE, L 3002, 94.

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Am 1. Januar 1950 wurde M. Begas in den Ruhestand versetzt. Es ist nicht bekannt, ob sie danach noch in irgendeinem Arbeitsbereich tätig war. Am 24. August 1961 übersiedelte sie in die Bundesrepublik Deutschland. Zunächst wohnte sie in AltenböggeBönen.162 Am 10. Juni 1969 verstarb sie in einem Altersheim in Lübeck. Ein Jahr nach ihrem Tode erschien ihre Erzählung »Das Ärgernis«.163 Begas hatte sie 1958 zum ersten Mal als Fortsetzungsgeschichte in 12 Folgen in »Glaube und Heimat« veröffentlicht. Sie handelt von einem Pfarrer, der einem Hasen eine Bibel nachwarf und ihn damit zur Strecke brachte. Dieses Ereignis war in einem Bild festgehalten, das im Pfarrhaus in Nohra (Thüringen) hing.164 Darüber war 1957 in einem Reisebericht in »Glaube und Heimat« beiläufig berichtet worden mit der Bemerkung, es handle sich wohl um eine Legende. Das erregte den Widerspruch von M. Begas. Denn sie hatte die eigenartige Geschichte in ihrer Jugendzeit durch Dr. Kuhn in Weimar erfahren, der sie ihrem Vater erzählt hatte. Dieser hatte auch das wichtigste Aktenstück zum historischen Ereignis eingesehen. Auf Bitten der Redaktion von »Glaube und Heimat« (Herbert von Hintzenstern), dem sie von ihrer Erinnerung Mitteilung gemacht hatte, verarbeitete M. Begas diese Infomationen zu einer Erzählung. Den Auftrag nahm sie zum Anlass, zunächst weitere historische Nachforschungen anzustellen, durch die viele interessante Einzelheiten zutage gefördert wurden.165 Der Pfarrer namens Ferdinand Friedrich Ernst Wendel war im Jahre 1814 in einer bösen Lage: Für seine Einsetzung als Pfarrer in Nohra war alles vorbereitet, auch für die Feier im Gasthaus; aber seine Einsetzung war im letzten Moment aus kirchenpolitischen, nicht seine Person betreffenden Gründen abgesagt worden. Wendel stand nun ganz mittellos da, weil er seine bisherige Stelle in Weimar bereits gekündigt und auch seine Schüler abgegeben hatte. Zur Bestreitung seines Lebensunterhalts musste er deshalb Schulden machen und sich nach einer anderen Arbeit umsehen. So arbeitete er auch auf dem Gut seines Vetters in Mechelroda; diese Tätigkeit brachte ihm wenigstens Kost und Logis ein. Der Vetter drückte ihm allerdings auch ein Gewehr in die Hand und schickte ihn auf Hasenjagd, die Wendel mit Eifer und gutem Erfolg betrieb. 1815 änderten sich die Verhältnisse in Nohra. Der Pfarrer konnte nun doch noch dort Einzug halten und die für ihn vorgesehene Stelle einnehmen. Das Gewehr hatte er mitnehmen können. Als der Gutsherr von Isseroda davon hörte, bot er dem Pfarrer an, 162 163 164 165

Aktenvermerk, LKAE, L 3002, Bl. 151. Dazu vgl. oben Anm. 26. Dieses Bild ist noch vorhanden; es wird im Pfarrarchiv Nohra aufbewahrt. Der Nohraer Pfarrer Christian Dietrich hat es den Herausgebern zugänglich gemacht und seinen Abdruck genehmigt. Über Arbeitsweise und Quellen berichtet sie ausführlich in einem Schreiben »An den Herrn Verleger« (Dr. Rauch, Böhlau-Verlag) vom 18. Dez. 1959, Nachlass M. Begas (der Adressat geht aus einem Schreiben von Lotte Brand an Dr. Rauch vom 18. Sept. 1958 hervor). Darauf bezieht sich auch ein Brief, den die Verfasserin der Artikelserie am 9. Juli 1958 an Herbert von Hintzenstern geschrieben hat und in dem sie sich erheblich über die Qualität der beigegeben Grafiken beschwerte; Nachlass Marie Begas (H.). Aus dem Schreiben an Dr. Rauch geht auch hervor, dass M. Begas den »Verleger« davon überzeugen wollte, die Fortsetzungsgeschichte als eigenständige Veröffentlichung herauszugeben. Das geschah aber erst 1970 in einem anderen Verlag. Über ihre historischen Forschungen zur Hasengeschichte in Nohra berichtete die Erzählerin auch in einem Schreiben an den Pfarrer von Nohra vom 21. Dezember 1957, Pfarrarchiv Nohra; nicht foliiert.

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auch bei ihm zu jagen. Das geschah, wurde allerdings in seiner Gemeinde ruchbar. Überdies wurde der Fall über die Gemeinde hinaus bekannt und mit Spott kommentiert. Eine Reihe von Gemeindegliedern, freilich nicht alle, befanden nun, dass es sich nach dem alten »Herkommen« für einen Pfarrer nicht zieme, auf die Jagd zu gehen. Das sei ein »Ärgernis«. Man reichte Beschwerde beim Oberkonsistorium in Weimar ein – mit Erfolg!166 Der Oberkonsistorialrat untersagte Wendel die weitere Jagdausübung, obschon er eigentlich kein Unrecht in ihr sehen konnte. Der Pfarrer hielt sich auch an diese Weisung. Nun trug es sich allerdings zu, dass der Pfarrer – die Bibel mit den silbernen Beschlägen in der Hand – von Isseroda nach Nohra ging, als ein Hase über den Weg sprang. Die Bibel flog nun blitzschnell mit voller Wucht an den Kopf des Hasen, der damit erlegt war. Der Pfarrer machte keine Anstalten, sein Vorgehen zu verheimlichen, und sprach darüber mit denen, die ihm auf dem Weg nach Nohra begegneten. Bald war es in der Gemeinde und der ganzen Gegend herum. Erneut kam es zum Konflikt: eine ganze Reihe von Gemeindegliedern wandte sich an das Oberkonsistorium; man beschuldigte Wendel erstens des Mißbrauchs einer Bibel, zweitens des Wildfrevels. Mit dem ersten Anzeigepunkt konnte der Konsistorialrat nichts anfangen; denn das Delikt »Mißbrauch der Bibel« gab es – streng genommen – nicht. Blieb also nur der Wildfrevel. Damit aber waren die Belange des Großherzogs berührt. Der war schließlich geschädigt worden. Zweifellos gehörte ihm der Hase; und für die Ahndung dieses Delikts war er selbstverständlich ebenfalls zuständig. Also übergab der Konsistorialrat den Fall ohne eigenen Kommentar an den Großherzog und vermerkte auf dem Schriftsatz »Streng vertraulich!!! Eilbedürftig!!!«167 Allerdings plagten den zuständigen Konsistorialrat auch Skrupel über sein Vorgehen; denn eigentlich stand er auf der Seite Wendels, zumal auch für ihn das herzogliche Jagdprivileg durchaus kritisch zu sehen war. Schließlich schätzte er den Unglücksraben sowohl als Menschen als auch als tüchtigen und beliebten Pfarrer. Die Antwort des Großherzogs war lapidar und kurz: »So der Pfarrer von Nohra einen Hasen mit der Bibel schießt, so ist er seine! C[arl]. A[ugust].«168 Wendel war damit freigesprochen. Zwar machte der Konsistorialrat Wendel noch einmal Vorhaltungen, aber doch bereits mit seelsorgerlicher Attitüde: Er hätte mit dieser mit Wucht geschleuderten Bibel ja auch einen Menschen treffen können. Er solle sich künftig besser beherrschen. Außerdem seien Verletzungen des Jagdregals in den letzten Jahren mitunter hart bestraft worden. Aber schließlich kam er zu einer ganz positiven Auslegung der großherzoglichen Entscheidung: »Man merkt es dem Beschluß des Herrn Großherzogs an, daß er an Ihrem – hm – Kunststück, Hochwürden, große Freude gehabt hat! Ich hörte ihn ordentlich lachen, als ich seine Worte las! Er liebt körperliche Kraft und Gewandtheit und schnelle Entschlüsse, ist selbst ein leidenschaftlicher Jäger – wer wüßte 166

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Hinter dem »Herkommen« steht eine Tradition – den Nohraer Gemeindegliedern wohl unbewußt –, die den Klerikern das Jagen verbietet. So lautete bereits ein Beschluß der unter Karl dem Großen tagenden Synode von Tours im Jahre 813. Vgl. Herbert von Hintzenstern, Nachwort, in: Begas, Das Ärgernis, 63. Begas, Das Ärgernis, 45. Begas, Das Ärgernis, 46.

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das nicht – und niemand kann Sie in Ihrer Neigung zur Jägerei besser verstehen als er.«169 Das Ganze ist ungemein anschaulich und ausgesprochen spannend erzählt, treffsicher in der Sprache, ausgestattet mit einer Reihe von z.T. sehr amüsanten Dialogen.170 Die Verfasserin lässt die Konflikte sich allmählich entwickeln und treibt sie auf den jeweiligen Entscheidungspunkt zu. Liebevoll und anteilnehmend beschreibt sie die Personen, zumal den »Helden«, der sich zwar schuldig macht, aber doch nicht schuldig ist, jedenfalls kein Sünder, und der immer sein Luischen im Auge hat, das er heiraten möchte, was ihm aber wegen seiner prekären materiellen Lage nicht möglich ist. Mit Humor blickt sie auch auf die Verlegenheit des Oberkonsistorialrats, der entscheiden soll in einer Sache, für die er eher Sympathie hat, die er aber aus Amtsräson negativ bescheiden muss, obwohl ihm eigentlich keine ethischen Maßstäbe dafür zur Verfügung stehen. Ein jagender Pfarrer und der Missbrauch des Bibelbuches werden nun einmal in keinem Ethiklehrbuch besprochen. In die Erzählung eingeflochten ist das Thema des Umgangs mit der Obrigkeit aus christlicher Sicht (Röm 13). Gehorsam der feudalen Obrigkeit gegenüber war die normale Erfahrung der kleinen Leute.171 Aber es gab eben gelegentlich auch das andere, nämlich die kluge Reaktion der Obrigkeit, hier des Großherzogs von Weimar. Die Verfasserin hat sich so sehr in die Zeit und in die Akteure hineinversetzt, dass man glaubt, die Ereignisse unmittelbar mit zu erleben – ein Eindruck, den man auch aus dem Tagebuch über den Kirchenkampf in Thüringen gewinnt, z.B. auch in den hier zu findenden zahlreichen Dialogen. Man mag es kaum glauben – aber die Verfasserin hat nur ein einziges Mal dieses erzählerische Talent, das ihr auch in manchen Zuschriften bescheinigt wurde,172 unter Beweis gestellt. Dabei war sie sich ihrer schriftstellerischen Möglichkeiten und Fähigkeiten durchaus bewusst. Immerhin hatte sie sich im Jahre 1917 an die Redaktion des »Buch für alle« (Stuttgart) gewandt und eine Skizze (zu einer Erzählung?) »Mexikaner« eingereicht, die auch vom Verlag angenommen worden war mit einem konkreten Honorarangebot.173 18 RM wurden ihr »für die Spalte des ›Buch für alle‹ oder den entsprechenden Raum« angeboten, insgesamt 55 RM. Es handelte sich also um eine mehrspaltige Geschichte. Die Redaktion, die sich auf Romane, Novellen und kürzere Erzählungen »für den Familienkreis« spezialisiert hatte, sprach überdies die Erwartung 169 170 171

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Begas, Das Ärgernis, 55. Vgl. z.B. Begas, Das Ärgernis, 30–31 oder 36–40. »Das ist doch ganz einfach! Das merken wir alle Tage, daß die Obrigkeit Gewalt über uns hat und daß wir parieren müssen, wenn uns befohlen wird. Darüber könnte ich ihnen etwas vordonnern« (Begas, Das Ärgernis, 23). Diesen Gedanken hat Pfarrer Dietrich 2006 besonders herausgearbeitet und die Geschichte in den zeitgeschichtlichen Zusammenhang des Verhältnisses der Kirche mit dem SED-Regime gestellt: Christian Dietrich, Das Nohraer Jagdprivileg, die Kirche in der DDR und die Freiheitsglocken, in: Grammetalblätter (hg.v. Pfarramt Nohra) 3 (2006) 3–8. So z.B. in einem Schreiben an einen Pfarrer (vermutlich Michaelis) vom 1. Juli 1952, Nachlass Marie Begas. Der hatte geschrieben, er habe von ihr, M. Begas, gelernt, »pointierte Schilderungen« abzufassen, was diese in einer für sie typischen Weise wie folgt kommentiert hat: »Ich zweifle, ob ich das Lob wirklich verdiene, aber gefreut hats mich sehr!« Vgl. auch das Schreiben von Lotte Brand an Dr. Rauch vom Böhlau-Verlag vom 18. September 1958 (s.o. Anm. 165).. Schreiben der Redaktion des »Buches für alle« der Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens usw. an Marie Begas vom 16. Juni 1917, Nachlass Marie Begas.

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aus, »daß Sie uns recht häufig weitere geeignete Beiträge vorlegen«. Die Erzählung ist allerdings unseres Wissens nicht erschienen.174 Erstaunlich ist schließlich auch, dass M. Begas sich in den zwanziger Jahren damit begnügt hat, lediglich Geschäftsführerin und Managerin des thüringischen Kirchenblattes »Glaube und Heimat« zu sein, und sich weder veranlasst sah noch sich angeregt fühlte, den einen oder anderen Artikel erzählerischen Charakters selbst zu schreiben. Im Archiv Marie Begas (H.) befinden sich allerdings zwei Manuskripte von Erzählungen, die offensichtlich von ihr verfasst sind. Beim ersten handelt es sich wohl um einzelne Blätter des »Mexikaners«; das handschriftliche Manuskript ist allerdings in einer ungeordneten, ückenhaften und immer wieder korrigierten Form und deshalb praktisch nicht zu identifizieren. Das zweite, maschinenschriftliche Manuskript handelt von einem Schabernack des Herzogs Carl August und seines neu gewonnenen Freundes Goethe:175 Sie reiten zusammen incognito durchs Land und werfen bei einer Pause in einem Bauernhaus voller Übermut eine Katze ins Butterfass. Sie sind allerdings reuig und kehren zurück, um sich zu entschuldigen. Diese kleine Erzählung war möglicherweise für »Glaube und Heimat« vorgesehen. Erschienen ist sie aber nicht. Aber M. Begas hat sie im Familienkreis weitererzählt. Daran erinnerte sich ihr Enkel Georg Ohrtmann bei einem Telefonat mit dem Verfasser im Januar 2010. Nur einmal hat sie etwas publiziert, darin zugleich ihr besonderes Interesse an Geschichte dokumentierend: 1936 verfasste sie einen Artikel über die Freiherren von Harstall, die Familie ihrer Mutter.176

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Überprüft wurden die Jahrgänge 1917–1919 des Periodikums »Das Buch für alle«. Nachlass Marie Begas (H.). Ein seltenes Jubiläum: Die Freiherren von Harstall 500 Jahre in Mihla. Die Heimatpost. Wochenschau aus Stadt und Land vom 8. Februar 1936. M. Begas wird namentlich nicht als Autorin genannt; nach Auskunft des Heimatarchivs von Mihla gilt sie aber als die Autorin. Sie hatte auch ein ausgeprägtes Interesse für die Genealogie ihrer Familie. Die von ihr zusammengetragenen Unterlagen sind heute im Besitz ihres Enkels Georg Ohrtmann (Hof Hundemühle, Scharbeutz).

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1.3. Die Aufzeichnungen der Jahre 1933–1945 1.3.1. Die Aufzeichnungen als Tagebuch177 »In einem Tagebuch beschreibt ein Mensch täglich oder zumindestens regelmäßig, was ihn beschäftigt oder was ihm wichtig erscheint.«178 Diese allgemeine Definition trifft auch auf das Tagebuch der M. Begas zu: Sie machte regelmäßige, wenngleich nicht tägliche, Eintragungen über Ereignisse, die sie im beruflichen Alltag beschäftigten und ihr wichtig waren, sowie über die in ihrer Alltagswelt agierenden Personen. Der Begriff »regelmäßig« bedarf dabei der näheren Modifikation. Denn wenn sie auch immer wieder einmal Eintragungen von Tag zu Tag vornahm, so erfolgten doch die meisten von ihnen im Abstand von ein bis mehreren Tagen, oft auch in größeren, wie z.B. in Urlaubszeiten.179 Das wird zunächst ganz persönliche Gründe gehabt haben, dürfte aber auch damit zusammenhängen, dass sich nicht jeden Tag zum Kirchenkampf in Thüringen etwas ereignet hat, das der Dokumentation wert gewesen wäre oder das M. Begas als mitteilenswert empfunden hat.180 Zu bestimmten Zeiten unterbrach sie die Eintragungen für längere Zeit, ohne darüber nähere Ausführungen zu machen, wie z.B. von Ende Juni bis Mitte November 1933, von Anfang Februar bis Mitte Mai 1934 oder von Ende April bis zum 10. Mai 1937. Wie viele andere Tagebuchschreiber/innen kannte auch M. Begas das Phänomen, dass sie über Tage oder Wochen nichts niederschrieb, obschon sich die Ereignisse überschlugen – ohne dass es dafür eine Erklärung gäbe.181 177

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Zur Tagebuchforschung vgl. Gold u.a. (Hg.), @bsolut privat!?, 2008. Dabei ist zu beachten, dass die Tagebuchforschung sich vornehmlich mit Diarien von literarischer Qualität befasst. Das ist aber bei M. Begas nicht der Fall. Es muss hinzugefügt werden, dass die Grenzen zwischen literarischen und nicht-literarischen Tagebüchern durchaus fließend und in der Forschung umstritten sind. Zur literaturwissenschaftlichen Diskussion, bezogen auf die nationalsozialistische Zeit; vgl. Bluhm, Das Tagebuch zum Dritten Reich, 16–20. Zitiert nach: Landschaftsverband Westfalen-Lippe (Hg.): Mein 18. November. Ein Projekt … Zur Geschichte des Tagebuchs (http://www.lwl.org/LWL/Kultur/mein_18_November; eingesehen 4. November 2011). Vgl. aber auch die folgende Definition: »Ein Tagebuch ist ein fortlaufender, meist von Tag zu Tag geschriebener Bericht über Dinge, die im Lauf jedes einzelnen Tages vorfielen. Seine formalen Kennzeichen liegen in einer gewissen Regelmäßigkeit des Berichtens und einer deutlich erkennbaren Trennung der einzelnen Niederschriften voneinander. Die zeitliche Distanz zwischen dem beschriebenen Ereignis und dem Vorgang des Beschreibens umfaßt oft nur eine Reihe von Stunden, gewöhnlich nicht mehr als einen vollen Tag. Aber auch weniger streng eingehaltene Zäsuren, ja sogar gelegentliche Unterbrechungen der Tagebuchführung sind möglich. Zur formalen Ordnung der einzelnen Vermerke dienen im allgemeinen die laufenden Kalenderdaten. In jedem Fall bleibt das Tagebuch durch sein schubweises Wachsen ständig zur nächstfolgenden Eintragung hin geöffnet. Soweit es nicht von vornherein auf eine bestimmte Zeitspanne, etwa eine Reise, begrenzt wurde, ist es in der Sicht seines Verfassers eigentlich niemals abgeschlossen.« (Boerner, Tagebuch, 11). So entstand zwischen dem 23. Juli und dem 3. Sept. 1935 nur ein Eintrag, datiert 22. August in Gronenberg (Wohnort der Tochter). Vgl. Tgb. 17. Februar 1935. Vgl. Tgb. 18. April 1935 u. 19. Mai 1935. Später notierte sie: »Ich schrieb länger nichts auf.« (Tgb. 30. Juni 1943), gab aber keinen Grund dafür an (sie hatte zuletzt am 16. Juni geschrieben).

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Bis zum Ende der nationalsozialistischen Ära hat die Tagebuchschreiberin regelmäßige Einträge gemacht. Sie hat sich allerdings dazu gelegentlich auch zwingen müssen. Ihr war aber in solchen Situationen dann doch schnell bewusst, dass man sonst zuviel vergessen würde. Schon beim nachträglichen Durchlesen kam ihr manches wie neu vor.182 Immer wieder betonte sie, dass sie nicht alles habe aufschreiben können, entweder weil es sich um unangenehme Äußerungen oder Vorgänge handelte oder weil deren Darstellung sie in eine unangenehme Lage hätte bringen können, falls das Tagebuch »doch einmal in unrechte Hände fallen« sollte.183 Am Bußtag des Jahres 1934 (21. November) sah sie sich gar genötigt, das Tagebuch zu Tante L. zu bringen, weil die Lage auf dem Pflugensberg so vergiftet gewesen war. Schließlich hatte E. Otto ihr bei Gelegenheit wohl auch zu bedenken gegeben, dass bei ihr eine Haussuchung gemacht und dabei das Tagebuch gefunden werden könnte.184 Um Personen zu schützen, mit denen sie in ständigem Gesprächskontakt war, hat sie ab 1935 häufig deren Namen im Tagebuch mit Strichzeichnungen verschlüsselt M. Begas beschreibt in ihrem Tagebuch – wie schon gesagt – kirchenpolitische Vorgänge in nationalsozialistischer Zeit. Dem liegt ein anderes Verständnis von Tagebuchschreiben zugrunde als das geläufige. Es handelt sich in dem Begasschen Projekt ja nicht um »Texte, in denen sich ein Mensch mit sich selbst und mit seinen Erlebnissen, Gedanken und Gefühlen beschäftigt und die vor allem für ihn selbst bestimmt sind.«185 Vielmehr hat das Tagebuch der M. Begas die Form einer »Chronik«. Als Chronistin verstand sie sich auch selbst186 und entsprach darin genau dem Anliegen E. Ottos, das sie im Tagebuch gelegentlich bestätigt, nämlich eine »Gedächtnisstütze« für die spätere Geschichtsschreibung zu schaffen187. Es geht also in dem Tagebuch der M. Begas zunächst nicht um die Person der Tagebuchschreiberin188, sondern um die Sache, nämlich die Kirchenpolitik in Thüringen

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Im November 1943 schrieb sie: »Sehr lange habe ich nicht Tagebuch geschrieben. Ich habe das letzte Heft verlegt; ich glaube, ich hatte darin mitten im Satz aufgehört. Ich habe keine Ahnung mehr, was ich zuletzt verzeichnet hatte.« (Tgb. 5. November 1943). Die letzte Eintragung war am 7. Oktober 1943 erfolgt. Vgl. Tgb. 27. März 1942. Tgb. 7. September 1934. Tgb. 27. Juni 1937. S.o. Anm. 178. Vgl. Tgb. 23. Mai 1934. In irgendeiner Weise Chronik wollen allerdings alle Tagebücher sein: »Wer Tagebuch schreibt möchte dem Flugsand der Zeit etwas Greifbares abgewinnen. Und mehr noch: ein Tagebuch führt, wer sich dereinst erinnern will. Eintragungen ins Tagebuch schaffen Anhaltspunkte für ein künftiges Sich-erinnern.« (Görner, Das Tagebuch, 12). Anliegen und Darstellung von M. Begas entsprechen auf ihre Weise genau dem Verständnis von Chronik, wie es Gauger seinem großen Sammelwerk zugrunde gelegt hat: »Eine Chronik, nicht eine Geschichte, bietet die vorliegende Darstellung. Denn das, was Geschichte ausmacht: die Erhellung der Vorgänge und ihre Einordnung in den großen geistigen Zusammenhang, die Charakterisierung von Personen, die plötzlich emportauchen aus dem Dunkel, das alles kann erst nach Jahren gegeben werden, wenn auch die verborgenen Akten reden. Die Chronik muß sich an das durch die Presse bekannt Gewordene halten, muß es möglichst treu, jedoch sine ira et studio sammeln und sichten und wird so Vorspanndienste leisten für die nachfolgende Geschichtsschreibung. So möchte auch diese Chronik der Kirchenwirren dem Zeitgenossen zunächst einmal einen

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nach 1933. Darin ist das Projekt vergleichbar mit den Tagebüchern von Hermann Klugkist Hesse, der ein Stück Kirchenkampf in der rheinischen Kirche dokumentiert hat.189 Im nicht-kirchlichen Bereich mag – obschon in späterer Zeit zusammengetragen – auf Kempowskis Echolot190 verwiesen werden. Auch hier geht es vor allem um Chronik. Der Vergleich mit Hesse und dem Echolot läßt auch andere Merkmale des Begasschen Tagebuchs hervortreten. Beide sind als »Temporäre Tagebücher«191 zu verstehen, d.h. als Niederschriften, die einen Anfang und ein Ende haben und daraufhin angelegt sind im Gegensatz zu anderen Tagebüchern, »Langzeittagebüchern«, die nur einen Anfang haben und ohne zeitliche Begrenzung weitergeschrieben werden. Temporäre Tagebücher haben besonders Konjunktur in Krisenzeiten, wie z.B. in der nationalsozialistischen Ära. Als temporäre am bekanntesten sind die Tagebücher von Anne Frank und Victor Klemperer.192 M. Begas hat ihr Tagebuch zunächst auch ganz formal abgeschlossen; die ihr von E. Otto gestellte Aufgabe war mit der Übernahme der Kirchenleitung in Thüringen durch die LBG Ende April 1945 sozusagen erledigt.193 Dazu notiert sie: »Mir kommt es vor, als hätte ich persönlich eine Aufgabe beendet. Es ist auch so. Ich wagte kaum, das in diesem Tagebuch anzudeuten, da ich ja immer gewärtigen mußte, daß auch bei mir einmal von der Gestapo Haussuchung getan und das Tagebuch gefunden würde. Ich habe in all diesen Jahren, soviel ich konnte, mit dem, was ich hier oben erfuhr, der BK geholfen und habe Anteil an ihren Entschließungen gehabt. Es war ein inneres Müssen. Oft war ich in Gefahr. Otto warnte mich dauernd. Aber … der Gedanke, daß wir unser Ziel einmal erreichen würden, verließ mich nie.«194

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Zwirnsfaden an die Hand geben, damit er sich durch das Labyrinth der verwirrenden Zeitereignisse hindurchtasten kann.« (Chronik der Kirchenwirren, 65). Vgl. Abrath, Subjekt und Milieu im NS-Staat, 1994. Hesse schrieb von 1936 bis 1947 Tagebuch. Abrath hat etwa 25% der Aufzeichnungen der Jahre 1936 bis 1939 in Auszügen abgedruckt (S. 246–413). Anders als bei Begas hat Hesse mit Ausnahme der Urlaubzeiten »täglich« (S. 11) Eintragungen vorgenommen. Da die Dokumentation Abraths aber einzelne Tage auswählt, bekommt man keinen wirklichen Eindruck von dem Tagebuch in seiner authentischen Form. Die Dokumentation pointiert offenbar das, was dem Herausgeber wichtig ist. Walter Kempowski, Das Echolot. Ein kollektives Tagebuch Januar und Februar 1943, 4 Bände, München 1993. »Temporär sind alle Tagebücher angelegt, die durch ein umwälzendes äußeres Ereignis initiiert sind und die solange Zeugnis ablegen wollen, bis sich die Umstände normalisieren. In diesem Typus der Zeitzeugenschaft ist das Ende des Tagebuchs ein zentraler Bezugspunkt des Schreibens, verbunden zum einen mit der Hoffnung, daß die Verhältnisse sich zum Guten wenden, somit das Buch nicht mehr nötig ist, und zum anderen mit der Angst, daß es vorher unter dem Druck der Umstände abbricht … Temporär angelegt ist der seit der frühen Neuzeit reich belegte Typus des Reisetagebuchs, der von vornherein durch Aufbruch und Rückkehr bemessen ist.« (Holm, Phänomenologie des Diaristischen, in: Gold, @bsolut privat, 40–41). Die Krisenzeit des Nationalsozialismus hat nicht nur dazu geführt, dass zahlreiche Chroniken entstanden mit mehr oder weniger persönlichen Bezügen; es wurde auch die andere Möglichkeit genutzt, in die Innerlichkeit zu emigrieren; vgl. Bluhm, Das Tagebuch zum Dritten Reich. Mit dem Tod E. Ottos hatte sie sich schon 1941 die Frage gestellt, ob sie das Tagebuchschreiben einstellen solle, sich aber dagegen entschieden. Es sei im Sinne Ottos – so beschied sie sich damals – es weiterzuführen. Tgb. 4. Mai 1945.

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Dennoch schrieb sie noch Monate weiter, gibt dafür aber keine Gründe an. Vielleicht war es das innere Müssen, das sie weitertrieb. Hatte das Tagebuchschreiben über seinen unmittelbaren Zweck hinaus so etwas wie eine Eigendynamik entwickelt?195 Einen Auftrag hatte sie nicht mehr. Niemand war auch an ihrem weiteren Tagebuchschreiben interessiert. Im Gegenteil: Sie wurde offenbar gemahnt, die Sache einzustellen: »Ende – ungewollt«, notierte sie auf der letzten Seite. Waren es Mitzenheim oder die neue Kirchenleitung, die sie dazu drängten? War ihr Tagebuchschreiben gefürchtet? M. Begas war sich der Bedeutung ihrer Aufzeichnungen für die Nachwelt durchaus bewusst, auch wenn sie von Zeit zu Zeit an sich gezweifelt und den Wert des Tagebuchs in Frage gestellt hat.196 Sie befasse sich ja nur mit Äußerlichem.197 Jedenfalls hat sie – anders als die meisten anderen Tagebuchschreiber/innen – gewollt, dass ihre Texte gelesen werden sollten. Zu diesem Zweck hat sie die Übertragung der handschriftlichen Fassung in eine maschinenschriftliche in Angriff genommen. Sie hat sicher nicht – wie z.B. Anne Frank – an eine Buchveröffentlichung gedacht, wollte aber durch die Übertragung wohl nur zur besseren Benutzbarkeit ihres Tagebuchs für die kirchengeschichtliche Forschung beitragen. Dem sollte nun wohl auch dienen, dass sie ihren Text nicht nur übertragen, sondern auch gekürzt hat, und zwar in einem erheblichen Umfang, nämlich ungefähr um ein Drittel. Die Kürzungen betreffen in erster Linie persönliche Bezüge und Urteile, Spekulationen und Mutmaßungen über den Fortgang der kirchenpolitischen Ereignisse, regionale Besonderheiten, abwertende Beschreibungen von maßgeblichen Personen im Landeskirchenrat, Tratsch und Tuscheleien von und über Mitarbeiter/innen, deren finanzielle Belastungen/innen, interne Gerüchte aller Art, z.B. über Beziehungen zwischen Mitarbeiter/innen u.ä. – auch solche Passagen, denen man eine nationalsozialistische Haltung der Tagebuchschreiberin entnehmen kann. Die Kürzungen betreffen in formaler Sicht einzelne Begriffe, Satzpassagen, ganze Sätze und Abschnitte, schließlich auch ganze Seiten. M. Begas hat also ihre Texte gründlich »bereinigt«. Positiv verstanden, wird man in diesem Kürzungsvorgang den Versuch sehen können, der Geschichtsschreibung nur solches Material zuzumuten, das sie dafür für geeignet hielt, nicht aber den LKR-Klatsch. Sie dokumentierte in der maschinenschriftlichen Fassung eher die großen kirchenpolitischen Vorgänge. Es war jedenfalls nicht ihr Interesse, eine historische Quelle so authentisch wie möglich zu bewahren und heraus zugeben, wie es aus historisch-kritischer geschichtswissenschaftlicher Sicht wünschenswert gewesen wäre. Daher kann man nicht übersehen und übergehen, dass sie ihre eigenen Texte manipuliert hat. Sie hat in der maschinenschriftlichen Fassung u.a. von sich ein Bild erzeugt, das sie frei von politischen Berührungen erscheinen lässt. Nur ganz vage und allgemein kann man den manipulierten Texten entnehmen, dass sie den gesellschaftlichen Verhältnissen unter dem Nationalsozialismus allgemein und weitestgehend zugestimmt, sich ihnen schon gar nicht widersetzt hat. 195 196 197

Auch Klugkist Hesse schrieb weiter, nämlich bis 1947! Offenbar hatte das Tagebuchschreiben auch bei ihm eine gewisse Eigendynamik entfaltet; vgl. dazu Abrath, Subjekt und Milieu, 13. Sie vermerkt einmal, dass sie eigentlich nichts anderes »wie Dreck« aufzeichne; vgl. Tgb. 27. März 1942. Tgb. 28. Dezember 1935.

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Das Tagebuch der M. Begas ist allerdings nicht nur Chronik. Obschon so nicht intendiert, bot es der Schreiberin zugleich auch die Möglichkeit, ihre Gefühle und Gedanken zum Ausdruck zu bringen, um sich in den zermürbenden Auseinandersetzungen und Spannungen des alltäglichen Kirchenkampfes vor allem ihre Ängste und ihre Verzweiflung über das üble Agieren kirchenfeindlicher Kräfte von der Seele zu schreiben. Überraschend häufig kommt sie auf ihre eigene Gefühlslage zu sprechen und auf ihre Stellung im Betrieb, wo sie wegen ihrer BK-Zugehörigkeit weitgehend geschnitten wurde. Am 2. Juli 1937 schrie sie im Tagebuch förmlich heraus: »Es ist ja auch alles Quatsch, was ich schreibe – und hat schließlich nur den Wert, Verzweiflung zu dokumentieren.« Sie ist Chronistin, vermittelt aber zugleich auch einen Eindruck ihres eigenen leidenschaftlichen Engagements für die Bekennende Kirche: Sie zeigt sich berührt von deren ständiger Bedrohung durch Deutsche Christen, Deutschgläubige und kirchenfeindlich Gesonnene in der Partei. Sie diskutiert auch mit sich selbst die Frustrationen und Hoffnungen der BK, deren Niederlagen und deren verzweifelte Lage. Das Tagebuch wird dadurch jedoch noch keines, in dem die Schreiberin vor allem mit sich selbst kommuniziert, es bleibt eine Chronik, weist aber doch außerordentlich starke persönliche Bezüge auf, wie das auch in vielen ähnlich angelegten Tagebüchern zu finden ist198, z.B. auch in den Tagebüchern von Klugkist Hesse. Schließlich muß noch beachtet werden, dass M. Begas keine längeren Ausführungen machte, sondern – wie man es von einer Tagebuchchronik kaum anders erwarten kann – viele Vorgänge nur anriss. Der Leser wird hier also nicht umfassend instruiert, kann sich aber gleichsam auf die Spur gesetzt sehen, dem weiter nachzugehen. M. Begas hat keinen Anspruch erhoben auf einen literarischen Rang ihres Tagebuchs. Und er besteht auch faktisch nicht. Es geht um einfache Beschreibungen, die allerdings pointiert und treffsicher im Ausdruck vorgetragen werden, von wachem Zeitbewußtsein zeugen, in sachlicher Hinsicht von erheblicher sprachlicher Klarheit und von Fall zu Fall auch nicht ohne literarische Qualität sind, besonders in den Dialogen und den Szenen aus dem Alltag des Kirchenkampfes.

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»In jedem Tagebuch reflektiert sich ein authentisches Ich. Diarien sind also immer Preisgaben – selbst sorgfältig redigierte Diarien. Auch jedes literarisch-stilisierte Diarium hat persönlich bekennerischen Charakter, legt Zeugnis ab von einem existentiellen Bedürfnis des Autor nach Selbstkommentar.« (Vogelsang, Das Tagebuch, 185).

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1.3.2. Inhalt und Intentionen des Tagebuchs Ihre Aufgabe als Chronistin erfüllte Begas dadurch, dass sie sich ganz auf die kirchenpolitische Sicht des Kirchenkampfes beschränkte199, d.h. der Frage nachging, wie in einer politisch schwierigen Zeit Kirche als Bekenntniskirche behauptet und gelebt werden konnte. Diese sah sie bedroht durch die Deutsche Christen, durch die verschiedenen Vertreter einer völkischen Religion (wie z.B. der Deutschen Glaubensbewegung) sowie durch kirchenfeindlich gesonnene Nationalsozialisten in Staat und Partei.200 Die Beschränkung auf die kirchenpolitische Perspektive ist im Tagebuch Programm. An den theologischen Problemen des Kirchenkampfes nahm sie zwar mittelbar Anteil, äußerte sich aber nur mit äußerster Zurückhaltung. Das hat ihr den kritischen Einwand von E. Otto eingetragen – »als wir wieder die Kirchenpolitik durchdachten« –, »ich sei ständig in Gefahr, taktisch zu entscheiden, nicht glaubensmäßig. Ich sähe die Dinge zu kirchenpolitisch. Es ist mir völlig klar, daß er recht hat. Manchmal fällt es mir auch auf die Nerven, daß dieses Tagebuch nur Äußerliches verzeichnet. Aber das ist doch wohl nicht zu ändern. Es soll ja nur Gedächtnisstütze sein.«201 Diese Beschränkung auf die Kirchenpolitik muss bei der Rezeption des Tagebuchs beachtet werden, damit man es nicht in dem überfordert, was es für die heutige kirchengeschichtliche Forschung zu leisten vermag. In »glaubensmäßiger«, d.h. in theologischer Hinsicht gibt das Tagebuch wenig her. Im Vergleich dazu ist das Tagebuch von Klugkist Hesse zwar auch wesentlich von kirchenpolitischen Themen bestimmt, aber sowohl in theologischer wie kirchenpolitischer Hinsicht viel sachkundiger und substantieller. Das verwundert nicht: Hesse war theologischer Fachmann, hatte ständigen Austausch mit Amtsbrüdern aus der BK weit über den engeren Kreis seiner praktischen Tätigkeit hinaus, besonders auch mit kirchenleitenden Persönlichkeiten. Zudem kannte er als Gemeindepfarrer und als Dozent an kirchlichen Ausbildungsstätten die Verhältnisse des kirchlichen Alltags in der nationalsozialistischer Zeit aus täglichem Erleben. Gleichwohl lässt M. Begas keinen Zweifel daran, wo sie »glaubensmäßig« steht und beheimatet ist, nämlich in der Bekennenden Kirche. Ihre Position wird verständlich auf dem Hintergrund einer wohl längeren inneren Entwicklung. Bevor sie in den Dienst der 199

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Diese Beschränkung führte sie streng durch. Von persönlichen und familiären Dingen ist kaum einmal die Rede. Vorgänge aus Politik, Gesellschaft, Kultur, Wissenschaft finden nur beiläufig Berücksichtigung. Ab 1939 ändert sich allerdings die Situation: Die Tagebuschreiberin widmete sich jetzt auch in erheblichem Umfang den Kriegsereignissen und der Bewältigung des Kriegsalltags in der Heimat. Ganz akribisch ging sie solchen Bedrohungen bzw. Verteidigungen in den vor ihr beobachteten Zeitungen nach. So notierte sie z.B. den eher nebensächlichen Sachverhalt, dass der Kyffhäuserbund die Umwandlung in eine Kameradschaft des NSDStB abgelehnt habe, weil letzterer auf seinen Schulungslagern bewußt antichristliche Propaganda treibe (Tgb. 7. Dezember 1935). Sie mutmaßte auch, dass vielleicht in den politisch einflußreichen Kreisen überhaupt keine Beziehung zur Religion mehr bestehe, auch nicht zu einer deutschen (Tgb. 21. April 1936). Tgb. 28. Dezember 1935, aber auch schon Tgb. 10. März 1935. Zu ihrem primären Interesse an Kirchenpolitik vgl. auch einen Hinweis von Herbert von Hintzenstern im Nachwort zu M. Begas, Das Ärgernis, 62, wo es heißt: »Die vielseitig gebildete Frau war eine kluge Beobachterin der kirchenpolitischen Auseinandersetzungen in den dreißiger Jahren.«

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Thüringer Landeskirche eintrat, war sie offenbar religiös nicht weiter gebunden gewesen, hatte aber im Zusammenhang mit ihrer Arbeit im Volksdienst, u.a. unter dem Einfluss von Theologen wie O. Senffleben und E. Otto, in der Kirche eine neue Heimat gefunden. Zum Jahreswechsel 1934 notierte sie: »Vor 20 Jahren! Kriegsweihnachten. Ich war in einer Charlottenburger Kirche und fing abends mein Kriegstagebuch an. Heute abend um 6 Uhr war ich mit Hänn in dem übervollen Gottesdienst von E. Otto – jetzt, Gott sei Dank, zu Hause in der Kirche, nicht mehr mit dem Gefühl des Nichtdahingehörens.«202 Diese Beheimatung hat sie in den Jahren des Dritten Reiches existentiell gelebt: »Ich kann mich dagegen wehren, soviel ich will, ich kann es nicht ändern. Ich bin einfach mit diesen Dingen verwachsen, mein Herz ist bei der Bekenntnissynode, u. alles was dieser Front angetan wird, fühle ich als mir persönlich angetane Beleidigung.«203 Dass sie mit Leidenschaft auf der Seite der Bekenenden Kirche stand, muss man wörtlich nehmen. Als Landesbischof Sasse in einer Rede einmal die BK beleidigte und in »Grund und Boden« verdammte, geriet sie »in Wut« und notierte anschließend in ihr Tagebuch: »Ich wollte, ich hätte diesen Kerl hier und könnte ihm mitten ins Gesicht schlagen«; etwas später heißt es: »Dieses Erlebnis fraß an mir.« Und sie erfuhr auch die Ohnmacht, zumal als Frau, solche Beleidigungen einfach hinnehmen zu müssen, statt sich auf den Redner zu stürzen und ihm zu widersprechen.204 Aber sie kannte auch den Ausbruch von Freude, wenn die Sache der BK nicht mehr so ganz verloren erschien, wie es z.B. nach dem Scheitern der Kirchenausschusspolitik den Anschein hatte. Die Ankündigung Hitlers, Kirchenwahlen abhalten zu lassen, beflügelten ihre Hoffnungen neu: »Ich war den ganzen Morgen über ziemlich verrückt. Vor Freude. An Arbeiten war nicht zu denken.«205 Eine – klar identifizierbare – eigentlich theologische Position lässt sich den Texten der Tagebuchschreiberin nicht entnehmen. Wohl aber ergibt sich aus mosaikartig zusammengesetzten einzelnen Aussagen ein doch reflektiertes Glaubensverständnis, das ihr nach eigenem Bekunden in den Jahren im Volksdienst unter E. Otto und in der Situation des Kirchenkampfes gleichsam zugewachsen war und sie in ihrem Engagement für die Bekenntniskirche bestimmte und innerlich stabilisierte. Ihre »glaubensmäßige« Position läßt sich durch die folgenden Äußerungen mosaikartig zusammensetzen. (1) So kritisierte sie etwa Sasse in einer Morgenandacht im LKR: »Er hatte einen biblischen Text zu Grunde gelegt, es kam aber alles schließlich darauf hinaus: Hitler-Messias. Wir sollten uns, wie er es täte, täglich morgens, mittags u. abends an Hitler ausrichten (dem Sinne nach). Nicht an Christus oder der Bibel. Das heißt doch wohl, zu Hitler beten« (Tgb. 5. Januar 1935). (2) An anderer Stelle brachte sie das Selbstverständnis der BK theologisch auf den Punkt: »Hitler hat gestern, im Schlußwort zum Nürnberger Reichsparteitag, über Religionen gesprochen, die mit den Völkern, die sie tragen, untergehen. Dazu kann man nur sagen – ja, völkische, heidnische Religionen, wo die Völker sich ihren Gott selber machen. Der Gott, 202 203 204 205

Tgb. 31. Dezember 1934. Tgb. 24. Oktober 1934. Tgb. 9. April 1936. Tgb. 16. Februar 1937.

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der Himmel und Erde gemacht hat, geht nicht unter, wenn ein Volk auf dem Stern ›Erde‹ stirbt« (Tgb. 17. September 1935). (3) Im November 1935 rühmte sie eine Predigt Ottos, weil dieser so »wundervoll über die Sieghaftigkeit des Jenseitsglaubens« gesprochen habe (Tgb. 11. November 1935). (4) Von den Deutschgläubigen mit ihrem allgemeinen Gottesverständnis wusste sie sich entschieden abzusetzen: »Baldur von Schirach sprach neulich am Sonntag bei einer Morgenfeier für die Hitlerjugend (statt Gottesdienst) sehr gottgläubig, aber absolut unchristlich. Ich hatte den Eindruck, daß er wirklich nicht versteht, daß man ihn als Heiden angreift. Er ist, wie so viele, in der Idee groß geworden, wenn man nur an einen Gott glaube, das genüge schon« (Tgb. 8. Juni 1935). (5) Mit Dr. Volk setzte sie sich um das Kirchenverständnis auseinander. Die Idee der Nationalkirche sei die »Einbruchsstelle für Rosenbergsche Ideen« – so hielt sie ihm entgegegen (Tgb. 10. November 1934). (6) Auf dem Gemeindetag in Mihla habe der Ortspfarrer Hoffmann davon gesprochen, dass es im Kirchenkampf »um die Alleinherrschaft von Gottes Wort in der Kirche« gehe und »von dem Recht auf diesen Kampf«. An selber Stelle habe Otto als wesentliche »Gegenwartsaufgabe« auf den »Kampf gegen Alfred Rosenberg« hingewiesen (Tgb. 15. November 1934). (7) Sie berichtete von einer Bibelstunde über die Apostelgeschichte, über die sie zum ersten Mal etwas gehört habe: »Ap.gesch. 4 [Apg 4,1–31] – Petrus vor den Richtern, die etwa vor einem Vierteljahr Christus verurteilt haben – und nun vor der Tatsache stehen, daß der Gekreuzigte ihnen neue Schwierigkeiten macht. Sie entschließen sich zu einem »Redeverbot«. Und Petrus kündigt an, daß er sich nicht an dieses Verbot halten wird. – Wie ganz anders lebendig sind diese Geschichten als jemals! Man möchte das ganze Volk zum Zuhören holen.« (Tgb. 10. Januar 1936). (8) Theologisch völlig korrekt im Sinne der Wort-Gottes-Theologie der BK kritisierte sie eine Andacht von Poppe. Der hatte zunächst behauptet, in den Kirchen machten die Theologen Ausführungen, um das Dasein Gottes zu beweisen. Dagegen wandte sie mit Verweis auf Otto ein, der in der gestrigen Predigt gerade Gegenteiliges ausgeführt habe: »Es gibt keinen Beweis. Man kann es aber erfahren.« Und: »Das ist kein Glaube, der Wunder sehen will, damit er glaubt. Erst wenn wir glauben, geschieht das Wunder« (über den Hauptmann von Kapernaum [Joh 4,47–54]). Weniger glücklich gelang ihr die Widerlegung von Poppes Hinweis, dass in dem großen Geschehen unserer Tage Christus am Werke sei. Etwas hilflos klingt es, wenn sie dem entgegenhält: »Ja, der ist natürlich auch, wie überall am Werke. (Und sonst sieht ihn Poppe nirgends.) Und der Teufel ist auch zu sehen.« (Tgb. 27. Januar 1936). (9) Mit Otto wusste die Tagebuchschreiberin sich einig, »daß Gott seine Kirche jetzt in eine neue Schule nähme. Sie hätte in der vergangenen Phase des Kirchenkampfes um Erkenntnis ringen müssen u. sich das Schwert in Bekenntnis geschliffen. Sie müsse jetzt lernen, was ›Liebe‹ sei. (Der beste Theologe wäre sonst auch der beste Christ).« (Tgb. 12. Februar 1936). (10) Andererseits war sie in ihrem theologischen Urteil auch eher unschlüssig. Zu einer Predigt von Kirchenrat Richard Otto bemerkte sie: [Er ] »sprach verhältnismäßig untheologisch u. mit Leidenschaft. Aber er wird die Sprache Kanaans nicht ganz los … Er stellte ein Bild an den Anfang ›die Tränensaat der Kirche‹ (die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten). Und dann bleibt er in diesem Bilde – ich weiß nicht.« (Tgb. 4. Mai 1936).

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(11) Klar grenzte sie sich bei Gelegenheit von der Theologie der DC ab. Eine Ansprache Sasses zu Weihnachten kommentierte sie wie folgt: »Zum Schluß wandte er sich gegen den Baum: ›Wir glauben …‹ Pause, Nachdenken, wie ein plötzliches Rückerinnern: ›Ja, wir glauben wohl auch an Jesus Christus und an das Kind in der Krippe. Aber wir glauben …‹ und nun kam das Treuebekenntnis zu Hitler mit verstärkter Wucht: ›Wir glauben an ihn, als ob es ans Kreuz ginge!!!!‹ 3 mal unterstrichen u. mit aller Lungenkraft in den Saal gebrüllt. Als ob ihnen jemand diesen Glauben nehmen wollte! Aber er ist doch nicht Inhalt der christlichen Botschaft. Natürlich kann man sagen, es ist Christenpflicht, zu Hitler zu stehen. Aber man kann doch nicht Hitler an Stelle Christi setzen. Das tat die Ansprache des Labi« (Tgb. 28. Dezember 1936). (12) In kirchenpolitischer Hinsicht verstand sie sich als erklärte Lutheranerin, der nichts anderes als die Evangeliumsverkündigung gilt (Tgb. 27. Juni 1937). Argumentativ bewegte sie sich in Horizont und Problematik der lutherischen Zwei-Reiche-Vorstellung – ohne diesen Begriff zu nennen. (13) Ausdrücklich bekannte sie sich zum Glauben an den im Verborgenen an uns handelnden Gott, auf den man seine Sorgen getrost werfen könne (Tgb. 3. Dezember 1937). (14) »Aber das ist ja überhaupt die Erfahrung der letzten Jahre, auch des Kirchenkampfes, daß Gott andere Wege geht, als wir sie sehen. Es ist auch ein Trost in Augenblicken, in denen wir keinen Ausweg sehen und keine Hoffnung für die Zukunft« (Tgb. 28. Oktober 1938). (15) Sie äußerte sich in apologetischer Sicht zum Gebet: »Er sprach von der ›Sünde des Volks‹ in Wendungen, in denen unzweifelhaft in der ganzen Welt gebetet wird. Es war ein Bruchstück, und daraus ›Vaterlandsverrat‹ zu konstruieren, schien mir bei ruhigem Nachdenken hinterher als unmöglich. Aber im Rahmen des Artikels war die ganze Gegensätzlichkeit zur nationalsozialistischen Anschauung im ersten Augenblick schlagend. Der ganze Begriff »Sünde« ist den Männern um Rosenberg eben ein rotes Tuch. Daß es sich um ›Sünde vor Gott‹ handelt, nach den Lehren Christi (Erzählung von der Ehebrecherin versteht eben nur ein Christ« (Tgb. 6. November 1938). (16) Mit Otto erörterte sie angesichts des desolaten Zustands der BK zum wiederholten Male das Problem, »ob Gott vorhabe, seine Kirche gründlich zu zerstören, sodaß kein Stein auf dem anderen bliebe. Es kommt uns so vor und wir sehen keinen Ausweg. Aber Jeder kann ja nur das tun, wovon er überzeugt ist, daß es das Rechte ist« (Tgb. 7. Dezember 1938). (17) Im Verhältnis von Kirche und Staat vertrat sie die Zwei-Reiche-Vorstellung Luthers und erwirkte damit die Zustimmung Ottos: »Wir kamen auf Luthers Stellung zum Staat zu sprechen. Ich sagte etwa Folgendes: Ich hätte die scharfe Trennung Luthers zwischen weltlichem und geistlichem Regiment nie anders verstehen können, als daß Luther dem Staat Eigengesetzlichkeit zubillige, z.B. da, wo er der Gewalt das Wort rede. Er sage das mit einer Schärfe, wie Bismarck es wohl nicht gesagt haben würde. Ich dächte z.B. an das, was Luther im Bauernkrieg geschrieben hätte. Da sei er erbarmungslos – auch in dem, was er gegen die Juden sage. Ich verstünde es so: Luther gibt dem Staat das Recht, Unrecht zu tun« (Tgb. 13. Dezember 1938). Von dieser Position aus kritisierten Otto und Begas die Stellung von Staat und Kirche bei Karl Barth, wie sie besonders im Hromádka-Brief vertreten werde. [Ernst Otto:] »Er fordere, daß alle Handlungen des Staates mit der Bibel übereinstimmten. Genüge der Staat dieser Forderung nicht, dann hätten – nach Barth – alle anderen Staaten das Recht, dagegen aufzutreten. Von da aus sei Barth zu der Wendung gekommen, daß jeder tschechische Soldat, der gegen Deutschland kämpfe, damit für die Kirche Jesu Christi stritte.

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O. betonte in diesem Zusammenhang, daß die ganze deutsche evangelische Kirche, auch die »vorläufige Kirchenleitung«, eindeutig und offiziell von dieser unmöglichen Stellungnahme Barths abgerückt sei« (ebd.). (18) Über die Stellung der Juden versuchte M. Begas eine Diskussion anzuregen und argumentierte dazu folgendermaßen: »Gestern Abend Luthergesellschaft. Ich hatte einen Anstoß, den ich festhalten möchte. Wir lasen von der Taufe, es wurde aufs Abendmahl Bezug genommen. Schönefeld sprach vom Passahmahl und gab das Geschichtliche. (Bemerkung von Frl. Liebmann). Dabei wurde mir klar, daß gerade die Einsetzung des Abendmahls ja den völligen Bruch Jesu mit der Vergangenheit bedeutet. Bis dahin war er doch mit seinen Jüngern noch in den Tempel gegangen, um auch dort zu lesen. Mit der Einsetzung des Abendmahls aber hebt er sich heraus aus der Gemeinschaft mit den Juden; sie konnten ja danach niemals mehr das Passahmahl mit den anderen feiern, sie können es nur noch in der Gemeinschaft der Jünger Jesu feiern. Ich sprach das aus und erntete unerwarteten Widerspruch. Es war, als meinten sie, wir setzten das Passahmahl fort. Ich sagte, Jesus hätte mit dieser Einsetzung die Feier des alten Bundes aufgehoben u. abgetan. Das sollte nicht wahr sein! Sie haben so wenig innere Freiheit, sind so ängstlich. Ich wurde schließlich gefragt, ob ich denn anerkennte, daß wir mit getauften und ehrlich an Christus glaubenden Juden etwas gemein hätten. Natürlich, sie sind dann mit uns in der Gemeinde Jesu, wie alle Menschen, die an Christus glauben. Das ist keine Angelegenheit, die mit Rasse irgend etwas zu tun hat. Die Rassenunterschiede bleiben bestehen. Also das schien sie einigermaßen zu beruhigen. Schönefeld überlegte sich zum Schluß, daß ich recht gehabt hätte, die anderen blieben merkwürdigerweise still. Als ich nebenbei erwähnte, daß die Juden vor 2000 Jahren rein rassisch etwas völlig Anderes dargestellt hätten als die heutigen Juden, daß wir das nicht vergleichen könnten, lächelte Frl. Liebmann. Als ich sagte, daß das feststünde, daß daran wissenschaftlich niemand zweifelte, lächelte sie nicht mehr, sagte aber nichts. Es ist Zeit, daß Otto wiederkommt und der Gesellschaft wieder mal den Kopf zurechtsetzt.« (Tgb. 13. Februar 1940). (19) Ein anders Mal diskutierte sie über die Taufe: »Am Montag Luther-Abend. Es wurde wieder eine Diskussion um die Taufe. Ich fragte nach der heutigen Praxis in den Fällen, in denen Kinder dissidentischer Eltern getauft werden, wie ich aus der Statistik ersehen hatte. Da bekam man einen Einblick in die Konflikte, vor denen die Pfarrer in der Praxis stehen. Die Lebensordnung der Thüringer evangelischen Kirche gestattet in solchen Fällen die Taufe, wenn wenigstens ein evangelischer Pate da ist, der die christliche Erziehung garantiert. Schönefeld forderte, daß die Taufe nicht nur in diesen sondern auch in allen anderen Fällen versagt würde, in denen christliche Erziehung durch die Eltern nicht garantiert sei. Die Taufe würde sonst zur leeren Zeremonie. Keiner von den Anwesenden teilte seine strenge Ansicht. Es stellte sich aber heraus, daß wir uns über den gefühlsmäßigen Hintergrund unserer Stellungnahme nicht klar werden konnten, obwohl wir bemüht waren, jeder Sentimentalität und jedem Rest von katholischem Aberglauben aus dem Wege zu gehen. Wir fühlten, daß etwas auf dem Spiele stand, das wir nicht klar sehen konnten. – Aus der Praxis: In Bayern schreibt die Frau eines SS-Mannes an den Pfarrer, der ihr Kind nicht ohne Genehmigung des Vaters taufen will, sie hätte es nicht mehr aushalten können und hätte ihr Kind notgetauft, selber – auch wenn er das nicht im Kirchenbuch eintragen könnte. Es wurde gesagt, daß eine solche Nottaufe von der Kirche anerkannt würde.« (Tgb. 26. Februar 1939). (20) Auch in schwierigen theologischen Fragen, wie der Theodizee hatte sie ein durchaus selbstbewußtes und sachgemäßes Urteil: »Am Montag fragte mich meine Putzmacherin angstvoll: ›Warum erlaubt Gott nur all das Furchtbare? Daß gute Menschen draußen fallen müssen und Böse hier bleiben … Wie kann er das zugeben … es werden doch jetzt so viele

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an ihm irre!‹ Sie ist ein bibelgläubiger Mensch, da war es einfach zu antworten. Ich sagte: ›Sicher, wenn sie und ich die Welt zu regieren hätten, dann würden wir es ganz anders machen als Gott. Was er tut ist nach unseren menschlichen Begriffen oft ungerecht. Wir glauben ›trotzdem‹. Im Jenseits werden wir schauen, was hier für uns Geheimnis bleibt. Dort ist das Gericht … Christus hat seinen Nachfolgern auf Erden nur das Kreuz versprochen, Leiden, Verfolgung, Spott u. Schande. ›Ja‹ … sagte sie versonnen, ›ja … jetzt verstehe ich meine Mutter…‹« (Tgb. 22. Mai 1939). (21) In den großen Veränderungen der Zeit, wie sie namentlich durch den Weltkrieg bewirkt wurden, glaubte sie den Atem Gottes zu verspüren: »Wir leben ganz im großen Atem der Zeit und fühlen, daß Gott am Werke ist. Immer wieder sieht man die Linien, die Otto in seinen Vorträgen zog; lernt Gott sehen, wie er ihn sah. Was habe ich alles gelernt seit 1927!« (Tgb. 5. Juli 1941). (22) Gott, aber auch der Teufel ist am Werk: »Entsetzliche Schandtaten der Bolschewisten an gefangenen Ukrainern vor dem Einrücken der Deutschen werden gemeldet. Dort ist die Hölle los. Ob den Soldaten, die das sahen, nicht der Gedanke kommt, daß der Satan lebt? (Und Gott schweigt. Er schickt keinen Engel, um den Unglücklichen zu helfen. Er ist wirklich der ›ganz Andere‹)« (Tgb. 7. Juli 1941). (23) Ein Gedanke, der sie ständig bewegte in der großen Ereignissen der Zeit war, dsss man nicht wisse, was Gott vorhabe: »Wir wissen noch nichts von dem, was Gott mit all dem Geschehen um die Deutsche evangelische Kirche will« (Tgb. 21. Oktober 1941). (24) Schicksalhaft nahm sie die Geschehnisse der Zeit aus Gottes Hand hin, sich dabei auf E. Otto berufend: »Das alles ist schrecklich und kann einen vollkommen lähmen. Gott will wohl diese Kirche nicht mehr, es soll etwas Anderes kommen. Otto sprach schon immer davon. Nun, wir wissen es nicht und können nichts anderes tun, als was wir für Recht halten.« (Tgb. 30. Oktober 1941). (25) In der Auseinandersetzung mit Katholiken bzw. im Gespräch über das beiderseitige Verhältnis war ihr deutlich, dass die Rechtfertigungslehre das eigentliche Unterscheidungsmerkmal war und den Katholiken fromme Werke am Herzen lagen (Tgb. 27. Januar 1942).

Die relativ wenigen »glaubensmäßigen« Äußerungen bezeugen ihr Interesse an theologischen Themen und auch eine gewisse theologische Urteilsfähigkeit. Wenn aber davon in ihrem Tagebuch so wenig die Rede ist, hängt das vor allem damit zusammen, dass sie Nichttheologin war. Sie traute sich ein theologisches Urteil nicht zu.206 In einem Gespräch mit Landesbischof Sasse lehnte sie es direkt ab, mit ihm über Karl Barth zu diskutieren. »Wenn es theologisch wird, kann ich nicht mitreden. Ich habe keine Zeile von Barth gelesen. Man hat mir aber gesagt, daß er sehr Vieles angeregt hätte.«207

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Nach einem längeren Gespräch mit E. Otto hielt sie im Tagebuch fest: »Am Abend schrieb ich ihm noch einen kurzen Brief über Römer 13, das mir zum ersten Mal ganz lebendig u. unerbittlich auf den Leib gerückt war – obwohl mirs immer wieder wie eine große Unverschämtheit vorkommt, wenn ich über kirchliche [d.h. in diesem Falle: theologische!] Dinge mit ihm rede, der das alles viel besser versteht« (Tgb. 17. September 1934). Tgb. 16. April 1936.

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Theologisch am sichersten war sie in ihrem Urteil über die deutschchristlichen Zumutungen, denen sie in ihrer Arbeit ständig ausgesetzt war.208 Am leichtesten wird ihr Glaubenverständnis zugänglich in der immer wieder bekundeten – praktisch kritiklosen – Zustimmung zu den Andachten, Artikeln, Bibelarbeiten, Briefen und Predigten E. Ottos. Seine theologische Position war auch ihre theologische Position. Sein Glaubensverständnis war auch ihr Glaubensverständnis und stand praktisch hinter jeder Einzelaussage über ihren Glauben. Beispielhaft sei dazu verwiesen auf einen Artikel Ottos über das Bekenntnis, den er im Thüringer Evangelischen Sonntagsblatt 1935 hatte erscheinen lassen, den sie als »einen prachtvollen Aufsatz« charakterisierte und mit dem sie sich vollständig identifizieren konnte.209 Der Artikel spiegelte die lutherische Version der Bekennenden Kirche wider. Die Bekenntnisnorm war für Otto der Kleine Katechismus Luthers. Dagegen wird die Theologische Erklärung von Barmen 1934 – immerhin Grunddokument der BK, dem Otto in Barmen selbst zugestimmt hatte (!) – bemerkenswerterweise nicht einmal erwähnt, obschon in dem Artikel die Frage nach einem zeitbezogenen Bekenntnis immerhin aufgeworfen wurde und mindestens in ihrer Problematik in der faktischen Funktion eines Bekenntnisses hätte angesprochen werden müssen. Barmen und Dahlem spielten in der Arbeit der Lutherischen Bekenntnisgemeinschaft (LBG) Thüringens praktisch keine Rolle. Otto hat sich gar immer wieder darüber beklagt, dass die Dahlemiten unter seinen Amtsbrüdern in Thüringen ihm soviel Schwierigkeiten machten, ihm gar die Zeit raubten mit ihren schriftlichen Anfragen, die er beantworten müsse M. Begas kirchenpolitische Option, die ebenfalls die Option Ottos bzw. der LBG war, wurde noch klarer erkennbar in der Zeit der Kirchenausschüsse (RKA). Nachdem in der LBG bereits 1934/35 eine Umsetzung der Beschlüsse von Dahlem abgewiesen worden war, weil eine vollständige Loslösung von der Landeskirche schon rein quantitativ nicht anwendbar sei auf die Thüringer Verhältnisse, erwartete sie Veränderungen zunächst durch die Einrichtung eines Finanzausschusses, der über die Kontrolle des Finanzgebarens der Deutschen Christen in der Kirchenleitung transparentere Verhältnisse in der Thüringer evangelischen Kirche schaffen sollte. Diese Erwartung wurde immer wieder ausgesprochen und auch unter den Angestellten des LKR z.T. leidenschaftlich diskutiert: Kommt er oder kommt er nicht? Ein Finanzausschuss wurde allerdings nie eingerichtet. Sodann stellte sich die LBG hinter die Politik des Lutherrats, dessen Leitungsgremium Otto angehörte. In der Einrichtung von Kirchenausschüssen, in denen die maßgeblichen kirchenpolitischen Parteien (DC, BK und Neutrale) vertreten sein sollten, sah man eine Möglichkeit zur Befriedung der kirchlichen Verhältnisse.210 In den entscheidenden Verhandlungen mit den Vertretern des Kirchenministeriums machte Otto allerdings klar, dass für die LBG nicht jede Zusammensetzung 208

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Vgl. z.B. Tgb. 3. März 1936 mit ihrer Darstellung und Beurteilung einer Andacht von W. Bauer zur Versuchungsgeschichte, aber auch Tgb. 16. April 1936 zur Rede Sasses und der anschließenden Auseinandersetzung zwischen ihm und der Tagebuchschreiberin. Vgl. Tgb. 10. März 1935. Allerdings gingen Otto und die LBG diesen Weg nicht ohne Skrupel: »Er dächte z.Zt. viel nach über den Weg der Bekenntnissynode und seinen eigenen. Der Reichsbruderrat sei in einer Klemme. Das würde allerdings nicht ausgesprochen, aber es sei Otto jede Anerkennung der Kerrlschen Kirchenausschüsse […] eigentlich ein Aufgeben der Grundsätze, auf die man sich

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eines Landeskirchenausschusses in Frage kam. Er forderte vielmehr ultimativ, entweder einen Ausschuss zu bilden, in dem kein Mitglied der derzeitigen Kirchenregierung vertreten sein dürfe, oder aber die Möglichkeit eines Simultaneums ins Auge zu fassen, d.h. neben der deutschchristlichen Kirchenregierung eine eigene geistliche Leitung der LBG einzurichten.211 Letzerer Fall wurde als »radikale« Lösung diskutiert, aber politischerseits verworfen. Begas setzte ihre ganze Hoffnung auf die Kirchenausschüsse. Als der Reichskirchenausschuss 1937 zurücktrat, wähnte sie sich und die Kirche deshalb »ganz gewiß am Rande eines Abgrundes.«212 Das teilte sie auch einem ihrer Gesprächspartner durchaus in dieser Klarheit mit: »Nun, ich sagte die Wahrheit so schonungslos, wie ich sie gehört hatte. ›Wir dürfen uns keine Illusionen mehr machen – es ist für uns in Thüringen wirklich alles aus!‹«213 Umso mehr begrüßte sie 1937 mit Otto die Ankündigung von Kirchenwahlen: »Otto sprach kurz von dem Rücktritt des RKA und der bevorstehenden Wahl – nannte die Entscheidung des Führers ein Wunder, für das wir von Herzen dankbar sind.«214 Allerdings war die Tagebuchschreiberin in der generellen Ablehnung des Niemöllerkurses durch Otto und die LBG215 zögerlich und eher zurückhaltend. Immer erwog sie, ob nicht Niemöller doch recht habe. Zwar kritisierte sie, dass die Gruppe um Niemöller nur einen kleinen Kreis bilde, aber beanspruchte, herrschende Meinung zu sein.216 Andererseits aber hielt sie ihm zugute, dass der kirchliche Widerstand ohne ihn gar nicht denkbar wäre.217 Auch im Hinblick auf den sog. Bethel-Plan erwog Begas, ob Niemöller nicht letztlich doch Recht haben könnte.218 Jedenfalls: Von Fall zu Fall brachte sie immer wieder auch Verständnis für die Niemöller-Leute auf.219 Dennoch waren die Fronten einigermaßen schroff. »Daß Pfarrer Fischer-Elgersburg kürzlich hier in dem kleinen Kreis der Möttlinger, die nicht D.Chr. sind (Dora Hackmack), für die

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festgelegt hätte. (Otto war ja bei der Dahlemer Synode bereits der Ansicht, daß die Synode zu weit gegangen sei. Er hat ja auch in Thüringen diese Beschlüsse nicht ausgeführt). Auf der anderen Seite sei das Kerrlsche Angebot so, daß man es nicht ablehnen könne. Die vorläufige Kirchenregierung [VKL] will offenbar mit Kerrl gehen. Die Widerstrebenden sind wohl Niemöller und die um ihn. Otto sagt, wenn man Kerrls Angebot ablehne, dann sei nur noch der Weg in die Freikirche übrig. Er selbst möchte mit Kerrl gehen.« (Tgb. 11. Oktober 1935). Vgl. Tgb. 22. u. 24. April 1936. Tgb. 12. Februar 1937. Tgb. 16. Februar 1937. Tgb. 19. Februar 1937. Otto hat sich gelegentlich sogar beklagt, dass ihm soviel Schwierigkeiten entstünden durch Bekenntnisleute des Niemöllerkurses; vgl. Tgb. 21. April, 15. u. 26. Mai 1936. Vgl. Tgb. 13. Januar 1936. 1937 verteidigte sie Niemöller gegen Wurm (vgl. Tgb. 15. Juni 1937). In einem anderen Fall war sie durchaus auch der Meinung, dass Niemöller sich verrannt habe. »Es ist lehrreich. Es ist Schuld der Deutschen Christen, die ihn immer mehr in den Radikalismus hineingetrieben haben – aber auch ein gewisses Unvermögen. Er steht nicht mehr frei über den Dingen« (Tgb. 12. Februar 1936). »Und Niemöller ist der, dem es zu verdanken ist, wenn der Widerstand innerhalb der Kirche Erfolg gehabt hat! Ich kann es nicht anders sehen« (Tgb. 4. Januar 1936). Tgb. 17. u. 27. Januar, 5. u. 7. Februar sowie 4. Mai 1936. Tgb. 19. Juni 1936.

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Niemöller-Richtung geworben hätte«, empfand M. Begas als »hinterhältig«.220 Und an anderer Stelle zeigte sie sich überzeugt: »Und Niemöller arbeitet den Thüringern in die Hände!«221 In ihrem Urteil war sie schließlich unschlüssig: »Wenn man sich doch mit ganzem Herzen hinter Niemöller stellen könnte!«222 Mit der Tatsache, dass Niemöller der persönliche Gefangene Hitlers war, kam sie überhaupt nicht zurecht. Dass er als einziger in der Haft nicht am gemeinsamen Gottesdienst teilnehmen dürfe und dass »alles, was ihn beträfe, vom Führer persönlich angeordnet« werde, fand sie »seltsam und unerklärlich«.223 Zusammengefasst ergibt sich, dass sich M. Begas bei aller Beeinflussung durch Otto und die LBG im Hinblick auf die Kirchenpolitik und insbesondere in der Einschätzung Niemöllers durchaus ein eigenständiges Urteil bewahrt hatte. Das zeigte auch ihre Diskussion mit Otto um das angemessene Vorgehen bei den von Hitler 1937 angeordneten Kirchenwahlen. Sie war völlig anderer Meinung als dieser, was sie zu dem Urteil veranlasste: »Ich glaube, bis zur Wahl leben Otto und ich uns gänzlich auseinander«.224 Ihre Front, die andere Partei im Kirchenkampf, waren neben den Deutschgläubigen vor allem natürlich die Deutschen Christen (DC). Sie berichtete nicht nur von den ideologischen Entgleisungen inbesondere der Kirchenbewegung DC, sondern auch über deren menschliche und kirchenpolitische Unzulänglichkeiten, auch über die Häme, mit der sie die BK überzogen. 1937 notierte sie: »Heute früh las ich Nr. 16 der »Bundesmitteilungen« des »Bundes für das Deutsche Christentum« (Verantwortlich Landessuperintendent Propp, Berlin-Zehlendorf). Ich zitterte, als ich es gelesen hatte. Es war teuflisch. Giftiger, lebensgefährlicher Haß, Verleumdung, Hohn – es ist nicht zu schildern. Ich stehe noch unter dem Eindruck. Unter den vielen Artikeln und sonstigen Schriftstücken, die ich im Laufe der 4 Jahre Kirchenkampf in die Hand bekam, war nichts so Giftiges. Und das schreiben Pfarrer.«225 Im einzelnen berichtete sie über die Politik der DC und ihre Bemühungen, skrupellos die Macht in der Thüringer evangelischen Kirche an sich zu reißen, den Volksdienst unter Leutheuser zum Propaganda-Instrument für den Nationalsozialismus auszubauen, ideologisch nicht genehme Pfarrer und kirchliche Mitarbeiter öffentlich herabzusetzen, zu disziplinieren, mit Gehaltsabzug zu bestrafen oder gar zu entlassen und dazu wie selbstverständlich die Beihilfe der Gestapo in Anspruch zu nehmen, unberechtigterweise Kirchensteuermittel für die KDC-Arbeit einzusetzen, Personalaufstockungen im Volksdienst vorzunehmen, um die ideologische Schulungsarbeit unter Pfarrern, Kirchenvertretern und anderen zu intensivieren, bekenntnistreuen Pfarrern und kirchlichen Mitarbeitern Staatsfeindlichkeit zu unterstellen u.a. mehr aus der Tagesordnung des Kirchenkampfes. M. Begas reflektierte auch ihre eigene Position im Kirchenkampf. Es war ihr durchaus bewusst, dass sie durch ihre kirchenpolitische Option die Stelle im Landeskirchenrat verlieren konnte: »Es ist also nur noch eine Frage der Zeit, bis der 220 221 222 223 224 225

Tgb. 26. Mai 1936. Tgb. 21. Juli 1936. Tgb. 2. Juli 1937 u. 28. Januar 1938. Tgb. 8. Januar 1942. Tgb. 7. März 1937. Tgb. 5. Juli 1937.

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letzte BK-Pfarrer entfernt ist. Das schlimmste ist ja, dieses elende Katze-und-MausSpiel. Wenn erst alles bereinigt ist, ists vielleicht nicht mehr so schlimm. Und was wird aus mir? Wenn ich doch allein stünde! Aber der Gedanke, daß die ahnungslose alte Frau neben mir, meine Mutter, erleben sollte, daß unsere Einnahmen sich derartig verringern – alles wäre leichter, wenn ich es allein durchkämpfen könnte oder wenn ein Mensch neben mir wäre, der diesen Kampf versteht.«226 Im Zentrum des Tagebuchs aber steht der Kirchenkampf in Thüringen, die teilweise heftigen Auseinandersetzungen der BK und der DC um das rechte Verständnis von Kirche, Bekenntniskirche hier, völkisch bzw. nationalsozialistisch verstandenes Christentum dort. Dagegen ist auffallend wenig von politischen Ereignissen der Zeit die Rede227, noch weniger aber von Einstellungen zum Nationalsozialismus, die offenbar zwischen den kirchenpolitischen Parteien nicht strittig waren. Infrage gestellt wurde seitens der BK ja auch nicht der Nationalsozialismus als solcher – der weitgehend allgemein akzeptiert war – sondern nur seine Vereinnahmung als Religion, seine Synthese mit dem Evangelium. Das spiegelt sich auch im Tagebuch der M. Begas wider. Darüber hinaus finden sich darin eine Reihe von – ganz beiläufigen – Aussagen, die im einzelnen beleuchten, wie ein/e Bekenntnischrist/in zugleich eine positive Einstellung zum Nationalsozialismus haben konnte. Sofern ihnen repräsentative Bedeutung beigemessen werden kann, widersprechen sie dem geläufigen oder mehr suggerierten Bild von Bekenntnischristen jener Zeit, die in politischer Hinsicht ganz abstinent, distanziert und eher widerständig erscheinen. Allein der Glaube und seine Bewährung in Konfliktsituationen hätte gezählt, politische Optionen hätten keine Rolle gespielt. In Wirklichkeit war es vermutlich ganz anders, wie man aus den kurzen Bemerkungen einer Bekenntnischristin sehen kann, die zugleich eine überzeugte Nationalsozialistin sein wollte und es war. M. Begas hat darüber nicht systematisch reflektiert – das war auch nicht ihr Thema. Wohl aber kann man ihrem Tagebuch einzelne Aspekte einer nationalsozialistischen Weltanschauung entnehmen, wie sie wohl seinerzeit von vielen, wenn nicht den meisten Bekenntnischristen vertreten wurden und die sich zu einem Mosaik zusammenfügen lassen. Dabei muß bedacht werden, daß die Aussagen nur kurze Bemerkungen sind, gleichsam nebenher geäußert und die z.T. sehr unterschiedlich gedeutet werden können. (1) Zunächst kann man annehmen, dass M. Begas die seinerzeit einflußreichsten nationalsozialistischen Schriften der Zeit wie ›Mein Kampf‹ und Rosenbergs ›Mythus‹ mindestens in Teilen gelesen hat, denn sonst hätte sie diese kaum ihrem unmittelbaren Vorgesetzten, Dr. Volk, zur Lektüre empfehlen können (Tgb. 10. November 1934; vgl. Tgb. 18. Juni 1936), ohne die Empfehlung im Übrigen mit einer wie auch immer gearteten kritischen Äußerung zu verbinden. Mehr noch, 1937 konstatierte sie, den Ernst ihrer Aussage ausdrücklich hervorhebend: »Vieles, was geschieht und was gesagt wird, ist nicht mehr im Einklang mit ›Mein Kampf‹« (Tgb. 13. Januar 1937). Hitlers Schrift war für die Tagebuchschreiberin also – mindestens in einem allgemeinen Sinn – Norm politischen Handelns. 1937 kritisierte sie die Kirchenräte Lehmann und Franz, weil für sie offenbar »ein gänzlich überwundener 226 227

Tgb. 18. Mai 1938. Mit Beginn des Ersten Weltkriegs ändert sich das allerdings. Die Schilderung des Kriegsgeschehens und der Kriegsalltag in Deutschland traten immer stärker in den Vordergrund.

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Standpunkt zu sein« schien, »was Hitler in ›Mein Kampf‹ über Kirche und Religion« gesagt habe (Tgb. 4. Februar 1937). (2) Hitler bescheinigte sie, in seiner Rede am 1. März 1935 (Saarfeier) einen »ausgesprochen christlichen Gedanken« bemüht zu haben (Tgb. 10. März 1935). (3) Von der außenpolitischen Rede Hitlers am 21. Mai 1935 hatte sie vorhergesagt, dass sie gut auf England wirken würde, und sah sich in Ihrer Vorhersage bestätigt (Tgb. 8. Juni 1935). (4) Auch im Hinblick auf das Judentum zeigte sie, dass sie in nationalsozialistischer Zeitgenossenschaft stand. Die negative Bewertung, dass Dr. Volks Haltung in einer bestimmten Angelegenheit »doch nun einfach jüdisch« (Tgb. 8. Juli 1934) sei, floss ihr ebenso so selbstverständlich in die Feder wie die Ablehnung einer deutsch-jüdischen Ehe (Tgb. 10. März 1935). Generell war sie für die Rassenfrage aufgeschlossen. Das kann man einer Äußerung über das »sympathische« Auftreten des Reichstatthalters für Oldenburg und Bremen, Karl Röwer, in Eisenach mit einem Referat zum Rassethema indirekt entnehmen (Tgb. 7. Dezember 1935). Ob M. Begas mit der Gründung von Judenkirchen sympathisierte, ist nicht ganz klar, eine Eintragung vom Oktober 1935 könnte aber so gedeutet werden (Tgb. 4. Oktober 1935). Andererseits wandtet sie sich aber auch – Sasse darin zustimmend – gegen die »übertriebene Judenhetze«: »Die übertriebene Judenhetze ist abgeblasen. In Berlin sieht man nirgends die Schilder wie hier, ›Juden nicht erwünscht‹. Das kommt auch nur in so kleinen Städten vor wie Eisenach. Der Umzug gegen die Juden, der in Eisenach vor einigen Wochen veranstaltet wurde, hat sehr geschadet. Es waren viele Ausländer hier, die haben photographiert. Im Umzug wurde ein Wagen mitgeführt, auf dem ein Galgen errichtet war. Daran hing eine ausgestopfte Puppe als gehängter Jude. In diesem Zug soll übrigens auch Kirchenrat Lehmann in seinem kleinen tschechischen Wagen mitgefahren sein. Es war das Tagesgespräch auf dem Pflugensberg« (Tgb. 4. Oktober 1935). M. Begas sympathisierte offenbar mit dem Bemühen, einen Stützpunktleiter vor Gericht zu bringen, der einen Juden mißhandelt hatte, so dass er starb (Tgb. 27. Januar 1935). (5) Auch mit dem deutschen Gruß hatte sie keine Schwierigkeiten. Dass er nach einer vom Landesbischof gehaltenen und von ihr als positiv bewerteten Andacht im Landeskirchenrat nicht wie gewohnt entboten wurde, kommentierte sie folgendermaßen: »Sogar das ›Heil Hitler‹ blieb weg, was doch gar nicht nötig gewesen wäre« (Tgb. 10. März 1935). (6) Wenn M. Begas eine von ihr kritisierte Aussage als »so undeutsch und unnationalsozialistisch wie möglich« (Tgb. 21. Oktober 1935) bezeichnete, dann wurde auch damit Zustimmung signalisiert. (7) Wenn sie andererseits Niemöller bescheinigte, er habe das Wesen des Nationalsozialismus von Anfang an verstanden und sei wohl der einzige ebenbürtige Gegner, der sich in Deutschland als Einzelpersönlichkeit gefunden habe, dann schwang darin mindestens eine regimekritische Haltung mit (Tgb. 27. Januar1936). (8) Ganz ratlos machte sie das Vorgehen der Kriminalpolizei bei der Sicherstellung von Rundbriefen der BK bei Otto; denn Politisches können man hier doch nicht finden. »Wozu nun bloß?« Wolle man etwa Sasse einen Gefallen tun, um ihm das Material zugänglich zu machen. Sie verkannte also den politischen Sinn des Vorgehens der Polizei (Tgb. 3. Juni 1936).

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(9) Kritik am Nationalsozialismus äußerte die Tagebuchschreiberin darin, dass dieser wie der Marxismus religionsfeindlich, bis zum Hass auf die Kirche, ausgerichtet sei bzw. ganz ohne Religion auszukommen meine (Tgb. 18. Juni 1936). (10) Am 18. November 1936 hielt sie fest, dass die bekenntniskirchlichen Pfarrer deshalb keine Nationalsozialisten seien, weil das Gedankengut von Rosenberg sie von Anfang an dabei behindert hätte. Außerdem habe eben Hitler – ihr unverständlicherweise – nicht gewollt, dass Pfarrer in die Partei eintreten könnten (Tgb. 18. September 1936). (11) Dem im LKR kursierenden Gerücht, dass die Mitgliedschaft bei der BK mit staatsfeindlicher Gesinnung gleichzusetzen sei, entgegnete sie: »Das ist allerdings schlicht!«, gab damit allerdings indirekt zu erkennen, dass seitens der BK mindestens politische Vorbehalte bestanden, die sich aus der Behinderung freier Religionsausübung durch den Staat ergeben hatten (Tgb. 19. September 1936). (12) 1936 hatte M. Begas Einsicht in die Akten des Pfarrers Ziegler aus Nobitz. Sie notierte dazu: »Der L.K.R. teilt dem kirchlichen Außenamt vertraulich mit, daß Zieglers Mutter Jüdin ist (er bewirbt sich um eine Auslandsstelle) und das Außenamt bedankt sich herzlich dafür. Niederträchtig ist, daß man dem Betreffenden nicht einfach die Wahrheit sagt, sondern ruhig zusieht, wie er von Pontius zu Pilatus läuft, um irgendwo anzukommen.« Bemerkenswert an diesem Kommentar war, was sie nicht kritisierte: dass ein christlicher Pfarrer von einer kirchlichen Behörde um seiner nichtarischen Herkunft willen diskreditiert und den politischen Behörden praktisch ausgeliefert wurde (Tgb. 26. September 1936). (13) Kritisch, z.T. sehr kritisch, sah M. Begas das Verhalten führender Nationalsozialisten im Hinblick auf die Kirchenfrage der Zeit. Bevor man danach rufe, z.B. Kerrl zu entlassen, solle man ihm doch erst einmal eine Chance geben, sich gegen einen so mächtigen Mann wie Sauckel durchzusetzen. Und auch Goebbels zerschlage auf kirchenpolitischem Gebiet viel Porzellan (Tgb. 13. November 1936). (14) Immer wieder kam sie auf den »immer radikaler werdenden weltanschaulichen Kurs« gegen die Kirchen zu sprechen, gegen den man sich zur Wehr setzen müsse. »Denn die Art wie Streicher und seine Leute jetzt in Bayern vorgehen, ist unmöglich« (Tgb. 24. November 1936). (15) Unkommentiert nahm sie die Auffassung der LBG hin, dass Pfarrer Sylten ein Dokument nicht abzeichnen solle, damit dieses nicht von einem Nichtarier bestätigt sei, obschon doch Sylten vom 1. April 1936 an Geschäftsführer der LBG war (Tgb. 26. November 1936). (16) Mit der Mehrheit der deutschen Bevölkerung fürchtete sie die Unterstüzung der Roten durch Russland im spanischen Bürgerkrieg (Tgb. 26. November 1936). (17) Über die Stellungnahme des RKA zur Schulfrage »Kirche und öffentliche Schule« (1936) fällte die Tagebuchschreiberin ein sehr günstiges Urteil. Das zeigt, dass sie das Bekenntnis des Reichskirchenausschusses zum nationalsozialistischen Staat und seiner Schule zu teilen vermochte (5. Dezember 1936). (18) Die Tagebuchschreiberin lobte 1937 eine Rede des Führers, die sie »richtig froh« gemacht habe. Denn der Führer habe »stark den Dank gegen Gott« betont. Noch nie habe »er so nachdrücklich und eindrucksvoll darüber geredet.« Der Name »Christus« falle allerdings »nie« (Tgb. 26. Januar 1937).

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(19) Als Stöße von Blättern mit Aussprüchen vom Führer aus dem Kirchenministerium kamen, kommentierte M. Begas diesen Vorgang mit »Vielleicht ganz gut« (Tgb. 3. März 1937). (20) Typisch für ihre politische Einstellung war wohl die folgende Bemerkung: »2 englische Presseausschnitte habe ich nicht übersetzt. Sie stellten die kirchliche Opposition als Widerstand gegen den Staat hin« (Tgb. 25. März 1937). (21) In den kirchenpolitischen Auseinandersetzungen setzte sie auf »das gegebene Wort des Führers. Das ist für mich das Bollwerk, das m.E. kein Nationalsozialist antasten dürfte« (Tgb. 27. Juni 1937). (22) Begas wurde zunehmend klarer, dass bestimmte Kreise von Anfang an die Vernichtung der Kirchen geplant hatten, nicht aber der Führer! (Tgb. 1. Juli 1937). (23) Interessant ist, dass sie die »geistige«, d.h. wohl die nationalsozialistische Entwicklung in Deutschland so einschätzte, als sei sie von Bedeutung für die ganze Welt: »Die deutschen Zeitungen hatten immer wieder versichert, schon die Wahl der Themen [auf der Weltkonferenz in Oxford] sei erfolgt, weil man eine einseitige Frontstellung gegen Deutschland beabsichtige. Daß auch die geistige Entwicklung in Deutschland in eine große Bewegung gehört, die durch die ganze Welt geht, wissen sie offenbar nicht. Es ist so, als wenn sie sich selbst immer als Weltzentrum auch in den Augen der anderen sähen« (Tgb. 22. Juli 1937). (24) Die Tagebuchschreiberin war bis Mitte 1937 davon ausgegangen, dass die Rede vom »Positiven Christentum« in Punkt 24 des NSDAP-Parteiprogramms auch eine insgesamt positive Einstellung der Nationalsozialisten zum Christentum beinhalte. Zunehmend aber registrierte sie, dass der Nationalsozialismus wenig Interesse an der Einbeziehung von Christen in den neuen Staat zeigte, das Christentum gar behinderte und bekämpfte (Tgb. 2. September 1937), mindestens aber totschwieg (Tgb. 27. September 1937). (25) 1937 machte Begas eine Bemerkung über den ehemaligen demokratisch gewählten Ministerpräsidenten (USPD) von Bayern den »Juden Eisner«, wobei diese Konnotierung negativ gemeint ist (Tgb. 19. Oktober 1937). Deutlicher wurde sie an anderer Stelle, als sie einen außerordentlich gehässigen Artikel aus dem Schwarzen Korps kommentierte: »Das ist der Geist der Eisner-Genossen« (ebd.). (26) Im November 1937 spielte M. Begas mit dem konkreten Gedanken, in die Partei einzutreten, und sondierte ihre Möglichkeiten: Vorbedingung sei eine zweijährige Mitarbeit in der NS-Frauenschaft; außerdem würde sie vermutlich seitens des Betriebes kein günstiges Zeugnis ausgestellt bekommen. Im Gespräch mit Hugo Müller bemerkte dieser, dass nur noch drei Beamte des Betriebes nicht in der Partei wären (Tgb. 17. November 1937). Am 23. November 1937 stellte sie den Antrag auf Mitgliedschaft in der NSDAP, gab aber zugleich mit an, dass sie Mitglied der BK sei und bleiben wolle (Tgb. 24. November 1937). (27) Von Rosenberg sagte sie, er sei »nicht deutsch und nicht tapfer« (Tgb. 28. November 1937), weil er nicht in der Lage sei, tief beschämt seine Irrtümer in dem Buch von den Rompilgern zuzugeben und zurückzunehmen (Tgb. 28. November 1937). An anderer Stelle quittierte sie die Äußerungen eines Redners auf einer Kolonialkundgebung mit dem Kommentar: »Es war bolschewistisch – aber leider nicht deutsch« (Tgb. 1. Dezember 1937). (28) Sie trat mit vielen anderen, auch vielen Nationalsozialisten, seinerzeit für die Wiedererlangung der Kolonien (»Kolonialforderung«) ein (Tgb. 1. Dezember 1937). Von Fall zu Fall wies sie daraufhin, dass bestimmte Personen nicht »deutsch« dachten und handelten:

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»Man muß schon damit rechnen, daß sie wirklich glauben, der Schlange den Kopf zu zertreten, indem sie Otto entfernen, den sie für das Haupt des Widerstandes halten. Daß damit der Widerstand verstärkt werden würde, geht ihnen nicht ein. Sind das überhaupt deutsche Menschen, die so etwas nicht instinktiv wissen?« (Tgb. 19. Januar 1938). (29) Nicht anders als die meisten Deutschen damals begrüßte sie den Einmarsch der deutschen Truppen in Österreich und die Besetzung des Landes. Sie gab dem auch emotionalen Ausdruck: »Seit heute Morgen gehen deutsche Truppen über die österreichische Grenze und wie es scheint, ist Hitler bei ihnen. Göring Stellvertreter (wohl als Kanzler). Es ist einer der größten Tage der deutschen Geschichte. Wunder geschehen … Der Tag verging wie in einem Rausch. Der Rundfunk – der Jubel aus Österreich – ich bin so froh« (Tgb. 12. März 1938). Und später heißt es: »Österreich! Gestern Abend ¾11 am Rundfunk noch die entscheidenden Gesetze! Österreich ist deutsch und wir können uns den Zustand schon nicht mehr anders denken. Es ist auch eine Bereicherung unserer Art, es ist ein talentvolles Volk mit einer – neben allen Schwächen – künstlerischen Leichtigkeit in der Form, die uns Reichsdeutschen abgeht. Bei diesem ganzen Geschehen verläßt mich nicht die Vorstellung von dem Sprung eines lauernden Raubtiers auf seine Beute. Sie ist bereits verschlungen, ehe die Zuschauenden begriffen haben, was vorgeht. Und nun liegt d. Löwe blinzelnd in d. Sonne« (ebd.). (30) Völkisches Denken wird erkennbar im folgenden Passus: »In einer so wunderbar alten Dorfkirche ist man doch ganz anders wie in einer städtischen Kirche mit den deutschen Menschen der Vergangenheit verbunden« (Tgb. 20. März 1938). (31) Der Anschlusspolitik Hitlers 1938 stimmte sie zu und war von dem politischen Vorgang ergriffen, wenigstens beeindruckt. Ausdrücklich lobte sie die Rede Hitlers und stimmte dessen Berufung auf eine höhere Führung zu. Jedem müsse das an diesem Geschehen klar werden (Tgb. 11. April 1938). (32) Mit der Expansionspolitik Hitlers in Europa (Österreich, Tschechoslowakei) wusste sie sich in Übereinstimmung und begegnete ihr mit Ergriffenheit: »Es ist geradezu phantastisch, wenn man bedenkt, wie sich unsere Stellung in d. Welt seit dem 13.3.38 verändert hat … Eine weltgeschichtliche Gewichtsverschiebung, die den Völkern erst ganz langsam zum Bewußtsein kommt« (Tgb. 19. Mai 1938). (33) Die Rede Hitlers auf dem Reichsparteitag in Nürnberg, in der immerhin mit Krieg gedroht wurde, hat bei ihr einen »sehr starken Eindruck« hinterlassen (Tgb. 13. September 1938). (34) Fast alle Reden Hitlers hielt sie bei kritischen Vorbehalten zu Einzelheiten für sehr gut, verteidigte sie gar, nachdem sie von ausländischen Sendern ein vernichtendes Votum gehört hatte: »›England condemns Herrn Hitlers discourse especially its tone‹ . Ja – aber Brüning und Papen haben mit dem vornehmen Ton nichts erreicht. Hitler hat seit 20 Jahren Glück mit seiner Tonart. Kein Wunder, daß er sie beibehält« (Tgb. 28. September 1938). An anderer Stelle heißt es: »Gestern Abend, 8 Uhr, Führerrede. Mein Eindruck: nicht für uns, sondern für das Ausland gehalten. Mehr überzeugend als hinreißend, aber eben doch: sehr gut« (Tgb. 27. September 1938). Und weiter berichtete sie: »Am Montag Abend 30.I. Führerrede – über 2 Stunden. Sie war sicher eine seiner besten Reden – politisch gesehen. Ganz hervorragend, überzeugend« (Tgb. 2. Febr. 1939). Sie bedauerte lediglich, dass der Führer über die Verhältnisse in der protestantischen Kirche nicht gut informiert sei und deshalb zu falschen Schlüssen komme. Auch im Krieg hielt sie die Reden Hitlers für überzeugend: »Vorgestern,

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am 30., sprach der Führer im Sportpalast. Außerordentlich überzeugend seine Siegeszuversicht. Wir hätten die Zeit der Ruhe genutzt, die Waffen, die Ausrüstung seien verbessert worden, im Frühjahr würde der U-Boot-Krieg beginnen! « (Tgb. 1. Februar 1941). (35) Hatte sie schon vorbehaltlos der Annektierung Österreichs zugestimmt und dem auch emotionalen Ausdruck gegeben, so steigerte sich ihre Bejahung des Münchener Abkommens zu verbalem Jubel: Dass es dazu gekommen sei, war für M. Begas schlicht »ein Wunder« (Tgb. 4. Oktober 1938). (36) Nach den Münchener Abkommen und der Besetzung des Sudetenlandes steigerte sich ihre Begeisterung für Hitler ins nahezu Überirdische: »Es ist der Augenblick, wo dieser gigantische Mensch, dessen Ausmaß sich erst schattenhaft im Nebel abzeichnet, über die deutschen Grenzen hinaus in den europäischen Raum schreitet. Wie werden die Wirkungen sein? Ich habe jetzt manchmal den Eindruck, als ob er neue Räume aufschlösse« (Tgb. 10. Oktober 1938). (37) Die Haltung der Tagebuchschreiberin zum Antisemitismus war ambivalent. Einerseits trat sie nirgendwo für Juden ein, wehrte sich aber andererseits z.B ganz energisch gegen den penetranten Versuch, alle jüdischen Elemente auch aus den kirchlichen Leben auszumerzen: »Flüchtig kam mir der Gedanke, daß die Leute das ›Amen‹ jüdisch nennen. Seit 1000 Jahren haben es unsere Väter gesprochen. Jüdisch? Man kann nur ›Pfui Teufel‹ sagen zu allen Versuchen, uns das zu nehmen« (Tgb. 9. Dezember 1938). (38) Im Dezember 1938 machte Otto eine kleine, aber für seine und der Tagebuchschreiberin politische Einstellung durchaus aufschlußreiche Bemerkung: »Wenn die Westmächte nicht zu autoritärer Führung übergehen, sind sie verloren« (Tgb. 11. Dezember 1938). Sie weist hin auf die antidemokratische Haltung der BK nicht nur in Thüringen. (39) Anhand alter Presseberichte beobachtete die Tagebuchschreiberin, dass sich in der Bekämpfung des Christentums in den letzten zehn Jahren nichts Entscheidendes geändert habe: »Hier marschiert der Nationalsozialismus in einer Front mit Moskau, das sieht man auch klar aus den alten Presseakten, die ich immer noch studiere« (Tgb. 16. Dezember 1938). (40) Andererseits traute sie der nationalsozialistischen Propaganda und Politik: »Politisch sieht es nach wie vor sehr schlimm aus. Man kann es sich kaum mehr anders denken, als daß wir losschlagen angesichts der Mißhandlungen von Deutschen in der Tschechoslowakei « (Tgb. 14. März 1939). (41) Sie teilte die allgemeine Überzeugung, »daß ein Weltkrieg bevorsteht« (21. März 1939). (42) Sie stimmte auch Gebietsansprüchen der Regierung zu: »Wir hatten Polen für Gegenleistungen ein Angebot gemacht: Danzig deutsch und auf irgendeine Weise Gleichberechtigung im Korridor. Das Angebot war für Polen günstig. Polen hat abgelehnt. Es wird das teuer bezahlen müssen« (Tgb. 28. April 1939). Und an anderer Stelle bemerkte sie: »Polen ist sehr frech und wir machen z.Zt. noch wenig daraus. Wir warten. Aber es lastet auf den Nerven des Volkes« (Tgb. 20. Juni 1939). Auch die Rückgabe Oberschlesiens hielt sie für gerechtfertigt (Tgb. 3. Juli 1939). (43) Deutsche würden – so erklärte sie bündig – »den Italienern nicht trauen. Die Abneigung ist tief eingewurzelt – auch bei mir« (Tgb. 17. Mai 1939).

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(44) So verwundert schließlich nicht, dass die Tagebuchschreiberin auch den von Hitler begonnenen Krieg billigte. Die Sache sei »gerecht und sie wird maßvoll und vorsichtig begonnen« (Tgb. 1. September 1939). (45) Auch anderen Politikern als Hitler traute sie: »Göring sprach hervorragend. Sehr unmittelbar und voll Humor, der uns in den letzten Jahren gefehlt hat. Sehr überzeugend« (Tgb. 11. September 1939). (46) Auch von den Hitlerreden im Krieg war sie nicht nur angetan, sondern geradezu hingerissen und ergriffen: »Hitler war zum 1. mal in Danzig. Er hätte sich gelobt gehabt, diese Stadt erst zu betreten, wenn sie deutsch wäre. Er sprach vom Artushof aus. Mich erfaßte während seiner Rede sehr stark das Wunderbare seines Lebens. Es gibt kein Leben in der Weltgeschichte, das diesem gleicht« (20. September 1939). (47) M. Begas berichtete u.a. von der Versenkung feindlicher Schiffe durch den U-BootKommandanten Prien und schloss daran den Gedanken an: »Gott sei Dank, daß unsere Jugend wieder lernt, was Heldentum ist« (Tgb. 18. Oktober 1939). (48) Mit spürbarer innerer Anteilnahme verfolgte sie das Kriegsgeschehen, insbesondere die Siege und Landgewinne der deutschen Wehrmacht. Ihrer Bewegung gab sie auch direkten Ausdruck: »Eben habe ich im Dunkeln unter schwierigsten Umständen nach der Marienstraße zu unsere beiden Fahnen herausgehängt! Kurz vor 10 Uhr saß ich an meinem Schreibtisch bei geöffneter Tür und Fenster und schrieb. Plötzlich hörte ich die Klänge des Chorals von Leuthen: ›Nun danket alle Gott!‹ Ich lief ans Fenster. Schon tönte das Deutschlandlied. ›Nun danket alle Gott!‹ rief eine Mädchenstimme voller Freude aus dem Fenster eines Nebenhauses. Sie dachte wohl im Innern: ›Gott sei Dank!‹ Ich stellte im Wohnzimmer den Rundfunk an, hörte noch ›Die Fahne hoch‹ und danach wurde Funkstille von 3 Minuten verkündet. Dann kamen auch die 10-Uhr-Nachrichten und wiederholten die Sondernachricht, daß um 1 Uhr 35 Minuten nachts Waffenruhe mit Frankreich einträte. Der Rundfunk will den Augenblick mit seinen Hörern feiern. Ich werde mir den Wecker stellen und aufstehen« (Tgb. 24. Juni 1940, 11 Uhr nachts). Sie fügte noch hinzu, dass sich die französischen Hauptstreitkräfte ergeben hätten. Angesichts des großen Sieges rief sie pathetisch aus: »Ich glaube, daß die Seelen unserer Gefallenen jetzt unsere Seelen suchen. Man spürt es so deutlich« (ebd.). Solche innere Bewegung äußerte sie immer wieder einmal in ihrem Tagebuch. Nachts am Rundfunk kam ihr der Führer in den Sinn: »Es ist letzten Endes einzig die unheimliche Gewalt dieses einen Mannes, die uns zu diesem Punkt geführt hat. Gegen mich selbst etwas mißtrauisch, habe ich es immer wieder kritisch durchdacht, das Resultat bleibt dasselbe. Er ist schon von Gott mit dem Blick des Sehers und mit der Kraft des Vollbringers begnadet« (Tgb. 25. Juni 1940). (49) Gelegentlich trat bei der Tagebuchschreiberin auch rassistisches Denken zutage. Den Anblick von 300 englischen Kriegsgefangenen kommentierte sie wie folgt: »Lauter kleine, mickrige Leute, keine einzige Erscheinung von guter Rasse bis auf einen kleinen, drahtigen Blonden« (Tgb. 29. Juli 1940). (50) Beeindruckt zeigte sich M. Begas nicht nur von den Reden Hitlers selbst, sondern von denen anderer Nazigrößen, z.B. von Göring (s.o.) oder auch von Schirach: »Bemerkenswert fand ich die Rede, mit der Baldur von Schirach in Wien sein Amt als Reichsstatthalter angetreten hat. Er fing damit an, daß er es immer als besondere ›Gnade Gottes‹ betrachtet habe, daß es ihm vergönnt gewesen sei, im Schatten des Titanen ein eigenes abgeschlossenes Werk zu tun, obwohl es freilich unzulänglich sei, ›wie alles Menschenwerk‹ usw. Merkt man hier

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vielleicht doch, wie in dem Aufsatz von Günther Kaufmann, daß d. Krieg einen Segen gehabt hat?« (Tgb. 15. August 1940). (51) Sie stimmte auch mit der Kriegsideologie der Nationalsozialisten überein. Einer Kollegin, die die gegenwärtige Verhältnisse gegenüber denen des Ersten Weltkriegs beklagte, hielt sie entgegen: »Mehr als sterben kann man nicht für das Vaterland. Und 1914–18 ist mehr gestorben worden als in diesem Krieg. Und deshalb haben auch die Daheimgebliebenen größere seelische Lasten getragen als in diesem Krieg usw.« (Tgb. 19. September 1940). Zu einer Predigt v. Bodelschwinghs aus Anlass der durch englische Bomben getöteten BethelKindern hielt sie pathetisch fest, »wie nun auch auf diese armen Kinder ein Teil von dem Glanz gefallen sei, der auf allen ruht, die für das Vaterland gestorben sind – in aller Bescheidenheit« (Tgb. 30. September 1940). (52) Nur selten sprach sie ihre Option für den Nationalsozialismus auch direkt aus: »Der Nationalsozialismus verändert das Angesicht der Erde dadurch, daß dieser Krieg die anderen Völker zwingt, ihre Lebensweise umzustellen, soziale Reformen mindestens zu versprechen usw.« (Tgb. 1. Februar 1941). (53) Krieg und sein Kriegsgrauen nahm sie als politische Notwendigkeit hin und bedauerte immer wieder einmal, dass sie selbst dabei nicht mitmachen konnte: »Frau Köcher erzählte gestern Abend aus Gesprächen von Verwundeten und durchreisenden Soldaten bei ihrem Dienst in der Bahnhofswache. Ich bedaure sehr, daß ich dort nicht mehr sein kann. Wir erleben so den Krieg nur aus Zeitungen. Wenn wir nicht die Erfahrungen des Weltkriegs hätten, könnten wir allein daraus nichts lernen. So ahnt man freilich doch, welches Grauen sich hinter kurzen Schilderungen verbirgt. So schrieb ein PK, daß nur an einer Stelle einmal Russen in ganzen Trupps gekommen wären, zermürbt durch Hunger und Mangel an Munition. Sonst hätten sie sie in entsetzlichen Nahkämpfen Mann für Mann töten müssen. Jetzt ist es in Rußland schon sehr kalt« (Tgb. 23. Oktober 1941). (54) Auffällig war ihre eher verhaltene Haltung zu den Juden: »Gollwitzer ist jetzt eingezogen. Er sei verlobt mit einem nichtarischen Mädchen, früheren Schülerin des Burckhardthauses. Diese nichtarische Verlobung ist meiner Meinung nach auch nur aus Widerspruchsgeist zustande gekommen« (Tgb. 30. Oktober 1941). Mit anderen Worten: Sie billigte diese Verbindung nicht. Aber direkt sagte sie das nicht. (55) Ganz ohne Kommentar teilte sie mit: »Bericht eines jungen Soldaten (B.) nach Hause (aus dem Osten): ›Schrecklich sind die Juden-Erschießungen. Sogar Säuglinge werden erschossen‹« (Tgb. 18. Dezember 1941). Hielt sie das für möglich? Sie sagte auch hierzu nichts. (56) Anteilnahme äußerte sie immer wieder für die Soldaten im Feld: »Im Grunde denkt jetzt Keiner viel an etwas anderes als an die Soldaten, die kämpfen, bluten, sterben, vielleicht auch noch frieren und hungern. Und an alle, die in Deutschland an sie in Liebe denken und denen das Herz bricht« (Tgb. 22. Dezember 1941). (57) Von den Reden Hitlers, übertragen im Rundfunk, fühlte sie sich auch im weiteren Verlauf des Krieges nach wie vor angetan: »Der Führer sprach sehr gut, man hatte das Gefühl, daß er innerlich ruhiger war als sonst manchmal. Er war nicht so entsetzlich scharf wie mitunter, mehr humoristisch, das wirkt sehr gut. Sehr fein war, was er über die Leistungen der Soldaten sagte, wie man das Erleben das draußen vor dem Feind überhaupt nicht schildern kann, das weiß nur, wer dabei war« (Tgb. 3. Oktober 1942).

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(58) Im Kriegsgeschehen stand die Tagebuchschreiberin ganz auf deutscher Seite, nahm gleichermaßen emotionalen Anteil an den Siegen, Niederlagen und Rückzügen der deutschen Wehrmacht, war aber nicht völlig unsensibel für das Grauen, das der Krieg hervorrief. Auf den Einwand einer Kollegin, dass mit den Bombardierungen Coventrys den Engländern gegenüber Mitleid nicht angebracht sei, bedachte sie: »Als wenn ich Engländer schonen und unsere Deutschen am Atlantikwall kaputt gehen lassen wollte. Ich sehe schon, was sein muß. Aber muß man nicht an Gott denken angesichts dieses Grauens, das da angerichtet worden ist?« (Tgb. 6. Juni 1944). (59) Von Fall zu Fall bedauerte sie, dass sie im Kriegsgeschehen aufgrund ihres Alters keine aktive Rolle spielen konnte. Angesichts der Bombardierungen deutscher Städte beklagte sie: »Die Berichte waren so, daß es einem wieder schrecklich schwer wurde, nicht dabei zu sein. Frauen können jetzt Flakhelferinnen werden. Leider bin ich zu alt dazu« (Tgb. 19. Juni 1944). (60) Überhaupt war M. Begas davon überzeugt, dass auf absehbare Zeit auch Frauen zu den Waffen gerufen würden: »Ich bin ja schon seit Jahren davon überzeugt, daß wir eines Tages die Frau als Mitkämpferin an der Waffe erleben werden. Es ist nur eine Frage kurzer Zeit, und ich bedaure nur, daß ich zu alt bin, um dabei zu sein. Wenn es möglich sein sollte, tue ich es bestimmt« (Tgb. 12. Oktober 1944). (61) Darüber noch hinausgehend bekannte sie an anderer Stelle: »Wie glücklich wäre ich als Mädchen gewesen, wenn ich Soldat hätte sein dürfen! Ich bin entschieden zu früh geboren. Ruth auch. Ruthi würde sich gut eignen … Ich erregte im Kränzchen Anstoß mit meiner Einstellung zum weiblichen Soldatentum. Es äußerte sich in tiefem Schweigen. Aber ich habe schon öfter hören müssen, was man darüber denkt: Abenteuerlust! Erlebnisdrang! Na – mit meinen 61 Jahren! Ich habe diese Sehnsucht schon als kleines Kind gehabt und festgehalten bis heute. Ich halte sie für angeboren, gerade wie die Jagdpassion, die verstandesmäßig ja auch nicht zu erklären ist, besonders nicht bei Frauen« (Tgb. 20. Oktober 1944). (62) Über das Attentat auf Hitler berichtete sie zwar, gab dazu aber nicht einmal jene Bewertung ab, zu der sie seitens einiger Mitglieder des Betriebs – wie sie selbst berichtete – aufgefordert worden war (Tgb. 21. Juli 1944).

Zusammengefasst ergibt sich folgendes Bild über die Einstellung der Tagebuchschreiberin zum Nationalsozialismus, die sie gemäß der lutherischen Zwei-Reiche-Vorstellung vollständig im Einklang mit ihrem Glauben wusste: Wie damals weithin üblich stimmte sie dem Nationalsozialismus als Weltanschauung und Regierungsform in einem allgemeinen Sinne grundsätzlich zu. Sie hielt ihn für ein politisches Modell, an dem sich auch die anderen europäischen Völker eines Tages würden messen lassen müssen. Die Hauptschriften des Nationalsozialismus von Hitler und Rosenberg hatte sie mindestens teilweise gelesen. Mehr aber noch war Hitler für sie ein politischer »Titan« der Zeit, ein »gigantischer Mensch«; denn nur ein solcher vermochte es, die Geschicke Deutschlands verantwortlich zu gestalten, wie z.B. in der Expansionspolitik (Österreich; Tschechoslowakei) und in der Inszenierung eines Krieges, die M. Begas beide mit großer innerer Zustimmung bejahte. Hitler war für sie wie für viele damals so etwas wie die Seele des Nationalsozialismus. Seine Reden begeisterten sie immer aufs Neue. Sie hatte bis in die späten Kriegsjahre nicht den geringsten Zweifel, dass er

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Deutschland zum Siege führen würde. Ihrer Überzeugung verlieh sie dadurch Nachdruck, dass sie 1937 einen Antrag auf Mitgliedschaft in der NSDAP stellte. Berührt war sie auch vom Antisemitismus der Zeit, aber nicht in exponierter Weise. Sie dachte völkisch (deutsch) und rassisch, differenzierte aber: Getaufte Juden gehörten für sie ohne Wenn und Aber zur christlichen Gemeinde; das kirchliche Leben musste nicht von allen jüdischen Elementen gereinigt werden. Aber sie trat nicht für Juden ein, auch nicht für christliche. Damit war sie repräsentativ für die BK. Typisch war ihre Haltung zum »Judensturm« (Reichskristallnacht). Sie stellte die Geschehnisse dar, wie sie ihr zugetragen worden waren, wie sie sie selbst gesehen hatte und wie sie ihr durch die Medien vermittelt worden waren.228 Aber sie tat das mit einem spürbaren Missbehagen und beklagte die verheerende außenpolitische Wirkung des »Judensturms«. Sie war auch sonst offenkundig nicht einverstanden mit dem, was Juden angetan worden ist. Aber sie sagte nicht, dass hier Unrecht geschehen und die Würde von Menschen mit Füßen getreten worden war oder dass die Anfeindungen gegen die Juden reichsweit beendet werden müssten. Wohl aber zitierte sie etwas längere Textabschnitte aus einer Bußtagspredigt des Pfarrers Jan aus Oberlenningen, in der dieser sich eindeutig gegen das Unrecht wandte, das den Juden beim »Judensturm« angetan worden war.229 Man kann wohl davon ausgehen, dass Begas sich mit dieser Position identifizierte. An zwei Stellen machte sie aber deutlich, dass sie mit einzelnen Aussagen Jans nicht einverstanden sei, z.B. dort, wo er sich über die Juden als Rasse äußerte. Vor Eheschließungen mit Juden warnte sie. Ins Bild passt, dass sie sich bereits 1935 gegen »übertriebene Judenhetze« gewandt hatte, aber eben nicht gegen die Judenhetze überhaupt! Die Tagebuchschreiberin war in vielfältiger Weise emotional stark mit dem Nationalsozialismus verbunden. Das hat sie gegen Kritik an ihm weitestgehend immunisiert. Nur in einem Punkte distanzierte sie sich vom Nationalsozialismus, und zwar mit aller Entschiedenheit, dort nämlich, wo er sich kirchen- bzw. religionsfeindlich gab, Eingriffe auf das kirchliche Leben verübte oder wo er Aktionen von kirchlichen bzw. religiösen Gruppen unterstützte, die nicht in Bibel und Bekenntnis gegründet waren. Solche Unterstützung unterstellte sie – gegen die historische Erfahrung – sowohl bei den Deutschgläubigen als auch in besonderer Weise bei den DC in Thüringen. Im Falle der Deutschgläubigen ist diese allerdings überhaupt nicht geleistet worden, bei den KDC nur von Fall zu Fall. Hitler nahm sie aus ihrer Kritik aus. Er habe ja mit der Einrichtung eines Kirchenministeriums unter Kerrl zur Versöhnung mit den Christen beitragen wollen. Aber es seien »christentumsfeindliche Kräfte am Werk«, die diesen Kurs hintertrieben bzw. sabotierten, vor allem Goebbels, aber auch Himmler.230 Es gäbe Kräfte in der NSDAP, die »bereits weit über Hitler hinaus« seien.231 Sie argwöhnte, dass es Nationalsozialisten gäbe, die überhaupt keine Religion mehr hätten, nicht einmal mehr eine »deutsche«.232

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Vgl. verschiedene Tgb.-Eintragungen ab 10. November 1938. Tgb. 17. Dezember 1938. Vgl. Tgb. 2. und 3. November 1935. Tgb. 16. November 1935. Tgb. 23. April 1936.

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In ihrem Tagebuch beschrieb M. Begas, wenngleich nur in knapper Form, das gesamte Panorama des Kirchenkampfes, wie es in dieser Form bisher auch historiographisch noch nicht in den Blick gekommen ist. Es ist in groben Zügen eine Darstellung des Thüringer Kirchenkampfes in nuce. Wertvoll sind insbesondere ihre Ausführungen über die Auseinandersetzungen in den Gemeinden oder im LKR, Szenarien, mit denen die Alltagsgeschichte des Kirchenkampfes beleuchtet und erschlossen werden kann. Ideal wäre eine Zusammenführung der Arbeiten von Begas und Stegmann233 mit den beiden neueren Spezialarbeiten über die Lutherische Bekenntnisgemeinschaft234 und über die Kirchenbewegung Deutsche Christen235 zu einer neuen Gesamtschau des Kirchenkampfes in Thüringen. Begas berichtete über den Kirchenkampf, was ihr zu Ohren gekommen war. Das ist wörtlich zu nehmen. Denn nach eigener Aussage verfügte sie über eine Reihe von Kontakten im eigenen Hause, mit denen sie von Fall zu Fall über die ganze Zeit des Dritten Reiches die jeweils aktuelle Lage des Kirchenkampfes und seine Zukunft diskutierte bzw. den üppig wuchernden Gerüchten, Prophezeiungen, Prognosen, Spekulationen und Verdächtigungen nachging. Ihre Vertrauten, die auf der Seite der Bekenntnisgemeinschaft standen (ohne ihr offensichtlich anzugehören) und die ihr gelegentlich auch Schriftstücke aus dem Haus zugänglich machten, waren vor allem Hanna Linde, die Sekretärin von Dr. Otto Volk, Friedrich Bernewitz aus dem Volksdienst, Therese Paulssen, Frieda Sommer und Ruth von Ranke, die »Hausdame« im Thüringer Predigerseminar Eisenach.236 Aber auch mit anderen Personen des Hauses, die deutschchristlich orientiert waren oder die keine klare Position einnahmen, Angestellten, Kirchenräten oder auch dem Landesbischof selbst, besprach sie immer wieder die jeweils aktuelle Lage und ließ sich von ihnen ins Gespräch ziehen, differenzierte aber nach Personen, auf deren Informationen man sich allgemein verlassen konnte oder nicht.237 Bernewitz bezeichnete sie selbst als ihren »Vertrauensmann«238, der allerdings zu Zeiten als Informationsträger ausfiel, weil er – wie er selbst angegeben hatte – unter Beobachtung stand.239 Sie hatte auch – von Fall zu Fall oder ständig? – einen »Vertrauensmann« in den Sitzungen des LKR.240 Daneben verfügte sie mindestens zeitweise über Kontakte nach Berlin, »Berliner Quelle«241, die aber offenbar nicht sehr ergiebig war. Über einen Vertrauensmann kommunizierte sie mit dieser Quelle.242 Naturgemäß nannte sie dazu in ihrem Tagebuch keine Namen. Die Verbindung nach

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Stegmann, Kirchenkampf. Helaseppä, Lutherische Bekenntnisgemeinschaft. Böhm, Deutsche Christen. Zu ihren »Stammgästen« im Betrieb, mit denen sie sich also regelmäßig besprach, zählte sie an anderer Stelle: »Frl. Linde, Bernewitz, Wiegand von der Pfründe, Andres« (Tgb. 2. November 1934). Vgl. z.B. ihr Urteil über Auerbach Tgb. 7. März 1937. Tgb. 27. März 1935 Tgb. 24. Oktober 1935. Tgb. 7. August 1936. Tgb. 22. Juli 1935. Tgb. 7. November 1935; ihr wurde in diesem Falle ein Brief zugespielt.

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Berlin hatte ein wenig konspirativen Charakter.243 Solche Informationen nutzte sie, um besser abschätzen zu können, wie sich die Verhältnisse in Thüringen aus der Sicht der DEK und des Kirchenministeriums entwickeln würden bzw. sollten. Die besten Informationen aber erhielt sie durch den ständigen, nahezu täglichen Kontakt mit E. Otto über die Jahre bis 1938. Eine weitere Quelle ihrer Informationen vom Alltag des Kirchenkampfes in Thüringen waren lokale Zeitungen und Zeitschriften, allgemeine wie vor allem kirchliche, aus den unterschiedlichsten kirchenpolitischen Lagern, die sie ständig beobachtete. Sie kannte damit immer den jeweiligen Stand des Kirchenkampfes und vermochte abzuschätzen, wie sich die Lage in Thüringen entwickeln würde in Korrespondenz mit den Verhältnissen im Reich und den anderen Landeskirchen. Wo sich reichsweite Maßnahmen der Reichskirchenregierung, der Vorläufigen Kirchenleitungen I und II, der Deutschen Evangelischen Kirche oder des Reichskirchenministeriums auf die landeskirchlichen Verhältnisse in Thüringen ausgewirkten, war sie authentisch. Dies war die Tagebuchschreiberin vor allem aber in den (bis 1938) mehr als 100 Szenen aus dem Alltag des Kirchenkampfes, die sie entweder selbst miterlebt hatte oder die ihr sozusagen unmittelbar zugetragen wurden: Geschichten aus dem Alltag, von einem Gemeindetag, der von den DC gestört wurde244, von einer Frau, die testamentarisch festgelegt hatte, dass kein deutschchristlicher Pfarrer sie beerdigen dürfe245, von Dorfpfarrern, die des Amtes enthoben wurden, und vieles andere mehr.246 Diese z.T. skurrilen Alltagsszenen werden meistens nur knapp skizziert; aber sie regen ungemein an, in Archiven nach Dokumenten zu suchen, mit denen sich die geschilderten Ereignisse umfassender rekonstruieren lassen. Überhaupt erschließt sich über das Tagebuch eine ganz neue Dimension des Kirchenkampfes. Es wird nämlich deutlich, dass er – bis dahin wenig beachtet – auch in den Gemeinden und in deren Alltag stattgefunden hat. Der historiographische Blickwinkel kann mindestens punktuell verschoben werden. Erst mit dem Blick auf das Alltagsgeschehen des Kirchenkampfes erschließt sich das Material des Tagebuchs in seiner ganzen Breite und Vielfalt. Das mag an einem Beispiel deutlich werden. Während die Ankündigung der Kirchenwahlen durch Hitler Anfang 1937 der Geschichtsschreibung kaum der weiteren Beachtung wert sind, weil sie schließlich nicht stattgefunden haben, dokumentierte Begas, dass sie im Alltag der Gemeinden und des kirchlichen Lebens eines der beherrschenden Themen des ganzen Jahres gewesen ist.

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»Eben wurde ich durch einen Wink von dem Mann, der mit der Berliner Quelle befreundet ist, die Treppe hinunter in den Keller in die stockdunkle ›Gasschleuse‹ gelockt. Dort flüsterte er mir zu, Brauer hätte mit ihm verhandelt. Der V.Dienst brauchte noch Platz für 5 Personen« (Tgb. 8. November 1935; vgl. auch Tgb. 25. Juni 1936). Vgl. Tgb. 15. November 1935. Vgl. Tgb. 13. September 1935. Vgl. den Fall des Pfarrers Wilhelm Müller aus Kaltenwestheim, der sich von der ersten Eintragung am 8. Juni 1935 über zahlreiche weitere Eintragungen über den ganzen Jahrgang 1935 hinzieht.

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Darin bündelten sich die Hoffnungen vieler Menschen in den bekennenden Gemeinden auf Veränderung der kirchlichen Lage.247 M. Begas zeigt, dass Kirchenkampf nicht nur der Schlagabtausch der großen kirchenpolitischen Parteien war, sondern auch zermürbender Alltag in vielen Gemeinden. Da wurden Kirchen- und Gemeinderäume vorenthalten, Pfarrer politisch denunziert und verunglimpft, beurlaubt und entlassen, Gottesdienste und Gemeindeversammlungen gestört, Gestapo und Polizei eingeschaltet. Vom autoritären und anmaßendem Auftreten der DC ist die Rede, von ihren Unstimmigkeiten untereinander, von ihrem rüden Verhalten anderen und gelegentlich auch den eigenen Genossen gegenüber. Besonders in den Szenen aus dem Kirchenkampfalltag gewinnt man den Eindruck, ihn gleichsam mitzuerleben – Kirchengeschichte live! Alltagsgeschehen des Kirchenkampfes bedeutet schließlich auch, dass er sich widerspiegelt im Umgehen der Menschen untereinander im LKR (»Betrieb«; »Vatikan«). Vom Hausmeister und Fahrer bis zum Bischof waren alle Arbeiter, Angestellten und Beamten irgendwie von ihm erfasst. Auch wenn man den subjektiven Faktor des Tagebuchs sehr hoch wertet, ergibt sich doch ein verheerender Sittenspiegel des Betriebs, der von keinerlei christlichen Moral mehr bestimmt war: Man misstraute sich gegenseitig, war von Denunziationen bedroht248, musste »flüstern« und »tuscheln«,249 um nicht auffällig zu werden. Man musste darauf achten, nicht zu häufig mit denen gesehen zu werden, von denen der Betrieb wusste, dass sie sich zur BK hielten; man ließ andere über die Sekretärin ausforschen und anderes mehr. Anfang Dezember 1934 notierte Begas: »Ich merke die Stimmung im Haus immer an der Art, wie ich gegrüßt werde. Der Landesbischof hat mich gestern in der großen Halle einfach nicht gegrüßt […].250 Im Haus werden die Leute danach beurteilt, ob sie zu mir Beziehungen haben oder nicht.«251 Grotesk auch das Verhalten der beiden Freundinnen und Gleichgesinnten: »Frl. v. R. [Ranke] u. ich lassen uns nicht gern im Dienstgebäude zusammen sehen. In diesen schwer erträglichen Tagen mußten wir uns aber doch ein paarmal sprechen. Einmal saßen wir in der halbdunklen ›Gasschleuse‹ zwischen Sägespänen und Werkzeugen vor dem Archiv und flüsterten. Plötzlich kam Jemand und wir lauschten atemlos, aber er

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Ausgehend von dem bei Begas gebotenen Material würde es sich anbieten, eine Studie abzufassen zum Thema »Die Kirchenwahl 1937 in Thüringen. Ankündigung, Auswirkungen in den Gemeinden, Scheitern«. »Die Spitzelei hier im Haus (wie überall) scheint fürchterlich zu sein. Weil Wiegand und seine Frau vor Jahren einmal aus Interesse an einem Gottesdienst der Neuapostolischen teilgenommen haben, ist er beim LKR denunziert worden« (Tgb. 18. Juni 1936). Vgl. Tgb. 12. November 1935 u. öfter. Aber auch die Tagebuchschreiberin mochte nicht mehr jeden grüßen, wahrte aber noch irgendwie die Umgangsformen: »Am Ausgang des Pflugensberges standen Stüber, Bauer und Männel beisammen. Die Gesichter! Man hätte sich fürchten können! Ich mußte zuerst grüßen (ich ging zu dicht an ihnen vorbei, um sie zu ignorieren)« (Tgb. 15. Oktober 1935). Tgb. 9.u. 15. Dezember 1934, 17. Februar 1935 und 20. Januar 1937.

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ging vorüber. Sonderbare Augenblicke waren das. Ich bin 54 Jahre alt. Welcher Unterschied mit dem Leben meiner Mutter und meiner Großmutter. Die waren bestimmt nie in solchen Situationen. Frl. v. Ranke ihre wahrscheinlich auch nicht.«252 Sie beobachtete auch die Menschen, die wesentlich dieses Milieu im LKR geprägt haben. Hier wog natürlich der subjektive Faktor besonders schwer. Ihre massiven Urteile z.B. über den Landesbischof Sasse, den sie mehr für einen Nationalsozialisten als für einen Christen hielt,253 und über den ersten Juristen des Hauses, Dr. Volk, beschrieben als Mann ohne berechenbare Einstellung und bei den DC auf dem Pflugensberg sich anbiedernd, können einer objektiveren Bewertung möglicherweise nicht standhalten. Ein Dorn im Auge waren Begas im LKR »die feigen Subalternen, in deren Hirn jede selbständige Meinungsäußerung schon ein Verbrechen ist«.254 Damit meinte sie die Angestellten des Hauses, mit denen sie täglich zu tun hatte und die im Kirchenkampf keine klare Stellung bezogen, aber das schlimme Milieu des Hauses wesentlich mit prägten. Sie »machen jetzt Bogen um mich – grüßen mich kaum oder überhaupt nicht. Sogar Zenker wagte nicht aufzusehen, als ich gestern in die Geschäftsstelle kam und antwortete kaum auf meinen Gruß. Es sind schon Zustände.« Aber die Tagebuchschreiberin beteiligte sich auch selbst an dem schlechten Umgangsstil im Hause, indem sie sich z.B. weigerte, einem Mitglied der Kirchenleitung eine Schrift von Otto zugänglich zu machen.255 Die zahlreichen Äußerungen im Tagebuch über einzelne Personen in Leitungsfunktion sind – natürlich kritisch gelesen – ein gutes Ausgangsmaterial zur Erstellung kleinerer oder auch größerer Biographien. Weiter beklagte sie den rüden Umgangston im Hause. Immer wieder hatte sie dabei den Kirchenrat Lehmann im Visier: »Gestern Abend soll es noch einen Krach zwischen Lehmann und Volk gegeben haben wegen eines Briefes an Bauer-Gotha betr. SchultzeRöpsen. ›Dieses Krebsgeschwür (Schultze-Röpsen) muß aufgebrochen werden‹, hat Lehmann geknirscht. Volk hat den Brief ändern wollen, hat aber nicht obgesiegt.«256 An anderer Stelle heißt es: »Es wurde mir erzählt, was die ›Kollegen‹ oben auf dem Pflugensberg sich manchmal an die Köpfe werfen. Hauck zu Gaspar: ›Du bist auch so einer, der mit dem Stenogrammblock in der Kirche auf der Galerie sitzt. Was kriegt Ihr denn für die Stunde, Ihr Spitzel??‹ Vor Zeugen.«257 Dass es zu heftigen Auseinandersetzungen und verbalen Attacken kommt, geschieht natürlich in jeder Behörde. Aber was M. Begas mitteilte, war der Umstand, dass solche Unstimmigkeiten sich unter Kirchenkampfbedingungen mit der Übernahme schroffer Konfrontationen der kirchenpolitischen Gruppen erheblich verschärft haben. Es ist kaum zu glauben – aber Leutheuser hatte sich dazu verstiegen die BK als »Bekenntnisgeschmeiß« zu bezeichnen. So sprachen Christen über Christen in Thüringen! 252 253 254 255 256

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Tgb. 19. Februar 1938. Tgb. 15. Juni 1934. Tgb. 21. November 1934. Tgb. 15. April 1937. Tgb. 7. Juli 1937. An anderer Stelle heißt es: »Am Sonnabend sei hier im Hause furchtbarer Krach gewesen im Zimmer vom Labi; Stüber, Volk u. Franz dabei. Man hat Sasse in der Großen Halle brüllen hören: ›Diese Halunken! Diese Hunde! Und dann stehen sie auf den Kanzeln …‹ Weiter wurde nichts deutlich verstanden« (Tgb. 8. März 1937). Tgb. 7. Januar 1938.

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M. Begas beklagte vor allem auch das Denunziatentum, das mit dem Kirchenkampf in den Betrieb eingezogen war: »Die Spitzelei hier im Haus (und überall) scheint fürchterlich zu sein. Weil Wiegand und seine Frau vor Jahren einmal aus Interesse an einem Gottesdienst der Neuapostolischen teilgenommen haben, ist er beim LKR denunziert worden. Zenker hat ihn in die Geschäftsstelle kommen lassen und befragt. Bö. hat Wiegand nachher unter Diskretion verraten, daß ein alter Pg., der Wiegand immer sehr höflich grüßt, den langen Schmidt (Amtswalter von K.d.F.) beauftragt habe, die Behörde darauf aufmerksam zu machen, daß Wiegand im Verdacht stehe, zur Sekte der Neuapostolischen zu gehören. Ein kleines Beispiel für das ekelhafte Denunziantentum, das wie ein Gift das Volk zerfrißt. In diesem Fall ist gar nichts zu machen (wie gewöhnlich), da Bö. nicht bloßgestellt werden darf.«258 Ähnliche Zustände herrschten im ganzen Haus. 1938 kam sie zu dem generellen Urteil: »Es wird immer sonderbarer hier oben auf dem Pflugensberg.«259 Und etwas später heißt es: »Und trotz allem heute hier im Haus: Feindschaft, Mißtrauen. Obwohl der Augenblick alle zusammenschließen müßte. So tief hat sich das Gift gefressen. 10 Minuten später. Eben ging ich durch das Haus. Seltsam. Was ist aus uns geworden. Viele grüßen garnicht. Kein Gedanke an das große Geschehen.«260 Alles zusammenfassend resümierte sie schließlich: »Die Stimmung im Haus ist ekelhaft.«261 An dieser Schilderung aus dem LKR kann man geradezu handgreiflich ablesen, wie der Kirchenkampf sich im Verhalten der Menschen – vom Hausmeister bis zum Landesbischof – niedergeschlagen hatte. Er schuf ein Klima des Misstrauens und der Verdächtigungen, der Unruhe und ständigen Spannungen, des Flüstern und Tuschelns, verleitete zu Verleumdungen, Intrigen, Unterstellungen und Denunziationen, brachte Bekanntschaften und Freundschaften auseinander – von christlicher Geschwisternschaft keine Spur! Insgesamt gesehen befand die Tagebuchschreiberin sich im »Betrieb« wegen ihrer erklärten Parteinahme für die LBG, insbesondere aber für E. Otto, den Hauptgegner des LKR der Thüringer evangelischen Kirche, in einer weitgehend isolierten Situation, die auch nach dem Ende des Dritten Reiches offenbar andauerte. Am 25. September 1935 hielt sie fest: »Wenn ich durchs Haus gehe, habe ich das Gefühl, Spießruten zu laufen.«262 Mehr noch: Sie spürte wegen ihrer erklärten Parteinahme für die BK offene Feindschaft.263 Auch auf der Straße schnitt man sie.264 Und sie grüßte dann auch nicht mehr zurück.265 Es ist nachvollziehbar, dass die Tagebuchschreiberin durch solche Verhältnisse, die sich ja Tag für Tag auf dem Pflugensberg vollzogen, auch psychisch hoch belastet war. 258 259 260 261 262 263 264 265

Tgb. 18. Juni 1936. Tgb. 27. Januar 1938. Tgb. 12. März 1938. Tgb. 19. Mai 1938. Vgl. auch Tgb. 26. Oktober 1934 und Tgb. 12. Dezember 1936. Tgb. 14. Mai 1937. Tgb. 31. Mai 1937. Tgb. 4. Juni u. 18. Oktober 1937.

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Generell fühlte sie sich aber nicht nur belastet durch das schlechte und bedrückende Betriebsklima im LKR, sondern auch durch die Spaltung der BK, durch die politische Verleumdung der BK seitens der KDC als »Hochverräter«, Staatsfeinde, Reaktionäre, durch die mangelhafte Information über die weitere Entwicklung der Kirchenpolitik in Thüringen und im Reich, durch die Angst, selbst wegen ihrer Mitgliedschaft in der BK entlassen zu werden. Man kann wohl nachempfinden, dass sie sich von Zeit zu Zeit in einen Zustand der »Verzweiflung« versetzt fühlte, innerlich »fertig« war und nicht schlafen konnte, die Lage für sich kaum noch erträglich fand, sie gar als »trostlos« oder als »Qual« bezeichnete und schreiben musste: »Mir ist das Herz so schwer.«266 Für viele Momente lässt sich verallgemeinern, dass sie Ende des Jahres 1933 schrieb, sie betrete ihr Büro in Erwartung »gewaltiger Stürme« und mit »Zittern und Zagen«.267 Später gab sie ihre Stimmung in der folgenden Weise wieder: »Ich las gestern diese Notizen wieder einmal durch und fand, daß sie den Eindruck, den sie geben, nicht vermitteln. Nicht die Spannung, in der wir leben und nicht das Gesamtbild, das die kleinen Einzelheiten geben. Es gehört dazu eben doch die Erfahrung des 100x Erlebten, die man einem anderen nicht vermitteln kann. Es ist als ob man durch die Lupe betrachtet, was der andere nur mit bloßem Auge sieht.«268 Trost angesichts der ständigen Anfeindungen der DC suchte sie in den Gottesdiensten, Andachten und Bibelstunden von E. Otto, die sie meistens tief beeindruckt haben: »Otto predigte in der Georgenkirche – ein wundervoller Text aus Matth. 10: Rede Jesu an die Jünger, als er sie zum ersten Mal aussendet. Inhalt: Christentum ist schwerster Kampf, aber – fürchtet Euch nicht! Der vorgeschriebene Text. Vorher am Lesepult Lesung aus Jeremias, Schilderung des Kampfes mit den Feinden u. Prophezeiung des Sieges. Es paßte einfach unglaublich in die kirchliche Lage, so, daß ich dachte, in den spannungsreichsten Zeiten des Kirchenkampfes, etwa in Westfalen oder in Sachsen hätte ein ahnungsloser Geheimpolizist in dieser Textverlesung einen Anlaß gesehen, einzuschreiten (v. Rabenau: Ihr sollt Gott mehr gehorchen als den Menschen!) Auch in der Bibelstunde habe ich manchmal so unheimliche Gefühle gehabt beim Singen der Kampflieder aus der Reformationszeit.«269 An anderer Stelle hat sie noch direkter ausgesprochen, was ihr die Predigten Ottos im Kirchenkampf bedeuteten: »Und Ottos Predigt am Sonntag nachmittag! – Da geschah schon ein Wunder. Ich, völlig ausgelöscht, wie ich war, kriegte wieder Mut! Er sprach über einen langen Text aus dem Korintherbrief ›Fürchtet euch nicht … als die Gestorbenen und siehe, wir leben …!‹270 Ich begriff das Kreuz. ›Alle Verheißungen gelten nur der Kirche unter dem Kreuz.‹ Ich begriff, daß es nicht heißt ›aus dem Leben ausgestrichen sein‹, wenn alles um einen herum schwarz ist, sondern, daß man auch dann mitten im Leben ist. Oder sogar: Gerade dann! – Es war wirklich so, ich war ein 266 267 268 269 270

Tgb. 23. Juni 1937. Tgb. 4. Dezember 1933. Tgb. 8. Juli 1938. Tgb. 4. November 1934. II Kor 6,9; der Vers wird nicht eingeleitet durch »Fürchtet euch nicht«; allerdings ist diese Passage aufschlussreich für die seelische Situation der Tagebuchschreiberin: so wollte sie es im Text gehört haben.

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ganz anderer Mensch nach dieser Predigt. Ich beschloß, mit allen Illusionen Schluß zu machen, nicht mehr auf Künftiges zu bauen, sondern ganz in der Gegenwart zu leben, die Situation zu nehmen, wie sie ist. Otto hatte u.a. gesagt: Die meisten Menschen seien immer auf der Flucht vor der Gegenwart. Sie retten sich in die Vergangenheit oder träumen in die Zukunft. ›Das Kreuz tragen«, das heißt auch, ganz in der Gegenwart leben u.s.w.‹ Es war eine ganz wunderbare Predigt. Voll Feuer. Nicht ›schön‹ und nicht ›erbaulich‹. Aber wahr.«271 Im Nachlass Marie Begas [H.] befindet sich auch ein Andachtsbuch von E. Otto, das er der Tagebuchschreiberin zu Weihnachten 1938 hatte zukommen lassen.272 Sie hat es erkennbar benutzt. Einzelne von ihr eingetragene Bleistiftvermerke weisen allerdings erst auf die Jahre 1953 und 1954. Ernst und Martha Otto dedizierten das Buch mit handschriftlichem Eintrag »Unserer lieben Frau Begas als ein Zeichen herzlicher Freundschaft und als Dank für viel Treue.«

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Tgb. 16. Februar 1937. Otto, Unter den ewigen Armen,1939.

2. Das Tagebuch

2.1. Zur Textgestaltung und Kommentierung Die Druckfassung des Tagebuchs der Marie Begas ist die durchgehend wort- und zeichengenaue Übertragung der Handschrift. Abweichend davon sind nur einige wenige Veränderungen vorgenommen worden, die der besseren Lesbarkeit und Benutzbarkeit des Tagebuchs dienen. Sie sind rein formaler Natur. Gegenüber der Handschrift wurden im Einzelnen die folgenden Veränderungen stillschweigend vorgenommen: (1) Offenkundige Schreibfehler wurden beseitigt, vor allem bei auch bei Namen. So schreibt Marie Begas z.B. regelmäßig »bischen« (statt bißchen), »blos« (bloß), »Brackhage« (Brakhage), »Bürkel« (Bürckel), »Gehstapo« (Gestapo), »Göbbels« (Goebbels), »Jakobi« (Jacobi), »Johnson« (Johnsen), »kaput« (kaputt), »Klotzsche« (Klotsche), »Köppen« (Koeppen), »Mythos« (Mythus), »Leutheusser« (Leutheuser), »Zöllner« (Zoellner). Immer wieder einmal sind diese Wörter und Namen allerdings auch korrekt bzw in eigentümlichen Abkürzungen gebraucht worden. »Irgend etwas/jemand/einer etc.« ist mal zusammen, mal getrennt geschrieben. Für den Druck haben wir – wie auch in anderen Fällen – die Schreibweise vereinheitlicht und uns für die grammatisch korrekte Version entschieden. (2) Nicht korrigiert sind dagegen eine Reihe von sprachlichen Eigentümlichkeiten der Tagebuchschreiberin, auch wenn sie hätten angeglichen werden können. So schreibt sie z.B. »Andere«, »Manche«, »Viele« mitten im Satz häufig mit großem Buchstaben. (3) Binde- und Gedankenstriche werden durchgehend unterschieden. (4) Anführungszeichen sind als französische wiedergegeben. (5) Hervorhebungen von Wörtern, Satzteilen und Sätzen durch Unterstreichungen – wie sie Seite für Seite in der Handschrift vorkommen – werden im Druck durch Kursivierungen dargestellt. (6) Die Interpunktion ist an die alte Schreibweise vor der letzten Rechtschreibreform angeglichen worden. Fehlende Zeichen (Kommata, Semikola, Punkte, Anführungszeichen) wurden ergänzt. (7) Schwierig zu erkennen und meistens nicht zu unterscheiden war in der Handschrift, wo die Tagebuchschreiberin Leerzeichen gesetzt hat bzw. setzen wollte. Deshalb wurde die Schreibweise vereinheitlicht, wie es die Tagebuchschreiberin auch hätte machen können, nämlich so, dass möglichst wenig von Leerzeichen Gebrauch gemacht worden ist. So heißt es in der Übertragung einer häufig begegnenden Abkürzung z.B. jetzt durchgehend »L.K.R.«; möglich gewesen wäre auch die Wiedergabe mit »L. K. R.«. (8) Die Tagebuchschreiberin macht häufigen und vielfältigen Gebrauch von Abkürzungen aller Art, die ohne Ausnahme beibehalten worden sind, auch dort, wo sie für

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ein-und-denselben Begriff unterschiedlich verfährt. So schreibt sie z.B. sowohl »LKR« als auch »L.K.R.« oder auch »L.K.Rat.«. Für »die Deutschen Christen« setzt sie auch: »DC«, »D.C.«, »D.Chr.«, »Dtsch. Chr.« »dtsch. Chr.« »Deutsch. Chr.«, »Dtsch. Christen« u.a. Anfangs ist die Tagebuchschreiberin noch unsicher, welchen Abkürzungen sie den Vorzug geben soll; später, ab 1935, heißt es meistens »D.Chr.« Die Abkürzungen haben also kein System, jedenfalls kein durchgehendes; sie sind aus dem Augenblick heraus gesetzt worden. Mit einem großen Buchstaben abgekürzte Namen wie z.B. »L.« werden grundsätzlich nur dann entschlüsselt, wenn sich aus dem Textzusammenhang ergibt, dass es sich um diese bestimmte Person handelt: »L.« steht meistens für »Linde«, »S.« für Sommer, aber gelegentlich auch für Sasse. Die meisten Abkürzungen lassen sich unmittelbar entschlüsseln. Wo das Verständnis abgekürzter Begriffe sich nicht selbstverständlich ergibt, haben die Herausgeber versucht, sie als Ganzwörter in eckigen Klammern nachzustellen. Wo eine Entschlüsselung nicht möglich oder unsicher war, wurde dies durch ein Fragezeichen kenntlich gemacht. Dabei sind hier und an anderen Stellen Bezeichnungen in eckigen Klammern grundsätzlich Hinzufügungen, Erläuterungen oder Fragezeichen der Herausgeber, während runde Klammern immer solche des Originaltextes sind. Auslassungen in Zitaten der Fußnoten, die durch die Herausgeber vorgenommen sind, werden ebenfalls durch eckige Klammern angezeigt. Bei der Kommentierung wurde folgendermaßen verfahren: (1) Soweit aufgrund der Quellenlage möglich ist, sind alle Ereignisse, Personen und Sachverhalte, die im Tagebuch begegnen, kommentiert und erklärt worden. Dabei konnte für die Thüringischen Interna des Kirchenkampfes auf den reichen Bestand des Landeskirchenarchivs in Eisenach zurückgegriffen werden. Nur in wenigen einzelnen Fällen sind bei anderen Archiven Auskünfte eingeholt worden. Schon arbeitsökonomische Gründe verboten es, von selbst über diesen Rahmen hinauszugehen. Man hätte sonst z.B. die Archivbestände anderer Landeskirchen einsehen müssen, mit denen die Thüringer Kirchenleitung Schriftverkehr hatte. Solche Mühe war aber auch nicht nötig, da durch den Eisenacher Bestand – mindestens in Briefdurchschlägen und Briefabschriften – die meisten Ereignisse und Sachverhalte in zufriedenstellender Weise erhellt werden konnten. (2) Sofern es nicht eigens auf den Durchschlägen von Schriftsätzen vermerkt, ist davon ausgegangen worden, dass sie auch tatsächlich abgeschickt worden sind. (3) Sofern Dokumente und kirchenpolitische Ereignisse durch die Herausgeber nicht ausfindig gemacht werden konnten, ist dies nicht eigens durch ein »nicht auffindbar« vermerkt. Die Leser/innen des Tagebuchs mögen davon ausgehen, dass die Herausgeber einige Mühe darauf verwandt haben, möglichst alle angesprochenen und besprochenen Dokumente zu finden und möglichst alle Vorgänge aufzudecken und zu kommentieren. Aber nicht immer ist das gelungen.

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(4) Ihre Informationen über die kirchenpolitischen Ereignisse entnahm Marie Begas u.a. Zeitungen und Zeitschriften. Sie hat ständig irgendwelche Zeitungen gelesen. Regelmäßig wertete sie eine ganze Reihe von allgemeinen wie kirchlichen Tages-, Wochen- und Monatszeitungen aus, soweit sie vom LKR gehalten wurden. Aber immer wieder beschaffte sie sich auch Zeitungen in der Buchhandlung Klante oder im Bahnhof, z.B. »Times« oder »Basler Nachrichten«. Eine besondere Quelle waren für sie die Zeitungsbündel des Zeitschriftenausschnittdienstes »Argus« Berlin. Sie hat diese Bündel auseinander genommen, fremdsprachige Artikel übersetzt und der Kirchenleitung zugänglich gemacht, auch der LBG, den einen oder anderen Artikel wohl auch vernichtet und anschließend – was übrig blieb samt den Übersetzungen – jahrgangsweise in Mappen gesammelt. Diese Mappen sind erhalten geblieben. Im Jahre 2008/2009 wurden die Artikel jahrgangsweise in eine chronologische Reihenfolge gebracht. Durch ein detailliert angelegtes Findbuch sind sie leicht zugänglich: »Pressearchiv des LKR (Volksdienst) – verwaltet von Marie Begas«. Auf dieses Material greift sie gelegentlich im Tagebuch zurück. Wo immer es ohne großen Aufwand an Zeit möglich war, wurden alle von M. Begas herangezogenen Zeitungsartikel nachgewiesen; bei den allgemeinen Tageszeitungen gelang das nur von Fall zu Fall, eher schon bei den kirchlichen Zeitungen und Zeitschriften. Dabei erwies es sich als besonders hinderlich, dass die Bibliotheken immer weniger bereit sind, über die Fernleihe ganze Zeitungsjahrgänge zur Verfügung zu stellen. Die Kommentierung der Tagebuchaufzeichnungen haben Heinz-Werner Koch (Eisenach) und Folkert Rickers (Duisburg) in jahrelanger gemeinschaftlicher Arbeit besorgt. Die eigentliche Transkription der Urfassung hat Pfarrer Heinz-Werner Koch vorgenommen, der von 1986 bis 1994 Leiter des Landeskirchenarchivs Eisenach war. An dieser Arbeit war ab Frühjahr 2007 maßgeblich auch die jetzige Leiterin des Landeskirchenarchivs, Frau Dr. Hannelore Schneider, beteiligt. Zudem sind die Herausgeber dafür zu Dank verpflichtet, dass Frau Schneider sich in besonderer Weise für das Projekt engagierte. Sie hat nicht nur mit verschiedenen Institutionen die Verhandlungen geführt, um das Tagebuch zum Druck zu bringen; sie hat vielmehr auch das notwendige Vor-Layout zur Vorlage beim Verlag angefertigt – eine in diesem Fall äußerst zeitraubende Arbeit. Frau Schneider hat das Tagebuch zu ihrer Sache gemacht. Ohne sie wäre seine Herausgabe wohl kaum zustande gekommen. Zur besseren Benutzbarkeit des Tagebuchs wurden den Tagebuchaufzeichnungen Biogramme angehängt, in denen ohne Ausnahme alle Personen des Tagebuchs verzeichnet sind, und zwar unabhängig von ihrer politischen und kirchenpolitischen Bedeutsamkeit, also z.B. auch die Sekretärinnen des Landeskirchenamts oder die Verwandten der Tagebuchschreiberin. Personen sind auch dann aufgeführt, wenn sich über sie nichts weiter als der Nachname ermitteln ließ. Wo es möglich war, wurden in Anlehnung an das »Personenlexikon zum deutschen Protestantismus 1919–1949« über die Personen Biogramme erstellt. Berücksichtigt wird dabei aus naheliegenden Gründen allerdings nur die Zeit des Nationalsozialismus, von Fall zu Fall allerdings auch die unmittelbar vorhergehende oder unmittelbar folgende.

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Über den üblichen Rahmen der Biogramme hinausgehend wird in einzelnen Fällen auch auf das Schicksal von Personen aufmerksam gemacht, über deren Konflikte in nationalsozialistischer Zeit im Tagebuch des öfteren berichtet wird. Meistens geht es dabei um Bekenntnispfarrer, die mit deutschchristlichen Vertretern aneinander geraten waren, die deshalb durch den Landeskirchenrat reglementiert bzw. auch ihres Amtes enthoben wurden, die sich überdies noch des Verdachts zu erwehren hatten, staatsfeindlich gesonnen zu sein, und/oder die sich schließlich gar vor nationalsozialistisch besetzten Behörden und Gerichten zu verantworten hatten und eventuell sogar in Haft genommen worden waren. Diese »Fälle« können nun stärker als die eher punktuellen Darstellungen im Tagebuch im Zusammenhang der Zeitereignisse gesehen werden. Durch diese gesondert erstellten Biogramme konnten im übrigen auch die Fußnoten etwas entlastet werden. Ein besonderes Problem ergab sich für die Herausgeber bei Personen gleichen Namens, wie bei Bauer, Müller, Otto, Pfeiffer und andere. Damit sie im Text des Tagebuches eindeutig identifiziert werden können, sind in diesen Fällen in der Regel die Anfangbuchstaben ihrer Vornamen in eckigen Klammern nachgesetzt worden (vgl. z.B. »Otto [R.]« für Richard Otto). In den »Biogrammen« ist in der ersten Zeile jeweils vermerkt, unter welchen Chiffren die Namen im Text gefunden werden können. Weiter wurde eine Übersicht der Strichzeichnungen erstellt, mit deren Hilfe Marie Begas oftmals ihre Gesprächspartner verschlüsselt notiert hat. Ein Verzeichnis der Örtlichkeiten und Bezeichnungen in Eisenach und Umgebung sowie eigentümlicher Begriffe die im Tagebuch öfter genannt werden, erschien zum Verständnis des Textes ebanfalls nötig. Das Literaturverzeichnis enthält alle in den Fußnoten genannten Titel, und zwar sowohl das zeitgenössische Schriftgut als auch die Sekundärliteratur. Das Verzeichnis führt die Schriften mit vollständigen Angaben auf; in den Fußnoten erscheinen sie zu deren Entlastung in Kurzform. Bei den Abkürzungen sind die Angaben des Abkürzungsverzeichnisses der Theologischen Realenzyklopädie von 1994 maßgebend. Weitere Abkürzungen sind in einem eigenen Abkürzungsverzeichnis zusammengefaßt. In kommentierter Form zum Druck gebracht sind nur die Jahrgänge 1933–1938. Diese Beschränkung ergibt sich daraus, dass der eigentliche Kirchenkampf in Thüringen in diesen Jahren stattgefunden hat. Er ist untrennbar verbunden mit dem ersten Leiter der Lutherischen Bekenntnisgemeinschaft, Pfarrer Ernst Otto, mit dem die Tagebuchschreiberin nicht nur freundschaftlich verbunden war, sondern dessen kirchenpolitische Aktionen sie unterstützt hat und von denen sie geprägt war. Sie hat praktisch alle Dokumente einsehen können, die durch die Geschäftsstelle der LBG gingen, hat die ausgehenden z.T. gar mit beraten. Diese unmittelbare Nähe zum Kirchenkampf gibt auch dem Tagebuch eine besondere Qualität, die nach dem Weggang von Otto 1938/1939 so nicht mehr gegeben war. In den späteren Jahrgängen tritt das Kirchenpolitische immer stärker zurück. In den Vordergrund rückt für die Tagebuchschreiberin ab 1939 das Kriegsgeschehen und das durch dieses neu zu bewältigende Alltagsleben. In den Jahrgängen bis 1938 spielen politische Vorgänge nur eine marginale Rolle, wenn man von der Reichskristallnacht, der Annektierung des Sudetenlandes oder der Eingliederung Österreichs in das deutsche Reich einmal absieht. Gleichwohl bleiben die

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späteren Jahrgänge selbstverständlich eine wichtige Quelle für den Alltag des Kirchenkampfes. Aber man spürt, dass die Tagebuchschreiberin bei weitem nicht mehr den Zugang zu den entscheidenden Dokumenten und Personen der thüringischen Kirche hat, wie zuvor. Eine Beschränkung auf die Jahre 1933–1939 nimmt auch Helaseppä in ihrer Studie über die Entwicklung der Lutherischen Bekenntnisgemeinschaft vor, begründet sie allerdings nicht und macht auch nicht den Versuch, sie irgendwie einsichtig zu machen. Bei Erstellung dieser Edition haben die Herausgeber eine Sammlung von Dokumenten zum Kirchenkampf in Thürigen angefertigt, die im Landeskirchenarchiv benutzbar ist. Aufgenommen wurden solche Dokumente, die die Tagebuchschreiberin selbst erwähnt, beschreibt und diskutiert. Sie ersetzt dem Anspruch nach zwar keine Dokumentation des Kirchenkampfs in Thüringen. Gleichwohl ist nach Einschätzung der Herausgeber davon auszugehen, dass mindestens bis 1938 alle wichtigen Dokumente zum Kirchenkampf in Thüringen der Tagebuchschreiberin bekannt gewesen und von ihr auch genannt worden sind. In der Dokumentation der von ihr genannten Schriftstücke wurde Vollständigkeit angestrebt. Die Dokumentensammlung entspricht der Intention der Tagebuchschreiberin. Denn sie hatte seinerzeit – parallel zum Tagebuch – selbst eine solche Sammlung von Dokumenten angelegt, jahrgangsmäßig in Mappen gesammelt, von ihr selbst gelegentlich als »meine Sammlung« bezeichnet. Diese »Sammlung« wurde zunächst nach 1945 von Dr. Jauernig geordnet und paginiert. Dabei sind offenbar auch einzelne Schriftstücke vom Bearbeiter aussortiert worden. Anschließend ist die geordnete Sammlung in die Hände von OKR Bauer gelangt und von diesem auf eine nicht mehr zu rekonstruierende Weise dem Gesamtbestand der Kirchenkampfakten der LBG in Gotha zugeschlagen worden (vgl. Niederschrift vom 1. Dezember 1960, LKAE, MM 55, nicht foliiert). Als der Mitherausgeber Heinz-Werner Koch seinerzeit als Leiter des LKAE den Gesamtbestand LBG zu archivieren hatte, hat er die Sammlung Begas nach strukturellen Gesichtspunkten, die bereits Marie Begas selbst so vorgenommen hatte, in drei Reihen (A; B; C) gegliedert und sie – inhaltlich sachgemäß – dem Gesamtbestand LBG mit den Signaturen LBG 266–279 (»Dokumente und Abschriften, vermutlich gesammelt von Marie Begas«) angehängt. Auf diese Sammlung konnte bei der Kommentierung gelegentlich zurückgegriffen werden. Ein besonderer Dank gilt abschließend Frau Antje Blankenburg, Studentische Hilfskraft in Duisburg und Frau Rosemarie Bergs, vor allem aber Frau Hermie Zachau, die diese Dokumente in völlig selbstloser Weise abgeschrieben haben.

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2.2. Das Tagebuch, kommentierte Texte 2.2.1. Die Tagebucheintragungen 1933 [27. Mai 1933] Der 27. Mai 1933 morgens früh im V.D.1 Halb 8 Uhr früh kommt mit d. Post ein Bündel Zeitungsausschnitte.2 Darin wird mitgeteilt, daß zwar die verantwortlichen Kirchenführer sich auf Friedrich v. Bodelschwingh als Reichsbischof geeinigt haben, daß aber die »Deutsch. Christen« dagegen Front machen u. die Ernennung des Wehrkreispfarrers Müller fordern.3 Frl. Eitner u. ich tauschen sorgenvoll unsere Empfindungen aus. Nach einiger Zeit bringt Dr. Spigaht Brief u. Artikel vom Vrbd. der ev. Sonntagspresse. Kurzer Aufsatz über Bodelschwingh, den künft. Reichsbischof! Wir jubeln. Der Brief ist vom 26. (Freitag) datiert. Man muß annehmen, daß D. Hinderer, der doch an der Quelle sitzt, ihn erst abgeschickt hat, als die Sache sicher war. Ich beginne, die Korrektur von »Gl. u. Heimat«4 umzubauen, um den Artikel einzuschieben. Inzwischen wird die Nachricht bestätigt durch kurze Mitteilung in der »Thür. Staatszeitung«, Ausg. vom 26.5.5 Um 10 Uhr werden die neuesten Nachrichten im Rundfk. durchgesagt. Nichts über den Reichsbischof. Ich fange an zu zweifeln, ob ich es wagen kann, den Artikel über Bodelschw. in »Gl. u. Hmt.« zu bringen. Inzwischen korrigiere ich einen Artikel »Fragen u. Forderungen«.6 Er schildert die konfessionell verschiedene Einstellung der im Kirchenbund7 zusammengefaßten Landeskirchen. Im Gegensatz zu dem »unierten« Preußen wird Schleswig-Holstein als Beispiel einer lutherischen Landeskirche genannt. Es liegt näher, als Gegenbeispiel Thüringen zu bringen u. ich schreibe drauf los: »In Thür. ist die Landeskirche lutherisch.«

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Zum Volksdienst vgl. Anm. 72 der Einleitung. Vgl. hierzu Anm. 76 der Einleitung. Zum Vorgang vgl. Scholder I, 388–421. Vgl. hierzu Anm. 79 der Einleitung. Die Zeitungsberichte heben auf den folgenden Vorgang ab: »Am 26. Mai 1933 kam beim zweiten Wahlgang der deutschen evangelischen Landeskirchenführer in Berlin eine Mehrheit von 52 Stimmen für Bodelschwingh bei 18 Gegenstimmen zustande. Gegen die Bedenken einiger Kirchenführer beschloß der Dreierausschuß, an der Wahl Bodelschwinghs für das Amt des Reichsbischofs festzuhalten. Die Rechtslage schien ungeklärt. Die Deutschen Christen erhoben in der Öffentlichkeit Protest und forderten Müller als Reichsbischof. Friedrich von Bodelschwingh […] übernahm sein Amt am 29. Mai mit einem Aufruf« (Meier, Kreuz, 42–43). Dieser Artikel ist weder in den Juni-Nummern der Wochenausgabe noch in der Juni-Nummer der Monatsausgabe von GuH 10 (1933) erschienen. »Nach dem Ersten Weltkrieg schlossen sich die Landeskirchen zum Deutschen Evangelischen Kirchenbund zusammen […]. Die Gründung des Kirchenbundes wurde vorbereitet durch eine Vorkonferenz in Kassel 1919 und die Deutschen Evangelischen Kirchentage in Dresden 1919 und Stuttgart 1921, seine Verfassung am 25. Mai 1922 in Wittenberg durch Bevollmächtigte aller Landeskirchen in Kraft gesetzt […]. Die Organe des Kirchenbundes bestanden bis zum Juni 1933« (Organe, 1). Der Kirchenbund war nur eine lose Vereinigung von 28 Landeskirchen (Stegmann, 17).

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Beim Durchlesen schaut mich dieser Satz so merkwürdig an. Ich fange an, nachzudenken. Wir sind doch lutherisch? Etwa nicht? Aber bestimmt! Der Landesoberpfr.8 hat doch erst kürzlich in Würzburg den Zusammenschluß der deutschen lutherischen Kirchen mit herbeigeführt u. darüber am vergangenen Montag im L.K.R. berichtet (von dieser Sitzung wurden zunächst offenbar Sensationen erwartet – sie blieben aber aus).9 Aber wir heißen doch »Thür. ev. Kirche«. Warum heißen wir nicht lutherisch wie die anderen, lutherischen Landeskirchen? Ist vielleicht evangelisch nicht »lutherisch«? Da wir nicht »reformiert« sind, müssen wir doch »luth.« sein? »Uniert« – das habe ich noch nie gehört. Das ist wohl bloß so’n Wort. Da sitze ich seit 12 Jahren an der Quelle u. habe mir immer eingebildet, wir seien eine lutherische Landeskirche! Hat die Sache etwa doch einen Haken? Es wäre doch toll, wenn ich mich irrte. Ich denke hin u. her u. werde immer unsicherer. Es ist eine Schande, aber es bleibt mir nichts anders übrig, ich muß hinüber in den L.K.R. u. einen der Kirchenräte fragen. Ich falle dem Kirchenrat D. Otto [R.] in die Hände (der Pressereferent ist beurlaubt). Das ist mir peinlich. Der wird mirs übel vermerken, daß ich nicht weiß, ob die Thür. Kirche lutherisch ist – ich, die ich seit 12 Jahren für diese Kirche arbeite! Aber was hilfts? Ich muß meine Schande eingestehen.10 Ich sitze ihm gegenüber u. beginne: 8

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Der Landesoberpfarrer war höchster Repräsentant der Thüringer evangelischen Kirche von 1920 bis 1933, Amtsinhaber war im Mai 1933 D. Wilhelm Reichardt. Unter der Herrschaft der DC wurde am 15. Juli 1933 die Bezeichnung »Landesbischof« eingeführt; Amtsinhaber waren D. Wilhelm Reichardt und ab 15. Mai 1934 Martin Sasse (gest. 28. August 1942). Mit dem Präsidialgesetz vom 6. April 1943 wurde – kriegsbedingt – das neue Führungsamt »Präsident der Thüringer evangelischen Kirche« geschaffen, das bis zum 2. Mai 1945 Hugo Rönck innehatte; dieser hatte sich etwa Mitte März 1945 selbst zum Landesbischof ernannt, wozu er sich als Präsident der Thüringer evangelischen Kirche nach dem Führerprinzip (Präsidialgesetz!) offenbar berechtigt fühlte. »Auf Initiative des bayer. Landesbischofs Hans Meiser (1881–1956) verfolgten die luth. Landeskirchen bei der Neuordnung 1933 das Ziel, innerhalb der Dt. Ev. Kirche (DEK) den ›lutherischen Zweig‹ von bekenntnisbestimmten Kirchen zusammenzuschließen (Kundgebung von Würzburg der Bischöfe der Vereinigten Luth. Kirchen Deutschlands 14.5.1933). Damit entstand unter Meisers Leitung ein informeller Bund mit anfangs beträchtlicher kirchenpolitischer Wirkung, der aber infolge der Machtergreifung der Dt. Christen in den meisten Landeskirchen zerfiel« (EKL³ 4 [1996], 1121). Zum Bekenntnisstand der TheK vgl. Jauernig, Bekenntnisstand, 86: »Der Bekenntnisstand aller Ernestinischen Landeskirchen wie der Landeskirchen der Fürstentümer ist evangelisch-lutherisch. Damit ist der Nachweis erbracht, den § 3 der Verfassung unserer Thüringer evangelischen Kirche gebieterisch fordert: Das lutherische Bekenntnis behält im ganzen Gebiet der Thüringer evangelischen Kirche weiter Geltung. Die Thüringer evangelische Kirche ist eine lutherische Kirche.« Allerdings war dieses Ergebnis so eindeutig nicht, weil z.B. das Grund-Gesetz im Fürstentum Sachsen-Altenburg in § 128 von einer »evangelisch-protestantischen Kirche […] des Landes« sprach (S. 13) und in Sachsen-Meiningen der Bezug auf die lutherische Tradition unklar blieb, zumal dort für die Gemeinde Hildburghausen so etwas wie eine Union zwischen Reformierten und Lutheranern zustande kam (S. 35–42). Unionsversuche gab es auch in Sachsen-Weimar-Eisenach, so dass das Resumee nicht ganz zu unrecht bestand: »Es ist zweifellos, daß in der größeren Hälfte der Thüringer Landeskirchen eine Fortentwicklung stattgefunden hat und anerkannt werden muß, die über die Fassung ›lutherisches Bekenntnis‹, wie sie in Reuß und Rudolstadt verstanden wird, hinausgeht« (S. 3).

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»Ich muß etwas ganz Dummes fragen. Ich schäme mich wirklich, daß ichs nicht weiß.« »So? Da bin ich neugierig.« Ich – zögernd: »Es ist eine Schande …« Er: »Das ist ja eine fürchterliche Präambel!« Ich: »Ja – also – ich – ich weiß wirklich nicht, ist die Thür. Kirche eigentlich lutherisch oder ist sie’s nicht?« Er sieht mich ganz starr an. Da er nicht gleich antwortet, fange ich an zu berichten, wie ich zu meiner Frage komme u. lege ihm den Artikel vor, der mir Kopfzerbrechen macht. Er ist sehr ernsthaft u. konzentriert u. beginnt, mit Interesse die Stelle zu lesen, die ich ihm bezeichne. Er nimmt sich sehr viel Zeit zu seiner Antwort. Vielleicht ist meine Frage gar nicht so dumm, wie mir schien? Stehen wir wirklich vor einer ungeklärten Lage? Aber das wäre doch toll! Das ist ja garnicht möglich! Das kann ja garnicht sein. Es kann nur meine Schuld sein, daß ichs nicht weiß! D. Otto [R.] hat inzwischen den fragl. Aufsatz gelesen. Er langt nach der »Verfassung« der Thür. ev. Kirche, sucht ein bißchen auf den ersten Seiten herum u. liest mir dann mit aufgehobenem Zeigefinger u. nachdrücklicher Betonung folgenden Satz vor: »Die Thür. Kirche […] ist ihrem Ursprung u. Wesen nach eine Kirche lutherischen Bekenntnisses …«11 Er sagt nichts weiter, legt das Buch aufgeklappt auf den Tisch u. sieht mich triumphierend an. Ich stelle innerlich fest, daß ich von ihm selbst keine Antwort auf meine Frage bekommen habe u. mir selbst eine suchen muß. Ich überdenke den aus der Verfassung zitierten Satz u. sage dann laut vor mich hin: »Wenn d. Thür. Kirche ihrem Ursprung u. Wesen nach eine Kirche lutherischen Bekenntnisses ist, dann ist sie – eine lutherische Kirche!« Er lacht auf, nickt mehrmals u. wiederholt fröhlich: »… dann ist sie eine lutherische Kirche!« »So,« sage ich, »dann kann ich das also schreiben« u. schicke mich an aufzustehen. Aber er hebt beschwörend beide Hände hoch: »Nein, lieber nicht! Schreiben Sie das nicht!« 11

Thüringer evangelische Kirche [TheK], gegründet 1920 als Zusammenschluss von sieben Kirchen in ehemals vier selbständigen Herzogtümern und vier Fürstentümern, die sich Anfang 1920 zur TheK zusammengeschlossen hatten (Stegmann, 9). 1934 kam als achte die lutherische Kirche von Reuß ä. L. hinzu (Stegmann, 43). Das Selbstverständnis der TheK – ein Kompromiss zwischen Liberalen und bekenntnisbewussten Lutheranern – ist in § 3 der Kirchenverfassung vom 10. Oktober 1924 zum Ausdruck gebracht: »Die Thüringer evangelische Kirche ist ihrem Wesen und Ursprung nach eine Kirche lutherischen Bekenntnisses. Sie will eine Heimat evangelischer Freiheit und Duldsamkeit sein. Der Bekenntnisgrund im Bereich der bisherigen Landeskirchen bleibt durch die Gesetzgebung unberührt. Das lutherische Bekenntnis behält dieselbe Geltung wie vor dem Zusammenschluß« (Stegmann, 10). Die Auslegung dieses Artikels war strittig zwischen den Vertretern der BK und den DC in Thüringen. Während die BK (ab 1934: LBG) das Bekenntnis betonte, pochten die DC [KDC] in bekenntnismäßiger Hinsicht auf Freiheit und Duldsamkeit. Aufgrund dieser Auseinandersetzungen benannte sich die Thüringer evangelische Kirche mit Verabschiedung der neuen Kirchenverfassung vom 2. November 1949 um in »Evangelisch-lutherische Kirche in Thüringen« (Stegmann, 116). Zur Entstehungsgeschichte der Thüringer evangelischen Kirche vgl. auch Schreier, Gründung, in: Seidel, Thüringer Gratwanderungen, 16–32.

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»Ja – aber warum denn nicht? Wenn es doch so ist?« Er langt wieder nach der Verfassung und wiederholt bedeutsam: (wie oben!) »Am Besten nehmen Sie den Wortlaut, wie er in der Verfassung steht. Dann kann Ihnen Keiner einen Vorwurf machen.« Ich fange an zu verstehen! Die Thür. ev. Kirche ist also lutherisch, aber man darf es nicht sagen. Nicht einmal ein Kirchenrat, der davon überzeugt ist, darf es sagen. Und ich brauche mich also wirklich nicht zu schämen, daß ichs nicht gewußt habe. Ganz andere Leute müssen sich schämen … »Aber der Herr L.O.Pfr. hat doch neulich in Würzburg den Zusammenschluß der lutherischen Landeskirchen mit getätigt!12 Dann gilt also doch die Thür. Kirche als lutherisch! Dann darf mans doch auch sagen – u. drucken!« Er zieht die Augenbrauen hoch. »Der Herr L.O.Pfr. hat in Würzburg nur persönlich mitgearbeitet. Er hat zum Ausdruck gebracht, daß er nicht wisse, ob seine Kirche mitgehen würde. In der Sitzung am Dienstag hat dann der L.K.III [LKT] zugestimmt – gegen die Stimmen der Linken.«13 D. Otto [R.] ist wirklich unerschütterlich. Er könnte doch nun mal seine persönliche Ansicht sagen. Er denkt garnicht daran. Ich weiß genug u. erhebe mich. Ich denke, daß ich einen tiefen Blick in das Wesen der Dinge getan habe. Es ist allerhand. Es wirds kein Laie verstehen, daß der L.O.Pfr., nachdem er 12 Jahre lang an der Spitze der Thür. Kirche steht, in Würzbg. nicht hat sagen können, ob sie »lutherisch« ist oder nicht. Ich habe mich geschämt zu sagen, daß ichs nicht weiß. Der Landesoberpfarrer – aber ist ja keinesfalls allein schuld. Ehe ich mich verabschiede, frage ich noch nebenbei, ob ich den kurzen Aufsatz über Bodelschwingh in »Gl. u. Heimat« veröffentlichen darf. Ich lege den Artikel vor. Er spricht vom »künftigen« Reichsbischof, läßt die Frage der Wahl noch offen u. trägt also allen Bedenken Rechnung. D. Otto [R.] macht wieder große, runde Augen u. hebt beschwörend beide Hände. »Ich rate dringend ab! Die Wahl Bodelschwinghs ist noch keineswegs sicher!«

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In dem in Würzburg eingesetzten Direktorium arbeiteten auch die Thüringer mit (vgl. Stegmann, 17–18). In den Verhandlungen des 3. Thüringer Landeskirchentags über die Bildung der DEK, der am 4. Mai 1933 mehrheitlich zugestimmt wurde, hatte der Landesoberpfarrer sich sehr zurückhaltend über einen Zusammenschluss lutherischer Kirchen geäußert: »Seit ungefähr sechs Jahren kommen die Kirchenleiter der deutschen lutherischen Kirche jährlich einmal zusammen. Auch im Tätigkeitsbericht wird von einer Konferenz der evangelisch-lutherischen Kirchenleiter gesprochen. Ich habe damals, weil Bedenken geäußert wurden […], in der ersten Sitzung dieser Konferenz protokollarisch festlegen lassen […], daß dieses ›lutherische‹ nicht etwa bedeutet eine theologische Richtung oder irgendeine theologische Zuspitzung, sondern es bedeutet nur, daß diejenigen Kirchen zusammenkommen, die aus der Reformation Dr. Martin Luthers entstanden sind. Wenn ein neuer Kirchenbund geschlossen wird, werden in ihm auch mancherlei Kirchen sein, die innerlich nach der theologischen Richtung hin verschieden geartet sind. Ich sehe diese Gefahr absolut nicht, daß hier das ›lutherisch‹ zu einer Sache der theologischen Richtung wird« (Tätigkeitsbericht des Landesoberpfarrers, erstattet am 29. April 1933 auf der 2. Tagung des Dritten Landeskirchentags vom 21. April bis zum 5. Mai, 1933. Im Verlag des LKR der TheK in Eisenach [gedruckt in Gotha] 1933, 347–348).

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Dr. Volk kommt herein u. rät, von D. Otto [R.] befragt, ebenfalls ab. Die Wahl hätte gestern, Freitag Abd. stattfinden sollen, erzählt er, vom L.O.Pfr. sei noch keine Nachricht da. Er nimmt den Aufsatz an sich u. fordert mich auf, mit ihm in den »weißen Saal« zu gehen. Wir beschließen, daß ich am Montagvorm. noch einmal anfragen soll, ob der Aufsatz gebracht werden kann. Bis dahin werden sichere Nachrichten erwartet. Wir besprechen die kirchl. Lage u. Dr. Volk nimmt die Zeitungen zur Hand. Es stellt sich heraus, daß die Kirchenräte, ebenso wie alle anderen Leute, ihre Kenntnis der wichtigsten Vorgänge im kirchlichen Leben aus der »Tägl. Rundschau« beziehen. »D. luth. Bischöfe … haben … bestätigt« … »Haben garnichts zu bestätigen!« knirscht Dr. Volk u. schlägt mit der geballten Faust auf die Armlehne seines Sessels. Er zittert vor Zorn. »Oh, diese Lutherischen! Ich halte den Zusammenschluß für einen ganz infamen Querschläger.14 Lauter Intrigen, Heuchelei, Eitelkeiten! Nichts weiter!« D. Otto [R.] kommt herein. Der Ton zwischen den beiden Herren ist sehr gereizt. Der eine nennt den anderen »Herr Kirchenrat«, und der andere antwortet mit scharfer Betonung »Herr Otto«. So geht es unentwegt hin u. her. D. Otto [R.] hat ein Schriftstück in der Hand u. fragt, warum die Anfrage betr. die Stellung zu eugenetischen Fragen ihm noch einmal zugegangen sei. Er habe die Sache doch bereits erledigt. Dr. Volk erwidert erregt, die Antwort genüge nicht. Es sei ganz unmöglich, so nichtssagend zu erwidern. Das sei kläglich. Wir müßten doch zu so brennenden Fragen irgendwie eine Einstellung finden! D. Otto [R.] erwidert kühl u. scharf, das sei unmöglich. Die Kirche könne zu eugenetischen Problemen nichts sagen. Das sei nicht ihre Aufgabe. Dazu gehöre zunächst ein Heer von Sachverständigen, das nicht vorhanden sei. Dr. Volk wird immer heftiger u. sagt schließlich ungefähr, die Kirche könne sich nicht wundern, daß sie im öffentlichen Leben keine Rolle spiele, wenn die Theologen auf Fragen, die die Öffentlichkeit aufs stärkste bewegen, keine Antwort geben könnten. Der Streit wird nicht geschlichtet. D. Otto [R.] verläßt schließlich das Lokal, nachdem er noch nebenbei bemerkt hat, daß lediglich die »Innere Mission« ein »Amt« eingerichtet habe, das sich mit eugenetischen Fragen beschäftige.15 – Ich wundere mich im Stillen, warum es nicht möglich sein soll, die Ergebnisse dieser Arbeit irgendwie für die Kirchenregierungen nutzbar zu machen. I.M. ist doch Kirche, wenn auch nicht nach dem Wortlaut der Paragraphen. Aber das sind meine Gedanken. Ich wage nicht, sie zu äußern. Schließlich kommt Frl. Sommer herein u. meldet, Pfarrer Kleinschmidt möchte Dr. Volk sprechen. Ich bin froh, daß ich gehen kann. Mit Pfr. Kleinschmidt taucht wieder ein anderes Stück kirchlicher Not im »weißen Saal« auf: Religiöser Sozialismus.16 Es 14 15

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Gemeint ist wohl die Tagung der lutherischen Kirchenleiter in Würzburg (s.o.). Am 31. Januar 1931 wurden beim Centralausschuß für Innere Mission ein »Arbeitskreis für Sexualethik« und eine »Fachkonferenz für Eugenik« gegründet. Letztere tagte erstmals vom 18.–20. Mai 1931 in Treysa und dann in regelmäßigen Abständen auch andernorts, bis 1938 unter wechselnden Namen: zunächst als »Ausschuß für eugenetische Fragen«, nach 1933 als »Ausschuß für Rassenhygiene und Rassenpflege«; vgl. Kaiser, Sozialer Protestantismus, 316–390; bes. 323. Zur Geschichte der Religiösen Sozialisten in Thüringen vgl. Creutzburg, Religiöse Sozialisten.

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kommt mir vor, als hätte ich in der letzten Stunde ein Hörspiel erlebt, das »kirchliche Problematik« in kurzen Scenen zeigen wollte u. dessen dritten Teil ich glücklicherweise nicht mit anzuhören brauche. Pfr. Kleinschmidts Disziplinarverfahren hat kürzlich mit seiner Entlassung ohne Ruhegehalt geendigt.17 Er hat Frau u. Kind. Er tut sehr sicher u. fröhlich, wie er da in der Halle auf u. ab geht. Pfr. Hertzsch neben ihm ist sehr nervös. In den V.D. zurückgekehrt mache ich mir klar, daß ich möglichst noch heute wissen muß, ob Bodelschwingh gewählt ist u. ich den Artikel bringen kann. Die Zeit wird sonst zu knapp für die letzte Korrektur u. es kostet mich dann womögl. noch eine Reise nach Jena. Ich rufe die Sekretärin von Prof. Hinderer in Berlin (Preßverbd) an. Das Gespräch kommt schnell. »Die Entscheidung soll heute Mittag fallen. Bodelschwingh wird wahrscheinl. gewählt werden. Sie können den Artikel bringen. Es ist so gut wie sicher.« Ich gebe die Mitteilg weiter an Dr. Volk. Am nächsten Morgen, Sonntag, frage ich bei K.Rat Tegetmeyer, der sich die Post hat schicken lassen, nach Nachrichten vom Landesoberpfarrer über den Ausgang der Reichsbischofswahl. Es ist nichts da. – Aber am Montag früh bekomme ich 2 Aufsätze vom Verband der ev. Sonntagspresse, aus denen hervorgeht, daß F. v. Bodelschwingh zum Reichsbischof gewählt ist u. die Wahl angenommen hat. Ich gehe sofort damit in den Landeskirchenrat u. errege mit meinen Neuigkeiten großes Aufsehen. Die Kirchenräte wissen immer noch nicht mehr, als was am Sonntag in der Zeitung gestanden hat. Der Landesoberpfarrer hat die Herren bitten lassen, heute nach Bad Brückenau zu kommen, wohin er von Berlin zurückgekehrt ist. Dr. Volk u. Franz fahren im Auto hin. Da werden sie ja hören. Ich bitte Dr. Volk, mich von Bad Brückenau anzurufen, wenn, was wir allerdings nicht annehmen, noch irgendetwas sich ändern sollte. Die Nachmittagszeitungen bringen die Nachricht von der Ernennung des Reichsbischofs. Die Sache ist also sicher u. wir freuen uns mächtig. Um 5 Uhr werde ich aus Bad Brückenau angerufen. Dr. Volk ist am Telephon. Er ist sehr schwer verständlich, u. als ich ihn endlich verstehe, kann ichs nicht glauben und frage viermal zurück, bis er mir die Mitteilung buchstabiert: »Garnichts über Bodelschwingh bringen. Überhaupt nichts. Morgen früh 8 Uhr Rücksprache.« Ich bin erschlagen. Was bedeutet das? Es beschäftigt mich so stark, daß es mir schwer wird, auch noch an das andere zu denken: Was wird aus meiner Nummer? Ich stelle schließlich fest, daß der Druck noch pünktl. erfolgen kann, wenn ich morgen vorm. nach der Rücksprache mit Dr. Volk nach Jena fahre u. die Korrektur an Ort u. Stelle erledige. Vorläufig heißt es abwarten. Ich telephoniere den K.Rat Otto [R.] an u. teile ihm kurz mit, was mir Dr. Volk am Telephon gesagt hat. Er seufzt u. sagt in klagendem Ton: »Ich habe es geahnt! Ich hatte den ganzen Tag so ein Vorgefühl u. sagte gleich zu Dr. Volk: Das wird nichts!« »Es ist schrecklich«, sage ich verzweifelt, u. er bestätigt! »Ja, es ist schrecklich.« 17

Zum Fall Kleinschmidt vgl. Biogramme.

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Ich fühlte mich von ihm verstanden. An Pfr. Ernst Otto, dem ich sonst alle Nachrichten brühwarm übermittele, telephoniere ich nach einigem Überlegen absichtlich nicht. Er hält heute Abend wieder einen Vortrag über die kirchliche Lage. Da kann er nochmal in ungetrübter Freudigkeit die Wahl Bodelschwinghs verkünden. Die Bedenken kommen hinterher immer noch früh genug oder sind erledigt, ehe der nächste Vortrag gehalten wird. Ein Zurück kann es nun doch nicht mehr geben. Es stellt sich hinterher heraus, daß diese Überlegungen überflüssig waren. Pfr. Otto war im Bild. Er hatte am Vormittag im Namen der Eisenacher Pfarrerschaft beim L.K.R. angefragt, ob anläßlich der Ernennung des Reichsbischofs ein Dankgottesdienst gehalten werden könnte. Antwort von K.Rat D. Otto [R.]: »Ausgeschlossen. Auf keinen Fall.« – Die Pfarrerschaft hatte sich mit diesem Bescheid nicht zufrieden gegeben, u. Pfr. Otto war am Nachmittag persönl. noch einmal bei D. Otto [R.] gewesen: ohne Erfolg. D. Otto [R.] hatte gewarnt, unendliche Bedenken geäußert und schließlich verboten. Das Gespräch hatte offenbar ziemlich gereizt geendigt. Am nächst. Morgen kommt Dr. Volk nicht um 8 Uhr, wie verabredet war, sondern erst ½9, als der zur Sitzung versammelte Landeskirchenrat schon ungeduldig auf ihn wartet. Ich lege ihm d. Korrektur der 8-seit. Nr.18 vor u. erhalte die Weisung, überall da, wo vom Reichsbischof die Rede ist, statt »gewählt« das Wort »bestimmt« zu setzen. Die Überschriften werden geändert. Statt »Reichsbischof« wird gesetzt: »Bodelschwingh«. Am meisten Arbeit macht Pfr. Ernst Ottos Andacht.19 Die Kirchenräte Franz u. Tegetmeyer werden zugezogen. Tegetm. ist verstimmt oder gelangweilt u. geht bald weg. Franz ist höchst ungeduldig u. offenbar anderer Meinung als Dr. Volk. Er rennt hin u. her, sieht mich von Zeit zu Zeit aufmerksam an u. stellt mir ironische Fragen: »Warum wollen Sie denn überhaupt etwas von der Wahl bringen, Frau Begas? Es ist noch nichts sicher? Vielleicht ist es überhaupt gar nicht wahr? Woher wollen Sie es denn wissen! Aus der Presse? Aus dem Rundfunk? Vom Ev. Preßverband? Das sind doch keine zuverlässigen Quellen!« Schließlich lacht er u. blinzelt mir zu. Und dann wieder knurrt er wütend vor sich hin: »Er ist Reichsbischof!« Ich sitze inzwischen wie auf Kohlen, denn kurz nach neun Uhr geht mein Zug. Endlich komme ich fort. In Jena wird die Nummer umgestellt, Artikel abgeändert u. ergänzt. Der Landesoberpfarrer hat verfügt, daß der Artikel über Bodelschwingh nur kommen darf, wenn gleichzeitig über die Persönlichkeit des Wehrkreispfarrers Müller berichtet wird.20 Da ich aus eigener Machtvollkommenheit noch einige Kleinigkeiten geändert habe, lege ich die Korrektur am nächsten Morgen (Mittwoch) Dr. Volk noch einmal vor. In Jena wird auf meinen Anruf gewartet, bevor der Druck beginnt. 18 19 20

GuH [Wochenausgabe] 10 (1933), Nr. 23 vom 4. Juni. Ernst Otto, Erneuerung der Kirche, GuH [Wochenausgabe] 10 (1933), Nr. 23, 1 [Titelblatt], vom 4. Juni. Die Redaktion hat dem so entsprochen, dass sie im Redaktionsartikel über Bodelschwingh (»Der neue Reichsbischof«; GuH [Wochenausgabe] 10 [1933], Nr. 23, 7, vom 4. Juni) auf einen früher gedruckten Redaktionsartikel über Müller verwies: »Ueber die Persönlichkeit des Wehrkreispfarrers Müller … haben wir in der Nummer vom 21. Mai berichtet«; vgl. dazu den Redaktionsartikel: »Wehrkreispfarrer Müller, Königsberg«, GuH [Wochenausgabe] 10 [1933], Nr. 21, 4, vom 21. Mai 1933.

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Ich stehe im »weißen Saal«. Nebenan, im »roten Zimmer« ist der L.K.R. versammelt; ich sehe die Kirchenräte Lehmann und Sasse, die »Dtsch. Christen«, und höre die Stimme von K.Rat Leutheuser. Dr. Volk heißt mich warten u. geht mit der Korrektur in der Hand in das rote Zimmer. Die Rolltür wird zugeschoben. Jetzt geht nebenan ein Kampf los, von dem ich nur hin u. wieder Einiges auffange. Ich horche nicht, höre aber trotzdem, wie Leutheuser sagt: »Gl. u. Heimat« gilt offiziell als das Blatt der Thür. Kirche. Es kann sich doch nicht so blamieren, daß es von einem Reichsbischof spricht, den es garnicht gibt!« Dann sagt Dr. Volk einmal laut u. deutlich aber ziemlich ruhig: »Aber, meine Herren, es ist doch einfach eine Tatsache.« Nach einer Weile sagt Lehmann: »Na ja, es gibt einen Reichsbischof, aber er hat doch kein Bistum!« u.s.w. Volk scheint um jeden Satz der Andacht von Ernst Otto zu kämpfen. Einmal höre ich: »Also diesen Satz möchte ich doch gern stehen lassen. Ginge es nicht, wenn man sagte …« Inzwischen kommt Dr. Spigaht herein u. bringt mir Zeitungen mit aufregenden Überschriften, die alle für Bodelschwingh günstig klingen (Rundschau, Aufwärts). Ich streiche die wichtigsten Stellen rot an u. bitte Frl. Linde, sie sofort in die Sitzung zu bringen u. Dr. Volk zu geben. Dann höre ich, wie Dr. Volk drinnen mit erhobener Stimme das Rotangestrichene vorliest. Das Hin u. Her geht weiter. Keine Einigung. Es ist inzwischen eine Stunde vergangen. Dann kommt Dr. Volk heraus. Geändert ist lediglich die Andacht. (U.a. heißt es jetzt, Bodelschwingh ist »ausersehen« …). Ich sage, daß man sie doch ohne Pfarrer Ottos Einwilligung nicht umgestalten könnte (ich hatte am Tag vorher auch mit O. telefonisch gesprochen. Das wußte Dr. Volk aber nicht). Dr. Volk betont, daß O. selbstverständlich gefragt werden müßte u. gibt mir dazu den Auftrag. »Reden Sie ihm sehr zu «, sagt er u. überlegt eine Weile. Dann wirft er einen Blick auf die Tür u. fährt im Flüsterton fort: »Ich will Ihnen die Gründe sagen, damit Sie die richtige innere Einstellung bekommen. Sie müssen unbedingt darüber schweigen.« Und dann kommts also! Bei der ersten Abstimmung über die Bischofswahl am Freitag hat eine Reihe von Kirchenführern für Müller gestimmt! Darauf hat der Dreierausschuß gedroht, seine Ämter niederzulegen. Um die Gefahr einer Kirchenspaltung zu vermeiden, hätte sich dann eine weitere Anzahl von Kirchenführern entschlossen, für Bodelschw. zu stimmen. Bei der 2. Abstimmung am Sonnabend Abend hätten nur noch Württemberg, Mecklenburg-Schwerin u. Hamburg für Müller gestimmt;21 der Landesoberpfarrer sei vorher abgereist! Dazu schüttelt Volk den Kopf u. meint: »Das ist ja nun auch unbegreiflich.« Was ich auch finde. Rechtlich sei die Lage nicht ganz so, wie die Zeitungen meldeten. Bodelschw. könne noch nicht einwandfrei als gewählter Reichsbischof gelten. Dr. Volk sieht mich bittend an. Ich gehe mit schwerem Herzen in mein Büro u. rufe Pfr. Otto an. Es ist mir klar, daß ich besser verschweige, daß man aus seiner Andacht eine Staatsaktion gemacht hat. Ich sage also, Dr. Volk bäte persönlich noch einmal um Erlaubnis zur Textänderung. Volk selbst übernähme die Verantwortung dafür, daß der neue Wortlaut besser der 21

Zum Wahlvorgang im einzelnen vgl. Scholder I, 419–21.

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Rechtslage entspräche als der alte. Darauf verlese ich den neuen Text. Pfr. Otto antwortet, daß er keine Bedenken hätte. Die einfachen Menschen, für die unser Blatt geschrieben sei, würden sich über die Unterschiede von »gewählt«, »bestimmt« u. »ausersehen« nicht den Kopf zerbrechen. Und dann bringt er zum Ausdruck, wie kläglich ihm der ganze Handel vorkommt. Die Mehrheit hat eben doch Bodelschwingh gewählt u. statt daß nun alle Kirchen die Tatsache anerkennen und fest zu ihrem Entschluß stehen – nichts wie Bedenken, Zögern, Unklarheiten! Wir sind uns darüber einig, daß das charakterlos ist. Ich telephoniere dann die Abänderungen nach Jena, wo nun der Druck beginnt.22 Nach 1½ Stunden kommt Dr. Volk in mein Büro, sehr gespannt: »Nun, wie ists ausgelaufen?« Ich muß mich erst besinnen, was er eigentlich meint. Das Gespräch mit Pfr. Otto ist so ruhig u. selbstverständlich verlaufen, bot so gar keine Schwierigkeit. Ich berichte also, daß alles glatt gegangen ist, daß ich Pfarrer Otto aber nicht gesagt habe, daß ein 11-Männerkollegium, darunter sein besonderer Freund Leutheuser, eine Stunde lang über seiner Andacht »gebrütet« hätte. – Dr. Volk lächelt, seufzt u. erhebt sich. »Ich muß wieder in die Sitzung. Ich wollte mich bloß mal ein bißchen erholen, deshalb kam ich hauptsächlich. Es ist entsetzlich drüben, ich kann es kaum aushalten.« Dann geht er. Am nächsten Abend erzählt mir der Hausmeister, es hätte in der Sitzung »Krach« gegeben. Die Deutschen Christen seien wieder nach Bad Brückenau zum L.O.Pfr. gefahren. Weder der Rundfunk noch die nat.soz. Zeitungen haben inzw. über die Wahl des Reichsbischofs irgendetwas berichtet. D. 23.6.33 [23. Juni 1933] Heute tagte in Eisenach der Kirchenausschuß23 auf dem Pflugensberg, gestern in der Stadt die lutherischen Bischöfe.24 Morgen tagt der Kirchenbundesrat25 im Kaiserhof. Abends, nach Schluß der Sitzung, sah ich Bodelschwingh in der »kleinen Halle«, klein, etwas gebückt, sehr schlicht, merkwürdige, sehr schräg stehende Augenbrauen. Es wurde in der »großen Halle« getagt, das Haus war geheizt (schlechtes Wetter, gestern Wolkenbruch in Berlin). Ein paarmal drangen laute, heftige Stimmen bis in die kleine 22

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In der Wochenausgabe von GuH 10 (1933), Nr. 23 vom 4. Juni sind die beiden Redaktionsartikel über Bodelschwingh in redigierter Form erschienen, die (s.o.) vom Verband der evangelischen Sonntagspresse zugeschickt worden sind: S. 4: »Kirchliche Neugestaltung« und S. 7: »Der neue Reichsbischof«. Ein weiterer Redaktionsartikel in der Reichsbischofsfrage findet sich in der nächsten Nummer von GuH [Wochenausgabe] 10 (1933), Nr. 24, 4, vom 11. Juni 1933: »Um den evangelischen Reichsbischof«. Dritter Deutscher Evangelischer Kirchenausschuss. »Er war das regelmäßig tagende, geschäftsführende und vollziehende Organ des Kirchenbundes. Nach der Verfassung des Kirchenbundes bestand er aus 36 Mitgliedern, die zur Hälfte vom Kirchenbundesrat aus seiner Mitte entsandt, zur Hälfte vom Kirchentag aus seiner Mitte gewählt wurden. Der Ausschuß trat zum letzten Mal am 24. Juni 1933 zusammen« (Organe, 31). Zu den im folgenden berichteten Vorgängen vgl. Scholder I, 443–481. »Der Kirchenbundesrat war das beratende Organ des Kirchenbundes mit weisungsgebundenen Vertretern der Kirchenregierungen aller 28 Landeskirchen. Er trat zum erstenmal am 13. Juni 1924 vor dem Kirchentag in Bethel und zum letzten Mal am 24. Juni 1933 zusammen« (Organe, 28). Thüringer Mitglieder waren: Volkmar Franz, Wilhelm Reichardt und Otto Volk.

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Halle. Dann, um ¾7 Uhr abends ging ein kleiner Trupp Herren, 6–7, offenbar sehr erregt, fort. Darunter Rendtorff. Der L.O.Pfr. lief ihnen mit ausgestreckten Händen durch die kleine Halle nach: »Aber meine Herren, essen Sie doch wenigstens hier noch zu Abend! Sie haben das Essen doch bestellt!« Aber die Haustür schlug zu! Nach etwa 2 Minuten kehrten sie plötzlich zurück. In der »Zentrale« war Hochbetrieb. Frl. Sommer u. Andres machten Kirchenpolitik. Den ganzen Morgen sind ununterbrochen aus ganz Deutschland Telegramme eingelaufen, die alle zur Wahl des Reichsbischofs Stellung genommen hatten, die Meisten für Bodelschwingh. Frl. S. sei bis halb eins nicht einmal dazu gekommen, eine Tasse Kaffee zu trinken! Kurz bevor ich nach Dienstschluß herüber kam, abends ½8, war ein Telegramm des preuß. Kultusministers eingelaufen, »der Rechtsboden sei verlassen.«26 Dies wurde mir flüsternd, ganz vertraulich mitgeteilt. Es war ziemlich schwer, sich aus den verschiedenen, bruchstückhaften, zögernden Mitteilungen von Frl. Sommer u. Andres ein Bild zu machen. Gleich danach kam einer der preuß. Beamten heraus. »Jetzt ist Schluß! Alles ist überflüssig, was wir hier beschließen, wird nicht anerkannt! Das Telegramm! Hundt wird überhaupt nicht empfangen!« – Eine Berliner Stenotypistin sagte heftig: »Unsere Herren nehmen auch keine Vernunft an! Sie können doch um die »Deutsch. Christen« nicht herum! Sie müßten sie doch mit hineinnehmen!« (Die 3 Stenotypistinnen u. der eine Beamte nehmen auch an den geheimen Verhandlungen teil.) In der Kantine hörte ich dann noch, man sei nach Eisenach gekommen, weil die Sitzung in Berlin nicht hätte stattfinden können; sie hätte durch die S.A. gesprengt werden sollen. Die Berliner S.A. hätte heute erst erfahren, daß der Kirchenausschuß hier sei. Der eine Beamte sagte, es gäbe Zwischenträger, die aus geheimen Verhandlungen Dinge in die Presse brächten. Er selbst u. die Stenotypistinnen seien neulich verdächtigt worden, der Presse Mitteilungen gemacht zu haben. Dann bei strenger Untersuchung hätte sich aber herausgestellt, daß es ein Kirchenpräsident getan hätte! Der betr. Beamte selbst (alter Nat.soz. aber nicht D.Chr.) beurteilte die Lage sehr pessimistisch. Wir könnten morgen schon den Staatskommissar haben. Gestern, den 22., kam ich aus Friedrichroda zurück: Tagung der Leiter der selbständigen Heimatglocken27. Die Pfarrer kennen die Lage nicht, erzählten ganz stolz, wie sie 26

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In seinen »Lebenserinnerungen« gibt Landesoberpfarrer D. Reichardt folgendes wieder: »Wir hatten einige Stunden verhandelt, da platzte hinein die telegraphische Mitteilung der Kirchenkanzlei in Berlin, daß der Kultusminister Dr. Rust einen Staatskommissar für die evangelische Kirche Preußens in der Person des Landgerichtsdirektors Dr. Jäger ernannt habe. Es wurde weiter mitgeteilt, daß die führenden kirchlichen Stellen in der APU und einige andere Kirchen auch durch Unter-Kommissare besetzt worden seien […]. Der preußische Kultusminister fand in dieser Maßnahme (Einsetzung von Dr. Stoltenhoff) eine Übertretung der Bestimmung des Konkordats und setzte die schon genannten Kommissare ein« (Aus den Lebenserinnerungen von D. Wilhelm Reichardt, Landesbischof a.D., zusammengestellt für den Landeskirchenrat der Thüringer evang. Kirche von seinem Sohn Dr. Dr. Erich Reichardt, Eisenach o.J., Bd. III, S. 298, LKAE, Auffangabteilung, H 32). Heimatglocken [Heimatgrüße]. Beilage zu: Glaube und Heimat. Monatsblatt für das evangelische Haus, hg.v. Volksdienst der Thüringer evangelischen Kirche; ab 1933 (Weitenhagen, Evangelisch und deutsch, 498).

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sich für Bodelschwingh in ihrem Blatt eingesetzt hätten oder es tun wollten, zum Schrecken von D. Herrmann, der dann so niederdrückend berichtete! Lähmendes Entsetzen! Schanze fand zuerst die Sprache wieder. Er beklagte sich, auch für seine Amtsbrüder, sehr bitter, daß sie in dieser Situation von der Kirchenleitung kein Wort gehört hätten. Wenn wenigstens mitgeteilt worden wäre, warum nichts gesagt werden könnte! Aber gar nichts! D. Herrmann versuchte zu beschönigen – ohne Erfolg. Traurig und bedrückt waren alle im Gedanken an die drohende Auflösung der evangel. Jugendverbände!28 Völlige Unklarheit herrschte auch über den Verlauf des Festes der Jugend am 24./25.29 Würde der Gemeindegottesdienst am Sonntag stattfinden können? Es hieß, die Lehrer würden den ganzen Tag in Anspruch genommen sein. Andere verneinten das. Sie kamen schließlich überein, die Gottesdienste auf alle Fälle zu halten, nötigenfalls ohne Orgelspiel.30 Es scheint im Land auch gar nicht bekannt zu sein, daß der L.O.Pfr. für Müller gestimmt hat. Vor Beginn der Tagung fragte mich Michaelis – vorsichtig sondierend – danach. Er hielt die Tatsache offenbar für ein Staatsgeheimnis. Es hat aber in mehreren außerthür. Blättern gestanden. Es stellte sich dann heraus, daß wirs wußten. D. 24.6. [24. Juni 1933] Heute Abend lese ich in der Zeitung, daß der preuß. Kultusminister für alle preuß. Landeskirchen einen »Kommissar« ernannt hat, »um der Verwirrung ein Ende zu machen«.31 Die preuß. Kirchenleitung hat nämlich für den abgehenden D. Kapler oder für Burghart einen kommissarischen Vertreter ernannt, ohne den Kultusminister zu befragen, der in Preußen das Einspruchsrecht bei wichtigen Stellenbesetzungen hat.32 Gegen diese Bestimmung sind die Nationalsozialisten s.Zt. im preuß. Landtag Sturm gelaufen. Jetzt benutzen sie sie natürlich! Schmerzlich, daß zu allem anderen Unheil Burghart u. D. Kapler gerade jetzt gehen mußten. Aber das kommt davon, wenn alte Herren sich nicht rechtzeitig entschließen

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Vgl. Siekmann, Die evangelische Jugendarbeit, 170–231. Aufruf von Reichsinnenminister Dr. Frick zu einem »Fest der Jugend« am 24. und 25. Juni 1933. »Die Durchführung des Festes liegt in Thüringen in den Händen der Hitler-Jugend und eines Sportkommissars. In Aufmarsch, Spiel, Tanz und Wettlauf soll die Jugend diesen Tag als vaterländisches Volksfest feiern. Den Abschluß bildet eine Sonnenwendfeier« (Eisenacher Zeitung vom 18. Juni 1933). Dazu gab der Deutsche Evangelische Kirchenausschuß die Empfehlung heraus, überall in der Frühe, ehe die sportlichen Veranstaltungen beginnen, Gottesdienste bei freiwilliger Beteiligung einzurichten (vgl. ThHtK 18 [1933], Nr. 55 vom 23. Juni 1933). Vorausgesetzt ist hier, dass – wie weithin üblich – Lehrer/innen den Organistendienst versahen. Staatskommissar August Jäger trat am 24. Juni 1933 sein Amt an; vgl. Scholder I, 444. Art. 7 des Preußischen Kirchenvertrags von 1931 bestimmte: »Zum Vorsitzenden einer Behörde der Kirchenleitung oder einer höheren kirchlichen Verwaltungsbehörde sowie zum Inhaber eines kirchlichen Amtes, mit dem Vorsitz oder die Anwartschaft auf den Vorsitz einer solchen Behörde, wird niemand ernannt werden, von dem nicht die zuständige kirchliche Stelle durch Anfrage bei der Preußischen Staatsregierung festgestellt hat, daß Bedenken politischer Art gegen ihn nicht bestehen« (Weber, Die deutschen Konkordate und Kirchenverträge, 170). Zur angeblichen Verletzung des Kirchenvertrags und der damit begründeten Einsetzung eines Staatskommissars vgl. Dokumente zur Kirchenpolitik I, 67–94; Meier, Kirchenkampf I, 100.

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können, von ihren Posten zurück zu treten u. wenn trotz aller sachlichen Notwendigkeiten Rücksicht auf Personen genommen wird. Wenn an diesen Stellen seit etwa 1 Jahr jüngere Kräfte säßen, wäre die Situation günstiger. Die »Tagespost« teilt mit, daß der Kirchenbundesrat mit der Reichsbischofsfrage beschäftigt u. noch zu keinem Ergebnis gekommen sei. »Man rechnet mit einer Nachtsitzung«. Am 17. u. 18. war großes Gautreffen der N.S.D.A.P. in Erfurt; über 150 000 Menschen sollen da gewesen sein.33 Volk erzählte mir am Montag davon, in einer unerträglichen Manier, halb schwärmerisch, peinigend langsam u. umständlich zerhackt, und das nachts zwischen 10–11 Uhr im strömenden Regen, an der Ecke Helenenstr. u. Jul.v.-Eichel-Platz, unter einer Laterne, nach einem äußerst anstrengenden Arbeitstag. Zum Schluß noch: Sauckel, der Reichsstatthalter hat für Thüringen den totalen Staat erklärt, was ich noch gar nicht wußte! Das habe ich dann vor dem Einschlafen auch noch verkraftet! Hinterher schilderte mir Frl. Linde die Komödie der Einladung an den L.K.R. Am Sonnabend, d. 17., gegen Mittag hat K.Rat Lehmann telegraphisch angefragt, ob von den Herren des L.K.R. jemand nach Erfurt ginge. Antwort von Frl. Walter: Der L.K.R. hätte keine Einladung erhalten. Kurz darauf kommt ein Telegramm von Sauckel – wahrscheinlich durch Lehmann veranlaßt. Man hatte diesen unendlich wichtigen Landeskirchenrat offenbar einfach vergessen. Von den Kirchenräten hat nun anscheinend niemand Lust gehabt zu fahren, bis auf Dr. Volk, der die Gelegenheit begeistert ergriff, aber darauf dringt, das Auto des L.K.R. zu benutzen, trotzdem der Chauffeur beurlaubt ist. Der Chauffeur wird gesucht, durch Boten u. durch Telephon; aber obwohl er kurz vorher im Haus gesehen worden ist, taucht er nicht wieder auf. (Der geheime Nachrichtendienst der N.S.E.O. [NSBO?] soll gut organisiert sein.34) Er zieht jedenfalls lieber in Erfurt mit seiner Motorradstaffel an Hitler vorbei als den Kirchenrat Volk auf seinen Ehrenplatz zu befördern. Volk soll wütend gewesen sein u. zunächst erklärt haben, er nehme auf Kosten des L.K.R. ein Auto (200 M). Die anderen Herren hätten gesagt, auf eine so im letzt. Augenblick übersandte Einladung hin braucht überhaupt keiner von ihnen teilzunehmen. Nun – also, Volk entschließt sich schließlich, mit der Bahn zu fahren u. hat dann hinterher Frl. Linde ausführl. geschildert, wie er per pedes in der Amtsverwaltung in Weimar angekommen sei. Es würde doch aber alles ganz anders gewesen sein, wenn er im Auto hätte vorfahren können!!! Man hat offenbar nicht viel Wesens von ihm gemacht. Ich fürchte nur, er hat die Zeichen der Zeit noch nicht richtig gedeutet. Es hat wohl nicht an dem fehlenden Auto gelegen! Man wird in Zukunft eben überhaupt kein Wesens mehr um einen Kirchenrat aus Eisenach machen. Es wäre besser gewesen, man hätte ihn vermißt. 33

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Es handelt sich um ein SA-Gautreffen, zu dem sogar 300 000 Menschen zusammengekommen sein sollen: vgl. Steffen Raßloff, Verführung und Gewalt in Erfurt im Nationalsozialismus, in: Stadt und Geschichte. Zeitschrift für Erfurt 24 (2004), 3–5 (auch im Internet: www.erfurtweb.de/Erfurt_im_Nationalsozialismus - eingesehen 19. Juli 2015). Gemeint ist vermutlich NSBO (NS-Betriebszellenorganisation); diese führte am 2. Mai 1933 die überfallartige Gleichschaltungsaktion gegen die Gewerkschaften aus und ging 1935 als Hauptamt NSBO in die Deutsche Arbeitsfront ein; vgl. NS-Deutsch, 136.

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Heute früh, 24.6., geriet ich mit D. Herrmann in ein langes theolog. Gespräch. Er griff aufs Schärfste die jungreformatorische Bewegung35 [JRB] an, die von Kirchenleuten jetzt offenbar für den ganzen Schaden verantwortlich gemacht wird, weil sie den Namen »D. v. Bodelschwingh« zuerst in die Debatte geworfen hat (warum sollte sie nicht?). Ich erwiderte, wenn Fehler gemacht worden seien, dann seien sie von den 3 Verantwortlichen gemacht, u. läge wirklich ein Vertrauensbruch vor, dann müßte der auch zugegeben und bereinigt werden, aber weder die jungref. Bewegung [JRB] noch D. v. Bodelschw. könnten für den begangenen Fehler haftbar gemacht werden. Jedenfalls hätte die j.r. Bewegung [JRB] das Recht, ihren Kandidaten zu benennen u. seine Wahl mit aller Energie zu betreiben ebenso wie die Deutsch. Chr., die ja übrigens den Wehrkreispfr. Müller zuerst als künft. Reichsb. benannt u. damit den 1. Vertrauensbruch begangen hätten, der den anderen nach sich zog. D. Herrmann war ziemlich aufgeregt u. begann, grundsätzlich von der »unmöglichen« Theologie der j.r. Richtung [JRB] zu sprechen, die in den Köpfen der jungen Theologen immer größere Verwirrung anrichte, besonders durch ihren Kirchenbegriff.36 Er habe gerade die 12 wissenschaftl. Arbeiten der Kandidaten durchgelesen, die am 26. geprüft werden, u. zu seinem Schrecken festgestellt, daß alle 12 Prüflinge von der theologischen Richtung beeinflußt seien, die Ernst Otto, Henneberger und Macholz verträten. Ernst Otto sei noch der sympathischste Vertreter. Aber z.B. auch seine erste Rede im L.K.Tag37 sei sehr verfehlt gewesen usw. Es dauerte lange. Wir wurden schließl. von D. Otto [R.] unterbrochen. Ich hätte auch nicht deutlich sagen dürfen, was ich dachte. Am 25. besuche ich Dorothee Trautvetter vormittags hier u. erfahre von ihr, was sie vom Rundfunk weiß: Bodelschwingh ist gestern Abend hier in Eisenach von seinem Bischofsamt zurückgetreten.38 Welcher Schrecken! Es war tief entmutigend. Ich hätte heulen mögen. Dorothee schrie mich an: »Ihr habt Euch blamiert! Die Kirche hat sich blamiert! Es ist fürchterlich!« Gespräch mit Reichardt [E.] jun. über Klausel im preuß.

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Vgl. Scholder I, 406–412. »Dem Anspruch der Deutschen Christen, die einzige Erneuerungsbewegung in der Deutschen Evangelischen Kirche zu sein, trat die jungreformatorische Bewegung entgegen, in der sich theologische Impulse der Luther-Renaissance und der dialektischen Theologie mit dem Willen zur Kirchenreform verbanden. Mitte Mai schloß sich Martin Niemöller an, der zum eigentlichen Sprecher der Bewegung wurde […]. Auf den Aufruf zum Zusammenschluß am 9. Mai waren nach kurzer Zeit ca. 3000 Zustimmungserklärungen erfolgt« (Greschat/Krummwiede, Das Zeitalter der Weltkriege und Revolutionen, 78). Darin hieß es: »Wir fordern, daß bei den kommenden Entscheidungen einzig und allein aus dem Wesen der Kirche heraus gehandelt wird« (ebd.). Pfarrer Ernst Otto sprach am 21. April 1933 als Abgeordneter des Einigungsbundes für reformatorisches Kirchentum. Text der Rede in: 2. Tagung des Dritten Thüringer Landeskirchentags vom 21. April bis 5. Mai 1933. Im Verlag des LKR der TheK in Eisenach [gedruckt in Gotha], Eisenach 1933, 227–229. Eine Art Kommentar zur Rede Ottos findet sich in: ThHtK 18 (1933), Nr. 33 vom 22. April: »Scharfe Kritik übt der Abgeordnete Ernst Otto an dem mit der Französischen Revolution anhebenden Abschnitt deutscher Geschichte, der uns geistig, völkisch und kirchlich entwurzelt und nicht genügend starke Gegenwirkungen der Kirche ausgelöst habe. In theologischen Ausführungen wendet er sich sowohl gegen den Volkskirchenbund … wie gegen die DC.« Vgl. Scholder I, 450.

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Vertrag.39 Mitteilung an O. – Montag. – Später erfahren wir, daß Bodelschwingh mit der Begründung niedergelegt hat, die Existenz des Kommissars für die preuß. Landeskirchen mache ihm ein bischöfliches Wirken unmöglich.40 Sein wundervolles Abschiedswort an die Gemeinden, noch in Eisenach am Sonnabend Abend verfaßt, wird von der Presse nicht veröffentlicht. Wir erhalten einen Abdruck 8 Tage später durch die jungref. Bewegung [JRB].41 Man erfährt ja überhaupt nicht, was vorgeht. Ganz wenig steht mal hier u. da, brockenweise in einem großen Berliner Blatt. Es wird dabei so vieles berichtigt u. so vieles bleibt unklar, daß man den Eindruck bekommt, es geht alles durcheinander. Der preuß. Kommissar setzt das Direktorium der I.M. ab u. ein neues ein u. verfährt ebenso mit dem Ev. Preßverband für Deutschland.42 Dabei ist der Kommissar nur für Preußen da, diese Maßnahmen wirken sich aber für alle deutschen Kirchen aus. Eine wilde Sache ist auch die Ernennung eines Kommissars für die kirchliche Frauenarbeit in ganz Deutschland.43 Dienstag [27.6.] fuhr Pfr. Otto zu einer Tagung der »Sydower Bruderschaft«44 nach Berlin. Am nächsten Nachm. (28.6.) hielt er uns einen Vortrag im Ev. Frauenbund.45 39 40

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Art. 7 des Preußischen Kirchenvertrags, in: Weber, Die deutschen Konkordate und Kirchenverträge, 170. »Durch die Einsetzung eines Staatskommissars für den Bereich sämtlicher evangelischer Landeskirchen Preußens ist mir die Möglichkeit genommen, die mir übertragene Aufgabe durchzuführen. Das nötigt mich, den mir vom Deutschen Evangelischen Kirchenbund erteilten Auftrag zurückzugeben« (zit. bei Scholder I, 450). Friedrich von Bodelschwingh, Ein Wort an alle, die unsere Deutsche Kirche lieben [vom 24. Juni 1933], JK 1 (1933), 14–15 [Fußnote: »Diese Botschaft richtet Friedrich von Bodelschwingh aufgrund der Vorgänge in Eisenach an die Gemeinden«]. Scholder I, 454; Chronik der Kirchenwirren, 87. Nach Auskunft von J.-C. Kaiser vom 16. März 2008 hat es einen eigentlichen Staatskommissar für die evangelische Frauenarbeit nicht gegeben. Wohl aber ernannte Rudolf Heß am 13. September 1933 den evangelischen Gummersbacher Landrat Dr. Krummacher, Mitglied bei den DC, zum Leiter von Frauenfront und NS-Frauenschaft. Zweck dieser Ernennung war es, Lydia Gottschewsky aus der Leitung des NSF zu verdrängen, die wegen ihrer forschen Gleichschaltungsversuche der Verbände, auch im Hinblick auf die evangelische Frauenschaft, für erhebliche Unruhe gesorgt hatte; vgl. dazu Kaiser, Frauenwerk. »Die Sydower Bruderschaft war 1923 gegründet worden. Auf lutherischem Amtsverständnis basierende Pfarrerdisziplin, gegenseitige Seelsorge, tägliches Bibel- und Lutherstudium waren das besondere Anliegen dieser einem Orden ähnlichen Vereinigung evangelischer Pfarrer. Ihre Mitglieder gehörten zumeist der Nachkriegsgeneration an. Auch in Thüringen hatte die Bruderschaft Fuß gefaßt und hielt in vielen Landesteilen monatliche Konvente ab. Ernst Otto, Gerhard Bauer und Walter Zimmermann waren in Thüringen die führenden Persönlichkeiten. Sie waren es auch, die der Anregung Niemöllers in Thüringen folgten und für den Pfarrernotbund warben. Otto und Bauer waren in dem am 23. Juli [1933] zustandegekommenen 4. Thüringer Landeskirchentag die einzigen Pfarrer, die den Deutschen Christen nicht angehörten« (Stegmann, 28). »Deutsch-Evangelischer Frauenbund«, gegr. 1899; Dachorganisation evangelischer Frauenarbeit: »Vereinigung Evangelischer Frauenverbände Deutschlands«, gegr. 1918. »1933 beginnt die Überleitung der Vereinigung in ein neu gegründetes ›Frauenwerk der Deutschen Evangelischen Kirche‹« (Fritz Mybes, Art. Frauenarbeit, Kirchliche, in: TRE 11 [1983], 470). Anders als die ebenfalls 1899 gegr. »Evangelische Frauenhilfe« mit ihrer diakonisch-gemeindebezogenen Ausrichtung legte der Frauenbund den Schwerpunkt auf Bildungsarbeit.

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Im Gespräch mit ihm u. sr. Frau erfuhr ich später, daß die Bruderschaft einmütig der Ansicht war, daß die Kirche im Recht u. der Kommissar zu Unrecht eingesetzt worden sei. Der Staatskommissar mischt sich in geistliche Angelegenheiten. Die preuß. Generalsuperintendenten haben die Pfr. angewiesen, nicht dem Staatskommissar, sondern ihnen zu gehorchen. Der Kommissar hat den Pfr. Hossenfelder, den Reichsleiter der Deutsch. Chr. [GDC], zum Vizepräs. oder Präsidenten im Ev. Oberkirchenrat eingesetzt.46 Es sind überhaupt so viele Leute abgesetzt und eingesetzt, daß niemand mehr durchkommt. Klar ist nur das Eine, daß die D.Chr. jetzt die Gelegenheit benutzen wollen, um aus der Kirche ein gefügiges Werkzeug des Staates zu machen, und das mit Drohungen u. allen möglichen Einschüchterungsversuchen. Der ganze barsche Ton der Reden u. Zuschriften, die man in der Tagespresse nachliest, ist schmachvoll. Am Dienstag hat D. Otto [R.] düstere Befürchtungen wegen des Presse-Tees, den Lic. Hermenau von der »Frauenhilfe« am Freitag in Weimar angesetzt hat: »Wenn der gute Hermenau uns nur nichts einbrockt!« Er teilt mir weiter mit, daß die I.M. »gleichgeschaltet« sei. Er müsse »stramm stehen«.47 Am Mittwoch früh sagt mir Frl. Eitner telephonisch von Stedten aus, Pfarrer Lic. Hermenau sei kommissarisch zum Leiter der kirchlichen Frauenarbeit in ganz Deutschland eingesetzt.48 Wir freuten uns, weil das die kirchl. Frauenarbeit in Thüringen, die der V.D. so mühsam dem L.K.R. gegenüber durchgesetzt hat, fördert. Ich bringe die Nachricht dann D. Otto [R.], der sie glatt schluckt, u. sehr erfreut tut. Es fällt ihm dabei nichts auf; mir auch nicht. Ich sage Tagung der »Vereinigung« [?] am Freitag ab. Am Dienstag Vormittag läßt mich der L.O.Pfr. rufen. »Was ist da eigentlich mit dem Lic. Hermenau los?« Ich antworte ein bißchen triumphierend, daß (siehe oben). Darauf verblüfft er mich mit der Frage, wer Hermenau eingesetzt hätte. Ich antworte, daß ich annehme, der preußische Kommissar. Darauf er (ungefähr): »Der preuß. Kommissar hat uns garnichts zu sagen. Der gilt nur für Preußen. Die Thür. Kirche ist nach wie vor selbständig. Vorgestern haben »wir« im Reichsinnenministerium 4 Stunden lang mit Frick verhandelt – hier ist schon eine Frucht dieser Besprechungen!« Und er langt nach mehreren Telegrammformularen, die neben ihm liegen u. liest mir vor, daß die Landesvereine der I.M. »selbstverständlich« ihre Selbständigkeit bewahrten. Daran schließt sich ein langes Gespräch. Er setzt mir auseinander, daß u. warum alle Schwierigkeiten gerade in Preußen entstanden seien, wo der Kirchensenat, ein Gremium von alten Deutschnationalen – er nennt eine Reihe von bekannten, alten Adelsnamen, Großgrundbesitzern – die »Reaktion« in der Kirche vorstellte. »Der ArnimKröchlendorff z.B. – es war ja manchmal einfach nicht zum Aushalten! Dagegen bei uns in Thüringen! Schon das Verhältnis zwischen Pfarrer und Kirchenleitung! Ich will nicht sagen ›patriarchalisch‹, aber doch ›vertrauensvoll …‹«

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Hossenfelder war Vizepräsident; vgl. Scholder I, 454. Vgl. Scholder I, 454. Hermenau war 1933 Geschäftsführer der »Reichsfrauenhilfe« in Potsdam. Im Juni 1933 wurde er kommissarischer Bevollmächtigter für alle Frauenverbände der evangelischen Kirche: Personenlexikon, 108–109.

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Er schildert dann die Bedeutung des Wehrkreispfarrers Müller als Seelsorger von Hitler – rührende Anekdoten, die ja vielleicht wahr sind, aber schrecklich auf die Nerven fallen, wenn sie so absichtsvoll erzählt werden. Müller kann jederzeit zu Hitler, morgens früh und abends spät. »Draußen warten die Gesandten, aber ich kann zu ihm.« Einmal – vor schwerem Kampf: »Lieber Reichskanzler, ich finde hier die Losung ›fürchte dich nicht‹«. »Ach, ich danke Ihnen. Nun bin ich ruhig. Mir war so angst. Aber nun …« (Ich finde das auch eine gräßliche Indiskretion. Kein Seelsorger dürfte so etwas erzählen. Es ist unmöglich). Der L.O.Pfr. schildert dann voller Entrüstung, wie mit der kommissarischen Besetzung der Stelle Kaplers durch Stoltenhoff der Versuch gemacht worden sei, die Konkordatsklausel zu umgehen. Das sei Hinterhältigkeit und offener Vertragsbruch. Er schildert, wie in der Sitzung des Kirchenausschusses am 23. hier abends irgendeine weitere, verhängnisvolle Entschließung (die Wahl Stoltenhoffs in irgendeinen Ausschuß? Ich begriff es nicht.) durch einen Vorschlag von ihm, L.O.Pfr. Reichardt [W.], um etwa 15 Minuten hinausgeschoben worden sei, u. gerade in dieses Zwischenspiel hinein sei das berühmte Telegramm von Rust gekommen49, wodurch dann die gerade besprochene, verhängnisvolle Entschließung sich erübrigt hätte. Es schien also, als ob um ein Haar größeres Unheil durch ihn, Reichardt [W.], gerade noch verhütet worden wäre. Der L.O.Pfr. machte keinen gedrückten, sondern im Gegenteil einen äußerst angeregten Eindruck. Es lag ihm offenbar daran, mir seine Auffassung der Dinge mitzuteilen, damit ich sie weitertrüge. Er erzählte von der verhängnisvollen Entscheidung vor Himmelfahrt, der Nennung des Namens »Bodelschwingh«, durch die Müller sich verletzt fühlte, brachte die bekannten Vorwürfe gegen die jungref. Bewegung [JRB] usw. Ich benutzte die Gelegenheit, um nun meinerseits einiges vorzubringen, was mir am Herzen lag – und bekam merkwürdige Antworten. Z.B. Ich: »Aber wie kann man einen Mann wie Pfr. Hossenfelder zum Vizepräsidenten des Oberkirchenrats [EOK] machen! Das ist doch eine Herausforderung!« Er: »Sie müssen das verstehen! Denken Sie, wie verletzt Müller war, und wie nun die radikale Richtung der D.Chr. zu ihm sagen konnte: »Den Leuten (Kapler, Marahrens, Hesse) hast du getraut und uns zurückgestoßen – und die haben dich betrogen!« Übrigens hat ja der Kommissar Hossenfelder eingesetzt.« Ich: »Man läßt sich doch seine Handlungen nicht vom Gegner vorschreiben. Wenn Müller bisher gegen Hossenfelders radikale Richtung angekämpft hatte, dann konnte er ihn doch nicht plötzlich in eine dominierende Stellung setzen, nur, weil die anderen, mit denen er bisher verhandelt hatte, ihn enttäuschten«. Schließlich fiel dem L.O.Pfr. ein, daß der Kommissar Hossenfelder eingesetzt hätte, nicht der Reichsbischof. »Warten Sie nur«, sagte er bedeutsam, »warten Sie nur, das kommt alles wieder in Ordnung! In 10 Tagen ist der Kommissar fertig und wird zurückgezogen – und alles ist zufrieden!« Ich: »Wir können in dieser Situation nicht warten! Und wie konnte man einen Mann wie D. Jeep absetzen! Dabei soll man ruhig bleiben! Das ist nicht möglich!« Er: »D. Jeep kommt wieder. Die ganze Aktion ging ja gegen Künneth!« So ähnlich gings weiter. Schließlich verlangte er noch, ich solle auch den Deutschen Christen »reines Wollen« zubilligen. Ich: »Ja, aber nicht allen.« Er: »Nun ja, ›L‹ (K.Rat Lehmann?) nehme ich auch aus.« Vorher war das Gespräch darauf gekommen, daß die 49

Vgl. Scholder I, 444.

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Wahlversammlung der Deutsch. Christen im Februar hier in Eisenach, auf der Pfarrer Hohmann-Tambach sprechen sollte, nur von 36 Personen besucht worden sei. Beim Namen »Kirchenrat P. Lehmann« hebt er abwehrend die Hand: »Gehen Sie mir mit dem!« Er lobt Leutheuser u. versucht, ihn mir menschlich näher zu bringen. U.a. erzählt er, wie er, Reichardt [W.], ihm Leutheuser, mitgeteilt habe, daß sämtliche Pfarrer der Stadt Gera »Deutsche Christen« geworden seien und wie Leutheuser dazu gesagt hätte: »Pfui Teufel.« Er, Reichardt [W.], schildert, wie ein Plan bestehe, gemeinsam vom Staat u. von der Kirche aus eine Volksmission ins Leben zu rufen. Die S.A. soll mit ganz neuen Methoden »durchgearbeitet« werden. Ich: Das werden dieselben Methoden sein, die Pfr. Otto u. Baudert auch schon haben – in ihren Erwerbslosenlehrgängen. L.O.Pfr.: Aber die haben die Nationalsozialisten nicht gehabt. Ich: Doch, seit einigen Jahren waren immer einige dabei. Auch auf kleinen Lehrgängen. Und die kamen freiwillig, waren nicht kommandiert. Natürlich, wenn die Partei ruft, dann kommen sie in Massen! Der L.O.Pfr. spricht weiter von Marahrens. Den hätten die lutherischen Bischöfe ursprünglich zum Reichsbischof vorgeschlagen. Das ist aber nicht bekannt geworden. Der Landesbischof [sic! L.O.Pfr.] ist enttäuscht von Marahrens. »Er ist doch kein Führer. Hätte doch, als Kapler krank wurde, die Sache in die Hand nehmen müssen.« Es war ein langes Gespräch von 1½ Stunden. Als ich in den V.D. zurückkam, war Frl. Eitner da u. gab auf meine Frage an, daß Lic. Hermenau als Kommissar für die kirchl. Frauenarbeit vom Wehrkreispfr. Müller eingesetzt sei.50 Ich teilte das dem L.O.Pfr. telephonisch mit. Darauf erwidert er sofort kurz u. energisch: »Von Müller? Dann ist das Reichssache, dann ist alles in Ordnung.« Ich lege sprachlos den Hörer hin u. verstehe nichts mehr. Müller ist doch schließlich immer noch nur der Bevollmächtigte des Reichskanzlers u. noch lange nicht Reichsbischof? (Als ichs später Pfr. Otto erzähle, schüttelt auch er den Kopf. »Haben die sich schon auf Müller festgelegt?«). Später war ich mit Frl. Eitner zusammen noch einmal beim L.O.Pfr. Er betonte ausdrücklich, daß Pfr. Thomas beim Pressetee nicht etwa Grüße des L.K.R. ausrichten dürfe. Uns blieb unklar, warum nicht – wo doch »alles in Ordnung« sein soll! Niemand weiß mehr, was eigentlich vorgeht. Der Landesoberpf. – falls er etwas weiß – spricht sich nicht aus. Die Kirchenräte wissen auch nichts u. die Presse berichtet lückenhaft oder garnicht und der Rundfunk schweigt über diese Dinge gänzlich. Was soll man machen? Am Nachmittag dieses Tages »Presse-Tee« der Frauenhilfe in Weimar. Lic. Hermenau spricht als Kommissar für die kirchl. Frauenarbeit der ganzen deutsch. evangel. Kirche [DEK]. Am Abend sprach Kube im Rundfunk. Ich konnte es leider nicht hören. Es soll fürchterlich gewesen sein: Haß und Verachtung gegenüber der Kirche.

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Zur Bevollmächtigung von Hermenau vgl. oben Tgb. vom gleichen Tag. Es ist allerdings eher unwahrscheinlich, daß Müller Hermenau eingesetzt hat.

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Daß Hossenfelder als Vizepräsident des Evangl. Oberkirchenrats [EOK] schon wieder abgesetzt ist, wurde auf dem Pressetee bekannt.51 Am nächsten u. übernächsten Tag berichten die Zeitungen überhaupt erst seine Ernennung. Am Sonnabend früh werde ich in die Wohnung von Dr. Volk gebeten. Er ist krank u. seit 8 Tagen zu Hause gewesen. Es wurde mir nur langsam klar, wozu ich gerufen war. Er wollte von mir wissen, was eigentlich los sei in der Reichskirche u. in Thüringen. Er war vollkommen ohne Nachrichten u. das Verhältnis zum L.O.Pfr. u. den anderen Kirchenräten ist offenbar so, daß er nicht anrufen u. bitten möchte. (Das Folgende nach kurzen Notizen, deren Sinn mir z.T. entfallen ist:) Seinerseits teilt Volk mit: »Die Rechtslage nicht eindeutig … Die Lutherischen haben alles verfahren. Hätten sie Bodelschwingh gewählt … den Lutherischen ist furchtbar die Wahrheit gesagt worden … Die Lutherischen sind sehr wichtig geworden, machen jetzt alles! Meiser lädt ein …! Hat Rust sich wohl von Hossenfelder distanziert? … Vertrauen der D.Chr. zum Landesoberpfarrer … Kein Staatskommissar für Thüringen? … Begegnung mit Wächtler vor Sitzung des Kirchenausschusses … Auf das Gerücht, daß Pfr. Otto versetzt oder entlassen werden würde, antwortet Volk: »Das geht nicht so schnell.« Gleichschaltung der Frauenverbände. Die Polizei u. Frau Glaue u. Frau Unrein in Jena. Trendelenburg: Sie haben »ja« gesagt. Einen breiten Raum nimmt in Dr. Volks Mitteilungen wieder die Tatsache ein, daß der Landesob.pfr. ihm nicht gerecht werde. Er schildert eingehend, wie der ihn übergangen habe, wo er Rücksicht hätte nehmen müssen u. dann plötzlich, neulich Abend hier, in Gegenwart von Rendtorff aus irgendeinem taktischen Grund mit ihm, Volk, vertraulich tat u. ostentativ, in seinen Arm gehängt, mit ihm durch den weißen Saal ging. Wenn man den Zustand dieses Landeskirchenrates überdenkt u. sich dann vergegenwärtigt, daß der in Zeiten, wie wir sie haben, eigentlich irgendwie »führen« sollte, dann kann man wütend werden. Aber wir sind uns ja schon vor Jahren drüber klar gewesen, daß es mit diesen Leuten nichts ist! 18. Nov., Sonbd. [18. November 1933] Anfang der Woche erzählt mir Pfr. Otto, daß der Ev. Oberkirchenrat [EOK] am Sonnabend den Führer der jungref. B. [JRB], Niemöller, »suspendiert« habe, mit ihm den Pfarrer von Rabenau und noch einen [Scharf52]. Am gleichen Abend um 11 Uhr hätte der Staat diese Verfügung rückgängig gemacht (am Sonntag, d. 12. war Reichstagswahl). Am Montag [13.11.] habe der R.B. die Verfügung erneuert! Ursache: Niemöller hätte zum Ungehorsam aufgefordert, indem er die preuß. Pfr. seiner Bewgg. durch

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Dieser Nachricht liegt der folgende Vorgang zugrunde: »Inzwischen versuchte Müller, durch verstärkte Zusammenarbeit mit den lutherischen Bischöfen in einen Aufwind zu geraten. Er erreichte kurzfristig durch ein Scheinmanöver, daß Jäger den den Bischöfen mißliebigen Hossenfelder vorübergehend beurlaubte. Doch kurz darauf – am 14. Juli – wurde vom preußischen Ministerpräsidenten Hermann Göring veranlaßt, daß Hossenfelder dem Präsidium des Oberkirchenrats zugeordnet blieb« (Vehse, Leben und Wirken des ersten Reichsleiters, 89). Chronik der Kirchenwirren, 109; vgl. auch JK 1 (1933), 309; die Amtsentsetzung war am 11. November durch den EOK verfügt und am 13. November wieder aufgehoben worden.

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Rdschr. angewiesen hätte, die Fragen, die wegen des kirchlichen Arierparagraphen53 an sie gerichtet werden würden, nicht zu beantworten. Inwieweit v. Rabenau u. der andere Pfr., dessen Namen ich nicht weiß [Scharf54], mitschuldig sind, war O. nicht bekannt. Der Tatbestand war ihm am Dienstag in einem langen, 2-seitigen Telegramm mitgeteilt u. er gleichzeitig aufgefordert worden, sich mit den Suspendierten solidarisch zu erklären auf Grund einer Verpflichtung, die etwa 3000 Pfr. in Deutschland, die sich im Pfarrernotbund [PNB] zusammengeschlossen haben, eingegangen sind.55 Otto hat daraufhin an den R.B. geschrieben, sich solidarisch erklärt, hofft, daß von den 3000 Pfarrern doch mindestens 1500 das Gleiche getan haben, und daß das etwas hilft. Er ist sich dabei bewußt, daß er gleichfalls Absetzg. riskiert. Er leidet darunter, daß der Konflikt grade um den Arierparagraphen56, den er, wie mir schien, nicht aus voller Überzeugg. ablehnen kann, zum Ausbruch gekommen ist und nicht klar am Bekenntnis. Es ist so das Verständnis für die Gemeinden erschwert. Es sei wohl ein Gesetz, daß die Dinge, um die gekämpft würde, nie ganz klar in Erscheinung träten. In diesem Falle hätten aber eben die Führer der jungreformat. Bewegung [JRB] »ihre Hälse hingestreckt«, und die, die zu ihnen stünden, wären Schufte, wenn sie sie im Stich liessen. Ich halte den Arierparagraphen in d. Kirche auch für verkehrt, würde es aber geradezu für ein Unglück halten, wenn der Kirchenkampf gerade daran zum offenen Ausbruch käme. Der Arierparagraph ist schließl. auch nur eine Einzelheit in dem ganzen Kampf um das Bekenntnis. Die Gegner hätten es jetzt leicht, die Dinge so darzustellen, als ob es sich um eine Stellungnahme für od. gegen die Juden handelte. Die Gemeinden würden verständnislos bleiben u. das Ausharren könnte auf der jungreform. Front [JRB] nur mit zus. gebiss. Zähnen, ohne Begeisterung geschehen. Otto zeigte mir am selben Tg noch einen Brief von Georg Schulz, dem Führer der Sydower Bruderschaft,57 der ihm gleichfalls Sorge machte. Es handelte sich um einen Empfang von Vertretern der jungreformat. B. [JRB] (in Preußen Gruppe »Evangelium und Kirche«) bei Hitler. Der Empfang ist von einem Amerikaner, Macfarland, bei Hitler angeregt worden (auch ein trauriges Zeichen, daß einem Amerikaner im Handumdrehen gelingt, was hunderte von evangelischen Pfarrern unter Gefährdung ihrer Existenz auf allen denkbaren Wegen seit Monaten angestrebt und nicht erreicht haben). – Nun sind zu diesem Empfang angemeldet Gerhard Jacobi u. Karl Barth, der Ausländer

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»Erstmals im Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums (BBG) vom 7.4.1933 formulierte Bestimmung zur Ausschaltung von ›Nichtariern‹. Beamte ›nichtarischer Abstammung‹ waren in den sofortigen Ruhestand zu versetzten; als ›nichtarisch‹ galt […] wer einen Eltern- oder Großelternteil hatte, der der jüdischen Religion angehörte« (Enzyklopädie des Nationalsozialismus, 373). Chronik der Kirchenwirren, 109. Dazu vgl. Tgb. 24. Juni 1933. Der Arierparagraph wurde am 6. September 1933 in die kirchliche Gesetzgebung der APU einbezogen. »Nach Einführung des Arierparagraphen in die Kirche der APU rief M. Niemöller die ehemaligen Mitglieder der Jungreformatorischen Bewegung zur Gründung des Pfarrernotbundes auf« (Greschat/Krummwiede, Das Zeitalter der Weltkriege und Revolutionen, 92. 104). Vgl. Tgb. 24. Juni 1933.

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ist und noch bis 1933 Marxist war58 u. die jungref. B. [JRB] ebenso scharf bekämpft hat (»Theolog. Existenz heute«)59 wie die Dtsch. Chr. Es ist deshalb taktisch so ungeschickt wie möglich, ihn als Vertreter der evangel. Opposition herauszustellen. Das ist noch das Wenigste; aber es kompliziert die Lage doch noch mehr. Man könnte fast von Täuschung reden. Jacobi hat Schulz auf seine Bedenken äußerst zuversichtl. geantwortet, was wir nicht begreifen. Hoffentl. geht alles gut. Der Empfang sollte am 13. stattfinden. Wir wissen noch nichts über den Verlauf.60 Inzwischen hat sich an diesem 13. noch ein Ereignis von großer Wichtigkeit zugetragen.61 Am Mittwoch Nachmittag brachte die »Eis. Ztg« als Leitartikel einen Erlaß des R.bischofs, in dem auf eine Kundgebung des Gaues Groß-Berlin der D.Chr. am 13. abds. im Sportpalast Bezug genommen wurde. Der Leiter der Versammlg., ein Studienassessor Dr. Krause, hat da eine unglaubl. Rede gehalten, hat die Abschaffung des A.T.s als Religionsbuch, Reinigung des N.T.s von »artfremden, abergläub.« Vorstellungen (Rechtfertigungslehre des Paulus), Zusammenfassg. getaufter Nichtarier in einer Juden-Christen-Kirche, Absetzg aller Pfarrer, die dieses angeblich nat.sz. Christentum nicht führend mitmachen könnten, u. sonst noch Verschiedenes gefordert u. u.a. auch das Kreuz abgelehnt! All das öffentlich und ohne daß die anwesenden Mitgl. der Reichsltg. der D.Chr. und der Leitung der Reichskirche protestiert haben! Daraufhin hat der Reichsbischof durchgegriffen. Sein Erlaß läßt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Krause ist aller kirchl. Ämter entsetzt. Alle Landeskirchenregierungen werden verpflichtet, ihre Pfarrer scharf auf ihr Ordinationsgelübde und das Bekenntnis hinzuweisen usw.62 Hossenfelder hat sich dieser Stellungnahme notgedrungen u. innerl. widerstrebend inzw. angeschlossen und Krause als Gauleiter gleichfalls abgesetzt.63 58

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Karl Barth war Mitglied der SPD; eine solche Mitgliedschaft wurde seinerzeit weithin mit marxistischer Gesinnung gleich gesetzt. Auch die Tagebuchschreiberin geht davon aus. In ihrer Äußerung schwingen deutliche Vorbehalte gegen Barth mit, wie sie auch sonst in der BK begegneten. Die Tagebuchschreiberin positioniert sich hier – mit Ernst Otto – als Anhängerin der JRB, auch in deren deutschnationaler Attitüde: Der Schweizer solle sich lieber aus dem deutschen Kirchenkampf heraushalten. Eine von Karl Barth im Juni 1933 herausgegebene berühmte Schrift, in der er sowohl scharfe Kritik an den Deutschen Christen wie an der JRB übte und gleichsam programmatisch Anliegen der Bekenntnistheologie entfaltete. Vgl. Stoevesandt, Kirchenpolitik; Scholder I, 552–559. Über den Vorgang berichtet ausführlich Scholder I, 689–690. Der von dem Amerikaner eingefädelte Empfang beruhte auf einem Mißverständnis und kam nicht zustande. Vgl. auch das Protokoll der Unterredung Macfarlands mit Hitler in der Reichskanzlei vom 31. Oktober 1933 (Dokumente zur Kirchenpolitik I, 166–169), demzufolge Hitler lediglich seine grundsätzliche Bereitschaft zum Gespräch mit der kirchlichen Opposition erklärt hatte. Gemeint ist die berühmt-berüchtigte Berliner Sportpalastkundgebung der DC Berlin vom 13. November 1933; vgl. zu den Ereignissen im einzelnen Scholder I, 702–706. Abgedruckt in der Eisenacher Zeitung vom 15. November 1933 unter der Überschrift: »Für das wahre, unverfälschte Evangelium. Bedeutsame Erklärungen des Reichsbischofs und des evangelischen Oberkirchenrates [EOK]«. Die Erklärung schließt mit den Worten: »Nur eine Kirche, die das wahre und unverfälschte Evangelium verkündet, kann der Volksgemeinschaft des Dritten Reiches so dienen, wie es vor Gott gefällig ist.« Der Text ist ebenfalls abgedruckt in: ThKbl/B 1933, Nr. 22a, 265. Vgl. Scholder I, 703–705.

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Bei den Thür. D.Chr. [KDC] hat der Erlaß offenbar wie eine Bombe eingeschlagen. Am Donnstg. früh erschien Dr. Brauer, der eigenl. bis Freitagnachm. in Egendorf am Kaderschulungskurs der D.Chr. [KDC] teilnehmen sollte, unerwartet im V.D., um eine Kundg. der Kreisgemeinde Eisenach der DC64 für Freitag Abend im Fürstenhof65 vorzubereiten. Die N.S.D.A,P. lud mit ein. N.S.B.O.66, Frauenschaft, S.S., S.A. waren aufgeboten. Der Saal war nicht übermäßig voll. Nach Begrüßung von Brauer sprach zuerst Leffler. Dies alles erfuhren wir also am Mittwoch nachm. (15.11.) durch die Zeitungen. Am nächsten Morgen um 8 Uhr sah ich den Labi mit Bauer [W.], m. neuen Chef67, durch den Garten wandeln. Man sah es dem Labi, D. Reichardt [W.] an, daß er Oberwasser hatte. Er ging in straffer Haltung, lebhaft redend u. mit weitausholenden Gesten neben dem kl. Bauer [W.] her, der den Kopf tief gesenkt hielt u. nichts sagte. Kurz darauf kam er in mein Zimmer, blieb an der Tür stehen. »No, wos is dn da bossiert? De ganze Kärche waggelt – un ich weeß von nischt?« Als ich aufklären wollte, winkte er ab. »Jetzt hab ichs erfahren!« Er kam an m. Tisch: »Der Landesbischof hat mich geschdauchd – mir solln die bibl. Lienje in ›Glaube u Heimat‹ nich verlassen – ham mir die biblische Lienje verlassen?« Ich erschrak u. dachte an die Andacht Leutheusers in Gl. u. Hmt.68»Ehe ich das beantworte, muß ich den einen Artikel noch einmal durchlesen«, sagte ich zögernd u. gleich darauf erschrak ich vor mir selbst. Was ich sage? Wollte ich nicht bekennen? So nahm ich Leutheusers Artikel noch einmal vor und las ihn Wort für Wort genau durch, um klar begründen zu können, was ich sagte. Dann, am Nachmittag, als wir längst von anderen Dingen gesprochen hatten, fing ich noch einmal an: »Da Sie mich gefragt haben, Herr Dr., ob wir in Gl. u. Hmt. die bibl. Linie verlassen hätten, möchte ich ihnen sagen, was ich denke. Ich habe d. Andacht von K.Rat Leuth. noch einmal ganz genau durchgelesen. Ich finde, hier ist die bibl. Linie verlassen.« Er gab hierauf keine direkte Antwort, was Ernst Otto für innerliche Zustimmung hielt. Es entspann sich aber ein langes Gespräch über die Grundsätze der Dtsch. Chr. Ich fürchte, er will mich bekehren. Daß der Erlaß des Reichsbischofs wie eine Bombe eingeschlagen hatte, bewies bereits das plötzliche Erscheinen von Dr. Brauer, der eigentl. mit Leuth. zus. auf einem Schulungskurs der Dtsch. Christen in Egendorf bis Freitag nachmittag hatte ausharren 64

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Untergliederung der »Landesgemeinde Thüringen der Deutschen Christen«. Siegfried Leffler berief schon ab Juli 1933 Pfarrer und exponierte Laien, die einfache DC-Gemeinden sowie auch Kreisgemeinden bilden und als deren Leiter fungieren sollten.. Laut Organisationsplan war der im Text genannte Dr. Brauer zuständig für das Ressort »Organisation und Kassenverwaltung « mit Sitz in Eisenach. Zur Organisation der KDC vgl. Böhm, Deutsche Christen, 119–125; Weitenhagen, Evangelisch und deutsch, 300–302. Kurhaus – Hotel »Der Fürstenhof« mit großem Versammlungssaal im Zentrum von Eisenach. Zur NSBO vgl. oben Anm. 34. Dr. Wilhelm Bauer wurde zum 1. Oktober 1933 vom Volksbildungsministerium (Weimar) beurlaubt und vorläufig als Mitarbeiter von KR Leutheuser im Volksdienst eingestellt. Die endgültige Übernahme in den Dienst des LKR der TheK und als Direktor der Nachrichten- und Pressestelle beim LKR in Eisenach erfolgte am l. Oktober 1934, vgl. LKAE, L 3051, 56. 78 [Anstellungsurkunde]. Julius Leutheuser, Luther in Worms und Hitler am 12. November, GuH [Monatsausgabe] 10 (1933), 1 [Titelblatt], im November 1933.

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sollen. Er organisierte sofort eine Kundgebung der Kreisgemeinde Eisenach der DC für Freitag Abend, bei der Leffl. u. Leuth. sprechen sollten. In einer Ztgsnotiz wurde [eine] Stellungnahme zu den jüngst. kirchenpolit. Ereignissen angekündigt. Trotzdem war der Fürstenhofsaal am nächst. Abd. nicht übermäßig voll. Nach Begrüßungsworten von Brauer sprach zuerst Leffler u. nur er rührte an die Berliner Vorgänge, Leutheuser führte später lediglich d. Programm der Dtsch. Christen [KDC] aus. Von Lefflers Ausführungen habe ich mir Folgendes notiert: »Krisis in Dingen des Glaubens. Der Eingeweihte weiß, daß mehrere Richtungen gegeneinander kämpfen. Vorgänge im Berl. Sportpalast. Man muß sagen, daß die dort gefaßte Entschließung unserer deutschen Brüder Dinge enthält, »die von der Geschichte der Kirche aus durchaus nicht bejaht werden können.« Immerhin muß man das Stücklein Recht dort auch sehen. Im Ganzen kann man sagen, die Entschließung war eine große ›Tollpatschigkeit‹ (wörtl.). Die Erklrg. des Reichsb.s war notwendig; sie hat befreiend gewirkt. Am Bekenntnis soll man nicht rütteln (begründet durch ein Zitat aus Hitlers ›Mein Kampf‹). Es hat auch gar keinen Zweck, denn ›das liegt ja schon so weit zurück‹. Die Frage ist heute: ›Wie kann man darüber hinaus Menschen sammeln.‹ – Neu war der anständige Ton gegen die Gegner, die ›konservativen Menschen, die hart und konsequent am Weg der Geschichte der Kirche stehen müssen.‹ Daneben die Anderen, ›die wissen, daß Gott auch heute noch zu uns spricht …‹« Die Stadt ist voll von Gerüchten. Ernst Otto ist 2 x gefragt worden, ob es wahr sei, daß er abgesetzt worden wäre. Dagegen hat mich Else, die mit d. Kreisleiter (Reichsinspektor?) Martin Seidel u. sr. Frau befreundet ist, u. mit ihm am Sonnbd. lange zus. war, am Sonntg gefragt, ob es wahr sei, daß Leuth. abgesetzt wäre. – Das ganze Ereignis ist natürl. ein Schlag gg. d. Dtsch. Chr. Das Publikum wird aufmerksam, die Dinge sind doch offenbar nicht ganz so einfach, wie man ihm das vorerzählt hatte u. das Wort des Reichsbischofs, das er in der Lutherwoche hier sagte, das Gerücht von der bevorstehenden Absetzg. von Pfarrern, die nicht dtsche Chr. seien, wäre so »saudumm«, daß man sich wundern müßte, daß es Leute gäbe, die daran glaubten … Leuth. soll übrigens auf einem Schulungskursus zugegeben haben, daß die Kirchenwahlen jetzt, nach dem Erlaß von Rudolf Heß über die kirchliche Neutralität der N.S.D.A.P.69, ein anderes Ergebnis gehabt haben würden als am 23. Juli, wo hier in Thür. ein Parteibefehl die Parteimitglieder gezwungen hat, Dtsch. Chr. zu wählen.70 69

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Verfügung der Reichsleitung der NSDAP vom 13. Oktober 1933: »Im Anschluß an die Erklärung des Reichsbischofs Müller, wonach keinem Pfarrer dadurch Schaden erwächst, daß er nicht der Glaubensbewegung ›Deutsche Christen‹ angehört, verfüge ich: Kein Nationalsozialist darf irgendwo benachteiligt werden, weil er sich nicht einer bestimmten Glaubensrichtung oder Konfession oder weil er sich zu überhaupt keiner Konfession bekennt. Der Glaube ist eines jeden ureigenste Angelegenheit, die er nur vor seinem Gewissen zu verantworten hat. Gewissenszwang darf nicht ausgeübt werden. gez. Rudolf Heß« (Dokumente zur Kirchenpolitik I, 145). Am 19. Juli 1933 ordnete Heß für das Reich an: »Jeder, der sich zur nationalsozialistischen Weltanschauung bekennt, hat sich bis spätestens 20. Juli 1933 in die Wahllisten für die bevorstehenden Kirchenwahlen einzutragen. Die Wahllisten liegen bei den Kirchengemeinden auf. Die Beteiligung an der Wahl ist Pflicht« (Dokumente zur Kirchenpolitik I, 117). Möglicherweise hat es noch eine spezielle Aufforderung an die Mitglieder der NSDAP in Thüringen gegeben.

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Morgen, am 23. November, findet in Weimar eine Führertagg. der Thür. Dtsch. Chr. [KDC] in Anwesenheit von Hossenfelder, wie es heißt, auch des R.bischofs, statt. Da wird die Auseinandersetzung der »Thüringer« [KDC] mit der »Reichsleitung« [GDC] erfolgen, die ursprüngl. eine Reichstgg nach W. [Weimar] einberufen hatte, ohne die »Thür.« [KDC] zu fragen. Die dann infolge des Widerstandes der Thüringer [KDC] abgeblasen wurde. Es bestehen schon seit Langem starke Gegensätze mit Hossenfelder [GDC], mit dem sich Leffler schon auf der Nationalsynode gezankt hat, wie der Labi s.Zt. Pfr. Baudert bei dessen Abschiedsbesuch erzählt hatte. Gleich im Anschluß an die Nat.syn. damals, im Sommer, hatte es übrigens noch einen gründlichen, allgemeinen Krach gegeben. 12 lutherische Bischöfe, darunter Reichardt, protestierten schriftl. beim Reichsbischof gegen die Stellung Hossenfelders, der in Personalunion alle mögl. Ämter auf sich vereinigt.71 Goebbels selbst soll damals den Zeitungen telephonisch Weisung gegeben haben, die Nachricht von diesem Protest nicht zu bringen, stellenweise war sie aber doch durchgesickert. Theolog. Zeitschriften druckten sie natürlich anstandslos ab – aber wer liest die? Doch nur Theologen, die sowieso im Bilde sind. Von der Unterredung morgen soll Leuth. zu einem Bekannten gesagt haben, er erwarte da seinen »9. November 1923« (Hitlers Niederlage in München, nach der er neu anfangen mußte). Ernst Otto glaubt nicht, daß es zur Entfernung von Leuth. kommt. Er selbst hat aber zu Frl. Dittm. [Dittmar] beim Diktieren mehrmals gesagt: »Wir wissen ja garnicht, wie lange wir überhaupt hier sind.« Zu m. Niederschr. vom 18. ist zu bemerken: Niemöller, Rabenau u. d. and. Pfr. [Scharf] der jungreform. Front [JRB] sind nicht vom Reibi, sondern vom Ev. Ob.kirchenrat [EOK] abgesetzt worden.72 Die Besprechung Jacobi-Barth mit Hitler ist verschoben worden. D. 25.11. [25. November 1933] E. Otto sagt mir heute, daß die 3 abgesetzten Berliner Pfr. in der vorigen Woche wieder eingesetzt worden wären.73 – Inzw. haben sie in Pommern einen Pfr. Gerh. Wilde, Mitgl. der Syd. Brudersch. [Sydower Bruderschaft], abgesetzt, weil er einigen kirchlichen Führern »Irrlehre« vorgeworfen hätte.74 Inzw. hat sich ja herausgestellt, daß der Mann recht hat. Also heute haben wir erfahren, was sich in Weimar abgespielt hat – u. noch einiges dazu. Als Bauer [W.] erschien, fragte ich nicht. Er verlangte zunächst stürmisch nach dem Labi. Den konnte er nicht gleich kriegen. Inzwischen setzte er sich mir gegenüber u. begann: »Gestern u. vorgestern ist in Weimar Kirchengeschichte gemacht worden. 71

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Der Protest der lutherischen Bischöfe fand bereits am 26. September 1933, dem Vorabend der Nationalsynode in Wittenberg, statt. Er richtete sich sowohl gegen die beabsichtigte Ämterverbindung Reichsbischof (lutherisch) und Landesbischof in Preußen (uniert) als auch gegen die beabsichtigte Berufung Hossenfelders in das Geistliche Ministerium (vgl. Scholder I, 622). Vgl. JK 1 (1933), 348; diesem Bericht zufolge sind die Pfarrer »auf Veranlassung des Reichsbischofs« wieder in ihre Ämter zurückgekehrt. S.o. Tgb. 18. November 1933. Vgl. JK 1 (1933), 349–350.

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Wir sind von den Dtsch. Christen im Reich [GDC] rausgeschmissen worden; die Bayern sind freiwillig ausgetreten.75 Ich bin garnicht dabeigewesen, ich war gerade im Volksbildungsministerium. Ich habe Wolf Meyer [Meyer-Erlach] gebeten, die Notiz f. d. Ztgen zu machen, wir geben sie am Montag hinaus. Guida Diehl ist hinterher noch zu mir gekommen und hat gesagt, ich sollte die Notiz noch zurückhalten, sie würde sich bemühen, die Sache wieder einzurenken. Aber die wird das auch nicht wieder fertig bringen.« Die letzte Bemerkg. läßt darauf schließen, daß den Thüringern [KDC] die Wendung nicht angenehm ist. Aber sie bewahren natürl. Haltung u. lassen sich nichts merken. Von Volk hörte ich später noch allerlei. Seine Quelle war Sasse. Man hat den »Thüringern« [KDC] das Christentum abgesprochen. Daraufhin hat Leffler den Saal verlassen. Von einer westfälischen Teilnehmerin an der Tagg., wahrscheinlich einer Leiterin der Frauenhilfe, hat Frl. Eitner erfahren, daß die westfäl. Gruppe der Dtsch. Chr., während Leutheuser sprach, ihren Bischof an der Spitze den Saal verlassen hat. Auch bei der öffentl. Kundgebung am Abend in der Weimarhalle76 sind 2–3 Leute weggegangen, was gleichfalls als Protest gegen die »Thüringer« [KDC] ausgelegt wurde. Leffler ist gestern nach Berlin gereist, um die endgültige Auseinandersetzung zu erledigen. Ob die Absetzung Leutheusers in Frage kommt, konnte ich auch von Volk nicht erfahren. Es ginge aber um die Stellg. des Reichsbischofs, die Hossenfelders u. der ganzen Reichskirchenregierung. Einer wendet sich gegen den andern und so ist es im Lager der Dtsch. Chr. im ganzen Reich.77 Es ist ein plötzlicher vollkommener Zusammenbruch, den niemand mit dieser Schnelligk. erwartet hätte! Thür. u. Bayern aus der »Reichsgemeinde« ausgetreten, Württemberg gespalten, Westfalen im Protest, Hambg u. mehrere der nordwestdeutschen Landeskirchen empören sich gegen den Reichsbischof, u. verlangen Einberufung der Nationalsynode, offenbar ist ihnen der neueste Kurs des Reichsbischofs zu evangelisch, in Schlesien ruft Gogarten, der selbst D.Chr. ist, zur Sammlung, d.h. zur Spaltg, in Kiel lassen die Studenten Wilhelm Stapel nicht sprechen, weil er ihnen offenbar nicht heidnisch genug ist usw. usw. Und von Zeit zu Zeit muß man sich daran erinnern, daß im Juni der Staat eingriff, um einer angeblichen Verwirrg. in der Kirche ein Ende zu machen!78 Damit begann der Hexensabbat! Und, nachdem die Nationalsynode am 27.9. in Wittenbg getagt, der Reichsbischof im Amt ist u. immer wieder verkündet wurde, daß jetzt das Werk Luthers vollendet wäre – jetzt bricht alles zusammen! Die Sportpalastkundgebg. sollte eine Lutherfeier sein! Und am 3. Dezember, 1. Advent, soll der Reichsbischof feierlich in sein Amt eingeführt 75

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Die Zusammenkunft, die eigentlich zur einheitlichen Front von GDC mit der KDC führen sollte, fand am 24. November in Weimar statt. Hossenfelder löste die Beziehungen zur Thüringer Landesleitung und schloss dadurch Leffler praktisch aus dem Führerrat der DC aus. Zu den Ereignissen im einzelnen vgl. Meier, Die Deutschen Christen, 45–48. »Am Abend des 23.11. fand in der Weimarhalle ein öffentlicher Feierabend statt, der – von Lesungen und Gesängen der SA des Wieratales umrahmt – ganz im Sinne der Feiergestaltung der KDC aufgemacht war« (Meier, Die Deutschen Christen, 45). Zu diesen und den folgenden Informationen vgl. auch die Berichte unter dem Titel »II. Grenzenlose Verwirrung unter den ›Deutschen Christen‹«, JK 1 (1933), 354–360. Einsetzung eines Staatskommissars in der preußischen Landeskirche; vgl. Tgb. 24. Juni 1933.

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werden! »Mit bischöfl. Geleit« von der Siegesallee durchs Brandenburger Tor bis zum Schloß und von da in den Dom …« pp Vielleicht ist er bis dahin schon abgesetzt! Der Erlaß des R.B.s, wonach kein Pfr. benachteiligt werden darf, bloß weil er nicht den Dtsch. Chr. angehört, soll auf das Eingreifen des Auswärt. Amtes zurückgehen.79 Neurath hätte gesagt, sie hätten genug von der Judenverfolgung u. könnten nicht auch noch eine Christenverfolgung brauchen! D. 27.11.33 [27. November 1933] Das war ein Tag! Durcheinanderlaufen, kein Fertigwerden im VD! Der eine wird hierhin, der andere dorthin gerufen. Bauer [W.] u. Leuth. beraten an einem Aufruf der Dtsch. Christen für die heutige Nr. der Korrespondenz [ThHtK]. Darüber kommt erst alles andere ins Stocken u. dann in den letzten Stunden drängt sich alles. Nachmittags kommt ein Telegramm aus Weimar für Bauer [W.]: »Gau Groß-Berlin in voller Auflösg, Krause gründet Glaubensbewegung deutsche Volkskirche.«80 – Otto ist beim Labi und läßt mir sagen, er hätte ein Telegramm aus Berlin bekommen u. müßte gleich abreisen. Der Reibi hätte alle Pfr. des Pfar.notbundes [PNB] zusammen gerufen. Jetzt ginge es um die Wurst. Freitag ist hier die von Frl. Helmbold angesagte Gemeindeversammlung, bei der Otto und Brakhage und Mitzenh.(als dtsch. Chr.) sprechen sollen. M. [Mitzenheim] hat noch nicht zugesagt. Stüber führte mit Bauer [W.] in m. Gegenwart ein Gespräch, in dem sie feststellen, daß eben jede Zeit das Evangelium von sich aus neu deuten müßte usw. Stüber stimmte lebhaft zu u. vergaß nicht zu betonen, das sei eben das, was man früher liberalistisch genannt hätte. Darauf sagte Bauer [W.] nichts. Jetzt ist so ungefähr ganz Süddeutschland von den D.Chr. abgefallen. Prof. Fezer in Württemberg ist mit 800 Pfarrern dem Pfr.notbund [PNB] beigetreten. Die and. Süddeutschen, auch Lippe u. Westfalen, haben dem Reibi mitgeteilt, sie würden »die wertvollen Kräfte des Pfr.notbundes [PNB] bei ihrem Kampfe nicht im Stich lassen.« Der Leu [Leutheuser] setzte sich eine Weile zu Bauer [W.] u. mir – noch nicht dagewesen u. redete sehr hoffnungsfreudig. »Du wirst sehen, Bauer [W.], wir kommen hier in voller Ruhe durch, viel besser wie die andern. Die andern sind eben zu eng mit der Kirchenregierung verquickt.« – »Ja«, sagte Bauer [W.], »es ist wirkl. ein Glück für uns, daß der Landesbischof nicht Dtsch. Christ ist – und nicht Natsz.« – Die Zeitungen sind voll von Erklärungen bald aus dieser, bald aus jener Quelle. Anders als im JuniJuli, wo nichts gedruckt werden durfte u. der »Tägl. Rundschau« das Lebenslicht ausgeblasen wurde, weil sie wahrheitsgemäß berichtet hatte, es hätten nicht alle Berliner Pfarrer […] Dankgottesdienste abgehalten.

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»Um Hitlers Wünschen und seiner eigenen Grundsatzerklärung entsprechend die innerkirchlichen Auseinandersetzungen zu beenden, erließ er auf eine Anregung aus dem Innenministerium hin am 11. Oktober eine Kundgebung, in der er die kirchenpolitische Neutralität der Reichskirche verkündete. Wörtlich erklärte er: ›Ich werde niemals zulassen, daß irgendjemand einen Nachteil erleidet, nur weil er nicht Deutscher Christ ist‹« (Schneider, Reichsbischof, 159). »Glaubensbewegung Deutsche Volkskirche«. Vgl. dazu Kühl-Freudenstein, Evangelische Religionspädagogik und völkische Ideologie, 176.

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Den 29.11. [29. November 1933] Am 27. haben wir eine Korrespondenz [ThHtK] mit einem Aufsatz von Bauer [W.] u. Leutheuser herausgegeben, der sehr deutl. war u. u.a. eine unglaubl. Beleidigg. der Pfr.schaft81 enthielt. Anruf von Mitzenheim am Dienstag: »Ich habe nicht d. Absicht, mir das gefallen zu lassen.« Ich Anruf bei Frau O. [M.]. Er ist in Dahlem. Eilbrief dorthin. Otto ist am Montag telegraphisch nach Berlin geholt worden: Unterredung der Führer des Pfr.notbundes [PNB] mit dem Reibi. Ottos Rückspr. am Montg (kurz vor sr. Abreise) mit d. Labi in Sachen der Kundgebg. (infolge einer Anfrage von Mitzenh. beim Labi) muß stürmisch verlaufen sein. Der Labi hat gesagt, die Versmg. dürfte unter keinen Umst. stattfinden. O. hat geantwortet, sie würde unter allen Umst. stattf. War es Mittwoch als Nachricht kam, daß Hossenf. zurückgetreten?82 D. 3.12. [3. Dezember 1933] Am Dienstg. früh kam Stetefeld strahlend in unser Zimmer: »Die Reichsk.reg. ist zurückgetreten! Das haben alles die Thüringer [KDC] gemacht!« Das haben natürl. nicht nur die Thr. [KDC] gemacht! Inzwischen erfuhr ich von Otto, der Donnerstg. zurückkam. Der Rücktritt aller Kirchenminister, Pröbste pp., die die Berliner Sportpalastkundgebg. der Gruppe Krause ohne Widerspruch mitanhörten, ist eine der Forderungen des Pfr.notbundes [PNB], die die lutherischen Bischöfe mitunterschrieben haben. O. ist am Mittw. Abd. zurückgekommen. Donnstg. Nachm. rief mich Frl. Helmbold an, ob sie mich sprechen könnte. Erschien in großer Halle, gab mir O.s Entwurf eines Briefes an d. Thür. Pfr.schaft zu lesen, den er in Sachen des Artikels in der Hmt.korr. Nr.104 an alle Thür. Pfr. geschrieben hat. Ich sollte ihn durchlesen u. nöt.falls korrigieren. Gerade als ich mit dem großen Bogen in der dem ganzen Pflugensberg bekannten Handsch. in der Nische der Großen Halle saß, kam Reichardt [E.] iun. dazu u. verwickelte mich in ein Gespräch. Ich hielt ihn mit den Augen fest, damit er sich den Bogen Papier nicht ansähe! Abds Vortrag Otto im Gdesaal, danach Adressenschreiben an alle Pfr. bei Frau Pfeiffer [H.].83 Es wurde nach 12! Auf Anraten der anderen verstellte ich meine Handsch. Am Freitag früh Bauer [W.] sehr aufgeregt. Gespräch über Verhaftg. von Pfr. Wilde Stettin: »So muß mans mit solchen Kerlen machen – gleich SA ins Haus! Das ist nämlich staatsgefährl., wenn einer behauptet, der Reichsb. verbreitete Irrlehren!« (Wilde hat gesagt, der Reichsbischof unterstützte Leute, die Irrlehren verbreiteten. Na, u. das stimmt ja!)84 81

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Landesgemeinde Thüringen der Deutschen Christen, Die Deutschen Christen trennen sich von der Reichsleitung Hossenfelders. Authentische Erklärungen zur Lage, ThHtK 18 (1933), Nr. 104, 1, 27. November 1933. Am 29. November veranlaßte Ludwig Müller Hossenfelder und die anderen Mitglieder der Reichskirchenregierung zurückzutreten. Der Rücktritt Hossenfelders erfolgte aber erst am 20. Dezember; vgl. dazu Vehse, Leben und Wirken des ersten Reichsleiters, 95–96. Schreiben von Ernst Otto an alle Thüringer Pfarrer vom 1. Dezember 1933, LKAE, LBG 8, 10. Zum Fall Wilde vgl. Tgb. 25. November 1933.

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Abends langes Gespräch mit Volk im Dunkeln u. in Nässe, durch die Kurstr., am Prinzenteich vorbei und weiter. »Heute ist durch ganz Dtschld bei Pfarrern, die dem Notbd. [PNB] angehören, Haussuchung getan worden.« (Ich zu O.). Sonnbd früh ich nervös bei jedem Telephongespräch in Gedanken an die Briefe, von denen ein Teil am Freitg. Abd. schon abging. Nachmittags in d. Ztg. Erlaß Hitlers: Keine staatl. Eingriffe in die Kirche.85 Das bedeutet eine Erleichterung, aber das wußte O. noch nicht, als er in s. Brief an alle Pfr. den Fehdehandschuh aufnahm. Abds O.s Vortg. in d. Aula [des Gymnasiums]. (Frl. Helmbolds Kundgbg. am Freitg ausgefallen). Sonntag früh in d. Ztg. Zus.setzg. der neuen K. Reg.: Beyer, Lauerer, Weber u. ein Jurist.86 Abds treffe ich O. nach der Kirche. Labi hat schon angerufen. Hat Unterredg. zwischen O. u. einigen anderen sr Leute m. Leu [Leutheuser] u. s. Leuten »befohlen«. Sehr unglücklich. O. droht mit Kundgebungen, Flugblättern, Mobilmachg. der Gemeinden. Der Labi entsetzt, schildert, wie furchtbar die Gegensätze in anderen Gegenden die Gden schon aufwühlten. Will Examen der Kandidaten absagen. O. ist für morgen, Montag, von Schulz dringend nach Berlin gerufen. O.s Schilderungen der Berliner Verhandlungen: Beständiges Schwanken der Lage. »Ultimatum« an die Bischöfe. Der Reibi soll unentschlossen sein. Man hat sogar den Pfr.notbund [PNB] verbieten wollen! Schließl. also doch ein Sieg. 4.12. [4. Dezember 1933] Das 1. war heute früh im Büro, in das ich, auf gewaltige Stürme gefaßt, mit Zittern und Zagen ging, ein Anruf des Labi: Dringende, wichtige Notiz in die Heimatkorrespondenz: »Die Theol. Prüfg. ist abgesagt, aus dienstl. Gründen bis Jan. verschoben«.87 – Die Kandid. waren schon da, haben das Reisegeld zurückgekriegt. Der L.K.R. hat seit heute früh Sitzungen. Ganz geheim. Nicht mal Frl. Sommer i. d. Zentrale wußte was. Bloß gg. Abd. kam Spt. [Spigaht] zu uns in die Bücherei und fragte Btz. [Bernewitz], ob er was von einem Brief wüßte, den Pfr. Otto geschrieben haben sollte? Was sei da nur los? Ich sprach Volk, der nicht nach Egendorf geht (ich sollte hin), sehr gedrückt, sehr ernst; ich habe ihn noch nicht so gesehen. »Wir stehen vor ganz schweren Entscheidungen. Es trieb ja längst alles auf eine Auseinandersetzg. im engeren Kreis zu.« Wir kamen auf den berühmten Dr. Krause zu sprechen, der eine eigene Bewegung gegründet hat und in einem eigenen Blatt »enthüllt«88. Ich sagte, daß schlimmer als alle 85

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»Sonnabend, den 2. im Julmond/Dezember 1933. Der Führer zum Kirchenkonflikt. Keine Reichsund Staatseingriffe. – Berlin. Amtlich wird mitgeteilt: […] Reichskanzler Adolf Hitler hat die ausdrückliche Entscheidung getroffen, daß, da es sich um eine rein kirchliche Angelegenheit handelt, von außen her in diesen Meinungsstreit nicht eingegriffen werden soll«, vgl. Eisenacher Zeitung, LKAE, LBG 273, 111]. Vgl. Scholder I, 724; die juristische Stelle wurde zunächst nicht besetzt. »Zur gefl. Beachtung! Die für diese Woche angesetzte theologische Anstellungsprüfung in Eisenach mußte aus dienstlichen Gründen bis auf Januar verschoben werden« (ThHtK 18 [1933], Nr. 106 vom 4. Dezember). Unsere Volkskirche. Kampfblatt der Deutschen Glaubensfront, Göttingen 1933.

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seine »Enthüllungen« doch seine eigene, charakterliche Enthüllung sei, da er es fertig brächte, die Leute bloß zu stellen, mit denen zusammen er bisher gekämpft hätte. Volk hob beide Hände hoch u. sagte nur: »Oh Gott – überhpt!« u. nichts mehr. Wahrscheinlich hat der Labi Schaudervolles in dieser Richtg. aus Berlin erzählt. Bauer [W.] u. Brauer taten den ganzen Tag sehr fröhlich und liebenswürdig. Drüben hat Brauer niemand Eindruck gemacht. »Sehr niedergedrückt stand er da«, sagt Frl. Sommer. Nagler sagt es auch. Dienstg, den 5.12. [5. Dezember 1933] Heute waren unsere Vorgesetzten sehr niedergedrückt. Bauer [W.] schlich mit gesenktem Kopf herum. Man fühlte das Mißtrauen, wenn sie 2 oder 3 von uns zus. stehen [sehen]. Verfügg. des Reibi, der die Schirmherrsch. der Dtsch. Chr. niedergelegt u. verfügt hat, daß alle Mitglieder, Beamten u. Angestellten des Ministeriums [Geistliches Ministerium] aus allen kirchenpol. Gruppen, Bewegungen pp. austreten. Er fordert die Landeskirchen auf, diesem Beispiel zu folgen.89 Frl. Dittmar hat Ottos Brief an die Pfr. abschr. müssen; auch im L.K.R. ist er abgeschr. worden. Eine Beratg. jagt die andere. Heute Abend wurde Leffler erwartet. Der Sohn des Labi [Reichardt E.] hat zu Therese P. [Paulssen] von einem möglichen Rücktritt seines Vaters [Reichardt W.] gesprochen, wenn sich die Pfr. nicht hinter ihn stellten. Der sei auch sehr kleinlt. geworden. Und wie frech war er vorher, seitdem er in der K.vertretung in der Gruppe der Dtsch. Chr. saß, wie sprach er über O.! Der sei das rote Tuch für ihn, erzählte Therese. Über Ottos Reformationsfestpredigt hat er gesagt, O. hätte »versucht«, den D.Chr. die deutsch. Glaubensbewegg. [DGB] (Hauer) »in die Schuhe zu schieben«. Das könnten sich die D.Chr. nicht gefallen lassen. Ich sagte gleich, die werden sich hüten, damit anzufangen. Und sie haben geschwiegen. Donnerstg. nachm. um 4 Uhr ist die Besprechg. mit O. im L.K.R. angesetzt. (Ich muß zur Jahresvs. der Th.G.G. nach Weimar).90 Jansa hatte erfahren, der Reibi hätte ursprünglich nicht nur den Pfr.notbd. [PNB], sondern auch die Dtsch. Chr. gleichzeitig verbieten wollen, es aber dann noch wirkungsvoller gefunden, den Austritt zu verlngn. Am Sonnbd. Abend 2.12. Vortg Otto in der Aula [des Gymnasiums] im Lutherbund (Jungreform [JRB]).91 89

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»Schon auf der ersten Sitzung des neuen Kirchenkabinetts am 4. Dezember wurde […] ein entscheidender Beschluß gefaßt. Ein ›Kirchengesetz über die kirchenpolitische Unabhängigkeit der Reichskirchenregierung‹ untersagte den Mitgliedern des Geistlichen Ministeriums und den Beamten der Kirchenregierung ›die Zugehörigkeit zu kirchenpolitischen Parteien, Gruppen und Bewegungen‹ […]. Zwei Tage später erließ Ludwig Müller […] eine Kundgebung an die Deutschen Christen, in der er die Niederlegung seiner Schirmherrschaft bekannt gab« (Scholder I, 725). Marie Begas gehörte seit 1924 zum Vorstand der Thüringer Gefängnisgesellschaft, die sich die Aufgabe gestellt hat, straffällig gewordene Bürger zur Wiedereingliederung in die Gesellschaft zu erziehen und die Familien Strafgefangener vor Verwahrlosung zu schützen, Eisenacher Zeitung vom 28. November 1933. Vorsitzender war Dr. Otto Volk vom LKR in Eisenach. Marin-Luther-Bund: ein Dachverband für viele in- und ausländische Vereine, »die in Bindung an das lutherische Bekenntnis den in der Zerstreuung (Diaspora) lebenden Schwestern und Brüdern geistliche und materielle Hilfe geben und den Zusammenhalt der lutherischen Kirche in Deutschland fördern« wollen; vgl. EKL³ 3 (1992), 299–300. Es könnte aber auch eine andere Institution

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Er erzählte u.a., daß Hitler gesagt hätte, er wolle nichts mehr mit den Dtsch. Chr. zu tun haben u. sei tief von ihnen enttäuscht. Er hätte vom Reibi bei dessen Empfang am 29.11. unbedingt Beruhigung innerhalb der Kirche verlangt wegen des Auslands.92 D. 8.12. [8. Dezember 1933] Gestern von 4–10 Uhr Besprechg. zwischen O., Bauer [G.]-Gotha, Zimmermann-Altenbg, Leuth., Leffler u. Meyer-Erlach (Jena), dazu der Labi. O. sagte mir darüber: »Es ist im Ganzen sehr unerfreulich verlaufen. Sie versuchen, einmal versöhnlich zu sprechen u. gleichzeitig, durch Drohungen einzuschüchtern. Sie versuchen, ihre Bekenntnistreue zu beweisen. Der Labi will einen Brief an alle Pfr. schicken, den ich und Leu [Leutheuser] unterschr. sollen. Die Unterhandlg. ist noch nicht zu Ende. Ich gehe nachher noch einmal hinauf.« Er ist dann mit Herrn v. Eichel auf d. Weg zum Pflugensberg gesehen worden. Abds hat der Labi den bewußten Brief geschrieben, den er aber allein unterschrieben hat.93 Ich ließ mir ein Stück von Frl. Hasert verschaffen. Es ist ein großer Leim. Wenn mans genau liest, kommt heraus: keine Einigg., aber krampfhaftes Bemühen des Labi um Annäherg. festzustellen. Die Beleidigg. der Pfarrerschaft in der Heimatkorrespondenz wird glatt zurückgenommen. Eine 2. Aussprache wird in Aussicht gestellt. Sie wird wenig Zweck haben. Im L.K.R. heißts: »Die D.Chr. haben eins auf d. Kopf bekommen.« Leu [Leutheuser] hat mit Weimar telephoniert im Beisein von Labi u. Frl. Pfeifer u. Sasse. Er ist wütend geworden u. schreit ins Telephon: »Leckt mich …!« Darauf verläßt der Labi das Lokal.(Wenn der wüßte!) Die kl. Frl. Pfeifer mußte natrl. bleiben! Thomas, Mitz. [Mitzenheim] u. einige andere haben »gemeutert«, haben Forderungen gestellt an Leffler, Abschrift an Labi. Leu [Leutheuser] flucht: »Die Schweine! u. will sie ›rausschmeißen‹. Die haben das Maul zu halten!« Thomas u. Genossen tagten am Montg. in Neudiet.94 Morgen, Sonnbd., tagen die D.Chr. [KDC] in Weimar, Sonntg O. in Neudiet. Stetefeld läuft herum u. redet von »Sieg«. O. wurde am Sonnabd. wieder durch dringendes Telegr. nach Berlin geholt zu Georg Schulz u. kam am Mittwoch Abd. erst zurück.

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gemeint sein: Auf der Zusammenkunft der Thüringer Pfarrer der JRB am 11. September 1933 in Neudietendorf wurde unter der Leitung von Pfarrer Ernst Otto eine Namensänderung der Arbeitsgemeinschaft beschlossen. Die Arbeitsgemeinschaft soll an Stelle des belasteten Namens der JRB fortan Lutherische Arbeitsgmeinschaft für Thüringen heißen. Die Ortsgruppen sollen sich künftig Lutherbund nennen; vgl. Sitzungsprotokoll, LKAE, LBG 1, 169. Hier wäre also demnach die Ortsgruppe Eisenach gemeint. Zum Empfang bei Hitler vgl. Schneider, Reichsbischof, 168. Schreiben des Landesbischofs »An die Herren Pfarrer der Thüringer evangelischen Kirche« vom 8. Dezember 1933, LKAE, LBG 210, 256. Zu diesem Zeitpunkt war Pfr. Lothar Thomas (Oberhof) noch Mitglied der DC; er hatte einen Kreis von gleichgesinnten Pfarrern um sich gesammelt. Dieser machte die weitere Mitarbeit bei ihnen abhängig »von einer klaren, politische Verdächtigungen andersdenkender Amtsbrüder vermeidenden Stellung der DC-Landesleitung« (Meier, Kirchenkampf I, 476). Wenig später trat er bei den DC aus; vgl. unten Tgb. 10. Dezember 1933.

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D. 10. [10. Dezember 1933] O. kam heute aus Neudietend. von einer Versammlung der Jungreformatorischen [JRB]; nur 2 Pfr., 60–70 Laien. Es sei sehr fein gewesen. Aber ein Brief vom Hilfspred. Fontius, der Geschwister hat, die Missionare sind, ist von einer »Zollfahndungsstelle« aufgefangen worden. Darin soll er den Nationalsozialismus schlecht gemacht haben. Er selbst redet allerdings nur davon, daß er zu offen über Kirchenpolitik geredet habe. Leff u. Leu [Leutheuser] haben O. die Sache neulich schon vorgehalten. Das ist ein schwerer Schlag.95 O. meint, es sei noch nicht Zeit, gänzlich mit Leff u. Leu [Leutheuser] zu brechen. Die Gemeinden seien noch zu ahnungslos. Man müsse erst »sammeln« u. schulen. Vor allem aber beschäftigt ihn sehr die Religiosität von Leff u. Leu [Leutheuser] selbst. Er habe bisher nicht so gesehen, daß sie so stark innerlich bewegt seien. Es sei echte Frömmigkeit da, aber eben – heidnisch. Er denkt auch immer noch darüber nach, ob sich nicht doch aus dieser Bewgg. etwas Gutes entwickeln könnte. Er sagte das an ein. traurig. Abd., an dem er sehr abgespannt war. Er ist bestimmt nicht »eingewickelt«, das würde nicht zu ihm passen. Trotzd. bekam ich ein bißchen Angst. Der Brief des Labi hat viele beunruhigt. Sie fürchten, der ganze Kampf würde abgebrochen. O. will morgen gleich aufklärend allen denen schreiben, die sich hinter ihn gestellt haben. Thomas ist aus den Dtsch. Chr. ausgetreten u. fühlt sich seitdem »befreit«. Er hat seinen Schriftwechsel mit Leff u. seine Forderungen – alles sehr gut u. klar – drucken lassen u. offenbar auch an alle Pfr. geschickt.96 8 Pfr. stehen hinter ihm, die er aber nicht nennt. Er überläßt es ihnen persönlich auszutreten oder zu bleiben. Außerdem gibt es auch noch »reichsunmittelbare« D.Chr. [GDC] (Behr-Arnstadt), die der »Thür. Landesgde [KDC]« nie angehört haben. Die fordern jetzt auch den Rücktritt von Leu [Leutheuser]. Es haben sich bis jetzt etwa 180 Pfr. hinter O. gestellt. Das ist nicht genug. Die Eisenacher »Kundgebg« ist noch verschoben. Frl. Helmbold hat mit d. Labi einen Briefwechsel gehabt und erwartet noch eine Rückspr. mit ihm. D. 29.12.33 [29. Dezember 1933] Am Sonnabd, den 16., war im Gemeindesaal Abds 6 Uhr ein Kreis von etwa 50 Menschen, eingeladen durch Handzettel, beisammen, um die Eis. »Kundgebung« zu besprechen. (Kein Pfr.). Auch Eichel war da. Frl. Helmbold berichtete über ihre Verhandlg. mit dem Labi u. schonte ihn nicht. Er hat s.Zt. erklärt, er würde den Eisenacher Pfarrern verbieten, bei der »Kundgebg« zu sprechen! Jetzt sagt er, er hätte es nur desh. getan, um die Veranstalter der Kundgebg vor einer Blamage zu bewahren. Es hätte ja sein können, daß sie sich hinter den Reichsbischof stellten und wenn sie heraus gekommen wären, hätte die Depesche da gehangen mit der Nachricht vom Rücktritt des R.bisch! Zum Schluß hat er ärgerlich u. achselzuckend die »Kundgebung«, die nun nicht mehr 95 96

Zum Fall Fontius vgl. Biogramme. Pfr. L. Thomas hat seine Schreiben an Leffler und den Landesbischof zusammen mit einer Grundsatzerklärung in gedruckter Form an die Pfarrer der TheK geschickt; vgl. LKAE, LBG 266, 37.

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»Kundgebung« sond. »evang. Versammlung« heißen wird, erlaubt! Sie soll nach Neujahr stattfinden und den Auftakt zu einer volksmiss. Aktion in Eis. bilden. Inzwischen geschah die Einfügg. [Eingliederung] d. ev. Jugend in die Hitler-Jugd. [HJ]97 u. die beschämenden Eisenacher Vorgänge: Aufreizende Berichterstattung in der Presse, unverschämte Redensarten verschiedener kleiner Hitler-Jugd.-»Führer«, Richtigstellg. durch Mitzenheim, Versammlg mit Rede von Pfr. Wegeleben unter beständigen Störungen durch HJ, Einldg. zur Elternversammlg. im Schmelzerhof 98, polizeil. Verbot, Demonstration der HJ vor d. Versammlungslokal usw. Bericht von Frau K.Rat Pfeiffer [H.] u. ergänzender Bericht verschiedener Väter. »Es war wie bei den Kommunisten!« Die HJ hat sich toll benommen. Der Ortsgruppenführer ist der Sohn des religiös. Soz. Dieckmann.99 Heute flüstert mir Frl. Sommer zu, es sei ein Teleg. an den Labi gekommen: »Kirchl. Lage äußerst gespannt, Kommen morgen nach Würzbg. dringend erforderlich.«100 Mal neugierig, ob er geht. Das letztemal hat er sich gedrückt – wohlweislich, denn da haben die luth. Bischöfe ein Ultimatum gestellt, in dieser Woche noch ein Kabinett zu bilden. Es macht dauernd die wichtigsten Gesetze mit dem Fragment einer Kirchenreg. (Reichardt drückte sich tatsächl. wieder.) Hossenfelder ist von allen Ämtern zurückgetreten und hat auch die Reichsleitg. der Dtsch. Chr. [GDC] niedergelegt.101 Man glaubte ja schon vor Monaten, das Durcheinander in der Kirche könnte nicht größer werden; aber es wird immer katastrophaler. Es ist ein Gericht. Schade nur, daß die Gemeinden nichts merken: Die Tageszeitungen bringen nur noch die wichtigsten, sachl. Personalnotizen u. auch die Kirchenzeitungen dürfen nicht alles drucken, wie man an dem Beispiel des Rheinisch-Westfäl. Sonntagsgruß vom 10.12. sieht. 8 Tage nach dem »Religionsgespräch«102 hat Leffler nach dem Otto’schen Muster einen Brief an alle Pfr. geschrieben, der etwa so anfängt: »Ernst Otto hat einen widerlichen Streit vom Zaun gebrochen …« u. in der Behauptung gipfelt, »man sagt ›Dtsche Christen‹ u. meint den nat.soz. Staat!«103 O. hat es für unter seiner Würde gehalten, darauf zu antworten, er hat die Sache nur dem Labi unterbreitet. Am Freitag hat Bauer [W.] Frl. Dittmar einen Artikel für die »Briefe« diktiert, der den Fall Fontius ausschlachtet u. »in einer raffinierten Zus.stellg.«104 dann vom Notb. 97

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Text des »Abkommens über die Eingliederung der evangelischen Jugend in die Hitler-Jugend« vom 19. Dezember 1933 in: Dokumente zur Kirchenpolitik I, 183–184; zum ganzen Vorgang vgl. Siekmann, Die evangelische Jugendarbeit, 170–231. Restaurant und Versammlungslokal in Eisenach. Vgl. dazu das Schreiben der Evangelischen Jugend Eisenachs (Moritz Mitzenheim) an das Oberpfarramt Eisenach, mit der Bitte um Weitergabe an den LKR der TheK, LKAE, A 720, Bd. II, 87–90. Treffen der Leiter der lutherischen Kirchen in Würzburg; vgl. oben Tgb. 27. Mai 1933. Der Rücktritt erfolgte am 20. Dezember 1933; Hossenfelder war dazu von Reichsbischof Müller genötigt worden (vgl. Schneider, Reichsbischof, 170). Gemeint ist die oben geschilderte Zusammenkunft zwischen Otto, Bauer [G.], Zimmermann, Leffler, Leutheuser, Meyer-Erlach und Reichardt; vgl. Tgb. 8. Dezember 1933. Schreiben der Kirchenbewegung »Deutsche Christen« an alle Pfarrer Thüringens vom 12. Dezember 1933, LKAE, LBG 266, 51. Wilhelm Bauer, Eigenartige Methoden des Kirchenkampfes, BrDC 3 (1934), 10.

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[PNB] in Thür. u. E. O. berichtet, u. seinen Brief aus der »Freien Volkskirche« abdruckt – ob im Wortlaut oder nur gekürzt, muß abgewartet werden.105 Die Veröffg. durch die »Fr. V. K.« [Freie Volkskirche] ist ohne Wissen von O. geschehen. Am 24.12. haben O. u. Bauer [W.] sich getroffen u. B. [Bauer [W.]] hat von der geplanten Veröff. gesprochen, – aber nichts von den übrigen Gemeinheiten des Artikels, von dem ich durch Di. weiß. Die Greizer Kirche [Reuß ä.L.] will sich an Bayern anschließen, nicht an Thüringen.106 Sie haben genug von unseren Dtsch. Chr. [KDC]. Hoffentl. setzen sich unsere Dtsch. Chr. [KDC] recht bald in Gegensatz zur neuen Reichsleitung der Dtsch. Chr. – sie wollen näml. selbst »Reichsleitg.« sein. Viell. kommt uns von da Hilfe. Der Sohn des Labi [Reichardt [E.]] ist »K.reg.rat« geworden u. Beamter. Ba prophezeit Rücktritt des Labi, nachdem dies erreicht sei.

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Vgl. zu diesem Vorgang Wilhelm Bauer, Die Kirchenbewegung in Thüringen, BrDC 3 (1934), 6–9; in diesem Artikel hat Bauer zur Hauptsache einen Artikel des Pfarrers August César, Aus Thüringen 2. Bekenntniszwang?, Die freie Volkskirche 21 (1933), Nr. 23 (Dezember 1933), 188– 189 zum Wiederabdruck gebracht, allerdings in einer um zwei Absätze gekürzten Form. Damit hat Bauer zugleich auch den Brief Ottos vom 1. Dezember wiedergegeben, der in dem Artikel von César vollständig enthalten ist. Dem lässt Bauer schließlich noch seinen eigenen Kommentar folgen und schließt mit einem Abdruck der Grundsätze der Kirchenbewegung »Deutsche Christen«, wie sie anlässlich der Tagung der Landesgemeinde in Weimar am 11. Dezember 1933 erklärt wurden. César war seit ihrem Erscheinen im Jahre 1913 Schriftleiter der Zeitschrift »Die freie Volkskirche. Blatt für Gegenwartschristentum«. »In der Thüringer Landeskirche fehlte zunächst die Landeskirche von Reuß ältere Linie (Greiz), die sich nicht zu einem Beitritt zu der (liberalen) Landeskirche hatte entschließen können. 1934 ist sie unter politischem Druck beigetreten« (Dietmar Wiegand, Kleine Geschichte der Thüringer Landeskirche, in: Hübner/Schmidt [Hg.] Landhaus und Landeskirche, 41).

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2.2.2. Die Tagebucheintragungen 1934 2. Jan. 34. [2. Januar 1934] D. Reichardt am 29. nicht in Berlin gewesen. Heute Abend, kurz vor Dienstschluß erscheint Frl. Linde atemlos in m. Zimmer u. teilt mir im tiefsten Vertrauen mit, der Labi wolle zurücktreten, Sasse solle sein Nachfolger werden. Der Landeskirchentag würde zum 9. einberufen; heute gingen die Einladungen hinaus. Eine Viertelstunde später sagte mir Rienäcker dasselbe. Ich ging zu Otto – Wutausbruch! Wills lieber nicht aufschreiben. Man kann nie wissen. Am Sonnabd. ist der Labi »dringend« zur Bischofskonf. nach Würzbg. gebeten worden.1 »Erscheinen dringend erwünscht« der so, »sehr kritische Lage.« Er hat abgesagt, sei erkrankt. Die Wahrheit ist: Er drückt sich. Volk sitzt in Partenkirchen oder auf der Zugspitze zum Wintersport. Er hat keine »Nase« u. ahnt nicht, was hier vorgeht, sonst würde er da sein. Überall wird von dem wahrscheinl. Rücktritt des Reibi gesprochen. Ich glaube noch nicht daran. Jetzt soll die Entscheidg. 4 Wochen hinausgeschoben sein. Die luth. Bischöfe hatten ihm ein Ultimatum gestellt, das am 23.12. ablief. In einer Tagg., die unser Labi geschwänzt hatte. Aber schließlich kann er sich ja nicht ewig vor allen Entscheidungen drücken (bei der Wahl von Müller war er vorher abgereist, nachdem er sie mit vorbereitet hatte). Pfr. Liebe berichtet O. vom Zus.stoß Lüttich-Obermehler = Kreisleiter der NSDAP. Der Krsleiter behauptet, er sei Lüttichs kirchl. Vorgesetzter! L. [Lüttich] ist NS und D.Chr., hat ihm »Bescheid gesagt«, und nun sei »alles wieder gut«. D. 14.I. [14. Januar 1934] Am 9. war Landeskirchentag2. Die Verhandlungen begannen mit starker Verspätg. etwa ¾11, um ½2 Uhr war alles zu Ende – Gott sei Dank! Es war einfach gräßlich. Ich habe alles nur durch die Türe gehört, stand mit Frl. Linde auf dem kl. Flur vor der »Baustube«, hinter der Türe beim Podium. Einzelheiten scheinen mir allerdings entgangen zu sein u. alles klang natürlich gedämpft. War deshalb nicht so aufregend, wie die Scene auf die unmittelbar Anwesenden gewirkt hat. Der Anblick der tobenden Pgs. muß auf die Nerven gegangen sein. Zuerst kam die feierliche Verabschiedg. des Labi, der offenbar sehr in Sorge gewesen ist, daß ihm jemand nachsagen könnte, er sei viell. nicht freiwillig gegangen. Das 1 2

Zum Anlass vgl. Tgb. 29. Dezember 1933. Anlass zu dieser außerordentlichen Versammlung des Thüringer Landeskirchentags war ein Antrag von Landesbischof Reichardt, der sich wegen einer Verschärfung seiner Nierenerkrankung auf ärztlichen Rat genötigt sah, die Versetzung in den Ruhestand zum 1. März 1934 zu beantragen; vgl. Einladung des LKR der TheK zum außerordentlichen LKT am 9. Januar 1934 vom 2. Januar 1934, in: 2. Tagung des Vierten Thüringer LKT, Eisenach 1934, VII, LKAE, A 100. Für die Zwischenzeit sollte der als Nachfolger vorgeschlagene KR Martin Sasse als Stellvertreter des Landesbischofs die Amtsgeschäfte führen. Sasse wurde am 9. Januar 1934 mit Wirkung vom 1. März 1934 zum Landesbischof gewählt; vgl. 2. Tagung des Vierten Thüringer LKT, am 9. Januar 1934, 45, LKAE, A 100. Zum Wechsel in der Leitung der TheK vgl. auch Stegmann, 22–24.

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merkte ich dann später auch aus den Anweisungen, die Bauer [W.] für die Presse gab.3 Also er ist mit Schnädierungdäng verabschiedet worden – (d.h. zum 1. März. Bis dahin ist Sasse stellvertrend. Landesbischof.) Nachdem dieses Theater beendet war, kam der Wahlvorschlg. Leffler begründete ihn – er spricht sehr gut. Schade um ihn. Es ist auch schwer für Otto. So schuftig die Kampfesweise der D.Chr. ist – sie kämpfen doch eben auch aus Überzeugung, daran ist kein Zweifel. Und wie schade, daß nicht mit soviel Glut für das Evangelium gekämpft wird. Nachdem Leffler gesprochen hatte, verlas Eichel für die luth. Vereinigg.4 eine Erklärung . Es war also eine Absage an Sasse u. an die dtsch. Chr. übhpt., die durch staatl. verordnete Kirchenwahlen – hier sprach Eichel von »Zwang« – zur Macht gekommen seien. Da brach der Sturm los! U.a. wurde gebrüllt: »Ins Konzentrationslager mit dem Kerl! Wozu lassen wir den überhaupt noch reden! Holt ihn doch runter! Schluß! Schluß!« Leffler ging dann raus um die Pg.s zu beruhigen u. Eichel sprach vor halbleerem Saal weiter – leider! Denn er hatte die Fassung verloren u. erging sich in persönlichen Ausführungen über seine Einstellg. zum 3. Reich, die nun natürlich seine ganze Gruppe belasten.5 Und was er sagte, war tatsächlich ziemlich unmöglich. Wächtler u. Leffler erwiderten ihm. Und wie!6 Leffler begnügte sich nicht damit, sondern fing gänzl. unvermittelt an, von Ernst Ottos Brief an die Pfr.schaft zu reden, behauptete wider besseres Wissen, Otto hätte den Streit »vom Zaun gebrochen« pp. Es war sichtlich, daß Otto gereizt werden sollte. Otto hatte sich zum Wort gemeldet, zog seine Wortmeldg. dann aber zurück auf Verlangen der Gruppe. Eichel antwortete für ihn.7 Die Gruppe war der Ansicht, man habe Otto nur herausfordern wollen, um ihn niederzubrüllen. Dann ging alles sehr schnell. Sasse wurde mit 3 Stimmenthaltungen gewählt. Nachzutragen ist noch: Der Reibi hat ein unmögl. Gesetz erlassen, das am Sonntg., den 7. veröff. wurde. Danach ist es den Pfarrern der Opposition fast unmögl. gemacht, ihre Ansicht zum Ausdruck bringen. Auch Rundschreiben sind verboten. Alles bei Androhg. sofortiger Dienstentlassg8 pp. Die Bischöfe von Bayern u. Württemberg haben 3 4

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Wilhelm Bauer, [Presseerklärung; ohne Überschrift], ThHtK 19 (1934), Nr. 1 (3. Januar), 1. Die fünf Abgeordneten des Christlichen Volksbundes und des Einigungsbundes für reformatorisches Kirchentum, mithin die nicht deutschchristlichen Abgeordneten, hatten sich auf der Sitzung des 4. Thüringer Landeskirchentages am 6. und 7. September 1933 zur »Lutherischen Vereinigung« zusammengeschlossen. Bis auf den Vertreter der Theologischen Fakultät Jena, Prof. Dr. Karl Heussi, gehörten alle anderen Abgeordneten den DC an; vgl. Stegmann, 21. Rede von Friedrich von Eichel-Streiber am 9. Januar 1934, in: 2. Tagung des Vierten Thüringer LKT, Eisenach 1934, 26–29, LKAE, A 100. Rede des Abgeordneten Fritz Wächtler am 9. Januar 1934, 2. Tagung des Vierten Thüringer LKT, Eisenach 1934, 34–35, LKAE, A 100; Rede des Abgeordneten Siegfried Leffler am 9. Januar 1934, 2. Tagung des Vierten Thüringer LKT, Eisenach 1934, 30–32, LKAE, A 100. (Zweite) Rede des Abgeordneten Friedrich von Eichel-Streiber am 9. Januar 1934, 2. Tagung des Vierten Thüringer LKT, Eisenach 1934, 32–34, LKAE, A 100. Es handelt sich um die Verordnung betreffend die Wiederherstellung geordneter Verhältnisse in der Deutschen Evangelischen Kirche vom 4. Januar 1934, die in der Folgezeit auch als »Maulkorberlass« bekannt geworden ist. Dort heißt es u.a.: »§ 1. Der Gottesdienst dient ausschließlich

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den Reibi wissen lassen, daß sie dieses Gesetz nicht durchführen würden, es sei nicht rechtsgültig. Es widerspreche außerdem der Augustana. Ein Pfr. dürfe sich auch dem Bischof u.U. widersetzen – wenn der Bischof näml. Unrecht hat9 – oder so. Zu Ende der Woche hat der Reichsbischof alle Kirchenführer nach Berlin gebeten, um die Kabinettsbildg.10 zu beraten. Die Opposition geht nicht hin, sie habe ihre Vorschläge schon gemacht. Sasse ist hingefahren, Volk im letzt. Augenblick auch. Meine Situation im V.D. ist schrecklich. Ich muß als Mitarb. im Pr.Dienst die Korrekturen der niederträcht. Artikel lesen, die Bauer [W.] gegen Otto losläßt – u. muß noch dafür sorgen, daß alles ordentlich u. pünktlich u. ohne Fehler expediert wird. Und darf nicht mit der Wimper zucken, wo ich ihn am liebsten anspucken möchte. Sie wollen jetzt mit Macht loslegen. »Nun fängt d. Arbeit überhpt. erst richtig an«, hat einer zu Frl. Dittmar gesagt, u. schon ist ein Jüngling als 2. stenotypist. Kraft eingestellt worden. Schulungsbriefe an Kursusteilnehmer geben sie seit Januar auch heraus.11 Sie werden uns noch Manches nachmachen.

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der reinen Verkündigung des lauteren Evangeliums. Der Mißbrauch des Gottesdienstes zum Zwecke kirchenpolitischer Auseinandersetzungen, gleichviel in welcher Form, hat zu unterbleiben. Freigabe sowie Benutzung der Gotteshäuser und sonstigen kirchlichen Räume zu kirchenpolitischen Kundgebungen jeder Art wird untersagt. § 2. Kirchliche Amtsträger, die das Kirchenregiment oder dessen Maßnahmen öffentlich oder durch Verbreitung von Schriften, insbesondere durch Flugblätter oder Rundschreiben, angreifen, machen sich der Verletzung der ihnen obliegenden Amtspflicht schuldig. Die Eingabe von Vorstellungen auf dem hierzu vorgeschriebenen Wege bleibt unberührt« (Chronik der Kirchenwirren, 130; vgl. auch JK 1 [1934], 71–72). Bei Zuwiderhandlungen wurden sofortige vorläufige Amtsenthebungen mit Gehaltskürzungen sowie förmliche Amtsenthebungsverfahren angedroht. Aufgrund dieser Verordnung formierte sich die kirchliche Opposition. Zu den Vorgängen insgesamt vgl. die Darstellungen bei Schneider, Reichsbischof, 180–185, und Scholder II, 34–36. Die Landeskirchen von Bayern und Württemberg hatten »Rechtsverwahrung« eingelegt. In einem Erlass vom 12. Januar 1934 wies außerdem die Württembergische Landeskirche darauf hin, dass es »Gewissenspflicht des Geistlichen« sein könne, zu einer kirchenpolitischen Frage Stellung zu nehmen; vgl. Schäfer II, 1023–1024. Ein Hinweis auf die Confessio Augustana (CA) findet sich in den Dokumenten der Württembergischen Kirche nicht, wohl aber in der Kanzelerklärung des Pfarrernotbundes zum Maulkorberlass, wo es mit ausdrücklicher Berufung auf das Augsburger Bekenntnis abschließend heißt: »Wir müssen uns auch dem Reichsbischof gegenüber nach dem Worte verhalten: ›Man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen‹« (zit. bei Scholder II, 38). Bezug genommen wird auf CA XVI, wo es heißt: »Derhalben seind die Christen schuldig der Oberkeit untertan und ihren Geboten und Gesetzen gehorsam zu sein in allem, so ohn Sunde geschehen mag. Dann so der Oberkeit Gebot ohn Sund nicht geschehen mag, soll man Gott mehr gehorsam sein dann den Menschen. Actuum 5« (Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche, Göttingen 41959, 71). Die Sitzung fand am 13. Januar statt; die Entscheidung Müllers über die Kabinettsbildung wurde allerdings vertagt; vgl. Schäfer II, 1045. Die Frage der Kabinettsbildung war allerdings nur vorgeschoben. Müller wollte vielmehr die Kirchenleiter dazu zwingen, vom Widerstand des Pfarrernotbundes gegen die Verordnung vom 4. Januar 1934 abzurücken; vgl. Scholder II, 49. Schulungsbriefe der Kirchenbewegung »Deutsche Christen« (Nationalkirchliche Bewegung Deutschlands), die seit 1. Januar 1934 14-tägig bzw. monatl. im Verlag Deutsche Christen in Weimar erschienen. Sie dienten der Nazifizierung von Pfarrern, kirchlichen Mitarbeitern u. Kirchenvertretern; vgl. Stegmann, 43–46. »Jedem Kreisgemeinde- und Gemeindeführer ist es zur Pflicht gemacht, diese Schulungsbriefe zu beziehen« (Mitteilung in: BrDC 3 [1934], H. 1, 15).

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(Thomas schrieb, man habe sich von Berlin aus an ihn gewandt; er könne mir das aber nur mündl. mitteilen). Frl. v. Jagow sprach ich kürzlich, die von Berlin u. von dem kirchlichen Durcheinander dort erzählte. Die Damen im »Zentralausschuß«12 machten Ähnliches durch wie ich. Frl. v. J. [Jagow] ist gewöhnl. d. Echo von Phieler, der dtsch. Christ geworden ist – aber was für einer! Kein überzeugter. (Es gibt noch mehr DC dieser Art; auch Sältzer u. Rade schütteten mir kürzl. ihre Herzen aus. Man sieht daran, wie wenig sich die dtsch. Chr. auf ihre Leute verlassen können! Kirchenminister Beyer ist nun auch zurückgetreten, der letzte ss. Zeichens im Reichskirchenkabinett.13 Gestern sollen auch noch die kommissarisch Tätigen ihre Ämter niedergelegt haben. Das ist doch wohl ein Zeichen, daß der Reichsbischof nicht mehr zu halten ist. Dienstg., den 16.1.34. [16. Januar 1934] Schneller als wir gedacht haben sind wir auf dem Höhepunkt der Krise angelangt. Volk u. Sasse waren gestern früh von Berlin zurück; Sasse mußte gestern Abd. wieder hinreisen. Volk erzählte Bauer [W.]: »Die Entscheidungen sind aufgeschoben. Es ergab sich das sehr Nette, daß man sich entschloß zu warten, bis Hitler mit dem Reichsbischof gesprochen hat – der sollte Mittwoch (morgen) nachm. eine Unterredung mit ihm haben«.14 Weiter erzählte V.: »Meiser will dafür sorgen, daß die Kanzelerklärungen des Pfr.notbundes [PNB] zurückgezogen werden – das ist natürl. ein Schlag für den Pfr.notbund [PNB].«15 – Dazu erzählte mir Frl. L. [Linde], daß sie selbst am Sonnabd. Abd. ½11 im Rndfk. gehört hätte, die für den Sonntg zur Verlesg. von den Kanzeln angekündigte Erklärg [Kanzelerklärung] des Pfr.notbundes [PNB], ein Protest gegen den Reibi, dessen Absetzung verlangt würde, würde nicht zur Verlesg. kommen! Otto hatte mir im Laufe der Woche von dieser Erklärg. gesprochen. Er war zunächst der Ansicht, daß die Dinge in Thür. noch nicht so weit wären, daß die Gemeinden diese Entwicklung verstünden u. hatte Niemöller in diesem Sinne geschrieben. In der Nacht zum Sonntag, ½2 Uhr, hat Niemöller nach einem Gespräch mit Meiser antelephoniert u. die Verlesg. trotzdem verlangt. Otto hat danach zwei Stunden lang an d. Mitgl. des Pfr.notbundes [PNB] in Thür. telegraphiert u. d. Verlesg. angeordnet [Kanzelerklärung]. Er selbst hatte am Sonntg. leider nicht zu predigen. Es war schwer f. ihn u. er litt 12 13 14 15

Gemeint ist der Centralausschuß für die Innere Mission; vgl. Kaiser, Sozialer Protestantismus, 226ff. Beyer trat am 5.(6.) Januar zurück, verwaltete das Amt aber noch kommissarisch bis zum 21. Januar 1934. Meier, Die Deutschen Christen, 52, datiert den Rücktritt auf den 12. Januar. Vgl. Scholder II, 49; Hitler ließ diesen Termin jedoch wieder absagen. Das Gespräch kam erst am 25. Januar 1934 zustande; vgl. Scholder II, 53–62. Gemeint ist die von Martin Niemöller für den Pfarrernotbund entworfene Kanzelerklärung gegen den »Maulkorberlass« des Reichsbischofs; Text der Erklärung in: KJ 60–71 [1933–1944], Gütersloh 21976, 45, die bereits am 7. Januar in zahlreichen Kirchen Berlins verlesen wurde und deren weitere Verlesung für den 14. Januar vorgesehen war. In der Erklärung wurde dem Reichsbischof in aller Form das Vertrauen entzogen und offener Widerstand gegen seine Maßnahmen angekündigt. Zur Haltung der Landeskirchen in Bayern und Württemberg vgl. oben Anm. 9. Die Württembergische Kirchenleitung hatte die Kanzelerklärung mit dem ausdrücklichen Vermerk versehen lassen: »… nicht zur Verlesung im Gottesdienst bestimmt« (Scholder II, 38–40). Das dürfte auch die Position Meisers gewesen sein, auf welche die Tagebuchschreiberin hier abhebt.

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darunter, daß er v. Anderen verlangen müßte, daß sie ihre Existenz riskierten, ohne daß er in diesem Fall vorangehen konnte. – Am Montg. Mittag rief mich Frau Otto [M.] an u. erzählte mir, daß Otto zu einer Tgg. der Luther-Vereinigg.16, an der etwa 40 Thür. Pfarrer teilnehmen sollten, abgereist sei. Abends war ich bei ihr. O. hatte inzwischen angeklingelt u. mitgeteilt, von den Taggsteilnehmern seien Eckerlin-Dankmarshausen u. Hamann-Altenbg. inf. der Verlesg. der Kanzelabkündigg. bereits abgesetzt worden. Er habe mit Niemöller telephoniert u. der habe gesagt, das seien die ersten und bisher einzigen Fälle in Deutschld, Niemöller selbst hat am 7. und am 14. die Erklärung verlesen und auch ihm sei nichts geschehen – bis jetzt. Heute kamen zum 1. Mal die bestellten englischen und französischen Ztgsausschnitte mit Nachr. vom dtsch. K.kampf im V.D. an. »Six milles pasteurs contre l’Hitlerisation …«17 Gespräch mit Bauer [W.], der behauptete, der Pfr.notbund [PNB] stünde im Verdacht, alle diese Nachrichten ans Ausld. gegeben zu haben. »Das fällt nun alles d. Pfr.notbd. [PNB] zur Last!« Darauf sagte ich ganz ruhig: »Nein. Ich glaube einfach nicht, daß anständige deutsche Menschen so etwas tun können!« Darauf antwortete er nahe m. Person mit niedergeschlg. Augen u. ganz leise: »Ich glaube es auch nicht.« Und das sagt der Mann zu mir, nachdem er die Artikel geschrieben hat! Und er weiß doch von mir, daß ich zu Ernst Otto halte! Heute Abd. – es war schon dunkel – klopfte D. Reichardt, der im Park spazieren ging, plötzlich an mein Fenster. Ich machte auf u. es wurde ein langes Gespräch daraus. Er redete viel von snr. Krankheit u. erklärte seinen Rücktritt! Es war ein bißchen gar zu krampfhaft. Gerade diese Betonung macht einen schlechten Eindruck. Zum Schluß wurde er kirchenpolitisch. Er weiß wohl nicht, wie ich stehe; denn u.a. sagte er: »Wenn ich nur Kraft gehabt hätte! Ich wäre dazwischen gefahren! Wir brauchen hier in Thür. keinen Pfr.notbund [PNB]!« Und dann versuchte er an einem Beispiel, mir ein völlig schiefes Bild der Lage zu geben. »Man zitiert Rosenbg: Pfr. sollen nicht Politik treiben. Und die merken nicht, worum es geht! Der SA-Mann soll eben ohne Evangelium bleiben!«18 Morgen werde ich hören, daß Otto abgesetzt ist. Mitzenheim ist von den dtsch. Chr. ausgeschlossen worden. Den letzt. Anstoß hat wohl sein Artikel im Eisenacher Gdebl. über die Eingliederg. der ev. Jugend in die Hitler-Jugend – Richtigstellungen der niederträchtigen Zeitgsberichterstattg. – gegeben.19 Krause, der weltberühmte Sportpalast-Krause wird am 20.–21. in Eis. eine Tagg. halten. Hoffentl. öffentlich! Die Staatsztg. [Thüringer Staatszeitung] hat bei Lehmann angefragt, wie sie sich dazu verhalten sollte.

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Vgl. dazu oben Anm. 4. Sechs Tausend Pfarrer gegen die Hitlerisation. Dahinter steht das deutschchristliche Anliegen der Volksmission; mit dem Evangelium wollten die DC auch die politischen, d.h. in diesem Falle die nationalsozialistischen Organisationen durchdringen. Moritz Mitzenheim, Um die evangelische Jugend, Aus Luthers lieber Stadt 10 (1934) Nr. 1, 3–4.

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D. 17.I. [17. Januar 1934] Heute früh war im LKR fast noch nichts von all den Ereignissen bekannt. Frl. Linde sagte mir flüsternd am Telephon Bescheid über Eckerlin u. »noch ein anderer« sollten abgesetzt sein (Hamann).20 Hamanns Namen wußte sie noch nicht. Gestern Abd. sei ein Telegramm von O. aus Stedten21 gekommen, ein Protest im Namen von 80 LutherbdPfarrern22. Darauf große Aufregg. u. Besprechg. zw. Franz, Volk u. Lehmann. Heute früh im L.K.R. stundenlange Sitzg. hinter verschloss. Türen. Mittags sagt mir Frau Otto [M.] am Telephon, ein 3. Pfr. sei amtsentsetzt.23 Breithpt [Breithaupt] erzählt mir abends in d. Stadt, die 80 Lutherbd.Pfr.24 hätten gedroht, daß, wenn ihre Forderungen nicht erfüllt würden, nächsten Sonntag 80 Erklärungen von Kanzeln verlesen würden. Die Pfr., die die Erklärg. verlesen haben, haben sich selbst dem LKR angezeigt. Frau Otto [M.] hat ihren Kindern erzählt, daß der »Vati vielleicht abgesetzt würde!« Im L.K.R. ist das Gerücht verbreitet, Bauer [W.] wolle wieder nach Altenbg.. Js. [Jansa?] u. Btz. behaupten, ihm paßte die Kampfart der dtsch. Chr. nicht. Tatsache ist, daß die unwahre Berichterstattg., die Gruppe der religiös. Sozialist. hätte nach Eichels Rede im L.K.Tg. Beifall geklatscht, von Brauer stammt. Zeuge: Frl. Dittmar. Auf Hertzsch’s Einspruch hat Brauer tatsächl. berichtigt – was niemand ihm zugetraut hat. Den 20.I. [20. Januar 1934] Am Donnerstg. früh waren Pfr. Otto, Eckerlin, Hamann und Metz zur Vernehmg. bestellt. Otto kam ½10 Uhr dran, war etwa 1 Uhr fertig. Er war vergnügt u. lachte in der Erinnerg. Die Mitgl. des LKR seien alle ahnungslos gewesen, hätten nichts gewußt von den Entwickelungen in der Reichskirche, nichts vom Pfr.notbund [PNB] …(?) pp. Er hätte manchmal ½ Stunde lang ohne Unterbrechg. über die Lage geredet. Und dann die Situation! Volk als der Ankläger, Lehmann – unter den Richtern! Lehmann! Wenn uns das jemand noch vor 2 Jahren erzählt hätte, wir hätten uns das höchstens als Fastnachtsscherz denken können. Nachmittags werden die 3 anderen Pfr. vernommen. D. Resultat kam heute heraus: Verweise. Also sehr milde!25 Der LKR weiß, warum. 20 21

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Vgl. dazu Tgb. 20. Januar 1934. In Stedten bei Erfurt befanden sich Schloss und Gut des Grafen Keller, dessen Frau Mitglied der LBG war. Dort fanden unter dem Deckwort »Freizeit« wiederholt die Versammlungen der LAG u.ä. statt [nach allgemeiner Aktenkenntnis von Heinz-Werner Koch]. Vgl. auch Tgb. 5. Januar 1935, wo von einer Pfarrerfreizeit im Kellerschen Haus in Stedten die Rede ist. Zum Martin-Luther-Bund vgl. Tgb. 5. Dezember 1933. Es handelt sich um Pfarrer Metz; vgl. Protokoll der Sitzung des LKR der TheK am 17. Januar 1934, LKAE, A 122, 9. Wie Anm. 22. Näheres über die erwähnten Vorladungen, Verhöre und Verweise ist dem Protokoll der Sitzung des LKR der TheK am 17. Januar 1934 zu entnehmen, LKAE, A 122, 9–10. Ein ausführlicheres Protokoll desselben Vorgangs findet sich in: Martin Sasse (1890–1942), zusammengestellt von Dr. Erich Reichardt, Eisenach, Anlage zur PA Sasse, Martin, S. 63–72, LKAE, L 3050. Zu weiteren ungefähr gleichzeitigen Pfarrerdisziplinierungen vgl. Protokoll der Sitzung des LKR der TheK am 6. Februar 1934, LKAE, A 122, 16.

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Heute Abend ist Otto nach Erfurt gefahren um sich dort u.a. mit Bauer [G.] u. Zimmermann zu treffen. Die seien wütend, daß Otto die nochmalige Verlesg. der Kanzelerklärung abgeblasen hätte. Zur Besprechung mit Pfarrer Bauer [G.]-Gotha und Zimmermann-Altenburg. Die Beiden seien empört. Sie müßte durchgeführt werden, es sei ein Bekenntnis; da lasse man keine taktischen Gesichtspunkte gelten. Dieser Fall würde der schwerere sein. Bei Otto und den anderen Vorbestraften Rückfall, wiederholte Verlesung in den Augen des LKR, also wahrscheinl endgült. Hinausschmiß. Dienstentlassung. Bei den and. sicher sehr schwere Bestrafg., da es Vergehen gegen die inzw. veröffentlichte Thür. V.O.26 ist. Wenn der Beschluß durchgeht, daß verlesen werden soll, will Otto die Führg. des Notbundes [PNB] niederlegen, da es dann klar sei, daß er 2x eine falsche Entscheidung getroffen hätte, z. 1.mal als er die Kanzelerklärg. für Thür. überhpt. ablehnte, um sie erst auf Niemöll.s dringendes Telegr. hin anzuordnen, das 2.mal als er die nochmal. Verlesg. durch die am 1. Sonntg. verhinderten Mitgl. des Notbundes [PNB] zurückwies. Ich mnsts bin beinahe dafür, daß verlesen wird. Diese Dinge bringen die Sache vorwärts. Wer sonst? Die Schwierigkt. ist nur, daß dann, wenn der Kampf bei uns richtig losgehen wird, die Führer schon abgeschossen sind und keiner mehr da ist, der den Widerstand leistet. Insofern muß ich wieder Otto Recht geben. Köhler-Hildburghausen u. Heyder-Milbitz sind aus den dtsch. Chr. ausgetreten. Mitzenheim war gestern im Büro – fast wahnsinnig vor Wut. Er muß einen dollen Brief von hier oben bekommen haben. In der Stadt haben die D.Chr. verbreitet, er wäre aus der Gruppe ausgeschloss. worden wegen »Untreue«, also Unterschlagung! Es hat sich herausgestellt, daß u.a. der Sohn von Kirchenamtmann Götze [Götze Sohn] das Gerücht verbreitet hat u. M. [Mitzenheim] hat eine Dame als Zeugin dafür aufgetrieben! Ich platzte heute in eine Unterredung Leutheuser-Götze hinein, mußte mich natürl. gleich zurückziehen.Was draus werden wird, weiß ich natürl. nicht. Mitzenheim hat entdeckt – ich bin erstaunt, daß er es noch nicht wußte – daß die Krsleitg. der dtsch. Chr. bei uns ist. Er hat versichert, daß er dem ein Ende machen werde u. war deswegen bei Sasse. Sasse soll ihm Recht gegeben haben. Ich bin überzeugt, daß es Brauer ist, der auch die Lüge über M. [Mitzenheim] in die Welt gesetzt hat. Er ist es, der Bauer [W.] gesagt hat, die »Gruppe« der rel. Sz. hätte Eichel Beifall geklatscht. Es waren nur Hertzsch u. Jüchen von den rel. Sz. anwesend. Er hat wahrscheinl. auch den infamen Brief an Mitz. geschrieben – Bauer [W.] hat gerufen »Ihr seid wohl verrückt«, als er ihn gelesen hat u. ist damit fortgestürzt! Es war die gemilderte Korrektur, die Mitzenheim so wahnsinnig erregt hat. Auf Brs. [Brauer] Schuldkonto stehe auch dieser Brief an die BMW wegen eines Autos für die Gruppe der dtsch. Chr. Darin verspricht er Ermäßigg. der Kirchensteuer, wenn der Prs. so billig wie möglich gestellt würde! Brauer geht über Leichen. Das ist die feste Überzeugg. aller mr. Freunde beim LKR. Und mit solchen Persönlichkeiten soll dann Kirche gebaut

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Die Verordnung des Reichsbischofs vom 4. Januar 1934 war inzwischen auch in ThKbl/B 1934, Nr. 2, 8, veröffentlicht worden; auf ihre gewissenhafte Befolgung wurde ausdrücklich hingewiesen.

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werden! Jetzt wollen die dtsch. Chr. [KDC] in die außerthür. Kirchengebiete vorstoßen.27 Volk schlägt mir vor, meine Versetzg. aus dem V.D. zu beantragen. Ich kann die Zeit nicht erwarten, bis ich da heraus bin, obwohl der Wechsel natürl. nicht angenehm wird. Volk denkt daran, daß ich seine Hilfsarbeiterin werden soll! Mit ihm soll ich zus.arbeiten, der die Disziplinarsachen zu bearbeiten hat! Und sein schwankendes Wesen, der Mangel einer inneren Überzeugg., dem Wesen sr. Arbeit gegenüber – ! Jetzt redet er immer von der »Macht«! (Und wenn die Macht einmal wieder auf der anderen Seite sein sollte?) D. 29.I.34. [29. Januar 1934] Die Diszipl.fälle sind alle rasch erledigt worden – Verweis – bis auf Metz-Kranichfeld, dessen Aussage mit der ss. Oberpfarrers nicht zusammen stimmt. Am 21. sprachen die Notbd.pfr. [PNB] ledigl. ein Fürbittgebet für die diszipl. Amtsbrüder. Kummer-Arnstadt ist deswegen angezeigt u. vernommen worden – aber man scheint die Sache auf sich beruhen zu lassen. Die Vernehmungen von Pfarrern gingen am Montg. u. Dienstg. weiter. Im Haus wurde schon gelacht: »Jetzt sind wieder sechse drüben, jetzt wieder viere« u.s.w. Im Ganzen haben etwa 30 Pfr. die Erklärg. verlesen. »Nächstens werdens 100 sein«, prophezeit Rade, der selbst dtschr.Chr. ist. Während der ganzen Woche fanden Prüfungen statt; sie trafen zusammen mit den Pfarrvernehmungen, die infolgedessen immer rascher u. unfeierlicher erledigt wurden. Die feierlichen Sitzungen im weißen Saal waren schon längst aufgegeben, die Übeltäter wurden paarweise an die Kirchenräte verteilt u. abgeschlachtet. Volk soll furchtbar gebrüllt und immerzu Bismarck zitiert haben. »Das sind lauter jurist. Begründungen, keine Theologie«, hat ihm ein junger Pfr. gesagt. Bei Ottos war Hochbetrieb, da speisten die Übeltäter. Die jungen Pfr. seien ganz durchgedreht gewesen vor Übermut, Freude u. Kampflust. Daneben saß freilich auch der fast zusammengebrochene Eckerlin.

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In der nationalkirchlichen Idee lag mit begründet, dass die zu erwartende Kirche nicht auf Thüringen beschränkt sein, sondern sich auf das ganze Deutsche Reich erstrecken sollte. Nationalkirchlich orientierte Gemeinden etablierten sich seit Januar 1934 (vgl. die Übersicht über die Expansionsbemühungen der KDC in den verschiedenen Ländern des Deutschen Reiches bei Meier, Die Deutschen Christen, 75–92). In diesem Sinne ist aber auch die Notiz in: BrDC 3 (1934), H. 1, 1, zu verstehen, wonach Herr Schulleiter Ernst Berthold in Borna bei Leipzig mit der Arbeit (Aufbau von Gemeinden und Kreisgemeinden) und mit der Führung der Kirchenbewegung »Deutsche Christen« in Sachsen beauftragt wurde. Die KDC sprachen deshalb auch von der Reichsgemeinde, deren Leiter Siegfried Leffler war, und riefen in Weimar und Eisenach zu Großveranstaltungen zusammen, die Reichstagungen genannt wurden. In den Jahren 1934/35 brachen die Spitzen der KDC regelmäßig zu Schulungs- und Propagandafahrten auf, um deutschchristliche Gemeinden auf nicht-thüringischem Gebiet für die nationalkirchliche Idee zu gewinnen oder sie zu unterstützen. Vgl. z.B. Rönck, Von der Wartburg zum Kölner Dom, BrDC 4 (1935), 140–144. Im selben Jahr erklärte Leffler: »Man redet mitunter im Unterschied zu den deutschen Christen im Reich von den Thüringer deutschen Christen. Dies mit Recht. Es sei klar gesagt, daß wir nicht auf Thüringen beschränkt bleiben, sondern still, stet und unaufhaltsam im ganzen Reich an Boden gewinnen wollen und werden, da wir des Glaubens sind, das Recht und die Pflicht dazu haben« (Leffler, Christus im Dritten Reich [Vorwort], 8).

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Mitzenheim hat obgesiegt. Er muß kollos. Krach geschlagen haben. Der L.K.Rat hat Mitz. in einer Ztgserklärg. rehabilitiert! Br. [Brauer] soll sich u.a. in der Kirchenvertretg. öff. entschuldigen. Aber am Sonntag d. 20. abends ½11 ist ins Pfarrhs. am Pfrrbg. geschossen worden. Der Schuß ging ins Schlafz. von Kühns; Frau K. [Kühn] lag schon im Bett. Mitz. meint, es hätte ihm gegolten. Es ist nichts bekannt geworden; die Pfarrer schweigen darüber. Am Mittwoch hat dann die von Leffler gewünschte Unterredg. in Weimar stattgefunden – mit Leffl., Leu [Leutheuser], Weinel! Thiem-Zella-M. [Zella-Mehlis] u. Leichte! Otto hatte Zimmermann, Hamann, Bauer [G.] u. Eichel mit. Otto war wenig befriedigt von dem Ergebnis. Es sei nicht zum Bruch gekommen. Auch Zimmermann u. Eichel hätten gesagt, man könne nicht abbrechen, es würde weiter verhandelt. Leffl. hätte sich eine fabelhafte Mühe gegeben, Frieden zu halten. Weinel u. D. König sind jetzt bei den dtsch. Chr., auch César! Die alten Liberalen!28 Es ist zum Lachen – Volk ist auch gänzlich in diesem Fahrwasser, in dem er vor allem keine Bindungen spürt. Das ist der Kernpunkt. Am Mittwoch fuhren Sasse u. Volk nach Berlin; am Donnerstg. sind 14 Kirchenführer, 7 von jeder Gruppe vom Reichskanzler empfangen worden (25. Jan).29 Wenn Hitler sich etwas früher Zeit genommen hätte, diesen u. jenen zu empfangen, wie es so oft versprochen u. nicht gehalten worden war, wärs besser gewesen. Es sickerte nichts durch von den Verhandlungen. Eine Qual. Gestern früh Meldg. vom Berl.er Tageblatt, Sieg Müllers! Alle Kirchenführer geschlossen hinter dem R.B., auch die süddeutschen, die doch in einer Front mit dem Notbd. [PNB] kämpfen! Sie versprechen, die kirchenpolit. Oppos. zu verhindern u. mit allen verfassungsmäß. Mitteln die Autorität des R.B. zu stützen! Das ist Hitlers Sieg, der den R.B. nicht fallen läßt. (Am Freitag Telephonat nach Kassel, wo Spigaht bei einer Tagung war: Hitler hält den R.B., hat gesagt, die K.führer sollten sich schämen u. sich ein Beisp. an der kathol. Kirche nehmen! Ganz so wirds nicht gewesen sein. Heute haben Sasse u. Volk berichtet. Frl. Linde hat etwas durch die Tür gehört. Danach ist Niemöller von Hitler empfangen worden (warum nicht längst!) Immer wieder der Name »Niemöller« u. etwas über ein Telephongespräch von ihm mit Hitler – so hat sie dch. die Tür verstanden. Nicht viel zu erfahren! Eins wenigst. ist erfreulich: Die Kirchenführer haben energisch Front gemacht gegen die polit. Diffamierung. O. hat aus Altenbg. gehört, daß ein Gemeindeglied erzählt hat, er habe Landesverrat begangen. Hat an Bauer [W.] geschrieben u. den Brief Franz in Abschr. gegeben. Bauer [W.] läuft nicht gerade strahlend herum. Otto ist heute nach Berlin gefahren, gerufen von Georg Schulz. Niemöller ist beurlaubt worden, steht in den Baseler Nachrichten. Otto denkt an Aufgabe des Amts, Weggehen von Eisenach. Es sieht alles nach Kirchenspaltg. aus. 28

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Die Tagebuchschreiberin registriert hier den auch sonst zu beobachtenden Umstand, dass in überraschendem Maße liberale Theologen den Weg zum Nationalsozialismus bzw. zu den DC gefunden haben. Vgl. zum folgenden Scholder II, 53–62; Dokumente zur Kirchenpolitik II, 17–33.

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Ich sehe auch keine and. Möglichkeit, noch etwas zu erreichen, als Amtsniederlegg. vieler Pfr., sovieler, daß man den Skandal fürchtet u. einlenkt. Frl. Linde hatte noch gehört, daß Hitler gesagt hätte: »Ich lasse Ihnen bis zum Frühjahr Zeit, m. H. Haben Sie sich dann nicht geeinigt, dann greife ich ein u. bringe Ordnung in die Kirche.«30 Was ist aus Luthers Kirche geworden! Aber jetzt erleben wir, was es wert war, daß sein Landesherr ihn beschützte. Unter den Papieren von Bauer [W.] fand ich Richtlinien des Reichsinnenministers zum Religionsunterricht – verheerend! Religion nur als Mittel zum Zweck, beurteilt ausdrückl. nur nach dem Maße, in dem sie dem Volke dient!31 Wenn das überhpt. noch Christen [sind]. Den 13. Mai, abds., 1934. [13. Mai 1934] Morgen Landeskirchentg.32 Der Landeskirchenrat wird ein Gesetz vorlegen, nach dem die Thür. Landeskirche ihre Kirchenhoheit an die Reichskirche abtritt usw.33 Ich las vertrauliche Protokolle des L.K.Rats, aus denen hervorgeht, daß der L.K.Rat im Grunde keine Lust dazu hat. U.a. Lehmann warnt vor dem »ersten Schritt«, der der entscheidende sei.34 Den Anstoß gegeben hat wohl die Bitte des L.K.Rats an den Reibi, Sasse feierl. einzuführen. Die Gelegenheit der Einführg. des hess. Labi in Wiesbaden hat der Reibi schon benutzt, um Hessen in der Reichskirche aufgehen zu lassen wie Preußen. Sachsen hat sich freiwillig gefügt,35 jetzt soll Thür. drankommen.

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Das angegebene Zitat ist nicht nachweisbar. Über den Verlauf der Aussprache liegen sehr unterschiedliche Berichte vor (vgl. dazu: Dokumente zur Kirchenpolitik II, 22–33). Gemeint ist wohl das Dokument »Vorbemerkungen zum Entwurf eines Lehrplans für den evangelischen Religionsunterricht«, das mit Anschreiben des »Sonderausschusses« im Reichsinnenministerium vom 8. Januar 1934 an den Preußischen Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung gesandt wurde. Einleitend heißt es darin: »Das Wohl des deutschen Volkes und der deutschen Seele steht über allem. Auch die Religion hat dem Deutschen zu dienen und der Religionsunterricht hat denselben dienenden Zweck« (zit. bei Kraft, Religionsdidaktik, 217; zur Sache: Ebd., 57–58). Einer völkischen Instrumentalisierung des Religionsunterrichts dienten auch die von Wilhelm Bauer mit ausgehandelten Richtlinien, die der zuständige Minister Wächtler bereits am 27. November 1933 in Kraft gesetzt hatte: Richtlinien für den Religionsunterricht in den Thüringer Schulen, BrDC 3 (1934), 31–34. Es sind dies die einzigen Richtlinien, die in der Zeit des Dritten Reiches durch eine nationalsozialistische Regierung herausgegeben worden sind. 3. Tagung des Vierten Thüringer LKT vom 14. Mai 1934. Im Verlag des LKR der TheK in Eisenach [gedruckt in Eisenach], Eisenach 1934, LKAE, A 100. Vgl. Gesetz vom 14. Mai 1934 zur Übertragung von Zuständigkeiten auf die Deutsche Evangelische Kirche, ThKbl/A 1934, Nr. 5, 13; vgl. auch das Kirchengesetz über die Leitung der Thüringer evangelischen Kirche vom 14. Mai 1934, ThKbl/A 1934, Nr. 5, 14. Protokoll der Sitzung des LKR der TheK am 24. April 1934, LKAE, A 122, 51. Zu den Schwierigkeiten der Thüringer Deutschen Christen, einer Eingliederung zuzustimmen, s. auch Schreiben von Ernst Otto an die Pfarrer der LAG vom 18. Mai 1934, LKAE, LBG 266, 61. Zur Eingliederungspolitik des Reichsbischofs vgl. Schneider, Reichsbischof, 191–195. Zuerst wurde im Februar 1934 die preußische Landeskirche eingegliedert. Nach diesem Modell sollte die Eingliederung der anderen Landeskirchen vorgenommen werden; vgl. Scholder II, 87–88. Hessen wurde per Gesetz im April 1934 eingegliedert. Ebenso wurde im Mai 1934 in Sachsen verfahren; vgl. Scholder II, 162–165.

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Das Protokoll der L.K.Ratssitzg., in der Franz von seiner Berliner Reise berichtet hatte, las ich gleichfalls. »Die Forderg., zuerst solle das Verhältnis zwischen Thür. D.Chr. [KDC] und D.Chr. im Reich [RDC] geklärt werden, sei abgelehnt worden. Das habe nichts mit der Aktion der Reichskirche zu tun.36 Die D.Chr. seien für die Reichskirchenregierg. nicht ausschlaggebend, weder im Reich noch in Thür., alle würden eben einfach gezwungen, hat Tegetm. berichtet.37 Frl. Linde hörte es. Gestern Abd. Versammlg. der D.Chr. hier im Fürstenhof, groß aufgemacht. Der Saal halb leer. Rede von Leffler, erstaunlich, »Notbund« [PNB] überhpt. nicht erwähnt, ganz vorsichtig nur gg. diese Opposition gesprochen, Hauptkampf gegen die dtsch. Glaubensbewegg. [DGB] . Ausdrücklich Abwehr aller Gewaltmethoden. Der Reibi war nicht da, hatte telephoniert, er käme erst in der Nacht von Essen. Auf Bitte von Otto, der nicht da war, hatte ich nachgeschrieben u. ging nach der Versammlg., kurz vor 14 Uhr, noch zu Ottos, um zu berichten. Sprach ihn durch die Haustür (er im Hemd!) u. konnte nur Erfreuliches mitteilen. (O. hatte mit Angriffen auf den Notbd. [PNB] gerechnet). Heute früh Einführg. von Sasse.38 Die Kirche wunderbar geschmückt. Herrlich in den Farben leuchtend der Altarraum, als das Sonnenlicht durch die Fenster fiel. Weißer Flieder, rote Tulpen u. Tannengrün. Die Kirchenmusik – Bach 3x – herrlich. Gut auch die Liturgie, wahrscheinl. von Bauer [W.] zus.komponiert.39 Dann die Ansprache des Reibi – ablehnender Klang in der Stimme – wars Müdigkeit? Oder Kälte? Dann Predigt Sasse – ¾ furchtbar!40 Und der ewig wackelnde, drehende Zeigefinger. Es hatte etwas von Besessenheit. Draußen auf dem Markt Lautsprecher. Es sollen aber nicht viel Leute dagewesen sein. Auch die dem Gottesdienst folgende Kundgebg. auf dem Markt litt nicht an Überfülle. Beim gemeins. Mittagessen auf d. Wartbg. soll folg. Unterredg. zwischen Leffler und einem der Berliner stattgefunden haben: Leffler: »Ich mache nicht mit« (bei der Unterstellg. der Thür. Kirche). – Der Andere (Oberheid? Jäger?): »Es ist der Wille des Führers.« – Leffler: »Können Sie mir das 36 37

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Vgl. Protokoll der Sitzung des LKR der TheK am 9. Mai 1934, LKAE, A 122, 52. »Seit im April August Jäger endgültig die Zügel der Reichskirchenregierung in die Hände genommen hatte, bestimmte der Wille zur rücksichtslosen Unterwerfung und Gleichschaltung aller Landeskirchen die reichskirchliche Politik« (Scholder II, 159). Vgl. dazu auch den Bericht »Einführung des Landesbischofs Martin Sasse durch den Reichsbischof Ludwig Müller«, BrDC 3 (1934), 104–105. Wilhelm Bauer hatte sich in vielfältiger Weise als liturgischer Gestalter in deutschchristlichem Sinne bewährt. Sein liturgisches Hauptwerk ist betitelt: »Feierstunden Deutscher Christen«, 1935. Die Gottesdienstordnung zur Einführung Sasses liegt vor; vgl. LKAE, LBG 266, 53. Es findet sich allerdings kein Hinweis darauf, dass sie von Bauer selbst stammt. Aufschlussreicher ist das liturgische Formular zum »Feierabend der Kirchenbewegung der Deutschen Christen am Vorabend der Einführung des Landesbischofs Pg. Martin Sasse-Eisenach« am 12. Mai 1934, LKAE, LBG 275, 63. Die Predigten von Müller und Sasse sind nicht dokumentiert worden. Kurz zuvor hatte sich Sasse zu seiner kirchenpolitischen Ausrichtung geäußert; vgl. JK 2 (1934), 436.

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schriftlich geben?« Darauf Ablehnung. – So berichtete Kahle. Ich erfuhr es durch Frau O. [M.]. O. hat heute Abd. halb 8 noch eine Besprechg. mit Leffler gehabt, 8 Uhr abends Empfg. bei Sasse, die Berliner, die Thür. Kirchen- u. K.reggsräte. Merkwürd. Tischordnung. Wenn Leffler Stand hielte! Es wäre eine kirchengeschichtl. Tat ersten Ranges! Was sich inzwischen ereignet hat, seit ich nicht in das Tgebuch schrieb, trage ich gelegentl. nach. Was wird morgen Abd. um diese Zeit sein? Gestern war ich mal wieder einen Augenblick im V.D. Dabei sagte mir Männel beiläufig, daß der Kampf jetzt gegen Astel41 und Günther42 ginge. (Und gegen Günther Blum!43). Wenn das jemand vor einem Jahr prophezeit hätte, man hätte ihn fast reif fürs Irrenhaus erklärt. Den 14.5., abends. [14. Mai 1934] Es ist kein Wunder geschehen. Halb 5 Uhr nachm. etwa war die entscheidende Sitzg. vorüber, das Gesetz angenommen, mit dem die Thür. ev. Kirche [TheK] sich eingliedert. Danach Rede von Jäger44 – glatt, verbindlich, ohne Enthusiasmus, ebenso die Rede des Reichsbischofs.45 Erklärungen der Gruppen wurden nicht abgegeben, weder die Thür. D.Chr. [KDC] noch die Opposition meldeten sich zum Wort. Sasse redete kurz.46 U.a. sprach er von dem »vollen Vertrauen« das »wir« dem Reibi entgegen bringen. Otto sagte hinterher: »Da redet er von ›Vertrauen‹ u. dabei haben sie sich stundenlang die schlimmsten Sachen gesagt.« 41 42

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Zu Karl Astels Tätigkeit in Thüringen vgl. Peter, Das Thüringische Landesamt für Rassewesen. Von einem Angriff Astels auf die Kirche ist hier allerdings nicht die Rede. Vgl. die Auseinandersetzung zwischen Prof. Hans Günther und Siegfried Leffler um das Verhältnis von Kirchenbewegung Deutsche Christen und Deutscher Glaubenbewegung in: Wilhelm Bauer, Zwiesprache, BrDC 3 (1934), 70–73. Stein des Anstoßes für den LKR der TheK waren wiederholt die antikirchlichen Attacken des Gebietsführers der HJ für Thüringen, Günther Blum, und anderer Hitlerjugendführer. Vgl. dazu die Eingabe von Moritz Mitzenheim an den Landesbischof der TheK vom 11. August 1934 zu Verstößen von HJ-Führern, LKAE, A 868, Bd. I, 229–234 sowie die Tagebucheintragung vom 8. Juli 1934 zum Fall »Schellhorn«. Das Schreiben Mitzenheims war veranlasst durch ein Rundschreiben des Landesbischofs an die Oberpfarrer mit der Aufforderung, Verstöße von Hitlerjugendführern dem LKR der TheK bekannt zu machen. Das Rundschreiben ist datiert auf den 31. Juli 1934 und als »Streng vertraulich« gekennzeichnet; es konnte nur als korrigierter »Entwurf« ermittelt werden, der allerdings in seiner ersten, noch unkorrigierten Form sehr aufschlußreich ist: LKAE, A 720, Bd. III, 208. Mitzenheim hatte sich bereits im Dezember 1933 über Verstöße von Hitlerjugendführern gegen kirchliche Belange beschwert; vgl. dazu Tgb. 29. Dezember 1933. Rede von Ministerialdirektor August Jäger, Rechtswalter der Deutschen Evangelischen Kirche, auf der 3. Tagung des Vierten Thüringer LKT am 14. Mai 1934, 3. Tagung des Vierten Thüringer LKT am 14. Mai 1934. Im Verlag des LKR der TheK in Eisenach [gedruckt in Eisenach], Eisenach 1934, 15–16, LKAE A 100. Rede von Reichsbischof Ludwig Müller auf der 3. Tagung des Vierten Thüringer LKT am 14. Mai 1934, 3. Tagung des Vierten Thüringer LKT am 14. Mai 1934: ebenda 17–18. Rede von Landesbischof Martin Sasse auf der 3. Tagung des Vierten Thüringer LKT am 14. Mai 1934, 3. Tagung des Vierten Thüringer LKT am 14. Mai 1934: ebenda 18–19.

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Sehr fühlbar war in den Reden, daß die Thüringer D.Chr. [KDC] offenbar in allen Tönen von den ganz besonders friedlichen Zuständen in Thür. geredet hatten. Entgegen sr. gestrigen Rede auf dem Marktplatz sagte der Reibi keinen Ton gegen die Opposition u. Sasse sprach von der »Kameradschaft, die uns alle, die wir hier zusammen sind, bisher verbunden hat.« Das war natürlich erfreulich u. ein Wort. Viell. wirkt es auch in die Zukunft. Wenn man schon dem Reichsbischof gegenüber behauptet hat, daß man sich verträgt, so muß man es ja hinterher auch beweisen. Als ich heute früh zum Dienst kam, flüsterten mir Frl. Sommer u. Frl. Linde beide als großes Staatsgeheimnis zu, daß die D.Chr. »nicht wollten«.47 Um 9 Uhr sollte eigentl. die Sitzg. beginnen. Es wurde 10, 11 u. 12 Uhr. Auf dem Balkon an der Südseite sah ich Volk, Schmidt [K.]-Gera, Müller u. Männel in heftigen Gesprächen. Sonderbar, wie rasch man die Stimmung der Menschen aus den Bewegungen erkennt. Sie waren alle gedrückt und ratlos. Auf d. Nordseite vor dem Eingg., auf der Terrasse standen u. wanderten Gruppen u. Grüppchen herum. Otto sagte, offenbar sei der L.K.Rat so in die Sache hineingerutscht; auch die Juristen hätten versagt, u. niemand hätte rechtzeitig u. gründlich mit Leffler Fühlung genommen. Der sei nun schließlich gekommen u. hätte alles aufgeputscht. Leutheuser u. er sträubten sich nun bis aufs Äußerste. Dabei war Leuth. mit in Berlin u. hat die ganze Geschichte erst mit eingerührt! Der L.K.Rat hat eben überhaupt keinen Überblick über die Lage u. keinen Blick aufs Ganze u. kein Verständnis für die Tragweite der kirchl. Vorgänge im Reich.(Und die beiden Juristen haben keinen religiösen Standpunkt. Sie beurteilen alles rein rechnerisch.) In dem zahmen Protokoll, das ich las, hatte Franz die Frage, die zu entscheiden stand, etwa so formuliert: »Es fragt sich, ob es richtiger ist, dem nordd. Kirchenblock von Anfang an angehört zu haben, oder sich später mit der Minderheit zwingen zu lassen.« (Das heißt: Auf welche Weise sichert man sich mehr Einfluß – macht sich lieb Kind?) Kein Wort von Überzeugg., nur Schlauheit , auf den Vorteil bedacht. Und dabei halte ich Franz für einen hochsinnigen Menschen. Aber für Glaubensfragen hat er offenbar kein Organ. Um die Ehre der Juristen zu retten, ist ja aber der Jurist v. Eichel in der Opposition. Er ist gestern im Einführungsgottesdienst halb ohnmächtig zusammengebrochen, es geht ihm nicht gut. Den packen diese Dinge eben auch innerlich zu stark. Nach der Rede von Jäger kam offiziell eine 3. Sitzg. in der der neue Landeskirchtg. (heißt jetzt Landessynode) gebildet wurde. 12 Abg. wurden dch. den alten L.K.Tg gewählt, 6 von Sasse ernannt. Die Opposition machte keine Vorschläge. Das war wohl alles vorher mit Leffler vereinbart. Unter den von Sasse Berufenen sind Otto u. Eichel. Dann war Schluß. Der Reibi, Labi u. Volk fuhren im Auto nach Friedrichroda, wo die Oberpfr.konferenz ihrer harrte. Die Herren hatten gestern z. Teil die Einführung mitgemacht u. wollten heute die entscheid. Sitzung miterleben. Als die um 12 immer noch nicht gestiegen war, mußten sie abziehen, da die »Großautos« zur Fahrt nach Friedrichroda auf 12 Uhr bestellt waren u. das Essen für die 54 dort nicht abbestellt werden konnte. 47

Gemeint ist die Eingliederung der TheK in die Reichskirche, die trotz erheblicher Bedenken der KDC am Tag der Tagebucheintragung vollzogen wurde.

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Otto sagte, er sei erstaunt, wie lange Leffler Widerstand leistete. Er hätte gesagt, er würde nur nachgeben, wenn ein Widerstand gegen den Reibi als Widerstand gegen den Staat aufgefaßt werden würde. Sauckel war zufällig hier am Vormittag auf einer Sitzg. der Wartburgstiftung, an der auch der Reibi teilnehmen sollte. Etwa halb 11 verbreitete sich das Gerücht, die Herren seien auf d. Wartbg. gefahren, um mit Sauckel zu sprechen. Diese Unterreg. ist dann wohl dem Wunsche des Reibi entsprechend verlaufen. Das muß man aus d. Ergebnis schließen. Nachmittags sollte die Sitzg. um 2 Uhr beginnen. Um 3 warteten wir aber noch vergebens. Zuschauer waren nicht viel da, anders als früher. Wir brauchten einen Stuhl, u. Frl. Linde öffnete die Tür zu Tegetmeyers Zimmer – darin wars totenstill gewesen, wir hatten draußen vor der Tür eine Weile stehend garnicht gemerkt, daß darinnen geredet wurde. Und wie nun die Tür aufging – das ganze Zimmer voller Männer! Gruppensitzg. der D.Chr.! Aber daraus kann man die Stimmung erkennen. Sie muß sehr gedrückt gewesen sein – daß kein Laut hörbar war bei diesen Männern, die sonst einen so kolossalen Lärm machen. Manchem von diesen ist vielleicht zum 1. mal ein Verständnis dafür aufgedämmert, daß die Opposition nicht so ganz unrecht hätte. Aber auch Leffler werden sie nicht ganz verstanden haben. Frl. Linde hatte ein Gespräch von einigen Abgeordneten gehört: »Na, wir haben wenigstens einen guten Skat gedroschen! Und ich hab gewonnen. Das ist d. Hptsache« (In der Wartezeit). D. 23.5. [23. Mai 1934] Die Oberpfr.konf. hat eine Art von Huldigungstelegramm an den Reibi geschickt, nachdem er abgereist war. Schlußsatz etwa: »… Sie werden an den Thür. Oberpfarrern getreue Mitarb. haben.«48 Was ist da vorgegangen? Auch Otto konnte sichs nicht erklären. Inzw. erzählte mir Frl. L. [Linde], daß der Reibi in Friedrichr. gesprochen hätte. Sie hatte das Protokoll gelesen, es hätte ihr sehr gefallen. Heute erzählte mir Volk davon, ich könnte mir das Protokoll von ihm geben lassen. Der Reibi hätte die Herzen erobert pp. Es müßte doch einmal herauskommen, wer denn nun eigentlich an den »Schweinereien« schuld wäre. Es ist schwer für mich, bei solchen Redensarten ruhig zu bleiben. Einmal bin ich ja schon geplatzt. Meine Einstellung wird ja auch immer einigermaßen deutlich – was ich aber eigentl. denke, kann ich leider doch nicht so zum Ausdruck bringen, wie ichs gern möchte. Im übrigen geht bis jetzt noch alles im alten Gleise. Der Reibi ist beschäftigt, neue Kirchen einzugliedern u. kann sich wohl noch nicht um Einzelheiten innerhalb des neugewonnenen Machtbereichs kümmern – wenn er überhaupt mehr ist als Staffage. Im Hintergrund macht doch wohl Jäger die Sache. Eine Züricher Ztg. legte heute dar, wie in der Tatsache, daß Jäger als Ministerialdirektor im Amt unter Rust (der jetzt ein 48

Oberpfarrerkonferenz in Friedrichroda (Haus Reinhardsberg) am 14./15. Mai 1934: »Hochverehrter Herr Reichsbischof. Die Thüringer Oberpfarrer senden Ihnen einen ehrerbietigen Gruß. Sie danken Ihnen aufs wärmste für Ihre gestrigen wegweisenden Worte und wünschen Ihnen für Ihren Dienst an der deutschen evangelischen Kirche Gottes reichsten Segen. Sie werden in den Thüringer Oberpfarrern treue Mitarbeiter haben. Die Thüringer Oberpfarrer« (Protokoll der Sitzung des LKR der TheK am 14./15. Mai 1934, LKAE, A 122, 54). Vor der Übersendung wurde das Telegramm, das Konsistorialrat Schmutzler in einem Entwurf eingebracht hatte, durch den LKR im endgültigen Wortlaut festgelegt.

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Reichsministerium hat49) die Kirchenangelegenheiten als »Rechtswalter« regele (er betone neuerdings, daß er die Dinge mache, der Reibi erschiene danach nicht mehr als verantwortl. f. d. Organisat.) eben doch schon ausgesprochen sei, daß wir Staatskirche geworden seien. Mir kommt der Gedanke, ob das die Verwirklichg. von Hitlers Drohg. ist, er werde eingreifen, wenn d. Herren sich bis zum Frühjahr nicht einigten? Ob Jägers Handeln hinter den Kulissen mit den Staatsführern vereinbart worden ist? Ob man eine Lösung der Reichsbischofsfrage darin sieht, daß man den Reibi langsam von den organisator. Maßnahmen loslöst, um ihm religiöse Aufgaben zu überlassen, an denen der Staat kein Interesse hat? Die Überfülle dessen, was in d. Kirche sonst noch vor sich geht, kann ich hier nicht aufzeichnen. Die soll chronikartig besonders festgehalten werden. Die Angelegenheit Propstzella verdient, vermerkt zu werden. Korth hatte die Verteilg. des Passionsflugblattes50 des L.K.R. verweigert. (Er gehört d. Notbd. [PNB] nicht an u. hatte Otto gebeten, nicht einzugreifen). Der L.K.R. kündigte ihm an, daß er ihn in eine andere Gemeinde versetzen würde. Darauf beruft K. [Korth] die Kirchenvertretung, in der natürl. auch dort lauter dtsche Chr. sitzen, legt ihnen s. Std.pkt. dar u. erreicht es wirklich, daß sie geschlossen mit ihm gehen u. eine Beschwerde an den L.K.Rat einreichen, die sogar in der Propstzellaer Ztg. veröff. wurde. Frl. Eitner las mir den Ztgsausschnitt vor, sie hatte einen Brief von da. – Man kann sich das Entsetzen des L.K.R. vorstellen. Stüber ist hingeschickt worden, um die Sache in Ordg. zu bringen. Außerdem hat sich der Landrat eingemischt – persönlich, wie er betont hat, nicht dienstl. Ergebnis: Die K.vertretg. sieht ihr Unrecht ein. Korth soll in den Wartestand versetzt werden.51 Bezeichnend, daß Volk von dieser Angelegenheit nichts wußte. Die ist offenbar zwischen ein paar Leuten still u. heimlich erledigt worden. Wahrscheinl. weiß auch Leffler nichts davon. Auch Thomas wußte nichts – dem habe ichs geschrieben. Bestimmt weiß ich: Es liegt dem L.K.R. jetzt alles daran, daß Ruhe in den Gemeinden herrscht. Eingeleitete Hetzereien gegen Pfr. werden abgeblasen (Pößneck).52 Frau Pfr. Bauer [G.]-Gotha sagte, sie hätten seit ein paar Wochen Ruhe. Für den hat Otto sich stark eingesetzt. (Da hatte Leichte gehetzt – aus dem sich die D.Chr. offenbar auch 49 50

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Bernhard Rust wurde 1933 Preußischer Minister für Wissenschaft, Erziehung und Kunst, im April 1934 in derselben Funktion auch Reichsminister. Landesbischof der TheK (Hg.), Volksgenossen, Glaubensgenossen!, unterzeichnet von Siegfried Leffler und Martin Sasse, LKAE, LBG 225, 1–2. Die Pfarrer wurden folgendermaßen angewiesen: »Die übersandten Flugblätter wollen sie innerhalb von drei Tagen durch Helferinnen, Konfirmanden, Hitlerjugend, B.D.M. oder sonstige geeignete freiwillige Hilfskräfte zuverlässig so austragen lassen, daß in jedes Haus ein Stück davon gelangt. – Bemerkt sei, daß die für die einzelne Kirchengemeinde ganz geringen Kosten für den Druck der Flugblätter auf die Kirchengemeinden umgelegt werden. – Über die Erfahrungen, welche bei der Verteilung der Flugblätter gemacht werden, insbesondere auch darüber, ob die übersandte Stückzahl ausreichte, ist uns über die Oberpfarrer zu berichten« (Schreiben von KR Lehmann an sämtliche Pfarrer der TheK vom 2. März 1934, LKAE, LBG 225, 1). Am 7. Mai 1934 wurde Pfr. Walter Korth in Probstzella in den Wartestand versetzt, weil er sich geweigert hatte, das deutschchristlich gestaltete Flugblatt Passion zu verteilen; vgl. Protokoll der Sitzung des LKR der TheK am 9. Mai 1934, LKAE, A 122, 2, und Stegmann, 33. Vgl. Biogramme.

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nicht viel machen). – Es ist dem Reibi gegenüber soviel vom Thür. Kirchenfrieden geredet worden, daß man ihn nun auch herstellen muß. Im »Reichswart« v. 15.4. hat Graf Reventlow sich wieder einmal über die D.Chr. ausgesprochen u. ihnen die kirchl. Opposition als Muster hingestellt.53 Diese »Reaktion« (in Gänsefüßchen) sei in einem entscheidenden Punkt sehr viel germanischer u. nationalsozialistischer als die dtsch. Chr.: Sie kämpfe nämlich immer für Gewissensfreiheit … usw. Das sagt er ja nun tatsächl. nicht aus Liebe zum Evangelium, aber etwas an sr. inneren Haltg. hier ist eben doch richtig. Er mokiert sich über die schrecklichen Massentrauungen u. Massentaufen pp. u. bemängelt, daß man in den Reden der D.Chr. zuviel von Politik u. zu wenig von Religion höre.54 Inzwischen hat sich in diesen Tagen, wie heute d. Presse meldet, die Einigg. der »dtsch. Glaubensbewegg.« [DGB] unter Hauer als Führer vollzogen. Bergmann haben sie schon vor einigen Wochen rausgeschmissen. Nun wird diese Bewegung ja mit Macht um sich greifen.55 Die freien ev. Synoden bestehen noch als fester Block56 u. von Thüringen aus schickt man sich an, die »Nationalkirche«57 zu bauen! Kann das Durcheinander noch größer werden? Btz. erzählt, daß die D.Chr. gedrückt herumgingen, nicht offen redeten (das tun sie ja nie) u. Redensarten machten, wie »keine Lust, sich nach Berlin zu setzen, in die 53

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Ernst Graf zu Reventlow, Ein Vorschlag an die Geistlichen, Reichswart 15 (1934) Nr. 15, 1 [15. April] mit folgender Kritik an den Deutschen Christen: »Nun diese kirchliche ›Reaktion‹ ist in einem für uns maßgeblichen Punkt sehr viel vorgeschrittener und nationalsozialistischer als die ›Deutschen Christen‹: sie tritt stets ein für die Gewissensfreiheit auch von Nichtchristen. Wären anstatt der ›Deutschen Christen‹ die Männer des aufgelösten Pfarrernotbundes und die übrigen Vertreter orthodoxen Christentums in der Leitung der Evangelischen Kirche gewesen, so würden jene Schmähungen und Vergewaltigungen der deutschen Nichtchristen sicher nicht stattgefunden haben.« Die in diesem Monitum geäußerte Kritik Reventlows an den Deutschen Christen findet sich in dem Reichswart-Artikel allerdings nicht. Die Deutsche Glaubensbewegung (DGB) konstituierte sich 1933 als Zusammenschluss der verschiedensten völkisch-religiösen Gruppen und Bewegungen unter Führung von Jakob Wilhelm Hauer, Graf Ernst zu Reventlow, Hermann Wirth und Arthur Drews, zunächst als Arbeitsgemeinschaft Deutsche Glaubensbewegung. Auf der Tagung vom 18.–21. Mai 1934 in Scharzfeld wurde dann die straff organisierte DGB gegründet. Alleiniger Führer war nun der renommierte Tübinger Indologe Hauer. Vgl. Kurt Nowak, Art. Deutschgläubige Bewegungen, in: TRE 8 (1981), 554– 559. Die Bewegung erreichte 1935 mit einer Großkundgebung im Berliner Sportpalast ihren Höhepunkt. Danach nahm sie an Bedeutung ab. Ihr Ziel, die entscheidende religiöse Kraft des Dritten Reiches zu werden, scheiterte bereits daran, dass sie von den führenden Nationalsozialisten als solche nicht anerkannt wurde. Synoden der BK. Sie war das eigentliche Ziel der KDC. Um ihretwillen wurden sie auch Nationalkirchler genannt. Anders als bei der Reichskirche, in der die Vereinigung aller evangelischen Christen und Landeskirchen angestrebt wurde, lag der Nationalkirche die Idee zugrunde, dass alle deutschen Volksangehörigen als solche bereits geborene Mitglieder dieser Kirche seien. In ihr sollten alle Konfessionen, die das deutsche Volk nur spalteten, aufgehoben sein. Die Nationalkirche sollte als gleichsam religiöses Rückgrat des nationalsozialistischen Staates fest in diesen eingebunden werden. Die Reichskirche konnte von der KDC deshalb nur als Kompromiss angesehen werden.

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Steinwüste …« Das möchten sie wohl! Für ganz Dtschld. liturgische Entwürfe machen!58 D. 15.6. [15. Juni 1934] Vor 8 Tagen – vom 9.–11. – »Freizeit« in Stedten auf dem Gut des Grafen Keller. Otto Leiter. Am Sonntag eingeschobene Tagung, in der das Kirchenpolitische erörtert u. festerer Zus.schluß der »Bekenntnisgemeinschaft« geplant wurde.59 Otto fragte mich in der letzten Zeit mehrmals um Rat – über die künftige Haltung der Thüringer.60 Seit Barmen61 – wo er und Bauer [G.]-Gotha anwesend waren – wird überall der Trennungsstrich zum Reibi energisch gezogen. Es handelt sich jetzt zunächst darum, ob Otto und Eichel die Berufung in den Landeskirchentag – Synode, heißts jetzt – annehmen oder ablehnen. Eichel hat leider vorzeitig schon angenommen, steht jetzt vor der Frage, das wieder rückgängig zu machen, (was nicht leicht ist), denn Otto ist zu d. Schluß gekommen, daß sie nicht mitmachen können. Eichel sah nur die Möglichkeit, als Leiter des Christl. Volksbundes62 zurückzutreten u. mit dieser Begründg. auch sein Mandat niederzulegen. Ich glaube auch, daß das richtig ist. Die kl. Sonderorganisationen müssen verschwinden, es geht nur noch um die Bekenntnisfront. Eichel hat nun auch noch Sorge um d. Bestehen sr. Stiftsgemeinde63, u. dann muß sich diese Richtg. auch noch hinein finden, die Führung abzugeben. Die muß natürl. E. Otto haben, nicht D. Otto [R.]. Das sind nun so die kleinen persönl. Schwierigkeiten. Mir war vor allem darum zu tun, daß man O. nicht würde vorwerfen können, er habe den Thür. Burgfrieden gebrochen. Auch in Schlesw.-Holst. ist die Schützengrabenfreundschaft zwischen Notbd. [PNB] und dtsch. Chr. in die Brüche gegangen. Die dortige Erklärg. bedauerte das u. schob die Schuld auf den Reibi. So ähnlich hatte ich es Otto geraten u. so denkt er sicher auch. 58 59 60

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Zusammenhang unklar. Zur Geschichte dieses Zusammenschlusses und zu seiner weiteren Entwicklung zur Lutherischen Bekenntnisgemeinschaft vgl. Helaseppä, Die Lutherische Bekenntnisgemeinschaft. Otto plante den Zusammenschluss aller bekenntnistreuen Gruppen zu einer Thüringer Bekenntnisgemeinschaft auf der Linie des Reichsbruderrats, jedoch unter Berücksichtigung der speziellen Tradition und Situation in Thüringen. Vgl. dazu die Ausführungen der Tagebuchschreiberin weiter unten zum selben Tag. Reichsbekenntnissynode in Barmen vom 29.–31. Mai 1934. »Der Christliche Volksbund für Thüringen vereinigte die Vertreter der sogenannten positiven Theologie, Neulutheraner (Thüringer Kirchliche Konferenz) und Neupietisten (Thüringer Gemeinschaftsbund). Das Publikationsorgan dieser Gruppe wurden ab 1935 die (in der Provinz Sachsen und in Thüringen) erscheinenden ›Bausteine‹. Führende Vertreter waren Friedrich Georg von Eichel-Streiber, Landeskirchentagspräsident ab 1925 und Fraktionsvorsitzender der DNVP im Thüringer Landtag, Ernst Seidel, Oberpfarrer aus Themar, und Richard Otto, Pfarrer an der (lutherischen) Stiftsgemeinde im (liberalen) Eisenach« (Dietmar Wiegand, Kleine Geschichte der Thüringer Landeskirche, in: Hübner/Schmidt (Hg.), Landhaus und Landeskirche 2006, 46). Der Aufsichtsrat der Anna von Eichel Stiftung beschloss und dotierte im Jahr 1890 die Gründung eines Diakonissenmutterhauses in Eisenach (eröffnet 1891). Rektor und Seelsorger dieser Einrichtung war der Stiftsprediger mit eigener Pfarrstelle und Personalgemeinde (Stiftsgemeinde). Vgl. Stiftsgemeinde: Sammlung zur Ortsgeschichte von Eisenach. Bericht von Stiftprediger Rendorff, LKAE, 2, Nr. 20.

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Eine Bekenntnissynode ist in Thür. in uns. kl. Verhältnissen nicht möglich. Wir haben hin u. her überlegt. Die Gemeinden sind ja absolut nicht im Bilde; es rächt sich, daß Thür. seit etwa 150 Jahren Hochburg des Liberalismus war. Man muß ihnen erst langsam u. mühsam alle Grundbegriffe beibringen. Auch die Pfr. streiken, selbst Bauer [G.], der mit in Ulm war,64 wolle eine Gemeindebildg. auf der Grundlage eigenhändig. Unterschriften der Mitglieder nicht mitmachen. Dann geht sofort überall der Krach los u. alle Pfr. der Bekenntnisfront werden von der Partei aus unmögl. gemacht – Beispiel Gotha. Leichte. Anders ist die Lage in großen Städten, wo man den Einzelnen nicht in seinem privaten Leben überwachen kann, und wie anders in Westfalen, wo die Gemeinden Selbstverwaltg. haben u. bis zu 80% hinter ihren Pfarrern stehen65, u. in Württemb. u. Bayern, wo die bekenntnistreuen Bischöfe [Wurm; Meiser] noch die Führung haben. Ich übersetzte heute Presseausschnitte aus der Times. Das Parlament der engl. Hochkirche hat eine Entschließg. angenommen, worin ausgesprochen wird, daß kaum weiterhin eine christl. Kirche die deutsche Kirche [DEK] als voll christlich würde anerkennen können. Die Bischöfe, die diese Entschließg. gefaßt haben, finden sie selbst unerhört u. noch nicht dagewesen. Gestern, Donnerstag, ist eine Tagg. der Bischöfe mit dem Reichsbischof in Wittenberg gewesen. Thema: Verfassungsausschuß und Frauenwerk.66 Morgen ist Sitzg. oben, da wird Sasse berichten. In schärfster Form wird im »Evangel. im 3. Reich« die Meldg. dementiert, daß eine Tagung der Nat.synode u. Einteilg. der Kirche [DEK] in Kirchengaue beabsichtigt sei.67 64

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Nach den misslungenen Eingliederungsversuchen von Rechtswalter Jäger in Bayern und Württemberg versammelte sich die Bekennende Kirche Deutschlands zu einer Protestkundgebung in Ulm. In der sogen. Ulmer Erklärung (»Kundgebung der evangelischen Bekenntnisfront in Deutschland«) vom 22. April 1934 heißt es: »Wir versammelten Vertreter der württembergischen und bayerischen Landeskirche, der Freien Synoden im Rheinland, in Westfalen und Brandenburg, sowie vieler bekennender Gemeinden und Christen in ganz Deutschland erklären als rechtmäßige evangelische Kirche Deutschlands vor dieser Gemeinde und der gesamten Christenheit: Auf uns lastet die schwere Sorge um die Deutsche evangelische Kirche. Zwar hat die Reichskirchenregierung in ihren neuesten Verordnungen und Gesetzen vom Frieden geredet. Ihre Taten stehen zu diesen Erklärungen im Widerspruch. Sie offenbaren, daß dieser ›Friedenswille‹ nicht aus Gottes Wort und Geist geboren ist. Man kann nicht Frieden verkündigen und unmittelbar danach einer bekenntnismäßig gebundenen Landeskirche wie der württembergischen Gewalt antun … Das Handeln der Reichskirchenregierung hat seit langer Zeit keine Rechtsgrundlage mehr. Es geschieht Gewalt und Unrecht … Als eine Gemeinschaft entschlossener, dem Herrn Jesus Christus gehorsamer Kämpfer bitten wir Gott den Allmächtigen, Er möge allen Christen die Augen auftun, daß sie die Gefahr sehen, die unserer treuen Kirche droht« (KJ 60–71 [1933–1944], 65–66). Pfarrer Gerhard Bauer [G.] aus Gotha hatte diese Erklärung mit unterzeichnet. Gemeint ist die Presbyterial-synodale Kirchenverfassung; vgl. Joachim Mehlhausen, Art. Presbyterial-synodale Kirchenverfassung, in: EKL³ 3 (1992), 1317–1319. Auf dieser Arbeitstagung der evangelischen Kirchenführer in Wittenberg (Leitung: Reichsbischof Müller; Referent: Ministerialdirektor Jäger) ging es um den weiteren Ausbau der Verfassung der DEK durch Berufung eines Verfassungsausschusses. Auch die Dekane der theologischen Fakultäten wollte man zur Mitarbeit auffordern. Das Frauenwerk war allerdings kein Thema. Vgl. Frankfurter Zeitung [Reichsausgabe] vom 17. Juni 1934, in: Pressearchiv Begas. »Brunnenvergifter«, Das Evangelium im Dritten Reich [Reichsausgabe] 3 (1934), 295.

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Es sei »Brunnenvergiftg.«, diese Nachricht zu verbreiten. Ich erzählte es Franz, der dazu ein äußerst merkwürdiges Gesicht machte, die Lippen verzog u. langsam sagte: »Das ist ja sehr – lehrreich!« Natürl. war die Tagung pp. doch beabsichtigt u. die Barmer Synode hat alles über den Haufen geworfen. Prof. Wolf Meyer-Erlach hat eine tolle Antrittsrede in Jena gehalten.68 Journal des Débats, Paris, berichtet die schlimmsten Sätze unterm 6. oder 7. Juni. Auch Sasses Weimarer Rede69 – schon aus d. April – macht die Runde durch die Presse, wird u.a. im Juniheft der Zeitwende zitiert u. erschien auch schon im »Temps« und in einer engl. Ztg. Schriftwechsel Weinel–Otto. – Dazwischen vor etwa 10 Tagen wieder eine Unterredg. Leffler – Otto hier im dtsch. Haus, bei der zum 1. mal (soviel ich weiß) Leutheuser mit war. Die Dtsch. Chr. [KDC] haben außerhalb von Thür. ein paar Ortsgr. gegründet, so in Coblenz [Koblenz].70 Einen Schulungskursus, den sie dort halten wollten, hat D. Forsthoff nicht gewünscht; ein Blatt der Dtsch. Chr. dort hat die Thüringer [KDC] heftig angegriffen. Der Reibi soll die Thüringer [KDC] nicht schätzen. Eine Rechtfertigg. für den »Burgfrieden«, unter dem E. Otto von Zeit zu Zeit schwer leidet. Aber es ist eben nicht möglich, mit Leffler zu brechen der unter allen Umständen Frieden halten will u. dabei die Grenzen des für einen Dtsch. Chr. Möglichen beinah überschreitet. Und man kann nicht anders, als ihm glauben – er ist doch die Persönlichkeit dazu. Freilich – die anderen! Ich habe nicht das Gefühl, daß die Dtsch. Chr. in Thür. einheitl. [KDC] sind. Sasse z.B. ist ganz bestimmt mehr Nazi als Christ. Die »Barmer Synode«71 hat eine Art von Bekenntnis herausgegeben – es heißt aber nicht so u. daran sind die Lutherischen schuld, die kaum zu bewegen waren, mitzumachen. Es ist eine Erklärg., die zu jedem Thema erst eine Bibelstelle bringt, dann positiv

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Meyer-Erlach, Das neue Deutschland und die christliche Verkündigung, 1934. In dieser Rede entwickelt der Autor seinen Grundansatz von Praktischer Theologie. Vgl. dazu die Analyse von Raschzok, Wolf Meyer-Erlach und Hans Asmussen, 176–178. Unklar, welche Rede hier gemeint ist. Die KDC zielte nicht darauf ab, Koalitionen mit anderen DC zu schaffen, um insgesamt die DCBasis in Deutschland zu erweitern; vielmehr versuchte sie, ihrem eigenen Modell einer Nationalkirche mit Quasi-Alleinvertretungsanspruch auf Deutsches Christentum zum Durchbruch zu verhelfen. Dazu diente die Schaffung von KDC-Gemeinden außerhalb Thüringens. Bevorzugtes Ziel war zunächst das Rheinland. Um diesem Ziel Nachdruck zu verschaffen, unternahmen die führenden Männer der KDC, Leffler, Leutheuser, Rönck u.a. eigens Schulungs- und Propagandareisen dorthin; vgl. Tgb. 20. Januar 1934 und die diesen Vorgang erläuternde Fußnote. Die Synode fand vom 29.–31. Mai 1934 in Barmen statt. Ihr Ergebnis war niedergelegt in der »Theologischen Erklärung zur gegenwärtigen Lage der Deutschen Evangelischen Kirche«, dem bedeutendsten kirchenpolitischen und theologischen Dokument aus der Zeit der Kirchenkampfes. Zum folgenden vgl. Scholder II, 173–219. Grundsätzlich: G. Niemöller, Die erste Bekenntnissynode I und II, 1959. Die grundlegende Norm der BK war in der ersten These niedergelegt: »Jesus Christus, wie er uns in der Heiligen Schrift bezeugt wird, ist das eine Wort Gottes, das wir zu hören, dem wir im Leben und Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben. Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne und müsse die Kirche als Quelle ihrer Verkündigung außer und neben

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ausdrückt, welche Glaubenshaltg. wir daraus herleiten u. welcher Irrglaube verworfen wird. – Es hat durchaus nicht von Anfang an festgestanden, daß die Erklärg. herauskommen konnte. Tage und Nächte lang ist darum gerungen worden. Otto sagte, er u. seine Freunde seien sich klar gewesen, daß es das Ende der ev. Kirche bedeutet hätte, wenn es nichts geworden wäre. Der Augenblick, als die Erklärung dann feierlich verlesen wurde, sei überwältigend gewesen. Sie wurde einstimmig angenommen. Prof. Sasse [H.], der hartnäckigste der Lutheraner, sei vorher fortgegangen. Zum 1.mal seit der Reformation, sind Lutheraner und Reformierte einig gewesen. Anschließend an die Synode fand ein »Ev. Gemeindetag« in Barmen statt, etwa 6 große Versammlungen, rund 25 000 Menschen von fern u. nah – 80–90% Männer!72 Ja – Westfalen! D. 26. Juni. [26. Juni 1934] Morgen soll in Weimar die »Thür. Bekenntnisgemeinschaft« gegründet werden – nicht: »Synode«. Gestern Abend war der kleine Kreis, mit dem Otto gern die Dinge bespricht, wieder bei ihm. Er schilderte die Lage. Der christl. Volksbd. wolle sich auflösen, Eichel sich ganz von der Kirchenpolitik zurückziehen, er und D. Otto [R.] wollten die Führung »jüngeren Kräften überlassen« u. Eichel verzichtete deshalb auch auf Eintritt in den Bruderrat. (Hinter diesen Entschlüssen stehen die beiden Pfr. Schanze-Weimar u. Bauer [G.]-Gotha , die zwar im Christl. Volksbd. mit führend sind, aber ganz auf der Linie Ernst Otto stehen). Kaum war diese Darstellung (ohne den letzt. Satz!) gegeben, als Wilms eintraf, der schon wieder neuere Nachrichten hatte. Danach schien es, als wolle sich der Volksbd. nicht auflösen, u. das hat sich heute bestätigt. Reine Prestigebedenken. Vielleicht ist [es] sogar besser so. Sie wollen den Einzeleintritt in die Bekenntnisfront empfehlen u. keine Beiträge mehr erheben. E. Otto gestattet sowieso nur Einzelmitgliedschaft. In Altenbg. hatten 3 Pfarrer, die S.A.-Männer sind u. die Bekenntnisfront dort tragen, heftig Front gemacht gegen den Eintritt des christl. Volksbundes, der ihnen zu reaktionär ist. Sie haben da in Altenbg. so ein paar schwerbelastete Typen. Diese Opposition wird mit der Lösg. zufrieden sein, hat aber auf die Entschlüsse des Volksbundes keinen Einfluß gehabt.

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diesem einen Worte Gottes auch noch andere Ereignisse und Mächte, Gestalten und Wahrheiten als Gottes Offenbarung anerkennen« (Niemöller, Die erste Bekenntnissynode II, 198–199). »Am Abend fand der Rheinisch-Westfälische Gemeindetag ›Unter dem Wort‹ statt. 20 000 Menschen versammelten sich im Elberfelder Jugendhaus, in der Unterbarmer Hauptkirche, in der Barmer Stadthalle und, da der Andrang so groß war, in anderen Sälen und Kirchen. Das Thema des Gemeindetages war ›Die Kirche vor ihrem Richter‹, es wurde in sechs Auslegungen der Sendschreiben aus der Offenbarung Johannis abgehandelt […] Dieser Gemeindetag war ein beeindruckender Abschluß der Bekenntnissynode und zeigte, daß die Bekennende Kirche – zumindest im Westen – eine überzeugende Grundlage in den Gemeinden hatte« (Norden, Der Kirchenkampf im Rheinland 1933 bis 1934, 154). Interessant ist der Hinweis auf die hohe Beteiligung von Männern. Offenkundig entspricht es der Erfahrung der Tagebuchschreiberin, dass sich auf Seiten der BK überproportional Frauen engagierten. Vgl. zur Genderfrage auch: (1) Tgb. 26. Oktober 1934 (BKVeranstaltung in Eisenach). (2) Tgb. 15. November 1934 (Gemeindetag in Mihla), (3) Tgb. 21. November 1934 (BK-Königsberg).

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Auch die Gemeinschaften sind nach Weimar eingeladen.73 Ob sie kommen, weiß man noch nicht. Wie klein der Kreis auch sei – die dort sind – ein geschlossener Kreis, keine Öffentlichkeit, werden die L. Bekenntnisgemeinschaft bilden. Otto hat ein paar kurze, ausgezeichnete Sätze formuliert, um ausdrücken, was sie wollen. Er hatte auch den Entwurf einer Stellungnahme gegen die D.Chr. vorbereitet – der zwar im brüderlichen Ton gehalten war, aber doch einen Fehdehandschuh bedeutete. Ich habe heftig davon abgeraten, war heute Abend deshalb noch einmal alleine bei Otto u. er war inzwischen auch von meinen Gründen überzeugt worden. D. Otto [R.] u. Eichel hatten übrig. auch abgeraten. »Sie sind ein guter Sachberater, Sie kennen die Lage«, sagte Otto mir heute. Die Thür. D.Chr. [KDC] haben Eroberungen im Rheinland gemacht74– Pfr. Probst in Frankfurt [Frankfurt a.M.] u. die Gaue Köln, Aachen, Düsseldorf! Die Nachricht davon ging unter der Überschrift »Spaltung der dtsch. Chr.« durch die deutsche kirchl. Presse u. erschien auch in einem Artikel der »N. Züricher Ztg.« Nun wird sie ja wohl auch bald in der »Times« erscheinen. Oberheid ist gegangen. Er soll im Kampf um die Macht gegen Jäger unterlegen sein. Ein sehr merkwürdiger Lebenslauf.75 Auf d. Hainstein76 ist seit dem 16.6. eine evangel. »Jugendarbeiterschule« im Gang, d.h. junge Pfr. u. Vikare werden für ev. Jugendarbeit geschult. Es sind z.Zt. 45 da – und

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Gemeint sind Gruppen von pietistisch orientierten »Gemeinschaften« innerhalb der Landeskirchen; vgl. dazu Joachim Cochlovius, Art. Gemeinschaftsbewegung, in: TRE 12 (1984), 355–369; vermutlich Vertreter des Thüringer Gemeinschaftsbundes; vgl. dazu Wiegand, Kleine Geschichte der Thüringer Landeskirche, in: Hübner/ Schmidt, Landhaus und Landeskirche 2006, 46. Dieser Vorgang ist im Zusammenhang des Bemühens der KDC zu sehen, mit dem Ziel einer Nationalkirche reichsweit zu wirken; vgl. Tgb. 20. Januar 1934 mit der erläuternden Fußnote sowie Tgb. 15. Juni 1934. Zusammen mit dem Rechtswalter August Jäger war Oberheid im Jahre 1934 einer der engsten Mitarbeiter des Reichsbischofs Müller, war diesem aber in machtpolitischer Hinsicht unterlegen; er schied Mitte 1934 aus der Reichskirchenregierung aus. Zum Vorgang vgl. Faulenbach, Ein Weg durch die Kirche. Heinrich Josef Oberheid, 1992, 95–125. Der Hainstein, 1888 als privates Sanatorium erbaut, war 1903 in die Trägerschaft der Aktiengesellschaft »Kuranstalt Hainstein« übergegangen und mußte schließlich nach 1918 auf Grund wirtschaftlicher Schwierigkeiten verkauft werden. Nachdem die katholische Kirche Interesse an dem Objekt bekundet hatte, gab es auch auf evangelischer Seite intensive Bemühungen, dem durch ein entsprechendes Gegenangebot zuvorzukommen und den Hainstein für kirchliche Zwecke zu erwerben. Auf Initiative des schwedischen Erzbischofs D. Nathan Söderblom konnte der gesamte Kaufpreis von Schweden, den deutschen Landeskirchen und der Wartburgstiftung aufgebracht und eine neue Aktiengesellschaft »Kuranstalt Hainstein« gegründet werden. Der Vorschlag, hier nach schwedischem Vorbild eine Jugendhochschule mit eingegliedertem Hospiz einzurichten, fand allgemeine Zustimmung; Mitte Oktober 1925 konnte mit den ersten Kursen auf dem Hainstein begonnen werden. Als Leiter wurde Paul Le Seur von der Berliner Stadtmission berufen, der den Verein »Hainsteinwerk« gründete, während die allgemeine Verwaltung weiterhin durch die Aktiengesellschaft wahrgenommen und das Hainsteinwerk als Pächter legalisiert wurde. Informationen nach: LKAE, S M 13, 23–24). Ziel der halbjährigen Kurse für werktätige Jugendliche war es, »selbständig denkende Persönlichkeiten« zu erziehen; vgl. Walter Schmidt, Das Haus Hainstein in Eisenach, GuH 7 (1932), 5.

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nur 5 oder 4 dtsche Christen!77 12 Hainsteiner waren letzt. Sonntg. in Ottos Gottesdienst u. haben ihn nachher in d. Sakristei aufgesucht – junge Männer aus ganz Dtschld. Frl. Linde hat heute ein Gespräch Lehmann–Volk gehört, aus dem hervorgeht, daß der Leiter – Pfr. Hützen – da oben seine ernsten Schwierigkeiten hat. »Na, er wird sich schon durchsetzen! Es ist ja Pech, daß er gerade mit ›solchem Material‹ anfangen muß!« (Volk). Im Predigerseminar laufen z.Zt. Pfr.kurse. D. 27.6.34. [27. Juni 1934] Eben, 8 Uhr 15, am Bahnhof gewesen, um die Weimarer abzuholen. Traf Frl. v. Ranke. Dann kamen alle auf einmal – doch ohne Otto. Wilms u. Frau Otto [M.] erzählten. Es sei im Ganzen befriedigend verlaufen. Der christl. Volksbd. löst sich vorl. nicht auf, empfiehlt aber seinen Mitgliedern Anschluß. Im Bruderrat: Otto, Schanze, Bauer [G.], Zimmermann. Die Laien nur vorgeschlagen. Es seien etwa 200 Leute dagewesen, fast alles christl. V.B. Sie hätten von den Vorgängen noch wenig Ahnung gehabt, sehr aufgeregt über Vieles, was sie hörten. Der Sprecher der Bekenntnisfront, Rechtsanwalt Fiedler, hätte erzählt, daß die D.Chr. von Thüringen [KDC] Zukunft hätten, offenbar rechnet man mit der Verärgerung weiter Kreise innerhalb der preuß. Richtg. der D.Chr. [RDC]. Der Endkampf würde mal in Thür. ausgefochten. Schöne Aussicht! D. 8. Juli. [8. Juli 1934] Von der Weimarer Tagg.78 wurde mir später noch, teils von Wilms, teils von Otto erzählt, die Leute des Christl. Volksb. seien lauter uralte, abgestandene Typen »mit Bärten« gewesen. Eine merkwürdige Rede hätte der Oberkirchenrat Reuter aus Greiz gehalten. Er könne seinen Pfarrern nicht »zumuten«, in die Bekenntnisfront zu gehen, sie hätten doch immer treu zum Bekenntnis gestanden – pp. Angst! Und der Mann hat vor lauter Bekenntnistreue s.Zt. seine kl. Kirche nicht an die Thüringer anschließen können!79 Damals war die Opposition ungefährlich.

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Über die Intention unterrichtet ein kurzer Artikel von Wilhelm Hützen, Was geht auf dem Hainstein vor?, Evangelium und Jugend. Mitteilungen für die evangelische Jugend aus dem Reichsjugendpfarramt (Beilage zu »Das Evangelium im Dritten Reich«) 5/1934 [16. September 1934]. Am 27. Juni 1934 wurde auf einer Tagung in Weimar die Lutherische Bekenntnisgemeinschaft (LBG) in Thüringen gegründet. Die Führung dieser Bekenntnisgemeinschaft wurde einem Bruderrat übertragen, der aus fünf Geistlichen und fünf noch zu wählenden Laienmitgliedern bestehen sollte. Der Anschluss an den Reichsbruderrat bzw. die Reichsbekenntnissynode sollte in der Weise erfolgen, dass die besondere kirchliche Lage in Thüringen berücksichtigt und die selbständige Entscheidung der Bekenntnisgemeinschaft nicht eingeschränkt wurde. Zudem wurden fünf Sätze formuliert und beschlossen, die über Grundlage und Ziel der LBG Auskunft gaben. Deren Anerkennung war von jedem neuen Mitglied durch Unterschrift zu bestätigen. Vgl. zum Gründungsakt, über den kein Protokoll vorhanden ist, den Aufruf »An die Mitglieder des Christlichen Volksbundes in Thüringen« vom 8. Juli 1934, LKAE, LBG 210, 243. Die fünf Sätze finden sich auf einem Blatt, das zur Hälfte aus einem Formular zum Beitritt in diese besteht: »Lutherische Bekenntnisgemeinschaft in Thüringen«, LKAE, LBG 275, 68. Zur Gründung der LBG vgl. vor allem Helaseppä, Die Lutherische Bekenntnisgemeinschaft, 89. Vgl. Tgb. 29. Dezember 1933.

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Otto hat am nächsten Tag in einem sachlichen, kurzen Brief an Sasse80 von dem Geschehen Mitteilg. gemacht, desgl. an Leffler in einem warm gehaltenen Schreiben, das mir beinah etwas zu warm war. U.a. hieß es da ungefähr: »Es ist nicht zuletzt Ihr Verdienst, daß der Kampf in Thür. nicht die Schärfe angenommen hat wie in anderen deutsch. Kirchengebieten…« (oder so ähnl.).81 Wahr ist es allerdings. Der Fall Fontius z.B. war nicht gerade einfach – und Fontius ist wieder im Amt. Das bezeichnet Leffl., der die Sache im Ministerium bearbeitet, als sein Verdienst.82 In Mecklenbg. hat man 7 Pfarrer, die u.a. die bekannte Tatsache, daß die Kirchenwahlen vor einem Jahr »unter staatlichem Zwang« zu Stande gekommen seien, in einem Rundschr. behauptet hatten, zu Gefängnisstrafen verurteilt.83 Das hatte Eichel im L.K.Tag auch gesagt (bei der Tagg. im Januar). Es gab zwar großen Krach in der Sitzg., aber kein Nachspiel. Vielleicht hat Otto doch recht. Ich bin ja bei den mehrfachen Unterredungen nicht dabei gewesen. Er ist ja ein guter Menschenkenner u.wenn er glaubt, Leffler nicht aufgeben zu dürfen solange noch eine Möglichkeit einer Verständigg. zu sehen ist, wird er schon recht haben. Es ist heute eine Versuchung, der manche erliegen, drauf los zu schlagen aus Angst vor sich selbst – habe ich nicht viell. Angst, es könnte mir schaden, wenn ich gg. die D.Chr. kämpfe,? Drauf! (Um zu beweisen, daß ich kämpfen kann!). Otto wird nun in der Bekenntnisfront vorgeworfen, er sei zu weich. Er leidet sehr darunter, sieht aber keinen andern Weg. Leffler ist ihm zuletzt tatsächl. noch nachgelaufen. Und das natürlich, weil es ja eigentl. sein Programm verlangt, daß er die Gewissensfreiheit nicht unterdrückt. Übrigens hilft da auch die Deutsche Glaubensbewegg. Reventlow überschüttet im »Reichswart« die D.Chr. mit Hohn u. Spott u. behauptet in sr. Nr. vom 15. April, die kirchl. Opposition sei nationalsozialistischer u. germanischer als die D.Chr.84 Denn sie hätten immer für Gewissensfreiheit gekämpft. Schließlich ist es wohl auch immer richtig, wenn jemand, wie Otto, einfach sagt, was er wirklich denkt, ohne politische Rücksichten. So nur kann man weiter kommen. Und er spürt eben eine Art von Missionsaufgabe Leffler gegenüber, dem es doch offenbar ums Evangelium geht. 80 81

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Schreiben von E. Otto an Landesbischof M. Sasse vom 28. Juni 1934, LKAE, LBG 275, 89. Dieses nicht exakt datierbare Schreiben von Ernst Otto an Siegfried Leffler ist nur in einem Auszug erhalten, und zwar in: Martin Sasse (1890–1942), zusammengestellt von Dr. Erich Reichardt, Eisenach, Anlage PA Sasse, Martin, LKAE, L 3050, 118–119. Zum Fall Fontius vgl. Biogramme. »Von Montag, den 11. Juni, bis Freitag, den 15. Juni, standen sieben mecklenburgische Pastoren vor dem Sondergericht in Schwerin. […] Den sieben Pastoren wurde vorgeworfen, sie hätten den nationalsozialistischen Staat dadurch herabgewürdigt, daß sie behaupteten, er habe unrechtmäßig in die Kirche eingegriffen … Das Sondergericht erkannte bei den drei erstgenannten Pastoren auf Gefängnisstrafen von 6, 4 bzw. 3 Monaten, sowie bei den zwei weiteren auf Geldstrafen. Eine Berufung ist beim Sondergericht nicht möglich« (JK 2 [1934], 542; vgl. auch S. 519). Ein Pfarrer wurde freigesprochen. Der Fall ist ausführlich dokumentiert in: JK 2 (1934), 542–555. In dem Verfahren ging es u.a. auch um die politische Beeinflussung von Wahlen im kirchlichen Bereich. Zum »Schweriner Prozeß« vgl. auch die ausführliche, durch einschlägige Dokumente belegte Darstellung in: Chronik der Kirchenwirren, 223–231. Ernst Graf zu Reventlow, Ein Vorschlag an die Geistlichen, Reichswart 15 (1934), Nr. 15, 1 [15. April]. Vgl. ähnlich schon Tgb. 23. Mai 1934.

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Die Mitteilg. vom dem Zuwachs der Thür. Bewegg. D.Chr. [KDC] aus dem Rheinland ist unter der Spitzmarke »Spaltg. der D.Chr.« durch die kirchl. Presse gegangen. Im »Evangelium im III. Reich«, dem Organ der Berliner Richtg. wird die Tatsache abgeleugnet. Dort heißt es, die Gaue Köln, Aachen, Düsseldorf stünden fest hinter Dr. Kinder [RDC].85 Ich hatte Otto bekanntl. von einer Resolution gegen die D.Chr. in Thür. [KDC] bei der Weimartagg. Abgeraten86; denn es fehlte m.E. im Augenblick dazu an einem Anlaß. Und (2.) nachdem O. zugesagt hatte, stets vor einer Aktion gegen die D.Chr. Mitteilg. zu machen (um die Möglichkeit eines Versuchs der Verständigg. zu geben) hätte man ihm Wortbruch vorwerfen können. Er sagte mir hinterher noch einmal ausdrücklich, ich hätte ihm einen großen Dienst getan mit m. Widerspruch damals an dem Besprechgsabend bei ihm. Es zeigte sich, daß Frl. v. Ranke »ein Stein vom Herzen gefallen« war, als ich widersprach, sie unterstützte mich aber mit keinem Wort damals. Die ganze Runde schwieg u. ich kam mir fast wie ein Verräter vor, mußte es aber sagen. Volk hat leidenschaftlich eine offizielle Schwedenreise betrieben: Hützen, Sasse, er, Bauer [W.], Leffler, Janson, Jäger – 10 Mann im Ganzen. Die Sache fiel ins Wasser weil die Schweden, von denen die Einladung ausging, den »Rechtswalter« Jäger nicht mit eingeladen haben, trotzdem vorher mündlich so etwas besprochen worden sein soll. Lange Telephongespräche Eisenach–Berlin, Janson–Reichsbischof, Volk–Bischof Heckel. Die Schweden wollen nämlich ihr Geld aus der Hainstein-Aktiengesellschaft ziehen, nachdem der Hainstein sich in eine dtsch.-christl. Bildungsstätte für junge Pfr. entwickelt hat!87 Die Sache fiel endgültig ins Wasser an dem schicksalsschweren Sonnabend (vormittags), den 30. Juni, an dem wir Nachmittags die fast unglaublich klingende Nachricht bekamen, daß Röhm aus SA u. Partei ausgestoßen sei. Abends um 10 las ich dann 85 86 87

Das Evangelium im Dritten Reich [Reichsausgabe] 3 (1934), 349. Vgl. dazu Tgb. 20. Januar, 15. und 26. Juni 1934. Vgl. Tgb. 26. Juni 1934. Vgl. Schreiben der Kirchenkanzlei der Deutschen Evangelischen Kirche vom 3. Mai 1934 an die obersten Behörden der deutschen evangelischen Landeskirchen, in dem es eingangs heißt: »Durch ein Übereinkommen zwischen dem Verein Hainsteinwerk e.V. und dem Reichsjugendpfarramt ist im Einvernehmen mit dem Herrn Reichsbischof die künftige Verwendung des Hainstein in Eisenach in folgender Weise geregelt: Haus Hainstein wird am 16. Juni d. Js. Jugendarbeiterschule der Deutschen Evangelischen Kirche. Zunächst in vierteljährigen Kursen sollen hier Jugendarbeiter (Theologen, Laien, Berufsarbeiter) für die Jugendarbeit der Kirche geschult werden. Die Leitung der Schule hat der Pastor Hützen aus Reiskirchen bei Wetzlar. Er führt seine Arbeit in unmittelbarer Verbindung mit dem Reichsjugendpfarramt. Seine Persönlichkeit gibt die Gewähr dafür, daß dem evangelischen Jugendarbeiter das Verständnis für die nationalsozialistische Jugend und Mittel und Möglichkeiten zur Verkündigung des Wortes Gottes unter ihr erschlossen werden. Der am 16. Juni d. Js. beginnende Kursus soll zunächst Kandidaten der Theologie erfassen und als eine Art Sammelvikariat durchgeführt werden« (LKAE, A 722, 19). In einer Anzeige für einen »Jugendarbeiterlehrgang« für die Zeit vom 1. Oktober bis zum 22. Dezember 1934 wird die Erwartung an die Teilnehmer noch deutlicher angesprochen, »sich einer nationalsozialistisch gesinnten Arbeitsgemeinschaft einzuordnen und an einer Besinnung über die Aufgaben evangelischer Jugendarbeit unter der Jugend des Dritten Reiches tätigen Anteil« zu nehmen (ThKbl/B 1934, 178).

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auf dem Karlsplatz noch das Extrablatt mit der Nachricht von den inzwischen vollzogenen 7 Todesurteilen. Am Sonnabd. vorm. wurde ich noch im weißen Saal Zeuge eines Gesprächs zwischen Tegetm. und Volk in der Sache Bensch. Die unbeschreibliche Haltungslosigkeit von Volk zeigte sich in einem Licht, daß mir ganz schlecht wurde. Ich hatte eine solche Wut, daß ich mir dauernd angstvoll zuredete, um keinen Preis bei meiner nachfolgenden Unterredg. mit ihm ein Wort darüber zu sagen. Ich wäre geplatzt. Günther Blum, der Thür. Führer der Hitlerjugend, hat, weil Bensch in seinen »Heimatglocken« etwas über die Sorgen der Eltern wegen des »rohen« Benehmens der Hitlerjugend geschrieben hat88, der ganzen Eisenberger H.J. verboten, in Benschs Gottesdienste zu gehen, u. dieses Verbot in der Thür. Presse veröffentlicht, statt seine Beschwerde an den L.K.R. zu bringen. Und der LKR redet stunden- oder tagelang über den Fall Bensch89 u. begreift nicht, daß G. Blum ihm einen Fußtritt versetzt hat! Erst der Studienrat Andernach, D.Chr., muß Tegetm. darauf aufmerksam machen, daß das Ansehen des L.K.R. eine sofortige Erwiderg. in der Öff.keit erfordert! Volk verstieg sich zu der Behauptg., Günther Blum hätte ganz Recht! Bensch sei an allem schuld. Und Günther Blum »sei nun einmal der Stärkere« – so eine Dummheit, das nicht zu sehen …!« pp! Das ist doch nun einfach jüdisch – sich zu drücken, weil der andere der Stärkere ist. Also das ist Volks innerste Richtg. Nun weiß mans ja. Tegetm., aufgehetzt durch Andernach, gab nicht nach. Eine Sitzg. ergab einen äußerst vorsichtigen Briefentwurf an G. B. [Blum], den der einfach in den Papierkorb geworfen hätte – u. mit Recht. Glücklicherweise kam man noch auf den Gedanken, den Entwurf an Sasse zu schicken, der im Fall des Pfr. Schellhorn90 u. der Beleidigg. der Pfr.schaft dch. Blums Adjudanten Zimmermann in Arnstadt selbst mit G. B. [Blum] verhandelt hatte.91 Der hat nun einen wütenden Brief geschrieben, das Benehmen von Blum widerspräche den getroffenen Vereinbarungen. Es sei auch die Frist abgelaufen,

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Der inkriminierte Passus lautet: »Auf einer Elternversammlung des Gymnasiums wurden ernste Bedenken und Beschwerden – einmütig – gegen die Art vorgebracht, wie sich Führer und Schreiber der Hitlerjugend in der Presse äußern. Der Ton und die Form – ganz abgesehen vom Inhalt – sind so roh und beleidigend, daß wir Eltern die Schulleitung baten, ein wachsames Auge darauf zu richten und von ihrem Erziehungsrecht an Schülern verantwortungsvoll Gebrauch zu machen. Die Schulleitung hat versprochen, unsere Beschwerden an die Behörde weiterzugeben. Die Einmütigkeit aller Kreise zeigte, daß hier eine Gefahr erwächst. Auch hier alle diese ernsten Beschwerden nur als spießerhafte Reaktion abzutun, ist ein Unrecht. Schließlich sind wir Eltern doch die, denen die Kinder gehören, und die sie mit ihrer Hände Arbeit und ihres Herzens Sorge großziehen müssen – und nicht die Hitlerjugend und deren Führer. Vertrauen gegen Vertrauen, nicht Gewalt vor Recht« (Heimatgrüße. Evangelisches Gemeindeblatt für den Kirchenkreis Eisenberg [Beilage zu »Glaube und Heimat«], Juni 1934, LKAE, HGL 14–1). Pfarrer Bensch war Schriftleiter der Heimatgrüße. Zur Auseinandersetzung mit dem HJ-Führer Günther Blum vgl. LKAE, A 720, Bd. 3, 155 u.ö. Wegen der unbefriedigenden Aktenlage ist der Fall Bensch nicht weiter rekonstruierbar. Zum Fall Schellhorn vgl. Biogramme. Der Fall Schellhorn endete mit einer bemerkenswerten öffentlichen »Erklärung des Gebietsführers der Hitlerjugend«, ThKbl B 1934, 140, wie sie in vergleichbarer Weise sonst selten zu finden sein dürfte.

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die dem Adjudanten zur Abgabe einer befriedigenden Erklärg. an den Labi gestellt worden sei, letztere Sache solle jetzt an den Staatsanwalt gehen. Bensch war ja natürl. unvorsichtig. (Wer vor 14 Tagen einen Zweifel an Röhm ausgesprochen hätte, wäre auch ins Konzentrationslager gekommen). Es wird übrigens heute in d. Presse bekanntgegeben, daß der persönl. Referent u. der Adjudant Papens verhaftet worden seien (Papen wird nicht genannt), daß sich aber herausgestellt hätte, daß sie keine Verbindg. mit den Meuterern gehabt hätten.92 Den 19. August. [19. August 1934] Es war am 9. oder 10. Juli, daß das Innenministerium eine Verordng. herausgab, nach der öffentliche Auseinandersetzungen über den Kirchenkampf in öff. Versammlungen, in der Presse, in Flugblättern, auch in der kirchl. Presse pp. verboten seien. Eine Ausnahme dürfe nur mit den amtl. Mitteilungen des Reibi gemacht werden.93 Damit verstummten plötzl. alle Nachrichten. Ich ging in Urlaub, Otto auch, die Presse brachte nur offizielle Verlautbarungen der Reichskirchenregierung, die man verständnislos las. Hessen-Waldeck sei »eingegliedert« u. die pfälzische Landeskirche u. der Reibi und Jäger seien von Hitler empfangen worden, der seine Befriedigung über das wachsende Einigungswerk ausgesprochen hätte.94 Dazwischen erfüllten die Nachwehen der furchtbaren Röhm-Sache die Öffentlichkeit u. am 25. oder 26. Juli brach in Wien95 die Revolte aus. Wir standen wieder einmal am Rande eines Abgrundes, zum 2. mal binnen 4 Wochen. Und dann plötzlich, am 31.7. die Nachricht, daß Hindenburg im Sterben läge. Und die Angst, das Warten – und sein Tod am 2. August. Und dann die Trauerfeiern am 6. (Reichstag) u. 7.8. (Tannenberg). 14 Tage Landestrauer. Und für den 9.8. hat Ludwig Müller die Nationalsynode zusammengetrommelt, die er vorher willkürlich um 19 Mitglieder verringert hat; u. in dieser gekürzten Nationalsynode hat er nun eine 2/3-Mehrheit – die er vorher nicht hatte! Die Opposition ist immer noch 11 Mann stark. Und nun macht er Gesetze – und was für Gesetze! Und läßt sich hinterher, rückwirkend, alle seine verfassungswidrigen Verordnungen und sonst. Maßnahmen ab Januar bestätigen! Bericht darüber in den 92 93

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Gemeint ist der sog. »Röhmputsch« (s.o.). Runderlass des Reichsinnenministers vom 9. Juli 1934, in: Dokumente zur Kirchenpolitik II, 149– 150: Die Reichsregierung könne »unter keinen Umständen zulassen, daß durch die Fortsetzung des Kirchenkampfes ihr Ziel der Schaffung einer wahren Volksgemeinschaft gewollt oder ungewollt untergraben wird. Aus Gründen der öffentlichen Sicherheit, Ordnung und Ruhe verbiete ich hiermit bis auf weiteres ausnahmslos alle den evangelischen Kirchenstreit betreffenden Auseinandersetzungen in öffentlichen Versammlungen, in der Presse, in Flugblättern und Flugschriften … Amtliche Kundgebungen des Reichsbischofs bleiben hiervon unberührt.« Der Erlass war vom Reichsinnenminister Frick persönlich unterzeichnet. Dieses Gespräch fand am 18. Juli 1934 statt (vgl. Scholder II, 278). Über seinen Inhalt gibt es keine zeitgenössischen Quellen. Vermutlich legten die beiden Kirchenmänner Hitler den »erfolgreichen« Verlauf ihrer Eingliederungspolitik dar. In einer amtlichen Erklärung buchten sie diese, da sie den Beifall Hitlers gefunden habe, als vollen Erfolg. Gemeint ist der Putschversuch österreichischer Faschisten, in dessen Verlauf auch der österreichische Bundeskanzler Engelbert Dollfuß, der gegen den Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich war, am 25. Juli 1934 in Wien ermordet wurde (vgl. Enzyklopädie des Nationalsozialismus, 830).

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Basler Nachrichten.96 Am nächsten Tag wird da ein Brief von Koch, dem Präsidenten der Bekenntnissynode, abgedruckt, den er am 11.7. an Frick geschrieben hat. Am Sonntag Abend, den 12.8., bin ich bei Ottos u. erfahre und lese das alles. Am Vormittag hatte Otto seinen 1. Gottesdienst nach den Ferien gehalten. Die Kirche war sehr voll u. er sprach wundervoll u. sehr mutig, rückschauend auf die Ereignisse seit dem 30.6. (am 1.7. hatte er früh ½8 seine letzte Predigt vor der Ferienreise gehalten). Zum Schluß streifte er kurz das Geschehen der Nationalsynode und sagte dabei etwa: »Der Reichsbischof hat keinen Schritt zur Versöhnung getan, der Bruch scheint unvermeidlich.« Das fuhr nicht nur mir, sondern auch anderen, die einigermaßen im Bilde waren, in die Knochen. Oberländer hat ihm gesagt: »Wenn Sie nächstens vom Schutzmann arretiert werden, dann können Sie sich nicht wundern.« Am Abend zeigte Otto mir auch eine furchtbar scharfe Erklärung der Bekenntnissynode gegen die »sog. Nationalsyn.« u. den Reichsbischof, die ihm zur Abkündigg. von der Kanzel zugegangen war. Er sagte, er würde sie nicht von der Kanzel verlesen, den Amtseid der Geistlichen aber, wie ihn die Nat.syn. beschlossen hätte, verweigern.97 Dieser Eid verpflichtet auf Hitler u. die Ordnungen der Kirche u. alle Anordnungen der Reichskirchenregierung im Rahmen dieser Ordnungen!98 Als er mich um meine Meing. fragte, konnte ich nicht anders als zugeben, daß die Pfarrer der Bekenntnissynode, wenn sie sich selbst nicht Lügen strafen wollen, den Eid nicht leisten können. (Den Eid der Kirchenbeamten, den ich selbst also werde leisten müssen, würde er selbst leisten können, sagte Otto. Dafür bin ich sehr dankbar). Am Montag war Bruderrat der luth. Bekenntnisgemeinsch. in Thür. in Neudietendorf.99 Am Abend war ich wieder bei Ottos, fand ihn strahlend u. ganz getragen von innerer Befreitheit. Der Bruderrat – Schanze, Bauer [G.], Hamann i.V. v. Zimmermann-Altenburg, Säuberlich u. Otto – war sich in ½ Stunde einig gewesen! Es sei überhaupt keine Diskussion gewesen, sondern allen 96 97

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Zum Verlauf der Nationalsynode vgl. Scholder II, 285–288. Gemeint ist die Kanzelabkündigung des in Hamburg tagenden Reichsbruderrates vom 10. August 1934 (verlesen am 12. August), deren Anfang lautet: »Am 9. August hat unter dem Namen einer Nationalsynode eine unter Bruch der Reichsverfassung gebildete Versammlung Beschlüsse gefaßt, Gesetze beschlossen, bisher geübtes Unrecht für Recht erklärt. Diese sogenannte Nationalsynode, ihre Verhandlungen und Beschlüsse sind nach kirchlichem und weltlichem Recht ungültig. Wer sie befolgt, bricht selbst Verfassung und Recht der Kirche. Wir weigern uns dessen und rufen die Gemeinden und Kirchen auf, sich auch ihrerseits nicht des Verfassungs- und Rechtsbruchs mitschuldig zu machen. Verantwortlich dafür … ist durch ihr fortgesetzes unkirchliches Handeln die Reichskirchenregierung, besonders der zum Schutz der Verfassung der DEK berufene Reichsbischof. Die Reichskirchenregierung verachtet die einfachsten Grundsätze von Recht und Gerechtigkeit. Sie unterstellt die Verkündigung des Evangeliums dem Machtwillen fehlsamer Menschen. Sie ist bar der von der Heiligen Schrift geforderten Bruderliebe …« (Chronik der Kirchenwirren, 282; vgl. auch KJ 1933–1944, 78). Am 9. August 1934 beschloss die Nationalsynode das »Gesetz über den Diensteid der Geistlichen und Beamten der DEK«, das jedem Geistlichen den zentralen Satz abnötigte: »Ich N.N., schwöre einen Eid zu Gott …, daß ich als ein berufener Diener des Evangeliums im Amt der Verkündigung … dem Führer des deutschenVolkes und Staates Adolf Hitler treu und gehorsam sein und für das deutsche Volk mit jedem Opfer … einsetzen werde …« (Gerlach, Die Kirche vor der Eidesfrage, 1967, 62.) Protokoll der Sitzung nicht auffindbar; vgl. aber das Schreiben der LAG an ihre Mitglieder vom 21. August 1934, LKAE, LBG 266, 77.

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völlig selbstverständlich, daß der Eid verweigert werden müsse. Das bedeutet Amtsentlassung, Brotlosigkeit, vielleicht Gefängnis. Und alle werden nicht standhalten. Am Mittwoch war Otto in Berlin – mit allen Ländervertretern des Pfarrernotbundes. Er erzählte uns davon am Donnerstg. Abd. nach der Bibelstunde. Alle seien völlig einig gewesen, gar kein Zweifel über das, was zu tun sei. – Sie seien eigentlich ins Hospiz eingeladen gewesen. Als sie dorthin kamen wurde ihnen zugeflüstert: Gemeindehaus Nikolassee! Also auf nach Nikolassee! Als sie dort eine Weile im Gemeindehs. verhandelt haben, hat man dem Führer der D.Chr. [DC] offenbar Meldg. gemacht u. der telephoniert an die geh. Staatspolizei. Also auf u. zurück nach Berlin, Hotel Excelsior! Dort sind sich die so einfach gewöhnten Pfarrer in der eleganten Umgebung etwas eigenartig vorgekommen – aber da sucht man sie natürl. zunächst nicht. Sie haben da in den unterirdischen Konferenzräumen, also tatsächlich in »Katakomben« getagt. Ja – man lacht – und doch ist es traurig. Am Freitag früh ist O. auf dem Pflugensberg gewesen u. hat Sasse vereinbarungsgemäß mitteilen wollen, was sie vorhaben: Verweigerung des Diensteides. Er hat nur Volk getroffen, der ihn gebeten hat, das Sasse selber mitzuteilen – es sei derart schwerwiegend usw. Otto hat erwidert, Sasse möchte ihn rufen lassen, das ist am Sonnabd. nicht geschehen. – Doch erlebten O.s am Freitag noch eine Freude: Pfr. Brakhage von d. Stiftsgemeinde100 u. Herr v. Eichel meldeten sich zur Bekenntnisgemeinsch. an! Am Sonnabd. mittag Sensation! In der Eis. steht die Mitteilung, daß Frick seinen Schweigeerlaß zurückzieht!101 Am Abend sprach ich Ottos u. den bekannten Freundeskreis nach dem Wochenendgottesd. den Otto hielt. Frl. Helmbold hatte gehört, Frick hätte s.Zt. den Erlaß vom 9.7. nicht selbst herausgegeb., er sei in Urlaub gewesen. Wir fanden, das könne nicht wahr sein; denn der Erlaß ist von Frick s.Zt. selbst unterzeichnet gewesen. Göring übrigens soll eine etwas verständnisvollere Haltung als früher der Opposition gegenüb. zeigen. Von Niemöller hätte er ungefähr gesagt: »Ja – er treibt ja natürlich eine ganz falsche Politik, aber ich weiß nicht, der Kerl gefällt mir!« Übrigens wurde mir noch hinterbracht, die D.Chr. im Volksd. seien sehr niedergeschlagen aus Berlin, wo einige von ihnen offenbar als Zuschauer die Nat.syn. mitgemacht haben, zurückgekehrt. Es hätte furchtbaren Krach gegeben zwischen den Thür. D.Chr. [KDC] u. der Berliner Richtg. [RDC]. Die Berliner hätten den Thüringern »Unredlichkeit« oder »Unaufrichtigkeit« vorgeworfen. Man wolle die Thüringer beseitigen, sie sollten in der Berliner Richtg. aufgehen! Hitler hätte gesagt – hat man ihnen versichert – es sei ein Unsinn, daß es 2 Richtungen D.Chr. gäbe.102 Im Allgem. höre ich 100 101

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Vgl. Tgb. 15. Juni 1934. Runderlass des Reichsinnenministeriums vom 17. August 1934. Das generelle Verbot wurde dahingehend gemildert, »daß künftig nur alle unsachlichen, polemischen, den evangelischen Kirchenstreit betreffenden Auseinandersetzungen in öffentlichen Versammlungen, in der Presse, in Flugblättern und Flugschriften verboten sein sollen« (Dokumente zur Kirchenpolitik II, 150). Auch dieser Erlass war von Frick persönlich abgezeichnet. Zur allgemeinen Differenz zwischen KDC und RDC im Jahre 1934 vgl. Meier, Die Deutschen Christen, 75 (»Die Ausbreitung der Kirchenbewegung ›Deutsche Christen‹ und das organisatorische Erscheinungsbild der Reichsbewegung ›Deutsche Christen‹ im Jahre 1934«).

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nur sehr wenig von drüben, von Volk natürl. gar nichts – Gott sei Dank. Denn der quält mich, wenn er auspackt. Da muß ich höflich bleiben u. möchte wütend werden. Am Donnerstag früh wurde uns in Vervielfält. ein sehr scharfer u. ausführlicher Erlaß von Jäger über Amtsverschwiegenheit u. Geheimhaltg. der Akten zugestellt.103 Ich hatte beim Lesen der eingehenden Einzelanweisungen den Eindruck, daß man den Verräter, der die Nachrichten über den Kirchenstreit an die Auslandspresse geliefert hat, in der Reichskirchenkanzlei entdeckt hat! Den 7. Sept. 34. [7. September 1934] Gestern Abd. sprach Asmussen hier. Am Nachmittag zu den Vikaren vom Hainstein u. zwar in d. Erholg.104 Sie hatten ihn privatim, von sich aus, gebeten, zu ihnen zu sprechen. Frau Otto [M.] war mit da, es sei wundervoll gewesen. Schon vorher hatten die Hainsteiner A. [Asmussen] einmal hergebeten gehabt. Der Reichsjugendpfarrer Zahn hatte davon erfahren u. Asm. schleunigst offiziell eingeladen. A. hatte abgelehnt, da d. Bekenntnisfront jede Zusammenarbt. mit der Reichskirche ablehnt. Darauf diese erneute diesmal heiml. Einladung an A. Abends sprach er vor d. Lutherbd.105 u. der hies. Bekenntnisgemeinsch. im Vereinshaus der Stiftsgemeinde106. Er war wohl müde, er sprach nicht lange. Es lag ihm daran, uns klar zu machen, daß menschlich gesehen, für die Bekenntnisfront gar keine Hoffnung sei. Es sei kein Ausweg, keine Möglichkeit zur Hilfe. Es heißt, den Weg des Gehorsams ins Dunkel gehen. Er warb zum Beitritt u. endete mit einem Gebet, in dem er Gott u.a. darum bat, seine Feinde zu schlagen. Heute Freizeit der Helferschaft in Wartha, im Landheim der ev. Jugend. Ein strahlender, warmer Tag. Wir sprachen übers Vaterunser. Otto fährt morgen nach Altenbg., übermorg. zum Gemeindetag nach Kosma. Die bayr. ev. Kirche hat einstimmig den Beschluß gefaßt, sich nicht einzugliedern, einstimm. Vertrauensvotum für Meiser.107 Vorgestern steht die Einordnungsverfügg. der Reichskirchenregierg. für Bayern und Württbg. im kirchl. Verordnungsblatt.108 Es wird mit d. Einsetzg. eines Kommissars u. anderen Zwangsmaßnahmen gerechnet.109

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Verfügung des Rechtswalters der DEK betr. Amtsverschwiegenheit vom 24. Juli 1934 in seiner Bekanntgabe durch den LKR der TheK vom 3. August 1934 sowie Schreiben der Kirchenkanzlei der DEK betr. die Durchführung dieser Verfügung vom 28. Juli 1934, LKAE, LBG 266, 76 und LKAE, A 120, Bd. 2, 166. Diese Verfügung wurde in Abschrift den hier bezeichneten Bediensteten der TheK zugestellt. Die entsprechende Unterschriftsleistung ist in der PA der Tagebuchschreiberin nicht enthalten; vgl. aber als Beispiel die Unterschriftsleistung von Kirchenregierungsrat Otto Fritz, LKAE, L 3045, Bd. 2, 62a. Lokal im Zentrum von Eisenach. Zum Martin-Luther-Bund vgl. Tgb. 5. Dezember 1933. Vgl. Tgb. 19. August 1934. Vgl. Außerordentliche Tagung der bayerischen Landessynode am 23. August 1934, in: Chronik der Kirchenwirren, 288–291. Verordnung vom 3. September 1934, GDEK 51/1934, 149. Zu den Einzelheiten des Eingliederungsversuchs der würrtembergischen und bayerischen Kirche vgl. Chronik der Kirchenwirren, 321–365.

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Fanö!110 Die Bekenntnissyn. hat die Einladung abgelehnt, der Reichsbischof s. Bischof Heckel hinschickt. Die Konferenz hat eine Entschließg. gg. die dtsche ev. Reichskirchenregg. gefaßt, der Reichsbischof antwortet im Tone der Entrüstg. u. erklärt »vor Gott«, es sei in Dtschld. nie ein Pfarrer an der Verkündigg. des Wortes Gottes gehindert worden. Dabei ist erst kürzl. Pfr. v. Rabenau-Berlin von seinem eigenen Bischof der Staatspolizei angezeigt worden, weil er die Gemeinde lehre, Gott mehr zu gehorchen als den Menschen. Das ist ihm auf der Polizei so vorgehalten worden. Otto sagte mir, Rabenau habe ihm das ausdrückl. selbst so geschildert; ich fragte noch einmal, ob es bestimmt wahr wäre. – Einen and. Fall erzählte gestern Asmussen – er betr. einen westfäl. Pfr., der auf der Kanzel mit d. Satz geschlossen hätte: »Herr Jesus, Du bist meine Zuversicht alleine – sonst weiß ich keine.« Die Polizei hat ihn darüber vernommen, was er damit gemeint hätte! Sasse soll kürzl. folgendes gesagt haben: »Wenn es mir bei den Verhandlungen in Berlin einmal schwer wird, ›ja‹ zu sagen, dann denke ich an den Führer, und dann kann ichs.« Bei solchen Gelegenheiten soll ein Christ sich fragen, was Jesus jetzt von ihm fordern würde! Aber Sasse hat ja auch in Weimar s.Zt. gesagt, es hieße, die Menschen zu guten Deutschen zu erziehen, nicht zu Christen. Das ist ein Landesbischof. Dieser Gehorsamsbegriff ist meinem Empfinden nach jesuitisch, nicht deutsch. Aber wir stehen ja überhaupt mitten in einer Art von Gegenreformation. Die letzten Nachrichten, die ich, nicht von Otto, aus Berlin bekam, mag ich garnicht aufschreiben. Das Tagebuch könnte doch mal in unrechte Hände fallen. Es ging daraus hervor, daß die Berliner Kirchenregierg. nicht mehr aus noch ein wisse. Otto sagte mir, daß nach einer Äußerung, die Hitler eben auf dem Reichsparteitag111 getan hätte, kein Zweifel mehr sei, daß er den Reichsbischof stützen wolle. Ich kann es immer noch nicht glauben. Gemein ist die Art, wie Lehrer Männel vom V.D. vertraulich über Otto spricht. Da ist überhaupt kein Glaube an Ehrlichkeit u. guten Willen vorhanden. Allerdings redet er über seine eigenen Freunde nicht besser, womöglich schlechter. Das ist nun früher unter kirchlichen Führern in dieser Art doch wohl nur ausnahmsweise dagewesen. Nicht vergessen möchte ich die »Andacht«, die vor 14 Tagen Dr. Volk am Montag früh vor der Bekenntnisgemeinschaft hielt. So sprechen evangelische Kirchenführer! Übrigens ist neben Brakhage u. Herrn v. Eichel auch der Kirchenrat Otto [R.] in die Bekenntnisgemeinsch. eingetreten. D. 14. [14. September 1934] Am 11. stand in der Presse eine niederträcht. Veröff. von Jäger über Württemberg. Er hat einen Kommissar hingeschickt; der hat mehrere Kirchenräte abgesetzt, das Büro auf sich vereidigt u. eine Erklärung in der Ztg. losgelassen, aus der man schließen soll, daß finanzielle Unredlichkeiten in der Verwaltung vorgekommen seien. Heute erscheint in der Frankf. Ztg. und in der Ev.-Luth. Kirchenzeitg. die Richtigstellg. der seither. Kirchenleitung. Danach hat der Finanzbeamte rechtl. einwandfrei, aber viell. 110 111

Tagung des Ökumenischen Rates für praktisches Christentum auf der dänischen Nordseeinsel Fanö vom 23.–30. August 1934. Zu den folgenden Vorgängen vgl. Scholder II, 297–306. Der Reichsparteitag 1934 in Nürnberg stand unter dem Motto »Triumph des Willens«; vgl. Enzyklopädie des Nationalsozialismus, 687.

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nicht vorsichtig gehandelt – nicht vorsichtig nur im Blick auf die Möglichkeit einer falschen Auslegg. sr. Maßnahmen.112 Otto ist gestern wieder im Bruderrat der Bekenntnissyn. in Hannover gewesen – ich bin gespannt, was er für Nachrichten mitbringt. Ein Bericht über eine Tagg. des Dtsch. Pfr.vereins in Frankfurt [a.M.], bei der sowohl ein Vertreter der Bekenntnissyn. wie Jäger Vorträge gehalten haben, klang beinahe so, als lenkte die Reichskirchenregierg. ein!113 Von dem auf der Nat.syn. beschloss. Eid war nicht mehr die Rede, sondern vom Beamteneid u. daneben einer Art von Pflichteid der Geistlichen, weiter sagte Jäger, es könnte in der neuen Reichskirche durchaus Länderkirchen mit eig. Bekenntnis geben114 pp! Am Dienstag d. 11. ist auf dem Hainstein großer Krach gewesen! Im Anschluß daran Telegramm der Belegschaft an den Reichsjugendpfr.: »Bitte sofort kommen, Verhandlg. mit hiesiger Leitung abgelehnt.« Danach wird eine gemeinsame Erklärg. aller 42 Vikare mit einem Urteil über den Kursus abgefaßt, das einfach vernichtend ist. Sämtliche Vikare haben die Erklärg. unterschrieben (ich habe sie gelesen), auch die D.Chr.115 Volk hat davon offenbar erst gestern Abd., als er gelegentl. der offiz. Abschiedsfeier oben war, gehört. Er ist heute früh in großer Aufregg. sehr früh schon zum Dienst gekommen u. hat stürmisch nach dem Labi verlangt. Es ist immer eine reizvolle Situation, wenn die Herren aufgeregt herumstürmen u. man selber denkt: »Wenn du wüßtest, was ich alles weiß!« Denn natürl. ist auch diese Angelegenheit mit größter Vertraulichkeit oben behandelt worden. Engelke ist »Vikar« der dtsch. ev. Kirche [DEK] geworden – das ist die letzte Stellg. Oberheids, des früheren »Stabschefs«. Als solcher ist er Stellvertreter des Reibi geworden. Er ist lutherisch – viell. soll das im Sinne der Versöhng. wirken? Aber Otto sagte, es gäbe keine Möglichkeit der Versöhnung mit dieser Reichskirchenregierung überhaupt. Im Rheinland sind etwa 40 Vikare u. Hilfspfr., die der Bekenntnissyn. angehören, entlass. worden. Was passiert nicht alles – man kann es kaum verfolgen. Die Kirchenräte wissen übrigens meist sehr wenig, man informiert sich gern bei mir, aber ich sage natürl. nur, was ich aus Zeitungen weiß. Alles stürzt sich auf dieses Material, das ich zuerst in die Hände bekomme. Die französ. u. engl. Ztgs.ausschnitte übersetze ich. 112

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Ein Kommissar für die Württembergische Landeskirche, AELKZ 67 (1934), 882–883; die Richtigstellung der Württembergischen Kirche ist abgezeichnet von Dr. Schauffler. Zum Vorgang vgl. auch Scholder II, 311–313. Diese fand am 12. September 1934 in der Aula der Frankfurter Universität statt. Der günstige Eindruck ist offenbar auf die Bemerkung des Rechtswalters Jäger zurückzuführen, dass die einheitliche Reichskirche sich aus Gebietskirchen zusammensetzen werde, die ihr eigenes Bekenntnis hätten; vgl. den Bericht dazu aus der Frankfurter Zeitung vom 12. September 1934. Zum Deutschen Pfarrertag vgl. auch JK 2 (1934), 773–774. Auf ihm vollzog sich die Gleichschaltung des preußischen mit dem deutschen Verband; außerdem wurde das Führerprinzip eingeführt. Die Tagebuchschreiberin berichtet hier von Äußerungen Jägers auf dem Deutschen Pfarrertag in der Darstellung der Frankfurter Zeitung vom 12. September 1934. Erklärung nicht auffindbar; vgl. aber den Bericht des Reichsjugendpfarrers Karl Friedrich Zahn über den im Text genannten Vikarskurs vom 16. Juni bis zum 15. September 1934, LKAE, A 722, 29–30.

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Den 17.9.34. [17. September 1934] Am Sonnabd. Abend war ich lange bei O. Wir sprachen über den Diensteid. Er kam von einer Bruderschaftstagung [Sydower Bruderschaft] in Hannover. Als ich wegging sagte er mir, ich möchte Gedanken, die ich über alle diese uns bewegenden Fragen hätte, für ihn aufschreiben. Es würde ihm eine Hilfe sein, auch für die Tagg. der Bruderschaft in Thüringen Anfang Oktober. Wir seien doch tatsächlich so stark aufeinander eingestellt, daß ich ihm wirklich innere Hilfe sein könnte. Er dankte mir zum Schluß. Es war eine große Freude. Am Abend schrieb ich ihm noch einen kurzen Brief über Römer 13, das mir zum 1. mal ganz lebendig u. unerbittlich auf den Leib gerückt war – obwohl mirs immer wieder wie eine große Unverschämtheit vorkommt, wenn ich über biblische Dinge mit ihm rede, der das alles viel besser versteht. Am Abend musikal. Feierstunde des Martin-Luther-Bundes116, der hier eine Tagg. seines auslandsdeutschen Werkes hat117 in d. Georgenkirche – sehr schön, vor allem die Chöre. Alte Musik. Am Vormittag hatte mir Frl. L. [Linde] einen Briefwechsel des Vorsitz., Prof. D. Ulmer, Erlangen mit dem Labi gezeigt – eine lächerliche, engherzige u. engstirnige, feige Angelegenheit. Ulmer läd den Labi ein, bei dieser Tagg. ein Grußwort zu sprechen u. der Labi lehnt ab. Und zwar, weil der Reichsbisch. wahrscheinlich nicht eingeladen ist, und er, da Thür. eingegliedert sei – »Sie werden das sicher verstehen.« In einer Randbemerkg. warnt er dann noch vor dem M.L.Bund118, der konfessionell eng sei und dem G.A.Verein [Gustav-Adolf-Verein]119 in den Rücken falle lt. Broschüre von Ulmer vom April d. Js.120 Von dem rußlanddeutschen Werk des Bundes121, der es allein betreiben kann, weil er eben die langjähr. Beziehungen zum Luthertum im Baltikum u. in Rußld. hat, weiß der Labi sicher nichts – auch bezeichnend! Wie lang haben wir uns im V.D. schon mit alledem befaßt. Der Bd. hat nun hier erstmalig ein Treffen von etwa 50 rußlddtschen Pfarrern, Pfarrfrauen u. – Witwen veranstaltet; sie hatten am Sonntag morgen in den Eis. Schulen gesprochen, am Nachmittag einen Presseempfang gehabt, auch alle großen dtsch. Zeitungen berichteten darüber. Am Sonntag früh sprach D. Schabert-Riga in d. Georgenkirche, Sup. Hahn-Dresden, derselbe, den der Labi Coch im vergang. Jahr ins Gefängnis gebracht hat, der Bruder des in Rußld. ermordeten Traugott Hahn [T.]), in der Nikolaikirche.

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Zum Martin-Luther-Bund vgl. Tgb. 5. Dezember 1933. Zu dieser Tagung vgl. Bericht 51. Reichstagung des Martin-Luther-Bundes in Eisenach, AELKZ 67 (1934), 1089–1091; vgl. auch Gottfried Werner, Friedrich Ulmer. wie Anm. 116. Gegründet 1832 als Evangelischer Verein der Gustav-Adolf-Stiftung »zu brüderlicher Unterstützung bedrängter Glaubensgenossen«, 1842 umbenannt in Evangelischer Verein der GustavAdolf-Stiftung (GAV), 1946 in Gustav-Adolf-Werk (GAW); vgl. Hermann Rieß, Art. GustavAdolf-Werk, in: EKL3 2 (1989), 360–361. Sasse hebt offensichtlich darauf ab, dass sich der Gustav-Adolf-Verein in dieser Zeit in der Zuwahl des Reichsbischofs oder in der Übernahme des Führerprinzips deutschchristlich exponiert hatte; vgl. Scholder, Das Gustav-Adolf-Werk, Kassel 1983, 24. Wie Anm. 116.

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D. 22., abds. [22. September 1934] Also die Tgg. des Martin-Lutherbundes122, (Fortsetzg.). Am Nachm. Kundgebg. auf d. Markt, 2 Rußld.pfr. sollten sprechen. Ein Gewitter stand am Himmel, es waren nur Wenige da. Volk: Wütend, daß die Sache schlecht aufgezogen sei. Brüllt mich an, so ungefähr, als ob unsere kirchl. Richtg. verantwortl. sei, daß nicht die S.A. pp. aufmarschiert war u.s.w. Währd. der Kundgebg. spielte sich noch ein Motorradrennen ab, die Hitler Jgd. sammelte sich auf der Esplanade, u. die wundervollen Vorträge, die so in die nat.soz. Linie schlugen, hatten nur ein kl. Publikum. Ich, die ich wußte, wie die Dinge lagen, verliere auch die Geduld u. sage zu Volk: »Die K.leitung hätte ja viell. die Partei pp. auf die Beine bringen können, sabotiert ja aber die Tagg.!« Natürl. fragte er nun, wer das gesagt hätte. Ich: »Ich habe es gesagt! Wo sind denn die Dtsch. Christen, wo ist Bauer [W.], Thieme, Männel, Brauer, Stüber, wo ist d. ›Gde.‹ der D.Chr. – keiner ist da! – das nenne ich Sabotage!« Na – er verschwor sich, er wolle am nächsten Morgen auf dem Pflugensberg »einen furchtbaren Krach« machen. – pp. Ich dachte mir mein Teil! Am Abd. begrüßt er tatsächl. im gefüllten Fürstenhofsaal123 wärmstens »im Namen des LKR!« Am nächsten Morgen wurden ihm dann die Akten vorgelegt, denen er entnahm, daß die Begrüßg. nicht nach dem Willen des Labi gewesen war – das war ihm nun sehr peinl.! Von »Krach machen« war garnicht mehr die Rede. Trotzdem glaube ich, daß der L.K.R. u. der Labi noch Ursache haben, ihm zu danken. Die Bevölkg., Frauenschaft, V.D.A.124, kirchl. Vereine, nahmen stark an der Tagg. im Fürstenhof teil, die Presse im Reich berichtete. Der L.K.R. hätte sich blamiert, wenn er die Tagg. ignoriert hätte. Am Montag nachm. sprach die Witwe des ermordeten P. Hahn [T.] – Dorpat – eine wundervolle Persönlichkeit! Die Frage des Eides. Es erschien in vor. Woche eine »Verordng« der Reichskirche »zur Abänderung der Verordng. vom 9. Aug. d. Js.«125 Der von der Nat.syn. beschlossene Eid wird nicht mehr verlangt, sondern der Beamtendiensteid126 – nach d. Vorschlag der Bekenntnissyn. – zunächst für die Beamten. Für die Pfr. erfolge noch bes. Regelung.127 Am Montag sagt mir Volk, am Dienstg. würden wir vereidigt. Er sagt das in einem etwas herausfordernden Ton. Ich fragte ihn, ob er weiß, daß der Vorschlag von der Bekenntnissynode stammt – er hat natürl. keine Ahnung. Ich teile ihm also das Nötige mit. Am Dienstag heißt es, daß die Vereidigg. auf Donnerstg. früh verschoben sei. Mittwoch Abd. 19.9. bin ich bei Ottos, um Ursel [Otto U.] zum Geburtstag zu gratulieren. Er ist nicht da u. ich verabschiede mich u. gehe den Weg, auf dem ich ihn treffen muß, um ihm von der bevorsteh. Vereidigg. zu erzählen. Er kommt u. teilt mir gleich mit, daß die Bekenntnissyn. die Pfr. warnt, den Eid dem Reibi oder dem Vertreter einer Kirchenregierg. zu schwören. Gründe. Ich fasse diese Gründe nicht gleich ganz u. wir 122 123 124 125 126 127

wie Anm. 116. Kurhaus-Hotel »Der Fürstenhof« mit großem Versammlungssaal im Zentrum von Eisenach. Volksbund für das Deutschtum im Ausland. Der Text (GDEK vom 10. August 1934) ist abgedruckt in: JK 2 (1934), 672–673. Vgl. Verordnung über die Vereidigung der kirchlichen Beamten vom 13. September 1934, GDEK 54/1934, 157. »Über die Vereidigung der Geistlichen ergeht besondere Entschließung« (ebd.).

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reden lange u. grundsätzlich. Darüber vergesse ich, von meinem bevorsteh. Eid zu sprechen – es wird ja immer nur von dem Pfarrereid geprochen. Wir trennen uns u. am nächsten Morgen findet die Vereidigg. statt. Ich die einzige Frau. Ich war ganz vergnügt u. leichten Herzens, mir bewußt, daß ich den von der Bekenntnissyn. vorgeschlagenen Staatseid leistete u. danke Gott, daß ich aller Konflikte enthoben war. – Mittags Telephongespräch mit Otto in anderer Angelegenheit. Ich rede beiläufig von der Vereidigg. Darauf er: »Liebe Frau Bgs. – ich hätte Sie eigentlich warnen müssen! Die Mitgl. der Bekenntnissyn. – auch die Beamten – sollen den Eid nur einer staatlichen Stelle leisten! Nun – gut, daß es vorbei ist!« Ich war einigermaßen erschlagen. Früher hat es immer gehießen, die Beamten – da liegt die Sache ja ganz anders!128 Da handelt es sich nicht um die Verkündigung! Trotzdem ist die Weisung natürlich richtig. Aber dann hätte man die Beamten vorher in anderer Weise zusammenfassen u. für den schweren Entschluß stärken müssen. Ich glaube außerdem, daß die Weisg. der Bekenntnissyn. wohl für die meisten Beamten zu spät gekommen ist, u. kann dafür in meinem Fall nur dankbar sein. Ich glaube kaum, daß ich in meiner Lage – so wie die Dinge liegen – diesen Entschluß hätte fassen können. Es ging ja nicht um Christus selbst. Ich hoffe, daß ich, wenn es ums Ganze gegangen wäre, den Mut gehabt hätte. Aber – obwohl die B.syn. in jeder Weise Recht hat – kam mir mein persönl. Opfer in diesem Falle nutzlos vor. Wer fragt nach mir! Die Verantwortg. liegt hier auf den Pfarrern. Trotzdem schmerzt mich das Ganze u. ich werde nicht leicht darüber hinwegkommen – obwohl ich ja guten Glaubens war. Bestärkt hat mich in meiner Sicherheit auch die Tatsache, daß die Württemberg. Kirchenbeamten dem Kommissar Jägers den Beamtendiensteid sofort geschworen haben – und sie hatten doch sicher Weisungen von Wurm! Aber da waren eben die weitergehenden Weisungen der Bek.syn. noch nicht da. Seit gestern tagt in Berlin die Reichstagg. der D.Chr.129 – als Abschluß erfolgt morgen die Einführung des Reibi, die im vor. Dezember verschoben worden war. Die Tagung soll »im Zeichen der Versöhng.« stehen, Frick hat »in ernster Sorge« ein Grußwort an die Tagg. gerichtet.130 Wie man Zeitungsnachrichten u. dem 18. Heft der »Jungen Kirche« entnehmen kann, splittern ganze Ortsgruppen ab. Sehr bemerkenswert ist bes. die Entschließg. der Zehlendorfer Ortsgr. bei ihrer Trennung (Heft 18 J.K.).131 Wer kann aber auch diese Methoden gutheißen! Abgesehen von der infamen Verdächtigg. Wurms die Vorgänge in Bayern! In Nürnberg sind an den Anschlagsäulen Plakate angeschlagen worden: »Fort mit dem Judas, dem Landesverräter Meiser!« S.A. davor, die Wache hielt, damit die Plakate nicht abgerissen wurden. Generalsup. a.D. D. EgerMagdeburg, der hier wohnt, war vor. Sonntag in München u. erzählte O. von den großen Kundgebungen nach einer Predigt Meisers, der alle diese Vorgänge, auch die in Württemberg, brandmarkt, in der größten prot. Kirche Münchens. Nach der Kirche setzten sich d. Kundgebungen auf der Straße fort, Absingg. des Lutherliedes, Meiser 128 129 130 131

Kurz zuvor hatte Otto noch eine etwas andere Meinung über die Vereidigung der Beamten gehabt; vgl. Tgb. 19. August 1934. Gemeint ist die 2. Reichstagung in Berlin, die am 21. und 22. September 1934 stattfand; vgl. dazu den Bericht bei Scholder II, 321–324 und in: Chronik der Kirchenwirren, 312. 314. 316. Der Text findet sich abgedruckt in: JK 2 (1934), 818. Die Gruppe trat geschlossen bei der RDC aus; vgl. den Bericht in: JK 2 (1934), 780.

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spricht von den Stufen der Kirche oder dem Balkon sr. Wohnung. (Die »Times« berichtet Einzelheiten verschieden). Am Donnerstag Abd. teilt Otto in d. Bibelstunde mit, daß auf Anordng. der Reichsregierg. die Nürnberger Schandplakate überklebt seien. Daß die Leute, die so etwas veranlassen, nicht merken, daß sie die polit. Kampfmethoden der N.S.D.A.P in Frage stellen, bei ihrer Anwendg. im kirchl. Kampf, wo es sich um Persönlichkeiten handelt, zu denen das Volk das Vertrauen nicht ohne Weiteres verliert u. die Methoden nachprüfen kann! Was für volksfremde Menschen müssen es sein, die solche Angriffe ins Werk setzen – von allem andern abgesehen! Wahrscheinl. ehem. Kommunisten u. Freidenker innerhalb der N.S.D.A.P., die ihre kirchl. Begriffe aus der alten Umgebg. mit in die neue gebracht haben. Otto hatte merkwürdigerweise eine Einladg. zur Einführg. des Reibi nach Berlin bekommen. Alle Synodalen sind eingeladen, er hatte ja doch aber s.Zt. die Mitarbeit abgelehnt – ebenso Eichel nach einigem Hin u. Her wegen der Eingliederg. Thüringens in die Reichskirche. Er glaubte nun, es handele sich um irgendein Versehen im Büro, schrieb ab, indem er der Reichskirchenreg. mitteilte, daß er die Mitarbeit im Thür. L.K.Tag abgelehnt u. desh. die Einladung zu Unrecht bekommen habe. Jetzt erfuhr ich von Volk, daß es sich keineswegs um ein Versehen handelt. Sasse habe entschieden, daß Ottos Weigerg. ungültig sei, solange er – Sasse – dieser Weigerung nicht zustimmte! So legt er das »Führerprinzip« aus. Volk machte ein Gesicht, als sei das ganz besonders schlau. Dabei ist es natürl. unmögl. Sasse hätte mindestens Otto seine Auffassg. mitteilen müssen. Weigerte Otto sich dann immer noch, so war das Insubordination. Aber das ist es gerade: Man macht Propaganda mit d. Kirchenfrieden in Thür. u. da paßt diese Entwicklg. nicht in das Programm! Es läßt sehr tief blicken. Na – nun hat Otto ja nach Berlin mitgeteilt, wie die Dinge stehen, ganz ahnungslos, ohne die Absicht, Sasse Schwierigkeiten zu machen, u. der muß die Suppe nun auslöffeln. In dem Telegramm Fricks an die D.Chr. könnte man eine Andeutg. finden, als ob die kirchl. Gruppen künftig alle verboten werden sollten.132 Davon war im letzt. Dezember schon die Rede – da hat mans wohl nicht getan mit Rücksicht auf die D.Chr., die ja damals ihres Sieges noch sehr sicher waren. Vor einem Jahr, bei der Kirchenwahl im Juli, haben wir von den D.Chr. gesagt, in etwa 2 Jahren würden sie abgewirtschaftet haben.133 Das behauptet heute schon die Zehlendorfer Erklärg. der dort. ehemal. Ortsgr. der D.Chr.!134 Im V.D. klagen die D.Chr. darüber, daß ihre Tagungen nicht mehr besucht werden, es sei doch gar kein kirchl. Interesse in Thür. vorhanden. Dabei scheinen sich die Herren untereinander zieml. schlecht zu vertragen. Sehr unbeliebt unter seinen Genossen ist auch K.Rat Lehmann. Darüber wissen die Angestellten alle Bescheid.

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Vgl. Grußwort, Tgb. 22. Sept. 1934. Über diese Wahl hatte die Tagebuchschreiberin allerdings nicht berichtet. Gemeint ist vermutlich die Erklärung in: JK 2 (1934), 780–781.

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D. 4.10. [4. Oktober 1934] Der Reibi reist in Württemberg herum, schildert die Dinge nach seiner Manier u. die Presse berichtet wie von einer Siegesfahrt.135 Der württ. Innenminister hat einfach alle relig. Auseinandersetzgen. in öff. Versammlungen, in Presse, Flugbl. u.s.w. verboten u. nur die amtl. Verlautbarungen des Reibi u. ss. Kommissars zugelassen.136 Dabei erschien gestern im Aufwärts u. in den Basler Nachr. eine Erklärung in der dtsch. Dipl. Korrespondenz137, die die Neutralität der Reichsregierung im Kirchenstreit betonte. Wie reimt sich das nun zusammen? Die »Basler« teilen mit, die Bekenntnissyn. sei überzeugt, daß die Mitteilg. der D. Dipl. Korr. völlig ernst zu nehmen sei. Ob die daran geknüpfte Behauptung, Hitler werde bald Stellung nehmen u. beide kirchliche Gruppen seines Wohlwollens versichern, von der Bekenntnissynode oder der Redaktion der »Basler« stammt war nicht zu erkennen. Jedenfalls doch das Letztere. Denn die Bekenntniss. dürfte so etwas nicht der Öffkeit bekannt geben, selbst wenn sie es genau wüßte. Interessant sind die angegeb. Zahlen. Die D.Chr. werden eine kleine Minderheit genannt, nur 2000 von 17 000 deutsch. Pfarrern gehörten dazu u. 600 000 Laien als eingeschrieb. Mitglieder. Das seien nur soviel als die Bek.syn. allein in Hannover eingeschrieb. Mitgl. hätte! Wenn die Partei die D.Chr. nicht stützte, müssten sie zus. brechen. Das werden sie ja nun nicht. Die Suggestion ist immer noch sehr groß. Im L.K.Rat wird jetzt auf alle Angestellt. u. Beamten ein zieml. Druck ausgeübt, den D.Chr. beizutreten. Ich hörte versch. Klagen. Bernewitz hat sehr aufrichtig u. klar abgelehnt – hat einen Märtyrer-Onkel in Rußld. Bei einem Besprechungsabend der D.Chr. im Eis. Westen seien 6 Gäste dagewesen, außer den Leuten vom Pflugensberg! Vom 20.–22.10. soll hier die »Reichstagg.« der D.Chr. Thüringens [KDC] stattfinden.138 Da werden natürl. alle Hebel in Bewegg. gesetzt, um sie möglichst glanzvoll zu gestalten. O. ist in Wernigerode zur Herbsttagg. der Bruderschaft [Sydower Bruderschaft], kommt morgen zurück. Leffr. gibt sich offenbar große Mühe um Thomas, hat ihn zu Rundfunkpredigten am Leipz. Sender aufgefordert. Wie Thomas’ Haltg. in den Kreisen der D.Chr. beurteilt wird, darüber erfuhr ich Einzelheiten, die ich nicht niederschr. will. Schrecklich ist die charakterliche Enthüllung mancher Menschen, die überhaupt keine Überzeugg. u. keine innere Haltg. haben, sondern nur an ihre Stellg. denken. Z.B. V. Er fragt z.B. mich um meine Ansicht zu einer bestimmten Angelegenheit, weil er das für den einen Pol hält u. dann fragt er irgendeinen der Dtsch. Chr. um seine Ansicht. 135 136

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Vgl. dazu »Müllers Vortragsreisen und seine reichsbischöflichen Verlautbarungen 1934/35«, in: Schneider, Reichsbischof, 195–206. »17. September. Schweigegebot des württembergischen Innenministeriums, das erst am 20. November wieder aufgehoben wird unter ausdrücklichem Hinweis darauf, daß ja durch die Erlasse des Reichsinnenministers vom 6. und 7. November alle Veröffentlichungen zum Kirchenstreit verboten seien, ausgenommen die Ludwig Müllers« (Chronik der Kirchenwirren, 332). Es folgt der Wortlaut des Erlasses. Gemeint ist vermutlich: »Deutsche diplomatisch-politische Korrespondenz«, die allerdings nur nachgewiesen ist für (9) 1935–(16) 1943/44. Vgl. Tgb. 24. Oktober 1934.

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Wenn sich dann seine eigenen Äußerungen in der Mittellinie bewegt haben, ist er befriedigt! Und keine Ahnung von der eigenen Kläglichkeit. Böse Stimmung unter einigen alten Pg.s. »Gehorsamsverweigerung« von Laue gegenüber K.R. Lehmann heute. Bei der letzt. Versammlg. der Bekenntnisgem. »hinter der Mauer«139 – es war wohl am 25.9., Dienstg., gab Brakhage die bibl. Einleitung, O. den Tatsachenbericht. »Wir können nur noch beten«. Äußerst bissiger Artikel des Grafen Reventlow am 30.9. im »Reichswart« gegen Dr. Kinder u. den »Reibi«: »Die Männer der Bek.syn. geben nicht nach …«140 pp. Volk beauftragt mich, den Artikel zu beschaffen u. sagt ahnungslos: »Der Landesbischof sagte mir, es stünde so ein ausgezeichneter Artikel üb. die Einführg. des Reichsb. im »Reichswart« …. Ich habe mirs extra noch einmal bestätigen lassen. D. 12.10.34. [12. Oktober 1934] Heute wird die Neuregelg. in Bayern bekannt. Also kirchlich schafft man neue Kleinstaaten. Eine »altbayr.« Kirche, ein Bischofssitz in München; u. Franken, das die Hauptmasse der bayr. Evangelischen zählt, mit Bischofssitz in Nürnberg! Und dazu die Begründung! Es ist so grenzenlos verlogen! Und in den Zeitungen nur die Stellungnahme des Reibi. Und die Menschen urteilslos und kenntnislos! Heute langes Gespräch mit Jansa, den die D.Chr. plötzl. für sich zu werben suchen. Es geht ihnen dabei wohl um die Möttlinger Kreise 141. Und Jansa dieser Kindskopf schwankt, sieht alles ganz falsch u. hat schon verschiedene andere wankend gemacht. Wir sprachen 5/4 Stunden zusammen. Gestern nachm. schüttete mir der junge Mäscher sein Herz aus, der es mit Zittern u. Zagen fertig gebracht hat, die Aufforderungen der D.Chr. zum Beitritt abzuweisen. Ich kam mir vor wie ein Seelsorger.

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Adresse der Ev. Stiftsgemeinde, in deren Gebäude sich die LBG regelmäßig versammelte. Ernst Graf zu Reventlow, Die geeinte Reichskirche, Reichswart 15 (1934) Nr. 39, 30. September 1934. U.a. heißt es dort: »Der Reichsbischof spricht, als ob er eine politische Organisation führte, nicht aber die Evangelische Kirche, die nicht auf den Reichsbischof eingeschworen sein kann, sondern auf das religiöse Bekenntnis eingeschworen ist. Seine Feinde, die er vernichten will, sind alle diejenigen Geistlichen und hinter ihnen stehenden Gemeinden, die ihn ablehnen und zwar aus rein religiösen, für sie maßgebenden Gründen, die sie auf Evangelium und Bekenntnis stützen. Das ist der Unterschied und Gegensatz gegenüber der Reichskirche, die nach dem Bekenntnis Dr. Kinders noch nach religiösem Inhalt suchen muß. Der Gegensatz scheint unüberbrückbar. Die Bekenntnischristen werden nicht nachgeben, glauben wir.« Der Name bezieht sich auf jene originelle schwäbisch-pietistische Erweckungsbewegung, die von Friedrich Stanger in Möttlingen ausgegangen war. Gruppierungen ähnlicher Art gab es inzwischen auch in Thüringen. Hier galt der Verleger, Buchhändler und Volksmissionar Bernhard Jansa als Exponent dieser Richtung, die die DC-Bewegung jedoch ablehnte. In seinem Verlag in Neudietendorf gab er eine eigene Reihe heraus, die »Möttlinger Hefte«; vgl. z.B. Johannes Schlatter, Möttlingen und seine Bedeutung für die Kirche. Jansa verfaßte selbst die Broschüre »Das heutige Möttlingen«, Neudietendorf 1930.

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Otto hat am 8. u. 9. die kirchl. Konf.142 in Neudietendorf mitgemacht. Es muß fein gewesen sein. Vorträge von Althaus u. Köberle. Das Interessanteste sind sehr offene Gespräche mit Bauer [W.] gewesen, von denen ich nichts niederschreiben möchte. (30. Juni !) Am letzt. Sonntag predigte Otto abends u. kam auf Württemberg zu sprechen. Es war ein Text, ein Psalm, der um Hilfe aus der Not flehte. »Not der Christenheit« – zuerst: Rußland. Dann: Deutschland. Ist es keine Not, wenn in der Ev. Kirche [DEK] die Wahrheit vergewaltigt wird? (dem Sinn nach). Schilderung der Tatsachen. Treue Gemeindeglieder hätten ihn auf die »Unterschlagungen« des württemb. Landesbischofs angeredet. Es sei keine Rede von irgendwelchen Unregelmäßigkeiten. Der Bischof [Wurm] habe nichts getan, was er nicht vor jedem weltl. Gericht verantworten könnte. »Ich weiß schon, einige von Euch werden nun wieder sagen: Warum bringst Du immer wieder die Kirchenpolitik auf die Kanzel? Das ist keine Kirchenpolitik – (sehr leidenschaftl.) das ist die Wahrheit. Und auf die ev. Kanzel gehört die Wahrheit. Ich will lieber nie wieder auf einer ev. Kanzel stehen, als da nicht die Wahrheit sagen dürfen.« Es war herrlich. Gestern in der Bibelstunde Markus13 – die Endzeit. D. 23.10.34. [23. Oktober 1934] Es sind wieder einmal Tage äußerster Spannung. Es steht alles auf des Messers Schneide. Am Montag, den 15.10. waren wir Abends bei Otto; er wollte Verschiedenes mit uns besprechen u. über die Tagung der Bruderschaft [Sydower Bruderschaft] in Wernigerode berichten, von der er 8 Tage vorher zurückgekommen war. Hauptinhalt des Referats war ein Vortrag von Georg Schulz, der die Entwicklg. u. die Lage des Weltkampfes gegen das Christentum aufzeigte, das Aufbrechen völkischer Religionen überall u. die Zusammenballg. politischer Macht. Sehr zugespitzte, zum Widerspruch reizende Formulierungen, aber fabelhaft geistreich u. weitschauend. Der 2. Teil des Referats soll noch folgen. Im Voraus skizzierte O. kurz die Schlußgedanken: Es müsse innerhb. der Kirche zu einer Kompromißlösung kommen. Im rein Organisatorischen, Verwaltungsmäßigen, würde man mit dem Reibi arbeiten müssen. Ein Kompromiß sei es ja schon, daß man sein Gehalt von der herrschenden Kirchenregierg. nähme pp. Das alles natürl. nicht so platt hingesagt, aber in der Pointierung ganz schonungslos u. kraß. Wir saßen zuerst alle sprachlos da. Dann widersprach ich als Einzige wütend, die anderen saßen stumm. Otto lachte u. verteidigte Schulz's Standpunkt. Pfr. v. Rabenau hätte Ähnliches gesagt wie ich. Hauptsache sei doch, angesichts der Weltlage: Es sei in dieser Kirche immer noch möglich, d. Evangelium zu predigen. Träten wir aus dieser Kirche aus, so würde kein neuer Zusammenschluß gestattet werden. Nicht einmal ein Katakombenchristentum würde möglich sein, nicht einmal Zusammenkünfte wie in Rußland, dazu lebten wir in Dtschld. zu eng beieinander u. alles sei zu durchorganisiert pp. Um keinen Preis also aus dieser Kirche austreten.

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Gemeint ist wohl eine Tagung der »Thüringer Kirchlichen Konferenz«, die Vertreter der positiven Theologie und Neulutheraner vereinigte; vgl. Wiegand, Kleine Geschichte der Thüringer Landeskirche, in: Hübner/Schmidt, Landhaus und Landeskirche 2006, 46.

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Ich fürchte beinah, Schulz behält Recht. Trotzdem finde ich, daß solche Propheten in Kampfzeiten ihre Weisheit für sich behalten sollten. Sie lähmen die Kraft der Kämpfer u. beeinflussen damit doch auf eine unerfreuliche Weise das Endergebnis – selbst wenn sie Recht haben. Am Donnerstag reiste Otto nach Berlin zu einer Tagg. der Bekenntnissynode.143 Am gleichen Tage (oder am Mittwoch?) wollte Sasse zu einer Bischofsversammlg. nach Berlin reisen, wurde aber dch. ein Telegramm aus dem Zug geholt u. blieb da. Für Donnerstag Abend war L.K.R. Konferenz auf 8 Uhr festgesetzt. Frl. Linde kam an u. fragte, was wohl los wäre? Ich wußte es natürl. auch nicht. Der Labi a.D. Reichardt [W.] hätte Sasse antelephoniert, er hätte einen Brief aus Berlin von Rahlwes bekommen; darauf seien alle Kirchenräte zu Reichardt [W.] gegangen u. seien offenbar alle in höchster Aufregg. Nichts war herauszukriegen. Am Freitag früh kam Frl. Linde wieder zu mir: Nun wüßte sie, was los sei. Der Führer habe die Bischöfe zu einem »Staatsakt« nach Berlin bestellt, um damit die bestehenden Verhältnisse in d. Kirche zu sanktionieren u. den Kirchenkampf zu beendigen. Sie hatte Bö. gefragt u. der hatte geschwatzt. Sasse hätte zu ihm gesagt: »Nun kann uns nichts mehr aus unserer Position hinausdrängen.« Mein erstes Wort war: »Jetzt tritt die Bekenntnissynode doch aus der Kirche aus!« Wie eine schwere Eisenplatte fiel die Angst über mich, auch ich würde vor eine solche Entscheidung gestellt werden u. würde entweder meine Stellg. aufgeben u. damit mich u. die Meinen ins Elend stürzen oder mich von allen meinen Freunden trennen u. für untreu gelten müssen. Es war mir an dem Tag nicht mehr möglich zu arbeiten. Ich habe immer wieder angefangen, habe ganze Aktenbände durchgesehen u. wußte, am Schluß angelangt, nicht mehr, ob ich sie wirkl. gelesen hatte, und fing noch einmal an. Es war eine Hölle. Das merkte ich hinterher erst ordentlich, als diese Last von mir genommen wurde. An diesem entsetzlichen Freitag spukte nun auch in allen Formen die »Reichstagg. der Kirchenbewegg. Dtsche Christen«, also der Thüringer [KDC], voraus, die vom Sonnabend (20.) bis Montag (22.) im »Fürstenhof« tagen sollte. Am Sonnabend früh kam erst Jansa zu mir ins Büro, den am Abend zuvor die Möttlinger in Bann getan hatten wegen seines geplanten Übertrittes zu den Dtsch. Chr. u. dann ungefähr noch 5 andere. Ich hatte direkt Gewissensbisse; denn gearbeitet habe ich nicht viel. Offenbar waren auch alle and. Leute aufgeregt. Um ½12 Uhr erschien Andres u. meldete, der Luxemburger Sender hätte soeben mitgeteilt, in Dtschld. hätte sich die »protestantische Kirche« von der »Nationalkirche« getrennt. Nun war es mit dem letzten Rest mr. Fassung vorbei. Ich nahm an, dies seien Beschlüsse der Bekenntnissynode. Am Nachmittag trieb mich die Unruhe zu Ottos – obwohl er am Abend Abendmahlsgottesdienst in d. Nikolaikirche hielt. Der war ganz ruhig u. garnicht aufgeregt. War am Morgen früh in Berlin abgefahren. Die Synode sei noch nicht beendigt gewesen, aber er habe fortgemußt. Er war wenig befriedigt von der Tagung. Niemöller habe eine Erklärg. betrieben, die darauf hinauslief, die Synode übernähme »die Leitung der dtsch. Ev. Kirche«. Das sei Unsinn, eine Utopie. Er selbst wäre dann der 143

Zweite Reichsbekenntnissynode, die am 19. und 20. Oktober in Dahlem tagte. Zu den Vorgängen und Verhandlungen vgl. Scholder II, 335–348.

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Landes-bischof von Thüringen – einfach lächerlich auszudenken. Er habe gleich Anderen protestiert gegen den Beschluß, wüßte nicht, ob es etwas helfen würde. Niemöller handele immer taktisch, immer darauf bedacht, jeden Schlag des Gegners zu erwidern. Das sei falsch. Man müsse selbständig handeln, ohne den Gegner zu beachten. Jetzt seien eben alle Mittel erschöpft. Die Zeit für Erklärungen sei vorbei. Es bliebe nur noch der Austritt aus d. Kirche u. den wolle man nicht, darin seien alle einig. »Das ist unsere Kirche, die wollen wir behalten. Die anderen sind es, die nicht hineingehören.«144 Ich kann nicht sagen, welcher Stein mir vom Herzen fiel, weil der Kirchenaustritt vermieden war. Ich konnte nur ganz matt davon berichten, für eine große Freude war ich viel zu erschlagen. Ich piepste nur noch, wurde ausgelacht u. getröstet. Am Tag vorher hatte ich übrigens einen Brief von Frau Bdt. [Baudert L.] bekommen mit einer Einlage von Bdt. [Baudert] an O. Darin waren sehr interessante Nachrichten aus Westfalen z.Teil, z.Teil aus Hambg. Stellungnahme der westfäl. Gestapo, Denkschrift des N.S.-Bundes für kulturell. Frieden (oder so)145, Besuch des Reichsstatthalters v. Epp bei Hitler wegen der bayr. Religionskämpfe, Stellungnahme Epps für Meiser pp. Die Tatsache, daß Epp sich für Meiser eingesetzt hat, ist scheinbar auf d. ganzen Pflugensberg bekannt. Ich halte sie stimmungsmäßig für sehr weittragend in ihren Folgen, obwohl Epp beim Führer offenbar nichts erreicht hat.146 Otto bestätigte Bdts [Baudert] Nachrichten u. packte nun seinerseits aus. Ich mag es nicht niederschreiben. Er war mit Sch. zusammen gewesen u. der hat ja fabelhafte Verbindungen. Jedenfalls erfuhr ich nun auch Näheres über den geplanten Staatsakt beim Führer. Hitler will den Reibi nicht fallen lassen, höchstens Jäger. Er wolle das bisher Geschehene sanktionieren u. hoffe damit den Kirchenkampf zu beenden. Wahrscheinl. würde Hitler gegen den Gedanken einer »Nationalkirche«, wie ihn in letzter Zeit mitunter Jäger in der Öff.keit vertreten hat, offiziell Stellung nehmen, denn der Gedanke der Nat.kirche schade im Ausld. sehr (Saar). Und dann das Tollste: Am 18. haben 3 Oberkirchenräte in der Reichskirchenregierg. vom Reibi Jägers Rücktritt verlangt, da die Vorgänge in München nicht tragbar seien.

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Die Dahlemer Synode brach endgültig mit dem Kirchenregiment der DEK und schuf mit dem auf dem Bekenntnis errichteten kirchlichen Notrecht neue kirchliche Organisationsstrukturen mit dem Anspruch, durch sie die DEK zu repräsentieren bzw. sie in rechtmäßiger Weise zu beerben (»Botschaft der Bekenntnissynode der Deutschen Evangelischen Kirche«, bes. Absatz III; Text in: Chronik der Kirchenwirren, 377 und 379). Zur Leitung der Kirche wurde der »Bruderrat der Deutschen Evangelischen Kirche« eingesetzt. Die laufenden Geschäfte sollte der »Rat der Deutschen Evangelischen Kirche« führen. Dagegen erhob Ernst Otto mit den Vertretern anderer Landeskirchen wie Bayern, Württemberg, Mecklenburg oder Schleswig-Holstein ernste Bedenken. »Für Thüringen«, so meinte er, sei »Absatz III unmöglich. Er mag für die ›beati possidentes‹ durchführbar sein, nicht für die zerstreuten, schwachen Bekenntnisgemeinden bei uns (auch Mecklenburg) […] Es wäre eine leere Fiktion und Lächerlichkeit zu behaupten, daß wir in Thüringen die Leitung der Kirche übernehmen […] Wir haben für ganz Thüringen nur 1000 Mitglieder der Bekenntnisgemeinde« (zit. nach Scholder II, 342). In dieser Form nicht nachweisbar. Die berichteten Vorgänge können hier nicht im einzelnen überprüft werden; vgl. aber zu den Eingliederungsversuchen der Reichskirchenregierung betreffend Bayern und Württemberg: Chronik der Kirchenwirren, 321–365; Meier, Kirchenkampf I, 204–221.

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Jäger habe darauf die Betreffenden »beurlaubt« u. Disciplinarverfahren gegen sie eingeleitet. Einen Tag seien sie nicht in ihre Büros gekommen. Dann habe der Reibi erreicht, daß sie wieder Dienst täten, der Gegensatz sei aber noch nicht überbrückt. Engelke habe seinen Abschied eingereicht. Zugleich zeigten mir Ottos die »Basler Nachrichten«, in denen dieser Skandal aus der Reichskirchenregierg. gemeldet wurde. Abends ein wundervoller Abendmahlsgottesdienst in der Nik.kirche. 70–80 Menschen. Ein kleiner Kreis stand hinterher noch lange vor der Kirche beisammen u. plauderte. Otto berichtete. Am Vormittag war übrig. beim L.K.R. ein Telegramm eingelaufen das den »Staatsakt«auf Dienstag Mittag 12 Uhr beim Führer ansetzte. Sonntag früh in der Georgenkirche predigte Meyer-Erlach. In der Liturgie sprach er mit Hohlwein u. Leutheuser das luth. Glaubensbekenntnis. Sehr bemerkt wurde von den Leuten vom Pflugensberg, daß d. Herren sich dabei verhaspelt hatten – beim 3. Artikel hatte einer gepatzt. Erlach [Meyer-Erlach] leistete sich einen unglaublich pharisäischen Ausfall auf diejenigen, die unverantwortlicher Weise »die Kirche geschändet u. die Kirchenpolitik auf die Kanzeln getragen« hätten!147 Als ob das nicht die D.Chr. selbst gewesen wären! Sie haben sogar Gottesdienste gestört! Sonst habe ich von der »Reichstagg.« [der KDC] nichts gemerkt. (Kundgebg. nach d. Gottesdienst auf d. Marktplatz).148 Montag Telegramm aus Berlin: Staatsakt auf Donnerstag verschoben. Am Freitag hält die Bek.gemeinschaft hier ihre 1. größere Werbeversammlung. D. 24.10. [24. Oktober 1934] Jansa war heute da u. berichtete über die Reichstagg. der D.Chr. [KDC] die er ganz mitgemacht hatte.149 Er war sehr begeistert. Es sei kein Wort gegen die Gegner gefallen. Leffler sei so vorsichtig gewesen, seine Rede sogar abzulesen.150 (Von Steinbach u. Osterbg. [Osterberg] weiß ich, daß sie alle Verhandlungen stenographiert haben, sogar die Predigt von Meyer-Erlach! Die haben jetzt soviel Angst wie wir vor 1½ Jahren. Aber wir haben uns inzw. ja an Verschiedenes gewöhnt!) Interessant waren Jansas Andeutungen in Bezug auf den Staatsakt. Er dürfe nichts sagen, könne nur andeuten, daß die Tatsache, daß Sauckel Sasse u. die Führer der D.Chr. [KDC] empfangen hätte, von höchster staatspolit. Bedeutung sei; das sagte er in Bezug auf den Staatsakt bei Hitler. 147

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Die Predigt von Wolf-Meyer Erlach in der Georgenkirche, die die Tagebuchschreiberin mitgehört hat (s.o.), ist offenbar nicht dokumentiert worden; denn die in den Briefen für deutsche Christen abgedruckte Predigt wurde in der Nikolaikirche gehalten, und zwar von Pfarrer Lüdecke; vgl. BrDC 3 (1934), 191–193. Interessanterweise ist sie nicht namentlich gekennzeichnet – was immer das bedeuten mag. Wilhelm Bauer, Die Reichstagung der Kirchenbewegung Deutsche Christen in Eisenach, BrDC 3 (1934), 190–191. 1. Reichstagung der KDC in Eisenach vom 20.–22. Oktober 1934. Leffler, Der Weg der Kirchenbewegung der »Deutschen Christen«, BrDC 3 (1934), 193–198; vgl. auch die Rede von Jul. Leutheuser, gehalten auf der Haupttagung der Reichstagung der KDC in Eisenach, BrDC 3 (1934), 199.

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Die ganze Situation liegt mir so auf den Nerven, daß ich es selbst kaum verstehe. Ich kann mich dagegen wehren, soviel ich will, ich kann es nicht ändern. Ich bin einfach mit diesen Dingen verwachsen, mein Herz ist bei der Bekenntnissynode, u. alles was dieser Front angetan wird, fühle ich als mir persönl. angetane Beleidigg. Der Gauleiter von Franken, Streicher, der der Urheber der wüsten Angriffe gegen Meiser sein soll, hat einen Erlaß herausgegeben, in der der Partei auf das Strengste verboten wird, sich in die Angelegenheiten der ev. Kirche zu mischen. Er erschien heute im »Aufwärts«!151 D. 26., Sonnabd. [26. Oktober 1934] Am Donnerstg., d. 24. Abends nach der Bibelstunde erzählte Otto, der Schwede Forell, Gesandschaftspred. in Berlin, sei in Bayern gereist, um die Verhältnisse zu studieren, hatte Geschichten von Streicher erzählt u. sich für Wahrheit verbürgt: Streicher ruft 150 ev. Pfr. in Franken zu einer Besprechung zusammen. Sie antworten ihm, sie würden nur dann kommen, wenn er seinen Angriff auf d. Abendmahl (Mainummer des »Stürmer«) und auf Meiser (Fränk. Tagebl.) zurücknähme. Antwort: Bedingg. würde erfüllt, sie möchten kommen. Sie kommen u. er nimmt ausdrückl. beide Angriffe zurück: »… Ihre Haltung hat mir imponiert, m. H. Ich achte jede ehrliche Überzeugung …« pp. Otto hat gesagt, das könne er nicht glauben. Jetzt, nach dem letzten Erlaß von Streicher, glaube ers.152 Der gestrige Tag, Freitag, war fast so entsetzlich wie der Freitag vor 8 Tagen. Nie werde ich diese Tage vergessen. Immer die Angst: Was hört man aus Berlin, wie ist der Staatsakt verlaufen? In der Bibelst. am Abd. vorher, hatte Breithpt. schon gesagt, der Rundfunk habe nichts gebracht. Es hatte sich d. Nachricht verbreitet, der Staatsakt nachm. um 5 würde übertragen. (Donnerstag mittag meldete Andres, der Luxemburger Sender habe gefunkt, Hitler würde sich restlos hinter Müller stellen und alles würde schlimmer werden als je. Daran hätte Hitler ja merken können, was das Ausland sich wünscht damit Deutschland sich selbst schadet). Als der Freitag vorm. verging u. ich hatte fast keine Ruhe zum Arbeiten, merkte, daß meine Nerven versagten. Dazu kam etwas Angst vor der Versammlg. der Bekenntnisgemeinschaft am Abend. Würde der Saal voll werden? Die Sache kein Fehlschlag? Nicht nur Frauen?153 pp. Um halb eins lief ich in die Redakt. der Eis. Ztg.: keine kirchlichen Pressenachrichten. Der nachmittag verging. Abends ¾ 6 wurde ich zu Volk gerufen. »Jetzt kommt der Schlag«, dachte ich, »jetzt wird er mir auf die grausamste, spöttische Art sagen, was in Berlin geschehen ist, daß wir erledigt sind.« Und ich riß mich zusammen, während ich die Turmtreppe hinunter ging. »Ruhe! Nicht zucken!« Dann fragt mich Volk, ob ich etwas weiß. Ich teile mit, daß ich nichts weiß u. was ich angestellt habe, um etwas zu 151

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Anordnung der NSP [NSDAP] Frankens vom 18. Oktober 1934: »Die innerhalb der evangelischen Kirche zurzeit noch herrschenden Meinungsverschiedenheiten sind eine Angelegenheit der davon betroffenen Kreise. Die NSP hat damit nichts zutun. Ich verbiete den Amtswaltern der Partei, die Parteiorganisation zur Austragung kirchlicher Gegensätze zu mißbrauchen …« (zit. nach: Chronik der Kirchenwirren, 351.) Vgl. Tgb. 24. Oktober 1934 und 2. November 1934. Vgl. zur Genderfrage (1) Tgb. 15. Juni (Gemeindetag in Barmen), (2) Tgb. 15. November 1934 (Gemeindetag in Mihla), (3) Tgb. 21. November 1934 (BK-Königsberg).

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erfahren. Und dann entschließt er sich, mir mitzuteilen: Der Staatsakt hat garnicht stattgefunden! Der Pfarrerkursus in Friedrichroda habe um 5 Uhr am Donnerstag pünktlich am Rundfunk gesessen u. auf die Übertragung gewartet, aber es sei nichts erfolgt. Man scheine zu verhandeln u. mache den Bayern solche Konzessionen, daß man nur annehmen müsse, es seien große Umwälzg. innerhb. der Reichskirchenregierg. vor sich gegangen. Anschließend hatte ich noch einen wahnsinnigen Krach mit ihm, der damit endete, daß er mir wutzitternd sagte: »Ich will nicht mehr mit Ihnen sprechen! Gehen Sie!« Also ein glatter Hinausschmiß. Ich hatte allerdings in meinem hilflosen Zorn starke Sachen gesagt, u.a.: »Kirchenregierungen seien einfach lächerlich u. gänzlich belanglos, es sei noch niemals eine Reform von ›oben‹ gekommen, wesentlich sei in der Kirche etwas anderes; auch die alte Thür. Kirchenregierg. habe versagt, er selbst auch u. schließlich, wenn er sich immer nur »orientierte«, bliebe er immer an der Oberfläche u. würde nie etwas verstehen.« Ich stand schließlich mit geballten Fäusten da u. es war kein Wunder, daß er platzte. Dann ging ich zu Klante u. fragte, was in den Basler Nachrichten gestanden hätte. Das klang sehr hoffnungsvoll u. ich fragte schnell noch telephon. bei O. an, ob ers wüßte. Halb 8 ging ich zur Erholung. ¾8 Uhr kam ich an, der Saal schon fast voll! Ziemliche Hitze. Also es wurde ein Erfolg. Die Fülle war wirklich beängstigend, der sog. kleine Saal mußte noch aufgemacht werden. K.Rat Otto [R.] sprach – sehr klug, der Tonfall »pastörlich«. Man kann ihn doch nicht recht mehr ertragen. Dann Ernst Otto, glänzend, wie immer. Leidenschaftlich u. hinreißend. Bei der Schilderg. der Tatsachen zurückhaltend, in keiner Weise der Versuch, das Material agitatorisch auszunutzen, nur 3 Beispiele herausgehoben, sonst das Grundsätzliche. Zum Schluß Brakhage mit einer Andacht: Sehr gut, aber es war ein bißchen zuviel. E. Otto hätte den Schluß machen müssen. – Aber das schadet nichts. Andere hatten diese Kritik nicht. Was auf d. Pflugensbg. zu uns gehörte, strahlte heute u. protzte mit der Tatsache, daß viele, die Karten hatten haben wollen, keine mehr bekommen hatten u. viele hatten umkehren müssen. Ach, es tat uns gut, auch mal sich ein bißchen zu sonnen, sonst laufen wir ja Spießruten da oben. Der heutige Morgen war wieder sehr bewegt. Zuerst die Aussprache mit Volk, die glatt verlief. Ich hatte ihm einen Brief geschrieben, liebenswürdig, aber kurz u. mit ein paar Sätzen die Punkte zusammengefaßt die m. Mg. nach durch Aussprache geklärt werden konnten. Er gab mir gleich freimütig u. lachend die Hand u. wir sprachen weiter wie früher, gerieten auch wieder in Streit. Schrecklich die Art, wie so ein Kirchenrat über die kirchlichen Kämpfe spricht. So flach alles gesehen, überhpt. kein Wort von Glaube oder Überzeugg. »X segelt im Fahrwasser von Y«, » A ist der Einbläser von B«. »Es ist ja noch die Frage, ob die Lutherischen sich ihre Auslandsarbeit nicht einfach als Vorwand vorbinden, um dahinter ihre Kirchenpolitik zu treiben … « pp. Ich sagte zu ihm: »Ich weiß garnicht, Herr Kirchenrat, was das nur alles für Ausdrücke sind! Was steht da für eine Schau dahinter! Die Männer der Bekenntnisfront handeln doch aus Überzeugung! Das ist schrecklich, da kann ich nicht mit!« Er verstand davon nur, daß ich mich an einzelnen Ausdrücken stieße u. sagte: »Na, wenn Sie sich an dem Wort stoßen, will ich nicht mehr von ›Orientierung‹ sprechen!«

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Nachher begleitete ich ihn zum Bahnhof, kaufte ihm die Basler Ztg. u. las sie ihm vor! Was da drin stand, war freilich zu schön, als daß ichs hätte glauben können. Sehr geschickt zurecht gemacht, um Hitler goldene Brücken zu bauen. Der Führer wolle den Reibi überhpt. nicht mehr verteidigen, das sei aber kein Sieg der Bekenntnisfront sondern der alten Parteigenossen (Epp, Pfr. Putz-München) über die neuen (Jäger, Landmann).154 Die Bek.front wolle auf alle Fälle dem Führer helfen, die Einheit im Volk herzustellen, von ihren grd.sätzl. Beschlüssen aber selbstverständl. nicht abweichen. Sie ginge von d. Grundsatz aus, daß die Kirchen ihre Angelegenheiten selbst ordnen müßten – unbeschadet dem Aufsichtsrecht des Staates – pp. Halb eins kam Sasse von sr. Reise zurück, die er so hoffnungsvoll angetreten hatte. Volk, der mit den Kandidaten des Pred.sem. nach Maria-Laach verreisen wollte, schickt dem Labi Frl. Linde entgegen u. läßt sagen, er möchte den Labi gleich sprechen. Darauf antwortet der Frl. Linde, noch in der Haustür: »Ich hätte die Herren sowieso gleich zusammengebeten; das in Berlin ist ja ein einziger großer Saustall!« Es läßt ja tief blicken, daß er sowas zu Frl. Linde sagt. Man müßte eigentl. annehmen, daß das nur möglich wäre, wenn sich der offizielle Kurs gänzlich geändert hätte. Mittwoch, d. 31.10.34. [31. Oktober 1934] Reformat. Fest. Heute früh Reformationsfestpredigt von Otto in der Nikolaikirche. Hinterher, mitten unter den hinausströmenden Menschen, flüstert mir Frl. Linde zu: »Das Neuste wissen Sie wohl schon?« »Nein«, sage ich bang u. wir treten etwas in die Bänke hinein. Und sie erzählt: »Gestern Abd. 11 Uhr Rundfunkmeldung: Der Führer hat im Beisein des Ministers Frick die Landesbischöfe Meiser, Wurm u. Marahrens empfangen.155 Jäger ist von seinem Posten in d. Reichsk.rg. zurückgetreten, auch von s. Amt als Ministerialdirektor im Innenministerium (Leitg. der geistl. Angelegenheiten).156 Es war merkwürdig, daß die Freude nur so ganz langsam aufglomm. Sie wagte sich garnicht heraus. Aber später kam sie doch. Es ist doch nicht anders möglich, als daß ein kolossaler Umschwung eingetreten ist! Gestern kam Btz. wieder herüber u. erzählte, am Abd. vorher sei Leffler mit Frau [Leffler E.] aus Weimar gekommen, sehr aufgeregte Besprechungen der Dtsch. Christen, Lefflers übernachten bei Sasse. Gestern früh seien die Besprechungen weiter gegangen. Schließl. wird im Flughafen Erfurt angefragt, wann das fahrplanmäß. Flugzeug nach Nürnberg abgeht. »Zu spät«, heißt es dann, und Leffler, Leuth. u. Brauer sausen im Auto ab. Bei Mitzenheim sind Männel u. Thieme gewesen, um ihn für die D.Chr. zurückzugewinnen! Ich kann mir denken, wie sie da geflogen sind – nach dem, was Mitz. mit den Herren erlebt hat. Nun wollen sie zu Kühn – die Ahnungslosen. Und dann steht – Otto auf ihrem Programm. »Oh, wir haben keine Angst!« haben sie gesagt. Man kann nur lachen, u. jeder Kundige freut sich auch fürchterlich. Die scheinen noch garnicht zu wissen, wie sehr sie pleite sind. 154 155 156

Vgl. zu den Vorgängen Scholder II, 350–353. Vgl. Chronik der Kirchenwirren, 362; Scholder II, 354–355. Vgl. Scholder II, 353–355.

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D. 2. Nov. 34. [2. November 1934] Was für Tage! Arbeiten kann ich nicht viel. Jeden Morgen setze ich mich mit den besten Vorsätzen hin u. dann kommt ein Besuch nach dem andern – Frl. Linde, Bernewitz, Wiegand von der Pfründe, Andres – das sind die Stammgäste. Jeder hat irgendwas gehört u. will was wissen. Auf der Treppe werde ich angeredet: »Wieder was Neues passiert?« Ich antworte dann ungefähr: »Es passiert immerzu was Neues, aber niemand weiß es.« Gestern, am 1.11., notierte ich mir am Vormittag auf einem Zettel Folgendes: Sasse seit gestern in Berlin. 8. Nov. zu Kühn (Absicht von Männel u. Thieme.) Letzte Worte von Jäger an die Bischofsversammlung: »Ich gehe, aber an meinem Erbe sollt Ihr noch alle krepieren!« (Das ist echt. Das hat den persönlichen Stempel. [Von Btz. über Di. u. Männel], jedenf. von Sasse). Kirchenvertretertagungen in Friedrichroda heute, über Sonntag die Nächste. Dazu sagt Btz.: »Die halten sich dran, solange sie noch d. Regiment haben.« Verhältnis der D.Chr. untereinander: Männel u. Bauer [W.] gemeins. gegen Brauer, dazu hetzt Männel bei Leu [Leutheuser] gegen Bauer [W]. Alles spöttelt über Käte Selbmann. Die Rechnungsstelle u. Tegetm. haben sich schon wiederholt über die Höhe der Reisekosten beschwert. Ich bekam einen dicken Stoß engl. u. frz. Presseausschnitte u. notierte Folgendes: Gauleiterversammlung: Koch-Ostpr., Streicher-Franken u. Sauckel-Thüringen haben zugunsten der Opposition gesprochen (frz. Blatt). Times meldet in der Nr. v. 26. (am 25. aus Berlin) Umschwung 7 Uhr abends Donnerstag (25.10.) Am Dienstg., den 30., kam hier eine Times an, die meldete, eine »hochgestellte« Persönlichkeit habe Hitler darauf aufmerksam gemacht, daß die Rechtsgültigkeit der Maßnahmen des Reichsbischofs zweifelhaft sei. – (Das wird der Reichsjustizminister gewesen sein, der am 20. mit Heß zusammen die berühmte Unterredung mit Hitler hatte, in die hinein ihnen der Beschluß der Bekenntnissyn. über Trennung von der Reichskirche geschickt wurde.) Der Luxemburger Sender , über den immer Andres berichtet, hat am 1.11. früh mitgeteilt, der Reichsb. würde wahrscheinl. zurücktreten, es sei aber noch nicht entschieden. Meiser u. Wurm würden am 2.11. ihre Ämter wieder übernehmen. 10 Minuten nach 4, Donnerstg., d. 1.11. nachm., kommt Frl. Jahn: »Herr Reg.rat schickt mich, es ginge d. Gerücht, der R.B. sei zurückgetreten, ob Sie was wüßten?« Ich wußte nichts. Abends Bibelstunde. Alles fragt, ob jemand was weiß, u. einer ist so ahnungslos wie der andere, auch Otto. Heute verlief der Tag ähnlich. Mittags kurze »kirchenamtl.« Mitteilung: Maßnahmen des Reibi zur Befriedung, es soll unter allen Umständen eine einwandfreie Rechtslage geschaffen werden, der Bekenntnisstand geordnet, eine Gemeindeordnung geschaffen, Disziplinarfälle überprüft u.s.w. Plötzlich u. unerwartet erfährt so das ahnungslose Publikum, daß diese Dinge nicht in Ordnung waren. Bisher war nur von gänzl. unberechtigten theolog. Streitereien die Rede, von denen d. Volk nichts wissen wolle.

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Wiegand sagte, der Wiener Sender hätte Marahrens als Nachfolger des Reibi genannt. Frl. Linde kam schwer enttäuscht mit der Ztgs.nachricht: »Ist das alles? Ich hatte mehr erwartet.« Ich mußte ihr erst einen Vortrag über Zeitungslesen halten. Ich denke mir d. Sache so: Man gibt dem Reibi Gelegenheit, so zu tun, als brächte er die von Jäger verfahrene Karre in Ordnung. Ist das geschehen, geht er aus Gesundheitsrücksichten auf Urlaub. Und dann wird festgestellt, daß ihn der Kirchenkampf zermürbt habe, sodaß er seinen Abschied nehmen müsse. Die Bekenntnissyn. kann warten. Diese Männer haben die Nerven, ihren Sieg zu nutzen. Kein Opfer darf vergeblich gebracht sein. Btz. erzählt. Der Gewährsmann der thür. D.Chr. [KDC] in Berlin hat am Mittwoch (31.) 5x antelephoniert: Es müßte jemand kommen, wahrscheinl. um die Interessen der Thür. dort wahrzunehmen. Leffler soll aus irgendeinem Grunde nicht herausgestellt werden, so ist Sasse gefahren. Ich muß immer noch an den Ausspruch denken: »Nun kann uns nichts mehr aus unserer Position drängen!« Das war vor 14 Tagen! Auf Meyer-Erlach sind sie wütend157. Er hat sie in Bayern schwer blamiert, denn er war der Rufer im Streit gegen Meiser, zu dem sich jetzt selbst der Gauleiter StreicherFranken bekehrt hat!158 D. 3.11. [3. November 1934] Bernewitz kam heute früh wieder einmal strahlend an. Männel hätte gesagt, der Reichsbischof wäre zurückgetreten. Es wäre gestern Abd. am Rundfunk gesagt worden, er hätte es nicht selber gehört, aber von einem sicheren Gewährsmann. Leider aber hatte er nicht gesagt, ob es ein Deutscher Sender war. Ich hielt die Nachricht also nicht für sicher. Er fügte hinzu, Frl. Selbmann hätte es heute früh im Volksd. selbst am Radio gehört. Diese Nachricht war im Nu im ganzen Haus herum, Frl. Ganzert erkundigte sich im Auftr. von Oberländer, es gingen aber alle Nachrichten nur auf Männel zurück. Beim Weggehen sagte Frl. Linde, es sei eine Einladung für Sasse (der heute Abend von Berlin zurückerwartet wird) zur Bischofsversammlg. auf Dienstag gekommen. Wenn der Reichsb. zurückgetreten sei, könne er doch nicht zur Bischofsversammlg. einladen. Die Thüringer Zeitungen brachten nichts. Abends bei O., der meinte, der R.B. würde wohl zunächst nur auf Urlaub gehen u. nicht zurückkommen. Übrigens sei gar keine Stelle vorhanden, der er in juristisch einwandfreier Weise seinen Rücktritt erklären 157 158

Vgl. auch Tgb. 24. Und 26. Oktober 1934. »Nun hat Oberkirchenrat Daumüller in ¾stündiger Rede alle Beschwerden mit solcher leidenschaftlichen Klarheit zur Sprache gebracht, daß Gauleiter Streicher tief beeindruckt wurde und versprach, die Parteiorgane anzuweisen, nicht in die kirchlichen Angelegenheiten einzugreifen. Eine dahingehende Anordnung hat Gauleiter Streicher auch erlassen« (AELKZ 67 [1934], 1041). Die Darstellung der Tagebuchschreiberin ist nicht ganz korrekt, weil Streicher hier allgemein auf die kirchlichen Belange, nicht aber ausdrücklich auch auf Meiser Bezug genommen hat. MeyerErlach sollte auf einer Kundgebung in Nürnberg gegen Meiser sprechen, was unter der Bevölkerung einen Sturm der Entrüstung auslöste; vgl. JK 2 (1934), 811–812. Vgl. auch: »Nachdem bereits Meyer-Erlach Anfang Juli in der ›Fränkischen Tageszeitung‹ gegen die ›kirchliche Reaktion in Bayern‹ im Zusammenhang mit dem Eingliederungswerk zu Felde gezogen war, ergoß dieses Hetzblatt am 15. September in einer Sondernummer kübelweise Unrat über Landesbischof Meiser« (Meier, Kirchenkampf I, 463; zum ganzen Vorgang vgl. auch: ebd., 464).

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könne, da ja die von ihm geschaffenen Organe alle nicht gesetzmäßig seien. (Es liegt nun schon das 2. Urteil, das die Gültigkeit der neuen Gesetze der Reichskirche bestreitet, aus Nürnberg vor von Ende Oktober.159 Das 1. Urteil wurde in Bielefeld gefällt.160). Wir machten schon Pläne für eine Neuordnung u. stellten fest, daß d. ganze Wendung einfach ein Wunder sei, an das keiner von uns geglaubt hatte. Wir waren auf einen Kampf auf Leben u. Tod gefaßt gewesen. Otto hatte in d. letzten Zeit einmal gesagt, es müsse erst Blut fließen (d.h., eine Anzahl von ihnen erschossen werden), eher würde ihre Sache nicht siegen. Sonntag, d. 4. Nov. [4. November 1934] Die Tageszeitungen bringen noch nichts. Die »Junge Kirche«, heute fällig, traf nicht ein. Sie wartet wahrscheinl. noch neueste Entwicklungen ab. Otto predigte in der Georgenkirche – ein wundervoller Text aus Matthäus 10: Rede Jesu [Jesus] an die Jünger, als er sie zum 1.x aussendet. Inhalt: Christentum ist schwerster Kampf, aber – fürchtet Euch nicht! Der vorgeschriebene Text. Vorher am Lesepult Lesung aus Jeremias, Schilderung des Kampfes mit den Feinden u. Prophezeiung des Sieges. Es paßte einfach unglaublich in die kirchliche Lage, so, daß ich dachte, in den spannungsreichsten Zeiten des Kirchenkampfes, etwa in Westfalen oder in Sachsen, hätte ein ahnungsloser Geheimpolizist in dieser Textverlesung einen Anlaß gesehen, einzuschreiten (v. Rabenau: Ihr sollt Gott mehr gehorchen als den Menschen! [Act 5,29]). Auch in der Bibelstunde habe ich manchmal so unheimliche Gefühle gehabt beim Singen der Kampflieder aus der Reformationszeit. Nach der Kirche kurzes Gespräch mit Frau Otto [M.], Frl. v. Ranke, Frau Pfeiffer, G. Begemann. Frau Pfeiffer u. Frl. v. Ranke etwas enttäuscht. Die Meldungen der Tagespresse, die ja offenbar alle aus dem Pressebüro des Reibi stammen, sind so niederdrückend beruhigend. Nichts ist daraus zu spüren von dem gewaltigen Umschwung, der sich in der Auffassg. des Staates vollzogen hat u. der, selbst wenn [er] gebremst werden sollte, unter allen Umständen einen anderen Kurs bedeuten muß. (Eindrucksvoll bleibt mir ein Artikel der Times, der genau die Zeit angibt, wann der Umschwung erfolgte: Donnerstag Abd. 7 Uhr. Aus dieser kurzen Angabe merkt man das Aufseufzen des Berichterstatters, u. wie ihm ein Stein vom Herzen gekollert ist.)161 Wenn selbst unsere besten Freunde noch nicht erfaßt haben, wie tiefgehend der Wandel ist, so ists klar, daß die Gemeinde noch kaum eine Ahnung haben kann. Frau Pfeiffer behauptete, im Vordergrd. stünden jetzt die Beschwerden über das Privatleben des Reibi. Als sie in Potsdam gewesen sei (Frauenhilfe) habe sie Sachen gehört … Sachen …! Augenaufschlag. Sonst nichts.

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»Das Nürnberger Amtsgericht stellt durch Entscheidung fest, daß die ›Gesetze‹ der ›Nationalsynode‹ vom 9. August 1934 ungültig sind und damit auch alle auf Grund dieser ›Gesetze‹ vom Reichskirchenregiment ergriffenen Maßnahmen, also auch die ›Eingliederung‹ der bayerischen Landeskirche« (Chronik der Kirchenwirren, 361). Nicht nachweisbar. Entgegen der Meinung der Tagebuchschreiberin hatte der große Umschwung in der Kirchenpolitik des Dritten Reiches nicht stattgefunden, entsprach aber der großen Erwartung vieler, die sich für eine staatliche und gesellschaftliche Anerkennung der BK engagierten.

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Ich erinnere mich nur, daß Männel einmal sagte, der R.B. hätte »noch eine Andere neben seiner Frau«. Meiser162 u. Wurm163 sollen wieder in ihre Ämter eingesetzt sein u. Dietrich von Nassau-Hessen zurückgetreten.164 Alles soll der Rdfk. gesagt haben, aber niemand weiß, welcher Sender. Den 9. Nov. 34. [9. November 1934] Am Montag, d. 5.11. hielt Brauer d. Andacht. Zum 1. mal eine Andacht ohne Nationalsozialismus; nur im Gebet wurde des Führers gedacht. Hinterher hat Frl. Linde gehört, wie Sasse in der großen Halle Brauer und Männel mit sehr aufgeregten Gebärden mehrfach wiederholte: »Aber es kann ihn doch keiner absetzen!« Otto hatte am Montag Thür. Bruderratssitzg. in Neudietendorf. Sie sind dort überein gekommen, gegen die Kirchenvertretersitzungen mit d. Thema »Nationalkirche« zu protestieren. Otto las mir den Entwurf des Briefes vor. Ich hatte zuerst kein ganz angenehmes Gefühl bei dem Gedanken, daß man jetzt vorgehen wolle. Es könnte so aussehen, als habe man nach den neuesten Ereignissen in der Reichskirche erst den Mut dazu bekommen. Otto sagte, er sähe die Gefahr, aber tatsächl. sei dies der 1. Fall, daß die Thür. Kirche als solche die Nationalkirche propagiere, bisher hätten das nur die Thür. D.C. getan. Außerdem träte der Reichsbischof wahrscheinl. nicht zurück u. der Kampf würde nicht nur weitergehen, sondern sogar verschärfte Formen annehmen. Mir fiel beinah ein Stein vom Herzen. In diesem Augenblick hatte ich keine Bedenken mehr wegen des Vorgehens der Thür. Bekenntnisgemsch. – das Leffler in einem Schreiben angekündigt werden soll – ich hatte auch das Gefühl, es sei besser für die ganze Kirche, wenn er nicht gleich ginge, sondern wenn hinter der Fassade der jetzigen Reichskirchenregg. die Lösungen erst langsam heranreiften. Denn vorläufig sind keine da. Aber daß der R.B. gehen muß, das ist klar. Alle Einzelheiten, die jetzt erst in d. kirchl. Presse erörtert werden, sind zu belastend für ihn. Auch Leute, die sich nicht viel mit der Kirchenpolitik beschäftigt haben, sagen ganz wie selbstverständlich, daß er gehen muß! Am Montag Abd. also fuhr Sasse wieder zur »Bischofsversammlg.« nach Berlin, gestern, Donnerstag, kam er zurück. Am Morgen früh war im V.D. eine telephon. Mitteilg. von Ob.pfr. Lüdecke-Sonnebg. eingegangen: »Die« Pfarrer des K.kreises Sonnebg. weigerten sich, Teilnehmer zu den Kirchenvertreterversammlungen zu schicken! Er würde selbst welche benennen. Weiter war eine »vorsorgliche« Warnung von Günther-Ronnebg. eingelaufen (Niederschrift von Brauer). Kurze Zeit danach sei Ottos Brief wegen dieser K.vertr.sitzungen in den Eingängen aufgetaucht.165 Volk telephoniert an Brauer u. der kommt im Trab! vom V.D. herübergelaufen! Frl. Linde hat diesen Anblick genossen. Auf abends 7½ war Sitzg. angesetzt, Sasse, der im Laufe des Tages zurückgekommen war, berichtete offenbar von Berlin. Frl. Linde saß im Nebenzimmer, hatte Bö., 162 163 164 165

Meiser nahm am 1. Nov. seine Dienstgeschäfte wieder auf; vgl. Meier, Kirchenkampf I, 466. Wurm stand wie Meiser bis zum 26. Oktober 1934 unter Hausarrest und konnte erst am 20. November seine Dienstgeschäfte wieder aufnehmen; vgl. Meier, Kirchenkampf I, 455. Wohl ein Gerücht; allerdings wurde vehement der Rücktritt Dietrichs als Bischof und Kirchenleitung gefordert; vgl. Meier, Kirchenkampf I, 303–304. Schreiben der LBG an den LKR der TheK vom 6. November 1934, LKAE, A 783, Bd. I, 60.

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der zwischendurch herauskam, ausgefragt. Er sagte: »Der Reichsbischof geht nicht, natürlich, der Landesbischof hat ja auch gesagt, wir können ihn nicht aufgeben; wir können den Führer doch nicht desavouieren.« Oder so ähnlich. Die Wahrheit darüber hat Koechlin gestern in den Basler Nachr. gesagt: Die Bischöfe hätten Angst, daß dem Reichsbischof noch einige von ihnen nachstürzten.166 Eine Krähe hackt der and. kein Auge aus. Die Basler Nachr. berichteten heute (Freitg.) mehr von dieser Bischofsversammlg. Sie sei zieml. sang- u. klanglos verlaufen, währenddessen hätten Meiser u. Wurm mit Dr. Kinder über »Friedensbedingungen« verhandelt. Da aber die Voraussetzg. jeder Einigg. von seiten der Bekenntnisfront sei, daß der Reibi zurückträte, sei man nicht weitergekommen. Dann hat man einen Brief an Otto fertig gestellt, der ihm heute früh dch. einen Boten übergeben worden ist.167 Ergebnis: Sie ziehen d. Vorträge über Nationalkirche zurück u. machen einige Schnörkel dazu. O. will auf die Schnörkel antworten. Die Herren seien sehr niedergedrückt aus ihrer Sitzg. gekommen. Kein Wunder. Otto hat aus Stuttg. Nachricht. Dort benimmt sich der Leiter der D.C. immer noch feindlich, die Polizei mischt sich nicht ein. Wurm teilt mit, daß die Verhandlungen in Berlin sich günstig entwickelten. Gespräch mit Volk am Mittw. u. mit O. am Donnstg. (Müller auf d. Treppe üb. Rosenbg.) Sonnabd., den 10. Nov. [10. November 1934] Sehr merkwürdiger Morgen. Erst kommt B. [Bernewitz] u. erzählt: »Große Aufregg. im V.D.; Leffler ist gekommen, es mußten die Basler Nachr. vom Bahnhof geholt werden. Da ist irgendwas los mit einer Versammlg. von Niemöller. Bald darauf kam von anderer Seite eine andere Nachricht. Sitzg. der D.C. im Zimmer von Sasse, Männel u. Thieme auch dabei u. Ob.pfr. Stier. Ergebnis: Versammlungswelle nächste Woche durch d. ganze Land,168 Franz u. ein theolog. Kirchenrat. Man fürchtet das Anwachsen der Bekenntnisgemeinsch. in Thür. u. will gegenarbeiten. Mir wurde mitgeteilt, es ginge »gegen die Bekenntnisfront«. Die kirchl. Lage ist ja aber in Thür. so, daß ein offener Kampf z.Zt. nicht gut möglich ist – nachdem man eben in allen Tönen von der friedlichen Oase Thüringen gesprochen hat. Es kann sich nur um eine Anstrengung handeln, noch zu retten, was zu retten ist, da der Zusammenbruch der D.C. offenbar vor der Tür steht.169 Etwas später im weißen Saal sitzt Sasse mit Stier und Phieler zusammen u. Frl. L. [Linde] hört ihn sagen, wie sie hineinkommt: »Vor allen Dingen: Ruhe, meine Herren, Ruhe, es muß ja ganz von selbst dazu kommen, daß der R.B. zurücktritt!« 166 167 168

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D.A. Koechlin, Zur Wendung im deutschen Kirchenkampf, Basler Nachrichten vom 7. November 1934. Schreiben des LKR der TheK an Pfarrer Ernst Otto vom 8. November 1934, LKAE, LBG 266, 104. KDC-Praxis: Rednergruppen, meistens von leitenden Funktionsträgern der Bewegung, wurden durch die TheK geschickt, um in Gemeindeversammlungen, gesondert ansprechend Männer, Frauen, Mädchen, Burschen, Kirchenvertreter u.a., für die Sache der KDC zu gewinnen. Vgl. dazu z.B. BrDC 3 (1934), 95. Mehr Wunsch der Tagebuchschreiberin als Realität.

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Heute nachm. ging noch ein Schreiben an alle Pfarrämter hinaus170, die Leute in der Kanzlei u. Köth, der vervielfältigt, waren bestellt, ich war zufällig noch einmal oben u. traf Frl. Linde, die mir sagte, daß auch wieder Sitzg. sei. Auch das Telephon ging. Ich traf heute früh beim Nachhausegehen Otto. Der ist ganz ruhig u. will zunächst nichts weiter tun, kann [er] ja auch nicht. Die Bekenntnispfr. haben alle ihre Gemeindearbeit, die sie voll in Anspruch nimmt u. auch keine Mittel für Propaganda, während die Kirchenräte da oben den ganzen Apparat von Landeskirchenrat u. V.D. für ihre Zwecke in Bewegg. setzen. Mit dem Geld der Steuerzahler. Franz hat wirklich sehr viel zu tun, da durch den Autounfall Tegetmeyer u. Osswald schon seit Wochen vertreten werden müssen. Aber das kann offenbar alles liegen bleiben, wenn es um die Sache der D.Chr. geht. Frick hat einen Erlaß herausgegeb. – am 7. – der überhaupt jede Erörterung kirchenpolitischer Dinge in der Tagespresse u. in kirchlichen Wochenschriften, in Flugblättern verbietet.171 Das ist viel schwerwiegender als der Erlaß vom Juli, der nur die polemische Erörterung verbot172 – (allerdings auch die Versammlungen fast unmögl. machte). Erst empfand ichs als Rückschlag. Gleich darauf hatte ich die neueste Nr. des »Evangelium im 3. Reich« durchgesehen, Nr. vom 11. November, u. fand einen so fürchterlichen Hetzartikel, wie überhaupt nur je einer geschrieben worden ist. Das war schon nicht mehr Spott, Hohn u. Verleumdung, wie bisher, das war blutiger Haß u. Wut.173 Man konnte Angst kriegen u. ich empfand fast mit Dankbarkeit, daß der Erlaß von Frick doch auch derartiges unterbindet. Versammlungen sind bisher nicht verboten. Die Basler Nachrichten brachten den Bericht von 3 Paralellversammlungen der Bekenntnisfront in Berlin. In den Ausstellungshallen z.B. sollen 15 000 Menschen (gering gerechnet) gewesen sein. Jacobi, Koch-Oeynhausen, Niemöller u. Breit-München 170 171

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Schreiben des LKR der TheK an sämtliche Pfarrer vom 10. November 1934, LKAE, 275,165. Erlass vom 6. November 1934: »In den letzten Tagen mehren sich wieder die Fälle, in denen über Angelegenheiten der evangelischen Kirche unangebrachte Berichte in die Öffentlichkeit gelangen. Ich untersage daher bis auf weiteres alle Veröffentlichungen in der Tagespresse, in Flugblättern und Flugschriften, die sich mit der evangelischen Kirche befassen, ausgenommen amtliche Kundgebungen der Reichskirchenregierung« (Dokumente zur Kirchenpolitik II, 213). Auch dieser Erlass ist wieder persönlich durch Frick abgezeichnet worden. Vgl. Tgb. 19. August 1934. Gemeint ist der namentlich nicht abgezeichnete, aber vermutlich vom verantwortlichen Schriftleiter Kurt Stapelfeldt abgefaßte Artikel: Verantwortung ist Kampf, Das Evangelium im Dritten Reich [Reichsausgabe] 3 (1934), 543–544. 549. Die kirchliche Opposition wird scharf attackiert: »Man profitierte auch … von allen Kräften, die unter der Oberfläche der Volksgemeinschaft dem nationalsozialistischen Staat ablehnend gegenüberstehen. Alle Miesmacher und Meckerer, alle Wühlmäuse gegen das Dritte Reich konnten in dieser ›kirchlichen‹ Front ungehindert ihre Komplexe abreagieren« (543). »Es gehört in dieses Gebiet, wenn der Notbund in seiner Hetzkampagne jetzt bereits den Teufel als den Schutzpatron des Reichsbischofs bemüht« (544). »Eisig kalte Taktik« stehe dahinter. Der Pfarrernotbund wird außerdem der mangelnden Friedenbereitschaft zur Verständigung zwischen den kirchlichen Gruppen bezichtigt. Es gehe den Herren doch »einzig und allein um die Macht« (ebd.). »Und für dieses persönliche Ziel werden Tausende frommer Christen in Gewissensnot gestürzt, für dieses Ziel wird die Volksgemeinschaft des Dritten Reiches leichtfertig zerstört. Es ist ein beschämendes Schauspiel« (ebd.). Deshalb müsse das Dritte Reich »von diesem Gefahrenherd« befreit werden (549).

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haben gesprochen. Die Leute hätten atemlos gelauscht pp. Der Bericht ist sehr ausführlich. Bis zum Morgen des 8. seien die Versammlungen vom Propagandaministerium verboten gewesen – natürlich, Goebbels! – erst nach Beschwerde bei der Parteileitung in München u. Intervention von Göring seien sie erlaubt worden.174 Man kann es immer noch nicht fassen, daß ein Mann wie Göring plötzlich der Bekenntnisfront hilft. Natürlich nicht, weil er auf ihrer Seite steht, sondern wahrscheinl. mehr aus der Einstellung von Reventlow heraus, der ja die Bekenntnisfront vorläufig noch »sympathisch« findet (Reichswart)175 – bis sie sich gegen ihn wendet, wie es Niemöller schon angekündigt hat. Die »Basler« teilten noch mit, daß Dr. Kinder (D.Chr.) mit Meiser u. Wurm Verhandlungen habe anknüpfen wollen. Die hätten das abgelehnt, da sie nicht zu Verhandlungen durch die Bekenntnisfront ermächtigt worden seien. Darauf haben sie eine Unterredung Dr. Kinder mit Präses Koch vermittelt, die ergebnislos verlaufen sei – wie sich denken ließ. Aber jedenfalls ist die Bekenntnisfront nun als Verhandlungspartner durchgesetzt. Niemöller hatte in sr. Rede auch gesagt, ein billiger Vergleich ließe sich jeden Tag erzielen – darauf komme es aber nicht an, sondern auf einen kompromißlosen Frieden. Aus dem Artikel im »Ev. im III. Reich« geht übrigens noch hervor, daß Hitler tatsächl. bereits Partei u. Staat aus dem Kirchenkampf herausgezogen hat.176 Vorgestern erschien eine neue Nr. der Ev.-Luth. Kirchenztg. (oder wie sie heißt [AELKZ]) mit 7 Briefen an den Reichsbischof, die ihn bitten, zurückzutreten.177 Darunter war Graf Lüttichau (Kaiserswerther Anst.), Knak (Äußere Mission) u. besonders eindrücklich war mir der Gust. Adolfverein! Der ist doch auch dem Staat wichtig. Der hat bisher keine Kirchenpolitik getrieben u. sagt nun dem R.B., er möchte zurücktreten, weil sonst die auslandsdeutschen Gemeinden kaputt gingen, sie bekämen täglich Briefe deswegen u. mit seinen Kirchgemeinden sei das Deutschtum im Ausland in seinem Bestand gefährdet.178

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Gemeint sind vermutlich die Reformationsfeiern der BK am 31. Oktober 1934: »In zehn großen Sälen der Stadt versammelten sich 30 000 Menschen – und dies, obwohl die kirchliche Opposition nur zu geschlossenen Versammlungen einladen durfte. Die eindrucksvollen Veranstaltungen fanden in der Deutschlandhalle und in den Ausstellungshallen des Zoologischen Gartens statt. An letzterem Ort sprachen neben Niemöller auch die Pfarrer Peter Petersen (Lichterfeld) und Pfarrer Adolf Kurz (Zwölf Apostel). Nur einen Monat später, Anfang Dezember 1934, wurde der BK die Anmietung außerkirchlicher Säle für ihre Veranstaltungen verboten« (Ralf Lange und Peter Noss, Bekennende Kirche in Berlin, in: Olaf Kühl-Freudenstein, Kirchenkampf in Berlin, 130). Vgl. Tgb. 23. Mai und 8. Juli 1934. »Die Lage in der deutschen evangelischen Kirche hat sich weiter zugespitzt. Der Führer hat nach einer ernsten Ermahnung an die Bischöfe Meiser, Wurm und Marahrens den Staat und die Bewegung aus den Auseinandersetzungen in der Kirche zurückgezogen. Damit entscheidet im kirchenpolitischen Kampf das Recht des Stärkeren. Wir haben keinen Zweifel, wer der stärkere ist« (Das Evangelium im Dritten Reich [Reichsausgabe] 3 [1934], 543). Sieben Zuschriften an den Reichsbischof seinen Rücktritt betreffend, AELKZ 67 (1934), 1073– 1077; unter dem Titel »Ein Briefwechsel« ebenfalls abgedruckt in: JK 2 (1934), 957–961. Die Auslandsgemeinden »bangen davor, daß die Spaltung in der Heimatkirche sich auf die Diaspora ausdehne, und wissen genau, daß damit bei der feindseligen Haltung der ausländischen

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Otto sagt, daß er jeden Tag neue Anmeldungen zur Bekenntnisfront aus der Pfarrerschaft erhielte. Nun muß ich noch kurz die Unterredung schildern, die ich neulich mit Volk hatte. Es war am Mittwoch, nachdem Ottos Beschwerde wegen des Themas »Nationalkirche« auf den Kirchenvertretertagungen des Volksdienstes eingegangen war179 u. Volk peinigte mich wieder einmal mit Vorwürfen gegen Ernst Ottos Theologie. Als Paralelle zum heutigen Kirchenkampf u. um seine Berechtigung zu widerlegen führte er alle seine Erfahrungen in den letzten 13 Jahren beim Landeskirchenrat an, alle Rückständigkeiten und Engigkeiten der damaligen »Positionen«, unter denen gerade ein Mann wie E. Otto doch schwer gelitten hat (ich denke auch an Ottos wenig erfreuliches Verhältnis zu Richard Otto). Zuletzt kam er immer wieder mit dem Kirchenrat Reuter aus Greiz u. seinem Widerstand gegen die Thür. Kirche180, angeblich aus Bekenntnisgründen (jetzt geht Reuter nicht in die Bekenntnisfront, weil er Angst hat). Zuletzt warf er mir vor, der ganze Widerstand gegen die Nationalkirche beruhe doch nur darauf, daß wir nicht mit den D.Chr. [KDC] in eine Kirche wollten! Diese Einstellung hat er also, nachdem er soundsoviel Kurse in Friedrichroda mitgemacht hat! Ich verlor die Geduld u. sagte schließlich, ich möchte das Gespräch abbrechen. Es sei zu billig für ihn, sich mit mir zu streiten, er als mein Vorgesetzter, unterbricht mich, wenn es ihm paßt, fegt meine Einwände mit einer Handbewegg. fort, sagt »Unsinn«, wann es ihm paßt pp. Das alles sagte ich u. sagte schließl. noch, die Nationalkirche sei die Einbruchsstelle für Rosenbergsche Ideen, das sei der Grund der Ablehnung. Der Erfolg dieser Bemerkung war erstaunlich. Er strahlte plötzlich auf, versicherte mir, die Besprechung sei nicht vergeblich, ihm sei plötzlich ein ganz neues Licht aufgegangen, jetzt läse er den Brief von X Otto181 ganz anders u.s.w. Dabei ging mir meinerseits ein Licht auf. Ich merkte plötzlich, daß er von allen neuen Entwickelungen gar keine Ahnung hat u. immer noch die alten, in 12 Jahren mit viel Ärger erlebten Fronten sieht. Der ungezwungene Ton der D.Chr., das Fehlen der inneren Bindung ist ihm »das Neue«. Das Evangelium ist ihm im Grunde zieml. gleichgültig – das glaube ich tatsächlich, ich kann nicht anders nach den jahrelangen Erlebnissen in dieser Richtung, – u. einen Maßstab in dem ganzen Kirchenkampf hat er infolgedessen überhaupt nicht. Daher der leidenschaftl. Drang, sich zu »orientieren«. Ich sagte ihm das in der geeigneten Form, die ihn nicht verletzte u. verordnete ihm zunächst den Mythos des 20. Jahrh. von Rosenberg zu lesen. Er wird ihn ebensowenig lesen wie er andere wichtige Werke, die er kennen müßte, nicht liest. Er hat noch nicht mal »Mein Kampf« gelesen. Dies Stück »alte Kirche« in unserer Zeit schien mir doch wert, festgehalten zu werden.

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Herbergsstaaten gegen alles deutsche Leben ihr Ende gekommen wäre. – Das entscheidende Hindernis für die Herstellung des kirchlichen Friedens … sehen sie ganz wesentlich in ihrer Person, Herr Reichsbischof …« (Evangelischer Verein der Gustav-Adolf-Stiftung, Leipzig, 5. November 1934, JK 2 [1934], 959). Vgl. dazu die Sammlung der Dokumente zum Kirchenkampf im LKAE. Vgl. Tgb. 29. Dezember 1933 und 8. Juli 1934. Vgl.dazu die Sammlung der Dokumente zum Kirchenkampf im LKAE.

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Mit O. besprach ich am Donnerstag in der Nacht nach der Bibelstunde noch 2 Briefe, die er an Leffler schreiben wollte, den einen offiziell im Namen des Bruderrates der Bekenntnisgemeinsch., den anderen persönlich. Es war fast 12 Uhr, als ich nach Hause ging. Die theolog. Prüfungen der nächsten Woche sind abgesagt worden. Sonnabd., den 15.11.34. [15. November 1934] Am Montag Abd. war ich noch bei Otto, um zu fragen, wie die Konferenz182 verlaufen war. Er war so froh, wie ich ihn selten sah. Er hätte lange u. gründlich gesprochen u. glaubte, die richtigen Worte gefunden zu haben. Freunde hatten ihm gesagt, er hätte noch nie so gut gesprochen, es sei ihm »geschenkt« worden. Am Mittwoch Abend Bekenntnisgemeinsch., zum 1. Mal im Schmelzerhof. Brakhage sprach zuerst ½ Stunde grundsätzlich; dann gab Otto seinen Bericht u. dann berichtete Kirchenrat Otto [R.] von Nürnberg, wo er zur Feier des Bibeljubiläums am 4. Nov.183 gewesen war u. mit anderen bekannten luth. Theologen in den überfüllten Nürnberger Kirchen gesprochen hatte. Am Nachm. war Meiser selbst gekommen, um in der Lorenzkirche zu sprechen. Die Schilderg. die Otto [R.] gab, war fabelhaft eindrucksvoll. Zum Schluß der Frühgottesdienste waren die Gottesdienstbesucher – wie er sagte ohne Verabredg. der Geistlichen – auf dem Ad.-Hitlerplatz zusammengeströmt, etwa 7000 Menschen, u. hatten als Gebet gesprochen »Befiehl Du Deine Wege« u. dann das Vaterunser. »Hier ist wirklich junge Kirche«, sagte Otto [R.], »hier ist die alte Kirche mit ihrem Kirchenschlaf überwunden.« Otto sagte uns dann noch von dem Plan, am Sonntag, den 18. [November] einen »Evangel. Gemeindetag« in Mihla zu veranstalten u. forderte zum Mitfahren auf. 40 Leute meldeten sich, die die Fahrt in einem Autobus machen wollten. Die Mihlaer luden zum Mittagess. in ihre Häuser ein. Ein kl. Kreis, darunter Brakhage, ging noch mit zu Otto. Er las uns dort den Brief vor, den er von Leffler auf den seinigen erhalten hat. Otto hatte an Leffler im Namen der Bruderschaft einen offiziellen Brief geschrieben, der davon sprach, daß sie bisher nur geg. die D.Chr. im Reich gekämpft hätten, daß ihnen aber, nachdem dch. die Darstellg. der D.Chr. ein falsches Bild entstanden sei, das die Gemeinden verwirrte, nichts übrig bliebe, als künftig das Trennende zwischen ihnen u. den Thüringer D.Chr. stärker zu betonen. Der Brief war sehr verbindlich gehalten, mit Betonung von Lefflers Verdiensten um den bisher friedlichen Gang der Dinge bei uns. Wärmeres persönl. Begleitschreiben von Otto. O. hatte 8 Tage an den beiden Briefen geschrieben, immer wieder

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Es ist nicht klar, welche Konferenz hier gemeint ist. – Zuletzt berichtet die Tagebuchschreiberin (Tgb. 23. Oktober 1934) von Ottos Teilnahme an der Zweiten Reichsbekenntnissynode, die am 19. und 20. Oktober in Dahlem tagte. Zu den Vorgängen und Verhandlungen vgl. Scholder II, 335–348. Erinnert wurde an die im Jahre 1534 erschienene erste Vollbibel in deutscher Sprache in der Übersetzung Martin Luthers; vgl. Waldtraut Ingeborg Sauer-Geppert, Art. Bibelübersetzungen III/1, in: TRE 6 (1980), 241.

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geändert u. gemildert aus Verantwortungsbewußtsein. Leffler hatte postwendend geantwortet – u. wie! Glatt die polit. Diffamierg. Er muß den Kopf verloren haben. Niemand begreift es.184 Am Donnerstg. erzählte mir Therese von einem unglaubl. Artikel von Leffler in den »Briefen an Dtsche Chr.«185 Ich versuchte, eine Nr. zu bekommen, jedoch ohne Erfolg. Frl. Linde war selbst im V.D. Man hatte ihr dort gesagt, die Nr. sollte nicht ausgegeb. werden, es sei ein »Druckfehler« drin. Am Freitag bekam ich sie dann. Sie war wohl schon von Weimar aus den Abonnenten zugeschickt worden, u. es hatte also keinen Zweck mehr, sie hier zurückzuhalten. O. war von Oberkirchenrat Reuter aus Greiz deswegen antelephoniert worden, der hätte sein Exemplar an Frick geschickt. Der Artikel ist furchtbar. Nichts als Vorwurf, es ginge der Bekenntnisgemeinsch. nur um den Kampf gegen das III. Reich; sie wolle ihre Absichten mit Hilfe des Auslandes durchsetzen! – Danach gibt es keine Brücke mehr zwischen den zwei Kirchenparteien in Thüringen. Am Freitag schon war der Pflugensberg einfach verrückt geworden. Die wildest. Gerüchte durchschwirrten die Luft. (Frl. L. [Linde] u. Frl. So. [Sommer]). Otto fuhr abends mit d. Auto von Frl. Dr. H. [Hackmack] nach Mihla, um mit Pfr. Hoffmann [K.] die ganze Veranstaltg. [Gemeindetag] noch einmal. durchzusprechen. Sonnabend früh war die Stimmg. auf dem Vatikan [Pflugensberg] womögl. noch schlimmer. Es sollten über die Ereignisse der letzt. Tage Telephongespräche an Mitglieder der Bek.gemeinsch. vom Pflugensberg aus gehalten worden sein. Wer könnte das sein? Spioneriecherei. Einer nennt diesen, ein anderer jenen Namen. Es war eine furchtbare Stimmung. Ich hatte d. Gefühl, wenn ich jetzt sagte, daß ich nach Mihla ginge, würde ich verhaftet. In der großen Halle hörte ich die erregten Stimmen der Herren, die wieder »Sitzg.« hatten. Dazwischen wurde ich ans Telephon gerufen – ausgerechnet aus Mihla. Annemarie [Brauckmann A] fragte, ob ich noch einen Gast mitbrächte. Ich fürchtete schließl., dieses Telephongespräch könnte auch noch Staub aufwirbeln u. entschloß mich, Volk ganz einfach u. formlos als Gast zum »Ev. Gemeindetag« nach Mihla einzuladen, um auf diese Weise einen Anlaß zu haben, mit ihm darüber zu reden. Er war völlig überrascht u. sehr erfreut, (konnte aber nicht mitgehen), gestand, es seien bereits »Spannungen« entstanden wegen dieser Mihlaer Sache, es hieße, man wolle bei verschlossenen Türen tagen pp. (Sonnebg.)! Ich erzählte, was mir O. am Donnerstag gesagt hatte, Otto wolle volksmissionarisch sprechen, an seinen Vortrag

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Vgl. dazu die folgenden, in dieser Reihenfolge aufeinander bezogenen Dokumente: (1) Schreiben von Pfarrer Ernst Otto an Oberregierungsrat Siegfried Leffler vom 10. November 1934, LKAE, LBG 266, 112–115; (2) Schreiben von Pfarrer Ernst Otto an Oberregierungsrat Leffler vom 10. November 1934, LKAE, LBG 266, 107–111; (3) Schreiben der KDC an Ernst Otto vom 12. November 1934, LKAE, LBG 266, 116–117; (4) Schreiben der KDC an die Leiter der Landes- und Kreisgemeinden und der Gemeinden, sowie an die Mitglieder der Pfarrgemeinden vom 12. November 1934, LKAE, LBG 266, 118; (5) Schreiben der LAG an ihre Mitglieder vom 13. November 1934, LKAE, LBG 210, 212; (6) Schreiben von Ernst Otto an Siegfried Leffler vom 24. November 1934, LKAE, LBG 210, 206. Siegfried Leffler, Die deutsche evangelische Kirche und ihre Totengräber, BrDC 3 (1934), 208– 209.

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schlösse sich das Abendmahl. Ob ein Vortrag über die kirchenpolit. Lage gehalten würde, wüßte ich nicht. Sonntag nach Mihla. Überschwemmg. von roten Plakaten im Dorf. Dicht besetzte Kirche. Sehr viel Männer.186 Predigt Gröbe-Nazza, sehr mutig. Dann Pause von 10 Min. u. dann Otto auf der Kanzel. Er begann damit, sie seien tief traurig u. erschüttert über die roten Zettel, die im Dorf an den Mauern, Telegraphenstangen u. Zäunen klebten u. gegen »Zank u. Streit« in der Kirche protestierten. (O.s Thema: Der Kampf um die Kirche! – Vortrag Hoffmann [K.] üb. d. kirchl. Lage sei abgesetzt, um auch jeden Schein zu vermeiden, er würde aber auch absolut ruhig u. würdig gewesen sein. – Er sprach dann von dem Kampf um die Alleinherrschaft von Gottes Wort in der Kirche u. von dem Recht auf diesen Kampf. – Um 12 Uhr Mittagsp., 2 Uhr Fortsetzg. Nachmittags waren womögl. noch mehr Menschen da. Da sprach O. von den Gegenwartsaufgaben, Kampf gegen Alfred Rosenberg, nannte die D.Chr., aber sehr zurückhaltend, nur das Nötigste. – Abgesehen von den roten Plakaten war auch mit anonymen Handzetteln (»Geht nicht in die Kirche!«) in den Häusern gegen die Veranstaltg. Stimmg. gemacht worden. Bald nach Schluß (4 Uhr) Heimfahrt. Im Ganzen guter Eindruck.187 Abends mit Frl. Linde im Kino u. bei Lackner!! Montag früh Bericht an Volk. Er macht dem Labi u. Stüber Mitteilung. – Heute, Dienstag früh, habe ich den Eindruck, daß die meine Teilnahme in Mihla als Herausforderg. empfinden! Die Nachrichten, die ich bekomme, sind so, daß ich auf Verhöre u. alles Schlimme gefaßt bin. – Ich nehme an, daß Lehmann derjenige ist, der alles verrückt macht. Er ist sowieso hochgradig nervös u. hat offenbar so etwas wie Verfolgungswahn bekommen. Was für eine Angst haben die Leute um ihre Sache! Es muß schlimm stehen für sie. Ich sprach mit V. kurz auch über den Artikel von Leffler. Dabei stellte sich heraus, daß er durch ein Versehen in das Blatt gekommen ist! Die Konferenzen, die jetzt landauf landab gehalten werden, waren die an Stelle des Artikels geplante Aktion. O. sagt: »Da hat Gott selber eingegriffen« (um dem Kirchenfrieden in Thür. ein Ende zu machen). Ich möchte wissen, wie dieses Versehen hat entstehen können! O. war gestern, Montag, in Weimar. Mitgliederversammlung. Wichtige Beschlüsse: Überall aufklärend u. werbend, Schulungen für K.vertreter, Pfarrer (?) u. Laien (?), Mitarbt. am Thür. ev. Sonntagsblatt188. Kirchenrat Otto [R.] wird bei den Schulungen stark mitarbeiten. Entwürfe für ein Schreiben an Leffler (auf den Artikel hin) sind vorgelegt worden. Telephongespräch Lehmann – Frl. Hasert am Montag früh: »Haben Sie was von Mihla gehört – ist was passiert?« »Nein, nichts. Dr. Volk hat eben erzählt, daß Frau Begas dort gewesen ist.« »Frau Begas ist dortgewesen???« In einem Ton ungefähr, als hätte ich eine Bombe geschmissen. 186 187 188

Zur Genderfrage vgl.oben Anm. 153. Über die Vorgänge beim Gemeindetag in Mihla berichtete Otto auch in einem Schreiben an die Mitglieder der LAG vom 22. November 1934, LKAE, LBG 210, 210. Thüringer evangelisches Sonntagsblatt 1 (1879)–63 (1941); Erbauungsblatt mit Nachrichten aus der Region einschließlich der preußischen Gebiete. Das Blatt versuchte in nationalsozialistischer Zeit neutral u bleiben.

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Bußtag, 21. Nov. 34. [21. November 1934] Otto predigte in der Nikolaikirche. Dann ging ich ein Stück mit Frau Otto [M.] u. Frl. v. Ranke. Frl. v. R. erzählte, daß sie auch am Sonnabend im Predigerseminar gesagt hätte, daß sie nach Mihla ginge, da es »ja doch herauskommt«. Am Sonntag Abd. wurde sie gefragt: »Na, wie wars? Ist die Kirche geplatzt?« (D.h. Kirchenspaltg. eingetreten?). Am Montag früh kommt einer der Kandidaten von Weimar zurück:«Ich weiß schon, es soll sehr schön u. würdig verlaufen sein.« »Woher wissen Sie das?« »Ich habe in Weimar ein Telephongespräch mitangehört, das nicht für mich bestimmt war.« Übrigens waren auch 3 Kandidaten vom Predigerseminar mit. Hohlwein sei gegen diese 3 seit Montag früh von einer fabelhaften Liebenswürdigkeit. Sie würden so sichtlich bevorzugt bei der Verteilg. der besonderen Aufgaben, daß es allen aufgefallen sei. Auch gegen sie (Frl. v. R.), sei Hohlwein einfach entzückd. liebenswürdig. Ich erlebe das Gegenteil. Diese feigen Subalternen, in deren Hirn jede selbständige Meinungsäußerung schon ein Verbrechen ist, machen jetzt Bogen um mich – grüßen mich kaum oder überhpt. nicht. Sogar Zenker wagte nicht aufzusehen, als ich gestern in die Geschäftsstelle kam u. antwortete kaum auf meinen Gruß. Es sind schon Zustände. Ich glaube, es war am Bußtag, Mittwoch den 21.11., als ich mein Tagebuch zu Tante L. brachte. Die Atmosphäre auf d. Pflugensberg war so vergiftet, daß ich es für sicherer hielt. (Ich weiß nicht, ob ich das Telephongespräch M.-Z. vom Dienstag notierte: »Leider hat es keine Schlägereien gegeben, auch das Stenogramm hat nichts ergeben …«!189) Otto sprach am Vormittag in d. Nikolaikirche. Ich war mit Hänn [Trautvetter H.] da; es war sehr voll. Am Abend ging ich – es war schon dunkel – ungesehen hinter 2 Herren her, der eine war Volk. Ich hörte, wie er laut sagte: » – ja, vielleicht, … Marahrens mit den Süddeutschen – (es klang nachlässig, von oben herab) – übermorgen fällt in Berlin die Entscheidung.« Das war es also, weswegen Sasse von Meiningen aus nach Berlin fahren sollte, mit Franz: Bischofskonferenz zur Ernennung eines geistlichen Ministeriums. In der Nacht zu Donnerstag kam dann das Telegramm, das diese Sitzung »kurzfristig« verschob. Am Donnerstg. Abd. Bibelstunde wie immer. Ich sah dann Otto selbst nicht wieder bis gestern Donnerstg., d. 24., zur Bibelst. Am Freitag hatte D. Otto [R.] im Laufe des Tages von Leipzig aus angerufen, er müsse ihn noch am gleichen Tage sprechen. Abends waren sie lange beisammen gewesen u. D. Otto [R.] hatte berichtet, was ihnen in Leipzig (ich glaube im »lutherischen Rat«190) der aus Berlin kommende Oberkirchenrat Breit aus München erzählt hatte, daß in Berlin die »vorläufige« Kirchenregierung [VKL] der dtsch. ev. Kirche« [DEK] von der Bekenntnissynode gebildet worden

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Vgl. Tgb. 15. November 1934. »Lutherischer Rat (August 1934 bis Juni 1936). Mit diesem Gremium aus Kirchenführern, Professoren, Kirchenjuristen und Einzelpersönlichkeiten wollte Landesbischof Marahrens einen engeren Zusammenschluß des Luthertums innerhalb der Bekennenden Kirche herbeiführen. Seine Tätigkeit endete mit der Gründung des Rates der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (›Lutherrat‹)« (Organe, 111–112).

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sei u. daß bereits am Sonnabend ein Schreiben mit Weisungen zu erwarten sei.191 Sie hatten dann am Sonnabend gewartet u. nichts war gekommen. Inzwischen traf Otto Vorbereitungen für seine Reise nach Königsberg, wo er am Dienstg. u. Mittwoch sprechen sollte. Am Montag bekamen sie dann plötzlich aus der Bek.synode eines anderen Kirchengebietes das Schreiben der vorläufigen Kirchenregg. als Abschrift u. mußten sich sagen, daß der an O. bestimmte Brief entweder verloren gegangen oder abgefangen worden sei.192 Sie vervielfältigten also die Abschrift, legten einen Rundbrief Ottos an die »luth. Arbeitsgemeinsch.« (Pfarrervereinigg.) bei u. eine Abschrift des Briefes, den Otto an Leffler im Auftrag des Bruderrates geschickt hat u. sandten sie am Montag ab.193 Montagabd. besuchte ich Frau Otto [M.] u. sie gab mir die 3 Schriftstücke. Am Dienstag früh kam ein Telephonanruf von einem Pfr. aus Cambg., der das Anschreiben der »vorläuf. Kirchenregg.« bekommen hatte, den Tatbestand meldete u. um Verhaltungsmaßregeln bat. Bald darauf diesselbe Nachricht von einem Ob.pfr. Niederschrift. Dann telephoniert Stier an, bei dem das Schreiben ebenfalls eingegangen ist. Am Nachmittag traf es auf dem Pflugensberg selbst ein! Sensation! Volk war am Vormittag, glaube ich, allein da gewesen, am Nachmittag trafen die übrigen Mitgl. des L.K.R. von der letzten Konferenzreise ein. Am Abend um ½7, kurz vor Büroschluß, hörte ich auf dem Gang laut u. unbekümmert »Marahrens«194 sagen. Ich öffne die Tür – da steht nebenan der rothaarige Lehrling aus der Geschäftsstelle u. erzählt 3–4 staunenden Kameraden, was sich ereignet hat. »Und pikfein gedruckt, 1 a, u. in der Wilhelmstraße haben sie sich etabliert, direkt neben der Reichskanzlei.«195 Mir war etwas sorgenvoll zumut. Es war doch ein sehr großes Wagnis.196 Am nächsten Morgen rief mich Frl. L. [Linde] in den weißen Saal. Frl. H. war auch da. Sie erzählten, daß die ganze Nacht gearbeitet worden sei, Köth sei halb 12 in d. Nacht aus d. Bett geholt worden, um noch einen Brief an alle Pfr. zu vervielfältigen.197 Frl. L. [Linde] war bis ¾ 10 abends dagewesen. Und dann …Volks Notizen. Das kann ich nicht niederschreiben. Es scheint, daß Briefe von Otto abgefangen werden! Ich saß dann bis ¼ nach 9 in meinem Zimmer, unfähig, mich zur Arbeit zu sammeln. Ich tat irgendetwas Mechanisches, wurde mir plötzlich dessen bewußt u. versank wieder in jagende Gedanken u. Vorstellungen. 191

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»Erste Vorläufige Kirchenleitung (November 1934 bis Februar 1936). Sie wurde am 22. November 1934 durch ein Übereinkommen zwischen dem Reichsbruderrat […] und den Bischöfen von Bayern, Hannover und Württemberg gebildet und amtierte bis zur Bekenntnissynode von Bad Oeynhausen 1936« (Organe, 70). Der Text findet sich unter dem Titel »Ansprache der vorläufigen Kirchenleitung« in: Chronik der Kirchenwirren, 393; er ist auch direkt als Flugblatt an Pfarrer der Thüringer evangelischen Kirche geschickt worden; vgl. z.B. das Exemplar in: LKAE, LBG 275, 217. Vgl. Schreiben der LAG an ihre Mitglieder vom 26. November 1934, LKAE, LBG 275, 257. Der Landesbischof von Hannover, August Marahrens, war der Vorsitzende der »[Ersten] Vorläufigen Kirchenleitung« (Organe, 70). Sitz der VKL: Wilhelmstr. 34 in Berlin. Gemeint ist wohl die Bildung der [Ersten] Vorläufigen Kirchenleitung. Schreiben des LKR der TheK an alle Pfarrämter vom 27. November 1934, LKAE, Akten Wessinger 1932/34, 189.

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¼ nach 9 kam plötzl. Frl. Linde ganz blaß ins Zimmer, atemlos. Der ganze Betrieb sollte sich ½10 in der großen Halle versammeln. (Noch nie dagewesen – mitten im Dienst). Sie erzählte, die Kirchenräte hätten in der Nacht zu ihrem Entsetzen festgestellt, daß Köth über das Anschreiben der »Vorl. Kirchenregg.« [VKL] bereits im Bilde gewesen sei, er hätte genau gewußt, daß Marahrens der Führer wäre pp. Was denken sich die Herren eigentlich, daß sie darüber aus dem Häuschen geraten. Sie sind genau so weltfremd wie die früheren Kirchenregierungen. Als ob die Leute um sie her nur dächten, was sie ihnen vorsetzten u. sonst nichts. Man hat nun also aus der Not eine Tugend machen u., was nicht zu verheimlichen war, selbst bekannt geben wollen. Das wußten wir aber zunächst nicht. Wir versammelten uns in der großen Halle. Mir war nicht wohl zu Mut, ich war auf alles gefaßt. Neben mir flüsterte Frl. Sommer: »Was machen wir, wenn wir einen Eid auf den Landeskirchenrat schwören sollen?« Ich flüsterte rasch zurück: »Mach ich nicht. Zunächst Bedenkzeit erbitten, wir könnten die Tragweite des Eides nicht gleich übersehen, wollten noch Rat einholen oder so was!« Dann kam Sasse, wie immer in betont straffer Haltung, die Nase sehr hoch. Ich saß auf dem Platz, auf dem ich bei den Andachten immer sitze, absichtlich, obwohl ich voll beleuchtet u. wahrscheinl. leichenblaß war. Aber das war nicht zu verbergen u. sie sollten nicht denken, daß ich mich fürchtete. Die immer ruhige Frl. Sommer neben mir war übrigens auch grau im Gesicht. Ich bemerkte, daß Sasse mich genau musterte; ich sah ihn gerade an. Dann fing er an zu sprechen, las das Anschreiben der vorl. K.R. [Kirchenregierung; VKL] vor: »Die Katastrophe ist da …«. Er konnte vor Erregung kaum sprechen, schnappte alle 3 Worte nach Luft u. stotterte 4–5 mal. Alle haben es bemerkt (Volk, Mäscher, Frl. Ehrl. [Ehrlich], Frl. Linde). Aber seine Hände zitterten nicht. Er machte den gewünschten Eindruck. Unbedingt hatten alle das Gefühl, ein großes Verbrechen sei begangen worden: »Man kann nicht einen Rechtsbruch bekämpfen, indem man selbst einen Rechtsbruch begeht.« Auch ich mußte mich innerlich wehren gegen diese Worte. Ekelhaft. Und empörend, so stumm dabei sitzen zu müssen. Und dann verlas er das warnende, aber im Ton sachliche Schreiben, das der L.K.R. an die Thür. Pfr.schaft aus diesem Anlaß gerichtet hat. Dann Schluß »Heil.« Ich war froh, daß nichts mehr kam. Ich hatte an irgendeine Frage gedacht »Gehört hier jemand zur Bekenntnisgemeinschaft« oder so u. hatte mir für diesen Fall einige kurze Sätze, falls ich zu Erklärungen aufgefordert worden wäre, zurechtgelegt. Es ist dieses fortwährende »auf solche Verteidigg. gewappnet sein müssen«, was manchmal auf die Nerven geht. Danach sind unsere Herren nach Berlin abgereist, Stüber ist erst nach Allstedt gefahren wegen der dort angesetzt. Versammlung. Ob sie stattgefunden hat, weiß ich nicht. Gestern engl. Zeitungen, die die merkwürdige Rechtslage in Preußen erörterten. Der uralte Oberkirchenrat [EOK] ist wieder da mit dem längst abgesetzten Präs. Werner an der Spitze, der sich Anfang des Jahres mit dem Reibi tödlich verkracht u. persönliche Verleumdungen schlimmster Art – viell. waren es auch Wahrheiten – über ihn verbreitet hatte. Preuß. Kirchensenat – alte preuß. Synode – pp.

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Französ. Zeitungen brachten den Widerhall des »Evangelium im 3. Reich« vom 25.11., dessen Restauflage nach d. Ausgabe an d. Abonnenten übrigens beschlagnahmt worden war198 wie auch Nr. 22 der »Jungen Kirche«199. Gestern, Donnerstg., Anruf wegen Versammlung in Bischofroda. Brakhage u. Hoffmann sollten sprechen. Das Wichtigste kann ich nicht niederschreiben. (»Wir werden Stenographen schicken wie nach Mihla … leider nicht verbieten …«) Am Abd. nach der Bibelst. berichtete Otto zunächst von sr. Fahrt nach Königsberg. Dort sei man in den Anfängen. Es sei ähnlich wie bei uns – viel Frauen200, wenig oder gar keine Pg.s. Es sei aber doch nicht das Richtige, in Verhältnissen zu sprechen, die einem fremd seien. Am Mittwoch Abd. sei er in Berlin gewesen u. habe dort die ganze Corona im Hofbräu beim Abendessen zus.getroffen. Asmussen sei nicht zusammengebrochen, wie hier bereits verkündet wurde, Niemöller habe die Bekenntnisfront nicht verlassen. Es seien allerdings schwere Spannungen gewesen um die Wahl von Marahrens, den Karl Barth u. Niemöller für einen Kompromißler hielten, Barth sei aus d. Bruderrat ausgeschieden und wütend abgereist. Niemöller auch zunächst ausgeschieden, aber wieder zurückgekommen, wenn es auch nicht klar sei, ob endgültig. Aber bestimmt würde er in der Bek.front u. im preuß. Bruderrat bleiben, daran sei garnicht zu zweifeln. Er u. Asmussen hätten mit den »Vorläufigen« [VKL] an einem Tisch zu Abend gegessen. Otto hat ausführlich mit Fiedler über die Entwicklg. in Thür. gesprochen. »Wir machen kein Theater«, Fiedler einverstanden. Präs. Werner hat mit Fiedler verhandelt. Da aber ein vereinbartes Telephongespräch nicht stattgefunden hatte, nahm man an, er sei wieder »umgefallen«. Ich fragte, ob Frick hinter der vorl. K.reg. [VKL] stünde. Darauf sagte O.: »Nein. Es steht überhpt. keinerlei Sicherung hinter dem Ganzen. Es ist ein Wagnis auf Glauben. Das Einzige ist … »wenn sie sich durchsetzen …« Da wurde mir doch sehr angst u. diese Angst verließ mich auch heute den ganzen Tag nicht. Gestern Abd. erzählte übrig. Frl. v. R. [Ranke] noch, daß Volk am Mittwochvorm., nachdem die Betriebsversammlg. bei uns stattgefunden hatte, ins Pred.sem. gekommen u. dort mit den Kandidaten ähnlich gesprochen hätte. Er hätte sehr höhnisch gesprochen. Der junge R. hätte ihm erwidert, den hätte er heftig angefahren. Heute las ich verschiedene Rundbriefe deutscher Christen aus verschied. Kirchenregierungen. Fürchterlich. Wut, Haß, Hohn, Verleumdung, Verdrehung. Das war so ungefähr alles. Ein Lichtblick noch ein Schreiben, das das Gutachten von Prof. Noack aus Halle wenigstens im Wortlaut brachte.201 Die anderen suchten, Tatsachen zu verdrehen. 198

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»Die Nr 47 unseres Blattes wurde polizeilich beschlagnahmt. Die eingegangenen Tausende von Nachbestellungen können daher nicht ausgeführt werden. Die vorliegende Nummer erscheint im Umfang von 8 statt der üblichen 12 Seiten, da 4 Seiten mit Berichten über … [schwarzer Balken; ca. 10 cm.] nicht erscheinen dürfen« (Das Evangelium im Dritten Reich [Reichsausgabe] 3 [1934], 580 [Nr. 48; 2. Dezember 1934]. Vgl. Tgb. 31. Dezember 1934. Zur Genderfrage vgl. oben Anm. 153. Noack war Nationalsozialist, kam aber in der Beurteilung der Rechtslage der Reichskirche, dass sie nämlich nicht rechtmäßige Kirche sei, zu demselben Ergebnis wie die Juristen der BK. Das

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Abends kurz vor Schluß hörte ich zunächst: Stüber sei von Berlin zurück, könne aber nichts mitteilen. Diese Antwort hatte Volk auf telephon. Anfrage hin erhalten. Und dann kurz darauf: … Ich kann es nicht niederschreiben. Glauben will ich es noch nicht. Wir haben zuviele Rückschläge erlebt, vielleicht ist inzw. alles wieder anders geworden. (Ostpr.). Montag hat O. Bruderrat in Weimar, um Beschlüsse u. Eventualbeschlüsse zu fassen (Mindestforderung an die Thür. Kirchenregg., wenn keine Einigg. Bildung einer Bekenntnissyn. in Thür.). Am Dienstg. Abd. zeigte mir Frau Otto [M.] übrigens noch einen Brief von Leffler, der an O. auf dessen Absagebrief hin gekommen war.202 Er will die Sache mit dem Artikel in den »Briefen …« wieder einrenken, oder vielmehr er tut so u. kündigt gleich an, wenn Otto die Friedenshand nicht ergriffe, dann wäre er schuld am Unfrieden. Der ganze Brief klingt verlogen, wie bisher nie ein Brief von Leffler. Aber der Eindruck ist nicht loszuwerden. Ich kann nicht mehr an seine Ehrlichkeit glauben. Den 9.12., Sonntag. [9. Dezember 1934] Am Montag fuhren unsere Herren wieder nach Berlin, Otto war in Weimar zur Tagg. des Bruderrates. Abds holte ich ihn u. s. Frau [Otto M.] aus dem »Familienabend« ab u. er schilderte kurz die gefaßten Beschlüsse. Zimmermann-Altenburg hatte sofortige Unterstellg. unter das vorl. K.regiment [VKL] verlangt. So ist es nicht geworden. Man verlangt vom L.K.R. völlige Abkehr von den D.C. u. der Idee der Nationalkirche, Umbildg. des L.K.R., »Ausgliederung«, »Fühlungnahme« mit der vorl. K.reg. – das wird ja keinesfalls zugestanden, umsomehr, als die D.C. [KDC] nach der letzt. Rede von Frick in Stuttgart203, die die Zeitungen gestern veröffentlichen, wieder Oberwasser haben. Hoßfeld hat in der Zentrale gesagt: »Na, wartet nur bis nach dem 13. Januar! Wir haben kürzl. S.S.-Versammlung gehabt, da sind hohe Führer dagewesen, na, ich darf ja nichts sagen. Aber wenn Hitler was passiert, ›schlachten‹ wir alle Juden und Freimaurer ab u. dann kommen die Reaktionäre dran«. Und nun hat Frick gestern behauptet, hinter dem Kirchenkampf versteckten sich »staatsfeindliche, landesverräterische« Elemente!204 Es ist furchtbar. Am Schwersten war mir gestern, Otto traurig zu sehen. »Ach, wie gern würde man freudig mitarbeiten …«, sagte er leise.

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Gutachten »eines namhaften nationalsozialistischen Juristen« hatte die Reichskirchenregierung selbst in Auftrag gegeben; vgl. Chronik der Kirchenwirren, 362. Schreiben KDC an Ernst Otto vom 26. November 1934, LKAE, LBG 266, 130–135. Rede des Reichsinnenministers in Stuttgart vom 7. Dezember 1934, in: Dokumente zur Kirchenpolitik II, 231–232. Vgl. vorige Anm. Zur misslungenen Einigung der evangelischen Landeskirchen unter einer Reichskirche führte Frick dabei u.a. aus: »Der Staat denkt nicht daran, sich in kirchliche Dinge zu mischen. Aber es besteht der leider sehr begründete Anlaß zu der Feststellung, daß sich unter dem Deckmantel christlicher Belange hier alle möglichen staatsfeindlichen Elemente sammeln … Ich erkläre hierzu, daß die Reichsregierung nicht gewillt ist, dieses Treiben bis ins Endlose mitanzusehen, sondern daß sie entschlossen ist, dort, wo es die politischen Notwendigkeiten erfordern, auch gegen solche Staatsfeinde und Landesverräter durchzugreifen.«

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Sehr schwer ist es ihm, jetzt die entscheidenden Entschlüsse zu fassen. Die Unterstellg. unter das vorl. Kirchenregiment bedeutet, daß von der Th.k.reg. keine Weisungen mehr angenommen werden können. Mit dem Brief an den L.K.R. hat O. die ganze Woche gerungen. Den Entwurf hat D. O. [Otto R.] gemacht. Sie haben ihn dem Beschluß des Bruderrates gegenüber gemildert, der hatte »Unterstellung« verlangt.205 Der Brief an den L.K.R. wird morgen, Montag früh ankommen. Inzwischen hatten sich die Herren offenbar schon in Sicherheit gewiegt. Der ganze Betrieb hat die Woche über in äußerster Spanng. auf O.s Brief gewartet. Es ist wirkl. unglaublich, daß der Inhalt so bekannt geworden ist. Volk hat Frl. Linde zweimal ausgeforscht, ob ich nicht was erzählt hätte u. dann gesagt: »Sie weiß es natürlich, aber sie gibt nichts aus. Ja – wenn sie sich dort mehr gebunden fühlt als hier, dann ist das ihre Sache. Ich frage nichts mehr.« Er verlangt also von mir einen glatten u. gemeinen Verrat an meinen Freunden. Dazu kann man natürlich nur »Pfui Teufel« sagen. H … n hat zu Frl. L. [Linde] gestern gesagt: »Na, der Bruderrat scheint ja doch nichts beschlossen zu haben, bis jetzt ist ja noch nichts da.« Ein Zeichen, daß sie O.s letzten Brief an die Pfr., die zu ihm stehen, nicht bekommen haben. Die Sendung war nicht in Eis. zur Post gegeben. Von der letzten Berliner Sitzg. sind die Herren in etwas beruhigter Stimmg. zurückgekommen. Fricks gestrige Rede läßt den Umschwung klar erkennen. Es scheint innerhb. der Partei viel vorzugehen. Feder ist entlass. worden, der Gauleiter von Schlesien aus der Partei ausgestoßen. Die H.J. muß die Propag. für Hauer aufgeben. Rosenberg ist freilich noch nicht kleinlaut geworden. Ich merke die Stimmung im Haus immer an der Art, wie ich gegrüßt werde. Der Landesbischof hat mich gestern in der großen Halle einfach nicht gegrüßt. Ich habe es O. nicht erzählt. Es würde ihm schwer sein, daß andere es um seinetwillen schwer haben. Im Haus werden die Leute danach beurteilt, ob sie zu mir Beziehungen haben oder nicht. Vor den Wirkungen von O.s Brief ist mir beinah Angst. Ich werde mich so wenig wie mögl. den Gewaltigen zeigen. Mittwoch fahre ich mit Volk zur Jahrestagg. der Th.G.G. nach Greiz. Die Pfr.schaft von Reuß ä.L. will geschlossen zur Bekenntnisgemeinsch. gehen oder hat es schon getan. Sonnabd., d.15.12.34. [15. Dezember 1934] Heute vor 8 Tagen sprach Frick in Wiesbaden gegen die Bekenntnisfront (8.12.).206 (Einige Blätter schrieben in Stuttgart). Das zu tragen, ist noch viel schwerer als die Ereignisse vom 27. Januar.207 Am Montag früh muß Ottos Brief mit den Forderungen

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Schreiben der LBG, nach einem Entwurf von KR Richard Otto und unterzeichnet von Ernst Otto, an den LKR der TheK vom 8. Dezember 1934, in dem die obigen Forderungen dokumentiert sind, LKAE, LBG 266, 144. Tgb. 9. Dezember 1934. Gemeint sind vermutlich die Erlasse des Reichsinnenministers vom 10. und 12. Februar 1934 nach der Erklärung der evangelischen Kirchenführer vom 27. Januar 1934 (Dokumente zur Kirchenpolitik des Dritten Reiches II, 59–61).

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der Bekenntnisfront auf dem Pflugensberg angekommen sein. Scheinbar ist diese Angelegenheit ganz vertraulich behandelt worden, ich habe nicht erfahren, daß etwas durchgesickert ist. In der vergang. Woche scheinen die Forderungen, die der Bruderrat stellen würde, das Gespräch in allen Büros gewesen zu sein. Zuletzt haben einige wohl angenommen, es kämen keine Forderungen mehr; u. dann nach der Frickrede hat man sich wieder sicher gefühlt. Am Montag Abd. war eine Weihnachtsfeier in Ottos »Familienabend«, sehr schön u. still, ich begleitete ihn zu ein paar Liedern u. es war wie auf einer schönen Insel. Am Dienstg. vorm. geht der rothaarige Lehrling aus dem Sekretariat durch die große Halle u. sagt stolz u. geheimnisvoll zu H. L: »Ich habe einen ganz wichtigen Brief für den Herrn Landesbischof.« »Was steht denn drin«, fragt sie. »Reuß ä.L. hat sich der vorläufigen Kirchenregierg. [VKL] unterstellt.« Es ist tapfer von den Reußen, diesen Entschluß gerade jetzt zu fassen. Es ist auch gut, daß O.s Forderungen nach der Frickrede gekommen sind, sonst würde der L.K.R. denken, sie wären aus Siegergefühl heraus gestellt. Nun sehen sie, daß die Front steht. Am Dienstag früh kam B. [Bernewitz] zu mir ins Büro. Er kommt jetzt selten, denn man spürt den Leuten nach, die mich öfter aufsuchen. »Der geht auch immer zu Frau Bgs«, heißt es, u. damit ist der Betreffende verdächtig. Stillschweigend, ohne Verabredung, tun M. (?) u. ich, als ob wir uns nicht kennen, wenn ich zufällig mal durch sein Zimmer gehe. B. [Bernewitz] wollte nur wissen, »ob die Front steht« u. atmete auf, als ers hörte. Die Stahlhelmer208 sind nicht leicht zu entmutigen, nachdem sie erlebt haben, daß ihr Widersacher Röhm vernichtet wurde, währd. sie selbst täglich den Untergang ihrer Sache erwarten mußten. Die glauben jetzt einfach an Wunder. Dienstag Abd. sagt Volk zu Lehmann: »Haben Sie schon Ottos Brief gelesen?« »Nein! Wo? Muß ich gleich haben!« Und als er ihn hat: »Kommt ja garnicht in Frage! Ist ja überhaupt jetzt ganz zweitrangig, wo die wichtigsten Sachen zu besprechen sind.« (Was, wurde nicht gesagt). Phieler spricht an diesem Tag mit Frl. Linde am Telephon: »Na, was sagen Sie zu der Entscheidg. der Regg. mit Zunkels 209 Begräbnis?« »Der Landesbischof spricht bei der Trauerfeier«. »Spricht bei der Trauerfeier! Aber im engsten Familienkreis! Nicht öffentlich! Die Regg. will keinen Pfarrer haben! Soweit ist es gekommen! Na, nun werden sich die Herren wohl bald besinnen, wenn sie nur noch den 4. Teil ihres Gehalts kriegen!« (er meint die Bekenntnisfront. Da sieht man den Abgrund, der einen Mann wie Phieler von den anständigen Charakteren trennt. Er hält deren Einstellg. garnicht für möglich! Und das ist ein früher rechtsstehender Theologe. Kann man sich dann noch über Leute wie Leffler u. Leutheuser wundern?) 208

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Stahlhelm – Bund der Frontsoldaten, 1918 gegründet, 1934 unter der Bezeichnung »NSFrontkämpferbund« gleichgeschaltet, 1935 aufgelöst; vgl. Enzyklopädie des Nationalsozialismus, 745. Auslöser des berichteten Sachverhalts war eine Eingabe bzw. Beschwerde des Pfarrers Klapp in Vippachedelhausen vom September 1934 betr. Dienst der SA während des Gottesdienstes. Die Eingabe war an den LKR der TheK gerichtet, wurde von diesem aber weitergegeben an Leffler, der eine Aussprache und gütliche Regelung mit SA-Gruppenführer Dr. Zunkel zugesagt hatte, was aber durch den plötzlichen Tod von Zunkel nicht mehr realisiert werden konnte, vgl. LKAE, A 868, Bd. I, 40–42.

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V. teilt H. L. mit, daß der L.K.R. sich darauf gefaßt macht, keine Staatszuschüsse mehr zu bekommen.210 Gestern, 14.12., sprach ich über diesen Punkt mit Fritz. Die Forderungen der Kirchen beruhen zwar auf »Rechtstiteln«, Reichsgerichtsurteilen, aber er sagt, die Regierg. könnte jederzeit ein Gesetz machen, wonach derartige Forderungen nicht mehr einklagbar seien, sondern im Verwaltungsverfahren erledigt würden. Dann hätte der Staat freie Hand. H. L. [Linde] teilt Redensarten aus dem Sekretariat mit: »Der Landesbischof ist nicht in seinem Zimmer? In seiner Wohng.? Was soll denn das heißen! Soll runter an die Arbeit gehen!« u.s.w. Nie sei so respektlos da gesprochen worden wie jetzt. Das wäre früher ganz undenkbar gewesen. Wundert mich nicht. Zenker u. Böttcher hören wohl allerlei in den Sitzungen, an denen sie teilnehmen, was den Respekt mindert. Am Dienstag, d. 11. Abends reiste O. nach Berlin, um am Mittwoch dort die vorl. Kirchenreg. [VKL] zu sprechen. Er wollte Klarheit über den Weg, der in Thüringen weiter zu gehen wäre. Man hatte ihn u. den von ihm benannten Thür. Bruderrat bereits zur »vorl. Thür. Kirchenregierung« ernannt. Das lehnte er ab, hatte das kürzlich in Berlin schon Fiedler gesagt. Das sei in unseren Thür. Verhältnissen nur »Theater«. Wir habens hier eben doch sehr schwer, weil wir so Wenige sind, u. weil nichts geschehen ist, was die Öffentlichkeit hätte aufrütteln können. Ich war am 12.12. mit Wilms u. Battefeld in Greiz zur Jahrestagg. der Th.G.G. Am Donnerstag wurden 2 Hilfsprediger (einer aus Crispendorf – Gestapo (Brief! Min. [Ministerium] Leff.) – und einer namens Gerhold) auf dem L.K.Rat verhört. Frl. Linde erzählte, sie wären furchtbar angebrüllt worden, stundenlang. Einmal hat sie Franz schreien hören: »Und wenn der Reichsbischof unbegabt ist, so kann er doch nichts dazu!« Am Abend erzählte Frl. v. R. [Ranke] noch, daß einer der Unglücksraben berichtet hatte: Lehmann hätte u.a. gesagt: »Ach, die Schrift [Bibel]! Hören Sie doch damit auf! Die legt ja jeder anders aus!« – Ja, sowas ist auf dem L.K.Rat möglich, das Schlimmste ist eben, daß alle diese Leute nicht einmal mehr an den Glauben der andern glauben – weil sie selbst nichts glauben. Und das sind selber Pfarrer – Kirchenräte sogar. Kann man sich da noch über die anderen wundern? Vor ein paar Tagen übrigens zeigt B…[?] d. H. L. einen Antrag von Bauer [W.], der Kirchenratsgehalt verlangt, nachdem er schon das eines Studiendirektors bezieht. Ich weiß nicht mehr, ob ich notiert habe, wie Laue, der alte Nat.soz. u. Dtsche Christ, über Bauer [W.] u. den Landesbischof früher schon urteilte. Ich schreibe es lieber nicht her. Am Donnerstag Abd. vor der Bibelstunde war ich bei Ottos – zog meinen Strumpf aus – Pfr. Eberbach-Lobenstein. Ich kann es nur andeuten.211 Es ist klar, daß die geh. Polizei [Gestapo] jetzt alle Pfr., die nicht Deutsche Christen sind, beobachtet. Und was denunziert wurde! Fall Mihla, Bischofroda, Crispendorf, Lobenstein, jetzt Dobrucky, Ottos aufgefangener Brief! Es ist doch übrigens toll, daß der Inhalt des Briefes, den Otto an

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Mit dieser Möglichkeit hatte Hitler in dem Gespräch mit den Bischöfen am 25. Januar 1934 gedroht; vgl. Dokumente zur Kirchenpolitik II, 30. Vgl. auch die entsprechende Bemerkung Fricks in seiner Rede vom 7. Dezember 1934 in Stuttgart, in: Dokumente zur Kirchenpolitik II, 232. Zum Fall »Eberbach« vgl. Biogramme. Möglicherweise hatte die Tagebuchschreiberin im Strumpf ein Schriftstück über den Fall des Pfarrers Eberbach versteckt.

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die luth. Arbeitsgemeinsch. über die nächsten in Thüringen zu ergreifenden Maßnahmen geschrieben hat, heute in der neuesten Nummer (50?) der »Freien Volkskirche« wiedergegeben wird 212 natürl. ohne Hinweis darauf, daß dies Wissen aus einem Brief stammt, der nur an die »lutherische Arbeitsgemeinschaft« (Kreis von Theologen – ich glaube, nur Notbd. [PNB] oder Bekenntnisgemeinschaft) gerichtet war. Fritz habe ichs gestern übrigens gesagt, daß es doch unbegreiflich sei, daß der ganze Pflugensberg von diesem Brief Bescheid wußte! Hoffentlich trägt er meine Bemerkung weiter. Freitag Abd. ist L.K.R. Sitzung gewesen von 5 Uhr nachm. bis halb 9. Sonnabend früh wieder sehr aufgeregte Gespräche. Einer haut mehrmals auf den Tisch. H. L. [Linde] u. ich sind uns klar darüber, daß Volk da oben fast überflüssig ist. Man legt keinen Wert auf seine Teilnahme an den Sitzungen, das wird alles im Kreis der D.Chr. behandelt. Es fällt uns beiden immer wieder schwer auf die Nerven, daß er selbst diese Tatsache garnicht zu begreifen scheint u. in unwürdiger Weise immer wieder den D.C. nachläuft. Mir selbst ist es jetzt völlig klar geworden, daß er die Absicht hatte, mich auszuhorchen u. alles, was ich ihm etwa aus der Bekenntnisfront erzählen würde, an die D.C. weiter zu tragen, um sich bei ihnen beliebt u. wichtig zu machen. Und dabei, sagt H. L. [Linde], ist nichts sicherer, als daß er, wenn das Blatt sich je wieder wenden würde, der erste wäre, der umschwenken würde. Ach, wenn die Herren wüßten, was ihre Angestellten u. Beamten von ihnen denken! Aber es ist unverkennbar, daß sie alle miteinander überzeugt sind, uns zu imponieren. Gestern Abd. Vortrag der »dtsch. Glaubensbewgg.« [DGB] in der »Erholung«. Ich war zu müde, um hinzugehen. Mehrere vom Pflugensberg waren da. Es sei »skandalös« gewesen, »der reine Bolschewismus«, hat Müller erzählt. Unsere Leute haben Zwischenrufe gemacht, z.B. »Holt doch den Schweinehund da oben runter!« (Müller). Übrigens seien nur 70–100 Leute im Saal gewesen, 2 H.J., 2 S.S. u. S.A. Im Frühjahr soll Hauer selbst herkommen. Die Leute haben übrigens auch schwere Rückschläge ihrer Sache zu verzeichnen. In der H.J. darf nicht mehr für die Dtsche Glaubensbewegg. Propaganda gemacht werden. Goebbels hat in Trier gesprochen, hptsächl. gegen die Katholiken. Die ev. Kirche bekam auch was ab – er wiederholt jetzt dauernd das Schlagwort von den 28 Landeskirchen, die noch nicht verschwunden wären. Wenigstens hat er die polit. Diffamierg. nicht gebracht.

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César, Thüringen 2., Die freie Volkskirche 22 (1934), 192–193. Die Angabe »Nr. 50« ist falsch. Schriftleiter César hatte offenbar genaue Kenntnis des Briefes von Otto, wenn er in dem Artikel über die LBG ausführte: »Die Bekenntnisgemeinde hat ihren Bruderrat zusammengerufen. Was bei den Verhandlungen, die am 3. Dezember in Weimar stattfinden sollten, herausgekommen ist, weiß ich nicht. Aber wahrscheinlich hat man Mindestanforderungen an die Thüringer Kirche beschlossen. Zugleich aber bereitet man sich ernstlich auf den Bruch vor. Die Berufung einer Bekenntnissynode ist ins Auge gefaßt. Der Unterstellung unter die vorläufige Kirchenleitung, die sich im Gegensatz zu der bestehenden D.-E. Kirche gebildet hat, scheint den führenden Männern unvermeidbar. Es werden Listen vorbereitet, auf denen die innere und äußere Einstellung jedes Pfarrers unserer Kirche genau beschrieben werden soll usw.« (ebd., 193).

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D. 16.12. [16. Dezember 1934] Staats- od. Ministerpräs. Mergentheimer hat über die württemb. Kirche gesprochen: »… wenn nicht bald Ruhe wird …« u.s.w. Dabei war alles in der Württemb. Kirche im tiefsten Frieden bis künstl. Unruhe geschaffen wurde – wie in Bayern. Morgen Abd. hat die Bekenntnisgemeinschaft wieder einen Abend mit Gästen in der »Erholung«. Pfr. Putz-München kommt, Lilje hatte abgesagt. Wir hatten erst den Fürstenhofsaal nehmen wollen, dann kam die Frickrede u. ich selbst riet, in die Erholung zu gehen, da ich glaubte, es würden viele Leute Angst bekommen haben. Nun höre ich heute, daß schon 1000 Karten ausgegeben sind, 700 faßt der Saal nur! Ich habe einen lebhaften Briefwechsel mit Thomas, der mich seine »einzige Quelle« nennt. Dienstgeheimnisse kann ich ihm natürl. auch nicht schreiben. Er steht zwischen den 2 Lagern; das entspricht seiner weichen Natur. Ich erhoffe nichts von ihm. Aber immer wieder empfinde ich die Lage der Pfarrer, die da so einsam mitten in einer Landgemeinde sitzen als besonders schwierig. 31.12.34. [31. Dezember 1934] 20 Min. vor 10 Uhr Vor 20 Jahren! Kriegsweihnachten. Ich war in einer Charlottenburger Kirche u. fing abends mein Kriegstagebuch an.213 Heute abend um 6 Uhr war ich mit Hänn [Trautvetter H.] in dem übervollem Gottesdienst von E. Otto – jetzt, Gott sei Dank, zu Hause in der Kirche, nicht mehr mit dem Gefühl des Nichtdahingehörens. Heute vor 14 Tagen, Montag, war doch wohl – wenn ich nicht irre – die letzte größere geschlossene Versammlung der Bekenntnissynode mit dem auswärtigen Gast aus Nürnberg (Frör). Die Erholung war sehr voll, wenn auch nicht überfüllt wie das letzte Mal; es waren eben auch schon überall Weihnachtsfeiern. Otto hatte, wie ich ihm geraten hatte, die Versammlung, obwohl sie als »geschlossene« wohl nicht hätte polizeilich gemeldet zu werden brauchen, doch gemeldet. Wir waren auf Verbot oder Unterbrechung gefaßt; es erfolgte aber nichts, die Versammlg. verlief ohne Störung. Anfang des Monats hat Niemöller in Erfurt gesprochen, Gräfin Bose erzählte mir in Greiz auf der Jahrestagg. der Th.G.G. davon (12.12.). Es war allerdings eine öffentliche Versammlung. Bei der ersten Erwähnung des Reichsbischofs wurde sie polizeilich aufgelöst. Die Riesenversammlung ist darauf in eine Kirche gezogen u. hat dort einen tief eindrucksvollen Gottesdienst gehalten. Zu uns sollte ursprünglich Lilje kommen, dann Putz aus München. Schließlich kam ein Pfr. Inspektor Frör aus Nürnberg, der sehr eindrucksvoll u. einfach u. ganz konkret sprach. Er kannte unsere Thür. Deutsch. Christen [KDC] offenbar sehr genau, sie haben ja offenbar in den Kämpfen gegen Meiser sehr mitgewirkt, u. sein Angriff galt hauptsächlich ihnen u. dem Reichsbischof. Es war alles sehr faßlich und deutlich, was er sagte. Danach sprach noch Brakhage – das war mir zuviel. Er hört sich offenbar gerne reden, man merkt ihm das an. In dieser Woche waren oben auf dem L.K.R. Anstellungsprüfungen. Da – zwischendurch spielte immer wieder die Kirchenpolitik, obwohl wir nicht herausbekommen konnten, was eigentlich los war. Zur Beratung von Finanzfragen (wie es hieß) waren die betr. Referenten der Kirchenregierungen nach Berlin berufen worden; am Freitag 213

Kriegstagebuch 1915, Nachlass Marie Begas.

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dieser Woche, den 21.12. Am 22., Sonnabd., ist Franz zurückgekommen (Tegetm. war auch da). Seinen Bericht ist er an dem Tag nicht losgeworden. Die Herren waren zu abgekämpft vom Examen. Bei Jemandem, der mit ihm an diesem Tag noch zusammen war (W. [?]) ist der Eindruck entstanden, daß es wenig erfreulich in Berlin gewesen sein muß. Eine Kirchenzeitung erlaubte sich in versteckter Form einen Hinweis auf die fehlende Kontrolle der Finanzen. Am Freitag, d. 21. abends, war die Weihnachtsfeier des Betriebs – wenig eindrucksvoll. Die Gesangbuchlieder, die gesungen wurden, waren weithin unbekannt; u. Sasse redete dann, wie es schien unvorbereitet, u. zog alle politischen Register. Darauf war ich nicht gefaßt gewesen, nachdem sogar Leutheuser einmal eine Morgenandacht gehalten hatte, in der weder von Politik noch von Kirchenpolitik die Rede war. Er sagte nicht mal »Heil« zum Schluß, sondern sprach das Vaterunser. Letzte Woche ließ ich mir Urlaub geben, hatte noch ein paar Tage gut vom Sommer her. War desh. nur Donnerstag früh oben. Am 2. Jan. geht der Dienst wieder los. Die »Junge Kirche« war während des Dezember verboten – weil sie den Aufruf der vorläuf. Kirchenreg. [VKL] gebracht hat.214 Ursprüngl. hat das vom Regierungspräs. von Hildesheim verhängte Verbot noch länger gedauert, Frick soll es verkürzt haben. Die Antwort der vorl. K.reg. an Frick hat der »Reichsbote«, der auch einmal verboten war, veröffentlicht.215 Inzwischen hat Goebbels in Trier auch über die Kirchenfrage, auch die protestantische, geredet. Er behauptet mit Entrüstg., der Streit ginge darum, daß die 28 Landeskirchen durchaus bestehen bleiben wollten! Weiter hat er behauptet, die Kirchenfürsten hätten früher niemals gegen die Gottlosigkeit gewettert! Als man ihm dann wohl klar gemacht hat, daß er damit nur seine Unwissenheit in kirchl. Dingen zum Ausdruck gebracht habe, erklärte er, man habe ihn mißverstanden. Seitdem hat noch Göring über den Kirchenstreit gesprochen u. die politische Diffamierung nicht wiederholt.216 Er hat gesagt, die Dinge lägen anders, als man sie gewöhnlich darstellte

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Vgl. dazu die interne Mitteilung an die Leser: »Heft 22 unserer Zeitschrift ist am 23. November polizeilich beschlagnahmt worden und kann infolgedessen nicht mehr geliefert werden« (JK 2 [1943], 1008). Im nächsten Heft findet sich die redaktionelle Bemerkung: »Das Verbot der ›Jungen Kirche‹, welches am 7. Dezember vom Regierungspräsidenten in Hildesheim ausgesprochen wurde, ist inzwischen bis zum 31. Dez. 1934 befristet worden« (JK 3 [1935], 42). Vgl. auch den Kommentar zum Vorgang von Lilje, Gottes Hand über der Kirche, ebd., 2–3. Am 8. Dezember 1934 erklärte die VKL zur Rede Fricks vom 7. Dezember u.a.: »Uns sind keinerlei Vorgänge bekannt, die Veranlassung dazu böten, jenen schweren Vorwurf gegen die innerhalb der DEK entstandene und unter unserer Leitung stehende große Bewegung für eine bekenntnisgemäße Ordnung unserer zerstörten DEK zu erheben. Wir müssen daher gegen ihn mit größtem Ernst und Nachdruck Verwahrung einlegen« (Chronik der Kirchenwirren, 435). Die Bemerkung der Tagebuchschreiberin scheint sich auf eine Äußerung Görings vor einem Pressevertreter des Reuterbüros vom 7. Dezember 1934 zu beziehen, wo dieser u.a. erklärt hat: »Der Streit in der evangelischen Kirche, von dem sich der Staat vollkommen freihält, ist in Wirklichkeit ganz anders, als es vielfach dargestellt wurde. Der Streit ging zu einem gewissen Grade auf die Machtgelüste gewisser Persönlichkeiten zurück, die eine heimliche Opposition zu bilden versuchten. Die Regierung mischt sich nicht in die inneren Angelegenheiten der Kirchen. Sie schützt das Christentum und überläßt es jedem, nach seiner Fason selig zu werden. Die Regierung schätzt aber diejenigen sehr wenig, die versuchen, den kirchlichen Meinungsstreit zu verschärfen und auf

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– wie, hat er aber nicht gesagt u. dann von dem »Machtstreben« gewisser Persönlichkeiten gesprochen, die die Regierung nicht schätzte. Von dem, was nach der Saarabstimmg.217 in der Kirche u. in Dtschld. überhaupt geschehen soll, wird sehr viel geredet. Die einen glauben an die angekündigten verschärften Maßnahmen (Hoßfeld!), die anderen nicht. Volk ist nach dem Engadin abgereist, war hier schon einige Wochen krank. Es kommt ziemlich klar zum Ausdruck, daß er nicht vermißt wird. Frl. Linde sagt, was er an Arbeit zu erledigen hat, sei verschwindend wenig. Er wird offenbar absichtl. ausgeschaltet. (V. oder Bgs. [Begas]!)

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diese Weise ihre ›christliche Nächstenliebe‹ zu beweisen« (Chronik der Kirchenwirren, 432 u. 434). »Dem [Versailler] Vertrag entsprechend wurde am 13. Januar 1935 ein Referendum über den zukünftigen Status des Saarlandes durchgeführt. Dabei votierten 90,73% der Abstimmungsberechtigten für den Anschluß an das Deutsche Reich« (Enzyklopädie des Nationalsozialismus, 709).

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2.2.3. Die Tagebucheintragungen 1935 D. 5.I.35 [5. Januar 1935] Am 9. fing der Dienst wieder an. Der Labi hielt bei der Gratulat.cour in der groß. Halle eine unglaubl. Ansprache. Schrie mit aller Lungenkraft und bewegte sich heftig dabei, sodaß er schließl. einen ganz erschöpften Eindruck machte. Er hatte einen biblischen Text zu Grunde gelegt, es kam aber alles schließl. darauf hinaus: Hitler-Messias. Wir sollten uns, wie er es täte, täglich morgens, mittags u. abends an Hitler ausrichten (dem Sinne nach). Nicht an Christus oder der Bibel. Das heißt doch wohl, zu Hitler beten. Männel hat zu D. gesagt: »Wie fanden Sie die Brüllerei?« 2 andere Dtsche Chr. K. u. S. haben sich zu Therese bzw. mir abfällig ausgesprochen. In meinem Zimmer fand ich dann ausländ. Presseberichte aus den Tagen um Weihnachten, die von einer Tagg. am 21.12. in Berlin unter dem Vorsitz des Oberpräs. KochOstpr.1 zwischen Vertretern der Bekenntnisfront u. der Reichskirche berichteten. Danach wünsche der Staat eine Kompromißlösung u. übe einen Druck mit der Drohg., die Gelder zu entziehen. Der Staat willige offenbar in die Übernahme des Reichsbischofsamtes durch Marahrens, der offiziell von den D.Chr. vorgeschlagen werden solle. Die Verhandlungen seien resultatlos abgebrochen worden, da 4 deutsche Christen, offenbar auch Kinder als Rechtswalter, vom Staat als Mitglieder im geistl. Ministerium durchgedrückt werden sollten.2 Spätere Nachrichten besagten, daß neue Verhandlungen »nicht vor d. 6.I.« wieder aufgenommen werd. sollten. Weiter wurde berichtet (»Temps«), daß Bischof Johnsen von Braunschweig bei den D.Chr. ausgetreten u. zur Bekenntnisfr. übergegangen sei.3 Das wollte O. gest. Abd. nicht glauben. Dagegen bestätigte er, daß Bischof Paulsen-Kiel bei den D.Chr. ausgetreten u. das Eingliederungsgesetz rückgängig gemacht habe.4 – Theys-Hessen (D.Chr.)

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Gemeint ist Erich Koch; vgl. Biogramme. »In der Zeit vor Weihnachten [1934] kommt es dann auf staatliche Anregung hin in Berlin zu Verhandlungen zwischen der Vorläufigen Leitung der DEK und der Reichskirchenregierung, nachdem ähnliche Bemühungen des Oberpräsidenten von Ostpreußen, Gauleiter Erich Koch, mangels eines greifbaren Ergebnisses kurz vorher hatten abgebrochen werden müssen« (Chronik der Kirchenwirren, 424. 426). Der geschilderte Sachverhalt kann nicht bestätigt werden, dürfte aber so zutreffen. Johnsen verließ zwar die Glaubensbewegung deutsche Christen, trat allerdings nicht der Bekennenden Kirche bei; vielmehr wollte er ein Beispiel von Gruppenfreiheit geben; vgl. Kuessner / Saul, Die ev.-luth. Kirche in Braunschweig und der Nationalsozialismus, 224). Am 11. Dezember 1934 gab der Landeskirchenausschuss von Schleswig-Holstein die Ausgliederung aus der Reichskirche bekannt. Landesbischof Paulsen, der bei den Deutschen Christen austrat, sagte dem Reichsbischof und der Reichskirchenregierung das Vertrauen auf. Allerdings schloss er sich nicht den Deutschen Christen an, sondern gründete eine neue »landeskirchliche Front für Frieden und Ordnung« mit dem Ziel einer »gruppenfreien Kirche ev.-luth. Bekenntnisses« (vgl. Chronik der Kirchenwirren, 434. 436).

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ist zurückgetreten.5 Die neuesten »Briefe an D.Chr.«, die gestern verteilt wurden, enthalten in einem Bericht aus Kreuznach die Mitteilg., daß Bischof Coch-Dresden »mit seinem ganzen Gau« sich der Reichsleitg. der D.Chr. Thür. Richtung [KDC] unterstellt habe.6 Heute lese ich in einem and. Blatt, daß die Mehrheit der sächs. Pfarrer Cochs Rücktritt fordert. In einem engl. Artikel wird über ein »Memorandum« des Jugendpfr.s Zahn an die Mitgl. der Reichsregierung berichtet,7 in dem er ungefähr sagt, er könne nicht länger schweigen, Schirach hielte sich nicht an die Vereinbarung mit der Reichskirchenregg. vom [19.] Dez. 1933. Zahn würde von ihm überhaupt nicht mehr empfangen. Die evangel. Jugendlichen würden gehindert, die Gottesdienste u. kirchl. Versammlungen zu besuchen u. wenn sie sich beschwerten, würden sie bestraft oder degradiert. Schließlich hieß es, wenn Schirach nicht Befehl gäbe, daß die Jugendl.n am Besuch der Gottesdienste pp. nicht mehr gehindert werden dürften u. wenn die Durchführg. dieser Befehle nicht erzwungen würde, könne er es nicht länger verantworten, daß die Kinder protestantischer Eltern in der Hitlerjugend blieben. – Hierzu sagte O., das könnte stimmen. Frör-Nürnberg hätte ihm gesagt, er müßte Zahn etwas abbitten, er hätte sehr tapfer gegen Schirach gekämpft. O. kam von einer Pfr.freizeit (2.–4.I.) in Stedten zurück (30 Teiln.). Im Kellerschen Haus sei er von d. Oberwachtmstr. empfangen worden, der genaue Auskünfte über die Tagg., Teilnehmer, Vortragsthemen pp. verlangt habe.8 O. hat kürzl. ein Gespräch mit Phieler gehabt, in dem dieser ihn in der dringlichsten Form vor der Bekenntnisfront warnte. Die vorl. Kirchenregg. stünde im Verdacht des Hochverrats! Als Otto fragt, aus welchen Gründen, zeigt er ein Schreiben der vorl. K.regierung [VKL] an die Theol. Fakultäten, eine Anfrage wegen des Eides9 (wahrscheinl. ist eine Meinungsäußg. über ihre theolog. Auffassung erbeten worden). Also: Die Männer der Bekenntnisfront, die sich selbst freiwillig erboten haben, den Beamteneid ohne Einschränkung zu leisten (nicht den theologisch verbrämten des Reichsbischofs) sollen wegen dieser theolog. Erörterung Hochverräter sein! Es ist zu 5

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Karl Theys war unter schwierigen kirchenpolitischen Umständen in sein Amt gelangt (Meier, Kirchenkampf I, 419). Selbst Reichsbischof Müller bezeichnete seine Wahl als »recht zweifelhaft« (Chronik der Kirchenwirren, 451). Ende 1934 stellte er sein Amt zur Verfügung. BrDC 4 (1935), 9. Über die Anziehungskraft der KDC unter den Pfarrern und Vikaren in Sachsen zu diesem Zeitpunkt vgl. Meier, Kirchenkampf II, 217. Zur Denkschrift Zahns von Juli 1934 vgl. Chronik der Kirchenwirren, 422. 424. 426. Die nach dem englischen Pressebericht vom Reichsjugendpfarrer vorgebrachten Klagen werden hier z.T. wörtlich, z.T. paraphrasierend bestätigt. Vgl. auch Siekmann, Die evangelische Jugendarbeit, 271–272. Zum Gut des Grafen Keller in Stedten und seiner Bedeutung für die Bekenntnisgemeinschaft in Thüringen vgl. Tgb. 17. Januar und 16. Juni 1934. Die VKL hatte zum Eid auf Hitler eine Anfrage an die Theologischen Fakultäten gerichtet. Diese hatten – soweit sie bis zum 8. Januar geantwortet hatten – die Auffassung der VKL bestätigt, »daß der Eid auf den Führer für das christliche Gewissen nicht nur zulässig und erträglich, sondern auch jeder Vorbehalt überflüssig ist« (Schreiben von Thomas Breit an das Reichsinnenministerium vom 8. Januar 1935, LKAE, LBG 266, 85).

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blödsinnig. Aber klar ist, daß in Thüringen mit allen Mitteln Furcht u. Schrecken verbreitet werden soll. D. 6.I.35 [6. Januar 1935] Heute früh bei Senffl. [Senffleben] zur Gratulation. Frau S. [Senffleben E.] erzählt, daß Volk vor sr. Abreise ihnen erzählt habe, nach der Saarabstimmung würde Hitler mit der Opposition in der Kirche aufräumen. Vorher auf d. Heimweg von der Kirche in der O. sprach, Unterhaltg. mit Frau O. [M.] u. Frl. v. R. [Ranke] u. v. Est. [Estorff]. Prof. Dr. Bohne-Kiel, O.s bester Freund, hatte sich plötzl. bei O. angemeldet, er sei zu einem Vortrag in Eisenach – niemand ahnte, wo. Hinterher hat sich herausgestellt: auf dem Hainstein 10, wo die Dtsch. Jugendpfr. vom R.jugendpfr. Zahn zus.gerufen worden waren. Daß ausgerechnet Bohne, der entw. zur Bek.front gehört oder doch theologisch zu ihr steht, den Hauptvortrag hat, zeugt für die Entwickelg., die der Reichsj.pfr. scheinbar doch genommen hat. Da wird Bauer [W.] Augen gemacht haben; die waren ja in Altenbg. Kollegen u. kennen sich gut. Wären immer Gegenpole gewesen. Männel ist auch dabei gewesen. Leutheuser nicht – der ist offiziell thür. Jugendpfr.! Aus den heut. Basler Nachr. geht hervor, daß tatsächl. seit einigen Tagen wieder zwischen Bek.frt. u. Reichsk.reg. verhandelt wird. In Oeynhausen tagt der Bruderrat der Bek.syn. um die Richtlinien festzulegen, nach denen Marahrens die Verhandlungen führen soll. Präs. Werner tritt in den Vordergrund – das ist der, mit dem die Bek.syn. Ende Nov. schon Fühlg. hatte als O. in Berlin war. Er hat alle mögl. Leute entlassen, u.a. auch den Bischof Adler von Westfalen. Der soll 30 000 M. ausgegeben haben, um zur Einführg. des Reibi Leute nach Berlin zu schicken. Dieser Fall gehörte wohl zu den unerfreulichen Geldgeschichten, von denen Franz am 22.12. zu berichten hatte. Frl. v. Ranke berichtete von schweren Spannungen innerhb. der Bekenntnisfrt. (Reinhold v.Thadden) und O. bestätigte es. Niemöller würde wohl nicht mitmachen bei der geplanten Einigg.; er träte für die »Union« ein (das verstehe ich nicht) u. die Reformierten machen wohl auch nicht alle mit. Das ist schrecklich. Die Leute, die erst das ganze Schlamassel angerichtet haben, näml. die Lutherischen, die siegen nun u. der, der alles durchgerissen hat, der geht. Wenn ich könnte, wie ich wollte, bliebe ich bei der Niemöllerschen Front – obwohl ichs nicht verstehe. Ich bin auf den Gedanken gekommen – u. je mehr ich darüber nachdenke, umsomehr gewinnt die Sache an Wahrscheinlichkeit – daß vielleicht bei der »Reichsreform« Thüringen u. mit ihm der L.K.R. überhaupt verschwindet. Der Gedanke kam mir eines Abends, es war wohl 2 Tage vor der Greizer Tagung der Th.G.G., als in den Zeitungen die Verordnungen der Reichsregg. über die »Verweichlichung« der Justiz erschienen waren mit der Mitteilg., daß im Reichsjustizministerium eine Abteilg. Sachsen-Thür. gebildet worden sei. Die Neujahrsbotschaft der thür. Regierg. klang etwas dunkel – die Ankündigg., daß selbst treue Nationalsz. der bevorsteh. Regelung mit großen Bedenken entgegensähen, aber … u.s.w. Man konnte daraus schließen, daß Thür. verschwinden würde. Dann kam Sasses Ansprache an den Betrieb am 2.I. morgens u. ein Sätzchen, halb verschluckt, machte mich stutzig: »… es kommt auch nicht auf die Thür. Kirche an …« Sollten die Herren schon wissen, daß die Entwickelg. im V.D. so laufen wird? 10

Zum Hainstein vgl. Tgb. 26. Juni 1934 mit der zugehörigen Anm. 76.

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Das sind viell. die wichtigen Dinge gewesen, über denen Lehmann Ottos Forderungen an den L.K.R. »zweitrangig« erschienen. Das erledigt sich dann ja allerdings alles für den L.K.R., wenn er sowieso verschwindet. B. erscheint jetzt wieder öfter u. bringt im Auftrag von Bauer [W.] Zeitungsmappen.11 Es erscheint ihm wie eine Wendung, daß er mit einem offiziellen Auftrag zu mir geschickt wird, »das ist jetzt vollkommen anders«, sagt er. Auch daraus merkt man, wie verrufen ich – ich weiß nicht, ob ich schon sagen darf – »gewesen« bin. D. 7.I. [7. Januar 1935] Aus dem Prot. der L.K.R.-Sitzg. vom 18. od. 19.12.: Antwort auf das Schreiben der Luth. Bekenntnisgemeinsch. vom 8.12. soll nicht erteilt werden.12 Es wird viel über die Grd.sätze der D.Chr. [KDC] hier im Haus geredet. Lehrer Thieme (V.D.) fühlt sich offenbar besonders berufen, Licht zu verbreiten – oder ist beauftragt. Besonders unten in d. Kantine werden Vorträge gehalten, offenbar auch geschäftl. Angelegenheiten der D.Chr. [KDC] besprochen. Dafür ist scheinbar immer Zeit. Vorgestern hörte ich Thieme etwa 2 Stunden lang im Zimmer neben mir reden. Zeitweise war auch der kleine Andres (Gemeinschaft) dabei. Auch in d. Familie Senffleben konnte ich gestern größte Unkenntnis in Bezug auf die kirchl. Vorgänge feststellen. Das Einzige, was sie im Kopf behalten hatten, war offenbar der Empfang der Bischöfe durch Hitler Ende Oktober.13 Auf meine Frage nach der Besetzung des Pred.sem. hat Zenker heute etwas verlegen berichtet, es seien gar keine Kandidaten da, es hätten sich keine gemeldet. Man hätte eine neue Art der Unterweisung versucht mit Direktor Hohlwein u. die hätte sich nicht bewährt. Ob das in dieser Form stimmt? D. 14.I.35 [14. Januar 1935] Gestern hat d. Saarland abgestimmt! Morgen früh um 8 sollen wir das Ergebnis am Rdfk. hören – Gemeinschaftsempfang in der großen Halle.14 Die letzte Woche war unerträglich mit Spannung gefüllt. Ich war an manchen Tagen ganz verzweifelt. O. sprach ich u.a. am Montag, d. 7. abends vor dem Familienabend kurz. Er erzählte die Fälle Hertzsch-Melborn u. Göbel-Bischofroda. Hertzsch [G.] ist vom Lehrer verklagt worden, hätte in [der] Weihnachtspredigt polit. Anspielungen gemacht, deutl. gegen ihn u. Partei. Hertzsch [G.] wird vernommen, erklärt, er habe keine Weihnachtspred. machen können, da überarbeitet u. – mit unwesentl. Änderung. – die von vor 3 Jahren gehalten! Die Frauenschaft u. K.vertretung setzen sich für ihn ein, die Gemeinde ist einig. Das hilft aber nichts. Leu [Leutheuser] kommt persönl. hin u. hält Hetzrede in K.vertretung. H. [Hertzsch G.] sollte aus »Bekenntnisfront« austreten, Hitler »haßte« die Bekenntnisgemeinschaft, das sei »der Spaltpilz« pp. Es sei »unerhört« von Otto, daß der 11

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Auch nach Ihrem Ausscheiden aus dem VD 1934 ist die Tagebuchschreiberin also weiter mit der Auswertung der eingehenden Zeitungsartikel aus dem ARGUS-Nachrichtenbureau befaßt; vgl. zum Vorgang Tgb. 27. Mai 1933. Gemeint ist das Schreiben der LBG an den Landeskirchenrat der Thüringer evangelischen Kirche vom 8. Dezember 1934. Vgl. Tgb. 31. Oktober 1934. Vgl. oben Anm. 217 aus 1934.

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Auszüge aus Leuths letzter Broschüre, »ohne ihn vorher zu sprechen«, an die Pfarrerschaft verschickt hätte u.s.w.15 Dann Göbel.16 Der hat sich leider dumm benommen, Kirche keine neue Fahne, K.vertretg. wünscht, es soll eine angeschafft werden. Fahne wird. Er ist nicht dagegen, sagt aber, es sei kein Geld da u. man sollte doch kirchl. Entwickelg. abwarten, viell. würde Kirchenfahne wieder eingeführt. Darauf greift man ihn an, er sei gegen das 3. Reich. Da wird er wild u. fängt an, auf Dtsche. Chr. u. L.K.Rat zu schimpfen, »die Bande da oben…!« u.s.w. Der Ob.pfr. rät ihm, auf den Pflug.berg zu gehen u. sich selbst anzuzeigen u. zu entschuldigen. Ich hielt das für einen guten Rat. Sasse u. Frz. reisten am Montag nach Berlin, wollten Mittwoch zurück sein. Dienstag nachm. telephoniert Frz. aus Berlin, sie kämen erst am Freitag. Stüber, der ihn am Telephon sprechen wollte, erhielt keine Auskunft: Über die Verhandlungen könnte er am Telephon nichts sagen. Am Mittwoch hat in der Kasse – Btz. erzählte mir das, der dabei war – Sorge den Stetefeld nach Neuigkeiten gefragt. Der scheint nichts gewußt zu haben. Darauf Sorge: «Ach, Ihr wißt nie was! Pfr. Otto hat doch Forderungen an die Dtsch. Christen gestellt, wie ist es denn damit?« Antwort von Stetefeld: »Die können machen, was sie wollen. Die Revolver sind geschmiert u. die Messer gewetzt!« Am Donnerstag kam Frl. Linde ganz erschlagen zu mir. Spigaht war im weißen Saal gewesen u. hatte erzählt, nebenan wo er wohnt, sei der 13-jähr. Sohn eines Lehrers, Konfirmand von Ernst Otto, gestorben. Otto hätte in der Stunde immer zu ihm gesagt »ach ja, deine Eltern gehören ja auch zu denen …« u. hätte den Jungen immer so rangenommen, daß der »gar nicht mehr gekonnt hätte!« Frl. L. [Linde] sagt: »Das ist nicht wahr.« Sp. [Spigath]: »Das ist wahr«. Und er, Spt. [Spigath], hätte dafür gesorgt, daß der Junge von Lehmann beerdigt würde, u. der hätte eine so wundervolle Leichenrede gehalten – so etwas hätten sie alle überhpt. noch nicht gehört! Es ist fürchterlich. Btz. sagt, Spt. [Spigaht] sei »ein ganz schlechter Kerl. So einen schlechten Kerl habe ich überhaupt noch nie gesehen«. Leu [Leutheuser] setze sich dafür ein, daß Spt. [Spigaht] Regierungsrat würde – weil er ihm zutrüge. Btz. behauptet allerdings, der söge sich seine Nachrichten aus den Fingern. Bauer [W.] u. die beiden Lehrer, Männel u. Thieme, könnten ihn auch nicht leiden. Überhpt. – das Verhältnis der Pgs. untereinander! Die 3 im roten Saal können auch Brauer nicht leiden u. M. [Männel] spricht sich ganz offen darüber aus. Ein Zitat aus der neuesten Schrift von Leu [Leutheuser] macht übrigens augenblickl. die Runde dch. d. kirchl. Presse – die Stelle, wo er davon spricht, daß er für die Volksgemeinschaft Jesus Christus selbst aufgeben könnte.17 Vor ein paar Tagen std. das auch in den »Basler neuest. Nachr.« 15 16 17

Vgl. Bericht über die Sitzung der Gesamtvertretung Melborn am 6. Januar 1935, LKAE, LBG 268,5. Dazu vgl. Dokumente zum Fall des Pfarrers Friedrich Göbel in der Sammlung der Dokumente zum Kirchenkampf in Thüringen im LKAE. »Denn das bitterste Leiden liegt heute auf dem, der Tag und Nacht nur ein Gebot auf sich lasten fühlt: ›Ihr Deutschen sollt ein Volk werden.‹ Wer dieses Gesetz vernommen, der würde lieber alle

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L. hat Zenker nach dem neuen Kursus des Pred.sem. gefragt u. eine merkwürdige Antwort erhalten. Bis Ostern bliebe das Seminar leer. Man habe mit dem laufenden Jahrgang Experimente gemacht, die nicht geglückt seien – es sei wohl eine Enttäuschung. Es hätten sich »keine Kandidaten gemeldet«. Eine merkwürdige Mitteilg., unter der man sich nichts rechtes denken kann. Denn schließl. werden die Kandidaten doch ins [Prediger-] Seminar kommandiert, kommen nicht von selbst. Frl. v. R. [Ranke] fürchtete, man sei viell. mit Hohlwein unzufrieden u. wollte ihn weghaben. Leffler habe zum Schluß des letzt. Kursus vor den Kandidaten einen Vortrag gehalten u. sei von ihnen stark kritisiert worden. Ein D.Chr., den er aufgefordert habe, sich zu äußern, habe ihm nur zögernd zugestimmt. Vielleicht habe diese Sache Hohlwein geschadet. Von Hohlwein übrigens hatte Frau Volk [H.] erzählt, als er neulich gefragt worden sei, wohin Franz u. Sasse gereist seien, habe er geantwortet: »Nach Berlin. Sie wollen ›endlich‹ den Reichsbischof absetzen.« – Was Frau V. [Volk H.] zu der Bemerkung veranlaßte, Hohlwein habe wohl noch nicht die rechte Reife für seine Stellung. Am Sonnabd. ist Franz zurückgekommen u. hat gleich mitgeteilt, daß er am 20. wieder nach Berlin müßte. Man kann daraus wohl schließen, daß die Verhandlungen nicht abgebrochen sind. Das fürchtete ich erst als O. erzählte, die »Basler« hätten gemeldet, die Bischofsversammlung sei resultatlos verlaufen. Übrigens wußte O., daß der Bruderrat – ich glaube am 5.2.? in [Bad] Oeynhausen zusammengetreten sei, um Richtlinien für die Verhandlungen auszuarbeiten u. daß man dazu gekommen sei, keinen Kompromiß mit den Dtsch. Chr. zu schließen. Was nennen sie nun einen Kompromiß? Das »Protestantenblatt« teilte mit, daß Bischof Johnsen von Braunschweig zur Bekenntnisfront übergetreten sei.18 O. hatte es nicht glauben wollen, als es neulich im »Temps« stand. Übrigens haben Sasse, Leutheuser u. Leffler selbst hier in Eisenach Greuelnachrichten darüber, daß Hitler nach der Saarabstimmung mit der Bekenntnisfront aufräumen würde, verbreitet (im »Dtsch. Haus«!) 3 Thür. Pfarrer sollen im Konzentrationslager sitzen. Bei dem einen soll der L.K.R. versucht haben, mildernd einzugreifen; es habe aber nichts genützt. Ich weiß nicht, ob es Leute der Bekenntnisfront gewesen sind – hoffe, nicht.

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Frömmigkeit seiner Kindertage, Protestantismus und Katholizismus, ja Jesus selbst drangeben [Hervorhebung von den Hg.], könnte er damit die Zäune und Mauern zwischen den deutschen Herzen niederbrechen und mit seinem deutschen Bruder und seiner deutschen Schwester den einen Himmel finden, der die Liebe zum Sieg führt über allen Haß, der die Hände wieder zusammenzwingt zu ewig neuer Vergebung, der uns in eine Gemeinschaft von Betern und daraus zu einer Kampfgemeinschaft von Sünde, Tod und Teufel erlöster deutscher Menschen macht, der den beseligenden Frieden der Gottesnähe in unseren Alltagskampf herniederscheinen läßt, der als Versöhnung alle Hügel ebnet, alle Schluchten überbrückt, allen Unfrieden dieser Erde einbettet in den Schoß der Ewigkeit, der uns Gottes gütige Augen schauen läßt« (Leutheuser, Die deutsche Christusgemeinde. Der Weg zur deutschen Nationalkirche, Weimar o.J. [1934], 20). Vgl. Tgb. 5. Januar 1935.

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In dieser Woche beginnen »Schulungsvorträge« für die hiesige Bekenntnisgemeinschaft. Wir kommen in 2 Abteilungen »Hinter der Mauer« zusammen.19 Wenn wir alle zusammen sind, reicht der Saal nicht. Und im vorigen Jahr war es noch so ein kleines Häuflein im Saal des Gymnasiums. O. hat einen »Geschäftsführer« für die Bekenntnisfront, einen Kandidaten des letzten Kursus im Pred.seminar, der sich von der Thür. Kirche hat für ein Jahr beurlauben lassen. Sie haben ihm gesagt, sie wüßten nicht, ob er nach einem Jahr angestellt würde, das hinge von seiner Führg. ab. Phieler hat an die Eltern geschrieben u. gewarnt, sie könnten ihren Sohn nicht in so eine Sache hineingehen lassen, die Bekenntnisfront sei hochverräterisch, nach der Saarabstimmung … usw. Thomas schrieb mir, Leu [Leutheuser] plane eine literarische Attacke gegen Otto; Thieme habe ihm eine Andeutung gemacht. Ich möchte es O. sagen. Der hatte aber schon von anderer Seite einen Wink bekommen. Scheinbar wird das Manuskript sogar im L.K.R. getippt! Es ginge immer per »Herr Ernst Otto …« Man hört Leu ordentlich reden.20 Heute traf ich Frl. v. Jagow auf der Straße, die ich lange nicht gesehen hatte. Sie behauptete u.a., im vorigen Jahr hätten die D.Chr. von Thüringen [KDC] mit Hauer verhandelt, der hätte aber abgelehnt, wollte keine Verwischung der Trennungslinien. Sympathischer Zug an Hauer. Und von den Thür. D.Chr. kann ich mir das gut denken. Das ist noch aus der Zeit, als Bauer [W.] in den V.D. kam u. am ersten Tag zu mir sagte: »Wir kämpfen nicht gegen die deutsche Glaubensbewegung [DGB], die wollen wir gewinnen!« [An dieser Stelle ist aus dem Blatt ein Stück herausgeschnitten]. D. 16. Mittwoch [16. Januar 1935] Gestern früh Saar-Resultat.21 Es war seltsam, wie wir da in der großen Halle saßen, eine Weile wartend – draußen wars erst dämmrig. Dann sprach der Vorsitzende der Abstimmungskommission, Rodhe, ein Schwede: Die Stimme klang so nah wie im selben Raum. Und das Ergebnis – welche Erleichterung! Es fiel mir auf, wie ausdruckslos unsere Leute dasaßen – kaum einmal ein Lächeln auf einem Gesicht. Es wäre doch natürlich gewesen zu jubeln. Das war einmal ein Erlebnis, bei dem man ganz stark die Gemeinschaft aller Deutschen spürte. Welches Verbrechen würde es sein, in diese Stimmung hinein ungehindert durchzusetzen, was zuvor mit Rücksicht auf die Saarabstimmung abgelehnt wurde. Ich kann es mir ja tatsächlich nicht denken, daß man jetzt gewaltsam mit der Bekenntnisfront aufräumen wolle.

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»Hinter der Mauer« (gemeint ist die Stadtmauer) ist eine Straßenbezeichnung. Hier befindet sich das evangelische Vereinshaus mit dem Gemeindesaal der Stiftsgemeinde (vgl. Tgb. 15. Juni 1934). Es geht um die Schrift von Leutheuser, Die deutsche Christusgemeinde und ihre Gegner. Eine Antwort an Herrn Pfarrer Ernst Otto und die lutherische Bekenntnisgemeinschaft in Thüringen, Weimar o.J. [1935]; vgl. u. Tgb. 27. Januar 1935. Vgl. Tgb. 14. Januar 1935.

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Gestern war H. [Brauckmann H.] aus Mihla da zum »Bauernthing«.22 Er erzählte, daß der Pfr. abgesetzt worden sei. Die Gemeinde wolle sich zur Wehr setzen. Von dem Mihlaer Gemeindetag23 erzählte er noch, die D.Chr. hätten den Plan gehabt, dem Pfr. »das Chemisechen24 herunterzureißen« (Strack u. Mager). Sie hätten das erfahren u. gesagt: »Wenn das um halb 11 passiert, dann steht um 11 das ganze Dorf auf dem Kopf pp.« Zum Fall Stieb wird hier im Haus erzählt, Frau Stieb [L.] sei hier gewesen u. habe mit Sasse sprechen wollen. Der hätte aber abgelehnt; er mische sich nicht in polit. Sachen. – Stieb habe im Lauf eines Gesprächs zur Frau des Bürgermstr. gesagt: »Hitler ist eben Katholik«. Das kann natürl. nicht alles sein. Da ist ein Gespräch, das wahrscheinlich Kritik ausdrückte, vorangegangen.25 Zenker u. Böttcher haben zum Ausdruck gebracht, daß ihrer Ansicht nach viel Wichtiges vorginge, daß sie aber nichts wüßten. Sie wüßten nur, daß der Landesbischof heute nach Weimar führe, sei morgen in wichtigen Angelegenheiten, die auch die Reichskirche beträfen, nach Dresden u. am 22. sei eine »Hauptbesprechung« in Berlin. Göbel-Bischofroda soll offenbar entlassen werden: »… er kann gehen, wohin er will …« Ist der liebevolle Ausdruck dafür. Gestern sei wieder ein Pfr. furchtbar angebrüllt worden (Geyer-Ebeleben26) – gleich von drei Kirchenräten auf einmal. Mitunter wird ein Satz von Angestellten in der großen Halle verstanden. Gestern war es einer von Sasse: »Und das sagen Sie mir, einem Manne, dessen Vorfahren für ihren Glauben verfolgt wurden! Wissen Sie denn überhaupt, wen Sie vor sich haben?« Und bei einer anderen Gelegenheit einer von Kirchenrat Franz: »Wenn der Reichsbischof unbegabt ist, so kann er doch nichts dazu!« Aus solchen Sätzen merkt man die ganze Hilflosigkeit. Hilflos u. ungeschickt sind nun aber mitunter auch die, die sich verteidigen müssen. In einem Brief an den L.K.R. (es kann auch in einer Niederschrift über eine Unterredung gestanden haben) hat der Bischofrodaer u.a. mitgeteilt, daß seine Frau über die Äußerung, die ihm zur Last gelegt wird, drei Nächte lang nicht geschlafen hätte! Ob er dachte, das würde man ihm zu Gute rechnen? Thomas schrieb wieder u. machte geheimnisvolle Andeutungen. Er sei immer wieder glücklich über das Vertrauen, das der L.K.Rat zu ihm hätte – obwohl er nicht auf der Leutheuserschen Linie steht – man hat ihm irgendeinen Auftrag gegeben, der ihm Freude macht. Er dürfe noch nicht sagen, was. Er merkt nicht, daß er nur Selbstsucht ist. Man stellt ihn heraus, um Vertrauen für die Thür. K.regierung zu werben – oder, weil man immer noch hofft, ihn zu gewinnen – oder weil man für eine schwierige Aufgabe einen Mann braucht, gegen den keiner was sagen kann. 22

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»›Thing‹ bezeichnet ursprünglich gemanische Volks- und Gerichtsversammlungen an altgewohntem Ort«; vgl. Enzyklopädie des Nationalsozialismus, 758. Hier wohl nur allgemeiner zeitbezogener Sprachgebrauch, kein institutioneller Begriff. Vgl. Tgb. 15. November 1934. Beffchen; in zwei Läppchen gespaltener Halskragen in der Amtstracht der evangelischen und katholischen Geistlichen. Zu Pfarrer Robert Stieb vgl. Biogramme. Geyer war Hilfspfarrer in Heygendorf, nicht in Ebeleben, wie die Tagebuchschreiberin vermutet; in Ebeleben war seinerzeit Pfr. Arno Liebe, der allerdings 1935 nach Mattstedt wechselte.

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Den 27.I.35 [27. Januar 1935] Vor einem Jahr heute war der Tag, an dem die Lutherischen Bischöfe Hitler zuliebe sich noch einmal hinter den Reichsbischof stellten.27 Und die D.Chr. im Siegesübermut verstanden das Opfer nicht u. benahmen sich als Emporkömmlinge und, regierungsunfähig wie sie waren, mißbrauchten sie ihre Macht. Damals hub das Elend richtig an. Inzwischen haben sich in Mihla allerhand Dinge ereignet. Die Gemeinde hat sich entschlossen u. charaktervoll benommen. Den Bericht des Pfarrers, für Otto angefertigt, lege ich diesem Tagebuch bei.28 Inzwischen war ich vor 8 Tagen in Mihla u. habe mir dort alles ins Kleinste erzählen lassen. Zum 1. Mal hörte ich von der ganzen Angelegenheit am Dienstag nach der Saarabstimmung, Mittags (15. Jan.). Hier war »Bauernthing« im Fürstenhof u. Hans Brauckmann [H.] als Ortsbauernführer daher Mont. u. Dienstg. hier, aß Mittags bei uns. Er war im Autobus Dienstag früh mit dem Mihlaer Pfr. (Hilfspfr.) zus.getroffen, der ihm erzählt hatte, er fürchtete abgesetzt zu werden. Der L.K.R. hätte eine Kirchenvertretersitzg. auf Mittwoch Abd. anberaumt u. Leutheuser oder Sasse würden dazu von Eisenach kommen. Hans bedauerte, nicht in der Kirchenvertretg. zu sitzen. Die K.vertr. würden aber fest bleiben (obwohl sie offiziell D.Chr. sind). Ich versuchte, zur seelischen Vorbereitg. der K.vertr. noch etwas zu tun – Hans wollte mit allen sprechen u. deswegen vom Bauernthing früher weggehen. Ich riet, sich vor allem darauf zu rüsten, daß die ganze Sache ins Politische gezogen u. die K.vertr. samt der Bekenntnisfront »Rebellen« pp. genannt werden würden, daß die Kirchenräte wie die Löwen brüllten u. auf den Tisch schlügen u. damit manchmal ihren Zweck erreichten … pp. Gedanke einer friedlichen Deputation aus der Gemeinde in die K.vertr.sitzg. pp. Wie die Sache dann verlaufen ist, schildert der Bericht des Pfarrers. Noch viel eindrucksvoller waren aber die Berichte aus dem grauen Schloß.29 Ich muß sagen, ich hatte Angst gehabt, die K.vertr. würden umfallen. Leutheuser – er war es, der kam, u. ihm gönnt man allgemein die Niederlage auch in den Kreisen der Angest. u. Beamten auf d. Pflugensberg – Leutheuser fährt sehr schweres Geschütz auf, das hat der Verlauf der K.vertr.sitzg. in Melborn30 gezeigt. Ich finde wirkl., es grenzt an Hochverrat, in welcher Weise er vom Willen des Führers spricht – Dinge, die sicher auf Klatsch beruhen. Es kann ja sein, daß Hitler so denkt, aber darum hat noch keiner das Recht, in seinem Namen sowas zu verbreiten, solange der Staat offiziell Neutralität bewahrt. »Der Führer haßt die Bekenntnisgemeinschaft – wer gegen den Reichsbischof Müller ist, ist gegen Hitler – also ist der Widerstand gegen Müller Meuterei – der Führer selbst hat den Reichsbischof eingesetzt (garnicht wahr) – nach dem 13. Jan. wird Hitler mit der Bekenntnisfront aufräumen …« pp. (Solche Sachen sollen auch Leuth., Leffler u. Sasse 27 28 29

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Vgl. Tgb. 20. Januar 1934 – eine Eintragung, die auch Angaben aus den folgenden Tagen enthält. Das Gespräch mit Hitler fand am 25.(!) Januar statt. Bericht von Pfarrer Hoffmann, Mihla, über die Ereignisse bei der Kirchenvertretersitzung am 16.1.1935, LKAE, LBG 267, 3–8. Die Familie von Harstall, mit der Marie Begas verwandtschaftlich verbunden war, erbaute in Mihla drei Schlösser. Das älteste war das sog. Rote Schloß aus dem Jahre 1581. Ein weiteres war das »Graue Schloß«. Vgl. Tgb. 14. Januar 1935 zum Fall Gerhard Hertzsch-Melborn.

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hier im Dtsch. Hs. im vertrauten Krs. geäußert haben, ich kenne den Namen derjen. Persönlichkt., die das weitererzählt hat). Also in Mihla hat er im Großen u. Ganzen dasselbe gesagt. Hans Brauckmann, der unter denen war, die am Guckloch hinaufkletterten, hat Leutheuser selbst »Meuterer« u. »Rebellen« brüllen u. auf den Tisch schlagen hören. Natürl. hat die Gemeinde das mächtig übel genommen. Leuth. war so klug, so zu tun, als wäre er nicht gekommen, um den Pfr. abzusetzen, sondern nur um die »einseitig« unterrichteten Kirchenvertreter »aufzuklären«. Es ist aber kein Zweifel, daß ohne die entschloss. Haltung der Gemeinde die Sache gelaufen wäre wie in Melborn, wo, obwohl die K.vertr. u. die N.S.-Frauensch. hinter dem Hilfspfr. Hertzsch [G.] standen, Hertzsch eine Frist von 8 Wochen gestellt worden ist, um aus der Bekenntnisgemeinsch. auszutreten. Entschlösse er sich hierzu nicht, würde er abgesetzt. Als die K.vertr. dann aus d. Sitzg. kamen, hat der Stützp.leiter Streck, D.Chr. u. Anführer der Wühlerei gg. den Pfr., die Leute, die auf Aufforderg. des Polizisten Platz machten, noch als Feiglinge verhöhnt. Leuth. hat noch eine Ansprache halten wollen, ist aber mit Zurufen »Hund, Schuft, Verräter, er hat uns Meuterer genannt …« überschrieen worden. Der Polizist hat ihn ins Auto gedrängt u. den Schlag zugeworfen. Der Chauffeur sauste ab. Am Donnerstag kam Staatspolizei aus Weimar u. Eis. Hans Brauckmann wurde nachts um 12 aus d. Bett geholt zum Verhör ins Rathaus. 4 Leute sind verhaftet worden – man hat den Angehörigen nicht einmal mitgeteilt, wo man sie hinführte u. wozu. Am Sonnabd. früh sind sie von Amtsrichter Schein hier vernommen worden – sehr wohlwollend. Der eine erzählte, er hätte zu ihm gesagt: »Gehen Sie nach Hause u. treten Sie weiter für ihren Pfr. ein!« Die Leute kamen strahlend wieder in Mihla an u. haben sich vor Freude scheinbar alle einen angetrunken. Am Sonntag nachm., als ich dort war, erschien einer, um dem Onkel u. Brauckmann die Geschichte seines Verhörs zu berichten. Es hatte sich das Gerücht verbreitet, Hans [Brauckmann H.] hätte zur Befreiung der Gefangenen beigetragen. Ich hörte zuerst von der ganzen Sache am Telephon, Donnerstag früh ½12. Da rief mich Brauckmann [H.] an. Kurz darauf ist Stetefeld dch. die Rechngsstelle gegangen u. hat erzählt: »Wir müßen nach Mihla, da haben sie gestern Leutheusern vertrimmt.« Im Nu war die Sache im ganzen Hs. bekannt. Brauer interpelliert Frl. Sommer, ob sie schon was davon wüßte, daß die Polizei nach Mihla wäre. Dann ist dauernd Polizei u. Krsleitg. angerufen worden. In der Kantine haben die Leute nur miteinander getuschelt, man hätte aber doch die Schadenfreude herausgemerkt (S.). Im Laufe dieser Woche waren die Kirchenräte 3 Mann hoch in Weimar, darauf Sasse allein in Jena. Am Donnerstg. oder Freitag früh hat dann große Nervosität geherrscht u. es soll hoch hergegangen sein, Thema: Mihla. Man hat Lehmannn brüllen hören: »Es wird schon herauskommen, wer die Sache vermasselt hat – ich bins nicht gewesen!« Und dabei wissen sie noch nicht einmal, daß in Mihla auch bekannt geworden ist, daß die Dtsch. Chr. dort an dem ev. Gemeindetag im Nov.31 Tätlichkeiten geplant hatten. Sie wollten dem Pfr. vor Eintritt in die Kirche »das Chemisechen« abreißen u. »einen Tritt in den …« versetzen. Das hat das Dorf gewußt! 31

Vgl. Tgb. 15. November 1934.

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Ich war also heute vor 8 Tagen in Mihla u. es war ein sehr hübscher Nachmittag. Alle waren gepackt von dem Ereignis u. erzählten blendend, einer besser wie der andere, das ganze Ereignis erstand in seiner Bewegtheit mit dem Ernst u. dem Humor der Sache. Die Mihlaer haben mir noch nie so gut gefallen. Sie haben doch Rasse. Der Pfr. hätte im Gottesdienst des Tages dieses Ereignisses gedacht u. tiefen Eindruck gemacht. Bemerkenswert ist noch die Sache mit dem Ruf aus der Menge »Rothschild erwache!«32, als der sehr unbeliebte Stützp.leiter Streck aus der K.vertr.sitzg. herauskam. Er soll im vor. Jahr einen Juden – aus Dorla gl. ich – mißhandelt haben, im Schwan, des nachts. Der Jude ist an den Folgen gestorben. Das ganze Dorf redet davon – »u. so einer will unseren Pfr. wegbringen.« (Diese Absicht hat Streck ausgesprochen). Jetzt hoffen sie, daß die Sache endlich zur Anzeige gebracht wird. Der, der gerufen hat »Rothsch. erwache«, ist nicht verhört worden! Am Donnerstag (24.) baten mich Helmrich u. Sältzer, ihnen die Mihlaer Sache zu erzählen. Ich tat es – vertraulich. Danach gaben sie mir den neuesten Erlaß des Reichsb., in dem er zum Frieden auffordert.33 Ich wußte erst wirklich nicht, was ich dazu sagen sollte. Inzwischen hatte uns Otto in einem Schulungsvortrag am 22. davon erzählt, daß der Reibi am Grabe eines bayer. Pfrs., der sich das Leben genommen hat (D.Chr.) eine unerhörte Rede gehalten hat, in der er – Wolf Meyer [Meyer-Erlach] hat sich ihm angeschlossen – diesen Tod der Bekenntnissyn. als Schuld zuschiebt. (So auch Leffler in s. Brief an Otto).34 Die Wahrheit ist, daß dieser Pfr. seelisch krank war – ärztl. Zeugnis – und daß ein frdl. Brief Meisers ihm günstige Lösung aller Schwierigkeiten angekündigt hatte; dazu hatte er den erbetenen Erholungsurlaub erhalten. Das nennt man nun »buchstäbl. in den Tod gehetzt«. Schwache Naturen können den Kirchenkampf freilich nicht aushalten. Da müssen aber die Bekenntnispfr. noch viel mehr ertragen. Auch auf d. Pflug.berg bin ich schon nach den Absetzungen in Bayern gefragt worden. Dem einen, der gesagt hat, Meiser hätte mit d. Röhmrevolte in Verbindg. gestanden, haben sie in Thür. angestellt u. mir wurde vorgehalten – schon vor Wochen –, er sei nur deshalb abgesetzt worden, weil er D.Chr. sei. 32

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In kritischer Analogie zu »Deutschland erwache!«, dem Streitruf der NSDAP in der »Kampfzeit« der »Bewegung«. »Die Parole wurde seit 1923 als Inschrift der Standarten der SA verwendet« (Enzyklopädie des Nationalsozialismus, 429). – »Die Rothschilds waren im 19. Jahrhundert eine Bankiersfamilie jüdischer Herkunft mit Stammsitz in Frankfurt am Main. Sie zählten zu den einflußreichsten Finanziers europäischer Staaten. Noch heute ist das Bankhaus durch seine Nachfolgeinstitute eine bedeutende, heute hauptsächlich im Investmentbanking tätige Bank« (http://de.wikipedia.org/wiki/Rothschild - eingesehen 10. Juni 2008). Ein eigens dem Frieden gewidmeter »Erlass« ist nicht zu finden. Gemeint ist offenbar das »Wort des Reichsbischofs. Weihnachten 1934« (GDEK 74/1934, 231–234), in dem sich Müller über eine ganze Seite hin mit dem »Frieden auf Erden« befaßt. U.a. wendet er sich gegen die Auffassung, dass der Friede »etwas »Schwächliches« sei, bzw. gegen seine »pazifistische Verflachung«. Friede geriere sich hier »zum Deckmantel für alle Jämmerlichkeit und Kümmerlichkeit, Trägheit und Schlappheit der Menschen«, ausgehend von dem Wort Jesu, er sei nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert (ebd. 233). Schreiben von Oberregierungsrat Leffler an Pfarrer Otto vom 17. Januar 1935, LKAE, LBG 267, 9–10.

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Ich lasse mich jetzt so wenig wie mögl. im Haus in der Nähe der kirchenrätl. Diensträume sehen. Wegen Mihla bin ich noch ganz besonders verdächtig. Volk kommt am 1.2. aus d. Urlaub zurück. Mir graut. Da soll ich ihn wieder »orientieren«. Otto ist von der Kriminalpolizei vernommen worden, weil er Auszüge aus einer Schrift von Leuth. an alle Thür. Pfr. geschickt hat – die einzelnen Abschnitte mit Überschriften versehen. Er hat erwidert, dann müßte doch zuerst Leutheusers Schrift beschlagnahmt werden – er, Otto, hat die Auszüge nicht einmal in der Öffentlichkeit verbreitet, sond. nur bei Fachleuten. »Leutheusers« Schrift gegen Otto ist erschienen u. soll wüst sein.35 O. wird Beschlagnahme beantragen. Thomas hat einen Zuschuß des L.K.R. zu einer Mittelmeer-Erholungsreise angenommen – u. schämt sich nicht! Freut sich noch! Sonntag, d.17. Febr. 35 [17. Februar 1935] Vor 3 Wochen schrieb ich zum letzten Mal in dieses Tagebuch (27.1.?). Ich weiß nicht, was ich zuletzt festgehalten habe. Wir hatten eine zeitlang das Gefühl, daß alles um uns her stumm sei. So sehe ich noch das Gesicht von Frl. Linde, wie sie mich fragt: »Es geschieht garnichts mehr – man hört garnichts mehr – finden Sie nicht auch?« Angstvoll sah sie dabei aus. Ich habe versucht, ihr Mut zu machen, aber im Grunde war mirs ebenso erbärmlich wie ihr zu Mute. An Thomas hatte ich damals geschrieben, daß der Abbruch der Verhandlungen mit den D.Chr. wahrscheinlich das Richtige gewesen sei, obwohl ich mir selbst nicht zutraute, diese Entscheidung gegebenenfalls gewagt zu haben. Ich muß mich selbst in Schutz nehmen – es ist tatsächlich schwer, so etwas zu verstehen, wenn man die Lage nicht genau kennt. Inzwischen erzählte mir Frau Otto [M.], sie hätten gehört, das letzte Angebot von Kinder sei gewesen, er wollte den Reichsb. fallen lassen, wenn er selbst Rechtswalter bliebe. Dieses Angebot abzuweisen, wäre mir nicht schwer geworden – es ist gemein. So urteilen auch einfache Gemüter, die das hören, ganz schnell. Thomas ist ein weicher, vermittelnder Typ – ganz alter Stil, etwa wie Weinel u. César. Dabei meint ers gut. Dabei hoffe ich immer noch, daß der Staat seine Drohungen nicht wahr macht u. sich nicht von d. Kirche trennt. Leutheusers Schrift gegen »Herrn Pfarrer Ernst Otto u. die luth. Bekenntnisgemeinsch. in Thüringen« wurde Otto am 23.I. zugeschickt.36 Am nächsten Tag wurde er auf die Kriminalpolizei bestellt um sich wegen eines Rundschreibens an die Thür. Pfr.schaft gegen die vorletzte Schrift von Leutheuser – »Der Weg zur Dtsch.christl.

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Leutheuser, Die deutsche Christusgemeinde und ihre Gegner. Eine Antwort an Herrn Pfarrer Ernst Otto und die lutherische Bekenntnisgemeinschaft in Thüringen, Weimar o.J. [1934]; vgl. Tgb. 16. Januar 1935. Vgl. die vorhergehende Anm.

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Nationalkirche«37 – zu verantworten.38 Darin hatte er Auszüge aus Leuth. Schrift unter kennzeichnenden Überschriften zusammengefaßt. Das sollte gegen die V.O. von Frick über kirchenpolit. Veröffentlichungen verstoßen!39 Er hatte u.a. erwidert, seine Ausführungen seien rein theologisch u. nicht kirchenpolitisch. Falls es verboten sein sollte, Auszüge aus Leutheusers Schrift zu verbreiten, so müßte doch zuerst Leus [Leutheuser] Schrift selbst verboten werden. Er habe sich nicht an die Öff.keit, sondern an Theologen gewendet, die in der Lage seien, selbst zu urteilen pp. Und dann hat er seinerseits die Beschlagnahme der gegen ihn selbst gerichteten Schrift Leutheusers gefordert. Das soll keine Kirchenpolitik sein, wie Leffler in seiner Vorrede beteuert. Am 25.I.? sprach O. Abends in Melborn – der umstrittenen Gemeinde.40 Stetefeld hatte erzählt: »Wir fahren heute nach Melborn u. wollen den Pfr. Otto ärgern.« Tatsächl. sind sie 3 Mann hoch dort gewesen, als Sprecher des ehemal. Ortspfr. Rabe, der nach den 1. Worten von O. bereits einen unverschämten Zwischenruf gemacht hat, scharf zurückgewiesen von O. (Bericht von Frl. Helmbold, die stenographierte). Der Saal voller Männer, die Frauen waren durch eine express einberufene Versammlg. der N.S.F. [NS-Frauenschaft] verhindert. O. hatte prachtvoll geredet, die Zuhörer wären stark mitgegangen (Bericht der Butterfrau aus Melborn!). Dann sprach Rabe eine Stunde lang für die D.Chr. – danach eisiges Schweigen. Wahrscheinl. werden die Melborner Kirchenvertreter, an denen seit Wochen gebohrt wird, aber doch umfallen. In Mihla hat einer an Hitler geschrieben u. ihm erklären wollen, daß der Mihlaer Kirchenkrach unpolitisch sei. Der Brief ist an Hitlers Schwester geschickt worden. Ein anderer (H. Schütz) hat an Sauckel geschrieben, der hat den Brief an den Kreisleiter geschickt u. der hat ihn Streck geschickt, den Mihlaer Ortsgr.führer. Und der hat ihn dem Briefschreiber unter die Nase gehalten. Die Mihlaer halten das für einen Vertrauensbruch. H. Schütz hat übrigens, noch ehe der andere ihm den Brief gezeigt hat, von sich aus erklärt, daß er an Sauckel geschrieben hätte. Für heute (17.II.) war ein »Kreisparteitag« in Mihla angesetzt mit einem »Feldgottesdienst« durch Sasse im Hof des Roten Schlosses als Höhepunkt. Er ist auf den 3.3. verlegt worden. In seinem Schulungsvortrag am 29.I. (Dienstg.) hatte O. von Sonnebg. erzählt. Die Bekenntnispfr. dort haben [eine] Schrift von Putz verteilt. Von Lüdecke gefragt, ob sie auch hinter [dem] Satz über die Thür. D.Chr. [KDC] stünden, das bejaht.41 Darauf Urteil der K.vertr.: Die Bekenntnispfr. dürfen nur noch in Nachm.gottesdienst predigen,

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Leutheuser, Die deutsche Christusgemeinde. Der Weg zur deutschen Nationalkirche, Weimar o.J. [1934]. Schreiben des Bruderrats der LGB [an die Mitglieder der LBG] vom 11. Dezember 1934, LKAE, LBG 291, 126–127. Vgl. Tgb. 19. August und 10. November 1934. Vgl. Tgb. 14. Januar 1935 zum Fall Gerhard Hertzsch-Melborn. Am 24. September fand eine Versammlung der Bekenntnisgemeinschaft Hannover statt, auf der u.a. Pfarrer Putz sprach; vgl. JK 2 (1934), 824. U.a. führte er aus, dass die Deutschen Christen in Thüringen »eigentlich schon gar nicht mehr zur Kirche (gehören)« (Putz, Warum Bekenntnisgemeinschaft? Der Kampf um die Erneuerung der Kirche, JK 2 [1934], 839). Diese Rede wurde

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die Vorm.gottesdienste hält der Obpfr.! Jetzt hätten die Pfr. verlangt, daß diese Maßnahme rückgängig gemacht würde. Offenbar hätte der L.K.R. sich bisher gescheut, einzugreifen; das solle aber nun wohl anders werden. Das war also am 27.I. In Brakhages letzt. Vortrag, am 12. Febr., teilte O. mit, daß im K.krs. Sonnebg. alle Veranstaltungen der Bekenntnisgemeinsch., auch die geschloss. Mitgl.versammlungen, von der Polizei verboten worden seien! Auch ein »Ev. Gemeintag«, der nicht einmal im Namen auf die Bek.gem. hinweist. Ebenfalls verboten wurde ein Ev. Gemeindetag in Großfahner, der heute angesetzt war. O. hat sofort Rechtsanw. Fiedler angerufen, der sagt, das sei der 1. Fall in Deutschld. Das geht auch gegen den Sinn der Verordnungen von Frick, der gleichmäßig allen Gruppen den kirchenpolit. Streit in der Öff.keit abschneiden will.42 In Thür. wird einseitig die Bekenntnisgem. vom Staat bekämpft. Morgen, Montag, den 18.II., fährt O. mit Fiedler, Rechtsanw. Prehn aus – Sonneberg43 u. wohl noch anderen nach Weimar, um bei der Regierg. vorstellig zu werden. Hilft das nicht, so wollen sie an Sauckel u. dann eventuell ans Reich gehen. Vor 14 Tagen erschien ein scharfer Artikel in der J.K. gegen die dtsch. Chr. Thür. Richtg. [KDC] (von einem Hilfspfr. Groß, Blankenbg.).44 Übrigens hatte Laue gesagt, wegen [der] Schrift von Leuth. gegen Otto seien einige Pfr. aus der Bewegg. »D.Chr.« ausgetreten.45 Auch Otto hatte eine Absage bekommen. Aus einem Bericht der Jenaer K.vertretg. ging hervor, daß Pfr. Dr. Rieger-Jena bei den D.Chr. ausgetreten sei. Auf d. Pflugensberg ist es so, daß ich nach wie vor gute Freunde habe. Aber viele kommen nur dann zu mir, wenn sie gerade mal nicht gesehen werden u. horchen an der Tür auf den Gang hinaus, ehe sie wieder hinausgehen. Mit S. wollte ich gestern ein paar Worte sprechen. Der sah sich nach allen Seiten um, winkte mir dann u. führte mich in ein kleines leeres Kabuff, wo uns niemand sehen konnte. »Laue ist nämlich in der Nähe, sagte er, u. wenn der mich mit Ihnen sieht, dann läuft er gleich in den Volksdienst u. meldet es dort.« Im übrigen soll Laue selbst fürchterlich auf die dtsch.christl. Führer schimpfen. Die hätten finanziell alle gut für sich selbst gesorgt; aber den Chauffeuren hätten die ReiseTagegelder, mit denen sie sowieso nicht auskämen, gestrichen werden sollen! Das finde ich ja auch haarsträubend!

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auch als Sonderdruck verbreitet: Putz, Warum Bekenntnisgemeinschaft? (Schriften der Bekennenden Kirche 2), Göttingen 1934. Auf diesen Druck nimmt die Tagebuchschreiberin Bezug. Die oben stehende Beurteilung der KDC findet sich darin auf S. 6. Vgl. Tgb. 19. August und 10. November 1934. Über die kirchenpolitischen Vorgänge und Hintergründe in Sonneberg vgl. Schreiben von Rechtsanwalt Dr. Prehn an Gerichtsassessor Dr. Zunft vom 15. Februar 1935, LKAE, LBG 201, 13–16. Erwin Groß, Mythus oder Offenbarung? Fragen an die nationalkirchliche Bewegung in Thüringen, JK 3 (1935), 116–124. Als Ort des Verfassers ist korrekt angegeben: »Rüdersdorf/Gera«. Die Ortsangabe der Tagebuchschreiberin trifft nicht zu. Leutheuser, Die deutsche Christusgemeinde und ihre Gegner. Eine Antwort an Herrn Pfarrer Ernst Otto und die lutherische Bekenntnisgemeinschaft in Thüringen, Weimar o.J. [1935]; vgl. Tgb. 27. Januar 1935.

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Am Mittwoch stand ich noch ganz unter dem niederdrückenden Eindruck der Nachrichten aus Sonnebg. Am Donnerstag vorm. hatte ich mich erholt u. hatte wieder Mut. Am Donnerstg. Mittag gehe ich auf dem Nachhauseweg an der Geschäftsstelle der N.S.D.A.P. vorbei u. sehe das halbe Schaufenster mit den aneinandergereihten Seiten einer Druckschrift tapeziert. Es war Leutheusers Schrift gegen Otto!46 Die Sache war so wirkungsvoll wie möglich aufgemacht u. wirkte ganz unmittelbar hetzerisch. Zu Hause konnte ich nicht darüber sprechen. Es war mir nicht mögl., ein halb. Stündchen ruhig im Bett zu liegen. Ruhig wurde ich erst, als mir einfiel, daß wir in dieser Lage doch wenigstens etwas tun könnten, mit größerer Treue noch die Gottesdienste u.s.w. der Bekenntnispfr. besuchen u. andere auf diese Pflicht hinweisen. Das kann man sonst nicht gut mit anderen besprechen – aber hier ist ein Anknüpfungspunkt. Abends in der Bibelst. erzählte Otto, er sei ½10 Uhr früh von D. Otto [R.] angerufen u. auf die Affenschande aufmerksam gemacht worden. Sei sofort hingegangen, in den Laden hinein, habe sich bekannt gemacht u. gefragt, wer für den Aushang verantwortlich sei. Darauf die erstaunliche Mitteilung, daß der Laden weder mit der N.S.D.A.P. noch mit den D.Chr. »etwas zu tun« hätte, sond. Privatunternehmen sei. O. daraufhin zur Polizei u. Einschreiten verlangt. Zu entscheiden hätte darüber ein höherer Beamter. Am Freitag blieb das Schaufenster unverändert. Gestern, Sonnabd. vorm., berichtete Andres, als er aus der Stadt kam, das Schaufenster sei leer. Mittags überzeugte ich mich, daß zwar noch mehrere Exemplare der Schrift ausgehängt waren, aber nicht mehr die auffallenden offenen Druckseiten. Der Gottesdienst, den O. heute in der Georgenkirche hielt, war sehr voll. Auch die Ränge schienen gut besetzt. Unten saßen Leute auch auf den Seitenbänken, die ja nur Notsitze sind. Es schienen noch mehr Leute denselb. Gedankengang gehabt zu haben wie ich. Otto sprach vorzüglich wie immer über eine Stelle aus d. Kolosserbrief über die Frage, wer eigentlich Christ sei. Antwort: Wem Christus Mittelpunkt des Daseins ist. Er sagte in diesem Zusammenhang auch, daß ein Christ vergeben könnte, was ihm persönlich angetan würde, was es auch sei. Übrig. habe ich erfahren, daß der L.K.Rat beschlossen hat, gegen die Pfr., die ihm das Vertrauensvotum verweigert haben, vorläufig nichts unternehmen.47 Das hängt wohl mit einem Schreiben zusammen, das das Innenministerium, wie kürzl. erst bekannt geworden ist, am 11.12. an die Landesbischöfe geschickt hat, in dem ausgesprochen worden ist, daß es zur Befriedung nötig sei, daß die Absetzungen von Pfarrern aus kirchenpolit. Gründen aufhörten.48 In der vorletzten Woche meldete die »Times«, Niemöller sei wieder in sein Amt eingesetzt. Ich hatte schon alle möglichen Hoffnungen auf dieser Tatsache aufgebaut, aber Otto sagte, das käme wohl nur daher, daß eben alle Verordnungen, auf die die Absetzung gegründet sei, ungültig seien. 46 47 48

s. vorige Anm. Unklar, um welches Votum es sich handelt. Schreiben des Reichsinnenministers Dr. Frick an die Landesbischöfe vom 11. (!) Dezember 1934: »Über die Maßnahmen gegen die Pfarrer … sind bei mir Beschwerden eingelaufen. Ich ersuche ergebenst um nähere Aufklärung. Gleichzeitig weise ich darauf hin, daß ich es zur Herbeiführung der Befriedung für unerläßlich halte, daß Disziplinierungen aus kirchenpolitischen Gründen aufhören und alles darangesetzt wird, auch mit bisherigen kirchenpolitischen Gegnern einen Weg zur gemeinsamen Aufbauarbeit zu finden« (Chronik der Kirchenwirren, 434).

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Der Staat hat sich die juristische Ansicht von Reichsgerichtsrat Flor offenbar restlos zu eigen gemacht. So hat er, wie die Basler Nachr. mitteilen, den Reichsb. auch darauf aufmerksam gemacht, daß die Rechtmäßigkeit auch des Kirchensenats umstritten sei u. daß er auf eigene Verantwortung handele. Wie O. bereits angekündigt hatte (mir persönl.) u. wie gestern die Times meldete, hat die Vorl. Kirchenregierung [VKL] dem R.innenministerium mitgeteilt, sie könne den K.streit schlichten u. [habe] verschied. Vorschläge in dieser Hinsicht gemacht.49 Sie habe auch ausgesprochen, daß, wenn der Staat diese Möglichkeit nicht wahrnähme, er selbst schuld sein würde am weiteren Verfall der Ev. Kirche. Die vorl. K.regg.« [VKL] stelle die im Augenblick stärkste mögliche Zuammenfassg. innerhb. der Kirche dar. Gestern teilte die Basler mit, daß das Saargebiet mit wenigen Ausnahmen zur Bekenntniskirche gehöre und Sup. Nold-Saarbrücken die Leitung der Rhein. Provinzialsynode übernommen habe.50 Der habe sofort Bekenntnispfr. ins Konsistorium berufen. Damit wäre der ganze Westen in der Hand der Bek.gem. Die deutsch-christl. Kirchen von Hambg. u. Braunschweig haben sich vom Reichsb. losgesagt.51 – Ein Empfang des Reibi beim Führer, der am 5.II. stattfinden sollte, wurde abgesagt – allerdings auch andere Empfänge. Vor 8 Tagen traf Oberheid hier ein u. wohnte bei Sasse52 um, wie Frl. Hasert sagte, Schneeschuh zu laufen. Der Schnee ist inzwischen geschmolzen u. gestern hörte ich, daß nicht nur Oberheid, sond. auch D. Forsthoff aus d. Rheinland in Thür. seien u. mit Sasse in den Dörfern herumsausten u. für die Dtsch. Chr. kämpften. Dazu wird ein Kursus nach d. anderen in Friedrichroda gehalten – 80 Kirchenvertreter auf einmal, danach N.S.-Frauenschaft u.s.w.53 Und da fürchten sie noch die mit so wenig Mitteln unternommene Werbetätigkeit der Bekenntnisgemeinsch. O. hat jetzt außer sr. kl. Sekretärin u. außer dem Kand. Reichardt [T.] noch eine Theologin, Frl. v. Blumröder, zur Hilfe, die unentgeltl. mitarbeitet. Dazu kommt noch viele Stunden lang Frl. Helmbold, die in d. Schule wenig zu tun hat. Und da werden sie nicht fertig, soviel ist zu tun. Und in all diesem Kampf freut sich Thomas auf eine Reise im Mittelmeer als Schiffspfr. Ich begreife ja nicht, wie jetzt einer von hier weggehen kann. Im VD hat man eine junge Dame f. d. Jugendarbeit eingestellt u. die ehemal. Sekretärin von Lehmann im L.K.R. – beide in verhältnismäßig hohen Gehaltsgruppen.54 Darüber siedende Erregg. unter den Angestellten, auch den Nat.soz. u. D.Chr.

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Vgl. die drei Briefe der VKL an das Reichsinnenministerium vom 8. und 12. Dezember 1934 (Schmidt, Bekenntnisse III, 29–32). Vgl. Chronik der Kirchenwirren, 430. Vgl. Tgb. 5. Januar 1935. Zu den Beziehungen Oberheids zu den Thüringer DC und zu seiner Arbeit für diese vgl. Faulenbach, Oberheid, 153–183. Gemeint sind landeskirchliche »Schulungen« unter der Regie des Volksdienstes, die sich jeweils an die verschiedensten Gruppen richteten und so etwas wie ein »freiwilliger Zwang« waren (vgl. Stegmann, 43–44). Diese Einstellung wurde von der LBG heftig kritisiert, weil man wohl zu Recht annahm, dass durch sie die deutschchristliche Arbeit des Volksdienstes gestärkt und ausgeweitet werden sollte;

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Volk hielt am vor. Montag, den 11.II., wieder die Andacht. Sie war wieder so, daß man sich in seiner Seele schämte. Stüber u. Lehmann saßen nebeneinander in der gleichen Haltung, tief gebückt, u. sehn starr auf die Mosaikmuster des Bodens – ich glaube, sie verbissen sich das Lachen. Jansa ist eingeschrieb. Mitglied der D.Chr. geworden u. wieder im Reisedienst tätig. Gestern verbreitete Frl. Sommer in der Zentrale eine nicht ganz klare Nachricht: sie hätte Frl. v. Blumröder gesprochen u. die hätte ihr gesagt, am Sonnabend sei K.Rat Stüber in Sonnebg. gewesen u. hätte von den Bekenntnispfarrern bis nachm. 3 Uhr einen »Widerruf« verlangt (viell. hat er das verlangte Vertrauensvotum haben wollen?55). Sie hätten aber »nicht widerrufen« u. Otto telegraphisch mitgeteilt, es hätten sich 400 neue Mitglieder zur Bekenntniskirche angemeldet. Montag, d. 18.II. [18. Februar 1935] Gestern Abd. war ich noch einen Augenblick bei Ottos, sprach erst Frau O. [M.], die sagte, die Nachricht von Frl. v. Blumröder sei beinah wahr, gemeint seien wohl die 400 Mitgl. der Bek.gemeinsch. in Oberlind. Dann kam Otto, der ziemlich entrüstet war u. die Absicht aussprach, Frl. v. Blumröder zu »stauchen«. Die mitgeteilte Nachricht sei nicht wahr. Ich sagte ihm, daß wohl Frl. Sommer zur Verdrehung irgendeiner richtigen Mitteilung ihr Teil beigetragen haben würde. Heute wurde auf d. Pflug.berg erzählt, Oberheid sei »plötzlich abberufen« worden. Forsthoff ist viell. doch nicht dagewesen. Die Morgenandacht hielt Bauer [W.], der offenbar Volks Andacht, die der Betrieb sehr übelgenommen hatte, wieder gut machen wollte. Es ist ihm nicht gelungen. Es war alles entsetzlich flach (Maria u. Martha). Stüber hat hinterher zu Frl. Sommer in der Zentrale gesagt: »Na, das war nun doch wohl was anderes als neulich.« Es ist ja auch stark, daß ein Kirchenrat üb. die Leistg. eines andern Kirchenrates so mit den Angestellten spricht. Sorge hat geantwortet: »Ach, das war auch nichts. Können sie denn nicht mal ne ordentliche Andacht machen ohne Pflaumen?« D. 8.III.35. [8. März 1935] Am 20. Febr., Mittwoch, sah ich am Schaufenster der ehemal. Parteigeschäftsstelle am Karlsplatz wieder die Schrift Leuth.s gegen O. hängen – nicht im Schaufenster (wie bis zum 16.II.) sondern an einem auf d. Erde stehenden Brett daneben an d. Wand gelehnt.56 Oben aufgenagelt die früher erschienene Schrift Leutheusers »Der Weg der Dtsch. Christusgde«57, mehrere Seiten lesbar, unter die Schrift gegen Otto, auch versch. Seiten lesbar. – Am Abd. war ich bei Ottos – zusammen mit Frau Bauderts u. Frl. Dr. Hackmack. Wir sprachen u.a. über die Ehescheidung von Georg Schulz, von der ich

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vgl. den Protest im Schreiben Ernst Ottos an die Vertrauensmänner der Arbeitsgemeinschaften vom 20. Mai 1935, LKAE, LBG 291, 164. Unklar, um welches Votum es sich handelt (s.o.). Vgl. Tgb. 17. Februar 1935. Leutheuser, Die deutsche Christusgemeinde. Der Weg zur deutschen Nationalkirche, Weimar [1934].

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noch nicht wußte – Grundsätzliches. – Ich konnte mich an dies. Abd. nicht dazu entschließen, O.s von dem Wiederaushang der Schrift zu berichten. Es war so gleichgültig, ob er früher od. später davon erfuhr – zu machen war doch nichts, dachte ich. Am nächsten Abend war Bibelstunde, da hatten O.s die Sache inzwischen von Anderen erfahren. Am Freitag, den 22., war Ausspracheabend im Rahmen des Schulungskursus. Ich konnte leider nicht dabei sein wegen eines »Kameradschafts«-abends der Beamtenfachschaft. Am folgenden Tag aufgeregte Berichte von verschied. Seiten aber kein klares Bild. Therese berichtete, was Johanna Paulssen gesagt hätte, die sich vor allem über Helferich, den Bibelkundigen, geärgert hatte, der offenbar ziemlich lange getönt hatte u. zum Schluß von O. »rührend« in Schutz genommen worden war. Frl. Sommer berichtete einen Wirrwarr von Direktor Schönefeld, aus dem ich nicht klug wurde. Gegen Mittag rief mich Frau v. d. Gröben an – und ich mußte mit ihr leider in Gegenwart von Oettling u. Haake sprechen. Sie wollte mich sprechen, um Maßnahmen gegen den Aushang der Leutheuserschen Schrift zu beraten. Wir trafen uns nach d. Dienst in der Küche des Hausfrauenvereins. Sie berichtete empört über Schönefeld, der offenbar von irgendwelchen Schritten gegen den Aushang der Schrift abgeraten hatte. Sie hatte mit Dr. Büsing gesprochen, der [einen] Brief an Stier verfaßt hätte, den ich vor der Unterschrift lesen sollte. Nachmittags also zu Büsing. Der Brief war noch nicht fertig; Büsing las mir den Entwurf vor, ich bat um 2 Abänderungen. Ich war bereit gewesen zu unterschreiben. Das unterblieb, da die Reinschrift noch nicht vorlag. Dann ging ich zu Otto, um über uns. Plan zu berichten. Das Erste war sein zorniger Ausruf: »Da machen Sie nicht mit! Ich verbiete es Ihnen! Sie sollen mit dieser Sache nichts zu tun haben!« Natürl. bloß Sorge um mich. Ich fand die Sache ganz ungefährlich. Am nächsten Tag versuchte ich, einige Leute zur Unterschrift zu gewinnen – Erfahrungen mit Ther. Paulssen. Das ist doch ein elendes Gefühl wenn man sieht, wie kühl manche Menschen bleiben, wenn es an die Ehre des anderen geht. Nellessen war gleich bereit, kam aber ungeschickterweise nicht an. Am Montag Abd. wurde der Brief zu Stier getragen. Inzwischen erfuhr man, daß verschiedene Leute von sich aus geschrieben hatten. Frl. Helmbold hatte sich an die oppositionellen Kirchenvertreter gewendet u. bekam daraufhin merkwürdigerweise eine Antwort des Ortsgrupp.leiters der D.Chr. Thieme.58 Während ich Sonnabd. nachm. bei O. saß, rief Stier an u. fragte, was O. gegen den Aushang der Schrift getan hätte. O. erwidert: »Protest bei der Polizei. Wenn kein Erfolg, muß ich Versammlg. einberufen u. ›richtig stellen‹. Die Schrift wimmelt von falschen Angaben pp.« Schon am Montag ist die Schrift verschwunden gewesen. Was nun eigentl. gewirkt. hat, wissen wir nicht – ich vermute, die Drohung mit der Versammlung.

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Der Titel »Ortsgruppenleiter« (NSDAP) wurde bei den KDC nicht geführt; Thieme war vermutlich »Gemeindeleiter« oder »Kreisgemeindeleiter« der KDC.

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Ich vergaß noch: Am Freitag, vor dem Ausspracheabend, war Otto von einem Unbekannten ein vertrauliches Mitteilungsblatt der D.Chr. an ihre Gemeindeleiter zugegangen mit einen geradezu unglaublichen Bericht über Mihla!59 Da sähe man die Tätigkeit der Bekenntnisgemeinschaft, die überall die regierungsfeindlichen Elemente zusammenschlösse pp. Ein SA-Mann in Uniform sollte verprügelt worden sein, die Staatspolizei hätte sich mit der Sache befassen »müssen« u.s.w. Zuerst wurde der Pfr. v. Mihla von Otto informiert, der noch einmal Erhebungen anstellte. Tatsächlich ist der ganze Bericht erlogen.60 Der Mihlaer Oberwachtmeister hat darüber gelacht u. ungefähr gesagt: »Dagegen müßte man aber doch was tun, das ist ja zu toll!« Leider hat Rechtsanw. Prehn in Sonneberg, der Rechtsberater der Bekenntnisgemeinschaft geraten, von einer Anzeige beim Reichsstatthalter wie beim Reich abzusehen. Man könnte Otto zwingen, Aussagen zu machen, die auf die Spur desjenigen führen könnte, der ihm den Brief überschickt hat (es sind eben leider solche Anhaltspunkte vorhanden). Man kann den Bericht nur im Rundbrief an die Mitglieder verwerten. Es wäre zu wünschen, daß diese Briefsendung von der geh. Staatspolizei geschnappt würde! [Mit Bleistift:] Sonntag, d. 10.III.35 [Datierung unsicher: 10. März 1935] An dem Montag, glaube ich, 25. Febr., waren die Sonneberger Pfr. in Weimar, um gegen das Versammlungsverbot gegen die Bekenntniskirche im K.krs. Sonnebg. zu protestieren.61 Da R.A. Fiedler nicht konnte, ging Otto auch nicht mit. Die Herren haben dort nur mit dem zuständ. Kriminalbeamten gesprochen, der ihnen die Akten gezeigt hat. Darin fanden sich zahlreiche Beschwerden von Sonneberger D.Chr. mit Angaben, was die Bekenntnis.pfr. in Vorträgen od. Predigten alles gesagt haben sollten. Auf Grund dieser Beschwerden sei das Versammlungsverbot erlassen worden. Die Pfarrer haben dann eidesstattl. Versicherungen abgegeben, daß sie das nicht (!) bzw. was sie gesagt hätten. Inzwischen ist dann, wie O. uns letzt. Donnerstag (7.III.) sagte, das Versammlungsverbot aufgehoben worden.62 Gegen Hans Brauckmann [H.] ist jetzt in Mihla eine Hetze losgegangen, die auch mit sr. Betätigg. im Kirchenkampf zus.hängt. Z.Teil lächerliche Beschwerden sind bei der Kreisbauernschaft gegen ihn vorgebracht worden. (Z.B., daß Bärbchen [Brauckmann B.] bei der Schuleinführg. auf die Frage, was ihr Vater sei, »Stahlhelmer!« geantwortet, daß Annemarie [Brauckmann A.] »Guten Tag« statt »Heil Hitler« gesagt habe u.s.w.) Er hat sich vor d. Kreisbauernführer verantworten müssen. Dann hat er über die Zustände in Mihla ganz reinen Wein eingeschenkt u. z.B. die über den Stützpunktleiter Streck (der auch im Kirchenkampf eine entscheidende Rolle gespielt hat) umlaufende Gerüchte erzählt. Der hielte zu ihm, behauptet Hans [Brauckmann]. Aber

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Thüringen, in: KDC, Vertrauliche Nachrichten an die Gemeindeleiter Nr. I,1 von Mitte Februar 1935, LKAE, WB 2, 7. Karl Hoffmann, Noch einmal die Vorgänge in Mihla, Rundbrief der LBG 4/1935 (29. März), 7, LKAE, LBG 13, 89. Vgl. Tgb. 17. Februar 1935. Vgl. Schreiben des Oberpfarrers Lüdecke (Sonneberg) an den LKR der TheK vom 6. März 1935, LKAE A 783, mit Anlagen nicht foliiert.

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es käme noch eine mehrköpfige Kommission nach Mihla, um die Beschwerden gegen ihn näher zu prüfen. Im Lauf der nächsten 14 Tage wird Leffler von der Partei aus (Propagandarolle) in Mihla sprechen. Natürlich auch im Hinblick auf den Kirchenkampf gerade dieser Redner. Die andere von der Partei in Mihla geplante große Sache wird immer wieder verschoben. Am Donnerstag, den 28.II., bekamen wir oben im Vatikan63 wieder einmal einen engl. Presseausschnitt. Darin hieß es, der Reichsb. sei isolierter denn je. Führende D.Chr. seien überein gekommen, daß er nicht mehr zu halten sei. Er habe sich geweigert, zurückzutreten mit der Behauptg., daß er noch das Vertrauen des Führers hätte. Darauf habe man ihm aufgegeben, in d. nächst. Tagen eine Audienz bei Hitler nachzusuchen u. sich dessen Vertrauen bestätigen zu lassen (das sollte am 21.u. 22.II. gewesen sein).64 Die Zeitg. fügte hinzu, es sei nicht ohne Weiteres glaubhaft, daß der Führer noch Vertrauen zum Reichsbischof hätte, da Frick dem Reibi mitgeteilt habe, er könnte ihm die im Haushaltsplan f. d. geistl. Ministerium vorgesehenen Gelder nicht überweisen, da er den Vorwurf, seine Kirchenregierg. sei nicht rechtmäßig, nicht habe widerlegen können.65 – Die Zeitg. stellt dann Betrachtungen über einen event. Nachfolger von Müller an u. meint, daß Marahrens Aussichten hätte. An diesem Donnerstg. Abend las ich im »Lokalanzeiger«, daß der Reibi am Mittwoch, (den 27.II.) eine Audienz beim Führer gehabt hätte.66 Über die Ergebnisse nichts. Das war schon auffallend. – Am Abd. Bibelstunde. Alle zieml. entsetzt über die Nachricht dieses Empfangs u. zunächst mal voll Sorge. Ich versuchte, zu trösten mit dem Times-Artikel, fand damit aber wenig Anklang. Am Freitg., den 1. März, Saarfeier. Kein Dienst. Ich hörte die Rundfunkreden bei Lackner67. Hitler hatte abds. in sr. Ansprache einen ausgesprochen christl. Gedanken: » … die Geißel des Herrn hat uns geschlagen, um uns reif zu machen …«68 Am Sonnabd. früh ist Tegetmeyer von einer Berliner Reise zurückgekommen. Wie ich hörte, hat er berichtet, daß der Reibi von seiner Audienz beim Führer nicht ein Wort erzählt hätte. Der L.K.R. hat daraufhin festgestellt, daß das kein günstiges Zeichen wäre. Außerdem hat mir Frl. L. berichtet, Volk habe zu ihr im Vertrauen gesagt, er merke doch, daß ( )a … 63 64 65

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Ironisch für Pflugensberg. Zur damaligen – unhaltbaren – Position des Reichsbischofs vgl. Schneider, Reichsbischof, 212– 217. Vgl. Schreiben des Reichsinnenministers an den Reichsbischof vom 25. Januar 1935, in: Dokumente zur Kirchenpolitik II, 239–240. Der Reichsinnenministerium bestritt die »Gesetzmäßigkeit des Geistlichen Ministeriums« und wollte deshalb den Haushalt nicht genehmigen. Dazu vgl. Meier, Kirchenkampf II, 37. Renommiertes Café im Zentrum von Eisenach. Die Tagebuchschreiberin bezieht sich auf den folgenden Passus der Hitlerrede: »Wir mußten erst in Not geraten, um unser Volk reif zu machen für diesen Gedanken [der Volksgemeinschaft; Hg.]. Manchmal erfaßt uns eine Ahnung, daß das ganze Geschehen notwendiges Schicksal war, um uns dahin zu führen, wozu uns glücklichere Tage leider nicht bringen konnten. Die Ahnung, daß die Hand des Herrn uns schlagen mußte, um uns reif zu machen für dieses größte innere Glück, das es geben kann, das Glück des gegenseitigen Verstehens im eigenen Volke« (Domarus I/2, 486). Strichzeichnung Männerkopf, steht für Friedrich Bernewitz, vgl. Übersicht Strichzeichnungen.

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Am Sonntag Predigt von Otto in der vollbesetzten Nikolaikirche. Frau Otto [M.] erzählte mir auf d. Heimweg von einem Brief ohne Unterschrift, den sie bekommen hätten, der den Rückschluß des L.K.R. bestätige. ( )a Otto erzählte mir inzw. aus diesem Brief noch weiteres. Von wem diese Nachrichten stammen können, weiß er nicht. Ich weiß nicht, ob ich von dem kirchenregimentl. Umschwung in der Rheinprovinz schon berichtete.69 Dann sei es hier vermerkt. Am Sonnabd. oder Montag erschien das »Evangelium im III. Reich« mit folgenden Schlagzeilen auf der III. Seite oben: »Der Reichsbischof vom Führer empfangen! Marahrens im Ruhestand!«70 Wenn man nicht Bescheid wüßte, konnte man einen Schreck kriegen. Die »Absetzg.« von Marahrens ist jedenfalls nur von seinen etwa 20% D.Chr., die er in Hannover hat, getätigt worden u. nur für diese gültig. Im übrigen natürl. Quatsch. Sie schreiben weiter, nun sei natürlich kein Gedanke daran, daß der Reichsbisch. ginge usw. Gerade das Ev. im III. Reich hat wirklich schon Vieles gemeldet, was hinterher nicht stimmte. O. meint, die Reichsregg. würde viell. einen Staatskommissar einsetzen oder einen Minister »ohne Portefeuille«, der die ev. Kirche zu betreuen hätte. Dann sei natürl. immer noch die Frage, ob dieser Minister die Aufgaben bekäme, sich zu informieren oder ob er irgendetwas durchsetzen sollte pp. Das letztere scheint mir persönl. nicht recht glaubhaft. Die bisher. Erfahrungen mit der Kirche können nicht dazu ermutigen. Der Staat würde sich auch selbst desavouieren. Otto seinerseits gibt sich nicht gern Illusionen hin u. warnt davor, auf Menschen Hoffnungen zu setzen. Im Grunde die tapferere Haltung. »Trotz allem« fest stehen, auch wenn es Untergang bedeuten sollte. Der Sieg Christi ist gewiß aber natürl. nicht unser persönliches »rechthaben«: Christus siegt zum Schluß auch in dieser Welt, aber es ist nicht gesagt, daß wirs »erleben« werden. Am Donnerstag (7.III.) vorm. kam mit den Zeitungsausschnitten ein französischer aus Brüssel: »Die Leiterin des Hilfswerkes »Mutter u. Kind« sei von der geh. Staats-

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Unklar, auf welches Ereignis die Tagebuchschreiberin hier Bezug nimmt. [Titel:] »Der Reichsbischof beim Führer – Marahrens im Ruhestand!« [Folgt die redaktionelle Bemerkung:] »Wir haben den Redaktionsschluß dieser Ausgabe hinausgeschoben, um zwei Meldungen von ausschlaggebender Bedeutung unseren Lesern mitzuteilen:« [Folgt der Text der Mitteilung in hervorgehobenem Fettdruck] »Am 27. Februar wurde der Reichsbischof vom Führer empfangen. In etwa einstündigem Vortag konnte er dem Führer über alle schwebenden Fragen berichten. Über den genauen Inhalt der Besprechung kann selbstverständlich der Öffentlichkeit nichts übergeben werden. Aber die Tatsache dürfte feststehen, daß nunmehr alle Gerüchte über den Rücktritt des Reichsbischofs und über die Ablehnung der Person des Reichsbischofs durch den Führer jeder Grundlage entbehren. Man wird damit rechnen können, daß eine Klärung aller von der Opposition angezweifelten Rechtsfragen ihrer Erledigung zugeführt wird. Am gleichen Tage, dem 27. Februar, wurde durch Beschluß des Senats der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers Landesbischof Marahrens in den Ruhestand versetzt. Der Landeskirchentag berief den Superintendenten Rahn an seine Stelle zum Landesbischof« (Evangelium im Dritten Reich [Reichsausgabe] 4 [1935], Nr. 9 [3. März 1935], 67).

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polizei verhaftet worden,71 die Fäden reichten bis in die Nähe des Reichsbischofs, der bei seiner Unterredg. mit Hitler auch über diesen Punkt Aufklärg. hätte geben müssen. (Inzwischen ist übrigens eine Verordng. erschienen, durch die ein vom Reichsbischof gänzl. unabhängiger Finanzausschuß die Verfügg. über die Gelder der Reichskirchenregg. hat u. vom Innenminister zu alleräußerster Sparsamkeit verpflichtet word. ist. Die Verordng. ist sehr belastend für den Reichsbischf.)72 Am Abend fragte ich Frau Pfeiffer nach der Bibelstunde, ob sie über die Brüsseler Meldg. irgendetwas wüßte. Sie wußte sehr viel. Es handele sich um die uns allen bekannte Frau Klara Lönnies, die langjährig u. leitend tätig in der Ev. Frauenhilfe. Im Herbst, als mit den meisten evang. Verbänden auch das von Frau v. Grone geführte Frauenwerk sich der hinter Marahrens stehenden »Arbeitsgemeinschaft« anschloß73, hat Frau Lönnies diese Schwenkung offenbar nicht mitgemacht, sondern sei vom Reichsbischof zur Organisierung eines »illegalen« Frauenwerks herangezogen worden. Sie hat offenbar sehr eng mit ihm zusammengearbeitet, hat aber Unterschlagungen gemacht u. sitzt im Gefängnis! Ich fand es furchtbar. Ich habe mich ja immer gegen diese Frau ausgesprochen u. nicht begriffen, daß sie solchen Einfluß hatte, aber ich finde nun doch, es ist ein Schlag für alle evangel. Frauen, daß diese s.Zt. von ihnen herausgestellte Frau sich etwas derartiges hat zuschulden kommen lassen. Ihr Mann war übrigens Jude u. sie hat sich aus diesem Grunde von ihm scheiden lassen. Die Scheidg. aus diesem Grunde ist m.E. ebensowenig schön wie die Tatsache, daß sie den Juden heiraten konnte. Aus der Partei hatte sie ausscheiden müssen. Erstaunlich, daß der Reichsb. sich daran nicht gestoßen hatte. – Daß Frau Pfeiffer aber diese ganze Geschichte lächelnd u. strahlend erzählte, fand ich auch unbegreiflich. – Die »Basler Nachr.« brachten gestern die Nachricht kurz, mit d. Namen von Frau Lönnies aber ohne Hinweis auf den Reichsb. Dagegen mit Bezug auf die Evangel. Frauenhilfe. Ich habe den Eindruck, als ob dieses Blatt jetzt von den D.Chr. mit Nachrichten gespeist wird. Otto hat einen prachtvollen Aufsatz über das Bekenntnis im Thür. ev. Sonntagsbl. erscheinen lassen, ganz einfach u. einleuchtend, in Form eines Zwiegesprächs.74 Er sollte als Flugblatt verwendet werden u. lag deshalb mit entspr. Anfr. bei der zuständ. 71

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Die im folgenden geschilderten Vorgänge um die Person der Klara (Schloßmann-) Lönnies lassen sich nicht verifizieren; wohl aber wurde bekannt, dass sie sich als erklärte Nationalsozialistin aus offenkundig rassischen Beweggründen von ihrem jüdischen Mann hatte scheiden lassen, um im Dritten Reich Karriere zu machen (vgl. Kaiser, Frauen in der Kirche, 194). Gesetz über die Vermögensverwaltung in den evangelischen Landeskirchen Preußens vom 11. März 1935 sowie Begründung zum Entwurf eines preußischen Gesetzes über die Vermögensverwaltung in den evangelischen Landeskirchen vom 9. März 1935, in: Dokumente zur Kirchenpolitik II, 277–280. Vgl. dazu die folgenden Erklärung des Reichsbischofs: »Das bisherige ›Frauenwerk der Deutschen Evangelischen Kirche‹ (Leiterin Frau von Grone) einschließlich der Evangelischen ReichsFrauenhilfe hat sich von der gesetzmäßigen Deutschen Evangelischen Kirche (Reichskirche) gelöst und auf die Seite der ›bekennenden Kirche‹ gestellt. Damit ist die bewährte Linie evangelischer Frauenarbeit verlassen und die notwendige kirchenpolitische Neutralität aufgegeben« (GDEK 1935, 47). Vgl. dazu auch Fritz Mybes, Agnes von Grone, bes. 37–43. Zur Entwicklung der Frauenarbeit innerhalb der DEK für 1933–1935 vgl. Chronik der Kirchenwirren, 496–504. Ernst Otto, Ein Gespräch über das Bekenntnis (I). Gespräch über das Bekenntnis II., Thüringer Evangelisches Sonntagsblatt 57 (1935), 23–24. 95–96.

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Stelle in Weimar. Jetzt, nach 6 Wochen, kommt der Bescheid, daß das Flugblatt nicht genehmigt wird u. zwar mit Bezugnahme auf irgendeine Verordg. des Reichspräsidenten »zur Sicherg. von Volk u. Staat« oder so.75 Es ist enorm lächerlich u. Kommentar nicht nötig. Es wird nun natürlich versucht werden, die Sache beim Reich durchzusetzen. In Thür. ist ja immer das Leiden, daß Leffler als Führer der Dtsch. Chr. als Sachbearbeiter im Ministerium sitzt. Und das haben wir 1933 zunächst garnicht mal begriffen u. uns gefragt, warum Leffler wohl nicht Landesbischof geworden ist! Der LK.R. hat übrig. einen Beschluß gefaßt, daß Bauer [W.] (Volksd.) Mitglied des L.K.R. werden solle, sobald das die kirchenpolit. Lage erlaube.76 Sorge, der ja Mitglied des L.K.Tages ist (u. ziemlich oft schimpfen soll), hat Btz. darauf angeredet. Btz. hat erwidert, es fehle ja wohl noch an den Finanzen. Darauf Sorge: »Finanzen – is nichts.« Wir stehen finanziell sehr übel. Die Forderung Leutheusers nach 5 neuen Außenarbeitern im V.D. ist deshalb auch vorl. abgelehnt worden.77 Auch der Reichsbischof verlangt eine recht hohe Summe für sein Kirchenregiment als Zuschuß von den treugebliebenen Landeskirchen, die anderen zahlen ihm wohl nichts. Und für den Reichsnährstand78 müssen große Abgaben geleistet werden – kurz, Tegetmeyer hat schon Sorgen. Aber der wird wohl fest bleiben u. nicht nachgeben. Denn wenn das finanzielle Schlamassel erst mal da ist, bekommt er doch die Schuld. Manchmal bedrückt es mich, daß in diesem Tagebuch nur äußerliche Ereignisse etwas schnoddrig festgehalten werden. Als ginge es darum. Das liegt aber bloß an mir u. an der Eile mit der ich diese Notizen als Anhalt für die Erinnerung niederschreibe. Es läßt keinen Schluß auf E. Otto oder die Bewegg. in Thür. zu. Das sei denen gesagt, die viell. einmal diese Blätter zu Gesicht bekommen. Von Volks letzter mißglückter »Andacht« schrieb ich wohl.79 8 Tage später hielt Bauer [W.] die Montag-Morgenfeier, befriedigte aber auch den kritisch gewordenen und stark verärgerten Betrieb nicht. Sorge soll zu Stüber vor Zeugen gesagt haben, man solle doch endlich mal eine »richtige« Andacht halten, »ohne Pflaumen.« Danach sprach Dr. Brauer 8 Tage später, das wurde endlich anerkannt. Aber unsereiner saß 75 76

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Verordnung des Reichspräsidenten zum »Schutz von Volk und Staat« vom 28. Februar 1933, in: Kühnl, Der deutsche Faschismus in Quellen und Dokumenten, 192–193. »Nach Vortrag des Landesbischofs wird Einverständnis darüber erzielt, daß Dr. Bauer Mitglied des Landeskirchenrats wird, wenn die kirchlichen Verhältnisse geklärt sind und die Möglichkeit entsteht« (vgl. Protokoll der Sitzung des Landeskirchenrats vom 27. Februar 1935, LKAE, A 122, 3). Vgl. dazu die folgende aufschlußreiche Protokollnotiz: »Kirchenrat Leutheuser beantragt die Einstellung neuer Kräfte, um die Schulungsarbeit fortzusetzen. Er denkt zunächst für den 1. März oder 1. April an die Einstellung des Fabrikanten Basedow in Stadtroda als Laienprediger und des Landesschulungsleiters für Sachsen Poppe in Dresden zur Unterstützung des Lehrers Thieme. Für die Zukunft sind nach seiner Meinung 3 weitere Kräfte in Aussicht zu nehmen« (Protokoll der Sitzung des LKR der TheK vom 21. und 22. Februar 1935, LKAE, A 122, 7). »Die ständische Organisation der nationalsozialistischen Agrarpolitik. Der Reichsnährstand wurde am 13.9.1933 ins Leben gerufen. In ihm wurden sämtliche an der Erzeugung landwirtschaftlicher Produkte beteiligten Personen per Zwangsmitgliedschaft gleichgeschaltet« (Enzyklopädie des Nationalsozialismus, 686). Diese Andacht, die der Betrieb sehr übelgenommen hatte, hatte Volk am 11. Februar 1935 gehalten (vgl. Tgb. 17. Februar 1935).

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natürl. dauernd in Unruhe vor dem deutsch-christl. Endeffekt. Er blieb aber weg. Vorigen Montag sprach dann der Landesbischof, auch völlig einwandfrei. Der Betrieb atmete auf. (Sogar »Heil Hitler« blieb weg, was ja garnicht nötig gewesen wäre. Aber das ist auch ein Zeichen dafür, daß die tiefsten Ursachen des Kirchenkampfes völlig verkannt werden). Volk scheint ein Empfinden dafür zu bekommen, daß er sich mit seiner liebedienerischen Haltung wenig Ansehen erworben hat – d.h. der Grund ist ihm noch nicht klar, aber die Tatsache scheint ihm doch zu dämmern. Er hat das vertraulich etwa so ausgedrückt: »Die Tätigkeit der Juristen wird von diesen Herren ebensowenig gewürdigt wie von den früheren.« – Nun stimmt das durchaus nicht für die Tätigkeit von Franz. Die wird gewertet. Und Volk leistet ja tatsächlich recht wenig – der Beschreibung nach. Gestern früh hätte er z.B. stundenlang Zeitschriften gelesen u. dann Privatbriefe diktiert. Unsere übrigen Kirchenräte sind, soweit sie Nat.soz. sind, mächtig eingespannt mit Propagandareden für die Bewegung [KDC].80 Für die D.Chr. hat Lehmann übr. Redeverbot, hat schon zuviel Porzellan zerschlagen. D. 22.III. [22. März 1935] Am Dienstag, den 11.III. vorm., kam plötzlich ( )a aufgeregt in mein Zimmer u. fragte mich, warum der Reichsb. hier wäre, er sei im Haus! Ich wußte nichts. Kurze Zeit darauf ging ich ins unt. Stockwerk. Frl. S. aus der Zentrale: »Gehen Sie rasch in die große Halle, da kommt Jemand!« – Es war Engelke, der Reibi, Leffler u. Sasse, die in d. Wohnung des Labi gingen. Grüßten – wir grüßten wieder. Sasse kam heran: »Ich erwarte, m. Damen, daß Sie niemanden sagen, daß der Herr Reichsb. hier war.« Ich schwieg also wie ein Grab, selbst gegen Mutter. Abends (oder Mittw.?) redet mich erst Otto an: »Der Reichsb. ist ja oben!« Er war mit ihm in demselb. Zug am Montag von Wittenberg (Tagg. der Luthergesellsch.81 zwischen Theolog. u. Juristen) gekommen, hatte die Begrüßg. auf d. Bahnhof miterlebt u. war hinter Laue, der die Koffer trug, aus der Sperre gegangen (L. hat hinterher erzählt, daß Frau Sasse [K.] den Reibi mit ihrer Freundin auf d. Sofa sitzd. empfangen hätte!) Die Anwesenheit des Reibi blieb im Haus wirklich das Geheimnis weniger Leute. Wie gut mein Nachrichtendienst funktioniert, erfuhr ich bei dieser Gelegenheit; denn ich erfuhr es trotzdem von 4 Seiten. Die Aufregg. u. das Rätselraten u. Getuschel waren groß bei den Wenigen. Am Mittwoch früh wurde mir zugeflüstert, was der Zweck der Verhandlungen gewesen sei: »Ausgliederg.«.82 Warum die ganze Sache so geheim gehalten worden sei, hat Sasse Frl. Sommer erklärt: Er hätte vermeiden wollen, daß über die Anwesenheit des Reibi etwas in die Presse käme; die Berliner Dtsch. Chr. [RDC] sollten es nicht erfahren. Die Juristen sind übrigens bei den Verhandlungen nicht zugegen gewesen. Volk bestimmt nicht – 80 a 81 82

Davon ist im Tagebuch immer wieder die Rede; vgl. Tgb. 20. Januar 1934 und die hier einschlägige Fußnote. Strichzeichnung Männerkopf, steht für Friedrich Bernewitz, vgl. Übersicht Strichzeichnungen. »In Wittenberg 1918 gegründet, gelang ihr die Verbreitung von Forschungsergebnissen der ›Lutherrenaissance‹«; vgl. EKL³ 3 (1992), 229. Betr. die Wiederausgliederung der TheK aus der Reichskirche; zum Vollzug der Eingliederung vgl. Tgb. 13. Mai 1934.

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obwohl Frl. Linde sagte, es sei ursprüngl. vorgesehen gewesen. Bestimmt anwesend waren Sasse, Leffl., Leuth. u. Meyer-Erlach. Die anderen D.Chr. z.Teil verreist. Am Sonnabd. ist dann das Ausgliederungs-Gesetz im Kirchl. Anzeiger erschienen – möglichst unauffällig,83 damit die Gemeindeglieder es nicht begreifen. Denn es paßt schlecht zu den Reden der D.Chr. Laue hatte es denn auch richtig nicht erfaßt u. noch vorgestern Sommer erklärt: »Ausgegliedert? Das ist doch nicht wahr! Wer hat den Kohl wieder aufgebracht!« Man hat zunächst das Disziplinargesetz geänd. u. mit dem Begriff der »Treue« gg. den L.K.R. einen neuen Begriff eingeführt, mit dem man natürl. alles machen kann.84 Am Mittwoch Abd. begrüßten mich Mitzenh. u. Kühn übrig. im Geschichtsverein auch mit der Nachricht, daß auf d. Vatikan »hoher Besuch« gewesen sei. In der Presse ist nichts durchgesickert, auch die »Ausgliederung« ist nicht bekannt geworden – bisher. Ein Zeichen, wie wenig man sich im Allgem. um Thüringen kümmert. ( )a erzählte am Dienstag, die Haltg. der maßgebenden D.Chr., Sasse, Leuth. u. Leffl., sei nach der Abreise des Reibi durchaus nicht sieghaft gewesen. Sie hätten lange auf dem alten Tennisplatz gestanden, mit gesenkten Köpfen gesprochen, hilfslose Hand- und Fußbewegungen gemacht. Helmrich sagte, in der Züricher Ztg. hätte gestanden, die Forderg. des Reibi nach einem ev. Minister sei abgelehnt worden. Am Freitag Abend war Mitgliederversammlg. der Bekenntnisgemeinsch. Otto sprach 2½ Stunden lang. Bezeichnend war, daß Joh. Paulssen u. Frl. Sommer nicht hingegangen waren, weil sie gedacht hatten, Otto redete nur über Leuth. Schrift gegen ihn.85 Das ist wirklich schlimm, diese innere Haltg. der Stiftsgemeinde, die sich in 1. Linie nur für sich selbst interessiert. Otto gab u.a. den Bericht der Dtsch. Chr. über Mihla bekannt (die vorl. K.leitg. erhält ihn zur freien Verfügg.), las einen sehr interessanten Brief des Reichsjugendpfarrers Zahn an Baldur v. Schirach vor (in dem Zahn

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a 85

Bekanntmachung über das Gesetzgebungsrecht der Thüringer evangelischen Kirche vom 12. März 1935, ThKbl/A 1935, 5. Der entscheidende Passus lautet: »§ 2 Ein Dienstvergehen liegt vor, wenn ein Pfarrer Pflichten verletzt, die sich aus seiner Stellung als deutscher evangelischer Pfarrer oder aus seinem Dienstund Treueverhältnis gegenüber der Thüringer evangelischen Kirche ergeben. – Abweichungen in der Lehre fallen nicht unter das Gesetz« (Gesetz vom 12. März 1935 zur Änderung des Dienstvergehensgesetzes, ThKbl/A 1935, 6). Bis dahin lautete dieser § 2 folgendermaßen: »Ein Dienstvergehen liegt vor, wenn ein Pfarrer seine Amts- oder Standespflichten schuldhaft verletzt oder durch sein Verhalten in oder außer dem Amt sich der Achtung, des Ansehens und des Vertrauens unwürdig zeigt, die sein Beruf oder Stand erfordert. Abweichungen in der Lehre fallen nicht unter dieses Gesetz« (Anlage zu Anlage 9, Beschluss des Ersten Thüringer Landeskirchentags vom 18. Juni 1921, 10. Sitzung). Die Tagebuchschreiberin bezeichnet dieses »Gesetz über Dienstvergehen« nicht ganz korrekt als »Disziplinargesetz«. Strichzeichnung Männerkopf, steht für Friedrich Bernewitz, vgl. Übersicht Strichzeichnungen. Leutheuser, Die deutsche Christusgemeinde und ihre Gegner. Eine Antwort an Herrn Pfarrer Ernst Otto und die lutherische Bekenntnisgemeinschaft in Thüringen, Weimar o.J. [1934]; auf diese Schrift ist die Tagebuchschreiberin in einer Reihe von vorhergehenden Eintragungen immer wieder zu sprechen gekommen.

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ihm u.a. glatt vorwirft, er hätte »die Kirche hinters Licht geführt«)86 u. eine Denkschrift Hossenfelders über die kirchl. Lage, in der Hossenfelder die Thür. Bewegung der Deutschen Christen [KDC] in eine Gruppe zwischen die Dtsch. Glaubensbewegg. [DGB] u. die Dtsch. Christen [RDC] zusammen mit Rosenberg und Dinter, einordnet!87 (Gestern, Donnerstg. d. 21., erzählte übrigens Otto, die apologet. Zentrale88 hätte mit ihrem Schulungsmaterial eine ausgezeichnete Schrift von Schroth über die Thür. Bewegung [KDC] herausgebracht, mit sehr scharfen Formulierungen 89). Mein Referent erzählte, Hohlwein hätte kürzl. in einer Bibelstunde in Neuenhof den alten Pfr. Thieme [O.] angegriffen, der von Herrn v. Rotenhan verteidigt worden sei. Frl. v. Ranke sagte, Hohlwein hätte sich hinterher geschämt – damit ist die Sache aber leider nicht gut gemacht. Über das Erscheinen des Thür. Ausgliederungsgesetzes berichtete mir ein Anderer übrig. am Freitag u. vertraute mir an, man habe vor Erlaß »in Berlin« antelephoniert (wo wurde nicht gesagt). Die Antwort scheint unbestimmt gewesen zu sein, so etwa in dem Sinne: »Ihr könnt ja versuchen, wie weit Ihr damit kommt.« Man begründet die Ausgliederg. mit einem Notstand u. erklärt die Eingliederg. vom Mai 34 für ungültig mit der Behauptung, es sei keine Stelle dagewesen, die die Eingliederung rechtmäßig habe vollziehen können u. beruft sich dabei auf Marahrens, der in einem ähnlichen Fall so argumentiert habe. – Der alte L.K.Tag mit Ernst Otto pp. sei nun wieder erstanden! (Das Vertrauen dieses Referenten war mir erstaunlich! Besonders die Mitteilungen über die Anfrage in Berlin). Spigath hat in der vor. Woche einem Vertrauensmann gesagt, er sähe sehr schwarz über die Zukunft der Kirche. Wir nehmen an: der Deutschen Christen. Es ist bekannt, daß deren Versammlungen fast durchweg schlecht besucht sind. Jansa hat von einer Versammlung in Förtha erzählt, bei der »niemand« gewesen sei. »Ich habe noch genug von meinen Erfahrungen in Rudolstadt – da hat auch nichts geklappt. Ihr nehmt Euch zuviel vor!« (Man muß nur einmal den Versammlgsplan in den »Briefen an Dtsch. Chr.« lesen!)90 Männel erzählt »von Eisfeld, es sei der »N.S.-Frauenschafts-Chor« u. 4 Männer dagewesen. Nach 2 anderen Ortschaften gefragt, erwidert er »Das war nichts« u. schimpft auf Dobenecker. Säuberlich-Mengersgereuth soll nach 86

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Gemeint ist wohl einer der beiden Briefe, die Zahn am 14. und 26. November 1934 an von Schirach geschrieben hat (vgl. Siekmann, Die evangelische Jugendarbeit, 274–275). Zum Sachverhalt auch die massive Klage Zahns über die Beeinträchtigung der Jugendarbeit und die antichristliche Beeinflussung der Jugend in seiner Denkschrift von Juli 1934 an die Reichsregierung (vgl. Tgb. 5. Januar 1935). Gemeint ist der von Hossenfelder am 30. Januar 1935 veröffentlichte »Bericht über die kirchliche Lage« (vgl. Vehse, Hossenfelder, 97). Der »Bericht« ist abgedruckt im Rundbrief Nr. 37 vom 28. März 1935 des Präses der Bekenntnissynode der DEK (Bad Oeynhausen), 5–8, liegt aber auch in maschinenschriftlicher »Abschrift« vor (beide Dokumente: LKAE, LBG 9; keine Paginierung). Die Angabe der Tagebuchschreiberin trifft zu. Apologetische Centrale Berlin-Spandau, 1921–1935, widmete sich dem Gespräch zwischen Naturwissenschaft und Theologie; vgl. Jürgen Hübner, Art. Naturwissenschaft und Theologie, EKL³ 3 (1992), 649. Vgl. Schroth, Der Weg der deutschen Nationalkirche, 1935; vgl. dazu auch Tgb. 22. März 1935. Vgl. z.B. »Unsere Redner sprechen«, BrDC 4 (1935), 35 (vom 1. Februar 1935).

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der Konfirmation beurlaubt werden (Protokoll!)91 Er weiß es noch nicht. Es wird bald dieser, bald jener Pfr. oder Hilfspfr. auf den Pflugensberg bestellt, weil über ihn Beschwerden gekommen wären. Diese Beschwerden sind z.Teil lächerlich. Ein Hilfspfr. wird jetzt abgesetzt, weil er sich respektlos in einem Schreiben gegen den L.K.Rat ausgedrückt haben soll. Ich habe die Briefe gelesen – lächerlicher Vorwand. In Preußen ist die Kirchensteuer vom Ministerium herabgesetzt worden u. die dort schon bestehende staatl. Kontrolle der kirchl. Ausgaben verschärft worden.92 Das ist wohl ein Vorspiel zur kommenden staatl. Zwangswirtschaft in der Kirche. Ein Pfr. aus Greiz, Grunz, hätte eine sehr lahme, ängstliche Schrift gegen Leutheuser geschrieben.93 Daß bei einem Vortrag von Leutheuser in Creuzbg. neulich nur der Kirchenchor, der zum Singen bestellt war, gekommen war, ist Tatsache. Am Sonnabd. kamen sehr interessante Nachrichten der »Times«. 23.III. [23. März 1935] Es war darin von verschied. Plänen die Rede, die bei d. Regierg. bestanden hätten. Es sollte eine künstliche Krisis geschaffen werden; dann sollte der Staat eingreifen, der Reichsb. sich unter dem Vorwand einer Neuorganisation zurückziehen u. Marahrens Reichsb. werden! Das klingt sehr phantastisch! Am Sonntag vor 8 Tagen ist in den Kirchen der preuß. Union eine Kundgebg. gegen die neuen Heiden verlesen worden, die auch an der Stellg. der neuen Heiden zum Staat Kritik übt.94 Sie sagt darüber wirklich das Letzte. Die hat ungeheures Aufsehen gemacht.95 Die Times behaupten nun, das wäre schon der Anfang der geplanten Krise. 91

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»2. Pfarrer Säuberlich in Mengersgereuth. Kirchenrat Stüber beantragt nach Vortrag, auf Grund von § 46 in Verbindung mit § 115 der Verfassung und mit dem Ermächtigungsgesetz Pfarrer Säuberlich auf eine andere Stelle zu versetzen und zu beschließen, daß die Kirchenvertretung als gehört gilt, und daß die Pfarrerkonferenz nicht gehört wird. Es wird beschlossen, zunächst mit Pfarrer Säuberlich in dem Sinne zu verhandeln, daß er selbst sich um eine andere Stelle bewirbt. Nach Abhalten der Konfirmation soll er beurlaubt werden. Die Anwendung des § 46 wird darnach in Aussicht genommen« (Protokoll der Sitzung des LKR der TheK vom 5. März 1935, LKAE, A 122, 13). Vgl. Runderlaß des Reichs- und Preußischen Ministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung betr. Senkung der Kirchensteuer vom 8. März 1935, in: Dokumente zur Kirchenpolitik II, 272–272. Grunz, Kirche und Volksaufbruch in der Begegnung!, o.O. u. o.J. [vermutlich Greiz 1935]. Der Verfasser, Lic theol. Alfred Grunz, schreibt in seiner Funktion als »1. Vorsitzender der Kreisgruppe Reuß-Greiz der Allgemeinen Evangelischen Lutherischen Konferenz«. Die Schrift ist eine Auseinandersetzung mit Leutheuser. Grunz kritisiert nicht »die Tiefe und Echtheit des völkischen Erlebnisses« als »Grundwertmoment« bei ihm, wohl aber dessen Sakrifizierung, ein Ansatz, der »eine wirkliche Festhaltung an der biblischen Offenbarung« nicht zulasse, obwohl Leutheuser diese nicht grundsätzlich bestreite (ebd., 9–10). Vgl. Wort der Bekenntnissynode der Evangelischen Kirche der altpreußischen Union an die Gemeinden vom 4.–5. März 1935, KJ 60–71 (1933–1944), 90–91. In ähnlicher Weise hatte die VKL bereits am 21. Februar votiert; vgl. KJ 60–71 (1933–1944), 89–90. »Diese Kundgebung hatte eine außerordentliche Wirkung. Unzählige Pfarrer wurden verhaftet oder auf andere Weise gehindert, diese Kundgebung nach Beschluß der Synode von der Kanzel zu verlesen. Es erhob sich allenthalben stärkste Diffamierung der Bekennenden Kirche seitens der

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Das ist doch aber ausgeschlossen; denn zu einem Theater gibt sich Niemöller nicht her. – Ein weiterer Plan soll darin bestanden haben, Marahrens zum Erzbischof zu ernennen u. dem Reibi einen mehr dekorativen Posten zu belassen. Das sei daran gescheitert, daß die Bekenntnisgemeinsch. jede Zusammenarbt. mit Müller [L.] ablehne. Das klingt schon wahrscheinlicher. Am Sonnabend, d.16.III., Abd. kam ich zieml. spät zu Ottos, um ihnen die »Basler« zu bringen. Frau Otto [M.] machte mir auf: »Gott sei Dank, daß ein Mensch kommt! Wir sind noch ganz erschlagen. Eben ist der Kriminalkomm. fort!« Otto saß lächelnd am Schreibtisch, aber etwas müde u. erschlagen. Er sei mitten in der Predigt von der Krim.polizei gestört worden, die ihn vernommen u. den Rest der Niemöllerschen Kundgebg. gegen das Neuheidentum bei ihm beschlagnahmt habe. Glücklicherweise seien die f. d. Pfr. der Bek.gemeinsch. bestimmten Stücke schon fort gewesen. Er habe – schweren Herzens – einen Revers unterschrieben, mit dem er sich verpflichtete, die Kundgebg. nicht zu verlesen, sie den Gemeindegliedern auch nicht auf andere Art bekannt zu geben. Da er sie ohnehin nicht habe im Gottesdienst verlesen wollen – sie sei den außerpreußisch. Gemeinden nur zur Kenntnis zugegangen – habe er es getan. Leider sei zur Verlesg. der Kundgebg. gest. Abend keine Zeit mehr gewesen. – (Das ist sehr schade). Er predige ohnehin über die Gedanken, wie sie die Kundgebung ausspräche. Das Unterbleiben der Verlesg. bedeute also nichts Entscheidendes. – Der Krim.kommissar sei selbst ganz verstört gewesen über alle diese Dinge u. habe gesagt, er verstünde es nicht. Sonntag, 24.III. [24. März 1935] Am Montag Abd. (18.III.) ist Otto erneut verhört worden u. zwar, weil er die Kundgebung Niemöllers an die and. Thür. Bekenntnispfr. weitergegeben hat.96 Das sei »Weitergabe staatsgefährlicher Schriften«. Es stehen 2 Jahre Gefängnis darauf. Er hat dazu ausdrücklich erklärt, daß er voll u. ganz hinter der Kundgebung stünde u. hat alle and. Bekenntnispfr. in Thür. aufgefordert, sich mit ihm solidarisch mit den Bekenntnispfarrern in Preußen, die die Kundgebung verlesen haben, zu erklären. Ich las das Schreiben, das noch am Montagabend hinausgehen sollte, in Wachsplatte. Am Dienstag früh teilten die Basler Nachrichten mit: 530 Pfr. der Bekenntnisfront verhaftet! (Diese Nachricht erfüllte mich plötzl. mit Hoffnung – warum weiß ich nicht.97) Am Mittwoch: Die

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Partei, vor allem in ihrer Presse. Auch die deutschchristlichen Kirchenführer in Preußen sahen sich veranlaßt, zu dieser Sache etwas zu erklären [folgt der Text der Erklärung]« (KJ 60–71 [1933–1944], 92). Vgl. dazu »Die Vorläufige Leitung der Deutschen Evangelischen Kirche grüßt alle Gemeinden, Pfarrer und Ältesten und wünscht Ihnen Gottes Segen« ([Erster gedruckter] Rundbrief [der LBG in Thüringen] 3/1935, 3); unter dieser Überschrift findet sich die Kundgebung gegen das Neuheidentum der VKL; der Text identisch mit dem Abdruck in KJ 60–71 (1933–1944), 89–90. Die nächste Nr. 4 der Rundbriefe war bereits die letzte; sie wurden beschlagnahmt. Vgl. den Aufruf von Präses Koch: »Fast 500 Pfarrer der evangelischen Kirche der altpreußischen Union sitzen in Haft. Sie hatten Weisung, das Wort ihrer Bekenntnissynode gegen das Neuheidentum den Gemeinden bekanntzugeben. Das Wort der Kirche an ihre Glieder, das zu sprechen das Evangelium sie verpflichtet, ist dadurch unterbunden (Chronik der Kirchenwirren, 485). Nach anderer Zählung sollen es ungefähr 715 Pfarrer gewesen sein (vgl. Aichelin, Paul Schneider, 101).

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Verhaftungen der Bekenntnispfr. gehen weiter! (Mit Einzelheiten, bes. betr. Jacobi98). Mittwoch nachm. kam ich mit diesem Blatt zu Ottos. Frau Otto [M.] machte mir die Haustür auf u. ich sah gleich an ihrem Gesicht: Sie hatte gute Nachrichten. Die vorl. Kirchenleitg. hatte mitgeteilt: Dienstag nachm. 2 Uhr seien alle verhafteten Pfr. in Freiheit gesetzt worden.99 Präses Koch hätte die weitere Verlesg. der Kundgebg. angehalten. Daraus schlossen wir, daß die Dinge gut stünden. Denn wir sagten uns: Stünden sie schlecht, dann würde die Sache von seiten der Bekenntniskirche durchgebogen [sic!] u. nicht gestoppt werden. Das war also am Mittwoch. Seither ist unsere Zuversicht wieder gesunken. Es verlautete bisher nichts über die Berliner Verhandlungen. Sasse ist Dienstag Abd. mit Leffler nach Berlin gereist u. wurde Freitag mittag zurückerwartet – war aber Sonnabd. mittag noch nicht da. Ottos hatten Freitag eine Mitteilung der Brandenburger Synode, unterschrieben »Dibelius« (in Abschrift zur Kenntnis) erhalten, die rechtzeitige Verhaltungsmaßregeln für Sonntag (24.III.) ankündigte. Es handelt sich wohl um das weitere Verlesen der Kundgebung.100 Wir hielten das für kein gutes Zeichen. (Diese Vorgefühle können nicht definiert werden. Man hat sie beständig u. hat schon gelernt, sie zu ertragen u. sich seine Entschlossenheit nicht dadurch beeinträchtigen zu lassen). Auch die »Basler« wissen nichts. Die heutige behauptet, die Anzeichen stünden nicht gut für den Reibi. Auch die Dtsch. Chr. rückten von ihm ab. In Rheinld. u. Westfalen ist die Kundgebg. übr. weithin verlesen worden (auch von Baudert), es sind aber keine Verhaftungen erfolgt. Sommer hatte den »Gemeindeleiter der Dtsch. Chr.«, Eckardt, gefragt, wie es mit dem Reibi jetzt stünde. »Oh, der Reibi steht so hoch wie noch nie«, hat der überzeugt geantwortet. »Na, und wie steht es mit Thüringen? Wir sind doch ausgegliedert?« »Ach, keine Spur! Wir haben »bloß« das Gesetzgebungsrecht wieder bekommen!« Offenbar ist Eckardt wirkl. so unbegabt, nicht zu merken, was das »Gesetzgebungsrecht« bedeutet. Mit Volk hatte ich ein Gespräch abends auf d. Heimweg. Ich habe ihm gesagt, daß ihm vorgeworfen worden ist, daß er Frl. Linde so lange über die Zeit hinaus beschäftigt u. daß das Wort gefallen ist »Mit dem wird auch noch abgerechnet.« Ich fürchte, er sieht nichts ein u. beruhigt sich dabei, daß auch dem Landesbischof Ähnliches vorgeworfen wird. Namen habe ich nicht genannt, auch nichts angedeutet, sodaß er auf die Spur kommen könnte. – Frau Sasse [K.] hat ein Mädchen entlassen u. die hat im Haus erzählt, Frau Sasse hätte ihr einen mißratenen Schokoladenpudding ins Gesicht geworfen. Das wird bezeichnenderweise geglaubt. Von Bauer [W.] werden schlimme Dinge erzählt – überall mit Hohn dieses Verhalten an den großen Worten gemessen. Jansa hat vor 8 Tagen eine fanatische Morgenandacht im Betrieb gehalten. Er geht mir aus dem Weg u. wenn wir uns begegnen vermeidet er mich anzusehen. Und solche Leute wollen »Volksgemeinschaft« bauen. 98 99 100

Vgl. Chronik der Kirchenwirren, 483. Die Pfarrer wurden am 21. März 1935 wieder entlassen (vgl. Chronik der Kirchenwirren, 485). Sie wurde für den 24. und 31. März wieder genehmigt, nachdem in den Verhandlungen der BK mit Frick klargestellt worden war, dass sich die Kundgebung ausschließlich gegen das Neuheidentum richtete (Chronik der Kirchenwirren, 485).

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(Bachfeier am 21.: Glocken im Rdfunk. Breithaupt – eine halbe Stunde vorher die Läuter im Auto zusammengeholt – der Obpfr. hört am Rdfk. …). 27.III.35. [27. März 1935] Die Woche begann gestern, Montag früh, mit einer Andacht von Lehmann über den Text »Wer nicht mit mir sammelt, der zerstreut.«101 Dazu wurde ein Marschlied der Deutsch. Christen gesungen, das einfach als Choralersatz toll war.102 – Kurz danach kam ( )a in mein Zimmer: »Na, was sagen Sie zu dem Choral?« Ich sagte meine Meinung u. darauf packte er aus. Aber wie! »Ich bin zwar Deutscher Christ, aber ich komme immer mehr davon ab.« Und dann kam eine lange Geschichte, wie ein Freund von ihm, selbst Deutscher Christ, von Lehmann behandelt worden sei. Er kochte einfach über. Das Gespräch dauerte etwa ¾ Stunden. Ich war doch sehr erstaunt über dieses große Vertrauen gerade dieses Mannes. Es war nur der Anfang von einer ganzen Reihe von Einblicken, die dieser Tag brachte. Ein anderer Besuch kam. Ich bekam eine Reihe von Briefen, die an den Landesob.pfr. gekommen waren, zu lesen. Ich kann nur den allgemeinen Eindruck festhalten: Haufenweise sehr oberflächliche, offenbar bestellte Beschwerden über Pfr. u. Hilfspfr. Nichts begründet, keine Einzelheiten, nur etwa so: »unerhörter Angriff gegen die Bewegung am gestrigen Heldengedenktag« … »Beschimpfungen …« usw. Dann eine sehr interessante Schilderung, wie in 2 Dörfern das Eindringen der deutschen Glaubensbewegg. in die SS gewirkt hat. Die SS singt christentumsfeindliche Lieder, darf sie zwar nicht in der Öff.keit singen, aber unter sich. Die Texte sind bekannt (befanden sich in einem Eingang, den ich schon neulich einmal las. Letzter Vers des einen Liedes: »Schmeißt den Papst u. den Reibi raus!« oder so ). Der betr. Pfr. hatte einen Vortrag gegen die Glaubensbewegg. geplant, aber Stüber hatte in einer Unterredung davon abgeraten!!!! Er solle den beunruhigten Leuten nur sagen, die Kirchenbehörde würde das schon in Ordnung bringen! Das Gewissen des Pfarrers war aber trotzdem nicht beruhigt gewesen. Er käme sich wie ein Mietling vor, wenn er nichts dazu sagte. Er wollte 2 Vorträge halten, Thema etwa: Der Glaube unserer Ahnen u. unser Glaube. Die Richtlinien dieser Ausarbeitungen legte er seiner »Führung«, dem L.K.R., zur Prüfung vor. – Wenigstens hatte er es gewagt, der SS einen kirchlichen Saal zu verweigern weil man ihm nicht zugestehen wollte, eine Viertelstunde lang auf der geplanten Zusammenkunft zur SS über die christentumsfeindl. Lieder zu sprechen. Sasse hatte eine begeisterte Anerkennung dieses Verhaltens darunter geschrieben. – Mich erschüttert bei dieser Sache die Haltung von Stüber. Welche Feigheit. Natürl. ist nicht er allein verantwortlich; das ist das Ergebnis der Besprechungen im L.K.R.. Das wollen »Kämpfer« sein! Nachdem ich diese Eindrücke verarbeitet hatte, bekam ich noch d. Protokoll einer Sitzg. des L.K.R. zu lesen, das einen Begriff gab von dem Kampfgeist, der gegen hilflose Hilfspfr., die der Bekenntnisfront angehören, entwickelt wird. Es war eine ganze 101 102 a

Mt 12,30. Vermutlich nach dem Liederbuch »Unsere Kampflieder«, hg.v. Pfarrer- und Lehrerkreis des Wieratales, Verlag Deutsche Christen Weimar 1933. Strichzeichnung Männerkopf, steht für Friedrich Bernewitz, vgl. Übersicht Strichzeichnungen.

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Reihe von ihnen, die nicht mehr nach dem 1.7. verwendet werden sollen.103 Sie liegen dann also auf der Straße. Eine Reihe von Maßnahmen gegen Pfarrer. Korth-Propstzella bekommt kein Gehalt mehr.104 Säuberlich soll »beurlaubt« werden u.s.w.105 Dagegen: Ein Dresdener »Schulungsleiter«, Popp, wird ab 1.4. im V.D. eingestellt, ab 1.7. endgültig.106 Eine junge Dame wird im V.D. endgültig angestellt.107 Wegen Anstellg. eines Organisten Schwadtke aus Meißen soll verhandelt werden u.s.w.108 Von dieser Sitzg. 22.3. hatte man mir erzählt: »Man hörte immer wieder Tegetmeyers Stimme, der schimpfte. Ein Satz v. Leuth. lautete: »Ja, wir müssen aber jetzt ganz anders vorgehen u. dazu brauchen wir das Geld.« Die Versorgungsabteilung zahlt schon seit Monaten Reisekosten des Volksdienstes nur noch aus, wenn die Anweisg. vom Labi gegengezeichnet wird. Kürzl. hat einer meinem Vertrauensmann eine Reisekostenrechng. von Leutheuser gezeigt mit den Worten: »Was sagen Sie dazu? Das nenne ich Korruption.« Er hatte Verschiedenes darin gestrichen. Sasse ist also von Berlin zurück. Verschiedene haben festgestellt, daß er sehr niedergeschlagen sei. Volk hat gestern folgendes Bulletin ausgeben: »Es ist schrecklich, sie können sich immer noch nicht einigen. Jetzt kommt noch eine Unterredung u. dann die Entscheidung. Wahrscheinlich wird Stuckart die Sache in die 103

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So wurde beschlossen, dem Hilfspfarrer Raatz-Schalkau b. Sonneberg zu eröffnen, dass er mit seiner weiteren Verwendung in der Thüringer evangelischen Kirche nicht mehr rechnen könne. Über den 1. Juli hinaus könne er nicht weiter beschäftigt werden. Mit dem Hilfsprediger GraserSchalkau b. Sonneberg solle zunächst noch einmal gesprochen werden. Aber schon bis zum 1. Juli solle seine Stelle durch einen andere Hilfskraft besetzt werden; vgl. Protokoll der Sitzung des LKR der TheK vom 22. März 1935, LKAE, A 122, 16. Raatz hatte Kirchenrat Lehmann in einem Schreiben vom 10. November 1934 der »die Gewissen verwirrenden Irrlehre« bezichtigt; vgl. Rundbrief 39/1935, 5, der Bekenntnissynode der Deutschen Evangelischen Kirche [Bad Oeynhausen]). Graser wurde befragt, ob er noch mit Hilfspfarrer Raatz übereinstimme. Als er dies bejahte, wurde er zum 30. Juni 1935 entlassen; vgl. Rundbrief 39/1935, 5, der Bekenntnissynode der Deutschen Evangelischen Kirche [Bad Oeynhausen]. Zu diesen und anderen Fällen in Thüringen vgl. die Übersicht in: Chronik der Kirchenwirren, 501. »Pfarrer in Probstzella, der schon seit einem Jahr im Wartestand ist, ist das gesamte Gehalt vom 1. April ab gesperrt worden, da er sich weigert, in eine andere ihm vom Landeskirchenamt zugewiesene Dienststelle überzusiedeln« (Rundbrief 39/1935, 5, der Bekenntnissynode der Deutschen Evangelischen Kirche [Bad Oeynhausen]). Zum »Fall Korth« vgl. Tgb. 23. Mai 1934. Säuberlich sollte zwangsversetzt werden; bis diese Versetzung aber wirksam werden konnte, sollte er beurlaubt werden; vgl. Protokoll der Sitzung des LKR der TheK vom 22. März 1935, LKAE, A 122, 16; vgl. auch die Mitteilung in: Rundbrief 39/1935, 5, der Bekenntnissynode der Deutschen Evangelischen Kirche [Bad Oeynhausen] und Tgb. 22. März 1935. Protokoll der Sitzung des LKR der TheK vom 22. März 1935, LKAE, A 122, 16. Es handelt sich um die Hilfsarbeiterin Elfriede Schmidt. Ihr wurde zunächst bis zur endgültigen haushaltsplantechnischen Regelung ein Pauschbetrag zugestanden sowie Reisekosten; vgl. Protokoll der Sitzung des LKR der TheK vom 22. März 1935, LKAE, A 122, 16; zum 1. Juli 1935 wurde sie endgültig in Besoldungsgruppe V eingestellt; vgl. Protokoll der Sitzung des LKR der TheK vom 7. und 8. Oktober 1935, LKAE, A 122, 54. Schmidt war Jugendpflegerin; vgl. zum Vorgang das Schreiben Ottos der LBG Thüringens an die Vertrauensmänner der Arbeitsgemeinschaften vom 20. Mai 1935, LKAE, LBG 291, 164. Protokoll der Sitzung des LKR der TheK vom 22. März 1935, LKAE, A 122, 16.

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Hand bekommen.« (Stuckart ist der Mann des Reichsbischofs). Und heute: »Man wartet nur noch den Besuch der Engländer (Simon und Eden) ab, dann wird die Kirchenfrage erledigt – in den nächsten 2 Wochen«. (Dazu sagt L.: »Das klingt genau wie Anfang Januar: Laßt erst mal die Saarabstimmung vorüber sein, dann macht Hitler Schluß mit der Bekenntniskirche«). Phieler hat heute zu Frl. Sommer gesagt: »Na, nun kriegen wir die Staatskirche. Da sieht ja die Bekenntnisbewegung, was sie mit ihrer Halsstarrigkeit gemacht hat« (»Kompromisslosigkeit« heißt das sonst im Jargon der Dtsch. Chr.). Vor Monaten hieß es, der Staat wolle sich von der Kirche endgültig trennen, ein entsprechendes Gesetz läge im Ministerium bereit. Damals hieß es auch: »Da sehen ja nun die Bekenntnischristen, was sie gemacht haben!« Englische Blätter warnen den Staat, er mache aus einer rein religiösen Frage eine sehr gefährliche politische Frage. Monatelang wurden die Leiter der Bekenntnissyn. nicht mehr in dem Ministerium empfangen! Soweit ich mich erinnere nicht seit der verheerenden Rede Fricks im November 109, wo er behauptete, in der Bekenntnisfront säßen staatsfeindliche Elemente. Am Mittwoch u. Donnerstag hat Frick mit dem Bruderrat der altpreuß. »Union« [APU] (Niemöller?) verhandelt, Präses Koch mit 2 Pfarrern u. Niemöller wurden zugezogen (sagte mir O. Sonntag Abd., es stand auch in der »Basler«). Heute, 27.III. meldet die »Basler« eine stundenlange Besprechung Frick-Marahrens am Sonnabend.110 Im übrigen Versteifung der Fronten. In Preußen haben diejenigen Pfr., die die Kundgebung der Dahlemer Synode gegen das Neuheidentum noch nicht verlesen hatten, sie am 25. verlesen mit einer »Präambel, in der betont wurde, daß die Kundgebg. sich nicht gegen den Staat richtete«.111 Geheimpolizisten in allen Bekenntnisgottesdiensten aber keine Eingriffe.

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Gemeint ist die Rede des Reichsinnenministers in Stuttgart am 7. Dezember 1934, in: Dokumente zur Kirchenpolitik II, 231–232. Vgl. Tgb. 9. Dezember 1934. Zu den unterschiedlichen Besprechungen betr. die Kundgebung der Bekenntnissynode der Altpreußischen Union gegen das Neuheidentum vgl. Chronik der Kirchenwirren, 485. »Am 23. März 1935 empfing Reichinnenminister Frick den VKL-Vorsitzenden Marahrens zu einer mehrstündigen Unterredung und stellte ihm in Aussicht, ›in kürzester Zeit eine klare und eindeutige Entscheidung‹ in der Kirchenfrage herbeizuführen« (Besier, 67). Chronik der Kirchenwirren, 485. Gemeint ist hier nicht die 2. Reichsbekenntnissynode vom Oktober 1934 mit der Proklamierung des kirchlichen Notrechts, sondern die 2. Bekenntnissynode der evangelischen Kirche der altprotestantischen Union vom 4. und 5. März 1935. Das hier beschlossene »Wort an die Gemeinden« wendet sich gegen die deutschgläubigen Bestrebungen und gegen das sog. »Neuheidentum«: »Wir sehen unser Volk von einer tödlichen Gefahr bedroht. Die Gefahr besteht in einer neuen Religion … Die neue Religion ist Auflehnung gegen das erste Gebot … 1. In ihr wird die rassisch-völkische Weltanschauung zum Mythus. In ihr werden Blut und Rasse, Volkstum, Ehre und Freiheit zum Abgott. 2. Der in dieser neuen Religion geforderte Glaube an das ›ewige Deutschland‹ setzt sich an die Stelle des Glaubens an das ewige Reich unseres Herrn und Heilandes Jesus Christus. 3. Dieser Wahnglaube macht sich seinen Gott nach des Menschen Bild und Wesen. In ihm ehrt, rechtfertigt und erlöst der Mensch sich selbst. Solche Abgötterei hat mit positivem Christentum nichts zu tun. Sie ist Antichristentum« (Chronik der Kirchenwirren, 479). Zur Kundgebung vgl. Tgb. 23. März 1935.

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S. erzählte mir übrigens, Lehmann hätte einen Antrag auf Ehrenkreuz als Kriegsteilnehmer stellen wollen, aber darauf verzichtet, als er gelesen hätte, daß genaue Angaben über mitgemachte Kampfhandlungen pp.verlangt würden. L. hat erzählt, […] Bauer [W.] u. Thieme hätten sich darüber unterhalten, daß man hoffentl. Lehmann bald los würde. »Vielleicht nimmt ihn der Oberkirchenrat (Berlin) [EOK]!« Heute folgendes Erlebnis: Ich komme ins Archiv. Dort schwingt Haugk große Reden. 3 Zuhörer. Ich entnehme: Bei einer Veranstaltung der D.Chr. gestern Abend (geschloss. Mitgliederversammlg. der Nordgemeinde, sagte später Helmrich) hat einer gesagt (Thieme, erfuhr ich später) :»Die Deutsche Glaubensbewegg. [DGB] ist mir lieber als die Bekenntnisgemeinschaft«. Das ist entschieden eine erfreuliche Offenheit. Helmrich bestätigte den Ausspruch, nannte aber keinen Namen. Aus den Gesprächen der anderen erfuhr ich, daß er Thieme entgegengetreten war. Er hatte verlangt, die Dtsch. Chr. sollten gegen die Glaubensbewegung [DGB] Stellung nehmen u. dabei mit der Bekenntnisbewegg. zusammen arbeiten. »Kommt garnicht in Frage«, hatte Thieme geantwortet. Ich konnte nicht umhin, mich einigemale ins Gespräch zu mischen. Steinbach machte die niederträchtige Bemerkg., wenn man die Pfr. auf 20% ihres Gehalts setzte, wäre gleich Frieden! Offenbar ist er selbst ein Mensch, dem man seine Gesinnung abkaufen kann, sonst würde er das anderen nicht zutrauen. Haugk verteidigte seinen Standpunkt sehr primitiv, aber nicht unrichtig. Ich erzählte das Ganze später ( )b. Freitg., d. 29.III.35. [29. März 1935] Die letzt. 48 Stunden werde ich nicht vergessen. Ich kam am Mittwoch Abd. zu O.s. Beide waren bedrückt. Es waren schreckliche Nachrichten da von der vorläuf. Kirchenregierg. [VKL] aus Hessen-Nassau. Dort herrscht ein Schreckensregiment. Bischof Dietrich ist unrechtmäßig im seinem Amt. Versetzt willkürl. Pfr. u. Hilfspfr. hinter denen z.T. 9/10 der Gemeinde stehen. Besonders schlimm der Fall eines Vikars Schäfer in Schornsheim (?). Der Reichsstatthalter Sprenger, der den nach Saarbrücken versetzt. Justizminister vertritt, stellt die geh. St.polizei rückhaltlos dem Labi Dietrich zur Verfügg., der die betr. Pfr., die nichts verbrochen hatten, als daß sie ihre zwangsweise Versetzg. nicht anerkennen wollten, gleich ins Konzentrat.lager abführen läßt. Mehrere Fälle. Kand. Reichardt [T.], der von einer Hochzeit dort zurückkam, berichtete über die prachtvolle Haltung der Gemeinden. Stellenweise hätten die Leute sich vor die Autos geworfen, die die Pfarrer wegbringen sollten.112 b 112

Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz, vgl. Übersicht Strichzeichnungen. 75% der Geistlichen standen nicht hinter ihrem »Landesbischof« Dietrich. Letzterer ging mit disziplinarischen Mitteln gegen oppositionelle Pfarrer vor. »Dietrich versuchte, durch weitere Strafversetzungen, Gehaltssperrungen und Redeverbote dieser Lage Herr zu werden. Allein im August 1935 verhängte er Geldstrafen über insgesamt 5000 Mark. Eine von ihm geschaffene ›Kampfstelle für Aufklärung‹ sollte seine Maßnahmen propagandistisch unterstützen« (Meier, Kirchenkampf II, 305). – Vgl. auch den Rundbrief 4/1935, 6, der LBG, in dem unter der Überschrift »Bedrückung der Bekennenden Kirche Nassau-Hessens« Auszüge aus dem Oeynhauser Rundbrief wiedergegeben werden, die massive Beschwerden über Dietrichs Regiment enthalten. Hier findet sich auch

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Dann der Fall Pfr. Liebe-Ebeleben. Da hatte man das Gefühl, die Partei nimmt die kirchl. Dinge jetzt einfach den Dtsch. Christen aus der Hand u. kümmert sich garnicht mehr um deren Weisungen. Da sind hinter den Kulissen Dinge vorgegangen.113 In der Zeitg. wurde die Ernenng. des Staatssekr. Stuckart zum Leiter der Abt. für Gesetz und Verfaßg. im Innenministerium mitgeteilt. Demnach ist wohl nicht anzunehmen, daß er noch die Leitung der kirchl. Angelegenheiten in d. Hand bekommt. Außerdem ist der ekelhafte Fall Beermann wieder aufgelebt.114 Auch ich hatte das Gefühl, daß alles sehr, sehr ernst stände. Gestern, Donnerstag Abd., Bibelstunde, vorher Kundgebg. gg. Bluturteil von Kowno115. O. sprach über die Schöpfungsgeschichte116. Ich war sehr müde u. konnte kaum zuhören. Zum Schluß kam O. ganz gegen seine Gewohnheit auf die kirchliche Lage zu sprechen. Betonte, es sei nötig, um alle, die beten könnten, aufzufordern, zu beten. Sprach von den Verhandlungen in Berlin u. dem was in Hessen-Nassau vorgeht. Als wir fortgingen, sagte Frl. v. R. [Ranke] »Ich weiß garnicht, was Sie heute für Töne redeten. Es ist doch alles sehr schön! Hohlwein hat am Dienstag den Kandidaten gesagt: »Es ist ja nun doch alles umsonst, die Bekenntnisbewegg. hat zu 95% gesiegt u. zwar durch das persönl. Eingreifen von Hitler …« Der hätte die Kanzelabkündigg. gelesen u. gesagt: »Das ist das, was heute gesagt werden muß!« – Er hätte furchtbar geschimpft über die Verhaftung der 530 Pfr.: »Gerade jetzt, ehe die Engländer kommen!«117 Das hätte Sasse aus Berlin mitgebracht. Der hätte übrigens bei der Montagandacht »ganz gebrochen« an der Wand gelehnt ….pp. Wir waren sprachlos, wollten es

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der folgende Passus: »In Schornsheim bei Worms ist unserem Vikar, hinter dem 9/10 der Gemeinde steht, jede kirchliche und außerkirchliche Tätigkeit verboten … Der Gegenvikar des Landesbischofs wurde mit Gewalt eingeführt, die Parteigenossenschaft war kommandiert worden, um die Gemeinde zu spielen. Die Parteigenossen wußten nicht, wozu sie gebraucht wurden, als sie auf Lastautos verladen wurden … Der Gottesdienst der Bekennenden Gemeinde … wurde polizeilicherseits verboten. Große Erbitterung herrscht in der Gemeinde.« »Pfarrer Liebe in Ebeleben wird ebenfalls am Samstag vor Ostern beurlaubt, um zwangsweise versetzt zu werden. Die Forderung örtlicher Parteistellen ist dafür entscheidend. Diese Stellen wollen auch die Gliederungen der Partei anhalten, an den Gottesdiensten nicht mehr teilzunehmen. Sie haben erklärt, daß sie auch sonst für seine Sicherheit an Leib und Leben keine Gewähr übernehmen könnten, wenn seine Beurlaubung nicht innerhalb 24 Stunden durchgeführt und er nicht spätestens in 11 Tagen Ebeleben verlassen habe. Eine von Liebe zusammengerufene Kirchenvertretersitzung konnte nicht stattfinden, weil die ›Deutschen Christen‹ nach Rücksprache mit dem Ortsgruppenleiter die Teilnahme an der Sitzung ablehnten« (Chronik der Kirchenwirren, 501). Gemeint ist wohl Johannes Beermann, 1934–1945 Bischof von Danzig; er war DC im Sinne der Thüringer Richtung, sorgte für die Überführung der evangelischen Jugend Danzigs in die HJ am 17. Januar 1935, ein Jahr nach dem Abkommen zwischen Reichsbischof Müller und Reichsjugendführer von Schirach; den wiederholten Aufforderungen zurückzutreten kam er nicht nach; vgl. Meier, Kirchenkampf II, 196–199. Auf welchen Sachverhalt die Tagebuchschreiberin anspielt, war nicht zu ermitteln. Ein litauisches Kriegsgericht hatte eine Reihe von Memel-Deutschen – darunter namhafte Persönlichkeiten – zum Tode oder zu langen Zuchthausstrafen verurteilt. Dagegen wurde in ganz Deutschland auf Massenkundgebungen protestiert (Quelle: Tagespresse Eisenach). Gen 1–3. Vgl. zum Besuch von Simon und Eden Tgb. 26. März 1935.

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nicht glauben. Sie versicherte, der Kandidat hätte es 2 mal erzählt. Also das ist Tatsache. Aber – Nie werde ich das Gefühl vergessen, einen Albdruck von der Brust zu haben. Den anderen gings ebenso. Obwohl wirs nicht glauben konnten – vielleicht war doch etwas wahr daran? Wenigstens die allgem. Einstellg. der Regierg.? Heute früh sagte ich es B., auch für Di. Und heute Mittag kam die »Eisenacher Zeitung« mit der Rede Fricks aus Nürnberg von gestern, Donnerstg. Abend.118 Schluß. Alles wieder grau u. schwer. Heute Abd. hält Otto Passionsgottesd. in d. Nikolaikirche mit Abendmahl. Gestern 3. Brief von Ruth: eine Freude. D. 30.III. [30. März 1935] Der Passionsgottesdienst abds 8 Uhr war gut besucht, etwa 80–90 Leute zum Abendmahl. O. redete herrlich, leidenschaftlich, auch von dem Leiden, das jetzt in uns. Tagen wieder für die Christusbotschaft gelitten werden muß, von dem heroischen Eintreten von Menschen unserer Tage für ihre Überzeugung. Man kam über die schlimme Rede Fricks weg, stand darüber, sah es im Licht der großen, weltgeschichtl. Entwickelg., des neuen Kampfes gegen das Christentum. Man muß natürl. auch immer damit rechnen, daß sich die Regierg. für das Neuheidentum, gegen das Christentum entschließt. Übrigens hatte nur die Eis. Ztg. die Rede groß aufgemacht gebracht, die nat.soz. Tagespost nicht – das kann ja aber noch kommen. Ich rechne jetzt mit einem Verbot der Bekenntnisbewegg. Eigentlich müßte man Frick verklagen, wenn er nicht endl. sagt, wen er mit den dunklen polit. Elementen in der Bekenntnisfront eigentl. meint. (Im Staate Friedrichs d. Gr. konnte man sogar gg. den König klagen u. er warf seine Richter ins Gefängnis, wenn er glaubte, den Prozeß zu Unrecht gewonnen zu haben!) In d. Kirche kann jedermann hören, was der Pfarrer predigt u. in die Bibelstunden kann man ja einen Polizisten schicken, ebenso in die geschloss. Versammlg. der Bekenntnisfront. Also was will Frick eigentlich? Im März 33 hatte die N.S.D.A.P. 49 % der Bevölkerung Wähler – nicht Mitglieder. Die anderen können nun heute doch nicht ausgerottet werden – man kann sie doch auch nicht samt u. sonders als »dunkle polit. Elemente« bezeichnen. Der große Teil von Nicht-Nat.soz. in der Bekenntnisfront sind konservative Leute. Die sind eben auch in ihrem Glauben konservativ – das ist das Ganze. – Aber die D.C. würden ja desavouriert, wenn uns unsere Ungefährlichkeit attestiert würde.

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Vgl. den Zeitungsbericht über diese Rede unter der Überschrift »Frick mahnt zum Kirchenfrieden. Eine hochpolitische Rede in Nürnberg«, Eisenacher Zeitung 69 (1935) vom 29. März 1935. Frick hatte seinen Vorwurf wiederholt, dass sich unter der Flagge der Bekenntnisfront »viele Elemente zusammenfinden, die glauben dort ihre dunklen politischen Geschäfte ruhig betreiben zu können.«

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Gründonnerstg. den 18.4.35. [18. April 1935] Es ist nun wohl 3 Wochen her, daß ich zuletzt etwas aufschrieb. Es ereignete sich ständig so viel, daß ich am Schlusse der ersten 8 Tage unbedingt Aufzeichnungen machen wollte – ich rechnete, eine Lage Papier voll zu schreiben. Dann ists aus irgendeinem äußeren Grund unterblieben u. ist nicht mehr nachzuholen. – Es kommt mir so vor, als seien wir zu Anfang dieser 3 Wochen hoffnungsfreudiger gewesen als in den letzten 14 Tagen. Es kamen eine zeitlang täglich Nachrichten in der »Basler«. Btz. kam häufig herüber u. wir tauschten Eindrücke aus. Am 3.4., Mittwoch, ging ich abends spät, kurz vor 8 Uhr zu O.s. Frau Otto [M.] machte die Haustür auf: »Gott sei Dank, daß Sie kommen! Mein Mann ist ganz kaputt! Eben ist die Kriminalpolizei wieder einmal dagewesen!« Leider hatte die Krim.pol. einen gedruckten Rundbrief von O. (Nr. 4) an die Mitgl. der Bek.gem. in Thür. beschlagnahmt, der in 750 Stücken (für die Eisenacher) noch vorhanden war.119 Die Stücke für die and. Ortsgr. waren schon expediert, z.Teil seit Tagen. Es befand sich in dem Rundbrief unter der Ueberschrift »Noch einmal Mihla!« die Wiedergabe des verlogenen Berichtes der D.Chr. über die Mihlaer Ereignisse mit einer sehr energischen Widerlegg., unterzeichnet von Pfr. Hoffmann, Mihla.120 Dieser Artikel war wohl der Grund, warum der Rdbrief beschlagnahmt wurde; denn der übrige Inhalt belastete wohl die D.Chr. im Reich [RDC], vor allem in Hessen, aber nicht die Thüringer. Auch H., dem ich ein Exempl. des Rdbriefes, das mir Frau Otto [M.] gegeben hatte, zeigte, sah, wie ich, die Ursache zur Beschlagnahme in dem Mihlaer Artikel. Und dabei ist der D.Chr. Bericht nicht u. die Hoffmannsche Widerlegg. der Wahrheit entsprechend; denn im anderen Fall säßen Otto und Hoffmann ja längst im Konzentrationslager. F. hat selbst gehört, wie Leffler gesagt hat: »Hoffmann kommt ins Konzentrationslager!« Das mag im Januar gewesen sein. Die Ereignisse in Hessen sind furchtbar u. drücken uns sehr. Diese hess. Pfarrer sind seit 3–4 Wochen im K.lager. Inzwischen sind auch sächs. Pfarrer, die Fürbittgebete für die Gefangenen gesprochen u. sie mit Namen genannt haben, verhaftet u. nach Dachau gebracht worden.121 Dem einen hat man die Haare geschoren u. ihn in Sträflingskleider gesteckt. Wenn ich denke, daß man O. so behandeln könnte! Und daß seine Frau [O. [M.] u. seine Kinder das wüßten. Das ist das Schwerste in diesem ganzen Kirchenkampf: Daß sie einem so auf der Ehre herumtrampeln. – Und dabei soll der Ehrenschutz im III. Reich verstärkt werden – heißt es in der Presse und in Programmreden. – Am Sonntag, den 7.4., sind Marahrens u. Oberkirchenrat Breit, die in Hessen predigen wollten, in Darmstadt kurz vor dem Gottesdienst verhaftet worden, dann im Auto »auf preuß. Gebiet abgeschoben«!122 Das klingt wie eine Nachricht aus [dem] Jahr 48. Am Mittwoch, den 10., hatte Otto Reichsbruderrat in Leipzig. Er brachte nichts über neue Beschlüsse, aber über die Auffassg. der Gesamtlage mit. Es seien offenbar 3 Strömungen in der Regierg. vorhanden. Eine wollte »die Wunde der Kirche offen halten«, 119 120 121 122

Rundbrief Nr. 4/1935 der LBG. Vgl. Tgb. 10. März 1935. Zu den Maßnahmen gegen Pfarrer in dieser Zeit in den verschiedenen Landeskirche vgl. die detaillierte Auflistung in: Chronik der Kirchenwirren, 481–493. Breit und Marahrens hatten Redeverbot, seit dem 5. April auch Predigtverbot in Hessen; vgl. Chronik der Kirchenwirren, 487.

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eine »der Glaubensbewegung [DGB] eine Chance geben«, eine sei für die Lösung der Frage im Sinne der Bekenntnisbewegg.; die letztere sei natür. die Schwächste. (Ich weiß nicht mehr, ob ich diese 3 Richtungen richtig wiedergegeben habe).123 Vor allem sei in der Regierg. die Enttäuschg. an der ev. Kirche riesengroß. Man habe geglaubt, an ihr einen treuen Vasallen zu haben. Es scheint wirklich, als hätten die Männer, die diese Hoffnung hatten, keinen Begriff vom Christentum u. vor allem keinen Glauben daran, daß evangel. Pfr. ihrer Überzeugung, aus der heraus sie predigten, wirkl. treu sein könnten. Die Mißachtg., die hieraus spricht, sei Schuld der alten Kirche, sagte O. auf der letzt. Versammlg. der Bek.gemeinsch. am vorigen Dienstg. (16.4.). Die Arb.gemeinsch. der diakonischen Verbände unter Führung von Bodelschwingh, Knak, Graf Lüttichau, hat einen prachtvollen Brief an den Reichsinnenminister geschrieben, der in der »Basler« veröffentlicht war, u. darauf hingewiesen, wie die Kirche, vor allem die Bek.kirche bedrückt würde, währd. die Glaubensbewegg. durch ganz Dtschlnd. ungehindert werben kann.124 Hier in Eisenach wurden kürzlich Unterschriften gesammelt, die gegen einen Vortrag von Hauer Stellung nehmen wollten – in der N.S.-Frauenschaft. Darauf soll Sauckel dem Kreisleiter gesagt haben, es sei nicht seine Aufgabe, gegen die Glaubensbewegg. zu arbeiten. Inzwischen hat der Kreisleiter seine Unterschrift unter einen Aufruf für die Sammlg. der I.M. am 13. u. 14.4. verweigert – die er im vor. Jahr noch gegeben hat – u. soll die anderen N.S.-Verbände veranlaßt haben, sich gleichfalls nicht zu beteiligen. Nur die Unterschrift des N.S.-Lehrerbundes stand darunter – der Leiter soll verreist gewesen sein u. von der Weisung nichts gewußt haben. Die Leiterinnen der N.S.-Frauenschaft u. des V.D.A. haben erst selbst mit sammeln wollen, haben dann mit Bedauern ihre Zusage zurückgenommen – sie könnten nicht aus der Reihe tanzen! Der Krs.leiter hat Frau Pfr. Kühn [E.] am Telephon furchtbar angeschnauzt – alles Mitteilg. von Frau K. [Kühn E.]. Der Sammlg. hat es nichts geschadet, sie hat in diesem Jahr sogar 400 M mehr erbracht als im vorigen. Ich habe vergessen, daß Otto am 3.4. bei der Beschlagnahme der Rundbriefe von der Polizei ein Verbot erhielt, überhaupt weiterhin Rundbriefe herauszugeben! Weder an die Pfr., noch an die Mitglieder. Man beruft sich dabei auf eine V.O. von Frick vom Nov. 34 , der aber selbst diese V.O. dahin kommentiert hat, daß solche Rundbriefe nicht darunter fielen!125 Trotz des Hinweises darauf ist Ottos Beschwerde in Weimar abgewiesen worden. Nun geht sie ans Reich. Die Situation ist nun recht schwierig geworden. 123 124

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Vgl. Chronik der Kirchenwirren, 505. Die Angaben der Tagebuchschreiberin über kirchenpolitische Strömungen sind problematisch und müssten näher geprüft werden. Schreiben des Bruderrats der Arbeitsgemeinschaft der missionarischen und diakonischen Werke und Verbände in der DEK an den Reichsinnenminister vom 23. März 1935 (Chronik der Kirchenwirren, 493; Schmidt, Bekenntnisse III, 78–80). Durch Verfügung der Gestapo wurde der LBG mitgeteilt, dass ihre Rundbriefe, »die vertraulichen Charakter haben und an die Mitglieder der Bekenntnisfront zum Versand gelangen, gegen die vom Reichs- und Preußischen Minister des Innern wegen Kirchenstreites erlassenen Bestimmungen verstoßen und verboten sind«. Die Leitung der Bekenntnisfront sei »entsprechend belehrt und verwarnt worden«. Der bei der Staatspolizei erhobene Einspruch wurde ohne Eingehen auf die Gegengründe abgelehnt. Die vorhandenen Rundbriefe wurden beschlagnahmt; vgl. Chronik der Kirchenwirren, 501; vgl. auch Tgb. 10. November 1934.

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Die persönliche Fühlungnahme mit den Mitgliedern muß nun wohl durch eine Art Kurierdienst aufrecht erhalten, die Ortsgruppen müßen öfter zusammen gerufen werden. Der Landeskirchenrat geht jetzt offenbar planmäßig daran, besonders Hilfspfr., aber auch Pfarrer, die der Bekenntnisgemeinschaft angehören, unter den nichtigsten Vorwänden zu maßregeln. Die Hilfspfr. werden entlassen126, die Pfr. (Liebe u. Säuberlich) zwangsweise versetzt. Die einzelnen Fälle sind unglaublich (Schalkau127 z. B., Pfarrer Liebe-Ebeleben, dem die Abschiedspredigt in der Gemeinde u. der Abschiedsabend im Frauenverein verboten wurden.)128 Vieles, was ich weiß, will ich nicht aufschreiben (Protok.). Im V.D. sind neue Kräfte eingestellt worden; Tegetmeyers Widerstand offenbar besiegt.129 Auch ein Organist Schwadtke aus Meißen als musikal. Hilfskraft.130 Was Mauersberger zu dem musikal. Kitsch der Kampflieder der D.Chr. sagt, weiß ich durch F.131 Untereinander vertragen sich d. Herren nicht gerade glänzend. Bauer [W.] u. Brauer sollen gegeneinander arbeiten. Am Sonnabend, d. 6.4., glaube ich, hielt Rust eine bemerkenswerte Rede in Köln gegen die Nationalkirchler [KDC].132 Das hat unsere D.Chr .scheinbar aber nicht beeindruckt. Im Gegenteil scheint sich jetzt erhöhte Tätigkeit bemerkbar zu machen. Sie laden alle Welt (Kinder, Hossenfelder u. alle D.Chr. Bischöfe) zu einer »Arbeitsgemeinschaft« nach Weimar am 7. u. 8. Mai (?) ein.133 Ob dort der D.Chr.-Block

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Vgl. dazu [Der] Landeskirchenrat der Thüringer evangelischen Kirche, [Druckschrift ohne Titel, aber mit dem Vermerk »vertraulich«], Eisenach, im August 1935 [24 Seiten], LKAE, LBG 241, 1. Darin wird die Entlassung der drei Hilfspfarrer Müller aus Kaltenwestheim, Graser und Raatz in Schalkau sowie Fraedrich aus Großkröbitz gerechtfertigt. Vgl. auch Chronik der Kirchenwirren, 501. In Schalkau ging es um die Hilfspfarrer Graser und Raatz; vgl. dazu die vorige Anm. Vgl. Tgb. 27. März 1935. Tegetmeyer hatte wiederholt bei Einstellungen für den Volksdienst auf die finanziellen Probleme hingewiesen, war aber offensichtlich überstimmt worden; vgl. z.B. Protokoll der Sitzung des LKR der TheK vom 22. März 1935, LKAE, A 122. »Kirchenrat Tegetmeyer trägt das Bewerbungsschreiben Schwadtkes vor, das von Kirchenrat Leutheuser unterstützt wird. Die Einstellung des Organisten Schwadtke als Angestellter im Volksdienst (musikalische Hilfskraft) wird beschlossen, vorbehaltlich persönlicher Besprechung über die Vergütung. Kirchenmusikwart Mauersberger soll von Kirchenrat Leutheuser unterrichtet werden« (Protokoll der Sitzung des Landeskirchenrats der Thüringer evangelischen Kirche vom 4./5. April 1935, LKAE, A 122). Die Tätigkeit Schwadtkes bezieht sich offensichtlich in erster Linie auf die »liturgische« Gestaltung von deutschchristlichen (Propaganda-)Veranstaltungen. Vgl. dazu das Liederbuch »Unsere Kampflieder«, hg.v. Pfarrer- und Lehrerkreis des Wieratales, Verlag Deutsche Christen Weimar 1933. Die Rede hielt Rust am 5. April 1935 in der Rheinland-Halle in Köln; vgl. den längeren Ausschnitt in: JK 3 (1935), 371–372, der allerdings keine Kritik an der KDC enthält. »Am 5. und 6. Mai 1935 nimmt Reichsbischof Müller (als ›Gast‹ wie EdR berichtet) an einer Arbeitstagung der Thüringer ›Deutschen Christen‹ teil. Außer ihm die (DC-) Bischöfe Coch von Sachsen (Freistaat), Dietrich von Nassau-Hessen, Sasse von Thüringen, Oberheid und Hossenfelder« (Chronik der Kirchenwirren, 506). – Vgl. auch den Bericht in: ThHtK vom 6. Mai 1935, Blatt II. In seinem Begrüßungswort führte Sasse aus: »In Deutschland sei so Großes und Wunderbares geschehen, daß wir [es] noch immer nicht so recht zu fassen vermögen. Ein Frühling in

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unter Führung der Weimarer – viell. – wieder geleimt werden soll? Viell. ist auch das kürzlich mit dem Reibi hier besprochen worden? Ein neuer Zusammenschluß um der »vorl. Kirchenleitung« gleichfalls einen geschlossenen Block gegenüberstellen zu können? Womöglich steht sogar Frick hinter ihnen – der den Thüringern ja im vorigen Herbst zu ihrer »Reichstagung« ein ganz merkwürdig vertrauensvolles Telegramm geschickt hatte.134 Wie die »Basler« kürzlich meldeten, hat Kinder Hossenfelder, seinen Vorgänger in der Leitung der D.Chr. [RDC], aus den D.Chr. ausgeschlossen!135 Frau Pfeiffer u. Frl. Eitner berichteten kürzl., am 13. abends (Sonnabd.), über die Entwickelg. des kirchl. Frauenwerkes. Das ist ein Roman für sich – von 10 Bänden mindestens! Einfach toll.136 Am letzten Montag (15.4.) hatte Otto Bruderrat in Weimar. Man hat u.a. die Rechtslage in Thür. nach der Wiederaufnahme des »Gesetzgebungsrechtes« durch den Thür. Landeskirchenrat besprochen.137 Sie ist nun erst recht verwirrt. Die Bekenntnisfront will beim L.K.R. Bedenken anmelden u. ihre Stellungnahme zunächst vorbehalten. Ich las heute in einer kathol. Zeitung einen Bericht über die Verurteilg. eines kathol. Prälaten Leffers, der Spitzeln gegenüber offenbar irgendwelche Bemerkungen über die Regierung gemacht hat, die zu sr. Verurteilung zu 1½ Jahren Gefängnis führten. Der Staatsanwalt hat nach dem Ztgs.bericht geäußert: »Rosenberg glaubt an Gott, also ist er ein Christ.« Sachverständige entscheiden vor Gericht bei jedem Autounfall pp.; es sollte auch für »Christentum« Sachverständige geben. (Am Sonntag ich mit O.s Spaziergang nach der Brandenbg.138 Am Montag Nachricht von Hans’ [Brauckmann H.] Autounfall).

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der deutschen Geschichte sei angebrochen und der Anfang zu einer Wiedergeburt der deutschen Seele« (ebd.). Telegramm: »Reichsminister Pg. Frick grüßt die Reichstagung der Deutschen Christen. Die derzeitigen Spannungen in der Deutschen Evangelischen Kirche erfüllen mich mit ernster Sorge. Ich begrüße deshalb jeden Anlaß, der die Möglichkeit bietet, die Befriedung der Lage in der Deutschen Evangelischen Kirche zu fördern. Nach Abschluß der organisatorischen Neuordnung werden alle Kräfte eingesetzt werden müssen, um zu einer Verinnerlichung des religiösen Lebens zu gelangen. Nur auf diesem Wege kann ein für Volk und Staat in gleicher Weise gedeihlicher Aufbau der evangelischen Kirche vollzogen werden, bei dem alle kirchenpolitischen Bestrebungen einzelner Richtungen unterbleiben müssen, wenn es zur Gestaltung einer Kirche in des Wortes tiefster Bedeutung kommen soll. In der bestimmten Erwartung, daß sich die Arbeit auf der Reichstagung der Deutschen Christen in besonderem Maße diesem Ziele zuwenden und zu greifbaren Ergebnissen führen wird, wünsche ich der Tagung vollen Erfolg« (Evangelium im Dritten Reich 3 [1934], 461). Die Tagebuchschreiberin hatte diese Information aus der Basler Zeitung entnommen; vgl. LKAE, WB 2, 37. Hossenfelder wurde wahrscheinlich am 10. April 1935 durch Kinder aus der RDC ausgeschlossen. Zum Machtkampf zwischen Hossenfelder und Kinder vgl. Meier, Deutsche Christen, 93–100, hier 99; Meier, Kirchenkampf II, 60–65 und Besier, 101–109. Zur konfliktreichen Geschichte der Frauenarbeit 1933–1935 vgl. Chronik der Kirchenwirren, 496–504. Vgl. Tgb. 22. März 1935 und weitere nachfolgende Eintragungen. Die Brandenburg ist eine geschichtsträchtige Burgruine und ein beliebtes Ausflugsziel an der Grenze Thüringens zu Hessen mit Blick auf die Werra.

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Einen Begriff von der Ahnungslosigkeit von Leuten, die eingeweiht sein sollten, gab mir die letzte Nr. der »Freien Volkskirche« mit einen Aufsatz von César über die Lage in Thür.139 Er stellte mit Befriedigung fest, daß der Schrift Leutheusers gegen Otto in der Öffentlichkeit nicht widersprochen worden sei 140 (als ob das erlaubt worden wäre – wo nicht mal der Druck von Ottos Flugblatt 141 über das Bekenntnis erlaubt worden ist!) Dann erwähnte er, daß viele Mitgl. der Bekenntnisgemeinschaft eingesehen hätten, daß Ottos Angriff auf Leutheusers Schrift »Der Weg der deutsch. Christusgemeinde« (die Auszüge an die Pfarrer!) »unsachlich u. unritterlich« gewesen seien.« Unritterlich! Es hört alles auf. Es war so ekelhaft das Ganze, so liebedienerisch. Eine Jugendfeier in der Kirche von Pößneck mit der H.J.Fahne auf dem Altar pp. u. Gedichten von Baldur v. Schirach u. mit der Ansprache eines Hilfspfrs. Pg. Pfeiffer [K.] hat durch ganz Deutschland u. im Ausland Aufsehen erregt.142 Stüber machte Krach, weil er den Bericht im »Protestantenblatt« nicht rechtzeitig gelesen hatte.143 »3 Wochen danach erfuhr ich durch einen Brief aus dem Land davon«. Es ist wirklich komisch. Im Landeskirchenrat hat die Sache bestimmt K.Rat Franz gelesen u. Dr. Bauer [W.] u. danach liegt das Blatt wochenlang auf dem Lesetisch in der großen Halle. Ich habs gelesen u. Frl. Linde, die Bekenntnisgemeinschaft ist in ganz Thür. im Bilde u. bis nach Paris zitiert man den Hilfspfr. Pfeiffer [K.]. Und der Kirchenrat, der den »Aufsichtsbezirk« hat, weiß von nichts. Übrigens ist Leutheuser einer der 3 Landesjugendpfr. gewesen, die gegen den Brief des Reichsjugendpfr.s Zahn an Schirach protestiert haben.144 Es hilft ihm nichts – Günther Blum hat ihm doch jede Arbeit an der Hitlerjugend unmöglich gemacht.145 – Und 1934 im Winter versuchten die D.Chr. noch, Günther Blum aus Thür. zu entfernen!146 Zum 1. Okt. soll das Hainsteinwerk, wie es scheint, aufgegeben werden. Kürzlich warb man noch für Jungarbeiterkurse oben. Das scheint auch keinen Erfolg gehabt zu

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César, Zur Lage in Thüringen [I], Die freie Volkskirche (Sonderausgabe der »Christlichen Welt«) 23 (1935), Nr. 2 (vom 19. Januar 1935), 45–48, und ders., Zur Lage in Thüringen [II], ebenda 23 (1935), Nr. 8 (vom 13. April 1935), 189–190. Zur Kontroverse Otto-Leutheuser vgl. vorhergehenden Tgb.-Eintragungen 1935. Vgl. Tgb. 10. März 1935. Vgl. den Bericht zur Deutsch-christlichen Gottesfeier der Jugend in Pößneck, Rundbriefe der LBG 4/1935, 8. Protestantenblatt 68 (1935), Nr. 10, 153–154. Vgl. Tgb. 22. März 1935. Vgl. Anordnung von G. Blum für die Schulungsarbeit der HJ, Rundbrief der LBG 3/1935, 7. Vgl. die Tgb. 13. Mai und 8. Juli 1934.

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haben.147 Jetzt steht das Riesenhaus wohl ganz leer. Den Angestellten Gimpel, der oben arbeitete, hat man wieder in die Finanzabteilung zurück geholt.148 Im Predigerseminar ist ein neuer Jahrgang eingezogen, 17 Kandidaten. 4 davon haben sich bereits zur Bekenntniskirche gemeldet. D. 23.4. (Dienstg. nach Ost.) [23. April 1935] Kurz vor d. Feiertagen erzählte mir B., daß drüben Einladungen ausgesandt wurden zum 7. u. 8. Mai (?) zu einer Arb.gemeinschaft nach Weimar. Die Einladungen gingen scheinbar an alle deutschchristl. Bischöfe in Deutschld., an Kinder, Hossenfelder u.s.w. Ich denke mir, sie wollen versuchen, die auseinandergebrochenen D.Chr. wieder zusammenzubringen, viell. sogar unter thüringischer Führg. Vielleicht ist das schon mit dem Reibi neulich so besprochen worden.149 – Wenn ich an das Telegramm denke, was Frick den Thüringern im Okt. zu ihrer »Reichstagung« schickte, halte ich für möglich, daß er diesen Versuch begünstigt.150 (Vorl. »K.regierg). Es scheint übrigens, daß an der märchenhaften Erzählung von Hohlwein im Pred.seminar neulich doch irgendetwas Wahres gewesen ist. Thomas sagte, er hätte gehört, bei einer Kabinettssitzg. hätte Krosigk (Reichsfinanzminister) sich darüber beschwert, daß er am Sonntag Reminiscere (Heldengedenktag) nicht hätte zur Kirche gehen können. 2 Kirchen, die er aufgesucht hätte, seien geschlossen gewesen. Neurath sei dazu gekommen (hier wurde Thomas unterbrochen). O. sagte gestern, er hätte es noch etwas anders gehört. Danach hätten Schwerin-Krosigk u. Neurath die Vertrauensfrage gestellt wegen der Verhaftungen der 530 Pfr. Daraufhin Enthaftung!151 O. gab mir am 1. Feiertag abends einen ganzen Schwung seiner Eingänge zum Lesen mit. Darin stand u.a. – im Oeynhausener Brief – eine Mitteilg. aus Mihla! Streck, der Ortsgrupp.leiter, hat danach am 23.II. in einer Parteiversammlg. gesagt, wer über die kirchl. Verhältnisse spräche, den würde er in sr. Wohnung von Amtswaltern durchprügeln lassen!152 (Rechtsstaat). Irgendwo in Deutschland – ich habe vergessen, wo, hat eine Horde einem Bekenntnispfr. 38 Fensterscheiben im Pfarrhs. eingeschlagen. Ein 12 Pfund schwerer Stein ist hereingeflogen. Rufe sind laut geworden: »Holt ihn raus u. schlagt ihn tot!« Soweit muß es noch kommen. Daneben Mihla!153 147

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Zum Spätsommer 1935 erfolgte allerdings eine neue Ausschreibung: »Vom 5. August bis zum 2. September 1935 findet unter Leitung des Reichsjugendpfarrers Zahn und Pfarrer Hützen und unter Mitarbeit der Sachreferenten und Sachreferentinnen des Reichsjugendpfarrers ein Jugend-Arbeiterinnenlehrgang auf dem Hainstein statt … Teilnahmeberechtigt sind alle Mitarbeiterinnen, Helferinnen und Jugendpflegerinnen, die in der evangelischen Gemeindejugendarbeit stehen und bereit und befähigt sind, sich einer nationalsozialistisch bestimmten Arbeitskameradschaft einzuordnen und an einer Besinnung über die Aufgaben einer evangelischen Jugendarbeit unter der Jugend des 3. Reiches tätigen Anteil zu nehmen« (Evangelium im Dritten Reich 4 [1935], Nr. 28 [14. Juli], 4). Zum Hainstein vgl. Tgb. 26. Juni, 8. Juli, 7. und 14. September 1934. Vgl. Tgb. 18. April 1935. Wie vorige Anm. Vgl. Tgb. 23. und 29. März 1935. Ein Nachweis dieser angeblichen Äußerung ist aus den vorliegenden Anschreiben bzw. Rundbriefen aus Oeynhausen nicht zu erbringen. Vgl. verschiedene Tagebucheintragungen zu Ereignissen in Mihla seit dem 15. November 1934.

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Gestern, 2. Feiertag abends, ging ich noch einmal zu O., um die Mappe mit Eingängen zurückzubringen. Ein Jugendsekretär Koschel war mit s. Motorrad da u. erzählte allerlei, was O. uns dann mitteilte. Z.B. in der Provinz Sachsen hätte es – trotz Bischof Peter – die Bek.gemeinsch. 10x leichter als in Thür. Von 8 Konsist.räten seien dort 5 Bek.g. – Leuth. hätte neulich in Friedrichroda angekündigt, sie würden jetzt eigene christl. Jugendarbeit aufmachen u. Jug.sekretäre (D.Chr.) anstellen, da sie in d. Hitlerjugend doch keinen Eingang fänden (V.O. von Günther Blum: auf keinen Fall Pfarrer zur Schulungsarbeit in die H.J.154). Nun geht Leuth. daran, die Jug.arb. der Bekenntnisfront, die überall vorhanden ist, zu zerschlagen. Z.B. Altenburg, da werden die Zuschüsse zum Gehalt des Jug.sekr. nicht mehr gegeben. Nun steht die Bekenntnisfront vor der Frage, 1000 M dazu selbst aufzubringen.155 Der Jug.sekr. erzählte von 2 Jugendlagern, die sie – wahrscheinl. in den Feiertagen, im Osten u. in Neudietendorf durchgeführt hätten, dort mit 80, in Neud. mit 25 (35?) Jugendlichen. Die Jugend sei überall radikal, also Bekenntnisfront, begeistert sich für den Kampf der Pfr. u. das tapfere Leiden. O. sagt: »Die Jugend geht entweder zur Dtsch. Glaubensbewegg. oder zur Bekenntnisgemeinsch. D.Chr. haben keine Aussichten«. Das Gleiche erzählte Frau O. [M.] vom Bund christl. Akademiker von den jungen Vikarinnen. D. 28.4.35. [28. April 1935] Am Dienstg., d. 23., schrieb ich zuletzt nieder, was wir erlebten. Seitdem warten wir wieder einmal auf das, was kommen soll, hören u. lesen von Verhaftungen u. Verschickungen von Pfarrern ins Konzentrationslager in Sachsen.156 Einem der sächs. Pfr. bestimmt (viell. mehreren) hat man dort d. Haare geschoren u. Sträflingskleider angezogen. Der Reichsstatthalter Mutschmann hat die bittende Frau aus dem Zimmer gewiesen: »Gehen Sie, Sie belästigen mich!« (Ulla Ramin). O. war vergangene Woche in Wernigerode, wo die Sydower Bruderschaft, wie immer in dieser Woche, zusammen war. Sie haben über die Fragen, die ihnen aus Georg Schulz's Ehescheidung gekommen sind, gesprochen.157 Ich sah O. noch nicht seitdem, er predigte heute früh in d. Georgenkirche zur »gold. u. silb. Konfirmation«. Am Donnerstag war Reichsbruderrat in Berlin, schon wieder, »wegen der ernsten Lage der Kirche«. O. hat Schanze an seiner Stelle geschickt, der wird morgen, Montag, in Erfurt berichten. (Informationskurierdienst). Nach wie vor liegen uns die Verhaftungen in Sachsen u. Hessen auf dem Herzen – wenn die Regierg. nur wüßte, wieviel Vertrauen sie damit zerstört, daß sie dieses Unrecht nicht gut macht. 154 155 156

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Vgl. Tgb. vom selben Tag. Vgl. Schreiben von Pfarrer E. Otto an Pfarrer Busch vom 24. April 1935, LKAE, LBG 35, 239. Es geht um den folgenden Vorgang: »Im Frühjahr 1935 … kam es in Sachsen zur Verhaftung von 19 Pfarrern und Pastoren, zwei Vikaren und eines Laien«, die die Kanzelabkündigung gegen die Deutschreligion verlesen hatten (Meier, Kirchenkampf II, 350–351). Aufgrund englischer Einsprüche wurden sie allerdings auf Anordnung des Reichsinnenministeriums bald wieder entlassen. Reichsstatthalter Mutschmann hatte von den Verhafteten im KZ Sachsenburg die Unterschrift unter einen Revers verlangt, war damit aber nicht durchgedrungen. Zu Schulz vgl. Tgb. 8. März 1935.

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In d. »Times« stand, mindest. ein Gauleiter habe sich mit dem Argument gegen die Enthaftg. gewendet, es zerstöre das Ansehen der Regierg., wenn Pfr. in der einen Woche verhaftet u. in der anderen wieder freigelassen würden! Die schon geplante Enthaftung sei darauf nicht erfolgt! – Viel mehr schaden doch die falschen Maßnahmen – nicht ihre Wiedergutmachung! Und diese Uneinheitlichkeit im Vorgehen! Das sieht doch jedes Kind! Meiner Ansicht nach müßte jetzt ein ganz einheitlich durchgeführter öffentlicher Protest der Bekenntnisgemeinsch. einsetzen Goebbels-Telegramm zu Ludendorff [E.]s Geburtstag: »Dem mutigen Vorkämpfer für eine neue Weltanschauung …«158 Heute las ich in der »Basler« den Bericht von der großen »Hauer-Reventlow-Versammlung« im Sportpalast in Berlin.159 Dafür ist der Sportpalast da – aber der Kirche will Goebbels ihn nicht mehr zur Verfügg. stellen. Außerdem stand in der »Basler« noch ein Bericht aus der letzten Gauleiter-Versammlg. in München. Den größten Raum hätten die Kirchenfragen beansprucht. Sehr starke Meinungsverschiedenheiten. Heß versichert, der Führer wolle nicht eingreifen; die deutsche Lage erlaube keine radikalen Lösungen. Die Kirchenfrage beginne, Unruhe in die Partei zu bringen, müsse beendigt werden. Nationalkirche gefordert u. abgelehnt. Das sollen sie nur mal ihren eigenen Leuten sagen, Darré u. Rosenberg. Der Gauleiter Bürckel in Saarbrücken redet da unten eitel Honig – nachdem er vor der Wahl behauptet hatte, ein Vortrag über d. Thema »Einer ist euer Führer – Christus!« sei Landesverrat!160 Warum lernt man nicht an Saarbrücken! Der L.K.R. hat tatsächlich verhindert, daß ein Hauervortrag hier in Eisenach gehalten wurde. Hätten sie ihn doch halten lassen u. ihm ordentlich entgegnet. Am Freitag war Finanzausschuß oben auf d. Vatikan161.Vorher Unterredung Schultz-Apolda-Labi162. Die Sitzg. beginnt im »weißen Saal«, der Labi ist nicht dabei. Kurz nach Beginn kommt plötzl. Volk herausgeschossen, rennt dch. die große Halle zum Zimmer des Labi, sieht, daß der nicht da ist u. rennt zurück. Gleich darauf kommt Stüber herausgestürzt – ins Zimmer vom Labi – kehrt kurz um, als der nicht drin ist. Da kommt Franz herausgestürzt, wütend, sagt zu Stüber: »Wenn Schultz den Vorsitz führt, brauche ich ja nicht dabei zu sein, da kann ich auch spazieren gehen. Was anderes wäre es, wenn der Landesb. den Vorsitz übernähme.« – »Ich kann nichts dazu«, sagt

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»An General Ludendorff, der sich selbst als Feind des Christentums bezeichnet, richtet Dr. Goebbels einige Wochen später einen Geburtstagsglückwunsch, in dem er ihn u.a. ›den mutigen Bekenner einer neuen völkischen Weltanschauung‹ nennt« (Chronik der Kirchenwirren, 476). Großkundgebung der Deutschen Glaubensbewegung im Berliner Sportpalast am 26. April 1935 unter dem Motto »Durch deutschen Glauben zur religiösen Einheit«. Hauer und Reventlow waren die Hauptreferenten (vgl. Rickers, Die Schulforderungen der Deutschgläubigen, 155–156). Bürckel hatte in den ersten Monaten des Jahres 1935 mehrfach auf die notwendige Zusammenarbeit von Kirche und Staat für die Volksgemeinschaft hingewiesen; er werde deshalb auf den Schutz der Kirche bedacht sein (vgl. Chronik der Kirchenwirren, 446. 472. 474). Das ihm von der Tagebuchschreiberin zugeschriebene Zitat lässt sich nicht nachweisen. Ironisch für Pflugensberg. Schultz = Hermann Schultz, ehemaliger Oberbürgermeister aus Ilmenau. Er war Vorsitzender des Finanzausschusses. Worauf sich die Angabe »Apolda« bezieht, war nicht zu klären.

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Stüber aufgeregt. »Ja, das weiß ich ja, daß Sie nichts dazu können.« Darauf gehen beide in ihre Zimmer. Nach etwa 2 Stunden hat sich Franz erhoben: »Ich will doch mal sehen, was die da drüben machen!« Und begibt sich ohne Weiteres wieder zur Sitzung. Ebenso Stüber. – Wahrscheinlich ist beiden Angst geworden, als sie gemerkt haben, daß niemand Miene machte, sie zurück zu holen. Der Abg. Tiebel der Bekenntnisfront hat die Einladg. zu einer Sitzg. des Haushaltsaussch. bekommen.163 O. läßt dch. die vorl. K.regierg. die rechtliche Lage noch prüfen. Ich weiß noch nicht, was sie tun werden. Btz. war fast tägl. kurz bei mir, um zu fragen, ob ich was Neues wüßte. Leider war es nicht der Fall. – Im Hause habe ichs persönlich etwas leichter. Schon seit ich mit der Büchse für die Sammlg. für die I.M. von Zimmer zu Zimmer gegangen war, merkte ich, daß man sich wieder bewußt wurde, daß ich ein Mensch war – nicht nur ein kirchenpolit. Gegner. Es ist merkwürdig, daß diese kleine Sammlg., bei der alle beteiligt waren, soviel Verbindendes schuf. Alle Pfr. haben auf d. Straße gesammelt, O. an der »Süßen Ecke«, mit einer Art von sportlichem Ehrgeiz u. mit Erfolg. Und dann kam die Sache mit Hans’ [Brauckmann H.] Tod durch Autounfall. Sommer hat die Erzählung verbreitet. Sie interessierte offenbar alle aus der Überlegung heraus: »Das könnte uns auch passieren.« Seitdem redet sogar Frl. Hasert, Lehmanns Sekretärin, wieder menschlich mit mir. – Volk zeigte sich von seiner besten Seite, bereit zu juristischen Auskünften u. wirkl. interessiert. Krs.leiter Köhler hat sich telephon. darüber beklagt, daß »Andachten« von O. sogar in der Staatszeitg. erschienen sind. Es sollten nur solche von D.Chr. veröffentlich werden. Das ist nun in Eis. schwierig, weil von den Ortspfarrern, auf die man doch eben bei solchen Andachten rechnet, nur der Ob.pfr. D.Chr. ist. Nun muß also der V.D. ran u. Hohlwein. Den Gegner erst recht zu verfolgen, ist also offenbar für den Krs.leiter die beste Methode, den Kirchenkampf zu beendigen. Dann sollte er nur Verständnis dafür aufbringen, daß die anderen auch keinen faulen Frieden wollen. Kürzl. hat er angefragt, ob man gegen O. wegen einer in Melborn gegenüb. Rabe getanen Äußerg. vorgehen könnte. Das hat der L.K.R. abgelehnt. Der L.K.R. hatte in einer sr. letzten Sitzungen eine Kanzelabkündigung aller Thür. Pfr. am 1. Osterfeiertag gegen das Neuheidentum beschlossen.164 Vorher sollte noch das Volksbildungsmin. gefragt werden. Die Abkündigg. ist den Pfarrern nicht zugegangen – also. Ob die D.Chr. nicht bald anfangen, sich zu schämen? Der Kampf gg. die Bekenntniskirche ist doch gar zu ungefährlich. Wann werden sie sich endl. gegen die Heiden aufraffen? In der gleichen Nr. der »Basler«, die von der Riesen-Hauer-Versammlung im Sportpalast berichtete165, war ein Bericht aus Freiburg in Baden über 2

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Tiebel war seit Gründung der LBG Laienmitglied im Bruderrat. »Nach Vortrag von Kirchenrat Stüber wird beschlossen, für den 1. Ostertag eine Kanzelabkündigung zu erlassen. Der Volksdienst wird mit der Abfassung beauftragt. Das Volksbildungsministerium soll vorher unterrichtet werden« (Protokoll der Sitzung des Landeskirchenrats vom 4./5. April 1935, LKAE, A 122, 22). Vgl. Tgb. 28. April 1935.

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große Versammlungen des Reichsbischofs, in denen er hptsächl. gegen die Bekenntniskirche gewettert hat – nicht gegen die Neuheiden. – Interessant ist die Schilderung Hauers über die Entstehg. der D. Glaub.bewegg. als Antwort auf die Gewissensbedrückg. u. den Zwang den die »Dtsch. Christen« ausgeübt hätten. Sie, die »deutschen Heiden« kämpften für Gewissensfreiheit! Und es wird ein deutsch-christl. Pfarrer zitiert: »Mit den Fäusten der S.A. soll ihnen die Privatfrömmigkeit ausgetrieben werden.« Das Schwerste im ganzen kirchenpolit. Kampf ist doch immer wieder, daß nur so wenig Menschen wissen, was geschieht, daß alles zugedeckt wird mit verlogenen Schlagworten vom »Theologengezänk«. Eine neue Verordng. von Amann regelt das Zeitungswesen neu u. macht der kathol. Tagespresse ein Ende. Die »Basler« behauptet, das sei ein Bruch des Konkordats. Der Labi ist gestern oder vorgestern zum Reichsstatth. Mutschmann nach Dresden gefahren. Ob das mit der »Reichsreform«zusammenhängt? Bei der »Arbeitstagg.« der D.Chr. in Weimar am 5. u. 6. reden offiziell nur Leffler u. Fascher.166 Leffler läßt ein Heft über die »Kirchenbewegg.« erscheinen.167 Ob sie einen neuen Kurs einschlagen wollen? Die Nationalkirche können sie doch nicht fallen lassen, ohne sich furchtbar zu blamieren. Man hat eine Überzeugg. oder man hat sie nicht. Aber was sonst? In der letzt. Zeit sind die Thüringer durch 2 Aufsätze in der »Jungen Kirche« von Groß-Rüdersdorf168 u. eine Veröffentlichg. der »Apolog. Zentrale« allgemein bekannter geworden.169 Künneth hat man offenbar wegen seines Buches gegen Rosenbergs »Mythus« die Erlaubnis zu Vorlesungen an d. Universität entzogen (Mythos – Privatarbeit Rosenbergs!) (dementiert! 19.5.35).170 Thomas hat einen Ruf ans R.H. [Rauhes Haus] – u. bei O. hat man angefragt, ob er ihn für geeignet hält! Und ich soll für Volk ein Zeugnis für Thomas über seine Tätigkeit 166

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Vgl. die Ankündigung der Arbeitstagung in BrDC 4 (1935), 107): »Es sprechen Reichsgemeindeleiter Leffler-Weimar über ›Die Kirchenbewegung Deutsche Christen, ihre Stellung zur Kirche und den religiösen Bewegungen der Gegenwart‹ und ›Die praktischen Wege der Kirchenbewegung zur kirchlichen Neugestaltung‹, Universitätsprofessor D. Fascher-Jena: ›Die theologische Grundhaltung der Kirchenbewegung Deutsche Christen‹.« Abgedruckt sind die erste Rede Lefflers unter dem angekündigten Referatstitel in: BrDC 4 (1935), 129–130. 134–137 und die Rede Faschers unter dem angekündigten Referatstitel in: BrDC 4 (1935), 147–148. 161–163. 175–176. Die zweite Rede Lefflers ist nicht im Druck erschienen; unbekannt ist auch, ob sie überhaupt gehalten wurde. Gemeint ist wohl die Schrift: Leffler, Christus im Dritten Reich, 1935. Groß, Mythos oder Offenbarung?, JK 3 (1935), 116–124; ders.: Der Turmbau zu Babel, JK 3 (1935), 294–308. Vermutlich ist die Schrift von Schroth gemeint; vgl. Tgb. 22. März 1935. »Im März 1935 antwortet K. auf die Idee des ›nordischen Menschen‹ im Werk des nationalsozialistischen Chefideologen Alfred Rosenberg ›Der Mythus des 20. Jahrhunderts‹. Von K.s Schrift werden 36 000 Exemplare verkauft. Deshalb wird er geheim überwacht, die Apologetische Centrale wird 1937 geschlossen und ihre Arbeit verboten (Pöhlmann). Auf Jahresende erhält K. ›Schreib- und Redeverbot für das ganze Reichsgebiet‹, die venia legendi wird ebenfalls entzogen« (Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon 20 [2002], 887–888). Die Schrift Künneths trägt den Titel »Antwort auf den Mythus: Die Entscheidung zwischen dem nordischen Mythus und dem biblischen Christus«, 1935.

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im V.D. entwerfen!171 Wenn er das wüßte! Er erzählte von seiner Mittelmeerfahrt kürzl. am Karfreitag. Seine Frau sang in d. Matthäuspassion. Er darf wieder im Rdfunk reden – am 12.5. In Braunschweig hat es Henneberger mit Hauer aufgenommen. Offenbar ist aber der Tumult so groß geworden, daß er kaum hat reden können (aus der Empfehlung für eins seiner Bücher). Montg., den 29.4. [29. April 1935] Heute früh Andacht von Stüber – einwandfrei. Im Laufe des Vormittags kam B. u. ich referierte L. desgleichen. Ein sehr typischer Verlauf. Leider wird dieser Austausch bald ein Ende haben, da ich mit dem 1. Mai vermutl. einen anderen Arbeitsplatz bekomme u. dann wohl nicht mehr allein sitzen werde. Btz. war ins Zimmer von Brauer gekommen, als dieser eine Rückspr. mit Stetefeld hatte. Dabei hatte sich herausgestellt, daß Stetef. u. auch Hoßfeld aus der SS ausscheiden sollen, weil sie Deutsche Chr. seien. »Entweder D.Chr. oder SS«, habe es geheißen. Die Situation wird immer klarer. M. hat zu D.?? gesagt, es würde demnächst eine vollständig umgearbeitete Auflage des »Mythus« herauskommen. In Schmölln soll es neulich vorgekommen sein, daß in einer Versammlg. der D.Chr. – der Redner des Abends mit dem gold. Parteiabzeichen 172 – die Diskussionsredner, einer von der Dtsch. Glaubensbewegung u. einer von der Bekenntniskirche – auch mit d. gold. Parteiabzeichen aufgetreten seien. Heß hat schon recht wenn er auf der Gauleitertagg. sagte, der Kirchenkampf beginne, eine Gefahr für die Partei zu werden. Es ist aber kein innerkirchlicher Kampf mehr, nachdem die Auseinandersetzg. mit den Heiden begonnen hat. Vielleicht wird den Herren noch klar, was sie getan haben, als sie die D.Chr. losließen. Hauer hat ja im Sportpalast gesagt, daß der von den D.Chr. ausgeübte Gewissenszwang sie im Juli 1933 in Eis. zum Zusammenschluß veranlaßt hätte. Der Abg. Tiebel vom Finanzausschuß hatte übrigens abgelehnt, am Freitag zur Sitzung zu kommen, sagte L. Hartmann habe in der Geschäftsstelle gesagt: »… u. mit was für einem groben Brief!« Oder so. Zum 1. Mai sollen wieder einige zu Beamten befördert werden. Es hätte eine erregte Zwiesprache gegeben wegen der Beförderungen im letzten Jahr. Sasse hätte gesagt, er sei nicht richtig informiert worden, es seien einige Beamte geworden, die »garnicht das Recht dazu gehabt hätten«, da sie nicht Parteimitglieder gewesen seien. Nach der Sitzung des Fin.ausschusses ist man ins Deutsche Haus gegangen und – hat Volk mitgenommen! Er wird ja beglückt gewesen sein. Sehr beflissen hat er am 171

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Nach LKAE, PA Lothar Thomas, G 1107, Rest in F 310, 244, hatte Thomas mit Schreiben vom 7. Oktober 1934 um ein Zeugnis über seine Leitertätigkeit im VD nachgesucht, weil ein Nachweis darüber in seinen Akten angeblich fehle. Dazu bemerkt Volk am 9. Juni 1937, Thomas sei inzwischen Pfarrer in Lissabon geworden und werde kein Interesse mehr an der Erfüllung seines Wunsches haben. Die dazu weiter aussagekräftigen Personalakten wurden im Zuge der Berufung nach Lissabon an das Kirchliche Außenamt abgegeben. Im LKAE-Bestand konnte der Entwurf der Tagebuchschreiberin nicht gefunden werden. Goldenes Ehrenzeichen der NSDAP (Goldenes Parteiabzeichen). 1933 eingeführtes Abzeichen für Parteimitglieder mit Mitgliednummern unter 100 000. Es wurde von Hitler außerdem für besondere Verdienste verliehen; vgl. Brackmann/Birkenhauer, NS-Deutsch, 57.

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nächst. Tag betont, er habe doch nun gesehen, daß es mit dem Anwachsen des Volksd. garnicht so schlimm sei, wie es zunächst den Anschein gehabt habe; L. sagt, sie lachen ja hinter seinem Rücken über ihn. Sie stellen Forderungen u. einige tun, als wollten sie Schwierigkeiten machen – u. zuletzt fügt sich alles. Weitere Nachr. von Btz.: Es scheint, als wollten die D.Chr. ihren Namen ändern. Es war in einem Telephongespr. mit Leffler von neuen Stempeln die Rede und »Franz sagt, es muß überhpt. ein ganz neuer Antrag gestellt werden … Amtsgericht …« Eine Geldsache … Schriften, nicht bestellt …«, tragen Sies rüber«; dann kommt Mahng. auf Mahng.; schließl. wird geschrieben »Wir haben nichts erhalten.« Ausspruch von Js. ist: »Nein, diese Gaunereien kann ich auch nicht mehr mitmachen!« Dann noch eine andere Sache mit einer bestellten Photographie. Schließl. bezahlt vom V.D. Sasse ist nach Jena gefahren. Großes Gefrage im Haus: »Zu wem?« Niemand weiß etwas. Aber typisch für die allgem. Spanng. u. die Unruhe ist das Fragen von allen Seiten. Lehmann hat neulich mal wieder sehr von oben herab u. wegwerfend zu Volk über die Bekenntnisbewegung gesprochen: »Das erledigt sich von selbst.« Frl. L. war ganz geschlagen; ich hatte Mühe, sie wieder innerlich aufzurichten. Es ist schön, wenn man fühlt, daß man innerlich ganz frei ist von dem Urteil der anderen u. einfach lachen kann über Mißachtg. Aber Volk wird natürlich durch solche selbstsicheren Redensarten beeinflußt. Ich bin sicher, daß die untereinander ganz anders reden. Ich habe d. Gefühl, daß wir uns im Augenblick an einem Wendepunkt befinden, der durch den Vorstoß der Glaubensbewegg. bestimmt wird. Es müssen u. werden sich jetzt innerhalb der D.Chr. und innerhalb der Partei die Fronten klären. Das Blatt der »Berliner« D.Chr. zeigt schon ein verändertes Gesicht.173 Hossenfelder hat es wieder übernommen174 – den Dr. Kinder kürzl. aus der D.Chr. ausgeschlossen hat.175 Die neueste Nr. gibt ein Telegramm von Hossenfelder an Hitler vom 24. wieder, in dem er ihn beschwört, die Versammlungen der Hauerbewegg. [DGB] »z.Zeit des kirchl. Burgfriedens« zu untersagen.176 Hitler hat sich nicht darum gekümmert. Der Ob.präs. von Schlesien hat alle öffentl. Erörterungen über Glaubens – und Religionsfragen verboten – nachdem der Reichsb. eine Reise durch d. Land gemacht hat.177 Gauleiter Bürckel will im Saarland im Guten auskommen.178 173

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Evangelium im Dritten Reich; ab Januar 1935 mit dem Untertitel »Die Kirchenzeitung für Christentum und Nationalsozialismus« (vgl. Weitenhagen, Evangelisch und deutsch, 482). Der Charakter des Blattes wurde zum Gemeindeblatt modifiziert. Es sollte »gesunde hausbackene Frömmigkeit« bieten (vgl. Meier, Deutsche Christen, 99 u. unten Anm. 242). In den Nr. 14 (7. April) bis 26 (30. Juni) 1934 wird Hossenfelder als Herausgeber genannt. Vgl. Tgb. 8. April 1935. Telegramm vom 24. April 1935: »An den Führer und Reichskanzler Adolf Hitler. Erbitte die Werbetätigkeit der Deutschen Glaubensbewegung während des kirchlichen Burgfriedens zu unterbinden. Hossenfelder« (Evangelium im Dritten Reich 4 [1935], 130). Zu den Reisen des Reichsbischofs 1934/35 vgl. Schneider, Reichsbischof Ludwig Müller, 195– 206. Dieser Hinweis könnte sich auf den folgenden Passus beziehen: »Gauleiter Bürckel zur Frage der Konfessionen. Gauleiter Bürckel führte in einer Rede in Steinfeld nach Mitteilung des ›Pfälz.

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Heute »Times« – Ausschnitte: 14 Pfr. sitzen jetzt in Sachsen im Konzentrationslager. Die übrigen Pfr. der Bekenntnisgemeinsch. von Sachsen haben beantragt, die Amtsbr. freizulassen oder sie alle zusammen einzusperren, da sie alle dasselbe dächten u. dasselbe getan hätten. Ich habe es mit Wonne übersetzt u. es geriet mir gut. Dann noch ein ausführl. Bericht über ein heidnisches »Thing«179 der deutschen Jugend auf einer Burg am Niederrhein mit Jugendweihe 180. Wenn mans liest, gefällts einem auch. Ich glaube schon, daß so etwas – ohne Angriff auf das Christentum – einem das Herz weit machen könnte. Aber das sind Feierstunden – u. Feierstunden hat d. Christentum auch. Wir könnten sie auch noch anders zu gestalten lernen. Im Kampf des Alltags jedoch, im Kampf mit mir selbst, in der kleinen Mühe u. Sorge brauche ich einen anderen Halt. Es wird mit der Glaubensbewegung zunächst gehen wie mit den D.Chr.; sie werden einen großen Zulauf von Neugierigen haben, besonders – leider – von der Jugend. Es wird Jahre dauern, bis das überwunden sein wird, viel länger wird es dauern als bei den D.Chr.,181 denn Hauer ist klüger als der Reichsbischof. Abends nach dem Dienst traf ich noch Dr. Drescher. Er war kürzl. in Berlin gewesen u. hatte auch davon gehört, daß anläßl. der Verhaftung der 530 Pfr. in Preußen 2 leitende Männer in der Regierung ihre Ämter zur Verfügung gestellt hätten mit der Begründung, sie könnten das nicht mitmachen. Er hatte gehört, Fritsch u. Blomberg, u. Otto hatte gehört Neurath u. Krosigk. Am Sonnabd.-Abd. hatten die D.Chr. hier einen »Gemeindeabend« im »Haus der dtsch. Arbeit«. Da sind keine großen Säle (Wenn man ihnen das vor 2 Jahren prophezeit hätte, wo sie im »Fürstenhof« tagten!). Man hat dort auch über »die Lage« gesprochen. Scheinbar auch über die Hauerbewegung [DGB]. Jedenfalls hört man solche Gespräche heute auf der steinernen Wendeltreppe. Das ist immer sehr bezeichnend, was man da auffängt. Sonntg., d. 19.5.35. [19. Mai 1935] Seit 3 Wochen schrieb ich nichts nieder. Von Wichtigem weiß ich noch den 1. Mai. Wir hatten um 9 Uhr eine kurze Feier in d. Behörde mit mäßiger, kurzer Ansprache von

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Kurier‹ aus, daß es in der heutigen Zeit absolut keinen Menschen gebe, der eine neue Religion stiften könne. Die bestehenden Konfessionen sollten sich vertragen. Ein Heidentum dürfe es nicht geben. Darum habe er auch die heidnischen Redner im Gau nicht zugelassen. Es sei Pflicht der Kirche, sich nicht in staatliche Verhältnisse einzumischen, wie es auch Pflicht der Parteiredner sei, von religiösen Dingen die Finger zu lassen« (Lutherische Kirche 17 [1935], 252–253). »›Thing‹ bezeichnet ursprünglich gemanische Volks- und Gerichtsversammlungen an altgewohntem Ort«; vgl. Enzyklopädie des Nationalsozialismus, 758. Jugendweihen wurden Jugendlichen angeboten, die nicht an Konfirmation oder Firmung teilnahmen. Die freireligiösen und proletarisch-sozialistischen Jugendweihen wurden unter den Nationalsozialisten verboten, die eine eigene Jugendweihe einführten. Die relativ häufige Erwähnung von Hauer und der Deutschen Glaubensbewegung hängt damit zusammen, dass sich die Bewegung 1935 im Aufwind befand und für die Deutschen Christen ein erhebliches Konkurrenzproblem darstellte, weil sie ebenfalls beanspruchte, die dem Nationalsozialismus adäquate religiöse Größe zu sein. Zwei Tage vor diesem Tagebucheintrag, am 26. April 1935, hatte sie im Berliner Sportpalast eine Großkundgebung veranstaltet (vgl. Rickers, Die Schulforderungen der Deutschgläubigen, 153–190, bes.155–159).

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Volk u. Bekanntgabe von einigen Beförderungen (nicht zu Beamten!). Danach »Volksfest« in der »Milchkammer«, Führerrede.182 Es war sehr kalt. Zufällig stand ich unter den Tausenden plötzl. neben Bernewitz u. Pfr. Otto. In der Nacht zum 1. Mai Nachtfrost. (Am Sonnabd. d. 4. Abds. 6 Uhr 1. Wartburggottesd. von E. O.). Am Sonntag d. 5. fuhr ich nach Hamburg, um dort Ruth [Ohrtmann] zu treffen. Danach Gronenberg. Am 12.5. Gottesdienst in Süßel, ein sehr feiner Bekenntnispfarrer. Abends Heimreise. Nachspiel zum 1. Mai: Abends »Kameradschaftsabd. der Behörde in der Elisabethenruhe«183. Ich nicht da wegen Trauerfall in d. Familie. Am nächsten Tag von allen Seiten die farbigsten Schilderungen: »Also Kameradschaft! Die Kirchenräte saßen zusammen, das Predigerseminar saß zusammen; sie wollen durchaus »Gemeinschaft« u. begreifen noch nicht mal, daß sie sich dann nicht als Chefs mit ihren Frauen an einem besonderen Tisch zusammen setzen dürfen! Bis zu einer bestimmten Gehaltsstufe bekam Jeder aus der »Sammlg. für den Kameradschaftsabend« eine Mark (?oder eine Marke?) in die Hand gedrückt – das hat auch allgemein mißfallen! Frau Sommer machte vernünftige Gegenvorschläge. Aber solche Leute werden ja nicht gefragt. Wenn ich denke, welche Gabe Otto hatte, »Gemeinschaft« zu schaffen! Und da wollen hinterher diese Leute kommen u. uns zeigen, wie mans macht! Das Schlimmste ist nun gewesen, daß einige Leute zuviel getrunken hatten u. offenbar nicht mehr wußten, was sie sagten. Am Schlimmsten muß Stetefeld sich benommen haben. Wohin man hört – eine einzige Stimme des Entsetzens. Er ist in Hosenträgern im Saal herum gelaufen, hat alle Kirchenräte (Franz!) auf die Schulter geklopft u. an der Theke aufrührerische Reden gehalten: »Die Kirchenräte sind alle A … ö … r! …« Lehmann, Du A … o …!« Zu den Beamten: »Was, Amtmänner wollt Ihr sein? Ihr seid alle A … ö …!« Offenbar sein u. seines Chefs Leutheuser Lieblingswort. »Na, wartet nur«, hat er den Kirchenräten zugerufen, »Ihr werdet ja doch noch einmal alle von der Staatspolizei abgeholt!« Was er damit gemeint hat? Ich kann mir garnicht vorstellen, daß die Kirchenräte das alles gehört haben sollen, ohne ihn hinauszuschmeißen! »Der Landesbischof hatte soo einen Kopf u. seine Frau sooo einen!« Aber was hilft das, wenn er nicht wagt, diesen Rüpel hinauszuschmeißen! – In den nächsten Tagen sind die Beamten bei Volk vorstellig geworden u. haben die Disziplinierung von Stetefeld verlangt, aber nichts erreicht. Vielleicht weiß Volk garnicht, daß eine Beschwerde des Kreisleiters über Stetefeld eingegangen ist: Er schädigte die Partei u. man hätte ihn schon längst aus der Partei ausgeschlossen, wenn er nicht immer noch von Kirchenrat Leutheuser gehalten würde.(»Er weiß zuviel«, sagen jetzt schon die Beamten). Kameradschaft ohne Achtung – »fürchterlich«, sagt O. Am 4. u. 5. ist dann in große Weimarer Tagg. der D.C. gewesen.184 Btz. sagte mir, daß über das Ergebnis nicht gesprochen würde. Es scheint nicht viel gewesen zu sein.

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Domarus I/2, 501–503. Milchkammer: Festplatz im Stadtwald von Eisenach (Mariental). Hotel und Restaurant in Eisenach (Mariental). Wilhelm Bauer, Arbeitstagung der Kirchenbewegung »Deutsche Christen« am 5. und 6. Mai 1935 in Weimar, BrDC 4 (1935), 112–113.

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Ich las einen Bericht in der »Tagespost«, nach dem tatsächlich eine Kursänderung verzeichnet werden muß. Man hat es fertig gebracht, wieder einmal den Thür. »Kirchenfrieden« festzustellen u. als das Verdienst von Leutheuser u. Leffler zu bezeichnen. Es ist ein Hohn. Jetzt laufen wieder Pfarrerschulungskurse in Friedrichroda, wo die führenden D.C. offenbar wieder einmal so vorsichtig reden, daß kaum eingehakt werden kann. Sie wollen das verspielte Vertrauen wieder gewinnen. Das läßt tief blicken. O. hatte übrigens eine Einladung nach Weimar bekommen. Hat geantwortet, daß er natürlich nicht käme. Es sei keine Basis für gemeinsame Besprechungen vorhanden ehe nicht a.) der Totengräber-Artikel zurückgenommen,185 b.) (noch was Wichtiges ?), c.) die Broschüre von Leutheuser gegen ihn zurückgezogen wäre,186 d.) das Wort von der »Lügenfront« (Leuth. in Kaltenwestheim) zurückgenommen worden wäre.187 Lehmann hat Frl. Linde einen Vortrag gehalten über »die Dummheit « der Bekenntnisfront. Was der »schlau« nennt, wissen wir auch. Aber diese Möglichkeiten wollen wir bewußt nicht. Männel hat zu »Di« gesagt, O. wäre »aus Versehen!« eingeladen worden! Wers glaubt. Wie sollte dies Versehen wohl zu Stande gekommen sein. Kühn sagte gestern zu O. gesagt: »Wenn Du hingegangen wärst, sie hätten Dich empfangen wie den Reichsbischof.« Volk war eingeladen worden u. hatte zu Frl. Linde gesagt. »Es ist ja so reizend, wie sie mich immer wieder auffordern.« Im Übrigen ist er schwermütig u. hat Rücktrittsgedanken. Er wird so schlecht behandelt, daß er es jetzt selber merkt. Letztes Sitzungsprotokoll. Einige Maßnahmen sind rückgängig gemacht oder gemildert worden. Man merkt den veränderten Kurs. Die Hilfspfr sind immer noch gekündigt. Am Freitag, den 17., hatte die Bekenntnisfront einen Vortgsabd. in der Erholung mit Gästen. Der Saal war voll, der Redner aber leider, leider, unzulänglich. Einen furchtbar schweren Stil. Es war ein Dr. Schroth von der apolg. Zentrale in Spandau, der kürzl. eine Schrift gegen die Thür. D.C. veröffentlich hatte.188 Am gleichen Tag sprach Reventlow in Weimar. Kollossaler Zulauf – natürl. Extrazüge pp. Jetzt planen die D.C. eine Gegenkundgebung, bei der Sasse u. Leffler sprechen sollen (nicht Leuth.!). Dr. Schroth nannte das »einen Witz«. Wenn man bedenkt, daß Thieme mehr als einmal verkündet hat, die Glaubensbewegg. wäre ihnen lieber als die Bekenntnisfront, dann ist es auch ein Witz. Spigath wirbt Teilnehmer für die Fahrt nach Weimar per Autobus oder Extrazug – ich weiß nicht. Das ist wie bei den Besuchen des Reichsb. – die Leute werden von weither geholt, um eine machtvolle Kundgebung auf die Beine zu stellen. Die mehrmals verschobene Synode der Bekenntnisgemeinschaft findet kommende Woche in Augsburg statt.189 O. reist Dienstag (21.5.) ab. Die letzte war verschoben 185 186 187 188 189

Vgl. Tgb. 15. November 1934. Vgl. Tgb. 14. und 27. Januar 1935. Dieses Wort ist im Fall Müller (Kaltenwestheim) gefallen; vgl. Tgb. 8.Juni 1935. Schroth, Der Weg der deutschen Nationalkirche, 1935. Dritte Reichsbekenntnissynode vom 4.–6. Juni in Augsburg (vgl. Besier, 82–96).

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worden offenbar, weil die Spannungen zwischen Marahrens u. Niemöller nicht beseitigt waren. Nunmehr kann man wohl damit rechnen, daß Einigkeit erzielt worden ist. Am Dienstg. Abend, übermorgen, Reichstagssitzung u. Führerrede, die auch vom ganzen Ausld. mit Spannung erwartet wird. Sasse hat dazu geäußert: »Er wird wohl sagen, daß Krieg wird«. Und dann haben sich die Herren weiterhin darüber geäußert, daß das ganze Land einen Krieg erwartet. Und dann erwarten die Kirchenräte Äußerungen des Führers über Kirche u. Glaubensbewegung. Wenn sie glauben, Hauer u. Reventlow würden desavouiert, dann irren sie sich bestimmt. Das ganze Gespräch soll – wie alle Gespräche mit Sasse – furchtbar primitiv gewesen sein. Am Montag sind die Pfr. des Landkreises Eisenach zur »Information« hier gewesen. Der Kirchenrat Otto [R.] wäre schrecklich gewesen, ist nur auf taktisches Handeln, nicht auf Handeln aus Glauben eingestellt (Er hat u.a. auch Dorothee [Brauckmann D.] erzählt, die Bekenntnisfront würde zertrümmert werden). Außer Otto hat ihm keiner widersprochen. O. ist ziemlich unglücklich über einen Teil seiner Anhänger. Einige haben auch die Pfarrerkurse besucht, obwohl die Bekenntnisfront das ablehnt, u. erschweren damit natürl. die Lage derer, die fest bleiben. Sie haben O. dann auch noch erzählt, sie hätten in Friedrichroda nicht widersprochen, »es hätte ja doch keinen Zweck.« Und Leffler hätte so geredet, daß man nicht hätte widersprechen können. O. hat ihnen entgegnet, sie hätten doch wenigstens Fragen stellen können. Dr. Bauer [W.] seinerseits empfindet die Situation in Friedrichroda als drückend. »Man muß jedes Wort ein paarmal im Munde rumdrehen, ehe mans ausspuckt.« Am letzt. Sonntag, d. 12.5., soll O. in der Nikolaikirche wundervoll u. sehr mutig gesprochen haben. Bei Kirchenrat Otto [R.] in der Annenkirche sei der Gottesdienst dagegen zieml. leer gewesen u. er hätte sich bitter darüber geäußert. Auffallend war mir, daß einige meiner Bekannten aus der Stiftsgemeinde zum Vortragsabend am Freitag fehlten. Sie können schon wieder nicht über ihre kleinen Eitelkeiten hinweg u. nehmen es Ernst Otto übel, daß er mehr Anziehungskraft auf die Gemeinde ausübt als der Kirchenrat. Es ist schrecklich. Der Vortragsabend war übrigens nur unter der Bedingung polizeil. erlaubt worden, daß kein Wort über Kirchenpolitik fiele. Ein Kriminalkommissar war anwesend. Der hat sich übrigens – offenbar unter dem Eindruck der vielen, dienstlich besuchten Vorträge der Bekenntnisfront – zu uns bekehrt u. hat Otto angekündigt, er würde sein Kind bei ihm konfirmieren lassen. Es ist derselbe, der immer die Beschlagnahmen pp. bei Otto ausführen muß! Am letzt. Donnerstag (d. 16.5.) war hier ein »Sprechabend« der D. Glaubensbewegg., zu dem die Lehrer u. Lehrerinnen reihenweise eingeladen waren. Ein paar Kandidaten des Pred.sem. waren da. Im Ganzen etwa 50 Leute. U.a. hätten sie die letzte »Andacht« von Ernst Otto aus dem Gemeindeblatt vorgelesen, in der er den Inhalt der heutigen Glaubenskämpfe auf die letzte Formel bringt 190 u. haben sich ausdrücklich zu seiner Schilderung bekannt. »Hier wären sie verstanden worden.« Otto sagt, er wäre stolz darauf. Das hätten noch nicht einmal die D.Chr. erreicht, daß die Glaubensbewegg. sich von ihnen verstanden fühlte. 190

Ernst Otto, Wie lebe ich richtig, Aus Luthers lieber Stadt 11 (1935), 85–86.

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Eine große Ludendorffversammlg. soll hier vorbereitet werden. Der Kreisleiter hat sich darüber beschwert, daß der von Könitzer operierte L.O.Pfr. D. Reichardt [W.] im kathol. Krankenhs. läge. Zu seinem Gehalt würden doch auch Kirchensteuergelder verwendet, die sollten nicht dorthin fließen. Im vor. Jahr wurde noch gegen »Konfessionshetze« gewettert. In diesem Jahr habe ich den Eindruck von Hetze der Partei gegen die Katholiken. Reichardt [W.] hat das noch nicht erfaßt u. kommt sich mit sr. Toleranz wahrscheinl. noch sehr nationalsozialistisch vor. Zur Zeit spielen in Berlin große Devisenschiebungsprozesse gegen kathol. Ordensgeistliche u. -schwestern.191 In Mihla hat kürzl. Hohlwein gesprochen. Die Pfarrfrau, die dabei war, hat 25 Menschen gezählt, darunter sie selbst u. 6–7 Angehörige der Bekenntnisfront. »Tagespost« berichtet, daß die »K.bewegg.« D.Chr. in Mihla nun wieder »breiteren Boden« gewonnen hätte! Dienstag, d. 21.5. [21. Mai 1935] Heute früh las ich – zunächst flüchtig – einen Ausschnitt aus der Times vom 15.5. Danach ist d. Lage für d. Bekenntnisgemeinschaft schlimm. Die neuen, vor 17 Tagen wieder aufgenommenen Verhandlungen zwischen Frick u. Marahrens seien abgebrochen u. würden nicht wieder aufgenommen.192 Die Regierung würde nun in der Kirchenfrage handeln. Wie, das könne man aus d. Rede schließen, die Heß kürzlich in Stockholm gehalten hat.193 Da hat er in den schärfsten Worten von d. kirchl. Opposition gesprochen und u.a. behauptet, daß sich ehemal. Marxisten in ihren Kreisen verbergen! (Und das, nachdem die Regierung immer wieder gebeten worden ist, die Leute zu nennen, die ihr verdächtig sind! Nachdem Marahrens, Meiser u. Wurm s.Zt. den Reichsb. gewählt u. im Januar 1934 ihre eigenen Leute im Stich gelassen haben, um sich noch einmal hinter ihn zu stellen – Hitler zuliebe.194) Danach folgte ein kurzer Bericht über die Weimarer Tagung der Thür. D.Chr.195 Am Freitag soll die Gegenkundgebg. der D.Chr. gegen Hauer-Reventlow in Weimar stattfinden. Von hier gehen Autobusse hin u. zurück (1 M). Ich bin nicht aufgefordert worden, aber die übrigen Angestellt. u. Beamten – soweit sie D.Chr. sind – werden wohl zahlreich teilnehmen. Und heute Abd. Führerrede! Montag, d. 27.5. [27. Mai 1935] Am Donnerstag Abd. hatte hier die Ludendorff-Bewegg.196 zu einem Vortragsabd. eingeladen. Ich ging nicht hin, da es 30 Pfg. Eintritt kostete, u. ich mir sagte, man soll d. Leute nicht unterstützen. Das nächstemal tue ichs aber doch. 191 192 193 194 195 196

Die Devisenprozesse stellten den vorläufigen Höhepunkt einer Diffamierungskampagne gegen die katholische Kirche dar (vgl. Besier, 159–162). Vgl. dazu den Abschnitt »Das Scheitern Fricks und die Vision einer lutherischen Reichskirche« in: Besier, 97–100. Vgl. Chronik der Kirchenwirren, 500. 502. Vgl. Tgb. 29. Januar 1934. Vgl. Tgb. 19. Mai 1935. Die Ludendorffbewegung (»Haus Ludendorff«: Erich und Mathilde Ludendorff), hervorgegangen aus dem von dem von Erich Ludendorff und Konstantin Hierl 1925 gegründeten Tannenbergbund (der 1933 verboten wurde [vgl. Enzyklopädie des Nationalsozialismus, 756–757]) war eine

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Am Freitag war die Gegenversammlung der D.Chr. in Weimar in der Weimarhalle (gegen die Hauerversammlung vor 8 Tagen).197 Von hier aus fuhren über 200 Leute hin (1 M hin u. zuk) in 9 Autobussen. Am nächsten Morgen bekam ich Berichte von Dr. Dr. Reichard [E.]198: Die Versammlung war bis 6 Uhr Abds. noch verboten gewesen. Leffler hat erst nach Berlin telephonieren müssen! Es scheint schwere Auseinandersetzungen gegeben zu haben, R. [Reichardt E.] redete ganz offen von einem Bruch. Das Verbot kommt, scheint es, von Sauckel. Es heißt, dies wäre die letzte derartige Veranstaltung gewesen, es würde keine Erlaubnis mehr gegeben! Das ist natürlich ein Schlag ins Contor. Am Montag noch, 4 Tage vorher, hatte Sasse zu Frau Pfeiffer u. Frl. Eitner gesagt, die Thür. Kirchenregierung wäre die einzige, die öffentl. gegen die Glaubensbewegung reden dürfte. Sie hatte ihm prophezeit, das würde nicht mehr lange dauern. Er hatte das gänzlich abgelehnt u. die Einheit zwischen Kirche u. Staat in Thüringen betont. (Er wird noch Manches erleben, da die Thüringer scheinbar auch einen eigenen Jugend- u. Frauendienst aufmachen wollen. Ich glaube nicht, daß das erlaubt wird. Die Lehrzeit der D.Chr. beginnt jetzt). Sasse hätte in der überfüllten Weimarhalle sehr gut gesprochen (sagt Reichardt [E.]), Leuth. dagegen wäre abgefallen, wäre zu lang gewesen. Viele wären fortgegangen. Ein sehr maßgebender Mann hätte während Sasses Rede auf der Galerie gesessen u. ironisch gelächelt, auch keine Hand zum Beifall gerührt. (Peuckert oder ein SS.Führer).

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deutschgläubige Vereinigung, die inspiriert und geprägt wurde von der sehr eigenwilligen, mit prophetischem Sendungsanspruch auftretenden Mathilde Ludendorff. Sie propagierte eine anthropo- und ethnozentrische Soteriologie: »Aufforderung an den deutschen Menschen, durch den im Innerstern Selbst erlebten Gott seine Selbstschöpfung und -erlösung zu vollenden und den ›Gotterhaltungswillen‹ zu stärken, der zur ›Gotteinheit‹ führte. Gewonnen war diese Selbstvergottungs- und Heilslehre vor allem in der Polemik gegen die ›Jahweherrschaft‹ und den ›falschen Propheten‹ Jesus« (Nowak, Art. Deutschgläubige Bewegungen, in: TRE 8 [1981], 557). In zahlenmäßiger Hinsicht war das Haus Ludendorff möglicherweise die stärkste deutschgläubige Gruppe (Chronik der Kirchenwirren, 477). Zum Konzept eines Lebenskunde-Unterrichts von Mathilde Ludendorff vgl. Rickers, Die Schulforderungen der Deutschgläubigen, 172–174. »Religiöse Auflösung oder Einheit im Glauben. Kundgebung in der Weimarhalle am 24. Mai mit Landesbischof Sasse und Kirchenrat Leutheuser. Am 17. Mai d. J. hat Pg. Graf Reventlow in der Weimarhalle zu Weimar für die Deutsche Glaubensbewegung gesprochen. Durch die in neuerer Zeit sehr starke Propaganda, die die Deutsche Glaubensbewegung entfaltet hat, ist das Ringen auf weltanschaulichem, insbesondere religiösem Gebiete in Deutschland in ein entscheidendes Stadium eingetreten. Es geht gegenwärtig um die bedeutungsvolle Frage, ob das deutsche Volk ein christliches bleiben soll oder nicht und ob die deutschen Menschen religiös auseinandergerissen werden sollen oder ob auch die Einheit im Glauben möglich ist. Als Antwort an Pg. Graf Reventlow werden deshalb Pg. Landesbischof Sasse und Kirchenrat Leutheuser am Freitag, den 24. Mai 1935, 20 Uhr, in der Weimarhalle zu Weimar über das Thema: ›Religiöse Auflösung oder Einheit im Glauben?‹ sprechen. Da die zu behandelnden Fragen, wie bekannt, heute in Deutschland lebhaft erörtert werden, dürfte diese Kundgebung überall starke Beachtung erfahren« (ThHtK 20 [1935], Nr. 30 [20. Mai 1935], Titelseite). Vgl. den Bericht von Walter Bauer, Im Kampfe um den wahren Glauben. Ueber 3100 Volksgenossen ehren die Kameraden Landesbischof Sasse und Kirchenrat Leutheuser in der Weimarhalle, BrDC 4 (1935), 128–129.

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Inzwischen begannen in Eisenach die Bach-Luther-Feiern.199 Ich machte eine »Nachtmusik« vor d. Bachhaus mit.200 Am nächsten Morgen im Büro erst der Bericht aus Weimar. Dann verschwand Erich Reichardt für ½ Stunde u. kam lächelnd zurück: »Der Landesbischof geht unten im grauen Rock herum, er hat die Predigt für morgen im Festgottesdienst abgesagt wegen der Spannungen, die gestern in Weimar zutage getreten sind.« Sensation. Die Lage wurde eifrig erörtert. Hinterher erfuhr ich (Frau Landsb. Sasse [K.] an …), daß Sasse erst am Sonnabd. vormitt. 9 Uhr die Einladungen für die Wartburgfeiern erhalten hat (Gottesdienst in der Kapelle vor um 10, Leffler sollte sprechen, Staatsakt, der durch Rundfunk übertragen werden sollte, vor um 12). Er hat keine Einladung für seine Frau bekommen u. seine Karte hatte Nr. 50 oder 59. – Das gehört sich wirklich nicht, u. er hatte recht zu streiken. Die anderen Kirchenräte hatten wahrscheinl. nicht mal Einladungen bekommen. (Und wie standen sie vor 2 Jahren da!). Wächtler, mit dem offenbar noch gute Beziehungen bestehen, ist dann in Sasse gedrungen, den Festgottesdienst am Sonntag früh ½9 doch zu übernehmen u. er hat es dann auch getan.201 Hoffmann-Arnstadt, der Ersatzmann, war schon da. Sasse predigte übrigens fürchterlich aufgeregt, brüllte in sr. bekannten Manier. Es war schrecklich. Am Sonnabd. Abend zum Bachkonzert im Fürstenhof bekam ich Volks Billett geschenkt. Von den Kirchenräten war keiner da. Nach dem Gottesdienst am Sonntag, der ½9 anfing u. 2 Stunden dauerte (Missa brevis a capella von Buxtehude u. eine Kantate von Bach). Den 2.6., Wilhelmstal [2. Juni 1935] Ja – was wollte ich schreiben? Ich glaube, ich hatte nach d. Gottesdienst Frau Otto [M.] getroffen. Was wir sprachen, weiß ich nicht mehr. Halb 12 Uhr kam dann der Festzug. Zum Wartburgkonzert am Nachmittag war Sasse nicht. (Das wußte Volk am Donnerstag noch nicht!). Wächtler ist übrigens am Sonntag selbst in Sasses Gottesdienst gewesen u. hat ihm hinterher die Hand gedrückt. Am Nachmittag traf ich beim Spaziergang Frau Pfeiffer u. Frl. Eitner, die mir von ihren Frauenhilfs-Sorgen sprachen. Es ist wirklich alles sehr schwer für sie. Am Montag die Bach-Luther-Feiern der Schuljugend, abends Fackelzug. Daran hat Sasse sich beteiligt. Also es ist klar, die Beziehungen zum Volksbildungsministerium klappen noch. Wächtler u. Sauckel sollen schroff gegeneinander stehen. Wächtler hätte als D.Chr. auch Schwierigkeiten in Berlin. Übrigens ist es nicht sicher, ob Wächtl. auf s. Posten bleibt. Einmal wäre es ja möglich, daß die Volksb.minister wie die Justizmin. abgebaut würden, und dann soll Wächtl. zur engeren Wahl stehen für den Posten von 199 200

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Zum Programm vgl. »Thüringisches Bachfest in Eisenach, 24.–27. Mai«, Aus Luthers lieber Stadt 11 (1935), 92. Vgl. »Die Thüringer Bach- und Luther-Tage. Thüringer Jugend bekennt sich zu Luther und Bach«, Aus Luthers lieber Stadt 11 (1935), Nr. 6 (Juni 1935), 104–107. In der »überfüllten Georgenkirche« fand ein »Festgottesdienst« statt, in dem Sasse die Predigt hielt (ebd.). Vgl. Wartburgmaientage im Zeichen Martin Luthers und Joh. Seb. Bachs. Wegweisende Worte von Staatsminister Wächtler und Landesbischof Sasse, BrDC 4 (1935), 138–140.

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Schemm.202 Am Donnerstag Abend – Himmelfahrt – war ein Kreis von etwa 12 Menschen, die er seine »Kirchenvertreter« nennt, bei Otto. Er berichtete zuerst von Oeynhausen203 und stellte uns dann Fragen: 1. Ist die Botschaft von Dahlem204 im Recht, wenn sie fordert, daß die Bekenntnisgemeinden mit ihren Pfarrern sich auch in Fragen der Verwaltung gänzlich von den D.Chr.-Regimenten lösen sollen? (Er warnt vor praktischen Gesichtspunkten u. forderte rein glaubensmäßige). 2.) Ist der bisher in Thüringen eingeschlagene Weg der richtige? Zunächst Oeynhausen. Absagung der Augsburger Synode von Meiser wegen der Führerrede gefordert. Empörung der Reformierten. Dabei wird deutlich, was Synode für die Reformierten bedeutet. Sie glauben, daß sie unter Gottes Führung steht pp. Der Gegensatz wird plötzlich verständlich. Dann: Karl Barth. Den halte ich ja auch nicht mehr für möglich trotz aller Verdienste. Aber er hat – im Scherz – eine sehr unglückl. Äußerung zum Schweizer Wehrgesetz getan. Ein anderer Punkt: Gemeinsame Abendmahlsfeier in Augsburg. Es waren noch mehrere Punkte. Alles sehr interessant. Man begreift plötzlich die Gegensätze zwischen reformiert u. lutherisch, die mir nie klar waren (die von Melanchthon korrigierte u. die nicht korrigierte Augustana!205). Niemöller und Asmussen arbeiten an der Überbrückung der Gegensätze zwischen Reformierten u. Lutherischen, an einer wirkl. Bekenntnisunion (im Gegensatz zur reinen Verwaltungsunion). Das machen die bayerischen Lutheraner nicht mit. (D. Sasse: Der Stier von Erlangen206). Man hatte garnicht in Oeynhausen getagt, sondern auf Dörfern in d. Umgegend, jeden Tag wo anders! O. hatte auch nicht in Oeyn. gewohnt sondern z.B. einmal in Münster, einmal in Pyrmont pp. Die Synode ist für kommende Woche zusammengerufen, wo wurde nicht gesagt, steht viell. noch nicht fest. Er selbst will nicht hingehen sondern einen anderen schicken. Dann: Der Weg in Thüringen. Es hatte O. immer sehr belastet – und auch mich – daß im Gegensatz zu anderen Kirchengebieten die Loslösung vom dtsch.-christl. Kirchenregiment bei uns noch nicht durchgeführt war. Die Sachsen z.B. nehmen nicht einmal Urlaub von ihren Vorgesetzen, sondern nur vom Bruderrat – liefern die Kollekten unmittelbar ab, nicht über die Behörde – pp. Dafür bekommen sie Geldstrafen – die der Notbund bezahlt. Im Ganzen zahlt der Notbund monatl. schon 10 000 M an die 202

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Am 5. Dezember 1935 wurde Wächtler Nachfolger von Hans Schemm als Gauleiter Bayerische Ostmark. Gleichzeitig wurde er zum Leiter des »NSDAP-Hauptamtes für Erziehung« und ferner zum kommissarischen Leiter des NSLB ernannt. Otto berichtete vermutlich von einer Sitzung des Reichsbruderrates der DEK, der in Bad Oeynhausen seinen Sitz hatte. Gemeint ist die 2. Reichsbekenntnissynode in Berlin-Dahlem vom 19./21. Oktober 1934 (vgl. Scholder II, 335), auf der der Aufbau einer eigenen, bekenntnisgemäßen Kirchenstruktur nach Maßgabe des kirchlichen Notrechts beschlossen wurde (vgl. Tgb. 23. Oktober 1934). Vgl. Gerhard May, Art. Augsburger Konfession, in: TRE 1 (1986), 320–324. Gemeint ist wohl Hermann Sasse, der den Kompromiss in Barmen wegen lutherischer Vorbehalte nicht mittragen mochte; er war vor der entscheidenden Abstimmung abgereist, um einen einstimmigen Beschluß zu ermöglichen (vgl. Tgb. 15. Juni 1934).

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dtsch.christl. Behörde, nämlich indem er den Pfarrern die Beträge ersetzt, die die Behörde vom Gehalt einbehält. Das geht doch auf die Dauer nicht. In der Provinz Sachsen sitzen im Konsistorium etwa 9 Mitglieder, die »neutral« sind und zur Bekenntniskirche halten, gegen 5 D.Chr. u. den D.Chr. Bischof Peter. Ja – da läuft dann eben alles anders wie bei uns! – Am weitesten hat Preußen die Dahlemer Beschlüsse durchgeführt. Da liegt die Sache so, daß die Kirchenbehörden ein Interesse daran haben, daß nicht durch ein gerichtl. Urteil zu Tage kommt, daß ihre Lage rechtlich unhaltbar ist – wie es jetzt in Hessen (Fall Pfr. Veidt) gegangen ist.207 Darum werden dort die Bekenntnispfr. mit Handschuhen angefaßt. – Als Otto erklärte, daß er seinen Weg in Thür. mit Zustimmg. der vorl. Kirchenregierung ginge: Sturm! Die Dahlemer Beschlüsse sind nirgends vollst. durchgeführt u. man hat Ausschuß gebildet, der für vollst. Durchführg. sorgen soll, betrachtet die Beschlüsse vorl. nur als allgem. Marschrichtg., nicht als sofort ausführbar u. erklärt damit Unterschiede der Durchführg. O. will darauf dringen, daß festgestellt wird, daß der Thür. Weg für die Thür. Verhältnisse der Richtige ist (sodaß sie sich nicht Schlappheit vorwerfen zu lassen brauchen). D.h.: Zusammengehen mit d. Behörde in reinen Verwaltungssachen, aber Verweigerung des Gehorsams sobald es gegen das Bekenntnis geht. Wir stimmten ihm zu. Frl. Helmbold fand ein Beispiel aus der Apostelgeschichte: Haltg. der Jünger gegen den jüd. Hohen Rat. Am Sonnabend – gestern – hörte ich, daß Sasse in Jena gesprochen hätte, in der Kirche. Vor der Kirche hatte ihn ein Polizeibeamter erwartet u. ihm mitgeteilt, daß er nicht gegen die Glaubensbewegg. sprechen dürfte! Mein Gewährsmann hatte noch gehört, daß er darauf geantwortet hatte, er sei in der Kirche Herr im Hause, darauf habe er so leise weiter geredet, daß ( )a nichts mehr verstand.208 Heute sehr schöne Predigt von O. in d. Georgenkirche, die unten ganz voll war, auch auf d. 1. Empore Zuhörer. Morgen Freizeit in Wartha. Nach d. Kirche ging ich noch mit Frau Otto [M.], die mir erzählte, was sie gestern erlebt hatte – mit Kaltenwestheim. Sonnabd., d. 8. Juni 35. [8. Juni 1935] Das war wieder mal eine ereignisreiche Woche! Am Sonntag erzählte mir Frau O. [M.] von Kaltenwestheim, am Montag in Wartha hörten wir in Wartha die Fortsetzung, am Donnerstg. in der Bibelstunde das Weitere.

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»Im Juni [1934] stellte sich Pfr. Karl Veidt (Frankfurt) in einer öffentlichen Versammlung an die Seite von Präses D. Koch, der ›ein wirklich gewachsener‹ und kein ›gemachter Kirchenführer‹ sei. Als Bischof Dietrich gegen Veidt daraufhin ein Disziplinarverfahren eröffnete, erklärten sich sämtliche Frankfurter Pfarrer solidarisch mit ihm und verlangten ein gleiches Verfahren gegen sich, wenn das Verfahren gegen Veidt fortgeführt würde. Das hinderte Dietrich nicht, Veidt in erster Instanz zur Strafversetzung zu verurteilen, das am 10. Oktober 1934 in zweiter Instanz bestätigt wurde« (Meier, Kirchenkampf II, 303). Strichzeichnung Männerkopf, steht für Friedrich Bernewitz, vgl. Übersicht Strichzeichnungen. Vgl. Schreiben von Landesbischof Sasse an den Staatsminister des Innern vom 6. Juni 1935, LKAE, 868, Bd. I, 102.

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Also: Hilfspred. Müller [W.], seit 4 Jahren in Kaltenwestheim, von der K.vertretg. im Dez. zum Pfr. gewählt, nicht bestätigt, obwohl er Vertrauensvotum f. d. L.K.R. unterschrieben hat. Leuth. war dort, versucht, die Bauern aufzuhetzen: Müller [W.] sei nicht tragbar, weil er der »Bekenntnisfront« angehöre, die einen Mann wie Pfr. Otto zum Leiter hätte, der für die Kirche nicht tragbar sei. Bekenntnisfront sei Lügenfront pp. Das alles ist im amtl. Protokoll wovon Otto Abschrift hat.209 – Die K.vertretg. bleibt fest, wendet sich verschiedentl. mit Eing. an L.K.R., wollen M. [W.] behalten. LKR antwortet überhpt. nicht. Endlich Beschluß: Müller wird zum 30. Juni entlassen. Die K.vertreter wollen ihn behalten. Stüber sucht ihn auf, redet ihm zu, gutwillig wegzugehen, stellt sogar Pfarramt in Thür. in Aussicht! Denn inzwischen war ja der Thür. Kirchenfriede wieder proklamiert worden. Müller [W.] erklärt, er wolle in sr. Gemeinde bleiben! Der L.K.R. muß nun offenbar aus Prestigegründen bei sr. Kündigg. beharren. (Müllers Vater sitzt übrig. in Sonneberg als D.Chr. in der K.vertretg.!) – Am Freitag nach Himmelfahrt bittet Müller [W.] O., nach K. [Kaltenwestheim] zu kommen u. Lage mal mit ihm u. K.vertretern zu besprechen. O. fährt am nachm. hin – mit Dora Hackmack. Er hat den K.vertretern nicht zugeredet, ihren Kampf auszukämpfen, sondern ihnen alle Schwierigkeiten und Gefahren der Sache gezeigt u. gesagt, wenn sie Angst hätten, sollten sie es lieber nicht anfangen. Aber auch: Das Recht sei auf ihrer Seite; wenn sie fest stünden, könnten die and. nur mit Rechtsbeugung etwas erreichen. O. bekommt d. Eindruck, die Bauern werd. festbleiben. Rät K.vertreterversammlung, Eingabe an den L.K.R. – Am Sonnabd. morgen Anruf aus Kaltenwesth.: L.K.R. hat durch Ob.pfr. K.vertreterversammlg. verboten! O. bittet um 2 Stunden Frist, um gesetzl. Lage mit D. Otto [R.] zu prüfen. Ehe Frist abgelaufen neuer Anruf. Die Mutter [Müller C.] des Hilfspfrs. ist am Telephon u. schildert Lage. Ob.pfr. Fromm ist im Dorf eingetroffen. Die Bauern merken es. Konfirmanden holen die K.vertreter herbei, mit Rädern aus den Filialen. K.vertreter u. Dorfbewohner sammeln sich vor dem Pfarrhaus, machen Sprechchöre »Wir wollen unseren Pfr. behalten!«, rufen »Pfui, pfui!«, als der Ob.pfr. herauskommt um zum Bürgermstr. zu gehen pp. (Frau O. [M.] sagt: »Wir haben überhpt. nur gezittert u gebetet, daß nichts passiert«). Schließl. teilt Frau Müller [C.] am Telephon mit: »Jetzt kommt eine Deputation!« – zum Ob.pfr. näml.! Nun ist also da der Kampf losgegangen. Die Bauern großartig. Müller [W.] sagt: »Ich halte der Gde die Treue wie sie mir die Treue gehalten hat. Ich werde lieber Pferdeknecht in Reichenhausen (Filial) als Pfr. in einer anderen Gemeinde in Thüringen«. Schließl. kapituliert der Ob.pfr.: »Ich gestatte die K.vertreterversammlg. Ich habe zwar nicht das Recht dazu, aber ich nehme Verantwortg. auf mich.« – Soweit Frau Otto [M.] am Sonntag. Ich dachte mir schon, da hat der Ob.pfr. dem L.K.R. eine goldene Brücke gebaut. Aber der L.K.R. war mit Blindheit geschlagen (das erfuhren wir am Montag in Wartha. Es goß in Strömen!). Nach 2 Stunden teilt der Ob.pfr. aus Kaltennordheim mit, die – Polizei (natürl. steckt der L.K.R.! dahinter) habe die K.vertretersitzg. verboten! Es kommen – 3 Polizisten ins Dorf, verbieten jede Ansammlung u. patrouillieren den ganzen Tag im Dorf herum!!! In Kaltenwestheim! Am Abend machen die Bauern Abendspaziergang, Männer u. Frauen getrennt, immer wieder am Pfarrhs. vorbei. Die Polizisten 209

Zum Fall Wilhelm Müller (Kaltenwestheim) vgl. auch Biogramme.

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stehen dabei u. überwachen das Ganze. Spazierengehen ist ja nicht verboten! Die Schilderg. ist vom Cand. Reichardt [T.], den O. am Sonnabd. nach K. [Kaltenwestheim] geschickt hat, damit Müller [W.] eine Stütze hätte. T. [Reichardt T.] erzählt weiter: L.K.R. habe Müller [W.] für Dienstag auf den L.K.R. bestellt, die K.vertreter wollten mit, hätten gesagt, sie ließen ihn nicht alleine gehen. – Am Donnerstag hörten wir die Fortsetzg. Am Dienstg. sind 5 Kirchenvertreter aus K.wsth. per Auto auf dem L.K.R. eingetroffen – noch ehe Müller [W.] kam. Stundenlang mit Sasse gekämpft, der scheinbar bereit war nachzugeben, als Stüber dazu kommt u. Sasse wieder aufputscht, Abbruch der Verhandlungen, die Bauern entschlossen, durchzuhalten, Müller [W.] desgl. In Wartha lasen wir am Nachmittag Luthers Schrift: »Daß eine christl. Versammlung oder Gemeinde Recht u. Macht habe, alle Lehr zu urteilen u. Lehrer zu berufen, ein- und abzusetzen …«210 Es ist so fabelhaft aktuell, wie für heute geschrieben. Am Dienstag hat die Synode nun wirkl. begonnen u. zwar in Augsburg211, ein Zeichen, daß schon vorher eine Art von Einigung zu Stande gekommen war. Otto ist nicht dort, er konnte nicht schon wieder fort, hat Schanze-Weimar u. Werner-Kosma geschickt. Hatte am Donnerstg. kurze Nachricht von Schanze: Auftakt fein, dann gleich Torpedos von Niemöller gegen Meiser.212 Ich hatte am Montag einen Tag Urlaub gehabt wegen der Freizeit in Wartha. Am Dienstag 2 Sensationen in der Zeitung. Einmal Frickrede aus Erfurt vom Thür. Gautag. Er sprach verhältnismäßig vorsichtig über die Kirche. Die »Thüringer« kriegten ein Lob: Wohl nirgends in Deutschland sei die Verbundenheit zwischen Volk u. Kirche (lies Staat u. Kirche) so eng wie in Thüringen!213 Im entkirchlichten, theologisch liberalen Thüringen! Dazu sprach Erich Reichardt [E.] das große Wort: »Er war wohl über die neuesten Entwickelungen nicht orientiert.« Am Montag kam die neueste Verordng. des Innenministers heraus (Wächtler), nach der alle öffentlichen religiösen Veranstaltungen in öffentl. Sälen pp. verboten sind. Einfach alle. Auch geschlossene Versammlungen in öffl. Sälen sind dann verboten, wenn die Versammlung so groß ist, daß von

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Martin Luther, Daß eine christliche Versammlung oder Gemeine Recht und Macht habe, alle Lehre zu urteilen u. Lehrer zu berufen, ein- und abzusetzen, Grund und Ursache aus der Schrift (1523), in: Luthers Gesammelte Werke in Auswahl, hg.v. Otto Clemen, II. Band, Berlin 51959, 395–403. Dritte Reichsbekenntnissynode vom 4.–6. Juni 1935 (vgl. Besier, 82–96). Es ging um positionelle Auseinandersetzungen zwischen Lutheranern (Meiser) und den übrigen Mitgliedern der BK, repräsentiert durch Niemöller (vgl. Besier, 82–96). »Ich sprach eben von der Kirche. Deutsche Volksgenossen! Es ist das eine unangenehme und schwierige innenpolitische Frage. Aber ich darf Sie versichern, auch sie wird gelöst werden, so oder so. Grundsätzlich möchte ich sagen: Partei und Staat mischen sich nicht ein in Glaubensdinge … Aber eifersüchtig werden wir darüber wachen, daß die Kirche ihren Kirchenbezirk nicht überschreitet. Die Aufgabe der Kirche ist die Seelsorge, nicht aber ist es ihre Aufgabe, auf das politische Gebiet überzugreifen … Der nationalsozialistische Staat ist absolut bereit, mit den christlichen Kirchen zusammenzuarbeiten. Aber es ist eine Selbstverständlichkeit, daß auch die Volksverbundenheit der Kirche da sein muß … Ich darf … mit Freuden feststellen, daß gerade im Lande Thüringen diese Volksverbundenheit der evangelischen Landeskirche in einem Maße vorhanden ist, wie sonst vielleicht nicht in Deutschland …« (Rede Fricks am 2. Juni 1935 auf dem 10. Gauparteitag der NSDAP in Thüringen, BrDC 4 [1935], 140).

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»geschlossen« nicht mehr geredet werden kann pp. Es sind noch einige andere Fallstricke eingebaut.214 Die »weltanschaulich-politische« Diskussion ist ausdrücklich freigegeben. Zunächst fragten wir uns 48 Stunden lang, ob nun wohl der D.Gl. die öff. Versammlungen erlaubt seien, bis wir am Donnerstg. in einer Korrespondenz lasen, daß Hauer selbst für seine Bewegung alle öff. Versammlungen verboten hat. Er hat eben einen Wink bekommen, sodaß er nicht verboten zu werden braucht. Daß man ihm das ermöglicht, zeigt doch, daß er begünstigt wird. Inzwischen neuer Torpedo von Sauckel gegen die Thür. ev. Kirche. Er verlangt Senkung der Kirchensteuer u. kündigt Senkung der Staatszuschüsse an die Kirche an.215 Als ichs hörte, am Donnerstag (von ( )a sollte Tegetmeyer schon den 2. Tag in Weimar sein, um dort zu verhandeln, Sasse sei am Dienstag in Berlin gewesen, käme von da auch nach Weimar. Die Kirchensteuerabteilung macht Überstunden, Helmrich kam mehrfach in die Bücherei, um die verschiedensten uralten Gesetze zu wälzen. Wie die Dinge sich seitdem entwickelt haben, weiß ich nicht. Am Donnerstag morgen hörte ich auf dem Gang Fritz zu Oberländer sagen: »Kaltenwestheim … Gemeinde furchtbar aufgeregt …« »Ich will gleich mal zu ihm gehen«, sagt Oberländer. – (Ich habe den Eindruck, daß nur sehr wenige Menschen im Haus überhaupt wissen, was vorgeht. Man verschweigt soviel als möglich. L. hat Sasse neulich in s. Zimmer selbst an der Schreibmasch. gefunden. Er hat also einen Briefwechsel, der auch nicht über die D.chr. Beamten od. Angestellten geht). – An diesem Donnerstg. erzählte mir ( )a auch, daß die Pfr. in den Konzentrationslagern entlassen worden seien. Privatnachricht dch. Pfr. Liebe. Am Abend erzählte Otto es in der Bibelstunde. Die 20 sächs. Pfr. seien am Dienstag alle freigelassen worden. Näheres wußte er nicht. Die »Basler Nachr.« vom Mittwoch brachten eine sonderbar klingende Nachricht über den Beginn der Augsburger Synode. (Mit ( )a besprochen in Thereses Zimmer). Frick hätte einen »Beobachter« hingeschickt. Ich las es gestern, Freitag Abd. im Cafe Lackner (Abends Abendmahlsgottesdienst). Heute brachte die »Basler« eine etwas klarere Mitteilg. über den 2. Tag der Synode. Das klang aber nun wieder so hoffnungsvoll,

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(I) Der Thüringische Minister des Innern, Wächtler, [Nr.70] Verbot öffentlicher Veranstaltungen und Kundgebungen kirchlich-konfessionellen Charakters, Gesetzessammlung für Thüringen 17/1935, 64; auf Intervention von Sasse und Leffler relativierte der Minister dann sein Verbot: Rein kirchliche Veranstaltungen seien selbstverständlich nicht betroffen; vgl. (II) Schreiben des Thüringischen Ministers des Innern an den LKR der TheK vom 20. Juni 1935, LKAE, R 110, nicht paginiert. Zugleich hatte es zu dem Verbot eine Anfrage des LKR der TheK an den Reichsund Preußischen Minister des Innern vom 4. Juli 1935 gegeben, die dahingehend beantwortet wurde, dass eine reichseinheitliche Regelung nicht beabsichtigt sei; vgl. (III) Schreiben des Reichs- und Preußischen Ministers des Innern an den LKR der TheK vom 17. Juli 1935, LKAE, A 868, nicht paginiert. Die Themen Kirchensteuersenkung und Senkung der Staatsleistungen an die Kirchen wurde auch andernorts und reichsweit von staatlicher Seite angesprochen. In der Sitzung des LKR der TheK vom 18. Juni 1935 berichtete Kirchenrat Tegetmeyer »über die Verhandlungen zur Frage der vom Staat verlangten Kirchensteuersenkung« (LKAE, A 122, 35). Strichzeichnung Männerkopf, steht für Friedrich Bernewitz, vgl. Übersicht Strichzeichnungen. Strichzeichnung Männerkopf, steht für Friedrich Bernewitz. Strichzeichnung Männerkopf, steht für Friedrich Bernewitz.

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daß man nicht wagt, es zu glauben. Einigg. mit den süddeutschen Bischöfen, die Tatsache, daß Frick zum erstenmal einen Referenten zur Teilnahme entsendet, wird sehr hoch gewertet, Entlassung der 20 sächs. Pfarrer wird mit dem allen in Zusammenhang gebracht, Wendung in der Stellg. des Staates zur Bekenntniskirche erwartet, da man von den D.Chr. nichts mehr erhoffe. Das klingt mir zu optimistisch, wird wohl Essig sein. Aber bemerkenswert scheint mir die Tatsache, daß die außenpolit. Lage sich bessert u. ein Gespräch mit den Engländern in Gang kommt. v. Ribbentrop in London, Verhandlungen über Luftlocarno. (Ich hatte gleich prophezeit, daß die außenpolit. Hitlerrede vom 21.5. [1935] gut in Engld. wirken würde,216 Reichardt [E.] behauptete, es würde sich garnichts ändern). Wir hatten 2 Zeitungsausschnitte aus der Times (d. 1. vom 3.6.), Briefe »an den Herausgeber«, aus denen hervorging, daß wir mindestens einen wichtigen Artikel des Times-Korrespondenten aus Berlin nicht erhalten haben, der offenbar ausgeführt hat, die Tatsache, daß die Neuheiden von der Regierg. protegiert würden, könne sich international schwerwiegend auswirken. Es scheint, als ob jetzt alles getan würde, um die Wendung in der öff. Meinung Englands zugunsten Deutschlands (nach der letzten Hitlerrede) zu stützen, mindestens jetzt nicht zu stören durch die weltanschaul. Debatte.217 Unsere Leute haben viell. wirklich begriffen, wie die Verfolgung der Bekenntniskirche sich in Engld. auswirkt – u. Müllers Unehrlichkeit gegen den Erzbischof von Canterbury (der war es, glaube ich!). Gestern, Freitag, Abd. war [wurde] eine große Kulturrede von Rosenberg von Düsseldorf aus über den Reichssender verbreitet. Ich hörte von ( )a, er hätte nichts über die Kirche gesagt. Es ist doch ganz klar, daß er Weisung bekommen hat. Baldur v. Schirach sprach neulich am Sonntag bei einer Morgenfeier für die Hitlerjugend (statt Gottesdienst) sehr gottgläubig, aber absolut unchristlich. Ich hatte den Eindruck, daß er wirklich nicht versteht, daß man ihn als Heiden angreift. Er ist, wie so viele, in der Idee groß geworden, wenn man nur an einen Gott glaube, das genüge schon. Die Dinge sind ja wirkl. manchmal primitiver, als wir uns sie denken. Hitler hatte das erfaßt, daher sein Erfolg. Seit der Entlassung der sächs. Pfarrer ist uns allen leichter zumute. Von den Hessen sind 3 entlassen, 2 noch in Dachau. ( )a erzählte, Pfr. Worbes sei aus d. Gefängnis entlassen (ich wußte garnicht, daß er verhaftet war). Er hat gesagt, wie er selbst erzählt hat, alle irdischen Dinge seien vergänglich; auch das 3. Reich könne in einigen hundert Jahren einmal aufhören zu existieren. Daher seine Verhaftung.218 Katholische Devisenschiebungsprozesse gegen Ordensschwestern!219

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Domarus I/2, 505–515. Vgl. dazu Meier, Kirchenkampf II, 34. Strichzeichnung Männerkopf, steht für Friedrich Bernewitz, vgl. Übersicht Strichzeichnungen. Strichzeichnung Männerkopf, steht für Friedrich Bernewitz. Zum Fall des Pfarrers Worbes vgl. Biogramme. Vgl. Besier, 159–162.

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( )a erzählte, Dr. Brauer habe von einer Reise ins Rheinland erzählt, dort sähe es schlimm aus, sehr wenig Hitlerjugend, fast nichts wie kathol. Jugendorganisationen. Schirach redet unglaublich beleidigend über sie. – Aber sie haben ja vor Augen, wie es den evang. Pfarrern gegangen ist, die ihre Jugend vertrauensvoll auslieferten. Jugendpfr. Zahn!220 Am Donnerstag sagte mir ( )a noch, daß hier 52 SS-Männer aus der Kirche ausgetreten seien; O. bestätigte es. Mittwoch nach Pfingsten, d. 12. Juni 35.[12. Juni 1935] Sonnabend vor Pfingsten wurde auf dem Pflugensberg erzählt, jetzt seien schon etwa 100 SS-Männer aus der Kirche ausgetreten. Reichardt [E.] beschwichtigt: »Das ist rein örtlich, rein örtlich!« Pfingstsonntag sprach O. in der Georgenkirche im Hauptgottesdienst. Ich traf ihn nachher noch in s. Garten. (nachmitt. fuhren sie mit Dora Hackmack nach Würzbg., Rothenburg, Dinkelsbühl). Er erzählte, er hätte telephon. kurz mit Schanze gesprochen, der von Augsburg befriedigt zurückgekommen sei. Die Einheit sei von Tag zu Tag gewachsen. Man habe ein »Wort an die Gemeinden« beschlossen, das wirklich gut sei.221 (Otto hatte ihm Weisung gegeben, wenn es die Thür. Bekenntnispfr. nicht in den Gemeinden verlesen könnten, dürfe er dem Beschluß nicht zustimmen) . Der Vertreter des Reichsinnenministeriums sei ja vielleicht als Polizei dagewesen (auf Frage von O.), aber doch wohl nicht lediglich. Er habe die ganze Tagung über in freundschaftlicher Weise mit den Männern der vorl. Kirchenleitung verkehrt. Geh. Staatspolizei sei auch dagewesen. In dem Gespräch mit O. sagte ich u.a., daß nach den wenigen Nachrichten, die wir jetzt vom Ausland hätten, ich glaubte, daß England jetzt Einfluß auf die deutsche Kirchenpolitik bekommen würde, nachdem der Erzbischof von Canterbury für die Gleichberechtigung Deutschlands inmitten der anderen Nationen ein kräftiges Wort im (kirchl.) Oberhaus geredet hätte.222 Am gleichen Tag noch schien meine Ansicht bestätigt zu werden. Die Sonntagszeitungen veröffentlichten ein Interview das Frick einem kanadischen Journalisten gewährt hatte.223 Man staunte. Es war plötzl. von einer bereits geschehenen Einigg. aller dtsch. Landeskirchen die Rede (Verfassg. von 1935), u. die gewaltsamen Eingliederungsversuche des Reichsbischofs gänzlich übergangen. Spannungen werde es in der dtsch. ev. Kirche immer geben, da die Meinungsfreiheit in ihr sehr groß sei im Gegensatz zum Katholizismus. Es sei Lebenselement der prot. Kirche, in der Spannung zu leben pp. Er sei sicher, daß der Kirchenstreit bald in befriedigender Weise gelöst werden würde (plötzlich?). Er danke für das Verständnis des Erzbischofs von Canterbury, man würde sein

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Strichzeichnung Männerkopf, steht für Friedrich Bernewitz, vgl. Übersicht Strichzeichnungen. Vgl. Tgb. 29. Dezember 1933. Strichzeichnung Männerkopf, steht für Friedrich Bernewitz. Wort an die Gemeinden, ihre Pfarrer und Ältesten, in: Schmidt, Bekenntnisse III, 123–126. Vgl. Chronik der Kirchenwirren, 518. 520. Vgl. Chronik der Kirchenwirren, 520.

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Vertrauen nicht enttäuschen u.s.w. (Die Kirchenfrage könne nicht »mit dem Polizeiknüppel« gelöst werden!).224 Heute, Mittwoch, begann der Dienst wieder. Ich hatte 5 englische Presseausschnitte, die höchst interessant waren.225 »Times« vom 6.6. berichten unter der Schlagzeile »The Primates warnings to Germany«226 über die Ansprache des Erzbischofs von Canterbury. Der Bischof von Chichester scheint in der »Times« in der Morgenausgabe vom 3. Juni einen bemerkenswerten Brief veröffentlicht zu haben, über den »shock« den die engl. Freunde Deutschlands durch die Schikanierung der christl. Kirchen u. die Protektion des Neuheidentums erhalten haben. 2 »Briefe an den Herausgeber der Times«, der eine von dem »Moderator« der engl. Freikirchen, antworten darauf. Die Antworten sind auf den Ton gestimmt: »Wir würden so gern mit Deutschland Frieden u. Freundschaft haben, wenn das nicht wäre!« 2 der Ausschnitte berichten vom Verlauf der Synode in Augsburg. Der Regierungsvertreter hat die Nachricht von der Pfarrerbefreiung mitgebracht. (Die Wahl des Zeitpunktes der Entlassg. u. die Form der Mitteilung bedeutet doch entschieden einen frdl. Akt von Frick). Interessant ist die Mitteilg., daß die Synode, früher gemachten Erfahrungen entsprechend, bei denen ähnliche Anordnungen von Frick einfach nicht befolgt worden waren, sich in jedem Einzelfall vergewisserte, ob die Pfarrer wirklich frei seien. Da stellte sich heraus, daß die hess. Pfr., die in Dachau waren, sofort freigelassen worden waren, »die Gefangenen des Herrn Mutschmann« aber nicht. Und es hätte erst eines starken Druckes aus Berlin bedurft, um ihre Freilassung am späten Nachmittag durchzusetzen. – O. bestätigte die »früher gemachten Erfahrungen«. Danach vertieft sich mein Eindruck, daß innerhalb der Partei die vielgerühmte Disziplin durchaus nicht vorherrscht, u. daß diejenigen, die am Besten parieren, die sogenannten Reaktionäre sind, an denen jeder seine Wut ausläßt. Es ist doch einfach toll, wenn der Reichsinnenminister eine Anweisung gibt u. der Reichsstatthalter befolgt sie nicht, »weil die Autorität des Staates darunter leiden würde.« Umgekehrt! Die engl. Zeitungen melden auch, was O. auch schon erzählt hatte, daß eine Klage des Reichsb. gegen die »vorl. Kirchenleitung« auch in der Berufungsinstanz zurückgewiesen sei.227 Übrigens sprach O. am Pfingstsonntag sehr mutig auch davon, wie unerhört es sei, daß in Thüringen der evang. Jugend verboten sei, in irgendeiner Weise für ihre Kirche werbend aufzutreten. Das bezieht sich auf eine Bekanntmachung von Günther Blum. Dieses Verbot erstreckt sich auch auf die kathol. Kirche, die Glaubensbewegg. u. die D.Chr. »sowie die übrigen leider noch vorhandenen Sekten …«228

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Vgl. Interview des kanadischen Schriftstellers Echlin mit Frick, abgedruckt im Völkischen Beobachter vom 9./10. Juni 1935; wieder abgedruckt in: JK 3 (1935), 551–553. Die Bemerkung der Tagebuchschreiberin, dass die Kirchenfrage nicht mit dem Polizeiknüppel gelöst werden könne, findet sich in der Wiedergabe des Interviews durch die JK allerdings nicht. Vgl. Chronik der Kirchenwirren, 518. Die Warnungen kirchenleitender Persönlichkeiten an Deutschland. Müller hatte gegen die Bezeichnung »Vorläufige Kirchenleitung der DEK« geklagt. Die Klage wurde ebenso abgewiesen wie die Berufung. Der Reichsbischof hatte alle Kosten des Verfahrens zu tragen; vgl. Chronik der Kirchenwirren, 470–471. Vgl. die entsprechende Anordnung Blums in: Chronik der Kirchenwirren, 486.

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In den heutigen Zeitungen wird ein Vorschlag des Prinzen von Wales veröffentlicht, englische Frontkämpfer nach Deutschland zu schicken, um Dtschld. »die Friedenshand zu bieten«. Das ist eine sehr wichtige Wendung. Rud. Heß soll kürzlich geäußert haben, man sei von den D.Chr. Thüringens maßlos enttäuscht. Danach scheint es doch so, als habe Frick besondere Hoffnungen auf seine alten Weimarer Bekannten gesetzt.229 Dann wird auch die unglaubl. Zuversicht u. Überheblichkeit der Thüringer erklärt. Ach, wenn man die Leute kennt! Sie haben wirkl. kein Format. Müller [W.]-Kaltenwestheim hat eine rätselhafte Karte an O. geschrieben: »Lösung anders als vorgesehen, aber nicht ungünstig.« Kommt übermorgen, um Erklärung zu geben.230 – Der unglaublich junge Mann wird doch nicht umgefallen sein? ( )a u. meine Unterredungen sind sehr erschwert. Wir treffen uns unter einem Vorwand meist bei Therese im Zimmer. Übrigens las ich dieser Tage in der »Frankf. Ztg.«, daß Hauer, unbeschadet der Weisung an seine Gefolgschaft, die Vortragstätigkeit abzustoppen, selbst wieder vor Tausenden in Frankfurt a.M. gesprochen hat. Er hatte übrigens auch Weisung gegeben, sich keinesfalls mit »verwandten Bewegungen« auseinanderzusetzen. Genannt waren beispielsw. Ludendorff u. Krause. D. 16. [16. Juni 1935] Auch Reventlow hat in Hambg. gesprochen. – Heute hatte O. den Frühgottesdienst ½8 in d. Kreuzkirche bei strömenden Regen. Es war kalt u. in der Kirche ganz dunkel, man konnte O. kaum auf der Kanzel sehen. Eine merkwürdige Stimmung in dieser alten Kirche. Dann wurde es noch am Vormittag sehr schön; nachmittags Wartha mit den Kindern. Pfr. Kühn hatte O. erzählt, Herr v. Rotenhan-Neuenhof hätte mitgeteilt, daß v. Eichel [H.]-Marisfeld gestern aus dem Konzentrationslager entlassen sei – nach 6 oder 8 Wochen. Er wurde verhaftet als er eine Tagung der Bekenntnisgemeinsch. zu sich. eingeladen hatte (mit Otto), angezeigt von s. eigenen Pfarrer wegen einer Äußerg., die er vor 1–2 Jahren getan hat. (Solange hat der Pfr. geschwiegen. Der Beweggrund für die Anzeige ist also klar). Viel engl. Presseausschnitte. Sasse soll in Berlin gewesen sein, um über die dortigen Stellen Aufhebg. des Versammlungsverbotes für die Thür. Kirche zu erreichen – ohne Erfolg. Tegetmeyer war in Weimar wegen der Drohung des Staates, die Kirchensteuer herabzusetzen u. die Staatsleistungen zu verweigern. Ich habe noch nicht erfahren können, ob er etwas erreicht hat. Unsere Leute sollen sehr kleinlaut sein. ( )a.

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Frick hatte auf Wunsch Hitlers 1930 das Amt des Innen- und Volksbildungsmisters in Thüringen übernommen, um bereits zu diesem frühen Zeitpunkt nationalsozialistische Politik durchzusetzen. Es ist mehr als wahrscheinlich, dass er in dieser Zeit mit den führenden Männern Kontakt hatte, die später die KDC gründeten und leiteten. Vgl. Neliba, Wilhelm Frick. Zum Fall Müller vgl. Biogramme. Strichzeichnung Männerkopf, steht für Friedrich Bernewitz, vgl. Übersicht Strichzeichnungen. Strichzeichnung Männerkopf, steht für Friedrich Bernewitz.

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D. 19. (Mittwoch) [19. Juni 1935] Das Flottenabkommen mit Engld. wird heute veröffentlicht. Ich glaube, wir sind außenpolitisch über den Berg. Erich Reichardt las mir Teile aus einer Niederschrift vor, die Bö. an einem SS. Abend gemacht hatte – oder war es ein Kreis der D.G. – in dem ein Sturmscharführer Loos, Sohn eines Schneidermeisters hier, gegen Sasses u. Leuth. Weimarer Rede agitiert hatte.231 Hanebüchen. Das sind also Parteigenossen unter sich. Da ist das Ende von weg. 2. Juli (Dienstg.) [2. Juli 1935] Immer noch engl. Presseausschnitte. Am 21.6. Bekenntnisgemeinsch. »hinter der Mauer«232. O. in Berlin im Reichsbruderrat, Brakh. u. Reichardt [T.] berichteten. Am Sonnabend, den 22.6., kam Fritz am vormittag in d. Bücherei, wo ich mit Keil u. Reichardt [E.] saß, u. sagte: »Ich habe eben aus bester Quelle erfahren, daß die Regierung im Herbst die Bekenntnisgemeinsch. als öff.-rechtl. Körperschaft anerkennen will, gleichzeitig die Glaubensbewegg. Der Bestand soll dch Wahlen festgestellt werden.« »Das glaube ich nicht,« sagte Erich [Reichardt] rasch. »D.h. – das andere ist ja natürlich möglich. Aber Wahlen – nein!« Es wurde weiter nicht viel darüber gesprochen. Ich sagte nichts. Ich konnte mir nicht denken, daß die Regierg. auf ein neues Kirchengebilde direkt hinarbeiten sollte u. hielt die Mitteilg. in dieser Form für unrichtig. Viell. hat wirkl. mal einer diesen Gedanken gehabt u. ausgesprochen u. gleich fliegt das Gerücht durchs Land. Ich weiß nicht, ob es an diesem Abd. oder schon früher war, daß wir eine kurze Notiz in d. Zeitung lasen, Herr v. Ribbentrop hätte eine Unterredung mit d. Bischof von Chichester gehabt. Viele hatten die Notiz nicht gelesen, z.B. O. u. Bauer [G.]-Gotha; andere konnten sich nichts dabei denken. Inzwischen sind Einzelheiten nicht bekannt geworden. Die »Times«-Nachrichten von »Argus« fließen wieder spärlicher. (K. Barth geht nun übrig. endgültig aus Deutschld. weg nach Basel.233 Das beschäftigt natürl. das Ausld. sehr). Es kam der Montag Morgen (24.6.) u. mit ihm eine »Andacht« von Lehmann. Eingangslied: Lobe den Herren. Den bibl. Text weiß ich nicht mehr, jedenfalls redete Lehmann über den Flottenvertrag mit England. Aber wie! Es ist nicht zu schildern! Und brüllte auch noch wie ein Stier! Und nie ist er mir so auf die Nerven gefallen wie bei dieser Andacht, als er gefühlvoll u. mit Salbung aus der Bibel las. Der Heuchler in Person. Man hätte ihn ohrfeigen können. Und zum Schluß sagte er ungef. wörtlich: »Und nun wird ja auch der Kirchenstreit bald beendet sein, denn Herr v. Ribbentrop

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Es handelt sich um die Reden, die die beiden auf der DC-Tagung in Weimar (4.–5. Mai 1935) gehalten haben (vgl. Tgb. 27. Mai 1935). »Hinter der Mauer« befand sich das evangelische Vereinshaus mit dem Gemeindesaal der Stiftsgemeinde (vgl. Tgb. 15. Juni 1934). Barth wurde am 21. Juni 1935 in den Ruhestand versetzt (nicht: entlassen!). Noch im Juni 1935 erhielt er einen Ruf nach Basel, wo er bis zu seiner Emeritierung lehrte (vgl. TRE 5 [1980], 253).

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hat mit d. Bischof von Chichester gesprochen.« Männiglich234 staunte. Es hat sich sicher kaum jemand etwas dabei denken können. Und dann sangen wir: »Nun danket alle Gott.« Später am Vorm. unterhielt ich mich mit Fritz, der nochmals beteuerte, er habe seine Nachricht vom Sonnabd. aus ganz zuverläss. Quelle. Unter »Wahlen« dachte er sich Entscheidungen ganzer Gemeinden für die Bekenntnis- oder die D.Chr.-Kirche. Am nachm. hörte ich, daß der Kreisleiter Leuth. »wegen Mihla« habe sprechen wollen.235 Am Dienstag erfuhr ich dann, daß am Montag Abend im »V.D.« große Aufregung geherrscht hat. Leutheuser sei angekommen, kurz darauf Lehmann im Trab, Brille auf d. Kopf, herübergerannt, dann noch Franz oder Stüber. Folgende Stichworte wurden aufgefangen: »Leutheuser« – Regierung – Mihla – Kampfzeit – Aufbauarbeit.« Es sei im entschuldigenden Ton gesagt worden. Ich kombiniere: Sauckel untersucht Sündenregister der D.Chr. u. dabei ist endlich der hetzerische Lügenbericht über Mihla zur Sprache gekommen. Außerdem seien in Altenburg alle »Schulungen« verboten worden, ausgen. Kirchenvertretertagungen. (In der letzt. Nr. der »Briefe«236 waren aber wieder welche angezeigt.) Verbot durch Polizei, besond. gegen Jugendarbeit. Dienstagabend Bekenntnisgottesdienst in der Georgenkirche. Otto predigte (Brakh. Liturgie). Danach verlas Brakhage die Kundgebung der Augsburger Synode an die Gemeinden.237 Dazwischen sangen wir Liederverse. Es war sehr eindrucksvoll. Die Kirche war sehr voll, bis auf die 2. Empore. Im Schiff saßen noch Leute auf den Notbänken an den Seiten. Ach, wir waren froh hinterher! Mit O.s saß ich dann noch ½ Stündchen in der »süß. Ecke«, zur Entspannung! Am Mittwoch strahlten alle Bek.leute auf d. Pflugensberg. An diesem Tag hat der L.K.R. ein Schreiben an alle Pfarrer hinausgehen lassen u. das Verlesen der Kundgebung verbieten lassen (O. bekam d. Schr. am Sonnabd.) (die Gemeinden würden dadurch verwirrt werden).238 Natürlich wird sich keiner danach richten. Umsoweniger, als etwa 100 Pfr. der Bek.gemeinsch. am Montag in Erft. beschlossen haben, keine Gemeindeglieder zu den Kursen des V.D. zu entsenden. Dieser Beschluß ist veranlaßt dch. den L.K.R, der 8 Tage vorher Werbung für diese Kurse zur Pflicht gemacht hatte. (Allgemein sind die Bek.pfr. in Erft. einmütig der Meing. gewesen, daß ein schärferer Kurs eingeschlagen werden muß). Die Bek.pfr. haben sich schriftlich zur Einhaltung des Beschlußes verpflichtet.239 Am Sonnabend (29.) sind cand. theol. Reichardt [T.] u. die neue Geschäftsführerin Frl. Koeppen mit Handkoffern voll von Briefen losgezogen, 234 235 236 237 238 239

Veraltet für jeder. Vgl. verschiedene vorhergehende Tagebucheintragungen zu Ereignissen in Mihla seit dem 15. November 1934. BrDC. Vgl. Tgb. 12. Juni 1935 Schreiben des LKR der TheK an alle Pfarrämter vom 26. Juni 1935, LKAE, WB 2, 59. Beschluss der Pfarrerversammlung der LBG in Erfurt vom 24. Juni 1935, LKAE, LBG 291, 167. Die Versammlung wurde von 90 Mitgliedern besucht; vgl. Schreiben der LBG (T. Reichardt) an die Mitglieder vom 28. Juni 1935, LKAE, LBG 191, 169. Zur Erfurter Erklärung vgl. auch Helaseppä, 113–121.

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um von verschied. Bahnstationen aus Briefe in die Kästen zu werfen, näml. die Entwürfe zum Schr. an den L.K.R., die die Pfarrer handschriftl. unterschreiben sollten. Am Donnerstg., d. 27.6. Autofahrt mit dem »Familienabend« auf die Wasserkuppe u. den Kreutzberg (Rhön). Wir kamen nach 12 Uhr nachts nach Hause. An diesem Tag hat das neue Gesetz »über die Erledigung von kirchl. Rechtsfragen« in d. Eis. Ztg. gestanden. Ich las es am Freitag im Völk. Beobachter (v. 28.6., 179. Ausg. Nordd. A).240 Zuerst Schrecken u. Unsicherheit. Das ist völlige Rechtslosmachung. Dann tröstete ich mich mit dem Frick-Interview u. mit den Engländern. Es ist nicht möglich, die Bekenntniskirche gerade jetzt abzuknebeln, wo Frick dem Erzb. v. Chichester u. v. Canterbury versprochen hat, er werde ihr Vertrauen nicht enttäuschen. Und Chichester muß in s. Brief an die »Times«, den wir nicht gelesen haben, mindestens ebenso starke Töne geredet haben wie Canterbury im house of convocation. Das also ist mein einziger Trost – u. der anderer. Sonst haben wir kein Vertrauen, verstanden zu werden. Die öff. Reden führender Leute werden entschieden heidnischer – noch heidnischer, u. das ergreift jetzt offenbar auch Leute, die früher noch leidlich vernünftig waren. Allerdings hatte O. schon – ungefähr damals, als er über Augsburg berichtete, gesagt, daß Frick eine »Ermächtigg.« erhalten würde, den Kirchenstreit in Ordnung zu bringen. Das Gesetz wird diese Ermächtigg. vielleicht darstellen? Weniger Machtbefugnisse kann eine »Ermächtigung« eigentlich nicht enthalten, denn »neues Recht« muß ja wohl geschaffen werden, da die alten Rechtsgrundlagen restlos zerstört sind. – Aber man wird die Sorge nicht los. Es ist ein furchtbares Gefühl, hilflos preisgegeben zu sein, kein Recht mehr zu besitzen. Und gerade vor Kurzem las ich in einer Rede anläßl. einer Tagg. der Akademie f. dtschs Recht, daß jeder Deutsche das Gefühl haben müßte, sein Recht finden zu können. Und der verstärkte Ehrenschutz im neuen Strafrecht! Uns darf man beschimpfen. Am Sonnabend, (29.) las ich einen Artikel in den »Basler Nachrichten« über die Besorgnisse in d. Bek.kirche wegen des neuen Gesetzes. Ich nehme an, daß deswegen die »Basler« auf unbestimmte Zeit für ganz Dtschld. verboten worden sind. (Sie sollen in 300 000 Stück gelesen worden sein). Dabei kann es natürl. auch sein, daß alle Besorgnisse unbegründet sind u. Marahrens in der »Beschlußstelle« entscheidenden Einfluß gewinnt. Aber das wissen wir ja nicht. Es dauert so lange, bis Nachrichten kommen. (O. sind übrigens auch die Rundbriefe an die Pfarrer u. die rein religiösen Wegweisungen an d. Gemeinden noch nicht wieder erlaubt worden).241 Am 29. bekamen wir wieder 2 »Times«-Ausschnitte. In dem einen v. 20.6. wurde moniert, daß die Pfarrer in den Gefängnissen sowie 2 Laien noch nicht befreit seien. Am 22. wurde mitgeteilt, daß alle freigelassen seien (wir wußten es schon!). Ob die Freilassung eine Folge dieses Artikels ist? Der letzte Artikel zählte noch genau alle Redeverbote u. Aufenthaltsverbote auf. 240

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»Gesetz über das Beschlußverfahren in Rechtsangelegenheiten der evangelischen Kirche« vom 26. Juni 1935, mit dem eine Beschlussstelle im Innenministerium eingerichtet wurde, die in allen Streitigkeiten innerhalb der evangelischen Kirche letzte und unanfechtbare Entscheidungen fällen konnte; vgl. Chronik der Kirchenwirren, 542. Zum Verbot der Rundbriefe vgl. Tgb. 8. April 1935.

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Am Sonnabd. Abd. sprach O. in der Wochenschluß-Andacht, am Sonntag früh in der Nikolaikirche. Montag früh »Andacht« Stüber. Text: »Sorget nicht …«; zum Schluß die Wendung: Auch in Bezug auf die Kirchenpolitik der kommenden Woche solle man sich das gesagt sein lassen. Halb 11 Uhr traf ich Thomas in Motorrad-Dreß in der großen Halle. Er war auf d. Wege zu O., sehr in Unruhe, wollte Neuigkeiten wissen. Er war sehr besorgt, machte Andeutungen »… mulmig … es hieß sogar »na ja, wir gehen auf den 30. Juni zu …« Er hat viell. an ein Strafgericht über die Bekenntniskirche geglaubt. (1.7.) Es kamen neue Zeitschriften. Darunter »Evangelium im III. Reich«, das schon wieder den Verlag u. den Herausgeber geändert hat.242 Hossenfelder ist nach einem Zwischenspiel von ¼ Jahr wieder daraus verschwunden (trotz aller sieghaften Worte), u. Kinder veröffentlicht einen sonderbar gewundenen u. unklaren Aufsatz.243 Das »Protestantenblatt« stellt die verschiedenen Gruppen fest, die der Bekenntniskirche gegenüber stehen: 1. D.Chr. Richtung Kinder. 2. D.Chr. Richtung Hossenfelder. 3. Thür. D.Chr. 4. Dinter-Bewegung. 5. Krause-Bewegung. 6. Deutschkirche. Was würde das deutsche Volk wohl zu diesem Erfolg der D.Chr. sagen, wenn es wirklich Klarheit bekäme. Und dann noch die » Glaubensbewegung«, Ludendorff u. die übrigen etwa 26 heidnischen Gruppen.244 O. erzählte uns neulich noch von der Behauptung von Sasse: »Wer behauptet, in Thür. würde kein bekenntniskirchl. Pfarrer mehr angestellt, lügt bewußt.« Das ging auf O. O. hat ihm geschrieben, hat verlangt, daß bestätigt würde, daß er jedenfalls nicht gelogen hätte u. schickt zum Beweis Protokoll-Abschrift aus Kaltenwestheim, wo Leutheuser gesagt hat, es würde kein bekenntniskirchlicher Pfarrer in Thüringen mehr angestellt.245

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Die Veränderungen werden in einem Editorial »An unsere Leser!« mitgeteilt. Darin heißt es u.a., dass das Blatt in Zukunft »in erster Linie Gemeindeblatt sein soll, das Erbauung und Information dienen soll.« Dagegen sollte die neu geschaffene Wochenschrift »Positives Christentum« das »Kampf- und Führerblatt der Bewegung« sein. »Das ›Evangelium im Dritten Reich‹ soll gesunde hausbackene Frömmigkeit bieten. Biblisch christlicher Glaube und deutsche Haltung werden innig miteinander verbunden« (Evangelium im Dritten Reich [Reichsausgabe] 4 [1935], Nr. 26 [30. Juni 1935], ab dieser Nummer ohne weitere Paginierung! Christian Kinder, Für ein positives Christentum!, Evangelium im Dritten Reich [Reichsausgabe] 4 (1935), Nr. 26 [30. Juni 1935], nicht paginiert. Hier muss es sich um ein Versehen der Tagebuchschreiberin handeln; eine entsprechende Rubrizierung findet sich im Jahrgang 1935 des Protestantenblatts nicht. Zum Fall Wilhelm Müller aus Kaltenwestheim vgl. Biogramme. Bekenntniskirchliche Pfarrer von Anstellungen in der TheK auszuschließen, war die mehr oder weniger deutlich erklärte Politik des LKR.

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Heute, Dienstag, früh, ist im V.D. offenbar wieder irgendeine Unglücksbotschaft eingetroffen. Welche mag es sein? Die D.Chr. sind, wie O. erzählte, am Freitag den 21. in Leipzig zusammen gewesen, um die Möglichkeit einer Einigung zwischen den 3 Richtungen zu besprechen. Aus Bemerkungen von E. Reichardt muß man schließen, daß Leffler verlangt hat, daß die anderen sich ihm unterstellten, da sie offenbar eingesehen hätten, daß die Thüringer es »richtig gemacht« hätten. Das haben die anderen offenbar abgelehnt. Es scheinen aber Gerüchte im Umlf. zu sein, als ob Hossenfelder u. Kinder sich Ende vergangener Woche wieder geeinigt hätten.246 Hauer hat in »Deutscher Glaube« vom »Ostermond«, das wir gestern erst bekamen, den Thür. D.Chr. u. speziell Leutheuser unter der Überschrift »Das ist wagender Glaube« ein Kompliment gemacht. Er druckt das berühmte Wort ab, in dem Leutheuser, »Jesus Christus aufgeben könnte«. Alle Versuche Bauers, dieses Wort umzudeuten, sind damit kläglich erledigt.247 – Und Ottos ungeheures Verbrechen, er habe dieses Wort »aus dem Zusammenhang gerissen« hat Hauer nun auch begangen. Ob er den wohl in ähnlicher Weise deswegen angreift?? Die Diskussionen mit Erich [Reichardt] gehen übrigens auf die Dauer auf die Nerven. Er sucht alles zu beschönigen, alles ist garnicht so schlimm u. die »Heiden« sind eigentlich beinahe Christen. Er liebt das Wort »Heide« überhaupt nicht. Er ist wirklich furchtbar unbegabt. D. 7. Juli 35. [7. Juli 1935] Von morgen ab kann tägl. die Nachricht eintreffen, daß in Gronenberg ein Kindchen angekommen ist.248 Ich habe doch etwas Angst, ob alles gut gehen wird. Ottos sind gestern in d. Ferien gefahren. Bauer [G.]-Gotha vertritt ihn.

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Diese Mitteilung spiegelte die Bemühungen der unterschiedlichen DC-Gruppen wieder, sich reichsweit zu einer gemeinsamen Formation zusammenzuschließen (vgl. Meier, Kirchenkampf II, 60–65). Die Differenzen waren allerdings zu groß; außerdem gab es Führungskämpfe zwischen den einzelnen Leitern der DC-Gruppen. »Das ist wagender Glaube. Die Thüringer ›Deutschen Christen‹ sind ja etwas für sich. Das beweist ihr Schrifttum. Neben dem Buch von Erich Fascher … verdient ein anderes von Leutheuser … Beachtung. Darin heißt es: ›Wir müssen aber erkennen … Wer dies Gesetz vernommen, der würde lieber alle Frömmigkeit seiner Kindertage, Protestantismus und Katholizismus, ja selbst Jesus dran geben, könnte er damit die Zäune und Mauern zwischen den deutschen Herzen niederbrechen‹« (Deutscher Glaube 2 [1935], 189–190). – Zur Erklärung Leutheusers vgl. oben Tgb. 14. Januar 1935. Was die Bemühung Bauers anbetrifft, Leutheuser ins rechte Licht zu stellen, könnte die Tagebuchschreiberin auf einen Brief von Prof. Weinel (Jena) vom 15. Juli 1935 abheben, den Bauer zugunsten von Leutheuser an die Basler Nachrichten geschrieben hat, damit kritisch reagierend auf deren Artikel »Der Weg zur deutschen Nationalkirche. Eine Kampfschrift des evangelischen Landesbischofs von Thüringen« (Baseler Nachrichten vom 12./13. Januar 1935). Der Brief ist abgedruckt innerhalb des gleichlautenden Artikels von Bauer, »Der Weg zur deutschen Nationalkirche. Eine Kampfschrift des evangelischen Landesbischofs von Thüringen, BrDC 4 (1935), 31–33. Bei Ruth, der Tochter der Tagebuchschreiberin.

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O. war vergangene Woche zum Luther-Konvent in Hannover.249 Nachrichten hatte er garnicht. Er sagte, Marahrens pp. sprächen bei solchen Gelegenheiten nie über das Kirchenpolitische, sagten überhaupt nie, was sie vorhätten. Das würde auch keiner von den Gegnern glauben. Die denken, die Bekenntnisfront sitzt ständig zusammen u. spricht über die D.Chr. oder spinnt Pläne. Nur das eine erfuhr ich: Die vorl. Kirchenleitung beurteilt das neue Gesetz (Beschlußstelle beim I.M. [Innenministerium]) auch negativ u. hat schon aus grundsätzl. Überzeugg. dagegen protestiert.250 Heute las ich im Berl. Tagebl. Durchführungsbestimmungen.251 Ende der kommenden Woche wird wahrscheinl. der Protestbrief der Thür. Bekenntnispfr. gegen die neueste Zumutung des L.K.R., Gemeindeglieder zu ihren »Kursen« zu schicken, mit 70 bis 80 Unterschriften auf dem Pflugensberg eintreffen.252 Etwa 70 Unterschr. oder mehr sind schon da – einige fehlen noch, die im Urlaub waren. O. rechnet mit seiner Suspendierung. Außerdem wird der L.K.R. wohl nun nach u. nach erfahren, daß das Wort der Augsburger Synode an die Gemeinden253 trotz des Verbotes verlesen wird. Sonst wenig Neues. Nur ein engl. Presseausschnitt diese Woche betr. Karl Barth. Gestern Abschiedsabend mit Elsa, die nach Hannover zieht. Erschütternd, was sie alles vom Kirchenkampf nicht wußte; z.B. Fall Karl Barth: »Da haben sie doch jetzt in Süddeutschland wieder einen Pfarrer der Bekenntnisfront abgesetzt, der den Eid auf Hitler verweigert hat. Ich muß sagen – das ist wirklich unerhört.« In dieser Form gehen solche Geschehnisse durch Deutschland. (Ich stellte fest, daß sie K. Barth gemeint hatte!) Gestern zeigte mir M. in der Registratur einen Eingang der geh. Staatspol. Weimar an den L.K.R.: Fall des Hilfspfr. Schrön254 (?)-Vippachedelhausen. (D.Chr.). Er hat Mitte Juni eine Predigt gegen das Neuheidentum gehalten u. dabei erzählt, was unsere führenden D.Chr. aus dem Rheinland mitbrachten: In Kreuznach ist d. Bischofs v. Trier besond. Feierlichkeiten in der kathol. Kirche. Die Hitler-Jgd. zieht mit klingendem Spiel vorbei u. singt oder spricht im Chor: »Deutschland erwache!255 Christus …!« (Sie seien bestraft oder sollten bestraft werden pp.). Diese Predigt hat ein Mitglied der Partei 249

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Gemeint ist offenbar eine Sitzung der »Gemeinschaft« der lutherischen Kirchen von Bayern, Hannover und Württemberg innerhalb der DEK, die am 12. Februar 1936 vereinbart worden war und unter der Leitung von Marahrens stand (vgl. Chronik der Kirchenwirren, 453. 455. 457). In einem Schreiben an Frick kommentierte die VKL solche Gesetzgebung wie folgt: Man habe den Eindruck gewonnen, »daß die jetzt vorgesehene Rechtshilfe das Verhältnis zwischen Kirche und Staat und das kirchliche Leben auf das schwerste schädigen kann. – Der Kirche wird durch das Gesetz die Möglichkeit, ihr Recht selbst und nach ausschließlich kirchlichen Rücksichten zu setzen, gemindert, wenn nicht gar genommen« (Chronik der Kirchenwirren, 546). Erste Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über das Beschlußverfahren in Rechtsangelegenheiten vom 3. Juli 1935, in: Chronik der Kirchenwirren, 542. Vgl. oben Tgb. 2. Juli 1935. »Wort an die Gemeinden, ihre Pfarrer und Ältesten«, in: Chronik der Kirchenwirren, 547. 549. 551. Einen Pfarrer dieses Namens gibt es nicht in der Thüringer Pfarrerkartei; Pfr. Klapp war seinerzeit Amtsinhaber in Vippachedelhausen. »Deutschland erwache!« Streitruf der NSDAP in der »Kampfzeit« der »Bewegung«. »Die Parole wurde seit 1923 als Inschrift der Standarten der SA verwendet« (Enzyklopädie des Nationalsozialismus, 429).

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aufgezeichnet u. der geh. Staatspol. übersandt. Die vernimmt den Pfr., der sehr ordentlich aussagt. Dann schickt die geh. St.pol. das Ganze an den L.K.R. »zur Kenntnis u. weiteren Veranlassung.« Ob das alles ist? Und Pfr. der Bek.front hat man ins Konzentrat.lager gebracht weil sie ein Fürbittgebet für ihre verfolgten Kameraden gesprochen haben. – Meiner Ansicht nach muß jetzt unter den D.Chr. die Scheidung der Geister beginnen. In etwa 2–3 Jahren sehe ich Leutheuser bei der Dtsch. Glaubensbewegung. Die anderen führenden D.Chr. wohl nicht bis vielleicht auf einen der Lehrer. Hossenfelder gibt immer noch ein »Ev. im III. Reich« heraus neben der Ausgabe von Kinder – sagte O. Heute stehts auch in der J. Kirche.256 Donnerstag Abd. ist Franz nach Berlin gereist, ebenso Leffl. u. Leuth. Es sei eine furchtbar wichtige D.Chr.-Angelegenheit. Ob sie sich doch zusammenschließen?257 Oder ob sie doch beim Innenministerium sind? Den 17.7. [17. Juli 1935] Am 14.7. 10¾ Uhr früh kam in Gronenberg der kleine Hans Hubertus an!258 Ich erfuhr es Sonntag nachm. ½ 4 Uhr von Frau Pieper-Hamburg durch Telephon auf der Hauptpost! Gestern Karte von Frl. Gehrt. Alles geht gut. In der vorigen Woche, wahrscheinl. am Donnerstg., (d. 11.7.) ist das Schreiben der Bekenntnispfarrer, mit dem sie die geistliche Leitung der L.K.R. ablehnen259, auf d. Pflugensberg angelangt. Es soll 85 Unterschriften gehabt haben. Inzwischen haben noch 10 Pfr. ihre Unterschrift gegeben, die noch nachgeschickt werden sollen. Leider scheinen die Herren vorher schon etwas gewußt zu haben; einer der Pfr. soll es seinem Ob.pfr. gesagt haben, wie Brakhage erzählte. Am Mittwoch war plötzl. L.K.R.-Sitzung anberaumt, die am Donnerstag fortgesetzt wurde. Am Freitag wurde mir zugeflüstert, der L.K.R. habe beschlossen, 20 Bekenntnis.pfr. zu entlassen u. den übrigen je 200 M Geldstrafe u. (?) ein Disziplinarverfahren aufzubrummen. Das bestätigt eine Meldung aus dem Pred.sem., wonach plötzl. trotz der Einberufung des Direktors zum Heeresdienst die Kandidaten, die vor einigen Wochen das 2. Examen gemacht hätten, wieder ins Pred.sem. zurückberufen worden seien, um in einem »Schnellkurs« von 4 Wochen 256 257

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Die neue Publikation Hossenfelders (im Verlag Madrasch) trägt den Untertitel »Kirchenzeitung für Christentum und Nationalsozialismus« (vgl. JK 3 [1935], 632). Gemeint sein könnten die mehrtägigen Verhandlungen, die Leffler mit Rehm und Kinder über eine Zusammenarbeit geführt hatte; am 13. Juli 1935 unterzeichneten sie eine entsprechende Vereinbarung (Meier, Kirchenkampf II, 64). Vgl. Tgb. 7. Juli 1935. Vgl. Tgb. 7. Juli 1935. »Waren schon vorher mancherlei Disziplinierungen erfolgt, so verschärfte sich der Gegensatz nach der Augsburger BK-Synode noch erheblich. Hatte doch die Kirchenbehörde die Verlesung der Kundgebung der Ausgburger Bekenntnissynode im Gottesdienst in Thüringer Kirchen für unzulässig erklärt. Reaktivmaßnahmen rief besonders eine Erklärung der Pfarrer der Lutherischen Bekenntnisgemeinschaft an den Landeskirchenrat vom 10. Juli 1935 hervor, die 88 Unterschriften trug; im Laufe des Juli schlossen sich noch weitere zwölf Geistliche der Eingabe an« (Meier, Kirchenkampf II, 343; Vf. bezieht sich mit dieser Angabe auf »Chronik des Kirchenkampfes in der Thüringer evangelischen Kirche«). – Die Erklärung besteht aus zwei Schriftstücken, die zunächst getrennt voneinander verbreitet wurden: (1) Die eigentliche Erklärung, zu der die einzelnen Unterschriften gefordert wurden, (2) Schreiben der LBG an den LKR der TheK vom 10. Juli 1935, LKAE, LBG 22, 48 und 170; beide zusammen wurden dann als doppelseitiges Druckstück publiziert, LKAE, LBG 22, 1, Faksimile.

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ausgebildet zu werden u. dann gleich Hilfspfr.stellen zu übernehmen anstelle von ebensoviel Bek.pfarrer, die wegen »Ungehorsam« entl. würden. In den letzt. Tagen hat sich diese Nachricht in den Kreisen der Subalternen auf d. Pfl.berg verbreitet dch. Frl. Herrmann, die mit einem der Kand. [Pflänzel] »heimlich« verlobt ist. Die Kirchenräte u. ihre Vertrauenspersonen dagegen tun immer noch harmlos, als ob nichts geschehen wäre. – Volk ist aus d. Urlaub zurückgekommen u. vom Labi natürl. längst unterrichtet, machte aber keine Andeutg. in sr. Unterredung mit mir. Daß die Herren sich garnicht überlegen, daß die Bekenntnispfr. doch keinen Grund haben, über ihre Aktion zu schweigen. – Erich Reichardt ist in gehobener Stimmung – das Ekel. Vorgestern hatte K.R. Lehmann silb. Hochzeit. Gestern früh erzählte Laue, er habe 4 Uhr früh Sasse u. Franz vollkommen betrunken, (besond. Sasse) wankend nach Hause kommen sehen. Am Freitag Abend, d. 12.7., berichtete Brakhage »hinter der Mauer«260 über die Lage in Thüringen. Ottos sind in Schwarzenberg, Oberbayern, auf das Schlimmste gefaßt, aber ruhig. O. schrieb heute, es sei ihm natürl. sehr schwer, jetzt nicht hier zu sein, aber man müße sich daran gewöhnen, die Sachen aus d. Händen zu geben. Er rechnet mit sr. Absetzung, womögl. mit »Konzertlager«261. Der Kampf gegen die kathol. Kirche ist auf der Höhe infolge der Veröffentlichung des Schreibens des Bischofs von Münster an den dort. Oberpräsidenten (?) wegen einer angekündigten Rosenberg-Rede in Münster.262 – In Baden u. Lippe sind Stahlhelmortsgruppen aufgelöst worden. Alles deutet auf verschärften inneren Kampf. Sasse war am Donnerstag nach Berlin gereist, Leffler u. Leu [Leutheuser] ebenfalls. Die beiden letzteren wahrscheinl. wegen Verhandlungen mit den Berliner D.Chr. am 12.7. (Ev. im III. Reich kündigte diese Besprechg. an); Sasse war wahrscheinlich beim Reibi. Wenigstens sagte das Reichardt [E.]. Ich hörte aus einer Berliner Quelle, die ich nicht nennen will, Frick hätte in der letzt. Zeit wieder verlangt, daß der Reibi gehen solle; Hitler hätte es nicht gewollt u. gesagt, das Konfessionelle dürfe nicht gestärkt werden. Die bekenntniskirchl. Zeitschriften veröffentlichen eine Mitteilg. der Reichskanzlei an Meiser u. Wurm; danach ist eine Mitteilung, die Pfr. Tausch über das Gespräch des Führers im Okt. mit Meiser u. Wurm getan haben soll, unrichtig. Und der Mann bleibt weiter Gauleiter der D.Chr. Die Berliner D.Chr. [RDC ] sollen 1½ Mill. eingeschr. Mitglieder gehabt haben; jetzt noch 700 000. Die Bekenntniskirche hätte 7 Mill.! Die Quelle für diese Mitteilungen ist sehr gut.263 D. 19.7., Freitg. [19. Juli 1935] Es war vor 14 Tagen, am 5., glaube ich, als ich ein sehr interessantes Gespräch in unserer Bücherei mit Reg.rat Osswald, Fritz u. Reichardt [E.] hatte. Fritz kam herein u. 260 261 262 263

Vgl. dazu Anm. 232. »Nur in den ersten Jahren benutzter, flapsig-volkstümlicher Ausdruck für ›Konzentrationslager‹« (Brackmann/Birkenhauer, NS-Deutsch, 114). Zur Kontroverse Rosenberg / von Galen vgl. Damberg, Der Kampf um die Schulen, 102–105. Es ist nicht erkennbar, auf welche Quelle die Tagebuchschreiberin sich hier stützt. Die Zahlen sind viel zu hoch gegriffen, zumal wenn unter Mitglieder eingetragene gemeint sein sollten.

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berichtete, G. Blum habe in Mühlhausen eine Eheweihe gehalten.264 Die Zeitgsnotiz darüber habe er, Fritz, dem L.K.R. eingereicht mit der Randbemerkung, »der L.K.R. wird dazu nicht schweigen können.« Das sei hoffentl. nicht zu frech. Osswald kam dazu u. vertrat temperamentvoll d. Meinung, es sei besser, alle Schwankenden träten aus der Kirche aus. Dann erst könne man kämpfen. Das Schlimmste sei die Tarnung. Ich stimmte begeistert zu. Das war das Thema, über das ich mich stundenlang mit Reichardt [E.] gestritten hatte – der war offenbar peinl. berührt. Osswald behauptete weiter, die Bekenntnischristen kämpften richtig, die D.Chr. falsch, u. wenn sie das nicht rechtzeitig einsähen, würden sie »zermalmt«. Die D.Chr. seien gelähmt durch die Rücksicht auf die Partei! Einer hielt ihm entgegen, daß u. was Sasse in Weimar gegen Hauer geredet hätte.265 Darauf antwortete er leichthin – »ja, aber inzwischen soll er ja gesagt haben, er machte das nie wieder!« Vorgestern, den 17., hatten die D.Chr. in der Kreuzkirche eine Feierstunde. Sasse hat gesprochen. Ich ging nicht hin. Es soll nicht kirchenpolit. gewesen sein. Aber Sasse wieder mal sehr minder. Die Kirche herrlich geschmückt – etwa 450 Menschen. Viele Neugierige darunter, nach Bemerkungen aus dem Publikum zu schließen. Gestern folg. Nachrichten auf einem neuen Weg: Sasse wäre auf der Reise nach Berlin in Weimar ausgestiegen u. hätte von Sauckel Maßnahmen gegen die Bekenntnispfr. verlangt. (Wohl nach hessischem oder sächsischem Muster). Sauckel hätte das glatt abgelehnt (Stier-Ranke). Hohlwein hätte gesagt: »Es wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird« in Bezug auf die Rachepläne gegen die Bek.pfarrer. Bestätigg. gestern von anderer Seite. Telephon. Einladg. an die Bekenntnispfr.! Die geplante Einladung wird heute, Freitag, wieder von anderer Seite bestätigt – zugleich die Nachricht, daß einer der Bek.pfr. seine Unterschrift in einer Erklärg. an den L.K.R. zurückgezogen hat »mit d. Ausdruck des Bedauerns«. – Brakhage sagte, er habe sich den Bek.pfarrern gegenüber mit s. Gesundheitszustand entschuldigt. u. ein ärztl. Zeugnis eingereicht. Bauer [G.]-Gotha wolle dieses »Nein« mit den neuen 7 (?) Unterschriften zugleich an den Pflugensberg schicken. Ich denke, das wird etwa an Montag oben ankommen. Aber der Feigling muß aus der Bek.gemeinsch. rausgeschmissen werden. Das fand auch Brakhage. 264

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Nationalsozialistische Eheweihe. Vgl. den Bericht aus der Eisfelder Zeitung vom 9. Juli 1935: »Gebietsführer Günther Blum traut einen Jungbannführer. Zur Hochzeit des Jungbannführers Erich Heinrich, Mühlhausen, waren u.a. der Gebietsführer der Thüringer Hitlerjugend, Gebietsführer Günther Blum, der Führer des Thüringer Jungvolks, Gebietsjungvolkführer Karl Seele und viele Jungbannführer aus anderen Jungbannen Thüringens am Sonnabend, dem 6. Juli, erschienen. Die Eheweihe fand im Rathaus zur Mühlhausen durch Gebietsführer Günther Blum statt. Die Fahnen des Jungvolks und der HJ waren würdige Trauzeugen« (LKAE, A 868, 114). – Von einem späteren Vorgang der Eheweihung Blums wird wie folgt berichtet (zit. nach: Thüringer Allgemeine Zeitung vom 11. September 1935): »Am 7. September 1935 traute Gebietsführer Günther Blum den Führer der Jungbanne 1/32, 2/32, 3/32, Oberjungbannführer Camillo Gärdtner, in der Kapelle der tausendjährigen Kaiserpfalz Allstedt. Wuchtig und feierlich klang das Orgelspiel ›Erde schafft das Neue‹ durch den Raum. Die Wände waren mit den Fahnen der HJ. ausgeschlagen. Der Gebietsführer übermittelte dem Brautpaar die Grüße und Glückwünsche des Reichsjugendführers und vollzog dann die Weihe des jungen Bundes. Karl Seele gab dem Brautpaar Adolf Hitlers ›Mein Kampf‹ mit auf den Lebensweg« (JK 3 [1935], 883–884). Vgl. Tgb. 27. Mai 1935.

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Gestern Erlaß Görings »Gegen den polit. Katholizismus«.266 Die Herren werden sich wundern. – Heute vorm. kam der Labi in die Bücherei. Er ist nicht angenehm im Wesen in der Nähe, hat Angewohnheiten, eine komische Art zu sprechen. Frl. L. sagt immer wieder so »primitiv, so unwissenschaftlich«. Sie weiß nicht recht, wie sie es ausdrücken soll, ich auch nicht. Also er kommt herein, sucht ein Buch. Deutet auf den Erlaß Görings u. wendet sich an Reichardt [E.]: »Haben Sie das gelesen? Da drücken sie den Katholiken die Kehle zu. Nun, wir wollen uns nicht darüber täuschen: Wenn sie mit »denen« fertig sind kommen wir dran!« (Auch ein Gesprächsthema zwischen mir u. Reichardt [E.], bei dem E. immer tut, als wäre ich mit solchen Ansichten Staatsfeind!) Dann fuhr er fort: »Übrigens ist das Kirchenministerium errichtet worden – mit Kerrl an der Spitze.267 Dicker Freund von Göring. Der Berliner sagt: Nachtigall, ick hör Dir trapsen! Staatssekretär wird Muhs, schärfster Gegner von Marahrens.«268 Ich war ganz ruhig – äußerlich. Aber mir wurde kalt. Als er raus war – Erich [Reichardt] lächelte ulkig – sagte ich sehr kühl:«Na, das ahnten wir ja schon vor ein paar Monaten, das ist ja der alte Plan vom Februar.« Erich sichtlich geärgert: »So, ich hatte das noch nie gehört, kümmere mich garnicht um diese Sachen.« Ich:«Ich glaube, es stand sogar in den englischen Presseausschnitten.« Ich kann nicht sagen, wie mir diese Nachricht auf die Nerven fiel. Es ist klar, daß der radikale Kurs gesiegt hat. Aber damit schaden die Herren ihrer Sache ungeheuer. Wie volksfremd sind diejenigen, die sich solche Dinge ausdenken. Sie haben d. Gefühl für das natürl. Wachstum der seelischen Dinge verloren, haben überhpt. keine seelische Perspektive, alles schiebt sich vor ihren Augen in einer rasenden Verkürzung zusammen. So scheint es mir. – Was steht uns noch bevor? D. 21.7. [21. Juli 1935] Gestern wurde mir ein Exemplar eines Schreibens in d. Hand gedrückt, das am Freitag Abd. als Sammelsendung an alle Pfr. hinausgegangen ist. Es ist unglaublich. Sie haben sich von Meyer-Erlach ein Gutachten über ihre theol. Haltung u. die Aufkündigg. der Unterstellg. der Bekenntnispfr. unter ihre »geistl. Leitung« ausstellen lassen.269 Es ist kläglich u. eine vollkommene Bankrotterklärung. Die Bekenntnispfr. hatten dieses

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Rundschreiben des preußischen Ministerpräsidenten Göring vom 16. Juli 1935, in: Dokumente zur Kirchenpolitik III, 5–9, gegen »die staatsfeindliche Haltung des politischen Katholizismus«, insbesondere gegen den Bischof von Münster, gerichtet. Mit Erlass vom 16. Juli 1935 wurde das Reichs- und Preußische Ministerium für die kirchlichen Angelegenheiten geschaffen, geleitet von Hanns Kerrl (vgl. Besier, 287–336). Text des Gesetzes in: Dokumente zur Kirchenpolitik III, 1 (»Erlaß über die Zusammenfassung der Zuständigkeiten des Reichs und Preußens in Kirchenangelegenheiten«). Hermann Muhs wurde erst am 19. November 1936 in das Ministerium berufen, und zwar zum ständigen Vertreter von Kerrl, zum Staatssekretär erst am 19. April 1937 (vgl. Besier, 297). Schreiben des LKR der TheK an die Oberpfarrer, Pfarrer, Hilfspfarrer, Hilfsprediger vom 17. Juli 1935, das das Gutachten der Theologischen Fakultät Jena enthält; vgl. LKAE, A 783, 23–26.

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Schr. auch bekommen u. dazu die Aufforderung, auf dem L.K.R. zu erscheinen.270 Brakhage war für Montag nachm. bestellt. Es ist geantwortet worden, daß die Pfr. sich nicht einzeln stellten. Es möge mit d. Bruderrat verhandelt werden. Sasse u. Leuth. sind morgen wieder beim Reichsbischof. Sie haben dort wohl auch wegen Günther Blum zu tun. Dessen deutschgläubiges Wirken spielt sich durchaus nicht in einem privaten Rahmen ab. Der »Reichsbote« brachte darüber längere Ausführungen. Den Kand. im Pred.sem. hat man neuerdings gesagt, es stünde durchaus noch nicht fest, in welcher Weise sie verwendet würden. Sie sollten wahrscheinlich »D.C.-Pfarrer« ersetzen, die auf Propagandastellen im Reich kämen. Es sollte durchs ganze Reich ein großer Propagandafeldzug eingeleitet werden.271 Das läßt darauf schließen, daß die Verhandlungen mit den Berliner D.C. [RDC] sich zerschlagen haben. Montag, d. 22.7. 35. [22. Juli 1935] Sasse ist zum allgem. Erstaunen heute hier. Nach Berlin ist Franz gefahren. Im L.K.R. wars stille – kein Pfarrerempfang am laufenden Band, worauf sich der Betrieb offenbar schon gespitzt hatte. »Montag nach. gehts los«, hieß es. – Da O. nicht da ist, erfahre ich nichts. Ein merkwürdiger Zustand, der mich vorige Woche sehr nervös machte. Nun ist ja die Katze aus d. Sack u. ich bin ruhiger. Gestern Abend mit der »Berliner Quelle« zusammen. Sie sprudelte nicht gerade stark, aber die Stimmungsbilder waren sehr eindrücklich. Revolutionen, die Tage u. Wochen dauern gehen schon auf die Nerven – aber bei der Kirche ists seit 2 Jahren eine Dauerrevolution. Am Sonnabend sah ich bei einem zufälligen Blick in d. große Halle die ganze Corona unserer Würdenträger in einer Pose beisammen stehen, die ich nicht vergessen werde. Sie standen alle im Kreis, die Hände in den Hosentaschen, alle sichtlich erschlafft, »auf den Kopf getupft«. Die werden ihre theolog. Gutachten noch schwer bereuen. Eventuell kann man sich ja allerdings ein anderes ausstellen lassen. Donnerstag, d. 22.8.35. [22. August 1935], Gronenbg. Es wird Zeit, daß ich aufschreibe, was ich zuletzt in Eis. erlebte u. was ich hier hörte. Es ist ein Schreiben der Leitung der Thür. D.C. [KDC] an die Vertrauensleute u. Kreisleiter pp. der Bewegung bekannt geworden, in dem steht, daß man still u. leise, ohne das ausdrücklich bekannt zu geben, die Bezeichnung »Nationalkirche« u. »nationalkirchliche Bewegung« fallen lassen wolle. Man wolle damit »den Gegnern den Wind aus den Segeln nehmen« u. sich selbst den Kampf leichter machen272 u.s.w., u.s.w. In Wirklichkeit aber bliebe natürlich alles beim Alten!! 270

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Vgl. das Schreiben, das Sasse am 18. Juli an Pfarrer Heinrich und gleichlautend an andere Pfarrer, die die Erklärung der LBG vom 10. Juli unterzeichnet hatten, hatte ausgehen lassen; vgl. LKAE, LBG 291, 176. Eine solche Maßnahme würde aber der kirchenpolitischen Intention der KDC entsprochen haben, sich über das ganze Deutsche Reich auszubreiten, um am Ende die eine Nationalkirche thüringischer Prägung schaffen zu können; vgl. Tgb. 15. Juni 1934. Zum Hintergrund: »Die Zusammenführung beider DC-Bewegungen unter Lefflers Oberleitung war innerhalb von drei Monaten vorgesehen. Leffler hatte versprechen müssen, das Wort ›Nationalkirche‹ aus dem Wortschatz der Propaganda der Thüringer DC zu verbannen, da es sowohl unter den Gauobmännern als auch in der Gefolgschaft der Reichsbewegung bekenntnismäßige

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Am Sonnabd. den 3.8. fing mein Urlaub an. Am Sonntag bei Bauer[G.] in Gotha. Erfuhr, daß außer Pfr. Knauth noch einer seine Unterschrift unter die Erklärung der Bek.kirche zurückgezogen habe.273 Name vergessen. Er hat sogar dem L.K.R. eine Erklärung ausgestellt mit der der LKRat Eindruck machen kann.274 Es ist schrecklich. Warum solche Menschen dann nicht überhaupt von Anfang an nicht mitmachen! Hier am Freitag, d. 9.8. von Dr. Vahlbruch-Flensburg gehört, daß Christiansen u. Dr. Kinder ihre Berliner Ämter niedergelegt hätten u. beschäftigungslos auf d. Lande in Holstein säßen. Kinder hoffe, sein altes Amt wieder zu bekommen. Am Montag, den 19.8. machte ich in Flensburg eine Kundgebung der offiziellen Kirche gegen die Bekenntniskirche in der Nikolaikirche mit. Dort wurde u.a. mitgeteilt, daß Kinder sein Amt als stellv. Präsident der schlesw. holst. Kirchenleitung wieder übernommen u. die Leitung der D.C. niedergelegt hätte, »nachdem er die Vereinigung der Thüringer mit der Reichsbewegung durchgeführt hätte«! Nichts über seinen Nachfolger. 3 Redner, der 1. gut. Der 2. wollte unparteiisch berichten u. nicht in den Fehler der Gegner verfallen, alle Schuld nur bei den anderen zu suchen. Er sagte auch manches Gute, die Schuld blieb dabei aber schließlich doch bei den »anderen«, deren Gründe er nicht nannte. Der 3. war ganz schlimm u. hetzerisch, zog alles ins Politische. Ich mußte ½11 vor Schluß fortgehen, um meinen Autobus noch zu erreichen. Interessant war mir, daß anscheinend auch hier zum Ausdruck gebracht werden sollte, daß eine »geistliche Leitung« vom Kirchenregiment nicht erstrebt würde. Die Kirche hatte keine Emporen, war überfüllt. Für eine Stadt von 66 000 Einwohnern aber war die Beteiligung nicht groß. 2 Redner schienen nicht aus Flensburg zu sein. Die Gemeinde machte einen wenig beteiligten Eindruck. Bei den Stellen, die Empörung auslösen sollten, keine Bewegung in den Reihen. Mitunter leises Kopfschütteln, auch bei mir. In der Zeitung stand am Dienstag, daß die Bekenntnissyn. in Schlesien (Bischof Zänker) aufgelöst worden sei, da sie »im Gegensatz zu anderen Bekenntnissynoden« den Eindruck habe hervorrufen wollen, daß sie amtlich sei. Undurchdringlich.

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Bedenken erregen könnte« (Meier, Kirchenkampf II, 64–65. – Das vertrauliche Rundschreiben war nicht zu finden. Aber in seinen »Mitteilungen der Reichsgemeindeleitung der Kirchenbewegung »Deutsche Christen« an die Herren Leiter der Gau- und Kreisgemeinden und der Gemeinden und an die Mitglieder der Pfarrgemeinde« vom 19. August 1935 nimmt der Reichsgemeindeleiter Leffler vermutlich auf dieses Rundschreiben Bezug, LKAE, WB 2, 107. Er erklärt dort nämlich: »1. Durch mein letztes Rundschreiben entstand bei verschiedenen Kameraden der Eindruck, daß wir uns von unserem alten Ziel, eine deutschchristliche Nationalkirche zu bauen, distanzieren. Wer auch nur leise mit diesem Gedanken spielt, irrt sich ganz gewaltig.« Der Weg dazu könne allerdings »allein von Innen her erreicht werden«, nämlich in der »Christusgemeinde der Deutschen«. »So heißt unser Weg nach Innen: Bau einer Christusgemeinde aller deutschen Gottsucher, so lautet die Parole nach Aussen: Hie deutschchristliche Nationalkirche – dort internationale Weltkirche römischer Prägung oder auch nach Art der Bekenntnisfront«. Zur »Erklärung« vgl. Tgb. 17. Juli 1935. Es handelte sich um M. Eberbach. Vgl. dazu dessen Schreiben an [G.] Bauer vom 23. Juli 1935, sowie an den Landesbischof vom 22. Juli 1935, LKAE, LBG 23, 191 und 192.

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In Eis. arbeitet König an einer Denkschrift.275 Die Bekenntnisbewegg. habe in einer neuen Erklärung die Rechtslage der Thür. Kirche angezweifelt,276 der Landeskirchenrat wolle nichts beschließen bis Kerrl gehandelt hätte (V.-Leu). Schrecklicher Gedanke, wieder in diesen Kreis zurückkehren zu müssen. Soeben Brief von Thomas, dem man bei seiner Rundfunkandacht am 18.8. (die ich nicht hören konnte) gerade die Stellen – sowohl im Bibelwort wie in der Rede – gestrichen hat, die vom Zentralen sprechen. Die D.Gl. würde zu neuer Frontbildung zwingen, meint Thomas. Augenblicklich sei alles Verworrenheit (damit meint er wohl die D.C.) u. Verkrampfung (Bek.kirche?). Er hatte noch nichts davon gewußt, daß Kinder von Berlin fort sei u. seine Ämter niedergelegt habe. – Persönlich würden ihm jetzt in O. [Oberhof] Schwierigkeiten gemacht – aber er habe ein gutes Gewissen in polit. Dingen. (Wir haben ihm ja gleich prophezeit, daß das nichts hilft u. daß alles gegen das Christentum geht). Den 3.9.35. [3. September 1935] Am Dienstag, d. 27.8. also kam ich zurück. Am Mittwoch bei Ottos. Ich weiß nicht mehr genau, was wir über das Kirchenpolitische sprachen. Viel über die Thüringer Dinge. Ein neuer »B.d.M«(Bund der Mitte!) ist gegründet, Anreger D. Arper! Thomas hat unterschrieben!277 Den 10.9. [10. September 1935] Der 1. Tag im Dienst war schrecklich. Die Atmosphäre wirkt doppelt schauerlich, wenn man eine zeitlang davon entfernt war. Es kostete mich Überwindung, zum 1. Mal wieder in die Geschäftsstelle zu gehen, um nach Zeitschriften zu sehen. Niemand sah auf. Es war Absicht, ganz unnatürlich. Trotzdem spannten Zenker u. Bö. beide als ich herein kam. Sowas fühlt man. Am Freitag Geburtstag von Frau Otto [M.] (30.8.). Ich ging mit fröhlichem Auftrieb hin. ( )a war dagewesen, wir hatten Eindrücke ausgetauscht u. mir schien der Horizont hell. Es waren einige Aussprüche der Maßgebenden im Betrieb bekannt geworden: Sasse zu Bö.: »Wir können hier bald unsre Koffer packen. Wir haben hier bald nichts mehr zu sagen«. (Nach einer Reise mit Franz nach Berlin am 21.8.). Oberl. [Oberländer] zu Hasert: »Ab Dienstag (27.8.) haben wir mit den Bekenntnispfarrern nichts mehr zu tun. Von da an geht alles über Berlin.« (Er meinte, dann würden 275 276

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Der Landeskirchenrat der Thüringer evangelischen Kirche [Druckschrift ohne Titel, aber mit dem Vermerk »vertraulich«], Eisenach, im August 1935 [24 Seiten], LKAE, LBG 241, 1. Die Rechtslage in der Thüringer evangelischen Kirche. Rechtsgutachten, dem Landeskirchenrat der Thüringer evangelischen Kirche übergeben vom Bruderrat der Lutherischen Bekenntnisgemeinschaft in Thüringen, Gotha 1935 (als Manuskript gedruckt, Druck: O. Seitz, Gotha; LKAE, WB 2, 91). Ein Bund der Mitte wurde zu diesem Zeitpunkt noch nicht gegründet. Aber es wurde die Notwendigkeit gesehen, eine »lose Sammlung« jener Pfarrer ins Auge zu fassen, die sich bei den kirchenpolitischen Exponenten der Zeit nicht wiederfanden. Nicht beabsichtigt war die Gründung einer kirchenpolitischen Gruppe (vgl. dazu [I] Schreiben von [Julius Wessinger?] an [?] vom 25. September 1935 sowie [II] Schreiben von [Julius Wessinger?] an Pfarrer Paul vom 25. September 1935, LKAE, WB 2, 185. Pfarrer Julius Wessinger war die treibende Kraft für die spätere Begründung des Wittenberger Bundes (1937), der sich als Bund der Mitte verstand. Zur Formierung der kirchlichen Mitte vgl. Helaseppä, 128–134. Strichzeichnung Männerkopf, steht für Friedrich Bernewitz, vgl. Übersicht Strichzeichnungen.

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die Disziplinarsachen in Berlin entschieden). »Nur die paar Tage noch müssen wir uns plagen.« Aufgefangenes Gesprächsbruchstück Männel: »… dann werde ich das Lokal hier natürlich fluchtartig verlassen.« Ich hatte einen langen »Times«-Artikel übersetzt, der erst über Schlesien (Auflösung der Bek.syn.) berichtete u. dann von einem Verlangen Kerrls an die preuß. (Union) Bekenntnispfr. Mitteilung machte. Danach sei Beschlagnahme der Gelder, Nichtauszahlung der Gehälter u. ähnliche Maßnahmen zu erwarten. Bis heute, 10.9., sind alle diese Prophezeiungen nicht eingetroffen. Am Sonnabd. den 31.8. hat Sasse übrig. noch zu Frl. H. gesagt: »Am Dienstag ist es aus mit der Bekenntniskirche.« Das wäre am 27.8. gewesen. Und wir leben immer noch – heute, am 10.9. Ob man sich in späteren Zeiten wenn alles das überwunden sein wird, wohl noch wird erinnern können, was es gekostet hat, so ins Dunkel hinein einen geraden Weg unbeirrbar zu gehen? Also am 30.8. kam ich fröhlich zu Ottos. Ich weiß nicht mehr, was mir Otto mit dem heitersten Gesicht lachend erwiderte. Jedenfalls war es eine so furchtbare Dusche, daß ich absolut stumm blieb. Mit ein paar Worten zerriß er alle rosigen Traumgemälde u. stürzte mich in absolute Finsternis. Gar keine anderen Aussichten als die allerschlimmsten. Er erwartete eine Art Ultimatum von Kerrl, darauf Weigerung der Bekenntnissynode. Und dann Verfolgung in furchtbarster Form, politische Verleumdung u.s.w. Er hat ja recht, seine Leute so zu erziehen. Das macht hart. Nur habe ichs garnicht so nötig. Ich bin ziemlich widerstandsfähig u. kein Optimist. Ich sehe durchaus die rauhe Wirklichkeit. Aber trotzdem – man schnappt so gern mal Luft! – Ein paar Tagelang habe ich aber den Rückschlag in den Nerven gespürt. An diesem Sonnabd. den 31.8. hielt Otto Wartburggottesdienst Abends 6 Uhr. Karten waren schon 8 Tage vorher sämtlich vergriffen gewesen. Am nächsten Morgen Gottesdienst von Otto in der Kreuzkirche, ½8 Uhr. Abendmahl. Ein wunderschöner Morgen. An Neuigkeiten wurde mir bei mr. Rückkehr übrigens noch mitgeteilt, die Einteilung der deutschen Gaue würde bald erfolgen. Erfurt käme zu Thüringen. Der L.K.R. würde bauen!!! – Die Bekenntnisgemeinschaft hat in einem ausführl. Schreiben, das Bauer offenbar an alle Pfarrer geschickt hat, die Rechtmäßigkeit der jetzigen Thür. Kirchenregierung bestritten.278 Ich habe es noch nicht gelesen. Der Rest, 50 Stück des Schreibens, sind hier bei O. beschlagnahmt worden. Das hat wenig Zweck, wenn es verschickt ist. Die Entwicklg. der Dinge in Kaltenwestheim ist katastrophal.279 Hilfspfr. Müller [W.] ist nach Kaltennordheim ins Gefängnis gekommen. Am Donnerstag Abd. nahm Otto an, er sei schon im Konzentrationslager. (Bibelstunde. Unser Gefühl für die Dinge ist schon so geschärft, daß ich, wenn Otto laut betet, bei der Art, wie er die Fürbitten 278

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Gemeint ist das Schreiben (Tgb. 22. Juli 1935) »Die Rechtslage in der Thüringer evangelischen Kirche. Rechtsgutachten, dem Landeskirchenrat der Thüringer evangelischen Kirche übergeben vom Bruderrat der Lutherischen Bekenntnisgemeinschaft in Thüringen, Gotha 1935« (als Manuskript gedruckt, Druck: O. Seitz, Gotha; LKAE, WB 2, 91), das von Gerhard Bauer für die LBG unterzeichnet war. Zum Fall Wilhelm Müller vgl. Biogramme.

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spricht, schon merke, ob die Lage sich verschlechtert oder gebessert hat.) – Müller [W.] hat die Erklärung mit unterschrieben, mit der dem L.K.R. der Gehorsam in geistl. Dingen aufgesagt wird.280 Das hat man als einen Bruch seiner Zusage angesehen, dem L.K.R. den »schuldigen« Gehorsam zu leisten (Gehorsam in Verwaltungssachen will die Bek.gemeinsch. weiter leisten. Das hat sie ausdrückl. versichert). Nun ist Müller [W.] natürl. durch sein Nachgeben damals in der Unterredung mit dem Labi in eine peinliche Lage gekommen. Indessen liegen die Dinge doch so, daß der Labi keineswegs annehmen konnte, Müller [W.] hätte seinen theologischen Standpkt. gewechselt. Und nur darum handelte es sich bei der Erklärung (102 Unterschriften, 2 zurückgezogen = 100). Freitag, 13.9.35. [13. September 1935] Müller [W.] ist also entlass. worden.281 Kehrt nach Kaltenwesth. zurück, hält Konfirmandenstunden, hat großen Zulauf, der D.C.-Hilfspfarrer hat nur wenige Konfirmanden. Eines Tages wird er verhaftet – soll Äußerungen getan haben, die den Führer u. die S.A. herabsetzten!282 Hat er natürl. nicht, harmlose Aussprüche wurden verdreht. Aber er »sitzt« noch in Kaltennordheim. Wir glaubten ihn schon im Konz.lager. Wie O. letzt. Sonntag erfuhr ist der Befehl, ihn dorthin zu schaffen, schon dagewesen, danach ist plötzl.Weisung gekommen, noch zu warten.283 Das geht wohl auf Kerrls neuen Kurs zurück. Wir hoffen, daß M. [Müller W.] bald entlass. wird. Theophil Reichardt hat inzw. Müllers Konfirmandenstunden fortgeführt. Wird im Auftrag der G. St.p. vernommen – wir glaubten schon, er u. O. sollten auch verhaftet werden, doch bisher ist nichts erfolgt. Inzwischen stirbt in Mittelhausen (Filial)284 eine alte Frau u. hat in ihrem Testament festgelegt, sie wollte nicht von einem D.C.-Pfarrer beerdigt, lieber »wie ein Hund« verscharrt werden. Nun spielen sich rasch nacheinander die unglaublichsten Verhandlungen ab, die das ganze Dorf in furchtbare Aufregg. versetzen. O. sagte, man könnte sich keinen Begriff machen. Otto bestimmt – auf Anfrage der Hinterbliebenen – Spelge die Trauerfeier zu halten. (Dort in der Kirche üblich, Einsegng. am Grab, Glockengeläut). Spelge bekommt vom Labi Mitwirkg. untersagt. Darauf wenden sich Hinterbliebene an O. Der verspricht, selbst zu kommen. Anfrage der Hinterbliebenen an Labi. Der erwidert: Spelge auf keinen Fall, anderer Bek.pfr. erlaubt (natürlich ein Rückzug). Darauf verweigert Bürgermstr. die Erlaubnis für O., auf Kirchhof zu sprechen, Friedhof gehört polit. Gemeinde. (Dazwischen immer wieder Verhandlungen mit dem D.C.-Hilfspfr., der versucht, sich durchzusetzen.) Die Leidtragenden fahren Sonnabd. Abd. nach Eisenach, sprechen 8 Uhr Abds. mit Labi, bitten um schriftl. Bestätigung sr. Zusage. Die wird verweigert. (Otto hielt an dies. Abd. von 8–9 die Wochenschlußandacht, zu Hause 280 281 282 283 284

Zum Fall Pfarrer Wilhelm Müller (Kaltenwestheim) vgl. Biogramme. Vgl. vorige Anm. Vgl. vorige Anm. Vgl. vorige Anm. Verwechslung der Tagebuchschreiberin; gemeint ist das Filial von Kaltenwestheim »Reichenhausen«. Das geht aus einer Niederschrift vom 23. August 1935, LKAE R 231, 13, hervor, in der der an sich schon kuriose Fall von der politischen Seite (Bürgermeister; Landrat; Innenministerium) her beleuchtet wird, ohne dass sich aus der Zusammenschau aller Dokumente ein stimmiges Gesamtbild des Ereignisses ergibt.

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warteten schon wieder die Kaltenwestheimer auf ihn.) Otto fuhr am Sonntag früh mit Theophil [Reichardt] im Auto von Frl. Dr. Hackmack nach K. [Kaltenwestheim]. Man mußte damit rechnen, daß er verhaftet wurde. Abds halb 8 war ich bei Frau Otto [M.]: Sie hatte keinen Telephonanruf erhalten. Da konnten wir uns schon denken, daß alles gut verlaufen war. – Später hörte ich: O. hielt Hausandachten in Kaltenw. am Morgen, um 1 Uhr sollte die Trauerfeier in Mittelhausen im Gehöft der Familie sein. 5 Min. vorher wird O. ein Brief des Hilfspfr. übergeben: Auf Weisung des Labi (!!!) hätte O. die Trauerfeier im Gehöft der Familie zu halten, danach hielte der Hilfspfr. die Feier in der Kirche u. spräche am Grabe. Die Hinterblieb. gehen ins Pfrrhs. u. versichern dem Pfr., die Trauergemeinde würde den Friedhof verlassen, wenn er spräche. Darauf verzichtete der endlich. O. also hält die Trauerfeier im Gehöft u. danach geht der Zug mit dem Sarg ohne Pfr., ohne Glockenläuten zum Friedhof, wo der Sarg ohne Einsegnung in die Erde gesenkt wird. Otto hatte genaue Anweisung gegeben, wie einer der Hinterbliebenen an Stelle des Pfarrers die Einsegnung vornehmen sollte, aber der hatte es nicht fertig gebracht. O. sagte, unbeschreiblich sei die Erleichterg. der Hinterbliebenen nach der Feier gewesen – daß sie es trotz aller Hindernisse fertig gebracht hätten, den Wunsch der Mutter zu erfüllen. Sie seien ordentl. glücklich gewesen. Die Beteiligung an der Feier sei ungeheuer gewesen.. Die D.C. haben jedenfalls das ihrige getan, um sich im Dorf unmöglich zu machen. Diese Trauerfeier wird wohl für Jahrzehnte im Dorf nicht vergessen werden. Am Dienstag, den 3.9. sprach ich Fritz, der vom Urlaub zurück kam. An kirchenpolit. Neuigkeiten brachte er mit: Der Bischof von Braunschweig, Johnsen, sollte Reichsbischof werden, hätte aber verlangt, daß die kirchl. Fronten vorher aufgelöst würden. Dagegen sträubten sich vor allem die deutsch. Chr. – Das wird wohl eine Ente sein. Leffler sollte Reichsleiter der D.C. werden, Kinder habe sich ihm unterstellt.285 Im Lauf der Woche vom 1.–7. bekam ich Druckbogen zu Gesicht, auf denen in ganz gemeiner, niederträchtiger Weise eine einseitige Darstellung der Haltung der Bekenntnisgemeinsch. in Thüringen gegeben, besonders aber der Fall Kaltenwestheim u. Vorgänge, die der Entlassung von 4–5 Hilfspfarrern vorangingen, geschildert wurden. Das ganze Niveau der Darstellung war niedrig. Die Unterschrift: Volk i.V. (Zenker hat L. geschildert, wie es gekommen ist, daß V. unterschrieb. Danach hat er sich dazu gedrängt). Am Sonnabend lag die Schrift fertig vor, »vertraulich«, 24 Druckseiten.286 Am Sonntag früh, als O. in Kaltenwestheim war, trafen bei ihm ein:

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Die Mitteilung, dass Johnsen Reichsbischof werden sollte, war wohl nur ein Gerücht. Dagegen trifft die Aussage über Leffler zu. Kinder und Leffler hatten sich am 13. Juli 1935 darauf geeinigt, dass letzterer Reichsleiter der vereinigten Deutschen Christen werden sollte (vgl. Meier, Kirchenkampf II, 64–65). Der Landeskirchenrat der Thüringer evangelischen Kirche, [Druckschrift ohne Titel, aber mit dem Vermerk »vertraulich«], Eisenach, im August 1935 [24 Seiten], LKAE, LBG 241, 1.

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1.) Eine umfangreiche Broschüre von D. König, Verlag Diederichs, Jena: »Die Autorität des L.K.R. der Thür. ev. Kirche u. die luth. Bekenntnisgemeinsch. in Thür.« (oder so ähnlich);287 2.) die 24 vertraulichen Druckseiten288; 3.) ein Schreiben des Labi, in dem er die Bekenntnispfr. aufs neue zum Frieden mahnt u. eine neue Frist bis zum 15.9. zur Umkehr stellt. Er ist schon mit einer Zurücknahme der Erklärg. vom Juli zufrieden.289 Die Broschüre zu 2) habe ich gelesen. Danach sind die Bekenntnispfr. leichtsinnige, dumme Jungen, die sich einbilden, es könne ihnen nichts passieren u. die die unbegreifl. Langmut u. Gutmütigkeit des L.K.R. mißbrauchen. Sie stehen unter dem »Kommando« ihrer Leitung (O.) die im Grunde die alleinige Verantwortung trägt. Die Broschüre von K. [König] habe ich noch nicht gelesen. Ich habe direkt Angst vor der Wut, die mich packen wird. L. zeigte mir einen Satz, der die polit. Verleumdung in einer ganz perfiden Form enthielt. Wie mir ( )a erzählte, glauben die D.C., mit Königs Broschüre einen großen Schlag getan zu haben. O. sagt, sie sei natürl. 10mal besser, d.h. klüger abgefaßt, wie alles, was die D.C. schrieben, u. natürl. auch schwerer, darauf zu antworten. O. ist von morgens bis abends gehetzt. Gestern Abd. nach der Bibelstunde, während zu Hause schon wieder ein Brautpaar auf ihn wartete (¾10) u. wir um ihn herum standen, mitten auf d. Straße, besprach er sich kurz mit Theophil [Reichardt] über die Antwort an Sasse, die natürl. sehr wichtig ist u. bis übermorgen erfolgen soll. Und die Kirchenräte arbeiten in aller Gemütlichkeit, mit allen Hilfsmitteln … Am Dienstag war O. in Berlin; auf der Rückreise Bruderrat in Erfurt. Gestern sagte mir seine Frau ganz kurz einiges von den Berliner Ergebnissen.

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Der Landeskirchenrat der Thüringer evangelischen Kirche (Hg.), Der Landeskirchenrat der Thüringer evangelischen Kirche und die Bekenntnisfront. Zum Kampf um die Autorität der Kirche, Jena 1935 (mit einem Vorwort von Landesbischof Sasse; verfasst von Dr. Karl König [lt. Protokoll der Sitzung des LKR vom 3./4. September 1935; LKAE, A 122, 41]). Vgl. dazu das Schreiben der Thüringer Kirchlichen Konferenz an den Landeskirchenrat der Thüringer evangelischen Kirche vom 21. Oktober 1935, unterzeichnet von D. Richard Otto, Kirchenrat i.W. in: Schmidt, Bekenntnisse III, 283–286. Die Schrift ist zur Hauptsache eine Darlegung des Verhältnisses zwischen dem LKR und einzelnen Pfarrern der LBG, die sich mit der Erklärung vom 10. Juli 1935 (Tgb. 17. Juli 1935) in geistlichen Angelegenheiten dem Bruderrat der LBG unterstellt hatten. Behandelt werden die aus dem Kirchendienst entlassenen Hilfspfarrer Müller aus Kaltenwestheim (S. 4–15), Raatz aus Schalkau (S. 15–17), Graser aus Schalkau (S. 17) und Fraedrich aus Großkröbitz (S. 20). Im weiteren Verlauf der Druckschrift wird darauf hingewiesen, dass man Entlassungen nicht vorgenommen habe wegen der Verkündigung des »reinen und lauteren Evangeliums«. Auch seien in quantitativer Hinsicht in etwa genau so viele Pfarrer entlassen worden, die der KDC oder der NSDAP angehörten. Abschließend wird auf die Verpflichtung zum Besuch der Pfarrerschulungskurse eingegangen, die ja doch seitens des LKR in sehr eingeschränktem Maße praktiziert worden sei; es sei jedenfalls kein Druck auf die Gewissen ausgeübt worden. Schreiben des Landesbischofs der Thüringer evangelischen Kirche an die Pfarrer vom 7. September 1935, in: Schmidt, Bekenntnisse III, 199–202. Strichzeichnung Männerkopf, steht für Friedrich Bernewitz, vgl. Übersicht Strichzeichnungen.

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Am Montag hatte O. bei der vorläuf.. Kirchenleitung antelephoniert, mit Breit gesprochen, ihn kurz informiert u. schließl. gesagt: »Die Entscheidung wird wohl für uns sehr schwerwiegend sein.« Darauf hatte Breit gesagt: »Das glaube ich nicht nach dem, was Kerrl gesagt hat.« Sonnabd., den 14.9.35. [14. September 1935] Am Donnerstg., den 12.9., war ich abds. vor der Bibelstunde kurz bei Ottos. Er war wieder mal gehetzt, diktierte, u. ich sprach nur seine Frau [M.]. O. war also u.a. im Ministerium Kerrl u. hat in einem von Kerrls engsten Mitarbeitern, einem Juristen, Ruppel, einen Bekannten aus dem C.S.V.290 entdeckt. Dem hat er alles gesagt u., wie es ihm schien, Verständnis gefunden. Die Thüringer Darstellung der »Fälle« (Autor Stüber)291 u. die Königsche Broschüre lag schon vor. O. ist angeregt worden, seine Darstellg. der Sachlage auch dorthin zu geben. Auf seine Bemerkung, der Landeskirchenrat würde die Thür. Bek.pfr. nun wohl entlassen, sagte R. [Ruppel] … (ich will es lieber nicht aufschreiben. Auch eine Bemerkung über Leffler war interessant). Auf der Rückreise von Berlin hat O. in Erfurt den Bruderrat gesprochen, davon hörte ich nichts weiter. Gestern, Freitag, waren alle Bekenntnispfr. in Erfurt zusammen. Was dabei herausgekommen ist, wurde mir heute im L.K.R. zugeflüstert. Es lag die Meldg. eines Pfarrers vor, dem sein Hilfspfr. gesagt hatte: die Bekenntnispfr. wären gestern in Erfurt zusammen gewesen u. hätten ihre Haltung nicht geändert. Ein Zettel mit dieser Mitteilung wurde in die Sitzg. gebracht. Gestern Abend hatte ich eine »Times« vom 7.9. zu übersetzen, Abschrift in mr. Sammlung292. Heute einige Zeitschriften, darunter »Positives Christentum« vom 15.9.35. Darin stand, daß Studienrat Rehm, der stellvertr. Leiter der Reichsbewegung D.C., Reichsleiter geworden sei anstelle von Kinder u. dann über die Thür. D.C. [KDC] einige Sätze die sehr anmaßend klingen, sehr beschämend im Ton für die Thüringer, wenn man an alle ihre Prahlereien denkt.293 (Leffler sollte Reichsleiter der D.C. werden – ja, sie werden wohl alle Hebel in Bewegung gesetzt haben! – u. Kinder habe sich Leffler unterstellt!! Ich schrieb das vor einer Woche an Wahlbruch.294 Vielleicht erfährt es K. 290 291

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Gemeint ist wohl DCSV (Deutsche christliche Studentenvereinigung). Der Landeskirchenrat der Thüringer evangelischen Kirche, [Druckschrift ohne Titel, aber mit dem Vermerk »vertraulich«], Eisenach, im August 1935 [24 Seiten], LKAE, LBG 241, 1. Die Verfasserschaft Stübers geht aus dem Protokoll der Sitzung des LKR vom 3./4. September 1935 hervor, LKAE, A 122, 41. Dokumente und Abschriften, vermutlich gesammelt von Marie Begas, LKAE. Vgl. Positives Christentum 1 (1935), Nr. 11 vom 15. September 1935, 1. Über das Verhältnis von RDC und KDC wird der Leser dann wie folgt informiert: »Bezüglich der Verschmelzung der Reichsbewegung Deutsche Christen mit der Thüringer Kirchenbewegung der Deutschen Christen wird als Verlautbarung der Gauobmännertagung bekannt, daß die gesamte Struktur der Bewegung und die allgemeine Lage eine eindeutige Fortsetzung der bisher in der Reichsbewegung vertretenen biblisch-reformatorischen, an Luther ausgerichteten Haltung verlangt. Entsprechend der Kundgebung vom 14. Juli 1935 ist die Reichsbewegung nach wie vor bestrebt, bei Vertretung ihres Anliegens ohne Reibungen mit den Thüringer Deutschen Christen zu arbeiten. Sie erwartet die entsprechende Haltung von der Thüringer Kirchenbewegung.« Vermutlich Dr. Vahlbruch; s. Biogramme.

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L. zeigte Frl. H. die Notiz in »Posit. Chr.« Darauf H.: »Ja, Rehm! Der erkennt doch unseren Kirchenrat Leutheuser nicht an.« Was nun? Im V.D. haben sie eine neue Dame eingestellt. Schilderung des Gesprächs, das sie mit einem der Kirchenräte führte.295 Ein Bekenntnispfr. habe zu ihr gesagt: »Es weht Gefängnisluft.« Darauf sie zu ihm: »Nehmen Sie sich in acht! Ich bin Parteigenossin! Ich kann Sie sofort anzeigen!« Und darauf sei er soo klein geworden. Die Bekenntnispfr. lüden besonders gern die Damen ihrer Kollegen ein u. bewirteten sie mit Schlagsahne … oh, sie kenne die Bekenntnispfr.! Sie sei ja immer noch von denen herangezogen worden zu Bibelarbeit und so; aber schließlich gäbe es ja eine Grenze, wo man nicht mehr mitmachen könne. Sie habe einen Onkel der Bekenntnispfr. sei. Der habe kürzlich Geburtstag gehabt. Da habe sie ja hin gemußt; aber sie habe gesagt: Wenn ich ins Haus komme, wird nicht von Kirchenpolitik gesprochen … Und über das alles schallendes Gelächter, innige Freude bei Männern wie Franz! Der duzt sich jetzt mit den D.C., auch mit Sasse. – Vor dem haben alle Hochachtung gehabt. Wenn er wüßte, wie jetzt auch einfache Gemüter über ihn reden. Ich wills nicht aufschreiben. Von Volk garnicht zu reden. Montag fährt Tegetm. nach Berlin. Auch über die Finanzpläne hörte O. etwas, was ich nicht aufschreiben will. Wenn Kerrl seine Absicht wahrmacht, Kirchenregierungen aus »Neutralen« zu bilden (Times!), dann begreife ich, daß Sasse sagte: »Wir können hier bald die Koffer packen …« Dann wird vielleicht Thomas noch einmal Landesbischof. Ich wundere mich über nichts mehr. Vor 2 Jahren dachten wir, der Himmel müßte einstürzen, als Leutheuser Volksdienstleiter wurde! Ich weiß noch: Ich kam von einer Dienstreise nach Berlin zurück (Versammlg. mit Frau v. Tiling in den Frauenvereinssachen) u. ging bei der Rückkehr auf d. Bahnhof gleich rasch ans Telephon, um oben anzufragen, was es Neues gebe. Und da sagte Spigaht trocken: »Kirchenrat Leutheuser wird Volksdienstleiter, Pfr. Thomas geht nach Oberhof.« Und ich: »Danke, sonst nichts?« »Nein, nichts.« ( )a u. ich sind uns einig darüber: Die Stimmung im Haus ist noch viel schlimmer geworden als vor einigen Wochen. Keiner traut dem andern mehr. Ich kann es mir nicht mehr vorstellen, daß Leute, die D.Chr. sind, noch offen mit mir über ihre Einstellg. reden könnten, wie das voriges Jahr noch war – ja, noch Anfang dieses Jahres. Ich habe so eine Ahnung, als ob das mit dem Brief Lefflers an seine Vertrauensleute zusammenhinge, der den Weg in die kirchliche Presse gefunden hat u. in dem er schreibt, daß man »in aller Stille« das Wort »Nationalkirche« fallen lassen wollte.296 ( )a hat wieder einen Gesprächsbrocken aufgefangen, aus dem wir schließen, daß die Berliner D.C. mit den Thüringern jetzt nicht gerade sanfte Töne reden.297 Frl. Selbmann 295 a 296 a 297

Angestellt wurde im VD zum 11. September 1935 Cläre Quambusch für das Fachgebiet FrauenArbeit. Strichzeichnung Männerkopf, steht für Friedrich Bernewitz, vgl. Übersicht Strichzeichnungen. Vgl. Tgb. 22. August 1935. Strichzeichnung Männerkopf, steht für Friedrich Bernewitz. Diese Bemerkung bezieht sich auf die – letztlich vergeblichen – Bemühungen von RDC und KDC im Jahre 1935, eine gemeinsame kirchenpolitische Orientierung zu finden (vgl. dazu Meier, Deutsche Christen, 105–110).

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zu Jansa u. anderen: »… das begreife ich garnicht! Erst hieß es, man wollte miteinander kämpfen …« Den 17.9.35. [17. September 1935] Der L.K.Tag soll zum 24. einberufen werden. Das wußte ich schon seit einigen Tagen. In der großen Halle werden Gesetze kollationiert. Volk hat jetzt zu tun. Das kommt davon, daß er die Schmähschrift unterschrieben hat. Jetzt sollen diese Pfarrer diszipliniert werden.298 Ich sah einen streng vertraulichen Entwurf liegen: Verweis u. Geldstrafe (200 M ?). Das wohl nur für die »Verführten«. Mit dem »Bruderrat« wird man wohl anders umspringen. Aus dem Ministerium Kerrl werden sie allerdings Nachricht haben, daß sie nicht mehr einfach entlassen können (Informationen O. aus Berlin! R.! Notizen!). Das Schlimmste erfuhren wir am Donnerstag. Breithaupt sagte es mir in der Bibelstunde (11.9.). Der L.K.R. hat verfügt, daß in allen Gemeinden K.vertreter- oder K.vorstandssitzungen einberufen werden müssen, in denen die Schmähschrift vorgelesen werden muß.299 Eine üble Hetze. Eine Schmähschrift, die u.a. die Behauptung enthält, es sei aus Kreisen der Bekenntnisgemeinschaft ein Artikel über die Thür. Verhältnisse an die Schweizer Presse gegeben worden.300 Es wird einfach verleumdet. Ursprünglich haben die beiden Worte »böswillig« u. »gewissenlos« noch in der Schrift gestanden. Phieler, der die Korrekturbogen beim Warten im weißen Saal las, hat zu Volk gesagt, das sei zuviel, das ginge nicht. Volk hat wortreich den Zufall gepriesen, der Phieler die Druckbogen in die Hand gespielt hat (obwohl er sie nicht hätte lesen dürfen) u. sich gerühmt, daß er, Volk, die Worte auf Phielers Rat gestrichen u. also die Schrift »noch gemildert« hätte. Also im ganzen L.K.R. ist keiner auf den Gedanken gekommen, daß diese Worte unmöglich seien. Aber es genügt, daß irgendein Pfarrer das sagt u. sie werden gestrichen. Was ist das nur für eine Art? Was für ein Arbeiten? O. ist am Dienstag in Berlin gewesen; auf der Rückfahrt hat er den Bruderrat in Erfurt gesprochen. Am Freitag war Versammlung aller Bekenntnispfr. in Erfurt301, um Beschluß zu fassen über die letzte Aufforderung von Sasse, die Unterschrift unter der Erklärg. vom 10. Juli zurückzunehmen.302 Der arme O. war die ganze Woche gehetzt. Am Sonntag Mittag seine Geburtstagsbriefe vom Donnerstag noch nicht gelesen, am Sonnabend nachts ½11 hat er sich zum 1. mal mit sr. Predigt beschäftigt. Ich kann mir 298 299

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Vgl. Tgb. 13. September 1935 u. zugehörige Anm. 286. Zum vertraulichen Schreiben, das die Tagebuchschreiberin als »Schmähschrift« bezeichnet, vgl. Tgb. 13. September 1935. Die Verlesung wurde in einem Schreiben des Landeskirchenrats der TheK an alle Pfarrer vom 9. September 1935 angeordnet, LKAE, A 783, 132. Ein solcher direkter Vorwurf findet sich in dem vertraulichen Schreiben des LKR nicht. Es ist lediglich angemerkt, dass die LBG ein Schreiben des Pfarrers Eberbach an den Landesbischof über ein seelsorgerliches Gespräch zwischen beiden »in die Öffentlichkeit« gegeben habe, »ohne dazu vorher die Erlaubnis einzuholen oder vorher die Erklärung genau zu vereinbaren. Der Brief des Pfarrers Eberbach bringt eine Reihe Formulierungen falsch« Druckschrift ohne Titel, wie Anm. 286, Seite 2. Zur Erklärung vgl. Tgb. 17. Juli 1935. Zum Schreiben des Landesbischofs vgl. Tgb. 13. September 1935. Die LBG reagierte mit dem Beschluss vom 11. September 1935, LKAE, LBG 291, 195, über eine Erklärung, die jeder Pfarrer dem Landeskirchenrat gegenüber abgeben sollte: Man sei gewissensmäßig nicht in der Lage, die Unterschrift zurückzuziehen.

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denken, wie furchtbar ihm das ist. Am Sonntag sagte seine Frau [M.], er würde das nicht mehr lange aushalten. Gestern Abend aber waren beide wieder ruhig und frisch. Die Antwort an Sasse, die ganz glänzend ist, in der Sache scharf, im Ton sehr verbindlich – sogar zu verbindl. finde ich (es wird der Beweis für die Lieferg. von Nachrichten an die Auslandspresse erbeten, nicht gefordert), ist gestern früh heraufgeschickt worden. Ihr sind die geforderten Einzelerklärungen der Pfarrer, die unterzeichnet hatten, beigefügt. Der Brief ist noch nicht aufgemacht worden, da er an Sasse adressiert und der noch nicht vom Parteitag303 zurück ist.304 Die werden sich ja freuen, wenn sie ihn lesen. Ich habe ihn in der Sammlg.305 Gestern nachmittag kam der Registrator Müller [H.]. Es würde ein »Wort an die Gemeinden« der Augsburger Bekenntnissynode gesucht, das sei nirgends zu finden, niemand wüßte was davon, auch Bauer nicht. Ob ich ihm helfen könnte? Ich konnte es, gab ihm die betr. Nr. der »Jungen Kirche«.306 Es ist typisch, daß das nicht bei d. Akten ist. Wahrscheinl. hat es überhpt. noch keiner gelesen. Es geht aus allen Äußerungen überhpt.stets hervor, daß man garnicht versucht, wirklich die Wahrheit zu finden, sondern man verzerrt das Bild des Gegners nach Kräften so stark wie möglich, stellt es ganz karrikiert hin, um die Leute abzuschrecken. Spricht aber nicht von den Dingen, um die es geht. Sonst wäre z.B. ein Gespräch unmöglich, das Volk mit L. neulich über mich geführt hat u. das etwa folgendermaßen lautete: »Gehört Frau Bgs. Eigentlich noch der Bek.gemeinsch. an?« »Ja, soviel ich weiß.« »Spricht sie mit Ihnen davon?« »Oh ja; sie spricht mit mir öfter über Kirchenpolitik, soweit sie aus den Zeitschriften bekannt ist.« »Mit mir redet sie nicht darüber. Warum wohl nicht? – Wenn ich nur wüßte, ob das bei Frau Bgs. lediglich die Freundschaft zu Ernst Otto ist oder Überzeugung. Ich kann nicht glauben, daß diese kluge Frau aus Überzeugung bei diesen Leuten mitmacht, die, glaube ich, sogar auf dem Standpunkt stehen, daß Gott jedes einzelne Wort der Schrift besonders inspiriert hätte.« Der hat umsonst in allen Predigten von E. O. gesessen. Und was habe ich mir 5 Jahrelang für Mühe gegeben, um ihm zu zeigen, daß die richtige innere Freiheit bei »diesen Leuten« liegt. Der gute V. ist wahrhaftig keine Propaganda fürs Gegenteil. Fast die unglücklichste Existenz, die ich kenne. Er will übrigens Goethesche Weltanschauung darstellen. Sein 3. Wort ist »Überlegenheit«. Der arme Mann.

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»Reichsparteitag der Freiheit« in Nürnberg aus Anlass der Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht (16. März 1935) und zur Verkündigung der Nürnberger Gesetze (15. September 1935); vgl. Enzklopädie des Nationalsozialismus, 687. 620. Schreiben des Bruderrates der Lutherischen Bekenntnisgemeinschaft in Thüringen an den Landesbischof vom 14. September 1935, in: Schmidt, Bekenntnisse III, 202–208. Dokumente und Abschriften, vermutlich gesammelt von Marie Begas, LKAE. Wort an die Gemeinden, JK 3 (1935), 648–652.

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Hitler hat gestern, im Schlußwort zum Nürnberger Reichsparteitag, über Religionen gesprochen, die mit den Völkern, die sie tragen, untergehen.307 Dazu kann man nur sagen – ja, völkische, heidnische Religionen, wo die Völker sich ihren Gott selber machen. Der Gott, der Himmel u. Erde gemacht hat, geht nicht unter, wenn ein Volk auf d. Stern »Erde« stirbt. Manchmal gibt es doch auch Lichtblicke, die einem Freude machen. Solche Lichtblicke verschafft einem Lehmann mitunter. Als vor ein paar Tagen plötzlich der Reichstag zu Sonntag Abd. nach Nürnberg einberufen wurde u. alle Welt rätselte, warum wohl, tippte Lehmann auf die Kirchenfrage!!! Wie wichtig der sich vorkommen muß! Solche Leute sind doch glücklich. Heute fiel mir bei der Lektüre der »G.H.«308 ein, daß in diesen Tagebuch-Blättern eigentlich nie die Rede ist vom Kampf gegen das Christentum, wie es immer deutlicher im öff. Leben hervortritt. Das halte ich ganz bewußt nicht fest. Das würde zuviel. Nur so Einiges, was mir persönl. begegnet. Ruth schrieb, daß Dr. V.309, der in die S.S. eintreten wollte, der Vorwurf gemacht worden sei, er sei zwiespältig gesinnt. Bei ihm zu Hause würde doch noch das Tischgebet gesprochen. Das paßte nicht in den Geist der S.S. – Diesen jungen Menschen gehts zu gut. Sie fühlen sich wie die Könige als die »Auslese der Tüchtigsten« oder so ähnlich. Wenn die aber erst mal ein Menschenalter hinter sich haben … Heute früh sollte L.K.R.-Sitzung sein, um die Vorlagen für den L.K.Tag310 endgültig zu erledigen. Sie hat jetzt, kurz vor 6 Uhr abds., immer noch nicht angefangen. Der Labi noch nicht zurück von Nürnberg311, Leu [Leutheuser] in Urlaub, Tegetmeyer in Berlin, Lehmann fand die Sache zu unwichtig u. wollte nicht kommen pp. Dazu wurden zahllose Aktenstücke u. Einzelsachen gesucht. L. machte mir eine Beschreibung. Volk, der ja offenbar seit langer Zeit zum 1. mal wieder in einer wichtigen Sache in Anspruch genommen ist, tobt u. hält Oberländer lange Reden: »Der Hilfsreferent muß hinter dem Kirchenrat stehen wie eine Kinderfrau …!« Hinter seinem Rücken hohnlacht das Personal. Ich ahne, daß die nächsten 8 Tage vor dem L.K.Tag noch manches Versäumnis enthüllen werden. Und Ottos Brief liegt immer noch ungeöffnet, da er an Sasse selbst adressiert ist. Die ahnen ja noch nicht, was er alles enthält! U.a. die Mitteilg., daß der Thür. Bek.gemeinsch. der Vorwurf, sie hätte durch Unterstellg. unter die Vorläuf. Kirchenregierg. die Verfassg. gebrochen, zu Unrecht gemacht ist – (u. in welcher Tonart! 307

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»Auch Religionen haben nur dann einen Sinn, wenn sie der Erhaltung der lebenden Substanz der Menschheit dienen. Denn sind erst die Völker als solche untergegangen, bleiben weder die Religionen noch die Staaten als Ewigkeitserscheinungen übrig« (Völkischer Beobachter. Norddeutsche Ausgabe / Ausgabe A, 48 [1935], 259. Ausgabe vom 18. September 1935; vgl. auch: JK 3 [1935], 928). GuH, Monatsblatt für das evangelische Haus, hg.v. Volksdienst der Thüringer evangelischen Kirche [mit Bildbeilage]; begr. 1924. Es gab auch eine Wochenausgabe. Vermutlich Dr. Vahlbruch; s. Biogramme. Der LKT fand am 24. September 1935 statt. Als Tagesordnung war zunächst ein Bericht des Landesbischofs zur kirchlichen Lage vorgesehen; sodann sollten verschiedene Gesetzesvorlagen des LKR besprochen werden; vgl. Protokoll der Sitzung des LKR der TheK vom 18. September 1935, LKAE, A 122, 46. Vom Reichsparteitag!

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Vor allen Gemeinden!), daß der Beweis gefordert wird für die Anschuldigg. der Nachrichtenlieferung an die Auslandspresse, daß die Bek.gemeinsch. weiß, daß der neue Führer der D.Chr.312 die Thüringer wegen »Schwarmgeisterei« ablehnt u.s.f. Leutheuser, Leffler sprechen u.a. gemeinsam mit dem Reichsbischof auf einer »Reichskirchentagung« in Bremen vom 20.–23.9.313 Das wird die neueste Tarnung für die Werbung für die Nationalkirche sein. Abds. 9 Uhr. Eben komme ich von O. Er war sehr traurig. Müller [W.]-Kaltenwestheim ist heute nach Sulza ins Konz.lager transportiert worden.314 Vorgeworfen wird ihm, er hätte gesagt, die S.A. hätte den Kirchenstreit in Kaltenwestheim angefangen. Er bestreitet, das gesagt zu haben, offenbar haben auch andere Zeugen das bestritten, denn es ist nur von einer Zeugenaussage die Rede. Er hat ungefähr gesagt, daß die S.A. sich in den Kirchenkampf gemischt hätte, wäre nicht im Sinn des obersten S.A.-Führers. Der Befehl zur Überführg. nach Sulza ist von Marschler am 12., während des Parteitages unterschrieben. Deutet das auf schärferen Kurs oder hat Sasse das in Nürnberg persönl. erreicht? Morgen ist hier die Kirchenvertretersitzung, in der das gemeine Machwerk von Stüber315 verlesen werden soll. Ich begleitete O. eben zu Brakhage. Sie wollen überlegen, was sie tun sollen. O. sagt, sich da 2 Stunden hinsetzen u. diese Gemeinheiten widerspruchslos mit anhören, das könnte er nicht. Er ließe sich lieber mit Ruten peitschen. – Er war sehr müde, überlegte, ob es nicht besser sei, aus der Kirche auszutreten. Nur die Amtsbrüder wolle er nicht im Stich lassen. Den Gemeinden könne er viell. auf andere Weise besser dienen. Ein Pfr. habe kaum noch Möglichkeit, zu wirken. D. 18.9. [18. September 1935] Frl. Linde kam atemlos mit irgendeiner Sache in mein Zimmer gestürzt. »Es ist toll unten, einfach toll. Dr. Volk hat nun diese ganzen Disziplinarsachen, Zusagen u. Absagen auf den Brief des Landesb. Und er ist so nervös u. macht alle anderen mit nervös – toll einfach.« Reichardt [E.] stand daneben u. lachte. »Ich habe es auch gemerkt. So toll.« Er brachte mir die neueste Nr. der »Briefe an dtsche Christen«: »Das ist sehr interessant,

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Wilhelm Rehm. Gemeint ist die Reichskirchentagung für Niederdeutschland, die vom 20.–23. September 1935 in Bremen stattfand. Leffler und Leutheuser waren als Redner vorgesehen. »Besonders interessant ist das Auftauchen des Thüringer DC-Führers Leffler (an die Stelle von Leutheuser trat Landespropst Fiedler), weil es zeigt, daß Weidemann [»Landesbischof« der Bremischen Evangelischen Kirche] hier die Rivalität der Thüringer nicht fürchtete. Vielmehr läßt das im Mittelpunkt stehende Referat Lefflers über ›Die innere Haltung der DC‹ die Interpretation zu, daß Leffler hier als deutsch-christlicher Hauptideologe fungieren sollte, wohingegen Weidemann sich als kirchlicher Leiter der DC-Sammlung vorstellen wollte« (Heinonen, Anpassung, 68). Zum Fall des Pfarrers Wilhelm Müller vgl. Biogramme. Vgl. Anm. 291.

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ich weiß nicht, ob Sie es schon wissen – es enthält die Auseinandersetzg. mit den D.C. Berliner Richtung. Es ist doch zum Bruch gekommen …«316 »Ja, ich weiß«, sagte ich. Otto hatte diese Nachricht schon aus Berlin mitgebracht. Aber daß sie in der Öffentlichkeit breitgetreten würde, das hätte ich doch nicht gedacht. Ich kann nicht begreifen, wie das mit den Pressegesetzen übereinstimmen soll! Ich las den Artikel. Das ist allerhand. Die Berliner werden sich das nicht ruhig gefallen lassen. Der Pflugensberg kommt mir heute vor wie ein einziges großes Pulverfaß. Und das gleich nach dem Parteitag. Wenigstens wird es das Interesse der Gemeinden etwas von dem Streit gegen die Bekenntnisleute in Thür. ablenken. Da wird doch wohl mancher nachdenklich werden. D. 19. [19. September 1935] Es wird schon wieder »verzweifelt« gesucht – 4 Mann hoch. Schließl. kam Frl. Hasert zu mir, die Schrift von Putz, wo gesagt wird, daß die D.Chr. in Thür. keine Christen sind.« Nr. 20 Junge Kirche, Jahrgang 34.317 Mein Verdacht bestätigt sich. Sie haben auch das noch nicht – oder noch nicht richtig – gelesen. Gestern muß es schlimm hier im Haus gewesen sein. Volk hat alle angeschnauzt. Die Leute sind wütend. Offen wird in den Büros gesagt:«Erst läßt er sich alles aus der Hand nehmen, nachher moniert er. Warum hat er sich nicht früher darum gekümmert.« Die Unordnung soll fürchterlich sein. Franz u. Sasse sind seit gest. Abd., wieder in Berlin, wollen morgen zurückkommen. Der Reichsbischof hat sie zitiert. Volk soll wütend sein, weil nicht er an Stelle von Franz mitgenommen wird. D. 20.9. [20. September 1935] Die K.vertretersitzg. hat stattgefunden. Nur der Ob.pfr. u. Pfr. Kiel waren dabei. Pfr. Nitzsch u. Hertzsch (Mitzenheim war verreist) haben gemeins. mit O. u. Brackhage u. den Mitgliedern der Bek.gruppe in der K.vertretg. ein Schreiben an den Kirchenvorstand unterzeichnet (Kühn hat nicht mit unterzeichnet, hat aber an der Sitzg. nicht teilgenommen), in dem sie sehr deutlich die Gründe sagen, warum sie die Verlesg. der vertraul. Schrift für unheilvoll halten u. nicht mit anhören können.318 Die K.vertretung hat ein Mißtrauensvotum gegen O. beschlossen.319 Der L.K.R. aber hat gestern an alle Ob.pfr. Weisung gegeben, daß die Verlesg. der Schrift, wo sie noch nicht geschehen ist, nicht stattzufinden brauchte.320 Es geht wohl auf den Brief von O. zurück, der Eindruck gemacht hat. Einige Pfr. oder Ob.pfr. im Lande, die nicht D.C. sind, haben auch gestreikt. 4 dieser Namen weiß ich. 316

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Leffler, Der Weg der Deutschen Christen, BrDC 4 (1935), 210–210b. Zu den Ereignissen vom 8. September, in deren Verlauf es nicht wie vorgesehen zur Bestellung von Leffler sondern von Rehm zum Reichsleiter aller Deutschen Christen kam, vgl. Meier, Deutsche Christen, 107–110. Putz, Warum Bekenntnisgemeinschaft?, JK 1 (1934), 834–847. Schreiben von [einzelnen] Mitgliedern der Lutherischen Bekenntnisgemeinschaft in der Kirchenvertretung Eisenach an den Vorsitzenden der Kirchenvertretung Eisenach, Oberpfarrer Stier, vom 17. September 1935, LKAE, LBG 241, 10–12. Schreiben des Kirchenvorstandes Eisenach an Pfarrer Nitzsch vom 19. September 1935, LKAE, LBG 241, 12. Vgl. Protokoll der Sitzung des LKR vom 1. Oktober 1935, aus dem hervorgeht, dass Befreiungen von der Verlesung möglich waren, LKAE, A 122, 51.

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Entlassen wird man nicht, soweit ich unterrichtet bin. Wo meine Kenntnis herstammt möchte ich nicht aufschr. O. sprach in der Bibelstunde gestern Abd. über die 2. u. 3. Bitte des Vaterunsers u. las Luthers Erklärungen aus d. kleinen u großen Katechismus dazu vor. Sie hatten ihm innerlich stark geholfen. Die Bekenntnisleute blieben nach der Bibelst. noch beisammen, O. sprach vom Stand unserer Angelegenheiten, bes. von Müller [W.]-Kaltenwestheim. Wir beteten für ihn. Der Anlaß, aus dem er, wie die Regierg. betont, ins Konzentrationslager kam, ist eine Bemerkung gegen die S.A., die er getan hat, als die S.A. im Dorf einen Wagen herumfuhr mit einem Bild, auf dem sich Pfr. im Talar mit den Kreuzen über die Köpfe schlugen. Er hat dann gesagt (er behauptet, sich anders ausgedrückt zu haben), die S.A. hätte den Kirchenstreit in Kaltenwestheim angefangen. Der Minister hat in sr. Zuschrift an O. betont, daß M. [Müller W.] wegen sr. Äußerung gegen die S.A., nicht wegen sr. kirchenpolit. Haltg. ins Konz.lager käme. Gestern war wieder so ein Tag, an dem ich nicht arbeiten konnte. Es war furchtbar. Im Völk. Beobachter vom 20. ist ein stark hervorgehobener (schwarz umrandeter) Angriff auf Sylten-Bad Köstritz, weil er in s. kleinen Kirchenblatt von »Jahwe« gesprochen hat pp.321 Btz. erzählte, daß man drüben, im V.D., strahlte, (eine Dame, Frl. Schönwald), daß Müller [W.] im Konz.lager sei.322 Dienstag, d. 24.9.35. [24. September 1935] Landeskirchentag. Etwa um 10 Uhr hat d. Sitzg. begonnen.323 Das ganze Bild u. die Stimmg. sind anders als in den letzten 2 Jahren oder vorher. Keine braune Uniform. In der Kantine wurde gesagt: Viele neue Gesichter, denn viele haben ihre Mandate niedergelegt. In der kleinen Halle nur eine einzige Reihe von Mänteln u. Hüten, wo sonst 2 waren. Ich weiß noch nicht, wie Viele da sind. Die Jagd nach Stühlen u. Tischen wie in früheren Jahren vor d. Landeskirchentag hat garnicht eingesetzt; ich schreibe noch an einem L.K.T.tisch [sic!]. Vor einer Stunde hörte ich, Staatsmn. Wächtler hätte »seinen Sitz zur Verfügung gestellt«; der Brief ist unmittelbar vor der Sitzung gekommen.324 Gestern wurde gesagt, am Sonntag sei eine »Geheimsitzung« des L.K.R. gewesen, die »Thür.D.C.« geben nach – wohl im Streit gegen die »Berliner Richtung«.325 Es war wohl am Freitag Abd., daß O. mir sagte, der L.K.R. hätte Anweisung gegeben, die Verlesung der »vertraul.« Drucksache von Stüber in den Kirchenvertreterversammlungen zu stoppen. Die Berliner Schlappe wirft wohl alle Pläne um. Dieser Sonntag, d. 8. Sept., war bedeutungsvoll: Versendg. der landeskirchenrätl. Drucksachen gegen die 321 322 323

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Grüße aus dem Thüringer Mädchenheim Bad Köstritz, Völkischer Beobachter Nr. 263 vom 20. September 1935, S. 2. Zum Fall Werner Sylten vgl. Biogramme. Vgl. Tgb. 10. September 1935. Vgl. Vierte Tagung des Vierten Thüringer Landeskirchentages am 24. und 25. September 1935. Im Verlag des Landeskirchenrats der Thüringer Evangelischen Kirche in Eisenach. Druck von Philipp Kühner, Eisenach, 1935. Schreiben Wächtlers nicht ermittelbar; Wächtler war Mitglied des LKT seit Januar 1933. Diese Bemerkung dürfte sich darauf beziehen, daß die KDC sich von den Einigungsverhandlungen mit der RDC zurückgezogen hatten (vgl. Meier, Deutsche Christen, 107–110).

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Bek.kirche326, Wahl von Rehm zum Leiter der Berliner Richtung [RDC] u. Verlesung des bischöflichen Hirtenbriefes (der Fuldaer Konf.) in allen katholischen Kirchen Deutschlands.327 Gestern fiel mir auf, daß die Prozesse gegen die kathol. Ordensleute, die Devisen geschoben haben, nicht mehr breit getreten werden. Wenn ich an die Überschriften im »Völk. Beob.« im Juli denke! Jetzt steht auf der 4. Seite, hinten, eine verhältnismäßig kurze Notiz. Heute las ich das Kathol. Kirchenbl. von Berlin Nr. 38 vom 22. Sept. 35. Da sind wichtige Aussprüche führender Nat.soz. u. Zeitungsangriffe zusammengetragen.328 Das soll kein Kampf gegen das Christentum sein? Sie sind dabei zu beweisen, daß die ganze christl. Lehre dem german. Sittlichkeitsgefühl widerspricht. Daneben beginnender Widerstand der Partei gegen Auswüchse. Der stellv. Gauleiter in Westfalen gegen den »Stürmer« (ohne ihn zu nennen), ein Parteileiter im Saargebiet gegen Angriffe auf die kathol. Kirche; Hitler beendet in sr. Parteitag-Schlußrede den Kampf gegen Karl d. Großen. Es war ja auch zu dumm. Im Betrieb wird es übel vermerkt, daß die 3 Lehrer im V.D.329 jetzt Beamte in d. Klasse der K.regierungsräte werden sollen. Die Pfr.schaft soll aufgebessert u. die Gehälter den preuß. Pfarrergehältern angeglichen werden – macht über 100 000 M. Mehraufwand jährlich, während Beamte u. Angestellte nicht aufgebessert werden. Eine diesbezügl. Eingabe der mittl. Beamten haben Battefeld, Luther u. ich nicht unterschrieben. Ich hätte ja auch desh. nicht unterschr. können, weil die Thür. Bek.gemeinsch. den L.K.Tag als rechtl. ungültig ablehnt, die Gruppe glänzt durch Abwesenheit. Notierte ich schon Thomas’ letzten Brief? Ich hatte ihm eine Übersetzg. des letzten Times-Artikels etwa v. 21.8. geschickt, in dem das Ende der Bekenntnisfront prophezeit wird, in dem Gefühl, ihn damit in Versuchung zu führen. Er hat prompt reagiert u. die Maske abgenommen. Er »versteht« E. O. nicht mehr, ist »erschüttert« von den bekannt gegebenen »Fällen« u.s.w. Gelockt hat ihn wohl auch die Prophezeiung des Artikels, daß die »Neutralen« ausersehen seien anstelle der Kämpfer in der Kirche zu herrschen.

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Vgl. Tgb. 13. September 1935. Gemeint ist der Hirtenbrief, den die deutschen Bischöfe in Fulda am 24. August beschlossen hatten: Er »verurteilte in klaren Worten die Gewaltmaßnahmen des NS-Staates gegen den christlichen Glauben und die katholische Kirche. Er ging mit biblischen Begründungen auf alle Beschwernisse ein, die der Episkopat gegenüber dem Regime bereits vorgebracht hatte, und sorgte so für eine klare Profilierung des weltanschaulichen Charakters der Auseinandersetzung« (Besier, 164). Dieser Hirtenbrief wurde am 1. September 1935 in allen heiligen Messen verlesen, sehr zum Ärgernis des Regimes. Ob seine Verlesung ebenfalls für den 8. September vorgesehen war, wie die Tagebuchschreiberin vermerkt, kann nicht bestätigt werden (vgl. Stasiewski II, 331). Im Dienste der Volksgemeinschaft, Katholisches Kirchenblatt für das Bistum Berlin 31 (1935) Nr. 38 (22. September 1935), 15. Es handelt sich vor allem um Auszüge aus der deutschgläubigen Zeitschrift »Nordland«. Im Volksdienst waren die drei Lehrer Wilhelm Bauer, Alfred Männel und Kurt Thieme beschäftigt. Bis 1933 waren sie Mitglieder des Pfarrer- und Lehrerkreises des Wieratales.

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Kerrl hat die Ablieferg. der Kirchensteuern an die vom Staat eingerichteten kirchl. Finanzabteilungen angeordnet.330 Das ist einschneidend für Preußen. Für uns spielt es keine Rolle.331 Die um 8 Tage verschobene preuß. Bekenntnissyn. tagt heute oder morgen.332 Wenn die Prophezeiungen der »Times« vom August richtig sind, so hat sie einschneidende Bedeutung. Es ist unsagbar schwer, in dieser Zeit das Richtige zu tun, nicht nur, weil man Gefahr läuft, sondern, weil man nicht klar sieht. Diesen Eindruck hatte ich heute nach den kurzen Gesprächsbrocken, die ich auffing, u. nach der Lektüre von kirchl. Zeitschriften u. Ausschnitten von Tageszeitungen mehr als je. Stetefeld u. Rupprecht sollen (mit Urlaub vom L.K.R.) in Thür. in Stetefelds Auto umherfahren u. Mitgliedsbeiträge zur »Reichstagung« im Oktober einsammeln. Sie haben ( )a ihre Methode geschildert: »Erst sind wir liebenswürdig u. wenn das nichts hilft, werden wir grob.« Es fehlt an Geld in der Kasse der D.C. Dabei schilderte mir Sorge, als er mich zur Unterschrift unter den Antrag der Kirchenbeamten überreden wollte, daß 6–9000 M für den L.K.R. keine Rolle spielten. »Die Einzelnen haben bis zu 700 M Reisekosten im Monat.« ( )a sagte mir, Leuth. habe schon gelegentl. 1000 M im Monat an Reisekosten erhalten. Dazu ein Beispiel: Die Veranstaltungen fingen auf einer der Kostenaufstellungen plötzl. alle ¼ vor 8 an, weil zu dieser Zeit noch mehr bezahlt wird als nach 8 Uhr. In einer Reisekostenrechnung von L…r [Leutheuser]; die Aufstellg. habe Stetefeld gemacht. Es sei natürl. im L.K.R. alles korrigiert worden. Aber die Wut der Finanzbeamten, die solche Tricks durchschauen.) ¾12. Die Änderg. des Besold.gesetzes ist von der Tagesordnung gestrichen. Das heißt wohl, der L.K.R. zieht seine Vorlage zurück. Ob damit auch die 3 neuen Kirchenregierungsräte ins Wasser fallen? Unten ist Pause, man ißt zu Mittag. Volk kam auf d. Terasse, schwer in Gedanken, die Hände in d. Taschen, ein langer dünner Mann redete auf ihn ein. Dann der Labi, sehr heiter u. selbstsicher mit einem bekümmerten weißhaarigen Mann. Sasse ist morgen schon wieder nach Berlin zitiert zum Reibi. Jetzt ist derselbe Weißhaarige Mann mit Stüber draußen. Stüber ärgert sich u. macht selbstbewußte Gesten. Der Weißhaarige ist noch bekümmerter als mit Sasse. D. 25.9. [25. September 1935] Gestern, kurz vor Beginn der Sitzg., soll ein Brief von Wächtler gekommen sein, in dem er seinen Sitz zur Verfügg. stellt. [Satz mit Bleistift gestrichen]. 330 331

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Erlaß des Reichskirchenministers über kirchliche Vermögensangelegenheiten vom 22. August 1935, in: Dokumente zur Kirchenpolitik III, 72–74. Thüringen war zwar durch Gesetz vom 14. Mai 1934 in die DEK zunächst eingegliedert worden, hatte die Eingliederung aber am 12. März 1935 wieder zurückgenommen, unterlag also nicht mehr der Rechtshoheit der Reichskirche; vgl. Tgb. 14. Mai 1934 und 22. März 1935. Die 3. altpreußische Bekenntnissynode fand vom 23.–26. September 1935 in Berlin statt; vgl. Meier, Kirchenkampf II, 160–163. Strichzeichnung Männerkopf, steht für Friedrich Bernewitz, vgl. Übersicht Strichzeichnungen. Strichzeichnung Männerkopf, steht für Friedrich Bernewitz.

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Es wird im L.K.Tag eine Entschließg. vorbereitet, mit der man »dem Kirchenvolk die Augen öffnen« will. Das kann schön werden. Meyer-Erlach hat irgendetwas über die Judenfrage diktiert. Ob man in dieser Sache vorgehen u. damit der »Kirchenbewegung« in Thüringen neuen Auftrieb geben will? Vielleicht die Bildung judenchristlicher Gemeinden anregen? Gestern Abend Versammlg. der Bekenntnisgemeinschaft »hinter der Mauer«333 – mit Lautsprecher in 2 Räumen! Großartige Lösung der Platzfrage! Brakhage sprach über das Königsche Buch334, Otto über die letzten Ereignisse im Reich u. in Thüringen. Er betonte, daß Kerrl sich ehrlich u. aufrichtig Mühe gäbe, eine Einigung zustande zu bringen. Er habe nach dem Parteitag seine Besprechungen wieder aufgenommen. Er selbst, Otto, sei vor 14 Tagen im Ministerium Kerrl gewesen u. habe mit d. Min.rat Ruppel über die Thür. Angelegenheiten gesprochen. Er hätte einen überaus günstigen Eindruck von ihm bekommen pp. Dann schilderte er Kerrls Pläne u. alle Gefahren der Staatskirche, auch alle Gefahren einer Ablehnung dieser Pläne – u. auch alle Entwickelungsmöglichkeiten einer Freikirche. Sein eigenes Urteil sei noch nicht fertig. Zum Schluß teilte er mit, daß Theophil Reichardt am Sonntag Abend zwischen 7 u. 8 Uhr, nachdem er tagsüber in Kaltenwestheim Hausandachten gehalten hätte, von 5! Unbekannten auf dem Wege zum Bahnhof kurz vor Kaltennordheim überfallen und furchtbar mißhandelt worden sei. Er habe sich aber noch aufgerafft u. sei durchs Dorf gegangen. 100 Meter hinter d. Dorf hätten sie ihn zum 2. mal überfallen. Er habe sich aber noch in den Zug schleppen können. Jetzt liege er mit einer Gehirnerschüttterung. O. hat die Sache natürl. angezeigt. Es wird wohl nicht herauskommen, wer die Feiglinge gewesen sind. Heute früh gestand mir ( )c, daß sie von dieser Sache vorgestern schon gehört habe. Und zwar hätte sie Brauer erzählt, ungefähr in diesem Stil: »Gestern Abend haben sie den Reichardt, den Theophil, ordentlich verhauen. Er hat mal wieder von seinem Lieblingsthema, von der Judenfrage gesprochen. Sie haben ihn noch in den Zug geschleppt und der Bürle (neuer Mann im V.D., aus Stuttgart) der hat im Zug noch verhindert, daß er noch einmal von der Judensache anfing, sonst hätte es ihm passieren können, daß er im Zug nochmal verhauen worden wäre. Der Bürle hat noch zu ihm gesagt: »Warum kannscht au Dein Maul nit halte!« Und Volk empört u. verächtlich: »Warum können die Leute auch nicht aufhören mit ihren Sachen da …« (näml. die Bekenntnisleute). Also so soll die Sache jetzt gedreht werden! Die kochende Volksseele in gerechter Empörung! Eigentlich müßte Theophil [Reichardt] noch bestraft werden. Sicher wird einer in diesem Sinne mit d. Staatsanwalt reden. 1 Uhr. Unten scheint alles zu Ende zu sein.( )c kam völlig erledigt herauf: »Es war furchtbar! Ein Glück, daß Sie nicht dabei waren. Sie wären aufgestanden u. hätten geredet!« Das 333 334 c c

»Hinter der Mauer« (gemeint ist die Stadtmauer) ist eine Straßenbezeichnung. Hier befand sich das evang. Vereinshaus mit dem Gemeindesaal der Stiftsgem. (vgl. Tgb. 15. Juni 1934). Vgl. Tgb. 13. September 1935. Strichzeichn. Frauenkopf mit Locken, steht für Hanna Linde, vgl Übersicht Strichzeichnungen. Strichzeichn. Frauenkopf mit Locken, steht für Hanna Linde.

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hätte ich ja bestimmt nicht getan – aber wahrscheinl. wäre ich herausgegangen u. das hätte Aufsehen genug gemacht. Das dachte ich mir schon, daß es so kommen würde, u. ging deshalb nicht in den Zuschauerraum. Sasse soll furchtbar gebrüllt haben, auch Leuth. hat gesprochen. ( )c bildet sich ein, das würde, wie früher, alles gedruckt!335 Das wird ja keinesfalls so gedruckt, wie es geredet worden ist. Da wird abgeschwächt u. jedes gefährliche Wort entfernt.. Glücklicherweise haben sehr Viele von d. Bekenntnisfront zugehört. Frl. v. Blumröder hat stenographiert, Frau Pfeiffer war mit ihrem Sohn [Pfeiffer Helm.] da. Burkard v. Boineburg soll mit großem Beifall geredet haben.336 Volk habe ihm danach noch demonstrativ die Hand gedrückt. – Sommer kam herein u. wollte erst was sagen, winkte dann ab u. flüsterte:«Ich komme ein andermal wieder!« u. verschwand. Nebenan waren zuviel Leute. – Wenn ich durch d. Haus gehe, habe ich das Gefühl, Spießruten zu laufen. Otto erwähnte übrigens gestern, daß er den L.bischof gebeten hätte, ihm den Beweis dafür zu geben, daß die Bek.gemeinsch. Artikel an die Auslandspresse geliefert hätte. In dem Antwortschreiben von Sasse hieß es dann, man wolle nicht auf Einzelheiten eingehen.337 Nicht der Schimmer eines Beweises wurde geliefert. Verleumdung also, an der sich der ganze L.K.Rat. beteiligt. Und das wird in die Öffentlichkeit gebracht! Die Verlesg. des vertraul. Schriftstückes ist übrigens den Kirchgemeinden nicht ohne Weiteres erlassen worden, sondern nur auf Antrag u. mit Bedingungen.338 Es ist jetzt halb 2. Ich habe mich tatsächl. nicht aus dem Zimmer gewagt, ehe alle anderen fort waren. D. 30.9. [30. September 1935] Die Schilderungen, die mir vom L.K.Tag gemacht werden, lauten fast alle übereinstimmend dahin, daß es überhaupt nicht zu beschreiben sei. Joh. Paulssen u. Frau Pfr. Bauer [K.] haben sich fest an den Händen gehalten, um stark zu bleiben u. nicht die Fassung zu verlieren oder davonzulaufen. Gestern, Sonntag, vormittag, kam bei Nellessen die Schrift von Rehm gegen Leffler an. Ein Lichtblick! Ich hatte beim Durchlesen den Eindruck, die Thüringer sind endgültig unmöglich geworden u. müßten abtreten. Auch Rehm ist übrigens der versteckte Vorwurf gemacht worden, er hätte Nachrichten an die Auslandspresse geliefert, u. auch er kann keine Klage erreichen, da die Behauptung in der vorlieg. Form durch den betr. c 335

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Strichzeichn. Frauenkopf mit Locken, steht für Hanna Linde. Vgl. Vierte Tagung des Vierten Thüringer Landeskirchentages am 24. und 25. September 1935. Im Verlag des Landeskirchenrats der Thüringer Evangelischen Kirche in Eisenach. Druck von Philipp Kühner, Eisenach, 1935. Rede des Abg. Freiherr von Boineburg auf der Dritten Sitzung der Vierten Tagung des Vierten LKT 25. September 1935, Vierter LKT, Eisenach 1935, 71–73. Vgl. Schreiben des LKR der TheK an Pfarrer Ernst Otto vom 21. September 1935, LKAE, A 783, 11–16. Antwortschreiben auf die Eingabe der LBG vom 14. September 1935, Tgb. 17. September 1935. – Zu dem Vorwurf, die LBG habe Nachrichten an die Auslandspresse lanciert, den die LBG in ihrem Schreiben vom 14. September 1935 entschieden zurückgewiesen hatte, nahm der LKR keine Stellung. Es wurde lediglich eingangs erklärt, man sehe davon ab – da eine Verständigung nicht mehr möglich sei – »auf alle Einzelheiten einzugehen« (ebd., S. 11). Zur Denkschrift Stübers vgl. Tgb. 13. September 1935. Die Verpflichtung zur Verlesung der Denkschrift wurde unterschiedlich gehandhabt; vgl. Protokoll der Sitzung des LKR vom 1. Oktober 1935, aus dem hervorgeht, dass Befreiungen von der Verlesung möglich waren, aber nicht in jedem Fall vom LKR auch zugestanden wurden.

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Paragraphen nicht zu fassen ist. O. sagt, genau so sei es in seinem Fall. Er habe die Sätze immer wieder gelesen – der strafbare Tatbestand sei nicht vorhanden. – Den Thüringern wird von Rehm u.a. orientalischer Kadavergehorsam vorgeworfen im Unterschied zum germanischen Gehorsamsgedanken – das stimmt. Am meisten machte mir Rehms Feststellung Freude, daß der berühmte Brief, in dem Leffler mitteilt, daß sie »in aller Stille« das Wort »Nationalkirche« pp. fallen ließen, im Geheimen dieses Ziel aber nach wie vor festzuhalten wollen339, eine entscheidende Rolle gespielt hat. Dieser ganze Passus ist von Rehm unterstrichen.340 – Auch einfache Gemüter haben nach der Lektüre von Lefflers Artikel gegen Rehm gefühlt, daß Leffler durch dieses Vorgehen seine Sache ungeheuer schädigt. Und das hat Leffler selbst u. seine Leute mit ihm nicht gemerkt. Es ist einfach u faßbar. Gestern vorm. predigte O. in der Georgenkirche. Die Kirche war für einen einfachen Sonntagsgottesdienst ungeheuer voll. Im Schiff kein Platz mehr zu bekommen. An der Seite saßen die Leute noch auf den unbequemen Notbänken. Eine j. Dame, die zu spät kam, stand die ganze Zeit. Die 1. Empore schien ringsherum ganz besetzt u sein, noch auf der 2. Empore saßen Menschen. Mindestens 1300–1500 Leute in der Kirche. (Die Georgenkirche faßt 2000). Otto sprach ganz wundervoll über den Text aus tim. [sic!] mit den Lilien auf d. Felde u. d. Vögeln unter d. Himmel.341 Schon bei der Verlesung merkte man, wie ihm bei diesen Worten das Herz aufgegangen war. – Ich glaube, der L.K.Tag mit seiner Hetze hatte die Fülle in d. Kirche bewirkt. Die Predigt war weit entfernt von aller Kirchenpolitik, aber in ihrer Sieghaftigkeit u. fröhlichen Gläubigkeit die beste Antwort, die gegeben werden konnte. Als ich nach Hause kam hatte Nellessen die Schrift von Rehm heraufgeschickt. Nachmittags konnte ich die Zeit kaum erwarten, um zu O.s zu kommen. Dort waren Bauer [G.]-Gotha u. Frau [Bauer H.], die sie auch noch nicht kannten. Danach ging ich zu ( )c hörte sehr Wichtiges, bekam einen Zeitungsausschnitt mit dem neuen Kirchengesetz (Kerrl darf Verordnungen mit Gesetzeskraft erlassen342), ging ein Stündchen in 339 340

341 c 342

Vgl. Tgb. 22. August und 14. September 1935. Erklärung Wilhelm Rehms vom 17. September 1935 mit dem Titel »Wir und die Thüringer Kirchenbewegung. Entgegnung der Leitung der Reichsbewegung Deutsche Christen auf die Angriffe des Oberregierungsrats Leffler gegen die Reichsbewegung« [12 Seiten; maschinenschriftl. Hektograph; LKAE, LBG 13, 117]. Die inkriminierte Passage Lefflers wird wie folgt zitiert: »Wir werden in aller Stille das Wort ›Nationalkirche‹ und ›nationalkirchlich‹ streichen und dafür das Ziel der Kirchenbewegung Deutsche Christen ›Die Christusgemeinde der Deutschen‹ angeben. Das bedeutet nicht ein Aufgeben unserer Richtung und unseres bisherigen Ziels, im Gegenteil« (S. 12; zit. auch in: Chronik der Kirchenwirren, 557). Mt 6, 26–27. Strichzeichn. Frauenkopf mit Locken, steht für Hanna Linde, vgl Übersicht Strichzeichnungen. »Das im Namen der Reichsregierung erlassene, von Hitler und ihm selbst unterzeichnete ›Gesetz zur Sicherung der Deutschen Evangelischen Kirche‹ vom 24. September 1935 […] gab Kerrl ungewöhnlich weitreichende Vollmachten. Es ermächtigte ihn, ›zur Wiederherstellung geordneter Zustände in der Deutschen Evangelischen Kirche und in den Landeskirchen […] Verordnungen mit rechtverbindlicher Kraft zu erlassen‹, und ging damit an entscheidender Stelle über den Gesetzentwurf des Reichsinnenministers vom 17. Juli 1935 hinaus, der lediglich eine Ermächtigung ›zur Wiederherstellung verfassungsmäßiger Zustände‹ vorgesehen hatte« (Dokumente zur Kirchenpolitik III, XX).

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die süße Ecke u. ging dann wieder zu O.s, unterwegs eingeholt von ( )c [geschwärzt] einen Bericht eines Pfarrers von einer [geschwärzt]. Dann noch mal nach Hause, Hmt.korresp. geholt mit Bericht vom L.K.Tag. Der L.K.Tag soll eine Resolution in der Judenfrage gefaßt haben. Eine Kommission soll über den Vorschlag, judenchristliche Gemeinden zu bilden, beraten! 343 Freitg., d. 4.10. [4. Oktober 1935] Ich habe noch eine Menge nachzutragen; aber ich muß es unterbrechen, um erst den gestrigen Tag festzuhalten. Den empfand ich ganz tief als Einschnitt. Etwa um 10 Uhr bekam ich einen Packen Zeitungsausschnitte in dem bekannten grauen Kuvert.344 Ich traute meinen Augen nicht, es waren etwa 4 Ausschnitte aus großen, deutschen Blättern dabei, die seit undenklichen Zeiten nichts oder nur winzige, belanglose Notizen über die Kirchenfrage bringen durften, mit großen, umfassenden Aufsätzen, die entweder sehr vorsichtig mit dem Willen zur Gerechtigkeit oder ganz vom Standpunkt der Bek.kirche geschrieben waren. Darunter die Börsenzeitung mit einer Art von Leitartikel, den ich am Dienstag schon zu mr. größten Überraschung bei Lackner gelesen hatte, die deutsche Allg. Ztg. Nr. 458 vom 1.10.35, Frankfurter Ztg. Nr. 497–498 v. 29.9. u. das Hamburger Fremdenblatt. Dazu etwa 6 engl. Ausschnitte, die über den Verlauf der preuß. Bekenntnissynode berichteten.345 Das deutsche Pressewunder war beinah unfaßbar. ( )a kam u. staunte gleichfalls. Ich mußte ihn immer wieder fragen, ob er es denn nicht auch fände, daß man solche Töne, diese u. jene Wendung, überhaupt noch nie in einer deutschen Zeitung habe lesen können. Und er las u. schüttelte den Kopf u. las noch mal: »Die Wendung muß ich mir merken, die muß ich ( )d erzählen!« Abends Bibelstunde. (In der Georgenkirche Erntedankfestfeier der deutsch. Christen, große Sache mit Erntekrone, Hakenkreuz aus Ähren pp.). Nach der Bibelstunde, bei der ich infolge der Aufregung, in der ich den ganzen Tag gelebt hatte, garnicht recht zuhören konnte, kam Frl. Helmbold beglückt mit der Deutsch. Allgem. Ztg. um sie O. zu geben. »Also eine reine Freude! Ach, daß man sowas mal wieder liest!« O. glaubt, daß die Artikel von Kerrl inspiriert sind, um den Boden für die Lösung, die ihm vorschwebt, vorzubereiten. Aus Würzbg. u. Hannover (luth. Konvent u. luth. Rat oder Synode oder sowas), konnte O. nichts erzählen. Marahrens spricht nie über die Dinge, die vorgehen. Wahrscheinl. c 343

344 345 a d

Strichzeichn. Frauenkopf mit Locken, steht für Hanna Linde. Der LKT fasste die beiden folgenden Beschlüsse: (1) »Zur Vorbereitung von Beschlüssen, die zur Lösung der Judenfrage in der Kirche dienen sollen, wird auf Grund von § 100 der Verfassung der Thüringer evangelischen Kirche ein besonderer 5 gliedrigerAusschuß eingesetzt, der auch außerhalb der Tagungen des Landeskirchentages zusammentreten kann.« (2) »Der vom Landeskirchentag ernannte Ausschuß hat unverzüglich einen Gesetzesentwurf zur Regelung der Judentaufe in der Thüringer evangelischen Kirche entsprechend den vom Abgeordneten Leffler in seiner grundsätzlichen Rede zum Ausdruck gebrachten Richtlinien, vorzubereiten und dem Landeskirchenrat zur Ausführung vorzulegen« (Vierte Tagung des Vierten Thüringer Landeskirchentages am 24. und 25. September 1935 – wie Anm. 335, 89–90). Vgl. Tgb. 27. Mai 1933. Vgl. Tgb. 20. September 1935. Strichzeichnung Männerkopf, steht für Friedrich Bernewitz, vgl. Übersicht Strichzeichnungen. Strichzeichnung, nicht identifiziert.

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von irgendeinem anderen stammt die Nachricht, daß bereits furchtbar gegen Kerrl intrigiert würde. Der Reibi. soll gesagt haben, bis Weihnachten hätte er Kerrl »umgelegt«. Jetzt zittert man ordentlich für Kerrl u. betet für ihn – u. wir hatten solchen Schrecken, als er ernannt wurde! Es ist doch wieder eine von den ganz merkwürdigen Wendungen, die in diesem Kirchenkampf schon öfter da waren, zum Schlimmen (27. Jan. 34)346 wie zum Guten. (Meiser u. Wurm von Hitler empfangen Ende Okt. 34)347, die man als Wunder empfindet, wenn sie für uns gut sind, als Werk von Dämonen, wenn sie uns schaden. Es ist schon schwer für uns arme Menschen, zwischen den übermächtigen Gewalten, die man am Werk fühlt, einen geraden Weg zu gehen. Wie verstört u. verschüchtert ein Teil der Menschheit ist, das konnte ich aus den beiden letzten Briefen von Thomas merken (er hat die »vertrauliche« Denkschrift zur Verlesung gebracht348 u. wartet ständig auf »Ruhe« zur Gemeinde-Aufbau-Arbeit) u. dann an einer Niederschrift, die mir bekannt wurde ( )c Es ist ein Pfarrer hier gewesen, der den D.Chr. angehört, Nebe aus Solz, u. hat von einem »parteiamtl. Schulungskursus für polit. Leiter« erzählt, der in Bad Berka stattgefunden hat. Auch Eybel war da. Es sei Ende Juli gewesen, als die 1. Devisenschiebungsprozesse kathol. Ordensleute zu einem Feldzug in den Zeitungen benutzt wurden.349 Da sei Tag für Tag gegen den »politischen Katholizismus« gehetzt worden, dabei aber weit übers Ziel hinausgeschossen u. Christentum, Kirche u. Pfarrerschaft in unglaublicher Weise verhöhnt u. beschimpft worden. Z.B.: »Es ist am Besten, wir machen die Brüder lächerlich (die Pfr.). Es kommt noch der Tag, an dem wir sie rechts u. links in die Fresse schlagen.« pp. »Jenseitsglaube ist feuchter Hühnerkehricht. Weg damit!« »Paulus der Judenlümmel, Rabbi, Schaul …« u.s.f. Dazu in der Niederschrift lange Auseinandersetzungen, warum es ihm, Pfr. Nebe, nicht möglich gewesen sei, auch nur ein Wort dagegen zu sagen!!! Er sei kein Diskussionsredner, es würde doch nichts geholfen haben, es käme mehr dabei heraus, wenn die Kameraden Leffler u. Leutheuser das mal in Berlin zur Sprache brächten pp. (Also das soll Deutsches Christentum sein!!! Artgemäß, heroisch, usw. u. das der Bekenntnissynode jüdisch!!!)350 Die Wirkung auf die Zuhörer: Ein Teil denkt, die Kirche stünde auf dem Aussterbeetat. Ein Teil macht abfäll. Bemerkungen über den Vortragenden (Dr. Zierfuß), spricht von »Grünschnäbeln« u.s.w. Ein erschütternder Bericht! Nicht so sehr die Angriffe gegen das Christentum (das ist man ja gewöhnt) als die Feigheit dieses Pfarrers. Es schien aus der Niederschrift hervorzugehen, daß noch mehr Pfr. dabei gewesen waren. Gesagt hatten sie alle nur was hinter dem Rücken des Vortragenden.

346 347 348 c 349 350

Gemeint ist wohl der unglücklich verlaufene Empfang der Kirchenführer bei Hitler am 25. Januar 1934; vgl. Besier, 59–61; Tgb. 29. Januar 1934. Vgl. Tgb. 31. Oktober 1934. Vgl. Tagebucheintragung vom 13. September 1935. Strichzeichn. Frauenkopf mit Locken, steht für Hanna Linde, vgl Übersicht Strichzeichnungen. Vgl. Besier, 159–162. Niederschrift über eine Erklärung des Pfarrers Nebe [in Gegenwart von Sasse, Volk und Lehmann] vom 28. November 1935, LKAE, A 868, Bd. I, 125–128.

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Sasse hat die Redensarten des deutschgläubigen Redners an Wächtler berichtet u. den Bericht in Abschrift an Kerrl geschickt mit Begleitbrief.351 Er betonte dabei, daß all das so schlimm sei, weil es dem Nat.sozialismus schade u. die Bekenntnisfront stärke. Folgende Äußerungen von Zuhörern wurden mitgeteilt: »Da tut man ja schon besser, man geht in die Bekenntnisfront.« »Wenn ich das gewußt hätte, wäre ich nicht hierher gekommen, wo das Heiligste heruntergerissen wird.« Und alle diese deutschgläubige Propaganda geschähe im Namen des Führers. Das müsse zu einem Verschleiß führen … Die Leute würden schließlich sagen: »Wenn wir das gewußt hätten, hätten wir Hitler nicht gewählt.« – Er, Sasse, sei schon z.B. entsetzt gewesen, vor einigen Tagen bei einer Kreistagung der N.S.F. die Bevölkerung von Arnstadt völlig teilnahmlos zu finden, die Stadt kaum geschmückt pp. Daß ein Landesbischof über diese Dinge weiter nichts zu sagen hat ist auch kaum zu glauben. Vor einigen Tagen wurden mir unten in der kl. Halle ein junger Mann u. eine junge Frau gezeigt, Pfarrerehepaar, die mit Oberländer sprachen. Sie seien nach Eisenach gekommen, um beim L.K.R. vorstellig zu werden. Sie könnten doch keine Jugend- oder Frauenarbeit (des Volksdienstes!) der D.Chr.! machen, da sie dadurch in einen Gegensatz zum Staat kämen! Wenn dann nach solchen Erfahrungen alte Kämpfer des Nationalsozialismus solche Pfr. u. ein solches Christentum verachten u. überzeugt sind, daß das Evangelium keine Kraft mehr habe u. daß was Besseres gefunden werden müsse, dann kann man das verstehen. Mit diesem jungen Ehepaar hing es wohl zusammen, daß wiedermal was gesucht wurde. Diesmal war es der Vertrag zwischen dem Reibi. u. Baldur von Schirach über die Eingliederung der evangel. Jugendverbände!352 Müller [H.] kam trostlos an. »Diesmal werden Sie mir wohl nicht helfen können! Niemand hat ihn, niemand weiß, wo er ist, auch im Volksdienst nicht.« Ich hatte ihn nach 3 Min. in einer Nr. des Evangel. Deutschld. vom Jan. 34. Der Vertrag ist vom 20.12.33. Und Leutheuser ist der Landesjugendpfr. u. hat diesen Vertrag nicht bei seinen Akten. Wer weiß, ob ihn einer der Kirchenräte schon mal richtig gelesen hat. Übrigens hatte sich kürzlich bei einem Gespräch von Ther. P. [ Paulssen] mit Reichardt iun. herausgestellt, daß Reichardt [E.] von der Revolte im Haus Hainstein353 vom Sommer 34 von allen Schwierigkeiten des Pfr. Hützen noch nie etwas gehört hatte. Frl. Linde sagte mir auf meine Frage, sie glaubte nicht, daß Dr.Volk den Aufsatz von Leffler gegen die Berliner Richtg. der D.Chr. in den »Briefen« gelesen hätte.354 Aber urteilen tun die Leute. Eine ganz geheime Sache wurde mir am Sonntag (30.9.) noch erzählt. Am Freitag Abend sitzt B. mit einem Freund, einem jungen Kaufmann, im Sophienhof. Kommt 351 352 353 354

Schreiben [Entwurf] des Landesbischofs der TheK an den Staatsminister für Volksbildung vom 30. September 1935, LKAE, A 868, 127–128. Vgl. Tgb. 29. Dezember 1933. Vgl. Tgb. 14. September 1934. Leffler, Der Weg der Deutschen Christen, BrDC 4 (1935), 210–210b.

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Sasse, der an diesem Tag von Berlin zurückgekommen war u. setzt sich, da er sonst keine Bekannten findet, zu den Beiden. Und packt aus – in Gegenwart des jungen Mannes, den er eben erst kennen gelernt hat! »In Berlin siehts schlimm aus, schlimm. Davon hat man hier keine Vorstellung. Kerrl hat von kirchlichen Dingen keine Ahnung. – Was soll werden, wenn wir den Führer mal nicht mehr haben? Die vielen Kommunisten in der S.A. kippen doch sofort wieder um! – Die übertriebene Judenhetze ist abgeblasen. In Berlin sieht man nirgends die Schilder wie hier, ›Juden nicht erwünscht.‹ Das kommt auch nur in so kleinen Städten vor wie Eisenach. – Der Umzug gegen die Juden, der in Eis. vor einigen Wochen veranstaltet wurde, hat sehr geschadet.355 Es waren viele Ausländer hier, die haben photographiert.« (Im Umzug wurde ein Wagen mitgeführt auf dem ein Galgen errichtet war. Daran hing eine ausgestopfte Puppe als gehängter Jude.356 In diesem Zug soll übrigens auch K.Rat Lehmann in seinem kleinen tschechischen Wagen mitgefahren sein. Es war das Tagesgespräch auf dem Pflugensberg). Hitler hat gesagt, Schacht sei einer der klügsten Köpfe, die wir haben! (Schacht hat vor einigen Wochen in Ostpreußen eine sehr offene Rede über die Finanzlage gehalten u. gegen die Hetze gegen die jüd. Geschäfte u.s.w. protestiert). Und dann hat Sasse noch von dem bevorstehenden Krieg mit Rußland gesprochen. Ich habe so eine Ahnung, als ob wir uns bald das Memelland wiederholten. Heute fand ich einen Fehler in einer Zeitung. (In Abessinien sind in der Nacht zum 3.10. die Feindseligkeiten eröffnet worden). Deshalb müssen jetzt auch die Kirchen beruhigt werden. Männel soll gesagt haben: »Hitler hat vor dem Katholizismus kapituliert.« (Darüber hatte Sasse auch noch Ba. etwas erzählt. Ich habe manchmal den Eindruck, daß Sasse Psychopath ist. Er kann sich doch garnicht beherrschen.) Übrigens scheint es, daß wir eine Anleihe in England planen. Auch ein Grund, mit der Kirche Frieden zu schließen. Die engl. Frontkämpfer haben den deutsch. Frontkämpfern in einem Schreiben mitgeteilt, daß sie große Schwierigkeiten in ihrem Bestreben, für Freundschaft mit Dtschld. in ihrem Lande zu werben hätten, solange die religiösen Verfolgungen andauerten (Ausschnitte aus der Times, die am 2.10. hier eintraf). Ob Sasse nun die Propaganda des L.K.R. für judenchristl. Gemeinden in der Thür. Kirche abstoppen wird? In der neuesten Stürmer-Nummer ist ein Schreiben einer kirchenamtl. Pressestelle der Landeskirche Sachsen, die dem Stürmer versichert, daß die sächs. Kirche mit ihm sympathisiere u. für judenchristliche Gemeinden in Sachsen einträte.357 Und die der Dtsch. ev. Kirche angeschloss. Auslandskirchen? Und England? 355 356

357

Die Recherche nach diesem Vorgang blieb ohne Ergebnis. Dies war kein Einzelfall; vgl. die Fernsehdokumentation von Michael Kloft, Als die Synagogen brannten, ARD, 22.45, und dazu den Kommentar in der Frankfurter Rundschau vom 5. November 2008 von Reinhard Lüke, überschrieben: »Ein Festwagen mit Galgen«; hier heißt es: »Da sieht man Bilder vom Fasnachtsumzug 1938 in Nürnberg, in dem ausgelassen winkende Menschen einen Festwagen mitführen, auf dem als Juden zurechtgemachte Puppen an Galgen baumeln.« So schreibt ein Priester, Der Stürmer 13 (1935) Nr. 38 (im September), [S. 3]. In diesem Schreiben an den Stürmer drückt zwar der Leiter der Landeskirchlichen Nachrichten- und Pressestelle beim Evangelisch-Lutherischen Landeskirchenamt Sachsens seine Sympathie mit dem Antisemitismus des Stürmers aus; aber es wird darin nicht die Bildung einer eigenen judenchristlichen Kirche ins Auge gefasst.

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Da geht doch der Skandal in der Auslandspresse wieder los. Das kann dem Reich nicht passen u. Kerrl auch nicht bei seinem Befriedungswerk. – Bei den Kirchen steckt bei diesem Vorgehen auch Angst dahinter vor der deutschgläubigen Hetze gegen die »Judenkirche«. Die sind ja überhaupt aus Angst zusammengesetzt. Am Freitag nachm., gleich nach Sasses Rückkehr aus Berlin (am 27.9.) fand L.K.R.Sitzung statt, bei der Sasse furchtbar gebrüllt haben soll. Er hätte Lehmann gestaucht. Der soll irgendwas gesagt haben über die Dtsche Glaubensbewegung, die sei gar nicht so schlimm. Wahrscheinl. am unrechten Ort, denn ähnliche Bemerkungen sind ja schon öfter gefallen. (Thieme! Die D.Gl. steht uns näher als die Bek.k.) Es soll ganz schlimm gewesen sein. Oberländer hätte in der großen Halle nicht weiterdiktieren können. Gestern, Donnerstag, (3.10.), ist etwa 3mal mit dem Reibi telephoniert worden, auch mit Kerrl. Was ist wohl los? Die Bek.pfr. haben übrigens jetzt ihre Diszipl.strafen bekommen – Verweis u. 200 M Geldstrafe, die Hilfspfr. Verweis, 100 M Geldstrafe u. sie werden nicht angestellt.358 Das lassen sie sich natürlich nicht gefallen. D. 5.10. [5. Oktober 1935] Am Sonnabd., nach dem L.K.Tag, also heute vor 8 Tagen, haben Volk u. Sasse noch die Angestellten in d. groß. Halle versammelt u. ihnen zu erklären versucht, warum sie nicht aufgebessert würden. Schilderg. von Th. P. [Paulssen]. Volk hätte sachlich gesprochen, aber immer wieder mit mangelndem Takt gesagt, die Angestellt. des L.K.R. seien »verwöhnt«! Sasse sehr langatmig, die Hände auf der Brust, hin u. her wippend. Es habe ihn so »unsagbar bedrückt«, als der Führer am Parteitag gesagt habe, daß es noch nicht möglich sei, die Gehälter u. Löhne aufzubessern u.s.w.359 Man könne auch beim L.K.Rat nicht so einfach die höheren Gehälter abbauen u. den schlecht bezahlten Angestellten geben … (Das ist schon richtig. Aber ich sehe nicht ein, warum Sasse, ein kinderloser Mann, u. andere Hochbezahlte nicht freiwillig etwas hergeben können, damit in besonderen Notlagen wenigstens den Angestellten Beihilfen gezahlt werden können, die jetzt auch wegfallen sollen. Stattdessen haben er u. Lehmann Auto-Beihilfen erhalten. Klar, daß das böses Blut macht. Von S. [Sasse] heißt es überhpt., daß er sehr für sich sorgte. Leuth. baut sich jetzt ein Haus in Wutha u. bekommt jeden Monat 100 M Beihilfe, damit er sich einen Chauffeur halten kann pp. Regierungsrat Hartmann freut sich auf die Finanzkontrolle durch den Staat!360 Männel hat gelegentl. mal eingestanden, daß die D.Chr. ja nur davon lebten, daß sie die Thür. Kirche hätten! Aus eigner Kraft könnten sie diese Propaganda nicht machen.

358 359

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Protokoll der Sitzung des LKR der TheK am 1. Oktober 1935, LKAE, A 122, 50–51. Vgl. dazu Hitlers Erklärung auf den Reichsparteitag in Nürnberg am 11. September 1935, in der er sich gegen »Preissteigerungen« ebenso wandte wie gegen »Lohnerhöhungen«, in: Domarus I/2, 527. Hintergrund dieser »freudigen« Erwartung war wohl die Befürchtung bzw. Hoffnung, dass analog zur APU auch in der TheK eine staatlich verfügte Finanzabteilung eingerichtet würde, die dann z.B. das finanzielle Gebaren der DC hätte kontrollieren können. Vgl. Errichtung von Finanzabteilungen in den evangelischen Landeskirchen Preußens vom 11. März 1935, in: Dokumente zur Kirchenpolitik II, 277–283.

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Sonntag, d. 6.10. [6. Oktober 1935] Gestern Abd. hatte O. Wochenschlußandacht. Das Schiff war zieml. voll besetzt. Kollekte etwa das Doppelte u. Dreifache der Wochenschlußkollekten von anderen Pfr.predigen. Wir gingen noch ein Stück zusammen, O.s, Frl. v. R. [Ranke], Helmb. [Helmbold] u. ich. Dann das übliche Stündchen Ecke Grimmelgasse-Karthäuserstr. O. erzählte, er müßte Dienstag (8.10.) zur Tagg. der Sydower Bruderschaft nach Wernigerode. Außerdem sei Reichsbruderrat, zu dem er Bauer [G.] schickt. Er müßte eigentl. noch zu 2 anderen Tagungen – darunter Thür. Konf. in Neudietendf.361 Da hätte D. Otto [R.] aber so ungefährl. Themen ausgesucht, daß bestimmt nichts dabei heraus käme.362 Ich hatte am Donnerstag eine ganze Reihe von engl. Presseausschnitten mit Berichten über die preuß. Bekenntnissyn.363 Dazu sagt O., der 1. Bericht der Times habe der Bek.synode geschadet. Deswegen habe man, um alle Querschläger auszuschalten, die ganze Synode geheim tagen lassen, überhpt. keine Zuhörer, nur die Abgeordneten, keine Berichterstattg. Als Vertreter von Kerrl sei Dr. Stahn dagewesen, habe auch geredet, aber nicht glücklich. Er hat gedroht u. damit die noch schwankenden innerhb. der preuß. Bek.syn. in das Lager der Radikalen (Niemöller) getrieben.364 (Ähnlich hatte Times berichtet). Dr. Stahn soll besser gesprochen haben auf einer Tagung der dtsch. Pfarrervereine, die eine ausgezeichnete Entschließg. gefaßt u. Kerrl unterbreitet haben.365 Alle Verfolgungen sind darin kurz u. klar ausgesprochen u. dann die Begünstigung gekennzeichnet, die die D.Gl. [DGB] durch Presse- u. Partei-Organe erfährt. Wir staunten, daß diese Entschließg. in der Dtsch.-ev. Korresp.366 abgedruckt werden durfte.367 361

362 363 364 365

366 367

Vgl. Richard Otto, Thüringer Kirchliche Konferenz, AELKZ 68 (1935), 1045–1047. Sie fand vom 7.–9. Oktober 1935 statt. Die Thüringer Kirchliche Konferenz war ein »Glied der Allgemeinen Evangelisch-Lutherischen Konferenz« Vgl. R. Otto, Unsere Sendung. Ansprache zur Eröffnung der Thüringer Kirchlichen Konferenz in Neudietendorf am 7. Oktober 1935, AELKZ 68 (1935), 1107–1111. 1131–1136. Vgl. Tgb. 4. Oktober; es sind wohl dieselben Zeitungsausschnitte gemeint. Zur Rede Stahns vgl. Meier, Kirchenkampf II, 160. Der Text der Rede ist abgedruckt in: Dokumente zur Kirchenpolitik III, 29–92. [Klingler], Der Reichsbund der deutschen evangelischen Pfarrervereine und die kirchliche Lage. Bericht des Reichsbundesführers Kirchenrat Klingler auf der Reichsführertagung in Wernigerode, DtPfrBl 39 (1935), 603. Dazu wird an anderer Stelle kommentiert: »Am Mittwoch, den 18. September 1935, versammelten sich die Vereinsführer der deutschen evang. Pfarrervereine in Wernigerode zu einer Reichsführertagung. Auf besondere Einladung hin nahm Herr Ministerialrat Dr. Stahn als Vertreter des Kirchenministeriums Kerrl an den Beratungen teil. Reichsbundesführer Klingler-Nürnberg hielt dabei die folgende Ansprache, die als Denkschrift übergeben wurde« (folgt die Rede in maschinenschriftlicher Ausführung [LKAE, WB 2, 176]). Deutsch-evangelische Korrespondenz: dek. »Gerade in letzter Zeit sind eine ganze Reihe von Fällen uns bekannt geworden, in denen der Pfarrer der Willkür der Straße und den hemmungslosen Angriffen der Presse preisgegeben war. Es wird das Rechtsempfinden weitester Volkskreise aufs tiefste erschüttert, wenn das treue Kirchenvolk immer wieder merken muß, daß ihre Geistlichen diffamiert werden und vielfach in Schutzhaft kommen, ohne daß es gelingt, in einem geordneten Rechtsverfahren Schuld oder Unschuld der Betreffenden festzustellen. Dabei wird durch Ausweisungen, durch Redeverbote, durch Aufhebung der kirchlichen Versammlungsfreiheit und durch die Beschränkung der kirchlichen

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O. berichtete von Kaltenwestheim. Dort sind Spottverse auf Müller [W.]368 u. Reichardt [T.] verbreitet worden. Er hat die ihm übersandten Originale an das Kreisamt mit einem Schreiben geschickt. Darauf schreibt Krs.amt zurück, die Anlagen hätten dem Schreiben nicht beigelegen! Inzwischen hat O. erfahren, daß auf dem Krsamt ein Beamter oder Angestellter aus Kaltenwestheim sitzt, der dickster Freund des dortigen Bürgermeisters ist! Die Anlagen haben dem Schr. bestimmt beigelegen, Frl. Levien u. Koeppen wollen das beschwören! Die Kaltenwestheimer sind heute, am Erntedankfest, 200 Mann hoch nach Tann in die Kirche gefahren – mit Autobussen. Die Bek.gemeinsch. bezahlt die Hälfte. Seit Pfingsten sind die Leute dort nicht mehr in d. Kirche gewesen! Von den Schulkindern meldet sich keines, um in d. Kirche von Kaltenwesth. im Gottesdienst des D.Chr.-Pfarrers den Erntekranz zu tragen. Es werden schließl. 5 Kinder, deren Eltern D.Chr. sind, bestimmt. O. hat jetzt einen nicht-angestellten Kandidaten Schüler anstelle des noch nicht wiederhergestellten Reichardt [T.]. Schüler war in Kaltenwesth., um die Fahrt nach Tann vorzubereiten. Nach Rücksprache mit den 20 Führern der Bek.gemeinsch. dort, etwa um 10 Uhr nachts, bitten sie ihn, noch eine Abendandacht zu halten. Die Tür tut sich auf, u. es erscheinen die 20 Frauen der 20 Männer u. dann noch alle Konfirmanden. Gestern, Sonnabend, vorm. um 11, erschien Zenker mit einer Liste »Geheimer Funkspruch der Reichsregierung. Es muß noch heute jeder Beamte mit Unterschrift bekräftigen, daß er nicht 4 oder 3 nicht-arische Großeltern hat!« Wer nicht unterschreiben könnte, sollte am gleichen Tag noch (gestern) entlassen werden! Es stellte sich heraus, daß kein solches Unglückswurm bei uns vorhanden war. (2 Beamte auf Dienstreise). Die Aktion soll wegen derjenigen ins Werk gesetzt worden sein, die vor 1914 schon in Staatsdiensten gewesen u. danach von der Kirche übernommen worden seien. Die waren von der bisher. Gesetzgebung noch verschont worden, die erfaßt man also jetzt. Ich nehme an, daß alle Nachrichten von »Judenhetze abgeblasen« sich auf äußerlich sichtbare Aktionen beziehen, die vom Ausland kontrolliert werden können, wie der Zug kürzlich in Eisenach. Die Gesetze dagegen werden jetzt wohl noch schärfer gehandhabt. So sind wohl auch die Reden von Goebbels und Streicher (kürzlich in Berlin) auszulegen, die vor »Einzelaktionen« erneut warnen. Wenn man doch in der Kirche dafür sorgte, daß die Christen nicht mehr mit Lug u. Trug arbeiteten! (Brief Leffler »in aller Stille«369!) stattdessen wirft man die Juden hinaus u. der jüdische Betrug bleibt. Die »Times« hatte übrigens berichtet, die Sächs. Bek.synode sei verboten worden. Das stimmte nicht. Sie hat getagt, nur einen Tag später als vorgesehen.

368 369

Pressefreiheit die evangelische Verkündigung weithin bedroht. Dadurch liegt auf den Geistlichen ein schwerer Druck, die Gemeinden werden beunruhigt und das Vertrauen zum Staat wird erschüttert. Und vor allem eines: Es ist unsere ganz große Sorge, immer wieder merken zu müssen, wie von allen möglichen amtlichen und nichtamtlichen Parteistellen eine antichristliche Propaganda getrieben wird, die fast nicht mehr überboten werden kann« (Klingler, Der Reichsbund der deutschen Pfarrervereine und die kirchliche Lage, 603). Zum Fall Wilhelm Müller und zu den Verhältnissen in Kaltenwestheim vgl. Tgb. 8. Juni, 12. Juni, 1. Juli, 10. und 13. September 1935 sowie Biogramme. Vgl. Tgb. 14. September 1935.

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Heute früh bei Lackner las ich in der »Frankf. Ztg.« den neuesten Erlaß von Kerrl zur Bildung eines »Kirchenausschusses«.. Es kommt ja nun alles darauf an, wie der zusammengesetzt ist. Den Kompromiß-Vorschlag Kerrls an die preuß. Bek.syn. zur Bildung eines Direktoriums, in dem u.a. Bodelschwingh sitzen sollte, haben die Preußen abgelehnt.370 Darauf wohl der neue Erlaß. Kerrl beruft die Mitglieder des K.A. Das Gesetz ist befristet bis zum 1.11.37.371 Sowohl von B. wie von L. hörte ich gestern, die D.Chr. liefen nicht sieghaft herum. Besonders Sasse sei immer präokkupiert. Früher habe er die Gewohnheit gehabt, pfeifend u. mit den Fingern schnippend durch die große Halle zu gehen. Das täte er nicht mehr. Man versteht jetzt, was die Nachrichten, daß beim L.K.R. gebaut werden sollte, s.Zt. bedeutet haben. Das war für den Fall, daß die Reichsleitung aller D.Chr. in Lefflers Hand gelegt würde. Sitz der Organisation sollte Eisenach sein. Die von Leffler angekündigte Fortsetzung sr. Auseinandersetzung mit den D.Chr. Berliner Richtung ist übr. nicht erschienen.372 Dafür ist seine im L.K.Tag gehaltene Ansprache abgedruckt.373 Die Erwiderg. Rehms374 habe ich, nachdem sie Verschiedene im L.K.R., die der Bek.syn. nahe stehen, gelesen haben, einigen höheren Beamten gegeben, die D.Chr. sind. Die Namen will ich nicht herschreiben. Sie waren so dankbar dafür daß ich lachen mußte.375 Gestern gab ich sie ( )b. Als ich zu ihm gehen wollte, machte er die Tür von außen auf! Ich hatte den ganzen vormittag gewünscht, er möchte in mein Zimmer kommen – was nur alle 4 Wochen einmal vorkommt. Es war wirklich, als hätte ihn dieser Wunsch gezogen.

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Vgl. dazu das Protokoll der Beratungen von Vertretern des Reichskirchenministeriums mit von Bodelschwingh vom 28. September 1935 sowie dessen Schreiben an Kerrl vom 1. Oktober 1935, in: Dokumente zur Kirchenpolitik III, 92–101. »§ 1 1. Der Reichsminister für die kirchlichen Angelegenheiten bildet aus Männern der Kirche einen Reichskirchenausschuß. 2. Der Reichskirchenausschuß leitet und vertritt die Deutsche Evangelische Kirche und erläßt Verordnungen in den innerkirchlichen Angelegenheiten […]. § 2 1. Der Reichminister für die kirchlichen Angelegenheiten bildet für die Evangelische Kirche der altpreußischen Union aus Männern der Kirche einen Landeskirchenausschuß und Provinzialkirchenausschüsse […]» (Erste Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Sicherung der Deutschen Evangelischen Kirche vom 3. Oktober 1935, in: Dokumente zur Kirchenpolitik III, 102– 103). Das Gesetz war – entgegen der Mitteilung der Tagebuchschreiberin – befristet bis zum 30. September 1937. Die Fortsetzung von »Der Weg der Deutschen Christen« war auf der letzten Seite des Artikels angekündigt; vgl BrDC 4 (1935), 210b; sie ist aber nicht erschienen. Siegfried Leffler, Die kirchliche Lage, BrDC 4 (1935), 227–229. Erklärung Wilhelm Rehms vom 17. September 1935 mit dem Titel »Wir und die Thüringer Kirchenbewegung. Entgegnung der Leitung der Reichsbewegung Deutsche Christen auf die Angriffe des Oberregierungsrats Leffler gegen die Reichsbewegung« [12 Seiten; maschinenschriftlich]. Vgl. Tgb. 30. September 1935. Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz, vgl. Übersicht Strichzeichnungen.

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O. hat jetzt 5 Leute in seinem Büro sitzen – u. sie werden kaum mit der Arbeit fertig! Frl. Levien u. Frl. Koeppen, Cand. Schüler, Dr. Kropatschek u. noch einer.376 Dr. Kr. [Kropatschek] wird vom Notbund oder der vorl. K.regierg. bezahlt, leitete bisher den Thür. Elternbund. O. ist nach wie vor von früh bis spät gehetzt. D. 7.10.35. [7. Oktober 1935] Leutheuser hielt heute früh die Morgenandacht. Nicht kirchenpolitisch. Jeder schaue heutzutage auf uns, die Menschen der Kirche, sagte er. Von der Haltung jedes Einzelnen hinge das Urteil über die Kirche ab. Wir müßten neue Menschen werden pp. B. kam. Wir besprachen das neue Gesetz. Man muß wieder einmal warten. Wir habens gelernt. Aber es zeigt sich, daß von Vertrauen auf Kerrls Maßnahmen noch bei keinem von uns die Rede sein kann, nur von schüchternen Hoffnungen. Das Erste müßte doch eine Weisung sein, Pfarrer nicht mehr von der Geh. Staatspolizei aus ohne Weiteres auszuweisen oder einzusperren. Oder will Kerrl das den »Landeskirchenausschüssen« überlassen die doch wohl kommen müssen? Da ist in Thür. der Fall Metzels, von dem O. am Sonnabd. wieder erzählte. D. 8.10. [8. Oktober 1935] In Metzels ist ein junger Hilfspfr., Wolf, gewesen, der zur Bekenntnisgemeinsch. gehört u. die Erklärung vom 10. Juli mit unterschrieben hat.377 In dessen Gemeinde ist eines Tages der Kreisleiter Köhler aus Meiningen gekommen u. hat zu einem Ausspracheabd. über die Frage Kirche u. Staat innerhalb der Partei aufgefordert. Wolf hat nach der Art der Einladg. angenommen, es handele sich um eine sachliche Auseinandersetzung u. ist hingegangen. Der Kreisleiter hat aber in der allerübelsten Weise gegen den Pfr. persönlich wie gegen Kirche u. Christentum gehetzt. Wenn man den Bericht gelesen hat, den O. in Abschrift bekam (Original an L.K.R.)378, dann hat man das Gefühl, das ist so ungefähr mit das Tollste, was im Kirchenkampf passiert ist. U.a. hat der Kreisleiter angeführt: Der Pfr. habe in der Kirche über den Text gesprochen: »Ich bin der Weg, die Wahrheit u. das Leben, niemand kommt zum Vater denn durch mich.«379 Da hat er gesagt, dadurch würde derjenige, der nicht dens. Glauben hätte, als minderwertig hingestellt – dadurch würde Volksgemeinschaft zerstört u. darauf stünde Zuchthaus … Wenn von den 66 Millionen Menschen in Dtschld. jeder einen and. Weg zu Gott hätte, dann gäbe es eben 66 Millionen Wege zu Gott … u.s.w. Das alles in Anwesenheit der Schulkinder, denen wohl einmal gezeigt werden sollte, was man sich alles 376

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Nach einem Schreiben von Ernst Otto an das Finanzamt Eisenach vom 6. Dezember 1935, LKAE, LBG 146, 15, sind drei Bürokräfte angestellt: Maria Koeppen (seit 1. September); Gertraud Levien (seit 1.Oktober) und Hilde Galle (seit 21. November 1935). Zum Zeitpunkt des Tagebucheintrags sind bei Otto beschäftigt: Koeppen, Levien; Schüler, Kropatscheck und T. Reichardt. Zu Pfarrer Wilhelm Wolf vgl. weitere Tagebucheintragungen sowie Biogramme. Die Veranstaltung fand am 23. August 1935 statt; vgl. dazu Bericht von Hilfspfarrer Wilhelm Wolf vom 28. August 1935, LKAE, LBG 40, 7 [4 Seiten]. Die Veranstaltung hatte in der Öffentlichkeit einige Aufmerksamkeit erregt; vgl. die beiden Zeitungsberichte »Kreisleiter Dr. Köhler greift ein! Wir lassen die Dorfgemeinschaft nicht zerstören«, Thüringer Tageszeitung Nr. 199 vom 27. August 1935, LKAE, 40, 13, und »Gegen Reaktion und Kirchenpolitiker. Der Kreisleiter hält Abrechnung«, ebd. 12. Joh 14,6.

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einem Pfr. gegenüber erlauben könne u. in einer Gemeinde, die fest geschlossen zur Bek.gemeinsch. gehört. Wolf hat anscheinend gut geantwortet. Er habe den Saal nicht verlassen, da das eine Katastrophe gegeben hätte; die Gemeinde aufs äußerste erregt usw. Der L.K.Rat. hat Wolf wegen der Erklärung vom 10.7. abgesetzt380, obwohl diese Maßnahme nach dem Vorgehen des Krs.leiters den Eindruck machen muß, als ob der L.K.R. hinter dem Krs.leiter stünde. O. sagte mir darüber kurz: »Lehmann ist in Metzels gewesen, es ist eine Katastrophe geworden. Das spitzt sich zu wie in Kaltenwestheim«381. Wolf ist trotz der Absetzg. in M. [Metzels] geblieben u. hält Hausandachten. Da bestellt ihn neulich der Landrat u. rät ihm, freiwillig fortzugehen, er müßte ihn sonst verhaften lassen. Der Befehl sei schon da, es sei besondere Rücksicht, daß ers im Guten versuche. Wolf ist zunächst mal nach Hause gefahren. Sie sind unschlüssig, was sie tun sollen. Ich glaube, daß es sich um einen Einschüchterungsversuch handelt. Man hofft, ihn dadurch ohne Aufsehen zu entfernen – obwohl ich nicht zweifle, daß sie ihn schließl. doch verhaften u. irgendeinen Vorwand finden würden. Wenn ich gefragt würde, würde ich raten, einen anderen der Bekenntnis-Hilfspfr. hinzusetzen. In einem L.K.R.-Sitzungsprotokoll fand ich eine Äußerung von Sasse, man könne E. Otto Hausandachten in Kaltenwestheim nicht verbieten auf Grund des Minderheitengesetzes.382 (Nebenbei: Die Bekenntnisgemeinsch. hat die Mehrheit in Kaltenwesth.!) Wenn man das E. Otto nicht verbieten kann, dann kann man es anderen in anderen Gemeinden auch nicht verbieten. – E. O. gegenüber weichen sie immer zurück. Das merkte man schon bei der Frage der Beerdigung in Reichenhausen.383 Es würde auch zu viel Aufsehen machen, wenn man den Führer der Bek.gemeinschaft in Thür. abschießt. Heute Mittag ging ich etwas später nach Hause. Als ich aus dem Treppenhaus trat, kam Thomas in Motorrad-Dreß in die kleine Halle, um zu Volk zu gehen. Er wurde dunkelrot, als er mich sah. Obwohl er mir geschrieben hatte, daß er an einem Tag hier sein würde, war er nicht gekommen, mich in meinem Zimmer aufzusuchen. Er hat schriftl. offenbar immer noch mehr Mut als vis a vis. Ich gab ihm die Schrift von Rehm gegen Leffler,384 die ich ihm heute sowieso hatte schicken wollen u. die zufällig gerade zur Hand war. Das war auch so ein sonderbares Zusammentreffen wie mit ( )b. Volk macht die Tür zum weißen Saal auf u. erblickte Thomas, den er erwartete. Ich hatte gerade noch Zeit, zu Thomas zu sagen: »Aber über Ihren Brief bin ich noch nicht hinweggekommen! Wie können Sie sagen, daß es Ihnen gleichgültig ist, ob in Berlin die D.C. oder die Bek.leute die Kirche regieren!« Er wurde noch röter. »Wir müssen uns einmal …« Schluß. Der weiße Saal verschlang ihn. – Man baut ihm eine neue Kirche, man baut ihm ein neues Pfarrhaus, man läßt ihn im Rundfunk reden … u. darüber wird 380 381 382 383 384 b

Zum Fall des Pfarrers Wilhelm Wolf vgl. Biogramme. Zu den kirchlichen Verhältnissen in Kaltenwestheim, insbesondere zu Pfarrer Wilhelm Müller vgl. vorhergehende Tagebucheintragungen ab 8. Juni 1935 sowie Biogramme. Gesetz vom 7. Juli 1921 über die kirchliche Versorgung und über den Schutz von Minderheiten, ThKbl/A 1921, Nr. 4, 23–27. Vgl. Tgb. 13. September 1935. Vgl. Anm. 374. Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz, vgl. Übersicht Strichzeichnungen.

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es dann gleichgültig, ob in den Pfarrhäusern der Amtsbrüder Sorge u. Schande getragen werden müssen u. Menschen fast zerbrechen in inneren Kämpfen oder in zermürbender Arbeit für eine ganze Gemeinschaft. Heute kam wieder eine Serie von längeren Presseartikeln als Echo zu Kerrls 1. Durchführungsverordng. zum Gesetz vom 24. Sept.385 Einige Punkte werden überall hervorgehoben. Z.B. die Tatsache, daß wir seit der Verfassg. vom Juli 33 eine geeinte ev. Kirche haben u. daß niemals irgendeine Meinungsverschiedenheit über das Erstrebenswerte dieses Zieles geherrscht hat. Das hat Frick freilich im Juli dieses Jahres schon – alte Antwort auf die Rede des Erzbischofs von York (oder Canterbury) – zu einem amerikan. Journalisten (Reinh. Elchin?) gesagt, aber es war inzwischen schon wieder in Vergessenheit geraten u. es sind noch keine 4 Wochen her, daß der Führer in sr. Abschlußrede zum Reichsparteitag die von Goebbels geprägte Wendung von den »28 antiquarischen Landeskirchen« verwendete. Er sagte bei dieser Gelegenheit auch wieder einmal, den Leuten, die immer vom Bekenntnis redeten und damit nur ihre Staatsfeindschaft verbergen wollten, würde man die Maske vom Gesicht reißen.386 Durch die neue Auffassung der Lage ist auch der Führer desavouiert. Aber wieviel Leute merken das überhaupt? – Und in sr. neuesten Nummer macht der »Reichswart« darauf aufmerksam, daß in den neuen Kirchengesetzen die beiden kirchl. Gruppen auf völlig gleiche Ebene gestellt würden; das sei sehr bedeutsam.387 Mit der Alleinherrschaft der D.Chr. sei es nun vorbei. Kerrl habe sich keineswegs auf eine Partei festgelegt pp. Man merkt dem Blatt übrigens an, wie die Tatsache, daß ein Kirchenministerium gebildet worden ist, den Heiden auf die Nerven gefallen ist. Sie fürchteten die »Staatskirche«, die der protest. Kirche damit natürlich auch erneutes Ansehen innerhalb der Partei u. wohl auch einen gewissen Schutz verbürgen würde (wenn auch den Tod für das innere Leben der Kirche). Also die Heiden haben wir auf unserer Seite, wenn wir gegen die Staatskirche kämpfen. Ich weiß nicht, ob ich notierte, daß O. erzählte, Kerrl habe als nächstes Ziel vor sich, innerhalb der Partei »Reichsleiter« zu werden.388 Denn jetzt könne er wohl als Reichsminister Gesetze machen, aber keinerlei Anweisungen innerhalb der Partei geben. Jeder 385 386

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Vgl. Anm. 371. Hitler sprach von »26 antiquarischen Landeskirchen« und kritisierte die »Politisierung der Konfessionen«; vgl. Proklamation Hitlers auf dem Reichsparteitag der NSDAP in Nürnberg (Auszug) am 11. September 1935, in: Dokumente zur Kirchenpolitik III, 85. »Wie der Inhalt des Gesetzes weiter zeigt, werden die beiden kirchlichen Gruppen nebeneinander genannt, also auf gleicher Ebene, sicher eine belangreiche Tatsache! Mit der Vormachtstellung der ›Deutschen Christen‹ ist es also aus; auch einen Vorrang haben sie in der Kirche nicht mehr« (Die Sicherung der Kirche, Reichswart 16 [1935] Nr. 40, 1). Kerrl, ein »alter Kämpfer« wollte eine führende Rolle in der nationalsozialistischen Politik spielen, obwohl er wohl selbst erkannt hatte, dass die Kirchenpolitik eher ein peripheres Gebiet in der Gesamtpolitik des Nationalsozialismus darstellte. Dennoch nahm er die Beauftragung an. »Er fühlte sich wohl zum engeren Kreis des Führers zugehörig. Aufgrund seiner bisherigen Funktion [Minister ohne Geschäftsbereich; Hg.] durfte er als Hoheitsträger der Partei gelten. Kerrl hoffte vermutlich, aufgrund dieser Position die bereits zu Beginn seiner Tätigkeit erkennbaren Schwierigkeiten lösen zu können. Offensichtlich verdrängte Kerrl in diesem Augenblick die Entscheidung Hitlers, ihn nicht zum Reichsjustizminister ernannt zu haben sowie sein vergebliches Be-

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Gauleiter könne von der Partei aus in sein »Befriedungswerk« hineinfunken. An diesem Beispiel wird mir manches klar! Die Stahlhelmer konnten auch immer nicht verstehen, warum Seldte, der doch Reichsminister sei, sich nicht durchsetzen könne. Ja – was ist ein Reichsminister! Die S.A. empfängt ihre Anweisungen u. Befehle von der Partei u. von sonst niemand. »Was der Staat nicht machen kann oder soll, überläßt er der Partei.« Sagte das nicht irgendeiner auf dem letzten Parteitag? Und nun haben wir also folgende Lage: In Kaltenwestheim betätigt sich die S.A. kirchenpolitisch. Der Hilfspfr. [Müller W.], der selbst der S.A. angehört, stellt das fest u. kommt dafür ins Konzentrationslager.389 Und täglich dürfen Zeitschriften gedruckt werden, die den christl. Glauben verhöhnen u. angreifen. Dazu hielten die Minister eine Zeitlang geradezu Reden, in denen sie die Bekenntnischristen als Staatsfeinde an den Pranger stellten. Da warnte niemand vor »Einzelaktionen«. Es ist geradezu ein Wunder, daß unsere Pfarrer noch nicht gelyncht worden sind. Daß sie »preisgegeben« waren, das hat die Eingabe der Pfarrervereine an Kerrl kürzlich Gott sei Dank einmal deutlich gesagt.390 Kürzlich ist uns übrigens auch klar geworden, was die gelegentlichen Andeutungen (Volk), es würde wahrscheinlich auf dem Pflugensberg gebaut werden u. es würden mit der neuen Gaueinteilung bei uns große Personalveränderungen kommen, zu bedeuten hatte. Die Bauerei jedenfalls war wohl für den Fall geplant, daß die Thüringer Richtung der D.Chr. die Leitung der Gesamtbewegung übernehmen würde. Nun, das ist ins Wasser gefallen. Welcher Schlag! Ob wirkl. der berühmte Brief391 die Wendung herbeigeführt hat? Übrigens kann man doch auch an Hand der neuest. Zeitungsartikel feststellen, daß die Kirchenfeinde nach der ersten Verwirrung über die neue Wendung der Dinge nun Positionen beziehen. Da wird nachdrücklich hervorgehoben, daß (wie es in der Präambel zu dem Ermächt.gesetz für Kerrl geschrieben steht) die Kirchen »nicht imstande gewesen seien, ihre Angelegenheiten allein in Ordnung zu bringen«392 (Reichswart), was natürlich Minderwertigkeit bedeutet. »Times« bemerkte dazu, die Kirche könnte

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mühen, das Amt des Reichsleiters der NSDAP zu erhalten. Bereits daran hätte er ermessen können, welche Macht und Stellung innerhalb des NS–Führungszirkels er tatsächlich besaß« (Kreutzer, Reichskirchenministerium, 109–110). Zum Fall des Pfarrers Wilhelm Müller vgl. Biogramme und Tgb. 8. Juni, 12. Juni, 1. Juli, 10. und 13. September sowie 6. Oktober 1935. Vgl. Tgb. 6. Oktober 1935. Brief Lefflers an die Mitglieder der KDC; vgl. Tgb. 22. August 1935. Gesetz zur Sicherung der Deutschen Evangelischen Kirche vom 24. September 1935. In der Präambel heißt es, dass ein Zustand hereingebrochen sei, »der die Glaubens- und Gewissensfreiheit des Einzelnen beeinträchtigt, die Volksgemeinschaft schädigt und den Bestand der evangelischen Kirche selbst schwersten Gefahren aussetzt.« Deshalb sei das folgende Gesetz beschlossen worden und werde hiermit verkündigt: »Einziger Paragraph. Der Reichsminister für die kirchlichen Angelegenheiten wird zur Wiederherstellung geordneter Zustände in der Deutschen Evangelischen Kirche und in den evangelischen Landeskirchen ermächtigt, Verordnungen mit rechtsverbindlicher Kraft zu erlassen. Die Verordnungen werden im Reichsgesetzblatt verkündigt« (zit. in: JK 3 [1935], 922); zum Entwurf dieses Gesetzes und den zustimmenden Voten verschiedener Behörden vgl. Dokumente zur Kirchenpolitik III, 78–82.

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schon seit 2 Jahren geeint und beruhigt sein, wenn der Staat nicht eingegriffen hätte. Das stimmt. D. 9.10.35. [9. Oktober 1935] B. kam. Er wußte nichts, ich wußte nichts. Er erzählte nur, daß Frl. Sommer in der Zentrale von den verschiedensten Leuten, darunter Reichardt [E.] iun., gefragt worden wäre, ob sie nicht wüßte, wer in den Kirchenausschuß käme. Die anderen warten also ebenso gespannt wie wir und wissen auch nichts. Abends Ich war bei Frau Otto [M.] – kurz. O. ist nicht nach Wernigerode zur Tagg. der Sydower gefahren, wie beabsichtigt war. Am Montag hat er ein Telegramm der vorl. K.regierg. bekommen – die Sitzung des Reichsbruderrates, die am Freitag beginnen sollte (O. wollte Bauer schicken) fände bereits am Dienstag u. Mittwoch statt. Da hat sich O. entschlossen, sofort selbst nach Berlin zu gehen, da ihm dies nun doch äußert wichtig schien. Am Abend sei noch ein Telephongespräch gekommen, in dem der Rat gegeben wurde, mit einem Bauern aus Kaltenwestheim in Berlin selbst zu Kerrl zu gehen. Darauf ist der Bauer Stopfel aus K. [Kaltenwestheim], der mit sr. Frau dort die Seele des Widerstandes ist, hinter Otto her nach Berlin gefahren. Die Unterredung sollte heute stattfinden. Diese persönl. Unterredungen mit Kerrl scheinen Erfolg zu haben. Das hat auch ein sächs. Pfr., der im Konzentr.lager gesessen hat, erlebt, denn er hat dem Hilfspfr. Wolf aus Metzels gleichfalls geraten, zu Kerrl zu gehen. Wolf hatte die Absicht, heute zu fahren. Dann hatte Frau O. [M.] noch erfahren, die hess. Fälle seien alle bereinigt393 – dort waren in letzter Zeit wieder 3 Pfr. in Schutzhaft gekommen. Dann wußte sie noch, daß Leffler verboten worden sei, seine Enthüllungen in den »Briefen«394 fortzusetzen. Ob von Kerrl oder dem Reibi – es schien, von Letzterem. Denn dies sollte ein Beschluß der Bischofskonferenz sein395, den sie bei Sasses letzter Anwesenheit in Berlin gefaßt hätte. – Es spielt überhaupt nur die Berliner Richtung eine Rolle, die Thüringer seien erledigt. – Man habe auf der Bischofskonferenz denjenigen Landesbischöfen, die aus der Bewegg., der sie doch ihre Bischofssitze verdankten, ausgetreten seien, das Mißtrauen ausgesprochen. Das wären also wohl TügelHambg., Johnsen-Braunschweig, Paulsen-Kiel. Wer bleibt da überhaupt noch übrig? Nicht mehr viele. Thüringen, Pommern, Ostpreuß., Mecklenbg., Sachsen, Magdeburg. Aus der »Jungen Kirche« ist bekannt geworden, daß von deutsch-christl. Seite auch eine Erklärung, die sich gegen den Reichsbischof richtete, vorbereitet, aber von Rehm nicht unterzeichnet worden ist.396 Es scheint im Lager der D.Chr. hoffnungslos durcheinander zu gehen. Ob Hossenfelder noch da ist? Man hört nichts mehr von ihm. Frau O. [M.] erinnerte mich noch daran, was ich vergaß aufzuschreiben, daß dem jungen Reichardt [T.] vom Kreisamt verboten worden war, in Kaltenwestheim Konfirmandenunterricht zu geben. 393 394 395

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Vgl. Tagebucheintragungen vom 29. März 1935, 8. April 1935 u.öfter. BrDC. Vgl. Tgb. 6. Oktober 1935; bei dem »Verbot« dürfte es sich wohl um ein Gerücht handeln. Unter »Bischofskonferenz« könnte die Besprechung der Bischöfe und Gauobmänner der RDC am 19. September 1935 in Berlin gemeint sein (vgl. JK 3 [1935], 940). Vgl. JK 3 (1935), 981.

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Am Sonntag sind 278 Leute aus Kaltenwesth. zum Gottesdienst in Tann gewesen. Es sei alles ruhig u. schön verlaufen. Hinterher hätten die, die nicht zur Bek.kirche gehören, gesagt, wenn sie es gewußt hätten, wären sie auch mitgefahren. D. 11.10. [11. Oktober 1935] Gestern las ich übrigens in einer kirchl. Zeitschr., die während ms. Urlaubs erschienen war, über d. Schicksal von Hossenfelder. Der ist gänzl. in der Versenkung verschwunden. Es liefe sogar ein Parteiverfahren gegen ihn. Es sei auch strafrechtl. gegen ihn vorgegangen worden. Das alles scheint mit »Evangel. im III. Reich« zusammenzuhängen, das er ja etwa ¼ Jahr lang in diesem Sommer herausgab (Luth. Kirche 1933, Heft 17 v. 1.9., S. 311).397 Die Times brachte einen langen Artikel über das neue Kirchengesetz (betr. Kirchenausschuß pp.398), das die Befürchtung ausspricht, es würde während der 2 Jahre, in denen der die prot. Kirche in der Hand hätte, einerseits die Säkularisierg. des öff. Lebens u. andererseits die Propagierung der »neuen Religion« von Partei u. Staat mit aller Energie betrieben werden, während die Kirche sozusagen kaltgestellt sei. Ende des Mts. wird ja hier nun wieder die »Reichstagg.« der Thür. Richtung abgehalten.399 Wie es scheint, wird für die Festnummer der »Briefe an D.Chr.« ein Artikel vorbereitet, der Kampf gegen die »Berliner Richtung« in denjenigen Gebieten ansagt, in denen man diesen Kampf bisher rücksichtsvoll vermieden habe. – Von Seiten der Bek.gemeinsch. kann man diese Absicht nur begrüßen. Aber es ist doch erstaunlich, wie töricht die Leute sind. Graben sich selbst ihr Grab. Das wird Kerrl nicht ruhig mit ansehen. Den 11.10., Nachm. [11. Oktober 1935] Mittags brachte ich ein Buch zu Stümaier. Als ich aus d. Laden kam, kam O. mir entgegen. Wir gingen ein Stück zusammen. Er sagte, es sei eigentlich nicht viel aus Berlin zu erzählen. Er dächte z.Zt. viel nach über den Weg der Bekenntnissynode und seinen eigenen. Der Reichsbruderrat sei in einer Klemme. Das würde allerdings nicht ausgesprochen, aber es sei so. Jede Anerkennung der Kerrl’schen Kirchenausschüsse sei eigentlich ein Aufgeben der Grundsätze, auf die man sich festgelegt hätte. (O. war ja bei 397

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Aus einem Rundschreiben der »Deutschen Christen« vom 1. Juli 1935: »… Hossenfelders Aussichten sind in nichts zerronnen. Er kann nur noch als Störenfried betrachtet werden. Wie die meisten von ihnen schon wissen, hat Hossenfelder nun auch sein ›Evangelium im Dritten Reich‹ verloren. Die Reichsleitung hat das Blatt aus der Konkursmasse angekauft. Hossenfelder ist es durch Gerichtsentscheidung verboten worden, das ›Evangelium im Dritten Reich‹ weiter drucken zu lassen. Auch strafgesetzlich mußte gegen ihn vorgegangen werden, außerdem hat die Partei ein Verfahren gegen ihn eingeleitet« (zit. nach Lutherische Kirche 1935, 311 [H. 17 vom 1. September 1935]). – Gegen Hossenfelder erging der folgende »Beschluß«: Bei Androhung von strafrechtlichen Konsequenzen sei es ihm »verboten, sich als Vorstand des eingetragenen Vereins ›Deutsche Christen‹ zu bezeichnen und unter dem Vorgeben, Vorstand zu sein, Erklärungen im Namen des eingetragenen Vereins abzugeben« (Lutherische Kirche 17 [1935], 168). Zu den historischen Ereignissen im einzelne vgl. Vehse, Hossenfelder, 73–123. Vgl. Anm. 371. 26.–28. Oktober 1935.

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der Dahlemer Synode bereits der Ansicht, daß die Synode zu weit gegangen sei. Er hat ja auch in Thür. diese Beschlüsse nicht ausgeführt400). Auf der anderen Seite sei das Kerrl’sche Angebot so, daß man es nicht ablehnen könne. Die vorl. Kirchenregierung will offenbar mit Kerrl gehen. Die Widerstrebenden sind wohl Niemöller u. die um ihn. O. sagt, wenn man Kerrls Angebot ablehne, dann sei nur noch der Weg in die Freikirche übrig. Er selbst möchte mit Kerrl gehen. – Ich fragte, ob man schon wüßte, wer in die Kirchenausschüsse käme. Er sagte, die Namen, die man hörte, seien die ganz farbloser Leute, die man hin u. her schieben könnte. Im übrigen sagte er, er könnte die ganze furchtbare Arbeit für die Bek.gemeinschaft nicht mehr allein machen. Heute allein 30 Eingänge. Nun wolle man Pfr. Schnittger disziplinieren.401 Diese Sache könnte Dobenecker bearbeiten statt seiner. Natürl. finge man mit den schwächsten an. Und er, Otto, wälzte Gesetze, vergliche altes und neues Disziplinargesetz, schriebe an den L.K.R., an das Ministerium, an Kerrl, an Stahn u.s.w. – statt die dringend nötige Arbeit in der Gemeinde zu tun. Jetzt müßte man sich in die neuen Strömungen vertiefen, müßte alle Gebildeten zusammenrufen u. ihnen klar machen, was los sei u.s.w. u. er käme zu dem allen nicht. Ich fragte nach Kaltenwestheim. Er sei also mit einem Bauern [Stopfel] aus K. im Ministerium gewesen, offenbar nur bei dem zuständigen Bearbeiter, dem Propst Szymanowski aus Schleswig-Holstein! (Über dessen »Fall«, den er offenbar die Treppe hinauf getan hat, wurde ich ja in der Flensburger Kundgebung orientiert402). O. sagte, wenn nur die Hälfte dessen, was ihnen von diesem Mann versprochen worden sei, in Erfüllung ginge, dann seien sie schon zufrieden. Sz. hatte ihm aber offenbar kein rechtes Vertrauen eingeflößt – er sei doof.403 Ruppel, den er das erstemal traf, hatte ihm bedeutend besser gefallen. – Zunächst will Sz. dafür sorgen, daß Müller [W.] aus d. Konzertlager404 kommt.405 Dann soll die Bek.gemeinsch. Gottesdienste in K. [Kaltenwestheim] halten dürfen, Konfirmandenunterricht u. alles, was sie wollen. Zum Fall Metzels habe Sz. gesagt, man könne Wolf nicht verbieten, in M. zu bleiben u. Bibelstunden pp. zu halten. O. hat Wolf darauf geraten, sich beim Ministerium eine Rückversicherung zu holen – also beim Ministerium anzufragen, ob man ihm den Aufenthalt in M. u. das Halten von Bibelstunden pp. verbiete. Geschähe das nicht, dann müsse Wolf nach Metzels gehen u. die Sache da ausfechten. D. 14.10. [14. Oktober 1935] Über die Kirchenfrage werden offenbar nur dann Artikel in d. Tagespresse erlaubt, wenn ein Gesetz herausgekommen ist. Jetzt ist wieder Schweigen im Walde. Aber die 1. Artikelserie, besonders der aus der »Dtsch. Allgem. Zeitung« hallen immer noch 400 401 402 403

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Vgl. dazu Tagebucheintragung vom 23. Oktober 1934. Zum Fall Schnittger vgl. Schriftsatz des LKR der TheK vom 4. Oktober 1935, LKAE, LBG 192, nicht paginiert. Vgl. Tgb. 21. Juli 1935. Diese Beurteilung trifft sich mit seiner Charakterisierung durch den ehemaligen Kollegen Ruppel (Interview Ruppels mit Hans Buchheim von 1951): »Er war bieder, aber dumm« (Kreutzer, Reichskirchenministerium, 190). »Nur in den ersten Jahren benutzter, flapsig-volkstümlicher Ausdruck für ›Konzentrationslager‹« (Brackmann/Birkenhauer, NS-Deutsch, 114). Vgl. Anm. 389.

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leise in der Kirchenpresse wieder. Die Wirkung war also beträchtlich. – Sehr interessant war die letzte Serie kirchl. Zeitschr., die ich am 11. u. 12. (Sonnabd. u. Freitg.) bekam. Die »Bremer Reichskirchentagung« hat beträchtlichen Staub aufgewirbelt.406 Das war ein getarntes Unternehmen der D.Chr. Thür. Richtung [KDC], zu denen sich jetzt der Bremer Bischof bekennt, der aus der »Berliner« Richtung« [RDC] ausgetreten ist. Zunächst wandte sich der »Reichswart« gegen eine Rede, die ein Kirchenpräs. HeiderBremen dort gehalten hat407 (auch Leuth. u. Leffl. haben geredet – und der Reichsbischof!).408 Darauf erhob das »Positive Christentum« seine Stimme mit der Begründg., die Leute von der »Bremer Reichstagung« lebten ausschließl. von ihrem (der Berliner) Ideengut, desh. ginge sie, die Berliner, die Sache etwas an. Darauf antwortet der »Reichswart« wieder dem »Posit. Christentum«. Inzwischen hat der Bremer K.präs. – ob in dieser oder einer anderen Sache weiß ich nicht – irgendeine »Erklärung« herausgegeben, die das »Positive Christentum« in sr. letzten Nr. unter der Überschrift »Saboteure am Werk« anprangert. Da werden dem Herausgeber der »Erklärung« »Tendenzlügen u. Schwindelmeldungen« u. ähnliche schöne Dinge vorgeworfen (Artikel in d. Sammlg.)409 Worum es sich handeln könnte, darauf bringt mich eine Nachricht in der »Allgem. lutherischen [AELKZ] …«, die aus einem Rundschr. von Pg. Rehm ausplaudert, daß in einer Sitzung vom 19.9. mit dem Reichsbischof, den D.Chr. Bischöfen, Rehm u. den Gauleitern sr. Bewegg. Leffler hat versprechen müssen, nicht mehr öffentl. gegen die Berliner Richtg. zu polemisieren pp. Ich komme nun auf den Gedanken, daß man diese Polemik jetzt mit dem Bischof von Bremen, der nichts versprochen hat, als Strohmann betreibt! Wenn das noch lange so weiter geht, dann wird Kerrl bald genug haben von diesen Leuten u. wer weiß, ob sie nicht nochmal das Schicksal erleben, das sie uns zugedacht hatten, verboten zu werden. Ein D. Ohlemüller vom Ev. Bd. verteidigt sich übrigens gegen den Vorwurf, bei der Bremer Reichstagung (bei der auch der Reichsb. redete) gesprochen zu haben mit dem Argument, man habe ihn über den Charakter der Veranstaltung im Unklaren gelassen; er habe hinterher protestiert410 pp.

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Vgl. Tgb. 17. September 1935. Heider sprach über das Thema »Wie sehe ich als Nationalsozialist die kommende Reichskirche?«; vgl. Heinonen, Anpassung, 68. An die Stelle von Leutheuser trat allerdings Landesprobst Fiedler; vgl. Heinonen, Anpassung, 68. Dass die Veranstaltung eine verkappte KDC-Veranstaltung gewesen sei, ist eine Überzeichnung der Tagebuchschreiberin; die Bremer DC versuchte – im Bündnis mit dem Reichsbischof – einen eigenen Weg zu gehen (Heinonen, Anpassung, 68–69). Die Tagung stand unter dem »Protektorat des Reichsbischofs«. L. Müller hielt auch einen Vortag. Dokumente und Abschriften, gesammelt von Marie Begas, LKAE. Der Artikel ist nicht mehr vorhanden. Ohlemüller hatte in der Tat referiert, aber später den Versuch gemacht, sich von der Reichskirchentagung zu distanzieren; er habe den Charakter der Veranstaltung nicht erkannt (vgl. Heinonen, Anpassung, 68). Zu Ohlemüller und seiner Einstellung zum Nationalsozialismus vgl. Fleischmann-Biesten, Der Evangelische Bund, 112–117; zum Bremer Referat vgl. ebd., 294: »In einer gemeinsamen Mitteilung erklärten Bornkamm und Ohlemüller, daß dieser Vortrag gehalten wurde in Unklarheit, wer der Veranstalter sei. Eine klare Distanz gegen DC-Vereinnahmung wurde also betont.«

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Interessant ist auch, daß die D.Chr. in ihrem Artikel im »Positiven …«411 mitteilen, daß die D.Chr.-Bischöfe sich auf den Reibi festgelegt haben (soweit sie nicht aus den D.Chr. ausgetreten sind!) u. daß die »Reichsbewegung« [RDC] sich geweigert hat, das zu tun. D.Chr.-Landesbischöfe, die ausgetreten sind, sind m.W.: Kühl-Baden [Kühlewein!], Zänker-Schlesien (Bek.gem.), Tügel-Hambg., Johnsen-Braunschweig, Paulsen-Kiel. Es war aber von »Vielen« die Rede, denen diese Versammlg. ihr Mißtrauen ausgesprochen hat. Der heutige Morgen war schon sehr bewegt. Jansa hielt die Andacht u. redete kräftig gegen die Bek.gem. (ohne sie zu nennen). Wir sind »kleinlich« u. alles Mögliche, u. sie sind diejenigen, die Gotteswort tun. Ja – wir sind die Zöllner u. Sünder im 3. Reich.412 Ich stand an meinem gewohnten exponierten Platz neben Frl. Linde ziemlich am Pranger. Dann kamen verschiedene Leute in mein Zimmer. Es zeigt sich wieder einmal, wie aufgeregt die Leute sind. Eine Frau hat Brakhage darauf angesprochen, jetzt würde doch nun alles gut. Und er hat entsetzt gebremst! Ja – damit, daß keine Pfr. mehr ins Konz.lager413 kommen sollen, ist ja tatsächlich noch nichts entschieden. Dann kam ein anderer mit Nachrichten von dem Studenten M. aus Jena: Bodelschw., Marahrens u. viell. sogar Meiser sollten in den Kirchenausschuß kommen. Ich warnte vor diesen Phantasien u. bremste aus aller Kraft. Übrigens ist mir beim Nachdenken klar geworden, daß O. mir nicht alles gesagt hat – er hat ja eigentlich überhpt. nichts gesagt. Aber es ist doch in Berlin darum gerungen worden, ob man in die Ausschüsse »hinein« sollte oder nicht. Hat O. da mehr gesagt, als er wollte? Denn ich fragte ausdrücklich nach den Namen, die für den Kirchenausschuß genannt würden, u. bekam die Antwort: »Lauter farblose Leute, die man hin u. her schieben kann.« Ja – worum ist denn da eigentlich »gerungen« worden? W (?). erzählte strahlend u. gläubig ein Hitler-Anekdötchen: Auf der Rückkehr vom Parteitag sei eine Pfarrfrau in einem Abteil mit S.A.Männern gefahren u. da dauernd angeödet worden, sodaß sie sich vom Schaffner einen and. Platz geben läßt. Teilnehmend fragt eine Dame, die sie in diesem Abteil findet, nach dem Grund ihrer Aufregung und sie erzählt. Darauf die Dame: »Ach, das wird meinen Bruder sehr interessieren, dem erzählt sonst niemand so etwas. Kommen Sie doch, wenn Sie in Berlin sind, dann u. dann in das Hotel Adlon.« Die Pfarrfrau geht zweifelnd in das Hotel. Und wer war der Bruder? Adolf Hitler!414 Rührend der Glaube an Hitler, der dahinter steckt. Das Volk sieht ihn so, wie es die Führer haben will, wenn es sie lieben soll. Wenn er das doch wüßte. Die Engländer haben es immer so glänzend verstanden, die Besiegten nicht nur zu versöhnen sondern noch einmal zu erobern – z.B. die Buren. Die Deutschen … ach, du liebe Zeit! Übrigens fand ich auch noch im neuesten »Reichsboten« einen Angriff auf die »Nationalkirche« u. die »Christusgemeinde der Deutschen«. Da kann man nun schon von

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Positives Christentum. Wochenblatt für alle christlichen Aufbaukräfte im Dritten Reich. Anspielung auf Mt 9,10 und 11,19. Vgl. Anm. 404. Paula Hitler; vgl. Biogramme.

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einer »Einheitsfront« reden. Im V.D. wollen sie schon wieder 2 neue Schulungsleiter aufstellen (Prot. v. 7./8.10.).415 Heute steht in der Eis. Ztg. eine Rede, die Heß gestern od. vorgest. vor den 300 ältest. pol. Leitern auf der Wartbg. gehalten hat. Ein Mann wie Hitler habe hier gesessen … Luther. Aber es sei ihm nicht gelungen, das Volk zu einigen416, sein Werk sei zersplittert … Nun hat Luther ohne Presse u. Rundfunk gegen allmächtige Gewalten 9/10. des dtsch. Volkes im Protestantismus geeint. 100 Jahre später kam die Gegenreformation. Und Adolf Hitler errang in der entscheidenden Wahl im März 1933 nur 49 % aller Stimmen. – Das übrige kam, als er im Besitz aller Machtmittel war. Rudolf Heß soll zu den Deutschgläubigen gehören.417 Übrigens hat Memelland 96 % deutsch gewählt. – Der Völkerbd. hat Sanktionen gegen Italien beschlossen. – Heimische Betriebsstoffe für Motoren sollen sich bei einer großen Versuchsfahrt glänzend bewährt haben. Wichtig – entscheidend – für unsere Wehrmacht. Den 15.10.35, 10 Min. nach 11 [Uhr]. [15. Oktober 1935] Gestern Abend Bekenntnisgemeinschaft »Hinter der Mauer«.418 Heute früh: Kirchenausschuß419 ernannt! Vor einer halben Stunde sagte mir ( )a, gestern Abd. sei es im Rundfunk gesagt worden. Die Namen möge man aus den Zeitungen ersehen. Es seien lauter Nationalsozialisten. Da hatte ich doch Angst vor der endgültigen Entscheidung. Ich ging dann hinunter in die Geschäftsstelle, um nach Zeitungen zu sehen. Dort werde ich sonst im Großen u. Ganzen geschnitten. Der Lehrling redete mich plötzlich an. »Eine Zeitung ist schon unten. Die hat Herr Böttger zum L.B. getragen. Der Kirchenausschuß steht drin.« Gleichzeitig schob er mir einen Zettel hin mit den Namen. D. Zoellner (i.R.) war mir ein Begriff, sonst noch D. Eger-Naumburg, sonst keiner.

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Protokoll der Sitzung des LKR der Thek vom 7. und 8. Oktober 1935, LKAE A 122, 54–55. Leutheuser berichtete in dieser Sitzung über den »Winterarbeitsplan des Volksdienstes« mit seinen verschiedenen Schulungskursen und schlug die Einstellung neuer Mitarbeiter für diese Schulungsarbeit vor, nämlich Diakon Fries (Rheinland), den früheren Bürgermeister O.K.H. Schultz (Ilmenau) und Dr. Ulrich (Weimar). Außerdem wurde die Anstellung der Herren Thieme, Männel und Poppe als Schulungsleiter vom 1. Oktober 1935 an beschlossen. Vgl. Eisenacher Zeitung vom 12. Oktober 1935. Das Treffen der 300 dienstältesten politischen Leiter der NSDAP wurde im Blatt ausführlich gewürdigt. Aus der Rede von Heß wurde wie folgt zitiert: »Zugleich denken wir daran, daß hier ein Mann wie Adolf Hitler weilte, der, nachdem er die Thesen in Wittenberg angeschlagen habe, der Welt den Fehdehandschuh hinwarf, geächtet, geschmäht und verfolgt … Der andere, Luther, hat nicht sein Werk so vollenden können, wie er gewollt, sein Werk ist zersplittert, wie es mit dem Werk des Führers hätte geschehen können, wenn er nicht Herr geworden wäre über die kleinen Geister. Vollständig aber ist der Sieg des Führers« (ebd.). Die Reden von Heß waren von quasi-religiösen, pathetischen Gefühlen getragen, bes. gegenüber Hitler, in dem er auch einen religiösen Messias sah; ein Deutschgläubiger war er aber sicher nicht; vgl. Orlow, Rudolf Heß, 85–86. Vgl. Anm. 333. Reichskirchenausschuß. Strichzeichnung Männerkopf, steht für Friedrich Bernewitz, vgl. Übersicht Strichzeichnungen.

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Oben in meinem Zimmer fand ich schon einen Zettel von Th. Paulssen mit entsprechenden Nachrichten. Ich ging gleich in die Bücherei, um Näheres zu hören. Der junge Reichardt [E.] war bereits wohlwollend der neuen Situation gegenüber eingestellt. Die neuen Männer haben bereits 2 Tage lang getagt u. eine einstimmige Erklärg. über die Stellung der Kirche zum Staat verfaßt, die Kerrl gutgeheißen hat.420 Daraufhin erst ist die Ernenng. erfolgt. Sie hätten die Absicht, sich in den nächsten Tagen mit einer Erklärung an das Kirchenvolk zu wenden. Kaum saß ich wieder in meinem Zimmer so erschien ( )b. Eigentlich strahlte er, Dtsch. Chr., der er ist! Er las mir die Namen vor, lachend, u. hielt mindestens 4 von den 7 Leuten für Bekenntniskirchler: D. Eger-Naumburg (den Bischof Peter abgesetzt hat), D. Zoellner-Düsseldorf, dann den einen aus München (anzunehmen, da er mit D. Meiser zusammenarbeitet) u. D. Mahrenholz aus Hannover. Koopmann-Aurich sei reformiert. Bleibt ein Pfr. Wilm u. ein Mann namens Kuessner, Lötzen. Bin neugierig, wie es weiter geht hier im Haus. Die Hauptsache ist ja nun die Erklärung, mit der der K.Ausschuß vor das Kirchenvolk treten wird. Otto hat eine Antwort auf die vertrauliche Denkschrift des L.K.R.421 drucken lassen und verschickt.422 Ob sie im L.K.R. schon angekommen ist, konnte ich nicht feststellen. Gestern Abend sah ich sie zum erstenmal. Ich habe sie ( )b gegeben u. ( )a. ( )e redete auch von den Disziplinarfällen. Die seien doch nun wohl alle überholt. Ob es eine Amnestie geben würde? O. sagte gestern Abd., Müller [W.]-Kaltenwestheim sei der letzte deutsche Pfr. im Konzentrat.lager. Die anderen seien frei. Es sei ihm in Berlin gesagt worden, man wolle versuchen, ihn binnen 3 Tagen aus dem Konzentrationslager frei zu bekommen.423 Habe er etwas verbrochen, so solle er verurteilt werden, aber nicht ohne Urteil im Konzertlager424 bleiben. Jetzt seien es 5 Tage her, daß dieses Versprechen gegeben wurde. Unten ist eine Sitzung mit Högg. Die Herren werden wohl nicht sehr bei der Sache sein. Eben neue Nachr.! Högg ist fort. Danach sofort das Thema »Kunst« fallen lassen u. die Zusammensetzg. des K.Aussch. besprochen. »…ü(i?)…ist drin!« »Deutsch. Christ?« »Ja, aber was für einer!« (Sasse). Darauf Leutheuser: »Ein richtiger Arschlecker!« Volk lachend: »Herr Zenker, das nicht ins Protokoll!« Leuth.: »Das können Sie ruhig ins Protokoll schreiben!« 420 b 421

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Vgl. Besier, 346. Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz, vgl. Übersicht Strichzeichnungen. Bruderrat der Lutherischen Bekenntnisgemeinschaft in Thüringen, Der Weg der Lutherischen Bekenntnisgemeinschaft in Thüringen. Antwort auf die Denkschrift des Landeskirchenrates der Thüringer evangelischen Kirche vom August/September 1935 (als Manuskript gedruckt – nicht für die Öffentlichkeit bestimmt [27 Seiten], LKAE, WB 2, 131. Vgl. Schreiben Ernst Ottos an die Mitglieder der LBG vom 14. Oktober 1935, LKAE, LBG 3, 114. Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz, vgl. Übersicht Strichzeichnungen. Strichzeichnung Männerkopf, steht für Friedrich Bernewitz, vgl. ebenda. Strichzeichnung Hakenkreuz, Person nicht identifiziert, vgl. ebenda. Vgl. Anm. 368. Vgl. Anm. 404.

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Schon wieder kommt ein anderer mit neuen Nachrichten! Als die Zeitung mit der Zusammensetzg. des K.Ausschusses in die Sitzung gebracht wird, sagt Leuth.: »Das ist das Leichenbegängnis der Kirche.« ½3 Uhr. Mittags zu O. Am Ausgang des Pflugensberges standen Stüber, Bauer u. Männel beisammen. Die Gesichter! Man hätte sich fürchten können! Ich mußte zuerst grüßen (ich ging zu dicht an ihnen vorbei, um sie zu ignorieren). Bei O. Linsensuppe mit Würstchen! Ich hatte ein bißchen Angst, als ich zu ihm ging, ob nicht wieder die gewohnte kalte Dusche käme! Aber er kam mir lachend entgegen. Es ist wirklich kaum zu glauben. Kuessner-Lötzen ist der Leiter der Bek.gemeinsch. in Ostpreußen; die anderen stehen alle der Bekenntnisgemeinschaft innerlich nahe, Diehl [L.] D.Chr., aber sehr gemäßigt. Als ich heraufkam, steckten verschiedene Leute in d. Zentrale die Köpfe über dem Zeitungsblatt zusammen. Ich konnte mit den von O. erfahrenen Einzelheiten Auskunft geben über die Persönlichkeiten im Kirchenausschuß. Stock war vollkommen erschüttert. Er konnte es nicht glauben, daß wirklich der Leiter einer Bekenntnisgemeinschaft dabei sei. Soviel ist freilich klar, daß Leute wie Niemöller u.Asmussen nicht zufrieden sein können – auch wir werden wohl noch einige Härchen in der Suppe finden. Aber nach allem, was geschehen ist, ist es doch eine Möglichkeit, die man sich garnicht mehr vorzustellen wagte! Der L.K.R. hat die Schrift von O. noch nicht – soll sie heute nachm. bekommen! ( )b brachte sie mir schon wieder. Er hätte sie über Mittag gelesen, war sehr davon erfüllt. Besonders auch das Grundsätzliche im Anfang sei sehr gut. – Besonders schlimm der lückenhafte Bericht des L.K.R. im Fall Fraedrich. 16.10. [16. Oktober 1935] Gestern Abd. las ich noch in der Frankfurter Ztg. eine kleine Notiz, Minist.rat Buttmann vom R.innenministerium, Fricks seitheriger Referent für kirchl. Angelegenheiten, sei »beurlaubt« u. zum Leiter der Staatsbüchereien in München od. Bayern oder so ernannt worden. Das ist also der Sündenbock, der in die Wüste geschickt wird. Gearbeitet habe ich nicht viel gestern. (O. 5, Insp. Schleiz, Vertragsarchiv! Gesuche wegen Reportition [sic!] von Abgaben … in Oberböhmsdorf!).425 18.10. (10 Uhr 10.) [18. Oktober 1935] Unten in der Stadt dröhnt Marschmusik. Jetzt ziehen wohl die Burschenschafter auf die Wartburg, um ihre Mützen u. Bänder feierlich zu begraben. Ich finde es … reden wir nicht davon! Man hätte doch einfach den Zuzug junger Kräfte zu den studentischen Vereinigungen verbieten können. Das wäre von selbst das Ende gewesen – statt zu verlangen, daß diese Verbände selbst noch ihren Untergang feiern. Das hat etwas Ekelhaf-

b 425

Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz, vgl. Übersicht Strichzeichnungen. Die Tagebuchschreiberin hatte Akten der Ephorie Schleiz zu bearbeiten; O.5 war Oberböhmsdorf betr. Gesuche etc.

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tes, ich kann mir nicht helfen. Ich denke daran, wie man 1933 evangelische Jugendverbände zwang, ihre Fahnen zu verbrennen. Da war eine Angelegenheit – ich weiß nicht, ob ich sie damals festgehalten habe – da war auch eine Fahne mit dem Christenkreuz verbrannt worden u. Ob.pfr. Anhalt, Meuselwitz, hatte das mitgemacht.426 Und da reden sie davon, daß Begriffe wie Sünde, Reue, Buße dem deutsch. Menschen fremd wären u. seinen Charakter verdürben! Man kämpft gegen die Worte u. bringt den Begriff. Man verlangt tatsächlich Reue u. Buße u. Demut u. Sündenbekenntnis pp. vor Menschen! (statt vor Gott!) Der Mensch soll nicht im Gebet vor Gott das Haupt beugen, sondern gerade u. mit erhob. Haupt vor Gott stehen. Ich wollte mal sehen, was geschähe, wenn jemand drucken wollte, daß man vor Hitler sich nicht beugen dürfte pp. – Beispiel des so verpönten Sündenbekenntnisses, einer öffentlichen, ekelhaften Buße vor Menschen war mir s.Zt. Stübers Selbstbezichtigung vor dem Landeskirchentag (»ich bin vor der Machtergreifg. nicht Nationalsz. gewesen, das bekenne ich ganz offen pp.«)427 u. Jansas letzte »Andacht« vorigen Montag (»beim Aufbruch der Nation 1933 hat die Kirche versagt. Ich weiß es ja von mir selbst, wie schwer einem das wird …« u.s.w.). Gestern Abd. Bibelstunde. Ich hatte vorher in der Eis. Ztg. die neueste Kerrl-Rede im Auszug gelesen. Sie ist vor der Akademie der Wirtschaft u. vielen Diplomaten gehalten worden u. gilt als grundlegend.428 Interessant ist, daß jede Zeitung nur das daraus bringt u. hervorhebt, was ihr paßt. Am Besten fand ich den Auszug in der »Tagespost«, entstellend »Eis. Ztg.« u. »Völk. Beobachter«. O. hatte einen günst. Auszug gelesen. Er betonte, daß man von d. Minister nicht verlangen könnte, daß er plötzl. redete wie ein Christ. Aber er schien doch zu finden, daß ein guter Anfang gemacht sei. Z.B., daß der Minister, offenbar erstaunt, festgestellt habe, daß er u. die Pfr., mit denen er gesprochen habe, garnicht so weit voneinander entfernt seien. Das stimmt ja auch. Er ist begeistert von d. Aufruf, den seine 13 Kirchenmänner fertig gebracht haben.429 Dabei ist der ziemlich dürftig u. nicht halb so überzeugend u. positiv zum Staat, als Vieles, was von Seiten der Bekenntniskirche zum Nationalsozialismus gesagt u. auch hier in Eis. von E. O. von der Kanzel herunter gepredigt worden ist. – Es ist offenbar, daß es gelungen ist, dem Minister eine Schau davon zu vermitteln, daß es bei dem Ringen innhb. der Kirche 426

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Vgl. dazu den Artikel »Deutsche Jugend voran! Eingliederung der Christlichen Pfadfinder in die Hitlerjugend«, Abschrift eines Zeitungsartikels aus der Altenburger Zeitung vom 19. August 1933, LKAE, A 720, Bd. II, 160. »Als einer, der ernstlich um die großen Dinge gerungen hat, die seit Jahren in unserm Volk im Spiel und Werden sind, habe ich noch vor einem Jahr – wie ich das heute ehrlich und offen bekenne – in manchem die Dinge anders geschaut in dem, was unsere Kirche betrifft. Es liegt mir in diesem Augenblick, wo ich in der Kirchenleitung die Verantwortung mit teile, als einem, der aus der Thüringer Tradition kommt, doch am Herzen auszusprechen, wie ich die Stunde für Kirche und Staat sehe« (Rede Stübers auf der 2. Tagung des 4. LKT am 9. Januar 1934, 37). Es handelt sich um die programmatische Rede Kerrls »Nationalsozialismus und Glauben« vom 16. Oktober 1935 vor dem Wirtschaftsrat der Deutschen Akademie und vor Vertretern des Diplomatischen Korps sowie des politischen und kulturellen Lebens im großen Saal des Hotels Kaiserhof; vgl. Besier, 347–348. Die Rede ist abgedruckt: AELKZ 68 (1935), 1024–1026. Gemeint ist entweder die erste Erklärung des RKA vom 11. Oktober 1935, der der LKA der APU zugestimmt hatte (Besier, 346), oder der gemeinsame »Aufruf des RKA und des LKA für die Evangelische Kirche der APU« vom 17. Oktober, mit dem sich der RKA und LKA in der Öffentlichkeit präsentierte; abgedruckt in: KJ 1933–1944, 107.

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nicht um ein Gezänk geht, sond. um einen welthistorischen Kampf von riesenhaften Ausmaße, dessen 1. Phase auf deutsch. Boden entscheidende Bedeutung hat für alle Völker der Erde. Er hat zum Schluß betont, man solle nicht immer von einem »bedauerlichen Kirchenstreit« sprechen. Es handele sich um ein unerhörtes, werteschaffendes Ringen…« u.s.w. Der Völk. Beob. verschweigt natürlich, daß ein Vertreter der Bek.kirche in dem Ausschuß sitzt. Es ist nur von »D.Chr. u. Neutralen« die Rede. Auch die Überschrift u. die paar besprechenden Sätze sind im völk. Beob. in der beliebten Tonart, als ob ungezogene Schuljungen zurecht gewiesen werden müßten, gehalten. Eine sehr interessante Nachricht bekam ich gestern auf einem ungewöhnlichen aber sehr sicheren Weg (Wächtler – Leffl. – S. …!) Otto hatte einen besond. Anlaß, sich über diese Rede zu freuen, den er mir nach der Bibelstunde erklärte. Sonntg. D. 20.10. [20. Oktober 1935] Sie enthielt einen Satz, der aus der Antwort des Reichsbruderrates auf den Vorschlag Kerrls (diese Antwort ist offenbar vor etwa 10 Tagen formuliert worden). Darin stellt der Reichsbruderrat fest, daß er im K.Aussch. nicht eine kirchliche, sondern eine staatliche Stelle sähe. Die Kirche müsse sich vorbehalten, die Maßnahmen dieses Ausschusses am Evangelium zu prüfen.430 Kerrl hat gesagt, der Ausschuß hätte seine Arbeit in Verantwortung gegenüber der Kirche zu tun, die seine Maßnahmen prüfen müsse.431 Auf ungewöhnliche Weise hörte ich von einer Rede des Führers an die Reichsstatthalter: » … Ihr seid ja Brummochsen! Wenn mir einer von Euch noch ein Wort über die Kirche sagt, dann fliegt er!« Rosenberg soll unter dem Vorwand, er sei erkrankt, alle Vorträge abgesagt haben. Das Letztere mag schon Legende sein. Die »Brummochsen« klingen echt. Wächtler hätte Leffler vor Freude umarmt! Das Maß dieser Freude erklärt O. so: Voriges Jahr sei Wächtler gestaucht worden, weil er am Christentum festhielt. Sauckel hat sich fürs Heidentum entschieden. Nun freut sich Wächtler, daß zuletzt doch er gesiegt hat. In der Stadt ist folg. passiert. Der Kirchmeister (?) Wieland, deutscher Christ, Pg., Amtswalter u. in der Kirchenvertretung, hat üblen Klatsch über Lehmann (vollgefressener Strumpf), Sasse (Auto), Mitzenheim u. Stiers Tochter (Nackttänze!) verbreitet. Er soll entlassen werden. Bei dieser Gelegenht. hat man sich wohl überlegt, was alles 430

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Stellungnahme des Reichsbruderrates vom 9. Oktober 1935 (KJ 60–71 [1933–1945], 107; Rechte und Vollmachten der Kirchenausschüsse begrenzten sich »nach Maßgabe des unveräußerlichen Grundsatzes, daß die Leitung der Kirche als eine geistliche Angelegenheit an Schrift und Bekenntnis in Lehre und Handeln gebunden ist und der Beratung durch die Kirche bedarf« (ebd.). »Ich habe nach Übernahme meines neuen Amtes drei Monate nach den Männern gesucht, die geeignet sind, die Leitung der evangelischen Kirche zu übernehmen. Ich habe sie gefunden und ihnen gesagt: In geistlichen Dingen hilft nicht das Kommando, sondern Überzeugung und Gemeinschaft. Ihr habt die Berufung in eurer Hand. Beratet euch frei unter euch und in der Verantwortung vor der evangelischen Kirche, die wieder werden muß, über die Grundsätze eurer Leitung« (zit nach Besier, 347–348). In etwa dieselbe Formulierung findet sich in der Rede Kerrls vor den Gauobmännern der Deutschen Christen vom 15.Oktober 1935, in: Dokumente zur Kirchenpolitik III, 11. Kerrl hatte ausgeführt, dass die Konzipierung des Aufrufes durch die zukünftigen Mitglieder des Kirchenausschusses »in der Verantwortung gegenüber der Kirche« zu erfolgen habe, Rede vom 15. Oktober 1935, in: Dokumente zur Kirchenpolitik III, 121.

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die Angestellten u. Beamten wissen u. was passieren könnte, wenn sie nicht dicht halten. Ich hörte, daß ein Verhör mit mir geplant sei. B. ist leider in die Sache verwickelt. Angenehm ists nicht – aber ich glaube auch nicht, daß ich Sorge zu haben brauche. Gestern vormittag wartete ich dauernd darauf, geholt zu werden. Immerhin keine angenehme Lage. Gestern nachm. u. Abd. Spaziergang mit O.s nach Unkeroda. O. möchte sich von der Arbeit für die Bek.gem. soweit es geht, entlasten (es handelt sich jetzt um die sehr zeitraubenden Disziplinarfälle), um den Kampf gegen die D. Glaubensbewegg. vorzubereiten u. möglichst rasch die breitere Basis zu finden, auf der dieser Kampf geführt werden muß. Keinesfalls in einer Linie mit den D.Chr., wie sich das z.B. Helmrich dachte.432 Das sei ja garnicht möglich. Ich verstand das auch plötzlich. Die D.Chr. müßten ja von ihrer Stellung aus fast allen Behauptungen der Bek.k. widersprechen. Manchmal komm ich durch Unterhaltungen mit unorientierten Neutralen dazu, die Dinge gar zu einfach zu sehen. Fundamental richtige Sätze, wie »Da müßten eben alle Christen zusammengehen«, werden falsch, sowie sie praktisch verwirklicht werden sollen. Da sieht man dann plötzlich die Unmöglichkeit. O. sieht jetzt eine Schuld darin, daß er sich solange durch die Thür. D.Chr. vom schärfsten Vorgehen hat abhalten lassen. Ich sagte, daß ich s.Zt. bedauerte, daß nach der 1., von Reichardt [W.] inszenierten Unterredung, der beruhigende Brief Reichardts unter Zustimmg. von O. u. Leu [Leutheuser] hinaus gegeben wurde. Er dürfe aber nun nicht ungerecht gegen sich selbst sein. Er habe damals immer den echten Friedenswillen Lefflers gespürt. Jetzt wissen wir, daß dieser Wille zwar echt war, aber nur aus dem Wunsche kam, den äußerlichen Frieden zu bewahren, um mit diesem Ausnahmezustand für die Thür. Richtg. der D.Chr. werben zu können. Wie L. [Leffler] kürzlich mit dem Versprechen, die »Nationalkirche« fallen zu lassen, die eigenen Leute (D.Chr. Berl. Richtg.) betrog433, so hat er O. betrogen. Die ganze Front war vernebelt. Wer hätte das zu Anfang sehen können? Von Thomas 4-seitenlanger Brief. Der Vorwurf, er habe bei Verlesg. des Stüberschen Machwerkes nicht neutral gegenüber der Bek.kirche gehandelt, hat ihn sehr getroffen. Aber keine seiner Erklärungen ist stichhaltig. Er sieht auch den Kirchenkampf deshalb ganz falsch, weil er einfach die Tatsachen nicht weiß. Das ist ein Grund, warum das Reden der Neutralen ganz allgemein so unerträglich ist. Die Reformierten sollen sehr zurückhaltend u. mißtrauisch gegenüber der Kerrlschen Lösung sein. O. hält das für unbegründet. Die Reformierten bekämen alles, was sie wollten, da sie sehr wenig u. deshalb ungefährlich seien. Im L.K.Rat wird offenbar D. Zoellner, auf den Kerrl, scheint es, großen Wert legt, als besondere Gefahr angesehen. O. sagte, Zoellner habe in einem Artikel der Allg. ev.432

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Die DGB erlebte mit ihrer Gründung im Jahre 1935 zugleich einen Höhepunkt ihrer Entwicklung und wurde deshalb von der BK als die möglicherweise noch gefährlichere Bewegung eingeschätzt, als die Deutschen Christen sie darstellten. Das wird schon rein formal daran erkennbar, dass die Junge Kirche mit dem ersten Heft 1935 eine neue Berichts-Rubrik einführte »Aus der völkisch religiösen Bewegung«, JK 3 (1935), 47, und von da an regelmäßig bediente. Vorher erschien nur gelegentlich die Rubrik »Aus der Deutschen Glaubensbewegung«; vgl. z.B. JK 2 (1934), 602. Vgl. Tgb. 14. September 1935.

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luth. K.ztg. im Sommer über die Kirche geschrieben u. u.a. erklärt, es würde wohl nichts anderes übrig bleiben, als alle Bischöfe, die Gewalt angewendet hätten, abzusetzen.434 Auf dem Pflugensberg heißt es, Zoelln. sei zu alt. Den einfachen Gemütern der D.Chr. auf dem Pflugensberg hat man vorgeredet, die Zusammensetzg. des Kirchenaussch. sei nur ein Trick von Kerrl. Er habe jetzt lauter alte Leute berufen, um zu zeigen, daß die es nicht schaffen könnten. Die würden abwirtschaften u. dann wieder Junge drankommen. Der, dem das erzählt worden war, stellte danach zu seinem Erstaunen fest, daß in dem Ausschuß durchaus nicht nur alte, sond. in der Mehrzahl jüngere Leute sitzen. (Der Bek.pfr. Kuessner ist 39 Jahre alt – es ist der, der voriges Jahr Otto nach Ostpreußen rief, der Vorgesetzte von Lotte Pankow). Die naiven Gemüter unter den Angestellten haben zunächst vorausgesagt, daß Leffler selbstverständl. im Kirchenausschuß säße. Als sie dann feststellten, daß die Mitgl. lauter »altmodische Leute« seien, verloren sie die Fassung nicht, sondern erklärten unerschüttert, dann müsse eben »weitergekämpft« werden. Nur daß das jetzt tatsächlich Widerstand gegen den Staat ist, sahen sie nicht. Stetefeld hat sich empört geäußert: »Erst haben sie uns gesagt, Kerrl wäre so für uns – u. nun ist es garnicht wahr!« – Es ist wahr gewesen. Müller [W.]-Kaltenwestheim ist immer noch nicht frei!435 Aber nun hat man O. auf Telephonanruf schon gesagt: »Beruhigen Sie sich nur! Es kommt schon Alles! Nur noch ein paar Tage! Es ist sogar schon geschrieben worden!« (näml. der Loslassungsbefehl.). Der Amtsschimmel u. der Instanzenweg leben nach der näheren Schilderung immer noch. In der »J. Kirche« heute die Rede eines H.J.-Führers in Baden: »In hundert Jahren würde es heißen: Christus war groß, aber Adolf Hitler war größer!«436 Der L.K.R. hat kürzl. in einer Sitzg. vom 7./8. Okt. lt. Protokoll beschlossen, die Pfarrerschulungskurse wieder aufzunehmen. Dazu hatte Leuth. vorgeschlagen, die Pfr. zur Teilnahme zu »zwingen«. ( )b brachte mir das Protokoll (»Da Sie zu mir Vertrauen gehabt haben, will ich Ihnen auch etwas zeigen«). Wir sprachen darüber. Er schüttelte den Kopf. »L. [Leutheuser] ist ja ganz verrückt geworden.« – 2 neue Leute sollen im V.D. angestellt werden, u. einer wird noch nach Stadtroda gesetzt. Männel u. Thieme erhalten ihre Mietbeihilfen bis zum 31.12., obwohl sie ab 1.10. Regierungsratsgehalt

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W. Zoellner, Bekenntnis und Verfassung der evangelisch-lutherischen Kirche, AELKZ 68 (1935), 602–614, in dem es u.a. heißt: »Wenn freilich ein Bischof glaubt, seine Aufgabe bestehe darin, daß er mit äußerer Gewalt lediglich die äußere Ordnung schaffen müsse, dann soll man diesen Bischof als völlig ungeeignet so rasch wie möglich absetzen« (ebd., 613). Der Artikel ist die Druckfassung eines Referats, das Zoellner auf der Allgemeinen Evangelisch-Lutherischen Konferenz in Leipzig am 14. Juli 1935 gehalten hatte. Vgl. Anm. 405 und Tgb. 11. Oktober 1935. Auf einer Kundgebung der HJ und der Deutschen Arbeitsfront in Frankfurt a.M. hatte Willy Becker, Gauwalter der Deutschen Arbeitsfront in Hessen-Nassau, u.a. erklärt: »In späteren Jahrhunderten, wenn man ein richtiges Maß für die heute geschehenden Dinge habe, werde rückschauend einmal gesagt werden: Christus war groß, aber Adolf Hitler war größer« (JK 3 [1935], 978). Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz, vgl. Übersicht Strichzeichnungen.

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bekommen437 u.s.w. – Ich weiß nicht, ob ich schon festhielt, daß die Beihilfen an Angestellte bei besond. Notlage fortgefallen sind, Lehmann u. Sasse aber Autobeihilfen erhalten haben.438 Ich weiß jetzt auch, warum S. [Sasse] mit Lehmann neulich Krach machte. L. soll dem Sinne nach irgendwo gesagt haben, der »Mythus« enthielte mehr Christentum als die ganze Bibel.439 S. hat ihm nicht etwa klargemacht, daß das falsch sei, sond. etwa gesagt: »Vergessen Sie doch nicht, daß Sie dort nicht als Parteimann sitzen sondern als Kirchenmann!« (Findet der L.B. viell., Lehmann könnte als Parteimann das Gegenteil von dem vertreten, was er als Kirchenmann vertritt? »Sie blamieren noch den ganzen L.K.R. mit Ihrem Geschwätz.« Th. P. [Paulssen] unterhält sich mit Reichardt [E.] in der Bücherei: »Nun werden K.Rat Leuth. u. K.Rat Lehmann wohl gehen müssen.« »Um Gotteswillen, nein! Leuth. nicht! Leuth. nicht!« – Ob man glaubt, damit auszukommen, daß man Lehmann opfert? Das würde nicht den geringsten Eindruck machen. Frl. Else aus der Kantine hat erzählt, Hoßfeld habe unten gesagt, das alte Testament gehöre auf den Misthaufen. Das ist die S.S. Der Vorsitzende der ev. Pfarrervereine hat in Breslau u.a. gesagt, er bekäme aus ganz Deutschland Mitteilungen, daß die Amtsbrüder aus den D.Chr. austräten. In Thüringen ist die Angst noch zu groß. 21.10.35. [21. Oktober 1935] Gestern Abd. las ich in der D.A. noch die neueste Verfügg. von Kerrl »auf Vorschlag des Kirchenausschusses«: Alle Disziplin.verfahren mit kirchl. Einschlag müssen ruhen; die K.regierungen möchten sich in Personalmaßnahmen Beschränkungen auferlegen.440 Gott sei Dank! Ich ging zu Frau Otto [M.], die mich vor Freude umarmte! Metz u. Dobenecker sind in der vergang. Woche suspendiert worden.441 – Nun hat Volk nichts mehr zu tun. O. ist ab gestern, Sonntag, bis heute Abd.. in Stedten zur Bruderratstagung. Wolf-Metzels sei gestern vorm. gekommen. Der Landrat hat ihm aufs neue gedroht, ihn verhaften zu lassen, obwohl Wolf ihm gesagt hat, daß man ihm im Ministerium 437 438 439 440

441

Zu den vorstehenden Angaben vgl. Protokoll der Sitzung des LKR der TheK vom 7./8. Oktober 1935, LKAE, A 122, 5. Vgl. Tgb. 5. Oktober 1935. Gemeint ist die Schrift von Alfred Rosenberg, Der Mythus des 20. Jahrhunderts, 1930. »Es ist erforderlich, daß ebenso wie auf meine Veranlassung grundsätzlich alle polizeilichen Maßnahmen gegen Pfarrer aufgehoben worden sind, auch alle Disziplinarverfahren und Disziplinarmaßnahmen kirchenpolitischer Art sofort nachgeprüft und tunlichst aufgehoben werden. Insbesondere halte ich es nicht für angängig, Geldstrafen, die im Zusammenhang mit kirchenpolitischen Vorgängen verhängt worden sind, jetzt noch beizutreiben. Ich erwarte deshalb, daß die Landeskirchen sofort die Vollstreckung derartiger Disziplinarstrafen einstellen, und dafür sorgen, daß die im Gang befindlichen Disziplinarverfahren ausgesetzt und die verhängten Disziplinarverfahren nach Lage des Einzelfalls nachgeprüft werden« (Runderlaß des Reichskirchenministers vom 19. Oktober 1935, Dokumente zur Kirchenpolitik III, 122). Zur Suspendierung von Metz und Dobenecker, die als »schwere Fälle« galten vgl. Protokoll der Sitzung des LKR der TheK vom 15. Oktober 1935 (LKAE, A 122, 56) sowie vom 30. Oktober 1935 (LKAE, A 122, 62). In der letztgenannten Sitzung wurde beschlossen, die Suspendierung von Dobenecker aufrecht zu erhalten, das Dienstrafverfahren gegen Metz aber einstweilen ruhen zu lassen.

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Kerrl versichert hätte, der Landrat habe dazu kein Recht. Der Landrat hat geantwortet, er habe bloß auf die Weisungen von Weimar zu achten. Der Schulz hat Wolff gesagt, er hielte ihn nicht für einen Unruhstifter. Wahrscheinl. hat er dem Landrat zuerst was anderes gesagt, denn man hat ihn am gleichen Nachmittag amtsenthoben. Wolf muß natürl. wieder hin nach M. u. seine Verhaftung riskieren.442 Heute früh Andacht von einem neuen Mann im Volksd., den niemand kennt. Ganz ordentlich. Sasse ist von Berlin zurück, der L.K.R. »sitzt« in seinem Zimmer. Volk auch. Seit er sich für den L.K.R. exponiert u. seinen Namen unter das Stübersche Machwerk gesetzt hat,443 scheint er an Ansehen bei den Kollegen gewonnen zu haben. Sie scheinen häufiger als früher gemeinsam zu beraten. (Eine zeitlang schien es, als tagten die D.Chr. vor allem unter sich.) Die Braut [Herrmann] von Pflänzel (Hilfspfr. in Kaltenw.)444 hat eben unten erzählt, »die dummen Affen in Kaltenwesth. haben sich ans Ministerium Kerrl gewendet!« F. [Franz] soll gesagt haben: »Das wäre doch unerhört, wenn Müller [W.] wieder nach K. käme.445 Der ganze L.K.R. müßte zurücktreten. Das wäre nicht tragbar!« Ja, das sollen sie nur tun! Sie tuns ja doch nicht – leider! Es wäre ja zu schön. Das Rücktrittsgesuch müßte dann angenommen u. ihnen auferlegt werden, die Geschäfte bis zu einer Neuregulierung weiter zu führen. Wie weit da unten die Begriffe verwirrt sind, das geht aus einer Äußerg. von Böttger hervor, die er kürzlich mit aller Energie, deren er fähig ist, in der großen Halle den Stenotypistinnen gegenüber tat: »Wer die Macht hat, hat das Recht – u. wer das Recht hat, hat die Macht.« Das hat er sicher aus einer L.K.R.-Sitzung. Das heißt wirklich, sich auf den Boden der Tatsachen stellen! Das ist so undeutsch u. so unnationalsozialistisch wie möglich. Recht muß immer Recht bleiben. Ich habe übrig. gestern in der »Süßen Ecke« festgestellt, daß der Völk. Beobachter die Rede von Kerrl gefälscht hat. K. sprach an einer Stelle davon, daß die Leute im K.Ausschuß sich ohne sein Zutun geeinigt hätten, Bekenntnisfront, D.Chr. u. Neutrale. Der V.B. läßt die Bekenntnisfront weg, sodaß der harmlose Leser annehmen muß, sie sei im Ausschuß nicht vertreten. Die Personalien der Mitglieder hat er m.W. auch nicht gebracht, sodaß seine Abonnenten tatsächlich über die Sachlage im Unklaren bleiben. Das ist doch direkt Sabotage – obwohl hinter Kerrl Hitler steht! Und das ist der V.B. Da kann man sich ein Bild machen, wie lange es dauern wird, bis die Wahrheit sich durchsetzen wird. Gestern zog d. Panzerregiment 2 in Eis. ein. Riesige Menschenmengen säumten die Straßen. Die Freude war groß – aber seltsam das Schweigen der Menge. Niemand wagte »Heil« zu rufen, da die S.A. u. S.S. es nicht taten!!! Es war geradezu erschütternd.

442 443 444 445

Zum Fall des Pfarrers Wolf vgl. Biogramme sowie vorhergehende Tagebucheintragungen. Vgl. Tgb. 13. und 17. September 1935. Vgl. Tgb. 17. Juli 1935. Zum Fall des Pfarrers Wilhelm Müller vgl. Biogramme sowie Tagebucheintragungen ab 8. Juni 1935 (Tgb. 12. Juni, 1. Juli, 10., 13. und 20. September, 6., 8., 15. und 18. Oktober)

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¾10. In der Sitzg. unten großer Krach! Man hört alles in der großen Halle. ( )f Volk hat laut geschrieen, »aber meine Herren, das geht doch nicht! Nehmen Sie doch die Dinge, wie sie kommen! Das Reich verfügt, daß die Disziplinarverfahren einzustellen sind u. wir haben das zu tun!«446 Sasse ist am Sonnabd. Abd. von Berlin gekommen, ohne Kerrl gesprochen zu haben (der war mit Hitler in Coburg). Er ist eben erneut abgereist. Er sei ganz bleich gewesen. Vorher war Frl. Hasert bei ihm, die großen Krach mit Lehmann gehabt hat. Sie ist nach Hause u. Lehmann sitzt ohne Stenotypistin da. Er soll sich dauernd unmöglich gegen sie benehmen. O. sagte, D. Zoellner habe im Juli [sic! Juni!] etwa in der Luthardtschen Kirchenztg. eine Artikelserie über die Kirche erscheinen lassen u. dabei u.a. auch gesagt, es würde wohl nicht anders möglich sein, als daß die Bischöfe, die Gewalt angewendet hätten, alle verschwinden müßten!447 Sollte Kerrl diese Artikel nicht gelesen haben, ehe er Z. berief? Der Artikel ist fulminant! Vom 28.6.35. Frau O. [M.] sagte mir, O. habe Nachricht, daß der Reichsb. vorl. nicht zurücktreten wolle. Er behauptete, die »geistl. Leitung« noch zu haben. Der Krach heute früh unten in der Sitzg. muß ganz furchtbar gewesen sein. Z. ist in die Zentrale gekommen u. hat die Tür nach der groß. Halle aufgelaßen. Da hat man die Stimmen bis in die Zentrale gehört: Volk, Sasse, Lehmann. D. 24.10. [24. Oktober 1935] D. Zoellner ist Vorsitz. des K.Aussch. geworden u. mit seinen Leuten in d. Kirchenkanzlei übergesiedelt. D. Eger ebenso in den Oberkirchenrat. Das bedeutet nun doch wohl, daß der R.B. gehen muß. Ich weiß jetzt, was am Montag in d. Sitzg. los war. Man hat sich darum gestritten, ob die Geldstrafen, die über diejen. Pfarrer, die die Erklärg. vom 10.7. unterschrieben haben448 verhängt worden sind, trotz der Verfügung Kerrls449 vom Gehalt abgezogen werden sollen oder nicht. Man hat am Montag vorm., offenbar auf Volks Bedenken hin, Anweisg. gegeben, die Gelder nicht abzuziehen. Am Vormittag ist Sasse nach Weimar gefahren, am nachm. zurückgekommen. Volk hatte gerade wieder einen Bek.pfr., Bauer [J.]-Lehesten, zum Verhör da.450 V. wäre vorsichtig gewesen im Gespräch, hätte laviert. Dann sei er gegen 6 Uhr hinaus gegangen u. zum Labi, der aus W. [Weimar] zurück war. Danach hat sich sofort sein Ton gegen B. [Bauer J.] verändert, ist wieder scharf u. anmaßend geworden. Jemand hat Franz nach dieser Unterredg. sagen hören: »Na ja, ich habe ja gleich gesagt: Nur nicht gleich verblüffen lassen!« f 446 447

448 449 450

Strichzeichnung zwei Frauenköpfe mit Locken, nicht identifizierbar, vgl. Übersicht Strichzeichnungen. Vgl. Tgb. 21. Oktober 1935. Gemeint ist die von Christoph Ernst Luthardt (1823–1902) gegr. Allgemeine Evangelisch-Lutherische Kirchenzeitung (AELKZ). Zoellner schrieb zwar keine Artikelserie, wohl aber den in Anm. 434 genannten Aufsatz. Zur Erklärung vgl. Tgb. 17. Juli 1935 Zur Verfügung Kerrls vgl. Tgb. 21. Oktober 1935. Das Verhör des Pfarrers Johannes Bauer ist nicht dokumentiert.

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Dienstag erfuhr ich, daß am Morgen Tegetm. Anweisung gegeben habe, die Geldstrafen doch abzuziehen!451 Die Beamten u. Angestellten sagen sich natürl. auch, daß das mit der V.O. des Kirchenaussch. nicht übereinstimmt. Ich höre, daß man auch alle übrigen Diszipl.verfahren vorwärts treibt. Bei irgendwelchen politischen Stellen in Weimar wird ihnen der Rücken gestärkt. Also das sind Nationalsozialisten!!! Hinter diesem Widerstand steckt ja nun keine Glaubensüberzeugg., sond. ledigl. Rechthaberei u. Rachsucht. Und die Eitelkeit, die keine Beeinträchtigg. des eigenen Ansehens duldet. Ich hoffe sehr, daß die Leute sich damit selbst erledigen. Das ist ja ein Hohn auf das ganze Kirchenministerium! Heute fahren Sasse u. Franz nach Berlin, nachdem die Rücksprache im Ministerium von Berlin aus mehrmals verschoben worden war. Müller [W.]-Kaltenwesth. ist immer noch nicht frei. Es ist klar, daß von hier u. von Weimar aus alle Hebel in Bewegung gesetzt werden, um das zu verhindern.452 Am letzt. Sonntag soll Pflänzel (der D.Chr. in Kaltenwesth.453) ordiniert worden sein. Seine kl. Braut [Herrmann] hier aus d. Betrieb hat Krankheitsurlaub; es müßte irgendetwas besonders unangenehmes im Zus.hang mit dieser Ordination sich ereignet haben – sagt man im Betrieb.454– Kaltenwestheim soll für den L.K.R. der Ehrenpunkt sein. Franz soll gesagt haben:«Wenn Müller wieder Pfr. in Kaltenwestheim wird, muß der ganze L.K.R. zurücktreten.« Das finden wir auch. Aber ich glaube, er tuts dann doch nicht. Gestern war wieder Sitzung. Man hat Volk immer wieder sagen hören: »Aber meine Herren, warten wir doch ab …pp.« Aus dem Betrieb sagt Jemand: »Ich habe so das Gefühl, die kümmern sich hier garnicht um den K.Ausschuß u. machen ihre eigene Sache auf.« Ich wollte, sie tätens. Franz hat mit d. Bürgermstr. von Kaltenw. telephoniert u. dabei ungefähr folg. Wendung gebraucht: »Na, hoffentlich läuft alles so, wie wir uns wünschen. Das wäre ja noch schöner, wenn wir unsere eigenen Beschlüsse zurücknehmen sollten!« Auch die geforderte »Zurückhaltg. in Personalmaßnahmen«455, die sich doch wohl auch auf Anstellungen bezieht, wird nicht beachtet. Man scheint den jungen Pfr. Rönck für Jugendarbeit einstellen zu wollen456 u. einen Kaufmann namens Schultz, früher Oberbürgermstr. von Ilmenau; der fordert sein Oberbürgermstr.-Gehalt (obwohl er da irgendwelche Schwierigkeiten gehabt hat u. scheinbar abgehen mußte). Dazu bekam ich am Montag, um das Bild abzurunden, noch einen Brief von Frl. Wischmeyer-Brackede, die zur »Reichskirchentagung der Reichskirche« d.h. zur 451 452 453 454 455 456

Zu dieser Auseinandersetzung vgl. Protokoll der Sitzung des LKR der TheK vom 30. Oktober 1935, LKAE, A 122, 62. Zum Fall W. Müller vgl. Biogramme und Tgb. ab 8. Juni 1935, zuletzt 21. Oktober 1935. Zu Pflänzel vgl. Tgb. 17. Juli und 21. Oktober 1935. Vgl. Schreiben des Oberpfarramts von Kaltennordheim-Rhön an den LKR der TheK vom 21. Oktober 1935, in dem der Vollzug der Ordination gemeldet wird, LKAE, G 1678, 51 Die Formulierung bezieht sich auf den Erlass Kerrls vom 19. Oktober 1935, ist allerdings kein Zitat; vgl. Tgb. 21. Oktober 1935. »5. Hilfspfarrer Rönck in Denstedt. – Kirchenrat Volk berichtet über seine gestrige Besprechung mit Rönck wegen dessen Versetzung von Denstedt. Nach Erklärungen von Leutheuser und nach Besprechung wird in Aussicht genommen, Hilfspfarrer Rönck vom 1. April 1936 ab als hauptamtlichen Jugendpfarrer der Thüringer Kirche anzustellen. Bis dahin soll er in Denstedt bleiben«; vgl. Protokoll des LKR der TheK vom 23. Oktober 1935, LKAE, A 122, 59.

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D.Chr.-tagg. am Sonntag u. Montag hier, nach Eis. kommt.457 Ihre Schau der Dinge ist so, daß man nur den Kopf schütteln kann. Und sowas hält Aufklärungsvorträge über die kirchl. Lage in d. Partei. Merkwürdigerweise habe ich lange keine engl. Presseausschnitte gehabt. Nur die Mitteilg., daß Karl Barth, als er zu einer kirchl. Tagung nach Dtschld. kommen wollte, an der Grenze die Einreise als »läst. Ausländer« verweigert worden sei. Heute lese ich in einem Artikel von Dompred. Martin , der dem preuß. Ausschuß angehört (Nr. 253 Lokalanz. v. 22.10.): »Es ist das Vorrecht ausländ. Zeitungen, hier je nach ihrer Einstellg. von einer Niederlage des Staates oder einer Vergewaltigung der Kirche zu sprechen.« Daraus geht ja hervor, warum wir nichts aus Engld. hören. Der Artikel von Martin ist im übrigen nicht sehr befriedigend u. zieml. inhaltslos. Aber erfreulich die Erklärung, daß d. Ausschuß keine Programme geben u. Reden halten, sondern Taten tun wolle. ( )a kommt nicht mehr. Hat mir sagen lassen, er würde beobachtet. Mein Verhör hat noch nicht stattgefunden. Es liegt also tatsächl. nichts vor; sonst hätten sie sich beeilt. Der D.C. »Kreisleiter« Thieme vom V.D. hat kürzlich in Eisenach Einladungen verschickt zu einem Vortragsabend der D.Chr. »nur für Gebildete!«458 Es ist zu dumm! Er hat eben gar keinen Takt. Das ist schlimmste Reaktion! Im Pred.sem. sind 25 Studenten der Theol. zu einem Kursus anwesend. Hauptzweck scheint zu sein, sie als Sprechchor bei der »Reichstagg.«459 zu verwenden. In der Eis. Ztg. wird heute bekanntgegeben, unter den Ehrengästen würde u.a. auch Kerrl erwartet. »Auch« der Reichsbischof hat sein Erscheinen zugesagt.«460 Das macht doch auf den harmlosen Leser einen überwältigenden Eindruck! Kerrl kommt natürlich nicht u. das »auch« bezieht sich auf andere Teilnehmer. ( )b bestellte heute für sich ein Stück der Ottoschen Schrift!!!461 Die »Antwort« von Rehm geht wieder von Hand zu Hand!462

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b 461 462

Reichstagung der KDC vom 26.–28. Oktober in Eisenach. Strichzeichnung Männerkopf, steht für Friedrich Bernewitz, vgl. Übersicht Strichzeichnungen. Einladung zur Mitgliederversammlung der Kreisgemeinde Eisenach-Stadt der Kirchenbewegung »Deutsche Christen« am Montag, den 21. Oktober 1935, LKAE, LBG 298, 106–107. Reichstagung der KDC vom 26.–28. Oktober in Eisenach. »Reichstagung ›Deutscher Christen‹. Die Kirchenbewegung ›Deutsche Christen‹ (Nationalkirchliche Bewegung), deren Leiter Oberregierungsrat Leffler, Weimar, ist, wird in der Zeit vom 26. bis 28. Oktober hier in Eisenach ihre diesjährige Reichstagung abhalten. Unter den zahlreichen Ehrengästen werden u.a. Reichsminister für kirchliche Angelegenheiten Kerrl, Reichsstatthalter Sauckel und Staatsminister Wächtler erwartet. Auch Reichbischof Müller hat sein Erscheinen zugesagt. Er wird den zur Tagung Erschienen ein besonderes Grußwort entbieten. Die Organisation der Tagung liegt in den Händen von Regierungsrat Dr. Brauer. Auf die große Wartburgbeleuchtung am Sonnabend, dem 26. Oktober, 23 Uhr, anläßlich der Tagung wird eigens hingewiesen« (Eisenacher Zeitung vom 24. Oktober 1935). Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz, vgl. Übersicht Strichzeichnungen. Vgl. Anm. 421. Vgl. Anm. 340.

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D. 25. [25. Oktober 1935] Müller [W.] ist frei!463 O. sagte es gestern Abend in der Bibelstunde! Müller hat ihn gestern Mittag antelephoniert. – (Gestern Mittag hieß es hier im Haus, Brauer hätte im Kreis der D.Chr. erzählt, man habe die Akten angefordert.) Aber Müller [W.] hat Aufenthaltsverbot für die Kreise Eis. und Meinigen – damit er nicht nach Kaltenwesth. kommt! Wir waren uns darüber klar: In Thüringen wirds zuletzt Tag. Und wenn ganz Deutschland in Ordnung ist, dann herrschen in Thür. noch die D.Chr.464 Die disziplinierten Pfarre haben gestern die Mitteilung bekommen, daß ihnen die Hälfte ihrer Geldstrafe bei nächst. Gehaltszahlung abgezogen wird! Das Schreiben ist also am 23.10. beim L.K.R. abgegangen, trägt aber das Datum vom 16.10. Das ist der Dreh!465 Hier im Haus heißt es, daß die Kerrl’sche Verordng. für bereits abgeschloss. Verfahren keine Geltung habe.466 Und das, obwohl in d. besond. Zuschrift an den L.K.R. ausdrückl. steht, daß Geldstrafen nicht eingezogen werden dürfen! Die diszipliniert. Pfr. telegraphieren nach Berlin. Nachm. Heute Mittag bei O. Es war ein sehr schöner Brief von Müller [W.] da.467 D. 26.10. [26. Oktober 1935] Schon gibt es feindselige Gerüchte. Hier im Haus heißt es, einer der Männer des K.Aussch. hätte eine jüdische Frau (von W. [?] mitgeteilt)! Die Stimmen der kirchl. Presse für Kerrl sind einmütig günstig. Das »Positive Christentum« tut, als wäre das Erreichte Verdienst der D.Chr. – Die National-Zeitung, Essen, demontiert Kerrl durch ihre Tonart u. durch die alten Anwürfe, »Pastorengezänk« pp. Gestern war die Feier des 10-jähr. Gründungstages des Bach- u. Georgenkirchenchores mit Aufführg. der h-moll-Messe. Mauersberger ist Titular-Kirchenrat geworden, was ich sehr nett finde. Weniger nett, daß Bauer [W.] u. Brauer nebenamtliche K.Räte geworden sind.468 Ob ich da noch einmal erzählen muß, was ich im V.D. mit Br. erlebte? 463 464

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Vgl. Anm. 452. Diese Prophezeiung hat sich auf seltsame Weise erfüllt. Nachdem die Amerikaner am 6. April 1945 Thüringen befreit hatten, »regierte« immer noch der selbsternannte DC-»Landesbischof« Hugo Rönck. Erst mit seiner Verhaftung am 30. April 1945 war der Weg frei für die Übernahme der Kirchenleitung durch andere kirchenpolitische Gruppen. Am 2. Mai 1945 übergab der Vertreter des Landesbischofs, Oberlandeskirchenrat Dr. Brauer die Leitung an Moritz Mitzenheim; vgl. Stegmann, 114. Vgl. z.B. Schreiben des LKR der TheK an Pfarrer Brakhage vom 16. Oktober 1935: »Die mit unserer Verfügung vom 1. Oktober 1935 gegen Sie ausgesprochenen Geldstrafe in Höhe von 200 RM wird mit der Wirkung vom 1.11. d.J. ab mit monatlich 100 RM an Ihren Bezügen gekürzt« (LKAE, G 1432, 113). Zum Bescheid vgl. Schreiben des LKR der TheK an Brakhage vom 1. Oktober 1935, LKAE, LBG 211, 123. Von abgeschlossenen Verfahren ist in dem Erlass überhaupt nicht die Rede; vgl Tgb. 21. Oktober 1935. Der Erlass Kerrls ist datiert auf den 19. Oktober 1935. Schreiben von Hilfspfarrer Wilhelm Müller an Pfarrer Ernst Otto vom 24. Oktober 1935, LKAE, LBG 41, 70. Vgl. auch Anm. 452. »Der Landeskirchenrat hat beschlossen, dem Direktor der Thür. kirchlichen Nachrichten- und Pressestelle Dr. Wilhelm Bauer in Eisenach und dem Kirchenmusikwart Erhard Mauersberger in Eisenach die Dienstbezeichnung ›Kirchenrat‹ zu verleihen« (ThKbl/B 1935, 199).

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Gern würde ichs nicht tun. Im V.D. sollen jetzt 3 u. später nochmal 3 neue Leute eingestellt werden. Und das trotz des Ratschlages von Kerrl, mit Personalmaßnahmen jetzt vorsichtig zu sein. – Immer wieder kommt einer zu mir u. fragt, »wie lange das mit den Brüdern hier noch dauern soll.« Ich kann nur antworten, daß »es« jedenfalls nicht schnell gehen wird u. daß man Geduld haben muß. Montag, d. 28.10. 35. [28. Oktober 1935] Gestern, Sonntag, ein sehr merkwürdiger Brief von Thomas. Er habe 2 Angebote bekommen, könne sich nicht entscheiden. a) Mitarbeit im L.K.R. b) Dozentenstelle an Universität. c) Vortragstätigkeit im Rahmen der Aufbauarbeit der D.Chr., hinge mit a) zusammen. Er könne sich nicht ganz klar ausdrücken, um ein Versprechen nicht zu brechen. Ich möchte ihm raten. Ich hätte Instinkt u. Urteil, im Gespräch mit mir sei ihm schon Vieles klar geworden … pp. Die Schwierigkeiten sah er ganz klar, hatte aber die einzig mögliche Schlußfolgerung nicht gezogen. Ich ging mit d. Brief abends zu O. Er war nach der Lektüre erschlagen. Es scheint uns klar, daß der L.K.Rat den Versuch machen will, sich durch Aufnahme von Neutralen zu tarnen, um den Maßnahmen etwaiger Kerrl’scher Ausschüsse zuvorzukommen. Über das, was zu antworten sei, waren wir einig u. sprachen nicht viel darüber. Heute nachm. habe ich im Dienst! tatsächlich nichts anderes getan, als den Brief an Thomas zu schreiben. Ich schickte Zoellners Artikel mit.469 Der Brief geriet mir gut. Er war sehr deutlich u. klar. Ich habe gesagt, was er unbedingt tun muß u. unbedingt nicht tun darf; habe dann geschildert, wie er unter dem Führerprinzip des L.K.R. gezwungnen werden kann, zu Dingen seinen Namen herzugeben, die er innerlich nicht mitmachen kann, wie er in unmögliche Lagen selbst gegenüber dem Ministerium Kerrl geraten kann u. als Beispiel dafür angedeutet, wie der L.K.R. sich kürzlich über eine Kerrl’sche Verfügung hinweggesetzt hat.470 Dann habe ich darauf hingewiesen, wie die Glaubwürdigkeit seiner Verkündigung in Frage gestellt würde, wenn er sich als Neutraler in die Front der D.Chr. einreiht, wie jetzt alles auf unbedingte Wahrheit ankommt, nicht auf ein Kompromiß u.s.w. Vielleicht will man Lehmann fortschicken u. als Grund die Behandlung von Frl. Hasert zum Vorwand nehmen.471 (Das wäre tatsächl. ein sehr schöner Grund). Bei O. las ich rasch die Korrektur einer Schrift von Althaus durch, die er auf O.s Bitte gegen die Thür. D.Chr. [KDC] geschrieben hat.472 Einen Satz fand ich unglücklich u. warf heute Mittag einen Brief an O. in den Kasten mit der Bitte, auf Ausmerzung dieses Satzes zu dringen.

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Vgl. Tgb. 21. Oktober 1935. Die Geldstrafen für die Pfarrer betreffend; vgl. Tgb. 25. Oktober 1935. Vgl. zur Auseinandersetzung Hasert-Lehmann Tgb. 21. Oktober 1935. Althaus, Politisches Christentum, 1935.

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Am Sonnabd. scheint zur Hauptversammlg. der D.Chr.473 im Fürstenhof von all den angekündigten Größen nur der Reibi. dagewesen zu sein u. zwar merkwürdigerweise nur 20 Min. (Reichardt [E.] zu Therese).474 Er habe kurz gesprochen u. dabei (dem Sinne nach) gesagt, er käme nicht als Reichsb., als solcher hätte er nichts mehr zu sagen, er käme nur als Freund der Bewegung. Warum er plötzl. weggegangen sei, während Leffler sprach, wußte Reichardt nicht. Es könne ja vielleicht als Protest aufgefaßt werden; aber da sei garnichts zu protestieren gewesen. Es goß übrigens beide Tage u. war sehr kalt. Die Tagung scheint sehr besucht gewesen zu sein, etwa 7–800 Übernachtungen seien bestellt gewesen, große Omnibusse, selbst von Koblenz da. Therese sagte übrigens, das Publikum, das aus den Omnibussen quoll, sei offenbar so das übliche, kirchliche gewesen. Viel Frauen. Am Sonntag vormittag hörte ich mir in der schön geschmückten Georgenkirche den Schluß von Leutheusers Predigt an u. ging dann zu Lackner. Während ich da saß mit dem Brief von Thomas in der Tasche erschien Frl. Eitner. »Denken Sie, ich habe hier eine Unterredung mit 3 deutsch. Christen, einem Herrn u. 2 Damen. Ich weiß nicht, was sie von mir wollen.« Wahrscheinlich auch ein Versuch, sie für eine gemeinsame Arbeit zu werben, um die Front zu tarnen. Wir tauschten in aller Eile Erlebnisse aus – immer mit einem Blick auf die Thür, damit uns die D.Chr. nicht zusammen sehen. Dr. Klipp, Weimar, der Leiter des roten Kreuzes, hat kürzl. den Thür. Frauenvereinen vom roten + verboten, kirchlich zu arbeiten! (Das haben nun Leute wie E. Reichardt u. D. Auerbach von ihrer Kompromiß-Einstellung. Was haben wir im V.D. für die kirchl. Frauenvereine kämpfen müssen – um die übrigens Lotte Brandt ein ausgesprochenes Verdienst hat.) Und der L.K.Rat hat Frl. Eitner mitgeteilt, die Neugründung kirchlicher Frauenvereine sei verboten, sie stünden im Verdacht des Landesverrats – es ist zu toll! Sie hat dieses Schriftstück natürlich schleunigst nach Berlin geschickt.475 D. Zoellner sei Ehrenkurator der Frauenhilfe!! Dann wird ja bald etwas dafür geschehen! O. sagte, alle Pfarrer, denen Geldstrafen am Gehalt abgezogen worden seien, hätten das nach Berlin gemeldet – telegraphisch u. schriftlich. In einigen Tagen sei die Sache bei den Gerichten. Heute nachmittag hat der sogen. »Judenausschuß« des L.K.R. im Zimmer des Labi getagt.476 Was mag er ausgekocht haben?

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26.–28. Oktober 1935 in Eisenach. Vgl. den Bericht »Unsere Reichstagung in Eisenach vom 26.–28. Oktober 1935«, BrDC 4 (1935), 254. Der Vorgang erschließt sich [I] aus einem »streng vertraulichen« Schreiben des Landesbischofs an die Oberpfarrer der TheK vom 30. August 1935, das noch im Entwurf vorliegt, sowie [II] aus einer Entgegnung von Frau Eitner für das Evangelische Frauenwerk an den LKR der TheK vom 26. Oktober 1935, LKAE, A 727, nicht foliiert. Vgl. zum Thema Juden Tgb. 4. Oktober 1935. Zur Einrichtung und Arbeit des »Judenausschusses« war nichts Näheres zu ermitteln.

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D. 29.10. [29. Oktober 1935] Der Thür. Pfarrerverein hat neulich – gegen die Stimmen der D.Chr., die schließlich den Saal verließen, Arper zum Vorsitzenden wiedergewählt!477 Der »Judenausschuß« hat sich viel mit der Frage des Konfirmandenunterrichts beschäftigt. D. 30.10. [30. Oktober 1935] Endgültige Beschlüsse hat er nicht gefaßt. Man sei zu dem Ergebnis gekommen, die ganze Sache sei noch nicht genügend vorbereitet. Man will in 14 Tagen wieder zusammenkommen. Als Mitglieder des Ausschusses habe ich bis jetzt Sasse, Gerstenhauer, Leffler u. Dr. Bauer festgestellt. – Einmal ist folgender Satz von m. Berichterstatter aufgefangen worden: »Ja, aber vergessen Sie doch nicht, daß das N.T. nicht ohne das Alte denkbar ist.« Mein Berichterstatter hatte den Eindruck gehabt, als hätten Sasse u. Leffler mehr mäßigend als hetzerisch gesprochen. Sehr glaubhaft, da Gerstenhauer dabei war. Von mehreren Seiten wurde mir mitgeteilt, Bauer [W.], der als Abg. des L.K.T. teilgenommen hat, sei gleich nach der Sitzg. in die Kasse gegangen u. habe sich seine Tagesgelder auszahlen lassen! Es ist ja möglich, daß er sie in die Kasse der D.Chr. gibt – aber das ist nur eine Annahme von mir. Die Beamten reden anders. Ich schickte meinem 1. Brief an Thomas, gestern einen 2. nach. Als ich heute nach dem Dienst nach Hause kam, lag seine Antwort da: sehr herzlich u. dankbar! Er schlägt die Berufung als K.Rat (also doch!) aus u. nimmt die Stelle als Assistent für prakt. Theologie (oder sowas) an.478 Er hat außer mir noch einen kathol. Kaplan, mit dem er befreundet ist, gefragt. Der hat dasselbe geschrieben wie ich. – Ich freute mich doch sehr über diese Entscheidung u. über seinen herzlichen Brief. Denn ich hatte wirklich so scharf u. schonungslos geschrieben, daß ich für möglich hielt, er könnte übel genommen haben. – Am Freitag ist er nach Eisenach bestellt. Da wird er also persönlich seine Absage bringen (an Leffler schreibt er). Ob der L.K.R. merkt, daß es im Gebälk knistert? Aber auf den Gedanken kommt wohl keiner der Herren, daß ich an dieser Entschließung beteiligt bin! Die mißliebige Beamtin oben im 4. Stock. Wenn ich so zusammenrechne, habe ich den Herren wirklich schon Einiges angetan. Aber die Sensation des Tages war doch der neueste Erlaß des Kirchenausschusses.479 So etwa ½12 Uhr, als ich an der »Zentrale« vorbeiging, wurde ich von der dicken Frl. S. heftig hereingewinkt u. pantomimisch auf die neueste »Staatszeitung« aufmerksam gemacht, die im Fenster lag. Erst las ich von der allgemeinen Verfügung, wonach die Benutzung des Gotteshauses seiner Gemeinde keinem ordinierten u. fest angestellten Pfarrer versagt werden kann, dann Regelung betr. Sondergottesdienste pp. Dann kam eine preußische Verfügung. »Aha, das interessiert sie doch!« sagte Andres im Hintergrund. Also – herrlich! In Preußen ist nähere Anweisung ergangen zur Behandlung 477

478 479

Vgl. dazu den Bericht über die 10. Hauptversammlung des Thür. Pfarrervereins am 17. und 18. Oktober 1935 in der »Krone« zu Jena, in: Thür. Pfarrerverein. Niederschrift von KR i.R. Dahinten, Nachlass 1964, S. 37–41, zum Sachverhalt: S. 40, LKAE, Auffangabteilung, H. 333. Um welche Dozentenstelle es sich handelt, war nicht zu ermitteln. Erlass des Reichkirchenausschusses betr. die Benutzung der kirchlichen Gebäude, GDEK 1935, 113–114.

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aller Disziplin.fälle. Alle abgesetzten Pfarrer u. Superintendenten müssen wieder eingesetzt werden! u.s.w., u.s.w. Geldstrafen müssen zurückgezahlt werden. – Man denke! »Andres hat die Zeitung gleich in die Sitzg. gebracht«, flüsterte Frl. Sommer, da hat der Landesbischof aber runde Augen gemacht!« – Nun wird es den Herren ja vielleicht langsam dämmern, daß sie sich mit ihrem heroischen Widerstand gegen die Kerrl’sche Verordng. am Montag vor 8 Tagen erst recht blamiert haben.480 Und daß auf die Weimarer Ratgeber auch kein Verlaß mehr ist. Ich möchte wissen, was jetzt jeder so bei sich im Stillen denkt. Wir kennen ja das scheußliche Gefühl auch, was revolutionären Umwälzungen in einem bestimmten Stadium voranzugehen pflegt: Daß einem ist, als wankte der Boden unter den Füßen u. man sich seine Umgebung ganz genau anguckt mit dem unheimlichen Mißtrauen, daß da schon etwas anderes dahinter stecken könnte, als man bis jetzt geahnt hat. So empfand ichs bei der Rundfunkübertragg. von der ersten Tagung der Deutsch. Christen in Berlin Anfang April 1933 – als Kube redete u. im roten Saal im V.D. D. Auerbach, D. Otto [R.], Reichardt [E.] iun., Ernst Otto u. ich staunend am Rundfunk zuhörten. Und dann etwa im August 33, als ich in einer ahnungsvollen Stunde Thomas prophezeite, auch E. Reichardt [E.] würde eines Tages von den D.Chr. gezwungen werden, das Feld zu räumen – nachdem er ihnen jeden Dienst getan hätte, den sie von ihm verlangten. Thomas wollte es nicht glauben! Diese Prophezeiung traf nur etwa 8 Wochen nach dem von mir angegebenen Termin ein. – Augenblicklich möchte ich allerdings keine Termine der Entwicklung angeben. Die Dinge liegen anders. Es kann noch lange dauern. Die Parteigenossen werden geschützt, soweit es nur irgend möglich ist, der Staat – nicht in den allerobersten Spitzen in Berlin, aber weiter unten – wird mit aller Macht bremsen u. die Vorstellung, daß die Bekenntnisfront der Staatsfeind u. die D.Chr. für jeden Nationalsozialisten die einzig mögliche Gruppe seien, ist zu tief eingehämmert. Und wir kämpfen ja nicht rücksichtslos u. nicht um die Macht. Obwohl – es ist doch ganz unmöglich, daß dieser L.K.R. bleibt! Es kann nicht sein! Heute erschien – oh Wunder! – nach etwa 10 Tagen strahlend B. wieder einmal in meinem Dienstzimmer. (Mit einem besonders schönen Vorwand). Sie hätten es nicht mehr aushalten können, nichts mehr zu erfahren, nicht mehr auf dem Laufenden zu sein. Man freut sich doch immer, wenn man mit den treuen Seelen ein paar Worte reden kann. Sie haben den Eindruck, die Thür. D.Chr. [KDC] wollten »ihre eigene Sache zusammen mit dem Reichsbischof Müller« aufziehen. Sie planten wieder irgendetwas. Gelegentlich ist die Bemerkung gefallen, daß noch »viele« Neueinstellungen erfolgen würden! Und das nach Kerrls Weisung, vorsichtig mit Personalmaßnahmen zu sein! (Stimmt zu den Beobachtungen von anderer Stelle). Die Beförderung von Bauer u. Brauer zum Kirchenrat darf nicht in die Zeitung! Obwohl Bauer seit Sonnabd. seine Urkunde schon hat! Sie fürchten offenbar, daß die Öffentlichkeit Anstoß nimmt. Bauer scheint auf seine Ernennung gedrungen zu haben, scheinbar zum Mißvergnügen von Sasse. (Das hörte ich von anderer Seite). Eine Dame, die einen Mittagstisch hat, an dem sehr viele D.Chr. essen, erzählt, daß von dem »furchtbaren Martyrium« gesprochen würde, das der Reibi. durchmacht!!! Daß die Presse ihm das angetan hätte, zu sagen, daß seine Maßnahmen falsch gewesen 480

Vgl. Tgb. 25. Oktober 1935.

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seien! (Aber: »Ich werde sie auf die Finger klopfen!« – Das kann nie vergessen werden!). Mittags telephonierte ich mit Frau O. [M.]. Otto liegt im Bett mit 39 Grad Fieber. Eben lese ich in der »Tagespost« von heute, daß der Reichsbischof im Rahmen eines »Ev. Schulungslagers« im Neulandhaus vom 4.–9. November eine ev. Abendfeier in der Georgenkirche halten wird. Morgen sind es 3 Jahre, seit wir das Abschiedsfest für Otto im Volksdienst feierten, daß Thomas am 1.11. antrat. An demselben Tag schlägt er in diesem Jahr einen Kirchenratsposten aus! Und vor 2 Jahren erst, am 1.10., verließ er Eisenach, schwer getroffen. Wenn wir diese Entwicklung hätten ahnen können, wir hätten sie für ein Märchen gehalten. Seltsam, daß die Menschen, trotz aller immer wieder erlebten Buntheit des Lebens, es nicht lassen können, sich den Ablauf der Zukunft rein äußerlichen Gesetzen entsprechend zu denken. D. 1.11.35. [1. November 1935] Gestern Abend bei O. Er hatte Sorgen wegen des Gesetzes zur Regelung der Gottesdienste der Gruppen in den Einzelgemeinden.481 Das klang in der abgekürzten Wiedergabe der Verfügg. in der Ztg. nicht vertrauenerweckend. Für uns ist doch entscheidend, ob es auf den Fall Kaltenwestheim 482 paßt. Am Dienstag ist hier eine Sitzg. der Eisenacher Pfarrer zusammen mit Brauer gewesen. Die Neutralen, Mitz., Nitzsch, Hertzsch u. Kühn weigern sich, mit der Kirchenvertretung zusammen zu arbeiten solange sie das Mißtrauensvotum gegen Otto nicht zurückgenommen hat. Dr. Brauer hat u.a. gesagt, es sei eben völlig ausgeschlossen, einem Pfarrer Vertrauen zu schenken, der an den Anordnungen des Landeskirchenrats überhaupt Kritik übe. Darauf habe man ihn festgenagelt u. versucht, wenigstens einen einzigen Grund anzugeben, warum das in einer evang. Kirche nicht möglich sein solle. Eine Antwort habe er nicht geben können. – Auf den Friedenswillen des Kirchenausschusses, in dessen Sinne doch das Mißtrauensvotum nicht sei, hingewiesen, habe er erklärt, diese Ausschüsse seien schon erledigt. Sie hätten sich nicht durchsetzen können. Die Bekenntniskirche mache ja nicht mit! Man habe einen Brief ins Ausland aufgefangen, der bereits in den Händen von Kerrl sei, in dem stünde, daß die Bekenntniskirche diese Ausschüsse ablehne. Nähere Angaben hat er nicht machen können. Darauf hat O. ihn gefragt, wie die Thür. D.C. (oder der L.K.R.) zu den Ausschüssen stünde. Darauf hat er erklärt, sie stünden dahinter. Darauf hat O. ihn gefragt, wie es dann käme, daß man ihnen trotz der Kerrl’schen Verordnung die Geldstrafen abgezogen hätte; darauf hat Br. [Brauer] gesagt, davon wüßte er nichts, er hätte mit der Verwaltung nichts zu tun. – Also was in der Bek.kirche vorgeht, will er wissen, was im L.K.R. vorgeht, weiß er nicht. Eben hörte ich noch, die Nachricht, daß die Bruderräte »nicht mitmachten« u. der »vorl. K.reg. in den Rücken gefallen seien«483 sei die Freudenbotschaft, die Sasse kürzlich aus Berlin mitgebracht hätte. O. erzählt mir gest. Abd., daß die Reformierten 481 482 483

Vgl. Tgb. 29. Oktober 1935. Zum Fall des Pfarrers Wilhelm Müller vgl. Anm. 452 und Tgb. ab 8.Juni 1935, zuletzt 24. und 25. Oktober 1935. Der Reichsbruderrat hatte in einer Stellungnahme vom 9. Oktober 1935 die Ausschüsse als kirchenleitende Organe abgelehnt (KJ 1933–1944, 107). Dagegen erklärte die VKL: »In dem Maße,

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augenscheinl. streiken.484 Er habe ein Flugblatt zur Verteilung in den Gemeinden bekommen: Die vorl. K.L. fordere die Bruderräte auf, Mitglieder für die Ausschüsse zu benennen, das sei gegen die Beschlüsse des Reichsbruderrates, die Synode müsse einberufen werden. O. hat das zurückgeschickt mit dem Bemerken, die Absender könnten sich offenbar kein Bild der Thür. Lage machen. Es sei kein Gedanke daran, dieses Flugbl. in d. Gemeinden zu verteilen. Man erhoffe im Gegenteil Hilfe von den Ausschüssen gegen das unerträgliche dtsch.-christliche Thür. Kirchenregiment. O. zerbricht sich jetzt den Kopf, wen er für den Thür. Ausschuß benennen soll. Ich habe Ob.pfr. Göpfert-Dermbach vorgeschlagen. Wir dachten dann noch an Mitzenheim. – Die D.Chr. hier sind offenbar noch nicht aufgefordert worden, jemanden zu benennen. Prof. Fascher hat einer Dame, die ich kenne u. nicht hier nennen will, erzählt, Hitler hätte kürzlich die Gauleiter sehr energisch vermahnt, alles zu tun, um die dtsche Gl.bewegung nicht weiter anwachsen zu lassen. Die Partei müsse auf d. Boden des pos. Christentums stehen bleiben. Auch Schirach u. solche Leute hätten etwas abbekommen. Nun, das hat man an der Rede von Schirach aus Limbg. u. der von Göring (aus Breslau, gl. ich) gemerkt. Göring hat über »germanische Eheweihen« gespottet u. mit deutl. Hinweis auf den »Mythus« gesagt, »Mein Kampf« sei als einziges Buch Grundlage der Bewegung. Leider konnte er sich nicht dazu aufraffen, den »Mythus« u. Rosenberg zu nennen. In der Mitteilung von Fascher erkennt man diesselbe Nachricht, die kürzlich S. mitgebracht hatte. ( )d – Kerrl hat es also doch erreicht, den Führer in dieser Richtung zu überzeugen. Aber daß es solange gedauert hat, bis diese Erkenntnis durchdrang, zeigt doch, daß man »oben« nicht weiß, was im Volk vorgeht. Guida Diehl hat es fertig gebracht, Otto zu einer Besprechung mit d. Reichsbischof einzuladen, der auf ihrem nächsten Lehrgang spricht. Nun seien doch die Ausschüsse da u. nun könne man doch, Gott sei Dank, endlich wieder … u.s.w. O. hat natürl. abgelehnt oder wird es tun, Wortlaut kenne ich nicht. Diese Leute haben doch keine Ahnung, wie tief die Wunden sind, die sie geschlagen haben, u. daß lange Zeit zur Heilung nötig ist. – Ich halte es für möglich, daß Guida ernstlich gedacht hat, sie könne hier dem Reichsbischof eine Basis schaffen, auf der er wieder Fuß fassen könnte, u. er hat es viell. gleichfalls geglaubt. Nach allem, was möglich war, muß man auch das für möglich halten. Aus der Nachricht aus reformierten Kreisen, die Otto bekam, sieht man aber doch, wie sehr ernst die Lage noch ist. Umso merkwürdiger mutet ein Leitartikel in der Börsenzeitung v. 29.10. Nr. 507 an, der offenbar von der Annahme ausgeht, daß der Kirchenausschuß nichts zu tun hätte, u. in dem Ausschuß gesagt wird, er würde ein reiches

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als die aus Männern der Kirche gebildeten staatlichen Ausschüsse ihre Arbeit durch Schrift und Bekenntnis bestimmt sein lassen und die Eigenständigkeit der Kirche in ihrer Ordnung und ihrer Verkündigung achten und fördern, werden die Vorläufige Kirchenleitung und die übrigen Organe der Bekennenden Kirche sich bei ihren Gemeinden für sachliche Mitarbeit einsetzen können« (Schmidt, Bekenntnisse III, 286). Hermann Albert Hesse, Moderator des Reformierten Bundes, forderte die Zurücknahme der Erklärung der VKL (vgl. Besier, 351). Unidentifizierte Strichzeichnung.

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Feld der Tätigkeit finden, wenn er daranginge, die kirchlichen Verbände zu vereinheitlichen u. zusammenzuschließen! – Also da hört schon alles auf. Mir ist der Gedanke gekommen, daß man Bauers u. Brauers Ernennung zum K.Rat485 zusammen mit der von Thomas hat bekannt geben wollen, damit das Ganze nicht so einseitig erschien. Das wird nun nichts. Thomas kommt heute, um abzusagen – u. fällt hoffentlich nicht noch um. nachm. Bauers Ernenng. steht im neuesten kirchl. Anz.486 Thomas muß hier gewesen sein, er schickte mir Zoellners Artikel487 durch Andres. Herauf zu kommen hat er nicht fertig gebracht. Er ist wohl zu offen gewesen in seinen Briefen. 2. Nov. [2. November 1935] Heute Brief von Thomas. Er findet garnichts dabei, daß er nicht bei mir war. Er hat tatsächl. die Ernenng. zum K.Rat u. die Mitarbeit in den »Aufbauwochen«488 abgelehnt – aber das Herz scheint ihm fast darüber gebrochen zu sein. Es hätte ihm ganz gut getan, die D.Chr. in der Nähe kennen zu lernen. Heute gab mir O. seinen Antwortbrief an Guida [Diehl] zu lesen.489 Der ist scharf. Aber sie hat ihn verdient. Er sagt ihr u.a. daß sie damit, daß sie dem Reichsbischof hier Gelegenheit gibt, auch in einer Abendfeier in der Georgenkirche immer noch als Reichsbischof aufzutreten, obwohl der Kirchenausschuß seine Aufgaben übernommen hat, dazu hilft, die Klärung in den Gemeinden zu verhindern u. weitere Verwirrung zu schaffen. Das wäre, wie er, O., bestimmt wüßte, den Bestrebungen des Kirchenausschusses entgegen. 485 486 487 488

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Vgl. Tgb. 26. und 30. Oktober 1935. Am 27. Oktober 1935 wurde Dr. Wilhelm Bauer zum »Kirchenrat« ernannt, LKAE, L 3051, 93; ThKbl/B 1935,199. Vgl. Tgb. 28. Oktober 1935. Bei den Aufbauwochen handelte es sich um Schulungsveranstaltungen des LKR im Sinne der KDC für verschiedene Gruppen von Gemeindegliedern, schließlich aber für alle. Eine besondere Zielgruppe waren dabei die Kirchenvertreter der Gemeinden. Für solche Veranstaltungen war Thomas ausdrücklich als Redner vorgesehen. Aufbauwochen wurden als kontinuierliche Folge von Aufbauabenden einer Woche durchgeführt. Vgl. dazu Protokoll der Sitzung des LKR der TheK vom 23. Oktober 1935 (LKAE, A 122, 59–60): »4. Kirchliche Aufbauabende. – Der Landesbischof berichtet über den mit Oberregierungsrat Leffler besprochenen Plan der Veranstaltung von Feierabenden mit religiösen Vorträgen durch Thüringer Pfarrer. Kirchenrat Stüber macht dazu seine Vorschläge und wird beauftragt, mit Pfarrer Büchner zu verhandeln, dann die in Frage kommenden Redner zur Besprechung einzuladen und schließlich den Plan weiter auszuarbeiten. Als Redner werden ins Auge gefaßt: Büchner, Fritsch, Fromm, Hartz, Hoffmann-Arnstadt, Kiel, Lehnert, Scheibe, Thiem, Thomas. Kirchenrat Leutheuser schlägt vor, die kirchlichen Aufbauabende im Zusammenhang mit seinen Schulungskursen für die Kirchenvertreter, die Mädel, die Burschen und die Frauen zu veranstalten.« – Entsprechende Schulungskurse für Kirchenvertreter wie für Pfarrer gab es bereits 1934; sie wurden unter Anwendung »freiwilligen Zwangs« vom Volksdienst durchgeführt, der sich unter der Leitung von Leutheuser inzwischen zur Propagandazentrale des KDC entwickelt hatte. Der Landesbruderrat protestierte gegen den Zwang zum Besuch dieser Kurse, was die Vertreter der KDC jedoch nicht weiter beeindruckte (vgl. Stegmann, 43–44). Schreiben von Pfarrer Ernst Otto an Oberin Guida Diehl vom 4. November 1935, LKAE, LBG 37, 16.

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Ein Brief von Meng-Großfahner erschütternd in seiner Hilflosigkeit. Der Oberpfr. hat ihm vorgehalten, daß er der einzige Pfr. des Kirchenkreises sei, der noch nicht an einem der Pfarrerschulungskurse der D.Chr. teilgenommen habe. Darunter leidet er u. weiß nicht, was er ihm antworten soll!490 Man begreift nicht, daß so hilflose Menschen den Kirchenkampf überhpt. bis hierher durchkämpfen konnten, da kann man wohl sehen: »Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.«491 Einen schrecklichen Eindruck hatte ich heute von der Plage, die auf O. liegt. Er liegt im Bett u. dauernd kommt Jemand aus d. Büro gelaufen. Er wird wegen jeder Kleinigkeit, sogar wegen einer Adresse ganz überflüssigerweise auch (von sr. Frau, die doch sonst ein Juwel ist!) gefragt. Bald kommt der, bald jener. Ganz planlos. Und unten im Büro unterhalten sich Frl. Koeppen u. Frl. Levien langsam u. umständlich über das, was sie vergessen oder wie sie sich gegenseitig mißverstanden haben! Und dazu Cand. Schüler! Und dann Besuch: Frl. v. Ranke, Frau Pfeiffer, ich. Schrecklich! Daß der arme Mann die Geduld nicht verliert! Seit gestern (2.11.) habe ich Angst um den Kirchenausschuß. Sogar bis in meinen Lebenskreis hinein merkt man etwas von den Kräften, die diese Arbeit um jeden Preis sabotieren wollen.492 Ganz abgesehen von dem Widerstand, der jetzt aus Kreisen der Bekenntniskirche, wie es scheint, kommt. Ein Artikel der »Times« vom 29.10. war beängstigend. Am Reformationstag war es ein Jahr, daß wir erfuhren, Hitler habe Meiser, Wurm u. Marahrens empfangen u. rehabilitiert.493 Damals wäre die Möglichkeit gewesen zu versöhnen. Aber es wurde wieder geflickt u. nach wenigen Wochen begann die Verfolgung aufs Neue. Wann wird es »oben« gesehen werden, daß hier tatsächl. christentumsfeindliche Mächte am Werk sind? Der Widerstand kommt wohl am stärksten u. wirksamsten von Goebbels her. Man braucht nur nebeneinanderzuhalten, was gedruckt werden darf, u. bedenken, was beschlagnahmt wird! Allein die heutigen Meldungen der kirchlichen u. der Auslandspresse, die ich dienstlich bekam, zeigten das ganz deutlich. Es war etwas beklemmend, daß wir, als S. das letzte Mal von Berlin kam (26.10.), nicht wie sonst den Eindruck hatten, daß die Nachrichten von dort für die D.Chr. schlecht seien. Vorgestern erfuhr ich, daß S. die Nachricht mitgebracht hätte, »die Bruderräte seien der vorl. Kirchenleitung in den Rücken gefallen« – d.h., die V.K.L. stünde hinter dem K.Aussch. u. der Reichsbruderrat nicht. Daher die gute Stimmung bei den D.Chr. Ich sehe nicht ganz durch. Die Lutherischen stehen doch hinter dem Ausschuß? Die Allgem. Ev-luth. K.z. schrieb einen geradezu jubelnden Artikel vor 8 Tagen.494 Die »Times« berichtet heute, der Aufruf des Kirchenausschusses mit seinem Bekenntnis zu 490

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Vgl. (I) Schreiben des Oberpfarramts Gräfentonna an Pfarrer Ernst Otto vom 31. Oktober 1935 (Abschrift); (II) Schreiben von Pfarrer Meng an Ernst Otto vom 2. November 1935 in der Sammlung der Dokumente zum Kirchenkampf im LKAE.. II Kor 12,9. Die Ausschusspolitik war für die KDC existenzgefährdend; deshalb lehnten sie diese nicht nur ab, sondern standen in einem »scharfen und unversöhnlichen Gegensatz« zu ihr. Der RKA wurde rücksichtslos angegriffen und diffamiert (Meier, Kirchenkampf II, 344–345). Vgl. Tgb. 31. Oktober 1934. Gemeint ist wohl der Redaktionsartikel von W. Laible, Eine Wendung im deutschen Volk, AELKZ 68 (1935), 1022–1023.

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Rasse, Blut u. Boden,495 über den Kerrl sich so freute, sei nicht nur von der kriegerischen preußischen Gruppe, sondern auch von den Bekenntnisgemeinschaften weithin in der Provinz abgelehnt worden. – Kein Wunder, daß die Bekenntnispfarrer u. ihre Gemeinden mißtrauisch sind. Schuld der anderen. Ach, wenn doch diese Gefahr abgewendet werden könnte. Geradezu teuflisch kommt mir die Freude der D.Chr. vor, mit der sie auf das Scheitern des Werkes warten. – Gestern bestätigte mir auch ( )b, der wieder ein Viertelstündchen in meinem Büro war, daß die D.Chr. verbreiten, die Bekenntnisgemeinsch. stünde nicht hinter den Ausschüssen! Ich habe erwidert, die Mehrzahl der Bek.leute stünde hinter Kerrl, abgesehen von kleinen Kreisen der Reformierten u. der Union. Aber es sei in der Thür. Bek.gemeinschaft der Eindruck entstanden, daß die Thür. Kirchenleitung nicht hinter dem Aufruf stünde, da sie trotz der Verordnung Kerrls die Geldstrafen (zum Teil) eingezogen hätte (O. sind 100 M abgezogen). ( )b war auch der Meing., daß dieser Beschluß mindestens dem Sinn der Verordng. von Kerrl widerspräche. Einen merkwürdigen Eindruck machte ein Protokoll des L.K.R. vom 30.10., auf das ich heute zufällig einen Blick werfen konnte. Danach hat Volk in der Sitzg. den Vorschlag gemacht, auf die weitere Einziehung der Geldstrafen zu verzichten, wenn die disziplinierten Pfarrer erklärten, daß sie hinter dem Kirchenausschuß stünden!496 Sasse hat erwidert (das Protokoll ist natürlich aufs äußerste gekürzt), er möchte keine Verquickung des Aufrufs497 mit den Geldstrafen. Der K.Aussch. würde sich wahrscheinl. selbst an die einzelnen Pfarrer wenden. – Es scheint, daß man, der von Berlin gegebenen Weisung gehorchend, notgedrungen die weitere Verfolgung der Disziplinarsachen ruhen läßt. Volks Gedankengang kann ich mir nur so erklären, daß Volk nicht begriffen hat, daß es im Interesse der D.Chr. liegt, so zu tun, als stünden sie hinter dem Ausschuß, wir aber nicht, daß sie in Wirklichkeit lieber sabotieren möchten. Sollten die D.Chr. dauernd selbst vor den neutralen Mitgliedern des L.K..R. derartig geheuchelt haben? Dann wäre manches erklärlich – denn V. ist wirklich außerordentlich töricht u. nicht imstande, durchzusehen. Übrigens hörte ich von ( )b, daß tatsächl. Tegetmeyer am 28. zuerst Weisung gegeben hat, die Geldstrafen nicht abzuziehen, bis der L.K.R. das Gegenteil beschloß. O. erzählte vorgestern, daß die hiesigen Pfarrer Mitzenheim, Nitzsch, Kühn u. Herztsch sich geweigert hätten, mit der hiesigen Kirchenvertretung zusammenzuarbeiten, solange das Mißtrauensvotum gegen O. nicht zurückgenommen sei.498 Das ist doch eine

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»Wir bejahen die nationalsozialistische Volkswerdung auf der Grundlage von Rasse, Blut und Boden« (Aufruf des RKA und des LKA für die Evang. Kirche der APU, KJ 1933–1944, 108). Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz, vgl. Übersicht Strichzeichnungen. Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz. Protokoll der Sitzung des Landeskirchenrats vom 30. Oktober 1935, LKAE, A 122, 62. Gemeint ist der Aufruf des Reichskirchenausschusses vom 17. Oktober 1935; vgl. Tgb. 18. Oktober 1935. Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz. Zum Misstrauensvotum vgl. Tgb. 20. September 1935.

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feine, brüderliche Haltung. Am Dienstag haben sie – auch O. – wegen der Zurücknahme des Votums eine Unterredung mit Brauer gehabt, der natürlich hartnäckig geblieb. ist. Man hat vom Wunsch des K.A. nach Befriedung gesprochen. Darauf Brauer: »Die Ausschüsse sind bereits erledigt. Es ist ein Brief ins Ausld. aus Kreisen der Bek.frt. aufgefangen worden, aus dem hervorgeht, daß die Bekenntniskreise nicht hinter dem Ausschuß stehen. Kerrl hat den Brief bereits.« Was Otto geantwortet hat, weiß ich nicht. Jedenfalls hat er später gefragt, wie denn die D.Chr. (oder der L.K.R.) zum Ausschuß stünden. »Wir stehen dahinter«, behauptet Brauer. Darauf hat O. ihn gefragt, wie es dann komme, daß der L.K.R. ihnen trotz der V.O. Kerrls die Geldstrafen abgezogen hätte. Da hat Brauer erwidert, davon wisse er nichts!! Brauer hat als Grund für das Mißtrauen immer nur die Tatsache genannt, daß Otto an Maßnahmen des L.K.R. Kritik geübt habe. Auf die immer wiederholten dringenden Fragen, aus welchem Grunde denn eine solche Kritik unmöglich sein sollte, hat er keine Antwort gehabt. Nur immer wieder »Das ist eben einfach unmöglich.« Vor 400 Jahren habe Luther protestieren können – heute ginge so etwas eben nicht mehr! Wenn das nicht »Erstarrung« und »Dogma« ist, dann weiß ichs nicht. Das Dogma von der Unfehlbarkeit des L.K.R. der Thür. ev. Kirche.499 ( )b sagte mir übrigens auch, der Reichsbischof schiene hier eine Zuflucht zu suchen. – Am Donnerstag Abd. spricht er in der Georgenkirche. Im V.D. wird ein Diakon Fries eingestellt.500 Der V.D. »schult« wieder Pfarrer. Ich sah den Plan.501 Ein Kursus nach dem andern, den ganzen Winter über. Es wird einem schlecht. Wie lange soll das noch weiter gehen? Der K.Ausschuß wolle sich zuerst mit Sachsen beschäftigen502 – erzählt ( )b. Im Ev. Dtschld. erschien der ausführl. Text der Regelung der Gottesdienste der kirchlichen Gruppen in den Gemeinden – eine Notordnung.503 Sie ist günstig – auch für die Lage in Kaltenwestheim. Die abgekürzte Inhaltsangabe in den Zeitungen war gänzlich irreführend. Das gehört mit zur Sabotage aus Kreisen der Partei.

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Der beständige Vorwurf der DC an die Adresse der BK war der, dass sie dogmatisch erstarrt seien. Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz. »2. Fries. Nach Vortrag von Kirchenrat Volk wird beschlossen, den Diakon Fries als Hilfsarbeiter zur Verfügung des Volksdienstes … einzustellen … Er soll am 5. November in Eisenach seinen Dienst antreten … Die Entscheidung darüber, wo Fries eingesetzt werden soll, wird Herrn Kirchenrat Leutheuser überlassen« (Protokoll der Sitzung des LKR der TheK vom 30. Oktober 1935, LKAE, A 122, 62). Vgl. Schreiben des LKR der TheK an sämtliche Oberpfarrämter vom 29. Oktober 1935 und der Tagungsplan für eine Arbeitsgemeinschaft der Pfarrer vom 25.–30. November 1935 (LKAE, A 243, 119 und 124]. Zu den Pfarrerschulungskursen vgl. auch einen Passus aus dem Tätigkeitsbericht des Landesbischofs der TheK für das Jahr 1934, in: ThKbl/B 1935, 125–126. Ein direkter Beleg dafür war nicht zu ermitteln; allerdings wird berichtet, dass es eine enge Zusammenarbeit zwischen den Thüringer und den sächsischen DC gegeben habe; es seien auch wiederholt »Kameraden der Thüringer Bewegung« in Gemeinden in Sachsen als Redner aufgetreten; vgl. den Bericht »2. Was geht in Sachsen vor?«, BrDC 5 (1936), 110–111. Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz. Zwei wichtige Entscheidungen. Zur Anbahnung des kirchlichen Friedens, Das Evangelische Deutschland 12 (1935), 391.

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Der L.K.R. scheint sich in der Hoffnung zu wiegen, Thüringen bekäme keinen L.K.Ausschuß. Wenigstens hat Reichardt [E.] iun. ( )b das erzählt. Die D.Chr. sind also offenbar noch nicht aufgefordert worden, Mitglieder für die Ausschüsse zu benennen. Womöglich nennen sie Thomas!!! Im V.D. hat M. von »großen Veränderungen« gesprochen, die bevorstünden, auch Andeutungen gemacht, aus denen man schließen könnte, daß das Pred.sem aufgehoben werden solle. Das klingt aber gänzlich unwahrscheinlich, denn das brauchen sie ja, um Kandidaten zu schulen. 3.11. [3. November 1935] Ich denke immer wieder über die Behauptung nach, der Bruderrat stünde nicht hinter den Ausschüssen. Ich fragte gestern O. noch einmal. Da nickte er müde mit d. Kopf. Er lag im Bett mit Grippe u. Kopfschmerzen; ich wollte ihn nicht quälen u. fragte nicht mehr. Ich entschuldigte mich, daß auch ich ihn gestört hätte. Da wars eine solche Freude, wie überzeugend u. warm er zum Ausdruck brachte, daß ich nicht zu denen gehörte, die ihn störten. Es sind 2 seltene Menschen u. ich bin dankbar, daß ich sie beide habe. – Bei seiner letzten Tagung hatte der Reichsbruderrat doch noch eine Formel gefunden, der selbst Niemöller das Mitgehen erlaubte? – Es müssen neue Gefahren aufgetreten sein. Aber je mehr ich nachdenke, umso klarer wird mir auch, daß es ohne weitere Gefahrenpunkte nicht gehen konnte, u. daß es doch auch Möglichkeiten gibt, sie zu überwinden. Die neuerlichen Beunruhigungen müssen mindestens 10 Tage zurück liegen, vor dem Zeitpunkt, an dem Sasse aus Berlin kam. Seitdem ist die V.O. über die Erledigung der Disziplinarfälle erschienen (das ist mehr als Amnestie, ist Freisprechg.504 – das wegen Rückzahlung der Geldstrafen) u. am Reformationsfest eine Kundgebung beider Ausschüsse aus Wittenberg, die vollkommen klarlegt, daß eine Erneuerung der Kirche nur möglich ist durch Besinnung auf ihr eigenstes Wesen u. ihre Grundlagen.505 Die Bruderräte fordern aber – nach der Neuen Freien Presse, Wien – ausdrückliche Zurückweisung der deutsch-christlichen Theologie. Das liegt zwar im Wittenberger Aufruf drin – aber ich verstehe auch, daß die Bruderräte der Leisetreterei überdrüssig sind. Trotzdem wäre wohl die Kennzeichnung u. Ablehnung des Heidentums wichtiger; sie könnte auch die Ablehnung der D.Chr.-Theologie in sich schließen. Man fordert aber wohl Brandmarkung der Gruppe als solcher. Die N. Fr. Pr. teilt übrigens mit, es bestätige sich, daß Müller zum Rücktritt aufgefordert worden sei, aber abgelehnt habe. Der K.Aussch. hätte aber doch wohl die Möglichkt., ihn abzusetzen? Die heutige Nr. der J.K. teilt in einer kurzen Notiz mit, daß Kerrl in einem Tele-

b 504 505

Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz. Vgl. Tgb. 21. Oktober 1935. Vgl. Kundgebung des Preußischen Landeskirchenausschusses am Reformationstag in Wittenberg vom 31. Oktober 1935, Deutsch-Evangelische Korrespondenz 34 (1935), Nr. 45 vom 6. November 1935, 1. Das Dokument hebt darauf ab, in Übereinstimmung mit der Reformation »das Fundament der Kirche klar und deutlich herauszustellen, den Grund, der gelegt ist und nicht verändert werden kann: Jesus Christus.«

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gramm Bodelschwingh gebeten habe, nach sr. Genesung beim Wiederaufbau mitzuarbeiten.506 Viell. war Bodelschwingh statt Zoellner zum Vorsitzenden ausersehen? Sein Name hätte allerdings weithin gewirkt u. Klarheit geschaffen. Denn was eine Berufung Bodelschwinghs und Abdankung Müllers bedeuten würde, das weiß bei aller Unkenntnis, Vernebelung der Fronten u. böswilliger Täuschung doch Jeder im Volk. Aus einem »Times«-Ausschnitt vom 29.10.35, den ich gestern übersetzte, machte ich mir eine Abschrift (Sammlg.507). Dort wird festgestellt, daß Goebbels gerade jetzt die Presse der Bekenntniskirche unter schärfere Zensur nimmt. Man wisse nicht, ob damit Kerrl vor Kritik geschützt werden solle oder ob es aus einflußreichen Kreisen der Partei heraus einen Angriff auf die kirchliche Freiheit darstelle. Ich glaube das Letztere. Der Artikel spricht glatt von »breakdown« des Kerrlschen Versuches. Aber auch das liegt vor den letzten Erlassen der Ausschüsse. Wenn man von diesen Zensurmaßnahmen hört u. dann liest, was der »Durchbruch« an Angriffen auf das Christentum drucken darf (Nr. 44 v. 31.10.35)508, dann gibt es keinen Zweifel mehr über die weltanschaul. Haltung des Propagandaministeriums u. seiner Stellung zu den Kerrlschen Plänen. Der Einfluß Kerrls reiche nicht sehr weit, schreibt die »Times«.(Aber ihn hält sie offenbar für aufrichtig). Hoffentlich helfen solche Pressestimmen zum Guten. Man denkt in solchen Augenblicken dankbar an die Unerschütterlichkeit Hitlers. (Aber ein Zauderer scheint er doch zu sein). 4.11. [4. November 1935] Ich las einen Brief Syltens an Volk.509 Daraus geht hervor, daß Volk auch an ihn seine ewige Mahnung gerichtet hat: »Hätten Sie doch mit mir gesprochen! Warum haben Sie nicht …« Sylten weist ihm nach, daß er sich in einem besond. Fall an Volk gewendet hat, ebenso wie Zimmermann, ohne überhaupt eine Antwort zu bekommen. Auch Otto hat ihm antworten können, daß er sich stundenlang in sr. Wohnung mit ihm unterhalten hat, ohne daß irgendetwas sich änderte. Hemmungslose Eitelkeit u. Dummheit. Ein Fernstehender wird davon kaum ein so klares Bild bekommen können, als wir, die wir seit Jahren dieses Schauspiel vor Augen haben. Sylten weist übrigens nach, daß er für den Artikel in seinem Sonntagsblatt, wegen dessen er vom V.B. angegriffen wurde, die schriftleiterische Verantwortung nicht trägt, sond. der Verband der ev. Sonntagspresse (Hinderer). Daß Sylten Nichtarier ist, scheint noch niemand gemerkt zu haben.510 Dienstag, d. 5. Nov. 35. [5. November 1935] Gestern Abend stand in der Ztg., daß der Reichsbischof »leider« nicht nach Eis. käme. Man hat es ihm wahrscheinl. verboten. 12 Uhr. Eben Besprechung mit Volk wegen der Th.G.G., dabei Wilms u. Battefeld. Der Mann, der das Ganze im Reich bei der N.S.V. in Berlin leitet, kommt am 16. her. Es handelt 506 507 508 509 510

JK 3 (1935), 1042. Dokumente und Abschriften, vermutlich gesammelt von Marie Begas, LKAE. Vgl. Hauer, Kämpfen wir gegen Christentum?, Durchbruch 2 (1935), Folge 44, Blatt 1. Schreiben von Pfarrer Sylten an Kirchenrat Volk vom 28. Oktober 1935, LKAE, G 1091, 35–37. Zum Fall Sylten vgl. Biogramme.

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sich wieder mal um die Existenz der Gesellschaft. Wie oft in den letzt. 14 Jahren haben wir so hangend und bangend gesessen? – Während wir da saßen, ging die Tür zum Nebenzimmer auf u. Lehmann sah herein. »Ach, da ist ja Frau Begas! Kann ich Sie dann mal sprechen?« Die Tür ging zu. Ich merkte, daß mehrere Menschen nebenan waren. – Natürlich dachte ich, jetzt käme ein Verhör. Erst mal Herzklopfen – wild. Ein Glück, daß ich nicht gleich zu ihm brauchte! Ich zitterte tatsächlich am ganzen Körper. Nach 3 Min. war das vorüber u. ich ging dann eiskalt u. bombensicher in sein Zimmer. Er wollte die Autobusverbindungen nach Mihla wissen. »Sie fahren doch öfter dorthin! – Wir wollen den jungen Amtsbruder da nach Bischofroda schicken …« – Meine Nerven sind doch recht schlecht. Den 7. Nov. [7. November 1935] Der Landeskirchenrat. veranstaltet »Aufbauwochen« in den Gemeinden! Heute geht die Aufforderg. zur Werbung dafür an alle Obpfr. u. von da an die Pfarrer. Das sind offenbar die »Aufbauwochen«, bei denen Thomas mithelfen sollte.511 Der Kirchenausschuß veranstaltet Kurse in Wittenberg auf Anregung Kerrls, zunächst für Pfarrer, dann aber auch für Pfr. u. Laien.512 Es ist offenbar aufgefordert worden, aus allen Kirchengebieten Pfarrer dazu zu entsenden, denn man hat sich, wie ich höre, in einer Sitzung gestern sehr erregt darüber unterhalten. Die Herren sollen nicht einig gewesen sein,513 Sasse u. Leutheuser sind besonders genannt worden. Es war nicht ganz klar. Nachher ist man noch im Pred.sem. zusammen gewesen. Der K.Aussch. verlangt Bericht über eingestellte Verfahren.514 Diese Mitteilungen gehen heute hinaus – Volk hat sie offenbar verbummelt u. beschuldigt nun andere, sie hätten ihm die Akten an einen falschen Platz gelegt. Er soll überhaupt sehr schlechter Laune sein, ( )c nimmt an, auf Grund von persönlichen Briefen, die er bekommen hat. Da sei er immer so. Viell. hat O. geschrieben – er hatte es vor, nachdem er V. neulich 511

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Schreiben des LKR der TheK an alle Oberpfarrämter vom 6. November 1935, LKAE, A 792, nicht foliiert, sowie als Beispiel der Aufruf zu entsprechenden Aufbauabenden in der Stadtkirche Ronneburg vom 25. bis zum 27. November 1935 (2 Blätter): (I) Die Stunde ist da!, (II) Landeskirchliche Aufbauabende, LKAE, A 792, nicht foliiert. Vgl. auch Tgb. 2. November 1935. Die »Wittenberger Kurse« wurden durch Kerrl am Reformationstag 1935 ins Leben gerufen und sollten in Verbindung mit der Lutherhalle und dem Predigerseminar in Wittenberg durchgeführt werden. Sie waren als »Schulungskurse« konzipiert und wandten sich zunächst an evangelische Theologen mit der doppelten Aufgabe: »durch Schulung zur erneuten gemeinsamen Durcharbeitung der Grundlagen der kirchlichen Arbeit anzuleiten und sie für die gegenwartsnahe Gestaltung dieser Aufgaben zu fördern, ferner Laien und Theologen zu Arbeitstagungen zusammenzuführen« (Wittenberger Kurse, Deutsch-Evangelische Korrespondenz 34 [1935], Nr. 45 vom 6. November 1935, S. 1–2). Dabei dürfte es wohl nicht so sehr um die Kurse selbst gegangen sein, sondern um die Frage der generellen Akzeptanz des Kirchenausschusses durch die TheK. Der LKR lehnte sowohl den RKA als auch – und zwar noch entschiedener – die Bildung eines LKA für Thüringen ab; vgl. Tgb. 2. November 1935. Schreiben des RKA an die obersten Behörden der deutschen evangelischen Landeskirchen vom 21. Oktober 1935; vgl. LKAE, A 241, 123. Der Bericht über Dienststrafverfahren sollte bis zum 15. November 1935 eingereicht werden. Auch der LKR der TheK hatte einen Bericht übersandt; vgl. Protokoll der Sitzung des LKR der TheK vom 8. November 1935, LKAE, A 241, 134. Strichzeichnung Frauenkopf mit Locken, steht für Hanna Linde, vgl. Übersicht Strichzeichnungen.

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auf der Straße getroffen u. ein Gespräch mit ihm gehabt hat. Heute ist – nach langer Pause – mal wieder Hochbetrieb bei mir. Erst Therese, dann ( )c u. dann der Mann, der die Verbindung mit der Berliner Quelle hat. Er gab mir einen herrlichen Brief zu lesen, den ich abschreibe. Vorgest. wurde mir erzählt, es habe von Berlin aus angerufen, der Labi sei verlangt worden. Von hier wurde, wie gewöhnlich, zurückgefragt: »Wer ist dort?« Da sei ganz kleinmütig die Antwort gekommen »der Reichsbischof«. Das sei noch nie vorgekommen. Sonst sei immer eine Sekretärin am Telephon gewesen. Ich sagte gleich: »Der sitzt wahrscheinlich zu Hause u. hat kein Büro mehr. Da sitzt der Kirchenausschuß.« Berliner Brief! »… die Aufregungen im Amt sind nun ja nicht mehr so groß wie früher. Ein Silberstreifen am Horizont ist ja vorhanden. Viele Berge müssen überstiegen und mancher tiefe Abgrund überbrückt werden. Bei uns herrscht Hochbetrieb. Sehr viele alte Gesichter kommen wieder zum Vorschein. Man freut sich wirklich. Leider kann man vieles schriftlich nicht wiedergeben, was man so auf dem Herzen hat. Es werden noch viele Kämpfe stattfinden; u. doch scheint es mir, daß alles gut werden wird. Der Reichsbischof sitzt zu Hause u. empfängt nur sein Gehalt. Sein ganzer Stab, d.h. das Sekretariat, ist beurlaubt. Es herrscht schon ein anderer Wind. Die Deutschen Christen haben hier bei uns im Amt ausgesch. – Gott sei Dank. Es wird noch besser. Mal sehen, was nun in Hessen vor sich geht. Sie sind nun zum 2. mal in Darmstadt. Hoffentlich schaffen sie es, daß D.C.-Bischof Dietrich geht, der vorläufig wohl noch von dem Statthalter gehalten wird. Kerrl fährt diese Woche auch noch hin, ihm (Dietrich) wird auch wohl ein Vormund vorgesetzt, dann werden wohl Mecklenburg u. Sachsen folgen. Bei Euch scheinen die Verhältnisse auch ja nicht rosig zu sein. D.h. unter der Pfarrerschaft, die wohl alle mit 200 M bestraft werden. (Bitte unter uns gesagt.) Eure Behörde beliebt es wohl, alle Bekenntnispfarrer zu beknacksen. Auch das wird wohl wieder anders werden. Von Euch habe ich viel gelesen u. gehört, aber später mal deutlicher … verspreche mir, nichts von dem zu sagen, was ich schreibe. Höchstens mal kannst sagen, ich hab mal gehört pp. Später werde ich Euch Interessantes mitteilen, resp. auch was senden. Von Euren Herren sieht man nun keinen mehr hier bei uns. Komisch was?515…. « Aus der gestrigen Sitzg. höre ich noch, daß es sich nicht nur um die Wittenberger, sondern vor allem wohl um die Thür. »Aufbauwochen« handelt.516 Es ist immer wieder das Wort »Propaganda« gefallen. Dann hat Leutheuser sehr viel geredet, ungefähr in dem Sinn: »Ich gehe nicht davon ab, das läßt sich nicht vermeiden, u. wenn es mich … « (etwa: »meine Stellung kostet.«)

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Strichzeichnung Frauenkopf mit Locken, steht für Hanna Linde. Vermutlich geht es hier um die bevorstehende Einrichtung eines LKA, der die KDC um ihren dominierenden Einfluß gebracht hätte. Deshalb mied sie offensichtlich den Kontakt zum Kirchenausschuss in Berlin. Diese Angabe dürfte nicht korrekt sein. Die Tagebuchschreiberin schreibt unter dem 7. November 1935. Zwischen dem 30. Oktober und dem 8. November 1935 fanden aber keine Sitzungen der LKR der TheK statt. Vielleicht ist irgendeine andere Sitzung gemeint.

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Man hat soeben den Labi sagen hören: »Also Meiser ist nicht zu bewegen, eine seiner Verordnungen oder Verfügungen zurückzunehmen …« Das betrifft wahrscheinlich die Thür. Richtung der D.Chr., soweit sie in Bayern Fuß gefaßt hat.517 Die Herren hier haben wahrscheinlich gedacht, jetzt wird jede Beschränkung weggeräumt u. sie könnten nun ungestört Propaganda treiben – ohne zu begreifen, daß man gegen sie natürlich mit Recht vorgeht, da sie das ureigenste Anliegen der Kirche verraten. Der Rechnungsausschuß tagt unten. Folgende Worte von V. sind gehört worden: »Ja, aber meine Herren, Sie müssen doch auch bedenken, der V.D. ist etwas ganz Anderes wie früher! Mit früher läßt sich das garnicht mehr vergleichen! Leutheuser ist fast nie da … Högg z.B. schreibt jede Semmel auf u. jedes Glas Bier … Stüber hat mir gesagt, er hätte sich dazu auch erst erziehen müssen …« Er tritt in jeder Weise für den V.D. ein. Er verteidigt damit sich selbst, denn er hat mit der größten Bereitwilligkt. jedes Hindernis beiseite geräumt, das Leutheusers Plänen hätte entgegenstehen können u. ihm jeden Wunsch erfüllt. Eben, Punkt 12, kommen die Rekruten mit klingend. Spiel von der Wartburg von der Vereidigung! Eben war der ganze Rechnungsausschuß hier! Sie wollten feststellen, wo noch Platz geschaffen werden könnte. Wollen die noch Leute hier einstellen? Ich hatte Glück, daß mein Manuskript gerade verstaut war. Schmidt-Gera war dabei, sonst kannte ich keinen. Tegetm. u. Oswald gingen mit. Männel u. Thieme sind vorgestern bei Volk gewesen u. haben nachträgl. noch (nach über einem Jahr) Ersatz ihrer vollen Umzugskosten verlangt. Sie kämen nicht aus. Volk hat ihnen sein volles Verständnis versichert. Er wird alles tun, damit diese Forderung erfüllt wird. (Die Ursache liegt vermutl. darin, daß dem aus Sachsen gekommenen Popp alles, was er forderte, sofort bewilligt wurde). nachm. Mittags bei O., um ihm den Brief aus Berlin (im Auftrag!) zu zeigen. Er erzählte mir Folgendes, was mich vollkommen erschütterte: Zoellner u. Kerrl sind in Hessen gewesen u. Zoellner hat sich breit schlagen lassen, Dietrich mit in den hess. Landeskirchenausschuß zu nehmen!518 Nachdem ich dies gehört hatte, blieb ich erst mal stocksteif sitzen. »Ja, ja,« sagte O. müde, aber lächelnd, »so ernst sind die Dinge!« Nun – zurückgereist nach Berlin – dort erklärt die V.K.L. … (ich weiß nicht mehr was, aber man kann sichs ja denken; ich habe vor Schrecken einige Sätze überhört.) – darauf also beschließt der Kirchenausschuß einstimmig, auch mit der Stimme Zoellners, daß Dietrich doch nicht in den L.K.A. kommt. – Nun sind sie also zum 2.mal nach Darmstadt gefahren. 517 518

Die KDC wollte sich nicht auf Thüringen beschränken, verstand sich vielmehr als reichsweite Bewegung. Die Verhandlungen um einen Landeskirchenausschuss, der schließlich Landeskirchenrat hieß, führte zunächst im Auftrag des Kirchenministers Ministerialrat Stahn; er kam aber erst durch perönliche Intervention von Zoellner und Kerrl zustande. Diesem Gremium gehörte auch der Landesbischof Dietrich an. Er war dadurch allerdings weitgegend entmachtet worden; vgl. Meier, Kirchenkampf II, 305–306.

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Heute ist Vorl. Kirchenleitg., ganz geheime Sitzg. im kleinst. Kreis u. morgen Reichsbruderratssitzg. Otto sollte hin, ist aber noch nicht wieder wohl genug. Er sprach noch ganz langsam u. hatte etwas Kopfschmerzen. Wenn er nur nicht zusammenbricht. An seiner Stelle geht Bauer [G.]. Ja, wenn das so ist, dann kann einem wirklich der Mut sinken! Ich lasse ihn noch nicht sinken, aber … Übrigens sagte O. in meinen Bericht hinein (Leutheuser – Propaganda – »Ich gehe nicht davon ab«): »Leuth. ist ein ehrlicher Kerl.« Zu der Nachricht über Meiser sagte er, es handelte sich wohl vor allem um den D.C.Pfarrer in Gellritz oder so [vermutlich: Gollwitzer], den Jäger s.Zt. zum bayer. Gegenbischof ernannt hatte.519 Der sei suspendiert worden. Kerrl selbst habe an Meiser geschrieben u. ihm nahegelegt, den Betreffenden wieder in sein Amt einzusetzen. Es sind in Bayern offenbar auch noch andere D.C.-Pfarrer suspendiert. Meiser ist also nach uns. neuest. Nachrichten nicht umgefallen. Hessen übrigens – O. erzählte, dort seien 3–400 Bekenntnispfr. Und diese seien gleich, nachdem Zoellners Beschluß520 bekannt geworden sei, zusammen getreten u. hätten erklärt, daß sie diese Regelung nicht anerkennten. O. war traurig. »300–400«, sagte er, »und hier unsere 100 Männerchen!« Ja, da kann es einem angst u. bange werden. In Hessen kommt aber auch noch hinzu, daß Dietrich wahrscheinlich bereit ist , sich auf das Bekenntnis festzulegen. Das werden unsere D.C. nicht tun. Und dann noch etwas ganz Schlimmes: Die rheinische Bruderschaft, die »Sydower« haben Schulz diszipliniert wegen »Irrlehre«!, Ehescheidung u. wegen seines »Lebenswandels«. Da konnte ich nur sagen, »die sind wohl wahnsinnig.« Worauf Otto sagte: »Es sieht wirklich aus, als ob der Teufel alle Fäden in der Hand hätte.«521 O. sagte, er hätte den Brief an Guida gemildert, ehe er ihn abschickte. Guida [Diehl] hätte ihm geantwortet, der Reichsb. u. Engelke hätten sich beide angeboten, bei ihr zu sprechen, sie habe sie nicht aufgefordert. Jetzt hätten sie ihr geschrieben, sie könnten nicht kommen, da ihnen jede Arbeitsmöglichkeit genommen sei. Am Dienstag, 12.11., soll hier in der Georgenkirche wieder ein »Bekenntnisgottesdienst« stattfinden. Oberkirchenrat Breit-München spricht. Eigentlich sollte Bodelschwingh kommen – das wäre schön gewesen! Aber der ist noch nicht wieder arbeitsfähig. – Stier hat bei Anfrage, ob die Kirche zu haben sei, am Telephon nur »ja« gesagt.

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»Gemäß dem Plan, die bayerische Landeskirche in zwei Reichskirchengebiete (Franken und Altbayern) mit je einem lutherischen Bischof an der Spitze aufzuteilen, ernannte Jäger durch Verordnung vom 11. Oktober [1934] namens des Reichsbischofs zum geistlichen Kommissar für das Gebiet von Mittel, Ober- und Unterfranken Pfr. Hans Sommerer (Bruckberg) und zum geistlichen Kommissar für Ober- und Niederbayern, Schwaben und Oberpfalz Pfr. Hans Gollwitzer (Mühldorf). In dieser Funktion sollten beide die Befugnisse eines Landesbischofs für die ev.-luth. Kirche rechts des Rheins ausüben« (Meier, Kirchenkampf I, 465). Über die Einbeziehung Bischof Dietrichs in den LKA bzw. LKR, wie der LKA in Hessen genannt wurde. Zu Schulz vgl. Tgb. 8. März 1935.

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halb 6 Uhr Der Rechnungsausschuß tagt immer noch. Sommer kam lachend heraus. Man hat festgestellt, daß zuviel Strom verbraucht würde! Und hat moniert, daß 35 Stühle neu geflochten worden seien – in einem Jahr. Sommer schüttelte sich vor Lachen. Selbst Frl. S. sagte, »Sollen lieber die Reisekosten einschränken.« Obpfr. Fromm hat in einem schrecklich heuchlerischen Brief die K.vertreter in Kaltenwesth. aufgefordert, zurückzutreten – auf Grund des zur Verewigung des D.C.-Regimentes geschaffenen neuen Gesetzes über die Kirchenvertretertagungen, weil es, seit der Kirchenausschuß eingesetzt sei, keine rel. Gegensätze mehr gäbe!522 Die kl. Braut [Herrmann] des Hilfspfr. Pflänzel (D.Chr.) in Kaltenwestheim hat erzählt, ihr Bräutigam hätte es sehr schwer. Es kämen manchmal bloß 6 Menschen in die Kirche. Müller hätte eben einen kolossalen Einfluß in der Gemeinde gehabt – aber eine religiöse Überzeugung steckte »natürlich« nicht hinter dem Widerstand. – Sie wollten im Februar nach Kaltenwestheim heiraten – daran würde sich nichts ändern. – Die Möglichkt., daß Müller wieder zurück käme wies sie weit von sich.523 D. 8.11. [8. November 1935] Gest. Abend Bibelstunde. O. sprach wundervoll über das Abendmahl. Sein jetzg. Geschäftsführer, Kand. Schüler, ein sehr netter Kerl, hatte Geburtstag. Ohne Verabredung wanderte ein ganzer Kreis mit bis zur »süßen Ecke«. Dort wurde beschlossen, den Geb.tag bei O.s noch zu feiern. Schüler hatte Reichardt [T.] (den früh. Geschäftsführer) besucht, der gerade von einer Reise nach Hessen zurückgekommen war. Er sei ganz kaputt u. erschlagen gewesen von dem Umfall Zoellners. Der Eindruck ist immer wieder fürchterlich. Ich weiß nicht, ob ich es wage, es weiter zu erzählen. Es ist so haarsträubend – er wollte diesen Bischof auch noch zum Vorsitzenden machen! Ja – was hat der ganze K.Ausschuß dann noch für einen Zweck! Damit wäre natürlich die ganze Kerrl’sche Aktion erledigt. Das große Vertrauen ist nun sowieso hin. Es ist kein Trost, daß wie Reichardt [T.] erzählte, die Haltung der hess. Bekenntnispfr. Kerrl imponiert hat.524 Zoellner ist doch wohl zu alt. Was mag Bauer [G.] aus Berlin mitbringen? O. erzählte noch Verschiedenes. 522

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Ein entsprechendes Gesetz konnte nicht nachgewiesen werden; möglicherweise ist das »Gesetz vom 25. September 1935 über die Kirchgemeindekörperschaften«, ThKbL/A 1935, 84–85, gemeint. Es sicherte dem LKR weitreichende Einwirkungsmöglichkeiten auf solche Körperschaften; bei Unstimmigkeiten konnte er sie z.B. auflösen. Möglicherweise wird auf § 3 angespielt, in dem bestimmt wird: »Wer das Benennungsrecht für einen Wahlvorschlag hat, ist aus der Kirchenvertretung zu entlassen, wenn er nicht oder nicht mehr die kirchliche Anschauung vertritt, für deren Vertretung der Wahlvorschlag aufgestellt war.« Zu Pflänzel vgl. Tgb. 17. Juli, 21. und 24. Oktober 1935. Zum Fall des Pfarrers W. Müller vgl. Biogramme und Tagebucheintragungen ab 8.Juni 1935, zuletzt 25. Oktober und 1. November 1935. »Nach persönlicher Intervention Kerrls und Zoellners und nach erneuten Beratungen mit allen Beteiligten kam es zu folgender Lösung. Es sollte ein neuer Landeskirchenrat, bestehend aus je drei Vertretern der BK, der DC und der kirchlichen Mitte gebildet werden. Die Befugnisse Dietrichs sollten dem neuen Landeskirchenrat als Kollegialbehörde übertragen werden, Dietrich selbst dem Landeskirchenrat als gleichberechtigtes Mitglied angehören« (Meier, Kirchenkampf II, 305).

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Die Althaussche Broschüre gegen die Thür. D.Chr. liegt vor. Sie ist auf O.s Bitten hin geschrieben worden. (Den Satz, der mich so ärgerte, hat er leider nicht geändert.525) Alths. hat erst gemeint, er würde sich lächerlich machen, wenn er die Thür. einer Broschüre würdigte.526 – Schüler freute sich besonders deshalb, weil die Thür. D.Chr. sich immer auf Althaus berufen. O. erzählte noch von der Auseinandersetzg. der 6 Eisenacher Pfarrer, die nicht D.Chr. sind, mit Brauer wegen des Mißtrauensvotums, das sich nicht nur gegen O. u Brakhage, sond. auch gegen Nitzsch u. Hertzsch richtet, die den Protest gegen die Verlesg. der vertraul. Denkschrift mit unterschrieben haben. Mitzenh. u. Kühn haben sich solidarisch erklärt.527 – Brauer hätte die Tatsache, daß er auf die immer wiederholte Frage, warum ein evangelischer Pfr. seine Kirchenbehörde nicht kritisieren könne, keine rechte Antwort gewußt habe, doch offenbar so gewurmt, daß er am gleichen Nachmittag Nitzsch noch einmal aufgesucht u. noch einmal 2 Stunden lang mit ihm verhandelt hätte. Zum Schluß habe er Nitzsch gefragt, ob er, Nitzsch, Otto nicht dazu bringen könnte, sich einmal mit dem Landesbischof Sasse auszusprechen!!! Sasse sei doch ein so gutmütiger u. warmherziger Mensch! – Nitzsch hat das ausgerichtet; u. O. hat erwidert, er habe kein Interesse an einer solchen Aussprache, aber er würde natürlich kommen, wenn Sasse ihn aufforderte. Er würde auch kommen, wenn Leffler ihn sprechen wollte – das hätte er übrigens immer erklärt. Aber man möchte an ihn herantreten. – Er hat Nitzsch ermächtigt, das so auszurichten. – Es läßt ja tief blicken, daß diese Friedenstaube losgelassen wird! Die Angst vor dem K.Ausschuß muß doch ziemlich groß sein.528 Diesen Eindruck gewinnt man auch nach den Mitteilungen aus Sachsen. Coch, gen. Zoch, macht dort den sächs. Bek.pfarrern die weitgehendsten Friedensangebote. Hahn [H.], der Führer, sollte Superintendent in Dresden od. Leipzig werden u.s.w. Ja, wenn das vor 2 Jahren gewesen wäre! Aber inzwischen hat der Kampf ja in Tiefen geführt, in denen nichts mehr verdeckt oder vorgetäuscht werden kann. Dr. Kropatscheck (eine etwas unglückliche Figur, den man O. offenbar als nicht restlos erwünschten Mitarbeiter aus Altenbg. zugeschickt hat u. der vom Notbd. [PNB] besoldet wird), Dr. Kropatsch. also verlas einen Zeitungsausschnitt aus den »Dresdener Neuesten …«, wonach Coch u. Leffler zusammen bei einer Kundgebung gesprochen haben. Also hat hier die Notlage der D.Chr. doch die Kluft überbrückt. Die Themen waren nach den Schlagworten der »Thüringer« geformt. Schüler erzählte, man habe dem Kirchendiener in Kaltenwestheim 3 Tage vor seinem 25-jährigen Jubiläum gekündigt, weil er an einer Andacht der Bekenntnisleute teilgenommen habe. Hilfspred. Wolf-Metzels erzählte Ähnliches aus Metzels. Dort gehöre der Schwiegervater des Kirchendieners zur Bek.kirche (so ähnlich) u. da habe man dem Kirchendiener gesagt, seine Familie sei unzuverlässig, u. ihn deshalb entlassen. 525 526 527 528

Zu diesem kritischen Einwand hatte die Tagebuchschreiberin bisher nichts notiert. Vgl. Tgb. 28. Oktober 1935. Vgl. Tgb. 20. September 1935. Die Kirchenausschusspolitik Kerrls drohte die Nationalkirchler in Thüringen in ihren kirchenpolitischen Ambitionen und Möglichkeiten stark zu beschneiden und wurde deshalb von ihnen scharf bekämpft; vgl. Meier, Kirchenkampf II, 344.

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(O. machte Wolf Vorwürfe, daß er ihm das noch nicht mitgeteilt hätte). – Demgegenüber steht der Fall »Wieland« in Eisenach.529 Dieser Mann wird nicht entlassen, weil ihn der Kreisleiter Köhler zu halten wünscht. Wieland hat ganz offen erzählt, daß er eine Art Spitzel sei (»geh. Polizei der S.A.«). Es ist ja wirklich gipfelhaft, was sich der Mann geleistet hat. Zu dem, was ich schon aufschrieb, kommt noch, daß auch sämtliche Kinder von Pfr. Kühn unehelich sein sollten (der Standesbeamte hat die Jahreszahl verschrieben, wie bei dem ältest. Kind von Mitzenheim!), daß er über die »Bonzenwirtschaft« auf dem Pflugensberg geschimpft hat (Herrichtg. der Wohng. für Sasse; Leutheuser u. Gen. bewilligten sich selbst alles, was sie wollten »u. unsereiner kriegt nichts!«), kann ja bei uns nur Heiterkeit u. Zustimmg. auslösen – aber daß sich die D.Chr. das gefallen lassen, das steigt doch auf Bäume. Das Schönste ist, daß Stier der Pfarrerschaft erklärt hat, er würde die Vertrauensfrage stellen, wenn Wieland nicht entlassen würde (das war, ehe der Kreisleiter sein Machtwort sprach). Nitzsch ist in dieser Angelegenheit beim Kreisleiter gewesen, (der seit dem Tage der Verlesg. der vertraul. Denkschrift530 auch der Kirchenvertretung angehört), der Kreisleiter [Köhler] sei wie ein brüllender Löwe herum gelaufen u. habe mit geballten Fäusten immer wieder versichert, solange die Kirche noch »ungehorsame Pfarrer« in ihren Reihen dulde, solange könnte Wieland nicht entlassen werden. Wolf erzählte, der Krs.leiter von Meiningen, ein ausgemachter Heide, erzähle jedem, der es hören wolle, er sei »auch fromm …« Der Landrat habe erklärt, er auch u. er gehöre »eigentlich« zur Bekenntnisfront! Er sei dann aber restlos entsetzt gewesen, als er etwas von »Bruderräten« bei der Bek.front gehört habe u. habe geäußert, »Bruderräte« seien doch eine »Logensache« … Eine von uns sagte etwas von »Verlogenheit«, worauf O. erklärte, daß die D.Chr. in Glaubensdingen mal so u. mal so reden könnten, käme daher, daß ihre Bindung woanders läge als bei ernsten Christen. Sie seien innerlich eben nicht im Christentum, sondern in der Partei verankert. Daher hätten sie mehr Spielraum in Glaubensfragen, wo ernste Christen unerschütterlich u. klar sein müßten. Sodaß man in diesem Punkte bei ihnen nicht von »Verlogenheit« reden könne. Daß sie in ihrem ganzen Kampf dauernd mit Lügen vorgehen, ist wieder etwas Anderes. Zur Sache Wieland fällt mir noch ein: Brauer, als Listenführer der D.Chr. in der K.vertretung, hatte ein förmliches Verhör mit den anderen Angestellten der Kirchgemeinde eröffnet, da sie Wielands Klatschereien bestätigen sollten. Die 1. Frage war: »Wie stehen Sie politisch u. kirchenpolitisch?« Sehr bezeichnend! Recht u. Unrecht sind relativ geworden. Nacheinander haben dann Breithaupt u. die 3 Gemeindehelferinnen (eine nicht organisiert) sich als zur Bekenntniskirche gehörig bekannt.

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Otto Wieland war Stadtkirchner in Eisenach, DC und Parteigenosse. Der Fall ist nur bedingt rekonstruierbar, dazu müssten die Akten der Kirchengemeinde Eisenach eingesehen werden. Aus einem Schreiben von Pfarrer Nitzsch an Oberpfarrer Stier (Eisenach) vom 9. Januar 1936, LKAE, LBG 241, 39/40, geht aber hervor, dass es sich um eine ganz persönliche Verfehlung Wielands handelt, nämlich um Verleumdung, nicht um eine kirchenpolitische Auseinandersetzung. Tgb. 13., 17., 24. September 1935.

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Nachm. ½6 Uhr. Vor einer halben Stunde flüsterten mir W. u. B. auf der Treppe zu: »Der Stahlhelm ist aufgelöst!«531 Das ist ein schöner Schlag für alle diese Männer. Durch die dünne Rabitzwand in m. Zimmer höre ich die aufgeregte Unterhaltung nebenan. Oberkirchenrat Reuter-Greiz soll gegen die geplanten »Aufbau-Wochen«532 protestiert u. mitgeteilthaben, daß er sich bei Kerrl beschwert habe.533 (Dasselbe wird Otto tun). Das Schreiben ist eben in die Sitzg. gebracht worden. Im V.D. soll die Nervosität groß sein – wurde mir als Stimmungsbild mitgeteilt. D. 9. Nov. [9. November 1935] Gestern früh hat eine L.K.R.-Sitzg. angefangen, die nachmittags halb 4 wieder weiter gegangen ist u. ½7 Uhr noch dauerte. Es soll hoch hergegangen sein, vor allem wegen der Disziplinarfälle Dobenecker, Metz u. Schnittger. Volk u. Franz hätten sich furchtbar an die Köpfe gekriegt. Volk hat u.a. gesagt: »Meine Herren, ich begreife Sie nicht! Ich bin von Anfang an gegen diese Disziplinierungen gewesen –, aber ich habe mich Ihren Beschlüssen gefügt. Nun sehen Sie ja, wie weit wir damit gekommen sind (dem Sinne nach!) … Wir wissen doch garnicht, was noch werden wird. Wir können in jedem Augenblick eine neue Kirchenregierung haben – und dann sitzen wir da mit unseren Disziplinierungen!« Franz ist sehr heftig geworden u. hat gesagt, er ginge eben von einem andern Standpunkt aus als Volk. Das Ende vom Liede ist gewesen, daß man nach Berlin berichtet hat, die weitere Einziehung der Geldstrafen wäre eingestellt. Die Akten in den Fällen Dobenecker, Metz u. Schnittger würden übersandt, sowie der Ankläger sie zurückgeschickt hätte. Mein Gewährsmann hatte den Eindruck, daß diese Fälle weiter verfolgt werden sollen. Franz hat immer wieder behauptet, man könnte nicht darauf verzichten. Es ist aufgefallen, daß Sasse nicht mitgeredet hat, der ja sonst offenbar immer Wert darauf legt, sich sehr gewichtig hören zu lassen.534

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Der Stahlhelm – Bund der Frontsoldaten – wurde 1935 aufgelöst; vgl. Enzyklopädie des Nationalsozialismus, 745. Vgl. Tgb. 2. und 7. November 1935. Schreiben des Oberpfarramts Greiz an den LKR der TheK vom 7. November 1935, LKAE, A 792, nicht foliiert. »Der Beschluß vom 30. Oktober d.J. (Sitzungsprotokoll Ziff. 1) wird nochmals zur Besprechung gebracht. Kirchenrat Dr. Volk trägt den an den Reichskirchenausschuß abgegangenen Bericht vom 1.11. sowie den zur Absendung fertigen Bericht vom 6.11. mit der Übersicht der Disziplinarfälle und schließlich das Schreiben vor, mit dem die Akten Dobenecker, Metz und Schnittger an den Reichskirchenausschuß übersandt werden sollen. Ferner wird vorgetragen das Schreiben des Reichskirchenausschusses vom 4.11. (Rk. 183) und die entworfene Antwort darauf. – Kirchenrat Franz macht geltend, daß er gegen die in seiner Abwesenheit am 30.10.35 getroffene Entscheidung sei. Er kommt auf seinen Vorschlag zurück, die drei noch schwebenden Verfahren Dobenecker, Metz und Schnittger mit Verweis und Geldstrafe zu erledigen wie die anderen Fälle, um sich damit möglichst gegen weitergehende Forderungen von Berlin zu schützen. Nach eingehender Beratung wird gegen die Stimme von Franz beschlossen, im Sinne des Beschlusses vom 30.10.1935 vorzugehen. Die 4 Schreiben an den Reichskirchenausschuß werden gebilligt« (Protokoll der Sitzung des LKR vom 8. November 1935, LKAE, A 122, 65). Zum Fall Schnittger vgl. Tgb. 11. Oktober 1935.

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Dann ist verhandelt worden über die Einstellung eines früheren Bürgermstr. Schultz aus Ilmenau u. eines Herrn aus Weimar, offenbar früh. Marineoffizier. Schultz hat, pochend auf das frühere Bürgermeisteramt, derartige Forderungen gestellt, daß man schließlich doch auf ihn verzichtet hat u. zwar mit Rücksicht darauf, daß sonst die früher Eingestellten sich berechtigt fühlen könnten, mit Nachforderungen zu kommen. Er habe persönl. bei s. Hiersein auf m. Gewährsmann einen sehr unangenehmen Eindruck gemacht.535 Reg.rat Ha. hat den Satz von sich gegeben: »Nun sagen Sie mal selber, was soll denn nur werden! Es weiß doch keiner, ob wir nicht in 2 Jahren eine neue Kirchenregierung haben! Was dann???« In d. letzt. Nr. der »Briefe an D.Chr.« las ich die Ankündigg. einer Broschüre von Fascher über die »D.Chr. Thür. Richtg.«536 Das ist hübsch, daß die von Althaus gerade jetzt auch herausgekommen ist. Fascher soll an Königs Broschüre537 Kritik geübt haben. 11½ Uhr. Eben wurde ich durch einen Wink von dem Mann, der mit der Berliner Quelle befreundet ist, die Treppe hinunter in den Keller in die stockdunkle »Gasschleuse« gelockt. Dort flüsterte er mir zu, Brauer hätte mit ihm verhandelt. Der V.Dienst brauchte noch Platz für 5 Personen! Volk hätte jetzt eine ganz verrückte Idee gehabt: Das Gärtnerhaus sollte geräumt werden, der V.D. da hinein getan, für Sommer eine Wohng. im jetz. V.D. geschaffen u. für Rienecker u. Schilling neue Wohnungen gesucht werden! Mein Freund hat dagegen vorgeschlagen, den V.D. ins Predigersem. zu versetzen; da sei doch das ganze Jahr über niemand drin. Nein, das ginge nicht, der Betrieb dort ginge doch wieder los. Eben, 12 Uhr, pfeifen die Sirenen der Fabrikgebäude lange u. anhaltend. Viell. wegen der Feier in München538? ( )b erzählte mir eben, er sei diese Woche auf Dienstreise gewesen u. da hätte ihm ein Beamter des Kreisamtes erzählt, am vorigen Sonntag seien wieder alle Gottesdienste der Bekenntnispfarrer polizeilich überwacht worden. Kurz vor Dienstschluß sei die Mitteilung vom Ministerium gekommen, es sei wieder eine Kanzelabkündigung der Bekenntniskirche geplant; es handele sich um Gesangbuchslieder! Er habe sich noch ans Telephon hängen u. mit 35 Gemeinden telephonieren müssen. ( )b sagte, er habe lachend gefragt, ob denn auch Kirchenlieder staatsgefährlich seien?

535 536 537 538

b b

Der LKR bedauert, für Schultz derzeit keine geeignete Verwendung zu sehen; vgl. Protokoll derSitzung des LKR vom 8. November 1935, LKAE, A 122, 64. Fascher, »Volksgemeinschaft und Christusglaube«. Die theolog. Grundlinien der Kirchenbewegung »Deutsche Christen«, Weimar 1935 o. 1936, angekündigt in: BrDC 4 (1935), 276. Vgl. Tgb. 13. September 1935. Am 9. November feierten die Nationalsozialisten die Wiederkehr des Hitlerputsches von 1923 und gedachten der 16 sog. »Märtyrer«. Der »Tag der Bewegung« war ein offizieller Feiertag; vgl. Reichelt, Das braune Evangelium, 23. 85. Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz, vgl. Übersicht Strichzeichnungen. Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz.

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Ich antwortete, daß ich das Ganze für Unsinn hielte, eine thüringische Angelegenheit, wahrscheinlich auf ein Gerücht hin. Ich brachte es in Zusammenhang mit Zeitungsnotizen, die ich heute bekam. Danach hat der »Reichswart« mitgeteilt, es sei eine Anweisung ergangen, wonach Kirchenlieder nicht mehr im schulischen Gesangsunterricht geübt werden dürften. Die Presse meldet heute, daß keine solche Anweisung bestünde. Tut man hier einen Blick hinter die Kulissen? Wunschträume überall, die nicht in Erfüllung gegangen sind? – Aber offenbar ist man in Thüringen verzweifelt bemüht, uns noch irgendetwas anzuhängen. 1 Uhr. Mein Laden geht gut heute. Eben brachte mir einer ( )g die wichtigste Neuigkeit dieses Tages. Am Dienstag würde in der Nordgemeinde Eisenach der D.Chr. Thieme einen Vortrag halten über das Thema: »Das Judenchristentum der Bekenntnisgemeinschaft.« Der Betreff. will mir die Einladg. am Montag mitbringen. Er erzählt, daß Thieme gelegentlich folgenden Ausspruch getan hätte: »Die Frontsoldaten haben versagt, sonst hätten wir den Krieg nicht verlieren können!!!« Thieme selber hat den Krieg nicht mitgemacht! Weiter hat Thieme gesagt: »Gegen die Glaubensbewegg. dürfen wir nicht kämpfen, sonst kriegen wir von oben (Ministerium) was auf den Deckel.« Das sei in einem Gemeindeabend der D.Chr. in der »Eiche« gewesen, Reg.rat Dr. Dr. Reichardt [E.] u. Helmrich seien auch dabei gewesen. (Das war der Abend an dem Thieme sagte, die Gl.bew. steht uns näher als die Bek.bew.539). Von dem »Gemeindeleiter« Eckardt sei die Frau u. das Kind gegen die D.Chr. Heute habe ich wirklich was geleistet für die Bek.k. Eben wurde ich wieder um Einladungen zum Dienstag gebeten. Ich habe ( )e u. ( )b auch welche gegeben. Außerdem an den 2. noch die Broschüre von Althaus540. Und dann brachte ich ihm noch eine Notiz im neuesten »Ev. Dtschld.«, wonach für Preußen verfügt worden ist, daß die aus kirchenpolit. Gründen entlassenen Hilfspfr. pp. grundsätzl. wieder anzustellen oder in ihrem Pfarramt zu bestätigen sind pp.541 So muß es in Kaltenwestheim542 auch werden. Im Haus habe ich diese Sache schon etwa 6 Leuten gesagt. Die Kirchenräte wissen wohl noch nichts. Das Blatt ist jetzt auf d. Weg zum V.D. 11.11. [11. November 1935] Gestern, Sonntag, war ein sehr aufgeregter Tag. Morgens in der Georgenkirche eine Predigt von O. über einen vorgeschriebenen Text aus dem Römerbrief. Die Kirche sehr voll. O. sprach wundervoll über die Sieghaftigkeit des Jenseitsglaubens. Es war eine g 539 e b 540 541 542

Strichzeichnung Mütze/Hut mit Hakenkreuz, steht wahrscheinlich für Gerhard Phieler, vgl Übersicht Strichzeichnungen. Tgb. 4. Oktober 1935. Strichzeichnung Hakenkreuz, Person nicht identifiziert, vgl. Übersicht Strichzeichnungen. Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz, vgl. ebenda. Vgl. Tgb. 28. Oktober 1935 und 8. November 1935. Zwei wichtige Entscheidungen. Zur Anbahnung des kirchlichen Friedens, Das Evangelische Deutschland 12 (1935), 391. Zum Fall des Pfarrers Wilhelm Müller in Kaltenwestheim vgl. Biogramme und Tagebucheintragungen ab 8.Juni 1935, zuletzt 1. und 7. November 1935.

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der besten Predigten, die er je gehalten hat. Im Laufe des Tages wurde ich von verschiedenen Leuten ganz spontan auf diese Predigt angeredet. Danach Frau O. [M.] nach Hause begleitet. Dann Zeitungen bei Lackner gelesen. Und plötzl. stieß ich auf die Nachricht von der Ernenng. eines neuen Landeskirchenrats in Hessen – mit Dietrich an der Spitze.543 Vor lauter Schrecken hatte ich nicht genau hingesehen, ging auf d. Heimweg an der Telephonzelle auf d. Karlsplatz vorüber, rief O. an u. sagte ihm, der K.Ausschuß für Hessen sei ernannt u. Dietrich sei darinnen. Er antwortete ganz ruhig: »Dann ist das also doch eine Tragödie.« Das Mittagessen war furchtbar. Der strahlende Tag war wie verschüttet. Gleich nach d. Essen holte ich mir auf d. Bahnhof die Frankf. Ztg., las sie noch einmal genau, fand Bezugnahme auf Freitagnr., rannte zu Lackner, stöberte die bereits weggeworfene Nr. noch auf u. stellte fest: Nicht K.Aussch., sond. Umbildg. des L.K.R. O. u. Frau Otto [M.] waren nach Gotha gefahren, um von Bauer [G.] zu hören, wie Berlin verlaufen war. Ich ging mit Hänn544 spazieren, telephonierte dann von d. Wartburgschleife aus nach Gotha um den Irrtum aufzuklären. Abends zu Ottos. Die Sache ist nicht ganz so schlimm, wie sie zuerst aussah – aber doch schlimm genug: Dietrich ist im neuen L.K.R., der an die Stelle des K.Aussch. tritt. Er ist allerdings kaltgestellt. Von neun Mitgl. im Ganzen sind 3 führende Bekenntnisleute, der Vorsitzende ein Neutraler, der innerl. zur Bekenntniskirche steht. Das Ringen ist sehr schwer gewesen. Der K.Aussch. hat Kerrl einmütig seinen Rücktritt erklärt. Darauf hat Kerrl eingelenkt, hat sogar versprochen, künftig nicht mehr selbst die Ausschüsse zu ernennen, sond. nur noch zu bestätigen. Das ist freilich viel – wenn man nur darauf trauen könnte. Es heißt ja auch immer, der Staat mische sich nicht ein u. nun ist es doch wohl der hess. Reichsstatthalter gewesen, der Dietrich durchgesetzt hat.545 Dienstg., d. 12.11.35. [12. November 1935] Am Freitg. wird der Reichsbruderrat seine Verhandlg. fortsetzen, um zu einer klaren Stellungnahme gegenüber dem K.Ausschuß zu gelangen. O. wird wohl selbst hinfahren. Bis jetzt ist diese Haltung wirklich nicht klar. Einesteils sagen die Radikalen: »nicht mitmachen«, andererseits haben sie in Westfalen die Berufung von Koch-Oeynhausen in den K.A. durchsetzen wollen. An dieser Forderung ist die Bildung eines K.A. in Westf. vorläufig gescheitert. Ohne Weiteres zu wissen, hatte ich am Vormittag Frau O. [M.] gegenüber von meinem Eindruck gesprochen, daß offenbar Provokateure am Werk seien. Darauf wies ja kürzlich ein Artikel der »Times«, der die verschärfte Pressezensur über die Blätter der Bekenntniskirche (von Goebbels verhängt) kritisierte, hin. Ich rechne dahin auch die kürzl. vom thür. Ministerium wieder verfügte Überwachg. der bekenntniskirchlichen Gottesdienste am 3.11. (Nur in einem Kreis oder in mehreren?). O. sagte mir nun, Marahrens spräche in sr. letzt. Zuschrift davon, daß scheinbar provoziert würde. Dahin wird folgende Maßnahme gegen den Reichsbruderrat gerechnet: Vor Kurzem, offenbar

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Vgl. Tgb. 8. November 1935. Hans Trautvetter, Sohn von Paul T., Bruder der Tagebuchschreiberin und Opernsänger. Vgl. Tgb. 8. November 1935.

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in d. letzt. Woche, kommen eines Tages 120 Geheimpolizisten, umstellen das Burckhardthaus546, in dem der R.Br.rat haust, u. »heben ihn aus«, beschlagnahmen sämtliche Akten u. nehmen sie mit.547 Man kann sich nicht denken, daß Kerrl das veranlaßt hat. Ich glaube es auch nicht. Solche Dinge sind nur geeignet, sein Werk zu stören. Ich vermute: Himmler – Goebbels. Das kann nur von einer Seite kommen, die wirklich eine Befriedung nicht will. Gestern, 11.11., bekam ich die Handzettel, mit denen für heute zu einer Versammlung der D.Chr. Nord eingeladen wird. Thema: »Das Judenchristentum der Bekenntnisgemeinschaft«. U.a .im Text: »Was geht ›hinter der Mauer‹ vor?« Gleichzeitig kaufte ich die neueste Nr. der »Briefe an …«548 in der die Leffler-Rede bei der letzt. »Reichstagung« abgedruckt ist, in der es z.B. heißt, daß die Thür. Richtung nur »Gemeinde bauen« will … sammeln wird … so still, wie der Tau in der Nacht auf deutsches Land fällt, so still, wie Gottes Sonne über der dtsch. Erde liegt, so lautlos, wie alles Leben, das aus Gott ist … so still senkt sich … diese Sache in d. Herz des deutsch. Volkes hinein … so laßt uns … Brücken schlagen von einem Bruder zum anderen …«549 Und abends hörte ich bei O., daß dieses Thema »Das Judenchristentum …« auch in der Zeitungsanzeige (Tagespost, Sonnabd. 9.11.) öffentl. bekannt gegeben worden ist. Als ich an diesem Abend zu O. kam, sagte mir schon Frl. Koeppen, daß der L.K.R. Breit-München die Kanzel verboten hätte, weil Leutheuser in Bayern Kanzelverbot hätte. In O.s Arbeitszimmer saßen er, Frau O. [M.], Frl. Helmbold u. v. Ranke. O. hat den ganzen Tag in Dtschld. herumtelephoniert um einen Ersatzredner. Einige sind krank, andere können nicht. 25 M mindestens hätte er vertelephoniert. Er wartete noch auf ein Gespräch mit Stuttgart, (K.Rat Pressel), evtl. könnte Schanze-Weimar einspringen. Von K.Rat Otto [R.] riet ich entschieden ab, die anderen hatten es auch schon getan. Heute früh hat dieser Sondergottesdienst im L.K.R. noch einmal Wellen geschlagen. Franz soll sich schrecklich aufgeregt u. versucht haben, ihn noch zu inhibieren. Er hat in aller Frühe den Labi aus dem Bett holen wollen (½9 Uhr, aber der schlief noch), u. die anderen angerufen, die auch noch nicht da waren. Er hätte gewütet: »Gerade der natürlich, von der schärfsten Opposition …« (Bayern gegen die Thür. Richtg.!). Er soll überhaupt in letzter Zeit sehr aufgeregt sein. »Niemand versteht ihn mehr«, wurde mir gesagt. (»Niemand« sind die schweigsamen Helfer). nachm. halb 5. Eben unten in der kl. Halle. Flüstern: »Kommen Sie mal mit.« Also, in … Ich machte mir zu schaffen, bis keine verdächtigen Leute mehr da waren. Dann rasch mit Blicken nach allen Seiten über den Tisch weg: »Böttger hat eben gesagt: ›Passen Sie mal auf, 546 547

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Ev. Bildungsstätte, insbesondere für weibliche Jugendarbeit, in Berlin-Dahlem. Das Haus wurde ständig von der Gestapo überwacht. »Man mußte mit der Beschlagnahme rechnen, als am 5. November 1935 eine brutale Durchsuchung des Hauses eine ganzen Tag lang die Insassen erschreckte.« Riedel, Kampf um die Jugend, 115; vgl. auch den dort abgedruckten Bericht über den Überfall. BrDC. Siegfried Leffler, Rede zur zweiten Reichstagung der Kirchenbewegung »Deutsche Christen«, BrDC 4 (1935), 261 (Zitat nach dem Abdruck in BrDC, korrigiert).

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Sie können heute Abend nicht in den Gottesdienst! – Es ist wieder Sitzung. Pfr. Kiel ist angerufen worden.‹« Von anderer Seite hörte ich, daß man in aller Eile eine Kirchenvorstandssitzung unten in d. Stadt zusammengetrommelt hat, die z.Zt. tagt u. wahrscheinlich ein Verbot des (vom Oberpfarrer erlaubten!) Sondergottesdienstes erwägt. In der Sitzg. hier oben sei der Sondergottesdienst besprochen worden mit Ausdrücken wie »Sauerei« (Leuth.) u.s.w.! Gestern war ( )b wieder etwa eine Viertelstunde bei mir u. wir besprachen die kirchenpolit. Situation – vorsichtig – da einer dem andern nicht zuviel sagen möchte. Dabei erwähnte er: »Ich begreife es nicht, daß die Disziplinarverfahren weiter gehen sollen.« Das geht auf die Fälle Dobenecker, Metz, Schnittger, Bauer-Lehesten, die dem K.A. »zur Prüfung« vorgelegt worden sind. Franz war dagegen gewesen, hatte vorgeschlagen, alles mit Verweis u. Geldstrafe zu erledigen (»um sich gegen weitergehende Forderungen des K.A. zu schützen« oder so.) Volk hat offenbar überhpt. jeder Disziplinierg. in diesen Fällen widersprochen mit Hinweis auf die Haltung des K.A.550 – Ich las heute flüchtig die 2 letzt. Protokolle. Bauer [G.]-Gotha hat aus den letzten Sitzungen in Berlin eine Äußerung mitgeteilt, wonach man auch dort davon überzeugt ist, daß die endgültige Regelung in Thüringen die schwierigste sein wird. – Je mehr ich mirs überlege, umso weniger sehe ich eine Möglichkeit, weder für die D.Chr noch für Ernst Otto, zu einer Zusammenarbeit zu kommen. Vielleicht bleibt nichts übrig als finanzielle Maßnahmen – Streichung der Mittel für den V.D. und Arbeitsmöglichkeit für die Bek.k. Denn Kerrl wird sich kaum entschließen, den ganzen L.K.R. einfach abzusetzen. Und wir sind ja leider an Zahl so gering in Thür. daß wir nicht hoffen können, in dem Maße durchzudringen wie die Hessen.551 Es ist auch nicht genug »passiert«. Heute früh die Nachricht, daß Hanne O. plötzlich gestorben ist. Es ist sehr seltsam u. traurig u. bedrückt mich sehr. ½6. Eben kam einer in mein Zimmer gestürzt mit d. Nachricht, K.Rat Pressel aus Stuttgart spräche heute Abend hier; es stünde in der »Tagespost«. Ich stürzte in die Zentrale, um mich zu überzeugen. Es stimmte. Auf dem Rückweg traf ich Therese auf dem Flur vor der Geschäftsstelle. Sie erzählte mir die empörten Äußerungen von Reichardt [E.] über das Ansinnen, Breit hier sprechen zu lassen. Wie wir noch tuschelten kam ( )g aus d. Geschäftsstelle u. flüsterte: »Der Gottesdienst heute Abend ist verboten.« Obs stimmt oder ob er es mit dem Verbot gegen Breit verquickt hat? – Später kam er noch mal in mein Zimmer u.legte mir die Druckschrift von Althaus gegen die Thür. D.Chr.552 vor, die mit einer Bemerkung von Volk versehen u. offenbar aus den Eingängen genommen b 550 551 g 552

Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz, vgl. Übersicht Strichzeichnungen. Vgl. Tgb. 9. November 1935. Zum Einspruch der hessischen Bekenntnispfarrer vgl. Tgb. 7. November 1935 u.öfter. Strichzeichnung Mütze/Hut mit Hakenkreuz, steht wahrscheinlich für Gerhard Phieler, vgl Übersicht Strichzeichnungen. Vgl. Tgb. 8. November 1935.

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war! B. hatte sie ihm gegeben. Also so geht das zu unter den D.Chr. Das läßt tief blicken. Er nannte Namen – der u. der sei »wütend wegen des Themas von heute Abend »Das Judenchristentum«.553 (St. u. M., H. pp). Bö. soll abfällige Bemerkungen über die D.Chr. machen. Wenn solche Leute erst abtrünnig werden, dann muß es schlimm stehen um die Bewegg. Das ganze Haus ist in heimlichem Alarm wegen dieses Sondergottesdienstes. Auf allen Gängen wird geflüstert. D. 13.11.35. [13. November 1935] Der Gottesdienst hat stattgefunden: Pressel sprach sehr gut; obwohl sein Organ schwach war, verstand ich auf der entferntesten Bank in der 1. Empore alles. Die Kirche war sehr voll. Noch auf der 2. Empore waren alle 3 Reihen besetzt, ich glaube die 3. Reihe gibts eigentlich nicht, die saß auf der Heizung. Schließl. wurde noch auf der 3. Empore Licht gemacht, die 1. Reihe war ganz besetzt, auch in der 2. sah ich noch Menschen. Ich gehörte zu den Glücklichen, die eine besondere Einladung zu einem Zusammensein im kleineren Kreis nach d. Gottesd. im Hospiz hatten. Davon später. Eben wurde mir berichtet, wie von D.Chr. soeben unten in d. Geschäftsstelle die Ereignisse des gestrigen Abends geschildert wurden. »Es war sehr voll. Pressel hat gut gesprochen, bloß zu lang. Otto hat nur mitgeteilt, daß Breit nicht hätte kommen können. – Bei den D.Chr. waren 25 Menschen, davon 2 Damen von der Bekenntniskirche!554 Müller [H.] hat weiter erzählt: »Na, neulich habe ich doch mit der Frau Begas einen Tanz gehabt! Wissen Sie, was die gesagt hat? Die Thür. Bekenntnisgemeinschaft wäre noch viel zu anständig gewesen!« Ich bin neugierig, ob ich in der Geschäftsstelle heute eine Antwort kriege, wenn ich »Heil Hitler« sage! Ich habe zu Müller [H.] Sonnabd. gesagt: »Wir sind ja so zurückhaltend gewesen …« pp., glaube aber nicht, daß ich »zu anständig« gesagt habe; Müller [H.] hat mir nach diesem Gespräch noch x-mal die Hand geschüttelt u. gesagt, wir seien doch alte Freunde, wir stünden sr. Ansicht nach im Grunde auf dem gleichen Standpunkt pp. Das wiederholte er am Montag früh vor der Andacht. Gestern nach Dienstschluß lief er hinter mir her, um ein freundschaftl. Gespräch anzufangen, als ob wir uns nie gestritten hätten. 11¼. Als ich soweit war, wurde ich in den weißen Saal zitiert. Natürlich hatte ich wieder Herzklopfen – wieder umsonst. Gott sei Dank! Dann zu ( )b Ich erzählte ihm von der Regelg. in Hessen 555 u. sonst noch Einiges, was auch beteiligte D.Chr. wissen, was ihm aber neu war. Es wurde mir wieder einmal klar, daß die D.Chr. ihre eigenen Anhänger im Unklaren lassen. Z.B. war auch er so eingestellt, daß das Verbot des L.K.R. sich ledigl. gegen Breit gerichtet hätte.556 Daß 553 554 b 555 556

Vgl. Tgb. 9. November 1935. Der Sondergottesdienst in der Georgenkirche (BK) und das Referat über das Judenchristentum (DC) fanden am selben Abend statt (12. November). Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz, vgl. Übersicht Strichzeichnungen. Vgl. Tgb. 11. November 1935. Vgl. Tgb. 12. November 1935.

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versucht worden ist, den ganzen Gottesdienst zu hintertreiben, wußte er nicht. (Auch in d. Geschäftsstelle ist vorhin gefragt worden: »Wo hatte Otto nur so schnell einen anderen Redner her?« Daraufhin erst hat Zenker die Sache geklärt.) In der Geschäftsstelle wurde ich übrigens von allen 3 Anwesenden mit einem ordentlichen »Heil Hitler« begrüßt, deutlicher als manchmal. D. 14.11.35. [14. November 1935] Gestern Abend »Kameradschaftsabend«557 in der Clemda558. Eine merkwürdige Fügung wollte es, daß ich in der Gesellschaft von Volks an den Tisch der Kirchenräte geriet – neben Volks Schwester u. die Frau von K.Rat Lehmann – eine sehr sympathische, sehr verblühte, zarte Frau. Gegenüber am gleichen Tisch die Frau vom Labi – unbedeutend, unsympathisch. Eine Sache für sich waren die Frauen der Männer des Volksdienstes. Diese Frauen brauchte man eigentlich nur anzusehen, um von den Männern genug zu haben. Als ich heute Mittag vom Dienst fortging, kam in der kl. Halle Andres auf mich zu: »Wissen Sie schon das Neueste?« Und führte mich in die Zentrale, wo die »Staatszeitg.« lag. Auf der 1.Seite als Erstes Inhalt einer Rede, die Kerrl gestern Abend vor der theol. Fakultät der Berliner Univers. gehalten hat. Darin den gesperrt gedruckten Satz: »Das Führerprinzip gilt nicht für die Kirche.«559 – Darum haben wir jetzt 2½ Jahr gerungen! Das ist ein Wendepunkt. – Erfüllt von dieser Hoffnung kam ich nach Hause. Da empfing mich Mutter: »Geh nur gleich mal runter zu Regierungsrats. Die Aufwartefrau hat da erzählt, Kerrl wollte heute Abend im Rundfunk über die Kirche sprechen. Aufklärung wäre nötig. Der Regierungsrat ist maßlos aufgeregt u. hat erklärt, er träte aus der Kirche aus. Er hat sogar geweint. Seine Frau war oben.« Ich ging also erst eine Treppe tiefer, um den alten Herrn zu beruhigen. Als ich nachm. wieder zum Dienst kam, waren in der Zentrale Frl. Sommer, Zimmermann u. Rienäcker um die Staatszeitg. versammelt. »Gut gebrüllt, Löwe«, sagte Frl. Sommer. Ich nahm einen Rotstift u. strich den wichtigen Satz rot an. »Ja, aber Führerprinzip muß überall sein«, sagte Zimmermann. »Aber der Führer ist Christus,« sagte ich. Nachher ist, wie ich eben erfuhr, der Labi in der Zentrale gewesen, u. Frl. Sommer hat ihn auf den Artikel aufmerksam gemacht. Frl. Sommer behauptete, er hätte sehr große Augen gemacht. Das hat Frl. Linde Dr. Volk erzählt u. der hat geantwortet: »Die Herren werden noch viel größere Augen machen.« Was geht in Volk vor? 557

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Im deutschchristlichen Jargon verstanden sich die deutschchristlichen Mitglieder des Landeskirchenrates, aber selbstverständlich auch alle DC-Pfarrer als »Kameraden« und redeten sich auch mit »Kamerad xy« an. Restaurant der Eisenacher Aktienbrauerei. Rede Kerrls (auf Einladung der theologischen Fachschaft) vor Studenten der Berliner Universität, über den es in einem Bericht des Völkischen Beobachters vom 14. November 1935 u.a. heißt: »Abschließend ging der Minister auf die Entstehung und die Arbeitsweise der Kirchenausschüsse ein. Sie haben sich zusammengefunden in dem Willen, den Gemeinden ein Vorbild in der tätigen Liebe und im wahren christlichen Handeln zu sein. Das Führerprinzip ist nicht für die Kirche (Beifall), es ist ein politische Prinzip. Die Kirche aber soll sich mit Geist und Liebe durchdringen« (JK 3 [1935], 1123).

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Niemand weiß etwas von Kerrls Rundfunkrede heute Abend. Obs stimmt? Übrigens wurde ich verschiedentlich gefragt, aus welcher Gemeinde die Bauern gewesen seien, deren Ankunft im Gotteshaus – es war kurz vor Beginn der Feier am Dienstg. Abend – offenbar ziemliches Aufsehen gemacht hat. Sie kamen – 50 Mann – geschlossen an u. wanderten über die 1. Empore, ehe sie auf der 2. in der 3. Reihe Platz fanden. »Das muß Kaltenwestheim gewesen sein oder Mihla560«, sagte Frl. Ganzert. Es war »Metzels«561. (Aber mich freuts, daß Mihla einen so guten Ruf hat.) Otto hat den Metzelern, als sie nach dem Gottesdienst wieder in ihrem großen Autobus Platz genommen hatten, im Auto selbst noch einen Bericht gegeben über die Lage, besonders die ihrer eigenen Gemeinde u. freute sich, daß es möglich gewesen war. Das bedeutungsvolle Wort, das Kerrl am gestrigen Abend gesprochen hat – übrigens auf den Tag 2 Jahre nach der berühmten Sportpalastversammlung des berühmten Krause562 – könnte wichtig werden für die nächste Sitzung des Reichsbruderrates. Vielleicht gelingt es doch, Niemöller u. seine Leute mitzureißen. Pressel ließ neulich in dieser Beziehung fast keine Hoffnung. 8 Uhr früh, 16.11.35. [16. November 1935] Gestern nachm. kam ich in d. große Halle, als fast sämtliche Kirchenräte samt Sasse hindurchliefen auf d. Weg zum Volksd. Bald danach wurde ich gefragt, was wohl los wäre? Es sei eine stürmische Sitzg. im roten Zimmer. Volk u. Stüber hätten sich angebrüllt. Ein Satz von Leuth. ist herausgedrungen: »Wir führen die Sache doch durch!« Ich vermutete, daß der K.Ausschuß die »Aufbauwochen«, die jetzt in »Ev. Gemeindeabende der Thür. ev. Kirche« umgetauft sind, verboten hat!563 In Altenburg soll Daum ein wüstes Flugblatt verbreitet haben564, in dem gegen die Bekenntnisfront gehetzt wird. (gest. nachm. auf d. Weg zum Dienst erfahren). Als ich vorhin, kurz nach halb 8, die Treppe herauf kam, flüsterte mir einer auf d. Absatz in d. erste Etage zu, die Aufbauwochen sollten verboten sein. Hat Otto das in Berlin selbst zu Wege gebracht? Pressel hatte O. den Rat gegeben, in dem Quartier abzusteigen, in dem die Leute vom K.Aussch. wohnten, u. sie morgens beim Kaffee zu überfallen. An solchen Ratschlägen erkennt man den Praktiker! Frau O. [M.] erzählte aus Kaltenwesth.: Dort bemühte man sich, die Kirche am Bußtag u. Totensonntag für die Bek.gemeinschaft zu bekommen. Franz mache immer neue Ausflüchte u. suche scheinbar die Sache hinzuziehen bis es zu spät sei, indem er auf alle möglichen Formfehler, nicht genaue Einhaltung des Instanzenweges u.s.w. hinwiese. Der Bauer Stopfel habe ihm postwendend einen ganz prachtvollen Brief geschrieben: Sie seien einfache Bauern, verließen sich auf ihr natürl. Rechtsgefühl u. hätten keinen Sinn für Tüfteleien. In Berlin, im Ministerium Kerrl hätte man ihnen gesagt, 560 561

562 563 564

Zu den Kirchenkampfereignissen in Kaltenwestheim und Mihla vgl. vorhergehende Tagebucheintragungen 1934/35. D.h. sie waren aus der Kirchengemeinde Metzels und im Kirchenkampf bereits erprobt, weil sie sich für ihren Pfarrer Wolf eingesetzt hatten, der vom LKR in Eisenach aus seinem Amt entlassen worden war; vgl. Tgb. 8. Oktober 1935 und weitere Eintragungen sowie Biogramme. Vgl. Tgb. 18. November 1933. Zu den Aufbauwochen vgl. Tgb. 2., 7. und 8. November 1935. Schreiben der Kirchenbewegung Deutsche Christen – Kreisgemeinde Altenburg [an die Mitglieder; Abschrift; nicht datiert], LkAE, LBG 260, 229.

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sie hätten das Recht auf die Kirche u. daran hielten sie sich. Wenn bis zum 15.11. keine Entscheidung vom L.K.R. eingegangen sei, nähmen sie an, daß der L.K.R. die Kirche ihnen verweigere. Eben Nachricht von jemand, der mit Volk über die Mißstimmg. der Beamten u. Angestellten gesprochen hat, die erleben müssen, daß Forderungen, um die sie seit Jahren kämpfen, den neu eingestellten Leuten im V.D. glatt bewilligt werden (Osswald). Dabei ist auch erwähnt worden, daß Bauer sich für Teilnahme am »Judenaussch.«565 4,50 M Halbtagsgelder hat auszahlen lassen. »Aber das muß mir doch gesagt werden!«, entrüstet sich Volk. Während männiglich davon überzeugt ist, daß er nichts vertreten wird, was ihn bei den D.Chr. unbliebt machen könnte. Gestern las ich übrig. in der neusten Nr. vom »Neulandblatt« in einem Aufsatz von Guida Diehl, daß die Engländer beim Zustandekommen des Flottenabkommens566 zur Bedingung gemacht hätten, daß das Christentum in Deutschld. nicht mehr verfolgt werden dürfe! Da erscheint mir ein Fall etwas glaubhafter, von dem ich vorgestern hörte ( )a: Während eines Schulungslehrganges der Partei hätten sich 2 junge Pfarrer Aufzeichnungen über kirchenfeindl. Äußerungen der Schulungsleiter gemacht, die dann dem Führer vorgelegt worden seien. Der habe die Schulungsleiter kommen lassen u. furchtbar angeschnauzt:«Was fällt Euch ein? Was wird überhaupt hier gespielt?…« Die Quelle für diese Nachricht war Männel. Von »Mein Kampf« ist ja eigentlich nie mehr die Rede. Ganz allgemein ist doch die Meinung verbreitet, daß der »Mythus« die weltanschaul. Grundlage der Partei bilde. Göring hat ihn zwar neulich wieder einmal ausdrücklich als »Privatarbeit« bezeichnet. Aber das wird er noch sehr oft sagen müssen, wenn es einer begreifen soll.567 – Es sieht wirkl. fast so aus, als seien die stärksten Kräfte innerhalb der Partei bereits weit über Hitler hinaus. Ob ihn der Kult, der mit seiner Person getrieben wird, darüber täuschen soll? 10 Uhr. Eben ging ich durchs Haus. Auf d. Treppenabsatz im 2.Stock standen 2 von meinen Freunden. Ich fragte rasch:«Wissen sie etwas davon, daß die Aufbauwochen verboten sein sollen?« Das wussten sie nicht, aber: »Thieme u. Ludwig sollen nach Weimar ins Ministerium bestellt worden sein. Gestern nachmittag sind hier 2 Vorträge von Lehmann u. Kiel, zu denen durch Handzettel eingeladen worden war, von der Polizei verboten worden. Große Aufregung!« In der Zeitg. habe ich von einer abgesagten Versammlung der Gemeinde Ost gelesen. »In Mühlhausen sollen 3 Pfarrer aus den D.Chr. ausgetreten sein. Nur noch einer ist übrig.« Den 17.11. [17. November 1935] Heute früh nach der Kirche, in der Otto ganz wundervoll u. sehr tapfer sprach, begleitete ich Frau O. [M.] ein kurzes Stück. O. ist von Berlin zurück. Es sollte alles ganz

565 566 a 567

Zum sog. Judenausschuss vgl. Tgb. 28. und 29. Oktober 1935. Von der Kritik an Bauer wegen der Tagegelder wird auch in Tgb. 29. Oktober 1935 berichtet. Das Deutsch-Britische Flottenabkommen wurde am 18. Juni 1935 geschlossen und am 28. April 1939 von Hitler gekündigt; vgl. Bedürftig, Drittes Reich und Zweiter Weltkrieg, 103–104. Strichzeichnung Männerkopf, steht für Friedrich Bernewitz, vgl. Übersicht Strichzeichnungen. Vgl. Tgb. 1. November 1935.

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geheim bleiben, sie wagte nicht, mir etwas zu berichten. Ihr Mann würde mirs wohl andeuten. Es seien keine endgültigen Entscheidungen gefallen. Mit den Männern vom K.Ausschuß hat O. verhandelt, der Rat von Pressel hat sich bewährt! Man hat ihm bestätigt, daß Thüringen noch lange nicht »dran« käme; der K.Ausschuß ist überzeugt, daß Thüringen die schwerste Aufgabe sei.568 – In der Sache Kaltenwestheim würde der L.K.R. telephonisch oder telegraphisch Nachricht erhalten; die Bekenntnisleute sollten die Kirche zum Bußtag u. Totensonntag haben. Übrigens hat – wohl vor 8 Tagen – Ruff dort gesprochen, der, wie der ganze Kreis um Gogarten, der Bekenntniskirche nicht angehört – wenigstens äußerlich nicht. Ihn hat der L.K.R. predigen lassen. Der K.Ausschuß ist empört, daß der L.K.Rat die Geldstrafen trotz des Erlasses569 eingezogen hat; auch Kerrl, mit dem die Angelegenheit am Freitag besprochen worden ist, sei entrüstet. Der L.K.R. würde die Geldstrafen zurückzahlen müssen. Abends war ich kurz bei Ottos. Bauer [G.] aus Gotha u. Frau waren da; man konnte nichts besprechen.[Kringel]. Am Sonnabend erfuhr ich, daß der L.K.R. einen Brief an den Minister Kerrl geschrieben hat, in dem folgender Satz vorkommt: »Der Gehaltsabzug für November ließ sich nach unseren Hollerith-Einrichtungen nicht mehr rückgängig machen.«570 Das ist ja nun glatt gelogen; denn Rien. sagte mir, daß Ordre u. Kontreordre gegeben worden sei. Darüber haben sie sich ja auch gestritten. Wozu das, wenn sie die Freiheit der Entschließung nicht mehr gehabt hätten? Übrigens sprechen morgen, Dienstag u. Mittwoch hier in Eisenach die Pfr. Scheibe, Büchner u. Ob.pf. Le Seur [E.] im Rahmen der »Aufbauwochen« des L.K.R.571 An der Tür der Nikolaikirche klebten die Plakate. Otto sagte inmitten der Predigt: »… deshalb kann ich auch die »Aufbauwochen« der Landeskirche, zu denen jetzt eingeladen wird, nicht empfehlen, weil da das Evangelium verwässert wird …« Brakhage hat Ähnliches gesagt. D. 18.11. [18. November 1935] Es soll im Volksdienst ein »Kampfblatt gegen Rehm« in Vorbereitung sein. Ich schrieb wohl schon, daß in Altenburg ein hetzerisches Flugblatt, verfaßt von Daum, anläßlich der »Aufbauwochen« verbreitet worden ist.572

568 569 570

571 572

Die Verhandlungen Kerrls mit den Thüringer kirchenpolitischen Gruppen um die Bildung eines Landeskirchenausschusses begannen erst im April 1936 (vgl. Meier, Kirchenkampf II, 344). Vgl. Tgb. 21. Oktober 1935. »Aus den 3 Anlagen bitten wir zu ersehen, in welcher Weise wir dem Runderlaß des Herrn Reichsministers für die kirchlichen Angelegenheiten vom 19. Oktober 1935 entsprochen haben. Der Gehaltsabzug für November ließ sich nach unseren Hollerith-Einrichtungen nicht mehr rückgängig machen. Die Dienststrafakten in den Fällen der Pfarrer Dobenecker und Metz in Sonneberg und Schnittger in Neuhaus-Schierschnitz schicken wir nach Berlin, sobald wir sie vom Ankläger und Untersuchungsführer zurückerhalten haben« (Schreiben des LKR der TheK an den RKA vom 8. November 1935, LKAE, A 241, 133). Bei den Anlagen handelt es sich um Beschlüsse des LKR vom 1. November 1935 in Sachen (a) der 65 Pfarrer, (b) Dobenecker, Metz und Schnittger. Vgl. Tgb. 2., 8. und 13. November 1935. Vgl. Tgb. 16. November 1935.

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Es wurde behauptet, daß sowohl die Freitags- als auch die Sonnabend-Versammlg. der D.Chr. (Gemeinde Ost u. Ortsgruppe) verboten worden seien, u. zwar weil die Art der Einladung (nicht persönlich) gegen die gesetzlichen Bestimmungen verstoßen habe.Tegetmeyer ist heute mit dem Haushaltsplan u. allen erdenklichen anderen Unterlagen ausgerüstet, nach Berlin gefahren – auf eigene Initiative, wie es heißt, nicht angefordert. Ich muß noch kurz das Wichtigste aus dem Bericht von Pressel – vor 8 Tagen – aufschreiben Während wir ohne ihn – er aß in s. Zimmer zu Abend – im christl. Hospiz versammelt waren, sprach zunächst Otto über die Entwicklg. der Lage in Thür. Pressel sprach dann noch etwa 1–½ Stunde. Er versicherte uns, daß man in ganz Deutschland wüsste, wie schwer wir es hier in Thür. hätten – und was wir hier hätten. Das sei eigentlich keine Kirche mehr. – Weiter ist mir folg. Linie im Gedächtnis geblieben: Zuerst, 1933, habe die Regierg. versucht, mit der alten Kirche sich zu verständigen. Das sei nicht gelungen »wegen der unaufgebbaren Anliegen der Kirche«. Dann habe man die D.Chr. vorgeschickt. Es sei jetzt fast überall anerkannt, daß der Versuch der D.Chr. gescheitert sei. Dann habe man es mit der Glaubensbewegg. versucht. Auch die sei »abgehängt« – seit August. (Er erwähnte das mehrmals). Jetzt scheine man es mit einer Art von »Volksreligion« zu versuchen. Als Beispiel nannte er die Feiern vom 9. Nov. in München.573 Dann die gegenwärtige Lage. Die vorl. Kirchenleitg. sei entschlossen, mit dem Kerrl’schen Kirchenausschuß zu gehen, obwohl der natürl. keine Ideallösung darstelle. Man hätte gewünscht, an dieser Stelle Männer zu sehen, die schon »gestanden hätten.« Das sei lediglich bei Kuessner der Fall. Die anderen, auch soweit sie der Bek.front angehörten oder ihr nahestünden, seien bisher im Kirchenkampf »weniger hervorgetreten«. Der K.Ausschuß habe zunächst seine Aufgabe viel zu harmlos aufgefaßt u. dadurch kostbare Wochen verloren. Es wüßten eben nur Männer, denen das Wasser schon bis an den Mund gegangen sei, was los wäre. Jetzt habe die V.K.L. dem K.Aussch. Ratschläge gegeben u. Forderungen gestellt – u. es seien im K.A. ja Männer, die den Willen hätten, zu lernen. Der 1. Aufruf hätte eigentl. eine klare Abwehr heidnischer Mißdeutungen der Begriffe von Blut u. Boden bringen müssen. Weiter müsse der K.A. künftig dauernd arbeiten – nicht nur 3 Tage in der Woche wie bisher! (Man staunt! Ist es zu glauben!) Man habe das den Herren klar gemacht – sie hätten es eingesehen. – Dann nannte er ein paar ganz selbstverständliche Forderungen, die der K.A. an Kerrl habe stellen müssen – ich habe die Einzelheiten leider vergessen. Es waren so elementare Arbeitsvoraussetzungen, daß man bei dem Gedanken, daß sie anfangs garnicht gesehen worden sind, nachträglich einen Schrecken bekam. Die VKL hat dem KA das erst klar gemacht. Kerrl hat die Forderungen zugestanden, nachdem der K.A. seine einmütige Absicht, sonst zurückzutreten, erklärt hat. Jetzt fällt mir etwas wieder ein – Kerrl hat zugesagt, nicht wieder hinter dem Rücken des KA einfach einen Landeskirchenausschuß von sich aus zu ernennen. Der KA wird künftig eine Lösung ausarbeiten u. Kerrl nur bestätigen oder ablehnen. Das hat man an Hessen574 gelernt. Die erste mißglückte Lösung, bei der 573 574

Vgl. Anm. 538. Zu den Vorgängen in Hessen [Nassau-Hessen] vgl. Meier, Kirchenkampf II, 305–306. Vgl. auch Tgb. 11. November 1935.

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Labi Dietrich wieder an die Spitze des neuen L.K.R. gesetzt worden war, stammte von Kerrl persönlich. Er hatte diese Entscheidung nach der Abreise von Zoellner ohne dessen Wissen gefällt. Nach dem Rücktrittsentschluß des K.A. hat Kerrl dann – etwas Ungeheures für einen nat.soz. Minister, wie P. [Pressel] betonte – nach Darmstadt telegraphiert: »Meine Anordnung ungültig« (oder so) u. es folgte die jetzt bekannte Neuregelung. In Darmstadt sei zuletzt die ganze Nacht hindurch verhandelt worden. Der Minister hat weiter versprochen, daß diese Regelung im Falle Hessen nicht das Muster für künftige Fälle darstellen solle. Dann hat die V.K.L. dem K.A. gesagt, er müsse ein Sofortprogramm aufstellen, dessen Verwirklichung gleichfalls als Voraussetzung für erfolgreiches Arbeiten gefordert werden müsse. Ich glaube, es war darunter u.a. der Rücktritt des Reichsbischofs, Freiheit der kirchl. Presse, Verbot des »Stürmer«, Freigabe des Sonntagvormittags für Männer (S.A., S.S., pp.) u.a.m. (Also all das mußte man dem K.A. erst sagen!) Diese Männer hätten eben auch viele Tatsachen noch garnicht gekannt. Übrigens Hessen: Er nannte die Bedingungen, die Dietrich auferlegt worden seien. Sie sind so, daß man nicht versteht, wie ein ehrenhafter Mensch sie erträgt. Zunächst hat er das Bischofsamt nicht mehr auszuüben. »Er ist nicht nur entmächtigt, sondern auch entwürdigt«, sagte P. An die Personalsachen kommt er nicht mehr heran. Predigen darf er nur, wenn eine Gemeinde ihn ausdrücklich geschlossen anfordert! Vor jedem anderen Auftreten in der Öffentlichkeit muß er den K.Aussch. um Erlaubnis fragen – der ganze L.K.R. steht natürlich unter dem K.Aussch. (Heute kam nach langer Zeit wieder einmal ein »Times«-Ausschnitt, in dem die hess. Regelung im Großen u. Ganzen den Zeitungsmeldungen entsprechend mitgeteilt waren. Neu nur die Behauptung, daß die 3 Mitglieder der Bekenntnisfront jetzt mit Genehmigung der V.K.L. tätig seien). Ich verstand bei Pressels Ausführungen voll u. ganz, warum ein Mann wie Niemöller mit dem K.Aussch. nicht mitarbeiten kann.575 Ich konnte aber auch Pressel nicht unrecht geben, der der Ansicht war, daß ein »Durchstoß« nicht möglich sei. Man müsse »in Etappen« siegen, eine Schützengrabenlinie nach der andern nehmen, »wie wirs im Krieg auch gemacht haben.« Er nannte Niemöllers Namen nicht, sprach aber ziemlich scharf von Leuten, die nicht mitmachen wollten. Die V.K.L. sei entschlossen, sich nötigenfalls auch von ihnen vorübergehend zu trennen. Es würden übrigens nur kleine Kreise sein. Der Gedanke an eine solche Trenng. liegt wie ein Alb auf mir. Ein Trost ist das Wort »vorübergehend«. Vielleicht findet man eine Form, die keinen endgült. Bruch bedeutet. Schließlich sagte Pr. noch, der K.Aussch. sei »jetzt« an die V.K.L. mit der Bitte um Mitarbeit herangetreten. Was das praktisch bedeutet, sagte er nicht, betonte aber, man habe dem K.A. von Anfang an gesagt, daß er nichts erreichen könne, wenn er sich nicht auf die bekennende Kirche stützen wolle. – Nun scheint es also soweit zu sein. Pr. machte noch sehr interessante Mitteilungen über die ungeheuer starken kirchenfeindlichen Strömungen innerhalb der Partei (die er übrigens nicht nannte). Er selbst 575

Niemöller war ein strikter Gegner der Kirchenausschusspolitik Kerrls; vgl. Carsten Nicolaisen, Art. Niemöller, Martin (1892–1984), in: TRE 24 (1994), 504.

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sei, obwohl jahrelang Nat.sozialist gewesen, ausgeschlossen worden, weil er erklärt habe, daß er seine sittlichen Maßstäbe nur aus dem Wort Gottes u. nirgends anders her nähme. Von Derichsweiler stamme der Ausspruch: »Die Christen müssen alle raus.« Er schilderte den Überfall der geh. St.pol. auf das Burckhardthaus576 – er hat offenbar dem in Berlin neueröffneten theolog. Seminar (reform.) gegolten, das sofort geschlossen worden ist, als man es am nächsten Tag in Berlin entdeckte (Times). Er sprach von den neuen Pressebeschränkungen: Die Oeynhausener Rundbriefe577 sind verboten worden! Pr. [Pressel] sagte übrigens ausdrücklich, daß Kerrl von allen diesen Maßnahmen nichts gewußt hätte. Der Eindruck, den man nach der ganzen Schilderung von dem Minister bekam, war ein guter. Er hat offenbar den besten Willen. Am 10. übrigens hat er Bodelschwingh besucht, der sich zur Erholung in München aufhält, u. sich lange mit ihm besprochen. Pr. teilte einiges mit, was Bodelschwingh dem Minister über seine ungeheure Aufgabe, die weit über Deutschland hinausgreife, gesagt habe. Eben liest Mutter mir aus der Rede von Darré beim Reichsbauerntag in Goslar vor, daß Darré sich rühmt, verhindert zu haben, daß der Kirchenstreit in die Bauernschaft getragen würde! Man braucht bloß an Hessen zu denken! Und an die Propagierung deutschgläubiger Ideen gerade durch Darré u. seine Leute! Übrigens hat bei der gleichen Gelegenheit auch Himmler sehr viel vom »Herrgott« geredet u. sich im Namen der S.S. »verbeten«, für atheistisch gehalten zu werden.578 Und das drucken die Zeitungen ab u. niemand darf diesen Herren antworten. Wie soll da jemals Klarheit kommen. Dadurch wird doch bloß alles immer schlimmer. Sie sind mit Blindheit geschlagen. Und so geht man mit dem gutmütigsten u. gutwilligsten Volk der Welt um. Dienstag, d. 19.11.35. [19. November 1935] Es gibt doch noch Lichtblicke! Ich saß vorhin in d. großen Halle u. diktierte Frau Scheda den 1. Teil meines Protokolls der Vorstandssitzg. der Th.G.G. am 16. Plötzlich läuft Franz von Zimmer zu Zimmer u. bald darauf kommen Stüber, Bauer u. Leutheuser geströmt. Frl. Linde flatterte mit einem Aktenstück angstvoll hin u. her. – Ich erfuhr bald, was los war. Otto hat eine Eingabe an den K.Ausschuß gemacht u. der K.Aussch. schickt sie in teilw. Abschrift hierher mit dem Ersuchen um Stellungnahme bis zum Freitag!579 Heute ist Dienstag! Es handelt sich um einen Sondergottesdienst der Bek.gemeinsch. in Kaltenwesth. am Totensonntag, um Erteilg. des Konfirmandenunterrichts

576 577 578

579

Vgl. Tgb. 12. November 1935. Organ der BK bzw. der VKL; zum Verbot der Briefe vgl. Tgb. 8. April 1935. »Seien sie überzeugt«, so betonte der Reichsführer SS. Himmler, »wir wären nicht fähig, dieses zusammengeschworene Korps zu sein, wenn wir nicht die Überzeugung und den Glauben an einen Herrgott hätten, der über uns steht, der uns und unser Vaterland, unser Volk und diese Erde geschaffen und uns unseren Führer geschickt hat. Wir sind heilig davon überzeugt, daß wir nach den ewigen Gesetzen des Lebens für jede Tat, für jedes Wort und für jeden Gedanken einzustehen haben. Die SS. verbittet es sich deswegen, weil sie sich als Gemeinschaft nicht für diese oder jene Konfession festlegte, unter Mißbrauch des Wortes Heide als Atheisten verschrien zu werden …« (zit. in: JK 3 [1935], 1125). Schreiben der Kirchenkanzlei der DEK an den LKR der TheK vom 18. November 1935 mit 1 Anlage, LKAE, A 241, 98–100.

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in K. durch einen Vikar der Bek.gem. u. vorbeugende Maßnahmen in derselben Richtung in Metzels u. Neuhaus-Schierschnitz, um Aufhebg. der Beurlaubung von Dobenecker, Rückzahlung der unrechtmäßig abgezogenen Geldstrafen noch im Dezember – das war es wohl.580 Die Herren im V.D. sollen schon vorher sehr verstimmt gewesen sein; jetzt sei alles in höchster Aufregung. – Die Stellungnahme ist ja kein schwieriger Punkt meiner Meinung nach. Sie müssen natürlich bei dem bleiben, was sie verfügt haben. Leider wissen sie ja noch nicht, daß Otto bereits zugesagt worden ist, alle seine Wünsche zu erfüllen. Aber man wird es bald erfahren. K.Rat Fr. [Franz] hat wieder einmal versichert, daß der ganze L.K.R. zurücktreten müßte, falls diese Forderungen durchgingen.581 Ich glaube beinahe, der K.A. würde sich freuen, wenn der L.K.R. ihm diesen Gefallen täte. Aber der L.K.R. wird wohl nicht daran denken. Herr K.Rat Franz wird seine Freunde auch noch kennen lernen. Gestern Abend, bei dem 1. »Aufbauvortrag« von Scheibe, soll es in d. Georgenkirche sehr leer gewesen sein. Franz hätte heute früh auf den Tisch geschlagen u. gedonnert, daß es verboten werden müßte, daß die Bekentnispfr. an solchen Abenden Bibelstunde hielten. (Ich glaube, Brakhage hatte B[ibel]stunde u. Otto Familienabd.) Wobei er nicht bedenkt, daß die Leute, die in die Bibelstunde der Bekpfr. gehen, nicht zu den D.Chr. kommen. Im V.D. wird hinter geschloss. Türen irgd. etwas abgezogen. Ein Schulungsleiter macht selbst die mechan. Arbeit. Sicher wieder »vertrauliche Mitteilungen« mit Lügen u. Verleumdungen wie bisher. nachm. Als ich eben, ½3 Uhr, zum Dienst kam, sah ich in der großen Halle alle Kirchenräte u. den Labi stehen. Da Volk den Hut auf dem Kopf hatte, waren sie offenbar eben erst mit ihrer Sitzg. fertig; denn ½3 sind die Herren sonst nie da. 3½ Uhr. Es bestätigt sich, daß die Sitzg. bis eben jetzt gedauert hat. Der K.Aussch. sei angerufen worden. Bö. hat erzählt, der Labi hätte als Lefflers Meinung aus Weimar mitgebacht, die D.Chr. hätten Fehler gemacht, sie seien zu scharf vorgegangen. Deshalb hätte sich die Bekenntnisgemeinschaft gebildet! Das ist sehr allgemein u. bezieht sich wohl nur auf die »Berliner Richtg.«. Aber die bescheidenen Gemüter im Haus freuen sich auch darüber u. flüstern mir das strahlend zu. ¾5 Uhr Eben war ich wieder unten im Haus. »Dicke Luft im V.D.«, wurde mir zugeflüstert. Dann höre ich von anderer Seite Ausführliches. Die Sitzg. heute, die etwa von 11 Uhr an bis 2½ Uhr gedauert hat, sei sehr erregt gewesen. Leuth. habe wohl wieder starke Ausdrücke gebraucht, denn die Herren seien aus den Wiehern nicht herausgekommen. Am wütendsten sei z.Zeit Franz. Er habe auch heute wieder versichert, wenn diese Forderungen durchgingen, müßte der ganze L.K.R. zurücktreten.582 Aber auch Leute, die ihn gut kennen, glauben nicht daran, daß er das tun würde. Volk ist dann sehr erregt 580 581 582

Zu den Beschwerden im einzelnen vgl. vorhergehende Tagebucheintragungen. Vgl. Tgb. 21. und 24. Oktober 1935. Vgl. Tgb. 21., 24. Oktober und 19. November 1935.

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aus der Sitzg. gekommen, hat alle Leute hin u. her gehetzt u. 2 Briefe diktiert. Der Labi ist dann abgereist, will selbst am Donnerstag in Berlin sein u. den K.Aussch. über die Lage in Thür. aufklären. Wahrscheinlich auch das Ministerium Kerrl. [2 Kringel] Stüber ist dann mit ( )c nach Hause gegangen. Hat gefragt, ob ( )d gest. Abend in der Kirche gewesen. Nein. Darauf er:«Es ist unerhört! Die Kirche war fast leer. Die Bekenntnispfr. halten Bibelstunde, wenn ein landeskirchl. Aufbauabend stattfindet. Und Otto bringt es fertig, von der Kanzel aus zu erklären, daß er die »Aufbauabende nicht empfehlen könnte!«583 – (Es scheint, der Erfolg der D.Chr. hängt von den Bekenntnispfarrern ab!). Noch nicht einmal die D.Chr. seien in der Kirche gewesen! Gestern Abend sprach Pfr. Scheibe-Jena584, heute Abd. Le Seur [E.]-Weida. Es heißt, Wächtler sei zufällig heute hier u. auch hier oben gewesen. Eben höre ich, Franz führe mit dem Labi nach Berlin. Er ist noch hier, währd. der Labi, der wahrscheinl. erst noch zu Leffler geht, schon abgereist ist. Franz hat den Ausspruch getan: »Die Bekenntnisgemeinsch. befindet sich wieder einmal in erstaunlich hoffnungsvoller Erwartung.« Franz hat kürzl. erzählt, der Labi wolle nicht mit Volk reisen, sondern mit ihm. Volk ärgerte sich wahrscheinl. auch heute wieder, daß nicht er mit nach Berlin genommen wird. Der Labi habe sehr gleichmütig dabei gestanden, als Volk in höchster Nervosität dicke Aktenbände zusammengestellt habe, die Sasse mit nach Berlin nehmen sollte. »Die soll ich mitnehmen? Fällt mir garnicht ein!« »Aber diese Beiden auf alle Fälle. Darin sind sämtl. Unterlagen für Ihre Besprechungen.« »Das kann später alles mal verbrannt werden«, hätte Sasse ganz gemütsruhig gesagt. »Nein, das wird nicht verbrannt, das wird aufgehoben!«, wütet Volk. Es gehen schon heute Umfragen hinaus, um die Wirkung der »Aufbauabende« festzustellen u. um in Erfahrg. zu bringen, ob die anderen Bekenntnispfr. ähnlich wie Otto u. Brakhage, sich gegen diese Vorträge geäußert haben.585 D. 21.11. [21. November 1935] ½1 Uhr mittags. Jetzt ist Sasse im K.A. Um 5 Uhr nachm. wollte er bei Kerrl sein. – Vorhin hat Kaltenwestheim angerufen u. gefragt, ob die Bekenntnisgemeinsch. dort die Kirche am Totensonntag haben könne.586 Stüber hat mit ihnen gesprochen. Das Gespräch sei gleich wieder aus gewesen. Hugo Müller hat Frl. Sommer Vorwürfe gemacht, daß die Bekenntnisfront so »unversöhnlich« sei. Das ist also die von den D.Chr. ausgegebene Parole. D. 22.11., Freitag. [22. November 1935] Gestern Abd. Bibelstunde. O. machte mir Vorwürfe, daß ich vorgestern nicht bei ihm gewesen sei. Er hat mehrere Briefe an die V.K.L. geschrieben, dem K.A. noch einmal c d 583 584 585 586

Strichzeichnung Frauenkopf mit Locken, steht für Hanna Linde, vgl. Übersicht Strichzeichnungen. Unidentifizierte Strichzeichnung. Vgl. Tgb. 17. November 1935. Vgl. Tgb. 2., 7., 8., 13. und 18. November 1935. Vgl. Tgb. 2., 7., 8., 13. und 18. November 1935. Vgl. Tgb. 16., 17. und 19. November 1935.

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einzuheizen, u. hat Dobenecker u. Müller-Kaltenwesth. gestern persönlich nach Berlin geschickt.587 Der K.Aussch. arbeite immer noch nur 3 Tage in der Woche! Es ist unbegreiflich! Im Rheinland fangen plötzlich Forsthoff u. Oberheid wieder an zu regieren, nachdem die Bekennende Kirche dort tatsächlich Ordnung geschaffen hatte. Nun wollten sie sich ihre Kirche aber auch nicht wieder in Unordnung bringen […] lassen, indem sie sich mit den D.Chr. wieder an einen Tisch setzten.588 Dort sei die Lage eben umgekehrt wie bei uns. Dort sei es die Bek.k., die Positionen räumen solle! – Das Beispiel von Hessen habe abschreckend gewirkt.589 Es sei eben doch schlimm, daß es nicht gelungen sei, den Bischof, der dieses Amt wahrhaftig verwirkt hätte, abzusetzen. Sobald verhandelt würde, setzten sich die Gauleiter und Reichsstatthalter mit an den Tisch.590 Da kann man wahrhaftig nicht davon sprechen, daß Staat u. Partei sich nicht einmischten, wie Kerrl u. Hitler u. jeder Zeitungsartikel das behaupten. Es geschieht eben nichts Durchgreifendes. Auch der Reichsbischof ist immer noch nicht abgesetzt. Das ist wahrhaftig eine Herausforderung. Man kann sich doch nicht noch einmal betrügen lassen wie nach dem 27. Jan. 34.591 Entsetzlich ist, daß nicht mehr Wort gehalten wird. Und das soll nun Deutsch sein. Eine Schrift »gegen Rehm« scheint im V.D. tatsächl. angefertigt worden zu sein, wird aber sehr geheim gehalten – wahrscheinl. nur an die eigenen Leute verschickt. Stüber hat vor 8 Tagen mit den hies. Pfarrern eine Besprechung wegen der »Aufbauabende« gehabt.592 Sie haben ihm erklärt, es sei keine Möglichkeit mehr, die Bibelstunden pp. abzusagen. Außerdem seien die »Aufbauabende« offenbar eine rein deutsch-christl. Angelegenheit. Darauf hat Stüber geantwortet: »Nein, denn Thomas macht mit!« Ich habe das Thomas vorgestern geschrieben u. ihm gesagt, daß ich das

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Zu beiden Fällen vgl. vorhergehende Tagebucheintragungen 1935 und Biogramme. »Die Haltung der rheinischen Bekenntnisfrontleitung den Kirchenausschüssen gegenüber [muß] als äußerst-kritisch-reserviert bezeichnet werden« (Meier, Kirchenkampf II, 231). Zu den Vorgängen in Hessen [Nassau-Hessen] vgl. Meier, Kirchenkampf II, 305–306. Vgl. auch Tgb. 7., 8., 11., 13. und 18. November 1935. Hintergrund dieser Bemerkung ist das »geheime« Rundschreiben [»Schnellbrief«] des Reichskirchenministers an die preußischen Gauleiter betr. Bildung der Provinzialkirchenausschüsse vom 25. November 1935: »Ich beabsichtige noch in dieser Woche, entscheidende Maßnahmen die Bekenntnisfront betreffend [im Entwurf: ›gegen die B.‹] zu treffen. Solche Maßnahmen sind aber nur dort durchführbar, wo Kirchenausschüsse gebildet sind. Es ist daher erforderlich, für das Gebiet der evangelischen Kirche der altprotestantischen Union, also auch in Ihrem Gau, Provinzialkirchenausschüsse zu bilden. Zu diesem Zweck habe ich eine Reihe von Persönlichkeiten aus Ihrem Gau zu einer Besprechung auf Mittwoch, den 27. November 1935, nachmittags 14 Uhr, eingeladen. Ich würde es begrüßen, wenn Sie Gelegenheit nähmen, an der Besprechung am Mittwoch teilzunehmen oder einen Vertreter zu entsenden. Für diesen Fall bitte ich, sich bei mir, Berlin W 8, Leipziger Straße 3, um 13.45 Uhr einfinden zu wollen.« Im Auftrage gez. von Detten, in: Dokumente zur Kirchenpolitik III, 131–132. Gemeint ist wohl der unglücklich verlaufene Empfang der evangelischen Kirchenführer bei Hitler am 25. Januar 1934; vgl. Besier, 59–61; Dokumente zur Kirchenpolitik II, 30; Tgb. 29. Januar 1934. Vgl. Tgb. 2., 7., 8., 13., 18. und 19. November 1935.

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nicht für möglich halte. Ich habe etwas ausgepackt in diesem Brief, ihm auch vorgehalten, daß er es nicht fertig gebracht hat, mich in m. Büro aufzusuchen, wenn er im L.K.R. war. Dieses Verhalten müsse irgendwie, mir nicht erkennbar, mit seinem »EinsamSein« zusammenhängen pp.593 Otto hat einen Bericht machen müssen über seine Äußerung gegen die Aufbauabende594 im Gottesdienst neulich. Im ganzen Land wird Nachfrage gehalten, ob Bekenntnispfr. sonst noch solche Äußerungen getan haben. Gestern Abend bei Büchner war der Besuch ungefähr wie bei Le Seur [E.]. Man tröstet sich jetzt damit, daß die Zeit für diese Veranstaltungen schlecht gewählt sei (Volk). Wir auf d. Pflugensberg sehen alle mit Herzklopfen der Rückkehr von Sasse u. Franz entgegen. Es ist wieder einmal eine sehr schwer zu ertragende Spanng. in der Luft. Und ich dachte, das hätten wir hinter uns! Wichtig waren mir einige Äußerungen aus der Sitzg. der Th.G.G. am 16., obwohl sie nicht auf die Kirche Bezug haben. Als wir gest. Abend von der Bibelstunde kamen, schlüpfte Frl. Helmbold für ein paar Minuten in die Kirche u. hatte aus der Rede von Büchner Folgendes aufgefangen: Nur mit Liebe müsse die Kirche vorgehen u. Gegnerschaft überwinden. Und wenn alle Politiker das Gegenteil sagten. (Das ist ja ganz hübsch, aber wir sollen den Anfang damit machen, indem wir den D.Chr. gestatten, ihr Wesen ungestört weiter zu treiben. Das ist weder Liebe zu den Glaubensbrüdern noch zu den D.Chr. – Und all diese Reden dienen nur dazu, die D.Chr. zu erhöhen u. in ihrer Macht zu festigen.) Aus der Sitzg. der Th.G.G. am 16.: Prinzessin von Meiningen: »Alles, was die N.S.V. macht, wird nichts«. Generalstaatsanwalt Wurmstich: »In Berlin gehts eben noch ein bißchen durcheinander.« Dr. Vogelsang NSV klagte: »Ja, was sollen wir nur mit den polit. Gefangenen machen – es ist furchtbar! 2–3000 in einem einzigen Gefängnis! – Und jetzt sollen 2 Jahre alte Prozesse erledigt werden! Da sitzen 18-jährige wegen irgendeiner Dummheit seit 2 Jahren in Untersuchungshaft! Noch dazu zu dritt in einer Zelle! Und ich darf noch nicht einmal mit ihnen turnen! Nicht einmal turnen! Und beschäftigen kann ich sie nur mit Tütenkleben! Und die Fälle mit dem Verlust der »Wehrwürdigkeit«!« Nachmittags (22.11.35) [22. November 1935] Alles im Hause ist sehr gespannt darauf, mit was für Gesichtern Sasse u. Franz aus Berlin zurückkommen werden. Ich habe Angst. Heute früh ist ein Bruchstück aus einem Telephongespräch von Stüber an einen Unbekannten festgehalten worden: »… Das kann man erst wissen, wenn die Herren aus Berlin wieder zurück sind … nein, wir sind nicht sehr besorgt. Aber die Sache mit Dietrich ist doch recht beschwerend.«

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Zur spannungsvollen kirchenpolitischen Haltung von Thomas vgl. Tgb. 1., 2., 7. Nov. 1935. Schreiben von Pfarrer Ernst Otto an das Oberpfarramt Eisenach vom 19. November 1935, LKAE, LBG 211, 93a–94.

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Und wir finden es untragbar, daß dieser Dietrich dem gerechten Gericht schließlich doch entgangen ist595 – u. die Kirche wird viell. an diesem Fall noch zerbrechen.596 Frl. Sommer erzählte gestern, Frl. v. Blumröder, die in Berlin Gemeindehelferin ist, hätte an ihre Mutter geschrieben, die Bekenntniskirche hätte Forderungen an den K.A. gestellt u. wenn die nicht bewilligt würden, würden sie ihre Leute aus den Ausschüssen zurück ziehen. Vielleicht ist es wahr. Schlimm aber, daß so etwas von einem Menschen wie Frl. Sommer weitergeschwatzt wird. Goebbels hat auf der Jahrestagung der Reichskulturkammer »gegen Mysticismen« Stellung genommen. »Nicht jede Vereinssitzung ist eine religiöse Feier …«597 Er meint natürlich nicht, was wir meinen. Immerhin ist diese Äußerung zu begrüßen. »Evang. im III. Reich« Nr. 47 (v. 24.11.) schreibt u.a.: »Das Echo der Auslandspresse … Der Schweizer Ev. Pressedienst versteigt sich zu der ungeheuerl. Feststellung: »Das Reichspropagandaministerium u. die geh. Staatspolizei sind eifrig dabei, die friedlichen Maßnahmen des Reichsministers f. kirchl. Angelegenh. im voraus zur Unwirksamkeit zu verurteilen.« Das ist es also, was ich neulich ahnte. Goebbels ist der Widerpart (u. Himmler). D. 23.11. (10 Uhr). [23. November 1935] Es ging schon lebhaft zu in meinem Zimmer. 4 Besuche bereits. Alles ist sehr gespannt u. aufgeregt, was Labi u. Frz. von Berlin mitbringen. Sie sind gestern Nacht zurückgekommen. Eben ist alles zur Sitzg. zusammengetrommelt worden. Man weiß nur, daß Frz. zu Bauer [W.] gesagt hat: »Die sächs. Kirche scheint auch in der Umbildung begriffen zu sein.«598 Kaltenwestheim hat gestern wieder telephonisch angefragt u. wieder keinen Bescheid bekommen!599 Heute früh hat Leffler bereits wieder antelephoniert. 11½. Eben unten in d. großen Halle. Sie sitzen im Zimmer vom Labi. Eine erregte, gequetschte Stimme klang heraus – es muß die von Volk gewesen sein. Ich konnte nichts verstehen, weil mehrere Leute schwatzten. Später hörte ich, man habe zuerst lange die Stimme von Volk in einem beschwichtigenden Ton gehört, während einer dazu nervös laut auf den Tisch getrommelt hätte (wahrscheinl. Sasse). Leute, die früher viel von Franz gehalten haben, sagen, sie könnten ihn überhpt. nicht mehr verstehen; er hätte sich zu vollständig umgestellt. Und dabei hätte ihn das ziemliche Kämpfe gekostet, (hat die geb. Albinus erzählt). Er hat es aber auch gründlich gemacht. Er wäre der allerschärfste Hetzer gegen die Opposition. Kürzlich hätte eine Zuschrift von Thieme auf s. Platz gelegen, in der Thieme moniert, daß einige Kameraden in den Gottesdiensten der Bekenntniskirche gesehen worden seien, das ginge nicht; u. er macht darauf aufmerksam, daß die Totengedenkfeier der Bewegung nur in der 595 596 597 598 599

Angespielt wird auf die jüngsten kirchenpolitischen Ereignisse in Hessen; vgl. dazu Tgb. 7., 8., 11., 13. und 18. November 1935. Vgl. Anm. 589. Nach einer Mitteilung in JK 3 (1935), 1126. Es handelt sich dabei offensichtlich um erste Ansätze zur Bildung eines Landeskirchenausschusses für Sachsen (vgl. Meier, Kirchenkampf II, 213–214). Vgl. Tgb. 13., 19. und 21. November 1935.

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Nikolaikirche stattfände (O. predigt abds in der Georgenkirche). Sie entrüsteten sich so sehr darüber, daß O. die Aufbauabende der Landeskirche nicht empfohlen habe600, u. machten es doch selber »so«. Die propagandist. »Aufbauabende« sind auch noch was anderes als reguläre Gottesdienste. Was mögen Sasse u. Franz alles in Berlin über den Widerstand gegen die Aufbauwochen zusammengeredet haben. Gut, daß das Daum’sche Hetzblatt aus Altenburg601 u. der letzte Handzettel von Thieme mit d. »Judenchristentum«602 vorlag. Und Dobenecker u. Müller [W.] waren ja auch noch da.603 Kürzlich hätte sogar Oberländer einen Brief von Franz an eine Gemeinde als »zu scharf« kritisiert. Durch die Tagespresse und durch die kirchl. Presse geht eine sehr merkwürdige Verlautbarung des K.A. Scheinbar hat eine Stelle, hinter der der Reichsbischof stehen muß (ich vermute über Weidemann-Bremen) »statistische Erhebungen« über eine Zustimmg. zur »Reichskirche« zu machen versucht. Dieser Versuch wird als »irreführend« gebrandmarkt.604 Eben lese ich in Nr. 47 des »Ev. Dtschld.«, daß die Frauenarbeit innerhalb der D.E.Kirche vom K.A. neu geordnet werden wird.605 (Zoellner ist Ehrenvorsitzender der »Frauenhilfe«.) Damit würden ja die tapferen Frauen für ihr Ausharren belohnt werden. Um 12 Uhr war die Sitzg. zu Ende. Soeben, ½1 Uhr, erfahre ich: »Die Herren kamen aus der Sitzg. – mit Köpfen … soo!!!« Volk sah aus, als hätte er persönlich eine auf den Kopf bekommen!« Danach hat er 2 Briefe diktiert. Einer geht an alle disziplinierten Pfr. u. Hilfspfr. und teilt ihnen mit, daß ihnen auf Wunsch des Ministers die abgezogenen Geldstrafen sofort wieder erstattet werden.606 Das geht direkt; die Ob.pfr. erhalten 600 601 602 603 604

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Vgl. Tgb. 22. November 1935. Vgl. Tgb. 16. und 11. November 1935. Tgb. 12. November 1935. Vgl. vorhergehende Tagebucheintragungen. Vgl. dazu das Rundschreiben des RKA über irreführende Verwendung der Bezeichnung DEK vom 16. November 1935 (GDEK 1935 [Nr. 34 vom 19. November 1935], 119). Demzufolge waren »grüne Karten« folgenden Inhalts im Umlauf: ›Dient statistischen Zwecken. Deutsche evangelische Kirche (Reichskirche). Durch meine Unterschrift bekenne ich mich für 1. die deutsche evangelische Kirche lutherischer Art als Reichskirche, 2. Freiheit des Glaubens und Bekennens in der Kirche, 3. Zucht, Ordnung und Recht in der Kirche. Durch meine Unterschrift bekenne ich mich gegen 1. alle Absplitterungsbestrebungen, 2. alle Splitter- und Ketzerrichterei, 3. alle gegen die amtliche Kirche gerichtete Hetze. Ich will nach besten Kräften am inneren und äußeren Leben der Kirche teilnehmen und mir die Förderung eines positiven Christentums immer und überall angelegen sein lassen.‹ Unterschrift. – Das Rundschreiben stellte klar, dass die DEK mit dieser Aktion nichts zu tun hatte. »Der Reichskirchenausschuß teilt in einem Schreiben an die obersten Behörden der deutschen evang. Landeskirchen mit, daß die erforderlichen Schritte eingeleitet sind, ›um die kirchliche Frauenarbeit zusammenzufassen und neu zu ordnen. Der den obersten Kirchenbehörden unter dem 23. Februar 1935 angezeigte Auftrag zur Leitung und Vertretung der gesamten kirchlichen Frauenarbeit ist von uns zurückgezogen. Dem Aufruf vom 24. April kommt kirchenamtliche Bedeutung nicht mehr zu‹« (Das Evangelische Deutschland 12 [1935], 423). Schreiben des LKR der TheK vom 26. November 1935 an [hier: Ernst Otto] (LKAE, G 809, 27): »Da der Herr Reichsminister für die kirchlichen Angelegenheiten bittet, daß zur Befriedung der

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es nur in Abschrift. Die Summen würden noch im Laufe der nächst. Woche (noch vor Dezember) ausgezahlt!!!!. Diese schleunige Bereinigung der Angelegenheit ist sicher von Kerrl speziell gewünscht worden. Dann werden hoffentl. auch die Kaltenwestheimer morgen ihren Gottesdienst kriegen. Sie haben schon 3 mal heute früh angerufen, sie wollten jetzt klipp u. klar Nachricht haben. Eben hat Franz ein Gespräch nach Kaltenwestheim angemeldet.607 Der 2. Brief ging über den Ob.pfr. an Dobenecker. Wieder mit Bezug auf einen Wunsch von Kerrl wird seine Suspendierung mit sofortiger Wirkung aufgehoben.608 Die Briefe sollten heute noch abgehen! Aber um 1 berieten sie noch über die Volksche Formulierung, die offenbar dem Labi u. Stüber nicht paßte. Nachdem ich das erfahren hatte, kam ein anderer Besuch in mein Zimmer u. teilte mit, daß für heute nachm. 3 Uhr sämtliche Gemeindeleiter in Weimar zusammenberufen seien. Die V.D.-Leute sind auch Hals über Kopf abgefahren. Leichte soll »beurlaubt« sein – das wurde mir schon gestern gesagt; aber ich hielt es für einen normalen Urlaub. Es wird aber behauptet, es sei eine Suspendierung. 1½ Uhr. Wieder Besuch im Büro. Das Schreiben an die diszipl. Pfr. geht in dieser Form heute nicht hinaus!!! Das Schr. an Dobenecker geht ab. Volk wäre wütend. Mir wurde gesagt, Volk könnte mit seinen Gesichtspunkten auf Sasse Eindruck machen, wenn Frz. u. Stüber nicht wären, die ihn dauernd aufhetzten. – Brauer liefe unten auch mal wieder von Tür zu Tür. Es soll eine Beschwerde über die Lehrer609 an irgendeiner hohen Stelle eingelaufen sein, die als D.Chr. überall Unruhe in die Kirchgemeinden hineintrügen. Totensonntag, d. 24.11.35. [24. November 1935] Vom Dienst aus ging ich gestern zu Otto, der gerade im Auto von einer Beerdigung zurückkam. Er hatte am Morgen 3 Telephongespräche mit Berlin gehabt, u.a. mit Dobenecker, der von der Kirchenkanzlei aus angerufen u. u.a. mitgeteilt hatte, daß a) die Kirche in Kaltenwestheim für den Totensonntag freigegeben wäre, b) er, Dobenecker, wieder ins Amt eingesetzt wäre. Man hätte ihm gesagt, er fände viell. die Mitteilung schon vor wenn er nach Hause käme. Als wir bei Ottos ankamen, war Theophil Reichardt [T.] anwesend u. teilte mit, daß

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kirchlichen Verhältnisse die in den Disziplinarverfahren verhängten Geldstrafen, auch soweit sie bereits vom Novembergehalt abgezogen worden sind, zurückerstattet werden, werden wir dieses tun. Sie können damit rechnen, schon innerhalb einer Woche den Ihnen an Ihren Novemberbezügen abgezogenen Betrag aus der Landeskirchenkasse überwiesen zu bekommen.« Vgl. Tgb. 13., 19. und 21. November 1935. Schreiben des LKR der TheK an Dobenecker vom 23. November 1935 (LKAE, G 173, 124): »Da der Herr Minister für kirchliche Angelegenheiten zur Befriedung der kirchlichen Verhältnisse den Wunsch geäußert hat, daß die gegen Sie ausgesprochene vorläufige Amtsenthebung zurückgezogen wird, tun wir dieses hiermit mit alsbaldiger Wirkung.« Gemeint sind wohl die im Dienste des LKR der TheK stehenden deutschchristlichen Lehrer, die als Schulungsleiter tätig waren, wie Männel oder Thieme.

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die Kaltenwestheimer angerufen hätten. Stopfel hätte am Telephon mit Franz gesprochen. Der hätte furchtbar viel geredet, u.a., man solle doch nicht gerade den Totensonntag benutzen, um diese Sache »auszutragen!« (Hier wurde O. wütend: »Was heißt ›austragen‹! Wir wollen einen Gottesdienst haben!«). Der Bauer Stopfel hat daraufhin zu Franz ungefähr gesagt: »Sie brauchen garnicht soviel zu reden, Herr K.Rat. Sagen Sie klipp u. klar, ob wir morgen die Kirche bekommen können oder nicht. Ja oder Nein?« Darauf Franz: »Wenn Sie mich so fragen, dann: Nein.« Stopfel hatte nun O. bitten lassen, die Sache noch durchzubringen. O. überlegte eine Weile u. rief dann die vorl. Kirchenleitg. in Berlin an. Dort hörte aber niemand am Telephon. Es war etwa 20 Minuten nach 2. Wir sagten uns, daß in Berlin eben die Büros geschlossen seien u. daß es also auch keinen Zweck mehr hätte, noch den K.A. anzurufen (wo man bestenfalls doch nur die Bürobeamten ans Telephon kriegt). Also Schluß. Ich bin sicher, daß Franz sich damit gegen eine Weisung des K.A. vergangen hat u. hoffe, daß ihm das schlecht bekommen wird. Denn dies ist kein Widerstand aus Überzeugung, hinter dem das Recht steht, sondern nur verletzte Eigenliebe, die keine Schlappe eingestehen will. O. weiß übrigens nichts von einer Beschwerde gegen die Lehrer oder von einer Beurlaubg. von Leichte. Lilje sollte am Montag nach Erfurt kommen u. dort im Kreis der Bekenntnispfr. von Thür. sprechen. Er hat angerufen, er könne nicht kommen, es seien wichtige Dinge im Gange, die gerade auch Thüringen beträfen! O. solle sich darauf gefaßt machen, daß er am Montag nach Berlin müßte. Er wird also die Pfr.versammlung halten u. eventuell anschließd. nach Berlin fahren. – Da müßte man also vielleicht damit rechnen, daß die Thüringer Frage jetzt ins Rollen kommt? Ich versuche, einen klaren Beweis dafür zu bekommen, daß der L.K.Rat am 21. Okt. tatsächlich nicht durch die Hollerith-Maschinen gehindert war, den Abzug der Geldstrafen zu vermeiden. R. [Rienäcker] versichert, es sei »den ganzen Morgen hin u. hergegangen.« Ursprüngl. hätten die Geldstrafen nicht abgezogen werden sollen. Das stimmt zu einer Bemerkg., die Erich Reichardt [E.] zu Therese machte: »Ursprüngl. sollten ja die Geldstrafen erst nach Weihnachten abgezogen werden.« Aber ich möchte wissen, wie der klare Beweis erbracht werden könnte. Dobenecker hat O. telephonisch noch gesagt, man sei bei der Bildung des K.A. für Sachsen. Die Namen sollten in der Sitzg. gestern früh festgelegt werden. Es stünde fest, daß Coch nicht mit hinein käme!610 Hoffentlich bleibt der K.A. fest! Dann würden unsere Thüringer vielleicht etwas nachdenklich werden.

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Die Bildung des sächsischen LKA wurde am 21. November 1935 per Verordnung veranlasst; Coch, stark eingeschränkt in seiner bischöflichen Funktion, war nicht Mitglied des Ausschusses; vgl. Meier, Kirchenkampf II, 352.

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Abends. O. hatte Abendgottesdienst. Hinterher traf ich seine Frau [O. M.], Frau Pfeiffer, Frl. Eitner pp. (Von 8–9 dann noch Motette, danach ging ich mit Theophil Reichardt [T.] nach Hause). Frau Pfr. [Pfeiffer] erzählte, was Frau O. [M.] bestätigte, der LandesK.A. für Sachsen wäre tatsächlich schon gebildet, ohne Coch, mehrere Bekenntnispfr. an führender Stelle!611 Frl. Eitner sei am Freitag in Berlin gewesen. Die Regelung des Frauenwerkes würde sehr günstig. Hermenau sei völlig erledigt!612 Frau Pfr. [Pfeiffer] behauptete, der Reichsbischof sei jetzt geschieden – das sei ja auch besser als das »Luderleben«. – Ich kann kaum glauben, daß die betr. Gerüchte wirklich wahr sind u. gebe das nicht weiter. Frau Otto [M.] erzählte von mehreren Pfarrern, die s.Zt. die »Erklärung« nicht mit unterzeichnet gehabt hätten, jetzt aber wieder eintreten wollten – darunter auch Paira u. Immisch. Es sei eine Strömung unter den Bekenntnispfarrern, die diese s.Zt. Ausgetretenen nur als »Freunde«, nicht als »Mitglieder« wieder aufnehmen wollte. Otto sei der Ansicht, daß man sie wieder als Mitglieder aufnehmen müsse. Da hat er Recht. – 16 Greizer Pfr. sind zur Bek.gemsch. gekommen! Thomas soll bei Paira gewesen sein – wahrscheinl., um sich auch bei ihm Rat zu holen. Hoffentlich hat Paira ihn in dem Sinne beschieden, wie er sich auch zu anderen geäußert hat: »Wer eine reine Weste hat, geht doch nicht mit denen (L.K.R.) zusammen. Ausgerechnet jetzt, wo es bald mit ihnen aus ist!« Leffler soll die Absicht haben, den L.K.R. umzubilden. »Stegmann« hätte das mitgeteilt, sagte Frau O. [M.]. Ich weiß nicht, wer das ist. (Und dabei hat Kerrl extra die Weisung gegeben, mit Personalmaßnahmen vorsichtig zu sein. Das sind also die Leute, die für sich selbst »unbedingten« Gehorsam fordern! Es steigt auf Bäume!) Dobenecker hätte sehr optimistisch geschrieben. Er hätte dem K.A. gesagt, die D.Chr. in Thüringen trieben einfach Sabotage am Werk des K.A.613 Und von einer »Bewegung« sei keine Rede; denn ihre Veranstaltungen seien sehr schlecht besucht. Erich Reichardt hat zu Therese gesagt, die »Aufbauabende« seien in Altenburg ein großer Erfolg gewesen.614 Kiel hat dort gesprochen, der früher in Altenburg Schauspieler war u. durch Otto zur Theologie kam. Da sind natürl. viele Leute gekommen, um 611 612

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Der sächsische LKA bestand aus fünf Mitgliedern: Ficker (BK) als Vorsitzender, Gerber (Mitte), Wendelin (Mitte?), Fichtner (DC), Knabe (DC); vgl. Meier, Kirchenkampf II, 352. Der RKA hatte am 13. November 1935 die Neuordnung der Frauenarbeit eingeleitet. Damit war es auch zur Beendigung des Auftrags zu einer vorübergehenden Dienstleistung des Pfarrers Hermenau in der Verwaltung der DEK gekommen. Bis zur endgültigen Regelung bestätigte aber der RKA, dass es Hermenau unbenommen sei, »den ihn bisher im Namen des Reichsbischofs geleiteten Frauendienst bis zur in Aussicht stehenden Gesamtregelung weiterzuführen« (JK 3 [1935], 1131). Hermenau war Anfang 1935 zum Referenten bei der DEK für die gesamte kirchliche Frauenarbeit in Deutschland berufen worden. Gleichzeitig war er bevollmächtigt, die kirchliche Frauenarbeit gegenüber der Öffentlichkeit, insbesondere dem Deutschen Frauenwerk zu vertreten; vgl. Evangelium im Dritten Reich 4 (1935), 71. Zur Beauftragung Hermenaus durch den Reichsbischof vgl. Tgb. 25. Juni 1933. Die DC in Thüringen waren um des eigenen Machterhalts und ihrer reichsweiten Mission willen strikt gegen die Bildung eines LKA und hintertrieben die Politik Kerrls; vgl. Meier, Kirchenkampf II, 344–345). Vgl. Tgb. 2., 7., 8., 13., 18., 19. und 22. November 1935.

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ihn auf der Kanzel zu sehen. Und dann hat Sasse da gesprochen. Der zieht natürl. immer als Landesbischof. Und dann haben sie mit den berühmten Flugblättern geworben.615 An 2 Aufbauabenden sei, wie Frau Otto [M.] dazu mitteilte, eine Kollekte von 90 M zusammengekommen. Dann sei der Bekenntnisgottesdienst gekommen, an dem Schanze sprach, u. der hat allein 150 M Kollekte erbracht! Und dann erzählte mir Theophil Reichardt, er sei heute in Kaltenwestheim gewesen, um mit dem dortigen »Bruderrat« zu sprechen; eine Andacht hätte er leider nicht halten können, da die Zeit zum Viehfüttern dazwischen gekommen sei – er hätte sonst heute früh ½5 abfahren müssen; das hätte man ihm aber vorher sagen müssen u.s.w. Gleichzeitig sei, der Beschreibung nach, Sasse selbst dagewesen u. habe mit der Kirchenvertretung, soweit sie deutschchristlich sei, gesprochen. – Wahrscheinl. will er denen die Tatsache, daß die Bekenntnisleute künftig die Kirche mitbenutzen dürfen, auf eine Weise beibringen, die dem Prestige des L.K.R. nicht abträglich ist. Es muß so aussehen, als wenn alles freier Entschluß des L.K.R. u. Gnade wäre. Denn wenn die Anhänger merken, daß die D.Chr. eine Schlappe erlitten haben, dann könnte ihnen ein Licht aufgehen. (Übrigens hat Otto selbst heute dort predigen wollen). Sie wollen Zeit gewinnen um alles in ihrem Sinn darstellen zu können. – Die Kaltenwestheimer schicken morgen früh ein Protesttelegramm an den K.A. Auf die Wirkung bin ich gespannt. D. 25.11. [25. November 1935] Als der gute B. heute früh schon vor 9 Uhr kam, freute ich mich, ihm gute Nachrichten sagen zu können. Er freute sich besonders, daß »die noch nicht wissen, daß ihr Freund Coch nicht im Ausschuß ist.« Eben, 11 Uhr, wird mir unten zugeflüstert: »Die haben heute eine Stinkwut!« – Am Sonnabd. nachm. sei ein Polizeiauto heraufgekommen u. habe eine Ladung für den Landesbischof gebracht. Sasse habe wohl das Auto kommen sehen u. sei gleich in die Zentrale gestürzt. Sei ersichtlich wütend geworden beim Lesen der Ladung. Unten in der großen Halle spricht der Hilfspfr. Pflänzel aus Kaltenwestheim mit Franz. Zur Erklärung der Absage an die Bekenntnisleute in K. wurde heute gesagt, ( )c der Bürgermstr. in Kaltenwesth. habe es nicht gewollt, daß den Bekenntnisleuten die Kirche gegeben würde!!! An Kerrl ist am Sonnabd. ein Schreiben gegangen, in dem u.a. gesagt wird, man wolle den Weisungen Folge leisten, »obwohl das mit unseren Prinzipien nicht übereinstimmt.« »Prinzipien!!!« Bö. hat Frl. Sommer erzählt, daß der L.K.R. die Geldstrafen zurückzahlen müsse. Das wird wohl einigen Eindruck machen im Haus. Wie Frau Pfeiffer sagte, soll der Reichsb.f verbreiten: Er und seine Leute wären jetzt kaltgestellt (auf Eis), aber sie kämen wieder! Johanna Paulssen erzählte, Frl. v. Blumröder hätte geschrieben, die Bedrückungen seien jetzt ganz furchtbar, Niemöllers Kirche sei geschlossen, er dürfe nicht predigen pp. Und gerade hätte sie einen Brief von Grete Burkhardt bekommen, die ihr schrieb, 615 c

Vgl. Tgb. 13. und 18. November 1935. Strichzeichnung Frauenkopf mit Locken, steht für Hanna Linde, vgl. Übersicht Strichzeichnungen.

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sie ginge regelmäßig in Niemöllers Bibelstunden, die wundervoll seien. Bei den Gottesdiensten stünden die Leute immer noch bis vor die Kirche, auch bei Regen mit Regenschirmen. Er hätte Kollekten von 6–700 M. – Wahr ist offenbar die Nachricht von Grete Burkhardt u. die hübsche Frl. v. Blumröder trägt jedes Gerücht weiter. Die Nr. 47 der »Reform. Kirchenzeitung« bringt aus einer Rede von Frau Scholtz-Klink am 10.11. in Braunschweig einen Auszug, der in anderer Form durch die Presse ging. Allgemein war weggelasen worden: »Suchet Euren Herrgott … nicht in nutzlosem, törichtem Streit von Dogmatik besessenen Theologen, nicht in verstaubten alten Bibeln … ruft ihn nicht an als euren katholischen Vater, als euren evangelischen Herrn, als euren Bekenntnisgott oder als euren deutschen Christen-Vater (!), denn es gibt nur einen Herrn, der über euch thront, u. das ist unser Gott.«616 Die Fakultäten scheinen übrigens immer mehr deutschchristl. zu werden. Auch die neuesten Nachrichten bestätigen das. Brauer soll erzählt haben ( )c, die Kirchenvertretertagung617 am Freitag (keine Eisenacher Versammlung) sei stürmisch verlaufen. Mitzenheim habe ihn furchtbar angebrüllt. Dem »Protestantenblatt« Nr. 47 ist zu entnehmen, daß der K.A. den Staat gebeten hat, ihm »die Erfüllung« seines »Auftrages nicht zu erschweren dadurch, daß er sie ihm »scheinbar erleichtert«618 (Spalte 746). Nun hat man ja die Bestätigung aller Gerüchte. Heute Mittag kam ich zu Therese als Erich Reichardt sich eben über die Rückzahlung der Geldstrafen weitläufig verbreitet hatte. Sie hat zu ihm gesagt: »Es hätte doch besser ausgesehen, wenn der L.K.R. nicht erst widerstrebt, sondern gleich von sich aus nach Erscheinen des Kerrlschen Erlasses auf die Einziehg. der Geldstrafen verzichtet hätte.619 Darauf er: »Ach nein, das hätte doch so ausgesehen, als ob wir zugäben, daß wir im Unrecht seien. So sieht man doch, daß wir bei unserer Ansicht bleiben u. uns nur der Gewalt beugen.« Da fehlen mir die Worte. 616

c 617 618

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RKZ 44/1935, 334. Vgl. auch dieselbe Mitteilung in: JK 3 (1935), 1124; JK-Text nach Korrespondenzblatt für die evangelisch-lutherischen Geistlichen in Bayern vom 19. November 1935. Zur religiösen Intention ihrer Arbeit (ganz im Sinne des Zitats) hat sich Scholtz-Klink ausführlich geäußert in ihrer Rede auf dem Reichsparteitag 1935; vgl. Reichsfrauenführerin Gertrud ScholtzKlink, in: Deutsches Frauenwerk (Hg.), Den deutschen Frauen. Frauenkongreß. Reichsparteitag Nürnberg 1935 (Sonderdruck des Nachrichtendienstes der Reichsfrauenführerin [16 Seiten]), o.O. und o.J., S. 15–16. Strichzeichnung Frauenkopf mit Locken, steht für Hanna Linde, vgl. Übersicht Strichzeichnungen. Brauer war Mitglied und DC-Listenführer der Eisenacher Kirchenvertretung. Unter der Überschrift »Allerlei zur kirchlichen Lage« (Protestantenblatt 47/1935, 746) wird u.a. ausgeführt: »Im Gesetzblatt weist der Reichkirchenausschuß darauf hin, daß ihm die gesamte Leitung und Vertretung der Kirche ›an Stelle der bisher zuständigen Organe‹ zusteht […] In einem neuen Briefe an die Pfarrer kündigt Generalsuperintendent D. Eger Verordnungen des Landeskirchenausschusses an über … Sehr erfreulich ist, wie er Stellung nimmt dazu, ›daß sich staatliche Stellen hie und da zu Eingriffen veranlaßt sehen‹: ›wir bitten den Staat, uns die Erfüllung unseres Auftrags nicht zu erschweren dadurch, daß er sie uns scheinbar erleichtert. Denn wir wollen und müssen wieder dahin kommen, daß geistliche Dinge geistlich gerichtet werden.‹« Die »Disziplinierungen« von Pfarrern und die damit verbundenen Geldstrafen, sind eines der wesentlichen Themen des Tgb. 12. Juni 1935 an.

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Der Bischof von Meißen ist zu 100 000 Geldstrafe verurteilt worden wegen fahrlässiger Devisenschiebung.620 abends. Der Kreisleiter soll auf d. Pflugensberg gewesen sein, ist wegen »Kaltenwestheim« mobil gemacht worden u. fährt selbst hin. »Es brennte« dort. Dienstg., d. 26.11. [26. November 1935] Gestern sind alle möglichen wichtigen Briefe hinausgegangen. Leider konnten wir nicht feststellen, in welchen Angelegenheiten. Männel, Poppe, wahrscheinl. auch Thieme sind vor einigen Tagen von d. Polizei vernommen worden. Wahrscheinl. hängt das mit den Flugblättern u. Versammlungen zusammen, ebenso wie die Ladung, die der Landesbischof bekommen hat. Ich habe manchmal das Gefühl, als ob viele Schwierigkeiten u. Mißverständnisse zwischen Staat u. Kirche, Partei u. Kirche, D.Chr. u. Bekenntnisleuten daher kämen, daß es eine verschiedene Währung in Worten gibt. Bei Staat, Partei u. D.Chr. herrscht Worte-Inflation, in der Kirche ist die Währung stabil geblieben. Natürlich kann es da bei der Abrechnung nicht stimmen, besonders wenn dieser Fehler bei der einen Seite nicht klar erkannt wird. Übrigens fragte ich Ba. noch nach den Geldstrafen. Ursprünglich sollten sie danach offenbar abgezogen werden. Gültig sei aber nicht die schriftliche, sondern die mündl. Anweisung. Wahrscheinl. hat nun nach Erscheinen des Kerrl’schen Erlasses Tegetmeyer mündlich Weisung gegeben, die Strafen nicht abzuziehen u. hat diese Weisung dann mündl. wieder zurückgenommen. 12 Uhr. Eben war ( )b hier. Sehr wichtig war mir: Der Bürgermstr. Borngräber (?) von Kaltenwestheim will selbst nach Berlin zu Kerrl fahren! Ich erzählte die Neuigkeiten aus Sachsen. Da lachte er u. sagte: »Das ist ja interessant, was man verschiedenes hört. Gerade haben mir die Lehrer im V.D. erzählt, die Ausschüsse seien festgefahren u. kämen nicht weiter. Kerrl hätte sich entschlossen, seinen Auftrag an Hitler zurückzugeben.« Ich lachte erst mit ihm. Dann bekam ich Angst, weil mir einfiel, daß d. sächs. Ausschuß ja schon vor etwa einer Woche gebildet worden sein soll u. immer noch nichts in der Zeitung steht. In der Mittagspause ging ich zu O. Er war da, sichtlich auch etwas bedrückt. Er wußte nichts anderes, als daß der Ausschuß gebildet sei. So etwa nach dem Verhältnis der Gruppen in Sachsen: 20% Bekenntniskirche, 10% D.Chr., das übrige Mitte. Also ganz mechanisch: 1 Mann Bekenntniskirche, einer D.Chr., 3 Mitte. Der 620

b

Bischof Dr. Petrus Legge, der wegen fahrlässigen Devisenvergehens zu 100 000 RM Geldstrafe verurteilt worden war, wovon 40 000 RM auf die Untersuchungshaft angerechnet worden waren. Ihm wurden auch die bürgerlichen Ehrenrechte aberkannt, weil das ihm zur Last gelegte Devisenvergehen als besonders schwerwiegend angesehen wurde; vgl. Rapp, Devisenprozesse, 139–181; zum Urteil: S. 161–164. Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz, vgl. Übersicht Strichzeichnungen.

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Bekenntnismann hat die Führung.621 Regelung nicht wie in Hessen622, sondern Ausschuß über dem L.K.R. Ich fand die Regelung garnicht so beschwerend – im Gegenteil. Aber O. machte darauf aufmerksam, was dieses Prinzip der Zusammensetzung nach dem rein zahlenmäßigen Verhältnis für Thüringen bedeute, wo die D.Chr. die Hälfte der Pfr.schaft hinter sich haben. Er hätte gestern in Erfurt mit den Brüdern alle Möglichkeiten zur Bildg. eines Ausschusses durchgesprochen u. sie hätten keine gefunden, die ihnen eine Zusammenarbeit mit Thür. D.Chr. erlaubte. Ein Mann der preuß. Vorl. K.leitg., Schmidt [W.F.] habe berichtet u. Vortrag gehalten. Die Schwierigkeiten des Ausschusses liegen eben auch bei Staat u. Partei, die die entschieden christliche Strömung nicht herrschend werden lassen wollen. Sie haben keine Ahnung von der Substanz des Christentums u. möchten die protestant. Kirche irgendwie einspannen. Die D.Chr. seien tatsächl. erledigt, die Glaubensbewegg. ebenfalls. Auch gegen Rosenberg sei man kühler geworden, da im Mythus Wesentliches für den Nationalsozialismus fehle; z.B. sei der Führergedanke nicht richtig herausgestellt. – Man sei jetzt dabei eine Art ethische Gesetzesreligion aus dem Nat.sozialismus zu machen, den Führer als Gesetzgeber u. religiösen Führer (Moses im A.T.!); es wiesen in diese Richtung deutlich die Reden führender Männer seit etwa August. Z.B eine, in der es zum Schluß heißt: In hunderten von Jahren wird es heißen: Jesus war groß, aber Adolf Hitler war größer. (Zitat nachlesen in J.K.623). Man »glaube« an einen Gott als Schöpfer, an eine Vorsehung, an Offenbarung in der Geschichte, in der ein Sieg eben als Gottesurteil gilt. Das also, was siegt, ist der Wille Gottes usw. Ich kann mir einfach nicht denken, das das bewußt gewollt wird. Tatsächlich steckt diese Anschauung allerdings hinter den Reden der führenden Männer, das stimmt. Aber besonders das letzte, Vorsehnung u. Offenbarung, ist doch gar zu sehr »der Boden der Tatsachen«. Ich möchte im Gegenteil glauben, daß die redenden Führer die klare Erkenntnis nicht haben, wo geistesgeschichtlich gesehen ihre Überzeugung einzuordnen ist. Wenn die aufgezeigten Wandlungen (D.Chr., D.Gl., Ethik) richtig sind – u. sie sind richtig – dann steht doch die Tatsache fest, daß die Religionsfrage für den Nat.soz. z.Zt. einfach eine Verlegenheit geworden ist, u. daß eine Handvoll glaubenstreuer Theologen ihn in diese Verlegenheit gebracht haben. Das wäre schon ein Beweis von ungeheurer Kraft des Christentums. Vielleicht schafft diese Verlegenheit noch einmal eine grundlegend andere Haltg. zum Christentum, u. wenn es nur das ist, daß man wirklich Freiheit gibt u. einen gewissen Schutz. Ich stellte zum Schluß fest, daß es uns immerhin heute besser ginge als vor einem Jahr u. Frau Otto [M.] stimmte mir zu. O. sagte aber, es sei schon so, daß von heute auf morgen der Ausschuß zusammenbrechen u. wir der Rache der D.Chr. völlig überliefert

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Zur Bildung des sächsischen LKA vgl. oben Anm. 611 und Meier, Kirchenkampf II, 352. Die Angaben der Tagebuchschreiberin weichen also geringfügig von den Angaben Meiers ab. In Sachsen waren durch den LKA der Bischof und der LKR praktisch entmachtet; vgl. Meier, Kirchenkampf II, 352. In Hessen wurde an der Stelle des LKA ein LKR gebildet, in dem wie in einem Ausschuss die BK die Mitte und die DC vertreten waren. Bischof Dietrich war als DCVertreter Mitglied des Landeskirchenrats; vgl. Meier, Kirchenkampf II, 305. Vgl. Tgb. 20. Oktober 1935.

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sein könnten. Die Widerstände von Partei- u. Staatsstellen seien eben doch wohl ungeheuer. Wahrscheinlich stellen nun die D.Chr. auch Forderungen auf, höhnen u. warnen. Darauf führe ich es zurück, daß Kerrl kürzlich verlangt hat, daß die Bruderräte in den Gebieten, in denen Ausschüsse seien, zu arbeiten aufhören sollten. Der Ausschuß habe ihm aber klargemacht, daß an dieser Forderung alles zerbrechen würde. Wenn er seinen Ausschuß ein Jahr früher aufgestellt hätte, wäre es leichter gewesen. Heute Abd. höre ich Verschiedenes. Es sind neue Briefe an Kerrl gegangen, auch in Diszipl.sachen, z.B. Fall Friederich (nicht Fraedrich). Den müßten sie versetzen, da müsse eine Ausnahme gemacht werden.624 Jauernig hat an Volk (privat) geschrieben, es würde ihm immer schwerer, unter diesem L.K.R. mitzuarbeiten. (Ihn ärgert wohl besonders, daß sein alter Gegner, Schmidt kommissar. Ob.pfr. in Ronneburg werden soll). Den Mut, aus den D.Chr. auszuscheiden, haben solche Herren aber nicht. Thomas schrieb nett, erklärt überzeugend, warum er mich nicht aufsuchen konnte, als er neulich hier war. Er hält die »Aufbau-Vorträge« nicht mit, obwohl das Stüber das neulich vor den Eisenacher Pfarrern behauptet hat.625 Aber ich glaube, er liefert Vortragspläne oder Entwürfe. Einer meiner Freunde hat so etwas gesehen. Das hilft freilich Stüber nichts, er hat doch gelogen, u. Mitzenheim hat es durch Telephonanruf bei Thomas festgestellt. Freitg., d. 29.11.35. [29. November 1935] Gestern Abd. Bibelstunde. O. verabschiedete sich gleich, wollte noch ein paar Stunden schlafen. Er mußte heute früh ½5 nach Berlin fahren. War heute früh zur V.K.L. bestellt, heute nachm. Bruderrat. Er flüsterte mir zu, es käme wahrscheinlich zu schweren Entscheidungen. Von diesem Augenblick an war ich erledigt. Ich habe bis 3 Uhr nachts nicht geschlafen u. bin heute früh 2 Stunden später zum Dienst gekommen. Immerzu der furchtbare Druck eines drohenden Unheils. Ich bin selten so »fertig« gewesen wie heute. Und Otto hatte in voller Sammlung eine wundervolle Bibelstunde gehalten (Apostelgeschichte). Ich glaube, wenn ich mitten drin stünde in allem Kampf, wäre es mir etwas leichter als das Gefühl, nicht genau zu wissen, was vorgeht. Und dabei geht es nicht einmal um meine Existenz wie bei den Pfarrfamilien. Man merkt schon etwas von der Kraft Gottes an der Art, wie sie das tragen. Wir bekamen gestern den Württemberger Rundbrief der Bekenntnisgemeinschaft (Nr. 15/35); der Oeynhausener ist bekanntl. plötzlich aus blauer Luft verboten worden mit der mageren Begründg., die Verfasser hätten der Reichsschrifttumskammer nicht

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Zum Fall des Pfarrers Friederich vgl. Biogramme. Vgl. Tgb. 1., 2., 7. und 22. November 1935.

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angehört.626 Die Briefe sind doch wohl als Manuskript gedruckt worden. Und gingen seit etwa 1½ Jahren unbeanstandet hinaus.627 Heute früh erschien plötzlich Müller [H.] in m. Zimmer, um sich mit mir kirchenpolitisch zu unterhalten. Na, er wird wohl wieder Märchen erzählen, was ich alles behauptet hätte. Ich habe mich vor allem auf die Verleumdungen in Lefflers Artikel628 u. der Stüberschen Schrift629 u. Thiemes Reden u. Flugbl.630 bezogen. Das Theologische mit ihm zu besprechen hatte keinen Sinn. – Sehr interessant war mir aber, daß er plötzlich sagte: »Na, nun kommt der K.Ausschuß auch nach Thür.« »So«, sagte ich, »jetzt schon?« »No natürlich! Wenn Sachsen fertig ist, kommen mir dran.« Durch seine Hände geht ja der ganze Schriftwechsel. Er muß irgendwelche Nachrichten haben. Daher viell. auch sein Besuch bei mir. Er wollte die Versöhnung anbahnen. Es würde ja stimmen zu dem, was Lilje Otto vor 8 Tagen sagte. O. hatte ja erwartet, in den Thüringischen Sachen schon am Montag nach Berlin gerufen zu werden. Aber ganz selbstverständlich erscheint es doch allen Bekannten, so gestern Frl. Helmbold u. v. Ranke u. heute Btz. u. Therese, daß mit den Thüringer D.Chr. kein Zusammenarbeiten möglich ist. Wenn die neutralen Kerle wären, dann könnten sie die Entscheidung bringen, indem sie sich auch weigerten. Aber dieses Wunder geschieht wohl nicht. – Viell. hat O. doch jetzt auch in dieser Sache in Berlin zu verhandeln? Labi Sasse ist 10 Tage auf Urlaub. Am Bahnhof hat er zum Chauffeur gesagt, er wäre froh, den ganzen »Kram« mal los zu sein. Menschlich ist es zu verstehen, aber bischöflich ist die Ausdrucksweise nicht. In der Angelegenht. eines Hilfspfrs. Friederich (nicht Fraedrich) scheint der L.K.R. wieder einmal dem K.A. zu widerstreben.631

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Gedrucktes Rundschreiben [Einzelblatt] des Präses der Bekenntnissynode der DEK vom 14. November 1935 (LKAE, LBG 211, 96), in dem er das Rundschreiben des Präsidenten der Reichspressekammer »für Mitglieder von Bekenntnisgemeinden« vom 30. Oktober 1935 im Wortlaut mitteilt: »Auf Grund des § 4 der ersten Verordnung zur Durchführung des Reichskulturkammergesetzes vom 1. November 1933 … wären Sie verpflichtet gewesen, sich in meine Kammer einzugliedern. Da Sie diese gesetzliche Voraussetzung, die Bedingung für die Betätigung im Bereich der deutschen Presse ist, nicht erfüllen, untersage ich Ihnen mit sofortiger Wirkung die weitere Herausgabe Ihres Informationsdienstes.« Vgl. auch Tgb. 13. November 1935. Die württembergischen Rundbriefe wurden ebenfalls am 30. Oktober 1935 verboten; vgl. Mitteilung der Evangelischen Bekenntnisgemeinschaft Württemberg [gedrucktes Einzelblatt] vom 21. November 1935, LKAE, LBG 33, 3. Der Einwand der BK, die Eingliederungspflicht bestehe für diese Rundbriefe nicht, weil sie sich nur an einen bestimmten Personenkreis wendeten und der Öffentlichkeit nicht zugänglich seien, ließ der Präsident der Reichspressekammer nicht gelten; ebd. Zum Verbot der veschiedenen Rundbriefe vgl. Tgb. 8. April, 26. Juni und 13. November 1935. Zur Argumentation vgl. vorstehende Fußnote. Leffler, Die deutsche evangelische Kirche und ihre Totengräber, BrDC 3 (1934), 208–209. Der Landeskirchenrat der Thüringer evangelischen Kirche, [Druckschrift ohne Titel, aber mit dem Vermerk »vertraulich«], Eisenach, im August 1935 [24 Seiten], LKAE, LBG 241, 1. Ausgearbeitet von Stüber. Vgl. Tgb. 24. November 1935. Zum Fall Friederich vgl. Biogramme.

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nachmittags. Th. P. [Paulssen] behauptete, Müller [H.] hätte mich ausholen wollen! (Das ist auch möglich.) Die D.Chr. hätten furchtbare Angst vor dem K.A. Sie scheinen jetzt öfter davon zu sprechen. Als ich vorhin durchs Haus ging traf ich R. im Zwischenstock. »Na, wie siehts wohl in 14 Tagen hier aus?«, flüsterte er mir zu. Ich fragte, was er meinte. Er glaubte, der Finanzausschuß würde erwartet.Und dann würde wohl vor allem Schluß mit dem V.D. gemacht. Das ist allerdings das Nötigste.632 – Dann nannte er den Namen von K.Rat Otto [R.]. Also mit dem könnten die Herren sich einverstanden erklären? Das halte ich für möglich. Ein Mann, der sich aufs Reden beschränkt u. auf lahme Proteste u. es mit der Angst kriegt, wenn gehandelt werden soll. Er hat die ganze Zeit überall pessimistische Stimmungen verbreitet u. hat natürl. die Juli-Erklärg. der Bekenntnisfront633 nicht mit unterschrieben. ½ Stunde später. Die Anzeichen mehren sich. Frau Sasse hat zu Jemandem gesagt: »K.Rat Stüber hat gesagt, mein Mann müßte zurückgeholt werden!« – Stüber soll furchtbar aufgeregt sein. Aus einem Rundbrief der D.Chr. (Brauer hat ihn herausgegeben): (dem Sinne nach:) »Es geht nicht, daß unsere Kreis-oder Gemeindeleiter pp. glauben, wenn wir mehrere Aufbauabende in einem Ort abhalten, sie brauchten nur an einem Abend teilzunehmen u. dann nicht mehr zu kommen … Die Aufbauabende werden weitergehen … Jedes Mitglied hat die unbedingte Pflicht, in jedem Monat ein neues Mitglied zu werben …« Volk soll von dem Getuschel nichts ahnen. Wenn Sasse nicht da wäre, weihten ihn Franz u. Stüber in nichts ein. Sasse sei noch der Einzige, der ihm manchmal etwas mitteilte. 6½ Uhr abends. Kein Zweifel mehr, es geht etwas vor. Tegetm. u. Franz sind selbander zu Volk gezogen. Aus dem Gespräch ist das Wort »Finanzausschuß« heraus gehört worden. In der Geschäftsstelle hat man sich ganz offen darüber unterhalten, vor den Ohren des Lehrlings. Bö.: »Na, jetzt kommt der Finanzausschuß. Da können die da hinten [VD] aber mal was erleben!« Ein anderer: »Erinnern Sie sich, was der V.D. früher war? Und was ist er jetzt!« Bö.: »Ja, jetzt! Das war früher anders!«634 (Aber die Kritik geht nur auf das Finanzielle.) 632

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Hintergrund dieses Vermerks ist wohl die Befürchtung bzw. Hoffnung, dass analog zur altprotestantischen Union auch in Thüringen eine staatlich verfügte Finanzabteilung eingerichtet würde, die dann z.B. das finanzielle Gebaren der DC hätte kontrollieren können; vgl. Errichtung von Finanzabteilungen in den evangelischen Landeskirchen Preußens vom 11. März 1935, in: Dokumente zur Kirchenpolitik II, 277–283. Vgl. Tgb. 17. September 1935. Die Tagebuchschreiberin deutet an, dass der Volksdienst sich inzwischen zur Propagandazentrale der KDC entwickelt hatte. Zu seiner ursprünglichen Bedeutung vgl. Tgb. 27. Mai 1933.

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Thieme hat gestern ein Darlehn von 1000 M bekommen, weil er nicht auskommt. Er ist mit Schulden hier angekommen. Die Schulden sollen aus der Kampfzeit der Bewegung stammen u. natürl. für die Bewegg. gemacht worden sein.635 D. 30.11., früh 8 Uhr. [30. November 1935] Gestern Abend las ich in der »Frankf. Ztg.« im Kaffee Lackner noch folgendes: »In Kurhessen-Waldeck (Kassel), wo bisher 2 Kirchenregierungen tätig waren (offenbar eine deutsch-christliche u. eine als Fortsetzung der alten?) ist ein Kirchenausschuß eingesetzt worden. Wie er kirchenpolitisch zusammen gesetzt ist, läßt sich nicht erkennen, wenn man die Persönlichkeiten nicht kennt.636 Aber Kerrl hat den Reporter einer Zeitung empfangen u. dabei einiges Grundsätzliche gesagt, was wohl der Anlaß der Berliner Sitzungen gewesen ist. Er hat die Forderung ausgesprochen, daß wenigstens da, wo die Kirchenausschüsse arbeiteten, »die Bruderräte sich auflösen müßten«. Wenn das in dieser Form gesagt worden ist, dann geht es jetzt auf Biegen u. Brechen; u. ich fürchte, die Bruderräte können nicht mit. Es ist ja eine unerhörte Forderung, daß die Bruderräte sich auflösen sollen, während der unmögliche Reichsbischof noch nicht abgesetzt u. auch der hessische Bischof noch irgendwie tätig ist. Und ob die Zusage Kerrls, daß die Kirche ihre Angelegenheiten in voller Freiheit in Ordnung bringen soll, gehalten worden ist, das scheint mir überall da nicht der Fall zu sein, wo die Reichsstatthalter u. Gauleiter oder womöglich noch andere staatliche Stellen sich eingemischt u. die endgültige Zusammensetzung der Ausschüsse beeinflußt haben.

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»Der von Kirchenrat Tegetmeyer vorgetragenen Regelung über die Bewilligung eines Darlehens von 1000 RM an Thieme aus der Landeskirchenkasse wird zugestimmt« (Protokoll der Sitzung des LKR der TheK vom 10. Dezember 1935, LKAE, A 122, 68). Die Darlehensvergabe wurde im wesentlichen damit begründet, dass er aus der Kampfzeit der Bewegung (KDC) erhöhte Aufwendungen gehabt habe; vgl. Niederschrift einer Aussprache mit Herrn Schulungsleiter Thieme vom 28. November 1935, LKAE, G 2055, 50. Das Darlehen sollte mit 5% verzinst und als Gehaltsvorschuss von monatlich 20 RM verrechnet werden; vgl. Schreiben des LKR der TheK vom 9. Dezember 1935, ebd., 55. Zu den Geldschwierigkeiten und -forderungen Thiemes vgl. auch Tgb. 18. Oktober 1935; 7. und 9. November 1935. »Die seit Juli 1934 in Kurhessen-Waldeck vorhandenen konträren Leitungsgremien der Landeskirche – die ältere, in ihrer ursprünglichen Form auf Grund der Juliwahlen 1933 gebildete, inzwischen jedoch wesentlich umgeformte Einstweilige Kirchenleitung und die jüngere, auf Grund der reichsbischöflichen Maßnahmen im Juli 1934 gebildete, durch das Ausscheiden von Theys und Velbinger nicht mehr vollständige Kommissarische Kirchenregierung – boten den kirchenpolitischen Hintergrund der Auseinandersetzungen in Kurhessen-Waldeck, denen sich der Reichskirchenausschuß gegenüber sah, als er Ende November 1935 in Verhandlungen mit allen kirchenpolitischen Gruppen eintrat, deren Ergebnis die am 29. November 1935 erfolgte Bildung eines Landeskirchenausschusses war. Die Befugnisse beider Kirchenregierungen gingen auf den Ausschuß über, dem Pfr. Fritz Happich (Treysa) als Vorsitzender, Landgerichtsrat Dr. Fricke (Kassel) als stellv. Vorsitzender, Pfr. Karl Haupt (Kassel-Rotenditmold) als Schriftführer und als weitere Mitglieder Kreispfarrer Fritz Laabs (Ziegenhain) und Pfr. Georg Blendin (Wachenbuchen b. Hanau) sowie für Waldeck Pfr. Kurt Rebermann (Bergheim, bisher Korbach) zugehörten« (Meier, Kirchenkampf II, 301). Haupt war DC, Laabs, Fricke und Rebermann waren BK, Happich und Blendin Mitte.

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Gest. Abd. ist Phieler hier gewesen, der von einer Reise aus Berlin zurückkam. Er hat von »Kerrl« u. »Bruderräten« gesprochen. Darauf ist Franz geholt worden. (Vorgestern hats bereits in der Frankf. Ztg. gestanden). Übrig. hat Kerrl u.a. noch gesagt, es sei selbstverständl., daß die Mitglieder der Ausschüsse nicht in den kirchl. Gruppen bleiben u. sich auch nicht von ihnen beraten lassen dürften. Er hat auch noch gesagt, was ja sehr gut ist, Führerprinzip sei in d. Kirche ebensowenig mögl. wie Mehrheitsbeschlüsse. Es müsse Vertrauen herrschen! In der »Reformierten K.ztg.« Nr. 48 vom 1.12. kann man zwischen den Zeilen lesen, wie schwierig die Dinge dort liegen. Die Mitglieder der Gemeindekörperschaften fragen sich, ob sie es verantworten könnten, »daß die zur Ehre Gottes erbaute Kirche von einer Minderheit dazu benutzt wird, Lehren zu verbreiten, die der heil. Schrift u. dem Bekenntnis widersprechen …« Ein Blatt, »der Gärtner«, hat über die neue kirchl. Lage u.a. gesagt: »… So wird auf dem Wege einer wohltemperierten Theologie der Neubau der Kirche bald zustande kommen. Im Wesentlichen bleibt alles beim Alten …« Es kann nicht gut gehen! In der neuest. Nr. des »Ev. Deutschland« wird mitgeteilt, daß Sportpalast-Krause nun endlich zur deutsch. Glaubensbewegung übergetreten ist.637 Und das war mal der Gauleiter der D.Chr. Nun sieht ja jedermann, was los war. Das Kommen des Finanzausschusses wurde heute von H. aufs Neue bestätigt. Dabei fiel die Bemerkung: »Es sieht so aus, als wollte der V.D. schleunigst noch möglichst viel Geld ausgeben, damit die Nachfolger leere Kassen vorfinden.« Ich lese eben im dtsch. Pfr.blatt, Nr. 26, eine wunderbare Rede, die der Vorsitzende der ev. Pfarrervereine am 16. Nov. vor dem K.A. gehalten hat. Großartig. Er fordert darin vor allem den Rücktritt des Reichsbischof, u. öffentl. Kundgebung dieses Rücktritts als Tat des K.A. Das allein würde dem KA das Vertrauen des K.volkes bringen.638 Montag, d. 2. Dez. 35. [2. Dezember 1935] Sonnabend u. gestern, Sonntg. Abd. war ich bei O.s. Gestern Abd. war ein größerer Kreis, etwa 10 Leute außer O.s beisammen. O. berichtete ausführlich. U.a. las ich einen 637

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»Er [Krause] gründete eine Glaubensbewegung ›Deutsche Volkskirche‹, die er in ›Volkskirchliche Deutsche Glaubensbewegung‹ (Krausebewegung) und später in ›Deutsche Glaubensfront‹ umbenannte. In einem … Aufruf teilt jetzt Dr. Krause den Zusammenschluß der ›Deutschen Glaubensfront‹ mit der ›Deutschen Glaubensbewegung‹ mit« (Neues von Dr. Krause, Das Evangelische Deutschland 12 [1935], 433); vgl. auch: JK 3 (1935), 1134–1135: Krause gibt den Zusammenschluss von Deutscher Glaubensfront und DGB bekannt. Vgl. Ernste Wünsche und Anliegen des Reichsbundes der deutschen evangelischen Pfarrervereine, e.V. Vorgetragen dem Reichskirchenausschuß in Berlin am Donnerstag, 14. November 1935, durch Reichsbundesführer Kirchenrat Klingler, Nürnberg (LKAE, WB 2, 237 [vermutlich Privatdruck Friedrich Klingler]), wo es u.a. heißt: »Ungezählte Aeußerungen aus der Mitte unserer Gemeinden und unserer Pfarrerschaft lassen klar erkennen: Unser evangelisches Kirchenvolk wartet auf eine ganz bestimmte sichtbare Tat des Kirchenausschusses: Die Entfernung des Reichsbischofs. Solange nicht diese vor aller Oeffentlichkeit geschieht, und in einer entsprechenden Kundgebung mitgeteilt wird, gewinnt es zu dem Kirchenausschuß nicht das unbedingt notwendige Vertrauen und kann an den Kirchenfrieden, den es sehnlichst vom Reichskirchenausschuß erwartet, nicht glauben.«

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Brief von Dietrich-Hessen an seine Vertrauensleute (?) vor, in dem er schildert, daß der L.K.R. nicht arbeitsfähig sei. Die Bekenntnisleute benähmen sich unerhört, erkennten die großen Opfer, die er gebracht hätte, nicht an u. erklärten es z.B. für selbstverständlich, daß er den Vorsitz nicht hätte pp. Er würde jetzt zu Kerrl fahren u. ihm erklären, daß er mit diesen Leuten nicht arbeiten könne. Wenn der Minister ihm »Versammlungsfreiheit« gewähre … usw. Im übrigen seien seine Möglichkeiten, sich mitzuteilen, beschränkt. Der Brief solle deshalb weiterverbreitet werden. Kerrl hat ihn daraufhin beurlaubt – für 8 Wochen! Heute früh höre ich hier im Haus, daß er zurückgetreten sein soll. Das ist sehr glaubhaft. Das hätte ich an seiner Stelle auch getan. – Außerdem wird erzählt, der Reichsbischof sei zurückgetreten. Ob das nicht eine Verwechselung ist? abds. Frl. Sommer erzählt mir eben, Frau Pfr. Bauer [K.] hätte ihr erzählt, die »vorl. K.Ltg.« sei aufgelöst, »weil Kerrl so wütend wäre …« Ich hoffe, das ist eine Verwechselung mit den Bruderräten. Die V.O. mit der den Bruderräten die kirchenregimentl. Funktionen abgesprochen werden sollen, soll heute im Reichsgesetzblatt erscheinen. Irgendjemand hatte O. in Berlin den Entwurf vorgelesen Es waren diejen. Gebiete benannt, a) in denen Kerrlsche Ausschüsse tätig sind u. b) diejenigen, in denen eine legale Kirchenregierung tätig ist. Merkwürdigerweise war unter b.) Thüringen nicht genannt.639 Abgesehen von der »geistl. Leitung« hat der Thür. Bruderrat ja auch keine kirchenregimentl. Befugnisse ausgeübt. Aber es kann ja im letzt. Augenblick noch Manches sich geändert haben. Die Aufregg. hier im Haus am Freitag muß auf irgendeinem blinden Lärm beruht haben, denn bis heute hat sichs nicht bestätigt, daß der K.A. etwa täglich hier zu erwarten wäre. Freilich hat Kerrl in einem hess. Presseinterviev u.a. gesagt, er wollte bis Weihnachten mit allen Ausschüssen fertig sein. Demnach müßte er doch auch in Thür. bald handeln. ( )b erzählte mir heute u.a. Folgendes: In Jena sei als Kreisleiter der D.Chr., von Leffler eingesetzt, ein Mann tätig, der 1923 noch Kommunist gewesen sei u. im Ruhrkampf einen Reichswehrsoldaten mit dem Kolben niedergeschlagen hätte. Der Ob.pfr. müßte nach seiner Pfeife tanzen.640. 639

b 640

Vgl. Fünfte Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Sicherung der Deutschen Evangelischen Kirche vom 2. Dezember 1935, in: Dokumente zur Kirchenpolitik III, 135–136. Was in diesem Erlass allgemein, alle kirchlichen Gruppen betreffend, zum Ausdruck gebracht wurde, ist in einem weiteren Erlass Kerrls direkt formuliert: »Durch die im Reichsgesetzblatt veröffentlichte Fünfte Durchführungsverordnung … habe ich überall da, wo Kirchenausschüsse von mir gebildet sind, den Organen der Bekenntnisfront die Ausübung kirchenregimentlicher Befugnisse untersagt … Vor allem ersuche ich im Hinblick auf die Tatsache, daß auf Grund der Fünften Verordnung … für gewisse Fälle eine Auflösung von Organen der Bekenntnisfront vorgesehen ist, keinerlei Maßnahmen ohne meine ausdrückliche Anordnung zu treffen« (Erlass des Reichskirchenministers an den Chef und Inspektor der Geheimen Staatspolizei betr. Maßnahmen staatspolizeilicher Art, ebd., 136–137). Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz, vgl. Übersicht Strichzeichnungen. Bei dem DC-Kreisleiter handelt es sich um Hans Rossner, Stadtkirchner in Jena. Über ihn heißt es im Protokoll der Sitzung des LKR der TheK vom 17. Dezember 1935: »Kirchenrat Leutheuser

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Und da wirft mir neulich Hugo Müller entrüstet vor, daß Pfr. Hertzsch hier, früher »rel. Sozialist.« »bei« der Bekenntnisgemeinsch. stünde. (Er gehört ihr nicht an). Also sowas kann man den einfachen Gemütern vorsetzen! Und v. Jüchen u. Kleinschmidt sind D.Chr. geworden! Davon reden sie nicht. – Man rechnet damit, daß etwa in 2 Jahren neun kirchl. Körperschaften auf Grund von Neuwahlen – aber mit einem neuen Wahlgesetz – gebildet werden. Bis dahin muß der Nebel durchstoßen sein. Dienstag, 3. Dez. [3. Dezember 1935] Also heute erst ist endgültig durchgesickert, was sich am Mittwoch ereignet hat. ( )b wußte gestern noch nichts u. offenbar auch andere nicht. Eben war Luther hier, sah die Zeitungsausschnitte mit Kerrls Bild auf dem Tisch liegen. »Na, ob der Mann nicht etwas zu voreilig war, als er erklärte, es sei der schönste Tag seines Lebens gewesen als der ›Aufruf‹ heraus kam? Es sollen doch inzwischen mehrere Verhandlungen abgebrochen u. Ausschüsse aufgeflogen sein. Auch mit Marahrens soll es Krach gegeben haben.« Ich sagte: »Ja, es hat verschiedentlich Krach gegeben. Das war am vorigen Mittwoch.« »So – am Mittwoch war das also.« »Ja – mit den Preußen. Wissen Sie, da kommen wieder die Unterschiede zwischen den Lutherischen u. den Reformierten zum Vorschein.« »So – «, sagte er gänzlich ahnungslos, wollte aber nicht fragen. Er schilderte dann, wie überall, wo er mit Kameraden zusammen wäre, Mißachtung der Kirche zutage träte. Gestern hätten sie ihn gefragt: »Na, habt ihr die Bibel nun fertig übersetzt?« Auf dem Weg zum Luftschutzkursus gestern Abd. traf ich O., der seit Sonntg. Abd. keine neuen Nachrichten gehabt hatte. Heute Abd. ist Bekenntnisgemeinsch. »hinter der Mauer«. Eben drückte mir einer die Abschrift eines Schreibens in die Hand, das hier beim L.K.R. eingegangen ist. S. hatte mir gestern schon davon gesprochen; Hugo Müller hätte es ihm in den Eingängen gezeigt. Es stimmt also. Es ist die Abschrift aus dem Bericht eines Theologiestudenten über eine Schulung im NSDStB vom 28.8. bis 9.9. d. Js. unter der Leitung von Derichsweiler selbst. Es enthält das klare Eingeständnis, daß es die bewußte Absicht des Führers sei, das Christentum (nicht mit Gewalt) auszurotten.641 Es paßt zu einem Ausspruch von Derichsweiler, den P. neulich wiedergab: »Die Christen müssen aus der Partei raus.« Hier im Haus habe ich 2 Abschriften dieser Sache

b 641

beantragt, dem Stadtkirchner Rossner für seine besonderen Aufwendungen bei der Arbeit für die Bewegung und für die landeskirchlichen Aufbau-Abende eine Beihilfe zu gewähren. Nach Besprechung wird beschlossen, daß Rossner eine Aufstellung über seine Ausgaben einreichen und danach einen Pauschbetrag als Beihilfe aus Etatsmitteln des Volksdienstes erhalten soll« (LKAE, A 122, 71–72). Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz, vgl. Übersicht Strichzeichnungen. Weltanschauliche Schulung in NSDStB. Abschrift eines Berichtes eines Theologiestudenten, LKAE, LBG 6, 82. Zur Schulungsarbeit unter Studenten vgl. auch Karl Immer, Entchristlichung der Jugend. Eine Materialmappe, Barmen-Gemarke 1936, 18–20.

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festgestellt, die von Hand zu Hand gehen. Ich habe 3 weitere gemacht. Wenn das überall so geht, dann läuft dieser Bericht mit Windeseile durch ganz Deutschland. Heute ist Lehmann wieder einmal im Büro erschienen u. wurde über die inzwischen stattgefundenen Ereignisse orientiert. Ein Satz des Berichterstatters lautete: »Es kommt nun für uns darauf an, daß wir einen Kompromiß zustande bringen.« Eben höre ich, daß der alarmierende Schulungsbericht von Ob.pfr. Kade beim L.K.R. eingeschickt worden sein soll. Oberländer hat gesagt, man könne nicht daran glauben, denn es stieße ja sehr vieles um. Mittw., den 4. Dez. 35. [4. Dezember 1935] Gestern Abd. Bekenntnisgemeinsch. hinter der Mauer.642 O. kam in s. langen Bericht auch ganz allgem. auf Briefe aus Schulungslagern des N.S.D.St.B. zu sprechen u. es stellte sich heraus, daß er auch den erhalten hatte, der hier im Haus kursiert. Otto kam in seinem langen Bericht auch ganz allgemein auf Briefe aus Schulungslagern zu sprechen. Er sagte, es könne niemand dafür bürgen, daß die Briefe echt seien. Aber soviel sei klar: Sie hätten allen höh. Stellen vorgelegen, auch dem Ministerium, u. niemand hätte abgestritten, daß die darin behaupteten Tatsachen wahr seien. Es lägen Briefe aus 4–5 verschiedenen Lagern vor. – Die letzten Württemberger Rundbriefe (die Württemberger Rundbriefe sind jetzt auch verboten643 u. damit alle Rundbriefe) enthalten einen Hinweis auf diese Briefe u. die Behauptung, daß sie echt seien u. bringen einen Auszug aus einem süddeutsch. »ev. Sonntagsblatt« der D.Chr., das sich über das Entsetzen über diese Briefe, das diese lustig macht.644 Der Hinweis auf die Briefe geschah in Ottos Bericht ganz nebenbei. Den breitesten Raum nahm die Schilderung der letzten 6 Wochen ein, der Zeit, seit die Ausschüsse ernannt wurden. Gestern Nachmittag erschien die von Kerrl angekündigte Bekanntmachung über die Bruderräte pp. auch in der »Eis. Ztg.« Kerrl hat als Kommentar ein Interviev an die Presse gegeben. Die Lage ist furchtbar. O. rechnet damit, daß irgendwie der Wille der Gemeinden festgestellt werden wird. 642 643 644

»Hinter der Mauer« befand sich das evangelische Vereinshaus mit dem Gemeindesaal der Stiftsgemeinde (vgl. Tgb. 15. Juni 1934). Zum Verbot der Rundbriefe vgl. Tgb. 8. April, 26. Juni, 13., und 29. November 1935. »In einem Artikel des ›Deutschen Sonntag‹ heißt es unter der Überschrift ›Geistliche Waffen‹: ›Es wird gegenwärtig ein geheimes Schauerdokument herumgereicht, hinten herum, und kursiert … in den Pfarrhäusern. Pfarrfrauen und -töchter weinen; der Hausvater runzelt die Stirn – die bösen Nazi … ! Was ist los? Zwei Theologiestudentlein haben an einem nationalsozialistischen Schulungskurs teilgenommen, und ihre zarten Ohren hörten dabei scheints ein paar Dinge, die ihnen nicht angenehm eingingen (!!). Sie erklärten, daß sie nicht bloß dies und das, sondern den ›Mythus‹ von Rosenberg insgesamt und radikal ablehnten, sprachen sich aus und ersuchten um Entlassung aus dem Kurse. Dieselbe wurde ihnen auch, wie sie selbst anerkennen, in einer sehr anständigen Form bewilligt. – Nun wird flugs ein Pamphlet (z. d.: Schmähwisch) von mehreren Schreibmaschinenseiten fabriziert und von einer kirchlichen Propagandastelle als Massenware versandt‹ usw.« (Rundbrief der Württembergischen BK 15/1935 vom 6. November 1935). Seitens der BK wird im Hinblick auf diesen Artikel der leichtfertige Umgang mit einem ernsten Anliegen in einem (deutsch-)christlichen Wochenblatt beklagt; man könne daran »in erschreckender Weise« sehen, »wohin es mit den ›Deutschen Christen‹ gekommen ist« (ebd.).

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Als Beispiel sagte er uns am Sonntag, in Erfurt, wo 14 Bekenntnispfr. tätig seien, hätten nur 2 Pfr. die letzte Kanzelabkündigung von Niemöller verlesen.645 – Aus seiner Darstellung ging wieder klar hervor, daß es sich im tiefsten Grunde um einen Gegensatz zwischen »lutherisch« u. »reformiert« dreht. Die Haltung der Reformierten sei tatsächlich stark von Karl Barth beeinflußt, den O. ja auch ablehnt. Der preuß. Bruderrat sei nicht dem Stärkeverhältnis zwischen Lutherischen u. Reformierten entsprechend zusammengesetzt, sondern aus Persönlichkeiten ohne Rücksicht auf Gruppenzugehörigkeit. Immer hätte die Niemöller-Gruppe eine kleine Mehrheit, etwa 14 zu 12. In dieser Lage ist der KA der Hoffnung, bis Weihnachten mit der Bildung der Ausschüsse fertig zu werden. Es bestätigt sich, daß die Herren wochenlang nur am Donnerstag u. Freitag gearbeitet u. Sonnabend nach Hause gefahren sind! ( )h hatte übrigens gehört, daß Hohlwein sich geäußert hätte: »Die Herren im L.K.R. tun ja, als pfiffen sie auf d. letzten Loch. Sie wagen nur noch, Entscheidungen von heute bis morgen zu treffen.« Volk soll ihm als Vorschlag des L.K.R. für den Ausschuß genannt haben: Der L.K.R. in sr. jetzigen Zusammensetzung unter Zuzug von D. Otto [R.]. (Wahrscheinl. aber wollen sie doch Lehmann herausschmeißen). Den 5.12., Donnerstg., 8½ Uhr früh. [5. Dezember 1935] Die Frau vom Labi hat eben gesagt: »Mein Mann muß morgen früh beim Reichsbischof sein.« Was geht da vor? Wird intrigiert? Oder hat sich der K.A. entschlossen, Müller abzusetzen? Mir kommt eben der Gedanke, welche schwierige Lage doch für den K.A. entsteht, wenn Niemöller sich nicht fügt. Ist der Ausschuß wirklich Kirchenleitung, wie Kerrl behauptet, so kann er innerhalb der Kirche nur mit kirchl. Mitteln handeln. Das sind Mittel, die sich bereits im Kampf mit d. Reichsbischof als unwirksam erwiesen haben. Ruft er aber nach der Polizei, so liefert er damit Niemöller den Beweis, daß er recht hat. Denn Niemöller erkennt die Ausschüsse als staatliche Einrichtungen an. Und wie will in einer solchen Lage Kerrl mit seinem Grundsatz durchkommen, sich nicht in innerkirchl. Handeln zu mischen? Heute Mittag ist ein wunderbarer Sechssitzer vor der Haustür des Labi vorgefahren. Gleich hat Sommer gedacht: Das ist der Kirchenausschuß! Und schickt Laue los, um die Sache zu untersuchen! Es war der Schwager des Assessor Schenk aus Berlin! Die Beamten u. Angestellten, ob D.Chr. oder nicht, erwarten die Ankunft des KA. eigentlich wie einen Hauptspaß! Sie sehen fast alle ganz gern ihre Vorgesetzten in der Klemme.

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h

Es handelt sich wohl um die Kundgebung / Kanzelabkündigung (unterschiedliche Benennungen desselben Textes) der Bekenntnissynode der Kirche der altprotestantischen Union vom 4.–5. März 1935 (vgl. Tgb. 23. März 1935). Strichzeichnung Frauenkopf mit Zöpfen, Person nicht identifizierbar, vgl. Übersicht Strichzeichnungen.

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Ein Pfarrerkursus ist abgesetzt worden wegen Mangel an Beteiligung.646 Irgendein Kursus läuft augenblicklich in Friedrichroda, aber es lohne sich kaum, es seien zu wenig Leute da. Heute 2 Times-Ausschnitte, die Wahres u. Mißverstandenes durcheinander bringen. Es ist, als hätte einer an einer Türe gehorcht u. nicht alles verstanden u. die Lücken mit eigener Erfindung überbrückt. Es wird die Beschlagnahme des Treuhandkontos von Präses Dr. Koch als Folge des Kraches vom Mittwoch vor 8 Tagen geschildert – während sie diesen Scenen voran ging. Weiter die Verhängung der Vorzensur über alle Rundschreiben des Bruderrates.647 O. ist auch zur Polizei beordert worden, wo man ihm für seine Arbeit das Gleiche eröffnete. Er mußte mit Unterschrift bestätigen, daß ihm die Verfügg. bekannt gemacht war. Merkwürdigerweise wirkt sie sich für Thüringen als ein Fortschritt aus, denn bisher durfte er ja überhpt. keine Rundbriefe versenden! Er nimmt an, daß er das nun darf sowie die Polizei das Schreiben freigibt. Ich kaufte eine »Times« von gestern u. siehe da, wir hatten damit die neuesten Nachrichten vom Dienstag, auf die wir hier sonst wohl noch lange gewartet hätten: Immer vorausgesetzt, daß sie der Wahrheit entsprechen, was ja nicht sicher ist, haben Dibelius und Niemöller gemeinsam am Dienstag, an dem die neue V.O. gegen die Bruderräte in Kraft trat, in der Dahlemer Kirche wieder 5 Kandidaten ordiniert. »Times« hält es für möglich, daß Kerrl daraus viell. noch keine Folgerungen zieht, weil die preußischen Provinzialkirchenausschüsse noch nicht ernannt sind. 6½ Uhr. Eben Nachricht: in der »Tagespost« steht, daß das Disziplinarverfahren gegen Bischof Zänker-Breslau eingeleitet ist, da er Prüfungen abgehalten habe. Das sei Sache der Ausschüsse. Auch im Rundfunk sei es gesagt worden.648 Also nun gehts los wie beim Reibi. ( )b erzählte mir, Männel hätte gesagt: »Die Ausschüsse haben versagt, Kerrl muß seinen Auftrag an den Führer zurückgeben. Und dann bleibt uns ja nur übrig, uns gegenseitig totzuschlagen.« Ich stimmte zu. Dann bleibt wirklich nichts anderes übrig.

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b

Gemeint sind die deutschchristlich orientierten Pfarrerschulungskurse (vgl. dazu Tgb. 19. Mai, 18. Oktober und 2. November 1935). Runderlass des Geheimen Staatspolizeiamtes Berlin vom 29. Oktober 1935: »Auf Anordnung des Herrn Reichs- und Preußischen Ministers für die kirchlichen Angelegenheiten wird über sämtliche Rundschreiben der Bekenntnisfront, der vorläufigen Kirchenleitung, des Reichsbruderrates und des Bruderrates der altprotestantischen Union mit sofortiger Wirkung Vorzensur verhängt. Die einzelnen Organisationen haben vor Herausgabe der Rundschreiben jeweils drei Exemplare bei der Staatspolizeistelle einzureichen. Ich ersuche, mir von diesen jeweils zwei mit Schnellbrief vorzulegen. Die Entscheidung über die möglicherweise zu erfolgende Beschlagnahme hat sich der Herr Reichminister für die kirchlichen Angelegenheiten vorbehalten« (Dokumente zur Kirchenpolitik III, 132–133). Zum Verbot der Rundbriefe vgl. Tgb. 8. April, 26. Juni, 13., 29. November, 4. Dezember 1935 Diese Nachricht wurde bestätigt durch einen Bericht des Völkischen Beobachters vom 6. Dezember 1935, abgedruckt in: JK 3 (1935), 1171. Es wurde noch hinzugefügt, dass Kerrl veranlasst habe, dass die Zahlung der für die Besoldung Zänkers gewährten Staatsleistungen eingestellt würde. Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz, vgl. Übersicht Strichzeichnungen.

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D. 6.12. [6. Dezember 1935] »Times« ist heute ausgeblieben. Ich kaufe sie jetzt jeden Tag für O., der seufzend sagte: »Es bleibt uns nichts übrig, wenn wir wissen wollen, was vorgeht.« In der »Neuen Basler Zeitg.« stand stattdessen, daß Niemöller Redeverbot hat, nicht für Predigten, aber für Ansprachen u. Vorträge außerhalb der Kirche. 7.12., Sonnabd. [7. Dezember 1935] Gestern Abend bekam ich die »Times« doch noch in d. Buchhandlg. Es stand eine ausführl. Beschreibung der Provinzialkirchensynode der Bekenntnisbewegg. Berlin-Brandenburg darin, die, vor Wochen bereits einberufen, am Dienstag trotz des Verbotes getagt u. einstimmig – 180 Abg. – eine sehr scharfe Entschließung gegen die Kerrlsche V.O. gefaßt hatte.649 Ich ging abds. noch zu O. u. übersetze sie ihm. Nitzsch, Hertzsch u. Brakhage waren dort, sichtlich verstört. Nitzsch ging auf u. ab u. sagte erregt: »Ich verstehe das nicht mehr!« O. brachte mich noch auf den Flur u. sagte: »Nitzsch schlottert vor Angst … die Situation ist ja auch furchtbar.« O. hatte übrigens die Nachricht von der Synode schon von Berlin bekommen in einem Schreiben, das offenbar unter Umgehung der Vorzensur ohne Unterschrift verschickt war. Ich war dann bei Röver in der Versammlg., der sehr sympathisch sprach – über das Rassenthema! Kein Angriff gegen das Christentum. Heute früh bekam ich Zeitungsausschnitte650, darunter den englischen, den ich für O. schon übersetzt hatte (Elijah and the 7000 …), die Mitteilung über die Ordination der 5 Theologen am 3. [12.] in Dahlem mit Niemöller. Bauer [G.] ließ mir dazu sagen, ich möchte die Übersetzung, wenn möglich heute vormittag fertig machen. Es war das erstemal, daß man mich merken ließ, wie sehr man auf diese Nachrichten spannt. Ich setzte mich dann auch gleich hin u. machte die Sachen fertig u. schickte sie hinüber. Bald danach kam die neue Nr. des Ev. Deutschland, in der ich die Nachricht fand, daß Marahrens mit 70 seiner Vertrauensleute sich in einer Resolution hinter Kerrl bzw. den Reichsausschuß gestellt habe, ähnlich der sächs. Bruderrat.651 Ich war froh, daß diese Nachricht kam denn der Gedanke, mit welchen Randbemerkungen man die Nachrichten aus England versehen u. daß nun wieder alles ins Politische gedreht werden würde, lag mir schwer auf der Seele. Ich gab das Blatt mit einem Zettel versehen an Frl. Linde, als mir Oberländer in die Hände lief. Ich hatte das Gefühl, daß es jetzt gut u. nötig sei, über diese Dinge mit ihm zu sprechen u. sagte ganz rasch: »Es wird auch Sie interessieren, Herr Reg.rat, welche Nachrichten in der neuesten Nr. des Ev. Dtschld. stehn …« Ein Wort gab das andere. Ich erklärte die Lage vorsichtig, zeigte auf, daß hier eine seit Langem spürbare Entwicklung in Erscheinung träte, wie O. mir das vor 8–10 Tagen bereits angekündigt, u. wie dieser Zwiespalt in der Bekenntniskirche im tiefsten Grunde auf den Gegensatz zwischen »reformiert« u. »lutherisch« zurückzuführen sei – mit den nötigen Erläuterungen, wie O. sie sehr klar u. einfach in der letzt. Bekenntnisgemeinsch. am Dienstag vor einem größeren Kreis gegeben hatte. Er hörte gespannt zu u. 649

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Der Rat der Evangelischen Kirche der altpreußischen Union an die Gemeinden, Anfang Dezember 1935, in: Schmidt, Bekenntnisse III, 317–319. Das Dokument enthält eine eindeutige Absage an die Ausschusspolitik Kerrls. Zu den Zeitungsausschnitten in formaler Hinsicht vgl. Tgb. 27. Mai 1933. Das Evangelische Deutschland 12 (1935), 440.

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sagte: »Das habe ich noch nie so gesehen«, war sehr vorsichtig in seinen Ausdrücken u. ängstlich bemüht, jedes Mißverständnis zu vermeiden. Schließlich sagte ich mal: »Ich weiß ja von all diesen Dingen auch nicht viel …«, als er die Hand hob. »Ach, das ist eine ganze Menge. Wir wissen ja gar nichts. Alles was ich wußte, war nur, daß vorhin vom Volksdienst telephoniert wurde, Niemöller hätte wieder ordiniert, das hätte in den englischen Ztgs.ausschnitten gestanden. Frl. Kleinsteuber (die frühere Privatsekretärin von Lehmann, die jetzt in der Finanzabteilg. arbeitet) kam u. sagte es mir. Es ist also so, daß der Landeskirchenrat ohne Verbindg. mit Berlin ist. Er hat keinen Vertrauensmann im Ausschuß. Man scheint tatsächlich von zufällig errafften Nachrichten zu leben! Und wenn ich übersetze, sitzen sie drüben u. spannen u. dann läuft die Nachricht gleich durchs ganze Haus! Und sie könnten diese Neuigkeiten sogar 2 Tage früher haben, wenn sie auf den Gedanken kämen, sich die »Times« am Bahnhof zu holen! Aber ich sage ihnen das nicht. Es war jedenfalls ein sehr merkwürdiger Eindruck von einer Kirchenregierung; u. die Anhänger draußen im Lande würden wohl noch erstaunter sein als ich, wenn sie die Sache so sehen könnten. Sasse scheint noch nicht wieder von Berlin zurück zu sein. Ob der Reichsbischof sein Wort wahr macht, Kerrl bis Weihnachten »umzulegen?« Oberländer interessierte sich dann noch sehr dafür, ob die Ausschüsse wohl überall hin kämen, z.B. nach Hannover, da hätte er Verwandte. Ich wußte ja, daß es um Thüringen ging. Reichardt [E] iun. hat vor einiger Zeit zu Th. gesagt, nach Thür. würde wohl kein Ausschuß kommen; denn da wäre ja doch alles in Ordnung! Ich sagte leichthin, ich wüßte es nicht anders, als daß die Ausschüsse überall hinkämen, nach Hannover, nach Bayern, nach Württemberg u.s.w. Es würde wohl nicht zu einer Befriedung führen, wenn nicht überall einheitlich verfahren würde. Zum Schluß bedankte er sich u. verschwand schnurstracks im Zimmer von Franz. Übrigens hat der L.K.R. herausbekommen, daß Abschriften des Studentenbriefes in Umlauf sind u. will eine Untersuchung veranstalten. Ich habe verschiedene Leute darauf aufmerksam gemacht, daß Abschriften in der Stadt umliefen u. natürlich auch von außen in den Betrieb eingeschleppt sein könnten. Heute Mittag »Times«. Keine schönen Nachrichten. Ein Polizeibeamter hat Niemöller u. Jacobi gegenüber durchblicken lassen, daß man gegen sie wegen Hochverrat vorgehen könnte. Sie haben geantwortet, wegen derselben Anklage sei Christus gekreuzigt worden … Ich halte für möglich, daß die Times das Gespräch erfunden hat – aber kann natürl. auch wahr sein. O. hielt es für glaubhaft. Er hatte Nachrichten aus Schlesien. Bischof Zänker hätte die beanstandete Kandidatenprüfung erst gehalten, nachdem er sich bei Reichsgerichtsrat Flor nach der Rechtslage erkundigt u. der ihm gesagt hätte, in diesem Fall sei Kerrl ganz schwer im Unrecht. – Morgen wird in Schlesien in allen Gottesdiensten von Bek.pfarrern schon für das Gehalt des Bischofs gesammelt!652

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Hintergrund dieser Aktion war offenbar, dass zusammen mit dem Disziplinarverfahren gegen Zänker (vgl. Tgb. 5. und 7. Dezember 1935) dieser auch Kürzungen seines Gehalts hinzunehmen hatte. Kerrl hatte die Einstellung derjenigen Staatsleistungen verfügt, die zur Besoldung Zänkers verwendet wurden; vgl. Evangelium im Dritten Reich 4 (1935), Nr. 50, 6.

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»Times« behauptet, Kerrl handele so u. so oft über die Köpfe seiner Ausschüsse hinweg, obwohl K. das Gegenteil mitteilt. Wenn die Times hierin recht hat, dann ist alles verloren. Das verzeiht die Bekenntniskirche nicht. Ich glaube es noch nicht. – Der Breslauer Fall muß ja nun rechtlich genau geklärt werden. Flor hat bisher immer Recht gehabt. Wenn Kerrl sich eine Schlappe holt, wird die Situation für uns nicht leichter. Morgen spricht O. im Vormittagsgottesdienst in der Georgenkirche. Dann ist »Ev. Gemeindetag« mit Männern aus verschied. Dörfern. Um 12 Uhr spricht HoffmannMihla im Schmelzerhof, nachm. sprechen O. u. Füllkrug-Berlin. Abends Gemeindeabend mit Füllkrug in der Nikolaikirche. In der letzten Nr. der Allgem. Ev.-luth. Kirchenztg. übrig. die Nachricht, daß der Kyffhäuserbund deutscher Studenten sich geweigert habe, sich dem N.S.D.St.B. anzuschließen, da dessen Schulungsarbeit (Derichsweiler) »unvereinbar sei mit § 24 des Parteiprogramms!«653 Es würde in diesen Schulungen behauptet, es gäbe in Deutschland 3 Weltanschauungen, die christliche, die marxistische u. die nat.sozialistische. Diese 3 W.ansch. schlössen einander aus.654 Das ist ein Satz von dem berühmten Bericht, den ich auch las.655 W. behauptet, diese Sache sei bis zu Hitler gedrungen u. er habe sich die Schulungsleiter vorgenommen. – Wenn das wahr wäre, dann müßte Rosenberg ja hinter Hitlers Rücken die Schulungen in einem Sinne vorwärtstreiben, den Hitler nicht billigt. Das ist doch auch nicht anzunehmen. – Die Nachricht über den Kyffhäuser-Bund bestätigt jedenfalls auch die Richtigkeit des Berichts. Montag, den 9.12.35. [9. Dezember 1935] Eben Morgenandacht von Jansa. Selten war mirs so schwer wie heute, dabei zu sein. Der Landesbischof, der gestern in Kaltenwesth. gewesen war, lächelnd u. elastisch, Stüber grinsend; man merkte, sie waren beschwingt. Und ich hatte gestern Abend mit in Gesellschaft von Füllkrug noch bis nach 12 Uhr im Hospiz gesessen; u. obwohl wir fröhlich waren u. Füllkrug sehr Interessantes von der Gruppenbewegung erzählte, so war das, was er über Niemöllers Haltung u. die Lage überhpt. berichtete, niederdrückend. Ein Trost war, daß O. behauptete, Meiser stünde fest hinter Marahrens. Der Ausschuß versuche jetzt, mit Baden u. Württemberg zu Rande zu kommen. Noch immer seien die Provinzialkirchenausschüsse in Preußen nicht gebildet, da die Bekenntnisleute nicht mitmachten. Übrigens hatte O. telephon. Mitteilung aus Berlin, die darauf hinwies, daß die Kerrlsche Verordnung noch nicht rechtskräftig sei, da Kerrl nicht, wie in der V.O. selbst angekündigt würde, die Länder genannt habe, in denen sie Gültigkeit

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AELKZ 68 (1935), 1170. »Der Kyffhäuserbund des Vereins Deutscher Studenten hat die ihm angebotene Umwandlung in Kameradschaften des NS.-Studentenbundes abgelehnt und es u.a. damit begründet, daß die weltanschauliche Schulung des NSStB. mit Punkt 24 des Programms der NSDAP. in Widerspruch stünde. Der VDSt. bekennt sich seinerseits zu dem Grundsatz der Glaubens- und Gewissenfreiheit, will aber bewußte Angriffe gegen das Christentum in seinen Reihen nicht dulden. Es sei aber die weltanschauliche Schulung in den Lagern des NSStB so durchgeführt worden, daß man von drei Weltanschauungen, der marxistischen, der christlichen, der nationalsozialistischen, geredet habe, die einander kompromißlos gegenüberstünden« (AELKZ 68 [1935], 1170). Vgl. Tgb. 4. und 7. Dezember 1935.

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hätte. Bischof Zänker habe sich, bevor er die beanstandete Prüfung abhielt, bei Reichsgerichtsrat Flor erkundigt, der ihm gesagt habe, Kerrls Verbot stelle einen ganz schweren Eingriff dar, dem er sich nicht zu fügen brauche.656 O. sagte übrigens, er bekäme nach wie vor reichlich Rundbriefe der anderen Bruderräte.657 Es kann nur so sein, daß die Vorzensur milde geübt wird. Er selbst hat den letzten Rundbrief, den er gestern von Marahrens bekam u. der die Stellung von M. pro Kerrl erläuterte658, sofort vervielfältig. lassen u. verschickt – also zum 1. mal wieder seit über einem halben Jahr ein Rundbrief für die Bekenntnipfarrer in Thür.659 O. ist auf die Polizei bestellt worden wo man ihm eröffnet hat, daß er Rundbriefe nur mit Vorzensur schreiben dürfe.660 Obwohl die ursprüngliche Verordng. nur für Preußen Gültigkeit hatte, hat man einen Thür. Anhang gemacht, mit dem auch O. unter Vorzensur gestellt wird u. er hat das unterschreiben müssen. Auf diese Weise drückt man sich vor einer Aufhebung des Verbots ihm gegenüber. Er hat das schleunigst benutzt u. den letzt. Rundbrief von Marahrens, in dem dieser seine Stellungnahme pro Kerrl kennzeichnet, vervielfältigt u. an die Thür. Bekenntnispfarrer geschickt, zum 1.mal also wieder einen Rundbrief an die Thür. Pfr. Gestern früh in der Georgenkirche war es sehr voll, schon viele Auswärtige da. Danach sprach im Schmelzerhof Hoffmann-Mihla sehr gut über »Warum Bekenntnisgemeinschaft?« Ganz ausgezeichnet klar u. einfach. Vor dem Podium saßen an einem langen Tisch die Leute aus Kaltenwestheim zusammen mit ihrem Pfarrer Müller [W.], den sie nach Gefängnis u. Konzentrationslager zum 1. mal wiedersahen.661 Frau Pfr. Spelge sagte, er sei »ganz aufgelöst« vor Freude. – O. sprach am Nachmittag, auch recht gut, obwohl ich einige Randbemerkungen zum noch besseren Verständnis hätte machen mögen. Danach der alte Füllkrug aus Berlin. Und der fiel mir furchtbar auf die Nerven, besonders auch abends in der Nikolaikirche. Diese sanften, alten, müden Männer kann man nicht mehr hören. Es ist sonderbar, wie geschärft das Ohr dafür ist, ob einer die kämpferische Haltung oder das neue Lebensgefühl oder was es sein mag, das nun mal anders geworden ist, hat oder nicht. Und dabei gehört Füllkrug zur Bek.kirche u. steht immer noch mitten in d. Arbeit u. also auch im Erleben. Aber es ist eine andere Generation. »Die verborgenen Schätze unserer Kirche«. Schon das Thema. irgendwie Kitsch. Ich verstehe O. nicht, daß er das durchgehen ließ. Er ist eben überarbeitet u. Frl. Koeppen, die sich »Geschäftsführerin« nennt, ist freundlich aber talig [?] u. hat keine Ahnung. Mir ist noch ein Grund eingefallen für das Freudegrinsen unserer Würdenträger. Wie ich gestern in der Frankf. Ztg. las, ist Wächtler am 5. Juni [sic!] zum Nachfolger 656 657 658 659

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Vgl. Tgb. 2. Dezember 1935. Zum Verbot der Rundbriefe vgl. Tgb. 8. April, 26. Juni, 13., 29. November, 4., 5. Dezember 1935 Vgl. Tgb. 7. Dezember 1935. Das Rundschreiben Ottos war nicht auffindbar; aber wenig später hat Otto es noch einmal mit einem Rundschreiben versucht [hier adressiert an Brakhage], in dem auch die Zustimmung der VKL zur Kerrlschen Kirchenpolitik dokumentiert ist; vgl. Schreiben vom 21. Dezember 1935, LKAE, LBG 211, 84. Zum selben Vorgang vgl. bereits Tgb. 5. Dezember 1935. Zum Fall des Pfarrers Wilhelm Müller in Kaltenwestheim vgl. Biogramme und Tagebucheintragungen ab 8. Juni 1935, zuletzt 1., 7. und 9. November 1935.

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von Hans Schemm ernannt!662 Wird Gauleiter der bayr. Ostmark u. Hauptamtsleiter der N.S.D.A.P., wird damit also tonangebend in der Lehrerschaft. Damit eröffnet sich nun allerdings ein großes Einflußgebiet für die Thür. D.Chr. Bayern, das Leuth. u. Leffl. natürl. besonders am Herzen liegt, in dem außerdem eine Hochburg des Luthertums erschlossen ist, u. welcher Einfluß in der Lehrerschaft in der Partei – wenn Wächtler der Richtung der Thür. D.Chr. treu bleibt. Wächtler wurde von den D.Chr. als unentwegter Christ bezeichnet. Das ist also immerhin ein Bollwerk gegen die heidnische Flut – wenn er auch nicht viel verteidigt – er ist immerhin für alle Christen an einem so wichtigen Posten noch ein Halt. Leffler wird ihn freilich im Ministerium vermissen, denn Wächtler war der, der Leffler im Ministerium hielt. Die Bekenntnisleute in Thür. glauben, daß erst mit der Entfernung Lefflers aus dem Ministerium die Dinge in Thür. besser werden könnten.663 Gestern Abend, als wir diese Dinge unter uns besprachen tauchte allerdings der Gedanke auf, ob nicht womöglich Leffler selbst Volksbildungsminister werden könnte? Das wäre schlimm. Füllkrug erzählte u.a., die Gestapo hätte bei dem Überfall auf das Burckhardthaus auf dem Dach einen geheim.Sender gesucht,664 mit dem Nachrichten ins Ausland gegeben werden sollten!!! Wahrscheinlich kamen sie auf diese glorreiche Idee, weil der preuß. Bruderrat in dem Gebäude untergebracht ist. Sie bilden sich offenbar immer noch ein, ein Mann wie Niemöller könnte ein Verräter sein. Es ist einfach ein Verbrechen! nachmittgs. Als ich hier heraufkomme, höre ich, daß Bö. erzählt hat, nach Thüringen käme kein Ausschuß, da wäre alles in Ordnung. Das ist hoffentl. keine neue Nachricht, sondern eine alte Ente. Wächtler würde nicht ersetzt, sondern das Ministerium langsam abgebaut. Da Sauckel schon Statthalter auch in Braunschw. u. Anhalt ist, bleibt wirklich nur noch Marschler übrig. Am Sonnabd. haben wir den Angestellten der Th.G.G. kündigen müssen – außer Wilms. Trotz aller Fürsprache kann das Reich nur noch 3000 M im Jahr zahlen. Mir tuts leid um die Menschen. Z.T. hoffen sie, in den neuen Gesundheitsämtern unterzukommen. Der Reichsbischof käme wieder – das ist auch eins von den Gerüchten, die heute umherschwirren. Unsere Vorgesetzten haben herausbekommen, daß im Hause Abschriften des Berichts aus einem Studentenlager665 gemacht worden sind u. von Hand zu Hand gehen. Großes Entsetzen! Es soll untersucht werden, wer die Abschriften gemacht hat. §§ Ich denke, es wird nicht viel dabei herauskommen. In der »Times« vom Sonnabend keine kirchl. Nachrichten. 662

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Am 5. Dezember 1935 wurde Wächtler Nachfolger von Hans Schemm als Gauleiter Bayerische Ostmark. Gleichzeitig wurde er zum Leiter des »NSDAP-Hauptamtes für Erziehung« und ferner zum kommissarischen Leiter des NSLB ernannt. Wächtler hatte Leffler als Referenten für kirchliche Fragen ins Innenministerium geholt. Er war Mitglied des 3. und 4. Landeskirchentages als Abgeordneter der KDC; vgl. Böhm, Deutsche Christen, 75–76. Vgl. Tgb. 12. und 13. Dezember 1935. Vgl. Tgb. 4. und 7. Dezember 1935.

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D. 10.12. [10. Dezember 1935] Auch heute stand nichts in der »Times«. Reichardt [E.] hat zu Th. gesagt, er rechnete nicht mehr damit, daß ein Ausschuß nach Thür. käme. Gestern hörte ich diese Behauptung noch von anderer Seite. Inzwischen hat sich schon herausgestellt, wer den Studentenbrief in Umlauf gesetzt hat. Hugo Müller hat die Sache Bock zu lesen gegeben! Und der gute, ehrliche Bock, dem niemand einen Fehltritt zugetraut hätte, hat die Sache durch Frl. Ebert mit 5 Durchschlägen abschreiben lassen! Frl. Ebert hat stattdessen 7 Durchschläge gemacht u. den einen an ihren Freund, den jungen Architekten Wohlfahrt in der »Baustube« gegeben. Der zeigt den Brief Rade; Rade erzählt davon einem Bundesbruder in der Stadt; der erzählt es Oberländer u. der pflichttreue Oberländer sagt es Stüber!! Glücklicherweise handelt es sich hier um derartig prominente Leute, daß ihnen nicht viel passieren wird. Und dann können sie den beteiligten Angestellten auch nichts tun. Müller [H.] u. Bock sind gestern vernommen worden u. Müller ist heute ganz vergnügt. Er hat gesagt, er hätte in der Art noch ganz andere Briefe auf Lager. Geradezu massenhaft! Erich Reichardt hat Th. weiter noch erzählt: »Wir werden Ernst Otto fragen, ob er sich jetzt hinter den Kirchenausschuß stellt …« Was denken die sich eigentlich darunter? Sie sollen doch erst mal selbst die Anweisungen des K.A. zur Durchführung bringen! Die Kaltenwestheimer haben immer noch ihre Kirche nicht.666 »Maßnahmen in Kaltenwesth., Metzels pp.« standen übr. auf der Tagesordng. der heut. Sitzung. Dazu »Dienstbezüge Männel-Thieme«, u. sehr viel anderes. Volk soll sehr schlechter Laune sein. Erschüttert bin ich doch, daß in der Untersuchung wegen des Studenten-Briefes alle Namen genannt worden sind! Ich hätte das nicht getan. Mittwoch, d. 11.12. [11. Dezember 1935] Ich sah die »Times« vom 9. gestern abd. noch einmal genauer durch u. entdeckte noch einen Artikel: »Lull in german church strife.«667 Dennoch scheint es, daß die »süddeutschen Lutheraner« mit d. Kirchenausschuß oder mit Kerrl verhandeln, um zu retten, was zu retten ist, u. hoff., auch zu siegen u. daß die Preußen z.Zt. zurückhaltend sind, um diesen Verhandlungen »wenigstens eine Chance« zu geben. »Times« sieht die Verhandlungen nicht gern. O. hatte nur die Nachricht, daß eine Tagung des luth. Rates668, zu der er heute kommen sollte, abgesagt sei. Persönlich habe Marahrens noch geschrieben »Die Vorherrschaft von Dahlem müsse jetzt gebrochen werden« (oder so ähnlich). Was Erich Reichardt damit gemeint hat, man wolle O. vor die Frage stellen, wie er zum K.A. stünde, ist nun auch klar. Es handelt sich um ein Schreiben von Brauer, als Listenführer der D.Chr. in der Eis. Kirchenvertretg. an O. oder Nitzsch. Sie stellen Fragen, z.B., wie sich O. zum Kirchenausschuß stelle, ob er den L.K.R. als oberste Behörde anerkenne pp. Im übrigen »wollten sie glauben«, daß die Pfarrer jener Sitzg., in der das

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Vgl. vorhergehende Tagebucheintragungen wie z.B. 25. November 1935. Beruhigung im deutschen Kirchenstreit. Vgl. Tgb. 21. November 1934.

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Pamphlet verlesen worden sei669, nur ferngeblieben seien, um eine fernere Zus.arbeit nicht unmögl. zu machen! Würde auf ihre Fragen mit »ja« geantwortet, so würden sie ihr Mißtrauensvotum zurückziehen. – Nun ist Stier beurlaubt u. Nitzsch stellvertret. Ob.pfr. Streikt er weiter, so präsidiert Kiel der Kirchenvertretung. Das möchte man auch nicht. Man möchte auch die Einheitsfront der 6 Eisenacher Pfr. nicht zerbrechen lassen (die Eingabe von Mitzenh. u. Kühn hat Brauer garnicht erwähnt). So haben die 6 beschlossen, jetzt einfach alle wieder mitzuarbeiten, aber die Brauerschen Fragen nicht zu beantworten. Nur in Bezug auf den K.A. haben sie erklärt, sie stünden loyal zu sr. Befriedungsaktion u. erhofften von ihm Klärg. der Lage auch in Thüringen. Sie würden das ganze Material über ihre Differenz mit der K.vertretung dem KA übersenden u. ihm das Urteil überlassen.670 Es ist sicher ganz gut so. Ich habe ( )b ein paarmal gesagt, daß O. hinter dem K.A.

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b

Vgl. Tgb. 13., 17, 24. September 1935. In der Kirchengemeinde Eisenach hatte sich folgendes abgespielt: Die Nicht-DC-Pfarrer hatten sich geweigert, an der für den 18. September einberufenen Kirchenvertretersitzung teilzunehmen, auf der die vertrauliche Denkschrift des LKR der TheK vom August 1935 (s. vorige Anm.) anweisungsgemäß verlesen werden sollte; sie werde dem Anliegen der LBG nicht nur in sachlicher Hinsicht nicht gerecht, sondern verunglimpfe überdies die BK-Pfarrer als »leichtsinnige, rebellische, streitsüchtige und böswillige Menschen«; vgl. Schreiben von Pfarrer Nitzsch an Oberpfarrer Stier vom 17. September 1935, LKAE, LBG 241, 10–11. Dieses Verhalten wurde auf der genannten Sitzung ausdrücklich missbilligt; man sprach namentlich den Pfarrern Ernst Otto, Brakhage, Dr. Hertzsch und Nitzsch das Misstrauen aus; vgl. Schreiben des Kirchenvorstands an Pfarrer Nitzsch vom 19. September 1935 (ebd., 12). Demgegenüber wies Ernst Otto im Namen der genannten Pfarrer auf den letzten Passus ihres Schreibens hin, dass man der Sitzung ja gerade deswegen ferngeblieben sei, weil man das Auseinanderfallen der Kirchenvertretung habe vermeiden wollen, das bei einer Diskussion um die Denkschrift zu befürchten gewesen wäre; dazu Schreiben von Ernst Otto, zugleich im Namen von Brakhage, Nitzsch, und Dr. Hertzsch an Stier vom 30. November 1935 (ebd., 26). Dem schlossen sich die Pfarrer Mitzenheim und Kühn vollinhaltlich an; vgl. Schreiben von Mitzenheim an Stier vom 30. November 1935 (ebd., 24). Namens der Kirchenvertretung schrieb Dr. Brauer zurück, in dem Misstrauensvotum sei es weniger um die Teilnahme an der Sitzung gegangen, sondern um die Tatsache, dass Otto und Brakhage die Erklärung der LBG vom 10. Juli 1935 unterzeichnet und damit zugleich dem LKR der TheK und ihrem Landesbischof die Gefolgschaft aufgesagt hätten. Das sei in dem Schreiben auch als Grund für das Misstrauensvotum genannt worden. Da er, Nitzsch und Dr. Hertzsch die Erklärung vom 10. Juli nicht unterzeichnet hätten, wolle man das gegen beide gerichtete Misstrauenvotum als erledigt betrachten; Otto und Brakhage hätten jedoch ihre Unterschrift zunächst zurückzuziehen; vgl. Schreiben von Dr. Brauer an Nitzsch vom 9. Dezember 1935 (ebd., 28). Schließlich schrieben die sechs involvierten Pfarrer, Brakhage, Hertzsch, Kühn, Mitzenheim, Otto und Nitzsch an Brauer; vgl. Schreiben von Nitzsch an Brauer vom 10. Dezember 1935 (ebd., 30). Sie würden die Befriedungsmaßnahmen des RKA und ihre künftige Ausdehnung auf Thüringen bejahen, hielten eine weitere Eskalation der Auseinandersetzung deshalb zum gegenwärtigen Zeitpunkt für nicht tunlich. Um aber zur Entspannung der Lage beizutragen, würden sie an der nächsten Sitzung der kirchlichen Körperschaften wieder teilnehmen. Eine Klärung ihrer Angelegenheit würden sie vom RKA erwarten, dem sie auch das vorliegende Material übergeben würden. Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz, vgl. Übersicht Strichzeichnungen.

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steht – er hat offenbar nicht geschwatzt. Das habe ich auch in der Briefsache festgestellt, denn ich hatte ihm eine Abschr. gezeigt. – Gestern Abend brachte ich ( )b die Times-Übersetzung des Berichts von der Tagg. des Provinzialkirchenausschusses Berlin-Brandenbg. Bekenntnisbewegg., der ja reichlich sensationell war mit der Drohung wegen Hochverrat u. eventl. Todesstrafe an Jacobi u. Scharf! Er hatte die Mappe zu Oberländer gebracht. Da sieht man wieder mal, wie wenig Nachrichtenquellen sie haben. Stüber soll gesagt haben, die Bekenntnisleute wüßten soviel, es würden Nachrichten aus d. Haus getragen pp. Sie haben sicher gedacht, bei dieser Untersuchung in der Briefsache auf mich zu stoßen. Ich glaube, was er meint ist die Tatsache, daß die Bekenntnisleute z.B. über Kaltenwestheim u. ähnliche Angelegenheiten Bescheid wissen. Nun, das erfahren sie ja von O., nicht von mir. Sonst wüßte ich wirklich nicht, was ich »aus dem Hause getragen« u. St. [Stüber] erfahren haben sollte. Sie haben ja sicher noch mehr Klatschbasen als Wieland in ihren Reihen. 12.12.35. [12. Dezember 1935] Ein schwerer Tag heute. Erst ein Brief aus Gronenberg671, der mich traurig machte. Dann sehr früh eine Mitteilg., die dann von 3 Seiten wiederholt wurde: Oberländer hat am Radio gehört, daß in einer Stoecker-Feier Jacobi gegen den Reichskirchenausschuß Äußerungen getan hätte, die Koopmann bewogen hätten, mit einem Teil der Anwesenden unter Protest den Saal zu verlassen. Es sei taktlos von der Stadtmission, ausgerechnet einen Pfarrer jüdischer Abstammung bei dieser Gelegenheit reden zu lassen (Jacobi).672 Wenn Jacobi jüdisch wäre, dann hätten das die D.Chr. doch schon längst ausgewertet. Daß Jacobi, der ein sehr beherrschter Mann ist, ohne jeden Anlaß derartig aus der Fassung verloren haben soll [sic!], kann ich auch nicht ohne Weiteres glauben. Wenn es Tatsache ist, dann ist er eben mit den Nerven fertig. Freitag, 13.12. [13. Dezember 1935] Heute steht der Zwischenfall bei der Stoecker-Feier in der Times, die im übrigen nichts neues bringt. Über den Zwischenfall hat sogar eine angeschlagene Depesche der Tagespost gestern berichtet! (Und von allen Sünden des Reichsbischofs haben sie nichts berichtet)! Und heute tritt der Völk. Beob. die Sache mit Behagen breit.673 Es b 671 672

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Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz. Wohnort von Ruth Ohrtmann, Tochter der Tagebuchschreiberin. Referiert wird hier nach einem Zeitungsausschnitt aus der »Berliner Morgen-Zeitung« vom 12. Dezember 1935. Vgl. aber auch den Bericht »Das evangelische Deutschland ehrt Adolf Stoecker«, Evangelium im Dritten Reich 4 (1935), 7, in dem das Verhalten Jacobis als Repräsentant des Bruderrats der BK als »unglaubliche Taktlosigkeit« bezeichnet wird. Zum Hinweis auf Jacobis angeblich jüdische Abkunft vgl. Tgb. 4. Januar 1936. »Offener Verrat am Gedankengut Stoeckers in der Berliner Stadtmission. Pfarrer jüdischer Abstammung beleidigt den Reichskirchenausschuß«, Völkischer Beobachter. Norddeutsche Ausgabe / Ausgabe A, 48 (13. Dez. 1935), 347. Der VB hatte einen eigenen Korrespondenten geschickt, der u.a. ausführte: »Leider wurde die Feier durch einen schrillen Mißklang gestört. Der Vertreter der preußischen Bruderräte, Pfarrer Jacobi, Berlin, hielt es für angebracht, unter Nennung des Namens des Präsidenten Koopmann zu erklären, daß Adolf Stoecker, wenn er noch lebte, heute sicher nicht beim Reichskirchenausschuß stehen würde. Präsident Koopmann sah sich gezwungen, zum Zeichen seines Protestes gegen eine solche unerhörte Brüskierung

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ist ganz schlimm. Es ist gut, daß noch vorher die Nachrichten von der Mitarbeit Marahrens durch die Presse gingen (Eis. Ztg. vom 11.) Nichts neues bei uns: Kandidatenprüfungen. D. 19.12., Donnerstg. [19. Dezember 1935] Zeit, daß ich wieder was aufschreibe. Am 14., Sonnabd.-Abd. war ich bei Ottos, sprach aber nur Frau Otto [M.]; er war beim Kirchenrat. Sie sprach davon, daß O. am Donnerstg., d. 12., bis spät nachts als Gast der vorl. Kirchenleitung mit verhandelt hätte. Sehr schwer alles. Man kann von einem Bruch reden. Niemöller u. die um ihn nehmen es Marahrens furchtbar übel, daß er sich mit einem Telegramm aus Hannover hinter den Reichskirchenausschuß gestellt hat.674 O. habe mit Zoellner gesprochen, man möchte für Thüringen auf einen Ausschuß verzichten u. lieber einen Kommissar schicken. Zoellner habe erwidert: »Das kann man Ihnen allerdings nicht zumuten, daß Sie sich mit diesen Häretikern an einen Tisch setzen.« Sei beinahe überzeugt, daß der Kommissar hier das Bessere wäre. Der Thür. Bekenntnisgemeinschaft müßte sich dann Bayern anschließen; die neutralen Pfr. müßten sich entscheiden. – Ich war entsetzt u. hielt das für ganz falsch. Sasse u. Co. würden das lediglich zu ihren Gunsten deuten – u. so würde es im ganzen Land aufgefaßt werden u. sich entspr. in der Haltung der Pfr. u. Gemeinden auswirken. Am Sonntag Abd. war ich wieder bei O.s, um mit ihm Weihnachtslieder für den Adventsabend der Frauen durchzuspielen. »Sie haben einen Helfer gefunden am Kirchenrat,« sagte er, u. wir stellten fest, daß diese Gleichheit der Anschauungen unerwartet sei. »Er will auch unbedingt den Ausschuß.« Wir sprachen alles durch. O. moniert, die D.Chr. hier würden durchsetzen, daß Stüber u. Sasse im Ausschuß seien. Um Sasse wird man, glaube ich, kaum herumkommen. Statt Stüber muß versucht werden, einen anderen hineinzubekommen. Dann viell. 2 Neutrale, recht dicke Köpfe, viell. Göpfert-Dermbach u. Mitzenh., u. 1 Bekenntnismann. *** Lotz675 sagte, es sei nicht wahr, daß die D.Chr. 50% der Pfr.schaft hinter sich hätten … hätte vor einem Jahr die Kartei selbst durchgesehen, da seien es 200 Pfr. gewesen. Seitdem sei es abgebröckelt, kaum jemand dazu gekommen. Ich werde dauernd gefragt, ob nicht bald wenigstens der Finanzausschuß käme. Es könne nicht mehr so weitergehen.676

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die Versammlung sofort zu verlassen. Ein Teil der Versammlung schloß sich dem Präsidenten Koopmann an und bekundete seinen empörten Widerspruch gegen eine solche Behandlung des Vertreters eines vom Staate eingesetzten Ausschusses.« Der Korrespondent stellte dann den »Judenfeind« Stoecker dem Pfarrer »jüdischer Abkunft« gegenüber. Man wolle auch nicht unerwähnt lassen, dass man sich schon des öfteren genötigt gesehen habe, »unzeitgemäße Äußerungen aus dem Kreise der Berliner Stadtmission [zu] brandmarken«. Die Vorläufige Kirchenregierung der hannoverschen Landeskirche ließ am 6. Dezember 1935 dem Reichskirchenausschuss ein Schreiben zukommen, in der sie dem Reichskirchenausschuß ihre Bereitschaft zu tatkräftiger Hilfe erklärte; vgl. Klügel, Die lutherische Landeskirche Hannovers, 201. Vgl. auch Tgb. 7. Dezember 1935. Nicht identifizierbar; handschriftlicher Eintrag am Textrand: »Lotz«; kann nicht stimmen, da Lotz erst 1938 beim LKR der TheK tätig war. Vgl. Tgb. 29. November 1935.

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Am Montag nachm. hat der »Judenausschuß« wieder getagt; Leffler hat flüsternd scheinbar sehr interessante Sachen berichtet.677 Sasse soll zusammen mit Ludwig Müller zusammen bei Kerrl gewesen sein u., wie ich gestern aus einer interessanten Quelle erfuhr, auch Sauckel bewogen haben, für die Thüringer bei Kerrl einzutreten. O. erzählte, daß Kerrl die Verordnung vom 2.12. über die Auflösung der Bruderräte tatsächl. über die Köpfe des Kirchenausschusses hinweg veröffentlicht habe.678 Die »Times« hatte das s.Zt. gebracht. Wenigstens sieht er, Kerrl, manchmal etwas ein. So z.B. habe er im Falle Bischof Zänker gesagt, er wolle sein Telegramm an Zänker als nicht abgeschickt betrachten. Es dächte niemand an ein Strafverfahren gegen Zänker. Auch gegen Niemöller u. Jacobi würde nicht vorgegangen. Aber nun man hat die Namen dieser Männer durch die ganze Presse geschleift – widerrufen wird natürlich nichts. Das ist der »verstärkte Ehrenschutz« im III. Reich. Gestern, Mittwoch, 18.12.35, früh, merkwürdiges Erlebnis. ( )b kam plötzlich, ganz früh, schon in mein Zimmer. Nahm Platz. »Ich wollt mal fragen, was in der Times steht.« Sonst läßt er die Sachen an sich herankommen. Ich merkte bald, daß das nur ein Vorwand war. Er fing an, sich über die D.Chr. auszusprechen. »Wir« haben uns schon überlegt, ob wir nicht alle austreten sollten. Tun es nur nicht aus Loyalität gegen die Behörde. Sie würde ja sicher Schwierigkeiten haben, wenn es bekannt würde, »daß wir mit einem Schlag alle ausgetreten seien.« Natürlich versuchte ich zuzureden. Dann kam ein Ausbruch über die »Korruption« unter den führenden D.Chr., mit Beispielen. Besonders eindrücklich eins von Hohlwein, wozu ein Jurist gesagt hätte: »Glatter Betrugsversuch, würde Gefängnis darauf kriegen.« (Von Tegetmr. abgelehnte Vorschußquittg. wird am Nachmittag während eines Gesprächs Volk vorgelegt, »weil ich einmal hier bin«.) Kuhles hat die Sache aber gemerkt. Darauf neue Empörung, wie Kuhles sich unterstehen könnte, die Maßnahmen eines Vorgesetzten zu kritisieren!« Thieme u. Männel ist Wohnungsgeldzuschuß erneut bis 30.III. gewährt worden, obwohl alle Schulungsleiter Regierungsratsgehälter bekommen u. zwar gleich 2. Stufe, während schon die 1. Stufe über ihrem bisherigen Gehalt lag.679 Dann Maßnahmen der Finanzgebarung: »Wir arbeiten mit Zwischenkrediten. Wenn die Leute wüßten, wie es stünde, würde uns kein Mensch mehr einen Pfennig borgen; u. dann bräche alles zusammen. »Vom Pfründenvermögen sind nur noch die Grundstücke da; alles andere ist verwirtschaftet. In Bayern macht mans richtig; da hat man gleich eine Pfründenstiftung gemacht … wenn das jetzt zurückgefordert werden sollte, ist der Krach da.« »Der Staat überweist vierteljährlich bestimmte Summen an die Gemeinden. Die werden ¼ Jahr später tröpfchenweise ausgezahlt. Das darf auch niemand wissen.« »Das Allernötigste ist ein Finanzausschuß! Der könnte doch gleich kommen!« Vor allem kam immer wieder das Wort »Korruption.« 677 678 b 679

Zum sog. »Judenausschuss« vgl. Tgb. 28., 29. und 30. Oktober 1935. Vgl. Tgb. 2., 4. und 9. Dezember 1935. Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz, vgl. Übersicht Strichzeichnungen. Zu den finanziellen Schwierigkeiten von Männel, Thieme und Poppe vgl. Tgb. 18. Oktober, 7. November und 9. November 1935.

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Die Sache mit Hohlwein hörte ich 2 Stunden später von einem anderen. Es handelte sich um 500 M. Gestern hat man Rienäcker, Schilling u. Sommer die Wohng. zum 1.4. »vorsorglich« gekündigt! Das ganze »Gärtnerhaus« soll für den V.D. zurechtgemacht werden.680 Ursprünglich habe ein Projekt bestanden, in der Bornstraße zu bauen – für den V.D. lauter 5-Zimmer-Wohnungen, die man, wenn die Sache aufflöge, sofort vermieten könnte. Davon sei Abstand genommen worden mit Rücksicht auf die Gemeinden. D. 21.12., Sonnabd. [21. Dezember 1935] Gestern Abd. nochmals Rückspr. mit ( )b.. Ich ging aufs Ganze u. riet direkt, aus den D.Chr. auszutreten. Da zuckte er zurück. daß ichs sagte, war ihm doch wohl peinlich. Ich lasse aber nicht locker, egal was er sagt. Nach langer Zeit wieder mal französische Presseausschnitte.681 Einer schilderte Spannungen zwischen dem Reichskirchenausschuß u. Kerrl, der andere brachte Stücke eines sehr scharfen u. deutlichen Hirtenbriefes des Bischofs von Freiburg im Breisgau.682 Gestern soll Franz in Kaltenwestheim gewesen sein.683 – Tegetm. wird heute aus Berlin zurückerwartet. Am Abend des 18.12., glaube ich, ist im Rundfunk etwas über eine Entschließg. der Reichsbewegg. D.Chr. bekannt gegeben worden. Vorgestern (19.) stand die Entschließg., mit der sich die »Berliner Richtg.« hinter den Reichskirchenausschuß stellt,684 in der Eis. Ztg. Ich denke, die läuft nun durch die Presse – soeben aber werde ich danach gefragt, Oberländer möchte sie haben u. sie sei nirgends zu finden. In der Eis. Tagespost hat sie auch gestanden. Offenbar hat die gleich einer an sich genommen. Eben sagt mir Frl. Linde, gestern, Freitag Abend sei im Radio gesagt worden, es sei in 5 preuß. Provinzen gelungen, Provinzialbruderräte685 zu bilden. Die Mitglieder 680

b 681 682

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Aus einer Stellungnahme des VD vom 19. Dezember 1935 (LKAE, LBG 144, 23) geht hervor, dass er zur Unterbringung aller Abteilungen das gesamte Haus mit den beiden Wohnungen beanspruchte. Weiter wurde die Installation einer Zentralheizung gefordert. 9 Räume sollten eingerichtet werden für insgesamt 23 Mitarbeiter. Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz, vgl. Übersicht Strichzeichnungen. Vom ARGUS-Nachrichtenbureau; vgl. Tgb. 27. Mai 1933. Gemeint sein könnte das Schreiben Erzbischof Gröbers an Kerrl, in dem er sich gegen dessen Erlass wandte, wonach Beamter nur werden könne, wer rückhaltlos für den nationalsozialistischen Staat einträte, schon von Jugend auf in nationalsozialistischer Gesinnung erzogen sei und der Hitlerjugend angehört habe; vgl. Stasiewski III, 132–135. Vgl. dazu Tgb. 28. Dezember 1935. Insgesamt – bei gelegentlicher Kritik – nahm die RDC im Jahre 1935 eine konsequent positive Haltung zur Kirchenausschusspolitik Kerrls ein; vgl. Meier, Deutsche Christen, 121–122). Am 17. Dezember 1935 fand eine Gaumännertagung des RDC statt, an der auch ein Mitglied des RKA (Pfarrer Wilm) teilnahm. »Als Ergebnis der Beratungen wurde bekannt, ›daß sich die Reichbewegung DC geschlossen mit allen ihren Gauen auf den von der Leitung beschrittenen Weg‹ stelle, ›und, wie bisher, auch für die Zukunft bereit und willens‹ sei, ›das Befriedungswerk des Reichsministers Kerrl zu unterstützen und zu fördern‹« (ebd., 122). Richtig: »Provinzialkirchenauschüsse«.

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seien sehr bekannte Persönlichkeiten.686 Hoffentl. mit Mitgliedern der Bekenntniskirche – anders wird es Zoellner doch nicht getan haben. – Dabei fiel mir ein, daß ich in einer kirchl. Zeitung (Ev. luth. K.ztg. Nr. 51) gestern las, daß in einer Verordng. die Zuständigkeiten der Provinzialkirchenausschüsse gegen den Landeskirchenausschuß abgegrenzt worden seien.687 Das war ja eine der Forderungen – oder die Forderung – die die Vertreter der Bek.gemeinsch., die am 27.11. nach Berlin geholt worden waren, um in die Prov.kirchenräte688 einzutreten, gestellt hatten. Zuerst müßten die Zuständigkeiten dieser Provinzalkirchenausschüsse abgegrenzt werden, ehe man ihnen zumuten könne, in sie einzutreten. Danach kam der Krach.(Ich habe übrigens nie aufgeschrieben, was sich an jenem schwarzen Mittwoch, d. 27.11. alles in Berlin ereignete.689 O. hatte die Rede Kerrls vervielfältigt geschickt bekommen – wohl durch die V.K.L.).690 Die V.D.-Leute sollen gestern den ganzen Tag ungeheuer aufgeregt gewesen sein. Ob es eine dieser Nachrichten ist – die Stellungnahme der »Berliner Richtg.« [RDC] u. die Bildg. der preuß. Provinzialkirchenausschüsse? Ihr Benehmen sei so wie nach ganz großen Schlägen. – Die Tatsache, daß Althaus’ Schrift691 gegen sie in der neuest. Nr. (51) der Allg. ev. Luth. Kirchenzeitg. in 5 Spalten besprochen u. die Grundgedanken ausführl. wiedergegeben sind, kann sie doch nicht so aufregen?692 Das Erscheinen von Leutheuser-Faschers Gegenschrift ist angezeigt worden.693 Gestern sind wieder einmal – was früher nie vorkam – alle Mitglieder des L.K.R. verreist gewesen. In solchen Fällen entstehen häufig Schwierigkeiten für die Erledigung von Dienstsachen, u. die Beamten schimpfen dauernd über diese Zustände. Auch im Lande wird dann bei Telephonanrufen hier kräftig geschimpft z. B. »Na, das ist eine Zucht!« Gestern hatte Frl. Sommer wieder einmal ein solches Zwiegespräch: »Herr L.bischof.? Dienstl. verreist.« »Herrn Dr. Volk? Dienstl. verreist.« »Herr K.Rat Lehmann? Dienstl. verreist.« »Herr K.Rat Stüber? Dienstl. verreist.« »Herr K.Rat Franz?« Dienstl. verreist.« Da ertönt eine Stimme aus dem Hintergrund: »Sagen Sie, der Lehrling Krause wäre hier, ob ers dem sagen könnte.« 686

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Bis zum 20. Dezember 1935 waren mit Ausnahme der Kirchenprovinzen Rheinland und Westfalen in den fünf übrigen preußischen Kirchenprovinzen (Brandenburg, Ostpreußen, Pommern, Schlesien, Sachsen) Provinzialkirchenausschüsse gebildet worden (Meier, Kirchenkampf II, 219). Verordnung betreffend die Provinzialkirchenausschüsse vom 11. Dezember 1935, GDEK 36/1935, 133. Wie Anm. 685. Tgb. 21. Dezember 1935. Die Rede ist enthalten in einem Protokoll über die Zusammenkunft des Bruderrats der Evangelischen Kirche der altpreußischen Union mit Kerrl am 27. Dezember 1935, das unter dem 28. Dezember 1935 als Hektograph erschien und verbreitet wurde, LKAE, LBG 12, 5. Althaus, Politisches Christentum, 1935. Vgl. dazu mehrere vorhergehende Tagebuchaufzeichnungen. Vgl. Redaktionsartikel von W. Laible, Politisches Christentum, AELKZ 68 (1935), 1210–1215. Fascher/Leutheuser, Ein theologisches Mißverständnis, o.J. [1935]. Vgl. dazu mehrere vorhergehende Tagebuchaufzeichnungen.

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Nach einem Bericht der »Frankf. Ztg. Nr. 518 hat auf einer großen Kundgebung der H.J. u. D.A.F. in Frankft. der Gauwalter der D.A.F. Hessen, Willy Becker, u.a. gesagt, daß in späteren Jahrhunderten, wenn man ein richtiges Maß für die heute geschehenden Dinge habe, rückschauend einmal gesagt werden würde: »Christus war groß, Adolf Hitler war größer« (D. Ev. Korr. Nr. 51 v. 18. Dez.).694 Eben lese ich in der Reformierten K.zeitg. (v. 22.12.), daß Niemöller wieder überall reden darf!695 Der Fall Jacobi schlägt immer noch breite Wellen in der kirchl. Presse.696 Ich kann nicht darüber hinweg, daß ein Mann, der mit der Sache der Kirche zugleich seine eigene Sache vertritt in Zeiten wie diese sind zurückhaltend sein sollte. D. 28.12., Sonnabd. [28. Dezember 1935] An einem der Tage vor Weihnachten meldete die »Times«, Zänker-Breslau habe noch einmal Kandidaten geprüft u. sei abgesetzt worden pp. Stimmungsmäßig lauter schlechte Nachrichten über England. O. wußte nichts. (Ich war am 2. Feiertag bei ihnen.) Am Montg., d. 23. Abends Weihnachtsfeier hier im Haus. Sehr minderwertige Ansprache des Labi. Mittendrin wurde er plötzlich wild u. sagte (dem Sinne nach): »Wenn ich nur das Wort »Bekenntnis« höre, dann gerate ich schon außer mir.« Es stimmte. Er wird immer gepackt u. geschüttelt wie von einem Dämon u. fängt dann völlig unbeherrscht unten in der großen Halle, in der man doch das leiseste Wort versteht, zu brüllen an. Ich hatte Bleistift u. Akten bei mir u. suchte ostentativ in meinem Zorn nach einem Blatt Papier, um mir dieses wörtlich aufzuschreiben – fand leider keines. O. hatte [das Schreiben] vom K.Ausschuß in Abschrift bekommen, das im Original an den L.K.R. gegangen war. In den höflichsten Tönen gehalten – was uns, die wir seit Jahren in Zeitungsartikeln u. Ministerreden – garnicht zu reden von den Ergüssen kirchl. Würdenträger – in den wüstesten Ausdrücken angeschnauzt werden – ordentlich auf die Nerven fällt. Der K.A. hielte es für richtig wenn in den Feiertagen nicht nur in Kaltenwestheim u. Metzels, sond. auch in Neuhaus u. Mengersgereuth von einem »der Bek.gemeinsch. nahe stehenden Pfr.« Gottesdienst gehalten würde. In Kaltenwesth. hat man Spelge, der Mitglied ist, beauftragt. Außerdem würde es »für richtig gehalten«, wenn man die Abhaltung des Konfirmandenunterrichts in K. (wohl auch in Metzels) durch einen »Vikar oder Pfr. der Bekenntnisgem.« gestatten würde. Reichardt [T.] hat zwar Verbot vom Krsamt; aber O. sagt, nach dieser Nachricht würden sie L.K.R. u. Krsamt benachrichtigen, sie hielten sich jetzt für ermächtigt pp. u. fingen mit dem Konfirmandenunterricht an. Bisher sind die Bekenntniskonfirm. mit dem Autobus nach Tann gefahren worden.

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Vgl. zum selben Sachverhalt Tgb. 20. Oktober und 26. November 1935. RKZ 85 (1935), 370. Vgl. Tgb. 13. Dezember 1935.

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Ich erfuhr hinterher, Mitzenheim u. Nitzsch seien kurz vor der Feier bei ihm gewesen u. hätten in der Sache Wieland mit ihm verhandelt.697 Jemand sagte, sie seien vorher mit Schilling zusammen bei Tegetmeyer gewesen u. hätten da auch einen Krach gehabt. Inzwischen ist in K. [Kaltenwestheim] eine neue Schwierigkeit entstanden. Ein junges Mädchen aus K., die wohl hier in Arbeit ist, und ein hiesiger S.A.Mann u. Pg. wollen sich ausgerechnet von Otto trauen lassen. Das geht nun den D.Chr. gegen die Ehre. Sie fassens auch garnicht: Ein S.A.Mann u. Pg. will sich von dem Führer der Bek.gem. trauen lassen! Die Kirche wird also verweigert. Der 3. Feiertag hat die Erledigg. noch aufgehalten. Morgen soll die Trauung sein u. heute geht das Telephon des L.K.R. in dieser Sache nach allen Richtungen. Hier im Haus hörte ich schon davon. Otto hatte Sorge, daß in Berlin viell. kein Mitglied des KA zu sprechen sei. Nun weiß ich auch, was Franz am 20.12. in Kaltenwestheim angezettelt hat. Er hat ohne jegliche Vorbereitg. die abgesetzten K.vertreter u. die Vertreter der D.Chr. zusammengerufen, dazu den Bauern Stopfel, die Seele der Bek.gemeinsch. dort. Vorher hat St. O. anrufen wollen, der war aber nicht zu Hause. Vorschlag von Franz: 2 »Listenführer« werden ernannt u. jeder benennt 7 Leute sr. Gruppe, die die neue K.vertretung bilden sollen. (Die D.Chr. haben 3 eingeschrieb. Mitglieder in K., die B.K. mehrere hundert). Die Listenführer haben zugesagt! Frist für Ernenng. der Mitgl. 4. Jan. – O. sagt dazu: Erst müssen sich mal die Listenführer zusammen setzen u. sehen, daß sie überein kommen. (Diese Regelung ist doch unmöglich!) Die Hindernisse wegen der Trauung morgen werfen ein Licht auf das Friedensangebot! Was ist denn das für ein angeblicher »Friede«, wenn man sich nicht mehr trauen lassen darf, von wem man will. Noch dazu wird das junge Paar in O.s Gemeinde künftig wohnen. Frau Baudert [L.] schrieb einen Brief! Bei Bdt. haben Kriminalbeamte Haussuchg. gehalten u. den Brief aus dem Studentenlager gesucht – aber nichts gefunden!698 Dann stundenlange Verhöre auf der Polizei! Bdt. steht mit den anderen Lüdenscheider Pfarrern hinter den »Dortmundern« (65), denen Kerrl das Gehalt gesperrt hat. »Times« berichtete, O. bestätigte es. Wir haben beschlossen, »Times« nicht mehr zu kaufen. O. hat ausreichend Nachrichten. Gestern las ich die Times in Weimar im Schloßkaffee. Sie berichtete, ihr Berliner Korrespondent sei im »Angriff« astaquiert [sic] worden. Die Regierung rege sich darüber auf, daß kirchl. Nachrichten aus Deutschld. in der engl. Presse erschienen u. behaupte, das sei Hochverrat. Das Ganze sei bezeichnend für den deutschen Geisteszustand. Das neueste »Protestantenblatt« brachte einen merkwürdig deutlichen Bericht zur Lage.699 Es wurde festgestellt, daß Marahrens an Kerrl tatsächlich im Namen der 697 698 699

Vgl. Tgb. vom 8. November 1935. »Brief eines Studenten aus einem Schulungslager«, vgl. Tgb. 4. und 7. Dezember 1935. Wilhelm Schubring, Jahreswende – Kirchenwende?, Protestantenblatt 68 (1935), 818–821. Der entscheidende Passus lautet: »Das mehrfach erwähnte Schreiben von Marahrens ist mit der Angabe 6. Dezember jetzt im vollen Wortlaut in der ›Allgemeinen Evangelisch-Lutherischen Kirchenzeitung‹ bekanntgegeben; es ist tatsächlich von der ›VKL der hannoverschen Landeskirche‹ ausgegangen, die niemand kennt – hat D. Marahrens den Begriff ›vorläufig‹ nur gewohnheitsmäßig gebraucht oder war er so eschatologisch gestimmt und sich als Theologe der Vorläufigkeit

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»vorl.« Leitung der Hannoverschen Kirche telegraphiert hat – nicht von der V.K.L. aus, die sich überpt. nicht geäußert hätte. Niemand habe bisher gewußt, daß die rechtmäßige Kirchenleitg. von Hannover sich »vorläufig« nenne.700 Und die »Vorl. Leitg. der dtsch. ev. Kirche« sei damit wohl erledigt, ehe sie zur Entfaltg. gekommen sei? Das Blatt bedauert diese Tatsache. Es sieht alles wieder einmal reichlich verworren aus. Hauer erscheint jetzt tatsächlich dauernd in der Verteidigung: im »Reichswart«, in der Auseinandersetzg. mit Stapel im »Deutsch. Volkstum«. Künneth hat sich kürzlich irgendwie mit ihm auseinandergesetzt u. dabei bemerkt, es sei vielleicht kaum mehr notwendig; denn Hauer habe tatsächlich die Möglichkeiten zur Entfaltung nicht mehr, die man ihm bis vor einigen Monaten gewährt habe. Die Gesamtlage ist im Augenblick niederdrückend. Der Riß in den eigenen Reihen lähmt – u. die Sache mit Jacobi ist so traurig.701 O. sagte mir am 2. Feiertag, als wir wieder die Kirchenpolitik durchdachten, ich sei ständig in Gefahr, taktisch zu entscheiden, nicht glaubensmäßig. Ich sähe die Dinge zu kirchenpolitisch. Es ist mir völlig klar, daß er recht hat. Manchmal fällt es mir auch auf die Nerven, daß dieses Tagebuch nur Äußerliches verzeichnet. Aber das ist doch wohl nicht zu ändern. Es soll ja nur Gedächtnisstütze sein. Übrigens hat Dr. Keil, der überzeugter D.Chr. ist, über die Weihnachtsfeier auf d. Pflugensberg gesagt, er bedaure, dabei gewesen zu sein. Das ist allerhand. Natürlich hat man aber sofort Entschuldigungen zur Hand: Sasse habe sich bei einer vorangegangenen Unterredung mit Mitzenheim aufgeregt – andere werden nie entschuldigt!

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aller menschlichen Dinge so stark bewußt, daß er auch seine alte rechtmäßige Behörde ›vorläufig‹ nannte?« (ebd., 820). Vgl. Klügel, Die lutherische Landeskirche Hannovers, 201; daraus geht allerdings nicht hervor, warum und seit wann sich die hannoversche Kirchenregierung so bezeichnet hat. Tgb. 12. Dezember 1935. Die Tagebuchschreiberin beklagte, dass es zur Konfrontation Jacobis mit dem RKA gekommen sei, weil sie zusammen mit Ernst Otto in der Einsetzung dieses Ausschusses – jedenfalls zu diesem Zeitpunkt – eine Chance für die Veränderung der kirchlichen Verhältnisse in Thüringen sah.

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2.2.4. Die Tagebucheintragungen 1936 2. Jan. 36. [2. Januar 1936] Über die Weihnachtsfeier haben sich auch sehr harmlose Gemüter, wie z.B. das kleine Frl. Wolff in der Kasse abfällig geäußert. Eben habe ich die historische Neujahrsandacht in der großen Halle versäumt. Ich war nicht die Einzige. Fritz, Dr. Keil [E.], Laue, Andres u. einige andere fehlten auch. Ich stand aber noch in d. großen Halle als die »Kameraden« herausströmten. Es fiel nicht auf, daß auch Zenker u. Bö. anhielten u. mir z. Neujahr gratulierten, obwohl es die Situation nicht nötig machte. Dann erschien in m. Zimmer sogar Götze »in alter Freundschaft.« Ich hörte dann, die Neujahrsansprache habe keine kirchenpolitischen Ausfälle enthalten. Sie habe etwas gedrückt geklungen. Wir wissen nicht, wie das neue Jahr f. d. Kirche werden wird. Es kann sein, daß alles bleibt, wie es ist, es kann sein, daß es noch schwieriger wird als das vergangene Jahr.« Das alles aber nicht ruhig u. zuversichtlich, sondern gewissermaßen seufzend. Gestern Abend Neujahrspredigt von O. in der Georgenkirche. Nachher ging ich mit der Schwester von Frau O. [M.], der Mutter von ihm u. Ursel [Otto U.] nach Hause. O. hat am Montag früh einen schlimmen Herzkrampf gehabt, wie damals, vor 4 Jahren! Nur die Mittel, die er hat, hätten verhindert, daß die Sache wieder so schlimm wurde! Giesemann hätte Ruhe, gute Luft u. regelm. Leben verordnet. O. dächte daran, sich wieder einmal von Bauer [G.]-Gotha vertreten zu lassen. Ganz könnte er nicht aus d. Sache heraus. – Ich habe große Sorge um O. Eine Herzerweiterung ist auch noch dazugekommen. Kaltenwestheim sei einfach ein Theater gewesen, erzählte Ursel [Otto U.]. (Fabelhaft, wie die Kinder an all diesen Geschehnissen lernen!) Am Montag, den 23., hätte Sasse erlaubt, daß die Trauung in der Kirche in K. [Kaltenwestheim] stattfände.1 Am 25. hat er die Erlaubnis zurückgezogen, am 27. wieder erlaubt! Diese Verhandlungen haben wohl mit dem Bräutigam, S.A.-Mann Bischof, stattgefunden. Am Sonnabend, 12½ Uhr, hätte Franz angerufen (offenbar bei O.), Sasse wäre nach Apolda (zur Trauerfeier für die Opfer des Eisenbahnunglücks) gefahren u. hätte ihn, Franz, vorher beauftragt, mitzuteilen, daß die Kirche nicht bewilligt werden könne! (Sasse ist doch morgens zieml. früh gefahren. Hätte Franz gleich angerufen, hätte man sich an den KA wenden können. Aber der war so spät nicht mehr zu sprechen. Alles Absicht). Dagegen ist O. erlaubt worden, mehrere Kinder in d. Kirche zu taufen! An 600 Menschen, das Brautpaar, an d. Spitze, die Braut mit Kranz u. Schleier, seien in d. Kirche gezogen. Nach der Taufe hat O. gesagt, daß leider die Erlaubnis nicht gegeben worden sei, die Trauung in d. Kirche zu vollziehen u. daß sie im Hause der Eltern stattfände. (O. hatte schriftl. bestätigen müssen, daß er in d. Kirche nur die Taufen, nicht die Trauung halten wollte. Als nun der Riesenzug mit dem Brautpaar sich zur Kirche bewegte, hat man den Wachtmeister alarmiert! Der sei nun hinterher gekommen, sei übrigens sehr nett gewesen. O. habe ihm gesagt, daß er selbstverständl. sein Wort gehalten habe. O. hat natürl. nicht gewußt, daß d. Brautpaar mit in d. Kirche gehen werde. Das haben die sich z. Schluß selbst ausgedacht. Die Trauung sei nun in dem Gehöft vor sich gegangen. 1

Vgl. Tgb. 28. Dezember 1935.

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Alles was in d. Kirche war, sei mit d. Gesangbüchern in d. Hand mitgegangen. Sie hätten im Haus Kopf an Kopf gestanden, im Hof und auf der Straße u. hätten alle die Lieder mitgesungen! Auf diese Weise hat das Brautpaar eine wunderbare Trauung erlebt, an die das Dorf noch jahrelang denken wird. Mit den K.vertretern hat O. auch noch eine Sitzg gehalten. Sie werden verlangen, daß sie die Mehrzahl der Sitze bei der Neuregelung bekommen, sonst überhpt. nicht mitmachen. nachm. Kirchenzeitungen gelesen. Die 1. Nr. des »Positiven Christentums« ist leidenschaftlich, polemisch u. haßerfüllt, wie seit langem nicht (Schriftleiterin ist eine Dame!2). Die rückschauende Betrachtg fälscht den ganzen Kirchenkampf in einen Sieg der Deutsch. Chr. um, spricht von »Opfern«, wo sie Niederlagen erlitten, betont gegenüber dem lauten Rufen des »Notbundes« die Stille der Dtsch. Christl. Arbeit usw. Das Interessanteste ist aber ein Angriff auf die amtl. Pressestelle des KA. Man hätte die bekannte, theolog. Erklärung der D.Chr. in mißverständlicher Verkürzung gebracht u. dann auch noch mit einem mißverständlichen Kommentar gebracht. Der Angriff ist sehr scharf: Weil die D.Chr. in dieser theolog. Erklärg behaupten, auf dem Boden des reformator. Christentums zu stehen (Die Allgem. Ev.-Luth. K.ztg. fragt, ob wir eigentl. in den letzt. 2 Jahren in einem Irrenhaus gelebt hätten – wozu denn der ganze Kampf, wenn das wahr sei.) fordert es nun von den Bekenntnisleuten, sie sollten mit der »religiösen Diffamierung« aufhören. Wenn man 2 Jahre lang reformat. Christentum bekämpft hat, kann man das nicht mit einer wendigen Erklärung ungeschehen machen. Dazu wird auch noch die Bekenntnisfront in derselben Nr. in einer lange nicht dagewesenen Weise politisch diffamiert. Ein ganz toller Angriff aus »Das Schwarze Korps« wird auch noch abgedruckt. »Reichsrat« [Reichswart?] verteidigt sich wieder nach allen Richtungen hin u. empfiehlt dringend den Altkatholiken, deren Bischof soeben ein Bekenntnis zum Nat.sz. abgelegt hat. Der rein polit. Zweck ist zu klar. »Ein Christ erlebt die Probleme …« wird besprochen. Sehr sympathisch. Mit Erstaunen, wie ein so weltoffener Mann Christ sein könnte. Ein klarer Beweis, daß sie vom Christentum keine Ahnung haben. Denn Gedat ist einer der neuen Typen, die aber mindestens seit dem Krieg schon da sind.3 Die Bewertung der heut. Ansprache von Sasse wurde von 2 Seiten bestätigt: gedrückt. Ein Artikel von Pfr. Wilm (vom K.A.) im »Positiven Christentum« bestätigt den D.Chr. übrigens, daß sie immer auf d. Boden des Evangeliums gestanden hätten. Ein merkwürdiger Eindruck! Was wird Zoellner dazu sagen, der einen sehr sympat. Neujahrsartikel im »Ev. Deutschld.« veröffentlichte (der gekürzt durch mehrere große Tageszeitungen ging.) In einer Zeitg. hat Dinter festgestellt, daß die Hauer-Bewegg. »nur noch ein Trümmerfeld« u. von Ludendorffs Organisation nur noch ein versprengtes Häuflein vorhanden sei (ungefähr). Dem Ludendorff-Verlag ist im Dezember von der Geh. 2 3

Melitta Wiedemann aus Berlin. Gedat, Ein Christ erlebt die Probleme der Welt,271936 [viele Auflagen!].

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Staatspolizei tatsächl. die Abhaltung von Vorträgen verboten worden (Positives Christentum Nr. 1/36). Im V.D. sei man in gedrückter Stimmung. Aus Saalfeld hat man dann erzählt, der Dr. Ulrich vom VD habe tolle Sachen geredet, furchtbar auf Kirche u. Pfarrerschaft geschimpft. Die Pfarrer seien wütend, daß sie solche »Aufbauvorträge«4 auch noch mit vorbereiten sollten! Ja – warum lassen sie sichs gefallen! Erziehung zur Charakterlosigkeit. Und da soll d. Welt Respekt vor der Pfr.schaft bekommen! Den 3. Jan. 36. [3. Januar 1936] Von Volk ist eine schriftl. Mitteilg. bekannt geworden – ungefähr so: »Die Unruhe in der Kirche hört nicht auf. Die Lage der Thür. Kirche ist jetzt aber so wie damals, als ich in den L.K.R. kam. Niemand weiß, was aus ihn wird …« Das klingt so, als wenn davon gesprochen würde, die Thür. Kirche in einem anderen Kirchengebiet aufgehen zu lassen? Am 23. abends kurz vor der Weihnachtsfeier im Betrieb sind Nitzsch u. Mitzenheim mit Schilling bei Tegetmeyer gewesen u. haben da irgendeinen Krach gehabt. Die Unterhaltung drehte sich um Wieland, den Kirchner, der ersetzt werd. soll!5 Deshalb wohl auch die Unterredung Mitzenh.-Sasse kurz vor der Feier, die Sasse so erregt haben soll. Darüber wurde eben unten in der Kantine gesprochen. Wieland ist derjenige, der die üblen Klatschereien über K.räte u. Pfr. in Umlf. gesetzt hat u. den der Kreisleiter halten wollte. Er soll an ein Kirchsteueramt. Weiter ist allgemein bekannt, daß Sasse bei der Trauerfeier in Großheringen von Sauckel brüskiert worden ist. Er hat sprechen wollen u. ist einfach »weggeschoben« worden. Sauckel hätte ihn überhaupt nicht beachtet. Das ist tatsächlich ungehörig. Die Verunglückten gehörten alle der Kirche an. Nach dem Willen der Angehörigen wäre es gewesen, wenn der Landesbischof geredet hätte. Aber die wurden ja nicht gefragt. So baut man natürl. keine Volksgemeinschaft – aber darauf scheint es ja auch nicht anzukommen. Das Volk mußte bei dieser Trauerfeier die weltanschauliche Kluft zwischen sich u. der Regierung spüren. Es waren alles einfache Leute, z.Teil Bauern. Und da eine Trauerfeier ohne Choral, ohne ein Wort. Dorpmüller sprach gut, weil ehrlich. Aber: »Wir haben keinen Trost…« Laue hat hinterher zu Sasse gesagt, er hätte sichs nicht gefallen lassen, hätte trotzdem sprechen sollen. Die Reisen der D.Chr. ins Rheinland (ausgenommen Sasse, dessen Kosten anders verrechnet werden) werden auf die Reichskirche übernommen! Dahinter stecken natürlich Abmachungen mit dem Reichsbischof. Jetzt kann das natürlich nicht mehr gemacht werden, das war einmalig. 900 M werden verrechnet auf den Thür. Anteil an der Umlage für die Kosten der Reichskirche. Es ist jetzt erst erledigt worden, bisher Vorschüsse. Andere Reisekosten ins Ausland, z.B. nach Bremen, ins Magdeburgische u.s.w. nicht auf Landeskirchenratskosten, wird »anders verrechnet«. Wie, wüßten die Betreffenden nicht. Ich fragte, ob das wohl auf Kosten der D.Chr. ginge. »Ach kein Gedanke! Die D.Chr. haben doch kein Geld.« Es muß aber doch so sein. 4 5

Vgl. Tgb. 2. November 1935. Vgl. Tgb. 20. Oktober 1935.

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D. 4. Jan. 36. [4. Januar 1936] Große Unterhaltg. mit ( )b. »Sobald als möglich werde ich nun übrigens den Brüdern Lebewohl sagen«, erläuterte er mit Bezug auf die D.Chr. u. las mir einen Brief vor, den er aus Jena bekommen hat. Da scheinen allerdings Zustände zu herrschen. »Gemeindeleiter« der D.Chr. ist ein gewisser Roßner, der 1923 noch Kommunist war u. nach seinen eigenen Angaben im Ruhrkampf einen Reichswehrsoldaten mit d. Kolben niedergeschlagen hat. Der Mann ist Kirchner u. also der »Führer« des D.Chr. Oberpfarrers Leidenfrost, dem dieser nach dem Führerprinzip der D.Chr. sich zu fügen hat! – Auch sonst brachte dieses Gespräch eine Menge Interessantes, z.B.: – Ob.pfr. Le Seur-Weida habe einen »fulminanten« Bericht über die dortigen »Aufbauwochen«6 an den L.K.R. geschickt,7 die ganz anders verlaufen seien, als er, Le Seur, der doch selbst im Rahmen dieser Wochen als Redner mitgewirkt habe, sie sich gedacht hätte. Er hat eben gedacht, es sollte nur »evangelisiert« werden! In Weida aber sei ein Aufgebot von 3 Pfarrern am Altar erschienen, u. ich glaube, auch noch Schulungsleiter u. Hilfspfarrer, um eine der berühmten deutsch-christlichen »Liturgien« aufzuführen. Das Ganze vor 80 Menschen! Es sei lächerlich gewesen! pp. ( )b fügte hinzu: »Und was das alles kostet! Diese Reisegelder! Die da unten sagen: »Und wenn wir uns weigern zu zahlen, dann heißt es: ›Sie fallen uns in den Rücken!‹« Aus einem L.K.R.-Protokoll vom 10. Dez.: 800 M Reisekosten von Leffler, Leuth., Brauer u. Rönck werden auf die L.K.R.-Kasse als Ausgaben für »Volksmission« übernommen.8 Zum Fall der Kandidaten Goll, Brunotte u. Schüler: Sie sollen nicht angestellt werden, solange sie von der Erklärung vom 10.7.9 nicht abrücken, um so mehr, als »der V.K.L. vom K.A. oder Kerrl jetzt jede Betätigung verboten sei!«10

b 6 7

b 8

9 10

Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz, vgl. Übersicht Strichzeichnungen. Zu den Aufbauwochen bzw. -abenden vgl. Tgb. 2., 7., 8., 13., 18., 19. und 22. November 1935. Schreiben des Evangelischen Oberpfarramts des Kirchenkreises Weida an den LKR der TheK vom 19. Dezember 1935 (I), enthaltend den Rundbrief des Evangelischen Oberpfarramts an alle Pfarrämter des Kirchenkreises Weida vom 28. November 1935 und (II) einen Bericht des Oberpfarrers Le Seur nicht datiert, LKAE, A 792, nicht foliiert. Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz. Vgl. Protokoll der Sitzung des LKR der TheK vom 10. Dezember 1935 (LKAE, A 122, 67). Mit »Ausgaben für Volksmission« sind Kosten für Reisen, d.h. Propagandafahrten, in außerthüringische Länder und Landeskirchen gemeint, die der Werbung des eigenen Weges der KDC und dem Aufbau von KDC-Gemeinden dort dienten; vgl. Tgb. 20. Januar 1934. Vgl. Tgb. 17. Juli 1935. »42.) Kandidaten Brunotte, Goll und Schüler. Nach einem Bericht des Landesbischofs wird dem Vorschlag von Kirchenrat Franz entsprechend beschlossen, an die drei Kandidaten in folgendem Sinne zu schreiben: ›Solange Sie zu der Erklärung vom 10.7.1935 stehen, in der die Unterzeichner sich den Organen der ›Bekennenden Kirche‹ unterstellen, kann eine Einstellung in den Dienst der Thüringer evangelischen Kirche nicht in Frage kommen, zumal durch eineVerordnung des Reichsministers für die kirchlichen Angelegenheiten den Organen der ›Bekennenden Kirche‹ jede leitende Befugnis entzogen ist‹« (Protokoll des LKR der TheK vom 10. Dezember 1935, LKAE, A 122, 67).

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Thieme hat wieder ein Darlehn vom L.K.R. erhalten: 1000 M.11 Thieme u. Männel erhalten ihre Wohnungsgelderbeihilfen bis zum Ende des Rechnungsjahres.12 Dr. Volk stellt ausdrücklich fest, daß mit Hohlweins Gehalt alles in Ordnung sei. »Weitergehende Ansprüche werden abgelehnt.« Roßner-Jena erhält eine besondere Beihilfe wegen Aufwendungen bei den »Aufbauwochen« u. bei sonstigen Gelegenheiten. In Bischofroda ist ein Diakon Fries als »Prediger« eingestellt worden (offenbar aus Koblenz). Als »Gemeindehelfer« ist in Weimar ein früherer Hitlerjugendführer Paulin (früher im Ev. Jungmännermerk) eingestellt u. Pfr. Kittelmann beigegeben worden. Es geht aus dem Prot. nicht hervor, von wem er bezahlt wird. Ebenso ein gewisser »Basedow« in Stadtroda. Fritz erzählte ferner von einer Kirchenvertreterschulung in Klosterlausnitz, bei der von »Extrawürsten« geredet worden sei, die in Eisenach für die Schulungsleiter gebraten würden! Es habe einen furchtbaren Krach gegeben Leutheuser hätte wahnsinnig gebrüllt u. Thieme hätte gesagt, er wollte lieber bettelarm u. im Elend sterben als von seinen Idealen etwas aufgeben. ( )b nannte einen Kollegen, der »auch Lust hätte«, mit ihm zusammen auszutreten. Ich will den Namen nicht hinschreiben. Es hinderte sie bloß noch die Rücksicht auf die Behörde, deren Ansehen es doch schaden würde, wenn in ihren eigenen Reihen mehrere Austritte aus den D.Chr. erfolgten. Ich sagte darauf, »andere Sachen schaden der Behörde noch mehr.« Ein Hilfspfr. Tittelbach wird angestellt, obwohl er noch nicht »dran« ist. (In d. Eile konnte ich nicht alles behalten). Auch der Fall Wieland war in diesem Protok. behandelt worden.13 Schließlich sagte ( )b: »Man müßte mal eine Zusammenstellg machen u. dem K.A. schicken, damit endlich wenigstens der Finanzausschuß kommt.« Wenn ers doch täte. Aber ich fürchte, es war nur eine Redensart. Unruhe im K.krs. Meiningen. Ob.pfr. Schaumburg, ausgetretener D.Chr., will bei Vorbereitg. der Aufbauwochen in Meiningen nicht helfen. »Nun werden sie mich wohl absetzen.« Es sei »Tarnung«, wenn Büchner innerhalb der »Aufbauwochen« in sr. alten Gemeinde Meiningen redete, wahrscheinlich ganz in der früheren Weise u. nicht D.Chr.-Theologie … usw. Soweit war ich, als Schilling hereinkam und sagte: »Ich soll Sie sofort verhaften u. stehenden Fußes in den weißen Saal bringen.« Da ich dieses Tagebuch offen vor mir

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12 b 13 b

Vgl. Protokoll der Sitzung des LKR der TheK vom 10. Dezember 1935 (LKAE, A 122, 68). Dabei wurde in einem Anhörungsprotokoll vom 28. November 1935, unterzeichnet von Volk (LKAE, G 2055, 50), geltend gemacht, dass die Schulden Thiemes vor allem durch seinen selbstlosen Einsatz bei Schulungen und Schulungsleitungen (Reisekosten) in der »Kampfzeit« entstanden sind. Vgl. Tgb. 18. Oktober 1935; 7. November 1935; 9. November 1935; 19. Dezember 1935. Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz, vgl. Übersicht Strichzeichnungen. Zum Fall Wieland vgl. Tgb. 20. Oktober und 8. November 1935 sowie 3. Januar 1936. Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz.

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liegen hatte, war es doch kein Wunder, daß ich eine Sekunde lang starr war. Das kommt davon. Heute nachm. war ich bei O., den ich seit dem 3. Feiertag nicht gesehen hatte. Sehr interessante Begegnung mit einer Dame [von Ranke], die ich gut kenne, die einen Vetter im Ministerium Kerrl hat, mit dem sie kürzl. zusammengewesen war.14 Er habe von d. Lage in Thür. genau die gleiche Auffassung gehabt wie wir: Irrlehre. Thüringen käme zuletzt dran. Es sei eine heikle Sache. Er hätte eine bestimmte Vorstellung davon, wie man die Sache machen müßte: Staatskommissar, »nicht Ausschuß!« »Das hat also durchgeschlagen«, sagte Otto lachend – sein Vorschlag! »Hoffentl. haben wir die Leute da nicht auf ein falsches Gleis gebracht!« 15 Aber, hatte der Vetter weiter erklärt, einen Finanzausschuß16 würden wir natürlich früher schon bekommen. Der sei überhaupt die Hauptsache, denn wenn man den Leuten »die Subsidien abschneide«, könnten sie ja keine Propaganda mehr treiben. Franz sei übrigens ein ausgezeichneter Jurist: »So ein gerissener Kerl ist mir noch nicht vorgekommen!« Dann Einzelheiten aus der Reichsbischofszeit. Das sei einfach entsetzlich gewesen. Ständig sei die Geh. Staatspolizei hinter ihnen her gewesen. Er habe Verbindungen mit der VKL gehabt pp. Sie hätten natürl. Material gegen den Reibi gesammelt. Der Vetter war erst bei den Jung-Reformatorischen [JRB], dann 6 Wochen lang D.Chr., dann dort wieder ausgetreten. Er hätte damals, als er noch im »Dahlemer Pfarrhaus« aus u. einging, schon gemerkt, daß der Widerstand Niemöllers zum Teil »Temperamentsache« sei. Dabei wurde der Fall Jacobi erwähnt. Er koste Niemöller sehr viele Anhänger. O. erzählte, Jacobi sei übrigens am Tag nach dem Zwischenfall zu Koopmann gefahren, hätte sich mit ihm ausgesprochen u. sie hätten sich geeinigt.17– Die Jacobis seien in der 4. Generation Pfarrerfamilie. Aus mütterlicher Ahnenreihe hätte Jacobi aber Urgroßeltern, die getaufte Juden seien. Er sei nach nat.soz. Gesetzgebung Arier. Auch der Arierparagraph in d. Kirche würde ihn nicht betroffen haben. Er habe einfach nicht für möglich gehalten, daß diese jüd. Urgroßeltern jemals eine Rolle spielen könnten. Heute ein »Times«-Ausschnitt (vom 30.12.) Fall Jacobi. J. hätte am Weihnachtsabend in der Gedächtniskirche zu predigen gehabt. Die D.Chr. hätten gedroht, ihn daran zu hindern. Statt gegen die D.Chr. vorzugehen, habe Kerrl Jacobi 3 Tage Hausarrest durch die Geh. Staatspol. zudiktiert. Er habe weiter vom KA verlangt, J. solle suspendiert oder abgesetzt werden. Der KA habe das bis heute abgelehnt. Mindestens ein Mitglied habe sich geweigert, seine Unterschrift zu geben, da für eine solche Maßnahme keine gesetzl. Grundlage vorhanden sei. Dann war weiter die Rede davon, daß nach dem Zwischenfall Ende November, wo Kerrl dem KA mit einer noch nicht erlebten Schärfe gegenübergetreten sei, der KA ihm ein Ultimatum gestellt habe. Die Antwort darauf sei ungenügend gewesen, aber

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Hansjürg von Ranke, Jurist im Reichskirchenministerium; nicht verzeichnet im Biogrammverzeichnis der Mitarbeiter des Ministeriums bei Kreutzer, Reichskirchenministerium, 336–342. Vgl. Tgb. 19. Dezember 1935. Vgl. Tgb. 10. März 1935. Vgl. Tgb. 12. Dezember 1935.

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doch immerhin soweit versöhnlich, daß man deshalb keinen Bruch hätte herbeiführen können. O. war erschüttert, daß das alles die »Times« erfahren hätte! Er erzählte, daß der Bruderrat gestern Sitzg. gehabt hätte. In O.s Vertretung ist Bauer [G.] dagewesen. Offenbar sei es völlig zum Bruch gekommen. Man hätte schon in 2 Räumen verhandelt! Es könnte nicht lange dauern, dann sei es offenkundig. (Es ist entsetzlich traurig u. kann einem völlig die Freudigkeit nehmen).18 Übrigens ist in der Tagespresse die kommende Bildg. von 8 »Kammern« der D. Ev. K. lt. Verfassung vom Juli 33 angekündigt. Da wird dann auch die Frauenarbeit geregelt werden. Im Sept. 33 habe ich ja die Vorschläge für diese Frauenkammer noch mit in Berlin beraten! Marahrens läßt in der hannoverschen Kirche Fürbittgebete für den K.A. sprechen. Der Vetter hatte noch gesagt, jetzt bekäme Württemberg einen Landeskirchenausschuß, den Vorsitz natürlich Wurm. Bayern bekäme keinen Ausschuß. Danach wäre nicht mehr viel zu tun übrig. Er rechnete immerhin damit, daß Thür. in 8–12 Wochen drankäme. – Der Mann ist Optimist. Ich rechne mit einem Jahr etwa – sagen wir, Ende dieses Jahres, viell. Okt. November. Otto ist geneigt, die Sache noch viel weiter hinaus zu schieben. O. bekommt jetzt Rundbriefe nur noch von den Preußen. Die kümmerten sich eben einfach nicht um die Verordnungen.19 Er wunderte sich, daß die noch nicht aufgefangen seien. Asmussen hätte in s. letzten Schreiben Marahrens sehr stark angegriffen. Er würfe dieser Richtung Wortbruch vor; sie führten die Dahlemer Beschlüsse nicht aus!20 Marahrens habe sich seinerseits in einem Schreiben schon mit Asmussen auseinandergesetzt. (Wie ist Otto gerechtfertigt, der die Dahlemer Beschlüsse nicht mit gefaßt u. sich von Anfang an offen dagegengestellt hatte.)21 Aber dieser Bruderzwist ist doch entsetzlich. O. sagte, es sei nur dann Wortbruch, wenn man die Kirchenausschüsse als nichts anderes ansähe als die Kirchenregierung des Reichsbischofs. Das täten die Leute um Niemöller u. Asmussen. Marahrens u. Meiser täten es aber nicht. Die Handhabung der »Vorzensur« für Rundbriefe sei lächerlich. Ein Schnellbrief der Preußen läge drei Wochen unerledigt bei der Polizei. – Auch ein Rundbrief von Otto ist vor 3 Wochen zur Vorzensur eingereicht u. kommt nicht zurück.22 Also einfach Sabotage. Dann sollen sie doch die Rundbriefe offen verbieten. Das sind unaufrichtige

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Antipoden waren die Gruppe um Niemöller, die sog. Dahlemiten, die eine eigene kirchliche Struktur anstrebten, und die VKL unter Marahrens, die zu einer begrenzten Zusammenarbeit mit den Kirchenausschüssen bereit war. Zu den kirchenpolitischen Hintergründen, die schließlich zur Spaltung der BK führten, vgl. Meier, Kirchenkampf II, 101–108. Zum Verbot der Rundbriefe vgl. Tgb. 8. April, 26. Juni, 13., 29. November, 4., 5. und 9. Dezember 1935. Zweite Reichsbekenntnissynode der DEK, die am 19. und 20. Oktober in Dahlem tagte. Zu den Vorgängen und Verhandlungen vgl. Scholder II, 335–348. Vgl. Tgb. 12. Oktober 1934; 21. November 1934 (»Einige Tage später«); 11. Oktober 1934. Zum Verbot der Rundbriefe vgl. Tgb. 8. April, 26. Juni, 13. und 29. November, 4., 5. und 9. Dezember 1935 und 4. Januar 1936.

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Methoden. Daraufhin kann man doch kein »Vertrauen« verlangen. (Vertrauen kann übrigens unter anständigen Menschen immer nur gegenseitig sein, finde ich). Im L.K.R. hörte ich heute früh übrigens noch, daß Franz eine ausführliche Darstellung des ganzen Kirchenkampfes in Thüringen ausarbeitet. Daraus kann man schließen, daß er dazu aufgefordert worden ist. Der »Vetter« wußte übrigens noch, daß Zänker-Breslau beurlaubt sei, aber nicht für lange.23 Er käme bald wieder. Er hätte »ein paar Dummheiten« gemacht, müßte mal für eine Weile weg. Das Disziplinarverfahren gegen ihn sei niedergeschlagen. O. sagte, Niemöller u. Asmussen steuerten jetzt offen auf die Freikirche zu. Sie wüßten, daß sie nur ein kleines Häuflein sein würden. – (Und Niemöller ist der, dem es zu verdanken ist, wenn der Widerstand innerhalb der Kirche Erfolg gehabt hat! Ich kann es nicht anders sehen.) Der »Vetter« hatte noch berichtet, man hoffe, Kerrl dazu zu bringen, daß er Leffler aus dem Ministerium entferne, da Leffler in sr. Stellung da der Arbeit Kerrls, die der Befriedung diene, entgegen wirke. Der Staat würde nichts gegen die Nationalkirchler tun. Man würde ihnen das Einflußgebiet, das sie sich erobert hätten, lassen. Ich sagte: »Wenn sie die Nationalkirche außerhalb der Ev. Kirche gründen, dann habe ich nichts dagegen.« So sei es auch gemeint – sagte Otto. Wer nicht dazu gehöre, müsse sich eben dem »lutherischen Block«24 anschließen. Ausspruch von Stüber: »… Skandal, daß dieser saudumme Thomas nicht mitmacht!« Sie möchten sich also nach wie vor wohl gern durch einen Neutralen ergänzen u. finden keinen Geeigneten.25 Sie wehren sich jetzt nach allen Seiten gegen die Angriffe aus dem Althauśschen Buch26, das in der Ev. Korresp. des Ev. Bundes27 und anderen kirchl. Zuschriften außerordentl. gelobt wird.28 Bauer [W.] hat an Winkler geschrieben, W. müßte den Vorsitz im Ev. Bd. wegen dieser Angriffe aus Protest niederlegen. Übrigens hatte der Vetter noch erzählt, Kerrl persönl. habe den besten Willen, hätte es aber sehr schwer, der Partei gegenüber. Er sei imstande, z.B. zu den Männern im K.A. zu sagen: »Ich habe mich gestern benommen wie ein bockiges Kind. Ich hatte natürlich Unrecht!« – Ja, wenn das so ist, dann kann man natürl. begreifen, daß der K.A. bisher schließlich immer wieder mitgemacht hat – obwohl es auch in dies. Fall 23 24

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Zänker war vorübergehend zwangsbeurlaubt (vgl. Meier, Kirchenkampf II, 167). Gemeint ist vermutlich der »Lutherische Rat« als Gesamtrepräsentation des deutschen Luthertums, der sich am 25. August 1934 konstituiert hatte bzw. der »Deutsche Lutherische Tag« (2.– 5. Juli 1935) mit Fortsetzungsausschuss. Zur Geschichte der »Formierung des Luthertums« 1933 ff. vgl. Meier, Kirchenkampf II, 108–115. Zum Fall Thomas vgl. eine Reihe von Passagen in Tgb. 1935. Auch in Auseinandersetzung mit der Tagebuchschreiberin geht es im Kern um die Frage, ob der an sich neutral eingestellte Thomas bei den DC mitmachen sollte oder nicht. Es lagen ihm Angebote vor. Althaus, Paul, Politisches Christentum. Ein Wort über die Thüringer »Deutschen Christen«, Leipzig 1935; 21935. Vgl. auch Tgb. 28. Oktober, 8. November und 21. Dezember 1935. Vgl. Gerhard Beetz, Art. Evangelischer Bund, EKL³ 1 (1986), 1215–1216. Die Schrift von Althaus sei »so ausgezeichnet, daß man das Heft … in die Hand eines jeden wünscht, dem es um Kirche und Volk heute ernst zu tun ist« (Deutsch-Evangelische Korrespondenz 35 [1936], H. 1, S. 2.)

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schließlich eine Grenze gibt. Und es fragt sich noch, ob diese Haltung Kerrls nicht schließlich Klugheit ist. Der L.K.R. hat an den K.A. geschrieben u. sich darüber beklagt, daß in einem kirchl. Amtsblatt von Bayern rechts des Rheins das »Polit. Christentum« von Alths. empfehlend besprochen worden sei. Das diene nicht der Befriedung der Kirche, da es die K.regierg von Thür. herabsetze. Es würde da unten jetzt dauernd von der baldigen Einsetzung eines K.A. in Thür. gesprochen. Das hängt viell. zusammen mit einer anderen Mitteilg., wonach von einer Stelle außerhalb Thüringens beim K.A. angefragt worden sei, warum in Thür. noch kein K.A. sei. Darauf hätte der Reichs K.A. geantwortet, der käme bald. Dieser Schriftwechsel soll bei den hies. Akten sein.29 Auch in der gestrigen Sitzg. sei vom K.A. die Rede gewesen.30 Am Montag Abd. hat in der Reihe der sog. »Bildungsvorträge« Lehmann unten in der groß. Halle gesprochen. Ich hatte es leider vergessen und bedaure das sehr. Nachher haben er, Sasse u. Volk sich noch zu Dritt unterhalten. Sasse hat irgendwas moniert, was Lehmann gesagt hat, u. dabei geäußert: Es kommt garnicht darauf an, daß Jesus Christus auf Golgatha gestorben ist, sondern es kommt darauf an, warum (wofür) er gestorben ist. Natürlich auf die Sühne (den Sühnegedanken?) kommt es an.« Ich hörte es aus 2. Hand (Andres, Btz.), Genauigkeit kann also nicht verbürgt werden. Aus meiner eben erfolgten Unterredung mit Volk über die Mitarbeit der Pfarrer bei der Th.G.G.: »… wir kennen ja nie die Einstellung, die ›man‹ zur Kirche hat …« Welcher Unterschied gegen 2 Jahre früher. Da hätten sie einen wegen solcher Bemerkung zum Hochverräter gestempelt. Damals wollte Bauer [W.] auch die I.M. in der N.S.V. aufgehen lassen. Übrigens sind Sasse u. Frau bei einem »Staatsempfang« den Sauckel am 4.I. im Weimarer Schloßmuseum gab, mit dabei gewesen. Die Nachricht vom baldigen Kommen des K.A. soll aus Würzburg kommen. Man rechnet, daß die Sache bis 1. April Wirklichkeit wird. Das würde zu den Informationen des »Vetters« stimmen. D. 9.I. [9. Januar 1936] Gestern Abd. bei O. Er kam aus d. K.vertretersitzg. Es sei sehr langweilig gewesen. Aber am Morgen, in der Pfarrerversammlung, hat Stier seine Unterschrift unter dem Mißtrauensvotum31 mit ausdrückl. Bedauern zurückgezogen. Kiel hat gesagt, er hätte kein Mißtrauen, wolle aber seine Unterschrift nicht zurückziehen, um nicht aus der Reihe zu tanzen. Frau O. [M.] sagte, Kiels hätten ihnen Besuch gemacht u. wollten offenbar furchtbar liebenswürdig sein; aber ihr Mann hätte zu Kiel gesagt, sie könnten 29

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Vgl. Schreiben des Reichs- und Preußischen Ministers für die kirchlichen Angelegenheiten an den LKR der TheK vom 23. Dezember 1935, LKAE, A 851, 28: »Auf das aus Rothenburg hierher gerichtete Schreiben, betreffend Vorschläge für die Bildung des Landeskirchenausschusses, teile ich ergebenst mit, daß auf die Angelegenheit voraussichtlich erst zu Beginn des Jahres 1936 eingegangen werden wird. Ich werde zu gegebener Zeit hierauf zurückkommen. Im Auftrage gez. Herm. von Detten.« KA wird im Protokoll nicht erwähnt. Vgl. Tgb. 20. September 1935.

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den Besuch nicht eher erwidern, als bis er seine Unterschr. unter d. Mißtr.votum zurückgezogen habe. Bauer [G.], der zur letzten Reichsbruderratssitzg. in Berlin war, hat erzählt, daß wohl nur ein kleiner Teil der Pfarrerschaft hinter Niemöller stünde. Auch die Berliner Pfr. hätten sich hinter Marahrens pp. gestellt. Heute Nachricht aus dem »Temps«: Der Sonderkorrespondent hätte am Sonntg früh (5.I.) aus Berlin telephoniert, der Bruderrat hätte mit 17 gegen 11 Stimmen beschlossen, an den Beschlüssen von Barmen u. Dahlem32 festzuhalten. Wer nicht mitmache, sei aus der bekennenden Kirche ausgeschieden. Ein Komitee von 7 Leuten solle den Kern einer künftigen Leitung dieser Kirche bilden [VKL II]. Ob die Stimmenzahl richtig angegeben ist, weiß ich nicht, im Übrigen läßt sich ja diese Sendg. mit der Mitteilg. Bauers [G.] vereinigen. Die Niemöller-Leute hatten, wie O. immer sagte, eine Mehrheit im Reichsbruderrat, ohne daß die Mehrheit der Pfr.schaft hinter ihm stand. O. wollte was von Humburg erzählen, wir kamen aber davon ab. Hier oben in diesem Hexenkessel brodelt es. Gestern Mittag soll hier – über Würzburg – die Nachricht eingegangen sein, daß der K.A. bald käme. Auch eine ähnliche Äußerung von Tegetm. ist aufgefangen worden. Doch kann es sich da auch um den Finanzausschuß gehandelt haben. – Auch Bauer [W.] hat aus Berlin die Nachricht mitgebracht, daß Thür. bald an die Reihe käme. Frau O. [M.] sagte deutlich, daß Thür. nicht mit in die Dtsche ev. Kirche aufgenommen werden sollte – das ist jedenfalls die Absicht des Ausschusses. Da aber der Staat die Nationalkirche nicht fallen ließe, wolle man ihm das Gebiet lassen, das sie sich erobert hätten. (Die »Nat.kirche« würde also dann doch Rechtsnachfolgerin der Thür. ev. Kirche?) Es wird ein großer »lutherischer Block« gebildet. Ich könnte dann wohl nicht mehr hier oben bleiben – denke ich mir. Merkwürdiges Gespräch heute in der Kantine. Halb 10 Uhr war das bekannte Männerkränzchen da versammelt, ich trank nebenan eine Tasse Kaffee. Ich sah Thieme, Ludwig, Große, Bischof, Spigath u. noch einige. Sie redeten gräßlich dummes Zeug u. machten sich sehr wichtig dabei. Erst einmal, daß die N.S.D.A.P. eben eine »Elite« sei (das hängt mit den letzten Veröffentlichungen zusammen, wonach die Partei klein gehalten werden soll.) Sehr nett, das in Gegenwart derjenigen zu sagen, die nicht dazu gehören, es waren einige solche dabei. Dann plötzl. der Satz: »Daß die N.S.D.A.P. nicht einig ist, das kommt daher, daß der Kampf, der geführt wird, nicht sichtbar geführt wird …« (Thieme) »… Manche glauben eben überhaupt nichts …«. Nun ging es ein paar Minuten lang über den Glauben. »Viel wichtiger ist, daß der Arbeiter satt zu essen kriegt!« tönte Bischof sehr nachdrücklich dazwischen. »Wenn Ihr denen, die jetzt so idealistisch reden, nichts zu essen gebt, dann schimpfen sie genauso wie die anderen …« So ging es aus rein marxistischer Überzeugung (B. ist alter S.P.D.-Mann) noch eine Weile weiter. Dann Thieme: »Ich habe dem Arbeiter nichts versprochen!! Bloß die eine Ausnahme …«. Dann ging ich raus. Neulich kam ich mal dazu, als Eckhardt dem Thieme versicherte, er könnte keine Nacht vor 3 Uhr einschlafen, weil er sich immerzu überlegte, wie er als deutschchristlicher Gemeindeleiter seine Pflicht erfüllen könnte, wirklich an die Leute heran 32

Vgl. Tgb. 15. Juni und 23. Oktober 1934.

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zu kommen. Und dann würde ihm noch vorgeworfen, er sei nicht tätig genug. »Nein, mein lieber Kamerad«, sagte Thieme sehr wichtig, »da haben wir uns mißverstanden! Ich will ja gerade, daß Sie besser schlafen! Sehen Sie, wenn das nun sogar möglich ist, daß wir uns mißverstehen …« Sasse und Franz sollen heute nach Weimar zur Regierung gefahren sein. Tegetm. ist in Berlin seit gestern. Müller hat neulich in Gegenwart Mehrerer gesagt: »Die Frau Begas, die habe ich doch aber neulich mal ordentlich gestaucht! Nun, die mußte das mal hören, immer mit ihrer Bekenntniskirche …! Er grüßt grinsend liebenswürdig – ist doch ein Schuft. Bin neugierig, was er mir alles zuflüstern wird, wenn das Blättchen sich wendet. Lotz macht jetzt die Erfahrung, daß die D.Chr. schreckl. liebenswürdig tun – ganz plötzlich! Frl. v. Ranke war gestern bei O.s gewesen u. hatte erzählt, sie hätte die Tochter von Geh.rat Helferich zur Bahn gebracht u. die hätte erzählt, sie hätte einen Brief von ihrem Mann u. der hätte einen Brief von Friedrich von Bodelschwingh (uff, Endlich!), der ihm mitgeteilt hätte, er hätte jetzt mit dem K.A. zu tun – d.h. innerhalb des K.A. Es sieht aus, als ob er vielleicht Ratschläge gäbe.33 Eben ein Bote. Männel u. Lehmann seien gestern Abd. aus Wünschensuhl u. Dietlas, wo sie Vorträge halten wollten, unverrichteter Sache zurück gekommen – es sei niemand da gewesen! Die Stimmung sei sehr flau. V. habe in den V.D. telefoniert: Thieme, Männel u. Popp müßten sofort vereidigt werden – sie hätten doch die Brücken zum Staat bereits abgebrochen! Bedeutet vielleicht nur, daß V. als Personalchef etwas verbummelt hat – aber heutzutage wittert mancher hinter jeder Nachricht eine Sensation. Freitg., d. 10.I.36. [10. Januar 1936] Gestern Abend Bibelstunde. Ich hatte 5 Wochen ausgesetzt – wegen Luftschutzkursus u. Weihnachten. Es war zum 1.mal, daß ich über die Apostelgeschichte hörte, auf die ich mich so besonders gefreut hatte. Ap.gesch. 434 – Petrus vor den Richtern, die etwa vor einem Vierteljahr Christus verurteilt haben – und nun vor der Tatsache stehen, daß der Gekreuzigte ihnen neue Schwierigkeiten macht. Sie entschließen sich zu einem »Redeverbot«. Und Petrus kündigt an, daß er sich nicht an dieses Verbot halten wird. – Wie ganz anders lebendig sind diese Geschichten als jemals! Man möchte das ganze Volk zum Zuhören holen. Ich erzählte von dem franz. Presseausschnitt. Die Zahlen waren richtig: 17 zu 11.35 Niemöllers Mehrheit ist noch gewachsen. Mich hat der friedliche Ton getäuscht mit dem Frau O. [M.] erzählte, die Nachrichten aus Berlin seien besser). Der Reichsbruderrat hat also die Leitg. (Marahrens pp) abgesetzt. Die Leitg. mit 4 zu einer Stimme (Stimme von Humburg) festgestellt, daß sie nicht zurücktrete u. daß sie vom R.br. nicht abgesetzt werden könne, sond. nur von d. Synode. Das haben die anderen zugegeben. 33

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»Während die Lutheraner am 16. und 17. Dezember [1935] über ihre Haltung zu den Ausschüssen diskutierten schuf Bodelschwingh in vertraulichen Gesprächen mit Präses Koch, Lücking, Beckmann und Johannes Gräber (Anhausen) die Voraussetzungen für die Einrichtung von PKAen [Provinzialkirchenausschüssen] in Westfalen und im Rheinland« (Besier, 401). Act 4,1–31. Vgl. Tgb. 9. Januar 1936.

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Die Synode ist aber verboten. Sie wird wahrscheinl. geheim tagen u. dann wird es zum endgült. Bruch kommen. Übrigens soll auch Präses D. Koch-Oeynh. hinter Marahrens stehen. Die Konfirmandenstunden in Kaltenwesth. gibt Wolf-Metzels, der ein Motorrad hat.36 – Am Montg. kommt das Büro der Bek.gemeinschaft nach Gotha, zu Bauers [Bauer G.] – wir haben alle das Gefühl, nicht für lange. O. hats zwar schon jahrelang ausgehalten, aber andern wirds zuviel schon nach 4 Wochen. O. hat einen miesepetrigen Brief von Thomas bekommen – ihm herzlich wieder geschrieben u. ihn aufgefordert, einmal zu kommen u. s. Herz auszuschütten. Thomas ist krank – leidet aber offenbar vor allem daran, daß er sich kalt gestellt vorkommt. Vorgest. hatte ich einen Brief von ihm. Es ist interessant, festzustellen, daß auch er jetzt anfängt, die »weltanschauliche« Situation klar zu sehen. Den Studentenbrief kennt er u. zieht die nötigen Schlüsse.37 Gestern Abd. sprach ich auch Frl. v. Ranke. Das Pred.sem. steht schon seit Sommer leer. Ihr Gehalt, das der Mädchen u. des Gehilfen des Direktors Sprainys wird für nichts u. wieder nichts ausbezahlt. Es ist wirklich toll. Erst im März sollen wieder Kandidaten kommen. Wegen Poppe, Männel u. Thieme sei im Volksbild.ministerium angefragt worden, welche Gehälter sie als Schulräte haben würden – diese Gehälter haben sie verlangt.38 Jetzt sei die Antwort gekommen: Sie bekämen jetzt schon mehr, als wenn sie Schulräte wären!39 Deshalb jetzt die Vereidigung, für die nun wohl kein Hindernis mehr besteht. Wie Therese erzählte, hat Reichardt [E.] merken lassen, daß Prof. Fascher-Jena es bitter empfindet, daß man ihn totschweigt. Geschieht ihm Recht. Am Meisten freut mich, daß die »Denkschrift« von König kaum Staub aufgewirbelt hat.40 Die Öffentlichkeit hat sich nicht mit ihr beschäftigt. Umso peinlicher nun der Erfolg von Althaus.41 Das Geld soll wieder einmal sehr knapp sein, deshalb ist Tegetm. in Berlin. Der »Herold« sei die »Milchkuh«.42 Wir »schaukeln«. nachmittags. Eben wieder Besuch im Büro. Leu. hat eben ein Schreiben losgelassen: Es solle immer noch vorkommen, daß Redner der D.Chr. auf Kirche u. Pfarrerschaft schimpften! Das 36 37 38

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Zum Vorgang vgl. Tgb. 28. Dezember 1936. Tgb. 3. Dezember 1935; hier auch der Text des Briefes. Vgl. dazu Protokoll der Sitzung des LKR der ThEK vom 10. Dezember 1935: »9.) Dienstbezüge für die Schulungsleiter Thieme und Männel. Kirchenrat Tegetmeyer berichtet über die Besoldungsregelung und die ablehnende Haltung des Schulungsleiters Männel. Nach eingehender Besprechung wird beschlossen, bis zum Schluß des Rechnungsjahres, d.h. 1.4.1936, die bisherige Mietsentschädigung an beide Herren weiter zu leisten. Der Berichterstatter will durch eine Anfrage beim Volksbildungsministerium feststellen, wie die beiden Herren behandelt worden wären, wenn sie Regierungsräte oder Schulräte im Volksbildungsministerium geworden wären« (LKAE, A 122, 68). Vgl. Tgb. 18. Oktober, 7. und 9. November, 19. Dezember 1935 und 4. Januar 1936. Vgl. Tgb. 22. August 1935 und zahlreiche weitere Verweise auf die Arbeit von König. Vgl. Tgb. 4. Januar 1936. Unklar, worauf wird hier angespielt wird, vermutlich die Versicherungsgesellschaft »Deutscher Herold. Volks- und Lebensversicherungs-AG Berlin« (nach einer Anzeige in BrDC).

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dürfe unter keinen Umständen mehr vorkommen! (Vielleicht hat er inzwischen erfahren, daß sein V.D.-Mann Ulrich d. z.B. in Saalfeld getan hat). Dazu sagt BTZ. [Btz.]: »Wenn auf Kirche u. Pfar.schaft nicht mehr geschimpft wird, geht gar keiner mehr zu den D.Chr.« Von Männel wird mir bei dieser Gelegenheit folgender Ausspruch mitgeteilt: »Wenn Jemand einen Pfarrer wie Ernst Otto totschlüge, das müßte straffrei ausgehen.« (Und dazu Kaltenwestheim, Überfall auf Reichardt.43) Von einem SA-Mann, der wegen seiner Trauung mit dem betr. Pfarrer Schwierigkeiten hat, sagte er: »Er hätte dem Pfr. einfach einen Tritt vor den Bauch geben u. fortgehen sollen. Das hätte ich getan.« Alles zu G. L. gesagt. Man begreift nicht, weshalb Tegetm. nicht stärker auftritt. Er hätte doch die nötige Prätention. Er ist mit Sauckel befreundet, der ist schon mehrmals in seinem Haus gewesen. Frau S. [Sauckel] ist sehr innig mit Frau T. Tegetm. hat heute aus Berlin telefoniert, eigentlich hätte er nur in Weimar zu sein gehabt. Man glaubt, er muß neue Gelder beschaffen. Das Wichtigste: Es wird wieder eine Reise nach Koblenz geplant. Man will in mehreren Autos hinfahren und einen großen Schlag machen (oder Rheinland).44 D. 11.I.36. [11. Januar 1936] Soeben habe ich zu meinem Kummer einen französ. Presseausschnitt aus dem »Temps« v. 8. I. übersetzen müssen und muß ihn hinüber geben: Danach soll die Bekenntnissynode einberufen werden, die in letzter Instanz über die Haltung des Reichsbruderrats gegenüber den staatlichen Kirchenausschüssen zu entscheiden hätte.45 Dieser Artikel scheint aus ebensogut unterrichteter Quelle zu kommen wie der letzte aus dem Temps. Und die Überschriften sprechen stets von dem »Konflikt zwischen dem Nationalsoz. u. dem deutschen Protestantismus«. Und dabei haben sich die französischen Zeitungen – außer im Anfang – um diese ganzen Dinge kaum gekümmert! Und jetzt mit einem Mal diese beiden Artikel! Die englischen Journalisten können offenbar nichts mitteilen. Ich glaube der Verräter sitzt mitten in der Geh. Staatspolizei. Anders ist es doch gar nicht möglich. Unerhört ist auch die neue Nr. des Posit. Christentums, Nr. 1/36 v. 12.I. Da wird die Bekenntnisfront in einer Weise angegriffen, als gäbe es keine Pressebestimmungen. Heute um 12 Uhr wurden Männel u. Gen. mündlich vereidigt. »Reichsbote« v. 12.I. veröff. wahrhaftig die Nachricht, die zuerst im »Kirchl. Morgenblatt« von Breslau stand, daß der Reichskirchenausschuß sich »nicht in der Lage gesehen« habe, gegen Bischof Zänker ein Disziplinarverfahren zu eröffnen. Wenn dem Völk. Beob. die Ehre seines Nächsten am Herzen läge, müßte er diese Nachricht auch bringen.

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Vgl. 25. September 1935. Es dürfte sich wieder um eine »Kaderfahrt« zur Werbung für die nationalkirchliche Idee der KDC in außerthüringischen Gebieten handeln (vgl. Tgb. 4. Januar 1936, mit weiteren Hinweisen in einer zugehörigen Fußnote). Vgl. Tgb. 4. Januar 1936.

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D. 13.I.36. [13. Januar 1936] In der Sache mit Stadtkirchner Wieland fehlt plötzlich das Protokoll!46 Mitzenheim hat das festgestellt, sucht es u. will nicht lockerlassen – eventuell die Sache beim Gericht anzeigen. Aktenvernichtg. sei strafbar. Es sei in diesem Protokoll festgestellt, daß Wieland verschiedentlich gelogen habe (der Kreisleiter hat dazu gesagt: »Na, was schadet denn das! Wir haben alle mal gelogen!«) Er habe als Nachrichtenquelle Beamte vom Meldeamt angegeben. Darauf ist Mitzenheim mit ihm aufs Meldeamt gegangen. Die Beamten haben ihm Ohrfeigen angeboten. Mitz. hat auch erzählt, daß Stier gezwungen worden sei, für seine Person das Mißtrauensvotum zurückzunehmen – sie hätten sonst nicht mehr mit ihm als Oberpfr. gearbeitet.47 Am Sonnabend Abd. Marschler-Versammlung. Alle Kirchenräte da. Gerade als ich herein kam, sprach der Kreisleiter Köhler, ein junger Mann, verkrampft, gewollt schneidig: »… wir haben auch das Evangelium 2000 Jahre lang angehört (spontaner Beifall von etwa von ⅓ der Zuhörer), obwohl es ja auch ›immer dasselbe‹ war!« (Das ist ein Mitglied der Kirchenvertretung!) Marschler sprach sympathisch, humorig, überlegen. Der »Herrgott« wurde oft zitiert. Einmal: »… verzeihen Sie, daß ich das in der Wartburgstadt sage – wenn wir an Hitler denken, ja … (Pause) … ja … dann haben wir den Boden der Tatsachen beinahe schon verlassen!« Und dann Köhler: »… die Rede des Herrn Ministerpräsidenten … es war, man möge mir das von ›gewisser Seite‹ verzeihen … es war eine Beichte! …« (es stellte sich weiterhin heraus, daß er nicht wußte, was Beichte ist). – Man hatte den Eindruck, als ob die Kirchenregierung vorher vorstellig geworden sei, Angriffe zu unterlassen, u. als seien die kleinen Spitzen die Quittung dafür. In der Frankf. Ztg. war von einem Schreiben Marburger Theologen an die »Times« die Rede, in der sie ihr vorwarfen, daß sie die Haltung eines kleinen Teils des Protestantismus, der auch nur einen kl. Teil der Bekenntnisfront darstelle, als die herrschende Meinung der Kirche in Deutschld. ihren Lesern vorsetze. Das geht auf Niemöller. Ich habe allerdings auch den Eindruck, daß der Vorwurf richtig ist. Lehmann hielt die Andacht heute. Es war schrecklich. Ein Wort aus dem Johannesbrief von der Liebe48 – und dazu das Gesicht dieses Mannes! Ein Wort von Hitler als Schlußgebet. – (In einem Zitat von 1922 spricht Hitler übrigens noch von seiner »christl.« Überzeugung u. von »seinem« Heiland.49) Wieland hat übrigens den interessanten Satz von sich gegeben »… erst kriegt man einen Auftrag u. dann … (lassen sie einen im Stich – oder so etwas).« Den Gemeindehelferinnen gegenüber hat er sich als »geh. Polizei der S.A.« bezeichnet. Wir vermuten aber, daß er einen Auftrag von den D.Chr. hat. Es ist Tatsache, daß 46 47 48 49

Zum Fall Wieland vgl. Tgb. 20. Oktober, 8. November 1935 und 3. Januar 1936. Vgl. Tgb. 9. Januar 1936. In den den drei Johannesbriefen ist mehrfach an exponierter Stelle von der Liebe die Rede. In der berühmten Grundsatzrede, die Hitler am 12. April im Münchener Bürgerbräukeller hielt, führte er u.a. aus: »Ich sage: Mein christliches Gefühl weist mich hin auf meinen Herrn und Heiland als Kämpfer« (zit. b. Scholder I, 108).

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Mitzenheim wie Nitzsch am 23.12. abends mit Sasse über diese Sache gesprochen haben. Daher war Sasse so aufgeregt. Es steckt also etwas dahinter. 14. Jan. 36. [14. Januar 1936] Als ich die Wendeltreppen hinaufging, hörte ich Teile eines Gesprächs zwischen Schilling u. Hartmann im 2. Stock: »… Hehlerei … na, diesen Herrn kennen wir … hat es nötig, Moralreden zu halten … Fritz hat zu Volk gesagt: »Ich kenne den Herrn überhaupt nicht.« Da hat Volk ganz entsetzt gefragt: »Ja, hat er Ihnen denn keinen Besuch gemacht?« Da hat Fritz gesagt: »Nein, ich lege auch keinen Wert darauf.« Alle Schäden, die es jemals im Betrieb gegeben hat, brechen wieder auf … jetzt, das ist überall so, wo … und da stellen sie sich hin …«; ich ging weiter, nachdem ich mich verschnauft hatte. Eins ist klar: »Die Leute wußten ›früher‹ besser, wie man Volksgemeinschaft herstellt, als die Heutigen es wissen.« Gestern Abend hatten die D.Chr. Mitgliederversammlg. im Fürstenhof, zu der durch Plakate im ganzen Haus, Zeitungsanzeigen u. wahrscheinl. Handzettel eingeladen war. (Ursprünglich sollte sie im Hs. der N.S.D.A.P. sein. Ist das verboten worden?) Oberheid sprach. Es sollen etwa 200 Leute dagewesen sein. Heute höre ich, daß Sasse und Franz ganz entsetzlich schlechter Laune sein sollen, Franz schon seit Tagen sehr gereizt sei, Sasse derartig verstimmt, daß die Stenotypistinnen unten sich gegenseitig fragen, was er hat. Hat Oberheid schlechte Nachrichten mitgebracht? Neuer Brief von Thomas. Er ist unverbesserlich. Der müßte mal mitten hinein gesetzt werden in den Kirchenkampf, daß ihm die Wellen über dem Kopf zusammenschlügen. Er wird in seiner Entwicklung nie wieder einholen, was er jetzt versäumt. Er geht übrigens 4 Wochen auf Seereise ins Mittelmeer. Aber er hat Beziehungen zu D. Eger u. korrespondiert mit irgendeinem im preuß. oder Reichsausschuß. Das schrieb er heute. In meinem letzten Brief habe ich ihm schon angekündigt, daß ich nun doch bald einmal nach Oberhof komme. Franz geht jetzt noch mal 8 Tage auf Urlaub, bleibt aber hier u. Sasse will auch noch mal ausspannen. Sie wollen wohl für die kommenden Kämpfe Kräfte sammeln! Das gönnte ich anderen auch. Z.Zt. werden hier im Haus Prüfungen abgehalten für etwa 20 Kandidaten. Was war das früher für eine Wichtigkeit! Das ist heute ganz nebensächlich. Gestern war Schriftliches, morgen 2. Teil des Schriftlichen. Und da zeigt – Sasse heute im weißen Saal nervös-gereizt auf die Tische und Stühle u. fragt: »Kommt ›das da‹ noch nicht fort?« Fräulein Linde haucht entgeistert: »Aber morgen ist doch schriftliche Prüfung … !« – »Ach, ja so, Prüfung!« Heute rief mich Dr. Ulrich, der neue Mann im V.D., an u. verlangte es möchten ihm künftig die »Presseinformationen« ebenso wie Dr. Bauer (gleich zuerst) zugehen. Er wolle sie für Informationen benutzen, die er »für die Bewegung« herausgeben solle. – Als sei es selbstverständlich, daß er hier im Büro für die »Bewegung« arbeitet, während er von der Landeskirchenkasse besoldet wird.

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Heute Abend bringt die Tagespresse eine Nachricht über Bischof Zänker! Er habe am 10. eine Aussprache mit Kerrl gehabt, sei bereit, mit den Kirchenausschüssen zu arbeiten, so ungefähr, sähe ein, daß er Unrecht gehabt hätte u. infolgedessen verzichtete Kerrl auf die Einleitung eines Disziplinarverfahrens!!! Jedermann muß denken, daß Zänker furchtbare Angst gehabt hätte, u. Kerrl unendlich gnädig sei! Dabei hat Zänker Recht gehabt, Kerrl hat sich blamiert u. hat zurückgezuckt – das ist die Wahrheit! Das ist hahnebüchen. Gegen diese Art Berichterstattung muß protestiert werden. Das geht nicht so weiter. D. 15.I. [15. Januar 1936] Ich habe von Ottos Idee mit dem Kirchenkommissar für Thüringen wirklich geschwiegen wie ein Grab50 – und heute ist sie unter den Bekenntnisleuten hier im Haus schon bekannt. Eben interpellierte mich Btz. deswegen. Wahrscheinlich haben der Kirchenrat Otto [R.] oder Brakhage nicht dicht gehalten. Gestern Abend noch Unterhaltung mit ( )b.. Er hat Volk über die Stimmung im Hs, die Ansicht über Hohlwein besonders berichtet. Der sei danach zu Sasse gegangen. 17.I. [17. Januar 1936] Ein junger Mann, der den Chauffeur Laue, der eine Militärübung macht, vertritt, hat erzählt, daß er Sasse kürzlich nach Weimar gefahren hätte, wo auch der Reichsbischof gewesen wäre. – Dann eine Sache in Römhild, wo Stetefeld, der in Begleitg. von Sasse gewesen wäre, ihn veranlaßt habe, mit in ein Bordell zu gehen. Gestern Abd. Bibelstunde, die Frl. Helmbold hielt. Otto war in Leipzig beim lutherischen Block,51 hatte kommen wollen, aber der Zug hatte Verspätg. Er erzählte dann, die Dinge in der Bekenntniskirche sähen nicht hoffnungslos aus. Meiser hätte ein Referat gehalten u. sei zu dem Schluß gekommen, es sei eigentl. nichts mehr zu retten! Danach hätte sich herausgestellt, daß außer ihm niemand diese Ansicht gehabt hätte. Man glaube im Gegenteil, man könnte sich wieder zusammenfinden. Viell. müsse Asmussen ausscheiden (u. Niemöller?). – Im Übrigen seien die Aussichten trübe, obwohl für die nächste Zeit nicht gefährlich. Die Olympiade wirke sich bereits aus! Die nordischen Länder hätten erklärt, sie würden nicht kommen, wenn auch nur ein einziger Pfr. im Konz.lager säße! Aber im Kirchenministerium selbst würden »die Granaten gegen uns schon gefüllt.« Die Partei hätte jetzt genug Leute darin, die in ihrem Sinne wirkten. »Die Partei« ist eine bestimmte Richtung innerhalb der Partei. Die ruhigen Leute innerhalb der Partei würden nicht gefragt. Kerrl käme immer mehr unter den Einfluß der Gauleiter. Man habe von ihm immer schlechtere Eindrücke. Zänker hat seine Unterredung geschildert, die sich natürl. ganz anders abgespielt hat, wie in der kürzl. erschienenen Zeitgsnotiz, die von vorbehaltloser Zustimmung meldete. (Vorausgegangen war im »Reichsboten«, auch abgedruckt in der »Frankf. Ztg., eine kurze, den Tatsachen entsprechende Notiz über die Tatsache, daß ein Diszipl.verfahren gegen Zänker nicht eingeleitet werden könne. Der darauffolgenden, offenb. von einem 50 b 51

Vgl. Tgb. 4. Januar 1936. Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz, vgl. Übersicht Strichzeichnungen. Vgl. Tgb. 4. Januar 1936 und 10. Januar 1936 sowie oben Anm. 24.

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D.Chr. verfaßten irreführenden Notiz mußte man entnehmen, daß Zänker zu Kreuze gekrochen sei u. Kerrl auf die Disziplinierung gnädigst verzichtet habe! Die Sache ist aber so, daß Kerrl zwischendurch gefragt hat, wie Z. zu den Ausschüsse stünde. Darauf hat Z. erwidert, er hätte bisher schon mit den Ausschüssen gearbeitet und habe keinen Grund, es nicht mehr zu tun. Darauf hat Kerrl sich zufrieden gestellt erklärt u. der Zeitungsberichterstatter macht daraus eine vorbehaltlose Unterwerfgg. des Bekenntnisbischofs. Aber was soll man dagegen tun? Die Niemöller-Leute haben am letzt. Sonntag wieder eine sehr scharfe Kanzelerklärung losgelassen, die aber nur ein Teil der Pfr. verlesen hat. Die meisten der Preußen stünden auf der gemäßigten Seite, bei Marahrens. (Kerrl wolle keine Strafmaßnahmen gegen diejenigen, die die Erklärung verlesen hätten, ergreifen). – Ein »Bethel-Plan«52 sei ausgearbeitet, der eine besondere »geistl. Leitg.« in den Provinzen vorsehe (vorgeschlagen von den Bekenntnisleuten u. ernannt von den KA ) u. der viell. geeignet sei, in Preußen zu befrieden, obwohl Niemöller auch diesen Plan bekämpfe. (Ich für meine Person bin immer noch nicht ganz sicher, ob Niemöller wirklich Unrecht hat.) Eine ganz dumme Nachricht über Kaltenwestheim, die Andres hier im Haus verbreitet hatte, ist natürlich nicht wahr (die Kaltenwestheimer gingen jetzt alle wieder zu Pflänzel in die Kirche, Spelge hätte versagt)! Im Gegenteil! Sie hätten gerade jetzt 3 »gepfefferte« Eingaben gemacht. (Das kommt davon, wenn Subalterne Akten lesen). Eben höre ich, daß Sasse heute wieder zum Reichsbischof fährt, u. zwar nach Berlin. Heute Abd. müsse er da sein. Der K.A. käme im März hierher, heißt es, aus sehr guter Quelle bestätigt. Nachm. Ein angestrengter Tag! Nur Einiges: Ausspruch von Franz, der den ganzen Tag auf die Bek.front geschimpft hat: »Die wollen uns ja nur immer wieder Schwierigkeiten machen, wollen eben einfach keinen Frieden! (Thür. Bek.gem.). Und der Kirchenausschuß – man siehts ja doch! – Mehr Bekenntnisfront als sonst was! Wozu eigentlich unsere ganze Arbeit! Ich habe es satt!« ( )b kam u. beklagte sich, daß man ihm eine k.polit. Sache zur Bearbeitg. zugeschickt habe – Volk! Er wollte sie zurückgeben. Protokoll! Brief von Meiser, im »Positiv. Christentum«, über Spaltg. in der Bekenntnisfront, Unterredg. darüber mit Therese, Frl. Ganzert, Linde, Dr. Dr. E. Reichardt [E.]). Mein Kopf brummt. Dazwischen Luther [H.], der vom Anwachsen des Kirchenvermögens um 120 000 M Wert von Grundstücken berichtet. Reichardt [E.] behauptete, heute nachm. wäre im Radio durchgesagt worden, daß ein Kirchenausschuß in Hessen52

b

Gemeint sind die »Betheler Verhandlungen«, die Ende 1935 begannen und am 5. Januar 1936 zu einem ersten Ergebnis, den »Betheler Sätzen«, führten: »Ziel der Verhandlungen war es, innerhalb der altpreußischen Unionskirche zu einer kirchlichen Neuordnung zu gelangen, die ein Zusammengehen der Bekenntnisfront mit den staatlichen Kirchenausschüssen dadurch ermöglichen sollte, daß den Bruderräten eingeräumt wurde, ›die geistlichen Anliegen der Kirchenleitung wahrzunehmen‹« (Meier, Kirchenkampf II, 97; zum Verlauf der Betheler Verhandlungen, die schließlich scheiterten: ebd., 96–101). Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz, vgl. Übersicht Strichzeichnungen.

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Nassau ernannt worden wäre!53 – Dazu engl. u. franz. Presseausschnitte. Und was für welche! D. 18. [18. Januar 1936] Ich übersetze auf Tod u. Leben. Eben bekomme ich die Nachricht, daß ein dickes Schreiben vom Reichskirchenausschuß eingegangen ist, in dem mehrere Beschwerden der Bekenntnisgemeinschaft in Gera behandelt werden. Der Kirchenausschuß stellt sich darin ganz auf d. Seite der Bekenntnisgemeinschaft und fordert dringend, daß deren Forderungen genügt wird. Das Schreiben ist unterzeichnet: »Gustavus, Ranke«54. Dazu wurde bekannt, man sei neugierig, was Franz dazu sagen würde, er habe ja gestern schon gesagt, er mache nicht mehr mit! (Das ist ein Charakter!). Auf den Artikel »Bekenntnisfront auseinandergebrochen« im »Positiven Chr.tum« ist die Antwort bereits in der neuesten Nr. des »Reichsboten« erschienen. Sehr würdig, ruhig. Im »Protestantenblatt« ist auch schon klargelegt, daß niemand daran denkt, etwa die »Bekenntniskirche« auseinander fallen zu lassen. Die hätten ihre Aufgaben nach wie vor pp. Montg., d. 20. [20. Januar 1936] In Österreich wird ein Flugblatt der Nationalsozialisten verbreitet, das den Volksentscheid fordert. Wir alle halten das für sehr bedeutsam u. es wird wohl mehr mit Österreich zusammenhängen, daß der Staat versucht, mit den Katholiken wieder Fühlung zu gewinnen, als mit der Olympiade. Die Gelegenheit ist günstig– Nicht nur Mussolini, sondern neuerdings auch Japan machen den »Wächtern Europas« – Engld u. Frankr. – zu schaffen. Btz. warnte vor Rußland, das furchtbare Zahlen über seine Rüstungen veröffentlicht hat. Heute früh erschien Frl. Ganzert, um sich zu erkundigen, ob etwas Besonderes los sei. Die Bekenntnisfront hätte »eine furchtbar scharfe Eingabe gemacht«. Der L.K.R. hat eine außergewöhnl. Sitzung. Ich sagte, es würden ja immer Eingaben gemacht, es sei ja immer irgendetwas los. Etwas besonderes wüßte ich nicht. Ich kann mir Verschiedenes denken. Erstens ist Sasse von Berlin zurück (Stüber hielt heute d. Andacht.) 2. Das neueste Schreiben des K.A. 3. Die Zeitungsnachrichten, die ich am Sonnabend Stüber schickte, da im V.D. alles verreist u. Franz auf Urlaub war. Außer der alarmierenden Nummer des »Positiven Chr.tum« u. der Antwort darauf im »Reichsboten« war ein »Times«-Artikel da, der den Herren wohl auf d. Nerven gefallen ist. Es wurde mitgeteilt, daß Kerrl die Verordng. vom 2.12.55 nicht streng durchführe. Daß die preuß. 53 54

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Der hessisch-nassauische Landeskirchenausschuss wurde am 16. Januar 1936 eingesetzt (vgl. Meier, Kirchenkampf II, 306). Die Bekenntnisgemeinschaft Gera hatte Beschwerde beim RKA eingelegt, weil der LKR der ThEK die Benutzung von Gotteshäusern und einem Gemeindehaus durch die Bekenntnisgemeinschaft in der Zeit vom 20.–25. September 1936 nicht zulassen bzw. – so die Meinung – hintertreiben wollte; sie prangerte dieses Verhalten als »Willkür und Machtwillen« an (vgl. Schreiben der Bekenntnisgemeinschaft Gera an den RKA vom 15. Januar 1936 [LKAE, R 231, 17]). Schon am 17. Januar 1936 reagierte der RKA (»mit der erneuten dringenden Anregung« aufgrund einer bereits erfolgten »fernmündlich mitgeteilten Bitte«) mit einem handschriftlichen Schreiben an den LKR der ThEK (mit Anlage einer Abschrift des Schreibens aus Gera), dieser solle der Durchführung der Volksmissionswoche keine Hindernisse in den Weg legen (ebd.). Vgl. Tgb. 2. Dez. 1936.

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Pfr. an ihrer letzten, sehr scharfen Kanzelerklärung nicht gehindert worden56 seien, daß die Reichssynode der Bek. Kirche bald einberufen u. von Kerrl nicht behindert würde, daß Bayern, Württemb. u. Hannover keinen Ausschuß bekommen sollten (stimmt wohl nicht ganz, Hannover hat bisher nur eine »vorläuf. Kirchenregierg«), daß in Preußen über die Frage einer besond. kirchl. Leitg. in den Provinzen verhandelt würden (Betheler Plan!57) u. schließlich über die Wiederanknüpfg von Beziehungen zwischen der kathol. Kirche u. dem Staat – Fuldaer Bisch.konf. am 9.I. Es genügt ja viell. Kerrl soll eine Rede gehalten haben – aber niemand hat die Rundfunkmeldung richtig verstanden. Auf einem Wege, den ich nicht andeuten möchte, bekam ich Nachricht von d. Inhalt einer Rede, die Leffler am 3. Jan. auf einer »Rednertagg.« in Friedrichroda gehalten hat. Ich habe aus seinen verschiedenen Wendungen herausgelesen, daß Leffler so ungefähr weiß, daß seine Sache schlecht steht. Er hofft, z.B. daß »Kerrl u. viele Andere noch einmal einsehen werden, daß sie ihnen Unrecht getan haben! Die Stimmung, die gegen Thür. gemacht wird, geht von der Bek.front u. den Berliner D.Chr. aus. Aber immerhin würden sie mit dieser letzteren Richtung noch einmal zu tun kriegen. Er könne es nicht gut heißen, wenn Leute die den Namen D.Chr. trügen, Kameraden, mit denen sie 2 Jahre lang zusammen gegangen wären, jetzt gänzlich fallen ließen!!! Rehm sei ins Rheinld. geschickt worden, um die »Thüringer« raus zu schmeißen! (Ob es ihm gelungen ist, sagt er nicht.) Dann sei auch Wilm vom KA erschienen u. hätte ihm Angebote gemacht, z.B Stellungen, hier u. dort. Es scheint auch, als hätte er gesagt, Wilm habe ihm in Aussicht gestellt, eine Unterredg. mit dem Führer zu vermitteln. (Das war wohl nur ein Köder!) Darauf hätte er, Leffler, erwidert, es sei besser, die Thüringer erkämpften sich den Weg zum Führer selbst. Dann noch eine dunkle Behauptung über Zänker, der ihn aufgefordert hätte, nach Görlitz zu kommen, seine schlesis. Kreise warteten dort jetzt auf ihn!!! … In diesem Jahr müßten die Thüringer endlich »mit dem Gedanken des Nationalsozialismus« in Berührung kommen: Dieser Gedanke sei der Führer. »Der Führer lauscht – und solange er lauscht, ist nichts entschieden«. Die theolog. Erklärungen der Berliner bedeuteten nur, daß diese sich »auf den Begriffsteppich der Bekenntnisfront« würfen! Man wollte aber auch auf diesem Gebiet Männer sehen« (na, die hat man ja gesehen) usw. Mittw., d. 22.I. 36. [22. Januar 1936] Am Montag Abd. hatten wir Bek.gemeinschaft »hinter der Mauer«.58 Otto sprach ausschließl. über die Spaltung innerhalb der Bekenntnisfront u. wünschte, wir sollten die Beweggründe jeder Strömung verstehen u. durchdenken. Es war sehr gut, aber für die Meisten wohl zu schwierig, obwohl er es so verständlich wie möglich machte. Gegenüber seiner Gewissenhaftigkeit fiel mir ein Wort von Bauer [W.] ein: »Es ist ja ganz egal, was man sagt – Hauptsache, daß irgendeine ›Stimmung‹ erzeugt wird.« – Die Reichssynode wird stattfinden, trotz des Verbots. Erschütternd waren die Beispiele »weltanschaulicher Erziehung«, die O. gab: Ein »Anruf«, den Kinder in Köln bei einer 56 57 58

»Kritisch ablehnend gegen die Kirchenausschüsse war auch die Kanzelabkündigung des altpreußischen Bruderrats zum Weihnachtsfest 1935« (vgl. Meier, Kirchenkampf II, 167). Vgl. Tgb. 17. Januar 1936. »Hinter der Mauer« (gemeint ist die Stadtmauer) befand sich das evangelische Vereinshaus mit dem Gemeindesaal der Stiftsgemeinde (vgl. Tagebucheintragung vom 15. Juni 1934).

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Speisung durch die NSV »zum Führer« sprechen mußten: einfach ein Gebet. Als sei Hitler der Schöpfer u. Erhalter aller Dinge. Dann der Bericht einer Studentin, die man aus dem »N.S.-Studentenbund« wegen »nicht ganz konsequenter nat.soz. Haltung« ausgeschlossen hat: Sie hatte in d. Bericht über eine Schulung kritisiert, daß weniger aufbauend als agitatorisch gegen das Christentum gearbeitet worden sei … usf. Gestern Vorm. ging ich durch verschiedene Büros, um das Interview eines Schriftleiters von der »Tagespost« vorzubereiten. Dabei sagte mir Oberländer u. a.: »Was ich kirchenpolitisch weiß, das erfahre ich nicht vom Kirchenrat (Lehmann), sondern außerhalb der Behörde von 3 Stellen. Wenn der mir wirklich mal irgendetwas sagt, dann ist es längst überholt. (Er arbeitet für Lehmann u. wohl auch für Stüber die ganzen in deren »Aufsichtsbezirk« vorkommenden Personalsachen vor.) Gestern ist ein Telegramm eingelaufen aus Danzig, folgenden Inhalts: »Termin der Veranstaltungen unabänderlich. Am 1. u. 2. Februar sprechen Dr. Brauer, Leutheuser, Mark, Pfr.« Sasse läuft in Haus u. Garten viel hin u. her. »Es treibt ihn um«. Männel soll etwas kaltgestellt sein, hat draußen irgendwelche Dummheiten geredet. Freitag, d. 24.I.36. [24. Januar 1936] Gestern Abd. Bibelstunde. O. hat gestern früh mit d. Kirchenausschuß (Ranke H.) telephoniert. Der hat gesagt, die Thür. Dinge kämen jetzt in Fluß. Der Minister sei nicht ganz so abweisend mehr in Bezug auf die vorgesehene Regelung in Thüringen. Kürzlich ist Jauernig (neutral) mit dem Kaltenwestheimer Hilfspfr. Müller [W.], der jetzt für die Bekenntnisgemeinschaft in Gera tätig ist, im K.A. gewesen (etwa vor 14 Tagen). Der »Vetter« [Ranke H.] hat danach erzählt, Jauernig sei ein ausgezeichneter Kenner der Thür. Verfassung, sie seien durch ihn mächtig weitergekommen. Während R. mit Franz telephoniert hat, hat Jauernig neben ihm gestanden u. ihm die §§ zugeflüstert. – Heute ist Jauernig mit Eichel bei der vorl. Kirchenleitung. In Gera soll der 1. Bekenntnisgottesdienst stattfinden, u. der L.K.R. bewilligt die Kirche nicht. Cramer u. Ziegner (Gogartenleute, im Kirchenkampf neutral) sind zum KA bestellt gewesen. Ich sagte: Hoffentlich kommt keiner von denen in den Ausschuß – falls wir einen Ausschuß kriegen! Worauf O. sagte: »Ja, einer von denen kommt wohl hinein, darauf müssen wir uns gefaßt machen. Sie können uns ja allerhand Knüttel zwischen die Beine werfen.« Aber sie stünden wenigstens klar gegen die D.Chr. Eine Dame, die aus Kaltenwesth. stammt, erzählte auf dem Heimweg, in welcher Weise die Kaltenwestheimer Angelegenheit von den D.Chr. geschildert wird. Es sei unglaubl. Sie behaupten, Müller sei von Haus zu Haus gegangen u. hätte den ahnungslosen Leuten völlig verkehrte Sachen erzählt. Dabei ist die Sache umgekehrt. Pflänzel ist von Haus zu Haus gegangen, um die Leute zu bewegen, ihre Kinder zu ihm in den Konfirmandenunterricht zu schicken. Und als das nichts geholfen hat, hat der Bürgermeister den Ortsdiener herumgeschickt. Der hat direkt gedroht, wenn die Leute nicht aus der Bekenntniskirche austräten, würden sie keine Arbeit mehr bekommen usw.

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Die Untersuchg. wegen des Überfalls von Reichardt [T.] bei Kaltenwestheim ist im Gang.59 Der Staatsanwalt Flöel hat selbst gesagt, er glaube nicht, daß etwas dabei herauskäme! Der Wachtmeister, der sonst sehr sympathisch ist u. sehr tüchtig sein soll, hat s.Zt. nicht einmal Anzeige erstattet und deckt jetzt die Leute. Es ist klar, daß er sich nicht die Feindschaft der Parteigrößen im Ort zuziehen kann! Da können von oben noch so klare Richtlinien gegeben werden, die Leute sind eben ihren engen, kleinen Verhältnissen verhaftet. In Reichenhausen, haben übrigens die Eltern der Konfirmanden nachgegeben u. schicken ihre Kinder zu Pflänzel. Aber nur dort. (Sie bleiben dabei in der Bek.gemeinschaft.) Das ist offenbar die Nachricht, die Andres aus den Akten hatte.60 Seminardirektor Lic. Dr. theol. Hohlwein hat schon wieder versucht, Schiebungen mit Reisekosten zu machen. Heute früh unterhielten sich R. u. der Chauffeur A.. Ich hörte den Satz »Jedermann weiß Bescheid …« Der Chauffeur nickte. Dann fragte ich R., der mir die Sache erzählte u. zufügte, »die Regierungsräte wollen vorgehen, u. dafür sorgen, daß er wegkommt«. D. 25.I. [25. Januar 1936] Die oben erwähnte Geschichte macht augenblicklich im Haus die Runde. Es wird dazu noch erzählt, daß Sasse, der ja wohl von der Schiebung nichts wissen konnte, doch 2 M für ein Auto bewilligt hat, das Hohlwein u. seine Frau sich nach der Heimreise von der betr. Reise nachts genommen haben, um vom Bahnhof nach ihrer Wohnung zu kommen. (Früher wurde nicht einmal dem Labi Reichardt ein solcher Luxus zugebilligt.) Nr. 3 des »Posit. Ch.tums« hetzt wieder furchtbar. Sie veröffentlichen den Bericht über eine Tagg. pommerischer Bekenntnispfr., auf der es schwere Kämpfe gegeben hat. Ich finde nicht, daß dieser Bericht der Bek. Kirche nicht zur Ehre gereicht. Die Streitpunkte sind stets tief gesetzt u. rein theologisch. Aber es ist Zeit, daß die Reichssynode Klarheit schafft. D. 27.I.36. [27. Januar 1936] Heute vor 2 Jahren fielen die lutherischen Bischöfe nach der Besprechung mit Hitler um!61 Eben hielt Poppe die Morgenandacht. Ich hätte den ganzen Kirchenausschuß hergewünscht. »Christus wandelt heute wieder lebendig mitten unter uns.« Und was für Unsinn über Pfarrer u. Theologie geredet wurde. Er behauptete, in den Kirchen machten die Theologen Ausführungen, um das Dasein Gottes zu beweisen. Darüber schrieben sie lange Bücher u.s.w. (Gerade gestern sagte Otto auf der Kanzel. »Es gibt keinen Beweis. Man kann es aber erfahren.« Und: »Das ist kein Glaube, der Wunder sehen

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Vgl. Tgb. 24. September 1935. Vgl. Tgb. 17. Januar 1936. Vgl. Tgb. 20. Januar 1934 (unter diesem Datum begonnen und ergänzt; der entscheidende Empfang bei Hitler, auf den die Tagebuchschreiberin hier anspielt, fand am 25. Januar statt).

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will, damit er glaubt. Erst wenn wir glauben, geschieht das Wunder« (über den Hauptmann von Kapernaum62). Nach Poppe müssen wir einsehen, daß in dem großen Geschehen unserer Tage Christus am Werke ist. Ja, der ist natürlich auch, wie überall am Werke. (Und sonst sieht ihn Poppe nirgends.) Und der Teufel ist auch zu sehen. Ich weiß nicht, ob ich vor 14 Tagen notiert habe, daß an viele Leute das Exemplar einer Schrift »Die Staatskirche ist da« mit einem Vorwort von Niemöller geschickt worden ist.63 Bei O. erschienen am nächsten Tag 2 Geheimpolizisten, um Haussuchung nach dieser Schrift zu halten. O. hat ihnen das einzige Exemplar der Schrift, das ihm am Tag zuvor geschickt worden war, übergeben und versichert, daß er keins weiter hätte. Sie haben dann auf Haussuchung verzichtet.64 O. hat den Eindruck, als wenn die Schrift an die Bezieher einer früher einmal ausgegebenen »Schnell-Korrespondenz« geschickt worden wäre – man hat die Adressen benutzt. Man hat ja das Adressenmaterial der V.K.L. nicht zur Verfügung. Es haben also in Eisenach noch einige Leute die Schrift erhalten (R. u. Hak) … Times hat auch schon darüber berichtet. Die Thür. Regierung hat – auf O.s Eingabe wegen des Konfirmandenunterrichtes in Kaltenwestheim65 beim Reichsausschuß [RKA] angefragt, ob er tatsächlich erlaubt hätte, daß der Konfirmandenunterricht von der Bekenntnisgemeinschaft (Wolf-Metzels) gehalten würde. Der KA hat das bestätigt. (Die Thüringer werden sich ja sehr gewundert haben.) Heute Abend spricht Lehmann im Rahmen der soz. »Bildungsvorträge« !!! Eben war Frl. v. Ranke hier, die Unglückliche, die jetzt, da das Predigersem. ja immer noch nicht wieder in Betrieb ist, eine Weile hier in d. Bücherei arbeiten soll. Sie erzählte, daß O. gestern nach dem Gottesdienst auf die Krim.Polizei bestellt worden war. Er sollte zugeben, daß die von ihm herausgegebenen »Rundbriefe« unter das Verbot fielen! Das hat er getan. Dann hat man verlangt, er soll angeben, welche Rundbriefe er von anderen bekommen habe. Das hat er natürlich nicht getan.66 So eine Gemeinheit, so etwas zu verlangen! Pfui Teufel! Wenn Poppe Recht hätte, würde also auch dieses Verlangen im Namen Christi gestellt. Am Sonnabend wurde mir – sogar in Gegenwart von Sältzer – die Eingangsmappe gebracht mit einem Rundschr. des Kirchenausschusses [RKA], über seine Stellung zum 62 63

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Joh 4,47–54. Martin Niemöller (Hg.), Die Staatskirche ist da!, Wuppertal-Barmen 1936 [»Diese mir von Brüdern der Bekennenden Kirche unterbreitete Denkschrift lege ich den Bruderräten hiermit zur Prüfung vor. Berlin-Dahlem, Januar 1936«]. Die Schrift kam am 16. Januar 1936 im Verlag Ley & Wiegand, Wuppertal-Barmen heraus, und zwar in einer »Riesenauflage«. Niemöller hatte die Schrift zwar herausgegeben, verfasst war sie aber von Otto Dibelius (Dokumente zur Kirchenpolitik III, 169, Fn. 1). Die Schrift war durch Kerrl verboten worden; bereits ausgegebene Exemplare sollten beschlagnahmt werden. »Sofern der begründete Verdacht besteht, daß sich die Broschüre in den Räumen der Bekenntnisfront oder in den Privatwohnungen der maßgebenden Führer befindet, können diese ebenfalls durchsucht werden« (Rundverfügung der Bayerischen Politischen Polizei betr. Beschlagnahme der Broschüre »Die Staatskirche ist da« vom 21. Januar 1936 [Dokumente zur Kirchenpolitik III, 169]). Vgl. Tgb. 10. Januar 1936. Zum Verbot der Rundbriefe vgl. Tgb. 8. April, 26. Juni, 13. und 29. November, 4., 5.und 9. Dezember 1935 und 4. Januar 1936.

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Staat pp.67 O.s hatten diesen Rundbrief schon am Freitag bekommen u. sich darüber gefreut, hielten ihn für klärend in Bezug auf die Niemöller-Leute. Wenn nur nicht Niemöller recht hat – sachlich nämlich. Taktisch hat er wahrscheinlich überhaupt Recht. nachmittags. Ich habe die Niemöllersche Schrift gelesen, sie ist glänzend, sehr scharf und sehr überzeugend. Trotzdem könnte man sagen: erst den Weg der Kirchenausschüsse gehen. Eine besser befestigte Kirche kann dann eher »nein« sagen – wenn sie es sagt. – Niemöller kritisiert u.a., daß die Ausschüsse noch kein Wort gegen die christentumsfeindl. Strömungen gesagt haben. Ja – es sind eben alles Leute, die den Kampf der letzten 2 Jahre nicht mitgekämpft haben. – Der 27. November … ! Niemöller hat das Wesen des Nat.sozialismus von Anfang an verstanden. Wohl der einzige ebenbürtige Gegner, der sich in Deutschland – als Einzelpersönlichkeit gefunden hat. Im Volk schlummert noch Einiges. D. 28.I.36. [28. Januar 1936] Gestern Abd. Vortrag von Lehmann. Ganz milde alles, freundlich – u. gemein! Ich habe vieles aufgeschrieben. Es ist gräßlich, nun im Betrieb zu sitzen u. gewärtig zu sein, daß einer rein kommt u. freundlich lächelnd fragt, was man zu dem Vortrag sagt. Und was ich denke, kann ich nicht sagen. Nebenan gehts schon los. Ich höre fortwährend Haugk in höchster Aufregung reden: »Gestern Abend … Vortrag … und er hat gesagt … « Ein Anderer will sich vor Lachen ausschütten. Christus ist – nach Lehmann – vor 2000 Jahren gestorben und lebt in Hitler wieder auf … usw. Und was die Bekenntnissyn. (nach Lehmann) alles für Unstimmigkeiten behauptet das steigt auf Bäume. Hier unterbrochen von Btz., dann Frl. Linde u. v. Ranke. Es tut gut, sich mal ein bißchen mit fühlenden Seelen auszusprechen. Otto wäre nach dem Verhör am Sonntag (1 Std.) ziemlich kaputt nach Hause gekommen u. nimmt an, daß man nun dauernd bei ihm Haussuchungen nach Rundbriefen halten wird. Eben erschien auch Luther um nachzufragen, was ich zu dem gestrigen Vortrag sagte! Auf den hatte ich gerade gewartet. »Nun auf jeden Fall war der Vortrag sehr interessant«, schloß er, als er wieder hinausging. »Der ganze Betrieb ist ganz aufgepulvert.« ¾5 nachm. Franz soll ganz allgemein, u.a. auch über die Sache Gera an den K.A., einen unverschämten Brief geschrieben haben, in dem er u.a. die Behauptung aufstellt, daß der K.A. hier seine Befugnisse überschritten u. daß es sich um Anweisungen handele in 67

Schreiben des RKA »An die obersten Behörden der Deutschen Evangelischen Landeskirchen« vom 24. Januar 1936, EZA, RKA 657, 69. Im 3. Abschnitt wird das Verhältnis der Kirche zum Staat dargelegt. Beschworen wird hier die Treue der Kirche zu Volk und Staat, wenn diese ihre Botschaft in Freiheit ausrichten könne. Aufgaben des Staates und der Kirche dürften allerdings nicht miteinander vermischt werden. »In klarer Erkenntnis der beiderseitigen Aufgaben steht die Deutsche Evangelische Kirche in Fürbitte und Tat freudig und treu zum nationalsozialistischen Staat als der Lebenswirklichkeit des DeutschenVolkes.«

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Entscheidungen, die den Landeskirchen noch überlassen seien. Außerdem verträte der K.A. einseitig die Ansicht der Bekenntnisfront u. ginge auf die »infamen« (wörtl.) Anschuldigungen der Bek.front in einem bestimmten Fall gar nicht ein.68 Die Bek.gemeinschaft in Thür. wolle eben offenbar gar keinen Frieden usw.; der Brief geht heute ab. (Sasse soll sehr schlechter Laune sein). Aus einem Privatbrief die Nachricht, daß Meyer-Erlach als Rektor zum 1.4. abgesetzt werden sollte wegen der Sache mit Prof. Veil. Hitler hätte eingegriffen, benachrichtigt durch Winifred Wagner, deren Tochter in der Veilschen Klinik liegt. Also wenn man zu Hitler selbst einen Weg findet, kann man noch Recht kriegen. Der N.S.-Studentenbund (Derichsweiler) hätte keinen Zuzug. Viele Jenaer Studenten trügen wieder Band u. Mütze (nicht Arminen u. Germanen). Heute nachm. bis jetzt 3 Besuche im Büro: Haugk, B. [Bernewitz] u. v. R. [Ranke]. Eben ist ein Telegramm vom K.A. gekommen, von dem man annimmt, daß es Franz sehr erbittern wird. Man rate dringend (oder so) Lilje in Gera sprechen zu lassen.69 – Franz ist zu einem Kursus in Klosterlausnitz, kommt morgen zurück. D. 29.I.36. [29. Januar 1936] Es ist ein Brief von Veigel an S. gekommen,70 dem württemb. Kandidaten, der mit Bührle wieder in den württemb. Kirchendienst u. da wahrscheinl. für Ausbreitung der Thür. »Bewegg.« [KDC] sorgen wollte.71 Sie sind dort nicht angekommen Wurm stellt sie nicht an, »solange nicht die Schwierigkeiten zwischen den Thüringern u. der Bekenntnisk. geklärt sind!« Die württemberg. D.Chr. betreiben fieberhaft ihren Ausschuß; aber Wurm hätte seine Pfr. (90%) angewiesen, auf keinen Fall mit dem Ausschuß zu arbeiten. Rehm sei »nach einigen Bücklingen vor Kerrl« wieder Pessimist geworden u. die Mehrheit der D.Chr. mit ihm!!! 30.I., Donnerstg. [30. Januar 1936] Lehmann u. Stüber sollen am Dienstag nach Berlin zitiert worden sein. Wir nehmen an, daß man sich dort die Herrschaften näher ansehen will. Gestern Abend sprach ich Frau O. [M.]. Er wird jeden Tag von der Krim.pol. vernommen u. hat Herzkrämpfe vor Wut. Man verlangt von ihm, er solle alle Rundbriefe ausliefern, die er bekommt!!!72 Gestern war er zur Bruderratssitzg. in Erfurt. Die Veranstaltungen in Gera haben verschoben werden müssen, weil der L.K.R. einen Redner nach dem anderen ablehnt. 68

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Schreiben des LKR der TheK an den Reichsminister für die kirchlichen Angelegenheiten [vermutlich] vom 28. Januar 1936 (I), mit Anlage: Schreiben des LKR der TheK an den RKA vom 28. Januar 1936 [II], LKAE, A 792. »Bekenntnisgemeinschaft Gera wünscht zur Einleitung der volksmissionarischen Woche als redner lilje oder pressel berlin. wir regen dringend an, diesem wunsch rechnung zu tragen. reichskirchenausschuss« (Telegramm des RKA an den LKR der TheK vom 28. Januar 1936, LKAE, R 231, Bd. II, 196). Schreiben von Fritz Veigel an den Landesbischof der TheK vom 27. Januar 1936. Entsprechend der nationalkirchlichen Idee der KDC, von der in diesem Tagebuch immer wieder die Rede ist. Zum Verbot der Rundbriefe vgl. Tgb. 8. April, 26. Juni, 13. und 29. November, 4., 5. und 9. Dezember 1935, 4. und 27. Januar 1936.

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Ich habe große Sorge um Otto. Das mit dem Verlangen, die Rundbriefe auszuliefern, ist natürl. eine speziell thür. Gemeinheit. Nirgends sonst in Deutschld. ist so ein Ansinnen gestellt worden. Ich sprach heute jemanden, der annahm, dieser Gedanke ginge vom Kreisleiter aus. Der sitzt jetzt hier in der Kirchenvertretung. (Und da wagt man noch zu sagen, die Partei kümmerte sich nicht um die kirchl. Angelegenheiten! Im Brief von Bührle stands ja auch ganz deutlich, daß Staat u. Partei sich »fieberhaft« bemühen!) In Nr. 2 der »Jungen Kirche« vom 18. Jan. ist eine Antwort von Erwin Groß-Rüdersdorf (Thür. Bekenntnisgemeinsch.) gegen die Königsche Schrift »Der Kampf um die Autorität der Kirche« erschienen.73 Ich finde sie ganz ausgezeichnet. (Eben wurde das Heft von Volk verlangt.) Heute kam unter den Presseausschnitten74 ein Heft der »Wartburg«, das Auszüge aus der Althausschen Schrift bringt.75 Man hat den Eindruck, daß auf der ganzen Linie stärker gegen die Thüringer Front gemacht wird. Nur die Streitschriften gegen sie werden besprochen – im Übrigen schweigt man sie in der gesamten kirchl. Presse (auch der D.Chr.) tot. nachm. Reform. Kirchenztg. meldet, daß vorläufig in Bayern, Württemb. u. Hannover keine K. Ausschüsse eingesetzt würden. Auch im heut. »Posit. Christentum« in einem Artikel von Birnbaum ein Angriff auf die Thüringer ohne deutl. Bezeichnung. Heute Mittag ¼ nach 12 unten in der großen Halle die Festrede von Sasse!! Ich saß in der Fensternische in sr. Nähe. Was er sprach u. wie er sprach – beides erschütternd. »… Selbst wenn die Kirche diesem furchtbaren Ansturm erliegt …« »Wenn einer Grund hätte zu meckern, dann bin ich es … da hat man ›gestanden‹ und ›gestanden‹ …« Dann sprach er von sich in der 3. Person: »Wenn einer da oben (Finger nach der 1. Etage) still in seiner Stube sitzt …« Er brüllte, war bald totenblaß, bald puterrot, bald ruhig, bald zitterte der ganze Mensch wie von einem Krampf geschüttelt, bald stand sein wackelnder Zeigefinger drohend in der Luft, dieselbe Erregung wie bei seiner Einführungspredigt in der Georgenkirche vor 2 Jahren … Ich dachte tatsächlich: »Armer Mann, Du redest vielleicht noch einmal im Irrenhaus.« Eben unten in der Kantine verlangte Haugk eine Zigarre mit der Begründung: »Nein, nach dieser Rede …!« Den 4. Feb. [4. Februar 1936] Heute wurde mir eine Schrift von Oberheid als Entgegnung an Althaus gezeigt.76 Volk hat sie gelesen, begeistert immer wieder rote und blaue Unterstreichungen gemacht u. dauernd »Ausgezeichnet! Ganz vorzüglich! Gut! pp« gesagt. Dann hat er die Schrift meinem Gewährsmann zum Durchlesen gegeben. Der hat ihn gefragt, ob er auch die 73

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Erwin Groß, Die Neutralisierung der Kirche. Eine theologische Auseinandersetzung mit der vor kurzem bei Eugen Diederichs in Jena erschienenen Schrift »Der Kampf um die Autorität der Kirche«, JK 4 (1936), 51–64. Vom Argus-Nachrichten-Bureau; vgl. Tgb. 27. Mai 1933. Paul Althaus, Politisches Christentum. Ein Wort über die Thüringer »Deutschen Christen«, Leipzig 1935; 21935. Vgl. auch Tgb. 28. Oktober, 8. November und 21. Dezember 1935. Heinrich Oberheid, Unpolitisches deutsches Christentum. Ein Wort über das »Politische Christentum« des Professors Paul Althaus, Bonn 1936. Vgl. dazu Faulenbach, Oberheid, 183–194.

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Althauśsche Schrift gelesen hätte. Darauf hat der wegwerfend gesagt: »Habe ich nicht nötig« oder »Das ist gar nicht nötig« und »durchgeblättert!« Am Freitag früh starb Senffleben. Gestern wurde er beerdigt. Der L.K.R. war zwar vertreten, aber kein K.Rat sprach am Grab ein Wort u. Sommer legte den Kranz schließlich entrüstet nieder. Der Betrieb regt sich darüber auf. Ich habe den Eindruck, daß der Betrieb nachgerade aus Grundsatz meckert. Es wird einfach jede passende u. unpassende Gelegenheit dazu benutzt, um zu kritisieren. Am Donnerstg. nach der Bibelstunde ging ein kl. Kreis wie üblich noch ein Stück mit O.s. Und da stellte sich heraus, daß ich ja noch gar nicht wußte, daß am Freitag vor 8 Tagen, das war der 24. Jan., bei O.s ein Schreiben des K.A. eingegangen ist, Abschrift eines Schreibens an den L.K.R, in dem die Erwartung ausgesprochen wird, daß der L.K.R. seine Aufbauwochen u. »Feierstunden«, bei denen Propaganda für die D.Chr. getrieben würde, in solchen Gemeinden nicht mehr hielte, in denen die Pfarrer widerstrebten. Es seien zahllose Klagen aus den Gemeinden über diese Veranstaltungen eingelaufen.77 War das eine Freude! Und vor 8 Tagen hat in Kaltenwestheim die Kirche zu einer Trauung mit Spelge freigegeben werden müssen! Dafür hat der KA gesorgt. Der Polizeibeamte, der O. vernommen hat, hat zuerst immer gesagt, O. hätte eben nicht die richtige Staatsgesinnung weil er die Rundbriefe Anderer nicht ausliefern wollte. O. sagte, er sei »ganz kaputt gewesen vor Wut.« Schließl. hat der Beamte seinen Vorgesetzten gefragt, u. da hat der gesagt: »Das hätte ich auch nicht unterschrieben!«78 Es hat sich herausgestellt, daß der vernehmende Beamte diese Forderung von sich aus gestellt hat! Schlimm ist nun bloß, daß solche Übergriffe kleiner Seelen einem Mann wie O. soviel Zeit und Kraft kosten. – Es sind ja immer in den kleineren, engeren Verhältnissen die Dinge am Schwersten. Heute ist noch zu verzeichnen: Eingabe der Weidaer Pfarrerkonferenz, die höchst beunruhigt ist über den berühmten Bericht aus dem Studenten-Schulungslager79 u. Äußerung von Kerrl dazu verlangt.80 – Dieselbe Konferenz schickt zwei vervielfältigte Schreiben der Bekenntnisfront Richtung Niemöller und verlangt, der L.K.R. möge Äußerung Kerrls dazu herbeiführen, wie solche Stellungnahmen möglich seien, da doch der R.K.A. sich auf die Autorisierung durch den Führer selbst (durch Kerrl) berufen könne.81 Schade, daß die Pfr.konferenz offenbar nicht weiß, daß der L.K.R. selbst dem K.A. widerstrebt. Aber es wird ja einmal tagen. Heute ist ein Zettel mit V.s Handschrift gefunden worden, aus dessen Notitzen man schließen muß, daß der L.K.R. dem R.K.A. 77 78 79 80 81

Schreiben des RKA an den LKR der TheK vom 22. Januar 1936 (LKAE, A 792, nicht foliiert. Zum Verbot der Rundbriefe vgl. Tgb. 8. April, 26. Juni, 13., 29. November, 4., 5. und 9. Dezember 1935, 4., 27.und 30. Januar 1936. Tgb. 4., 7. und 28. Dezember 1935 sowie 22. Januar 1936. Zum Vorgang vgl. die folgende Fußnote. Schreiben des Evangelischen Oberpfarramtes des Kirchenkreises Weida an den LKR der TheK vom 21. Januar 1936, LKAE, A 868, 114, enthaltend drei Anlagen: den Bericht »Weltanschauliche Schulung im nat.soz. Studentenbund« (I) [dokumentiert], Schreiben des Vorbereitenden Ausschusses des Reichsbruderrates vom 9. Januar 1936, ebd., 116 (II) [nicht dokumentiert], Schreiben des Reichsbruderrates vom 3. Januar 1936, ebd., 117 (III) [nicht dokumentiert].

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grundsätzlich widerstreben will. Und dann haben die Weidaer offenbar vergessen, daß nach Kerrl »das Führerprinzip« in der Kirche nicht gilt. O. hat die Abschrift des Schreibens des R.K.A. an den L.K.R. vervielfältigt u. an alle Bek.pfr. geschickt. Die haben offenbar ihrerseits wieder Abschriften davon gemacht u. verbreitet. Heute ist eine aus Altenburg eingegangen. Es wird damit argumentiert, nun Beihilfen zum Besuch von Kirchen des V.D. abzulehnen. Den 5. Febr. 36. [5. Februar 1936] R. steckte mir ein Flugblatt zu, das von der Richtung Niemöller ausgeht. Prof. IwandKönigsberg hat es geschrieben, es ist außerdem unterzeichnet u. weitergeleitet von Albertz, Asmussen, Kloppenbg., Müller-Dahlem, Niemöller-Dahlem, v. Thadden (vorbereitender Ausschuß des Reichs-Bruderrats Berlin, 21. Jan. 36). Es ist sehr gut u. geht einem sehr nah. Ich frage mich immer noch u. immer wieder, ob Niemöller nicht doch recht hat.82 O. hat ja von Anfang an, auch bei Gründung der Bekennenden Kirche klar gestanden. In Bremen ist vom 4.–7. wieder eine »Reichskirchentagung« angezeigt. Im ursprüngl. Programm sollte Sasse sprechen.83 Die Frankf. Ztg. brachte vor einigen Tagen einen Hinweis, am nächsten Tag schon ein Dementi des R.K.A.: Es handele sich nicht um eine amtl. Tagung, sondern um eine rein bremische Angelegenheit.84 Der Film »Friesennot« läuft hier. Ich habe ihn leider nicht gesehen. Es wird viel dagegen geschrieben, daß er dadurch das Christentum bekämpfe, daß er den pazifistischen Glauben der Mennoniten als das Christentum schildere, nicht als Sektenchristentum, das es ist.85 – Gestern las ich in der Zeitung, daß man im Heer für Mennoniten eine besondere Verpflichtg. statt des Soldateneides eingeführt hat. Da sind sie so zartfühlend 82

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Diese Frage der Tagebuchschreiberin ist auf dem Hintergrund zu sehen, dass sie bis dahin der kirchenpolitischen Linie Ernst Ottos gefolgt war, der (jedenfalls für Thüringen) die Einrichtung eines Notkirchenregiments gemäß der 2. Bekenntnissynode von Dahlem abgelehnt (Tgb. 27. Mai 1935) und für Thüringen für die Einsetzung eines Staatskommissars (an der Stelle eines Landeskirchenausschusses) plädiert hatte (vgl. Tgb. 15. Januar 1936). Vgl. dazu die Notiz in JK 4 (1936), 143, wo die Tagung als »Zweite Reichstagung für Niederdeutschland« bezeichnet ist. Aus der Meldung geht weiter hervor, dass u.a. auch Sasse als Redner vorgesehen war. Gegen die »irreführende« Bezeichnung als »Reichstagung« legte der RKA beim Kirchenminister Protest ein, mit Erfolg (Wortlaut der Erklärung des RKA in: JK 4 [1936], 168). Die Tagung sei weder eine amtliche des RKA noch von ihm geförderte oder nur gebilligte. Außerdem untersagte der RKA dem Reichsjugendpfarrer Zahn, auf der Tagung, wie vorgesehen, als Redner aufzutreten. Allerdings genehmigte Kerrl einen Tag später die Durchführung der genannten Tagung unter der Bezeichnung »Tagung der Bremischen Evangelischen Kirche« (ebd.). »Der Film ›Friesennot. Ein deutsches Schicksal auf russischer Erde‹, gedreht Mai 1935 in der Lüneburger Heide gedreht (Außenaufnahmen), erhielt bei der Zensurvorlage in der Filmprüfstelle am 11. November Jugendverbot und am 15. November 1935 das Höchstprädikat „Staatspolitisch und künstlerisch besonders wertvoll». Das Jugendverbot wurde gleichzeitig in eine beschränkte Jugendfreigabe (ab 14 Jahren) umgewandelt. Den Verleih übernahm die Reichspropagandaleitung der NSDAP, Hauptamt Film, den Weltvertrieb die Tobis-Cinema. Uraufgeführt wurde der Film am 19. November 1935 gleichzeitig im Berliner und im Leipziger Ufa-Palast. Aus Joseph Goebbels’ Tagebüchern ist zu ersehen, daß er und Hitler von ›Friesennot‹ begeistert waren« (https://de.wikipedia.org./w/index.php?title=Friesennot&oldid; eingesehen 31. Juli 2015).

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– weil sie bei diesen Leuten aus irgendeinem Grund mal was begriffen haben! Warum begreifen sie sonst weiter nichts? Der Minister hat vor einer N.S.-Frauenschaft in Hannover – ich glaube, am 19.I. – eine Rede über die Kirchendinge gehalten u. einer niedersächsischen Tageszeitung ein Interview gegeben.86 Beides ist völlig unmöglich u. eine kaum tragbare Belastung in einer Zeit wie dieser. Hier müßten V.K.L. und R.K.A. wirklich mal sagen: Entweder – oder. Das muß aufhören. Er propagiert die tollsten deutschchristl. Ideen, schlimmer als der Reichsbischof. Das kann wirklich nicht hingehen. Solche Meinungen setzten sich sonst fest. Die ganze Kirche wird zum Gespött. Da hat das Flugblatt von Iwand recht. Die Reichssyn. wird stattfinden, Kerrl läßt sie zu.87 Es ist Tatsache, daß er die VO v. 2. Dez.88 über die Köpfe des R.K.A. hinweg hinausgegeben hat! In Bayern sind sehr viel Schulanmeldungen für die »Gemeinschaftsschule« erfolgt, nicht für die »Bekenntnisschule«. Das ist wohl auf den ungeheuren Druck zurückzuführen. Die Menschen haben Angst.89 S 6 war hier, hat gestern Frau O. [M.] gesprochen die sehr niedergeschlagen gewesen sei. Es sei doch eben sehr fraglich, ob die K.A. sich halten könnten, denn Staat u. Partei funkten dauernd dazwischen. In Nassau-Hessen u. in Sachsen gingen die Verfolgungen wieder los – vom Staat aus! Der sächs. Kirchenausschuß hätte O. zu einer Besprechung mit den sächs. D.Chr. und den – Thüringern eingeladen!!! Die beiden letzteren hätten sich jetzt zusammengeschlossen!!! (Die Thür. haben die Zeitschr. »Chr.kreuz u. Hakenkz.« übernommen90). Soll sich womögl. O. mit Leffler u. Leuth. wieder an einen Tisch setzen! D. 7.2. [7. Februar 1936] Gestern Abd. Bibelstunde (Ap.gesch. Kap.6). O. erzählte, daß er einen Brief v. Althaus hätte mit der Bitte, doch bestimmt zu der Besprechg. mit den Thüringern beim sächs. Kirchenausschuß zu kommen. Althaus selbst habe veranlaßt, daß O. eingeladen würde. Er wolle vermeiden, daß die Thüringer da auftreten u. ihre Theorien entwickeln könnten, ohne daß jemand da sei, der die Praxis in Thüringen schildern könnte. – Es ist ja tatsächl. so, daß die Thüringer außerhalb von Thüringen ganz unwidersprochen vom Thür. Kirchenfrieden erzählen können – im Kreis von D.Chr. natürlich. Vorgestern, Mittwoch, Abd.. war ich bei O.s, nachdem ich eine Woche lang nicht dagewesen war. Frau O. [M.] war inzwischen bei mir zu Hause und fragte, ob ich krank sei. Ich las Ottos Brief an den sächs. K.A. Zusage mit Darlegung sr. Bedenken. Erfreulich ist die Entwicklg. im K.kreis Meiningen. Ob.pfr. Schaumburg ist neutral, sonst aber der Bek.gem. sehr nahe u. berät sich mit Otto. Er hat jetzt an alle Pfr. seines 86 87

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Niedersächsische Tageszeitung vom 19. Januar 1936. Gemeint ist die 4. Reichsbekenntnissynode zu Bad Oeynhausen, die für die Zeit vom 17.–19. Februar 1936 angesetzt war, aber bis zum 22. Februar 1936 tagte; vgl. Meier, Kirchenkampf II, 101– 108. Vgl. Tgb. 2. Dezember 1935. Zur nationalsozialistischen Politik gegen die Bekenntnisschulen, zum Druck auf die Eltern und zu den Vorgängen in Bayern/München vgl. Conway, Die nationalsozialistische Kirchenpolitik, 194–199. Die Zeitschrift »Christenkreuz und Hakenkreuz. Monatsblätter für Deutsches Christentum« wurde vom 1. Februar 1936 an vom Verlag Deutsche Christen Weimar herausgegeben (Hg.: Kirchenbewegung Deutsche Christen e.V. Dresden).

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K.kr. einen Fragebogen wegen der Aufbauwochen91 geschickt u. die D.Chr.-Pfarrer weigern sich, ihn zu beantworten! Reden von Gewissensbedenken, obwohl es sich hier tatsächl. um äußere Verwaltungssachen handelt. So ungehorsam sind die Bek.pfr. tatsächlich nie gewesen. Und das Schönste: Pfr. Keil [K.], der »Kreisleiter«, schreibt seinen »Kameraden«, »Kamerad Landesbischof Sasse« riete, den Fragebogen nicht zu beantworten! Am nächsten Tag schickt er ein 2. Schreiben hinterher: Sasse hätte dies »nur als Kamerad« gesagt, nicht als Landesbischof!!! Schaumburg bittet jetzt den L.K.Rat um Unterstützung seiner Autorität als Oberpfr. gegen die widersetzlichen D.Chr.! Weniger erfreulich ist der Verlauf einer Beschwerde über den Leiter des Kirchsteueramtes in Rudolstadt – aber unerheblich. Heute las ich den Brief eines Pfarrers Hahn aus Hannover an Sasse. Etwa so: »Sie werden den Brief von Coch-Dresden inzw. auch gelesen haben. Ich wundere mich nicht, hatte derartiges erwartet. Er hätte nicht von »Bischöfen«, sondern von Pgs. sprechen sollen. Wir müssen eben künftig von der Bewegung aus arbeiten, so wie Sie in Thür. das schon lange machen. – Leffler wird am 13. hier vor allen D.Chr.-Pfarrern sprechen. – Für die »Briefe« habe ich schon 1600 Abonnenten … Sie haben wohl auch gehört, daß Marahrens jetzt bei Kerrl wie beim R.K.A. mehrere schwere Vorstöße wegen Mecklenburg u. Thüringen unternommen hat. Ich gehe nächste Woche noch einmal zu Kerrl (geschrieb. am 2.II.) zum letztenmal, wenn es nach mir geht.« Aus dem Weiteren geht hervor, daß Hahn am 1.4.36 nach Thür. als Pfarrer kommt.92 5 Uhr. Eben Nr. 5 des »Positiven Christentums (v. 9.II.) durchgelesen. Da staunt der Laie. Auf der 1. Seite ein offener, ganz direkter Angriff auf die Kirchenausschüsse. Sie seien ja nun selbständig, habe Minister Kerrl gesagt – soll heißen: Wir greifen keine staatl. Ausschüsse an. So etwas von Frechheit im Ton – da hört schon alles auf! Man wendet sich gegen diejenigen Männer in den K.A., die ein Instrument der Bek. Kirche aus ihnen machen möchten u. das so ungefähr damit begründeten, daß die Bek.leute zu allem entschlossen seien u. daß man daher nachgeben müßte! – das ginge nicht so weiter! Und das darf gedruckt werden! Es kann nicht anders sein, als daß diese Leute zu ihrem Angriff ermutigt worden sind. Und sowas wird nicht beschlagnahmt. Es ist doch immer so: Scheint einmal an irgendeinem Punkt die Befriedung zu gelingen dann wird von der Presse oder der Gestapo irgendwo dazwischen gefunkt. – Aus dem weiteren Inhalt der Nummer kann man schließen, daß die Tatsache, daß Bayern, Württemberg u. Hannover keinen K.A. bekommen sollen, der Anlaß zu diesem Vorstoß gewesen ist. 91

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Fragebogen nicht auffindbar. Vgl. aber das Schreiben von Oberpfarrer Schaumburg an Pfarrer Köhler vom 7. November 1935, in dem der Briefschreiber seine Ratlosigkeit zu dieser Aktion des LKR der TheK zum Ausdruck bringt, LKAE, LBG 27, 166. Vgl. außerdem Protokoll der Sitzung der LKR der TheK vom 25. Februar 1936, LKAE, A 122, 9: »Kirchenrat Volk berichtet über den Schriftwechsel mit Oberpfarrer Schaumburg, der aus Meinungsverschiedenheiten mit Pfarrer Keil entstanden ist, insbesondere über das Schreiben Schaumburg’s vom 18.2.1936. Die Sache soll abwartend behandelt werden.« Zu den Aufbauwochen bzw. -abenden vgl. Tgb. 2., 7., 8., 13., 18., 19. und 22. November 1935. Schreiben des Landesleiters der Deutschen Christen Hannovers an Landesbischof Sasse vom 2. Februar 1936, LKAE, G 1765, 10.

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Von der anderen Seite also sieht die Kirchenpolitik anders aus, als von unserer. Ja –ob nicht Niemöller doch die richtige Politik macht – ohne politisch sein zu wollen? 2 Rundschreiben der Bekenntnisfront Richtg. Niemöller haben durch die Presse der D.Chr. die Runde gemacht. So ist eins in Nr. 6 »Ev. im III. Reich« v. 9.II. abgedruckt.93 Die Presse der Bek.front darf diese Briefe eigentl. nicht einmal an ihre Mitglieder hinausgeben, aber die D.Chr. drucken sie sogar für die Öffentlichkeit. 6½. Eben rief mich Franz an. Er hätte mal gelesen, die ganze Mütterarbeit sei dem polit. Frauenwerk übertragen. Ob ich mal so eine V.O. gelesen hätte? – Ich sagte, ich erinnerte mich nicht. Er: »Alle anderen erinnern sich!« Er hätte eben im »Ev. Deutschland« alles durchgesucht, die Nummern bis zum Sommer, u. nichts gefunden. Ich rief Frau Pfr. Kühn an (»Ev. Fr.bd.)« [Frauenbund]94). Sie: »Mütterfürs. u. konfess. Betreuung erlaubt, Haushaltungskurse u. solche über Kleinkinderpflege p.p. der NS-Fr.schaft vorbehalten.95 – Frau Kühn hatte gestern Frl. Eitner gesprochen, die sehr aufgeregt gewesen sei, der L.K.R. hätte ihr verboten, wie bisher Mütter nach Stedten zu bringen u. dort seelsorgerlich zu betreuen. Sie müßte mal mit dem L.K.R. sprechen! – Nun wurde mir der Sinn der Anfrage klar. Franz hat drauflos verboten u. sucht jetzt eine Begründung! Er »erinnert sich dunkel« und begibt sich selbst in die Bücherei, um etwaige Verordnungen zu suchen, von denen er nicht genau weiß, ob sie existieren. Hätte er vorher tun sollen. Das ist seine Art zu arbeiten! D. 10.II. [10. Februar 1936] Gestern Abd. Frau Pfeiffer gesprochen. Frl. Eitner u. sie haben in diesen Tagen eine Mütterfreizeit in Salzungen gehabt, die vom Bürgermeister dort verboten worden ist. Sie haben sich an den K.A. gewandt u. der hat telegraphisch oder telephonisch dem L.K.R. auferlegt, beim Bürgermstr. sofort zu erreichen, daß die Freizeit ungestört verläuft. Bis Sonnabd. Mittag hatte Franz noch nichts veranlaßt. Am Sonntg. wurde die Freizeit mit einer Abendmahlsfeier in d. Kirche abgeschlossen. Als Überwachg schickte der Bürgermstr. den Gendarm in die Kirche! Vorgestern Abd. erzählte mir O., Jauernig säße jetzt tagelang in Berlin beim KA u. bearbeitete die Thür. Sachen! Die Zusammensetzg. des Thür. Aussch. sei – nach einer Mitteilung von Pfr. Werner-Kosma – so geplant: »Vorsitz: K.Rat D. Otto [R.], dann Jauernig u. ein Bekenntnismann (Zimmermann-Altenburg hätte schon abgelehnt), dann 3 Deutsch. Chr., unbekannte Leute, Pauli (der der Bek.front nahe steht), Heyl u. noch 93 94

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Ein Rundschreiben des Vorbereitenden Ausschusses des Reichsbruderrates, Evangelium im Dritten Reich 6/1936 vom 9. Februar 1936. Gemeint ist vermutlich der 1899 gegründete »Deutsch-Evangelische Frauenbund«, der schwerpunktmäßig Bildungsarbeit betrieb in Absetzung von der im gleichen Jahr gegründeten »Evangelischen Frauenhilfe«, die diakonisch-gemeindebezogen ausgerichtet war; vgl. Fritz Mybes, Art. Frauenarbeit, kirchliche, in: TRE 9 (1983), 470. »NS-Frauenschaft. Am 1.10.1931 als Zusammenschluß verschiedener Frauenverbände der NSDAP gegründet. Seit dem 29.3.1935 als offizielle Gliederung der NSDAP in die Partei eingeordnet … Zusätzlich zu der streng nationalsozialistisch ausgerichteten NS-Frauenschaft wurde im Oktober 1933 das Deutsche Frauenwerk (DFW) geschaffen, das als Sammelbecken für gleichgeschaltete bürgerliche Frauenbewegungen und einzelne Mitglieder diente« (Enzyklopädie des Nationalsozialismus, 617).

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einer. Das könnte zur Not gehen. Von D. Otto [R.] ist zwar nicht viel zu hoffen. O. sagt: »Wir stehen ihm aber auch anders gegenüber [als] vor 3 Jahren! Wenn er versagt, schmeißen wir ihm den Bettel vor die Füße.« Also: Es kann gehen, wenn die Leute gut arbeiten. Gestern Abd. »kleine Kirchenvertretung« bei Otto: Frau Pfr. [Pfeiffer], Frl. Helmbold, v. Ranke, Dr. Hackmack, Begemann, Schmidt, ich u. Frau O. [M.]. Otto hat die Einladung zur Reichs-Synode bekommen, 18. u. 19.II. in Oeynhausen.96 Es sei vereinbart gewesen, daß die Einladungen nur ergehen sollten, wenn sich tatsächlich ein Weg zeige, zur Gemeinsamkeit zu kommen. (Da ist doch ein kleines bißchen Hoffnung.) O. hatte die Lage durchdacht u. sich Richtlinien ausgearbeitet, die er uns vortrug. (Ich schreibe sie noch auf, heute nur noch das Neueste aus dem Betrieb.) Die K.vertretung Jena hat neulich Stüber auf Heller u. Pfennig drei Leutheusersche Reisekostenrechnungen vorgehalten! 754,00 M oder so etwas, richtig bis auf d. Pfennig, u. ihn wegen des Verbrauchs zur Rede gestellt. Der L.K.R. untersucht jetzt, durch welche Kanäle diese Nachrichten in die K.vertretg. kämen! Mir flüsterte man heute den Namen eines Mannes zu, der d. Brief nach Jena mitgenommen haben soll!!! Ich weiß genug. Neulich hat mir mal einer gestanden, daß er Nachrichten weitergegeben hat. Ebenso sucht man die Quelle für die Nachricht, daß Meyer-Erlach am 1.4. seinen Posten aufgeben mußte. Ich kenne sie auch – sie stammt aus der Nähe von Jena aus einem Privatbrief. Wahrscheinl. werden die D.Chr. hinter all diesen Gerüchten die Bekenntnisgemeinschaft suchen. Bis jetzt ists ja aber immer so gewesen, daß dahinter die eigenen Leute stecken, siehe Wieland.97 Die »Evangel. Woche« in Gera sei sehr schön verlaufen (vor. Woche), sehr volle Versammlungen. Man hat schließlich, da der L.K.R. nicht nachgab, auf einen auswärt. Redner verzichtet u. statt dessen D. Otto [R.] dort sprechen lassen. Einen umfangreichen Schriftwechsel zwischen L.K.R. u. K.A. wegen Gera gab E. O. mir zu lesen.98

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Vgl. Tgb. 5. Februar 1936. Zum Fall Wieland vgl. Tgb. 20. Oktober, 8. November 1935, 3. und 13. Januar 1936. Hintergrund der Auseinandersetzung um die kirchliche Woche in Gera war die Auslegung des Minderheitenschutzgesetzes (Gesetz vom 7. Juli 1921 über die kirchliche Versorgung und über den Schutz von Minderheiten, ThKbl/A 1921, Nr. 4, 23–27), d.h. auf welcher Grundlage und in welchem Umfang Anträge der LBG – die den LKR der TheK als Kirchenleitung ablehnte – zu genehmigen seien. In diesem Spannungsfeld agierten: (1) Der LKR, der sich selbstverständlich als allein rechtmäßige Kirchenleitung verstand. (2) Die deutsch-christlich dominierte Kirchenvertretung (in Gera) mit ihrer rechtlich verankerten Entscheidungsbefugnis für die örtlichen Belange. (3) Die LBG – unter Berufung auf den Minderheitenschutz und auf eine vermeintlich höhere Instanz, den Reichskirchenausschuss, der allerdings keine Machtbefugnisse in der TheK hatte; vgl. zu diesem Konfliktfall die umfangreiche Korrespondenz (LKAE, R 231, Bd. II, 146–202).

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D. 11.II. [11. Februar 1936] In der Nr. 3 der Christl. Welt lese ich eben, daß Rust den Erlaß vom 28.II.35, der den theol. Professoren die öffentl. Beteiligg. am Kirchenstreit verbot, am 15.I. glatt aufgehoben hat – mit einigen schönen Redewendungen, die vor Mißbrauch dieser Freiheit warnen.99 Eben werden mir einige vervielfältigte Schreiben in die Hand gedrückt, die der L.K.R. heute an alle Pfarrämter hinaus schicken will. Darin wird mit Erstaunen feststellt, daß das Schr. des R.K.A, mit dem die Aufbau-Abende in solchen Gemeinden untersagt werden, wo die Pfarrer mit diesen Abenden nicht einverstanden sind, weithin in der Pfr.schaft bekannt geworden, sogar »in Abschrift« vorhanden ist, »ehe die Stellungnahme des L.K.R. erfolgt ist« (oder so). Der L.K.R. sieht sich daher veranlaßt, das Antwortschreiben des L.K.R. an den R.K.A. allen Pfarrern bekannt zu geben.100 Also wer es von der Pfr.schaft noch nicht wußte, der merkt es jetzt, daß der R.K.A. für die Bekenntnisfront Stellung nimmt, daß der L.K.R. nicht gesonnen ist, sich dem R.K.A. zu fügen, der erfährt es jetzt. Ich bin sehr gespannt auf die Wirkung. Der L.K.R. brockt sich etwas Schönes ein mit dieser Sache. Es ist dasjenige Schreiben des L.K.R., das von Kundigen als »unverschämt« bezeichnet wurde.101 D. 12.II.36. [12. Februar 1936] Otto machte am Sonntag Abend Ausführungen, die davon sprachen – sehr fein und tief gesehen – daß Gott seine Kirche jetzt in eine neue Schule nähme. Sie hätte in der vergangenen Phase des Kirchenkampfes um Erkenntnis ringen müssen u. sich das Schwert in Bekenntnis geschliffen. Sie müsse jetzt lernen, was »Liebe« sei. (Der beste Theologe wäre sonst auch der beste Christ). – Es ging ihm um die Erkenntnis des Weges, den er selbst bisher gegangen ist u. weiter gehen will (mit Marahrens, im Herbst 1934 aber noch als Einzelner). Er erwähnte dabei, daß – offenbar schon vor Weihnachten – der preußische Bruderrat ihm mitgeteilt habe, daß man die. Thür. Kandidaten nicht, wie zuerst zugesagt, in die preuß. Bek. Kirche aufnehmen könnte, falls die Thür. luth. Bekenntnisgemeinsch. sie nicht halten könnte. Das heißt, daß man der luth. Bekenntnisgemeinsch. in Thür. den rechten Glauben abspricht, sie exkommuniziert. Niemöller hat sich hier wirklich verrannt. Es ist lehrreich. Es ist Schuld der D.Chr., die ihn immer mehr in den Radikalismus hineingetrieben haben – aber auch ein gewisses Unvermögen. Er steht nicht mehr frei über den Dingen. – Das macht ja nun die Lage noch hoffnungsloser. Otto sprach davon – er hat das schon 1934 einmal angedeutet – wie schwer es ihm persönlich würde, im Reichsbruderrat zu sprechen, wie sofort die Gesichter 99

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Erlass des Reichskultusministers an die Kuratoren der Universitäten mit Evangelisch-Theologischen Fakultäten vom 15. Januar 1936: Dokumente zur Kirchenpolitik III, 161–162 (mit genauen Angaben zur Erlasslage). Der Minister sprach hier die Erwartung aus, dass die Theologieprofessoren nun »in voller Freiheit der Neuregelung der kirchlichen Verhältnisse innerlich« zustimmten »und das auch durch literarische grundsätzliche Stellungnahmen … vertreten« würden. Weiter wurden sie vom Minister ermahnt, »alles daran [zu] setzen, dem Kirchenstreit keinen Einfluß auf die Zusammenarbeit der Fakultäten einzuräumen«. Vgl. auch ChW 50 (1936), 139. Schreiben des LKR der TheK an die Pfarrämter vom 8. Febr. 1936, LKAE, A 792, nicht foliiert.. Vgl. Tgb. 28. Januar 1936.

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spöttisch würden, man sich Bemerkungen zuraune. Bauer [G.] habe ihn 2 x vertreten u. es auch erlebt – der sei noch viel empörter gewesen als er! Ein Pfr. Maier aus Wasungen – D.Chr. – ist auf den Pflugensberg gekommen u. zuerst furchtbar angebrüllt worden (E. O. sagte, er sei »ein furchtbarer Kerl«, er hat sich aber in dieser Sache gut benommen). Er hat in der Aussprache nach einer Versammlung, die Thieme gehalten hat, davon gesprochen, daß der Kreisleiter in Meiningen öffentl. gesagt hätte, man wolle die Jugend »an den kalten, öden Wänden der Kirche« vorbeiführen. Weil er das gerügt hat, ist er angeschnauzt worden. Er hat gesagt, es sei seine Pflicht, gegen diese Haltg. des Kreisleiters Front zu machen; darauf hat man ihm gesagt, das sei nicht seine Pflicht. Erst als er gedroht hat, zum K.Ausschuß zu gehen, hat man andere Töne angeschlagen. Aus einem Protok. vom 4. Febr. geht hervor, daß die Anregg. aus Weida, wegen des Berichts aus einem Studentenschulungslager im Ministerium Kerrl vorstellig zu werden, nicht befolgt wird.102 Es wird behauptet, Meyer-Erlach habe festgestellt, daß diese Mitteilungen falsch seien. Damit soll die Weidaer Pfr.konferenz beschwichtigt werden! – Wegen der weiteren Eingaben aus Weida betr. die Bekenntnisfront will man auch mit den Weidaern verhandeln (wenn die Weidaer den gestrigen Schrieb bekommen, wissen sie ja genug).103 Der L.K.R. will vor allen Dingen draußen immer beschwichtigen u. eventuelle Beschwerden nur selbst dem Staat vortragen. Das Christentum in der Öffentlichkt. zu verteidigen – darauf kommt es nicht an. Es kommt nur darauf an, den Staat zu verteidigen. Und der Staat soll die Überzeugg. bekommen, daß die Thür. D.Chr. brave Kinder seien. Dabei sind sie ganz ehrlich. Sie sehen eben ihre evangel. Aufgabe tatsächlich nur im Nationalsozialismus. D. 14.II. [14. Februar 36] Franz ist vor einiger Zeit gefragt worden, ob der K.Ausschuß auf das »unverschämte« Schreiben des L.K.R. (das der L.K.R. jetzt allen Pfarrern zugänglich gemacht hat) geantwortet hätte.104 Er hat gesagt: »Nein. Er wird auch nicht antworten.« Am Mittwoch sind alle D.Chr., auch der Labi, in Weimar gewesen. Der Betrieb vermerkte das mit Unruhe u. stellte die blödesten Vermutungen an. O. verbringt seine meiste Zeit damit, auf Briefe des K.A. zu antworten u. Behauptungen des L.K.R. richtig zu stellen. Ich verstehe, daß ihm diese Beschäftigung zum Halse heraushängt. (Er kommt nicht dazu, seine »Richtlinien« für die Synode fertig zu machen.105 – Jetzt hat der L.K.R. an den K.A. geschrieben, O. hätte sich nicht erst an den K.A. zu wenden brauchen, um für die letzte Trauung in Kaltenwesth.106 die Kirche zu bekommen. Der L.K.R. hätte bereits die Absicht gehabt, das zuzugestehen!107 Dabei 102 103 104 105 106 107

Vgl. zum Bericht über Studentenschulungen Tgb. 4., 7. und 28. Dezember 1935, 22. Januar und 4. Februar 1936. Vgl. Tgb. 11. Februar 1936. Vgl. Tgb. 28. Januar und 11. Februar 1936. Vgl. Tgb. 12. Februar 1936. Vgl. Tgb. 28. Dezember 1935 und 2. Januar 1936. Schreiben des RKA an den LKR der TheK vom 24. Januar 1936 (I) und Schreiben des LKT der TheK an den Reichskirchenausschuss (II) [nicht datiert], LKAE, R 231, 68 und 71.

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liegt die Sache so, daß der L.K.R. beim letzten Fall O. mitgeteilt hatte, wenn der K.vorstand die Kirche nicht freigäbe, so könne der L.K.R. nichts tun. Der Kirchenvorstand in Kaltenwestheim hatte die Kirche versagt! – Es lohnt ja wirklich nicht, alle diese kleinlichen Schlauheiten, Lügen u. Winkelzüge festzuhalten. Freitg., d. 21. Febr. 36 [21. Februar 1936] Heute Abd. spricht Lilje in der Georgenkirche u. Otto wird zurückerwartet. (Die Bibelst. gestern fiel aus.) Am Montag war Vorbesprechg. der Lutheraner in Hannover108 – sie seien sehr einig gewesen – schrieb O. in einer Karte seiner Frau –, am Dienstg. u. Mittwoch Synode in Oeynhausen, die wohl auch den Donnerstag über noch angedauert hat.109 Otto mußte gestern Abend in Leipzig sein zur Vorbesprechung zum 24. (Montg. Besprechg. mit den D.Chr. in Leipzig110). Die Karte, die er sr. Frau [M.] geschrieben hatte, klang sehr bedenklich. Marahrens sei zurückgetreten, Dahlem habe offenbar »auf der ganzen Linie gesiegt«, er selbst sei in innerer Not. Das einzig Hoffnungsvolle: »Man suche nach gänzlich neuen Wegen.« Gestern Abd war im »Beamtenbund« ein Vortrag über »die jüdische Lehre u. das Freimaurertum«. Abgelesen u. eingelernt, gänzl. oberflächlich u. weit unter dem Niveau, z.B. ernsthafter Primaner. Von dieser Fläche aus Angriffe nicht nur auf das A.T., sondern auch auf das Christentum. Es war sehr schwer zu ertragen. Aber nicht nur das. Man möchte wünschen, daß die obersten Führer des Nationalsozialismus derartige Oberflächlichkeiten einmal anhörten. Sie würden einen Schrecken kriegen. Damit kann man sich nur schlecht blamieren, aber nicht das Christentum kaputt machen. Am Mittwoch vor 8 Tagen, als der Betrieb sich über die Reise unserer Chefs nach Weimar aufregten, waren übrigens, wie O. mir dann sagte, auch der Reibi und CochDresden in Weimar. Es sammelt sich wirklich bei den Thüringern alles, was anderswo abgestoßen wird. Es sind zu Ende voriger Woche einige neue Gesetze herausgekommen u. andere wichtige Entschließungen. So z.B. sind die für Preußen noch fehlenden Kirchenausschüsse eingesetzt worden111, auch die für Rheinland u. Westfalen112 u. noch einige, glaube ich. Eine Disziplinarinstanz für die ganze Kirche ist eingerichtet worden113 u. die Möglichkeit gegeben, K.gemeindekörperschaften, die arbeitsunfähig sind, aufzulösen u. durch Ausschüsse zu ersetzen. Dazu eine Warnung von Goebbels an »kirchenamtl.« Blätter, keine Politik zu bringen. Er nennt ausdrückl. auch die »evangelischen«, 108 109

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Zur Geschichte der »Formierung des Luthertums« 1933ff. vgl. Meier, Kirchenkampf II, 108–115. Gemeint ist die 4. Reichsbekenntnissynode zu Bad Oeynhausen, die für die Zeit vom 17.–19. Februar 1936 angesetzt war, aber bis zum 22. Februar 1936 tagte; vgl. Meier, Kirchenkampf II, 101– 108. Tgb. 7. Febr. 1936. Der preußische Landeskirchenausschuss hatte bereits am 17. Oktober 1935 seine Arbeit aufgenommen; die Provinzialkirchenausschüsse für Ostpreußen, die Mark Brandenburg, Pommern Schlesien und für die Kirchenprovinz Sachsen folgten am 19. Dezember 1935; vgl. Meier, Kirchenkampf II, 164. 166. Die beiden Provinzialkirchenausschüsse wurden am 14. Februar 1936 eingesetzt; vgl. Meier, Kirchenkampf II, 166. Am 8. Februar 1936 hatte der RKA einen Disziplinarhof eingerichtet; vgl. GDEK 1936, 9f.

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ohne zu sagen welche. Die Öffentlichkeit soll wieder glauben, die Kirche hätte Gott weiß was verbrochen. »Times« teilt mit, ein für Schleswig-Holst. eingesetzter K.A. sei zusammengebrochen, weil die D.Chr. einen Aufruf gegen d. Neuheidentum nicht mit hätten unterzeichnen wollen. In Hessen hätte der Gauleiter verhindert, daß der Ausschuß abgesetzte Pfarrer wieder einsetze u. am vorigen Sonntg. in Berlin hätte Jacobi wieder gepredigt, demonstrativ umgeben von 50 Pfarrern u. 50 Theologiestudenten, da »Extremists« gedroht hätten, ihn von der Kanzel zu stoßen. Da Polizeioffiziere anwesend gewesen seien – die Kirche schon eine Stunde vor Beginn überfüllt mit 4000 Menschen –, sei nichts geschehen u. die Vorsichtsmaßnahmen überflüssig. – Es war aber wohl mehr eine Demonstration als eine Vorsichtsmaßnahme. Bald nachdem ich dies geschrieben hatte, bekam ich das »Positive Christentum« in die Hand, das wieder unglaublich lügt u. hetzt u. sich dabei dauernd widerspricht. In einem Artikel »Wir können nicht wider die Wahrheit« schreiben sie u.a. wörtlich, daß man »manchmal zwischen Ruhe u. Ordnung« und »Wahrheit« wählen müsse. Daneben fettgedruckt: »Bekenntnisleute sabotieren Befriedungswerk« – dies Befriedungswerk, das von dem »Pos. Chr.« in der Spalte nebenan noch heftig angegriffen wird! Die in der letzten Woche gebildeten Provinzialkirchenaussch. in Westf. u. Rheinland seien auseinandergefallen, weil die Mitglieder der bekennenden Kirche ihre Nichtteilnahme erklärt hätten. nachm. Beleidigungsklage Müller [W.]-Kaltenwesth. gegen Oberpfarrer Fromm-Kaltennordheim. D. L.K.R. erlaubt Fr., sich auf die »vertraul. Denkschr.« zu berufen.114 Im Haus wird geflüstert: »Dicke Luft!«, weil in Jenaer Kirchenvertretung 3 Reisekosten von Leuth. bekannt geworden sind. Über 700 M. Man will herauskriegen, wer das weitergegeb. hat. Bericht des Obpf. aus Sonnebg.: Bek.pfr. lehnen ab, in Konf. zu kommen, obwohl man extra Scriba hat kommen lassen als Redner, um neutral zu sein! Erich Reichardt [E.] freut sich: »So sollten wir weitermachen!« Gespräch über Hainsteinkollekte: »Und dann sagt der L.K.A., darum kümmere ich mich nicht. Und das machen Sie mit?« (Die Bek.pfr. haben am letzt. Sonntg die Kollekte f. d. Hainstein115 nicht empfohlen. E. O. »… manche Bedenken. 2. Sammlung für die Armen«.

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Es ging um eine Beschwerde des Pfarrers Wilhelm Müller gegen den Oberpfarrer Fromm wegen Beleidigung; vgl. Schreiben Müllers an Rechtsanwalt Dr. Prehn vom 16. Januar 1936, LKAE, LBG 193, 1. Es ist zu vermuten, dass es sich dabei um einen kirchenpolitisch relevanten Vorgang handelte, der aber mangels einschlägiger Dokumente nicht mehr rekonstruierbar ist. Fromm war Vertreter der KDC, Müller BK-Pfarrer. Im August 1935 war der Hilfspfarrer Müller entlassen worden; vgl. Tgb. ab 8. Juni 1935. Im Hinblick auf die inzwischen durch den Rechtsanwalt Prehn erhobene Beleidigungklage gewährte der LKR Fromm Einsicht in ein vertrauliches Schreiben; vgl. Sitzung des LKR der TheK vom 18. Februar 1936, LKAE; A 122, 8. Zur Entwicklung auf dem Hainstein vgl. Tgb. 26. Juni 1934, 6. Januar 1935, 8. April 1935.

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22.II., Sonnabd. [22. Februar 1936] Vor 8 Tagen sind Sasse, Leuth. u. Volk bei Sauckel gewesen. Danach wurde hier erzählt, sie seien sehr hochgestimmt zurückgekehrt u. hätten sich »mit Sauckel wieder vertragen«.116 Mit Volk haben sie wahrscheinl. als dem »Neutralen« Reklame gemacht. Gestern Abend hier Predigt von Lilje. Ich bedauerte, daß er sich sehr zurückhielt, auch sehr langsam u. temperamentlos sprach. Auch die Wendung von Christus als dem »Hohepriester« war ein gefühlsmäß. Hindernis, das er völlig unnötigerweise selbst aufbaute. Die Kirche war gut, aber nicht ganz besetzt. 1. Empore, beide Reihen ganz voll, unten natürl. auch dicht besetzt, 2. Empore links der Orgel nur wenig Leute, rechts offenbar mehr, 3. Empore blieb dunkel. Wolf-Metzels u. Hoffmann-Mihla waren ohne Leute da, weil sie sonst die Besprechg. im kleinen Krs. nicht hätten mitmachen können. Im kl. Kreis (Hospiz) hatte Lilje ganz rasch Fühlung. Er ist ein sprühend lebhafter Mann. Man müßte ihn in einem Vortrag hören. – Dann berichtete Otto. Über Oeynhausen117 läßt sich noch nichts sagen. O. mußte weg wegen der Besprechung in Leipzig.118 In der bekenn. Kirche hat offenbar die Dahlemer Richtung gesiegt. (Die Leute sollten in Thür. sitzen!) In den Gebieten mit lebendigen Gemeinden u. in den »intakten« Kirchen119 sieht sich die Sache eben doch ganz anders an als hier, wo wir um unser Leben kämpfen. Marahrens ist zurückgetreten,120 vielleicht wird umorganisiert oder umgebaut. Es ist vielleicht das einzige Mittel, radikale Leute kleinzukriegen, wenn man ihnen die Verantwortung gibt. Man hofft, daß die Einheit der Bek. Kirche erhalten wird. – Im Rheinland ist der eben – nach langen Wochen mühseligster Verhandlungen – gebildete K.A. wieder kaputt gegangen. Es waren 3 Bekenntnisleute, 2 neutrale u.1 D.Chr. Die Bekenntnisleute haben jetzt in Oeynh. unter dem Einfluß der Niemöller-Gruppe ihre Mandate niedergelegt.121 Ich weiß nicht – das ist nicht richtig. Die Vorbesprechung hat zunächst ergeben, daß der sächs. Aussch. die Verhandlungen mit den Thüringern »viel zu harmlos« aufgefaßt hätte. O. sagte, er wolle froh sein, wenn die Besprechg. am Montag wenigstens keinen Schaden anrichte.122 Also diese Sorgen nimmt man nun auch noch mit auf die Seele. Über die »Reichstagg.« in Bremen vom 4. – 7. II., die dann auf Anordnung des R.K.A. sich »Tagung der bremischen Kirche« (oder so) nennen mußte123, hat ein merkwürdiger Bericht in der Frankf. Zeitung gestanden. Die Erzbischöfe von Canterbury u. Chichester hätten »Botschaften« gesandt! Jetzt hat [der Bischof von] Chich[ester] Lilje,

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Vgl. Tgb. 2. Januar 1936. Vgl. Tgb. 21. Februar 1936. Vgl. Tgb. 7. und 21. Februar 1935. Als solche wurden die lutherischen Landeskirchen in Bayern, Hannover und Württemberg angesehen und bezeichnet; sie hatten keine deutschchristlichen Kirchenleitungen. Zu den kirchenpolitischen Vorgängen vgl. Besier, 423–429. Zur kirchenpolitischen Entwicklung in der rheinischen Kirchenprovinz vgl. Meier, Kirchenkampf II, 232–234. Tgb. 5., 7., 21.und 22. Februar 1936. Vgl. Tgb. 5. Februar 1936.

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der ihn gut kennt, mitgeteilt, man hätte ihm eine Einladung zugeschickt u. er habe daraufhin lediglich mitgeteilt, daß man ihm nicht zumuten könne zu kommen!!124 Also derartig blamieren diese Leute das Deutsche Reich! Montg., d. 24.II., nachm. [24. Februar 1936] Als wir am Freitag Abd. aus dem Hospiz fortgingen, kam Flinte noch zu O. und zeigte ihm eine Druckschrift, die der Führer der hies. Ortsgruppe der Glaubensbewegung als »offenen Brief« an »Herrn Pfr. Ernst Otto« gerichtet hatte. Als Manuskript gedruckt.125 Am Sonnabend erhielt O. selbst eins, er hatte es noch nicht gekannt. In der B.M.W.126 ist es in Massen verteilt worden, sogar verkauft! Das geht wahrscheinl. gegen die Pressebestimmungen. O. verständigt sich in Berlin, was er dagegen machen kann. Wir versuchen noch, Stücke zu bekommen. O. ist heute früh zu dem Gespräch mit den Thür. D.Chr. nach Dresden abgereist,127 hat Groß-Rüdersdorf mitgenommen u. Reuter-Greiz, der sich selbst in Dresden angeboten hatte, ausgeladen – Gott sei Dank. Merkwürdigerweise bringt am Sonnabd u. heute die kirchliche u. weltanschaul. Presse, die die Thür. D.Chr. bisher weithin totgeschwiegen hatte, gleich auf der ganzen Linie kurze Stellungnahmen für u. wider: So »Posit. Chr.tum«, Reichsbote, Durchbruch (!) u. Christl. Welt. Ich bekam Nachricht, daß Volk versuche, O. etwas anzuhängen. Er hätte Franz zugeredet, in irgd. einer Sache gegen die Bek.leute vorzugehen, worauf Fr. [Franz] geantwortet hat: »Es hilft ja doch nichts, die kriegen ja doch Recht beim K.A.!« Darauf Volk: »Wir müssen uns aber an Otto halten, den haben wir doch nun einmal hier …« Rade sprach mich auf den »offenen Brief« von Looß an. Looß habe einmal die D.Chr. (Thieme) »verpetzt«, weil sie irgendeine Versammlung nicht angezeigt hätten. (Das wird die Sache gewesen sein, wo Männel u. Thieme hier auf die Polizei bestellt u. Sasse so wütend war.) 124

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»Lord Bischof von Chichester teilt mit, daß er eine Einladung zur Teilnahme an der von Deutschen Christen Anfang Februar in Bremen veranstalteten Tagung erhalten habe, diese jedoch abgelehnt habe. Eine Botschaft an die genannte Tagung sei, wie behauptet, von ihm nicht ergangen. Unseres Wissens trifft dies auch auf die angebliche Botschaft des Erzbischofs von Canterbury zu« (JK 4 [1936], 293). Offener Brief an Herrn Ernst Otto von Helmut Looß. Als Manuskript gedruckt, o.O. [Eisenach] o.J. [1936], LKAE, LBG 268, nicht foliiert, S. 3–15. Weltbekannte Autofabrik, die seinerzeit auch in Eisenach produzierte. Offensichtlich dienten dazu die Vorgespräche in Leipzig (vgl. Tgb. 5., 7., 21., 22. und 24. Febr. 1936). Das Gespräch fand am 24. und 25. Februar 1936 in Dresden statt. Eingeladen hatte der Landeskirchenausschuss der evangelisch-lutherischen Landeskirche Sachsens; vgl. Schreiben des Evangelisch-lutherischen Landeskirchenamts Sachsens, Evangelisch-lutherisches Landeskonsistorium, an Oberkirchenrat Dr. Grundmann vom 31. Januar 1936. Über dieses Gespräch existiert ein Protokoll: »Niederschrift über das Theologen-Gespräch am 24. und 25. Februar 1936«, »als Handschrift gedruckt«, mit einem Verzeichnis der 14 eingeladenen Teilnehmer«, der 5 Mitglieder des sächsischen Landeskirchenausschusses sowie der beiden Protokollanten, Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar, C 1400, 279–301. Vgl. auch Fischer, Die sächsische Landeskirche im Kirchenkampf, 66–67.

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Mittwoch, d. 26.II.36. [26. Februar 1936] Eben sprach ich Frl. v. R. [Ranke], die gestern den KR D. Otto [R.] getroffen hatte. Die Oeynhausener Synode hätte bis Sonnabd. Abend gedauert (E. O. ist am Donnerstg. früh abgereist). G. Bauer [G.] wäre noch dort geblieben, wer der 3. ist, wußte man nicht. Die vorl. K.leitung sei also zurückgetreten (was wir schon von O. wußten) und an ihre Stelle ein 3-Männer-Ausschuß gesetzt, zu dem Müller-Dahlem u. Albertz-Brandenburg gehörten.128 Wenn man die Sache »Ausschuß« nennt, dann hat hier Niemöllers mehr calvinistische Idee des Aufbaus von unten her gesiegt, der die »geistl. Spitze« aus dem Reichsbruderrat heraussetzen wollte. Die »intakten« Kirchen hätten Sonderrechte, damit der Krach nicht aufs Neue losginge. D. Otto [R.] sähe für Thür. sehr schwarz. Wenn wir bei der Reichsreform zu Preußen kämen, so hätten wir da nicht einmal mehr den Halt am Bekenntnis, weil da die »Union« herrscht. (Das sieht er so als Lutheraner. Dafür hat Niemöller eben das Barmer Bekenntnis als Weiterentwicklung.) Im Übrigen hätte D. Otto [R.] zu erklären versucht, warum er anfangs geglaubt hätte, man müsse den D.Chr. entgegenkommen – sie hätten eine Mission u. seien ein Gericht über d. Kirche. – Inzwischen hätte er aber eingesehen, daß sie keine Kraft zum Aufbau hätten. – Daß dagegen die Thür. Richtung [KDC] im Stande sei, noch einmal unter ihrer Parole D.Chr.-Kräfte zu sammeln, glaube er auch – (ich glaube es auch. Aber ich glaube auch, daß sie sich kaputt machen, weil sie brüchige Charaktere wie den Reichsb., Zech u. andere nicht abstoßen und dann die erwiesene Falschheit u. jesuitische Methode von Leffler (Brief Nat.kirche). Donnerstg., d. 27.II.36. [27. Februar 1936] In der L.K.R.-Sitzg. gestern hat Sasse sehr viel geredet. »Und die Kirche hat versagt am 9. Nov. … sie hat versagt …!« Dann Kampf zwischen Lehmann u. Tegetm., der bestimmte Gelder nicht für den V.D. freimachen will, da sie unter »Kollekten« rubriziert seien! »Sie verstehen mich nicht, Herr College! Sie nehmen mir ja die Waffen aus der Hand … das ist doch hochwichtig … wir müssen doch Waffen gegen die Gegner haben … ja, dann müssen wir eben warten, bis Leutheuser kommt!« nachmittags. Eben habe ich die 3 Stück der unerhörten Broschüre von Looß gegen Otto gelesen. Das nennt der Verfasser selbst »keinen Angriff« gegen unseren Glauben! 129 ( )b Die D.Chr. haben am 3. u. 4., Dienstg. in Wutha einen Ausspracheabend mit den Heiden geplant u. ihre Eis. Anhänger aufgefordert, mindestens 100 Mann stark zu erscheinen. Frl. v. R. [Ranke] hat festgestellt, daß sie nur etwa 230 Mitglieder in Eisenach haben.

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Das dritte Mitglied war Hans Böhm aus Berlin-Zehlendorf. Zu den Vorgängen vgl. Meier, Kirchenkampf II, 105. Vgl. Tgb. 24. Februar 1936. Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz, vgl. Übersicht Strichzeichnungen.

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Frl. v. R. u. ich standen heute früh in der großen Halle am Lesetisch als Brauer u. Leutheuser hereinstürmten u. im Zimmer von Sasse verschwanden. Wir hatten beide den Eindruck, daß sie irgendwie schicksalsschwer aussahen. Eben war Frl. v. R. hier. Sie hat gehört, wie Hohlwein drüben im Pred.sem. dem Dr. Ulrich erzählt hat, es sei bei dem Gespräch in Dresden »nichts herausgekommen. In einigen Punkten ein kleine Annäherung, sonst hat man eben nur die Verschiedenheiten festgestellt.«130 In einem Aktenstück (betr. Ob.pfr. Schaumbg. [Schaumburg]) las ich kürzlich, daß Pfr. Bahn schreibt, er danke Gott jeden Tag »für dieses Kirchenregiment, das uns in Thüringen einen Kirchenkampf erspart hat.« Solche Leute gibts auch. Scheußlicher Schleim. Eben erfuhr ich von ( )b,, Sauckel hätte gesagt, wenn ein Kirchenausschuß nach Thür. käme, würde er aus der Kirche austreten. Und man könne sich ja denken, was das für die Kirche bedeute!!! Als Beweis für die Einigkeit innerhalb der Partei ist diese Stellungnahme eines Gauleiters gegen das Werk eines Reichsministers recht aufschlußreich. Es scheint von hier aus jetzt wieder die Parole ausgegeben zu werden, es käme kein Ausschuß. Volk hat gestern im Juristenbund zum Besten gegeben, die Kirche würde viell. als Organisation gänzlich aufhören zu bestehen. »Was noch brauchbar sei« von ihrer Verkündigung, ihren Feiern pp. »würde vielleicht von der Partei übernommen, ins Brauchtum der Partei übergehen …« (oder so ähnlich).131 Mein Gewährsmann ( )b betont, welch merkwürd. Eindruck diese Darlegungen eines Kirchenvertreters auf die anwesenden Juristen (er nannte den Namen eines Staatsanwaltes) gemacht haben müßten. Dienstg., d. 3.III.36. [3. März 1936] Gestern war ein bewegter Tag. Wir fingen zum 1. mal 7 Uhr morgens an. Die Andacht hatte Bauer [W.]. Alles war versammelt – er erschien nicht. Sasse u. Volk rannten hin u. her, die Sache wurde bereits komisch, als Bauer [W.] auftauchte. Nun sollte gesungen werden – Niemand kannte die wunderschöne Melodie als ich – u. er hatte die Noten in der Hand. Also außer mir haben etwa 5 Leute 2 Strophen durchgesungen. Dann die »Lesung« – die kam mir schon etwas verwirrt vor. Dann sagte Bauer [W.]: »Den nächsten Liedvers wollen wir aber etwas hübscher singen als die ersten.« Darauf schwiegen auch diejenigen, die die ersten Strophen noch mitgesungen hatten, ich auch. Es war katastrophal. Schließl. schlug Frl. Sommer vor, eine andere Melodie zu singen, die alle kannten. Das taten wir dann auch. Und dann stieg die »Andacht« von Bauer [W.]. Es war ein Erlebnis. Mitten drin dachte ich plötzlich: »Ob er nicht ganz nüchtern ist?« Ich 130 b 131

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Vgl. Tgb. 5., 7. und 24. Februar 1936. Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz, vgl. Übersicht Strichzeichnungen. Es könnte sein, dass es sich hier nicht um eine Rede Volks, sondern eine Sasses handelte; denn auf eine Rede Sasses vor dem Nationalsozialistischen Juristenbund wird im folgenden immer wieder Bezug genommen. Es handelt sich um den »Bund Nationalsozialistischer Deutscher Juristen« (BNSDJ), der 1936 umbenannt wurde in »Nationalsozialistischer Rechtswahrerbund« (NSRB); vgl. Enzyklopädie des Nationalsozialismus, 609. Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz.

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hatte Mühe, nicht zu lachen. Hinter mir prustete einer. Bauer [W.] sprach über die Versuchungsgeschichte.132 Er hatte sich vorher offenbar nichts überlegt, aber trotzdem hätten nicht ein derartig banales Blech, solch eine völlige Glaubenslosigkeit, soviel Hohlheit u. Flachheit zum Vorschein kommen dürfen. Abgesehen von der schnoddrigen, schlampigen Ausdrucksweise war das Schlimmste, daß er im Grunde die Frage behandelte, ob Christus wirklich ein so großer Mann gewesen sei, daß er sich hätte einbilden können, er stünde vor der Wahl, die Herrschaft über die Welt anzunehmen oder abzulehnen! Dazu sagte er u. a. ungefähr: »No, so unsinnig war das doch nicht; denn Christus war eben doch nicht so eine Art von Gustav Nagel, der als komische Figur durch die Welt zog133, sondern er hatte vornehme Verbindungen am Königshaus, kannte dort vornehme Frauen (andächtig gesagt, mit hochgezogenen Brauen). Und dann denke man nur einmal an Ad. Hitler, der ein einfacher Gefreiter war und jetzt ein Mann ist, der – Weltgeltung hat!« (Das Wort »Weltgeltung« mit andächtigem Schauer). »Und Nabolion!« Alles auf sächsisch. Eine andere Stelle: »Jesus hatte Heilkräfte. Das wissen Sie ja alle: Wenn man zu so einem Mann geht, der heilen kann, dann muß man »blechen«. Jesus aber hat kein Geld genommen, er hat alles umsonst getan. Er hätte viel Geld verdienen u. sehr reich werden können. Das war für ihn eine Versuchung. Der hat er widerstanden …« Dann die Versuchung mit dem Sturz vom Tempel: »Das ist die Versuchung unseres techn. Zeitalters.« Flugzeuge. Fallschirmabsprünge. Manche ziehen die Reißleine erst, nachdem sie schon 1000 Meter gesaust sind. »No, u. dann ist es eben manchmal zu spät … Und dann das Automobil! Wenn die Leute so im Vertrauen auf die eigene Kraft mit 200 Stundenkilometern losrasen … – »da bassiert dann eben mal was!« usw. Also diese Versuchung als prophetische Warnung vor sportlichem Leichtsinn. Es war eine glatte Katastrophe. Ich sah sogar Volk unruhig werden, der in einer Nische Sasse gegenüber saß, den ich nicht sehen konnte. Sasse ist dann im Laufe des Vormitt. im VD gewesen. – Volk sagt zu Frl. Linde: »Bauer hatte sich nicht vorbereitet. Und das Zuspätkommen. Der Landesb. war auch sehr unzufrieden. Stellen Sie doch einmal fest, was der Betrieb dazu sagt. Nun, der Betrieb hat viel gesagt. Ich habe nichts dazu getan, das funktionierte von alleine. Auch der Verdacht, Bauer [W.] sei nicht ganz nüchtern gewesen, wurde mehrmals Frl. Linde gegenüber ausgesprochen. Am Nachmittag ist dann Luther [H.] erschienen, hat Volk sprechen wollen u. zu Frl. Linde gesagt, er wolle im Namen der Beamten u. Angestellten gegen die Andacht protestieren. »Was denken denn die Herren – daß sie Strohköpfe vor sich hätten?!« Er wolle beantragen, daß nur noch die Geistlichen Andachten hielten, alle Lehrer sollten ausgeschaltet werden und der L.K.R. möge wieder für eine musikal. Begleitung der Lieder sorgen (die jungen Männer, die die Lieder bisher mit der Geige begleiteten, haben gestreikt); Volk ist nachher mit ihm zu Sasse gegangen. – Ob etwas anderes dabei herauskommt als Beschwichtigung u. Beschönigung? Steinbach im Archiv hat sich zu Therese ausgesprochen: »Wir sind D.C. geworden, weil wir gedacht haben, die D.C. würden ein Stoßtrupp für Hitler. Und nun müssen wir feststellen, daß wir den Bekenntnisleuten näher stehen als den Führern der D.Chr.« Therese ist als Opposition bekannt. Steinbachs Schwiegersohn ist Pfarrer. Ob nicht in 132 133

Mt 4,1–11; Mk 1,12–13; Lk 4,1–13. Zu Gustav Nagel vgl. Biogramme.

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diesem Ausspruch auch schon die Wirkung des Rundschreibens zu erkennen ist, das der L.K.R. kürzl. an alle Pfr. schickte, in dem er seine Antwort an den Kirchenausschuß mitteilte?134 In einem Brief von Thomas, den ich am 27.II. bekam, war diese Wirkung deutlich zu spüren.135 Er ist sich klar darüber geworden, »daß der L.K.R. sich in sr. Stellung nicht wohlfühlt«, ist »glücklich«, daß er nicht bei den Aufbauwochen mitgemacht hat, fragt, warum der K.Ausschuß noch nicht kommt u. ob er mal an D. Eger, den er als Kurgast in Oberh. kennengelernt hat, schreiben sollte. Am Mittwoch (d. 26.II.) gab ich ( )b den off. Brief von Looß an Otto zu lesen.136 D. 4.III., Mittwch. [4. März 1936] Am nächst. Morgen gab er ihn zurück u. sagte, das sei eine ungeheure Gemeinheit. Looß müßte angezeigt werden. Er würde es für richtig halten, wenn der L.K.R. das übernähme, aber darauf sei nicht zu hoffen usw. Am Abend sprachen wir O. nach der Bibelstunde, am Freitag sagte mir O., daß die Polizei es abgelehnt hätte einzuschreiten. – Stier hätte sich auf Bitte der Pfarrerschaft an die Polizei gewendet. Am Sonnabd. früh sagte ich das ( )b u. bat ihn, mir genau zu sagen, was nun geschehen müßte, um ein Eingreifen der Staatsanwaltschaft herbeizuführen. Er machte alle Angaben u. ich notierte sie mir. 20 Min. später kam er wieder in mein Zimmer u. sagte, er hätte mit dem Staatsanwalt Klinckhardt telephoniert und dem die Sache gesagt u. um seine Meinung gebeten. Kl. hätte erklärt, er hielte die Vorbedingung zur Erhebg. einer öff. Anklage nach dieser Schilderung für gegeben, Prüfung der Schrift vorbehalten. Darauf habe er, ( )b,. Ernst Otto antelephoniert und ihm genaue Weisung gegeben, wie zu verfahren sei. Das fand ich riesig nett von ihm. Es war beinah wie ein Wunder, daß ein D.Chr. vom Pflugensberg aus einfach an Otto telephonierte. (In späteren Jahren wird kaum Jemand noch verstehen, daß das eine Sensation war!) Frl. v. R. [Ranke], der ich es gleich auf einem Zettel mitteilte, war auch ganz glücklich. Gestern, 3.III., sagte ichs Frau Pfeiffer, die fand es auch »mutig« von ( )b. Otto hatte sich so gefreut, daß er gleich nach dem Telephongespräch zu seiner Frau [Otto M.] die Treppe herauf gelaufen war, um es ihr zu erzählen!! – Am Montag konnte ich dann ( )b den Entwurf einer Eingabe an den Staatsanwalt vorlegen, den er verbesserte. (Ich telephonierte in der kleinen Halle die Korrektur an Otto; kam mir bei diesem Telephongespräch zieml. kühn vor, denn jeder, der vorüber ging, konnte jedes Wort hören. Aber keiner dachte natürl. an so eine Möglichkeit – natürl. wäre auch kein Anlaß gewesen, mich deswegen zur Rede zu stellen. Ob man es nach 5 Jahren noch verstehen wird, daß ich mich vorher nach allen Seiten umsah, um zu sehen, wer mein Gespräch hören könnte? Die Eingabe ist von allen Pfarrern unterschrieben worden. Ich kann mich nicht erinnern, daß die kirchl. Zeitschriften 134 135 b 136 b b b b

Schreiben des LKR an die Pfarrämter vom 8. Februar 1936, LKAE, A 792, nicht foliiert. Zu Thomas vgl. zahlreiche Eintragungen Tgb. 1934–1936. Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz, vgl. Übersicht Strichzeichnungen. Vgl. Tgb. 24., 26. und 27. Februar 1936. Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz. Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz. Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz. Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz.

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schon einmal die Mitteilg. von einem ähnlichen Angriff gebracht hätten. Bisher gingen Angriffe gegen Bek.pfr. immer von D.Chr. aus. Am Donnerstag, den 27.II. nach der Bibelstunde war keine Gelegenheit gewesen, O. darüber zu sprechen, denn da erzählte er von Oeynhausen137 u. dem Ausgang des »Gesprächs« mit den D.Chr. in Dresden138. Donnerstg., 5.III.36. [5. März 1936] Gestern Abd. bei O.; Frau O. [M.] erzählte mir, daß die Eis. Pfr.schaft den L.K.R. bitten wolle, sich der Klage anzuschließen. (O. unterschreibt diesen Brief nicht, hat aber nichts dagegen). ( )c sagte mir, die Kirchenräte hätten alle die Schrift gelesen, u. sie dann dem Angestellten Stiefel zurückgegeben. Kiel hat die Eingabe der Pfr.schaft an d. Staatsanwaltschaft nicht mit unterschrieben (Stier hat es getan), dafür aber einen großen Schrieb losgelassen, in dem er den Begriff der Treue, wie ihn die D.Chr. kennen, auseinandersetzt. Dieser Treue-Begriff ist offenbar rein äußerlich u. stellt heute in vielen Fällen eine Untreue dar. Aber mir wird hieran manches klar. Das Festhalten an der Gemeinschaft der D.Chr. ist offenbar bei vielen die Angst vor der Diffamierung – die scheußlich sein muß. Ich verstehe jetzt manche Stellen aus den »Briefen«. Es bleibt aber feig von Kiel. Am Dienstg. Abd., d. 3.3. hatten die D.Chr. in Wutha139 eine Mitgliederversammlg., die als Kundgebung gegen die D. Gl. [DGB] gedacht war. Looß war eingeladen (das hängt aber nicht mit d. Schrift gegen O. zusammen), aber natürl. nicht gekommen! (Zu wie vielen Freidenkerversammlungen sind Pfr. eingeladen worden u. gekommen u. haben sich anbrüllen lassen). Von hier waren etwa 100 D.Chr. mitgefahren, 35 vom Pflugensberg. Leuth. sprach. Oeynhausen hat nicht 2 Tage, sondern von Dienstg. bis Sonnabd. gedauert, 18.– 22.II.140 Bauer [G.] war nach Ottos Abreise noch dort geblieben. O. berichtete, es schien »denkbar traurig ausgegangen zu sein«. Es wird zwar niemand gezwungen, nicht mit dem K.A. zu arbeiten, aber die Diffamierg. ist offenbar so schwer, daß, wie O. sagte, »man sich überlegen muß, ob man dort noch weiter mitmachen kann!« – Die Berichterstattg. über »Oeynhausen« im »Reichsboten« v. 1.III. sehr geschickt, legt Wert auf das Zus.bleiben der Bek.front u. darauf, daß nicht grundsätzl. abgelehnt worden ist, mit dem K.A. zus.zuarbeiten, sondern daß diesem nur das Recht der Kirchenleitung bestritten wird, während die K.A. behaupten, sie könnten nicht »aufräumen«, ohne auf innere Dinge überzugreifen (was wohl stimmt). Im Falle Thüringen wird ja sogar gehofft, daß sie das tun!Nach der »Vorbesprechg.« in Leipzig am 27.II.141 (wegen deren O. in Oeynh. abreisen mußte) war er noch in Berlin im K.A., hat dort gedroht, die Leitg. der B.front einem Niemöller-Anhänger zu überlassen, wenn der K.A. nicht bald in Thür. eingriffe. 137 138 c 139 140 141

4. Reichsbekenntnissynode in Bad Oeynhausen 1936. Vgl. Tgb. 24. Februar 1936 und weitere Stellen. Strichzeichnung Frauenkopf mit Locken, steht für Hanna Linde, vgl. Übersicht Strichzeichnungen. Vgl. Tgb. 27. Februar 1936. Vgl. Tgb. 21. Februar 1935. Vgl. Tgb. 5., 7., 21., 22., 24. und 26. Februar 1936.

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Man hat ihn beschworen, noch zu warten. Es seien jetzt einfach keine Menschen mehr da, um das zu bearbeiten; z.Zt. würden in sechs Gebieten die Ausschüsse fertig gemacht (inzwischen wurde am 29.II. oder 1.3. die Einsetzg. eines Ausschusses in SchleswigHolstein142 u. d. Bildg. von neuen Kirchenregierungen in Braunschweig143 u. im Einvernehmen mit Marahrens in Hannover144 bekannt gegeben). Man will erst die »theolog. Kammer« bilden, um ihr Gutachten für den Fall Thüringen verwerten zu können.145 Bei der geplanten Zus.setzg. hätten die »Lutherischen« die Oberhand. Althaus sei auch darin und Brunstäd, Lilje aufgefordert u. Pressel. Beide zögern u. haben Bedingungen gestellt – 5 Punkte. Otto schimpfte über diese »Halbheit«. »Schließl. machen sie ja doch mit, warum da erst die 5 Punkte. Angst vor Niemöller.« Als einen 1. Vorstoß in Thüringen werte ich das Schreiben das der K.A. auf den »unverschämten« Brief des L.K.R. am 29.II. hierhergeschickt hat,146 u. das O. mir am Sonntg. Abd. (1.III.) zu lesen gab. Darin wird jeder Punkt der landeskirchenrätlichen Behauptungen zurückgewiesen. Man wird die Beschwerden über die »Aufbauwochen« nicht vorlegen u. erwartet, daß der L.K.R. an der Darlegungen des K.A. keinen Zweifel hegt. Man erklärt das Bekanntwerden des vorangegangenen Schreibens an den L.K.R. damit, daß man dieses Schreiben in Abschrift an Otto gegeben habe. Dadurch wäre es wohl bekannt geworden. Man würde Otto auch das Schr. vom 29.II. in Abschrift zur Kenntnis geben. (Das freut mich besonders, weil in einer Eingabe, die Engelhardt-Altenbergen an den K.A. richten wollte, davon die Rede war, daß die Bek.pfr. sich das Antwortschreiben des K.A. an den L.K.R. »hinten herum« verschafft hätten). Das Wichtigste war wohl, daß der K.A. mitteilte, es wären ihm beim Studium der Thür. Verfassung Zweifel daran gekommen, ob der L.K.R. zu Recht die »geistliche Leitung« für sich in Anspruch nähme (das Schreiben von Weinel147, das der L.K.R vom Juli verbreitete, wird sich hier auch unheilvoll auswirken.) ( )i war am Montag ins Zimmer von Volk gekommen, während er die Eingangsmappen las. Plötzl. habe er mit d. Faust auf den Tisch gehauen u. »Unverschämt!« gekräht.

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Der Landeskirchenausschuss für Schleswig-Holstein wurde am 26. Februar 1936 berufen: Meier, Kirchenkampf II, 264. Zur Bildung einer neuen Kirchenregierung in Braunschweig kam es am 28. Februar 1936: Meier, Kirchenkampf II, 297. Zur Bildung einer neuen Kirchenregierung in Hannover Ende Februar 1936 vgl. Meier, Kirchenkampf II, 282. Der RKA hatte am 13. Dezember 1935 beschlossen, verschiedene Kammern zu bilden, darunter eine theologische; vgl. GDEK 1935, Ausgabe B, 138. Schreiben des RKA an den LKR der TheK vom 29. Februar 1936, LKAE, A 792, V; vgl. Tgb. 28. Januar 1936 und 11. Februar 1936. Vgl. Tgb. 1. Juli 1935; Fußnoten. Strichzeichnung Frauenkopf mit Hakenkreuz, steht für Gertrud Walter, vgl. Übersicht Strichzeichnungen.

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Über das Gespräch in Leipzig soll nicht gesprochen werden.148 Man hat gemeinsam einen unverbindl. Satz darüber gutgeheißen, den d. Hmt.korr. veröffentlichte.149 Alths. sei glänzend gewesen, sagte O., die Thüringer D.Chr. hätten ihre Formulierungen alle eingerichtet, um ihm zu entsprechen. Bauer [W.] sei mitgewesen, habe kein Wort geredet. O. ärgerte sich über sich selbst. Es »würgte« ihn, daß er nicht so scharf geantwortet hätte, wie er gemußt u. gekonnt hätte. Er hätte die ganze Versammlung sprengen können. Aber man sei bis zu Punkt »Nationalkirche«, zu dem er das Wirksamste hätte sagen können (wie die Nat.kirche in Wirklichkeit aussieht) garnicht mehr gekommen. Außerdem beschuldigte er sich einer gewissen Hilflosigkeit gegenüber der primitiven Brüllerei von Leuth. Der hatte hinterher, beim Abschied, noch einen merkwürdigen Anbiederungsversuch gemacht, der O. furchtbar geärgert hatte. Er hatte Leu. entgegengehalten, daß der ihn 2mal »Lügner« genannt hatte und daß sie Beide doch nun nicht so tun könnten, als sei nichts geschehen. Worauf Leu. gefragt hatte: »Wo?« »Mindestens in Melborn und in Kaltenwestheim«, hatte Otto gesagt. »Das kann sein, ja – wenn ich einmal kämpfe, dann kämpfe ich eben.« Dann waren Andere dazu gekommen. Auch Leffler hat plötzl., gegen Ende der Verhandlungen gefragt, ob es denn nicht möglich sei, mit »Herrn Otto« wieder ins Gespräch zu kommen. O. hat geantwortet, er sei als Mensch und Christ natürl. jederzeit bereit, etwa noch vorhandene Unklarheiten richtig zu stellen. Das wird sie nicht befriedigt haben. Ich nehme an, es ist ihre größte Hoffng. gewesen, als sie nach Dresden150 gingen, die abgerissenen Beziehg. wieder anzuknüpfen. Sie haben sich aber natürl. auch nichts vergeben wollen. Daher zum Schluß, als sie sahen, es kommt bei der ganzen Unterredg. nichts heraus, noch der krampfhafte Versuch. Leffler hat auch noch gefragt: »Wie ist das eigentl. gekommen, daß das Gespräch zwischen uns abgerissen ist?« Darauf O.: »Das wissen Sie doch ganz genau. Das war Ihr Totengräber-Artikel« in den »Briefen«151. – »Ach, jaso …!« O.: »Ich sehe nicht, wie man danach noch miteinander verhandeln kann.« 6.III., Freitag. [6. März 1936] Bauer [W.] hat gestern mit Frl. Sommer geredet, der er vorwarf, sie hätte über ihn »geschimpft«. Sie sagte darauf, sie hätte nicht geschimpft, aber seine Predigt nicht gebilligt. Sie sähe den Heiland anders. Er: »Nein, das ist falsch. So muß man den Heiland heutzutage verkündigen. Das ist die richtige Art!« – Frl. Sommer: »Wir alle sind anderer Meinung … hat Ihnen denn der Herr Landesbischof nichts gesagt?« Er: »Mir hat niemand was gesagt.« Jetzt wissen wir also, was Bauer unter einer »lebensnahen« Verkündigung versteht. Er arbeitet den Deutschgläubigen vor, indem er alles banalisiert u. verflacht. Das ist fürchterlich.

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Vgl. Tgb. 5., 7., 24. und 27. Februar 1936. ThHtK 21 (1936), Nr. 9 vom 27. Februar 1936, 2. Es wurde lediglich mitgeteilt, dass das Gespräch stattgefunden hatte und in manchen Punkten eine Klärung angebahnt worden sei, in anderen nicht. Außerdem wurden die Teilnehmer namentlich aufgelistet. Vgl. Tgb. 24. Februar 1936 und weitere Eintragungen. Vgl. Tgb. [17.] November 1935.

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D. 7.III., Sonnabd. [7. März 1936] Spannung im Betrieb. Eine Reichstagssitzg. soll heute mittag 12 Uhr stattfinden u. übertragen werden. Volk hat Gemeinschaftsempfang angeordnet. Die Leute im Betrieb raten auf Außenpolitik; nicht so die Kirchenräte. Sasse sagt, nachdem er Volks Zettel gelesen hat: »Wenn der Führer nur nicht die Kirche abhängt!« Und Tegetmeyer sagt: »Es wird sich um Steuern drehen!« Die schweigsamen Helfer wollen sich hinter den Kulissen vor Lachen ausschütten. Th. Paulssen versicherte mir heute, daß sie u. Frl. Sommer deutl. gehört hätten, daß Bauer [W.] in sr. Andacht bemerkt hätte, daß Jesus »wohl noch größer« sei »als der Führer!«152 Mittwch, d. 11.III. [11. März 1936] Am Sonnabd. erlebten wir eine geschichtl. Stunde von höchster Bedeutung am Rundfunk. Gestern Abd. Bekenntnisgemeinsch. »hinter der Mauer«153. Brakhage berichtete über Oeynhausen, las die Erklärung zur Schulfrage, die mir zu lang ist, u. die theol. Erklärung. vor.154 Otto ist gest. Abend nach Frankft. gereist, wo der luth. Konvent – offenbar auch der luth. Rat – tagen.155 Ein engerer Zus.schluß soll erreicht werden. Kürzl. bereits Sitzg. in Würzbg. mit Bauer. In Oeynhausen haben sich Thüringen mit Hannover u. Teilen von Bayern bei der theolog. Entschließg. der Stimme enthalt. wegen der Stellg. zu den K.Aussch. Sonst sind sie einverst.156 O. erzählte mir am Sonntg. Abd. noch von einem neuen Brandherd in Röpsen. Pfr. Schultze – Vertretung Müller-Gera. L.K.R. schickt Hohlwein. Gemeindevertretung versagt Kirche nach Anfrage Hohlwein nach Anfrage bei Bauer [G.]-Gotha. Hohlwein hat dennoch, trotz Widerstrebens der Gde, gepredigt. Die Hälfte der Gde hat die Kirche verlassen, als sie ihn am Altar sah. Hier im Haus wird über derlei gar nicht gesprochen. Wenn ich es nicht von O. hörte, erführe ichs nicht.157 Die neueste Nr. der »Briefe …« hat einen ganz niederträchtigen Ton gegen die Bek. Kirche, wie er in Thür. bisher noch nicht da war. Vor allem in der Thür. Beilage. Sie behaupten sogar, die Thür. Bek.front »hetzte« die Staatspolizei auf sie! Wie sollte sie 152

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Diese Äußerung ist wohl auf dem Hintergrund zu sehen, dass aus nationalsozialistischer Sicht verschiedentlich in der Öffentlichkeit behauptet worden war, dass Jesus zwar groß gewesen, Hitler aber noch größer sei; vgl. Tgb. 18. Oktober 1935 und 21. Dezember 1935. »Hinter der Mauer« (gemeint ist die Stadtmauer) befand sich das evangelische Vereinshaus mit dem Gemeindesaal der Stiftsgemeinde (vgl. Tgb. 15. Juni 1934 u.öfter). Vgl. Wilhelm Niemöller (Hg.), Die vierte Bekenntnissynode. Zur Formierung des Lutherthums vgl. Meier, Kirchenkampf II, 108–114. Der Lutherische Konvent war ein »rechtmäßiges Organ der Bekenntnissynode«. Ihm war die Aufgabe gestellt, »die Belange der Lutherischen Kirche in Deutschland allseits wahrzunehmen« (vgl. Stellungnahme der Vorläufigen Leitung der DEK zur Bildung des Rates der Evangelischen Lutherischen Kirche Deutschlands vom 25.3.1936, KJ 60–71, 21976, 129). »Das Ergebnis, das vom Präses so formuliert wurde, das Theologische Wort der Synode sei angenommen worden ›gegen drei Stimmen bei einer Enthaltung und bei Nichtbeteiligung von so vielen, wie ihre Nichtbeteiligung an der Abstimmung erklärt haben‹ …«: Meier, Kirchenkampf II, 105. Zum Fall Schultze-Röpsen vgl. Biogramme.

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das wohl machen!158 Wenn die unser Material hätten – ! Was würden die damit hetzen! – Die Tonart bedeutet einen Kurswechsel. D. 12.III. [12. März 1936] Demgegenüber hat die neue Nr. des »Evangelium im III. Reich« die Hetze gegen die Bek.fr. nicht wieder aufgenommen u. schimpft zur Abwechselung mal auf den »Durchbruch« u. sogar auf das »Schwarze Korps«. Eben war ( )b hier u. berichtete, ein Pfr. Lamprecht [Lambert] aus Pferdsdorf, Parteimitglied seit 1930, sei aus der Partei ausgetreten, weil er wegen seiner kirchl. Haltung (AT) dauernd von der SA angegriffen worden sei! Der Kreisleiter habe sich noch beim L.K.R. beschwert u. eine sehr würdige Antwort erhalten! Männel habe das erzählt. Mauersberger habe erzählt, die Schrift von Looß sei beschlagnahmt worden! Kerrl hat übrigens vor etwa 8 Tagen in einer Rede vor Studenten denen, die das, was Anderen heilig ist, verhöhnen, Bescheid gesagt. Der L.K.R. hat schon vor Wochen verschiedene Gesetze erlassen, u. a. über Disziplinarmacht in den Kirchen, kirchl. Beamtenrecht, Gemeindekörperschaften usw. – ich hatte es nicht festgehalten. Lamprecht habe u.a. in seinem Begründungsschreiben an die Partei gesagt, er habe so und soviel Leute vom Abgrund des Kommunismus zurückgerissen u. jetzt müßte er sich von denen sagen lassen, was Nationalsozialismus sei. Er sei sZt. zur Partei gegangen, weil er geglaubt hätte, daß d. Partei »auf d. Boden des posit. Christentums« stünde. Jetzt könne er die Spannungen zwischen Christentum u. der Weltanschauung der Partei nicht mehr ertragen. Der L.K.R. habe dem Krs.sleiter u.a. geantwortet, er könne nicht gegen Pfr. L. vorgehen. Der Kreisleiter möge diese Sache zum Anlaß nehmen, einmal mit dem Gauleiter Sauckel zu sprechen. Den 17.III. 36, Dienstg. [17. März 1936] Heute erfahre ich daß der L.K.R. beschließen wird, sich der Klage der Eisenacher Pfarrerschaft gegen Helmut Looß anzuschließen. Der Entwurf des Schreibens an die Staatsanwaltschaft liegt vor u. soll heute beraten werden. Die Pfr.schaft hat ausdrücklich darum gebeten. Von selbst tun sie es nicht.159 Gestern hörte ich, daß Streitberg, einer der Beamten hier oben u. Osterberg aus den. D.Chr. ausgetreten sind wegen eines unverschämten Briefes von Poppe, der sie angeschnauzt hat, weil sie nicht in die D.Chr.-Versammlungen gegangen sind. Das ist der Anfang vom Ende, wenn die Leute hier oben erst anfangen zu revoltieren. Ich habe überhpt. nicht geglaubt, daß sie sich hierzu aufraffen könnten. Wie ich aus verschiedenen Protokollen sah, beabsichtigt der L.K.R., gegen verschiedene Pfr. vorzugehen (Coym-Unterkatz, Schultze-Röpsen u. Sylten-Köstritz), 158 b 159

Unklar ist, was die Tagebuchschreiberin mit der Thüringer Beilage gemeint hat. Im Bestand der Briefe an deutsche Christen des LKAE findet sich nirgendwo ein Artikel der beschriebenen Art. Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz, vgl. Übersicht Strichzeichnungen »18.) Beleidigung Eisenacher Pfarrer. Kirchenrat Dr. Volk berichtet über den Strafantrag der Eisenacher Pfarrer gegen Helmuth Looß. Der Landeskirchenrat beschließt, sich diesem Strafantrag anzuschließen. Dem von Kirchenrat Volk entworfenen Schreiben an die Staatsanwaltschaft wird zugestimmt« (Protokoll der Sitzung des LKR der TheK vom 17. März 1936, LKAE, A 122).

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weil sie entlassene Hilfspfr. der Bek.gem., Müller-Gera-Kaltenw. und Wolf-Metzels in ihren Gemeinden haben predigen lassen.160 Im Pred.sem. soll nach ¾ Jahr Pause, während deren der Betrieb leer lief, der Unterricht wieder aufgenommen werden. Leider aber wurde nicht nur Hohlwein krank, sofort nachdem die Kandidaten eingetroffen waren, sondern, wie mir ( )h sagte, weigerten sich sämtliche Kirchenräte, Unterricht zu geben – sie hätten keine Zeit!! Bis sie sich an Sasse wandte mit d. Bitte, den Kandidaten wenigstens Aufgaben zu stellen! Darauf nannte S. se] einen Bibelabschnitt, den sie inzwischen durcharbeiten sollten. – So schlecht wird alles vorbereitet u. so lässig gehandhabt. O. war von Sonntag – Montag Abend in Stetten zu einer Tagung der Thür. Bek.pfr. Der Labi u. Franz waren am Sonnabend in Weimar bei Leffler, Volk fuhr in der Angelegenheit Schultze-Röpsen mit. Franz sagte mir eben, außer Streitberg seien noch Osterberg u. der Angestellte Braun ausgetreten aus den D.Chr. Gegen ihn, Fr., seien Beschwerden vorgebracht worden von Pfr. Keil [K.]-Untermaßf., er habe sich abfällig über Leuth. u. den VD ausgesprochen. Er habe zugegeben, das im vertrauten Kreis gelegentlich, aber durchaus sachlich getan zu haben. Gestern schon hat er deswegen lange Unterredungen gehabt, die heute fortgesetzt werden sollen. Franz hätte unhaltbare Äußerungen getan. Man könne ihn ja nicht mehr ohne Weiteres in den Wartestand versetzen, denn dazu gehöre jetzt die Einwilligung des K.A. Das Ganze teilte er mir ausdrücklich vertraulich mit. Den werden sie wohl aus den D.Chr. hinaus tun u. da wieder ganz zufrieden sein. Dienstg, d. 24.III. [24. März 1936] Gestern Abend sind Sasse u. Franz nach Berlin gefahren – zu Kerrl. Die Ursache wird verschieden dargestellt. Eben höre ich aus sehr guter Quelle, ( )c – H., sie seien »zitiert« zu Kerrl! Daraus schließt man natürlich, daß der langersehnte Kirchenausschuß in greifbare Nähe rückt. – Eine andere Auffassung vertritt Erich Reichardt [E.]. Er glaubt offenbar, daß dort jetzt den Bekenntnis-Leuten endgültig der Garaus gemacht werden soll u. zwar 1. wegen Röpsen. (Schultze vertritt offenbar die Niemöllersche Richtg. u. verweigert auch dem Obpfr. – wenigstens nach der Darstellung von deutsch-christl.

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h c

Zu Sylten und Schultze vgl. Biogramme, zu Wolf vgl. Tgb. 8. Oktober 1935 u.öfter. Zu Coym findet sich die folgende Protokollnotiz: »5.) Hilfspfarrer in Unterkatz. Kirchenrat Stüber berichtet über die Abhaltung von Gottesdiensten durch den früheren Hilfspfarrer Wolf, die von Coym veranlaßt worden sind. Es wird beschlossen, gegen Hilfspfarrer Coym einen Verweis auszusprechen« (Sitzung des LKR der TheK vom 10. März 1936, LKAE, A 122, 15). Eine Woche später wird der Text des Verweises durch den LKR genehmigt; vgl. Sitzung des LKR der TheK vom 17. März 1936, LKAE, A 122. Alle drei Pfarrer hatten sich desselben Delikts »schuldig« gemacht, nämlich den entlassenen Pfarrer Wilhelm Wolf zum Predigtdienst zu bitten. Sylten wurde ausdrücklich aufgefordert, sein Verhalten zu rechtfertigen; vgl. Sitzung des LKR der TheK vom 10. März 1936, LKAE, A 122, 16. Strichzeichnung Frauenkopf mit Zöpfen, Person nicht identifizierbar, vgl. Übersicht Strichzeichnungen. Strichzeichnung Frauenkopf mit Locken, steht für Hanna Linde, vgl. Übersicht Strichzeichnungen.

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Seite – jede Auskunft über Amtshandlungen)161, 2. aber deswegen, weil die Bekenntnispfr. den Sasseschen Wahlaufruf162 nicht in der Kirche abkündigen, sondern einen eigenen.163 Gestern Vorm. kam ein atemloser Bote zu mir ( )c: »Volk kommt eben in großer Aufregg. aus der Sitzg. und beauftragt mich, ihm einen Abdruck der Abkündigg. zu verschaffen, die die Bek.-Pfr. statt der Sasseschen verlesen. Können Sie mir dazu verhelfen?« Ich: »Sie ist m.W. nicht im Druck erschienen.« Er: »Wissen Sie, wer sie verfaßt hat?« Ich: »Nein« (Bauer-Gotha, korrigiert von E. Otto) Er: »Ist sie von der ganzen Bek. Kirche oder nur von den Thüringern?« Ich: »Ich weiß es nicht.« (Nur von den Thüringern). Ich: »Richten Sie Herrn Dr. Volk von mir bitte noch aus, Herr Pfr. Otto hätte diese Abkündigung schon am Sonntag vor 8 Tagen hier verlesen. Sie sei viel schöner als die von Sasse«. Der verständnisvolle Bote sauste ab. Sasses Abkündigung war wirkl. furchtbar dumm – ein Ausspruch von Luther zitiert, der absolut nicht paßte. Der L.K.R. soll sich doch, wenn er etwas wissen will, direkt an E. Otto wenden – man braucht ja nur anzutelefonieren. Der wirds ihnen ruhig sagen. Warum wollen sie denn alles »hinten herum« durch mich wissen?« Kürzl. hat die Kreisleiterin der Frauenschaft Gera hier angerufen u. sofort am Telephon gesagt: »Ich möchte einen der Herren sprechen. Wie lange soll eigentlich der Pfarrer Schultze in Röpsen noch sein Unwesen treiben?«164 Und dabei hat Rudolf Heß bereits im November »strengsten« Befehl gegeben, daß sich keine Parteistelle in die kirchl. Angelegenheiten mischen soll!165 Nun kann man ja solche Sachen wie diese Telefonmitteilung nicht weitergeben, weil sonst Derjenige, der diese dienstliche Erfahrung weitergegeben hat, einfach hinaus fliegt. So ist es eben immer. Und die D.Chr. veranlassen die Leute draußen ja offenbar selbst zu diesen Mitteilungen, denn sie sollen wie auf Kommando von allen kommen. Und dafür hat Kerrl offiziell (Ende Februar allerdings erst) den kirchl. Behörden von diesem Erlaß Kenntnis gegeben. Ich las es in einem Protokoll, das E. R. [Reichardt E.] auf einem unordentl. Haufen von Papieren ganz sorglos aufgestapelt hat. (Andere schließen solche Protokolle sorgfältig ein). ( )b hat am Sonnabend (d. 21.III.) eine lange Ausspr. mit Sasse gehabt, mit dem er sachl. hätte reden können. Er will sich das, was man ihm vorgeworfen hat, nicht gefallen lassen u. sich Keil [K.] stellen. Man versucht, ihn zu beschwichtigen. Mit Franz hätte er 2 fürchterliche Zusammenstöße gehabt.166 Danach hat Franz sich noch empört,

161 162 163 c 164 165 b 166

Vgl. Tgb. 11. und 17. März 1936. Reichstagswahl (Aufruf Sasses mit Kanzelabkündigung vom 11. März 1936), ThKbl/B 1936, 37. Die vom Bruderrat der lutherischen Bekenntnisgemeinschaft in Thüringen empfohlene Kanzelabkündigung zur Wahl am 29.3.[1936], [nicht datiert; Abschrift], LKAE, LBG 30, 238.. Strichzeichnung Frauenkopf mit Locken, steht für Hanna Linde, vgl. Übersicht Strichzeichnungen. Zu Schultze-Röpsen vgl. Biogramme. Anordnung des Stellvertreters des Führers an alle Reichs- und Gauleiter vom 14. Juli 1935, in: Dokumente zur Kirchenpolitik des Dritten Reiches III, 130. Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz, vgl. Übersicht Strichzeichnungen. Vgl. Tgb. 17. März 1936.

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daß der andere die Beschuldigungen nicht einstecken wollte. Franz muß doll ausfallend gewesen sein. nachmittgs. 24.III. Ich erfuhr noch Folgendes: Volk ist natürl. wieder außer sich, daß er nicht nach Berlin mitgenommen wird. Er hätte allerlei Aktenmaterial Franz zum Mitnehmen empfohlen, worauf Franz zu einigen Anderen unwirsch gesagt haben soll: »Ich bin doch kein Möbelwagen! Und außerdem ist das ganz überflüssig. Es ist garnicht möglich, irgendetwas zu erklären. Man wird bestimmte Sachen gefragt u. muß blitzschnell antworten u. fängt man mit Erläuterungen an, dann heißt es: »Das interessiert uns nicht!« Und ehe man sichs versieht, ist man wieder draußen!« Der Gaupropagandaleiter hat heute früh antelephoniert u. mit Volk gesprochen. Die »vorläufige Kirchenregierung« (Bruderräte167) verschöben die Konfirmation am Wahltage nicht – wenigstens einige. Man wolle vor der Wahl nichts gegen sie tun, um die Stimmung nicht zu stören, aber man wolle die betr. Pfarrer feststellen. – Es ist lächerlich. Hier in Eisenach ist es Brakhage selbst gewesen, der die Verlegung der Konfirmation beantragt hat! Mittags zu O., der erzählte den ganzen Fall Röpsen168 u. den Stand der Sache Kaltenwesth.169 – Wolf-Metzels, Müller-Gera u. Schultze-Röpsen sind vorige Woche in Berlin beim K.A. u. Kirchenminist. gewesen. Der L.K.R. hat nämlich vor etwa 8 Tagen Schultze seines Amtes enthoben u. der kümmert sich nicht darum. Der L.K.R. hat einen Hilfspfr. hingeschickt u. der kriegt keine Wohnung dort. Der Obpfr. hat Einlaß ins Pfarrhaus verlangt u. man hat ihm nicht aufgemacht pp. Sowohl der K.A. wie das K.min. stehen auf d. Standpunkt, daß der L.K.R. die Disziplinierung nicht durchführen könne. In Gera hat der K.vorstand Müller sogar verboten, Bibelstunden im Gemeindehaus zu halten, was jeder evangel. Laie tun darf! (Müller ist ordiniert). Auch deswegen läuft eine Beschwerde. Was Kaltenwesth. betrifft, so hat der K.A. den L.K.R. »gebeten« (er kann offenbar nichts anders als »bitten«), durch einen der Bekenntnisfront nahestehenden Pfarrer die Bekenntniskonfirmanden in Kaltenwesth. in der dortigen Kirche konfirmieren zu lassen. Franz hat darauf eine ganz üble Antwort gegeben. Sie dürften in einer anderen Gemeinde konfirmiert werden, aber nur unter der Bedingung, daß sie vorher noch einige Konfirmandenstunden bei einem »ordentl.« Pfarrer gehabt hätten usw. Was nun dort werden soll, weiß man noch nicht.

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»Während die 1. Vorläufige Kirchenleitung unter Bischof Marahrens im November 1934 auf Grund einer Vereinbarung zwischen Reichsbruderrat und den Landesbischöfen der drei intakten lutherischen Kirchen Hannover, Bayern und Württemberg zustandegekommen war, handelte es sich bei der 2. Vorläufigen Leitung, die am 12. März 1936 ins Leben trat, um ein rein bekenntnissynodales Leitungsorgan, für dessen Zustandekommen lediglich der Reichsbruderrat zuständig war« (Meier, Kirchenkampf II, 105). Vgl. Biogrammme. Vgl. Schreiben des Leiters der LBG an Ludwig Stopfel Kaltenwestheim, in Abschrift an Pfarrer Wolf-Metzels, vom 24. März 1936, LKAE, LBG 41, 121. Zum Konfirmandenunterricht in Kaltenwestheim vgl. Tgb. 13. September 1935, 10. und 27. Januar 1936 und öfter.

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Donnerstag, d. 26.III.36. [26. März 1936] Die Sensation des heutigen Vormittags war die neue Nr. des »Reichswart«, in der Reventlow kurz bekannt gibt, daß er aus nationalsozialistischen u. aus religiösen Gründen aus der dtsch. Glaubensbewegung ausgeschieden sei! Allerlei. Ein Zeichen, daß sich da wirkl. etwas bewegt. Er wird seine Gründe erst in der nächsten Nr. sagen mit Rücksicht auf den 29. (Wahl).170 Inzwischen können wir raten. – Der Landesbischof soll vor Freude ganz aus dem Häuschen sein. Das sieht ihm ähnlich, ist aber nicht angebracht, denn »deshalb wird Reventlow noch nicht gleich Christ«, wie Erich Reichardt [E.] treffend bemerkte. Vielleicht geht er zu Ludendorff? Wir hörten Reventlow am Dienstag Abd. hier eine Wahlrede halten. Erstaunlich ungeschickt. Er ist ja überhaupt kein Redner. Franz soll schlechter Laune von der Berliner Reise zurück sein u. erzählt haben: »Wir haben so hin u. her geredet. Nichts von Belang.« O. sagte mir am Dienstag schon, daß sowohl der K.A. wie das Kirchenmin. der Ansicht seien, die Amtsentlassung von Schultze könne nicht auftrecht erhalten werden. (Vor etwa 10 Tagen ausgesprochen). »Times« v. 23. bringt die Mitteilg. von dem Zusammenschluß der Lutherischen innerhalb der Bek. Kirche und Herausstellen einer besonderen geistl. Leitung; Geschäftsführg. in Berlin: Lilje.171 O. hatte uns das neulich schon erzählt – ich glaube, nach der Bibelstunde vor 14 Tagen. Er hatte da übrigens ein Schreiben der V.K.L., NiemöllerRichtung172, erhalten, in dem ihm (ungefähr) geschrieben wurde: »Den Akten der V.K.L. entnehmen wir, daß Sie in Thüringen einen energischen Kampf … kämpfen …!« Das sei ein dickes Lob, sagte O., der darüber ganz erstaunt war! Sie forderten ihn auf, ihnen zu berichten, was der K.A. auf seine Beschwerden geantwortet habe, um sein Anliegen ihrerseits zu unterstützen! – Die haben also von unserem Kampf hier überhpt. nichts gewußt. Die Thür. Heimatbeilage der »Briefe …« bringt einen Artikel »Terror der Bekenntnisfront«, in dem E. O. mit Namen genannt u. angegriffen wird.173 Ganz unerhört. U.a. wird von einem Flugblatt der Bek.frt. gesprochen, das uns allen nicht bekannt war. Jetzt erzählt mir O., das Flugblatt sei in Danzig erschienen! Und das wird so erzählt, daß man annehmen muß, es sei in Thür. herausgekommen! Dem Kirchenrat O. [Otto R.] begegnete ich neulich. Er fiel beinahe um vor Erstaunen, daß Osterberg aus den D.Chr. ausgetreten ist. 170 171

172 173

Vgl. Graf Reventlow aus der Deutschen Glaubensbewegung ausgeschieden, JK 4 (1936), 337. Neben der 2. VKL, die im wesentlichen auf die Kirchengebiete der altpreußischen Union beschränkt blieb, wurde am 18. März 1936 in Leipzig ein »Rat der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands« (»Lutherrat«) gegründet. »Der Rat bestand aus den lutherischen Landesbischöfen D. Marahrens, D. Wurm, D. Meiser, sowie OKR Breit (München), Sup. Hahn (Dresden), P. Dr. Lilje (Berlin), P. Dr. Beste (Neubukow) und Pfarrer Ernst Otto (Eisenach). Seine ständige Vertretung oblag einem aus OKR Breit als dem Vorsitzenden sowie den Pastoren Lilje und Beste bestehenden Gremium. Ein Sekretariat wurde in Berlin errichtet« (Meier, Kirchenkampf II, 106); vgl. auch W. Künneth, Lutherische Neubesinnung!, JK 4 [1936], 369–375 und Ein Wort des Lutherischen Rates an die Gemeinden, JK 4 (1936), 383–384. Vgl. Tgb. 24. März 1936. Vgl. Anm. 158.

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Im übrigen sagte er, er wüßte nicht mehr, wo in Thüringen es überhaupt noch D.Chr. gäbe. Keiner wollte es gewesen sein! Den 1. April 36. [1. April 1936] Meine kirchenpolit. Erlebnisse sind auf einen Höhepunkt angelangt – u. gerade davon konnte ich in den letzt. Tagen nichts aufschreiben. Also: Am Freitg. nachm. Führerrede aus Essen. Am Sonnabd. mittag von 12 bis ½1 Betriebsappell u. Rede von Sasse. Das läßt sich nun wirklich nicht beschreiben! Man kann das Ereignis nur an den Wirkungen einigermaßen schildern. Frl. Sommer hat geheult, Therese machte in ihr Büro einen Umweg, um sich noch mit einer fühlenden Seele auszusprechen u. ich habe noch 2 Stunden später gezittert u. habe mich zu Hause vollkommen erschöpft vor Aufregung ins Bett gelegt. Den 9.4.36, (Gründonnerstg.) [9. April 1936] Am 1.4. kam ich nicht weiter. Abends kam Ruth. Am 2. war die 500-jähr. Gedenkfeier in Mihla. Ich hatte am 2. u. 3. Urlaub. Am 4., Sonnabend, hatte ich Dienst. Da stieg die Unterredung mit Sasse, von der ich noch ausführl. berichten werde (nachher Ruth auf d. Pflugensberg). Am Sonntg., den 5. Konfirmationen. Ich nachm. bei Ottos, Ruth in Mihla. Am Montag mein Geburtstg. Gedicht von Volk. Nachm. die Mihlaer hier. Dienstag Ruth u. ich in Wilhelmsthal. Dann Besuch bei Ottos. Mittwoch viele Besorgungen. Nachmittags um die Wartbg. Abds. Telephon. mit Volk, der mir ganz gegen meinen Willen heute noch Urlaub gab. Ich sollte nicht darüber sprechen. Rätselhafter Fall. – Heute früh brachte ich Ruth zur Bahn. Danach begegnete ich Bernewitz, der mir erzählte, daß oben auf dem Pflugensberg nichts los sei. Er habe neulich, am Sonnabend, als ich mit Sasse redete, ihm Geld bringen müssen, die Tür aber gleich zugemacht, als er uns sitzen sah. Frl. Sommer in der Zentrale hätte ihn dann gefragt: »Frau Begas ist beim Labi, brüllt er sehr?« »Im Gegenteil«, hätte er gesagt, »sie flüstern«. Also die Sache war so: Am Sonnabd. vor der Wahl, am 28. hielt Sasse eine Rede, um uns an unsere Wahlpflicht zu erinnern. Er tat ungefähr, als ob wir Kommunisten wären. Die ganze Rede war eine einzige Beleidigung. Ich hatte eine solche Wut hinterher, daß ich zu Helmrich sagte: »Ich wollte, ich hätte diesen Kerl hier u. könnte ihm mitten ins Gesicht schlagen.« Ich glaube, Helmrich war entsetzt. Aber ich verstehe die Männer nicht, die sich das gefallen lassen. Sasse konnte natürlich auch die Gelegenheit nicht vorbeigehen lassen, ohne die Bekenntnisfront in Grund und Boden zu verdammen. Er nannte sie nicht beim Namen aber es war alles ganz klar: »… diese Leute, die sich einbilden, sie täten ein heiliges Werk u. die doch nur die Kirche zerstören …« Bei allen Schilderungen der Rede u. ihrer Wertung fühlt man immer wieder, daß sie sich nicht schildern läßt. Es kann nur gesagt werden, daß schon Sasses Anblick aufregend war. Er zitterte am ganzen Leibe, lief violett an und brüllte wie ein Stier! Man hatte den Eindruck, der Mann endet noch einmal im Sanatorium. Und was einen so kaputt macht, ist das Gefühl, daß man sich nicht auf ihn stürzen darf, sondern alles hinnehmen muß, auch jede Beleidigung. Ich überlegte allen Ernstes, ob ich aufstehen u. erwidern sollte. Aber es wäre zu einfach für diese Männer, mit einer Frau fertig zu werden. Sie hätten immer alle Männer auf ihrer Seite, die aus Hilflosigkeit geschwiegen haben u. sich nicht gern von einer Frau beschämen lassen.

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Dieses Erlebnis fraß an mir. Der Wahltag ging vorüber u. brachte das erwartete Ergebnis. Ich hatte mir inzwischen ausgedacht, daß ich keine Rede von Sasse wieder mit anhören wollte – als eine Art von Protest u. in dem Gefühl, daß ich Beleidigungen der Bekenntnisfront nicht wieder ruhig würde mit anhören können. Ich würde aus der Halle gehen müssen – u. das wäre natürlich schlimmer, als wenn ich einfach fortbliebe. Dieser Entschluß festigte sich am Montag auf dem Weg zum Dienst, früh vor 7 Uhr. Auf der Turmtreppe traf ich Fritz, der zur Andacht eilte. »Ich streike heute,« sagte ich ihm, »ich habe noch genug vom Sonnabend. Ich höre mir keine Rede von Sasse wieder mit an.« Dann stand ich oben in meinem Zimmer friedlich am Fenster. Es dauerte bis kurz vor 8 Uhr, ehe ich hörte, daß die Andacht zu Ende war. Bald danach kam ( )c ganz verstört. – Ich hatte ihr einige Tage vorher gesagt, daß ich mich nicht wieder an meinen angestammten Platz vor Volks Arbeitszimmer neben sie stellen würde, da dort auch Volk steht u. ich beschlossen hatte, seit meiner letzten Unterredung mit ihm am Freitag vor der Wahl (27.3.) einen Bogen um ihn zu machen. (Das habe ich auch noch nicht aufgeschrieben.) Aus Anlaß eines Briefes von Thomas hatte ich eine Besprechg. mit Volk über einen Artikel im »Schwarzen Korps«. Wir entzweiten uns völlig. Da Volk das S. K. verteidigte, wozu er gar keine Ursache hatte. Zum Schluß schrie er, ich opponierte dauernd, man könne mit mir überhaupt nicht mehr übereinkommen. Das Letztere bestätigte ich ihm u. verließ daraufhin das Lokal. Das war, wie gesagt, am Freitag. In diesen Tagen der allgemeinen Nervosität wurde wirklich jedes Gespräch, jede Ansprache irgendwie zugespitzt. Also ( )c kam: »Frau Begas, waren Sie bei der Andacht?« – »Nein.«– »Gott sei Dank! Es war furchtbar! Sie wären nicht dabei geblieben, Sie hätten nicht dabei bleiben können! Ich horchte immer, ob ich nicht die Tür gehen hörte …« Sie schilderte überstürzt u. verwirrt, was Sasse bei dieser »Andacht« produziert hatte. Ich konnte es mir vorstellen, nachdem ich den Sonnabend erlebt hatte. Aber sie versicherte mir immer wieder, ich könne es mir nicht vorstellen. Es sei viel schlimmer gewesen als am Sonnabend. Sie war noch keine 5 Minuten fort, da kam ( )a. »Waren Sie bei der Andacht?« – »Nein. Absichtlich nicht.« – »Schade! Sie haben etwas versäumt! Es war furchtbar. Furchtbar! – Ich war nur gerade heute einmal dabei, sonst gehe ich ja nicht hin … Aber ich dachte: am Tage nach der Wahl … Also er hat gesagt: »Die Kirche ist tot. Tot. Ganz tot. Die Arbeiter seien treu gewesen, das hätte man bei dieser Wahl gesehen! Aber die Pfarrer … « Und dann hat er von den Bruderräten gesprochen, die der ihnen anhängenden Pfarrerschaft die Weisung gegeben hätten, die Konfirmationen nicht zu verschieben.174 So, als wäre das eine Sabotage der Wahl! Es ist von Einigen »Pfui!« gerufen worden. Das nennt man eine Andacht!! Sie können sichs nicht vorstellen … usw.« c c a 174

Strichzeichnung Frauenkopf mit Locken, steht für Hanna Linde, vgl. Übersicht Strichzeichnungen. Strichzeichnung Frauenkopf mit Locken, steht für Hanna Linde. Strichzeichnung Männerkopf, steht für Friedrich Bernewitz, vgl Übersicht Strichzeichnungen. Am 12. März hatte der RKA empfohlen, wegen der Reichstagswahl die an diesem Sonntag angesetzten Konfirmationen zu verschieben, was für innerkirchlichen Konfliktstoff sorgte. Politiker hatten die Befürchtung ausgesprochen, die Reisen von Angehörigen zu den Einsegnungen könnten negative Auswirkungen auf die Wahlbeteiligung haben. Dieser Empfehlung widersprach die

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Ich konnte mirs vorstellen. An Arbeiten war nicht mehr zu denken. Ich bekam Herzklopfen und suchte einen Anlaß durchs Haus zu gehen. Ganz unten beim Archiv traf ich ( )b. Er blieb stehen. »Sie haben etwas versäumt! Diese Ansprache heute war noch viel schlimmer, als die vom Sonnabend! Sonnabend war nichts dagegen …usw.« Beim wieder Hinaufgehen in mein Zimmer traf ich Therese. Sie blieb stehen u. sagte mir »Nein!« und rang die Hände. Wir sahen uns bloß an. – Nachher kam sie in mein Zimmer. Sie hatte u.a. festgestellt, daß Erich Reichardt [E.] unter den Pfui-Rufern war. Sonst wurden mir keine Namen genannt. Im Laufe des Tages sprach ich auch ( )b ausführlich, ich weiß nicht mehr, ob Vor- oder Nachmittags. ( )a kam noch einmal am Vormittag in mein Zimmer. Der Eindruck aller Schilderungen war so lebendig, daß ich mich schämte, durch d. Haus zu gehen. Es war ja klar, daß all die dummen jungen Leute unsereinen, weil er zur Bekenntnisfront gehört, jetzt nach dieser Stunde für Hochverräter halten. So wurde mir dann auch später erzählt, Frl. Pfeiffer hätte gesagt, eigentlich müßten doch alle Bekenntnisleute sofort entlassen werden u.s.f. Ungefähr um 10 Uhr früh faßte ich einen Plan. Ich entwarf ein Schreiben an Volk als den Personalchef, in dem ich anfragte, ob es als Bruch des Dienstgeheimnisses betrachtet werden würde, wenn ich dem Leiter der Bek.gemeinsch. von dem Inhalt der Sasse’schen Rede Mitteilung machte. Dann bat ich ( )b um eine Besprechg. in meinem Zimmer. Es war aus allen Mitteilungen hervorgegangen, daß Sasse die Bekenntnisleute bezichtigt hatte, an den »Nein«-Stimmen die Schuld zu tragen. Ich fragte ( )b also direkt, ob das auch sein Eindruck sei. Er bestätigte das ohne Rückhalt. Sasse habe das nicht direkt ausgesprochen, aber ohne Zweifel gemeint. Es könne gar kein Zweifel sein. Er habe die Bekenntnisleute oder die Bruderräte in einem Zusammenhang genannt, der das deutlich zum Ausdruck bringe. (Auch Therese betonte mit größter Entschiedenheit, daß in diesem Sinne an Sasses Ausführungen überhaupt kein Zweifel sein könne).

b b a b b

VKL II; einzelne Pfarrer weigerten sich, der staatlichen Forderung zu entsprechen; vgl. Besier, 237–438. Der Landeskirchenausschuss sowie die Provinzialkirchenausschüsse für die Evangel. Kirche der altpreußischen Union folgten der Empfehlung des RKA; vgl. GDEK 10/1936 vom 20. März 1936, 39. Der LKR der TheK legte den Kirchenvorständen »dringend« nahe, den Wahltag sowohl von der Prüfung als auch von der Feier der Konfirmation freizuhalten, LKAE, A 420, 175. Dieses Votum hatte der LKR auch an den Gauorganisationsleiter gesandt, der u.a. folgende Antwort gab, die der LKR zusammen mit seiner Empfehlung allen Pfarrern übermittelte: »Unsererseits haben wir den Landesbauernführer, den Landeshandwerksmeister und die Deutsche Arbeitsfront hiervon unterrichtet und diese gleichzeitig angewiesen, daß wegen des Dienstantritts der Lehrlinge, Jungarbeiter usw. auf die Lehrherrn bzw. Betriebsführer eingewirkt werde, den üblichen Antrittstag vom 1.4. auf den 8. April zu verlegen, damit die Pfarrer Gelegenheit haben, die Kinder noch vor Antritt ihrer Stellen zu konfirmieren« (ebd., 176). Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz, vgl. Übersicht Strichzeichnungen. Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz. Strichzeichnung Männerkopf, steht für Friedrich Bernewitz, vgl Übersicht Strichzeichnungen. Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz, vgl. Übersicht Strichzeichnungen Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz.

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Den 15.4., Mittwoch. [15. April 1936] ( )b hatte einige Bedenken gegen meine Absicht. Er selbst sei furchtbar behandelt worden – wie würden die Leute erst mit mir umspringen! Ich sagte, ich glaubte eigentlich, sie würden mit mir etwas sanfter umgehen, da ich eine Frau bin, also für diese Herren minderwertig. Mittags zu O. auch er hatte Bedenken. Er wolle mir Unannehmlichkeiten ersparen – ich dürfte nichts riskieren. Ich konnte aber tatsächl. nicht einsehen, daß ich etwas riskierte. Selbst wenn sie mich hätten entlassen wollen, wären sie m.E. beim K.Aussch. damit nicht durchgedrungen. Gott sei Dank hat man ja jetzt den K.A., um sich in solchen Fällen an ihn zu wenden. Aber ich folgte Ottos Rat, die Sache noch 1 Tag u. 1 Nacht zu überlegen. Inzwischen erweiterte sich mein Plan. Ich wurde ruhiger und fing die Sache dann gescheiter an, als ich erst wollte. Mittwoch vorm. bat ich um eine Unterredg. mit Volk. Erst erbat ich Urlaub für den 2., 3. u. 6. 4. u. bekam ihn. Danach fing ich an, etwas stockend u. mit Herzklopfen: Ich könnte es nicht ertragen, als Volksverräter vor den Kameraden gestempelt herumzulaufen. – Es ginge aber nicht nur um mich, sondern auch um die Gemeinschaft, der ich angehörte. Ich wüßte, daß die Vorwürfe grundlos seien u. hätte die Absicht, E. Otto als dem Leiter der Bek.gem. von dem Inhalt der Sasse’schen Reden Mitteilg. zu machen. Ob das als Bruch des Dienstgeheimnisses angesehen werden würde? Die Angestellten und Beamten sprächen ungehindert über die Sasse’schen Reden – ob ich der Einzige sein sollte, der darüber schweigen müßte? Das Letztere schlug durch. Volk versicherte mich seines vollen Verständnisses u. darüber hinaus seiner Hochachtung für meine berechtigten Gefühle. Aber ob ich nicht mit Sasse selbst sprechen wollte? Ich antwortete: natürlich gern, am liebsten sofort. (Da ich gerade im Zuge war). Also hin in Sasses Dienstzimmer. Leider stellte sich heraus, daß er verreist war. Volk war wirklich sehr nett. Stellte fest, daß uns leider die Kirchenpolitik getrennt hätte, wozu ich sehr nachdrücklich »jawohl« sagte. Als ich mich verabschiedete, sagte ich: »Ich danke Ihnen, Herr Kirchenrat, daß Sie mich wenigstens heute verstanden haben.« Das ging ihm ordentlich nahe. – Ich bat noch, die Besprechg. mit Sasse möglichst zu beschleunigen u. war ganz guten Mutes. – Verabredungsgemäß erschien zwischen 11 u. 12 Frl. v. Ranke, um sich zu erkundigen, wie die Sache ausgelaufen sei. »Sie haben Mut«, sagte sie entschieden, »wirklich«. Sie war aber etwas entsetzt, daß Volk nicht gleich die nötige Einwilligung gegeben hatte. Ich verstand diese Befürchtungen erst, als Otto sie auch äußerte u. zwar in folgender Form: »Ach das tut mir leid, daß Volk Sie auf dieses Eis gelockt hat.« Da wurde mir klar, daß es natürl. doch höchst fraglich war, was Sasse zu der Angelegenheit sagen würde. – Schließlich hatte ich eine richtige Angst, es könnten mir doch noch Steine in den Weg gelegt werden, u. kam schließl. zu dem Entschluß, Sasse nicht wie Volk zu fragen, sondern bloß mitzuteilen, daß ich Otto benachrichtigen würde u. das, was ich sagte, so einzurichten, daß eine Antwort nicht nötig sei. (Ehe ich mit Volk zum Sasse’schen Dienstzimmer aufbrach, hatte ich übrig. noch einmal betont, daß es mir in 1. Linie darum ginge, Otto Mitteilung zu machen, nicht nur Sasse zu sagen, daß seine Vorwürfe in Bezug auf mich selbst unberechtigt seien. Auf diesen Punkt war ich Volk gegenüber näml. eingegangen.) b

Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz.

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Donnerstg., d. 16.4. [16. April 1936] Von Mittwoch Mittag ab hatte ich Urlaub. Am Abend kam Ruth. Am nächsten Tag (2.4.) feierten wir in Mihla den 500. Gedenktag an den »Donnerstag nach Judica 1436«175. Freitag früh klingelte ich bei Volk an u. wurde auf Sonnabd. zur Besprechg. mit Sasse verwiesen, an dem ich ja Dienst hatte. (Hinterher hörte ich, Sasse sei von der Taufe bei Leffler am Donnerstg. sehr spät heimgekommen, hätte deshalb die Besprechg. mit mir, die für Freitag angesetzt war, wieder verschoben). Also Sonnabd. vormittag. ½ Fläschchen Eau de Cologne wurde zur Stärkung der Nerven verbraucht. Ab 9 Uhr suchte ich den großen Mann halbstündlich zu sprechen, aber er erschien erst gegen elf Uhr in seinem Zimmer. Volk ließ mich rufen. Rein mäßiges Herzklopfen, das gleich aufhörte, als er menschliche Töne anschlug. Er fing an – saß gegen d. Licht, sein Gesicht ein schwarzes Loch. Ich voll beleuchtet. »Herr Dr. Volk hat mir schon gesagt, weswegen Sie kommen. Ich habe natürlich nicht im entferntesten daran gedacht, daß jemand von der Bek.gem. unter meinen Zuhörern sein könnte …« Es war klar, Volk hatte die Sache so hingestellt, als ob ich mich persönl. rechtfertigen wollte. Drauf ich: Es kommt mir nicht in erster Linie darauf an, mich persönl. zu rechtfertigen, es geht mir auch um die Gemeinsch., der ich angehöre. Ich kam hauptsächlich zu Ihnen, Herr Landesbischof, [um] zu sagen, daß ich die Absicht habe, dem Leiter der Bekenntnisgemeinschaft von dem Inhalt Ihrer beiden Ansprachen Mitteilg. zu machen. Er antwortete nicht darauf, sondern fing an: »Ich will Ihnen erklären, warum ich so sehr erregt war. Ich hatte von d. Gauprop.leitg. die Nachricht bekommen, daß die Bruderräte auf die Pfr.schaft einwirkten, die Konfirmationen nicht zu verschieben. Hätte ich diese Nachricht nicht bekommen, dann hätte ich viell. nicht »mit dieser Schärfe gesprochen« usw. Darauf wagte ich zu sagen, ich begriffe nicht, warum das »so schlimm« sei. Man hätte höchstens der Konfirmation geschadet, nicht der Wahl, außerdem gäbe es kleine Dörfer, die um 11 Uhr mit der Wahl fertig gewesen seien, usw. Er blieb ruhig u. belehrte mich, es sei deshalb so schlimm, weil zu Konfirmationen viele Leute zu Besuch kämen u. manche hätten dann vergessen können, Wahlscheine zu besorgen, u. das hätte der Wahl geschadet, usw. Man muß schon die ganze Angst der Pg. um diese Wahl geteilt haben, um diese Begründung zu verstehen. Als ob alles von der Propaganda abhinge. Das ist wirklich sehr wenig von dem Glauben, den die Herren doch haben wollen. – Das sagte ich natürl. nicht, sondern nach der letzten Begründg. überhpt. nichts mehr. Schon vorher, ich glaube, schon ehe ich mit meinem Hauptanliegen herauskam, hatte ich festgestellt, daß Sasse gewußt hatte, daß ich zur Bek.gemeinsch. gehörte. »Jawohl, Herr Dr. Volk hat es mir gelegentl. gesagt.« Der einzige Punkt, an dem er etwas kurz und unwirsch war. Sonst war er wirklich sehr liebenswürdig. Vielleicht verdanke ich das Volk, der das Gespräch »vorbereiten« wollte, wie er sagte. Dann wurde es sehr interessant. Den Gang der Unterhaltung kann ich allerdings nicht mehr wiedergeben. Sasse sprach viel, ich hörte zu. Ich sagte mir, daß ich ja nicht gekommen sei, um mit ihm zu diskutieren u. daß mein Anliegen schon erledigt sei. Ich hätte fort gehen können 175

Bezieht sich auf das durch die v. Harstall in Mihla erbaute vordere / graue Schloss, eines der wenigen ganz aus Stein erbauten Herrenhäuser der Renaissance: vgl. Handbuch der historischen Stätten Deutschlands 9: Thüringen, Stuttgart 21989, 279 f. (ohne Jahresdatum).

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u. beschloß, das zu tun, sobald er einen Punkt machte. Zunächst verbreitete er sich aber eingehend über alles Mögliche, z.B. Karl Barth. Dazu sagte ich: »Wenn es theologisch wird, kann ich nicht mitreden. Ich habe keine Zeile von Barth gelesen. Man hat mir aber gesagt, daß er sehr Vieles angeregt hätte.« »Das ohne Zweifel …« So plätscherte das Gespräch. Plötzlich kam mirs merkwürdig vor, daß wir ganz einig waren. Es war bei der Feststellung, daß es heute um den alten Gegensatz zwischen Luthertum u. Calvinismus ginge. Da hielt ich es für nötig zu sagen: »Ich sehe allerdings auch, wo wir uns unterscheiden: Es ist eine verschiedene Auffassung vom Luthertum.« Er antwortete nicht, sondern sprach wieder von etwas anderem. U.a. von einem Briefwechsel zwischen Althaus u. Leffler, in dem A. Leffler bestätige, daß in dem Aufruf Zoellners an die Christen aller Völker176 deutschchristliche Gedanken seien. Er, A. [Althaus] , habe nächtelang über diesen Aufruf nicht schlafen können.177 Sasse las mir den Brief von Althaus wörtlich vor. Weiter sprach er über die Kirchenausschüsse u. erwähnte ein Schreiben eines Freundes aus Rothenbg. in Schlesien: Es seien drei theol. Prüfungsausschüsse vorhanden, u. die Kandidaten wüßten nicht, wohin sich wenden! Ich sagte nichts dazu. Das sind ja keine Nöte, wie wir sie durchkämpft haben. Sehr interessant u. aufschlußreich waren folgende Mitteillungen: 1.) Der Führer hätte am 7. oder 8.III. bei einer Gauleitertagung den Minister Kerrl »desavouiert«, indem er ihm gesagt hätte: »Mein lieber Kerrl, lassen Sie die Hände von dieser Institution (der Kirche), ich habe es Ihnen schon immer gesagt, daraus wird nichts mehr. Und ich will auch garnicht, daß noch etwas daraus wird!« Hier liegt der Schlüssel zu allen Rätseln von Sasses Ansprachen. Er hält den Augenblick für gekommen, die Schiffe hinter sich zu verbrennen! Das bestätigt weiter sein Hinweis darauf, daß der Führer in einer der Ansprachen vom 27. oder 28.III. die Wendung gebraucht habe »Ich als Reformator …«, obwohl er es in »Mein Kampf« noch zurückgewiesen hatte, Reformator zu sein.178 Hieraus hört Sasse ein Signal, einen Befehl. Den Weg in die Zukunft bestätigt ihm ein Schreiben Rosenbergs an Leffler, wonach von allen theolog. Richtungen (oder von der ganzen christl. Kirche) »nichts weiter übrig bleiben« würde als die Lefflerschen Ideen. Wenn man Jesus u. Hitler in eins setzt, dann kann man allerdings so sprechen, wie Sasse, z.B. sagte er, er könne sich eine deutsche Zukunft ohne die Bibel denken. Die christl. Hauptbegriffe seien durch die jahrhundertelange Erziehg. des dtsch. Volkes

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»Ohne daß zuvor eine solche Erklärung abgegeben worden war, erließ Zoellner am 20. März 1936 unter Bezugnahme auf Hitlers Rede vom 7. März einen Aufruf ›An die Christen aller Völker‹, in dem er Deutschland als ›festes Bollwerk‹ gegen den ›christusfeindlichen Bolschewismus‹ bezeichnete und Hitler wie den Nationalsozialismus, der ›in der Welt‹ mancherlei ›Mißdeutungen‹ erfahren habe, in diesen Kampf für Völkerfrieden und Christentum mit einreihte« (Besier, 435). Zum Text des Aufrufs vgl. GDEK 11/1936, Ausgabe B, vom 24. März 1936, 41–42. Nur das Schreiben von Professor D. Paul Althaus an Oberregierungsrat Leffler vom 27. März 1936 (LKAE, DC III 2f) war auffindbar. »Ihre [die Bewegung] Aufgabe ist nicht die einer religiösen Reformation, sondern die einer politischen Reorganisation unseres Volkes« (Hitler, Mein Kampf, 379); vgl. dazu auch Scholder I, 110–123.

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durch die Bibel »wesenhaft« in das deutsche Volkstum eingedrungen …« usw. Ich erlaubte mir zu sagen, daß man aber tatsächlich nicht wissen könnte, wohin dieses Experiment führen würde. Das Dasein eines Landesbischofs überhaupt wird überflüssig, wenn die Beziehg. des deutschen Volkes ohne die Bibel für einen Christen denkbar sein soll. Jedenfalls geht aus dieser Äußerung hervor, wie Sasse sich die Nationalkirche denkt. (Die Kandidaten haben die Ansprache vom Montg. d. 30.3. so aufgefaßt, als ob die Nat.kirche demnächst verkündet werden sollte u. einige haben sich schon bereit erklärt, dabei mitzumachen. Hohlwein hat erzählt, er sei nach der Ansprache zu Sasse gegangen u. habe ihn gefragt: »Du Martin, was soll ich denn nach dieser Ansprache überhaupt noch zu den Kandidaten sagen« (wenn die bestehende Kirche doch erledigt ist?!). Geradezu verblüffend ist ja die Tatsache, daß Sasse mir, die er garnicht kennt, alle diese Dinge erzählte. Die Äußerung des Führers weiterzugeben, halte ich direkt für staatsgefährlich. (»Stahn« im Kirchenministerium hätte Sasse diese Äußerung des Führers ausdrücklich bestätigt!). Dann erzählte er, wie er einmal 1931 bei einem Gauparteitag (?) einen Feldgottesdienst gehalten, an dem Hitler teilgenommen habe, wie der ihm hinterher gedankt u. über die Untauglichkeit der katholischen Kirche und die Kraft der protest. Kirche gesprochen habe. Zuletzt kamen wir auf die Glaubensbewegung, Reventlow, die Schulungen der Partei im antichristl. Sinn, den er garnicht leugnete.179 Er seufzte. Ich sagte, daß es sehr schwer im Volk empfunden würde, daß man über diese Dinge nicht reden dürfte. Er: »Ja, das will offenbar der Herr Reichspropagandaminister nicht.« Ich: »Dann darf man wohl sagen, daß der Herr Reichspropagandaminister in diesem Punkte das Volk nicht versteht.« Er gab es zu. Das hätte man mal 1933 sagen sollen! Endlich machte er tatsächlich einen Punkt u. ich stand sofort auf. »Ich danke für die Unterredung«. Draußen fragte ich Frl. Walter, wie lange die Unterredung gedauert hätte – eine Stunde. Inzwischen hatte die gute Frl. Sommer in der Zentrale, Bernewitz, der dem Labi Geld hatte bringen sollen, gefragt, ob man den Labi brüllen höre – ich sei bei ihm. Worauf Bernewitz, der die Tür schleunigst wieder zugemacht hatte, als er mich sitzen sah, geantwortet hat: »Im Gegenteil: Sie flüstern!« Ich sah mich nach Volk um, der war zerplatzt. Später aber ließ er mich rufen u. ich mußte berichten. Er wurde dann wieder sehr ungnädig u. schimpfte über die Pfarrer die »bloß aus Opposition«, ohne irgendwelche Gründe die Kanzelabkündigung Sasses zur Wahl nicht verlesen hätten. Wenn man ihm Gründe nennte, würde er sie anerkennen. Aber rein aus Widerspenstigkeit … Die Sache ist, daß die Gründe der Bek.pfr. für Volk keine Gründe sind. Ich konnte ihn nur damit beruhigen, daß ich sagte, ich stünde auf Kohlen, Ruth sei im Haus u. möchte auch bei ihm vorsprechen. Er bat mich dann noch ganz direkt u. dringend, ihm den Text

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Vgl. dazu Bericht über Studentenschulungen, Tgb. 4., 7. und 28. Dezember 1935, 4. und 12. Februar 1936. Vgl. auch Tgb. 22. Januar 1936.

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der Kanzelabkündigung der Bek.pfr.180 zu verschaffen; ich antwortete nicht u. denke natürl. garnicht daran. Den haben sie also nicht. d. 16.4., Donnerstg., nachm. Heute Mittag bei O., um den Brief an den K.Ausschuß u. an Zoellner persönl., den er auf meinen Bericht hin schreibt, durchzusehen. Er zeigte mir einen Brief von Kerrl, (rot gerändert, »Schnellbrief«, sehr wirkungsvolle Aufmachung), der ankündigt, daß jetzt die Neuordnung in Thür. losgeht.181 Zunächst seien Herr v. Detten und Stahn beauftragt, am nächst. Mittwoch u. Donnerstag (22. u. 23.) Vorbesprechungen zu eröffnen. Zunächst Einzelbesprechungen in Weimar, Hotel Erbprinz. Hoffentl. würden danach gemeinsame Besprechungen möglich sein. Otto ist für Mittwoch 12 Uhr in den »Erbprinz« gebeten und kann Andere mitbringen. Endlich ist es soweit!182 ( )a kam heute früh aus dem V.D. und erzählte, dort müßte eine ganz große Bombe geplatzt sein! Gestern sei Stüber im V.D. gewesen u. lange geblieben u. danach seien sie alle völlig zerschmettert. Er betont immer wieder, daß besonders Bauer [W.] u. Männel keine Spur von Haltung hätten und man ihnen ihre Stimmung sofort ansehen könne. Wir zerbrachen uns die Köpfe, was los sein könnte. Solche Mitteilungen aus dem V.D. waren immer richtig, stets kam hinterher die Aufklärung – diesmal erfolgte sie sehr prompt. Den 17.4., morg. [17. April 1936] Es ist also aus den vergangenen 2 Wochen noch nachzutragen, daß ich einen kühlen Tatsachenbericht gemacht u. Otto übermittelt habe. Gestern sollte er mit Begleitschreiben abgehen – der 1. Teil an den Kirchenausschuß. Da der K.A. die Gepflogenheit hat, Beschwerdebriefe in Abschrift dem Beklagten vorzulegen, wollte O. den 2. Teil mit dem Bericht über die Unterredg. mit Sasse nur an Zoellner privat schicken, mit dem Bemerken allerdings, daß er damit machen könne, was er wolle.183 Daß die Sache aktuell ist, sah ich an einem Briefwechsel, den ich gestern durchlesen konnte.184 Am 2.4. hat Pfr. Ahme-Teichel an Sasse geschrieben, er sei ein alter Bekannter von Stahn (K.min.) u. von ihm am 31. nach Berlin eingeladen worden. Dort 180 181

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a 183

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Gemeint ist wohl der Aufruf der LBG zur Reichstagswahl [nicht datiert], der den Gemeinden durch Kanzelabkündigung bekannt gegeben werden sollte; vgl. Tgb. 24. März 1936. Schreiben (Schnellbrief) Kerrls an Otto vom 15. April 1936, LKAE, LBG 56, 69, durch den zu der genannten Besprechung in Weimar eingeladen wird. Zu den Bemühungen Kerrls, in Thüringen einen Landeskirchenausschuss einzurichten vgl. Meier, Kirchenkampf II, 115–116. 344–345. Die LBG vertrat dabei den Standpunkt, dass der Ausschuss eingerichtet werden solle; allerdings wurde jedwede Zusammenarbeit mit den Männern der derzeitigen Kirchenleitung völlig ausgeschlossen (aus den vertraulichen geschäftlichen Mitteilungen der LBG [Bauer-Gotha], undatiert, LKAE, LBG 56, 70). Strichzeichnung Männerkopf, steht für Friedrich Bernewitz, vgl. Übersicht Strichzeichnungen. (1) Schreiben des Leiters der LBG an den Minister für die kirchlichen Angelegenheiten und an den RKA vom 16. April 1936, der den 1. Teil des Berichts von Marie Begas enthält (»Anlage«), LKAE, LBG 30, 229–230. (2) Schreiben des Leiters der LBG an Generalsuperintendent D. Zoellner vom 16. April 1936, das den 2. Teil des Berichts der Marie Begas enthält, LKAE, LBG 30, 227. (3) Schreiben des Leiters der LBG an Konsistorialrat Ranke vom 17. April 1936, LKAE, LBG 30, 223. Dieser Briefwechsel war nur z.T. noch auffindbar. Die Personalakte Ahme wurde 1938 abgegeben bei dessen Wechsel nach Berlin-Brandenburg.

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stundenlange Besprechungen, von denen er Sasse am liebsten mündl. unterrichten wolle. Der ganze Brief läßt erkennen, daß A. [Ahme] treuer u. ergebener D.Chr. ist. Danach hat, wie man mir sagte, eine Besprechg. zwischen A. [Ahme] u. S. [Stahn] stattgefunden. Am 6.4. schreibt S. [Sasse] zwei Briefe. Einen an Marschler185, in dem er ihm ein Zusammentreffen am 20.4. im Beisein von Leffler vorschlägt zur Besprechung der kirchlichen Dinge in Thüringen. Den 2. an Stahn186, in dem er mitteilt: Grundsätzlich sei er mit d. Vorschlag einverstanden, eine gemeinsame Besprechung mit den »Bekenntnisleuten« unter dem Vorsitz des Kirchenministeriums zu haben, wie Ahme ihm im Auftrag von Stahn u. v. Detten (nicht wörtlich so) vorgeschlagen habe. Er bäte aber dringend, diese Besprechung nur im Beisein des Ministers Kerrl u. des Reichsstatthalters Sauckel oder dessen Vertreters stattfinden zu lassen, da in Thür. die kirchlichen Dinge ganz eng mit den politischen verquickt seien. Es seien politische Unruhen im Gau zu befürchten (!!!), wenn die kirchlichen Dinge neu geregelt werden sollten!! Das steigt ja nun auf Bäume. Da sieht man, wie der Hase läuft. Denen gegenüber muß man sagen, es ist die höchste Zeit, daß die ständige politische Verhetzung der Bevölkerung durch die D.Chr. in Thür. endlich aufhört. Man braucht nur an Mihla u. den »verprügelten S.A.-Mann« zu denken, der sowohl in den vertraulichen Briefen an Mitarbeiter wie auf Kursen in Friedrichroda eine Rolle gespielt hat, an die jüngste Rede von Sasse u. Anderes u. dann die Tatsache, daß gerade die Bekenntnisgemeinden in Thüringen wie Kaltenwestheim mit Mittelhausen u. Reichenhausen, Metzels u. andere bei der letzten Wahl 100-prozentig für Hitler gestimmt haben, um zu wissen, daß die Behauptg. von Sasse Lüge ist. Nachzutragen ist noch, daß gleich nach der Wahl Bauer-Gotha [G.] in Vertretung von Otto in Berlin zu einer Besprechung des »Luth. Rates«187 war, zu der auch Zoellner erschien. Zoellner soll verlangt haben, die »Lutherischen« sollten sich von der Bekenntniskirche trennen u. sich »endlich« hinter den KA stellen. Sie, die Reichskirchenausschüsse könnten sonst nicht mehr weiter und müßten ihren Auftrag an Kerrl zurückgeben! (Dieser Bericht ist uns allen furchtbar in die Glieder gefahren. Aber ich halte es für unmöglich, daß wir aus der Bek. K. austreten. Danach ist B. [Bauer G.] noch zu einer Besprechg. bei Zoellner gewesen; und der hat ihn gefragt, ob man die Thür. Gemeinden optieren lassen könne – also für die D.Chr. oder eine lutherische Kirchenführg. Das hat Bauer [G.] verneint. Die Gemeinden sind völlig falsch orientiert und kennen überhaupt die Vorgänge nicht. – Dann hat Zoellner gefragt, ob man die Pfarrer optieren lassen könne. Das hält Otto für möglich. – Zoellner hat gesagt, man strebe in Thüringen 185 186

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Schreiben des Landesbischofs der TheK an Ministerpräsident Marschler vom 6. April 1936, LKAE, A 851, 29. Schreiben nicht auffindbar; vgl. aber das Schreiben des Reichs- und Preußischen Ministeriums für die kirchlichen Angelegenheiten an den Landesbischof der TheK vom 7. April 1936, LKAE, A 851, 29a. Zum angekündigten Gespräch zwischen den verschiedenen kirchenpolitischen Gruppen wurde zum 22. und 23. nach Weimar eingeladen. Drei Schreiben zur kirchlichen Lage in Thüringen vom April 1936, LKAE, A 851, 30. 31. 45. Zur Gründung des Rates der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (Lutherrat) im März 1936 (erste Sitzung am 18.März in Leipzig) vgl. Besier, 439–441; diesem Gremium gehörte auch Ernst Otto an. Der am 25. August 1934 gegründete Lutherische Rat wurde Mitte Juli 1936 aufgelöst.

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eine radikale Lösung an; zunächst aber müsse eine »vorläufige« Platz greifen! Ich glaube, ich schrieb früher schon, daß der Gedanke eine Rolle spielt, die »Thüringer« eine »Nationalkirche« errichten zu lassen, und eine lutherische Kirchenregierg. innerhalb der dtsch. ev. Kirche [DEK] daneben. Otto sagte gestern wieder, das sei die beste Lösung. Hier im Haus wird immer wieder daran erinnert, daß Sauckel gesagt hätte, er würde aus der Kirche austreten, wenn die D.Chr. in Thüringen abgesetzt würden. Man hält das offenbar für ein durchschlagendes Argument zugunsten der D.Chr. Sauckel ist offenbar der einzige Halt, den unsere Machthaber noch haben. Gestern Abend sollte Jansa eine Versammlung in Mihla halten. Dazu sind an die Mitglieder besondere Briefe geschrieben worden, sie sollten kommen, jetzt, wo die Bewegung außerhalb von Thüringen so machtvoll fortschreite.188 Dieser Brief ist aber nur 16 mal abgeschrieben worden. So viele Mitglieder haben sie in Mihla bloß. Die machtvollen Fortschritte bestehen u.a. wohl darin, daß sie sich die Thüringer D.Chr., wie bis jetzt lediglich das »Protestantenblatt« gemeldet hat, mit der »Bewegung« von Hossenfelder (!) u. Bischof Weidemann-Bremen zu einem sogenannten »Kampfring« zusammengeschlossen haben, in dem aber jeder der 3 mit seinen Leuten eine selbständige Gruppe bildet!189 Aber nicht einmal die neueste Nr. der »Briefe« teilt etwas davon mit! Und nun gilt es noch nachzutragen, was für wichtige Dinge inzwischen in der »Glaubensbewegung« vor sich gegangen sind. Reventlows lange Erklärg., im »Reichswart« vom 4. April Folge 14 veröffentlicht, war überraschend u. sympathisch.190 Hauptbeweggrund ist für ihn – wie er behauptet – daß er den Kampf »gegen das Christentum in der Form, wie ihn der »Durchbruch« und der »Blitz« führen, nicht mitmachen will. Die »Glaubensbewegg.« habe keinen eigentlichen Inhalt, sondern lebe von der Negation. Damit höre sie auf, eine religiöse Bewegung zu sein.

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Diese Bemerkung bezieht sich auf den Versuch der KDC, sich über die Grenzen der TheK hinaus auszubreiten und so allmählich eine Nationalkirche zu entwickeln; vgl. Tgb. 20. Januar 1934, 15. Juni 1934 u.öfter. »Das Neueste ist hier die folgende Erklärung: ›Die Leiter der drei Bewegungen der DC., Leffler (Kirchenbewegung Deutsche Christen – Nationalkirchliche Bewegung), Hossenfelder (Kampfund Glaubensbewegung DC. – Hossenfelder-Bewegung), Weidemann (Die Christus bekennende Reichskirche-Bewegung Deutsche Christen) haben sich unbeschadet der organisatorischen Selbständigkeit ihrer Bewegungen zu einer Kameradschaft zusammengeschlossen. Ein Führering ist aus den Leitern obengenannter drei Bewegungen und weiteren Kameraden geschaffen. Die Pfarrer der drei Bewegungen bilden die deutsche Pfarrerkameradschaft. Geistliche, die den drei Bewegungen noch nicht angehören, werden aufgefordert, sich durch Anmeldung bei einem der drei Leiter anzuschließen. Damit ist die Einigung der DC. in einem Maße vollzogen, daß die noch Abseitsstehenden sich diesem Einigungswerke nicht mehr lange werden verschließen können. Berlin, den 24. April 1936. gez. Leffler, Hossenfelder, Weidemann‹« (Protestantenblatt 69 [1936], 221–222; vgl. auch Meier, Deutsche Christen, 145). Vgl. Graf Reventlows Austritt aus der Deutschen Glaubensbewegung, JK 4 (1936), 390–393. Vgl. Tgb. 26. März 1936.

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Kaum hatte man sich von dieser Sensation erholt, da folgte eine zweite. Im »Reichswart« vom 11.4. (Folge 15) erklärte Hauer, daß er die Leitung der D.G. [DGB] niederlege (er bleibt aber wohl darin), aus denselben Gründen, aus denen Reventlow austrat!191 Ausführlich sagt er darüber noch nichts. In derselben Nummer wird mitgeteilt, daß Gustav Frenssen nicht in die D. Gl. eingetreten sei aus denselben Gründen, aus denen Reventlow ausgetreten sei.192 In der gleichen Nummer veröffentlicht Reventlow eine anonyme Zuschrift, die er bekommen hat und die folgendermaßen lautet: »Endlich hast Du Dich entpuppt, Jesuitenschwein!« Diese Zuschrift u. einige beiläufige Bemerkungen Reventl. lassen einen Schluß zu auf die Zustände u. das Ringen innerhalb der D. Gl. Und wir haben davon nichts gemerkt – so wenig, wie der Kirche Fernstehende auch, soweit sie ihr angehören, von dem Kampf innerhalb der Kirche etwas merken. Volksgemeinschaft. Hoffentl. gibt es überhaupt Leute, die übersehen, was eigentlich vorgeht. Donnerstg. [Dienstag?], d. 21.4., morgens. [21. April 1936] Gestern Abd. bei O. Er sagte mir beim Weggehen: »Ich kann fast nicht mehr! Nicht der Kampf mit den D.Chr. macht mich kaputt, sondern die eigenen Leute.« Pfr. WernerKosma habe eine eigene radikale Arbeitsgemeinschaft gebildet (Richtg. Niemöller), in Jena hätten sich 20 Frauen ebenfalls zur radikalen Richtg. abgesplittert. Gollwitzer [Helmut] hätte 5 Seiten eng mit Schreibmaschine geschrieben, die müßte er beantworten, usw. Er arbeitet bis zum Zusammenbrechen – die Leute sind es ja nicht wert, daß so ein solcher Mann ihretwegen zugrunde geht. – Und: Simultaneum!193 D. Otto [R.]! Es ist eben kurz vor 9 Uhr und schon 2 Sensationen. Erst kam Btz.: Frl. Sommer hätte gesagt Rosenberg wäre von seinem Posten zurückgetreten! Vorläufig glaube ich es nicht. Gestern erzählte er bereits, Schirach hätte so merkwürdig sanfte Töne am Vorabend des Führergeburtstags am Radio geredet. »Wir bitten die Eltern um Vertrauen … usw. Und sehr viel vom »lieben Herrgott« oder so. Geschlossen hätte er mit: »Gott helfe mir. Amen!« Das sollte er lieber nicht tun. Die zweite Sensation war ganz groß. Ich kann sie nur andeuten. Sasse fährt nicht zur Besprechung mit Stahn-v. Detten nach Weimar! Pfr. Korn-Dienstädt [Koehn!], Apotheker Bruno Weber-Kranichfeld, Pfr. Bauer [G.], Brief gesucht, nicht eingetragen! Unten wird heute Mittag die Oberpfarrerkonferenz beginnen. Interview Ludw. Müller in Heft 8 d. JK!194 (Dazu der »Temps« v. 17.4.). ¼ nach 11! 3. Sensation. Die Besprechg. mit Stahn u. v. Detten morgen in Weimar ist abgesagt! Sasse ist heute früh nach Weimar gefahren. Als er eine halbe Stunde weg war, kam ein Telefongespräch des Reichsstatthalters, er brauche nicht zu kommen. 191 192 193 194

Professor Hauer vom Vorsitz der Deutschen Glaubensbewegung zurückgetreten, JK 4 (1936), 393–395. Kurze Nachrichten, JK 4 (1936), 404. In der Ära der Kirchenausschüsse wurde unter dem Begriff Simultaneum die Teilung der geistlichen Leitung einer Kirche zwischen DC und anderen kirchenpolitischen Gruppen diskutiert. Otto Dibelius, Zwei Bücher I. Frenssens Abschied vom Christentum. II. Ludwig Müller verdeutscht die Bergpredigt, JK 4 (1936), H. 7, 311–321. Zur Schrift Müllers vgl. das Literaturverzeichnis. Zur Analyse der Schrift und ihrer Wirkung im Kirchenkampf vgl. Schneider, Reichsbischof Ludwig Müller, 250–273.

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Kurz danach ein Telephongespräch aus Berlin, »Stahn« am Telephon. Da Sasse nicht da war, ging d. Gespräch zu Franz (Volk war nicht da). Danach wurde Sasse bei Leffler angerufen. Eine andere Quelle hatte gehört, daß d. Besprechg. abgesagt sei. Mittwoch, d. 22.4. [22. April 1936] Gestern Abend noch eine Sensation. Es ist gar nicht wahr, daß die Besprechg. mit Stahn u. v. Detten abgesetzt ist! F. [Franz] hat V. Bericht erstattet. Stahn hat gesagt, er habe den Brief von Sasse bekommen. »Sasse hat selbstverständlich zu kommen … Bagatelle …« F. hat besonders betont, daß St. keineswegs »Landesbischof«, sondern immer »Sasse« gesagt hätte. S. [Sasse] hatte an das Kirchenministerium geschrieben195, ein Pfr. Baer hätte mitgeteilt, Pfr. Koehn-Dienstedt erzählte im Kirchenkreis, er sei Studienfreund von Kerrl und der habe ihm kürzl. gesagt, es würde bald zu Ende sein mit der Herrschaft der D.Chr. in Thüringen! Sasse teilte gleichzeitig mit, er würde nicht eher zur Besprechg. kommen, bis diese Sache bereinigt sei. Auch die Mitglieder des L.K.R. würden nicht kommen. Diesen Brief hat er vorgestern aus Weimar abgeschickt. Es ist nicht anzunehmen, daß Sauckel u. Marschler, mit denen er am Montag früh eine Besprechg. hatte, ihn dazu ermuntert haben. Das wird vielmehr Leffler getan haben, mit dem er danach noch gesprochen hat. Dieser Brief ist so blödsinnig, dämlich, daß man es kaum für möglich hält. Heute früh ist Sasse mit Franz abgefahren. Stüber führt den Vorsitz in der Oberpfarrerkonferenz. (Was wird Volk sagen, der immer noch darauf pocht, daß er Stellvertreter des L.B. ist u. lediglich Reichardt [E.] dafür verantwortlich macht, daß dies nicht mehr respektiert wird.) ( )a erzählte mir, man merkte, daß ein Druck auf der Versammlung liege. Es sei alles sehr still. Sonst war immer ein fröhliches, lautes Begrüßen beim Kommen in der kleinen Halle. Jetzt würde leise getuschelt; hier stünden 2 zusammen u. steckten die Köpfe zusammen u. dort wieder 2. – Gestern Abend wurde nach der Einleitungsrede von Sasse folgender Satz eines Oberpfarrers vernommen: »Wir haben uns alle Mühe gegeben, aber diese Zustände können wir nicht mehr mitmachen …« Dazu sagt Phieler, der hinter der Türe lauscht: »Ja, ja, das mag sich der L.K.R. nur hinter die Ohren schreiben.« ( )c fragt ihn: »Glauben Sie, daß das alles D.Chr. sind?« Darauf Phieler: »Die kleinere Hälfte.« Phieler, der Konjunkturritter!, der einmal gesagt hat, daß. E. Otto Leutheuser ja nicht das Wasser reichen könnte, der D.Chr. wurde, »damit aus der Sache was Vernünftiges wird« (v. Jagow). Ich ging abends noch zu Otto. Da schienen viele Männer den Tag über schon dagewesen zu sein! O. sagte, er hätte mit Wessinger gesprochen, der offenbar den B.d.M.

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Schreiben nicht auffindbar; vgl. aber den Entwurf eines Schreibens von Landesbischof Sasse in gleicher Angelegenheit an die Oberpfarrer vom 30. Mai 1936, LKAE, A 851, 69. Strichzeichnung Männerkopf, steht für Friedrich Bernewitz, vgl. Übersicht Strichzeichnungen. Strichzeichnung Frauenkopf mit Locken, steht für Hanna Linde, vgl. ebenda.

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(Bund der Mitte196) führt (mit Elle-Jena). Es sei ein klägliches Häuflein. Aber sie seien mit den Bek.leuten darin einig, daß sie »mit Keinem von da oben« in einen Ausschuß gehen würden. – Einer hätte gesagt: »Na, schließlich, wenn es gar nicht anders geht, müßten wir eben einen schicken.« Er, O., hätte aber gesagt, das käme für die Bek.leute nicht in Frage. – Am Freitag früh hat O. mit dem K.Rat Otto [R.] gesprochen. Der wäre vollständig einig mit ihm u. würde mit keinem D.Chr. in einen Ausschuß gehen. O. deutete mir dann an, daß möglicherweise, wahrscheinlich sogar, D. Otto die Leitung einer lutherischen Kirche in Thüringen bekommen würde. Breit hätte ihm streng vertraulich mitgeteilt, daß man, wenn nichts anderes übrig bliebe, an ein Simultaneum197 dächte, nämlich eine Teilung der geistlichen Leitung, falls es nicht gelingen würde, die D.Chr. ganz loszuwerden. Man rechnet doch offenbar mit starkem Widerstand von Sauckel. Ich halte es doch für möglich, daß wir sie loswerden, wenn die Neutralen u. ein Teil der D.Chr. sich dann D. Ottos [Otto R.] Leitung unterstellen würden. Deshalb kann Ernst Otto eine solche Leitung nicht haben – er will sie auch gar nicht – weil er »abgestempelt« wäre. Da würden die Neutralen nicht mitmachen. Er sagte mir am Freitag Abend wieder lächelnd – »Ich kann fast nicht mehr.« (Körperlich. Die Herzgeschichte.) Es wäre furchtbar, wenn er an diesem Streit zugrunde ginge. Jetzt würden doch die Menschen noch ganz anders auf ihn hören als früher. D. Otto [R.] ist gar zu deutlich »alte Kirche«. Das ist nicht das Richtige. Aber vielleicht muß auch diese Prüfung überstanden werden. Gestern Mittg. bekam ich einen Brief von Thomas, der nach allem, was ich mit ihm erlebt habe, typisch ist. Er hat sich nach allen Mitteilungen, die er erhalten hat (wozu die meinen eine wertvolle Ergänzung gewesen seien) davon überzeugt, daß es für Thüringen nur eine radikale Lösung geben könnte! Interessiert sich besonders fürs das Pred.sem., worüber ich ihm schleunigst noch Einiges schrieb, weil er »noch in dieser Woche« mit D. Eger zusammentreffen würde. (O. hatte gehört, Thomas wäre – auf Egers Vermittlung hin – auch nach Weimar eingeladen worden.)198 Übrigens ist die »radikale« Lösung der Grund, warum wir in Thür. zuletzt dran kommen. Das darf kein Präzedenzfall werden. Für Rheinland-Westfalen z.B. hat der Minister das Simultaneum abgelehnt. Auf der Tagesordnung der Oberpfarrerkonferenz stand als Punkt 1: Das Dienststrafverfahren gegen Ernst Otto wegen »Anmaßung kirchenregimentlicher Befugnisse«, 196

197 198

Kern und Keimzelle der sogen. »Mitte« war die Finsterberger Arbeitsgemeinschaft, wo man zunächst keine Notwendigkeit sah, sich als kirchenpolitische Gruppe zu formieren. Ab 1935 mehrten sich jedoch die Stimmen, man müsse in der zunehmenden innerkirchlichen Auseinandersetzung eine eigene Position beziehen und zur Geltung bringen. So entstand die Bezeichnung »Pfarrer der Mitte«. Wessinger war neben Ziegner und anderen einer der Initiatoren und fungierte schließlich als Geschäftsführer; Elle war Kassenwart. Die geistige Führung hatte weiterhin Ziegner. Die Gruppe umfasste 1936 bereits 150 Mitglieder, darunter auch einige Oberpfarrer. »Klägliches Häuflein« ist eine recht abfällige Interpretation von Otto oder Begas, die einfach den Tatsachen nicht entspricht. Vgl. Stegmann, 61–63. Vgl. oben Anm. 193. Gemeint ist die Besprechung des Kirchenministeriums mit den kirchenpolitischen Gruppen in Thüringen zur Neuordnung der kirchlichenVerhältnisse bzw. der Einsetzung eines Landeskirchenausschusses; vgl. Tgb. 16. April 1936.

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weil näml. die Bekenntnispfr. anstelle der Sammlg. für das Hainsteinwerk199 s.Zt. eine andere Sammlung gleichzeitig – zur Auswahl für die Kirchenbesucher – gehalten hatten. Heute früh wurde mir ganz vertraulich zugeflüstert, daß Sauckel schon vor einiger Zeit Sasse eine »Brigade« (SA) angeboten hätte! Das ließe drauf schließen, daß Sauckel selbst daran denkt, daß die Brüder abbauen müssen u. daß der ganze Widerstand nicht ganz ernst zu nehmen ist. Quelle: ein alter Kämpfer – derselbe, der schon einmal einen sensationellen Ausspruch des Führers (»Ihr Brummochsen …!«) gehört hatte. Wichtig scheint mir eine Anordnung von Rust, daß die Lehrer sich nicht an Arbeitsgemeinschaften, die die religiösen Fragen behandeln, beteiligen dürfen. Das läßt doch tatsächlich, mit den Vorgängen innerhalb der D. Gl., auf eine Kursänderung schließen. Ich habe dem Staatsanwalt Klinckhardt über Fritz die verschiedenen Erklärungen Reventlow-Hauer-Frenssen-Kerrl zu den Studenten über Achtung religiöser Überzeugungen – verschafft, da er sie in seinem Plädoyer verwenden will. halb 1 Uhr. Punkt 12 Uhr überfiel michs: Jetzt kommt E. dran!200 Frl. … saß bei mir u. wollte mir die sehr geheimnisvolle Geschichte mit der Brigade erzählen, die ihr derselbe Mann, der sie mir vor 1 Stunde unter der Bedingung erzählt hat, daß sie sie mir nicht erzählte! Unten im »weißen« Saal standen die Überreste des Frühstücks der Ob.pfr. Herrliche Brötchen u. Kakao. Während ich schlemmte, erzählte mir Frau S. [Sasse K.], daß am 24. hier ein Versöhnungsabend zwischen den Regierungsräten und dem V.D. steigen sollte. Dazu eine Geschichte von Arnold: Er hat Brauer u. Hohlwein mit Frauen zu einem Krebsessen gefahren. Danach hat ihm Brauer zugemutet, aufzuschreiben, daß sie zu einem »Gemeindeabend« führen. Er hätte d. ganze Nacht nicht darüber schlafen können. Er hätte dann Brauer gesagt, er täte es nicht, und er wolle zu Volk gehen und es ihm sagen!!!!!! Hartmann hat ( )c von diesem Versöhnungsabend erzählt. »Sehen Sie Frl. … Das hat doch gar keinen Zweck …« Dann wurden sie unterbrochen. Ich muß ( )b noch einmal darüber sprechen. D. 23.4., Donnerstg. [23. April 1936] ( )b sagte, die Referenten hätten dem Labi in einer Zuschrift gedankt, daß er bemüht sei, die Differenzen zu ordnen, ein »geselliges Zusammensein« würde aber ihrer Ansicht nach, diesem Zweck nicht dienen pp. Seitdem hätten sie nichts mehr gehört. Opfr. Schaumburg-Ritschenhausen hat ihm von seinen Erlebnissen, die ich schon einmal notierte erzählt. Er ist Neutraler. Daß er, sich ständig mit O. bespricht u. von 199 200

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Zum »Hainsteinwerk« vgl. Tgb. 26. Juni 1934 und 8. Juli 1934. Gemeint ist die Besprechung des Kirchenministeriums mit den kirchenpolitischen Gruppen in Thüringen zur Neuordnung der kirchlichenVerhältnisse bzw. der Einsetzung eines Landeskirchenausschusses; vgl. Tgb. 16. April 1936. Strichzeichnung Frauenkopf mit Locken, steht für Hanna Linde, vgl. Übersicht Strichzeichnungen. Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz, vgl. ebenda. Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz, vgl. ebenda.

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ihm beeinflußt wird, hat er natürl. nicht gesagt. Die Angelegenheit beschäftige schon den KA. Sehr tüchtig von Schaumburg. Weiter gestern u. heute erfahren: Gestern Vorm. hat der L.K.R. versucht, eine Vertrauenserklärg. der Oberpfr. für Sasse zu erreichen. Es hat sich Widerspruch erhoben. Man habe stundenlang debattiert. Volk hätte eine fulminante Rede gehalten u. Sasse »in den Himmel gehoben«. Ergebnis: Unter ein Telegramm, das Sasse »in Vertrauen u. Treue grüßt«, haben 10 Obpfr. ihre Namen nicht gesetzt.201 Reuter-Greiz war schon abgereist, die Stellen von Bohnsack u. Günther-Ronnebg und sind noch nicht besetzt. Etwa 6 haben nachträglich unterschrieben, ursprüngl. waren es also noch mehr Ablehnungen. Ich habe die Liste. Schade, daß es nicht mehr waren. – Immerhin: ein 1. Einbruch. Eben das Neueste: Der Labi angerufen aus Weimar von König, muß sofort hin. Eben abgesaust. Dazu: Voranmeldung (telefon.) aus Schwerin; hat er nicht abwarten können. Heute früh hat Böttcher von Frl. Sommer befragt, geäußert: »Sein (Sasses) böses Gesicht sagt mir genug.« Seit heute früh halb 10 Uhr sitzt der L.K.R. in Sasses Zimmer. Sie flüstern. Man hat nur einmal das Wiehern von Volk gehört. Der üble Schmidt-Gera [K.] erzählte gestern äußerst wichtig, daß er abends um 6 schon in Hamm sein müßte zu einem Vortrag.202 Den setzen sie also dort an, weil er aus sr. kirchl. Vergangenheit die religiöse Sprache der Wuppertaler beherrscht. Als Charakter ist Schmidt erledigt, in Thüringen zu bekannt. Aus den Zeitschriften: Kerrl veranlaßt (oder bittet) um Aufhebung aller Polizeimaßnahmen gegen Geistliche, einschließl. Redeverbote u. Aufenthaltsverbote aus Anlaß des Wahlergebnisses. Er zieht also die umgekehrte Schlußfolgerung aus dem Wahlergebnis wie Sasse. – Rehm hatte vor Ostern einen neuen, kirchenpolit. Aufruf angebl. »zur Befriedg. der Kirche« erlassen; es war eindeutig Kampfruf gegen die Bek. K. Auf Wunsch von Kerrl stellt er jetzt, wie er bekannt gibt, seine Unterschriftensammlg. ein. Das »Schwarze Korps« bespricht den Austritt Reventlows u. Vorsitz niederlegg. Hauers pp im Sinne von Reventlow.203 Nun ist ganz klar, daß eine Entscheidg. von oben dahinter steckt. Aber das beweist ja auch, daß die wahre Meinung dieser Kreise nicht dahinter steht – die haben vielleicht überhaupt keine »Religion« mehr – auch keine deutsche. Wahrscheinlich strömt der Rest zu Ludendorff. 23.4., nachm., Donnerstg. Das Telefongespräch aus Schwerin ist gekommen, als Sasse eben im Auto abgesaust war. Franz u. Lehmann sind hinterher gelaufen, haben es natürl. nicht mehr bekommen u. sind mit entsetzten Gesichtern zurückgekommen. Schwerin hat noch nie hierher telefoniert. Vielleicht hat das Ministerium – da die Lage in Schwerin in Vielem der unseren gleicht – an denselben Tagen Besprechungen dort angesetzt u. man will sich deswegen verständigen?

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Vgl. Protokoll der Oberpfarrerkonferenz am 21. und 22. April 1936 (Auszug), LKAE, A 190, 13. Es dürfte sich wieder um eine Werbeveranstaltung für die nationalkirchliche Idee der KDC in außerthüringischen Gebieten handeln; vgl. Tgb. 4. Januar 1936, mit weiteren Hinweisen in einer zugehörigen Fußnote. Vgl. Tgb. 26. März und 16. April 1936.

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Ich muß noch etwas nachtragen, was ich im Drang der Ereignisse vergessen hatte. Ich glaube, es war am Tag nach der Wahl, also am 30.III., als der »Lutherische Rat« innerhalb der Bekenntnissynode, der sich kurz nach Oeynhausen204 zusammengeschlossen hat, in Berlin getagt hat. Bauer [G.] nahm in Vertretg. von Otto daran teil. Zoellner wäre erschienen u. hätte verlangt, die »Lutherischen« sollten sich »endlich« von der Bek. Kirche lösen!!! Sie sollten sich hinter den R.K.A. stellen, der sonst seinen Auftrag an Kerrl zurückgeben müßte!!205 – Damit hat Zoellner zu viel verlangt. Das geht nicht. Den 24.4.36, Freitg. [24. April 1936] Gestern Abd. Bibelstunde. Hinterher erzählte Otto kurz: Die D.Chr. sind mit großem Gefolge aufgetreten. Ein Regierungsrat von Sauckel ist – wahrscheinl. dem von Sasse ausgesproch. Wunsche entsprechend – auch bei den Besprechungen zwischen v. Detten, Stahn, D. Eger u. Ranke u. den Bekenntnisleuten (G. Bauer [G.], Metz, Prehn, Reuter) zugegen gewesen. Hätte von nichts eine Ahnung gehabt. Die Bek.leute hätten alles ausgepackt, waren in dieser Hinsicht zufrieden. Dann seien sie aufgefordert worden, Vorschläge zu einer Neuregelung zu machen. O. hat zunächst gesagt, daß sie auf keinen Fall mit einem der Führer der D.Chr. – überhaupt nicht mit einem Mann der jetzigen Kirchenleitung zusammen in einem Ausschuß sitzen würden. Große Aufregung! V. Detten (der katholisch ist), an eine solche Lösung sei gar kein Gedanke pp. – Gut. Dann Simultaneum.206 – Ausgeschlossen! Das mache der Herr Minister nicht mit. – »Das ist Ihre Sache«, hat Otto gesagt. »Für uns kommen nur diese beiden Lösungen in Frage.« Es ist in einer solchen Position gut, wenn man nichts zu verlieren hat. O. hält es für möglich, daß Detten taktisch mit ihm geredet habe. Immerhin natürlich, ist die Position der D.Chr. rein äußerlich gesehen, sieghaft. Sie sind alle Pg. u. haben schon von da aus die starke Fühlung mit den Männern vom Ministerium, dazu die Thür. Regierg. auf ihrer Seite. Sie sind geradezu in Massen aufgetreten: Sasse, Franz, Leffler, Leu., Ob.pfr. Fromm, Thiem-Zella-Mehlis, ein Bauer Trenkmann aus Hinteruhlmannsdorf, D. König aus aus Huflar – ich glaube, noch mehr. Scheinbar hätten besonders Leffler u. D. König guten Eindruck gemacht. D. Eger hätte Otto unterstützt, wenn auch zurückhaltend. So habe er einmal gesagt, auch er könne sich nicht vorstellen, daß er nur einen Tag in einem Kirchenregiment säße, in dem keine evangel. Substanz mehr vorhanden sei (oder so ähnlich), u. die Thür. D.Chr. hätten tatsächl. von dieser Substanz nichts. D. Zoellner dächte daran, das theol. Gespräch von Dresden mit den Thüringern fortzusetzen207, um eine autoritäre Basis zu gewinnen, von der aus man das Fehlen der ev. Substanz in der »Nationalkirche« feststellen könnte. (Eigentlich ist das doch schon zur Genüge festgestellt). O. betonte, es sei kein Grund zu pessimistischen Auffassungen. Aber die Regelung würde noch auf sich warten lassen. Erst käme noch Mecklenburg dran, wo auch eine radikale Lösung erstrebt wird. Aber in Thür. wolle der Minister die radikale Lösung 204 205 206 207

4. Reichsbekenntnissynode 1936. In etwa derselbe Text in: Tgb. 17. April 1936. Vgl. oben Anm. 193. Vgl. dazu Tgb. 5., 7., 24. und 27. Februar und 5. März 1936.

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noch nicht. Nach meiner Meing. hat ja Thür. schließl. die besten Aussichten, wenn es zuletzt dran kommt, wenn die Dinge so stehen. O. hat gesagt, bis jetzt hätten sie die Bek.leute immer gebremst u. seien außerordentl. zurückhaltend gewesen; das würde nicht mehr möglich sein, wenn es nicht bald anders würde in Thür. Rein äußerl. ist die Sache so verlaufen: Am Mittwoch von 10–2 sind die D.Chr. dran gewesen. Danach von 3–7 Otto mit seinen Leuten. Danach bis ¾9 Arper u. Wessinger, die Neutralen. Gestern, Donnerstg, vorm. ist O. noch einmal mit Schultze u. Müller (Röpsen u. Kaltenwesth.) bei den Herren aus Berlin gewesen (ohne den Sauckelschen Regierungsrat). Diese Besprechg. ist nicht erfreulich verlaufen. In einem Protokoll des. L.K.R. vom 7.4.; das ich bei Reichardt [E.] jun. offen herumliegen sah, stand, daß Sasse die Absicht hätte, am 20. Sauckel u. die geh. Staatspol. wegen Röpsen zu sprechen! Übrigens sind anläßl. des Wahlergebnisses im Reich die Aufenthalts- und Redeverbote für Pfr. aufgehoben worden. Bloß in Thür. noch nicht. (Das betrifft Müller-Kaltenw.; v. Detten wollte doch im Ministerium vorsprechen). Es ist kaum 8 Uhr u. ich hatte schon 2 Besucher in m. Zimmer: ( )b u. ( )a. d. 24.4., Halb 11. Es fällt mir eben ein, wie Otto gestern sagte, offenbar seien Stahn u. v. Detten vor dem L.K.R. vollständig umgefallen. Ich bekam einen Stimmungsbericht von unten. Sasse strahlt u. lacht, erzählt mit lauter Stimme, tänzelt durch die Halle u. sagt zu ( )c, die eine Unterschrift eines Briefes an den K.A. oder das K.min vorlegt: »Die lassen schon sowieso die Köpfe hängen!« Vollkommener Stimmungsumschwung, seit er gestern allein in Weimar war. Er hat ( )i gegenüber gesessen u. Witze gemacht u. ist wie ausgewechselt. Das haben wir schon oft erlebt. Wenn ich denke, wie er zur Vereidigg. des Reichsb. nach Berlin fuhr 1934 im Herbst – oder wie die Stimmung hier war, als ich voriges Jahr Ende August aus dem Urlaub kam –! Immerhin, es ist schwer zu tragen. Ich könnte ( )i manchmal prügeln, die aus der Entwicklung nichts gelernt hat u. immer zweifelt. Wir haben uns noch nie auf Menschen verlassen u. immer mit dem Untergang gerechnet. Ich glaube nach wie vor fest, daß man damit auch in diesem Kampf siegt. Ich habe Th. [Thomas] geschrieben, Eger möchte sich doch mal den Consist.assessor D. [Dalhoff] aus Magdeburg kommen lassen, der hier unser Pfründenwesen studiert. Der weiß über die Korruption hier im Hause u. im Pred.sem. Bescheid.

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Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz, vgl. Übersicht Strichzeichnungen. Strichzeichnung Männerkopf, steht für Friedrich Bernewitz, vgl. ebenda. Strichzeichnung Frauenkopf mit Locken, steht für Hanna Linde, vgl. ebenda. Strichzeichnung Frauenkopf mit Hakenkreuz, steht für Gertrud Walter, vgl. ebenda. Strichzeichnung Frauenkopf mit Hakenkreuz, steht für Gertrud Walter, vgl. ebenda.

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Den 25.4., Sonnabd. vorm. [25. April 1936] Als ich gestern Abd. nach Hause kam, zieml. mit der Welt zerfallen, ließ ein Brief von Thomas, der völlig andere Eindrücke von den Weimarer Besprechungen hatte, meine Lebensgeister aufleben. E. Otto hätte »einen sehr guten Eindruck« gemacht. Die Berliner seien »einigermaßen erschüttert« von der Zerfahrenheit der Thür. Verhältnisse. Die Bremsen kämen von der Regierung! (Daher hat Sasse seine gute Laune.) Erfahre eben von ( )b, daß hier im Haus gesagt worden ist: »Es wird sich garnichts ändern. Die Bekenntnisfront wird eine große Pleite erleben.« Ich zeigte ihm den Brief von Thomas, damit er eine seelische Stütze hat. Folgendes hat sich gestern nachm. hier begeben: Die »Referenten«, darunter Fritz, Osswald, Helmrich, Hartmann, Rade, Mauersberger, Schenk, (Reichardt nicht), Oberländer (der aber angab, wenig Interesse zu haben) u. Schilling haben gestern nachm. von 5–¾9 Uhr mit Sasse u. Volk eine Aussprache über ihre Beschwerden gegen Hohlwein und die V.D.-Leute gehabt. Besonders Hohlwein208 u. Poppe209 sind belastet. Es handelt sich u.a. um Fahrten mit dem Dienstauto zu Veranstaltungen der D.Chr. u.a. Zunächst hätte hauptsächl. Volk gesprochen u. alles in einer unerklärlichen Weise zu erklären u. zu vertuschen gesucht. Dann hätte Sasse eingegriffen und freie Aussprache ermöglicht. Da sei es aber losgegangen! Mehrere Fälle grenzten ans Strafrechtliche. Ergebnis: Der Labi will sich künftig jede Reisekostenrechung vorlegen lassen, besonders, um zu prüfen, ob nicht Reisen für die D.Chr. auf Dienstkonto gingen (Reichardt [E.]: »Das ist eine Front gegen den Labi, da mache ich nicht mit.«) D. 28.4., Dienstg. [28. April 1936] Gestern las ich d. Protokoll d. Referentenbesprechg. Hohlwein u. Poppe sind sehr schwer belastet. (P. hat sich in sr. Vermählungsanzeige Reg.rat genannt!) Aus verschiedenen Verfehlungen, die Hohlw. nachzuweisen sind, kann man auf mangelnde Kontrolle schließen. Im Übrigen ist es natürl. besonders schlimm, daß all das der Pred.sem.-Direktor, der die künft. Pfr. erzieht, begangen hat. (O. schrieb am Sonntg. an D. Eger privat wegen Dalhoff, an Lilje in Abschrift.) Heute ist eine Aufforderg. von Kerrl an die Herren des L.K.R. gekommen, zur Besprechg. wegen der »Neuordnung« in Thüringen nach Berlin zu kommen: am 4.5. Er wolle eine Verordg. erlassen u. die mit ihnen besprechen! Phieler war gestern im Hs. u. hat nach der Stimmung im L.K.R. gefragt. Antwort: »Oh, die Herren scheinen ganz zufrieden.« Darauf er: »Das habe ich mir gedacht! Am 22. komme ich in Weimar ins Martha-Marienstift. Da sitzen die Bekenntnispfr. u. schwimmen in Seligkeit. Jetzt hammersch geschafft! – Ich komme ins Hotel – da sitzen die D.Chr. u. strahlen: »Jetzt hammersch in der Tasche!« Soviel steht fest: Die D.Chr. drohen mit Krach wenn sie das Kirchenregiment abgeben müßten. So Reichardt [E.] zu Therese: »Glauben Sie vielleicht, daß es Frieden gibt, b 208 209

Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz, vgl. ebenda. Zu den finanziellen Schwierigkeiten von Hohlwein vgl. Tgb. 19. Dezember 1935, 24. Januar und 24. April 1936. Zu den finanziellen Schwierigkeiten von Poppe vgl. Tgb. 18. Oktober 1935; 7. November 1935; 9. November und 16. Dezember 1935.

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wenn die anderen einziehen?« Starke zu Frl. Sommer: »Es gibt keinen Kirchenausschuß, das wäre ja auch gar nicht gut, da würde es nur Unfrieden geben.« Frl. Sommer zu Frau Schade, der Sekretärin von Lehmann: Glauben Sie, daß der K.A., kommt?« Frau Schade: »Nein, wir glaubens nicht mehr.« Sasse hat gestern eine Verhandlg. mit Rodenberg gehabt. Er sei ganz blaß gewesen. Da ist auch irgendwas los. nachm. ¾6. Mittags ging ich zu O. – über die Wernickstr. Er hatte gleichfalls die Einladg. zu Kerrl bekommen.210 Montg. 10 Uhr. zur selben Zeit wie die D.Chr. (Sasse, Franz, Leu [Leutheuser] u. Leff fahren hin. Donnerstg., den 30.4. [30. April 1936] Gestern Abd. noch einmal zu O. Nach Berlin wollen die D.Chr. Sasse, Franz, Leu [Leutheuser], Leff, D. König u. je ein Vertreter von Sauckel! u. Marschler! gehen. Obwohl Leffler, der offizielle Referent, doch schon dabei ist! Wir haben scheinbar in Thür. schon die Staatskirche. Das merkt man auch an dem ständigen Zusammenarbeiten mit der Gestapo. Jetzt hat sie wieder angefragt nach einem Landwirt Lehmut, der in Metzels, wo Pfr. Wolf nicht auf den Friedhof darf, bei Beerdigungen von Bekenntnisleuten Segen u. Vaterunser spricht. Die Angst ist tatsächlich lächerlich. – Einem Protokoll v. 7.4. war zu entnehmen, daß Sasse am 20. in Weimar über den Fall Röpsen mit Sauckel u. der Gestapo sprechen wollte.211 So geht es offenbar ständig hin u. her. Ständig machen Staat u. L.K.R. einander aufs Neue mißtrauisch. Da soll dann Befriedung herauskommen, Vertrauen u. Gott weiß was. Otto hatte gestern beim Luth. Rat212 antelephoniert. Lilje war verreist u. hatte Ottos Anfragen u. Mitteilungen nicht weiter geleitet! Gauger war entsetzt gewesen, daß Kerrl in sr. Einladg. zum 4. schon von einer geplanten Verordnung gesprochen hatte. R. [Ranke H.?] (vom RKA) hatte gemeint, die Besprechg. von Montag würde wohl abgesagt werden. Im übrigen sei die Sache Thüringen beim RKA in den besten Händen. Zoellner u. Mahrenholz, die tatkräftigsten, bearbeiteten sie selber. Die Thüringer Lösung sei für den RKA Existenzfrage. Das glaube ich, denn geschieht sie nicht radikal, so steht die Mitarbeit der Niemöller-Richtung auf d. Spiel. Die gehen nicht in eine ev. Kirche, in der die Thür. drin sind. Es ist übrig. jetzt eine schleswig-holst. Verordng. erschienen, die darauf aufmerksam macht, daß die Deutsch-Kirche nicht zur evangel. Kirche [DEK] gezählt werden

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Schreiben Kerrls an Otto vom 25. April 1936 (LKAE, LBG 211 46), in dem es heißt: »Zur Befriedigung der kirchlichen Lage beabsichtige ich, eine Verordnung zu erlassen. Zu einer Besprechung über diese Verordnung lade ich auf Montag, den 4. Mai 1936 10 Uhr in mein Ministerium, Berlin, Leipziger Str. 3 (Sitzungssaal) ein. gez. Kerrl.« Zum Fall Schultze-Röpsen vgl. Tgb. 11., 17. und 24. März 1936. Vgl. Tgb. 16. April 1936.

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könne.213 Dieser Hinweis sei vorsorglich, da noch kein Geistlicher der schl.-holst. Landeskirche der Dtsch.-Kirche angehöre, die aber dauernd im Lande werbe.214 Damit bereitet sich die Lösung in Mecklenburg vor, wo die Deutsch-Kirche regiert.215 Z.B. sind dort 40 Laien als Pfarrer eingesetzt.216 Der Reichsstatth. ist aus der Kirche ausgetreten. Nun wird einem auch klar, warum Rendtorff abgesetzt wurde,217 warum der ganze Kirchenstreit überhaupt in Mecklenburg anfing u. die dortigen Formen annahm. (Urteil gegen 7 Geistliche!218). Dort ist auch die Bekenntniskirche in der Minderzahl, wie bei uns. Und dort soll nun die Deutschkirche endgültig erledigt werden. O. wird wohl heute nach Berlin fahren, obwohl dort Sitzg. ist und niemand empfangen werden soll. Aber es scheint doch so, als ob niemand dort wüßte, wie weit die Sache Thüringen schon vorgetrieben ist – wenn Kerrl schon von einer Verordng. spricht! – O. hatte erfahren, daß Sasse sehr sieghaft sei u. davon gesprochen hätte, daß in Thür. sich kaum etwas ändern würde – höchstens ein Verbindungsmann von der Bek.gemeinsch. zu den D.Chr. eingesetzt würde. – Auch hier im Haus sagt jeder, der den D.Chr. nahe steht: »Es gibt keinen Kirchenausschuß.« – Den nicht, weil wir ihn nicht wollen. Aber sie denken sicher anderes. Die Frau vom Labi hat gesagt: »Mein Mann ist sehr zuversichtl., die Sache steht gut für uns.« Vor der Besprechg. in Weimar hatten sie noch wahnsinnige Angst gehabt. Wenn man das so sieht, begreift man Niemöller. O. sagte gestern: »Es scheint nichts übrig zu bleiben, als absolute Opposition!« Eben eine Niederschrift von Sasse gelesen. Er ist im Feb. in Holzthalleben gewesen zur 10-jähr. Gründungsfeier der Ortsgr. der N.S.D.A.P., der ältesten in Thüringen.

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»Im März 1936 wurde die Erklärung des schleswig-holsteinischen Landeskirchenausschusses im Gesetzblatt der DEK zustimmend abgedruckt. In der Erklärung war der ›Bund für Deutsche Kirche‹ als bekenntniswidrig bezeichnet worden« (Meier, Kirchenkampf II, 118). Vgl. JK 4 (1936), 432–433. Die »Deutschkirche« bzw. der »Bund für Deutsche Kirche« war 1921 in Berlin gegründet worden und trat für ein religiös verstandenes Deutschtum ein, war aber in ihrem Anliegen nicht identisch mit den verschiedenen Spielarten der DC, obwohl es mit ihnen zahlreiche gemeinsame Berührungspunkte gab (vgl. Kühl-Freudenstein, Evangelische Religionspädagogik und völkische Ideologie, 15–36). Die Deutschkirche hatte zwar in Mecklenburg nicht die Kirchenregierung gebildet (Missverständnis der Tagebuchschreiberin!), hatte aber doch einen gewissen Einfluss auf die Leitung der Kirche; vgl. Meier, Kirchenkampf I, 334–351; II, 248–255,bes. 249. Missverständnis der Tagebuchschreiberin! Zum Sachverhalt vgl. Meier, Kirchenkampf I, 344: »In der Folgezeit wurde diese Kaltstellungspolitik kirchenpolitisch und theologisch unliebsamer Geistlicher konsequent weiterverfolgt und ging bis in die entlegensten Dörfer und Ortschaften hinein. Um die entstandenen Lücken auszufüllen, sah sich die Leitung der Landeskirche veranlaßt, zahlreiche landesfremde Geistliche (insgesamt waren es etwa 30) nach Mecklenburg zu holen. Auch auf noch in der Ausbildung befindliche Vikare und theologisch völlig unzureichend geschulte Diakone (etwa insgesamt 20) griff man dabei zurück, eine Verfahrensweise, die nicht unerheblich dazu beitrug, die Gemeindeverhältnisse zu zerrütten.« Landesbischof Heinrich Rendtorff (seit 1930) war vom 18. August bis zum 8. September 1933 amtsenthoben. Allerdings hatte diese Maßnahme nichts mit den Aktivitäten der Deutschkirche zu tun! Rendtorff dankte am 6. Januar 1934 ab. Neuer Landesbischof wurde der Deutsche Christ und (seit 1933) »Landeskirchenführer« Walther Schultz (vgl. Meier, Kirchenkampf I, 334–351, hier: 346). Vgl. Tgb. 8. Juli 1934 und Meier, Kirchenkampf I, 347.

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Kirchl. Feier, die Fahnen der »Bewegg.« auf seine Veranlassg. rechts u. links vom Altar. Hinterher habe er den Reichsstatthalter auf das auf der Kirche angebrachte Hakenkreuz aufmerksam gemacht. Sauckel habe auch gesagt, ein Bild dieses Kirchturms mit dem ersten Hakenkreuz auf einer Kirche müsse in den Illustr. Beobachter. – In einem Beschluß wird dann d. Pfarramt aufgefordert, ein gutes Lichtbild des Kirchturms einzusenden. (Volk hat ( )c von dem Brief gesprochen, den Otto ihm geschrieben hätte. Darin sei »wirklich« vieles gut! Er müsse ihn noch Sasse zeigen. Er würde ihn ihr später vielleicht mal zu lesen geben (sie hatte ihn schon von mir), müsse noch darüber nachdenken. ¾6 abends (30.4.) Jetzt weiß ich, weiß, warum d. Sitzg. am Montag viell. verschoben werden wird. Sauckel selbst will daran teilnehmen, hätte gesagt, sie sei ihm zu wichtig – und er kann am Montag nicht!– O. ist scheinbar nicht nach Berlin gefahren, da wir heute Abd. im kl. Kreis bei ihm eingeladen sind. Am 4.5., Montg. [4. Mai 1936] Am Sonnabd. früh ist die Besprechung in Berlin abgesetzt worden.219 Und zwar sei der K.A. in seinem Brief an den L.K.R. gar nicht auf den Hinweis, daß Sauckel nicht könne, eingegangen, sondern habe andere Gründe angegeben.220 O. hatte am Donnerstg. gesagt, der R.K.A. wolle die Besprechung noch nicht, die Thür. Sache sei noch nicht reif dafür. O. war sehr erleichtert. Obwohl er selbst die Zwischenlösung in Thür. dringend herbeisehnt. Daß er am Rande seiner Kräfte ist, merkten wir am Donnerstg. Abend; er war sehr nervös u. ich habe, fürchte ich, dazu beigetragen, diese Nervosität noch zu steigern, denn ich sprach mit ihm unter 4 Augen über einige Befürchtungen u. Beobachtungen, die ihm schmerzlich waren. Ich fürchte, es war ungeschickt von mir. Der ganze Abend war etwas verunglückt. Eine alte Lehrerin, Frl. Hain, war da, die man aus einem bestimmten Grund gern dabei haben wollte (sie kennt einen wichtigen Mann aus Berlin u. trifft ihn öfter), aber sie fragte so viel, war so wenig im Bilde, daß wir nicht gut vorwärts kamen. O. sprach zum Schluß besonders erregt u. eingehend auf den schmerzlichen Riß innerhalb der Bekenntniskirche. Auch in Thür. ist bereits eine »Arbeitsgemeinsch.« von Niemöller-Anhängern entstanden – u. das ohne jeden Grund, denn niemand denkt hier daran, mit führenden Thür. D.Chr. in einem Ausschuß zusammen zu arbeiten. O. hatte einen – teilweise – offenbar nachstenographierten Bericht über eine Pfarrerversammlung, die Sasse nach der Weimarer Besprechg. gehalten hatte.221 Er hat ihn bereits in Abschr. nach Berlin geschickt. Hoffentl. wird sie den Herren v. Detten, Stahn, u. Eger die Augen öffnen. Sasses Darstellg. ist natürl. sehr gefärbt, z.Teil direkt unwahr, c 219 220 221

Strichzeichnung Frauenkopf mit Locken, steht für Hanna Linde, vgl. Übersicht Strichzeichnungen. Vgl. Tgb. 28. April 1936 Schreiben Kerrls an den LKR der TheK vom 29. April 1936, LKAE, A 851, nicht foliiert. Die Besprechung wurde auf den 12. Mai verschoben. Vgl. Schreiben des Leiters der LBG an den Reichskirchenausschuss vom 2. Mai 1936, LKAE, LBG 30, 206.

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sehr eitel, u. bestrebt, Mißtrauen gegen den R.K.A. zu erzeugen. Sehr interessant dazu Ottos Mitteilungen u. Richtigstellungen. Z.B. teilt Sasse mit: »Die Herren (darunter D. Eger) waren so begeistert, daß sie Leffler am nächsten Morgen auf seinem Büro aufgesucht haben.« Dazu Otto: »Leffler hat Eger aus einer Besprechg. mit O. u. seinen Leuten am Donnerstg. Morgen herausbitten lassen (obwohl er einmal abgewiesen worden war) u. dann Eger selbst vorgeschlagen, die Unterhaltung auf seinem, Büro zu halten, da sie dort ungestört seien.« In dieser Weise war Verschiedenes schief dargestellt in der Absicht, das Abschneiden der Thüringer so glänzend wie möglich darzustellen. Und die Thür. Pfarrer sind ja offenbar so töricht, daß sie darauf hereinfallen. – Aber ein Glück, daß wir den Sasse’schen Bericht haben. Am Anfang berichtet Sasse übrigens, daß ein Pfr. Koehn-Dienstedt in seinem Kirchenkreis herumreise u. erzähle, Minister Kerrl sei sein Studienfreund, habe ihn kürzlich eingeladen u. ihm gesagt, mit der Herrschaft der Thür. D.Chr. sei es bald zu Ende.222 Mit dieser Mitteilg. hätte er, Sasse, die Besprechungen in Weimar beschwerdeführend eröffnet und Stahn hätte gesagt, das sei doch das Tollste, was ihm bisher vorgekommen sei! Mit dieser Geschichte soll Sasse auch bereits bei der Oberpfr.konf. Stimmung gemacht haben. Die Obpfr. wie die Pfr.-Konferenz fühlten sich danach offenbar verpflichtet, Sasse als dem armen Verfolgten Hilfestellung zu leisten. – Dazu sagte Otto: Koehn sei vor Kurzem der Bek.front beigetreten. Er habe auf Befragen erklärt, er kenne den Minister Kerrl überhaupt nicht, habe ihn nie gesehen, sei also auch nie bei ihm eingeladen gewesen u. habe die betreff. Bemerkungen selbstverständ. nie gemacht. Höchstens habe er sr. eigenen Überzeugung Ausdruck gegeben, daß die Thür. D.Chr. nicht lange mehr herrschen würden. – Und Sasse hat es nicht einmal für nötig gehalten, ehe er seine fulminanten Behauptungen verbreitet hat, bei Koehn anzufragen. O. hatte auch einen Rundbrief Lefflers in d. Hände bekommen, der in schärfsten Worten diejenigen aburteilt, die Ludwig Müllers »Verdeutschg.« der Bergpredigt kritisieren.223 Nun hat das gerade der R.K.A. getan – mit nicht zu überbietender Schärfe.224 Dort wird diese Verdeutschg. ein »Betrug« an den Lehren genannt. L. Müller habe sich damit von der Dtsch. ev. Kirche losgesagt.225 Die neueste Nr. des »Posit. Chr.tums« bringt übrigens eine scharfe Absage der sächs. D.Chr. an die Thüringer mit vernichtender Begründung.226 Assessor Dalhoff aus Magdebg., der hier einige Monate lang das Thür. Pfründenwesen studierte, ist vor d. 1. Mai nach Magdeburg zurückgerufen worden. Er weiß über die Klagen der Referenten gegen die V.D. Leute u. Hohlwein Bescheid u. Eger, der inzw. einen diesbezügl. Brief von O. erhalten hat, wird ihn danach fragen. O. fährt heute zur Teilnahme an der halbjährl. Tagg. der Sydower Bruderschaft nach Wernigerode. Am Donnerstg. wollte er nach Berlin u. versuchen, D. Zoellner dort zu sprechen. 222 223 224 225 226

Zu einen in etwa gleichen Text vgl. Tgb. 22. April 1936. Die Thüringer Deutschen Christen förderten die Publikation nach Kräften; vgl. Besier, 450. Die Schrift Müllers »Deutsche Gottesworte« wurde ein Bestseller (ebd.). Dazu vgl. Besier, 450–451. Vgl. zur Schrift Müllers auch Schneider, Reichsbischof Ludwig Müller, 250–273. Vgl. JK 4 (1936), 432–433.

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Volk ist heute auch nach Berlin gefahren, er hat es endlich erreicht! Mit unendlichem Material z.B. über den Fall Röpsen227, wahrscheinl. auch Kaltenwesth.228 (Er findet, die anderen, Franz vor allem, hätten es bisher nicht richtig angefangen, die Bek.leute zu vernichten). Gestern, am Sonntg., haben etwa 4–5 Leute hier oben arbeiten müssen, um für Volk Abschriften u. Vervielfältigungen zu machen. Vermutlich hat der K.A. das Meiste davon bereits durch Otto bekommen – u. Schultze, Müller u. Wolf-Metzels waren ja auch selbst schon bei allen zuständigen Stellen. – Na – Volk denkt, er rettet das Kapital. Gestern, Sonntg, predigte O. früh in der Georgenkirche. Unten wars sehr voll. Er gab u.a. bekannt, daß der Kirchenzettel künftig nicht mehr von den Eis. Zeitungen veröffentlicht werden würde (sie wollen ja 40 M jedesmal dafür haben!). Der Bekenntnisgottesdienst am 28.4. (Dienstg.) verlief übrigens ganz zufriedenstellend. Es war nicht ganz so voll wie das letztemal. D. Otto [R.] sprach verhältnismäßig untheologisch u. mit Leidenschaft. Aber er wird die Sprache Kanaans nicht ganz los. Z.B. sagt er: »… so anders« anstatt »wenn!« Er stellte ein Bild an den Anfang »die Tränensaat der Kirche« (die mit Tränen säen werden mit Freuden ernten229). Und dann bleibt er in diesem Bilde – ich weiß nicht. Die Besprechg. in Berlin soll übrigens am 12.5., morgen in 8 Tagen, stattfinden.230 Eben höre ich, daß Leffler in der Nacht zum 2. bei Gotha einen Autounfall gehabt hat. Sein Chauffeur unverletzt, er selbst hat Schnittwunden im Gesicht, Schmerzen im Magen. Müßte 4 Wochen im Krankenhs. bleiben. D. 6.5., Mittwoch. [6. Mai 1936] Die Besprechg. in Berlin soll verschoben sein wegen Lefflers Unfall!!231 (Das Auto zertrümmert »wie eine Sardinenbüchse«, sagt Volk. Sein Schwiegersohn hat erzählt »u. da ist wieder dieser skrupellose Mensch, der Lehmann im Spiel«; sie … sollen von einem Bierabend gekommen sein u. Lehmann hätte dem Chauffeur Alkohol vorgesetzt! Da ist nun aber nicht Lehmann schuld, sondern der Chauffeur. – Lehmann ist übrigens kürzlich verdonnert worden: ein Mann, den er angefahren hat, ist im Krankenhs. gestorben. Lehmann fällt aber unter die Amnestie). V. ist aus Berlin zurück, offenbar sehr sieghaft. Man hätte ihm im K.min. gesagt, er sollte in dieser Sache (Röpsen) nicht zum R.K.A. gehen (Stahn). Das erledige das K.min., das wolle keine Unordnung. Die Disziplinarsache gegen Schultze ginge weiter.232 Gestern Brief von Thomas. Kläglich diese Neutralen. Nun wollen sie eine Tagg. halten u. kommen sich Gott weiß wie vor. Bedenklich sind seine Wendungen, daß sie

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Zum Fall Schultze-Röpsen vgl. Tgb. 11., 17.u. 24. März und 30. Apr. 1936 sowie Biogramme. Zu Kaltenwestheim vgl. Tgb. 10. und 27. Januar und 26. März 1936 (vgl. aber bereits Tgb. 13. September 1935 u.öfter). Ps 126,5. Vgl. Tgb. 28. April und 4. Mai 1936. Vgl. Tgb. 28. April und 6. Mai 1936. Vgl. Anm. 227.

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»in den Grenzen des Möglichen« Änderungen erstrebten u. »keine Prinzipienreiterei« treiben.233 8.5. [8. Mai 1936] Professor Fascher, der noch vor einigen Monaten gemeins. mit Leuth. die Thüringer D.Chr. gegen den Angiff von Althaus verteidigt hat, scheint aus ihrem Lager abgewandert zu sein. Schon vor einigen Wochen hörte ich, er sei »außer sich« über die Verdeutschg. der Bergpredigt von Ludwig Müller (erschienen im Verlag Deutsche Christen, Weimar).234 Heute lese ich im »Posit. Chr.tum«, daß er an einer »glanzvollen« Tagung der Berliner Richtung teilgenommen hat.235 Hier im Haus ist d. Gerücht verbreitet, die Berliner Richtung würde sich binnen Kurzem auflösen u. alles zu den »Thüringern« übergehen. 12.5., Dienstg. [12. Mai 1936] Wir warten. Es heißt, die Wiederherstellung Lefflers solle wochenlang dauern: 4 Wochen Krankenhaus, 4 Wochen Erholung. O. habe ich nicht gesprochen. Im Augenblick trifft wohl der Aufschub der Verhandlungen mit den Wünschen des R.K.A. u. O. überein. Aber schließl. kann auf die Dauer nicht die ganze deutsche ev. Kirche auf Leffl. warten.236 Der Regelung in Mecklenbg. greift ein Erlaß des R.K.A. in Schlesw.-Holst. gegen die Deutschkirche vor, hinter den sich der R.K.A. vollinhaltl. gestellt hat. Die Thüringer sind ebenso schlimm – aber leider getarnt. Gestern Mitteilg: Schreiben … eingegangen aus Gegend von Magdeburg mit Ablehng. eines Poppe’schen Entwurfs zu einer 1. Maifeier od. dgl. mit Begründung: Der Entwurf könnte ebensogut von einem Deutschgläubigen verfaßt sein. Das könne man einem ev. Pfr. nicht zumuten. Karte aus Hannover von Hahn. Dort seien 6 unserer Leute gewesen: Leuth., Rönck, Lehnert u. noch 3. Es seien Klagen gekommen, Bericht wird gefordert. Telegramm nach Würzbg., Versammlg. soll bestätigt werden. Sie arbeiten überall mit Hochdruck.237 Volk schreibt, die Verhandlungen betr. Neuregelung seien auf Wochen hinausgesetzt. Ich habe einen fulminanten Brief an Thomas geschrieben wegen 233

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Als »Neutrale« werden im Tagebuch alle jene Pfarrer bezeichnet, die weder der LBG noch den KDC angehören, sich aber mehr und mehr im Verlauf des Jahres 1936 unter Bezeichnungen wie »[Thüringer] Pfarrer der Mitte«, »Vereinigung nicht-deutschchristlicher Thüringischer Pfarrer«, »Arbeitsgemeinschaft kirchenpolitisch nicht gebundener Pfarrer« zu einer eigenen Gruppe formierten, bis sie dann 1937 endgültig im Wittenberger Bund ihre dauerhafte Organisation fanden. Abkürzend werden sie im Tagebuch auch einfach als »Mitte« genannt. Zur Formierung der kirchenpolitischen Mitte vgl. auch Stegmann, 61–63; Helaseppä, 128–134. Zur Schrift Müllers »Deutsche Gottesworte« vgl. Tgb. 22. April und 4. Mai 1955. Fascher hatte an einer Tagung der RDC am 2./3. Mai in Berlin teilgenommen; vgl. Bedeutsame theologische Tagung der Deutschen Christen. Ein Markstein der Entwicklung, Evangelium im Dritten Reich 5 (1936), Nr. 20 (17. Mai 1936); die erschienenen Hochschullehrer werden eigens genannt, auch wenn sie nicht referiert hatten. Bei dem Artikel handelt es sich um eine Übernahme aus dem Positiven Christentum. Vgl. Tgb. 28. April, 4. und 6. Mai 1936. Gemeint ist offenbar die starke Tendenz der KDC, auch in anderen Landeskirchen für ihre Sache zu werben; vgl. Tgb. 22. April 1936 und die in der zugehörigen Fußnote weiteren Rückverweise auf frühere Tagebucheintragungen.

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der Schlappe mit den neutralen Obpfr. Schickte ihm d. Post sofort mit der Stellungnahme der sächs. D.Chr. gegen die Thüringens u. dem Bericht, daß Dompred. Martin aus den Reihen der D.Chr. gestrichen worden sei weil er öff. behauptet habe, die Bek.front habe die Ehre der Kirche gerettet u. d. Staat erst wieder Achtung vor der Kirche beigebracht!238 D. 13.5. [13. Mai 1936] Ich hörte gestern Abend, Sasse u. Franz seien nach Pößneck gereist.239 Im Neustädter Kreis, in Rudolstadt, in Gera sähe es »schlimm« aus. Dort sei »Kirchenrevolution«, die Pfarrer »gehorchten« nicht mehr (Laue). Was das nun heißen soll, weiß ich nicht. Ob es ein Vorgehen der Niemöller-Richtg. unter Führung von Pfr. Werner-Kosma bedeutet? Diese schmerzliche Angelegenheit liegt mir sehr auf den Nerven – dabei aber auch das Gefühl, daß Friedensliebe in der jetzigen Situation verhängnisvoll werden kann. D. 14., Donnerstg. [14. Mai 1936] In Neustadt sei es wohl »nicht so schlimm« gewesen, wie man gedacht habe. Sasse und Franz hätten Beruhigungspillen verteilt. An Heinrich ist geschrieben worden, er soll versetzt werden.240 D. 15.5. [15. Mai 1936] Gestern Abend Bibelstunde. Otto fährt heute nach Jena. Dort hat v. Rabenau aus d. Niemöller-Kreis einen Vortrag gehalten, die Unruhe greift um sich. O. zuckt die Achseln, was ungefähr heißt: »Ich handle nach meiner Überzeugung. Wenn Ihr Thür. erobern könnt, tut es. Dann trete ich ab. Bis dahin tue ich, was mir richtig scheint.«241 Dieser Kampf nimmt ihn sehr mit. Im übrigen ist er ruhig. Die Deutsch-Christen in Thür. [KDC] würden sich ja wundern. Auch die Lösung, die dem K.min. vorgeschwebt hätte, sei sehr anders gewesen, als die Herren hier sichs gedacht hätten. (Verbindungsmann zur Bek.front). Er weiß jetzt offenbar Näheres darüber, darf aber nichts sagen. Am 12., an dem die Unterredg. in Berlin stattfinden sollte, haben RKA u. K.min. über die Thür. Frage verhandelt. Ein Ergebnis ist, daß vorgestern (13.) Müller-Kaltenwestheim in Gera die Mitteilung erhielt, daß sein Aufenthaltsverbot aufgehoben sei. Lange genug hat es gedauert, bis diese Regelung, die Kerrl allgemein gleich nach der Wahl getroffen hat, sich in Thür. durchsetzte. Müller ist mit seinem Motorrad gleich nach K.

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Vgl. JK 4 (1936), 444. Zum Fall Pfarrer Heinrich aus Pößneck vgl. Biogramme. Wie vorige Anm. Es gab innerhalb der LBG erhebliche Spannungen mit den sog. Dahlemiten um Dr. Werner aus Kosma, der auch Mitglied des (thüringischen) Bruderrates war. Man übte harsche Kritik an Ottos theologischer und kirchenpolitischer Grundhaltung gegenüber dem Niemöller-Kurs sowie an seinem »Führungsstil«. Zu dieser Gruppe gehörten etwa Helmut Gollwitzer, Erwin Groß oder Fischer-Saalfeld. Die Auseinandersetzung endete damit, dass Dr. Werner aus dem Bruderrat ausschied und auf diese Weise den Bruch zu vermeiden versuchte. Diese Sache hat Otto innerlich sehr stark belastet. Zu den Spannungen zwischen Otto und Werner vgl. auch das Schreiben Werners an Otto vom 9. Oktober 1936, LKAE, LBG 287 (nicht foliiert), in dem der Briefschreiber sein Unverständnis Otto gegenüber zum Ausdruck brachte, dass der Bruderrat der LBG ernsthaft mit den Vertretern der Mitte verhandelte mit dem Ziel einer Kooperation.

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[Kaltenwestheim] gefahren!242 Hoffentlich machen die Leute in ihrer Freude dort nicht gleich wieder eine Dummheit. Kürzlich hat es Aufregg. im Vaterländ. Frauenverein243 dort gegeben, weil die Frau des Landrats (die nicht einmal in der Frauenschaft ist) in sehr taktloser Weise die Frauen dort angeschnauzt hat: Erst käme Hitler u. das Reich, dann erst ihr Glaube! Darauf haben die Kaltenwestheimer Frauen verlangt, daß die Frau des Lehrers, der Müller [W.] denunziert hat, aus dem Vorstand ausschiede. Frau Gläser u. Schwester Marg. [Gläser M.] seien »wie 2 Rachegöttinnen« bei O. erschienen. O. ist übrig. im Gefängnis hier Seelsorger der Erna Schneider aus Heerda, die vorgestern zum Tode verurteilt wurde. Das Motiv – Abneigg. gegen den ihr aufgezwungenen Bräutigam verstehen, soweit ich bis jetzt festgestellt habe, alle Frauen, aber kein Mann. – O. vielleicht. Ich sprach nur mit sr. Frau [Otto M.] u. Frl. v. R. [Ranke]. Eine Besprechung der führenden Neutralen mit Thomas hat stattgefunden, worüber einer davon O. berichtet hat.244 Natürl. sind Leute dabei, die bloß das Bestreben haben, [sich] vor der Bekenntnisbewegg. zu sichern u. darin die Aufgabe der Neutralen sehen (Heyn-Meiningen). Im Ganzen scheint O. zuversichtlich. Womögl. wird Thomas noch einmal mein Vorgesetzter! Es wäre ein Hohn. Diese Leute, die nicht gekämpft haben, und sich nun drängen, um die Früchte des Kampfes zu ernten. Der Reichsbruderrat tage augenblickl. Bauer [G.] sei da in Ottos Vertretung u. hätte O. angerufen. Es sei alles sehr ruhig. Es herrschte offenbar die Absicht, Schärfen zu vermeiden. Man atmet auf. Gewöhnl. ging es dort sehr stürmisch zu. Wenn sie doch etwas vernünftiger würden – nur, daß man zusammen bleiben kann! Zugleich tagt der luth. Rat. Dort ist Pfr. Metz Vertreter von O. Der hat mitgeteilt, der sächs. K.Ausschuß habe die Aufnahme in den luth. Rat beantragt!245 Das ist ein Wendepunkt. Ein ganzer L.K.A.! – Auf diese Nachricht hin hat nun freilich Gollwitzer [Helmut] Otto antelephoniert u. mitgeteilt, das sei so bedenklich, daß sie nicht wüßten, ob sie noch zusammen bleiben könnten (d.h., mit O. in der luth. Bekenntnisgemeinsch.). Hoffentl. steuert Niemöller einen ruhigeren Kurs. nachm. Nach langen Tagen mal wieder eine aufregende Nachricht. – Es ist ein Schreiben von Kerrl gekommen, in dem auf die Beschwerden verschiedener Pfarrer hin ersucht wird,

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Vgl. Tgb. 22. April, halb 1 Uhr. Der »Vaterländische Frauenverein« (Langform: Deutscher Frauenverein zur Pflege und Hilfe für Verwundete im Kriege) wurde von der preußischen Königin (späteren deutschen Kaiserin) Augusta 1866 gegründet. Aus dieser Gründung gingen schon bald die ersten Kreisvereine hervor, die in der Folgezeit in den verschiedenen Regionen des Kaiserreiches die Vorläufer der Frauenvereine des Roten Kreuzes bildeten (https://de.wikipedia.org/w/index.php?title_Vaterländischer_Frauenverein; eingesehen 31. Juli 2015). Vgl. Tgb. 6. Mai 1936. Vgl. Fischer, Die sächsische Landeskirche im Kirchenkampf 1933–1937, 57–61 (»Der Anschluß der Landeskirche an den Rat der Evangelisch-lutherischen Kirche Deutschlands«).

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in solchen Gemeinden keine Aufbau-Abende zu halten, in denen die Pfr. sie nicht wünschen.246 Das ist heute eingegangen. Sasse u. Franz sind blaß u. gedrückt mit diesem Schreiben aus Volks Zimmer gekommen. V. hat darüber zu meinem Gewährsmann gesagt: »Jetzt sind wir schon soweit, daß der Reichskirchenausschuß mehr zu sagen hat als das Kirchenministerium.« So ists ja nun auch wieder nicht. Der L.K.R. hat überhaupt kein klares Bild der Situation. Die Herren haben sich untereinander die letzte Nr. der »freien Volkskirche« weitergereicht, in der César ausplaudert, was ihm von den Verhandlungen in Weimar u. von den Bedingungen, die die Bekenntnisfront gestellt hat, zu Ohren gekommen ist.247 Volk scheint die letzten Nachrichten innerlich zusammengestellt u. seine Schlüsse daraus gezogen zu haben. Er hat gesagt: »Das kann ich Ihnen sagen: Die D.Chr. setzen sich nicht mit den Bekenntnisleuten in einen Ausschuß!« – Dann wieder, abgerissen: »Die Herren haben mich eben nie richtig unterrichtet u. haben mich veranlaßt, alles mögliche zu unterschreiben …«, worauf er daran erinnert wurde, daß er erst kürzlich wieder behauptet hat, er könne jederzeit verantworten, daß er das »vertraul. Rundschreiben« vom 7.9.248 unterschrieben habe. »Ja, ja, natürlich, kann ich ja auch! – Ich überlege eben, was soll nun aus Ruths [Volk R.] Verlobung werden, wenn ich in den Ruhestand gehe? – Zum 1mal, daß er derartige Überlegungen anstellt. Und dann hat er noch erzählt, daß Thomas zum R.K.A. gerufen und heute in Berlin sei. Ich sehe Thomas schon wieder als meinen Vorgesetzten. Dann kann er sich aber bei mir bedanken. O. sieht den Kirchenrat D. Otto [R.] übrigens als Lenker unserer Geschicke! Eine sehr häßliche Erörterung scheint im Gang zu sein zwischen Volk u. dem alten Reichardt. Sie haben sich neulich auf der Straße getroffen u. seit dem treffen sie sich öfter u. »sprechen sich aus«, u. Volk scheint dem toten Löwen nichts zu ersparen. Frau O. [M.] deutete gestern an, der Fall Röpsen solle niedergeschlagen werden.249 Was werden die Herren dann erst für Gesichter machen? D. 16.5. [16. Mai 1936] Eben unten Telephongespräch Mittelsdorf angemeldet, Filial von Kaltenwestheim verlangt. Frl. S. [Sommer?] fragt nach d. Sachbetreff. Antwort von Stetefeld: »Schweinerei in Mittelsdorf.« Hoffentlich nichts, was Müller [W.] den Aufenthalt dort verdirbt.250 – Bei Volk ist große Beratung. Wenn sie dem was sagen, muß die Sache ernst sein. 5 Min. später. Schon die Bestätigg. Im weißen Saal ist alles beisammen: Volk, Franz, Sasse, Leuth. Es sei ein furchtbares Gebrüll! – Phieler will hinein und kann nicht. – Heute nachmittag wollen Sasse u. Franz nach Kaltenwestheim fahren! – In der Zentrale wird geflüstert: 246

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Schreiben des Reichs- und Preußischen Ministers für die kirchlichen Angelegenheiten an das Landeskirchensamt [sic!] der Thüringer Landeskirche [sic!] vom 9. Mai 1936, LKAE, A 792, nicht foliiert. Auguste César, Um die Zukunft der Thüringer Kirche, Die Freie Volkskirche 24 (1936), 214– 216. Unklar, welches Dokument gemeint ist. Zum Fall Schultze-Röpsen vgl. Tgb. 11., 17. und 24. März, 30. April, 4. und 6. Mai 1936 sowie Biogramme. Vgl. Tgb. 15. Mai 1936.

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»Sie haben ihm die Polizei auf d. Hals geschickt, aber die kann nichts machen, weil er die Aufenthaltsgenehmigung vom Ministerium hat!«251 Leffler fehlt u. es ist offenbar kein anderer da, der sie benachrichtigt. Eben sehe ich – ich hatte ja noch garnicht notiert, was ich gestern von Frau O. [M.] hörte: Brief von Müller [W.], der sofort nach Empfang der Nachricht aus dem Ministerium, daß sein Aufenthaltsverbot aufgehoben sei, sich auf sein Motorrad gesetzt u. zusammen mit Wolf-Metzels, nach K. [Kaltenwestheim] gesaust ist. Entzückender Brief mit Schilderung ihres Empfangs dort! Abends Hausandacht bei Stopfels, am nächsten Morgen, als sie beim Kaffee sitzen, kommt der Gendarm, draußen vor dem Haus noch einer u. Zuschauer, die den Abtransport des Pfarrers miterleben wollen! Müller [W.] zeigt d. Schreiben des Ministeriums vor. –»Ja, das ist dann was anderes!« »Nach dem Schreck schmeckte der Kaffee noch einmal so gut!« – Er will einige Tage dort bleiben, um alle seine Getreuen in den 3 Gemeinden in ihren Häusern zu besuchen. Montg., d. 18. Mai 1936. [18. Mai 1936] Heute vor 20 Jahren – abds. – fiel Hans. Sehr früh heute kam ( )a in mein Zimmer. Es schien in Sachsen irgendetwas los zu sein, Telephonverbindg. mit Coch sei verlangt worden. Scriba hätte Frl. Sommer auf d. Straße getroffen u. ihr gesagt, in Sachsen wackelten die D.Chr., in Thür. auch u. Sasse selbst wackelte. Dienstg., d. 19.5. [19. Mai 1936] Gestern Abd. Bekenntnisgemeinschaft. O. berichtete, u.a. über die Verhandlungen mit d. K.min. in Weimar, über die Sache Mitzenheim – hiesiger Bannführer252, O.s Besuch (von Wernigerode aus) in Berlin im KA u. Rücksp. mit Wilm, Eger, Kuessner, Mahrenholz. (Ergebnis könne er nicht sagen, sah aber sehr vergnügt aus) Kaltenwesth. usw. Eben kommt Mitteilg. Sasse läßt durch Böttger »von Hanstein« in Berlin sagen, er möchte »Stahn« ausrichten, die Herren könnten am nächst. Dienstag die Besprechung mit Leffler haben. Er, Sasse, selbst würde sie dann abholen u. in Lefflers Wohnung bringen.253 Am nächsten Sonntg findet ein Treffen der luth. Bekenntnisgemeinschaft mit Abgeordneten u. Gästen aus allen örtl. Gemeinschaften in Gotha in d. Margarethenkirche statt. Am Sonntg 2 öff. Veranstaltungen. Hahn-Dresden spricht. Ich gehe auch hin. Thomas hat sich als Pfarrer nach Lissabon gemeldet! Volk ließ mich gestern rufen u. die Bewerbung einsehen.

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Vgl. Tgb. 15. Mai 1936. Strichzeichnung Männerkopf, steht für Friedrich Bernewitz, vgl. Übersicht Strichzeichnungen. Vgl. (1) Schreiben des Leiters der LBG an den RKA vom 18. Mai 1936, LKAE, LBG 30, 185, (2) Schreiben von Pfarrer Mitzenheim an das Oberpfarramt Eisenach vom 12. Mai 1936, ebd., 186 und (3) Schreiben des Bannführers des Hitler Jugend Banns 360 (Eisenach) der NSDAP an Oberpfarrer Stier vom 5. Mai 1936, ebd. Vgl. Tgb. 28. April, 4., 6. und 12. Mai 1936.

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20.5., Mittwch. [20. Mai 1936] Morgen Himmelfahrt! Volk hatte kürzlich, am Schreibtisch in angenehme Erinnerungen an seinen letzten Aufenthalt in Berlin lächelnd versunken plötzlich gewiehert u. zu Frl L. [Linde] gesagt: Übrigens – Stahn sagte zu mir: »Können Sie denn Ihrem Landesbischof nicht mal sagen, daß er nicht so furchtbar schreit?! – (das kann ich natürlich nicht …« war Volks Ansicht.) 22.5., Freitag nach Himmelfahrt. [22. Mai 1936] Eben wird mir ein Schreiben des K.A. gezeigt, das in den Eingängen liegt. Der Reichskirchenausschuß, unterschrieben »Zoellner«, ladet eine Reihe von Theologen zu einem »Gespräch« über die Theologie der Thür. D.Chr. unter Führung von Marahrens nach d. Kloster Isenhagen bei Hannover ein.254 Es soll »kein Ketzergericht« u. keine Verkleisterung der Gegensätze, sondern »ein wirkliches Gespräch« zur Feststellung von Tatsachen [sein]. Beteiligt sind aus Thür. Leffler u. Leutheuser, Meyer-Erlach, Ernst Otto u. Ziegner-Warza. Dann war mir in Erinnerg von den übrigen Geladenen noch: Tügel, Althaus, Doerne, Schairer oder Schreiner.255 Die Tagung soll von Pfingstdienstag bis Freitag stattfinden. Die Kosten für alle Thüringer sollen auf die Thür. ev. Kirche übernommen werden. Für ein einwandfreies Protokoll werde der Reichsk.aussch. sorgen, der 2 Herren, Brunotte u. Ranke [H.] u. noch eine Stenotypistin entsenden werde. Vormitt. 3, nachm 2 Stunden Aussprache, im übrigen Zeit für persönl. Unterredungen. Zum Schluß wird gesagt, daß die Unterredung für die Regelung der kirchl. Verhältnisse in Thür. von größter Bedeutung sei. O. hatte schon vor einigen Wochen gesagt, daß Zoellner beabsichtige, das Dresdener Gespräch weiter zu führen, um eine einwandfreie Basis zu bekommen, von der aus man die Thür … wills lieber nicht aufschreiben! Kein Zweifel, daß wir jetzt an den entscheidenden Punkten stehen. Ein Satz aus dem Brief war sehr verheißend: »Die Hausordnung mit Mette u. Vesper muß innegehalten werden.« Wie das klingt: Kloster Isenhagen mit Mette u. Vesper! Ob es so schön ist, wie »Kloster Tünna?« Dienstg., den 26. Mai [26. Mai 1936] O. hat dasselbe Schreiben am 20. schon bekommen. – Am Donnerstg. war Wilms in der Bibelstunde u. erzählte O., daß Pfr. Fischer-Elgersburg kürzlich hier in dem kleinen Kreis der Möttlinger256, die nicht D.Chr. sind (Dora Hackmack), für die NiemöllerRichtung geworben hätte. Es steigt schon auf Bäume. Das ist hinterhältig. – In Jena neulich ist die Sache glatt gegangen.257 O. sagte lachend, es sei überhpt. keine Diskuss. gewesen, er habe wohl zu lange gesprochen. Aber die Leute seien dankbar gewesen für Aufklärung. Am Freitag war O. in Gotha. Währenddessen hatte die »Krimi« angerufen. Vernehmung auf der Polizei am Sonnabend betraf die Rundbriefe. O. hat darauf auf-

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Schreiben des Reichskirchenausschusses an das Landeskirchenamt (sic!) Eisenach vom 18. Mai 1936, LKAE, A 800, 72. Eingeladen war Schreiner. Vgl. dazu Tgb. 12. und 23. Oktober 1934. Vgl. Tgb. 15. Mai 1936.

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merksam gemacht, daß er s.Zt. bei dem Verbot festgestellt hätte, daß er rein geschäftliche Mitteilungen u. Abschriften von Briefen des K.A. z.B. nicht als unter das Verbot fallend betrachten würde. Darauf habe er damals keine Antwort erhalten und also mit Zustimmung rechnen dürfen.258 Dies wurde zunächst vermerkt. Weiteres wird er hören. Das ist eine Gemeinheit – Er bekommt von allen Seiten Rundbriefe. Nur in Thür. scheint man diese Schikanen zu machen. Und die D.Chr. schreiben unbekümmert drauf los – abgesehen von all ihren anderen unbegrenzten Möglichkeiten. Bei einem »Aufbauabend« in Saalfeld waren kürzlich – genau gezählt – 66 Besucher, einschließlich etwa 5 Bekenntnisleute als Beobachter. Der Aufregung über den K.kreis Neustadt neulich lag – wie mir Ottos mitteilten – Folgendes zu Grunde: Der neutrale Oberpfarrer Stössner dort hat die »Aufbau-Wochen« abgelehnt und von 17 Pfarrern des K.kreises 14 dazu veranlaßt, dasselbe zu tun! Einem Protokoll vom 12.5. entnahm ich, daß man ihn als Ob.pfr. absetzen will. – In Pößneck wird gegen Pfr. Heinrich gehetzt. Er sei »unmöglich« für die Gemeinde. Dagegen hat er darauf hingewiesen, daß er den stärksten Kirchenbesuch u. die größten Kollekten habe u. den Beweis angeboten. Man könne deshalb keinesfalls behaupten, daß er »unmöglich« sei. Er hat sich geweigert, von P. fortzugehen.259 Am Freitag bekam ich zum erstenmal seit Monaten wieder engl. Presseausschnitte mit Einzelheiten über den deutschen Kirchenkampf. In Nassau-Hessen nach dem Amnestieerlaß 5 Pfr. ausgewiesen, Pecina-Seelow im Gefängnis. Schreckliche Sache in Salzwedel, wo ein Pfr., der bei der Reichstagswahl die Glocken nicht geläutet hätte, von SS-Leuten mißhandelt worden sei. Man habe ihm ein Plakat auf d. Brust geheftet u. ihn dann durch die Straßen geführt »to be jeered at.«260 Dann im SS-Heim mit Gummiknüppeln bearbeitet u. in den Keller geworfen. – Ein Pfr. aus Brielow sei von SALeuten vom Rad gerissen u. mit Füßen getreten worden. Frau O. [M.] sagte, die Sache aus Salzwedel sei furchtbar, man hätte den Bericht kaum lesen können. Der Pfr. habe den Brief sr. Behörde mit der Anweisung zum Glockenläuten nicht bekommen usw. – Am Sonnabend kam ein halb »offizielles« deutsches Dementi, das man der Times zugeschickt hatte, in dem die Dinge so hingestellt wurden, daß alles sehr verharmlost u. die betr. Pfarrer als die Schuldigen hingestellt wurden. (Germanisch soll es bekanntl. sein, für seine Taten einzustehen). Der Fall Pecina sieht so aus – nach Bericht v. O.: P. war ausgewiesen, durch Amnestieerlaß wieder in d. Gemeinde. Nachts wurden ihm die Fenster eingeworfen und es wurde ins Pfarrhaus geschossen. Am nächsten Tag erhält er Ausweisungsbefehl, da seine Anwesenheit den Frieden in d. Gemeinde störe. Diesem Befehl gehorcht er nicht, da er ja nichts getan hat. Das ist begreiflich. Er hat hier aber doch falsch gehandelt. Nun wird er festgenommen u. eingesperrt! Der, dem man die Fenster eingeworfen hat, sitzt im Gefängnis, die Täter hat man wahrscheinlich nicht gefaßt. 258 259 260

Zum Verbot der Rundbriefe vgl. Tgb. 8. April, 26. Juni, 13. und 29. November, 4., 5. und 9. Dezember 1935, 4., 27. und 30. Januar und 4. Februar 1936. Zum Fall Pfarrer Heinrich in Pößneck vgl. Tgb. 23. Mai 1934, 13. und 14. Mai 1936 sowie Biogramme. Um ihn dem Gespött [der Straße] preiszugeben.

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Auch gestern hatte ich lange zu übersetzen. Die engl. Kirche hat in einer offiziellen Veröffentlichg. (»3. survey«261 über die Lage der Auslandskirchen) einen Bericht über die Lage der Dtsch. Ev. Kirche, umfassend die Monate Sept. bis März, gegeben, aus dem die engl. Zeitungen nun Auszüge bringen. Der Hauptton wird dabei auf die Tatsache gelegt, daß immer dann, wenn die Friedensbemühungen erfolgreich zu sein scheinen, eine erneute Tätigkeit der Geh. Staatspolizei wieder Mißtrauen sät. Man beschuldigt die Partei, sie übe einen Druck auf Kerrl [aus] u. wolle eine Versöhnung zwischen Staat u. Kirche nicht. Unvermittelt werden dann gegensätzl. Bemerkungen von Hitler u. Kerrl zitiert. Einen glänzenden Leitartikel über »Gewissensfreiheit« (zur weltanschaul. Lage, ausgehend v. d. D. Gl. u. Reventlow) brachte die Lokalztg. der »Frankf. Ztg.« am Himmelfahrtstag. Am Sonnabend, d. 23.5., kam mit den Argusnachr.262 ein Ausschnitt aus dem neuesten »Reichsboten«: »Thüringen als kirchliches Notstandsgebiet«. Darin war ein von O. stammender Bericht (bestätigt!) verwendet. Heute früh ist Sasse zu der Unterredung mit Stahn bei Leffler abgefahren. Sie ist als die »vor einiger Zeit bereits geplante Besprechung« von Stahn verlangt worden. Sie muß ja sehr eilig sein, denn sie soll »am Krankenbett« stattfinden.263 Eben Mitteilung: Stüber sei sehr niedergeschlagen u. aufgeregt gewesen – gestern. Soeben habe Volk etwa ¼ Stunde lang mit Franz im Haus telephoniert. 2 kurze Sätze sind aufgefangen worden, zwischen ihnen liegen etwa 5 Minuten. »Wenn das eine höhere Gewalt will …« »dann muß es eben öffentlich ausgetragen werden.« Es soll sich um Köppelsdorf gehandelt haben. Die Nachricht vom Eintritt des sächs. Landeskirchenausschusses in den luth. Rat u. damit in die bekennende Kirche stand in d. Sonntagsausg. der »Leipz. N. N.«264 Volk hat es heute auf s. Schreibtisch gefunden. Ob die Aufregung daher kommt? (Therese sagte wahrhaft »Ob Volk das überhaupt versteht?«). Eben kommt ein D.Chr. u. erzählt: Er hat die Personalakten des bisher. Leiters der D.Chr. in Hannover, Hahn, durchgelesen, der Pfr. in Friemar wird (oder dort die vikar. Verwaltung bekommt). Sie seien sehr interessant. »Ach die Ausdrücke! Erst sitzt er auf dem hohen Pferd, dann wird er ganz klein. Er hat erst noch Aufschub verlangt, die Sache der Thür. D.Chr. in Hannover wüchse langsam, aber sicher usw. Plötzlich ein Telegramm: Er wolle sofort kommen. Dazu Schreiben, man solle gleich seine Personalakten kommen lassen u. nicht damit zögern. Kerrl hätte »dem Erzreaktionär« Marahrens« Recht gegeben usw. Ich wurde nicht recht klug aus der Geschichte. Akten nachmitt. gelesen. Ebenfalls soeben gehört, verläßlich berichtet: Gespräch zwischen Männel u. Sasse: »… Aber die 3000 in Westfalen, das ist doch sehr schön!« – »Glaubt doch nicht, daß das etwas ausmacht! 3000 ist garnichts. Das hilft uns nicht weiter!«

261 262 263 264

Überblick. Argus-Nachrichtenbureau Berlin; vgl. Tgb. 27. Mai 1933. Vgl. Tgb. 28. April, 4., 6., 12. und 19. Mai 1936. Wie Anm. 245.

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Morgen Abend spricht Sasse hier im Nat.soz. Juristenbund265 über die kirchl. oder kirchenrechtl. Lage! Gestern wurde mir noch gesagt, Erich Reichardt hätte von der Reichstagg. der nat.soz. »Rechtswalter«266 die Nachricht mitgebracht, Kerrl wäre erkrankt u. für 4 Monate beurlaubt. Es solle geheim bleiben, damit nicht falsche Schlüsse gezogen würden. Er sei bei der Eröffng. des Dommuseums in Halberstadt ohnmächtig geworden. Einzelheiten. Obs wahr ist? Nun endlich das Wichtigste: »Lutherischer Tag« in Gotha am 24. Mai.267 Sonntg. Nachm. 4 Uhr Gottesdienst von Hahn [H.]. Die sehr große Kirche (Emporen sehr breit) nicht ganz gefüllt (am gleichen Nachm. Rennen auf dem Boxberg). Trotzdem die Gothaer offenbar erstaunt, daß so viele Leute in die Kirche gingen. Danach im Gemeindesaal Vortrag von Otto, hauptsächlich für die Abgeordneten aus allen Bekenntnisgemeinden Thüringens (etwa 60) bestimmt. Er erbittet von ihnen Zustimmung zu der Erklärung der Thür. Bekenntnispfr. vom 10.7.35, mit der die geistl. Leitung der D.Chr. abgelehnt wird.268 Hoffentl. geht alles glatt. Abends 8 Uhr wundervoller Vortrag von Hahn [H.] über die Christenverfolgung im Baltikum u. in Rußland. Der war unvergeßlich. Die Kirche, soweit ich sehen konnte, ganz voll. Die Gemeinde lauschte atemlos ohne sich zu rühren. Auch dies Lauschen war ungeheuer eindrucksvoll. Ich erlebte es deshalb so stark, weil ich in quergestellten, etwas erhöhten Bänken unmittelbar unter der Kanzel saß, den Vortragenden nicht sehen konnte, aber die Gemeinde vor mir hatte. O. kommt erst am Donnerstag wieder. Er ist heute in Schmölln zu einem Bekenntnisgottesdienst u. morgen in Dresden zur Feier der Aufnahme des sächs. L.K.A. in den luth. Rat (darunter sind auch 2 ausgetretene D. Chr).269 – Hahn [H.] sei glücklich. O. legt sehr großen Wert auf diese Entwicklung. Ich ahne, daß es eine Wendung bedeuten kann, sehe es aber noch nicht ganz klar. O. hält den Gang der Dinge in Hessen für die unglückliche Folge der Niemöllerschen Politik. Dort hätte es auch so gehen können wie in Sachsen. Es scheint, daß in Hessen Dietrich wieder mächtig wird. So hatte Jauernig gesagt, der Therese besucht hatte. Alle D.Chr.-Richtungen haben sich dort zusammengefunden, um Dietrich zu stützen. Otto stellte übrigens in s. Vortrag klar fest, daß der Endkampf in der Dtsch. ev. Kirche [DEK] in Thüringen gekämpft werden müsse. Die Thür. D.Chr. seien in letzter Zeit stark gewachsen (wohl hauptsächl. durch Zuzug von D.Chr. Berliner Richtung) u. es stünde nun der schwächsten Bekenntnisgruppe im Reich der stärksten Gruppe der D.Chr. gegenüber (die Berliner [RDC] seien vollkommen im Zerfall). Er hat eine fabelhaft vornehme Kampfesweise. Nichts kleinliches wird vorgebracht, nur die großen 265 266

267 268 269

»NS-Juristenbund = Pflichtorganisation für alle Juristen« (NS-Deutsch, 137). Gemeint ist wohl der 1936 gegründete Nationalsozialistische Rechtswahrerbund (NSRB), in dem alle in der Rechtspflege Tätigen zusammengefasst waren; vgl. Enzyklopädie des Nationalsozialismus, 609; NS-Deutsch, 152. Vgl. Tgb. 19. Mai 1936. Das Ereignis ist dokumentiert in: LKAE, LBG 53. Vgl. Tgb. 7. und 17. Juli 1936. Vgl. Tgb. 15. und 26. Mai 1936 sowie Anm. 245.

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Linien. Er läßt ihnen ihre »echte Religiosität u. Leidenschaft« – den Führern Leff u. Leu [Leutheuser] nämlich. – Wenn ich denke, daß ein Mann mit der Vergangenheit von Lehmann 3 Jahre als Kirchenrat in Thüringen herumlaufen kann, ohne persönl. angegriffen zu werden! O. hat am 26. die Nachricht aus d. K.min. bekommen, daß die D.Chr. in Bekenntnisgemeinden ihre Aufbauabende in BK-Gemeinden nicht mehr halten dürfen. Mittwoch, d. 27.5.36. [27. Mai 1936] Kerrl hat den von Erich Reichardt berichteten Ohnmachtsanfall offenbar wirklich gehabt. Irgendeine Herzgeschichte. O. hat es aber auch nur durch Hörensagen erfahren. Weder der R.K.A. noch der Lutherische Rat haben irgend etwas darüber mitgeteilt. Das ist umso erstaunlicher, als Lilje am Montag in Gotha war u. bei unserer Tagung 20 Min. (über den luther. Rat) gesprochen hat (er kam von Bethel u. fuhr gleich nach seiner Ansprache nach Berlin zurück). Frl. Koeppen erzählte, O. sei sehr dankbar für den Verlauf der Tagung gewesen, obwohl die Entschließg., die er durchbringen wollte, nicht ihrem vollen Wortlaut nach angenommen worden ist. Er hat dann im letzt. Augenblick darauf verzichtet, die Festlegg. auf die Stellung zum luth. Rat zu fordern. – Man hätte übrigens an dem Referat von Werner-Kosma sehr deutlich gespürt, daß auch der den Bruch vermeiden wollte. Vormittags sei d. Thema hauptsächlich »Aufbau der Gemeinde« gewesen mit kurzen Referaten von Köhler-Hildburghausen (Jugendarbeit), Frau Pfeiffer [H.] (Frauenhilfe) u. Kropatscheck-Altenburg (Schule) über ihre Arbeit. Nachmittags dann Kirchenpolitik (mit Referat von Bauer [G.]). Die »Krimi« sei dauernd da gewesen, in Zivil. (Die »Krimi« und »der Kri«). Bauer [G.] hätte zum Schluß gesagt, man hätte mehr durchdrücken können. Aber O., wie gesagt, froh (Scharfes Vorgehen hätte wohl die innere Spannung verstärkt). 1 Uhr mittags. Es war ein bewegter Morgen heute. Viele Besuche waren da, darunter auch ein wichtiger ( )b. Wir spannten auf Eindrücke von der gestrigen Fahrt des Labi nach Weimar (Stahn-Leffler). Folgende Bemerkung von V. wurde gehört.270 »Es werden sich sehr schwerwiegende Dinge ereignen. Es kann sofort geschehen, es kann sich auch über Pfingsten hinziehen. Ich muß auf meiner Urlaubsreise (gleich nach Pfingsten) dauernd erreichbar sein. Ich habe angeboten, hier zu bleiben, die Herren wollen das aber nicht.« D. 28.5., Donnerstg. [28. Mai 1936] Über die gestrige Sitzg. im Zimmer des Labi wurde noch bekannt, daß währenddessen der Kreisleiter anrief. Auf Hinweis auf die Sitzg. antwortete er: »Wegen der Sitzg. rufe ich ja gerade an.« Hinterher hat man telephoniert mit Sachbetreff: »Schwierigkeiten in Köppelsdorf u. Herpf.« Das kann ja aber eine nebenbei behandelte Sache sein. – Ob Stahn-Leffler-Sasse mit Sauckel in W. [Weimar] verhandelt haben? Das würde natürl. den Kreisleiter interessieren. b 270

Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz, vgl. Übersicht Strichzeichnungen. Vgl. Tgb. 28. April, 4., 6., 12., 19. und 26. Mai 1936.

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Erich Reichardt hat Therese eine etwas undeutl. Beschreibg. des gestrigen Vortrags von Sasse gemacht u. dabei beiläufig erwähnt, daß er, Reichardt, nachher im Gespräch auf eine Anfrage nach der Zahl der D.Chr.-Pfarrer in Thür. geantwortet habe: »Wir haben etwa 70, auf die wir uns verlassen können«. Diese Antwort ist kaum zu verstehen. Sie haben doch wohl mehr als 70 Thür. Pfarrer unter den Mitgliedern und Reichardt wird eher geneigt sein, aufzuschneiden als die Zahl zu gering anzugeben. Freitg., d. 29.5.36. [29. Mai 1936] Gestern Abend Bibelstunde. O. kam etwas verspätet, unmittelbar aus Dresden. Gleich nachdem er den Text verlesen hatte, sagte er, er wollte zunächst mit ein paar Worten schildern, was er erlebt hätte. Er berichtete kurz u. eindringlich von d. Gottesdienst in d. Frauenkirche in Dresden am Mittwoch Abend. Etwa 5000 Menschen, darunter 1000 von den etwa 1200 sächs. Pfarrern (im Talar!). (Ein Zug der Pfarrer von d. Kreuzkirche zur Frauenkirche war verboten worden). Der Gottesdienst hatte etwa 2½ Stunden gedauert. Man merkte, daß O. glücklich war. Er sagte, es sei wunderbar gewesen, nach soviel Zerrissenheit in d. Kirche diese Einigkeit von 1000 zu erleben. Er erzählte nach d. Bibelstunde noch mehr. Das Gespräch in Isenhagen ist abgesetzt u. vorl. verschoben bis Mitte Juli.271 (Es wird wohl überhpt. nicht stattfinden). Als Grund ist angegeben, daß der Zeitpunkt zu Vielen nicht gepaßt hätte. Vielleicht ist ausschlaggebend aber doch ein sehr scharfer Brief von Breit, der das Gespräch für unmöglich hält. Man sei sich klar über die Thüringer, ihr Schriftenmaterial läge ja vor. Unter diesen Umständen sei es eine Lüge, mit ihnen in dieser Weise zusammenzusitzen u. gemeinsame Andachten zu halten. Er nimmt auch Anstoß an der Anwesenheit von Meyer-Erlach, der ein Pamphlet über Meiser geschrieben hat.272 Das Wichtigste in Sachsen ist, daß eine ganze Landeskirche sich anschließt. Jetzt verstehe ichs (ich dachte erst, nur der Ausschuß wäre beigetreten) O. erzählte einem kleinen Kreis hinterher: Das K.min. hat den Anschluß nicht erlauben wollen. Bis zum letzten Augenblick wußte man nicht, ob der Gottesdienst stattfinden konnte. Da Kerrl krank ist, vertritt ihn v. Detten (katholisch u. Jurist). Der hat einen unglaubl. Brief geschrieben; darin den Satz, der Ausschuß hätte seine Befugnisse überschritten u. die sächs. Kirche »an eine andere Kirche« angeschlossen. (O. meinte, diesen Satz würde Kerrl doch viell. nicht geschrieben haben.) Darauf sind zwei Herren vom K.A. nach Berlin gefahren u. haben mit Detten gesprochen. Zoellner u. der sächs. Ausschuß haben die Kabinettsfrage gestellt. Darauf hat Detten nachgegeben, nur noch den beabsichtigten Zug in die Kirche verboten. (Die 1000 Pfr. im Talar wollten von d. Kreuzkirche in die Frauenkirche ziehen!) Aber wie O. sagte, »1000 Pfarrer kann man nicht verstecken!« So haben sie sich in den Gemeindehäusern gesammelt, dort die Amtstracht angelegt, u. sind in Gruppen zu 50 (!) von allen Seiten zur Frauenkirche gekommen. Der Luth. Rat (darunter E. O.) hat sich in der Sakristei gesammelt u. ist dann heraus u. um die Kirche herum gegangen, damit der Zug sich formieren konnte. So sind sie in 271 272

Vgl. Tgb. 22. Mai 1936. Wolf Meyer-Erlach, Kirche oder Sekte. Offener Brief an Herrn Landesbischof D. Meiser, München, Weimar 1934.

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d. Kirche eingezogen – die 5000 Menschen faßte. Sie sei voll gewesen bis an die Türen. Der Gottesdienst habe 2½ Stunden gedauert. Er habe zum Schluß etwas darunter gelitten, daß Zoellner, der 5 Minuten sprechen sollte, 35 Minuten sprach, zu lange sprach – er habe sein ganzes Kirchenprogramm entwickelt. Infolgedessen versäumten 500 Pfr. ihre Züge – man hatte vorgesehen, die D-Züge ausnahmsweise an kleinen Stationen halten zu lassen! (Aber das war ja eine Kleinigkeit). Danach seien luth. Rat u. Ausschuß noch beisammen gewesen. Zoellner überglücklich. (Am nächsten Morgen hat dann der luth. Rat noch einmal getagt.) O. sagte, er hätte bei dieser Gelegenh. Zoellner gefragt, wie er sich die Lösung in Thür. dächte. Man will 2 geistliche Leitungen schaffen – nach Ottos Vorschlag. Die Bekenntnisleute sollen vollständig selbstständig werden. Pfr. u. Gemeinden müßten sich entscheiden – nach u. nach. Zunächst bekommen wir einen Finanzausschuß273, der den Auftrag bekommt, dafür zu sorgen, daß keine kirchlichen Gelder mehr für die Propaganda der D.Chr. ausgegeben werden. Die Verordnung läge fertig im K.min. Sie könne noch vor Pfingsten herauskommen, es könne sich auch bis nach Pfingsten hinziehen. Als O. dann noch erzählte, die entlass. Hilfspfarrer müßten wieder eingesetzt werden, hätte ich vor Freude mitten auf der nächtlichen Korbhäuserstr. beinah getanzt. Das alles meinen Leuten auf d. Pflugensberg nicht zu erzählen ist mir sehr schwer geworden. D.h. Dresden muß natürl weiter erzählt werden, Schmölln auch, wo O. am Dienstag auf d. Fahrt nach Dresden einen Bekenntnisgottesdienst hielt. Volle Kirche. Allein aus seiner ehemal. Altenburger Gemeinde seien 3 Autobusse mit 160 Menschen gekommen. Aus Gößnitz – aus der Ganzen Gegend – seien Leute dagewesen. Über die künft. Regelung durfte ich natürl. kein Wort verlauten lassen. – Aber ich mußte über den Finanzausschuß den treuen Menschen, die mit uns harren u. hoffen, eine Andeutung machen. Zu Frl. Sommer sagte ich, sie würde bald etwas Erfreuliches erleben – es hinge mit den Finanzen zusammen. ( )a sagte ich so viel, daß er den Rest ungefähr erraten konnte, ( )c [und] ( )b fast alles. Ebenso Johanna Paulssen [J.]. Doch Niemand eine Andeutung über die 2 geistl. Leitungen. Arbeiten konnte ich nicht. Es war ein strahlender Tag. Ich saß in m. Mansard am Fenster u. sah bald in d. Akten Wenigenlupnitz 1795 oder nach der Wartburg. D. 30.5. [30. Mai1936] Eine merkwürd. Sache hat sich gestern vormittag in d. großen Halle abgespielt. Eine sehr elegante Dame hätte den Labi kurz sprechen wollen. Frl. Sommer meldet sie an – Sachbetreff: Kirchenmin. Stahn. Der Labi kommt heraus in die große Halle. Sie sagt ihm ganz kurz etwas. Drauf braust er auf: »Lüge, Verleumdung.« Drauf fragt sie, ob er nicht eine »Abschrift« haben wolle. Er wehrt heftig ab, sagt etwas von »Gesuch stellen«, stürmt in sein Zimmer zurück u. läßt sie sitzen. Sie verläßt mit hoch erhob. Haupt

273 a c b

Zu Erwartung eines Finanzausschusses vgl. Tgb. 4. Januar 1936. Strichzeichnung Männerkopf, steht für Friedrich Bernewitz, vgl. Übersicht Strichzeichnungen. Strichzeichnung Frauenkopf mit Locken, steht für Hanna Linde, vgl. ebenda. Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz, vgl. ebenda.

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das Lokal. – Wir dachten uns darunter eine Sekretärin von Stahn, die hier Quartier machen sollte. Aber ( )b, dem ichs erzählte, machte darauf aufmerksam, daß da nicht eine Dame voraus geschickt werden könnte. Das sei völlig unwahrscheinl. Das ist natürl. richtig. Frl Sommer sagt, der Labi sei völlig »abwesend« gestern gewesen, Stüber auch. Nicht aufgeregt, wie sonst oft, aber präoccupiert. Fortlaufend wird jetzt mit der geh.Staatspolizei telephoniert, mehrmals am Tag, u. Leffler angerufen. Gestern Leffler mit dem Auftrag, einen bestimmten Mann (Rausch?) von der Geh. St.P. mitzuteilen, Sasse würde nachm. selbst noch einmal zu ihm kommen. Er ist mit Franz zus. im Auto hingefahren. In den letzten Tagen haben sie alle schwebenden Disziplinarsachen wieder verhandelt, fortwährend wurden die Akten verlangt. Vor 2 Tagen ist ein Kriminalbeamter auch bei Volk gewesen wegen des Volksdienstes. Kurz danach die Personalakten von Frl. Quambusch verlangt u. ein. Lebenslauf darin vermißt, der nachgefordert werden sollte. Aber der traue ich nichts Kriminelles oder Politisches zu. Das wird wohl anders zusammenhängen. Bei Ottos hat die Krimi nach Möttlingen angefragt. An Jansa verwiesen.274 Man hat nach dem allen die Eindruck, daß auf allen Seiten fieberhaft geforscht wird um irgendetwas auszuspüren u. sie wissen wohl selbst nicht, was. Otto betonte, Kerrls Erkrankung sei keine diplomatische. Er hätte einen Schlaganfall gehabt mit Lähmungserscheinungen. Man wüßte noch nicht, was daraus werden könnte.Gestern nachm. sprach ich mit ( )b, der vom Vortrag des Labi auf dem Juristenabend erzählte. Danach hatte ich den Eindruck, daß Sasse bei dieser Gelegenheit wirklich einmal alle Tarnung abgestreift habe u. daß es eigentlich schade sei, daß das Isenhagener Gespräch abgesetzt ist. Sie haben sich vielleicht jetzt wirklich entschlossen, alle Tarnung aufzugeben. Die Theologie sei erledigt. Er spräche deshalb nur als Nationalsozialist u. ginge vom Nationalsozialismus aus. Der Gedanke an Inspiration oder Göttlichkeit der Bibel sei absurd und von allen Theologen von rechts bis links abgelehnt. (Es war nicht Verbal-Inspiration gemeint.) Aus der Bibel könne nur noch das gelten, »was den Menschen von heute anspricht«. Also z. B. das Gleichnis vom verlorenen Sohn275. Dagegen die Auferweckung des Lazarus276 – »da kann ich nicht mit«. Das alles würde »um der Tradition willen« noch mitgenommen. Aber – obwohl es der Führer in »Mein Kampf« abgelehnt habe, Reformator zu sein277 – sei es seine feste Überzeugung, daß der Inhalt der Kirche einmal der Nat.sz. sein u. der Führer auch der Führer der Kirche sein würde. Es sei die Aufgabe der D.Chr., die Konfessionen zu überwinden usw. – Gar kein Gedanke mehr von Gottesbotschaft u. Gottessohnschaft Christi und Ewigkeit u. göttlichem Befehl. Ich sagte darauf, ich wollte gar nicht von b 274 b 275 276 277

Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz, vgl. ebenda. Vgl. dazu Tgb. 12. und 23. Oktober 1934 und 26. Mai 1936. Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz, vgl. Übersicht Strichzeichnungen. Lk 15,11–32. Lk 16,19–31. »Ihre [der Bewegung] Aufgabe ist nicht die einer religiösen Reformation, sondern die einer politischen Reorganisation unseres Volkes« (Hitler, Mein Kampf, 379); vgl. dazu auch Scholder I, 110–123.

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Theologie reden. Nur vom Charakterlichen. Und da sei es doch eine bodenlose Lumperei, daß ein Mann, der offenbar nie einen christl Glauben gehabt habe, Pfarrer geworden sei, u. daß er es fertig gebracht hätte, sogar Landesbischof zu werden, das Ordinationsgelübde zu leisten u.s.w. Das Ganze enthüllt sich mir als ein Riesenbetrug von ungeahntem Ausmaß. Und diese Leute wollen dem deutschen Volk »Treue« u. anständige Gesinnung lehren. Das sind charakterlich einfach Lumpen. Glauben kann einer, was er will, ich nehme es ihm nicht übel, aber ehrlich muß er sein. Daß solche Kerle auch bei anderen keine anständige Gesinnung voraussetzen, das ist kein Wunder. Volk hätte dem Landesbischof nach dieser Enthüllung ergriffen die Hand geschüttelt. Reichardt [E.] jun. hat begeistert von diesem Vortrag, der »von ganz hoher Warte aus« gehalten worden sei, berichtet. Eben erfahre ich im Haus, Sasse sei heute früh 8 Uhr schon wieder fort – zu Leffler. Vorher habe er die Kreisleitung durchaus sprechen wollen, der Kreisleiter schliefe aber noch, wurde gesagt. Heute nachmitttag – Sonnabend vor Pfingsten – muß die Kanzlei arbeiten. Es sollte etwas an die gesamte Pfarrerschaft hinausgehen. Was – wußte keiner. Man kann förmlich Angst kriegen. Und alle Leute, von denen ich etwas erfahren könnte, sind schon in den Ferien. In den »Briefen an D.Chr.« habe neulich einmal ein Satz gestanden, der nicht stimmte, daß nämlich Hitler selbst den D.Chr. den Namen gegeben hätte. Leutheuser hätte den V.D. einen »Saustall« genannt278 wegen dieses Vorkommnisses. Wie kann das aber gedruckt werden – man hat doch offenbar diese Behauptg. verbreitet. Einer hat es doch aber geglaubt. Man kann fast nicht arbeiten. Entweder kommt – alle 1–2 Stunden – jemand u. hat irgendetwas gehört, woraus man nur entnehmen kann, daß etwas vorgeht, oder ich gehe durchs Haus aus irgendeinem Anlaß u. es flüstert mir jemand auf der Treppe etwas zu oder ich frage selbst, ob nicht einer was weiß. Therese gehts wie mir, sie kann auch nicht arbeiten. Trotzdem beginnt man immer aufs neue. 64 Autos hätten die D.Chr. – wurde erzählt.279 Wahrscheinl. sind das z. Teil Autos von D.Chr.-Pfarrern, denen sie womögl. noch zur Anschaffung landeskirchl. Mittel gegeben haben. Mittwoch, d. 3. Juni 36. [3. Juni 1936] Am Sonntg., 1. Pfingstfeiertag, abds., war ich noch einmal bei Ottos. (O. hatte am Morgen in der sehr vollen Georgenkirche gepredigt, 1. u. 2. Empore besetzt). Der L.K.R. hat allen Pfarrern eine Aufstellung über die Ausgaben des Volksdienstes in den Jahren 278

279

Der Name »Deutsche Christen« begegnet zum ersten Mal als Bezeichnung einer kirchenpolitischen Gruppe um Leffler und Leutheuser bei den Kirchenvertreterwahlen 1931 in Altenburg (vgl. Scholder I, 246). Hitler war an der Namensgebung insofern beteiligt, als der Name 1932 offiziell für die Gruppe »Evangelischer Nationalsozialisten« um den märkischen Gauleiter und Vorsitzenden der nationalsozialistischen Fraktion im preußischen Landtag sowie um den Pfarrer Joachim Hossenfelder in Berlin eingeführt wurde, da »Adolf Hitler … keinen Ansatz zur konfessionellen Aufteilung innerhalb der Partei wünsche« (ebd., 260). Die Anschaffung von Kraftfahrzeugen für und durch führende Vertreter der KDC war ein bewußt eingesetzes strategisches Element der Propaganda zur Ausbreitung der nationalkirchlichen Idee, insbesondere über den Bereich der TheK hinaus; zu Vortragreisen, Propagandafahrten Tgb. 4. Januar 1936 u.öfter. Zu diesem Zweck wurden verschiedentlich auch Darlehen beim LKR der TheK beantragt.

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1929–1935 zugehen lassen.280 Sie ist so frisiert, daß der Betrag an Mehrausgaben der D.Chr. gegenüber den Ausgaben zur Zeit von Otto verhältnismäßig sehr gering erscheint. Natürlich können sie einfachen Leuten Sand damit in die Augen streuen. Es sind eben einfach Mittel aus landeskirchl. Geldern in die Vortragstätigkeit u. Propagandaarbeit gesteckt worden. Am Sonnabd. hat Otto das Verbot bekommen, Rundbriefe irgendwelchen Inhalts an die Pfr. der Bekenntnisgemeinschaft zu schicken.281 Also darf er auch rein geschäftliche Mitteilungen nicht mehr ausgeben. Das ist eine ungeheure Erschwerung der ganzen Tätigkeit der Bek.gem. Er sagte reuevoll: »Ich darf überhpt. keine Mitteilungen mehr versenden, solange ich nicht Mitglied der Reichspressekammer bin. Sie haben mir 1933 geraten, es zu werden u. ich Esel habs nicht getan.« Hoffentl. läßt sich das nachholen. Ohne neue Schikanen wirds nicht abgehen. Außerdem ist ja nicht einzusehen, was vervielfältigte Rundbriefe an einen beschränkten Kreis von wenigen 100 Pfarrern mit der Presse zu tun haben. Weiter hat die Krimi (offenbar schon vor dem Gothaer lutherischen Tg.) bei Bauer [G.] sämtl., seit 1933 ausgegebenen Rundbriefe beschlagnahmt. Wozu nun bloß. Ob sie sich immer noch einbilden, politischen Umtrieben auf die Spur zu kommen? Oder geschieht das nur, um Sasse einen Gefallen zu tun, damit er alles durchlesen kann? Was man sucht, wird man freilich darin nicht finden. Am 13. u. 14. darf für die I.M. gesammelt werden – aber ohne Listen! Bloß Plakettenverkauf. Und am gleichen Tag haben Caritas, Rotes Kreuz u. noch irgendein Verband Sammelerlaubnis! ( )b redete mich eben auf die Aufstellg. der V.D. Ausgaben an: »Das glaubt doch kein Mensch!« Ein anderer ( )a sagte mir, die ganzen Kosten für die sog. Aufbau-Abende u.s.w., seit diese Tätigkeit überhaupt aufgenommen wäre, gingen auf Kosten des L.K.R., Kap. 386 (früher 350) und die dabei eingenommenen Kollekten würden sofort auf V.D.-Konto vereinnahmt, erschienen dort aber nicht in Ausgabe sondern nur in Einnahme! Helmuth Looß übrigens, der den »off. Brief« an Ernst Otto geschrieben hat, ist aus der D. Gl. ausgetreten! Nach der letzt. V.O. von Rud. Heß282 hätte er als S.A. Mann nur nötig gehabt, seinen Posten als Leiter niederzulegen. Er ist, wie aus d. Protokoll der Ob.pfr.konf.283 hervorgeht, von der SS aus bestraft worden, weil er mit s. off. Brief einer 280 281

b a 282 283

Schreiben des LKR der TheK an alle Oberpfarrämter und Pfarrämter vom 29. Mai 1936, LKAE, Rundschreibensammlung, 197. Drei Schreiben zum Verbot der Herausgabe und Verbreitung von Mitteilungsblättern der LBG Mai/Juni 1936: Schreiben Ernst Ottos an [die Mitglieder der LBG ?] vom 30. Mai 1936 (I), Schreiben des Leiters der LBG an den Rat der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands vom 5. Juni 1936 (II), Schreiben von Rechtsanwalt Dr. Prehn an Pfarrer Ernst Otto vom 19. Juni 1936, LKAE, LBG 199a, nicht foliiert (III). Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz, vgl. Übersicht Strichzeichnungen. Strichzeichnung Männerkopf, steht für Friedrich Bernewitz, vgl. ebenda Anordnung des Stellvertreters des Führers an alle Reichs- und Gauleiter vom 14. Juli 1935, in: Dokumente zur Kirchenpolitik des Dritten Reiches III, 130. »Oberpfarrer Leichte … orientiert auch über den Fall des Eisenacher Führers in der Glaubensbewegung, Looß, der gegen den Befehl des Reichsführers dadurch verstoßen habe, dass er einen offenen Brief an Pfarrer Ernst Otto schrieb, und der deshalb zur Verantwortung gezogen worden

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V.O. von Heß zuwider gehandelt hat, die die SS zur Neutralität gegenüber der Kirche verpflichte! Ein Kriminaler hat O. bei sr. letzten Vernehmung erzählt, daß eine Anfrage nach Looß vorläge. Sollte man nach kommunist. Einflüssen in der D. Gl. suchen? Das wäre Zeit. Freitg., d. 5. Juni 36. [5. Juni 1936] Ich erfahre nichts. Fast alle Leute, die mir manchmal sagen, was vorgeht, sind schon im Urlaub. Ich habe nur noch Beziehungen zur Finanzabteilung. Vorgestern schrieb ich nach Diktat von ( )b einen Bericht über den Vortrag von Sasse im N.S.-Juristenbd.284 nieder u. brachte ihn O. Er sagte gestern, der Bericht sei »außerordentl. brauchbar« u. es würde einem beim Durchlesen völlig klar, daß es sich bei den D.Chr. Thür. Richtg. um eine »andere Religion« handele. Er wird ihn nach Berlin weitergeben ohne Angabe des Verfassers. Als ich am Mittwoch Abd. zu O.s kam, wurde ich in das untere Eßzimmer geführt. In O.s. Arbeitszimmer war schon ein Herr. Im Büro von Frl. Koeppen wartete bereits ein anderer. Ein Herr aus Berlin vom Oberkirchenrat, der bei einer Tagung auf dem Neulandhs.285 beteiligt ist, wurde noch erwartet (wußte wenig über die Thür. Verhältnisse, wollte sich nach d. Neulandhs. erkundigen, sei sehr nett gewesen). Bauer [G.]-Gotha ist auf Urlaub gegangen. Das Büro dort wird jetzt von Pfr. Sylten286 geleitet, der abgesetzt ist, weil er leider nicht ganz arisch ist (Phieler soll in dieser Sache, wie ja von ihm nicht anders zu erwarten war, eine üble Rolle gespielt haben). O. sagte, sie beschäftigten dort jetzt 7 Menschen u. hätten einen Etat von monatl. 1500 M. Wir stellten Betrachtungen an, wie wir uns vorgekommen wären, wenn uns das jemand vor 3 Jahren gesagt hätte (als ich verzweifelt u. ganz allein die Wahlbriefe der Ottoschen Gruppen zur Kirchenwahl im Juli losschickte in der Baudertschen Wohnung!287) Am 1. Pfingstfeiertag bei Paulssens großer Krach mit Therese. Wir sprachen von der Möglichkeit, daß das berüchtigte Kirchenwahlrecht288 von Bedingungen abhängig gemacht werden würde. Bei dem Gedanken, daß sie dann viell. das Wahlrecht nicht erhalten könnte, erklärte sie, dann träte sie aus der Kirche aus. Denn das wäre dann »fast so schlimm wie die D.Chr.«, wenn näml. das Bekenntnis verlangt werden würde. Wir züchteten damit nur Heuchelei. Obwohl nicht die Rede davon war, daß jemand

b 284

285

286 287 288

sei« (Protokoll der Oberpfarrerkonferenz vom 21. April 1936, LKAE, A 122, 44; vgl. auch LKAE, A 190, 17). Zum Fall Looß vgl. Tgb. 24. Februar 1936 u.öfter. Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz, vgl. Übersicht Strichzeichnungen. Vgl. oben Anm. 266 und Tgb. 22. Februar 1936. Auszug aus der Rede des LB Sasse im NSJuristenbund in Eisenach am 27.V.1936 (enthaltend die Hauptgedanken des Vortrags), LKAE, WB 11, 94. Vgl. weiter: »Theologische Gedankenfreiheit « in Thüringen, AELKZ 29 (1936) vom 17. Juli 1936, LKAE, A 776, Bd. II, S. 28. Gemeint ist vermutlich Superintendent Schleuning, der in der Einladung zum 20. Neulandtag vom 29. Mai bis zum 6. Juni im Neulandhaus Eisenach als Mitarbeiter genannt wird; vgl. Neulandblatt 21 (1936), 100 (Nr. 8 vom 15. April 1836). Zum Fall Werner Sylten vgl. Biogramme. Gemeint sind die Kirchenwahlen vom 23. Juli 1933, aus denen die DC als triumphaler Sieger hervorgingen (vgl. Scholder I, 575). Sachverhalt konnte nicht geklärt werden.

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ausgeschlossen werden sollte, der es nicht annehmen könnte – der Betr. sollte bloß nicht mit wählen! Das sei ungerecht! Als ob es auf gleiche »Rechte« ankäme. Opfer will sie wenigstens nicht bringen. Ein kleines Beispiel von den Schwierigkeiten, die noch zu erwarten sind. Am 3. Feiertg., Dienstg., Helferinnenfreizeit in Wartha! Gestern Bibelstunde. Sonntag spricht O. in Vertretung von Pfr. Hoffmann in Mihla. Übrigens die Sache mit der eleganten Dame, die am Sonnabend hier in der Großen Halle auftauchte, hat sich aufgeklärt. Sie sei früher wohl einmal in der Kirchenkanzlei beschäftigt gewesen u. offenbar hysterisch. Hätte sich in Kaltenwestheim niedergelassen u. erklärt, sie ginge dort nicht weg, bis Müller wieder Pfr. dort würde. Sie ist O. auch unheimlich u. er hat vor ihr gewarnt. Heute stehen in der Allgem. Ev.-Lutherischen [Kirchenzeitung] … die Berichte über den Kirchentag in Sachsen am 27. Mai.289 Das Datum muß man sich merken. Und im »Evangelium im III. Reich« ein wüster Brief eines evang. Laien über das Gutachten des Kirchenausschusses über die »Deutsch. Gottesworte«.290 Der R.K.A. beschimpfe die Ev. Kirche, wenn er seinem Vorgänger, den Reichsbischof, Betrug pp. vorwerfe. Leider hat in diesem Blatt sich s.Zt. niemand dazu geäußert, als Ludwig Müller dem Bischof Wurm Unterschlagung vorwarf, von allem anderen ganz zu schweigen. Heute ist offenbar wieder etwas mit Kaltenwestheim los – man merkt es am Telefonieren. Dabei fällt mir ein, daß der junge Reichardt [T.] sich in Kaltenwestheim einmieten will, um die Gemeinde seelsorgerl. zu betreuen. Er muß schon dort sein. D. 6.6.36, (Sonnabd.) [6. Juni 1936] Ich hörte eben, die Frage der Finanzabteilung – die aus Beamten der kirchl. Verwaltung gebildet werden muß – sei bisher daran gescheitert, daß Franz sich nicht Tegetm. unterordnen wolle. Und einen der Referenten (Fritz?) wolle man deshalb nicht hineinnehmen, weil man die doch nicht den Kirchenräten gleichstellen könnte! Jetzt dächte man daran, einen Staatsbeamten, einen Ministerialrat Gerlach, an die Spitze der Finanzabteilg. zu stellen u. Tegetmeyer u. Franz gleichgeordnet ihm zu unterstellen. Gerlach müsse dann eben regelmäßig zu Sitzungen herüberkommen. Das wäre natürl. in der Sache dasselbe, wie jetzt auch. Der Staatsbeamte kennt die kirchl. Verhältnisse nicht u. muß glauben, was man ihm vorredet. ( )b sagte, solche Finanzabteilungen würden überall gebildet u. hätten nur den Grund, dem Staat die richtige Verwendung der von ihm gewährten Zuschüsse zu garantieren. Ich sagte, daß m.W. Finanzausschuß als kirchenpolit. Befriedungsaktion geplant sei;291 offenbar gingen bei den vorliegenden Nachrichten 2 Sachen durcheinander. 289

290

b 291

Laible, [Redaktionsartikel], Ein großer Tag in Sachsen, AELKZ 69 (1936), 534–542; es handelt sich um Berichte aus Anlass des Anschlusses der »Evangelisch-Lutherischen Kirche Sachsens« an den »Rat der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands«. Offener Brief eines Laien an den Reichskirchenausschuß, Evangelium im Dritten Reich 5 (1936), Nr. 23 vom 7. Juni 1936. Die Charakterisierung dieses Briefes als »wüst« und an anderem Ort »übel« ist überzogen. Zur Schrift »Deutsche Gottesworte« des Reichsbischofs Müller vgl. Tgb. 22. April, 4. und 8. Mai 1936. Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz, vgl. Übers. Strichzeichnungen. Zur Erwartung eines Finanzausschusses vgl. Tgb. 4. Januar und 29. Mai 1936.

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Aber ich war doch sehr besorgt geworden. ( )a war auch niedergeschlagen. »Es dauert zu lang«, sagte er, »die Leute verlieren den Mut.« Ich sagte dazu, daß ja wenig darauf ankäme, ob von unseren Leuten aber ein paar den Mut verlören. Deshalb gingen die Dinge doch ihren Gang. »Die Leute hören und vernehmen zu wenig«, sagte er. Das ist nun allerdings etwas, was auch in den Gemeinden eine Rolle spielen könnte. Und das wissen ja die Gegner auch. Daher die Unterbindung aller Nachrichten bei der Bekenntnisbewegg., während die D.Chr. mit allen Mitteln weiterhetzen dürfen. Montg., den 8.6. [8. Juni 1936] Gestern predigte O. in Mihla, hielt nachmittags einen Vortrag. Ich war dort. O. aß mittags bei Wolfs, ich trank dort vorhin mit Kaffee. Am Sonnabend, bei Dienstschluß, noch die Nachricht, daß ganz sichtlich große Aufregung bei den Kirchenräten u. den Führern der D.Chr. geherrscht habe. Es müsse etwas Schlimmes passiert sein. Wir haben aber auch heute nicht erfahren, was. O. schüttelte den Kopf über den Plan über den Finanzausschuß, wie ihn sich der Pflugensberg denkt.292 Ein Pf. Brunotte, vor Kurzem vom R.K.A. in eine der theolog. Kammern berufen, hat im Greizer Gebiet, von einem der Pf. veranlaßt, einen öffentl. Gemeindevortrag gehalten u. darin gesagt, es sei geplant, in Thüringen eine Finanzabteilung mit lauter außerthür. Mitarbeitern zu gründen! – Derselbe hat gesagt, daß alle abgesetzten Hilfspfr. wieder eingestellt werden müßten. O. hatte von jemand anders, ich glaube, es war Breit, gehört, die Verordng. läge fertig im K.min. Aber O. hält die Einflüsse zugunsten der Thüringer D.Chr. für tatsächl. sehr stark! Sauckel. Vielleicht macht es jetzt doch etwas zu unseren Ungunsten aus, daß Kerrl krank ist. Es hat einem ja immer so etwas geschwant, daß dieses lange Hinziehen für Thür. noch unheilvoll werden könnte! Und dann bleibt es eben als Schandfleck bis zuletzt übrig. Aber es ist schwer. Die Thür. Bek.pfr. hätten sich verabredet gehabt, da die Leiter keine Rundbriefe mehr schreiben dürfen, jeder von sich aus mit Schreibmaschinenbriefen, neutrale Pfr. u. nachdenkliche D.Chr. aufzuklären. Ein oder 2 solcher Briefe von Schanze sind aufgefangen worden.293 Jetzt hat die Geh. St.pol. auch diese maschinengeschriebenen Briefe als unter das Verbot fallend erklärt! Jeder Brief, der mit einem anderen gleichlaute, falle unter das Verbot! – Und der L.K.R. hat schon wieder ein 5–6 Seiten langes Schreiben unterm Datum vom 4.6. (O.s erhielten es Sonnabd. Abd.) an alle Pfr. losgelassen, in dem er auf das Schanze’sche Schreiben antwortet und den Bekenntnispfarrern »wissentlich unwahre Behauptungen« vorwirft.294 Und wie sollen die sich nun dagegen wehren! Es ist schon eine Schande. Da wird dauernd behauptet, Staat u. Partei seien

a 292 293 294

Strichzeichnung Männerkopf, steht für Friedrich Bernewitz, vgl. Übersicht Strichzeichnungen. Zur Erwartung eines Finanzausschusses vgl. Tgb. 4. Januar, 29. Mai und 6. Juni 1936. Schreiben von Pfarrer Dr. Schanze an einen (namentlich nicht genannten) Amtsbruder vom 23. Mai 1936, LKAE, A 783, Bd. IV, nicht foliiert. Schreiben des LKR der TheK an die Pfarrämter vom 4. Juni 1936, LKAE, A 783, 200–203.

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kirchlich neutral u. in Thür. sitzt der Leiter der D.Chr. als Sachbearbeiter im Ministerium u. so sieht die Thür. staatl. Neutralität aus.295 O. bekommt von allen anderen Bekenntnisgemeinschaften Rundbriefe. Nur für Thüringen werden die Bestimmungen ständig verschärft. Daß der »Reichsbote« wegen des Artikels über Thür. beschlagnahmt worden ist, schrieb ich wohl schon.296 Der üble Brief eines Laien im »Evangelium im III. Reich«, der den »R.K.A.« wegen des theolog. Gutachtens gegen Müller förmlich anpöbelt, ist als Wurfsendung in Massen verbreitet worden.297 Es stand heute im »Protestantenbl.« oder »Reform. K.ztg.«) Das ist möglich. Und dabei wird von »einheitlicher» Führung in Dtschld. geredet. Als ich heute, Montg. früh auf d. Pflugensberg kam, redete mich Mäscher an. »Lux hat am Donnerstg. unten in der Kanzlei gehört, daß ›andere Leute‹ hier herein kommen sollten. Wissen Sie etwas davon?« Ich sagte, ich wüßte nichts Bestimmtes. Es sei schon möglich. ( )b sagte ich so ziemlich alles, was ich wußte. Er freute sich. Das Schreiben des L.K.R. an alle Pfr. war an die Referenten verteilt worden. Donnerstg., d. 11.6. [11. Juni 1936] Immer noch nichts zu hören u. zu sehen vom Finanzausschuß!!298 Gestern tauchte plötzl. Jauernig hier im Dienstgebäude auf. Kam im neuen Auto. (Kap. 380, früher 350.299) War sehr sieghaft u. fühlte sich als einer der Führer des B.d.M. [Bund der Mitte], so ungefähr schon als Neuorganisator der Kirche. Er war zunächst erfrischend. Hinterher aber, als ich Zeit hatte, Manches zu überlegen, was er gesagt hatte, wurde ich doch bedenklich. Er hat z.B. sowohl ( )b als dem Pfr. Zunkel in M.Vippach [Markvippach]300 abgeraten, aus den D.Chr. auszutreten, damit man sie bei einer Neuregelung als D.Chr., die eigentlich keine sind, verwenden könnte. Das ist nun doch einfach unehrlich. – J. erzählte übrigens, daß er von Wessinger vorgeschlagen sei, als Neutraler in den geplanten K.A. einzutreten, in dem nach Jauernigs Plan außerdem noch D. Otto für die Bekenntnisleute u. Zunkel, alter Pg., u. Bruder des verunglückten SA-Führers, für die D.Chr. sitzen sollten. (O. lachte, als er dies hörte: »Ach dieser uralte Ausschuß!« Offenbar ein überholter Gedanke, aber für Jauernig noch neu.) Allerdings, erzählte J. weiter, würde ihm der Finanzausschuß noch besser liegen. »Gustavus« hätte ihm in die Hand versprochen, er, Jauernig, solle Vorsitzender dieses Ausschusses werden. Auch dazu lachte O. Er nimmt aber Jauernig ernst als Helfer in kirchenrechtlichen Dingen. Da sei er unbezahlbar! – J. selbst erzählte, er habe nachgewiesen, daß man 295 296 297 b 298 299 b 300

Leffler, Reichsgemeindeleiter der KDC, war Oberregierungsrat im Thüringer Volksbildungsministerium; vgl. Rinnen, Kirchenmann und Nationalsozialist, 67. Die Tagebuchschreiberin hatte lediglich erwähnt, dass ein kritischer Artikel über Thüringen im Reichsboten veröffentlich worden war; vgl. Tgb. 26. Mai 1936. Zur Schrift Müllers »Deutsche Gottesworte« vgl. Tgb. 22. April, 4. und 8. Mai und 3. Juni 1936. Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz, vgl. Übers. Strichzeichnungen. Vgl. Anm. 292. Vgl. Tgb. 3. Juni 1936 (hier lautet der Haushaltstitel allerdings 386). Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz, vgl. Übers. Strichzeichnungen. Versehen der Tagebuchschreiberin: Zunkel war nie in Markvippach; diese Pfarrstelle war bereits 1929 aufgegeben worden.

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gegen Schultze-Röpsen vorginge auf Grund eines bereits aufgehobenen Gesetzes. Dieses Material habe er Schultz übermittelt. Seitdem sei Schweigen im Walde. – Er, J., halte übrigens absichtlich nicht Fühlung mit E. O. Er halte dagegen Fühlung mit Gollwitzer [Helmut] (Niemöller-Richtung) – worauf O. sagte: »Gollwitzer [Helmut] mit ihm! (Jg.).« Montg., d. 15.6. [15. Juni 1936] Am Sonnabd. war ich an der Haussammlung für die I.M. beteiligt. Am Sonntg sammelte ich mit der Büchse am Bach- u. Lutherhaus. Ergebnis traurig. – Frl. Helmbold hat bei der Haussammlg. merkwürdige Erfahrungen mit Franz gemacht. Er hat ihr 20 Pfg. durch das Dienstmädchen herausgeschickt! – Frau Osswald [H.] hat einer anderen Sammlerin überhaupt nichts gegeben, sie hätte kein Geld, nur einen Scheck im Haus. Ihr kleines Mädchen holte ohne Wissen der Mutter eine Mark aus ihrer Sparbüchse u. gab sie »für die kranken Kinder!« Ich hörte heute, daß Tegetmeyer u. Sasse nach Weimar gefahren seien u. von da nach Berlin – offenbar auf Anforderung aus Berlin. Näheres nicht zu ermitteln. Die V.D.-Leute bekämen fortwährend Anfragen von der Kriminalpolizei; Männel hätte sich neulich mit einem Kriminalbeamten namens Münch oder Mönch stundenlang eingeschlossen. Es ist klar, daß sie ständig hetzen u. verleumden – aber es scheint nichts zu glücken, denn sonst wüßte es O. Der hat wieder mehrere Berichte nach Berlin geschickt. Einen aus Köppelsdorf, wo die S.A. gelegentl. eines »Gemeindetages« der B.K. ihren Mitgliedern »verboten« hat, in die Kirche zu gehen. »Wer in die Kirche geht, ist gegen die Regierung.« Sie haben die Glockenläuter auf dem Turm festgestellt u. sich vor der Kirche aufgehalten, als der Gottesdienst begann – all das hat aber keinen Erfolg gehabt. Weiter lag ein Bericht vor über eine Kreis-Arbeitstagg. der D.Chr. in Jena, bei der Oberheid nicht nur das A.T. in Bausch u. Bogen abgelehnt hat, sondern auch angekündigt hat, man werde das N.T. säubern, den Apostel Paulus »erledigen« usw. Außerdem plant Jg. [Jauernig] eine große Anklageschrift von 40 Seiten, die inzwischen wohl abgegangen ist, u. außerdem hat er einen stenograph. Bericht von einer Rede, die Sasse bei einer K.vertretertagg. gehalten hat, der auch sensationell sein soll. Ein Wort von Hitler wurde von 2 Seiten mitgeteilt: »Sowie ich die Hände frei habe, räume ich in der Kirche auf.« (Im Herbst – hieß die 2. Nachricht.) Die Berliner D.Chr., die noch vor 8 Tagen im »Evangelium im III. R.« den R.K.A. durch einen »Laien« wegen des theol. Gutachtens gegen Müller wüst angepöbelt hatten301, haben diese Anpöbelung inzwischen als »Wurfsendung« Tausenden ins Haus geschickt302 – u. ihr Blatt wurde nicht verboten. (Der Reichsbote ist es immer noch!) Aber sie machen wieder einmal eine Schwenkung. In der am Freitg. erschienenen Nr. des »Posit. Ch.tums« wird der Anschluß Sachsens an den »luth. Rat« [als] »große Tat Zoellners« u. als bedeutsame Wendung im Kirchenkampf im Sinne der Kerrlschen Befriedungsaktion gefeiert!! Ob das auf irgendeine geheimnisvolle Weise mit der Drehung Hitlers zusammenhängt? 301 302

Zur Schrift Müllers »Deutsche Gottesworte« vgl. Tgb. 22. Apr., 4. u. 8. Mai, 3. u. 8. Juni 1936. Vgl. Tgb. 8. Juni 1936.

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Steinbach wartete heute auf mich beim Nachhausegehen u. erzählte mir, er käme von einer Tagung in Friedrichroda u. hätte dort Gelegenheit gehabt, die kirchenpol. Stimmung der Pfarrerschaft zu erfragen. »Es steht ja Keiner mehr hinter unserer K.regierg.« »Ja«, sagte ich, »das sagen alle«. Sie können sich aber doch nicht entschließen, auszutreten, weil sie Angst haben.« – »Na – Angst nun auch gerade nicht«, sagte Steinbach. Hinterher sagte mir Therese, daß er selbst ja auch noch immer D.Chr. ist. Sein Schwiegersohn wohl auch. Donnerstg. [Dienstag?], d. 16.6.36. [16. Juni 1936] Gestern Abend noch bei Frau O. [M.]. Er ist seit gestern früh in Köstritz mit etwa 10 Bekenntnispfarrern u. Christian Stoll aus München zu einem »Religionsgespräch«, d.h., sie setzen sich mit der Niemöller-Richtung im Kreis der Thür. B.K. auseinander. (Der Fürst ist Gastgeber, sie wohnen im Schloß.) Mittwoch Abend wird O. zurückerwartet. Zu den Äußerungen des Posit. Chr.tms über den Anschluß in Sachsen sagte Frau Otto [M.]: »Das wird ja Wasser sein auf Niemöllers Mühle.« Zoellner hätte seine fulminante Veröffentlichung im Gesetzblatt der D.E.K. ohne Zustimmung des R.K.A. losgelassen.303 Breit-München hätte dazu gesagt, der »luth. Rat« könnte sich schließ. von Zoellner nicht vorschreiben lassen, was er zu tun hätte (oder so). Es ist alles so furchtbar verwirrt – alle sind so verwundet u. mißtrauisch u. jedes Wort wiegt so entsetzlich schwer. Frl. Sommer empfing mich heute mit der angstvollen Mitteilg, Rupprecht hätte gesagt, jetzt käme es noch viel schlimmer. Es wären 4 Leute vom K.A. dagewesen, 2 Bekenntnisleute u. 2 D.Chr. Die hätten beim Bier zusammen gesessen u. gesagt, es sei ja schließlich alles ganz schön u. in Ordnung u. könnte so bleiben! Ich kann nicht glauben, daß ein Mann wie Rupprecht so etwas glaubt. Es wird ihm angedichtet worden sein. Aber vielleicht ist das Aufkommen dieser Indianergeschichte doch bezeichnend dafür, daß die Sachen hier zu lange dauern u. der K.A. an Autorität bedenklich dabei einbüßt. Vor allem wirkt sich aus, daß die Gemeinde fast ohne Nachrichten ist. Allgemein die verzweifelte Feststellg.: »Es geschieht ja nichts.« Und dabei kommen die führenden B.K.-Pfarrer in ihrer Arbeitslast, die eine Folge der bedrückenden Ereignisse ist, beinahe um. Ein Glück, daß Sylten jetzt hier ist, um das Büro in Gotha zu leiten. Vielleicht ist die Geschichte entstanden, aus einem Mißverständnis. Vorige Woche war der Reichsausschuß des L.K.Tages hier, der belanglose Kleinigkeiten monierte u. aus D.Chr. besteht. Vielleicht hat man den mit dem geplanten neutralen Ausschuß verwechselt. Vorhin traf ich Franz in der Zentrale. Er grüßte nicht einmal. Hoffentlich nur ein Zeichen von begründeter schlechter Laune.

303

Dem Anschluss Sachsens an den »Rat der Evangelisch-lutherischen Kirche Deutschlands« hatte der Reichskirchenausschuss ausdrücklich zugestimmt; vgl. Bekanntmachung vom 3. Juni 1936, GDEK 1936, 71.

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nachmittags. Stüber wird morgen an einer Sitzung in der Reichskirchenkanzlei teilnehmen. Es sieht doch so aus, als ob sich etwas vorbereitet. – Darauf deutet auch eine Bemerkung von Reichardt [E.] an Oberländer: »Wir wollen doch über das Geld verfügen. Wer weiß, wie lange wirs noch können.« Der sonst so folgsame Finanzausschuß scheint doch Krach gemacht zu haben. (Wie H. ( )a anvertraut hat) und zwar wegen der Reisekosten von Rönck. H. u. Tegetm. sind zusammengstoßen, der Ausschuß hat H. recht gegeben.304 Immerhin ein Symptom. Volk hat an der Tagg. der D.Chr. in Weimar am 14. teilgenommen, »um wieder aufs Laufende zu kommen.« Als ob er das da erführe. Die Tagg. hat gestern noch gedauert, auch Reichardt [E.] jun. u. sogar eine solche Null wie Ruppert vom Kirchsteueramt haben daran teilgenommen. Übrigens war Oberheid 8 Tage bei Hohlwein zu Besuch – wohl in Verbindg. mit der Tagung. »Aus Thüringen waren ja nicht viel Pfarrer da«, hat Reichardt [E.] erzählt, »aber außerhalb von Thüringen geht es jetzt überall aufwärts.« Donnerstg., d. 18.6.36. [18. Juni 1936] Vor 8 Tagen, am 11.6., Fronleichnam, kam Bernewitz mit der fulminanten Nachricht, die Fronleichnamsprozessionen seien im Reich, als alles schon bereit gestanden habe, um los zu ziehen, verboten worden. Auch von anderer Seite (O.) hatte man so etwas gehört – aber niemand etwas Genaues. Heute lese ich in der D.E.K., daß die Prozession in Berlin stattgefunden hat. Die Hälfte der Linden an der Universität z.B. war gesperrt. Also ist die Prozession nun überhaupt nicht verboten gewesen oder nur hier u. da? – Die Schlußfolgerungen, die wir aus der falschen Nachricht gezogen hatten, waren natürlich wenig ermutigend. Die Spitzelei hier im Haus (und überall) scheint fürchterlich zu sein. Weil Wiegand u. seine Frau vor Jahren einmal aus Interesse an einem Gottesdienst der Neuapostolischen teilgenommen haben, ist er beim L.K.R. denunziert worden. Zenker hat ihn in die Geschäftsstelle kommen lassen u. befragt. Bö. hat Wieg. [Wiegand] nachher unter Diskretion verraten, daß ein alter Pg., der Wiegand immer sehr höflich grüßt, den langen Schmidt (Amtswalter von K.d.F.305) beauftragt habe, die Behörde darauf aufmerksam zu machen, daß Wiegand im Verdacht stehe, zur Sekte der Neuapostolischen zu gehören. – Ein kleines Beispiel für das ekelhafte Denunziantentum, das wie ein Gift a 304

305

Strichzeichnung Männerkopf, steht für Friedrich Bernewitz, vgl. Übersicht Strichzeichnungen. Die Reisekosten Röncks beziehen sich vermutlich auf Propagandafahrten zur Werbung für die KDC, insbesondere über die Grenzen Thüringens hinaus. Dieser Zweck dürfte auch der eigentliche Streitpunkt zwischen den beiden Ausschussmitgliedern sein, nämlich inwiefern es anging, solche Fahrten aus Mitteln der Landeskirche zu finanzieren (vgl. Tgb. 22. April und 30. Mai 1936). Zu Rönck vgl. insbesondere dessen Reisebericht »Von der Wartburg zum Kölner Dom«, BrDC 4 (1935), 140–144. »Kraft durch Freude (KdF) … war die massenwirksamste und wohl auch populärste Organisation des NS-Regimes. Im Rahmen ihrer Aktivitäten bot sie ein umfangreiches kulturelles und touristisches Freizeitprogramm, das von Theateraufführungen und Konzerten über Kunstausstellungen und Vorträge bis zu Tages-, Wochenend- und Ferienreisen in Deutschland und in verschiedenen Länder des europäischen Auslands reichte« (Enzyklopädie des Nationalsozialismus, 550–551).

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das Volk zerfrißt. In diesem Fall ist gar nichts zu machen (wie gewöhnlich), da Bö. nicht bloßgestellt werden darf. – Ähnlich sei es im ganzen Haus. Bezeichnend für die ganze Stimmung ist auch die Mitteilung, daß Männel den allerdings charakterlosen u. ganz ekelhaften Spigaht menschenunwürdig behandele. Spigaht ist zwar verhaßt, aber Männels Tonart geht auch Spigahts Feinden auf die Nerven. – Bö., Sekretär von Sasse, soll – obwohl er sich in acht nimmt – im vertrauten Kreis über die D.Chr. schimpfen.( )a sagt: »Sein Gewissen drückt ihn, er muß zu viel mitmachen.« Von Zenker wird gesagt, »der muß auch mitmachen – er steckt in Schulden bis über die Ohren.« nachm. Wegen einer Predigt, die D. Humburg (Barmen-Gemarke) gehalten u. in der er warnend über die H.J. gesprochen hat (sie erschien auch im Druck) gehen schauderhafte Angriffe gegen ihn durch den »Durchbruch«, die »Bewegung« u. das »Schwarze Korps«.306 Vollkommen unsachlich, im flegelhaftesten Freidenkerton u. ohne eine Spur von Ahnung, um was u. um wen es sich eigentlich handelt. Ich las in den Akten einen sehr eindrucksvollen Bericht eines D.Chr.-Hilfspred. Thauer über die von ihm vollzogene Trauung eines Oberbannführers der HJ in der Nürnberger Burg am 9.8.35. Die beigegebene Predigt war fürchterlich banal, obwohl einige Male Christus genannt wurde. Man erschrak, wenn man dann aus dem Bericht erkannte: Hier waren junge, einflußreiche Menschen (u.a. der Gebietsführer Franken der HJ, Rudi Gugel) einmal mit dem ihnen fremden Christentum in Berührung gekommen u. der Prediger – selbst alter HJ-Kämpfer, hatte restlos versagt. Noch nie ist mir so handgreiflich klar geworden, daß der D.Chr.-Weg Kompromiß ist, wie an dieser Predigt, bei der der Prediger in der Form der Mentalität der H.J. so weit als möglich entgegenkommen, von dem »Christus im Reich der Deutschen« aber kein Jota abhandeln wollte.« Er sprach nicht mal politisch. Eine belanglose Sache. Thauer berichtete über Gespräche, die er mit dem Gebietsführer der Franken der H.J. (Rudi Gugel), seinem Bruder, dem Bräutigam u. anderen bei dieser Gelegenheit gehabt hat. Daraus: Rudi G.: Ich habe bisher leider noch keine Gelegenheit gehabt, den Mythos307 zu lesen – obwohl er ganz in dessen Gedankengängen sprach. Derselbe: »… Wenn ich mich bisher noch zur Kirche gehalten habe, dann war das wahrhaftig eine Unwahrhaftigkeit. Ich trete nur nicht aus, weil wir sonst hier in Franken bei unserer Arbeit zuviel Schwierigkeiten haben würden. – Das Chr.tum ist ja überall bei den Germanen nur mit Feuer u. Schwert aufgezwungen worden. – Wir müssen bei a 306

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Strichzeichnung Männerkopf, steht für Friedrich Bernewitz, vgl. Übersicht Strichzeichnungen. Gemeint ist die sog. »Knospenfrevelpredigt«, die Humburg am 3. Mai 1936 in Barmen-Gemarke gehalten hat. Der Text ist abgedruckt in: van Norden, Das 20. Jahrhundert, Düsseldorf 1990, 199– 206. Die Tagebuchschreiberin nimmt offenbar Bezug auf eine bei der Fa. Montanus Ehrenstein W. Barmen gedruckte Einzelausgabe der Predigt mit dem Titel »Predigt am 3. Mai in der Gemarker Kirche zu W.-Barmen gehalten von D. Humburg« (vorhanden im Archiv des Landeskirchenamts der Evangelischen Kirche im Rheinland, Düsseldorf). Zu den Angriffen auf Humburg in »Die Bewegung. Zentralorgan des NSD-Studentenbundes« und »Das Schwarze Korps. Zeitung der Schutzstaffeln der NSDAP. Organ der Reichführung SS« vgl. Humburg / Pagel (Hg.), Es geschah in Barmen und Stuttgart 1936, 26–32 (die Predigt selbst ist hier dokumentiert S. 11–21). Alfred Rosenberg, Der Mythus des 20. Jahrhunderts, München 1930.

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Widukind wieder anfangen.« – Ablehnung der d. Gl.; Bezugnahme auf Schirach: »Dieser Professor aus Tübingen [Hauer] soll sich nur nicht einbilden, er könnte uns sagen, was Deutscher Glaube ist.« Gegen die kathol. Kirche einfach wütender Haß, u. automatisch Haß dann gegen alles, was Kirche ist. »Die gotischen Dome – Luther – Bach, das ist ja nur Aufbruch des deutschen Geistes überhaupt – wenn Luther heute wiederkäme, wäre er fanatisch deutschgläubig.« Sie haben Luther ebensowenig gelesen wie Rosenberg. Am eindrücklichsten war nun die Erschütterung des Berichterstatters angesichts der Erkenntnis von der völligen Christentumsfremdheit seiner Freunde, die er in den langen Jahren des Kampfes entweder nicht kennen gelernt hatte oder die damals in diesem Maße nicht vorhanden gewesen war. Alles andere, die feierliche Trauung auf der Nürnberger Burg, zu der er hergekommen war – alles andere sei demgegenüber vor ihm versunken. »Hier ist keine Hoffnung mehr für eine christliche Nationalkirche.« Und mir war es merkwürdig, daß ein junger Mensch, der die Jahre vor der nat.soz. Machergreifung bewußt mitten in der nat.soz. Bewegung erlebt hat, nichts merkte von der weltanschaul. Entwicklung innerhalb dieser Bewegung, die wir in der Kirche so deutl. gesehen u. deren Verwandtschaft mit den christentumsfeindlichen Mächten im Marxismus u. im Bolschewismus (rein weltanschaul.) wir immer gespürt haben. Es ist klar, daß ein junger Mensch, der das nicht, wie wir, gesehen hat, uns nicht begreift. Dieser Hilfspred. Thauer (Unterbodnitz) hat übrigens jetzt seine Anstellungsprüfung gemacht u.ist ganz D.Chr. Thür. Richtg. [KDC] geworden. D. 19.6. [19. Juni 1936] Bei der D.Chr.-Tagung am Sonntag u. Montag in Weimar sollen Bauer [W.] u. Hohlwein aneinandergeraten sein. Trotzdem nimmt Bauer [W.] jetzt teil an der Studienreise des Pred.seminars nach dem Rheinland, die natürlich auch zu Zwecken der D.Chr. genutzt wird. Bei dem Einüben von Liedern für D.Chr.-Abende, die für die dortigen Anhänger gehalten werden sollen,308 haben 9 Kandidaten gestreikt! (Als der Kursus im März begann, war es nur 1 Kandidat, der der Bek. Kirche nahe stand). O. hielt gestern Bibelstunde, berichtete aus Köstritz, das erfreulich verlaufen sei. Die »Gegner« (innerhalb der Bek. K.!) seien sich näher gekommen bis zum nächsten Krach. Christian Stoll sei der Richtige gewesen, um auf die Dialektik Gollwitzers zu antworten. Man sei sich näher genommen.309 O. kannte die Predigt Humburgs bereits, die kürzlich Staub aufwirbelte. Sie sei unerhört scharf. Er richtet sich dagegen, daß die H.J. 10-jährige Kinder vereidigt u. sie die feierlichste Eidesformel hat sprechen lassen (Knospenfrevel!).310 Natürlich hat er 308

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Im Sinne der Propagandafahrten, die führende Vertreter der KDC seinerzeit unternommen hatten, um die nationalkirchliche Idee auch außerhalb Thüringens zu verbreiten; vgl. Tgb. 4. Januar, 30. Mai 1936 u.öfter. Vgl. Tgb. 16. Juni 1936. Vgl. Tgb. 18. Juni 1936. Humburg hatte in der Predigt die weltanschauliche Beeinflussung der Kinder und Jugendlichen im Sinne völkischer Religiosität bzw. Weltanschauung einer scharfen Kritik unterzogen. Insbesondere hatte er sich gegen Rosenberg gewandt. Namentlich hatte er auch die ideologische Arbeit der HJ kritisiert. Er wandte sich in diesem Zusammenhang gegen die

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Recht. Ja – so etwas müßte nun eigentlich Zoellner sagen. Und das kann er nicht, weil sonst sein Ausschuß auffliegt! Damit wird aber gerade die Aufgabe der Kirche verfehlt. Von hier aus verstehe ich die Niemöller-Leute wieder besser. – Es kann in dieser Zeit wirklich nur ein Mann wie D. Humburg, der eben international bekannt ist, so etwas sagen. Mit den andern machen sie kurzen Prozeß, ohne daß es weit wirkt. Sonntg in 8 Tagen kommen 50 amerikan.-luth. Pfarrer hierher. Die Organisation dieses Besuches hat Otto. 22.6., Montg. [22. Juni 1936] Heute ist Sitzg. unten, zu der Volk – trotzt Urlaub – heraufgeholt wurde. ( )b sagte, der Landesbischof war ja vor einigen Tagen mehrfach in Berlin gewesen. Es hätten Besprechungen stattgefunden. Centrale: »D. Labi war eben hier u. holte den Fahrplan. Sah sehr traurig aus.« Die »Freie Volksk.« (César) spricht von »2 Bischöfen in Thür. und freier Entscheidung der Gemeinden, wohin sie gehören wollen.«311 – J.K. in einer Notiz über Mecklenburg: »Hier sind, wie in Thür., 2 Kirchen, eine christliche und eine unchristliche.«312 (nicht wörtl.) Für mecklenburg. Kandidaten sind Seminarkurse in Isernhagen (Hannover) eingerichtet (usf.). »Luth. Kirche« greift das »Schwarze Korps« mit erfrischender Deutlichkeit wegen eines unverschämten Artikels über ein Gesangbuchlied an. Sie handelten entgegen einem Befehl von Himmler, der im Nov. 35 neutrale Haltg. in religiösen Dingen von der SS verlangt hat.313 (Unsereiner hat ja schon lange den Eindruck, daß die Gliederungen der Partei nicht mehr gehorchen.) Am Freitag Abd (19.6.) mit Frl. Eitner zus. lange in Karthaus gesessen.314 Sie hatte Beobachtungen gemacht, die sie beunruhigten (Krsleiter), die aber wohl gegenstandslos sind. – Sie erzählte, daß auch jede Vorstandssitzg. ihrer Frauenhilfe unter Bewachung der Krim.polizei stattfände! Einzig in Deutschland! Das ist Thüringen.

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»Massenverpflichtung unmündiger Kinder« in der HJ unter der »eidartigen Anrufung ›so wahr mir Gott helfe‹«. Das sei eine »Vergewaltigung der Kinder«, mithin »Knospenfrevel«. Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz, vgl. Übers. Strichzeichnungen. Redaktionsartikel von César in: Die Freie Volkskirche 24 (1936), 285. Der entscheidende Passus lautet: »Männer der Bekennenden Kirche hätten den Vorschlag gemacht, daß sich 2 Bischöfe in die Macht teilen und alle Gemeinden das Recht der Entscheidung haben sollten, wem sie untertan sein möchten. Als ob damit irgendetwas geschafft wäre. Als ob dann nicht auch der Bund der Mitte Ansprüche erheben würde. Und als ob dann nicht die Zerreißung in 2 oder 3 Teile durch jede Gemeinde gehen müßte! O ihr rechthaberischen Starrköpfe hüben und drüben, die ihr über eurem scheinbaren Recht die Wahrheit und die Liebe verliert. Gott bessere es, d.h. uns allesamt.« Zitiert wird die Zeitschrift »Um Glaube und Kirche« (Hannover) vom 28. Mai 1936, wo es u.a. von Mecklenburg heißt: »Die Bekenntnisgemeinschaft … stellte die Forderung: Herausstellung einer eigenen geistlichen Leitung unter Berücksichtigung der Tatsache, daß es in Mecklenburg heute tatsächlich, wie in Thüringen, zwei Kirchen gibt, eine christliche und eine unchristliche« (JK 4 [1936], 574). Verordnung des Reichsführers SS vom 20. September [sic!] 1935, in: Dokumente zur Kirchenpolitik III, 87–88. Parkanlage im Zentrum von Eisenach.

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23.6.36, Dienstg. [23. Juni 1936] Von ( )b eben erfahren, daß Zoellner in den nächsten Tagen hierherkommt. Er hätte schon gestern kommen wollen – in einer Hainsteinangelegenheit. Er ist zum Vorsitzenden des Hainsteinwerkes gewählt worden. Es hätte sich um einige Tage verschoben. – Sasse wäre aus Berlin zurückgekommen mit der Erklärung, die Kirche wäre erledigt. Es würde mit ihr nur noch 1–1½ Jahre dauern. Zoellner würde von Rust schon nicht mehr empfangen. Er hätte ihn neulich sprechen wollen u. sei nicht angenommen worden. Anschließend habe ich ( )b eine Rede über taktisches Handeln (am Beispiel Jauernig-Zunkel) gehalten. Obs hilft? Er fragte übrigens, ob O. nicht Rundbriefe vom luth. Rat aus an die hinter ihm stehenden Pfr. schreiben könnte. Donnerstg., 25.6. [25. Juni 1936] Die Bleistiftnotitz betr. eine Anfr., die ich an ( )b richten sollte; ist heute geschehen. Bei O. am Dienstg. Er hatte verschied. Nachrichten. Köhler-Hildburghausen ist bei Phieler gewesen u. der hat erzählt, die D.Chr. seien uneinig, unzufrieden mit Sasse. Bauer [W.] hätte gesagt, Sasse sei ja eigentlich wirklich kein Christ mehr! Wolf-Metzels hätte erfahren, am Montag würde die theol. Kammer des R.K.A. über die Thüringer verhandeln. Es würden ihr 2 Fragen vorgelegt werden: a) ob die Thüringer für die D.E.K. noch tragbar seien. b) ob der L.K.R. als rein deutsch-christl. Kirchenregierung zu betrachten wäre. Es hätte gehießen, Meyer-Erlach würde zugezogen. O. wunderte sich, daß dann von der Thür. B.K. nicht auch jemand eingeladen sei. Das wäre doch nötig; denn die Frage zu b.) sei problematisch. Wir waren also nicht sicher, ob die Nachricht richtig sei. Die Nachricht, daß Zoellner Präs. des Hainsteinwerkes geworden sei, war O. bekannt, daß er nach Eis. kommen sollte neu. Ich sagte ( )b heute, daß Zoellner selbst O. gesagt hätte, er hielte die Thür. nicht für tragbar. Aus dem Haus hörte ich, daß Bö. gestern gesagt hat (zu Frl. Sommer): »Ich weiß gar nicht, der L.B. ist jetzt immer so schlampig (im Erledigen von Akten pp.) Alles ist ihm egal. Und sie zanken sich den ganzen Tag.« Weiter hörte ich, daß Stüber in den letzt. Tagen in Huflar gewesen u. daß König heute hier sei. Es ist klar, daß wichtige Dinge vorgehen. Im V.D. wurde heute hinter verschlossenen Türen geflüstert. Im Ganzen genommen herrscht die allergrößte Heimlichtuerei. Nichts ist bekannt, was vorgeht. Wahrscheinlich wissen die getreuesten Anhänger auch nichts. Volk ist Vicepräs. des Hainsteinwerkes! Neben Zoellner! Die Zusammenstellung ist gut. Er muß doch innerlich völlig aus dem Gleichgewicht geraten. Gestern Fahrt mit O.s Familienabend nach Hannoversch-Münden, Kassel.

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Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz, vgl. Übers. Strichzeichnungen. Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz, vgl. Übers. Strichzeichnungen. Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz, vgl. Übers. Strichzeichnungen. Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz, vgl. ebenda.

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½ Std. später. Eben höre ich, daß Sasse, der bis Sonnabend in Jena zur Kandidatenprüfung ist, »den ganzen Tag« mit D. König telefoniert hätte bzw. dieser mit ihm »wegen der kirchl. Lage«. Eben sind im Auto des L.B. abgefahren: D. König, Franz, Stüber u. Brauer. Erst nach Weimar, von da nach Jena. Das sieht sehr ereignisreich aus. Ob Sauckel »versagt«? Theophil Reichardt ist in Kaltenwestheim. O. sagte gestern: »Dem haben wir das Fell vollgehauen, der kommt nicht wieder. Jetzt sitzt er315mittendrin!« Irgendwie »Stunk« soll mit der Ev. Frauenhilfe u. dem Frauenwerk316 los gewesen sein – heißts in der Zentrale. Dr. Dr. Reichardt [E.] sei zu einer diesbezügl. Tagung in Berlin gewesen. (Wenn sie den schicken, dann ist es nicht wichtig). Eben Nachricht von der »besonderen Quelle«: Zoellner ist ein echter Kerl – es liegt an Kerrl. Augenblickl. ein toter Punkt. Nach Hessen ist eben »einer« aus Berlin – ein Kommissar – gekommen. Hosemann ist nach Breslau gekommen. Bei uns kommts auch noch in Ordnung. Der Reichsstatthalter macht sich nichts aus Leutheuser. An Sasse hält er noch so’n bißchen. Leffler – das wußte »er« nicht. Wenn Göring das Ministerium hätte u. nicht Kerrl, dann wäre längst alles in Ordnung; G. [Göring] wäre nicht D.Chr. – der Reichsb. sollte ein Redeverbot kriegen. Freitg., d. 26.6.36. [26. Juni 1936] Gestern Abd. nach der Bibelstunde, die in d. Nikolaikirche stattfand, zu Flinte, weil Frau Pfeiffer [H.] aus Berlin erzählen wollte. Der »Stunk« mit der Frauenhilfe bestand in Folgendem: Am Dienstg, dem 23., wichtige Tagg der »Frauenhilfe« in Berlin. Zoellner will sie dem R.K.A. angliedern als »Arbeit der Kirche«. (So u. so viele Süddeutsche wollen das offenbar nicht, da sie ihre Landeskirche für einen besseren Schutz halten.) – Hoffentl. wirds dann noch was. Frau Pfeiffer [H.] als Vorsitzende war dort mit Gräfin Keller. Eingeladen sind auch Vertreter der Landeskirchen, die mit den Vertretern der »Frauenhilfe« arbeiten, nicht dagegen die sog. »zerstörten Kirchen«, d.h. diejenigen von ihnen, die die Zus.arbeit mit der Frauenhilfe noch nicht aufgenommen haben – das sind nur noch Bremen, Mecklenburg u. Thür. – Plötzlich entdeckt Frau Pf. [Pfeiffer H.] sich gegenüber den Dr. Dr. R [Reichardt E.], der sie u. Grfn K. anspricht! Sie überlegt, daß sie in dessen Gegenwart ihr Referat nicht halten kann u. begibt sich zu einem der Vorstandsmitgl., um ihm die Anwesenheit des Vertreters der Thür. ev. Kirche mitzuteilen. Sensation! Der sei garnicht eingeladen! Zoellner selbst wird in s. Arbeitszimmer aufgesucht u. stürmt wutschnaubend in die Kanzlei, um dort festzustellen, daß auch Mecklenbg. u Bremen eingeladen sind – irrtümlicherweise! Bummelei. Die Vertreter bzw. Vertreterinnen von Mecklenbg. u. Lübeck kommen sich vor wie die Reiter über den Bodensee – denn sie kannten die von ihren Kirchen Abgeschickten nicht einmal persönlich u. würden sie nicht entdeckt haben. Nun beschließt man nach einigem Beraten (das Ganze dauert etwa 1 Stunde), daß Lic. Ellwein den 3 Unerwünschten die

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Und gibt damit die Meinung der DC wieder. Zum Überfall auf T. Reichardt vgl. Tgb. 25. September 1935. Zu Frauenhilfe und Frauenwerk vgl. Tgb. 10. Februar 1936 und die zugehörigen Fußnoten.

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Wahrheit – sie seien versehentl. eingeladen worden – mitteilen u. sie bitten soll, die Sitzung zu verlassen! Das geschieht unerwarteterweise – mit Erfolg. Gesamteindruck von Frau Pf. [Pfeiffer H.]: Der R.K.A. hat keinen langen Bestand mehr. Die einfachsten Dinge können nicht mehr durchgesetzt werden. Der Draht zwischen R.K.A. u. K.min. scheint zerrissen zu sein. Detten der große Hemmschuh. Kerrl »soll« nicht mehr gesund werden!!! Auch was schließl. aus dem Ganzen werden sollte, wußte sie schon. Die »Thüringer« wollten die Nationalkirche ausrufen, Staat u. Partei würden sie stützen. Nach der Olympiade, manche sagen auch, noch vorher. Man wüßte nur noch nicht, wer das Haupt dieser Kirche werden sollte, ob Ludwig Müller oder Oberheid. Von Leffler sei nicht die Rede. Sasse jedenfalls nicht. Das würde Sasses Niedergeschlagenheit erklären. Überhpt. ist das Ganze ja denkbar. Nur schwer zu glauben, daß man den Reichsbischof aus der Versenkung holen wollte. Für so dumm kann man die Leute nicht halten. Auch Oberheid ist doch furchtbar kompromittiert. Sie haben ja überhpt. nur komprimittierte Leute. – Etwas mag wahr sein an all diesen Gerüchten, die Einzelheiten stimmen aber doch wohl nicht. Mich erinnern diese Gerüchte an den Sommer 33, wo Jeder nach den Sternen langte. Da schien plötzlich alles möglich. Es wurde der Gedanke ausgesprochen, daß der Regierung nichts mehr am Frieden mit der Kirche läge. D. Humburgs Predigt wurde besprochen.317 Sie wird offenbar in Massen verbreitet. Er läuft immer noch frei herum. Das spricht wieder gegen manches kolportierte Gerücht von bestimmten Tendenzen der Reichsregierung. Die Summe der Eindrücke war: Wir nähern uns wiedermal dem 30. Juni. Es scheint ein Gesetz zu sein, daß sich in dieser Jahreszeit die inneren Schwierigkeiten steigern. Zu den Einzelheiten, die Frau Pf.s [Pfeiffer H.] Bericht unzuverlässig erscheinen ließen, gehörte auch die Mitteilg, das Männerwerk schlösse sich der künftigen »Nat.kirche« an u. das Jugendwerk »stünde schon«. Ich sagte sofort »Ausgeschlossen«. Das tut Johnsen nicht.« Otto lachte u. sagte: »Johnsen bittet u. fleht augenblicklich um Aufnahme in den luth. Rat!«318 Auch dem Jugendpfr. Zahn trauten wir dieses nicht zu – wir fanden sein Blatt, »das Wort«, einwandfrei u. beurteilten danach seine seine ganze jetzige Haltung. Hermenau wolle sich mit seiner Frauenarbeit den Thüringern anschließen. Das ist natürlich glaubhaft, denn in dieser Lage ist Ludwig Müller, von dem er seinen Auftrag hatte.319 Und wo soll Hermenau sonst hin? – Daß die Berliner Richtg. der D.Chr. [RDC] in voller Auflösung ist, steht fest. Übrigens bestellte u. erhielt ich einen »Schulungsbrief« der Berliner Richtung gegen die Thür. D.Chr. Leider ist er ziemlich dumm. (Anschrift aus einem Rundschr. der Berliner, das nicht an mich gerichtet war). Sauckel hätte übrigens sein 8. Kind taufen lassen u. sei »wieder in die Kirche eingetreten«. Dazu sagte O.: »Sauckel war überhaupt nie ausgetreten!« – Er sei nach dem

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Vgl. Tgb. 18. und 19. Juni 1936. Johnsen, Bischof von Braunschweig, war zugleich Reichsobmann für Männerarbeit. Zum Auftrag an Hermenau vgl. Tgb. 24. November 1935 und die zugehörigen Fußnoten.

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Zus.bruch der D. Glaubensbewegg.320 seinen alten Freunden, den Thür. D.Chr., wieder näher getreten. – Ein merkwürdiges Durcheinander. Man hält noch am Chr.tum fest u. dabei ist außer »Mein Kampf« auch der »Mythus« in den Grundstein des Nürnberger Parteihauses mit eingemauert worden. Das ist doch wohl ein deutl. Symbol. (Humburgs Predigt). Frau Scholtz-Klink soll Zoellner bestürmen, die ev. Frauenhilfe abzubauen. Sie hätte neben dem Frauenwerk keine Berechtigung mehr. abends. D. König wohnt beim Labi und richtet sich offenbar auf längeres Bleiben ein. Ein Telephongespräch der D.Chr. »Betr. Sachsen – wegen Eingliederung.« Männel soll auf Sachsen wütend sein. Sonst nichts zu erfahren. Qualvoll. »Posit. Chr.tum« bringt einen wütenden Angriff auf D. Humburg u schreit nach dem Disziplinarhof. Montg., d. 29.6.36. [29. Juni 1936] Gestern mit etwa 80 Amerikanern zusammen: Lutheran pilgrimage321. Wir fielen beinah um, als wir die gemalten Frauenzimmer sahen! 2 Pfr. aus Chicago dabei. O. u. D. O. [Otto R.] sprachen abends. Man hatte den Eindruck von gespannter Aufmerksamkeit. Pfr. Odlon u. Lundström antworteten außerordentlich herzlich – überströmend geradezu. Betonten »relationship«322 und »you must show us the way«323. O. hat am Freitag vom L.K.R. ein Schreiben bekommen, das ihm ein Disziplinarverfahren ankündigt, weil er die Hainsteinkollekte nicht ordnungsmäßig und die Kollekte für landeskirchl. Zwecke (D.Chr. Prop.) überhpt nicht abgekündigt, sondern stattdessen f. d. Armen der Gemeinde gesammelt hat: »Anmaßung kirchenregimentlicher Befugnisse«!!!324 König telefoniert heute wieder an Leffler – Sachbetreff: »Beantwortung der Fragen des K.A.« Sasse geht morgen auf Urlaub, bis 1.8. Die Anderen sind auch z. Teil weg. Es sieht aus, als läge nichts Wichtiges in der Luft. Frl. Eitner besteht auf ihrer Behauptg., daß die D.Chr. einen Staatsstreich planten. Zoellner selbst habe es gesagt. Heute früh Montagsandacht durch Thieme – seit langer Zeit zum 1. Mal. Merkwürdige Töne: »Nicht das ist schlimm, daß wir miteinander kämpfen, sondern daß die einen die Anderen ausscheiden wollen (dem Sinne nach). Wir wollen uns heute zurüsten, daß wir in der kommenden Woche Liebe üben statt Haß.« Man denke an die letzte Rede von Sasse am 30.III. u. das Disziplinarverfahren gegen O. 320

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Nach dem erzwungenen Rücktritt Hauers von der Leitung der Deutschen Glaubensbewegung Anfang 1936 zerfiel sie zusehends; vgl. Nowak, Art. Deutschgläubige Bewegungen, in: TRE 8 (1981), 556. Lutherische Pilgerfahrt. Verwandtschaft [in lutherischem Geiste] Sie müssen uns den Weg [ins rechte Luthertum] weisen. Vgl. Protokoll der Sitzung des LKR der TheK am 7. April 1936 (Auszug) (I) ,[1.] Schreiben des LKR der TheK an Pfarrer Ernst Otto vom 23. Juni 1936 (II), [2.] Schreiben des LKR der TheK an Pfarrer Ernst Otto vom 23. Juni 1936 (III), Schreiben des LKR der TheK an Pfarrer Ernst Otto vom 11. Juli 1936, LKAE, A 241, 28–29 (IV).

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30.6.36. [30. Juni 1936] Vor 2 Jahren!325 Gestern Abd. Bekenntnisgemeinsch. O. berichtete über die Lage im Reich. Brakhage verlas Selbstzeugnisse der Thüringer. O. schilderte die Lage sehr ernst. Es sei eine Stockung eingetreten: Stellungskrieg. »Reichsbew.« D.Chr. in voller Auflösung. Bekenntnisfront beginnt, hier u. da abzubröckeln – so in Pommern u. in Schlesien. Die Thüringer wittern Morgenluft, gewinnen durch radikalen Flügel der Reichsbewegung [RDC]. In Brandenbg. 2 Pfr. im Gefängnis. Der Pfr. (bayr. Hilfspfr.) von Seelow, Pecina, u. sein Vertreter.326 Diese Sache ist furchtbar – liegt glücklicherweise für den Gegner sehr ungünstig. Sie können ihn doch nicht lebenslänglich einsperren. Sie haben ihm gesagt, er würde sofort freigelassen, wenn er verspräche, nicht wieder nach Seelow zu gehen u. er weigert sich, diese Bedingungen anzunehmen. Man hat ihn nicht verhört, es liegt keine Anklage vor. Seine Frau hatte um seine Beurlaubung zur Geburt seines Kindes gebeten. Man hat sie unter der Bedingung zugesagt, daß die Entbindung nicht in Seelow geschähe u. er kein Glied sr. Gemeinde sähe. Der Mann hat die Entscheidung seiner Frau überlassen u. sie hat verzichtet. Das Kind sollte in Seelow geboren werden. Ja – es ist etwas anderes, ob man Verbrecher einsperrt oder Pfarrer. Heute früh hörte ich in der großen Halle ein längeres Schriftstück kollationieren u. schloß daraus, daß es die fertiggestellte Antwort Königs auf die Fragen des R.K.A. sei. Es war eine grundsätzl. Stellungnahme, u.a. auch zur Jugendarbeit u. Liebestätigkeit der Kirche. Sasse soll sehr vergnügt sein. Wahrscheinl. hat König seine Sache gut gemacht. Heute Nachmittag hat er plötzl. eine geplante Fahrt nach Helmershausen abgesagt, da er dringend nach Weimar müßte. Außer an O. hat man noch an Heyder-Milbitz u. wohl noch einige andere Disziplinarverfahren eingeleitet. O. fürchtet, daß es wieder eine halbe Sache mit Geldstrafen wird. Erwünschter wären radikale Maßnahmen, damit die Fronten klarer werden u. alles vorwärts kommt. Ich habe die Humburgsche Predigt.327 Sie ist ungemein klar u. sehr deutlich u. energisch. Es richtet sich jeder selbst, der sie nicht ernst nimmt – auch in der Ablehnung. 2.7.36. [2. Juli 1936] Gestern erfuhr ich, daß man einen neuen Juristen in der Pfründenabteilung angestellt hat. Ein junger Mann aus Köln. Alle Welt wundert sich – ( )b offenbar auch. Es heißt hier, unsere Machthaber würden die Feiern in Weimar am 3., 4. u. 5. d. M.328 benutzen, um nähere Fühlung mit Hitler zu bekommen, was ihnen voriges Jahr 325

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Möglicherweise spielt die Tagebuchschreiberin an auf die Gründung der LBG am 27. Juni 1934, die mit Schreiben vom 30. Juni 1936 dem Präses der Bekenntnissynode der DEK bekannt gegeben wurde, LKAE, 266, 62. Vgl. Tgb. 26. Mai 1936. Vgl. 18. Juni 1936. Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz, vgl. Übers. Strichzeichnungen. Hitler hatte den ersten Parteitag der NSDAP seit der Wiederbegründung der Partei für den 3. und 4. Juli 1926 nach Weimar eingeladen. Daran sollte mit den erwähnten Feiern erinnert werden. Vgl. Heiden/Mai, Nationalsozialismus in Thüringen, 63.

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nicht geglückt ist. In Weimar haben sie natürlich mehr Aussicht, gehört zu werden als in Nürnberg. Ein Pfr. Kars329 in Jena (Hilfspfr.?) u. wahrscheinl. Geyer-Heygendorf sind aus den D.Chr. ausgetreten ( – aus sehr guter Quelle). Gestern in der Zentrale legt sich Stetefeld (der Mann mit d. gold. Parteiabzeichen330) über den Tisch um in die Zeitung zu sehen u. verkündet über das Weimarer Programm: »Adolf schwatzt viermal!« Dann erklärt er, zum Labi gehen zu wollen. »Man muß doch von seiner Behörde eine Beihilfe kriegen, daß mer einen heben kann jetzt in Weimar.« Sasse wird ihm privatim etwas gegeben haben. Bettelnde Landsknechte – Blüte der Nation. Rassische Auslese. Es heißt, am 1.8. sollte die Partei wieder aufgemacht werden, aber nur für Männer. Alle Beamten z.B. sollten hinein. Im ganzen Reich hätten sich nur etwa 100 Stahlhelmer331 freiwillig gemeldet u. von denen sollten etwa 84 genommen werden. In der neuen Nr. der D.E.K. [Deutsch-Evangelische Korrespondenz] wird mitgeteilt, daß sich die amtliche Pressestelle, der Vertreter von Rosenberg, gegen die »Diffamierung« des berüchtigten Gottschling wendet und nun seinerseits die Leute diffamiert, die Gottschling ablehnen.332 Man faßt sich an den Kopf. Hier werden von der amtl. Pressestelle sämtliche nationalsozialistischen Überzeugungen mit Füßen getreten. So dumm, wie sich diese Stelle einbildet, ist das Publikum aber nicht. Freitg., d. 3.7.36. [3. Juli 1936] Heute früh kamen neue Kirchenzeitungen mit schwerwiegenden Nachrichten. Die »Reichsbewegg. der D.Chr.« in Berlin hat eine »Theolog. Erklärung« angenommen, die bereits früher von Württemberger D.Chr. infolge eines theol. Gesprächs mit Wurm abgefaßt worden ist. Sie ist so, daß man nur sagen kann, wenn sie immer so geredet (u. gehandelt) hätten, dann hätte es nie einen Kirchenstreit gegeben. Zoellner stellt ihnen auf Grund dieser Erklärung jetzt eine Ehrenerklärung aus und verbietet, sie »Irrlehrer« zu nennen. Er verkündet, daß sie es aufrichtig meinen.333 – Die neueste Nr. des »Evangelium im III. Reich«, (das seine Leser erst schonend auf diese Erklärung vorbereitet)334, u. die neueste Nr. des »Posit. Chr.tums« sind erschütternde Illustrationen dazu. 329 330 331

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Ein Thüringer Pfarrer mit Namen Kars konnte nicht ermittelt werden. Ehrenzeichen der nationalsozialistischen Bewegung für Mitglieder unter 100 000 (Goldenes Parteiabzeichen); vgl. Enzyklopädie des Nationalsozialismus, 627. Stahlhelm – Bund der Frontsoldaten, 1918 gegründet, 1934 unter der Bezeichnung »NSFrontkämpferbund« gleichgeschaltet, 1935 aufgelöst; vgl. Enzyklopädie des Nationalsozialismus, 745. G., ehemaliger Dominikaner und Verfasser weiterer kirchenkritischer Schriften (»Zwei Jahre hinter Klostermauern«), war deutschgläubig orientiert, ohne selbst Mitglied der Deutschen Glaubensbewegung zu sein; vgl. JK 4 (1936), 402. 447). Zur kritischen Erörterung des Falls Gottschling vgl. »Unfaire Kampfmethoden«, Deutsch-Evangelische Korrespondenz 35 (1936), H. 27, S. 3. Vgl. den Text der Erklärung vom 27. Juni 1936 mit einem empfehlenden Kommentar Zoellners, in: MDEK 1 (1936), Nr. 1, 3–5; wieder abgedruckt in: Schmidt, Dokumente II, 783–787. Vgl. Schleuning, Zur theologischen Erklärung der Reichsbewegung Deutsche Christen, Evangelium im Dritten Reich 5 (1936), Nr. 29 vom 19. Juli 1936.

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(Das Posit. Chr.tum druckt die Erklärung ab.) Sie hetzen mit einer Gemeinheit gegen die Bekenntnisfront u. »Notbündler«, die nicht zu überbieten ist. u. stellen diese »Erklärung« als einen Beweis dafür hin, daß sie von jeher nur das richtige gewollt u. geglaubt hätten und daß der Kampf gegen sie nur eine »verlogene Hetze« gewesen sei. O. macht auf dem Wege in die Ferien am Montg noch eine Tagg. des lutherischen Rates in Kissingen mit. Da wird hoffentl. zu diesen Dingen Stellung genommen. Was ich neulich in der groß. Halle hörte u. für die Antwort der Thüringer an den R.K.A. hielt, war diese Erklärung der Berliner, die Sasse wohl mit Leffl. in W. [Weimar] besprochen hat. Ich erkannte sie wieder. Offenbar ein anderer Teil der D.Chr. in Württemberg hat eine nicht minder erschütternde Erklärung in einem Sonntagsblatt losgelassen, in der glatt gesagt wird: »Wir wollen mit Ernst Christen sein – wenn aber Hitler heute das Gegenteil befiehlt, so würden wir ohne Zögern gehorchen«.335 Da kann doch auch ein alter nat.sz. Kämpfer bloß ausspucken! 4.7. [4. Juli 1936] Gestern Abd. noch einmal zu O., um ihm das »Posit. Chr.tum zu bringen. Mitzenh. hatte ihm telephon. mitgeteilt, daß in der D. Ev. Korresp das Gutachten einer Sonderkommission des R.K.A. über die Thüringer D.Chr. erschienen sei, in dem festgestellt wurde, daß die Theologie der Thüringer nicht mit Art. 1 der Verf. der D. Ev. K. übereinstimmte.336 Leider war das Blatt selbst noch nicht bei O. u. ich wollte nicht warten, bis Ursel es mitbrachte. Heute früh suchte ich es in der Kanzlei zu bekommen – vergeblich. Im »Ev. Deutschland« fand ich dann eine Mitteilg, die aber über den Inhalt des Gutachtens nichts aussagte. Zeigte es ( )b, der feststellte, daß das »Mitteilungsbl.« hier nicht gehalten wird! Er erfaßte aber natürl. sofort die Bedeutg. der Veröffentlichg., während ich es einfacherern Gemütern erst mühsam klarmachen mußte. Sie zweifelten dennoch. O. hatte auch einen Brief von Wolf-Metzels, von dem die 1. Nachricht über die geplante Sitzg. der Sonderkommission am Montg. u. Dienstg. d. M. (29. u. 30.6.) stammte. Er war in Erlangen bei Elert u. Althaus (oder nur Elert) gewesen. Es scheint zu stimmen, daß man ursprüngl. Meyer-Erlach teilnehmen lassen wollte und das Ganze zunächst mehr als »Gespräch« gedacht war. Dagegen hat sich Althaus (u. wohl noch

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Es ging nicht um eine offizielle Erklärung, sondern um einen Artikel, der im Deutschen Sonntag, dem Blatt der Deutschen Christen für Bayern und Württemberg, am 7. Juni 1936 veröffentlicht worden war und in dem es u.a. heißt: »Denen, die mit Ernst Christen sein wollen, zählen wir uns in erster Linie zu … 1. weil der Führer Adolf Hitler es will. Er will keinen Kampf gegen das Christentum, sondern sein Wunsch ist, daß wir eine irgendwie ›positive‹ Haltung zum Christentum einnehmen. Wollte er es morgen anders, verlangte er, daß wir die Bindung an das bisherige Kirchentum lösten, so wären wir ohne Besinnen auch dazu bereit. Heute will er das nicht.« (JK 4 [1936], 639). Der Text stammt von Pfarrer Dr. Schairer; vgl. Schäfer, Die evangelische Landeskirche und der Nationalsozialismus IV, 701. Theologisches Gutachten des Reichskirchenausschusses über die Thüringer Richtung der Deutschen Christen vom 4. Juli 1936, in: Schmidt, Dokumente II, 825–827; abgedruckt auch in: KJ 1933–1944, 142–143. Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz, vgl. Übers. Strichzeichnungen.

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andere) gesträubt.337 Gott sei Dank, daß Althaus sich schon so intensiv mit ihnen beschäftigt hatte! Ausführl. Bericht ist noch über Wolf-M. zu erwarten. Auf die Veröffentlichg. des Gutachtens in der weiteren kirchl. Presse müssen wir wohl noch 8 Tage warten. O. erzählte noch von einem Verfahren gegen den Bek.pfr. Blechschmidt in Gößnitz vor dem Sondergericht deswegen, weil er zu einer Bekenntnisversammlg. von 80–90 Mitgliedern auch 23 Nichtmitglieder eingeladen hat. Tatsächl. deshalb! Man muß annehmen, daß der Vertreter der Anklage das Gesetz nicht kennt, denn Blechschmidt war nach dem Gesetz dazu berechtigt! Die Thür. D.Chr. machen das ja auch – gehen dabei aber weit über die zugebilligte Zahl von 50% Nichtmitglieder hinaus. Noch dazu hat diese Versammlung in einem kirchl. Raum – dem der landeskirchenl. Gemeinschaft, stattgefunden.338 Hier muß ja die Bek.gem. Recht bekommen. Außerdem hat man jetzt den Beweis, daß Sasse es ist, der die Geh. St.pol. aufhetzt, denn die Krimi ist zu dem betr. Pfr. mit dem Einladschr. gekommen, dem ein von Sasse gezeichneter Brief beilag! Wolf hat Elert vor der Tagung der Sonderkommission noch »das letzte Material aus Thüringen« übergeben, bei dem sich auch der Bericht über Sasses Rede im NSJuristenbd.339 Eisenach u. der stenograph. Bericht über eine Arbeitstagung in Jena befanden. – (Elert hätte gemeint, Alths. ginge zu milde um mit den Thüringern u. bes. bei dem Gespräch s.Zt. in Dresden).340 Übrigens hatte O. auch vom Oberlandesgericht Jena die Mitteilg. bekommen, daß das Verfahren gegen Looß aufgrund der Amnestie eingestellt ist (das Landgericht Eisenach hatte sich s.Zt. zu der Einsicht durchgerungen, daß die Sache nicht unter d. Amnestie fiele.) Otto ist ganz froh darüber. Viell. ist es besser, daß keine Märtyrer des Heidentums gemacht werden. Looß ist nach dem Beispiel von Reventlow auf den letzten Erlaß von Heß oder Himmler hin aus der Dtsch. Glaubensbewegung ausgetreten.341 Franz soll sehr schlechter Laune sein. Ob er d. Gutachten schon kennt? Sonntag, d. 5.7.36. [5. Juli 1936] Eben bei O.s, die morgen in die Ferien reisen. Dem »Gesetzblatt« der D. Ev. K. liegt Nr. 1 eines »Mitteilungsblattes« bei, in dem das sehr klare u. kurze Gutachten steht.342 Es bezieht sich auf Art. 1 der Verf. der D. Ev. K. Außerdem behauptet O., er habe es in der D. E. K. (Korresp.) am Freitg. Abd. schon gelesen. Ob das oben einer unterschlagen hat?

337 338 339 340 341 342

Schreiben von Hilfspfarrer Wilhelm Wolf an Pfarrer Ernst Otto vom 2. Juli 1936, LKAE, LBG 62, nicht foliiert. Zum Fall Blechschmidt vgl. Biogramme. Vgl. Tgb. 27. Februar und 3. Juni 1936. Vgl. Tgb. 24. Februar 1936. Vgl. Tgb. 26. März 16. und 22. April 1936 [Heß]; 22. Juni 1936 [Himmler]. Theologisches Gutachten des RKA über die Thüringer Richtung der Deutschen Christen, vgl. Tgb. 4. und 5. Juli 1936.

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D. 6., Montg. [6. Juli 1936] Heute früh hielt ein Kandidat die Andacht. Franz, mit sehr verstimmt. Gesicht, wechselte kurz ein paar Worte mit Tegetm. Er sah dabei aus d. Fenster. – Dann breitete sich Stille über d. Gebäude u. d. große Halle war leer. Man hörte u. sah nichts von unseren Machthabern. Die Angestellt. pp. wissen offenbar noch nichts von d. Gutachten oder wenn sies wissen, haben sie nichts begriffen.343 (Gestern d. Weimarer Erinnerungstage.) Übrigens sind viele K.räte auf Urlaub. Dazu versagen alle meine Nachrichtenquellen u. sogar Frl. Sommer in der Zentrale, die ja meist nur über »gute« oder »schlechte« Laune berichten kann, ist krank. Wie oft war das ganze Haus in Aufregg. bei geringfügig. Anlässen. Jetzt ist nun wirkl. ein histor. Augenblick – und alles ist seltsam still. Hoffentl. kommt d. Gutachten auf irgendeine Weise zur Kenntnis sämtl. Pfarrer. (Eigentlich müßte es in sämtl. kirchl. Körperschaften verlesen werden). Hoffentl. veranlaßt der R. K. Ausschuß in dieser Richtg. irgendetwas. Es ist ja nicht anzunehmen, daß unsere Herren dieses Gutachten ruhig hinnehmen werden. Der R.K.A. muß aber nun bald handeln. Mindestens der Finanzausschuß müßte jetzt mit größter Beschleunigung eingesetzt werden. Die neueste Nr. der JK bringt Auszüge aus einem Rundschreiben des Thür. Jugendpfr. Rönck. Da kann man nur den Kopf schütteln.344 Dienstg., d. 7.7.36. [7. Juli 1936] Gestern Abd. beim Nachhausegehen traf ich vor der Gartentür den Kirchenrat D. Otto [R.]. Er hatte diesselben unheimlichen Gefühle wie ich gegenüber der Anerkennung der Richtung Rehm der D.Chr. durch den K.Ausschuß.345 Man kann sich garnicht vorstellen, daß das getragen werden soll. D. Otto hat allerdings immer geunkt u. in der Stadt seit Jahren verbreitet, es würde kein anderes Ergebnis des Kirchenkampfes geben als die Zerschmetterung der Bekenntnisfront. Auch Rehm war ihm übrig. rätselhaft – »er muß tatsächlich auf dem letzten Loch pfeifen.« Ich finde das Furchtbarste die Forderg., daß man Rehm glauben soll, daß er es ernst meint nach so vielen Lügen u. Winkelzügen u. nach der Haltung seiner Presse im gegenwärt. Augenblick. Der Kirchenrat [Otto R.] steckte voll von ungünst. Nachrichten. D. Wurm wollte zurücktreten. Die Thüringer bekämen einen gefährlichen Auftrieb – Marahrens klagte darüber in seinen seelsorgerlichen Briefen usw. Ich habe ja immer gesagt, man unterschätzt die Thüringer – u. O. hat sich auf allen Tagungen den Mund fusselig geredet. Noch Althaus hat seine Bitte, eine Broschüre über die Thüringer zu schreiben, zunächst mit der Begründung abgelehnt, er machte sich ja lächerlich, wenn er diese Leute ernst nähme! Hoffentlich verfolgt man sie nicht. In den letzten Nr. der »Briefen« machen sie ein ungeheures Aufhebens davon, daß einer ihrer Leute in Sachsen, ein Superintendent Müller, Pfarrer geworden ist – simpler Pfr. –, nachdem er vorher keine Gemeinde hatte, sondern in irgendeiner Vereinsarbeit leitend stand. Das sind ihre Märtyrer.346 343 344 345 346

Wie vorige Anm. Jugendarbeit einer deutsch-christlichen Kirche, JK 4 (1936), 640–641. Vgl. Tgb. 3. Juli 1936. Vgl. Martin Beier, »Befriedung« in Sachsen, BrDC 5 (1936), 146.

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Wenn der K.Ausschuß sich doch endlich entschließen könnte, einen Finanzausschuß herzuschicken. Dann wäre ihnen die Lebensader abgegraben. Es wird sich noch rächen, daß die Herren in Berlin so langsam gearbeitet u. den Thüringern ¾ Jahrlang Zeit gelassen haben, im Reich zu hetzen. Ich sprach gestern Abd. noch Hartmann, der die Nachricht von d. Gutachten von Mitzenheim gehört, aber es noch nicht gelesen hatte! Er zweifelte daran, daß man hier im Haus d. Mitteilgsblatt mit dem Gesetzblatt in Umlauf setzen würde! Er meinte, jetzt würde eine Sommerpause eingelegt werden u. dann im Herbst in Thüringen vielleicht tatsächl. irgendetwas geschehen. Ich sagte, es schiene mir psychologisch begründeter, anzunehmen, daß man das Gutachten nicht in die Welt gesetzt habe, ohne sich darüber klar zu sein, wie die Sache weiter gehen sollte. Und wenn man das wüßte, dann sei ja wahrscheinlich nur noch ein Federstrich nötig. Dem stimmte er schließlich zu. D. 8.7., Mittwch. [8. Juli 1936] Sasse ist hier, obwohl er Urlaub hat, u. eigentl. von Weimar aus nach Bad Tölz fahren wollte, wo seine Frau ist. Er telefoniert mit Berlin u. mit Meyer-Erlach in Jena. Ich begegnete ihm im Zwischenstock u. er grüßte höfl., obwohl er es hätte vermeiden können. Ich habe festgestellt, daß auch andere den Gruß als Barometer betrachten. So sagte Kirchenrat Otto neulich, daß er seit Pfingsten von verschiedenen Angestellten nicht mehr gegrüßt würde u. Di. erzählte, daß Brauer sie überhpt. nicht mehr grüßte, auch nicht, wenn sie ihm die Korridortür aufmacht. Eine im V.D. neu eingestellte Dame hat er ihr nicht vorgestellt – obwohl er sie sonst in allen Zimmern bekannt gemacht hat. Eben Mitteilg.: Fascher sei aus den D.Chr. ausgetreten u. Leuth. hätte ihn »Lump« genannt. Soll stimmen, Quelle wurde mir nicht angegeben. Der Dekan (Meyer-Erlach) sollte entlassen werden. Irrtum: Fascher ist Dekan. Das ist eine etwas unklare Nachricht. Was steckt wohl dahinter? 5 Min. später. Jetzt wurde mir auch die Quelle genannt. Der Mann, den ich nicht leiden kann, hat geschwätzt: Fascher ist ausgetreten, weil Leu [Leutheuser] ihn Lump genannt hat. (Er hat nicht etwa »Lump« gesagt, weil Fasch. ausgetreten ist.)347 »Und die Berliner [RDC] haben jetzt gebrochen mit ›unseren‹ [KDC] u. das wissen die! Und nun soll der Dekan entfernt werden! Passen Sie mal auf, jetzt gibts Kämpfe! Sasse traut sich nicht fort!« M.-E. [Meyer-Erlach] war telefonisch heute nicht zu erreichen. Ein Brief an ihn ging ab durch die Zentrale. Gleich danach wurde telefoniert, ob der Brief weg wäre – kleine Anzeichen der Aufregung, die im Generalkommando herrscht. 9.7., Donnerstg. [9. Juli 1936] Sasse reist nicht ab u. König bleibt auch da. Heute Abend reisen sie zu Weinel. Es soll sich um die Absetzg. des Dekans drehen (an die ( )b vorläufig nicht glaubt. Er sei eben erst wiedergewählt worden.) Alles Übrige müssen wir uns denken. Der sächs. L.K.A. gibt Anweisungen zu äußerster Sparsamkeit. Die sächs. Kirchenfi nanzen scheinen gründlich verwüstet zu sein. Bei uns wird ein neues Auto angeschafft. 347 b

Zum »Fall Fascher« vgl. Biogramme. Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz, vgl. Übersicht Strichzeichnungen.

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Freitg., d. 10.7. [10. Juli 1936] Also die Sache ist so: Leuth. hat zu Fascher Schuft u. Lump gesagt u. darauf st F. ausgetreten. Da Fascher Dekan ist, betreibt Sasse jetzt seine Absetzg.348 u. Weinel soll ihm wohl dabei helfen. Ich kann mir nicht denken, daß W. das tut. Bö. hat erzählt, die D.Chr. hätten auch sonst noch »schwere Kämpfe« vor, aber sie würden sich wohl damit das Genick brechen! Wenn Bö. das schon sagt! Ich bin bloß gespannt, welche Haltung Volk nun einnimmt. Heute Mittg. beim Nachhausegehen mußte ich an Ludwig u. Thieme vorbei. Keine Hand rührte sich zum Gruß. Als ich vorbei war, tönte hinter mir »Heil Hitler.« Worauf ich nicht antwortete. Das sind natürl. immer nur Einige, die sich derartig benehmen, nicht alle. Wes Geistes Kind diese Leute sind, kann man an folgender Geschichte sehen, die man sich im Haus erzählt: Kürzl. wurde im V.D. der Abschied von Frl. Haugk 349 gefeiert, die heiratet. Sie hatte u.a. für die männl. Kollegen Zigarren gestiftet. Die Herren haben unter sich im Zimmer von Dr. Ulrich gefeiert, der verreist war u. den sie nicht leiden können. Das Zimmer war ganz vollgequalmt. Dann haben sie überall auf d. Tisch Kaffeepfützen künstlich angebracht u. die ausgedrückten Zigarren liegen lassen u. das Zimmer abgeschlossen, damit es nicht reingemacht werden kann u. Ulrich sich, wenn er es so vorfindet, über die Schweinerei ärgert!!! So sind diese Leute. Wahrscheinlich halten sie das Ganze für einen Witz. (Hier im Haus hält man es allerdings für Boshaftigkeit). Erich Reichardt hat sich über das Gutachten350 geäußert: »Nicht so wichtig … ohne Unterschrift, u. der Reichskirchenausschuß hat nicht Stellung genommen. (!!!)« Überhaupt – mit Artikel 1 der Verf. kann man uns nichts anhaben. Wir brauchen nicht lutherisch zu sein. Wir können tatsächl. in der ev. Kirche machen, was wir wollen. Aber das, was darüber steht! Das ist unsere wunde Stelle!« (Die Kirche der Reformation). »Ach so, weil die ›Nationalkirche‹ eine neue Kirche ist, keine Kirche der Reformation?« »Jawohl. Man könnte sagen – ich sage nicht, daß es so ist! …« usw. Die Einladung eines Gemeindeleiters zu einer Versammlg. am 15. schlägt neue Töne an. »Laßt Euch nicht einseitig beeinflussen! Kommt u. überzeugt Euch selbst …! Beweist, daß Ihr auch in kirchl. religiösen Dingen freie ›deutsche‹ Menschen seid!« Zufällig bekam ich neulich Einblick in ein Schreiben, das sich auf den Fall Röpsen bezog.351 Man wollte mit Hinweis auf den Notstand, der sich daraus ergäbe, daß die »Ariernachweise« von Röpsen nicht geliefert werden könnten, solange Schultze im Besitz der amtl. Stempel und d. Kirchenbücher sei (Der L.K.R. hat die Post des »Pfarramts« sperren lassen), die Polizei zum Einschreiten veranlassen. Die scheint das verweigert zu haben, denn die Auskunft des L.K.R. an einen Beschwerdeführer, der aus Röpsen keine Antwort bekommen hatte, war sehr gewunden gegeben, sprach viel ausführlicher vom Kirchenherrn als nötig war u. belastete den Staat, der offenbar nicht in 348 349 350 351

Vgl. Tgb. 8. Juli 1936. Im Text steht »Hag«; eine Person dieses Namens ist allerdings in keinem Verzeichnis zu finden. Theologisches Gutachten des RKA über die Thüringer Richtung der Deutschen Christen; vgl. Tgb. 4. und 5. Juli 1936. Zum Fall Volkmar Schultze-Röpsen vgl. Biogramme.

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der gewünschten Weise eingegriffen hatte. Dem Gesuchsteller wurde zuletzt geraten, sich an Pfr. G. Schultze persönlich zu wenden, dann würde er Auskunft bekommen.352 Weiter sah ich ein Schr. von Lehmann an Leffler, in dem von 5 Schreiben von Parteigenossen in Kaltenwesth. die Rede war, deren Abschriften Leffl. »dem Herrn Reichsstatth.« vorlegen sollte. Es sei doch ganz klar, daß dies eine politische Sache sei! (Nov. 35). Man hört den Einwand des Reichsstatth. heraus. Es geht also offenbar schon seit Längerem auch im Staat nicht alles ganz so, wie die Herren wollen. Weitere Stimmen zum Gutachten353: Der V.D.: »Ach, das haben ja lauter Verkalkte gemacht! Das bleibt nicht, das kommt wieder weg!« – Volk hat gestern Abd mit Ha. [Hartmann?] zusammen gesessen u. ihm das Gutachten mit den Worten gegeben: »Es sind ernste Zeiten!« Dann ist über die Reisekosten von Lehmann gesprochen worden und V. hat gesagt: »Wir müssen sehr vorsichtig sein – wenn Jemand mal hier herein leuchtet!« Worauf H. gesagt hat: »Das sage ich ja schon seit 1934!« 11.7., Sonnbd. [11. Juli 1936] Gegen Fascher hat, als er austrat, ein sog. Ehrengerichtsverfahren der. D.Chr. gespielt! 13. Juli, Montg. [13. Juli 1936] Der Chauffeur Arnold hat erzählt, er hätte Sasse noch nie so wütend gesehen, wie an dem Sonnabend in Jena wegen der Sache mit Fascher.354 »Seit Weimar (Arbeitstagung) habe ich nichts wie Ärger mit diesem Schwein, dieser Kreatur!« Als Arnold Leuth. gegenüber eine Bemerkg. über diese Ausbrüche macht, sagt dieser: »Sasse ist ein guter rl. Aber wenn er wütend ist, da hat der Ausdrücke …, da komme ich nicht mit!« Von Marahrens ist ein Brief an S. [Sasse] da u. ihm nach Oberstdorf355 nachgeschickt worden. (Er ist nun doch abgereist) – mit der Begründung, er hätte hier zu viel Ärger. Volk hat sich den Brief geben lassen u. lange von außen angesehen, ihn schließl. aber doch nicht aufgemacht – sicher schweren Herzens. Donnerstg., d. 16.7. [16. Juli 1936] Eben wird mir zugeflüstert: »Es steht schlecht! Sauckel hat mit dem Führer gesprochen; und der hat gesagt, »Solange Kerrl krank ist, wird nichts geändert.« »Unsere« freuen sich und sind wieder ganz hoch!« Das ist wiedermal ein Aufschub – aber sonst nichts weiter. Die Korruption bleibt wie sie ist, u. das Gericht kommt doch eines Tages. Wir haben es ja bei den Vorgängen im Reichst. [Reichstag?] erlebt – je länger die unhaltbaren Zustände künstlich gehalten werden, umso gründlicher wird dann der Zusammenbruch. Es handelte sich augenblickl. um Mecklenbg. u. Thür. (O. sagte auch Bremen). 352 353 354 355

Schreiben von Patentanwalt Hans Meissner an den LKR der TheK vom 20. Juni 1936 [I] und dessen Antwort vom 24. Juni 1936 [II], LKAE, G 1271, Beiakte Bd. III, 10. Theologisches Gutachten des RKA über die Thüringer Richtung der Deutschen Christen; vgl. Tgb. 4. und 5. Juli 1936. Vgl. Tgb. 8.und 10. Juli 1936. Als Urlaubsort von Sasse ist oben Bad Tölz angegeben; vgl. Tgb. 8. Juli 1936.

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nachm. Beim Fortgehen begegnete ich Stüber, Hohlwein u. Oberheid. Der hilft ihnen wohl bei der Herausgabe der Antwort auf d. Gutachten, die in den »Briefen«356 erscheinen soll. Freitg., d. 17.7.36, ¼ nach 4 nachm. [17. Juli 1936] Es ist ein heißer Tag! Erst heute früh Kirchenzeitungen. Neben wüsten Hetzereien geg. die B.K. im »Evangl. im 3. Reich«, u. »Posit. Chr.tum« eine Stellungnahme im »Reichswart« zur theolog. Erklärg. der Berliner D.Chr. [RDC] u. in d. Ev.-Luth. K.ztg. u.a. den Bericht über einen Vortrag von Sasse im hies. nat.sz. Juristenbund!357 – Kurz vor Mittagsschluß gab mir Frl. Sommer in der Zentrale mit allen Zeichen höchster Aufregg. einen gedruckten Bogen in d. Hand, auf dem unsere D.Chr. einen Brief Faschers an Zoellner abdrucken u. ihre Antwort an Fascher.358 Damit sorgen sie also selbst dafür, daß Faschers Austritt eine Sensation wird. Ich hatte von dies. Brief erst gestern Abd. durch einen Brief von Frau O. [M.] gehört. – Heute Nachm. schrieb ich den ganzen Bogen ab – 10 Folioseiten in 5/4 Stunden. – Dann wollte ich die Ev. Luth. K.ztg. zu ( )b bringen. Fand ihn mit strahlendem Gesicht über dem neuen »Mitteilungsblatt« des Gesetzblattes der D.E.K.! Er zeigte mir nur einen Satz in der Eile: »Der R.K.A. nimmt Stellg. zu dem Gutachten u. erklärt, daß die Thüringer kein Recht hätten, innerhalb der Ev. Kirche eine Kirchenregierung zu bilden!«359. Ich bin heilfroh! Sollte nun wirkl. noch verhindert werden, daß diese Feststellg. sich auswirkt, so ist sie doch ausgesprochen u. eine Tatsache ist damit geschaffen. – Aber man sollte annehmen, daß weitere Schritte – mindestens doch der langersehnte Finanzausschuß – nun nicht mehr lange auf sich warten lassen!360 Ich warte jetzt auf ( )b, der mir das Mitt. Blatt bringen will! Übrigens – die neue Nr. der »Briefe« erschien gestern. Umwälzend ist sie nicht. Der Austritt Faschers war hinten in einer kurzen Bemerkg. mitgeteilt. Eine »EhrenratsOrdg.« wird veröffentlicht361, ein Vortrag von Leffler »Scheidung der Geister«362, aber noch keine Stellungnahme zu dem Gutachten.

356 357

358 b 359

360 b 361 362

Briefe an Deutsche Christen (BrDC). Zum Vortrag Sasses vgl. Tgb. 27. Februar; 3. Juni und 4. Juli 1936. Ein Bericht über Sasses Vortrag findet sich in der AELKZ 69 (1936), 688 innerhalb eines mit W. abgezeichneten Artikels zum Titel »›Theologische Gedankenfreiheit‹ in Thüringen«, Sp. 687–689. Zum Fall Fascher vgl. Biogramme. Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz, vgl. Übersicht Strichzeichnungen. Reichskirchenausschuß, Zur gegenwärtigen kirchlichen Lage, MDEK 1 (1936), 9–13. Der Ausschuss legt in diesem Gutachten dar, dass der Ansatz der KDC konsequenterweise auf die »Nationalkirche« abziele und darin Art. 1 der Verfassung der DEK zuwiderlaufe. »Hieraus geht hervor, daß eine Richtung, die die Gedanken der Thüringer D.C. vertritt, innerhalb der Deutschen Evangelischen Kirche kein Recht der Kirchenleitung hat« (ebd., 11); abgedruckt auch: KJ 1933–1944, 146–148. Zu Erwartung eines Finanzausschusses vgl. Tgb. 4. Januar, 29. Mai, 6., 8. und 11. Juni 1936. Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz, vgl. Übers. Strichzeichnungen. BrDC 5 (1936), 160. Siegfried Leffler, Scheidung der Geister, BrDC 5 (1936), 152–153.

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Sonnabd. den 17. [sic!] [18. Juli 1936] Gestern Abd. las ich noch das ganze Mitteilungsblatt. ( )b sagte, bei ihm hätte es eingeschlagen. Das hätte er nicht erwartet. Er hat offenbar alle seine Verbündeten mobilisiert, war ganz wie ausgewechselt. Die Erklärg. ist so, daß in den nächsten Tagen etwas geschehen muß. Zoellner ist überzeugt davon, daß unsere D.Chr. die Nationalkirche mit Ludwig Müller an d. Spitze ausrufen wollte. Dazu paßt allerdings, was mir gestern nachm. erzählt wurde. Durch d. Tür hat einer gehört, wie Leutheuser etwas vorlas u. folgender Satz wurde deutlich verstanden: »… Wenn Ihr mich zum Bischof wählt …« Im übrigen hätte Leu sich wieder in Redensarten ergangen [wie] »beschissen«, »Mist alleine machen« usw. Die K.räte »saßen« gestern von 4 Uhr ab, um 6 waren sie noch nicht fertig. Volk war in Friedrichroda. Er ist also mit Franz u. Stüber dagewesen u. wahrscheinl. König pp. Sonntg., d. 19.7. [19. Juli 1936] Volk hat ( )c die Ereignisse in folgender Weise mitgeteilt: »Der Reichskirchenausschuß hat den Landeskirchenrat in unglaublicher Weise brüskiert …« (Damit meinte er das Gutachten. Die Stellungnahme des R.K.A. war noch gar nicht heraus!) Brakhage wußte heute noch nichts von Faschers Austritt, der sich am 15.6. ereignet hat. Das bestätigt mir, daß die ganze Geschichte erst durch die Veröffentlichg der D.Chr. in weiteren Kirchenkreisen bekannt wird. Montg., d. 20.7. [20. Juli 1936] Ich bekam am Sonnabd. übrigens noch ein Rundschr. der D.Chr. an ihre Leute in die Hand gedrückt, in dem gegen den R.K.A. gehetzt wird. Er friste nur noch sein Leben, täte nichts Vorwärtstreibendes mehr … pp.363 Diese Behauptg. ist ja nun freilich durch die letzten Veröffentlichungen des R.K.A. widerlegt. Heute früh hielt Lehmann die Morgenandacht. Brüllte – u. wand sich erschüttert unter der Last seiner eigenen Worte. Es war widerwärtig, diesem Heuchler zuzusehen. Er sprach über das Wort Jesu aus Lukas – gegen die Schriftgelehrten364 u. wiederholte immer wieder, diese Schriftgelehrten seien d. Totengräber der Propheten. Aus allen Hinweisen auf die gegenwärt. Lage mußte man annehmen, daß er – wenn er nicht sich selbst über dem Propheten sah – dann doch Hitler als Propheten sah u. die Schriftgelehrten – insb. die bekenntnistreuen Theologen – als die Verfolger Hitlers. Das ist der letzte Vorwurf, auf den sie sich wieder einmal zurückziehen. Dann zitierte er als Lesung ein Wort Luthers gegen den Zwang in Glaubenssachen u. wendet es so an, daß die Thür. D.Chr. als diejenigen erscheinen, die gezwungen werden sollten. Nachher wurde mir die neueste Verfügg. des L.K.R. an alle Pfarrer in die Hand ge drückt. Darin verbieten sie, daß Verlautbarungen des R.K.A. ohne spezielle Erlaubnis b c 363

364

Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz, vgl. Übers. Strichzeichnungen. Strichzeichnung Frauenkopf mit Locken, steht für Hanna Linde, vgl.Übersicht Strichzeichnungen. Schreiben der Kirchenbewegung Deutsche Christen (Nationalkirchliche Bewegung), Abt. Theologie und Kirche an alle Gau-, Kreis- und Gemeindeleiter sowie an die Mitglieder der Deutschen Pfarrergemeinde von Juli 1936, LKAE, DC III f 2, 27. »Weh euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, ihr Heuchler, dass ihr seid wie die verdeckten Totengräber, darüber die Leute laufen, und kennen sie nicht« (Lk 11,44).

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den Kirchgemeinden u. deren Körperschaften bekannt gemacht werden!365 Das ist doch nun wahrhaftig ein Anlaß für den R.K.A., eine Kommission hierher zu schicken, die die Verwaltung neutralisiert. Volk erwischte mich eben und nahm mich mit in den weißen Saal. Unterhielt sich sehr gnädig u. sehr strahlend. Machte einen ganz unbeschwerten Eindruck. In d. Zentrale hörte ich dann, es wurde heute in der Sitzung die von König fertiggestellte Antwort auf das Gutachten des R.K.A. (der Sonderkommission) verlesen u. sollte dann verschickt werden. ( )b wußte auch noch nichts von dem Fascherschen Brief. Ich habe ihn ihm vorgelesen. Heussi hat an Sasse in der Angelegenheit Fascher geschrieben. Aus einem Brief von V. an Heussi geht hervor, daß der L.K.R. gegen Fascher Strafantrag gestellt hat. V. betont, daß Zurücknehmen dieses Antrags immer möglich sei, aber natürl. nur dann erfolgen könne, wenn das mit dem Antrag verfolgte Ziel auf andere Weise erreicht werden könnte.366 Über solche Möglichkeiten wünscht sich Volk mit Heussi persönl. zu unterhalten u. sichert neutrale Behandlg. des Heussischen Schreibens zu. Er bittet außerdem, ihm Abschrift der Antwort Sasses an H. zukommen zu lassen. Der L.K.R. müsse bei all seinen Maßnahmen natürl. genau über Sasses Stellungnahme unterrichtet sein; u. Sasse habe dort wohl nicht so leicht geeignete Hilfskräfte zur Hand, um Abschrift ss. Schreibens zu ermöglichen … (Sasse wurde gelegentl. hier in seinem Büro selbst maschinenschreibend angetroffen). Ich nehme an, daß die Zurücknahme des Strafantrags sehr im Interesse des L.K.R. liegen würde, denn man kann ja wirkl. nicht wissen, was dabei alles zu Tage kommen könnte! Ob sie glauben, Fascher mit d. Strafantrag einzuschüchtern? Der kann doch aber seinerseits nicht mehr zurück. Die Sache ist im Rollen. ( )b machte mich übrigens auf eine Bekanntmachg. des L.K.R. im letzten Kirchl. Anz. über das Frauenwerk der D.E.K. aufmerksam.367 Dort war darauf hingewiesen, daß der 365

b 366 b 367

Schreiben des LKR der TheK an sämtliche Pfarrämter vom 17. Juli 1936, LKAE, K 349 [Gesammelte Rundschreiben des LKR im LKAE], 205: »Die letzten Veröffentlichungen des Reichskirchenausschusses im Gesetzblatt und im Mitteilungsblatt der Deutschen Evangelischen Kirche veranlassen uns, entgegen unserer Verfügung K 349/23.8. in Nr. 17 des Kirchl. Anzeigers von 1934 anzuordnen, daß Bekanntmachungen und Kundgebungen des Reichskirchenausschusses nur auf unsere besondere Anweisung den Kirchengemeinden und deren Körperschaften bekanntzugeben sind.« Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz, vgl. Übers. Strichzeichnungen. Schreiben von Kirchenrat Dr. jur. Volk an Professor Heussi vom 20. Juli 1936, LKAE, A 776, Bd. II, 23. Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz, vgl. ebenda. »Im Gesetzblatt der Deutschen Evangelischen Kirche S. 73 veröffentlicht der Reichskirchenausschuß einen Beschluß über das Verhältnis des Frauenwerkes der Deutschen Evangelischen Kirche. Darin heißt es, der Beschluß sei nach Anhörung und in Übereinstimmung mit den beteiligten Stellen gefaßt. Danach ist der Beschluß offenbar das Ergebnis einer Sitzung, die am Dienstag, den 23. Juni 1936, in Berlin stattgefunden hat, und zu der auch Referenten der landeskirchlichen Behörden eingeladen waren. Den Vertreter des ebenfalls eingeladenen Landeskirchenrats der Thüringer evangelischen Kirche hat aber vor Beginn jener Sitzung ein Vertreter des Reichskirchenausschusses aufgefordert, nicht an der Sitzung teilzunehmen. Daraus ergibt sich, daß der Reichskirchenausschuß die ausschließlich durch ihre verfassungsmäßig berufene Leitung rechtmäßig vertretene Thüringer evangelische Kirche nicht als beteiligt ansieht. Demgemäß hat der Beschluß

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R.K.A. in sr. Verordng368, mit der er das ev. Frauenwerk als kirchl. Arbeit anerkennt, ausdrückl. davon gesprochen habe, daß mit allen in Frage kommenden kirchl. Behörden in dieser Sache Besprechungen stattgefunden hätten. Der L.K.R. betont nun, da der (eingeladene) Vertreter des L.K.R. in Berlin gebeten worden sei, an der Sitzg. nicht teilzunehmen (Erich Reichardt!369), so sei damit zum Ausdruck gebracht, daß die Thür. Landeskirche von dieser Verordng. ausgenommen sei. Daß in der Frauenarbeit des V.D. selbst Spannungen bestehen, erfuhr ich vorgestern. Die kl. Frl. Schmidt, die Jugendarbeiterin, »könne nicht mehr mit«. Ihre Vorträge zeigten bedeutende Abweichungen von der Lehre der D.Chr. Sie ist nämlich verlobt mit einem Kandidaten, namens Seeschaf. Wahrscheinl. hat er sie beeinflußt. Man hat Leutheuser über sie schimpfen u. das Wort »Lüge« brauchen hören. Sie hatte ihrer Kollegin im V.D. Frl. Quambusch vertrauensvoll ihr Herz ausgeschüttet u. die hat sie schleunigst denunciert. Heute kam »d. freie Volkskirche« mit der üblichen Betrachtg. über die kirchenpolit. Lage von César. Er stellt fest, daß er s.Zt. von verschiedenen, voneinander unabhängigen Seiten die Nachricht bekommen habe, es würde sich in Thür. nichts ändern; die D.Chr. blieben hier an der Macht. Er warnt sie vor Übermut aufgrund dieser Gewißheit u. meint es sei nun an der Zeit, auch Kräfte aus den anderen Lagern an der K.regierung zu beteiligen! Das würde auf Grund der neuen Lage sicher nicht abgelehnt werden! (Der hat wirklich noch nichts begriffen). – Zum Schluß schreibt er: »Während ich dies schreibe, bekomme ich die Mitteilg., daß wir in Thür. binnen Kurzem wohl mit einem Kirchenkommissar zu rechnen haben370 (nicht wörtl.). Das wäre ein uralter Vorschlag von O. aus einem Gespräch mit Zoellner im vorigen Winter.371 Unten Sitzg: Franz, Volk, Lehmann, Stüber (aus d. Urlaub). König soll seine Gegendenkschrift (gegen d. Gutachten) vortragen. Protokoll v. 14. Juli!372 a) Vorschlg. Leuth., für 3 bayr. Pfr. (oder Hilfspfr.) die Gehälter auf die Thür. ev. Kirche übernehmen u. sie in ihren bayr. Gdn zu belassen! Abgelehnt von Franz u. Volk. Dagegen schien der Vorschlag annehmbar, Kollektengelder des V.D. zu verwenden, um diesen jungen Pfarrern zu helfen. Genehmigt wurden schließl. 300 M aus V.D.-

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für den Bereich der Thüringer evangelischen Kirche keine Geltung. Eisenach, 9. Juli 1936. Der Landeskirchenrat. Sasse« (Frauenwerk, ThKbl/B 1936, 70). Vgl. Beschluss des RKA betr. das Verhältnis des Frauenwerks der Deutschen Evangelischen Kirche zur Deutschen Evangelischen Kirche, in: Schmidt: Dokumente II, 781–782. Vgl. Tgb. 26. Juni 1936. César, Befriedung?, Freie Volkskirche 24 (1936), 333–335. Der Autor führt darin u.a. aus: Nachdem die KDC 1933 der Versuchung erlegen gewesen seien, allein zu regieren, sei es nun an der Zeit diesen Fehler zu korrigieren. Falls nämlich in Thüringen kein Landeskirchenausschuß berufen werde, sei es geboten, »freiwillig freudig alle zur Mitarbeit zu rufen und an den Sorgen der Kirchenleitung zu beteiligen« – zur Befriedung der Thüringer evangelischen Kirche. Der Artikel endet mit dem Satz: »Während ich dies schreibe, höre ich Neustes: in Thüringen stehe die Ernennung eines Kirchenkommissars bevor. Wird der uns einen wirklichen, einen lebendigen Frieden bringen?« Vgl. Tgb. 10. März 1935. Protokoll der Sitzung des LKR der TheK am 14. Juli 1936, LKAE, A 122, 69.

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Mitteln zu nehmen, die später nach Übernahme dieser Pfr. in den Dienst der Thür. Kirche von den Gehältern oder schlimmstenfalls von der D.Chr.-Bewegg. zurückgezahlt werden sollten! b) Pkt. 2 war der Strafantrag gegen Prof. Fascher bei der Staatsanwaltsch. Jena. Mysteriös eine Wendung von einem Zeugen für die Rechtmäßigk. der Thür. ev. Kirche namens Heßler. Dann ein Vorschlag Stüber, dem Reichsstatth. u. dem Gauleiter Wächtler noch weitere Zeugen für diese Rechtmäßigkt. zu benennen, der abgelehnt wurde, um die Wucht des Strafantrags nicht zu schwächen – aber für später aufgehoben werden sollte – da er nicht durchzustehen. c) Theolog. Gegengutachten von König. Franz hat die Einleitg neu gefaßt. Stüber soll überprüfen. Dann soll das Ganze an Sasse gehen, der auch noch einmal prüfen u. dann unterschreiben soll. Dann soll es veröffentlicht werden. d) Entscheidung in der Sache Schultze-Röpsen ist hinausgeschoben bis das Schicksal einer richterl. Verfügung feststeht (die wohl beim Gericht beantragt worden ist). e) Sweers wird nur vermahnt. Offenbar waren ursprüngl. schärfere Maßnahmen erwogen. f) Fall Sylten. Ausgg. der Salzungener Pfarrerwahl soll abgewartet werden. (Dieser Ausgang ist nicht zweifelhaft, da der L.K.R. d. Gem. mitgeteilt hat, daß Sylten Halbjude ist (früherer Beschluß).373 Ich las vorhin den neu fertig gestellten Bericht über die Verhandlungen des L.K.Tags vom vorigen Herbst. Darin fiel mir Sasses mehrmals wiederholte Aufforderung an die Bekenntnisleute auf, doch in eine andere Kirche zu gehen, wenn ihnen die Thüringer in ihrer heut. Gestalt nicht paßte.374 Aus der Sitzg. wurde noch bekannt, Franz hätte eine Antwort auf die 2. Äußerung des R.K.A. über die Thüringer verfaßt u. einstimmigen Beifall damit geerntet.375 Dienstg., d. 21.7. [21. Juli 1936] Volk hat beim Lesen der »Freien Volksk. »ärgerlich d. Kopf geschüttelt: »Ach, was jeder kleine Geist sich so denkt …« 373 374

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Zum Fall Sylten vgl. Biogramme. »Das ist das Höhere, das heute im Brennpunkt des ganzen Kampfes steht. Wer immer meint, das Bekenntnis an die erste Stelle setzen zu müssen, der muß sich eben aus Wahrhaftigkeitsgründen eine andere Kirche suchen. Denn die Verfassung der Thüringer evangelischen Kirche räumt dem Bekenntnis kerineswegs die erste Stelle ein, sondern der Heiligen Schrift« (Auszug aus der Rede Sasses auf die 4. Tagung des 4. Landeskirchentags am 24. und 25. September 1935, S. 59). »2.) Veröffentlichungen des Reichskirchenausschusses in Nr. 19 des Gesetzblattes und Artikel ›Zur gegenwärtigen Kirchenlage‹ im Mitteilungsblatt Nr. 2 der Deutschen Evangelischen Kirche. Nach dem Bericht von Kirchenrat Dr. Volk wird der von Kirchenrat Franz vorgetragenen Entgegnung auf den Artikel im Mitteilungsblatt Nr. 2 zugestimmt. Diese Entgegnung soll unter der Überschrift ›Zur gegenwärtigen kirchlichen Lage‹ und mit der Unterschrift ›Dr. Volk i.V.‹ in derselben Sondernummer des Kirchlichen Anzeigers abgedruckt werden, in der die Antwort auf das Gutachten erscheint. Der Herr Landesbischof erhält sofort einen Durchschlag der Entgegnung durch Eilbrief. Die Entgegnung soll dem Reichskirchenminister eilt, ebenso an den Reichstatthalter, den Ministerpräsidenten und die Kirchenregierungen von Anhalt, Mecklenburg, Bremen und Lübeck gesandt werden« (LKAE, A 122, 71).

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½11 Eben hatte ich 2 Besucher. Der 2. war ( )b, der mir mitteilte, daß der L.K.R. gestern 2 Briefe losgelassen hätte: einen an Sauckel u. einen an Rosenbg. An Sauckel des Inhalts, daß der L.K.R. sich außer Stande sähe, das »Wort an die Gemeinden« des Reichskirchenausschusses vom 1. od. 2. Mitteilungsblatt d. D.E.K.376 den Gemeinden bekanntzugeben, da es antinationalsozialistisch sei (es spricht von Sonntagsheiligung, verweist darauf, daß der »Mythus« eine Privatarbeit sei pp). Außerdem sei es für die antinat.sz. Haltung des R.K.A. bezeichnend, daß er gerade den augenblickl. Zeitpunkt – nämlich den Beginn der Olympiade – für sein »Wort an die Gemeinden« ausgesucht habe! (Da hört doch Verschiedenes auf !!!!!). Also so ziehen sie sich aus der Affäre. Aber es ist gut, daß diese Art der absichtlichen Mißdeutung u. Diffamierung, die sonst in kleinen Kreisen kleineren Geistern gegenüber geübt wird, einmal am R.K.A. versucht wird. Dadurch wird das Grundsätzliche vielleicht klarer. Der 2. Besuch war Frl. v. R. [Ranke], die von dem Brief Faschers u. Antwort der D.Chr. noch nichts wußte. Zu der Behauptung von der Großzügigkeit u. Selbstverleugnung des L.K.R. in Anstellungsfragen sagte sie: Deshalb wohl haben sie den einzigen Bekenntnismann unter den Kandidaten am 10. Juli rausgeschmissen. (Er ist nach Gotha gegangen u. Bauer [G.] will ihn übernehmen.) Man sei im Pred.sem. zum Semesterschluß zusammen zum Abendmahl gegangen – u. der Betreffende habe mit Grippe im Bett gelegen, außerdem aber auch erklärt, er würde sowieso nicht mitgehen. Darauf habe man ihm gesagt, er hätte sich selbst aus der Kirche ausgeschlossen. Da benutzt man also selbst das Abendmahl als Probierstein!). Einem anderen hat man gesagt: Wenn Sie D.Chr. wären, hätten wir reichl. Verwendung für Sie – aber so?« Frl. v. R. sagte, ebenso wie ( )b, Fascher sei nicht angenehm – aber Hohlwein hätte sich mit sr. Freundschaft förmlich gebrüstet. Übrigens hätte bei der Tagg. in Weimar vor Faschers Referat Leffler selbst – im Beisein desjen. Kandidaten, der das Frl. v. R. erzählt hat – zu Fascher gesagt, er sei ein Verräter an der D.Chr.-Sache. Es sei unverständl., daß F. danach noch sein Referat gehalten habe.377 Ob unsere D.Chr. schon wissen, daß sie bei Sauckel für ihre Ansicht Unterstützg. finden? Ob ein Generalangriff auf den R.K.A. geplant ist. Dagegen spricht eigentl. wieder, daß die Berliner Richtg. [RDC], die doch auch aus Parteikreisen informiert wird, gerade jetzt den Anschluß gesucht hat.

b 376 b 377

Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz, vgl. Übers. Strichzeichnungen. Wort des RKA an die Gemeinden vom 10. Juli 1936: Gesetzblatt der DEK 1936, 75–76; Schmidt, Dokumente II, 849–851. Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz, vgl. Übers. Strichzeichnungen. Zu Fall Fascher vgl. Biogramme.

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¼ nach 11. Heute jagen sich die Ereignisse. Eben wird mir mitgeteilt, daß ganz früh heute Leutheuser losgehetzt sei mit d. Auto nach Stuttgart, weil dort Zoellner spräche! Man wolle ihn stürzen. Leuth. will gleich nach Zoellner auftreten, die Württemberger D.Chr. für die Thür. Bewegung einheimsen. Das wolle man jetzt überall da tun, wo Zoellner spräche, einer solle ihm dauernd auf den Fersen bleiben! Ich glaube wirklich, wenn ein Kirchenkommissar hier auftreten sollte, den würden sie erstmal rausschmeißen. Diese Thür. Landeskirche ist wirklich »antiquiert«. 12 Uhr. Eben sprach ich noch einmal mit ( )b u. machte ihm klar, daß es sich jetzt bei einf. Leuten – aufgrund all der Nachrichten von heute früh – um eine richtiggehende Fronde gegen den R.K.A. handelt – mit allen Konsequenzen. Ich traue uns. Machthabern zu, daß sie konsequent sind. Er sah es ein u. sagte: »Man müßte Zoellner warnen«. Was an mir liegt, werde ich tun. Hoffentlich tut er das Seine, damit die Juristen sich über ihre Stellungnahmen klar sind, wann gehandelt werden muß. Das will ich ihm noch einmal extra sagen. Es kann ja jeden Tag sein, daß ein Kirchenkommissar ernannt wird u. die Juristen u. Beamten Stellung nehmen müssen. Schlimm ist nur, daß wir nichts erfahren von dem offiziellen Briefwechsel. Wir müssen auch damit rechnen, daß unsere D.Chr. plötzl. sagen, wir, die Bekenntnisleute, hätten uns selbst aus der Thür. Kirche ausgeschlossen – glatt auch die Pfr. absetzen u. keine Gehälter mehr zahlen. nachm. Aus einem Brief von + + + an V.378: »Freue mich, daß d. Arbt. von König so gut gelungen ist u. wir damit nicht nur Zoellner, sondern der ganzen Zunft einen ›Wacken‹379 hinlegen. Jetzt müssen sie Farbe bekennen. Jetzt kommen auf den Damm Ley, Schirach, Rust, Rosenbg., Himmler. Ihnen allen hat d. Biedermann von der Marchstraße380 den Fehdehandschuh hingeschmissen. Der Ukas vom 19.381 kostet den guten Zoellner seinen Platz – wenn nicht jetzt, so doch nach der Olympiade. Schlimm nur, daß er das alles »im Namen des Führers« sagen durfte – von Kerrls Gnaden. O wie sie dastehen, sich angeprangert habend – Reaktionäre vom reinsten Wasser. Und dazwischen Kerrl, der einst »die glücklichste Stunde seines Lebens« erlebt haben wollende Kerrl – wie ist der be … worden. Wer sich mit einem Pfaffen einläßt, wird von ihm gefressen … »Warum ist dieser Landesbischof nicht endlich so ehrlich, aus der Kirche auszutreten? Es hindert ihn ja niemand, seine Nat.kirche aufzumachen. Er soll das bloß nicht Thür. ev. Kirche nennen. »Das in den Mitteilungen382 ist dummdreistes Gewäsch …«

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Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz, vgl. ebenda. Schreiben war zu ermitteln. Wacken, wohl bildlich gemeint als »Stein des Anstoßes«. Marchstr. 2: Anschrift des RKA in Berlin; der Biedermann ist Zoellner. Nicht zu klären, was Sasse damit meint. Gemeint ist die Stellungnahme des RKA »Zur gegenwärtigen kirchlichen Lage«, Mitteilungsblatt der DEK 1 (1936), 9–13.

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Und daneben der ahnungslose César in Jena, der den D.Chr. rät, Leute wie Herrmann und D. Otto in ihre Gemeinschaft aufzunehmen u. überhpt. nicht faßt, daß das weder für die D.Chr. noch für die B.K. möglich ist.383 Wann endl. werden genug Menschen in Deutschland die Wirklichkeit sehen! ½ Stde später. Alle Leute haben heute etwas zu erzählen. So erfuhr ich eben, daß man am Freitag auch einen Brief an Jäger! losgelassen hat! Übrigens sagte mir Brakhage, daß E. O. den Fall schon erwogen habe, daß unsere D.Chr. uns aus ihrer Kirche herausschmeißen könnten. Er habe festgestellt, daß sie damit den Rechtsboden verlassen würden. Die Thür. Kirche sei seit dem westfäl. Frieden (!) eine Kirche der Reformation u. die Nat.kirche sei grundsätzlich etwas anderes pp. Brakhage u. ich waren uns einig darüber, daß unsere Machthaber von Rosenberg wohl einen Fußtritt kriegen werden, denn der will nichts mit Leuten zu tun haben, die sich noch Christen nennen. Der ist kompromißlos. Und Niemöller arbeitet den Thüringern in die Hände! Volk ist außer sich, daß er an dem bedeutungsvollen Freitag vor. Woche, an dem der L.K.R. die äußerst wichtige Sitzg. einberufen hat (offenbar erst auf Grund des neuen »Mitteilungsblattes«, denn es scheint ja, daß sie nicht vorgesehen war) – nicht hier gewesen ist. Er schwelgte stattdessen in Friedrichroda im Sonnenbad. Erzählte mir gestern, er habe dort in d. Sonne aber geschlafen. Als er Abds. nach Hause gekommen sei, sei er noch auf den Pflugensberg geholt worden u. habe da geistig schwer gearbeitet bis tief in die Nacht. (Weil wieder alles mögliche wild geword. sei.) Danach habe er Schmerzen im Kopf bekommen, die er sehr ausführlich beschrieb u. habe damit gerechnet, daß ihm »das Schicksal Pfeiffers beschieden würde!« … Diese Geschichte hat er mit gleicher Wichtigkeit auch Frl. Linde erzählt. Seiner Frau hat er eine Scene gemacht, weil sie ihn nicht in Friedrichroda von der Sitzg. benachrichtigt hat. Ich verstehe jetzt die Gehobenheit sr. gestrigen Stimmung. Er kommt sich angesichts der Pläne des L.K.R. als Revolutionär oder Reformator u. sehr wichtig vor u. fühlt sich gleichzeitig im Gefolge dieser alten Pgs. sehr sicher. Mittwch., d. 22.7. [22. Juli 1936] Es ist entsetzlich, daß ich nicht arbeiten kann – Ich bin vollständig präoccupiert! – Heute früh wurden mir 2 Telegramme gezeigt. Eins ein Dank von Sasse an Franz u. eins aus Rüdersdorf von »Hecht«: »Großangriff Groß. Heute Abd. 20 Uhr Sitzg.«.384 383 384

Die Tagebuchschreiberin nimmt hier Bezug auf eine Bemerkung in dem Artikel von César, Befriedung?, Die Freie Volkskirche 24 (1936), 334 (vgl. Anm. 370). Das (derzeit nicht auffindbare) Telegramm bezieht sich auf folgenden Sachverhalt (»Fall Groß«): Pfarrer Groß-Rüdersdorf (Mitglied der LBG) wurde verdächtigt, einen Aufruf des RKA (»Wort an die Gemeinden« vom 16. Juli 1936) verlesen zu haben, was er ohne Genehmigung des LKR der TheK nicht hätte tun dürfen (lt. Schreiben des LKR der TheK an alle Pfarrämter vom 17. Juli 1936, LKAE, K 349, 205). Außerdem hatte er behauptet, dass die Thüringer Kirchenregierung den Boden des Christentums verlassen habe und nicht mehr die wahre Leitung der Kirche darstelle. Dieser Verdacht wurde in einem Schreiben von K. Hecht (KDC) dem LKR der TheK mitgeteilt; zugleich fragte der Briefschreiber an, was der LKR mit einem Pfarrer zu tun gedenke, der »offen zum Kirchenkampf« aufrufe; vgl. Schreiben von K. Hecht an den LKR der TheK vom 20. Juli 1936, LKAE, LBG 59, nicht foliiert. Der Bruderrat der LBG hatte sich an die Seite von Groß

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Groß geht wohl auf Grund des Gutachtens u. d. Stellungnahme des R.K.A. vor. Weiter Nr. 14a des Kirchl. Anz. gelesen mit der Arbeit von König, Erwiderung auf das … Gutachten (Unterschrift Sasse)385 u. der Erwiderung von Franz auf die Stellungnahme des R.K.A. im 2. Mitteilungsblatt.386 Sie berufen sich auf Niemöllers Stellungnahme in Oeynhausen, der dem R.K.A. die »kirchl. Vokation« abspricht u.s.f.387 Hexenkessel. Aber Niemöllers Gesicht möchte ich sehen. 12 Uhr. Eben war ( )a hier u. erzählte, daß ausgerechnet jetzt ein paar harmlose Gemüter den Mut verlieren. In d. schlimmsten Zeiten haben sie durchgehalten u. gestern sagen sie: »Ich hoffe nichts mehr. Es wird ja doch nichts!« Sie stellen sich vor, es müßte ein Auto vorfahren u. unsere Kirchenräte verhaften! Sonnabd., d. 25.7. [25. Juli 1936] Ehe ich am Mittwoch oben fortging, erfuhr ich noch: Aus Sonneberg hätte jemand telephonisch angefragt, ob der L.K.R. noch existiere. Erich R. [Reichardt] hatte es wutschnaubend ( )b erzählt! Und: Es herrsche große Aufregung über ein Schreiben von Bauer [G.]-Gotha in Sachen der kürzl. gegen Otto u. andere Bekenntnisleute verhängten Geldstrafen.388 Bauer [G.] hätte so ungefähr geschrieben, die Bekenntnisleute seien nach Zoellners Stellungnahme jetzt selbst Kirchenregiment und unterstünden dem L.K.R. nicht mehr. Auf dem Nachhauseweg traf ich Wolf-Metzels, den Frl. v. R. [Ranke] geschickt hatte! Er war sehr zufrieden, als er wegging. (Abends Mutter krank). Später habe ich erfahren, daß man das Schreiben von Bauer [G.] u. einen Brief von Hecht-Rüdersdorf in Abschrift an das K.min. geschickt hat als Beweis für die unheilvollen Folgen der Zoellnerschen Veröffentlichung u. wahrscheinl. mit der Forderung

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a b 388

gestellt. Er hatte nicht nur die Verlesung des »Wortes an die Gemeinden« angeordnet, sondern auch Kirchenvertretersitzungen, auf denen die Erklärung des RKA »Zur gegenwärtigen kirchlichen Lage« sowie das theologische Gutachten des RKA über die KDC behandelt werden sollten; vgl. Schreiben Syltens an die Mitglieder der LBG vom 24. Juli 1936, LKAE, LBG 56, 187. Auf die entsprechende Sitzung in Rüdersdorf bezieht sich offensichtlich das Telegramm. LKR der TheK, Antwort des Thüringer Landeskirchenrats auf das »Theologische Gutachten über die Thüringer Richtung der Deutschen Christen«, ThKbl/B 1936, 73–78. LKR der TheK, »Zur gegenwärtigen Lage«, ThKbl/B 1936, 78–80. »Endlich aber müssen wir es dem Reichskirchenausschuß zum Vorwurf machen, dass er nicht … entschieden an der Grundlage seines Daseins und seines Handelns festhält. Diese Grundlage ist ausschließlich der aufgrund des Gesetzes über die Sicherung der Deutschen Evangelischen Kirche erteilte staatliche Auftrag. Wenn er dem gegenüber jetzt eine kirchliche Vokation in den Vordergrund zu stellen sucht, müssen wir das durchaus ablehnen« (LKR der TheK, »Zur gegenwärtigen Lage«, ThKbl/B 1936, 79). Eine Berufung auf Niemöller erfolgte hier allerdings nicht. Strichzeichnung Männerkopf, steht für Friedrich Bernewitz, vgl. Übersicht Strichzeichnungen. Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz, vgl. ebenda. Schreiben des Bruderrats der LBG an den LKR der TheK vom 21. Juli 1936, LKAE, 44, 188.

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nach Abhilfe.389 Es ist ja klar, daß in Berlin jetzt die Situation einfach zum Platzen sein muß. Heute erzählte mir ( )b,, Ziegner-Warza hätte ihm gesagt, Zoellner hätte schon vor einiger Zeit verlangt, daß entweder ein Vertreter des Ministers eingesetzt würde oder einer der Ministerialdirektoren Handlungsfreiheit erhielte. Bisher würde der Minister nur rein büromäßig vertreten! Da kann man sich wundern, daß alles stockt! Eigentlich ist es ja unverantwortlich, die Leute alle in dieser Situation so sitzen zu lassen u. nicht einmal zu erklären, warum die Sache nicht vorwärts geht. Ich hörte weiter, daß man gestern die Geheimpolizei angerufen hat. Schluß der Mitteilungen wurde bekannt: Die Geh. Pol. teilte mit, Bauer [G.] sei »nach Berlin zitiert« worden. Das wurde mit Befriedigung im Haus weitergegeben – so, als würde Bauer [G.] bereits zur Verantwortung gezogen. Dabei hatte mir Wolf, der am Donnerstg. Abend noch einmal hier war, dieselbe Tatsache mit denselben Worten ganz nebenbei mitgeteilt. Sie wurde also wohl von ihm u. Bauer [G.] nicht als Beschwer empfunden. Von einem Schreiben von Lehmann an die Geh. St.pol.390 hörte ich, das gleichfalls am Donnerstg. hinaus ging u. Anweisungen enthielt, worauf man zu achten habe. Es müsse »mit allen Mitteln« verhütet werden, daß sich in Thür. eine zweite Kirchenregierung bilde. Das sei gerade das, was man die ganze Zeit hindurch unter allen Umständen habe verhindern wollen pp. Dieser Brief u. das Stückchen Telephongespräch machen den Eindruck, daß der L.K.R. sich der Geh. St.pol. bedient wie einer eigenen Behörde. Er gibt Anweisungen u. empfängt Auskünfte, über ganz unwichtige Kleinigkeiten – wir haben eben in Thür. die Staatskirche. – Ich schilderte heute ohne Beweise meinen Eindruck ( )b. Er nickte u. sagte: »Das ist auch so«. Gestern kam das »Posit. Chr.tum« (v. 26. Juli), fast ganz gegen die Thüringer gerichtet. Das ist so die Tonart, die sie verdienen. Nicht so sachlich, wie von der Bek.front, sondern ebenbürtig. Die Stimmung im V.D. soll entsprechend sein. Volk ist immer strahlend, wenn er mich sieht. Er geht restlos mit den Kollegen mit – also in dieser Warte doch mal entschieden. Überraschend kamen etwa ein halbes Dutzd. engl. u. ein franz. Presseausschnitte, – heute noch 2 –, die von einer Denkschrift berichten, die die Niemöller-Leute im Mai an Hitler gerichtet haben.391 Daily Telegraph und Temps berichten am ausführlichsten. Da haben sie aber wirklich alles gesagt, was zu sagen ist. Die Denkschrift sei im Kirchenminist. »liegen geblieben«. Hitler hätte sie nicht bekommen u. würde sie voraussichtl. auch nie erhalten (2 Ztgen berichten, er habe sie erhalten u. weitergegeben). Sie sei von den Bekenntnisleuten wochenlang ganz geheim gehalten u. erst unmittelbar nach Haussuchungen bei den Bek.-Leuten der ausländ. Presse bekannt geworden. 389

b 390 b 391

Schreiben des LKR der TheK wie auch das Schreiben G. Bauers derzeit nicht aufzufinden; bei dem Schreiben von Hecht dürfte es sich um dessen oben schon angesprochenen Schriftsatz handeln; vgl. Schreiben von K. Hecht an den LKR der TheK vom 20. Juli 1936, LKAE, LBG 59, nicht foliiert. Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz, vgl. ebenda. Schreiben nicht auffindbar. Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz, vgl. Übers Strichzeichnungen. Zu Entstehung, Text und Nachwirkung dieser Denkschrift vgl. Greschat (Hg.), Zwischen Widerspruch und Widerstand, 1987.

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»Times« läßt durchblicken, daß sie durch die Geheimpol.bekannt geworden sei. – Man bringt die neuesten Maßnahmen gegen die »Vorl. K.L.« damit in Zusammenhang. Das ist eine sehr ernste Sache, die hinter den Kulissen wohl eine große Rolle spielen wird. Heute auf merkwürdige Weise!!! die neuesten Mitteilungen von Niemöller erhalten: die Entschließung zur theolog. Erklärg. der D.Chr. – ablehnend, kein Vertrauen, sehr gut u. kurz formuliert – u. die Schilderung des Falles von Pastor Pecina in Seelow.392 – (Ich nehme eigentl. an, daß diese Stücke auch durch die pol. Pol. übermittelt waren.) Am Donnerstg. ging Wolf enttäuscht fort. Von Frau O. [M.] gestern Brief. O. hatte Donnerstg. Abd. an Bauer [G.] telephoniert. Heute Ratschlag O.s, keine Kollektengelder mehr an den L.K.R. abzuführen. (Max Meier). Aber jetzt kommen uns Bedenken. Kann man riskieren daß er Zahlung der Gehälter verweigert? Die neutrale Verwaltungskommission ist wirklich jetzt nicht mehr länger zu entbehren. Viell. wäre das ein Mittel, um sie zu bekommen? Ein Ausspruch von Lehmann wurde weitergegeben – wenn er nicht von ihm ist, so ist er doch gut erfunden: Man habe die Morgenandacht, die er am Montg gehalten hat, kritisiert. Darauf er: »Was wollen Sie? Vor den Angestellten u. Beamten muß ich doch so reden! 75% sind kirchlich gleichgültig, 15% gegen uns und nur 10% für uns!« Mittwch., d. 29.7. [29. Juli 1936] 2 Tage hatte ich Urlaub – heute wieder im Dienst. Gemeldet wird: Furchtbare Aufregg. der Machthaber. Franz gestern Abd. von Berlin zurück. Man hat aber eher den Eindruck, daß Berlin günstig beurteilt wird. Männel hat Purfürst erzählt, das K.min. habe sich geäußert, der R.K.A. sei erledigt, die Thür. D.Chr. hätten die Zukunft für sich. Purfürst hat es Rienäcker erzählt, der erzählte es mir. Es wird dauernd mit der Geheimpol. telephoniert. Da das Telephon erweitert wird, sind schon seit Wochen Monteure im Haus. Die machen schon Bemerkungen. Heute wurde Kreisleiter Hoffmann-Weimar (der Landrat) angerufen: wegen »Mißhelligkeiten in Sulzbach«.393 Nachmittags in Gotha-Bibliothek. Vorher mit Frau Bauer [K.] getroffen. Sie erzählte sehr viel. Am letzten Sonntg haben die Bek.pfr. das »Wort an die Gdn« von Zoellner verlesen u. noch etwas, ich glaube, daß sie sich dem Bruderrat unterstellen.394 Darauf hat am Sonntg. früh die Geh. St.pol. bei Bauer [G.] angerufen u. 392 393

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Zum Fall Pecina vgl. Schreiben von K. Scharf an Amtsbrüder vom 21. August 1936, LKAE, LBG 11, 13. Zum Fall des Pfarrers Koch aus Sulzbach vgl. Biogramme, zum Verbot einer Kirchenvertreterversammlung durch die Polizei vgl. Schreiben des Bruderrats der LBG an den Reichsminister für die kirchlichen Angelegenheiten vom 12. August 1936, LKAE, LBG 44, 174. Der Hintergrund dieser Verlesung ist folgender: In der Verlautbarung der DEK »Zur gegenwärtigen kirchlichen Lage« war u.a. über die Richtung der KDC herausgestellt worden, dass diese nicht mit dem Art. 1 der Verfassung der DEK in Übereinstimmung stehe und deshalb innerhalb der DEK »kein Recht auf Kirchenleitung« habe; vgl. Mitteilungsblatt der DEK 1 (1936), 11 (vom 16. Juli 1936). Diese Kritik hatte der LKR der TheK zum Anlaß genommen, die Verlesung von Verlautbarungen der DEK in Gottesdiensten einer besonderen Genehmigungspflicht zu unterwerfen, d.h. sie eigentlich zu verbieten; vgl. Schreiben des LKR der TheK an alle Pfarrämter vom

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[die Verlesung des Worts an die Gemeinden] »verboten«. Nach dem Grund gefragt, wird mitgeteilt, es sei gemeldet worden, es wollten ganze Gemeinden aus der Kirche austreten. Darauf sagt Bauer [G.], das stimmte nicht; es handele sich ledigl. um die 2. Kirchenregierg. [VKL II], gemäß der Bekanntmachg. Zoellners pp. Niemand wolle aus der Kirche austreten. Ach so, das sei etwas anderes. Das dürfe natürl. erklärt werden. Was ist das nun? Sind da wirklich falsche Hinweise gegeben worden? Dann blamieren sich doch unsere Machthaber ständig? Heute war Bauer [G.] in Erfurt. Wolf auch. Es handelt sich um die Bildg. der K.regierung, die so gedacht ist: D. Otto als Spitze (leider, auch von Bauer [G.] bedauert). Bauer [G.] u. Schanze von uns, Jauernig u. Wessinger von den Neutralen.395 Zunkel, der aber erst bei den D.Chr. austreten soll, für diese. Jauernig für die Finanzsachen. Man hätte noch Ziegner haben wollen; dagegen habe aber Gerhard Bauer [G.] E. Otto noch als Ausgleich verlangt. D. Otto [R.] seinerseits wollte durchaus Göpfert. Am Sonntg. oder Montg. ist Bauer [G.] mit einigen Leuten schon hier bei D. Otto [R.] gewesen und sehr traurig zurückgekommen! D. Otto [R.] spräche dauernd von der alten Kirche u. schimpfte furchtbar auf den Bruderrrat – aber man brauche ihn. Er sei wohl der Einzige, auf den man sich mit der Mitte einigen könne. Die Mitte hätte als erstes das Pred.sem. für Cramer-Gotha verlangt, was Bauer [G.] abgeschlagen hätte. Gräßlich, dieses Schachern – u. D. Otto [R.]. Gekämpft haben die alle nicht – außer Bauer [G.] und Schanze. Beneidenswert ist ihre Aufgabe nicht – aber ich weiß nicht – Zutrauen flößt mir dieser Ausschuß nicht ein. Eine endgültige Lösung soll er freilich auch nicht sein. Wie die prakt. Fragen gelöst werden sollen, die Büros, die Geldfrage, darüber sprachen wir nicht. Ich verstand Frau Bauer [K.] so, daß, wenn der Auschuß heute zustandekäme, die Herren morgen nach Berlin fahren würden, wo dann auch die Frage des Finanzausschusses usw. besprochen werden sollte. Volk soll sich wahnsinnig wichtig machen! Es sei unvorstellbar! Die ausländ. Presseausschnitte sollen in einem 2. Stück bestellt werden, da er die letzt. Nachrichten wahrscheinlich so ungeheuer wichtig fand. Sie haben wohl die Hoffnung genährt, daß die Bekenntnisleute nach der Olympiade vernichtet würden.

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17. Juli 1936, LKAE, K 349, 205. Der Bruderrat der LBG hatte seinerseits die Kritik an der KDC dahingehend verstanden, dass er sich selbst als die legitime kirchliche Autorität verstehen müsse. In dieser Position fühlte er sich ermächtigt, u.a. auch Anordnungen zu treffen, die gegebenenfalls denen des KDC-Kirchenregiments zuwiderliefen. In diesem Sinne ordnete er in einem Schreiben an die Vertrauensmänner der LBG vom 24. Juli 1936, LKAE, LBG 56, 187, an, das »Wort an die Gemeinden« der DEK (Gesetz- und Verordnungsblatt der DEK vom 16. Juli 1936, 75–76) am kommenden bzw. übernächsten Sonntag zu verlesen. Diese Anordnung ist also u.a. auch als eine bewusste Provokation zu verstehen. Mit der »Erklärung, daß sie sich dem Bruderrat unterstellen«, meint die Tagebuchschreiberin wohl die in dem Schreiben ebenfalls ergangene Anordnung, dass Meldung vom Vollzug der Verlesung zu erstatten sei. Zur Gruppe der »Neutralen« vgl. Tgb. 6. Mai 1936, bes. die hier einschlägige Fußnote. Für die »Neutralen« bzw. die »Mitte« stehen von dieser Tagebucheintragung an die folgenden Namen: Jauernig; Wessinger; Ziegner – Pfarrer, die in den folgenden Auseinandersetzungen des Kirchenkampfes kirchenpolitische Verantwortung übernahmen.

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Sasse ist immer noch auf Urlaub, was Volk unbegreiflich findet. Franz geht jetzt. Der L.K.R. ist vertreten durch Volk, Lehmann und Stüber. D. König haust immer noch oder schon wieder in der Wohg. von Sasse. Donnerstg., d. 30.7. [30. Juli 1936] Erfahren: Stahn erwartet Sasse und Franz. – Carlsson war verleumdet worden, er hätte keine Freistellen f. d. Volkswohlfahrt zur Verfügg. stellen wollen. Offenbar von hier war er der Geh. St.pol. angezeigt worden. Er hat eine Auskunft gegeben, über die die N.S.V. an den L.K.R. schreibt, »Hätte sich der Herr Pfr. gleich so präzis ausgedrückt, so wäre d. ganze Schreiberei überflüssig gewesen.«396 In einem Brief aus Gera wird Schultze-Röpsen denunziert, er hätte bei der Beerdigg. eines Jungvolkpimpf397 den Eltern den Trost gegeben: Sie sollten froh sein, daß ihr Sohn, aus dem »Jammertal Deutschland« erlöst worden sei! Es hat jemand mit rotem Stift ein Fragezeichen dahinter gemacht u. der Berichterstatter ist aufgefordert worden, für die Äußerung Zeugen zu benennen. Das ist ja auch zu dumm.398 Weiter wird von einer Kirchenvorstands- oder Vertretersitzg. in Röpsen berichtet, in der der Pfr. gegen den K.gemeinderechnungsführer »gehetzt« habe. Die Wirkung dieser »Hetze« hätte sich sofort darin gezeigt, daß in d. Nacht ein anonymer Zettel an ein Scheunentor angeheftet worden sei mit einem Spottvers auf den K.Gemeinderechnungsführer, der zugl. Bauernführer ist. So ungefähr: Er sei kein Bauer – sondern ein Eselsführer. Die ganze Sache berührt nichts Kirchliches. Trotzdem Verfügg.: In Abschrift an die Geh. St.pol. – Es ist doch gar nicht anders möglich, als daß die Geh. St.pol. vor diesem Treiben selbst ekelt. Das ist ja alles durchsichtig. Und der Monteur, der hier im Haus an der Erweiterg. der Telefonanlage arbeitet, hat schon recht, wenn er kopfschüttelnd sagt: »Was hat denn d. Kirche mit der Geh. St.pol. zu tun!« Gestern hat Ob.pfr. Schaumbg. hier jemandem erzählt, Pfr. Keil [K.]-Untermaßfeld verbreite im K.kreis Meiningen d. Gerücht, nicht Sasse hätte den Vortrag im NS-

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397 398

Es geht um Freiplätze für erholungsbedürftige Kinder und SA-Männer im Erholungsort Wiesenthal. Solche zur Verfügung zu stellen, hatte Carlsson wiederholt abgelehnt mit Verweis darauf, dass er öfter auf Reisen sei und viel Besuch von seinen Verwandten habe. Schließlich habe er sich aber bereit erklärt, »eine erholungsbedürftige Volksgenossin für vier Wochen aufzunehmen« (Schreiben der NSV Wiesenthal an die Kreisleitung der NSDAP vom 6. Juli1936, LKAE, Personal-Beiakte G 1225, 18). »Jungvolk. Offiziell: Deutsches Jungvolk; Gliederung der Hitlerjugend für Jungen von 10 bis 14 Jahren (Pimpfe) nach bestandener Pimpfenprobe« (NS-Deutsch, 109). Gemeint sein wird der Brief von DC-Pfarrer Krüger an den LKR der TheK vom 15. Juli 1936, in dem es heißt: »Pfarrer Schultze-Röpsen hat bei der Beerdigung eines Jungvolkpimpfs, der verunglückt war, den Angehörigen folgenden Trost gespendet: Sie sollten sich freuen, daß ihr Sohn aus dem Jammertal Deutschlands erlöst sei. Diese Formulierung war selbst eingefleischten Bekenntnisfrontlern untragbar. Er hat sich damit viel Sympathien unter seinen Freunden verscherzt« (LKAE, G 1271, 124). Die KDC überlegte, ob Schultze »wegen seiner unerhörten Äußerung« nicht an die Gestapo ausgeliefert werden müsse; vgl. Schreiben des Geschäftsführers der KDC Weimar an den LKR vom 18. Juli 1936 [ebd.].

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Juristenbund gehalten, über den die Allg. Ev.-Luth. K.Ztg. berichtet hat, sondern ein Jurist namens Sasse.399 Unsere Machthaber wollen die Nr. 14a des Kirchl. Anz. mit ihrer Verteidigg. an alle dtsch. Pfarrämter als Wurfsendung schicken!!!400 Wenn das nicht Hetze ist …! Franz geht auf Urlaub. Im Übrigen »sitzen« die Herren … sitzen … sitzen … so wurde mir erzählt. Und Volk sei von einer fabelhaften Wichtigtuerei. Sie scheinen zieml. beruhigt zu sein, nach den Nachrichten, die sie aus Berlin hätten. Gleichfalls in der Zuschrift aus Gera, die nichts als übelsten Klatsch enthält, wird Fascher beschuldigt, er hätte Sasse »ausgespielt« dem Veto eines bei der Prüfg. in Jena zurückgestellten D.Chr. Kandidaten gegenüber (Ewersmann?), der im A.T. nicht genügt hätte. Fascher hätte gesagt: Wenn Sasse sich für den Kandid. besonders eingesetzt hätte, dann hätte er durchkommen können. Das hätte er aber nicht getan. Sasse verlangte, es solle sofort zensiert werden, auch wenn 50% der Kandidaten die Prüfg. nicht bestünden (das ehrt ja Sasse höchstens). Derartiges wird an den L.K.R. berichtet, um mißliebigen Leuten zu schaden. Gestern (Mittwoch) ist aus der Sitzg. auch ans Kirchenministerium telephon. worden. Mit Weinel ist die Verbindg gleichfalls rege. Eben höre ich, daß eine Kundgebung auf der Wartburg geplant ist. Man hat sich deswegen an den Staatsminister a.D. Leutheuser gewendet. Eben neue Presseausschnitte, darunter das schmutzige »deutschgläubige« »Flammenzeichen«, Nr. 30 (Juli 36). Das greift die theolog. Erklärung von Rehm an unter der Überschrift: »Mißbrauch des Mitgliedsbuches zu kirchenpolit. Zwecken«. Auf der 2. Seite wird über die Sitzg. der D.Chr. in Württemberg vom 14. Juni berichtet, in der die Trennung Württemberger D.Chr. in 2 Lager, Berliner [RDC] u. Thür. Richtg. [KDC], stattfand. (Rede von Zoellner in d. Ev.-Luth. K.ztg.).401 Dabei wird deutlich Partei genommen für Leffler. Jedenfalls kein Wort gegen Thüringer, obwohl die »Flammenzeichen« sonst alles Christliche bekämpfen. Wie das letzte »Protestantenblatt« mitteilt, bemüht sich Gerstenhauer um die Einigg. der Deutschgläubigen mit den Thüringern.402 Möge es ihm gelingen – damit die Fronten klarer werden u. aller Heuchelei ein Ende gemacht wird. – Die Württemberger haben bekanntlich in ihrem Blatt »Deutscher Sonntag« dieses vollkommen charakterlose, ganz unglaubliche »Bekenntnis« veröffentlicht, daß sie die ersten sein würden, die sich vom Christentum trennen würden, 399

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Vgl. Tgb. 27. Februar, 3. Juni, 4. und 17. Juli 1936; vgl. auch AELKZ 69 (1936), 687. Vgl. auch AELKZ 69 (1936), 789, wo es ausdrücklich heißt: »In dem Aufsatz ›Theologische Gedankenfreiheit‹ in Nr. 29 unserer Kirchenzeitung werden im zweiten Absatz Ausführungen wiedergegeben, die der Landesbischof Sasse, Eisenach, vor Juristen gemacht hat. Von interessierter Seite wird die Meinung vertreten, nicht der Landesbischof Sasse, sondern ein Jurist gleichen Namens habe jenen Vortrag gehalten. Wir stellen deshalb ausdrücklich fest, daß der Landesbischof Sasse jene Ausführungen gemacht hat und kein anderer.« Zu dieser Veröffentlichung vgl. Tgb. 22. Juli 1936. Zoellner, Entscheidungen und Scheidungen. Vortrag gehalten auf einer Versammlung »Deutscher Christen« in Stuttgart am 14. Juli 1936, AELKZ 69 (1936), 703–711. Der Vorsitzende des Thüringer Landeskirchentags hatte folgendes erklärt: »Ich bin nur deshalb auf einige Einzelfragen eingegangen, um zu zeigen, daß Deutsche Christen und Deutschgläubige gar nicht so sehr voneinander entfernt sind. Haben sie schon 80 v.H. gemeinsam, warum sollte nicht auch in den letzten 20 v.H. eine Einigung möglich sein? Jedenfalls sollte man auf eine Einigung hinwirken … wie es in Thüringen geschieht« (Protestantenblatt 69 [1936], 469).

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wenn Hitler es beföhle. »Von Christus gibt es keinen Abschied«, sagen sie dabei auch noch.403 nachm. (30.7.) Als ich nach Hause kam, war Wolf dagewesen. Kam später nocheinmal. Er fragte – im Auftrag von Bauer [G.], der in Berlin ist – nicht mehr u. nicht weniger als um meine Ansicht, ob man Fritz auffordern könnte, in die neuzubildende Kirchenregierg. als Jurist einzutreten. Ich sagte, ja – man könnte ihn fragen. Ob er ja – sagen würde, sei mir nicht sicher. Ich ging gleich zu Fritz u. vermittelte sein Treffen mit W. im Kaffee Frauen404 (erst Sophienhof – da saß König, den ich glücklicherweise erkannte). Jetzt sitzen sie zusammen! Fritz ist doch etwas ängstlich. Eben las ich eine Kundgebg. der Thür. Kirchenleitung, die unerhört ist.405 Sie hätten überhpt. keine D.Chr.-Theologie, ihre Theologie sei geboren aus dem Kriegserlebnis einiger junger Theologen, die im Schützengraben die Volksgemeinschaft neu erlebt hätten pp. Das wird jetzt vervielfältigt. Ist wieder von König. Leuth. u. Leffler sind so jung, daß sie nicht viel vom Krieg erlebt haben können. Leuth. steht im Pfarrerkalender als am 8.3.1900 geboren – war also 1914 erst vierzehn Jahre alt. Franz sei heute früh wieder nach Berlin gefahren u. käme heute Abd. zurück – Stüber, Lehm., Volk u. König erwarten ihn am Bahnhof u. werden gleich mit ihm sprechen. Das sieht alles doch immerhin etwas besorgt aus. Eben kommt Wiegand u. erzählt: Stattdessen: 10 Min. nach 5. Fritz kam vor ½ Stunde u. erzählte: Geplant ist anstelle des L.K.R. – ein Kirchenausschuß von Neutralen und Bekenntnisleuten. Während ich gedacht hatte, es handelte sich um eine 2. K.regierung. Als Mitglieder kommen in Frage: Bauer [G.], Wessinger, D. Otto [R.], Jauernig, nur als Aufsichtsorgan über die Finanzabteilung. Fritz als Jurist. Fritz hat nun gesagt, er sei bereit einzutreten, aber man möchte seinen Namen erst nennen, wenn das Ministerium dem Ausschuß grundsätzl. zugestimmt hätte. Diese grundsätzliche Zustimmung des Ministeriums sei ihm das Ausschlaggebende. – Sie hätten ein Telegramm an Bauer [G.] mit dieser Mitteilung gemeinsam formuliert. – Weiter erzählte Fritz: Die Juristen seien kürzl. in einem kleineren Kreis zusammengekommen u. hätten beraten, wie sie sich jetzt zu den D.Chr. stellen sollten. Es widerstrebe ihnen, jetzt gerade auszutreten, wo es den D.Chr. schlecht ginge. »Die Ratten verlassen …« Dagegen würde die Einsetzung eines Ausschusses für sie als Beamte entscheidend sein. Da sei es ja ihre Pflicht, sich loyal zu der neuen K.regierung zu stellen. Ihn persönlich bände innerlich nichts mehr an die D.Chr. – Wolf hätte ihm gesagt, daß die Bekenntnisleute nicht klar sähen – es sei möglich, daß das K.min. ein falsches Spiel spiele und nach der Olympiade vielleicht Zoellner absetzen würde. Bauer [G.] wolle nun versuchen, den Ausschuß durchzudrücken. – Das scheint mir ja nun sehr fraglich, ob er das fertig bringt.

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Vgl. Tgb. 4. Juli 1936. Hermann Frauen hieß der Besitzer von Café und Konditorei in Eisenach. Unklar, welche Kundgebung gemeint ist.

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Was würde wohl d. Ausland sagen, wenn man Zoellner nach der Olympiade absägen wollte? Nachdem man ihn am 1.8. den Eröffnungsgottesdienst halten läßt? Möglich ist freilich alles. Aber immerhin stehen dann schon wieder die ökumenischen Tagungen von 1937 bevor, bei denen Zoellner u. Marahrens beide eine große Rolle spielen. Soll das Reich, das die Auslandsverbindungen so angelegentlich pflegt, darauf verzichten, sich dieser Männer zu bedienen, deren Einfluß so weit reicht? Wolf hatte Fritz gesagt, er hätte bei wiederholten Besprechungen von Detten wie von Stahn einen miserablen Eindruck gehabt. Beide seien innerlich an den religiösen Fragen ganz uninterressiert. Es sollte noch ein D.Chr. in den Thür Ausschuß, der aber wohl auch noch nicht ausgetreten sei u. das Leffler selber sagen wollte. Es wird Zunkel sein. Also nun Wiegand: Er erzählte, was ich neulich schon hatte läuten hören: Die Jugendarbeiterin aus dem V.D., Frl. Schmidt, hätte sich mit einem Bekenntniskandidaten aus Gotha verlobt. Er heißt Seeschaf! Die Juristen haben also beschlossen, wenn ein Ausschuß kommt, alle aus den D.Chr. auszutreten. Sie gehen sicher nicht sehr heldenhaft. Wolf wird es angenehm sein, Bescheid zu wissen. D. 31.8. [sic!][31. Juli 1936] Uhr 7½. Beim Kommen wurde mir eine Niederschrift über eine K.vorstandsversammlg. in Wahns (Pfr. Coym) in die Hand gedrückt, die davon berichtete, wie Pfr. Coym in seiner Bekenntnisgemeinde den Bruderrat der Bekenntnisgemeinschaft als Kirchenregierung verkündet.406 Einige kleine, nicht unwesentliche Irrtümer bei der Darstellg. der kirchengeschichtl. Entwicklung. – Dazu bekam ich die vervielfältigte »Kundgebung«, die heute versandt wird.407 Es wird mir gesagt, daß Franz offenbar gestern Abd. irgendetwas »Aufregendes« aus Berlin mitgebracht hätte. Denn Volk hätte Punkt sieben oben bereits in großer Nervosität angerufen u. geschimpft, daß Bö. noch nicht da sei – auch König angerufen, der noch schläft. 8 Uhr. Neueste Nachricht eben: Franz geht »vermutlich« nicht in Urlaub (wollte heute reisen). Auch Stüber sehr nervös: verlangt Nr. 31 der Ev.-Luth. K.ztg.408 – Es ist ein Eilbrief der mecklenburg. K.regierg. da, den Volk aufmachen wird. 9 Uhr: Stüber hat eigentlich jetzt auch Urlaub, geht aber nicht fort. Er diktiert Briefe an Freunde des Inhalts: »Unsere Sache steht günstig. Ihr müßt jetzt aber warten u. Geduld haben. In paar Wochen sind wir durch.« Dazu sagt seine Sekretärin: »Ich weiß nicht, ich finde, die Sache steht brenzlich.« 11 Uhr: Laue hat gesagt: »Die haben alle ganz dicke Köppe! Ganz dicke Luft!« Leutheuser war auch mit in Berlin. Franz hat sehr schlechte Laune. Sie sitzen in der Wohnung von Sasse. Das Kirchenministerium ist angerufen worden, »kirchenrechtl. Angelegenheiten«.

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Niederschrift nicht auffindbar. Vgl. Tgb. 30. Juli 1936. Vermutlich wegen des hier abgedruckten »Wortes des Reichskirchenausschusses an die Gemeinden«, das auf Bayerischen Kanzeln verlesen worden war; vgl. AELKZ 69 (1936), 726–727.

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11½ Uhr. Es ist ein Schreiben des L.K.R. an das K.min. fertiggestellt worden,409 in dem der Bericht betr. Wahns-Pfr. Coym mitgeschickt u. in sehr scharfem Ton vom K.min. verlangt wird, es solle den R.K.A. zwingen (nicht wörtlich), im Mitteilungsblatt zu veröffentlichen, er sei mißverstanden worden, u. es gelte in Thüringen weiterhin nur eine legale Kirchenregierung. Der Minister, der in dem Schreiben angeredet wird, habe den Auftrag zur Befriedung vom Führer erhalten. Wenn er den einzigen Weg, die legale Kirchenregierung zu stützen, nicht ginge, habe er alle Folgen zu tragen. – Das ist ganz einfach eine Drohung. Sie wollen die Gemeinden aufhetzen. Man weiß ja, wie das gemacht wird. In dem Schreiben wird noch mit größtem Nachdruck darauf hingewiesen, daß Coym sich auf den Führer berufen hätte. Das ginge nicht. Das täten die Bekenntnisleute jetzt dauernd (man merkt, was ihnen in Berlin vorgeworfen worden ist – aufgrund unserer Beschwerden). ¼ nach 12: Eben mußte die Zentrale den Verkehrsverein anrufen, ob man mit Flugzeug nach Berchtesgaden kommen könne. Dort ist Sauckel. Leutheuser wollte hinfliegen. (»Das beleuchtet die Lage«, sagt Frl. L.). Ein 2. Schreiben geht an das Kirchenmin., in dem die Absetzung Zoellners u. seiner Mitarbeiter gefordert wird, da sie nicht, ihrem Auftrag entsprechend, die Kirche befriedeten, sondern die Thür. Kirche zerstörten.410 Leutheuser hat sich jetzt entschlossen, heute noch einmal nach Berlin zu fahren – mit der Bahn. Peinlicher Zwischenfall. Frl. Sommer hat Franz mit der Kirchenkanzlei verbunden statt mit dem K.min. Franz hat sie fürchterlich angeschnauzt! nachm. Volk hat Frl. Linde eine große Rede gehalten: Sie sollte mich diplomatisch warnen: Es dürfte nichts aus der Behörde zur »Gegenseite« getragen werden: Der Verdacht würde in jedem Falle zuerst auf mich fallen! Er sei der Einzige, der immer beide Hände über mich hielte! Das Letztere ist richtig u. beschämt mich etwas. Im Übrigen habe ich ihr gesagt, sie möchte als meine Antwort angeben: »Ich wüßte schon seit 3 Jahren, daß ein Verdacht zuerst auf mich fallen müßte. Übrigens gäbe es … »Verräter« immer nur in den eigenen Reihen. Und am Montag ginge ich auf Urlaub. (Das scheint mir auch im Interesse meiner Freunde nötig). Die Rede ging noch weiter u. war einfach schauerlich. Arme Frl. L. Die muß auch was aushalten.

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Schreiben des LKR der TheK an den Reichs- und Preußischen Minister für die kirchlichen Angelegenheiten vom 31. Juli 1936, LKAE, A 783, 194, in dem die Entlassung Pfarrer Coyms angekündigt und generell gerügt wird, dass die jüngsten Verlautbarungen des RKA geeignet seien, Pfarrer zu ermuntern, sich über Anordnungen des rechtmäßigen Kirchenregiments hinwegzusetzen. Der RKA solle erklären, dass er darin missverstanden worden sei. Der Bericht über Coyms angeblich ungebührliches Verhalten lag dem Schreiben nicht mehr bei. Der Fall wurde aber dargelegt in dem Schreiben des Bruderrats der LBG an den Reichsminister für die kirchlichen Angelegenheiten und an den RKA vom 10. August 1936, LKAE, LBG 44, 176. Coym hatte mit ausdrücklicher Billigung des Bruderrats der LBG den entlassenen Hilfspfarrer Wolf-Metzels als Urlaubsvertretung gebeten. Dies konnte aber nicht realisiert werden, weil Kirchenrat Lehmann mit Hilfe der Polizei Wolf an der Amtsausübung hinderte und selbst den Gottesdienst übernahm. Schreiben nicht auffindbar.

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4½ Uhr. Ein kirchl. Anz., Nr. 14b, ist gedruckt u. enthält die (von König verfaßten) Ansichten des L.K.R. zur Schulfrage.411 Sie kündigen darin absichtl. öffentliche Besprechungen dieser Fragen an u. wollen diese Nummer als Wurfsendung an alle Lehrer in Deutschland versenden. Es werden auf Tod u. Leben Adressen geschrieben. Meiner Ansicht nach verstoßen sie mit diesem Unternehmen gegen das Pressegesetz (wenn schon Ottos 150 Rundschreiben in Thür. verboten waren!) Morgen kommt ein neuer kirchl. Anz. heraus mit einem Wort des L.K.R. zur kirchlichen Lage.412 Damit wird gegen den R.K.A. gehetzt und jedem Thür. Pfr. schwerste Strafen angedroht, der sich einem anderen Kirchenregiment unterstellen würde als dem D.Chr. L.K.R. Coym wollen sie entlassen; das haben sie dem K.min. heute bereits mitgeteilt. Da müssen sie die andern natürl. auch entlassen – u. da ist ja tatsächl. der schönste Krach fertig. Das sind also die Leute, die Disziplin u. Unterordng. von anderen verlangen. Plötzl. geht die Thür. Kirche über alles u. von der übergeordneten Einheit, der die Sonderinteressen zum Opfer gebracht werden müssen, ist nicht mehr die Rede. 1.8.36. [1. August 1936] Thürg. hat vor einigen Tagen jede öffentl. Betätigung der »christl. Wissenschaft«413 verboten (Jen. Ztg. Nr. 172), ausgerechnet jetzt, wo die vielen Amerikaner hier sind! Heute kommt auch schon die Mitteilg., (Berl. Tagebl. V. 29.7. Nr. 356), daß sämtl. Beschränkungen aufgehoben sind. Gegen 11 Uhr verabschiedete ich mich von Volk, da ich m. Urlaub am Montag antrete. Er war im Wesen auffallend gezwungen, wie noch nie. Frl. Linde fühlt sich von Frau Schade beobachtet. Alles Anzeichen, daß eine fürchterliche Spitzelei im Hause herrscht. Wir werden wahrscheinl. auf Schritt u. Tritt belauscht. D. 5.8., Mittwoch. [5. August 1936] Gestern war ich in Gotha u. sprach Sylten! Der Ausschuß ist nicht bewilligt! Das K.min. steht auf d. St.pkt, die Nationalkirche wäre nun einmal da, u. man könne nicht tun, als sei sie nicht da. Aber man will eine eigene geistl. Leitung einsetzen – D. Otto [R.]. Der soll sich seine Mitarbeiter suchen. Die würden in der Linie des Ausschusses liegen. Dazu ein neutraler Verwaltungsbeamter – nicht aus Thür. – für die Finanzabteilung. Der V.D. solle vollkommen verschwinden. Das scheint annehmbar. Die nötige Verordg. sei Freitag schon fertig gewesen. Inzwischen hätte der L.K.R. einen neuen kirchl. Anz. mit dem Wort zur Lage herausgegeben, indem er von »Lügnern« u. »Verleumdern« usw. spricht.414 Darauf hat Bauer [G.] am Sonntg. noch einmal ans K.min. tele-

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Die Stellung des Thüringer Landeskirchenrats zur deutschen Erziehungs- und Schulfrage vom 28. Juli 1936, ThKbl/B 1936, 81–87; wieder abgedruckt in: Schmidt, Dokumente II, 928–937. »Ein Wort zur Lage.« Eine Verlautbarung des Thüringer Landeskirchenrates vom 29. Juli 1936, ThKbl/B 1936, 89; wieder abgedruckt in: Schmidt, Dokumente II, 937–938. Christliche Wissenschaft (Christian Science): eine um 1875 von Mary Baker-Eddy in Nordamerika gegründete Religionsgemeinschaft. Vgl. Tgb. 31. Juli 1936.

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graphiert u. ist Montg. hingefahren. Ist wohl letzte Nacht zurückgekommen. Mit welchem Ergebnis weiß ich nicht. – Sie hatten erfahren, daß Stahn Franz am Donnerstg. ziemlich hätte abfallen lassen u. gesagt hätte, er könne nichts ändern, eine ganz einseitige Kirchenregierg. aufzuziehen sei ja auch zu töricht gewesen. Am Sonnabend hat Leutheuser ein Flugzeug verlangt, um nach Berchtesgaden zu fahren. Dort sei Sauckel. Das Flugzeug fand sich nicht. Darauf Telephongespräch mit Sauckels Hotel. Dann Entschluß, nach Berlin zu fahren. Inzwischen melden die Zeitungen, daß alle Reichsstatthalter zur Eröffng. der olymp. Spiele in Berlin sind. Leuth. spricht also S. in Berlin. Das ist Zweck dieser Reise. Heute erfahre ich: Sonnabend Abd., 11 Uhr, ist Leutheuser zurückgekommen, u. danach ist auf d. Pflug.bg., nochmals Sitzg. gewesen. – Volk hat noch einen Brief an Sasse geschrieben, den der nicht mehr bekommen hat; denn er ist Sonntag Abd. mit Frau hier eingetroffen. Montg. früh Zwischenspiel: Leu u. Franz gehen in Sasses Wohng.; sie haben von ihm Sonntg. Abd. noch einen Anruf erhalten. Volk wartet vergebens, gerufen zu werden oder Sasses Besuch zu bekommen. Auch keine Sitzg. Gegen Mittag geht S. [Sasse] durch die Halle – abschiednehmend, er führe nach Berlin zur Olympiade. Dr. Volk? Sasse scheint keinen großen Wert auf ihn zu legen, begrüßt ihn aber herzlich, als er in die Halle kommt. Beide strahlen. Frau Sasse ist heute, 2 Tage später, gleichfalls zur Olympiade gefahren. Montg. u. Dienstg. nicht viel Neues, heute, Mittwoch, Beschwerdebrief deutschchristlicher K.vertreter aus Oberlind415. Der L.K.R. solle sie nicht im Stich lassen. Sie könnten sich der Bekenntnisleute »nicht mehr erwehren« pp. In Abschrift an Sasse. Zwischenspiel: Der Kreisleiter ruft an u. will Stetefeld sprechen. Der ist auf Urlaub. Dann will er Sasse sprechen: Auf Urlaub. Dann Franz: Auf Urlaub. (Montag endlich abgereist). Stüber: Auf Urlaub. – Endlich der Kreisleiter: »Na, da hört doch alles auf! Ihr habt Euch wohl schon aufgelöst? In so einer Zeit geht man doch nicht auf Urlaub! Die Herren wissen wohl nicht, daß sie abgesetzt werden sollen!« Frl. Sommer lachend: »Na, so schlimm ist es doch nicht!« Kreisleiter! »Jawohl, das ist so schlimm! Sagen Sie das den Herren nur! Verbinden Sie mich dann mit Dr. Brauer! »Der ist auch auf Urlaub!« – »Dann K.Rat Dr. Volk!« Und als Ergebnis des Gesprächs hat ihm Volk die in Frage kommenden Nummern der K. Anz. geschickt. Der K. Anz. zur Schulfrage soll gestern tatsächl. an alle Deutsch Lehrer gegangen sein. Übrigens sind auch Leu (?) u. Oberheid mit Sasse nach Berlin gereist. Sylten sagte noch, die letzten Eindrücke, die D. Otto [R.] gemacht hätte, seien sehr günstig gewesen. Bauer [G.] hätte ihn zuerst zu D. Breit geschleppt, der ihm unter 4 Augen einiges gesagt hätte. Dann zum R.K.A.; da hat man (das war also am Freitg., d. 31.7.) mit dem geplanten Ausschuß verhandelt u. da habe D. O. [Otto R.] sich sehr erfreulich gehalten. Habe z.B. den Neutralen, die sich in die Brust warfen, gesagt: »Sie stehen gänzlich im Schatten der Bekenntnisfront, m. Herren. Wo wären Sie, wenn die nicht gekämpft hätte! Ich habe meine rote Karte nicht umsonst!416« usw. Bauer [G.] sei in dieser Beziehung erleichtert wieder gekommen. Heute, Mittwoch, kurz vor Mittag, kam Frl. Koeppen im strömenden Regen. Ich sollte sofort zu E. O. kommen – er müßte nach Gotha fahren u. wollte mich vorher 415 416

Schreiben nicht auffindbar. Die Mitgliedskarte der LBG war orangerot.

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sprechen. Ich kam (O. war in der Nacht aus der Sommerfrische gekommen), aber es hatte wenig Sinn. O. wollte wissen, ob irgendetwas die Proklamierung der Nat.kirche betreffendes geschehen sei. Das ist nicht der Fall. Die vervielfältigte »Kundgebung« von neulich [?] ist, wie mir Sylten sagte, nicht dasselbe wie d. Wort zur Lage im K. Anz. Sie ist an alle Pfr. geschickt worden. König war Sonntag über im Anhaltischen. Volk rechnet mit d. Rückkehr des Labi nicht vor Freitg. Freitg., d. 7.8. [7. August 1936] Am Mittwoch Abd. war ich noch einmal bei O. Er hatte die neuesten Nachr. von Bauer [G.]. Am Montag haben sie mit Stahn Sitzg. gehabt, der inzw. v. Detten in einem Seebad gesprochen hat. Detten hätte wieder eine neue Idee: das K.min. als Schiedsrichter über beide Gruppen! Inzwischen hat man die mit Stahn geplante Verordng. beraten. Eine Art Krisis sei entstanden, weil man sich über die Bezeichnung für D. Otto [R.] nicht habe einigen können. Das K.min. hätte »Verbindungsmann« gewünscht. Das ist natürl. unmöglich. Das würden die D.Chr. für einen Sieg ihrer Sache halten. »Vertrauensmann« ist auch nicht glücklich. Ich schlug vor: keine Bezeichnung, sondern ganz natürl. »ein Theologe«. O. sagte: »eine Persönlichkeit«. Im übrigen hatte er eine Vorldg. vor die Krim.pol. wegen eines »Ermittlungsverfahrens«. Gott weiß, was das wieder ist. Am Donnerstg. nachm. ist er nach Berlin gefahren, wo heute, Freitg., sehr ernste Verhandlungen im »Luth. Rat« seien. Niemöller plane eine scharfe Kanzelabkündigg. gegen Staat u. Partei – er wolle die Dinge zur Entscheidung bringen. Das ist ja unmöglich, das ist ja päpstlich. Da gehen die Gemeinden nicht mit. Heute, Freitg., als ich Mittg. gegen ein Uhr nach Hause kam, kam mir schon atemlos ( )c entgegen, die ganz aufgelöst u. fast weinend war. Volk sei schon heute früh strahlend optimistisch gewesen u. hätte ihr gesagt, die Sache der Thür. D.Chr. stünde glänzend! Sie bekämen Zustimmungserklärungen aus den Gemeinden, sogar aus Kaltenwestheim. Und ( )c versicherte mit verzweifelten Augen, Kaltenwestheim habe sich für den L.K.R. erklärt! (Natürl. die deutsch-christl. Mitglieder der Kirchenvertretung!) – Wenns weiter nichts ist. Aber sie wehrte alle Trostversuche ab. Das Schlimmste kam allerdings noch. Es wäre ein Eingang gekommen 417, darin stünde nicht mehr und nicht weniger, als daß diejenigen Gemeinden, die auf Grund der Veröffentlichung von Zoellner (2 Kirchenregimenter) ihre Unabhängigkeit vom L.K.R. erklärt u. sich dem Bruderrat unterstellt hätten, Unrecht hätten. Es gäbe keine »vorl. K.regierung!« Der L.K.R. solle diese Sachen nicht bearbeiten, sondern alles dem K.min. übergeben. Unterschrieben »v. Detten«. Ich kann mir das so erklären, daß der Lösung mit D. Otto nicht vorgegriffen werden soll. Hoffentlich bedeutet das nicht die Lösung, wie sie v. Detten im Kopf hatte. Aber die Wirkung dieses Eingangs auf den L.K.R. scheint unglaublich zu sein. Sie triumphieren u. seien noch nie so hoch gewesen wie jetzt!!! Ich kann es mir vorstellen. Beinah kann man Angst kriegen. Ganz gut, daß ich nicht mehr oben 418 bin. Arme ( )c. Obgleich ich c c 417 418 c

Strichzeichnung Frauenkopf mit Locken, steht für Hanna Linde, vgl. Übers. Strichzeichnungen. Strichzeichnung Frauenkopf mit Locken, steht für Hanna Linde, vgl. ebenda. Vgl. dazu die korrigierende Sicht der Berichterstatterin in der nächsten Tagebucheintragung. Pflugensberg. Strichzeichnung Frauenkopf mit Locken, steht für Hanna Linde, vgl. ebenda.

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auch wieder etwas wütend war. Sie hat noch nie ein bißchen Courage gehabt. Ich verlangte nun heute auch nicht mehr, daß sie mir glaubte. Hoffentlich kommt O. mit guten Nachr. aus Berlin. In der Ev.-Luth. K.Ztg. hätte eine Bemerkg. gestanden: Nach der Olympiade würde in der Kirche ganz streng geschieden zwischen Parteiangehörigen und solchen, die es nicht wären. Was mag das sein? Dieser heutige Eingang vom K.min. geht nun sicher heute schon in unzähligen Vervielfältigungen in die Welt. Es muß bald etwas dagegen getan werden! In d. Nacht vom 8. zum 9.8., Sonnabd. z. Sonntg. [8./9. August 1936] Heute Abd. spät bei ( )c. Sie hätte sich gestern geirrt, eine Sache zu schnell gelesen. Es handelte sich in dem einen Schreiben aus Berlin nicht um die Thür. Bruderräte, sondern um die im Reich. – Trotz aller Mühe konnte ich nicht genau verstehen, was eigentl. los war. Bö. hätte ihr gesagt, er hätte die Sache 3 x gelesen. Die »Thüringer« hätten sich ja garnicht als »vorl. K. Regierung« bezeichnet. – Volk hat seiner Siegessicherheit noch verschiedentlich Ausdruck gegeben. Z.B. hat er erzählt, daß Franz ihm geschrieben habe, er hätte nicht geglaubt, daß er in diesem Jahre so beruhigt auf Urlaub würde gehen können. Aus Gesprächsbrocken ist festgestellt worden, daß Leuth. mit noch einem heute vor 8 Tagen, Sonnabend, mit Sauckel gesprochen hat – wie wir vermuteten. Volk hat sich dieses Gespräch mit größter Ausführlichkeit schildern lassen. Zwischen diesem Gespräch ist – heute – eine Anfrage aus Berlin von »Stahn in Vertretung« gekommen: Ob das zwischen v. Detten, Sasse, Leuth., Sauckel geplante Gespräch am Montag stattfinden könnte? Unter die Niederschrift unter dieses Gespräch hat Volk geschrieben, man sei übereingekommen, Sasse zu empfehlen, das Gespräch am Dienstag stattfinden zu lassen. Man überlegt, ob es nötig sei, Franz, der im Urlaub ist, zu benachrichtigen. Man möchte ihn nicht gern stören. Leutheuser hat sich sehr merkwürdig über dieses Gespräch ausgedrückt. Die unvollkommenen Bruchstücke, die ich erfuhr halten folgendes fest: »Wir brauchen nur Sauckel … Leffler, der ist (ein abfälliges Urteil. So, als wenn er viell. zu nachgiebig wäre). Und Sasse – der sagt immer »na ja … na ja …« und Sauckel – der läßt sich bescheißen, bescheißen, bescheißen!« (Hier hat Berichterstatter leider das Lokal verlassen.) Um etwas Greifbares festzustellen, formulierte ich meinen Eindruck folgendermaßen: »Also es hatte den Anschein, als wenn Leuth. von dem geplanten Gespräch am Montag oder Dienstag Ungünstiges für die Thür. D.Chr. erwartet u. vor allem Sorge hat, daß Sauckel sich besch. … ließe.« Dieser Eindruck wurde mir bestätigt. Das Berliner Gespräch sei – wie das vom Kreisleiter neulich – zuerst an Stetefeld gegangen u. wohl, als der nicht vorhanden war, an Volk!! Es ist übrigens von Volk erzählt worden, daß der Kreisleiter auch ihn gefragt habe, »Ihr löst Euch wohl auf?« Der Kirchl. Anz. mit der Stellung zur Schulfrage soll nur an die Thür. Lehrerschaft geschickt werden. Leider. Es bestätigt sich, daß Berlin dem L.K.R. untersagt hat, die Fälle mit Bekenntnispfarrern weiterhin selbst zu behandeln. Sie sollen alle ins K.Min. gehen. (Das will wahrscheinlich Skandale verhindern.) c

Strichzeichnung Frauenkopf mit Locken, steht für Hanna Linde, vgl. ebenda.

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Ich fing heute machm. Otto ab, als er aus Berlin kam. Niemöller habe die scharfe Kanzelabkündigung beschlossen. Man wolle die Regierung zwingen, sich zu entscheiden. Die Hetze gegen die Kirche könne nicht mehr weiter gehen. Was mag daraus werden? Die letzte Nr. des »Blitz«, die ich O. vor der Abreise noch in die Hand gedrückt hatte, hetzte allerdings wiedereinmal mit schamloser Offenheit gegen das Christentum. Und der »Reichsbote« ist noch immer verboten, weil er die angeblich unwahre Mitteilung brachte, eine nichtkirchliche Stelle hätte sich in die thür. Besprechungen eingeschaltet! Und jedermann, der beteiligt ist, weiß, daß die Mitteilung wahr ist. Aus einem nicht begriffenen Zus.hang heraus die Frage von Volk an Leutheuser: »Und was denken Sie über den 20.?« (20.8.? Was ist da los?) »O. hat heute im R.K.A. mit Brunotte ein Gespräch« gehabt, der Zoellners rechte Hand sei. Z. stehe und falle mit den Thüringern. Er wolle zu Hitler gehen u. fragen, ob nun eigentl. die Statthalter regierten oder die Reichsregierung. Es schiene alles durcheinander zu gehen. Gestern hätte man Zoellner die Pistole auf die Brust gesetzt. Er wolle das Gespräch mit Hitler noch vorbereiten. Eine Wendung von Br. [Brunotte] hätte O. nicht verstanden u. dann nicht geklärt: Das K.min. hätte nicht begriffen, daß die Stellg. des R.K.A. zu den Thür. u. Mecklenburg. Bruderräten ganz anders sei als zu den andern. Ich traf heute mittag den K.Rat Otto [R.] u. wir kamen ins Gespräch. Seit er vor 8 Tagen aus Berlin zurück sei, hätte er nichts gehört, sagte er, u. war dankbar für meine Mitteilungen (die ja freilich wie sich nun herausstellt, nicht ganz richtig waren). Er könne warten. Er warte seit 3 Jahren. Wir auch u. z. Teil in einer bedeutend peinlicheren Situation. Den 28.8.36 [28. August 1936] Nach den Ferien. Morgens 7½ Uhr. Ab 10.8. Ferien. Am Abend dieses Tages war noch eine Besprechung im kleinen Kreis bei Ernst Otto … Abends 7 Uhr. Weiter kam ich heute früh nicht. Ich hatte mir die Arbeit nach den Ferien eigentl. anders gedacht. Am 8. hatte ich alle Akten »Auseinandersetzg. zwischen Kirche u. Schule« aufgearbeitet u. im Archiv abgegeben in der festen Überzeugung, daß nach den Ferien nicht ich, sondern viell. Herr Männel dieses Arbeitsgebiet beackern würde!419 E. Otto hat wieder einmal recht gehabt mit seinen Warnungen. Kaum hatte ich auf Urlaub gehen wollen, um nur den Einzug der bekenntniskirchl. Regierung auf d. Pflugensberg nicht zu versäumen! Auch D. Otto [R.] hatte, wie er mir sagte, fest mit seiner Einsetzung als Vertrauensmann gerechnet. Die betr. Verfügg. war im K.min. in allen Einzelheiten schon besprochen worden.

419

Die Akten enthalten Schriftwechsel mit Schulleitern und Behörden, eingeklebte Zeitungsartikel, auch die einschlägigen Gesetze, Lehrpläne etc. zum Thema Schulfragen und Religionsunterricht. 1921 findet sich wiederholt der Vermerk »geschr. Bgs« unter Angabe des Datums. Ab 1922 zeichnete dann Kirchenrat Hermann verantwortlich für die Akten. Seitdem taucht die Handschrift der Tagebuchschreiberin nicht mehr auf. Offenbar war es aber weiterhin ihre Aufgabe, die Akte fortlaufend zu führen und zu ergänzen.

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Am 26. (Mittwoch) kam ich aus Gronenberg420 zurück. Inzwischen mir ein Brief von ( )c, die mir mitteilte, die D.Chr. seien so hoch wie nur je, ein Herz u. eine Seele mit v. Detten u. Stahn usw. Gerede über mich [Begas]: König u. Stüber hätten Wolf u. mich im Sophienhof erkannt und gemerkt, daß wir nicht von ihnen gesehen sein wollten! Daraus würden nun die entspr. Folgerungen gezogen u. man wolle mit mir reden. Wir hätten Schriftstücke oder Akten in d. Hand gehabt! – Wir haben kein Blatt Papier in d. Hand gehabt! Und die Hauptsache ist, daß sie den 3. im Bunde nicht entdeckt haben. Ich glaube nicht, daß sie aus dieser Sache was machen – sie können mir doch nicht verbieten, mich mit m. Bekannten zu treffen! Ein kurzes kirchenpolit Gespräch entstand in Gronenberg auf d. Taufe zwischen Dr. Vahlbruch u. Pastor Faehling-Süsel. V.: »Ich glaube nicht, daß es noch Kämpfe mit d. Kirche geben wird. Nach den neuesten Erlassen von Heß … Aber ich kann nicht darüber sprechen.« Faehling: »Der Staat muß d. Kirche kalt stellen, er kann gar nicht anders« … usw. Gestern Abend zu Ottos. Nur Frau O. [M.] war da. Sie berichtete mir in Eile nur vom Wichtigsten. Ein »Schnellbrief« an Bauer [G.] vom Kirchenministerium !421 Es wird in Abrede gestellt, daß die Bruderräte das Recht zu kirchenregimentl. Befugnissen hätten. Zoellner habe das in seiner theol. Erklärung gegen die Thüringer422 auch nicht behaupten wollen usw. Es scheint, daß dies das Schriftstück ist, das s.Zt. ( )c so alarmiert hatte.423 – Der L.K.R. hat das sofort vervielfältigt oder drucken lassen u. an alle Gemeinden verschickt (wie ich heute auf d. L.K.R. erfuhr offenbar auch an die Bürgermeister, Parteistellen usw.). – Weiter noch irgendeine Veröffentlichung, die mit dem fulminanten Satz beginnt: »Der Putsch der Bekenntnisfront ist abgeschlagen!« Ich muß wohl mit der Zeit herauskriegen, was alles los gewesen ist. Für letzten Sonntag, 23.8., war sogar eine Kanzelabkündigung vom L.K.R. befohlen, in der dieser Brief an Bauer [G.] veröffentlicht werden sollte.424 Hier in Eisenach, wo Hertzsch, Kühn u. Brakhage 420 c 421

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c 423 424

Wohnort von Ruth, der Tochter der Tagebuchschreiberin. Strichzeichnung Frauenkopf mit Locken, steht für Hanna Linde, vgl. Übers. Strichzeicnungen. Schreiben (Schnellbrief) des Reichs- und Preußischen Ministers für die kirchlichen Angelegenheiten an Pfarrer Bauer vom 21. August 1936, LKAE, A 783, Bd. IV, nicht foliiert. In einem Schreiben (Schnellbrief) an den LKR der TheK vom selben Tag, mit dem er diesem das Schreiben an Bauer übersandte, stellte der Minister anheim, den Brief an Bauer im kirchlichen Amtsblatt zu veröffentlichen sowie allen Pfarrämtern in Thüringen bekannt zu machen (ebd.). Gemeint ist hier wohl nicht das Theologische Gutachten des RKA über die Thüringer Richtung der Deutschen Christen (vgl. Tgb. 4. und 5. Juli 1936), sondern die Erklärung Zur gegenwärtigen kirchlichen Lage, in der dem LKR der TheK das »Recht auf Kirchenleitung« abgesprochen und dem Bruderrat in Thüringen für die Dauer des Notstandes »kirchenregimentliche Tätigkeit« zuerkannt wurde (vgl. Tgb. 17. Juli 1936). Strichzeichnung Frauenkopf mit Locken, steht für Hanna Linde, vgl. Übers. Strichzeichnungen. Vgl. Tgb. 7. August 1936. »Auf Veranlassung des Herrn Reichsministers für die kirchlichen Angelegenheiten veröffentlichen wir dessen anliegende Verfügung an Pfarrer Bauer in Gotha vom 21. August 1936. Sie ist wörtlich im morgigen Gottesdienste bei den Abkündigungen zu verlesen. Wo ausnahmsweise die Sondernummer des Kirchlichen Anzeigers nicht so rechtzeitig eintrifft, daß die Verlesung morgen möglich ist, hat sie bei der ersten Gelegenheit danach zu erfolgen. Ueber das Geschehene ist uns über das Oberpfarramt sofort zu berichten. Der Landeskirchenrat. Sasse« (ThKbL/B 1936, 93).

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predigten, ist sie nicht verlesen worden. – Denn inzwischen ist eine sehr bedeutsame Entschließg. gefaßt worden. Frau O. [M.] zeigte mir eine Vereinbarg. zwischen Bekenntnisleuten u. Neutralen in Thüringen vom 26.8. (Mittwoch) mit der die Bildg. eines gemeinsamen Vertrauensrates für Thür. beschlossen wird.425 Damit wird auch von den Neutralen die geistliche Leitung der Thür. D.Chr. abgelehnt! Die Entschließg. ist kurz, enthält etwa 4–5 Punkte u. soll veröffentl. werden. Unterschrieben ist sie von E. Otto, Wessinger, Gerhard Bauer, Ziegner, K. Günther, Gerhard Kühn! Ich halte diesen Schritt für ungeheuer einschneidend. Und das hat mit seinem Schnellbrief das Kirchenministerium getan. Unsere Machthaber werden es noch nicht wissen. Sasse ist mit einigen anderen, wohl D. König, jedenfalls auch Oberheid, gestern Mittag nach Berlin gefahren. Etwa halb 5 Uhr klingelt das Telephon. ( )c nimmt d. Hörer. Es entwickelt sich ein Gespräch, bei dem der Andere furchtbar schimpft, daß er keine Nachricht bekäme u. keine Antwort, ob die Herren nun kämen! ( )c ragt schließlich, wer denn eigentl. dort sei u. bekommt d. Antwort: »Hagenow, Privatsekretär von Minister Rosenberg … (oder so). – Darauf ( )c: »Die Herren sind heute Mittag nach Berlin gefahren u. werden etwa ½5 Uhr dort sein.! – »Na, das ist wenigstens eine klare Antwort.« (Dabei wußte ( )c nur durch Zufall, daß u. wohin die Herren gereist waren. Auch Volk war nicht offiziell benachrichtigt, ebensowenig Bö. oder andere. Das muß

425

c c c c

Im Anschluss daran wird der Brief an Bauer abgedruckt, allerdings gekürzt um den letzten Absatz, in dem Maßnahmen in Aussicht gestellt werden, die auch das kirchliche Anliegen der derzeit im Kirchenregiment nicht vertretenen Gruppen berücksichtigen würden. Die wiedergegebene Fassung des Briefes an Bauer war also manipuliert. Außerdem wurde das Schreiben an Bauer seitens des LKR der TheK fälschlicherweise als »Verfügung« ausgegeben, ein rechtlicher Rang, den es nicht besaß. Auch an diesem Punkte wurde die ideologische Absicht der Veröffentlichung im Sinne der KDC deutlich. Auch traf schließlich die Behauptung nicht zu, dass die Veröffentlichung »auf Veranlassung des Herrn Reichsministers« erfolge. Die KDC tat ein Übriges, indem sie, d.h. ihre »Abt. Propaganda«, den Brief an Bauer an alle KDC-Leiter in Thüringen versandte und folgendermaßen kommentierte: »Damit ist der Putschversuch der Bekenntnisfront mit Hilfe des Reichskirchenausschusses restlos zusammen gebrochen. Es ist wichtig, dass an all den Orten, an denen die Bekenntnisfront falsche Nachrichten verbreitet hat, dieser Brief des Reichskirchenministeriums bekannt wird. Ausserdem ist damit festgestellt, dass der Landeskirchenrat der Thür. ev. Kirche das einzig legale Kirchenregiment in Thüringen ist. Die Bewegung hat nun die Aufgabe, im Reich immer mehr klar zu stellen, dass Thüringen die ›Burg Deutschen Christentums‹ ist und dass von hieraus der Kampf um die eine Christuskirche in das Reich getragen wird. Darum vorwärts mit ganzer Wendung. Heil Hitler! gez. Julius Leutheuser, Reichspropagandaleiter« (Schreiben Leutheusers an sämtliche KDC-Leiter in Thüringen vom 22. August 1936, LKAE, A 783, Bd. IV, nicht foliiert). Der Begriff »Neutrale« wird von der Tagebuchschreiberin durchgehend benutzt zur Kennzeichnung von Pfarrern der »Mitte« (vgl. dazu Tgb. 6. Mai und 29. Juli 1936, bes. auch die hier einschlägigen Fußnoten). Zum Zusammenschluss der Neutralen mit der LBG vgl. das Einladungsschreiben (I) sowie die gemeinsame Erklärung zur Bildung eines Vertrauensrates (II). Mit diesem Dokument griffen die Pfarrer der Mitte zum erstenmal auch gleichsam offiziell in den Kirchenkampf ein. Zum Beginn der Zusammenarbeit zwischen LBG und Mitte vgl. Helasäppä, 185–191. Strichzeichnung Frauenkopf mit Locken, steht für Hanna Linde, vgl. Übers. Strichzeichnungen. Strichzeichnung Frauenkopf mit Locken, steht für Hanna Linde, vgl. ebenda. Strichzeichnung Frauenkopf mit Locken, steht für Hanna Linde, vgl. ebenda. Strichzeichnung Frauenkopf mit Locken, steht für Hanna Linde, vgl. ebenda.

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ja von Außenstehenden den Eindruck des Durcheinanders machen. Also Verhandlungen mit Rosenberg! Aus heute eingehenden kirchl. Zeitungen sehe ich, daß offenbar verschiedene völkisch-religiöse Gruppen sich z.Zt. mit der Frage der Zusammenarbeit mit den Thür. D.Chr. beschäftigen. Vielleicht ist da der Landeskirchentagspräsident Gerstenhauer im Spiel, der irgendwo eine derartige Anregung, ich glaube schon im Mai, veröffentlicht hat.426 Heute ist eine anonyme Karte mit einem Spottgedicht auf den L.K.R. aus Görlitz unter den Eingängen gewesen. Nicht schön. ( )c lachte darüber. So ist sie nun. Franz ist schlechter Laune u. noch halb im Urlaub. Die Spionagemacherei hier soll fürchterlich sein. Die arme Frl. Sommer ist von V. neulich ganz furchtbar angeblasen worden wegen eines nicht gleich abgegebenen Telegramms. Dabei hat er ihr auch ihre innere Zugehörigkeit zur B.K. vorgeworfen. Er hätte wahnsinnig gebrüllt – u.a. drohend gesagt, den Inhalt des Telegramms kennte nur er, der Labi und sie. 5 Min. später sei dieses Telegramm mit einem Schreiben zur Vervielfältigg. in die Kanzlei gekommen! ( )c hat V. darauf aufmerksam gemacht, daß nun schon sehr viele um den Inhalt wüßten, Frl. Sommer also nicht mehr für eine Indiskretion verantwortlich gemacht werden könnte. Das sei ganz egal – habe er erwidert. Vor dem Verkehr mit mir ist sie wieder dringend gewarnt worden. Ich warne infolgedessen meinerseits alle meine Bekannten vor den beliebten Besuchen in m. Zimmer. Trotzdem hatte ich heute reichlich viel Zuspruch. Niederträchtig eine Äußerung von Stock, der mich 1–2 x an seinem Haus vorbei in die Prellerstraße427 hat gehen sehen: »Warum schleicht sie sich denn immer hinten herum zu ihrem Freund?!!!« Btz. sagte: das sei ja noch garnichts. Es wird also offenbar noch viel schlimmer geredet. Wahrscheinlich ists nicht wiederzugeben. Sonnabd., d. 29.8. [29. August 1936] Der Labi ist zurück aus Berlin u. soll wie in tiefen Gedanken umhergehen. – Aus gestrigen Kirchenzeitungen ist aus verschiedenen verstreuten Mitteilungen – zu entnehmen, daß einige völkische Gemeinschaften sich mit dem Ideengut der Thür. beschäftigen, wie es den Anschein hat, unter dem Gesichtspunkt des Zusammengehens mit ihnen. Das ist doch von außen an sie herangetragen – stimmt zur Besprechnung mit Rosenberg. Vor 4 Wochen etwa sei Leuth. immer hinter Zoellner hergereist, in Bayern, um aus seinen Reden u. Taten etwas festzustellen, was er gleich anprangern könne. Zuschrift aus Rückersdorf: Die Kundgebg. des L.K.R.428 könne nicht von d. Kanzel verlesen werden, um die ahnungslose, dem Kirchenstreit völlig fernsteh. Gemeinde nicht zu beunruhigen! Es sind für solche Fälle 40 Zuschriften vorbereitet, in denen Unterlassg. der Verlesung erlaubt wird. 10 sind schon versandt. 426 c c 427 428

Vgl. Tgb. 30. Juli 1936. Strichzeichnung Frauenkopf mit Locken, steht für Hanna Linde, vgl. ebenda. Strichzeichnung Frauenkopf mit Locken, steht für Hanna Linde, vgl. ebenda. Nr. 9: Wohnung von Ernst Otto. Vgl. Tgb. 30. und 31. Juli 1936.

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Am 23. offenbar ist die Niemöllersche Kundgebung – im Sinne der nicht an Hitler gelangten »Denkschrift« – von den Kanzeln der ihm anhängenden Pfarrerschaft verlesen worden: Mitteilg. der Auslandspresse.429 Rundschreiben des L.K.R. an die Pfr.schaft vom 21.8., daß auf Ersuchen des K.min. diese Kundgebung verboten würde.430 (Da wir in Thüringen zum Luth. Rat gehören 431, hätten wir sie sowieso nicht verlesen.) Mitteil., daß Kerrl nach dem Parteitag wieder seine Tätigkeit aufnehmen wird. Montg., d. 31.8.36. [31. August 1936] abds. Gestern war Geburtstag von Frau O. [M.]. Morgens ½8 Gottesdienst mit Abendmahl von O. in der Kreuzkirche. Es war ein strahlender Morgen – und mir tat die Predigt gut. Ich war den ganzen Tag so tief beruhigt wie seit Langem nicht. Nachmittags zu Ottos zum Kaffee mit Frl. v. Estorff, Helmbold u. v. Ranke. O. berichtete Einiges. Der Thür. Staat hat tatsächl. die Kreisämter angewiesen, durch die Bürgermeister den Brief des K.min. an Bauer [G.] bekannt zu geben! Er ist sogar »ausgeklingelt« worden!!!432 (Das K.min. hat erklärt, diese illoyale Auswertung seines Schreibens habe es nicht gewollt. Es würde »etwas« dagegen geschehen.433 (Natürlich geschieht nichts). Bauer [G.] schickt 2 Telegramme los, eins an Hitler eins an das Thür. 429

430 431 432

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An die evangelische Christenheit und an die Obrigkeit in Deutschland! Kanzelabkündigung der Bekennenden Kirche Deutschlands am Sonntag, den 23. August 1936, in: Schmidt, Dokumente II, 984–989. Zum Text und seiner Analyse vgl. Greschat, Zwischen Widerspruch und Widerstand, 186–197. Die Kanzelabkündigung existierte auch als Flugschrift, die von der schlesischen Bekenntnissynode herausgegeben worden war (gedruckt bei Brehmer & Minuth Breslau 2). Die Verlesung dieser Kanzelabkündigung war vom LKR der TheK untersagt worden, vgl. Schreiben des LKR der TheK an alle Pfarrämter vom 21. August 1936, LKAE, A 783, 215. Die TheK gehörte dem Lutherrat nicht an, wohl aber die LBG. Otto gehörte zum Leitungsgremium. Diese Mitteilung der Tagebuchschreiberin ist nur bedingt richtig. Zunächst ergibt sich aus den schriftlichen Unterlagen ein ganz anderes Bild. Demnach war es nicht der Thüringische Staat, sondern der LKR der TheK, der den Brief des Kirchenministeriums an Bauer an alle Bürgermeister und Ortsgruppenleiter in Thüringen versandt hat; vgl. Schreiben der LKR der TheK vom 22. August 1936, LKAE, A 783, Bd. 4, nicht foliiert, und zwar mit der Aufforderung im Anschreiben, den Brief an Bauer »allen Ihren Gemeindegliedern baldmöglichst zur Kenntnis geben zu wollen«. Mit dem Kreisamt Eisenach sowie mit dem Thüringischen Innenministerium habe man entsprechende Fühlung aufgenommen. Das Thüringische Kreisamt Eisenach wies dieses Ansinnen allerdings entschieden zurück: »Nach einer Anweisung des Herrn Reichsstatthalters in Thüringen, des Herrn Staatssekretärs und Leiters des Thüringischen Ministeriums des Innern in Weimar besteht keine Veranlassung, die Verfügung des Reichskirchenministers durch die Gemeinden bekanntgeben zu lassen.« Man hätte sich zu diesem Zeitpunkt des gespannten Verhältnisses von Staat und Kirche auch schwerlich vorstellen können, dass der Thüringische Staat sich dazu hergegeben hätte, kirchliche Interessen zu unterstützen. Allerdings sind andere Kreisämter, genannt werden die das Kreisämter Saalfeld und Meiningen, der Aufforderung des LKR nachgekommen und haben die ihnen unterstellten Behörden entsprechend angewiesen; vgl. Schreiben von Gerhard Bauer an den Reichsminister für die kirchlichen Angelegenheiten vom 27. August 1936, LKAE, 44, 171. Darauf dürften Otto und die Tagebuchschreiberin anspielen. Im Kirchenministerium wurde die Versendungsaktion der LKR der TheK äußerst negativ beurteilt; vgl. Schreiben des Reichs- und Preußischen Ministeriums für die kirchlichen Angelegenheiten an Leffler vom 1. September 1936, LKAE, A 783, nicht foliiert.

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Innenministerium, u. beschwert sich über die Einmischung des Staates!434 Darauf bekommt er zunächst ein wütendes Schreiben des Thür. Innenministeriums, unterzeichnet Gommlich i.V., wie er behaupten könnte, das Innenminist. hätte sich eingemischt! Das sei nicht der Fall! Er, Gommlich, würde »mit allen Mitteln« dafür sorgen, daß keine Unruhe entstünde … usw.435 Wenn sie keine Unruhe wollen, sollen sie die D.Chr. verbieten. (Ob die wirklich glauben, daß der Staat in Gefahr ist? Es ist doch gar nicht möglich!) Dieser Brief ist gestern, Sonntag, in Gotha eingetroffen. Bauer [G.] hat ihn an Otto telephoniert u. Frau O. [M.], hat vor Zorn so gezittert, daß sie ihr Geschriebenes hinterher kaum lesen konnte. Bauer [G.] ist mit d. Brief nach Berlin gereist. Die Mitgl. des »Vertrauensrates«436 haben um Empfang bei Sauckel gebeten, zweifeln aber daran, daß er sie annimmt. Tut er es doch, so werden sie vermutlich nur fürchterlich angeschnauzt. (Dann noch d. Affäre »Ordination«, Kanzelabkünd, pp. u. Mihlaer Kirchenkrach). Mittwoch, d. 2.9.36. [2. September 1936] Niemöllers Kanzelabkündigg.437 sollte offenbar auch in Thür. verlesen werden. Bauer [G.] hatte bei der geh. Sta.pol. angefragt u. die Antwort erhalten, er könne sie verlesen. Etwa eine Stunde später kommt der Mann von der Krimi: Er habe inzw. einen Brief bekommen, sie dürfe nicht verlesen werden. Also: Das Reich erlaubts, Thür. verbietet. »Times« meldet, daß – wenigst. in Berlin – garnicht der Versuch gemacht worden sei, die Abkündigg. zu verhindern! Im Bruderrat der Thür. Bek.gem. überlegt man jetzt d. Frage der Ordination. 4 Kand. sollen ord. werden. Zuerst sollte das in Bayern geschehen. Nach dem Urteilsspruch von Zoellner über die Thür. D.Chr. u. seiner Wendg. vom Kirchenreg. des Bruderrates hat Bauer [G.] Ordinat. in Bayern abgesagt u. sie in Thür. beschlossen.438 O. ist nicht dageg. gewesen, hat ursprüngl. (am Telephon aus der Sommerfrische) gebremst, dann aber nicht gehindert. Jetzt würde es einen Schritt zurück bedeuten, wenn man den Beschluß widerriefe. O. steht immer auf d. Standpunkt, daß 434

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Der Text der Telegramme war nicht aufzufinden. Wohl aber werden aus dem Schreiben des Bruderrats der LBG an den Reichsminister für die kirchlichen Angelegenheiten vom 27. August 1936, LKAE, 44, 171 beide formal, aber auch inhaltlich ausdrücklich bestätigt, indem Bauer ein Telegramm an das Kirchenministerium vom 28. August 1936 »ähnlichen Inhalts« im Wortlaut mitteilt. In diesem Schreiben beschwert sich Bauer namens des Bruderrats der LBG heftig über die Versendungsaktion des LKR der TheK. Empörend sei insbesondere der Umstand, dass eine Fassung des Briefes an Bauer versandt worden sei, in dem der Passus ausgelassen ist, in dem von einer anstehenden Neuordnung der Kirche die Rede war. Indem einzelne Kreisämter der Aufforderung des LKR nachgekommen seien, liege überdies – entgegen sonstiger Zusicherungen staatlicherseits – ein nicht hinnehmbarer Eingriff des Staates in innerkirchliche Verhältnisse vor. Schreiben des Reichsstatthalters in Thüringen an Pfarrer Bauer vom 28. August 1936, LKAE, LBG 44, 163. Vgl. Tgb. 28. August 1936. Vgl. Tgb. 29. August 1936. Der RKA bzw. Zoellner hatte in seiner Erklärung Zur gegenwärtigen kirchlichen Lage der KDC das Recht auf Kirchenleitung abgesprochen und dem Thüringer Bruderrat wegen »erheblicher kirchlicher Notstände« in der Thüringer Kirche und wegen der noch nicht erfolgten Neuordnung (d.h. mangels Einsetzung eines landeskirchlichen Ausschusses) »kirchenregimentliche Tätigkeit« zuerkannt (MDEK 1 [1936], 11). Daraus leitete Bauer offenbar das Recht für die LBG ab, Ordinationen durchführen zu können.

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nur das unternommen werden dürfe, was mit voller Ueberzeugg. vertreten werden könne, was unbed. notwendig sei und durchgehalten werden müsse. Mit halbem Herzen etwas verteidigen auf Biegen u. Brechen könne er nicht. Die Ordinat. könne auch in Bayern geschehen. Wenn er damit nicht durchdränge, wolle er jedenfalls erreichen, daß die Feier im kleinen Rahmen, nicht als Demonstration, vor sich ginge. Ursprüngl. war in einigen großen Thür. Städten, u.a. auch in Eisenach, die Ordinat. im Rahmen von Bekenntnis-Gottesdiensten geplant. An diesem Beispiel versteht man Ottos Schwierigkeiten im Bruderrat. D. Gemeinde Mihla hat am Sonntg. vor 8 Tagen eine Kollekte für die Bekenntnis.gem. gesammelt. Auf diese Nachricht hin ist Lehmann nach Mihla gebraust u. hat sofortige Berufung Zusammentreten der K.vertretg. verlangt. Das konnte Hoffmann nicht zubilligen. Hat nach Lehmanns Abreise aber die K.vertreter einberufen u. gefragt, ob sie Lehm. hören wollten. Darauf wurde Folg. beschlossen – in Lauterbach einstimmig, in Mihla mit 8 Stimmen, geg. 2 Stimmen mit 6 Stimmenthaltgn. Von 8 K.vertr.: – Lehmann solle nicht gehört werden (man habe noch genug von K.Rat Leutheuser439). Beide Gemeinden unterstellen sich der Thür. Bek.gemeinsch. Danach Zwiegespräch zwischen Lehmann u. Hoffmann am Telephon: U.a. Lehmann: »Ist das brüderlich, ist das christlich, daß Sie mich nicht einmal anhören wollen?« Hoffmann: »Nachdem K.Rat Leuth. uns Meuterer u. Rebellen genannt u. unschuldige Gemeindeglieder ins Gefängnis gebracht hat, habe ich nicht nötig, mich vom L.K.R. belehren zu lassen, was brüderlich u. was christlich ist« u.s.w. Er erwartet jetzt seine Absetzg. mit allen Folgerungen schweren Herzens. Immerhin ist es ja jetzt so, daß Disziplinarfälle nicht mehr von Eis. aus entschieden werden dürfen u. der Staat Pfarrer nicht ins Konz.lager tun darf, ohne das K.min. zu fragen.440 Also vielleicht geht’s doch leidlich aus. Man versucht übrig. jetzt, Frl. v. Ranke los zu werden – weil der Chauffeur Arnold sich über Verschiedenes beklagt hat – u. über »Angestellte« des Pred.sem. (worunter aber auch andere als Frl. v. R. verstanden werden könnten), daß das Badezimmer, als er es benutzen wollte, verschlossen gewesen sei u.s.w. Der Labi hätte darüber einen »sehr häßl.« Brief an Volk geschrieben (vor seiner gestrigen Abreise nach Weimar zurückgelass.) indem u.a. gehetzt wird: Sie sei nachgerade derartig belastet durch ihre Zugehörigkeit zur Bekenntniskirche … pp.441 Gestern erhielten wir von der Bek.gem. aus eine Einladg. zu einem Festakt des

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Vgl. Tgb. 16., 27. Januar; 17. Februar und 8. März 1935. Dazu vgl. (1) Entscheidungsbefugnis für den Reichskirchenminister bei Maßnahmen politischer Natur gegen Geistliche vom 5. September 1935, in: Dokumente zur Kirchenpolitik III, 82–83; (2) Erlass des Reichskirchenministers an den Chef und Inspekteur der Geheimen Staatspolizei betr. Maßnahmen staatspolizeilicher Art vom 4. Dezember 1935, in: Dokumente zur Kirchenpolitik III, 136–137. Schreiben nicht auffindbar.

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Männerwerks, der z.Zt. auf dem Hainstein tagt, auf die Wartbg.442 D.Chr. sind nicht erwünscht. Merkwürd. Situation für unsere Kirchenräte.443 Donnerstg., d. 3.9.36. Volk hat sich doch noch einiges Gerechtigkeitsgefühl bewahrt. Er hat mit Frl. v. R. gesprochen, alle Vorwürfe gegen sie hätten sich in nichts aufgelöst. »Wegen solcher Lappalien kann man doch einen Menschen nicht entlassen! Aber wenn irgendein SAoder SS-Mann im Spiel ist … (Arnold) dann geht den Herren (Labi) jedes Rechtsgefühl verloren.«444 Vorgestern hat eine Veröffentlichung im bayr. Kirchenblatt445 die Herren sehr aufgeregt. »Unglaubliche Lügen u. Verleumdungen …« sagte Zenker. – Gestern Nachmittag ist von 1–5 Sitzung im Zimmer des Labi gewesen: Leffler, Leuth., Oberheid, Sasse, Franz, Lehmann, Brauer (ob Stüber, weiß ich nicht). Leuth. sei mit den Worten hineingekommen: »Ihr seid wohl alle ganz verrückt, daß Ihr Euch von den paar Affen da im (K.Aussch. oder K.min) das steht nicht fest) … ins Bockshorn jagen laßt!« Es soll sich um aktuelle Angelegenheiten, vor allem die bayr. Veröffentlichung gehandelt haben. In den späteren Stunden ist so geschrieen worden, daß man es in der Zentrale gehört hat. Es ist ein Brief von Stahn gekommen, der sehr geheim behandelt wird.446 Zur Beantwortung wird »das Schreiben des K.min. vom 24.II. u. unsere Antwort v. 8. oder 9.III.« gesucht. Ein Brief von Pfr. Heyder an einen D.Chr. ist abgeschrieben worden447, in dem ungefähr die Wendung vorkommt: »Es ist doch z.B. auch untragbar, daß der L.K.R. das Schreiben des K.min. an Bauer [G.] veröffentlicht, ohne das gleichzeitige Schreiben des K.min. an den L.K.R., das ja bekannt geworden ist.448 Wenn Sie nun noch D.Chr. bleiben, dann können Sie es nicht mehr mit gutem Gewissen.« Dazu erfahre ich, daß bei der Beratung über die Veröffentlichung des Schreibens an Bauer [G.] Volk den Rat gegeben hätte, auch das Schreiben an den L.K.R. gleichzeitig zu veröffentlichen. Sasse hätte ihm zuerst zugestimmt. Darauf sei Franz gekommen u. hätte den gegenteiligen Rat gegeben u. Sasse ihm beigepflichtet. Franz ist nach Berlin gefahren – allein. 442 443 444 445

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Vgl. den Programmzettel mit dem Titel: »Festakt des Deutschen Evang. Männerwerkes auf der Wartburg am Mittwoch, den 2. September 1936, Kirche und Reich« (LKAE, A 724a, 10). Vgl. Schreiben des LKR der TheK an den Reichs- und Preußischen Minister für die kirchlichen Angelegenheiten vom 5. September 1936, LKAE, A 724a, 11. Lt. Personalakte (LKAE) war Arnold weder SA- noch SS-Mann (vermutlich Irrtum der Tagebuchschreiberin). Kundgebung [des Evangelisch-Lutherischen Landeskirchenrats in Bayern], Amtsblatt für die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern rechts des Rheins 22/1936 (31. August), Abschrift: LKAE, A 783, 121–123. Die relativ umfangreiche Kundgebung beinhaltete eine scharfe Absage an das Konzept der Nationalkirche mit dem Vorwurf der »Irrlehre«; sie sollte am 6. September 1936 in sämtlichen Gottesdiensten verlesen werden. Schreiben Stahns an den LKR der TheK vom 1. September 1936, LKAE, A 783, Bd. IV, nicht foliiert, in dem die Beantwortung verschiedener Briefe des Kirchenministeriums an den LKR der TheK angemahnt wird. Schreiben nicht auffindbar. Zu diesen Schreiben vgl. Tgb. 28. August 1936.

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Freitg., d. 4.9. [4. September 1936] Gestern Abd. d. erste Bibelstunde. O. erzählte nachher kurz: Sauckel hat auf die Bitte [des Vertrauensrats] um Empfang449 noch nicht geantwortet. Was Bayern betrifft: Meiser hat verfügt, daß in Bayern am 6.9. gegen die Thür. »Nat.kirche« gepredigt werden soll u. den Pfarrern Material versprochen. Um dieses Material könnte es sich bei der Drucksache handeln, die die Herren hier so aufgeregt hat.450 Pfr. Engelhardt-Altenbergen hat in einem Brief an seine Gemeindeglieder derartig unglaubl. Behauptungen aufgestellt, daß sie ihn verklagen wollen. U.a.: Die BK hätte einen »hochverräterischen« Brief an Hitler geschickt u. ihn zugleich in der ausländ. Presse veröffentlichen lassen u.s.w.451 Bauer [G.] von Berlin zurück. Er habe ihn erst am Telephon gesprochen. Die Veröffentlichung des Briefes an Bauer [G.] sei ohne Billigung des K.min. erfolgt. Der luth. Rat hätte einen Brief an die Pfr. der Bek.front u. der Mitte in Thüringen und an die Mecklenburger Pfr. geschrieben u. mitgeteilt, daß das Vorgehen des L.K.R. im K.min. nicht gebilligt würde, daß der Sinn des Schreibens an Bauer [G.] nicht gewesen sei, den L.K.R. in seiner Legalität zu stärken, sondern lediglich, die bestehenden Verhältnisse nicht ändern zu lassen. Die geistl. Leitung solle dem Bruderrat verbleiben. Auch die Kanzelabkündigg. des L.K.R. werde nicht gebilligt.452 Das kann der Opposition natürl. den Rücken stärken, wirkt aber nicht in die Öffentlichkeit. Warum sagt das K.min. sowas nicht selbst? Sie haben doch eine schreckliche Angst; da steckt sonst auch mehr dahinter als Sauckel. Der Verlauf der Tagung des Männerwerks, bes. des gestrigen Tages, sei sehr erfreulich gewesen. Der Festakt in der Wartburg selbst sei nicht erlaubt worden, man habe ihn im Gasthof halten müssen. (Ich hatte eine Einladg. u. benutzte sie leider nicht, da ich dachte, es seien nur Männer gewünscht). Die Haupttagg. war auf d. Hainstein. Otto hielt dort gestern ein Referat über die Lage in Thüringen. Leider wären nur noch die Brandenburger, sächs. Provinz [Kirchenprovinz Sachsen] u. Thür. dagewesen. Er sei erstaunt gewesen, wie sein Vortrag eingeschlagen hätte. Niemand habe eine Ahnung gehabt, daß solche Verhältnisse noch möglich seien. Sie seien ganz aufgeregt gewesen u. Johnsen hätte beschlossen, an das K.min. zu telegraphieren und um schleunige Änderung der Dinge in Thür. zu bitten. Die lebten alle schon im tiefsten Frieden! Man wolle O. zu einer Pfr.konferenz nach Braunschweig holen. Es ist wahrhaftig Zeit, daß gegen die Propaganda der Thüringer etwas geschieht.

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Zum Vertrauensrat vgl. Tgb 28. und 31. August 1936. Der Landeskirchenrat in München gab zum 6. September 1936 eine Materialsammlung heraus, die der Aufklärung über die Irrlehre der KDC dienen sollte: Bekenntniskirche oder Nationalkirche. Material für kirchliche Aufklärungsarbeit, LKAE, A 783, Bd. III, nicht foliiert. An diesem Sonntag sollte »über das wahre Wesen und den rechten Grund der Kirche gepredigt« und eine Kundgebung des LKR verlesen werden; vgl. Tgb. 3. September 1936. Schreiben nicht auffindbar. Vgl. Schreiben der ev.-lutherischen Kirche Deutschlands an die Herren Geistlichen der Landeskirchen von Thüringen und Mecklenburg vom 31. August 1936, LKAE, A 783, Bd. IV, 27–29). – Von der Kanzelabkündigung des LKR ist in dem Schreiben Liljes allerdings nicht die Rede.

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Ein Frl. Fischer hatte ihm mitgeteilt, Mitglieder des Bachchors hätten ihr gesagt, sie hätten eine solche Wut auf Pfr. Ernst Otto, sie hätten Lust, nächstens einmal seinen Gottesdienst zu stören! Er schlemmte zu Hause und lebte gut u. auf der Kanzel predigte er »so«! Sonnbd., 5.9. [5. September 1936] Gestern im Archiv wurde mir eine hier im Haus angefertigte Vervielfält. zu lesen gegeben. Es war die bayr. Kanzelabkündigg. gegen die Thür. D.Chr., eine diesbezügl. Veröffentlichg. im Amtsblatt u. dann das Material, das den bayr. Pfarrern von ihrer Kirchenregierg. angekündigt worden war.453 Mehrere Seiten. – Die Veröffentlichg. im Bayr. Amtsblatt ist übrig. in der Ev.-luth. K.ztg. Nr. 36 vom 4.9. wiedergegeben454, ebenso die Entschließg. des neugebildeten thür. Vertrauensrates.455 Ich erfahre: Das K.min. hat Beschwerden sämtl. Pfarrer des K.kreises Schmölln zur Rückäußrg. an den L.K.R. geschickt. Volk hätte – ungeschickt – geantwortet. Es sei ein Haufen von Abschriften zu machen gewesen.456 Wahrscheinlich sind das nicht die einzigen derartigen Beschwerden die an das K.min gekommen sind. – Wenn die Leute ermessen könnten, was für ein Entschluß zu einer derartigen Stellungnahme gehört – während die Billigung des Staates auf der and. Seite ist u. das mit allen Mitteln den Gemeinden eingehämmert wird. Im Archiv fragte mich gestern Steinbach, der sich übrigens ganz offen aussprach (D.Chr.!), ob denn überhaupt das Büro der Bekenntniskirche in Gotha noch arbeite? Es sei doch verboten? Ähnlich so soll sich Volk in seinen Briefen ausdrücken. Sasse u. Franz seien gestern bei Weinel gewesen – über den Zweck oder Erfolg verlautet nichts. Dr. Dr. Reichardt [E.] u. Brauer haben sich in d. groß. Halle unterhalten u. Dr. Dr. [Reichardt] hat dabei bemerkt, daß es doch auch »gemein« sei, daß der Beschluß des neuen »Vertrauensrates« für Thür. gefaßt worden sei, während Stier u. KielEisenach in Urlaub seien – u. meinen damit die Stellungnahme von Kühn. Man faßt sich an den Kopf. Ich notiere es, weil es für die Dummheit bezeichnend ist, aus der sich die tatsächl. Urteile in der Kirchenpolitik zusammensetzen. Man muß so etwas auch sehen. Montg., d. 7.9.36. [7. September 1936] Gestern mit Frau O. [M.] nach der Kirche gesprochen. Mitzenheim hat sich zur B.K. gemeldet. Der bekenntnistreue Teil der K.vertretg. hat mit den D.Chr. endgültig gebrochen. Die Pfr. haben Stier wissen lassen: In rein verwaltungsmäß. Angelegenheiten würden sie noch mitarbeiten, sonst nicht. Gestern nachm. bei Paulssens Brief von Pfr. Jahn an Auerbach mit Mitteilg. über die Nachrichten, die Bauer aus Berlin mitgebracht hat: Auch die Bekanntgabe des Schreibens des K.min an Bauer (das keine »Verfügung« sei) an die polit. Ämter wird gemißbilligt. Am Sonnbd. hat hier die Prüfg. eines Kandid. stattgefunden, danach noch Sitzg. mit Meyer-Erlach. Heute früh nach d. Andacht zeigt V. Lehmann ein Aktenstück u. 453 454 455 456

Vgl. Tgb. 3. und 4. September 1936. Der bayerische Landeskirchenrat gegen Irrlehre, AELKZ 69 (1936), 854–855. AELKZ 69 (1936), 861. Schreiben nicht auffindbar.

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bemerkt dazu: »Das ist ja nun das Schlimmste, was uns passieren konnte.« Worauf Lehmann antwortet: »Wer weiß, viell. ist es ganz gut so«, was aber von Volk deutl. abgelehnt wird. Eine Wendung aus d. besprochenen Schriftstücken lautet: »… nur im Einvernehmen mit dem Kirchenministerium«. 8.9. [8. September 1936] Franz ist aus Berlin zurückgekommen u. hat zu s. Erstaunen festgestellt, daß Sasse inzwischen über Sonntg. selbst nach Berlin gefahren war. Heute fahren Sasse u. Frau [K.] nach Nürnberg (Reichsparteitag). Kritik von Franz, zu einem Vertrauten geäußert: »… Wenns brenzlich wird, drückt er sich! Niemand im Haus (auch Volk nicht) hat von der Reise Sasses etwas gewußt. Das sieht nicht so aus, als behielte das Gerücht recht, das selbst in einer schwedischen Zeitung (Nachr. von O., Hochzeit Levien) Aufnahme gefunden hat: Hitler werde in Nürnberg »die Überwindung der Konfessionen« in Gestalt der Nationalkirche nach Thür. Muster verkünden. Sasse würde Reichsbischof (!!!) und Müller »Erzbischof«!!! Am Mittwoch sollen die Angestellten »verpflichtet« werden.457 Daraus wird Volk wahrscheinl. irgendein Treuegelöbnis für die augenblickl. Machthaber machen. Freitag, d. 11.9.36. [11. September 1936] Am Dienstag Abd. war Bek.gemeinschaft. Selten war der Eindruck so ergreifend. O. schilderte, wie der Schnellbrief des K.min. an Bauer [G.] von den D.Chr. (Leut-heuser Propagandaleiter) ausgenützt worden ist. In drei Stunden haben sie 100 000 Stück des betr. Kirchl. Anz. drucken lassen u. verschickt an alle deutsch. Pfarrämter, alle Thür. Landratsämter (in ganzen Packen, für die Bürgermeister), an alle politischen Leiter (!). Dazu an alle ihre Vertrauensleute im ganzen Reich, das Schreiben gekürzt, mit der Unterschrift darunter, also eine Fälschung. In dem Begleitschreiben kommt folgender Satz vor: »Der für den 23. in Thüringen geplante Putsch der Bekenntnisfront ist abgeschlagen … « (ungefähr).458 Dann noch das gekürzte Schreiben in der Heimatkorrespondenz.459 – Damit waren dann

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Vgl. dazu die Debatte um den Eid auf Hitler in den verschiedensten Eintragungen des Jahres 1935 sowie in der biographischen Skizze (Kap. 1.2). Zum kirchenpolitischen Hintergrund dieser Aktion vgl. Tgb. 28. und 31. August 1936 und die dort ausgewiesenen Dokumente. Vgl. ferner die handschriftliche Niederschrift von Böttcher vom 24. August 1936, in der dokumentiert ist, dass die Sondernummer 16a des Kirchlichen Anzeigers versandt wurde an zahlreiche Personen des politischen Lebens, beginnend mit Reichsstatthalter Sauckel und Ministerpräsident Marschler, sowie an »sämtliche Kreisleiter der NSDAP im Lande Thüringen«, »sämtliche Ortsgruppen- oder Stützpunktleiter der NSDAP im Lande Thüringen«, an die »Kirchenregierungen Mecklenburg, Bremen, Lübeck, Dessau«, an die Pfarrer und Hilfspfarrer (folgen 27 Namen, »durch Eilboten«), »sämtliche Eisenacher Pfarrer« (»durch Boten«), sämtliche Pfarrer des Kirchenkreises Greiz«, »an die Ortsgruppenleiter und Bürgermeister (»mit besonderem Anschreiben«), an die Kreisämter der Landkreise (»mit besonderem Anschreiben zur Verteilung«), »sämtliche Pastoren der TheK« (»mit besonderem Anschreiben«) sowie an die Universitätsprofessoren der Jenaer Theologischen Fakultät, LKAE, A 783, Bd. IV, nicht foliiert. LKR der TheK (Hg.), Zur kirchlichen Lage in Thüringen, ThHtK 21 (1936), Nr. 37 (S. 1 und 2).

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wohl wirklich alle Möglichkeiten erschöpft.460 Abgesehen von der schon erwähnten Kürzung (Fälschung) haben sie sich aber noch Folgendes geleistet: Wahrheitswidrig haben sie behauptet, sie veröffentlichten diesen Schnellbrief auf Veranlassung des Reichskirchenministers! – Es ist auch nicht, wie sie behauptet haben, eine Verfügg. Der Schnellbrief hat keine Gesetzeskraft u.s.w.! O. berichtete über 2 Stunden, konnte aber immer nur Einzelbeispiele aus einer Fülle von Begebenheiten bringen. Die Veröffentlichungen des L.K.R. haben die B.gem. kein einziges Mitglied gekostet – wohl aber sind Mitgl. dazugekommen – in Eisenach Mitzenheim! O. sagte, er hätte in letzter Zeit – ungesucht – mehrere Unterredungen mit D.Chr.-Pfarrern gehabt, die ihn aufgesucht hätten. Danach hätte er den Eindruck, daß 60–80 % der Thür. D.Chr. von ihnen fort möchten u. den »Absprung« nicht finden könnten. Das Schlimmste war der Bericht über Lehmanns Tätigkeit.461 Er saust im Auto durch diejenigen Gemeinden, die sich der Bek.gem. unterstellt haben u. versucht, wie in Mihla, zu den K.vertretern zu sprechen. Das gelingt ihm entweder garnicht oder er sitzt mit 2 oder 3 D.Chr. zusammen u. erzählt Lügen. Sein neuester Trick ist, daß er Meldungen der ausländischen Presse (meine Übersetzungen!) vorträgt, z.B. über die bekannte »Denkschrift« der V.K.L. an Hitler.462 In Winterstein ist er, nachdem er bei dem jungen Hilfspfr. u. s. Stellvertreter abgefallen war, zum Ortsgruppenleiter gegangen und hat gebeten, die Pg. zusammenzurufen. Er wolle nicht als K.Rat sondern als Pg. zu ihnen sprechen. Und in dieser Besprechung hat er u.a. gesagt: »Die Bekenntnisgem. ist ein Haufen von Hochverrätern, die ausgerottet werden müssen …« So fing es an u. in diesem Ton ging es weiter. Ich weiß nicht, wer den Bericht gemacht hat.463 Ottos Brief in dieser Sache an das K.min. war sehr eindrucksvoll. – Winterstein hat dann beschlossen, Lehmann noch einmal in einer öffentl. oder Pg.-Versammlg. über dieses Thema reden zu lassen. Der Hilfspfarrer soll Gelegenheit haben, sich zu äußern. Da er garnicht weiß, was Lehmann vorbringen wird, u. da er natürl. ohnehin nicht über alle Vorgänge orientiert sein kann, ist das sehr schlimm. Bauer [G.]-Gotha hat für ihn da reden wollen u. ist aber abgelehnt worden. – Von dem infamen Brief von Engelhardt-Altenbergen schrieb ich schon. Otto las einen Teil vor. Man merkt übrigens auf d. Pflugensberg nichts davon, daß die Beamten etwa eingeschüchtert seien. So hat Bö. [Böttger], die »rechte Hand« von Sasse, gestern zu Bernewitz gesagt, er könne »nicht mehr mit«. 460

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Die Aktion des LKR der TheK wurde von Sauckel unterstützt, der am 6. September in dieser Angelegenheit einen Schnellbrief an die Gestapo Weimar richtete, der an das Reichskirchenministerium, Hitlers Stellvertreter und an das Reichsinneministerium weiterzuleiten war (vgl. Besier, 565). Vgl. Schreiben des Leiters der Lutherischen Bekenntnisgemeinschaft in Thüringen an den Reichsminister für die kirchlichen Angelegenheiten und den Reichskirchenausschuß vom 8. September 1936, LKAE, LBG 44, 158. Vgl. Tgb. 25. Juli 1936. Bericht nicht auffindbar.

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Heute erfahre ich, daß der Ev. Oberkirchenrat in Berlin [EOK] den Thür. L.K.R. gebeten hat, Oberheid als Pfr. anzustellen. Es scheint, daß er Mitglied des L.K.R. werden soll – er hat Wohnung hier gesucht, wie mir Therese sagte!! Ich glaube, der Oberkirchenrat ist verrückt. Oberheid hat uns noch gefehlt! In Berlin wollen sie wahrscheinl. die Pension sparen?464 Wie ( )b mir sagte, hat Brauer ihm erzählt, der Zulauf in Norddeutschld. sei ungeheuer. Es scheint so. Die heut. kirchl. Zeitschriften brachten Mitteilungen aus Bayern u. Württemberg, wonach auch dort der größte Teil der D.Chr. zu den Thüringern abschwenkt. In d. engl. Presse ein Artikel, den ich für einen Versuchsballon aus dem Vatikan halte. Teile der N.S.-Partei suchten einen neuen Weg zur Lösung der Kirchenfrage in einer »Front gegen den Bolschewismus«. Das Blatt sagt, es würde schwer sein zu definieren, was Kathol. Protest. u. N.S. gemeinsam »Bolschewismus« nennten. Leichter würde es sein, eine »christl.« Front zu bilden. Dem stünde freilich entgegen, daß Teile der Partei dem Chr.tum so feindselig gegenüber stünden als irgendein Bolschewist. Es könne nicht eher zu einer gemeins. Kampflinie kommen, bis die Regierg. unmißverständlich den Kampf geg. das Chr.tum mißbilligte. Auch an anderen Stellen, auch in der N.S.-Presse, fand ich leichte Spuren, die eine taktische Wendung vorbereiten könnten – viell. auch nur zufällig auftraten. Ich könnte mir denken, daß aus mißverstandenen Gerüchten über eine solche Front die dummen Gerüchte über eine »Nationalkirche«, die Hitler in Nürnberg ausrufen wollte, entstanden sind. Zu Lehmanns Erzählungen gehört natürl. auch noch die Behauptung, die Bek.gemeinsch. hätte die »Denkschrift« an Hitler465 in der ausländ. Presse verbreitet. Dazu erzählte Otto eine Mitteilg., von Mahrenholz (Stellv. von Zoellner im K.A.): Es besteht ein Verdacht. Dadurch ist aber nicht die Bek.gemeinschaft belastet, sondern ganz im Gegenteil! Wir wären ja auch längst verboten u. Niemöller im Gefängnis, wenn es so wäre. Die Vereidigg. der Angestellten endlich ist wider Erwarten normal verlaufen. In der Ordinationsfrage hat im Bruderrat offenbar O. gesiegt, denn er erwähnte in d. Bericht am 8. diese Sache nicht. Sonnabd., d. 12.9.36. [12. September 1936] Soeben Mitteilg.: Volk klagt gegen den Rat der luth. Kirchen [Lutherrat] wegen des Schreibens, das Lilje (Geschäftsführer) an die Thür. (u. mecklenb.) Pfarrer gerichtet hat in Sachen der Veröffentlichung des »Schnellbriefs«.466 Die übrigen Mitglieder des 464

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Zur nicht ganz unkomplizierten Übernahme Oberheids in den Dienst der TheK, der fomalrechtlich am 1. Januar 1937 erfolgte, vgl. Faulenbach, Oberheid, 194–202. In der Tat gab es eine Anfrage des EOK Berlin vom 8. Juli 1936, mit der man allerdings in erster Linie dem Wunsch Oberheids selbst Rechnung zu tragen sich bemühte. Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz, vgl. Übers. Strichzeichnungen. Vgl. Tgb. 25. Juli 1936. Vgl. Protokoll der Sitzung des LKR der TheK am 22. September 1936, LKAE, A 122, 85: »3.) Rundschreiben des ›Lutherischen Rats‹ (Nr. 18 des Kirchlichen Anzeigers). – Kirchenrat Dr. Volk teilt mit, daß er den Entwurf für eine Strafanzeige wegen des Rundschreibens vorbereitet habe.

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L.K.R. behalten sich vor, sich der Klage anzuschließen. Das Schreiben wimmelte von Vorwürfen der »Beleidigung«, »üblen Nachrede«, »Verleumdung« u.s.w. Es geht noch nicht ab, ist wohl ein Entwurf, der erst noch von anderen begutachtet werden soll. Montg., d. 14.9.36. [14. September 1936] Pfr. Behr-Arnstadt ist von den Thür. D.Chr. ausgetreten – u. noch 3 Pfarrer aus der Nähe von Vacha. Neue Zeitungsausschnitte. »Berner Tagblatt« meldet: Prozesse gegen Geistliche sollen eingestellt werden, die Sittlichkeitsverbrechen nach der Exkommunikation der Geistl. unter deren bürgerlichen Namen weiterverfolgt werden. Das ist ein sehr weitgehendes Zugeständnis an die kathol. Kirche. Weiter stellt das B. T. fest, daß die Bekenntniskirche noch immer keinen staatlichen Schutz habe. Mergenthaler-Württemberg habe gefordert, daß die Disziplinierung von Pfr. Schneider-Stuttg., Thür. Richtung, zurückgenommen würde. Also den württemb. Statthalter haben sie auch auf ihrer Seite. Wie viele Statth. noch? Schneider-Stuttgart ist derjenige, der in dem Blatt »der Sonntag« den unglaublichen Artikel brachte, wonach die D.Chr. bereit seien, etwas Anderes zu glauben, wenn Hitler das heute beföhle.467 Rehm-Berlin hat ihn aus seiner Gruppe rausgeschmissen, bei den Thüringern hat er eine leitende Stellung.468 Nachricht im »Protestantenbl.«, Nr. 35/36, daß Pacelli »unterwegs« sei, »um eine Zusammenarbeit Roms mit den nicht kommunist. Staaten« vorzubereiten!469 Ich hörte heute, es seien Darlehen von 1000 bzw. über 1000 M gegeben worden an Popp, Pfr. Lehnert u. Stetefeld u. es entstand der Verdacht, daß damit auf einem Umweg die »Reichstagung« finanziert werden sollte, die ja im Oktober wieder hier stattfindet.470 Seit Wochen tragen die D.Chr. bereits die mit d. Hakenkreuz geschmückte Nadel.471 In der heute vom »Argus«472 eingeschickten Nr. des »Durchbruch« befassen sich die Deutschgläubigen mit der Erklärg. der Thür. D.Chr. zur Schulfrage.473 (Im K. Anz. auf Anregg. von Volk erschienen). Im Allgem. befassen sie sich schon länger mit den Thüringer D.Chr.

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Die Sache soll aber zunächst bis zum 10. Oktober auf Frist gelegt werden.« Über das Rundschreiben des »Lutherrats« war Sauckel besonders erzürnt. Es habe Unfrieden stiften wollen zwischen der rechtmäßigen Kirchenleitung einerseits und den Pfarrern und Gemeinden andererseits, weil er den Schnellbrief des Ministeriums lediglich als eine ministerielle »Meinungsäußerung« betrachtet, ihm aber »keine rechtsetzende Bedeutung« zu erkannt habe (vgl. Besier, 565). Vgl. Tgb. 4. und 30. Juli 1936. Gemeint ist der radikal deutschchristliche Stuttgarter Pfarrer Georg Schneider, der bei der Bemühung Wurms um die Bildung eines Synodalausschusses im Sinne eines landeskirchlichen Ausschusses zur Befriedung der Landeskirche sowohl von Wurm als auch von Rehm als belastend empfunden wurde. Man diskutierte den weiteren Verbleib Schneiders in der Landeskirche (vgl. Meier, Kirchenkampf II, 329). In den angegebenen Nummern der Zeitschrift nicht nachweisbar. Reichstagung der KDC. Offenbar ist von einer Anstecknadel die Rede, die eigens zur Reichstagung ausgegeben wurde; nicht nachweisbar. Zu »Argus« vgl. Tgb. 27 Mai 1933. Vgl. LKR der TheK, Die Stellung des Thüringer Landeskirchenrats zur deutschen Erziehungsund Schulfrage, ThKbL/B 1936, 81–87.

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Freitag, d. 18.9. [18. September 1936] O. ist heute in Berlin zu einer Sitzg. des luth. Rates. – Der L.K.R. hat eine neue Verlautbarung von sich gegeb. im Kirchl. Anz. Nr. 18: Antwort an den luth. Rat auf das Schreiben von Lilje an die Pfr. v. Mecklenburg u. Thüringen.474 ( )b gab es mir zu lesen. ( )b sagte mir heute, Franz solle gesagt haben, er könne sich die Entwicklung innerhb. d. Ev. Kirche nur so denken: die ganze Verwaltung vom Staat neutralisiert, Pfründenwesen, K.steuer u.s.w. in der Hand des Staates und zwei Spitzen der geistlichen Leitung: Thüringer D.Chr. und Bekenntniskirche. Gestern fiel mir die Wiedergabe einer Äußerg. von Ley in die Hand, die er bei der Grundsteinlegg. zur K.D.F.-Stadt bei der Olympia getan hat: »Wir glauben auf dieser Erde allein an Adolf Hitler … der Nationalsz. ist der alleinseligmachende Glaube für Deutschland …«475 usw. Darunter eine Äußerungs Schirachs, die ähnlich war. Aus einem Brief Volks an D. Hosemann: »… Zahn (Jgdpfr. [Reichsjugendpfarrer]) wird von seinem Posten zurücktreten … wir rechnen täglich mit der Neuordnung in Thüringen …«476 Seit der Rückkehr vom Parteitg soll Sasse wie im Traum herumgehen. Er sei unglaublich gleichgiltg gegen alles Dienstliche. Gestern wurde mir von d. Registratur ein Vorgang geschickt, Brief eines Hilfspfarrers aus Mengersgereuth, worin er von einem Brief aus Westfalen schreibt. Dort schade der Bewegung die Äußerg. eines angebl. Eisenacher Kirchenrats, wonach die Thür. D.Chr. zu 80% mit den Deutschgläubigen zusammen gingen … usw. – Das ist die Äußerg. von Gerstenhauer in einem deutsch-gläubigen Blatt. Ich fand sie richtig in der Allg. Ev.-Luth. Kirchenztg. v. 17.7.477 In der Stadt (Stahlhelmkreise478) wird erzählt, Hitler hätte im vertrauten Kreise eine gründliche Reinigung der Partei für nötig erklärt. An Spanien denken wir von früh bis spät. Der Alcázar Toledo – da wollte ich immer mal hin. Jetzt zerschießen sie alles.479 Aber das ist nicht das Wichtigste. Heute sagte ( )b: »Es ist entschieden, daß die Pfr. der Bek. Kirche nicht Nat.sz. sind. Wenn E. O. zum Beisp. …« Ich sagte, daß ja von Anfang an Rosenberg u. seine Leute dagewesen seien u. das Hindernis gebildet hätten. Hinterher fiel mir noch ein: Von den 474 b b 475

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LKR der TheK, Der »Lutherische Rat« erläutert den Brief des Reichsminister für die kirchlichen Angelegenheiten, ThKbl/B 1936, 99.101. Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz, vgl. Übers. Strichzeichnungen. Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz, vgl. ebenda. Zitat nicht direkt nachweisbar; zur fanatischen Ergebenheit Leys für Hitler, den er für den Messias hielt, vgl. Roland Smelser, Robert Ley – Der braune Kollektivist, in: Smelser/Zitelmamm (Hg.), Die braune Elite I, 173. Schreiben nicht auffindbar. AELKZ 69 (1936), 689. Zu dieser Äußerung Gerstenhauers vgl. Tgb. 30. Juli und 28. August 1936, bes. aber vom 18. September und vom 3. Oktober 1935 (Hinweis auf die hier einschlägigen Dokumente in den Fußnoten!). Stahlhelm – Bund der Frontsoldaten, 1918 gegründet, 1934 unter der Bezeichnung »NSFrontkämpferbund« gleichgeschaltet, 1935 aufgelöst; vgl. Enzyklopädie des Nationalsozialismus, 745. Bezug genommen wird hier auf den spanischen Bürgerkrieg. Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz, vgl. Übers. Strichzeichnungen.

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Offizieren der Wehrmacht war auch keiner Nationalsozialist. Weil sie es nicht durften. Hat Hitler gezögert, ihnen Vertrauen zu schenken? (Röhm war ihr Feind). Auch die Pfarrer durften nicht als Seelsorger in die Partei. Abgesehen davon, daß es ausdrückl nicht gewünscht wurde. Letzteres hätte ja nicht ausschlaggebend sein dürfen. Sonnabd., d. 19.9.36. [19. September 1936] Heute früh erzählte mir Bernewitz, daß der Alcázar in die Luft gesprengt worden sei.480 Gestern soll ein Schreiben des K.min. einige Aufregung verursacht haben wegen der Beschwerde von E. Otto über das Auftreten von Lehmann in Winterstein.481 Dieses sehr eindrucksvolle Schreiben hatte E. O. uns im letzt. Bekenntnisabend vorgelesen. Heute kam das »Protestantenblatt« mit längeren Ausführungen über »Thüringen«.482 Die Lage sei noch ganz undurchsichtig, aber soviel stehe fest, daß sich in Thüringen das Schicksal der D. Ev. Kirche entscheide. Dann bringen sie die Sätze, auf Grund deren sich der neue »Vertrauensrat« zusammengeschlossen hat und schließlich bekommt der L.K.R. (Volk) wie der Oberpfr. Leidenfrost eine auf den Kopf, weil sie dem Protestantentenblatt vorgeworfen haben, es hätte den L.K.R. fälschlich bezichtigt, den Schnellbrief des K.min. an Bauer [G.] in gekürzter Form verbreitet zu haben. Das Protest.bl. stellt fest, daß es diese Mitteilg. einfach dem Blatt von César entnommen habe (Volk hatte geschrieben: »Es ist uns bekannt, daß Kreise am Werk sind usw.) u. daß weder der L.K.R. noch Leidenfrost etwas davon sagten, daß der L.K.R. tatsächlich durch den V.D.« den Brief in der gekürzten Form verbreitet hat. Natürlich stünde es richtig im Amtsblatt, aber die »Heimatkorrespondenz« sei ja, da sie weiter in die Öffentlichkeit reichte, viel wichtiger.483 Ein Regierungsbeamter soll gestern hier im Haus gewesen sein u. sich die Finanzabteilg. angesehen haben. Er hätte Bemerkungen über den riesigen Umfang der Behörde gemacht – im Vergleich mit dem Büro des Regierungspräsidenten in Erfurt. Es sei ein Bruchstück eines Satzes aufgefangen worden: »… bei Übernahme durch den Staat …«, aber es ist nicht klar, ob hier viell. nur eine Vermutung von Hartmann ausgesprochen wurde, die er schon öfter von sich gegeben hat. Heute nachm. begegnete ich Fritz in der Stadt. Er sagte, auf d. Pflugensberg wäre heute erzählt worden, E. Otto würde wieder von der Kriminalpolizei vorgeladen. Er sollte mit Bezug auf den Nationalsozialismus gesagt haben: »Der ganze Zauber geht mich garnichts an.« So was Dummes u. Niederträchtiges. Aber das Tollste ist die heute erschienene Nummer der »Briefe …«484 Das muß man nachlesen, das kann man nicht beschreiben.485 480 481 482 483 484 485

Der maurische Alcázar in Toledo (8.–11. Jahrhundert) wurde 1936 zerstört, später wieder aufgebaut und zum nationalen Monument erklärt. Zum Auftreten Lehmanns in Winterstein vgl. Tgb. 11. September 1936. W. Schubring, Von gestern und heute für morgen, Protestantenblatt 69 (1936), 594–595. Zu den Vorgängen um den Brief des Kirchenministeriums an G. Bauer vgl. Tgb. 28. und 30. August 1936 u.öfter. Briefe an Deutsche Christen (BrDC). Gemeint ist offenbar der Artikel von Wilhelm Bauer, Zur kirchlichen Lage in Thüringen, BrDC 5 (1936), 193; vgl. aber auch den Artikel von Wolf Meyer-Erlach, Kirchenpolitischer Leichtsinn oder christliche Verantwortung?, BrDC 5 (1936), 189–192.

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( )b erzählte, heute sei ein Schreiben eingelaufen von Pfr. Förtsch-Mittelhausen, der sich geweigert habe, seine Kirche für einen Gottesdienst der D.Chr. zur Verfügung zu stellen u.a. mit dem Hinweis auf das Minderheitengesetz. Es sei nicht die erforderl. Zahl von Unterschriften zustande gekommen.486 Die K.vertretung (oder Vorstand) habe trotzdem beschlossen, die Kirche den D.Chr. zu geben. Der Pfr. habe darauf Einspruch beim L.K.R. erhoben.487 Der habe telegraphisch den Einspruch zurückgewiesen u. die Begründung brieflich in Aussicht gestellt.488 ( )b sagte, er sei auf die Begründung gespannt, denn die Rechtslage sei klar für Förtsch. D. 21.9., Montg. [21. September 1936] Aus Redensarten, die mir aus d. Kasse berichtet werden, geht hervor, daß die Losung bei den D.Chr. jetzt so ist: »Bekenntnisfront = staatsfeindlich. Alles andere ist Pfaffengezänk!« (Sorge). Das ist allerdings schlicht! J.K. erschien mit einem Aufsatz von Gollwitzer über die Thür. – sehr gut.489 In der neuen Nr. der »Briefe …«, im Programm der »Reichstagg.« (10.10.) wird übrigens von der »Reichsorganisationsleitung auf dem Pflugensberg« gesprochen.490 Der Labi soll ausgesprochen schlechter Laune sein. Reichardt [E.] jun. hat Therese erzählt: »In der vorigen Woche soll – ich weiß nicht, ob es wahr ist – ein uns nicht so ganz feindliches Mitglied des R.K.A. hiergewesen sein. Er ist dann nach Weimar weitergefahren. Ich weiß nicht, mit wem er dort gesprochen hat, ob mit Leffler, Sauckel oder auch mit Schanze …«491 Gestern früh wundervolle, sehr tapfere Predigt von E. O. in der Georgenkirche. Es scheint, der Kampf gegen den Bolschewismus wird auch in der Kirche wieder aufgenommen. 1933 lehnte Bauer einen Artikel gegen den Bolsch. mit den Worten ab: »Das brauchen mir nich mähr. Dän Bulschewismus hat Adolf Hitler erlädigd.« Ich erinnere mich noch an einen Artikel im »Schwarzen Korps«, der betonte, daß Bolsch. eine Weltanschauung sei, die nicht damit erledigt würde, daß man die Organisation vernichte. Der erschien mir damals wie ein Hoffnungsstrahl. Vielleicht erkennt b 486 487

488 b 489 490

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Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz, vgl. Übers. Strichzeichnungen. Gesetz vom 7. Juli 1921 über die kirchliche Versorgung und über den Schutz von Minderheiten, ThKbl/A 1921, Nr. 4, 23–27. Nach § 7 waren für den Beschluss 50 Stimmen erforderlich. Zum Vorgang vgl. (1) Schreiben der KDC, Kreisgemeinde Weimar/Land an den LKR der TheK vom 16. September 1936, LKAE, R 231, Bd. II, 116, (2) Schreiben des Evangelischen Pfarramts Mittelhausen bei Allstedt a.d. Helme mitverwaltet Pfarramt Einsdorf an den LKR in Eisenach durch den Kreiskirchenrat in Allstedt vom 16. September 1936, LKAE, R 231, Bd. II, 118–122. Schreiben des LKR der TheK an Pfarrer Heubel vom 17. September 1936, LKAE, R 231, Bd. II, 117. Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz, vgl. Übers. Strichzeichnungen. Gollwitzer, Die Thüringer Deutschen Christen und die evang. Kirche, JK 4 (1936), 833–845. Vgl.: 3. Reichstagung der Kirchenbewegung »Deutsche Christen«, BrDC 5 (1936), 208, wo es u.a. heißt: »Quartiere sind vorher bei der Reichsorganisationsleitung der Bewegung, Eisenach, Pflugensberg, zu bestellen.« Dieser Hinweis berührte ein ständiges Problem zwischen KDC und LBG, da letztere der Kirchenleitung immer wieder vorgeworfen hatte, Kirchenleitung und Anliegen der KDC nicht sorgfältig zu unterscheiden, sondern beides faktisch in eins zu setzen. Die Tagung fand am [9.], 10. und 11. Oktober 1936 in Eisenach statt. Vgl. dazu Tgb. 4. Oktober 1936: Bei dem Inspizienten handelt sich um Pfarrer Grünagel (Aachen).

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man endlich, wie sehr der Kampf gegen die Kirchen auf dem Freidenkertum aufbaut u. dem Bolschewismus Vorschub leistet. Ich fand in einer der kirchl Zeitschriften einen Hinweis darauf, wie stark das Lied »Papst u. Reibi raus …«, das die S.S. eine zeitlang sang, an das Gottlosenlied erinnert: »Raus, Proleten, raus, aus dem Gotteshaus …«492, das wir von Schallplatten im Ev. Preßverband hörten. Aber viell. ist all dieses Material vernichtet worden, als man Büchereien pp. reinigte?493 Eben habe ich die Antwort Volks an das Protestantenblatt gelesen.494 Er schäumt vor Wut. »Und der nennt sich Ehrendoktor der Theologie dieser D. Schubring … !!!« Er hütet das Prot.blatt ängstlich für die Sitzung morgen – wohl als Überraschung – u. kommt sich wohl entsetzlich wichtig vor mit seinem persönl. Kirchenkampf. Er bringt es fertig, dem D. Schubring zu schreiben, die Pressekorrespondenz wäre eine »völlig unabhängige Stelle, die nicht einmal das Placet des Landesbischofs einzuholen brauchte« usw. (Also auf dem Pflugensberg existieren: L.K.R., Pressestelle, Reichsorg., Leute der D.Chr. – u. alle haben nichts miteinander zu tun. Und dann ist da noch der V.D. u. Leuth. als »Reichspropagandaleiter«. Aber alle wissen nichts voneinander.495 Donnerstg. [Dienstag?], d. 22.9. [22. September 1936] Über diesen Preßverband sprach ich eben mit Btz. Der behauptet, der ganze Preßverband bestünde in Bauer, der sein Gehalt vom L.K.R. bekäme – er, Btz. schreibe es ja jeden Monat aus, er müßte es ja wissen. Von den Abonnenten der Korrespondenz496 seien viele abgesprungen. Es seien, wie er glaubte, noch 120. – Und dann Volks moralische Entrüstung.497 Sasse soll sehr schlechter Laune sein. K.Rat Otto [R.] hat erzählt: Auf dem Parteitag sei nichts gegen die Kirche gesagt worden – nur einmal eine Bemerkung gegen die D. Gl. [DGB]. 492

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Gottlosenlied: Beten, Singen, Weihrauchdünste, / fauler Zauber, heil’ge Lehren, / alles eitle Priesterkünste, / die Proleten zu betören. / Raus, Prolet, heraus! / Aus dem Gotteshaus! / Schmeiß die Opiumfabrikanten, / schmeiß die Pfaffen ‘raus! Es folgen weitere acht Strophen (Text und Musik: Die Berliner Agitprop-Gruppe »Roter Wedding«, ca. 1930; www.kampflieder.de/liedtext.php?id=668; eingesehen 4. August 2015). Vgl. auch eine weitere kirchenkritische Version des Gottlosenliedes: »Heraus aus der Kirche, heraus, heraus! / Befreit euch endlich von Pfaffengewalt, / Wer nur hier auf Erden als Mensch leben will, / Verzichtet recht gern auf des Himmels Idyll! / Ein Himmelreich, das man durch Hunger erzielt, / Ein’n Gott, der das Elend der Armen nicht fühlt, / Kann jeder entbehren, drum rufe ich aus: / Heraus aus der Kirche, heraus!« Gedicht auf der Flugschrift (1 Blatt) »Heraus aus der Kirche!«, LKAE, VD 513: Proletarische Freidenker 1925, nicht foliiert). Schreiben nicht auffindbar. Formal-rechtlich trifft zu, was Volk schreibt; denn der »Evangelische Preßverband für Thüringen« (Herausgeber der »Thüringer Heimatkorrespondenz«) war keine Abteilung des LKR der TheK. So steht das auch im Pfarrerkalender von 1936 (Die Mitteilung der Tagebuchschreiberin ist hier nicht ganz korrekt). Nachdem aber Leutheuser die Leitung des Preßverbandes übernommen hatte, entstand der Eindruck, als sei diese Selbständigkeit aufgehoben. Thüringer Heimatkorrespondenz (ThHtK). Nach Einschätzung der Tagebuchschreiberin hatte Volk bei sinkenden Abo-Zahlen keinen Grund, sich zu entrüsten.

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»Pos. Chr.tum« beutet den Schluß der Hitlerrede: »Wir beugen uns in Demut vor der Gnade Gottes …« gegen die Thür. D.Chr. u. den Reichsb. aus, der bekanntl. in einem Interview gesagt hat, »Gnade« sei kein deutscher Begriff! Aber offenbar haben die D.Chr. einen Wink bekommen, sich nicht mehr gegenseitig zu beschimpfen – sie nennen sich, wenn sie sich in ihrer Presse anfeinden, nicht mehr beim Namen. Man muß schon Bescheid wissen, um zu verstehen, was gemeint ist. Im übrigen warten wir wieder einmal. Kerrl muß ja nun wieder mit sr. Arbeit anfangen u. dann muß ja was passieren. Übrigens erzählte Frau Otto [M.], aus dem angekündigten Vortrag von Lehmann in Winterstein sei nichts geworden, er sei nicht wieder gekommen. nachmittags. Heute früh war Sitzung, die heute Nachm. fortgesetzt wurde. Ehe die Tür geschlossen wurde, hörte man Sasse abwehrend sagen: »Nein, nein, wir haben Kerrl ganz auf unserer Seite. Das weiß ich ganz genau. Nein, da bin ich ganz unbesorgt. Was wird er denn machen – ein paar ganz allgemeine Bestimmungen für die Kirche überhaupt. In unsere kirchenregimentlichen Funktionen wird er uns nicht hineinreden.«498 Die vorbereitete Klage gegen Lilje ist noch nicht abgegangen.499 D. 23., Mittwch. [23. September 1936] Sasse u. Tegetmeyer sind heute früh nach München abgefahren u. kommen erst Freitg. Abd. wieder. Franz hat Flak-Dienst, Volk liegt im Bett. Stüber u. Lehmann sind da. Freitg., d. 25.9. [25. September 1936] Heute ist wirklich alles fort. Gestern kam ein eiliges Telegramm an den Landesbischof, sein Vater [Sasse R.] liege im Sterben! Da stellte sich heraus, daß niemand, auch seine Frau u. Frau Tegetmeyer nicht, die Adresse der beiden in München wußte. Frl. Sommer schlug treuherzig vor, die Telegramme an die Kirchenregierung in München weiter zu leiten, worauf Hartmann mit aufgehobenen Händen herzustürzte: »Um Gotteswillen …!« Es stellte sich dann heraus, daß die Herren beim »Landesfinanzamt« in München zu tun hatten! Das Telegramm hat Sasse dann über das »Braune Haus« erreicht. Telegraphisch war Sasse eingeladen worden, zu einer Versammlg. in Berlin von Vertretern aus Lübeck, Bremen, Schwerin, Dessau, Eisenach, morgen – Stüber fährt hin. Gestern wurde mir ein Diktat von Lehmann gezeigt, eine Art Vortrag über das Thema: »Zurück zum Urchristentum« (ungefähr). 10 Seiten, Fortsetzung folgt. Er hat es im Urlaub verfaßt u. will es drucken lassen. Es wäre sehr zu wünschen, daß es veröffentlicht würde, denn es ist geeignet, volle Klarheit über die »Thüringer« zu bringen. Ich fürchte aber, gerade aus diesem Grunde wird man Lehmann die Veröffentlichung

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Diese Äußerung drückt die Erwartung der Kirchenleitung der TheK aus, dass die bestehenden kirchenregimentlichen Verhältnisse erhalten bleiben und der LKR der TheK nicht – im Sinne der Kerrlschen Kirchenpolitik – durch einen landeskirchlichen Ausschuss ersetzt würden, in dem dann auch die anderen kirchlichen Gruppen (LBG; Mitte) an der Kirchenleitung teilhätten. Vgl. Tagebuch 12. September 1936.

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verbieten.500 Soweit ich las, verfolgt es den Gedanken, die ursprüngliche Idee des Christentums sei »Gottmenschentum u. Unsterblichkeitsglaube«. Folgender Satz kommt vor: notierte ich mir: »Wir erleben Theo [unleserlich] Menschenvergottung aus Gottes Kraft! … Gott und Menschen nicht mehr zweierlei, sondern eins in den großen Führern der Menschheit.« Die Unsterblichkeit besteht, darin, »daß wir wieder in unser Volk eingehen …« Aber ich las nur den Anfang. Demgegenüber ist ja Reventlow weit vorzuziehen, der im neuesten Reichswart schreibt: »… oder aber, man schraubt ›Gott‹ soweit zu sich heran, daß er einem selbst verzweifelt ähnlich wird, ein Gottchen, das man sich zu Ehren gemacht hat, nach Goethes bekanntem Wort: ›Wie einer ist, so ist sein Gott, und so wird Gott so oft zum Spott.‹« Man sieht, mit welchen Gedanken sich die Führergemeinschaft der D.Chr. beschäftigt – denn Lehmanns Ausführungen stammen sicher aus diesem engsten Kreis. Oder wollen sie derartiges schon auf der »Reichstagung« im Oktober zum Besten geben? Die Etage in der Emilienstr. haben sie übrigens doch nicht genommen. Gestern Akten eines Pfr. Ziegler-Nobitz gesehen. Der L.K.R. teilt dem kirchl. Außenamt vertraulich mit, daß Zieglers Mutter Jüdin ist (er bewirbt sich um eine Auslandsstelle) u. das Außenamt bedankt sich herzlich dafür. Niederträchtig ist, daß man dem Betreffenden nicht einfach die Wahrheit sagt, sondern ruhig zusieht, wie er von Pontius zu Pilatus läuft, um irgendwo anzukommen. Freitag, den 2. Okt. [2. Oktober 1936] Gestern Abd. Bibelstunde, die Otto freudig u. spannkräftig hielt. Hinterher war er müde. Er hätte einen Brief von Groß-Rüdersdorf (Niemöller-Richtung) bekommen, der schrecklich sei. Dieser Bruderrat innerhalb der B.K. ist entsetzlich. Den Thür. B.K., Niemöllerscher Richtg. ist das Zusammengehen mit der Mitte im »Vertrauensrat« untragbar. Groß schreibt u.a., da käme man zu einer »Hochstapelei« des Bekenntnisses! Es sei eben nur unerbittliche Härte richtig.501 Ich antwortete, daß ich immer d. Gefühl hätte, hinter diesen Reden von Härte u. Unerbittlichkeit steckte der Hitler-Komplex. Darauf sagte O., nein, das sei die Art von Karl Barth. Sie selbst seien mitschuldig, denn sie hätten früher selbst Freude gehabt an diesen spitzen Formulierungen, solange es andere traf.502 Es ist viel nachzutragen. Am Sonnabd., dem 26.9. hatte O. den Wochenendgottesdienst. Er kam direkt vom Bahnhof. Hinterher begleiteten ihn Frl. v. R. [Ranke] u. ich ein Stück heimwärts. Er zögerte, uns etwas über seine Verhandlungen in Nürnberg zu sagen, wir mußten ausdrückl. Stillschweigen geloben. Es war eine persönliche Besprechung mit Zoellner – niemand sonst dabei. Z. [Zoellner] hatte ihn gerufen. Die Dinge 500

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Entgegen der Erwartung der Tagebuchschreiberin wurde das Elaborat tatsächlich gedruckt, und zwar in 2 Heften: Paul Lehmann, Der Todeskampf der Christentümer und die gegenwärtige Wiedergeburt des Urchristentums im Deutschen Volk. Gegen die Lüge vom Neuheidentum. H. 1: Entartung kirchlicher Bekenntnispraxis und Wiedergeburt der ursprünglichen Gesetze religiöser Formgestaltung der arischen Christenheit, Stuttgart 1937, H. 2: Wiedergeburt christlicher Kerngedanken. 1. Seitheriger Verfall urchristlichen Seelentums. 2. Wiedergeburt des christlichen Glaubens an Gottmenschentum, Stuttgart 1937. Schreiben von Erwin Groß an Ernst Otto vom 29. September 1936, LKAE, LBG 225, 76–77. Zu den Auseinandersetzungen zwischen der beiden verschiedenen Gruppen innerhalb der LBG vgl. Stegmann, 55–57; vgl. weiter Tgb. 21. April und 15. Mai 1936.

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stünden auf des Messers Schneide. Kerrl sei seit einigen Tagen wieder im Amt. Zoellner sei entschlossen, in Sachen Thüringen nicht nachzugeben, sondern eventuell zurückzutreten, wenn hier nicht eine Regelung in seinem Sinne erfolge. Man könne nichts voraussehen. Die Thür. seien tatsächl. mächtig geworden, hätten es verstanden, einigen Leuten im K.min. Eindruck zu machen, besonders mit ihren Erfolgen außerhalb Thüringens.503 Oberheid spuke umher, auch Jäger warte auf Wiederanstellung – und womöglich der Reichsb. im Hintergrund, fragte ich! »Natürlich«! war die Antwort. O. sagte wirklich kein Wort d. Ermutigg. Nur an einem der nächsten Tage sagte seine Frau: »Nun, man hofft doch ….« – Vorgestern, Mittwoch, sprach ich ihn noch einmal kurz, als er von einer Beerdigung kam. Da schien er zuversichtlich in Bezug auf die Entwicklung in Thüringen selbst. In den nächsten 8 Tagen würde es wohl ganz klar werden, daß sich die Herrschaft der D.Chr. auflöste. Das bezog sich auf die Mitteilungen aus den Kirchenkreisen, wonach überall die Pfarrerschaft der B.K. u. Mitte sich gemeinsam von der Zus.arbt mit den D.Chr.-Oberpfarrern und D.Chr.-Pfarrern lösen u. selbständig machen, d.h., dem »Vertrauensrat« sich anschließen. – Bezeichnend dafür war, was ich hier im Haus über die Vorgänge im K.kreis Vacha hörte. Dort ist Lehmann zu einer Pfarrerkonferenz gewesen. Sonnabd., d. 3.10.36. [3. Oktober 1936] Einer der Pfr. hat, nach Lehmanns Vortrag, eine Frage getan nach christentumsfeindlichen Äußerungen nat.sz. Führer. Darauf hat Lehmann in einem so unglaublichen Ton geantwortet, daß die ganze Konferenz, die D.Chr. eingeschlossen, dem Obpfr. erklärt hat, sie können nicht mehr mit Lehmann verhandeln! ( )b teilte mir das mit, der den Bericht des D.Chr.-Obpfrs., ein Protokoll, gelesen hatte.504 – Es sei bei dieser Gelegenheit auch an d. Tag gekommen, daß nur noch 3 von den 16 Pfarrern des K.kreises u. der Obpfr. D.Chr. seien. – Wie O. noch erfahren hatte, haben sich die neutralen u. B.K.Pfr. im K.kreis Vacha dann schließl. vom Obpfr. u. den D.Chr. getrennt. Diese Trennung ist jetzt überall in Thüringen im Gange. – Wohl im Zusammenhang mit einem dortigen Entschluß, der Anschluß an den gemeinsamen »Vertrauensrat« unter OttoWessinger bedeutet, steht eine Mitteilg. von Dr. Schäfer, die Eisenacher Pfarrer hätten Stier »den Gehorsam gekündigt«. Dr. Schäfer wußte von der Bildg. eines »Vertrauensrates« noch nichts. Jemand hatte ihm erzählt, Kühn u. Nitzsch spielten jetzt in Eisenach eine besondere Rolle – das war alles. »Wir hören hier ja gar nichts«, erklärte Schäfer sowohl wie Steinbach.

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b 504

Die Kirchenbewegung »Deutsche Christen« agierte zwar hauptsächlich in Thüringen, verstand sich aber als reichsweite Bewegung und hatte entsprechende Organisationsformen gebildet. Sie wollte unabhängig von Bekenntnissen und institutionellen glaubensbezogenen Zugehörigkeiten alle Deutschen religiös einen und in einer Nationalkirche zusammenführen, die integrierter Bestandteil des nationalsozialistischen Staates sein sollte. Dazu betrieb sie in anderen Ländern des Reiches und in anderen Landeskirchen Propaganda. Von solchen Propagandaunternehmungen und -fahrten führender Mitglieder der Bewegung ist im Tagebuch verschiedentlich die Rede. Vgl. z.B. Tgb. 4. Januar, 30. Mai und 19. Juni 1936. Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz, vgl. Übers. Strichzeichnungen. Nicht aufzufinden.

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( )b erzählte noch, gegenwärtig schwebten die Verhandlungen mit Oberheid, der als »Pfarrer mit gesamtkirchlichem Auftrag« nach Thüringen übernommen werden sollte. Alles drehe sich z.Zt. darum, das Gehalt möglichst hoch festzusetzen. Angeblich zu Verhandlungen mit Oberheid seien Bauer u. Hohlwein kürzl. mit dem Dienstauto nach Godesberg gefahren! Für die Geldverschwendg typisch seien auch 3 Fahrten von Lehmann nach Schleiz. Er habe 3 Tage lang da zu tun gehabt. Anstatt im Hotel zu wohnen sei er jeden Tag nach Eis. zurückgefahren u. anderntags wieder hin, so daß jede Fahrt 40 M gekostet habe. Er erwähnte auch den Fall Hahn-Friemar (Früher »Vizepräs.« Hannover), der rund 800 M Monatsgehalt habe u. freie Dienstwohnung! Dies u. verschiedenes Andere erfuhr ich heute vor 8 Tagen. Phieler war auf d. Pflugensberg erschienen u. hatte ( )c gegenüber auf die D.Chr. geschimpft. »Sie habens ja auch zu borniert angefangen – zu borniert! Ich habe Sasse schon vor einem Jahr gesagt, daß Lehmann unmöglich ist. Nein, es kann nicht so weitergehen! Ich sage ja nicht, daß nun gleich Otto oder Bauer [G.] herkommen sollen – aber so gehts nicht weiter!« Das Interessanteste: Ein Brief von Gerstenhauer.505 Wie ich wohl schon notierte, hatte ein Hilfspfr. Rosenbrock in Mengersgereuth wegen einer Äußerung angefragt, die ein Eisenacher Kirchenrat getan haben sollte: Die Thür. D.Chr. gingen zu 80% mit den Deutschgläubigen und erstrebten eine Einigg. mit ihnen. Diese Behauptung sei in Westfalen aufgetaucht u. geeignet, dort Beunruhigung hervorzurufen.506 Der L.K.R. hat darauf am 22.7. eine Anfrage an Gerstenh. geschickt (Prot. [Protestantenblatt] v. 22.7.).507 Der antwortete kurz u. klar.508 Er hat in einem Aufsatz in den »Deutschbundblättern«,509 die nur für Mitglieder bestimmt, aber offenbar den »Gegnern« in die Hände gefallen seien, diese Äußerung getan. Er sähe ein, schreibt er, daß das den Thür. D.Chr. Schwierigkeiten machen könnte u. er sei bereit, wenn sie es wünschten, von seinem Posten als Präsident des L.K.Tages u. Abgeordneter zurückzutreten. Er schickt den Durchschlag eines Schreibens mit, das er in der gleichen Angelegenheit schon am 16.9. an Leffler geschickt hat.510 Darin kommt auch die Wendung vor, daß er keinen Zweifel darüber aufkommen lassen möchte, auf welcher Seite er stehen würde, wenn es zwischen »völkisch« u. »christlich« zu wählen gälte, näml offenbar auf der völkischen. – Leffler hat ihm darauf geantwortet, daß er auf keinen Fall jetzt austreten dürfte! Er sei keine Belastg. für die Bewegung pp. b c 505 506 507

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Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz, vgl. ebenda. Strichzeichnung Frauenkopf mit Locken, steht für Hanna Linde, vgl. ebenda. Vgl. Tgb. 18. September 1936. Schreiben von Hilfspfarrer Rolf Rosenbrock an den LKR der TheK vom 16. September 1936, LKAE, A 776, 30. Vgl. Protokoll der Sitzung des LKR der TheK vom 22. September 1936, LKAE, A 122.; Schreiben des LKR der TheK an den Ministerialdirigenten und Geheimen Regierungsrat Gerstenhauer vom 22. September 1936, LKAE, A 776, 30; vgl. Protestantenblatt 69 (1936), 594–595. Schreiben des Ministerialdirigenten und Geheimen Regierungsrats Gerstenhauer an den LKR der TheK vom 24.September 1936, LKAE, A 776, 31. Max Robert Gerstenhauer, Die religiöse Bewegung und der Deutschbund, Deutschbund-Blätter 41 (1936), 17–26. Der Artikel ist auch archiviert in: LKAE, A 776, 32. Schreiben von Gerstenhauer an Oberregierungsrat S. Leffler vom 11. September 1936, der die angegebene Passage enthält; vgl. LKAE, A 776, 33.

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Übrigens hatte mich ein 2. Brief, den Volk an den Schriftleiter des »Protestantenblattes« entworfen hatte (den dann Stüber noch einmal zur Bearbeitung bekommen u. im Laufe der vergangenen Woche abgeschickt hat) so empört, daß ich vor 8 Tagen an diesen Schriftleiter (Pfr. D. Schubring-Berlin), eine kleine Sendung schickte: Die »Briefe an …« [BrDC] mit der Einladg. zur 3. Reichstagung u. der Mitteilg, daß sich eine »Reichsorganisationsleitg.« der Bewegung auf d. Pflugensbg. befinde. An den Rand geschrieben: Auf dem Pfl.berg befinden sich nur die Dienstgebäude des L.K.R.« Dazu den Kopf der Heimatkorrespondenz u. ein Blatt aus dem Pfr.kalender, aus dem hervorgeht, daß die kirchl. Pressestelle »Abteilung des L.K.R.« ist. Volk hatte in hohen Tönen behauptet, daß diese Stelle gänzlich unabhängig sei u. daß es bekannt sei, daß von gewisser Seite die völlige »Objektivität« (!) des L.K.R. in Zweifel gezogen würde … usw. Ein unglaublicher Brief! Heute traf die neue Nr. des Protestantenblattes ein u. auf der letzten Seite fand ich meine Mitteilung verwertet.511 Wörtlich! ( )c brachte es Volk sofort auf seine spezielle Anordnung hin. Die ebenfalls heute eingegangene Nr. des »Positiven Chr.tum« bringt überaus scharfe Angriffe gegen die Thüringer. U.a. geht daraus hervor, daß tatsächlich auch in Berlin vor dem Parteitag die unglaubliche Mitteilung verbreitet war, es sei »mit einer schnellen Entwicklg. in Richtg. auf die Nationalkirche« zu rechnen. Also offenbar hat man auch dort erzählt, die Nat.kirche werde auf d. Parteitag ausgerufen. Ich hatte wirklich geglaubt, sowas Dummes könnte man nur den Eisenachern vorsetzen. – Außerdem Enthüllungen über die Stellung der »Thüringer« zum Reichsbischof. Vor einem Jahr haben sie zur Bedingung ihres damals geplanten Zusammenschlusses mit der »Berliner Richtg.« [RDC] gemacht, daß die Berliner sich vom Reichsb. trennen sollten – u. heute werfen sie den Berlinern vor, daß sie nicht mehr zu ihm halten. Das ist wirklich allerhand. Es kann einem tatsächlich schlecht werden bei dieser Art des Kirchenstreites. Frl. v. Ranke erzählte übrigens am Donnerstg. Abd., Frau Pfeiffer [H.] hätte ihr aus guter Quelle erzählt, v. Detten würde abgesetzt, Kerrl hätte sich in der Frage des Schnellbriefes512 auf Zoellners Seite gestellt! – O. gab zu, daß Detten offenbar allseitig in Ungnade gefallen sei, dämpfte aber (wie ich schon festhielt) unsere Freude. Gestern erschien die Allgem. ev.-lutherische K.ztg. mit 2 Artikeln gegen die Thüringer, darunter einem juristischen, der sich mit dem Schnellbrief beschäftigt.513 Da ist ja ganz klar, daß Detten auch juristisch einen großen Bock geschossen hat, indem er die Verordng. vom 2. Dez. 35 auf Thüringen anwendete.514

511 c 512 513

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Weder in Nr. 40 (vom 4. Oktober) noch in Nr. 39 (vom 27. September) nachweisbar. Strichzeichnung Frauenkopf mit Locken, steht für Hanna Linde, vgl. Übers. Strichzeichnungen. Zum Schnellbrief vgl. Tgb. 28. August 1936 u.ö. [Laible], Sind die Thüringer »Deutschen Christen« Irrlehrer?, AELKZ 69 (1936), 943–948. – [Redaktionsartikel] Der Schnellbrief des Ministeriums in der Thüringer Angelegenheit. Juristische Erwägungen zu seiner richtigen Beurteilung, AELKZ 69 (1936), 953–956. Fünfte Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Sicherung der Deutschen Evang. Kirche vom 2. Dezember 1935 (Dokumente zur Kirchenpolitik III, 135–136). Mit dieser Verordnung wurde die Ausübung kirchenregimentlicher und kirchenbehördlicher Befugnisse durch kirchliche Vereinigungen und Gruppen« untersagt. Das hatte von Detten in seinem Schnellbrief vom 21. August 1936 an Bauer (vgl. Tgb. 28. August 1936) in Erinnerung gebracht. Allerdings hatte er

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Übrigens beschäftigt sich Hauer in »Deutscher Glaube« mit den Thüringern u. nennt sie »eine sehr tapfere Gruppe« (was riskieren sie eigentlich? Denen wird schon nichts passieren – dafür sorgt schon die Partei.) Im übrigen zitiert er Gerstenhauer u. findet, es sei garnicht unrichtig von Zoellner, wenn er die Thüringer »unchristlich« fände! Sonntg., d. 3.[sic!]10. [4. Oktober 1936] Frau Otto sagte heute nach d. Gottesdienst, es sei tatsächlich in Berlin schwer gekämpft worden um eine Nationalkirche, wenn auch nicht um die der Thüringer!! Rosenberg hätte eine ausrufen wollen!!!!!515 Da kann man nur sagen: Weltfremd – akademisch. Das wäre ein schönes Schlamassel geworden. Am Dienstag (29.9.) war Otto in Milbitz u. hat dort die erste umstrittene »Ordination« von 4 Kandidaten der Bekenn. Kirche vollzogen (Goll, Gollwitzer, Schüler u. noch einer.)516 Er sagte, er sei gespannt, wie unsere Machthaber reagierten.517 Aus einem Protokoll (v. 22.9.), das ich am 29. zu Gesicht bekam, schließe ich, daß z.Zt. bei ihnen die Tendenz besteht, jedes Aufsehen zu vermeiden. In verschiedenen Fällen, in denen BK-Pfarrer gegen ihre Anordnungen verstoßen haben, haben sie beschlossen, »zunächst« nichts zu unternehmen oder die Sachen auf Frist zu legen und dann erneut zu prüfen.518 Z.B.: Ziff. 2 des Beschl. v. 28.8. (Prot. Nr. 6), wonach verlangt wird, daß in denjenigen K.gden, die sich dem Bruderrat unterstellt haben, unter persönl. Anwesenheit des Gebietsreferenten die kirchlichen Körperschaften einberufen werden sollten, soll zunächst nur in der Weise durchgeführt werden, daß »die maßgebl. Persönlichkeiten« (lies: D.Chr.) zusammengerufen werden, »um sie über die Lage zu unterrichten«. Die Herausgabe der »Aufklärungsschrift« soll zunächst nicht weiter betrieben werden! Sasse soll in dieser Sache Fühlung mit Kerrl nehmen, sobald der wieder im Dienst sei (nicht wörtl.) Hieraus geht zieml. viel hervor. Lehmanns Reisen sind also gestoppt wegen allgemeinem Mißerfolg. O. sagte, in keiner Gemeinde seien die von ihm gewünschten K.vertretervers. zustande gekommen.

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die Teilnahme solcher Gruppen – gemeint war in erster Linie die LBG – am Kirchenregiment in Aussicht gestellt, was zumindestens im Hinblick auf die Rechtslage problematisch war. »Zu den größten Aufgaben dieses Jahrhunderts rechnete Rosenberg die Formung einer ›Deutschen Kirche‹, in der z.B. ›an die Stelle der alttestamentlichen Zuhälter- und Viehhändlergeschichten … die nordischen Sagen und Märchen, anfangs schlicht erzählt, später als Symbol begriffen‹ treten sollten« (Reinhard Bollmus, Alfred Rosenberg – »Chefideologe« des Nationalsozialismus?, in: Smelser/Zitelmamm, Die braune Elite I, 226). Ob die LBG Ordinationen durchführen sollte, war innerhalb der eigenen Reihen umstritten. Vgl. zur Diskussion Tgb. 2. September 1936. Nach der Darstellung von Stegmann, 57, wurden insgesamt fünf Vikare ordiniert, neben den namentlich genannten drei auch Hans Brunotte und Martin Reuter. Mit »Machthabern« sind die Mitglieder des LKR der TheK gemeint. Die Problematik bestand darin, dass nach der Fünften Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Sicherung der Deutschen Evangelischen Kirche vom 2. Dezember 1935 (Dokumente zur Kirchenpolitik III, 135– 136) die »Ausübung kirchenregimentlicher und kirchenbehördlicher Befugnisse durch kirchliche Vereinigungen und Gruppen« untersagt worden war und unter den »unzulässigen Handlungen« ausdrücklich auch »die Prüfung und Ordination von Kandidaten der evangelischen Landeskirchen« gerechnet wurde. Protokoll der Sitzung des LKR der TheK vom 22. September 1936, LKAE, A 122, 85–89.

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Es geht weiter aus dem Prot. hervor, daß das Volksbildgsministerium im Einvernehmen mit d. L.K.R. einen »Rahmenlehrplan« für Religionsunterricht herauszugeben hat, der mit den D.C. Gedanken, wie sie in Nr. 14a des Thür. Kirchenblattes niedergelegt sind, übereinstimmt. (Pkt. 1 des Protokolls).519 Pkt. 2 des Prot.: Aus 27 Kirchenkreisen sind Berichte da über die am 25.8. verlangten Abkündigungen520: Darunter Verweigerungen, Dispensationen, Zahlen nicht angegeben. Also nach 4 Wochen hat erst die Hälfte der K.kreise überhpt. berichtet. Pkt. 3: Eine Strafanzeige auf d. Schreiben des luth. Rats an alle Pfarrer ist bis zum 10.10. auf Frist gelegt (was mag das Datum bedeuten?) Pkt. 6.: Gegen die K.kreise, in denen die Neutralen u. B.K.-Pfarrer erklärt haben, an den Pfarrerkonferenzen nicht mehr teilnehmen zu wollen, soll »zunächst« nichts unternommen werden (sie wollen wohl erst mal feststellen, wie weit das um sich greift.) Pkt 7: Zu dem Bericht von O. über Lehmanns Auftreten in Winterstein521 soll dem K.min. Lehmanns Bericht geschickt werden (der ist inzwischen abgegangen, sei unverschämt u. erklärt Ottos Darstellung für »von Anfang bis Ende erlogen« u. verlangt, daß Otto »zur Verantwortung gezogen werden soll!« Die Darstellung, die O. zuging, ist vom Ortsgruppenleiter der N.S.D.A.P. selbst dem Pfarrer gegeben worden!522) Pkt. 9: Eine Verfügg., die in Sachen der für die BK gesammelten Kollekten allen Pfarrern zugehen sollte, wird zunächst noch zurückgehalten. Pkt. 11: In einer Beschwerde Heubel gegen die Pfarrer Koch-Sulzbach, Heß-Kalbsrieth u. Liebe-Mattstedt soll Stüber »verhandeln«.523 Pkt. 12. Gegen Pfr. Evertz-Zeulenroda (neutral) kein Verweis. Vorgehen »noch einmal prüfen«.524 (Das ist alles so taktisch, keine Linie, nichts Grundsätzliches!).

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Vgl. »Rahmenplan für den Religionsunterricht der thüringischen Volksschule«, LKAE, LBG 18, 43, Hektograph, das der Bruderrat der LBG am 9. Oktober mit dem folgenden Begleitschreiben – vermutlich an die Mitglieder der LBG – versandt hat: »In der Anlage übersenden wir ergebenst einen soeben vom Thür. Ministerium für Volksbildung an die Schulen herausgegebenen Rahmenlehrplan für den Religionsunterricht zur gefälligen Kenntnisnahme«, LKAE, LBG 18, 42. Im Protokoll der Sitzung des LKR ist zu diesem Punkt vermerkt, dass der Rahmenplan nach Besprechung mit Kirchenrat Stüber herausgegeben worden sei. Er stünde in Übereinstimmung mit der Erklärung »Die Stellung des Thüringer Landeskirchenrats zur deutschen Erziehungs- und Schulfrage vom 28. Juli 1936«, ThKbl/B 1936, 81–87. Wieder abgedruckt: Schmidt, Dokumente II, 928– 937. Dem Rahmenplan des Volksbildungsministeriums wurde seitens der LKR zugestimmt. Vgl. Tgb. 28. August 1936. Vgl. Tgb. 19. September 1936; zum Bericht vgl. Schreiben Ernst Ottos an den Reichskirchenminister und an den Reichskirchenausschuss vom 8. September 1936, LKAE, LBG 44, 158; vgl. Tgb. 11. September 1936; Abdruck des Schreibens in den Dokumentensammlung zum Kirchenkampf in Thüringen im LKAE. Nicht auffindbar. Zu den Fällen Koch und Heß vgl. Biogramme; zum Fall Liebe vgl. den Bericht von Liebe über seine Wahl als Pfarrer in Friemar vom 16. September 1935, LKAE, LBG 42, 8 und Schreiben von Pfarrer Liebe an [Ernst] Otto vom 1. Oktober 1935, LKAE, LBG 42, 9. Zum Fall Evertz vgl. Biogramme.

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Pkt: 13. Pfeiffer-Pößneck.525 An Kerrl soll geschrieben werden, daß dessen Verhalten im Zusammenhang mit dem Pfr. Heinrich gesehen werden müsse. Seine Versetzung sei bisher nicht möglich gewesen (?), solle jetzt in Aussicht genommen werden. (Da mag was Schönes dahinter stecken!) Pkt. 14. Man nimmt Anstoß daran, daß Pfr. Hamann-Altenburg die Militärseelsorge ausübt u. möchte deshalb an Dohrmann schreiben, will aber doch zunächst erst noch einmal die Rechtslage prüfen.526 Pkt. 15 Schwierigkeiten in Jena wegen einer Stellenbesetzg. Pfr. Zorn527– Hilfspred. Tittelbach528 (?). Pkt. 17: Der B.K. wird ein Sondergottesdienst in Metzels bewilligt. (!) Es soll aber nicht Pfr. Otto, der Führer der B.K. predigen! Pkt. 18. Es wird beschlossen, Oberheid zu den im Schreiben des Ob.K.Rats Berlin [EOK] vom 17. angegebenen Bedingungen in die Thür. Kirche zu übernehmen (!).529 Pkt. 31.) Auf Veranlassg. von Lehmann wird erwogen, ob man der K.gde Mittelsdorf eine Beihilfe zur Deckung der Auslagen des K.vorstehers Leutbecher geben solle (!) Die Entscheidung wird zurückgestellt. (Das riecht außerordentl. kirchenpolitisch.) Leutbecher ist einer derjenigen, denen »Beteiligung« an dem Überfall auf den Kand. Reichardt nachgewiesen ist, wie der Staatsanwalt Otto mit dem Einstellungsbeschluß mitgeteilt hatte. (Es reichte aber nicht zur Verurteilung!)530 Pkt. 38: Ein Kand. Hormeß aus Pfafflingen soll in die Thür. Kirche übernommen werden u. ihm »in der bisher. Weise« noch einmal 200 M als Vorschuß gegeben werden. Das mit ihm gehaltene colloquium soll als bestandene Anstellungsprüfung gelten. Pkt 39. Das Anschr. des R.K.A. betr. Glockenläuten soll auf Frist gelegt werden. Pkt. 42: Wegen des Anschr. vom K.min. betr. »Missbrauch vaterländ. Lieder« soll mitgeteilt werden, daß in Thür. kein Anlaß zu Maßnahmen bestünde (weil sie das unter d. Hand als D.C. erledigen können. Ich bin sicher, daß das ganze Schreiben auf die Thüringer gemünzt war. Das scheint auch aus der vorletzt. Nr. vom Posit. Chr.tum hervorzugehen – abgesehen davon, daß es doch einfach unerhört ist, daß das alte Lied »Wenn alle untreu werden …« plötzlich das gesetzl. geschützte »Trutzlied« der SS sein

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Zum Stand des Falles Pfeiffer bzw. Heinrich (vgl. Tgb. 23. Mai 1934, 13., 14. und 26. Mai 1936) vgl. Schreiben von Pfarrer Heinrich an den Bruderrat der LBG vom 8. Juni 1936, LKAE, LBG 59, 485. Zu Pfeiffer und seiner skandalösen Jugendfeier in Pößneck vgl. auch Tgb. 8. April 1935. Zum Fall Hamann vgl. Schreiben des Bruderrats der LBG an den Reichsminister für die kirchlichen Angelegenheiten und an den Reichkirchenausschuss vom 20. November 1936, LKAE, LBG 44, 103. Einen Tag nach seinem Amtsantritt in Jena litt Pfarrer Zorn an einer schweren rheumatischen Erkrankung, die nicht nur für seine Amtstätigkeit zum Problem wurde, sondern auch die Hilfskasse des Landeskirche übermäßig belastete; vgl. LKAE, G 1268. Im Fall Tittelbach-Helmrich ging es um die Anstellung als Hilfspfarrer vor Ablauf der gesetzlichen Wartezeit aus Gründen der Gehaltsaufbesserung im Blick auf eine kinderreiche Familie; vgl. LKAE, G 1605. Zum Fall Oberheid vgl. Tgb. 11. September und 3. Oktober 1936. Zu diesem Überfall auf Theophil Reichardt vgl. Tgb. 24. September und 24. Januar 1936.

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soll! Es ist ein Christuslied, Text von Scharnhorst. Melodie verschied., u.a. Wilhelmus v. Nassauen, wie Protest.blatt gestern mitteilt.)531 letzt. Pkt. Es soll durch Anfrage bei Pfr. Hartz noch festgestellt werden, ob u. in welcher Weise die Lutherakademie Sondershausen532 gegen den L.K.R. Stellung genommen habe. Dann soll der Antrag auf Wiederbewilligg. von Zuschüssen geprüft werden.533 Dieses fulminante Protokoll ist, entgegen der vieljährigen Übung, nicht vervielfältigt worden, sondern nur an Einige in Maschinenschrift verteilt worden.534 Zur Begründung wurde gesagt, es sei »zuviel herausgekommen«! (Durch mich nicht!) Nachdem ich mir den Inhalt dieses Schriftstückes einverleibt hatte, erfuhr ich noch, daß Lehmann nach Winterstein führe. Um dort alles link zu machen! Er hat sich von verschiedenen Leuten Unterschriften verschafft zu Erklärungen, über das, was er gesagt oder nicht gesagt haben will. Mitstenographiert hat keiner. Und fest steht, daß das, was der Ortsgruppenleiter dem Pfarrer mitgeteilt hat, den Eindruck wiedergibt, den Lehmanns Ausführungen gemacht haben u. machen sollten. Unterm 21.9. habe ich notiert, daß der Dr. Dr. [Reichardt E.] Therese erzählt hat, es solle ein Mitglied des R.K.A. in Eisenach gewesen sein. Das hielt ich für eine Ente. Ich habe immer noch nicht gelernt, daß in diesem Kirchenkampf immer wieder das Unzulängliche Ereignis wird. Es ist aber Tatsache. »Der« D.C. aus dem R.K.A., ein Pfr. Grünagel aus Aachen,535 sei auf d. Pflugensberg gewesen (also nach Reichardt in der Woche vor Sonntg. d. 20.9.) Von da ist er zu Leffler gefahren, und von da zu Bauer [G.]-Gotha, den er für den Leiter der Thür B.K. hielt !!! Bauer [G.] hat ihm gesagt, er sei nicht zuständig für diese Fragen sondern Otto. (Der übrigens gerade in Berlin war, das wußte Grünagel aber nicht). Dieser Grünagel habe von den Verhältnissen in Thür. überhpt keine Ahnung gehabt. Es sei unglaublich gewesen. Bauer [G.] hat nachher deswegen einen wütenden Brief an Zoellner geschrieben.536 Zoellners Antwort war noch nicht bekannt, er habe am Telephon nur versichert, es hinge mit neuen Verhandlungen zusammen. –Bauer [G.] hatte angenommen, Grünagel triebe auf eigene Faust Kirchenpolitik. Mit diesen neuen Verhandlungen hinge es auch zusammen, daß Zoellner eine Besprechg. mit den neutralen u. B.K.-Pfarrern gemeinsam – ich glaube, für vergangene Woche nach Erfurt – wieder abgesagt hat. Er wolle die im Gang befindlichen Verhandlungen nicht stören!!! 531

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Der Text des Liedes stammt von Max von Schenkendorf, zu singen nach der Melodie von »Wilhelmus von Nassaue«; vgl. Nationalsozialistischer Pfarrer- und Lehrerkreis des Wieratales (Hg.), Unsere Kampflieder, Weimar 1933. Die Tagebuchschreiberin irrte nicht nur beim Verfasser, sondern auch im Hinblick auf seine inhaltliche Charakterisierung; es ist kein Christuslied. Ob es seinerzeit ein von der SS beanspruchtes Lied war, ließ sich nicht ermitteln. Zur Gründung und Intention der Lutherakademie Sondershausen vgl. Besier, 476. Vgl. zum angesprochenen Problem Schreiben des Oberpfarramts Sondershausen an den LKR der TheK vom 3. Oktober 1936, LKAE, A 828,65. Protokoll des LKR der TheK vom 22. September 1936 liegt in Maschinenschrift vor, LKAE A 122. Grünagel war allerdings nicht Mitglied des RKA, sondern kommissarischer Referent in der Kirchenkanzlei der DEK. Brief nicht aufzufinden.

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Kerrl ist, wie O. vor ungefähr 10 Tagen sagte, inzwischen wieder im Dienst. Am letzten Dienstg., kurz ehe Otto nach Milbitz zur Ordination fuhr, hatte ihn die Kripo (Krim.polizei!) angerufen u. für Mittwoch vormitt. bestellt (es ist natürlich auch schwer, fortwährend mit solchen Belastungen herumzulaufen: Was ist da nun wieder los!). Man teilte ihm dann mit, sowohl der B.K. wie den D.Chr. sei von jetzt an verboten, für Veranstaltungen, die nicht in kirchl. Räumen stattfinden, auf irgendeine Weise zu werben!! (Das könnte die Reichstagg der D.Chr. treffen, die nächst. Freitg beginnt. Aber die Herren werden sich schon aus der Schlinge ziehen). – Gestern Abend erschien eine Zeitungsanzeige (!), ziemlich groß, die für den heutigen Gottesdienst von Kiel in der Georgenkirche warb! Heute Abd. war ich noch einmal bei O. um das Posit. Chr.tum wieder abzuholen. Er saß unter Bergen von Briefen, nahm einen ganzen Packen in die Hand u. sagte: »Was hier wieder alles an Anklagen gegen die Herren auf d. Pflugensberg steht, das alleine genügt schon.« Er nahm das »Pos. Chr.tum« in die K.vertretersitzg. mit, um einiges daraus vorzulesen. Ich soll mehrere Stück bestellen. Morgen fährt O. zur Bruderschaftstagung nach Wernigerode537 – um mal wieder Distanz zu den gräßlichen Kämpfen zu bekommen. Seine Erntedankfestpredigt heute war sehr schön u. die Nikolaikirche ganz voll. Neulich kam mir sein jetziges Dasein mal so vor: »Man geht auf einem Gartenweg mit Johannisbeer- und Stachelbeersträuchern rechts u . links und hinter jedem Strauch sitzt ein Kerl u. schießt mit dem Revolver. Als ich es ihm erzählte, sagte er, so sei es auch. Donnerstag [Dienstag?], d. 6.10.36. [6. Oktober 1936] Gestern großer Schreck! Frl. Dittmar ist in eine scheußliche Klatschgeschichte verwickelt. Direkt nach d. Andacht holte sie Volk in sein Zimmer. Das Verhör dauerte von 7½ Uhr bis 10½! Brauer war auch dabei. Leffler hat einem Brief an Brauer geschrieben, die Frau eines Lehrers Unbehaun sei bei ihm gewesen u. habe Äußerungen wiedergegeben, die eine Berufsschullehrerin, Frl. Heintz, in Rudolstadt gegen die D.Chr. in einem öffentlichen Lokal getan habe. Verwandtschaft von Frl. Dittmar! Das arme Wesen! Sie hat zugegeben, »Kritik« geübt zu haben, jedoch die angegeb. Äußerungen nicht getan zu haben u.s.w. Wir zitterten alle um sie. Heute kam diese Berufsschullehrerin selbst und machte großen Krach, worauf Volk offenbar nicht gefaßt war. Er scheint sich ganz als Behörde gefühlt zu haben, was er ja für eine Lehrerin durchaus nicht war. Frl. Linde flatternd. Das Ende vom Liede: Frl. Dittmar bleibt im VD. Heute erfuhr ich, daß gestern in den Eingängen eine Mitteilg. von Ob.pfr. Schwendel gelegen hat, E. Otto hätte in Milbitz 5 oder 8 Kandidaten ordiniert.538 Dazu hat Oberländer gehetzt: »Das müssen Bayern gewesen sein. Hier darf er doch nicht ordinieren!

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Tagung der Sydower Bruderschaft. Es waren nur vier Kandidaten; vgl. Tgb. 3. Oktober 1936.

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Weiter las ich einen Brief von D. Hosemann an Volk. (Der hat mit im Hainsteinwerk539 zu tun u. war 1933 aus anderen Ämtern entlassen, ist jetzt aber von Zoellner in Breslau auf irgendeinen hohen Posten gesetzt worden). Volk hatte ihm gegenüber Kritik daran geübt, daß Zoellner, der Vorsitzender des Hainsteinwerkes geworden ist, noch keine Vorstandssitzg. anberaumt hätte. (Ich glaube wirklich, Volks Phantasie reicht nicht aus, um sich vorzustellen, daß Zoellner jetzt mehr u. Wichtigeres zu tun hat.) Hosemann nimmt in seinem Brief deutlich Abstand, ist »tief betrübt«, daß man in Eisenach Althaus die Kirche verweigert habe (die Luthergesellsch.540 hat hier ab 16. eine Tagung für Dichter u. Theologen). Hosemann sieht »keine Möglichkeit, nach dort zu kommen, nachdem die Kirche dem 1. Vorsitzenden der Luthergesellschaft verweigert worden ist …« In der Unterschrift: »trotz aller sich türmenden Schwierigkeiten …« ( )c behauptet, Volk hätte darüber in der heutigen Sitzung berichtet u. Bauer [W.] u. Brauer hätten sich mit Schreibpapier in eine Nische zurückgezogen. Der Beschluß der K.vertretung sollte abgeändert werden. Am Sonnabd. las ich einen Brief von Leuth. an Lehmann von Mitte September, aus dem hervorging, daß Leuth. über die künft. Arbeit der Thür. D.Chr. in Bayern mit Wächtler, dem Gauleiter von Bayern-Ost und Leiter des NS-Lehrerbundes »Abmachungen« getroffen hat!!! (Die Partei mischt sich nicht in die kirchl. Dinge!) Und wenn man ihnen das auf den Kopf zusagen würde, dann würde es heißen: »Lüge!« So äußerte sich auch Otto sehr bitter. Otto machte übrigens über die Folgen der «Ordination« mir gegenüber einige sorgenvolle Bemerkungen. Er fürchtet, man würde diese Sache zum Anlaß nehmen, um ihn abzusetzen.541 Offenbar hatte er sich doch davon überzeugt, daß die Ordination nötig war, denn er betont immer wieder, er könne sich auf nichts einlassen, was er nur mit halbem Herzen vertreten könne. Er könne nur bis aufs Letzte kämpfen, wenn er für eine Sache wirklich aus letzter Überzeugung einstehen könnte. Deshalb lehnt er auch immer wieder alles reine »taktische« Handeln ab. Ich kann das so gut verstehen! Lehmann soll einen infamen Bericht über »Winterstein« betr. »falsche Darstellung von Pfr. Ernst Otto« an das K.min geschickt haben: Es sei alles von Anfang bis Ende erlogen u. O. müsse zur Rechenschaft gezogen werden!542 Zufällig las ich ein Aktenstück, in dem sich eine Niederschrift von Volk befand über ein Telephongespräch, das er am 22.8. mit Pfr. Koch-Sulzbach gehabt hatte. Darin teilte er ihm mit, er würde eine Verfügg. bekommen, die er beim Gottesdienst am nächsten Morgen (8 Uhr früh) zu verlesen hätte. Täte er das nicht, dann hätte er Disziplinierg. zu gewärtigen. Dabei war die Wendung gefallen »nicht nur nach dem Willen des 539 540

c 541 542

Zum Hainsteinwerk vgl. Tgb. 26. Juni, 8. Juli, 7. und 14. September 1934; 8. April und 4. Oktober 1935; 23. Juni 1936. Gegr. 1918 in Wittenberg, um Luther »im Ganzen seines Wesens und Wirkens der Gegenwart nahezubringen« (Hans Otte, Art. Luthervereine, in: TRE 3 (1992), 229. Althaus war von 1926– 1964 Präsident der Luthergesellschaft. Strichzeichnung Frauenkopf mit Locken, steht für Hanna Linde, vgl. Übersicht Strichzeich-nungen. Vgl. Tgb. 2. September und 4. Oktober 1936. Zum Auftreten Lehmanns in Winterstein vgl. Tgb. 11. Juni u. öfter.

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L.K.R., sondern auch des K.min. (sinngemäß) «. Damit ist ja bewiesen, daß der Schnellbrief mißverständl. oder falsch verwendet worden ist u. daß der Eindruck, das Ministerium wolle die Verlesung, bewußt hervorgerufen worden ist. Das hat der L.K.R. später bestritten. Reichardt [E.] hat neulich eine Äußerung getan, als sei Tegetm. wegen Prozeßsache (geg. Kallmann oder Kallmeyer) in München gewesen. Heute hörte ich: Bei der Kasse ist irgendetwas falsch gemacht worden. Kuhles hat eine Zahlung an Oberheid ohne schriftliche Anweisg. von Tegetm. auf mündl. Veranlassung von Brauer getätigt. Sorge hat die Zahlung »angehakt«, d.h. für richtig befunden – u. sie ist nicht in Ordng. gewesen. Beide behaupten, man könne ihnen nicht übelnehmen, daß sie sich auf Brauer verlassen hätten. Die Sache kommt schon wieder in Ordnung, daran ist kein Zweifel. Aber so wirds gemacht. Steinbach machte Andeutungen über die schwierige Stellung von Dr. Volk. Ich ließ mich auf nichts ein, sagte, mr. Meinung nach stünde Dr. Volk restlos u. ganz entschieden auf der Seite der D.Chr. Ich verstünde nur nicht, warum er noch nicht Mitglied sei. Heute nachm sagte Frl. Linde: »Ich glaube, er bereut. Alle seine alten Bekannten sind doch auf der anderen Seite! (Das ist wohl bloß das Echo des Hosemannschen Briefes). Möglich scheint mir aber, daß er eventuell mit dem D.Chr. Kirchenrat aus dem Amt scheidet.543 Das geht auch nicht anders. Kann sein, daß er das einsieht. Er ist übrigens wieder furchtbar liebenswürdig – ließ mich gestern im Phielerschen Auto nach Hause fahren. Vor einigen Wochen ist übrigens einmal ein merkwürdiges Gespräch zwischen Franz und Volk gehört worden: V.: »Wir müssen diese Sache verfolgen.« F: »Nein. Wir haben das Schreiben doch auf nicht ganz einwandfreie Weise bekommen – ich halte das nicht für fair.« V.: »Aber wir müssen uns an E. Otto halten – den haben wir doch nun eben hier.« Es wäre das 1. mal, daß die Herren wegen »fairness« Bedenken hätten. Da wird schon was anderes dahinter stecken. Sonntg. Abd., d. 11.10.36. [11. Oktober 1936] Seit Freitag haben die D.Chr. hier ihre »Reichstagung«. Imposant war die Auffahrt der Autobusse aus allen Gegenden Deutschlands. 18–20 zählte ich gestern Abd auf dem Karlsplatz, 4 auf dem Markt. Die unheimliche Menge von kleinen Wagen, die überall parkten, gehörten sicher auch dazu. (Sie haben einen Teil ihrer Leute auf den Dörfern untergebracht, weil ein Kursus von 500 Finanzleuten hier viel Platz in den Hotels belegt). Heute früh war ich beim Stadtpfarrer Schneider aus Stuttgart in der Nikolaikirche. Der »Gottesdienst« hatte 9.30 angefangen. 10 Min. nach 10 kam ich gerade recht, als er zur Predigt vor den Altar trat (nicht Kanzel). Er brüllte nicht, wie unsere Leute, sprach überhaupt ohne Erregung, dafür inhaltlich deutlicher u. klarer als die Thüringer. Das Christentum muß »entjudet« werden – es klang schauerlich von dieser Stelle aus, wie eine Gotteslästerung. »Wir lehnen Christus als das Lamm Gottes ab, er ist für uns der Kämpfer … « u.s.w. Zum Schluß statt des Segens »Heil!« mit erhobenem Arm. 543

Für den Fall, dass die derzeitige deutsch-christliche Kirchenregierung durch einen Landeskirchenausschuss ersetzt würde.

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Kein Vaterunser. Danach ging ich hinaus. Hinter mir her schallte noch ein Lied der »Bewegung«. Bei Leutheuser in der Marktkirche sollen Choräle gesungen worden sein. Es war übrigens kolossal voll. Ich stand dicht am Eingang unter lauter Männern.544 Heute nachm. sprach Otto in der Georgenkirche. Es war nicht sehr voll – wie immer nachmittags – wenigstens hinten die letzten Bänke des Schiffes zieml. leer u. auch sonst unten kein Gedränge. Auf den Emporen saßen Leute, ich konnte nicht sehen, wieviele. Otto sprach wundervoll, Text: Der reiche Jüngling.545 Wie er es auf die weltanschaul. Lage u. überhpt. auf d. Leben des Einzelnen anwendete, war herrlich. Mitten in der Predigt gingen draußen mit schwerem Tritt u. mit Musik Züge von Mannschaften vorbei. Hinterher ging ich kurz mit Frau Otto. Es sei sehr schön gewesen in Wernigerode. O. ist noch einen Tag länger geblieben, als er eigentlich wollte. Das freut mich sehr für O.; denn jetzt steht wieder allerlei bevor. ()c ist völlig verängstigt u. verstört. Garnicht mehr zu beruhigen. »Die Bekenntnisgemeinschaft in Thüringen ist erledigt.« Sie hat mirs schriftlich gegeben, auf meine Bitte. Wenn ich ruhig bleibe bei ihren Schilderungen, sieht sie mich entsetzt an u. es ist für sie offenbar ein Grund, mir nichts mehr zu glauben. Ich versuche, ihr klar zu machen, daß wir ja ständig auf das Schlimmste gefaßt sind, daß sich aber niemals an unserer Überzeugung irgendetwas ändern wird. Daß das doch das Wichtigste ist. Sie schüttelt den Kopf und starrt mich an wie ein unwahrscheinliches Phänomen. Sie begreift offenbar nichts. Auch Frl. Sommer soll stark entmutig sein u. gesagt haben, sie glaube nicht mehr an eine Besserung in Thüringen; es daure zu lange. Es ist allerdings eine unauslöschliche Schande, daß die Dinge hier derartig verschleppt werden u. wenn irgendjemand noch einen Funken von Vertrauen zum Kirchenministerium gehabt hat, so ist das jetzt ausgelöscht. Alle die Vielen, die nicht genau wissen, wie Zoellner kämpft, glauben auch nicht mehr an seine Entschlossenheit. Am Montag lief beim L.K.R. eine Anzeige des (vor Kurzem bei den D.Chr. ausgetretenen) Ober.pfarrers Schwendel ein, O. habe in Milbitz Kandidaten ordiniert.546 Heyder-Milbitz hatte es ihm offen erzählt. Gestern ist ein Schreiben des L.K.R., gez. Sasse, mit der Mitteilung davon an das K.min. gegangen.547 Darin soll gefordert worden sein: 1.) Genehmigung, gegen Ernst Otto disziplinarisch vorzugehen (oder zu entlassen. Die Mitteilg. war nicht genau). 2.) Genehmigung zu einer neuen Thür. Verordnung, die 7–8 Punkte haben soll u. nach der künftig jeder Pfarrer der Thür. Kirche kurzerhand entlassen werden kann, und 544 545 c 546

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Vgl. Reichstagung der Kirchenbewegung »Deutsche Christen« in Eisenach vom 10.–12. Oktober 1936, ThHtK 21 (1936), Nr. 46, 2–4. Mk 10,17–22 par. Strichzeichnung Frauenkopf mit Locken, steht für Hanna Linde, s. Übersicht Strichzeichnungen. »Dem Landeskirchenrat berichte ich, daß, wie ich erfahren habe, am Dienstag, den 29. September d. Js. in Milbitz in einem Gottesdienst die Ordination von 4 Kandidaten durch Herrn Ernst OttoEisenach stattgefunden hat. Als Oberpfarrer des Kirchenkreises halte ich mich nach § 82 Abs. 2 der Verfassung für verpflichtet, die geschehene Ordination dem Landeskirchenamt zu melden« (Schreiben Schwendels an den LKR der TheKvom 3. Oktober 1936, LKAE, A 783, 32). Die Einstellung der LBG zu diesem Vorgang ergibt sich aus dem Schreiben des Leiters der LBG an Pfarrer Wessinger vom 5. Oktober 1936, LKAE, LBG 225, 83. Schreiben war nicht aufzufinden; vgl. aber Schreiben des LKR der TheK an den Reichs- und Preußischen Minister für die kirchlichen Angelegenheiten vom 9. Okt. 1936, LKAE, A 783, 36.

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zwar ohne Pension, wenn er in irgendeiner Weise gegen die Anordnungen des L.K.Rats verstößt! (Das ist die Nationalkirche!) Dazu muß man dann in den »Briefen an D.Chr.« lesen, wie unerhört es sei, daß Pfr. Meyer auch auf eine andere Pfarrstelle versetzt werden sollte, daß man das Kirchenregiment in Hannover nicht als rechtmäßig anerkennen könne, so lange die D.Chr. da »verfolgt« würden usw. Besonders Lefflers immer wiederholtes Wort, daß man nicht mit Gewalt vorgehen könne, sondern in der Stille »herzensmäßig« Kirche bauen u.s.w. 3.) Errichtung eines Rechtsausschusses beim L.K.R. mit einem Juristen als Vorsitzendem und 2 Beisitzern, wovon der eine Theologe. 4.) Das K.min. soll den Thür. Bruderrat auflösen. Dieses Schreiben wird wohl dazu beitragen, die Dinge voranzutreiben. Wenn man es doch in weiten Kreisen bekannt machen könnte, damit jeder sieht, wie »freiheitlich« u. gewaltlos diese Nationalkirche ist. Wie schnell würde sich das Chaos klären, wenn gesagt werden dürfte, was wirklich ist. In der Kasse ist eine Bemerkung von Sorge zu Kuhles aufgefangen worden worden: »Was da mit Rosenberg geschwatzt wird, ist Quatsch. Die Leute reden viel. – Wenn es wahr sein sollte, würde es mir leid tun.« – Es ist wahr. In der neuen Nr. der Allgem. evlutherischen K.Ztg. wird wieder aus dem »Dtsch. Sonntag«, von Schneider-Stuttgart, abgedruckt. Da ist gesagt, daß die (Thür.) D.Chr. die Kirche, die Rosenberg will, mit allen Kräften vorantreiben würden, daß sie »gegen die Kreuzesreligion« seien, gegen das Sündenbewußtsein usw. Sorge ist Abgeordneter des L.K.Tages, wird also auch nicht auf dem Laufenden gehalten. Sasse ist vorige Woche in Berlin gewesen. Aus der Sitzung wurde ein Satz von ihm gehört: »Ich habe immer wieder versucht, Rust zu sprechen, u. bin 3 mal bei ihm gewesen, wurde aber nicht vorgelassen.« In der Sache »Luthergesellschaft« hat der LK.R. – aus Anlaß des Briefes von D. Hosemann – ein erklärendes Schreiben an irgendeine Stelle gerichtet. Frau Otto sagte mir, die Tagung solle aus Eisenach wegverlegt u. die Verweigerung der Kirche überall bekannt gemacht werden.548 Ich freue mich nicht auf morgen früh! Da wird man nun überall die begeisterte Schilderung der Reichstagung hören u. Spießruten laufen müssen – wieder einmal. Montg., d. 12.10.36. [12. Oktober 1936] Heute früh erzählte mir Frl. Linde, Frl. Auerbach hätte ihr erzählt – Kirchenrat D. Otto [R] hätte zu ihrem Vater gesagt: v. Detten wäre »gegangen worden«! Zoellner hätte gesagt: »Der oder ich«, und Kerrl [hat] sich für Zoellner entschieden. (Detten ist Katholik u. Jurist.) Das scheint wahr zu sein. Die Quelle ist zuverlässig. – Nach einiger Zeit erzählte sogar Andres diese Geschichte – weiß nicht, wo der die her hatte. Er war gestern mit dem Posaunenchor in Bethel zu Kuhlos 80. Geburtstag. Rund 4000 Bläser. Im Ganzen seien – nach Mitzenheims Schätzung – 50 000 Menschen da zusammengeströmt. Die Bläser waren am Sonnabd. vorm. schon hier aufgebrochen u. hatten in Bethel übernachtet. 548

Vgl. Tgb. 6. Oktober 1934.

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Sauckel soll gestern beim Kreistreffen (?) in Weimar eine furchtbare Rede gehalten und wieder einmal auf die Pfarrer geschimpft haben. Ein kleiner Teil triebe wirklich Seelsorge (das sind die D.Chr.). Heute habe ich in den Eingängen 2 Zuschriften der Geh. Staatspol. (gez. Rausch) an den L.K.R. gelesen. Da bekommt man merkwürdige Einblicke. 1.) Die Beschwerde eines Oberwachtmeisters gegen Pfr. Besser (BK), der hätte die Verfügg. des L.K.R. vom 22.8. nicht bekanntgegeben, stattdessen gesagt, das K.min. mißbillige die Bekanntmachung usw.549 Der Bericht kam von einem Oberwachtmstr. direkt nach Weimar an die Gestapo, die sie an den L.K.R. zur Kenntnis u. evtl. Veranlassung weitergab. Die 2. Anzeige war ein Bericht über einen »ev. Gemeindetag« in Mupperg, bei dem offenbar Werner-Kosma gesprochen hatte, gez. Riehmann u. Kirchner, von denen der eine sich als Leiter der D.Chr. bezeichnete.550 Aus diesem Bericht hörte man heraus, was Werner gesagt haben mochte – in unglaublicher Verzerrung. Wenn man denkt, daß ein solcher Bericht, von Halbgebildeten übelwollend angefertigt, von Halbgebildeten gelesen, zur Urteilsbildung verwendet u. schließlich dem ebenfalls halbgebildeten Gewaltigen, in ein Schlagwort gewickelt, präsentiert wird, so wundert man sich über nichts mehr. Aus diesem Bericht gewann man geradezu eine Art von »Schau«, wie das tragische Mißverstehen, das wir heute erleben, vor sich geht. Es ist mir noch nie so klar geworden, wie beim Lesen dieses Berichts. Z.B.: »Er fing damit an, daß die Kirche ein Windlicht wäre … (Lutherwort!) … er verfälschte das Thema dahin, daß er von der Kirche heute sprach … (der Berichterstatter setzt voraus, daß die Kirche nur eine historische Größe sei u. der Pfarrer nur von der Vergangenheit reden dürfte), »er sagte, Gott hätte Christus im Volk der Juden geboren werden lassen, das wäre gerade das Wunder u. wäre eine Offenbarung … damit hetzte er versteckt gegen den Kampf des Führers gegen die Juden … Der Redner sprach von einem Artikel im »Schw. Korps«: »Mehr Zivilcourage! …« (Was für ein Glück, daß er davon gesprochen hat!) … »u.

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Vgl. Schreiben der Thüringer Gendamerie-Station [Altenburg] an das Thüringer Kreisamt Altenburg vom 16. September 1936, LKAE, A 783, 35 sowie Schreiben von Pfarrer Ernst Besser an Oberpfarrer Schmutzler vom 4. September 1936, am 5. September 1936 urschriftlich weitergereicht an den LKR der TheK, LKAE, A 783, nichtfoliiert. O. Riehmann und Al. Kirchner, Bericht über den Gemeindetag der Bekenntnisfront in Mupperg vom 28. September 1936, LKAE, G 631, 84–88. Das Referat auf dem Gemeindetag, das auch Inhalt des Berichts ist, wurde von Dr. Werner aus Kosma gehalten. Das geht sowohl aus dem Bericht wie aus einem Schreiben des LKR der TheK an Pfarrer Lange aus Mupperg vom 19. November 1936 hervor, LKAE, G 631, 96. In dem letztgenannten Schreiben wird Lange zur Last gelegt, zur Durchführung des Gemeindetags den Kirchenvorstand nicht befragt zu haben. Er habe außerdem gegen das Verbot der Verbreitung von Flugschriften verstoßen. Dieser Vorgang war seitens der Gestapo anhängig; vgl. Schreiben der Gestapo Weimar an den LKR der TheK vom 11. Dezember 1936, LKAE, G 631, 108. Lange wies die gegen ihn erhobenen Vorwürfe zurück; vgl. Schreiben von Lange an den LKR der TheK vom 28. November 1936, LKAE, G 631, 97. Die Äußerung über die Juden in der Tagebucheintragung stammt dem Bericht von Riehmann/Kirchner zufolge aus der Predigt Fischers, die dieser auf dem Gemeindetag gehalten hatte und die die Berichterstatter antisemitisch auslegten.

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beschwerte sich, daß man nicht an der Stelle antworten dürfe, von der aus man angegriffen worden wäre …« usw. (Das ist so ungefähr aus der Erinnerung wiedergegeben).551 Für Fritz muß ich eine Bekanntmachg. von Kerrl über »weltliche« Grabredner auf kirchlichen Friedhöfen suchen. Sauckel hat einfach einen als »weltlichen« Redner bestätigt, bringt das der Kirche einfach zur Kenntnis mit der Aufforderg., das den Kirchgemeinden, die Friedhöfe besitzen, mitzuteilen. Dabei hat der Kirchenminister verfügt, daß die Kirchgemeinden nicht gezwungen werden können, solche Redner auf Friedhöfen, die ihnen gehören, sprechen zu lassen. Das ist die Eigenart in Deutschland – einer arbeitet gegen den anderen. Das Kirchenministerium existiert scheints nicht für Sauckel. Wenn er sich freilich nur von Leffler arcantieren [sic!] läßt …! Es wäre wirklich wichtig, daß man ihn mal rein über das tatsächliche mal etwas genauer aufklärte Über die Tagg. [Reichstagung] der D.Chr. wurde nicht viel geredet. Wider Erwarten hat auch Erich Reichardt nicht viel gesagt. Wir haben den Eindruck, daß ihn irgendetwas verstimmt hat. – Frau Auerbach [J.] hat aus der Georgenkirche berichtet (die unheiml. voll gewesen sei), Leutheuser hätte Liebe u. Güte geredet. Wer nicht Bescheid gewußt hätte, hätte fragen müssen, was denn die B.K.-Leute eigentlich gegen die D.Chr. hätten. Steinbach versicherte mir, auch im Fürstenhof wäre nichts geredet worden, was nicht jeder hätte unterschreiben können. Ich glaubs. Schneider-Stuttgart ist offenbar noch der Ehrlichste. Mittwch., d. 14.10. [14. Oktober 1936] Gestern ist L.K.R.-Sitzg. mit Oberheid gehalten worden, ganz geheim, nicht mal Zenker dabei. Nachher hat Lehmann ein Schreiben an Sauckel entworfen als Dank der Kirche für die Rede von Sonntag.552 Volk hat dann gegen einen Ausdruck Bedenken geäußert u. er u. Lehmann haben lange nach einer passenden Wendung gesucht. Lehmann hatte, dem Sinn nach, zum Ausdruck gebracht, die Kirche sei dem Statthalter dankbar dafür, daß er ihnen allen in dieser »mit dem Alten aufräumenden« oder um neue Glaubensformen ringenden Zeit (vielleicht auch »um neuen Glauben ringenden«) die rechte Ausrichtung gegeben hätte. Volks Bedenken waren ungefähr diese: »Wenn das bekannt werden sollte, dann heißt es: »Na, wenn die Thür. Kirche schon so steht …!« Es handelte sich also wieder um Tarnung. Sauckels Rede ist ein hysterischer Ausbruch. Ungefähr das Schlimmste, was von einem Regierungsvertreter in den letzten Jahren gesagt worden ist. Man muß es nach-

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Zum Verständnis dieses Textabschnittes muss man den Bericht von Riehmann/Kirchner selbst einsehen. Möglicherweise geht es um den folgenden Schriftsatz vom 14. Oktober, LKAE, A 868, 215: »Hochverehrter Herr Reichsstatthalter und Gauleiter! Ihre Worte voll Luthertrotz gegen die Nutznießer absterbenden Lebens und für die Mitkämpfer auferstehender deutscher Glaubenskraft in Thüringen erfüllen uns mit großer Freude. Sie stärken in uns den alten unbeugsamen Willen zu bedingungsloser Gefolgschaftstreue im Kampfe gegen die innerste Genesung der deutschen Seele und um die Überwindung des jüdisch–bolschewistischen Gottlosentums und seiner selbstmörderischen Mitläufer. Wir danken Ihnen von Herzen. Heil Hitler!«

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lesen – schildern kann man das nicht. Die »Eis. Ztg.« hat das echte Verdienst, diese Rede im Wortlaut gebracht zu haben.553 Im Haus verbreitet sich bei den Beamten u. Angestellten die Mitteilg., daß Otto 4 Kand. ordiniert hat554 u. erregt großes Aufsehen! Sasse ist in dieser Sache nach Berlin gereist. Donnerstg., d. 15.10. [15. Oktober 1936] Sasse ist zunächst nach Schlesien gereist um den Nachlaß ss. Vaters zu ordnen. Morgen fährt er von da nach Berlin – gleichzeitig fährt Franz von hier aus hin, Freitg. u. Sonnabd. sind sie dort. Es scheint eine Parole zu sein, daß man sich nicht mehr »Neuheide« nennen lassen will. (Dabei vergessen die Leute, daß sie sich selbst so genannt haben). Außer Sauckels wütenden Auslassungen vom Sonntag finde ich heute in d. Presse ein Zitat aus einer eben gehaltenen Rede des Gauleiters Wagner, München, der sich ebenfalls dagegen sträubt, »Neuheide« zu sein. Außerdem kam heute vom »Argus«555 das »Schwarze Korps« (Nr. 52 v. 15.10.36) mit einem Artikel, der sich gegen die neue kathol. Kampfparole »Gegen den Bolschewismus u. das Neuheidentum« wendet. Diesen Kampfruf besprach und bekritelte neulich schon der Völk. Beob. Schlagzeile auf der 1. Seite. Man hat d. Gefühl, daß die Neuheiden nun dieser Parole überdrüssig sind – sie kennen die Entwicklung eben nicht, wie wir sie in den Kampfjahren 1921 erlebt haben. Wenn ich noch an das Blatt »Der Freidenker« denke – oder an die kommunist. Presse. Genau dasselbe wie heute in den Blättern »Bewegg.«, »Schwarzes Korps« usw. Man könnte glauben, dieselben Leute säßen heute in den Redaktionen wie damals.556 Gestern meldete der »Völk. Beob.« das Verbot von Dinters »Volkskirche« aus Nürnberg. Ein »Haufe von Stänkerern u. Meckerern« hätte sich darin zusammengefunden. Unaufrichtig. Gestern Abd. war ich bei Frau Otto [M.], O. zur Bruderratsversammlg. in Erfurt. O. schickt die Rede von Sauckel natürl. nach Berlin an die in Betracht kommenden Stellen. – Frau Otto sagte, Ranke [H.] hätte auf telephon. Anruf geantwortet, es sei noch nicht abzusehen, wann die Thür. Dinge geregelt würden – Kerrl sei erst mal wieder 14 Tage auf Urlaub in den Harz gefahren! – Wir hatten beide das Gefühl, daß aus der Neuordnung nichts wird! Über die [Reichs-] Tagg. der D.Chr. ist nach wie vor nichts zu erfahren als: »Es war sehr schön.« Erich Reichardt hat noch gesagt, Kirchenpolitik sei nicht geschrieben worden. Das wird stimmen für die öffentl. Versammlungen. In der »Gauleiterversammlung« am Freitg. sind diese Dinge bestimmt verhandelt worden – Volk durfte nicht daran teilnehmen, ist aber in der Pfarrerversammlung am Montg. gewesen: berichtet lobend von dem Schluß-Vortrag von Grundmann.

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»Und wenn die Welt voll Teufel wär«, Eisenacher Zeitung 14 (1936), Nr. 239 vom 12. Oktober 1936 [Titelblatt sowie die folgende Seite]. Vgl. Tgb. 2 September, 4., 6. und 11. Oktober 1936. Vgl. Tgb. 27. Mai 1933. Vgl. Thomas Gandow, Art. Neugermanisches Heidentum, EKL3 3 (1992), 681–683. Der Begriff »Neuheidentum« wurde in der Zeit des Dritten Reiches sowohl von der BK als auch von den DC zur Bezeichnung deutschgläubiger Gruppen verwandt.

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16.10. [16. Oktober 1936] Ich sprach O. gestern nach der Bibelstunde. Er war traurig, nannte es »zermürbt«. »Nicht von dem Kampf gegen die D.Chr., sondern von dem Kampf in den eigenen Reihen!« Er sagte, Sasse hätte sich am Montag von der Pfr.-Versammlg. mit den Worten verabschiedet: »Ich muß heute noch nach Berlin. Dort wird morgen das Schicksal Thüringens entschieden.« Gestern nachm. ist Franz hingefahren. Erich Reichardt hat sich in Vermutungen ergangen, wie die Sache ausgehen könnte u. hält offenbar alles für möglich, auch eine B.K.-Regierung. Otto hofft garnichts, ist darauf gefaßt, daß man hier alle B.K.-Pfarrer hinauswirft. Es sei gar keine Liste vorhanden. Wenn es den Leuten so passe, werde auch in Thür. etwas anderes gemacht wie anderswo. »Was hilft es uns schon, wenn Zoellner mit uns fällt?!« – Es heißt also nun, in Ruhe erwarten, was kommt. Eben erfahre ich, einige Gemeinden hätten sich geweigert, die Kirchensteuer an das Kirchsteueramt zu zahlen, sie zahlten sie ihrem Pfarrer. – In einem Fall ist eine von Fromm überreichte gold.-Hochzeitsbibel mit der Begründg. zurückgewiesen worden, man wolle von diesem L.K.R. keine Bibel. Den 17.10. [17. Oktober 1936] Müller [H.] in d. Registratur hat eben zu ( )c gesagt, als sie ihm einen Vorgang vom 20.Sept. brachte, der heute, am 17.10. erst erledigt wurde: »Es ist einfach hanebüchen. Es wird nichts mehr gearbeitet. Die Herren reisen und nehmen ihre Reisegelder in Empfang, das ist alles. Der Landesbischof tut wirklich nichts mehr. Wenn noch etwas rausgeht, hat es Böttcher gemacht.« Selbstgespräche von Volk gestern Abend: »Na, mir ist es gleich. Die Herren kümmern sich um nichts mehr. Meinetwegen. Alle unsere wichtigen Beschlüsse vom Dienstag ohne den Landesbischof gefaßt! Na ja, sie haben damals nicht hören wollen … Aber sie sind ja auch so zuversichtlich – besonders der Landesbischof. Können sie ja auch, nach ihrer Tagung …« ( )c Was wird denn nun eigentlich in Berlin besprochen – Es kann doch nichts entschieden werden, da Minister Kerrl doch wieder in Urlaub ist.« »Ja, er ist wieder krank. Nun dann spricht man eben mit seinem Vertreter.« »Und Herr v. Detten soll entlassen sein?« »Nein, das stimmt nicht.« Daß der L.K.R. einen Dankbrief an Sauckel für seine tolle Rede geschickt hat finden selbst die getreuesten Stenotypistinnen »zum Schießen!« Freitg., d. 23.10.36. [23. Oktober 1936] Inzwischen sind der Labi u. Franz noch einmal in Berlin gewesen, weil O. die 4 Pfr. ordiniert habe 557; diese Behauptung ist einheitlich bis ganz unten hin. Wir haben weiter nichts herausbekommen.

c c 557

Strichzeichnung Frauenkopf mit Locken, steht für Hanna Linde, vgl. Übers. Strichzeichnungen. Strichzeichnung Frauenkopf mit Locken, steht für Hanna Linde, vgl. Übers. Strichzeichnungen. Vgl. Tgb. 2. September, 4., 6., 11. und 14. Oktober 1936.

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( )c behauptet, der Labi wäre optimistisch u. siegesgewiß. Das ist er allerdings leicht, auch bei geringfügigen Anlässen – als labiler Stimmungsmensch. Volk hat wenig zu bearbeiten. Am Sonntg. Abd. bei O., ganz im kl. Kreis. Er berichtete über den Vortg. von Georg Schulz auf der Wernigeroder Tagung. Otto war sehr davon beeindruckt u. fand, der Vortrag hätte »befreiend« gewirkt. Ich fand das Gegenteil. Ich bin wohl zu sehr Weltkind u. die Motive, die meine Stellung im Kirchenkampf begründen, sind – wenigstens – durchsetzt mit Haß u. Liebe. Georg Schulz: Zuerst: Die »planetarische« Situation. Starkes u. bewußtes Nationalgefühl, zus. mit einem Wiederaufleben alter Kulte u. Religionen – über den Erdball hin. Situation in der Bek. Kirche: Mattwerden der Stimmung, Leerwerden der Kirchen, Stagnation. »Wenn die B.K. vor einem Jahr entschlossen in die Arbeit der Kirchenausschüsse eingetreten wäre, dann hätten wir heute vielleicht den großen evangelischen Block, der den Religionsunterricht für die Volksschule erhalten könnte. So ist es wohl kaum mehr möglich.« Dieses »wenn« zu ertragen, bin ich nicht stark genug. Die andern blieben kühl, u. sagten, es sei gut, daß das einmal gesagt würde (v. Ranke). Es mag richtig sein. Ob es dieser Bericht allein war, der diese ganze Woche auf mir lastete? Es kam auch sonst vieles zusammen. Nach außen konnte ich ruhig bleiben, wie immer, wenn die Last wirklich sehr schwer ist. Täglich diesselben Fragen der Getreuen, Bernewitz vor Allem. Täglich muß man sagen: »Nichts«. Di. soll den Mut verloren haben. ( )c ist fast unerträglich. Mit Th. habe ich mich gestern gezankt. Sie wollte ein Gespräch in der Bücherei zwischen Pfr. Kühn u. Dr. Keil berichten u. erwähnte den »Ungehorsam« der hies. Pfarrer, die nicht mehr mit Stier arbeiten. Darüber wurde ich grob u. schimpfte über Keil u. Reichardt [E.]. Sie brachte es fertig, zu widersprechen! Gestern Abd. Bibelstunde. O. sagte, er wüßte weiter nichts, als daß Kerrl den ganzen Oktober noch fortbliebe!!! Er hätte mit Stahn telephoniert, sie müßten Kerrl sprechen. Darauf hätte Stahn gesagt, er könne eine Besprechg. in einem Harzer Badeort herbeiführen, aber nur für einen Mann. Es frage sich jetzt, wen man schicke, ob einen von der Mitte oder der B.K.? Es sei vielleicht taktisch richtig, einen Mann der Mitte zu schicken, da Kerrl auf den eher hören würde als auf die B.K. Ziegner wolle gehen, aber den wolle die B.K. nicht. Sie trauten ihm nicht – die Gogärtner hätten noch ihre besonderen Ziele.558 Sie seien für Wessinger. Heute Abd. Bekenntnisgemeinschaft. Helmrich sagte, bei der Tagg. der D.Chr. hätten Viele in echter Begeisterg. gesprochen, besonders hochgestimmt durch die Tatsache, daß man ihnen in Hannover die Abendmahlsgemeinschaft verweigert habe. Montg., d. 2. Nov. 36. [2. November 1936] Ich habe die ganze Woche über nicht fertig gebracht, eine Zeile aufzuzeichnen. Die Situation ist sehr schwer. c c 558

Strichzeichnung Frauenkopf mit Locken, steht für Hanna Linde, vgl. ebenda. Strichzeichnung Frauenkopf mit Locken, steht für Hanna Linde, vgl. ebenda. Ziegner war Mitglied des Finsterberger Arbeitskreises für Theologie auf reformatorischer Grundlage, der stark von der Theologie Gogartens beeinflusst war. Der Arbeitskreis repräsentierte Pfarrer der Mitte und war die Keimzelle des 1937 gegründeten Wittenberger Bundes.

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Am 23.10. Bekenntnisgemeinschaft: Zuerst hielt Brakhage einen Vortrag über das AT: Sehr gut. Dann berichtete Otto ziemlich kurz. Es sei im Großen und Ganzen nicht viel zu berichten. Einzelnes. Darunter: Klage des L.K.R. gegen 5–6 B.K.-Pfr. wegen Hausfriedensbruch. Gericht weist Klage zurück mit der merkwürd. Begründung, daß die kirchl. Verhältnisse in Thür. so verworren seien, daß kein Recht vorhanden sei (oder so).559 Der Staatsanwalt hat Einspruch erhoben. Die Sachen gehen weiter. (Es hatten Bekenntnispfr. in ihren Gemeinden trotz des Widerspruchs ihrer D.Chr.-Kirchenvertretung Bekenntnisveranstaltungen in ihren Kirchen stattfinden lassen). – Otto schilderte d. Lage ungefähr so wie mit der Lage der Front im Weltkrieg, wenn der tägl. Kriegsbericht meldete: »Im Westen nichts Neues«. Zuletzt sprach Mitzenheim noch etwas unglücklich – über die Entwicklung der Dinge in der Gemeinde Eisenachs: a) Spaltung der Kirchenvertretung, b) Briefwechsel mit Brauer, c) neue Gemeindehelferin.560 – Hinterher standen wir noch beisammen. Da zeigte uns Mitzenheim einen »Befehl« der H.J. an seinen Sohn. Der ist aus der H.J. »beurlaubt« worden u. soll natürlich rausgeschmissen werden, weil er in die Bibelstunde ss. Vaters gegangen ist!561 Ein hiesiger Unterbannführer der H.J. hat kürzl. – unter 4 Augen – eine Auseinandersetzung mit Mitzenheim gehabt u. d. gesamten H.J. verboten, in Mitzenheims Bibelstunde zu gehen.562 559 560

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Recherche erfolglos wegen der vagen Angaben. Zu (a): Die nicht deutschchristlichen Kirchenvertreter waren den Sitzungen der Kirchenvertretung ferngeblieben, weil sie in den Vertretern der Mehrheit Kirche nicht mehr evangeliumsgemäß repräsentiert sahen im Sinne der Verfassung der DEK wie der TheK. Sie beschlossen deshalb, eigene Sitzungen durchzuführen; vgl. Schreiben von 14 Kirchenvertretern an das Oberpfarramt Eisenach vom 4. Oktober 1936, LKAE, LBG 241, 101. – Zu (b): Schreiben des Stellvertr. Oberpfarrers Nitzsch an die Mitglieder der Kirchenvertretung Eisenach vom 29. August 1936, mithin also auch an Dr. Brauer, LKAE, LBG 241, 71–72, sowie die Antwort des Kirchenvorstehers Dr. Brauer an Pfarrer Nitzsch vom 28. September 1936, ebd., 87–96. Zu (c): Die nicht deutschchristlichen Kirchenvertreter wollten Frau Grünewald einstellen, während die deutschchristlichen Vertreter für die formal minder qualifizierte, nämlich Frau Joch, votierten und die Kandidatin mit ihrer Mehrheit durchsetzten. Daraufhin beschlossen die nicht deutschchristlichen Vertreter Frau Grünewald einzustellen, und brachten die ganze Sache vor den RKA; vgl. Schreiben an den Reichskirchenausschuss vom 5. Oktober 1936, LKAE, LBG 241, 103. Schreiben des Führers des Bannes 360 an den Jg. Hartmut Mitzenheim vom 13. Oktober 1936, LKAE, A 868, Bd. II, 108. Zu den Gründen der Beurlaubung erklärte Kraushofer unmissverständlich: »weil er gegen meinen ausdrücklichen Befehl, den ich an die gesamte Eisenacher Hitlerjugend erlassen habe, an den Bibelstunden der evgl. Jugend teilgenommen hat« (Schreiben Kraushofers an Mitzenheim vom 17. Dezember 1936, LKAE A 868, Bd. II, 110). Vgl. Schreiben des Führers des Bannes 360 Eisenach an Oberpfarrer Stier vom 5. Mai 1936, LKAE, A 868, 87. Darin wurde nicht nur das Verbot mitgeteilt, sondern zugleich vermerkt, dass er, Kraushofer, ein Strafverfahren gegen Hartmut Mitzenheim eingeleitet habe. Dieser Befehl wurde sowohl von Mitzenheim als auch von Oberpfarrer Stier als widerrechtlichen Eingriff in kirchliche Angelegenheiten empfunden, »der im Widerspruch steht zur Verfügung des Stellvertreters des Führers vom 14.11.35, wonach allen Führern der Partei und ihrer Gliederungen jede Einmischung in kirchliche Angelegenheiten untersagt ist« (Schreiben Stiers an den LKR der TheK vom 19. Mai 1936, LKAE, A 868, 88). Seitens des LKR nahm sich der seit dem 1. April 1936 amtierende neue Landesjugendpfarrer Hugo Rönck der Sache an. Dessen Verhandlungen mit dem Eisenacher Bannführer brachten allerdings ein nur vages Ergebnis, vgl. Schreiben von Rönck an Mitzenheim vom 20. Juni 1936, LKAE, A 868, 89), zumal der Bannführer von seinem

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Inzw. hat Mitz. im Gemeindeblatt bekannt gemacht – natürlich ohne auf diese Vorgänge Bezug zu nehmen –, sondern ganz allgemein, daß die Reichsjugendführung derartige Eingriffe mißbillige.563 Außer dem jungen Mitzenheim [H.] haben noch drei Jungen solche Briefe bekommen. Am Mittwoch erfuhr ich, daß man Otto – offenbar in der L.K.R.-Sitzg. am Dienstg. d. 27.10. – eine Geldstrafe von 300 M aufgebrummt hat wegen der Ordination! Otto bekam die Mitteilg. am Donnerstg.564 Er sagte darüber: »Ich hatte ein ehrliches Disziplinarverfahren erwartet. Aber eine Geldstrafe ist eine Beleidigung.« Meines Wissens hat man ihn eigentlich k.H. [kurzer Hand] ohne Pension entlassen wollen, denn das schon geschilderte Gesetz »zur Wahrung der Rechtseinheit der Thür. ev. Kirche«565 – (Schr. des L.K.R. an das K.min. v. 9.10.36 566) war, wie ich erfuhr, gegen Ernst Otto gemünzt.

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Standpunkt nicht abrückte, sodass nach dem Urteil Mitzenheims der Bannführer den Eindruck gewinnen musste, »der Landeskirchenrat tritt nicht für die evangelische Jugend und ihre Pfarrer ein« (Schreiben Mitzenheims an den LKR vom 15. Juli 1936, LKAE, 868, 90). Nun verhandelte der Kreisjugendpfarrer von Eisenach, Kiel, mit Kraushofer, erreichte aber ebenso wenig die Rücknahme des Befehls (Niederschrift im Landeskirchenamt der TheK über einen Bericht von Kiel vom 18. Juli 1936, LKAE, A 868, 92). Rönck trat allerdings noch einmal auf den Plan. Dabei machte er sich den Umstand zu nutze, dass Kraushofer mit dem Verbot nicht auf die Jugendarbeit als solche, sondern speziell auf die des Pfarrers Mitzenheim abzielte; es würde erst aufgehoben werden, wenn Mitzenheim aus Eisenach entfernt würde. Rönck machte nun Mitzenheim zum Vorwurf, dass er trotz des Verbots weiterhin Jugendabende abhalte. Er sei der eigentliche Drehund Angelpunkt dafür, dass es zu keiner zureichenden Vereinbarung mit der HJ kommen könne. Auch sei das Verhältnis der HJ zu Mitzenheim dadurch schwer belastet worden, dass dieser sich an heimlichen Angriffen auf den »legal berufenen Landesjugendpfarrer« beteiligt habe. Aus »eigener bitterer Erfahrung« habe er alles in allem »für die Einstellung der HJ zu Pfarrer Mitzenheim ein gewisses Verständnis« gewinnen müssen. Um der Rettung der Jugendarbeitvor Ort, aber auch auf landeskirchlicher Ebene, müsse er nunmehr den LKR der TheK bitten einzugreifen und Mitzenheim die »Durchführung jeglicher Jugendarbeit« »entschieden und eindeutig« zu untersagen; vgl. Schreiben von Rönck an den LKR der TheK vom 22. Oktober 1936, LKAE, 868, 95–97. Rönck hatte sich also auf die Seite der HJ, d.h. des Nationalsozialismus gestellt! »Regelmäßiger Gottesdienstbesuch der Konfirmanden. Die Verpflichtung der Konfirmanden zum regelmäßigen Gottesdienstbesuch wird, wie die Deutsche Evangelische Kirchenkanzlei aufgrund einer Anfrage noch einmal klarstellt, durch das Abkommen über die Eingliederung der Evangelischen Jugend in die HJ in keiner Weise berührt. Die Freiheit des Gottesdienstbesuches sei nach wiederholten Aeußerungen des Reichsjugendführers ohne weiteres gewährleistet. Zuwiderlaufende Aeußerungen untergeordneter Stellen würden auch dem Erlaß des Stellvertreters des Führers vom 14. November 1935 widersprechen, wonach alle Parteiorganisationen erneut und grundsätzlich jedwede Einmischung in die kirchlichen und religiösen Angelegenheiten verboten wurde. ›Das Recht der Deutschen Evangelischen Kirche‹, so schließt das Schreiben, ›den regelmäßigen Gottesdienstbesuch als Voraussetzung für die Zulassung zur Konfirmation zu betrachten, ist bisher grundsätzlich von keiner maßgebenden staatlichen oder Parteistelle in Zweifel gezogen worden‹« (Aus Luthers lieber Stadt. Eisenacher Evangelisches Gemeindeblatt für Stadt und Land 1936 [Oktober], 152). Schreiben des LKR der TheK an Pfarrer Ernst Otto vom 28. Oktober 1936, LKAE, [LBG 44] G 809, 139. Zur Ordination durch Otto vgl. Tgb. 2. September, 4., 6., 11., 14. und 23. Oktober 1936. Von einem entsprechenden »Gesetz« war in dem Tagebuch bisher nicht die Rede. Vgl. Schreiben des LKR der TheK an den Reichs- und Preußischen Minister für die kirchlichen Angelegenheiten vom 9. Oktober 1936, dem als Anlage beigefügt ist: »Entwurf. Gesetz zum Schutz der Rechtseinheit der Thüringer evangel. Kirche«, LKAE, A 738, 43–44.

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Das K.min. hat nicht geantwortet. Ob unsere Herren im K.min. persönlich deswegen verhandelt haben, weiß ich nicht.567 Jedenfalls wird das scharfe Vorgehen vom K.min. nicht gewünscht u. unsere Herren sind wieder einmal nicht gut auf das Ministerium zu sprechen. ( )b sagte mir vorgestern, Sasse sollte an einem Gemeindeabend der D.Chr. sich etwa so geäußert haben: »Es hat noch nie ein Ministerium so versagt wie das K.min. Der Führer soll wütend sein.« Inzwischen hörten wir zunächst, daß Kerrl noch den ganzen Oktober fortbliebe. Und ganz kürzl. wird bekannt, daß er bis 15. November Urlaub hat. Sauckel hat dem «Vertrauensrat«568 zu Händ. von E. O. mitgeteilt, er könne sie nicht empfangen, da er sich nicht in die kirchl. Dinge mischen wolle!«!!569 Und vorige Woche hat im K.min. Stahn zu Ziegner gesagt, das K.min. stünde der Verselbstständigung der Bek.gemeinsch in Thür. nach wie vor sympathisch gegenüber, könne aber nichts machen, da Sauckel diese Lösung verhindere!!! Ob Sauckel wirkl. glaubt, daß man ihn nicht durchschaut!!! Die D.Chr. scheinen übrigens jetzt auch stärker unter Druck gesetzt zu werden. Sie haben ihren Mitgliedern mitgeteilt, daß sie – da sie in Eis. keine eigenen Räume besitzen – nur noch Mitgliederversamml. ohne Gäste halten dürften. Frauen u. größ. Kinder möchten desh. zu einem verbilligt. Mitgliederbetrag gleichfalls Mitglieder werden. »Die Bewegung«, das Blatt des N.S.-Studentenbundes, wirft übrigens Thür. D.Chr. und Bekenntnisleute in einen Topf, greift alle an. Hauer hat die Thüringer in seinem Blatt gelobt u. der »Durchbruch« ermutigt sie sogar in ihrer klaren Entwickelung zum Deutschglauben weiterzuschreiten! Am Donnerstg. erfuhr ich, daß die letzten Reisen unserer Machthaber nach Berlin nicht dem K.min. gegolten hätten, sondern einer Besprechg. mit den befreundeten Kirchenregierungen. Man plane einen engeren Zusammenschluß, einen Kirchenbund! Es dürfte aber nicht »Bund« heißen. Der Name sei noch nicht gefunden. Die Sache wird ganz geheim behandelt, ist aber doch durchgesickert. Ich erfuhr es von 2 Seiten. Die letzte Tagg. des Finanzausschusses hängt damit zusammen! Heute Abd. »Bildungsvortrag«. Hinterher ging ich ein Stück mit Frl. v. R. [Ranke] zus. O. sei heute in Gotha. Bauer [G.] wolle ihm von der letzten Reichsbruderratssitzg. berichten. Am Telephon habe er nur u.a. gesagt, die »Dahlemiten« seien ziemlich »klein« gewesen u. hätten Anschluß gesucht. Den Grund könne er am Telephon nicht sagen. O. hätte eine wahnsinnige Angst, daß sie doch politisch irgendetwas auf dem Kerbholz hätten! Nur das nicht! Es wäre nicht auszudenken. Aber was sonst – was nicht am Telephon verhandelt werden könnte? Frl. v. R. sagte, ihr läge es die ganzen Tage schon auf den Nerven – u. mir ist es jetzt auch ganz schwer aufs Herz gefallen – zu allem andern was ohnedies noch zu tragen ist. 567 b 568 569

Vgl. Tgb. 23. Oktober 1936. Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz, vgl. Übers. Strichzeichnungen. Vgl. zu seiner Bildung Tgb. 28. und 31. August 1936. »Der Herr Reichstatthalter bittet, von dem nachgesuchten Empfang abzusehen, da er für diese Kirchenfragen nicht zuständig ist« (Schreiben von Sauckel an Ernst Otto vom 7. September 1936, LKAE, LBG 268, 65). Es geht um ein Gespräch bei Sauckel, das der Vertrauensrat erbeten hatte; vgl. Schreiben von Ernst Otto an Sauckel vom 29. August 1936, LKAE, 268, 64; vgl. Tgb. 31. August 1936.

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Frl. v. R. war heute auch aufgefallen, daß sie im L.K.R. kaum mehr gegrüßt würde. Von den neuen Kandidaten im Pred.sem sei etwa die Hälfte B.K. Das ist viel. Mittwoch vor 8 Tagen waren 7 abends bei Otto. Wie es scheint, weiß Hohlwein es nicht. Sie hätten am Liebsten gleich regelmäßige Zusammenkünfte festgemacht. – O. konnte nicht ganz so, wie sie gern wollten. In dieser Woche ist Luth. Rat 2 Tage lang. O. geht hin. Marahrens, Meiser u. Lilje sind aus Amerika zurück, wo sie von Roosevelt empfangen worden sind. Großes Bankett in der Dtsch. Botschaft ihnen zu Ehren. Lilje spricht im Rundfunk – in Amerika!!! Heute unangenehme Besprechg in Sachen der Gefängnisgesellschaft [Th.G.G.]. Dabei redete Volk davon, daß der L.K.R. »ganz schwere Auseinandersetzungen« habe wegen der Reisekosten im L.K.R., Gebrauch des Dienstautos usw. Es war offensichtlich für mich gesagt – rührte mich aber nicht. Das kommt alles zu spät. »Wir müssen natürlich darauf gefaßt sein, daß einmal jemand hier hereinsieht u. mit den Maßstäben des Reichs die in Sachen ›Reisekosten‹ jetzt furchtbar hart sind, unsere Ausgaben kritisiert.« Das hätten sich d. Herren früher sagen sollen. Es müsse auch Gummi gespart werden – völlig gegensätzl. Richtlinien wie vor einem Jahr. Alle Randbemerkungen von Volk in dieser Sache schienen anzudeuten, daß er mit Unfreundlichkeiten gegen die Th.G.G. aus dem Grunde rechnet, weil sie mit der Kirche verknüpft ist. Die Herren müssen ungünst. Nachrichten haben. Frl. v. R. [Ranke] hatte diese Eindrücke in ihrem Bereich auch gehabt. In Thür. ist die Mitarbeit junger Männer unter 18 Jahren in den kirchl. Posaunenchören verboten worden. Trotz Eingliederg. in die Reichsmusikkammer, Bestätigg. durch die Kirche usw. Nur in Thüringen.570 Dienstg., d. 3. Nov. 36. [3. November 1936] O. sagte, die Leute von d. Mitte seien traurige Kerle. Obpfr. Schwendel hat ihn wegen der Ordination dem L.K.R. angezeigt, obwohl er, (Schwendel) der Arbeitsgemeinschaft zwischen der B.K. u. der Mitte angehört – u. das auf Grund eines Gesprächs mit Heyder. Schwendel vertritt den Standpunkt, daß er als Obpfr. verpflichtet sei, diese Anzeige zu machen. (Warum tritt er dann nicht einfach als Obpfr. zurück!) Noch dazu ist Schwendler erst vor Kurzem bei den D.Chr. ausgetreten. Aber daher eben die innere Verbiegung.571 Übrigens hat O. im August, während er im Urlaub war, schon einmal eine Geldstrafe von 100 M gehabt,572 die auch noch nicht zurückgezahlt ist.573 Es hängt eben alles, bis

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»Wie die Deutsch-Evangelische Korrespondenz mitteilt, ist in Thüringen jede aktive Beteiligung von jugendlichen Bläsern bis zum 18. Jahre an kirchlichen Posaunenchören verboten. Dieses trotz Eingliederung in die Reichsmusikkammer und trotz der entsprechenden Erklärung des Reichskirchenministeriums ergangene Verbot trifft die für das Turmblasen und die Ausgestaltung von Gottesdiensten und anderen kirchlichen Feiern geschätzten Posaunenchöre, die durch Arbeitsdienst und Wehrmacht ohnehin schon in ihrem Bestand verringert sind, besonders hart« (JK 4 [1936], 1061). Vgl. Tgb. 11. Oktober 1936. Schreiben des LKR der TheK an Pfarrer Ernst Otto vom 11. Juli 1936, LKAE, G 809, Beiakten I, 29. Zur Rückzahlung der Strafen vgl. Tgb. 21. Oktober 1935.

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Kerrl zurück kommt. Und inzwischen büßt das K.min tatsächlich den letzen Rest von Ansehen ein. Es sollen jetzt bei der »Mitte« Unterschriften gesammelt werden, mit denen der L.K.R. abgelehnt wird. Frl. v. R. [Ranke] sagte, da würden nun wieder so und so viele zurückweichen. Volk ist neulich gefragt worden: »Was geschieht nun, da das K.min. nicht antwortet?« Darauf hat er gesagt: »Wir haben den Eindruck, daß der Staat sich überhaupt nicht mehr um die Kirche kümmert. Wir hier können wohl ruhig im Rahmen unserer Zuständigkeiten weiter arbeiten. – Ach ich habe jetzt eine Wurschtigkeit in diesen Dingen– die kann mir keiner nehmen. Die anderen auch (?)« Das war am 29.10. Aus einem Schreiben von Pfr. Heubel in der Sache Pfr. Förtsch-Mittelhausen: »… besonders, nachdem der L.K.R. vom K.min neu bestätigt worden ist …«574 Am Sonntag nachmittag hielt Otto eine sehr mutige Reformationsfestpredigt in der Georgenkirche. Das Schiff u. unten war beinahe besetzt, auf den Emporen kein Licht. Aber es hätte die ganze Stadt zuhören müssen. Er hatte einen Text aus dem A.T. u. gab von d. Kanzel aus allen die Beschimpfungen wieder, die dagegen gerichtet sind und nannte den »Stürmer«, der gerade jetzt wieder auf der Titelseite eine die Bibel beschimpfende Zeichung bringt. (8 oder 14 Tage vorher hatte er auf die Sauckelrede geantwortet u. die schlimmsten Stellen wörtlich zitiert.)575 Mittwch., d. 4.11.36. [4. November 1936] Unten tobt die gestern abgebrochene L.K.R.-Sitzg. Zwischen meinen Zeitschriften fand ich ein sehr merkwürdiges »Mitteilungsblatt der ev.-luth. Kirche Mecklenburgs«, Jahrgg. 1, Nr. 1. Überschrift des ersten Abschn.: »Positiv christliche Volkskirche.«576 Es war so ungefähr der Gipfel aller Tarnung. Sie verteidigen sich darin gegen den Vorwurf, mit den »Thüringern« zu eng verknüpft zu sein. In Thür. gäbe es überhpt. keine verpflichtende Theologie der Kirchenbewegung. Die »Nationalkirche« müsse natürlich lutherisch sein u. »daß einer positiv christlichen Volkskirche, wenn die ev.-luth. Christen in Deutld. sich dafür entschlossen einsetzen, die Zukunft gehört, darf mit Sicherheit geschlossen werden …« Ich habe so eine Ahnung, als ob die »positive christliche Volkskirche« der Name wäre für das neue Gebilde, das aus den D.Chr.-Kirchen Thür. Prägung entstehen soll. Im Übrigen trieft das Mitteilungsblatt geradezu von Liebe. Man muß nur das letzte Gesetz gegen die Bekennende Kirche577 daneben halten. (Sie nennen sich selbst immer die Verketzerten. Gefährlich ist heutzutage aber nur die moderne Verketzerung in Form der polit. Diffamierg.) In der L.K.R. Sitzg scheint es zieml. laut zuzugehen. Ich hörte Volks erregte Stimme u. nach ½ Stunde Lehmann auch sehr aufgeregt.

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Vgl. Tgb. 19. September 1936. Zur Rede Sauckels vgl. Tgb. 12. und 14. Oktober 1936. Positiv christliche Volkskirche, Mitteilungsblatt der evangelisch-lutherischen Kirche Mecklenburgs 1 (1936), 1–2. Vgl. Tgb. 2. November 1936

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Donnerstg., d. 5.11. [5. November 1936] Von Sasse wurden gestern die Worte vernommen: »Taufe? Ist ja ganz überholt. Das wird es in absehbarer Zeit nicht mehr geben«. – Er u. seine Freunde kämpfen sicher nicht darum. Seine Einstellg. ist aber sicher veranlaßt durch Reden die Gauleiter Streicher u. der Schriftleiter des »Stürmer«, Holz, kürzlich in Bayern gehalten haben. Otto las mir Teile dieser Reden vor, als ich gestern bei ihm war. Ich stehe noch ganz unter diesem Eindruck. Ich erinnere mich folgender Stellen: (ungefähr) Er sprach von dem Brief der V.K.L. an Hitler, der schrecklicherweise ins Ausland gedrungen ist.578 Wir kennen ihn im Wortlaut nicht): »Sie wollen nicht, daß wir den Führer lieben (!) (mit Bezug auf eine Stelle des Briefes, in der gesagt wird, daß Hitler oft in Formen verehrt wird, die Gott zukommen). »Sie sagen, das evangelische Gewissen … (er wiederholt mit höhnischer Betonung: das evangelische Gewissen!) kann es nicht ertragen, daß es noch Konzentrationslager in Deutschland gibt! Von mir aus könnte man die K.lager öffnen u. die Leute herauslassen – wenn sie versprechen würden, daß sie mit den Bekenntnispfarrern ganze Arbeit machen würden … die Evangelischen treiben Heidenmission und die Katholiken treiben Heidenmission und die Neger sagen: »Leckt mich im A. … . Ach, was mich diese A … löcher anekeln, die reden, weil sie dafür bezahlt werden … bleibt meinetwegen gute Christen, aber lauft nicht mehr zu diesen Scheißkerlen, den Bekenntnispfarrern!« (Heute steht im Völk. Beobachter, daß Kardinal Faulhaber vom Führer empfangen worden ist.579) Weiter aus der Rede von Streicher oder Holz: »… Wir wollen nicht, daß unsere Kinder Onanisten oder Homosexuelle werden, darum wollen wir keine christl. Erziehung!« (Röhm !!!) Sonntg., d. 8. Nov. 36. [8. November 1936] Otto predigte heute in der Georgenkirche, die sehr voll war – verhältnismäßig. Unten ganz besetzt, viele auf der 1. Emp, verschiedene auf der II. Mit Frau O. [M.] dann ein Stück gegangen. Sie hätte ihren Mann, der in d. Nacht z. Sonntg. ½4 aus Berlin zurück gekomm. sei, noch nicht ausführl. gesprochen. – Das K.min. hätte keine Ahng. gehabt von dem bevorstehenden Empfang Faulhabers bei Hitler! Das läßt ja auch tief blicken! Kerrl sei wieder zurück u. binnen 14 Tagen solle die Angelegenheit Thüringen entschieden werden. Sonst würde Zoellner zurücktreten – sonst würde ihm aber auch der luth. Rat das Vertrauen entziehen. Es sei schon bei dieser Sitzg. erwogen worden. In Güstrow sei ein Bekenntnis-Gottesdienst mit Sammetreuther aus München gewesen. Die D.Chr. seien mit Pfeifen erschienen u. hätten u. sich Zigarren angesteckt u. gejohlt pp. Der Empfang Faulhabers könne viell. doch als eine Wendung bezeichnet werden (aus and. Quellen hörte ich, daß der Vatikan dem Reich Devisen verschaffe!). Wenn man mit der kathol. Kirche Frieden schließt wird viell. auch für uns ein Häppchen abfallen. In der »Times« soll ein merkwürdiger Artikel über den Empfang Faulhabers gestanden haben (berichtet von Frl. Pfeiffer [H.]): Der Führer hätte u.a. gesagt, er wolle sich jetzt einmal selbst mit dem Problem »Kirche« beschäftigen u. dann solle auch der 578 579

Vgl. Tgb. 25. Juli 1936. Die dreistündige Begegnung, an der nur noch Heß teilnahm, fand am 4. November 1936 statt; zu den wichtigsten Gesprächspunkten vgl. Besier, 762–766.

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Bekenntniskirche ihr Recht werden! Wir zweifeln alle stark an dieser Nachricht. Das wird wohl eine schöne fette Ente sein. – Jedenfalls aber wird es, wenn man mit der kathol. Kirche Frieden schließen will, keine Nationalkirche geben. Das dürfte sicher sein. Im Haus wird gesagt, Franz und Sasse seien einen Tag früher als beabsichtigt aus Berlin zurückgekehrt, schlechter Laune. Sie sind dort wohl mit den befreundeten Kirchenregierungen zusammen gewesen (Lübeck, Bremen, Anhalt, Mecklenburg). Die Nachricht kam aber von nicht sehr sicheren Beobachtern, bei denen der Wunsch mitunter der Vater des Gedanken ist. Volk bearbeitet einen Disziplinarfall nach dem andern. Alles wird mit Rüge, Verweis pp. erledigt. Es bestätigt sich, daß auch für Heyder wegen der Ordination ursprüngl. eine Geldstrafe von 300 M vorgesehen war – er hat aber die volle Gehaltsrate erhalten (es wird im Dezember abgezogen – 200 M).580 Das war so ungefähr alles. Im Großen u. Ganzen: dasselbe wie seit Wochen. Nur das Vertrauen, das vor einem Jahr zum K.Ausschuß doch vorhanden war, ist geschwunden. Es ist die selbe Linie wie stets, nach einem anderen Rezept. »Evangel. im III. Reich« brachte in sr. letzt. Nr. einen Brief von Hermenau, der bekanntl. zur Thür. Richtg. abgewandert war – der schreibt in irgendeinem Rundschreiben u.a. er sei »maßlos enttäuscht«. Sein »Frauendienst« dürfe keinesfalls kirchenpolit. Kampftruppe werden u.s.w.581 Die schmerzlichste Angelegenheit, die uns beschäftigt*, sieht nicht anders aus als vor Tagen. Die V.K.L. ist nicht zurückgetreten, hat aber einen Mitarbeiter entlassen. * Absichtl. dunkel ausgedrückt. Betr. einen nichtarischen Landgerichtsrat oder Land-ger.direktor a.D., den die VKL (Niemöller) damals beschäftigte. Er hatte den oft erwähnten Brief der VKL an Hitler in Verwahrung gehabt u. ihn, wie es heißt, sicherheitshalber dem schwed. Gesandtschaftspfarrer Forell zur Aufbewahrung übergeben. Die leitenden Männer der VKL sollen nichts davon gewußt haben. Aus der schwed. Ges.sch. heraus fand d. Brief seinen Weg in die Auslandspresse. Der betr. Jurist namens Weißler ist m.W. im KZ gestorben. Diese Angelegenheit hat Alle, die davon wußten, sehr geängstigt und bedrückt. Mittwoch, 11.11.36. [11. November 1936] Waffenstillstand vor 18 Jahren! Wer denkt daran? (11.11.18. 11 Uhr französ. Zeit). Nun haben wir das große kirchengeschichtl. Ereignis hinter uns! Am Montag verbreitete sich die Nachricht davon, daß eine ungeheuer wichtige Sache auf der Wartburg bevorstünde, langsam im Haus. Es wurde derartig geheim gehalten, daß auch die bekenntnistreuen Leute, die dienstlich etwas davon wußten, nicht wagten, auch nur eine Andeutung zu machen. Regierungsräte, die Deutsche Christen sind, hörten gestern vormittag »zufällig« von dem bevorstehenden, als sie einige »Schulungsleiter« im festlichen Gewand erblickten. Die weniger prominenten indessen scheinen im Bilde 580

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»Im Zusammenhang mit dem vorigen Beschluß wird weiter beschlossen, den Pfarrer Heyder, der die Kirche für die Handlung von Pfarrer Otto zur Verfügung gestellt hat, ebenfalls zu disziplinieren. Vorgesehen wird eine Geldstrafe von 100,- RM, evt. abziehbar am 10. November. Pfarrer Heyder soll sofort zur Äußerung aufgefordert werden« (Protokoll der Sitzung des LKR der TheK vom 27. Oktober 1936, LKAE, A 122, 99). Vgl. die kurze Notiz in JK 4 (1936), 1066.

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gewesen zu sein – bis auf den jüngsten Lehrling. Es handelt sich um den geplanten Zusammenschluß der D.Chr. Kirchenregierungen Thür. Prägung zu einem »Bund für Deutsches Christentum« [BfDC]582 mit einer »vorläuf. Leitung« von 3 Leuten, die ihren Sitz in Berlin haben, aber »keine kirchenregimentlichen Befugnisse« in Anspruch nehmen. Das steht ausdrücklich in der Satzung, die ich gelesen habe – wenn dieser Entwurf angenommen worden ist. Das scheint so. Der »Bekenntnisstand« der einzelnen Landeskirchen wird nicht berührt, einzelne Kirchgemeinden u. Gemeinschaften können sich anschließen u.s.w. Also wohl ein Gegenstück zur Bekenntniskirche.583 Gestern um 10 Uhr war erst ein Gottesdienst auf der Wartburg, bei dem Bischof Weidemann-Bremen sprach. Erst hätte Sasse reden sollen. Warum daraus nichts geworden ist, weiß ich nicht. Darauf folgte, lt. Tagesordnung, die »Unterzeichnung« (man hat es auch »Beurkundung« genannt). Daran schloß sich ein gemeinsames Mittagessen im Wartburggasthof. Coch-Dresden u. der Reibi waren auch da u. wohnten im Rautenkranz. Als in Eisenach mittags 12 Uhr zur Feier von Luthers Geburtstag – u. zur Einleitung der kleinen Lutherfeier des evangel. Bundes584 am Lutherdenkmal – die Glocken läuteten, konnte es auf der Wartburg wohl so scheinen, als würde damit auch die Unterzeichnung des »Vertrags« gefeiert, mit dem nun wohl die Nationalkirche gegründet worden sein soll.585 Denn diese Deutung der Angelegenheit hat Volk am Telephon Scriba auf dessen Anfrage hin gegeben – u. Volk müßte es ja eigentlich wissen. Wie 582 583

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Zum geplanten Zusammenschluss der DC-Kirchen und -Gruppen vgl. bereits Tgb. 25. September 1936 und 2. November 1936. Bereits am 24. März 1936 war ein sog. »Führrering« gebildet worden, dem Leffler (KDC – Nationalkirchliche Bewegung), Weidemann (Die Christus bekennende Reichskirche – Bewegung Deutsche Christen) und Hossenfelder (Kampf- und Glaubenbewegung Deutsche Christen) angehörten. Bei Wahrung organisatorischer Selbständigkeit hatten sie sich zu einer »Kameradschaft« zusammengeschlossen; vgl. Meier, Kirchenkampf II, 137–138 (vgl. auch Tgb. 16. April 1936). In Fortsetzung dieser Bemühungen, insbesondere der Thüringer, möglichst viele DC-Gruppen zusammenzuschließen, kam es dann am 10. November 1936 auf der Wartburg zur Gründung des »Bundes für Deutsches Christentum«. Die Bundesatzung bzw. Bundesurkunde wurde von den drei Mitgliedern des »Führerrings« unterzeichnet. In § 1 der Satzung war das Ziel des Bundes festgeschrieben: »Der Bund will alle positiv christlichen Kräfte schützen, fördern und sammeln, für die gemeinsame Aufgabe, im Geiste Martin Luthers die christliche Kirche des deutschen Volkes im Dritten Reich zu bauen. Er hat daher die deutschchristlichen Belange in ihrer Gesamtheit und als Anliegen der einzelnen Bundesmitglieder innerhalb der Deutschen Evangelischen Kirche zu wahren und zu vertreten und sich namentlich dafür einzusetzen, daß der Sache des Deutschen Christentums die gleiche Achtung und das gleiche Recht zugestanden wird wie anderen Richtungen in der Deutschen Evangelischen Kirche. Der Bund hat seinen Sitz in Berlin« (Meier, Kirchenkampf II, 139). Gegr. 1886; Verein »zur Wahrung deutsch-protestantischer Interessen« mit starkem Bezug auf die Reformation und Theologie Luthers, bes. unter seinem Präsidenten und Lutherforscher von Rang Heinrich Bornkamm (1935–1963); vgl. Gerhard Beetz, Art. Evangelischer Bund, in: EKL³ 1 (1986). Das war aber nicht der Fall. Aus der Sicht der KDC dürfte diese Unterstellung der Tagebuchschreiberin dennoch zutreffen; denn die hatten auch bei diesen und anderen Zusammenschlüssen nie das eigentliche Ziel aus den Augen verloren, nämlich eine alle religiösen Gruppen einende bzw. alle deutschen Menschen umschließende Nationalkirche zu gründen.

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Otto mir sagte, lag dieser Anfrage von Scriba eine telephonische Anfrage aus Berlin zugrunde. Niemöller hatte einen ihm nahe stehenden Missionar gebeten, sich auf diese Weise zu erkundigen, was hier vor sich ginge! Die befreundeten D.Chr. haben wohl nicht so intensiv geschwiegen wie die Thüringer, u. eine ganz ungeheure Wichtigkeit aus der Sache gemacht. – Niemöller hat noch mehr getan! Bei O. ist am Montag (od. Dienstg?) früh plötzlich der Erzieher eines reuß. Prinzen erschienen, den er kennt u. den Niemöller gebeten hat zu versuchen, hier herauszukriegen, was eigentlich los ist! Otto verachtet diese ganze Art der planmäßigen Spionage u. als ich hörte, daß gestern früh auch noch aus Frankfurt 2 Leute mit derselben Absicht im Auto angefahren gekommen sind, (auch zu Otto), da habe ich auch gesagt: »Verrückt!« Dazu noch das Telephonat an Scriba! Der Prinzenerzieher hat es fertig gebracht, bei dem Gottesdienst dabei zu sein, indem er Leffler einfach um Erlaubnis gefragt hat. Warum sollte das auch nicht erlaubt werden? Das ganze Ereignis ist ja offenbar für die Öffentlichkeit bestimmt! Sein Eindruck war, daß die ganze Sache bedeutungslos wäre. – Niemöllers Nervosität ist vielleicht verständlich, da sich in Berlin das Gerücht verbreitet hatte, es stünde ein Staatsakt bevor. Sauckel! O. hat den Herren also noch ein Bild von Sauckel mitgegeben (da sie ihn nicht kannten). Damit war es also nichts. – O. war ziemlich wütend über den Klamauk u. die Geldverschwendung, 3 Leute hierherzuhetzen. D. 12.11. [12. November 1936] Am Abend dieses histor. Tages war ich noch einmal bei O. u. traf ihn allein, über einem Schreibtisch mit unendlichen Papieren. Es schienen wieder Schriftsätze an die Niemöller-Leute in Thüringen zu sein. Er war sehr bitter, sagte, die Niemöller-Leute hätten zu wenig zu tun und machten ihn mit Briefen und theologischen Auseinandersetzungen halbtot. Das alles sei ihm viel schwerer zu tragen als die Kämpfe gegen die D.Chr. Gegen die D.Chr. kämpfte er gern, gegen die Niemöller-Leute zu kämpfen, sei ihm fürchterlich! Aber er könne nicht anders. Diese sture Art, reinste Orthodoxie, mache ihn rasend. Die Gemeinden hungerten nach dem lebendigen Wort und diese Leute verlören sich in unfruchtbare Haarspaltereien u. verbrauchten damit auch seine Kraft. Dann ein Wort, das mir die Situation erleuchtete: »Sie sind gegen unseren Zusammenschluß mit der Mitte ….« (wobei die BK völlig selbstständig bleibt!)586 »Wenn jetzt wirklich ein Kommissar 587 kommt u. wir arbeiten mit, dann sind sie imstande und machen zu fünft eine eigene Kirche auf!« Ich erwiderte, er habe doch sicher in dieser Sache längst alles gesagt, was er zu sagen habe. Er solle diese Leute nun ihren Weg gehen lassen. Es müsse nun einmal heute alles »wirklich werden« (Gestalt gewinnen), um »gar« zu werden. – Ich fühlte selbst, daß es kein Trost war . – Gestern sollte Vertrauensrats- oder Bruderratssitzg, sein. Seitdem ist »der Kommissar« jeden Morgen meine Hoffnung beim Aufstehn! 586 587

Über diese Auseinandersetzung in den eigenen Reihen hat Otto wiederholt im Lauf des Jahres 1936 Klage geführt (vgl. Tgb. 21. April, 15. Mai 1936 und 2.Oktober 1936). Zum Plädoyer Ottos für die Einsetzung eines Staatskommissars in der TheK vgl. Tgb. 15. Januar und 5. Februar 1936

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Von ( )b erfuhr ich noch Verschiedenes. Im K.kreis Kaltennordheim haben die B.K.Pfarrer sich von der Pfr.-Konferenz getrennt und sich der Dermbacher Konferenz unter Ob.pfr. Göpfert angeschlossen. Darauf ist Lehmann zu Göpfert gesaust u. hat verlangt, daß er die Kaltennordheimer Pfr. aus sr. Konferenz hinauswürfe. Göpfert hat gesagt, das fiele ihm nicht ein.588 Auch in Rudolstadt-Volkstedt Krach. Darstellung vom Pflugensberg: Der Volkstedter Pfr. erkrankt. L.K.R. schickt D.Chr.-Hilfspfr., den die Gemeinde ablehnt. Die B.K.-Gemeinschaft schickt einen anderen Hilfspfarrer, der in einem Einführungsgottesdienst ordiniert werden soll von Schanze-Weimar. L.K.R. verbietet Schanze die Mitwirkg. u. Schanze zieht sich zurück. L.K.R. hat Geh. Sta.po gebeten, Ordination zu verbieten. Antwort der Gestapo: Sie möchten schon, könnten aber nicht, da die Ordination keine gegen den Staat gerichtete Handlung sei. – Berichtigung durch E. O.: Eine Ordination war nicht beabsichtigt u. natürl. auch garnicht angekündigt, sondern nur eine einfache »Einführg.« durch eine Ansprache an die Gemeinde. Diese Ansprache ist vom Staat verboten worden, u. der betr. Hilfspfr. hat also ohne »Einführung« die Kanzel bestiegen! Das ist alles.589 13.11., Freitg. [13. November 1936] Gestern bereits kam der vielbesprochene fulminante Times-Artikel (v. 5.11.) mit vielen anderen interessanten Artikeln aus Engld. u. einem aus der Schweiz (Berner Tagebl.) Der Bericht über diesen Artikel, den ich neulich erhielt, war entstellt.590 Er war gut u. glaubwürdig. Also: Wendung im Verhältnis des Staates zur kathol. Kirche. Faulh. über eine Stunde bei Hitler, Epp dabei, der Versöhnung begünstigt. Mussolini hätte die Dtsche Regierung wissen lassen, daß der Kampf geg. die kathol. Kirche ein Hindernis sei zur endgült. Verständigg. beider Völker! Weiter: Die dtsche Regierg. hätte eingeb 588 589

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Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz, vgl. Übers. Strichzeichnungen. Recherche nach weiteren Unterlagen ergebnislos. Recherche zur Sichtweise des LKR der TheK ergebnislos. Die Sichtweise des Bruderrats der LBG stellt sich folgendermaßen dar: Der Bruderrat hatte den von ihm besoldeten Hilfsprediger Goll in die Kirchengemeinde Volkstedt entsandt. Die »Rechtsbasis« für diese Entsendung war ein Beschluss der Kirchenvertretung vom 3. August 1936, sich dem Bruderrat der LBG zu unterstellen. Am 29. Oktober 1936 hielt dieser seinen ersten Gottesdienst vor einer zahlreich erschienenen Gemeinde. Am folgenden Tag berief der vom LKR entsandte DC-Hilfsprediger eine Sitzung der Kirchenvertretung ein, auf der Volk und Stüber vom LKR den Standpunkt desselben darlegten: Der Beschluß vom 3. August sei illegal gewesen; Goll dürfe in der Kirche nicht predigen; im anderen Falle drohe ihm eine Klage wegen Hausfriedensbruchs; man habe nicht absichtlich einen nationalkirchlich orientierten Pfarrer entsandt. Wenn es dennoch in dieser Sitzung gelungen sei gemäß Antrag Stübers eine Mehrheit für den nationalkirchlichen Prediger herbeizuführen, sei das darauf zurückzuführen, dass an ihr einige Kirchenvertreter nicht haben teilnehmen können, die den ursprünglichen Beschluß der Unterstellung unter der Bruderrat und die Ablehnung des DCHilfspredigers mit beschlossen hätten. Die Mehrheit stehe also nach wie vor zu dem Beschluss vom 3. August. Am 31. Oktober hätten die beiden Kirchenräte dann »in völlig unbeherrschtem Ton« von der Frau der erkrankten Pfarrers Henkel die Herausgabe der Bibel, der Kirchenbücher und der Schlüssel verlangt, was diese allerdings abgelehnt hätte. Im Einzelfall wolle sie aber Entgegenkommen zeigen; vgl. Schreiben des Bruderrats der LBG an den Reichminister für die kirchlichen Angelegenheiten und an den Reichskirchenausschuss vom 5. November 1936, LKAE, LBG 44, 137. Vgl. Tgb. 8. November 1936.

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sehen, daß der neue spanische Staat ein klerikaler Staat sein würde und daß seine Beziehungen zu Dtschld. davon abhängen würden, wie die kathol. Kirche in Dtschland behandelt würde!!! Außerdem: Östreich! Weiter: Hitler wolle nicht gerade jetzt durch unpopuläre Kirchenpolitik Unzufriedene schaffen, wo er zur Durchführg. des 4-JahresPlanes neue, große Opfer vom gesamten Volk verlangen müsse.591 Zur Lage im Protestantismus: Hitler habe entschieden, daß die B.K. nicht mit Gewalt angepaßt werden solle. Er überlege, ob man die Kirche ganz vom Staat trennen solle. Widerspruch in Kreisen der Partei: Es sei zu befürchten, daß der Protestantismus dann dem engl. u. skandinav. Kirchentum in d. Arme getrieben werden würde … u.s.w. Ein Artikel des »Berner Tagblattes« berichtet im Sinne von Niemöller über den Kirchenausschuß u. erwähnt das Wachsen der Thür. D.Chr. und die Schwäche des R.K.A. ihnen gegenüber. Gestern trafen noch ungarisch-deutsche u. deutsch-polnische Artikel ein, die alle den Times-Artikel widergeben. Das Pester Blatt berichtet von einem Vortrag von Niemöller in der Dahlemer (?) Kirche, in dem Niemöller den luth. Rat sehr schlecht macht. Er sei kompromißlerisch, wage nicht zu bekennen (!) u. hätte durch seine Schwäche die Stoßkraft der B.K. geschwächt u. ihm sei es zu verdanken, wenn sie jetzt wie eine Sekte im Winkel stünde u.s.w.!!! Erfreulich war ein Aufsatz von Dibelius in der letzt. J. Kirche, ein Ausblick auf die Weltkirchenkonferenzen nächstes Jahr.592 Die Engländer u. Amerikaner können sich ja jetzt schon freuen auf das, was Dibelius ihnen da alles sagen wird. Damit werden sich die B.K.-Leute wahrscheinl. auch wieder in Deutschland Sympathien da erwerben, wo sie sie jetzt nicht haben. Abends Bibelstunde. O. hielt ein so freudiges Eingangswort, daß ich schon dachte, er hätte etwas ganz Besonderes erlebt. Seine Frau [Otto M.] konnte aber nichts dergleichen berichten. Gestern Mittag berichteten alle Zeitungen, daß Hitler bei Kerrl gewesen sei, ihm zur Genesung gratuliert und die laufenden Angelegenheiten seines Ressorts mit ihm besprochen hätte. Das sieht nicht so aus, als ob Kerrl gehen würde, wie die »Times« das behauptet hat u. das ungarische Blatt es als »selbstverständlich« bezeichnet (auch die Thür. D.Chr. hoffen bekanntl. darauf u. setzen bereits entsprechende Nachrichten in die Welt. Papen wird als möglicher Nachfolger genannt).593 Ich würde auch eine Entlassg. ungerecht finden, nachdem man dem Mann bisher nicht einmal die Möglichkeit gegeben hat, sich gegenüber einem Statthalter Sauckel durchzusetzen – von anderen ganz zu schweigen. Auch Goebbels zerschlägt ihm immer wieder sein Porcellan. Frl. v. Ranke erzählte, Hohlwein setze jeden Tag neue Nachrichten in die Welt. U.a., Hitler sei nach der Besprechg. mit Faulhaber so wütend gewesen, daß er aus der Kirche ausgetreten sei. Der Staat hätte der Kirche alle Zuschüsse gesperrt u.s.w. 591 592 593

Der Vierjahresplan von 1936 sollte die deutsche Wirtschaft kriegsfähig machen; vgl. Enzyklopädie des Nationalsozialismus, 782–783. Otto Dibelius, Den kirchlichen Weltkonferenzen entgegen, JK 4 (1936), 983–990. Zum Besuch Hitlers bei Kerrl sowie zum angesprochenen Times-Artikel, in dem von der baldigen Ablösung Kerrls durch von Papen die Rede war vgl. Besier, 768–769.

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Reg.rat Schenk hat darüber geschimpft, daß nicht einmal er u. seine Kollegen etwas von den Vorgängen auf der Wartburg gewußt hätten – sie sind sämtlich D.Chr.! Das Personal des V.D. war bei der Feier anwesend.594 Die D.Chr. haben in d. »Heimatkorrespondenz« einen Bericht über die Gründung des »Bundes für deutsches Chr.tum« am 10.11. gebracht bei dem sie verschweigen, daß sie sich als Kirchen zusammengeschlossen haben.595 Nun läßt sich das ja nicht mehr verschweigen. Sie wissen scheinbar nicht, daß Volk selbst Scriba gegenüber diese Auskunft gegeben hat. Hier soll mal wieder irgendetwas getarnt werden. Volk u. Lehmann hatten gestern einen Wortwechsel, in dessen Verlauf Volk gesagt hat: »Na ja, Sie sehen ja – nachdem wir mit dem R.K.A. gebrochen hatten, haben wir uns auf das K.min. verlassen – u. was ist es nun? Nichts.« Pfr. Heyder-Milbitz bekommt nun doch eine Geldstrafe von 200 M. Heute ein Blatt aus dem »Durchbruch« unter den »Argus«-Nachrichten596. Es ist kaum zu glauben, daß diese Leute auch angesichts der brennenden Kirchen u. Klöster in Spanien ihren Lesern weismachen wollen, das Christentum wäre Schrittmacher des Bolschewismus. Sie berichten u.a. ungläubig, ein General, Verteidiger des Alcázar, solle betont haben, er hätte am 3. Tag der Belagerung seine ganze Familie u. seine Habe der Madonna geweiht u. sie sei es, die den Alcázar gerettet habe. »Wenn das nicht eine römische Fälschung ist …«, sagt der Durchbruch. Man müßte solche Leute wirklich erst einmal ein paar Jahre auf Reisen ins Ausland schicken. Sie glauben, die Welt sähe so aus, wie ihre Hirngespinste. Demgegenüber betont die »Woche« in ihren Schilderungen aus Spanien auffällig das Christentum als Seele des Kampfes gegen den Bolschewismus.– Das sind alles so primitive Dinge – aber derlei Betonungen fallen jetzt in unserer Presse doch sehr auf. Sehr bezeichnend für Volk ist Folgendes: Er gibt ( )c einen Artikel von D. Otto [R.] in der neuest. Ev. luth. K.ztg. zu lesen (Ansprache auf d. Thür. kirchl. Konf.) mit dem Auftrag, ihm zu berichten, ob »Spitzen« gegen die Thür. D.Chr. oder den L.K.R. darin seien.597 Es waren keine drin. Im Übrigen hält er nichts für wichtig. Montg., d. 16. Nov. 36. [16. November 1936] ( )b erzählte mir auf meine Frage heute: Er hätte gehört, könnte es allerdings nicht als feststehend bezeichnen, daß die Kirchen von Anhalt, Bremen u. Lübeck sich geweigert hätten, den Vertrag vom 10.11. auf der Wartburg zu unterzeichnen u. zwar aus Bedenken gegen die Thüringer Theologie. Nur Mecklenburg habe unterzeichnet. Ursprüngl. habe es ein Bund [BfDC] der 5 Kirchen sein sollen zur Förderung des deutsch-christl. 594

595 596 c 597 b

Nicht als Kirchen, sondern als kirchenpolitische Gruppen; vgl. Tgb. 11. November 1936. Für Thüringen – Ausnahme! – waren allerdings die Übergänge fließend; denn KDC und die Thüringische Landeskirche waren praktisch identisch. Gründung eines Bundes für Deutsches Christentum, ThHtK 21 (1936), Nr. 50 vom 12. November 1936. Zu den ARGUS-Nachrichten vgl. Tgb. 27. Mai 1933. Strichzeichnung Frauenkopf mit Locken, steht für Hanna Linde, vgl. Übers. Strichzeichnungen. R. Otto, Der Ruf zur Entscheidung. Ansprache zur Eröffnung der Thüringer Kirchlichen Konferenz in Neudietendorf am 14. September 1936, AELKZ 68 (1936), 1082–1088. Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz, vgl. Übers. Strichzeichnungen.

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Anliegens.598 Tegetmeyer hätte Bundesschatzmeister werden sollen u. Hartmann habe bereits Haushaltspläne ausgearbeitet u.s.w. Die Gründung sei als Gegenblock zum luth. Rat bezeichnet worden. Genaueres wisse er auch nicht. »Wiener Journal« spricht davon, daß täglich neue Lesarten (Das ist ja ein merkwürdiger Fall.) über den Inhalt des Gesprächs zwischen Hitler u. Faulhaber auftauchten. Also: Es weiß Keiner was. – Das Blatt behauptet, auch Pacelli würde auf d. Rückreise von Amerika in Berlin verhandeln. D. 17.11. [17. November 1936] Sitzung unten. Man hört Sasses, Volks u. Lehmanns Stimmen in wütendem Ton u. immer wieder d. Wort »Ordnungsstrafen«. Donnerstg. [Dienstag?], d. 24.11.36. [24. November 1936] Am Donnerstg. fiel Ottos Bibelst. aus, er war in Berlin. Das erfuhr ich am Sonnabd. Abend – zugleich eine Menge Dinge, die ich kaum aufzuschreiben wage. Es handelt sich um eine Sitzg. aller deutschen Kirchenführer – ausgenommen alle, die mit den Thüringern zusammengehen, also Mecklenbg., Bremen, Lübeck, Anhalt u. Oldenburg.599 Die Kirchenführer seien sich alle einig gewesen in d. Ablehng. der Thüringer. Die Versammlg. hätte schon früher stattfinden sollen u. habe sich aber verzögert, – besonders von Meiser – verlangt worden sei, daß die Führer der Bekenntnisgemeinschaften von Thür. u. Mecklenburg miteingeladen würden – als Kirchenführer! Das habe Zoellner nicht zugestehen wollen, das sei eine Vorwegnahme einer Entscheidung, die Kerrl zustünde!!! Schließl. hat er sich zu folgendem Kompromiß bereit gefunden: Man hat O. u. Beste eingeladen, über d. Lage in ihren Kirchen Referate zu halten, u. im Anschluß an diese Referate sind sie einfach dageblieben. Es seien mehrere Resolutionen zustande gekommen, die eine von ihm, Otto – unter Mitarbeit anderer – aber im Grunde sei es eben sein Entwurf, den man angenommen habe. Es sei vor allem von Zoellner verlangt worden, daß er den berüchtigten »Schnellbrief«600 richtig stelle und sich erneut zu seinem Gutachten601 bekenne. – Dagegen habe er sich gesträubt. Das sei alles schon zu lange her u. käme verspätet. Man habe sich dann darauf geeinigt, daß Zoellner vor der Versammlg. eine entsprechende Erklärg. abgeben solle, die die Versammlg. zur Kenntnis nähme. Der Wortlt. dieser Zoellnerschen Erklärg. solle in die Resolution aufgenommen u. im »Mitteilungsblatt der D.E.K.« veröffentlicht werden. – Es sei dann noch eine außerordentlich scharfe Resolution an die Regierung zustande 598

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Mitglieder des Bundes waren die Landeskirchen Thüringen, Mecklenburg, Lübeck und Anhalt. Losere Kontakte bestand zu den Landeskirchen Bremen und Oldenburg. Unterzeichnet wurde die Satzung von den führenden Deutschen Christen in Anhalt, Baden, Bayern, Berlin, Danzig, Franken, Freistaat Sachsen, Kirchenprovinz Sachsen, Thüringen, Weser-Ems und Westfalen (Meier, Kirchenkampf II, 139). Die Sitzung fand am 19. und 20. November statt; vgl. Meier, Kirchenkampf II, 122; über den Ablauf und die diskutierten Punkte berichtete die Tagebuchschreiberin korrekt; vgl. Besier, 590– 593, in den Fußnoten 1310 und 1311 bibliographische Angaben zu den Reden von Beste und Otto; die Tagebuchschreiberin verfügte aber durch den Bericht von Otto noch darüber hinausgehende Details des Vorgangs. Vgl. Tgb. 28. August 1936 u.ö. Vgl. Tgb. 4. und 5. August 1936.

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gekommen wegen der wüsten Angriffe gegen das Christentum, wie sie sich jetzt Streicher u. Holz in Bayern leisten602 (sollen Psychopathen sein). Der erste Entwurf sei ziemlich wässerig gewesen. Da sei Pfarrer Grünnagel-Aachen (D.Chr.) aufgestanden u. hätte geredet: Die Herren hätten offenbar noch nicht begriffen, worum es ginge, plätscherten weltfern am Rande der Ereignisse … sehr frech, aber gut (er schien eitel zu sein, könne aber was). Grünagel hätte dann einen anderen Entwurf gemacht, dem dann noch von Mahrenholz (der einen etwas oberflächl. Eindruck gemacht habe) einige Spitzen genommen worden seien. Man sei sich vollständig einig gewesen, daß mit aller Deutlichkeit geredet werden müßte. Z.B. sei darauf hingewiesen worden, daß man in d. Kampfzeit versprochen habe, das Christentum zu schützen. Jetzt würden die Leute, die in der Kampfzeit in der Partei zusammengestanden hätten, gegeneinander gehetzt u.s.w. – Dabei sei zum Ausdruck gekommen, daß es einigen der führenden Leute in der Partei bereits himmelangst wurde angesichts des immer radikaler werdenden weltanschaulichen Kurses. Einer von denen, die die Bekämpfung des Chr.tums, wie sie z.B. Streicher betreibe, nicht wollten, sei Göring – obwohl er selbst höchstwahrscheinl. auch kein Christ ist. Es sollen Männer der Partei – Namen wurden nicht genannt – den Wink gegeben haben, jetzt Fraktur zu reden. Ob es hilft oder ob alles dabei kaputt geht, weiß allerdings kein Mensch. Aber es bleibt kein anderer Weg. Denn die Art wie Streicher u. seine Leute jetzt in Bayern vorgehen, ist unmöglich. Meiser hat hierüber auch ein »Wort an die Gemeinden« herausgegeben, von dem in der Nr. 22 der J.K. (21.11.) ein kurzer Abschnitt veröffentlicht war.603 Hätte ich von der Streicherschen Rede nichts gehört, dann hätte ich diese kurze Mitteilung allerdings nicht verstanden. Das war so ungefähr, was ich mir merken konnte. Bei alledem war aber nicht die Rede davon, wie das Thür. Schicksal sich gestalten würde und wann. Das bleibt im Dunkel und es ist alles fraglich. Nur daß die Kirchenführer – auch die D.Chr. in den Ausschüssen in dieser Sache alle einig sind, war das Erfreuliche. Am Bußtag hielt O. in der dichtgefüllten Georgenkirche eine wundervolle u. sehr tapfere Predigt. Er sprach wirklich ganz offen über den Kampf gegen Kirchen u. Christentum, über die Fernhaltg. der Jugend vom Evangelium u. darüber, daß der Kirche nicht erlaubt wird, in derselben Öffentlichkeit, in der sie angegriffen wird, zu antworten. Nächst. Donnerstag wird hier vor dem Landgericht die Klage von Otto gegen den L.K.R. wegen Rückzahlung der 400 M, die man ihm von s. Gehalt abgezogen hat (100 im Sommer u. 300 jetzt) verhandelt. Als Vertreter des L.K.R. Fritz, der am Sonnabd. zu mir heraufkam u. mir das erzählte. Es sei ihm schauderhaft peinlich. Er hätte O. angerufen, um ihm zu sagen, daß es keine persönliche Spitze gegen ihn, O., bedeutete, wenn er das übernähme. Aber er hätte nicht anders gekonnt. Es sei der nächste dran. (Auslassungzeichen!!!) Schenk habe abgelehnt mit dem Begründen, daß er nicht eingearbeitet sei. (Warum Franz od. Volk nicht gehen, weiß ich nicht). O. sagte zu mir am Sonnabd, natürl. sei es ihm viel lieber, Fritz verträte den L.K.R. bei dieser Gelegenheit, 602 603

Vgl. zu diesen Äußerungen Tgb. 5. November 1936. JK 4 (1936), 1043; es handelt sich allerdings nicht um einen Auszug, sondern um den kompletten Text.

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von dem sicher sei, daß [er] die Sache vornehm u. sachlich erledige, als ein anderer. In der Klage gegen Schultze-Röpsen sei Franz selbst in Gera erschienen u. hätte sich vor Gericht so anmaßend benommen, daß [er] vom Richter eine Rüge erteilt bekommen hätte! U.a. hätte er gesagt, er hätte keine Lust, wegen einer solchen Bagatelle zum 2. mal zu erscheinen! – (Nun muß man bloß wissen, wie lebenswichtig der L.K.R. diese »Bagatellen« in Wirklichkeit nimmt – u. sie sind es ja auch! Und die Richter müssen sie ja auch gewissenhaft behandeln – ganz abgesehen von allen anderen!) Gestern hörte ich noch, Franz sei wieder nach Berlin gereist (oder reiste heute hin) u. Sasse mit Tegetmeyer nach München ins braune Haus604 »wegen Kirchensteuersachen!« (Merkwürdig). Andere Lesart: »Sasse fährt nach Ansbach, Bayreuth, Nürnberg, München u. muß am Mittwoch auch in Berlin sein. Frau Sasse [K.] hat gestern erzählt: »Jetzt kommen die Dinge zum Ende. Italien u. Spanien wollen doch nicht mit unserer Regierung zusammengehn, solange der Kirchenstreit nicht beendet ist. (Times-Artikel!) Und wir haben in Thür. doch immer noch 500 Bekenntnispfr. von 800 Pfarrern überhaupt!« (Sie weiß darüber mehr als O.) … Kerrl bekommt jetzt einen Mitarbeiter, einen D.Chr. aus dem Reich (bedeutet wohl: einen D. Chr aus der Reichsbewegung [RDC]). O. begann gestern Abd. eine Reihe von Bibelvorträgen in d. Nikolaikirche. Ich war hinterher etwas unglücklich. Er sprach nicht so unmittelbar angreifend wie sonst, auch zu lang; die Kirche war zu kalt. Das Publikum treue Leute. Donnerstg., d. 26.11.36. [26. November 1936] Jetzt kommen die Dinge offenbar wirklich zu einer entscheidenden Entwicklung. Nach dem Abendvortag von O. in der Nik.kirche [Nikolaikirche] flüsterte mir Frau Otto zu, Otto sei, kurz bevor er von zu Hause fortging, aus Berlin angerufen worden von Sylten. Bruch zwischen Kerrl u. Zoellner – wie, ist nicht klar geworden. Der Kirchenausschuß wolle sich verselbstständigen. Am Freitag wieder Versammlung der Kirchenführer in Berlin.605 Eigentlich hätte Otto statt Sylten jetzt in Berlin sein müssen – kann aber nicht weg wegen seiner Vorträge hier. – Bauer [G.] liegt mit 39º Fieber im Bett. Da man nicht wissen kann, was am Freitag wird, will O. Sylten nicht dort lassen. Es könnte eine Unterschrift nötig sein u. da soll nicht die von Sylten als Nichtarier dastehen. So wird er Schanze-Weimar schicken. Da ist nun der Bruch. Alles sieht dunkel aus. Noch eine eindrucksvolle Mitteilg. aus der Versammlg. der Kirchenführer vor 8 Tagen: Grünagel hätte erzählt, er sei kürzl. zu einer Taufe auf der Ordensburg Krössinsee gewesen.606 Da seien 400 Leute auf einmal aus d. Kirche ausgetreten. Nur 16 haben widerstanden. Bei einem dieser 16, einem Arzt, habe die Taufe stattgefunden. 604 605

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Sitz der Reichsleitung der NSDAP in München. Gemeint ist offensichtlich der zweite Tag der genannten Kirchenführerkonferenz, nämlich der 20. November 1936. Eine weitere Konferenz fand später statt, nämlich am 10. und 11. Dezember 1936 (Meier, Kirchenkampf II, 122). »Für die Schulung der Parteielite waren die sog. Ordensburgen vorgesehen, deren äußere bauliche Gestaltung nach einer Idee Hitlers allein schon die Idee des Nationalsozialismus zum Ausdruck

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Immerhin 16 – es sind tapfere Leute – wenn auch D.Chr. Das ist der Kern, der im D.Chr. wirkl. Christentum meint. Immerhin 16 von über 400. Ich hätte mich nicht gewundert, wenn es gar keiner mehr gewesen wäre. Frl. v. Ranke erzählte vorgestern, Hohlwein, der jeden Tag ein neues Gerücht in d. Welt setze, habe im Unterricht erzählt, es würde jetzt überall so wie in Thüringen: überall 2 Kirchenleitungen! Diese Nachricht ist entschieden überholt. Die Verhandlg. O. gegen L.K.R. wegen der 400 M ist auf morgen verschoben, weil Prehn heute nicht kann. Unter den Argusnachr. war ein Straßburger Blatt, das meldete, Hitler wolle sich noch mit anderen kathol. Bischöfen unterhalten. Pacellis Besuch solle deshalb nicht jetzt, sond. später erfolgen. Man halte Abbruch des Pressefeldzugs gegen d. kathol. Kirche für möglich – auch gegen einzelne Pfarrer – u. sogar Ungültigkeitserklärg. der bayr. Regierungsmaßnahmen, die gegen d. Konkordat verstießen. – Sollte das stimmen u. der Friede mit der kathol. Kirche geschlossen werden, dann kann man sich doch nicht auf die protestant. Kirche stürzen! Es wäre zu dumm. Übrigens ist das Wort an d. Gemeinden von Meiser gegen Streicher doch sehr eindrucksvoll, weist darauf hin, wie die Kirche jetzt mit d. ganzen Volk gegen d. Bolschewismus zus. stünde, wie alle Kräfte für den 4-Jahres-Plan607 zusammengesetzt werden müßten u. da hinein diese Hetze! Es ist auch unbegreiflich. Die Ereignisse in Spanien liegen uns auf d. Seele.608 Was soll werden, wenn die Roten jetzt die kolossale Unterstützg. aus Rußland bekommen? Die zum Tode verurteilten Deutschen in Moskau sind »begnadigt« worden.609 – Unser Botschafter dort hat eine schwere Aufgabe. Sehr bildhaft war eine kurze Ztgsnotiz: »… Nachm.tags sprach der deutsche Botschafter, Graf Schulenburg, im … vor – abends wartete er noch.« Im Kreml, glaube ich. Das Abkommen mit Japan gegen den Bolschewismus das gestern bekannt gegeben wurde, bewegt alle Gemüter.610 Unsere Leute wissen offenbar noch nichts von der neuesten kirchenpolit. Entwicklg. Sasse ist gestern von Berlin zurückgekommen, scheint nichts berichtet zu haben. Freitg., 27. Nov. [27. November 1936] Franz ist aus Berlin zurück soll sehr schlechter Laune sein. Bei mir rief er an u. verlangte die Zeitungsausschnitte über die Veröffentlichg. des Briefes von Niemöller an Hitler in der Auslandspresse (Times).611

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bringen sollte. Bereits ab Februar 1934 wurde an den Ordenburgen Krössinsee bei Falkenburg in Pommern und ›Vogelsang‹ unterhalb der Urfttalsperre in der Eifel gebaut« (Enzyklopädie des Nationalsozialismus, 627). Der Vierjahresplan von 1936 sollte die deutsche Wirtschaft kriegsfähig machen; vgl. Enzyklopädie des Nationalsozialismus, 782–783. Gemeint ist der spanische Bürgerkrieg (17. Juli 1936 bis 1. April 1939). Das Dritte Reich leistete den Putschisten gegen die Republik umfassende Hilfe; vgl. Enzyklopädie des Nationalsozialismus, 741. Auf welchen Vorgang hier Bezug genommen, wird, war nicht zu ermitteln. Verabredung gemeinsamer Abwehrmaßnahmen gegen die UdSSR, die am 25. November 1936 unterzeichnet wurde; vgl. Enzyklopädie des Nationalsozialismus, 528. Gemeint ist wohl die Denkschrift an Hitler; vgl. Tgb. 25. Juli 1936.

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Jetzt, 20 vor 11, ist Fritz aus dem Termin mit Otto-Prehn zurück. Hoffmann-Mihla bekommt eine Geldstrafe von 100 M, weil er die K.vertreter-Versammlg. mit Lehmann verhindert habe u. gesagt, das Vorgehen Lehmanns sei eine Finte, die nur einen Vorstoß der D.Chr. verschleiern sollte.612 Leffler hat am 25.11. (oder unterm 29.11.) an den L.K.R. einen Brief geschrieben, er hätte von einem sächsischen D.Chr., der dabei gewesen sei, die Mitteilung bekommen, daß eine Tagg. in Berlin stattgefunden hätte mit dem Kirchenausschuß, an der auch Bekenntnis-Pfr. teilgenommen hätten, bei der Zoellner aufgefordert worden wäre, jetzt kräftig gegen den Staat und die Partei loszugehen.613 (d. Wortlaut ist noch anders). – Heute, unterm 27., bringt das »Positive Chr.tum eine ganz kurze Notiz über eine »Kirchenführertagung«, die in Berlin stattgefunden hätte.614 Leffler soll einer der schlimmsten Gerüchtemacher sein. Er wie die Mitglieder des L.K.R. suchten u. schnüffelten umher, wo sie nur irgendeine Bemerkung fallen hörten, um eine Verleumdung daraus zu machen. Heute, 27. Nov., bringt das »Positive Christentum« eine ganz kurze Mitteilung darüber, daß in Berlin eine »Kirchenführertagung« stattgefunden habe. Diese Nachricht wird die Herren wohl nun sehr aufregen. Eben höre ich, daß v. Detten zurückgetreten ist.615 (Sasse hat es Franz erzählt.) Die Herren hätten gelacht u. Witze darüber gemacht: Sie wollten ihm ein Glückwunschtelegramm schicken – er sollte seinen Kohl nun anderswo kochen u.s.w. nachm. Vormittags vor Dienstschluß ging ich zu Fritz u. fragte ihn, wie der Termin abgelaufen sei616– ich hoffte, er hätte schlecht abgeschnitten. So ists denn auch gekommen. Viell. deshalb Franz’s schlechte Laune. Der Richter hat die Zulässigkeit des Rechtsweges erst

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»Kirchenrat Lehmann trägt einen Bericht des Kreisleiters vor, nach dem sich Hilfspfarrer Hoffmann geweigert hat, eine Vertretersitzung einzuberufen. Es wird beschlossen, gegen Hoffmann wegen Verstoß gegen die Verfassung (§ 25) eine Geldstrafe von 100 RM festzusetzen, nachdem er zur Äußerung aufgefordert worden ist« (Protokoll der Sitzung des LKR der TheK vom 27. Oktober 1936, LKAE, A 122, 102). Zu den Vorgängen in Mihla vgl. Tgb. 2. September 1936. »Soeben erfahre ich über ein Mitglied des sächsischen Landeskirchenrates, dass am 18. und 19. November ds. J. in Berlin die Kirchenführer der Deutschen ev. Kirche unter Vorsitz von D. Zoellner tagten. Dabei sei auf Zoellner starker Druck ausgeübt worden in Richtung einer scharfen Sprache und Haltung gegenüber dem Staat. Interessant ist weiterhin, dass von Thüringen aus der Bruderrat der Bekenntnisfront als Kirchenregimentsvertreter eingeladen war und teilgenommen hat« (Schreiben Lefflers an den Reichstatthalter und Gauleiter Sauckel und den Ministerpräsidenten Marschler vom 24. November, LKAE, A 800, Bd. III, 147). Gemeint ist wohl die Kirchenführertagung in Berlin am 19./20.November 1936; vgl. Tgb. 24. November 1936. Detten wurde im Juli 1936 überraschend beurlaubt und am 1. April 1937 in der Ruhestand versetzt; vgl. Dokumente zur Kirchenpolitik III, 197. Zum Sachverhalt vgl. Tgb. 24. November 1936.

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nicht bejaht, dann doch bejaht u. so wird die Sache an die Beschlußstelle617 in Berlin gehen. 28.11. [28. November 1936] Aus Fritz’ Schilderung konnte ich das freilich nicht restlos entnehmen. Das verstand ich erst abends, nachdem ich O. nach s. Bibelvortrag in der Nik.kirche gesprochen hatte. Dessen Schilderung war bedeutend drastischer. Der Richter hat tatsächl. die Zulässigkeit des Rechtsweges abgelehnt u. gleich daran geschlossen: »Wir sind uns doch einig, daß die Sache an die Beschlußstelle geht?« Worauf man ihn belehren mußte, daß die Sache nur dann an die Beschlußstelle gehen könnte, wenn der Rechtsweg zulässig wäre. Worauf man dann beschloß, daß die Sache an die Beschlußstelle käme und Zulässigkeit des Rechtsweges bestehe. Man kann dem Richter nicht verdenken, daß er sich d. Sache anders gedacht hatte, denn anders herum wäre sie entschieden rechtmäßiger. – Fritz sei sehr nett gewesen, sagte Otto. Wenn Franz da gewesen wäre, dann würde man »scharf geschossen« haben. Der Bibelvortrag war sehr besucht. 4–5 Kandidaten waren zu O. in die Sakristei gekommen u. hatten u.a. erzählt, Hohlwein hätte mitgeteilt, daß v. Detten verabschiedet worden sei. O. deutete es günstig für uns, war aber sonst ohne Nachricht aus Berlin. – Nein, doch: Breit hatte Otto antelephoniert. Der luth. Rat habe sich eine Verfassg. gegeben u. Otto muß unterzeichnen.618 Bei dem Abzug der Strafgelder hat der L.K.R. übrigens die pfandfreie Grenze überschritten, auch bei der Strafe gegen Heyder.619 Das ist natürl. blamabel u. sieht aus wie eine gewollte Härte. Fritz hat es auf die Finanzbeamten abschieben wollen, es sei ein Versehen; das gelang aber nicht, weil Prehn den Beschluß des L.K.R., gezeichnet »Sasse,« in den Händen hatte. Vom 2.–6. Jan. findet eine ev. Woche in Erfurt statt. Sie sollte ursprüngl. in Eis. sein, die Georgenkirche ist dafür aber nicht bewilligt worden. O. warb in der Ankündigg. für den Besuch. Eben höre ich: Der neue Mitarbeiter von Kerrl, der seit 3–4 Tagen mit ihm arbeitet, heißt Moos oder Mooß u. kommt aus Hannover.620 Er steht den D.Chr. Thür. Richtung freundlich gegenüber, wie Sasse zu Volk am Donnerstag Abd. gesagt hat. Er wolle das aber vorl. nicht merken lassen, damit die Leute um Marahrens nicht mißtrauisch würden! (Also ein Mann ohne Überzeugg., der falsch ist – wenn Sasses Schilderung richtig ist). 617

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»Beschlußstelle in Rechtsangelegenheiten der evangelischen Kirche«: Dienststelle im Reichskircheministerium, in der der Minister den Vorsitz hatte; sie war eine »Sammelstelle aller Rechtsstreite staatskirchenrechtlichen oder kirchenrechtlichen Inhalts die evangelische Kirche betreffend« (vgl. Kreutzer, Reichskirchenministerium, 2000, 348). Recherche nach weiteren Unterlagen ergebnislos. »Wir haben veranlasst, dass die gegen den Pfarrer Heyder in Milbitz festgesetzte Ordnungsstrafe von 200 RM nicht in voller Höhe von seinem Dezember-Gehalt abgezogen wird, sondern dass nur der Teil seines Gehalts einbehalten wird, der auf Grund der gesetzlichen Vorschriften pfändbar ist. Der Rest der Strafe wird von den folgenden Monatsbezügen abgezogen« (Schreiben des LKR der TheK an Rechtsanwalt Dr. Prehn vom 27. November 1936, LKAE, LBG 181, nicht foliiert). Richtig: Muhs; vgl. die Folgenden Einträge im Tgb. und die Biogramme.

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Hitler sei vor 14 Tagen aus der katholischen Kirche ausgetreten.621 Ich will nicht schreiben, wo diese Nachricht diesmal herkommt. (Diesmal nicht von Hohlwein.) Es hätte sich bereits verheerend ausgewirkt – die Amtswalter seien massenhaft aus der Kirche ausgetreten. (Das wurde ja schon auf der Kirchenführertagung besprochen.) Die Betreffende war vollkommen erschüttert. Ich konnte ihr nur sagen, daß sie was aus alledem werden wird, nicht heute schon sehen könnte – viell. in 80 Jahren. Und daß, als 1930 Rosenbergs Mythus erschien, ja auch schon Leute dagewesen seien, die gesehen hätten, was kommen würde u. daß das Unheil, das die »D.Chr. anrichten würden, auch prophezeit worden sei. Welche Verantwortung haben diese Leute gehabt. Und wie haben sie damit gespielt. In einer der Kirchenzeitungen wird ausdrückl. dementiert, daß Hitler nach Faulhaber noch weitere kathol. Bischöfe empfangen werde – englische Zeitungen hatten diese Nachricht gebracht. Es fällt auf, daß der Schriftleiter der »Bewegg.«, Organ des N.S.D.St.B., gewechselt hat u. der neue zu Beginn seiner Tätigkeit einen Artikel mit den Worten »Mehr Ehrfurcht« überschreibt. Das Blatt hatte einen wüsten Ton gegen Kirche u. Christentum. Übrigens ist ein ganz neuer Leiter des N.S.D.St.B. eingesetzt622 u. ich las noch nicht, was aus Derichsweiler geworden ist. Ob nun auch die Schulung im N.S.D.St.B. auf einen anderen Ton gestimmt wird? Es werden wohl nur die Methoden wechseln – die waren tatsächlich bolschewistisch. Streicher wird wohl bleiben – denn das ist Prestigefrage – wegen sr. Haltung in d. Judenfrage. Eine Vertrauensperson der Kirchenräte hat im L.K.R. unauffällig herumgefragt, ob d. Kirche bei Ottos Bibelvorträgen voll gewesen sei. Antwort von Böttger: »Sie strömten!« Auch Obpfr. Hartmann, pp. haben von voller Kirche berichtet. Die Klage des LKR gegen Schultze-Röpsen ist abgewiesen!623 1½ Uhr. Eben kommt ein reitender Bote atemlos: Die Nachricht vom Kirchenaustritt Hitlers ist noch nicht sicher! Sonntg., d. 29. [29. November 1936] Gestern Abd. O.s letzter Bibelvortg. Hinterher erzählte er uns Einiges. Es war schlimm. Der Nachfolger Dettens heißt Muhs u. ist der schlimmste Hetzer gegen Marahrens gewesen, solange er in Hannover war.624 Zuletzt war er – ich glaube – Reg.präs. in Hildesheim. Am 10. Nov. dieses Jahres – 1936 – trat er aus der Kirche aus. Kurz danach hörte er, daß er Staatssekretär (Detten war nur Ministerialdirigent) im Kirchenministerium werden sollte und trat also vor einigen Tagen, 14 Tage nach s. Austritt, schleunigst wieder in die Kirche ein! – Daraufhin hat Marahrens ein Telegramm an Kerrl geschickt, so ungefähr des Inhalts: Wenn Muhs Staatssekretär im K.min. würde, hätte er, Marahrens, im K.min. nichts mehr zu suchen (genau weiß ichs’s nicht mehr). Dieses Telegramm ist am Montag am 23. 11., in Kerrls Hände gelangt, gerade zu der Zeit, als 621 622 623 624

Ein gern kolportiertes Gerücht; Hitler ist nie aus der katholischen Kirche ausgetreten und hat bis zu seinem Ende Kirchensteuern entrichtet. Gustav Adolf Scheel; 1936–1945 Reichsstudentenführer. Zum Fall Schultze-Röpsen vgl. Biogramme. Zum Folgenden vgl. auch die Darstellung bei Besier, 595, und Kreutzer, Reichskirchenministerium, 134–137.

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Zoellner zu Kerrl zum Empfang kam. K. hat einen Wutanfall bekommen u. bestimmt, Zoellner in Muhs Gegenwart zu empfangen. Zoellner hat sich geweigert. Großes Hin u. Her. Schließlich wird Muhs weggelassen u. Zoellner u. Mahrenholz zusammen empfangen. Es sei furchtbar gewesen. Kerrl immer hin- u. hergelaufen, wütend; Zoellner, sehr beherrscht, habe sich glänzend benommen, aber hinterher gesagt, es sei die demütigenste Stunde ss. Lebens gewesen. Er könne sich nicht vorstellen, daß er danach noch einmal im K.min. etwas zu suchen hätte – oder so. Er erwartet, daß er samt dem Kirchenausschuß abgesetzt wird. Darauf Kirchenführerversammlung. Man beschließt – wieder einstimmig, zusammen mit den D.Chr. – wenn der R.K.A. abgesetzt wird, ihn als kirchliche Stelle neu einzusetzen. Mit der V.K.L. wird verhandelt, um großen Block zu schaffen. Es wird nun wohl die Trennung von Staat u. Kirche erwartet. Die SS hat Verbot der kirchl. Trauung erhalten. Wenn Mädchen nicht darauf eingehen, soll d. SS-Mann das Mädchen aufgeben. In Nürnberg hat die SA Befehl, an keiner Beerdigung mehr teilzunehmen, bei der ein Geistlicher spricht.625 – (Beerdigg. von Himmlers Vater neulich in München, der als guter Katholik, anscheinend »wohlversorgt« gestorben ist.) In Oldenburg müssen alle Kruzifixe aus den Schulen entfernt werden.626 Die Kirchenführerversammlung hat in einer Entschließg. den Empfang von Zoellner mit Marahrens (als dienstältestem Bischof) beim Führer verlangt.627 Hitler soll gesagt haben: Die kathol. Kirche sei ein politisch ernst zu nehmender Faktor, die protest. Kirche ein Haufe von Sekten. Kerrl hat u.a. gesagt, an dem Kirchenaustritt von Muhs sei doch nichts dabei! Szymanowski sei ja auch aus der Kirche ausgetreten gewesen! Das hat man nicht gewußt u. bei dieser Gelegenheit erst erfahren! Er war sogar »Propst« in Schlesw.-Holst. u. hat sich durch eine sehr unchristl. aufgezogene Konfirmation einen Namen gemacht628. Ich glaube, Otto hatte vor einem Jahr mal mit ihm zu tun u. fand, er wäre ganz nett gewesen. – Zustände sind das! 625

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Zur weltanschaulichen Distanzierung einzelner NS-Formationen von der Kirche insgesamt vgl. Besier, 215–235. (1) Zum SA-Befehl ein Verbot des Führers der SA-Gruppe Franken im November 1936, vgl. S. 226. (2) Das SS-Verbot konnte nicht direkt nachgewiesen werden. Aber es gibt dazu einen Schriftwechsel zwischen der Kirchenkanzlei der DEK und der SS. »Am 3. Januar 1936 hatte Präsident Werner in einem Brief an die SS-Reichsführung über eine Reihe von Mitteilungen berichtet, wonach Trauungen in SS-Kreisen ungern gesehen würden und jedenfalls der Beförderung hinderlich seien« (Besier, 224). Der Kruzifixstreit in Oldenburg (Oldb) ist ausführlich dokumentiert und beschrieben worden bei Kuropka, Zur Sache – Das Kreuz, 1987. Ein baldiger Empfang Zoellners und Marahrens war von Kerrl in Aussicht gestellt worden; vgl. Besier, 594. Ob er von der Kirchenführerkonferenz gefordert wurde, ist nicht klar, wohl aber forderte der Lutherrat Zoellner auf, unverzüglich um ein Gespräch bei Hitler nachzusuchen, an dem er selbst und ein Repräsentant des Lutherrats teilnehmen sollte (ebd., 597). Die Konfirmation fand am 14. April 1935 in Itzehoe statt. Konfirmiert wurden drei Kinder des dortigen Gaukulturinspektors. Einleitend wurde auf der Orgel das Lied »Jung Siegfried war ein stolzer Knab« intoniert. »Der Liturg hat dann ein längeres Wort von Ekkehart zitiert. Die Kinder haben ein neues deutschkirchliches Glaubensbekenntnis abgelegt, gesungen wurden umgedichtete oder selbst gedichtete Lieder, zum Teil sehr gefühliger Art. Ein Abendmahl wurde natürlich nicht gefeiert« (JK 3 [1935], 776–777).

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Die Beschlüsse der 1. Kirchenführerbesprechung sollen sobald als möglich veröffentlicht werden.629 Der luth. Rat bereitet eine Kanzelabkündigg. im Falle der Absetzung von Zoellner vor, in der die Lage offen besprochen werden soll. 30. Nov. [30. November 1936] Als Abschluß der Bibelwoche predigte O. gestern Nachm. in der Georgenkirche. Das Schiff unten war sehr voll, auf [die] 2. Empore konnte ich nicht sehen. Zum Abendmahl blieben etwa 80–100 Menschen, obwohl d. Kirche sehr kalt war. Heute früh Mitteilg. von Frl. Linde, bei Auerbachs ist erzählt worden, daß Hitler aus d. Kirche ausgetreten sei. Dann ist D. Otto [R.] gekommen, der einen Brief von Marahrens gehabt hätte, wonach sehr ernste Wendungen bevor stünden – sie wüßten aber nicht genau was. Der Sohn von Bernewitz habe aus Erfurt erzählt, was Pfr. Jentzsch in der Reglerkirche manchmal predigt. Der scheint sehr deutlich zu sprechen. Z.B. »Der Arbeitsdienst ist sehr schön – aber wenn sie sagen: Der Spaten ist unsere Bibel u. wenn wir nur d. Spaten haben, dann schwören wir – so führt das zum »Nationalbolschewismus« u.s.w. Nun kann man solche Sachen wirklich nur sagen, wenn man sie ganz genau weiß. – O.s Eingangsworte gestern Nachmittag wiesen auch darauf hin, wie ernst u. bedrohlich der Kampf der Kirche geworden sei u. daß sehr ernste Entwicklungen bevorstünden. Es sei fraglich, ob uns die Volkskirche, wie wir sie bisher gehabt hätten, erhalten bliebe u.s.w. nachmittags Eben kommt Btz. u. erzählt, Nitzsch sei heute früh oben gewesen u. hätte zu Frl. Sommer gesagt, Kerrl u. Zoellner hätten sich geeinigt. Frl. Linde kam dazu. Wir berieten zu dritt etwas aufgeregt, was das zu bedeuten haben könnte. Ich durfte natürl. nicht sagen, was ich weiß, warnte aber davor, dieser Nachricht zu glauben. Natürlich hofft man im Stillen doch wieder. Ich weiß nicht, ob ich aufschrieb, daß auf der Kirchenführertagung am Freitg eine sofortige Unterredung von Zoellner u. Marahrens (als dem dienstältesten Bischof) mit Hitler selbst gefordert worden ist.630 Franz fährt morgen wieder nach Berlin. Er soll Donnerstg. zurück kommen. Er nimmt die Reinschrift der Satzung[en] des Bundes für D.Chr. [BfDC] mit, die stark erweitert worden sind.631 Man denkt sich diese Satzung[en] als Muster für eine Ordnung der ganzen evangelischen Kirche! Mittwoch, d. 2. Dezember. [2. Dezember 1936] Gestern Abend war ich bei O. um nach neuen Nachrichten zu fragen, traf nur Frl. Koeppen, die keine wußte. Natürlich – es ist Essig mit Nitzsches hoffnungsvollen Mittei-

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Nur drei von den vier Resolutionen wurden veröffentlicht (GDEK 31/1936, 117–119). Die Resolution »Zur Frage der gegenchristlichen Propaganda« wurde nur an Staats- und Parteistellen geschickt. Kerrl hatte ihre Veröffentlichung ausdrücklich verboten (vgl. Besier, 601). Vgl. Tgb. 29. November 1936. Bundesordnung des Bundes für Deutsches Christentum vom 10. November 1936, LKAE, R 202, nicht foliiert. Zur Geschichte des BfDC vgl. Meier, Deutsche Christen, 147–151.

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lungen. Heute gehört: Sasse mit Schienenzepp632 ab Erfurt auch nach Berlin. Gestern in der Sitzg sei furchtbar auf Leichte geschimpft worden, der einen Brief an Kerrl geschrieben habe mit der Aufforderung, gegen den L.K.R. einzuschreiten. (???). Leichte dieser Konjunkturritter. Man hat ihn nicht genug herangezogen – sein Ehrgeiz ist enttäuscht worden. In d. Sitzg hat einer gesagt, er müsse als Oberpfr. fortgehetzt werden. Gestern ist auch Sitzung gewesen im Büro der D.Chr. in der Luisenstraße. Ohne Lehmann. Einer der Beamten, die mit uns sympathisieren, ist gestern mit Schmidt-Gera den Berg heraufgegangen u. hat ihn nach dem Stand der Kirchenpolitik befragt. Schmidt hat geseufzt. »Übel, übel!«. Der Betreff. kam dann zu mir um zu fragen, ob Schmidt eigentl. Bek.-Mann sei. Er ist aber D.Chr.; also schaut es für die auch nicht rosig aus. Freitg., d. 4.12. [4. Dezember 1936] Sasse ist noch nicht zurück – wurde ursprünglich gestern schon erwartet. Gestern Bibelstunde. O. hatte ein Schreiben vom R.K.A. erhalten, man habe die Beschlüsse der Kirchenführertagung noch nicht veröffentlicht, um erst die Kabinettssitzung vom 1. Dez. vorübergehen zu lassen! Warum – wurde nicht gesagt.633 – Zoellner ist ein alter Mann, man merkt das doch sehr. Diese Langsamkeit u. dieses Überlegen in dieser stürmischen Zeit sind einfach nicht möglich. Wenn das auch nur noch 8 Tage so weiter geht, müßte man Schluß mit ihm machen. Bauer-Gotha hat gesagt, Leichte wäre kein D.C. mehr, er protegierte ihn förmlich. Vor nicht langer Zeit hat er ihn verfolgt u. der Gestapo denunziert aus lächerlichen Gründen. Die Ev. Luth. K.Ztg. veröffentlicht den Befehl einer bayr. SA Brigade, an kirchl. Feiern bei Beerdigungen nicht teilzunehmen pp.634 Die Oldenburger Verfügg., das Kreuz aus den Schulen zu entfernen, ist zurückgenommen worden!635 632

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Der Schienenzepp, gebaut 1929 und eingesetzt ab 1930 war seinerzeit der schnellste Zug, ein Wunderwerk der Technik, der zwischen Hamburg und Berlin verkehrte; vgl. Hamburger Abendblatt vom 12. Dezember 2008 und Internetinformationen. Zur Veröffentlichung der Resolutionen vgl. Tgb. 29. November 1936. »Nachdem nach Ablauf weiterer zwei Jahre die Aussichten auf eine vernünftige Einstellung der verschiedenen Religionsgemeinschaften gegenüber dem Führer und unserem Reich eher schlechter als besser geworden sind, sehe ich mich genötigt, meine im Gruppenbefehl Nr. 27 vom 9.5.1934 Nr. 4455/34 erlassenen Anordnungen wie folgt zu verschärfen: 1. Ich verbiete mit sofortiger Wirkung das Tragen des SA.-Dienstanzuges anläßlich von Hochzeiten, Taufen und dergleichen. 2. Ich verbiete die Teilnahme von Standarten, Fahnen, Einheiten und einzelnen Führern und Männern der SA. an Beerdigungen, solange Vertreter der Kirche anwesend sind. Es ist in Zukunft bei verstorbenen SA.-Männern Vorsorge zu treffen, daß die Beerdigungsfeierlichkeiten so eingestellt werden, daß die Amtshandlung eines Kirchenvertreters vor oder nach der Teilnahme und der Gedenkstunde der SA. stattfinden. Der SA.-Mann lehnt in Zukunft jede Gemeinschaft mit weltanschaulichen Organisationen ab, die sich Führer, Staat und Volk gegenüber feindlich einstellen. Der Führer der Gruppe Franken. gez. v. Obernitz« (AELKZ 69 [1936], 1172). Das Verbot wurde am 4. November verhängt und am 26. November bereits wieder zurückgenommen; vgl. Joachim Kuropka, »Das Volk steht auf«. Zur Geschichte, Einordnung und Bewertung des Kreuzkampfes in Oldenburg im Jahre 1936, in: Kuropka, Zur Sache – Das Kreuz, 13).

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Der »SA Mann« veröffentlich Aufsätze »Gegen den nationalen Kitsch.« Wegen derartig berechtigter Kritik sind Nicht-Pg.s ins Konzentrationslager gekommen. Auch Goebbels letzte Kulturrede hat manches Selbstverständliche festgestellt, was man bei anderen »meckern« nennt. Das »Schwarze Korps« brachte einen wüsten Angriff auf Missionsdirektor Witte. Der muß eine Verleumdung sein. Berichtigt wird in diesen Blättern ja nie etwas. »Posit. Chr.tum« ist allerdings zu einer Berichtigg. in seiner Berichterstattung über einen B.K.-Superintendenten aus Schlesien gezwungen worden. – Ein lehrreicher Fall. – Eine Auslandsztg. brachte die Nachricht, daß Faulhaber zum 2. Mal bei Hitler gewesen sei. Ob es wahr ist? Keine deutsche Ztg. hat diese Meldg. gebracht. In dieser Sache ist jetzt dauernd berichtet u. dementiert worden – alles bleibt dunkel. Die Presseangriffe gegen die kathol. Kirche lassen an Heftigkeit nicht nach – bloß über die Prozesse gegen Ordensbrüder wird nicht mehr gesprochen, auch nicht mehr über die klösterlichen Devisenschieberprozesse. Die Kabinettssitzg. v. 1.12. hat wichtige Gesetze gebracht, u.a. das über die Staatsjugend.636 Es liegt Krieg in der Luft – das ist der allgemeine Eindruck. In den Kirchen wird um Erhaltung des Friedens gebetet. Sonnabd., den 5.12.36. [5. Dezember 1936] Endlich! Soeben fand ich im Postzeitungsfach das neue Gesetzblatt der D. Ev. K. mit dem Mitteilungsblatt. Das Gesetzblatt enthält: eine Entschließung zur Lage, unterzeichnet von allen Kirchenführern,637 dann die von E. O. entworfene Verlautbarung über Thür. u. Mecklenburg638 u. noch eine kurze Stellungnahme zur Überlassung von zwei Kirchen an die »Thüringer« in Stuttgart.639 Das Vorgehen des dortigen Reichsstatthalters wird als Eingriff in ein schwebendes kirchliches Verfahren gekennzeichnet. Das »Mitteilungsblatt« enthält weiter eine sehr gute Stellungnahme zur Schulfrage.640 – Die besondere Eingabe an die Reichsregierung über die gegenchristl. Propaganda wird in dem Wort zur kirchl. Lage erwähnt.641 Bis jetzt scheint noch niemand hier im Haus von 636

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»Die Jugendorganisation der NSDAP, die den Namen von Adolf Hitler trug, entwickelte sich ab 1933 zum staatlichen Jugendverband, was offiziell erst mit dem Gesetz über die HJ vom 1.12.1936 sanktioniert wurde« (Enzyklopädie des Nationalsozialismus, 513). Das Gesetz bestimmt in § 1: »Die gesamte deutsche Jugend innerhalb des Reichsgebietes ist in der Hitler-Jugend zusammengefaßt« (Brandenburg, Die Geschichte der HJ, 180). Zur kirchlichen Lage, GDEK.A 1936, 117–118. Zur Neuordnung in Mecklenburg und Thüringen, GDEK.A 1936, 119. »Die zu einer Besprechung mit dem Reichskirchenausschuß am 20. November 1936 versammelten Kirchenführer halten es für untragbar, daß die württembergische Regierung einem von der Kirchenleitung wegen seiner Verstöße gegen Lehre und Ordnung der Landeskirche zur Verantwortung gezogenen Pfarrer während des schwebenden Verfahrens die Möglichkeit zur Abhaltung von Gottesdiensten verschafft und dadurch in innerkirchliche Angelegenheiten eingreift« (Übertragung von Kirchen in Stuttgart, GDEK.A 1936, 119). Kirche und öffentliche Schule, MDEK 1 (1936), 25–27. Das Urteil zeigt, dass die Tagebuchschreiberin das Bekenntnis des Reichskirchenausschusses zum nationalsozialistischen Staat durchaus zu teilen vermochte. Die besondere Eingabe wurde erwähnt, nicht aber wie die anderen Erklärungen abgedruckt. Der Vorgang wurde wie folgt kommentiert: »Zur Frage der gegenchristlichen Propaganda haben die Landeskirchenführer uns eine besondere Erklärung vorgelegt. Wir haben diese sehr ernste und bedeutsame Entschließung den verantwortlichen Männern des Staates zur Kenntnis gebracht«

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dieser Bombe etwas zu ahnen, die noch im Zeitungsfach friedlich ruht. Die Herren in der Geschäftsstelle haben sie noch nicht weitergegeben. Die Stücke müssen erst noch registriert werden. Ich nahm mir eins heraus u. setzte es privat in Umlauf. Nun wird die Sache beschleunigt. Sasse ist noch nicht von Berlin zurück, Franz seit Donnerstag – Volk wird auch gar nicht zum Dienst erschienen sein (kaum 11 Uhr). Montg., d. 7.12. [7. Dezember 1936] Die Herren haben nach der Rückkehr von Franz aus Berlin u. am Sonnabd. nochmals Schreiben betr. die »Kirchenführertagung« an den K.min. geschickt (es hieß, weil sie nicht eingeladen gewesen wären. Das klingt etwas primitiv.) Am Sonnabend hätten sie noch bis 2 Uhr Sitzung gehabt u. seien sehr geräuschvoll vergnügt gewesen. Am häufigsten hätte man Volk »krähen« (lachen) hören. Die Kanzlei wurde nach Dienstschluß wieder herauf geholt, hat bis 5½ an einem Schreiben an d. Pfr. Schulz [Schultze?] gearbeitet. 3 Stunden später. Die Nachricht über die Sonnabendssitzung wird dahin berichtigt, daß es Volk allein gewesen sei, den man habe lachen hören. Am Donnerstg, als Franz aus Berlin zurückgekommen sei, habe Volk ihn sofort aufgesucht u. sich berichten lassen u. abends dann im vertraulichen Gespräch gesagt: »Es wird ja doch nichts mit allem, was sie versuchen. Es ist alles vergebens: Heute fehlt er u. soll mit Hexenschuß im Bett liegen. »Das hat er immer, wenn es unangenehm wird«, wurde mir gesagt. Die Wochenandacht heute hielt Thieme über ein Wort von Hitler: »Wir sind alle nur kleine Johannesse. Ich warte auf den Christus.« Daß Hitler das gesagt hat, ist sicher über 10 Jahre her. Franz fährt heute nach Jena u. morgen von da nach Berlin, kommt Sonnabend erst zurück. Tegetmeyer fährt morgen nach Berlin. Offenbar auch Sasse. Da sind sie vermutlich in ihrer »Bundeskanzlei«, Berlin Zehlendorf, Katharinenstr. 22, tätig.642 nachm. 5 Uhr. Einer der Angestellten in der Hollerith-Abteilg. ist mit d. Dienstmädchen des Labi verlobt u. wird »der Schwiegersohn des Landesbischofs« genannt. Von dem wird mir eben erzählt: »Er malt schwarz in schwarz. Paßt mal auf, hat er gesagt, die ganze Behörde

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(Zur kirchlichen Lage, GDEK.A 1936, 117). Allerdings ist die Intention dieser Erklärung inhaltlich in den Text Zur kirchlichen Lage auf die folgende Weise einbezogen worden: »Wir erwarten … eine durchgreifende Abstellung der gegenchristlichen Propaganda, die in der letzten Zeit in mannigfachen Kundgebungen auch führender Amtsträger, in Zeitschriften, öffentlichen Blättern und Schulungen immer unverhüllter hervortritt und die Kirche und alles, was ihr heilig ist, in unerträglicher Weise herabsetzt. Besonders liegt uns daran, daß die Jugend nicht in einem christentumfeindlichen Sinne erzogen und geführt und dadurch in einen unheilvollen inneren Zwiespalt gebracht wird, der sich in völliger Autoritätslosigkeit auswirken müßte« (Zur kirchlichen Lage, GDEK.A 1936, 118). Kanzlei des Bundes für Deutsches Christentum.

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hier fliegt auf. Im Januar können wir alle einpacken.« Diese Äußerung gilt als bezeichnend für die Stimmung in den oberen Regionen, denn gerade ihm (u. dem Chauffeur Laue) schüttet Sasse häufig sein Herz aus. Das neueste »Gesetzblatt« scheint inzwischen auch der jüngste Lehrling hier oben gelesen zu haben. Frl. Linde u. Bernewitz habe ich aber klar gesetzt, wie gefährlich die Lage ist u. daß die Trennung zwischen Staat u. Kirche mit allem, was sie an äußerer Gefährdung der Kirche bedeutet, jetzt kommen kann. Volk hat noch eine Menge Disziplinarsachen auf s. Scheibtisch liegen, die er vor Weihnachten noch erledigen wollte. Alles gegen Bekenntnisleute – in d. Hauptsache Geldstrafen. Er hat geseufzt, er käme ja zu nichts vor lauter Sitzungen u. sonstiger Inanspruchnahme. Dabei diktiert er ellenlange Privatbriefe. Es scheint doch, als hätten unsere Machthaber die schlimmen Nachrichten schon am Donnerstag gehabt, also müßte sie Franz von Berlin mitgebracht haben. Diesen Zeitpunkt hat der »Schwiegersohn« für den Stimmungsumschwung angegeben. Nr. 58 (Nov.) der »Die religiöse Revolution« von Dinter bringt in kurzen Notizen wütende Angriffe gegen die Thür. D.C. [KDC], die »sogen«. Reichsbewegg. [RDC] der sogen. »D.Chr.«, bescheinigt auch der Thür. Richtg., daß sie gänzlich unchristlich ist. Sie drucken die bekannte Äußerung im »Deutschen Sonntg« ab. 1. Wir wollen mit Ernst Christen sein, weil d. Führer es will, wollte er es morgen anders, so wären wir ohne Besinnen auch dazu bereit … u.s.w. Überschrift: »Deutschchristliche Konjunkturritter.«643 Nachschrift: »Besser konnten die D.Chr. sich selber wirklich nicht kennzeichnen. Wo ist da überhaupt noch eine christliche Überzeugung!« J.K. erzählt von einer »Männerversammlung« der D.Chr. in Steglitz, bei der der Reichsb. anwesend war, Coch-Dresden pp., mindestens 6 Prominente u. über den ein ernsthafter Bericht644 in einem Steglitzer Blatt stand – u. fügt hinzu, daß einschließlich der erwähnten Prominenten 16 Personen anwesend waren! Eben las ich die kurze Mitteilg., die der L.K.R. am Sonnabend an alle Pfarrämter hat hinausgehen lassen. Sehr hochfahrend. Nun sei ja endlich klar, welche Stellung der Kirchenausschuß dem Staat gegenüber einnähme. (Nun ist endlich klar, was der L.K.R. unter Staatsfeindlichkeit versteht). Der L.K.R. hätte sich bereits mit anderen Kirchenregierungen zusammen an den Minister gewendet u. erwarte Maßnahmen, die diesen

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»›Deutschchristliche‹ Konjunkturritter! ›Der Deutsche Sonntag‹, das Organ der ›Deutschen Christen‹ Bayerns, Württembergs und Hohenzollerns, bringt folgende, charakteristische, von uns etwas gekürzt wiedergegebene Erklärung: 1. Wir wollen mit Ernst Christen sein, weil der Führer es will, wollte er es morgen anders, so wären wir ohne Besinnen auch dazu bereit. 2. Weil unser Herz für Christus spricht. Würde unser Herz uns eines Tages überzeugen, es sei richtiger dem Christentum den Abschied zu geben, so würden wir uns ohne Zögern auch dazu entschließen. 3. Sollten wir eines Tages erkennen, daß das Deutsche Volk ohne Christentum seine göttliche Sendung erfülle, dann wären wir die ersten, die gehorchten. Besser konnten die Deutschen Christen sich wirklich nicht kennzeichnen! Wo ist da überhaupt noch einen christliche Überzeugung?« (Die religiöse Revolution 58 [1936], 6). Vgl. den Bericht in JK 4 (1936), 1113.

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»unerträglichen Zuständen« ein Ende machten.645 Nun muß ja ohne Zweifel endlich was geschehen. Zwiegespräch zwischen Oberheid u. Sasse am Sonnabd. Oberheid (freudig): »Wir haben gewonnen!« Sasse: »Fein! Aber nun auch Schluß damit!« ???? Von diesem Gespräch hat sich jemand entmutigen lassen! Mittwoch, d. 9.12.36. [9. Dezember 1936] Am Montg. Abd. bei O., traf nur Frau O. [M.]. Er ist in dieser Woche wieder zur Kirchenführertagung eingeladen; die Einladg. trägt den Vermerk »Streng vertraulich«.646 Das ist noch nie dagewesen. Außerdem findet die Besprechung in Hannover, nicht in Berlin statt. Das ist bezeichnend u. kein Wort weiter darüber zu verlieren. Ich notiere nur noch: Hut über dem Telephon 647 (in B.). – Über irgendwelche Verhandlungen oder Entscheidungen in Berlin hatten sie keine Nachrichten. – Er wird also wohl Donnerstg. u. Freitg. nicht hier sein. Frau O. [M.] erzählte, O. sei am Sonntag in Metzels gewesen; dort habe die B.K. ein Haus gekauft – (in dem sich also wohl ein Versammlungsraum befindet). O. hätte vor etwa 150 Menschen, die Kopf an Kopf dastanden, gesprochen. Gleichzeitig habe Lehmann in der Kirche gesprochen – vor 40 Menschen, die aus der ganzen Umgegend zusammengeholt waren. Frau O. [M.] erinnerte noch an die Art, wie der Landrat dort den Hilfspfr. Wolf schikanierte: Es wurde ihm gesagt, wenn er wieder nach Metzels ginge, würde er verhaftet. Er ging trotzdem hin – u. wurde nicht verhaftet.648 Ein Beweis, daß man solche Drohungen schlankweg aus dem Ärmel schüttelt, ohne irgendeinen gesetzl. Hintergrund, bloß um zu quälen u. einzuschüchtern. Ekelhaft. In Kaltenwestheim hat die B.K. 4 Räume (wahrscheinl. große Stuben in Familien), in denen Andachten gehalten werden. Es müssen an jedem Sonntag 4 gehalten werden. Neulich sind bei einem Abend wohl 200 Menschen gekommen. Beim L.K.R. scheint vom Kirchenministerium noch keine Nachricht eingegangen zu sein. Augenblicklich fehlen fast alle Kirchenräte: Sasse, Franz, Tegetmeyer u. Leutheuser sind in Berlin, wohl in d. »Bundeskanzlei«649; Volk u. Lehmann sind krank, Stüber hütet das Haus. Müller wollte von mir eine bestimmte Zeitschrift mit der Entschließung der Pfarrervereine (»man kann nicht gleichzeitig gegen d. Bolschewismus u. gegen das Christentum kämpfen« pp).650 645 646 647 648 649 650

Schreiben des LKR der TheK an alle Pfarrämter vom 5. Dezember 1936, LKAE, A 851, 231. Die Konferenz fand am 10. und 11. Dezember in Hannover statt; vgl. Meier, Kirchenkampf II, 122; Besier, 603. Soll wohl heißen: Man möchte keine unerwünschten Zuhörer. Zum Fall Wolf-Metzels vgl. Biogramme. Gemeint ist die Kanzlei des Bundes für Deutsches Christentum. Der entscheidende Passus lautet: »Schicksalsverbunden mit unserem Deutschen Volk kämpft die Deutsche Evangelische Kirche den Kampf des nationalsozialistischen Staates gegen den Bolschewismus mit Entschlossenheit mit. Denn die letzte Wurzel des Bolschewismus ist Haß gegen Christus und seine Kirche. Die Blutopfer der evangelischen Kirche in diesem Kampf sind des Zeuge. Gleichzeitig aber den Kampf gegen den Bolschewismus und das Christentum führen, ist unmöglich. Es muß daher erwartet werden, daß in unserem Volke den Schmähungen der Bibel, der

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Er brachte zur Verdeutlichung ein Schreiben von Lüdecke-Sonneberg, das sich auf diese Entschließg., (die dem K.min., allen anderen Ministerien, der Partei u. dem Führer zugegangen ist) bezieht. Diese Entschließg. wird ein Ultimatum genannt, das die Pfarrerschaft an Staat u. Partei richte. Müller drehte das Blatt nicht um, aber ich weiß, daß Lüdecke hierher gemeldet hat, er sei aus dem Pfarrerverein ausgetreten. Jedenfalls mit dieser Begründung. M.W. hat der L.K.R. beschlossen, in dieser Sache nichts zu tun. Einige Obpfr. haben in Abschrift einen Protest übersandt, den sie dem K.min. in der Sache der letzten Veröffentlichungen des K.A. eingereicht haben. Darunter waren Anhalt u. Noack. Interessant sind die heftigen Angriffe, die das Dinter’sche Blatt »Die relig. Revolution« jetzt gegen die Thüringer schleudert. Die Ansicht des R.K.A., daß es sich bei den Thüringern nicht mehr um Christen handelt, wird auch von ihnen gestützt. Bedeutsam ist eine neue staatliche Verordnung, wonach man auf Fragebogen jetzt außer der Konfession oder Weltanschauungsgemeinschaft angeben soll, ob man »gottgläubig« ist oder »glaubenslos« (gottlos).651 Es ist ein Versuch, die Behauptg. der Kirchen, daß die Front in Dtschld Christentum oder Bolschewismus hieße, zu überwinden. Das wird ihnen nicht gelingen, denn eine Front der Glaubenslosen (Gottlosen) wird überhaupt nicht in Erscheinung treten. Jeder wird sich hüten, sich als »glaubenlos« zu bezeichnen. (Die Bezeichnung »Dissident« ist abgeschafft).652 Dieser Vorwurf, im Neuheidentum verbergen sich zahlreiche alte »Gottlose«, scheint doch sehr getroffen zu haben. Es wird aber immer klarer, daß sie richtig ist. Kürzlich wurde ausgegraben: Grabert, der aus der D. Gl. [DGB] ausgeschiedene ehemal. Redakteur des »Durchbruch«, der jetzt eine eigene völkische Bewegg. aufgemacht hat (es gibt 16!)653, hat im Jahre 1932 in der »Kommenden Gemeinde« der Kirche Vorwürfe gemacht, daß sie den kommunist. Pfr. Eckert ausgeschlossen hatte! Die »Neue Fr. Presse« Wien dementiert, daß Faulhaber zum 2. mal bei Hitler gewesen sei.

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christlichen Kirche, ihrer Einrichtungen und ihrer Diener unverzüglich ein Ende gemacht wird« (Protestantenblatt 69 [1936], 753). »Gottgläubig. Am 26.11.1936 durch Runderlaß des Reichsinnenministers eingeführte Identifikationsformel für Personen, die weder einer Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft angehören noch sich als glaubenslos bezeichneten wollten« (Enzyklopädie des Nationalsozialismus, 493). Runderlass des Reichsinnenministers betr. Bezeichnungen religiöser Bekenntnisse vom 26. November 1936, in: Dokumente zur Kirchenpolitik III, 279. Demzufolge sollte nun unterschieden werden zwischen (a) Angehörigen einer Religionsgemeinschaft oder einer Weltanschauungsgemeinschaft, (b) Gottgläubigen, (c) Gottlosen. Der Begriff »Dissident« wurde in dem Erlass ausdrücklich als nicht mehr zeitgemäß verworfen. Zu Grabert vgl. Biogramme; er trat zusammen mit Hans Kurth aus der Deutschen Glaubensbewegung aus; vgl. JK 4 (1936), 899. Zusammen gründeten sie dann im Oktober 1936 die Deutschgläubige Bewegung; vgl. JK 4 (1936), 942. 948–950; vgl. Nanko, Die Deutsche Glaubensbewegung, 287; offenbar war aber Grabert anders als Kurth nicht Schriftleiter des Durchbruch. Zur Anzahl der deutschgläubigen Gruppen vgl. JK 4 (1936), 950; in Wirklichkeit dürften es noch mehr gewesen sein, als die Tagebuchschreiberin gezählt hat.

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In der Schweiz hat d. Prozeß gegen den Mörder Gustloffs begonnen. Die Vorbereitungen in d. dtsch. Presse deuten auf Abwehr hin. Eine Versammlungswelle geht durchs Land. (Versammlungsruhe v. 15.12.–15.I.) Ein Angestellter sagte mir, daß die D.Chr. eine neue Hetze gegen den alten Pfr. Thieme Neuenhof beschlossen hätten, der in etwa ½ Jahr sowieso abgehen muß. – B.K. ganz gemein soll Schill hetzen. 10.12.36., Donnerstg. [10. Dezember 1936] Gestern Abd. noch einmal bei O. um möglichst noch etwas zu erfahren – doch war es vergebens. O. gestern mittags nach Hannover abgereist. Gestern Abend sollte der luth. Rat tagen, heute (u. viell. morgen ?) die Kirchenführer.654 Frau O. [M.] wußte nichts, als daß Mitzenheim mitgeteilt hatte, er hätte von verschied. Seiten – auch von d. Reichspressekammer – die Weisung bekommen, nichts aus d. letzten Gesetzblatt der D. Ev. Kirche abzudrucken u. auch nichts zu kommentieren. Es dürfen also die Kirchenblätter über die z.Zt. wichtigsten Vorgänge innerhalb der Kirche nicht berichten. Alles soll totgeschwiegen werden.655 Bei Wessinger, dem Führer der Thür. Mitte, sei bereits die Krim.pol. gewesen u. habe die Listen derjenigen Pfr. haben wollen, die die gemeins. Absage an den L.K.R. unterschrieben haben. Das geht natürl. vom Pflugensberg aus. Die Krim. Pol. scheint bereits ganz eingebaut in das deutsch-christl. System. Wessinger hat keine Listen gehabt. Da hat man ihm aufgegeben, sie aus dem Kopf aufzustellen. (Das ist doch Unsinn, das kann doch keiner!) Sonnbd., d. 12.12.36. [12. Dezember 1936] Die englischen Angelegenheiten halten uns in Spannung. Das empfinde ich wohltuend, denn die Kirchenpolitik lastet z.Zt. fast untragbar schwer. Die ganze Woche über war der Betrieb auf dem Pflugensberg verwaist. Volk u. Lehmann krank, alle anderen in Berlin bis auf Stüber, der zeitweilig vorhanden gewesen sein soll. Niemand wußte, was eigentlich im Raum der Kirche vorging. Es gab noch nicht einmal Gerüchte. – Gestern Abend Bekenntnisgemeinschaft hinter der Mauer.656 Um ¾9 Uhr kam Otto, unmittelbar aus Berlin. Er sprach dann selbst. Sehr ernst, aber innerlich frei u. mutig. Er hat eigentlich noch nie so freudig über diese Dinge gesprochen. Er betonte, daß keine menschlichen Sicherungen mehr für die Kirche da seien. Wohin der Kurs steuert, ist aus der Tatsache klar geworden, daß der umkämpfte Staatssekretär Muhs ernannt worden ist. Kerrl wird offiziell Kirchenminister bleiben, sich aber voraussichtl. nicht mehr um die Dinge kümmern. In Lübeck, das von der Thür. Richtung beherrscht wird, ist Folgendes geschehen: Von den 25 Pfarrern dieser Kirche hat der Kirchenleiter (?) die 9 Bekenntnispfarrer zum 1. Januar ohne Pension glatt entlassen, ohne Verfahren natürlich u. ohne rechtliche Grundlage.657 Der Weg über die 654 655

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Zu beiden Konferenzen vgl. Besier, 603. Diese Weisung dürfte wohl auf die Intervention Kerrls zurückgehen, dass die Resolutionen der Kirchenführerkonferenz, also auch die im Gesetzblatt bereits veröffentlichten, möglichst keine weitere Verbreitung finden sollten (vgl. Besier, 601). »Hinter der Mauer« (gemeint ist die Stadtmauer) befand sich das evangelische Vereinshaus mit dem Gemeindesaal der Stiftsgemeinde; vgl. Tagebucheintragung vom 15. Juni 1934. Zur Entwicklung des Konflikts und der Entlassung der neun Pfarrer vgl. Meier, Kirchenkampf II, 255–259, bes. 258. Die Entlassung wurde am 5. Dezember 1936 rückgängig gemacht.

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Gerichte ist dadurch aussichtslos, daß jedes Verfahren, bei dem der Rechtsweg zulässig ist, bekanntlich der Beschlußtelle im Kirchenministerium vorgelegt werden muß. Dort bleibt es liegen. Schluß. – Man rechnet damit, daß in gleicher Weise überall verfahren werden wird. In Mecklenburg ist ja ein entsprechendes Gesetz bereits erschienen.658 Der Thür. Entwurf vom 9.10. liegt bekanntlich noch im K.min. u. wird ja nun wohl auch bald genehmigt werden.659 Der Kirchenausschuß hat keine Antwort auf seine letzten Vorstellungen erhalten, der Bruch ist Tatsache. Aber der K.Ausschuß denkt nicht daran zurückzutreten. Mehr sagte O. hierüber nicht. Er wies darauf hin, daß immerhin die Lage für Muhs jetzt schwieriger sei als vor 2 Jahren für Jäger. Man könne die Landeskirchen jetzt nicht mehr »einzeln abschießen«. Sie stünden zusammen u. träten für einander ein. In welcher Weise das verwirklicht werden solle, wollte er nicht sagen. Es müßten, je größer die Not würde, nicht nur von den im Amt befindlichen Pfarrern, sondern auch von den Landeskirchen erhöhte Opfer gebracht werden (dabei fällt mir aus einer der letzten Kirchenzeitungen eine Bemerkung von Dibelius ein: Haben wir schon die Freikirche? – Angesichts der Hunderte von Vikaren u. Geistlichen, die von der B.K. besoldet werden). – O. betonte außerdem, daß er u. der Leiter der »mecklenburg. Bekenntnisgemeinsch., Dr. Beste, diesmal als »ordentliche Mitglieder der Kirchenführerbesprechung«, nicht nur als Referenten teilgenommen hätten. Er sprach sich hierüber aber nicht näher aus. – Die Kirche sei »im Schmelztiegel«. Immer wieder schwebe ihm das Bild vor: »Gewogen, gewogen, u. zu leicht befunden«. Es würde jetzt abgeschlagen, was untauglich sei, bis der echte Kern freigelegt sei. Eine Rede von Baldur v. Schirach am Mittwoch Abd. hat beträchtliches Aufsehen erregt. Er redete so milde Töne, daß man an einen Kurswechsel denken müßte – wenn man nicht, nach all den bisher gemachten Erfahrungen, zunächst doch nur an eine taktische Wendung glauben kann. Die gesetzliche Eingliederung der Jugend ist natürlich ungeheuer einschneidend660 für die kathol. Gebiete. Scriba hat eine Art von Dankgottesdienst vor den Schwestern des Diakonissenhauses gehalten: »Unsere Gebete sind erhört!« Und die Schwestern kamen mit dieser Botschaft strahlend zu Brakhage!! – Im Pred.sem. haben die D.Chr.Kandidaten verkündet: »Nun ist die Bahn frei für die Arbeit der Kirche in der Jugend – frei und natürlich wird die Kirche nun versagen!« Wie man freie Bahn für die Arbeit der Kirche an der Jugend aus der Rede Schirachs herauslesen kann, ist mir allerdings nicht klar, denn es ist nichts zugestanden, was bisher nicht auch schon gestattet war.661 Ich fragte Mitzenheim, wie die Angelegenheit seines Sohnes (Beurlaubung von der

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Gesetz zur Sicherung der Ordnung in der Evangelisch-Lutherischen Kirche Mecklenburgs vom 27. Oktober 1936 (vgl. Beste, Kirchenkampf in Mecklenburg, 1975, 172). Vgl. »Entwurf. Gesetz zum Schutz der Rechtseinheit der Thüringer evangel. Kirche«, LKAE, A 738, 43–44; vgl. Tgb. 2. November 1936. Zur Eingliederung der evangelischen Jugendverbände vgl. Tgb. 29. Dezember 1933. Es gab innerhalb der Bekennenden Kirche die offenbar weit verbreitete Meinung, dass sich die kirchliche Jugendarbeit nun ganz auf Bibel und Bekenntnis konzentrieren könne, nachdem sie gleichsam durch die Hitlerjugend von weltlichen Angelegenheiten, wie sie etwa die bündische Jugend mit Spielen, Turnübungen, Fahrt und Lager pflegte, »entlastet« war; vgl. dazu z.B. Hammelsbeck, Der Kirchliche Unterricht, 162.

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H.J. wegen des Besuchs der Bibelstunden seines Vaters) stünde; das müßte doch nun auch in Ordnung kommen – eigentlich. Er zuckte die Achseln.662 Man spricht von einem Geheimerlaß von Heß; die Angriffe auf Kirche u. Christentum müßten aufhören. Es ist die Frage, wie weit ein solcher Erlaß durchdringt. Man hat zu oft erlebt, daß er in den oberen Regionen hängen bleibt u. die Unterführer weiter machten, was sie wollten. Heute war ich nicht im Dienst wegen Mutters Zustand. Es wird schwer werden, den Triumph der D.Chr. da oben zu ertragen. Seit 3 Jahren laufe ich nun Spießruten als »Hochverräter«. Die neueste Nr. des »Posit. Christentums« bringt Andeutungen über einen Vertrauensbruch im Büro der B.K. in Bezug auf den Brief der V.K.L. an Hitler vom Mai des Jahres.663 Diesen Brief nennen sie »hochverräterisch«. Ich finde, diejenigen treiben Hochverrat, die so tun, als dürften Deutsche dem Führer des Volkes nicht mehr sagen, was sie auf dem Herzen haben. – Detaillierte Enthüllungen werden angekündigt. Schwer ist, daß, wie Otto sagte, jetzt auch die »Dahlemer Brüder« sich zum »Luth. Rat« u. dem Kirchenausschuß pp. feindlich stellen. Ich möchte wissen, wie lange sie das angesichts der neuesten Entwicklungen noch durchführen können. Sie greifen sogar den luth. Rat noch heftig an! Schwer ist mir auch, neuerdings manchmal zu merken, wie das Interesse u. die Sympathie, die Manche für die Sache der Bekenntnisgemeinschaft zeigten, doch äußerlich begründet ist. O. erzählte, die »Thüringer« gingen bei Muhs ein u. aus. Sie hätten die ganze letzte Woche getagt. Was mag da herauskommen? Muhs war Regierungspräsident in Hildesheim, zuletzt a.D. Dem Bund f. dtsch. Ch.tum scheinen sich nun auch die anderen D.Chr.-Kirchenregierungen Thür. Richtg. [KDC] angeschlossen zu haben, die am 10.11. noch gezögert hatten.664 Das ist aber nur eine Annahme von O. Von staatlicher Stelle aus Weimar (Ministerium? Oder Geh. St.pol.?) ist O. mitgeteilt worden, daß er keinerlei kirchenregimentliche Befugnisse für sich in Anspruch nehmen dürfte.665 Sonntg., d. 13.12.1936, 3. Adv. [13. Dezember 1936] Heute sprach O. in der Georgenkirche. Kollekte »für die Schriftenmission der Bek.gemeinschaft in Thür.« M.W. ist die Bestimmung der Kollekten kirchenregimentl. Zuständigkeit? Aber bei diesem Beispiel wird wieder klar, daß es sich bei Ottos »Kirchenregiment« völlig um Innerkirchliches handelt. Die Polizei würde sich vermutlich selber sehr komisch vorkommen, wenn sie an dieser Kollekte Anstoß nehmen sollte. Montg., d. 14.12. [14. Dezember 1936] Morgenandacht von Jansa. Wir sangen: »Nun jauchzet als ihr Frommen, zu dieser Gnadenzeit …« Ich dachte, jetzt wirds ganz kirchenpolitisch – aber es wurde nicht ganz so 662 663 664 665

Vgl. Tgb. 2. November 1936. Zur Denkschrift an Hitler vgl. Tgb. 25. Juli 1936. Zur Gründung und Beteiligung am BfDC vgl. Tgb. 11. und 16. November 1936. Schreiben nicht auffindbar; vgl. aber Schreiben des Bruderrats der LBG an den Reichsminister für die kirchlichen Angelegenheiten vom 5. Dezember 1936, LKAE, LBG 55, 150, aus dem sich der Eingriff der Gestapo ergibt.

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schlimm. Ich hörte inzwischen – die Sauckelversammlung heute Abd. im Fürstenhof sei abgeblasen. Sauckel müsse nach Berlin zum Führer (Sl. soll neulich in einer Versammlung gesagt haben, Christentum wäre weiter nichts als Bolschewismus). Neulich seien alle Gauleiter (u. Reichsstatthalter?) zusammengerufen. Es drehe sich um die Dinge, die in Oldenburg geschehen sind, wo die Bauern in einer Versammlg. des Reichsstatthalters solange Sprechchöre gemacht haben, bis der Gauleiter versprochen hat, das Verbot der Kreuze u. Lutherbilder in den Schulen zurückzunehmen.666 Am Sonnabd. sei ein Schreiben des K.min. hier eingegangen, in dem das K.min. dem L.K.R. den Vorschlag mache, sich mit Ernst Otto in der Frage der Geldstrafe zu vergleichen.667 Die Herren hätten sich »furchtbar geärgert, daß Kerrl nicht einmal wage«, hier ein energisches Wort zu sagen. Kerrl u. Muhs seien am Sonnabend beim Führer gewesen (Zoellner u. Marahrens nicht!668) Man kann doch nicht immer nur eine Seite hören! Einwandfreier Nachweis: Der »Bund f. dtsch. Chr.tum« (die nat.kirchl. Bewegung …« [KDC] scheint ganz ausgelöscht zu sein?) hat die Verteilung von 15 000 Flugblättern, vierseitig, mit der Rede des Reichsstatthalters669 finanziert (150 M). Das ist die Rede mit d. Beschimpfg. der Pfarrerschaft u. dem Schlagwort »D. Heil kommt nicht von Juda«.670 Vielleicht vertreten d. Herren jetzt auch d. Standpunkt, daß Christentum Bolschewismus sei? Denn anders kann man diese Handlung doch nicht auffassen. Geistige Krankheiten stecken rasend an. Mir sagte jemand, das Flugblatt sei hier »überall« in die Briefkästen gesteckt worden. Bei uns nicht – vielleicht da, wo man die nat.sz. Ztg. nicht liest. Glaubhafte Mitteilg. Hitler wolle jetzt selbst zur Kirchenfrage öffentlich das Wort ergreifen, wahrscheinl. noch vor Weihnachten! Dabei wolle er »endlich« auch den Bekenntnisleuten Bescheid sagen. 666

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Zum Kruxifixstreit vgl. Tgb. 29. November und 4. Dezember 1936. – »Man sah sich gezwungen, den Erlaß wieder zurückzunehmen, was am 25. November in eine Massenversammlung vor 7.000 Teilnehmern in der Münsterlandhalle in Cloppenburg geschah, wo Gauleiter Röver nach einer reichlich unglücklichen Rede einen neuen Erlaß bekanntgab, der am 26. November 1936 im Ministerium der Kirchen und Schulen in Oldenburg abgesandt wurde« (Kuropka, »Das Volk steht auf«, in: Kuropka, Zur Sache – Das Kreuz, 13). Röver war ab 1933 auch Reichstatthalter von Oldenburg und Bremen. Zur historischen Rekonstruktion der Cloppenburger Versammlung vgl. Amalia dos Santos Mauricio, Wie ist dieVersammlung in der Münsterlandhalle am 25. November 1936 wirklich verlaufen?, in: Kuropka, Zur Sache – Das Kreuz, 357–365. Der Verfasserin zufolge gab es Zwischenrufe und Sprechchöre, deren Ausmaß allerdings nach den vorliegenden Berichten von Augenzeugen nicht mehr genau zu bestimmen ist. Vgl. Schreiben des Reichs- und Preußischen Ministers für die kirchlichen Angelegenheiten an die Rechtsanwälte Dr. Prehn und Dr. Lotz sowie an den LKR der TheK vom 9. Dezember 1936, LKAE, G 809, 76. Das Ersuchen des Ministers wurde mit Schreiben vom 25. Februar 1937 wiederholt (ebd. 82). Der LKR antwortete mit Schreiben vom 13. Juli 1937 (ebd. 85), indem er den angebotenen Vergleich ablehnte; er könne nicht zugestehen, dass auf dem Wege eines Zivilprozesses eine zu Recht erhobene disziplinarische Maßnahme des LKR außer Kraft gesetzt werden könne. Zur Bemühung um einen Empfang für Zoellner und Marahrens vgl. Tgb. 29. November 1936. »Und wenn die Welt voll Teufel wär«, Eisenacher Zeitung 14 (1936), Nr. 239 vom 12. Oktober 1936 [Titelblatt sowie die folgende Seite]. Entgegen der klaren Aussage in Joh 4,22: »Das Heil kommt von den Juden.«

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Es wird mir versichert, daß die Herren keine triumphierenden Minen zeigten. Sasse fährt heute wieder nach Berlin, in den »Bund« [BfDC]. Von anderer Seite erfahre ich, daß auch Franz u. Tegetmeyer mit nach Berlin fahren. Sie können es wohl nicht aushalten hier die Ereignisse der Gauleitertagg. abzuwarten. Im »weißen Saal« ist Kandidatenprüfung. Es wird mir wiederholt versichert, daß unsere Herren keine sieghaften Gesichter machten. Sasse hätte nirgends Ruhe u. liefe dauernd umher. Leutheuser sei noch nie so klein gewesen. Neue Nachricht: Tegetm. bleibt hier, morgen kommt der Rechnungsausschuß. Eindrücke eines Eingeweihten: Franz hat nur noch Interesse für den »Bund«. Was sonst noch an Akten vorliegt, ist ihm ganz egal. Es besteht d. Eindruck, daß man sich nur noch auf Sauckel stützt. (Den Eindruck haben wir schon lange). Dienstg., d. 15.12.36. [15. Dezember 1936] Heute neue »Argus«-Ausschnitte.671 Darunter die »Times« v. 10.12.36. Sie hat Thüringen entdeckt. Im Gesetzblatt der D.E.K. – Der Bericht ist – soweit er von den kirchl. Stellen berichtet – nicht ganz klar, unterrichtet ganz oberflächlich. Es wird mitgeteilt, daß Kerrl unfähig gewesen sei, staatliche Eingriffe in die Kirche zu verhindern u. daß an der Parteiopposition die Ordnung der Dinge in Thüringen u. Mecklenburg gescheitert sei pp. Gestern Abend bei O. Ich bekam einen detaillierten Bericht über die Versammlg. in Cloppenburg mit Gauleiter Röver am 25.11. zu lesen. Das ist allerhand. Im Münsterland haben sich an einzelnen Orten ganze Parteiorganisationen aufgelöst, weil die Leute aus der Partei ausgetreten sind. Massenhaft wurden Ämter zur Verfügg. gestellt, Bürgermster. weigerten sich, weiter im Amt zu bleiben pp. Das sind Katholiken. Wir Protestanten habens schwerer.672 O. telephonierte mit Ziegner. Der sei vollkommen erschlagen gewesen von dem Scheitern der Befriedungsaktion in Thüringen durch den Bruch zwischen Kerrl u. Zoellner. Er habe das K.min. angerufen u. gefragt, ob er hinkommen solle. Stahn hat geantwortet: »Ja, sehr gern. Vor allem müssen Sie Herrn Muhs berichten …« Die wären ja froh, wenn sie einen hätten! – Ziegner ist sich schließlich glücklicherweise doch darüber klar geworden, daß er dem R.K.A. jetzt nicht in Rücken fallen darf. (Die Neutralen sind neu im Kirchenkampf u. Püffe noch nicht gewöhnt 673). Heute wurde mir hier gesagt, Sasse hätte nach der letzten Rückkehr aus Berlin (Freitg. Abd) erzählt, die ganze vorige Woche über seien in Berchtesgaden beim Führer Verhandlungen in der Kirchenfrage gewesen unter Zuziehg. der Minister Goebbels u. Göring (warum nicht auch Anderer?) Goebbels hätte gesagt, der Staat müsse jetzt die Kirche fallen lassen; aber Blomberg u. Neurath (also doch wohl das ganze Kabinett anwesend) hätten sich sehr stark für die Kirche eingesetzt. Hitler hätte gesagt, er sei 671 672 673

Zum Argus-Nachrichtenbureau vgl. Tgb. 27. Mai 1933. Zu den Details des Berichts vgl. die verschiedenen Beiträge in: Kuropka, Zur Sache – Das Kreuz, 1987. Zu dieser Feststellung der Tagebuchschreiberin über die »Neutralen« bzw. »Mitte« vgl. Tgb. 6. Mai, 29. Juli und 28. August 1936, insbes. die hier einschlägigen Fußnoten.

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Christ u. würde Christ bleiben. Er würde sich von jetzt an selbst mit den Kirchensachen befassen. – Was davon wahr ist? Den Nachrichten unserer Herren ist nicht zu trauen. Von der Oldenburger Geschichte weiß man offenbar im ganzen Haus. Beim Heraufgehen heute früh auf d. Pflugensbg. in d. Dunkelheit hörte ich hinter mir Jansa reden: »Na in Berlin stehen die Dinge jetzt so, daß bald andere Leute ›wackeln‹ können …« offenbar als Antwort auf eine Frage. Ich bin auf alles gefaßt. Mittwoch, d. 16.12. [16. Dezember 1936] Gestern Abd. noch bei O. Er hatte eine Nachricht bekommen, die ganz geheim behandelt werden muß. Schacht hat die Denkschrift des Kirchenausschusses über die antichristl. Propaganda674 beantwortet u. zwar restlos zustimmend. Er hat hinzugefügt, diese kulturbolschewistischen Dinge wären seiner Meinung nach das, was Deutschland am meisten schädigte! – Allerdings solle Schacht gerade jetzt wieder einmal wackeln. Donnerstg., d. 17.12.36. [17. Dezember 36] Heute früh Besuch im Büro. Zuerst: Der Rechnungsausschuß tagt immer noch u. soll bis Freitg. Abd. hier sein. Gleichzeitg werden im weißen Saal Kandidaten geprüft. Die Kirchenräte samt Labi sind wieder vorhanden. Sonnabend soll »Sitzung« sein. Jemand, der es wissen muß, sagt: »Ich bin neugierig, was sie da wieder für Gehässigkeiten aushecken.« ( )i. Über den Rechnungsaussch. wird von ( )c berichtet. H. hat ( )c in sein Zimmer geholt u. sein Herz ausgeschüttet. Es handelt sich wieder einmal um die Reisekosten. Es wird dauernd Vorschuß genommen u. nicht abgerechnet. H. mahnt u. schimpft u. jeder zuckt die Achseln. Auch Volk. Wenn er Tegetmeyer was sage, dann habe der keine Zeit. H. sei in äußerster Aufregung gewesen, beinahe nicht mehr normal. Er habe erzählt, der Rechnungsausschuß habe ihm zugestimmt u. geäußert, so könne das nicht mehr weiter gehen. Man müsse mit dem Labi sprechen (der unterschreibt alle die Vorschußforderungen!) Der Rechnungsausschuß könne das nicht weiter mit ansehen! – Erklärend wird mir mitgeteilt, es sei eben immer so, daß keiner der Herren wage, den »Kameraden« Vorwürfe zu machen. Wahrscheinlich, weil es dann gleich »Sabotage« genannt wird! Sauckel wird schon dafür sorgen, daß alles gut ausgeht – denken die Herren. Dann entdeckte ich im Zeitungsfach das neueste Gesetzblatt der D.E.K. Der R.K.A. gibt bekannt, daß er »die leitenden kirchlichen Amtsträger« der geordneten Kirchen regelmäßig zusammenrufen u. auch vor allen wichtigen Entscheidungen u. Beschüssen hören wird. Mindest. 1 x monatl.675 Dazu rechnet er die Kirchenführer u. Ausschüsse in den geordneten Kirchengebieten u. die Vertreter der Bruderräte (Vertrauensräte) in solchen noch nicht geordneten Kirchengebieten, deren kirchliche Leitung 674 i c c 675

Vgl. Tgb. 29. November 1936. Strichzeichnung Frauenkopf mit Hakenkreuz, steht für Gertrud Walter, vgl. Übersicht Strichzeichnungen. Strichzeichnung Frauenkopf mit Locken, steht für Hanna Linde, vgl. ebenda. Strichzeichnung Frauenkopf mit Locken, steht für Hanna Linde, vgl. ebenda. Bekanntmachung über die Zusammenarbeit des Reichskirchenausschusses mit den Landeskirchen, GDEK B (Altpreußen), 1936, 121.

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»bekenntnismäßigen Bedenken unterliegt«. Ausdrücklich genannt sind Thüringen, Mecklenburg u. Lübeck. – Oldenburg, Anhalt u. Westfalen sind nicht genannt. Die halten wahrscheinlich zu Niemöller. Es folgt die Wiedergabe einer Entschließg. dieser »Kirchenführer-Konferenz«, wie O. sie nennt. (Da leben die alten Bischofskonferenzen wieder auf). Jetzt muß ja jeder sehen, wohin die Kirchenführer steuern: Anerkennung des R.K.A. als kirchliche Spitze, falls sie vom Staat abgesetzt werden. Die Thür. D.Chr.-Pfarrer müssen sich ja nun auch Gedanken machen über das hochfahrende Rundschreiben des L.K.R. nach Erscheinen der Nr. 31 des Gesetzblattes der V.D.K.676 am 5.12. Was wird Kerrl nun sagen? Wir sitzen wie auf einer Wippe – so kommt mir wenigstens meine Lage hier im Haus vor. Einmal sind wir hoch u. die anderen sichtl. verlegen (im Sekretariat sahen alle auf ihre Akten, als ich herein kam) oder alle gucken mich frech an u. ich gucke natürl. nicht weg, muß mich aber scheußlich zusammennehmen. Ein Wort, das Leutheuser kürzlich auf die Bekenntnisgemeinschaft anwendete, heißt: »Das Bekenntnisgeschmeiß«. Morgen kommen wieder Kirchenzeitungen. Davor habe ich diesmal Angst. Eben kommt ein atemloser Bote: Unten habe Meyer-Erlach Langner gegenübergesessen u. plötzlich laut losgebrüllt: »Die verdammten Schweinehunde! Sollen doch nach Rußland gehen! Da werden jetzt Bekenntnispfarrer gesucht!!!« Wahrscheinl. habe er das Gesetzblatt in d. Hand gehabt. Na – nun finden sie hier plötzlich natürlich auch alle, daß es »so« nicht weiter gehen kann. Aber wir stehen 8 Tage vor Weihnachten. Ob Kerrl vorher noch eingreift? nachmittags. Höher gehts nun vielleicht doch nicht! Therese brachte mir den neuesten kirchl. Anzeiger 677, … ausgegeb. am 15. Dez., mit. 1.) eine Veröffentlichung des »Bundes für D.Chr.« [BfDC], der sich der Landeskirchenrat, gez. Sasse, voll anschließt. Für den Bund zeichnen: Schmidt zur Nedden, Franz, Tausch.678 – Darin wird festgestellt, daß die Veröffentlichungen des R.K.A. in Nr. 31 des Gesetzblattes gegen den Nationalsozialismus gerichtet sind.679 Es wird sogar offene Gegnerschaft als möglich angenommen. Ob sich das K.min. diese Bevormundung gefallen läßt? Es wäre seine Sache gewesen, das festzustellen u. die Schuldigen sofort aus ihren Ämtern zu entfernen! Auch die Partei hat es hier offenbar an Wachsamkeit fehlen lassen!! 2.) Es wird außerdem der Brief veröffentlich, den der L.K.R. vor 8 Tagen an alle Pfarrer geschrieben hat.680 676 677 678 679

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Gemeint ist vermutlich: GDEK 31/1936. Thüringer Kirchenblatt und Kirchlicher Anzeiger [ThKbl/B] 24/1936. Vgl. Bund für Deutsches Christentum, ThKbl/B 1936, 125–126. »Die Veröffentlichungen zeigen ebenso wie die gleichzeitig im Mitteilungsblatt Nr. 5 veröffentlichte Kundgebung zur Schulfrage klar und unwiderleglich, daß der Reichskirchenausschuß und die versammelt gewesenen Kirchenführer im Grunde in einem unversöhnlichen Gegensatz zu den Grundsätzen und Forderungen des Nationalsozialismus stehen« (ThKbl/B 1936, 125). Zu diesen Veröffentlichungen vgl. auch Tgb. 29. November 1936. ThKbl/B 1936, 126; vgl. Tgb. 7. Dezember 1936.

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Das ist die tolle Lage. Das K.min. ist wirklich völlig hilflos. Zenker hat den Vergleichsvorschlag des K.min. an den L.K.R. als Armutszeugnis bezeichnet. Da hat er recht. Man denke sich eine Oberbehörde, die von der unteren Instanz um eine Entscheidung ersucht wird u. dieser Entscheidung aus d. Wege geht, indem sie einen Vergleich vorschlägt, den doch keiner – nach Lage des Problems – schließen kann! Als wenn es sich um Mein und Dein handele! Und dann muß d. Lage doch grundsätzl. geklärt werden, sonst bricht sie bei jedem Bekenntnispfr. neu auf! Wenn Muhs weiter nichts kann, hätte er bleiben können, wo er war. Min.-Dir. Jäger ist Senatspräsident beim Volksgerichtshof geworden!!! (nachdem er als Kirchenjurist das Recht gebeugt hat!)681 Montg., d. 28.12.36. [28. Dezember 1936] Vor einem Jahr hätten wir uns nicht gedacht, daß wir heute noch nicht weiter wären! Sasse hat am Sonnabd. vor 8 Tagen, nach Abschl. der Prüfg., zu den Bek.kandidaten gesagt, keiner von ihnen hätte in Thür. irgendwelche Aussicht auf Anstellg. Der L.K.R. würde in jed. Falle mit d. Staat gehen.682 (Was er damit meinte, blieb schleierhaft). In der Prüfungswoche hatten die D.Chr. hier in der Nik.kirche [Nikolaikirche] 2 Veranstaltungen. An der 1. sprach Prof. D. Grundmann-Jena (aus Sachsen gekommen) über »Kirchenbewegung oder Kirchenerstarrung«. Da soll die Kirche zieml. voll gewesen sein. Am 2. Abd. hatten sie eine »Gottesfeier«683 mit Pfar. Daum; da waren 30 Men-

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Zu Jäger vgl. Biogramme; er wurde Senatspräsident am Kammergericht (OLG) Berlin, also nicht, wie die Tagebuchschreiberin annimmt, am Volksgerichtshof. Die Kandidaten der LBG sind entweder von der LBG illegal beschäftigt und erst 1945 eingestellt worden worden oder haben Aufnahme in anderen Landeskirchen gefunden; vgl. Stegmann, 48. 89. Der Archivbestand LKAE, LBG 143–144, enthält Akten zu den Lebenläufen und die Zeugnisse von insgesamt 20 Kandidaten bzw. Vikaren für die Jahre 1935–1940, die im Dienst der LBG standen. Auf einer anderen Liste aus dem Jahre 1937 sind elf Namen von Hilfspfarrern angegeben, denen mitgeteilt wurde, dass sie mit einer festen Anstellung in der Thüringer Kirche nicht zu rechnen haben. Auf einer weiteren Liste stehen acht Hilfspfarrer und Vikare, die aus dem Dienst der Thüringer evangelischen Kirche entlassen worden waren und nun im Dienst der LBG standen, LKAE, LBG 266, Jg. 1937, 2. Davon sind zu unterscheiden jene Hilfspfarrer, die im Dienst des LKR der TheK standen, denen aber die fällige feste Anstellung verweigert wurde, weil sie sich für die LBG als geistlicher Kirchenleitung erklärt hatten; vgl. Liste »Die Nichtanstellung von Hilfspfarrern, die der Lutherischen Bekenntnisgemeinschaft angehören«, vermutlich aus dem Jahre 1937, LKAE, LBG 266, Jg. 1937, 1. Spezifischer Begriff der KDC für »Gottesdienst«: »Der in der Form des jüdischen Jahwe-Dienstes verlaufende Gottesdienst ist durch die Deutsche Gottesfeier zu ersetzen« (Hempel, Entjudung, 522–533) – so lautete die allgemeine Forderung. Vgl. zur antisemitischen Attitüde des Begriffs auch Le Seur, Evangelischer Gottesdienst oder deutsche Gottesfeier? Gottesfeiern sollten für ihn »deutsche, von jedem Anhauch jüdischen Wesens gereinigte« Veranstaltungen sein, durch die »und in ihnen immer wieder« zum Ausdruck gebracht werden sollte, »daß ebenso gewiß, wie Christentum und Judentum schlechthin unversöhnliche und einander ausschließende Gegensätze sind, nach dem Willen und der Fügung des Schöpfers Christentum und Deutschtum zusammengehören.« Zur zeitgenössischen Kritik vgl. Beyse, Evangelischer Gottesdienst oder Deutsche Gottesfeier, JK 7 (1939), 272–279.

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schen drin. Sie sind gezählt worden.684 – Über den 1. Abd. hat Nitzsch eine Beschwerde an den R.K.A. gerichtet.685 Leichte ist mit 4 sr. Gothaer Pfarrer beim K.min. gewesen – Stahn. Bauer [G.] selbst hat gehört, wie er, Stahn, gesagt hat, die D.Chr. hätten keine Gemeinden hinter sich. Er selbst hätte früher Hunderte von Zuhörern gehabt – jetzt wäre er froh, wenn 50 da wären. Stahn hätte geantwortet, das K.min. – er selbst auch – hätten immer gedacht, das sagten bloß die B.K.-Pfr. Leichte möchte es doch einmal Muhs sagen. Vielleicht richtete er als alter Pg. u. alter SS-Mann etwas aus. Er, Stahn, könne garnichts mehr machen. Wie O. sagte, hätte Muhs die kindliche Idee, die nationalsozialistischen Evangelischen aufzurufen: »Her zu mir, wer zu Hitler hält …!« und mit ihnen Kirche zu bauen! Als ob das nicht dasselbe wäre, was der Reichsbischof schon versucht hat. Und CochSachsen u. so mancher andere. Der Rechnungsausschuß soll auch geschimpft haben: Politik passe nicht in die Kirche, die Gemeinden wollten das nicht u.s.w. An der Spitze Schmidt-Gera. Aber es wird natürl. nichts anders, solange diese Leute die Faust in d. Tasche ballen! Schmidt-Gera hätte neulich in Schmölln ganz christlich wie einst gepredigt. Die Gemeinschaftsleute [Landeskirchliche Gemeinschaft] hätten gesagt, da sähe mans, daß alles, was man gegen die D.Chr. sagte, Verleumdung wäre! (Erzählte die alte Frau Otto). – Die hätten Lehmann hören sollen in sr. »Andacht« hier oben vor 8 Tagen. Lauter Kampflieder der Bewegung686 – zur 4. Adventswoche. Und als Text: Wir sind nicht von denen, die da weichen.687 Es wurde dann nicht ganz so kirchenpolitisch, wie man hätte annehmen müssen. Mitten drin erhob sich Sasse u. ging aufs Örtchen, das sich am anderen Ende der Halle befindet. Coram publico. Rade sagte hinterher: »Ihm ist schlecht geworden.« Er hätte doch auch 1 Treppe höher in s. Wohnung gehen können! Sasse selbst hielt dann aber am 22. abends vor dem Betrieb am brennenden Christbaum eine Weihnachtsansprache, die bedeutend schlimmer war als das, was Lehmann sich geleistet hatte. Zum Schluß wandte er sich gegen den Baum: »Wir glauben …« Pause, Nachdenken, wie ein plötzliches Rückerinnern: »Ja, wir glauben wohl auch an Jesus Christus u. an d. Kind in der Krippe. Aber wir glauben …« und nun kam das Treuebekenntnis zu Hitler mit verstärkter Wucht: »Wir glauben an ihn, als ob es ans Kreuz ginge!!!!« 3 mal unterstrichen u. mit aller Lungenkraft in den Saal gebrüllt. Als ob ihnen jemand diesen Glauben nehmen wollte! Aber er ist doch nicht Inhalt der christl. Botschaft. Natürl. kann man sagen, es ist Christenpflicht, zu Hitler zu stehen. Aber man kann doch nicht Hitler an Stelle Christi setzen. Das tat die Ansprache des Labi.

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Einladungsschreiben des Leiters der Kreisgemeinde Eisenach-Stadt der Kirchenbewegung »Deutsche Christen« vom 12 Dezember 1936, LKAE, LBG 241, 142. Schreiben von NN. an den Reichskirchenausschuss vom 18. Dezember 1936, LKAE, LBG 241, 144–148. Vgl. dazu: Unsere Kampflieder, hg. vom Pfarrer- und Lehrerkreis des Wieratales, Verlag Deutsche Christen Weimar 1933. Hebr 10,39.

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In der letzten Dienststunde vor Weihnachten, am 24., verbreitete sich hier im Haus noch das Gerücht, Sauckel wäre mit einigen Prominenten an diesem Tag aus der Kirche ausgetreten.688 Götze sollte es gesagt haben. – Eben, als ich dies schrieb, war Btz. bei mir u. besprach den Kirchenaustritt Sauckels. Dazu kam ein Mann von nebenan: »Ja, ja, es ist wahr! Wissen Sies schon? Ich habe Zenker gefragt. Der hats bestätigt. Wenn Zenker es bestätigt, wird es stimmen. O. meint, daß das sich natürl. ungünstig für die D.Chr. auswirken würde. ( )a hat eine ganz gute psychologische Begründung dieses Schrittes: »Wahrscheinl. hat er entdeckt, daß »Unsere« ihn furchtbar angelogen haben«. Ob der Pflugensberg nun weiter wie bisher mit der Geh. St.pol. arbeiten kann? Sauckel soll »mit s. ganzen Stab u. mit den Prominenten bis hinunter zu den Kreisleitern« ausgetreten sein. Dann wäre der hies. Kreisleiter, Hoffmann auch ausgetreten, der ja mit in der Kirchenvertretung sitzt. Psychologisch kanns auch so sein: Man hat Sauckel gezeigt, daß seine Haltung im Kirchenkampf nicht neutral gewesen ist. Er hat etwas falsch gemacht. Er reagiert natürlich, indem er die ganze Kirche ablehnt. Jedenfalls glaubt er doch nicht mehr an einen Sieg der Thüringer. O. sprach am 1. Feiertag morgens u. gestern, Sonntag, nachm. ganz vorzügl. vor gut besetzter Kirche. Am 1. Feiertag war es sehr voll und – mehr Männer als Frauen in d. Kirche.689 Er sprach sehr unmittelbar packend u. ganz untheologisch. Eben war ich in d. Kantine: Die Nachricht von Sauckels Kirchenaustritt wird überall besprochen. Folgendes Märchen ist erfunden worden, um die Schuld an dieser Tatsache wieder den bösen Bekenntnischristen in die Schuhe zu schieben: Er hätte sein jüngstes Kind in Bayreuth taufen lassen, von einem Thür. D.Chr., u. da hätte man die Taufe nicht ins Kirchenbuch eintragen lassen wollen, weil die Thür. D.Chr. eine Sekte seien! Wenn das wahr wäre, dann müßte ja S. nun erst recht zu seinen Thüringern halten. Früher hat Leffler Sauckels Kinder in Weimar getauft. Übrigens hat Sauckel jetzt gar kein Kind bekommen – wie kritiklos solche Märchen gehört werden! In einem Telephongespräch mit einem Kirchenrat hat ein Beamter in sr. Antwort die Anfrage nach einem »Brief des Stellvertreters des Führers« bestätigt. ( )a u. ich überlegten, was in dies. Brief wohl gestanden haben könnte. Die letzte Ev. luth. Kirchenzeitung berichtete von einem im Büro Niemöllers in Dahlem vorgekommenen »Vertrauensbruch«. »Ev. im III. Reich« oder »Positives

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Am Tag vor Heiligabend 1936 telegraphierte Gauleiter Fritz Sauckel an Hitler: »Mein Führer, darf ich Ihnen hiermit gehorsamst meinen und meiner Frau Austritt aus der Evangelischen Kirche melden. Zugleich bitte ich meine herzlichsten und treuesten Wünsche sowie die meiner Familie für das neue Kampfjahr annehmen zu wollen« (zit. in: Besier, 226). Strichzeichnung Männerkopf, steht für Friedrich Bernewitz, vgl. Übersicht Strichzeichnungen. Hintergrund dieser Festellung ist die Genderfrage im Kirchenkampf. Die Tagebuchschreiberin registriert genau, ob mehr Männer oder Frauen in den Versammlungen der LBG sind, ausgehend von der Beobachtung, dass sie überwiegend von Frauen besucht werden; vgl. dazu Tgb. 21. November 1934 und dort verzeichnete frühere Eintragungen. Strichzeichnung Männerkopf, steht für Friedrich Bernewitz, vgl. Übersicht Strichzeichnungen.

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Chr.« berichteten noch ausführlicher:690 Im Niemöllerschen Büro in Dahlem habe »ein Jude« einen »Vertrauensbruch« begangen, indem er einen frühen Entwurf des Schreibens der V.K.L. an den Führer (vom Frühjahr) einem 3. in die Hände gespielt hätte. Es wird nicht gesagt »der Auslandspresse«. Also nicht die Abschrift oder den Entwurf des an Hitler gegangenen Schreibens selbst. Dazu höre ich weiter: Der Betr. ist von der V.K.L. entlassen worden. – Es ist sehr schlimm. Das hätte nicht geschehen dürfen.691 Ein D.Chr.-Beamter hat heute gesagt: »Es muß irgendwas los sein. Was redet »Tegetmeyer eigentl von »Übergabe«? Die Kirchenräte sollen heute sehr schlechter Laune sein. In der letzten Vorweihnachtswoche wurde mir erzählt (also vor etwa 10 Tagen) Sasse oder Franz hätten aus Berlin berichtet: »Es steht alles sehr günstig für uns. Schlimm ist nur daß so viele Gauleiter aus d. Kirche austraten.« Die Parteiführer verzweifeln eben an d. D.Chr. Es ist schon so, wie schon vor 3 Jahren prophezeit wurde: Der Kampf wird ausgefochten zwischen den Heiden u. der Bekenntniskirche. Die D.Chr. als Kompromißpartei werden zerrieben. Tschiangkaischek ist befreit! Es geschehen werkwürdige Dinge. Es hängt irgendein Verhängnis über uns, das spürt man. Die Jugend rechnet mit Krieg. Aber nicht freudig, wie 1914, sondern ergeben. Spanien … dort springt der Funke über.692 29.12., Dienstg. [29. Dezember 1936] Eine sehr komische Situation auf der Wendeltreppe. Ein paar Stufen unter mir Hugo Müller, eifrig dienstl. fragend nach einer Nr. der Allg. Ev.-luth. Kirchenztg (die neueste Nr. soll verboten sein – oder Protestantenblatt), ein paar Stufen über mir Rienäcker, der sich im Dunkel hielt u. von Müller nicht gesehen sein u. mich auch etwas fragen wollte! Es war sehr charakteristisch. Mittwoch, d. 30.12.36. [30. Dezember 1936] Eben Nachricht: »Kreisleiter« Noä, Kreisleiter der D.Chr. und pol. Ortsleiter, ist aus der Kirche ausgetreten (u. aus dem »L.K.R.« wurde gesagt, wahrscheinl. muß es heißen L.K.Tg., er ist Abgeordneter 1933, Lehrer in Waltersdorf bei Greiz. Böttcher soll es gesagt haben. »Na ja«, hat Sorge gesagt, »das kommt noch ganz anders, wenn ›das‹ so bleibt. Wieder eine Eilnachricht: Es ist eine »geplant. Angaben von Brauer (Sachbetreff!) Wann u. wie wissen wir nicht. Man ruft auch wieder die Geh. St.pol. an. »Christl. Welt« meldet in d. Nr. 24 v. 19.12., daß Lic. Hermenau, »maßlos enttäuscht«, bei den »Thüringern« wieder ausgetreten sei.693 690

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Vgl. Ruhmloses Ende in Dahlem, Evangelium im Dritten Reich 5 (1936), Nr. 51 (20. Dezember 1936). Zu den historischen Vorgängen vgl. den Stand der Forschung bei Greschat, Zwischen Widerspruch und Widerstand, 147–152. Gemeint ist Friedrich Weißler. Über seine Rolle vgl. Besier, 489–510; vgl. auch Tgb. 11. November und 12. Dezember 1936. Vgl. Tgb. 26. November 1936. »Der zu den Thüringer DC übergetretene Reichsleiter des Deutschchristlichen Evangelischen Frauendienstes Lic. Hermenau erklärt, daß er maßlos enttäuscht und wieder ausgetreten ist. Die aus dem Frauendienst ausgetretenen Gruppen sind vom Reichsleiter Rehm dem Pfarrer Krause in Frankfurt a.O. unterstellt worden« (ChW 50 [1936], 1154). Vgl. auch: Frauendienst und Thüringer

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Die gleiche Nr. (24) meldet: »Die Stift.urk. des am 10. Nov. begründ. Bundes f. dtsch. Chr.tum« ist u.a. unterzeichn. von Hossenfelder, Leffler und Weidemann.694 Ludwig Müller war zugegen und sagte Zeitungsberichterstattern, daß er sich nicht mehr für Kirchenpolitik interessiere, sondern nur religiös arbeite. Die erste Kirchenwahl sei eine rein parteimäß., im Grunde nicht kirchliche Angelegenheit gewesen; alle Schwierigkeiten, die ihm zuteil geworden wären, müsse er letzten Grundes auf eigene Fehler zurückführen. Bei einer Feier des genannten Bundes in Berlin sagte der mecklenburgische Landeskirchenführer Schultz in einer Predigt, das mecklenbg. Volk freue sich, daß es endlich eine Kirche bekommen habe, die ihm ein freies Christentum zusichere u. eine völlige Gleichberechtigg. aller Stände. Pr.Bl.695 47. Volksk. Sendg.696 27.«697

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nationalkirchliche Richtung, Evangelium im Dritten Reich 5 (1936), Nr. 45. Aus einem hier abgedruckten Schreiben Hermenaus vom 27. Oktober 1936 ergibt sich der nähere Grund für dessen Enttäuschung. Die Reichsgemeindeleitung der KDC in Eisenach habe nämlich einen »Instruktionskurs für Frauen in Friedrichroda« anberaumt, ohne sich dazu mit ihm, Hermenau, vereinbart zu haben. Er sei vor vollendete Tatsachen gestellt worden. Außerdem sei das entsprechende Schreiben der Reichsgemeindeleitung an ihn in einem Ton gehalten, »der dem Geist der ständig betonten Kameradschaft widerspricht«. Hermenaus Austritt war also nicht theologisch bzw. ideologisch motiviert. Vgl. auch die Darstellung in JK 4 (1936), 1066. Vgl. dazu Tgb. 11. November 1936, bes. die dem Berichtsteil zugehörige Fußnote. Protestantenblatt. Volkskirchliche Sendung. Wochenschrift für Freunde reichskirchlicher Arbeit. Meldung findet sich in: Die Freie Volkskirche 24 (1936), 614.

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2.2.5. Die Tagebucheintragungen 1937 Freitag, d. 8. Jan. 37. [8. Januar 1937] Am Sonnabd. Weimar (bei Metzners mit Franz zusammen, der unsympathisch saturiert redete u. irgendjemanden kopierte) u. abends nach Erfurt zum Gottesdienst, den Meiser in der Predigerkirche halten sollte. 7 Min. vor 8 trat ich in das Schiff u. sah, daß im Schiff kein Platz mehr da war. Ich ging nach der Kanzel zu u. begegnete da Ernst Otto, der, innerlich offenbar stark beschäftigt, sagte, es sei auch weiter vorn kein Sitzplatz mehr. Ich könne aber stehen; denn es würde nicht lang dauern. »Meiser spricht nicht.« Ich bekam noch einen Stehplatz auf dem Orgelchor, am Dirigentenpult, zwischen Hof[f]mann-Mihla u. Brunotte-Neuhaus a.R. Die wußten noch nicht, daß Meiser nicht sprechen sollte. Die Predigerkirche ist riesig u. war bis auf d. letzt. Platz gefüllt. Die Kanzel in der Mitte des Langhauses. Der Orgel gegenüber ein Lettner, der das Schiff völlig abschließt. Der Organist spielte sehr lange. Dann kam Meiser herein mit einem andern Pfr. im Talar; die Gemeinde grüßte sie, indem sie aufstand. Die Pfr. nahmen vor dem Altar Platz u. das Eingangslied begann. Mitten darin kam ein Mann von dem Eingang her, der dem Lettner gegenüberliegt u. tippte einen der beiden Pfarrer am Altar auf die Schulter. Meiser u. der andere standen nach einigem Hin u. Her auf u. gingen zu dem Kircheneingang unter der Orgel. Da sie durch die Gemeinde hindurch gehen mußten, erregte das bereits Aufsehen. Sie kamen bald zurück u. gingen wieder durch die Gemeinde durch zum Lettner u. verschwanden durch die Lettnertür. Inzwischen sangen wir weiter. Als das Lied beendet war, waren die beiden Pfarrer noch nicht zurückgekommen. Der Gottesdienst konnte also tatsächlich nicht weitergehen. Wir warteten, alle etwas verblüfft. Der Organist spielte u. spielte. Auch Hofmann u. Brunotte konnten sich nicht denken, was los sein mochte. Es dauerte eine beträchtliche Zeit – da kamen die beiden Pfarrer zurück. Die Gemeinde stand wieder auf, als sie hindurchschritten. Die Liturgie begann; vor dem Altar stand der eine der Erfurter Pfarrer, der mit Meiser gekommen war. Zum Schluß nahm er einen Zettel u. verlas eine Erklärung. Meiser könne nicht predigen, da es ihm u. allen an der evangelischen Woche Beteiligten verboten sei, in Erfurt zu sprechen. Am Sonntag könnten also auch Dibelius, D. Wurm, v. Rabenau und Ernst Otto nicht predigen. Man habe für andere Prediger gesorgt. Die Gottesdienste würden stattfinden u.s.w. Alles ganz ruhig, ohne Meinungsäußerung. Nur das Blatt, das er in der Hand hielt, zitterte. Was folgte, ist schwer zu beschreiben. Tumult wäre zuviel gesagt. Aber der Anfang eines Tumults. Aufrauschen der Empörung, laute Rufe. Ich hörte eine Männerstimme: »Unerhört!« (»Rußland??«). Der Eindruck war tief – eine solche Scene in diesem feierlichen, gotischen Raum, mitten im Gottesdienst. Das gehört zu den Eindrücken, die man nie wieder vergißt. Einen Augenblick der Gedanke: »Was wird das? Werden die Menschen da unten aufstehen? Gibt es einen Sturm?« Aber die ruhig, leidenschaftslose Stimme vom Altar dämpfte die Erregung. Man wollte doch verstehen, was da weiter noch mitgeteilt wurde – ein Teil war schon von dem Lärm verschluckt worden. Es

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wurde still. Der Prediger schloß, indem er ein Telegramm verlas, das 4000 Gemeindeglieder in Nürnberg, die zur gleichen Zeit in ihrem Gotteshaus ungestört beisammensaßen, uns schickten. (Oder verlas er d. Telegramm früher?) Dann setzte die Orgel ein. Und dann sprach Meiser Gebet und Segen. »Und nun wollen wir in Frieden heimgehen.« Die Kollekte, die für die Unkosten erbeten war, ergab über 600 M, wie Schanze am nächst. Tag verkündete. Von O. erfuhr ich noch: Meiser ist von der Krimi herausgerufen worden. Ging erst nach dem falschen Kircheneingang, mußte deshalb zurück bis zur Lettnertür, hinter der der Reg.präs. [Weber] zornbebend stand. Die Leute auf dem Lettner haben jedes Wort verstanden, guckten von oben herunter. Weber hat Meiser Auge in Auge angeschnauzt: »Werden Sie sprechen oder nicht? Antwort: Ja oder Nein?« Mit diesen Worten hat er ihn immer wieder unterbrochen, 5 mal. Meiser hat gesagt, so etwas sei ihm noch nicht vorgekommen. In Bayern würde er trotzdem auf die Kanzel gegangen sein – in Preußen hat er sich fügen wollen. Weber hat gedroht, Gewalt anzuwenden! In der Nacht von 10–4 Uhr sind 22 Leute mit dem Autobus nach Nürnberg gefahren, darunter der kleine Hofrat, der immer in der Bibelstunde von Otto ist, der 16jähr. Dieter Pfeiffer u. ein Reichswehrsoldat aus Ronneburg. Dort sind sie glanzvoll aufgenommen worden, haben alle Freiquartier bekommen (Dieter Pfr. u. der Soldat im Pred.sem.). Es sei eine fabelhafte Begeisterung u. Freudigkeit bei der Ev. Woche gewesen – etwa 4000 Menschen als Teilnehmer. Kollekten von 2000 M. Man hat den Thüringern noch 100 M als Zuschuß zu ihrem Autobus in die Hand gedrückt u. deckt das Defizit in Erfurt u. Magdeburg! Auch die Ev. Woche in Nürnberg ist von Berlin aus verboten worden (auch in Bremen, Magdebg. u. Duisburg), aber der Polizeipräs. hat sich geweigert, das Verbot zu erlassen oder hat es zurückgenommen mit der Begründg., er habe nicht die Macht, das zu verbieten. Die bayerischen Bauern, die ja alle Pg. sind, haben erklärt, sie würden sofort nach Berlin fahren, wenn das Verbot käme. Wäre ein Redeverbot für Meiser in Nürnberg gekommen, wie in Erfurt, so hätte es einen Sturm gegeben. – Man mache sich keine Vorstellg. davon, was Meiser für diese Menschen bedeute. Als er neulich in Ansbach gewesen sei (um auf Angriffe von Streicher zu antworten) haben ihn ungeheure Menschenmengen am Bahnhof empfangen, die Polizei mußte absperren u.s.w.1 An dem Sonnabd. Abend nach Meisers Gottesdienst übernachtete ich in Stedten. Am nächst. Morgen in d. Pred.kirche, die leider nur halb voll war, Predigt von Kirchenrat Günther-Ronneburg, die mir nicht gefiel. Um 2 Uhr, nur durch Weitersagen von Mund zu Mund bekannt gemacht, geschloss. Mitgliederversammlg. der Thür. Bek.gem. in der Reglerkirche (Eingg. dch. das Gemeindehaus) sehr besucht. Otto berichtete über die Lage, Müller [W.]-Kaltenwesth. u. Brunotte-Neuhaus a.R. berichteten über ihre Gemeinden.

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Zu den Vorgängen um die Evangelische Woche in Nürnberg, die vom 1.–7. Januar 1937 stattfand vgl. Karl Geuder, Im Kampf um den Glauben, X [Faksimile eines Teils des Programms], 95–93. Die Vorträge wurden publiziert in Helmut Kern (Hg.), Der lebendige Christus.

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Um 5 Uhr dann Predigt von Schanze-Weimar in der ganz gefüllten Predigerkirche. Ausgezeichnet. Die Gemeinde lauschte regungslos. Am Montag früh, 4.I., begann unser Dienst mit einer Andacht die Stüber hielt. Die übliche Gratulationscour wurde nur angedeutet.2 Sein Ausblick in die Zukunft war düster. Im Laufe des Vormittags bat mich Oberländer, über Erfurt zu berichten. Es schienen unklare Gerüchte im Umlauf zu sein. Bö. hörte zu. Das Gerücht über Sauckels Kirchenaustritt (am 22.12.) ist bestätigt worden.3 Am 1. Jan. ist der Krsleiter Köhler hier ausgetreten. Auch der Kreisleiter in Weimar ist ausgetr. Der Krsl. Noä hat seinen Austritt gleich an den Pflugensberg gemeldet. Es werden wohl noch viele folgen. Im Kirchsteueramt soll ein ganzer Packen Abmeldungen vorliegen. Heute wurde behauptet, Wächtler sei ausgetreten, u. zwar, weil in Bayern nicht gestattet worden sei, daß Leutheuser Wächtlers jüngstes Kind in einer bayr. Kirche taufe. Die neueste Sensation ist das Mitteilungsblatt Nr. 1 der D.E.K. mit dem Bericht über Lübeck.4 Dazu sagte Zenker heute zu mir – erstaunlicherweise – aber wir waren gerade allein in der Geschäftsstelle: »Haben Sie das gelesen? Es ist ja unglaublich, daß sowas überhaupt vorkommt.« Bischof Balzer in Lübeck hat also – wie der R.K.A. mit Abdruck der sämtl. Schriftstücke mitteilt – die 9 Bekenntnispfarrer, die ihm, nachdem er sie mehrmals schwer beleidigt hat, den Gehorsam aufgesagt haben, k.H. aus dem Kirchendienst entlassen u. zwar ohne Pension u. hat ihnen bereits zum 1. Dez. das Gehalt nicht zahlen wollen. Sonnabd., d. 9.I.37. [9. Januar 1937] Das Gericht hat ihn belehrt, daß er das Gehalt zahlen muß. Das ist dann auch geschehen, doch hat er allen 9 zum 1. Jan. ohne Pension gekündigt u. wieder d. Gehalt gesperrt. D. Gericht hat sich dahin ausgesprochen, daß d. Gehalt zu zahlen u. die Kündigg. zu Unrecht erfolgt sei. Es geschieht aber trotzdem nicht nur nichts – die Sache kann nicht vom Gericht entschieden werden, sondern muß an die Beschlußstelle weitergehen5 –, sondern die Polizei hat den betr. 9 Pfarrern Hausarrest auferlegt, ein Predigtverbot u. das Verbot, mit Dritten über die kirchlichen Dinge zu sprechen!!! Und das mit der Begründung: Sie hätten sich gegen ihren Bischof aufgelehnt u. das sei Auflehng. gegen den Staat, weil in Lübeck Staat, Partei u. Kirche eins seien! Man glaubt, Leutheuser zur Zeit des Reichsbischofs reden zu hören. Die Lübecker sind stark rückständig u. haben offenbar den gesamten Kirchenstreit verschlafen. Männiglich ist gespannt, was Muhs

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Vgl. dazu die Tagebucheintragungen zu Beginn der Jahre 1934 bis 1936. Vgl. Tgb. 28. Dezember 1936. Die kirchliche Lage in Lübeck, MDEK 2 (1937), 1. Der Artikel enthält den Protest der »Konferenz der leitenden Amtsträger in der Deutschen Evangelischen Kirche« gegen die am 5. Dezember 1936 ausgesprochene fristlose Entlassung von neun Pfarrern der Lübecker Kirche (vgl. Tgb. 12. Dezember 1936). »Beschlußstelle in Rechtsangelegenheiten der evangelischen Kirche«: Dienstelle im Reichskircheministerium, in der der Minister den Vorsitz hatte; sie war eine »Sammelstelle aller Rechtsstreite staatskirchenrechtlichen oder kirchenrechtlichen Inhalts die evangelische Kirche betreffend« (vgl. Kreutzer, Das Reichskirchenministerium, 348).

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nun tun wird. Den Führer der Lübecker Bek.gem., Kühl, hat d. Polizei am 1. Jan. aus dem Lande Lübeck ausgewiesen!6 Aus einer Notiz , die ich vorgestern Abend fand, geht hervor, daß Muhs bereits im Sommer 1935 als Staatssekretär im K.min. vorgesehen war. Demnach ist es viell. bloß Verlegenheit, daß man ihn jetzt heranholt u. nicht planmäß. – Schikane? Fritz erzählte mir gestern: Am 22.12. wäre die Antwort des L.K.R. an das K.min. auf den Vergleichsvorschlag in der Sache mit E. O. abgegangen – zieml. ausführlich. Franz hätte sie selbst entworfen – natürl. ablehnend, wie auch die Antwort von E. O. Darauf sei gestern, 8.I., in der gleichliegenden Sache Heyder ein neuer Vergleichsvorschlag gekommen! Von demselben Sachbearbeiter gez. Haugg. – Auch O. hatte ein entsprechendes Schreiben bekommen u. schüttelte gleicherweise den Kopf. Das K.min. hat ihm geschrieben, sie hätten keinen allgemeinen Vergleich im Sinne gehabt, sondern nur einen in dieser besond. Sache!! Das hatte E. O. natürlich begriffen, hatte seinerseits aber dem K.min. klarzumachen versucht, daß dieser Einzelfall nur im Rahmen einer Gesamtlösung behandelt werden könnte – also seinem Vorschlag entsprechend: Anerkennung zweier geistlicher Leitungen in Thüringen u. neutraler Verwaltung. Was für ein Schafskopf bearbeitet diese Sache bloß im K.min! Einem dieser Tage kam ein Mann zu mir, den ich lange nicht angeguckt habe – er tut immer sehr gemütvoll u. ist der reine Biedermann! Er redete in vorwurfsvollem Ton davon, daß die Bekenntnisleute nun aber auch versöhnlich sein müssten – es seien wirklich so aufrichtig fromme Leute bei den D.C. – z.B. Pfr. Behr-Arnstadt u.sw. Dann fing er an, vertrauliche Mitteilungen zu machen: aus der Sitzg. unten! Noch einmal die Geschichte von der Gauleiterbesprechg. in Berlin am 15.12., angeblich in der Darstellg. von Sauckel an Leffler. Hitler habe die Gauleiter gefragt, wie sie zum Christentum stünden. Ergebnis – wie bekannt. Zum Schluß Hitler: »Ihr könnt machen, was Ihr wollt, ich jedenfalls bleibe Christ.« Von X noch etwas gemütvoller formuliert, wie es in d. Sitzung wahrscheinl. auch geschehen ist. – Nach der Rückkehr Sauckel zu Leffler: »Mein lieber Siegfried … es geht nicht mehr … es wäre unaufrichtig …« (bei Anderen nennen sie die Aufrichtigkeit Treulosigkeit oder Meuterei!). Leffler hätte Sauckel noch einmal »ins Gebet genommen«!! Aber natürl. ohne Erfolg. Sauckel zum Schluß: »Jedenfalls – solange ich Reichsstatthalter bin, werde ich mich immer schützend vor die Thür. ev. Kirche (sprich: Deutsche Christen) stellen, darauf könnt Ihr Euch verlassen.« Von anderer Seite an diesem Tag Mitteilung eines Augenzeugen: Der hies. Kreisleiter Köhler, – Mitglied der D.Chr.-Kirchenvertretung (!) – ist gleichfalls aus der Kirche ausgetreten, ebenso ein bekannter S.A.-Führer, der Bankdirektor Mey, dessen Vorbild wahrscheinlich Viele nacheifern werden, der Kreisleiter aus Weimar u.s.w. Typisch ist, daß alle diesen Schritt erst in zahlreicher Gesellschaft tun. Von einer wirklich durchgekämpften Überzeugung kann dabei also wohl nicht die Rede sein. – Was macht nun wohl der Reg.präs. Weber in Erfurt, der so etwa 1931 od. 32 in Weimar erst wieder in die Kirche eingetreten war, wie Schanze s.Zt. erzählte? »In den Armen liegen sich 6

Zu den Vorgängen in Lübeck vgl. Meier, Kirchenkampf II, 255–259; vgl. Tgb. 12. Dezember 1936 und 8. Januar 1937.

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beide …!« hatte damals eine rote Zeitung geschrieben. Raus, rein, raus … es macht sich hübsch. Ein Zeitgenosse hat einen Privatbrief von Sasse an den Polizeipräsid. Ortlepp in Weimar gelesen, so ungefähr: »Mein lieber Pg. Ortlepp! Ich möchte Sie bitten, gegen die beiden Pfarrer Jessen u. Koch (Coch?) mit den schärfsten Mitteln vorzugehen … wir sind hier jetzt ja leider ganz machtlos … aber wir müßen doch die Partei sauber halten …!« Ein schöner Landesbischof, der die Polizei auf seine Pfarrer hetzt. Sasse u. Franz sind natürlich schon wieder in Berlin. Sasse ging übrigens am 4.I., nach sr. Rückkehr vom Weihnachtsurlaub, durch alle Büros u. gratulierte seinen Untergebenen zum neuen Jahr. Das war mal ein anständiger Einfall – sicher eine Anregung von außerhalb. Jetzt, 9.1., ½11 Uhr, zieht das neue Panzerrgt. (das 3.) hier ein. Der halbe Betrieb ist unten. Ich wagte es nicht. Nr. 2 der »Nat.kirche« ist erschienen u. enthält eine eingehende Darstellg. von der Art, wie der bekannte Brief der VKL an den Führer7 ins Ausland gelangte. Es ist schlimm – aber Bekenntnispfarrer sind nicht beteiligt! Ein Mitglied des Büros nennen sie »führendes Mitglied« der Bekennenden Kirche! Einen Angestellten! Es gibt wieder Gerüchte. Wächtler wäre aus der Kirche ausgetreten. In nächster Woche würde der Reichstag einberufen. Hitler wolle den Reichskanzlerposten aufgeben u.s.w. Dienstg., d. 12.I.37. [12. Januar 1937] Aus der »Christl. Welt« Nr.1 v. 2.I.37: »Dem ›Bund f. d. Chr.tum‹ haben sich die Kirchenregierungen von Thür., Mecklenbg., Bremen, Lübeck u. Anhalt angeschlossen.«8 Eben war H. hier u. erzählte Allerlei. Es würde im Hause viel geredet über Lübeck. Keiner verstünde es (die Geschehnisse in München u. Stuttgart s.Zt. 1934 haben hier im Hause nicht solche Wellen geschlagen. Die Leute sind doch hellhöriger geworden). Eckardt von nebenan, der »Gemeindeleiter«, hätte gelegentl. ganz glatt gesagt: »Hitler ist für uns der Christus, der II. Messias.« Wenn doch alle so deutlich sprächen. Unsere Herren sind verreist – in Jena. Ich habe 1½ Tag gefehlt wegen Mutter. Wächtler sei aus der Kirche ausgetreten, aber bei den D.Chr. verblieben. Das höre ich vorl. bloß als Gerücht, noch nicht sicher (hat inzw. in der »Nationalkirche« gestanden). Mittwoch, d. 13. [13. Januar 1937] Ich war unterwegs im Haus um kirchenpolitisch irgendetwas Neues zu erfahren. D. Ergebnis war mager. Zunächst wurden mir meine eigenen Mitteilungen von gestern (Nürnberg) mit einigen Nuancen versehen als Neuestes aufgetischt. Dann wurde erzählt, daß Erich Reichardt befriedigt mitgeteilt habe, das wäre nun erreicht, daß diejenigen Pfarrer, die die vorgeschriebenen Kollekten nicht einsammelten, bestraft 7

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Wer torpedierte die Olympiade?, NaKi 6 (1937), 14; beschuldigt wird in diesem Artikel der »Verwaltungsdirektor der vorläufigen Kirchenleitung (ein Volljude)« Zum »Vertrauensbruch« vgl. Tgb. 12. und 28. Dezember 1936. Die Christliche Welt 51 (1937), 45.

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würden. Leider nichts Näheres. Man schüttelt weiter den Kopf über Lübeck – auch Erich [Reichardt] soll sich nicht einverstanden erklärt haben, hat aber gefunden, daß Bischof Balzer die Sache »allerdings sehr schlau« gemacht hätte, indem er die Gehorsamsaufkündigung der Bekenntnispfr. als Entlassungsantrag genommen hat. Gesprächsweise wurde erwähnt, Kreisleiter Köhler habe sich vor 8 oder 9 Wochen noch im Fürstenhof »gewissermaßen, wenn auch in anderem Zusammenhang schützend vor Leffler u. Leutheuser gestellt« … u. nun ist er aus der Kirche ausgetreten! Ich sagte: »Der Führer soll ja nicht ausgetreten sein. Quelle weiß ich nicht, ich habe es bloß gerüchtweise gehört. Nach wem soll man sich nun also richten: Nach s. Kreisleiter, Gauleiter oder nach dem Führer? Wenn schon die Kreisleiter u. Gauleiter sich nicht nach d. Führer richten …« worauf der Betreffende lachend mit allen Zeichen des Entsetzens und heftig abwinkend entfloh. Dabei meine ich das ganz im Ernst. Vieles, was geschieht u. was gesagt wird, ist nicht mehr im Einklang mit »Mein Kampf«. Am 5. Dez. hat der L.K.R. im »Kirchl. Anz.« bekannt gegeben, daß er sich an das K.min. gewandt habe, damit es den »unerträgl. Zuständen« ein Ende mache – näml. der Staatsfeindlichkeit des R.K.A. u.s.w.9; daß bis heute – 13. Jan. – noch nichts erfolgt ist, ist schon eine Blamage für den L.K.R. Unten ist schriftl. Prüfung. Die Machthaber sind in Berlin. D. König sei auch wieder mal aufgetaucht u. gestern nach Jena gefahren. Freitag, d. 15.I.37. [15. Januar 1937] Gestern Abd. Bibelstunde. Hinterher ein Stück mit O.s. Wenig Neues. Es sollen wieder 2 Oberpfarrer aus den D.Chr. ausgetreten sein. – Den Lübecker Bekenntnispfarrern ist vorgestern ihr Gehalt ausgezahlt worden, die vorl. Verfügung des Gerichts durchgesetzt worden. Der Arrest ist noch nicht aufgehoben.10 In der neuen Nr. der Allg. ev. Luth. K.ztg. (Nr. 3 v. 15. Jan.) wird über den am 6.I. erfolgten Anschluß der Braunschweig. Landeskirche an den luth. Rat11 eingehend berichtet.12 O. war offenbar nicht dabei. Schanze hat vor dem Pfarrkonvent über die Thüringer DC [KDC] gesprochen. Man merkt noch aus d. Bericht, daß der Vortrag lebendig gewesen ist. Auch über Lübeck ausführl. Bericht.13 Die Gothaer Pfarrer sind kürzlich wieder im K.min. gewesen. Muhs hätte einen ziemlich ratlosen Eindruck gemacht. Der Landeskirchenrat will an Stelle von Leichte einen Pfr. namens Schöne als Obpfr. nach Gotha setzen u. sämtl. Kirchenvertreter haben sich dagegen erklärt. In Gotha herrscht plötzlich kirchliche Einigkeit. Der R.K.A. hat Zoellner neue Vollmachten gegeben. Der L.K.R. nimmt irgendeinen Umbau betr. Kirchensteuern vor. Es sind kolossale Versammlungen angesetzt, aus jeder Gemeinde sollen mindestens 2 Vertreter teilnehmen. Es müßten etwa 10 000 M Reisekosten entstehen, hat O. ausgerechnet. Man 9 10 11 12 13

Schreiben des LKR der TheK an die Pfarrämter vom 5. Dezember 1936, ThKbl/B 1936, 126–127. Vgl. Tgb. 12. Dezember 1936, 8. und 9. Januar 1937. Vgl. zu den Vorgängen Meier, Kirchenkampf II, 295–298. Feierstunden in Braunschweig, AELKZ 70 (1937), 57–63. Die kirchliche Lage in Lübeck, AELKZ 70 (1937), 63–64.

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vermutet hinter diesen Absichten irgendeine neue Maßnahme zur Stärkung des L.K.R., kann aber nicht durchsehen. Jedenfalls werden mit der Neuregelung den Gemeinden Rechte entzogen. Die B.gem. schickt nur ein paar Pfarrer als Hörer hin, die im Vorstand von Kirchensteuerämtern sitzen. Mittwoch, d. 20.I.37. [20. Januar 1937] Der L.K.R. zahlt nicht mehr an die D.E.K. – überweist dies Geld aber offenbar an den Bd. f. D. Chr.tum. Vorgest. Abd. waren Sasse u. Volk in Gotha. (Franz nicht, weil er mit verbundenem Kopf im Bett lag). Die Kirchenvertretung dort hatte sich geweigert, den vom L.K.R. dorthin beorderten neuen Ob.pfr. anzuerkennen. Nun scheinen diese tapferen Leute (D.Chr.) umgefallen zu sein. O. hatte noch keine genaue Nachricht, sondern erst kurzes Telephongespräch. Die Mitgl. des L.K.R. seien offenbar gleich mit Polizei angezogen u. haben mit der Partei gedroht u.s.w. Es werden z.Zt. 4 Vorträge von einem Dr. Urban in der Annenkirche gehalten. Ich war gest. Abend dort. Die Kirche war dicht gefüllt, obwohl das Wetter entsetzlich war. Friedr. v. Eichel u. Frau waren auch da – von denen augenblickl. das Gerücht geht, sie seien aus der Kirche ausgetreten. Es ist nichts so dumm, als daß es nicht geglaubt wird! Es wird weiter verbreitet, es seien 134 Leute aus der Stiftsgem. ausgetreten. Stimmt auch nicht – im letzt. halb. Jahr sei überhpt. keiner ausgetreten! Offenbar setzen die D.Chr. solche Gerüchte in d. Welt. Tatsächl. sollen sehr viele Leute ausgetret. sein. Gestern »Volkskirchl. Sendung« aus Halle vom »Argus«. U.a. stand drin: »Was geht in Berlin vor?«14 Mit einigen schiefen u. halbwahren Andeutungen über Absichten des R.K.A. Dann weiter eine infame Äußerung gegen Marahrens: Muhs sei aus der Kirche aus Gründen der »Sauberkeit« ausgetreten. Er sei »gezwungen« gewesen, Marahrens »der Lüge zu zeihen«. Da M. [Muhs] sich von diesem Vorwurf bis heute nicht habe reinigen können, sei er aus der Hann. Landeskirche ausgetreten, solange er in Hildesheim wohnte. Nach seinem Wegzug von da sei er wieder eingetreten. Ich erzählte das Otto. Der sagte darauf, dieser Artikel sei von Muhs selbst geschrieben. Marahrens habe in s. Rundbrief bereits darauf geantwortet. Er habe sich von diesem Vorwurf bisher nicht reinigen können – weil er garnichts davon gewußt hätte! Muhs solle ihm diesen Vorwurf – vor 3 Jahren gemacht haben, 1934, als der

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Was geht in Berlin vor? Die volkskirchliche Sendung 2 (1937), Nr. 2 vom 10. Januar 1937, 8–9. Der entscheidende Passus über Muhs und Marahrens lautet: »Die Bestellung von Regierungspräsident Dr. Muhs zum ständigen Vertreter von Reichsminister Kerrl hat zu schweren Vorwürfen geführt, die von den Kirchenausschüssen und den Landeskirchenführern (naturgemäß ohne Thüringen, Mecklenburg, Bremen usw.) gegen seine Person gerichtet wurden. Eine Zusammenarbeit scheint vorläufig noch nicht zustande gekommen zu sein. Dr. Muhs hat erklärt, daß er mit Bischof Marahrens einen schweren Zusammenstoß gehabt habe, und zwar deshalb, weil er gezwungen gewesen sei, ihn der Lüge zu zeihen. D. Marahrens habe sich von diesem Vorwurf nicht gereinigt, so daß er aus Gründen der moralischen Sauberkeit seinen Austritt aus der hannoverschen Landeskirche erklärt habe. Dr. Muhs ist nach seinem Wegzug aus Hildesheim wieder in die Kirche eingetreten« (S. 8–9).

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Kirchenkampf am heftigsten tobte. Seit dieser Zeit habe es Herr Muhs trotz seinem Sauberkeitsgefühl ertragen, innerhalb der Kirche zu bleiben, u. sei erst am 1. Nov. 36 – wie bekannt – ausgetreten, als zahlreiche Prominente diesen Schritt taten usw. Ein anderer Artikel wehrt sich gegen den Vorwurf, die Kirchenaustritte seien organisiert. Es würde niemand »gezwungen« auszutreten. Das ist ja nun auch etwas anderes. Daß ein »unerträglicher Druck« auf Beamte u. Angestellte, z.B. im Rheinland, ausgeübt wird, bringt der Artikel aber doch. Vorgestern Abend erschien die Nachricht in der Zeitung, daß Günther Blum beurlaubt sei »auf eigenen Antrag«. Über seine Wiederverwendung würde später entschieden werden. Diese Mitteilg. sieht ja nun entschieden merkwürdig aus. Der junge Thieme hier, der irgendetwas in der HJ. ist, hat zu Frl. Sommer auf eine Bemerkg. hin gesagt, er würde jeden anzeigen, der etwas gegen Blum sagte. Gleich darauf sei Stetefeld herein gekommen u. hätte Thieme gehänselt – Blum hätte sich wieder irgendeinen Angriff gegen die Kirche geleistet u. sei deswegen geflogen. Er wäre in Sondershausen – oder Arnstadt – mit einer Mädchenschar während des Gottesdienstes vor die Kirche gezogen u. hätte da Sprechchöre gemacht oder so ähnlich. Außerdem solle noch eine Ehebruchsgeschichte eine Rolle spielen. – Jedenfalls hat der mutige Thieme in diesem Falle geschwiegen u. Herrn Stetefeld nicht gedroht. Ich hatte für Ruth eine Nr. des Gesetz- u. Mitteilungsblattes Nr. 1 der E.K.D. in Berlin bestellt u. erfahre gestern, daß es nicht geliefert werden könnte, weil der Rest der Aufl. polizeilich beschlagnahmt worden sei! O. erzählte noch Folgendes: Es seien am Abend vorher – 9 Kandidaten des Pred.sem. bei ihm gewesen u. hätten erzählt, Sasse habe am Freitag Abend im Pred.sem. sehr sieghaft geredet. Es würde jetzt in Thür. »aufgeräumt«. Es würde jedem der Kandidaten beim Verlassen des Seminars eine Erklärung abgefordert, mit der er »unbedingten« Gehorsam Sasse persönlich zu geloben hätte. Er müsse sich weiter verpflichten, die D.Chr. in seinen Gemeinden arbeiten zu lassen u.s.w. Die neun Kandidaten – die Hälfte der vorhandenen – hätten O. erklärt, sie könnten das nicht. Sasse hätte weiterhin noch tolle Sachen gesagt, z. B.: In 50 Jahren würde vielleicht niemand mehr von Christus sprechen. Darauf käme es ja auch garnicht an – sondern allein auf die »christliche Haltung«. – (Die heißt dann auch nicht mehr »christliche« Haltung sondern nationalsozialistische.) – O. sagte, offenbar hätten die D.Chr. jetzt jede polizeiliche Unterstützung, die sie überhaupt haben wollten. Natürlich – da sie die Kirche zerstören. – Aber soviel ist klar – wir hier in Thür. können auf das Schlimmste gefaßt sein. – Ich merke auch hier im Haus schon wieder, daß einige Leute mich fliehen wie den Gottseibeiuns. ¾11 Uhr: betr. Gotha: Sasse u. Volk seien sehr befriedigt aus Gotha wieder gekommen, der Streit wäre beigelegt! Ich hatte ein merkwürdiges Gespräch – ich will nicht schreiben, in welcher Abteilung. 4 Männer waren im Zimmer u. ich. Wir sprachen über Thieme, der Frl. Sommer gegenüber aufgetrumpft u. Stetefeld gegenüber geschwiegen hatte. »So sinn se,« sagte der Eine u. lachte schallend. »Bis das nicht besser wird, wird nichts besser.« Worauf ein stiller Mann im Hintergrund seine Stimme erhob u. sagte:

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»Seid stille, wir sind auch ›so‹. Zuerst müssen wir selbst uns bessern.« »Recht hat er«, sagte der erste reuevoll, »wir sind auch ›so‹.« Ich schämte mich in der Seele der Männer, daß ich mich nicht mit ihnen zu schämen hatte – eine Frau. Freitag, d. 22.I.37. [22. Januar 1937] Gestern der 4. u. letzte der Vorträge von Dr. Urban in der Annenkirche. – Danach hörte ich von Otto die Wahrheit über Gotha. Aber das später. Heute früh hatte ich vom Pflugensberg aus einen Weg in die Stadt, sollte die »Times« holen (Eden-Rede). Kurz vor d. Kaiserhof begegnete mir der ehemal. Landesbischof D. Reichardt mit seinem Dackel! Da er in den 1. Aufzeichnungen, die ich gemacht habe, noch eine Rolle spielt, möchte ich die heutige Begegnung festhalten. Er hat mich oft auf d. Strasse geschnitten. Ich setzte schlechtes Gewissen bei ihm voraus u. lächelte ihn heute besonders freundlich an. Darauf nahm er plötzlich Kurs auf mich u. kam über die vereiste Straße zu mir herüber. Freudige Begrüßung. Langes Gespräch über Dackel. Dann er plötzlich u. unvermittelt: »Ja. Hm. Wissen Sie, ich habe jetzt manchmal das Gefühl, da oben wird mein Lebenswerk vernichtet.« Ich überlegte kurz, was er wohl für sein Lebenswerk halten möchte – vermutlich den Zusammenschluss der 7 Thür. Einzelkirchen – u. beschloß, ebenso kirchenpolitisch deutlich zu sein, wie er. Ich erwiderte also schlicht: »Jawohl, das kommt mir auch so vor.« Darauf war die Bahn frei für einen ungehinderten Gedankenaustausch. Er: »Sagen Sie, das muß doch ein furchtbarer Schlag für die Herren gewesen sein, daß Sauckel aus der Kirche austrat. Wenn das noch in Hannover gewesen wäre – mit Marahrens an der Spitze der Landeskirche! Aber hier! Wo die Kirche so gefügig ist! Nun müßte doch sofort ein Rundschreiben an alle Gemeinden hinausgehen: Bleibt treu! Haltet fest!« Ich: »Ach nein. Es war kein Schlag für die Herren. Sie haben nach wie vor jede Unterstützung vom Staat, die sie sich wünschen können. Meine private Ansicht ist: Weil sie die Kirche zerstören. Übrigens haben sie ja die Ausgetretenen in der letzt. Nr. der »Nat.kirche« aufgefordert, in die Bewegung der D.Chr. einzutreten. Und mit denen bauen sie dann die Nat.kirche.« Er: »Und was wird aus der Thür. ev. Kirche? Und die Verfassung der D. Ev. Kirche?« Ich verwies auf den Bund für dtsch. Chr.tum, auf die Tatsache, daß Volk (den ich nicht nannte) diesen Bund als die Nat.kirche bezeichnet hat, weiter darauf, daß Thür. als Kirche diesem Bund beigetreten sei – das sei wohl ein legaler Weg. – Er schüttelte langsam sein Haupt – ganz Zeus in den Wolken. Er ist ja überhaupt ein klassisches Beispiel seiner Generation. Er begreift im Grunde immer noch nichts. Auch die Partei nicht. Mit der Jugendbewegg. hat es angefangen. Das war das erste, was die Herren nicht begriffen. (Den Krieg dagegen – den haben sie erfaßt. Das ist wohl ein Urinstinkt). Wir tauschten Erinnerungen, u. da stellte sich heraus, daß er doch Manches glatt vergessen hat – z.B., daß er selbst es war, der auf einer Pfarrerversammlg. im Juli 33 die Thür. Pfarrer veranlaßt hat, D.Chr. zu wählen (»Diese netten, jungen Leute«, wie er immer von Leffler u. Leuth. sagte). Er machte heute Leichte u. Schmidt [K.]Gera einen Vorwurf daraus, daß sie damals vom Christl. Volksbund (?) zu den D.Chr. abgeschwenkt u. dadurch einen großen Teil der Pfarrerschaft u. der Gemeinden

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mit sich gerissen hätten.15 »Und die Linke!16 Ausgerechnet die Linke! Wie habe ich sie damals beschworen, sie sollten eine Einheitsfront gegen die D.Chr. bilden helfen!« (Wann? Im Sommer 33 war die Neubildung oder Umbildg. der kirchl. Gruppen verboten worden!). »Nein, sie wählten deutsche Christen!« usw. Er schreibt seine Memoiren, will sie aber nicht veröffentlichen. Für seinen Sohn [Reichardt E.]. Es sei schon ein dickes Buch. Ich erzählte ihm noch in großem Bogen das Neueste über Gotha. Merkwürdig war seine Bemerkung, er hoffte, das Luthertum des Auslandes würde sich einmischen. Sollten doch einmal ein paar energische Leute zu Hitler gehen u. fragen »Was macht Ihr aus der Kirche der Reformation?« Er hatte gar keinen Begriff davon, daß das, was er redete, »Hochverrat« sei! Ich wagte einen sanften Hinweis. (Nicht so kraß). Dann wieder er: »Die katholischen deutschen Bischöfe sind jetzt in Rom. Sie sollen sehen, die kathol. Kirche macht das Rennen.« Ich erlaubte mir, das zu bezweifeln. Ich bin durchaus darauf gefaßt, daß die Geschichte auch einmal neue Wege geht. Es braucht sich ja nicht immer alles zu wiederholen. Das Gespräch dauerte etwa ½ Stunde – im Schneematsch. Es war sehr seltsam für mich u. wieder einmal ein Beweis, wie Menschen u. Zeiten sich wandeln – aber so, wie wirs uns kaum träumen lassen. Montag, d. 25. Jan. [25. Januar 1937] Ich erfuhr am Freitag etwas, was ich nicht genau hinschreiben möchte. Jedenfalls: Kerrl hat Sauckel »in die Hand versprochen«, daß die Thür. Kirchenregierg. Sasse am Ruder bliebe. Der Gothaer Kreisleiter hat es erzählt, dem hat Sauckel es selbst gesagt. – Und da tun sie immer in der Öffentlichkeit, als hätte die Kirche die Möglichkeit, ihre Angelegenheiten selbst zu ordnen. Niemöller bekommt Recht. Leider kann ich auch nicht hinschreiben, wie ichs erfuhr. Gotha. In Gotha sind die Herren mit dem Kreisleiter u. dem Polizeigewaltigen angezogen, die im Zuschauerraum Platz genommen haben. Jedesmal, wenn ein Redner etwas gesagt hat, was ihm nicht gepaßt hat, hat der Kreisleiter den wilden Mann markiert u. sich vor den Redner hingestellt usw. Mitten in der Sitzung hat der Kreisleiter, den die ganze Sache garnichts angeht, eine Sonderversammlung der Parteigenossen innerhalb der Kirchenvertretung zusammenberufen u. dann auch abgehalten. Was da gesagt worden ist, kann man sich denken. Jedenfalls: Danach sind alle Pgs. umgefallen. Ein Teil war vor der Sitzung schon von der Partei aus bearbeitet worden u. hatte die Ämter am Nachmittag bereits niedergelegt. So konnte der L.K.R. einen vollen Erfolg buchen. Volk hat geäußert: »Wir sind mit der leichten Kavallerie ausgekommen u. hatten kein schweres Geschütz nötig.« (Er sei selig, daß er mitgenommen worden sei, obwohl er es nur dem Umstand zu verdanken hatte, daß Franz im Bett lag.)

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Pfarrer Schmidt (Gera) und Pfarrer Leichte (Gotha) waren nach dem Thüringer Pfarrer-Kalender von 1932 1.und 2. Vorsitzender des Christlichen Volksbundes (Positive volkskirchliche Vereinigung). Gemeint sind die Religiösen Sozialisten.

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Am nächst. Tag ist dann noch ein Bankdirektor auf dem Pflugensberg gewesen, gegen dessen einen Angestellten oder Beamten der L.K.Rat Strafantrag gestellt hatte. Der hatte sich mit Reden übernommen gehabt z.B., dem L.B. müßte man »den Talar abreißen« u.s.w. (Mihla!17). Der hat de- u. wehmütig um Verzeihung gebeten u. seinen Vorgesetzten hergeschickt, um ein gutes Wort für ihn einzulegen. (Die Pgs. werden aus der Partei beurlaubt, solange ein Verfahren gegen sie schwebt). – Also das ist die Erziehung zur Furchtlosigkeit u. zur Charakterstärke u.s.w. Das sind die Deutschen Christen die den Satz verwerfen »Wenn dich jemand auf die rechte Wange schlägt, so biete ihm auch die Linke dar.«18 Praktisch wird das von jedem Angehörigen der Bekenntnisgemeinsch. – u. darüber hinaus von jedem NichtNat.soz. seit 4 Jahren dauernd durch die Nat.soz. verlangt. Ich muß an mein Gespräch mit Senffleben denken 1922. Ich: »Was tun Sie, wenn Sie jemand auf die rechte Wange schlägt?« Er: »Ich haue ihm eine rein.« Niemöller. Am Sonnabd. (23.) vormittag verbreitete sich hier im Haus das Gerücht, die Katholiken hätten das Konkordat gekündigt! Sehr glaubhaft. Am 14. war Bischofskonf. in Fulda, ich übersetzte einen Bericht darüber aus Brüssel.19 Sie haben dort eine Kommission für die Jugendfrage gebildet (5 Bischöfe), u. diese Kommission ist jetzt beim Papst.20 »Osservatore romano« meldete übrigens, daß Muhs zum Kommissar ernannt werden sollte mit weitreichenden Vollmachten, um in der evangel. Kirche schleunigst den »Frieden« herzustellen. Es solle jegliche Propaganda u. jegliche Polemik verboten werden. (Wahrscheinl. nur für die Bekenntnisleute). Dann erwähnten sie noch »Lubecca«.21 Die »Nationalkirche« ebenso wie das »Positive Christentum« bekämpfen – d.h. beschimpfen – uns jetzt als »Judenkirche« u. liefern den Gegnern des Christentums Schlagworte. Aus all ihren anderen Positionen hat man sie vertrieben u. nun wenden sie das letzte Mittel an, vor dem es den Besten unter ihnen vermutlich bisher gegraust hat. – Im vergangenen Jahr noch hielt Lehmann uns unten in der großen Halle einen Vortrag über das Alte Testament, dem ich hätte zustimmen können, wenn nicht d. Mißtrauen gewesen wäre. Es war berechtigt. Heute sagen sie das Gegenteil. Leutheuser schreibt in Nr. 4 der Nat.kirche22 den Satz: »… daß vor allem von Seiten der

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Angespielt wird auf den Gemeindetag in Mihla, wo die DC den Plan gehabt hätten, »dem Pfarrer ›das Chemisettchen herunterzureißen‹ und ›einen Tritt in den …‹ zu versetzen. Das hat das Dorf gewußt!« (Tgb. 16. Januar 1935). Die geplante Tat wurde allerdings nicht ausgeführt. Mt 5,39; Lk 6,29 par. Die Konferenz fand am 12./13. Januar 1937 statt; vgl. Besier, 772. Warum die deutschen Bischöfe nach Rom gingen, La Croix, Paris 28. Januar 1937, Übersetzung durch Marie Begas, Lose Sammlung 1937 (vermutlich Pressearchiv der Pressestelle des LKR [Dr. W. Bauer], die Marie Begas nach 1933 mit zu verwalten hatte). Es ging den Bischöfen um die Bedrohung der Konfessionsschule (und damit um die Verletzung des Reichskonkordates) sowie um die Einrichtung von Hitler-Schulen zur Ausbildung der nationalsozialistischen Elite. Lübeck. Julius Leutheuser, Judenkirche oder Christuskirche der Deutschen, NaKi 6 (1937), 25–26.

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Bekenntnisfront immer wieder betont wird: ›Das Heil kommt von den Juden‹23 … « u.s.w. Am Donnerstag, an dem zuerst nach der »Times« gefahndet wurde (21.I.), schickte Volk noch Frl. Linde zu mir mit der Anfrage, ob ich in den Argus-Ausschnitten irgendetwas über eine Einmischung englischer Bischöfe in deutsche Angelegenheiten gefunden hätte. Es war nicht der Fall. Diese meine Auskunft mußte in die Sitzung gegeben werden. Ich wunderte mich baß. Inzwischen … Hoffentlich findet niemand diese Aufzeichnungen. Ich kann es nicht genau aufschreiben. Telegramm an Hitler: »Die Thür. ev. Kirche weist den herausfordernden Versuch des engl. Außenministers [Eden], sich in innerdeutsche Angelegenheiten zu mischen, mit aller Entschiedenheit zurück, ebenso die Kritik am Nat.soz. Sie verwahrt sich zugleich gegen dahinterstehende anmaßende Einmischungsversuche englischer Bischöfe u. lehnt diese Art von jüdisch infiziertem internationalem Christentum in aller Eindeutigkeit ab. Gerade als Christen des III. Reiches stehen wir in vorbehaltloser Treue zu Ihnen als unserem Führer im großen Weltanschauungskampf der Gegenwart.«24 Hoffentlich merke ich mir die näheren Umstände. Das war Freitag d. 22. Dienstg., d. 26.I.37. [26. Januar 1937] Meiser u. Marahrens haben einen schriftl. Dank vom A. Amt [Auswärtiges Amt] wegen des politischen Erfolges ihrer amerikan. Reise bekommen. Das ist wertvoll, weil die D.Chr. anfangen, auch die ökum. Arbeit u. gerade diese Amerikareise, zu verdächtigen. Kürzlich sind auch in Altenburg während einer Predigt des Jugendpfarrers Rönck vor der Kirche Sprechchöre gemacht worden: »Unser Glaube ist Deutschland«. Ich glaube, es war noch Günther Blum. Nachrichten aus Rom in engl. und belg. Zeitungen. London kündigt Bruch zwischen Vatikan u. deutsch. Regierung an – wegen der Jugend- u. der Schulfrage. Die Brüsseler Zeitung glaubt nicht an ein römisches Ultimatum. Heute Sitzg. des Vorstandes der Th.G.G. (Thüringer Gefängnisgesellschaft) mit dem Generalstaatsanwalt [Wurmstich]. Wir leben noch – aber von Wurmstichs Gnaden. Interessant der Ton, in dem er von den ihm unterstellten Behörden u. Menschen sprach. Er praßte mit seiner Macht. – Interessant ist, daß jetzt überall Geistliche hauptamtlich als Reichsbeamte in den Vollzugsanstalten angestellt werden. Gerade auch im neuen Strafvollzug für Jugendliche wird die Mitarbeit der Geistlichen stark betont. Volk u. Stüber bekamen einen kleinen Dämpfer u. es war ihnen sichtlich unangenehm, daß gerade ich es miterlebte: »Kirchenstreit – nein, meine Herren. Ausgeschlossen. Deshalb habe ich ja die ›Briefe an D.Chr.‹ von Leutheuser in den Strafanstalten verboten. Die Leute wissen ja nicht mehr, woran sie sind.«

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Joh 4,22; vgl. Tgb. 14. Dezember 1936. Telegramm an den Führer und Reichskanzler (Berchtesgarden) vom 22. Januar 1937, LKAE, A 868, Bd. III, 6 und 8. Abschriften dieses Telegramms gingen an Kerrl, Muhs und Sauckel.

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D. 30.I.37. [30. Januar 1937] Heute Mittag Führerrede. Wir saßen von Punkt 1 Uhr bis etwa 20 vor 4 am Rundfunk oben in der großen Halle. Ich war heute nach dieser Rede richtig froh. Er betonte stark den Dank gegen Gott.25 – Noch nie hat er so nachdrücklich u. eindrucksvoll darüber geredet. Freilich – der Name »Christus« fällt nie. – Unerträglich hinterher wieder die D.Chr. in der kl. Halle beim Anziehen – die Gesprächsbrocken: »Ach Gott, was hat man heute wieder alles erlebt …« so schwärmerisch u. himmelnd. In einem Brief an das K.min. wurde folgend. Zusatz gemacht: Bei einer Unterredung zwischen Leichte u. Sasse in Gotha am 26.I. hätte Leichte gesagt, er verstünde seine eigene Handlungsweise (d.h. seine Frontstellung gegen die D.Chr.) nicht mehr u.s.w. Es ist widerlich. Der Gehorsamsbegriff, der sich hier auswirkt, ist doch ganz jesuitisch. Der Geschmack daran russisch. (Es spielt jetzt gerade der »Theaterprozess« in Moskau – da kann einem übel werden). Ich übersetzte gestern u. heute wieder lange englische u. französ. Berichte über die Spanng. zwischen Vatikan u. Reich. 2 sehr scharfe Kanzelerklärungen sind vor. Sonntag in der katholischen Kirche verlesen worden, in denen die Katholiken zum Widerstand gegen die Schulpolitik der Regierung aufgefordert werden.26 Außerdem wird Note vom Vatikan an das Reich in der Konkordatsfrage erwartet. Aber kein Bruch.27 – Das Konkordat kann übrigens nicht gekündigt, sondern nur mit beiderseitiger Einwilligung aufgehoben werden, als Staatsvertrag – erklärten uns die Juristen. Vor einigen Tagen Staatsgesetz über »die Flurbereinigung in den Hansestädten«. Der Staat Lübeck verschwindet, die Stadt kommt zu Schleswig-Holstein, das Land an Hamburg u. Preußen.28 – Da zeigt sich mit einemmal die Lösung der kirchlichen Schwierigkeiten in Lübeck! Die soeben proklamierte lübeckische »Einheit von Staat, Partei u. Kirche« ist bereits zerschlagen!29 (Und die Nächstbeteiligten hatten offenbar von der bevorstehenden Regelung keine Ahnung, sonst hätten sie sich doch zu guterletzt nicht noch so blamiert!). Man denke: Der Vorsitzende des Bruderrates, den der Staat »ausgewiesen« hat, kann

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Rede Hitlers am 30. Januar 1937, in: Domarus I/2, 664–678. Die auf der Fuldaer Bischofskonferenz am 13. Januar 1937 herausgegebenen beiden Erklärungen sind abgedruckt in: Bischöfliche Arbeitsstelle für Schule und Bildung (Hg.), Stimmen des deutschen Episkopates zur Schulfrage in der Zeit des »Dritten Reiches«, Köln o.J. [1949], 42–44. Die erste Erklärung wandte sich an alle, die sich für den Weiterbestand der Bekenntnisschule einsetzten und mahnte sie, in ihrer Entschlossenheit nicht nachzulassen. Die zweite Erklärung mahnte die Eltern, ihre durch das Konkordat verbürgte Gewissensfreiheit wahrzunehmen und ihre Kinder bei Konfessionsschulen anzumelden. Beide Erklärungen sind entschieden, aber nicht wirklich scharf im Ton. Es geht um die Vorbereitungen zur Erstellung der Enzyklika »Mit brennender Sorge« von April 1937; vgl. dazu Besier, 777–784. »Durch das sog. Groß-Hamburg-Gesetz verlor Lübeck am 1. April 1937 seine Selbständigkeit als Land des Reiches und wurde der preußischen Provinz Schleswig-Holstein eingegliedert« (TRE 21 [1991], 496). Vgl. Tgb. 9. Januar 1936.

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zurückkehren, denn der Staat, der ihn auswies, existiert nicht mehr! (Praktisch wirds ja wohl Übergangsbestimmungen usw. geben u. natürlich kann ihn die örtliche Polizei ausweisen). Aber die lübeckische Kirche mit ihren 25 Pfarrern u. ihrem Bischof Balzer wird nun wohl auffliegen. Denn es wird erwartet, daß die staatl. u. kirchl. Grenzen sich decken. Das wissen wir seit 1933. Und ausgerechnet D.Chr. müssen doch mit gutem Beispiel vorangehen! – Vielleicht sind wegen dieser lübeck. Entwicklung unsere Machthaber so trübe gestimmt, denn in dem Teil von Lübeck, der an Hamburg fällt, ist ihre Macht aus. Tügel hat die Absicht, Hamburg dem luth. Rat anzuschließen!30 (Braunschweig ist am 6.I. feierlich angeschloßen worden).31 Und die Stadt fällt an Schlesw. Holstein, dessen Kirchenregierung m.W. auch hinter dem R.K.A. steht. Gestern neues Gesetzblatt der DEK u. darin noch die Anprangerung einer neuen Tat des Bischofs Balzer: Er hat in den Tageszeitungen bekannt gemacht, daß Taufen der Bekenntnispfarrer keine Gültigkeit hätten. Dagegen verwahrt sich der R.K.A.: Jede Taufe sei gültig, wenn »rite« vollzogen u. wenn d. Pfr. im Besitz der »Rechte des geistlichen Standes«.32 Weiter brachte dieses Gesetzblatt etwas sehr Schmerzliches: Den Bruch zwischen dem RKA u. den Niemöllerleuten. Zoellner legt die Verhandlungen wieder offen klar mit einem Protokoll u. dem gesamten Briefwechsel.33 Das Herz blutet einem. Die D.Chr. stürzen sich mit Wonne auf das wehrlose Häuflein; das »Positive Chr.tum« ruft zum Kampf. Daß diese Männer sich nicht schämen. Ich denke, wir werden Niemöller nicht im Stich lassen.

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Tügel betrieb zwar zunächst den Anschluss an den Lutherrat, gab aber auf Veranlassung des Reichsstatthalters schließlich solche Bemühungen auf; vgl. Meier, Kirchenkampf II, 273 und Tügel, Mein Weg 1888–1946, 315–319. Vgl. Tgb. 9. Januar 1937. »Lübeck. Der Kirchenrat der evangelisch-lutherischen Kirche in der Freien und Hansestadt Lübeck hat durch Anzeige in den Tageszeitungen eine Bekanntmachung veröffentlicht, in der es heißt: ›Amtshandlungen, die diese Pastoren nach dem 31. Dezember 1936 vollziehen, sind ohne Rechtswirksamkeit; von ihnen vorgenommene Taufen haben eine Aufnahme in die Kirche nicht zur Folge‹. Die Bekanntmachung beruht auf einer irrigen Anschauung vom Wesen des Sakramentes und des evangelischen Kirchenrechts … Denn da den neun Pastoren die Rechte des geistlichen Standes nicht entzogen sind, sind sie imstande, Amtshandlungen zu vollziehen …« (MDEK 2 [1937], Nr. 2, 11; falsche bibliographische Angabe der Tagebuchschreiberin!). Der Reichskirchenausschuss und die theologische Erklärung von Barmen, MDEK 2 (1937), 5– 11. Der Artikel enthält unter der Ziffer 1 den »Bericht über eine Verhandlung zwischen Mitgliedern des RKA. und LKA. und Mitgliedern der VKL. in Dortmund am Dienstag und Mittwoch, dem 29. und 30. Dezember 1936; beigefügt sind verschiedene Schreiben, aus denen hervorgeht, dass zwischen den kirchenpolitischen Gruppen ein »unüberbrückbar[er]« »Gegensatz« bestand (S. 11).

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Leutheusers »Nationalkirche« ist ein reines kirchenpolitisches Hetzblatt geworden34 – wie zu erwarten war. – Von »Deutsche Frömmigkeit« habe ich die 1. Nr. gesehen, nicht gelesen. Sie sieht recht brav aus – graphisch gänzlich verunglückt.35 Ein starkes Stück leistet sich der D.Chr.-Bischof von Mecklenburg in einem Neujahrsrundbrief – die »Allgem. Ev. luth.« druckt es ab36: »Es gibt Bekenntisflöhe – schüttelt sie ab u. schlagt sie tot!«37 Der Gedanke kam mir, ob die Reichsreform auch die kirchl. Lösung für Thür. bringen könnte. Der Ostkreis (Altenburg) soll zu Sachsen kommen, geht also mit seinen D.Chr. der Thür. Kirchenregierung verloren. Wir bekommen Teile von Preußen dazu u. von Hessen. Die Bekenntnisfront wird dadurch gestärkt. Otto sagte, sie hätten das oft besprochen, es bliebe aber ein bitterer Rest. – Wir würden dann getrennt u. ich erfuhr nichts weiter). Dienstag, d. 2. Febr. 37. [2. Februar 1937] Franz hat einen Brief von Muhs bekommen, der ihn auf heute nachmittag 4 Uhr ins K.min. bestellt. Sasse ist nicht mit. Franz war schon darauf gefaßt. Der Brief ist 2 Tage unterwegs gewesen.

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Die Nationalkirche. Briefe an deutsche Christen (vormals Briefe an deutsche Christen) 6 (1937); hg. [seit 1. Januar 1937] von Siegfried Leffler; Schriftleiter: Julius Leutheuser, Verlag Deutsche Christen, Weimar (vgl. auch Weitenhagen, Evangelisch und deutsch, 479). Die ideologische Verschärfung, die die Tagebuchschreiberin erwartete, zeichnete sich durch den Wechsel in der Schriftleitung ab. An der Stelle des mehr auf religiöse Themen und Themen von [deutscher ] Frömmigkeit bedachten Dr. W. Bauer fungierte nunmehr J. Leutheuser als Schriftleiter. Damit konnte das Blatt zur ideologischen Speerspitze der KDC entwickelt werden. Bauer wurde im wörtlichen Sinne weggelobt, d.h. »entschädigt« mit der Übernahme der Schriftleitung in der Monatsschrift »Deutsche Frömmigkeit« (vgl. dazu die eher scheinheilig als informativ zu verstehende Herausgeberanmerkung von Siegfried Leffler, Zum Wechsel in der Schriftleitung, NaKi 6 [1937], 7). Von Leutheuser wurde erwartet: »Er wird … alles aufbieten, um die ›Briefe‹ unserer inneren Haltung getreu zu gestalten, was das jetzige Stadium unseres Kampfes von ihnen verlangt und der deutsche Gottsucher erwartet« (ebd.). Die Tagebuchschreiberin spielt offensichtlich auf die beiden ersten programmatischen Artikel der neuen Nummer an: (1) Leffler, Jahreswende – Zeitenwende (S. 1–2), (2) Leutheuser, Die Nationalkirche (S. 3–4). »Bedingungslose Treue zu unserm Führer und unserm Volk« (Leffler) sichern sie ihren Lesern auch für die Zukunft zu. Deutsche Frömmigkeit (vormals Christenkreuz und Hakenkreuz), 1937, hg.v. Siegfried Leffler, Walter Grundmann, Wilhelm Bauer; Schriftleiter [seit 1. Januar 1937: Wilhelm Bauer], Verlag Deutsche Christen, Weimar (vgl. Weitenhagen, Evangelisch und deutsch, 480). Im Mittelpunkt des Titelblattes des ersten Heftes Januar 1937 stand ein fast die ganzseitiges Foto von einem Weg durch den verschneiten Wald; hier sollte der Leser also wohl durch Naturfrömmigkeit berührt werden, was zum Charakter des Blattes gut passte. Der Titel der Zeitschrift war programmatisch zu verstehen. In »frommer Ehrfurcht« sollten die »Quellenspuren« zum Ausdruck gebracht werden, »aus denen unser geistiges und kulturelles Leben gespeist wird« (redaktionelle Anmerkung auf der Innenseite des Titelblattes der ersten Nummer Januar 1937). Zwei Neujahrsbriefe aus Mecklenburg, AELKZ 70 (1937), 110–112. Dieses Zitat stand nicht in den Neujahrsbriefen, sondern in einen Redaktionsartikel »Mecklenburg«. In ihm wurde u.a. der folgende Passus aus einem Schulungsbrief der DC Mecklenburg mitgeteilt: »In einer lichtvollen Stunde haben wir Unentwegten einmal von ›Bekenntnisflöhen‹ geredet, die auch so viele Deutsche Christen immer wieder anspringen ließen. Schüttelt sie ab, die Tierchen, und schlagt sie tot!« (AELKZ 70 [1937], 115–116).

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Die »Reichsgemeinde« der D.Chr. (unterschrieb. Brauer) hält es für notwendig, daß die führenden Männer der Bewegung sich zu regelmäß. Arbeitstagungen mit d. Männern der Thür. Kirchenleitung u. der [Theologischen] Fakultät Jena (soweit sie in Frage kommt38) aussprechen. 1. Zus.kunft dieser Art am 12. Febr. auf d. Pflugensberg.39 Sasse wird einen Vortrag halten über den »Weg zur nationalsozialistischen Staatskirche«.40 Danach Ausspr. pp Die nächste derartige Zus.kunft ist vorl. auf den 12. März festgesetzt. Donnerstag, d. 4. Febr. 37. [4. Februar 1937] Ich übersetze Morning-Post v. 30. Jan. Es beginnt: »Nazi-mud-slinging …« = Nazidreckschleuder! Ich habe mir geholfen, indem ich das Wort in seine Bestandteile zerlegte u. einzeln die Übersetzung gab! Es handelt sich um eine Art von »Schulwahlen« in Bayern. Die kathol. Eltern sollen veranlaßt werden, ihre Kinder in die »Gemeinschaftsschulen« statt in die kathol. Schulen zu schicken.41 Streicher hätte in dieser Woche in Bayern »Liebesbriefe eines Erzbischofs an ein Judenmädchen« öffentlich verlesen. – Der Erfolg: 92 % der Eltern haben sich für die Gemeinschaftsschule entschieden. Angesichts dieses Resultats glaubt man schon, daß die Regierung sich den Vorstellungen des Kardinals Bertram gegenüber gewillt gezeigt hat, auf ein Gesetz zu verzichten, das der Konfessions-Schule ein Ende machen sollte. Das ist dann ja auch garnicht mehr nötig. Aber der Gedanke kommt wieder, den Sasse im Sommer 35 einmal in der Bücherei aussprach: »Wenn sie mit denen (den Katholiken) fertig sind, kommen wir dran.« Aber unsere D.Chr. werden schon dafür sorgen, daß sie diesen Endkampf nicht auf der christl. Seite durchzufechten brauchen. Dazu gehört Mut u. Selbstverleugnung. nachmittags. Lehmann gibt Broschüren heraus – die erste hat d. Licht der Welt erblickt, die Öffentlichkeit ist noch ahnungslos. Eines der 1. Exemplare erwischte ich auf Umwegen: »Der Todeskampf der Christentümer u. die gegenwärtige Wiedergeburt des Urchristentums im deutschen Volk. Gegen die Lüge vom Neuheidentum.«42 Von Paul Lehmann. Ja – also – da staunt der Laie. Ich glaube, auch die Neuheiden werden sich wundern. Lehmann verficht die These, die Kirchen entstünden »durch das Machtwort von Staatsmännern, durch ihr Machtwort in Bekenntnisfragen!« (S. 14). Karl der Große! Es geht 38 39

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D.h. soweit die Mitglieder des Lehrkörpers mit der KDC-Richtung übereinstimmen. »Reichsgemeinde« war der Zusammenschluß aller DC im Deutschen Reich, die sich der Thüringer Richtung verpflichtet wussten. Ihr Leiter war Siegfried Leffler; Brauer leitete die Fachabteilung III (Organisation und Kassenverwaltung); in dieser Eigenschaft verfasste er das Einladungsschreiben. Zur verwaltungsmäßigen Gliederung der Reichsgemeinde vgl. Weitenhagen, Evangelisch und deutsch, 2001, 300–301. Die Titelformulierung gab genau das Endziel der Bemühungen der führenden Männer der KDC wieder: Sie strebten eine Kirche an, die institutionell und ideologisch vollständig integriert war in die nationalsozialistische Bewegung bzw. in den nationalsozialistischen Staat, als deren religiöses Rückgrat sie sich gleichsam selbst verstanden. Zu den Vorgängen vgl. Conway, Die nationalsozialistische Kirchenpolitik, 194–211, bes. 197. Zu den Schriften Lehmanns vgl. Tgb. 25. September 1936 mit Anm. 500 von 1936 sowie das Literaturverzeichnis.

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wirklich gegen alles germanische Denken u. Fühlen – vom christlichen braucht man garnicht zu reden. Auf dem Umschlag sind noch andere Bekenntnisse von P. L. angezeigt.43 Ich hoffe, es ist auch das dabei, wo er ausführt, daß die tiefste Erkenntnis, die das Christentum vermittelt, die sei, daß ein Mensch – also auch ein heutiger Mensch – Gott werden könnte.(Ich las das Konzept kurz vor der Jahresversammlg. der D.Chr. im Okt). Franz ist aus Berlin zurück u. hat eine Sitzg. des L.K.R. einberufen, die eigentlich erst heute in 8 Tagen stattfinden sollte. Die Herren waren unwillig, aber es half ihnen nichts. Thema: Disziplinierung und Hofkirchgem. Weimar.44 Ich hörte weiter, daß man sich jetzt von allen Seiten an ihn wende: z.B. aus Anhalt, Magdeburg, Lübeck usw. Mit allem Dreck: »Der u. jener hat das u. das gesagt, das ist doch unerhört …« u.s.w. Er gäbe immer den Rat: »Disziplinieren. Disziplinieren. Staatspolizei benachrichtigen. Polizei draufhetzen« u.s.w. Folgende Äußerg. hörte ich: »Ich warte immer nur darauf, daß ich mich mal nicht mehr beherrschen kann u. einfach rausplatze: Unerhört!« Er arbeitet also ganz im Sinne der Lehmannschen Überzeugung. Die Herren haben sich entwickelt. Was Hitler in »Mein Kampf« über Kirche u. Religion sagt, scheint ein gänzlich überwundener Standpunkt zu sein. (Ihre Wahrhaftigkeit geht leider nicht so weit, das festzustellen). Daran muß ich immer denken. Franz schiene der alleroberste im Bund für D.Chr. zu sein – wurde gesagt. Kürzlich sind wieder 3600 M an den »Bund« überwiesen worden – aus der Landesk.kasse als Februarrate.45 Von Franz sagte noch jemand, der Bescheid weiß u. ein gutes Gefühl für die Dinge hat: »Er kommt mir vor, wie der richtige Satan hier oben.« Den treibt sein Ehrgeiz. Nach der Montag-Andacht hier oben, die Lehmann gehalten hat – (es war furchtbar! Er stand mit schief geneigten Köpfchen da u. schlug die Augen zum Himmel) – erzählte Lehmanns Sekretärin entsetzt, Frl. Kleinsteuber hätte zu ihr nach der Andacht gesagt, sie sei wohl staatsfeindlich eingestellt (nicht wörtlich): sie hätte jedesmal bei Erwähnung des Führers den Kopf geschüttelt! – Das ist natürlich völlig ausgeschlossen. Als 43 44

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Angezeigt werden nicht andere Schriften Lehmanns, sondern die drei Hefte des genannten Titels mit jeweils unterschiedlichen Untertiteln. Das hier zu befragende Protokoll der Sitzung des LKR der TheK vom 4. und 5. Februar 1937, LKAE, A 122, 9–12, weist keinen allgemeinen Punkt »Disziplinierung« aus, verhandelt allerdings eine erhebliche Anzahl von Disziplinarfällen von Pfarrern (Punkte 3 [Kethnat], 7 [Ernst Otto], 21 [Schultz und Schultze], 27 [Leichte, Bauer, Sweers], 28 [Koch], 30 [Hoffmann], 31 [Wirth, Meng, Zahn], 33 [Glombitza]. Zu Punkt 20 heißt es: »Kirchenrat Franz trägt seinen Entwurf einer Eingabe an den Reichskirchenminister und den Entwurf eines Gesetzes über die Vereinigung der Stadtkirchengemeinde und Hofkirchengemeinde in Weimar vor. Die Entwürfe werden genehmigt« (ebd.). Die Tagebuchschreiberin wollte hier zum Ausdruck bringen, dass streng genommen dieser Betrag nicht hätte aus der Landeskirchenkasse entnommen werden dürfen; zwar war die TheK Mitglied des Bundes; aber er diente nach Auffassung der LBG nicht dem gesamtkirchlichen Interesse, sondern dem der KDC. Permanent verdächtigten die führenden Kreise der LBG den LKR der TheK reine KDC-Angelegenheiten finanziell zu unterstützen bzw. ganz zu finanzieren. Vorwürfe richteten sich vor allem gegen den Volksdienst.

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sie sich bei Lehmann beklagt hätte, hätte er geantwortet, er mische sich nicht in solche Sachen. Und auf eine weitere Äußerung von ihr: Parteigenossen seien keine Spitzel. Sasse ist heute nachm. nach Friedrichroda gefahren um dort einen 2-stündigen Vortrag zu halten. Doch wohl nicht über Kirchensteuer! (Es sind angebl. Schulungskurse zur Umstellung der Kirchensteuer im ganzen Land). Tegetmeyer hat sich sehr befriedigt über den Verlauf dieser Tagung ausgesprochen. »Alle sind mit soviel Freude dabei! Das hätten die sich wohl nicht gedacht, daß die Kurse ›so‹ verlaufen würden!« Lehmann soll sehr schlecht mit Leffler stehen. Er hat neulich – ich kann meine Gewährsmänner nicht angeben – einmal zu ihnen gesagt: »Ja, ja, ich weiß ja, daß Ihr mich nicht leiden könnt, nicht haben wollt!« Lefflers Antwort wurde nicht gehört. Auch Sasse soll ihn oft anschnauzen. Er läßt sich alles gefallen u. sei gleich wieder liebenswürdig. Freitag, d. 5.II. [5. Februar 1937] Es stellte sich gestern im Laufe des Nachmittags noch heraus, daß es sich bei den Lehmannschen Flugschriften um 2 verschiedene Hefte handelt. Heft 2 ist das, worauf ich 4 Monate lang gewartet habe.46 Sasse fuhr gestern nicht nach Friedrichroda. Die Sitzung ist ihm doch noch wichtiger gewesen. Was mögen sie ausgekocht haben? Abends Bibelstunde. O. sehr müde u. erschöpft. Er spricht in diesem Kreis nur ausnahmsweise über Kirchenpolitik. Von Lübeck hatte er Anf. Januar berichtet.47 Gestern teilte er mit, daß in Lübeck die Dinge noch beim Alten seien, die Pfr. noch in Haft. Das Gericht hat in 2. Instanz entschieden, daß das Gehalt gezahlt werden muß. Die Gemeinden seien verwaist, man habe ein paar Hilfspfr. hingeschickt, die in den Häusern Andachten hielten. Deutschchristl. Pfr. seien eingesetzt, die Konfirmanden gingen aber nicht zu ihnen in den Konfirm.unterricht. Konfirmation also wahrscheinl. nicht möglich. Weiter: Wolf-Metzels sei plötzlich aus blauer Luft aus Thüringen ausgewiesen worden! Dienstag, d. 2.II. Es sei nichts besonderes vorgefallen. Es komme ganz unerwartet. Nach der Bibelstunde überlegte unser kl. Kreis, ob das eine grundsätzliche Maßnahme sei oder nur Wolf zugedacht, ob die Ordre von Berlin komme oder aus Eisenach. Wir entschieden uns für »Grundsätzlich u. aus Eisenach!« Sie wollen jetzt »aufräumen«. Otto kann auch noch drankommen. Ära Jäger. – Aber wenn man glaubt zu wissen, woher das Unheil kommt, dann ist es schon nicht mehr ganz so schlimm als Schüsse aus dem Dunkel. Lehmanns Broschüre kommt gerade zur rechten Zeit, um letzte Ziele zu erhellen. »Der Weg zur nat.soz. Staatskirche.« halb 6 Uhr abds. Ich erfahre: Alle Disziplinarsachen bearb. Volk, neuerdings wird Spigaht mitbeteiligt! Die Gestapo hat gestern die Ausweisung von Wolf-Metzels hierher gemeldet.48 – Danach scheint mir die Sache so: Volk bekommt diese Sachen zu bearbeiten, da er nicht D.Chr. ist u. von der Zusammenarbeit mit der Gestapo, besond. wenn sie noch über 46 47 48

Bibliographische Angaben in Anm. 500 von 1936. Zu den Vorgängen in Lübeck vgl. Tgb. 12. Dezember 1936, 8., 9., 13 und 15. Januar 1937. Zum Fall Wilhelm Wolf vgl. Biogramme.

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Berlin geht (Zus.wirken mit Muhs), nichts weiß.49 Die ganze Darstellung des Sachbearbeiters ist dann ahnungslos. Keine Spur vorausgegangener Besprechungen, Abredungen, Machenschaften u.s.w. Er trägt in der Sitzg. vor, was die anderen z. Teil hinter s. Rücken veranlaßt haben. An die gemeins. Entschließungen des L.K.R. ist er ja in jedem Falle gebunden. Und die Herren können sagen, daß die Disziplinarsachen völlig objektiv behandelt werden. Volk ist eine Puppe, die man tanzen läßt. Ob er es ahnt? Manchmal halte ich es für möglich. Sonnabd., 6. Febr. [6. Februar 1937] O. gestern Abd. in Hetze u. sehr erschöpft. Es sei ab heute »lutherischer Tag« in Gotha – Synode! 3 Tage lang!50 »Friedericus« Nr. 5 erschien mit d. Überschrift »Christentum ist rot!« Nr. 6: »D. Christentum gehört in d. Front des Volkes!« Inhalt deutschchristlich.51 6.II., abds. Ich hörte heute noch: Unsere D.Chr. strebten danach, vom Staat »legalisiert« zu werden.52 Dazu paßt, daß, wie die »Nationalkirche« mitteilt (Junge K. Nr. 3/37), der Staat ihnen erlaubt hat, in Württemberg ihre Kirchensteuern an ihre eigene volkskirchliche Bewegung zu zahlen!53 Man vergleiche damit die Behandlung, die man der Bek.k. auch in der Finanzfrage hat angedeihen lassen. Und unsere D.Chr. stießen am wildesten ins Horn. Das Gegenbeispiel: Wie ich gleichfalls heute hörte, arbeitet man an einem »Verfahren« gegen Otto. Es würden alle Briefe von Leuten gesammelt, die zu den Kirchsteuertagungen, die jetzt im ganzen Land veranstaltet werden, abgesagt hatten mit d. Hinweis auf ein Schreiben von Otto.54 »Termin« am 15. II.? Weiter hörte ich, »man« wolle jetzt besonders scharf gegen die kirchl. Presse vorgehen. Wahrscheinl. hetzen sie im ganzen Reich. Heute kam ein Zettel statt der neuen

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Die Zusammenarbeit von LKR und Gestapo ist vielfach belegt; sie kam oft durch Leffler zustande. Die KDC verstanden das Zusammenwirken mit der Gestapo als gleichsam normalen Geschäftsvorgang im Rahmen ihres kirchlichen Selbstverständnisses als integrativer Bestandteil des nationalsozialistischen Staates. Vgl. Niederschrift. Lutherischer Tag. 2. Tagung vom 6.–8. Februar 1937 mit folgenden Anlagen: (1) Erklärung über Bedeutung, Sinn und Aufgabe des Lutherischen Tages, (2) Beschluß über den Beitritt zum Rat der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands, (3) Beschluß über die Zusammenarbeit im Vertrauensrat mit den Pfarrern der Mitte, (3) Ordnung über Amt und Aufgabe des Vertrauenmannes, LKAE, LBG 53, 2 und weitere nicht foliierte Blätter (4 Seiten) sowie (4) Erklärung zum Verbot des Alten Testaments im Religionsunterricht, LKAE, LBG 226, 50a–50b. »Friedericus. Deutsche Fackel Berlin – Hamburger Warte – Am Stachus, München – Der Sachsenspiegel, Dresden«. Verbreitete nationale Wochenzeitung; vgl. Mohler, Die konservative Revolution, 392. An diesem Gerücht ist so viel richtig, dass die KDC danach strebte, integrativer und damit also legaler Bestandteil des nationalsozialistischen Staates zu werden. »In Württemberg hat der Staat den Deutschen Christen das Recht zuerkannt, die Kirchensteuern statt an die Landeskirche an die Volkskirchenbewegung zu zahlen« (JK 5 [1937], 119). Vgl. Schulungskurse aus Anlass der Kirchensteuersenkung durch Neuordnung der Kirchensteuer, ThKbl/B 1937, 3.

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Nr. der Reformierten Kirchenzeitung: Bis 2. April verboten. Vielleicht Zus.arbeit der Thüringer mit Muhs auf der ganzen Linie? Gestern sollte eine Sondernummer des »Posit. Christentum« erscheinen mit dem Thema »Die Judenschutztruppe der Kirche.« Grenzenlos gemein. Sie wollten doch nur ein Geschäft machen. Sie haben sich inzwischen eines Besseren besonnen u. das Thema geändert in »Gottlosigkeit – Judentum – Bolschewismus«. Das Blatt hat seit einem halben Jahr etwa die Hälfte seiner Leser verloren. Die ausländ. Zeitungen bringen lange Artikel über die besond. Nöte der kathol. Kirche u. die Besprechungen der deutsch. Bischöfe mit dem Papst. Dibelius veröffentlicht in J.K. 3 einen Aufsatz über die kirchl. Neuordnung.55 Ich las erst einige Sätze. Da erinnert er u.a. daran, daß die kirchl. Lage heute eine ganz andere sei als vor 6 Monaten – u. daß sie in 6 Mon. vermutl. wieder eine andere sein würde. Und am 30. Sept. liefe die Geschäftsdauer der Kirchenausschüsse ab! Es kann einem angst werden, wenn man daran denkt. In Wirklichkeit hat Kerrl ja nur einen kurzen Anlauf gemacht u. die Kirche hat keinerlei Bewegungsfreiheit gehabt! Otto z.B. darf immer noch keine Rundbriefe schreiben pp. Und die »Thüringer« arbeiten wieder mit Volldampf u. die Entschließungen des R.K.A. bleiben unbeachtet. Es gibt ganz kleine Lichtblicke. Daß Braunschweig sich am 6.I. dem Luth. Rat angeschlossen hat56 schrieb ich wohl schon. Hamburg57 will nachfolgen (Tügel wird im »Schwarzen Korps« dauernd scharf angegriffen u. dazu schreibt das Blatt: »Wenn die Herren doch nur einsehen wollten, daß wir nicht ihr Bekenntnis meinten …!«), Schaumburg-Lippe58 desgleichen. In Bremen hat sich eine »Arbeitsgemeinschaft« derjenigen Pfarrer gebildet, die nicht D.Chr. sind (Thür. Muster – wir sind wirklich nach jeder Richtg. hin Vorbild).59 In Hannover hat sich eine Arbeitsgemeinschaft solcher Pfarrer gebildet, die aus den D.Chr. ausgetreten sind und nicht mit Meyer-Aurich zu den Thüringern wollen.60 Kurz – die Fronten sind dauernd in Bewegung. D. 9.II. [9. Februar 1937] H. Br. [Brauckmann] als Ortsbauernführer aufgefordert worden, aus der Kirche auszutreten. Bei einer Versammlung der D.Chr. hier soll »furchtbar gegen Gotha gehetzt« worden sein. 55 56 57 58 59

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Otto Dibelius, Um die Neuordnung, JK 5 (1937), 102–106. Vgl. Tgb. 9. und 30. Januar 1937. Vgl. Tgb. 30. Januar 1937. Die Angliederung erfolgte am 3. Februar 1937; Meier, Kirchenkampf II, 295. Nach dem Rücktritt des Bürgermeisters Heider vom Amt des Kirchenpräsidenten am 2. November 1936 »konsolidierte sich eine freie Vereinigung kirchlich interessierter Laien … zur ›Kirchlichen Arbeitsgemeinschaft Bremens‹ … Der Bekenntnisgemeinschaft gehörten nur einzelne von ihnen an; von den DC-Gemeindeführern hatte nur Rechtsanwalt Dr. Tellmann unterzeichnet. Auch einige Geistliche befanden sich in der Arbeitsgemeinschaft« (Meier, Kirchenkampf II, 275). »Die DC-Kritik an der Kirchenregierung traf gelegentlich auch Sup. Rose, der z.B. von Propst Meyer (Aurich) am 28. Juni 1937 aufgefordert wurde, seine Tätigkeit in der Kirchenregierung niederzulegen, da sie sich zuungunsten der Deutschen Christen auswirke. Rose hatte indes bereits am 11. Januar 1937 mit vierzehn anderen seinen Austritt aus der nationalkirchlichen Landesgemeinde Hannover erklärt und hielt seine Verbindung nur noch im Sinn einer Arbeitsgemeinschaft (dem »Harburger Kreis«) aufrecht« (Meier, Kirchenkampf II, 284).

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Auf Freitag, 4 Uhr nachmittag, ist Ernst Otto in den Weißen Saal »geladen« zur »Vernehmung« durch Volk!!!61 Ob wirklich einer glaubt, daß er kommt? nachm. ½6. Sasse u. Franz sind eben aus Berlin zurückgekommen – von Muhs. Sehr schlechter Stimmung. Der Berichterstatter sagt: »So habe ich Sasse noch nie gesehen!« Was mag los sein? Morgen ist irgendeine D.C.-Sache in Weimar: D.C.-Kreiskirchentag oder so. »Deutsche Kirche« Nr. 3 brachte einen sehr gehässigen Bericht zur kirchl. Lage. U.a. erzählen sie von einer Versammlung des »Bundes f. D.C.« am 8.12.36 in Jena, in dem ein Beschluß gefaßt wurde, der »die Haltung des R.K.A. u. der ihm gleichgesinnten Kirchenführer« als »den nat.soz. Aufbau« störend »u. die Geschlossenheit des Volkes« beeinträchtigend hinstellt u.s.w. Das kann man doch wirkl. mit Recht nur vom B. f. D.C. u. von den Neuheiden sagen. Mittwoch, d. 10.II.37. [10. Februar 1937] Gestern Abend Bek.gemeinsch. Otto berichtete. Anschließend Brakhage. Sie haben 3 Tage lang in Gotha in aller Stille ihren »lutherischen Tag« gehabt, Pfarrer u. Laien.62 Es ist die Vertretung der Kreise, die hinter ihnen stehen (eigentl. also Synode. Aber nur ein Notbehelf). Otto sehr glücklich über das Ergebnis. Alles steht nun so gut wie restlos hinter ihm u. damit ist die Niemöller-Richtg., die ihm so schwer zu schaffen machte, hier in Thür. gleichfalls hinter ihm – bis auf Pfr. Werner-Kosma, der sein Mandat im Bruderrat niedergelegt hat, sein Mandat als Abg. noch nicht. Sie haben sich aber im Frieden getrennt – es ist keine Bitterkeit zurückgeblieben.63 Sie haben diesmal von ihrer Absicht, in dieser Weise zusammenzukommen, nichts nach außen hin verlauten lassen, u. sind also auch nicht gestört worden. Ein einziger Telephonanruf sei gekommen. Es sei ja nicht mehr selbstverständlich, daß solche Zusammenkünfte ungestört verliefen. Sie hätten sich (um nicht aufzufallen) auch am Gemeindegottesdienst nicht beteiligt sondern unter sich eine gottesdienstl. Feier gehabt. Ottos Bericht zur Lage hat 2½ Stunden gedauert. Sie haben wegen des Relig.unterrichtes (das A.T. ist jetzt in Thür. ausgeschaltet) an das Volksbildmin. einen Protest gerichtet von dem sie natürl. selbst überzeugt sind, daß er nichts fruchtet.64 Sie haben ihre Organisation etwas ausgebaut, indem sie für jeden Kreis (Kirchenkreis?) »Vertrauensmänner« ernannt haben als »Helfer u. Wächter«, also nicht mit Verwaltungssondern mit seelsorgerl. Aufgaben. Sie haben den Anschluß an den luth. Rat gebilligt u. damit die derzeit. Trennung von der V.K.L. u. auch die Arbeitsgemeinschaft mit der Mitte. Auch das ist O. ja von den Niemöller-Leuten schwer verdacht worden u. ich

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Schreiben des LKR der TheK an Pfarrer Ernst Otto vom 10. Februar 1937, LKAE, LBG 65, 16. Vgl. Tgb. 6. Februar 1936. Zu Pfarrer Werner und dessen kirchenpol. Option vgl. auch Tgb. 21. April und 27. Mai 1936. Schreiben des Landesbruderrats der TheK an den Reichsminister für die kirchlichen Angelegenheiten und an den Reichskirchenausschuss, LKAE, LBG 44, 61–62, mit Anlage: Schreiben des Landesbruderrats der TheK an den Thüringischen Minister für Volksbildung vom 22. Dezember 1936.

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kann mir denken, wie das auf ihm gelastet hat. Diese Arb.gemeinsch. wird weiter vertieft. Die B.K. u. die Mitte-Pfarrer kommen alle 4 Wochen zus. und »erarbeiten« neu ihren gemeinsamen Glaubensgrund. Sie wollen nicht nur in der Abwehr sondern auch im Glauben zusammenstehn. Es wurde angedeutet, daß die Pfr. der Mitte, die den ersten Schritt zu einer entschiedenen Stellungnahme getan haben, ganz von selbst weiter gedrängt werden. Und so wurde noch Manches vom Aufbau berichtet. Es wurde betont, daß es sich bei allen Maßnahmen, wie beim »luth. Tag« selber, nur um »Notbehelfe«, um »vorläufige« Arbeit handeln könne. O. hat die »Ladung« – für Montag, d. 15. – noch nicht. Sie soll heute od. morgen hinausgehen. Es werden fabelhafte Vorbereitungen für seinem Empfang getroffen. Es sind bereits heute ganz genaue Anweisungen gegeben worden, welche Türen des Weißen Saales zum Zeitpunkt dieser »Vernehmung« verschlossen werden sollen – nur die Eingangspforte soll offenbleiben. Zenker soll selbst protokollieren … u.s.w. Das mit den verschlossenen Türen ist überhaupt noch nicht dagewesen! Über die »Beurlaubung« von Günther Blum65 höre ich heute aus einer sehr verläßlichen Quelle – alle Namen wurden genannt u. das Ganze mündet bei der Geh. Staatspolizei – er habe öffentl. irgendetwas über die Kirche gesagt. Darauf habe Sauckel an Hitler telephoniert u. binnen 4 Stunden sei er abgesetzt gewesen. Darin stimmt wohl nicht die Begründg. mit der Kirche. Und warum telephoniert er an Hitler – genügt da nicht Schirach? Aber »Telephonat« u. »binnen 4 Stunden« das wird stimmen. Freitag, d. 12.II. [12. Februar 1937] Gestern vorm. ist O. nach Berlin gereist, kommt erst Sonnabend zurück, also wohl luth. Rat. Frl. Koeppen erzählte mir lachend, die Kriminalpolizei sei wieder einmal dagewesen, um zu beschlagnahmen – eine ganze Reihe von Schriftstücken habe der Mann auf seinem Wunschzettel gehabt. Sie hätte aber nur eins davon gefunden, einen Brief von Marahrens! Beim Weggehen hätte sie den Mann gefragt, ob er noch mehr solcher Besuche zu machen hätte und darauf hätte er geantwortet: »Nein, ich gehe jetzt nur noch zum Landeskirchenrat!« Also ist es ja klar, daß er den Brief von Marahrens da abliefert. Hier oben wurde richtig Franz aus der Sitzg. (gg. Schulz-Niedersynderstedt [Schultz] – Unterschlagg.) deswegen herausgerufen. Franz kommt den Leuten hier oben vor »wie ein Stratege«, der jetzt das Ganze dirigiert. Auf einen Vorhalt, irgendeine Äußerg. der Bek.pfarrer, sei doch garnicht »so schlimm« ( )i, hat er ärgerlich geantwortet: »Aber glauben Sie denen doch nichts! Das ist ja doch alles nur Heuchelei!« Armer Mann.

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Vgl. Tgb. 20.Januar 1937. Strichzeichnung Frauenkopf mit Hakenkreuz, steht für Gertrud Walter, vgl. Übersicht Strichzeichnungen.

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D. 12.II.37, abends 6 Uhr Eben haben mir doch die Knie gezittert. Meldung von unten: In die »Dozentenbesprechung«66 im Zimmer des L.B. klingelt das Telephon. Franz nimmt den Hörer u. sagt laut in das Zimmer hinein: »Der Reichskirchenausschuss ist zurückgetreten.« Eine Viertelstunde später hat Lehmann feierlich zu 3 Leuten gesagt: »Haben Sies schon gehört? Große Stunde!! Der R.K.A. ist zurückgetreten. Gott sei Dank! In letzter Minute! Beinahe hätten die Brüder es fertig gebracht, die ganze Kirche zu zerbrechen. Groooooße Stunde!!« Auf diese Tatsache soll sich eine Bemerkung beziehen, die Franz am Mittwoch gemacht hat. »Es geht gut – nur zu langsam. Nun, Sie werdens schon zur rechten Zeit erfahren.« Deswegen ist Otto in Berlin! Was mag geschehen sein? Wir stehen ganz gewiß am Rande eines Abgrundes. Ich habe Einiges nachzutragen. Oberheid war gestern wieder hier. Franz sagt in einem Gespräch über Ottos bevorstehende Vernehmung hier oben: »Lügen tut er ja doch!« Volk u. Tegetm. hören es mit an ohne zu widersprechen! In der letzten Bek.versammlung teilte O. u.a. mit, Zoellner habe in Lübeck bei einer großen Kundgebung predigen wollen, das sei ihm aber verboten worden.67 Einzelheiten über die Verfolgungen in Thür: Wolf-Metzels bekommt den Ausweisungsbefehl aus Thür. morgens früh zwischen 9 u. 10 Uhr; um 12 tritt er bereits in Kraft! Er muß sich überall, wo er sich aufhält, beim Bürgermstr. melden, der nach Thür. Mitteilg. machen muß u.s.w.68 O. sagte am Dienstag noch, der R.K.A. würde nicht zurücktreten; denn er wüßte, daß er damit einigen Leuten einen großen Gefallen tun würde – ausgenommen natürlich, daß es garnicht anders ginge! Was mag geschehen sein?! Warten, warten, warten. Leichte war heute da – scheinbar ganz ausgesöhnt mit den D.Chr. Er möchte weg aus Gotha – es hängt aber am Geldpunkt. Ich glaube, er ist geistig nicht ganz normal.

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Vermutlich handelte es sich eine [der regelmäßigen?] Besprechung[en] mit den Professoren der Theologischen Fakultät Jena. Als »Ergebnis« einer solchen Besprechung könnte die folgende Verlautbarung [Telegramm?, undatiert; vermutlich Februar 1937] angesehen werden: »Unterzeichnete Theologieprofessoren und Dozenten der Universität Jena erklären ihre Treue zum Führer und zum nationalsozialistischen Staat – erkennen dankbar Förderung ihrer Arbeit durch nationalsozialistische Erhebung – verwahren sich schärfstens gegen Versuche der Kirchenausschüsse und der Bekenntnisfront, Kirche und Theologie in Gegensatz zum Nationalsozialismus zu bringen und Staat und Kirche zu trennen – eintreten für volksverbundene Kirche und der Wahrheit und dem Volk verpflichtende Theologie, wie sie in aller Welt dem deutschen Namen Achtung und Ansehen gebracht hat – bitten um Schutz volkskirchlichen Wollens und freier theologischer Wissenschaft an deutschen Hochschulen« (LKAE, A 800, Bd. III, 225). »Als der Vorsitzende des Reichskirchenausschusses am 5. Februar 1937 persönlich nach Lübeck kommen wollte, verbot der Reichskirchenminister kurzfristig diese Reise. D. Zoellner erhielt obendrein noch ein Aufenthaltsverbot der Gestapo für Lübeck zugestellt. Am 12. Februar teilte Zoellner dem Reichskirchenminister den Rücktritt des Reichskirchenausschusses mit« (Meier, Kirchenkampf II, 259). Zum Fall des Pfarrers Wolf vgl. Tgb. 5. Februar 1937.

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Nun müssen alle die im November schon für den Rücktritt des R.K.A. vorbereiteten Maßnahmen in Kraft treten. Otto bemitleidete mich damals schon für den Fall, daß wir in diese Lage kämen. Ich habs ja jahrelang geahnt, daß es noch schwere Jahre hier oben geben würde. Schützen tut mich wahrscheinl. nur der Umstand, daß die D.Chr. sich nicht vorwerfen lassen wollen, sie verfolgten Frauen. Na – auch das kann kommen. Was machen nun die D.Chr. Berliner Richtung [RDC]? Auf dieses Affentheater kann man wirklich gespannt sein. Sonnabd., d. 13.II. [13. Februar 1937] Nun pfeifen »es« die Spatzen von den Dächern. Und zwar so: »Wissen Sie schon? Der Kirchenausschuss ist »aufgeflogen!« (Rienäcker)! Und Sasse zu Oberländer: Wissen Sie schon …? Geplatzt! Einfach geplatzt!« ¾1. Sasse ist eben bei Volk gewesen und hat gefragt, was Volk dazu meinte, wenn der L.K.R. jetzt gleich einen Brief mit der Meld.g vom Rücktritt des R.K.A. an alle Gemeinden schickte. Volk hat abgeraten, es sei noch nicht amtl. bestätigt. Sasse darauf unwirsch: »Was heißt: ›amtlich bestätigt‹? Ich habe eben mit Leffler gesprochen, der ist für Montag 11 Uhr ins Kirchenministerium bestellt, Dienstag gibt er ›es‹ an die Presse, Mittwoch hält er einen Vortrag … Nun, ich werde mich mal an Grundmann wenden, mal fragen, was der dazu meint. Der mag es ›dort‹ bekannt geben u. es auch gleich Paira u. Weineck sagen.« (Weil die keine D.Chr. sind!) Also: Leffler wird ins Kirchenministerium berufen! Nun werden wir etwas von Heuchelei u. Verdrehung erleben! Er wird es vermutlich wieder mit sanften Tönen machen. Oder – ob er einen Ausschuß bilden soll? Montag, den 16.II.37. [16. Februar 1937] Ein Wunder ist geschehen! Es ist unvorstellbar! Ich habe am Sonnabend nichts mehr aufgeschrieben, weil ich einfach nicht fähig dazu war. Ich hole nach: Kurz vor Dienstschluß Gespräch zwischen Oberländer u. P. (Oberländer wird mir plötzlich als »überzeugter D.Chr.« geschildert). »Die Hauptsache ist ja nun, daß das von Franz und … (? Dü. …?) vorbereitete Gesetz durchgeht.69 Dann hat der L.K.R. freie Hand. Dann werden die Bekenntnispfarrer gefragt, ob sie mitmachen wollen. Und wer das nicht will hat 3 Monate Zeit um sich eine andere Stelle zu suchen. Dann wird er in den Ruhestand versetzt! Ob er Frau u. Kinder hat ist ganz einerlei.« (Das ist wahrscheinl. das vor dem 10. Nov. vorbereitete Schreckensgesetz, das ich gelesen habe. Franz hatte Ende Dezember in einer Sitzung noch einmal vorgeschlagen, jetzt darauf zu dringen, daß das K.min. das Gesetz bestätigte).(Protok.) Abends zwischen 6 u. 7 ging ich zu Frau Otto [M.]. Otto selbst war noch nicht da. Sie gab mir ein Schreiben vom R.K.A., in dem die Vorgänge geschildert wurden, die

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Gemeint ist das Gesetz zum Schutz der Rechtseinheit der TheK (vgl. Tgb. 2. November 1936).

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zum Rücktritt von Zoellner geführt haben.70 Lübeck!! Zoellner hat dort in der Marienkirche predigen wollen. Es sollte eine große Kundgebung werden zur Stärkung der lutherischen Bekenntnisgemeinden. Nach mancherlei Hin u. Her (u.a. Bitte von Kerrl, Zoellner möchte nicht hingehen, Zoellner lehnt diese Bitte ab) erscheint morgens früh um 6 die Geh. Staatspolizei bei Zoellner u. erklärt ihm, er würde verhaftet, wenn er nach Lübeck abreisen wollte. (Der Gottesdienst in Lübeck wurde verboten, schließlich fand einer in der reformierten Kirche statt, die d. Bischof Balzer nicht untersteht) u.s.w. 8 Uhr 20 sollte Otto ankommen. Ich ging auf den Bahnhof. Dort ging schon K.Rat Otto [R.] unruhig auf u. ab. Er wollte von Otto wissen, ob schon etwas über das neue »Verordnungswerk« bekannt sei, das, wie der Rundfunk mitgeteilt hatte, gestern, Montag, veröffentlich werden sollte – im Gesetzblatt. O. kam mit 20 Min. Verspätung. Erzählte, während wir neben ihm wanderten. Also Rücktritt. Danach hat K.Ausschuß versucht, eine neue kirchl. Spitze zu bilden; Kerrl hat Bestätigung abgelehnt. (Übrigens hat auch Niemöller sogar in dieser Situation sich geweigert, irgendwie mitzugehen). Schließl. hat Kerrl noch die Kirchenführer empfangen u. eine unglaubliche Rede gehalten.71 Er hat u.a. gesagt: Ein Jesus, der aus Palästina käme u. ein Jude wäre, sei eine Lächerlichkeit. In Frage käme nur der »Heiland der Deutschen«. – Eine unglaubliche Rolle hat der D.Chr. Diehl im R.K.A. gespielt. Über das angekündigte »Verordnungswerk« haben alle noch im Dunkeln getappt. Da ist er aufgestanden u. hat gesagt, der Minister habe es ihm vorgelesen – er könne aber nichts darüber sagen. Kerrl hat vor den Kirchenausschüssen die kommende Regelung so dargestellt: Die ganze Verwaltung der deutschen evangel. Kirche [DEK] geht in die Hände des Staats über u. wird von der Kirchenkanzlei geleitet. Kerrl selbst tritt an die Spitze. Die Kirchen von Mecklenburg u. Thüringen sind die Idealkirchen, die sind ganz in Ordnung. Die würden von ihm, Kerrl, ausdrücklich bestätigt werden. Dagegen sind z.B. die Kirchen von Bayern u. Württemberg nicht in Ordnung. Er würde sich noch überlegen, ob er die bestätigen würde!!! – Selbstverständlich würde festgelegt werden, daß alle Pfarrer – die Pfarrer würden natürlich in das Beamtengesetz einbezogen – ihren Vorgesetzten Gehorsam schuldeten! Sollten Pfarrer aus Gewissensbedenken sich ihren Vorgesetzten nicht unterstellen können – man höre! –, so würde für die die Möglichkeit geschaffen, sich unmittelbar der Kirchenkanzlei zu unterstellen, z.B. durch den »Bund für Deutsches Christentum«, der ausdrücklich genannt wird!!! (Also eine Sonderregelung zugunsten der Thür. D.Chr. u. mehr als das! Es könnten so Stoßtrupps geschaffen werden, die in den geschlossenen Kirchengebieten solange wühlen, bis alles auf dem Kopf steht. Nun wissen wir ja auch, was das heuchlerische Gerede vom »ekelhaften Kirchenstreit« zu bedeuten hat. Wo kein Kirchenstreit ist, da ruht man nicht, bis er entsteht u. dann tut man angewidert). 70 71

Schreiben des RKA an den Reichs- und Preußischen Minister für die kirchlichen Angelegenheiten vom 12. Februar 1937, KJ 1933–1944, 152–154. Vgl. Aufzeichnung über eine Rede des Reichskirchenministers vor den Vorsitzenden der Landesund Provinzialausschüsse am 13. Februar 1937; vgl. Dokumente zur Kirchenpolitik III, 318–320. Andere Fassungen der Rede: Schmidt, Dokumente des Kirchenkampfes II, 1347–1351. 1351– 1355; Schäfer, Die Evangelische Landeskirche in Württemberg V, 57–62).

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Kerrl hat noch viel gesagt – u.a., Wahlen, Kirchenwahlen würde es auf keinen Fall geben, daran sei garnicht zu denken u.s.w.72 Na – also mit diesen Neuigkeiten ging ich nach Hause. Kaum geschlafen. Ich mußte manchmal an Ottos denken – ob die wohl schlafen könnten? Und wie Otto es fertig bringen würde, am Sonntag nachmittag seine Predigt zu halten. – Darauf sagte mir Frau Otto [M.] dann: »Wir haben herrlich geschlafen! Wie die Säcke!« Ja – da sieht mans wieder einmal, was Christen sind. Obwohl das Beispiel komisch ist. Und Ottos Predigt am Sonntag nachmittag! – Da geschah schon ein Wunder. Ich, völlig ausgelöscht, wie ich war, kriegte wieder Mut! Er sprach über einen langen Text aus d. Korintherbrief »Fürchtet euch nicht … als die Gestorbenen u. siehe, wir leben….!«73 Ich begriff das Kreuz. »Alle Verheißungen gelten nur der Kirche unter dem Kreuz.« Ich begriff, daß es nicht heißt »aus dem Leben ausgestrichen sein«, wenn alles um einen herum schwarz ist, sondern, daß man auch dann mitten im Leben ist. Oder sogar: Gerade dann! – Es war wirklich so, ich war ein ganz anderer Mensch nach dieser Predigt. Ich beschloß, mit allen Illusionen Schluß zu machen, nicht mehr auf Künftiges zu bauen, sondern ganz in der Gegenwart zu leben, die Situation zu nehmen, wie sie ist. Otto hatte u.a. gesagt: Die meisten Menschen seien immer auf der Flucht vor der Gegenwart. Sie retten sich in die Vergangenheit oder träumen in die Zukunft. »Das Kreuz tragen«, das heißt auch, ganz in der Gegenwart leben u.s.w. Es war eine ganz wunderbare Predigt. Voll Feuer. Nicht »schön« u. nicht »erbaulich«. Aber wahr. Nach der Predigt zeigte mir Frau Otto [M.] im Auftrag ihres Mannes den Brief, den er an den L.K.R. geschrieben hatte, der seine Absage zur »Vernehmung« am Montag enthielt.74 Ich schlug vor, einen Satz zu streichen, der eine unnötige Verschärfung enthielt (so ungefähr: »Der L.K.R. hat einen anderen Glauben als ich u. kann deshalb meine Motive u. Handlungen nicht verstehen. Es würde sein, als wenn ich von einem römisch-katholischen Bischof vernommen werden sollte.« Den Satz mit dem Bischof hat er dann gestrichen). In dieser Nacht schlief ich gut. Am andern Morgen hatte ich dann doch ein Grauen vor der »Andacht«. (Die Andacht von Jansa ging gegen den Kirchenaustritt) u. vor P. ( )c, die so schrecklich feig u. jämmerlich ist. Aber siehe da! Sie kam strahlend in mein Zimmer: »Haben Sie die Predigt gehört? Ich habe wieder Mut!« Dann kam ( )a, halbtot vor Grippe: »Ich kam zum Dienst nur, weil ich von Ihnen hören wollte, was los ist!« Nun, ich sagte die Wahrheit so schonungslos, wie ich sie gehört hatte. »Wir dürfen uns keine Illusionen mehr machen – es ist für uns in Thüringen wirklich alles aus!« Unvergeßlich die Wendung, mit der er hinaus schlich! Dann fragte ich, ob O.s Brief angekommen sei – 4 Uhr nach. war die Vernehmg. angesetzt. Nichts. 72 73 74 c a

Die Informationen der Tagebuchschreiberin weichen z.T. ab von den dokumentierten Fassungen der Rede Kerrls. Predigttext war vermutlich II Kor 6,1–10, aus dem die Tagebuchschreiberin einen Teil des 9. Verses zitiert: »als die Sterbenden, und siehe wir leben«. Schreiben des Vorsitzenden des Landesbruderrates der Thüringer evangelischen Kirche an den LKR der TheK vom 13. Februar 1937, LKAE, LBG 65, 18. Strichzeichn. Frauenkopf mit Locken, steht für Hanna Linde, vgl. Übersicht Strichzeichnungen. Strichzeichnung Männerkopf, steht für Friedrich Bernewitz, vgl. ebenda.

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Kurz bevor wir zur Mittagspause gingen, war er noch nicht da. Während ich zur Haustür hinausging, erschien ein Telegraphenbote mit mehreren Telegrammen, die er in d. Zentrale abgab. Ich dachte: Das sind sicher Huldigungstelegramme der Getreuen an unsere Machthaber. Dann telephonierte ich an O. Es stellte sich später heraus, daß sein Brief am Sonntag Nacht 11½ Uhr in den Hauptpostkasten geworfen worden u. um 2 Uhr nachts abgestempelt war! Um 3 Uhr Montag nachm. lag er immer noch auf d. Post! O.s Sekretärin ließ ihn dann als Eilbrief auf den Pflugensberg schicken, wo er ½ 4 Uhr ankam! Frl. Linde u. ich waren froh! O. auch (»Ich will doch nicht brüskieren!« Und dagegen Spigaht: »Der hat mit Absicht bis zur letzt. Minute gewartet!«). Inzwischen hatte sich Folgendes ereignet: Die Telegramme, die mittags ankamen, waren an Sasse, Franz, Brauer u. Hohlwein gerichtet, die nachmittags nach Berlin abreisen wollten. Sie haben ungefähr gelautet: »Nicht kommen. Kerrl.« Das erfuhr ich gegen Abend. Wir standen zu dritt beisammen und sahen uns an. »Wissen Sie,« sagte ( )a, »das kommt mir vor wie damals, zu den Zeiten des Reichsbischofs. Wissen sie noch, wie oft irgendein großer Schlag vorausgesagt wurde u. »Unsere« wollten nach Berlin abreisen u. 5 Minuten vor 12 kam ein Telegramm: Verschoben! – Ich taxiere, diese Versammlung im Kirchenministerium wird nie stattfinden!« Ich schüttelte den Kopf. Schon wieder Illusionen?! »Na, es ist noch nicht in dem Töpfchen, wo’s kocht!« – Der Mann hat Recht behalten. Etwas später sagt Sasse zu Volk: »Was sagen Sie dazu! Dieser »Kerrl« stellt womöglich noch Forderungen und hat seine Sachen noch nicht beisammen! Da hat die »Gegenseite« gewühlt!« Am nächsten Morgen – – ! Dieser Morgen bleibt unvergeßlich. Während ich auf den Pflugensberg stieg, suchte ich mir so kleine Trostgedanken zusammen, die den Tag etwas erträglicher erscheinen ließen. Es war noch eine Übersetzung zu machen (was ich immer gern mache), u. eine ganz neue »Sache« anzufangen, was immer etwas spannend ist. Ich kam in die kleine Halle. Da kam aus der Zentrale 1( )a, lachend von einem Ohr bis zum andern; er wackelte ordentlich vor Lachen. »Na, was sagen Sie dazu? Der Führer hat eingegriffen! Kirchenwahlen!«75 Ich sah ihn verständnislos an. »Wieso…Kirchenwahlen!?« (Ich dachte, er wäre lütütü). »Na, Kirchenwahlen! Gestern Abend ist es im Rundfunk durchgegeben worden!« »Von welchem Sender?« »Vom deutschen Sender! W. hats mir gesagt!« Es dauerte noch eine Weile, bis ichs begriff, u. bis der Stein sich hob, der auf der Brust gelegen hatte: Das Schlimmste ist doch abgewendet! a a 75

Strichzeichnung Männerkopf, steht für Friedrich Bernewitz, vgl. ebenda. Strichzeichnung Männerkopf, steht für Friedrich Bernewitz, vgl. ebenda. Vgl. Erlass Hitlers vom 15. Februar 1937: »Nachdem es dem Reichskirchenausschuß nicht gelungen ist, eine Einigung der kirchlichen Gruppen der Deutschen evangelischen Kirche herbeizuführen, soll nunmehr die Kirche in voller Freiheit nach eigener Bestimmung des Kirchenvolkes sich selbst die neue Verfassung und damit eine neue Ordnung geben. Ich ermächtige daher den Reichsminister für die kirchlichen Angelegenheiten, zu diesem Zwecke die Wahl einer Generalsynode vorzubereiten und die dazu erforderlichen Maßnahmen zu treffen« (Dokumente zur Kirchenpolitik III, 321).

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O. sagte später: »Nicht wahr, wie zum Tode Verurteilte, die erfahren, daß der Prozeß wieder aufgenommen wird!« (Ihm hatte es am Dienstag früh D. Otto [R.] am Telephon gesagt!) Ich war den ganzen Morgen über ziemlich verrückt. Vor Freude. An Arbeiten war nicht zu denken. Ich hatte auch ziemlich viel Besuch. – Mit Therese zankte ich mich, weil sie sagte, die Kirchenwahlen würden ja doch nicht »in vollkommener Freiheit« stattfinden, wie in dem Hitler-Erlaß verkündet worden war, u. es sei auch garnicht daran zu denken, daß man O. gestatten würde, wieder Rundbriefe an die luth. Bek.gemeinsch. zu schreiben. Ich wurde wütend. »Das wäre keine Freiheit!« »Aber Ihr könnt doch nichts machen!« »Doch! Wir machen nicht mit!« »Das könnt Ihr nicht!« »Doch, das können wir!« Sie rannte schließlich hinaus. (Am nächsten Morgen haben wir uns ausgesprochen u. vertragen. Inzwischen hatte auch Otto mich ausgelacht! Es stünden ihm 2 Jahre Zuchthaus bevor, wenn er Briefe vervielfältigen läßt! Er glaubt auch nicht, daß diese Verfügung abgeändert würde! – Ich glaube es aber doch!) Diejenigen Beamten u. Angestellten, die die Vorgänge nicht kannten, wie ich, u. nicht ahnten, welchem Verhängnis wir entgangen waren, haben die Nachricht von den Kirchenwahlen etwas erstaunt aufgenommen u. wußten nicht recht, was sie daraus machen sollten. Die Deutschen Christen: Sorge: »Wahlen?? – das ist eine brenzliche Sache.« Frl. Kleinsteuber: »Wahlen?? Das ist gefährlich – wenn nicht genug Zeit zur Vorbereitung bleibt!« Sasse, Frz. u. Hohlwein »sehen sehr schwarz.« Sasse: »Es wird ein Überwiegen des Lutherischen Rates herauskommen – vielleicht nicht bei uns in Thüringen.« (Auch Ernst Ottos Meinung). Ein anderer: »Es kommt alles auf das Wahlgesetz an.« Sasse: »Wenn irgendeine Klausel drin ist, die den Bekenntnispfarrern nicht paßt, dann machen die nicht mit.« Hohlwein: »Na, so dumm werden sie doch nicht sein!« Während einer Besprechung bei der auch Leuth. u. Volk dabei sind, sagt Sasse: »Das kann ich Euch sagen: In 2 Jahren redet niemand mehr von der Kirche! Das werden sie damit erreichen!« Franz zu seiner Stenotypistin: »Frl. W., waren Sie schon einmal betrunken?« »Nein, Herr Kirchenrat.« »Dann wissen Sie auch nicht, wies einem zu Mut ist!« Das kann ich mir denken! Er sah sich schon als leitender Jurist im Kirchenministerium! Es ist schon ein furchtbarer Sturz für diese Männer. Aber Mitleid mit ihnen ist nicht angebracht. Wie wollten sie’s denn den Andern machen! »Entlassen – ganz egal, ob einer Frau u. Kinder hat.« So hat es Oberländer angekündigt u. offenbar selbst ganz in Ordnung gefunden.

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Außerdem wanken ihnen jetzt sämtliche Begriffe. Haben sie nicht den Willen des Führers getan??? Gestern Abend sind unsere Machthaber nach »Zehlendorf« in den »Bund« [BfDC] abgereist. Ich ging abends zu O.s, um deren Gesichter zu sehen – u. aß bei ihnen zu Abend. O. sagte auch, es sei »ein Wunder«. Aber er sah doch auch die großen Bedenken: Wie wird das Wahlgesetz? Der K.Ausschuß hat einen Entwurf fertig gemacht, aber Kerrl ist vom Führer beauftragt. Wie wird die angekündigte »vollkommene Freiheit« aussehen? Übrigens sagte er mir noch, was ich neulich nicht begriffen hatte: Obwohl Kerrl angekündigt hat, die »Bestätigung« zu versagen, haben die Kirchenführer nach dem Rücktritt des R.K.A. noch eine »kirchliche Spitze« ernannt, Vorsitzender Lilje. Die Unterzeichnung dieses Beschlusses sei das Letzte gewesen, bevor sie auseinandergingen. Sie hätten sogar bestimmt, daß Lilje im Zimmer von Zoellner Platz zu nehmen hätte u. daß die 4 oder 5 Herren ihren Dienst am Montag, d. 15.II.37 um 8 Uhr früh anzutreten hätten. – Auf den Bericht über diesen Dienstantritt sind wir gespannt. Freitag, 19. Febr. [19. Februar 1937] Gestern Abd. Bibelstunde. O. sprach kurz von dem Rücktritt des R.K.A. u. der bevorstehenden Wahl – nannte die Entscheidung des Führers »ein Wunder, für das wir von Herzen dankbar sind.« Dann kam natürl. auch der Hinweis, was mit dieser Wahl auf d. Spiele stünde u. wie groß die Gefahren seien – angesichts der Ahnungslosigkeit der Gemeinden. Als wir nach Hause gingen, erzählte er, daß er am Mittwoch ein Telegramm bekommen hätte, zur Kirchenführerbesprechg. heute nach Berlin in die Marchstr. zu kommen – gezeichnet Lilje. (Der hat sich also durchgesetzt!). Bauer [G.]. ist gefahren. Was uns bevorgestanden hätte, wenn die Pläne des K.min. durchgedrungen wären, davon geben einige Meldungen einen Vorgeschmack. In Rüdersdorf ist eine Evangelisation verboten worden – von der Polizei, mit der Begründung: »Sowas gibts jetzt überhaupt nicht mehr. Jetzt regiert der Herr Minister in der Kirche.« (Mit dieser Begründung hätte jeder deutschgläubige Beamte seine persönl. Meinung gegenüber der evangel. Gemeinde durchsetzen können). Und die Fürbitte für die verfolgten Gemeinden in Thüringen, die Otto am letzten Sonntag von d. Kanzel verlas, ist an 2 Stellen beschlagnahmt worden als »staatsfeindlich«. Gestern hörte ich, unter den Angestellt. u. Beamten sei »alles still«. Es würde nicht über die Ereignisse gesprochen. – In der Zentrale sagte einer, d. Wahl sei am 13. oder 14.III. Hohlwein hat im Pred.sem. die Kand. gefragt, mit wieviel Eisenacher Wählern sie rechneten. Antw. »4000«. Darauf Hohlwein: »Kein Gedanke. Höchstens 2000. – Und D.Chr.-Stimmen?« – Antwort: »400« – Hohlwein: »Nicht daran zu denken. Etwa 150– 200. – Ich habe ja schon früher gemerkt, daß der Führer in kirchlichen Dingen nicht gut beraten ist – aber diesmal …!«

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Auch von Erich Reichardt hat man d. Eindruck, daß er keine großen Hoffnungen hegt. – Nun, wenn die Herren sich erst etwas erholt haben, werden sie auch wieder anfangen zu bluffen. Die Presseausschnitte (Argus), die wir zeitweise sehr spärlich bekommen, kommen in diesen Tagen in dicken Packen. Sehr interessant die ausländ. Zeitungen, besonders die englischen. Eine französ. Ztg. wiederholt einen Bericht der »Neuen Züricher Ztg.« über den Besuch des Bischofs von Chichester in Berlin Anfang Febr. (wahrscheinl.). Der Bischof hätte sich außerstande erklärt festzustellen, welches nun eigentlich die rechtmäß. Spitze der Dtsch. ev. Kirche sei, die zur oekumen. Tagung nach Oxford76 einzuladen wäre. – »Times« vom 14.II. brachte einen Hinweis auf »radikale« Gauleiter, die die »extreme D.Chr.-Gruppe«, z.B. in Thüringen, Mecklenburg u. seit Kurzem auch in Lübeck, förderten u. damit eine, den Absichten Kerrls entgegengesetzte Lokalpolitik trieben u.s.w. Eine heute gekaufte »Times«-Nr. spricht davon, daß Kerrl von seinen eigenen Leuten »Stück für Stück d. Boden unter den Füßen weggezogen« worden wäre u.s.w. – Dazu kommen Andeutungen über die nach dem Rücktritt des Reichskirchenaussch. ursprüngl. geplanten Gewaltmaßnahmen. Die 9 Lübecker B.K.-Pastoren kehren in allen Berichten wieder.77 Ich könnte mir denken, daß diese Auslandsstimmen den Gang der Dinge beeinflußt haben. Die deutsche Presse brachte massenhafte, sehr schadenfrohe Artikel über die Falschmeldungen der Auslandspresse, bes. des Daily Telegraph, die sehr schnell Lügen gestraft worden seien. Statt Zwangsmaßnahmen – Wahlen in »vollkommener Freiheit«!!! – Diese Artikel klingen so ehrlich schadenfroh – bes. der des Völk. Beob. –, daß man von der Gutgläubigkeit der Verfasser überzeugt sein muß. Ein Zeichen, daß auch die Berliner Presseleiter über die kirchlichen Dinge vollkommen unorientiert waren u. sich offenbar auch garnicht bemüht haben, richtige Informationen zu bekommen. Sonnabd., d. 20.II. [20. Februar 1937] (Ich hatte das Vorhergehende in solcher Hast niedergeschrieben, daß ich es wegschneiden u. einigermaßen anständig formulieren mußte!)78 Heute habe ich einen sehr interessanten Daily Telegraph-Artikel übersetzt, der Kerrls Rede an die Mitglieder der Landeskirchenausschüsse in einzelnen Wendungen offenbar wörtlich wiedergibt.79 Der ganze ursprüngliche Plan wird dabei deutlich u. die geplante Zusammenarbeit mit den D.Chr. Thür. Richtung [KDC] wird extra erwähnt! (Zum Schluß rechnet der Korrespondent mit den Beschuldigungen der Deutsch. Presse ab)! – Es war ein ausgefüllter Morgen! Ich übersetzte stundenlang auf Tod u. Leben u. ließ dazwischen den engl. Artikel wandern. Volk ist mit der Übersetzung dann sofort zu Lehmann gegangen u. Lehmann ließ sich gleich einen eigenen Durchschlag holen.

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Zweite ökumenische Weltkonferenz in Oxford 1937. Zu den Vorgängen in Lübeck vgl. Tgb. 12. Dezember 1936, 8., 9., 13 und 15. Januar 1937. Betrifft Lage 87, 4 Seiten sind weggeschnitten. Vgl. Tgb. 16. Februar 1937.

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(Jetzt fehlt wirklich bloß noch, daß die Namen der Thür. in d. Auslandspresse genannt werden)! Franz ist gestern früh 5 Uhr wieder nach Berlin gefahren.(Am Donnerstag Abd. vorübergehend zurück wegen Luftschutz!). Am Nachmittag wurden Hohlwein u. Bauer [W.] noch telegraphisch angefordert. – Sasse war auch unterwegs – wird heute nachm. zurückerwartet. Montag, d. 22.II.37. [22. Februar 1937] Ich kam heute zu spät zur »Andacht«. Sasse ist schon wieder abgefahren. Spigaht glücklich: 1.) Er ist in den V.D. zurückberufen worden – wegen der Wahlkampagne! – 2.) Es sei eine Einheitsfront aller D.Chr. im Reich unter Führung von Leffler geschaffen worden! Btz. bezweifelte es, ich halte es für möglich. Wenn es wahr ist, geschieht es auf Kerrls Rat. Und wie haben die Brüder sich gegenseitig schlecht gemacht! – Und nun verwenden sie wieder alle Mittel der Kirche, um ihre Sache durchzusetzen! »Disziplinieren«, so hat Spigaht weiter mitgeteilt, (er ist bei bei den Diszipl.fällen beschäftigt) »hat jetzt natürlich gar keinen Sinn, denn wir würden die Leute ja doch nur freimachen für die Wahlkampagne!« Die Wahrheit ist wohl, daß sie z.Zt. nicht Disziplinieren dürfen. Eben hörte ich noch: Erich Reichardt hat einen Brief – offenbar an einen Bekenntnispfarrer, der eine vorgeschriebene Kollekte nicht gesammelt hat – diktiert in einer völlig neuen Tonart! Höflich direkt, sodaß es den Zuhörern die Sprache verschlug. Was würde wohl heute sein, wenn vor 8 Tagen dieser Erlaß Hitlers nicht gekommen wäre? Aber ich sehe eine neue Gefahr. Die Ratlosigkeit der Gemeinden, die ja seit Jahren ganz ahnungslos bleiben mußten, wird so groß sein, daß Viele nicht wählen werden. Und dann wird es heißen: »Die Ev. Kirche spielt in Deutschland keine Rolle mehr« u. die Partei u. der Staat werden den Schluß daraus ziehen, daß man also auf die Kirche auch keinerlei Rücksicht mehr zu nehmen braucht. nachm. Ich habe alles Mögliche erfahren – kann leider nicht sagen, wie. Aus der Umgebung von Sasse wird berichtet, die Wahlen würden sich noch lange hinziehen, es sollte dem Volk Gelegenheit gegeben werden, sich durch Wahlreden von beiden Seiten selbst ein Urteil zu bilden. Wahl viell. erst 1. Mai. Das sei dann wirklich der letzte Augenblick für die Kirche. Wenn danach wieder keine Einigung käme, dann käme die Staatskirche (also vermutl. die Regelung, der wir eben entgangen sind). Es würde jetzt versucht, einen Modus zu finden, der es den aus der Kirche Ausgetretenen – Sauckel u.s.w. – ermöglichte mitzuwählen! (Womöglich treten sie auf 3 Tage alle wieder ein!!!) Die Partei würde demnächst wieder eröffnet. Soviel sei klar: Wer B.K. wählte, stünde nicht treu zum Führer!!! Es sei von Unstimmigkeiten zwischen Kerrl u. Muhs berichtet worden – daran sei nichts wahr! (Ich habe nichts darüber gehört). Das nächste sei eine Zus.kunft zwischen Leff u. Leu [Leuthheuser] u. Rosenberg. Der Adjudant von R. habe neulich Leuth. sprechen hören u. sei begeistert! Er hätte überhaupt noch nie einen so tief religiösen Menschen reden hören wie Leu.

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Es sei möglich, daß »die Partei mitarbeite« bei den Wahlen ! Das sei aber noch nicht heraus!!! Also das ist das, was nach dem letzt. Besuch unserer D.Chr. im Kirchenministerium durchgesickert ist. In diesem Sinne sagt Franz: »Oh, es steht ganz gut.« Die Herren scheinen sich also nach d. ersten Schrecken wieder gefaßt zu haben. Übrigens: Die Einheitsfront zwischen den D.Chr. Thüringer [KDC] u. Berliner Richtung [RDC] unter Führung von Leffler wird bestätigt!80 Es sollte große Wahlversammlungen geben, in denen Redner aller Richtungen zu Worte kommen sollten. D. 23.II.37. [23. Februar 1937] Heute früh ein etwas verwirrter Bericht, aus dem ich nur verstand, daß Lehmann gestern vormittag einem Pfr. Lic. Schöne gesagt haben soll, die Bekenntnisleute verbreiteten jetzt, sie würden bei den Wahlen nicht mitmachen, wenn die Thür. D.Chr. auf die Wahlliste kämen. Das wurde mir empört mitgeteilt mit der Randbemerkung, wie Lehmann nur so etwas Lächerliches verbreiten könnte. Ich erwiderte, ich hätte das nicht gehört u. wüßte garnichts darüber; ich hielte es aber für möglich. Großes Staunen. Dann hatte ich eine »Times« v. 19. zu übersetzen, die u.a. mitteilte, die Niemöllerleute u. der »lutherische Rat« hätten sich über gemeinsame Mindestforderungen an eine Wahlordnung geeinigt. Würden diese nicht erfüllt, dann würden sie sich nicht an der Wahl beteiligen. Außerdem behauptet die Ztg. noch, daß Hitlers Entscheidung dem Eingreifen von Leuten, die am 4-Jahres-Plan81 führend mitarbeiteten, zu verdanken sei. Man wolle besonders in den schwierigen Frühjahrsmonaten Mißstimmungen vermeiden. Außerdem fürchtete man gerade jetzt, gleichzeitig mit den Unruhen im Protestantismus, ein Aufflammen des Widerstandes in katholischen Kreisen (Rede Faulhabers in München am 14.II.(?), Konkordat!) u.s.w. Eine bezeichnende Äußerung hat Volk getan, als Jemand ihm sagte, er ginge mitunter auch zu Otto in die Kirche. »Ach, ich gehe überhaupt nicht mehr in die Kirche. Kiel hat eine so wundervolle Predigt gehalten am Bußtag; aber mir fällt dann immer gleich das ganze ekelhafte Gezänk ein.« Ja – wenn man über den Kirchenkampf immer nur die D.Chr. reden hört, dann glaube ich schon, daß einen das anekelt. Ich sagte neulich zu O. im Blick auf den Wahlkampf: »Aber dann muß auch alles gesagt werden, was diese Herren jetzt vorgehabt haben. Rüdersdorf usw.«82 Darauf Otto lachend: »Das werden wir nicht tun. Wir werden vor allen Dingen sagen, was wir wollen, worum es uns geht.«

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Vgl. Rundbrief 4 der Kirchenbewegung Deutsche Christen (Nationalkirchliche Bewegung). Deutsche Pfarrergemeinde an sämtliche Mitglieder der Deutschen Pfarrergemeinde vom 24. Februar 1937, LKAE, DC 164, nicht foliiert. Zum Vierjahresplan vgl. Tgb. 13. November 1937. Vgl. Tgb. 19. Februar 1937.

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Was ich ja nun auch wieder zu wenig finde. Wir kennen die D.Chr. doch auch hauptsächlich aus ihren Taten u. weniger aus ihrem Schrifttum oder ihren Reden. Und diese Möglichkeit des Urteils müssen die Gemeinden auch bekommen. Ein D.Chr. erzählte, Franz habe auf die Frage, wie es ihm persönl. ginge, geantwortet: »Ach, soso lala.« Woraus wir schließen, daß doch mit d. Sache der D.Chr. nicht alles restlos »gut« geht. Volk hat sich sehr verstimmt darüber ausgesprochen, daß er Frl. v. Ranke gestern Abd. mit Otto in d. Nähe seines (Volks) Hauses begegnet sei! Das sei »taktlos« von ihr. Sie hätte da nichts zu tun u. er, O. auch nicht!! (Es ist Ottos Seelsorgebezirk u. war die Zeit, wo er von Hausbesuchen heimkommt!! Es hört schon alles auf.) O. hätte »sehr frisch« Heil Hitler gesagt! Das beschäftigt Volk! »Mit Frau Begas ist das ja was anderes. Das sind eben die Beziehungen aus der früheren gemeinsamen Arbeit …« u.s.w. Ich sagte dem Betreffenden, die D.Chr. sollten sich doch hüten, in den Ruf zu kommen, daß sie auch noch die Frauen kirchenpolitisch verfolgten. Sie würden damit unbedingt die Ersten sein im Kirchenkampf u. sehr berühmt werden in ganz Europa. Franz soll tatsächl. nicht wohl sein. Es wird auf einen Sturz bei Glatteis neulich zurückgeführt. Trotzdem reist er morgen nach Berlin. Er sei so wichtig, daß er hin müßte, ob er wohl wäre oder nicht. Selbst seine Frau hätte das eingesehen. Was mag es sein? – Es wird mir wieder versichert, daß Franz unglaublich gehässig sei u. sich ganz scheußlich über die B.K. ausdrückte. Mittwoch, d. 24.II.37. [24. Februar 1937] Heute früh hörte ich: Volk hat sich einem ausgeschüttet. Aus allem ging hervor, daß die D.Chr. nicht begreifen – auch heute noch nicht –, daß Kerrl noch nicht abgesetzt ist. Der hätte eben doch total versagt. In der Kantine soeben das erst Wahlgespräch. Eckardt bearbeitete Rienäcker: »Also sehen Sie, der Nationalsozialismus ist doch ein Gebilde, was alles umfaßt. Also dann wollen wir nach der Wahl doch mal das Ausland sehen …« Es schien Muhs zu sein. Gestern Abend bei O., dem die Mitteilungen der »Times« auch absolut neu waren. Er lachte. »Die Kerle wissen mehr als wir – die wissen alles.« 12 Uhr mittags. Vor etwa einer Stunde sind Sasse, Volk, Stüber, Franz in der großen Halle zus.gekommen u. Sasse hat in höchster Aufregung mitgeteilt: »Also tatsächlich! Der lutherische Rat, an der Spitze ausgerechnet Niemöller, hat jetzt seine Bedingungen für die Wahl gestellt! Also erstens …!« Hier wurde die Zuhörerin mit einem Vorwand hinausgeschickt.83 Franz ist nach Berlin abgefahren. Sasse fährt morgen nach, bleibt heute nur hier, um anläßlich der heutigen Sauckel-Kundgebung mit Sauckel zu reden.

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Bedingungen stellte die VKL; denn der Wahlerlass Hitlers stelle einen Eingriff das Staates in das Rechtsleben der Kirche dar. Aber auch die Kirchenführer, die sich Art. 1 der DEK-Verfassung verpflichtet hielten, wie z.B. Marahrens und andere machten geltend, dass eine Generalsynode nur von den bekenntnisgebundenen Landeskirchen gebildet und eine Wahl zu ihr nur in eigener kirchlicher Regie durchgeführt werden könnte; vgl. Meier, Kirchenkampf II, 149.

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25.II.37. [25. Februar 1937] Gestern Abend Sauckelrede im Fürstenhof. Er konnte Seitenhiebe auf Kirche u. Glauben nicht unterlassen. Z.B. sprach er u.a. von Bekenntnishetzern, »die den Leuten das Herz zerreißen.« (Und die widerlichen Angriffe auf Christentum u. Kirche? Wir zerreißen niemandem das Herz). – Alles, was im Laufe der Geschichte Deutschlands heilig u. groß gewesen sei, würde auch von Nationalsozialisten heilig gehalten!!! Heute erschien mit »Argus« eine Nr. des »Schwarzen Korps«. Voll Hohn über die Kirchenwahlen. Sie erwarten geringe Wahlbeteiligung u. wollen dennoch über die Christen herfallen. Folgendes erfuhr ich noch: Sasse hätte auf einem der Kirchsteuerkurse ganz vor Kurzem in Friedrichroda eine tolle Rede gehalten: Auf den Wahllisten für die Gen.syn. würden nur Kandidaten stehen, die dem Reich angenehm wären. Bestimmt kein Bekenntnismann. – Die ganze Generalsynode würde nur 10 Min. dauern. Es würde den Gewählten nur bekannt gegeben werden, daß der Staat die Verwaltung der Kirche übernähme. Das alles furchtbar gebrüllt. Dann schnauzt er Leute an, die nachschreiben u. verbietet das. (Er muß halb verrückt sein). Diese Eindrücke werden von K.Rat D. Otto [R.] bestätigt, der inzwischen mit Teilnehmern gesprochen hat. – D. Otto unkt im übrigen furchtbar: »Die Partei arbeitet ja natürlich wieder mit …« pp. Er kann es garnicht fassen, als ich ihm sagte, daß unsere Herren sehr niedergeschlagen sind. »Das begreife ich nicht!« Heute erzählte mir einer meiner Freunde, daß einer der alten Pg., der ihm schon manchmal etwas gesagt habe, wie er am Dienstag (d. 16.) in den weißen Saal kommt, wo unsere Machthaber beisammen sitzen. Da hört er gerade, wie Sasse sagt: »Es ist alles aus.« D. Otto [R] teilte mir noch mit, daß die D.Chr. unter dem Schlagwort wählen werden: Judenkirche oder Christuskirche?« (Wie soll es denn danach noch ein Zusammenarbeiten geben? Das ist ja unmöglich – auch wenn vorher nichts gewesen wäre). Erich Reichardt hat gesagt: »Wir können eben die Judenkirche nicht mehr ertragen.« Das K.min. hat Weisung ergehen lassen: Alle Disziplinarfälle müssen ruhen! Daily Tel. behauptet am 20.: Wahl im April. D. 20[26].II., Freitag. [26. Februar 1937] Gestern Abd. Bibelstunde. Von Sasses Rede in Friedrichroda wird O. schriftlichen Bericht erhalten. Gleichzeitig hat er ein Stück eines Rundbriefes von Sasse an die »Pfarrergemeinde« bekommen, dessen Inhalt auch belastend zu sein scheint. Es wird alles weiter gegeben. Heute spricht hier d. ganze Haus von einer neue Bestimmung, die im Reichsgesetzblatt erschienen sei: Kirchenaustritte dürfen bei 15 000 M Geldstrafe nicht mehr veröffentlicht – es darf nicht darüber gesprochen werden!84 – Man faßt das als für die Kirche 84

Runderlass des Reichsinnenministers betr. Kirchenaustritte vom 18. Februar 1937, in: Dokumente zur Kirchenpolitik IV, 6–7: »(1) Aufgrund der VO. des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat v. 28.2.1933 (RGBl I, S. 83) wird im Einvernehmen mit dem RuPrMfdkirchlA. jede öffentliche Bekanntgabe der Namen und Personen, die aus der Kirche ausgetreten sind, verboten. Insbesondere ist es danach untersagt, die Namen solcher Personen von der Kanzel zu verlesen.

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nachteilig auf. Sollte der Zeitpunkt erst eingetreten sein, in dem sich diese Bestimmung als förderlich für die Kirche erweist – z.B. gegen die Gefahr, daß die Kirchenaustritte ansteckend wirken könnten – dann wird sie sicherlich wieder aufgehoben. Aus einer Wahlrede in der Kantine: »… Wer das Programm antastet, wird erschossen. Deshalb sage ich immer, Antichristentum ist ein Stück Marxismus …« Was würde Sauckel dazu sagen? Wenn Nationalsozialismus an sich Christentum ist, wie unsere D.Chr. lehren, wozu braucht man dann bloß noch eine Kirche? Gespräch am braunen Brett unten in d. Halle vor der Sauckelkundgebung: »… Feierstunde.« »Feierstunde? Das ist doch eine politische Kundgebung.« »Na ja. Also Gottesdienst!« »Das ist Blasphemie!« Aber der Jüngling kannte das Fremdwort nicht. Sonnabend, d. 27.II.37. [27. Februar 1937] Heute früh Times-Ausschnitt: Brief des Bischofs von Gloucester an den Herausgeber. Sehr gut – u. sehr bezeichnend, welchen irreführenden Ausschnitt die »Tagespost« gebracht hat. 11 Uhr. Lehmann hätte schlechte Laune – u. dann sah ich selbst den Labi mit sehr verdüstertem Gesicht u. grußlos. Gleich danach verbreitete sich die Kunde, es seien von der geh. Staatspolizei alle Wahlkundgebungen verboten worden! Wir atmeten auf! Denn für den 2.III. ist die 1. Kundgebung der D.Chr. hier in der Nikolaikirche angesetzt, zu der Handzettel verbreitet werden, die schlimmstes ahnen lassen. »Volksgenossen der Stadt Eisenach! Entscheidet Euch! Für Deutschland – gegen Pfaffentum u. Internationale. Kommt Alle.«85 Hoffentlich ist es wahr mit dem Verbot. Ich hatte heute die Idee: Eigentlich müßten doch die evangel. Reichsdeutschen im Ausland an der Wahl teilnehmen – wenn auch nur, um die Neutralen zu stützen. ¾1. Ob das mit dem Versammlungsverbot stimmt? Es hätte eine sehr angeregte Versammlung aller D.Chr. mit Frl. Quambusch im Zimmer Franz stattgefunden. Sehr heiter. 1 Uhr. Frl. Kleinschmidt (D.Chr.) weiß auch nichts Genaues von dem Versammlungsverbot, hat aber davon gehört u. sagt: »Es ist mir sehr wahrscheinlich.« Montag, d. 1. März. [1. März 1937] Außer mit roten Handzetteln wird auch noch auf großen, grünen Plakaten für die Wahlkundgebung in der Nikolaikirche eingeladen. Und dazu hat man an die halbe oder an die ganze Stadt auch noch Einladungsbriefe geschrieben. (Ich habe zwar keinen bekommen u. Therese auch nicht). Wenn man in die D.Chr.-Blätter hineinsieht, kann einem schlecht werden. – Hohlwein ist vom 8. ab nur 3 Tage (Palmarum u. Ostern) zu

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(2) Zuwiderhandlungen werden nach der VO. v. 28.2.1933 mit Gefängnis nicht unter einem Monat oder mit Geldstrafe von 150 bis zu 15 000 RM bestraft.« Handzettel der KDC e.V. Eisenach, LKAE, LBG 278, nicht foliiert.

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Hause. Sonst dauernd unterwegs. Und von uns aus geschieht noch nichts – außer, daß Otto gestern vormittag bei Beginn der Predigt, ein Wort des luth. Rates an die Gemeinden86 verlas u. daran sehr eindrucksvolle Ausführungen knüpfte u. mit der Predigt verband. Ich höre, daß heute wieder ein Schreiben des K.min. eingegangen ist, das aufforderte, zu einem Vergleich in der Sache E. Otto u. Heyder-Milbitz zu kommen87 – auch angesichts der veränderten Gesamtlage. Was der Mann sich bloß denkt! Und das nennt sich dann Kirchenministerium. Mittwoch, d. 3.III.37. [3. März 1937] Von einem Versammlungsverbot wurde auch heute hier im Haus gefabelt, vorl. ist aber nichts erfolgt. Die Wahlvorbereitungen halten jetzt schon den ganzen Pflugensberg in Atem, die Wellen schlagen bis in meine Zelle. »Die D.Chr. haben ungeheuren Zulauf. Mit der Kartei kommen sie unten garnicht durch! Wieder 200 Neuanmeldungen. Frl. Kleinsteuber ist aus d. Urlaub zurückgeholt worden …« »Oberheid hat von einem Direktor von Ford ein Automobil geschenkt bekommen. Och, was der für Verbindungen hat! Der kennt doch alle Leute! Fabelhaft! Daß sie den haben …« u.s.w. »Franz – der wird mal was ganz Großes. Nach der Wahl da kommt der ins Kircheministerium.« »Stetefeld, Frl. Schön[e]wald u. Frl. Schimmel fahren nach Berlin. Franz hat die Reisegelder erst nicht anweisen wollen. Es ist aber »angeordnet« worden.« »Am Donnerstag treffen 61 Redner der D.Chr. in Jena zusammen. Da bekommen sie Richtlinien u.s.w. Jeder kriegt für seinen Bezirk eine Netzkarte, da kann er hin- u. herfahren. Die kostet 200 M. Der Reichsbischof ist auch im ganzen Reich als Redner angesetzt. 10 000 M Reisekosten sollte Kuhles auszahlen. Er hat aber gesagt, er kann es nicht, weil Tegetmeyer es nicht angeordnet hat.« Volk: »Ja, natürlich. Jetzt muß das Geld für alle diese Ausgaben eben da sein. Das ist so fein, daß Tegetmeyer, der doch sonst so knauserig ist, das alles nun so mitmacht.« Hartmann: »Ich kann nicht mehr, ich kann nicht mehr! Das ist nicht mehr sauber! Sauberkeit kann man doch wenigstens verlangen …!« u.s.w. Ein anderer: »Aus dem Kirchenmin. sind ganze Stöße von Plakaten gekommen. Fein, auf Büttenpapier. Mit Aussprüchen vom Führer. Die sollen in den Kirchen aufgehängt werden« … (Vielleicht ganz gut). Gestern Abend stieg die 1. Wahlkundgebung der D.Chr. in der Nikolaikirche, die gestopft voll war. Ergebnis: Innere Leere. Ich ging mit zusammengebissenen Zähnen sehr widerwillig hin u. saß zuerst sehr aufgeregt da, wurde aber immer ruhiger. Frl. Ganzert teilte mir heute ihren Eindruck mit: »Damit holen sie keinen Hund hinter dem Ofen vor. Wirklich alles ganz leer. Eine Parteirede. Die Leute, die hinein gehen, müssen 86 87

Aufruf des Rates der Evangelisch-Lutherischen Kirche vom 23. Februar 1937, LKAE, LBG 212, 255. Schreiben des Reichs-und Preußischen Ministers für die kirchlichen Angelegenheiten an Rechtsanwalt Prehn (Sonneberg) und an den LKR der TheK vom 25. Februar 1937, LKAE, G 809, 82; zur Sache vgl. Tgb. 9. Januar 1937.

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sich doch sagen: Jetzt verstehen wir, wenn die andern sagen: Diese Leute haben kein Christentum.« Nun, das war ein Anfang. Das dicke Ende wird schon noch kommen. Und am Abend vor der Wahl – da fliegen die dicken Brocken! In englischen Zeitungsausschnitten gestern die Wahlbedingungen der Gruppen. Paulssens haben einen Rundbrief von Dibelius durch die Post bekommen, den ich mir abschreiben darf. Antwort auf die Rede von Kerrl an die Mitglieder der Kirchenausschüsse.88 Dazu hat Volk geäußert: »Ja, ja, was die Brüder sich so denken!« Dann hat er es gleich dem Labi in die Wohnung geschickt – ein Beweis, daß die Nachricht auch für diese Herren Neues enthielt. 4.III.37. [4. März 1937] Ein gedruckter »Offener Brief« von D. Dibelius an Kerrl ist verschiedenen meiner Bekannten mit der Post von unbekannter Seite zugegangen.89 Er ist sehr scharf, geht hauptsächl. auf das Theologische ein u. ist eine Antwort auf die Ansprache an die Mitglieder der Kirchenausschüsse v. 13. Febr.90 Bei Frau Pfeiffer traf ich gestern Abd. einen Kirchenvertreter aus Lengröden, der eine K.vertretertagung im Schmelzerhof mitgemacht hatte. Da ist ihnen u.a. gesagt worden, es sei selbstverständlich, daß die aus der Kirche Ausgetretenen wie Sauckel u. der Kreisleiter u.s.w., die wegen des Kirchenstreites ausgetreten seien (!Aus der Kirche, in der die D.Chr. die Macht haben!), an der Wahl beteiligt werden müßten!!! Die Geschichte von der Beteiligung der Bischofrodaer an der Reichstagung der D.Chr. hier: »Es wird alles bezahlt, es kostet Sie keinen Pfennig.« Gut, ein Omnibus voll fährt in den Fürstenhof. Und dann mußten, auf Weisung dieses Pfr. Fries, die Bischofrodaer aufstehen, als der »Gau Westfalen« aufgerufen wurde – weil keine Westfalen da waren!!! Die Leute haben später gesagt: »Von dem Pfr. nehmen wir das Abendmahl nicht« u. sind zu diesem Zweck nach Eisenach gefahren! Aber sie haben gebeten, diese Geschichte nicht bekannt zu machen, da sie sonst vom Kreisleiter schikaniert würden. Der Kirchenvertreter aus Lengröden erzählte noch, wie man ihnen die Geschichte von Pfr. Müller [W.]91 aus Kaltenwestheim vorgesetzt hätte. So ungefähr: »Der Pfr. gehorcht nicht!« Antwortgebrüll: »Tritt in d. Arsch! Raus!« (Aber ich verstand nicht, ob das bei dieser K.vertretersitzg. gewesen war oder bei einer anderen Gelegenheit). O. war vor 8 Tagen in Kaltenwestheim, wo Müller [W.] seit etwa ¾ Jahren sich wieder aufhält, während der D.Chr.-Pfarrer im Pfarrhs. sitzt.92 Seit des Kirchenkampfes dort ist niemand aus der Bek.gem. kirchlich beerdigt worden. Man denke – Bauern! Gottesdienst ist allsonntäglich in 2 großen Stuben eines Bauernhauses, Konfirmandenunterricht wechselt. Bei besonderen Gelegenheiten ist das Bauernhaus bis auf den Boden besetzt – so, als O. dort gepredigt hat vor 8 Tagen. Es sei wunderschön gewesen, 88 89 90 91 92

Vgl. Tgb. 16. und 19. Februar 1937. Offener Brief an Herrn Reichsminister Kerrl von Ende Februar 1937, KJ 1933–1944, 158–161. Vgl. Tgb. 16. und 19. Februar 1937. Zum Fall Wilhelm Müller vgl. Biogramme u. zahlreiche vorhergehende Tagebucheintragungen. Wie vorige Anm.

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er hat die Leute, die ihn gehört haben, garnicht alle gesehen, sie haben in allen Stuben u. auf der Treppe gesessen, bis unters Dach. Sie haben sich ein Harmonium angeschafft, einen Abendmahlskelch u. ein Kruzifix, das ihnen bis zum Friedhof, wo der Pfarrer umkehren muß, vorangetragen wird. Auch in Metzels sei es jetzt wunderschön in der Gemeinde. Heute früh kamen Btz. u. ich bei Besprechung der Schwierigkeiten zur Schaffung einer Wahlordnung auf den Gedanken, daß es vielleicht garnicht zu einer Wahl kommen würde. Sonntag, d. 7.III. [7. März 1937] Gestern: ( )b sagte mir, ein D.Chr. hätte ihm gesagt: »Natürl. würden sie bei d. Wahl die Mehrheit bekommen – wenn auch nur mit einer Stimme! In der Generalsyn. würde ein einziger Beschluß gefaßt: »Die Gen.syn. löst sich auf u. überträgt ihre Befugnisse auf d. Führer.« ( )b wandte ein, das sei wohl gegen den Willen des Führers u. zitierte aus »Mein Kampf«: »Wer über den Umweg einer polit. Organisation …«93 Darauf d. Antwort: »Seit das geschrieben ist, hat es doch einige ›Entwicklungen‹ gegeben. – Und selbst wenn d. Führer in sr. Bescheidenheit so etwas bisher nicht gewollt hat, so wird er doch einwilligen, wenn die Kirche selbst ihm diesen Wunsch entgegenbringt.« Darauf kann man nur mit Volks Worten sagen: »Was die Brüder sich so denken!« Heute nachm. begegnete ich O., Frl. Helmbold u. Müller [W.]-Kaltenwestheim, die aus einer Kirchenvertreterschulung hier kamen. 37 Gemeinden seien mit ungefähr 150 Leuten vertreten gewesen. Das sei doch sehr schön. Nicht nur K.krs. Eisenach, sond. etwa der politische Kreis. Leider kabbelten wir uns dann etwas; u. er ärgerte sich über mich, weil ich sagte, er müßte »nach Berlin« melden, daß ihm – im Gegensatz zu den D.Chr. – nicht erlaubt wird, Handzettel zu der Kundgebung heute in 8 Tagen in der Georgenkirche (14.III.) zu drucken! Tatsache! Die Polizei hat ihm gesagt, die D.Chr. hätten es auch nicht gedurft, hätten die Polizei nicht gefragt! Ob er Plakate drucken dürfte, wollten sie sich noch überlegen (eins der D.Chr. hing die ganze Woche lang am Rathaus)! Ich sagte ihm, er müßte das anzeigen, irgendwo, bei Sauckel oder K.min. Darauf O.: »Sie sind naiv. Glauben Sie denn nur, daß das etwas nützt!« Ich: »Ich weiß ganz genau, daß das nichts nützt; aber Sie müssen es doch tun, weil Sie sonst hinterher das Recht verlieren, darauf hinzuweisen, wenn die Wahlmethoden angefochten werden u.s.w.« Er sieht das nicht ein; u. das macht mich kribbelich. Vielleicht wären die Leute, die jetzt in Berlin über die Wahlbedingungen verhandeln, froh, wenn sie solche Beispiele zur Hand hätten u. schon darauf hinweisen könnten. (Ich glaube, bis zur Wahl leben O. u. ich uns gänzlich auseinander). b b 93

Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz, vgl. Übers. Strichzeichnungen. Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz, vgl. ebenda. »Wer über den Umweg einer politischen Organisation zu einer religiösen Reformation kommen zu können glaubt, zeigt nur, daß ihm auch jeder Schimmer vom Werden religiöser Vorstellungen oder gar Glaubenslehren und deren kirchliche Auswirkungen abgeht« (Hitler, Mein Kampf, 124– 125).

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Toll ist die Sache schon. Es scheint, mit der Meldung von irgendeinem Verbot in Wahlsachen neulich hat es doch gestimmt – u. die D.Chr. kümmern sich nicht darum. Am Freitag Abd. hatte ich Sommers, die alte Mutter u. die Frau vom alten Töpfer Kühnemund nach d. Abendessen hier u. erzählte ihnen Kirchenpolitisches als Wahlvorbereitg. Danach hat Frau Sommer wieder Mut gekriegt. Sommer wollte es gestern im »Plattdeutschen Verein« verwerten, hat ja auch sonst Viele, denen er das sagt. Und die Frau Kühlemund ist kirchl. Helferin. Gestern Abd. mit Frl. v. Goßler zusammen. Außerdem schreibe ich Briefe u. wirke so in meinem Bekanntenkreis. Den Brief von Dibelius habe ich auf geheimnisvolle Art in 10 Stück bekommen u. 5 Stück allein auf dem Pflugensberg abgesetzt. Das ist schon eine Tat – gegenüber Therese, die nur sagt: »Den Brief können wir natürlich nicht aus d. Haus geben – « (nicht einmal nur zum Durchlesen). »Du kannst ihn aber bei uns abschreiben!« Das war glücklicherweise nicht nötig. Montag, d. 8.III. [8. März 1937] Sonderbarer Wochenanfang. Zunächst »Andacht« von Jansa. Furchtbar. Kaum war ich wieder in m. Zimmer angelangt, da kommt der 1. Besuch, der von mir was wissen wollte. Da hinein kam der zweite Besuch, der engl. Übersetzungen wünschte. Bald kam der Dritte: mit neuen Nachrichten. Wenn die wahr sind … Aber die Quelle ist nicht erstklassig: Auerbach. Er hätte als feststehende Tatsache mitgeteilt, Kerrl mache die Kirchensachen nicht mehr, Frick bekäme sie wieder u. der Führer nähme die Entscheidung selbst in die Hand (??). Jedenfalls: Am Sonnabend sei hier im Hause furchtbarer Krach gewesen im Zimmer vom Labi; Stüber, Volk u. Franz dabei. Man hat Sasse in der Großen Halle brüllen hören: »Diese Halunken! Diese Hunde! Und dann stehen sie auf den Kanzeln …« Weiter wurde nichts deutlich verstanden. Volk hat später die Scene so erklärt: »Die Bekenntnisfront scheint jetzt den alten Mackensen gegen den Führer auszuspielen, so wie sie früher »Hindenburg ausgespielt« haben (Schreiben des K.min. an den L.K.R.). Die D.Chr. können nun ihre Wahlpropaganda nicht so machen, wie sie es gewollt haben … weil d. Führer alles selbst in die Hand nimmt (???). Das Ganze ist sehr unklar – aber es scheint irgendetwas los zu sein. Neurath wäre beim Führer gewesen u. hätte ihn über die Kirchenfrage »aufgeklärt«. (Hier kann sichs um die Wahrheit der engl. Pressemeldungen handeln). Der Führer hätte daraufhin anerkannt, daß es sich beim Kirchenkampf um etwas handele, was nicht nur Deutschland anginge! 12 Uhr. Ich hatte noch viel mehr Besuch heute früh. Alles hatte sich verabredet, gute Nachrichten zu bringen. Ass. Sch. hätte zu Th. gesagt, die D.Chr. hätten gar keine Aussichten. Er sei in Weimar gewesen; seine dortigen Bekannten wählten auch nicht wieder D.Ch. Frau v. Flottwell ist auch am Sonntag vor 8 Tagen in der 1. Wahlkundgebg. der D.Chr. gewesen u. hätte sich »ganz entsetzt« darüber ausgesprochen.

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Sasse ist in die Bücherei gekommen u. hat ein Ortsverzeichnis gesucht u. dabei ein Selbstgespräch gehalten, aus dem hervorging, daß sie den Bekenntnisleuten »was geigen« wollten. Sie haben einen Brief an Mackensen geschrieben94 u. ihr Bedauern ausgesprochen, daß dessen Name »in den häßlichen Kirchenkampf« hineingezogen wird – oder so. (Wo sie selbst täglich den Führer hineinziehen). Laue hat gestern Abd. zu Sommer gesagt, die S.A. hätte »Befehl bekommen, sich nicht an den Kirchenwahlen zu beteiligen.« Das ist sicher ein Mißverständnis – soll wohl Wahlkampf heißen. Aber vielleicht wird das Mißverständnis gewünscht. Btz. erzählte: Mitzenheim u. Nitzsch seien gestern bei der »Tagespost« gewesen, die irgendetwas abdrucken sollte. Sie hätte daraufhin bei der Polizei angefragt, die den Abdruck nicht erlaubt hätte. Dienstg., d. 9.III. [9. März 1937] Gest. Abd. bei O. Die Polizei hat jede Bekanntmachg. der Kundgebg. am Sonntag verboten, sogar Zeitungsanzeigen! Es kann nur von Mund zu Mund geworben werden! Es stimmt, daß die Arbeiten des K.min. jetzt wieder im Reichsmin. des Inneren, von »Pfundtner u. Stuckart« erledigt werden. Pfundtner hätte schon früher mitgearbeitet, sei sachlich. Die Mackensen-Sache ist so: In Berlin hat sich ein Block von Laien gebildet, die auf d. Boden von § 1 der Verfassg. der D.E.K. stehen, zu denen Mackensen gehört. Er will aber, daß sein Name nur privat genannt wird. Es zeichnet für diesen Block ein Herr v. Ledebur. Die D.Chr. könnten jetzt nicht mehr behaupten, daß ihre Gegnerschaft einfach »die Reaktion« wäre – damit erklärt sich Volks Bemerkung. Es sind eben offenbar bekannte Nationalsozialisten dabei. Als ich heute ins Haus kam Bericht: Hugo Müller [H.] ist aus Friedrichroda zurückgekommen u. hat zu Frl. S. gesagt: »Wir müssen doch D.Chr. wählen! Der Herr L.B. hat gesagt, wenn jetzt nicht richtig (d.h. D.Chr.) gewählt wird, dann wird eine eiserne Tür zugeschlagen [Kirchenwahl] … dann bekommt die Kirche kein Geld mehr vom Staat u. dann können wir alle verhungern!« 12¼. Einwandfrei festgestellt: Gesagt hat Sasse das nicht, daß die Kirche kein Geld mehr bekommt, falls nicht D.Chr. gewählt werden. Den Schluß hat Müller [H.] gezogen. Gesagt hat er (Ass. K.): Die Gesetze betr. Trennung von Staat u. Kirche lägen schon fertig im Reichsinnenministerium. Der Staat würde diese Trenng. zum Gesetz machen, wenn die Männer gewählt würden, die dem Staat seit 4 Jahren »Knüppel zwischen die Beine werfen …«; u. dann hat er die Folgen geschildert: Keine Kirchensteuer mehr u.s.w. Spt. hat S. gefragt, ob er nächste Woche mitmachen wollte; er sei doch alter Kavallerist u. könnte Patrouille reiten. Sie wollten nachts losfahren u. in den Dörfern Flugblätter abwerfen. Auf die Frage: »Ich denke, das ist verboten?« wurde geantwortet: »Wir machen es nachts. Wir werfen sie bloß ab.« 94

Vgl. dazu Schreiben des Reichskirchenministers an Hitler vom 25. Februar 1937, in dem es u.a. heißt: »Mir ist glaubwürdig mitgeteilt worden … daß der Feldmarschall von Mackensen und der Reichssportführer … bereits zugesagt hätten, auf einer Liste der Mitte von Marahrens bis Kinder zu kandidieren« (Dokumente zur Kirchenpolitik IV, 10).

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nachm. Spigaht hat erzählt: »Ich bin erledigt. Gestern nacht erst um 3 Uhr ins Bett gekommen. Gestern 60 Wahlversammlungen in Thüringen, heute wieder 60 – u. so geht es fort bis zur Wahl. Am Wahltag betrink’ ich mich u. dann komme ich 3 Tage lang nicht zum Dienst.« Frau S. sagte, mein Hinweis darauf, daß die Bek.front erst in Abwehr der D.Chr. entstanden sei, wäre sehr nützlich gewesen. Ein paar Leute hätten gesagt, daran hätten sie noch garnicht gedacht. Ich las in einem Rd.schr. des Bundes für D.C.,95 daß Rehm sich dieser Front nicht angeschlossen hat, sondern für sich geht. Hermenau ist wieder zu den Thüringern gestoßen96, ebenso der Bund nat.soz. Pfr. in Sachsen – das werden nicht viele sein. Else schreibt aus Hannover: »Die meisten, die ich sprach, werden nicht wählen.« (Da liegt wohl das »Neutralitäts-Gebot« der Partei zugrunde, was in diesem Sinne aufgefaßt wird u. werden soll). Das erwähnte Rundschr. des Bundes f. D.Chr. nennt die Vorschläge der Thüringer zur Wahlordnung. Sie sind so, wie man sie sich gedacht hat. Heute erschien ein Presseausschnitt aus einer Dinter-Zeitschrift: »Die religiöse Revolution«. Sie zitieren u.a. ein Rundschr. von Hossenfelder, das Muhs bloßstellt u. auch von Unterredungen in der Privatkanzlei des Führers berichtet. Von O. bekam ich die Abschriften der Berichte über Sasses Rede in Friedrichroda.97 Da stellt er die Sache einfach so hin, als ginge der Kampf um den Führer u. die Treue zum Staat. Und dann behauptet er, es sei unverantwortlich, daß der alte Mackensen in den Kirchenkampf hineingezogen würde. Lehmann ist im Wahlkampf der D.Chr. nirgends eingesetzt worden – nicht einmal als Kreisredner! Stüber hat »eine Netzkarte über ganz Deutschland – aber sagen Sie es Lehmann nicht!« Eben war H. bei mir. Erzählte, Zenker (!) hätte ihm selbst gesagt, für ihn käme nichts anderes in Frage als Bekenntniskirche. Alle möglichen Beamten sind schon zu den Kursen in Friedrichroda gewesen, es soll jeder mal hin. »Nichts wie Wahlpropaganda«, sagt H. Es ist doch toll, da holen sie mit uns. Geld die Kirchenvertreter aus d. ganzen Land zusammen! Ach, Henneberger fehlt! Der würde da reinhauen! D. 11.III.37. [11. März 1937] Die wichtigsten Presseausschnitte bekommen jetzt immer ein paar der jungen Reg.räte mit. Heute ein Schweizer Blatt: Die Bek.frt. u. luth. Rat haben gegen Kerrl als Wahlkommissar wegen seiner Rede vom 13.II. protestiert.98, desh. sind die Sachen jetzt im Reichsinnenmin. Die Bek.front einig mit luth. Rat, Frauenhilfe, Männerwerk u.s.w. 95 96 97

98

Vgl. JK 5 (1937), 200. Vgl. JK 5 (1937), 201. Vgl. Landesbischof Sasse spricht zur kirchlichen Lage auf einem Schulungskurs für Kirchenvertreter am 23. Februar 1937 in Friedrichroda [Bericht], LKAE, LBG 212, 257. Das wird zwar nicht die Rede sein, auf die die Tagebuchschreiberin hier abhebt; denn sie notiert ihre Bemerkung bereits einen Tag vor der Rede Sasses. Aber er wird ähnlich gesprochen haben; der Bericht spiegelt jedenfalls den kirchenpolitischen Standpunkt Sasses zu diesem Zeitpunkt genau wider. Vgl. Tgb. 4. März 1937.

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wollen unter keinen Umständen direkte Wahlen mitmachen. Das Blatt meldet, die Wahl wäre vom 11.4. bis Mai verschoben. Viell. gäbe es überhpt. keine Wahl. In der Stadt werden Wunderdinge erzählt, »wie die D.Chr. arbeiten!« Ich glaubs. D. 11.III., abends. Jetzt hört bald der Spaß auf. Otto ist heute auf die Polizei zitiert worden wegen eines anonymen Briefes, den Pfr. Kiel bekommen hat. Es hat darin eine Schilderung gestanden, wie ein Pfr. Evers – ich glaube in Mecklenburg – von SA oder SS mißhandelt worden ist. Ich erinnere mich, daß ich etwas Derartiges in einem Times-Artikel gelesen habe. Man hat O. gefragt, ob er den Brief geschickt hätte! Oder ob er wüßte, wer ihn geschickt haben könnte!!! Natürlich nicht. Aber O. sagt: »Sie wollen mir jetzt ein Bein stellen!! Nun ist der Dibeliusbrief.99 hier verteilt worden. Jetzt werden die Leute womöglich auch denken, O. wäre es gewesen! Das wäre furchtbar. Ich kann mir schon denken, daß sie ihn gern, jetzt gerade vor der Wahl, ein paar Wochen in Untersuchungshaft stecken möchten. Jemand schilderte mir, wie heute Spt. mit Lehmann sich unterhalten hätte – flüsternd – u. der sich mächtig gefreut hätte. Ich muß daran denken in Verbindg. mit dem anonymen Brief an Kiel. Ich traue diesen beiden jede Teufelei zu. Wenn ich noch an die Sache in Mihla denke! Jetzt kann ich auch nicht mehr, wie Frau Otto [M.], darüber lachen, daß in ihrem Mütterabend am Montag, wo sie mit ein paar Weiblein strickend saß – ein Kriminalpolizist erschien! Sie hat herzlich gelacht u. die Tür weit aufgemacht und gesagt: »Seien Sie uns herzlich willkommen!« Er hat dann doch gefunden, daß er wohl nicht dahingehörte u. sich zurückgezogen. Freitag, d. 12. März, nachm. [12. März 1937] Festgestellt, daß der L.K.R. den Dibelius-Brief seit Dienstag hat. Wollten sie also in dieser Sache etwas unternehmen, so wäre das gestern durch die Polizei erledigt worden. Mir scheint, daß in dieser Angelegenheit deshalb alles ruhig bleibt, weil es keine reine Thür. Sache ist. Bei uns wird wieder mal eine Extrawurst gebraten. Ich schreibe es doch an Freny Metzner. Dr. Schäfer hatte von einem Journalisten gehört, sie wären zusammen mit den Pfarrern von der Polizei darüber belehrt worden, was ihnen bei der Kirchenwahl zu drucken nicht erlaubt sei. Also überhaupt alles verboten. Ein Journalist hat gesagt, er hätte ganz andere Informationen. Woraus man schließt, daß der eine die Reichsinformationen hat. Erich Reichardt ist für 2 Tage nach Berlin abgereist, um im »Bund« [BfDC] zu helfen – von Bauer [W.] angefordert. Selig. Er hätte sich »wie ein Pfau gespreizt« sagte Frl. E. »Er klebt dort Briefe zu«, sagte Frl. Ganzert. Stüber spricht von Reisen nach Nürnberg u. Schweinfurt u.s.w. Dazwischen spielen dauernd die »Kirchsteuerkurse« in Friedrichroda. Es sei viel Kommen u. Gehen u. Unruhe im Haus. Heute Zeitschriften. Rehm dementiert im »Posit. Christ.tum«, daß er mit den »Thüringern« ginge! Die haben ihn fälschlich auf ihre Reichsrednerliste gesetzt! 99

Vgl. Tgb. 4. März 1937.

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Lehmanns Schriftenreihe wird in der Allgem. Ev.-Luth. K.z. durch den Kakao gezogen.100 Frau Otto [M.] erzählte noch, die Helferinnen hätten überall, wo sie für den »Vortragsabend« am Sonntag einluden, gute Erfahrungen gemacht, auch Geld für die Wahl bekommen. Sie hätten den Eindruck, die Leute wählten alle B.K. Kiel u. Stier haben die neueste Nr. des Gemeindeblattes nicht verteilt, weil sie ganz leicht bekenntnismäßig gefärbt war. Sie soll noch einmal gedruckt u. von uns. Helferinnen in den feindlichen Bezirken verteilt werden. Haugk kam gestern zu mir – man hat ihn aufgefordert, seine Söhne zur Flugblattverteilung101 zur Verfügung zu stellen. Er hat sich geweigert u. auch nichts für den Wahlfonds der D.Chr. gegeben. Das ist allerhand für einen Beamten, der D.Chr. ist. Fritz war im Volksbild.min. gewesen u. hatte gehört, es wären doch stellenweise sehr viele Lehrer aus d. Kirche ausgetreten. Z.B. im Kreis Hildburghausen 64 (? oder %?). Natürlich – Wächtler u. d. Reichsstatth. machen Schule. Ich glaube nicht, daß dies die letzte Kirchenwahl ist. Es muß doch von Zeit zu Zeit festgestellt werden, wie wenig Christen es noch gibt. Sonnabd., d. 13.III.37. [13. März 1937] Folgendes ist soeben geschehen. Volk hat in den Eingängen ein Schreiben des D.Chr. Jugendpfarrers Rönck gefunden, in dem er den Landeskirchenrat um Rat bittet in folgender Angelegenheit: Konfirmanden hätten ihm mitgeteilt, sie könnten nicht, wie er verlangte, am Karfreitag zum 1. mal zum Abendmahl gehen, da sie die ganze Woche (Karwoche nach der Konfirmation!) hindurch zum Dienst auf d. Leuchtenburg befohlen seien! – Darauf hat Volk außer sich gesagt: »Nun kann man sich ja wirklich nicht mehr wundern, wenn die Bekenntnisleute sagen, wir allein verteidigen das Christentum! Dann haben sie recht.« (Oder so.) Außerdem las ich ein Bündel Abschriften von Eingaben, die aus der deutschchristlichen Studentenschaft in Jena – auch Jenaer Ortsgruppe des Bundes auslandsdeutscher Studenten – sämtlich aus der Zeit um den 5. Februar – an Kerrl – bzw. an die Reichsstudentenführung gemacht worden sind. So etwas von hysterischem Geschimpfe ist mir noch nicht vorgekommen. Manchmal 4–5 Schimpfworte hintereinander gehäuft – alles gegen die B.K. Am 15.III., Montag. [15. März] Als ich am Sonnabend nach Hause kam, lag ein Einladungsschreiben der D.C. zu einer Kundgebung heute in der Nikolaikirche da. Sie hatten diese Gelegenheit benutzt, um in einem ziemlich langen Schrieb gehörig zu verleumden. Wir gehen den Weg nach Rom – wir haben die Olympiade torpediert – man fragt sich, wie eigentlich? O. sah ich nicht, warf bloß den erhaltenen Brief der D.C. in seinen Briefkasten. Gestern Konfirmandenprüfungen. Abends kam ich etwa 10 Min. nach 8 in die Georgenkirche. »Sie können nicht mehr hinein, Sie müssen in die Annenkirche!« Wer war froher, als ich. Aber ich ging trotzdem in die Georgenkirche u. habe rechts an der Seite in 100 101

Was will die »Deutsche Nationalkirche«?, AELKZ 70 (1937), 257–259. Vgl. Tgb. 9. März 1937.

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fürchterlicher Enge gestanden u. mit dem Ehepaar Kolbe im Sitzen abgewechselt. Als ich kam sprach Brakhage Eingangsworte. Dann Schriftverlesung u. Lied. Dann sprachen Otto, Nitzsch u. Mitzenheim. Die beiden letzteren lasen ihre Rede, Nitzsch hätte stellenweise besser sein können. Sie zitierten die D.Chr. wörtlich, es fehlte jede Hetze, nichts von ihrem unmöglichen Regiment – ich muß schon sagen, es war sehr eindrucksvoll, aber mir beinahe zu vornehm. Wo soviel auf d. Spiele stand, hätte man doch einmal an ein paar Beispielen die Praxis zeigen müssen. Aber vielleicht war es gut so. In der Annenkirche haben dieselben Redner in anderer Reihenfolge gesprochen. Heute früh Andacht von Männel: Das Kreuz. Ich kam etwas zu spät. Als wir hinausgingen, flüsterte mir Therese zu: »Es soll ja gestern Abd. wundervoll gewesen sein!« Dann Besuch in m. Zimmer von ( )c, d. auf der 3. Empore gesessen hatte. Auch tief beeindruckt. Vorhin haben sie im Kreise von Goetze u. ? sagen hören: »Habe schon gehört, sie haben 2 Kirchen vollgekriegt! Soll ja sehr voll gewesen sein. Aber natürlich nichts wie eine einzige widerliche Hetze! Ich habe gestern in Salzungen gesprochen. Also ich habe nicht ein Wort, tatsächlich nicht ein Wort gegen die B.K. gesagt.« ( )c schüttelte sich noch im Gedanken an die letzte Nr. der »Nationalkirche«. Lehmann hat mit Frl. Sommer (Zentrale) ein Gespräch gehabt u. ihr gesagt, er hätte gestern vor 500 Menschen »nur Liebe, nichts als Liebe« geredet! Er hätte zum Schluß bei der Schilderung der gestrigen Fülle »ganz geschlagen« dagesessen u. noch gefragt: »Ich höre, es sind auch die Namen genannt worden?« »Nun ja, Herr Kirchenrat, was Sie so gesagt haben … aber alles belegt.« »Na, was denn z.B.? »Nun, z.B., daß der Staat bestimmen soll, was Glaube ist.« »Nun ja, das ist aber früher doch auch so gewesen … Konzil von Nicäa102 …. Viell. wissen Sie das garnicht, Frl. S., daß der R.K.A. uns »Irrlehrer«103 genannt hat?« Sasse u. Tegetm. sind hier, Franz bis Freitag in Berlin, Stüber fährt nach Nürnberg u.s.f. Frl. Schimmel kassierte D.C.-Beiträge ein u. fährt auch wieder nach Berlin. »Es gibt ja so viel zu tun!« Sommers waren in d. Annenkirche. »Da war kein Platz mehr! Na – gestern Abend haben die Herrn ja mal wieder ruhig schlafen können!« Btz. lachend. Behauptet, in der herausströmenden Menge Leuth. gesehen zu haben(?). nachmittags. Die Kollekte in beiden Kirchen gestern Abend [hat] 291 M betragen. – Der Erfolg ist unbestritten u. kann nicht verkleinert werden. Was mit uns sympathisiert, erinnert sich mit Behagen an alle Einzelheiten von gestern Abend.

c c 102

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Strichzeichn. Frauenkopf mit Locken, steht für Hanna Linde, vgl. Übersicht Strichzeichnungen. Strichzeichn. Frauenkopf mit Locken, steht für Hanna Linde, vgl. ebenda. »Zur Erledigung des dogmatischen Zwistes … berief Konstantin 325 die erste ökumenische Synode nach Nicäa in Bithynien … Unter dem Druck des Kaisers, der das Konzil selbst eröffnete und in eigener Person leitete, beschloß die Synode die Annahme eines Glaubensbekenntnisses« (Heussi, Kompendium, 100). Nicht wörtlich, aber dem Sinne nach; vgl. Tgb. 4. und 6. Juli 1936.

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Donnerstag, d. 18.III., nachm. [18. März 1937] Von allen Seiten kommen noch Stimmen über die Wirkung der Versammlungen vom Sonntag. Überall größter Eindruck. Dienstag war ich bei Ottos (er nicht da.) Ursel erzählte von ihrer »begeisterten« Klasse. Die Väter haben gesagt, wenn sie das gewußt hätten, daß es so interessant wäre, wären sie auch mitgegangen. Aber das nächstemal … Nachzutragen vom 13. (Sonnabd.): Sasse kommt in d. weißen Saal u. liest Volk ein Verschen vor: »Einst waren wir Kommunisten, Anhänger der SPD – Nun sind wir Bekenntnischristen, Ehre sei Gott in d. Höh!« Die Herren haben herzlich gelacht! Am Montag war ich in der II. Wahlkundgebung der D.Chr. in der Nikolaikirche. Sie war nicht so voll als 14 Tage vorher. Ich bin froh, daß ich dort gewesen bin, denn so armselig u. so geschmacklos, wie es tatsächlich war, hätte ich es mir nicht vorstellen können. Auch bei Anderen, die ich sprach, Frau Sommer u. Mutter, herrschte geradezu Empörung. Der Redner, Stockmann aus Hannover, redete im übelsten, abgestandenen Superintendenten-Pathos, lauter falsche Betonungen u. falsche Wucht. Trotz größter Aufmerksamkeit habe ich nicht ganz verstanden, warum die Bekenntniskirche »auf d. Wege nach Rom« ist. Er fing bei Ulfilas [Wulfila] an. Als es ½9 schlug war er erst bei Bonifatius. Paralelle zur heutigen Lage ist der Papst, der Heinrich IV. zum Gang nach Canossa zwang – vom Bekenntnis aus! Den Kirchenkampf stellte er tatsächlich so dar: »Der Führer sagt: Das Bekenntnis wird nicht angetastet, Marahrens sagt: D. Bekenntnis wird angetastet!« Alles übrige, auch den Reichsbischof, unterschlug er. Zum Schluß kam die polit. Diffamierung: Die Bek.pfr. liefern der ausländ. Presse Stoff. »Die lieben Bekenntnisbrüder, es tut uns so weh, aber wir können nur beten: Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.« »Es geht um die Treue zum Führer, nehmen Sie ihm die Sorge um die Kirche ab!« Dazu eine weichliche Liturgie, Kamerad Ludwig sprach tönende Worte am Taufstein wobei ich mit einem kleinen Klappstuhl zusammenbrach, Gimpel sang von der Orgel her u.s.w. Scheußlich. Heute: Im V.D. rechnet man damit, daß die Wahlen nicht stattfinden! Es würde ein zu schwerer Schlag für den Nat.soz. sein! Otto hatte in Berlin gehört, aus dem ganzen Reich lägen Nachrichten vor, daß die Wahlversammlungen der Bek.pfr. besser besucht seien als die der D.Chr. – da ist ein Zusammenhang! Heute eine ganz besondere Nachricht. Frau S. sagt zu ( )c angstvoll: »Was soll nur werden, wenn die Kirche sich nicht einigt! Es gibt ja keine Einigung!« ( )c antwortet tröstend: »Es wird schon alles gut werden. Wenn keine Einigung kommt, greift der Führer ein u. bringt alles in Ordnung.« c c

Strichzeichn. Frauenkopf mit Locken, steht für Hanna Linde, vgl. Übersicht Strichzeichnungen. Strichzeichn. Frauenkopf mit Locken, steht für Hanna Linde, vgl. ebenda.

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Darauf Frau S. verzweifelt: »Nun, der Führer greift nicht ein! Das kann er ja garnicht! (Plötzlich diese Erkenntnis?). Es soll ja gar kein Friede werden in der Kirche! Sie wollen ja, daß alles auseinanderbricht – und dann macht der Staat selber etwas auf …« (Oder so. Also irgendein Staatskult). Und zum Schluß wieder: »Was soll nur werden!« Ja – das hätten sich die Herren früher überlegen müssen. Ein Telephongespräch wurde abgehört zwischen Kamerad Ludwig u. dem aus Berlin zurückgekehrten Stetefeld. Erst ganz zwanglos, dann plötzlich betroffen, so, als sei irgendeine erstaunliche, schlechte Nachricht durchgesagt worden. »Ach … ach nun … soso …« Freitag, d. 19. [19. März 1937] Heute Zeitschriften. Eine neue »Nationalkirche«, die reif ist für den Staatsanwalt. Sie bringen den auszugsweisen Abdruck eines Briefes, dessen Inhalt so lückenhaft wiedergegeb. ist, daß man ihn nicht versteht. Mit Hilfe der redaktionellen Einleitung errät man, daß es ein Beweis sein soll für die Überlieferung von Informationen an die ausländische Presse gegen Geld durch einen Pfarrer.104 Diese Sache muß m.E. sofort untersucht werden. Gestern zum 1.mal seit 18 Tagen engl. Ztgs.ausschnitte: 4 Entwürfe zu Wahlordnungen seien schon vom Führer abgelehnt worden, 3 von Kirchen –, einer vom Innenministerium. Der Staat hätte wohl das Dilemma zu Anfang nicht gesehen: Die Bek.kirche u. die »Gemäßigten« bestünden unbedingt auf einer rein kirchlichen Wahlordnung u. wollten keine polit. Wahlen u.s.w. Die Wahlen würden wohl im April noch nicht stattfinden können. Frl. Ganzert erzählte, daß Erich Reichardt die Ansicht verficht, Leute wie Streicher (Stürmer!) u. Göring müßten an die Spitze einer Wahlliste. Auch wenn Streicher aus d. Kirche ausgetreten wäre. – Sowas sagt ein Regierungsrat, Bischofssohn. Da kann man sich schließl. nicht wundern, wenn das breite Publikum ratlos ist. O. war heute bei Pauls – Wettinerstrasse – Konfirmandenbesuch. Hatte erzählt, er käme direkt aus Jena, hätte gestern in der völlig überfüllten Stadtkirche gesprochen. Etwa 2000 Menschen. Sie hätten »gestanden wie die Mauern.« Ich hatte gestern eine Rücksprache mit Luther u. erzählte ihm so nach u. nach das Wichtigste aus der letzten Zeit. Er wußte nichts – wie alle Leute hier im Haus. Gegen Abend hörte ich, daß er in d. Kantine mit 2 and. Leuten aus dem Betrieb über die Wahl gesprochen hat u. dabei gefragt: »Wenn es jetzt bei der Wahl heißt: Bek.kirche oder D.Chr. – wer, glauben Sie, bekommt die meisten Stimmen?« Zögerndes Schweigen. Darauf er: »Die Bekenntniskirche.« Worauf die beiden anderen nach einigem Nachdenken zugaben: »Ja, ich glaubs ja eigentlich auch.« Ziegner hat Zettel verteilt nach d. Gottesdienst – gegen die D.Chr. Der Inhalt eindeutig – sehr scharf. Hier im Haus werden allerlei Flugblätter der Bek.leute abgeschrieben. Bloß in Thür. dürfen keine verteilt werden. 104

Ein aufschlußreicher Brief aus dem Ausland, NaKi 6 (1937), 95.

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Ein ergiebiger Tag heute! Franz war gestern bei V. Aus diesem Gespräch ist bekannt geworden, daß Franz sich darüber beklagt, daß die Würdenträger der Bekenntnisleute bei den jetzt maßgebenden Stellen (Innenmin.) so sehr entgegenkommend behandelt würden – sie, die D.Chr. dagegen schlecht! Danach hat sich Volk anderen gegenüber – zu deren sprachlosen Staunen – folgendermaßen ausgelassen: »Ich stehe jetzt den Dingen hier ganz kühl gegenüber. Es wissen ja schließlich alle, beim L.bischof angefangen, daß ich eben die ganze Zeit hindurch in vielen Stücken immer noch zu den anderen (B.K.!) gehalten habe!« Mein fassungsloser Gewährsmann bat mich, nur das Datum zu merken: 19.III.37. Mittwoch, d. 24.III. [24. März 1937] Da ich einmal bei Volk bin … Am Sonnabend 20.III. hat er in einem Privatbrief (ungefähr) geschrieben: »Die Wahlen werden sich noch 4–5 Monate hinausziehen. Das ist denen, die noch jede Gelegenheit benutzen wollen, möglichst viele zu beeinflussen, natürlich angenehm (B.K.), denen, die endlich wissen möchten, was denn nach diesem Tohuwabohu werden soll, peinlich.« Am Montag 22. hat er gesagt: »Ein Glück, daß es noch 4–5 Monate Zeit hat mit den Wahlen. Das wäre ja jetzt eine Katastrophe geworden.« Und als ihm – mit Beziehg. auf den am Sonnabd. geschriebenen Brief erwidert wurde: »Aber wäre es nicht ganz gut, wenn jetzt gewählt werden könnte …?« hat er ärgerlich die Achseln gezuckt u. das ungeduldig zurückgewiesen. Das ist ein Kirchenrat – also eine maßgebende Persönlichkeit, mitten im Kirchenstreit. »Was sich das Volk erzählt«, hörte ich gestern bei meiner Schneiderin. »Also da ist eine ganz geheime Versammlung gewesen vom K.ministerium, mit Bek.leuten, u. am nächsten Tag hat alles in den englischen Zeitungen gestanden! Man soll es doch nicht glauben. Sowas ist doch überhaupt noch nicht dagewesen!« (Wohl Kerrls Ansprache am 13. Febr.105) »Ein deutscher Christ in Koblenz hätte einen B.K.-Pfr. auf der Straße eine Ohrfeige gegeben u. der hat sich nicht mal gewehrt!« (Posit. Chr.tum teilte entrüstet mit, daß ein B.K.-Kirchenvertreter einen D.Chr.-Pfr. gefordert hätte – und der hätte abgelehnt – natürlich!). Über unsere Aufwartung mir mitgeteilt: »Gehen Sie nicht in die Georgenkirche (unsere Wahlversammlung), das ist Mist! Hier gibt es 6 Bekenntnispfarrer. Der Einzige, der nicht Bek.pfr. ist, ist Otto.« So ist die Lage! Eine »gebildete« Dame im Haus von Frl. Ganzert: »Das Bekenntnis – das ist 16. Jahrhundert. Das ist überhaupt alles jüdisch.« Stoeckmann-Hannover in der D.C.-Kundgebung: »Der Führer sagt, das Bekenntnis wird nicht angetastet. Und da wagt es Marahrens zu sagen, das Bekenntnis wird angetastet!« u.s.w. 105

Vgl. Tgb. 4. März 1937.

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Übrigens wußte meine Schneiderin, daß Hitlerjungen erzählt hatten, es wäre ihnen »in der Fürstenhofversammlung« gesagt worden, sie würden bei der Kirchenwahl mitwählen. »Alle Konfirmierten«. Das scheint ein Wunsch unserer D.C. gewesen zu sein. Nach einiger Zeit haben dieselben H.J. – sie sind »Führer« – mitgeteilt: »Also nun ist es heraus, wir wählen nicht.« Am Montag Abend – 22.III. – hatte ich eine Einladung zu einer Mitgliederversammlung der D.Chr. im Schmelzerhof. Die Einladg. war sehr dringlich abgefaßt: Landesbischof Schultz-Mecklenburg würde sprechen über (ungefähr): »Die Genfer Internationale u. die Bek.front.« Ich konnte nicht hingehen da für die Konfirmanden von Otto Abendmahl war. Gestern erfuhr ich hier im Haus von verschiedenen Seiten, es sei natürl. »großartig« gewesen. »Unten« im Saal voll (Also die Galerien nicht.) Ein anderer sagte: »180 Menschen. Aber: Vor dem Lokal haben 4 Schutzleute gestanden u. nur Leute mit Mitgliedskarten hereingelassen. Alle, die, wie ich, bloß Einladungen hatten, hätten umkehren müssen. O. hatte gestern Bruderratssitzung in Gotha u. sprach abends in Winterstein. Gestern Abend meldete die »Tagespost« eine neue Kirchenverordnung, unterschrieb. »Kerrl«. Die Landeskirchenregierungen müssen sich auf die laufenden Geschäfte beschränken. Die Finanzabteilungen werden davon nicht berührt. Alle Personalsachen, Disziplinarsachen – müssen ruhen – rückwirkend ab 15. Febr.106 (Es ist ja eine Blamage, daß einige dieser Bestimmungen erst heute veröffentlicht werden. Das hätte natürl. gleich nach dem Wahlerlaß geschehen müssen.) »Junge Kirche« meldete am Sonntag, daß Pfr. Putz-München u. Präses Koch-Westfalen am 10.III. in Dresden gesprochen hätten. Zirkus Sarassani sofort überfüllt, danach hätte noch die große Frauenkirche geöffnet werden müssen u. die hätte kaum gereicht.107 Ein holländ. Ztgsausschnitt berichtete gestern von einer B.K.-Versammlung in Leipzig am 15.III. vor 10 000 Menschen. Redner: Sommerlath, Schumann u. ein Dritter. Am Freitag Abend (19.III.) war ich noch bei Otto. Ich dachte, er würde frischer sein nach dem Erfolg in Jena (die Jenaer schätzen d. Besuch auf 2500, Kollekte war 307 Mark. Die D.C. hatten 2 Versammlungen mit 400 bzw. 800 Menschen. StoekmannHannover als 2. Redner. Dort – Jena ist die »Hochburg« der D.C. – hat er aber nicht gesagt »die lieben Bekenntnisbrüder«, sondern hat verleumdet, was das Zeug hielt.) Ursache: Zurückgekommen aus Jena am Freitag vormittag war er [O.] am Nachmittag wieder von der Polizei vernommen worden – in einer niederträchtigen Tonart. Er hält immer an sich, weil es ja noch wohlwollend ist, daß der Beamte nicht in sein Haus geht u. alles umstülpt – dazu hat er die Macht. Er sagt immer noch: »Ich habe keinen Grund, Ihnen nicht zu glauben«, u. begnügt sich mit Ottos Ja u. Nein. Aber er hat behauptet, O. hätte – bei einer Schulung von B.K.-Kirchenvertretern – keine Leitsätze

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Dreizehnte Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Sicherung der Deutschen Evangelischen Kirche vom 20. März 1937, wo es in § 4 heißt: »Disziplinar- und sonstige Personalmaßnahmen in kirchenpolitischen Angelegenheiten ruhen« (Dokumente zur Kirchenpolitik IV, 16). JK 5 (1937), 240.

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über seinen Vortrag ausgeben dürfen. Das sei verbotene Flugblattverteilung u.s.w. bis er sich schließlich davon überzeugte, daß es erlaubt war u.s.w. Übrigens werden alle Verfügungen, so schwerwiegend sie auch sein mögen, den Pfarrern nur vorgelesen, sie bekommen sie nicht einmal in Abschrift! Einige Erleichterungen sind übrigens kürzlich genehmigt worden. O. darf wieder geschäftl. Mitteilungen an seine Mitglieder hinausgeben, darf Flugschriften in kirchl. Räumen verteilen wenn sie mit Namensunterschrift versehen sind u. darf zu Wahlversammlungen einladen mit Plakaten, im Umschlag steckenden persönl. Einladungen u. ich glaube Zeitungsanzeigen. Gestern hieß es hier im Haus, die D.Chr. wollten in Eisenach den Reichsbischof sprechen lassen u. 3 Kirchen öffnen – (wahrscheinl. durch Kabel verbinden). Unser Erfolg vom 14. wurmt sie doch sehr! Btz. machte mich darauf aufmerksam, daß, da in der neuen Verordnung die finanzielle Leitg. der Finanzabteilg. der Kirchenkanzlei bzw. den Landeskirchenleitungen ausdrücklich zugeschrieben wird, die Thür. ev. Kirche nun doch ihre Umlagen nicht mehr an den Bund für D.Chr. zahlen dürfe! Ebenso müßten die württemberger D.Chr. nun ihre Kirchensteuern wieder an die württemb. Landeskirche zahlen u. nicht mehr an ihre eigene Bewegung. Mit ( )c besprach ich die neue Verordnung. »Frau Sch. hat gesagt, nun müßte doch die ganze Propagandatätigkeit der D.Chr. aufhören. Das sehe ich nicht ein! Ich: »Ich glaube doch. Denn das Kirchenregiment ist ausdrücklich auf die ›laufenden Geschäfte‹ beschränkt worden.« ( )c: »Na, dann sagt Franz wieder: ›Das haben wir mißverstehen können.‹ Das hat er nämlich schon einmal gesagt.« Btz. glaubt nach wie vor, daß die Wahlen schließlich überhaupt nicht stattfinden würden! Möglich ist alles. Um auf m. Besprechung mit O. am Freitag zurückzukommen – der Gedanke macht ihn ganz kaputt, daß irgendwelche ahnungslosen Mitglieder der B.K. gefährliche Dinge tun könnten, für die er dann verantwortlich gemacht würde. Z.B. wäre – wie ihm erzählt worden sei – ohne sein Wissen bei der Helferinnenversammlung der Dibelius-Brief verteilt worden!108 Nun – ich war da u. habe keinen gesehen. Aber ich begreife, wie fürchterlich das für ihn ist. Nach Verteilern des Dibeliusbriefes wird auch gefahndet. »Wenn wir den Kerl kriegen – den setzen wir fest!« Dibelius hat den Brief an Kerrl als offenen Brief geschickt u. dann eine zeitlang gewartet, ob er ein Verbot bekäme. Als das nicht geschehen ist, hat er ihn drucken lassen u. Hunderttausende davon in die Gemeinden geworfen. In Stettin u. Erfurt sind Stücke beschlagnahmt worden, dazu kommt die Eisenacher Drohung. Sonst nichts. 25.III., vorm. [25. März 1937] Gestern hörte ich noch aus der »Sitzung«: Sehr dicke Luft! Man hat kürzlich an Ziegner einen Brief geschrieben wegen eines Handzettels gegen die D.Chr., den er nach einem c c 108

Strichzeichn. Frauenkopf mit Locken, steht für Hanna Linde, vgl. Übersicht Strichzeichnungen. Strichzeichn. Frauenkopf mit Locken, steht für Hanna Linde, vgl. ebenda. Zum Dibelius-Brief vgl. Tgb. 4. März 1937.

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Gottesdienst verteilt hat u. der sehr scharf war. Man hat ihn aufgefordert, bis zum 24. sich zu dieser Sache zu äußern. Ziegner hatte gestern geantwortet, auf die Zuschrift des L.K.R. gäbe er überhaupt nichts u. würde nicht darauf antworten. Das D.Chr.-Regiment wäre wohl sowieso bald erledigt!!109 Man kann sich vorstellen, wie sie spucken. Btz. hörte heute auf d. Kirchsteueramt, daß man tatsächl. den Reibi hierherkommen lassen will. Das K.st.amt soll die Eisenacher Adressen – 20 000 Stück – durchschlagen, der betr. Angestellte bekommt 20 M dafür. Da werden sie wieder alle Dörfer mobil machen. Hoffentlich haben sie trotzdem keinen Erfolg. Finanzausschuß war gestern auch noch – 7 Auswärtige waren eingeladen, 5 gekommen. Sonst nichts darüber zu erfahren. Stetefeld stürmte an mir vorbei mit langen Sätzen die Treppe hinauf, eine dicke Zigarre im Munde, neuen Hut u. Mantel, grinsend – ganz Stetefeld. In Nr. 12 der Dtsch.-ev. Korresp. wird ein Aufruf an die Laien von Frhr. v. Ledebur veröffentlicht.110 Wohl derselbe, der den L.K.R. so in Harnisch gebracht hat, obwohl er m. Meing. nach einen kl. Seitenhieb auf »Schrift u. Bekenntnis« enthält.111 2 engl. Presseausschnitte habe ich nicht übersetzt. Sie stellten die kirchl. Opposition als Widerstand gegen d. Staat hin. Die neue »H.J.« berichtet über Bibelkritik in einer Form, die geeignet ist, der Jugend die ganze Bibel verdächtig zu machen. Es sei keine »Offenbarung«. (So etwas dürfte nur von einem positiv christlichen Standpunkt aus in einem Parteiblatt veröffentlicht werden. Viell. steckt Kerrl dahinter. Es schlägt ganz in die Kerbe der Thür. D.Chr. [KDC] – daß das Gefühl dafür, daß es feige ist, einen mundtot gemachten Gegner zu bekämpfen, so ganz verloren gegangen ist! Und das will Deutsch sein – u. das nennen sie »Kampf.« D. 26.III., Karfreitag. [26. März 1937] Es hängen Plakate in der Stadt: Der Reibi spricht hier in der Georgenkirche am 2.4., heute in 8 Tagen. Die »Stürmer-Nummer«, die Golgatha als den »größten Ritualmord aller Zeiten« hinstellt u. Christus gewissermaßen in Deutschland rehabilitiert, wird von den D.Chr. jubelnd begrüßt. (O. hatte sie schon vor 8 Tagen). Jansa sprach darüber in sr. »Andacht« vom 22.III. Er habe am Tag vorher der Gemeinde daraus vorgelesen u.s.w. Daß Rehm sich dagegen wehren mußte, daß die »Thüringer« ihn auf die Reichsrednerliste des Bundes f. dtsch. Chr.tum gesetzt hatten, schrieb ich wohl schon. Heute muß er eine Wahllüge der D.Chr.(Württemberger?) in Baden kennzeichnen, die die Sache 109

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Vgl. Protokoll der Sitzung des LKR vom 30. März 1937: »7. Pfarrer Ziegner in Warza. Kirchenrat Dr. Volk berichtet über die Äußerung Ziegners vom 23. März 1937 zu dem Vorbehalt betreffend Verteilung von Flugblättern. Kirchenrat Franz hat von Pfarrer Imbt in Farnroda gehört, daß wegen der Flugblatt-Verteilung bereits Schritte beim Kreisamt in Gotha unternommen sind. Es soll zunächst festgestellt werden, was von seiten des Kreisamts in Gotha geschehen ist« (LKAE, A 122, 24). Freiherr von Ledebur, Zur Kirchenwahl, Deutsch-Evangelische Korrespondenz 36 (1937), H. 12, 24. März 1937. Vf zeichnete für den »Arbeitsausschuß der Laien« zur bevorstehenden Kirchenwahl; er wandte sich also nicht speziell »an« Laien, sondern an alle kirchenpolitisch engagierten Menschen. Vgl. Tgb. 9. März 1937.

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so darstellen, als hätten sich in Baden alle D.Chr. der Leitung der Rehm feindlichen D.Chr. (natürl. also der Thüringer, wenn sie auch nicht ausdrücklich genannt sind) unterstellt. An der Spitze der D.E.K. steht – nach dem neuen vorl. Reichsgesetz – Präsident Werner, der Leiter der Kirchenkanzlei (mit rein verwaltungsmäßs. Befugnissen).112 Also nicht Lilje. Werner erkennt Lilje in sr. Stellung nicht an, soviel wird aus einer Feststellg. im heut. »Positiven Chr.tum« klar. Der Staat begünstigt doch wohl die D.Chr., wie ein engl. Blatt dieser Tage schrieb. Werner stammt noch aus den Zeiten der Sportpalastkundgebung der D.Chr., verschwand m.W. für einige Zeit u. tauchte im Herbst 34 wohl wieder auf. Wenn Zoellner ihn – wie es scheint – in s. Amt bestätigt hat, dann ist er wohl ein gemäßigter Mann. Was soll eigentlich mit der Vertretg. Deutschlands auf der Oxforder Kirchenkonferenz werden, wenn die Wahlen erst in 4 Mon. stattfinden sollen? 3. Feiertag., 30.III. (Dienstg.). [30. März 1937] Heute früh erfahre ich: In einer Erfurter Druckerei wird im Auftrag der Thür. D.C. ein Flugblatt vorbereitet in 3-Millionen-Auflage. Darin soll der Satz vorkommen: »Das Christentum ist das stärkste Bollwerk des Judentum«. Es müßte alles ganz geheim gehalten werden. Es seien schon mehrere Tausend M angezahlt; Bauer sei auch mal dagewesen u. Paulin. – Dazu paßt eine weitere Nachricht, die ich eigentlich nicht geglaubt habe u. auch heute noch nicht glaube: Leutheuser hätte vom Ludendorff-Verlag aus in Goslar einen Vortrag gehalten! Beweis: Anzeige in d. Goslarer Zeitg. Ich habe Frau Nellessen gebeten, sich von ihrer Schwester das Blatt schicken zu lassen. – Wird eine radikale Schwenkung vorbereitet?113 Am Sonnabd. kurze Unterredg. mit Gustel Begemann, die fand, die »D.Chr.« hätten doch noch nie so fest im Sattel gesessen als gerade jetzt! »Die Partei …!« Gestern Abd. nach d. Theater noch lange mit Frl. Eitner herumgewandert. Sie hatte Nachrichten aus Jena Dort haben beide Ottos [O.; Otto R.] gemeins. gesprochen u. offenbar sehr tiefgehend gewirkt. Es müßte fabelhaft gewesen sein. – Sie hat ein Stenogramm über eine Rede des Reichsb. in Hannover, das toll sein soll. U.a. hätte er gesagt: »Es gibt kein Gericht Gottes« u.s.w. Wiegand hat erzählt von einer Familie Lang, Karlstr., die Beziehungen zu hohen Parteistellen hätte. Da hätte man gesagt (die hohe Stelle): Die D.Chr. kämen nicht in Frage, die hängten d. Mantel nach d. Wind. Die B.K. hätte wenigstens eine Linie, vor der könnte man noch Achtung haben (klingt glaubhaft). Zum Reibi zu gehen, haben viele Bekenntnisleute Lust. Selbst S. – um das mal zu erleben. Sasse u. Franz wieder auf Fahrt nach Berlin. Es scheint: Besprechungen mit Kerrl. Frau Pfr. Fischer-Saalfeld wegen Äußerung über Abschaffg. des A.T. in Thür. in 112

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Dreizehnte Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Sicherung der Deutschen Evangelischen Kirche vom 20. März 1937 (Kirchliches Jahrbuch für die Evangelische Kirche in Deutschland 60–71 (1933–1944), Gütersloh (1948) 21976, 165). Die Tagebuchschreiberin hegte den generellen Verdacht gegen die Thüringer deutschen Christen, der Deutschen Glaubensbewegung derart nahe zu stehen, dass sie eigentlich fusionieren könnten.

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Marksuhl von der Geh. St.pol. vernommen. (Und wenn es nur ist, um die Leute zu zermürben). Auf Grund des Heimtücke-Gesetzes114 Sie hat nichts Belastendes gesagt nach Aussage der Marksuhler Frauen. Mittwoch, d. 31.III. [31. März 1937] Gestern Abend noch zu O., der nicht da war. Konferenz. Heute Konf. in Gotha; von da aus fährt er in den Osten zu Wahlversammlungen: Altenburg, Ronneburg u.s.w. Frl. Koeppen gab mir das Manuskript einer Druckschrift über die D.Chr., die O. verfaßt hat.115 Die liegt mir seitdem auf den Nerven. Theolog. Auseinandersetzg., die wir doch schon haben. Es fehlt die Darstellg. der Praxis der D.Chr., die nur er geben könnte. Aber ich weiß schon, er denkt, das wäre eine Konzession an das Sensationsbedürfnis – aber ich meine, die Gemeinden haben ein Recht darauf, zu erfahren, was geschehen ist. Aber, da er verreist, kann man wieder nicht mit ihm sprechen. Frl.Koeppen machte eine Schilderung von der Hetze, in der die Schrift entstanden ist. Bericht über eine Rede des Reibi in Hannover von Frau Pfeiff. bekommen. Wenn er hier so redet, kann er uns nur nützen. Frl. Schönwald berichtet in d. Kantine aus Berlin: Noch nichts Neues. Wahltermin oder Einzelheiten noch nicht bekannt. Es muß aber alles vorbereitet werden, denn schließl. kanns auch plötzlich mal ganz schnell gehen. – Also: Die wissen nicht mehr als wir. Keine Auslandspresseausschnitte. Wie oft haben wir schon so gesessen u. ins Dunkel gestarrt? Bis ein Blitzstrahl die Gegend erhellte. 1 Stunde später. Eine seltsame Mär vermeldete Frl. Sommer in der Zentrale. Götze hat ihr als sicher erzählt, Hitler hätte sich mit Ludendorff versöhnt. (Wenns wahr ist, hat Goebbels daran gearbeitet). Ein anderer, Schmidt von d. Kirchensteuer, hat berichtet: »Hitler hat sich mit Ludendorff ausgesprochen.«116 Das ist also etwas anderes u. scheint mir glaubhafter. Im Lichte dieser Nachricht nehmen sich die Meldungen aus Erfurt u. Goslar117 sehr sonderbar aus. Abends. Vinca [Jungherr] erzählte: Meyer-Erlach sollte gestürzt werden – Bericht von Harald W. aus Jena. Die Aussprache Ludendorff – Hitler steht heute in den Zeitungen. Die Nachricht aus Goslar hat sich als Ente herausgestellt. Der Betreffende hat die Zeitung nicht richtig gelesen! 114 115

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Das Heimtücke-Gesetz wurde erlassen mit dem Ziel, Kritik an der NS-Führung und an ihren Organisationen zu unterbinden (Enzyklopädie des Nationalsozialismus, 506). Otto, Ernst: Evangelischer oder »deutsch-christlicher« Glaube? Eine Auseinandersetzung über die Grundfrage evangelischen Glaubens mit der nationalkirchlichen Bewegung der Thüringer Deutschen Christen, Nürnberg [Selbstverlag: Amt für Volksmission] 1937. » Schließlich kam es am 30. März 1937 zu einer Aussprache zwischen Hitler und Ludendorff, auf die Ludendorff nur unter der Bedingung eingegangen war, daß der Bund für Deutsche Gotterkenntnis wieder zugelassen würde. Dieser wurde als ›Deutsche Gotterkenntnis (L)‹ gleichberechtigt zu den christlichen als Religionsgemeinschaft staatlich zugelassen« (https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Erich_Ludendorff; eingesehen 6. Aug. 2015). Vgl. auch Bettina Amm, Die Ludendorff-Bewegung. Zwischen nationalistischem Kampfbund und völkischer Weltanschauungssekte, Hamburg 2006, 185–186. Vgl. Tgb. 30. März 1937.

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Von Br. J., die kürzlich aus England zurückgekehrt ist, hörte ich: D. Gesandte v. Ribbentrop will wieder in die Kirche eintreten, weil es ihm »drüben« so furchtbar schadet, daß er ausgetreten ist. Übrigens wären die engl. Zeitungen, die wir bekommen, besonders für Deutschland gedruckt!!! Es klingt kaum glaublich! Ich hörte mit Erstaunen Namen von Leuten, die sich für kirchl. Dinge interessieren u. mit der B.K. sympathisieren, von denen ich es nicht geahnt habe. V.J. erzählte auch noch, Papen sollte an Stelle von Kerrl Kirchenminister werden. Sie war entsetzt. Über die Schwierigkeiten der kathol. Kirche war sie nicht orientiert. Sonnabd., d. 3. April. [3. April 1937] Die Georgenkirche war gestern Abend scheinbar überfüllt. Ich guckte durch einen Seiteneingang schnell mal hinein. Auf der Nordseite waren auf den Galerien noch Plätze frei – das sah von außen – Schattenrisse – bedeutend lückenhafter aus als bei unserer Versammlung. In der Nikolaikirche war auch Licht. Da Starke dort auf- u. abpatrouillierte, konnte ich nicht hineinsehen. Der Reibi hat u.a. gesagt, die »Wahlen« würden sich als eine Art von Volksbefragung darstellen, ob die Kirche sich ins Dritte Reich eingliedern wolle oder nicht. Das sei der Sinn der Wahlen! Sonntag, d. 4.4.37. [4. April 1937] Einige merkwürdige Eindrücke: Else schickte mir heute aus Kiel einen Zeitungssausschnitt: »Pastor Pinn ausgewiesen.« »Am 30.3.1937 wurde Pastor Pinn, Flemhude, aus der Prov. Schleswig-Holst. ausgewiesen. Pastor Pinn, der der sog. Bekenntnisfront angehörte, hat in letzter Zeit wiederholt durch seine staatsfeindliche Einstellg. die Öffentlichkeit beunruhigt …« u.s.w. Gleichzeitig lese ich heute in der Frankf. Ztg., daß eine »Evang. Woche« in Darmstadt verboten worden sei, mit der Begründung, daß d. Auftreten »auswärtiger u. ausländischer« Redner hätte »durchgesetzt« werden sollen, obwohl er durch eine »Befriedungs«-verordnung verboten sei u.s.w. Also es ist klar: Verfolgung u. wieder öffentl. Anprangerung. Auf d. Pflugensberg wurde wieder von einem Plakat-Verbot gesprochen, wo noch die Plakate über d. Auftreten des Reibi an allen Ecken kleben. In Creuzburg soll eine kurze Mitteilg. über die Verlegung eines Vortrages von Mitzenheim am Freitg. Abd. von einer Kirche in die andere polizeil. verboten worden sein. Breithaupt hat erzählt, daß die Leute bei der Kundgebg. des Reibi in den Gängen unten gestanden hätten, wäre nicht nötig gewesen; sie seien auf d. Bänken eben nicht zusammengerückt. In d. Nikolaikirche hätte nur ein kleines Häuflein Menschen in d. Mitte gesessen. Viele Bek.leute.. Der Reibi hätte keine Sensationen geboten. WahlTaktik. Mittwoch, d. 7.4.37. [7. April 1937] Gestern bei O. Ich las einen Brief von Kerrl an Marahrens (als dem dienstältesten Landesbischof) vom 25. Febr., der einfach erschütternd war.118 Der klare Wille, alles Recht zu vernichten. Vom Sinn des Hitler-Wahl-Erlasses auch kein Hauch mehr. Alles wie 118

Schreiben des Reichskirchenministers an Marahrens vom 25. Februar 1937, KJ 1933–1944, 167– 168.

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darauf angelegt, Vertrauen restlos zu vernichten. Es ist danach ganz klar, daß mit Hilfe unserer D.C. mit allen Mitteln weitergearbeitet wird, um das aus der Kirche zu machen, was das »Verordnungswerk« beabsichtigte. (Einmütige Antwort der Kirchenführer!) Wie ich aus bester Quelle höre, hat bei der Kundgebung mit dem Reichsbischof in der Marktkirche Reg.rat Fritz Orgel gespielt, da Mauersberger es mit seinem Organistengewissen nicht vereinigen konnte, das eines ihrer Kampflieder119, das kirchenmusikalisch (u. wohl auch sonst) ganz unmöglich sei, auf der Orgel zu spielen. Auch der Organist der Nikolaikirche, der zu der Kundgebung dort gespielt hat, hat sich geäußert, seine Orgel käme ihm jedes mal »entweiht« vor. Aber warum sagen die Männer so etwas nicht laut? Merkwürdiges wird erzählt über die Konfirmationsordnung von Stier u. Kiel. Gestern Abend waren Senfflebens, Mutter u. Tochter, noch bei mir. Erika erzählte unter anderem, daß jetzt zum 2. mal ein D.C., Nothnagel mit Namen, Frau Pfeiffer um einen Vortrag in seinem Frauenkreis gebeten hätte. Das bedeutet bei einem D.C.-Pfr. natürlich eine Schwenkung nach der Bekenntnisseite hin. Je mehr ich über den Brief von Kerrl an Marahrens120 nachdenke – der auch juristisch ganz unhaltbar ist – umso klarer wird mirs, daß Muhs ihn verfaßt u. Kerrl lediglich unterhauen hat. Kerrl hat offenbar in den kirchl. Dingen nichts mehr zu sagen. – Von Lilje sprechen sie als »ein gewisser Herr Lilje«. Als ob sie diesen Mann nicht kennten, der Geschäftsführer des Luth. Rates u. des luth. Weltkonventes ist u. mit Meiser in Amerika war, von Roosevelt empfangen, am amerikan. Rundfunk gesprochen hat – abgesehen von seinem Ruf als Theologen u. (bis vor Kurzem) Herausgeber der J.K.121 Welcher Haß liegt angesichts dieser Sachlage in den kurzen Worten, mit denen sie ihn bezeichnen. Natürlich erkennen sie ihn als kirchl. Spitze nicht an, obwohl die Kirchenführer ihn am 13.II. ordnungsmäßig gewählt haben u. die Verordng. zur provisor. Regelung der Kirchenverwaltung nur bis zum 15.II. rückwirkend ist.122 Es ist alles wie in den Zeiten von Jäger. Frau Senffleben [E. ] hatte vorgestern Abend bei Volks noch Sasse angetroffen – der kam als ich noch da war (Volks taten mir leid, daß sie mich in diesem Augenblick nicht verleugnen konnten). Sie gab eine Bemerkung von Sasse wieder: »Dieser Kirchenknätsch (!) ist so, wie wenn eine Katze einen Löwen anfaucht.« (Das sagt der Landesbischof). »Merkwürdig«, sagte Frau Senffl. [E.] zu mir, »daß man dann soviel Aufhebens um diese Katze macht.« Donnerstg., 8.4.37. [8. April 1937] Heute fragt mich Frau Scheda: »Haben Sie nicht mal was von einem ziemlich frechen ›Offenen Brief‹ gehört?« Ich: »Wer soll den geschrieben haben?« Sie: »Weiß ich nicht.« 119 120 121 122

Vermutlich aus dem Liederbuch »Unsere Kampflieder«, hg. vom Pfarrer- und Lehrerkreis des Wieratales, Verlag Deutsche Christen Weimar 1933. Vgl. Tgb. 7. April 1937. Lilje war von 1933 bis 1936 Hg. der Jungen Kirche; vgl. Personenlexikon zum deutschen Protestantismus, 158. Vgl. Tgb. 16. Februar 1937.

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Ich: »An wen war er gerichtet?« Sie: »Weiß ich auch nicht. Soll aber ziemlich frech gewesen sein.« Ich zucke die Achseln. In diesem Fall kann ich nicht helfen. Das nennt man »Gerüchte.« Freitag, d. 9. [9. April 1937] Frl. v. R. [Ranke] war gestern noch kurz bei mir. Erzählte, die Lübecker Pastoren seien seit Sonnabend, de. 4.4., frei. Hätten eine Art Vertrag mit ihrem Bischof gemacht, der auf »geistliche Leitung« verzichtet hätte.123 Danach hätte sich auch die Polizei entschlossen … Groß-Hamburg wird an dieser Lösung wohl Anteil haben. Hierher solle Johnsen-Braunschweig zu einer Kundgebg. kommen. Ich schimpfte – warum wir nicht auch mal eine »Kanone« herbekämen. Die großen Leute sagen immer ab – u. dabei hat sichs doch erwiesen, wie wichtig es ist, in Thür. zu wirken. »Genau dasselbe habe ich gesagt, »sagte Frl. v. R. [Ranke]. »O. will Putz noch mal kommen lassen.« Es wurde sehr gearbeitet, wenn auch nicht überall mit Erfolg. Z.B. in Ilmenau nicht. Dort säße ein ganz kirchl. streng eingestellter Pfarrer, der D.C. geworden sei; u. die Gemeinde bringe deshalb keinerlei Verständnis für die Situation auf. Bei Kühn sei gestern eine Vervielfältigg. eingelaufen, eine Darstellg. über die »Thüringer«. Er läutet bei O. an: »Ganz vorzüglich! Von wem mag das sein!« O. läßt sichs schicken: Es ist ein Vortrag von ihm selbst, den er im November vor den »Kirchenführern« gehalten hat! Er hat nicht geahnt, daß der festgehalten u. verbreitet wurde!124 Was haben die dort eigentl. für geheimnisvolle Methoden? Das Pred.sem. ist z.Zt. unbesucht – natürl. für sowas hat keiner Zeit mehr. Bei mir ist vom »Argus« der Osservatore Romano mit d. deutsch. Text der »Enzyklika« des Papstes üb. d. Lage der kathol. Kirche in Dtschld. eingegangen.125 Ich gab es den jungen Juristen.( )b begeistert; z.Zt. hat es Mauersberger. Besprechungen füllen auch die ausländ. Blätter. Bei einer Niemöller-Versammlung in Neukölln hätten die D.C. den Redner niedergebrüllt. Einer hätte gerufen: »Wollen Sie den Bürgerkrieg in Deutschland?« O. schenkte mir z. Geburtstag ein kl. Buch: »Wir rufen Deutschland zu Gott«, von Niemöller-Dibelius.126 Sehr gut u. im besten Sinne populär. Soll möglichst verbreitet werden. Heute Abd. »kleine Kirchenvertretg.« bei O. 123

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Die am 1. Januar 1937 amtsenthobenen neun BK-Pfarrer wurden nach Verhandlungen mit der Kirchenleitung wieder eingestellt, nahmen aber deren geistliche Leitung nicht an; vgl. Meier, Kirchenkampf III, 387; JK 5 (1937), 327. Zu den Ereignissen um die Pfarrerentlassung in Lübeck vgl. Tgb. 12. Dezember 1936, 8., 9. 15. Januar 1937 und 5. Februar 1937. Schreiben des Rats der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands vom 3. April 1935, ohne Adressat, aber mit der Überschrift: Die Not der lutherischen Kirche in Thüringen, LKAE, LBG 74, 446–452. Der erste Satz lautet: »Nachfolgender uns aus Thüringen zur Verfügung gestellter Beitrag wird zu klärender Unterrichtung willkommen sein«; handschriftlicher Eintrag auf der ersten Seite: »Ottos Rede«. Die Rede ist in Auszügen wieder abgedruckt worden in: AELKZ 70 (1937), 454–455. Deutscher Text abgedruckt bei Denzler/Fabricius, Die Kirchen im Dritten Reich. Bd. II: Dokumente, 1984, 104–149. Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz, vgl. Übers. Strichzeichnungen. Otto Dibelius und Martin Niemöller, Wir rufen Deutschland zu Gott, Berlin 1937.

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Engl. Presse meldet auch: Kerrl hätte sich briefl. an Marahrens u. Klingler gewendet u. sie um »Rat gefragt«. Das klingt sehr wenig glaubhaft. Frl. v. R. [Ranke] teilte noch mit: Lilje sei als Haupt seines »Fortsetzungsausschusses« zurückgetreten, um Marahrens Platz zu machen.127 In der vorigen Woche ist hier im Haus erzählt worden (von Frau Sasse u. Franz), die Kirchenwahlen würden etwa in 5 Monaten, im August, sein. D. 10. April. [10. April 1937] Mir wurde von einem Engländer erzählt, der »Mr. Sprankle« oder so ähnlich hieß, der hier an der Kundgebung des Reichsb. teilgenommen u. den Deutsch. Christen versprochen hat, einen begeisterten Artikel darüber in den englischen Blättern zu bringen. Dienstag, d. 13. April. [13. April 1937] Der Tag beginnt damit, daß von mir ein Zeitungsausschn. verlangt wird, in dem stehen soll, daß Söderblom kein Freimaurer gewesen ist. Daß er es gewesen sei, hat nämlich Landesbischof Schultz-Mecklenburg neulich hier im Schmelzerhof behauptet. Volk schreibt ihm hierüber u. möchte Söderbloms Ehre retten. Ich kann nicht helfen – er soll ihn doch nach dem Beweis für seine Behauptungen fragen! Wie wütend sind doch die D.Chr. auf die ökumen. Arbeit – weil sie da ausgeschaltet sind u. nun doch merken, wie wichtig diese Sache für die Außenpolitik ist! Aus der Stadt kam das Gerücht, (F. B.), die D.C. [ver]stünden sich nicht mehr mit den Mecklenburgern, hätten sich gezankt. »Das Schwarze Korps« beschäftigt sich eingehend mit Dibelius, was großen Eindruck auf Frl. Kleinsteuber macht. Sie ist ganz erschüttert davon, wie wir lügen. 10 Uhr. Erich Reichardt hat sich an die Söderblom-Notiz erinnert – sie stand im »Ev. Deutschld.« Febr.Nr. Dort wird die Behptg., S. sei Freim. gew. widerlegt mit Auskünften des Söderblomschen Schwiegersohnes. Der »Durchbruch« hat sichs aus den Fingern gesogen. Und sowas gibt der Landesbischof von Mecklenbg. im April noch weiter. Und in d. »Nationalkirche« schreibt Leutheuser als Artikelüberschrift: »Sie lügen, lügen lügen …« (Das sind wir, die lügen.) Das hyster. Lügengeschrei tönte auch aus einer Zuschrift des Hilfspfr. LeuckfeldSchmölln an den L.K.R., die ich las. Mälzer-Ronneburg war dort auf die Tatsache eingegangen, daß die D.Chr. in ihren Richtlinien f. d. Religionsunterricht das A.T. nicht 127

Der Begriff »Fortsetzungsauschuß« dürfte eine Begriffsprägung der Tagebuchschreiberin (oder der Presse?) sein. Es handelte sich um den folgenden kirchenpolitischen Vorgang: »Auf ihrer Sitzung vom 2. und 3. April 1937 in Berlin ließ die Kirchenführerkonferenz die ›bevollmächtigte Leitung‹ unter Lilje fallen, die von Kerrl abgelehnt wurde, und setzte einen gemeinsamen ›Kirchenführer-Ausschuß‹ ein: Vorsitzender war Marahrens; ihm gehörten ferner an: Landesbischof Wurm, Sup. Richard Zimmermann (Berlin) und der reformierte Landesuperintendent D. Dr. Hollweg (Aurich). Dieser Kreis sollte die Vertretung der DEK im Sinne der Kirchenführer übernehmen, die die 13. Durchführungsverordnung vom 20. März 1937 als bekenntniswidrig ablehnten. Das Kirchenministerium erkannte natürlich diesen ›Kirchenführer-Ausschuß‹ ebensowenig an wie die ›bevollmächtigte Leitung‹ unter Hanns Lilje« (Meier, Kirchenkampf II, 151–152).

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verwenden u. bemerkte dazu: »Augenscheinlich wollen die D.Chr. das A.T. fallen lassen.« Das nennt Leuckfeld eine Lüge u. bemerkt u.a.: »Die Vehemenz meiner Abwehr wird sich zur Stärke der Lüge wie 2 zu 1 verhalten.« Schneidig. Am Freitag Abend war ein kleiner Kreis bei Ottos zum Tee. Frl. Helmbold, Hackmack, v. Ranke, v. Kauffberg, moi-je [sic!], 3 Männer, Pfr. od. Hilfsgeistliche, die für uns Wahlreden halten u. Felix Breithaupt u. Frau u. Frl. Schmidt u. Frl. Koeppen.. O. las aus dem N.T. u. betete. Dann verlas u. besprach er den Briefwechsel KerrlMarahrens-Kirchenführer128, von dem ich schon schrieb, u. ein »Wort an die Gemeinden« vom luth. Rat oder den Kirchenführern.129 nachmittags. Eben wird mir berichtet: Ein amerikanischer Reporter (wohl derselbe von dem neulich berichtet wurde) kommt auf den Pflugensberg. Ißt heute Abd. beim Labi, Sommer »soll« servieren. 12 Personen, auch Hohlwein u. Bauer [W.], Stüber, Franz, Volk, Leffler. Morgen soll der Mann d. ganze Haus besichtigen – alle Luftschutzsachen werden deswegen weggeräumt (die Bilder betr. Gasvergiftung pp. in d. Halle). Dann soll er noch den Hainstein sehen, Wartburg – Volk u. Wohlfahrt kutschieren ihn herum. 2 neue Flugschriften im Verlag der D.Chr. sind herausgekommen, ohne Angabe des Verfassers! So etwas sollten wir uns erlauben! Ich mag sie garnicht lesen. Die eine scheint eine ganz tolle historische Darstellg. des Kirchenkampfes der letzten 4 Jahre zu enthalten. Mittwoch, d. 14.4.37., 11 Uhr. [14. April 1937] Soeben festgestellt: Der »Amerikaner«, der gestern Abend bei Sasse gefeiert worden ist u. von Volk soeben durch den Betrieb geschleußt wird, heißt »Ross« u. wohnt im Rautenkranz. Sollte es »Colin« sein? Den hat ihnen wohl Oberheid verschafft. Frl. v. Ranke u. ich wollen ihm O.s neueste Schrift130 u. zum Vergleich Lehmanns »Christentümer«131 ins Hotel schicken. Gestern Abend beim Labi hats bis ½3 gedauert. Otto hat gestern Abend in Eisenberg gesprochen. Heute früh bekam ich einen tollen Brief an Lehmann zu lesen über den Vortrag eines Thür. Bek.pfarrers in Bayreuth. Auszug: »Hirschberg (Saale) 8.3. Eine Anfrage! Wer ist der Nestscheißer in unserer Thüringer Kirche der am vergangenen Mittwoch Abend in Bayreuth predigte u. der das Thür. Christentum im Lichte der 3 ersten Gebote beleuchtete? … er soll ein himmellanger hübscher Mensch gewesen sein … die Kirche soll vollauf besucht gewesen sein; die Einlage (für ihn) 250 M; vielleicht hat das ihm auch noch gehört.

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Vgl. KJ 1933–1944, 166–170 (evt. bis S. 172, wenn das Schreiben von Marahrens an Kerrl vom 8. April dem Kreis um Otto schon vorgelegen hat). Es ist nicht ganz klar, welches Wort gemeint ist, da der Lutherrat um diese Zeit kein Wort an die Gemeinden gerichtet hatte, wohl aber der Reichsbruderrat der BK; vgl. Wort des Reichsbruderrates an die Gemeinden vom 9. März 1937, KJ 1933–1944, 163–165. Vgl. oben Anm. 115. Vgl. Anm. 500 aus 1936.

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Also relata refero132 – aber es stimmt. Herrmann. »Mein Vater schrieb auch noch, daß sein Name geheim gehalten wurde! Allerhand!!« 15.4. [15. April 1937] Das Haus ist noch voll von dem »Gehabe« um den amerikan. Journalisten. Schilderungen, wie er im weiß. Saal auf d. Sofa saß u. Volk ihm Vortrag hielt, wobei der Gefeierte aussah, als dächte er an ganz etwas anderes. Als Volk fertig ist, fragt er plötzlich: »Und was tun Sie, wenn der Staat Ihnen die Zuschüsse sperrt?« Worauf Volk u. dann Sasse unklar von »Verhandlungen« stammeln. Es scheint sich wirkl. um Colin Ross gehandelt zu haben. Frl. v. R. erinnerte sich, daß Ross bereits im Februar in der »Dtsch. Frömmigkeit« (Thür. D.C.) einen Artikel veröffentlicht hat133 – worauf wir von einer Intervention, die wir geplant hatten, absahen. Der Colin schien nicht mehr bedeutend. (Volk hat inzw. auf ausdrückl. Frage gesagt, daß es sich nicht um »Colin« gehandelt habe. 19.4.37) Ottos kleines Heft ist erschienen: »Evangelischer oder deutsch-christlicher Glaube«?134 Ich weiß nicht, ob ich festhielt, daß ich die Korrektur gelesen u. noch Änderungen vorgeschlagen hatte, die O. auch alle beachtet hat. Kaum hatte ich diesen Satz geschrieben, als ein Bote kam: »Haben Sie das kl. Heftchen von Otto …?« Ich: »Wer will es haben?« Bote: »Stüber.« Ich: »Nein, dem gebe ichs nicht. Mag er sehen, wo ers herkriegt.« Bote: »Ja, er hat auch gleich gesagt, Frau Begas wirds haben – aber die giebts nicht her!« Stüber denkt, es wäre »Ottos Wahlrede!« Es ist aber ein Teil eines Referates, das er vor den Kirchenführern gehalten hat. Lehmann hat neulich sogenannte »Schott-Briefe« bestellt u. dem Verfasser mitgeteilt, er hielte daraus jeden Tag »seine nat.sozialistische Andacht«.135

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Relata refero, lateinisch, bedeutet sinngemäß ›Ich gebe (nur) Gehörtes wieder‹ oder ›Ich weiß das (nur) vom Hörensagen‹ (ohne die Wahrheit zu verbürgen). Es findet sich kein eigenständiger Artikel von Colin Ross, wohl aber werden Ausführungen von ihm in den Erlanger Neuen Nachrichten vom 20. Februar 1937 ausführlich zitiert in dem Artikel von Wilhelm Bauer, Die Kirchenfrage und ihre außenpolitische Bedeutung, Deutsche Frömmigkeit 2/1937, 18–21. Das Zitat macht den eigentlichen Inhalt des Artikels aus. Vgl. oben Anm. 115 und Ernst Otto, Evangelischer oder »deutsch-christlicher« Glaube? Eine Auseinandersetzung mit der nationalkirchlichen Bewegung der Thüringer Deutschen Christen über die Grundfrage evangelischen Glaubens, Nürnberg [Selbstverlag: Amt für Volksmission], 2. veränd. Auflage, 1937 o. 1938. Die Schott-Briefe 1 (1932)–21 (1937) [?], vollständig nur vorhanden in der DB Leipzig. Vgl. auch Georg Schott, Von Gott und der Welt. Briefe an Deutsche, Stuttgart 1937. Das Buch entstand aus Zuschriften und Fragen seiner Leser/innen bzw. Zuhörer seiner zahlreichen Vorträge. Nach eigenen Angaben (Schott–Briefe, 219–222) sah er sich verwurzelt im Gedankengut Houston Stewart Chamberlains, über den er auch Bücher verfaßt hat. Schott war in der Entwicklung bzw. Stabilisierung seiner weltanschaulichen Position tief beeindruckt von Adolf Hitler. 1920 trat er in die NSDAP ein. 1924 ließ er »Das Volksbuch vom Hitler« erscheinen. Dr. Georg Schott, 1882–1962, war Privatgelehrter, Schriftsteller, Laienprediger.

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Eben höre ich, daß das Heft von O. »im ganzen Haus« gesucht wird! »Alle haben es – aber bei sich zu Hause!« (Die Helferinnen haben gut gearbeitet). Es ist noch zu berichten von dem Abend bei Otto vor 8 Tagen. Er wollte Pläne über Weiterarbeit in Eisenach mit uns besprechen. Es kam dabei heraus: Etwa alle 4 Wochen große Kundgebung u. dazwischen kleine Schulungsabende in der Nikolaikirche. Z.B. soll schon am nächsten Mittwoch solch ein Abend sein, an dem – auf meinen Vorschlag – ein Flugblatt der D.C. besprochen wird, über das O. sich geärgert hat, weil es auch Wahres über die B.K. in raffinierter Verdrehung berichtet. Die D.C. haben 2 neue Flugschriften ausgegeben – anonym, »Deutsche Pfarrergemeinde«, Verlag D.C. Weimar. Das Buch »Wir rufen Deutschland zu Gott« von Niemöller-Dibelius hat »Bedenken« erregt u. wird z.Zt. geprüft.136 »Mitteilg.« der Verleger an die Buchhandlung, die es infolgedessen nicht zu bestellen wagt. Am Sonntag Nachmittag dankte Otto nach d. Predigt im Gebet für die Befreiung der Lübecker Pfr.137 Hohlwein hat zu Frl. v. R. [Ranke] Merkwürdiges gesagt: »Der ganze evangel. Kirchenkampf ist ja jetzt eine Bagatelle angesichts der Wirkung der Enzyklika138. Das ganze Ausland wird jetzt gegen uns aufgehetzt. Im Saargebiet ist schon ›das kleine Interdikt‹ ausgesprochen (keine Glocke darf in kathol Kirchen läuten, keine Prozessionen gehalten werden oder so ähnlich) wegen der 92% für die Gemeinschaftsschule.« »Na – was wollen Sie denn! Die Leute haben doch selber für die Gemeinschaftsschule gestimmt!« »Na ja – aber unter welchen Bedingungen! Sie haben keine Ahnung!« (Jetzt wird mir ein französischer Presseartikel klar!) »In Sachsen soll ich jetzt Wahlvorträge halten. Wir bekommen dort ja die Säle, weil uns die Bek.pfr. die Kirchen nicht geben; aber wir dürfen bei Wahlreden kein Parteiabzeichen tragen. Unter diesen Umständen gehe ich natürlich nicht hin.« Die Partei ist jetzt für S.A.-Leute schon auf – aber nicht für Pfarrer. Es heißt, die Pfarrer sollten alle aus der Partei ausgeschlossen werden!! (Da sind sie in Gesellschaft der Offiziere der Wehrmacht. So hätte es von Anfang an sein sollen.) Noch zu berichten vom Abend bei O.: Die 3 Hilfspfr. erzählten, sie hielten jetzt Wahlvorträge in der Rhön u. organisierten die Kirchenkreise durch. Das würde jetzt in ganz Thür. gemacht u. wäre beinahe fertig. Jedes Dorf sollte jetzt einen u. vor der Wahl einen 2.Wahlvortrag haben – außer der Aufklärung durch den Ortspfarrer u. Flugschriften. – Es ist ganz gut, daß die Wahl hinausgeschoben ist, sonst hätten unsere Leute, denen ja das Organisieren nicht liegt, sowas nicht fertig gebracht. Sie hätten nun in jedem Dorf einen Vertrauensmann, Pfr. oder Laien, der eine Versammlung vorbereiten könnte. Sie gingen auch zu den D.C.-Pfarrern. Jeder, der die Bek.pfr. in seinen Gemeinden sprechen ließe, dürfte auch in Bekenntnisgemeinden sprechen.– In 3 Kirchenkreisen hätten sie schon 6 D.C.-Pfr. gefunden, die ihnen gesagt hätten, sie stünden auf Seiten der B.K. u. wollten ihnen helfen, in ihren Gemeinden Fuß zu fassen, wollten auch 136 137 138

Otto Dibelius und Martin Niemöller, Wir rufen Deutschland zu Gott, Berlin 1937. Vgl. Tgb. 12. Dezember 1936, 8., 9., 15. Januar, 5. Februar und 7. April 1937. Vgl. Tgb. 9. April 1936.

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die Flugschriften der B.K. verteilen. Sie wüßten bloß nicht, wie sie von den D.C. wieder loskommen sollten!! Erfreulich ist das ja – aber auch kläglich! Mit welchen Methoden gearbeitet wird, zeigte auch eine Anzeige von Pfr. Engelhardt gegen … bei der Staatsanwaltschaft wegen einer Rede zur Kirchenwahl. Der Oberstaatsanw. selbst hatte die Sache an den L.K.R. gegeben u. geraten, die Strafanzeige zurückzuziehen angesichts der Wahl u.s.w. Die Wut, die aus dem Engelhardtschen Schreiben klang war schon hilflos. Man kann erschrecken vor solchen Briefen, so deutlich sind sie. Wenn man die veröffentlichen könnte! Gestern ärgerte ich mich sehr über verlogene Artikel in »Deutsche Frömmigkeit« zur oekumen. Arbeit. Alles auf den Kopf gestellt.139 Und ein toller Artikel von Hohlwein über den Eid auf Hitler u. die B.K.140 – Dabei hat die B.K. s.Zt. selbst vorgeschlagen, die Pfarrer sollten den Beamteneid leisten. Heute freute ich mich über die neue »Dtsch.-ev. Korresp.« Sie bringt einen Abdruck aus dem Kasseler ev. Gemeindeblatt über die Ereignisse bei dem Vortrag von Dibelius in Kassel.141 17.4.37. [17. April 1937] Gestern Abend bei Vinka … [unleserlich]. Heute früh gehört: Spigath hat gestern verkündet, die Wahlordnung wäre fertig, der Führer hätte Rudolf Heß damit beauftragt. »Na, die Brüder werden ja noch was erleben.« Gestern Abend Bericht ( )b Eine Deputation aus Gera war da u. hat folgendes berichtet: Die Geraer haben vorgestern, Donnerstag Abend, eine Wahlversammlg. in der Kirche mit Johnsen haben wollen; der Kirchenvorstand hat aber die Kirche versagt. Am nachmitt. 4 Uhr hat der K.vorst. Schlosser in die Kirche geschickt um die Türen zu verrammeln – da saß aber der Pfr. Korth mit einer kl. Anzahl Anhänger schon in der Kirche. Sonntag, d. 18.4. [18. April 1937] Der Bericht, den ich hörte, lautete weiter: Man habe Korth aufgefordert, die Kirche zu verlassen, er habe sich geweigert. Es seien immer mehr seiner Anhänger dazu gekommen. Die D.C. seien zur Polizei gegangen mit der Aufforderung, Pfr. Korth aus der Kirche zu entfernen. Die Polizei habe sich geweigert, das zu tun. Man habe um 4 Uhr nachm. den L.K.R. in Eisenach antelephoniert u. um Verhaltungsmaßregeln gebeten. Der L.K.R. war aber nicht beisammen, Fritz hat am Telephon gesagt, er könne nicht entscheiden (Franz ist zu einer Flakübung in Dresden u. Volk sollte ihn vertreten; der hat aber, wie gewöhnlich, alles auf Fritz abgeschoben u. diktiert meistenteils Privatbriefe). Von irgendwem ist auch die Gestapo in Weimar antelephoiniert worden. Die 139

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Gemeint sind wohl: Karl Tiesler, Weltreich und Weltkirche. Die ökumenische Frage als Entscheidungsfrage für den deutschen Protestantismus, Deutsche Frömmigkeit 4/1937, 2–5, und Bernhard Hans Zimmer ann, Wittenberg und Canterbury, ebd., 10–17. Hans Hohlwein [H. H.], Die Bekenntniskirche und der Eid auf den Führer, Deutsche Frömmigkeit 4/1937, 25–26. Kundgebung zur Kirchenwahl, Deutsch-Evangelische Korrespondenz 36 (1937), H. 15, 2. Von der Mitwirkung von Dibelius ist dem abgedruckten Text allerdings nicht die Rede. Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz, vgl. Übers. Strichzeichnungen.

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weimarische Stelle hat auf den L.K.R. in dem Sinne wirken wollen, die Kirche möge freigegeben werden; das alles konnte sich aber nicht auswirken, weil der L.K.R. nicht funktionierte! Inzwischen sind in Gera die Leute sehr früh schon in die Kirche geströmt. Um 8 Uhr ist es so voll gewesen, daß man Angst gehabt hat, die Emporen brächen (Bericht der D.C.-Kommission142 aus Gera, die am Freitag früh beim L.K.R. war). Kurz, ehe es losging, ist Paetz in der Sakristei erschienen, wo 40 Pfr. im Talar u. ein Mann im Lutherrock, »der sich nicht vorgestellt hat«, versammelt sind. Er fordert die Anwesenden auf, die Kirche zu verlassen. Es wird ihm natürl. gesagt, daß man das nicht tun würde. Darauf begibt er sich an den Altar; Jauernig u. Korth folgen ihm im Talar, u. fordern die Gemeinde auf, das Gotteshaus zu verlassen. Die Gemeinde fängt an zu lachen (nach dem Bericht der D.C.-Kommission). Darauf kündigt er an, er würde die Polizei holen u. verschwindet. Das verstärkt die Heiterkeit der Gemeinde. Jauernig u. Korth beruhigen mit Händewinken die Gemeinde u. fordern auf, das Lutherlied zu singen. – Nach dem Bericht von Frau Otto [M.] hat Johnsen eine ergötzliche Beschreibung gemacht, wie Paetz mit Schirm u. Hut vor den Altar gegangen ist – inmitten von 40 Pfarrern im feierlichen Talar! – Die Polizei hat sich dann abermals geweigert (Bericht vom Pflugensbg.), einzuschreiten, aber mitgeteilt, daß sie 2 Geheimpolizisten in der Kirche hätte, dazu 4 Schupos außen aufstellen würde. Nach dem Bericht von Frau Otto [M.], ist der Haupteingang der Kirche tatsächlich verrammelt gewesen. Die Gemeinde ist durch 2 Seiteneingänge nur ganz langsam hereingekommen. Bei Schluß des Gottesdienstes hat man besond. Vorkehrungen zur Räumung des Gotteshauses treffen müssen. Die Leute auf den Emporen haben sitzen bleiben müssen, bis das Schiff geleert war. Natürl. ist durch alle diese Ereignisse die Gemeinde ganz anders angepackt, als wenn die Sache ungestört verlaufen wäre. In Gera haben bisher D. Otto [R.] u. Putz-München, Pg. seit 1923, gesprochen. Nun haben sie genug. – Aber daß sie gerade bei dem alten Pg. Johnsen streiken, ist bezeichnend. Aus d. ganzen Lande kommen Berichte von überfüllten B.K.-Versammlungen. In Pößneck, wo Heinrich neben dem radikalen D.C-Pfeiffer immer einen so schweren Stand hatte – Tausend Zuhörer bei den B.K., 80 bei den D.C. Johnsen hat in Jena 350 M Kollekte gehabt. Wir hatten gestern Abend 250 etwa, etwas weniger als bei der 1. Kundgebung vor 5 Wochen. Damals waren wohl überhaupt etwas mehr Menschen da; aber es war doch wieder nötig, die Annenkirche aufzumachen. Das Schiff war ganz dicht besetzt, ich saß auf der 1. Empore. Hinten an der Wand war die Bank an den Fenstern entlang nicht besetzt . Zuerst sprach K.Rat Otto [R.], ausgezeichnet u. sehr scharf gegen D.C., dann kam Johnsen aus der Georgenkirche herüber u. sprach. Das Niveau niedriger als wir hier von den beiden Ottos [Otto R.] gewohnt sind, aber sehr geeignet für die Masse. Er hat bereits in Weimar, Jena u. Gera gesprochen u. kommt Anfang Mai noch einmal auf 8 Tage, u.a. soll ihn Meiningen haben. 142

Vgl. Schreiben des Evangelisch-lutherischen Kirchenvorstands Gera an den LKR der TheK durch das Oberpfarramt Gera vom 17. April 1937, mit Anlagen, LKAE, R 231, 92–101.

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Wundervolle Berichte in den Kirchenzeitungen. 16 000 Menschen bei den Festgottesdiensten zu Beginn der ev. Woche in Kassel – in 6 Kirchen (Dibelius). Da hat Henneberger gesprochen u. ein Pfr. Frick [vermutlich: Fricke]-Frankfurt a.M. anderwärts hält 2 Gottesdienste nacheinander, u. so geht’s durch ganz Deutschland. Gestern (17.4.) wurde auf d. Pflugensberg berichtet, die D.C. seien sehr oben auf, denn »Kerrl geht nun zum Führer u. berichtet über die Zustände.« In Württemberg ist scheinbar eine böse Geschichte passiert – das ist einem B.K.Bericht zu entnehmen. Ein Vikar in Ellwangen hat die Nerven verloren u. augenscheinl. wirklich unverantwortliches Zeug in der Kirche geredet u. den Staat angegriffen. Montag, d. 19.4. [19. April 1937] Ich höre eben, gestern Abend hätte eine D.C.-Versammlung mit Bischof Peter in d. Nikolaikirche stattgefunden – voll besetzt. Der Bericht im übrigen sehr verworren. Thema: »Kirche muß Kirche bleiben.« In d. Georgenkirche hat am Sonnabend, nachdem Johnsen fertig geredet hat, noch Otto gesprochen – der übrigens gestern in Gräfenthal war. In Weimar hat Johnsen 2 Versammlungen gehalten, hintereinander. In Jena 350 M Kollekte. Donnerstag, d. 22.4.37. [22. April 1937] Vorgestern traf ich kurz E. Otto auf d. Straße, der gestern nach Berlin gefahren ist Er berichtete von Versammlungen in Neuhaus am Rennweg. (600 Menschen, davon 200 von den Dörfern der Umgegend) u. Gräfenthal. Letztere auch sehr besucht, Zahl ist mir entfallen. Beinah hätte es Krach gegeben. Nach Schluß der Veranstaltg. haben die D.C. in der Kirche Flugblätter ausgeteilt. Der Verteiler wird vom Pfr. hinausgewiesen u. widersetzt sich: »Der Schwarzrock hat mir nichts zu sagen!« u.s.w. Es sind 3 Leute gewesen, die einzigen D.C. eines benachbarten Dorfes. Darauf hat der Pfr. die Polizei geholt, die den Betreffenden verhaftete. O. sagt: »Ich weiß nicht, was das werden soll, wenn das noch lange dauert. Es gibt noch Mord u.Totschlag.« In dem Überfall auf den jungen Reichardt [T.] bei Kaltennordheim haben wir Ähnliches ja schon erlebt. Irgendwo – ich glaube, es war in Gräfenthal – hat d. Polizei betont, daß sie in der Kirche nicht eingreifen würde, da sei der Pfr. Hausherr! – Es wäre d. Staat vielleicht garnicht unlieb, wenn es zu Tätlichkeiten käme. Das wäre ein Grund, mit der ganzen Kirche kurzen Prozeß zu machen. Volk hat kürzl. an Zoellner einen Brief geschrieben, den ich las. Es fehlen mir die Worte, ihn zu beschreiben. »Wenn Sie …« das u. das getan hätten! »Warum haben Sie nicht …« Er erinnert ihn u.a. daran, daß er mit ihm beim Betheler Kirchentag zus. gewohnt habe – im Hause Kuhlo u.s.w. Das Ganze war so – erschütternd, daß ich überzeugt war, Z. [Zoellner] würde nicht antworten. Heute ist aber nun Z.s Antwort tatsächl. eingegangen – u. Volk selig! Daß er überhpt. eine Antwort bekommen hat! Läuft überall damit herum. Weiter ist er stolz, weil ihm der neue Bürgermst. einen Besuch gemacht hat – der eigentl. zu dem nach Weimar gereisten Sasse wollte u. dann auf heftiges Zureden von Frl. Sommer noch zu Volk ging. Also dem verdankt er diese Ehre. Wenn die Vorgesetzten manchmal wüßten …

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Es soll ein Eingang da sein mit Urlaubsgesuch von Bauer [G.]-Gotha wegen Nervenzusammenbruch? Verstehe ich nicht. Warum kommt das noch hierher? (D. 23. Inzw. gehört: normales Urlaubsgesuch, ärztl. Zeugnis, für 6 Wochen Urlaub). Freitag, d. 23.4.37. [23. April 1937] Volk hat heute die Absicht geäußert, seinen Briefwechsel mit Zoellner zu veröffentlichen!!! Der Mann kann einem leid tun. Das wäre für ihn die fürchterlichste Blamage, die sich denken läßt. Ich staune immer wieder, wie es möglich ist, daß ein Mann an solcher Stelle, der doch seine 5 Sinne beisammen hat, so wenig fähig ist, Wesentliches u. Unwesentliches zu unterscheiden. Man kann ihm nicht helfen. Montag, d. 26.4.37. [26. April 1937] O. war Mittwoch früh nach Berlin gefahren, am Freitag unmittelbar von dort nach Weida, Wahlversammlg. Ich sprach Frau O. [M.] kurz nach der gestrigen Frühpredigt. Er sei ganz froh zurück gekommen, obwohl die Lage sehr ernst [sei] – wie immer. Nichts Neues über die Wahl. In Weida sehr volle Kirche, obwohl dort 2 DC-Pfr., Le Seur [E.] u. Gumlich u. nur ein Hilfspfr. als Bek.mann, der früher selbst D.C. Der Hilfspfr. [hat] tolle Plakate entworfen, so ungefähr: »Es spricht am … der Leiter der luth. Bek.gem. [LBG] in Thür., Pfr. E. O. … Auf zu Pfr. E. O.!« Na – der Erfolg hat ihm recht gegeben. Telephongespräch von Spt., der aus der »Luisenstraße« (D.C.) neue Hilfskräfte anfordert, die abgeschlagen werden. Sorge »ist schon da«. Frl. Kleinst. kann hier nicht entbehrt werden.« »Na ja, wenn das eintritt, was wir erwarten, dann müssen wir die Leute eben haben! Es müssen doch nun für die Reichsredner die Reisekosten ausgerechnet werden u.s.w.« … Also das ist die Wahlkampagne der D.C. – mit Angestellten u. Beamten vom Pflugensberg. Oberheid geistert wieder im Haus herum. Am nächsten Sonntag Abd. spricht Wurm hier in der Georgenkirche. Neue Polizeiverordnung: Die Kirchen müssen für alle Gruppen zur Verfügung gestellt werden!143 Von ( )b erfahre ich, daß Sasse in der Frage – Gera (Gera!144) – mit Sauckel verhandelt hat. 143

b 144

Polizeiverordnung war nicht aufzufinden. Die Mitteilung der Tagebuchschreiberin wird aber bestätigt durch einen Brief Gerhard Bauers an den Kirchenvorstand in Gotha vom 30. März 1937: »Die hiesige Kriminalpolizei teilte mir soeben mit, daß eine Verordnung der Geheimen Staatspolizeistelle Weimar ergangen sei, die besagt, daß die Kirchen des Landes Thüringen in der Wahlzeit sowohl der Lutherischen Bekenntnisgemeinschaft als auch den Deutschen Christen zur Verfügung zu stellen sind. Aufgrund dieser Verordnung beantrage ich die Zurverfügungstellung der Margarethenkirche für einen Tag vom kommenden Sonntag ab. Den genauen Termin können wir erst nach Rücksprache mit den in Aussicht stehenden Rednern angeben. Im Interesse der Sache bitten wir um baldigen Bescheid« (LKAE, LBG 290 [nicht foliiert]). Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreut, steht für Otto Fritz, vgl. Übers. Strichzeichnungen. Vgl. Tgb. 17. April 1937.

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O. ist auf der Krimi mitgeteilt worden – in der übl. Weise –, daß keine Aussprüche des Führers im Wahlkampf mehr angeführt werden dürfen!145 Wahrscheinl. weil die für uns so günstig sind! O. hat geantwortet, man möge das vor allem dem L.K.R. zur Veröffentlichg. im Kirchl.Anz. mitteilen, wenn es wirkl. allen kirchl.Gruppen gälte. Neulich kurzes Gespräch mit Frau Pfeiffer. Die Frauenhilfe kämpft dauernd mit örtl. Schwierigkeiten. Jeder Polizeiwachtmeister verbietet ihnen Mitgliederversammlungen u.s.w. Sie ist mit Frl. Eitner selbst in Weimar in der Höhle des Löwen (Gestapo) gewesen u. hat viel Entgegenkommen gefunden, hofft nun, daß die Zusagen gehalten werden. Die ausländ. Presseausschnitte bleiben wieder mal aus – alles ist mit der engl. Krönung beschäftigt.146 Es kursiert das Stenogramm einer Rede, die Wolf Meyer [-Erlach] am 31.I.37 in Fürth gehalten hat. Hysterische Schimpfereien – aber vollkommen hysterisch. Dienstag, d. 27.4. [27. April 1937] Unten ist Sitzung. Volk spricht sehr erregt. Am Donnerstag soll wieder Sitzg. sein zur Aufstellung des Haushaltplanes 1937. Hänn hat seinen Lehrvertrag unterschrieben von der Handelskammer zurückbekommen – einliegend eine Druckschrift gegen die kathol. Kirche. Kurzer Bericht: Gespräch zwischen Sasse u. Oberheid (Oberheid im schwarzen Anzug mit weißen Strümpfen): Sasse: »Du, Heckel will dich sprechen wegen der ökumen. Geschichte … aber komme deswegen noch mal zu mir herunter.« In d. Finanzabteilg. wird wieder geflucht u. geschimpft. Es wird immerzu geändert, anscheinend ein Rechnungsjahr ins andere geschoben. Die Folge ist, daß keiner mehr durchsieht – u. das ist auch der Zweck. Neuer Witz von antikirchl. Seite über das neue Abzeichen der DC147: 145

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Vgl. dazu die Rundverfügung des Geheimen Staatspolizeiamtes vom 9. April 1937: »In letzter Zeit konnte zunehmend beobachtet werden, daß kirchliche Gruppen in ihren Druckschriften auf den Führer und die Bewegung Bezug nehmen und teilweise sogar wörtlich aus ›Mein Kampf‹ und andere aus dem Zusammenhang gerissene Abschnitte aus Reden des Führers zitieren. Dieses Verhalten gibt Veranlassung, erneut darauf hinzuweisen, daß Führer und Bewegung mit den kirchenpolitischen Auseinandersetzungen nichts zu tun haben und eine Berufung auf sie daher unzulässig ist, sofern nicht nachgewiesen werden kann, daß eine ausdrückliche Genehmigung zur Verwendung der gebrachten Zitate vorliegt« (Dokumente zur Kirchenpolitik IV, 46–47). Im Jahre 1936 wurde Georg VI. König von Großbritannien und Nordirland. Die Erstellung eines neuen Emblems war notwendig geworden, weil »das Gesetz ›Zum Schutze der Bezeichnungen der NSDAP‹ vom 7. April 1937 … die Verwendung des Hakenkreuzes durch Vereinigungen« verbot, »die nicht zu den Gliederungen der NSDAP gehörten« (Detlef Minkner, Die Symbolik der Deutschen Christen, Theologische Zeitschrift 3 [1986], 235). Damit waren praktisch alle Sigel der DC reichsweit ungültig. Für die KDC war die Verwendung des Kreuzes mit einem Dornenkranz aus kleinen Hakenkreuzes obsolet geworden. In das neue Emblem wurde das Sonnenrad der Deutschen Glaubenbewegung (umgekehrtes Hakenkreuz) übernommen, in das ein einfaches Christuskreuz eingelassen wurde. Vgl. dazu das kritische Flugblatt der LBG, vermutlich vom März 1937, LKAE, LBG 212, 231, sowie die Replik der KDC in einem eigenen Flugblatt, ebenfalls vermutlich von März 1937. In letzterem wird behauptet, dass das Sonnenrad

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»Da ist alles drin: Das Sonnenrad der Deutschen Glaubensbewegung, das kleine Kreuz der Deutschen Christen u. das Blech der Bekenntnisfront.« Vom Standpunkt dieser Leute aus ein guter Witz. Mittwoch, d. 28.4.37. [28. April 1937] ¼ nach 10. Eben durchläuft das Haus die Kunde, daß d. Auftreten von Wurm in ganz Thüringen verboten wäre! Gestern bei Frau Otto [M.]. O. war in Sonneberg. Ottos neueste Schrift ist in Gotha beschlagnahmt worden: 10 000 Stück!148 Begründung: Weil Stellen aus »Mein Kampf« zitiert wären! – Das ist nämlich allen kirchl. Gruppen verboten. Bei der Besprechg. auf d. Krimi hatte O. gleich bemerkt, daß er in s. neuesten Heft den Führer zitiert hätte u. man hatte ihm gesagt, daß schon gedruckte Flugschriften natürlich nicht von dem Verbot berührt würden.149 Trotzdem – .Es ist einfach lächerlich. Wenn man den Führer nicht mehr zitieren darf, dann kann man sich ja auch nicht mehr nach ihm richten – sagt sich der Laienverstand. Weiter ist es verboten, Einladungen zu kirchl. Wahlveranstaltungen durch die Helferinnen austragen zu lassen!150 Warum? (Weil der Erfolg zu groß war!). Jetzt darf also nur noch durch die Zeitung, durch Plakate, durch schriftl. Einladung (oder schließl. überhaupt nicht mehr) geworben werden! Man sieht jedenfalls wie groß die Angst ist! Lehmann hat heute zu ( )c gesagt: »Die B.K. vergiftet ja alles! Alles!« Das heißt also doch, daß wir überall Boden gewinnen. Die erregten Etatberatungen scheinen sich um Aufgruppierungen u. Beförderungen zu drehen. Schilderung von Frau O. [M.], wie O. in Anspruch genommen u. gehetzt ist. Nach dem Weidaer Vortrag haben Geraer im Auto auf ihn gewartet u. ihn mit nach Gera genommen zur Pfarrerversammlg. bis 2 Uhr. Sorgenvolle Dinge: Polizeiverbote u. Änliches. Freitag muß er nach Jena. Jena sei immer ein Kreuz. Dort wirkt ein Vikar … für die B.K., der aus Mecklenburg übernommen worden ist u. »nicht organisieren kann« (nach meiner V.D.-Erfahrung nichts als Faulheit). Er führt keine Listen u. es herrscht einfach Durcheinander. Ich fand, das könnte doch Schanze von Weimar aus in Ordng. bringen. Nein – der machts nicht. Es hängt alles an O. Bauer [G.] hat 6 Wochen Urlaub – weiter bedeutet der »Nervenzusammenbruch« anscheinend nichts.

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das Hakenkreuz darstelle. Das ist falsch, zeigt aber sehr deutlich das hartnäckige Bemühen der KDC sich als Teil der nationalsozialistischen Bewegung zu begreifen, auch wenn diese das gar nicht wünschte, ja die Einbeziehung von religiösen Komponenten – in welcher Weise auch immer, seien es Ideen, Personen oder Institutionen – weithin überhaupt ablehnte. Beide Embleme der KDC – vor 1937 und nach 1937 – sind abgebildet in: Minkner, Die Symbolik, 240. Vgl. Tgb. 15. April 1937. Vgl. Tgb. 26. April 1937. Verbot ist direkt nicht nachweisbar, wird aber durch ein Rundschreiben von Brakhage, Mitzenheim und Otto an die Mitglieder der LBG vom 28. April 1937 bestätigt: »Am kommenden Sonntag, den 2. Mai, abends 8 Uhr, wird der württembergische Landesbischof D. Wurm aus Stuttgart in der Georgenkirche predigen. Da es nicht mehr gestattet ist, die Gemeindehelfer von Haus zu Haus einladen zu lassen, so ist jetzt die mündliche Einladung von Mensch zu Mensch um so wichtiger. Wir bitten Sie darum, soweit Sie Gelegenheit haben, gesprächsweise auf die Veranstaltung aufmerksam zu machen« (LKAE, LBG 261, 135). Strichzeichnung Frauenkopf mit Locken, steht für Hanna Linde, vgl. Übers. Strichzeichnungen.

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12 Uhr. Die Nachricht von dem Wurm-Verbot stammt aus einer nicht ganz zuverlässigen Quelle. Ein DC Angestellter, namens Hemmann, der »die Nachrichtenstelle« genannt wird, hat sie in Umlauf gesetzt. Der »neueste Witz« der Antikirchlichen über das DC-Abzeichen ist noch in anderer Fassung verbreitet151: »D. Sonnenrad von d. D. Gl. [DGB], das Kreuz von der B.K. u. das Blech von den DC.« Das scheint die ursprüngliche Fassung gewesen zu sein – denn daß d. Christenkreuz kennzeichnend für die D.C. sein soll hat noch niemand behauptet. D. 30.4.37. [30. April 1937] Den DC ist der Verkauf ihres Abzeichens verboten worden – erzählt Frl. W. (Sorge hat gesagt: »Wo sollen wir denn Geld herkriegen?«). Weil Sammlungen u. Verkauf von Abzeichen verboten sind! Gestern K.vorstd.sitzg. Frau Otto [M.] wußte, daß man beschlossen hatte, ein Inserat in die Zeitung zu setzen, die Wurm-Versammlung am 2. in der Georgenkirche sei vom K.vorstand verboten. Worauf die 6 anderen Pfr. beschlossen, heute in der Ztg. bekannt zu geben, daß die Versammlung stattfindet. Dieses Inserat ist erschienen, das andere ist von der Gestapo verboten worden. – Hier im Haus erfuhr ich, daß alles aufgeboten wird, um die Sache dennoch unmöglich zu machen. Sasse ist selbst nach Weimar gefahren. Gestern Abd. die vorläufig letzte Bibelstunde – O. ist zu überhäuft mit Arbeit. Er glaubt, daß die Wahl noch lange, viell. bis zum Herbst, hinausgeschoben wird. Es kann aber auch mal ganz schnell gehen – von heute auf morgen. Spt. hat sich heute dahin geäußert, daß die Wahl im Herbst stattfinden würde – wenn überhaupt. »Denken Sie daran, daß ich Ihnen das gesagt habe!« Daß er vor 8 Tagen anders prophezeit hat, hat er vergessen. Von der Reise Kerrls zu Hitler, von der Wahlordnung von Rudolf Heß ist nicht mehr die Rede.152 Ein holländ. Blatt meldet vom 23.4., daß dem Führer jetzt der 4., von Kerrl gefertigte Wahlentwurf vorläge – was daraus würde, wüßte man nicht. Allgemein sind, wie O. erzählte, religiöse Versammlungen in nicht-kirchl. Gebäuden verboten worden. Also auch alle Hausandachten u.s.w. in Kaltenwestheim, Metzels, Neuhaus a.R. Das Verbot kam am Karfreitag. Die Kaltenwestheimer hatten sich in einem Bauernhaus dch. Ausbrechen einer Wand einen großen Raum geschaffen. Die Konfirmation war die letzte Feier, die darin stattfand. Sie können eine Stunde weit zur Kirche gehen. Aber gerade die Alten u. Kranken können das nicht.153 Es sieht alles sehr bös aus. 151 152 153

Vgl. Tgb. 27. April 1937. Vgl. zu beiden Vorgängen Tgb. 17. April 1937. Aufgrund einer Verordnung des Thüringischen Ministers des Innern vom 27. Mai 1935 war es kirchlich-konfessionellen Gruppen verboten, öffentliche Kundgebungen und Versammlungen in weltlichen Räumen durchzuführen; vgl. Schreiben der Geheimen Staatspolizei Weimar an den Thüringischen Minister des Innern, z.Hd. von Herrn Oberregierungsrat Leffler und an den Herrn

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Gestern Abend soll die SS im Schmelzerhof einen Werbeabend gehabt haben, der geradezu unglaublich gewesen sein soll. Das Haus ist voll davon. Sie hätten »aber auch jedes Wort der Bibel anders ausgelegt«. Eine unserer weibl. Lehrlinge sei fortgegangen. Genaues weiß ich noch nicht. Und das, obwohl Goebbels gerade eine Neutralitätsverordnung an die Partei hat ergehen lassen154, Himmler in einem Schreiben, das aber »vertraulich« bleiben sollte, dem L.K.R. versichert hat, daß die SS nicht zum Kirchenaustritt auffordern dürfte, Rosenberg vor den Kreisleitern auf Burg Vogelsang hohe Worte geredet hat, daß jeder Glaube allein dadurch schon geheiligt sei, daß Deutsche an ihn geglaubt haben u.s.w. Die Kaltenwestheimer Bauern sind in Weimar auf der Gestapo gewesen u. dort ganz unwürdig behandelt worden. Man hat sie angeschnauzt: »Glauben Sie denn wirklich noch an den Judengott? Sie haben nicht wiederholen mögen, was man ihnen alles gesagt hat, sind tagelang wie benommen herumgegangen – »wir könnens nicht in den Mund nehmen!« Montag, d. 10. Mai. [10. Mai 1937] Ich hatte anschließend an Himmelfahrt 2 Tage Urlaub. Bei Rückkehr in den Dienst heute erfahre ich, daß sich nichts besonders ereignet hat. Nichts zu erzählen. Die »feierliche Kundgebung« Leutheusers in der Georgenkirche, die am 8. stattfinden sollte, ist auf den 13. verschoben worden – angeblich wegen des furchtbaren Unglücks mit unserem Luftschiff »Hindenburg« in Lakehurst.155 Das ist aber doch keine Begründung zur Verschiebung einer »Feierlichkeit« in der Kirche. Das einzig Neue ist, daß Spigath neuerdings mit großer Bestimmtheit versichert, die Wahl würde bald stattfinden. »Ich muß es doch wissen, als Wahldienstleiter!« So hat er sehr geschwollen behauptet, obwohl er vor 8 Tagen das Gegenteil gesagt hat. Ein etwas komisches Zwischenspiel scheint ein Telephongespräch aus Berlin verursacht zu haben, das Andres Ende vor. Woche aufgenommen u. dem L.K.R. vermittelt hat. Darin wurde ein besonderes Gebet aus Anlaß des Hindenburg-Unglückes angeordnet. Andres hatte verstanden, daß die Weisung von »Dibelius« käme. Statt dessen hatte es aber »Gisevius« gehießen. Stüber hat Andres hinterher gedroht: »Da haben Sie ja was Schönes angerichtet.« Ob man die Meldung einen Augenblick ernst genommen hat? Vielleicht hält man nach den schweren Erschütterungen durch den Wahlerlaß alles für möglich?

154

155

Reichsstatthalter in Thüringen, Staatssekretär und Leiter des Thüringischen Ministeriums des Innern, vom 20. März 1937, LKAE, A 783, Bd.5, 136. Zur angesprochenen Lage in Kaltenwestheim vgl. Schreiben des Bruderrats der Kirchengemeinden Kaltenwestheim, Mittelsdorf und Reichenhausen an das Geheime Staatspolizeiamt Weimar vom 7. April 1937, LKAE, LBG 41, 186. Eine Neutralitätsverordnung von Goebbels ist direkt nicht nachweisbar; vgl. aber den Artikel »Zur Kirchenwahl«, Deutsch-Evangelische Korrespondenz 36 (1937), H. 18, 1–2, in dem ein Artikel von Dagobert Dürr, Schriftleiter des von Goebbels herausgegebenen Blattes »Monatsblätter der Reichspropagandaleitung der NSDAP« abgedruckt ist, in dem die strikte Neutralität, ja das vollständige Desinteresse der NSDAP in religiösen Angelegenheiten mit Berufung auf den Führer herausgestellt wird. Am 6. Mai 1937 stürzte das Luftschiff »Hindenburg« beim Landeanflug in Lakehurst nach einer Explosion an Bord brennend zu Boden. Damit war zugleich das Schicksal des regelmäßigen Linienverkehrs besiegelt; die Technik galt als zu gefährlich und zu unwirtschaftlich.

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Nun habe ich aber immer noch nicht erzählt, was wir anläßlich der Kundgebung mit D. Wurm am Sonntag, d. 2.5., erlebten. Donnerstag, d. 13.5. [13. Mai 1937] Ich erzählte bereits die Absicht mit dem Zeitungsinserat u. daß Sasse selbst nach Weimar fuhr, um die Wurmversammlung zu verhindern. Am nächsten Tag wurde seiner nächsten Umgebung mitgeteilt, er habe sein Ziel erreicht. Die Versammlung dürfte nicht stattfinden. Was sich inzwischen sonst noch alles abspielte, erfuhren wir zunächst nicht. Wir gingen abends 8 Uhr zur Kirche u. fanden ein überfülltes Gotteshaus – Stühle auf Stühle u. kleine Klappsesselchen wurden noch in die Kirche geschafft. Man hätte die Annenkirche – das Schiff – noch füllen können, versuchte es aber zunächst auf diese Weise. Es war ein wunderschöner, milder Tag u. Abend gewesen u. das hat wohl mit dazu beigetragen, daß tatsächl. nicht soviele Leute in d. Kirche waren wie beim 1. mal – obwohl sie gestopft voll war. Ich saß auf einem Feldstühlchen; neben mir ein Mann mit Parteiabzeichen, der an bestimmten Stellen stenographierte. Das sollen Viele getan haben – die überfüllte Kirche sah sehr schön aus. Vinka J. saß mit ihren Töchtern seit 7 Uhr auf ihrem Platz. Zuerst ging es ewig nicht los. Wir hatten den Eindruck, daß irgendetwas nicht stimmte – dann fing der Posaunenchor doch an zu blasen, u. Wurm predigte. Er sah prachtvoll aus – aber was er sagte, war nicht hinreißend. Text aus der Offenbarung. Aber unsere Pfarrer reden eben doch zeitnaher. Was geht unsere Gemeinde schon »Philadelphia« an. Wir sind gewohnt, daß die Bibel uns »übersetzt« wird.156 Außerdem sagte er nichts über die D.C. – u. die Gemeinde saß so erwartungsvoll da! Ich muß sagen, ich war sehr enttäuscht, u. Anderen wars genauso ergangen. Wenn es noch eine richtige mitreißende Predigt gewesen wäre. Aber diese Langsamkeit, dies Suchen nach Worten. Schade. Kollekte etwa 215 M. Immerhin sehr viel. Während die Kirche sich langsam leerte, ging ich zu Frau O. [M.], die ganz verklärt auf einer Bank saß u. mich strahlend begrüßte. »Es ist doch ein Wunder«, sagte sie, »daß Wurm überhaupt hat sprechen können! Die DC wollten es doch verbieten! Noch 10 Minuten vorher wußten wir nicht, ob Wurm sprechen könnte!« (Es wäre besser gewesen, wenn es verhindert worden wäre. Das wäre wenigstens ein nachhaltiges Erlebnis gewesen!). Ich verstand zunächst überhpt. nichts. Ich ging dann mit nach vorn zum Altar, wo Otto versuchte, uns zu erzählen, was sich begeben hatte. Auch das verstand ich einfach nicht. Kein Wort. Es war zum Verrücktwerden. Sie forderten mich dann auf, mit in den Rautenkranz157 zu gehen, wo etwa 25 Leute mit Wurm noch zusammensaßen. Ich ging mit. Dort berichtete dann auf Ottos Bitten zunächst Mitzenheim. Am Sonnabend u. am Sonntag (Sonntag von ¾9 Uhr ab) sind abwechselnd Otto, Mitzenheim u. Nitzsch auf der Krimi gewesen. Man hat versucht, sie mit allen möglichen Drohungen dazu zu bringen, auf den Wurm-Vortrag zu verzichten. Es sollten die 3 Eis. Pfr. Brakh., Kühn u. Hertzsch reden, für deren Vortrag die Kirche ursprüngl. zur 156 157

Predigttext war demnach entweder Apk 1,1ff oder 3,7ff. Hotel am Marktplatz gegenüber der Georgenkirche.

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Verfügg. gestellt worden sei. Für den Wurm-Vortrag verweigert der K.vorstand die Kirche. Spricht er doch, so sollen die 6 Pfarrer der Opposition wegen Hausfriedensbruch verklagt werden u.s.w. So geht das stundenlang. Zwischendurch müssen die Pfr. weg zu Amtshandlungen. Danach geht d. Verhör wieder weiter. ¾2 sagt der Kommissar Gorschboth, der sehr anständig gewesen sein soll: »Ach, meine armen Klöße!« Um diese Zeit sei Wurm kurze Zeit direkt verboten gewesen. Zwischendurch immer Telephongespräche mit dem Polizeichef. Dann telephonieren die Pfr. mit Otto. Dann versucht die Krimi Stier und Kiel oder Sasse zu sprechen, es ist aber von den D.C. nur Brauer zu erreichen. So geht das bis abends. Zuletzt heißt es: »Die DC werden um 6½ Uhr die Kirche schließen u. Posten davor stellen. Wenn die Bek.front dennoch in die Kirche will wird es zu Tätlichkeiten (!) kommen! Dann wird die Polizei eingreifen« u.s.w. Mitzenh. hat darauf aufmerksam gemacht, daß zum Prügeln zwei gehörten u. sie würden sich nicht mit den DC prügeln – vergeblich. Der Kommissar verabschiedet sich mit O. 6½ Uhr am Kirchenportal. Bereits 10 Min. vor halb sehen Otto u. Wurm vom Hotelfenster aus Leute in d. Kirche gehen. Halb 7 Uhr Treffen mit dem Kommissar. Der stellt plötzl. fest, daß die Kirche offen ist! »Wer hat die Kirche aufgeschlossen? Ich habe Befehl, das Öffnen der Kirchtür zu verhindern!« Darauf tritt Rupprecht heran u. sagt: »Die Kirche war offen – den ganzen Tag – Niemand hat sie zugeschlossen u. deshalb brauchte sie niemand aufzuschließen!« Mitzenheim kommt: »Die Kirche ist bereits ¼ voll (7 Uhr!). Sollen wir die Leute vielleicht rausschmeißen?! Das wäre doch wohl zuviel verlangt!« Halb 8 ist die Kirche mehr als halb voll u. um 8 kann kein Apfel zur Erde fallen. Der Kommissar entschließt sich, zahlreiche Geheimpolizisten in der Kirche zu verteilen! Mitzenh. hatte die Absicht, ihn am nächsten Tag darauf aufmerksam machen, daß die Kriminalpolizei von den DC zu einem Bluff mißbraucht worden sei. Es stellte sich später heraus, daß die DC., großzügig, wie sie immer sind, zwar mächtig gedroht u. selbst die Polizei in Schrecken gesetzt hatten, daß aber keine Maßnahmen getroffen worden waren, um wenigstens einen Teil dieser Drohungen in die Tat umzusetzen. Stier – der von der Krimi nicht erreicht werden konnte – machte dem Küster Breithaupt, der an diesem Tag Urlaub hatte, Vorwürfe; er hätte die Kirche schließen oder ihn, Stier, wenigst. daran erinnern müssen u.s.f. Ich hörte am nächsten Tag, daß man tatsächl. versuchte, gegen unsere Pfr.158 wegen Hausfriedensbruch vorzugehen, daß aber die juristischen Handhaben fehlten. Das war also am 2.5. Und heute, 13.5., ist die Kundgebg. von Leutheuser in der Georgenkirche. (Am 30. Vortragsabd. der Pfr. Brakhage, Kühn u. Hertzsch).

158

Gemeint sind die sechs Pfarrer von Eisenach, die nicht der KDC angehören (Brakhage; Hertzsch; Kühn; Mitzenheim; Nitzsch; E. Otto).

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Freitag, d. 14.5. [14. Mai 1937] Gestern Abd. bei Leutheuser. Als ich kam, 20 nach 8 Uhr, war nur das Schiff der Georgenkirche besetzt. Etwa ½9 wurde die 1. Empore rechts beleuchtet. 18 Leute sollen noch da oben gewesen sein. Das war alles. Die D.C. kann dieser Abend nicht befriedigt haben. Leuth. brachte fast nur die deutschchristl. Theologie. U.a. sagte er, was man unter »Wort Gottes« verstehe, sei nur noch »Wort«, Gott sei nicht mehr darin. Aber als Hitler gekommen sei – der habe keine »heiligen« Worte gebraucht – und doch sei Gott in seinen Worten gewesen (oder so). »Was sich heute ›Christentum‹ nennt, ist alles Judentum« u.s.w. Zum Schluß predigte er lediglich Hitler u. das Schlußgebet war der Dank an Gott für den Propheten, den er uns in A. H. gesandt hat … u.s.w. Das Wort »Bekenntniskirche« oder »Bekenntnisfront« fiel nicht, umso gemeiner u. gehässiger u. verlogener waren die Flugblätter, die am Ausgang der Kirche verteilt wurden.159 Unsere Angestellten standen dort mit den Sammeltellern. Ich grüßte u. ging vorbei ohne etwas einzuwerfen. Übrigens fiel mir auf die Nerven, daß die »Gemeinde« schon im hellen Aufbruch begriffen war, als Leuth. immer noch, nach seinem »Amen«, in Gebetshaltung vor dem Altar stand. Die Orgel hatte keine Pause gemacht. Da tat er mir direkt leid. – Er hatte übrigens viel zu lang gesprochen. Es war 10 vor 10 Uhr als wir auf dem Markplatz standen. Die letzten Reihen des Schiffs füllten in d. Hauptsache Angestellte u. Beamte des L.K.R., dazu das Pred.sem. – Kein Zweifel, die Bekenntnisgottesdienste sind eindrucksvoller. Das muß selbst ein Kriminalbeamter merken. Von Ludwig u. Frl. Kleinsteuber hörte ich, daß sie sich in Begeisterung über den gestrigen Vortrag nicht genug tun können. E. Reichardt äußerte sich sehr befriedigt. Diese Haltung ist sicher nicht aufrichtig. Sonst höre ich aus den letzten Tagen, daß Franz ein fürchterliches Gesicht macht ( )a und ( )b, daß vom »Bund f. dtsch. Chr.tum« in den Büros, in denen sonst täglich mehrere Male von Geldanweisungen für den Bund (aus eigner Kasse des Bundes) die Rede war, plötzlich seit Tagen keine solchen Anweisungen mehr vorkommen, daß Tegetmeyer, der in den letzten Monaten fast ständig in Berlin war, plötzlich dauernd hier ist u.s.w. Vielleicht stimmt es im »Bund« [BfDC] nicht mehr? Sasse u. Franz waren in der letzten Woche wieder in Berlin. Eine Nachricht aus guter Quelle: Einer, der das gold. Parteiabzeichen hat u. nach dem 1. Mai nicht befördert worden ist, hat einen Zus.stoß mit Sasse gehabt u. schwatzt 159

a b

Vgl. drei zeitgenössische Flugblätter der KDC zur bevorstehenden Kirchenwahl (vermutlich von März 1937), von denen die ersten beiden von der Tagebuchschreiberin hätten gemeint sein können: (1) »Das wahre Gesicht der Bekenntnisfront!«, LKAE, LBG 212, 215. (2) »Die vier Grundsätze der Kirchenbewegung ›Deutsche Christen‹ e.V.«, LKAE, LBG 212, 223. (3) »Wer nimmt uns das Kreuz?«, LKAE, LBG 212, 223a. Vgl. auch die entsprechenden Flugblätter der LBG [vermutlich ebenfalls März 1937]: (1) »Bekenntnis!«, LKAE, LBG 212, 226. (2) »Entweder – Oder!«, LBG 212, 231. (3) »Die Nationalkirche – ein Traum!«, LKAE, LBG 212, 227. Strichzeichnung Männerkopf, steht für Friedrich Bernewitz, vgl. Übersicht Strichzeichnungen. Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz, vgl. ebenda.

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nun in sr. Wut aus der Schule. Er hat behauptet, die D.C. wären bei Hitler gewesen u. der hätte sie abgelehnt. – Vielleicht hängt das mit dem Besuch von Kerrl bei Hitler zusammen, von dem kürzlich einmal die Rede war? Vorgestern war ich kurz bei Frau O. [M.], E. O. zur Sydower Woche in Wernigerode.160 Sie zeigte mir ein ganz niederträchtiges Flugblatt der D.C.161, in dem E. Otto, Bauer [G.]-Gotha u. Schanze-Weimar mit Namen genannt sind. Diese 3 hätten den Thür. Kirchenfrieden »mit ihrem Anhang im Namen der bekennenden Kirche gebrochen«! »Durch ihre kaltherzige u. unduldsame Art haben sie nicht nur das christl. Gebot der Nächstenliebe mißachtet« … usw. Ich spüre seit etwa 14 Tagen im Betrieb wachsende Feindschaft. Am 1. Mai wurden beim Kameradschaftsnachm. Frl. v. Ranke u. ich von Sasse so unverkennbar geschnitten, daß Frl. v. R. nach Hause ging, ich bald danach. Ähnliches ist mir im Betrieb seitdem öfter als bisher begegnet. Am Mittwoch früh saß ich bei Frau Sommer in d. Küche, als die Kantinenstammgäste nebenan erschienen. Als ich fortging, mußte ich durch diesen Raum. Als ich auftauchte verstummte das lebhafte Gespräch und gerade, als ich hinter Ludwig vorbeiging, sagte dieser Knabe mit Nachdruck: »Es kommt der Tag der Rache!« Dieser Feststellung folgte wieder eine Pause. In der Tür sah ich mich um: Ludwig guckte hinter mir her. – Niemand, dem ich diese Sache erzählte, zweifelte daran, daß der Satz auf die B.K. gemünzt war. Kurz danach hat Frau Sommer selbst gehört, wie Hoßfeld in einem erregten Gespräch geäußert hat: »Die Pfaffen müßte man alle mit Petroleum übergießen und dann anstecken!« Mit den Pfaffen meinen sie auch die B.K.-Pfarrer – nicht nur die katholischen. Vor kurzem ist übrigens mit einem Schlag wieder die ausführliche Presse-Berichterstattung über die kathol. Sittlichkeitsprozesse in den Zeitungen losgegangen.162 Entsetzlich – die Berichte u. die Tatsachen. Leutheuser berichtete über die »Einheitsfront« zwischen kathol. u. »evangel.« Kirche (nicht mal B.K.) gegen den Nationalsozialismus u. entstellter Auszug aus einem Artikel von Meiser soll beweisen, daß die B.K. auf dem Wege nach Rom ist. Frau O. [M.] zeigte mir ein Flugblatt der bayr. Pfr. gegen Meyer-Erlach. Da ist eine Seite des Würzb. Anz. von 1929 photographiert mit dem Bericht über eine Rede, die Meyer-Erlach bei der Einweihung einer neuen Synagoge in Heidingsfeld gehalten hat.163 Das ist allerdings für einen D.C. vernichtend. Meyer-Erlach war übrigens gerade 160 161 162 163

Zur Sydower Bruderschaft vgl. Tgb. 25. Juni 1933. Vgl. das Flugblatt »Das wahre Gesicht der Bekenntnisfront«, LKAE, LBG 212, 215. Zur Entwicklung der Sittlichkeitsprozesse bis 1936 vgl. Besier, Die Kirchen und das Dritte Reich, 714–731. Meyer Erlach war seinerzeit Pfarrer der Gemeinde Heidingsfeld. »In einer Ansprache zur Einweihung der Synagoge in Würzburg-Heidingsfeld 1929 als Grußredner für die evangelisch-lutherische Gemeinde beschwört Meyer-Erlach den ›Geist der großen Männer, Abraham, Moses, Jesaja, Jeremia und David‹, was ihm bei deutsch-völkischen Antisemiten den Spottnamen ›Juden-Meyer‹ oder ›Synagogen-Meyer‹ einbrachte. Im Mai 1937 druckte das Evangelische Pfarrerblatt eine Kopie des ›Würzburger Generalanzeigers‹ von 1929, die Wolf Meyer-Erlach bei der Heidingsfelder Synagoge im Foto zeigte (Raschzok, Wolf Meyer-Erlach und Hans Asmussen, 174).

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jetzt mit Reichsmin. Rust in Athen u. hat dort den Ehrendoktor bekommen.164 Diese Blätter sind, u.a. aus Bayern u. aus Berlin, an Sasse geschickt worden u. heute eingegangen. Der Brief aus Berlin trägt die Aufschrift »An den deutschen Bischof Sasse …« (Diese Anschrift muß irgendwie mit der Errichtung von »deutschen« Pfarrämtern in Mecklenburg zusammenhängen). In dem dazugehörigen Brief wird empört gefragt, wie es möglich sei, daß ein führender Mann der Thür. D.C. [KDC], Rektor der Jenaer Universität, sich so geäußert hat. (Ist hier der »Bund f. deutsche Kirche« am Werke oder die »Dinter«-Bewegung oder die Berliner Richtung der D.C.?) ( )a behauptet ständig, daß »oben« irgendetwas vorginge. Er hat ja für diese Dinge tatsächlich eine Witterung. Die neueste, heute eingegangene Nr. der »Allg. Ev.-luth. K.ztg« bringt einen ausgezeichneten Auszug »Zur Religion der Thür. D.Chr.«, der von »luth. Rat« aus einem Thüringer. Bericht zur Verfügung gestellt worden sei.165 Er ist glänzend u. ich vermute, aus dem Vortrag von E. O. vor den Kirchenführern (November), den Zoellner jetzt drucken läßt. ½ Stunde später. Eben bekomme ich Nachricht von einem Telephongespräch zwischen der Kasse u. Dr. Brauer. Br. will Geld vom »Bund f. dtsch.Chr.«. Darauf die Antwort der Kasse: »Tgt. hat bestimmt, daß Geld nur noch mit seiner ausdrückl. Bewilligung ausgezahlt werden darf.« Offenbar hat Br. dann gefragt, wie es mit den Geldern des Bundes stünde. Darauf liest Kuhles eine Aufrechnung vor, aus der zu entnehmen ist, daß nur etwa die Hälfte der Gelder, die eingehen sollten, tatsächlich eingegangen ist. Bremen z.B. hat überhaupt nicht gezahlt, »Berlin« auch ganz schwach, desgl. Baden pp. Heute früh Gespräch eines meiner Bekannten mit Jansa. Es wird nichts mit der Siedlung in Mecklenburg, von der bereits in den »Briefen an D.C.« die Rede war.166 Jansa hat erklärt, Tegetmeyer sei das Hindernis für die Sache, obwohl ihm die Mecklenburg. Kirche sehr entgegengekommen sei u. er doch nur eine Sicherung brauche. Aber es sei so wie damals zu Zeiten von Pfarrer Senffleben167: Immer Tegetmeyer … ! Gestern Abend, nach Leuth. Vortrag, hatte ich den Eindruck, daß es nur noch eine Frage der Zeit sei, daß die D.Chr. die Bezeichnung »Christen« aufgeben. Lehmann hat es ja in seinen beiden Heften schon ahnen lassen,168 daß sie sich mit diesem Problem beschäftigen. Alle Entwicklungen gehen heute so rasend schnell. In dem Artikel »Zur Religion der D.Chr.« war davon gesprochen worden, daß, falls die D.Chr.aus der Ev.

164 a 165

166 167 168

Vgl. Raschzok, Wolf Meyer-Erlach und Hans Asmussen, 175. Strichzeichnung Männerkopf, steht für Friedrich Bernewitz, vgl. Übersicht Strichzeichnungen. Zur Religion der Thüringer »Deutschen Christen«, AELKZ 70 (1937), 453–455. Auszug aus: Schreiben des Rates der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands mit dem Titel »Die Not der lutherischen Kirche in Thüringen« vom 3. April 1937. Der erste Satz des Dokuments lautete: »Nachfolgender uns aus Thüringen zur Verfügung gestellter Beitrag wird zu klärender Unterrichtung willkommen sein«. Bemerkung zur »Siedlung« ist unklar; in den »Briefen an deutsche Christen« ist zu dem Sachverhalt nichts zu finden. Dh. zu der Zeit, in der Senffleben den Volksdienst der TheK leitete. Vgl. Tgb. 4. Februar 1937.

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Kirche ausgeschlossen würden u. also keine Ursache mehr für sie bestünde, ihr Festhalten an Bibel u. Bekenntnis zu betonen, sich sehr bald zeigen würde, wie wenig Bedeutung das Evangelium noch für sie hat.169 Auch die Anschrift »An den deutschen Bischof S. [Sasse]« ist mir für diese Entwicklung ein Fingerzeig. Eben: Lehmann will Privatklage gegen Brakhage erheben, weil der in einem Vortrag in Neustadt von dem »sogenannten« K.Rat Lehmann gesprochen hat! Franz teilt das Volk mit u. beide lachen herzlich. Vor einigen Tagen: Frl. Hasert beschwert sich über Lehmann u. Bö. tröstet sie: »Lassen Sie ihn doch! Es dauert ja doch nur noch ein paar Monate!« (Will man Lehmann loswerden?) Montag, d. 31.5.37. [31. Mai 1937] Seit dem 14.5. schrieb ich nichts mehr. Seitdem Teilurlaub – Umzug. Am Freitag, den 28.5. letzte Wahlkundgebung in der Georgenkirche vor der Sommerpause. Kühn, Brakhage u. Hertzsch sprachen. Sonst nichts Neues kirchenpolitisch. Aber in der großen Politik. Heute früh in der Kantine erzählt mir Laue, was gestern Abend im Radio durchgesagt worden ist. Spanische Flieger beschießen die »Deutschland«, 23 Tote, 19 Schwerverwundete, 64 Leichtverletzte. »Nun können wir die Stiefeln schmieren«, sagt Laue. Eben erzählt ( )a: Eins unserer Kriegsschiffe hat den Hafen von Almeria kaputt geschossen – bis die span. Batterien nicht mehr geantwortet haben. Größere Einheiten sind auf dem Wege. Es ist ja auch nichts anderes möglich. Vor ein paar Tagen haben die Sowjet-Spanier Bomben auf ein italienisches Schiff geschmissen – 6 Offiziere tot – u. Italien protestiert beim Nichteinmischungsausschuß! Aber nun kann in jeder Minute der neue Weltkrieg losbrechen. Es können in der nächsten Viertelstunde schon hier in Eisenach russische Bomben explodieren. Was kann nicht alles kommen. Am Freitag Abend Goebbelsrede als Antwort an Kardinal Mundelein in Amerika über die ekelhaften katholischen Sittlichkeitsprozesse.170 Ich erfahre heute, daß er diese Gelegenheit benutzt hat, um auch gegen die evangelische Kirche u. die Bekenntnisleute Ausfälle zu machen. Ganz klar wußte keiner was er gesagt hat, aber es scheint schlimm gewesen zu sein.171 Ein innenpolitisch – abgesehen von allem anderen – sehr unpassend gewählter Augenblick für solche Attacken. Und überhaupt – aber es hat keinen Zweck, all das, was man darüber denkt, aufzuschreiben. Man hat das Gefühl, als ob die Worte dazu nicht reichten. 169

a 170 171

»Es wird sich vor aller Welt eindringlich zeigen in dem Augenblick, wo etwa auf Grund weiterer kirchlicher Entwicklung« (Ausscheiden der Deutschen Christen aus der Deutschen Evangelischen Kirche) »das Interesse wegfällt, den kirchlichen Zusammenhang und die bekenntnismäßige Intaktheit weiter zu behaupten« (Lutherrat, Zur Religion der Thüringer »Deutschen Christen«, AELKZ 70 [1937], 455). Strichzeichnung Männerkopf, steht für Friedrich Bernewitz, vgl. Übersicht Strichzeichnungen. Vgl. dazu den Abschnitt: Kardinal Mundeleins Rede und deutsche Entwürfe zur Kündigung des Konkordats in: Besier, 799–805. Rede des Reichspropagandaministers in Berlin (Auszüge), in: Dokumente zur Kirchenpolitik IV, 68–72. Angriffe auf die BK finden sich in diesen Auszügen nicht.

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D. 1. Juni, Dienstg. [1. Juni 1937] Minister Frick hat im Oldenburgischen über Kirchenfragen gesprochen u. u.a. gesagt, der Führer hätte 1933 eine Reichskirche bauen wollen – u. sich solche Mühe gegeben – aber man hätte nicht gewollt!!! Wahr ist, daß eine Reichskirche zu Stande kam mit einer vom Staat garantierten nagelneuen Verfassg. u. als der Reichsbischof dann diese Verfassung sabotierte u. damit alle Rechtsgrundlagen dieser Kirche zerstörte, garantierte das Reich garnichts u. löste sein Wort nicht ein. Im Januar 34 ließen die lutherischen Führer, um die Einheit dieser Kirche zu gewährleisten, wie sie es eben damals verstanden, auf die persönl. Bitte Hitlers hin ihre eigenen Leute im Stich … u.s.w. Das ist der Lohn. Neueste Prophezeiung von Spigaht, an der man heute noch festhält: Wahl im Oktober. Frau Mauersberger u. Frau Hohlwein sahen gestern auf d. Straße weg, als ich ihnen begegnete. Dasselbe tat Sasse ganz offensichtlich gestern im weißen Saal. Es ist schwer zu ertragen. Wenn ich nicht ganz sicher wäre, daß ich hier an d. Kirche ein größeres Recht habe als diese Leute, könnte ichs nicht aushalten. Nach einer Meldg. der »Morning Post« vom 24.5. haben Niemöller u. einige seines Kreises versucht, zur ökumen. Konferenz in Oxford Pässe zu erhalten – aber keine bekommen.172 Mittwoch, d. 2.6.37. [2. Juni 1937] Gestern wurde mir noch als sicher mitgeteilt, daß Franz nicht mehr als Vertreter von Tegetmeyer zeichne. Das täten jetzt Hartmann u. Osswald. Franz hätte garnichts mehr damit zu tun. Es hängt wohl mit dem »Bund« zusammen. Heute: Sasse reist nach Berlin zu einer Besprechung mit Muhs. Aus Berlin wurde mitgeteilt, die Besprechung könne nur ganz kurz sein, denn der Staatssekretär hätte wenig Zeit oder müsse verreisen. – Das klingt nicht sehr freundlich. Mir fiel auf, daß Muhs im völk. Beob. als einer der Anwesenden bei der Eröffnung der Reichsnährstandsausstellg. in München genannt wurde. Ob er einen anderen Posten bekommt? Politisch: Blomberg fliegt zur Besprechg. mit Mussolini nach Rom. Wir alle reden vom Krieg. Aber es ist alles anders als 1914. Im Hause würde vom Kirchenkampf nicht mehr geredet, höre ich. Vortragsreisen würden z.Zt. nicht geplant; sie reisten augenblicklich nur auf Anfordern in die Gemeinden. Das Geld ist knapp.173 3. Juni, Donnerstag. [3. Juni 1937] Gestern kurz bei O. in einer Angelegenheit einer Familie. Mitzenheim u. ein 3. standen mit ihm im Garten im eifrigen Gespräch. Man merkte, daß irgendetwas passiert war. 172

173

»Am 14. Mai waren Niemöller und vier weitere Mitgliedern der Bekennenden Kirche im Hinblick auf die geplante Teilnahme an der Weltkonferenz des Ökumenischen Rates für Praktisches Christentum in Oxford von der Gestapo die Päße entzogen worden, eine Maßnahme, die auf eine Initiative des Kirchlichen Außenamtes zurückging« (Schmidt, Niemöller, 431). Vgl. zum Teilnahmeverbot auch die hier einschlägigen Dokumente vom 7.–22. Juli 1937 (Dokumente zur Kirchenpolitik IV, 64–68). Gemeint sind die Propagandafahrten führender Mitglieder der KDC zur Verbreitung ihres Gedankenguts über die Grenzen Thüringens hinaus. Vgl. z.B. Tgb. 4. Januar 1936.

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O. kam mir lächelnd entgegen u. erzählte auf meine Frage: Pfr. Rose sei – mit Genehmigung der Bek.gem. – in Urlaub gegangen. Darauf Schreiben vom L.K.R.: Wenn er bis zum 1. Juni nicht seinen Dienst wieder angetreten hätte, würden sie annehmen, daß die Entfernung bedeute, daß er seinen Dienst innerhalb der Thür. ev. Kirche aufgäbe.174 Lübecker Muster.175 – Sonst wußte er nichts Kirchenpolitisches – seufzte: »Ach, Frau Begas, es ist so hoffnungslos.« Ja – die Mittel werden immer infamer. Heute früh, als ich zum Dienst komme, sitzt Therese schon kampfbereit in Frl. Ganzerts Zimmer. Besuch aus Berlin hat Paulssens mitgeteilt, Niemöller sei verhaftet. Schon vor 8 Tagen.176 Frl. Ganzert berichtet, Brauer habe gesagt, »die Bekenntnisfront fällt hinten runter.« Ich frage, wie oft sie das schon gesagt haben. Therese wehrt ärgerlich u. verächtlich ab. »Gott, was wollt Ihr denn machen! Es gibt eben keine freie Wahl! Es heißt, wer die Bekenntnisfront will, soll sich in Listen eintragen, die anderen werden eben einfach als D.Chr. angesehen.« Ich sage: »Sehr einfach. Dann trägt sich niemand in diese Listen ein.« Sie ärgert sich noch mehr. »Aber dann können sie Euch doch mit einem Schein des Rechtes erledigen.« Ich: »Schein des Rechtes haben sie immer gehabt. Denke an den Reichsbischof.« Sie wird immer wütender u. ich beende das aussichtslose Gespräch, indem ich ihr zum 500. Male zu erklären suche, daß wir von Anfang an mit unserer Vernichtung gerechnet haben u. daß es sowieso ein Wunder ist, daß wir noch da sind. Es ist, trotz allem u. wie immer, schwer, diese neue Last zu tragen. Ich halte das Gerücht wegen Niemöller übrigens zunächst für ein Mißverständnis – vielleicht Verwechselung mit Verweigerung der Auslandspässe. Wenn man Vergewaltigung wirklich will, dann hätte man ja das Kerrl’sche Verordnungswerk verwirklichen können. ½ Stunde später. Ich kam in die Geschäftsstelle, um Zeitungen abzuholen. Hinter mir trat Hugo Müller ein, u. es begann ein Gespräch zwischen ihm u. Zenker. Zenker sagte: »Ich weiß garnicht, was die wollen. Die tun, als ob keiner da wäre. Es ist doch einer da. Die Gemeinde hat sich beschwert u. hat einen Bekenntnispfarrer gewollt …« Da ging ich aus dem Zimmer. Es war merkwürdig, daß er das in meiner Gegenwart sagte. Es verdichtet sich das Gefühl, das ( )a u. ich bei einem eben stattgehabten Gespräch gemeinsam als vorhanden feststellte: Daß etwas vorgeht, daß sich wieder einmal etwas bewegt im Raum der Kirche. Man sieht bloß noch nicht was. Der »Durchbruch« Nr. 21 soll einen Brief des Reichsfinanzmin. an das Oberfinanzamt in Münster gerichtet, abgedruckt haben: Rückständ. Kirchensteuer sei bis auf Weiteres nicht mehr zwangsweise einzuziehen. »Durchbruch« gibt genaue Anweisungen, wie Feiglinge, die immer noch nicht wagen, offen aus d. Kirche auszutreten, sich zu verhalten haben, um die Kirchensteuer nicht zu 174 175 176 a

Zum Fall Rose vgl. Biogramme. Zum Fall der Lübecker Pfarrer vgl. Tgb. 8., 9., 13.,15. Januar, 9. und 15. April 1937. Niemöller wurde erst am 1. Juli 1937 verhaftet; allerdings wurde mit einer Verhaftung schon Tage zuvor gerechnet; vgl. Schmidt, Niemöller, 432. Strichzeichnung Männerkopf, steht für Friedrich Bernewitz, vgl. Übersicht Strichzeichnungen.

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zahlen. Ich weiß nicht, ob sich das auf Katholische bezieht. Wenn auf Evangelische dann eröffnen sich Aussichten für den Kampf der Bekenntniskirche hier in Thüringen. Nach einer Stunde. Die Anzeichen häufen sich. Spigaht hat mir eben, am Fuß der Treppe, ins Gesicht gestarrt u. nicht gegrüßt. Das sind die Taten dieser Helden. nachm. Sasse ist noch nicht nach Berlin gefahren, sondern sonnte sich heute früh im Park – (abends:) fährt heute Abend um 6. Kleine Berichte aus dem Haus: Brauer hat neulich die V.D.–Leute kolossal per Telephon angehaucht. Da soll alles durcheinander gehen mit den Reisekosten. – Sasse hat den V.D. einen »Schweinestall« genannt – ob aus ähnlichen oder noch anderen Gründen, weiß ich nicht. – Stetefeld telephoniert aus Berlin u. verlangt Geld. Kündigt an, daß er »alles hinschmeißen« würde, wenn er keins kriegte. Darauf werden ihm 100 M Vorschuß angewiesen. Das wartet er nicht ab, sondern kommt zurück u. hat hier im Haus einen unverschämten Wortwechsel mit Stüber. »Wieviel Tagegelder kriegen Sie denn, wenn Sie in Berlin sind?« Stüber hat ihm den Rücken gedreht u. ihn stehen lassen – unten in der großen Halle. Die 100 M mußten zurückgeschickt werden. – Man ahnt an diesem kl. Beispiel, wie es hinter den Kulissen zugeht. Bis in die untersten Regionen ist jetzt die Nachricht von 2 Schriften Lehmanns gedrungen177, deren Veröffentlichung Leffler, Leutheuser, Bauer [G.], Hohlwein pp. s.Zt. abgelehnt hätten. Da sei Lehmann nach Stuttgart gefahren u. habe sie da drucken lassen – na ja. Einer dieser guten Freunde der D.C. hat sich darüber ausgelassen, daß die Herren Nebenverdienste haben durch Bücher – die sie in ihrer Dienstzeit verfassen. Außerdem: Die Bewirtung des engl. Journalisten Colin Ross beim L.B. ist auf Kosten der Th.[ür.] Kirche geschehen – die L.K.-Kasse hat die Rechnung bezahlt. Von einer »Arbeitstagung« der D.C. in Weimar war die Rede, die eigentl. in diesen Tagen hätte stattfinden sollen (findet statt!). Die B.gemeinsch. lädt für nächsten Dienstag Abd. den 8.6. »Hinter der Mauer« ein. 4. Juni, Freitag. [4. Juni 1937] Heute früh beim Aufstieg auf den Pflugensberg versteckte sich Jansa hinter der Türe des Gärtnerhauses, nachdem wir uns direkt in die Augen gesehen hatten, ohne zu grüßen. Eine Stunde später komme ich in die Geschäftsstelle. Spigaht dreht den Kopf, sieht mich mit hochgezogenen Brauen von unten bis oben an, ohne zu grüßen, u. dreht sich wieder ab. Ich tue natürl. garnicht dergleichen – u. sah ihn später in der Kantine garnicht mehr an. Zu einem »Kameradschaftsabend« hier oben werde ich nicht mehr gehen u. die Gründe – ohne Namensnennung – Volk sagen. mittags. Ich erfahre: Beschwerde des Wachtmeisters aus Neuenhof: Die B.K. hielte dort besonderen Konfirmandenunterricht u. das ginge doch nicht! Die Einheit der Hitler–Jugend sei dadurch gefährdet. 177

Vgl. Tgb. 4. Februar 1937.

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Leutheuser war im Haus u. hat geäußert, vorläufig wäre »nichts los«, »bis nach dem Reichsparteitag«. Das scheint in jedem Jahre der Vorwand zu werden, um immer länger notwendige Entscheidungen in der Schwebe zu lassen. Diesmal fallen die Schatten aber schon reichlich lange voraus. Montag, d. 7.6.37. [7. Juni 1936] Man merkt heute, daß unter der ruhigen Oberfläche reichlich viel vorgeht. In der »Deutschkirche« kommt es zu Spaltungen. Ein Teil wandert offenbar zum »Durchbruch« ab, darunter der bisher. Schriftleiter der Zeitschrift »Deutsche Kirche«. In der eben erschienenen Nummer wird sich angepöbelt. Die »Thüringer« versuchen, Lehmanns Schriften abzuschütteln indem sie sie als »Privatarbeit« bezeichnen.178 Sie wagen aber kein klares »Nein« dazu. Gestern predigte Otto in der Georgenkirche. Nicht so frisch wie sonst. Hinterher sprach ich seine Frau [M.]. Er sei vollkommen abgearbeitet. Müßte Mittags – bei dieser Siedehitze – nach Saalfeld fahren zu einem »Männersonntag«. Heute »Bruderrat« in Gotha, dann Pfarrerkonvent (?) in Meiningen. – Morgen Abend hier B.gem. Die Sache mit Pfr. Rose sei beigelegt.179 Er habe eine mehrstündige Unterredung mit Volk gehabt, die, wie gewöhnlich bei Volk, mit Gebrüll angefangen u. mit intensivstem Händeschütteln u. strömender Herzlichkeit geendigt habe. Rose ist zurück ins Amt u. hat s. Dienst wieder angetreten. Sie wollen ihm die 10 Tage Urlaub am Gehalt abziehen. – Tatsächlich ist es bisher immer so gehandhabt worden wie in diesem Fall: Urlaub vom Bruderrat, Regelung der Vertretung, Mitteilung an den zuständigen Oberpfarrer. Nun hatte aber Rose ein Übriges getan u. sich bei der Mitteilg. an den Ob.pfr. auf den Urlaub vom Bruderrat berufen! Verordnung von Kerrl v. 20.III.37: Kirchenregierungen sind die in Amt befindlichen.180 (Wie wird es in Württemberg gehandhabt??). Über Äußerungen zur Wahl, die Niemöller vor 8 Tagen im Gottesdienst getan haben sollte, berichtete etwas verwirrt die »Neue fr. Presse«, Wien. Heute früh soll der Luxemburger Sender mitgeteilt haben, was Niemöller gestern gesagt hat – was konnte der Berichterstatter aber nicht wiedergeben. Ich warne immer vor Auslandsmeldungen. Unklar sind diese Meldungen immer – abgesehen von »Times«. Heute Mittag hörte ich von einer blonden Dame sehr merkwürdige Tatsachen zum Kirchenkampf, für die sie 2 sehr zuverlässige Quellen nannte (die eine unbedingt unterrichtet): 1.) Viele Mitglieder der vorl. K.leitung verhaftet – glatt im Gefängnis! Niemöller u. Asmussen noch nicht – wegen des Auslandes. Bischof Rendtorff-Stettin müsse jetzt immerzu Verhaftete vertreten, z.B. bei »Evangelischen Wochen«. So sei eine in Hamburg gewesen. Er selbst hatte auch dort Aufenthalts- oder Sprechverbot (es geht aus der Schilderung hervor, daß diese Verbote nicht von einer Reichsstelle ausgehen, sondern von örtlichen Stellen). Er, R., habe sich schon

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Vgl. Tgb. 4. Februar und 14. Mai 1937. Zum Fall Pfarrer Rose vgl. Biogramme. »Die kirchenregimentlichen Befugnisse in den Landeskirchen werden durch die im Amt befindlichen Kirchenregierungen ausgeführt« (Dreizehnte Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Sicherung der Deutschen Evangelischen Kirche vom 20. März 1937, in: KJ 1933–1944, 165).

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irgendwie heimlich nach Hamburg begeben, dort in einem Entbindungsheim aufgehalten u. sich mit der Gemeinde in den Gottesdienst begeben (nicht in die Sakristei. In der Sakristei würden die Pfarrer verhaftet, vom Altar oder d. Kanzel hätte man noch keinen heruntergeholt). Dann habe ein anderer die Liturgie gehalten u. R. sei dann zum Altar gegangen u. habe von da aus gesprochen. Wieder zurück in die Gemeinde. Der Liturg hat dann bekannt gegeben, wer geredet hat. Ganz vorn habe die Kriminalpolizei gesessen, sehr erstaunt. R. gleich zum Zug, mit Bahnsteigkarte durch die Sperre, dort habe ihn Jemand mit d. richtigen Karte empfangen. – Niemand wisse bisher von alledem. – Es muß schlimm stehen, wenn derartiges nötig ist. Spigaht sitzt wieder im weißen Saal – nachdem er seit Erlaß des Führers betr. Kirchenwahl Mitte Febr. im Büro der D.C. Luisenstr. gesessen hat. In Weimar hat eine »Arbeitstagung« der D.C. stattgefunden, die jetzt abgeschlossen ist.181 Oberheid u. König halten sich noch hier auf. Sasse u. Franz sind eilig wieder nach Berlin zitiert worden – ob vom »Bund« [BfDC] oder gar vom Ministerium [Kirchenministerium] wissen wir nicht. ( )a hatte gehört, ein von den D.C. entlassener Vikar in Stressenhausen hätte beim Arbeitsgericht geklagt u. ein Amtsrichter hat prophezeit, die D.C. würden «hinten runter fallen«! Freitag, d. 11.6.37. [11. Juni 1937] Nach dem Bek.abd. am Dienstg., als wir zus. nach Hause gingen, wurde das Rendtorffsche Abenteuer in Hamburg zum Besten gegeben. Frau Otto [M.] zweifelte, daß das Theater nötig gewesen sei – d.h. sie meinte, ob er so unbedingt hätte sprechen müssen. Er ist auch wirklich etwas jungenhaft. Rendtorff hat im Anfang des Kirchenkampfes so kampflos seinen Platz als Landesbischof geräumt u. muß nun wohl etwas nachholen. Der Abend war sehr fein. Nicht sehr viele Leute da u. alle Türen u. Fenster auf, so wurde es nicht zu heiß. O. sprach. Gesamtlage: Man merkt den Willen, auf andere Weise durchzusetzen, was Kerrlsches Verordnungswerk gewollt hat. Goebbels-Rede gegen Katholiken – Bekenntnisgemeinschaft genannt.182 Hitler redet (in Regensburg) von »Kirchenhaufen« u. schildert Gefahren wie einen 30-jähr. Krieg183 u.s.w. Frick in Bremen. – Über die Gründe, weswegen die Wahl hinausgeschoben wird, kann man nur Vermutungen haben, es weiß niemand etwas. Beziehungen mit K.ministerium nach Briefwechsel Kerrl-Marahrens abgebrochen, obwohl dieser Briefwechsel dazu keine Ursache. Tatsache, daß in ganz Deutschland

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[Erich] Kittelmann, Weimar! Leben aus der Kraft des Ideals! Kameraden! Weimar grüßt euch zur Arbeitstagung!, NaKi 6 (1937), 177–178. Strichzeichnung Männerkopf, steht für Friedrich Bernewitz, vgl. Übersicht Strichzeichnungen. Gemeint ist offenbar die Rede Goebbels vom 28. Mai 1937 in Berlin (Dokumente zur Kirchenpolitik IV, 68–72). »Ich werde niemals zugeben, daß man dieses Volk wieder zerreißt in einen sich bekämpfenden religiösen Streithaufen. – Wir haben hier genug Erfahrungen genug aus der deutschen Geschichte und brauchen keine weiteren zu sammeln. Sie sind die traurigsten, die es gibt. Einst hatte unser Volk 18,5 Millionen Menschen gezählt, und davon sind nach dem dreißigjährigen Kriege 3,6 Millionen übriggeblieben« (Aus der Rede Hitlers in Regensburg am 6. Juni 1937, in: Domarus I/2, 699).

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die Wahlversammlungen der B.K. aufs Stärkste besucht, die der D.C. um ein Vielfaches weniger – und zum allgemeinen Erstaunen ist das auch die Lage in Thüringen, nachdem die D.C. hier 4 Jahre lang ungehindert gearbeitet haben. Viele Pfr. u. Gemeindeglieder aus D.C. ausgetreten u. in B.K. eingetreten. Wahlveranstaltungen der B.K. fast in jedem Dorf, Erfolge auch in D.C.-Gemeinden. 15 Vikare jetzt von der B.K. in Thür. angestellt; Bedarf zur Deckung der Gehälter u. sachl. Ausgaben monatl. etwa 3500 M.184 Müller [W.]-Kaltenwestheim ist auf Grund der Kerrl-Verordng. vom 20.III.37 – die dazu gar keinen Anhalt gibt – jede Ausübung seines Pfarramts verboten worden!!!185 Man hat das Gefühl, als sollte einer erstickt werden. Er sprach vom »Schw. Korps«, das Artikel bringt, die bloß verhöhnen wollen. Heute neue Kirchenzeitungen. D.E.K. meldet Empfang der deutsch-engl. Gesellschaft in Berlin zu Ehren des neuen englischen Gesandten.186 Eingeladen oder anwesend u.a. Rosenberg, P. [Pastor Martin] Niemöller (!), 2 Thaddens!187 Von der Arbeit Montag, d. 14. Juni. [14. Juni 1937] Was ich da schreiben wollte – wohl von Arbeitstagung der D.C. in Weimar. Hohlwein hatte schon verlauten lassen, alle D.C. hätten sich dort unter Führg. der Thüringer geeinigt. Er, Hohlwein, hätte die Absicht, an den Führer zu telegraphieren (Was erfuhren wir leider nicht). Heute kommt die neue Nr. der Nationalkirche mit dem Tagungsbericht.188 Also es ist so ungefähr an dem. Einige Vorbehalte betr. »Stammeseigentümlichkeiten« werden gemacht. So nennt man jetzt den Partikularismus, (der sich doch überhaupt, nicht nur in der Kirche in etwas durchgesetzt zu haben scheint). Statt »Gaugemeinden« heißt es »Landsmannschaften« usw. Man erfährt bei dieser Gelegenheit, daß es außer der D.C. Berliner Richtg. noch 6 andere Arten von D.C. gegeben hat. Also 7 insgesamt. Das ist reichlich für eine Einheitsbewegung: Ein Volk – Eine Kirche – u.s.w. O. ist gestern nach München gefahren, wo der luth. Rat tagt. Er zeigte mir ein Schriftstück aus dem hervorging, daß tatsächlich das neue Abzeichen der D.C. – Christenkreuz im Hakenkreuz – »unerwünscht«, d.h. verboten ist, auch das Tragen.189 Das wurde hier im Haus im April gleich gesagt. Ich dachte, es wäre ein

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Die Angaben stammen vermutlich aus erster Hand, nämlich dem Büro der LBG bzw. von Ernst Otto und dürften deshalb glaubwürdig sein. Zum Fall Wilhelm Müller-Kaltenwestheim vgl. Biogramme und Tagebucheintragungen ab 8. Juni 1935. Zu Ehren des neuen Botschafters Henderson gab die Deutsch-Englische Gesellschaft in Berlin einen Empfang. Die Begrüßungsansprache hielt ihr Präsident, Herzog Carl Eduard von SachsenCoburg; vgl. Tageschronik: 1. Juni 1937. Digitale Bibliothek, Band 49: Das Dritte Reich, S. 2391 (vgl. DGK, Bd. 2.1, S. 361) (c) Droste/Directmedia. Vermutlich der Rittergutsbesitzer Dr. Reinold von Thadden-Trieglaff [und dessen Frau?]. A[lfred] M[ännel], So verlief das Arbeitstreffen!, NaKi 6 (1937) [Nr. 24 vom 13. Juni 1937], 191– 192]. Vgl. Tgb. 27. April 1937.

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Mißverständnis u. nur der Verkauf verboten – u. schrieb das garnicht auf!190 Manchmal ist also doch auch ein unwahrscheinl. Gerücht wahr. Deshalb will ich gleich noch eins festhalten, was ich bisher auch nicht glaubte. Die D.C. haben hier im Haus behauptet (derj. Mann, der wütend ist u. neuerdings manchmal auspackt), Hitler würde nach dem Reichsparteitag den Wahlerlaß zurückziehen! O. hielt es für möglich. Schon seit Monaten wird eine merkwürdige Geschichte verbreitet: Rosenberg habe vor d. Offizierkorps sprechen wollen u. das sei zugestanden worden unter der Bedingung, daß er nichts über Religion sagte. Das habe er versprochen, aber nicht gehalten. Es sei auch gleich losgegangen – darauf habe Fritsch d. Saal verlassen u. alle Offiziere mit ihm. R. sei allein zurückgeblieben u. habe danach Hitler berichtet, der Fritsch habe kommen lassen u. ihm nahe gelegt habe, s. Abschied zu nehmen. Der habe sich bereit erklärt, aber mitgeteilt, daß 62 Generäle mit ihm gingen! Obs wahr ist? Auch der alte Mackensen sei in Ungnade gefallen, weil er zur Jugend gesagt habe, ohne Christentum würden sie nicht leisten können, was d. Jugend des Weltkrieges geleistet habe. (Dieser Ausspruch ging durch alle Kirchenzeitungen). Hier im Hause hörte ich, jemand hätte eine schriftl. Anordnung gesehen, nach der alle Pfarrer aus der S.A. heraus müßten. (Danach haben die Heiden aber stark Oberwasser). Viell. müssen sie auch noch aus der Partei heraus? In diesem Falle würden die alten D.C. wohl ihr Pfarramt aufgeben. Die neuen D.C., die nicht Pg. sind, könnten ja Pfr. bleiben, wenn sie wollten. Aber das Thür. Kirchenregiment – ? Der »Bund für dtsch.Chr.tum« gibt eine vervielfält. Korrespondenz heraus, für die »Propp« die Verantwortung trägt. Ich las Nr. 11 vom 20. u. 12 vom 28. Mai. Entsetzlich, einfach. Alles auf Verleumdung der Bekenntnisfront gestellt, mit was für Mitteln u. Tönen. Die Mache stellenweise für den Erfahrenen ganz leicht zu durchschauen. Dabei streng verboten, diese Sachen zu veröffentlichen – nur ganz besond. bezeichnete Stücke dürfen in die Presse. Das Ganze soll offenbar mündlich verbreitet werden. Es werden z.B. aus einer Rede Niemöllers Sätze aus d. Zus.hang gerissen u. aneinandergereiht. Erst beim 2., genauen Durchlesen merkte ich, daß jeder der Sätze mit Anführungszeichen begann, also nicht mit dem anderen zusammenhing. Aber kein Auslassungszeichen dazwischen. Wenn es glatt verlesen wird, muß die Täuschung unfehlbar gelingen. Dann waren aus einem Bibeltext, den Niemöller verlesen hatte, Stellen angestrichen u. am Rande mit Ausrufungsstrichen gekennzeichnet. Die Rede Niemöllers ging gegen das Neuheidentum. Die angestrichenen Sätze sollten offenbar bedeuten, – d.h. die D.C. wünschten, den Eindruck zu machen –, daß eine Verschwörung geplant würde. Wenn das nicht böswillig ist, dann kann es nur wahnsinnig sein – Wahnsinn, wenn mans behauptet u. Wahnsinn, wenn mans glaubt. Soll es bei uns so werden wie

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Das Erstaunen der Tagebuchschreiberin erklärt sich dadurch, dass sie von einer festen, auf wechselseitige Anerkennung und Beziehungen bestehende Allianz zwischen nationalsozialistischen Instanzen und den KDC ausging. Weder sie noch die KDC vermochten realistisch genug einzuschätzen, dass sich die Nationalsozialisten in der großen Mehrheit, namentlich in ihren maßgeblichen Führern, mit keiner Religion arrangieren oder gar verbünden wollten, auch nicht mit Deutschen Christen oder Deutschgläubigen, von der BK ganz zu schweigen.

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in Rußland, wo jetzt der Bolschewismus seine eigenen Kinder frißt? (Todesurteil gegen 8 Generale). In einem andern Zus.hang war das Wort »Man soll Gott mehr gehorchen als den Menschen«191 als jesuitisch hingestellt. Dann war vom »Lügensumpf« der B.K. die Rede – hunderte von solchen Beweisen lägen in der »Bundeskanzlei«. Die neueste sei: Man behaupte, Bischof Weidemann sei ehemal. Freimaurer! Natürlich sei kein Wort davon wahr. – Ich habe davon auch nie etwas gehört, auch O. nicht (wohl aber, daß Landesbisch. Propp192 wahrheitswidrig Söderblom einen Freimaurer nennt! An Volk hat er geantwortet, er sei von der gegenteil. Feststellung im Ev. Deutschld. nicht überzeugt!). Man kann schließlich jeden Tag irgendetwas behaupten u. widerlegen – u. in Wahrheit hat eine solche Verleumdung nie jemand ausgesprochen. – So war auch eine Mitteilg. aus Baden da: In der Konfirmandenstunde habe ein Vikar S. in E. das u. das gesagt. Also gar kein Name genannt, nicht einmal die Ortschaft! Es kann gar kein Versuch einer Widerlegg. gemacht werden! Und dabei ist es ja »nur zur Information« mitgeteilt! – Die Bekenntnisfront lügt! – »Lügen« nennen sie unsere beste Überzeugung, wie s.Zt. Leutheuser in Kaltenwestheim gegen E. O.193 Na – Schluß! Aber der Eindruck war entsetzlich. Und wenn man nun bedenkt: Diese Leute allein unterrichten die Partei u. jetzt allein auch das Kirchenministerium. Ob ihnen überhaupt jemand glaubt? Oder ob alle nur so tun, als ob sie das glaubten? D. 15.6., Dienstag. [15. Juni 1937] Otto hatte am Sonntag Nachrichten aus Jena – keine guten. Dem dortigen Vikar war in sr. Abwesenheit die Krimi auf die Bude gerückt – man weiß noch nicht, warum. Gertrud Schäfer war vernommen worden – wegen einer Rede oder Predigt von Werner-Kosma, der am 6. dort – wie Niemöller – die Namen der neuerdings Verhafteten oder Ausgewiesenen (30?) verlesen hatte. Die Kirchgemeindevertretg. hatte den Beschluß gefaßt, der B.K. in Jena keine Kirche wieder zur Verfügg. zu stellen – 3 Pfr. seien genug, um sie regelmäßig zu versorgen. Dabei sind die betr. 3 Pfr. »Mitte«, nicht B.K. O. sagte, er hätte schon immer den Eindruck gehabt, in Jena ginge die Polizei besond. scharf vor. – Er war traurig. Man sieht so garnicht, wo es hin soll. Wir waren so froh über den Wahlerlaß – und sind wieder betrogen. Am B.K.-Abend hinter der Mauer sagte er, daß sie einen Studentenpfarrer einstellen wollten. Man merkte schon jetzt, daß ein Teil der student. Jugend künftig ohne jede innere Bindung – weder politisch noch religiös, rein als Nihilisten heranwüchse. (Auch politisch ohne Bindung?). Wenig Auslandsnachrichten u. meist über die kathol. Dinge. »Neue fr. Presse, Wien« u. »Berner Bund« teilen, nur halb verstanden, mit, was Niemöller in 2 Sonntagspredigten über die Lage gesagt hat. Übrigens sprach Wurm damals im Rautenkranz ziemlich bitter über Niemöller194 –

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»Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen« (Act 5,29). Richtig: Landessuperintendent Propp. Vgl. Tgb. 8. Juni 1935. Vgl. Tgb. 13. Mai 1937.

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meiner Meinung nach nicht ganz gerecht. Niemöller sagte alles von der Kanzel herunter, auch alles über die Unstimmigkeiten in den eigenen Reihen. Er sei bloß deshalb noch nicht verhaftet, weil er ja in vieler Hinsicht die einzige Nachrichtenquelle für die Polizei sei! Übrigens fragte mich neulich Oberländer, der mal ein paar Übersetzungen gelesen hatte, ob ich wirklich glaubte, daß Niemöller es fertig brächte, die Namen von 30 Verhafteten zu verlesen – ob er wirklich so scharf sei??? – Ich sagte, ich wüßte natürl. nicht, ob diese Meldung richtig sei, aber Niemöller täte so etwas – unbedingt. – Also selbst ein Mann wie Oberländer weiß nicht, was vorgeht u. hat keine klare Vorstellg. vom Chrarakter der wichtigsten im Kirchenkampf handelnden Persönlichkeiten. Die neue Nr. der Nationalkirche mit d. Bericht über die Arbeitstagg. ist da u. läßt allerlei Fragen offen. Sie nennen 6 Gruppen, die sich unter der Führung Lefflers zusammengetan haben. Dabei sind Gruppen, von denen man garnichts ahnte, die Uneinigkeit bei diesen Leuten, die anderen Einigkeit predigen u. eine Nationalkirche schaffen wollen, ist erschütternd. Und man stellt fest, daß die Gruppen Weidemann, Hossenfelder u. Rehm bei dem neuen Zusammenschluß fehlen.195 Und wie steht das Ganze zum »Bund«? Etwas so wie »Bewegung« zum Staat? Heute war wieder ein Telegramm von »Propp« da, das unsere Leute zu einer Bundessitzg. [BfDC] nach Berlin bestellte. Franz reiste kurz darauf ab. Mittwoch, d. 16.6.37. [16. Juni 1937] Jansa hat eine neue Prophezeiung zur Wahl kundgetan: Wahl bestimmt im Oktober! Der Führer wird eine Formel finden, von der wir alle überrascht sein werden! – Es solle ja »kein Sieg der Bek.gemeinsch. u. kein Sieg der D.Chr.« sein. – Aus seinem weiteren Gespräch mit Frl. S. ergab sich: Die Rechte würden der Kirche genommen, z.B. Kirchensteuer dürfte nicht mehr gepfändet werden, es seien zuviel Klagen deswegen eingelaufen. Trotzdem würde die Kirche Staatskirche bleiben, obwohl ja der Führer eigentlich dagegen sei … Das Ganze war Mus u. nicht klar zu kriegen, was nun eigentl. gemeint war. Wahrscheinlich darf man annehmen, daß auch die D.C. selber keine klare Vorstellung davon haben. Vorläufig wenigstens. Freitag, d. 18.6. [18. Juni 1937] In aller Frühe bereits belehrte Frl. Kleinsteuber Therese über das neue Kirchensteuergesetz, das bekanntl. den Gemeinden das letzte Recht nimmt. »Nun, es kommt ja ganz bestimmt die ›Kultursteuer‹«! Im Feuilleton des »Völk. Beob.« Ausg. A Nordd. A. v. 28. Juni 37 (169) findet sich ein Aufsatz »Zur Weltkirchenkonferenz in Oxford (Die neue Folge der N.S.-Monatshefte, von Eberhard Achterberg). Darin wird daran erinnert, daß in Stockholm 1925 von deutscher Seite nachdrücklich die Behandlung des Friedensproblems gefordert, aber nicht zugestanden wurde. Sie erwarten jetzt eine dahingehende Entschließung. – Vergessen ist wahrscheinl., daß der christl. Jungmännerbund [CVJM? YMCA?] s.Zt. 195

Vgl. Tgb. 14. Juni 1937. Die Tagebuchschreiberin nahm Bezug auf den Beitrag »Die eine Bewegung steht!«, NaKi 6 (1937), 185–186. Die Gruppen um Weidemann, Rehm und Hossenfelder fehlten!

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in Detroit (?) 1930 [?] die Verwerfung der Kriegsschuldlüge erzwang). Ich vergaß übrigens aufzuschreiben, daß der L.K.Ausschuß Magdeburg zurückgetreten ist, weil ihm das Kirchenmin. ein Arbeiten unmöglich machte.196 – Die Korresp. des B.f.D.C. hatte den Rücktritt aus anderen Ursachen – Unstimmigkeiten der Ausschußmitgl. untereinander – schon prophezeit. Wahrscheinl. geht es nun in den anderen Auschüssen ähnlich. Gestern Abend wurde in den Zeitungen eine Verordnung bekannt gegeben, wonach nur die »ordentlichen« Kirchenkollekten gesammelt werden dürfen. Auch Kollekten bei »Sondergottesdiensten« kirchlicher Gruppen sind nicht mehr erlaubt.197 Es geht eindeutig gegen die B.K. Aber es kommt mir nicht so vor, als ob es sich auf Sammlungen bei Wahlveranstaltungen bezöge – Frl. Sommer hatte das so verstanden. Man erkennt deutlich die künftigen Pläne. Rechtlosmachung der Kirche, Sonderrecht haben wir ja schon durch die »Beschlußstelle«198, die nicht arbeitet. Für kirchliche Zwecke werden die Gelder gesperrt werden, z.B. für Volksmission, wenn sie von der B.K. ausgeht. – Das nennt sich dann »Kampf der Weltanschauungen«. Als ob man das anständigerweise Kampf nennen kann, wenn man die Situation zunächst für sich selbst ungefährlich gestaltet, für den Gegner aber lebensgefährlich. Und das soll dann auch noch »deutsch« sein. Sonnabd., d. 19.6. [19. Juni 1937] Ein Posaunenchortreffen in Suhl (Preußen), das seit April festlag, ist gestern Abend plötzlich verboten worden. Die Gründe sind nicht bekannt. Mittwoch, d. 23.6.37. [23. Juni 1937] Mir ist das Herz sehr schwer. Sonntg. Predigt von O. in der Georgenkirche. Montag Fahrt mit Wilms nach Coburg-Kronach u.s.w. Als ich Abends ½12 vor meiner Haustür stand, sehr vergnügt, stand plötzl. Frl. K. vor mir u. erzählte. Am Sonntag sollte – die Wahl stattfinden! Am Freitag sollte es bekannt gegeben werden – in irgendeiner Form, die den Gemeinden wieder keine Klarheit schafft. Zweck: Alle Herrschaft den Thür. D.C. zu sichern. Propst (oder Papst), einer der hiesigen Vikare der B.K., sei »nicht nach Hause gekommen«, sei unterwegs gewesen, die »vorl. Leitung« verhaftet u.s.w. Der Bruderrat habe in Erfurt getagt; auf ein Telegramm von Kern hin sei Bauer [G.] nach Berlin gereist. Von dort aus erwarte man Näheres über das Wahlgerücht zu hören. Irgendjemand hätte wissen wollen, wie diese »Wahl« sich abspielen würde: Es gingen Leute mit offenen Listen in den Häusern herum u. fragten u. trügen die Antworten ein. Die Wahlfragen sollten ungefähr so lauten: »Seid Ihr einverstanden, daß die Verwaltung der Kirche dem Staat angegliedert wird?« 196 197 198

»Der sächsische Provinzialkirchenausschuß war am 4. Juni 1937 zurückgetreten« (Meier, Kirchenkampf III, 316). Vgl. Runderlass des Reichsinnenministers und des Reichskirchenministers betr. Kollekten vom 9. Juni 1937 (Dokumente zur Kirchenpolitik IV, 80–81). »Gesetz über das Beschlußverfahren in Rechtsangelegenheiten der evangelischen Kirche« vom 26. Juni 1935, mit dem eine Beschlußstelle im Innenministerium eingerichtet wurde, die in allen Streitigkeiten innerhalb der evangelischen Kirche letzte und unanfechtbare Entscheidungen fällen konnte; vgl. Chronik der Kirchenwirren, 542.

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Das war ein schlimmes Nachhausekommen. Am nächsten Dienstag Morgen fragte ich bei allen meinen Freunden im Büro, ob irgendetwas sich ereignet hätte oder irgendein Gerücht zu ihnen gedrungen sei. Nichts. Oberländer, mit dem ich eine dienstl. Besprechung hatte, äußerte sogar ganz nebenbei: »… das hätte ja auch gar keinen Zweck, wo die Wahl augenblicklich in weite Ferne gerückt ist …« (Es handelte sich um den Grund der Verhaftung von Jacobi, die der Daily Telegraph gemeldet hatte). Ein Anzeichen war mir auch die Tatsache, daß Spigaht, als »Wahldienstleiter«, immer noch hier oben saß u. nicht in die Luisenstr. zurückgekehrt war. Ich hörte Mittags bei O., daß das Gerücht in sehr bestimmter Form von Niemöller ausgeht. Wir glauben nicht recht daran. Mag sein, daß diese Absicht einen Augenblick bestanden hat. Sie kann aber gleich wieder aufgegeben worden sein. Es geht ja alles durcheinander in dieser Beziehung. Man wird übrigens auf die Wahlfragen in der angedeuteten Form von allen Leuten angesprochen. An eine Wahl »in voller Freiheit, auf kirchlichen Boden«199 glaubt niemand mehr. Und es handelt sich doch um ein gegebenes Wort! Wo sind wir hingekommen. (Ich kann im Grunde immer noch nicht glauben, daß das so einfach über den Haufen geworfen werden kann). Gestern Abend Helferinnenversammlg. Prellerstr. Diesen Abend werde ich nie vergessen. Wir reden immer soviel vom »Kampf«. Für einen Mann wie O. ist das Schwerste doch, sich immerzu verleumden u. beschimpfen zu lassen, wo man mit brennender Liebe im Herzen dasteht u. seinem Volk das Beste geben möchte, was man hat. Und dann zu sehen, daß alles Vertrauen getäuscht wird, daß alles Lüge war u. daß dazu noch die Gemeinde weithin doch ganz verständnislos dasteht. »Die Gemeinde entbehrt einen halben Pfr. Ich kann nicht mehr tun, als ich tue. Es wäre eine ebenso schlimme Treulosigkeit, wenn ich jetzt die Bekenntnisgemeinde im Stich lassen wollte, nachdem ich diese Arbeit 4 Jahre lang getan habe, als wenn ich meiner Gemeinde nicht die Treue halten wollte. – Ich leide schwer darunter, daß ich nicht soviel Gemeindebesuche machen kann, als ich müßte. Aber vor Gott darf ich, glaube ich, sagen, soweit ein Mensch das sagen kann, ich habe getan, was ich konnte. Mehr kann ich nicht tun …« Ich kann es nicht wiedergeben. Es war so ruhig hingesagt u. war doch das Erschütterndste, was ich je gehört habe. Eine kleine Bemerkung so nebenbei: »Das Tagewerk eines Pfarres ist ja der Gemeinde fast ganz unbekannt. Kaum Jemand kann sich darunter etwas vorstellen.« Eine prominente Persönlichkeit hier in Eisenach hat kürzlich gesagt: »Was tun denn diese Pfarrer eigentlich? Sie mästen ihre Bäuche.« Und dann das Schwerste: »Wo bleibt die Frucht der Verkündigung? Gott hat uns in diesen 4 Jahren Kirchenkampf nirgends eine Erweckungsbewegung geschenkt. Es wird sicher nicht schlechter gepredigt als in vergangenen Jahrzehnten und doch bleibt die Gemeinde wie zugeschlossen … der starke Besuch der kirchl. Wahlveranstaltungen darf uns nicht täuschen … eine gewisse Freude an der Sensation … Und doch müssen wir an die Verheißung glauben … (Bibelwort) …« Das Folgende sind meine Betrachtungen: 199

»… in voller Freiheit nach eigener Bestimmung des Kirchenvolkes …« (Erlass Hitlers vom 15. Februar 1937, in: Dokumente zur Kirchenpolitik IV, 1).

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Es ist sicher das Schwerste, was es jetzt in Deutschland gibt: In aller Treue jetzt als Pfarrer, ohne sich verbittern zu lassen, in seiner Arbeit zu stehen … Und dann geht es ja nicht nur um uns. Was soll aus Deutschland werden, wenn man ihm das Christentum nimmt, wenn Zweideutigkeit u. Lüge in solchem Maße Selbstverständlichkeit bleiben soll, wie es jetzt im Kirchenkampf schon ist? Nun die kirchenpolit. Lage: Aus allem geht hervor: Was das Verordnungswerk von Kerrl s.Zt. bringen sollte, das wird jetzt mit etwas anderen Mitteln doch durchgeführt. Ziel: Den Thür. D.C. die ganze Macht in der Kirche zu geben u. damit dem Staat. Denn das ist ja das Wesen der Thür. D.C.: Sie sind absolut willfährig.200 Wenn der Staat 2 cm verlangt so geben sie 5 u.s.w. Das Interesse des Staates: Man nimmt an, daß d. Christentum mit unserer Generation ausstirbt. Für diesen Fall muß vorgesorgt werden … der kirchliche Besitz … u.s.w. Die »13. Durchführungsverordnung« Kerrls (zu sr. Ermächtigungsverordnung) vom März dieses Jahres201, deren Tragweite beim flüchtigen Lesen in den Zeitungen natürlich niemand durchschaut hat u. nicht durchschauen konnte … Er hat die sämtlichen im Amt befindlichen Kirchenregierungen bestätigt – also die D.C. Thür. Richtung, die nicht verfassungsmäßig regieren, legitimiert. Diese Kirchenregierungen hat er auf die »laufenden Geschäfte« beschränkt. Praktisch ist das so: Die Kirchengebiete mit K.Ausschüssen haben Finanzabteilungen bekommen, die in der Hand des Staates sind. Die bestimmen über die Gelder. Die bayr. Kirchenregierung darf keinen Pfr. mehr anstellen, geschweige denn einen Superintendenten.202 Thüringen aber ist ganz unbeschränkt. Hier ist kein staatl. Finanzausschuß. Es werden dauernd Pfarrer eingestellt, aber nur Thür. D.C. Es werden sogar neue Pfarrstellen geschaffen. Ich kann das hier nur andeuten als Gedächtnisstütze. Man kann nicht alles aufschreiben. Es ist trostlos. Dazu die außenpolit. Lage. Torpedoschüsse auf einen deutschen Kreuzer, die nicht trafen. Nichteinmischungsausschuß hat unbefriedigendes Resultat. Neurath selbst geht nicht hin, »da er wegen des Ernstes der Lage« sich jetzt nicht aus Berlin entfernen kann u.s.w. Es sieht nach Krieg aus. Man hat das Gefühl, es ist nur eine Frage der Zeit, wann es los geht. Wahrscheinl. hat jetzt keiner der obersten Führer (außer Goebbels) mehr Zeit, sich um die Kirche zu kümmern u. inzwischen wird im Trüben gefischt. – Es ist ein Verbrechen an der Nation – gerade in diesem Augenblick, wo alles zusammenstehen müßte. Außer Ludendorff ist nun auch die Dinterbewegung als Weltanschauungs- oder Religionsgemeinschaft offiziell anerkannt worden.203 200

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»Willfährig« ist eine moralische Kategorie. Den KDC ging es ihrem Selbstverständnis zufolge um mehr, nämlich um die vollständige Integration, ja Einschmelzung allen religiösen Lebens in die nationalsozialistische Bewegung resp. in den nationalsozialistischen Staat. Vgl. Dreizehnte Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Sicherung der Deutschen Evangelischen Kirche vom 20. März 1937 (Dokumente zur Kirchenpolitik IV, 15–16). Diese Angabe dürfte so nicht korrekt sein. In der Evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern war es nicht zur Bildung eines Landeskirchenausschusses gekommen; vgl. Meier, Kirchenkampf III, 461; es bestand wohl auch keine staatliche Finanzabteilung. Es hat nur eine allgemeine Anerkennung von Weltanschauungsgemeinschaften gegeben. »Eine besondere Anerkennung als Weltanschauungsgemeinschaft … sei nicht ausgesprochen worden.

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Ich höre: Franz reist heute wieder nach Berlin. Ich sah ihn gestern in der Bücherei – er grüßte nicht. Er machte ein entsetzliches Gesicht. Glücklich sah er nicht aus. Eigentlich ist die Lage genau wie im Februar, ehe der Wahlerlaß204 das Verordnungswerk zerschlug. Otto sagte: »Die ganzen 4 Jahre haben wir oft schon so dagestanden. Alles schien verbaut, kein Weg im Dunkel zu sehen. Daß wir überhaupt noch da sind, ist ja ein Wunder Gottes …« Alle Pfarrer, Kandidaten, Studenten der Theologie müssen aus der SA austreten.205 Keiner wird in die Partei aufgenommen, auch wenn er noch so lange in der SA gedient hat. Wie weit die Zurücksetzung geht und in wie lächerlichen Formen sich der Haß äußert, hat man bei den Studentenkampfspielen in Erlangen (Tübingen?) gesehen. Bei Nennung der Sieger wurde überall das Studium der Betreffenden angegeben. Bei den Theologen wurde stattdessen ein Strich gedruckt. Otto reist am Donnerstag nach Jena wegen des dortigen Studentenpfarrers. Diese Arbeit sei jetzt mit das Wichtigste. Die Studenten, die zur BK neigen, sind ganz verlassen. Von allen Seiten bedroht, verlieren sie auch alle Vergünstigungen, die andere Theologen haben. Kollegiengelder werden ihnen nicht gestundet, sie werden nicht ins Konvikt aufgenommen usw. Ich vergaß noch: Der luth. Rat oder die »intakten« Kirchenregierungen haben Kerrl mitgeteilt, daß sie seine 13. Durchführungsverordnung nicht anerkennen u. deshalb auch nicht in ihren Amtsblättern veröffentlichen könnten.206 Darauf hat Kerrl wieder eine V.O. losgelassen, die bestimmt, daß jede sr. Verordnungen ohne Kommentar im kirchl. Amtsblatt veröffentlicht werden muß.207 Bei der Sitzg. des luth. Rates vorige Woche in München haben sie beschlossen, Kerrl mitzuteilen, daß sie auch das nicht tun können. Es geht gegen die beschworene Verfassung. Die Antwort von Kerrl steht noch aus. Man muß ständig auf alles gefaßt sein. Es ist ja toll, aber man hat sich schon daran gewöhnt, daß Pfr. ohne Anklage, Verhandlg. u. Urteil ins Gefängnis kommen. Jeder

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Vielmehr sei durch Runderlaß des Reichs- und Preußischen Ministers des Innern vom 26. November 1936 über die Bezeichnung der religiösen Bekenntnisse allgemein für jede Weltanschauungsgemeinschaft bestimmt worden, daß ihre Anhänger die Eintragung in amtliche Listen und Register beanspruchen können« (Meldung in: JK 5 [1937], 610). Zur Anerkennung der Ludendorffbewegung vgl. Tgb. 31. März 1937. Vgl. Tgb. 16. Februar 1937. Zum Sachverhalt vgl. Schreiben des Stellvertretenden Gauleiters (Gauleitung Thüringen) der NSDAP an Landesbischof Sasse vom 20. Mai 1937, LKAE, A 868, Bd. III, nicht foliiert; Schreiben von Walter Grundmann vom 4. Juni 1937, LKAE, DC III 2f, nicht foliiert; Schreiben von Fritz Weissenborn an den Führer des SA-Sturms 21/232, Obersturmführer Höhn, vom 5. Juni 1937, LKAE, A 868, Bd. III, nicht foliiert; Schreiben von Hans Hohlwein an Landesbischof Sasse vom 8. Juni 1937, LKAE, A 868, Bd. III, nicht foliiert; Schreiben von cand. theol. Hellmut Vogel an den Landesbischof der Thüringer evangelischen Kirche, LKAE, A 868, Bd. III, nicht foliiert. Die Ablehnung der Verordnung wurde dem Reichskirchenminister nach Absprache mit der Landeskirchenführerkonferenz von dem dienstältesten Bischof Marahrens in einem Schreiben vom 8. April 1937 vorgetragen; vgl. KJ 1933–1944, 170–172. Vgl. Schreiben (nicht: VO!) Kerrls an Marahrens vom 12. April 1937, in dem er seiner Erwartung Ausdruck gab, dass die übliche Verkündung in den Amtsblättern pflichtgemäß erfolgen werde; vgl. KJ 1933–1944, 172.

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Mörder wird ordentlich verurteilt, jeder Sittlichkeitsverbrecher. Der prot. Pfarrer wird ganz einfach eingesperrt. Die Beschlußstelle208 hat ihren – seit 2 Jahren! – ersten Beschluß veröffentlicht. Natürlich gegen die Bekenntniskirche.209 Ein mittelalterliches Verfahren offenbar, bei dem der Angeklagte gar nicht zu Wort kommt, sich auch nicht durch einen Anwalt vertreten lassen kann. Wir wünschten uns die Öffentlichkeit, über die die Katholiken sich beklagen. Aber bei uns spielt sich alles unter der Decke ab. Das Publikum erfährt nicht einmal von all den Erlassen u. Verordnungen, die da losgelassen werden nachmittags. Heute Mittag Betriebsappell wegen »Landhilfe«.210 Vorher Gespräch mit v. R. [Ranke]. Ich sagte, es ginge mir immer noch nach, was O. neulich gesagt hätte. Ich hätte noch nie so etwas Erschütterndes gehört als diese ruhigen Worte. Sie sagte, es sei ihr genau so gegangen u. ebenso Frau Pfeiffer. – Wenn ichs nur annähernd wiedergeben könnte. Dann sagte ich, daß mich fast ähnlich seit vorgestern das Gesicht von Franz verfolgt: so tief verbittert. Daneben das freie, offene u. immer wieder fröhliche Gesicht von Otto. – Es sei mir der Gedanke gekommen, daß die D.C. viel Ärger hätten, von dem wir nichts wüßten, durch Partei u. Staat. Es kann ja auch nicht anders sein, wenn man sieht, wie Ludendorff u. Dinter hochkommen.211 Und – Vögel, die ihr eigenes Nest beschmutzen! Wer achtet die schon! (Wobei mir Leute wie Leutheuser u. Brauer z.B., die alten D.C., immer noch lieber sind als Stüber u. Franz, die Konjunkturritter). Sie sagte, Hohlwein schimpfte wahnsinnig über die Art, wie die Pfarrer von der Partei behandelt würden. Die ehemaligen Kommunisten würden anerkannt u. die Pfr. würden aus der S.A. rausgeschmissen – u. womöglich eines Tages noch aus der Partei. – Wer weiß, ob nicht manchmal Bemerkungen fallen, die die Leute von der B.K. charakterlich anerkennen – trotz aller namenlosen Beschimpfungen.

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Vgl. Tgb. 9. Januar 1937. Vermutlich handelt es sich um den folgenden Fall, über den u.a. auch Die Freie Volkskirche 26 (1937), 341 in ihrer Ausgabe vom 19. Juni 1937 berichtete: »Im ›Reichsanzeiger‹ ist eine Entscheidung der ›Beschlußstelle in Rechtsangelegenheiten der evangelischen Kirche‹ veröffentlicht worden, über einen Rechtsstreit in der evangelischen Gemeinde Fechingen (Saargebiet). Die gegenüberstehenden Parteien sind der Gemeindekirchenausschuß und der vom Bruderrat auf die Pfarrstelle berufene Pfarrer Anton Eißen. Der Beschluß besagt, daß die Einsetzung des Gemeindekirchenausschusses Fechingen rechtsgültig sei und daß der vom Kirchenausschuß eingesetzte Pfarrer Franck rechtmäßiger Pfarrer der Gemeinde Fechingen sei, nicht aber der vom Bruderrat bestellte Pfarrer Anton Eißen.« »Landhilfe« bezeichnet die Tätigkeit von Mädchen im »Landjahr«, ein 1934 eingeführter Dienst auf dem Land für die städtische Volksschuljugend – zur Verständigung zwischen Stadt und Land, aber auch zur weltanschaulichen Festigung: Elternbesuch und Heimaturlaub waren verboten (NSDeutsch, 120). Die Tagebuchschreiberin ging irrtümlicherweise davon aus, dass zu diesem Zeitpunkt die deutschgläubigen Richtungen von Ludendorff und Dinter mindestens in ideologischer Hinsicht Förderung durch die Nationalsozialisten erfuhren bzw. ihrem Sinne agierten. Das war jedoch nicht der Fall.

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Eben lese ich im Stuttgarter NS-Kurier v. 17.6.37 eine gemeine Notiz über das Kollektenverbot.212 Es sieht aus, als hätten die Pfr. Unterschlagungen gemacht, u. es wird mit strafrechtlicher Verfolgung gedroht! Wo bleibt die öffentliche Verhandlung! Freitag, d. 25.6.37. [25. Juni 1937] Heute Mittag gab mir Frau O. [M.] einen Brief von Bauer [G.] zu lesen, der an O. gekommen war. Er ist in Vertretung von Otto in Berlin gewesen – gerufen von der Volksmission. Verschiedene Gremien haben hintereinander getagt; ich habe sie mir nicht merken können. Weitergeschrieben am Sonnabend, 26.6. [26. Juni 1937] Am Mittwoch vorm. seien sie (Reichsbruderrat!) in einer Kirche in der Nähe der St. Hedwigskathedrale gewesen, eingelassen von einem Pfr., der den Schlüssel hatte u. danach wegging. Innen hatten sie auch einen Schlüssel. Sie saßen im Altarraum. Nach 2 Stunden hörten sie ein Geräusch an der Tür u. ahnten, was kommen würde. Etwa 8– 10 Männer in Civil betraten die Kirche, die sie mit einem Dietrich geöffnet hatten, und kamen auf sie zu: Geheimpolizei. Aktentaschen u. Koffer wurden untersucht, nach Ausweisen gefragt, schließlich 8, deren Namen Bauer [G.] nannte, (die Preußen!), verhaftet u. abgeführt. Bauer [G.] hatte keinen Ausweis mit, wurde aber nicht verhaftet. Was aus den Verhafteten wird oder warum sie verhaftet worden sind, weiß man nicht. Busch-Essen u. noch einer, die verhaftet waren, sollen wieder frei sein. Bauer [G.] urteilt über die Gesamtsituation: Allgemeine Ratlosigkeit, sowohl bei den DC wie der Regierung und vorläufigen Kirchenregierung wie Lutherischem Rat. Die »preuß. Brüder« seien übernervös, er hält Wahlen am 27. (übermorgen) nicht für wahrscheinlich. »Berner Tagblatt« (heute gekommen) v. 22.6.37 (Nr. 143) teilt mit, daß eine Kanzelabkündigung der B.K. folgende Zahlen gibt: 26 Pfr. in Haft, 24 aus ihren Pfarrstellen verwiesen, 18 Redeverbot. Das sei mit dem Versprechen freier Kirchenwahlen unvereinbar. »Wir erklären hiermit, daß unsere Brüder nur in Erfüllung ihrer Pflichten handelten und keinerlei Staatsgesetze verletzten.« Die Auslandszeitungen sind voll von diesen Notizen. Bauer [G.] urteilt über die Gesamtsituation: Allgemeine Ratlosigkeit, sowohl bei D.C., R.K.M. wie Regierung u. Vorläuf. Kirchenregierung wie Luth. Rat. Die Preuß. Brüder »seien übernervös«, er hält Wahlen am 27. (Morgen) nicht für wahrscheinlich (Brief vom Donnerstag) u.s.w. (Vielleicht ist es aber ganz gut, daß dieser Schreckschuß mal gekommen ist u. man sich auf eine solche Situation einrichten kann). Gestern Abend sagte mir Klante die Dinter’sche »Volkskirche« ist verboten worden. Ich konnte es nicht glauben, da sie doch vor 8–10 Tagen erst als Weltanschauungsgemeinschaft, ebenso wie Ludendorff, offiziell anerkannt worden ist!213 Heute früh 212 213

Vgl. Tgb. 16. Juni 1937. Vgl. Tgb. 23. Juni 1937. Dinters »Geistkirche« wurde 1937 verboten; vgl. Kurt Nowak, Art. Deutsch-gläubige Bewegungen, TRE 8 (1981), 557; vgl. auch die Meldung in: JK 5 (1937), 610. Damit verlor die Geistkirche auch die Möglichkeit, dass sich ihre Mitglieder in amtliche Listen als Weltanschauung eintragen lassen konnten. Zur Anerkennung der Ludendorffbewegung als Weltanschauungsgemeinschaft vgl. Tgb. 31. März 1937.

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bestätigen es die Kirchenzeitungen! Protestantenblatt meldet gleichzeitig Anerkennung u. Verbot in 2 getrennten Notizen. Das ist ein Beispiel dafür, wie es bei den Stellen, die sich mit diesen Dingen beschäftigen, durcheinander geht. D. Verbot stammt von Himmler. Übrigens sagt Bauer noch: »Obwohl wir ihren (der B.K.) Weg in den letzten 2 Jahren nicht mitgegangen sind, kann uns ihr Schicksal nicht gleichgültig sein«. (Das ist wohl keine Frage, denn die Preußen allein sind es gewesen, die alles herausgehauen haben). Man berät einen gemeinsamen Schritt. O. geht morgen auf Urlaub, predigt heute abend – wie gewöhnlich vor s. Urlaub – noch einmal auf der Wartburg. Der bekannte kleine Freundeskreis will hinterher oben noch ein bißchen zusammenbleiben. Es gibt jetzt Horchapparate, eingebaut in Telephone. Bei einem bekannten Pfr. (in Thür.) war es so: Erst funktionierte der Apparat nicht u. sie riefen die Störungsstelle an. Darauf kam jemand und brachte die Sache in Ordnung. Aber seitdem kann man, wenn man spricht, manchmal die Wahlscheibe durchdrehen. Daran merkt man, daß einer mithört!!! Ist es wirklich möglich, daß im III. Reich soviel Zeit, Mühe u. Geld aufgewendet wird, um protestant. Pfarrer zu überwachen?? Sie sollten lieber auf die eigenen Pg. aufpassen. Dahinter steckt Moskau. Ablenkungsmanöver. Von der Vorl. K.leitung ist nur noch einer nicht verhaftet. – Forkel heißt er, glaube ich.214 Zeitungsausschnitt aus der Gauzeitung v. 26.6.37, Nr. 146 BEKENNTNISPFARRER VERHAFTET. Wegen Aufforderung zum Ungehorsam. Berlin, 26. Juni [1937] Um umlaufenden Gerüchten entgegenzutreten wird amtlich folgendes bekanntgegeben: Der sogenannte Rat der Altpreußischen Union hatte in einer Sitzung des Bruderrates beschlossen, entgegen der Verordnung des Reichs- u. preuß. Ministers des Innern v. 18. Februar 1937 die Pfarrer zur öffentlichen Bekanntgabe von Kirchenaustritten aufzufordern.215 Auf Grund dieser Widersetzung gegen staatliche Anordnungen wurde gegen 4 an der Beschlußfassung Beteiligte, nämlich gegen die Pfarrer Jacobi und Niesel, Assessor Dr. Ehlers und von Armin-Lützlow, sämtlich aus Berlin, Haftbefehl erlassen. Gegen zwei weitere Berliner Geistliche, die am Sonntag, 20. Juni, auf Grund dieses Beschlusses und entgegen dem Verbot Kirchenaustritte bekannt gaben, wurde ebenfalls Haftbefehl erlassen. Ein weiterer Geistlicher entzog sich der Verhaftung durch die Flucht. Sonntag, d. 27.6.37. [27. Juni 1937] Da oben steht, was uns gestern das Herz schwer machte. Am Abend ein Gottesdienst auf d. Wartburg von Otto. Da bekam man wieder Ruhe u. die richtigen Wertungen. Nachher gingen wir noch mit O. zur Sängerwiese u. aßen da zu Abend. Heute Mittag ist er abgefahren. Gott sei Dank. Wir alle hatten das Gefühl, wenn er nur erst weg wäre,

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Gemeint ist Bernhard-Heinrich Forck. Runderlass des Reichsinnenministers betr. Kirchenaustritte vom 18. Februar 1937, in: Dokumente zur Kirchenpolitik IV, 6–7.

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daß sie ihn nicht noch einsperren. Er hatte Urlaub so nötig – angina pectoris. Heute nachm. bei Frau O. [M.]: Sie schilderte mir den gestrigen Tag. Otto hatte gestern noch 2 Trauungen. In die Sakristei platzt Mitzenheim: Bauer [G.] hat angerufen – es muß sofort Jemand nach Gotha kommen, um was abzuholen. Frl. Koeppen fährt. Niemand ahnt, was los ist. Danach geht O. zum Bahnhof, um sich sein Billett zu besorgen. Ruft vorher Bauer [G.] an, ob er fahren kann. Der glaubt: Ja. Frl. Koeppen kommt. Es handelt sich um eine Kanzelabkündigg. des luth. Rates aus Anlaß der neuesten Verhaftungen, 43 Namen – darunter eine Frau!216 Nicht nur die 6, die der amtliche Bericht nennt! Also so wirds gemacht. Das ist die offizielle Berichterstattung. Sie nennen die 6, die mit »Widerstand gegen die Staatsgewalt« oder was sonst belastet sind u. verschweigen alles andere, was den Staat belasten würde. Das Schwerste an der ganze Sache ist, daß nach unseren – lutherischen – Auffassungen die verhafteten Bekenntnispfr. im Unrecht sind. Für uns lutherische ist alles unwesentlich, was nicht mit der Evangeliumsverkündigg. zusammenhängt.217 Die preuß. Union ist ja aber nun einmal stark calvinistisch – und für die Reformierten ist eben das Kirchenrecht unantastbar u. gehört zum Heiligen. O. erklärte es uns gestern. Auch diese lutherische Stellung hat in der Konsequenz ihre Schwächen, denn die ganze luth. Kirche hat – als Organisation – dadurch keinen festen Boden. Georg Schulz geht soweit, zu behaupten, es sei überhpt. keine »Kirche« nötig, sondern nur »Evangel. Bewegung«, und nähert sich darin dem D.C.-Standpunkt.218 Für die augenblickliche praktische Lage gibt es ja – das sind meine eigenen Überlegungen – sonst noch Anhaltspunkte: Das gegebene Wort des Führers. Das ist für mich das Bollwerk, das m.E. kein Nationalsozialist antasten dürfte. Aber ich verliere mich wieder einmal. Wenn man mich nach diesen Verhaftungen fragt, werde ich ungefähr sagen: »Wir müssen zugestehen, daß auch nach uns. Überzeugg. die 6 verhafteten Pfr. Unrecht haben. Sie selbst handeln ihrer Überzeugg., ihrem Bekenntnis entsprechend. – Wir anderen wollen aber mit diesen Zugeständnis nicht etwa von ihnen abrücken! Wir gehören zu ihnen und tragen mit, was ihnen auferlegt ist. Meiner Meinung nach hat aber auch der Staat Unrecht mit der Verordnung, die die Bekanntmachg. der Namen der aus der Kirche ausgetretenen verbietet. Der Staat ist nicht dazu da, um Feiglinge zu beschützen, die nicht einstehen wollen, für das, was sie

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Schreiben des Rates der evangelisch-lutherischen Kirche Deutschlands an die mit dem Rat der ev.-lutherischen Kirche Deutschlands verbundenen und befreundeten Stellen vom 25. Juni 1937 mit den Anlagen »An unsere Gemeinden« und »Liste der Verhafteten (Stand vom 24.VI.1937)« [43 Namen], LKAE, LBG 74, 23. Auf der Liste sind fünf Frauen verzeichnet! Die Tagebuchschreiberin spielt hier auf die Vorstellung Luthers von den zwei Reichen an. Politische Aktivitäten von Pfarrern, die gegen die Obrigkeit gerichtet sind und u.a. zu Verhaftungen führen, haben demnach mit dem Evangelium nichts zu tun und erzwingen nicht die Solidarität der Gläubigen, sondern sind gleichsam Privatangelegenheit einzelner Menschen oder Gruppen und vor den Ansprüchen des Staates individuell zu verantworten. Das gilt wohl nur formal und nur in Bezug auf die KDC, insofern ihre Intention darin bestand, die Kirche ihrer organisatorischen Selbständigkeit zu entheben und als geistige Kraft in die nationalsozialistische Bewegung ideologisch einzuschmelzen.

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tun. Das bedeutet eine einseitige Stellungnahme des Staates – u. eine reine Schikane für die ev. Kirche! u.s.w. Ich fragte O., ob es wohl stimme, daß einer der Pfr. die Flucht ergriffen hätte. Er sagte: Ja, aber natürl. nicht aus Feigheit. Es sei – ausgerechnet Asmussen, der kühnste neben Niemöller, der ja schon oft gefangen war. Wahrscheinlich habe er irgendeine Arbeit vollenden müssen oder habe den anderen raten u. helfen sollen. Statt seiner hat man seine Frau verhaftet! Wahrscheinlich, damit er zurückkommt! (Was würden unsere Zeitungen wohl schreiben, wenn z.B. die Tschechoslowakei so etwas machte!) Na also, dies alles erfuhr O. dann wohl zunächst von Frl. Koeppen, die den Eindruck gehabt hatte, daß man in Gotha sehr nervös gewesen sei. Man hatte alle Vertrauensleute zusammengerufen. An diesem Sonnabend also die Pfarrer noch herumgejagt u. die Kanzelabkündigg. in die Gemeinden gelangen lassen. Nach Ottos Rat ist die Bekanntgabe nicht beschlossen sondern jedem Pfr. Freiheit darin gelassen worden. O. las in seiner Predigt in der Wartburgkapelle ein Stück daraus vor – es war ungeheuer eindrucksvoll. Er ließ die 43 Namen fort. Es lag ihm daran, den Eindruck einer Demonstration zu vermeiden. Die ganze Predigt, auch die Texte, kamen aus der augenblicklichen Kirchenlage. Die Kapelle war überfüllt. (Breithaupt hatte gesagt, er hätte 500 Eintrittskarten loswerden können, wenn er sie gehabt hätte). Es waren einige Fremde darin u. uns alle freute es, daß ein paar junge Menschen im Wanderkleid, ein ganz junges Ehepaar u. ein reizendes, blondes B.D.M.-Mädel, die Wandertasche umgehängt, nachher noch zum Abendmahl blieben, was aus einem besonderen Grund ausnahmsweise da oben gehalten wurde. (35 nahmen teil). Wenn die jungen Menschen wüßten, was ihr Anblick uns bedeutet! Und nachher im Burggarten der herrliche Blick über die Wälder! Heute nachm. Besuch beim alten Landesbischof Reichardt zum Tee u. Zusammentreffen dort mit R. v. R. [ Ranke]! Seltsamer Eindruck: Reichardt u. Zus.treffen mit Frl. v. Ranke dort beim Tee. Seltsamer Eindruck: Reichardt las uns aus seinen Erinnerungen vor, an denen er jetzt (für die Familie) schreibt. Es war fast schauerlich, wie nichtssagend das alles war, was er für wichtig hielt. »Sehr interessant« der Besuch des Kaisers in Altenburg 1909. 4 Wochen vorher: »Serenissimus teilte mir – »im tiefsten Vertrauen« – mit, daß S. M. u. die Kaiserin nach den Manövern in Bayern in Altenbg. Gegenbesuch machen würden …« Das einzig wirkl. Wichtige vielleicht: Der Herzog hatte einen »Festgottesdienst« u. besond. Text zu Ehren des Kaisers verlangt u. Reichardt hat sich mit Erfolg geweigert. Es könne keinen Festgottesdienst zu Ehren des Kaisers geben. Es gäbe nur Gemeindegottesdienste u. der Kaiser nähme eben daran teil. Predigt über den vorgeschriebenen Text. Man denke, wenn Hitler zu den D.C. in einen Gottesdienst käme!!! Sie würden sich überschlagen. Für Ottos hatte der gestrige Tag noch mit dem Tanzstundenball von Ursel [Otto] geendet, zu dem auch O. noch 1 Stunde gekommen war. Es sei ihnen allerdings etwas schwer geworden, ihre Gedanken darauf zu richten. Und heute früh bei der Abreise habe Otto noch in der Unterführung gesagt: »Noch bin ich nicht fort!« Und dann, als der Zug abgegangen sei: »Ach, das Gesicht hätte man knipsen müssen!«

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Wenn sie ihn jetzt noch verhaften wollen, wird der Arzt wohl auch noch ein Wort mitsprechen. Es ist wohl so, wie Otto immer sagt: »Die anderen ahnen ja nicht, wie das belastet, den Schimpf u. die Schande tragen zu müssen, die Verleumdung, sich Hochverräter nennen lassen zu müssen, wo man sein Vaterland liebt – heiß – u. auch diesem Staat dienen möchte mit allem, was man hat, wenn man nur dürfte!« Vom 1.–5.7. sind Bauderts hier, um Abschied zu nehmen, bevor sie nach Surinam gehen! Und Thomas ist jetzt auch der ev. Deutsche Pfr. für das nationale Spanien u. Portugal mit – was für Schicksale dieser Menschen, die ich kenne. Übrigens: Zum Bericht Bauer aus der gestörten Sitzung des Reichsbruderrates in der Berliner Kirche: Der Kriminalbeamte findet in den Aktentaschen die für die – vermutete – Wahl am 27. vorgesehene Kanzelabkündigung, (in der der Gemeinde übrigens Wahlenthaltung vorgeschlagen worden war) u. sagt nach dem Durchlesen zu der Wahlnachricht: »Wer bloß den Quatsch in die Welt gesetzt hat.« Nur leider wäre dieser Quatsch nicht der erste gewesen, der in die Tat umgesetzt worden ist im Laufe des Kirchenkampfes. Vielleicht ist das Verbot der Bekanntgabe von Kirchenaustritten von Herrn Muhs entworfen worden, damit man nicht mehr von seinem eigenen widerrufenen Kirchenaustritt spricht?219 Nachgerade hält man das Unmöglichste für möglich. Bezeichnend, u. eine Paralelle zu den Veröffentlichungen über die Dinter-Bewegung erschienen mir 2 offizielle Bekanntmachungen in den letzten 14 Tagen über die Frage der »Erdstrahlen«. Zuerst wurde dekretiert, das alles sei so ungefähr Mumpitz, sämtliche sogenannte Beweise hätten nicht Stich gehalten. Und vor 2 oder 3 Tagen die kategorische Erklärung, die Frage der Erdstrahlen sei nichts weniger als abgeschlossen, weitere Prüfung nötig pp. – Vielleicht regierte da einer gegen den anderen? Und bei den Pfarrern: Einer läßt sie verhaften u. der andere läßt sie wieder los? – Das alles überlegen wir uns u. dann sagen wir uns, daß wir nichts ändern sondern bloß beten können u. unsere Pflicht tun. Manchmal ängstigt mich die Frage dieses Tagebuches. O. hält für möglich, daß auch einmal bei mir Haussuchungen stattfinden. Unter den am Mittwoch Verhafteten sind übrigens auch Rendtorff, v. Rabenau, Müller-Dahlem, Beckmann u.s.w. Dienstag, d. 29.6.37. [29. Juni 1937] Seltsame Mitteilung hier aus dem Haus, aber die Quelle nicht zu bezweifeln – ich bin gewissermaßen Augenzeuge: Es mußte eine Telephonverbindung mit Prof. Sasse [H.], Erlangen, dem Erzlutheraner, jetzt Herausgeber der luth. Kirche, hergestellt werden. Die Tatsache ist gar nicht zu bezweifeln. Vielleicht denken unsere D.C., daß sie mit Sasse eine Verbindung anknüpfen können, weil er die letzten Hallenser Beschlüsse der preuß. Bekenntnissyn. leidenschaftlich

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Vgl. Runderlass des Reichsinnenministers betr. Kirchenaustritte vom 18. Februar 1937, in: Dokumente zur Kirchenpolitik IV, 6–7.

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öffentl. bekämpft? (Sasse ist der, der bei der berühmten Barmer Erklärung220 s.Zt. als Einziger nicht mitmachte, aber nur aus einem ganz orthodoxen Luthertum heraus). Unsere D.C. haben doch nie eine Ahnung von Menschen und Beweggründen. Aber SasseErlangen gönne ich die Blamage. Gestern früh Mitteilung: Mitzenheim u. Brakhage haben am Sonntag in d. Kirche gleichfalls die Abkündigung des luth. Rates verlesen, aber auch die Namen nicht genannt. Man merkte noch aus dem Bericht die sensationelle Wirkung. Heute u. gestern englische u. französische Presseausschnitte. »Times« teilt schon am Donnerstag die von Bauer [G.]-Gotha geschilderten Verhaftungen im Reichsbruderrat (Mittwoch) mit. London hat diese Nachricht also früher gedruckt, als selbst Otto sie von Bauer [G.] (schriftlich mit Vorsichtsmaßregeln) erfahren hatte. Am Freitag Abend haben die hies. Zeitungen übrigens wieder einmal so entsetzliche Einzelheiten aus einem der kathol. Sittlichkeitsprozesse wiedergegeben (Unzucht mit Tieren!), daß am Sonnabend früh 2 Familienväter in meinem Büro erschienen (Btz. u. St.), um ihre schweren Bedenken über diese Pressemethoden einmal auszusprechen. Hier im Haus sonst nichts von Bedeutung. Stüber ist in Urlaub gereist. Volk wartet immer noch auf seine Devisen – wahrscheinlich vergebens. Ich finde, er braucht auch keine. Mittwoch, d. 30.6.37. [30. Juni 1937] Im »V.B.« [Völkischer Beobachter] v. 30.6. Nord. Ausg. A. (181) steht ein Bericht: Danziger Bekenntnispfr. zu Gefängnis verurteilt »wegen Vergehens gegen die ordentl. Gesetze«. Er hat ein gedrucktes Flugbl. an 100 Pfr. verschickt u. von den Kanzeln verlesen lassen entgegen einer V.O. des Polizeipräs., »die kirchenpolit. Auseinandersetzungen im Interesse der inneren Befriedung untersagt«. (Ob auch den D.C.?) 3 Monate Gefängnis u. 1800 M Geldstrafe. Das wird so eine ähnliche Verfügung sein, wie Otto gehabt hat – vollkommene Abschnürung, Unmöglichmachung jeder Mitteilung. Viell. könnte man darüber streiten, ob mit d. gedruckten Flugbatt die Verfügung wirkl. umgangen ist. »Tendenziöse Berichterstattung über die Lage im Reich« (natürl. die kirchl. Lage) wirft man ihm vor. Was ist »tendenziös«? Es wird wahrheitsgemäße Berichterstattung gewesen sein. Gestern Abd. bei Frl. K. Die Liste der Verhafteten hat 42 Namen, da ist v. Rabenau noch nicht dabei. 4 Frauen darunter, eine ist seit 2.2.37 inhaftiert, eine Fürsorgerin Laue. Eine andere ist ein Frl. v. Grot aus Königsberg. Natürl. sind die meisten der Verhafteten Pfarrer. Aber auch ein Lehrer ist darunter, 3 Bauern, ein Rechtsanwalt, ein Kaufmann u.s.w. Das ist die tendenziöse Berichterstattung der Presse: Sie gibt bekannt, daß sie 5 Leute verhaftet hat, einer sei geflohen … Ich las in der »Dtsch. Allgemeinen …« einen langen Pressebericht über die Vernehmung u. Verurteilung des Bischofs v. Speyer u. darin, mit Schlagzeilen hervorgehoben (nicht wörtl.) »Du mußt die Wahrheit sagen, aber du brauchst nicht alles zu sagen.« Das war als jesuitisch gebrandmarkt. Was für ein Jesuitismus gehört dazu, sich so zu 220

G. Niemöller, Die erste Bekenntnissynode I, bes. 170–176 (»Die Kritik von Hermann Sasse«). Sasse hatte in der Nacht vor der entscheidenden Abstimmung über die Theologische Erklärung die Synode verlassen, ebd. 84f.

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entrüsten u. es selber so zu machen. Und der anständige Zeitgenosse steht dabei, sieht das u. ist hilflos. Vielleicht ist es schon das Beste, wenn sie protestantische Pfr. dutzendweise einsperren. Das muß ihnen ja schließlich selbst einmal peinlich werden u. sie nehmen sich dann wenigstens mit ihrer Verordnungspraxis etwas mehr in acht. Es ist ja einfach uferlos, wie drauflos verordnet wird. – Schlimm nur, daß die Gemeinde das nicht durchschaut u. nicht durchschauen kann. Übrigens: Der Danziger Pfr. wird zu 3 Mon. verurteilt u. die Fürsorgerin Laue sitzt schon seit 2.2. ohne Urteil. Donnerstag, d. 1.7.37. [1. Juli 1937] Es war allerhand los heute. Zuerst Presseausschnitte. »Times« berichtet über die Verhaftungen u. über eine Predigt v. Niemöller am 27., bei der man sagt: »Gott sei Dank.« Also Asmussen ist nicht geflohen, sond. nicht dagewesen!221 Es läge weder ein Haftbefehl gegen ihn vor noch eine gerichtl. Vorladung. Falls eins von beiden käme, würde er sich natürl. sofort stellen – hat Niemöller selbst dem Justizminister gesagt. Das war die Hauptsache. – Sonst noch allerhand. Aber das war nichts gegen die Sensation gegen Mittag. In der kleinen Halle unten raunt mir St. zu: »Eben ist Hoßfeld gekommen, sitzt in der Zentrale u. hat Frl. S. erzählt, es wären 2 neue Verordnungen von Kerrl da; es würden überall Finanzabteilungen eingerichtet u. alle Wahlkundgebungen wären verboten.« Gleich darauf kam ( )a mit derselben Nachricht. Mittags erschienen die Verordnungen schon in der Zeitung. Das ist wohl die Regelung, die Ludwig am 23. prophezeite: »Es kommt etwas ganz Endgültiges …« Für Preußen ist diese Regelung ja nicht neu. In Thüringen haben wir seit 2 Jahren Finanzkontrolle für die D.C. heiß ersehnt – aber dies ist doch wohl etwas anderes. Die Finanzabteilungen222 sind selbständig u. haben die Kirchen absolut in der Hand. Sie sind eigentlich die Kirche. Eine tolle Regelung. Und dann das Verbot, Wahlversammlungen – bis der Termin der Wahl bekannt gegeben wird – in den Kirchen abzuhalten!223 Die anderen Lokale haben sie doch verboten. – Und dann: Muß jedes Gesetz mit einer Begründung veröffentlicht werden, die die Kirchen verdächtigt u. an die Ehre geht?? – Es hat ja gar keinen Sinn mehr, über das alles noch Worte zu verlieren – das ist ja die Absicht. Sie lassen offenbar irgendwelche Ludendorff-Anhänger oder ehemal. Freidenker sich in solchen Äußerungen anonym austoben. Ich weiß noch nichts Näheres.

221 a 222

223

Vgl. Tgb. 26. Juni 1937. Strichzeichnung Männerkopf, steht für Friedrich Bernewitz, vgl. Übersicht Strichzeichnungen. Fünfzehnte Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Sicherung der Deutschen Evangelischen Kirche vom 25. Juli 1937: »§ 1. (1) Der Reichsminister für die kirchlichen Angelegenheiten bildet bei der Deutschen Evangelischen Kirchenkanzlei und bei den Verwaltungsbehörden der Deutschen evangelischen Landeskirchen je eine Finanzabteilung« (Dokumente zur Kirchenpolitik VI, 86). Sechzehnte Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Sicherung der Deutschen Evangelischen Kirche vom 25. Juli 1937: »§ 1. (1) Die Benutzung von Kirchen zu Wahlzwecken ist verboten« (Dokumente zur Kirchenpolitik VI, 889).

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Franz hat am Telephon (von zu Hause aus) angefragt, ob »etwas aus Berlin da sei«. Antwort: Nein. – Auch dann sollten die von uns vorbereiteten Gesetze heute hinausgehen. Etwas später: »D. Eid auf den Führer solle noch zurückgehalten werden.« Ein Jurist bestätigt mir, daß wir »seit heute« hier in Thür. auch den Finanzausschuß haben.224 Die Persönlichkeiten seien noch nicht bekannt. Sie wüßten noch nicht, ob sie nun zur Ruhe gesetzt würden … Er schien sehr begeistert von dieser Regelung. »Wirklich sehr fein«, sagte er. Abends Ausspruch von Spt: »Volk hat eine Stinklaune« … Es ist die vollkommene Rechtlosmachung der Kirche. Was wird aus uns? Die Schweizer Blätter melden als Grund der neuen Verfolgungswelle die wachsende Einsicht, daß die D.C. nicht die Stimmenmehrheit bekommen würden. In einzelnen Teilen Deutschlands würde geschätzt etwa 20% der Gesamtstimmen. Das hat die Regierung davon, daß sie den Reichsbischof u. seinen Jäger toben ließ u. auf keine Warnung hörte. Der ganze Krach brauchte nicht zu sein. Mit Ruhe u. Gerechtigkeit hätten sie alles erreicht. Aber es war wohl von bestimmten Kreisen – nicht vom Führer – von Anfang an Vernichtung der Kirchen geplant. Man könnte Namen nennen. In Tübingen soll das Gerücht verbreitet sein, die Wahl käme nächsten Sonntag. Das ist wohl nur eine Nachwirkung der Gerüchte von voriger Woche. Freitag, d. 2.7., 8 Uhr. [2. Juli 1937] Der Tag fängt gut an. Niemöller ist verhaftet. Soeben erfahren aus der Quelle Reichardt [E.]-Spigaht. Es soll am Rundfunk gesagt worden sein.225 Gestern hatten die Schweizer Zeitungen (Berner Tagebl. v. 28.6.) noch die Bemerkung gebracht, Niemöller selbst hätte schon gelegentl. ausgesprochen, es sei merkwürdig, daß er noch nicht verhaftet sei. – Nun ist wenigstens alles klar u. deutlich. Ausspruch von Volk gestern, angeblich hätte es ihm so ein Berliner D.C. gesagt: »Die B.K. sind ja so unglaublich töricht gewesen. Wenn sie bloß diesen Staat anerkannt hätten! Noch vor 3 Jahren hätten sie alles in der Hand gehabt.« Und die B.K. hat im August 1934 den Eid auf den Führer selbst angeboten! Auch Karl Barth hat ihn angeboten! Im Januar 1934 haben Marahrens, Wurm u. Meiser ihre eigenen Leute der Wut des Reichsbischofs preisgegeben u. sich vorbehaltlos hinter den Reichsbischof – dem Führer zuliebe – gestellt. Weil Hitler gebeten hatte. Natürl. war das eine Garantie. Und dann fiel dem Reichsb. niemand in den Arm, als er schlimmer wütete als vorher. Garnicht zu reden davon, daß die Lutherischen Bischöfe selbst den Reichsbischof gewählt haben u. damit doch den nat.soz. Staat bejaht haben, wie man das damals auffaßte. Garnicht zu reden von allen Versicherungen von allen Kanzeln herab, die doch sicher in allen Unterredungen mit den führenden Leuten, in allen Schriftsätzen wiederkehrten – reden wir nicht davon! 224 225

Diese Meldung ist unzutreffend: Es hat in der TheK nie einem Finanzausschuss gegeben. Niemöller wurde am 1. Juli 1937 verhaftet; vgl. Schmidt, Martin Niemöller,432.

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Und inzwischen kommen immer wieder die D.C. u. forderten als Nationalsozialisten, daß sie ans Kirchenregiment kämen. Sie sinds, die alles Vertrauen auch der Regierung zu solchen Versicherungen der B.K. zerstört haben, weil sie um ihre ehrgeizigen Pläne fürchteten. Schluß davon. Man muß dasitzen u. schweigen. Das ist sehr schwer. Und dann sitzt einem ein gutwilliger Mensch gegenüber u. sagt mit hilflosem Gesichtsausdruck: »Ach ja, ich vergesse das alles immer wieder. Mir fällt sowas nie ein. Wenn Sie doch mit Volk sprechen könnten.« Habe ich ja 100 mal getan vor Jahren. Die Herren haben ja Angst, einmal etwas zuzugeben. Diese Angst vor der eigenen Charakterlosigkeit! Und wenn man bedenkt, daß es dem vom Staat eingesetzten Kirchenausschuß in 5/4 Jahren nicht gelungen ist, ein einziges Mal vom Führer empfangen zu werden! »Niemöller soll verhaftet werden« – hat der D.C. aus Berlin gestern noch gesagt. »Man kann ihn aber nie fassen.« Dummes Zeug. Den hat man immer fassen können. Man hat es nicht gewagt. Nun ist man dazu gezwungen. Aber nun muß auch Klarheit geschaffen werden. Warum hat man ihn nicht förmlich verklagt? Ich hörte gestern auf dem Gang unten ein Gespräch, das um die Ecke herum geführt wurde u. aus dem hervorging, daß Franz am Telephon bei der einfachen Anforderung einer Hilfskraft einen unglaublichen rüden Kommandoton angeschlagen hat. Ohne zu grüßen, ohne s. Namen zu nennen. (Ich denke an sein Gesicht neulich das mich verfolgte). Ob Otto in Baden-Baden bleiben kann? Jedenfalls ist er nach dieser Nachricht ja in telephonischer u. schriftlicher Verbindung mit den anderen. – Oder vielleicht ist auch vorher besprochen worden, was in einer Lage, wie wir sie jetzt haben, geschehen soll. 9 Uhr. In der Stadt läuten die Glocken. Man ist geneigt, alles in Zusammenhang zu bringen mit den kirchenpolit. Ereignissen. Bittgottesdienst? – Oder Feiern der D.C. weil nun alle Macht in der Kirche in die Hände des Staates gelegt ist? 10 Uhr. Von Freunden wird die Nachricht über Niemöller bestätigt. Es sei gesagt worden, der »Bekenntnispfr.« Niemöller sei verhaftet worden, weil er sich im Gottesdienst gegen die Gesetze des Staates vegangen u. den ausländischen Zeitungen damit Stoff geliefert habe u.s.w. Ja – warum weist der Staat dann nicht die ausländischen Korrespondenten aus? Ich glaube, der Kirchenkampf beginnt erst. Der auswärtige Gast hat Dr. Volk auch gesagt, er würde schon deshalb keine Devisen bekommen, weil er Kirchenrat sei. Pfarrer u. Kirchenräte bekämen keine Devisen. Dabei soll man arbeiten! Es ist ja auch alles Quatsch, was ich schreibe – u. hat schließlich nur den Wert, Verzweiflung zu dokumentieren. Wenn man sich doch mit ganzem Herzen hinter Niemöller stellen könnte! ½11. Es läutet wieder.

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11½. Neue Zeitschriften. »Evangelium im III. Reich« (Nr. 27) bringt einen Artikel aus dem hervorgeht, daß der Bund für dtsch. Chr.tum im Begriff ist zu zerplatzen.226 Weidemann-Bremen, der ja bei dem neuen Zusammenschluß nicht dabei ist,227 desavouiert den Gruppenleiter der »Kommenden Kirche« in Hamburg, der sich den Thüringern angeschlossen hat! u.s.w. Sonnabend, d. 3.7. [3. Juli 1937] Beim Glockenläuten handelte es sich um einem Festgottesdienst aus Anlaß des 100jährigen Bestehens der Zigarrenfabrik Bruhns [Bruns]! Auf dem Markt ein Wald von Reichsfahnen, die ganze Stadt geflaggt wie im Krieg bei einer Siegesnachricht. – (Die Jüngeren können solche Vergleiche nicht machen). Die Reichsfahne ist doch kein Freudenwimpel! Die Nachricht von d. Verhaftung Niemöllers – auf richterlichen Haftbefehl – geht in der niederträchtigsten Fassung durch die ganze Presse. Haftbefehl wird betont. Vielleicht war dies das Hindernis für eine Verhaftung, daß sich kein Richter fand, der den nötigen Anstoß nahm? Soviel steht fest, daß unsere Machthaber heute noch nicht viel mehr wissen als wir. Sie hoffen, daß Tegetmeyer Vorsitzender des Fin.ausschusses wird, wissen aber noch nichts. Volk hat stürmisch eine Sitzung wegen der neuen Verordnungen verlangt, worauf Franz dieselbe Antwort gegeben hat, wie ich (als von d. Sitzg. gesprochen wurde): »Warum denn? Es steht ja alles in d. Verordnung.« (Franz u. Sasse aus Berlin zurück). Ich las ein aus Schleiz eingegangenes Schreiben vom 25.6., unterzeichnet Unger, worin [über] eine von Otto gehaltene Wahlrede in Schleiz (am 18.6.) lebhafte Beschwerde geführt wird.228 »Die Gemeinde ist in großer Verwirrung…« »Die sehr geschickte Werbung« … u.s.w. Hinterher hat Otto zur Einzeichnung in Listen als Mitglieder der B.K. aufgefordert u. der Erfolg scheint fabelhaft gewesen zu sein. Es wird dringend gefordert, daß der L.K.R. dazu eine Art Flugblatt oder sowas drucken lassen sollte, das in jedes Haus kommen soll. Im Haus soll alles ganz still sein u. niemand von der Verhaftung Niemöllers reden. Ich habe aber das Gefühl, daß auch diejenigen, die zur B.K. neigen, kleinlaut sind. Als der L.K.R. sich gegen den doch auch vom Staat eingesetzten K.Ausschuß auflehnte, war das kein Widerstand gegen die Staatsgewalt. Wie haben sie intrigiert u. gehetzt. – Unten am V.D. hängt immer noch das Schild: »Pressestelle der Th. ev. Kirche«, obwohl seit Wochen oder Monaten verboten ist, daß irgendwelche Stellen außerhalb der Partei sich »Pressestelle« nennen (auch mit Zusatz verboten). Ebenso ist es mit dem Wort »Schulungsleiter«.229 226

227 228 229

Bund für deutsches Christentum oder Nationalkirchliche Bewegung?, Evangelium im Dritten Reich 27 (1937) vom 4. Juli 1937, nicht paginiert. Es geht in dem Artikel allerdings nicht um die Zukunft des BfDC, sondern um die Weidemanns. Die Überschrift ist insofern irreführend. Vgl. Tgb. 15. Juni 1937. Schreiben von Oberstudiendirektor Unger an Landesbischof Sasse von 25. Juni 1937, LKAE, A 783, Bd. V, 167–168. Die Tagebuchschreiberin bezieht sich hier offenbar auf den Erlaß Kerrls vom 3. Juni 1937, in dem es heißt: »Ich habe wiederholt festgestellt, daß kirchliche Vereine und Gruppen Bezeichnungen eingeführt haben, die in der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei, ihren Gliederungen

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Aus d. Kasse höre ich, daß es mit den Finanzen wieder brenzlich steht. Wir »schaukeln« mal wieder. Das soll eine unglaublich verzwickte Angelegenheit sein, die nur Tegetmeyer beherrscht. Frl. Kleinsteuber hat sich geäußert, die Finanzämter wären nötig gewesen, »weil die B.K. so unglaublich gewirtschaftet« hätte. (Daß die Finanzkontrolle in Preußen einsetzte, weil der Reichsbischof mit den Geldern um sich schmiss wie die übrigen D.C. im Land (Westfalen, Bischof Adler!), weiß sie nicht oder sagt sie nicht. Das muß man alles hinnehmen. Volk hat gesagt: »Es ist ja bekannt, daß die B.K. Gelder bekommen hat, man weiß nur nicht von wem. Vielleicht aus der Industrie.« Den Zweifel an der Richtigkeit dieser Behauptung hat er ärgerlich abgewehrt. Frau O. [M.] sagte mir, Niemöller hätte zuletzt Kollekten von 1500 M gehabt!! Bauderts sind morgen hier um Abschied zu nehmen, bevor sie nach Surinam gehen. Montag, d. 5. Juli. [5. Juli 1937] Gestern eindrucksvoller Abend im Möttlinger Kreis230 mit Baudert. Er sprach sehr gut, sehr vereinfacht gegen früher. Die Terminologie etwas pietistisch. Ausgezeichneter kurzer Überblick über die Weltlage … »Die Völker gruppieren sich weltanschaulich … Moskau bildet Neger aus u. schickt sie in den Urwald … es gibt im Kampf für d. Christentum keine Etappe … ein Sieg hier kann sich in Südamerika auswirken u. umgekehrt …« Menschlich der Anblick dieser Missionarsfamilie unvergeßlich. Sie waren fröhlich u. schlicht u. machten nicht viel Worte von ihrem Entschluß. Eltern u. Kinder fühlbar innerlich eine Einheit. Darin sind diese Pfarrerfamilien »gesegnet«. Es geht Sauberkeit u. Frische von ihnen aus, wie bei Ottos. (Und sowas wird besudelt von »deutschen« Zeitungsschreibern). Heute früh las ich Nr. 16 der »Bundesmitteilungen« des »Bundes f. d. Christentum« (Verantwortlich Landessup. Propp, Berlin-Zehlendorf). Ich zitterte, als ich es gelesen hatte. Es war teuflisch. Giftiger, lebensgefährlicher Haß, Verleumdung, Hohn – es ist nicht zu schildern. Ich stehe noch unter dem Eindruck. Unter den vielen Artikeln u. sonstigen Schriftstücken, die ich im Laufe der 4 Jahre Kirchenkampf in die Hand bekam, war nichts so Giftiges. Und das schreiben Pfarrer. Zitiert war ein Artikel aus dem »Schw. Korps« Nr. 24 v. 17.6., die einen angebl. aufgefangenen Brief eines Bek.vikars aus Berlin bringt, der bestimmt eine Fälschung ist. Psychologisch ist es ja ganz unwahrscheinlich, daß ein bewußter Heuchler u. Lügner, der um jeden Preis bei der Partei einen guten Eindruck machen will, Bekenntnispfr. sein soll! Damit macht man sich nicht lieb Kind. Aber es gibt Leute, die sowas glauben. Und die Masse.

230

und Verbänden üblich sind. Die Führung solcher Bezeichnungen durch andere Personen als die Amtsträger der Partei und ihrer Gliederungen ist verboten. Ich mache die kirchlichen Behörden auf das Gesetz zum Schutz von Bezeichnungen der Nationalsozialistischen Arbeiterpartei vom 7. April 1937 – RGBl I, S. 442 – aufmerksam und ersuche, das genannte Gesetz in den kirchlichen Amtsblättern den nachgeordneten kirchlichen Stellen bekannt zu geben« (Dokumente zur Kirchenpolitik IV, 78). Ob die inkriminierten Begriffe unter diese Regelung fielen, mag jedenfalls im Falle »Pressestelle« bezweifelt werden. Allerdings ist der Erlass weit genug gefasst, um auch diese Begriffe speziell für die NSDAP zu reklamieren. Zum Möttlinger Kreis vgl. Tgb. 12. Oktober 1934.

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»Es bleibt immer etwas hängen …« Nachdenklich macht nur die Wut dieses Hasses. Man sollte glauben, daß ungefährliche u. endgültig erledigte Leute nicht so gehaßt werden können. Ich habe mir vorgenommen, keine Ergüsse mehr niederzuschreiben, sondern nur noch Notizen. Aber die Dinge reißen so an den Nerven … Bericht über Sasse: Er steht bei Volk im Zimmer, Phieler ist dabei. S. brüllt fürchterlich. Man hört »… Niemöller …« Und dann haut er auf den Tisch u. wiederholt 3 mal: »Und die Bekenntnisfront wird nicht wählen! Sie wird nicht wählen! Sie wird nicht wählen!« Die »Bundesmitteilungen« [BfDC] teilten u.a. Eventualbeschlüsse des preuß. Bruderrates X zur Wahl, wie sie, dem Gerücht zufolge, am 27.6. geplant war, mit: Die Bekenntnisgemeinschaften sollten nicht wählen (»Da die Wahl in der vorgeschlagenen Weise nicht den Weisungen des Führers entspricht …«) (nicht wörtlich, nur dem Sinne nach), aber einen entspr. förml. Beschluß fassen in einem Gottesdienst am Wahlsonntag, 8 Uhr früh. Eine tröstliche Tatsache wurde mir zugeflüstert: »Gläubige« Menschen sitzen bis in die höchsten Stellen hinauf …« (Nachricht aus Berlin). Aber die Presse der Partei! Die Propaganda! 6 Uhr Abends. Franz hat von seinem Weggang von hier plötzlich gesprochen, sich aber nicht näher geäußert. Im Haus sind Gerüchte verbreitet, er käme nach Berlin.231 Ein Schriftstück ist hinausgegangen, in dem zu einer künftigen Gaueinteilung der Kirchen Vorschläge gemacht werden. (Oder ist es schon konkreter? War nicht festzustellen). Osswald soll sich als Vertreter von Tegetmeyer einarbeiten. Volk hat geäußert: »Na, wenn einer nach Berlin kommt, dann könnte es doch nur Tegetmeyer sein; denn er ist ja der Einzige, der die Finanzfragen völlig beherrscht …« (so ähnlich). Freiheit der Kirche. Man will das »Verordnungswerk« auf andere Weise durchsetzen. Hatte Niemöller doch recht mit seiner Nachricht über die Wahl, u. sind durch diese Veröffentlichung Pläne durchkreuzt worden? Wir können ja garnichts sehen. Dienstag, d. 6. Juli. [6. Juli 1937] Am Sonntag Abend bei Dr. Hackmack (nach Bdts. Vortrag) sagte Jemand, Jacobi wäre wieder freigelassen wegen Mangel an Beweisen. Ich glaube es nicht recht. Eben lese ichs im Daily Telegraph vom 3. (Meldung aus Berlin vom Freitag )! Im übrigen: Gewaltiges Echo der Niemöller-Verhaftung! Die ausländ. Blätter glauben nicht an öffentliche Verhandlung gegen ihn, da seine Verteidigg. gefürchtet würde. Eben Nachrichten aus d. Haus. Sasse hat gestern noch im weißen Saal etwa 1 Stunde lang weiter gedonnert. Volk gibt darüber von sich, daß es doch sehr gut gewesen sei, daß er keine Devisen bekommen hätte, sonst wäre er jetzt ja nicht hier gewesen; er weiß 231

Es ging dabei wohl um eine Berufung in das Leitungsgremium des Bundes für Deutsches Christentum. Franz wäre dazu der geeignete Mann gewesen, weil er die Gründungsurkunde des Bundes wesentlich mit ausgearbeitet hatte. Er blieb aber zunächst in Eisenach.

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nichts davon, daß oder warum Franz Aussicht hat, nach Berlin zu kommen, u. ist etwas erstaunt, hält es dann aber für möglich. Es würde doch immer richtiger, daß er selbst neutral geblieben sei, u. er »gönne es ihnen«: den Bekenntnispfarrern, weil sie sich nicht an ihn gewandt hätten, u. den D.C., weil sie ihn nicht in ihre Sachen hätten hineinsehen lassen (der stellv. Vorstz. des L.K.R.!). Aus allem aber ginge unabweisbar hervor: Über die B.K. würde die Kirchengeschichte hinweggehen. Die würden mal irgendwo als kleine Sekte enden, nach der niemand mehr fragt. Eins steht für mich fest: Es geht soviel vor wie nur je. Nur: Es darf es niemand merken. Die Zeitungen werden auch über die Freilassung Jacobis wohl nicht berichten. ¼ nach 11. Der Bericht über Sasse wurde inzwischen erweitert. Also: Die B.K. gehe sehr ernsten Zeiten entgegen. – In seinem Zimmer hat Sasse augenblicklich den großen Korb stehen, in den die Papierkörbe Mittwochs dutzendweise geleert werden, u. pfeffert immerzu Schriftstücke hinein. Er geht zwar morgen auf Urlaub, aber der Berichterstatter war doch erstaunt. So etwas hätte er noch nie erlebt, auch nicht in den Zeiten von Reichardt. Das sei eine Generalrazzia232 gewesen, kein normales Aufräumen. Volk hat bemerkt, er ärgere sich über die Ansprüche seiner Tochter [Volk R.] u. seines Schwiegersohnes, die nicht mit einer 3-Zimmerwohng. zufrieden sein wollten. »Was soll denn werden, wenn ich in einem halben Jahr in Pension gehe? Von meiner Pension können wir das doch nicht! Und überhaupt! Weiß er denn, ob er hier bleiben kann … u.s.w.« Er diktiert übrigens seitenlange Privatbriefe u. darüber müssen meine eiligen Übersetzungen warten! Mittwoch, d. 7.7. [7. Juli 1937] Gestern Abd. soll es noch einen Krach zwischen Lehmann u. Volk gegeben haben wegen eines Briefes an Bauer-Gotha betr. Schultze-Röpsen. »Dieses Krebsgeschwür (Schultze-Röpsen) muß aufgebrochen werden«, hat Lehmann geknirscht. Volk hat den Brief ändern wollen, hat aber nicht obgesiegt.233 Volk zögert mit d. Abreise obwohl er nun die Devisen hat – gestern. Vertraulich hat er mitgeteilt, der Landesbischof hätte sich neulich »kolossal ausgegeben, wie noch nie …« (Phieler war auch dabei). Wenn diese Monate, Juli u. August, wo es so in den Völkern kocht, ohne Kriegsausbruch vorüber wären, dann wolle der Führer vor die anderen Völker treten u. sagen: »So. Wir sind jetzt »fertig«. Wenn Ihr uns nun nicht freiwillig das Land gebt, das wir brauchen, dann … zieht die Konsequenzen!« Diese Phantasten u. Schwätzer sind doch einfach staatsgefährlich. Aber vielleicht sitzen sie sogar sehr hoch oben. 11½. Volk fährt doch ab – Freitag. Nun sind also Stüber, Sasse u. V. fort. Franz u. Lehmann hüten offenbar das Haus.

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Gemeint ist offenbar die Beseitigung von Schriftstücken brisanteren Inhalts. Der Vorgang könnte u.a. erklären, warum man beim Schriftwechsel mit Sasse auf erhebliche Lücken stößt. Zum Fall Schultze-Röpsen vgl. Biogramme.

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Donnerstg., d. 8. [8. Juli 1937] Gestern bei Frau O. [M.]. Sie wußte noch nichts von der Freilassung Jacobis. Und doch ist das nun eine Woche her! Ich las gestern diese Notizen wieder einmal durch u. fand, daß sie den Eindruck, den sie geben sollen, nicht vermitteln. Nicht die Spannung, in der wir leben u. nicht das Gesamtbild, das die kleinen Einzelheiten geben. Es gehört dazu eben doch die Erfahrung des 100x Erlebten, die man einem anderen nicht vermitteln kann. Es ist, als ob man durch eine Lupe betrachtet, was der andere nur mit bloßem Auge sieht. Sonnabend, d. 10.7. [10. Juli 1937] Gestern bei O.s. Frl. K. wußte – obwohl sie aus Gotha kam – noch nichts von dem Freispruch Jacobi-Ehlers. – Der »Temps« meldet aber heute auch ausführlich das Gleiche, unterm 6.7. Am Montag oder Dienstag hätte eine Versammlung in Kassel stattgefunden, die Bauer [G.] »kirchengeschichtlich« nennt. »Alle« hätten sich auf eine Entschließung geeint [Kasseler Gremium], Luth. Rat, V.K.L., die »Verbände« u.s.w. – Sie sollte »von allen Pfarrern im Reich« (wohl ohne nichtorganisierte u. natürl. ohne DC) verlesen werden.234 Von Bekenntnispfarrern predigt morgen nur Mitzenheim. Ein Mitarbeiter im V.D. hat »ganz vertraulich« seiner Zimmerwirtin mitgeteilt, daß die Kirchenwahl am Reformationsfest stattfinden solle. Eine Wiener Zeitung nennt als Termin heute »Oktober«. Gestern scharfer Wortwechsel zwischen Volk u. Tegetmeyer wegen einer Unterschrift. Zum Schluß sagt Tegetmeyer: »Binnen kurzem mache ich das ja alleine, und dann wird das sowieso in dieser Weise gemacht.« Das soll die Ursache gewesen sein für furchtbare häusliche Szenen, die V. daheim seiner Familie gemacht hat. Er sei wütend. Und übrigens hat er bemerkt: »Sollte jemals hier ein Umschwung kommen (was er übrigens nicht glaubt), so bin ich der Einzige, der etwas hinter sich hat (er meint Pfarrer der Thür. Kirche); »denn es ist ja bekannt, daß ich schließlich mehr zu denen gehört habe!!!« Montag, d. 12. Juli. [12. Juli 1937] Gestern bei Mitzenheim. Er verlas die »Kanzelerklärung«235 vom Lesepult aus. Sie war sehr gut, aber insofern zurückhaltend, als sie »noch keine« Einzelheiten brachte. Nitzsch u. Hertzsch wollten sie auch verlesen. Scriba ist sie zugeschickt worden; er hat sie aber nicht verlesen. 234

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Kanzelabkündigung des sog. Kasseler Gremiums (Marahrens; Müller-Dahlem; Breit) für Sonntag den 11. Juli 1937, beginnend mit den einleitenden Worten: »Die durch die Kirchenführer-Konferenz, die Vorläufige Leitung der DEK und den Lutherischen Rat vertretenen Kirchenregierungen, Gemeinden, und Freien kirchlichen Verbände richten folgendes Wort an die Gemeinden der Deutschen Evangelischen Kirche … Wir haben uns zu gemeinsamem Wort und gemeinsamen Handeln zusammengeschlossen«. Die bisher eingeschlagenen Wege zur Herstellung eines geordneten Verhältnisses von Kirche und Staat hätten sich nicht als gangbar erwiesen (KJ 1933–1944, 194). Zur Episode des Kasseler Gremiums vgl. Meier, Kirchenkampf III, 26–33. Vgl. Tgb. 10. Juli 1937.

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»Frankf. Ztg.« meldet, daß der »Blitz« verboten sei236, da er keine ernsthafte weltanschaul. Auseinandersetzg. getrieben, sondern nur die Konjunktur ausgenutzt habe. Das tun aber andere Blätter auch, die nicht verboten werden. Eben höre ich, Franz sei noch nicht aus Berlin zurück. Am Mittwoch dorthin abgereist; u. Dr. Dr. R. [Reichardt E.] habe erläuternd bemerkt: »Dicke Luft«. Ob es mit der »gemeinsamen Entschließung« zus.hängt? Jemand hat aus Berlin gehört, bei der Verhaftung Niemöllers seien auch 36 000 M beschlagnahmt worden, die er in s. Haus gehabt hätte. Ich kann mir eigentl. nicht denken, daß er in diesen kritischen Tagen soviel Geld in sr. Privatwohng. gehabt haben soll. Dienstag, d. 13.7.37. [13. Juli 1937] Franz ist gestern wiedergekommen. Sehr schlechter Laune. Hat erklärt, er müßte jetzt noch viel häufiger nach Berlin als vorher (er ist schon jede halbe Woche dort gewesen) – u. könne die Arbeit hier nicht mehr wie bisher erledigen. Gestern Abd. Helferversammlg. bei Mitzenheim betr. Gemeindeblatt im Ostbezirk. Lehmann hat Franz von seinen Taten in Röpsen berichtet – was da eigentlich los gewesen ist, hat niemand erfahren – u. auch Franz sei nicht sehr zufrieden damit gewesen.237 Er würde das anders gemacht haben. Aber Lehmann nach wie vor sehr stolz. Mittwoch, d. 14. Juli. [14. Juli 1937] Weiteres aus der Unterhaltg. Lehmann-Franz: »Wenn wir den Kerl nur loswerden könnten!« (L) »Wir könnten ihn vielleicht versetzen – in irgendeine Gemeinde, wo ers nicht aushalten kann. Und wenn er dann um Versetzung einkommt, sagen wir, er hätte unseren Weisungen nicht gehorcht …« (so ähnlich). Darauf L. erfreut: »Ja, das ist eine Lösung, die mir auch liegt!« Fr.: »Ja, das glaube ich, daß Ihnen das liegt!« Der Ohrenzeuge verließ hierauf das Lokal »weil er es nicht mehr aushalten konnte«. Wir wissen aber nicht, um welchen »Kerl« sich das Gespräch drehte. Vorgestern Abend hat die Weltkirchenkonferenz in Oxford begonnen.238 V.B. bringt heute den ersten kleinen Bericht über die Eröffnung, die vielleicht gerade stattfand, als wir bei Mitzenheim schweren Herzens beisammensaßen. Durch die ganze deutsche Presse ging vor Kurzem die amtliche Mitteilg., daß die

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»Der Blitz« war eine deutschgläubige Zeitschrift. Ihr unbefristetes Verbot wurde im Völkischen Beobachter folgendermaßen dargestellt: »Das Blatt, das sich ›Kampfblatt für Deutsche Aktion‹ nennt, ist nicht Träger einer ernsten religiösen Bewegung, sondern ein Sensations- und Konjunkturunternehmen. Trotz wiederholter Verwarnungen hat das Blatt immer wieder zu schweren Beanstandungen Anlaß gegeben, so daß die scharfe Maßnahme eines Verbotes unumgänglich wurde« (JK 5 [1937], 611). Zum Fall Schultze-Röpsen vgl. Biogramme. Zweite Weltkonferenz für Praktisches Christentum vom 12.–26. Juli 1937 in Oxford, auf der die DEK nicht vertreten war. Vgl. zum Ganzen den (namentlich nicht gezeichneten) Bericht »Die Weltkirchenkonferenz in Oxford. 12.–26. Juli 1937«, JK 5 (1937), 631–646.

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D.E.K. nicht teilnehmen könne – nur Vertreter der deutsch. Freikirchen, Baptisten, Methodisten u. Altkatholiken.239 Heute berichtet V.B. von dem »angeblichen« Fernbleiben der Deutschen im Bericht über d. Rede des Erzbischofs von Canterbury. Die ganze Geschichte wird zum Skandal – wie die verschobene Kirchenwahl! Und all das brauchte nicht zu sein. Aber – hat einer ein mal einen erlösenden Gedanken, dann fehlt der Mut zur Durchführung. Die als »liberalistisches« Gebilde u. Gegenstück zum Völkerbund im V.B. verlästerte Konferenz beschäftigt die Gemüter aber doch erheblich. Das neue Heft von »Deutsche Frömmigkeit« ist ganz u. gar der Konferenz gewidmet.240 Wer weiß – viell. hatte sich Dr. Bauer [W.] sogar mit dem Gedanken getragen, er könnte Deutschland in Oxford vertreten? Anfang Februar hatte er noch Aussichten. Den 19.7., Montag. [19. Juli 1937] Es war alles so schwer, daß ich nichts aufschreiben mochte. Am Mittwoch u. Sonnabend war ich unterwegs, um in Pfr. Kiels Bezirk Mitzenheims Gemeindeblatt241 anzubieten (Kiel läßt die »Nationalkirche« mit einem Beiblatt verteilen). Von etwa 21 Familien bestellten 14, 5 lehnten ausdrücklich ab, 2 traf ich nicht zu Hause. Niemand war unhöflich; trotzdem kam ich mir vor, als ob ich Spießruten liefe. Man erregt eben immer Aufsehen als »Dame« in einem ärmlichen, weitentlegenen Bezirk, in dem die Leute sonst nur ihresgleichen sehen. Ich weiß nicht mehr genau, was mich so besonders im Anfang voriger Woche bedrückte. Vielleicht Gespräche mit Diesem u. Jenem, der innerlich auf unserer Seite steht u. doch hoffnungslos die Achseln zuckt gegenüber den neuesten Verhaftungen. »Es ist so schade …«, d.h. sie finden, es sei von seiten der B.K. zu weit gegangen worden. Staatlichen Verordnungen nicht gehorchen …! das kann man nicht mitmachen. In Württemberg ist der Eid auf den Führer von den Religionslehrern in den Schulen

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Zur Teilnahme von Vertretern der Freikirchen (und der Altkatholischen Kirche) vgl. »Dokumente über die Zweite Weltkonferenz für Praktisches Christentum vom 12. bis 26. Juli 1937 in Oxford«, in: Zehrer, Evangelische Freikirchen und das »Dritte Reich«, 136–148; vgl. auch Meier, Kirchenkampf III, 29–30; »Die Weltkirchenkonferenz in Oxford. 12.–26. Juli 1937«, JK 5 (1937), 631– 646. Die Teilnahme von Pfarrern bzw. einer offiziellen Abordnung der DEK wurde seitens des Staates behindert bzw. verboten; vgl dazu die einschlägigen Schriftstücke in: Dokumente zur Kirchenpolitik IV, 58–68. Das Heft besteht vor allem aus zwei hier einschlägigen Artikeln: (1) Hans Michael Müller, Staat und natürliche Gotteserkenntnis. Eine Vorfrage aller Mission und Kirchenpolitik. Der Oxforder Konferenz dargelegt im Anschluß an Eivind Berggrav, Bischof von Oslo, Deutsche Frömmigkeit 4/1937, 2–8; (2) Wilhelm Bauer, Kirche, Volk und Staat. Bedenken und Betrachtungen zur Weltkirchenkonferenz Oxford 1937, Deutsche Frömmigkeit 4/1937, 13–21. Das Blatt hieß Aus Luthers lieber Stadt. Eisenacher evangelisches Gemeindeblatt für Stadt und Land und war seit 1925 Beilage des Thüringer Monatsblattes Glaube und Heimat, das seit 1924 erschien. Von 1931 an war es das Eisenacher Gemeindeblatt unter der Schriftleitung von Moritz Mitzenheim, der bis 1937 Schriftleiter blieb.

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auch soweit sie Pfarrer sind verlangt worden. »Viele« hätten ihn verweigert.242 Namen werden nicht genannt. Ich weiß nicht, ob wirklich Pfr. der B.K. darunter sind. Sie hatten doch im Sommer 1934 den Beamteneid selbst angeboten, selbst Karl Barth wollte ihn – ohne Vorbehalt – leisten.243 Otto ist nicht da u. man bekommt keine Aufklärung. Donnerstag, d. 22.7.37. [22. Juli 1937] Vor etwa 8 Tagen sagte mir Btz., der es in der Stadt in einem Telegramm gelesen hatte, die kirchl. Jugendverbände in Thür. seien verboten. Ich konnte inzwischen nichts darüber erfahren. Es sollte in der »Tagespost« gestanden haben – am Sonnabd. oder Sonntag – aber ich las es nicht. Eben kommen Argusnachrichten. Da lese ich in der »Germania«: »Nach einer Bekanntmachung der geh. Staatspol. in Weimar werden die kirchl.-konfess. Jugendverbände innerhalb der Bekenntnisgemeinschaft mit sofortiger Wirkung für d. Bereich des Landes Thür. aufgelöst und verboten.244 Was ist das nun eigentlich. Es ist doch eine – nach den bisher. Bestimmungen erlaubte Sache gewesen. Womöglich die Studentenarbeit? Sekten werden jeden Tag verboten. Kürzlich auch eine Vereinigg. »für deutsche Volkskirche« oder so in Mecklenburg, die von einem Vikar geführt wurde u. »deutsche« Pfarrämter gegründet hatte. 242

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Nicht ein Eid, sondern ein Treugelöbnis wurde von den Religionslehrern verlangt. Am 28. April 1937 gab der württembergische Kultusminister einen Erlass heraus, demzufolge auch der Religionsunterricht nach nationalsozialistischen Grundsätzen auszurichten wäre. »Seine besondere Brisanz erhielt der Erlaß … dadurch, daß er unmittelbar mit der Frage des Treugelöbnisses für den Führer gekoppelt wurde. Auf Anordnung des Reichserziehungsministers … vom 18.3.1937 sollten alle Geistlichen, die ohne Berufung auf das Beamtenverhältnis Religionsunterricht erteilten, ein Treuegelöbnis auf den Führer ablegen. Von dieser Anordnung waren in Württemberg nahezu sämtliche evangelischen Geistlichen betroffen« (Thierfelder, Auseinandersetzungen, 238–239). Einem Großteil der Geistlichen, nämlich 700 von 1000 wurde die Lehrerlaubnis zum Religionsunterricht entzogen, weil ihre Zustimmung zum Treugelöbnis verbunden war mit der Bemerkung, dass sie sich als Diener des Wortes an die Heilige Schrift gebunden wüssten (ebd., 139). Diese Angabe trifft so nicht ganz zu. Barth hatte die Eidesleistung zunächst nur angeboten unter dem Vorbehalt: »soweit ich es als evangelischer Christ verantworten kann«; wenig später modifizierte Barth seine Aufassung dahingehend, dass für ihn jede Eidesleistung grundsätzlich unter einem solchen Vorbehalt stehe und deshalb entbehrlich sei; vgl. Gerlach-Praetorius, Die Kirche vor der Eidesfrage, 68–82. »Die ›Germania‹ (20. Juli 1937) berichtete: ›Nach einer Bekanntmachung der Geheimen Staatspolizei in Weimar werden die kirchlich-konfessionellen Jugendverbände innerhalb der Bekenntnisgemeinschaft mit sofortiger Wirkung für den Bereich des Landes Thüringen aufgelöst und verboten‹« (JK 5 [1937], 659). Vgl. auch die entsprechende Anordnung als Abschrift aus Gesetzsammlung 1937, Nr. 13: »(Nr. 54) Verbot der kirchlich-konfessionellen Jugendgruppen innerhalb der Bekenntnisgemeinschaft. Auf Anordnung des Geheimen Staatspolizeiamtes in Berlin und im Einvernehmen mit dem Herrn Reichs- und Preußischen Minister für die kirchlichen Angelegenheiten werden die kirchlich-konfessionellen Jugendverbände innerhalb der Bekenntnisgemeinschaft auf Grund des § 1 der VO. des Reichspräsidenten zum Schutze von Volk und Staat vom 28. Februar 1933 (RGBl. I S. 83) mit sofortiger Wirkung für den Bereich des Landes Thüringen aufgelöst und verboten. Die Weiterführung dieser Organisationen wird nach § 4 der erwähnten VO. bestraft. Das Vermögen verbleibt den genannten Organisationen zur Liquidation. Weimar, den 15. Juli 1937. Geheime Staatspolizei. Staatspolizeistelle Dr. Hahn« (LKAE, LBG 35, 13).

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Über die Spannungen innerhalb des »Bundes f. deutsche Kirche« gibt die neue Nummer seines Presseorgans Aufschluß.245 Der bisher. Schriftleiter war offenbar vollständig heidnisch geworden. Es ist nur noch unklar, ob er zur deutsch. Glaubensbewegg. oder zu Ludendorff abwandert. Im Hause herrscht Totenruhe. Von den K.räten ist bloß Franz da. Anfang der Woche hatte er nach Berlin fahren wollen, telegraphisch wurde die Sache aber abgeblasen. Er läßt eine Disziplinarsache nach der anderen hinausgehen, ohne viel zu untersuchen oder Andere zu fragen. Zenker lobt ihn deshalb, es wickele sich alles glatter ab als bei Volk. (Und Volks Bedenken nützten uns ja auch nichts). Englische Berichte über Oxford sind noch wenig eingelaufen. Zieml. viele Aufsätze dagegen in der deutsch. Presse. Heute ein Artikel aus d. »Börsenzeitg.« (v. 20.7.), der erstaunt feststellt, daß man sich in Oxford bemühe, »den Verhältnissen der einzelnen Nationen Verständnis entgegenzubringen« u.s.w. Wenn die Konf. doch wenigstens den Erfolg hätte, unseren Politikern zu zeigen, daß Mancher sich doch anders verhält, als sie glauben. Die deutschen Zeitungen hatten immer wieder versichert, schon die Wahl der Themen sei erfolgt, weil man eine einseit. Frontstellung gegen Deutschland beabsichtige. Daß auch die geistige Entwicklg. in Deutschland in eine große Bewegg. gehört, die durch die ganze Welt geht, wissen sie offenbar nicht.246 Es ist so, als wenn sie sich selbst immer als Weltzentrum auch in den Augen der anderen sähen. In dieser Woche werden Entschließungen in Oxford angekündigt. »Börsenzeitung« vermerkt, daß die »wissenschaftl. Vorbereitung« der Oxforder Fragen wohl zum Verständnis beigetragen habe. Wenn den Ruhm deswegen nur nicht der Bischof Heckel einsteckt. (Bei d. Vorbereitg. war Althaus beteiligt u. SchreinerRostock, Zoellner u. andere). Am Sonnabend (17.7.) ist Zoellner gestorben. Kühle offizielle Artikel, lediglich Daten. Prof. Schreiner-Rostock aus d. Amt entlassen! 23., Freitag. [23. Juli 1937] Im Haus wird davon gesprochen, daß Franz u. Lehmann entsetzlich schlechter Laune seien. Franz hat Frl. Walter fürchterlich angeschnauzt, was er sonst nie tut. Bei Lehmann ist mans ja gewohnt. Das neue »Positive Chr.tum« bringt einen starken Angriff gegen die Thüringer unter der Überschrift »Dunkelmänner«. Daraus geht u.a. hervor, daß der »Bund für dtsch. Chr.tum« gesprengt ist. Außerdem einen Artikel »Bekenntnisfront verbrecherisch!«, in dem zum Schluß auch die Thür. D.C. noch einmal gründlich drankommen.

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Die »Deutschkirche« bzw. der »Bund für Deutsche Kirche« war 1921 in Berlin gegründet worden und trat für ein religiös verstandenes Deutschtum ein, war aber in ihrem Anliegen nicht identisch mit den verschiedenen Spielarten der DC, obwohl es mit ihnen zahlreiche gemeinsame Berührungspunkte gab (vgl. Kühl-Freudenstein, Evangelische Religionspädagogik und völkische Ideologie, 2003). Es ging um die Zeitschrift »Die Deutschkirche«. Gemeint ist offenbar die völkische Bewusstwerdung, wie sie z.B. durch den Nationalsozialismus in Deutschland repräsentiert wurde.

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Ein kurzer engl. Ausschnitt bringt die Nachricht, daß am Sonntag in Berlin u. Potsdam wieder 15 Leute verhaftet worden sind, Pfarrer u. Laien. Wegen Mitteilg. der aus der Kirche Ausgetretenen247 u. Kollekten248; v. Arnim-Lützlow, der schon wieder (zum 2.x) verhaftet worden war, ist wieder frei. Sonnabd., d. 24.7. [24. Juli 1937] Gestern Abend stand in der »Tagespost« die Pressenachricht über das Verbot der kirchl.-konfess. Jugendverbände innerh. der B.K. für Thüringen. Wir haben doch gar keine Jugendarbeit der B.K. Die Gemeindejugendarbeit der einzelnen Pfr. ist anerkannt, sie können nur die Studentenarbeit meinen. Der zuerst in der Tagespost erschienene Hinweis habe die B.K. nicht genannt. (Vielleicht hat irgendein Wohlmeinender die Diffamierung der B.K. unterdrücken wollen u. hat es nun nachholen müssen.) Eben neue Argus-Ausschnitte. Nichts über Oxford! Dagegen ein neuer V.B. berichtet (Ausg. A v. 24.7.37) mit der Schlagzeile: »Unnötige Sorgen der Weltkirchenkonferenz um Deutschland. Seltsame u. unverständliche Kontroll- u. Einmischungsversuche.« Die Weltkirchenkonf. habe eine Botschaft an die D.E.K. beschlossen usw. »Einspruch der deutschen Freikirchen«. Man »kann sich des Eindrucks nicht erwehren, als sei die Oxforder Konferenz jenen ins Netz gegangen, die in Deutschland ein für allemal keinen Kirchenfrieden wollen. Wir kennen diese Kreise innerhalb d. D.E.K. zu genau, als daß wir uns über ihre Absichten täuschen könnten. Wir wissen auch, daß ihr Anhang gering ist u. bedeutungslos. Um so mehr sollte eine Weltkirchenkonferenz, die Wert darauf legt, daß ihre Stimme ernst genommen wird, vermeiden, sich mit einer »Botschaft« an Kreise zu wenden, die innerhalb ihres eigenen großen Volkes nichts zu melden haben. Sie werden … lediglich in ihrer Querköpfigkeit bestärkt … Die alte Mär von der angeblichen Unterdrückung des Christentums … da die Anwesenheit der Vertreter der deutschen Freikirchen in Oxford doch eigentlich für sich spricht. Was kann der Nat.soz. dafür, wenn sich die verschied. Richtungen innerhalb der D.E.K. nicht über den wahren christl. Glauben einigen können, um eine einheitliche Vertretung zustande zu bringen? … Versuch einer Diffamierung Deutschlands … Parteinahme gegen Deutschland … Bei allem guten Willen, den die Oxforder Konferenz in einigen Punkten gegenüber Deutschland aufzubringen bemüht scheint …« usw. Kommentar überflüssig. Ob wir diese »Botschaft« wohl kennen lernen? Montag, d. 26.7. [26. Juli 1937] Thieme hielt die Montagsandacht. In der »Lesung« wurde u.a. festgestellt, daß man heute in den Kirchen Gott (überhaupt) nicht mehr finden könne. Danach noch ein geschickt zurechtgemachtes Glaubensbekenntnis, in dem a. von Gott dem Vater b. von Jesus Christus seinem »einzigen« Sohn

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Vgl. Runderlass des Reichsinnenministers betr. Kirchenaustritte vom 18. Februar 1937, in: Dokumente zur Kirchenpolitik IV, 6–7. Vgl. Runderlass des Reichsinnenministers und des Reichskirchenministers betr. Kollekten vom 9. Juni 1937 (Dokumente zur Kirchenpolitik IV, 80–81).

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c. vom »Heiligen Geist«, der unser Volk erneuert, die Rede war. Bei der Ansprache fragte ich mich immer wieder, wie soviel Hohlheit u. Phrase u. Heuchelei überhaupt noch zu ertragen seien. Die Arbeitsunlust im ganzen Haus ist groß. Es ist wie eine Lähmung. Immer noch sind etwa ⅔ des Betriebes auf Urlaub, immer noch bilden Franz u. Lehmann den Rest des L.K.R., immer noch ist Franz nicht wieder nach Berlin gefahren, immer noch werden Disziplinarverfahren en masse anhängig gemacht. Neuerdings wird Lehmann von Franz stark ermutigt, sich mit solchen Sachen zu befassen. »Du machst das überhaupt sehr fein … mach' das nicht schriftlich, sondern geh selbst hin … man kann sie da noch ganz anders kriegen …« (Es geht aus dem Gespräch hervor, daß er »einschüchtern« meint). Geprüft würde nichts mehr, ist das Urteil der schweigsamen Helfer. Jeder Vikar könnte kommen und irgendeinen Klatsch mitteilen, es würde alles geglaubt u. angezeigt. Der Beschreibung nach muß es furchtbar sein. Rundschr. des bayer. L.K.R. bekommt Sasse von einem Pfr. Locher aus Ebersdorf bei Coburg zugeschickt. Es war wohl am Freitag, als die Zeitungen in großer Aufmachg. die Mitteilung brachten, daß die Oxforder Konferenz sich in einer Entschließung mit Deutschland beschäftigt habe. Nach anfänglicher Würdigung der deutschen Nöte habe man die Besorgnis ausgesprochen, daß die Verkündigung des Evangeliums in Deutschland behindert werde, bes. auch die christl. Jugenderziehung … u.s.w. Die Kommentare dazu waren zum Teil einfach lächerlich. So z.B. äußerte der V.B., die Weltkonferenz könne kaum noch ernst genommen werden, wenn sie einer Minderheit zu Gefallen rede, die in Deutschland kaum Anhänger hätte (B.K.) u. legt dann selbst den größten Wert auf die Äußerungen der Minderheiten der Methodisten (Bischof Melle), Baptisten, Ev. Gemeinschaften u. Altkatholiken u. der Diözese der Orthodoxen in Dtschld., die die Fassung der Resolution beanstandeten u. die eigene Freiheit der Verkündigg. betonten u.s.w. Die Thür. Gauzeitung brachte aus Anlaß der Oxforder Beschlüsse einen einfach rüpelhaften Artikel, in dem als Tatsache u.a. wieder einmal behauptet wurde, Nathan Söderblom sei Freimaurer gewesen u. »es sei noch zu untersuchen, wie viele der leitenden Mitglieder der Konferenz gleichfalls Freimaurer seien – ein Artikel aus offenbar dtsch.-christlicher Feder, ganz im Sinne des letzten Schreibens von Labi Schultz-Mecklenbg. an Volk.249 Die Botschaft der Konferenz ist als eine rein kirchliche vom Erzbisch. von Chichester bezeichnet worden250 u. soll von einer Deputation nach Deutschld. gebracht werden. Nun wird in den dtsch. Zeitungen gefragt: Wem man sie überbringen [soll]? Wer ist denn eigentlich die D.E.K? – Nach dem Artikel vom Freitg. wird noch eine Möglichkeit gesehen, durch die praktische Durchführung der Beschlüsse eine Entspannung zu schaffen – ich weiß nicht wie. Jedenfalls wurde mir aus dem bayer. Rundschreiben klar, daß in Kassel am 7. Juli durch den neuen Zusammenschluß auch eine neue kirchl. Spitze herausgestellt worden 249 250

Vgl. Tgb. 13. April 1937. Vgl. dazu: Die Weltkirchenkonferenz in Oxford, JK 5 (1937), 637–638, bes. 641–642 (»Die Botschaft an die Deutsche Evangelische Kirche«, vollständiger Text).

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ist: ein Dreimännerausschuß, Marahrens, Breit und Pfr. Müller-Dahlem [Kasseler Gremium].251 – Die übrigen Einzelmitteilungen des bayer. Rundschr. an alle Pfarrämter zeigten das gewohnte Bild: Eingriffe des K.min. durch Verordnungen u. Einzelmaßnahmen, entgegen der ständigen Behauptung, daß nicht in die Verkündigg. eingegriffen würde. (Spiegelfechterei). Am 6. Juni, dem Tage der Abfassg. des Rundschreibens, waren noch 35 Pfarrer in Haft. Die Times-Mitteilg. von dem Freispruch Jacobis u. v. Arnim-Lützlows wird endlich hiermit bestätigt. Auch Mitzenheim wußte vor 10 Tagen noch nichts davon! Das Gesetzblatt der D.E.K. bringt einen 2-seitigen Nachruf auf Zoellner, gez. Gustavus i.V., Bischof Heckel.252 – Das Leben von Zoellner hat durch die Tätigkeit im R.K.A. einen seltsamen, tragischen Abschluß gefunden. In dem bayer. Rundschreiben wird ein Brief der S.A. der NSDAP Sturm 3/133 v. 25.5.37 aus Zwickau »an den S.A.-Sturmmann E. W. in Zwickau mitgeteilt, in dem es heißt: »Z.Zt. wird für sämtliche SA-Männer die Aufnahme in die Partei betrieben. Laut Anweisung des Stellvertreters des Führers Pg. Rudolf Heß haben Geistliche sowie Theologie-Studenten keine Möglichkeit, jemals in die Partei aufgenommen zu werden, um endlich den Auseinandersetzungen über irgendwelche Glaubensrichtungen zu begegnen. Ihrer Angehörigkeit zur SA steht selbstverständlich auch weiterhin nichts im Wege, nur bitte ich zu prüfen u. klar zu entscheiden, ob Sie als einziger Nichtparteigenosse im Sturm weiter marschieren wollen. Ich könnte Sie durchaus verstehen, wenn Sie daraus gewisse Folgerungen ziehen würden u. aus der SA ausscheiden, und bitte in dieser Angelegenheit um Ihre umgehende klare Entscheidung. Der Führer des Sturmes … i.V. Schneider …« Im »Protestantenblatt« Nr. 30 (25.7.) lese ich eben u.a. »… Prälat Schoells Rundschau … daß die Geistlichen durchaus bereit waren u. sind, das von jedem Beamten geforderte Treuebekenntnis zum Führer abzulegen. Schuld daran, daß die Sache so unglücklich verlaufen ist, trägt der Umstand, daß mit diesem Gelöbnis andere Dinge verquickt wurden u. die Art der Verpflichtung ganz verschieden gehandhabt worden ist … Soweit im Augenblick dazu etwas gesagt werden kann, ist es nur das, daß wohl auch darüber noch nichts Endgültiges entschieden ist …«253 Man atmet auf. nachmittags. Soeben eine sehr merkwürdige Mitteilung. Ein Hilfspfr. Danker [Dencker] aus Apolda hat angerufen u., als Lehmann nicht da war, folg. Mitteilung gemacht: »Pfr. Koch-Sulzbach sei verhaftet worden, wahrscheinlich in Oberbayern im Urlaub. Es wird um Ersatz 251 252 253

Vgl. Tgb. 10. Juli 1937. »Am 16. Juli 1937 ist hochbetagt Generalsuperintendent i.R. D. Wilhelm Zoellner entschlafen« (GDEK 1937, 37–38). Der Passus bezieht sich auf die Verhältnisse in Württemberg: »Es genügt zu sagen, daß die Geistlichen durchaus bereit waren und sind, das von jedem Beamten geforderte Treubekenntnis zum Führer abzulegen. Schuld daran, daß die Sache so unglücklich verlaufen ist, trägt der Umstand, daß mit diesem Gelöbnis andere Dinge verquickt wurden und die Art der Verpflichtung ganz verschieden gehandhabt worden ist. Die Regierung ihrerseits hat sofort scharf durchgegriffen. Sie hat den betreffenden Geistlichen den Religionsunterricht in den Schulen verboten und recht erhebliche Gehaltskürzungen durchgesetzt« (Protestantenblatt 70 [1937], 462). Vgl. auch Tgb. 19. Juli 1937.

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für ihn in d. Gemeinde gebeten.« Darauf sagt eine orientierte Mitarbeiterin spontan: »Was – Koch? Das hat ihm Lehmann eingerührt!« Dr. Dr. R. [Reichardt E.] teilt auf Befragen mit, daß der betr. Koch DC sei u. zeigt sich tieferschüttert von der Tatsache der Verhaftung.254 Thieme vom Volksdienst zieht wieder nach Bayreuth. Er sei jetzt überhaupt dauernd in Bayreuth. Ergänzend erfahre ich noch: Als die Mitteilg. über die Verhaftg. des Pfr. Koch Franz überbracht wird, sagt er: »Na ja – es ist gut. Da sind ja auch noch Meldungen von 2 Oberpfarrern über Verhaftungen.« Lehmann soll die ganze vorige Woche in Sulzbach »gearbeitet« haben. Ich notiere aus dem Rundschreiben von Meiser: a.) Fall Garnus (? [Garrnis]). Der ist ein ehem. Missionar, der aber nicht Pfr. der Kirche war, wegen Sittlichkeitsvergehen verhaftet worden. Er ist »Entgegen dem Rat des L.K.R.« 1935 »auf Versprechungen von Coch-Dresden hin« nach Deutschland zurückgekehrt u.s.w. b.) Hergänge beim Schulkampf in Bayern – Gemeinschaftsschule. c.) Auftreten des Reichsbischofs als Redner in Bayern u. die Art, wie für ihn dort Propaganda gemacht wird – trotz des Neutralitätsartikels von Dürer (?) in den amtlichen Blättern des Prop.min. Plakatanschlag in Bamberg: »Der Reichsbischof aller deutschen Christen, Staatsrat, Parteigenosse Ludw. M. spricht … Nat.soz. beider Konfessionen kommt in Massen u. hört dem seit 11 Jahren vom Vertrauen des Führers getragenen, von Staatsfeinden aller Schattierungen bestgehaßten u. verleumdeten Kämpfer für wahre Volkskirche im III. Reich …« In Schweinfurt Äußerungen eines Ortsgruppenleiters der NSDAP, der zugl. Kirchenvorsteher ist, im Sinne des Bamberger Plakats. Ähnliche Beobachtungen anderswo. Koch-Sulzbach ist B.K.255 Dr. Dr. R. [Reichardt E.] hat sich geirrt. Auch die beiden anderen in Thür. Verhafteten, sind B.K. Nun ist ja klar, was Lehmann in Sulzbach »gearbeitet« hat. Wahrscheinlich sind es diese Methoden, wegen deren Lehmann von Franz gelobt wird. Und immer wird man nach Franz gefragt – ich neulich z.B. von Mitzenheim – in einem Tone wie: Aber der kann das doch sicher nicht mehr mitmachen! Immer noch traut man ihm »Gewissen« zu. Dienstag, d. 27.7. [27. Juli 1937] Argusnachrichten. Außer den allerersten 2 Berichten haben wir nichts über Oxford bekommen. Heute der »Angriff« v. 26.7. Nr. 172 mit Berichten aus Berliner Kirchen! Es geht mit der Jesus-Christus-Kirche in Dahlem an »geistige u. räumliche Heimat der Neinsager u. Niemöllers … Wenn einer jener Namen, die die Pariser Tageszeitung zu Märtyrern ernannt hat, den Kirchenzettel schmückt, kommen auf 10 Gäste 3 Juden, u. die umliegenden Straßen sind mit Kraftwagen vollgestopft … Dahlem mit Niemöller II. Martin Niemöller ist bekanntlich zurzeit nicht abkömmlich. Wilhelm Niemöller (sein Bruder, gleicher Beruf, gleiche Gesinng., nur hauptamtl. in Bielefeld tätig) war es …. 80 v.H. Frauen … ein paar scharfgeschnittene Gesichter junger Männer, denen die dialektische Lust aus den Augen leuchtete, der Rest … alte Männer. Irgendwo strahlte 254 255

Vermutlich ein Irrtum: Koch-Sulzbach war Mitglied der LBG. Zum Fall Koch-Sulzbach vgl. Biogramme.

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der hohe Glanz einer soldatischen Uniform. Es herrscht so etwas wie Katakombenstimmung …« u.s.w. Der »Hannoversche Kurier« vom 23.7.37 (Nr. 322) ist die erste deutsche Tageszeitung, die von der antideutschen Kirchenpolitik des Bischofs Bursche (Polen) berichtet. Erst kürzlich sind dort junge Deutsche zu schweren Zuchthausstrafen verurteilt worden. Aber die Hitler-Jugend fährt nach Polen u. macht ein polnisches Gemeinschaftslager mit.256 Der Wortlaut der Oxforder Botschaft an die D.E.K. ist in Nr. 30 der D.E.K. (vom 26.7.) abgedruckt. Sie ist nicht so schlimm, wie ich nach den Zeitungsmeldungen angenommen hatte. Man hätte sie in Deutschland auch totschweigen können. Es muß aber eben Kampf sein! Leider hat der Bischof von Chichester in seiner Einleitungsrede – abgesehen davon, daß er in ordentlicher Weise vom Vertrag von Versailles sprach – die Lage in Rußland mit der in Deutschland verglichen.257 Das ist nun allerdings unmöglich. Damit hat er uns keinen Gefallen getan u. hilft uns nicht, sondern macht alles schwieriger. Wir wissen doch am Besten, daß die Lage eine vollkommen andere ist! Wir stellen aber an einen Staat, der positiv christlich sein will, auch andere Ansprüche als an Sowjet-Rußland, das offen gegen das Christentum kämpft.258 In dieser Botschaft, die an die D.E.K. gerichtet ist, wird zugleich der Schwierigkeiten der Kathol. Kirche gedacht. Dazu sagt die D.E.K. sehr Richtiges. Es ist so schade … Schluß. Es wäre wohl besser gewesen, die Deutschen wären in Oxford dabei gewesen. Franz hat heute das Fehlen der Oxforder Berichte in den Argus-Paketen bemängelt. Daraus wird klar, daß diese Berichte nicht, ehe ich sie bekomme, weggenommen werden. Ich fing an, das zu argwöhnen. Sie müssen verboten sein. Welche Intelligenz ist wohl für derartige Maßnahmen verantwortlich? nachmittags. Franz ist heute nachmittag nach Berlin gefahren – mit der D. Ev. Korresp. u. zahlreichen Abschriften der Botschaft! Wir haben nicht ein Stück mehr im Haus. Also: Lehmann ist heute früh von einer kurzen Reise zurückgekommen. Begeistert wegen der Pfarrerverhaftungen. Einer der 2. außer Koch-Sulzbach noch Verhafteten ist Hilfspfr. Bauer [K.]-Lichtentanne. Den 3. Namen haben wir nicht erfahren. Lehmann hat immer wieder gesagt: »Aber das ist ja wundervoll! Das ist ja ganz wundervoll!«

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Zum Sachverhalt vgl. die ausführliche Darstellung in: JK 5 (1937), 651. Der Wortlaut der Botschaft sowie ein Bericht über die Rede des Bischofs von Chichester sind auch abgedruckt in: Protestantenblatt 70 (1937), 474–475; hier findet sich auch der Hinweis auf die Lage der Christen in Russland. Die Tagebuchschreiberin nahm hier Bezug auf die Rede vom »positiven Christentum« in Punkt 24 des NSDAP-Parteiprogramms und unterstelllte wie so viele Christen seinerzeit irrtümlicherweise, dass der nationalsozialistische Staat dieses auch zu realisieren gedenke – erstaunlicherweise ganz gegen ihre detailliert beschriebene Erfahrung, dass die meisten Nationalsozialisten am christlichen Leben in beiden großen Konfessionen nicht nur kein Interesse hatten, sondern dieses nach Möglichkeit behindert, ja z.T. heftig bekämpft haben.

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Ich bin überzeugt, daß seine ganze Tätigkeit jetzt darin besteht, herumzureisen, Klatsch u. schiefe Aussagen in den Gemeinden aufzustöbern oder zu veranlassen u. eine Anzeige zu machen. Und die Polizei verhaftet drauflos, wenn sie nur irgendeinen, wenn auch noch so fadenscheinigen Anhalt hat. Sie wollen wohl irgendeine psychologische Wirkung hervorrufen, vielleicht auch, möglichst viele B.K.-Pfarrer unschädlich machen u. dann die Wahl ansetzen. Toll ist auch, was der »Angriff« seinen Lesern für eine Schilderung macht von Auslandsnachrichten über kirchliche Zustände in Deutschland. Ich habe in 4 Jahren nie einen derartigen Bericht gelesen, wie der Angriff – in Anführungszeichen – einen konstruiert. Sie leben doch alle noch von dem Vertrauen, das in früheren Jahrzehnten erworben wurde. Denn der, der es nicht handgreiflich erlebt, glaubt dann nur an solche Methoden! D. 28.7.37. [28. Juli 1937] Argusnachrichten. In Ostoberschlesien hat man nach deutschem Muster die ev. Kirche verstaatlicht. Der kathol. Woiwode259 bildet den L.K.R. um u. polonisiert ihn. Die Meldung wird von den Danziger Neuesten Nachrichten gebracht, keine deutsche Tageszeitung wagt es, darüber zu schreiben. Gestern nun die 1. Notiz in der »Frankfurter« oder »Deutsch. Allgem.« gefunden! 24.7. Nur die Kirchenzeitungen berichten darüber. Berner Tagebl. berichtet über die Verhaftg. von Pastor Hildebrandt, der in Dahlem predigte, wegen Verstoß gegen das Kollektenverbot260, Verhaftg. von Sup. Albertz in Potsdam während des Gottesdienstes. 2 Mitgl. des Kirchenrates261 seien zus. mit Albertz festgenommen worden. 29.7.37. [29. Juli 1937] Die verhafteten Pfarrer sind: Koch-Sulzbach, Fischer-Saalfeld, Hilfspfr. Bauer [K.]-Lichtentanne, Hilfspfr. Küntzel-Gräfenthal. Heute schriftliche Anfrage im Auftrag von Bauer [W.] nach den »Argus«-Berichten über die Oxforder Konferenz. Freitag, d. 30.7. [30. Juli 1937] Gestern von verschiedenen Leuten verwirrte Nachrichten über Rundfunkmeldungen über Niemöller. Er sollte vor ein Sondergericht gestellt werden wegen »Heimtücke«, Volksverhetzung u.s.w.262 Der bekannte Stil. Heute steht fettgedruckt im Posit. Chr.tum, daß d. Staatsanwalt Anzeige gegen ihn erhoben hat. 259 260 261

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Oberster Beamter eines polnischen Provinz. Vgl. Runderlass des Reichsinnenministers und des Reichskirchenministers betr. Kollekten vom 9. Juni 1937 (Dokumente zur Kirchenpolitik IV, 80–81). Die Tagebuchschreiberin schreibt »Albers«; es kann aber nur Superintendent Martin Albertz (Berlin) gemeint sein, der allerdings nicht während des Gottesdienstes verhaftet wurde, sondern vier Tage später, nachdem er am Sonntag, den 18. Juli 1937 zur Sammlung aufgerufen hatte (vgl. Noss, Martin Albertz, 294–295; S. 295 ist auch von der Verhaftung Franz Hildebrandts die Rede). »D.N.B. meldete unter dem 28. Juli: ›Die Justizpressestelle Berlin teilt mit: Gegen den evangelischen Pfarrer Martin Niemöller aus Berlin-Dahlem, der sich seit dem 1. Juli 1937 in gerichtlicher

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Deutlich zu beobachten ist seit 3–4 Wochen im »S.A.-Mann« u. »Schw. Korps« eine wüste Hetze gegen Bekenntnispfarrer. Wenn man nichts vorbringen kann, dann werden ganz unanfechtbare Dinge verhöhnt, z.B. daß ein Pfr. in den Heimatglocken darauf aufmerksam macht, daß der Sitte entsprechend Konfirmanden keine Tanzfeste besuchen (neueste Nr.) u.s.f. – Ausschlachtg. des »Falles Garrnis« (Nürnberg) gegen die »Bekenntnispfr.« Dazu muß man das Rundschr. von Meiser an alle bayer. Pfr. gelesen haben – Garrnis ist s.Zt. gegen den Wunsch Meisers auf Zurreden von Landesbischof Coch-Sachsen aus Amerika nach Deutschland gekommen. Heute hier im Haus Folgendes: Lehmann kommt von einer Reise zurück u. berichtet: »Gestern in Themar gewesen. Wieder Schwarzwild zur Strecke gebracht.« Hertel-Themar soll verhaftet sein, der Hetzer u. Denunziant der Vikar Rittweger.263 Er unterhält sich mit Franz darüber, daß Volk Disziplinarfälle nicht fertig gemacht hat, sondern hat liegen lassen. Lehmann sagt zu Franz: »Mach' das nur alles fertig; denn wenn das in die Sitzung kommt, dann wird wieder nichts daraus.« Dazu wird mir gesagt, daß Volk den Standpunkt vertritt, daß eine Verordnung Kerrls so ausgelegt werden müßte, daß Disziplinarfälle zu ruhen haben.264 – Franz sagt dazu: »Das ist ja ganz egal. Wir machen, was wir wollen. Wir haben die Verordnung eben »so« ausgelegt!« In der neuen Nr. der »Nationalkirche« ist ein Telegramm Hossenfelders vom 22. Juli an Leffler veröffentlicht, mit der er seine Bewegung an die neue Einheitsorganisation unter Leffler anschließt.265 Ich möchte die Vorgänge hinter den Kulissen kennen. Da hat wahrscheinl. auch der Kasseler Zusammenschluß vom 6.7. als Druckmittel gewirkt.266 Nun fehlen noch Weidemann u. Rehm. Aber Rehm hat sich in der vor. Nr. des Posit. Chr.tums einen derartigen Angriff auf die Thüringer geleistet, daß mit seiner Unterordng. doch wohl nicht zu rechen ist. Sonntag, d. 1.8., Abends. [1. August 1937] Ich möchte doch aus einer Andacht von Jansa vor einigen Wochen aufzeichnen: »Es ist so, wie gestern in einer Predigt gesagt wurde: Diese wunderbare Ernte ist das »Ja«

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Untersuchungshaft befindet, ist von der Staatsanwaltschaft Anklage beim Sondergericht Berlin erhoben worden wegen Vergehens gegen das Heimtückegesetz, wegen Kanzelmißbrauchs, wegen Aufforderung zum Ungehorsam gegen Verordnungen und wegen Zuwiderhandlung gegen die ministerielle Anordnung vom 18. Februar 1937‹« (JK 5 [1937], 657). Zur Anklage gegen Niemöller vor einem Sondergericht vgl. J. Schmidt, Martin Niemöller im Kirchenkampf, 433–445. Das Verfahren wurde allerdings erst am 2. Februar 1938 eröffnet. Zum Fall Hertel vgl. Biogramme. Vgl. Tgb. 18. März 1937. Der Text im Wortlaut: »Kampf Schulter an Schulter! Lieber Kamerad Leffler! Ich erkläre hiermit den Anschluß der von mir geleiteten ›Kampf- und Glaubensbewegung Deutsche Christen (Hossenfelderbewegung)‹ an die ›Deutschen Christen (Nationalkirchliche Bewegung)‹. Heil Hitler! gez. Hossenfelder.« Die Antwort: »Lieber Kamerad Hossenfelder! Ich freue mich sehr über Ihren Entschluß und berufe Sie ab heute in die Leitung der Reichsgemeinde ›Deutsche Christen (Nationalkirchliche Bewegung)‹. Weimar, den 22. Juli 1937. Heil Hitler! gez. Siegfried Leffler« (NaKi 6 [1937], 247). Vgl. Tgb. 10. und 26. Juli 1937.

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Gottes zum Vierjahresplan!« Inzwischen wurde in Presseleitartikeln besprochen, daß die diesjährige Ernte nur mäßig gut, geringer als die vorige sei. Aus der 1.-Mai-Rede von Sasse, an die wir uns manchmal erinnern: »Wenn alles kommt, wie es den Anschein hat, dann braucht niemand, der ehrlich gearbeitet hat, in die Wüste zu gehen, das kann ich versichern … (oder so).« Mitglieder der B.K. haben sicher seiner Meing. nach nicht ehrlich gearbeitet. Montag, d. 2.8. [2. August 1937] Mein letzter Arbeitstag vor d. Urlaub. Sonnabd. fehlte ich wegen einer schweren Migräne. Heute wurde mir auf den Kopf zugesagt, ich sei über den Garrnis-Artikel im »S.A.-Mann« krank geworden.267 Ich glaube, es ist so. Mein Büro war heute früh ständig mit Leuten besetzt, die vom Urlaub zurückkamen u. wissen wollten, wie es in der Kirche stünde. Ich konnte ihnen wenig sagen u. nichts Erfreuliches. Erfuhr dagegen von ( )268 daß Lehrer ganz bestimmt behaupten, der Führer würde auf dem diesjähr. Parteitag irgendwie die kirchlichen Dinge ordnen. Z.B. in Form einer Volksbefragung: a.) Wollt Ihr eine dem Staat angeglichene D. Ev. Kirche? (Oder so) b.) wollt Ihr eine Kirche, die ein Staat im Staat ist? Ich sagte: »Dann müßte er erst die Anordnung einer Kirchenwahl zu einer Generalsynode zurücknehmen. Ich kann mir nicht denken, daß er dies tut. Er nimmt nie etwas zurück.« Er: »Dann könnte er aber doch bei der Wahl so u. soviel Gruppen zulassen, u.a. auch eine für ›Hitler-Kirche‹ oder so.« Ich: »Das kann er. Aber entweder wäre das eine Kirche außerhalb der D.E.K. – u. dann könnte man diese Wahl nicht an die Stelle von Synodalwahlen treten lassen – oder er wollte eine Gruppe innerhalb der D. E. Kirche leiten – u. das tut er nicht. Das wäre ein ganz unmögl. Zustand.« Daß Gesetze wegen der Klöster pp. gemacht u. am Parteitag verkündet werden sollen, meldete schon vor Wochen die französische Presse. Abends. ( )b wunderte sich auch, daß die erwartete Regelung wegen des Finanzausschusses noch nicht getroffen sei. In Magdeburg sei ein Ausschuß gebildet, mit Prof. Dalhoff, der vor 2 Jahren hier war, um unsere Pfründenabteilung zu studieren u. der sehr gesunde Ansichten über die Thür. Finanzwirtschaft hatte. Ich sagte, hier im Haus ginge das Gerücht, Tegetmeyer würde Leiter der Finanzabteilung.269 Darauf ( )b: »Ja, und nach der Verordnung muß die K.abteilung dieser Finanzabteilung eingegliedert werden. Dann wird Franz überflüssig.«

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Vgl. Tagebuch 26. und 30. Juli 1937. Frauenkopf mit Hakenkreuz; nach dem Folgenden handelte es sich allerdings um einen Mann. Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz, vgl. Übers. Strichzeichnungen. Zur geplanten Einrichtung von staatlich kontrollierten Finanzabteilungen bei den Landeskirchen und bes. in Thüringen vgl. Tgb. 23. Juni und 1. Juli 1937. Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz, vgl. ebenda.

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Da haben wir ja eine Erklärung für dessen wütendes Gesicht. Es wäre also dann die Frage, ob Franz sich Tegetmeyer unterordnet oder nicht!! Die Situation ist zum Heulen, wenn man die Leute kennt. Und Volk? Er hat bei Franz anfragen lassen – aus dem Urlaub – ob wichtige Dinge vorlägen u. ob er im L.K.R. gewünscht würde. Als Antwort schnauzt Franz: »Wichtiges ist immer los. Aber zu kommen braucht er nicht. Ich gehe jedenfalls jetzt auf Urlaub. Ob ich das Ende August noch kann, weiß ich nicht.« Sasse u. Stüber sind wieder da. Leffler wurde heute in Juist, Haus Antonia, angeklingelt. Ich bin froh, daß ich einmal fortkomme. Im vorigen Jahr dachte ich, als ich auf Urlaub ging, daß ich meine Arbeit nicht wieder aufnehmen, sondern beim umgebildeten L.K.R. unter der Leitung von Richard Otto eine neue Tätigkeit bekommen würde. Wir haltens in der Tasche. Und heute! Ich übersetzte heute nachm. noch einmal 2 engl. Times-Ausschnitte. Am 25.7. hat Martin Niemöllers Bruder, Wilh. N. aus Bielefeld, in der St. Annenkirche in Dahlem 3 Gottesdienste gehalten, überfüllt. Er hat die Presse gekennzeichnet, die seinen Bruder als Landesverräter hingestellt hat u. von der Vaterlandsliebe der vielen verhafteten Pfarrer gesprochen (jetzt 57), die sie längst bewiesen hätten. Kein Opfer gäbe es, das sie für ihr Land nicht bringen würden. Nach Schluß der Gottesdienste ist er von 4 Beamten der Gestapo noch in der church hall verhaftet worden. Bei der Fahrt durch die herausströmenden Gruppen von Kirchenbesuchern ist der Polizei allerhand zugerufen worden: »Es ist eine Schande!« »Laß die Pfarrer los!« usw. Nach einer späteren Times-Meldung ist W. N. noch am gleichen Tag wieder freigelassen worden. Also warum erst diese aufreizende Verhaftung. »Die fortwährenden Verhaftungen, Wiederfreilassungen und Wiederverhaftungen dauern an«.(Times). Mittwoch, d. 4.8. [4. August 1937] Am Montag sagte mir aber Jemand, es sollte noch ein Pfr. verhaftet sein. Ich glaubte es nicht, da kein Name genannt wurde. Aber auch das unwahrscheinlichste Gerücht kann sich bestätigen. Pfr. Carlsson-Wiesenthal (Rhön) ist verhaftet, Quelle Obpfr. Göpfert – D. Otto [R.] – Auerbach – Paulssen. Erst hätte man ihn angezeigt u. vor dem Amtsgericht vernommen. Da sei er am nächst. Tag entlassen worden. Der Amtsrichter hätte gesagt, er könne nach Hause gehen, es läge nichts gegen ihn vor.270 Nach einigen Tagen sei Gestapo gekommen u. hätte ihn abgeführt. Obpfr. Göpfert hätte ihn selbst gefahren, damit er nicht noch das Auto zu bezahlen hätte! Er soll vor ein Sondergericht gestellt werden u. hätte gesagt: »Sondergericht? Dann bin ich erledigt.« Ich hörte von anderer Seite, die Verhandlungen vor den Sondergerichten seien nichtöffentlich u. Berufung ausgeschlossen. Man verhandelte da gegen Menschen, gegen die die ordentlichen Gerichte

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Zum Fall Carlsson vgl. Biogramme.

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keine Handhabe hätten. Es seien politische Urteile.271 Man erledigte da unliebsame Persönlichkeiten, an die man sonst nicht herankönnte. Hier hat die Regierung wieder einmal eine Gelegenheit, alle diese Behauptungen Lügen zu strafen, indem sie die angeklagten Pfarrer freiläßt. Donnerstg., d. 27.8., Gronenberg. [27. August 1937] Heute vor 3 Wochen, am 5.8., war ich in Gotha u. traf Frau Bauer [K.] . Es waren, wie sie mir sagte, damals, 6 Thür. Pfarrer verhaftet: Koch-Sulzbach, Fischer-Saalfeld, Carlsson-Wiesenthal, Hilfspfr. Bauer [K.]-Lichtentanne, Hilfspfr. Künzel-Gräfenthal, Pfr. Friederich-Zeulenroda.272 Fischer sei der erste gewesen, den man verhaftet hätte, nicht Koch-Sulzbach. Fischer verhaftet an einem Sonntag, kurz vor einem Gust.-Ad.-Fest273, am Tage, bevor er auf Urlaub gehen wollte– wegen irgend[einer] Äußerung in der Bibelstunde. In dieser Bibelst. hätte immer ein Kriminalpoliz. gesessen. Als der einmal herausgegangen sei, habe Fischer, weil er gerade an der betreff. Stelle angekommen sei, gesagt, diese Leute, von denen in der Bibelstelle (Apostelgeschichte), die er behandelte, gerade die Rede war, seien damals das gewesen, was heute die Polizei sei.274 Als Fischer das sagt, kommt gerade der Polizist zurück, steht auf u. teilt Fischer mit, F. habe gegen die Polizei Stellung genommen, er müßte das anzeigen. Das [ist der] Grund der Verhaftung. Carlsson-Wiesenthal habe in einem Gebet in der Kirche eine Wendung gebraucht – so ungefähr: »Der Herr verleihe uns Kraft in dem Kampf, der uns verordnet ist.«275 Deshalb sei er angezeigt worden. In dem Wort »verordnet« habe man eine Hetze gegen den Staat gesehen. Sie versicherte mir auf meine Frage, derart seien alle Anklagen. Die Fälle Fischer u. Carlsson seien die ernstesten. Wie die Sache Niemöller stünde, wußte sie nicht. Bauer [G.] sei gerade in Berlin, hoffte, dort etwas darüber zu hören. Ich fuhr am 7. nach Lübeck-Gronenberg u. hörte dort von der Kirchenpolitik nichts mehr, bis ich mich bei meinen Freunden beklagte. Darauf liefen ausführl. Nachrichten 271 272

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Für die verhafteten Pfarrer wurde um diese Zeit seitens der LBG öffentliche Fürbitte empfohlen; vgl. dazu Schreiben von Otto an Brakhage vom 11. August 1937, LKAE, LBG 212, 189. Zehn Pfarrer hatten sich zu diesem Zeitpunkt vor Sondergerichten zu verantworten wegen »Vergehens gegen das Heimtückegesetz, wegen Kanzelmißbrauchs und öffentlicher Aufforderung zum Ungehorsam gegen Gesetze« (Schreiben der Gestapo Weimar an den LKR der TheK vom 5. August 1937, LKAE, G 1225, 30. Zu den einzelnen Fällen vgl. Biogramme. Gustav-Adolf-Feste in vielen Gemeinden hatten den Zweck, das Schicksal bedrängter evangelischer Glaubensgenossen, vor allen in der Diaspora, bekannt zu machen und zu Hilfsleistungen für sie aufzurufen. Sie wurden organisiert im Zusammenarbeit mit dem Gustav-Adolf-Werk; vgl. Hermann Rieß, Art. Gustav-Adolf-Werk, in: EKL³ 2 (1989), 360–361. Vermutlich Act 4. In Anlehnung an Hebr 12,1: »Und lasset uns laufen in dem Kampf, der uns verordnet ist.«

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ein (Argus!). Frau Otto [M.] schrieb vor etwa 1 Woche, es ginge ihnen »noch gut«. – »Times« u.s.w. meldeten: Verhandlung gegen Niemöller sei anberaumt, kurz darauf: verschoben. Es seien neue Tatbestände zu untersuchen. Der tiefste Grund sei wohl: Man befürchte, daß Niemöller bei dem jetzigen Stand der Sache freigesprochen würde! – An einem Sonntag im August hat es in Dahlem nach dem Bittgottesdienst Ansammlungen von Gottesdienstbesuchern gegeben, etwa 150 Verhaftungen, davon 40 Pfr. (scheinbar von auswärts). Es hat sich nach dieser Meldung um besondere Bittgottesdienste für Niemöller gehandelt, zu denen Pfarrer aus der Provinz gekommen sind. Dibelius ist verhaftet gewesen und wieder freigesprochen.276 In diesem Fall scheint Kerrl sehr schlecht abgeschnitten zu haben. Es hat sich darum gehandelt, ob er wirklich gesagt hat, die Lehre, Christus sei Gottes Sohn, sei lächerlich. Er hat es bestritten. Er hätte nur gesagt, es sei lächerlich, daß Dibelius u. ein kathol. Bischof ihn hätten belehren wollen, was die christliche Grundlehre sei. Das Gericht hat nicht entschieden, ob er das gesagt hat oder ob die Darstellg. von Dibelius in seinem »offenen Brief« richtig gewesen ist. Jedenfalls ist Dibelius freigesprochen; die Kosten trägt die Staatskasse! Der Staatsanwalt soll gesagt haben, wenn d. Minister die Äußerung in dem von Dib. behaupteten Sinne getan hätte, müßte er zurücktreten! Es wird in einer der Auslandszeitungen gesagt, Kerrl sei gezwungen worden, Dibelius noch jetzt, 6 Monate nach Veröffentlichung des »offenen Briefes«, zu verklagen, um die Behauptung, daß er die beanstandete Äußerung getan habe, aus der Welt zu schaffen. Man versuche, die Schwierigkeiten mit der kathol. Kirche aus dem Wege zu räumen; u. das sei nicht möglich, solange Kerrl diese Äußerung vorgeworfen werden könne! In letzter Zeit sei nicht mehr in der bisherigen Breite über die kathol. Sittlichkeitsprozesse in der Öffentlichkeit berichtet worden. Die französ. Presse (»Croix« u.a.) bringt 2 zusammenhängende Berichte über die Lage der protest. Kirche in Deutschland, sehr gut geschrieben, gut unterrichtet. Zum 1. mal über die »Thüringer« [KDC] das Wichtigste. Briefe aus Eisenach. Unglaubliche Vorbereitungen zur diesjähr. »Reichstagung«. Sonderzüge, Zeltlager u.s.w. Lehmann selig über die Verhaftungen. Frau Scheda zeigt Otto an, weil er in einem Gottesdienst für die verhafteten Pfarrer gebetet hätte. Quelle: Ein Junge, der es ihrem 14-jähr. Jungen gesagt hat. Lehmann gibt das herum »zur Stellungnahme«. Die Kirchenräte schreiben darunter »Gesehen«. Hier u. in Lübeck hörte ich nichts über die Lage. An dem Sonntag, als ich in Süsel in die Kirche gehen wollte, war Feldarbeit, ich im Haus festgehalten. In Lübeck Eindrücke von Kirchenfremdheit bei Tante Maria. Übrigens: Aus dem Urlaub ihres Mannes erzählte mir Frau Otto [M.] noch, 2 alte Damen in sr. Pension, die aus Dahlem seien, hätten Niemöller nie predigen hören.

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»Auch Otto Dibelius wurde vom Berliner Sondergericht I in einem als ›Schauprozeß‹ aufgezogenen Verfahren freigesprochen, da der in einem ›Offenen Brief‹ wiedergegebene Inhalt der Rede des Kirchenministers vom 13.2.1937, der von Kerrl selbst bestritten, von mehreren Zeugen jedoch bestätigt worden war, nicht mehr exakt festzustellen sei« (Schmidt, Martin Niemöller im Kirchenkampf, 435).

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Dagegen: Was versteht »das Volk« von Kunst? Wem ist der »Brüggemann«-Altar im Dom von Schleswig wirklich ein Wert? u.s.w. Eisenach, Donnerstag, d. 2. Sept. 37. [2. September 1937] Es ist Einiges über mich hereingebrochen, seit ich wieder hier bin (Sonntag, 27. Abds). Eben kam der entscheidende Stoß: »Das Schwarze Korps« Nr. 35 vom 2. Sept. mit Auszügen aus der neuen Broschüre von Rosenberg, die Otto mir schon ankündigte. Aber ich will historisch erzählen. Sonntag Abend in Kassel. Junge Männer stehen vor meinem Abteil u. ich sehe sofort: Evangel. Pfarrer. Woran ich sie erkannt habe, weiß ich selber nicht. Sie sehen aus wie andere Leute, waren in Jackettanzügen u. hatten Aktentaschen. Ich merkte bald, die Diagnose stimmte. Ich riet weiter: Bekenntnispfr. Sie waren so jungenhaft lustig, schließlich lachte das ganze Abteil mit. Sie fuhren nach Coburg u. waren sich nicht einig über die Staatszugehörigkeit von Schmalkalden. Ich half ihnen: Hessische Enklave. Aha! – Nun war mir klar, daß in Coburg u. Schmalkalden etwas los war. Am nächsten Tag zu O. Er wußte nichts über Coburg-Schmalkalden. Er beurteilte die kirchl. Gesamtlage sehr ernst: gar kein Lichtblick. In Thür. wütet der L.K.R. weiter. Der Parteitag steht vor der Tür.(!) Rosenberg soll eine Broschüre geschrieben haben – etwa mit dem Titel: »Protestantische Rompilger«.277 Damit wolle er die »Bekennende Kirche« vernichten. Der Parteitag sollte den Namen bekommen: »Parteitag des Friedens«.278 Man wolle die verhafteten Pastoren amnestieren, da man auf keine andere anständige Weise mit diesen Fällen fertig werden könnte. Auf jeden Fall sollte – so schiene es – die kirchlichen Dinge jetzt von Staats wegen geordnet werden, ohne Verhandlungen mit den kirchliche Stellen. Alle Eingaben blieben unbeantwortet, höchstens würde der Bescheid gegeben, die Sache sei dem Kirchenministerium weitergegeben – dem Kirchenministerium, über das man sich eben beschwert. Fischer-Saalfeld u. Carlsson-Wiesenthal seien frei nach 3 Wochen Haft. Über die übrigen Fälle sprachen wir nicht279 u.s.w. Übrigens schiene d. K.ministerium von den Thür. D.C. etwas abzurücken. Dann traf ich ( )a. Alles am Montag, an dem ich noch nicht im Dienst war. Der behauptete, es müßte was vorgehen, was den Thür. D.C. unangenehm sei. Sie machten sehr lange Gesichter. Franz sei für zunächst 8 Wochen nach Berlin ins K.min. berufen, aber sie prahlten nicht damit, wie das doch sonst immer gleich ihre Art ist, wenn sie einen Erfolg errungen haben. 277

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Alfred Rosenberg, Protestantische Rompilger. Der Verrat an Luther und der Mythus des 20. Jahrhunderts, München 1937, 31937. Das Werk wurde im November 1935 abgeschlossen, aber erst im August 1937 herausgegeben. »7. September 1937 (Dienstag). Politik. Der Nürnberger »Parteitag der Arbeit« wird vom Münchener Gauleiter Adolf Wagner mit einer Proklamation des Führers eröffnet« [Tageschronik: 7. September 1937. Digitale Bibliothek Band 49: Das Dritte Reich, S. 2545 (vgl. DGK Bd. 2.1, S. 384) (c) Droste/Directmedia]. Vgl. jeweils die Biogramme. Strichzeichnung Männerkopf, steht für Friedrich Bernewitz, vgl. Übersicht Strichzeichnungen.

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Zum Dienst am Dienstag. Das Erste, was mir von allen Seiten zuerst erzählt wurde, war Franz’ Berufung nach Berlin. »Wegen der Wahl«. ( )b wußte von dieser Einschränkung allerdings nichts u. nahm die Berufung für ein Anzeichen wachsenden Einflusses der »Thüringer« [KDC]. Allgemein wurde, diesmal ganz bestimmt, die Überzeugung ausgesprochen, daß die kirchl. Dinge auf dem Parteitag zur Sprache kämen, u. zwar erwarte man die diesbezügl. Führerrede am Freitag, näml. morgen, am 3. Sept. (Der Parteitag beginnt aber erst am 6.!). Im übrigen fragte er sofort nach Auslandsnachrichten. Er wußte noch nicht einmal, daß Dibelius freigesprochen war – vor 4 Wochen! Ein Mann in seiner Stellung! Es ist bezeichnend. Dann kam als Neuestes folgende Geschichte von einem dabeigewesenen Mitglied des Eis. Posaunenchores: Vorige Woche sei ein Fest der Erinnerung an den Schmalkaldener Konvent (1537) u. die Schmalk. Artikel in Schmalkalden gefeiert worden, aufgezogen von Staat u. Partei. Festgottesdienst D. Stange.280 Zum Wochenende, 28.–30.8., vorgesehen eine Arbeitstagung des Ev. Männerwerkes unter Leitung von Johnsen-Braunschweig. Mitwirkg. des Posaunenchores vorgesehen. Als Auftakt: Verbot für den Posaunenchor, im Freien zu blasen. Als Johnsen eintrifft, empfängt ihn die Polizei u. teilt ihm mit, daß er Schmalkalden sofort wieder verlassen müßte, er hätte keine Aufenthaltserlaubnis. (Johnsen hat wie Marahrens u. Meiser, Aufenthaltsverbot für Thüringen (seit Frühjahr); Schmalk. aber ist hessisch). Der Berichterstatter hatte noch eine 2. Darstellung gehört, nach der man Johnsen eine Stunde Aufenthalt in Schmalkalden genehmigt hätte. Wie dem auch sei: Er schüttelt den Schmalkaldener Staub von seinen Füßen, fährt nach Coburg u. verlegt die ganze Tagung dorthin, wo er mit offenen Armen empfangen wird. – Nun scheint sich hinter den Kulissen Einiges abgespielt zu haben. Jedenfalls sei bestimmt richtig, daß, nachdem Johnsens Eintreffen in Coburg, Landrat u. Bürgermeister von Schmalkalden ihn telephonisch gebeten hätten, doch wieder zurückzukommen! Sie wollten [ihn] auch auf seiner Tagung offiziell begrüßen. Er hätte aber gedankt. Es wird sogar behauptet, die Eisenacher Machthaber hätten ihm angeboten, hier zu sprechen!281 Also deshalb fuhren meine Reisegefährten zur »Burg der Co.« Die Schmalkaldener Gemeinde sei am Sonnabd. Abend noch zum Gottesdienst am nächsten Morgen eingeladen worden, der nun nicht als Feier des Männerwerkes gehalten werden konnte. Die Gemeinde sei in Massen erschienen u. der Gottesdienst unter tiefer Anteilnahme verlaufen, der Pos.chor wirkte mit.

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Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz, vgl. ebenda. Bundesversammlung der protestant. Stände im Februar 1537; Luthers Schmalkaldische Artikel in dessen Abwesenheit von den Theologen unterschrieben; vgl. Heussi, Kompendium, 388. Das Männerwerk hatte wenige Tage später der zuständigen Behörde den Sachverhalt noch einmal dargelegt, um sich gegen die getroffenen polizeilichen Maßnahmen ausdrücklich zu verwahren; vgl. Schreiben des Reichsamts des Deutschen Evangelischen Männerwerks (Dr. Johnsen, Dr. Jagow) an den Regierungspräsidenten in Kassel vom 3. September 1937.

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Die neue Nr. des »Schwarzen Korps« – nicht möglich, darüber etwas zu sagen. Also: »Die Frist, die den politisch u. international gewordenen »bekennenden« Protestantismus fast unzulässig lange gegenüber der Konkurrenz-Konfession – Konkurrenz im negativen Sinne des Wortes – bevorzugte, ist nun abgelaufen …« u.s.w. Eins wenigstens freut mich: Hier wird zugegeben, daß unbekannt ist, wer die Denkschrift der »vorl. Kirchenleitung« im vorigen Jahr ins Ausland brachte.282 Zahllose Zeitungen u. Redner haben doch mit größter Bestimmtheit erklärt, Bekenntnispfarrer seien es gewesen (Engelhardt!). Und dann wird mit größter Offenheit gesagt, daß man gegen d. Christentum ist – Bergpredigt. Nun sollte man auch aufrichtig sein u. § 24 des Parteiprogramms fallen lassen.283 Bekennen! Es scheint, daß man noch immer an der »Wahl« festhält. Aber es sollte eben vorher noch Rosenberg seine Broschüre schreiben u. der Parteitag das Urteil über uns sprechen. Die ausländischen Zeitungen schreiben, daß dann gleich nach dem Parteitag, noch im Banne dieses Eindrucks, die kirchlichen Wahlen stattfinden sollten. Es ist sehr glaubhaft. Nur das Gerücht von der Amnestierung der verhafteten Pfarrer – die französ. Zeitungen nennen als Gesamtzahl jetzt 120 – paßt nicht hinein. Als Neuheit auch ein Bericht von Dorothee [Brauckmann] über ihre Dolmetscherarbeit im Auftrag des L.K.R. anläßlich des Aufenthalts von Engländern hier, geführt von dem Senior des Jenaer theol. Konvikts, Göppinger. (Sie war von Phieler dem L.K.R. empfohlen). Sie nennt sich »B.K.«, ist aber nicht eingeschriebenes Mitglied u. daher auch nicht genügend orientiert. Es endete damit, daß sie ihre Einstellung zu erkennen gab, Göppinger hätte provoziert. Z.B. hatte er zu diesen Ausländern auf eine Frage geantwortet: »O ja, ›unser‹ Geld nehmen sie (B.K.) (Gehälter!). Und dann kommen hinterrücks die Stiche.« Und: »Niemöller? Das ist ein Schuft, ein Schurke! Der gehört aufgehängt! Alle diese Männer gehören aufgehängt!« Und das zu Ausländern! Lehmann hätte den Engländern ganze Stöße von D.C. Schriften in die Hand gedrückt, aber auch ein Heft »Junge Kirche«. Dorothee hat dem engl. Führer dann das Heft von Otto284 u. eins von Kern285 gegeben. Auf eine Frage des englischen Führers nach dem Reichsbischof hat Lehmann geantwortet: »Er hat noch Funktionen.«

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Greschat, Zwischen Widerspruch und Widerstand, 102. Vgl. auch Tgb. 25. Juli 1936. Die Tagebuchschreiberin war bis zu diesem Zeitpunkt davon ausgegangen, dass die Rede vom »Positiven Christentum« in Punkt 24 des NSDAP-Parteiprogramms auch eine insgesamt positive Einstellung der Nationalsozialisten zum Christentum beinhalte. Zunehmend aber registrierte sie, dass der Nationalsozialismus wenig Interesse an der Einbeziehung von Christen in den neuen Staat zeigte, das Christentum gar behinderte und bekämpfte. Gemeint ist wohl die Schrift von Ernst Otto, Evangelischer oder »deutsch-christlicher« Glaube? Eine Auseinandersetzung über die Grundfrage evangelischen Glaubens mit der nationalkirchlichen Bewegung der Thüringer Deutschen Christen, Nürnberg 1937. Helmut Kern, Mein Deutschland – wohin?, Nürnberg 1937; ders., Kirchenkampf – wie lange noch?, Nürnberg, 2. Aufl. (von »Mein Deutschland –wohin?«) 1937.

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Nach den neuesten Kirchenzeitungen sind übrigens die noch übrigen Kirchenausschüsse abberufen (Sachsen286) oder zurückgetreten (Hessen-Nassau287). Labi Dietrich hat seine Sprechstunden wieder aufgenommen. Ich bekam heute die Mitteilung, daß eine Mitteilung des luth. Rates über die Vorgänge in Sachsen nicht verschickt werden darf. Es seien überhaupt neue Pressebestimmungen über Rundschreiben herausgekommen (die natürl. ganz verschieden gehandhabt werden). Freitag, d. 3.9., früh. [3. September 1937] Gestern Abd. Bibelstunde, die Mitzenheim hielt (Speisg. der 5000288). Otto sehr krank: Nierenkolik. Ich habe Sorge. – Am Mittwoch war er in Erfurt zur Bruderratssitzung: »Nicht mehr Aufregung als gewöhnl.«, sagte Frl. Koeppen. Heute im »Völk. Beobachter« ein Aufsatz über Rosenbergs neue Broschüre »Protestantische Rompilger«, die ab morgen ausgegeben werden soll.289 Nach der Inhaltsangabe zu schließen wird sich aus ihr ein ungeahntes Ausmaß von Nichtwissen um die Vorgänge in der Kirche vor u. nach der Machtergreifung u. der ausgesprochene Wille zur tendenziösen, nicht zur gerechten, Darstellung ergeben, die alle Brücken der Verständigung abschneidet. Franz’ Berufung nach Berlin hat er selbst mit einem »Sonderauftrag« erklärt. Leutheuser hat darüber gesagt: »Vorläufig auf 2 Monate. Aber wir hoffen ja …« Der Rest wurde nicht verstanden. Andere erklären: »Wegen der Wahl.« Daß er bereits Anfang Juli selbst von sr. Versetzg. nach Berlin gesprochen hat, hat er im August nicht mehr wahr haben wollen. Freitag, nachm. O. geht es besser. Er lag, noch stark unter der Wirkung von Betäubungsmitteln, im Bett, u. wollte mich sprechen. »Jetzt haben wir in Thür. unseren Bekenntniskrach«, sagte er schlaftrunken, »haben Sie's noch nicht gehört? Wir wollten doch was verlesen, letzten Sonntag, u. Zimmermann u. ich waren übereingekommen, nicht zu verlesen.«290 – Es wird eine Verlesung sein, von der »Le Jour« u. »Le temps« ausführlich berichtet haben,

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Gemeint ist die Kirchenprovinz Sachsen. »Der sächsische Provinzialkirchenausschuß war am 4. Juni 1937 zurückgetreten« (Meier, Kirchenkampf III, 316). Der Ausschuss trat Ende Juli zurück; vgl. Meier, Kirchenkampf III, 424. »Nachdem der Landeskirchenausschuß von Nassau-Hessen zurückgetreten ist, teilt nun der frühere D.C.-Landesbischof Lic Dr. Dietrich im Gesetz- und Verordnungsblatt der Landeskirche mit, er nehme vom 31. August dieses Jahres an seine Sprechstunden im Dienstgebäude der Landeskirchenkanzlei in Darmstadt wieder auf« (JK 5 [1937], 753). Mk 6,30–44; Mt 14,13–21; Joh. 6,1–13. Vgl. Tgb. 2. September 1937. Gemeint ist die zweite Kanzelabkündigung des sog. Kasseler Gremiums für den 29. August 1937 (KJ 1933–1944, 194–198); zur ersten Abkündigung desselben Gremiums vgl. Tgb. 10. Juli 37. Zur Stellungnahme der LBG vgl. Schreiben von Ernst Otto an Sylten vom 28. August 1937 (LKAE, LBG 65, 109) sowie Stellungnahme von Hans Zimmermann, nicht datiert, wohl August 1937; gerichtet vermutlich an die Leitung der LBG (LKAE, LBG 65, 117).

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offenbar eine Gesamtdarstellung der Lage. Nach diesen Quellen eine Abkündigg. der »Kasseler Vereinigung« (6.7.37)291 u. eine besondere der Niemöller-Leute292. Im »Berner Tageblatt« v. 18.8. steht, der Führer hätte in d. letzten Tagen in Berchtesgaden »mehrere höhere Geistliche« empfangen u. mit ihnen über die kirchenpolit. Lage (offenbar im Protestantismus) gesprochen. Einzelheiten nicht bekannt. – Ob es D.C. gewesen sind? Zoellner wurde nie empfangen. Sonnabd., d. 4.9. [4. September 1937] Gestern nachm. kam ich in die Kantine, wo ein Männerkränzchen die Köpfe zusammensteckte. Ich hörte gerade »Niemöller«. Im Verschwörerton gehaucht von Dr. Spigaht. Und dann: »Es ist wirklich wahr!« Ergriffenes Schweigen. Und da mußte ich gerade kommen. Heute sagt mir einer, vor 8 Tagen hätte in »Dagens Nyheter« gestanden, der Prozeß gegen Niemöller würde vielleicht überhaupt nicht verhandelt. Die Zeitungen melden: Mussolini kommt im Sept. nach Deutschland. ( )a knüpfte daran die kühnsten Hoffnungen. Montag, d. 6.9. [6. September 1937] Morgenandacht von Jansa im bekannten Stil. Ich bin neugierig, wie lange die Leute sich noch erzählen lassen, was die Bekenntnispfr. angeblich predigten u. wann man sich entschließen wird, in ihre Gottesdienste zu gehen u. sichs selber anzuhören. Eben sagt mir Frau Sommer, am Freitag Abd. 10 Uhr sei im Radio durchgegeben worden, die kirchl. Geschäfte würden jetzt vom Reichsmin. Kerrl geleitet, dem alles unterstellt würde – oder so ähnlich. Am Sonnabd. hätte es in der Presse gestanden. Heute beginnt der Reichsparteitag.293 Wenn die Mitteilg. über die Kirchen stimmt, dann wäre wohl klar, daß Franz als Referent für Thür. ins K.min. kommt. Dorothee sagte mir gestern noch, Göppinger, der Senior des Konvikts in Jena, habe ihr – bei ihrer Dolmetschertätigkeit – als einmal die Rede auf Otto kam, gesagt: »Den müßte man hernehmen u. windelweich durchprügeln.« Es klang noch gemeiner, aber ich kann es nicht so hinschreiben. Guida Diehl hat in ihrem Blatt in Verteidigg. von pöpelhaften Angriffen gegen sie in der »Nationalkirche« einen Offenen Brief an Leffler u. Leutheuser geschrieben, in dem sie ihnen »Lügen« vorwirft u. überhpt. eine sehr kräftige Sprache redet.294 Frau Otto [M.] sagte, sie wäre ganz verzweifelt zu O. gekommen u. hätte gefragt, was sie bloß tun sollte.

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Vgl. Tgb. 10., 26. und 30. Juli 1937. Gemeint sind offenbar die Beschlüsse der 5. Bekenntnissynode der Evangelischen Kirche der altpreußischen Union vom 21.–27. August 1937, in: KJ 1933–1944, 199–205. Strichzeichnung Männerkopf, steht für Friedrich Bernewitz, vgl. Übersicht Strichzeichnungen. Vgl. Tgb. 2. September 1937. Zur Auseinandersetzung Guida Diehls mit der KDC vgl. (1) redaktionelle Notiz zu Guida Diehl, NaKi 6 (1937), 126; (2) Guida Diehl, Zur Abwehr, Neulandlandblatt 22 (1937), 200–201 und dies., Offener Brief an Herrn Oberregierungsrat Leffler und Herrn Kirchenrat Leutheuser, Neulandblatt 22 (1937), 201–203.

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Dienstliche Mitteilung: Das Blatt »Der Ev. Schulfreund« benachrichtigt seine Bezieher, daß ihm »durch Verfügg. der Geh. Staatspol. das weitere Erscheinen untersagt« ist. Ein sehr formloses, etwas pietistisch gefärbtes Blatt. Donnerstag, d. 9.9.37. [9. September 1937] Montag Abd. schlechte Nachr. über O. Dienstag Mittag Gemeinschaftsempfang: Proklamation des Führers. Nur eine Randbemerkung über die Konfessionen: Sie hätten kein Daseinsrecht mehr.295 (In den Presseberichten werden solche scharfen Bemerkungen manchmal weggelassen.) Der Mittagsbericht über O. klang besser, der Abendbericht weniger gut. Am Abend hat Rosenberg bei der Verteilg. der nationalen (Nobel-) Preise296 etwas über »Schwärmertum« gesagt, das sich am linken Flügel der Partei breitmachte u.s.w. Die Partei gestalte selbst die N.S.-Weltanschauung, das könnte keiner … u.s.w. Wie Luther gegen die Bilderstürmer, so müßte er … u.s.w. (Erst haben sie sie großgezogen). – Ich bin überzeugt, daß das auch den Thür. D.C. galt. Es klang weit entfernt von »Nationalkirche«. Ob wenigstens ferne Geschlechter erfahren werden, was da hinter den Kulissen vorgegangen ist? Wir erfahren es jedenfalls nicht. Am Mittwoch Abend zum erstenmal bessere Nachrichten über O. Ein schmerzfreier Nachmittag – u. er fragt u.a. nach dem Parteitag! Zur gleichen Zeit hat Rosenberg über Christentum u. Kirche gesprochen. Wer ihn gehört hat, schüttelt nur den Kopf. Ich habe mich noch nicht entschließen können, die Zeitungsberichte zu lesen!297

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7. September 1937 (Dienstag) Politik: »Der Nürnberger ›Parteitag der Arbeit‹ wird vom Münchener Gauleiter Adolf Wagner mit einer Proklamation des Führers eröffnet. Darin werden die Aufgaben des Parteitages, die Hauptlinien der Außen-, Sozial- und Wirtschaftspolitik in Form eines Rechenschaftsberichtes dargestellt: ›Im fünften Jahre nach der nationalsozialistischen Revolution können wir keine herrlichere Feststellung treffen als die eine: Es ist wieder schön, ein Deutscher zu sein, und ein Glück, in Deutschland zu leben! Das deutsche Volk, die nationalsozialistische Bewegung, die nationalsozialistische Armee und unser Reich Sieg Heil!‹« [Tageschronik: 7. September 1937. Digitale Bibliothek Band 49: Das Dritte Reich, S. 2545 (vgl. DGK Bd. 2.1, S. 384) (c) Droste/Directmedia]. »Nationalpreis für Kunst und Wissenschaft. Auszeichnung für Künstler und Wissenschaftler. Der Deutsche Nationalpreis wurde am 30.1.1937 von Hitler als Reaktion auf die Verleihung des Friedensnobelpreises an Carl v. Ossietzky gestiftet. Die Annahme des Nobelpreises wurde deutschen Staatsbürgern untersagt.« Er »wurde auf den Reichsparteitagen … verliehen« (Enzyklopädie des Nationalsozialismus, 599). »Der Abend des Parteitages der NSDAP ist der Kultur gewidmet. Goebbels gibt die erstmals verliehenen Nationalpreise für Kunst und Wissenschaft bekannt: an den verstorbenen Architekten Paul Ludwig Troost für seine Partei-Bauten in München und an Alfred Rosenberg für sein Wirken für die NS-Weltanschauung (100 000 RM).« [Tageschronik: 7. September 1937. Digitale Bibliothek Band 49: Das Dritte Reich, S. 2546 (vgl. DGK Bd. 2.1, S. 384) (c) Droste/Directmedia]. Vermutlich steht dahinter der folgende Vorgang: »Reichsleiter A. Rosenberg hat in Nürnberg bekanntlich von dem ›in letzter Zeit bemerkbar hervortretenden Schwärmerwesen‹ gesprochen und daß ›keine dieser Gruppen und Grüppchen das Recht besitzt, sich als Vertreter nationalsozialistischer Weltanschauung auszugeben‹« (JK 5 [1937], 841).

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Lehmann ist in Nürnberg, Sasse u. Stüber werden noch hinreisen. Aus dem Betrieb etwa 15 Mann. Für morgen, Freitag Abend wird eine Führerrede über die Kirche erwartet.298 Man muß auf das Schlimmste gefaßt sein. Ich habe einen Umlauf gelesen: Abschrift aus dem »Schwarzen Korps« mit Auszügen aus einer Schrift von Dibelius von 1930 u. dazu Meinungsäußerung von Lehmann: Das solle im »Kirchl. Anz.« veröffentlicht werden mit einem Zusatz ungefähr so: »Jeder Thür. Pfarrer muß nun wissen, wohin er gehört u. wohin er nicht gehört. Der L.K.R. …« Dann noch Lehmanns Vorschlag, diesen Kirchl. Anz. als Wurfsendung an alle Deutsch. Pfarrer zu versenden. Es sei eine »einmalige« oder »nie wiederkehrende« Gelegenheit, »um zu zeigen, wo wir stehen.« Wem will er das zeigen? Wir wissen es doch! Will er es Rosenberg zeigen? Der kann doch diese Liebedienerei u. Verräterei nur verachten. Übrigens hat sich Frau So. [Sommer] geirrt, es stand nichts darüber in der Zeitung, daß die ganze Kirche Kerrl als oberste Spitze unterstellt sei. Es handelte sich um Absetzung des Kirchenausschusses in Preußen u. Übertragung seiner Befugnisse an den Oberkirchenrat (Werner).299 Man erfährt wenigstens Einiges von dem, was in Sachsen vorgegangen ist. Muhs hat den K.A. abberufen, nicht Kerrl, u. zwar nicht durch Gesetz; die Rechtmäßigkeit der Abberufung wird angezweifelt. Die an Stelle des K.A. eingesetzten Leute seien alle D.C. Thür. Richtung [KDC]. Fünf Viertel der Pfarrerschaft hätten sich ausdrücklich für Verbleiben des K.A. ausgesprochen! – Hier wird es ganz deutlich: Es soll zerstört werden, nicht geeinigt. 10.9.37. [10. September 1937] Eben Anruf des Gemeindevorstehers von Sulzbach beim L.K.R.: Pfr. Koch wäre gestern Abend aus der Haft entlassen worden! Ob er amtsentsetzt wäre? – Die Antwort habe ich naturgemäß nicht erfahren. Verhandlung gegen ihn war nicht. Gestern Abend Bibelstunde. Mitzenheim war anwesend; aber es sprach ein anderer Pfarrer, der »auf Urlaub« hier sei u. dessen Name absichtlich nicht genannt wurde. Aus Nowawes. Er betete für die gefangenen Pfr. u. Laien: Ungefähr 120. Erwähnte seine eigene Haft. – Übrigens soll die Bibelstunde ausgesetzt werden, bis Otto sie wieder halten kann. Die Leser von »Aus Luthers lieber Stadt« in Kiels Bezirk sind dabei geblieben, nur wenige Abbestellungen. Andere kommen immer neu hinzu. Aber: Rache der Kirchenvertretung: Nachdem sie schon das Konto des Gemeindeblattes gesperrt hat, hat sie jetzt einmütig Mitzenheim als Schriftleiter abgesetzt.300 Er hatte zwar gesagt, das sei nicht so einfach nach dem Schriftleitergesetz, aber … na ja. 298 299

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Diese Erwartung wurde entttäuscht; vgl. die Hitlerreden auf dem Parteitag in: Domarus I/2. »Der Landeskirchenausschuß für die altpreußische Union ist am 24. August vom Staatssekretär Dr. Muhs für aufgelöst erklärt worden, nachdem zwei Mitglieder ihren Auftrag zurückgegeben hatten. Die Vollmachten sind dem Präsidenten des Evangelischen Oberkirchenrates, Werner, und dem Vorsitzenden der Finanzabteilung des Evangelischen Oberkirchenrates übergegeben worden« (JK 5 [1937], 796); vgl. Meier, Kirchenkampf III, 181. Mit Schreiben vom 4. September 1937 an Mitzenheim erklärte die Kirchenvertretung der Kirchengemeinde Eisenach, dass er mit sofortiger Wirkung vom Amt des Schriftleiters der Zeitschrift

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Weiter hat der L.K.R. die Zuschüsse für die Posaunenchorarbeit in Thür. gesperrt, solange Mitzenheim Leiter ist, u. desgleichen für den Kirchenchorverband.301 Wer soll das nun eigentlich in Zukunft alles machen? Mitzenheim war dazu geeignet wie kein anderer. Sie haben garnicht genug Pfr. für all diese Arbeiten. Das wird nun alles verwahrlost. Im Reichswart (v. 11.9.37) wird »Der deutsche Sonntag«, Organ unserer Thür. D.C., wegen zweier Aufsätze in sr. Nr. heftig angegriffen. Zum Schluß der schöne Satz: »Warum ist der Herr eigentlich so erbost? Die Antwort ist nicht schwer: Er führt Krieg gegen die Bekenntnischristen u. da paßt ihm die Gewissensfreiheit nicht …« Offenbar diesselbe Nr. des »Deutschen Sonntag« wird auch in der »Ev. luth. Kirchenzeitung« angeprangert. In einem Artikel derselben Nr. hat der eine Autor Toleranz gefordert (für die eigene Richtg.), ein anderer Autor sich über Toleranz lustig gemacht.302 Dies unter anderem. Sonnabd., d. 11.9.37. [11. September 1937] Gestern Abd. saß ich bei S. um die Rede des Führers an die polit. Leiter303 zu hören. Er kam, begann pünktlich. Nach einiger Zeit sagte ich: »Er kommt heute langsam in Schwung.« Nach einiger Zeit: »Er ist noch nicht in Fahrt.« Wieder nach 5 Min.: »Er ist

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»Aus Luthers lieber Stadt« abberufen sei; vgl. LKAE, LBG 241, 188. Eine im Auftrag durch die Eisenacher Pfarrer Hertzsch, Brakhage, Kühn, Mitzenheim und Nitzsch beim Reichsverband der evangelischen Presse erbetene Rechtsauskunft stellte allerdings fest, dass diese Abberufung »rechtsungültig« sei. Abgesehen von der Frage, ob der Gemeinderat oder die Pfarrerschaft Verleger des Blattes sei, widerspreche die Kündigung dem Schriftleitergesetz. Demzufolge sei auch die von dem Kirchenvorstand angeordnete Vorzensur unstatthaft. Allein dem Schriftleiter obliege die Entscheidung über den Inhalt des Blattes; vgl. Schreiben von Nitzsch an den Vorsitzenden des Kirchenvorstandes Oberpfarrer Stier vom 20. September 1937 (LKAE, LBG 241, 197), der nun seinerseits ankündigte, eine Rechtsauskunft einholen zu wollen; vgl. Schreiben des Kirchenvorstands an Pfarrer Nitzsch vom 22. September 1937, LKAE, LBG 241, 200. Daraufhin wurde die Eisenacher Pfarrerschaft tätig. Sie nahm für sich in Anspruch, Herausgeber des Blattes zu sein, und kündigte dem Verlag. Der Kirchenvorstand war demnach nicht mehr Verleger des Eisenacher Gemeindeblattes. Vertreten wurde die Herausgeberin nun durch Pfarrer Nitzsch; vgl. Schreiben von Nitzsch an den Reichsverband der evangelischen Presse vom 23. September 1937, LKAE, LBG 241, 201). Der Reichsverband der evangelischen Presse nahm Nitzsch mit Wirkung vom 1. September als »Verleger der Zeitschrift ›Eisenacher Gemeindeblatt Aus ›Luthers lieber Stadt‹‹« in den Verband auf; vgl. Schreiben des Reichsverbands der evangelischen Presse an Pfarrer Nitzsch vom 27. September 1937, LKAE, LBG 241, 206. »16. Zuschüsse für die Kirchenchor- und Posaunenchorarbeit. Kirchenrat Lehmann bringt den Antrag des Pfarrers Mitzenheim zum Vortrag. Beschlossen wird: Den Landesverbänden der Kirchenchöre soll mitgeteilt werden, daß die landeskirchlichen Zuschüsse nicht gezahlt werden, solange die Verbände von einem Obmann geleitet werden, der fortgesetzt schwerste Angriffe gegen die Kirchenleitung richtet; vgl. Protokoll der Sitzung des LKR vom 18. Juni 1937, LKAE, A 122. »Im ›Deutschen Sonntag‹ Nr. 34 wird auf der ersten Seite darüber geklagt, daß man den ›Deutschen Christen‹ nicht volle Gleichberechtigung in der Kirche gewähre; sie verlangen ›Toleranz‹. Zwei Seiten später wird die ganze Christianisierung Deutschlands als ein Unglück betrachtet und die Toleranz als ›Rückgratlosigkeit‹ angeprangert: ›Denken wir an die Vergangenheit! Heute herrscht als zweckmäßige Anschauung: die allgemeine Toleranz auf religiösem Gebiete sei urdeutsch, urgermanisch. Welche Zeit und welche Kennzeichen dieser Zeit will man denn da anführen?‹« (AELKZ 70 [1937], 837–838). Domarus I/2, 722.

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noch nicht auf der Höhe.« Und da war es schon aus! Er ging auf keine Einzelheiten ein, sprach nur ganz kurz von der kriegerischen Weltlage u. der deutschen Sehnsucht nach Frieden, von den alten Kämpfern u. der Freude des Zusammenseins, machte große Pausen, rang nach Worten, was man noch nie bei ihm erlebt hat – und Schluß. Wir waren starr. Der erste Eindruck war: Er ist krank oder er hat kurz vor der Rede eine erschütternde Nachricht bekommen. Es war seltsam. – Aber uns fiel natürl. auch ein Stein vom Herzen; denn die Vernichtung der Bek.front, auf die wir warteten, hatte nicht stattgefunden. Jetzt, wo der Parteitag zu Ende geht u. die Kampfspiele der SA u. der Wehrmacht das Interesse fesseln, ist doch wohl kaum noch Gelegenheit dazu. Wenn man doch endlich genaueres wüßte, was in Sachsen vorgeht. Das Ev. Deutschland v. 12.9. teilt mit, der neue Leiter des L.K.Amts u. der Leiter der Finanzabt. hätten mit Genehmigung des K.min., »den im Mai 1936 vollzogenen Anschluss der ev. luth. Landeskirche an den luth. Rat mit sofortiger Wirkung als erledigt erklärt.«304 Die Provinz.kirchenausschüsse für Westf.305 u. Ostpreußen sind vom K.min. »für nicht mehr handlungsfähig« erklärt worden. In d. neuen »Nationalkirche« v. 12.9. wird auf S. 294 mitgeteilt: »Das sächs. Landeskirchenamt in Dresden warnt öffentlich davor, über die Vorgänge am 9.8.1937 bei dem gewaltsamen Eindringen Unberufener in das Dienstgebäude des Landeskirchenamtes unwahre Behauptungen zu verbreiten. Eine ausführl. Darstellg. der Vorgänge kann, solange auf Grund vom Leiter des L.K.-Amtes gestellter Strafanträge ein gerichtl. Verfahren läuft, in der Öffentlichkeit nicht gegeben werden (Kirchl. G.V.Bl. S. 96 v. 20.8.37).« 306 Das scheint eine schöne Schweinerei zu sein u. für die Hintergründe ist es offenbar bezeichnend, daß von den D.C. keine Darstellg. der Vorgänge gegeben wird. Sonst sind sie doch nicht so zurückhaltend in Bezug auf schwebende Verfahren. Im Gegenteil. Jul. Leutheuser antwortet Guida Diehl u. droht mit dem Gericht.307 Im übrigen lehnt er jede Verantwortung wegen der pöbelhaften Angriffe auf Guida Diehl ab – er sei auf Urlaub gewesen! Da hörts schon auf. Das nennt man verantwortliche Schriftleitung. Nachdem der erste Artikel erschienen war, hätte er doch seinem Mitarbeiter einen Brief oder eine Postkarte schreiben können – oder liest er sein eigenes Blatt nicht im Urlaub? Und Leffler, Dr. Bauer [W.] u.s.w.? Sowas muß doch eigentlich auch vors Parteigericht. Die ganze Geschichte ist bezeichnend für die Methoden im »Kirchenstreit«. Der Name des betr. Mitarbeiters wird von Leuth. nicht genannt, ich weiß ihn aber aus dem Haus: Paulin. Übrigens werden die beiden Artikel auch hier im Haus kritisiert. Natürlich, Guida Diehl ist Pg.! Anderer Leute Ehre ist unwichtig.

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Zum Beitritt Sachsens zum Lutherrat vgl. Tgb. 29. Mai 1936. »Im Juli 1937 mußte der westfälische Provinzialkirchenausschuß vorfristig seine Tätigkeit einstellen« (Meier, Kirchenkampf III, 327). Nationalkirche 6 (1937), 294. Julius Leutheuser, Unsre Antwort auf den im Neulandblatt erschienenen, von Frau Guida Diehl verfaßten Offenen Brief an meinen Kameraden Leffler und an mich, Nationalkirche 6 (1937), 293.

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Montag, d. 13.9.37. [13. September 1937] Gestern früh soll Hitler wieder eine große Rede in Nürnberg gehalten, aber wieder das Wort »Kirche« nicht einmal in den Mund genommen haben.308 Daß bestimmt in dieser Richtung etwas erwartet wurde, auch von anderen, bestätigte mir Frau v. E. [Eichel], die so nebenbei sagte, ihr Mann hätte mit dem Oberbürgermstr. wegen des Verbots des Posaunenblasens vom Schloßturm gesprochen u. die Antwort erhalten: »Wir wollen erst mal abwarten, was in Nürnberg über die Kirche gesagt wird.« Eben eine interessante Nachricht, Ausspruch von Leuth. vor Kurzem. Einer fragt ihn, was nun werden soll, ob die Thür. D.C. nun nicht bald irgendwie vom Staat anerkannt werden oder sonst was. Darauf verzieht er das Gesicht, als ob ihm sehr ungemütlich sei, u. macht eine wegwerfende Handbewegung: »Ach, im K.min. wissen sie ja selbst nicht, was sie machen sollen. Wir haben ihnen ja jetzt einen Juristen [Franz] geschickt, der wenigstens was von der Sache versteht!« Und auf eine weitere Frage nach den Beziehungen zwischen D.C. u. Staat: »Wir werden noch schwere Komplikationen kriegen!« Die Quelle ist gut: Es ist der Mann, der ( )a manchmal sein Herz ausschüttet. Und ich habe am Sonnabend wenigstens andeutungsweise gehört, was in Sachsen los ist. Ich stelle ( )b wegen der Notiz in der »Nationalkirche«. Er sagte, er wüßte es auch nicht ganz genau, hätte aber so ungefähr Folgendes gehört: Muhs hätte die Mitgl. des L.K.A. für Sachsen abberufen u. einen Mann namens Klotsche dafür eingesetzt. Es sei richtig, daß der Ausschuß nur durch Gesetz abberufen werden könne. (Das ist ein Rückzieher! Sicher hat Muhs etwas falsch gemacht, der Ausschuß hat es moniert u. nun soll die Sache »gedreht« werden. Anderwärts hat Muhs Ausschüsse für handlungsunfähig erklärt, wenn 2 Mitglieder zurückgetreten waren. Ein Mann ist doch kein Ausschuß! Das dürfte klar sein). Am 9. August seien die Mitglieder des L.K.R., die an diesem Tage tatsächlich noch nicht abgesetzt waren oder von der Absetzg. noch nichts wußten – frühmorgens zum Dienst gekommen, wie immer. Klotsche verwehrt ihnen den Eintritt in ihre Dienstzimmer. Sie erklären, solange sie nicht rechtsgültig abberufen seien, wäre es ihre Pflicht, Dienst zu tun. Es kommt zu einem Handgemenge, in dessen Verlauf Klotsche seinen Revolver herausholt u. erklärt, bei weiterem Widerstand würde er »von seinem Dienstrevolver Gebrauch machen!« Erfolg: donnerndes Gelächter! Das ist ja ein schöner Salat. Hoffentlich hat sich Herr Klotsche damit endgültig unmöglich gemacht.309 Was für Kindereien. Glaubt einer, ernsthafte Männer kröchen ins Mauseloch wenn einer mit dem Revolver droht? 308 a b 309

Rede Hitlers vor den Männern der nationalsozialistischen Kampfbewegung (SS, SA, NSKK, NSFK), in: Domarus I,2, 725–726. Strichzeichnung Männerkopf, steht für Friedrich Bernewitz, vgl. Übersicht Strichzeichnungen. Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz, vgl. ebenda. »Klotsche übernahm aufgrund einer mündlichen Anordnung von Staatssekretär Muhs am 29. Juli 1937 die Dienstaufsicht im Landeskirchenamt … Nach weitgehenden Beschränkungen der Befugnisse des Landeskirchenausschusses … hinderte Klotsche am 7. August die Ausschußmitglieder am Betreten des Landeskirchenamtes. Die Entscheidung fiel am 9. August, als die Mitglieder des Landeskirchenausschußes mit einigen Begleitern sich in einem Handgemenge, das auch durch Klotsches Drohen mit der Dienstpistole provoziert wurde, sich Zutritt zu den Diensträumen des

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Die obige Darstellg. ist ergänzt aus einer anderen Quelle. ( )a Vor 14 Tagen wurde mir erzählt, am Sonnabd., den 28., seien Hohlwein u. Oberheid in sehr ausdrucksvoller Haltung, offensichtlich schwer erschüttert, aus einem Zimmer gekommen u. Oberheid hätte gesagt: »Wie kann man sich aber auch so … (?) benehmen!« Bezieht sich vielleicht auf Klotsche. Ich erfuhr weiter, daß vor Kurzem wieder ein Pfr. der Mitte verhaftet worden sei, Creuzburg-Queienfeld, glaube ich, aus der Rhön. Er sei ein sehr netter, ernsthafter Mann, sagte. ( )b Er hätte irgendeinem gegenüber scherzhafte Bemerkungen über hohe Parteimänner gemacht – also viell. polit. Witze erzählt. Dadurch soll er die Partei verächtlich gemacht haben.310 Nachricht aus Braunschweig: Frau Pfr. Fischer-Saalfeld hält dort in der »Frauenhilfe« Vorträge, hat in Thür. Redeverbot. Ihr Mann [Fischer R.] sei auch dort gewesen (der darf hier wahrscheinlich auch nicht reden). Also so hilft man sich untereinander. Im Ganzen sind jetzt neun Thür. Pfarrer in Haft gewesen. Otto geht es besser, kein Fieber mehr. Er will seinen Töchtern nicht glauben, daß in Nürnberg nicht von der Kirche geredet worden ist, glaubt, man wolle ihn schonen.311 Dienstg., d. 14.9. [14. September 1937] Gestern Schlußrede des Führers in Nürnberg.312 Politisch. Nichts über die Kirche. ( )a geht stolz umher, er hat es wieder einmal gerochen. Immer wieder erinnerte er mich vor dem Parteitag daran, wie oft wir in den letzten Jahren so dasaßen: »Diesmal wird auf dem Parteitag die Nationalkirche ausgerufen« u.s.w. Worauf ich immer wieder sagte: »Trotzdem kann es einmal eintreffen.« Also es war wieder mal nichts. Gott sei Dank. Über Sachsen hat O. bei der letzten Mitgl.versammlung der Bek.gem., an der ich noch nicht teilnehmen konnte, einen Bericht wörtlich verlesen. Er sei »unglaublich«, sagte Frau O. [M.]. Heute Sitzg. des L.K.R. Unter anderem heißt ein Punkt: »Pfr. Ernst Otto.« Aber auch andere Pfr. stehen da als Programmpunkte. So: Oberkirchenrat D. Reuter, Pfr.

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312 a

Landeskirchenamtes erzwangen. Die Ausschußmitglieder sahen sich schließlich aber doch genötigt, das Landeskirchenamt zu verlassen, da die herbeigerufenen Polizeibeamten unter Berufung auf eine telefonische Weisung von Muhs sie dazu aufforderten … Am 10. August wurden aber die Mitglieder des Landeskirchenausschußes durch kirchenministeriellen Erlaß vom 9. August abberufen; Klotsche wurde zum Leiter des Landeskirchenamtes ernannt«; vgl. Meier, Kirchenkampf III, 357. Strichzeichnung Männerkopf, steht für Friedrich Bernewitz, vgl. Übersicht Strichzeichnungen. Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz, vgl. ebenda. Vgl. Haftbefehl gegen Pfarrer Kurt Creutzburg und General a.D. Hansen vom 6. September 1937, LKAE, G 155, 10. Zum Fall Creutzburg vgl. Biogramme. Es kam hier die merkwürdige Diskrepanz zum Ausdruck zwischen der hohen Erwartung kirchlicherweits, Hitler werde die Kirchenfrage qua politischer Autorität lösen, und dem absoluten Desinteresse bzw. höchstens marginalem Interesse der NS-Bewegung an kirchlichen Dingen, die hier als im Prinzip erledigt und ohne Bedeutung für die Zukunft angesehen wurden. Rede Hitlers am 13. September 1937 auf dem Parteitag in Nürnberg, in: Domarus I/2, 726–732. Strichzeichnung Männerkopf, steht für Friedrich Bernewitz, vgl. Übersicht Strichzeichnungen.

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Hertel-Themar u.s.w. Aus weiteren Programmpunkten zu schließen, will man das Pfarrerversorgungsgesetz ändern, »Unterhaltszuschüsse« von einzelnen Pfarrern zurückfordern (wahrscheinlich ehemals gezahlte Stipendien) u.s.f. nachm. Es scheint, als ob die D.C. wütend auf Rosenberg sind. Diese Feststellg. hat Jemand in der Kantine gemacht. Ich glaube zu wissen warum, nachdem ich heute die »Rompilger«, eine liederlich zusammengehauene Broschüre durchflogen habe.313 Die »Thüringer« sind mit ihrem »heroischen Kampf« nicht einmal erwähnt. Zitiert wird Grundmann mit einem Satz, Schairer ziemlich reichlich, aber kein Wort davon, welcher Organisat. sie angehören, nichts von Leffler u. Leutheuser. Einmal spricht er davon, daß die »sogen.« deutsch. Christen 1933 einen »schüchternen« Reformversuch gemacht hätten …314 Einem Protokoll über 1 Sitzg. vom 7.9. entnehme ich, daß Lehmanns Vorschlag, den Aufsatz im »Schwarzen Korps« als Wurfsendg. an alle dtsch. Pfr. zu versenden, als »ungeeignet« zurückgewiesen wurde. Ob auch die Veröffentlichg. im Kirchl. Anz. weiß ich nicht. Mittwoch, d. 15.9. [15. September 1937] Ich traf Kühn gestern nachm. Guida Diehl ist in einem Nervensanatorium, hat sich so aufgeregt über die Angriffen in der Nat.kirche.315– Ja, so ists, wenn man persönlich zu spüren bekommt, wie diese infame Art an die Ehre geht. Für das Ehrgefühl der Bek.pfr. hat sie bisher auch nicht viel Verständnis gehabt. Aber leid tut sie mir doch. Heute Mitteilg.: Kürzlich ging eine Reiskostenrechng. durch für Leffler, nach Berlin, »zur Besprechung mit Staatssekr. Muhs u. K.Rat Franz über die Deutsche evang. Kirche.« Fr. Otto [M.] sagte, die armen Schwestern im Diak.hs. seien außer sich, weil Göring (Goebbels??) in sr. Rede gesagt hätte, sie brauchten keine Betschwestern, sondern Menschen der Tat! Das sind Menschen der Tat, keine Phrasendrescher. Es sei ein Unrecht! Hilgenfeldt hat gesagt, die N.S.V. forderte für sich d. Recht, alle Gemeindepflegestationen zu besetzen. – Da müssen sie nur erst die nötigen Kräfte haben. Weibl. Arbeitsdienstverpflichtete können auch nach 2 Jahren noch nicht erfahrene Schwestern ersetzen, sondern sind immer noch Anfänger. Was haben diese Männer bloß für eine Ahnung. Aber da werden sich wohl die Ärzte regen. Donnerstg., d. 16.9. [16. September 1937] Die »Volkskirchl. Sendung«, Halle, die so viele niederträchtige Artikel gebracht hat, bringt in ihrer Nummer vom 12.9. einen ganz ausgezeichneten Aufsatz »Mit Martin 313 314

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Alfred Rosenberg, Protestantische Rompilger. »Aber als 1933 die Orthodoxie den sog. ›Deutschen Christen‹ Kampf ansagte, da versuchte sie dies in öffentlichen Massenversammlungen. Wenn der Staat dies nicht verboten hätte, stünden wir im Zeichen wildester konfessioneller Saalschlachten. Gegen auch nur schüchtern reformierende Volksgenossen wollte man also öffentlich vorgehen, gegen die – gefährlichen Gottlosen wagte man das nicht. Da blieb man bescheiden in der Kirche. Lutheraner?« (Rosenberg, Protestantische Rompilger, 8). Vgl. Tgb. 6. und 11. September 1937.

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Luther für Jesus Christus« gegen Rosenbergs neues Buch.316 Ach, es wäre schön, wenn diese Schrift den Erfolg hätte, daß Viele sich zurückfänden. Die Antworten auf diese Broschüre müssen ja aus einem ganz großen Abstand heraus geschrieben werden, sein Niveau ist zu niedrig. Das ist gut. Gestern bekam ich hier in Eisenach eine Darstellg. der Dresdener Vorgänge um den L.K.A. u. um Klotsche.317 Das ist allerdings noch toller, als man es für möglich hält. Hier ist aber auch Muhs ganz unglaublich blamiert. Die juristische Unfähigkeit ist offenbar grenzenlos. Wie ist so etwas nur möglich. – Und gar keine Antwort auf dringende Vorstellungen an den Führer.318 Die Überzeugung verdichtet sich: Man hat ihm zuviel verschwiegen u. muß die Wahrheit fürchten. Auch eine Predigt von Niemöller bekam ich. – Er sei im Gefängnis so froh, hätte einen wundervollen Brief an die Leiterin der Bibelschule im Burckhardthaus geschrieben. Es sei überhaupt wundervoll, was für Briefe alle diese gefangenen Pfr. schrieben. Alle aus einer ganz großen Stille heraus u. alle zuversichtlich. Auch Koch-Sulzbach hätte an O. einen Brief geschrieben, den Frau O. [M.] ihm als Andacht vorgelesen hat319 u.s.w. Heute nach langer Pause endlich mal wieder eine Auslandsstimme: »Salzburger Chronik, Salzbg.« v. 4. Sept. Kurze Übersicht, Rosenbergs Schrift, »Parteitag der Einheit« »… verdichten sich doch immer mehr die Gerüchte, daß nach dem kommenden Parteitag, der ein »Parteitag der Einheit werden soll«, »zum entscheidenden Schlag gegen die Bekenntniskirche ausgeholt werden soll …« u.s.w. Freitag, d. 17.9. [17. September 1937] Lehmanns Sohn heiratet heute, hier. Vater Lehmann traut selbst. Dazu hat er folgende Vorbereitungen getroffen: Der Küster muß alles fertig machen, 17 Stühle setzen, auch die Lichter auf d. Altar anzünden. Dann die Kirche sorgfältig abschließen u. den Schlüssel zur Sakristei im Kirchenamt hinterlegen, wo ihn Lehmann selbst abholen wird. Niemand darf in die Kirche. – Schade. Vater Lehmann hat ein sehr schlechtes Gewissen u. offenbar Angst. (Der Sohn kommt auf eine Ordensburg). Heute Abend ist K.vertretersitzung, da soll das Gemeindeblatt »Aus Luthers lieber Stadt« abgeschafft u. die »Nationalkirche« dafür eingeführt werden! Wenn d. Reichsschrifttumskammer d. »Nat.kirche« als Gemeindeblatt anerkennt, darf Mitzenheim kein 2. Blatt daneben drucken. Es wird wohl so kommen.320

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Gemeint ist vermutlich der Redaktionsartikel: Der Stand der Rosenbergdebatte, Die Volkskirchliche Sendung 2 (1937), Nr. 43, S. 6. Die Zeitschrift erschien bei: Evangelisch-Sozialer Preßverband, Halle (Saale). Vgl. Tgb. 13. Sept. 1937. Die Mitglieder des sächsischen Landeskirchenausschusses (vgl. Tgb. 13. Sept. 1937) hatten nach der Übernahme der Kirchenleitung eine Beschwerde an die Reichskanzlei gerichtet und ein Telegramm an Hitler geschickt mit der Bitte um Rechtsschutz; vgl. Meier, Kirchenkampf III, 357. Das Schreiben an Ernst Otto war nicht zu finden; vgl. aber das Schreiben von Wilhelm Koch (aus dem Amtsgerichtsgefängnis in Apolda) an G. Bauer vom 17. August 1937, LKAE, LBG 60, 96. Vgl. auch Tgb. 10. September 1937.

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Der L.K.R. hat sowohl der Posaunenchorarbeit in ganz Thür. wie den ganzen Kirchenchorverband für Thür. die Zuschüsse gesperrt, solange Mitzenheim der Leiter ist.321 Sasse ist vor ein paar Tagen nach Berlin gefahren. Franz ist im Manöver. »Gerade hatte man sich eingelebt …« (im K.min.) hat er erzählt. Vor einigen Tagen ging eine Reisekostenrechng. durch für Leffler, Reise nach Berlin zur Rückspr. mit Staatssekr. Muhs u. K.Rat Franz »über die Lage der dtsch. (od. Thür.?) Ev. Kirche.« In der »volkskirchl. Sendg.« Halle, einer Korrespondenz der Berliner Richtung der D.C. ist eine ausgezeichnete Antwort auf Rosenbergs »Rompilger« erschienen. Ganz würdelos dagegen ein freudig zustimmender Artikel von Heubel in der »Nationalkirche«.322 Das ist wirklich »Selbstbespeiung«, wie es ja überhaupt merkwürdig ist, daß die germanischen Charakterwerte sich bei den »Bekennern« in schönster Blüte zeigen, u. diejenigen Charaktermerkmale, die sie »jüdisch« nennen – bei den anderen. Sonnabd., d. 18.9.37. [18. September 1937] Ich sah eine Niederschr. üb. ein Telephongespräch Volks mit d. Hainstein. Der Hainstein solle nicht zur Verfügg. gestellt werden für den Thür. Bruderrat; aus Gotha sei angefragt worden. Es solle geantw. werden, der Hainstein sei an dies. Tag anderweit vergeben. Ebenso solle künftig verfahren werden. Wenn andere Begründg. notwendig, dann nicht ohne Wissen von Volk. Bekennen! Wenn sie das nur alle täten! Noch nichts erfahren über das, was über d. Gem.bl. in der K.vertretung beschlossen worden ist.323 Dr. Dr. R. [Reichardt E.] soll eine lange Unterredg. mit Stüber gehabt haben. Eine geheimnisvolle Niederschr., in der der wichtigste Name weggelassen war, galt einer Mitteilung des Labi v. 14. d.Mts., daß nach einer Mitteilg. von Franz das K.min. in einer bestimmten Sache nichts unternehmen würde. (Franz soll im Manöver sein). Gestern ist eine große Anzahl neuer Angestellter vereidigt worden. Dabei hat Volk eine große Rede gehalten u. u.a. gesagt, daß es ganz selbstverständlich wäre, daß die hier Arbeitenden die Anschauungen des L.K.R. verträten. 2 Stunden später. Die D.C. gehen sehr sieghaft herum. Brauer soll »strahlen«. Es wird angenommen, daß bezügl. des Gem.blattes alle Wünsche der D.C. in Erfüllg. gehen.324 Dienstg., d. 21.9.37. [21. September 1937] Man ist am Freitag in d. K.vertr.sitzg. nicht mit d. Gem.blattangelegenheit fertig geworden, die Entscheidg. steht also noch aus.325

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Vgl. Tgb. 10. September 1937. Rudolf Heubel, An der Wegscheide. Vgl. Tgb. 10. Und 17. September 1937. Vgl. Tgb. 10. und 17. November 1937. Vgl. Tgb. 10., 17. und 18. November 1937.

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Heute Sitzg. im L.K.R. Scheiderbauer wird wegen eines Disziplinarverfahrens gegen ihn um 11 Uhr erwartet. Er ist B.K.; ich nehme an, daß er nicht kommt.326 Am Sonntag ist das vor Monaten schon einmal abgesagte Posaunenchortreffen in Suhl gewesen.327 Der Pfr. hat nicht gewagt, die Bevölkerg. darauf hinzuweisen. Im Freien durfte sowieso nicht geblasen werden.328 Die Kirche sei am Vormittag wohl gut, am Nachmittag aber wenig besucht gewesen. D. Polizeipräs. hat am Nachmittag noch einmal gedroht, daß man sich nicht einfallen ließe, im Freien zu blasen. Die Geheimtrauung von Lehmann-Sohn hat übrigens auch im L.K.R. bei seinen D.C. Aufsehen erregt (Dr. Dr. [Reichardt E.]).329 Gestern bei Frau O. [M.]. Sie hatte mit Bauer [G.], der von Berlin zurück war, telephon. gesprochen. Die Lage sei unverändert. Montag, d. 27.9.37. [27. September 1937] Am 21., an dem ich zuletzt etwas aufschrieb, wurde Scheiderbauer auf dem L.K.R. erwartet. Er ist B.K.; deshalb nahm ich an, er würde nicht kommen. Er ist aber dagewesen u. hat sich drei Stunden lang mit Sasse u. Volk unterhalten. Kein Gebrüll.330 Im übrigen ist wieder einmal stille Zeit. Man hört auch keine Gerüchte, Auslandsnachrichten kommen nur, soweit sie sich mit der kathol. Kirche beschäftigen. Sasse, der am 23. nach Berlin gefahren war, ist gestern Abend zurückgekommen u. reist heute nachm. wieder nach Berlin. Franz kann er dort nicht sprechen; denn der ist, nachdem er 4 Wochen lang im K.min. war, in Dessau im Manöver. ( )i ist in Tränen (!) aufgelöst. Franz hat ihr Anfang Juli gesagt, er käme viell. nach Berlin (für dauernd), sie sollte sich überlegen, in welcher Abteilg. sie dann am liebsten tätig sein würde; soviel könne er noch für sie tun. Als er dann wirklich fortging, konnte er sich bekanntl. nicht mehr erinnern, davon bereits gesprochen zu haben. Jetzt ist es soweit, daß eine neue Beschäftigung für ( )i gesucht wird. Alle Neider rächen sich. Dabei ist man sich immer noch nicht im Klaren, ob Franz wiederkommen wird. ( )i hat desh. Frau Franz angerufen u. von ihr die entrüstete Versicherg. bekommen, sie dächten garnicht daran, nach Berlin zu gehen, nie im Leben. Sie wollten hier bleiben. Möglich, daß Frz. in Berlin den Eindruck bekommen hat, daß der jetzige Kurs endgültig verfahren ist u. desh. sein Schicksal nicht mit Muhs verknüpfen möchte. An »Saure Trauben« glaube ich weniger. 326 327 328 329 330

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Zum Fall Scheiderbauer vgl. Biogramme. Vgl. Tgb. 19. Juni 1937. Vgl. Tgb. 2. September 1937. Vgl. Tgb. 17. September 1937. Scheiderbauer hatte in seiner Gemeinde erhebliche Schwierigkeiten mit einzelnen Vertretern der KDC gehabt. Darüber sprach er am 21. September 1937 zunächst mit Dr. Volk, dann mit Sasse, anschließend mit beiden zusammen, um möglicherweise doch noch einen Ausgleich mit seinen Widersachern herbeizuführen. Erwogen wurde auch die Möglichkeit einer Versetzung; vgl. dazu das von Sasse und Volk unterzeichnete Protokoll dieses Gesprächs, LKAE, G 1357, 96. Welcher Art die Schwierigkeiten waren, wird im Protokoll nur angedeutet. Strichzeichnung Frauenkopf mit Hakenkreuz, steht für Gertrud Walter, vgl. Übersicht Strichzeichnungen. Strichzeichnung Frauenkopf mit Hakenkreuz, steht für Gertrud Walter, vgl. ebenda. Strichzeichnung Frauenkopf mit Hakenkreuz, steht für Gertrud Walter, vgl. ebenda.

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Zufällig entdeckte ich heute in den neuesten Heften des »Archivs für öffentl. Recht« 2 theologisch höchst interessante Aufsätze: »Gott u. Souverän« u. noch so ein Thema. Man bekommt immer wieder den Eindruck, daß das Christentum, trotz alles Totschweigens, höchst aktuell geworden ist. Dort wird vor allem auch Karl Barth besprochen. Montag, d. 4. Okt. 37. [4. Oktober 1937] Heute steht im »Völk. Beob.« (Nr. 276 A. 3.10.), daß alle Einrichtungen zur eigenen Ausbildg. des theolog. Nachwuchses der »sogen. bekennenden Kirche« verboten werden – von Himmler. In der »Gauzeitg.« stand es schon vor mehreren Tagen. Man beruft sich auf eine V.O. Kerrls v. 2.12.35.331 Es ist merkwürdig, daß jetzt, 2 Jahre später, dieses staatl. Verbot kommt. Ob es mit dem Niemöller-Prozeß zus.hängt? Hat man sich vielleicht überzeugt, daß er tatsächl. nicht bestraft werden kann, u. versucht nachträglich, Lücken im Gesetz zu verstopfen? Wie leichtsinnig gearbeitet wird, zeigt die neue Broschüre von Rosenberg. Es werden hier u. da in den Kirchenzeitungen Einzelheiten richtig gestellt; keine Nebensächlichkeiten, sondern Dinge, die R. zur Beweisführung herangezogen hat, z.B. die »Deutsche Messe« des Lutherbundes 1935. – 2 Jahre lang hat er die Broschüre im Kasten gehabt – Zeit genug, Einiges nachzuprüfen. Er hat nicht einmal den Versuch gemacht. Dieser Leichtsinn u. diese Kenntnislosigkeit sind aber instruktiv.332 Die »Beschlußstelle« hat im Konflikt Scheiderbauer – L.K.R. entschieden – natürl. gegen die B.K.333 Mitzenheim hat Auskunft von der Ev. Pressestelle (Hinderer) in Berlin sowie noch von einem unterrichteten Mann in Westfalen (Winkler?), den er persönl. aufgesucht hat: Die Kirchenvertretung kann ihn nicht absetzen; die ganze Aktion gegen das Gemeindeblatt sei widerrechtlich.334 Das Traurige ist nur, daß man weiß, auf irgendeine 331

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Runderlass des Reichsführers SS und Chefs der deutschen Polizei im Reichsinnenministerium: »Die von den Organen der sogenannten Bekennenden Kirche seit langem gezeigte Haltung, unter Mißachtung der vom Staat geschaffenen Einrichtungen den theologischen Nachwuchs durch eigene Organisationen auszubilden und zu prüfen, enthält eine bewußte Zuwiderhandlung gegen die 5. Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Sicherung der Deutschen Evangelischen Kirche vom 2. Dezember 1935 und ist geeignet, das Ansehen und Wohl des Staates zu gefährden. Im Einvernehmen mit dem Reichs- und Preußischen Minister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung und dem Reichs- und Preußischen Minister für die kirchlichen Angelegenheiten ordne ich daher an: ›Aufgrund des § 1 der Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat vom 28. Februar 1933 werden die von den Organen der sogenannten Bekennenden Kirche errichteten Ersatzhochschulen, Arbeitsgemeinschaften und die Lehr-, Studenten- und Prüfungsämter aufgelöst und sämtliche von ihnen veranstalteten Kurse und Freizeiten verboten‹« (Protestantenblatt 70 [1937], 638–639). Alfred Rosenberg, Protestantische Rompilger. Das Werk wurde im November 1935 abgeschlossen, aber erst im August 1937 herausgegeben. Vgl. dazu auch die Eintragungen der vorhergehenden Tage Vgl. dazu die kurze Mitteilung in JK 6 (1937), 837–838, wo allerdings der Name Scheiderbauer nicht auftaucht, sondern nur von einem Pfarrer der TheK die Rede ist und die über ihn »verhängte Ordnungsstrafe für rechtsgültig vollstreckbar erklärt« wird. Zum Fall Scheiderbauer vgl. Biogramme. Vgl. Tgb. 10., 17., 18. und 21. September 1937.

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Weise wird das Recht doch gebeugt. Die D.C. lassen jetzt eine 2. Nr. des Gem.blattes »Aus L.s lieber Stadt« bei Kahle drucken, da Hense den Auftrag von Mitz. f. d. Okt. Nr. angenommen hat. Im Haus wird für die Reichstagung der D.C.335 zum Wochenende heftig gearbeitet. Aus einem Telephongespräch neulich war zu entnehmen, daß irgendwelche »Karten« »umgedruckt« werden müssen »wegen des Zeichens«. Das schien ein schwerer Schlag zu sein.336 In Hossenfelders Gruppe, der sich jetzt den »Thüringern« angeschlossen hat, ist eine Spaltung eingetreten. Prominente Mitglieder haben gestreikt.337

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Gemeint ist die 4. Reichstagung der KDC in Eisenach vom 9.–11. Oktober 1937; vgl. Reichstagung der »Deutschen Christen, Nationalkirchliche Bewegung» [Programmanzeige], NaKi 6 (1937), 295 sowie »Ergänzender Bericht zu beiliegendem Material über die 4. Reichstagung der DC. Eisenach« [9.–11. Oktober 1937], LKAE, LBG 86, 75. Die Umdruckaktion der KDC war Folge des Verbots der Führung von »Bezeichnungen …durch kirchliche Vereine und Gruppen, … die in der Nationalsozialistischen Arbeiterpartei, ihren Gliederungen und Verbänden üblich sind« im Gesetz zum Schutz von Bezeichnungen der Nationalsozialistischen Arbeiterpartei vom 7. April 1937. Kerrl hatte offenbar Anlass, dieses Gesetz in einem Erlaß vom 3. Juni 1937 erneut in Erinnerung zu bringen (Dokumente zur Kirchenpolitik III, 78). Gleichwohl scheint von den KDC zunächst nicht erkannt worden zu sein, dass sich das Verbot auch auf ihre Zeichen bezog, konkret, dass die gleichzeitige Verwendung von Hakenkreuz und christlichem Kreuz zu unterbleiben hatte. Daher gab es weiterhin Grund zur Klage durch die Behörden. In einem Schreiben des Geheimen Staatspolizeiamtes an die Reichsgemeinde der Deutschen Christen (Nationalkirchliche Bewegung), z.Hd. Oberregierungsrat Leffler vom 21. Dezember 1937, in: Dokumente zur Kirchenpolitik III, 172, heißt es u.a.: »Nicht nur die Mitglieder Ihrer Gemeinschaft tragen nach wie vor das Hakenkreuz in Verbindung mit dem Christenkreuz, sondern auch in Ihren Mitteilungsblättern (z.B. für Mecklenburg) wird das Hakenkreuz in derselben Weise verwandt. Ferner war auch auf dem Abzeichen und den Eintrittskarten für die Reichstagung der Nationalkirchlichen Bewegung der Deutschen Christen vom 9. bis 11. Oktober 1937 in Eisenach das Hakenkreuz zugleich mit dem Hakenkreuz verwandt worden.« Die von der Tagebuchschreiberin beobachtete Umdruckaktion hatte also immer noch nicht zum von den Behörden gewünschten Erfolg geführt. Die »Nationalkirche« erschien allerdings bereits letztmalig im Mai 1937 mit dem KDC-Enblem. Die Einladungskarten zur 4. Reichstagung waren ebenfalls ohne KDC-Enblem, allerdings mit der Selbstbezeichnung »Deutsche Christen« (Nationalkirchliche Bewegung), vgl. LKAE, A 776, 66, die wegen des Begriffs »Bewegung« zu diesem Zeitpunkt ebenfalls bereits nicht mehr zulässig war, weil er von der NSDAP exklusiv beansprucht wurde. Die Verzögerung in der Anwendung des Gesetzes vom 7. April 1937 durch die KDC deutet daraufhin, dass die darin vorgesehene Maßnahme kaum verstanden worden ist; denn die KDC wünschte nichts Sehnlicheres, als mit allen Konsequenzen in die nationalsozialistische Bewegung integriert zu werden. Nun wurden sie praktisch ausgeschlossen, mussten zur Kenntnis nehmen, dass auch sie als religiöse Formation so wenig wie alle anderen religiösen Gruppen von den Nationalsozialisten anerkannt waren. Vgl. auch Tgb. 27. April 1937. »Auch Hossenfelder, der dadurch eine Spaltung seiner ›Kampf- und Glaubensbewegung‹ hervorrief, da ein Teil seiner Anhänger unter Dr. Wieneke, Sup. Martin Thom und Pfr. Friedrich Hermann v. d. Heydt (Potsdam) selbständig blieb, schloss sich der Bewegung Lefflers im Juli 1937 an« (Meier, Kirchenkampf III, 88–89). Vgl. auch die Notiz in: JK 6 (1937), 882.

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Auch die Lübecker [Bremer!] Gruppe (Weidemann) steht noch fern; der Schriftleiter der »Kommenden Kirche« (Organ der Lübecker) aber, Dungs338, übernimmt jetzt als Schriftleiter sämtl. Blätter der nat.kirchl. Bewegung auch die »Nationalkirche«.339 Leutheuser als Schriftleiter, der, wie im Falle Guida Diehl, die Verantwortung ablehnte, war ja auch unmöglich. Gestern auf dem »Bückeberg« hat der Führer wieder seine Befriedigung darüber ausgesprochen, daß der »Streit der Konfessionen« beseitigt worden ist.340 Aber Rosenberg scheint hier doch gerade die Gefahr zu sehen. Was meinen die Herren eigentlich mit »Streit der Konfessionen«? Man kommt auf den Gedanken – angesichts der Erkenntnisse, d. »protest. Rompilger« vermitteln, daß die Herren sich viell. selbst darüber nicht ganz klar sind? Es kommen – seit mindestens 10 Tagen – keine Auslandsnachrichten über die B.K. herein, nur noch Mitteilungen, die die kathol. Kirche betreffen. Sonntag, d. 10.10.37, abends. [10. Oktober 1937] Ich hörte eben am Rundfunk Nachrichten aus Leipzig. U.a.: R.min. Goebbels weihte eine Feierstätte des Gaues Nordmark in Bad Segeberg ein u. kam dabei auf d. Verhältnis des Staates zu den Kirchen zu sprechen. Er sagte u.a. Wenn d. Kirchen sich beklagten, daß sie nicht mehr so wie früher an d. Volk herankämen (oder ähnl.), so müßte man darauf sagen, daß d. Volk d. wahre Christentum mehr im Winterhilfswerk341 verwirklicht fände als in den Haarspaltereien der Bekenntnifront. Kurz danach kam die Mitteilg. von einer »bei der Tagung der nationalkirchl. Bewegung der Deutschen Christen in Eisenach, die von ungefähr 12 000 Personen besucht war, gefaßten Entschließung gegen die Oxforder Weltkonferenz u. den dort geschaffenen Rat der christl. Kirchen.342 338

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Es handelt sich um die Bremer DC-Gruppe unter Weidemann und um die Bremer Zeitschrift »Kommende Kirche. Wochenblatt für eine christliche Kirche«, hg.v. Landesbischof Lic. Dr. Weidemann, Schriftleiter: Heinz Dungs, Dr. Adolf Heger, Dr. Walter Driesch (Weitenhagen, Evangelisch und deutsch, 498). »Kamerad Dungs-Mülheim wurde am 1. September mit dem Presseamt der Bewegung vom Leiter der Reichsgemeinde beauftragt. Er wird am 1. Oktober die Schriftleitung der ›Nationalkirche‹ übernehmen« (NaKi 6 [1937], 295; vgl. auch Weitenhagen, Evangelisch und deutsch, 314). In die Schriftleitung der Thüringer Heimatkorrespondenz trat er allerdings erst im Juni 1938 ein. Rede Hitlers auf dem Bückeberg bei Hameln zum Erntedankfest am 4. Oktober 1937, Völkischer Beobachter 277/1937 vom 4. Oktober 1937; vgl. Domarus I/2, 649–650. Die angegebene Textstelle ist bei Domarus nicht aufgenommen worden. »Winterhilfswerk (WHW). Im Sommer 1933 erteilte Hitler dem Leiter der NS-Wohlfahrt (NSV) Erich Hilgenfeldt, den Auftrag, ein (WHW) ins Leben zu rufen. Mit einer solchen Nothilfeaktion hoffte das neue Regime, schnell sichtbare Erfolge im Kampf gegen die Folgen der Arbeitslosigkeit vorweisen zu können. Die (beträchtlichen) Einnahmen setzten sich aus Spenden von Firmen und Organisationen, aus Erlösen von Haus- und Straßensammlungen sowie aus Gehalts- und Lohnabzügen zusammen. Trotz aller ›Freiwilligkeit‹ wurde vielfacher Druck und Zwang auf Unwillige ausgeübt, um sie zu Spenden zu bewegen« (Enzyklopädie des Nationalsozialismus, 807). Gemeint ist die 4. Reichtagung der KDC in Eisenach vom 9.–11. Oktober 1937 mit 12 000 Teilnehmer/innen. Sie war mit besonderem Blick auf die Oxforder Weltkirchenkonferenz (12.– 26. Juni 1937) einberufen worden und gab der KDC (im Gegensatz zur RDC) willkommene Gelegenheit, gegen die ökumenische Bewegung insgesamt zu polemisieren. Sie treibe »christlich

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Ich war heute Abend in einer Art von modernem Oratorium, das zum Abschluß der D.C.-Tagg. in der Georgenkirche vom Bachchor aufgeführt wurde. Mäßig, obwohl der Chor sehr schön sang. Der Sprechchor wirkte nicht gut. Einige Damen neben mir plauderten vor Beginn eifrig u. erzählten sich, was Leffler zum Führer gesagt hätte, ich konnte es leider nicht verstehen. Ob er ihn wirklich gesprochen hat? Diesselbe Dame sagte noch; sie glaubte, die Wahlen kämen bald. – Dasselbe hatte vor einigen Tagen Frl. Koeppen gehört – sie nannte den 31.10. – Man könnte es glauben angesichts der Hetze, die wieder einmal gegen uns getrieben wird. Es ist wie in den schlimmsten Zeiten 1934. – Aber wie ist es nur möglich, daß man dann im Prop.min. im April (Dürr) die strengsten Weisungen für Neutralität herausgegeben hat? Weiß man nicht, was man will oder was hat das sonst für einen Zweck? Es wird doch auf diese Weise eine Kirchenwahl wie 1933 unter Druck des Staates. Und Niemöller ist immer noch im Gefängnis. Meine Nachbarinnen in d. Kirche erzählten noch, daß sie, als Leutheuser zum 1. mal bei uns sprach, ein paar Katholiken überredet hätten, mitzugehen. Die seien ja soo dankbar gewesen u. die eine hätte gesagt, es fiele ihr wie Schuppen von den Augen. Dann »als der Herr Reichsbischof in der Stadthalle sprach«, hatte dieselbe Katholikin sie gebeten, sie wieder mitzunehmen u.s.w. Die Stadt war wirklich wie überflutet von D.C.; es können schon 10 000–12 000 gewesen sein. Diese Tagung wird ihnen wohl einigen Auftrieb geben. Montag, d. 11.10., früh. [11. Oktober 1937] Männel hat eben d. Andacht gehalten. Zitierte d. Bergpredigt falsch: »Selig sind, die reines Herzens sind, denn sie sollen Gottes Kinder heißen.«343 Im übrigen: »D. Erleben der letzten Tage … tief in die Seele gebrannt …« u.s.w. In München hat der Reichsmin. Frank bei der Tagung der Gefängnisgesellschaften eine Rede gehalten, aus der die »Frankf. Ztg« u.a. berichtete, er habe gesagt, künftig dürfe nur noch der Richter eine Strafe verhängen – Konzentrationslager, Schutzhaft seien Übergänge, die wieder verschwinden müßten. Der Richter müßte d. wichtigste Person im Strafvollzug werden, nicht der Staatsanw. – Dagegen Folgendes: Es kamen mir Akten zu Gesicht betr. Pfr. Creuzbg.-Queienfeld, der wegen eines polit. Witzes verhaftet u. eingesperrt worden war. (Er ist nicht B.K., sondern Mitte). Er ist Anfang Sept. in Freiheit gesetzt worden; von einem Urteil war nicht die Rede, nicht einmal von einer Anklage. Darauf fand sich in d. Akten ein Bericht der geh. Staatspolizei, wonach Pfr. Creuzburg »auf Befehl des Reichstatthalters u. Gauleiters« [Sauckel] am 1.10. in das Konzentrationslager Buchheim (![Buchenwald?]) überführt werden sollte. Grund nicht angegeben.344 »Auf Befehl des Reichsstatthalters …«!

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getarnte Weltpolitik« und verfalle dem Schicksal der Internationale, der sie das Christentum ausgeliefert habe; vgl. Meier, Kirchenkampf III, 90. Vgl. Ein Schlag gegen die Oxforder Internationale! 12 000 Teilnehmer der Reichstagung in Eisenach faßten folgende Entschließung, NaKi 6 (1937), Titelblatt der Doppelnummer 42/43. Männel verwechselte nach der Erinnerung der Tagebuchschreiberin zwei aufeinander folgende Seligpreisungen miteinander: »Selig sind, die reines Herzens sind; denn sie werden Gott schauen«. »Selig sind die Friedfertigen, denn sie werden Kinder Gottes heißen« (Mt 5, 8.9). Das Schreiben ist erhalten; zum Fall Creutzburg vgl. Biogramme.

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Frl. Koeppen wußte übrigens nichts davon. Es ist sehr schwer, daß wir jetzt, in Ottos Abwesenheit, so wenig von dem, was vorgeht, erfahren. 2 Stunden später. Die D.C.-Tagung schlägt geistige Wellen. Unten in der Kantine hat man bisher, wenn ich kam, immer nur geflüstert. Heute wurde laut geredet »… die Bekenntnisfront wieder einmal verknackt … Rundfunk, Tagung der nat.kirchl. Bewegung … so etwas ist überhaupt noch nicht dagewesen …« Das sind die richtigen Feiglinge, die sofort das Maul aufreißen, sobald sie glauben, daß sie Oberwasser haben. Eben eine Mitteilg., Volk sei aufgefordert worden, in einem »Berliner Finanzausschuß« mitzuarbeiten, der auf d. Gebiete der ortskirchl. Vermögensverwaltung an der Vereinheitlichung der kirchl. Gesetzgebung arbeitet. Vorsitzender Duske. Wenn er nicht will, soll er Jemanden vorschlagen. – Er wird wollen, (sich aber vor der Arbeit fürchten). Es soll »aus jeder größeren Landeskirche« einer mitarbeiten. Daß er dann endlich mal arbeiten muß, gönne ich ihm. Er hat begeistert von der gestrigen Tagung erzählt. Besonders eine Rede von Schultz-Mecklenburg, der Hitler mit d. barmherzigen Samariter verglichen hat, das deutsche Volk mit dem, der unter die Räuber gefallen war.345 (Ich sehe Volk ordentlich dasitzen, tief erschüttert). Von d. Tagung der Gefängnisgesellschaften in München hat er erzählt, es hätte einer der Vortragenden derartig auf die früheren Verhältnisse geschimpft, daß sie alle ganz empört gewesen wären. Man hätte sich an ihn, Volk, gewandt u. er würde einen Brief schreiben … einen Brief! Das wäre ihm dann aber auch ganz egal, wer diesen Brief zu lesen bekäme u. was daraus würde. Wahrscheinl. hat der Reichsminister Frank in München auf die Leute geschimpft, die zu feige sind, um Kritik, die sie haben, auszusprechen. Deshalb muß Volk mal wieder mutig sein. Der Oberbürgermstr., Müller-Bowe, soll beim Empfang der D.C. eine »unglaubliche« Rede gehalten haben – bloß von den Sehenswürdigkeiten von Eisenach, aber nichts von d. Sinn der Tagung. Es hängt wohl damit zusammen, daß sein Freund, Kreisleiter Köhler, der ihn hergebracht hat, mit Sasse Differenzen gehabt hat, wie mir gleichfalls heute erzählt wurde. Diese Differenzen hätten keinen politischen Hintergrund, sondern handeln sich um »die Bewegg.« (Wahrscheinl. um den Kirchenaustritt des Kreisleiters). Franz ist wieder da – u. er hat versichert, daß er auch da bleibt u. nicht nach Berlin geht! Dienstag, d. 12.10.37. [12. Oktober 1937] Die Goebbel’sche Rede in Segeberg am Sonntag war nicht nur durch den Anwurf gegen die B.K. bedeutsam. Er hat bei Einweihg. der Feierstätte von einer »politischen Kirche« gesprochen u. davon, daß sie »Seelsorger« des dtsch. Volkes seien. – Ich wünsche ihm, daß er mal als Seelsorger an ein Sterbebett gerufen wird. Was sagt er dann wohl? Heute berichtet der V.B. (Dienstag, 12.10.) von der bevorstehenden Weihe der Torgauer »Alltagskirche« zur nat.soz. Feierstätte, »ein Ereignis, das weit über d. Gau … hinaus Bedeutung haben wird … zum erstenmale wird es hier geschehen, daß eine 345

Lk 10,25–37.

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wertvolle Kirche, vor Jahrhunderten erbaut … zu einer nat.soz. Feierstätte wird …«346 u.s.w. Die Kirche war übrigens über 100 Jahre nicht mehr als Gotteshs. benutzt. Trotzdem … die einfachen Gemüter hier im Haus sind alarmiert. Der »Angriff« vom 11. d.Mts. begrüßt die Entschließg. der Thür. D.C. gegen Oxford347 mit großem Beifall u. läßt erkennen, daß er keine Ahnung hat, worüber er sich freut. Er glaubt, daß man in Oxford die Absicht hatte, einmal planmäßig das Luthertum zu verteidigen u. dann eine gegen das III. Reich gerichtete Aktion zu veranstalten. Die Weltkonf. ist nichts weniger als lutherisch u. ihre Themen lagen seit 1922 fest usw. Jeder blamiert sich so gut er kann. Und daß die »Lutherische Weltkonferenz«348, die dem Angriff auch noch im Kopf herumspukt, deutschen Einfluß auf die ganze Welt verbreitet, das wird dem Angriff, schon im Interesse des Auslandsdeutschtums, hoffentlich einmal Jemand näher erläutern. 12.10., abends. Ich wollte Frl. Linde im weiß. Saal eine Mappe bringen u. prallte zurück – der ganze Saal voll Menschen, Männer u. Frauen, alle um den langen Tisch herum. Im Haus wurde Spigaht von Stüber stürmisch gesucht. Steck ging vorüber. »Was ist denn das für eine Versammlung«, fragte ich. Statt zu antworten sagt er: »Da dürfen sie nicht hinein.« Ich sage: »Es ist doch kein Schild an der Tür! Woher soll ich wissen, daß ich da nicht hinein darf! Aber was wollen die denn da drin?« Wieder antwortet er ausweichend. Aber eben erfahre ich von Frl. Linde: Es sind Männer u. Frauen aus der Gemeinde Lichtentanne, die für den s.Zt. gefangenen Hilfspfr. Bauer [K.] bitten kommen, man solle ihn sein Amt wieder ausüben lassen.349 Es ist rührend, u. welches Opfer, in solcher Anzahl daherzureisen. Aber man hat ein unangenehmes Gefühl dabei, daß sie diese Behörde um etwas »bitten«. Hoffentlich treten sie mannhaft auf. Mittwoch, d. 13. Okt. [13. Oktober 1937] Als ich gestern Abend fortging u. unten in der kl. Halle m. Mantel auszog, hörte ich Volk aus d. weißen Saal furchtbar brüllen. Diese verlogene innere Entrüstung von ihm, der gar keine wirkliche Überzeugg. hat, auch keine nationalsozialistische, der nichts ist als charakterlos u. weichlich – die ist so widerwärtig. Er brüllte die Männer u. Frauen aus Lichtentanne an u. ihm sekundierte Stüber. Als die Sache zu Ende war, sollen beide sehr vergnügt gewesen sein, wie Mitarbeiter berichten. Da haben sie sich ins Fäustchen gelacht über die dummen, ehrlichen Leute, die sie ernst nahmen u. nicht merken, daß hier garnicht Wahrheit u. Gerechtigkeit gesucht wird, sondern daß es sich um einen 346

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»Am 17. Oktober, während des Kreistages der NSDAP. Torgau, weihte Reichsleiter Rosenberg mit einer programmatischen Rede die Alltagskirche in Torgau zur nationalsozialistischen Feierstätte – nach den Stimmen der Presse ein Ereignis, das weit über den Gau Halle-Merseburg, das Land der Mitte, hinaus im ganzen Reich Bedeutung haben werde« (vgl. JK 6 [1937], 928). Vgl. Tagebuch 10. Oktober 1937. Gemeint ist offenbar der 1923 in Eisenach gegründete »Lutherische Weltkonvent«, der 1929 in Kopenhagen zu seiner zweiten und 1935 in Paris zu seiner dritten Versammlung zusammentrat; vgl. Günther Gaßmann, Art. Lutherischer Weltbund, in: TRE 21 (1991), 616. Zum Fall Bauer-Lichtentanne vgl. Biogramme.

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Plan zur Vernichtung handelt. Vielleicht läßt dieser u. jener sich einschüchtern. Vielleicht haben die beiden Kirchenräte auch wieder von dem geredet, was sie »christlich« nennen. Daß dabei von der Botschaft Jesu nicht mehr die Rede ist, scheint die »Reichstagung«, soviel ich bisher davon erfahren konnte, mit Sicherheit ergeben zu haben. Hoffentlich ist das alles eindeutig. Von Bekenntnisleuten wird die Teilnehmerzahl sogar auf 15 000 geschätzt.350 Telegramm von Goebbels – das spricht Bände. Mit dem haben sie sich wohl verständigt. Sie haben massenhaft Drucksachen verteilt, u.a. eine Schrift, die für Ludendorff Partei nimmt. Von Ehrgefühl hat der protestantische Verfasser, Landesbischof Schultz-Mecklenburg, wohl keine Spur mehr im Leibe u. ich hoffe, er kriegt seinen Lohn von seinen Parteigenossen, wenn sein Werk getan ist. Denn das kann ich mir nicht anders denken, als daß in der Partei selbst Leute sein müssen, die solch ein hündisches Tun verurteilen. Es ist doch nicht anders möglich. Ich kann mir auch nicht denken, daß Hitler selbst, wenn er alles so klar sehen dürfte wie wir, nicht Verachtung für diese Abtrünnigen haben sollte, selbst wenn er selbst kein Christ ist. Freitag, d. 15.10. [15. Oktober 1937] Männel spricht von Hossenfelder als »dieser Hund«. Das wirft ein Licht auf die Einigkeit der Gruppen. Eine Frau v. Fr. hier hat erzählt, sie sei bei einem der Vorträge der D.C. gewesen; dann aber hätten sie so gehetzt, daß sie u. mit ihr 30–40 Menschen d. Zelt verlassen hätten. Es ist nicht viel darauf zu geben, weil die Betreffende den Dingen wohl ziemlich fern steht. Der Schriftleiter Dungs der nat.kirchl. Blätter, teilt einer Kirchenzeitung berichtigend mit, es gäbe keine »Thüringer deutsch. Chr.«! Das spricht Bände. Sie scheinen nicht sehr stolz auf den Ruf der »Thüringer« zu sein. Aber diese Kennzeichnung wird wohl nicht auszulöschen sein. Sie tauchte in einer Mitteilung des »Temps« (Paris) vom 9.10. wieder auf, der auf die bevorsteh. Eisenacher Tagung hinwies.351 Die D.C. selbst haben offenbar d. Presse weitgehend verständigt. Abgesehen von d. Mitteilg. der Entschließg. zur Oxforder Botschaft im »Angriff«, wohl im »Völkischen« u. in den Eisenacher Blättern habe ich der Presse noch keine Berichte über die Tagung gefunden. ( )a behauptet, die Stimmung im Hause sei nicht triumphal; u. mein Eindruck ist derselbe. Aber es liegt mehr in d. Luft, Merkmale kann ich kaum anführen. Franz hat zu Frl. Sommer gesagt, er käme nach Eisenach zurück, sobald sein »Sonderauftrag« in Berlin beendet sei. Aber welcher Art dieser Sonderauftrag ist, darüber weiß offenbar niemand etwas. Volk nimmt den Sitz im Kirchgem.ausschuss (Duske) nicht an, sondern nennt Tegetmeyer. Ich bin sicher, daß man einen Druck auf ihn ausgeübt hat.352 350

351 a 352

Vgl. Tgb. 4. und 10. Oktober 1937. Die von der BK geschätzte Teilnehmerzahl entstammt dem »Bericht über die 4. Reichstagung der DC. Eisenach« [9.–11. Oktober 1937], LKAE; LBG 86, 75, S. 6. Vgl. Tgb. 4. und 10. Oktober 1937. Strichzeichnung Männerkopf, steht für Friedrich Bernewitz, vgl. Übersicht Strichzeichnungen. Vgl. Tgb. 11. Oktober 1937.

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Gestern Gemeinschaftsempfang in den Betrieben: Sauckel sprach in Sömmerda. Einmal hatte er eine Anspielung auf die Kirche gemacht, aber weder ich noch andere konnten uns nachher erinnern, was es gewesen war. Gegen den Schluß mußte er das Wort »bekennen« sagen u. stockte mitten darin. Es war offenbar eine innere Hemmung, aber dann nahm er das Hindernis mit Glanz u. wendete das Wort gleich noch einmal an. O. schreibt aus Bad Wildungen, will in 8 Tagen schon zurückkommen u. wieder in die Arbeit! Heute Abend Bekenntnisgemeinschaft. Die D.C. haben für Oktober eine 2. Nr. von »Aus Luthers lieber Stadt« bei Kahle gedruckt u. verteilt.353 Der Drucker Hense war hier oben. Wie wirds weiter gehen? Sie werden Mitzenheims Ausgabe wohl kaputt machen. Das »Fest der deutsch. Kirchenmusik« hat in Berlin vom 7.–13.10. stattgefunden u. muß fabelhaft gewesen sein. Manche Veranstaltungen sind so gut besucht gewesen, daß sie mehrmals wiederholt werden mußten. Lauter in den letzten 5 Jahren geschaffene Werke u. alles gottesdienstlich, nicht Kirchenkonzert. – Seit 150 Jahren sei ein solches Aufblühen in der kirchlichen Kunst nicht dagewesen.354 – Aber soviel ich feststellen konnte keine Übertragung im Rundfunk. »Le Figaro« berichtet vom 11.10., am 10. hätte der kathol. Bischof von Berlin einen Hirtenbrief verlesen aus dem hervorginge, daß die kathol. Bischöfe keinen Unterricht mehr in den Schulen erteilen dürften.355 – Ein Gesetz darüber scheint schon zum Reichsparteitag erwartet worden zu sein – nach der Mitteilung eines belgischen Blattes im Sommer. Jetzt zieht man es vor, die Sache ohne großes Aufhebens unter d. Hand zu erledigen. Ob mit Rücksicht auf Mussolini oder weswegen sonst? – Ob auch die Klöster verboten werden? Deutschland garantiert in einer Note die belgische Unabhängigkeit. Über d. Besprechung mit d. Abordnung aus der Gemeinde Lichtentanne356 wurde mir ergänzend noch mitgeteilt, »zum Schluß« hätte es »ganz friedlich« geklungen. Kein Trost. Am Montag ist Pfr. Gebhardt-Sundhausen bei d. Hilfskasse gewesen u. hat begeistert von der D.C.-Tagung berichtet. Gefragt, wann wohl d. Kirchenwahlen stattfänden, 353

354 355

356

Vgl. Tgb. 10., 17., 18., 21. September und 4. Oktober 1937. Gemeint sind offenbar die seit Juni 1937 erscheinenden »Gemeinde-Nachrichten aus der Wartburgstadt. Beilage zur ›Nationalkirche‹« wie sie sich z.B. findet in: NaKi 6 (1937) vom 8. August 1937. Instruktiv zur Auseinandersetzung um das Gemeindeblatt im Jahre 1937 ist der detaillierte Bericht einiger Eisenacher Pfarrer an ihre Gemeindeglieder; vgl. Schreiben der Eisenacher Pfarrer Brakhage, Dr. Hertzsch, Kühn, Mitzenheim, Nitzsch, E. Otto an ihre Gemeinde vom 16. Oktober 1937, LKAE, LBG 212, 178. Vgl. Gerhard Kunze, Zum Fest der deutschen Kirchenmusik. 7. bis 13. Oktober in Berlin, JK 6 (1937), 857–862. Vermutlich handelt es sich um den folgenden oder einen ähnlichen Vorgang: »Am 1.7.1937 verfügte Rust, daß der Religionsunterricht an den Volksschulen in Zukunft nur noch dann von Geistlichen zu erteilen sei, wenn ordentliche Lehrkräfte nicht zur Verfügung stünden. Der Wortlaut war zwar so gehalten, daß Ihnen die Unterrichtserlaubnis nicht grundsätzlich entzogen, dieser aber eine reine Ersatzfunktion zugesprochen wurde, so daß die Verfügung den Schulbehörden in der Praxis ein Hilfsmittel an die Hand gab, sämtliche Geistliche aus den Volksschulen zu entfernen« (Damberg, Der Kampf um die Schulen in Westfalen, 180). Vgl. Tgb. 12./13. Oktober 1937.

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hat er mit Schwung erklärt: »Wenn die D.C. die Mehrheit haben.« (Wie Spt. neulich!) Dennoch würden wir noch lange warten müssen. ¾10. Bekam eben eine Beschreibung, wie Sasse vor einer eiligen Abfahrt nach Weimar (z. Reichsstatthalter) Geschäfte erledigt: Alles ärgerlich beiseite schiebt. »Das können Andere machen« u.s.w. Es sei unwürdig gewesen. Sasse in schlechtester Laune. Das fiel mir auf, da er gestern Abend von Berlin zurückgekommen ist. Volk hat ihn am Bahnhof getroffen u. ihn im Gegenteil »sehr aufgeräumt« gefunden. Volk urteilt im übrigen: »Na ja, wichtig sind jetzt vor Allem die Sachen mit d. Reichsstatthalter, alles andere ist nebensächlich.« (Wieder Pfarrer ins Konzentrationslager?) Aus der Versammlg. im Zelt der Milchkammer wird berichtet, daß Sasse wieder furchtbar geschrieen hätte.357 Goebbels hat an die Tagung ein Telegramm geschickt, Inhalt nicht bekannt. Es kam erst am Montag »kurz vor Schluß«. Das Zelt hat übrigens 20 000 M gekostet. Drucksachen sind kostenlos in Mengen verteilt worden. Neue Nr. des »Reichswart«. Er berichtet ausführl. von der D.C.-Tagg. in Eisenach u. führt eine Äußerung des »Völk. Beob.« über die Entschließung gegen Oxford an, mit der ganz unzweifelhaft die ganze nat.kirchl. Bewegg. empfohlen werden soll. – Dr. Dr. [Reichardt E.]war sehr stolz darauf. – Der einzige Trost ist, daran zu denken, wie Goebbels s.Zt. Hauer u. Reventlow beschützte u. Rosenberg für Bergmanns Nat.kirche eine Lanze brach (Febr. 34). Wo ist das alles hin? Aber zunächst einmal wird unser Weg wohl wieder schwerer. 12 Uhr. Eben las ich in der dtsch. Hmt.-Korresp. [?] den Bericht über die D.C.-Tagung. Wenn es so gewesen ist, dann war alles eine einzige Tarnung.358 Ich höre eben, daß beim Erntefest in Bethel auf dem der Anstalt Bethel gehörigen Platz das Posaunenblasen im Freien nicht erlaubt worden ist! Montag, d. 18. Okt. 37. [18. Oktober 1937] Ich habe gestern wieder einmal diese Aufzeichnungen durchgeblättert bis Mitte Febr. d.Js. zurück zum »Wahlerlaß«. Es hat mich ein klein bißchen beruhigt – obwohl ich nicht weiß, warum. Warum ist es beruhigend, daß wir schon seit Juni d.Js. die Pläne zur Vernichtg. voraussahen? Daß wir schon damals u. seit Jahren überall die Beschimpfungen, den Vorwurf von »Landesverrat« u. die Unmöglichkeit, sich zu verteidigen, so entsetzlich gelitten haben? Warum ist es ein klein bißchen beruhigend, daß es schon damals fast unerträglich war? – In dieser Woche habe ich manchmal d. Gefühl gehabt, daß man über diese Ehrabschneidungen u. öffentl. Beschimpfungen den Verstand verlieren könnte – besonders wenn im Privatleben kein Ruhepunkt vorhanden ist. 357 358

Hier und zum folgenden: Vorgänge im Zusammenhang der 4. Reichstagung der KDC in Eisenach, von der die Tagebuchschreiberin bereits mehrfach berichtet hat. Gemeint ist möglicherweise der kurze Artikel »4. Reichstagung der Deutschen Christen in Eisenach«, Deutsch-Evangelische Korrespondenz 36 (1937), H. 41, 2. Allerdings geht es hier um reine Information, ohne eine Bewertung des Ereignisses.

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Am Freitag Abd. Bek.gemeinschaft. Brakhage berichtete; Mitzenheim schloß mit d. Bericht über d. Gemeindebl.359 Das Wichtigste: Rosenberg hat die Antwort-Broschüre von Künneth zu den »Rompilgern« im Druck beschlagnahmen lassen!360 Brakhage sagte dazu nur: »Er hat in den Rompilgern geschrieben, er wollte »ritterlich« kämpfen. Ich kann das nicht ritterlich finden, wenn man s. Gegner die Antwort überhaupt unmöglich macht.« Es ist feig ganz einfach. Er stellt sich nicht! Aber dagegen muß man Mittel u. Wege finden! 12 Uhr. Eben macht mich Jemand darauf aufmerksam, daß Sasse heute im Rahmen unserer »Bildungsvorträge« über – »die kirchenpolitische Lage«! sprechen wird. Ich habe überlegt, ob ich nicht fortbleiben kann; aber ich glaube, es geht nicht. Der Betrieb würde höhnen. Und offiziell ist es ja Dienst. Mir graut einfach davor. Wenn es zu toll wird, gehe ich raus. Beleidigungen höre ich nicht mit an. Nachm. 4 15. Der Vortrag findet statt. Frl. Walter teilte es mir eben ausdrückl. mit. Mir fiel ein, wie ich 1918 den Entschluß faßte, keine Zeitungen mehr zu lesen, weil ich die Schmach nicht mehr ertragen konnte. In den letzten Tagen habe ich manchmal überlegt, warum ich so früh graues Haar bekam; aber wenn ich zurückdenke, wundert es mich nicht mehr. Stumm Beleidigungen tragen zu müssen ist furchtbar. 12 Min. vor 5. Der Vortrag ist verschoben – auf Donnerstag. Lämmerhirt kam eben u. sagte mirs. Eine Galgenfrist – aber mir ist doch leichter. 3 x 24 Stunden Zeit. Da kann sich manches ändern. Viell. wird er überhpt. nicht gehalten. – Ich begegnete Sasse heute früh ½1, als ich fort ging. Ich mußte zuerst grüßen; er antwortete brummig. – Spigaht kam in d. weiß. Saal, als ich dort mit Frl. Linde stand, grüßte nicht. Ich revanchierte mich vor einer Stunde, als ich eine Mappe in den w. Saal brachte. Was ist das für ein Zustand hier oben! Ernst Otto schrieb mir vor ein paar Tagen aus Wildungen: »Heute den Bericht der D.C.-Tagung gelesen. Wie schwer muß es für Sie sein, ständig in dieser Atmosphäre zu arbeiten! … daß ich Ihrer täglich gedenke …!! Das ist ein Trost. Am Mittwoch will Otto zurückkommen. Dienstag, d. 19.10. [19. Oktober 1937] Der Vortrag v. Sasse ist gestern zuerst mit d. Begründung verschoben worden, er müßte nach Berlin. Er ist aber heute noch hier. Dann hat es geheißen, er fühlte sich nicht wohl. Er hat aber abends im »Sophienhof« gesessen. Sein Wesen ist ja immer unruhig, sodaß es selbst Fremden auffällt. Jetzt soll es ganz schlimm sein. Heute wurde ein Telephon-Ferngespräch angemeldet mit dem Zweck: »Eintritt der Pfr. in die Partei«. Sasse verlangte wieder Verbindg. mit der Gestapo Weimar. 359 360

Zur Auseinandersetzung um das Eisenacher Gemeindeblatt vgl. Tgb. 10., 17., 18., 21. September, 4. und 15. Oktober 1937. Walter Künneth, Evangelische Wahrheit! Das Buch ist erschienen, wurde allerdings offenbar sofort nach Erscheinen verboten; vgl. Tgb. 28. November 1937.

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In der neuen Nr. von »Neuland« hat Guida Diehl wieder einen erfreulichen Schrieb gegen Leutheuser-Leffler losgelassen. Äußerst energisch. Sie steht ja nicht unter dem Kommando von Kerrl u. bloß die Pressekammer kann ihr etwas sagen. Dazu ist sie alte Parteigenossin. »Kamerad« Ludwig vom V.D. kommt nach Bayreuth als »Amtsstellenleiter« der D.C. »Der hats geschafft«, sagen seine Kollegen neiderfüllt. Die neue Nr. von »Deutscher Glaube« (Oktoberheft) von Hauer bringt auf S. 552– 554 eine erstaunliche Enthüllg.361 In der Pressekammer, in der Akademie der bildenden Kunst u. auf den Hochschulen befinden sich heute noch Leute, die um 1918 herum mit dem Juden Eisner gemeinsame Sache gemacht haben! Erstaunlich, daß solche Enthüllungen gedruckt werden dürfen. Und da verfolgt man die Pfarrerschaft, die stets ihre Pflicht gegen Volk u. Vaterland getan hat! Nun braucht man sich ja nicht mehr darüber zu wundern, daß der Ton der Angriffe gegen Kirche u. Christentum so bolschewistisch anmutet. Rosenbergs Rede bei der Einweihung der »Alltagskirche« in Torgau zur nat.soz. Feierstätte war eindeutig. Er verficht das Recht des »Volkes« auf die Gotteshäuser.362 Es ist leicht, darauf zu antworten, aber das unterdrückt ja die Zensur. Heute eine Schlagzeile in den Pressedepeschen: »Konrad Henleins Schreiben vom Zensor unterdrückt! Angst vor der Wahrheit!« Das sind gefährliche Schlagzeilen. Sie passen zu gut auf die eigenen Leute. Ich muß noch aus d. Bekenntnisgemeinschaft berichten. Fast das Schlimmste aus d. Bericht von Brakhage war die Verlesung einer Entschließg. der D.C. in Hannover, die sich einmütig u. begeistert zu Rosenbergs »Protest. Rompilgern« bekennen, besonders zu dem Kapitel, in dem der Name »Marahrens« genannt wird. Sie bitten den Führer, sie von diesem »Landesverräter« zu befreien. Dazu sagte Brakhage: »Dieser ›Landesverräter‹ hat es während sr. Amerikareise im vorigen Jahr verstanden, für das III. Reich in der erfolgreichsten Weise zu werben. Das können heutzutage nicht viele. (Das hat ihm der Außenminister schwarz auf weiß bescheinigt). – Und das ist der Dank dafür.« Weiter verlas Brackhage aus dem »Schw. Korps« v. 22. Juli eine Beantwortung der Frage »Was ist d. Bekenntnisgemeinschaft?« Diese Antwort war ein hysterischer Ausbruch. So ungefähr: »Die B.gem.« ist eine Bande von Landesverrätern, Schurken, Konjunkturrittern (!) … u. – Huren!« Ich muß mir diese Nummer kaufen. Das ist der Geist der Eisner-Genossen. Dann sagte B. [Brakhage] noch, die Taktik sei jetzt zermürbend. Große dramatische Wendungen würde es nicht mehr geben, man hätte eingesehen, daß die das Gegenteil des gewünschten Erfolges hervorbrächten. Es würde jetzt versucht, die Gewaltherrschaft, die im Februar geplant war und die Kerrl in sr. Ansprache vor dem K.Ausschuß so unvorsichtig enthüllte, heimlich durchzusetzen. Handhabe: Die Finanzverordnung

361 362

L. Stengel-v. Rutkowski, Rasse oder Bolschewismus als Wertmaßstab in der deutschen Kunst, Deutscher Glaube 4 (1937), 552–554. Vgl. JK 5 (1937), 928; Tgb. 12. Oktober 1937.

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Kerrls vom Juni363 pp. Es sei sehr schwer geworden, überhpt. zu erfahren, was vorginge! Auch die Benachrichtigungen, die früher an die Bekenntnispfr. gegangen seien, wären verboten worden. – Die Zahl der gefangenen Pfr. u. Gemeindeglieder sei z.Zt. 94, es wechsele stets; vor Kurzem seien es 145 gewesen. Von den verhafteten Thüringern seien noch Friederich-Zeulenroda u. Küntzel-Gräfenroda im Gefängnis. – Alle vom Gericht Freigegebenen bekämen von ihrer kirchlichen Behörde Redeverbot, würden amtsenthoben oder so. Und das, obwohl man nichts gegen sie gefunden hätte! Die Deputation aus Lichtentanne, die hier auf d. Pflugensberg war, hat den Eltern des Hilfspfr. Bauer [K.] hier von ihren Erfahrungen berichtet. Als sie den Kirchenräten Volk u. Stüber vorgehalten hätten, daß »die ganze Gemeinde« hinter dem Hilfspfr. Bauer [K.] stünde, seien d. Kirchenräte empört aufgebraust: »Das ist eine Demonstration!! Diese Jesuiten!« Maurermstr. Rupprecht erzählte mir zum Schluß von den Erlebnissen des jungen Pfr. Kister-Sättelstädt. Er hat im Konfirmandenunterricht die 10 Gebote besprochen. Da haben ihm die Kinder entgegengeschrieen: »Die 10 Gebote sind aus dem Alten Testament! Das darf im III. Reich nicht mehr gelehrt werden! Wir zeigen Sie an!« Und sie haben ihn tatsächlich deswegen beim L.K.R. denunziert. Und Frau Pfr. Fischer-Saalfeld hat Redeverbot in Thür. bekommen, weil sie wahrheitsgemäß in Marksuhl erzählt hat, daß in den Schulen das A.T. nicht mehr behandelt werden dürfte! Kann die Verwirrung noch größer werden? D. 20.10.37. [20. Oktober 1937] Der Rechnungsausschuß soll kürzlich wieder da gewesen sein – ich habe nichts davon gemerkt. Einer hier auf d. Pfl.bg. soll gesagt haben: »Ich kann das nicht mehr mitmachen! Sauberkeit kann man doch wenigstens verlangen.« Sie machen trotzdem aber alle mit. Gestern soll Stier mit noch einem oben gewesen sein in Sa. Gemeindeblatt.364 Stier hätte sehr entsetzt ausgesehen. In dieser Angelegenht. wurde vom Labi später Verbindg. mit d. Gestapo, Weimar, hergestellt. Hense druckt nicht mehr für Mitzenheim. Wie Mitzh. in d. Bek.gem. sagte, ist das Recht eindeutig auf sr. Seite. Er las die Berliner Zuschrift wörtlich vor. Donnerstag, d. 21.10.37. [21. Oktober 1937] Eine vervielfältigte Darstellg. der Gemeindeblatt-Angelegenheit wird von Mitzenheim u.s.w. verbreitet.365 Heute nachm. wird der Vortrag von Sasse über »die kirchenpolit. Lage« steigen. Bö. hat gesagt: »2 Jahre lang hat er ihn halten wollen u. immer wieder abgesagt. Das wird diesmal auch nichts.« Spigaht schwört das Gegenteil u. ich fürchte, diesmal wirds was. Aber ich bin ruhiger als am Montag. Heute ein Times-Ausschnitt, seit etwa 4 Wochen der erste. 363

364 365

Fünfzehnte Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Sicherung der Deutschen Evangelischen Kirche vom 25. Juni 1937 [betr. Einrichtung von Finanzabteilungen bei den Kirchenleitungen], in: Dokumente zur Kirchenpolitik III, 86–89. Zur Auseinandersetzung um das Eisenacher Gemeindeblatt vgl. Tgb. 10., 17., 18., 21. September, 4. und 15. Oktober 1937. Wie vorige Anm.

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Bischof Weidemann-Bremen, der sich den Thüringern nicht angeschlossen hat u. den deren Ruhm wohl nicht schlafen läßt, hat telegraphisch einen Protest gegen die im Juli gefaßte Oxford-Entschließung an den Erzbischof von Canterbury gesandt. Er wird ohne Kommentar widergegeben.366 Der vorige Times-Korrespondent war wegen der Berichte über die kirchl. Lage in Deutschland ausgewiesen worden. Ob das der Grund für das Schweigen der »Times« ist, oder ob »Argus« die Versendung dieser Mitteilungen verboten worden ist? Freitag, d. 22.10.37. [22. Oktober 1937] Sasse hat gestern Abend seinen Vortrag gehalten, aber nicht über das festgelegte Thema »die kirchenpolit. Lage«. (Insofern bekommen sowohl Spig. als Bö. recht.) Ich saß in meiner Ecke u. versuchte nachzuschreiben. Es war schwierig; denn ich konnte nicht sehen, was ich schrieb u. durfte auch nicht mit dem Papier knittern. Trotzdem habe ich Einiges – wenigstens als Gedächtnisstütze – festhalten können. Die Zuhörer saßen regungslos. – Als die Sache überstanden war, fühlte ich zunächst natürlich eine große Erleichterung und dann so etwas wie ehrliches Mitleid mit Sasse. Da ist ein Mensch, dem sein christl. Glaube – wenn er wirklich mal einen gehabt hat – zerbrochen ist. An Hitler glaubt er leidenschaftlich – aber daß dieser Glaube keine Erlösung bedeutet u. keine Klärung von Lebensrätseln, das konnte man gestern Abend an Sasse sehen. Ein von Zweifeln gepeinigter, ruheloser Mann redete zu uns, dessen Qual sich in gelegentlichem Gebrüll Luft machte – und kläglich war, was er als Letztes unerschütterlich festhalten wollte: Den Glauben daran, daß das Christentum das Schicksal Deutschlands gewesen sei! – Das ist alles, was ihm geblieben ist u. damit wendet er sich gegen Geschichtsfälschungen, die in der deutschen Vergangenheit nach Überbleibseln germanischen Glaubens im Brauchtum u. im Aberglauben suchen u. die Sache so darstellen, als wäre darin das religiöse Leben des dtsch. Volkes gewesen. (Rosenberg sprach am vorigen Sonntag in Torgau ganz empört davon, daß es im III. Reich noch Leute gäbe, die behaupteten, die deutschen Dome seien Zeugnisse protestantischen oder kathol. Glaubens. Sie seien doch eben einfach vom deutschen Menschen gebaut. Ein Buschneger könnte Christ werden, aber keine gotischen Dome bauen. – Klar. Aber deutsche Menschen haben diese Dome eben aus ihrem christl. Glauben, ihrer Himmelssehnsucht heraus gestaltet. Daneben haben sie auch noch Burgen, Rathäuser u.s.w. gebaut). Was Sasse sagte, war mir nicht allein wesentlich, sondern auch das, was man dahinter sah. Da war ein Theologe, der zu faul gewesen ist, um Theologie zu treiben, u. der nun, mitten hineinversetzt in den Kreis der Parteigenossen, keine Antworten hat, wenn es ums Ganze geht. Stück für Stück haben sie ihm alles, was er gedankenlos in der Hand gehabt hat, weggerissen u. nun steht er da u. schämt sich. Die Bibel kommt garnicht mehr in Frage. »Was ist eigentlich das »Wort Gottes?« Damit müssen wir uns hier oben doch wirklich auch einmal ein wenig beschäftigen.« Es ist ihm anzurechnen, daß er wenigstens einigermaßen aufrichtig war u. mit der Geste der Mutlosigkeit seinen Bankrott eingestand. Aber er war nicht aufrichtig genug u. für 366

Text des Protestes (längeres Telegramm) in: Heinonen, Anpassung und Identität, 231. Die »Unterstellung« der Weltkirchenkonferenz, im Dritten Reich werde die Kirche verfolgt, wurde von ihm und der Bremer Bibelschule mit Entrüstung zurückgewiesen.

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das Niveau seiner Zuhörer auch immer noch nicht klar genug. Er fühlt sich doch im Grunde nur noch als Konkursverwalter u. muß vor sich selbst eine traurige Figur sein. »Kirche – wenn ich von Kirche rede, dann denke ich überhpt nicht mehr an die Gegenwart, sondern an die Kirche in 10, 20, 30, 50 Jahren.« Als ob diese künftige Kirche in der Luft hinge. Die hängt eben doch weithin von dem ab, was sich jetzt noch behaupten kann. Er gab sich große Mühe, uns davon zu überzeugen, daß die »alten Kirchentümer« tot seien – erledigt – ganz tot. Begründung: »Sie können hinkommen, wo Sie wollen in der Partei, in Schulungslehrgänge, ins Erziehungsministerium – es spielt ja gar keine Rolle mehr. Das wird da alles abgelehnt!« Deshalb ist die Kirche tot. Keine Verheißung ist ihm mehr lebendig und der Gedanke des Kreuzes auch nicht einmal als Ahnung mehr vorhanden. – Er müßte als ehrlicher Mann sein Amt niederlegen. Dann würde er aufatmen. Er glaubt aber wahrscheinlich noch, seine Pflicht zu tun, wenn er aushält u. verhindert, daß Andere, womöglich aus dem »alten Kirchentum«, seinen Platz einnehmen. (Das Wort »Bekenntniskirche« oder Ähnliches fiel den ganzen Abend nicht. Auch das ein Zeichen seiner Müdigkeit u. Hoffnungslosigkeit. Da war auch kein Kampfeswille mehr.) Neben ihm sah ich im Geist den jungen Dieter Pfeiffer stehen, groß, blond u. leuchtend, viel germanischer als Sasse, will Theologie studieren und natürlich – Bekenntnispfarrer werden, wie der größte Teil des theologischen Nachwuchses. Und dann all die anderen Pfarrer, verfolgt, gepeinigt, gehetzt, im Gefängnis – u. dennoch aufrecht, mutig, getrost. Was für einen wunderschönen Brief hat Niemöller aus d. Gefängnis an die Leiterin des Burckhardthauses geschrieben. Solche Briefe werden weitergegeben.367 Und daneben dieser Vertreter des »Deutschen« Christentums. Die »heroische« Haltung ist bei den Bekenntnisleuten, den »Judenchristen«, wie die »Nationalkirche« sagt. Sonntag Abend, 24.10. [24. Oktober 1937] Heute Nachmittag hat Otto zum 1. mal wieder gepredigt über den 121. Psalm: »Ich hebe meine Augen auf …« Das Kirchenschiff war voll, wie nie sonst zur Nachmittagskirche. Die Emporen nicht erleuchtet. Otto sprach anders als sonst, persönlicher u. aus einer tiefen Stille heraus. Er dankte auch d. Gemeinde für alle Zeichen des Gedenkens während seiner Krankheit. Ich habe ihn seit Anfang Juli nicht predigen hören u. fühlte doch stark, wie »ansteckend« es ist, wenn einer einem als eine Art Führer anspricht u. aufruft. Man besinnt sich wieder einmal u. rafft sich zusammen. Im Anschluß an den Gottesdienst war Abendmahl. Ich blieb nicht, sondern ging mit Frau O. [M.] u. Frau Pfeiffer nach Hause. Frau O. [M.] erzählte, das erste am Donnerstag sei gewesen, daß Otto ins Landgerichtsgefängnis, hier, gerufen wurde, wo Pfr. Spelge (Fischbach, Rhön) gefangen eingeliefert worden war.368 Zum 1. mal, daß ein Pfr. hier in Eisenach im Gefängnis sitzt. Otto hat 1½ Stunde lang unbeaufsichtigt mit ihm sprechen können. Alle Beamten seien sehr nett gewesen; sie kennen O. ja; er selbst ist der beamtete Gefängnispfr. (Wenn er nur nicht selbst 367 368

Vgl. Tgb. 16. September 1937. Zum Fall Spelge vgl. Biogramme.

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einmal im Gefängnis sitzen muß.) Der Lehrer (Organist) in Fischbach hat Spelge angezeigt wegen Äußerungen in Predigten. »Das auserwählte Volk«, sagte Frau Otto [M.], aber das kann doch nicht alles sein. Sie schien nicht recht Bescheid zu wissen. Wie es schien, glaubte Otto, daß man Spelge wegen der Äußerung in den Predigten nichts anhaben könnte. Aber er sei ein sehr nervöser, verbitterter Mann. Hoffentlich ist ihm sonst nichts weiter vorzuwerfen. In d. Predigt sprach O. davon, wie furchtbar der Eindruck sei, wenn man wochenlang fern vom Amt gelebt habe u. dann plötzlich wieder sähe, wie furchtbar die Verfolgung, wie wütend der Haß sei. Es sei sehr schwer, daß es nicht möglich wäre, der Gemeinde mitzuteilen, was innerhalb der Kirche vor sich gehe, da der Raum fehle. »Nun haben sie uns auch noch unser Gemeindeblatt zerschlagen.«369 Auf d. Rückweg erfuhr ich, daß das Blatt ganz einfach von der Geh. Staatspolizei verboten worden ist – wahrscheinlich deshalb, weil es auf gesetzlichem Wege nicht verboten werden konnte. Das hat Sasse neulich am 19.10. besorgt! Außer Spelge sind noch Künzel u. Friederich-Zeulenroda im Gefängnis. Friederich ist kürzlich nach Gera gebracht worden, weil Gemeindeglieder abends vor d. Gefängnis in Zeulenroda Choräle gesungen haben. Ein D.C.-Pfarrer sei dort eingesetzt, bei dessen Erntefestgottesdienst 7 Leute in d. K. gewesen wären, während die Kirche des 2., nicht D.C.-Pfarrers gestopft voll gewesen sei. 2 Stden später. Volk schickte mir das Lissaboner dtsche Ev. Kirchenblatt herauf in dem Thomas seiner Gemeinde von seiner Sommerarbeit berichtet – d.h. von wundervollen Reisen, einem Flug nach Spanien mit einer deutschen Junkers-Maschine, wochenlangem Aufenthalt in Madeira, Schiffsreisen nach den Azoren, Mallorca u.s.w. Man kann bitter werden, wenn man sieht, wie er es gut hat, weil er keinen Charakter hat. Ich kann mich nicht entschließen, es Otto mitzubringen. Obwohl der ja nicht bitter werden würde. Gestern ist vormittags die neue Oberin im Diakonissenhaus eingeführt worden. Eigentlich hätte Sasse wohl dabei sein müssen, hat sich aber gedrückt. So scheint es zu sein nach allem, was ich höre. Volk hatte vorher ziemlichen Summs davon gemacht, daß in dieser Angelegenheit auch Eichel beim Labi gewesen war (der hat wohl nicht anders gekonnt). Ein Bild der neuen Oberin, auf dem sie neben dem Führer zu sehen sei, sei auch heraufgeschickt worden u. würde eingerahmt u.s.w. Am Sonnabd. oder heute früh ist Sasse nervös zu V. ins Zimmer gekommen u. hat gesagt: »Übrigens, was ich Ihnen sagen wollte, sie ist doch politisch belastet.« Spigaht, dem man das sagt, schüttelt auch den Kopf u. stimmt zu als bemerkt wird: »Der Landesbischof läßt sich aber wirklich von jedem was einblasen.« Es wird unter sr. Zustimmung festgestellt, daß nur einer kommen u. irgendetwas behaupten darf u. schon glaubt ers. Dazu wird mir wieder gesagt: »Er, (Sasse) ist wieder so ruhelos! Sie glauben nicht, wie furchtbar das ist, wie er umherirrt.« Ich erinnerte daran, daß ich von Anfang an gesagt habe, daß Sasse einen psychopathischen Eindruck macht. Schon die Brüllerei! Auch bei der Reichstagung ist eine unserer Angestellten gefragt worden: »Brüllt der immer so?« Und damals, bei sr. Einführungspredigt, dieser immer in d. Luft wackelnde Zeigefinger! Was ist da zu tun, wenn so ein Mann, der alle Macht innerhalb 369

Vgl.Anm. 364.

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eines K.gebiets in d. Hand hat, geistig od. seelisch nicht mehr ganz gesund ist? Zum öffentl. Skandal kommt es ja meistens nicht – u. also kann er ungestört sein Wesen treiben. Volk ist bei der Feier im Diak.hs. dabei gewesen u. hat von einer »völlig unnötigen« Bemerkung eines Redners, der sich gegen die Feinde des Christentums gewendet zu haben scheint, tadelnd berichtet. Das wird wohl eine sehr nötige Bemerkung gewesen sein. Sasse ist nach Untermaßfeld gefahren, ein vorgeschützter Grund, um abzusagen. Labi Reichardt ist dagewesen. Sasse will im Frühjahr vom Pflugensberg wegziehen. Es ist noch Geheimnis. Dann wird wohl endlich mal Platz in den Diensträumen. Man hat einen Gärtner angestellt. Das ist die Folge der persönlichen Reibereien zwischen der Frau des Landesbischofs [Sasse K.] (eine allgemein unbeliebte Persönlichkeit) u. Sommer. – Was das alles für Geld kostet! Und das angesichts der Finanzverordnung von Kerrl im Juni370, auf Grund derer in Sachsen dem K.Aussch. von Herrn Klotsche bei jedem Telephongespräch u. jeder dienstl. Autofahrt Schwierigkeiten gemacht wurden. – Wir bekommen hier offenbar überhaupt keinen Finanzausschuß. Eben einen Brief gelesen, den Frau Baudert [L.] am 20.9. in Paramaribo371 geschrieben hat u. der hier in einem bestimmten Kreis von Hand zu Hand geht. Sie arbeiten freudig, fühlen sich wohl u. haben sich gut eingewöhnt. Die Töne, die von draußen kommen, haben alle so einen ungewohnten Klang. Es ist einem dann, als würde es plötzlich dunkel hier, und doch ist heute ein strahlender Tag. nachmittags. Als ich mittags fortging, wollte Jemand Volk sprechen. »Es geht nicht, Scheiderbauer ist drin«, hieß es. Was bloß mit dem los ist?372 Nachmittags zeigte mir Jemand die Anzeige des Oberstaatsanwaltes von der Verhaftung Spelges wegen Vergehens gegen das Heimtückegesetz.373 Es ist kaum zu glauben, daß ein Pfarrer das, was in der Anzeige angegeben wird, von der Kanzel herunter gesagt haben soll; u. wir haben ja auch schon mehr als einmal erlebt, wie falsch Äußerungen wiedergegeben werden. Therese z.B., die Sasses Vortrag nicht gehört hatte, kam, mich zu fragen, ob es wahr sei, daß er gesagt hätte, wenn Luther einen Kaiser wie Hitler gehabt hätte, dann würde er »Konzessionen« gemacht haben! Er hat das nicht gesagt, aber ich konnte die Stelle seines Vortrags erkennen, die gemeint war. – Meine Niederschrift von Sasses Vortrag soll »sehr gut« sein.

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Fünfzehnte Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Sicherung der Deutschen Evangelischen Kirche vom 25. Juli 1937: »§ 1. (1) Der Reichsminister für die kirchlichen Angelegenheiten bildet bei der Deutschen Evangelischen Kirchenkanzlei und bei den Verwaltungsbehörden der Deutschen evangelischen Landeskirchen je eine Finanzabteilung« (Dokumente zur Kirchenpolitik VI, 86). Hauptstadt von Surinam. Zum Fall Scheiderbauer vgl. Biogramme. Zum Fall Spelge vgl. Biogramme.

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Dienstag, d. 26.10. [26. Oktober 1937] Die D.C. haben ein neues Schlagwort, das unten in der Kantine ausgegeben worden ist: »Wir wollen ja nur die Staatskirche, wie wir sie früher auch schon hatten.« (Siehe Finanzverordnung von Kerrl374). Der Zweck ist klar. Aber ob da alle alten Nationalsozialisten mitmachen? Ich hoffe nicht. Das sieht dann doch nach Vorherrschaft dieser Kirche im Staate aus. Gestern Abend war Frl. Siebert auf Besuch aus der Schweiz da, allerdings schon seit 4 Wochen fort von Feldis. Sie wußte über unsere kirchlichen Dinge nicht mehr als wir. Was man dem III. Reich im Ausland vorwürfe, sei die Behandlg. der Juden u. der Kirche. Mit allem anderen würde man sich abfinden. Eben gehört aus einem Telephongespräch von Sasse nach Jena (heute): »Leidenfrost u. Scheibe sollen der Partei vorgeschlagen werden … Alle Gaue haben Nachricht bekommen, soviele …. wie möglich einzustellen …« (Es wurde verstanden »Pfarrer wie möglich«, aber es war nicht ganz sicher). Heute L.K.R.-Sitzg.375 Auf d. Tagesordng. stehen u.a. die Namen von 9 Pfarrern, darunter Liebe, Hertel376, Schultze-Röpsen377, Spelge378 … Dann der Fall »Gold. Hochzeit, Rommel«379, der O. betrifft, Guida Diehl.380 nachm. Frl. v. Estorff sagte mir, daß Frl. Quambusch ihr auch immer mit diesem Argument komme. »Wir wollen ja garnichts Neues, wir wollen ja nur die alte Staatskirche.« Weiter erfuhr ich: Bauer [W.] soll Seminardirektor werden u. Hohlwein sei beurlaubt. Bauer [W.], der gar kein Pfarrer ist, nie auf einer Kanzel gestanden, nie ein seelsorgerliches Gespräch geführt hat – der soll Pfarrer ausbilden! ¼ Stde später. Eine 3. Quelle teilt mit: Hohlwein hat gestern Abend erzählt, »die deutschen Christen hätten jetzt gesiegt«, und er käme in den »Oberkirchenrat« (K.min). Aber vorläufig ließe er sich nur beurlauben.381 Neue Nachricht: Die Sitzg. heute beschäftigt sich auch mit der theol. Prüfungsordnung. Meyer-Erlach ist dringend hergebeten worden, auch König ist da, der umfangreiche Sachen diktiert. Auch die Geschäftsordng. des L.K.R. soll geändert wer en.

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Wie Anm. 370. Protokoll der Sitzung des LKR der TheK vom 26. Oktober 1937, LKAE A 122, 110–116. Zum Fall Hertel vgl. Biogramme. Zum Fall Schultze-Röpsen vgl. Biogramme. Zum Fall Spelge vgl. Biogramme. »24.) Goldene Hochzeit Rommel. Auf Anregung von Kirchenrat Volk wird beschlossen, dem Parkschliesser Rommel zu seiner goldenen Hochzeit noch nachträglich das für solche Ehejubiläen zur Verfügung stehende Bild zu überreichen« (LKAE, A 122, 115). Über Guida Diehl findet sich im Protokoll kein eigener Vermerk. Zum Zeitpunkt dieser Tagebucheintragung war Hohlwein Direktor des Eisenacher Predigerseminars. Er wechselte (Beurlaubung!) zum 1. November 1937 zur Dienstleistung an den Evangelischen Oberkirchenrat Berlin. Gleichzeitig wurde Bauer für die Zeit der Beurlaubung Hohlweins mit der Leitung des Predigerseminars beauftragt; vgl. Protokoll der Sitzung des LKR vom 26. Oktober 1937, LKAE, A 122, 83.

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Donnerstag, d. 28.10. [28. Oktober 1937] Heute kam die 1. Broschüre gg. die »Rompilger« mit d. Argus. Verfaßt von Scharfe, Halle 382 (Verlag Dtsch. Bibeltag, Halle/Saale). Prs. 25 Pfg. Ich sah flüchtig hinein. Sie scheint brauchbar zu sein. Man ist froh, daß jetzt sowas existiert. Neuer Angriff auf die B.K. von Kerrl, zu ersehen aus der heutigen Gauzeitung. Er stempelt Wurm zum Staatsverräter, weil der vom Methodistenbischof Melle abgerückt ist.383 Hierauf wird wohl was geschehen. 3. Schock: Heute wieder ein wüster Angriff im »Schwarzen Korps« auf einen ostpreuß. Bek.pfr. mit den üblichen Verallgemeinerungen. Ein würdeloser Ton. Einfach bolschewistisch. Mit dem »Oberkirchenrat« und Hohlwein scheint es zu stimmen. Klar ist mir die Sache noch nicht. Gestern war Bruderratssitzg. in Erfurt.384 Heute die 1. Bibelstunde nach Ottos Krankheit. D. König soll uns Montag Abd. einen Vortrag halten. Die D.C. fangen plötzlich an, kirchenmusikal. Feierstunden zu halten, mit einem Quartett aus München. Das wäre an sich ganz schön, aber man sucht nach dem gewohnten Pferdefuß. Er wird sich schon zeigen. – Wahrscheinlich haben sie sich über das sehr erfolgreiche Fest der ev. Kirchenmusik geärgert, das eine Berliner Woche ausfüllte u. bei dem die D.C. nicht beteiligt waren, sondern lediglich Staatsfeinde. Dem Thür. Ev. Kirchenchorverband haben sie die Mittel verweigert, solange Mitzenheim der Leiter ist, ebenso dem Posaunenchorverband.385 Das Gemeindeblatt ist jetzt endgültig kaputt gemacht worden. Die Polizei hat Beschlagnahme angedroht, sobald eine neue Nummer erscheint. Das geht vom Pflugensberg aus. Bei Mitzenheim ist eine ausführliche Darstellung des ganzen Falles von der Ev. Pressekammer angefordert worden.386 »Luth. Kirche« teilt mit, daß ihr Heft 15 v. 15.10. von der polit. Polizei beschlagnahmt worden ist.

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Siegfried Scharfe, Verrat an Luther? Halle 1937. Hintergrund dieser Äußerung ist der folgende Vorgang: Nach der Verlesung der Botschaft der Weltkirchenkonferenz in Oxford an die Deutsche Evangelische Kirche hatten die Vertreter der Freikirchen eine Protesterklärung abgegeben, die u.a. den Satz enthielt: »Die evangelischen Freikirchen in Deutschland sind dankbar für die uneingeschränkte Freiheit der Verkündigung des Evangeliums von Christo und für die Gelegenheit, die sie in Deutschland haben, ihren Dienst in Evangelisation, Seelsorge, sozialer Fürsorge und Gemeindeaufbau tun zu können« (JK 5 [1937], 642). In einer Rede in Oxford hatte Bischof Melle diesen Satz nahezu wortgleich wiederholt und hinzugefügt: Die Freikirchen »haben die nationale Erhebung des deutschen Volkes als eine Tat göttlicher Vorsehung betrachtet, ihre Gemeinden in den kritischen Tagen des Umbruchs auf die grundlegenden Werke des Apostels Paulus über die Stellung der Christen zum Staat in Römer 13 hingewiesen und sie ersucht, in treuer Fürbitte für die Obrigkeit anzuhalten« (ebd., 643). Die Sitzung des Bruderrates war nicht in Erfurt, sondern in Gotha. Thema war u.a. die Kandidatenordnung; vgl. Einladungsschreiben vom 23. Oktober 1937, LKAE, LBG 65, 145. Vgl. Tgb. 10. und 17. September 1937. Zur Auseinandersetzung um das Eisenacher Gemeindeblatt vgl. Tgb. 10., 17., 18., 21. September, 4., 15., 20., 21. und 24. Oktober 1937.

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Ich nehme an, daß sie sich darin gg. »Rompilger« gewendet haben. Die simple Mitteilg. wurde hier im Hause von irgendjemandem mit d. Aufschrift versehen »Wichtig! Siehe 1. Seite innen! – Nicht wegwerfen!« Wahrscheinlich wollen sie d. Verbot bekannt geben u. daran anknüpfen: »Da sieht mans wieder einmal! Die Staatsfeinde!« Mittags. Eben günstige Nachricht bezügl. des Gemeindeblattes. Mitzh. hat Nachricht von d. Pressekammer. Sie hat jetzt beide Eis. Gem.blätter verboten u. stellt Mitz. anheim, Feststellungsklage, wem das Blatt gehört,387 zu erheben. Es muß noch geheim bleiben, wir sollen nicht darüber sprechen, obwohl angenommen wird, daß Stier die Mitteilung auch bekommen hat. Das ist eine gute Lösg. Übrigens war das Mitzenheimsche Blatt noch nicht verboten, sondern ihm nur durch die Gestapo mitgeteilt, daß es verboten werden würde, falls es erschiene. Weder O. noch Mitz. noch sonst Jemand, den ich gesprochen habe, kannte die Schrift von Scharfe geg. Rompilger. Sie muß ganz neu sein. Dienstag Abend sagte mir O., daß nach einer Weisung von Rudolf Heß keine Pfarrer in die Partei aufgenommen würden.388 Wahrscheinlich machen Sasse u. s. Freunde den Versuch, die Zulassung trotzdem für ihre Freunde durchzusetzen. Gestern Abend 1. Bibelstunde nach O.s Erkrankung. Ich hatte seit Anfang Juli keine mitgemacht. Es ist schön, daß wir das wieder haben. Es wurde über Galater 4 gesprochen. Es ist immer wieder erstaunlich, wie aktuell das alles ist. Der Apostel hat sich gesorgt, ob wohl sein Brief eindringlich genug sei, um zu den Herzen zu sprechen; er möchte stattdessen lieber persönl. zu ihnen reden – man hört die leidenschaftliche Sorge heraus. Er hätte wohl nicht für möglich gehalten, daß nach fast 2000 Jahren noch Menschen sich um eben diesen Brief sammeln würden. Es ist immer wieder stärkend zu sehen, daß die Welt anders regiert wird, als wir Menschen es uns ausdenken. O. sprach zum Schluß darüber, daß sich der Christ nicht erbittern lassen soll. Das ist sehr schwer. Er selbst machte es uns vor. Er sprach mit leidenschaftlicher Trauer aber doch ruhig über Gal 4,16: »Bin ich denn damit euer Feind geworden, daß ich euch die Wahrheit vorhalte?« Otto fragte, ob Männer, die ihr Vaterland heiß liebten u. ihm gern das Opfer ihres Lebens bringen würden, Staatsfeinde genannt werden dürften, weil sie ihrem Volk die Wahrheit sagten, die Wahrheit des Evangeliums? Und was aus Deutschland werden sollte, wenn es die Wahrheit nicht mehr hören könnte. In Altenburg sind die Pfr. auf die Polizei zitiert u. ihnen verboten worden, Schriften irgendwelcher Art zu vertreiben. Man erwartet ein solches Verbot daraufhin in ganz Thüringen. Ebenso wird angenommen, daß die Schikanen gegen d. Gemeindeblatt hier den Versuch einleiten, die ganze ev. Sonntagspresse zunächst in Thür. in die Hand zu bekommen. Was für Unsinn geschwatzt wird! Über den Verfasser des D.C.-Oratoriums, das zur »Reichstagung« hier aufgeführt wurde, sagte eine junge Angestellte der D.C.: »Daum – der wird mal größer als Bach«. Solche Begriffe hat diese Jugend. 387 388

Vgl. Tgb. 10. September, 4. und 15. Oktober 1937. Zur Anordnung von Rudolf Heß und den Möglichkeiten betr. Aufnahme von Geistlichen und Theologiestudenten in Partei und SA vgl. Tgb. 26. Juli 1937.

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Montag, d. 1.11.37. [1. November 1937] Aus den letzten Tagen: Sasse in d. Nacht zu Freitag von Berlin zurück. Am Freitag Bischof Heckel hier, den Sasse kurz sprach, wonach Sasse nach Ilmenau fuhr, zum Nachmittag aber wieder hier war. Während Sasse fort war, kommen Nitzsch u. Mitzenheim, um – in Abwesenheit von S. – mit Volk wegen des Gem.bl. zu reden.389 Sie hätten erfahren, daß der L.K.R. sich mit d. Sache befaßte. Sie haben ein Vermittlungsangebot gemacht, »um d. Weitererscheinen des Blattes zu ermöglichen.« – Dieses Entgegenkommen haben sie ja garnicht nötig. Es geht sicher auf die Neutralen Pfarrer zurück. (Die Eisenacher Pfr. sollen Herausgeber des Gemeindeblattes bleiben u. den Schriftleiter bestimmen; ihnen soll d. Blatt nach wie vor gehören. Mitz. ist bereit zurückzutreten, K.vertretg. behält Verlag. Wenn darauf nicht eingegangen wird, Feststellungsklage nach Weisung der Reichspressekammer). Eine Entscheidg. ist noch nicht gefallen. Mitzenheim gab die Lage der Gemeinde gestern vor sr. Reformationsfestpredigt bekannt – neben anderen Abkündigungen. Sasse hat zu Spigaht hinterher gesagt: »Na, die haben Glück gehabt, daß sie mir nicht in die Hände gefallen sind, die hätte ich ja ordentlich durchgewalkt« (oder ähnlich so. Die Unterredung wäre dann wohl sehr schnell zu Ende gewesen!). Frau S. hat sich geäußert: »Franz bleibt in Berlin. Es fragt sich nur noch, wer von den Regierungsräten sein Nachfolger hier wird.« Dazu sagt V.: »So – die regiert also hier oben. Franz gefällt es aber garnicht in Berlin.390 Es ist so unerfreulich: Immer Entwürfe machen für die Verfassung und alles wird immer wieder zurückgelegt.« Ein alter Stahlhelmer erzählt: »In Berlin soll jetzt eine Versammlung tagen, die die die Kirchengüter beschlagnahmen will.« Folgendes heute frisch gehört: Gestern wurde vom Minister Goebbels die Woche des dtsch. Buches391 in der Weimarhalle eröffnet. Da kurz vor Beginn d. Halle nur ⅔ voll ist (Eintritt 2 M), hat man SS. eingesetzt, um Publikum heranzuholen, das den Saal (ohne Eintrittsgeld) füllte. Nachher Empfang bei Sauckel; Sasse u. Frau, die die Eröffnungsfeier mitmachten, seien nicht eingeladen worden. Auf d. Rückweg sei kein Wort zwischen beiden gewechselt worden. Heute früh »Andacht« von Jansa – fürchterlich. Therese ging hinaus. Heute Abend müssen wir den Vortrag von König anhören.

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Wie Anm. 386. Vgl. Tgb. 2. September 1937. »Mit der Überwachung des Marktes und der Ausmerzung unerwünschten Schriftttums war es freilich nicht getan – hinzu kam die Förderung des Erwünschten, die Durchsetzung des ›artgemäßen‹ deutschen Buches. ›Öffentliche Buchwerbung‹, getragen von staatlichen und Parteistellen, war zentraler Bestandteil der NS-Schrifttumspolitik. Für diese Aktivitäten war insbesondere die ›Reichsschrifttumsstelle‹ des Propagandaministeriums zuständig. Sie erweiterte den Weimarer ›Tag des Buches‹ zur herbstlichen ›Woche des Deutschen Buches‹ mit zentralen und regionalen Veranstaltungen wie Großkundgebungen, Buchausstellungen und Dichterlesungen« (Wittmann, Geschichte des deutschen Buchhandels, 368).

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Gestern Abend Bachkantate, vorher ein Vortrag von »Dr. Schott, München« über »Luther, Bach, Dürer als Künder deutscher Art.«392 Was wir erlebten war eine Frechheit. Es fing schon damit an, daß er Luther, Bach u. Dürer »deutsche Christen« nannte. Der Vortrag war zum Schluß tatsächlich nur noch eine kirchenpolitische Hetze. Das Einzige war, daß er nicht »Bekenntnisfront« sagte, sondern »gewisse Kreise«. Vorher hatte Dr. Drescher mir erzählt, er habe am Morgen d. Predigt von Hoffmann in Lauterbach gehört. In d. Nacht seien in Lauterbach u. Mihla rote Zettel angeklebt worden: »Die Bekenntnisfront ist staatsfeindlich.« Oder so. Der Lehrer hätte die Schulkinder ausgeschickt, um die Zettel abreißen zu lassen. Dabei habe sich – durch die Bemerkung eines Kindes – herausgestellt, wer der Täter war: ein aus Unkeroda zugezogener Mann. nachmittags. Zum Vortrag Schott höre ich: Brakhage hat d. Veranstaltung nicht abgekündigt. – Die Sache geht von Lehmann aus, der heute strahlend herumläuft. Erst hat d. Vortrag auf d. Wartburg stattfinden sollen bei 2 M Eintritt. Der Wartburgsaal ist aber dazu nicht freigegeben worden. Darauf wollte Lehmann die Georgenkirche dazu haben, dagegen wehrte sich Mauersberger, gab aber zu, daß der Vortrag in das Programm seiner Reformationsfestfeier hineingesetzt würde.393 Das nächste Mal wissen wir Bescheid. – Leider war die Kirche gerappelt voll. Die Besprechung in der Gauzeitung (Platzer) würdigt die musikal. Leistung eingehend u. tut den Vortrag mit einem kurzen Satz ab, der von dem Inhalt kaum etwas ahnen läßt. Heute ist ein Fest der Luthergesellschaft394 in Erfurt, der ehemal. Hofpred. Doehring spricht. Lehmann hatte Anfang dieser Woche die Geh. St.pol. in Weimar angerufen »wegen eines Verbots der Doehringschen Rede« mit der Begründung, D. habe 1932 eine »Schmähschrift« gegen den Führer geschrieben.395 (Bestimmt ist das keine »Schmähschrift« gewesen, wenn er auch was geschrieben haben sollte). Ich weiß nicht, ob das Verbot durchgesetzt worden ist, ob die Anregung vom Pflugensberg ausging oder von hier aus nur auf eine Anfrage geantwortet wurde.

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»Daran schloß sich ein Vortrag von Dr. Georg Schott (München), der den Zweiklang Luther-Bach durch Hinzufügung von Albrecht Dürer zum harmonischen Dreiklang vervollständigte und die drei Gewaltigen als Künder deutscher Art auf einen gemeinsamen Nenner brachte. In ihnen vereint sich tiefstes religiöses Erleben mit der stärksten Ausprägung deutschen Wesens; darum mögen sie gerade unserer heutigen Zeit, die nicht nur eine Zeit nationaler Neugestaltung unseres Volkes, sondern zugleich auch einer tiefgehenden und, wie der Redner eingehend aufführte, entscheidungsvollen religiösen Krise ist, als unsere geistigen Führer voranleuchten« (Ernst Fleischer, Bach-Kantate in der Georgenkirche, Eisenacher Zeitung vom Oktober 1937). Zum besonren Interesse Lehmanns für Schott vgl. Tgb. 15. April 1937. Gegründet 1917, um Luther »im Ganzen seines Wesens und Wirkens der Gegenwart … nahezubringen« (Hans Otte, Art. Luthervereine, in: EKL³ 3 [1992], 229). Bruno Doehring, Die Fehlleitung der nationalen Bewegung durch Adolf Hitler. Aus seiner Weltanschauung erklärt, Beenken 1933. Die Schrift ist eine scharfe Abrechnung mit dem Weltanschauungsanspruch Hitlers vor der Machtergreifung, der als unbegründet und unbegründbar zurückgewiesen wird. Vf. zeigt sich überzeugt: »Es ist ein Geisteskampf von alles entscheidender Bedeutung, der gegen Hitler geführt werden muß« (ebd., 8).

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nachm. Es ist nicht zu glauben, aber wahr: Am gestrigen Reformationsfest hat Coch-Dresden (Labi Coch!) in einer christl. Rundfunk-Morgenfeier gesprochen! Es soll furchtbar gewesen sein. – Als wenn einem Gespenster erschienen! So staunten wir, als damals Hossenfelder wieder auftauchte. Dienstag, d. 2. Nov. [2. November 1937] Gestern Abend Vortrag König. Man merkte, daß er sehr alt geworden ist. Er sieht die Dinge flach u. ungeheuer vereinfacht u. freut sich kindlich, daß das, was er zu bieten hat, so wenig ist. Er hält diese Armut für den letzten Schluß der Weisheit. Ich fand es einfach peinlich u. verkalkt u. glaubte, Sasse müßte innere Hemmungen haben, ihm zu danken. Stattdessen war Sasse begeistert u. kündigte die Fortsetzg. dieser Vorträge im größeren Rahmen an! – Ich ging mit Frl. Ganzert nach Hause, die ebenso entsetzt war wie ich. Frl. Linde kam heute früh, innerlich zweifelnd, sehr geneigt, sich auf die Seite der Begeisterten zu stellen. Die innere Hilflosigkeit der Menschen ist schrecklich. Daneben Frl. Sommer, die aus Grundsatz König widerspricht, auch nichts faßt u. lauter Kleinigkeiten auskramt. Man kann wütend werden. Ich las gestern im »Neulandblatt« die Besprechung eines Lutherwerkes von Deutelmoser (Verlag Diederichs), heute eine Besprechg. desselb. Buches in d. Frankf. Ztg. v.10.10. d.Js.396 Dieses Buch scheint die neue kirchengeschichtliche Betrachtung Luthers, die Sasse u. König uns vorsetzten, angerichtet zu haben.397 – Wer hätte vor 10 Jahren geglaubt, daß man sich um die Frage der Reformation noch einmal öffentlich erhitzen würde? Durch allen Kampf darum gewinnen doch auch an Bedeutung. Es ist, als ob schlafende Riesen aufwachten u. sich die Augen rieben. Was werden wir erleben, wenn sie anfangen, zu schreiben? Später. Eben werde ich auf den Liederzettel zur gestrigen »Morgenfeier« hingewiesen, der das Lutherlied enthält. Statt »Gott Zebaoth« heißt es »unser Gott«. Männel soll es für einen Druckfehler gehalten haben, was ihn ehrt! Unsere Leute freuen sich königlich. Später. Noch eine Besprechg. des Buches von Deutelmoser in d. Berliner Börsenzeitung Nr. 511 v. 31.10. Sehr instruktiv. Da wird der ganze Untergrund von Sasses Vortrag klar. Später. Der Betrieb ist in heller Aufregung über den Vortrag König in Verbindg. mit dem von Sasse. Über Sasses Vortrag hat Frl. Kleinsteuber gesagt: »Es war doch eine Offenbarung.« Ich muß immer wieder daran denken, wie s.Zt. von Otto, Baudert u. Henneberger in den Jahren vor 1933 versucht wurde, Vorträge für die Angestellten u. Beamten 396 397

Arno Deutelmoser, Luther. Staat und Glaube, Jena 1937. Diese Einschätzung dürfte nicht zutreffen; die Arbeit Deutelmosers klang zwar in manchen mit dem Nationalsozialismus zusammen, war ihm aber nur bedingt zuzusprechen. »Die Enden vieler Fäden geistesgeschichtlicher Betrachtung sind in diesem Buche Deutelmosers zu einem wirren Ganzen verknotet worden« (vgl. dazu Bornkamm, Luther im Spiegel der deutschen Geistesgeschichte, 175).

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durchzusetzen. Sie scheiterten an den Bedenken von Reichardt, der von Tegetmeyer beeinflußt war. Die quantitative Arbeitsleistg. würde herabgesetzt. Nicht einmal die Montag-Morgenandachten konnten durchgesetzt werden, u. die V.D.-Andacht mußte ¾7 Uhr beginnen u. Punkt 7, zu Dienstbeginn, zu Ende sein. Wirklich – diese Kirche war reif zum Abbau. Rückschauend im Gespräch mit einem Anderen wurde ich an Folgendes erinnert: Bei den Auseinandersetzungen zwischen Jansa u. Leutheuser zum Zwecke von Jansas Bekehrung zu den D.C. hat Leutheuser gesagt: »Auf Erden ist alles relativ, auch das III. Reich. Aber das kann man doch den Leuten nicht sagen!« Bildet sich eine neue Art von Priesterschaft (nicht nur in der Kirche) mit einer Geheimwissenschaft heraus – lächelnde Auguren? Diese Gedanken kommen mir als ich eine weitere Besprechung des Deutelmoserschen Buches in d. Börsenzeitg. (31.10.) durchgelesen hatte. Deutelmoser kommt auch auf die Einheit von Staat u. Kirche hinaus, die die »Thüringer« vertreten. Deutelmoser sei antichristlich, habe das Christentum aber garnicht begriffen u. reduziere es auf die Bergpredigt usw. Es paßt alles glänzend auf die Linie Sasse-König. Es ist schon beruhigend, daß man die Hintergründe klarer erkennt. Man glaubt aber nun auch klarer zu sehen, worauf die Thür. D.C. hinauswollen – auf einen Riesenbetrug. Eines Tages ist die Thür. ev. Kirche das neue Gebilde, das sie nicht Nat.kirche nennen werden, weil es zu wenig Menschen umfaßt (u. den Gemeinden sagen sie, es sei Verleumdung, wenn man von ihnen behaupte, sie wollten das Christentum fahren lassen, u. reden immerzu von »Christus« – u. meinen einen schäbigen Rest, den man getrost auch noch fahren lassen könnte – im Grunde nur eine blasse Idee, lang nicht so schön als das Goethe’sche »Stirb und werde« Christentum – wie ich es meine). Am Sonntag Abend behauptete Dr. Georg Schott in d. Kirche, man könne dem Weltanschauungskampf unserer Tage wohl allerlei vorwerfen, Mißgriffe, Geschmacklosigkeiten u.s.w. aber eines nicht: Die Lüge. Die religiöse Lüge sei aus dem Volksleben verschwunden u.s.w. Kommentar überflüssig. Niemöller ist noch immer im Gefängnis – weil er die Wahrheit laut gesagt hat. Ganz gewiß glaube ich, die Größen der Zeit u. des politischen Geschehens zu begreifen – aber muß man das Kind mit d. Bade ausschütten? Da liegt eine große Aufgabe für uns, denen positive Mitarbeit an so Vielem verwehrt ist. Nicht hemmen u. bremsen, sondern Gleichgewicht halten, damit sich d. Wagen nicht überschlägt. nachm. Von Frau O. [M.] hörte ich heute Mittag, daß in Sa. Gemeindeblatt der Krieg erklärt worden ist.398 Der K.vorstand hat auf das Friedensangebot hin verlangt, daß die Pfr. anerkennten, daß d. Gem.bl. Eigentum des K.vorstands sei, Rechtsanwalt Wehling sei bereits beauftragt. Übrigens hält O. es für richtig, daß Mitz. zurücktritt u. Kühn die Schriftleitg. übergäbe, da man doch mit allen Mitteln, auch mit polit. Diffamierg., versuchen würde, Mitzenheim die Schriftleitung zu nehmen. Das leuchtet mir ein. O. will einen Luthervortrag halten, viell. schon in 8 Tagen. (10.XI.). 398

Zur Auseinandersetzung um das Eisenacher Gemeindeblatt vgl. Tgb. 10., 17., 18., 21. September, 4., 15., 20., 21., 24. und 28. Oktober 1937.

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Der Streit um Luther erinnert mich an den 2-jähr. Streit um Karl d. Großen. Mit was für Schemen kämpften wir! Die sind alle noch nicht tot. Manchmal kommt einem wirklich der Gedanke an ein Zwischenreich von Geistern. Später. Im »Bund« [BfDC] scheint Geld zu fehlen. Vor einigen Tagen kam Weisung, überhpt. nichts mehr anzuweisen. Aus den Randbemerkungen war die Tatsache der Geldknappheit zu entnehmen. Heute Ähnliches. Sasse plant, seine Dienstwohnung aufzugeben – man redet von einem Hauskauf des L.K.R. (ganz geheim, aber jeder weiß es). Ich habe den Eindruck, daß Geld ausgegeben werden soll! In der Rechnungslegung wird fieberhaft gearbeitet, alles ist aufgeholt u. man ist jetzt beim Jahre 1936. Das ist überhaupt noch nicht dagewesen. Die Rechnungsrevision hinkte früher ständig etwa 3 Jahre oder mehr nach. Man scheint sich doch nicht so ganz sicher zu fühlen. Seit etwa 6 Wochen sind keine Auslandsnachrichten über die protest. Kirche mehr eingegangen. Heute übersetze ich einen Artikel des Temps (v. 26.10.), der ein Weißbuch des Vatikans über die Beziehungen zu Deutschland ankündigt. Diese Beziehungen sollen sich noch verschlechtert haben. (Rudolf Heß ist in Italien zu Besuch bei Mussolini). 3. Nov. 37. [3. November 1937] Eben höre ich ein Gespräch mit an, aus dem hervorgeht, daß die D.C. eine neue Versammlungswelle bis zum 5.12.399 planen. Brauer sei »seit einem halben Jahr nicht mehr im V.D.« gewesen. »Wozu bekommt der überhaupt sein Geld«? Auch Stetefeld sei nie da. Sorge hätte seit Tagen für die D.C. Reisekosten ausgerechnet, es sei heute eine Versammlg. von etwa 100 D.C.-Leuten in Friedrichroda. (Zur Reichstagg., sagt mir einer, »sind wir alle« eingesetzt worden400). Dabei soll in den Kassen des »Bundes« kein Geld mehr sein. Brauer fragt von Friedrichroda aus an, ob die Reisekosten ausgezahlt werden können, u. hier wird erst auf ein Telephongespräch mit Tegetmeyer in Berlin gewartet, der das erlauben soll, aber noch nicht kann. Freitag, d. 5.11. [5. November 1937] Gestern Abend Bibelstunde: Gal. 4. O. sprach getrost u. freudig. Hinterher erfuhr ich: Die Geschichte mit d. Ankleben der roten Plakate oder Zettel in Mihla u. Lauterbach ist doch dramatischer verlaufen, als es nach Dreschers Mitteilg. geschienen hatte.401 Der Inhalt nahm Bezug auf Kerrls Schreiben an Wurm, das durch die gesamte Tagespresse ging, in dem Wurm der Vorwurf gemacht wird, er hätte sich »an die Seite der Staatsfeinde gestellt«. Dadurch, sagt das Plakat, sei nun die ganze Bekenntnisfront als Landesverräter entlarvt! Wegen dieses Plakates hat man hier bei – Otto, Brakhage u. Mitzenheim Haussuchung gehalten!! Man muß sich das nur mal vorstellen: Sie sollen 399

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KDC-Praxis: Rednergruppen, meistens von leitenden Funktionsträgern der Bewegung, wurden durch die TheK, später dann auch in andere Kirchen und Länder des Reiches geschickt, um in Gemeindeversammlungen, oft gesondert ansprechend Männer, Frauen, Mädchen, Burschen, Kirchenvertreter u.a., für die Sache der KDC zu gewinnen. Vgl. dazu z.B. BrDC 3 (1934), 95. 4. Reichstagung der KDC in Eisenach Anfang Oktober 1937. Vgl. Tgb. 28. Oktober 1937.

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selbst Plakate haben, drucken u. aufhängen lassen, in denen sie selbst als Landesverräter hingestellt werden! Hoffmann hat an diesem Reformationsfest noch mehr erlebt. Vor dem Gottesdienst in Mihla am 31. kommt ein junger Mihlaer zu ihm u. erzählt, ein anderer hätte d. Absicht, in d. Kirche zu stenographieren, um Hoffmann irgendwie damit zu schaden. Was man da tun könnte. Hoffmann sagt: »Laßt ihn ruhig schreiben; was ich sage, kann Jeder hören.« Oder so. Gut. Der Gottesdienst beginnt. Als Hoffmann auf d. Kanzel kommt, sieht er auf d. 2. Empore den Jüngling mit d. Stenogrammblock sitzen. Als Hoffmann so etwa 5 Min.gepredigt hat, plötzlich großer Krach auf der Empore. Hoffmann sieht gerade, wie der Jüngling mit dem Stenogrammblock samt seiner Bank an die Wand fliegt u. dann ergießt sich ein Haufen von Zetteln ins Schiff über die erstaunten Bauerfrauen; dazu fällt – klatsch – etwas von oben herunter! Sachverhalt: Der Jüngling neben d. Stenotypisten ist wütend geworden, hat sich auf den Stenotypisten gestürzt, ihm eine Ohrfeige angehauen, daß er an die Wand flog, ihm das Stenogramm entwunden, die Blätter herausgerissen u. alles in die Kirche hinunter gepfeffert. Dazu hört man laut durch die Kirche: »Schäm Dich was!« Hoffmann hat gesagt, er hätte doch lachen müssen. Nach kurzer Pause ging der Gottesdienst weiter. – Ich finde die Geschichte erfrischend. Endlich eine Tat. Aber es ist noch mehr geschehen. Hoffmann hat in Bischofroda ein Kind taufen sollen u. den dortigen D.C.-»Pfarrer« Diakon Fries im Beisein von Zeugen um die Kirche gebeten. Fries verweigert sie. Er macht im Laufe der Verhandlung eine Wendung, die Hoffmann veranlaßt, ihn zu fragen: »Rechnen Sie mich vielleicht nicht zum Volk?« Darauf antwortet Fries (nicht wörtlich): »Leute ›Ihres Schlages‹ rechne ich allerdings nicht zum Volk.« Darauf Hoffmann: »Dann ist das Wort »Volksgemeinschaft« in Ihrem Munde eine hohle Phrase!« Nach Hause gekommen, schreibt er sich alles auf. Es dauert dann auch nicht lange, so bekommt er einen Brief des L.K.R.: Er sei beschuldigt, gesagt zu haben, das Wort »Volksgemeinschaft« sei eine Phrase, er solle sich dazu äußern. Er hat gerade seinen Bericht fertig u. will ihn zur Post tragen, als er erfährt, daß er bereits beim Staatsanwalt angezeigt ist u. daß der Wachtmeister bereits die Zeugen verhört (Ich möchte nicht aufschreiben, wer ihn benachrichtigt hat). Es steht fest, daß der L.K.R. ihn angezeigt hat, ohne auch nur seine Antwort abzuwarten. Ich erzählte diese Sache ( )b, der mir sagte: »Lehmann«. Es wurde mir ja verschiedentlich hier im Haus geschildert, wie die Sachen gemacht werden, daß jeder x-Beliebige kommen u. irgendetwas erzählen könnte. Es würde alles sofort, ohne Nachprüfung, der Staatsanwaltschaft zugeschickt. – Man fragt sich, was das für einen Zweck haben soll. Doch nur den, den Betreffenden in den Augen seiner Gemeinde verdächtig zu machen. Wenn ein Verfahren eingeleitet wird, hat der L.K.R. außerdem nach dem Diszipl.ges. d. Recht, den betr. Pfr. vorläufig des Amtes zu entheben.402 Wenn man merkt, daß nichts dabei herauskommt, wird die ganze Sache in die

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Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz, vgl. Übers. Strichzeichnungen. Gesetz über Dienstvergehen (bzw. kurz Disziplinargesetz) vom 7. Juli 1921, und zwar in der Fassung: »Gesetz vom 12. März 1935 zur Änderung des Dienstvergehensgesetzes, ThKbl/A 1935, 6–8. In dem – geänderten! – § 30 heißt es: »Der Landeskirchenrat kann einen Pfarrer vorläufig

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Länge gezerrt; u. inzwischen kann man den Pfarrer im ganzen Land verleumden u. mit ihm die ganze B.K. Auch hierin stimmte mir ( )b bei. Gestern kam zum erstenmal seit vielen Wochen ein »Times-Ausschnitt«, der über den Verlauf des Reformationsfestes in Berlin, Inhalt der Kirchengebete u.s.w. berichtete. Zum Schluß: Seit d. Erlaß Hitlers vom 15. Febr., mit dem »Kirchenwahlen in voller Freiheit u. auf kirchlichem Boden« angekündigt wurden, wären über 500 Verhaftungen vorgekommen. Mit einer geringfüg. Ausnahme alle auf Anordnung des Gerichts entlassen. Niemöller und einige andere noch in Haft. Man behauptete jetzt: Die Sondergerichte würden aufgehoben, ehe der Prozeß Niemöller verhandelt würde!!! Das wäre dann allerdings ein schöner Grund, den Prozeß zu vermeiden, aber auch eine internationale Blamage. Frl. v. R. [Ranke] berichtet aus d. Seminar, Bauer [W.] hätte das neue Semester in Vertretung von Hohlwein eröffnet. Er habe das mit einer Ansprache getan, die so – beinah christlich – gewesen sei, wie sie im Seminar lange nichts gehört hätte. Zum Schluß hätte er sogar den Segen gesprochen u. danach aufgefordert, Kette zu bilden, u. so das Vaterunser zu beten! Sie habe also auf der einen Seite Volk, auf der anderen Stüber die Hand geben müssen …!! Außerdem: Saupe (Säupchen) sei aus d. Versenkung emporgetaucht u. unterrichtete wieder im Seminar! Wir hatten uns schon ausgedacht, der sei herangezogen worden, um einen Ausgleich dafür zu schaffen, daß der stellvertretende Seminardirektor kein Theologe sei, als mir heute von anderer Seite erzählt wird: Stüber habe Saupe nur irrtümlich als Dozenten auf dem Lehrplan benannt!!! Um Stüber nicht vor d. Kandidaten zu blamieren, habe Volk Saupe nachträglich gebeten, ein paar Vorlesungen über irgendwelche germanische Spezialforschungen zu halten!!! Saupe war schon im Jahre 1921 unmöglich. Ich erinnere mich einer geheimen Sitzung eines Landeskirchentages, so etwa 1929 oder 30, wo man ihn absetzen wollte! Er war der Mann, der die unglücklichen Kandidaten in einem Vortrag, bei dem sie anwesend waren, »die geliebte Schar« nannte. Ach die Redensarten, die Thomas in seinen damaligen Flegeljahren, die Bauer [G.], Michaelis, Laukamm u. andere über ihn machten! Übrigens berichtete Frl. v. R. noch, sie würde neuerdings mit einer geradezu unheimlichen Liebenswürdigkeit von den D.C. behandelt. Es war uns beiden verdächtig. Ein Artikel im neuesten »Reichswart«, nach dem man darauf schließen muß, daß sich zwischen dem Grafen Reventlow u. unseren D.C. Fäden spinnen. Wenn der die Praxis unserer D.C. kennte! Aber da sind sie Milch u. Honigseim! Sasse schon wieder in Berlin. Das geht immerzu – läßt sich garnicht kontrollieren. Wie O. sagte, hat Volk die Tatsache, daß Sasse wegen einer Unterredung mit Heckel Nitzsch u. Mitzenheim nicht selbst empfangen konnte, sogar ins Protokoll gebracht! Das Urteil der beiden Pfr. ist gewesen: »Volk hat überhaupt von nichts eine Ahnung!« Er hat wieder davon gesprochen, daß das Grundübel der Lage in Thüringen sei, daß E. O. nicht zu ihm gekommen sei, daß man sich nicht an ihn gehalten habe – ja, es hätte

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seines Dienstes entheben, wenn ein gerichtliches Strafverfahren oder ein förmliches Dienststrafverfahren gegen ihn eingeleitet ist.« Von dieser Bestimmung ist praktisch in allen Disziplinarverfahren Gebrauch gemacht worden. Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz, vgl. Übers. Strichzeichnungen.

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so geschienen, als sei der Kirchenkampf in ganz Deutschland einzig aus diesem gestörten Verhältnis zu erklären. – Ich sage ja immer, Volk ist einmalig in seiner Situation, eine kirchenhistorische Merkwürdigkeit. – Inmitten aller tragischen u. drängenden Konflikte ist seine Stenotypistin damit beschäftigt, Entwürfe von ihm für den Polterabend seiner Tochter zu Papier zu bringen. In den Kirchenblättern las ich, daß D. Doehring verhindert war, auf der Tagung der Luthergesellschaft in Erfurt zu sprechen. »Verhindert« – also nicht »verboten«.403 Sonnabend, d. 6. [6. November 1937] Frau S. hat verlauten lassen: Ab nächst. Montag wären alle D.C. zu einer großen Werbeveranstaltung unterwegs (da werden sie »Rompilger«404 ausschlachten. Da wird auch Hoffmann-Mihla als vom Staatsanwalt Verfolgter angeprangert!). Leffler hätte aus Anlaß der Reichstagung405 der D.C. (ob hinterher, war nicht zu verstehen) mit Kerrl gesprochen u. Kerrl sei in dieser Sache beim Führer gewesen. Mit dieser Aussprache hinge die neue Versammlungswelle zusammen.406 Es stünde alles sehr günstig für die Thür. D.C. Welches mag der wahre Kern dieser Geschichte sein? Viell. hat der Führer d. Achseln gezuckt u. gesagt: »Wenn die Thüringer sich durchsetzen können – meinetwegen.« Vermutlich hat Rosenberg dem Führer doch die »Rompilger«407 zugestellt. Wer unterrichtet nun den Führer über die falschen Voraussetzungen dieser Schmähschrift? Das »Deutsche Pfarrerblatt« bringt in Fortsetzungen eine Richtigstellung nach der anderen. Gerüchte gibt es wieder massenhaft. Ich halte sie für erfunden. Z.B.: Die Unfreundlichkeiten gegen den Katholizismus würden eingestellt auf Grund von Vorstellungen u. Drohungen der Schweiz. Dann … lieber nicht. Das war politisch. Ebenso das 3.: Schacht würde zurücktreten. Dienstag, d. 9. Nov. 37. [9. November 1937] Der erste Schock heute früh: Mit d. »Argus« trifft eine Nummer der Führerzeitschrift der nat.soz. Jugend »Wille u. Macht« (Heft 21 v. 1.11.) ein. Sie trägt eine rote Bauchbinde mit d. Aufdruck: »Rettet Luther vor den Protestanten!« Hier soll Geschichte gefälscht werden. Ein Trost ist, daß wir aus »Protest. Rompilger«408 nun wissen, wie unwissend die Leute, die das unternehmen, auf dem Gebiete sind, das sie beschreiten. Es wird nicht gleich alles vor ihnen weichen. Gestern Abend in der »Tagespost« eine erfreul. Richtigstellg. gegenüber einer Mitteilung des »Stürmer«: Der Stürmer hatte eine Abbildung eines ganz tollen »Bildwerkes«, das angeblich einen »Christus« darstellen sollte, gebracht, die in der Münchner Ausstellung »Entartete Kunst«409 zu finden war u. von der behauptet worden war, sie 403 404 405 406 407 408 409

Vgl. Tgb. 1. November 1937. Vgl. die zahlreiche Bemerkungen zu dieser Schrift in vorhergehenden Eintragungen. 4. Reichstagung der KDC Anfang Oktober 1937. Vgl. Tagebuch 3. November 1937. Vgl. die zahlreiche Bemerkungen zu dieser Schrift in vorhergehenden Eintragungen. Wie vorige Anm. »Diffamierende Bezeichnung aller Kunstwerke und -strömungen, die dem engen und rückständigen Kunstverständnis der Nationalsozialisten und ihrem zwanghaften Schönheitsideal nicht entsprachen. Das in rassistischer Terminologie für angebliche Verfallserscheinungen verwendete

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hätte im Lübecker Dom gehangen. Sie sah aus wie aus Kochtöpfen u. Bruchstücken von altem Eisen zusammengenagelt. Der Stürmer ließ dazu einen großen Artikel los, in dem natürl. die Pfarrer beschuldigt wurden, dieses »Kunstwerk« im Dom aufgehängt zu haben. »Damals haben sie keine Bekenntnisfront gebildet …« u.s.w. In d. Richtigstellg. wird gesagt, daß auf Einschreiten des Gauleiters die Unterschrift entfernt wurde. Der damal. Museumsdirektor habe die Figur »probeweise« im Dom aufgehängt. In d. Nacht seien Gemeindeglieder in d. Kirche eingedrungen, hätten d. Figur den »Kopf« abgeschlagen u. sie im »Mühlenteich« versenkt u.s.w. Welche Rolle die Pfarrer bei dieser Geschichte gespielt haben, wird nicht erwähnt, sie muß also ehrenvoll gewesen sein. ¼ Stunde später. Der 2. Schock. Der »Niederdeutsche Beobachter« greift die Finanzabteilung der Deutsch. evang. Kirchenkanzlei an wegen der von ihr veröffentlichten Grundsätze für die Abgabe von Kirchenland. Nun ist diese Finanzabteilg. ja die von Kerrl eingerichtete u. überwachte, sozusagen staatliche! Trotzdem wird sie angegriffen, weil sie den kirchl. Grundbesitz »zweckgebundenes Vermögen« nannte, der bestimmt sei, die finanzielle Grundlage der Gemeindearbeit zu gewährleisten. Es dürfte also Land auch zu Siedlungszwecken nur abgegeben werden, wenn es nicht zu vermeiden wäre u.s.w. Dagegen läuft der Artikel Sturm. Er bemängelt sogar, daß Pachtzins genommen wird. Nun möchte ich nur wissen, weiß der Artikelschreiber nicht, daß die kirchl. Finanzen eigentl. vom Staat, d.h. v. Kirchenministerium verwaltet werden oder kämpfen hier Parteigenossen gegeneinander? Mittwoch, d. 10. Nov. 37. [10. November 1937] Das Thür. Volksbildungsmin. hat bekannt gemacht, daß bei den heutigen Schulfeiern der Maler Moritz v. Schwind u. Ludwig Richter gedacht werden solle – an Luther offenbar überhaupt nicht. Heute Mittag steigt hier die übliche Feier am Lutherdenkmal. Lehmann am Telephon: »Nun – ich habe keine Zeit, soviel Akten – Kühn redet – was Kiel? Kiel?!! Ach so …!« Die Beteiligg. der Beamten u. Angestellten des L.K.R. war ursprünglich nur unter der Bedingung gestattet, daß man nach der Feier wieder heraufkommen u. bis 1½ Uhr Dienst zu machen habe. Diese Bestimmung wurde später abgeändert. Wer zu Kiels Lutherfeier um 12 Uhr geht, braucht nicht wieder zum Dienst zu kommen. Ich bleibe natürl. im Büro. Heute Abd. Lutherfeier in der Kirche mit dem Posaunenchor. O. hält eine Ansprache. O. predigte am Sonntag vorm. Ich hatte m. Schirm in d. Kirche hängen lassen u. kam zurück, als Mitzenheims Kindergottesdienst bereits angefangen hatte. 2 kl. Jungen standen noch vor dem Portal. »Geht doch rein«, sagte d. Küster Breithaupt zu ihnen, »Ihr gehört doch auch in den Kindergottesdienst.« Wort ›Entartung‹ richtete sich vor allem gegen die verschiedenen Richtungen der Moderne – Impressionismus, Expressionismus, Kubismus, abstrakte Kunst, Fauvismus, Dadaismus, neue Sachlichkeit … Die Wanderausstellung ›Entartete Kunst‹ (München 1937, später ergänzt durch die Ausstellung ›Entartete Musik‹ ergänzt) zeigte eine Auswahl prominenter Werke der Moderne« (Enzyklopädie des Nationalsozialismus, 446–447).

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»Ja«, sagte der Kleine, etwa 9-jährig, »aber wenn ich da rein gehe, dann hauen mich die großen Jungen!« So ists. Mut u. Bewährung – das kann man heute bei den Christen lernen. Die anderen … Am Sonntag Abend sprach Mitzenheim in d. Georgenkirche über »D. ev. Pfarrhaus, eine Quelle des Segens für d. deutsche Volk«. Die Pfarrer hatten mit besond. Zetteln – da das Gemeindeblatt410 ausfiel – dazu eingeladen. Ich fand das Thema nicht glücklich formuliert, etwas kitschig. Ich ging seufzend hin u. fürchtete, die Kirche würde leer sein. Stattdessen war sie voll, bis auf beide Emporen! Mitzenheim sprach im Ganzen gut. Zuerst brachte er so viele Kleinigkeiten; er las übrigens ab. Zum Schluß steigerte sich der Vortrag u. wurde befreiend für die, die an Kirche u. Christentum noch hängen. Er brachte u.a. die Zahlen, die seit etwa 2 Jahren – wenn ich mich recht erinnere – nach den unglaublichen Schmähungen in einer Rede Görings (in Bayern gehalten): »Wo waren denn die dtsch. Pfarrer in der Notzeit des deutschen Volkes« von der Pfr.schaft erarbeitet worden sind. Danach sind die protest. Theologen diejenigen, die am meisten Gefallene im Weltkrieg in ihren Reihen hatten, 36,3% von allen, die hinauszogen. Die Mediziner haben 15% (Lazarette!), die Juristen 25%, die kathol. Theologen 26% u.s.w. Wie M. [Mitzenheim] sagte, »genügt es wohl«, um darzutun, daß d. Christentum nicht feig macht u.s.w. Die Pfarrersöhne … Admiral Scheer [?] u.a. Der älteste Kriegsfreiwillige im dtsch. Heer war ein protest. Theologe, Prof. Gregori [?], der jüngste ein Pfarrersohn aus Thür., knapp 15 Jahre alt. Beim Sturm auf Langemarck411 war es ein Theologe, der das Deutschlandlied anstimmte. 127 bayrische Pfarrer im Freikorps Epp, das München den Roten entriss412 … Solange die Bewegung kämpfte, brauchte sie sich kaum zu kümmern um das, was außer ihr noch im deutschen Raum vorhanden war. Jetzt muß aber ein ganzes Volk regiert werden, nicht nur eine Partei. Und da kann man nicht mehr ignorieren, was sonst noch in diesem Volk lebt. In den Tageszeitungen wird ein Gerücht wiedergegeben u. richtig gestellt, das über Ludendorff im Umlauf war. Warum nimmt Göring die Beschimpfg. nicht zurück, die er der Pfarrerschaft u. dann der Kirche angetan hat? Ich ging mit Frau Pfeiffer u. Frl. Eitner nach Hause. Wir waren alle 3 froh über das, was endlich einmal gesagt worden war.

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Zur Auseinandersetzung um das Eisenacher Gemeindeblatt vgl. Tgb. 10., 17., 18., 21. September, 4., 15., 20., 21., 24., 28. Oktober und 2. November 1937. Für die deutschen Truppen äußerst verlustreiche Schlacht im ersten Weltkrieg, die am 10. November bei der belgischen Ortschaft Langemarck stattfand und im Kaiserreich mythisch überhöht wurde. Es wurde nur ein geringer Landgewinn erzielt. Freikorps Epp, gegründet im Februar / März auf dem Truppenübungsplatz Ohrdruf nach Absprache zwischen Franz Ritter v. Epp und Reichswehrminister Gustav Noske für den Grenzschutz Ost. Im April / Mai beteiligt an der blutigen Niederschlagung der Münchner Räterepublik, danach Übernahme in die neue Reichswehr (historisches-lexikon-bayerns.de/artikel/artikel_44494; eingesehen 17. August 2015).

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Die Gemeinde hatte übrigens ohne Orgel singen müssen. Mitzenheim gab den Grund bekannt. Kiel hatte als Stellvertreter des Oberpfarrers dem Organisten verboten zu spielen. Die Gemeinde wurde mit den Entwicklungen das Gemeindeblatt betreffend, von Mitzenh. bekannt gemacht. Die Kirchenvertretung habe auf den Einigungsvorschlag der 6 nicht D.C.-Pfarrer noch nicht geantwortet (die »Kriegserklärung«, die ich neulich vermerkte, war also wohl inoffiziell). Rönck, der Jugendpfr., hält einen großen Lehrgang, wie mir gesagt wurde, für Hilfspfr., in Friedrichroda. In einem gedruckten Werbeblatt für die kirchliche Jugendarbeit hat er sehr sonderbare Angaben gemacht, z.B.: die Thür. Kirchenregierg. sei schon vor der Machtergreifg. nationalsozialistisch gewesen u.a. Bußtag, Mittwoch, d. 17.11.37. [17. November 1937] O. sprach heute nachm., sehr tapfer. Die Kirche war unten ganz besetzt, dazu die 1. Empore.Heute Abd. spielt in d. Nikolaikirche das von den D.C. aufgebotene SchaetteQuartett aus München, das durch die Dörfer geschickt wird, um schleunigst »Kulturtaten« der Thür. Kirchenregierg. darzustellen,413 da an der musikalischen Kultur ihres »D.C.-Liedgutes« auf dem Fest der dtsch. Kirchenmusik heftig Kritik geübt wurde.414 (Die Behauptungen eines Juristen, der ihnen das Wort redete u. Mitzenheim’sche Taten als die der D.C. rühmte, sind von Mitzenheim selbst dort richtig gestellt worden!) Rönck muß die geplanten Jugendlehrgänge bis zum 4.12. verschieben – aus »formalen Gründen«, wie er mitteilte. Wahrheit ist, daß er eine staatliche Anordng. nicht beachtet hat, nach der kirchl. Jugendlehrgänge 4 Wochen vorher angemeldet werden müssen. Zu diesem Zeitpunkt müssen auch bereits die Teilnehmer namhaft gemacht werden (was die Sache natürlich sehr erschwert). Zu Ende der letzten Woche kam endlich mal wieder ein »Times-Ausschnitt«, der die Nachricht von einem »Appell an Hitler« brachte. Das 3-Männer-Kollegium des Kasseler Zusammenschlusses u. weitere 90 Pfr. hätten sich wegen der »Rompilger« an Hitler gewendet u. ihn um eine öffentliche Erklärung gebeten. Wie ich später von Otto hörte, ist diese Meldung stark übertrieben. Er konnte mir den Text der Erklärg. zeigen. Am Sonnabend Abend bekam ich plötzlich von der apolog. Zentrale eine kleine Schrift von Künneth zugeschickt, Abdruck u. Erweiterg. eines Vortrags, den er in Nürnberg gehalten hat.415 Im Vorwort teilt er mit, daß es ihm »unmöglich« sei, ausführlich auf «Rompilger« zu antworten. Man hat also auch das Erscheinen der Bearbeitung seiner Antwort-Broschüre verhindert! 413

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Das Quartett trat von Mitte Oktober bis Anfang Dezember 1937 in musikalischen Feierstunden auf und wurde aus den Mitteln des Volksdienstes bezahlt. Insgesamt entstanden Kosten in Höhe von 7 279,06 RM; dazu kamen noch Reisekosten, die aus anderen Haushaltsmitteln gedeckt wurden. Dem standen Einnahmen bei den Konzerten in Höhe von 1 458,90 RM gegenüber; vgl. Abschrift des Protokolls der Sitzung des LKR der TheK vom 30. November 1937 mit handschriftlichen Eintragungen, LKAE, A 163, 87. Vgl. dazu den Redaktionsartikel: Hans Paulin, Die Ewig-Gestrigen. Randbemerkungen zum Fest der Deutschen Kirchenmusik, NaKi 6 (1937), 366. Walter Künneth, Evangelische Wahrheit! Ein Wort zu Alfred Rosenbergs Schrift »Protestantische Rompilger«, Berlin 1937.

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Gestern Abend große Beamtenversammlung in der Erholung, die mir noch auf der Seele liegt, Bericht vom Beamtentag (polit. Leiter) in München. U.a. habe Pg. Schneider über »die Erbsünde« gesprochen (wer hätte vor 10 Jahren gedacht, daß ein solches Thema einmal aktuell sein würde!) Näheres sagte er hierzu nicht. Man kann sichs ja denken. Dann habe Rosenberg eines Tages zu ihnen geredet. »Auch über die religiöse Frage – aber das ist nicht diskutabel. Nur eins muß ich hier sagen!« Große, gewichtige Pause, bedeutende Haltung u. Betonung. »Nie, niemals wieder darf es in Deutschland – einen dreißigjährigen Krieg geben!!!!« – (Man faßt sich an den Kopf. Sind wir verrückt oder die anderen ???) Und dann sprach er über den Eintritt der Beamten in die Partei. Man hätte noch bis zum 30.11. Zeit, sich zu melden. »Was wir von denen denken, die diese Gelegenheit nicht ergreifen – nun, das werden Sie dann schon merken!« Also eine Drohung. Dabei hängt es ja garnicht von uns ab, ob wir eintreten können. Für Frauen ist 2-jähr. Mitarbeit in der Frauenschaft Vorbedingung. Für mich kommt noch hinzu, daß der L.K.R. natürlich eine schlechte Auskunft über mich geben würde wegen meiner kirchenpolit. Einstellung. Dazu die Stellung des Kreisleiters zur B.K., die Wilms neulich zu seinem Leidwesen erleben mußte. Er hatte sich zur Partei gemeldet u. Volk sich offenbar für ihn eingesetzt. Eines Tages ruft der Kreisleiter bei Volk an u. hält ihm vor, daß Wilms B.K. wäre. Volk verschwört sich:»Ich lege meine Hand dafür ins Feuer, daß das nicht stimmt!« Und läßt Wilms kommen. Er soll außer sich gewesen sein, als er erfuhr, daß die Behauptung des Kreisleiters den Tatsachen entsprach. (Wahrscheinl. hat Wilms vom Lehrer in Marksuhl eine schlechte Note bekommen. Dem hat er einmal bei einem Streit mit dem Pfarrer ein paar vorsichtig ermahnende Worte gesagt). Wilms hat dann durch Vermittlung von Volk eine persönl. Unterredung mit dem Kreisleiter gehabt, die wenig erfreulich verlaufen ist. Der Kreisleiter hat Wilms zum Schluß einfach die Tür gewiesen. Hugo Müller sagte mir neulich, von der gesamten Beamtenschaft seien noch er, Battefeld u. ich übrig, die anderen hätten sich alle bei der Partei gemeldet. Er, Müller, wolle es nun auch tun. Ich will morgen einmal mit Battefeld u. Luther sprechen. Die D.C. haben eine »Versammlungswelle«416. Thieme ist in Elbing; an Dr. Brauer ging neulich nach Liegnitz ein Scheck über 2000 M u. darüber aus der L.K.Kasse. Die hilft also den D.C. bei ihrer Wühlarbeit außerhalb von Thüringen! Und wenn es nur durch Darlehen geschieht. Es ist schlimm genug. Der »Bund für D.C.« scheint kein Geld zu haben, darüber sind sich die Sachkenner einig. Lord Halifax ist zu Besprechungen in Berlin eingetroffen.417 Vielleicht ist es doch irgendwie gut für uns, daß nach England wieder Fäden gesponnen werden? Otto wird mich auslachen u. auch ausschelten. Aber in der Verzweiflung greift man eben nach Strohhalmen. In d. Kirchensteuerabteilung ist ein Schreiben eingegangen, in dem ein 416 417

Vgl. Tgb. 3. und 9, November 1937. »Nach der Begrüßung durch den britischen Botschafter Sir Henderson in Berlin gibt der Reichsaussenminister dem Lordpräsidenten Halifax ein Frühstück. Danach besichtigt dieser die Internationale Jagdausstellung, was als offizieller Anlaß seiner Reise gilt. [Tageschronik: 17. November 1937. Digitale Bibliothek Band 49: Das Dritte Reich, S. 2671 (vgl. DGK Bd. 2.1, S. 403) (c) Droste/Directmedia].«

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Mann Erlaß von 7,50 M fordert u. folgende Drohung ausstößt: »Wenn Sie das nicht tun, trete ich aus der Kirche aus u. trete zu den Deutschen Christen über!« Der Harmlose! Es soll geplant sein, für die Jugendpfarrer eine Uniform zu schaffen!418 Als ob das was hülfe! Ich weiß nicht, ob ich von dem Rönck’schen Artikel in der letzten »Nationalkirche« schrieb, in dem er das Ansinnen zurückwies, als wollten die Thüringer eine – evangelische Nationalkirche bauen!!419 – O. erinnerte heute in sr. Predigt daran, daß die Thüringer vor einigen Jahren noch gesagt hätten, man müsse wählen zwischen Christus u. dem »Mythus« Rosenbergs. Und heute bekennen sie sich begeistert zu Rosenberg! Mittwoch, d. 24.11.37. [24. November 1937] Ich habe mich gestern bei der Partei angemeldet, muß aber damit rechnen, abgelehnt zu werden. Soeben kommt eine fulminante Nachricht! Frl. Schnürpel war gestern dienstlich in Friedrichroda, wo wieder Kurse laufen. Der Landesbischof hätte gesprochen u. alle wären begeistert gewesen, auch die anwesenden (?) Bekenntnispfarrer(?!). Sasse hätte u.a. gesagt: »Kerrl wäre nun Deutscher Christ geworden u. heute oder morgen würde es in den Zeitungen stehen. Man stünde vor großen Entscheidungen. Der Führer wartete ja lange u. hätte viel Geduld, aber einmal sei seine Geduld zu Ende. Vielleicht wird die B.K. nun doch verboten? Das paßt ja gut zu meiner Anmeldung bei der Partei; denn ich gebe gleich bei der Anmeldung an, daß ich zur B.K. gehöre!420 – Wilms hat mir inzwischen die Scene geschildert, die er mit dem Kreisleiter gehabt hat. Jemand, der Bescheid weiß, sagte bei der Nachricht über Kerrl: »Hat ihn Franz doch bekehrt!« An Dr. Brauer ist kürzl. auch nach Königsberg ein Scheck über 2000 M gegangen. In Form eines Darlehens kann es ja einwandfrei sein, wenn es verzinst wird, ist aber trotzdem doch Unterstützg. einer kirchenpolit. Gruppe u. unzulässig. Frl. v. W (?). erzählte mir, in den Büros der D.C. würde alle paar Tage nachts durchgearbeitet. Sie wollten jetzt das Haus nebenan kaufen! 418

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In einem Schreiben des Landesjugendpfarrers Hugo Rönck an Kirchenrat Tegetmeyer vom 25. August 1937, LKAE, A 723, 17, beantragte dieser finanzielle Mittel zur Einführung von »Einheitsanzügen«, besondere »Dienstanzüge« »uniformmäßigen« Charakters« für die 37 Kreisjugendpfarrer Thüringens. In einem weiteren Schreiben Röncks an den LKR der TheK vom 23. Oktober 1937, LKAE, A 723, 20, wurden sie direkt als »Uniformen« bezeichnet. Zwei Modelle, die Rönck hatte entwerfen lassen, wurden mit Billigung des LKR für 200 RM aus der Kollekte für Jugendarbeit finanziert; vgl. Niederschrift über die Sitzung des LKR vom 18. Oktober 1937, LKAE, A 723, 18. Hugo Rönck, Evangelische Nationalkirche? Deutsches Christentum und das Erbe der Reformation, NaKi 6 (1937), 345–346. Die Betonung lag dabei auf evangelische N. Denn eine Nationalkirche, in der es keine Konfessionen und kirchlichen resp. religiösen Gruppen mehr gab, wollte er schon. Allerdings war für ihn die Stunde einer solchen anzustrebenden Glaubenseinheit des deutschen Volkes in einer konfessionsunabhängigen Nationalkirche noch nicht gekommen. Es ist nicht ganz klar, was hier gemeint ist: Hatte sie bei der Anmeldung bereits angegeben, Mitglied der BK zu sein? Oder wollte sie das tun, wenn die Aufnahme konkret werden sollte? Ihrem Antrag wurde übrigens nicht stattgegeben.

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Im »Figaro« ein langer Aufsatz über die Thür. D.C. Zum 1.mal nimmt das Ausland wirklich gründlich Notiz von ihnen. 1 Uhr. Berichtigg. von unten: Spigaht soll gesagt haben: Labi hat gesagt, Kerrl »stünde« jetzt zu den Thür. D.C., nichts von Mitgliedschaft! 1 Uhr 20. Große Aufregg. Im unteren Stockwerk hat sich das Gerücht verbreitet, der Luxemburger Sender habe durchgesagt, Kerrl hätte gestern in Fulda eine »großangelegte« Rede gehalten u. dabei bemerkt: Die »Nationalkirche« wäre nicht erwünscht!!! Was ist das nun wieder??421 Heute früh wurde ich gefragt, ob ich wüßte, daß der neue Standortpfarrer B.K.Mann wäre. Ich wußte nichts. 2 Stunden später wurde erzählt: Stier ist als Standortpfr. abgesetzt, es kommt ein neuer Standortpfr. für Eis., Eschwege u.s.w. mit Sitz in Eisenach. Der »Wehrpfr.« aus Kassel wird ihn einführen. Rosenberg hat kürzlich in Freiberg seiner Befriedigg. darüber Ausdruck gegeben, daß die Zeit nun bald gekommen sei, wo alle deutschen Kirchen u. Dome wieder dem deutschen Volke oder dem deutschen Glauben gehörten. (Es war etwas anders! Dem Wortlaut der Rede nach hat er von »eigenen« Türmen u. Glocken der »Gemeinschaftshäuser« geredet). ( )a hofft viel von Halifax! Vernünftiger Artikel in »Reichswart« gegen die Verunglimpfg. der deutschen Pfarrer, Vergleich mit Angriffen auf Offiziere in d. Zeit des Marxismus. Donnerstag früh, 8 Uhr. [25. November 1937] Ich muß gleich nachtragen: Was Kerrl in Fulda422 wirklich gesagt hat – oder wenigstens, was davon in die Öffentlichkeit soll – erfuhren wir gestern Mittag noch aus der »Gauzeitung«, noch ehe wir das Gebäude verlassen hatten! Es war jedenfalls d. Gegenteil von dem, was Sasse prophezeit hatte. Die »Staatskirche« sei nicht erwünscht, die Regierung stünde zu keiner der kirchlichenpolitischen Gruppen; das Ziel der Kirchenpolitik sei: Aufhebung der Kirchensteuern, Einstellg. der Zahlungen an die Kirchen

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Zeitungsbericht über eine Rede des Reichskirchenministers in Fulda am 23. November 1937, in: Dokumente zur Kirchenpolitik IV, 126–128. Direkt ist die nationalkirchliche Idee hier wohl von Kerrl nicht abgewiesen worden. Aber er hat doch deutlich herausgestellt, dass der nationalsozialistische Staat sich nicht an die Seite irgendeiner bestimmten religiösen Gruppe stellen werde. »An der Gründung einer nationalsozialistischen Staatskirche« sei man nicht interessiert (ebd., 128). In seiner Hagener Rede am 30. November 1937 stellte der Kirchenminister noch etwas deutlicher heraus, dass es mit ihm und dem nationalsozialistischen Staat auch keine »deutsch-christliche Staatskirche« geben werde; in: Dokumente zur Kirchenpolitik IV, 130. Strichzeichnung Männerkopf, steht für Friedrich Bernewitz, vgl. Übersicht Strichzeichnungen. Vgl. Zeitungsbericht über eine Rede des Reichskirchenministers in Fulda am 23. November 1937, in: Dokumente zur Kirchenpolitik IV, 126–128. 128 [auch als Sonderdruck verbreitet unter dem Titel »Reichsminister Kerrl über Weltanschauung und Religion im nationalsozialistischen Staat«, o.O. u. J.].

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u.s.w.423 (Darauf zielte wohl Rosenberg in Freiburg! Er meint, die Kirchen können sich dann einfach nicht mehr halten. Zu einem Teil wird er da schon Recht haben). Es ist schon richtig, die Finanzverordnung Kerrls424 bewies es bereits in diesem Sommer: Es geht um das Geld. Und warum hat der Staat nicht den Mut, offen vorzugehen? Muß erst eine Schuld der Pfarrerschaft konstruiert u. das Chr.tum in Grund u. Boden beschimpft werden? Kerrl hat in Fulda von den 7000 Strafanzeigen gegen Pfr. seit 1933 gesprochen – wohlweislich nur von Anzeigen. Wieviel Verurteilungen auf protestantischer Seite, sagt er nicht. Da würde der Eindruck dieser Zahl 7000 ein anderer sein als der gewünschte. Und Devisen- u. Sittlichkeitsverbrecher wirft er dabei mit Leuten wie Hoffmann-Mihla in einen Topf. Aber Schluß! Ehe ich gestern d. Haus verließ, wurde mir noch dringend geraten, einen Vortrag in d. »nordischen Gesellschaft«425 gestern Abd. zu besuchen. Dort würde gesagt werden, »daß die D.Chr. siegen würden« (Frl. Hasert). Volk hatte durch Umlauf sehr zu diesem Vortrag eingeladen: »Über germanische und mittelmeerländische Geisteshaltung.« Ich opferte 1 M u. ging hin. Etwa 100 Leute bei Zimmermann, das was man heutzutage »Spitzen« nennt, etwa 12 B.d.M.-Führerinnen darunter, SS in Zivil, Lehrer, pp. u. Volk. Kein Wort von Kirche. Ein höchst sympathischer Vortrag des Gesandten Dr. Daitz über Außen- u. Wirtschaftspolitik. Die »mittelmeerländ. Geisteshaltg.« war der Faschismus im Gegensatz zum Nationalsozialismus. Das Samurai-Ideal Japans, das »GentlemanIdeal« Englands. »Zwang« macht alles kaputt. England herrsche dch. Freiwilligkeit (44 Mill. über 400), übrigens sei es auf der Höhe sr. Macht u.s.w. Wenn doch diese Lehren Gemeingut wären. Es wurde mir mal wieder recht deutlich klar, was unsereiner aussteht in Beamtenversammlungen wie die neulich (Rede von Hüther!) war. (Hitler sollte das mal erleben! Oder die Rücksprache Wilms-Kreisleiter!) nachmittags. 4 Uhr. Die Aufregg. im Hause über die Kerrl-Rede426 ist groß, natürlich wegen der finanziellen Ausblicke. Der Landesbischof ist nach Berlin gefahren. ¾6 Uhr. Stimmungsbild aus der Kantine: »Die D.C.« sind sehr »getitscht!« ( )a berichtet: »Große Aufregung. Es muß was vorgehen ›oben‹.« Sonntag, d. 28. Nov. 37. [28. November 1937] Einer unserer ersten Beamten ist auch in Friedrichroda gewesen u. hat Sasses Rede dort mit angehört. Sie scheint wirklich ungefähr so gewesen zu sein, wie Frl. Schnürpel sie geschildert hat.427 Der betr. Beamte hat mit dem Finger an die Stirn getippt. 423

424 425

426 a 427

Kerrl hat diese Rede veröffentlicht unter dem Titel »Über Weltanschauung und Religion im nationalsozialistischen Staat«, Berlin 1938; sie wurde ins Englische, Französische, Spanische und Italienische übersetzt; vgl. Kreutzer, Reichkirchenministerium, 113. Wie Anm. 370. Die Nordische Gesellschaft war eine reichweite völkische Bewegung, deren Reichsgeschäftsführer Ernst Timm war; sie gab eine Monatsschrift heraus mit dem Titel »Der Norden«; vgl. Mohler, Konservative Revolution, 289. 464. Vgl. Anm. 422. Strichzeichnung Männerkopf, steht für Friedrich Bernewitz, vgl. Übersicht Strichzeichnungen. Vgl. Tgb. 9. März 1937.

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Das Ganze zeigt einmal wieder, wie wenig Fühlung unsere D.C. noch nach »oben« haben; man ahnt es ja hin u. wieder, aber es wird sorgfältig verborgen. Denen, die Sasse in Friedrichroda hörten u. am nächsten Tag die Kerrl-Rede in d. Zeitung lasen, muß es ja dämmern. Ein Gespräch mit Frau K.Rat Arper, die ich heute überraschend traf, ging in derselben Richtung. Sie hätte aus Kassel gehört, die D.C. hätten gar keine Aussichten. Sie wußte, daß Franz in Berlin ist. Ein D.C. hätte ihr gesagt, Frz. hätte noch keine Gelegenheit gehabt, mit Kerrl selbst zu sprechen. Das läßt tief blicken – ist aber auch ein Zeichen dafür, daß Kerrl sich nicht mehr häufig im K.min. sehen u. andere nach Berlieben schalten u. walten läßt. Gestern kam ein Ausschnitt aus dem »Berner Tagblatt«: »Schlimme Zustände in Ostpreußen.« Die ostpreuß. Pfr. hätten einen Revers unterschreiben sollen, wonach sie 1. allen staatlichen (d.h. kirchenministeriellen) Anordnungen folgen wollten 2. nur solche Kollekten sammeln wollten, die von der obersten Kirchenbehörde vorgeschrieben seien 3. keine staatsfeindlichen (kirchlichen) Schriften mehr verbreiten wollten. Wer diesen Revers nicht hätte unterschreiben wollen, sei in Haft genommen worden, erst 40, zuletzt im Ganzen 60 Pfr.428 Die Nachricht ist unklar; man kann sich aber danach denken, wie es ungefähr gewesen sein kann. Am Donnerstag Abend in der Bibelstunde gab Otto bekannt, daß wieder 2 Thür. Pfr. aus dem Gefängnis entlassen seien: Friederich-Zeulenroda u. Küntzel-Gräfenroda. Z.Zt. wäre nur noch der arme Spelge hier in Haft – das sind nun wohl auch schon etwa 8 Wochen. Friederich u. Küntzel haben ja 17 oder 18 Wochen gesessen. Frau O. [M.] sprach ich heute nach Ottos Adventspredigt (die Kirche war voll). Bauer [G.] wäre letzte Woche in Berlin gewesen u. hätte, nur andeutungsweise, einiges geschrieben. Es schiene wieder eine Atempause zu geben. Offenbar hätte man daran gedacht, die Wahlen stattfinden zu lassen – die Bürgermeister hätten Weisung gehabt, die Wahlkarteien in Ordnung zu bringen. Die Sache sei dann aber (auf Veranlassg. von Hitler selbst?) wieder abgeblasen worden. Am Freitag erfuhr ich bei Klante, daß das Heft »Evangel. Wahrheit« von Künneth verboten worden sei!!!.429 (Klante hatte 50 Stück gehabt u. in 2 Tagen verkauft. Bei der Neubestellung wurde das Verbot aus Berlin bereits mitgeteilt!) Ob Rosenberg sich im tiefsten Innern nicht doch schämt? Er ist nicht deutsch u. nicht tapfer. Auf d. Pflugensberg ging ein Gerücht: Hitler sei »wütend« über die teilweise Aufhebung des Schutzgesetzes für den Totensonntag430 (ab 19 Uhr war jedes Tingeltangel 428 429 430

Über die Ereignisse des Kirchenkampfes in Ostpreußen zu dieser Zeit vgl. Meier, Kirchenkampf III, 264–270, wo auch für 1937 von Verhaftungen von Pfarrern die Rede ist (S. 268). Vgl. oben Anm. 415. Totensonntag, evangelischer Totengedenktag am letzten Sonntag des Kirchenjahrs (seit 1816), später Ewigkeitssonntag genannt (Gedächtnis des Jüngsten Gerichts). Er unterlag als »stiller Feiertag« staatlichem Schutz, für den besondere Einschränkungen bestanden wie z.B. Verbot von bestimmten Veranstaltungen in Gaststätten, zum Teil begrenzt auf bestimmte Stunden des Tages.

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wieder offen). Charakteristisch für den Pflugensberg war die Übertreibung: Er hätte gesagt, wenn im nächsten Jahr nicht Totensonntag in derselben Weise geschützt bliebe wie früher auch, dann würde er am 9. November den ganzen Tag über tanzen lassen! – Das hat er ja sicher nicht gesagt! Übrigens – Schacht ist als Wirtschaftsminister zurückgetreten, bleibt aber Reichsbankpräsident. u. ist »Minister« geworden.431 Genau so hörte ichs vor einigen Wochen. (Manche Gerüchte sind also doch richtig, aber man weiß es nie). Das Entlassungsschreiben des Führers an ihn war außerordentlich herzlich und deutete nicht auf Spannungen; das tun aber einige Schlagzeilen in den Thür. Zeitungen (nicht im V.B.). (Sieht so der letzte Rest d. Pressefreiheit aus?) Vielleicht ist auch etwas an folgendem Gerücht aus Westfalen: Göring hätte gesagt: »Wir kommen schon dahin, wo wir hin wollen, aber es müssen von 10 Leuten 6 »springen«. (Oder: 6000 von 10 000!). Er sollte Darré u. Baldur v. Schirach genannt haben. Das erstere könnte ich mir noch annähernd denken, das zweite nicht. Schacht wäre in diesem Zusammenhang der erste. Folgendes stimmt nachdenklich: Es soll Tatsache sein, daß mit der Aufteilung von Gütern als Siedlungsland Schluß gemacht wird. So soll einem Herrn v. Boyneburg auf Dobberpfuhl ein Vorwerk, das er von einem Bruder geerbt u. für Siedlung zur Verfügung gestellt hatte, mit der Weisung wieder übergeben worden sein, es selbst wieder zu bewirtschaften! Mutter triumphiert: Große Städte könnten eben nun mal nur von großen Gütern, nicht von Bauernwirtschaften, ernährt werden, u. Göring hätte das eingesehen! – Ich kann mir ja denken, daß vom Standpunkt des 4-Jahresplanes aus mancher Punkt des Parteiprogramms ein anderes Gesicht bekommt. – Die Reichsreform ist ja auch noch nicht da, obwohl sie 1934 bereits für ein bestimmtes Datum angekündigt war! (Wir rüsteten uns in Gedanken schon, nach Erfurt überzusiedeln!) Dienstag, d. 30.11.37. [30. November 1937] Sasse soll gestern in Hamburg gesprochen haben! Von Stüber heißt es, er hätte kürzlich im Rheinland geredet u. führe von da nach Schlesien. Brauer war in Liegnitz u. in Elbing – das sind so Tatsachen, die man zufällig aufschnappt; das andere erfährt man nicht. Und Jedermann fragt sich, was das für Geld kosten mag u. wo das Geld herkommt. Einer hat gehört, wie Frau Sasse [K.] gestern mit Volk gesprochen hat. »Ja – mein Mann war in Hamburg – ja sagen Sie mal, Herr Dr., nützt es denn was?!« Mittwoch, d. 1.12.37. [1. Dezember 1937] Ich komme eben aus einer »Kolonialkundgebung«, die der Redner dazu mißbrauchte, um gegen das Christentum zu hetzen u. gegen die »konfessionelle Zersplitterung«. Daß 431

»Auf dessen persönlichen Wunsch hat Hitler den Reichs- und Preußischen Wirtschaftsminister Hjalmar Schacht aus diesem Amt entlassen. Schacht bleibt Reichsbankpräsident und Reichsminister ohne Geschäftsbereich. Vorerst wird Göring, dessen Machtfülle als Beauftragter für den Vierjahresplan Schacht weitgehend in den Schatten stellte, das Wirtschaftsreßort leiten.« [Tageschronik: 26. November 1937. Digitale Bibliothek Band 49: Das Dritte Reich, S. 2684 (vgl. DGK Bd. 2.1, S. 405) (c) Droste/Directmedia]

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er selbst das Schlimmste an Hetze leistete, was man sich vorstellen kann, schien das Publikum nicht zu merken. Das war keine Rede zur Einigkeit des dtsch. Volkes sondern eine Rede, die den konfessionellen Haß zur Siedehitze aufputschen mußte u. man hätte sich nicht wundern dürfen, wenn die SS nach der Kundgebung ausgezogen wäre, um die Pastoren zu erschlagen. Er brachte es fertig, sich so auszudrücken, als hätten sich die deutschen Pfarrer »aller Richtungen« 1918 gefreut über Deutschlands Niederlage u. daran gearbeitet. Ich rief an dieser Stelle laut »Pfui« u. der ganze Saal mit mir. Wieviele, ebenso wie ich, die Schändlichkeit des Redners meinten, der deutsche Pfarrer so zu beschimpfen wagte, u. wieviele Rufe den wirklichen Vaterlandsverrätern galten, kann ich nicht sagen. An einer Stelle stellte ich fest, daß etwa der 4. Teil meiner Umgebung applaudierte, die anderen nicht, dann ließen sie sich wieder versöhnen. Also so wird eine Sache mißbraucht, die wirklich die Sache aller sein müßte: Die Kolonialforderung.432 Und dann wurde versucht, die inneren Widerstände gegen die Italiener, die Verräter von 1914, auszuräumen433 – von Ehre war dabei nicht die Rede (von Tirol auch nicht.) Es war bolschewistisch – aber leider nicht deutsch. Er bezog sich immer auf eine Rede des Führers in »Sonthofen«.434 Was werden wir noch erleben? Ich glaube, wir sind erst beim Vorspiel. Ich bin so außer mir daß ich kaum ruhig werden kann. Es war schmachvoll. Er stellte als Vorbild für die Außenpolitik England hin: Ja, wenn man sich nur nach denen richtete! Die würden nicht so dumm sein, alle Innenpolitik mit Weltanschauung = Christenhaß zu beschweren in einem Augenblick, wo wirklich d. ganze Volk einig sein müßte! »Was vergangen ist, ist erledigt,« sagte er in Bezug auf Italien, »ist historisch geworden.« Aber der innere Zwist muß verewigt werden. Der Kirche u. jedem Pfr. einzeln müssen Fehler aus d. Mittelalter heute noch vorgehalten werden. Das soll keine Christenverfolgung sein?? Das hätten nur mal Ausländer hören sollen, da hätten sie Stoff gehabt! Den 2. Dez., Donnerstag. [2. Dezember 1937] Heute in aller Frühe bringt mir Frl. Linde die Börsenzeitg. mit einer neuen Rede von Kerrl aus Hagen.435 Da geht es wieder gegen die Kirchen, wieder mit Betong. des guten

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Vgl. Art. Kolonialpolitisches Amt der NSDAP, in: Enzyklopädie des Nationalsozialismus, 547. Der Kriegseintritt Italiens auf Seiten der Alliierten war als Verrat empfunden worden: »Inzwischen hatte sich Italien am 23. Mai 1915 nach anfänglicher Neutralität den Alliierten angeschlossen, die dem Land Südtirol, Istrien mit Triest, Süddalmatien und Erstattung der militärischen Aufwendungen versprechen« (Der kleine Ploetz. Hauptdaten der Weltgeschichte, Würzburg 361996, 210). Geheimrede Hitler anlässlich der Einweihung der Ordenburg in Sonthofen; in: Domarus I/2, 761– 763. Darin nahm Hitler die Gelegenheit wahr, die Grundlinien seiner Kirchenpolitik darzulegen: »Eines aber sei ganz klar entschieden: Über den deutschen Menschen im Jenseits mögen die Kirchen verfügen, über den deutschen Menschen im Diesseits verfügt die deutsche Nation durch ihre Führer. Nur bei einer so klaren und sauberen Trennung ist ein erträgliches Leben in einer Zeit des Umbruchs möglich« (ebd., 762) Anschließend proklamierte Hitler einen allgemeinen Glauben an Gott: »Wir Nationalsozialisten sind in unserem tiefsten Herzen gottesgläubig …« (ebd.). Rede des Reichskirchenministers (in Auswahl) in Hagen am 30. November 1937 (Dokumente zur Kirchenpolitik III, 129–132). Kerrl stellte klar, dass nicht an eine »deutsch-christliche Staatskir-

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Willens des Staates, wieder mit Berufg. auf die Rede des Führers in Sonthofen.436 Diesmal werden die D.Chr. lobend u. die Bekenntnisfront tadelnd erwähnt. Es ist offenbar ein Großangriff im Gange u. Bauers [G.] Nachricht von der Atempause eine Täuschung. Man kann darauf nur antworten: »Geht in die Kirchen u. hört selbst, was gepredigt wird.« Ich bin fast krank u. kann all dies kaum mehr ertragen. Es ist teuflisch. nachmittags. Die Mittagszeitg. brachte, als ich nach Hause kam, eine Rede von Goebbels aus Münster, in der er in den bekannten Tönen auch wieder über die Kirchen herzieht. Vom »Argus« ein Ausschnitt aus der »Times« mit der Schilderung einer Kundgebung in der Emmauskirche in Berlin (der größten Berliner Kirche) am 26. Nov., bei der 300 Pfr. im Talar für die gefangenen 146 Pfr. u. Laien gebetet haben. Es sei erzählt worden, einer der Gefangenen (wahrscheinl. Niemöller) habe an seiner Zellentür statt eines Riegels ein Papier, das er unterschreiben sollte u. nicht wollte u.s.w. Sie haben dafür gebetet, daß die gefangenen Pfarrer fest blieben. Dienstag, d. 7.12., Bek.gemeinsch.437 Frl. Sommer erzählte von der Lutherfeier des Kindergottesdienstes am Lutherdenkmal am 10.11. Abends, mit Lampions. Der Posaunenchor hätte nicht blasen dürfen. Dafür hätte die städtische Kapelle gespielt »Ich schieß’ den Hirsch im wilden Forst« u. »Meinste denn, meinste denn, Du Berliner Pflanze …« Der Tag heute erinnert mich an den, an dem der Reichsb. vereidigt werden sollte u. an den Tag im letzten Februar, an dem wir fürchteten, die Kerrl’sche Staatskirche bräche über uns herein! (Danach kam der Wahlerlaß!!!). Damals war ich auch so innerlich fertig wie heute. Soeben lese ich in der neuesten Nr. der »Nationalkirche« Nr. 49, S. 393: »Wir erinnern bei dieser Gelegenheit daran, daß wir Deutschen Christen die durch den Führer angesetzte Wahl seinerzeit freudig begrüßt haben …«438 Da schlägts aber doch dreizehn! Im Oktober haben sie noch verkündet: »D. Kirchenwahl kommt, wenn die D.C. die Mehrheit haben« (Gebhardt). Da sieht man ja schon, wer bisher die Wahl verhindert hat. »Nun ist alles aus,« sagte Sasse im Februar zum Wahlerlaß!439

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che« gedacht sei, und hob die positive Rolle des nationalsozialistischen Staates bei der Befriedigung der kirchlichen Belange heraus. Aus der Textauswahl geht nicht hervor, ob Kerrl sich auf die Sonthofener Rede Hitlers bezogen und ob er die DC besonders gelobt hat. Vgl. Tgb. 1. Dezember 1937. Die Datumsangabe ist nicht stimmig, da der nächste Eintrag korrekt mit dem 3. Dezember fortgesetzt wird und ein weiterer Eintrag 7. Dezember 1937 folgt. »Wir erinnern bei dieser Gelegenheit daran, daß wir Deutschen Christen die durch den Führer angesetzte Wahl seinerzeit freudig begrüßt und in einer großen, vom Bund für Deutsches Christentum getragenen Vortragswelle, vorbereitet haben. Dagegen haben die Kreise der Bekenntnisfront die Beteiligung an der Wahl abgelehnt« (Vorläufige Aussetzung der Kirchenwahlen, NaKi 6 [1937], 393). Die von Hitler angeordneten Kirchenwahlen (vgl. Tgb. 16. Februar 1937) waren gegen das objektive Interesse der KDC; denn sie liefen Gefahr, die Macht mit anderen kirchenpolitischen Gruppen teilen zu müssen bzw. sie auch ganz zu verlieren. Gleichwohl bereiteten sie sich auf die Wahl vor.

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Freitag, d. 3. Dez. 37. [3. Dezember 1937] Ich war 24 Stunden lang wirklich in einem furchtbaren Zustand. Nachdem ich die unschuldige Frl. Linde gestern vormittags angefahren hatte u. mich notgedrungen entschuldigen mußte, kam ich wieder zu mir. – Vielleicht war auch das Wetter schuld, es ist unnatürlich warm. Abends Bibelstunde. Otto sprach, vollkommen konzentriert u. freudig, über den Anfang des Johannesevangeliums. Darüber bekam ich langsam Klarheit u. sagte mir, daß mein Verzweiflungszustand doch vollkommen glaubenslos gewesen sei. Wie oft heißt es: »Fürchtet Euch nicht, ich bin bei Euch …«440 Und glauben wir denn nicht an Gottes Handeln, an seine Pläne mit uns? Und selbst wenn einer, so wie ich, nicht viel Glauben hat, so habe ich doch auch, trotz alles Grübelns, niemals etwas anderes gefunden, an das ich mich halten möchte, als diese alte Weisheit. Und vielleicht kommt man doch eben nie richtig dazu, wenn mans nicht wirklich mal probiert mit dem: »Alle Eure Sorgen werfet auf Ihn.«441 Es gehört aber doch Mut dazu, da können die Deutschgläubigen sagen, was sie wollen. Sie habens eben noch nicht probiert. Dann merkt mans nämlich erst! So weit war ich als die Bibelstunde zu Ende war. Dienstag, d. 7.12.37. [7. Dezember 1937] Auf dem Rückweg von d. Bibelstunde wurde uns Einiges erzählt. Einesteils seien gerade jetzt die Maßnahmen sehr drückend. Andererseits – z.B.: Eine Elberfelder Druckerei (Köhler) hat das »Wort« der B.K.-Pfarrer aus der Kasseler Versammlg. gegen »Rompilger«442 gedruckt, es war nicht verboten. Darauf wurde diese Druckerei k.H. enteignet u. ist bereits verkauft zu einen vom Staat festgesetzten Preis!!! Ebenso wurden 5 kathol. Druckereien enteignet, die die Enzyklika des Papstes (vom März d.J.?) gedruckt hatten.443 In Ostpreußen sind z. Zt. die Pfarrer zum Teil kirchenkreisweise vom Superintendenten bis zum Hilfspfr. verhaftet u. im Gefängnis. Und zwar haben die Kreisleiter den Pfarrern eines Tages Reverse zum Unterschreiben vorgelegt – niemand weiß, wer den Befehl gegeben hat, es will keiner gewesen sein.444 Diese Reverse waren nicht einheitlich abgefaßt (genau wie in Württemb. bei der Eidesfrage der Geistlichen, die Religionsunterricht in d. Schulen erteilten)445 u. so haben einige B.K.-Pfr. gedacht, sie könnten noch unterschreiben. Andere Reverse waren radikal. Verlangt wurde u.a. bedingungsloser Gehorsam gegenüber allen Befehlen von Kerrl!!! Wer nicht unterschrieb, wurde verhaftet. Stellenweise haben sich die Fischer geweigert auszufahren, solange die Pfr. nicht wieder frei seien u. Gottesdienste stattfänden, stellenweise haben sie sich geweigert, den Fang abzuliefern u.s.w.

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Unklar, auf welche Stelle aus dem NT die Tagebuchschreiberin hier anspielt. I Petr 5,7. Erklärung des Kasseler Gremiums am Reformationstag 1937 gegen Rosenberg, in: KJ 1933– 1944, 211–213. Vgl. Tgb. 9. April 1937. Vgl. Tgb. 28. November 1937. Vgl. Tgb. 19. Juli 1937.

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Demgegenüber: Vor nun etwa 14 Tagen habe eine Sitzg. des luth. Rates in Berlin stattgefunden. Dabei habe Breit in fest formulierten Sätzen bekanntgegeben, daß (der Staat oder) das Kirchenministerium, das seit etwa ¾ Jahren überhaupt keine Eingabe der B.K. mehr beantwortet hat, plötzlich von sich aus an den Luth. Rat oder die B.K. – das habe ich nicht genau begriffen – herangetreten sei und – es würde bereits verhandelt!!! Das ist alles. Weiter wurde nichts bekannt gegeben. Aber es ist allerhand nach dem, was hinter uns liegt. Es ist ja auch zu dumm; einerseits wird dem Volk klargemacht, es müßte sich aus außenpolit. Gründen »nüchtern u. kühl« mit den Italienern aussöhnen; was geschehen wäre, sei Historie geworden u. erledigt, u. es sei nur maßgebend, was dem deutschen Volke diene (Pg. Haselwander!) – schön, aber dann hört auf, auf den deutschen Volksgenossen herumzutrampeln, damit auch der angeblich so unbedingt nötige innere Friede hergestellt wird. Dazu paßt freilich schlecht die »Versammlungswelle« der D.C. mit 1800 Versammlungen (»Nationalkirche«) u. Vorträgen des Reichsbischofs auch in Thüringen, z.B. am 12.12. in Camburg. Die schüren wieder den Haß, den »d. Nationalkirche« predigt. Frl. v. Estorff erzählte, Rade hätte ihr gesagt, er sei kürzlich in Münster gewesen u. hätte da gehört (oder erlebt), Streicher habe dort einen Vortrag gehalten u. irgendeine unerhörte Wendung gebraucht, auf die eine Stimme »Pfui!« gerufen habe. Auf die Aufforderung, sich zu melden, habe der Rufer geschwiegen. Als dann Streicher ihn »Feigling« genannt habe, sei ein alter Herr aufgestanden u. habe ungefähr gesagt: »Ich bin der General v. K. Ich habe nicht Pfui gerufen, aber der, der es getan hat, hat mir aus d. Seele gesprochen. Wer ebenso denkt, verlasse jetzt mit mir den Saal.« Und 90 % seien mit ihm hinausgegangen. Ja – das ist Westfalen. In Thür. haben d. Leute nicht soviel Courage – noch nicht. Sie sind allerdings auch nicht so gereizt worden wie die Katholiken. Am Sonntag war hier oben dringende Sitzg. des L.K.R. wegen des Hauskaufs.446 Tegetmeyer dringt darauf u. Franz ist dagegen. Desh. ist es noch nichts geworden. Soviel steht jetzt fest, daß Franz vor Ostern nicht zurückkommt.447 Man hat ihn gebeten, noch in Berlin zu bleiben. Ich glaube jetzt doch daran, daß ihm bisher die Trauben zu sauer waren. Er strebt doch dorthin. Sein Dienstzimmer wird jetzt – angeblich vorübergehend – besetzt. Am Sonnabd. Abend (4.12.) kam Volk am Abend noch spät zu mir mit einem Brief des Generalstaatsanwaltes [Wurmstich], in dem dieser in der brutalsten Weise über Volk als Vorsitzenden hinweggeht, einfach sich selbst als 1. Vorsitz. einsetzt u. den Gauamtsleiter Thomas von d. NSV. als 2. Vorsitz. Es könnte niemand etwas dagegen einwenden, wenn das ordnungsmäßig geschähe u. Volk bereits zurückgetreten wäre. Aber so, u. nachdem Wurmstich am 16.12. hier war u. mit Volk eine Änderg. in der freundschaftlichsten Weise besprach u. ihm den 2. Vorsitz selbst anbot. Der ganze Sonntag wurde noch mit den Verhandlungen mit Volk u. Wilms ausgefüllt. Wurmstich hat heute einen Brief von Volk bekommen u. Volk verhandelt gleichzeitig in Berlin. Es 446 447

Vgl. Tgb. 2. November 1937. Betr. die Wohnung Sasse; Vgl. Tgb. 2. September und 28. Oktober 1937.

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wird nicht viel dabei herauskommen, denn man will offenbar die Kirche aus dieser Arbeit ausschalten, aber man kann sich diese Art doch nicht gefallen lassen.448 Interessant ist übrigens, daß der Generalstaatsanwalt bei der Darstellg. der Differenzen von Wilms mit dem Kreisleiter die Ansicht aussprach: »Aber wegen der Zugehörigkeit zur B.K. kann man einem doch nicht die Aufnahme in d. Partei verweigern!« Ich habe neue Geldüberweisungen an Brauer nach Bayreuth gesehen. Also in einem Monat sind ihm etwa 6000 M nach Liegnitz, Elbing u. Bayreuth geschickt worden. Da greift Kerrl nicht ein. Es fiel mir auf, daß eigentlich alle Kerrls Reden in Fulda u. in Hagen als »Rückzugsgefechte« bewerten.449 Ich hatte das garnicht so gemerkt in meiner Empörung über Unaufrichtigkeiten. Aber es ist richtig, denn mit der »Staatskirche« lehnt er selbst seine Pläne vom Februar ab u. die ganze Art u. Weise, in der er diesen Sommer regiert hat.450 Auch die »Nationalkirche« in der von unseren Kirchenräten erträumten Form wird damit hinfällig.451 Auch die Behauptung des Ministers, er bereite keine großen Kirchengesetze vor, erscheint in merkwürdiger Beleuchtung, wenn man weiß, daß Franz in Berlin sitzt u. seither – laut Volks Aussage – »Verfassungsentwürfe« gemacht hat. 448

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Die Aktion des Generalstaatsanwalts ist in folgendem Zusammenhang zu sehen: (1) Mit Schreiben vom 7. Juli 1937 bestätigte die ThGG dem LKR der TheK den Erhalt von 400 RM zur Förderung ihrer Arbeit im Rechnungsjahr 1936. Zugleich bat sie auch um einen Zuschuss in gleicher Höhe für das folgende Jahr. Weiter wurde mitgeteilt, dass die ThGG der NSV angeschlossen sei (LKAE, A 742, 30). Am 1. April 1938 ging die ThGG lt. Mitgliederbeschluss vom 12.2.1938 in den »Landesverein Thüringen für Straffälligenbetreuung und Ermittlungshilfe e.V.« auf, was für den LKR der TheK Anlaß war, die übliche Praxis der Zuwendung aus Kollektenmitteln der Landeskirche zu überdenken; vgl. Schreiben des LKR der TheK an den Generalstaatsanwalt in Jena vom 10. März 1938 (LKAE, A 742, 36). Der Vorsitzende der ThGG, Generalstaatsanwalt Dr. Wurmstich, bat mit Schreiben vom 15. März 1938 (LKAE, A 742) den LKR, es bei der üblichen Praxis zu belassen und die Kollekte erneut auszuschreiben (ebd., 37). (2) Dr. Volk, bis dahin 1. Vorsitzender der ThGG, war im Dezember 1937 ausgeschaltet worden, was er dem Grundsatz nach auch akzeptierte. Er monierte allerdings, dass alle Personen, die sich bisher in dieser Arbeit engagiert hätten, zugleich mit der Übergabe an die NSV ausgeschaltet worden seien. »Das gelte nicht nur für seine Person und die Person des Geschäftsführers Wilms, sondern auch für alle beteiligten Männer, insbesondere die Pfarrer des Landes Thüringen, die sich Jahr und Tag selbstlos in den Dienst dieser Sache gestellt hätten. Er fürchte, daß hier viel zerschlagen werden könne, was sich als nützlich herausgestellt habe« (Protokoll von Dr. Volk über eine Unterredung zwischen ihm und Dr. Wurmstich vom 15. Dezember 1937, LKAE, LBG 278, nicht foliiert). Volk hatte die Sache so verstanden, dass er in der neu gebildeten Institution weiterhin als 2. Vorsitzender fungieren sollte. Das aber wies Gauamtsleiter Thomas zurück. Der bisherige Geschäftsführer Wilms könne schon gar nicht übernommen werden, da er der Bekenntnisfront angehöre. Vgl. Tgb. 18. November und 2. Dezember 1937. In der Tat verfolgten Kerrl und Muhs mit Billigung von Hitler u.a. im Februar 1937 entsprechende Pläne; sie wollten damit die DC (gegen die Bekenntnisfront) stärken. Das war allerdings eine rein taktische Maßnahme. Denn eigentlich wollte man auch die DC aus dem staatlichen Bereich heraushalten. Zur Kirchenpolitik Kerrls im Jahre 1937 vgl. Kreutzer, Reichskirchenministerium, 286–300, bes. 298. Diese kirchenpolitische Linie wurde allerdings im November 1937 wieder aufgegeben; vgl. ebd., 307. Die KDC-Idee einer Nationalkirche wurde von den kirchenpolitischen Plänen des Reichkirchenministeriums allerdings nicht weiter berührt; sie dürfte dort auch abgelehnt worden sein.

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Die 7000 Strafanzeigen gegen Pfarrer seien eine ganz willkürlich genannte Zahl; es müßten viel mehr sein, wurde mir gesagt.452 Allein jeder der 3 Bek.pfr.in Eisenach sei mehrfach angezeigt worden. – Schade, daß Kerrl nicht gesagt hat, wie viele evang. Pfr. unter diesen 7000 eigentlich verurteilt worden sind! Nachmittags. (Mittwoch). [8. Dezember 1937] Folgende Szene hat sich heute vormittag in den unteren Regionen abgespielt: Pfr. Hertel-Themar (B.K.) erscheint mit einigen Damen u. Herren, die alle sehr gut ausgesehen hätten. Der Labi empfängt sie im Zimmer von Lehmann. Erst ist alles ruhig. Dann wird das Gespräch im Zimmer immer lauter u. lauter u. schließlich so aufgeregt, daß man in der großen Halle alles hört. Schließlich dröhnt der Labi: »Wenn Sie weiter in dieser Weise das Wort führen, dann führe ich die Unterhaltung nicht weiter fort …« oder noch gröber. Man hört Hertel-Themar sagen: »Ich habe das Recht, hier zu sein«, oder irgendetwas, diesem Sinne entsprechend. Und dann öffnet sich die Tür u. es wird deutlich, daß diese Deputation oder was es sonst war, hinausgeworfen worden ist. Die schweigsamen Helfer stellen fest: »Sie waren alle sehr ruhig, eigentlich so, als ob sie sich ganz überlegen fühlten. Und sie sahen alle sehr nett aus. Im Fortgehen sagt der Eine: »Na, nun können wir ja erzählen, wie es uns hier oben ergangen ist.« Die Montagsandachten sind jetzt »liturgisch«. Entwürfe von »Lesungen« u. Gesang. Die Kandidaten lesen u. spielen Harmonium. Der Betrieb ist empört. »Das ist doch nichts Richtiges.« Sicher Bauers Erfindung. Donnerstg., 9. Dez. 37. [9. Dezember 1937] Heute wieder »Argus«. Daily Mail-Artikel über »Deutsche Katholiken trotzen dem Staat«, Mitteilg. über sehr scharfe kathol. Kanzelerklärung vom letzt. Sonntag, 5.12., gegen d. Fuldaer Rede Kerrls. – Ausschnitt aus »d. Schw. Korps« Nr. 49 v. 9.12. Leitartikel: »An die Kirchen«, im Sinne der Kerrl’schen Rede. U.a.: »… der Staat … ging so weit, daß er offiziell von d. Richtung der »Deutschen Christen« abrückte, die d. Eindruck erwecken wollten, als seien sie gewissermaßen die nationalsozialistischen Kirchenparteien …« Und über die Kirchenwahl so ungefähr: »Der Staat bot den Kirchenparteien freie Kirchenwahlen an. Aber sie dachten garnicht daran, sich dem Richter »Kirchenvolk« zu stellen …!« Was soll man dazu sagen? Jesuiten. Unten ist Prüfung. ( )a hat die Kandidaten gerade in einer Pause aus dem Weißen Saal kommen sehen – alle sehr mißvergnügt u. einer hätte gesagt: »Wir sind Landsknechte«. Wir zerbrechen uns den Kopf, was das heißen könnte. Ich meine, »Landsknechte« soll hier heißen Truppen, die man ausnutzt, hin u. her wirft u. schließlich, wenn man sie nicht mehr braucht, fortschickt, im Grunde nicht mehr achtet. Heimatlose, wenn auch tapfere Soldaten.

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Diese Zahl hatte Kerrl in seiner Fuldaer Rede am 23. November 1937 genannt; vgl. Dokumente zur Kirchenpolitik IV, 128. Strichzeichnung Männerkopf, steht für Friedrich Bernewitz, vgl. Übersicht Strichzeichnungen.

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Gestern Abd. sprach ich Erika S. [Senffleben] mit ihrer Mutter. Sie erzählte: Gestern vorm. sei Pfr. Koch-Sulzbach453 im Büro der »Frauenhilfe« gewesen, um sich schleunigst zu verabschieden u. noch irgendetwas zu erledigen. Er müsse »12 Uhr Mittag über die Thür. Grenze sein!« (Als ob wir im 18. Jahrhundert lebten!) Er sei aus seiner Gemeinde ausgewiesen worden – binnen 24 Stunden müßte er das »Land« verlassen! (5 Kinder zu Hause u. 14 Tage vor Weihnachten). Wahrscheinlicher Grund: Vor etwa 14 Tagen sei eine Deputation sr. 3 Gemeinden, Sulzbach, Herressen u. Oberdorf, im L.K.R. gewesen u. hätte »kollossalen Krach geschlagen«. Sie haben mit Lehmann zu tun gehabt u. seien entsetzt von ihm gewesen. – So umgeht Thür. die Kerrlsche 13. Sicherungsverordng. nach der keine kirchenpolit. Änderungen eintreten dürfen454: Erst wird der Mann angezeigt, die Gestapo in Weimar tut dem L.K.R. den Gefallen u. sperrt ihn ein. Nun kann ihn die Kirche mit legalen Gründen ss. Amtes entheben.455 Da er aber nichts verbrochen hat, wird er aus d. Gefängnis entlassen. Jetzt fordern d. Gemeinden, daß er wieder in s. Amt eingesetzt wird – die Kirche hat keinen Rechtsgrund, das zu verweigern – aber der Beweis ist ja nun da, daß d. Pfr. die Gemeinde »beunruhigt«. Mitteilung nach Weimar (Leffler sitzt ja im Ministerium). Schon ist der Unbequeme aus Thür. entfernt. Von der Deputation aus Sulzbach habe ich hier oben nichts gemerkt. Von der Themarer Deputation erzählte E. mir Näheres. Es sei die Kirchenvertretung von Themar gewesen, zu der Hertel selbst gehört. Hier im Hause erfahre ich: Es kämen jetzt überhaupt dauernd Deputationen. Die Polizei hat neulich die »Handreichungen« der Frauenhilfe beschlagnahmt!!! Das können ja nur ganz harmlose, fromme Schriften sein. Aber natürlich: Sie beeinflussen die Mütter im christl. Sinn. Ein Mann, den ich nicht nennen möchte, kam gestern in mein Büro, gezwungener D.C., u. schüttete sein Herz aus. Ich kannte ihn früher gut. Ich möchte auch nicht aufschreiben, was er erzählte. Eben stelle ich fest: In den »Wandelgängen« wird schon das »Schw. Korps« gelesen. Sonst wird jetzt hier im Haus von Kirchenpolitik nicht mehr gesprochen. Bloß noch vom Eintritt in die Partei u. Ähnlichem. In der »Bekenntnisgemeinschaft« vorgestern Abd. (7.12.37 ) sprach zuerst Brakhage eine Stunde über »Rompilger«456. (Vor über 3 Mon. ist d. Buch erschienen – die Belehrg. setzt reichlich spät ein). – Dann Otto zur Lage. Zunächst das, was er uns nach der Bibelstunde schon sagte. Ergänzung betr. »Ostpreußen«: In die Gemeinden ohne Pfarrer hat man 6 Geistliche geschickt, darunter Pfr. Putz-München mit d. gold. Ehrenzeichen der Partei! Diese 6 sind auch alle eingesperrt worden, Putz hat 13 Tage im Gefängnis gesessen!

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Zum Fall Koch-Sulzbach vgl. Biogramme. Vgl. Dreizehnte Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Sicherung der Deutschen Evangelischen Kirche vom 20. März 1937 (Dokumente zur Kirchenpolitik IV, 15–16). Das war möglich nach dem Gesetz über Dienstvergehen (bzw. kurz Disziplinargesetz) vom 7. Juli 1921; vgl. dazu Anm. 402. Vgl. Tgb. 2. September 1937 u.ö.

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Sehr interessant die neuen Gerichtsurteile zur Kollektenfrage. Das des Berliner Kammergerichts, das durch die ganze Presse ging, ist einzig in sr. Art geblieben.457 Seit seiner Veröffentlichung sind etwa 22 Urteile bekannt geworden, die d. Gegenteil feststellen, so zuletzt ein Urteil aus Naumburg,458 das, soweit ich verstanden habe, das Kammergerichtsurteil sogar zitiert u. als unbegründet zurückweist. Die Gerichte gingen mehr u. mehr dazu über, die Klagen in Kollektensachen abzuweisen, da die Rechtsgrundlage fehle. (Das wird nicht in d. Presse bekannt gemacht!) 10. Dez., Freitag. [10. Dezember 1937] Gestern Abend Bibelstunde. Zum Schluß gab Otto bekannt, daß der letzte noch gefangene Thür. Pfarrer unter uns sei – Spelge459! Nach Schluß der Bibelstunde standen wir noch zusammen u. begleiteten dann ihn u. Ottos nach der Prellerstraße wo er s. Koffer holte, um mit d. letzten Zug nach Hause zu fahren. Um 6 Uhr abends sei ihm plötzlich gesagt worden, er sei frei u. könne nach Hause fahren. Keine Erklärung dafür. Er begriff es noch garnicht. »Die Kameraden haben mir noch so nett geholfen, meine Sachen zu packen …« (Die Kameraden – das waren die anderen Gefangenen). Einer sagt: »… ohne Verhandlung? … Glück gehabt!« »Haben sie gewußt, daß Sie Pfarrer waren?« »Ich glaube, sie wußten es.« Als wir dch. die Lutherstraße gingen, hörte ich Spelge zu Otto sagen: »Es kommt mir ganz komisch vor, daß ich so durch d. Straße gehen kann!« O. erzählte, das seltsamste sei es für ihn gewesen, wenn er bei seinen Besuchen in der Zelle beim Fortgehen nicht zu Spelge sagen durfte: »Kommen Sie, nun wollen wir nach Hause gehen …«, sondern ihn selbst mit dem großen Schlüssel wieder einschließen mußte. Der L.K.R. hat Spelge zum 1. Jan. in den Wartestand versetzt. Im Augenblick ist er weder beurlaubt noch im Wartestand und müßte »eigentlich« am Sonntag auf die Kanzel steigen – er schien nicht übel Lust zu haben; O. redete ab. Es genüge ja ein Tele-

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Vgl. dazu die folgende Notiz im Protestantenblatt vom 14. November 1937: »Die Zeitungen brachten eine Gerichtsentscheidung über das Kollektenwesen. Nachdem monatelang darüber Streit gewesen ist, hat das Kammergericht in einem Haftbeschwerdeverfahren eines B.K.-Pfarrers entschieden, daß nach dem Sammlungsgesetz nur Sammlungen zulässig sind, die von einer christlichen Religionsgesellschaft des öffentlichen Rechts durchgeführt werden: Die B.K. aber sei nicht mehr ein Bestandteil der deutsch-evangelischen Religionsgesellschaft des öffentlichen Rechts, sondern eine neben ihr bestehende, selbständige, abgespaltene Gruppe. – Hierzu muss aber bemerkt werden: Die sachliche Entscheidung selbst fällt das Kammergericht erst am 15. November, und von einem anderen Oberlandesgericht (und das Kammergericht ist das Brandenburgische Oberlandesgericht!) liegt bereits eine gegenteilige Entscheidung vor« (Protestantenblatt 70 [1937], 717 = JK 5 [1937], 966–967). »Das Oberlandesgericht in Naumburg hatte verschiedene Haftbebefehle gegen Pfarrer wegen Verstoß gegen das Sammlungsgesetz aufgehoben und entschieden, daß Sammlungen in kirchlichen Veranstaltungen keinen Verstoß gegen das Sammlungsgesetz bedeuten« (Niederschrift über eine Besprechung von Kerrl, Muhs und Stahn mit Bodelschwingh und Breit im Reichskirchenministerium, in: Dokumente zur Kirchenpolitik IV, 137). Zum Fall Spelge vgl. Biogramme.

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phonanruf des vertretenden D.C., um das unmöglich zu machen. Spelge erzählte Einiges aus seinem Verhör. Es war alles höchst harmlos. Sein Stützpunktleiter hat ihn angezeigt, weil er in der Predigt Einiges gegen Rosenberg gesagt hat (nach Erscheinen der »Rompilger«460) u. hauptsächlich wegen einer Wendung, es hätten an dem Weg der christl. Gemeinde seit 2000 Jahren schon öfter die Totenglöcklein geläutet u. heute …« Darin wird Hetze gegen den Staat gesehen. Das Übliche. Eine merkwürdige Mitteilung wurde mir eben gemacht. Meyer-Erlach hätte zu Sasse gesagt, die D.C. müßten sich ja doch mit den B.K. wieder vertragen (!!!). Die eigentlichen Antichristen wären ja nur (!) Sauckel, Astel u. Ortlepp (Gestapo). Die Sache ist etwas unklar. Volk ist aus Berlin zurück, wo er u.a. wegen seiner Differenz mit d. Generalstaatsanwalt betr. Vorsitz in der Thür. Gef.ges. [Th.G.G.] verhandelt hat. Er hat bisher zu Frl. L. nur kurz gesagt: »Wissen Sie, woran ich scheitere? An der Pfarrerschaft als Fürsorger u. an Wilms (B.K.!)« Ich habe ihm neulich schon gesagt, die ganze Aktion ginge m.E. gegen die Kirche, der man diese Arbeit wegnehmen will. Ohne die Pfarrer wäre Volk aber auch nichts in der Th.G.G. Jetzt will er vielleicht ein Martyrium aus seinem Fall machen. Er tut mir leid u. es geschieht ihm Unrecht, aber tragisch ist die Sache für ihn persönlich keineswegs. Aus einem Gespräch zwischen Obpfr. Schöne u. K.amtmann Sorge wurde gestern vernommen: »… unmögliche Maßnahmen … u. dann schmeißen sie den Laden hin …« (Wer mag den Laden hinschmeißen? Viell. Muhs?). nachm. Bei d. Gespräch zwischen Sasse u. Meyer-Erlach scheint es sich um den Rücktritt von Meyer-Erlach als Rektor der Universität gehandelt zu haben. Sauckel soll diesen Rücktritt veranlaßt haben. Diese 3, Sauckel, Ortlepp u. Astel hetzten gegen die Kirche – das soll, dem Sinne nach, Meyer-Erlach gesagt haben. Sonntag, d. 12. [12. Dezember 1937] Heute früh ging ich zur Einführung des neuen Standortpfarrers in die Kirche. Oben auf d. Pflugensberg war gesagt worden, er sei »Bekenntnismann«, u. der L.K.R. sei deshalb vorstellig geworden, aber es sei geantwortet worden (ich weiß nicht, von wem), das ginge den L.K.R. nichts an, sei Sache des Wehrkreispfarrers in Kassel.461 Die Kirche war von d. Garnison besetzt; ich fand aber noch ein Plätzchen zwischen Soldaten auf d. linken Empore. Soviel steht fest, daß von D.C. nicht die Rede sein konnte. Es war eine ordentliche, handfeste Predigt. Text: »Ich schäme mich des Evangeliums von Christo nicht …«462

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Vgl. Tgb. 2. September 1937 u.ö. Die Militärseelsorge war eine staatliche Einrichtung; die hauptamtlichen Militärpfarrer waren Reichsbeamte und unterstanden in dienstrechtlicher Hinsicht der Wehrmacht (vgl. Erich Schlegel, Art. Militärseelsorge, RGG² IV [1930], 14–15). Röm 1,16.

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Gestern Abend wurde eine neue Veröffentlichung von Kerrl463 bekannt gemacht, aus der ich ohne Weiteres nicht klug wurde. Die 13. Sicherungsverordnung (ich glaube vom Febr. od. März) ist damit aufgehoben.464 Die »Leitung« der D.E.K. bekommt Präs. Werner von der Kirchenkanzlei, der s.Zt. erfolgreich gegen den Reichsbischof prozessierte.465 Also das bedeutet wohl, daß das Kirchenministerium sich zurückzieht, soviel wurde mir klar. In der Frankf. Ztg. heute wurde einiges Weitere klar. Die Kirchenleitung in Schleswig-Holstein, Nassau-Hessen, Sachsen u. der altpreuß. Union bekommen nicht die betr. Landesbischöfe, sondern die Verwaltungschefs (Juristen). In Sachsen z.B. also nicht Coch, sondern Klotsche, was wohl auf dasselbe hinausläuft. Die landeskirchl. Behörden bekommen ihre kirchenregimentlichen Befugnisse zurück. Das bedeutet für die Bekenntniskirchen eine Verbesserg., für uns in Thür. eine Verschlechterung. Nun muß man aber doch wohl sämtliche gefangenen Pastoren in Ostpreußen freilassen, die sich geweigert hatten, dem Kirchenminister »unbedingten« Gehorsam zu leisten. Die Frankf. Ztg. erinnert in einen langen Artikel an die Tat der 7 Göttinger Professoren, die vor 100 Jahren dem hannoverschen König den Gehorsam verweigerten.466 Wie viel größer u. heroischer noch ist der Kampf innerhalb der Kirche. Deshalb wird er ja auch mit allen Mitteln unterdrückt. Kerrl hat dem Vertreter einer hannoverschen Ztg. ein Interview erteilt u. sich dabei über die kirchl. Lage noch weiter ausgelassen. Er macht einen weiteren Rückzieher in Betreff der Mittel f. d. Kirche. Die Rechte von Körperschaften des öff. Rechts sollten den Kirchen nicht genommen werden pp. Aber es ist offenbar geplant, die Erwachsenen ausdrückl. zu fragen, ob sie weiterhin der Kirche angehören wollen – oder so etwas. Es läuft natürlich auf einen Gewissensdruck hinaus. Der Staat plane keine eigene Kirche – (u. die Goebbels-Rede in Segeberg?). Es ist mir jedenfalls klar geworden, daß in dem Gespräch zwischen K.A. Sorge u. Obpfr. Schöne das Kirchenministerium gemeint war. 13. Dezember, Montag. [13. Dezember 1937] Heute früh schreckliche Schimpfrede von Jansa auf die Kirche. Das ist Selbsterniedrigung – (u. gerade bei denen, die mit der nat.soz. Weltanschauung in Einklang leben wollen). Gestern Abd. war ich noch bei O. Er hatte erst die V.O. gelesen u. einen Brief von Bauer [G.], der vorige Woche im Luth. Rat war. Das Interview v. Kerrl in d. Frankf. Ztg. (Niedersächs. Tagesztg.) kannte er noch nicht. Im Großen u. Ganzen kam er zu 463

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Siebzehnte Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Sicherung der Deutschen Evangelischen Kirche vom 10. Dezember 1937 (Dokumente zur Kirchenpolitik IV, 149–150). Es ging darin um die Regelung kirchenregimentlicher Befugnisse. Vgl. Dreizehnte Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Sicherung der Deutschen Evangelischen Kirche vom 20. März 1937 (Dokumente zur Kirchenpolitik IV, 15–16). Werner klagte mit Erfolg gegen seine Entlassung; vgl. Schneider, Reichsbischof Ludwig Müller, 213. »Die Göttinger Sieben waren eine Gruppe Göttinger Professoren, die 1837 gegen die Aufhebung der Verfassung im Königreich Hannover protestierten. Die sieben Professore wurden deshalb entlassen, drei von ihnen wurden darüber hinaus des Landes verwiesen« (https://de.wikipedia.org/ w/index.php?title=Göttinger_Sieben; eingesehen 17. August 2015).

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dem Schluß, es würde vielleicht im persönlichen Schicksal der Pfarrer eine kleine Erleichterung eintreten. Man kann noch nicht weit sehen. Sicher ist, daß »die höchste Stelle« wieder eingegriffen hat. Kerrls Zukunftspläne mit der Kirche sind jetzt jedenfalls ganz andere, als die im Februar, vor dem Wahlerlaß467, geplante Schreckensherrschaft. Aus dem Brief von Bauer [G.] ging hervor: Bodelschwingh hat sich nach der Fuldaer Rede mit Kerrl468 in Verbindung gesetzt. Er hat dies schon mehrere Male seit dem Abbruch der Beziehungen zwischen B.K. u. Kirchenministerium versucht, hat aber nie eine Antwort bekommen. Diesmal ist er sofort empfangen worden u .hat mit Kerrl allein eine sehr ernste Aussprache gehabt. Erfolg dieser Unterredung war eine 2. Aussprache, bei der auch Breit anwesend war.469 Als erstes haben Bodelschw. u. Br. gegen die politische Diffamierung protestiert; das müsse anders werden. Viele Einzelheiten konnten natürlich nicht mitgeteilt werden. U.a. habe K. gesagt, der Fall Dibelius (s. Freisprechg.) dürfe sich nicht wiederholen. In künftigen Fällen würde dann eben die Zusammensetzung des Gerichts geändert!!!!470 (Friedrich der Große u. seine Richter, die er ins Spandauer Gefängnis schickte, weil er einen Prozeß – gewonnen hatte!471 Er, der König! Und die Geschichte, die wir in d. Schule lernten vom Müller in Sanssouci: »Ja, Majestät, wenn das Kammergericht in Berlin nicht wäre!« Künftig werden d. Kinder in d. Schule lernen, daß nicht nur ein Staatsoberhaupt, sondern jeder Kirchenminister Prozesse immer gewinnen muß, wenn er will.) Vorgeschlagen sei eine Lösung, bei der d. Bekenntnisleute in den »zerstörten Kirchen« sich an ein bekenntnismäßiges, treues »Kirchenregiment« anschließen könnten, also unseren D.C. nicht mehr zu gehorchen brauchten. – In d. Interview verspricht Kerrl, dafür zu sorgen, daß die Richtungen sich nicht mehr gegenseitig die Kirchen verweigern dürften. (Dann müßten die Kaltenwestheimer ja endlich zu ihrem Recht kommen.) O. hielt es in diesem Zusammenhang nicht für unmöglich, daß Meyer-Erlach eine Bemerkung in dem Sinne gemacht haben könnte, die D.C. müßten sich ja doch wieder mit d. B.K. vertragen. In d. Interview wird zuletzt betont, daß viele Pfr. mit der Partei gekämpft hätten, vor allem die D.C. und daß man sie »nie verlassen« würde. 467 468 469

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Der Wahlerlass Hitlers vom 15. Februar 1937, in: Dokumente zur Kirchenpolitik IV, 1. Vgl. Tgb. 18. und 28. November, 3. und 9. Dezember 1937. Vgl. Niederschrift über eine Besprechung von Kerrl, Muhs und Stahn mit Bodelschwingh und Breit im Reichskirchenministerium vom 2. Dezember 1937 (Dokumente zur Kirchenpolitik IV, 132–141). Dibelius war am 2. August 1937 festgenommen und angeklagt worden, weil er in einem »Offenen Brief« den Reichskirchenminister und seine Politik angegriffen hatte. Am 6. August wurde er freigesprochen. Dem Protokoll der Unterredung zufolge hatte Kerrl diesen Vorgang folgendermaßen kommentiert: »Nach dem Freispruch Dibelius’ habe er an den Führer telephoniert und gefragt, ob er die drei Richter und Dibelius ins Konzentrationslager schicken dürfe. Der Führer habe geantwortet, jetzt solle er das nicht machen. Wir wollen keine große Aufregung hervorrufen, die Dinge können später in Ordnung gebracht werden« (Dokumente zur Kirchenpolitik IV, 137). Vgl. dazu Johannes Kunisch, Friedrich der Große. Der König und seine Zeit, 293–299; angesprochen ist der sog. Müller-Arnold-Prozeß 1779, in den der König sich persönlich eingemischt hatte.

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Die Eisenacher Pfarrer waren gestern im Talar bei der Einführung des Standortpfarrers dabei. Auch Sasse u. Stüber wären dagewesen. (O.s wußten, daß der L.K.R. der Anstellg. des Standortpfarrers widersprochen hatte; in der Fürstenloge saßen die Katholiken als eingeladene Gäste!) Tegetmeyer soll gestern sehr guter Laune gewesen sein u. gesagt haben, endlich wäre doch der D.C.-Pfr., die in der Kampfzeit zur Partei gestanden haben, gedacht worden (es sind in Thür. nicht viele!) u. es sei gut, daß durch die Ernennung Werners472 nun alles einheitlich zus.gefaßt würde. Auch Sasse sei sehr guter Laune gewesen, die ihm aber dann durch die Mitteilg. eines Besuchers verdorben wurde, aus Zeulenroda würde eine Deputation zum L.K.R. kommen u. um den Hilfspfr. Evertz als Pfr. bitten.473 – Pfarrer. (Das ist die Gemeinde des kürzl. aus d. Gefängnis entlassenen Friederich)474. Evertz ist B.K.! Dienstag d. 14.12. [14. Dezember 1937] Gestern Abend friedvolle Weihnachtsfeier im Frauenabend von O. Wir waren wie auf einer Insel, machten viel Musik. Heute früh kam ich mehrere Stunden zu spät zum Dienst u. hörte bei meinem Eintreffen, daß sich allerlei ereignet haben mußte. Der ganze L.K.R., inklusive Volk, sei nach Magdeburg abgereist. Volk muß das schon gestern Abend gewußt haben; denn er hat abends halb 10 Uhr Direktiven für diese Reise gegeben, während er eigentlich im Kino sitzen wollte. Gegen 11 Uhr sind sie also abgesaust, V. wie immer äußerst nervös. Es ist noch nie vorgekommen, daß V. auf solche Reisen mitgenommen wurde. Im Hause hieß es zunächst: Reichstagung der D.C. in Magdeburg (wahrscheinl. für alle tätigen Mitarbeiter), hängt mit dem Interview v. Kerrl an die »Niedersächs. Tagesztg.« zusammen. – Später aus allerbester Quelle: »Ach, das ist es ja nicht! Die Reichstagung fängt ja erst abends an. Leutheuser hat aber telegraphiert, das ganze Kollegium müßte unbedingt vorher, d.h. vor der Reichstagung, nach Magdeburg kommen, gleichgültig, wo der Einzelne sei!475 Also! Nachdem sie abgedampft sind, kommen hier 3 Telegramme an (die telephonisch nach Magdeburg weiter gegeben wurden). Das erste von der Kirchenkanzlei, womit Sasse zur Sitzung auf Donnerstag zu Werner bestellt wird. Das 2. von Kerrl, das Sasse zu morgen, Mittwoch, ins »Dienstgebäude«, Leipzigerstr., zur Besprechung bestellt, das dritte von Kerrl an Leutheuser, das Leuth. gleichfalls zur Besprechg. morgen zitiert. Also: Es ist wieder einmal alles im Fluß. Ein Pfr. Amme in Großbrembach ist entlassen worden. Scheußliche Ehebruchs- u. Abtreibungsgeschichte mit d. Frau des Lehrers. (Ist nicht B.K.) Am Sonnabd. sind die Kandidatenprüfungen – offenbar im beschleunigten Tempo beendet worden. (Diese Prüfungen sind schicksalhaft. Wenn die anstehen, passiert immer was). Heute kam ein Hilfspfr. herauf u. hat Frl. Sommer erzählt: »Ich habe Glück 472 473 474 475

Vgl. Tgb. 9. September 1937. Zu Evertz vgl. Biogramme. Zur Friederich vgl. Biogramme. Unterlagen zu dieser Tagung waren nicht auffindbar, so dass nicht klar wird, was hier unter dem Begriff »Reichstagung« zu verstehen ist.

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gehabt! Wie ich »beim Bismarck« bin, begegnet mir d. Papst mit allen Kardinälen …« Lic. Langner u. v. Ungern[-Sternberg] kommen: »… Keiner da? Na, dann müssen wir die Stellen besetzen.« Ein anderer erzählt (D.C.): »Ja, wie ich in mein Dorf komme« (er ist versetzt worden), »bin ich sehr nett empfangen worden. Sie sind uns recht, alles gut u. schön. Aber lassen Sie uns bloß mit den Deutschen Christen in Ruhe – sonst sollen Sie uns kennen lernen!« Mittwoch, d. 15.12. [15. Dezember 1937] Die Prüfung ist noch nicht zu Ende! Gestern sei Katechese gewesen u. heute sei noch einmal Klausur. Schöne u. Ungern[-Sternberg] sind ja da476 – u. Meyer-Erlach. Ach, wenn »sowas« ist, da lassen sie alles stehen u. liegen, sagt ein Kundiger. Der Vorschlag, die Bekenntnisleute in den »zerstörten« Kirchen unter eine »bekenntnistreue« gemeinsame Leitung zu stellen, stammt v. Kerrl. Ich nehme an, daß Leutheuser etwas erfahren hat (Franz?) und deshalb das »Kollegium« zusammengerufen hat. Sie wollen wohl beraten, was zu tun ist u. dem »Papst« für seine Haltung morgen u. übermorgen Ratschläge geben. Fritz soll nach der Kantate am Sonntag zu Hertzsch gesagt haben, der L.K.R. würde nun wohl eine Reihe von Pfarrern disziplinieren, er hätte ja nun wieder freie Hand. – Spigaht hat auch in dem Sinne geredet, seine Arbeit u. Mühe sei nun vergebens gewesen, sie könnten ja nun wieder machen, was sie wollten – oder so. Ich denke, mit den Disziplinierungen wird es nichts werden. Männel u. Thieme sind übrigens mit nach Magdeburg gereist. Tegetmeyer ist bei einem Kursus in Friedrichroda. Ihn geht d. Sache nichts an; denn die Finanzsachen bleiben von der ganzen Neuregelung unberührt. Deshalb war wohl T. auch so guter Laune. Er braucht sich um den ganzen Kram nicht mehr zu kümmern. Ich verstand O. neulich so, als ob Gefahr bestünde, daß mit d. kathol. Kirche glimpflicher verfahren würde als mit den Protestanten – weil man eben nicht so an sie heran kann (auch wegen des Konkordats? Wegen Italien? Darüber sagte er nichts). Daß wir Protestanten in eine Art von Ghetto kommen sollen, ist ja klar. Inzwischen mißhandelt man die evangelischen Kirchen in Posen u. Lettland, um sie zu entdeutschen, nach dem Muster des Reichsbischofs. Stapel redet im Dezemberheft des »deutsch. Volkstums« einmal von der Einbuße an politischem Einfluß, die man durch die Selbstvernichtung der religiösen Leistung Luthers erleidet. In Skandinavien u. Lettland hinge die Geltung deutschen Geistes hauptsächlich am Luthertum.477 Es wurde mir von ganz anderer Seite bestätigt, daß die Juristen auch ihren Kampf kämpfen. Es kann ja auch nicht anders sein, wenn man den Reichsmin. Frank reden hört, der mir in vielen Äußerungen in den letzten Monaten sehr 476 477

Dr. theol von Ungern-Sternberg gehörte nicht zum Prüfungsausschuss; vgl. Thüringischer Pfarrerkalender, 1937, 153. »Da bei den Deutschen – im Unterschied von den Engländern und Franzosen – das Gefühl für die außenpolitische Bedeutung der genuinen Leistungen religiöser Art schwach entwickelt ist, bemerken sie kaum, wieviel politische Autoriät ihnen durch die eifrige Selbstvernichtung der großen religiösen Leistungen Luthers und des Luthertums verlorengeht. In Skandinavien und den baltischen Ländern hängt die Geltung des deutschen Geistes wesentlich mit der Geltung Luthers und der lutherischen Theologie zusammen« (Wilhelm Stapel, Tagebuch, Deutsches Volkstum 1937, 895 [Dezemberheft]).

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gut gefallen hat, u. wenn man sich daneben ansieht, was tatsächlich geschieht. Und was weiß man alles nicht. Die Katholiken scheinen am 6.12. wieder eine sehr scharfe Kanzelabkündigung verlesen zu haben; »Le Temps« berichtet davon. Starke Drohung: Sie würden reden, wenn sie es für richtig hielten u. keine Gewalt würde sie daran hindern. (Wenn sie anfingen, so in allen Kirchen der Welt über Deutschland zu reden, dann wäre das freilich eine böse Sache). Jetzt hat einer sogar eine Broschüre geschrieben, die Rosenberg übertrumpft. Der Protestantismus sei nicht nur auf d. Wege nach Rom, sondern auch nach Moskau. »Schwarzes Korps« veröffentlicht eine Zeichnung: »Ein feste Burg ist unser Gold« u. je ein kathol. u. ein protest. dicker, gemein aussehender Pfr. hinter Geldsäcken. Dazu wird mir mitgeteilt: Es habe ein Pfr. an den L.K.R. ein Flugblatt geschickt, das im Kreise Bitterfeld verteilt u. von den Deutschgläubigen [DGB] verfaßt sei. Das sei fürchterlich. – Sehr bezeichnend für die »Freiheit« der Konfessionen, von der Kerrl sprach. Freiheit, die Christen zu verfolgen, hat jeder. 11½ Heute behauptet meine »Quelle«, Sasse wäre für heute z. Kirchenkanzlei bestellt u. für morgen ins Kirchenministerium. Es ist näml. eben ein Telephongespräch od. Telegramm aus d. Kirchenkanzlei hier eingegangen, gez. »Thormann« [?], in dem angefragt wird, wo Sasse bliebe?! Ein Vikar d. Bek.kirche (wenigstens steht es so gedruckt) hat über Goebbels behauptet, er sei in einem Jesuitenkloster erzogen worden u.s.w. Goebbels selbst hat im Prozeß ausgesagt u. unter Eid erklärt, es sei nicht wahr. Der Vikar schadet seiner eigenen Sache mehr als dem Minister. Da die Tatsache, daß er der B.K. angehört, aber nicht im Text hervorgehoben, sondern unauffällig in d. langen Artikel untergebracht war, zweifele ich noch daran. D. Minister kann sich wegen dieser »Verleumdung« (ist es eine?) wenigstens noch verteidigen. Niemöller u. die Tausende anderen B.K.-Pfr. müssen alles über sich ergehen lassen. – Der Artikel geht jetzt natürl. durch alle Zeitungen. Donnerstg., d. 16.12. [16. Dezember 1937] Die neue Nr. des »Schw. Korps« ist wieder einmal furchtbar. Sie genügt wirklich, um im Ausland die Überzeugg. wachzurufen, daß die Kirche in Deutschland »verfolgt« sei, desgl. »Nationalkirche«. Da wird sogar berichtet, daß Meiser u. Marahrens die – kathol. Ohrenbeichte wieder einführen wollten (S. 408).478 Der »in ganz Norddeutschld. bekannte Schulrat u. Ob.regierungsrat, SAObersturmführer Blume von der Regierung in Hannover«, hat sogar »Unterlagen« u. erzählt davon unter »ungeheurer Spannung« der Versammlung! Im Bereich der hannoverschen Landeskirche wurde allgemein die sog. Privatbeichte eingeführt!« – »Beichte u. heil. Abendmahl« wird seit Martin Luther in allen protestantischen Kirchen Deutschlands gefeiert. Und daß es eine »Privatbeichte« darüber hinaus immer gegeben hat, beweist schon das gesetzlich geschützte sog. »Beichtgeheimnis« der protest. Pfarrer. Es ist nicht anzunehmen, daß ein Schulrat davon nichts gewußt haben soll. Hier im Haus laufen heute sehr wiederspruchsvolle Nachrichten. Meyer-Erlach, der zur Prüfg. hier ist, soll gesagt haben, daß alles wundervoll stünde, daß die Arbeit viel größer werden 478

Vgl. Gelegenheit zur Ohrenbeichte, NaKi 5 (1937), 408.

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würde u. der »Bund« [BfDC] in Berlin kollossal zu tun bekäme, u. daß. sie »ein so frohes Weihnachten feiern würden wie schon lange nicht mehr«. Stüber ginge »auf Wolken«. Von Volk noch keine Nachricht. D. König ist plötzlich aufgetaucht. Dazu sagt ( )d: »Dann hat Sasse unangenehme Nachrichten. Den läßt er immer holen, wenn er unruhig ist.« Jemand hat gehört, wie Männel gesagt hat: »In Bayern steht es sehr mager u. in Berlin haben die D.C. fast ganz abgewirtschaftet.« Die Frau von Ob.pfr. Hartz [D.] in Sondershausen soll zur B.K. übergetreten sein, »da es mit den D.C. doch nichts mehr wäre« (Gerücht vom Pflugensberg). Brauer ist in dies. Monat in Liegnitz, Elbing, Königsberg, Bayreuth u. München gewesen u. hat überallhin Geldsendungen bekommen. Ich nehme an, daß in Magdeburg viell. der Zusammenschluß aller D.C. unter der Leitung der »Thüringer« zustande gekommen ist. Es bleibt abzuwarten, was in Berlin vor sich gegangen ist. Gestern Abend bei Otto, Geburtstag von Frl. Koeppen. 2 Vikare erzählten von ihren Erfahrungen in einer sog. »Jungschar« im Pfarrhaus von Hertzsch. Ich habe heute Nacht davon geträumt, so furchtbar war es. Junge Bolschewisten, Saalschlacht, Bosheit u. Tücke – und die jungen Vikare wagen nicht abzubrechen u. Hertzsch ist zu schwach dazu. (Einmal ist Mitzenheim mitgegangen, da haben sie nicht gemuckst). So etwas hat keinen Zweck u. muß abgebrochen werden. Es ist unwürdig. Aber daß es möglich ist! Was ist das für eine Jugend. Hertzsch’s Westgemeinde umfaßt allerdings alle ehemal. Kommunisten. Die gehen ja im Punkt Kirchenfeindschaft mit den »Gottgläubigen«479 zusammen. Es ist unbegreiflich, daß die Partei nicht merkt, wie hier dem Bolschewismus Vorschub geleistet wird. Sowohl hier wie in Gotha gibt es je einen Religionslehrer, der aus d. Kirche ausgetreten ist. Pfr. Kühn hat beim L.K.R. angefragt, wie er sich dazu stelle – grundsätzlich. Der L.K.R. hat nicht geantwortet. – Festgestellt wurde: Im Klassenbuch einer hiesigen Schule (Jakobsschule?) als Thema für zwei Religionsstunden vom Lehrer notiert: 1. Vier-Jahres-Plan. 2. Die Hetzpfarrer der Bekenntniskirche. Das führt zum Blutvergießen. Anders ist es ja nicht möglich. (Volksgemeinschaft!) O. hat schon 1933 gesagt, daß erst einmal eine Reihe von B.K.-Pfarrern an d. Wand gestellt werden müßten – eher würde es nicht besser. In Jena ist die Studentenarbeit des C.V.J.M. verboten worden – als einziger Universität in Deutschld. Infolge einer Versammlg., zu der Glaue, Macholz u. v. Rad eingeladen hatten, große Untersuchungen. Der Studenten-Evangelist Giesen sitzt im Gefängnis. Die Jenaer Studenten sollen mit aller Gewalt d. christl. Einfluß entzogen werden. Montag, d. 20.12.37. [20. Dezember 1937] Am Donnerstag-Abd. Bibelstunde. Zum Schluß gab O. kurz Aufschluß üb. d. kirchl. Lage, die Bedeutg. der letzt. Verordng. Kerrls u. sr. Reden sowie des Interviews mit d. d 479

Nicht identifizierbare Strichzeichnung. »Gottgläubig. Am 26.11.1936 durch Runderlaß des Reichsinnenministers eingeführte Identifikationsformel für Personen, die weder einer Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft angehören noch sich als glaubenslos bezeichneten wollten« (Enzyklopädie des Nationalsozialismus, 49

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Vertreter der »Niedersächs. Tagesztg«.480 Er hält d. V.O. nur für die Basis weiterer Verordnungen, sie sollen zunächst dem für d. Wahlzeit geschaffenen provisor. Zustand ein Ende machen. Als wichtigstes aus den Reden481: Der Staat wolle sich nicht damit begnügen, daß die Mehrzahl des deutsch. Volkes in den Kirchen verblieben sei, sondern wolle – obwohl doch der Kirchenaustritt jedem freisteht – nur den zu den Konfessionsangehörigen rechnen, der d. Staat gegenüber die ausdrückliche Erklärung abgebe, daß er in der Kirche bleiben wolle. Es würde also von jedem Christen noch einmal Einsatz u. Opferwilligkeit gefordert werden u.s.w. (Demgegenüber: Wenn einer aus d. Kirche ausgetreten ist, darf es nicht einmal gesagt werden.482 Das wäre »Gewissenszwang«!) Am nächsten Mittag sagten mir in d. Stadt Frl. v. Est[orff] u. Frl. Koeppen, es sei eine ganz furchtbare V.O. unseres L.K.R. herausgekommen; jeder Pfr. würde glatt entlassen, der sich nach d. Bruderrat richte oder kirchenregimentl. Befugnisse im Namen des Bruderrats ausübe. – Oben im Gebäude wußten die Wenigsten etwas von dieser V.O., von meinen Freunden keiner. Sie geht unter dem Namen einer »Erklärung«.483 Sasse kam erst am Freitag gegen Abend zurück, zu Ende der Prüfung (bei der ein B.K.-Kandidat durchgefallen ist, der in Erlangen beim 1. Examen mit »2« bestanden u. s.Zt. auch ein gutes Abitur gemacht hatte. Hier hat er lauter vieren!). Gleich nach Sasses Ankunft durcheilte die Kunde das Haus, er sei furchtbar schlechter Laune. Leutheuser, angesprochen auf Berlin, habe abgewinkt: »Ach, Berlin, da geht man lieber garnicht erst hin!« Stüber telephoniert mit König u. es wird der Satz gehört: »Wir müssen viell. einen Zusatz machen.« (Zur »Erklärung«?) Bis heute noch nicht mehr erfahren! Am Freitag Abd. gleich nach d. Prüfung Sitzg. aller Kirchenräte in Sasses Wohnung. In der großen Halle wurde mir gesagt: »Sie brüllen so, daß man es manchmal hier unten hört! Aus der Wohnung!« Danach wieder Schweigen im Walde. (Wenn d. Nachrichten aus Berlin »schön« gewesen wären, dann hätten die Herren, wie d. Erfahrg. lehrt, nicht »gebrüllt«, sondern »gewiehert«. (Das sind Ausdrücke ihrer vertrauten Umgebg., nicht meine). Guida Diehl ist von Leffler verklagt worden u. von vornherein überzeugt, daß sie verurteilt werden wird.484 Versammlungsruhe vom 15.12.–12.I. befohlen. Dienstag, d. 21.12. [21. Dezember 1937] Gestern Mittag ist hier ein Telephongespräch aus der K.kanzlei gekommen – Sachbetreff: Disziplinarverfahren. Zu V. geleitet. Später kommt Sasse. »Ist nicht ein Gespräch für mich aus Berlin gekommen?« Und als man ihm mitteilt, daß es zu Volk geleitet worden ist, entfernt er sich: »So, so.« Heute ist Sitzung. Spt. hat am Sonnabend erzählt, er, Spt., hätte den »Vorschlag« gemacht, sämtliche Disz.verfahren auf folgende Weise zu erledigen: Schreiben an alle 480 481 482 483 484

Vgl. Tgb. 13. Dezember 1937. Otto bezog sich hier auf die Reden Kerrls in Fulda und Hagen am 23. bzw. 30. November 1937, in: Dokumente zur Kirchenpolitik IV., 126–128; vgl. Tgb. 24. November und 2. Dezember 1937. Vgl. dazu Runderlass des Reichsinnenministers betr. Kirchenaustritte vom 18. Februar 1937, in: Dokumente zur Kirchenpolitik IV, 6–7. Gemeint ist vermutlich eine kurze Erklärung des Landeskirchenrats der TheK vom 13. Dezember 1937, abgedruckt unter dem Titel »Kirchenleitung«, ThKbl/B 24/1937, 133. Zur Auseinandersetzung Diehl-Leffler vgl. Tgb. 6., 11. und 15. September 1937.

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Thür. Pfarrer mit 3 Fragen, dem Sinne nach, ob sie den Thür. L.K.R. anerkennten u. Gehorsam gelobten, andernfalls sofortige Entlassung. Volk hätte dazu gesagt: »Ja, das könnte man vorschlagen.« Es soll auf d. heut. Sitzg. besprochen werden. Das Rundschr. sollte, so war gleichzeitig von Spt. vorgeschlagen, noch vor Weihnachten oder zwischen Weihnachten u. Neujahr hinausgehen. – Kommentar überflüssig. Vielleicht paßt dazu ein Telephongespräch, das Stüber führte: »Der Kandidat … soll gleich nach … aber nur bis zum 15. Januar, da kommt …. (eine Reichsregelung, doch brauchte er einen ander Ausdruck). Ich habe kürzl. einmal den Jahrgg. 1936 der »Briefe an D.C.« durchgelesen u. dabei auch die Stelle gefunden, wo d. D.C. in Hannover erklären, sie erkennten ihre Kirchenregierung nicht an u. als »Gemeinde« den Pfr. Meyer-Aurich beauftragen … frei nach großem Muster, bloß daß der Hintergrund der kirchl. Ordnung (Bekenntnis) u. damit d. Rechtsgrund fehlt. Und dann ist mir wieder aufgefallen, wie rücksichtslos sie gegen Rehm vorgehen, immer wieder, als Nat.soz. gegen einen Nat.sozialisten; in einem einfach rüden Ton, u. wie weinerlich u. verlogen sie das Schicksal ihrer »Märtyrer« (der Ausdruck ist gedruckt) zur Reklame benutzen. Es findet sich nichts annähernd Ähnliches in der ganzen B.K.-Presse. – Übrigens ist in diesem Jahrgang auch von einer Tagung in Sachsen berichtet, wo der Kreisobmann mitgeteilt hat, daß die D.C. ihren Namen »vom Führer« hätten. Das ist einfach frei erfunden, wie bekannt.485 Eben erfahre ich, welchen Ausdruck Stüber am Telefon gebraucht hat: »… 15. Januar, da setzt die Reichsdrehmaschine ein, da wird doch alles ganz anders.« !!!!! Sollte dem L.K.R. noch Zeit gegeben sein bis zu diesem Stichtag, um Schindluder mit den B.K.-Pfarrern u. der Mitte zu spielen u. dadurch rasch noch einige vollendete Tatsachen zu schaffen? abds. Die Sitzung heute hat die erwarteten Sensationen nicht gebracht. Der fulminante Vorschlag von Dr. Spt. ist nicht verhandelt worden, da Leutheuser nicht da war, obwohl er kommen sollte. Man hat überWeihnachtsgratifikationen geredet, die es, sehr zur Enttäuschung der Angestellten, auch in diesem Jahr nicht gibt. Einzelne erhalten eine Unterstützung. Während Z. das Sitzungs-Protokoll diktierte, machte ich die Tür auf, um nach meinem Fach in der Geschäftsstelle zu sehen u. hörte den Satz: »… das Gesetz geändert …« 22.12., Mittwoch. [22. Dezember 1937] Ich hatte in meinem Zimmer zu tun, in dem Fritz u. Stüber waren u. während ich mit Frl. M. sprach, hörte ich Fr. berichten: »… die Frau hat als letzten Wunsch geäußert, der Pfr. Yvan Benner in Apolda möchte sie beerdigen. Der Bürgermeister hat aber verboten, daß ein anderer als der Ortspfr. predigt.« »Nun … und?« »Der Bürgermeister hat in diese Dinge nicht einzugreifen.« Leider hörte ich Stübers Antwort nicht, da ich fertig war u. desh. eilig das Lokal verließ. Aber ich hatte ja nun einen Vorgeschmack davon, was in Thür. geschehen wird, wenn Kerrl wirklich, wie er angekündigt hat, dafür sorgen wird, daß die Pfarrer sich die Kirchen nicht mehr verweigern (u. die Friedhöfe, wie in dem Fall, von dem Fr. 485

BrDC 5 (1936), 123. Der Begriff »Deutsche Christen« war keine Prägung Hitlers. Er wurde 1931 bei den Kirchenwahlen in Thüringen zum ersten Mal benutzt; vgl. Meier, Kirchenkampf I, 469.

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berichtete u. z.B. in Kaltenwestheim486). Dann greift einfach der Bürgermstr. ein, obwohl er gesetzlich dabei nichts zu verbieten hat; u. sollte auch das verboten werden, dann kann immer noch der Ortsgruppen- oder schließl. sogar der Kreisleiter eingreifen. Und dagegen läßt sich dann wirklich nichts machen. Donnerstag, d. 23.12. [23. Dezember 1937] Gestern stand in der »Frankfurter Zeitg.« ein kleiner Artikel, der den Inhalt der letzten »Erklärg.« des L.K.R. mit der Drohung an die B.K.-Pfarrer wiedergab.487 nachmittags. Die Belegschaft ist wütend u. lacht zugleich. Der L.K.R. hat gestern stundenlang beraten über Weihnachtsbeihilfen u. ist zu folgendem Schluß gekommen: Alle Angestellten u. Beamten, die Kinderbeihilfen bekommen (außer den Regierungsräten) erhalten je Kind – 5 M Weihnachtsgratifikation. So erzählte mir einer, dessen 18-jähr. Sohn als Lehrling in d. Kammgarnspinnerei ist; sein Sohn hätte 25 M Weihnachtsgratifikation nach Hause gebracht, er, als Vater, 5 M! Es wird schauderhaft geschimpft, denn alle wissen, wieviel Geld hinausgeworfen wird, z.B. fürs »Schaette-Quartett«488, die Reisen der Genossen u. tausend Dinge. Heute »Times« u. »Temps«. »Times« behandelt den Artikel »An die Kirchen« im »Schw. Korps« u. die Kerrl Reden.489 Freitag, d. 24. Dezemb. 1937. [24. Dezember 1937] Gestern Abend hatten wir unsere Weihnachtsfeier. Vorher wurde erzählt: »Heute Abend wird aus der »Edda«490 oder aus d. »Heliand«491 vorgelesen. 5 Min. vor halb 6 wurde mir gesagt: »Das Programm wird erst gedruckt«. Heute früh behauptete jemand anderes: »Ich habe doch gesehen, wie d. Programme um halb 5 zu Sasse rein gebracht wurden. Männel wollte doch aus der Edda vorlesen … Wir versammelten uns mit großen Erwartungen. Dann kam das Programm. Die alten Weihnachtslieder. Dann Sasse. Er verlas das alte Weihnachtsevangelium u. sprach in großer Erregung über »Und das Licht scheint in der Finsternis.«492 Er wiederholte dieses Wort immer wieder mit großem Nachdruck u. auch das andere: »Aus seiner Fülle haben wir alle genommen Gnade um Gnade!«493 Ich muß sagen, daß es mich ergriff. 486 487 488 489 490 491

492 493

Vgl. Tgb. 13. September 1935 (Bericht über eine Trauerfeier in Reichenhausen, Filial von Kaltenwestheim). Vgl. Tgb. 20. Dezember 1937. Vgl. Tgb. 17. November 1937. Vgl. Reden Kerrls in Fulda und Hagen am 23. bzw. 30. November 1937, in: Dokumente zur Kirchenpolitik IV., 126–128; vgl. zu den Reden Tgb. 24. November und 2. Dezember 1937. Sammlungen altisländischer Dichtungen aus dem 13. Jahrhundert. »Der Heliand ist ein frühmittelalterliches altsächsisches Großepos und wichtiges Glied im historischen Kontext der Entstehung der deutschen Sprache und Literatur. In fast sechstausend (5983) stabreimenden Langzeilen wird das Leben Jesu Christi in der Form einer Evangelienharmonie nacherzählt. Das Epos ist nach dem Liber evangeliorum des Otfrid von Weißenburg das umfangreichste volkssprachige literarische Werk der ›deutschen‹ Karolingerzeit« (https//de.wikipedia.org/w/index.php?title=Heliand; eingesehen 17. August 2015). Joh 1,5. Joh 1,16.

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Ich hatte das Gefühl, daß er irgendetwas aufwühlendes erlebt hatte u. wütend dagegen ankämpfte. Er sprach gegen die Versuche, das Weihnachtsfest zu einer Sonnwendfeier zu machen u. dabei kamen Wendungen, wie sie bei ihm unerhört sind. Z.B., daß wir in diesem Fest »doch noch ganz anders, als bei unseren wunderbaren Parteifeiern« an d. anderen Menschen »geworfen« werden, daß die deutsche Seele d. Weihnachtsfest niemals so hätte feiern können, wie sie es tut, wenn nicht vor zweitausend Jahren dieses Kind in der Krippe geboren wäre – dann: »…in einer Zeit, die noch viel erfüllter sein wird als die heutige …« wirklich, es sprach im Grunde ein gläubiger Mensch aus ihm. Wenn das der tiefste Grund seiner Seele ist u. nicht nur Stimmung – (das kann man bei einem Menschen, wie Sasse nie wissen) – dann wäre wirklich nur nötig, daß er sich gründlich besänne. Aber ich fürchte … Er hat ja schon einmal lichte Augenblicke gehabt, als er Sauckel vorwarf, er mäße mit »zweierlei Maß« – damals, als den D.C. die Weimarhalle zu einer Gegenversammlg. gegen Hauer verboten wurde (jetzt paktieren sie mit Hauer). Und auch das hat er bereut. Wie dem auch sei: Diese Weihnachtsfeier war schmerzlich u. nachhaltig ergreifend. Es muß hinter den Kulissen etwas vorgegangen sein. Später. Nachrichten aus d. Haus: Hoßfeld, dem SA-Mann, hat Sasses Rede nicht gefallen.– Sasse sei gestern in Weimar gewesen, führe auch heute (!) wieder hin. Es müßte etwas »passiert« sein. Der Kreisleiter hätte wieder auf die »Pfaffen« geschimpft, die Kirche bekäme mehr Geld wie die »Unterorganisationen«. Es sei im »Stern« eine Kinderbescherung gewesen; da sei nicht einmal ein »Weihnachtsmann« gekommen, sondern – ein »Kaspar« sei aus der Kiste gesprungen! Aus Sasses Rede fällt mir noch ein: »Was man auch über die Kirche schimpft, sie ist es doch gewesen, die die Botschaft vom Heiland 2000 Jahre getragen hat …« (Dann sollen die D.C. selber endlich mal aufhören, über d. Kirche zu schimpfen. Ich habe d. Gefühl, daß sie von irgendwoher einen Fußtritt bekommen haben). Es scheint Tatsache zu sein, daß der Weihnachtsfeier irgendeine Unstimmigkeit unter den D.C. vorausging. Frl. Sommer hat selbst das erste Programm zu Sasse getragen. Es habe etwas von »Eisgrauen Wolken« darin gestanden. Gewöhnlich sind diese Weihnachtsprogramme auch zeichnerisch verziert. Das zum Schluß neu getippte Programm, das im letzt. Augenblick erst verteilt wurde, war ganz schmucklos. »Männel« sollte die »Lesungen« sprechen, hatte der kleine V.D.-Lehrling erzählt. Stattdessen las Sasse selbst. Später. Es wurde mir noch erzählt (der Name wurde genannt, ich habe ihn aber vergessen), es seien Leutheuser u. Brauer Stellen in der Partei als polit. Leiter angeboten worden. Sie hätten aber abgelehnt; u. Leutheuser hätte gesagt – (so wird behauptet) – »ich scheiße auf Eure Parteistellen, ich habe genug mit d. Kirche zu tun.« Es klingt wie Leutheuser in d. Form, inhaltlich ist es aber wohl Übertreibung. – Der Kreisleiter soll nach einer Sonnwendfeier mit d. SA auch irgendwie über das Christentum losgezogen sein, übel. (Und der war Mitglied der Kirchenvertretung. Es wäre ja kein Wunder, wenn den D.C. die Augen aufgingen). Dazu hallt d. Haus wieder vom Zorn über die 5-M-Beihilfe494, 494

Vgl. Tgb. 23. Dezember 1937.

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die aus rein formalen Gründen, einige noch dazu nicht bekommen haben – und von der Erregung über die Weihnachtsanprache von Sasse. Neueste Nachricht: Franz ist im Haus gewesen u. hat sich ausgesprochen über d. Neuausgabe der Verfassung. »Vergebliche Arbeit. Ich bin immer dagegen gewesen. Da ist doch jetzt die 17. Durchführungsverordnung495 u. im Frühjahr kommen eine Menge neuer Gesetze heraus; u. die ganze Arbeit ist überflüssig.« Dienstag, d. 28.12.37. [28. Dezember 1937] Am 2. Feiertag bei O., der morgens in d. Georgenkirche gepredigt hatte. D. landeskirchl. Kollekte wurde abgekündigt aber nicht empfohlen (ausdrückl.). Viele verstanden es nicht, da O. undeutl. sprach (an dieser Stelle). Ihm selbst war schwer aufs Herz gefallen, daß ein junger Mann nach d. Gottesdienst sehr aufgeregt mit d. Küster Breithaupt über diese Abkündigg. gesprochen hatte. Er fühlte sich dadurch abgestoßen. Aber was tun? Der L.K.R will jeden sofort entlassen, der die Kollekten nicht abkündigt – Gewissenszwang. Er hat die Pfarrer auch angewiesen, sie »dringend zu empfehlen«. Hierin können die B.K.-Pfr. nicht gehorchen, das wäre Lüge. Die Kirche war sehr voll, auch auf d. 3. Empore saßen Menschen, im Schiff auch an d. Seiten. Abds las uns O. aus einer Mitteilg. von Meiser ein Schreiben der D.C. Gaugemeinde Bayern Thür. Richtg. [KDC] vor, mit dem die sich von Thüringen lossagen.496 Das ist offenbar die Folge schwerer Spannungen; als Tropfen, der das Gefäß zum Überlaufen brachte, schlechte Behandlg. durch Leutheuser in einem öff. Lokal in Eisenach im Beisein der Kellner u. anderer Gäste. Es geht aus d. Schreiben weiter hervor, daß die Thüringer den D.C. Bayerns aus taktischen Gründen erlaubt hatten, eine etwas andere Theologie zu vertreten als die Thüringer. Es geht weiter daraus hervor, daß die Gruppe Weidemann-Bremen u. die Gruppe Rheinland-Pfalz sich den Thüringern nicht angeschlossen haben trotz Dungs!, u. noch so manches andere. Meiser ist dieses Schreiben in die Hände gefallen u. er hat es vervielfältigt. Es ist am 24.12. bei O. angekommen. Die Ereignisse stammen, wenn ich nicht irre, von Anfang oder Mitte d.M. Dezember. Ich komme immer mehr zu der Überzeugg., daß die Weihnachtsansprache von Sasse mit den üblen Bemerkungen des Kreisleiters über d. Kirche zus.hängt. Das muß irgendwie ehrenrührig gewesen sein. Es ist doch schrecklich, u. lag auch O. besonders schwer auf d. Seele, daß auch über Weihnachten die Gefangenen der B.K. nicht frei gewesen sind! Otto schloß daraus, daß die Verhandlungen mit dem Staat (Kerrl) wieder einmal nicht vom Flecke kämen. nachmittags. Kurz vor Dienstschluß heute vormittag erfuhr ich noch Folgendes: Der Angestellte Pappmeier (K.steuerabt.) sei am 2. Feiertag in Ottos Predigt gewesen. Danach sei er zu Stier gegangen (andere Lesart: Er habe es dem ehemal. »Gemeindeleiter« der D.C. uns.

495 496

Vgl. Tgb. 13. Dezember 1937. Vgl. Schreiben der Deutschen Christen, Gaugemeinde Franken, an ihre Mitglieder vom 14. Dezember 1937, LKAE, LBG 77, nicht foliiert.

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Kollegen Eckardt, der im Zimmer neben mir sitzt, erzählt. Der hätte an den Gemeindeleiter Eisenach-Nord namens Troost (oder so) telephoniert, der hätte sich an Stier gewendet) und Stier hätte gesagt, er sei auch in Ottos Predigt gewesen, hätte aber nichts davon gehört, daß O. gesagt hätte: Der L.K.R. hätte die Kollekte für landeskirchl. Zwecke bestimmt, er, O., könne sie aber nicht empfehlen, denn sie würde »doch nur für nationalkirchliche Zwecke verwendet«. Stier ist es wohl so gegangen wie mir u. er hat Ottos Abkündigung einfach nicht verstanden. Ich bin davon überzeugt, daß Pappmeier d. junge Mann war, der Breithaupt auf d. Abkündigung hin angeredet hat.

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2.2.6. Die Tagebucheintragungen 1938 D. 3. Jan. 38. [3. Januar 1938] Heute begann d. Dienst wieder mit d. übl. Gratulationscour in d. großen Halle. Die D.C. waren höflicher als im vor. Jahr. Sasse, der mir in d. Weg lief, hielt mir d. Hand hin u. Frl. Quambusch kam sogar zu mir. Dann hielt Sasse, wie immer, eine Ansprache. Wir sangen vorher u. nachher »Nun laßt uns gehn u. treten …«1 (»Dieses wunderbare, kraftvolle Lied …«, sagte Sasse!) Die Ansprache war – jedenfalls nicht unchristlich. Nicht ausgesprochen D.C. Hinweis auf schwere Kämpfe, die der Kirche bevorstehen. Der Ausblick im Ganzen keineswegs rosig. Kein Wort vom »Führer«, kein »Heil Hitler« zum Schluß. Als er geendet hatte, drehte er sich auf dem Absatz herum u. ging ab, hielt dann inne, machte noch einmal kehrt u. sagte: »Die Feier ist geschlossen.« Erst rückschauend wurde uns klar, was an dieser Ansprache auffallend war. Heute nachm. wurden mir sehr sonderbare Dinge erzählt, die ich eigentlich nicht glauben möchte; aber sie sind zu gut bezeugt. Abgesehen von einigen Übertreibungen muß der Kern dieser Mitteilungen doch wohl d. Wahrheit entsprechen. Es handelt sich um eine Katholikin, die öfters zu Sasse kommt. (Das scheint zu stimmen. Die D.C. werben ja überall um d. Katholiken.2) Er hätte ihr »im tiefsten Vertrauen« sein Herz ausgeschüttet, u. sie hat das im tiefsten Vertrauen hier im Haus sofort weitergesagt. Und die Stelle, der sie sich anvertraut hat, sagte es mir sofort weiter – im tiefsten Vertrauen. Also: Er Sasse, trüge das Parteiabzeichen nicht mehr, da er sich über den Kreisleiter Köhler u. über – Sauckel zu sehr geärgert hätte. Besond. üb. den Krs.leiter. Der hätte von ihm, Sasse, als »der Pfaffe da oben« gesprochen. Er, Sasse, wüßte aber jetzt, welche Absichten die Partei mit der Kirche hätte. Es sollte einfach alles zerschlagen werden. Und jetzt, im Januar, sollten die betr. Verordnungen herauskommen. Die Partei »stelle sich vor den Führer«, d.h. sie verhindere, daß der Führer die Wahrheit über die Kirche erführe. Es seien allerdings die Treuesten der Treuen, die das täten. (Nun wird die Sache ganz dunkel u. widerspruchsvoll). Über Weihnachten hätte Kerrl etwas vorgehabt in d. Richtg. einer Art Anerkennung der Bekenntniskirche, so, als ob die auch ein Recht in der Kirche hätte. Aber das hätte die Partei verhindert. (3 Leute haben mir inzwischen versichert, daß Sasse tatsächlich kein Parteiabzeichen trüge).3 Er, Sasse, hätte schon 3 Eingaben an d. Führer gemacht, aber er wüßte, daß d. Führer sie garnicht bekommen hätte. Das würde verhindert.

1 2

3

Evangelisches Gesangbuch Nr. 58. Diese Bemühung ist im Rahmen der nationalkirchlichen Idee der Thüringer DC zu verstehen, derzufolge alle Deutschen qua Geburt und unabhängig von ihrer Religions- und Konfessionszugehörigkeit Mitglieder einer Nationalkirche sein sollten. In welchem Umfang es ihnen gelungen ist, Mitglieder anderer Religionsgemeinschaften (hier: Katholiken) anzusprechen und für ihre Sache zu gewinnen, bedarf noch der genaueren Untersuchung. Viele waren es wohl nicht. Die Darstellung müsste durch eine Biographie über Sasse bestätigt werden, ist aber durchaus glaubhaft. Denn selbst die NkE [bisher: KDC] hatte auf den verschiedensten Gebieten erhebliche Demütigungen durch HJ und Partei hinzunehmen. Sie konnten bei einem entschiedenen Parteigänger Frustrationen auslösen. Richtig ist jedenfalls die Einschätzung, daß es der NSDAP wohl nicht um eine Kooperation mit den Kirchen ging, sondern um deren Liquidierung.

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Die Partei sei gespalten durch die Kirchenfrage. (Es wird sogar behauptet, er habe von »Lug u. Trug« gesprochen u. zwar in Bezug auf die Partei. Das glaube ich nicht). Die betr. Katholikin rühmt sich, Verbindungen mit Reventlow zu haben. Sasse suchte durch sie mit R. anzuknüpfen, R. käme aber nicht. Inzwischen erfuhr ich noch Folgendes: Bei d. letzt. Bachkantate sei plötzl. d. Polizei erschienen (ob vorher ob nachher, weiß ich nicht) u. hätte Mauersberger u. Fr., die »heruntergerufen« worden seien, mitgeteilt, die Kollekte würde beschlagnahmt werden; es sei vorher keine Genehmigg. nachgesucht worden. Mauersberger oder der L.K.R. hätten sich nach Weimar gewendet u. heute, 3.1., hätte Mauersberger den Bescheid bekommen, es bliebe bei der Beschlagnahme! Sie könnten ja künftig, um ihre Unkosten zu decken, Eintritt fordern! Es ist klar, daß hinter den Kulissen viel vorgeht. Ich könnte mir denken, daß das, was die D.C. aufregt, vor allem finanzielle Maßnahmen sind, die uns weniger aufregen. Obwohl natürl. wir B.K. am meisten zu fürchten haben. In »Neues Volk« Heft 1 fand ich heute eine Predigt skizziert wie die Kirchenfeinde sie sich denken. Ich versuchte, hier oben einen Eindruck davon zu notieren, mußte es aber wegschneiden, weil ich keinen entsprechenden Ausdruck finde. Phieler versucht, Dr. V. gegen den armen Wilms aufzuhetzen – weil der sich direkt an den Centralaussch. für I.M. gewendet hat, ohne V. zu bemühen! Aus Berlin wurde mir heute erzählt, aus einer Christvesper in der Kaiser-Wilh.-Gedächtniskirche von Jacobi. Zum Brechen voll. Gebet für Niemöller u. die and. Gefangenen. Eine blaue Kerze brennt f. d. Auslandsdeutschen, eine rote f. d. Gefangenen der ev. Kirche. Auch in Eisenach wird seit Weihnachten in allen Gottesdiensten besonders eindrucksvoll für die Gefangenen gebetet, aber keine Namen genannt. Übrigens fiel heute – ich will nicht andeuten, von wem – eine Bemerkung, die mir viel zu denken gab: »Da ist wohl wieder einmal ein Erlaß (an die Polizei) gekommen, der nicht veröffentlicht werden darf« (in der Kollektensache mit der Bachkantate). Das gibt es also. Daß auch der L.K.R. bei Anfragen manchmal ½ Jahr auf Antwort warten muß, erfuhr ich auch so nebenbei. Der Kreisleiter soll bei der berüchtigten SA-Sonnwendfeier4 direkt zum Kirchenaustritt aufgefordert haben. Dienstag, d. 4.I. [4. Januar 1938] Volk hat gestern u.a. gesagt, im Laufe der nächsten Woche würde es zu »Entscheidungen« kommen. Und in anderem Zusammenhang: »… da es nun doch anders kommt, als sie (die Thür. D.C.) es sich gedacht haben …«

4

»Sonnwendfeiern« wurden in den Jahren 1933–1944 jeweils am 23. Juni und am 21. Dezember veranstaltet und nationalsozialistisch inszeniert; vgl. Enzyklopädie des Nationalsozialismus, 737.

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5. Jan. [5. Januar 1938] Phieler hat es fertig gebracht, an Wilms einen Brief zu schreiben, in dem er ihm Vorwürfe macht, daß er bei sr. Bewerbg. beim Z.aussch. für I.M. ihn, Phieler, übergehen wollte usw.! (Er war auch auf d. Pflugensberg, um Volk zu sagen, Volk wäre von Wilms übergangen worden! Volk fiel auch darauf herein!) Wilms hatte O. von d. Brief gesagt. Der war wütend. Er, O., habe für W. an den C.A. geschrieben; W. wisse davon garnichts. Es sei doch wohl selbstverständlich, daß die B.K. sich für W. einsetze, wenn der ihretwegen seine Stellung verlöre (nachgewiesen durch das vom Gauleiter Thomas in Weimar entworfene Protokoll über die letzte Besprechg. zwischen Thomas u. Volk in Weimar). Was für ein Hund ist dieser Phieler. Das ist ja ein Wert des Kirchenkampfes – man lernt die Menschen kennen. Ich sagte zu Fritz, die Neuherausgabe der Verfassg., die wir jetzt betreiben, hätte doch vielleicht wenig Zweck, da eine Neuordng. offenbar kurz bevorstünde (Urteil von Franz). Er schüttelte den Kopf. »Was sollen denn für Verordnungen kommen. Höchstens eine üb. Zusammensetzg. der Kirchgemeindekörperschaften. Das geht nicht so schnell mit der Verreichlichung. Herr Franz ist immer Gegner der Neuausgabe gewesen.« Die Regierungsräte wissen ja nie etwas. Der Mann, der manchmal etwas sagt: »Was ist eigentlich los? Man hört nichts, man hört nichts! Nach den Kerrl-Reden kam Tegetmeyer aus Berlin zurück u. sagte: ›Na warten Sie nur! In 8 Tagen. Da werden Sie sehen!‹ Und nun warten wir schon ein paar Wochen – u. nichts kommt.« Donnerstag, d. 6.I.38. [6. Januar 1938] Gestern Abd. bei O. Ich erzählte, daß ich in der neuesten Nr. der »Christl. Welt« (Nr. 1) einen Artikel von Lic. Langner, Jena, gelesen hätte: »Das kommende Glaubensgespräch«5, den ich für einen Versuchsballon hielte. Es wurde darin d. Ansicht ausgesprochen, daß die Gruppen wieder miteinander »ins Gespräch kommen« müßten. Otto lachte u. sagte: »Das ist allerdings sehr bedeutsam. Bauer [K.]6, der Hilfspred., der so lange im Gefängnis gesessen hat, hat mir erzählt, daß ihm Stüber gesagt hat, er sei nicht abgeneigt – oder es sei nicht unmöglich – ihn in Thüringen wieder anzustellen! Die Gemeinde hängt sehr an ihm. Bauer [K.] hat die Bemerkung gemacht, wenn die D.C. den Vorwurf des Vaterlandsverrats gegen die B.K. zurücknähme, dann sei es nicht unmöglich, wieder mit ihnen in Fühlung zu kommen …« oder so ähnlich. Stüber sei »wie ein Rabe« auf diesen Brocken losgefahren u. hätte lange – ich glaube, er sagte 2 Stunden – darüber geredet. O. sagte noch, er hätte gehört, die D.C. (Thür.) hätten in Bayern 50 Pfarrer hinter sich gehabt, jetzt nur noch 15.

5

6

Erwin Langner, Das kommende Glaubensgespräch, Die Christliche Welt 52 (1938), Nr. 1, 25–28. Der Autor plädierte dafür, es inmitten eines ermüdenden Kirchenkampfes über die Fronten hin zu »Begegnungen im Glauben« kommen zu lassen und miteinander »fromme Glaubensgespräche« zu führen, dabei den jeweiligen Glauben des anderen respektierend. Zum Fall Bauer vgl. Biogramme.

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1 Stunde später. Therese, der ich Vorstehendes erzählte, sagte mir, daß Reichardt [E.] ihr gestern gesagt hätte: »Nun, man scheint sich ja wieder näher gekommen zu sein …« (B.K. u. D.C.!) u. noch etwas in diesem Sinne. 7. Januar (Freitg.). [7. Januar 1938] Sasse hat – tatsächlich – die Gauzeitung abbestellt. – Ev.-Luth. K.ztg. teilt mit, daß die geh. Staatspol. die Apolog. Zentrale in Spandau geschlossen hat. Gründe seien nicht bekannt.7 Gestern Abd. Bibelstunde. Frl. v. Ranke erzählte, daß Bauer [W.] ihr am 23.12. im Auftrag von Sasse gesagt hätte, B.K. im Pred.sem. sei nicht mehr möglich. Auf ihre Frage, ob das eine Kündigg. sei, habe Bauer geantwortet nein, dazu sei er nicht beauftragt. Sie will es den D.C. nicht leicht machen u. nicht freiwillig gehen. Am 31.III. kann ihr für 1.7. gekündigt werden. O. berichtete kurz von einer Zusammenkunft aller B.K.-Pfarrer am Tag vorher. Wo – weiß ich nicht. Es sei sehr unerfreulich gewesen. Die radikale Richtg. [Dahlem] gewönne Boden. Es sei eben schlimm, daß keine Benachrichtigung möglich sei. Da säße der Einzelne auf seinem Dorf u. begriffe nicht, was vorgehe, hörte u. sähe nichts, dächte sich aus, was der Bruderrat jetzt tun müßte u. begriffe nicht, daß der es nicht täte. Daß die Lage in Thür. so elend sei, solle die Schuld des Bruderrates sein, der zu vorsichtig sei. Z.B. jetzt, nach der letzten Erklärg. des L.K.R., müsse eine geharnischte Erklärg. des Bruderrats folgen, Gehorsamsverweigerg. oder so. Darauf würde der L.K.R. alle Pfr. gefangen setzen, das würde die Lauen wachrütteln usw. Während O. der Ansicht ist: Der L.K.R vermeidet den Skandal u. greift sich nur Einzelne heraus. Er räumt langsam, nach u. nach, ohne großes Aufsehen, einen nach d. anderen beiseite. Der Bruderrat würde dem L.K. R. den größten Gefallen tun, wenn er ihm dazu Anlaß gäbe. Ergebnis der Tagung: Niedergeschlagenheit. Furchtbarer als alles ist die dicke Decke, die alles Leben erstickt. Volk hat mir gestern u. heute viel Zeit gewidmet, um mich in d. Sache mit Tante Lina juristisch zu beraten. Dafür muß ich ihm wirklich dankbar sein. Er war rührend. Es wurde mir erzählt, was die »Kollegen« oben auf d. Pflugensberg sich manchmal an die Köpfe werfen. Hauck zu Gasper:«Du bist auch so einer, der mit dem Stenogrammblock in der Kirche auf d. Galerie sitzt. Was kriegt Ihr denn für die Stunde, Ihr Spitzel??« Vor Zeugen. 8.I., Sonnabend. [8. Januar 1938] Gestern Abd. 7 Uhr soll im Rundfunk gesagt worden sein, daß d. Führer im Frühjahr den Duce [Mussolini] besuchen wird. Heute – soeben – Nachricht. Sasse, aus Berlin zurück, erzählt: »Reventlow hat mir gesagt, daß es nun doch sich bestätigt hätte, was er (Reventlow) im Herbst schon behauptet hätte, der Führer würde zum Papst gehen!!! Der 1. Besuch gälte dem Quirinal8, der 2. dem Vatikan. Das bedeute eine Brüskierung Rosenbergs

7 8

AELKZ 71 (1938), 18; vgl. auch JK 6 (1938), 133 oder NaKi 7 (1938), 31. Sitz des italienischen Königs bzw. des Duce auf einem der sieben Hügel Roms.

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(!!??), dessen Bücher auf dem Index9 stünden! (Ich glaubs nicht!). Sasse hätte hinzugefügt: »Na, dann wird schon alles in Ordnung kommen« (oder so) »u. diejenigen, die jetzt noch scharf geschossen haben, werden sich ernstlich blamieren!« Stüber hat zu Tegetmeyer gesagt: »Ich habe den Eindruck, als ob die Hälfte der BKPfr.schaft in Thüringen »wackelt«, u. als ob sie nur darauf warten, daß wir ihnen helfen!!!« (Vgl. Bericht v. O. über zunehmende Radikalisierung!) Die für Dienstag nächster Woche angesetzte Sitzg. des L.K.R. scheint sehr wichtig zu werden. Leffler kommt dazu. Streng vertraulicher Bericht des L.jug.pfarrers Rönck an Stüber über eine Unterredg. mit d. Gebietsführer Theo Schulte. Schulte sei »streng korrekt«; u. es sei anzunehmen, daß die Jugendarbeit der Kirche von nun an nicht mehr so stark gehemmt werden würde wie vorher (ungefähr). Er, Rönck, habe ihm den Plan der beabsichtigten Schulungen in Friedrichroda vorgelegt. Schulte hätte zugegeben, daß alles korrekt sei, aber doch gewünscht, die größ. Schulungen für d. gesamte Gebiet möchten wegfallen. Darauf hätte er, Rönck, sich entschlossen, die großen Kurse ganz abzusagen u. nur noch örtlich zu arbeiten. Er hätte es, »im Interesse der Kirche« für richtiger gehalten, »es nicht auf eine Kraftprobe ankommen zu lassen«(!!). Die »Spannungen« zwischen der H.J.- u. der kirchlichen Jug.arbeit bestünden im übrigen nach wie vor. Montag, d. 10. Jan. 38. [10. Januar 1938] Am Sonnabd. ist die Katholikin, Frau Nickel (?), wieder hier gewesen, die am Neujahrstag die sensationellen Nachrichten aus ihrer Besprechung mit Sasse mitbrachte. Die ganze Sache klingt so abenteuerlich, daß man es kaum glauben kann. Teils muß ich die Frau, nach alledem, was sie faselt u. auf die leichtsinnigste Art verbreitet, für halb verrückt halten. Tatsache ist aber, daß Sasse, wenn sie ihm gemeldet wird, sehr lebhaft u. erfreut verfügt, daß sie sofort zu ihm gelassen werden soll. Sie soll eine Frau von 40 Jahren sein. Nicht hübsch. Sie hat erzählt, sie sei Leffler ganz unentbehrlich, denn sie spräche 5 Sprachen u. übersetzte für ihn ausländ. Zeitungsartikel – also Kollegin von mir! Sie hat vor längerer Zeit hier im Haus erzählt, daß sie die Verbindung der D.C. zu Reventlow, den sie persönlich kenne, herstellen sollte. (Daß diese Verbindg. inzwischen hergestellt ist, haben wir ja am Sonnabd. v. Sasse gehört). Nun hat sie auch erzählt, sie hätte ein Verhältnis, mit dem sie viele Autofahrten machte u. nächstens nach Italien führe! (Jansa hat auch von einer geheimnisvollen Italienfahrt, die er mitmachen würde, bei Breithaupts erzählt!). Sie sei auch bei Faulhaber gewesen. Dem hätte sie erzählt, daß sie durch eine Farbe, mit der sie sich die Augenbrauen gemalt hätte, kranke Augen bekommen hätte. Da hätte der Kardinal aber nicht gesagt, daß es sei Sünde sei, sich die Augenbrauen zu malen, sondern nur, da müßte sie eben künftig eine andere Farbe nehmen, die nicht schädlich sei! So weitherzig sei der Kardinal!!! Der Anlaß zu ihrer Rücksprache mit Sasse sei: Vor einigen Tagen sei sie auf d. Eisenbahn mit B.K.-Pfarrern zusammengefahren, die von oder nach Erfurt fuhren, u. die hätten »furchtbar auf Sasse geschimpft«. Das wolle sie ihm erzählen. Wenn sie sich 9

Verzeichnis von Büchern, die von den Mitgliedern der katholischen Kirche nach päpstlichem Entscheid nicht gelesen werden durften.

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darunter »einen« hätte aussuchen sollen, dann hätte sie sich Brackhage ausgesucht! Der hätte ihr (als Mann!) gefallen!!! Btz. sagt mit Recht, die ist ganz gefährlich. Was kann die anrichten. Tatsache ist, daß sie bei Sasse empfangen wird, der ja auch kein klares u. gesundes Urteil hat, u. daß die Sache mit d. B.K.-Pfarrern mit der Mitgliederversammlung in Erfurt am 5. zusammenpaßt! Bernewitz hat sich lange mit ihr darüber unterhalten, daß schwarzer Kaffee am Besten mit einem Schuß Cognac schmecke! Mitgliederversammlung in Erfurt am 5. – Diese Frau Nickel hat lange in der »Zentrale« gesessen u. sich lange mit Btz. darüber unterhalten, daß schwarzer Kaffee am Besten mit einem ordentl. Schuß Cognac schmeckte. Frl. Sommer hat sie eingeladen, auf die Italienfahrt mitzukommen! Annchen Kötschau erzählte, daß Kühn an d. Beerdigg. des Rechtsanwaltes Wehling (Führer der D.C. in d. K.vertretg.) teilgenommen hätte, der ihn in einer Sitzg., an der Mitglieder des Bundes der Mitte (darunter A.K.) teilnehmen, in unglaublicher Weise beleidigt hatte. Diese Sache sollte in einer Sitzung d. K.vertretg. in voriger Woche ausgetragen werden; vorher starb Wehling plötzl. Es ist richtig, daß Kühn mitgegangen ist (auch Brackhage). Abends Bernewitz hält heute s. Vortrag. Auf d. Tagesordng. der morgigen Sitzg., an der Leffler teilnehmen wird, steht u.a.: »16. Kirchensammlg. nach der 17. Durchf.V.O.10 dch. Pfr. Dr. Werner-Kosma, Ernst Otto, Bauer-Gotha …« 11. Jan. 38, Dienstag. [11. Januar 1938] Unten ist Sitzg. Leffler ist noch nicht da, aber Leutheuser. Bleich kam Jemand zu mir herauf u. sank in einen Stuhl. »Er hat so gebrüllt … so furchtbar, wie noch nie! … wie … wie ein Tier … wir hörten alle zu schreiben auf. Er sprach gegen Meyer-Erlach. Man verstand nur zusammenhanglose Worte: »Sollen wir nicht einmal zehn Jahre kämpfen … Ich lasse mich eher totschlagen, als daß ich …« (etwas gegen Hitler sage?) wurde nur angedeutet, aber von d. Berichterstatter selbst nicht geglaubt … dann haue ich ihm eben eine runter … (oder »dann lasse ich mir eben eine runterhauen«). Meyer-Erlach dagegen immer begütigend: »Aber mein Lieber …, darum handelt es sich ja garnicht … das ist doch eine Diffamierung … und das können wir uns doch nicht gefallen lassen …!« Vorgesehen ist Fortsetzg. der Sitzg. morgen. Gestern Abend der sehr eindrucksvolle Vortrag von Bernewitz. Alle hörten regungslos zu. Er gab eine gefühlsmäßig sehr gute Beschreibg. des langsamen Herannahens des Bolschewismus. u. der ahnungslosen Menschen. Ich könnte mir denken, daß es für Manchen gut wäre, gerade jetzt noch mehr davon zu hören: Kampf gegen d. Kirche!

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Siebzehnte Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Sicherung der Deutschen Evangelischen Kirche vom 10. Dezember 1937 (Dokumente zur Kirchenpolitik IV, 149–150). Es ging darin um die Regelung kirchenregimentlicher Befugnisse.

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Mittwoch, d. 12. Jan. 38, vormitt. 9½ Uhr. [12. Januar 1938] Ich ging eben unten durch die kl. Halle. Man merkte, daß etwas los war. Sasse begrüßte strahlend eine Dame, Leutheuser desgleichen mit knallendem Hackenschlag. »Das ist sie«, wurde mir zugeflüstert, »die Nickel!!« Sie hat ein Buch geschrieben, »vom Sinn des Seins«! Das ist gestern an Leutheuser gegeben worden, damit er endlich wüßte, wer sie ist. Sie soll beim Reg.rat Gebhardt im Volksbildungsministerium arbeiten u. 350 M Gehalt kriegen. Sie [soll] Amerikanerin sein, der Mann Arzt. Während mir dieses in d. Zentrale erzählt wurde, sah ich träumerisch aus d. Fenster u. traute plötzlich meinen Augen nicht mehr! Langsam wandelnd kam ein Berg geschritten, dessen Gipfel eine außerordentlich komische Pelzmütze bedeckte: Pfr. Michaelis aus Weimar! Ich in d. großen Halle! Stürmische Begrüßg.! »Sie einmal wieder in diesen heiligen Hallen?« – »Ja, ich, aufgetaucht aus längst versunkenen Zeiten! »Sie« haben mich aus dem Kirchenmusikinstitut rausgeschmissen – ohne Angabe von Gründen!«11 »Wer, der Staat?« »Nee, die Kirche! Ich bin bei Sasse angemeldet, will den jetzt stellen. Ich beneide ihn nicht um seine Lage.« Ich bereitete ihn noch schonend auf die nervenerschütternde Brüllerei unserer Machthaber vor. Er wedelte verächtlich mit d. Hand. »Schallwellen! Können mich nicht stören!« Die sonderbare Pelzmütze hing neben Leutheusers Schafpelz u. grauem Hütchen als der Berg langsam in die große Halle wandelte. Außerdem soll die Sitzung weitergehen. (Schade, daß man nicht alles aufschreiben kann!!!! Es betr. nicht Frau Nickel!) Um Frau Nickel seien alle Herren in der großen Halle sehr bemüht gewesen – so wurde mir gesagt. Sie sei gestern schon hauptsächl. Leutheusers wegen gekommen, den sie nun endlich gesprochen hat. Auch mit Leffler hat sie lange in d. großen Halle zusammengestanden. 12 Uhr. Michaelis ist etwa ¾ Stunde dagewesen, dann fortgegangen. Jetzt ist Sitzung. Noch eine Botschaft von anderer Seite – aus d. unteren Reich. Einer hat gehört, wie jemand anderes einem 3. zugeflüstert hat, aus der Sitzung wären die Worte vernommen worden: »Die müssen alle an die Wand gestellt werden.« Es wird die Vermutung ausgesprochen, es handele sich um Kommunisten, von denen in d. letzt. Tagen hier eine Anzahl verhaftet worden sind. Man hat Listen gefunden – Spenden für Rotspanien. Ich glaube, daß das Wort den B.K.-Pfarrern gegolten hat. Die D.C. haben nun also tatsächlich hier ein Haus gekauft. Von was für Geld, das weiß man nicht – daß ihre Kasse aber leer ist, das weiß man.12 Augenblicklich arbeiten wieder einmal zahlreiche VD-Kräfte im Büro der D.C. – obwohl sie ihr Geld vom L.K.R. bekommen. Brauer – der soll ja sowieso fast nie im V.D. sein, Radek, Hoßfeld u. Stetefeld. (Frl. Schönewald ist, glaube ich, von den D.C. 11 12

Zum Sachverhalt vgl. Schreiben von Pfr. i.W. Otto Michaelis an Wessinger vom 10. Januar 1938, LKAE, WB 8, 18. Zu Michaelis vgl. auch Biogramme. Vgl. dazu den Bericht »Unser Haus in Eisenach«, NaKi 7 (1938), 202. Es handelt sich dem Bericht zufolge um das Haus Luisenstr. 12 in Eisenach, in dem die Reichsgeschäftsstelle der KDC [NkE] mit 15 Mitarbeitern untergebracht war. Über dessen Finanzierung heißt es, »daß unser Kd. Dr. Brauer mit großer Umsicht und Tatkraft die Mittel [hat] zusammenbringen können« (ebd.).

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angestellt.) Die Bedeutg. der heutigen Sitzg. wird auch dadurch gekennzeichnet, daß mehrere Autos vor d. Haus parken. O. hält morg. Abend in d. Nikolaikirche einen Vortrag: »Ich glaube an den dreieinigen Gott – was ist das?« Er will damit solchen, die mit solchen Worten nichts mehr anzufangen wissen, antworten. Donnerstag, d. 13. Jan. 38. [13. Januar 1938] Gestern bei O. las ich halb einen Brief, den der L.Bischof v. Mecklenbg. zu Neujahr an s. Pfr. oder (ich glaube) nur an die D.C.-Pastoren gerichtet hat. Es kam der Satz vor: »Die Kirchenpolitik von 1933 muß restlos liquidiert werden.« Weiter wurde der »Ton« bedauert, in dem vielfach gekämpft worden sei u. die Schuld an der entstandenen Lage nicht nur der Kirche zugeschoben, die sich 1933 dem Staat versagt hätte (??), sondern auch den Feinden des Christentums, die in ihrem »asiatisch-orientalischen« Haßdenken den Bekenntnischristen (anders ausgedrückt) Parolen u. Schlagworte geliefert hätten usw. (!!!). Heute schon hier im Haus viel Neues gehört. Einer kommt u. denkt kopfschüttelnd darüber nach, warum wohl im ganzen Haus geflüstert würde. (Ich glaube es zu wissen, möchte es aber nicht aufschreiben.) Ein Mann in der Kasse hat laut gesagt: »Das wird ein schönes Durcheinander geben.« Dann ist von »eingearbeiteten Leuten« gesprochen worden. Dann wieder: Die K.-Abteilg. solle aufgelöst, d.h. auf verschiedene Bezirke im Lande verteilt werden u. ein ganz Schlauer fragt: »Ist das vielleicht der Anfang vom Ende des »Minbisteriums«? [sic!] (D.h. des Landeskirchenrats? Dezentralisation!). Der Betreffende glaubt sogar schon zu wissen, daß er in diesem Falle nach Jena käme. (Könnte vielleicht möglich sein!) Weiter wird erzählt: Der Luxemburger Sender habe mitgeteilt, alle Gefangenen der Bekenntniskirche seien in Freiheit. Auch Niemöller sei frei, d.h., er könne das Gefängnis verlassen, ohne den anfänglich geforderten Schein zu unterschreiben. Er weigere sich aber zu gehen, da er die Verhandlung erzwingen wolle. Frau Nickel hat gestern wieder lange mit Angestellten geschwatzt, bis man sie aus der Zentrale gewiesen hat. Blödsinnige Geschichten von Faulhaber erzählt. Sie habe ihm gebeichtet u. dabei auf seinem Schoß gelegen u. geweint!! Sie selbst habe bei Faulhaber einen Brief gelesen, in dem verlangt würde, daß mit der Ausbeutg. der Devisen- u. Sittlichkeitsprozesse Schluß gemacht würde. Sie würden sonst Einzelheiten über den 30.6.34 bekanntgeben, über unschuldig Hingerichtete usw. – Mussolini hätte 2000 kathol. Bischöfe empfangen usw. Männel soll von hier fortkommen, nach Weimar – flüstert man. Der Präs. des L.K.R. von Schleswig-Holstein – das ist doch der historische Kinder – hat einen Erlaß herausgegeben, in dem er gegen die Beschimpfungen der Pfarrerschaft Stellung nimmt, ihre Hingabe im Weltkrieg mit Zahlen belegt usw. – Das gehört mit zu dem Eindruck: Es muß tatsächlich etwas passiert sein. Eine ungeheure Brüskierung der Kirche – vielleicht eine Bemerkung von Hitler selbst? Dann könnte ich mir zu den Sätzen von Leutheuser u. Meyer-Erlach aus d. Sitzg. einen Zusammenhang denken.

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– Oder Rosenberg? Dem haben die D.C. mit ihrer gänzlich würde- u. charakterlosen Haltung zu den »Rompilgern«13 freilich Grund gegeben zu tiefster Verachtung. Mittags. Eben ein holländ. Presseausschnitt mit einem Bild von Niemöller. Ich verstehe soviel, daß diesen Gefangenen der B.K., die zu Weihnachten freigelassen waren, nicht wieder ins Gefängnis zurück brauchten »met goedvinden van de autoriteiten.«14 Vor Weihnachten seien es 130 Gefangene gewesen, »twaalf zouden da op en proces wachten.15« Der Anfang des Artikels scheint zu melden, daß nur noch Niemöller gefangen sei – das ist mir aber nicht ganz verständlich. Gestern hat d. Kreisleiter angerufen – aber nicht den Labi am Telephon verlangt, sondern Lehmann – ein Zeichen für die wachsende Verschlechterg. der Beziehungen zwischen Sasse u. Krs.leiter. Lehmann ist in d. wichtigen Sitzg., wird trotzdem auf Bitte des Krsl. herausgerufen u. erscheint mit großen, runden Augen: »Was … mich???« Sonnabend, d. 15.I.38. [15. Januar 1938] Donnerstag Abd. Ottos Vortrag in d. Nikolaikirche. Das Schiff war gut besetzt, ein paar Leute im Seitenschiff. O. sprach gut – aber aufbauend; ich hatte gedacht, es sollte apologetisch werden. Er ist immer »Zeuge«. Vielleicht oder wahrscheinlich ist es richtig. Ich für mein Teil balge mich in Gedanken immer mit Zeitungsschreibern herum, ein bedeutend niedrigeres Niveau. Als wir fortgingen, wurde uns ein Zettel in d. Hand gedrückt mit d. Mitteilung, daß ganz plötzl. eine Sitzg. der K.vertretung für Freitag (gestern) Abd. anberaumt sei mit d. einz. Thema: »Stellungnahme gegen eine Kollektenabkündigg. von Pfr. Ernst Otto am 2. Weihnachtsfeiertag.« Es sei erwünscht, wenn möglichst viele Gemeindeglieder hinkämen. – Wir gingen noch ins Christl. Hospiz. O. erzählte: Die Mitteilg. von d. Anberaumg. der Sitzg. sei am Mittwoch Abd. gekommen. Stier habe am Telephon gesagt, er wisse auch nicht mehr, als was auf d. Zettel stünde. Der L.K.R. hätte d. Anregg. zur Sitzg. gegeben. O. hatte kurz an Stier geantwortet, er könne nicht z. Sitzg. kommen. Uns sagt er, er habe einen Vortrag in Greiz zu einer Pfr.konf., den er vor 14 Tagen bereits zugesagt hätte. Außerdem müßte er ja, wenn über ihn gesprochen würde, doch d. Saal verlassen. Manchmal sei es schwerer, das Lob der Freunde anzuhören, als sich beschimpfen zu lassen. Er hatte eine ausführliche schriftl. Stellungnahme zu dem Besprechungsthema an Stier geschickt mit der Bitte, sie in d. Sitzg. zu verlesen.16 An die eigenen Leute in d. K.vertretg. ging die ausführl. Stellungnahme zur Kenntnis. Also davon hatten wir auf d. Pflugensberg nichts gemerkt. Am Mittwoch früh war es in der Sitzg. offenbar um Otto gegangen; sein Name war mehrfach gehört worden. Die Herren hatten aber geflüstert. Lange hatte Sasse sich hören lassen. 13 14 15 16

Alfred Rosenberg, Protestantische Rompilger. Der Verrat an Luther und der Mythus des 20. Jahrhunderts, München 1937, 31937. Rekonstruktions- und Übersetzungsversuch: »Mit Einverständnis der Behörden« [Handschriftliches Original: »met goedrinden von de autoriteiten«]. Rekonstruktions- und Übersetzungsversuch: »Zwölf [Gefangene] mußten [sollten] dort auf einen Prozeß warten.« [Handschriftliches Original: »twaalf gouden er op kan proces wachten«]. Schreiben von Pfarrer Ernst Otto an den Vorsitzenden der Kirchenvertretung, Oberpfarrer Stier, vom 13. Januar 1938, LKAE, G 809, 50.

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Gestern Abd. hat d. Sitzg. stattgefunden – im Gemeindesaal, Pfarrberg 3 – der Bibelstundenraum. Seltsam, zu denken, daß dort solche Geister toben können. Der Saal dicht gefüllt, viele mußten umkehren. Darunter Direktor Schönefeld u. Frau. Kolbe da, v. Eichel, Wilms – Frau Btz. [Bernewitz]. Ich ging 20 nach 8 vorüber u. warf einen Blick hinein. Lehmann hielt d. Anklagerede. Später hat auch Brauer noch geredet. O. sei von Mitzenheim sehr gut verteidigt worden, auch d. and. Pfr. haben gesprochen, auch Laien. Zum Schluß: Antrag an d. L.K.R., O. zu versetzen. – O. sagte mir heute, was er nicht erwartet hätte, sei, daß Lehmann alles, was er, Otto, »verbrochen« hätte, seit 1933 vorgetragen hätte. Wenn er, O., das gewußt hätte, wäre er hiergeblieben. Allerdings sei die Sache dann grundsätzlich geworden u. zu Bruch gegangen. Er hätte sagen müssen, daß sie garnicht daran dächten, den Bruderrat abzuberufen oder seine Tätigkeit einzuschränken. Und das sei dasjenige, was der L.K.R. vor allem gern wissen möchte. Die ganze Aktion gegen ihn habe wohl nur den Zweck, über diese Absichten des Bruderrates unterrichtet zu werden, um einzuschreiten. Ich schlief nachts nicht, scheußliche Nervenverfassg. Infolgedessen heute früh erst kurz nach 11 auf d. Pflugensberg. Hinter mir Schritte: Thieme! Er holte mich ein. Händeschütteln, kurzes Wortgespräch. Ich kurz, aber nicht unfreundlich. Plötzl. fing er an: »Sie waren früher auch im V.D.?« Ich: »Ja, ich habe ihn ja mitgegründet – d.h. ich war von Anfang an da, seit 1921.« Er: »Die Gründg. des V.D. ist eine der größten Taten der D. Ev. Kirche!« Ich nach einer kl. Pause: »Natürlich, das sagen Sie, weil er Ihrer Bewegung dient.« Er: »Jawohl, er dient unserer Bewegg., u. damit der Kirche.« Ich wollte ein eingehendes Gespräch vermeiden u. sagte: »Sie wissen, daß wir darüber anderer Ansicht sind.« Er kam aber trotzdem von hier aus sehr schnell zu der Behauptung, Hauptsache sei, daß Menschen wie er u. ich miteinander »ins Gespräch« kämen. Ich sagte: »Ein Gespräch sei von uns aus nicht möglich mit einer Gruppe, die uns »Vaterlandsverrat« vorgeworfen hätte. »Darüber gibt es keine Brücke. Deutsche Menschen müßten das doch begreifen.« Er: »Es muß aber zum Gespräch kommen. Sie haben eben keinen Glauben (?). Etwas Neues wird durch Tat u. Opfer.« Ich: »Gut, dann gehen Sie hin u. sagen Sie, daß Sie Unrecht gehabt haben. Das wäre eine Tat u. ein Opfer.« Er: »Das wäre gar keine Tat, denn …« jetzt kam irgendetwas schwächliches. Ich: »Es wäre schon eine Tat, aber sie ist Ihnen zu schwer.« Wenn er nicht antworten konnte, bog er ab u. fing von etwas anderem an. Er wollte mir durchaus den »Vaterlandsverrat« beweisen. »Sehen Sie doch nur die vielen Pfarrer, die im Gefängnis sitzen!« Ich ganz ruhig: »Ja, u. dann kommen sie wieder heraus ohne Prozeß u. ohne Urteil. Also sind sie unschuldig.« Er: »Der Staat ist großmütig u. gütig. Er kann es sich leisten« usw. Ich: »Nein, Vaterlandsverräter darf man nicht freilassen, die muß man bestrafen. Ein Staat, der Vaterlandsverräter laufen lassen wollte, wäre kein Rechtsstaat.« Da war er sichtl. verlegen. Dazwischen kam immer wieder: »Eine Trennung gibt es nicht. 2 Kirchen kann unser Volk nicht tragen. Wir müssen »ins Gespräch kommen.« In diesem

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Sinn ging es, schließlich vor der V.D.-Tür, mit erhobenen Stimmen geraume Zeit. Plötzlich öffnete sich die Haustür im V.D. u. Hoßfeld wollte heraustreten – stand einen Augenblick sprachlos u. zog sich dann zurück. Wir tobten weiter. Thieme war fühllos gegen meine verschiedenen Versuche abzubrechen. Oxford! Die ökumen. Bewegg.! Da arbeiteten wir eben doch mit! Ich. »Warum denn nicht? Jeder Sportverein, die H.J., die Kriegsopfer usw. haben ihre internat. Beziehungen. Warum denn die Christen nicht?« Er: »Aber denken Sie, die haben gesagt, in Deutschland würde das Christentum verfolgt!!!« Ich: »Na, ist das vielleicht nicht wahr?? Da braucht man doch nur das »Schwarze Korps« zu lesen. Übrigens ging ja auch die Weihnachtsansprache des Herrn Landesbischofs in diese Richtung.« »Nein, dann haben Sie sie mißverstanden!« Ich: »Ich habe sie nicht mißverstanden.« Der Schluß war, daß wir uns trennten, u. er mir noch von der V.D.-Haustür aus zurief: »Eine Trennung gibt es nicht. Aber es stehen Mauern zwischen uns.« Ich: »Dann mögen sie diejenigen einreißen, die sie aufgerichtet haben.« Ich kam ziemlich aufgeregt auf d. Pflugensberg an u. zankte mich alsbald heftig mit Therese, die tatsächlich unerträglich war. V. hatte ( )c im ganzen Haus herumgeschickt, um überall zu horchen, was über die Sitzg. der K.vertretg. gesagt wurde. Er hatte mit Lehmann gesprochen, der nicht sehr befriedigt zu sein schien – nach V.D.-Ansicht. Mehr befriedigt war Brauer. Im Haus hat sich d. Gerücht verbreitet, die Rechnungsstellen (K.-Abteilg.) u. die Pfründenabteilg. würden aufgelöst u. über d. Land verteilt. Große Wut in den betr. Abteilungen. Hoch u. niedrig schimpfte ganz offen (Ich schrieb schon davon17). Spigaht teilt das Volk mit, um sich gegen d. Vorwurf zu erwehren, er hätte geschwatzt. V. ist entsetzt – das alles sollte streng geheim bleiben! Es heißt auch, Franz käme Ostern zurück, Fritz nach Meiningen! Es sollten sich 3 Zentren bilden, darunter auch Jena. »Times« berichten von einer Rede Mussolinis vor 2000 Priestern u. 60 Bischöfen am 9.I. Italien müsse »ein Bollwerk der christl. Zivilisation« sein usw. Sehr kräftig! Die deutsche Presse berichtet nichts davon. Montag, d. 17.I. [17. Januar 1938] D.h. – V.B. hat berichtet, wie ich dem »Protestantenbl.« entnehme, dreht die Pointe aber um. Nichts von »Bollwerk des Christentums«, sondern: Die deutsche Geistlichkeit möge sich an der italienischen ein Beispiel nehmen! Es sollen (Times) noch etwa 20 Pfr. in Haft sein. nachm. ½3 In d. großen Halle teilt mir vor 5 Min. jemand mit, Lehmann sei plötzl. entlassen, wegen »Weibergeschichten«! Er hat am Sonnabd. noch hier diktiert, am Freitag Abd. die Kirchenvertretersitzung geleitet! Ob es wahr ist? Vorläufig glaube ich es noch nicht. D. Gerücht kommt aus der Stadt. c 17

Strichzeichn. Frauenkopf mit Locken, steht für Hanna Linde, vgl. Übersicht Strichzeichnungen. Vgl. Tgb. 13. Januar 1938.

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Sitzg. des L.K.R. nicht morgen, Dienstag, wie gewöhnl., sond. Mittwoch – mit Leffler. Gestern nachm. bei Tante L[ina], wo Annchen Kötschau von der Sitzg. am Freitag berichtete. Lehmann sei ekelhaft gewesen, katzenfreundlich, »Mein lieber Amtsbruder Otto – ich weiß allerdings nicht, ob er mich so nennen würde …« Dann traf ich Frl. Helmbold bei O. Sie war froh über d. Verlauf der Sitzg., v. Eichel hätte unsere Leute vorher beraten. Irgendein Formfehler, juristisch, der von Nitzsch sofort aufgegriffen wird, bildet Hindernis für die Absichten der D.C. Ausschlaggebend sei die Anwesenheit der Gemeinde gewesen, etwa 100 Leute in drangvoll fürchterlicher Enge. Das hatte man ganz offenbar nicht erwartet. Das hätte die D.C. offenbar verhindert, brutal, wie gewöhnlich, mit der Minderheit umzuspringen u. sich über die Geschäftsordnung einfach hinweg zu setzen. Auch einige »junge Leute«. Zum Schluß nicht, wie Lehmann wünschte, Antrag, O. zu versetzen, sondern einfach Mißbilligungsbeschluß.18 – Das ist ja nun freilich was anderes. Wo blieb aber das Führerprinzip? O. sagte uns sein Pläne. Er wolle diesen Fall zum Anlaß nehmen, um irgendwie weiter zu kommen. Er wolle einen Brief an den L.K.R. u. einen an das Kirchenministerium schreiben u. an diesem Eisenacher Fall die ganze Lage aufzeigen. Fordern, daß man endlich für den »anderen Glauben«, hinter dem keine politische Stellungnahme steckte, die andere Lebensform gestatte. Dann würde mit einem Schlag die Ruhe hergestellt sein. Er wolle, um dies weiter auszuführen, Rücksprache im K.Min. erbitten. Wir sollten sagen, was wir dazu meinten. Ich: »Ich glaube, es ist der Augenblick für einen solchen Vorschlag.« Frl. H.: »Ach, ich freue mich so – dasselbe wollte ich gerade sagen!« Reichardt [E.] hat seine höchste Verwunderung ausgesprochen, wie es möglich gewesen sei, die vielen Menschen von Donnerstg. bis Freitag Abd. zusammenzubringen. Von d. Vortrag in der Nikolaikirche hat offenbar keiner etwas gemerkt. 1 Stunde später. Ich habe eben etwas ganz anderes gehört, was ich nicht aufschreiben kann. Was soll das? Und dabei sucht man noch ein »Gespräch?« Es soll einfach alles zertrümmert werden. Lehmann ist heute nachm. zum Dienst gekommen. Also Gerücht unwahr. (Abends – aber ich kann es nicht aufschreiben.) Dienstag, d. 18.I., 10½ Uhr abends. [18. Januar 1938] Krs.-Beamtenversammlg. im »Fürstenhof«. Der Redner leistete sich auch allerhand: »Wilhelm der Ansiedler …« »das Himmelreich … ich weiß nicht, ob es eins gibt – ich bin noch nicht dagewesen.« Das hätte man ebensogut in einer marxistischen Versammlung der »Systemzeit« hören können. »Die anderen – das waren auch solche Feuerköpfe wie ich …« (!) Über »Demut« wurde gewitzelt. (Daß Hitler selbst derartiges sagt, scheint ganz egal zu sein pp.). Vorher noch bei Otto. Er las mir den letzten Teil des Briefes an den L.K.R. vor, dessen ersten Teil ich am Montag hörte. Sehr gut u. einfach. Er betont (das wollte er noch einfügen), daß er allein d. Verantwortug für diesen Brief trüge, es stünde niemand 18

Protokoll der Sitzung der Kirchenvertretung vom 14. Januar 1938, LKAE, G 809, Bd. I, 1923– 1938, 181–182.

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hinter ihm. Es war nichts in diesem Brief, was als zu großes Entgegenkommen gedeutet werden könnte. Vorgeschlagen wurde die Zwischenlösung, wie sie im Sommer 36 schon geplant war u. wie sie O. selbst ursprüngl. Zoellner schon vorgeschlagen hatte. Ich glaube, daß man nach dem Artikel von Langner in d. »Christl. Welt«19, der Bemerkung von Stüber zum Hilfspred. Bauer [K.] u. schließlich auch von Thieme zu mir und vollends, nachdem die Eisenacher Kirchenvertretung, entgegen Lehmanns Absichten, nicht den Antrag auf Versetzung von Otto gestellt hat, diesen Schritt jetzt tun kann. Otto hat seit 2 Tagen keine Post bekommen. Nur Familienbriefe kommen an und Drucksachen.Ich glaube, das ist mein Gefühl, daß es wohl für ihn der gefährlichste Augenblick ist, den es im Kirchenkampf seither gab. Er war sehr müde. Es sei wieder eine furchtbare Hetze den ganzen Tag über gewesen, seit früh 6½ Uhr. Abends halb 7 sei er erst an seinen Schreibtisch gekommen. (7 Uhr war ich dort). Morgen fährt er nach Erfurt zur Bruderratssitzg. Morgen L.K.R.-Sitzg. mit Leffler. Gestern Abd. hielt Btz. unter großem Beifall der »Kameraden« seinen 2. Vortrag.20 Volk versuchte, zum Schluß, das »Heil Hitler« zu kommandieren, verhedderte sich wieder, die Gefolgschaft mußte die Kommandos vorsagen – es war gipfelhaft! V. hat übrigens zur Tagung der Th.G.G. in Weimar in seiner Abschiedsrede einen sehr netten Passus über mich vorgesehen, den mir Frl. Linde heute zeigte. Mittwoch, d. 19.I.38. [19. Januar 1938] Heute früh – schreiben wirs lieber nicht auf. O. fährt um 9 Uhr nach Erfurt. Nachricht aus d. Haus: Sasse kommt gestern aus Berlin u. Weimar zurück u. macht folgende Bemerkungen vor mindestens 6 Leuten, darunter Angestellten wie Beamten des L.K.R.:»Ja, ja, B.K. ist müde. Aber nur ein Teil.« (Scheint sich auf Berliner Eindrücke zu beziehen). »Übrigens – ›das‹ ist ja garnicht wegen der Kollektensache!« (In Bezug auf Ernst Otto. Der Name ist genannt worden.) »Nein«, sagt Volk, »wegen der Bußtagspredigt. Wir haben sie ja hier.«21 Darauf Sasse: »Ja, ich habe sie gelesen. Eine einzige Stellungnahme gegen den Staat. Wußte garnicht, daß wir überhaupt solche Leute hierhaben!« Und so etwas hört V. ruhig mit an. Es ist gut, so etwas zu wissen, ehe man handelt, wenn man danach trotzdem so handelt, wie man muß. Man soll sich das Gesetz des Handelns nicht vom Gegner vorschreiben lassen. Dazu gehört auch, daß man bei derartig niederziehenden Bemerkungen ruhig bleibt. Es ist ja doch weiter nichts, als daß der Wunsch zum Vater des Gedankens wird. Man muß schon damit rechnen, daß sie wirklich glauben, der Schlange den Kopf zu zertreten, indem sie Otto entfernen, den sie für das Haupt des Widerstandes halten. – Daß damit der Widerstand verstärkt werden würde, geht ihnen nicht ein. Sind das überhaupt deutsche Menschen, die so etwas nicht instinktiv wissen? – Es wäre, um den Riß nicht unheilbar zu machen, gut, eine Aktion gegen O. zu vermeiden. Andererseits

19 20 21

Vgl. Tgb. 6. Januar 1938. Zum ersten Vortrag vgl. Tgb. 11. Januar 1938. Predigt über Offenbarung 3,19–20 von Pfarrer Ernst Otto-Eisenach, Bußtag (17. November 1937), LKAE, G 809, Bd. I, 166–168.

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würde es für unsere Sache vielleicht auch gut sein, wenn ihm so offenbares Unrecht geschähe, wie in diesem Fall geplant ist. Ich bin überzeugt, daß das Vorgehen jetzt vom Staat ausgeht. Wahrscheinl. hat man S. wieder einmal auf die Schulter geklopft u. der labile Mann reagiert sofort. Ich gab ( )c Ottos Bußtagspredigt zu lesen. ( )c sagte: »Die müßten in Berlin doch sagen, die sind einfach verrückt, wenn sie behaupten wollen, das sei gegen den Staat.« Bericht von unten: Frau Nickel ist heute wieder dagewesen u. hat gleich nachher in der Z. erzählt, der Labi hätte sie gefragt, wie man wohl mit der B.K. u. der kathol. Kirche fertig werden könnte. Sie hätte zu ihm gesagt: Man würde mit beiden nicht fertig werden, weil sie innerliche Kräfte hätten. Mit der kathol. Kirche schon garnicht. In Bezug auf die B.K. hätte ja Reventlow das auch gesagt. – Was veranlaßt diese Frau nur, diese Gespräche weiter zu erzählen? Der Labi wurde ihretwegen aus der Sitzung gerufen!! Sie war 20 Min. bei ihm. Abends. Ein seltsamer Tag. Im Laufe des Nachmittags, besonders nach einer Rücksprache mit Btz., arbeitete sich in mir die Überzeugg. durch, daß der Brief von O.22 nicht im L.K.R. abgegeben werden dürfe, daß man höchstens über Berlin verhandeln könne. Schließl. saß ich in wahrer Angst da, ich könnte hinuntergerufen werden, um den Brief in Empfang zu nehmen, wie verabredet worden war. Ich hatte mich schließlich entschlossen, den Brief nicht abzugeben, sondern zurückzugeben mit der Bitte, an O. nach Erfurt zu telephonieren u. nochmalige Überprüfg. zu raten. Zettel formuliert. – Es geschah aber nichts. Nach Dienstschluß gleich zu Frau O. [M.]: »Ist der Brief fort?« »Nein. Wir haben mit m. Mann telephonisch gesprochen. Sie haben beschlossen, den Brief nicht abzusenden, führen aber vielleicht heute Abd. nach Berlin.« Ich: »Gott sei Dank.« Wir sahen uns an. »Sie auch??« Und dann stellte sich heraus, daß uns allen ein Stein vom Herzen gefallen war. Die letzten Äußerungen von S. zeigten doch den Abgrund, das absolute Nichtverstehen wieder einmal deutlich. Aber für die Männer wird Anderes ausschlaggebend gewesen sein. Ein Brief vom luth. Rat war heute wieder bei O. eingegangen, Einladg. zu einer Besprechg. in Berlin in 8 Tagen.23 ( )c erzählte, … habe Volk auf Frau Nickel aufmerksam gemacht, u. berichtet, daß sie lange in der Zentrale herumsäße u. unglaubliche Reden führe. Aber keine Einzelheiten. V. hätte sie sich gestern angesehen u. dann gesagt, es sei in Ordnung, er habe mit den Herren vom L.K.R. gesprochen, sie bekämen von ihr wichtige Nachrichten! Im Haus, von den Angestellten u. Beamten, die um diese Erscheing. wissen, wird sie »die Spionin« genannt. Für wen spioniert sie wohl hier?

c c 22 23 c

Strichzeichn. Frauenkopf mit Locken, steht für Hanna Linde, vgl. Übersicht Strichzeichnungen. Strichzeichn. Frauenkopf mit Locken, steht für Hanna Linde, vgl. ebenda. Vgl. Tgb. 18. Januar 1938. Einladungsschreiben des Rats der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands vom 18. Januar 1938 zur Vollsitzung am 27. und 28. Januar in Berlin, LKAE, LBG 78, 200. Strichzeichn. Frauenkopf mit Locken, steht für Hanna Linde, vgl. Übersicht Strichzeichnungen.

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Donnerstag, d. 20. Jan. [20. Januar 1938] Über die gestrige Nachmittagssitzg., in der wahrscheinlich die Pläne gegen Otto gesponnen worden sind – Schweigen im Walde. Es heißt, zu Morgen würde eine Kirchenvertretersitzg. einberufen, um die Sache Otto weiter zu behandeln. Klar, was da vorgeht. Abends. Frau Otto [M.] sagte, es stimmte nicht mit der Kirchenvertretersitzg. Es hätte ursprüngl. eine sein sollen wegen des Gemeindeblattes24, sie sei aber abgesagt worden. Es sei offenbar, daß die D.C. einen Prozeß wegen des Blattes vermeiden wollen. Ich hielt wohl schon fest, daß Brauer deswegen neulich bei Kühn war und ein anderer K.vertreter 2 x bei ihm antelephonierte. Dabei hatte Brauer behauptet, er wisse nichts von dem Vermittlungsvorschlag der Pfarrer im Sommer! Ich komme eben aus der Bibelstunde. Es war so voll wie selten, sicher über 100 Leute. Hinterher erzählte O.: Bauer [G.] hätte ihn heute Abd. antelephoniert, er sei heute früh 2½ Stunden lang auf d. Polizei vernommen worden wegen einer Kanzelabkündigg. im Juni! O. hatte sie im Wartburggottesdienst abgekürzt verlesen.25 Es ist also offensichtlich, daß man die B.K.-Pfarrer jetzt auf jeden Fall unschädlich machen will, u. zwar soll alles aufs politische Gebiet geschoben werden. – Pfr. Küntzel, der 17 Wochen im Gefängnis gesessen hat, hat jetzt die Anklageschrift bekommen. Man hat alle Punkte gegen ihn fallen lassen bis auf 3 und die lauten: 1. Er hat den Pfarrer Otto aus Eisenach, der B.K.Pfarrer u. also ein Staatsfeind ist, einen Wahlvortrag in sr. Gemeinde halten lassen. 2. Er hat einen Autobus gemietet, um mit Gemeindegliedern nach Bayern zu fahren u. einen Gottesdienst mit Bischof Meiser mitzumachen. 3. Er hat den Bischof Johnsen aus Braunschweig, auch einen Bek.mann, einen Vortrag in sr. Gemeinde halten lassen. O. glaubt, daß man auch gegen ihn mit der Polizei vorgehen wird, weil er vom L.K.R. noch nichts gehört hat. Der alte Weg: Anklage, Suspendierung – Kaltstellung. Irgendjemand, ich weiß nicht mehr wer, sagte neulich, Le Seur [E.] aus Weida, der jetzt hier wohnt als Pfr. mit besond. Auftrag, sollte Ottos Stelle bekommen! Uns allen ist das Herz sehr schwer. Otto sprach in d. Bibelstunde auch über den Vorwurf, den man ihm in d. Kollektensache gemacht hat. Thema des heutigen Abends war die Tempelreinigung26. Wir denken in großer Angst daran, wie schwer Otto, dessen Gesundheit so schlecht ist, eine lange Gefängnishaft ertragen würde. Freitag, d. 21. Jan. 38. [21. Januar 1938] Frau Nickel war heute wieder da, aber nicht beim L.B. Sie hat in der Z. gesagt, sie würde jetzt einige Wochen in Eisenach »arbeiten« (Wo? Was? Für wen?) u. in der

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Zur Auseinandersetzung um das Eisenacher Gemeindeblatt vgl. Tgb. 10., 17., 18., 21. September, 4., 15., 20., 21., 24., 28. Oktober, 2. und 10. November 1937. Vgl. Tgb. 25., 26. und 29. Juni; 10. Juli und 3. September 1937. Mk 11,15–17 par.

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Zentrale ihre Post abholen u. Zeitungen einsehen. Frl. S. hat die Sache Dr. Volk vorgetragen, der zögernd sagt: »Ja – ich weiß nicht – soll ich das mit d. Landesbischof besprechen oder wollen Sie das selbst tun?« Worauf sie ihm gesagt hat, er möchte es tun. Er war 1 Stunde beim Labi. Resultat weiß ich nicht. Sasse soll wahnsinnig unruhig sein. Er käme in 10 Min. 3–4 mal aus sr. Türe, liefe bald zu Stüber, obwohl ihm gesagt worden sei, daß der nicht da wäre, bald in s. Wohng., bald in d. Garten. – Volk hat einen Monolog gehalten, nachdem er bei ihm war, aus dem ich folgendes merkte: »… es ist kritisch … so vieles in der Partei, unangenehmes, womit die Herren sich herumärgern … warum sagt er mir nur nichts … es ist doch eben ganz unglaublich, wie ich manchmal selbst mitten in d. Sitzung übergangen werde … er sieht jetzt ein, daß Tegetmeyer doch eigentlich die ganze Macht hat … jetzt wird es auch Franz zuviel … ich habe es ja immer gesagt.« V. soll sehr schlechter Laune sein. Aus Lehmanns Umgebg. höre ich, daß der sich gleichfalls über Zurücksetzung ärgert. Der würde tatsächl. dauernd übergangen. Soeben: Für nächsten Sonntag ist eine Sitzg. mit Franz angesetzt. Über die Sitzg. am Mittwoch nachm. ist kein Protokoll geführt worden. Spt. war aber dabei. V. fragt nach der für nächsten Dienstag – wie üblich – angesetzten Sitzg. u. bemerkt dabei: »Vielleicht kommt auch d. Sache Ernst Otto nun zum Schluß …« In d. neuesten Nr. der »Nationalkirche« findet sich eine Wendung, in einem Artikel über einen Vortrag von Leffler, die davon spricht, daß der Reichsstatthalter sich »kameradschaftlich u. großmütig« vor seine alten Kameraden aus d. Kampfzeit stelle, die manchmal von »Übereifrigen« mit dem »Pfaffen« in einen Topf geworden würden. Es könnte sie nun auch niemand mehr einen »sektiererischen Pastorenklüngel« nennen usw.(So ähnlich).27 Also: Sauckel hat Sasse Genugtuung gegeben bei s. Krach mit d. Kreisleiter. Der Vater des Reichsstatthalters ist gestorben u. wird in Belvedere begraben. Leffler soll bei der Beerdigg. sprechen. (Aber wohl nicht als Hauptredner?) ½ Stunde später. Neueste Nachricht: Sasse fährt morgen nach Weimar (Beerdigg. S.) u. erklärt, er könne nicht vor Montag Abd. zurück sein. »Unmöglich, ganz unmöglich …«, sagt er nervös u. geistesabwesend. Lehmann läuft dauernd hinter ihm her u. wird seufzend u. ungeduldig aufgenommen. Eine Tür knallt zu. Also die Sonntagssitzg. wohl nur zu Franz’ Orientierung. Donnerstag, d. 27.I.38. [27. Januar 1938] In dieser Woche war noch keine Sitzg. des L.K.R. Am Montag hatte sich Oberheid – mit »Zepp«28 aus Berlin kommend, hier angesagt. Sasse war noch verreist, war im Anschluß an die Fahrt nach Weimar zur Beerdigg. des Vaters des Reichsstatthalters (mit

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Hugo Rönck, Der Leiter der Reichsgemeinde sprach in Weimar, NaKi 7 (1938), 31. Der Schienenzepp war seinerzeit der schnellste Zug, der zwischen Hamburg und Berlin verkehrte und 1931 mit 230,2 km für 15 Sekunden Weltrekord fuhr; vgl. Hamburger Abendblatt vom 12. Dezember 2008.

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Lehmann, Todesanzeige auch in d. »Nat.kirche« im Namen der D.C.29) weitergereist. »Guben« wurde einem Telephongespräch entnommen. O. hatte erfahren, er sei als Gefängnis-Seelsorger entlassen, ebenso wie Nitzsch aus d. Jugendgefängnis. Nach einer Anregg. (die aus d. Kreis der Gefängnisdirektoren kommt), ist vom Generalstaatsanwalt bei d. Gestapo nach d. polit. Zuverlässigkeit aller Gefängnispfr. gefragt worden. Darauf ist im Falle Nitzsch geantwortet worden, Nitzsch hätte 1933 in einer Predigt gesagt, kein Kaiser u. kein König hätte sich »je selbst so verherrlicht wie Adolf Hitler!!« Das hat er natürl. nicht gesagt. Wenn man nur einigermaßen die Lage kennt, weiß man ja auch, daß er dann sofort eingesperrt worden wäre. Das soll die Gestapo 5 Jahre lang für sich behalten haben? Der Fall Otto ist noch krasser. Man wirft ihm vor, 1936 vom »nat.soz. Übermut« gesprochen zu haben – auf dem luth. Tag im Mai 36 in Gotha!30 Er ist damals von d. Gestapo deswegen vernommen worden u. die Sache ist restlos geklärt worden. Er hat damals d. Manuskript sr. Rede abgeliefert (der Krim.kommissar war mit ihm nach Hause gegangen, um dafür zu sorgen, daß er nicht nachträglich etwas änderte!). Es handelte sich um ein Zitat aus Althaus31 und hieß: » … der nationalkirchliche Übermut«. O. sagte, er hätte damals dem Kommissar auch noch den Althaus mitgegeben, damit er selbst d. Zitat vergleichen könne. Er hat niemals mehr von dieser Sache gehört, sie war also als restlos geklärt anerkannt! Jetzt wird diese Sache – trotz aller Richtigstellungen – zum Anlaß genommen, um ihm die Gefängnisarbeit zu nehmen. Dazu heißt es, er hätte durch Rundbriefe gegen Polizeiverordnungen verstoßen. O. sagt, das hätte er nie getan. Er hätte sich genau nach d. Vorschriften gerichtet.Ich las einen Brief des Leiters der Krsgemeinde Eis.-Stadt der D.C. Thieme v. 18.1.38 an die Mitglieder. Es hieß darin u.a., zu den Hemmnissen der D.C.-Arbeit, die beseitigt werden müßten, gehörte »zunächst … das volkszerstörende u. reichsfeindliche Treiben der Anführer der Bekenntnissekte sowie die … Glaubensbewegung, in welcher der Intellekt der Seele befiehlt u. deren führende Geister auf dem besten Wege sind, aus Deutschland ein Dogma zu machen.« Aus d. Stadt hörte ich, daß einer der Kirchenvertreter (D.C.) namens Daniel gesagt hat, jetzt sollte Otto beseitigt werden, dann Mitzenheim u. dann Brakhage. Wie man im Falle da vorgehen wird ist noch nicht entschieden. Nächste Woche ist Oberpfarrerkonferenz. Danach wird wohl die Entscheidung fallen. Vorgearbeitet ist sei schon. Jansa hat hier im Haus erzählt, der Betreffende, dem er es gesagt hat, hat es mir selbst gesagt – er führe heute mit – Frau Nickel – nach Erfurt ins Ursulinerinnenkloster, um dort einen Vortrag zu halten!! Es sollte schon gestern sein; da hätte sichs aber zerschlagen. Ob sichs viell. heute auch zerschlägt?? Es wird immer sonderbarer hier oben 29

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»Am 19. Januar entschlief unser Kamerad Friedrich Sauckel, Träger des Goldenen Ehrenzeichens der NSDAP., der Vater des Herrn Reichstatthalters und Gauleiters Sauckel. Er war ein Vorbild der Treue! Die Nationalkirchliche Bewegung Deutsche Christen, Siegfried Leffler« (NaKi 7 [1938], 40). Vgl. Tgb. 26. Mai 1936. Paul Althaus, Politisches Christentum. Ein Wort über die Thüringer »Deutschen Christen«, Leipzig 1935; 21935.

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auf d. Pflugensberg. Frau Nickel ist für 6 Wochen in Eisenach. Es heißt, sie wollte angestellt werden. Die D.C. können es ja, ihre Grundsätze lassen das zu. – Ich soll nicht mehr für den V.D. übersetzen, sie hätten jetzt dazu Jemand »aus d. Bewegg.« Das wird wohl Frau Nickel sein. Aber das füllt sie ja nicht aus. Ich bin deshalb auf den Gedanken gekommen, daß sie vielleicht deutschchristliche Schriften ins Englische übersetzen soll??? Die würden schon gekauft werden. Die Engländer haben ja ein starkes Interesse f. d. deutschen Kirchenkampf. Hoffentlich übesetzen sie auch die Lehmannschen Schriften. Da sind d. Engländer gleich im Bilde. Times u. Daily Telegraph melden unterm 19.1., daß der Prozeß gegen Niemöller am 7. Febr. beginnen würde. Sie erinnern auch daran, daß Niemöller sich nach d. Waffenstillstand geweigert hatte, sein U-Boot nach Scapa Flow abzuliefern. Die Engländer, die nach d. Krieg ja nicht, wie wir, einen vollkommenen Umsturz der sozialen Verhältnisse erlebten, freuen sich offenbar immer wieder an dem »U-Boot-Kommandanten«, aus dem ein Pastor geworden ist.32 Ein deutsches Blatt aus Budapest, das heute einging, teilt Näheres mit. Es seien 2–3 Wochen für den Prozeß vorgesehen. N. hätte 3 Verteidiger, es seien zahlreiche Zeugen geladen. – Es ist klar, daß dieser Prozeß auch Ottos Schicksal entscheidet. Der Druck der Verfassg., an deren Neuausgabe ich jetzt mitarbeite, ist wieder aufgehalten worden u. zwar durch Franz. Es wurde mir gesagt, er hätte geschrieben, es müßten jetzt die 2 Gesetze erscheinen, die s.Zt. durch die 13. Durchführungsverordnung33 zurückgehalten worden seien. Sie seien damals schon fertig gewesen. Die sollen noch mit in die »Handausgabe«. Es wurde mir keine Andeutung gemacht, was das für Gesetze sein sollen, aber mir schwant Schreckliches. Es war doch mal – vor etwa einem Jahr u. länger – ein Schreckensgesetz geplant? Ob es das ist? Thüringen spielt nach meinen Beobachtungen wieder einmal eine Sonderrolle, auch in der Partei. Wir sollen »weltanschaulich« ein Musterstaat werden. Ich hatte mit Jansa einen Zusammenstoß, nachdem er am Montag früh die Andacht gehalten hatte. Er hatte wieder einmal auf die »Frommen« Steine geworfen, auch wieder die politische Verleumdung gebracht. Ich sagte ihm hinterher, er habe genau das getan, was er in seiner Andacht als verwerflich hinstellen wollte – näml. die Kluft zwischen Volksgenossen vertiefen, indem man immer wieder in die Kerbe haut – so könne nichts Neues werden … (das hatte er gesagt). Er blieb dabei, was er gesagt habe, sei richtig, obwohl er zugab, aus einem Privatgespräch verallgemeinert zu haben. Mir rissen die Nerven, ich sagte kein Wort mehr, drehte ihm kurz d. Rücken u. ging die Treppe hinauf. Einige Stunden später ein Brief von ihm. Er habe nicht die Bekenntnisgemeinsch. treffen wollen, er habe das Gespräch in einer deutsch-christlichen Gemeinde am Tag vorher geführt mit einem Mann, der zwar nicht D.C. gewesen sei, aber dem D.C.Pfarrer nahe stünde. Ich habe nicht geantwortet. Wenn d. Sache so liegt, hätte er umso mehr Grund gehabt, sich unmißverständlich auszudrücken.

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Vgl. dazu: Martin Niemöller, Vom U-Boot zur Kanzel; Schmidt, Martin Niemöller im Kirchenkampf, 11–15. Dreizehnte Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Sicherung der Deutschen Evangelischen Kirche vom 20. März 1937 (Dokumente zur Kirchenpolitik IV, 16).

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Am Montag (glaube ich) war im Landgericht die Verhandlg. in Sachen des Ev. Gemeindeblattes. Der Saal »wegen Überfüllung polizeilich geschlossen!« Aber unsere Sache soll nicht gut stehen34 infolge irgendeiner rein formalen Sache aus der Vergangenheit des Blattes. Am Sonnabend soll d. Urteil verkündet werden. Heute Abd. der 2. Vortrag von Otto in der Nikolaikirche (»Ich glaube an Gott den Schöpfer«). Vielleicht hören wir ihn zum letztenmal hier reden. Er war Dienstag Abd. nach Berlin gereist. Reichsmin. Kerrl hat eine Rede gehalten, aus der d. Zeitungen berichten: Weltanschauung sei dasselbe wie Religion! (Wehe den Pfarrern, die es nicht glauben!) Freitag, d. 28.I.38. [28. Januar 1937] Gestern Abend sprach O. in der Nikolaikirche sehr schön über den 1. Artikel u. die Schöpfungsgeschichte.35 Er las sie aus einer neuen Übersetzg. vor, herrlich. Dieser Anfang – einfach überwältigend schön. Wer das nicht versteht, dem ist nicht zu helfen. – Es waren mehr Leute da als beim ersten Vortrag, die Kollekte: 30,48 M, (das 1. mal 25 M.) Es war leider zieml. kalt in der Kirche. Obwohl 15 M für die Heizung bezahlt werden müssen war nur 1 Kessel geheizt worden, während für Gottesdienste immer 2 geheizt werden. Wir vermuteten Absicht. Wir gingen dann noch mit O. nach Hause. Was er uns aus Berlin erzählte, war trostlos. Die Lage ist so wie vor einem Jahr. Er u. Bauer [G.] seien zuerst im luth. Rat gewesen, da habe man ihnen die Lage schon als 100-prozentig aussichtslos geschildert, ihnen aber doch geraten, ins K.Min. zu gehen, wie sie beabsichtigt hatten. Dort seien sie (im Wartezimmer?) übrigens auch Franz u. Tegetmeyer begegnet. Stahn sei persönl. liebenswürdig gewesen; das sei er immer. Er könne nicht helfen. Die Bischöfe in Württemb. u. Bayern entließen die D.C., da könne man es nicht ändern, wenn die D.C.-Kirchenregierungen nun die B.K.-Pfr. entließen (das kommt davon, wenn man sich nicht an die Verfassg. hält u. beide Richtungen als gleichberechtigt in d. Kirche ansieht) usw. Ja, wenn man vor 2 Jahren Zoellner nicht so viele Schwierigkeiten gemacht hätte, da stünde die B.K. jetzt anders da! Das ist richtig. Man denkt mit Bitterkeit an die Haltung der preußischen B.K. Wir Thüringer sind zwar einen anderen Weg gegangen, (der führt aber wahrscheinl. zu demselben Ziel wie der der Preußen) – (wobei ich aber eingestehen muß, daß ich immer noch nicht ganz davon überzeugt bin, daß der Weg der Preußen ganz falsch gewesen ist. Der Niemöller-Prozeß wirds ausweisen. Aber die Preußen, besonders die Berliner, kämpfen vor der Weltöffentlichkeit – wer kümmert sich um Thüringen! Wir müssen uns in der Stille abmurksen lassen. Na, also das ist so ungefähr das, was ich mir gemerkt habe. Für die Staatsfeindlichkeit der B.K. glaubte Herr Stahn viele Beweise zu haben. Was die Herren so Beweise nennen. Wenn sie sich freilich in jedem Bibeltext zu erkennen glauben …! Ich erinnere

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Zur Auseinandersetzung um das Eisenacher Gemeindeblatt vgl. Tgb. 10., 17., 18., 21. September, 4., 15., 20., 21., 24., 28. Oktober, 2., 10. November 1937 und 20. Januar 1938. Gen 1–3.

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mich an ein deutschchristl. Schreiben, in dem eine Rede von Niemöller wiedergegeb. war – die D.C.-Auslegg. war grotesk. Das Bezeichnendste war, was O. aus Saalfeld erzählte. Halb 3 Uhr. Als ich heute Mittag fortging, tobte unten eine Schlacht. Ich hörte Lehmanns Stimme [in] d. großen Halle; er brüllte wie ein Stier. Es sei eine Deputation aus Zeulenroda bei ihm, wurde mir gesagt. – Gleichzeitig konnte ich nicht zu Volk, der mich sprechen wollte, weil Hertel-Themar36 bei ihm war. Zahlreiche jüngere Männer saßen außerdem in der großen Halle. – Als ich eben wieder zum Dienst kam, tobte die Schlacht immer noch. Die jüngeren Männer saßen immer noch in der großen Halle, sahen erbittert aus u. rauchten heftig. Ich erfuhr, daß sie aus – Mihla seien! Ich sprach sie an u. wies sie auf die Kantine hin. Aber gleichzeitig öffnete sich d. Tür zum Zimmer des Labi u. einige ergraute Männer schritten forsch heraus. Vielleicht sind die Mihlaer nun dran gekommen. Hoffentlich sind sie ordentlich wütend geworden. Sie sitzen seit 11 Uhr unten! Sie haben ja genügend Zeit gehabt, gegen Lehmanns Gebrüll abzustumpfen. V. hat heute lange diktiert. Spt. sagt dazu: »E. O. Es ist ihm nicht recht wohl dabei.« Derselbe hat ein Gespräch mit mehreren anderen in d. Zentrale u. gibt hinterher Auskunft, es hätte sich »um E. O.« gedreht. Der Name sei zwar nicht gefallen, aber er stünde dahinter. Sie wittern eine Gefahr. Also Saalfeld. Stüber ist dort gewesen, seine Rede – offenbar in der K.vertretg.– stenographiert worden. Es drehte sich um die Absetzg. von Pfr. Fischer.37 Die Mehrheit der K.vertretung sei für ihn eingetreten, dazu, man staune, der Kreisrichter der Partei. Trotzdem wird F. abgesetzt. Begründung aus d. Munde von Stüber: Weil der Staat erklärt, Pfr. Fischers Wirken sei »ihm abträglich!« Nach Stübers Rede sei eine Frau aufgestanden u. habe gesagt, man möchte doch noch einmal sagen, warum Fischer abgesetzt würde; sie hätte es noch nicht verstanden. Darauf antwortet Stüber noch einmal eindeutig: Weil es der Staat so wünsche. Man würde es dem L.K.R. noch einmal danken, daß er den Wünschen des Staates entspreche. (Versailles. Diese charakterlosen Kerle. Wenn sie ganz Thür. von B.K.-Pfarrern »gesäubert« haben, werden sie den Lohn bekommen, den sie verdienen.) Es ist nun klar, wohin der Weg für Thür. geht. Hoffentlich ist man überall so deutlich wie in Saalfeld u. häuft nicht noch unverdiente Verleumdungen auf die Fortgeschickten. Ein erfreuliches Wort fand ich heute in der »H.J.« Es war die Rede von der Jugendbewegg., der die meisten Führer der H.J. angehört haben. »Und wir würden es ihnen sehr verdenken, wenn sie das Nest beschmutzen wollten, dem sie entstammen.« (Ungefähr). Leider ist das ja schon reichlich geschehen. Immerhin – das sollte sich der L.K.R. hinter d. Ohren schreiben. Ich habe es rot angestrichen. halb 4 Uhr. Die Mihlaer sind drin, die Zeulenrodaer eben fort. Sasse ist da. Die Zeitungen berichten immer noch von einem Nordlicht, das vor einigen Tagen nachts in Deutschld. beobachtet wurde. Explosionen auf d. Sonne. Ob derartige Dinge 36 37

Zum Fall Hertel vgl. Biogramme. Zum Fall Pfarrer R. Fischer vgl. Biogramme.

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nicht doch auf die Menschen wirken und den sonderbar gereizten Seelenzustand erklären? Aus Berlin noch: Kerrl hätte am 23.12. eine Verordnung herausgeben wollen, die die Dinge ungefähr so regeln sollten, wie er sie mit dem luth. Rat besprochen hatte. Aber Juristen u. D.C. Thür. Richtg. [NkE] hätten derartig an ihr herumgestrichen, daß nichts übriggeblieben wäre u. er sie nun überhpt. nicht mehr herausgegeben hätte! Die Trenng., die durchaus vermieden werden sollte, wird jetzt durch Sauckels Eingreifen in Thüringen praktisch verwirklicht. Danach haben wir wieder die Religion, die vom Staatsoberhpt. des Landes befohlen wird, wie nach d. 30-jähr. Krieg. Aber leider kein Toleranzedikt. 5 Uhr. Nitzsch hat Volk in sr. Wohng. aufgesucht; deshalb warten wir hier vergeblich auf V. Er hätte neulich bei d. Rücksprache mit Nitzsch immer wieder ausgerufen: »Warum haben Sie bloß kein Vertrauen zu mir gehabt!!!« Sein altes Lied. Und dann: »Nun soll ich den Karren aus dem Dreck ziehen!« (Das erwartet sicher niemand von ihm). ( )c sagt heftig: »Warum gehen die nur immer wieder zu Volk!« Aber Nitzsch ist ja Mitte38; die verhandeln doch noch mit dem L.K.R. Und Volk ist ja persönlich, wenn der den Leuten gegenübersitzt, immer liebenswürdig. Redensarten macht er nur hinter d. Rücken. Die sind dann aber auch danach. Die Deputation aus Mihla sitzt immer noch im Zimmer von Lehmann. Es sei noch ruhig; es sei noch nicht gebrüllt worden. Bloß den Satz hat man von Lehmann gehört: »Ja, wir haben auch noch nicht zu Mittag gegessen!« Er hat sich aber heiße Milch u. Brötchen aus der Kantine kommen lassen. Morgen früh 9 Uhr wird im Landgericht das Urteil in Sachen des Gemeindeblattes verkündet.39 D. 29.I. Sonnabend. [29. Januar 1938] Der Prozeß Niemöller beginnt am 7.II. Am 1. Januar hat die Besetzg. der Gerichte (wohl der Sondergerichtshöfe?) gewechselt. Hat man deshalb den Prozeß hinausgezögert? Die Deputation aus Mihla ist gestern etwa um 5 Uhr weggegangen. Es ist die ganze Zeit über nicht gebrüllt worden. Montag, d. 31.I.38. [31. Januar 1938] Unten tobt die Oberpfarrerkonferenz. Sasse, Stüber u. Lehmann halten Vorträge. Danach Aussprache. Überall in d. Stadt wird man gefragt, wie es mit Otto steht, was die K.behörde plante. Ich sage dann immer, daß ich nichts weiß, auch nichts sagen dürfte, erzähle aber d. Geschichte aus Saalfeld40, die ich von Otto weiß. c 38

39 40

Strichzeichn. Frauenkopf mit Locken, steht für Hanna Linde, vgl. Übersicht Strichzeichnungen. »Neutrale«, »Pfarrer der Mitte«, ab 23. Juni 1937 auch »Wittenberger Bund«: Kirchenpolitische Gruppierungen unterschiedlicher Bezeichnungen zwischen BK und DC, von der in den Tagebuchaufzeichnungen ab 1935 immer einmal wieder die Rede ist. Zur Auseinandersetzung um das Eisenacher Gemeindeblatt vgl. Tgb. 10., 17., 18., 21. September, 4., 15., 20., 21., 24., 28. Oktober, 2., 10. November 1937, 20. und 27. Januar 1938. Fall des Pfr. Rudolf Fischer; vgl. Biogramme.

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Heute Mittag 12 Uhr Betriebsappell. Sasse hat sich etwas geleistet, wofür jeder B.K.Pfarrer unrettbar ins Gefängnis gekommen wäre – u. zwar wiederholte er Sätze von Kiel aus dessen Predigt gestern. Also ungefähr: Der Dank für das Geschehen vom 30. Januar. Kiel hätte – er fände klassisch – folgendes formuliert: Man sagte immer »Treue gegen Treue! Das genüge nicht. Es müsse heißen: Treue gegen Untreue«, denn es gingen Dinge vor, die mit der Treue aus der Kampfzeit nicht vereinbart werden könnten. Das führte er in ähnlich scharfen Wendungen weiter aus! Er irrt sich. Das ist, so wie er es darstellte, hündische Treue. Die wahre Treue beweist sich nicht darin, daß man widerspruchslos u. schweifwedelnd überall mitläuft, sondern daß man dem anderen den rechten Weg zeigt, nötigenfalls mit ihm ringt, auch wenn man sieht, daß es den eigenen Untergang bedeutet. – Der Kreisleiter hätte diese Rede hören müssen! Wenn man den and. klassischen Ausspruch von Sasse dazu hält: »D. Regierg. mißt mit zweierlei Maß«, so muß man sagen, das ist allerhand. Stimmungsbericht aus d. Ob.pfr.konf. »Erst haben sie so ein ›Marschlied‹ gesungen, aber es klang sehr dünn, ich glaube, sie konnten es nicht, u. dann haben sie gebetet, ich glaube, sogar das Vaterunser, u. dann haben sie gesungen: ›Ach, bleib' mit Deiner Gnade.‹ Und währenddessen stand Leutheuser vor der Tür u. horchte u. sagte: »Ach, das alte Lied, das paßt garnicht hinein.« Stüber brüllt fürchterlich. Trotzdem kann man in d. kl. Halle nicht verstehen, worum es sich handelt. Dienstag, d. 1.II.38. [1. Februar 1938] Die Obpfr.konf. ist heute Mittag 1 Uhr zu Ende gegangen. Gestern Abd. »Kameradschaftsabend« im Kaiserhof auf Kosten des L.K.R., ebenso heute früh ½12 das Frühstück. Das war noch nie da. Wir hier im Haus haben über den Verlauf nichts gehört. Ich sah Franz in d. großen Halle; er ignorierte mich. Aber ich traf Frl. Koeppen. Sie erzählte, es sollte mit eisernem Besen gekehrt u. alles entlassen werden, was politisch irgendwie verdächtig (d.h. B.K.) sei. Was sie darunter verstehen, sieht man am Falle E. O. Wenn einer aber die Parole »Treue gegen Untreue« prägt, so ist das so ungefähr der schlimmste Vorwurf, der erhoben werden kann. Nie hat ein Bek.pfr. Etwas annähernd Ähnliches gesagt. Aber Kiel u. Sasse dürfen das sagen, weil es niemand anzeigt. – Es sei den Obpfrn gesagt worden, sie sollten sich der entlass. jungen Amtsbrüder annehmen – seelsorgerlich? Man kann nur lachen. Man kann nur hoffen, daß es so toll kommt, daß es zum Skandal wird. 3. Febr., Donnerstag. [3. Februar 1938] Ebenso wie gegen O. wird jetzt auch gegen Bauer [G.]-Gotha eine Anklage vorbereitet. Er hätte eine goldene Hochzeitsbibel irgendwohin im Namen des »Bruderrates« gestiftet. Das ist wahrscheinlich »Ausübung kirchenregimentlicher Befugnisse«.41

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Vgl. Biogramm Pfr. Gerhard Bauer.

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Im K. Anz., den ich aber noch nicht bekommen kann, erscheint das neue Gesetz über die »Bezirksämter«, von dem seit Wochen das ganze Haus flüstert.42 In d. »Nationalkirche« wird bekannt gegeben, daß der badische Oberkirchenrat beschlossen hat, keine nationalkirchlichen Vikare mehr anzustellen.43 Darunter schreiben sie: »Kamerad, wer Ehre im Blute hat, der stellt sich frei u. fromm ins Glied.«44 Die Trennung wird verwirklicht. Nur ist da ein klarer Unterschied. Baden wirft die hinaus, die ihrem Glauben untreu sind, Thüringen wirft die Treuen hinaus. Die Kirche in Baden ist in Wahrheit die verfolgte Kirche. Bezeichnenderweise veröffentlicht der Thür. L.K.R. seine Erlasse nicht in seinem eigenen Blatt. Heute schwedischer Artikel mit gutem Bild von Niemöller, offenbar über den kommenden Prozeß. Auch ein Artikel aus einer finnischen Zeitg. Nur im Völk. Beob. wurde (übrigens) in einer Wendg. die kirchliche Feier am Grabe von Bernd Rosemeyer erwähnt. In den Berichten der Thüringer Zeitungen wurde sie verschwiegen. Der junge Köth, der d. Gold. Parteiabzeichen45 hat, aber nicht D.C. ist, ist nach Gotha gegangen da er hier im L.K.R. nicht Beamter, noch nicht einmal aufgruppiert werden sollte!!! Er verdient jetzt viel mehr u. heiratet übermorgen. Man fragt sich, wie die D.C. in diesem Fall ihre Haltg. begründen wollen. Die ganze Zerrerei ist qualvoll. Vor einem Jahr standen wir genau da, wo wir heute stehen. Der Leiter der ev. Kirche in Östreich, Sup. Heinzelmann, ist wegen eines Hirtenbriefes zum neuen Jahr, in dem er gegen den »Mythus«46 Stellung genommen hat, zurückgetreten.47 Er entschuldigt sich wegen des Ausdrucks »Führerschaft«. Er hätte nicht den Führer, sondern Rosenberg gemeint. (Sollten die alle schon D.C. sein? Ja – wer nicht weiß, was da alles vorgeht, kann sichs ja nicht vorstellen. Im Ausland wird eben so viel aufs 3. Reich geschimpft, daß überhaupt nichts mehr geglaubt wird).

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Gesetz über die Neueinteilung der Kirchenkreise und die Errichtung von Kreiskirchenämtern. Vom 30. Januar 1938, ThKbl/A 3/1938, 5–6. Das Gesetz sprach allerdings nicht von »Bezirksämtern«, sondern von »Kreisämtern«, allerdings von neu einzurichtenden. NaKi 7 (1938), 47. »Kamerad! Wer Ehre im Blute hat … , in: Aufwärts zu klingenden Weiten! Liederbuch für die deutsche Jugend in Kirche – Schule – Haus, zusammengestellt von Max May, Weimar 1936, 18 = Kirchenbewegung Deutsche Christen, Liedblatt Nr. 6 [Faksimile]. Das Goldene Parteiabzeichen [»Ehrenzeichen der nationalsozialistischen Bewegung«] wurde verliehen an Mitglieder unter der Nr. 100 000 (vgl. Enzyklopädie des Nationalsozialismus). Rosenberg, Der Mythus des 20. Jahrhunderts, 1930. Es handelt sich offenbar um den Neujahrshirtenbrief des Superintendenten D. Heinzelmann in Villach, im Auszug abgedruckt in: JK 6 (1938), 81–82, allerdings ohne den inkriminierten Passus. Vgl. auch die Mitteilung in NaKi 7 (1938), 47: »Die Tagespresse meldet unter dem 23. Januar [1938]: ›Superintendent Heinzelmann, der schwer erkrankt ist, hat seine Stellung als Vertrauensmann der evangelischen Kirche Österreichs niedergelegt. Er führte seit Jahren die Verhandlungen im Namen der evangelischen Kirche mit der Regierung der Vaterländischen Front. Man bringt seinen Rücktritt mit seinem letzten Neujahrshirtenbrief in Verbindung, in dem er zu den kirchlichen Auseinandersetzungen im Deutschen Reich in einer Weise Stellung nahm, die von dem größten Teil der österreichischen Protestanten nicht gebilligt wurde.‹«

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Im neuen Kirchl. Anz. Ausgabe B (Nr. 3/38) wird ein Schreiben von Kerrl an Bauer [G.] bekanntgegeben, mit dem die Veröffentlichg. des L.K.R. vom 13. Dez. 3748 gutgeheißen wird.49 Damit wird d. Schreckensregiment in der Kirche, das der Wahlbeschluß des Führers vom 15.II.37 aufgehalten hatte, sanktioniert. Der Führer ist damit desavouiert worden. In Nr. 3 Ausg. A erscheint das neue Gesetz, das die Kreisämter u. K.krstage aufhebt u. das ganze Kirchengebiet neu einteilt.50 Die Bezirke sollen sich mit denen der Finanzämter decken. Man sieht die Absicht. Eine neue Verordng. regelt d. Kollekten bei kirchenmusikal. Aufführungen.51 Der Labi soll in Berlin sein u. jeden Tag Vorträge halten über dtsch. Christentum. 6 Uhr abends. Ich erfahre eben: O. hat seit heute nachmittag den Brief, mit dem er in den Wartestand versetzt wird.52 Zenker persönlich hat ihn in den Konfirmandensaal gebracht. Ich saß gerade bei Volk, als Zenker die Tür öffnete u. sagte: »D. Auftrag ist ausgeführt.« Da wußte ichs noch nicht, worum es sich handelte. 3. Februar. Ich möchte heulen u. werde es auch heute noch tun. (Habe es nicht getan!) ¼ Stde später. Also die Sache ist noch etwas anders. Amtsenthebung, Wartestand (ab 1.6.). Aber gleichzeitig Eröffnung des Dienststrafverfahrens. Das war im 1. Entwurf nicht vorgesehen. Sonnabend, d. 5.II.38. [5. Februar 1938] Heute früh im Haus große Aufregung. Blomberg und Fritzsch sollen von ihren Posten »zurückgetreten« sein, Göring Generalfeldmarschall, Papen, Hassell u. v. Dirksen (Wien, Rom u. Tokio) abberufen, Ribbentrop Reichsaußenminister, Neurath »Chef des geh. Kabinetts« (was ist das?), Reichstag einberufen zum 20.53 Btz. hat die ganze Zeit behauptet »Es geht was vor! Die Atmosphäre …« In der Kantine wurde vom 30.6.34 geredet.54 Was bedeutet das alles? 48 49

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52 53 54

Vgl. Tgb. 20. Dezember 1937. Schreiben des Reichs- und Preußischen Ministers für die kirchlichen Angelegenheiten an Pfarrer Gerhard Bauer vom 21. Januar 1938: »Auf das Schreiben vom 7. Januar 1938. Ich habe keine Veranlassung die Veröffentlichung des Landeskirchenrats vom 13. Dezember 1937 im Thüringer Kirchenblatt Nr. 24 von 1937 zu beanstanden. Die Ausführungen sind zutreffend« (ThKbl/B 1938, 11). Gesetz über die Neueinteilung der Kirchenkreise und die Errichtung von Kreiskirchenämtern. Vom 30. Januar 1938, ThKbl/A 3/1938, 5–6. »Kirchensammlungen im Jahre 1938. In Ergänzung unseres Kollektenplans für das Jahr 1938 vom 10. Dezember 1937 (Kirchlicher Anzeiger S. 136) bestimmen wir: In gottesdienstlichen Feierstunden, die der Pflege der Kirchenmusik dienen (z.B. Motetten, Bachkantaten, Passionsmusiken und dergl.) ist die dabei veranstaltete Sammlung für die Pflege der Kirchenmusik am Orte zu verwenden. Ziffer 23 des Kollektenplans bleibt hiervon unberührt. Eisenach, den 19. Januar 1938. Der Landeskirchenrat. Lehmann i. A.« (ThKbl/B 1938, 12). Otto wurde mitgeteilt, dass seine Versetzung in den Wartestand beabsichtigt sei. Zum Fall Otto vgl. Biogramme. Zu diesen Personalvorgängen vgl. Domarus II/1, 780–785. Die Tagebuchschreiberin nimmt hier Bezug auf den Ausschluß Röhms aus SA und Partei sowie auf seine Ermordung; vgl. Tgb. 8. Juli 1934.

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¼ Std später. Eine Erschütterg. wie am 30.6.34. Lehmann sei eben strahlend angekommen: »Sasse, Mensch, er ist gestürzt! Fritzsch ist gestürzt!« Darauf Sasse: »Ach was, gestürzt, er ist zurückgetreten! Jetzt kommts, jetzt kommts! Ein Vetter von mir ist in Berlin bei einer Bank, der ist gestern Abd. noch zu mir gekommen u. hat mir alles erzählt« (Sasse ist heute Nacht aus Berlin zurückgekommen). Jetzt kommt der Bruch der Partei! Kirche u. Partei so. (Er bezeichnet d. Bruch mit d. Händen). Der ganze Osten von Berlin soll schon v. d. Partei abgefallen sein!« Jemand anders macht darauf aufmerksam, daß der Reichstag erst in 14 Tagen einberufen würde, nicht jetzt gleich, u. daß das darauf hindeutet, daß wir bis dahin noch manches erleben werden. Mir fällt ein, daß die »Times« vor kurzem mitteilte, Offiziere u. hohe Beamte der Wehrmacht hätten wegen Niemöller eine Eingabe an Hitler gemacht. Ich glaube, so war das wohl nicht. Dagegen hörte ich von einer Seite, die Beziehungen zu militärischen Führern hat. Von anderer Seite wird mir jetzt erzählt, Blomberg u. Fritzsch hätten eine Eingabe gemacht des Inhalts, sie könnten nicht mehr für das Heer einstehen. Wenn »das« so weiterginge. (Was?). (v. K.) Dazu stimmt d. Nachricht, daß der Führer selbst (soll) die Strafgewalt im Heer übernommen hätte. Gestern ging d. Nachricht durch d. kirchl. Presse, die Haushaltszählungen in Berlin im Herbst hätten ergeben, daß 90% der Bevölkerung kirchentreu seien. 95% evangel., 15% kathol. In Sachen Otto seien gestern dicke Akten fortgeschickt worden. Was wird ihm noch geschehen? Von Sasse kommt die Mitteilg., daß es bei der Beerdigg. von Rosemeyer zu Konflikten gekommen sei.55 Die SS. hätte eine kirchl. Beerdigg. nicht mitmachen wollen, Frau Rosemeyer (Elly Beinhorn) aber hätte darauf bestanden; sie sei bereit gewesen, auf die SS zu verzichten. (D. Füllkrug-Dahlem hat ihn beerdigt). Daß die Wehrmacht, wie d. kirchl. Presse meldet, jetzt dazu übergeht, eigene Geistliche anzustellen, liegt wohl auch in dieser Linie. Wir sehen aus alledem, wie wenig wir wissen! Die Kirchenräte sitzen zusammen und flüstern. Ich lese eben »Protestantenblatt« Nr. 6 v. 6.II. mit Nachricht aus Östreich – Rücktritt des Sup. Heinzelmann pp.56 Ob das nicht alles die kleinen äußeren Zeichen sind für das, was unter der Decke vorgeht? Papen? Gehört in diese Linie auch der Vortrag v. Lietzmann in d. preuß. »Akademie« über »D. Anfuge [sic! Anfänge?] des Problems Kirche u. Staat.« Langer Bericht darüber in d. Frankf. Ztg. v. 29. Jan. Anfang der Woche hat sich hier im Haus folgendes ereignet: Es soll ein Schreiben der Reichskirchenkanzlei eingegangen sein, in dem angeordnet wird, daß »alles« erst nach Berlin ginge (bevor es erledigt wird? Gesetze?) Darauf Sasse wütend: »Ach was, 55 56

Vgl. auch Tgb. 3. Februar 1938. Protestantenblatt 71 (1938), 94.

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Reichskirchenkanzlei! Wir sind selbst Reichskirche57!« (Die Quelle ist ganz zuverlässig). Neue Nachricht aus d. Haus: Die ganze ausländische Presse ist ab heute verboten!!! (Stimmte nicht). Da hinein der Niemöllerprozeß am 7. – etwa 3 Wochen Dauer vorgesehen. Später. Unten hat mir aus d. Stadt ein Blatt mitgebracht, in dem die Zusammensetzg. des »Geheimkabinetts« gemeldet wird. Sasse hat es eben Spt. weggerissen. Ist das eine Regierg. u. Neurath Ministerpräsident? D. 5. Febr. [5. Februar 1938] Die ganze ausländ. Presse scheint seit 8–14 Tagen von der bevorstehenden Krise in Deutschland gesprochen zu haben. Wir spürten nur die Siedehitze – aber nicht einmal die üblichen Gerüchte hatten sich zu irgendeiner greifbaren Nachricht verdichtet. Wir tappen doch völlig im Dunkeln! Volk wollte am Niemöller-Prozeß teilnehmen, weil er das, im Hinblick auf die kommenden Disziplinarverfahren in Thüringen, für wichtig hielt. Er hatte bereits d. Billet u. d. Reisekosten. Auch Sasse wollte gestern nach Berlin fahren. Beide sind nicht gefahren. Wir sitzen nun hier u. rätselraten. Ist der Prozeß verschoben? Hat man bloß V. vor d. Kopf gestoßen oder was sonst? Hier im Haus werde ich von Freunden gefragt, was der Umsturz in Berlin bedeutet – in einem Ton, der ungefähr besagt: »Sie wissen wohl auch nichts?« Das kann ich nur bestätigen. Es ist ein sonderbares Gefühl. Ich schrieb noch nichts vom B.K.-Abend am Freitag (4.II.). Auch Bauer [G.]-Gotha58 ist amtsenthoben u. ebenso Groß-Rüdersdorf.59 Bauer [G.] hat den Brief am Donnerstag früh schon bekommen. Grund sr. Entlassg.: Er hat eine goldene Hochzeitsbibel nach Rüdersdorf im Namen des »La. Bruderrates« gestiftet. Das ist »Anmaßg. kirchenregimentlicher Befugnisse.« Tatsache. Wegen dieser Bibel ist auch Groß amtsenthoben. Dienstag, d. 8. [8. Februar 1938 I60] Einzelheiten vom B.K.-Abend. Es war sehr voll. Als Otto kam, begrüßten ihn Viele mit Zuruf. Er lachte, scherzte, kam so durch die Reihen, drehte sich dann um u. sagte lächelnd: »Es freut mich, daß ich Ihnen Freude gemacht habe! Das wollte ich schon immer: Den Menschen Freude machen!« Wieder allgemeine Heiterkeit. Ich mußte daran denken, wie anders die D.C. sich ein solches Entree bei einer solchen Gelegenheit vorstellen werden. O. sprach dann von d. Lage, schilderte ausführlich seinen Fall, da die Gemeinde ein Recht habe, das zu wissen. – Kleine Einzelheiten daraus: Man hatte ihm u.a. vorgeworfen, es hätten Leute vor Entrüstg. über seine Abkündigg. die Kirche verlassen. Dazu er: »Kann schon sein. Aber das passiert ja auch Anderen. K.Rat Lehmann hat neulich in 57 58 59 60

Darin drückt sich das Selbstverständnis der NkE aus, mit ihren reichsgemeindlichen Strukturen gewissermaßen jetzt schon als Nationalkirche = Reichskirche zu wirken. Zum Vorgang vgl. Biogramme. Zum Vorgang vgl. Biogramme. Unter diesem Datum finden sich zwei Eintragungen.

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Zeulenroda anstelle eines B.K.-Pfarrers (Hilfspfr.?) einen D.C.-Vikar ordiniert. Da haben 200 Menschen die Kirche verlassen!« Stüber hat vor einiger Zeit schon in Vacha verkündet, daß O. in den Wartestand versetzt würde. Zum Schluß des Abends war Aussprache. Es kamen Vorschläge aus der Gemeinde, was man tun könnte. Frl. v. Ranke u. Frl. Helmbold fanden, es ei enttäuschend gewesen. Ich fand es gut. Die Leute gehen ja nur langsam an so etwas heran. Das muß sich erst entwickeln. – (60 M Kollekte!) Das Volk ist tief aufgewühlt durch die Vorgänge in Berlin, von denen Niemand sich ein Bild machen kann.61 Es klingt alles beruhigend, aber diese Nachrichten werden kaum geglaubt. Man sieht, wie innerlich wund das Volk ist. Die Tatsache, daß die Reichstagssitzg. solange hinausgeschoben ist, wirkt besonders beängstigend. Frl. v. R. [Ranke] hat ihre 4 Mädchen am Sonnabend in d. Küche in Tränen gefunden, wegen der Vorgänge in Berlin u. allerdings auch wegen O. Ich kaufte gestern die Wiener »Freie Presse«. Was von Auslandsstimmen da wiedergegeben wurde, klang beruhigend. Als wahrscheinliche Ansicht von Francois Poncet aus der französ. Presse: Das Militär hätte seine wesentlichen Positionen behalten, die Partei ihre Ziele nicht erreicht. Heute ist d. »Temps« verboten wegen eines blutrünstigen Berichtes, nach dem angeblich alle führenden Männer in Deutschld. sich gegenseitig umgebracht hätten. (D. Nachricht von einem allgem. Verbot der ausländ. Zeitungen war falsch). – Daß mehr vorgeht, als wir erfahren, ist ja klar, auch wenn d. Temps gelogen hat. Man versucht, sich gegenseitig zu beruhigen. Wir wissen jetzt auch, warum Volk u. Sasse nicht nach Berlin gefahren sind. Der Niemöller-Prozeß wird vollkommen unter Ausschluß der Öffentlichkeit geführt! Nicht mal Vertreter des K.ministeriums seien zugelassen. Franz kann infolgedess. auch nicht dabei sein. 8.II.38., Dienstag. [8. Februar 1938 II62] Daß es augenblicklich auch in diesem Tagebuch durcheinander geht, ist kein Wunder. Ich muß noch etwa nachtragen vom vorigen Donnerstag, an dem O. seine Amtsentsetzung mitgeteilt wurde.63 O. hatte die Nachricht nachm. etwa um 5 Uhr bekommen u. dann dem Oberpfarrer mitgeteilt, daß er die Absicht hätte, die Bibelstunde noch zu halten. Das hatte Stier verboten. »Unmöglich! Das kann ich dem L.K.R. gegenüber nicht verantworten.« Als wir dann ankamen, empfing uns Frl. Helmbold vor d. Haustür. Sie dürfte im Gemeindesaal 10 Min. zu uns sprechen, das hatte sie d. Obpfr. abgerungen, der erst nicht hatte erlauben wollen, daß wir überhpt. den Saal betreten! Es ist lächerlich. 61

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Eine positivere Wirkung der Maßnahmen wird von bei Domarus mitgeteilt: »Die deutsche Öffentlichkeit war von Hitlers Maßnahmen, die am 4. und 5. Februar bekanntgegeben wurden, aufs höchste beeindruckt. Seit der Röhm-Affäre hatte kein Ereignis ein solches Aufsehen hervorgerufen« (Domarus I/2, 787). Unter diesem Datum finden sich zwei Eintragungen. Vgl. Tgb. 5. Februar 1938.

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O. hat an die Konfirmandeneltern geschrieben u. sie auf die Möglichkeit aufmerksam gemacht, die Konfirmanden zu einem anderen Pfr. zu geben. Etwa die Hälfte scheint davon Gebrauch gemacht zu haben. Es sind heute auf d. L.K.R. etwa 2 Eingangsmappen voll Briefe angekommen, die sich über die Amtsentsetzung von Otto, Bauer [G.] u. Groß beklagen.64 O.s waren heute in Gotha. Bauer [G.] hatte selbst seine Konfirmandeneltern zusammengerufen u. zu ihnen gesprochen. Danach hatte der Oberpfarrer Schöne die Eltern eingeladen u. es waren etwa 200 Menschen gekommen.65 Der Küster in SSSturmführeruniform neben dem Obpfr. Bauer [G.] hat eine Arbeitergemeinde. Da war es nun anders zugegangen wie in dem vornehmen Eisenach-Süd. Es war eine richtige kleine Revolution geworden. Sie hatten den Ob.pfr. per »Du« angeredet: »Erst holt Ihr uns wieder in die Kirche rein u. dann nehmt Ihr unsern Pfarrer weg. Den wollen wir behalten, der ist schon in d. Hungerzeit bei uns gewesen u. hat uns geholfen« u.s.w. Wir wissen nun, weshalb Sasse u. Volk nicht zum Niemöllerprozeß gefahren sind. Er findet unter Ausschluß der Öffentlichkeit statt – u. zwar scheint dieser Ausschluß sehr streng zu sein. Franz hat gestern Abd. noch angerufen, es wäre fraglich, ob überhaupt ein Landeskirchenführer hineinkäme, er selbst könnte auch nicht hin, ich verstand sogar, kein Vertreter des K.min. O. hatte Nachricht, der Straßburger Sender berichtete üb. d. Prozeß. Es hätte sich gestern am Eingang eine große Menschenmenge gestaut, die nun heute weggeblieben sei, da niemand eingelassen würde. Goebbels u. Kerrl wurden als Zeugen genannt. V. hat einen unglaublichen Brief an den K.Rat Otto [R.] geschrieben, der in seine Seelenverfassg. einen Blick tun läßt. Die Frau Nickel ist abgetan. Sie hat im V.D. gearbeitet. Dr. Brauer ist stutzig geworden u. hat sich bei V. nach ihr erkundigt. Darauf ist V. mit Br. zusammen noch einmal bei Sasse gewesen. (Die Angestellten im V.D. sollen sich auch über sie beklagt haben). Es hat sich herausgestellt – was aber mir ganz geheim weitergesagt worden ist, daß sie ein Kind von einem kathol. Priester hat! – Und ihr hat Sasse sein Herz ausgeschüttet. Es ist aber den Kirchenräten nicht gesagt worden, was sie alles geschwatzt hat. reitag, d. 11.II. [11. Februar 1938] Gräßliche Tage. Morgen zu allem auch noch die letzte Jahresversammlung der Th.G.G. mit bedenklichen Vorzeichen.66 Stüber macht sich hier im Haus sonderbar bemerklich. Erstens soll er einen unglaublichen Brief »an alle Obpfr.« losgelassen haben, der schwer beanstandet wird von V.67 2. hat er die Beamten u. Angestellten geärgert durch einen Umlauf, der die Unpünktlichkeit bemängelt (u. hat damit in Volks Ressort eingegriffen.)

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Die Protestbriefe füllen einen ganzen Aktenordner (LKAE, G 809, Beiakten II, 1938), u.a. Eingabe von Eisenacher Gemeindemitgliedern an den LKR der TheK »im Februar 1938« (ebd. 75). Bericht über den Konfirmandenelternabend am 6. Februar 1938 im Gemeindehaus Gotha, LKAE, LBG 86, 66. Zur bevorstehenden Auflösung der Th.G.G. vgl. Tgb. 3. Dezember 1937. Schreiben des LKR der TheK an die Oberpfarrer vom 7. Februar 1938 LKAE, Sammlung Rundschreiben, 73.

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3. hat er gestern, entgegen den Bestimmungen, durchgesetzt, daß ohne Erlaubnis von Tegetmeyer eine Zahlg. von 1000 M an Pfr. Düll gegangen ist, einen Pfr., der seinerzeit wegen Unterschlagg. sein Pfarramt verloren hatte.68 Augenblicklich ist er aber wohl wieder eingestellt u. hat schon wieder 7000 M Schulden beim L.K.R. Er scheint das gold. Ehrenzeichen zu haben (nach einer Randbemerkg. von Kuhles), das erklärt vieles. Stüber sagt am Telephon, es sei ihm ganz egal, was Tgm. für Weisungen gegeben habe, er verlange, daß das Geld geschickt werde! Darüber läßt sich V. folgendermaßen aus: »Ach, wenn ich doch »denen« den ganzen Kram hinschmeißen könnte! Die sind ja hier immer »getarnt«, diese heuchlerische Gesellschaft, haben ja immer noch irgendetwas im Hintergrund, sagen einem nie die Wahrheit. Seit der Obpfr.konferenz hat Stüer den Größenwahn. Ich glaube, für Sasse haben sie einen Posten in einer ihrer anderen von »ihren« Landeskirchen, u. dann soll wohl Stüber hier Landesbischof werden usw.« Es könnte so sein, daß Sasse hier nach d. Krach mit d. Kreisleiter69 u. viell. auch mit Sauckel nicht mehr möglich ist (er trägt seit Weihnachten tatsächlich das Parteiabzeichen nicht mehr), wir erfahren ja so wenig, u. daß er deshalb die Treppe hinauf fallen muß. Volk ist, nach seinen eigenen Angaben, derjenige gewesen, der die Maßnahmen gegen Otto schließlich beschleunigt hat, als die anderen eigentlich schon nicht mehr recht wollten. Mir wird gesagt, daß der L.K.R. eben auch keine rechte Einheit sei, daß einer von dem, was der andere täte, nichts wüßte usw. (wie es ja nicht anders sein kann in einer Behörde, in der die meisten Mitglieder ständig unterwegs sind.) Sasse sollte aus Berlin zurück sein; man hat aber nichts von ihm gehört. Es soll dort über eine Thüringer landeskirchl. V.O. oder ein Gesetz der Th. Kirche entschieden werden: »Treueid auf den Führer«70 oder so ähnlich. Es sollte längst herausgekommen sein, ist vom 30.1., u. aus mir unbekannten Gründen verzögert sich die Herausgabe. Stüber hat unten in sr. Wohng. 2 Stenotypistinnen sitzen u. erklärt, er könnte einen Regierungsrat beschäftigen. Irgd. was wegen Sonnebg. Es ist wirkl. ganz auffallend, wie er sich plötzl. vorkommt. Er hat ein Schr. »an alle Oberpfr.« herausgehen lassen, das im Inhalt auffallend u. unvorsichtig u. im Stil sehr salopp ist. Er sucht darin nach Material (gegen B.K.-Pfarrer ?) u., wie es scheint, bekommt er weniger als er erwartet hat. (Volk ist außer sich über dieses Schreiben u. auch andere haben d. Kopf geschüttelt).71 Heute erinnerte mich Jemand an den V.D.-Mitarbeiter Poppe, den ich lange nicht gesehen u. infolgedessen ganz vergessen hatte. Er sei irgendwo »stationiert«, wohl in Mecklenburg, bekäme sein Gehalt aber noch von der Thür. L.K.Kasse. Kürzlich sei ein 68

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Die Schuldenlage des Pfarrers Düll füllt einen ganzen Aktenordner. Es handelt sich dabei aber um ein persönliches Problem des Pfarrers und hat kaum etwas mit der Kirchenkampfsituation in Thüringen zu tun. Vgl. Tgb. 3., 13. und 21. Januar 1938. Das Gesetz erschien nur wenige Tage später: Gesetz über den Treueid der Geistlichen und der Kirchenbeamten der Thüringer evangelischen Kirche vom 14. März 1938, ThKbl/A 1938, 11. Es handelt sich wohl um das oben bereits angesprochene Schreiben Stübers.

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Brief von Stüber an ihn gegangen mit der Anfrage, wie er dazu käme, sich in den Haushaltungslisten als – gottgläubig72 zu bezeichnen! (Das ist der Mann, der sich in sr. Vermählgs.-Anzeige als »Regierungsrat« bezeichnet hatte.73 Wahrscheinlich hat man ihn nun irgendwohin verbannt, wo die Leute diese Geschichten nicht kennen. Auch der Angestellte od. Beamte des V.D. Ludwig lebt in Bayreuth u. bezieht sein Gehalt aus Eisenach. Der V.D. sei leer, so wurde mir gesagt, die Angestellten arbeiteten meist in der »Luisenstraße« (Büro der D.C.) Leutheuser kam heute hier an, suchte überall nach Sasse und anderen »Kameraden«, fand keinen u. erkundigte sich dann stürmisch, ob »das Telegramm an Streicher nach Nürnberg abgegangen sei«. (Streicher hatte am 12.II. Geburtstag!) O.s Akten sind neulich nach Jena geschickt worden. 15. Febr., Dienstag. [15. Februar 1938] Im vorigen Jahr war der 15.II. ein Montag. Das war der Tag, an dem unsere Machthaber die Fahrkarten nach Berlin schon in d. Tasche hatten u. auf Wolken gingen. Mittags erlebte ich den Augenblick, als der Postbote kam u. 3 oder 4 Telegramme brachte: »Nicht kommen. Kerrl.« Naso prophezeite. Und siehe da – am nächsten Morgen – das Wunder! Dieses Jahr – ?! Wir fragen uns, was der 20. mit der Reichsstagsrede des Führers bringen wird.74 Viele sagen: Krieg! Der Völk. Beobachter bringt heute auf der 1. Seite einen scharfen Artikel gegen Frankreichs deutschfeindliche Haltung. Stalin kündigt die Weltrevolution an! (Wird ebenfalls im V.B. 1. Seite gebracht.) Militärdiktatur in Rumänien, Unfreundlichkeiten gegen Italien in England, in allen Londoner Kirchen wird für Niemöller gebetet (Privatnachricht). Die Kirchenversammlung in Westminster wird mit einem stillen Gebet für Niemöller eröffnet (engl. Pressenachricht aus einem Brief), die Kirchenversammlg. in Westminster wird mit einem stillen Gebet für Niemöller eröffnet (engl. Pressenachricht). Der Niemöller-Prozeß ist am 2. Verhandlungstag bis zum 19. (Sonnabend) vertagt worden u. alle Welt ist nervös. Morgen soll in d. Stadt eine Unterschriftensammlung für ein Gesuch an den L.K.R. wegen der Wiedereinsetzung Ottos in sein Amt stattfinden. Man fürchtet, daß der L.K.R., wenn ers erfährt, die Sache inhibiert. Die Helferinnen sind deshalb instruiert worden, nur am Mittwoch zu sammeln. Trotzdem ihnen das immer wieder eingeschärft worden ist, laufen 4 von ihnen doch bereits heute herum. Frl. v. R. [Ranke] erzählte es mir, sie war außer sich. Es ist fraglich, ob wir überhaupt viel Erfolg haben. Die Leute sind gerade in diesen Tagen verängstigt. Wegen der kommenden Reichstagsrede des Führers, von der niemand ahnt, was sie bringen wird. Wir hören nur, daß d. Ausland die tollsten Schauermärchen über Revolten in Deutschland u. Meutereien beim Heer verbreitet, Straßenkämpfe sollen in allen möglichen Städten stattgefunden haben. Wir sitzen indessen friedlich hier u. wissen von nichts.

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Vgl. Anm. 479 von 1937. Vgl. Tgb. 28. April 1936. Die Rede wurde am 20. Februar 1938 gehalten; vgl. Domarus I/2, 792–804.

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D.h. friedlich – das auch gerade nicht, wenigstens nicht beim L.K.R. Stübers unglaubliches Rundschr. an alle Obpfr. v. 7.II.75 zeigte ja die Marschrichtg. Heute Sitzg. des L.K.R. Die Tagesordnung nennt viele Namen von Pfarrern,76 natürl. E. O. an der Spitze. Auch Guida Diehl, die jetzt ihrerseits gegen Leff[ler] und Leu[theuser] wegen Verleumdung klagt.77 Von einem neuen Gesetz »Treueid auf den Führer«78 ist die Rede, das abgeändert werden soll, damit 11 (elf) Kirchen es annehmen können. In dieser Sache wurde heute per Telephon in der Kirchenkanzlei angefragt. Von diesen »11 Kirchen« hörte ich zuerst durch Frl. Girkon. Ein Hilfspfr. aus Schlesien, D.C., hätte ihr erzählt, 11 Kirchen täten sich jetzt mit den Thüringern zusammen, auch Bischof Zänker in Schlesien, obwohl B.K., müßte mitmachen. Darüber erzählte uns Otto am 13., Sonntag, Abend. Es war ein kleiner Kreis bei ihm, 16 Personen. Er war 2 Tage in Berlin gewesen. Um die Lage zu schildern, verlas er eine Mitteilung aus Rosenbergs Büro über die kirchl. Lage (an Rosenbergs Vertrauensleute oder so. Wohl nicht vertraulich). D. 16. Febr. [16. Februar 1938] Es wurde in diesen Mitteilungen auch über d. Kirchenwahl gesprochen. Die Wahlen hätten nicht stattfinden können, weil die kirchl. Gruppen sich nicht hätten über die Listen einigen können(!!!). (Sollten sie ja auch garnicht. Die Einigg. sollte ja eben d. Generalsynode zu Stande bringen). Die Bekenntnisgem. sei politisch, erhebe den polit. Öffentlichkeitsanpruch. (Es wird einfach ein neuer Begriff dessen, was Politik ist, angewendet. Und: Wenn ich als Christ z.B. nicht lügen darf, dann wirkt sich das politisch natürlich aus, denn ich darf dann in der Politik auch nicht lügen usw.) Dann kam das Interessanteste, die Abrechnung mit den deutsch. Christen, besonders mit den Thüringern. Sie verfälschten die nat.soz. Weltanschauung u. erhöben im tiefsten Grunde denselben konfessionellen Anspruch wie die Bekenntnisfront!79 (Deshalb schäumt Sasse!) D. 19. Febr. 38, Sonnabd. [19. Februar 1938] O. erzählte nicht viel aus Berlin, nur noch, daß Muhs gesagt haben sollte, mit den Thüringern könnte man keine Kirche bauen, sie hätten ja, außer in Thüringen, nichts hinter sich. – Es wurde dann noch die Frage erwogen, ob man in Thür. daran denken könne, sich einer Freikirche anzuschließen. In der ersten Empörung über Ottos Amtsentsetzg. war das in unserem Kreise lebhaft erwogen worden. Otto hatte an Pfr. Stegmann in Renthendorf oder Altengesees (?) geschrieben u. um eine Schilderung der Entwickelg. 75 76

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Vgl. Tgb. 11. Februar 1938. Protokoll der Sitzung des Landeskirchenrats am 15. Februar 1938 (LKAE, A 122, 35), in dem genannt werden: Prof. Glaue als Pfarrer der Thüringer evangelischen Kirche, Wessinger, Gerhard Bauer und Ernst Otto. Zur Auseinandersetzung Diehl-Leffler vgl. Tgb. 6, 11., 15. September und 21. Dezember 1937. Vgl. Tgb. 11. Februar 1938. Dieser Hinweis belegt deutlich, dass die DC seitens der Nationalsozialisten im Grunde nicht anerkannt wurden, obschon diese selbst nichts Sehnlicheres erhoffen. Sie konnten einfach nicht verstehen, dass der Nationalsozialismus sich als absolut geltende Weltanschauung verstand, die ohne alle religiösen Bezüge auskam.

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in diesen Dörfern gebeten, die damals in den 20er Jahren dem Pflugensberg (K.Rat Pfeiffer) soviel zu schaffen machten. Die Antwort las er uns vor – sie war nicht ermutigend. O. hat von Anfang gegen eine solche Austrittsbewegg. Stellung genommen. Es wurden an diesem Abend noch die Verhältnisse in der Südgemeinde Eisenach besprochen. Es kam die Frage der Verweigerg. der Kirchensteuer. O. wies auf die schweren Strafen hin, die auf Aufreizung zum Steuerstreik stehen. pp. Gauger! In d. vergangenen Woche, am Mittwoch, sind dann in d. Stadt Unterschriften für ein Gesuch an den L.K.R. gesammelt worden, Otto in sein Amt wieder einzusetzen. Wir hatten alle schreckliche Angst vor diesem Unternehmen, weil ja schon verschiedentlich in Thüringen (Themar u. Georgenthal u.a.) solche Unterschriftensammlungen als politische Demonstrationen bezeichnet u. inhibiert worden sind! Ein kleiner Ausschuß von Mitgliedern von Ottos Gemeinde hatte die Sache ins Werk gesetzt. Ich weiß die Einzelheiten nicht genau, man hat mich absichtlich aus dem Spiel gelassen. Es war von Menschen die Rede, deren Namen ich nie gehört hatte. Selbstverständlich durfte Otto nichts von alledem wissen. – Nun hatten wir einmal Angst, die Eisenacher würden für die ganze Aktion zu feige sein u. es würde nichts dabei herauskommen, dann fürchteten wir, die ganze Sache würde inhibiert, sobald der L.K.R. etwas erführe. Dann kamen Schreckschüsse von Frl. Sommer: »Der Text ist viel zu scharf abgefaßt. Viele Leute hätten unterschrieben, wenn es nicht so scharf wäre! Es sind bloß 600 Unterschriften!« das war gestern nachmittag. In m. Zimmer fand ich einen Brief von Frl. v. Ranke: »Wir sind gestern noch bis zum Reichstag von Worms80 gekommen (sagte ichs nicht?)« usw. Ich begriff nichts, dachte, sie meinte, die Vorträge dieser Woche in d. Annenkirche abends (das ist aber eine Evangelisation). Ich konnte die Ungewißheit nicht mehr ertragen u. bat Frl. Sommer, Frl. v. R. [Ranke] anzurufen u. herüber zu bitten. Sie kam gleich u. staunte, daß ich ihr »Puzzle« nicht verstanden hatte. 1521 Unterschriften!!! Wir alle atmeten auf. Das ist für einen einzigen Tag wahrhaftig nicht schlecht. Ich hätte es den Eisenachern nicht zugetraut.81 Frl. v. R. u. ich lassen uns nicht gern im Dienstgebäude zusammen sehen. In diesen schwer erträglichen Tagen mußten wir uns aber doch ein paarmal sprechen. Einmal saßen wir in der halbdunklen »Gasschleuse« zwischen Sägespänen u. Werkzeugen vor d. Archiv u. flüsterten. Plötzlich kam Jemand u. wir lauschten atemlos, aber er ging vorüber. Sonderbare Augenblicke waren das. Ich bin 54 Jahre alt. Welcher Unterschied mit d. Leben meiner Mutter u. meiner Großmutter. Die waren bestimmt nie in solchen Situationen. Frl. v. Ranke ihre wahrscheinl. auch nicht. 80

81

Vor dem Reichstag in Worms 1521 verteidigte Luther seine Position vor Kaiser und Reich; über ihn und seine Anhänger wurde die Reichsacht verhängt; vgl. Heussi, Kompendium der Kirchengeschichte, 292. Dem LKR der TheK wurde abschließend mitgeteilt: »Stärkstens beunruhigt und tief erregt erheben folgende Glieder des Südbezirks (2000 ev. Haushaltungen) und der Bekenntnisgemeinschaft in Eisenach durch ihre Unterschrift Einspruch gegen die Amtsentsetzung des Pfarrers Ernst Otto, die der Landeskirchenrat verfügt hat. Diese Unterschriften kamen an einem einzigen Tage, dem 16. Februar 1938, zusammen, obgleich die Umfrage unangemeldet geschah und daher viele Gemeindeglieder nicht angetroffen wurden, die diesem Protest zustimmen« (LKAE, G 809, Beiakten, Bd. II, 72 [Abschrift]).

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Die Unterschriften sind heute früh als eingeschrieb. Brief hier zur Post gegeben, müssen heute nachm. auf d. Pflugensberg angekommen sein. Am Montag früh wird sich der L.K.R. damit beschäftigen, gegen halb 11 etwa will ihn eine Deputation aus der Südgemeinde aufsuchen, darunter Frl. Helmbold u. Frau Kirchenrat Pfeiffer u. 5 Herren: ein alter Offizier, Major Stünzner, ein Fabrikdirektor Haas, ein Amtsgerichtsrat Menzel, ein Schreibmaschinenhändler Bauer u. noch einer. Neulich …. Am Mittwoch Abend haben die D.C. hier einen Abend im Schmelzerhof gehabt, da hat Sasse über den Fall Otto geredet. Sehr milde Töne offenbar – nach der einen Seite. Aber empörend trotzdem. Otto könnte jederzeit wieder eine Pfarrstelle in Thür. bekommen, wenn er – (von d. einen Seite hörte ich) »sich unter den Staat stellte«, (von der anderen Seite): »Wenn er die Autorität des L.K.R. anerkennte.« Weiter hat Sasse von den Briefen erzählt, die in d. Sache Otto beim L.K.R. eingehen. 50 seien es. Sehr nette Briefe darunter.82 (Otto hat immer zur Höflichkeit geraten. Es mag ein anderer Ton sein als der, den die D.C. gewohnt sind – auch in ihrer Presse). Sasse hat Frl. Liebmann (die den Vorschlag, Einzelbriefe zu schreiben in der B.K. gemacht hatte), 6 Seiten geantwortet.83 D. L.K.R. plant jetzt ein Schreiben das vervielfältigt werden soll, um an alle Briefschreiber geschickt zu werden. Sie warten aber noch, da sie noch mehr Briefe erwarten. Gestern u. heute sind auch noch welche gekommen (Drescher u.a.). Volk hatte Bemerkungen darüber gemacht, daß nicht gleich sofort eine große Kundgebung losgelassen worden sei. – Da hätten sie ja doch nur gesagt: Politisch! So sehen sie wenigstens, daß kein organisierter Widerstand da war. (Und Otto selbst hatte ja gleich durch Frl. Helmbold in der Bibelstunde vor allem zur Ruhe mahnen lassen! Nur nichts machen – es wird alles ins Politische gedreht!!) Heute Abd. war ich noch einmal bei Frau Pfeiffer. Sie wollte noch nach Bischofroda fahren, um sich dort genau erzählen zu lassen, wie Lehmann sich dort am 2. Weihnachtsfeiertag in der Kirche benommen hat, weil er Otto in der K.vertretersitzung »Störung des Gottesdienstes« vorgeworfen hat! Ich weiß noch nichts Näheres. Frl.Eitner war auch da u. berichtete, daß ein Küster in Saalfeld ihr erzählt hätte, Lehmann wäre in d. Kirche mit d. Stock auf ihn losgegangen. Er hätte ihm gesagt: »Hier ist doch wohl nicht der Ort …«, so in der Weise. Bemerkenswert eine Pressefehde des Reichswart gegen die Tonart des »Schw. Korps« und anderer Blätter. Das hat den D.C. Mut gemacht. In ihrer neuen Zeitg. »Deutsches Christentum« zitieren sie Reventlow u. geben eigenen Senf dazu. (Aber wegen solcher Aussprüche sind B.K.-Pfarrer schwer gemaßregelt worden u. ins Gefängnis gekommen!) In »Deutsche Frömmigkeit« schreibt Bauer [W.] einen Artikel zur Verteidigung des Pfarrerstandes!84 Auf den die D.C. selbst Schmutz u. Schande gehäuft haben. Vielleicht hat Rosenberg eine Bemerkung über ihre würdelose Art gemacht?

82 83 84

Vgl. Tgb. 8. Februar 1938 und die zugehörige Fußnote. Schreiben von Landesbischof Sasses an die Studienrätin Ella Liebmann vom 7. Februar 1938, LKAE, G 809, Beiakten, Bd. II, 1938, 2. Wilhelm Bauer, Pfarrer oder Pfaffen, Deutsche Frömmigkeit 6 (1938 [2. Februar]), 23–25.

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Denn Reventlow allein hat sie kaum dazu ermutigt. (Wenn sie das vor 5 Jahren getan hätten!) Der DC-Vikar, der den Rest von Ottos Konfirmanden übernommen hat, soll aus Rosenberg vorlesen! In der Konfirmandenstunde! (Wenn Rosenberg es wüßte, würde er sichs verbitten). Übrigens scheint es Tatsache, daß der LKR Material sucht über die Methoden der Gegner des Christentums. In diesem Sinne soll Stübers Rundschreiben an alle Oberpfr.85 gemeint sein, von dem ich dachte, es sei gegen die B.K. gemünzt. Sasse soll bei der Ob.pfr.konferenz eine Bemerkung in dem Sinne gemacht haben, der Kirchenminister Kerrl »stehe u. falle mit den Thüringern«. Dazu hatte O. in Berlin gehört: Das sei vielleicht mal so gewesen, aber seit 8 Tagen sei es bestimmt nicht mehr so. Es könne allerdings in 8 Tagen wieder so sein. – Dieses scheint mir sehr bezeichnend. Im K.min. soll alles ratlos sein. Mehr oder weniger sei das an anderen Stellen auch so. Es schiene (etwa vor 8 Tagen) in Berlin auch noch niemand zu wissen, was die Entscheidungen vom 4. Febr. bedeuteten u. was der Führer am 20. sagen würde. Er handele tatsächlich oft – aus Intuition, oder wie man es nennen will. Morgen werden wirs erfahren. Etwas ist der Schleier inzwischen gelüftet geworden. Der Bundeskanzler Schuschnigg am 12. beim Führer in Berchtesgaden usw.86 Das ist eine große Wendung! »Die Landkarte von Europa verändert sich«, schrieb ein seherisch begabter englischer Journalist. Sonntag, 20.II., Abends. [20. Februar 1938] Wir haben den Führer gehört.87 Er sprach vor allem über den Wirtschaftsaufbau – mit vielen Zahlen. Das war wohl vor allem für Österreich berechnet u. als Werbung gedacht. Im übrigen sagte er sehr wenig über Österreich. Er hat Schuschnigg eingeladen, ihn auf. d. Obersalzberg am 12.II. zu besuchen, er dankte Schuschnigg für Verständnis.Wir erkennen Mandschukuo88 an. Im übrigen kaum Überraschungen. Dank an Blomberg u. Fritzsch, starkes Eintreten für das Offizierkorps. Das Gegenteil wäre ja auch undenkbar gewesen. Eine Wendung » … damit erfüllen wir Gottes Willen besser als die, die mit Bibelsprüchen faulenzend durchs Land ziehen!«89 Das werden die Kirchenfeinde sich gut schreiben. Schade. Mir fiel noch ein aus Ottos Berliner Bericht: Die Thüringer D.C. hätten noch ein Mitglied ins Kirchenministerium u. eins in die Kirchenkanzlei haben wollen, beides abgeschlagen.

85 86 87 88 89

Tgb. 11. Februar 1938. Vgl. Domarus I/2, 791. Die Rede fand am 20. Februar statt; vgl. Domarus I/2, 792–804. Kaiserreich in der Mandschurei/China, Marionettenstaat Japans. »In einer solchen Notzeit, da handelt auch im Namen Gottes nicht der, der mit Bibelsprüchen faulenzend durch das Land zieht und den lieben Tag teils im Nichtstun, teils in der Kritik am Handeln anderer verbringt, sondern der, der seinem Gebot die höchste Form verleiht, die einen Menschen mit seinem Gott verbindet: die Form der Arbeit« (Domarus I/2, 793–794). Der Passus bildete nicht das Ende der Rede.

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Dienstlich erfuhr ich von dem »Gesetz über den Treueid der Pfarrer.«90 Auf der Obpfr.konferenz hat man es offenbar bekannt gegeben. Dann ging ein Schreiben hinaus an die Obpfr., sie sollten sich einige Tage gedulden. Dann wurde mir gesagt, das Gesetz wäre in Berlin, müßte dort genehmigt werden. Dann wieder: Das Gesetz sollte von 11 Kirchen angenommen werden u. müßte deshalb wahrscheinlich abgeändert werden. Vorgestern wurde mir gesagt: Das Gesetz erscheint nicht. Die ganze Angelegenheit soll von Berlin aus für alle Kirchen einheitlich geregelt werden!« Damit ist also nun Schluß. – Das ist die Geschichte von den 11 Kirchen, die sich mit den Thüringern zusammenschließen wollten – wie Frl. Girkon gehört hatte. Ein Haupt von einer dieser 11 Kirchen hat sich inzwischen dahin ausgesprochen, es sei nicht möglich, mit den Thüringern zusammen zu arbeiten u. hat B.K.-Leute angefragt, ob man nicht wieder miteinander in Fühlung kommen könnte (ich wage den Namen dieses Herrn nicht herzuschreiben). Vielleicht hängt es mit diesen Dingen zusammen, daß Leutheuser u. Hohlwein gestern auf dem Pflugensberg waren u. zwar in großer Aufregung. Ausländische Sender haben gemeldet, der Niemöller-Prozeß habe nach kurzer Vertagung gestern (od. vorgestern) wieder begonnen. Niemöller habe einen Offizialverteidiger. Seine 3 ersten Verteidiger seien als Zuhörer zugelassen, um den Offizialverteidiger zu kontrollieren. Frau Nickel ist noch da! Das kam ans Tageslicht, als Frl. L. wegen der Übersetzungen im V.D. anrief. Es wurde geantwortet: Die ausländ. Presseartikel gehen an Frau Nickel, die sie bei sich zu Hause übersetzt u. gleich nach Weimar schickt!!! Volk will das inhibieren. Morgen kommt d. Unterschriftensammlg. auf d. Pflugensberg an. Es sind 1554 Namen geworden.91 21. Febr. 38, 12 Uhr. [21. Februar 1938]92 Unten sitzt die Deputation. An Damen dabei: Frau Pfeiffer, Frau Kolbe, Frl. Helmbold. An Herren festgestellt Major Stünzner, Bauer, Schönefeld, Amtsgerichtsrat Menzel, die anderen nicht bekannt. 7 oder 8 Leute. Man hat sie sofort in den weißen Saal komplimentiert u. ihnen Lesestoff verabreicht. Volk sitzt mit dunkelrotem Kopf dabei. Frau Kolbe u. Frau Pfeiffer sind beide für ihn besond. peinlich. Sasse ist geholt worden; Lehmann ist auch da; Stüber ist gleichfalls im Haus. Morgenandacht von Stüber heute sehr kurz. Das Wort des Führers über die »Faulenzer, die mit Bibelsprüchen durch d. Land ziehen« hat furchtbar eingeschlagen.93 Stüber redete von einem »Gericht üb. die ganze Kirche, das man nur schweigend hinnehmen kann.« Meiner Ansicht nach braucht sich kein Pfarrer, der seine Pflicht in sr. Gemeinde treulich tut u. getan hat dadurch getroffen zu fühlen. Aber Stüber fühlt sich getroffen. Er wird ja wissen, warum. 90 91

92 93

Vgl. Tgb. 11. und 15. Februar 1938. Es ging um die Unterschriftenaktion zugunsten des Verbleibs des amtsenthobenen Pfarrers Ernst Otto in seiner Eisenacher Gemeinde, von der die Tagebuchschreiberin in den Eintragungen seit dem 15. Februar 1938 regelmäßig berichtet hatte. Unter diesem Datum finden sich zwei Eintragungen. Vgl. Tgb. 20. Februar 1938.

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Phieler soll oben gewesen sein u. erklärt haben, er fühle sich nicht getroffen. Den Satz des Führers betr. »Briefe von engl. Abgeordneten in Bezug auf deutsche Gerichtsurteile« hat er auf den Niemöller-Prozeß gedeutet. Ich glaube das vorläufig nicht, schon desh. nicht, weil ja im Falle N. noch gar kein Urteil vorliegt. Johanna Paulssen u. Kirchenrat Auerbach haben die Unterschrift unter den Antrag für Otto verweigert. Die Stiftsgemeinde hat neulich Otto den Saal »Hinter der Mauer« verweigert (in dem die B.k.gemeinsch. sonst zusammen kommt), zu einer einzigen Versammlg. der Südgemeinde-Mitglieder, soweit sie in der B.K. sind !!!!!. D. 21.II.38. [21. Februar 1938]94 Als ich mittags halb 1 Uhr fortging, tobte die Schlacht im »Weißen Saal«. Man hörte Volk auf d. Tisch hauen u. brüllen: »Und wegen einer solchen Nichtigkeit …« Die Kollekte!95 (Ich hätte gewußt, was ich geantwortet hätte! Wegen solcher Nichtigkeiten macht der L.K.R. Verordnungen, die den Pfarrern ihr Amt u. den Gemeinden ihre Pfarrer nehmen). Frau Pfeiffer hat geantwortet: »Und wegen einer solchen Nichtigkeit nehmen Sie uns unseren Pfarrer.« Davon wußten wir zunächst nichts. Erst hörten wir nur: »Sasse u. Volk haben stellenweise furchtbar gebrüllt.« Dann: Lehmann ist hinterher zu … gekommen. Er ist ganz weich gewesen u. hat gesagt: »Das Eine hat man ja gemerkt, diese Leute haben alle ihre Kirche sehr lieb.« Sie hat gefragt, ob denn keine Einigg. möglich sei. Da hat er etwas gesagt von »… Zeitpunkt verpaßt … die Partei …«, sie hat es nicht genau verstanden. Dann hörte ich von anderer Seite: »Sasse ist in seine Wohnung gestürzt u. gleich wieder zurückgekommen – obgleich doch seine Frau mit d. Essen schon lange wartete – u. ist wie ein Irrsinniger herumgelaufen, bald zu Stüber, bald in ein anderes Zimmer.« Man hat Brocken verstanden, die er von sich gegeben hat: »Volk wird ja nun wohl endlich einmal gemerkt haben, welches das wahre Gesicht von Frau Pfeiffer ist … Frl. Helmbold, das ist eine … Wenn ich wieder zu Sauckel komme u. nach Berlin, dann werde ichs aber sagen! Da brauchen sie garnicht in der Kirche zu suchen, ›da‹ sitzen sie …« (das galt den alten Offizieren Major Stünzner u. Major Fehrenbach, in denen er wohl die Reaktion sieht.) Dann noch: »Die haben ja alle gar keine Ahnung vom Nationalsozialismus!« Abends zu Frl. Eitner, die wenigstens etwas erzählen konnte; Frau Pfeiffer war mit den anderen Deputationsleuten bei O., um zu berichten. Frl. Ei. schilderte, daß alle Deputationsmitgl. sich nach Ansicht von Frau Pfeiff. gut gehalten hätten. Es wäre anfangs ein leidliches Gespräch gewesen u. man hätte den Eindruck gehabt, es würde nicht mit einem Bruch, sondern versöhnlich enden. Da hätten sie so zum Schluß noch einmal das Ergebnis zusammenfassen wollen u. da hätte der Amtsgerichtsrat Menzel Sasse gefragt: »Sie stehen also eigentlich der Glaubensbewegung nahe?« Da hätte es einen furchtbaren Krach gegeben. Sasse sei aufgesprungen, hätte mit den Armen um sich gehauen u. geschrieen: »Schluß! Aus! Gehen Sie nach Hause! Keine Möglichkeit zu verhandeln!« Sie sind nun offenbar etwas erschrocken über dieses Ergebnis. Mit der 94 95

Unter diesem Datum finden sich zwei Eintragungen. Vgl. Tgb. 15., 19. und 20. Januar 1938.

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einen Hand hätte Sasse immer noch abgewehrt, dabei aber dann doch die andere Hand ihnen – außer Menzel – zum Abschied gereicht. Lehmann immer strahlend: »Gnädige Frau … gnädiges Fräulein …« u.s.w. Meiner Meinung nach ist es gut, daß dieses Wort gesagt worden ist, denn das ist das, was die Gemeinde denkt. Der Landeskirchenrat hat nicht ein Wort zur Erwiderg. gehabt als s.Zt. Gerstenhauer, der Präsident des L.K.Tages, der staunenden Öffentlichkeit verkündete, die Thür. D.C. stünden zu 80% bei den Deutschgläubigen [DGB] u. über die restlichen 20% würde man sich auch wohl einigen.96 Wenn es der Präsident des L.K.Tages sagt, dann muß es ja wohl wahr sein. Weiter: Thieme im Deutschen Haus – damals waren alle Angestellten u. Beamten, die dabei waren empört, u. in Württemberg ist auch sowas gesagt worden u. durch die Presse gegangen. Morgen geht die Deputation, durch Leute aus anderen Gemeinden verstärkt, nach Berlin. Folgende Einzelheit wußte Frl. E. [Eitner] noch: Sie haben wahrhaftig fertig gebracht, zu behaupten, wenn Otto sich an d. L.K.R. gewendet hätte, würde man ihm die Empfehlung der Kollekte erlassen haben. Darauf hat Frau Pfeiffer folgendes gewußt: Pfr. Werner-Kosma hat angefragt, u. der Landeskirchenrat hat glatt jedes Entgegenkommen abgelehnt! Da sind die Herren etwas verlegen gewesen; es ist Auftrag gegeben worden, die Akten Kosma zu suchen und – sie sind nicht zu finden gewesen! – Die Felle schwimmen ihnen so nach u. nach davon. (Die Sache Kosma hat Otto in d. B.K. erzählt). Die Briefe, die in Sachen Otto auf d. L.K.R. eingehen, machen ihnen doch wohl sehr zu schaffen, das hat man gemerkt, sie haben es auch offen zugegeben. Ich habe neulich einen Blick in die Mappe getan – es war auch wirklich wundervoll. Sie machen Otto nun gerade einen Vorwurf daraus, daß er, obwohl er offenbar die Liebe u. das Vertrauen seiner Gemeinde hätte, sein Amt um einer Lappalie willen aufs Spiel gesetzt hätte! Ich bin gespannt, was ich morgen höre. V. wird ja toben. Ich gehe ihm aus dem Weg. Heute Abd. übrigens noch Vortrag von Jansa über »Lagarde, Stoecker, Chamberlain.« Zuletzt sprach Sasse noch kurz über Chamberlain u. flocht ein, daß ja Rosenberg schließlich – auf Chamberlain aufbaute. Da kam ein kleines Endchen seiner Bitterkeit heraus. Dem streitet er also die Orginalität der Ideen ab. Sasse trug kein Parteiabzeichen! Mittwoch, d. 23.II.38. [23. Februar 1938] Es heißt hier im Haus heute, der Landesbischof würde verlangen, daß Mitglieder der Eisenacher Deputation (3?) oder nur d. Amtsgerichtsrat Menzel sich entschuldigten. Im Haus wird erzählt, Menzel hätte gesagt, der Labi »gehörte« zur Dtsch. Gl. [DGB] Mir ist gesagt worden, er hätte gesagt: »steht ihr nahe«. Wenn aus dieser Angelegenheit ein Prozeß entstünde, der die Stellg. der D.C. klärt, so wäre das sehr zu begrüßen. Die Sache Nickel schlägt wieder Wellen! Bei Frl. Sommer ist eine Dame erschienen, die angegeben hat, die Nickel bezahlte einen Sprachlehrer, der ihr die italienischen Übersetzungen machte!! Die Nickel hat gestern wieder bei Jansa im V.D. gesessen u. hat heute 3 französische Übersetzungen abgeliefert, die nur der V.D. bekommen hatte, in einem Deutsch, das einfach unglaublich war. Total ungebildet. Fritz sagte: »Eine 96

Vgl. Tgb. 30. September 1936.

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Hochstaplerin. Ich muß mit Volk reden, ich scheue mich bloß davor, weil das stundenlang dauert.« – Und derentwegen wollen sie mich ausschalten! Männel hat gesagt »Wir haben jetzt jemanden aus der Bewegung, der Übersetzungen macht!!!« Ich gönne ihnen ja, wenn sie mit der hereinfallen. Aber wie kritiklos sie sind Menschen gegenüber, wenn die nur die äußerlichen Gebärden der Partei nachahmen, das wird an einem weiteren Beispiel aus dem V.D. klar (Gerau). Laue der alte Kämpfer hat sich jetzt dahintergeklemmt, den betr. Mann aus d. Weg zu räumen. Die Deputation für Berlin war gestern Mittag noch nicht beisammen. Eventuell soll sie ein paar Tage aufgeschoben werden. Es müssen ja auch möglichst unabhängige Menschen sein. In d. neuesten Nr. der »Die deutsche Kirche«97 (Heft 2 v. 15.2.) steht klar u. deutlich, daß die deutschkirchl. Bewegung interkonfessionell ist u. Katholiken sowohl wie Protestanten u. Konfessionslose ihr angehören können. Eigentlich nichts anderes, als was die Thür. D.C. auch sind. D. 24.II.38. [24. Februar 1938] Das »Schwarze Korps« bringt heute Hinweise auf den Niemöllerprozeß, die ersten die in der deutschen Presse erscheinen. Wohin es mit dem Gefühl für Ehre gekommen ist, kann man daraus ersehen. Mir fiel bei der Lektüre ein, daß das Wort »Ehrabschneider« Gott sei Dank im Deutschen ein Schimpfwort ist. – Zuerst werden in einer Spalte, die im Berliner Jargon regelmäßig satirische Bemerkungen bringt, so ein paar Redensarten hingeworfen, daß merkwürdigerweise sich die ausländ. Presse sehr für den Niemöllerprozeß interessiere, daß die Leute sich »uffrechen«, weil die berufsmäßigen »Kirchenhorcher« ausgeschlossen wären u.s.f. An anderer Stelle wird der Brief eines in Schweden lebenden ehemal. deutsch. Marineoffiziers veröffentlicht, der behauptet, die Auslandsdeutschen hätten unter Niemöllers Verhalten zu leiden u. er schade dem deutschen Reich (nach dem Grundsatz: »Der Ermordete hat die Schuld«), u. dann kommt das Schlimmste: In einem Artikel, der in der Überschrift schon auf den Niemöller-Prozeß hinweist, heißt es zum Schluß, daß Niemöller »den Rest seiner Ehre« nun noch verlöre, »ganz gleich, wie seine Vergangenheit gewesen sei.« Dazu kann man dann wirklich nur noch »Pfui Teufel« sagen. (Nachgetragen am 24.II.) Aus dem Berliner Bericht fällt mir noch ein: Die Regierg. schiene es jetzt mit den Leuten der Mitte98 versuchen zu wollen. Die neue Zeitschrift (im Zeitungsformat) der Thür. D.C. »Deutsches Christentum« bekämpft diese Mitte (Wittenberger Bund) heute in ihrem Leitartikel. »Figaro« macht wie andere ausländ. Blätter darauf aufmerksam, daß die deutsche Presse bisher kein Wort über den Niemöller-Prozeß gebracht hätte. Diesen Vorwurf kann das »Schw. K.« offenbar nicht länger ertragen. Es reagiert nun in seiner Weise. »Allgemeen Handelsblad« (v. 21.II.) berichtet u.a., das Reichskirchenministerium ließe sich dahin vernehmen, der Prozeß würde noch in dieser Woche zu Ende gehen u. 97 98

Organ des »Bundes für deutsche Kirche« bzw. der sogenannten »Deutschkirche«. »Neutrale«, »Pfarrer der Mitte«, ab 23. Juni 1937 auch »Wittenberger Bund«: Kirchenpolitische Gruppierungen unterschiedlicher Bezeichnungen zwischen BK und DC, von denen in den Tagebuchaufzeichnungen ab 1935 immer einmal wieder die Rede war.

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»keine Sensation« bringen, sondern wahrscheinl. eine Strafe, die durch die Untersuchungshaft als restlos verbüßt anzusehen sei. – Ob sich das mit den Grundsätzen der Gerechtigkeit verträgt, daß ein Minister über Verlauf u. Urteil eines Verfahrens vor Abschluß des Prozesses Bescheid weiß? Vielleicht handelt es sich um private Äußerungen – eines Journalisten des Ministeriums – die aber sehr glaubhaft klingen. Hier im Haus heißt es, die hies. Pfarrer, soweit sie nicht D.C. seien, wünschten eine Unterredg. mit dem Labi oder dem L.K.R. in Sachen E. O. Diese Unterredg. solle stattfinden, u. man würde soviel Pfarrer der Gegenseite zuziehen, daß die Kräfte sich ausgleichen. Ebenso hätte irgendjemand darauf aufmerksam gemacht, daß der Kreiskirchenrat – nach dem Gesetz – gehört werden müßte. Auch das sollte geschehen (dabei kommen sie sich wohl noch groß vor.) Das Schlimmste: Sasse hat, am Dienstag wohl, einen Brief an Sauckel geschrieben, der ungefähr 7 Seiten Schreibmaschine umfaßt u. in dem er eine so unerhörte Schilderg. der Besprechung mit der Deputation gibt, daß der Betreffende, der sich darüber äußerte, sich vor Grauen geschüttelt u. erklärt hat, er sei »vollständig fertig mit Sasse« u. begriffe nicht, wie man überhaupt über eine solche Sache in solcher Weise berichten könne. (Es geht wieder einmal durcheinander in diesen Aufzeichnungen, aber ich bin auch durcheinander.) Ein anderer, ( )b, hat über Sasse gesagt: »Der ist ja überhaupt so unvorsichtig! Was der allein mir schon alles erzählt hat! Und dann wundert er sich, wenn was rauskommt!« D. 25.II.38. [25. Februar 1938] Die Thür. Deputation war – 10 Mann stark – vorgestern in Berlin. Ihre Erlebnisse bemerkenswert. Die Stationen: luth. Rat, ev. Oberkirchenrat, Kirchenkanzlei, Kirchenministerium, R.justizministerium (wegen E. Otto: Entlassg. als Gefängnispfarrer) u. wegen einiger Sonderfälle Gestapo. Mitglieder der Deputation: Aus Eisenach waren dabei Frau Pfeiffer u. Amtsgerichtsrat Menzel; aus Gotha ein Herr u. eine Dame, aus Kaltenwestheim: Hilfspfr. Müller u. 2 Bauern; Pfr. Hertel-Themar u. Ob.pfr. NothnagelOstheim (beide im Wartestand) u. Gutsbesitzer Weissde-Lauchröden. Ergebnis: langes Antichambrieren im Ev. Oberkirchenrat, Kirchenkanzlei u. K.ministerium. Schließlich wird die Deputation laut u. macht Krach. Werner-Kirchenkanzlei läßt sich erst lange verleugnen. Schließlich empfängt ein Konsistorialrat die Deputation (Brunotte) u. holt bald einen 2.: Ranke [H.]. Der veranlaßt endlich durch dringendes telephon. Zureden den Präsidenten Werner, die Deputation zu empfangen (5 Uhr nachm.), die dann auch ihrem Herzen bis ¾7 Uhr kräftig Luft macht. Franz ist anwesend (rechte Hand v. Werner). Im K.min wird ihnen gesagt, es würde überhpt. keine Deputation mehr empfangen (Der Portier erzählt: »Vor 8 Tagen waren 51 Leute aus Dresden da – was glauben Sie, was das für ein Spektakel gewesen ist, was da hier los war ! Seitdem werden überhaupt keine Deput. mehr empfangen!«) Die Deputation hat aber festgestellt, daß eine 3köpfige Deput. aus Zittau, obwohl sie gleichfalls nicht angemeldet war, trotzdem empb

Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz, vgl. Übers. Strichzeichnungen.

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fangen wurde, u. die Zittauer kamen später wie die Thüringer. Bei der endlichen Abweisung sind die Thüringer so rebellisch geworden, daß man ihnen sagen ließ: Wenn sie nicht ruhig weggingen, würden »andere Mittel« angewendet werden. Zwischendrin waren 3 Leute der Dep. im R.justizministerium (darunter Amtsger.rat Menzel-Eisenach) u. haben da Ottos Sache mit d. Gen.staatsanw. zur Sprache gebracht. Davon erhoffen99 sie etwas. Im Innenminist. sollten sie vom kirchl. Referenten empfangen werden, aber zur selben Stunde wie von Werner; also ging es nicht. Werner hat zum Schluß gesagt, sie seien gerade damit beschäftigt, sich zu überlegen, wie es gemacht werden könnte, daß auch der B.K. ihr Recht würde. K.Rat Franz sei mit dem betr. Entwurf beschäftigt! Na – wenn der es macht! Im Posit. Christentum lese ich heute, daß diese Regelung mit 2 oder 3 geistlichen Leitungen jetzt in Pommern, Grenzmark, Westfalen, Schlesien Platz greift u. auch [die] Provinz Sachsen damit rechnet. Warum muß da für Thüringen eine besondere Regelung getroffen werden? Warum wird das nicht einheitlich gemacht? Am gleichen Tag wie die Deputation ist Sasse in Berlin gewesen, sie sind ihm am Bahnhof begegnet, haben seinen Namen auf den Besuchslisten – immer gerade vor ihnen – gelesen u. haben ihn in der K.kanzlei mit Weidemann-Bremen in einem Zimmer sitzen sehen, in das später der Präs. Werner verschwand, der von einer »äußerst wichtigen Sitzg. mit den Kirchenführern« gesprochen hatte. – Bedeutet das Versöhnung mit Weidemann oder gar einen neuen Zusammenschluß? In letzterer Ansicht bestärkt mich Folgendes: Franz soll in Eis. u. zwar heute auf der Wartburg sein. Da oben seien noch mehr wichtige Leute. Morgen, Sonnabend, soll der L.K.R. eine äußerst wichtige Sitzung hier haben. Dazu folgendes: Frl. Kleinsteuber ist heute in d. Zentrale direkt hysterisch geworden u. hat sich folgenden Ausbruch geleistet: »Eben erfahre ich, daß vielleicht in 14 Tagen die Verwaltung gar nicht mehr hier ist!!!(???) – Ernst Otto hat im Gotteshaus gelogen, seitdem bin ich mit den Führern der Bekenntnisfront fertig – nicht mit den Mitgliedern! Jawohl, er hat gelogen, er hat beim Vortrag von Bischof Johnsen hier in der Kirche gesagt, Johnsen würde über die deutsche Glaubensbewegung sprechen, u. Johnsen hat über die deutsch. Christen gesprochen!!!« Die Schilderung ist von Frl. Sommer. Otto arbeitet an einer Erwiderung auf die Anklagepunkte, für die ihm im Ganzen 4 Wochen Zeit gelassen war. Jetzt hat er sich die Hand verstaucht, sagte mir eben Frl. K.; er wäre gestern Abd. gestürzt. Ein Offizier hat heute telephonisch angerufen, man möchte ihm einen Pfarrer nennen wegen einer Taufe.« Aber keinen Bekenntnispfarrer, das ist in d. Wehrmacht verboten!!« (Seit wann? Warum nimmt er nicht den Standortpfr.?). Frl. S. hat – Nitzsch genannt! Montag, d. 28. Febr. 38. [28. Februar 1938] Sehr sonderbare Dinge hörte ich am Sonnabend. Franz soll am Tage vorher erklärt haben, er sei in dieser Woche endgültig wieder hier. Gleichfalls soll Hohlwein aus d. Ev. Oberkirchenrat zurück kommen. Heute hörte ich das noch von anderer Seite; da hatten 99

Vgl. Tgb. 28. Januar 1938.

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es sich schon die Angestellten u. Beamten zugeflüstert. Gestern, Sonntag, Abd. ist noch eine Sitzung in d. Wohng. des Labi gewesen, bei der es sich um den V.D. gehandelt haben soll – kann sein, nur um die Raumfrage. Denn nun müßte ja Franz’s Arbeitszimmer wieder freigemacht werden. Der Labi hielt heute d. »Andacht«, las aber nur aus Naumann vor. Volk hat am Sonnabd., dem Ausspruch von Frz. entgegen, gesagt, die »entscheidende Aussprache mit Muhs« fände erst an diesem Tage (Sonnabd.) statt. Daß Hohlwein aus dem Ev. Ob.K.Rat zurückkommt, wird nicht bezweifelt. Zu Frl. v. Ranke hat er gesagt, die Führerrede hätte bei ihm eingeschlagen. Er wollte wieder »solide« arbeiten! (Als ob im E.O.K. nicht solide gearbeitet würde?) Am Dienstg. od. Mittwoch ist hier erst die Anfrage eingegangen, ob Franz für ein halbes Jahr der Kirchenkanzlei zur Verfügung gestellt werden könnte. Am Donnerstg. ist die zusagende Antwort des L.K.R. abgegangen. Am Freitag hat Franz bereits gewußt, daß er zurückkommt. Die entscheidenden Tage müssen also Dienstag, Mittwoch od. Donnerstag gewesen sein. Mittwoch war die Deputation in Berlin. Von d. Besprechg. mit ihr wollte Werner in einer »sehr wichtigen« Kirchenführerversammlung [sic]. Die Deputation hat nach dem »Anmeldebuch« u.a. Sasse, Weidemann, Klotsche festgestellt. Nun kann ja durchaus diese Konferenz allein die Ereignisse verursacht haben. Es ist aber auch möglich, daß Mitteilungen der Deputation sie ausgelöst oder verstärkt haben. Der Deputation hatte Werner mitgeteilt, daß Franz damit beschäftig sei, das neue Gesetz auszuarbeiten, nach dem die B.K. besonderen Schutz erhalten solle. Möglich, daß nun andere Linien beschlossen worden sind, die Franz als Thür. D.C. nicht mitverantworten will u. kann. Aber daß Hohlwein gleichzeitig geht? Es sieht doch nach Herauswurf aus. Dienstag, d. 1. März 38. [1. März 1938] Gestern war ein aufgeregter Tag, dauernd wechselten die Gerüchte über Franz. Seine Ernenng. war aus Berlin eingetroffen. Am Sonnabend hatte er Muhs (wir nehmen nach Volks Ausspruch an, daß der es ist, den Franz sprechen sollte) nicht fassen können, war Sonntag wieder hier u. hat nun offenbar am Montag, gestern, diese Aussprache gehabt. Heute früh Gerüchte: Spannungen mit Werner. Sitzg. des L.K.R. mit Punkt der Tagesordnung: K.Rat Franz. Heute Mittag Gerücht: Franz ist ab heute Oberkonsistorialrat. Nachmittags Nachricht: Er bleibt »vorläufig« in Berlin. Schade. Dennoch hat sich d. Sache wieder zusammengezogen. Seine neue Stellg. hat er als Vertreter des Bundes für dtsch. Christentum. Jemand wollte wissen, es seien Differenzen im Bund zutage getreten. Man habe am Donnerstag auf d. Wartburg getagt bis nachts halb 4. Der Chauffeur ist um 4 Uhr nach Hause gekommen u. am Morgen prompt mit Lehmann verunglückt – nicht schlimm. Sie sind ausgerechnet mit d. Auto eines Juden zus.gestossen, Lehmann hat eine Schramme am Bein u. muß in Urlaub gehen, um sich von d. Schreck zu erholen. Ich fürchte, der Chauffeur bekommt keinen Urlaub. O. teilte mit: Morgen, Freitag, hätte Ziegner (Mitte) mit anderen Leuten vom Wittenberger Bund mit Werner eine Besprechg. gehabt.100 Dabei hätte sich gezeigt, daß die 100

Der Wittenberger Bund wurde am 23. Juni 1937 gegründet. Gründungsprozess und Wirken werden erstaunlicherweise im Tagebuch bis dahin nicht genannt. Wohl aber ist immer wieder von

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Berliner Deputation doch Eindruck gemacht hätte. Werner hätte gesagt, »so« könnte es in Thüringen nicht weiter gehen.101 Heute nachmittag Mitteilung: Der Registrator Müller hätte gesagt: Der Landesbischof hätte einen so wundervollen Brief an Otto geschrieben! Er braucht sich »bloß« zu unterwerfen, dann könnte er am nächsten Sonntag wieder auf der Kanzel stehen!!! Dazu kann man wirklich nur sagen: »Pfui Teufel!« Heute Mittag hatte O. den Brief noch nicht. Ich traf ihn. Die nicht D.C.-Pfr. von Eisenach sind für übermorgen auf den Pflugensberg bestellt worden, um, ihrem Antrag gemäß, zur Sache E. Otto gehört zu werden. Er hat keine Einladg. bekommen; die Pfr. haben ihn aber gefragt, ob er mitkommen wolle. Er überlegt sich, daß er, wenn er es nicht täte, er viell. überhpt. keine Möglichkeit hätte, gehört zu werden! Ich weiß nicht, welche Möglichkeit formell für ihn besteht mitzukommen. (D. 2.II.:Er kommt nicht mit). Fritz ist heute in Ostheim, wie Otto erzählte, um in Abwesenheit des abgesetzten Ob.pfr. Nothnagel (der neulich mit in Berlin war) die Kirchenbücher zu beschlagnahmen. Die Frau rief Otto an. Fritz hatte gedroht, gleich mit einem Schlosser zu kommen. Heute lese ich in Nr. 4/38 des Kirchl. Anz. eine V.O. des Landeskirchenrates über »Pfarrerkonferenzen«,102 die ihresgleichen sucht an Heuchelei. Nachdem der L.K.R. nach wie vor alles beschimpft, was B.K. ist, lese man Folgendes: (Es werden Pflichtkonferenzen angeordnet mit Themen, die der L.K.R. festsetzt.) »Der L.K.R. will dadurch die Pfr. nicht etwa in eine bestimmte Richtung theologischen Denkens hineinzwingen, sondern sie nur veranlassen, daß sie sich mit wichtigen Fragen unserer Zeit auseinandersetzen u. sich in gemeinsamer Arbeit daran gegenseitig klären. Die Konferenzen sollen ferner dazu dienen, den Geist der Zusammengehörigkeit zu stärken u. gegenseit. Vertrauen zu wecken. Es muß rückhaltlose, vertrauliche Aussprache stattfinden; auch die entgegengesetzten theologischen Meinungen müssen endlich wieder in Ruhe gehört, dürfen nur mit sachlichen Gründen bekämpft, nie aber ihren Vertretern zum Charaktervorwurf gemacht werden. Es müssen die Konferenzen für die Pfr. der Ort sein, an dem sie alles, was sie bewegt, im Kameradenkreis aussprechen …« u.s.w. Diese niederträchtige Heuchelei, so zu reden, während man schonungslos alle Pfr. absetzt, die die Bek.gemeinsch. führen u. verleumdet, was das Zeug hält, wie es wieder Thieme über Otto mit einem Brief an die hies. Mitglieder der D.C.-Gemeinde getan hat. Th. [Thieme] hat, ehe Otto Nachricht bekam, was der Generalstaatsanwalt für Gründe für O.s Entlassg. aus der Gef.-Arbeit ins Feld führte, diese Gründe schriftlich in d. Stadt verbreitet u.s.w. Ich kann nicht alles aufschreiben, es ist zu viel. Die Deput. hat das dem L.K.R. vorgehalten, der ganz empört erklärt hat, Herr Thieme hätte das natürl. nicht vom L.K.R., dafür seien sie nicht verantwortlich u.s.w.!

101 102

den Pfarrern der »Mitte« bzw. den »neutralen« Pfarrern die Rede. Ziegner gehörte zum Leitungsgremium des Bundes. Vgl. dazu auch Tgb. 21. und 25. Februar 1938. Pfarrerkonferenzen, in: ThKbl/B 1938, 23–24.

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Den 2. März, Mittwoch. [2. März 1938] Gest. Abd. »biblische Arbeitsgemeinsch.«, persönlich eingeladen bei Otto. Die Bibelstunde ist in 2 Teile geteilt, die alle 14 Tage zusammen kommen. Öffentl. Bibelstunden dürfen nicht in Privatwohnungen gehalten werden, nur Zusammenkünfte, zu denen persönlich eingeladen wird. Kollekte war 28 Mk! Frl. Eibert erzählte mir, es würde den Anhängern von O. in d. Gemeinde gesagt, Otto wäre Halbjude, um sie einzuschüchtern. Weiter: Er hätte die Kollekte nicht sammeln lassen, weil sie fürs Winterhilfswerk103 gewesen wäre – u. ähnlichen Wahnsinn. (Sie weiß die Namen). Und so lebt man u. kann nichts dagegen tun. Wie beschmutzt ist das ganze Leben. Und das in einer Zeit, die von einem neuen Begriff von Ehre spricht. Frau v. Damm war gestern bei Mutter. Reichsrednerin der NSDAP – u. redet ganz sanft u. schonend vom Vaterlandsverrat Niemöllers – England – ökumen. Arbeit – Mutter hatte natürl. den Zus.hang nicht begriffen, aber ich erkannte die Stichworte. Frau v. D. hat sich natürl. niemals selbst um diese Dinge gekümmert, sondern redet, was ihr vorgesetzt wird. Wenn diese Leute einmal damit rechneten, daß es doch nicht wahr sein könnte, was sie da erzählen, u. daß sie sich selbst um alle Glaubwürdigkeit bringen, wenn sie diese Lügen Leuten vorsetzen, die genau wissen, daß es Lügen sind. In d. Zentrale gehört: Die Frau Nickel ist noch im V.D. u. »geht nicht heraus.« Ich frage mich, warum man sie dann, trotz des Verbots von Volk u. Brauer, allmorgendlich noch hineinläßt? Es wurde mir geantwortet: »Sie weiß zu viel!« 3. März, Donnerstag. [3. März 1938] Gestern schrecklicher Tag. Mutter erzählte, Paul hätte am Rundfunk gehört, Niemöller sei zu 5/4 Jahren Gefängnis verurteilt worden. Ich konnte nachts nicht einschlafen, bin heute erst ¼ nach 9 zum Dienst. ( )a begegnete mir vor d. Tür u. teilte mit: Pfr. Kiel sei bereits da, in Erwartung der übrigen Deputation. Ein Sender habe durchgegeben, Niemöller sei gestern zu 7 Monaten Festung (!) u. 2000 M Geldstrafe verurteilt worden. Ich hatte ganz vergessen, daß wir ja noch d. alte Strafgesetz haben, das Festungshaft vorsieht. (Ob man diese Strafe nun doch ins neue Str.G.B. wieder einfügt?). Das Urteil erleichterte mich doch stark, aber ich wage noch nicht recht, es zu glauben. Ich hörte dann, es sei noch eine Besprechg. der Kirchenräte im Zimmer Lehmann. Nur Sasse u. Volk seien da, Fritz zugezogen! Es erschien dann noch Stier u. ein Mann, den ich nicht kannte. Halb 10 kamen Brakhage, Herztsch, Nitzsch u. Kühn; Mitzenh. sah ich nicht. In d. Zentrale waren gerade ich, Frl. Sommer u. Andres. Wir wünschten der Deputation »Alles Gute auf d. Weg«. Frl. Walter sprach in d. groß. Halle d. Ansicht aus, es würde nicht lange dauern, die Deput. würde in einer ½ Stunde wieder rausgeschmissen. Gestern Deputation aus Wartha. Dort soll der L.B. gesagt haben, er würde Brakhage auch noch entfernen. Sasse wäre wegen der Deputation wütend gewesen. Brakhage spricht in Wartha offenbar öfter, während zu dem D.C. niemand geht. 103 a

Zum Winterhilfswerk vgl. Anm. 341 aus 1937. Strichzeichnung Männerkopf, steht für Friedrich Bernewitz, vgl. Übersicht Strichzeichnungen.

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¼ vor 11. Ich kann nicht arbeiten. Ich war unten in d. kl. Halle u. versuchte, etwas zu hören, es war aber noch ruhig. Man hörte Volks Stimme. Frl. Kleinsteuber, die früher immer sehr höflich war, überlegt sich jetzt, ob sie mich grüßen soll. Sie will durchaus zu den D.C., fort aus der Verwaltg. Ich nahm es augenblicklich als ein Zeichen, daß es den D.C. nicht gut ginge, daß der Niemöllerprozeß eine für uns günstige Wendung nähme. Wenn Fritz wirklich zugezogen worden ist, dann sitzt er jetzt im weißen Saal im Fegefeuer. Aber es geschieht ihm recht. Mitzenheim sei übrigens, gleich nach den anderen, auch noch pünktlich erschienen. Auch K.reg.rat Helmrich will d. Urteil üb. Niemöller auf Festung am Rundfunk gehört haben. Heute Argus. Ein Züricher Blatt teilt üb. d. Niemöllerprozeß mit, Prof. Sauerbruch hätte als Zeuge ausgesagt, die vaterländ. Einstellg. von Niemöller sei über jeden Zweifel erhaben. Der Staatsanwalt hätte die Anklage auf Hochverrat u. Anstiftg. monarchischer u. politischer Komplotte fallen lassen. 12 Uhr. Es ist zum allgemeinen Erstaunen immer noch ruhig im weißen Saal. Man läßt offenbar einen der Pfr. nach dem anderen reden. Vorhin hieß es, »Brakhage redet«, jetzt »Hertzsch«. In der großen Halle sah ich vor 1 Stunde 1 Mann sitzen, von dem mir niemand sagen konnte, wer er war. Eben hörte ich: Geh. Staatspolizei. Er sitzt in Stübers Zimmer, u. was er tut ist, »Schriftenvergleich«. Ob Handschriften oder Druckschriften? Ich weiß nicht, was ich mir darunter denken soll. Abds. Mittags war ich bei Ottos. Auch dort Freude u. Erleichterung über das Urteil, das die Ehre nicht berührt u. damit uns alle entlastet. Merkwürdig, wie kenntnislos auch »Gebildete« sind. Eine alte Lehrerin war bereits in Verzweiflg. bei Ottos erschienen wegen der Verurteilg. von Niemöller. Auch im Haus oben sehen mich einige Leute zweifelnd an, als ich von »Rehabilitierg.« sprach. Am unbegreiflichsten benahm sich Therese, die das Urteil durchaus »furchtbar« finden wollte. Gegenüber dem, was möglich gewesen war, ist es beinah ein Freispruch. Auch 2000 M Geldstrafe sind nicht viel. Therese hatte an 50 u. 100 gedacht! Man erlebt Seltsames bei seinen Freunden. Die Gauzeitung bringt die Verurteilg. unter der Schlagzeile »Pfarrer Niemöller verurteilt.« Der »Völk. Beoab.« soll von »Kanzelhetze« geredet haben. Keiner hat den Mut, die Sache so darzustellen, wie sie ist, nämlich als Blamage für die Ankläger. Nachmittags halb 3 hingen die Mäntel u. Hüte nicht mehr in d. kleinen Halle. Spigaht hat sich auf Befragen folgendermaßen geäußert: »Befriedigend war es nicht gerade. Nein, keineswegs. – Die einigen sich ja nie.« (Wenn sie das wenigstens begriffen haben!). Der Mann von der Gestapo hat sowohl Handschriften wie Druckschriften durchgesehen. Die Akten »Michaelis, Weimar« wurden verlangt. Ob der Unfug nun bald aufhört?

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D. 4. März, Freitag. [4. März 1938] Gestern Abd. Beamtenversammlung im Schmelzerhof. Ein guter Redner, Ohland. Sprach zuerst sehr sympathisch u. überzeugend. Sehr bald aber schon ging es los: »… Wer einen falschen Glauben hat … u. immer noch aus dieser alten Konservendose lebt … Pfaffen (Beifall) … Gebet. Gebet hilft nichts. Glauben Sie denn, »daß die Tausende von Priestern u. Mönchen, die in Rußland abgeschlachtet worden sind, nicht gebetet haben? Wir Nationalsozialisten wissen am Besten, was beten heißt. Da bin ich heute hier in einem Prozeß gewesen – da wird der Mann gefragt: »Was tun Sie denn nun, wenn Krieg ist?« Da sagt der: »Da bete ich!« Nun frage ich Sie …« usw. Nun geht es los gegen das Gebet! Ich erfuhr hinterher, daß gestern früh hier im Landgericht ein Prozeß gegen »Ernste Bibelforscher«104 stattgefunden hat. (Die hat niemand von den Politikern früher gekannt, aber die Kirche hat sie gekannt u. bekämpft. Und jetzt gebraucht man die Lehre dieser Leute, um damit gegen Kirche u. Christentum zu kämpfen). Eben kam Luther, um nach meinen Eindrücken von gestern Abend zu fragen. Ich machte meinem Herzen Luft. Darauf erzählte er, er sei am Sonntag in einer Amtswaltertagg. im Fürstenhof gewesen u. da hätte er den Eindruck gehabt, daß die Partei auch nicht mehr recht wüßte, wie sie in diesem Punkt weiterkommen sollte. Die ewigen Schimpfereien gegen Kirche u. Christentum würden auf die Dauer langweilig. Ein Stützpunktleiter aus d. Rhön hätte ihm gesagt: »So gehts doch nicht. Man kann doch den Leuten in einer Dorfgemeinschaft nicht sagen: Das alles geht Euch nichts an. – Dann steht der Stützpunktleiter eben allein« usw. Hoffentlich mehren sich diese Stimmen. Im Haus erzählt man sich: »Der Luxemburger Sender hat durchgegeben, Niemöller sei noch nicht freigelassen.« Das erzählt man nur im Tone des Vorwurfs, u. ich soll wissen, warum das so ist. Ich kann auch nur die Achseln zucken. Dienstlich bekam ich zu lesen: Mitteilungen des »Deutschen Bibeltags in Halle«, stenographische Nachschrift einer deutschgläubigen Rede, die in Halle gehalten worden war. Es wird über »Kanzelhetze« geredet u. geschrieben. Wenn man aber liest, was gegen die Kanzeln gehetzt wird, dann wird einem die Verlogenheit dieses Schlagwortes klar. Heute Abend ist Bekenntnisgemeinsch. hinter der Mauer. Den Brief des Labi an Otto, von dem Müller erzählte, hat Otto nicht bekommen. Was es für Leute gibt – Frl. Koeppen, Ottos Sekretärin, sagte mir vor etwa 3 Wochen, sie hätte eine Bemerkung von mir deshalb zuerst nicht verstanden, weil sie garnicht gewußt hätte, daß Niemöller U-Boot-Kommandant gewesen sei! – Gestern traf ich die kleine Gemeindehelferin Frl. Schmidt, die über d. Urteil im Niemöllerprozeß 104

»Die Ernsten Bibelforscher betrachten sich als Bewahrer der Lehren von Charles Taze Russell. Nach der Übernahme der Präsidentschaft der Wachturm-Gesellschaft durch J. F. Rutherford kam es zu einer Auseinandersetzung, in deren Folge sich die Ernsten Bibelforscher von der Wachtturm-Gesellschaft trennten. Die Ernsten Bibelforscher sind nicht zu verwechseln mit den heutigen Zeugen Jehovas, mit denen sie ursprünglich die gleiche Bezeichnung teilten« Im Dritten Reich waren sie ab 1934 verboten und wurden verfolgt. In den Konzentrationslagern mussten sie den lila Winkel tragen.(https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Ernste_Bibbelforscher; eingesehen 18. August 2015).

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noch nichts wußte, trotzdem sie stundenlang mit Frl. Koeppen, die es wußte, zusammengearbeitet hatte! 4.3., nachmittags. Der Luxemburger Sender soll gesagt haben: Niemöller sei in ein and. Gefängnis gebracht worden. »Wegen Gefährdg. der öff. Sicherheit« könnte er nicht entlassen werden, d.h. die Partei wolle nicht, daß er entlassen würde. 10. März 38, (Donnerstg). [10. März 1938] Ich hörte am Sonnabend, daß d. Rundfunk mitgeteilt hätte, Niemöller sei im Konzentrationslager. Ich war ganz elend von dieser Nachricht, die ja unsere absolute Rechtlosigkeit u. den rasenden Haß der anderen beweist. Es war keine Bestätigg. zu erlangen. O. hatte erfahren »Konzentrationslager«. Die ausländ. Zeitungen sprechen von »Schutzhaft«. Aus einem holländ. Artikel, der gestern einging, ist zu entnehmen, daß er »in Einzelhaft« in einem K.lager ist. Wir sind eben, halb 3 Uhr, zum Dienst gekommen. Um 3 Uhr ist Otto bestellt zu einer »Vorbesprechung« oder »Voruntersuchung«. Fritz u. Morchutt. O. bringt Mitzenheim mit. 3 Uhr 10. Eben sind Otto u. Mitzenheim gekommen. In d. Zentrale freudig begrüßt von Frl. Sommer, Andres u. mir. Dann Händeschütteln in d. kl. Halle. Bernewitz kam auch noch dazu. Dann verschwanden sie im Zimmer von Fritz (Frl. Hasert stenographiert das Protokoll). Morchutt erschien später. Heute früh hat Sasse zu Volk gesagt: »Ich will Ihnen doch sagen, was ich mit Morchutt vereinbart habe.« Darauf verschwanden die Beiden. Irgendeine Teufelei. 6 Uhr abends. Wir haben jetzt Dienstschluß. Das Verhör scheint noch nicht zu Ende zu sein. Gerüchte im Haus: Niemöller hätte einem Wachtmeister im Gefängnis eine Ohrfeige gegeben. Er hätte in ihm einen Mann erkannt, der auf seinem Schiff 1918 gemeutert hätte. Damit soll erklärt werden, warum er noch nicht in Freiheit ist. Diese Geschichte wird wohl erfunden sein. O. spricht heute Abd. in d. Luthergesellschaft. Im »Deutsch. Christentum« u. in d. »Nationalkirche«105 wird bekannt gemacht, daß der Reichskirchenminister der »Bewegg.« der D.C. verboten hat, sich »Bewegung« 105

»Anordnung des Leiters der Reichgemeinde. Der Herr Reichs- und Preußische Minister für die Kirchl. Angelegenh. hat auf Grund des Ges. vom 7. April 1937 untersagt, daß Bezeichnungen in Verbindung mit dem Ausdruck Gau und Kreis und die Bezeichnung Bewegung weiterverwendet werden. Nachdem die Leitung der Reichsgemeinde über die dadurch notwendig gewordenen Veränderungen beraten hat, ordne ich mit sofortiger Wirkung folgendes an: 1. Der Name der Bewegung lautet künftig: Deutsche Christen, Nationalkirchliche Einung. 2. An Stelle der Bezeichnung Gaugemeinde tritt die Bezeichnung Landesgemeinde. 3. An Stelle der Bezeichnung Kreisgemeinde tritt die Bezeichnung Markgemeinde. Entsprechende Änderung der Satzung wird veranlaßt. Der Leiter der Reichsgemeinde gez. Siegfried Leffler« (NaKi 7 [1938], 90).

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zu nennen. Auch die Bezeichnungen »Gau«- u. »Kreis«-Gemeinde werden geändert.106 Der L.K.R. hat einen deutlichen Brief an den Kreisleiter geschrieben, weil der öffentl. getadelt hat, daß die Leute im »Sicherungs«- od. »Sperrgebiet« f. d. Maul- u. Klauenseuche noch in d. »Kirchen, Gasthäuser u. Kinos« gingen.107 Der L.K.R. kritisiert, daß der Kreisleiter sich nicht mit dem L.K.R. vorher in Verbindung gesetzt hätte. Es ist schon ein ziemlich unfreundliches Schreiben. Den 11.3.38 (Freitag). [11. März 1938] O. war gestern Abd. in d. »Luthergesellschaft«108 sehr in Schwung u. las entzückend Lutherbriefe von d. Coburg vor u. schilderte die Lage s.Zt in Augsburg.109 Es ist uns allen immer wieder ein Erlebnis, wie greifbar nahe gerückt u. wie verständlich uns die ganze Wirklichkeit von damals heute ist. Alle die Hoffnungen auf die Ankunft des Kaisers. Wie die Dinge hingezogen werden. Das Vertrauen auf die Hilfe des Herrschers und dann der Schlag, der alles evangel. Leben vernichten soll: Den Evangelischen wird das Predigen in Augsburg verboten. Der einzige Pfr., der dem Gebot trotzt, wandert ins Gefängnis. Dann Aktion der deutschen Fürsten beim Kaiser. Luther selbst rät zur Fügsamkeit, da Augsburg eine kaiserliche Stadt sei. Aber der Kurfürst schüttelt den Kopf: »Bin ich verrückt oder meine Theologen?« Und schließlich glaubt der Kaiser den gerechten Spruch gefunden zu haben: Weder die Evangelischen noch die Katholischen dürfen predigen! Und dann das Hin u. Her bis die Bekenntnisschrift überreicht wurde. Die kleinen Teufeleien! – Es ist, als ob wirs miterlebt hätten. – Leider war der Abend wenig besucht – die Getreuesten, sonst niemand. Es war nicht angezeigt worden. Danach erzählte O. aus dem Verhör, das bis kurz vor 7 Uhr gedauert hätte u. ziemlich fruchtlos verlaufen sei. Morchutt hätte sich immer wieder auf den Standpunkt zurückgezogen: »Sie sind Beamter u. haben zu gehorchen. Basta.« Es sei sehr schwer gewesen, ihm die primitivsten kirchlichen Gedankengänge klar zu machen. – Nachdenklich seien Morchutt u.Fritz erst geworden, als er, Otto, ihnen an Hand eines Schreibens klar gemacht hätte, daß u. wie oft der L.K.R. die Verfassg. verletzt habe. Da hätte keiner ein Wort entgegnet u. Fritz hätte schließl. nur gesagt, es sei ja hier nicht s. Aufgabe, den L.K.R. zu verteidigen, sondern Feststellungen zu machen. Volk hat sich ausgeschüttet über S. [Sasse]. Nichts Positives über S.s Vereinbarungen mit M. [Morchutt]. Bloß: »Geschwätz, Geschwätz, Geschwätz!« Er hat sich zum 1. mal in dieser Weise ausgelassen, über alle D.C.-Mitgl. 106

107 108 109

Vgl. dazu Anm. 336 aus 1937. »In einem Runderlaß vom 17.2.1938 wies der Reichskirchenminister darauf hin, daß unter das Verbot »auch ›Gau‹, ›Kreis‹ und ›Ortsgruppe‹ fallen, gleichviel ob die Worte allein oder in einer Zusammensetzung gebraucht werden, die darauf hinweist, daß es sich z.B. um einen Deutschen Christen-Gau oder -Kreis oder eine solche -Ortsgruppe handelt und daß ferner auch die Bezeichnung ›Bewegung‹ oder ›Reichsbewegung‹ unzulässig ist und allein die Partei das Recht hat, sich als Bewegung zu bezeichnen« (Dokumente zur Kirchenpolitik IV,78). Schreiben des LKR an Kreisleiter Köhler vom 8. März 1938, LKAE, A 999, 237. Zu den Zielen der »Luthergesellschaft« vgl. Hans Otte, Art. Luthervereine, in: EKL³ 3 (1992), 229; Theodor Knolle, Art. Luther-Gesellschaft, in: RGG² 3 (1929), 1778. Zum historischen Sachverhalt vgl. Martin Brecht, Martin Luther II., 356–395 (»Auf der Veste Coburg aus Anlaß des Augsburger Reichstags«).

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»Positives Chr.tum« Nr. 10 v. 6.III. bringt einen Artikel von Rehm »Entleerg. des Christenglaubens«, in dem er d. nat.kirchl. Bewegg. angreift u. ihnen zum Schluß sagt, sie möchten doch zu den Deutschgläubigen gehen; da gehörten sie hin. Die ersten Vorträge der »Verwaltungsakademie« am Mittwoch (9.) waren erfrischend. Schlicht u. sachlich, gar kein Trara (nicht mal »Heil« für den Führer – wie selbst gestern Abend in der »Luthergesellschaft«). Wie heute hier im Haus geflüstert wird, hat der Kreisleiter gleichfalls zur Begrüßg. sprechen wollen – u. nicht gedurft. Besonders Prof. Hedemann-Berlin sprach gut u. man ahnte etwas von den Kämpfen um d. neue Recht, besonders beim »Recht des unehel. Kindes«. Sonnabend, d. 12. März, 7 Uhr früh. [12. März 1938] Gestern Abend saß ich »zufällig« am Rundfunk u. wartete auf die Zeitansage. Es dauerte länger als sonst. Dann kamen die Nachrichten. Plötzlich: »… Schuschnigg zurückgetreten … Seyß-Inquart hat ein Telegramm an den Führer gerichtet u. Deutschland um Entsendung von Truppen gebeten.« Schluß. Nichts mehr. Kurz danach donnerten 2 Flugzeuge über d. Haus weg. Ob sie nach Österreich flogen? Sicher war auch die Einquartierg., die Georgs vor ein paar Tagen hatten, schon für Österreich bestimmt: 80 Mann Küstenartillerie. Vor 20 Min., als ich von zu Hause fortging, schon eine Nr. der »Gauzeitung« im Korridor. Heute Mittag 12 Uhr verliest Goebbels eine Proklamation des Führers. In Österreich wird wohl schon Blut fliessen. »Jetzt gehts los,« sagte Hake als er im Gang s. Stock aufhing. »Jetzt ists schon losgegangen«, sagte ich. 5 Min. später. Eben war Btz. hier. Ganz Österreich ist besetzt,110 besond. die Grenze nach d. Tschechei stark gesichert, der Bürgermeister von Wien aufgehängt. Neue Regierg. in Frankreich verlangt, Frankr. solle es als Kriegsfall betrachten – (Störung!) wenn die Unabhängigkeit der Tschechoslowakei bedroht würde. Mussolini um Vermittlung gebeten; lehnt ab. Btz. war wieder hier. In Rußland 19 Todesurteile, Blücher verhaftet. In Frankr. Blum schon wieder zurückgetreten. Man verlangt nationale Regierung, die Sowjetpakt kündigt. Btz. sagt: »Rußland löst sich auf.« Dann ist es kein Feind mehr. Der Augenblick zum Handeln ist günstig. Und trotz allem heute hier im Haus: Feindschaft, Mißtrauen. Obwohl der Augenblick alle zusammenschließen müßte. So tief hat sich d. Gift gefressen. 10 Min. später. Eben ging ich durch d. Haus. Seltsam. Was ist aus uns geworden. Viele grüßen garnicht. Kein Gedanke an das große Geschehen. Später am Vormittag. Arbeiten kaum möglich. Was mag geschehen? Es ist ein herrlicher sonniger Tag nach einer kalten Nacht. (Klein-Ruthi hat heute Geburtstag). Es klingt alles so bekannt wie aus der Kriegszeit: 110

Zu den politischen Vorgängen der Annektierung Österreichs vgl. den Artikel »Österreich 1938– 1945«, in: Enzyklopädie des Nationalsozialismus, 630–631

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»Die Panzerkaserne ist leer, alles z. Abmarsch bereit. Das 11. Armeekorps ist ausgerückt, die Gemusterten werden einberufen.« Diesmal trifft es eine andere Generation u. andere Familien. Was wird die Proklamation des Führers bringen? Ich muß an Niemöller denken. Wenn sie den nur mitlassen, wenn es losgeht. Der Gedanke, daß die Regierenden so wahnsinnig sein könnten, uns nicht zu trauen – das ist nicht auszudenken. Es ist doch wie eine Fügung, daß der Prozeß beendigt ist u. Klärung gebracht hat. Gestern fragte mich Klante: »Wie steht es denn mit Otto. Wohl hoffnungslos?« Ich antwortete: »Soweit man heute sehen kann, ja. Aber wer weiß, was morgen passiert. Das kann ja keiner wissen. Irgendein Wunder …. Wir haben ja genug Wunder erlebt in d. letzt. Jahren.« Halb 12. Unterhaltungen mit Verschiedenen. Es sollen nationalsoz. Demonstrationen auch in Prag stattgefunden haben. Ich werde um m. Meinung gefragt u. behaupte: »Mit Östreich wird alles gut gehen; in die Tschechoslowakei rücken wir nicht ein.« Das Arbeiten heute gebe ich auf. Das Haus steht so ziemlich auf d. Kopf. In d. groß. Halle geht d. Rundfunk bereits u. spielt Marschmusik, während noch getippt u. in allen Zimmern gearbeitet wird. Einige Leute unterhalten sich nur darüber, ob sie nach der Proklamation, die 20 Min. dauern soll, gleich nach Hause gehen dürfen. Flaggen ist angeordnet. Morgen auch, nur kurze Min. Fahnen senken weil Heldengedenktag.111 In Östreich hätten d. Kinder Schule frei. Daraus leiten d. Leute ab, wir müßten auch mit d. Dienst Schluß machen. 20 nach 12. Die Proklamation ist vorüber. Seit heute Morgen gehen deutsche Truppen über die östr. Grenze u., wie es scheint, ist Hitler bei ihnen. Göring Stellvertreter (wohl als Kanzler). Es ist einer der größten Tage der deutschen Geschichte. Wunder geschehen. Abends 9 Uhr. Der Tag verging wie in einem Rausch. Der Rundfunk – der Jubel aus Österreich – ich bin so froh. Und doch spürt man gerade heute die Wunden brennen, die das Verbrechen dieses sogen. Weltanschauungskampfes uns geschlagen hat. Daß man uns Hochverräter nennt u. damit ausschließt aus der Gemeinschaft. Die Generation, die das erlebt hat, wird es nie vergessen. Am Rundfunk werden eben »Morgenblätter« von Strauß gespielt, der wunderbare alte Wiener Walzer aus Großmutters Spieldose, eine so geliebte Kindererinnerung! Es ist ein Tag zum Verrücktwerden.

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»Einer der nationalen Feiertage, mit denen das NS-Regime Heldentum und Opferbereitschaft ehren und propagieren wollte. Aus dem Volkstrauertag zum Gedenken der Weltkriegsopfer wurde 1934 der Heldengedenktag. Dieser wurde am Sonntag Reminiscere begangen und war durch einen einheitlichen Ablauf strukturiert« (Enzyklopädie des Nationalsozialismus, 506–507).

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Montag, 14. März. [14. März 1938] Ich ging eben durch die große Halle. Im Zimmer Lehmann sollte Sitzg. sein – mit Fritz. Man hörte laut eine Stimme fluchen: »Himmeldonnerwetternocheinmal … Sakrament noch einmal …!« Österreich! Gestern Abd. ¾11 am Rundfunk noch die entscheidenden Gesetze! Östreich ist deutsch, u. wir können uns den Zustand schon nicht mehr anders denken. Es ist auch eine Bereicherung unserer Art, es ist ein talentvolles Volk mit einer – neben allen Schwächen – künstlerischen Leichtigkeit in der Form, die uns Reichsdeutschen abgeht. – Bei diesem ganzen Geschehen verläßt mich nicht die Vorstellung von dem Sprung eines lauernden Raubtiers auf seine Beute. Sie ist bereits verschlungen, ehe die Zuschauenden begriffen haben, was vorgeht. Und nun liegt d. Löwe blinzelnd in d. Sonne. nachmittags. Man hört heute hier im Haus, daß ganz Süddeutschland mobilisiert sei, auch alle Autos beschlagnahmt. Bis zur Linie Coburg-Sonneberg seien alle Kasernen leer, die Eingezogenen hätten z. Teil noch garnicht gedient. Der Landesbischof sei mit in Linz gewesen, auch Högg u. Rade; sie hätten zufällig in München irgendeine Ausstellung gemeinsam besucht. Beinahe wären d. Dienstauto u. Laue in Linz beschlagnahmt worden, weil man alle verfügbaren Autos brauchte. Nun wundere ich mich bloß, warum Sasse es nicht sofort zur Verfügung gestellt hat. Die evangel. Kirche Östreichs ist bereits gleichgeschaltet. Ein Pfr., der Parteigenosse ist, sei bei Hitler gewesen u. mit der Leitg. betraut worden112, die oberste Spitze der Kirche sei ein Jurist113, ein Staatsanwalt, der bisher schon irgendwie innerhalb der Kirchenleitg. mittätig gewesen sei. Er hätte bereits im Rundfunk gesprochen. Sie wollten ihren alten Glauben behalten u. dabei dem Führer treu sein … Den Kirchenkampf wolle man nicht … Dort wird der Staat wohl die Fehler vermeiden, die in Dtschld. gemacht worden sind. Man hat keinen »Kirchenkommissar« in Östreich eingesetzt u. d. Reichsbischof ist ein überwundener Standpkt. Baldur von Schirach hat gestern in Wien davon gesprochen, daß die Jugend nun nicht mehr durch Konfessionen zerrissen würde … (90% Katholische in Östreich!). Dienstg., d. 15.3. [15. März 1938] Wir haben eben die Kundgebg. in Wien (11 Uhr) am Rundfunk miterlebt. Ja, das kann man nicht schildern, was das war. Die Krone des deutsch. Reiches liegt in d. Wiener Hofburg. Der Landesbischof drehte uns allen auf s. Stuhl den Rücken zu. (Auch heute trug er d. Parteiabzeichen nicht). Freitag, d. 18.3. [18. März 1938] Wir finden uns in den neuen Alltag wieder hinein. Am Mittwoch Abd. Rede von Sauckel. Der Saal war mit weißer Seide u. gold. Girlanden geschmückt usw. Warum das?

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Gemeint ist Superintendent Dr. Johann Eder, der – zunächst kommissarisch mit der geistlichen Leitung der Evangelischen Kirche in Österreich betraut – später Bischof wurde; vgl. Meier, Kirchenkampf III, 547. Gemeint ist Staatsanwalt Dr. Robert Kauer, ebenfalls nur kommissarisch in der Leitung des Evangelischen Oberkirchenrats tätig; vgl. Meier, Kirchenkampf III, 547.

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Das hat doch keine innere Würde. Er schrie mit aller Lungenkraft u. … lieber Schluß damit. Nichts Neues in den kirchl. Dingen. Nur – der »Treueid« f. d. Pfr. kommt doch. Nach vielem Hin u. Her am Montg. in Berlin bewilligt.114 Hoffentl. schafft es nicht Schwierigkeiten, daß er diesem L.K.R. abgelegt werden muß. Ich habe Angst deswegen. Wir kamen eben, halb 3 Uhr, zum Dienst. Im weißen Saal soll eine Sitzg. sein mit 2 Herren aus Berlin, Volk, Lehmann, Hartmann, die jetzt, ¼ nach 3, noch andauert. Sie sollen sehr aufgeregt gewesen sein. Wir hofften schon auf einen Finanzausschuß115 aus Berlin; es wurden aber die Akten »Rodenberg« verlangt116, also doch wohl etwas harmloseres. Sasse ist wieder in Berlin. Er reist immerzu herum, muß alles mitmachen. Was es kostet, ist gleichgültig. Wir bekommen einen Umlauf in Bezug auf Reisekosten. Der Finanzausschuß hat wieder allerlei bemängelt. Es läßt tief blicken, wenn man so einigermaßen Bescheid weiß. Sonntag, d. 20.3.38. [20. März 1938] Heute nachmittag ein paar wunderschöne Stunden, herausgehoben aus dem Alltag, der uns zerrt u. uns zwischen Qual u. Freude hin u. her stößt. Otto hielt einen Gottesdienst mit Abendmahl in der Herleshäuser Kirche. Herleshausen ist hessisch u. so konnte er dort predigen. (Es ist so unglaublich u. so lächerlich, daß die alten Grenzen unserer Kleinstaaten kirchlich wieder eine Rolle spielen – aber nicht nur kirchlich, denn sie beschränken auch die Machtbefugnisse polizeilicher Gewalten wie Kreisamt, Ministerium u.s.w.). Es war ein strahlender Tag. Das Werratal öffnete sich weit, alles war so festlich u. wir so fröhlich. Etwa 70–80 Menschen waren aus Eisenach mitgefahren, der Bibelstundenkreis. Dann kamen wir in eine sehr alte Dorfkirche, u. das war ein ganz besonderes Geschenk. Sie war 1923 restauriert, sehr fein, Barockmalerei, sehr farbig. Im Altarraum ein wundervoller Spruch, den ich noch nicht kannte: 1. Maccab. 9,10: »Wenn unsere Zeit gekommen ist, so wollen wir ritterlich sterben um der Brüder willen, und unsere Ehre nicht lassen zu Schanden werden.«117 Dann sprach Otto. Zuerst über die deutschen Dinge: Östreich. Mit dem ganzen, heißen Herzen bei dem geliebten Volk, u. auch bei denen, die im Volk gegen uns kämpfen. – Reden wir nicht mehr davon, es tut zu weh. Ich bin in dieser Woche so kaputt u. kann die Qual fast nicht mehr ertragen.

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Eine Genehmigung der Kirchenkanzlei der DEK war nicht erfolgt; sie hatte von dem ganzen Vorgang offensichtliche überhaupt keine Kenntnis (vgl. Tgb. 23. März 1938). Dagegen entsprach die Treueidleistung der Pfarrer der Konzeption des Reichskirchenministeriums. »Angesichts des nationalen Überschwangs … in diesen Wochen [Angliederung Österreichs] sahen sich die Deutschen Christen veranlaßt, die bisher noch ausstehende Vereidigung der Geistlichen auf Hitler von sich aus in die Wege zu leiten … Als erste erließ die Thüringer evangelische Kirche … ein am 15. März 1938 in Kraft tretendes Kirchengesetz über die Vereidigung ihrer Pfarrer, die am 5. bis 7. April stattfand« (Meier, Kirchenkampf III, 44–45). Vgl. Gesetz über den Treueid der Geistlichen und der Kirchenbeamten der Thüringer evangelischen Kirche vom 14. März 1938, ThKbl/A 1938, 11. Vgl. Tgb. 10. März 1935 u.ö. [1935; 1936; 1937]. Zum Fall Rodenberg vgl. Biogramme und weitere Eintragungen. I Makk 9,10.

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Ich wagte nicht nach dem »Treueid«118 zu fragen. Frl. Koeppen sprach von dem Erlaß des L.K.R. über »Pflichtkonferenzen«.119 Es ist entsetzlich schwer für die verheirateten Geistlichen. Am Mittwoch Bruderrat, vielleicht ohne Otto, der morgen für 3 Tage nach Hannover fährt. Ich fragte nicht, was dort los sei. Gottesdienst u. Abendmahl dauerten über 2 Stunden. Wir gingen dann noch durchs Dorf u. über den Kirchhof, u. fuhren gegen 6 Uhr nach Hause. Ohne solche Stunden würde ich die Distanz zum Alltag verlieren. Ich verstand wieder so Vieles – aber es ist schwer. – In einer so wunderbar alten Dorfkirche ist man doch ganz anders wie in einer städtischen Kirche mit den deutschen Menschen der Vergangenheit verbunden. – Und daneben Sauckel im Fürstenhof vor weißer Seide u. goldenen Girlanden! Aus der Umgebung von Leutheuser hat Jemand gesagt, sie freuten sich schon, daß sie nun in Östreich missionieren könnten! Händevoll schwedische Artikel über Niemöller, mit Bildern von ihm selbst, mit Bild seiner Dahlemer Kirche, des Justizgebäudes, in dem der Prozeß gegen ihn stattfand. Frau Kirchenrat Franz, die diese Artikel teilweise übersetzt, sagt: »Niemöller hängt mir schon zum Hals heraus.« Das Eisenacher Gemeindeblatt erscheint wieder unter der Schriftleitung von Kühn. Ein Kompromiß.120 Hoffentlich spielt er die Schriftleitg. nicht Stier in d. Hände. Eben Rundfunknachricht. Man scheint die Sache in Östreich doch sehr anders anzufangen als s.Zt. bei uns, besonders als in Thüringen. Es werden zu Fahrten ins Reich jetzt 10 000 Arbeiter ausgewählt, ausgerechnet solche, die nicht Nationalsozialisten waren! Dienstag, d. 22.3.38. [22. März 1938] Gestern erfahren: Der Direktor der Musikschule in Weimar wollte die Johannespassion aufführen, Sauckel hat es verhindert. Heute wurde uns klar, was die aufgeregte Sitzung betr. Rodenberg zu bedeuten hatte. Er soll große Unterschlagungen begangen u. damit die »Wernofeh«, die Notgemeinschaft der ärmsten Handarbeiter des Thür. Waldes, seine eigene Gründung, geschädigt haben.121 Er ist D.C. u. sollte jetzt gerade Oberpfr. werden in Gehren anstelle von Schwendel, den man als Obpfr. abgesetzt hat, da er, neutral, zur B.K. neigt. Gestern u. heute 2 Vorträge vor der Betriebsgemeinschaft von D. König. Empörend – besonders der gestrige. Er sprach über die Bibel ehrfurchtslos wie ein Freidenker, platt, fahl, nichts dahinter. Otto bringt auch alles Sachliche zur Bibelkritik – aber wie ist das dort ganz anders! Hinter jedem Wort, auch jedem Wort der sog. »Kritik«, leuchtet die Größe auf. Er spricht mit Liebe u. Ehrfurcht von der Bibel, König »wegwerfend«. »Aufrichtig« wollte König sein. Wenn er ganz aufrichtig gewesen wäre, dann hätte er gesagt: »Kinder, es ist alles Schwindel. Wir wollen das alte Judenbuch in die Ecke werfen und den Laden hier zumachen.«

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Zum Gesetz vgl. Anm. 114. Vgl. Pfarrerkonferenzen, in: ThKbl/B 1938, 23–24. Vgl. dazu den Bericht von Pfarrer Gerhard Kühn, Unser Gemeindeblatt, Aus Luthers lieber Stadt 14 (1938), März-Nr., 7. Zur Vorgeschichte des Konflikts vgl. Tgb. 10., 17., 18., 21. September, 4., 15., 20., 21., 24., 28. Oktober, 2., 10. November 1937, 20. und 27. Januar 1938. Zum Fall Rodenberg vgl. Biogramme.

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Die Wirkg. auf den Betrieb scheinbar aufwühlend. Eins der jungen Mädchen »konnte die ganze Nacht nicht schlafen«, Hugo Müller, der Schuft, soll »begeistert« gewesen sein, andere wälzen die Sache hin u. her –. Es war einfach eine Sünde u. Schande. Mittwoch, d. 23.3.38. [23. März 1938] Heute ein sehr zwielichtiger Tag. Ich hörte: Unsere Machthaber müssen jeden Beschluß in Disziplinarsachen gegen BK-Pfr. künftig erst in Berlin vorlegen122, in der K.kanzlei. Ein Rückschlag für Sa., der »denen in Berlin auf den Kopf spucken wollte«. Also – das war ganz schön. Aber dann. – Abends bei O., der von Hannover aus heute direkt zu einer Bruderratssitzg. nach Erfurt gefahren war. Dort in E. hat man ihn auf d. Bahnhof mit der Weisung empfangen, nach Arnstadt weiter zu fahren, da die Versammlg. der Vertrauensmänner in Erfurt verboten sei. Sie sind in Arnstadt kaum 10 Min. beisammen, als die Polizei erscheint u. Ottos Akten beschlagnahmt. Notizen von einer Kirchenführerversammlung u. Berichte von verschiedenen Leuten, glaube ich. Während ihrer Verhandlungen sei ein Polizeibeamter anwesend gewesen. Das Büro des Bruderrates in Gotha ist auf Befehl von Sauckel mit Zustimmung von Kerrl (!) geschlossen u. versiegelt!!! Ende Nov. hat der Minister in d. bekannten Interview mit einem Redakteur der Niedersächs. Tageszeitg. bekannt gegeben, er würde »natürlich« dafür sorgen, daß nun auch den verschiedenen Richtungen ihr Recht werde. Was soll man dazu sagen. Es besteht offenbar die Tendenz, jeden Zusammenschluß, jede Führung, Eintreten irgendeiner Leitung für die angegriffenen Amtsbrüder unmöglich zu machen, jeden zu isolieren. Aus Östreich: Gauleiter Bürckel erläßt eine Verordnung in der den »Postenjägern« das Handwerk gelegt wird. Himmler hält eine Rede, in der er hervorhebt, es sei anständiger, nicht gleich zur Bewegg. zu stoßen u. im Handumdrehen die Überzeugg. zu wechseln, u.s.w.! Was soll das nur alles, wenn wir in unserem Alltag dauernd erleben, daß gerade umgekehrt gewertet wird. Was soll aus der Kirche werden! Der heldische u. opfervolle Kampf mutiger u. charaktervoller Männer wird erstickt, niemand darf auch nur davon wissen. Die Jugend erfährt nichts. O. hat in Hannover Vorträge gehalten innerhalb der Bek.gemeinsch. Aber selbst dort, im kirchlichen Raum, durfte kein Wort über die kirchenpolitische Lage gesagt werden. Es ist verboten, zu drucken, was geschieht. Es ist verboten, öffentlich davon zu reden. Es ist verboten, Benachrichtigungen vervielfältigt weiter zu geben, es ist nun den Pfarrern auch noch verboten, unbeaufsichtigt zusammen zu kommen, um zu beraten. Und wer kennt überhaupt diese Lage! Die Gestapo an Ort u. Stelle teilweise. Aber existiert überhaupt irgendjemand in Deutschland, in irgendeinem Ministerium – ja auch nur bei der Gestapo, der sämtliche Verordnungen u. örtlichen Maßnahmen in ganz

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Dafür gab es keine Rechtsgrundlage, lediglich einen Entwurf für die 18. Durchführungsverordnung, in der das Disziplinarverfahren gegen Pfarrer neu geregelt werden sollte. Demnach konnte gegen landeskirchliche Verfahren bei einem Disziplinarhof der DEK Einspruch erhoben werden. Dies hat jedoch keine Gesetzeskraft erlangt; vgl. Dokumente zur Kirchenpolitik IV, 166. Heß und Rosenberg erhoben Einspruch (ebd., 167–168).

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Deutschland über die B.K. überhaupt kennt? Denn die staatl. Stellen übersehen ja wieder alle die kirchlichen Unterdrückungsmaßnahmen nicht. Die Phantasie reicht ja nicht, um sich die Lage auszudenken. Sonntag Abd., d. 27.3.38. [27. März 1938] In Oesterreich warnt Himmler davor, zu schnell die Überzeugung zu wechseln. Es sei anständiger, nicht gleich zur Bewegung zu stoßen usw. Hier werten sie umgekehrt. Prof. Bohne hat erzählt, nach d. letzten Reichstagsrede (über Östreich) hätte der Führer vor vielen Parteileuten über die Presse gesprochen, die mit Spott u. Hohn gegen d. christl. Glauben zu Felde zieht. Er hätte u.a. gesagt, er läse diese Blätter regelmäßig, auch »Schw. Korps« u. »SA Mann«, u. sie machten sich lächerlich, wenn sie glaubten, daß man auf solche Weise eine Religion zerstören könnte. Wenn das nicht aufhörte, würde er gegebenenfalls auch die genannten Blätter verbieten lassen. – Obs wahr ist? Wir werden es ja merken. Vorläufig ist der »Durchbruch« verboten worden. Der Rundfunk hätte als Begründung angegeben, weil er den Kampf gegen die Kirche in einer Weise führe, die geeignet sei, das Volk zu beunruhigen. (Nachdem man das u. Schlimmeres 5 Jahre lang erlaubt hat – trotz aller Proteste???)123 – Herr Haas erzählte aus Kassel, es sei dort vor einiger Zeit bei einer Lehrerversammlg. gesagt worden, in den nächst. 2 Jahren müßte sich jeder Lehrer entscheiden, ob er noch Christ bleiben wolle pp. Jetzt sei der betreff. Schulrat samt dem mitschuldigen Kreisleiter abgesetzt worden. (Ich bezweifle diese Geschichten). Jemand fragte nach unserer Ansicht, ob der Machtzuwachs in Östreich das Tempo im Kampf gegen die Kirche steigern oder besänftigen würde. Einige glaubten das Erstere, ich das letztere. Wir glauben jetzt zu wissen, warum Franz neulich so wütend war u. nicht wieder nach Berlin wollte. Er hat offenbar die Stellg. eines Stellvertreters von Werner haben wollen, die nun an sr. Stelle ein früherer Berliner D.C. namens Fürle bekommen hat. Die Eisenacher Deputation sei Werner gerade recht gekommen.124 Er hätte Franz zu dieser Unterredung nicht mitgenommen, um die Eisenacher einzuschüchtern, sondern um Franz nachher zu sagen, daß in Thür. auch nicht alles so tadellos verliefe wie Franz es darstellte. Hohlwein »wackelte« in sr. Stellung, man sagte von ihm, er leistete nichts. Quelle für alles das: ein Mann aus dem »Wittenberger Bund«. Bekannter Name aus alten Zeiten, merkwürdige Laufbahn. O. ist nicht nur in Hannover, sond. auch in München gewesen, um mit Meiser zu besprechen, wie man dort den D.C. entgegentreten könnte, um dann die gleiche Behandlg. für die B.K. in Thüringen zu verlangen. 2 Wege wurden gefunden, entgegen steht das Territorialprinzip, von dem das K.Min. nicht abgehen will. (Unterstellg. der B.K. in Thür. unter die geistl. Leitung von Bayern, umgekehrt der D.C. in Bayern unter Thüringen. Verständigg. in Finanzsachen pp.) Es wird allerdings bezweifelt, daß der L.K.R. darauf eingeht, weil er nur etwa 20 D.C.-Pfr. in Bayern hat. Dann wäre mögl. Regelung dch. Gesetz. Alle Aufzeichnungen von O. über diese Verhandlungen hat leider die Polizei in Arnstadt aus O.s Mappe beschlagnahmt, ebenso seine Notizen über die Kirchenführerkonferenz in Hannover! Sie wissen nun also leider bereits, was man tun u. wie man 123 124

Zum unbefristeten Verbot des Durchbruchs vgl. JK 6 (1938), 326. Vgl. Tgb. 25. Februar 1938.

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vorgehen will. Der »Treueid«125 macht, Gott sei Dank, keine Schwierigkeiten, da es klar ist, daß die »Amtspflichten« begrenzt werden durch das Ordinationsgelübde126 u. durch die Verfassung.127 Prehn, der Rechtsberater der B.K. in Thür., war allerdings der Ansicht gewesen, daß man, wenn man den »Treueid« geleistet habe, die »Pflichtkonferenzen« besuchen müßte,128 die Pfarrer waren anderer Ansicht. All das mußte in Gegenwart der 2 Kriminalbeamten aus Erfurt besprochen werden! Frau Pfeiffer hatte von einem hess. Pfr. eine sehr merkwürdige Geschichte über den Vikar Herbener gehört, der z.Zt. Ottos Stelle verwaltet u. O.s Konfirmanden, soweit sie bei dem D.C. geblieben sind, konfirmiert. Er sei wegen Betrug in der hessischen Kirche nicht angestellt worden, hätte seine schriftl. Examensarbeiten abgeschrieben! Name des Pfarrers, der es erzählt hat, wurde genannt! Wegen des Treueids hatte Otto übrigens gehört, die Kirchenkanzlei hätte das Gesetz nicht bewilligt, hätte garnicht gewußt, daß es nun doch veröffentlich würde. Das ist also mit Kerrl gemanaged! Sie haben freie Hand bekommen, um hier zu experimentieren u. wir sind die Opfer. Mittwoch, d. 30.3.38. [30. März 1938] Frl. v. Ranke war heute früh zu Sasse bestellt u. ließ mir danach sagen: Ihr sei gekündigt worden zum 1.10., beurlaubt sei sie ab 1.4. (Übermorgen!) Und zwar aus 2 Gründen: 1.) weil sie an Ottos Gottesdienst in Herleshausen teilgenommen hatte, 2.) weil sie einen Brief an Stier geschrieben hätte, sie könne nicht als Gemeindehelferin eines deutsch-christlichen Pfarrers tätig sein! Auf Volks Tisch liegt ein Brief von Frl. Kleinsteuber, in dem sie mitteilt, in der Stadt würde darüber geredet, daß Angestellte (!) des L.K.R. an Ottos Gottesdienst in Herleshausen teilgenommen hätten. Diese Tatsache sei geeignet, dem L.K.R. zu schaden, es sähe so aus, als stünde die Gefolgschaft nicht geschlossen hinter der Behörde u.s.w. Eine ganz glatte Denuntiation! 2 Stunden später. Jemand, der in d. großen Halle gesessen hat, hat erzählt, Sasse hätte furchtbar gebrüllt, von Frl. v. R. hätte man nichts gehört. Auch Bauer [W.] sei dabei gewesen. Als sie weggegangen sei (hat Frl. v. R. erzählt), habe sie mit »Heil Hitler« gegrüßt. Niemand hätte ihr geantwortet. Da kann ich mir ein Bild machen, was mir geschehen würde – u. vielleicht auch geschieht. Montag, d. 4.4.38. [4. April 1938] Ich habe gestern verschiedenes gehört, was auch mich persönlich betrifft, möchte es aber nicht aufschreiben. 125 126

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Vgl. Anm. 118. Vgl. z.B. die ähnliche, in etwa gleichzeitige Situation in Württemberg: Geistliche, die ohne Berufung auf das Beamtenverhältnis Religionsunterricht an öffentlichen Schulen erteilten, sollten ein Treuegelöbnis auf den Führer ablegen. Der Oberkirchenrat in Stuttgart empfahl das Gelöbnis, machte aber geltend, dass Geistliche als Diener am Wort an die Heilige Schrift gebunden seien; vgl. Thierfelder, Auseinandersetzungen … in Württemberg, 238–239. Diese Aussage bezieht sich auf Thüringen; in anderen Landeskirchen war die Treueidforderung umstritten (vgl. Meier, Kirchenkampf III, 43–54. Vgl. Pfarrerkonferenzen, in: ThKbl/B 1938, 23–24.

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Heute las ich in »Deutsches Chr.tum« Nr. 16, der Zeitg. der Nationalkirchler, daß Bischof Weidemann-Bremen nach einer Mitteilung des »bremischen Staatsamtes« in d. »Bremer Nachrichten« vom 15.3. »aus d. Staatsrat entlassen« ist, da er »dch. sein Verhalten absichtlich u. in herausfordernder Weise gegen d. Reichsgesetz zum Schutz der nat. Symbole v. 19.5.33129 … verstoßen hat ….«130 Die Nationalkirchler teilen dazu »auf Wunsch der norddeutschen Kameraden« mit, daß L.Bischof. Weidemann »nicht Mitglied der D.C. nationalkirchl. Einung ist.«131 Bischof Innitzer hat in einem weiteren Brief an den Gauleiter Bürckel bekundet, daß die Erklärg. der östreich. Bischöfe zum Umschwung in Östreich spontan und ohne Zwang pp. erfolgt sei.132 – Auch die Evangelischen stellen ausdrückl. fest, daß sie »nicht nachhumpelten«, sondern selbst Verfolgte gewesen seien.133 Die Erklärungen der kathol. Bischöfe sind als Wahlplakat veröffentlicht worden. Innitzer spricht von der Hoffnung, daß nun in d. Beziehungen zwischen Staat u. Kirche eine Wendung eintreten

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Gesetz zum Schutz der nationalen Symbole vom 19. Mai 1933, Reichsgesetzblatt 52/1933, 285– 286. Dr. Weidemann aus dem Staatsrat entlassen, Deutsches Christentum 3 (1938), Nr. 12, 5. Deutsches Christentum 3 (1938), Nr. 14, 5. Dieselbe Meldung findet sich auch in NaKi 7 (1938), 135: »Das Bremische Staatsamt teilt mit: ›Der Präsident und Landesbischof der Bremischen Evangelischen Kirche, Lic. Dr. Weidemann, hat durch sein Verhalten absichtlich und in herausfordernder Weise gegen das Reichsgesetz zum Schutz der nationalen Symole vom 19.5.1933 und die aufgrund dieses Gesetzes erlassene Bremische Verordnung über die Verwendung eines Namens von nationaler Bedeutung vom 3. Dezember 1937 verstoßen. Der regierende Bürgermeister hat deshalb Lic. Weidemann gemäß § 6, Absatz 2, des Gesetzes über den Bremischen Staatsrat vom 1.8.1933 aus dem Staatsrat entlassen.‹ Auf Wunsch der norddeutschen Kameraden stellen wir dazu fest, daß Landesbischof Weidemann nicht Mitglied der Deutschen Christen Nationalkirchlicher Einung ist.« (JK 6 [1938], 366–367). Zu den politisch-kirchenpolitischen Vorgängen im Einzelnen vgl. Liebmann, Theodor Innitzer. Ein erster zustimmender Aufruf Innitzers zum Anschluss Österreichs an das deutsche Reich war am 14. März 1938 ergangen (vgl. JK 6 [1938], 277). Am 18. März 1938 gaben die österreichischen Bischöfe eine »Feierliche Erklärung« ab, die mit dem Satz begann: »Aus innerster Überzeugung und mit freiem Willen erklären wir unterzeichneten Bischöfe … «. Sie wurde mit einem Schreiben Innitzers an Bürckel übersandt, in dem es eingangs heißt: »Beigeschlossene Erklärung der Bischöfe übersende ich hiermit. Sie ersehen daraus, daß wir Bischöfe freiwillig und ohne Zwang unsere nationale Pflicht erfüllt haben« (JK 6 [1938], 307); auf diese Texte bezog sich die Tagebuchschreiberin hinsichtlich der Wendung »ohne Zwang«; erst im zweiten Schreiben Innitzers an Bürckel vom 31. März 1938 findet sich die Wendung »spontan« (Liebmann, Theodor Innitzer, 126). In diesem Schreiben gab Innitzer auch der Hoffnung Ausdruck: »Ich möchte darüber hinaus Ihnen ganz offen meinen innigsten Wunsch in diesen geschichtlichen Tagen bekannt geben, nämlich daß mit der Erklärung der Bischöfe ein Wendepunkt im religiös-kulturellen Leben unseres Gesamtvolkes eingetreten sein möge, der eine Zeit größter Befriedung und Aussöhnung zwischen Kirche, Staat und Partei einleitet« (JK 6 [1938], 362; Liebmann, ebd. 127). Die »Feierliche Erklärung« wurde am 10. April von den Kanzeln in Österreich verlesen (JK 6 [1938], 308) und auch plakatiert (vgl. Liebmann, Theodor Innitzer, 91). Zur Position der Evangelischen Kirche in Österreich vgl. JK 6 (1938), 298–306. Die Angaben der Tagebuchschreiberin über die Verfolgungssituation der Evangelischen Christen Österreichs sind allerdings nur mittelbar aus den hier abgedruckten Dokumenten zu entnehmen; vgl. aber z.B. S. 300 o. 305.

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würde. Die Evangelischen sprechen ihre feste Hoffnung aus, mit allen Mitteln den Kirchenstreit in Östreich zu vermeiden. Ob es gelingt? – Hier merkt man nichts von einer Besserg. Morgen sollen die Pfr. der verschiedenen Kirchenkreise auf den Führer vereidigt134 werden, aber 4 Pfr. sind nicht mit aufgefordert, darunter Brackhage, Fontius, Stegmann u. noch einer. Dienstg., d. 5. April 38 [5. April 1938] Heute L.K.R.-Sitzg. Tagesordnung u.a.: »V.O. zur Sicherung der geistlichen Versorgung!«135 Weiter weiß ich nichts. Heute ist die Vereidigg. der Geistlichen. Es wird im Haus laut darüber gesprochen, daß Brakhage wegen der Bemerkung seines 9-jährigen Jungen in d. Schule nicht eingeladen worden ist. (Auf d. Frage, wer Hitler sei, antwortet d. Kind: »H. ist ein Volksverräter!« Wenigstens wird d. Sache so erzählt.) Brakhage gibt andere Darstellung!136 Nachricht aus sicherer Quelle: Den Bauernführern sei verboten worden, aus der Kirche auszutreten! Aber Niemöller ist immer noch im Konzentrationslager. Er hat auch keinen Urlaub bekommen zur Konfirmation seines Sohnes (Mitteilg. einer französ. Ztg. u. der Gräfin Bose, die eine Tochter von N. gesprochen hatte). Am Freitag Abend (1.4.) bei Frau O. [M.], (Ernst Otto verreist). Frau Otto zeigte mir einen Brief von Pfr. Heubel (Thür. D.C.) an alle Thür. Pfarrer. Inhalt: Man wolle

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Die Thüringische Kirchenregierung war die erste, die den Geistlichen und Kirchenbeamten einen Eid auf den Führer abverlangte. Nach anfänglichem Zögern und mit Verweis auf das vorrangige Ordinationsgelübde legten dann auch die Geistlichen der LBG und des WB sowie die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft der lutherischen Pfarrer den Eid ab. Zuvor hatte es Fühlungnahmen mit Meiser und Wurm gegeben. »Nur die Pfarrer Bauer-Lichtentanne, Heinrich-Pößneck und Nitzsch Eisenach wurden zur Ableistung gar nicht erst eingeladen, da sie zu den schärfsten Gegnern der DC gehörten und mit Staats- und Parteistellen in Auseinandersetzungen verwickelt waren« (Gerlach, Die Kirche vor der Eidesfrage, 93–95). Diese Darstellung ist nicht ganz korrekt; denn sowohl Bauer als auch Nitzsch wurden zur Eidesableistung eingeladen, dann aber aus verschiedenen Gründen vorerst nicht vereidigt (LKAE, G 1408, 96). Pfarrer Franz Bohnsack verweigerte sich der Eidesleistung, weil er die Gefahr sah, dass die Kirche sich damit dem Staat ausliefere. Er wurde am 1. Mai 1938 in den Ruhestand versetzt. Gleichwohl erklärte Sasse in einem Telegramm an Hitler: »Mein Führer! In großer geschichtlicher Stunde haben sämtliche Pfarrer der Thüringer evangelischen Kirche, einem inneren Befehl gehorchend, den Treueid auf Führer und Reich freudigen Herzens geleistet. Möge Gott der Allmächtige weiter mit Ihnen sein! Unsere Treue zu Ihnen sei der Dank an die Vorsehung, die den Retter aus tiefster Not, den Gründer Großdeutschlands, gesandt. Ein Volk – ein Führer – ein Reich. Ein Gott – ein Gehorsam im Glauben. Heil Ihnen, mein Führer!« (ebd.). »8. Verordnung über Minderheitenschutz. Kirchenrat Dr. Volk trägt den von der Leitung der Deutschen Evangelischen Kirche vorgelegten Entwurf einer Verordnung zur Sicherung der geistlichen Versorgung vor. Dem Entwurf wird zugestimmt. – Kirchenrat Stüber wird beauftragt, als Vertreter des Landesbischofs an der Beratung des Gegenstandes in Berlin am nächsten Freitag teilzunehmen« (Protokoll der Sitzung des LKR am 5. April 1938, LKAE A 122). Vorgang nicht mehr zu ermitteln; Brakhage wurde am 7. April 1938 vereidigt; vgl. LKAE, G 1432, 33.

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doch den Kirchenstreit begraben.137 Es würde ja nicht erwartet, »daß alle gleich deutsche Christen würden«, aber man solle sie doch nicht mehr hindern, dem Führer zu folgen – so eine Wendung, dem Sinne nach. Ich saß einfach sprachlos da. Da bleibt einem wirklich die Spucke weg. An demselben Tag hatte Bauer [G.] die Mitteilung bekommen, daß er in den Wartestand versetzt sei138 u. Frau Otto [M.] hatte schon den ganzen Tag auf das gleiche Schreiben für ihren Mann gewartet. Das hat er vielleicht jetzt auch. – Nachdem der erste Choc überwunden war, fiel mir auf, daß dieses Heubel’sche Schreiben typischerweise niemanden verpflichtet, Leffler nicht u. den L.K.R. nicht. Es ist offenbar nur geschrieben, um wieder einmal behaupten zu können, man habe den B.K.-Leuten »die Hand hingestreckt u. wir hätten wieder einmal nicht eingeschlagen. Ich muß doch den schönen Satz festhalten, der in Bezug auf mich gefallen ist: »Leute, die Ernst Otto ›hörig‹ sind, können wir nicht brauchen.« Auf so etwas kann man wirklich nur mit Ohrfeigen antworten – eigentlich. Aber als Frau ist man da eben hilflos u. kann nur verachten. Montag, d. 11. April 38, 7½ Uhr früh. [11. April 1938] Eben ist die Morgenandacht vorbei. Sasse sprach. Diesmal hat er nicht gesagt, daß die Bek.front an den Nein-Stimmen schuld wäre.139 »Nun danket alle Gott« zum Schluß. Als ich heute nachmittag zum Dienst kam, fiel mir ein merkwürdiges Gerüst auf d. Turm der Wartburg auf. Es wurde mir später gesagt, der Kreisleiter hätte ein Hakenkreuz oben aufrichten lassen. Später erzählte Frl. S., Jansa hätte ihr gesagt, der Kreisleiter hätte gesagt, er könnte das (Christen-)Kreuz da oben nicht mehr sehen (der Mann war bis vor einiger Zeit noch D.C. u. Mitglied der Kirchenvertretung!) Heute Abend fand ich in der Stadt Extrablätter der Zeitungen angeschlagen, die die Einwohner zu einer Feierstunde im Wartburghof aus Anlaß d. Errichtg. dieses Hakenkreuzes einluden. Partei, Gliederungen u. Verbände waren befohlen. Bei Dunkelwerden marschierten sie hinauf, mit Fackeln werden sie zurückkommen. Es ist wie ein Hohn auf den Vertrauensbeweis, den das Volk gestern gegeben hat. Bezeichnend, daß der Kreisleiter von diesem Plan noch gestern nichts verlauten ließ. Es wurde vor Monaten bereits einmal von diesem Plan Köhlers gemunkelt; aber man konnte nichts genaues erfahren. Jetzt tut er so, als sei die gestrige Abstimmung der Anlaß.140 137 138

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Schreiben des Leiters der Landesgemeinde an sämtliche Oberpfarrer und Pfarrer des Gaues Thüringen vom 29. März 1938, LKAE, WB 8, 225. Schreiben nicht aufzufinden; Bauer war ab 1943 Pfarrer in Stargard (Pommern). Die Personalakte (3 Aktenordner) wurde an das Konsistorium Stettin abgegeben. Zur Amtsenthebung Bauers vgl. Tgb. 5. und 8. Februar 1938. Sasse bezog sich auf die Volksabstimmung am 10. April 1938, mit der der Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich bekundet werden sollte (vgl. dazu den Kanzelaufruf des Landesbischofs zur Volksabstimmung am 10. April 1938, Deutsches Christentum 3 (1938), Nr. 14, S. 5). Am 10. April ließ der Kreisleiter Köhler (mit Rückendeckung von Sauckel?) das christliche Kreuz demontieren und durch ein Hakenkreuz ersetzen. Es gab allerdings erhebliche Proteste, sodass Sauckel sich bereits vier Tage später veranlasst sah, es wieder abnehmen zu lassen. Am 13. Mai 1938 war das Lutherkreuz wieder auf dem Bergfried zu sehen; vgl. zum Vorgang im einzelnen Schuchardt, Die Wartburg, in: Heiden/Mai, Nationalsozialismus in Thüringen, 395–396.

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In der vergangenen Woche beschäftigten mich stark zahllose französische u. belgische Zeitungen über die Angelegenheit der Stellungnahme der östreichischen Bischöfe zum Umschwung in Östreich. (Der protestantische Kirchenkonflikt hat die franz. Presse wenig beschäftigt, mehr die englische. Bei den kathol. Angelegenheiten ist es offenbar umgekehrt – übrigens ein Zeichen dafür, daß nicht in 1. Linie politsche Interessen dabei im Spiel sind). Zuerst Gerüchte über Besserung der Beziehungen, vor 14 Tagen Besuch des Nuntius bei Ribbentrop, am gleichen Tag der »Durchbruch« verboten, der einen Angriff auf die östr. Bischöfe gebracht hatte. Andeutungen, als würde vielleicht Hitler den Papst besuchen, Dementis, Hin u. Her. Plötzlich Mitteilungen in d. Zeitungen vom 2. u. 3. April: Am Freitag Abend sei eine Notiz im Osservatore Romano erschienen, mit der in aller Form der Erlaß der östr. Bischöfe gebrandmarkt würde. Der Vatikan trüge keine Verantwortung dafür. Am gleichen Abend (1.4.) hat der vatikanische Sender sich in deutscher Sprache vernichtend über die Erklärg. der Östreicher geäußert. Es fielen die Worte »Würdelosigkeit« u. »Treulosigkeit«. Das schlug ein. Begeisterte Anerkenng. französischer Blätter. Mitteilungen aus Wien: Innitzer wolle abdanken u.sich in ein deutsches Kloster zurückziehen. Dann wieder: Innitzer sei nach Rom bestellt, um sich zu verantworten. Alle Meldungen über Innitzer wurden dann dementiert. Und dann das seltsamste Dementi: Der Vatikan hätte mit der Freitag-Abend-Sendung des eigenen Senders nichts zu tun, weder sei diese Sendg. offiziell noch offiziös noch inspiriert! Das Zusammentreffen mit der Notiz im »Osservatore« sei zufällig! Das ist einigen französischen Blättern doch zu toll u. sie bezeichnen dieses Dementi als unglaubhaft. Das belgische Blatt »[Le] Vingtieme Siecle« benimmt sich respektvoller u. setzt lediglich Tatsachen nebeneinander, der Leser wird zu denselben Schlußfolgerungen veranlaßt. Engl. Zeitungen kritisieren unbefangen. Plötzlich kommt erst Innitzers Sekretär u. dann er selbst nach Rom! Bei dieser Gelegenheit wurde mir erheiternd klar, daß die Meldungen der ausländ. Journalisten über diese Dinge auch nicht viel inhaltsreicher sind als die Neuigkeiten, die ich über die Tätigkeit der D.C. im L.K. R. erfahre. Irgendjemand sei gekommen, da u. da so u. so lange geblieben, man nimmt an … u.s.w. Genau dasselbe. Ich kann mir so gut vorstellen, wie sie zusammensitzen u. kombinieren! Ergebnis des Besuchs von Innitzer in Rom offenbar eine letzte Verlautbarung der Bischöfe im Kathol. Kirchenblatt, das am 8.4. (vor der Zeit) erschienen ist u. noch einmal für das »Ja« zur Abstimmung warb! Es erschien mir sehr bemerkenswert, daß der Vatikan trotz seiner über 1000-jährigen diplomatischen Erfahrung derartig aus der Fassung geraten ist, daß er es nicht verbergen kann. Ist das überhaupt schon einmal dagewesen?141 Ein Blatt fabelte sogar von einer Spaltung (Schisma) in der kathol. Kirche. Das scheint mir etwas verfrüht. Aber ein Einbruch ist geschehen.

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Zu den Vorgängen um den Anschluss Österreichs und insbesondere zur Rolle von Innitzer vgl. Liebmann, Theodor Innitzer.

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Am 2. hat die Fuldaer Bischofsversammlg. getagt, um über eine gemeins. Kanzelerklärg. zur Wahl142 zu beraten. Auch darüber vorher Meldungen, die dann nicht stimmten. Sie haben sich nicht geeinigt u. jedem überlassen zu machen, was er wollte. Nur der Fuldaer hat einen Aufruf, sehr warm, mit Aufforderg. zum »Ja« losgelassen, die anderen haben geschwiegen; aber nicht gegengearbeitet, sondern offenbar für, denn gerade auch in katholischen Zentren (Köln) war das Abstimmungsergebnis vorzüglich, Fulda hat nur 5 Nein-Stimmen! (Eisenach 488). Kaltenwestheim, das geplagte, hat 100-prozentig mit »Ja« gestimmt! 475 Stimmberechtigte, 475 Ja-Stimmen! Ich wurde heute im Haus auffallend höflich gegrüßt, auch von Sasse. Wie lange wird es dauern? Ich saß gestern Abend noch bis ¾12, um d. Abstimmungsergebnis zu hören. Sehr schön die Feierstunde in Wien mit der kurzen Rede des Führers. Wenn ich meine Aufzeichnungen lese u. sehe, daß wir mit Blutvergießen am 12.3. gerechnet haben! Aus einigen Veröffentlichungen geht hervor, daß auch die Soldaten zunächst darauf gefaßt waren! Sehr stark klang aus Hitlers Rede, daß er sich »geführt« weiß. Das muß an diesem Geschehen doch Jedem klar werden. Dienstag, d. 19.4.38. [19. April 1938] Vor 8 Tagen nachmittags stellte ich fest, daß das Gerüst um das Hakenkreuz auf d. Wartburg plötzlich wieder aufgebaut wurde. Später erfahren dch. Frau Sommer – Labi D. Reichardt [W.]: Am Dienstg. nachm. bereits habe der Vorsitzende der WartburgStiftg., Demmer, die Verfügg., nach der das Hakenkreuz wieder entfernt werden müsse, in der Tasche gehabt. Die Großherzogin habe sich »nach Berlin« gewendet!143 Man hört von allen Seiten. Auch in der Partei, in der SA. wird über diesen Streich des Kreisleiters geschimpft. – Köhler habe gesagt: Es sei »der Traum des Gauleiters« gewesen. – Andere behaupten, Köhler hätte am 17. abends, kurz vor der Feier, an Sauckel telephoniert u. der sei mit der Sache einverstanden gewesen. Im Kreise der SA soll d. Kreisleiter seiner Befriedigg. darüber Ausdruck gegeben haben, daß niemand vorher von s. Plan etwas gemerkt hätte. »Sonst hätten wir noch mehr »Nein«- Stimmen der B.K. bekommen«.(Die Nein-Stimmen in Eisenach wurden im Wahllokal B.M.W.-Siedlg. u. Hellgrafenhof (Arbeiterbevölkerung) abgegeben). Sasse hätte »Kitsch« gesagt u. über das Ereignis einen Brief an Kerrl geschrieben (Ostersonnabd.). 142

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»Vor dem Reichstag begründet Hitler die Heimholung Österreichs, das als Rumpfstaat vollkommen lebensunfähig gewesen sei. Dies sei die Verantwortung der ›Herren Demokraten in London und Paris‹. Nach der Rede Hitlers löst Reichstagspräsident Göring das ›Parlament‹ auf und setzt Neuwahlen in Deutschland und in Österreich für den Reichstag des Großdeutschen Reiches am 10. April zusammen mit der Volksabstimmung an« (Tageschronik: 18. März 1938. Das Dritte Reich, S. 2862; vgl. DGK Bd. 2.1, S. 432) (c) Droste/Directmedia). Nach offiziellen Angaben ergab die Wahl eine überwältigende Übereinstimmung zur Politik Hitlers, insbsondere zur Anschlusspolitik. Vgl. dazu Schreiben des Rates der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands an Pfarrer Mitzenheim vom 5. Mai 1938 und dessen Antwort vom 6. Mai 1938, LKAE, LBG 235, 12 und 13.

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Karfreitag u. Sonnabd. in Marburg bei Ottos. Frl. Helmbold ist plötzlich nach – Steinach versetzt worden, die höchste Gemeinde des Thür. Waldes. Man hat ihr in Weimar gesagt, es lägen keinerlei Klagen über ihre schulische Tätigkeit vor. Die Versetzung erfolge, »weil sie sich für einen politisch verdächtigen Pfarrer eingesetzt hätte.« Und dabei besteht der »polit. Verdacht« zu Unrecht! In den letzt. Tagen vor dem Fest wurde im Haus erzählt, Niemöller sei frei, aus d. Konzentrationslager beurlaubt, »da seine Frau schwer erkrankt sei.« Einige erzählten, er sei überhpt. frei, andere sagten: nur für 3 Tage. Otto wußte nichts davon u. sagte, man dürfe garnichts glauben, es liefen die unkontrollierbarsten Gerüchte. Ellwein hätte neulich in Marburg erzählt, Niemöller sei frei und wieder in seinem Heim u. es hätte sich als unrichtig herausgestellt. – Sonst nichts Neues. Eben höre ich: Die Arbeiter am Hakenkreuz hätten sich geweigert, weiter zu arbeiten, ehe nicht feststünde, wer die Arbeit bezahlte! Die Wartburgstiftg. ist nicht gefragt worden u. kann natürl. nicht dafür einstehen!144 Zum 1. mal hatte ich in d. Kantine einen Wortwechsel wegen Niemöller mit Frl. Pramer u. Herrn Graef von d. Kirchensteurabteilg. Sie hat das hinterher einen »fürchterlichen Zusammenstoß mit Frau Begas« genannt. Hoffentl. erfolgt nichts daraus. O. hat noch keine endgültige Versetzg. in den Wartestand.145 Auch die Mitteilg. an Bauer [G.]-Gotha ist nur vorläufig. Den 21.4.38. [21. April 1938] Vor einer Woche etwa hat Dr. Schönefeld vom Gymnasium, der die Unterschriftensammlg. für Otto146 unterschrieben u. der Deputation angehört hat, die auf d. Pflugensberg war, seinen Abschied bekommen. Er ist nach Weimar befohlen worden u. dort hat man ihm erklärt, er würde entlassen, weil er die Unterschriftensammlg. für Otto unterschrieben hätte. Das sei eine öffentl. Stellungnahme gegen eine vom Staat anerkannte Kirchenbehörde! (Und unsere Kirchenbehörde wühlt ganz offiziell gegen die vom Staat anerkannten K.behörden in Bayern u. Württemberg u.s.w., u. als sie sich gegen den Reichskirchenausschuß wandte, durfte sie das auch tun). Außerdem noch Kleinigkeiten: Es lägen Beschwerden von Schülern (!) gegen ihn vor. So halftert man einen Mann ab, der sein ganzes Leben lang seine Pflicht getan hat. In d. Zeitg. ist bekannt gegeben, er hätte aus Gesundheitsrücksichten seine Entlassg. beantragt. Gerüchte im Haus um das Hakenkreuz auf der Wartburg, das seit gestern entfernt ist. Es war 13 Zentner schwer, für 500 M Blattgold ist daraufgemalt. Hitlerjungen haben sich auf d. Straße zugerufen, der Führer selbst hätte die Abnahme verfügt. Gerüchte, der Kreisleiter müsse gehen. Er hätte es verdient, schon wegen der Methoden, die er angewendet hat. Er hat vorher mit Gabelentz gesprochen u. ihm strengstes Stillschweigen auferlegt u. auch noch gesagt, die Aufrichtg. des Hakenkreuzes sei »von höchster Stelle« befohlen! Glatter Betrug. Hinterher der Triumph, daß alles so schön geheim geblieben sei, sonst hätte es noch mehr Nein-Stimmen gegeben. Das erzählt sich das 144 145 146

Vgl. Schuchardt, Die Wartburg, 395–396. Zur Amtsenthebung Bauers vgl. Tgb. 5., 8. Februar und 4. April 1938. Zur Unterschriftenaktion für Otto vgl. Tgb 11. und 21. Februar 1938.

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ganze Haus, genau weiß ichs aus einer Quelle, die ich nicht nennen möchte. Offenbar hat die SA nicht dicht gehalten. Großer Krach Sasse-Lehmann: Lehmann tritt für den Kreisleiter ein. Sasse hält auch Gabelentz für »kompromittiert«, weil er sich vom Kreisleiter habe »einschüchtern« lassen. »Einschüchtern« nennt er das, wenn ein anständ. Mann nicht an Betrug glaubt, gehorcht u. schweigt u. sein Wort hält u.s.w. Sasse berichtet an Kerrl, d. Krs.leiter hätte gesagt, bald wäre es mit d. Christentum in Thüringen aus u.s.w. – Andere Gerüchte besagen, der Kreisleiter müsse gehen. Tatsächl. ist er unmöglich geworden. Gabelentz sei in Berlin gewesen u. beim Führer vorgelassen worden. Obs wahr ist? D. 3. Mai 38. [3. Mai 1938] Daß die B.K. staatsfeindlich sei, hat ein Oberregierungsrat in Weimar Frl. Helmbold gegenüber ganz glatt behauptet. Ebenso der Vertreter der Arbeitsfront in dem Prozeß Frl. v. Ranke-L.K.R.; das war ja überhpt. eine schöne Vertretung! (Übrigens hat die Arb.front die Klage ohne Wissen von Frl. v. R. eingereicht). Die Angestellten im Haus murmeln sich zu: »Na ja, unsereiner ist da glatt verloren.«147 Volk hätte beim Abschied, wie sie sagte, das »Volkslied« gesungen: »Warum haben Sie kein Vertrauen zu mir gehabt! Hätten Sie mich gefragt, ehe Sie nach Herleshausen gegangen wären …« Ich kann es mir nicht anders denken, als daß er denkt, wir wären so dumm, daß wir einfach nicht ahnten, was der L.K.R. übelnehmen könnte u. alle Schwierigkeiten wären behoben, wenn wir uns das von ihm sagen ließen. Mittwoch, d. 4. abends. [4. Mai 1938] Bock hat in d. Kasse erzählt, die Arbeiten auf d. Bergfried der Wartbg. – das Gerüst steht immer noch – dauerten deshalb so lange, weil die Arbeiten bei der Aufrichtg. u. Abmontierg. des Hakenkreuzes s.Zt. nicht fachmännisch gemacht worden seien.148 Es sei schrecklich gehaust worden, Kupferplatten verbogen u.s.w. Es würde 4–6000 M kosten, alles wieder in Ordnung zu bringen. Gefragt, wer das bezahlen sollte, antwortet er gleichmütig: »Wir (Wartburgstiftung) nicht – die, die es bestellt haben. Es muß alles tadellos wieder hergerichtet werden.« Das Hakenkreuz hat tagelang oben auf d. Schanze bei den Kanonen herumgelegen, die Eisenacher pilgerten hinauf, um sich das anzusehen. (Übrigens ist man jetzt auch damit beschäftigt, eine Reparatur an d. Verankerung des christl. Kreuzes vorzunehmen, an der der Kreisleiter nicht schuld ist). Mittwoch d. 11. Mai 38 [11. Mai 1938] Am Sonntag d. 1. Mai passierte Folgendes: Ich wollte zur Annenkirche u. ging gerade durch d. Lutherstraße, als d. Glocken der Georgenkirche anfingen zu läuten. Gleich darauf setzte Musik ein, Trompeten u. Trommeln. Es klang gerade, als wollte die Musik gegen die Glocken angehen. So war es auch – aber das ahnte ich noch nicht. Ich war bis an die Ecke Georgenstr. gekommen, als die Glocken schwiegen. Gleich darauf 147 148

Zum Prozess Ruth von Ranke-LKR der TheK vgl. Tgb. 30. März 1938. Vgl. Tgb. 11., 19. und 21. April 1938.

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schwieg auch die Musik u. eine sehr erregte Stimme donnerte am Lautsprecher: »Nach dieser un-er-hörten Störung einer nationalsozialistischen Feierstunde … un-er-hört, wenn auch unsere Feier etwas länger gedauert hat, als am Rundfunk durchgesagt worden war! Ich habe nie eine kirchliche Feier gestört!! Ich habe jedem gehorcht … Und da stört uns die Kirche, gerade, als wir unsere […] Ehrung beginnen wollten! Ich habe einmal zu einem Bekenntnispfarrer gesagt: »Merken Sie denn nicht, wie Ihnen die Jugend davonläuft?« Die Jugend wird … (automatische Antwort der Jugend. Heil?) … Und nun wollen wir in unserer Feier fortfahren u. uns aber auch garnicht mehr stören lassen!« Es begann nun die Ehrung der Sieger im Berufswettkampf.149 Ein anderer Redner (offenbar) verlas die Namen, sehr langsam u. stockend, es machte von weitem einen sehr unfeierlichen Eindruck. Dazwischen immer wieder Musik. Und immer die hallende Stimme am Lautsprecher. B.D.M.-Mädel kletterten auf die großen Steine von abgerissenen Marktkreuzen (?), die an d. Kirchenmauer liegen, schwatzten u. lachten, das hört man in d. Kirche. Dann noch einmal Musik, Trompeten. Laute Kommandos. Ein Musikzug mit Trommeln zieht, um seinen Standort zu wechseln, etwa von d. Polizeiwache ab am Schloß entlang, bis zu Matheus150 hinauf, schwenkt ein mit Tsching bumm die ganze Kirche lang bis ganz vor, postiert sich dort u. begleitet mit Musik den Abmarsch der gesamten Jugend. 10 Uhr 20 zog der letzte Zug Trommler von d. Kirche weg. Da ging auch schon d. Kirchtür auf u. die ersten Leute kamen heraus. Es muß furchtbar innen in d. Kirche gewesen sein. Frl. Sommer erzählte, jemand hätte gesagt, man hätte kaum d. Gebet verstehen können. Den Gottesdienst hielt Stier! Ich war nur froh, daß es kein Bekenntnispfarrer gewesen war. Am nächsten Tag erzählte mir Oberländer, er sei in der Sitzg. gewesen, in der Stier über d. Angelegenheit berichtet hätte. Der Kreisleiter hätte 2 Hitlerjungen u. 2 Polizisten in d. Sakristei geschickt u. Stier sagen lassen, die Orgel müßte sofort aufhören zu spielen, der Gottesdienst müßte abgebrochen werden. Stier hätte »natürlich« geantwortet, das käme garnicht in Frage. (Charakteristisch, daß er Stiers Äußerung forsch färbt. Nach anderer Lesart hat Stier nur gesagt, das könnte er garnicht, der Gottesdienst sei »vom Reich aus« oder »von der Reichskirche aus« angeordnet. Immerhin – er hat nicht nachgegeben). Später hörte ich noch Folgendes: Den unglücklichen Felix Breithaupt, den Küster, hat er vorführen lassen u. mitten im Ring der versammelten Jugend in der unwürdigsten Weise angeschnauzt (Breithaupt ist vor einiger Zeit aus der B.K. ausgetreten u. Parteigenosse geworden). Schließlich hat der Kreisleiter ihm Ohrfeigen angeboten, jedesmal, wenn Br. versucht hat zu sagen, daß er selbst ja gar keine Verantwortung trüge. 3 mal 149

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»Reichsberufswettkampf. 1933 vom Leiter des Sozialamtes der Reichsjugendführung, Arthur Axmann, gegründeter Leistungsvergleich zur Kontrolle der Berufsausbildung, der gemeinsam mit der DAF jeweils im Frühjahr durchgeführt wurde. Am R. beteiligten sich jedes Jahr über 1 Mio. (1938: 2 Mio.) junge Arbeitnehmer. Bei der Bewertung spielten der praktische und weltanschauliche Teil die größte Rolle, wobei Mädchen auch hauswirtschaftliche Aufgaben gestellt wurden. Im sportlichen Teil waren Mindestanforderungen zu bewältigen. Die Sieger der Wettbewerbe hatten Aussicht auf besondere Förderung« (Enzyklopädie des Nationalsozialismus, 666). Georg Matheus, Geschäft für Bürobedarf am Markt in Eisenach.

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soll er das getan haben. (Und das am 1. Mai, am Tag des »schaffenden Volkes!« Br. hat da richtig am Pranger gestanden. Breithaupt hat daraufhin irgendwelche wilden Absichten gehabt, das Parteiabzeichen u. seine Ehrenämter beim Luftschutz151 niederzulegen u.s.w. Man hat ihn beruhigt u. versprochen, ihm Genugtuung zu verschaffen. Ein »großes Tier« käme aus Erfurt u. am 10. abds. sollte die Sache im Luftschutz untersucht werden. Ich fürchte sehr, das wird verlaufen wie das Eintreten der Arbeitsfront für Frl. v. Ranke. – Übrigens wäre auch Sasse bei Br. gewesen u. hätte ihm »sein bischöfliches Wort gegeben« – daß der Kreisleiter fortkäme! Heute wurde mir eine Äußerg. von Frau Sasse wiedergegeben, die nicht glaubt, daß die Kirche Genugtuung erhielte!! Am 24.4. hatten wir bei Ottos abends eine kleine Abschiedsfeier für Frl. v. R. Jemand, der in Dahlem gewesen war, erzählte Erschütterndes über Niemöller. Er hätte im Konzentrat.lager Einzelhaft. Man hätte ihm die Bibel, das Gesangbuch u. das Losungsbuch gelassen, aber kein Blatt Papier! Das Gefängnis sei Gold dagegen gewesen. Eines Tages habe man ihn Zivilkleider anziehen lassen u. ihn in einer Taxe, begleitet von Bewachg. in Zivil, ins Polizeigefängnis auf d. Alexanderplatz in Berlin gebracht. Dahin hätte man auch seine Frau bestellt. Ahnungslos wären die beiden einander gegenüber gestellt worden. Eine Viertelstunde habe man ihnen Zeit gelassen, ein Beobachter sei dabei gewesen. Beide hätten sich nur angesehen, nichts sagen können. Ein andermal habe man ihn auf die gleiche Weise plötzlich in sein Haus gebracht. Der Beobachter sei so taktvoll gewesen, manchmal hinauszugehen. Dauer des Zusammenseins ¾ Stunden. – Es gäbe Leute, die behaupteten, N. sei auf persönl. Weisung des Führers ins Konzentrat.lager152 gekommen. D. Führer würde wütend, sobald nur der Name genannt würde. Göring u. Feldmarschall v. Mackensen würden in diesem Zus.hang genannt. – Soll man das glauben?153 Ende April berichtet eine französ. Zeitg., man habe Niemöller verschiedenemale angeboten, ihn freizulassen, falls er versprechen würde, nicht mehr zu predigen. Er habe stets geantwortet, daß er sofort nach seiner Freilassung wieder auf die Kanzel steigen würde.154 151 152

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Luftschutzwart. Ehrenamtliche Luftschutzwarte waren jeweils zuständig für Häuserblocks oder einzelne Häuser (Enzyklopädie des Nationalsozialismus, 575). »Am 1. Juli 1937 ließ dieser [Hitler] Niemöller verhaften. Der Vorwurf der Anklage lautete, er habe in seinem Wirken »in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise« Maßnahmen der Regierung kritisiert, »gehässige und hetzerische Äußerungen« über einige Reichsminister getan und damit gegen den »Kanzelparagraphen« und das »Heimtückegesetz« verstoßen. Das Gericht verurteilte Niemöller am 2. März 1938 lediglich zu einer Geldstrafe und zu Festungshaft, die durch die Untersuchungshaft als verbüßt galt. Verärgert über das milde Urteil, ließ Hitler N. als seinen persönlichen Gefangenen in das Konzentrationslager Sachsenhausen verbringen und machte diese Entscheidung auch trotz anhaltender weltweiter Proteste nicht wieder rückgängig. In Sachsenhausen blieb N. drei Jahre in Einzelhaft« (Carsten Nicolaisen, Art. Niemöller, Martin, in: BBKL 6 [1993], 739). Zum historischen Sachverhalt vgl. auch Schmidt, Martin Niemöller, 448. Diese Darstellung kann so nicht bestätigt werden. Wohl aber hat Niemöller erklärt, dass er dem Wort der Bibel folgen werde, dass man Gott mehr gehorchen müsse als den Menschen, wenn ihm staatlicherseits die Möglichkeit genommen werde, öffentlich für den christlichen Glauben einzutreten (vgl. Schmidt, Martin Niemöller, 447).

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Kürzlich sind Briefe gefangener Pfarrer gedruckt worden u. als Buch erschienen. Dieses Buch wird jetzt überall beschlagnahmt. Gestern Sitzung des L.K.R. Auf der Tagesordnung u.a.: Pkt. 2: Reichsamnestiegesetz155 u. Wirkg. auf d. Verfahren gegen Pfarrer 4.) Termin zu mündl. Gehör in den Fällen Bauer, Groß, Ernst Otto nach § 16 Abs.2 des Dienstvergehensgesetzes (Dienstag, 24.5.) 8. Eingabe Kirchenkanzlei betr. Niemöller-Propaganda. 10. Beurlaubg. u. Besoldung von Dr. Hohlwein (der ist ab Juli endgültig in den Oberkirchenrat [EOK] übernommen u. zieht mit Familie nach Berlin) 14. Kollektenordnung 21. Entwurf einer Kirchenbeamtenordnung (Geht das mir an den Kragen?) u.s.w.156 In Gotha überlegt sich die B.K.-Gemeinde sehr ernstlich den Übertritt zur Lutherischen Freikirche.157 In Neuhaus a.R.(?) haben 200 Leute diesselbe Absicht u. sind bereits aus der. Kirche ausgetreten. Dabei sind die Gottesdienste der D.C. leer. Kiel [E.] hat am 2. Osterfeiertag 7 M Kollekte gehabt! Bei Herbener seien 20 Frauen in der Kirche gezählt worden, das sei alles. Er hat einen »Frauenabend« eingerichtet. Beim 1. Mal waren 40 Leute da, beim 2. Mal 15, beim 3. Mal 6. Dieses 3. Mal sei er garnicht gekommen u. die Frauen wieder nach Hause gegangen. Frau v. Flottwell, die ja von Kirchenpolitik nichts weiß, erzählte neulich ganz harmlos in d. Zentrale, in Gotha seien kürzlich an einem Sonntag in allen Kirchen gemeinsam – 6 M Kollekte gewesen! Bauer [G] ist nicht mehr da158 u. der kränkliche Cramer (Mitte) im Ruhestand.159 Ottos denken, wie es scheint, ernstlich daran, Eisenach zu verlassen. Was soll dann aus uns werden! Am 21.4. (Freitg) war Otto zur Polizei bestellt u. ist dort 3½ Stunden lang verhört worden. Vor allem über die Papiere, die s.Zt. in Arnstadt bei ihm beschlagnahmt wurden.160 Dann aber auch über Herleshausen161. Der Polizeikommissar Münch hat ihm gesagt, das sei doch eine politische Demonstration! Weniger, daß er dort predigte, aber daß »Haufen von Menschen« von Eisenach mitgingen!!! Das ist ja offenbar die Lesart

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Gesetz über die Gewährung von Straffreiheit vom 30. April 1938, Reichsgesetzblatt 69/1938, 433–434; Erste Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Gewährung von Straffreiheit vom 30. April 1938, Reichgesetzblatt 69/1938, 435–436; Zweite Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Straffreiheit vom 1. Mai 1938, Reichsgesetzblatt 71/1938, 458–459. Unklar, woher die Tagebuchschreiberin diese Angaben hatte; es hat am 10. Mai 1938 keine Sitzung mit dieser Tagesordnung stattgefunden. Diskutiert und später vollzogen wurde der Anschluss an die Evangelisch-Lutherische Kirche in Preußen, deren Kirchenleitung in Breslau residierte. Zum Gesamtkomplex vgl. Helaseppä, Die Lutherische Bekenntnisgemeinschaft, 228–233. Zur Amtsenthebung G. Bauers vgl. Biogramme sowie Tgb. 5., 8. Februar, 4. und 19. April 1938. Cramer wurde mit seinem Einverständnis am 22. Februar 1938 in den Wartestand versetzt, um einen Lehrauftrag an der Lutherakademie in Dorpat zu übernehmen; vgl. LKAE, G 159, 95. 111. Vgl. Tgb. 23. März 1938. Vgl. Tgb. 30. März 1938.

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der D.C. Unfaßlich, daß die Polizei das alles glaubt!!! Vielleicht aber glaubt sie es garnicht? Noch schlimmer, wenn es nur als Vorwand gebraucht werden sollte, um uns zu vernichten. D. 13.5.38. [13. Mai 1938] Der Krimi [Münch] hatte dann noch gesagt, er wolle O. ja »nicht direkt verbieten«, am Sonntag (d. 24.) in Herleshausen (in Vertretg. des dortigen Pfarrers) wieder zu predigen, aber er warne ihn! Wir wurden darauf am 22. mit Zetteln verständigt, daß O. nicht in H. predigen würde. Was haben sie nun davon! – Wir wollten doch offenbar zeigen, daß etwas, was in Thür. nicht möglich sei, in Hessen möglich wäre – hatte Münch gesagt, oder so etwas. M. soll sehr unangenehm sein in solchen Verhören. Umsomehr wiegt es, daß er doch immer wieder die Bemerkung macht: »Wenn Sie mir das sagen, so glaube ich es. Ich habe keinen Grund, Ihnen nicht zu glauben.« Nur das macht ja für einen Mann wie O. die Lage einigermaßen erträglich. – Zum erstenmal hat er übrigens so etwas wie persönl. Achtung durchblicken lassen, indem er folgende Bemerkungen machte: »Ich habe persönl. garnichts gegen Sie. Sie sind mir eigentlich sympathisch. Aber sie müssen doch nun endlich einsehen, daß die alten Dogmen nicht mehr in d. neue Zeit passen. Was könnte ein Mann von Ihren Gaben leisten! Sie könnten doch eine führende Stellg. einnehmen! Natürlich – an Titeln u. Stellung liegt Ihnen nichts – das weiß ich ja!« Ich finde es allerhand. Der Mann ist deutschgläubig. Aber er ist eben als Kriminalist Menschenkenner u. sieht, daß er einen grundanständigen Menschen vor sich hat. Und daneben d. Verleumdungen der Amtsbrüder! Heute, am 13.5. (Freitg.) übrigens ist vom Oberstaatsanwalt beim Sondergericht in Weimar die Mitteilg. gekommen, daß er das Ermittlungsverfahren gegen O. auf Grund des Amnestiegesetzes162 eingestellt habe! Darauf also bezog sich das letzte Verhör von Münch. Grundlage: die in Arnstadt bei O. beschlagnahmten Notizen, hptsächl. ein Entwurf von ihm für Beschlüsse der Gemeinden. Am Tage vor d. Verhör, am Donnerstag d. 20.4. abends, hatte O. seinen 2. Vortrag im geschlossenen Kreis der Bekenntnisgemeinschaft über den 2. Artikel gehalten. Wieder in Anwesenheit eines Polizeibeamten. Zur gleichen Zeit hielt der Methodistenbischof Melle einen öffentl. Vortrag im großen Erholungssaal über d. Thema: Die kirchl. Lage. – Beide Veranstaltungen schlossen gleichzeitig. Ich erlebte gerade noch, wie Melle in d. Tür unseres Saales erschien u. Otto sprechen wollte. O. sagte, es sei nicht viel dabei herausgekommen. Melle hätte s. Haltg. in Oxford zu erklären versucht. (Ich habe es nicht ganz verstanden).163 Heute traf ich zufällig Frau Pfeiffer auf d. Straße, die gerade aus Berlin zurückkam. Es sei schrecklich gewesen. Sie seien im Kirchenministerium von Stahn ganz unglaublich behandelt worden. Viel besser z.B. bei der Gestapo. Diese Männer seien doch wenigstens höflich u. hörten zu, wenn man etwas sagen wollte! – Franz würde doch noch

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Vgl. oben Anm. 155. Offenbar wurden Auswirkungen erwartet für den Ausgang der schwebenden Verfahren gegen Groß, Otto und Hertel. Zu Melles Verhalten auf der Oxforder Weltkonferenz, auf das hier Bezug genommen ist, vgl. Tgb. 28. Oktober 1937, insbesondere die hier einschlägige Fußnote.

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stellvertretender Kirchenpräsident! (Ich glaube, es ist Oberheid mit seinen Verbindungen, der überall so wühlt). Oberheid u. Landesbischof Schultz-Mecklenburg sollen übrigens bereits den Versuch gemacht haben, in Östreich einzudringen, aber Gauleiter Bürckel hätte sie rausgeschmissen – wurde vor einiger Zeit auf d. Pflugensberg erzählt. Eine unerhörte Notiz, die die Ev. Frauenhilfe eine Sekte u. mit den Darbisten164 in einem Atem nennt, ging vor 3 Tagen, offenbar in d. gleichen Fassung, durch die Thür. Presse. Sie kommt also offenbar aus einer Zentralstelle u. die niederträchtige Fassung ist nicht Dummheit, sondern Verleumdung. Sie spüren die Wirkung schon bei ihren Mitgliedern. »Um Gottes willen, dann kommt einem die Polizei noch auf den Hals«!, hat hier Jemand gesagt. Ich halte es für möglich, daß die Pressestelle der D.C. in Weimar in dieser Weise Hand in Hand – über Leffler vielleicht – mit der Gestapo u. einer staatl. Pressestelle zusammenarbeitet. Es sind einige große Frauenhilfsgruppen verboten worden – um diese handelt es sich. Die Frauenschaft hat in den betr. Dörfern nicht Fuß fassen können. Die Mitglieder sind aber bereit gewesen, in die Fr.schaft einzutreten, wenn sie eine andere Leiterin bekämen. Sie hatten begründete Bedenken gegen die gegenwärtige. Das ist die Antwort darauf. Heute, 13. Mai, ist endl. das Gerüst auf d. Bergfried d. Wartburg verschwunden. Aus d. Umgebg. v. Sasse kommt die Behauptg., die Großherzogin v. Weimar würde mit d. Führer gleich nach sr. Rückkehr aus Italien – also in diesen Tagen – eine Unterredg. wegen des Lutherkreuzes haben. Näheres nicht. »Zellenleiter Heinse« hat gesagt, d. Kreisleiter könnte ja garnichts dazu, daß d. Hakenkrz. auf d. Wartburg gekommen sei, S[aucke]l. sei schuld, der habe es gewollt. Sonntag, d. 15.5.38. [15. Mai 1938] Breithaupt sagte mir heute auf m. Frage, das Schreiben des L.K.R. in seiner Sache an das K.min. sei gleichzeitig an d. I.min. u. Prop.min. abgegangen. Ich war vor 3 Wochen beim Arzt. Hoher Blutdruck – 190. Nach 3 Wochen herunter bis auf 130. Es erklärt viell. die frühere Hast dieses Tagebuchs u. dann d. Pause. O. ist auf »Hohegrete«.165 Dazwischen Sydower Bruderschaft166 in Wernigerode. Mittwoch, d. 18.5.38. [18. Mai 1938] Frl. Koeppen167 erzählte mir gestern: Sie hätte einen Pfr. Rose aus Arnstadt getroffen, der folgendes erlebt hätte: Er sei zu einer Kirchenvertreterversammlung gegangen (obwohl er da nicht eingeladen gewesen sei). Es sei ein Referat gehalten worden über die 164

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Darbysten, nach John Nelson Darby benannte Richtung innerhalb der in England entstandenen freikirchlichen Brüderbewegung (brethren movement). In Deutschland waren ab 1851 erste Gemeinden entstanden. (https://de.wikipedia.org./w/index.php?title=Brüderbewegung; eingesehen 21. August 2015). Evangelisches Erholungsheim bei Au im Siegerland. Vgl. Tgb. 25. Juni 1933. Wegen eines Zwischenrufes in einer Kirchenvertreterversammlung war Rose beim LKR der TheK denunziert worden; vgl. dazu Schreiben [Einschreiben!] des LKR der TheK an Rose vom 12. Mai 1938 und Schreiben von Rose an den LKR der TheK vom 20. Mai 1938, LKAE, G 888, 75–76. Der Vorfall blieb für Rose offenbar ohne Folgen.

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Notwendigkeit neuer Gottesdienstformen. Gewisse Wendungen seien für Menschen, die der Kirche fern stünden, nicht mehr möglich, sie seien dann nicht mehr für die Kirche zu gewinnen – oder so ähnlich. Da hätte er dazwischengerufen: »Dann bleiben sie eben draußen!« Da hätte man ihn darauf aufmerksam gemacht (brieflich?), daß er den Treueid auf den Führer geleistet habe u. mit seiner Bemerkung gegen diesen Eid verstieße, denn sie sei eine »Verletzung seiner Amtspflichten«. Man schaudert zurück vor dem Weg, der sich da auftut! War es so gemeint? Es ist ja einfach alles möglich. Weitere Möglichkeiten tun sich auf in einem Brief, den Lehmann an d. Hilfspfr. Evertz in Zeulenroda geschrieben hat.168 Evertz ist von d. Gemeinde 2x zum Pfarrer gewählt worden, wird aber nicht angestellt. Man will ihn entfernen, am Liebsten natürl. gänzl. aus Thür. hinaustun. Die Tonart ist furchtbar – diese kalte u. unverhüllte Heuchelei. Man wolle vermeiden, daß in seine Personalakten Papiere kämen, die dartäten, daß er nicht freiwillig ginge, deshalb stelle man ihm frei, seine Entlassg. nachzusuchen. Von den Kämpfen innerhalb der Gemeinde, die durch das Vorgehen des L.K.R. gegen Evertz hervorgerufen wurden, spricht Lehmann natürlich, als fielen sie Evertz zur Last u. als sei dessen Verhalten geeignet, die Volksgemeinschaft zu gefährden u.s.w. Nun – das sind wir ja gewohnt. Aber nun kommt der Dreh. »Wir erhielten nun in d. letzten Wochen bereits kurze (!) schriftliche Mitteilungen des Inhalts, daß die dortigen politischen Stellen Ihre feste Anstellung in Zeulenroda keineswegs – wie dies durch die hier erschienenen Kirchenvertreter angenommen worden war – für unbedenklich halten würden. Um jedoch ganz sicher zu gehen, habe ich am letzten Freitag noch persönlich mit diesen Stellen in Zeulenroda verhandelt …« u.s.w. Der Kundige versteht, daß das Material höchst dürftig u. eigentlich nicht vorhanden ist. Die Partei braucht ja auch keine Gründe zu geben. Die Sache ist klar. Zusammenarbeit. – Auf diese Weise kann man einen B.K.-Pfarrer nach dem andern aus Thür. entfernen, denn daß die B.K. durchweg bei der Partei in Thür. als staatsfeindlich gilt, das ist ja aus Verlautbarungen im Volksbildungsminist. (Helmbold)169 u. der D.A.F. (Ranke)170 klar genug geworden. Wenn nun also die Kirchenkanzlei verfügt hat, daß Disziplinarmaßnahmen mit kirchenpolit. Hintergrund gegen B.K.-Pfarrer ihr vorher gemeldet werden müssen, so wird das einfach umgangen, indem man den politischen Vorwand erhebt, wie im Fall Fischer-Saalfeld.171 Man beruft sich dabei noch auf einen Bescheid des Kirchenministeriums an das Oberpfarramt Greiz vom 29.3.38 in dem es u.a. heißt: »Wenn dem L.K.R. durch Parteidienststellen oder staatliche Stellen Mitteilung üb. d. politische Einstellg. eines Pfarrers zugeht, so ist es dem L.K.R. unbenommen, seinerseits die für erforderlich gehaltenen Folgerungen zu ziehen. Von einer Einschaltung ›kommunaler u. staatlicher Stellen‹ kann dabei gar keine Rede sein.«

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Schreiben des LKR der TheK an Hilfspfarrer Evertz vom 3. Mai 1938, LKAE, LBG 269, 41. Zum Fall Evertz vgl. Biogramme. Zum Fall Helmbold vgl. Tgb. 19. April und 3. Mai 1938. Zum Fall Ruth von Ranke vgl. Tgb. 30. März, 3. Mai u.a. 1938. Zum Fall Fischer-Saalfeld vgl. Biogramme.

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Es versagt einem beinah der Atem vor … ein Wort gibt es dafür ja garnicht. – Wenn sie noch den Mut hätten, ehrlich zu sein! Aber so!172 Es ist also nur noch eine Frage der Zeit, bis der letzte B.K.-Pfarrer entfernt ist. Das schlimmste ist ja, dieses elende Katze-u.-Maus-Spiel. Wenn erst alles bereinigt ist, ists vielleicht nicht mehr so schlimm. Und was wird aus mir? Wenn ich doch allein stünde! Aber der Gedanke, daß die ahnungslose alte Frau neben mir, meine Mutter, erleben sollte, daß unsere Einnahmen sich derartig verringern – alles wäre leichter, wenn ich es allein durchkämpfen könnte oder wenn ein Mensch neben mir wäre, der diesen Kampf versteht. Heute früh kam ich in die Geschäftsstelle als Zenker am Telephon sagte: »Jawohl, die Polizei hat mitgeteilt, daß das Aufenthaltsverbot für diesen Tag aufgehoben wird, sodaß Schultz kommen kann.« Es handelt sich sicher um Schultze-Röpsen. Da wird Otto wahrscheinlich doch noch aus den paar Erholungswochen auf Hohegrete herausgeholt. Ich durchlas flüchtig einen Roman von Stratz »Sturm des Herrn«, vom Kampf der Burschen nach den Freiheitskriegen gegen das Metternich-System. Die Bedrückung wird recht zahm geschildert, sowas hat Stratz nicht selbst erlebt.173 – Was fanden wir im Anfang des Kirchenkampfes nicht alles unerhört. Man hat sich auf beiden Seiten an Vieles gewöhnt. Man kommt so rein, man merkt es garnicht. Es ist klar, daß der Kirchenminister u. die »Thüringer« jetzt gemeinsam die Pläne ausführen, die ihnen im Februar 1937 vorschwebten – (d.h. der Reichsanzeiger mit der betr. Verfügg. war ja schon im Druck) – als der Führer eingriff.174 Und man hat es gewagt, die Wahl nicht durchzuführen! Man wagt es, die Pläne, die er verworfen hat, nun doch zu verwirklichen! Aber so, daß keiner es merken kann. Denn nach oben hin ist ja alles in Ordnung. Die betr. Pfr. werden entfernt, weil sie »politisch unzuverlässig« sind, nicht etwa, weil sie das unerwünschte Christentum predigen. Und im Dezember (od. Nov.) kündigte Kerrl Maßnahmen an, um auch der B.K. Bewegungsfreiheit zu verschaffen! Muß der immer tun, was die Thüringer wollen?? – Mir fällt immer Oberheid ein. Ich glaube, der macht das alles. Die anderen haben das Format nicht. Am 28. od. 29.5. halten die Thür. eine große Versammlg. im Sportpalast in Berlin. 4 Redner. Ich nehme an, daß das der entscheidende Durchstoß werden soll.175

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Schreiben des Reichskirchenministerium an OKR D. Reuter in Greiz, Oberpfarramt, vom 29. März 1938, LKAE, G 1560, 16. Dieses Schreiben sandte der LKR der TheK am 5. April »an sämtliche Oberpfarrämter zur Kenntnis, und zur Unterrichtung der Geistlichen ihres Oberpfarrbezirks« (ebd.). Rudolph Stratz, Sturm des Herrn, Berlin 1934. Bezug genommen wird auf den Wahlerlass Hitlers vom 15. Februar 1937 (Dokumente zur Kirchenpolitik IV, 1); vgl. Tgb. 16. Februar 1937. Am 28. Mai 1938 fand im überfüllten Berliner Sportpalast eine Mitgliederversammlung der Nationalkirchler statt, im Rahmen einer Gautagung. Redner waren Gauobmann Tausch, Landesbischof Walther Schultz, Siegfried Leffler und Julius Leutheuser; vgl. Meier, Deutsche Christen, 257–258. Vgl. auch den Bericht über die Tagung »Im überfüllten Sportpalast«, NaKi 7 (1938), 224–225.

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Donnerstag, d. 19.5.38 [19. Mai 1938] In d. Zeitungsausschnitten fand ich heute eine Ansprache des Evangel. Oberkirchenrates (Preußen), die bei der Leistg. des Treueides der Pfarrer verlesen worden ist, in der ausdrücklich gesagt wird, daß er eine persönliche Bindung an den Führer bedeute u. jenseits aller kirchlichen Anschauungen stünde. Das ist ein erlösendes Wort.176 Ein Mann, der es wissen muß, hat vertraulich mitgeteilt: Poppe, der schreckliche Kerl, der sich s.Zt. in sr. Vermählungsanzeige »K.Regierungsrat«177 genannt hatte u. gegen den unsere jungen Juristen vor 2 Jahren vergeblich protestierten, sei »beurlaubt« u. bekäme kein Gehalt mehr. Er war zuletzt »Landesleiter« der D.C. Thür. Richtung [NkE] in Pommern u. die Nationalkirche hatte noch vor Kurzem sein Bild gebracht.178 Wenn er keine Anstellung als Lehrer wieder fände, hätte er hier noch Ansprüche. Es scheint aber, daß irgendetwas mit ihm vorgekommen ist. Vor Kurzem hätte Tegetmeyer eine Geldforderung von ihm telegraphisch sehr scharf abgewiesen. Er ist doch Beamter, u. wenn nicht etwas ganz besonderes vorläge, könnte man ihm sein Gehalt nicht sperren. Aber dieser Mensch war ein Hochstapler. Im V.D. säße Wilhelm Schmidt mit einem Lehrling; dann wohl noch Jansa u. Frl. Dittmar. Hoßfeld, Stetefeld, Rodeck u. Frl. Schönwald arbeiteten ständig im Büro der D.C. in der Luisenstraße, obwohl sie ihr Gehalt vom L.K.R. beziehen. – Die neue Nr. des »Dtsch. Christentum« teilt mit, daß das Haus in der Luisenstraße gekauft u. Eigentum der D.C. sei. Bis 1936 einschließlich seien die Geldsachen in Ordnung. Aber von 1937 ab – u. jetzt ginge es ganz durcheinander. Die Stimmung im Haus ist ekelhaft. In d. Stadt wird behauptet, der Kreisleiter müsse tatsächlich gehen, es dauerte aber noch eine Weile, »damit es nicht so auffiele.« Eisenach produziert sogar eigene politische Witze: »Der Kr.leiter ist krank.« »Was hat er denn?« »Kreuz«-Schmerzen!« Dienstag, d. 24.5.38. [24. Mai 1938] Auf morgen oder auf heute war wohl – nach der Tagesordnung vom 10.(?) die mündliche Verhandlg. mit Ernst Otto (auch mit Bauer [G.] u. Groß?) angesetzt. O. wollte nicht hingehen, wie mir Frl. Koeppen gestern sagte. Es ist auch nach d. Wortlaut des § 16 des Diszipl.ges. nicht nötig. Heute erfuhr ich hier im Haus: Die Verhandlung gegen

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Der Text dieses Aufrufs ist abgedruckt bei Gerlach, Kirche vor der Eidesfrage, 99–100. Die Großveranstaltung wurde in der Nationalkirche mehrfach angekündigt, u.a. in: Deutsche Christen im Sportpalast zu Berlin, 28./29. Mai 1938, NaKi 7 (1938), 181; als Redner wurden genant: Leffler, Leutheuser, Schultz, Tausch. Vgl. auch Anm. 175. Foto von Max-Heinz Poppe, unterlegt mit dem Satz »der durch viele Kurse die Sache des Deutschen Christentums im Reich mit verbreitet hat, gehört zu den ersten sächsischen Kameraden, die zu unserer Bewegung gestoßen sind« (NaKi 6 [1937], 151). Foto und Text standen innerhalb eines kurzen Redaktionsartikels, betitelt »Bund für Deutsches Christentum«, zu den Rednern des deutschen Christentums, besonders den Thüringischen, und ihrer (angeblichen) großen Resonanz in »allen deutschen Gauen«. Zu Poppe s. auch Biogramme.

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irgendeinen andern (Rotsen oder so) sei auf einen and. Tag verschoben (Schultze-Röpsen?), die gegen E. O. u. die 2 anderen auf unbestimmte Zeit verschoben. Was heißt das nun wieder? Daily mail u. Times v. 17.5. melden, die B.K.-Pfarrer in Preußen hätten sich an d. Kanzlei des Führers gewendet mit der Erklärung, sie seien bereit, den polit. Eid zu leisten, aber nicht einer kirchlichen, sondern einer zivilen Behörde u. mit dem Vorbehalt, daß ihr Ordinationsgelübde dadurch nicht berührt würde. Das sei abgelehnt worden.179 – Ob nun die Erklärg. des Präs. Werner, daß dieser Eid »jenseits aller kirchlichen Richtungen stünde« die Lage bessert?180 Der Landesbischof u. Tegetm. sollen in Berlin sein. Die Durchbruchsschlacht vom 28. steht bevor. Seitdem in den letzt. Tagen des April die Parteiamnestie ergangen ist, trägt der Landesbischof das Parteiabzeichen wieder.181 Am Sonnabend (21.5.) war hier eine große Pflichtversammlung aller Erziehg. mit Papenbrook. Bereits vorher hatte er sich »verbeten«, daß Jemand vor Schluß seines Referates den Saal verließe! Das ist also nötig! – Hinterher hörte ich, daß er etwa ½ Stundelang gegen d. Christentum, vor allem gegen d. Alte Testament gesprochen hätte. Es sei »furchtbar« gewesen u. nur eine Feststellung erfreulich: Hitler hätte gesagt, man solle keinen Heiligen aus ihm machen, das sei er nicht; er sei ein einfacher Mensch. Die Thüringer D.C. [NkE] werden sich wie gewöhnlich, durch solche Aussprüche des Führers nicht irre machen lassen. Sie »fälschen« (Rosenberg!) tatsächlich die nationalsozialistische Weltanschauung. Ich habe den Eindruck, als ob ihre Beziehungen zu dem manchmal so vernünftigen Grafen Reventlow (Reichswart) enger geworden wären. Er wies in d. letzt. Nr. des »Reichswart« 2 mal wohlwollend auf Äußerungen im »Deutsch. Christentum« oder im »Dtsch. Sonntag« hin. Die Lage in d. Tschechoslowakei ist ernst Ich nehme an, daß dort strikt »legal« gekämpft werden soll. Wir haben ja nun Zeit u. können warten – nachdem wir Östreich haben. Es ist geradezu phantastisch, wenn man bedenkt, wie sich unsere Stellung in d. Welt seit dem 13.3.38. verändert hat. Dazu die Abmachungen in Rom. Eine weltgeschichtliche Gewichtsverschiebung, die den Völkern erst ganz langsam zum Bewußtsein kommt. In d. Allgem. Ev.-Luth. K.zeitg., Nr. 12 v. 25.3.38, stand (Spalte 266) ein »Gruß an die Evangelischen in Östreich«, (Hannover, d. 17.3.38, Loccumer Hof), in dem »die heutige Kirchenführer-Konferenz« den Anschluß der östr. Kirche herzlich begrüßt u.s.w. Das Schreiben beginnt: 179

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Der Zeitungsbericht der Daily Mail findet sich in der Sammlung Begas mit einer von Marie Begas angefertigten Übersetzung. Das Schreiben selbst war nicht aufzufinden. Der Bericht gibt die Position der BK in Preußen wieder, die den Treueid auf Hitler nicht vor dem EOK, sondern nur vor staatlich dazu ermächtigten Personen ablegen wollte; vgl. Schreiben des Bruderrats der APU an den EOK vom 26. April 1938, zugleich Weisung an die Pfarrer der BK, in: Gerlach, Kirche vor der Eidesfrage, 115; selbstverständlich war für die BK, dass das Ordinationsgelübde jeder staatlichen Treueidleistung übergeordnet war. zur Problematik in Preußen vgl. Gerlach, 97–124. Vgl. Tgb. 19. Mai 1938. Vgl. Tgb. 3. Januar 1938.

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»Die Konferenz leitender Amtsträger innerhalb der Deutschen evangelischen Kirche, die in sich die legalen Kirchenleitungen einer Anzahl von Landeskirchen, die geistlichen Leiter mehrerer Kirchenprovinzen, sowie Vertreter kirchlicher Kreise aus anderen Landeskirchen vereinigt, die auf d. Boden des Art. 1 der Verfassung der Deutschen evangelischen Kirche vom 11. Juli 1933 stehen, ist heute zu Beratungen über kirchliche Fragen in Hannover versammelt …« Unterzeichnet haben 20 Männer, darunter Ernst Otto, Landesbruderrat von Thüringen.182 (Neben den Landesbruderräten von Sachsen, Mecklenburg u. Lübeck). Der ganze Artikel ist mit heftigen roten Strichen eingeklammert wie es zum Abschreiben üblich ist183 u. die ersten 4 Worte sowie Ottos Unterschrift sind rot unterstrichen u. noch mit Strich u. Ausrufungszeichen am Rande gekennzeichnet. Es macht den Eindruck, als sähe man in dieser Unterschrift ein Beweismittel u. betrachte sie als wichtigen Fund. 1 Stunde später Mit der Verschiebung der Verhandlungen gegen die Pfr. hängt vielleicht Folgendes zusammen, was ich aus besonderer Quelle erfuhr: Spigaht hat ein Dienstgespräch mit Franz gehabt, in dem er u.a. dem Sinne nach gesagt hat: »Nach dem Amnestieerlaß … § soundso, Satz soundso, … wenn die Herren uns damit kommen … da können wir garnichts machen … wir müssen ihnen doch nun Gelegenheit geben …« u.s.w. Es sind auch Namen von Pfarrern u. von Dörfern genannt worden, u.a.: Ernst Otto (mehreremale), Bauer [G.], Nothnagel, Schultze-Röpsen u. andere. 1 Stunde später. Ich las einen Artikel im »Allgemeen Handelsblad«, Amsterdam, vom 19.5. (Meldg. aus Berlin v. 18.5.). Zuerst wird vom Eid gesprochen, wie es in anderen Auslandszeitungen auch geschehen ist, Zusatz, man rechnet damit, daß etwa 5000 Pfr. (von 10 000) den Eid nicht leisten werden. Dann wird auf die Sportpalastversammlung der Thür. D.C. am 28.5. hingewiesen.184 Man scheint anzunehmen, daß Kerrl u. Muhs dahinter stehen u. daß sie die Möglichkeit sahen, die nationalsozialistische Weltanschauung durch die Thür. D.C. mit dem Christentum zu versöhnen. (Rosenberg hat das zuvor in den Mitteilungen an seine Vertrauensleute von Ende vor. Jahres bereits entschieden abgelehnt!). Es ist klar, daß die Thüringer [NkE] wieder einmal, wie vor ihrer »Reichstagung« im vor. Herbst, alles aufgeboten haben. Wahrscheinlich haben sie auch wieder die ausländische Presse zusammengetrommelt u. instruiert. Die wird ihnen nun diesmal wohl den Gefallen tun, Notiz zu nehmen. »Sportpalast in Berlin«, das läßt aufmerken u. wiegt schwerer als das kleine Eisenach. – Um die Bedeutung der Angelegenheit zu erkennen, 182

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Gruß an die Evangelischen in Österreich vom 17. März 1938, AELKZ 71 (1938), 266. U.a. heißt es darin: »Es ist den in der heutigen Kirchenführerkonferenz versammelten leitenden Amtsträgern ein tief empfundenes Bedürfnis, der evangelischen Kirche Deutsch-Österreichs in den großen Tagen der Heimkehr Österreichs ins Deutsche Reich zu ihrem Anschluß an die Deutsche Evangelische Kirche ein herzliches und brüderliches Wort des Grußes zu sagen.« Das Dokument trägt in der Tat auch die Unterschrift von Ernst Otto. Vermutlich sollte der Artikel abgeschrieben und auf diese Weise innerhalb der TheK verbreitet werden. Ein Beleg dafür war nicht aufzufinden. Vgl. dazu Meier, Kirchenkampf III, 92, sowie den Bericht in: JK 6 (1938), 520–522.

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braucht man sich bloß vorzustellen, Niemöller würde plötzlich aus d. Konzentrationslager entlassen u. bekäme den Sportpalast zu einem freien Vortrag zur Verfügung gestellt!!! Da würde der Sportpalast wahrscheinlich die ganze Woche jeden Abend voll u. sie kämen von den Enden der Erde gereist!!! Und deshalb sitzt N. ja auch immer noch gefangen! Mittw., d. 25.5.38. [25. Mai 1938] In d. Telephongespräch mit Franz ist noch gesagt worden: »Wir wollen warten, bis die Herren an uns herantreten!« Wie ich höre, ist das Gehalt für Otto für Juni in voller Höhe überwiesen worden, also kein Wartegeld. Eigentl. sollte er ab 1.6. in den Wartestand versetzt werden. Freitag, d. 27.5.38. [27. Mai 1938] Gestern bei Frau O. [M.], die von d. Hohengrete zurück ist. Bevor sie vor 8 Tagen abreisten sei ein Schreiben des K.min. gekommen, das in Abschr. ein Schreiben des L.K.R. enthielt des Inhalts, man wolle mit der Versetzg. der Pfarrer in den Wartestand warten, bis der Prozeß des Pfarrers Hertel gegen den L.K.R. entschieden wäre.185 Hertel habe geltend gemacht, daß der § 46 der Verfassg.186 den Sinn habe, die Pfr. zu schützen, nicht aber, gegen sie vorzugehen.187 Diese Entscheidg … offenbar für alle schwebenden Verfahren grundlegend. – O. seinerseits hatte auf d. Ladg. zur Verhandlg. am 25. d. M. dem K.min. mitgeteilt, er habe nicht d. Absicht, zu kommen. Das K.min. ist offenbar Briefträger zwischen den beiden Parteien. An Otto hatte »Stahn« unterschrieben, mit dem er oft gesprochen hat. – So stehen d. Sachen nun. Es ist doch alles nur Aufschub. Ists nicht aus diesem so werden d. B.K.-Pfr. in Thür. aus einem anderen Grunde vertrieben. Den 28.5.38., Sonnabend Abend. [28. Mai 1938] Es ist kurz vor 10 Uhr. Die Berliner Sportpalast-Versammlg. wird jetzt bald zu Ende gehen. Was dort geredet werden mag, ist vielleicht aus der neuesten Nr. von »Deutsches Christentum« zu ersehen: »Was wollen die deutsch. Christen?« Man liest mit Erstaunen, daß sie das A.T. nicht abschaffen wollen, daß sie gegen die Lehre von der Verbalinspiration kämpfen u.s.w. Auch in der »Nationalkirche« erschienen Sätze über das Wollen der D.C.188, wieder anderen Inhalts. U.a. lehnen sie darin das »übernationale« 185 186

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Zum Fall Hertel vgl. Biogramme. § 46 der Verfassung der TheK lautet: »Gegen seinen oder seiner Gemeinde Willen kann ein Pfarrer nur aus zwingenden Gründen, über die der erweiterte Landeskirchenrat nach Gehör der Beteiligten, einschließlich der Pfarrerschaft des Kirchenkreises, entscheidet, im Interesse der Kirchengemeinde oder der Gesamtkirche unter voller Wahrung seiner Besoldung in eine andere Stelle versetzt werden. Die Versetzung selbst regelt der Landeskirchenrat. Ist eine solche Versetzung unausführbar, so ist nur Versetzung in den Wartestand nach Maßgabe der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen zulässig.« Die Beschlußstelle im Reichskirchenministerium hatte § 46 gegen den LKR der TheK geltend gemacht (im Falle Hertel? oder allgemein?), weshalb Kirchenrat Franz anregte, diesen Paragraphen zu ändern (vgl. Protokoll über die Sitzung des Landeskirchenrats am 20. Juni 1938, LKAE, A 122, 155). Zum Fall Hertel vgl. Biogramme. Was wollen die Deutschen Christen?, NaKi 7 (1938), 210; Auszug aus der Schrift von Otto Brökelschen, Was wollen die Deutschen Christen?, Weimar 1938, 32./33. Aufl. 1940, 63.–65. Tausend, S. 10–11. Im Auszug fehlt die Frage Nr. 93.

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Christentum nicht ab, äußern sich sehr gemäßigt über »artgemäßes Christentum«, beteuern, daß Nationalsozialismus keine Religion sei u.s.w. Was soll das nun alles bedeuten? Ich hatte gehofft, sie würden in Berlin recht radikal sprechen u. den Anschluß an die Deutschgläubigen suchen. Es sieht aber aus wie eine Tarnung. In einem Artikel »Europäische Einung« proklamiert die »Nat.kirche« »aus der Zusammenarbeit christlicher Nationalkirchen in allen europäischen Ländern eine Einung!«189 Frau Otto [M.] erzählte, daß sie kürzlich per Drucksache eine Seite des »Positiven Chr.tums« mit einem Aufsatz gegen die Thür. D.C. zugeschickt bekommen hätten. Rehm arbeitet den Thüringern also offenbar stark entgegen. Frau O. [M.] nahm an, daß der Artikel allen Pfarrern zugeschickt worden wäre – vielleicht nur allen Thüringer Pfarrern? Ich unterhielt mich – wie fast täglich – mit ( )a Neues weiß er nicht, er wittert nur »Totengeruch«. Die D.C. sind natürlich heute in hellen Scharen nach Berlin gereist, auch Stier, Volk u. so. Ein prominenter Mann (Osw.) hat Anstoß daran genommen, daß sich die Herren sämtlich haben Reisekostenvorschüsse geben lassen. Er nennt das »bezahlten Idealismus!« Die Sache wird als Dienstreise frisiert. Ich weiß nicht, ob ich notiert habe, daß d. Reichsstatthalter Ende April die Ortsgruppenleiterinnen der Frauenschaft empfing. Dabei hat er u.a. dem Sinne nach gesagt, sie dürften »überhaupt nichts mehr mit der Kirche zu tun« haben. Frau A. hat aus diesem Grunde abgesagt, Patin bei Friedel Burgemeisters Jungen zu sei, obwohl sie es bereits fest zugesagt hatte! Am letzten Sonntag ist die Taufe gewesen. Frau A. hat sich nicht einmal in den Altarraum getraut, sondern sich die Sache von der Orgel aus angesehen, nur nachher zu Hause mitgefeiert! Tapfer! Bauderts kommen zurück!190 Zuerst die Frau u. die beiden Jungen. Frau B. [L.] muß halb tot sein nach der Beschreibg. Entartg. der Drüsen durch das Klima. Die Jungens seien traurig.191 Kann ich mir denken. Was er tun wird, scheint noch nicht festzustehen. Meiner Meinung nach muß er drüben bleiben u. s. Vertrag erfüllen. Montag, d. 30.5.38 [30. Mai 1938] Als ich heute früh zum Dienst kam, hatte ich sofort den Eindruck, daß die SportpalastVersammlung192 kein Erfolg gewesen sei. Es ist sonderbar u. läßt sich schwer beschreiben, aber man merkt so etwas z.B. Sasse sofort an. Er stand mit Arnold in der kl. Halle. Als sie mich erkannt hatten, gingen sie in die große Halle. Sasse ist garnicht mit in Berlin gewesen! Aus Erzählungen von Dr. Dr. Reichardt [E.], die mir übermittelt wurden, geht hervor, daß die Versammlung nur mit Mitgliedskarten besucht werden konnte!!! Es sei streng kontrolliert worden u. gar keine Möglichkeit der Werbung gewesen. Es seien keine Plakate erlaubt worden, sie hätten ihre 189 a 190 191 192

Ernst Brüning, Europäische Einigung, NaKi 7 (1938), 211–212. Strichzeichnung Männerkopf, steht für Friedrich Bernewitz, vgl. Übersicht Strichzeichnungen. Vgl. Tgb. 27. Juni 1937; Familie Baudert war nach Surinam ausgereist. Die Familie Baudert kehrte zurück, aber nicht nach Thüringen, sondern vermutlich nach Holland; vgl. Tgb. 16. Dezember 1938. Vgl. Meier, Kirchenkampf III, 92.

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Abzeichen nicht zeigen dürfen (?). Leffler hätte auch gesagt, solche Versammlungen hätten eigentlich gar keinen Zweck. – Vielleicht kann man annehmen, daß sie diese Versammlung einberufen haben mit dem Gedanken, die Öffentlichkeit schließlich doch durchzusetzen. Hier in Eisenach bei ihrer »Reichstagung« können sie sich natürlich alles erlauben. Wenn ich noch an die Autobusse denke, die auf dem Markt parkten. Einer trug die Aufschrift: »Wir fahren zur Ketzertagung nach Eisenach.« Und dann das Riesenzelt in der Milchkammer. Die Vorträge im Sportpalast scheinen sich im Rahmen des Üblichen gehalten zu haben. So lauteten die Berichte der Dortgewesenen. Dr. Dr. E. [Reichardt] hätte jedenfalls mehr von s. Sonntag in Berlin als von der Versammlung berichtet. Es scheinen Gesellschaftsreisen eingerichtet worden zu sein (Bahnfahrt 10 M hin u. zurück). Auch ein Autobus ist von hier gegangen, ist 10 Stunden gefahren. Kosten je Mann 7 M. Es seien viele Zuschüsse gegeben worden. Beim Wiederdurchlesen von 2 Nummern des »Posit. Chr.tums« wird mir klar, daß die letzten Veröffentlichungen über das »Wollen der D.C.« die Antwort der Thüringer auf diese Angriffe sind. Vor Kurzem haben die D.C. hier in Eis. in d. Karthäuserstr. einen Laden aufgemacht, in dem sie ihre Literatur verkaufen. In dem Laden ist ein Frl. Bedbur tätig, die ihr Gehalt vom Pflugensberg bekommt. Am … hatten die D.C. abends in d. Nikolaikirche einen »Aufbauabend« mit einem auswärtigen Sprecher. Es muß sehr leer gewesen sein, Dr. Dr. E [Reichardt] hat sich wütend darüber ausgesprochen. Seiner Meinung nach hätte auf die Angestellten u. Beamten ein moralischer Druck zum Besuch dieser Veranstaltg. ausgeübt werden müßen. (Also nicht einmal die waren da!) Dienstg., d. 31.5.38. [31. Mai 1935] Ich hörte eben ein Telephongespräch mit Themar. »Ja … Herr Pfarrer … es ist eine Entscheidung der Beschlußstelle gekommen … es steht nur darin, daß der L.K.R. das Recht hat, … in den Wartestand … (ich hörte zunächst nicht zu, wurde dann plötzl. aufmerksam) … Nun ist gestern wieder eine Eingabe gekommen … ich glaube, der erste Unterzeichner … es wird behauptet, das Verfahren sei nicht richtig, nach dem Minderheitenschutzgesetz193 hätte anders verfahren werden müssen … ich komme am Donnerstag nach dort, da können wir die Sache zusammen besprechen …« Also, es ist klar. Es handelt sich um den grundsätzl. wichtigen Bescheid in dem Prozeß Hertel-Themar gegen L.K.R. Es wird nicht nach d. Gesetz entschieden, sondern einfach kirchenpolitisch, wie das K.min. es eben will. Rechtsstaat. Dem Volksempfinden entspricht weder diese einzelne Entscheidung noch das System. Damit sind natürl. gleichzeitig alle die schwebenden Verfahren gg. Bauer, Groß, Otto pp. entschieden. Wir wußten es ja vorher. Aber man will es den Herren doch nicht ersparen, Unrecht zu tun, wenn sie sich schon dazu entschlossen haben. 193

Vgl. Minderheitenschutzgesetz, Gesetz vom 7. Juli 1921 über die kirchliche Versorgung und über den Schutz von Minderheiten, ThKbl/A, 1921, Nr. 4, 23–27.

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Der L.K.R. hat tatsächlich nicht das Recht, diese Pfr. in den Wartestand zu versetzen, aber man gibt es ihm. Die Begründung hat man sich offenbar gespart. Es ist einfach ein Hohn. Irgendeine Kontrolle dieses Verfahrens ist offenbar nicht möglich. Und die vom Staat garantierte Verfassg. der D.E.K.? – Es ist wirklich ein Hohn. Als der L.K.R. gegen den vom K.min. eingesetzten R.Kirchenausschuß Front machte, stand das Kirchenministerium wohl hinter ihm? Oder wie war das? Wenn man Vertrauen fordert, muß man es auch rechtfertigen. Tut man das nicht, so hat man d. Vertrauen verwirkt. Donnerstg., d. 2. Juni 38. [2. Juni 1938] Eben las ich d. kirchl. Anzeiger. Es steht die Entscheidg. der Beschlußstelle in Sa. Hertel-Themar drin, so wie ich d. Sache neulich am Telephon verstanden hatte.194 Weiter ist die Versetzg. in d. Wartestand von Bauer [G.] u. Groß ausgesprochen. Von Otto nicht. Es ist ja aber doch nur ein Aufschub. Wenn bei Bauer d. Unterschrift unter eine Traubibel genügte, so genügt sicher eine Veröffentlichg. in der Allgem. Ev.-luth. K.zeitg. über ein Grußwort des lutherischen Rates an die Östreicher vom 27.III., glaube ich. Da hat Otto als »Landesbruderrat« unterschrieben. (Bauer zeichnet »für den LBrr.). Diese Nummer befand sich mit der and. Nr. in der Bauer eine ähnliche Kundgebg. unterzeichnet hatte, zusammen in einer Mappe, so bekam ich sie zurück. Oben auf stand: »Punkt 5.« Also: Verhandlungsgegenstand. Das wird sich schon entwickeln.195 Ein Beamter der Gestapo hat zu Frau Pfeiffer gesagt: »Den D.C. haben wir ja jetzt auch d. Handwerk gelegt. Die wollten in Berlin einen Umzug machen u. so. Das ist ihnen aber verboten worden.«196 (Oder so ähnlich). Im neuesten Kirchl. Anzeiger steht die Entscheidung der Beschlußtelle197 in Sa. Hertel-Themar.198 Wie zu erwarten war, gibt man dem LKR Recht.199 Nach dem Minderheitenschutzgesetz hätte anders verfahren werden müssen.200 Darüber kann sich die Beschlußstelle hinwegsetzen. Weiter ist im Kirchl. Anz. die Wartestandsversetzg. von Gerhard Bauer und Groß ausgesprochen201, die von E. O. noch nicht.

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Entscheidung der Beschlußstelle, ThKbl/B 1938, 108; zum Fall Hertel vgl. Biogramme. Vgl. Erklärung zur Volksabstimmung der dem Rat der evang.-luth. Kirchen Deutschlands angeschlossenen Landeskirchen vom 30. März 1938, AELKZ 71 (1938), 304–305. Die Angabe der Tagebuchschreiberin ist irritierend; denn dieses Dokument hatte nur Gerhard Bauer für den Landesbruderrat der TheK unterschrieben. Diese Aussage bestätigt die nationalsozialistische Politik gegenüber den DC: Sie wurden für den Aufbau der deutschen Gesellschaft so wenig akzeptiert wie alle anderen religiösen Gruppen der Zeit. »Beschlußstelle in Rechtsangelegenheiten der evangelischen Kirche«: Dienststelle im Reichskirchenministerium, in der der Minister den Vorsitz hatte; sie war eine »Sammelstelle aller Rechtsstreite staatskirchenrechtlichen oder kirchenrechtlichen Inhalts die evangelische Kirche betreffend« (vgl. Kreutzer, Das Reichskirchenministerium, 348). ThKbl/B 1938, 108. Zum Fall Hertel s. Biogramme. Gesetz vom 7. Juli 1921 über die kirchliche Versorgung und über den Schutz von Minderheiten, ThKbl/A 1921, Nr. 4, 23–27. ThKbl/B 1938, 105. Die Wartestandsversetzung von Groß und Bauer wurde zum 1. Mai 1938 ausgesprochen (vgl. Thüringer Pfarrerkalender 1939).

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Vorgestern Abend war ich bei Frau O. [M.]. Sie machte Pläne für die Zukunft. Am liebsten möchten Beide ein Erholungs- u. Freizeitheim aufmachen, wie die Hohegrete ist. – Aus Waldbröl ist schon die 3. Bitte an Otto ergangen, ein Pfarramt da zu übernehmen (Westfalen). Sehr verlockend, der Vorgänger hat 11 Wochen im Gefängnis gesessen. O. würde es wahrscheinl. gesundheitl. nicht aushalten. Er hat auf der Hohegrete wieder Herzkrämpfe gehabt: Weltkrieg, Gefangenschaft u. 5 Jahre Kirchenkrieg! Freitag, d. 3.6.38. [3. Juni 1938] Jemand schob mir heute mit einer Zeitg. die Tagesordng. zur morgigen Sitzg. des L.K.R. zu. Sie sah gut aus u. man kann sich danach vorstellen, was bevorsteht. 10 Namen von B.K.-Pfarrern u. Hilfspfarrern, darunter Ernst Otto. Punkt 13 lautet: »Luth. Freikirche in Gotha.202 Das wissen sie also. Wir haben den bestimmten Eindruck, daß den D.C. in Berlin etwas besonders unangenehmes passiert ist. Im »Reichswart« vom 2.6. wieder ein sehr guter Aufsatz von Reventlow, »Ein Vorschlag.«203 U.a. erwähnt er das hohe Niveau des theolog. Schriftums u. stellt fest, daß die Gegner des Christentums es totschweigen. Das sei jüdische Manier, käme aber viell. daher, daß sie nichts antworten könnten usw. Ein B.K.-Pfr. (Best) äußert sich in dieser Nr. »zur religiösen Verständigungsfrage«.204 Eisenach, d. 7. Juni 38, Dienstg. [7. Juni 1938] 3. Pfingstfeiertag. Ich sitze im Luftbad, etwas unbequem. Gestern mit Ottos in Wilhelmstal, Abends bei Frl. Hoßfeld. Am 1. Feiertag Predigt von Mitzenheim in d. Nikolaikirche. Ich hatte d. Eindruck, daß er präokkupiert war – Gott weiß, was er wieder erlebt haben mag. Jemand sagte, er hätte große Stellen abgelesen. Viele täten das jetzt, damit man ihnen nichts unterschieben könnte, was sie nicht wirklich gesagt hätten. Ein ganzer Kreis wanderte zusammen bis zu O.s. Er erzählte, er hätte einen objektiven (soweit mögl.) Bericht üb. die Sportpalastversammlg.205 von – Kleinschmidt, der (wahrscheinl. als D.C.) s.Zt. nach Mecklenburg gegangen ist u. jetzt der B.K. entweder sehr nahe steht206 oder ganz dazu gehört. Als ich den Bericht gehört hatte, glaubte ich zu wissen, was in Berlin »passiert« ist. Jetzt frage ich mich aber doch, ob das alles sein kann. – Die Tagg. hat also angefangen als sehr gut organisierte, straffe Kundgebung. 202

203 204 205 206

Vgl. Protokoll der Sitzung des LKR der TheK vom 4. und 8. Juni 1938, Punkt 16: »Lutherische Freikirche in Gotha«. »Kirchenrat Dr. Volk berichtet über seine Rücksprache mit Oberpfarrer Schöne wegen der neu gegründeten Freikirche in Gotha (vgl. Niederschrift). Es soll dem Oberpfarrer Schöne überlassen bleiben, Aufklärung zu schaffen. Von einer Aufklärung im Kirchlichen Anzeiger soll abgesehen werden« (LKAE, A 122, 149). Zur »Evangelisch-lutherischen Freikirche« vgl. Tgb. 11. Mai 1938. Graf Ernst zu Reventlow, Ein Vorschlag, in: Religion und Leben. Beilage zum »Reichswart« 22/1938, 2. Juni 1938. A. Best, Ein Bekenntnispfarrer zur religiösen Verständigungslage, in: Religion und Leben. Beilage zum »Reichswart« 22/1938, 2. Juni 1938. Vgl. Meier, Kirchenkampf III, 92. Vgl. Tgb. 18. Mai 1938 und weitere Eintragungen. Bericht über die Kundgebung der Deutschen Christen (Nationalkirchliche Einung) »Volk im Herzen einig vor Gott« am Sonnabend, den 28. Mai abends 20 Uhr im Sportpalast, Berlin, Potsdamerstr., gegeben vermutlich von Kleinschmidt [?], LKAE, LBG 88, 130–137. Zu Karl Kleinschmidt vgl. Biogramme.

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Alle Redner mit begeistertem Beifall begrüßt. Telegramm des Reibi verlesen!207 Die ersten Redner haben aber viel zu lange gesprochen u. erst um ¾10 hat Leffler angefangen.208 Er hat alles abgelesen, wozu er natürlich auch s. Gründe hatte, hat aber dadurch d. Kontakt mit d. Hörern verloren. Zuerst sind einzelne gegangen, dann hat es geradezu geströmt. Leute haben sich dch. ganze Satzreihen durchgedrückt. Man hat sich gruppenweise unterhalten u. die Unruhe ist schließlich so groß geworden, daß Kl. nichts mehr verstehen konnte. Ursache der Abwanderung Langeweile. Der größte Teil der Zuhörer hatte nicht verstanden, daß der Vortrag Lefflers eine Auseinandersetzung mit Rosenberg bedeutete, auf dessen Rundschreiben an seine Vertrauensleute, in dem er bes. auch mit den Thür. D.C. [NkE] abrechnet u. ihnen »Verfälschung der nat.soz. Weltanschauung« vorwirft. Dieses Rundschreiben kennen sie eben nicht! Lefflers Stellungnahme ist eine vollkommene Kapitulation u. an Radikalismus nicht zu überbieten. »Christus ist unsere Kraft« bedeutet (dem Sinne nach), daß man im stillen Kämmerlein, ganz privat, noch an Christus denken darf, man darf ihn aber nicht mehr predigen. Aufgabe der Kirche ist d. Nationalsozialismus.209 (Rehm schreibt dazu im Posit. Christentum ganz richtig, was hier als Aufgabe der Kirche genannt wird, von der Partei viel besser besorgt würde. Nach den Ausführungen von Leffler hätte das Evangelium überhpt. keinen Sinn mehr). Um 11 Uhr sei Leffler fertig gewesen. Danach hat Leutheuser noch ein paar Sätze ins Megaphon derartig gebrüllt, daß Kl. nichts davon verstanden hat.210 Er hat an d. Ausgängen auf d. Gespräche gehört, aus denen hervorging, daß d. Zuhörern die Rede Lefflers nicht etwa zu radikal war, eher im Gegenteil. Sie langweilten sich einfach. Auch die B.K. hätte um den Sportpalast gebeten, schrieb Kleinschm., er sei ihr aber abgelehnt worden. In d. »Nationalkirche« stand Lefflers Rede abgeschwächt!!211 Wir haben gestern Abd. bei Frl. H. ganze Stellen verglichen. Alles ist da anders gesagt. Wir wissen noch nicht, ob Kl. stenographiert hat. Er versichert an einzelnen Stellen, die Wiedergabe sei 207

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Zit. in: JK 6 (1938), 520: »Ihnen und den Deutschen Christen sende ich zum heutigen Tage in den Sportpalast herzlichste Grüße. Mit Ihnen allen kämpfe auch ich voller Siegeszuversicht für das Ziel: Ein Volk, ein Reich, ein Glaube! Ihr getreuer Reichsbischof.« Später veröffentlicht als selbständige Publikation: Siegfried Leffler, Unser Weg. Rede … im Sportpalast in Berlin, 28. Mai 1938, Weimar 1938. In diese Richtung weist die Bemerkung Lefflers: »Die NS-Weltanschauung gelte für alle. Nichts unterscheide die Nationalkirchler als ›DC-Nationalsozialisten‹ von den nichtchristlichen Parteigenossen. Ihr Christsein drücke sich lediglich darin aus, daß sie ›die tapfersten Bekenner der nationalsozialistischen Weltanschauung‹ seien. Leffler hob hervor: ›Wir wissen auch von keinen besonderen christlichen Werten und Wertordnungen, unser Christsein ist nichts anderes als die Kraft zum Kampf für die nationalsozialistische Weltanschauung‹« (Meier, Kirchenkampf III, 92). Vgl. dazu den Bericht in JK 6 (1938), 521–22: »Der vorgesehene dritte Vortrag von Leutheuser über ›Christus, der religiöse Genius der arischen Welt‹ wurde nicht gehalten; wie das ›deutsche Christentum‹ schreibt: ›wegen der Fülle des schon Gebotenen‹. Leutheuser begnügte sich mit einem kurzen Schlußwort. (Der Vortrag ist aber nachträglich im ›Deutschen Christentum‹ vom 12. Juni veröffentlicht.« Siegfried Leffler, Der Weg der Deutschen Christen von Siegfried Leffler aus der Rede im Sportpalast zu Berlin, NaKi 7 (1938), 220–224 (Auszug aus der Schrift Lefflers »Unser Weg«).

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wörtlich. Kleinschm. hat aber den Schluß der Rede nicht gehört, der – nach der Nat.kirche – eben wieder so ist, daß der gleichgültige Leser wieder getäuscht wird. Donnerstg., d. 9. Juni [9. Juni 1938] Pfr. Rose in Arnstadt hat tatsächl.wegen des Zwischenrufs bei einer K.vertretertagg. mit Sasse in Georgenthal ein Schreiben des L.K.R. bekommen, in dem er gefragt wird, wie sich sein Zwischenruf mit dem Treueid auf den Führer u. – mit § 3 des Beamtengesetzes vertrüge.212 Die Pfr. stehen aber garnicht unter dem Beamtengesetz.213 Soll der Treueid bedeuten, daß es jetzt für sie gilt? – Die ganze Sache ist so, daß man kein Wort dazu sagen kann. Es ist ein schamloser Betrug. Die D.C. mißbrauchen den Eid jetzt zu ihren kirchenpolitischen Zwecken u. es wird wohl nicht mehr möglich sein, daß noch ein B.K.-Pfarrer in Thür. bleibt. Alle bisher nicht vereidigten Pfarrer, auch die im Wartestand und die, die politisch belastet sind, sollen jetzt noch vereidigt werden – hat Sasse in Georgenthal verkündet. Nur bei Bauer [G.] u. Ernst Otto will man einen Punkt machen. Bauer ist seit 1.6. im Wartestand. Warum d. Verfahren gegen O. hingezögert wird, wissen wir nicht. Er hatte im März beim K.min. beantragt, man möge das Disziplinarverfahren beschleunigen, aber das Wartestandsverfahren aussetzen bis das Diszipl.verf. erledigt sei. Das K.min. hat sich mit d. L.K.R. in Verbindg. gesetzt u. der Landeskirchenrat hat zustimmend geantwortet. Diese Mitteilg. erhielt O. wieder durch das K.min., das also Briefträger zwischen den feindl. Parteien ist. – Inzwischen ist uns ja aber klar geworden, daß die D.C. Otto keinesfalls wieder einsetzen werden. Das ist für sie eine Prestige-Frage. Es alles nur eine Frage der Zeit. In Gotha sind schon über 300 Menschen zur luth. Freikirche gegangen.214 Bauer [G.] selbst noch nicht. Otto hat ihn veranlaßt, noch zu warten, aber s. Gemeinde drängt ihn. Pekuniär steht er sich sehr schlecht dabei. Sein Besoldungsdienstalter wurde erst von d. Tage ss. Eintritts an dort laufen; wenn er heute stürbe, bekäme s. Frau 85 M monatl. Sie haben 3 Kinder! Otto kann aus inneren Gründen nicht mit, wegen der Stellung zu den Reformierten (Er sagte: »Wegen des »damnamus«!) Sie nehmen ja nicht einmal d. Abendmahl mit den Reformierten! Und O. hat Ostern bei Marburg in einer reformierten Gde gepredigt u. dort sogar selbst – als lutherischer Pfarrer – das Abendmahl ausgeteilt! – Bauers Haltg. begreife ich, weil ich weiß, woher er kommt. Er war bei der Richtg. K.Rat Otto [R.]215, ehe er zur B.K. kam. Der L.K.R. hatte auf d. Tagesordng. sr. letzten Sitzg. den Punkt: »Luth. Freikirche in Gotha.« 212 213

214 215

Vgl. Tgb. 18. Mai 1938. Der Beamtenstatus des Pfarrers war begründet durch sein Dienstverhältnis zur Kirche, nicht aber zum Staat. Das Beamtengesetz des Staates traf deshalb nicht automatisch auch auf ihn zu. Allerdings ergab die Anfrage einen Sinn aus der kirchenpolitischen Intention der Thüringer DC, die Kirche ideologisch und organisatorisch vollständig in den nationalsozialistischen Staat zu integrieren. Zur Diskussion um die »Evangelisch-lutherische Freikirche« vgl. Tgb. 11. Mai und 3. Juni 1938. Kirchenrat Richard Otto gehörte dem Christlichen Volksbund für Thüringen an; vgl. Wiegand, Kleine Geschichte der Thüringer Landeskirche. In: Hübner/Schmidt, Landhaus und Landeskirche, 48.

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In Neuhaus a.R. diesselbe Entwicklg. Dort hat sich die Gemeinde schon eine eigene Kapelle gebaut. Ich kann das nicht richtig finden. Die luth. Freikirche hat wegen ihrer Unduldsamkeit etwas Starres, Totes. Ich glaube nicht an ihre Zukunft. Was würde Christus zu solcher Lieblosigkeit sagen! Die luth. Freikirche hat wegen ihrer Unduldsamkeit für mich etwas Starres, Totes. Was würde Christus zu solcher Lieblosigkeit sagen! Am 2. Feiertag Abds. besprachen wir diese u. andere Dinge bei Frl. Helmbold, die über die Feiertage hier war. Beim Nachhausegehen standen wir noch lange in d. Luisenstr. Ecke Emilienstr. u. O. fragte, ob wir uns denken könnten, daß die BK-Pfr. alle aus Thür. weggingen u. die Gemeinden sich selbst überließen. Wir antworteten, wir würden das für das Richtige halten. Diese Sache muß hier in Thür. ausreifen. Die Gemeinden müssen sich bewähren oder zu Grunde gehen. – Die Geschichte mit d. Mißbrauch des Treueids ist zu schlimm, das ist das letzte. Das kann man nicht mehr mit ansehen. Im »Deutsch. Christentum«, das ich mir jetzt bestellt habe, wird ein Beschluß bekannt gemacht, wonach sie D.C.-Diakone als Pfr. einstellen wollen. Auf diese Weise retten sie sich aus d. Mangel an Nachwuchs. O. schilderte dann d. Lage seit dem Erlaß über den Treueid in ganz Deutschland.216 Sie ist furchtbar. (Immer hat man gedacht, das Chaos könnte nicht schlimmer werden, aber es ist tatsächl. möglich). Ich habe nicht alles behalten. – Thüringen kam ja bekanntl. zuerst daran, da haben d. Pfr. den Treueid geleistet, da sie den Mißbrauch für unmöglich hielten. Ihre Amtspflichten sahen sie bezeichnet durch ihren Ordinationseid u. die kirchl. Verfassung, beide nicht angetastet. In Sachsen hat man geglaubt, den Eid dem K.regiment von Klotsche nicht leisten zu können. Man hat ihn vor dem Sup. Hahn [H.], dem Führer der B.K., geleistet. Dieser Eid ist nicht anerkannt u. Hahn des Landes verwiesen worden. Darauf haben ihn die Pfarrer vor Notaren abgelegt. Es muß abgewartet werden, ob das anerkannt wird. In Mecklenburg sind noch 4 Superintendenten im Amt, die von der früheren K.regierg. eingesetzt sind. Denen haben die B.K.-Pfarrer den Eid geleistet. Dieser Eid ist anerkannt worden, aber die 4 Superintendenten sind sofort ihres Amtes entsetzt worden.217 Ich hörte einen ausführlichen Bericht üb. den einem Fall, da hatte die Polizei eingegriffen (ob überall, weiß ich nicht). Nach einigen Stunden hatte der betr. Sup. vor Aufregg. einen Herzschlag bekommen u. war gestorben. In Württemberg, Bayern, Hannover hat sich die Sache natürlich reibungslos abgespielt. In Württemberg hat, glaube ich, die K.regierg. der Landesregierung mitgeteilt, wie sie den Eid auffaßt. Auch in Hambg. u. Braunschweig ist wohl alles in Ordnung. (Wie es dort mit den Thür. D.C. steht, weiß ich nicht genau. In Württemberg haben sie ja eigne Gemeinden218 und haben vor den Leitern ihrer »Einung« den Treueid abgelegt).

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Zum Folgenden vgl. auch Gerlach, Kirche vor der Eidesfrage. Die Arbeit geht auch auf die spezifischen Verhältnisse und Ereignisse einzelner Landeskirchen ein, zu Sachsen S. 95–97. Vgl. Gerlach, Kirche vor der Eidesfrage, 95. Nationalkirchlich ausgerichtete.

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Im Rheinland hat nur ein Drittel der Pfarrer den Eid geleistet. Den anderen hat man eine 2. Aufforderung zur Eidesleistung, befristet, zugehen lassen. Leisten sie d. Eid nicht in der genannten Frist, so sollen sie von dem genannten Tag an als entlassen gelten u. alle Pensionsansprüche verlieren. Ich finde nicht die richtigen Worte, um das zu kennzeichnen. Man muß bedenken, daß die Pfarrer den Eid auf d. Führer ablegen wollen, sie wollen ihn nur nicht in d. Hände einer Kirchenbehörde ablegen, die ihn mißbrauchen könnte zu kirchenpolitischen Zwecken. Die Ansprache des Oberkirchenrats Werner habe ich offenbar nicht ganz gelesen. Sie soll ein Hindernis f. d. Eidesleistung sein u. irgendwo ist offiziell erklärt worden, sie sei nicht verbindlich.219 Die Thüringer haben also mit ihrem verfrühten Vorgehen bloß Unheil angerichtet. Sie haben jetzt einen Anlaß, sich selbst zu rühmen, aber d. Staat ist nicht damit gedient. Im Rheinland ist es, glaube ich, wo als Leiter der Finanzabteilg. der Kirche ein Mann ernannt worden ist, der aus der Kirche ausgetreten ist. Von dem hängt es nun also ab, ob ein Pfarrer angestellt werden kann oder nicht! Aus einer ganz besonderen Quelle, die ich nicht andeuten möchte, hörte ich ganz zuverlässig folgendes: Vor 14 Tagen, also am 28.5., haben die obersten militärischen Stellen mit Krieg gerechnet – u. zwar stündlich. Es sieht auch jetzt noch sehr bedrohlich aus. Göring u. Mackensen seien beim Führer wegen Niemöller vorstellig geworden. Er hätte sie »rausgeschmissen«. Auch andere, die dasselbe versucht hätten, seien daraufhin sofort kurz entlassen worden (aus d. Besprechung). Mackensen hätte deshalb sein Parteiabzeichen zurückgeschickt u. geschrieben, er verzichtete auf ein Staatsbegräbnis. – Der Führer hätte gesagt, Niemöller sei »sein persönlicher Gefangener.«220 Man kann es kaum glauben. Wie muß da gelogen worden sein. Ich glaube aus d. Zeitschriften zu merken, daß zwischen Rosenberg u. Schirach Unstimmigkeiten herrschen. Die Gegensätze treten zutage in den Berichten über einen Vortrag von Rosenberg vor der Universität Halle-Wittenberg über »moderne Sektenbildung« u. einer Rede, die Schirach vor einigen Tagen vor Hitlerjugendführern in Weimar gehalten hat. Schirach bekannte sich ausdrücklich z.B. zu Klages u. Stefan George, die Rosenberg unter die Sektierer gerechnet hatte. Im heutigen »Völk.Beob.« las ich einen Bericht über ein Hitlerjugendlager der Nordmark, der zum erstenmal kritisierte. Die Berichte seien überschwenglich, Vorschußlorbeeren u.s.w. u. dann Schilderung, wie der Berichterstatter während eines wolkenbruchartigen Regens in ein Zelt der HJ flüchtet u. dort nicht etwa selbstverständlich höflich, sondern sehr ablehnend empfangen wird usw. Trotz meiner interessanten Zeitungslektüre in d. letzten 5 Jahren ist dies das erstemal, daß ich eine solche leise Kritik entdecke. Und das im V.B., den Rosenberg herausgibt.

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»Als dann in Preußen Werner seine Ansprache zum Treueid veröffentlichte und damit als Leiter der Kirchenkanzlei eine für alle Landeskirchen nicht zu übersehende Gesetzesauslegung gab …« (Gerlach, Kirche vor der Eidesfrage, 152). Vgl. Tgb. 11. Mai 1938.

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Sonntag, d. 12.6. Abds., 10 Uhr [12. Juni 1938] Ich höre wieder Rundfunk. Es wird eine Rede von Rudolf Heß vom Gautag Pommerns wiedergegeben. Man hörte aus den Sätzen heraus, daß die Kriegsgefahr immer noch besteht. D. 15.6.38, Abds, 10 Uhr [15. Juni 1938] Rundfunk. Ich höre plötzlich mitten in einer spanischen Musik den Prager Sender. Nach nichtssagenden – wahrscheinl. aber sehr schwerwiegenden – polit. Nachrichten kamen andere Sender dazwischen. Ich höre aber immer ein deutsches Wort, so »Nationalkirche« … diese neue Sekte … alle administrativen Stellen …« Dann Schluß. Es kann ja aber sein, daß es sich nicht um eine Meldung über Deutschland handelt. Von d. L.K.K. sind 4000 M nach Wien geschickt worden, Zweck nicht bekannt. Vielleicht eine einwandfreie Sache. Gestern Abd. gab mir Frau O. [M.] einen Brief zum Durchlesen, den O. an das K.min. schicken wird. Er stellt darin zahlreiche Behauptungen des L.K.R. richtig. Es ist offenbar d. Antwort auf eine Darstellg., die der L.K.R. dem K.min gegeben hat.221 Das Ergebnis wird wohl, wie im Fall Hertel,222 die Feststellg. der »Beschlußstelle« sein, daß ein Pfarrer, der sich der Thür. K.regierung widersetzt, dieser K.regierung nicht zugemutet werden kann. Ich weiß nicht, ob ich aufschrieb, daß mir vor ungefähr 14 Tagen gesagt wurde, die Leiterin des theolog. Konvikts in Jena hätte rund 5000 M unterschlagen. Die Sache wird geheim behandelt – geheim ist ja überhaupt jetzt alles auf d. Pflugensberg. – Frl. v. Ranke haben sie fortgeschickt. Die Jenaer Dame ist ja wahrscheinl. D.C. gewesen, denn sie gab bisher zu Beanstandungen keinen Anlaß. Wenig Auslandsmeldungen, seitenlang allerdings über den Eucharistischen Kongreß223 in Budapest. Die östr. Katholiken haben nicht teilnehmen dürfen. Die kathol. Studentenvereinigungen in Östreich sind aufgelöst. Vor 3–4 Wochen französ. u. engl. Nachrichten über die Verweigerg. der Eidesleistung durch 100 (?) Pfarrer in Berlin. Schluß: Niemöller sei noch immer gefangen obwohl er jetzt einige Hafterleichterungen hätte. Er dürfte jetzt lesen u. arbeiten!!! Eine Dame, die ich heute traf, sagte, eigentlich müßten alle Juristen, die sein Urteil gesprochen hätten, angesichts dieser Desavouierung ihre Ämter niederlegen. Schirach spricht in Weimar vor der Hitlerjugend von »Bescheidenheit«. Nur der schwache Charakter hätte es nötig, dauernd aufzutrumpfen. Man liest es voll Staunen. Donnerstag, d. 16.6. [16. Juni 1938] Nachricht aus d. Haus: Heute »Dienstgericht« wegen Schultze-Röpsen. (Vielleicht die im Mai verschobene Sitzung?). Außerdem ist theol. Prüfung u. im Pred.seminar ein 221 222 223

Schreiben von Pfarrer Ernst Otto an den Reichs- und Preußischen Minister für die kirchlichen Angelegenheiten vom 14. Juni 1938, LKAE, Nachlaß Otto [kleiner Karton, unverzeichnet]. Tgb. 28. Januar 1938 und weitere Eintragungen. Eucharistische Kongresse – von der katholischen Kirche seit 1881 veranstaltete internationale Kongresse (47. Kongreß 2000 in Rom) zur Förderung der Verehrung des Altarsakraments als des Zentrums der katholischen Lehre und Frömmigkeit.

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Schulungskursus für Kirchenvertreter oder Kirchner. Die letzteren sollen sich schwer beklagt haben über das Essen. (Frl. v. Ranke fehlt). Leutheuser sprach mich auf d. Treppe an – ob mir das Steigen schwer würde? Ich sagte, ich sei zu schnell gelaufen. Er ist eigentlich immer betont nett, die meisten anderen betont unliebenswürdig. Gestern Abend im Radio wurde vom Deutschen Rundfunk noch mitgeteilt, der Führer hätte dem im Febr. verabschiedeten General v. Fritsch in Anerkenng. seiner Verdienste um den Aufbau der Reichswehr an die Spitze eines bestimmten Regiments gestellt. Vor vielen Wochen las ich in der »Times« eine kurze Notiz, Fritsch sei »rehabilitiert«, oder, Hitler habe sich mit ihm versöhnt. Irgendsoetwas. Erstaunlich, denn wir wußten nichts von einer Diskriminierung. Heute aus einer unkontrollierbaren Quelle ganz blödsinnige Gerüchte: 5 Generäle seien bei Hitler gewesen u. hätten 1.) einen Regentschaftsausschuß mit d. Prinzen Louis Ferdinand an der Spitze verlangt. Ich habe den Leuten klargemacht, daß das Kohl ist. 2.) wären die Generäle wegen der Kirche vorstellig geworden. Hitler hätte geantwortet, er wäre jetzt zu stark mit d. Außenpolitik beschäftigt u. könnte sich darum nicht kümmern. 3.) Die Generäle seien wegen Spanien vorstellig geworden, das kostete uns zu viele Opfer.224 Da habe ich auch gesagt: Quatsch. Wenn wir für Spanien wirklich Opfer bringen, so sind die bestimmt notwendig. An alledem wird vielleicht eben nur wahr sein, daß eine wichtige Unterredg. mit den Kommandanten der Wehrmacht stattgefunden hat, viell. diesselbe Besprechg., von der ich aus einwandfreier Quelle Nachrichten hatte. Erstaunlich ist aber, daß es überhaupt wieder Gerüchte gibt. Seit dem »Anschluß« sind das die ersten, die zu mir dringen. Man muß daraus schließen, daß wieder Unruhe im Volk ist. Aus d. Haus höre ich noch: Große Aufregg. wegen der luth. Freikirche in Gotha.225 Dienstag, d. 21. Juni 38. [21. Juni 1938] Vorgestern Abend bei Wedemeyers. Es wurde als bestimmt berichtet, Mackensen, der vor einigen Tagen, nach dem Reitertag in Erfurt, in Eisenach war, hätte dem Obersten v. Prittwitz vom Panzerregiment hier erzählt, Niemöller sei frei. Frau v. Prittwitz hätte es in einem Kaffee [sic!] erzählt, auf dem Frl. v. Wedemeyer war. Ottos wußten nichts davon, Frau O. [M.] wollte es auch nicht glauben. Ich muß sagen, ich glaube es auch nicht. Vor ganz Kurzem ist das Ehrenmal für die gefallenen U-Boot-Leute des Weltkrieges eingeweiht worden. Es ist echt, daß sie ihn nicht einmal dazu freilassen. Mackensen hat tatsächl., als er hier war, das gold. Ehrenzeichen nicht getragen – aber ob er es überhaupt besitzt? Was Gerüchte sind, erfuhr ich heute im Kleinen. Annchen Kötschau war bei Mutter u. erzählte, Ottos würden ihr Haus vermieten u. d. Möbel unterstellen. Er hätte schon eine andere Stelle!! Bisher ist sein Verfahren noch garnicht entschieden u. es werden überhaupt keine Pläne gemacht. – Mutter hatte sie erzählt: Sasse wäre »garnicht so 224 225

Die Regierung des Dritten Reichs unterstützte im spanischen Bürgerkrieg (1936–1939) massiv die Nationalisten General Francos. Vgl. Tgb. 9. Juni 1938 und frühere Eintr. dieses Jahrgangs.

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schlimm!« Er hätte zu einem Studiengenossen gesagt, er »hätte es bis hierher!« Also, deshalb »ist er garnicht so schlimm«. Diese alten Waschweiber. Ob die Aufregg. über die luth. Freikirche wirklich so groß ist, ist mir fraglich geworden. Die Behauptung war offenbar ein Wunschtraum eines harmlosen Gemüts, weil alle D.C. neulich nach Gotha fuhren. Sie fuhren aber deshalb hin, weil Leffler da einen Vortrag hielt. Heute stand die luth. Freikirche in Neuhaus a.R. allerdings als 1. Punkt auf der Tagesordng. der L.K.R.-Sitzung. Otto erzählte, ein Fabrikant hätte dort eine Kapelle gebaut.226 Franz hat heute in d. Zentrale auf d. Tisch gesessen u. erzählt, er käme sich in Berlin vor wie ein Botschafter im feindlichen Land. Er kokettiert ja nur damit, denn es geht ganz klar jetzt die ganze Entwicklung in den Bahnen der Thür. D.C. [NkE). Am Freitag, also am 17.6., war wieder Bekenntnisgmeinsch. hinter der Mauer. Otto gab einen Bericht zur Lage – trostlos. Richtig, Sasse hat sich von Franz folgendermaßen verabschiedet: »Also grüß’ Werner schön u. versuch’ mal die Sache mit d. Hainstein.« Darauf Franz: »Das wird mir wohl nicht gelingen.« Bei Ottos tagen seit gestern Abend 14 Kandidaten, werden auch da verpflegt u. vertilgen unglaubliche Mengen. Nicht eingeladen sei auch Dilschneider, früher in Jena, erschienen, den sie offenbar nicht mögen. Am Sonntag machte ich nachmittags mit Ottos u. Frl. v. Kaufberg einen wunderschönen Spaziergang. Übrigens soll d. Gerücht um Blomberg, er ließe sich wieder scheiden usw., wahr sein. Quelle aus Offizierskreisen. Donnerstag, d. 23.6.38. [23. Juni 1938] Franz will jetzt an 2 Tagen jeder Woche in Eis. sein, da Fritz maßlos überlastet ist. Der will im Herbst an ein Kreisk.amt – schade. Ich wollte ich könnte mit. O. hat noch keine Nachricht von Niemöllers Freilassg. u. glaubt deshalb auch nicht, daß das Gerücht wahr ist. Ich glaube es auch nicht. Freitag, d. 1. Juli [1. Juli 1938] Gerüchte um Östreich. Die deutsche Presse wendet sich ausführl. gegen ausländ. Greuelmärchen. Man hat wieder das Gefühl wachsender Feindschaft gegen Deutschland u. von Gefahren. Aber es liegt nur in der Luft, ist kaum zu erklären. Ausländ. Nachrichten über die dtsche protest. Kirche kommen fast nicht mehr. Meist handelt es sich um die kathol. Kirche. Gerüchte um Niemöller. Einer der Richter, die das Urteil, das N. moralisch freisprach, gesprochen hatte, habe seinetwegen mit d. Führer geredet, der kurz bemerkt hätte: »Hochverräter. 10 Jahre Zuchthaus.« Nach einem anderen Bericht soll er gesagt haben: »N. ist mein persönlicher Gefangener.« (Was ist das?)

226

Zu beiden Freikirchen vgl. frühere Eintragungen dieses Jahrgangs.

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Kerrl hat eine neue V.O. erlassen, die ich nach d. kurzen Zeitungsbericht nicht ganz begreife. Es dreht sich um den staatl. Zuschuß.227 Den sollten nur »staatstreue Kirchen« haben, die im Rahmen der Gesetze ihr Kirchengebiet in Ordnung hätten – oder so. Dann noch etwas über Pfarrerbesoldg. Staatsmittel dürften nur für die Besoldg. solcher Pfarrer verwendet werden – soweit sie nach einem Stichtag ihr Examen machen – die von allen Professoren [der theol. Fakultät] der Landesuniversität geprüft worden seien. D.h., man will sie alle zwingen, D.C. zu werden, die B.K.-Professoren werden abgebaut, die kirchl. Sonderkurse der B.K. hat man verboten u.s.w. Dazu paßt ein Gespräch, das Frl. S. kürzl. mit einem Kandidaten hatte, der in Jena studiert u. sie wohl für D.C. hielt. Es wären in Jena nur noch ganz wenige Theologiestudenten, die Zahl habe ich vergessen (40–50). »In 3–4 Jahren haben wir keinen Nachwuchs mehr.« »Ist das denn an den anderen Universitäten auch so?« fragt Frl. S. »Ach nein, Erlangen z.B. ist vollgestopft, 4–500.« »Sind die denn auch alle D.C.?« »Nein …!! B.K.!« Genaue Nachrichten: Es geht wenig Geld ein, die Kirchensteuern würden sehr schlecht gezahlt. Der Kassierer erkundigt sich, woran das läge. Es seien Juni, Juli u. August ja immer die schwächsten Monate, aber so schlimm sei es doch noch nie gewesen. Von Ottos Prozeß hört man nichts. Mittwoch Abd. traf ich den Labi Reichardt im Kart-haus, der mich danach fragte. Wir wanderten 1 Stunde lang zusammen umher, er erzählte aus den Anfängen der Thür. ev. Kirche, längst vergangenen Tagen. – Leuth. u. Leffler. Man habe ihm vorgeworfen, daß er sie nach Thür. geholt habe. Er habe sich vorher so gesichert, habe mit dem Kirchenpräsidenten Veit in München gesprochen, der beide gelobt hätte. Sie seien sonst nette Kerle. Der Dekan in Nürnberg hätte unglücklich gewirkt, »wir in München wären schon mit ihnen fertig geworden.« Er, Reichardt, habe sie also nach Thür. übernommen. Beim Examen habe er sie beide erst mal durchfallen lassen. »Alles Blut u. Boden, rein völkisch.« »Na, wir haben dann mit ihnen gesprochen. Schließlich sahen sie es ein u. gaben die reine Gottesoffenbarung zu …« usw. Ich hörte manchmal nicht genau hin, es war etwas langweilig. Immerhin – die beiden konnten also auch nachgeben (Verbot der Wahlreden 1930 für die thür. Pfr., da haben sich die beiden auch dem L.K.R. gefügt! Das habe ich damals nicht verstehen können – u. verstehe es heute noch nicht). »Und der Obpfr. Schmutzler war so begeistert von ihnen, sie hatten so eine feine Arbeit gegen die Sozialdemokratie aufgezogen – u. eine große Arbeitsgemeinschaft mit

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»Der Staat kann den Kirchen Staatsleistungen nur gewähren und ihnen die Einziehung von Kirchensteuern nur ermöglichen, soweit er voraussetzen kann, daß die Kirchen den Belangen des Staates nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen und auch sonst unter Aufrechterhaltung der Ordnung Rechnung tragen« (Runderlaß des Reichskirchenministers an die Finanzabteilungen bei den kirchlichen Behörden Preußens vom 16. Mai 1938, Dokumente zur Kirchenpolitik IV, 203–204). Weiter bestimmte der Erlass, dass für die Besoldung von Theologen, die nach dem 31. Mai 1938 ihre erste theologische Prüfung ablegten, Kirchensteuermittel oder Mittel aus Staatsleistungen nur verwandt werden durften, wenn an den Prüfungskommissionen alle ordentlichen Professoren der jeweiligen theologischen Provinzfakultät beteiligt waren.

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den Lehrern …«228 usw. Es ist kaum zu glauben, wie so ein Mann heute noch durch die Zeit wandelt. Eine andere V.O. von Kerrl verbietet, mit kirchl. Mitteln den »luth. Rat« zu unterstützen – oder so. Aber nichts gegen d. Unterstützg. des Bundes für D.C. durch die Kirche. Montag, d. 11.7.38 [11. Juli 1938] Die V.O., nach der nach d. 31. Mai nur noch solche Pfarrer mit Staatsmitteln besoldet werden dürfen, die von allen Professoren der Landesuniversität geprüft worden sind (so stands in d. Ztg., es kann sich aber doch nur um die Professoren der theol. Fakultät handeln?!) geht noch durch die Presse u. wird heute mit ein paar Bemerkungen in Nr. 28 des »Protestantenblatt« v. 10.7. d.J. gekennzeichnet (letzte Seite unter »Allerlei v. Tage«).229 Der Erlaß wird »folgenschwer« genannt. Heute erfahren: Am Freitag (8.7.38) habe es »großen Krach« in d. Sitzung gegeben. Es habe ein Kostenanschlag zur Herrichtung einer Dienstwohnung (in dem von d. Kirche angekauften Haus von Martin) für Kirchenrat Volk vorgelegen in Höhe von 30 000 (dreißigtausend) Mark. Genehmigt von Tegetmeyer! Nach den Wünschen von Frau Volk. – Da habe Osswald auf den Tisch gehauen u. gesagt, das machte er nicht mehr mit, wenn eine staatliche Kommission da hinein sähe, kämen sie alle ins Zuchthaus! – Darauf hätte Dr. Volk sofort in dem Göpfertschen Haus neben dem Fürstenhaus eine Wohnung gemietet. – Die Finanzbeamten fürchteten, Tegetm. hätte damals bei d. Autounglück »etwas abgekriegt« u. sei nicht mehr ganz richtig im Kopf! Die Kreiskirchenämter machen auch nur Mehrausgaben statt Ersparnisse. – Es wäre ja gut, wenn die Herren mal einen ordentl. Schrecken gekriegt hätten. Jetzt überlegt man sich, was aus dem neugekauften Haus werden soll! Seit 1.7. steht die Wohnung leer. Ottos sind in die Ferien gereist. O. sagte in d. letzten Tagen einmal, als ihn jemand fragte: »Es geschieht nichts. Das Durcheinander geht weiter. Keine Entscheidung.« Auch in sr. eignen Angelegenheit nichts neues. Pfr. Carlsson-Wiesenthal230 ist seit einem vollen Jahr in d. gleichen Lage, bekommt sein volles Gehalt u. hat nichts zu tun. Die Unterschlagungen der Frl. Carus aus d. Konvikt in Jena in Höhe von 5– 6000 M

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Zu den Auseinandersetzungen Lefflers und Leutheusers mit sozialistischen Gruppen sowie über den durch beide initiierten Nationalsozialistischen Lehrer- und Pfarrerkreis des Wieratales vgl. vgl. Thieme, Aus dem Wieratal ins Reich, bes. 44–52. 77–81. 89–102. »Unter der etwas irreführenden Überschrift ›Erhält die Kirche noch Staatsleistungen?‹ geht ein folgenschwerer Erlaß des Ministers Kerrl durch die Zeitungen, wonach für die Besoldung von Theologen, die nach dem 31. Mai 1938 ihre erste theologische Prüfung ablegen, in Zukunft Mittel aus Kirchensteuern oder Staatsleistungen nur noch dann verwandt werden dürfen, wenn an den Prüfungskommissionen alle ordentlichen Professoren der Provinzialuniversität beteiligt sind. Entsprechendes gilt für die Ruhestands- und Hinterbliebenenversorgung us.w.« (Allerlei vom Tage, Protestantenblatt 71 [1938], 439). Zum Fall Carlsson vgl. Biogramme.

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werden der Staatsanwaltschaft nicht angezeigt,231 sind aber Tatsache. Pfr. Kühn, der als Kurprediger in d. Schweiz war, ist zurückgekommen, weil er es nicht mehr ausgehalten hat. Der Deutschenhaß sei furchtbar geworden. Er hätte beim Predigen noch vorsichtiger sein müssen als hier, nur in umgekehrter Weise! Frl. v. Ranke meinte, man spräche in den Schweizer Zeitungen doch mit mehr Achtung von Deutschland als noch vor einem Jahr. Aber alle hätten Angst gehabt, daß wir die Schweiz überschlucken würden!! Sie selbst habe in dem ganz englischen England Kreis ihrer Freunde gelebt u. sei für eine Engländerin gehalten worden, habe nicht mit Schweizern gesprochen. Nachm. Die Summe von 30 000 M für den Volkschen Umbau soll dadurch zusammengekommen sein, daß eine Wohnung für die neueingestellte Angestellte von Tegetmeyer (u. ihre Mutter) im Dachgeschoß eingebaut werden sollte. (Diese Angestellte wird außertariflich bezahlt, bearbeitet die geheimen Sachen des »Bundes für D.C.« mit, ist als Ersatz für Frl. Schnürpel eingestellt u. erregt den Unwillen des übrigen Personals durch die Bevorzugung, die ihr zu Teil wird). Bei dem neugekauften Haus handelt es sich um ein Einfamilienhaus. Frau Volk wünschte, was ja an sich verständlich ist, da die Treppen Bestandteil der Wohnung sind, ein neues Treppenhaus. Daher die Kosten!!! Das Geld aber in ein altes Haus hineinzustecken, wo man für 30 000 M ein neues bauen könnte, ist natürlich Wahnsinn. Hartmann, der seit einiger Zeit sein Büro im Zwischenstock hat, räumlich nahe bei Osswald, soll jetzt Osswald immer alles sagen u. da hätte O. nun mal auf den Tisch gehauen. – H. ist wahrscheinl. aus s. alten Büro, wo er gemeinsam mit Tegetm. saß, weggekommen, weil er vor Kurzem mal in der Sitzung gesagt haben soll: »M. Herren, ich weiß mehr als Ihnen lieb ist.« (Er jammert ja schon seit Jahren, daß er »das nicht mehr mitmachen« könnte. Bisher hat er es aber immer noch getan). All das stammt von 2 Mitarbeitern der Finanzabtlg., die es einem 3. erzählten, der es mir wiedersagte! Dienstag, d. 19. Juli [19. Juli 1938] Heute mehr als je der Eindruck, daß Kriegsgefahr ist. Die Hetze in d. Auslandszeitungen ist offenbar enorm. Auch eine Bemerkg. eines Offiziers in d. Gedächtnisrede für H. W. v. Harstall lege ich so aus. Bemerkungen der Kirchenräte desgl. Es verstärkt sich auch der Eindruck, daß die inneren Spannungen wachsen. Was eigentl. los ist weiß ich nicht. Eine Information, die aus den Reihen der Kirchenräte kommt, besagt, daß »tolle Fehler gemacht worden sind u. immer noch gemacht werden«. »Hinter den Kulissen« ginge es »unglaublich« zu, »was wird aus der Kirche« u.s.w. Volk hat sich neulich über die »Unlust« ausgesprochen, die hier auf d. Pflugensberg herrscht. »Es wird ja überhaupt nichts mehr gearbeitet …« usw. Dasselbe hat Stüber dann gesagt: »Es macht ja keinen Spaß mehr. Keiner hat Lust …« So ungefähr. Das

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Vgl. zu diesem Fall vgl. Protokoll des LKR der TheK vom 4. Juni 1938, Punkt 7: »Leiterin Carus des Studentenheimes in Jena«, LKAE, A 122, 147. Der Fall hat keine kirchenpolitischen Hintergründe.

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läßt tief blicken. Sie ahnen, daß sie nur benutzt u. fallen gelassen werden, wenn sie ihr Werk getan haben. Nach langer Zeit einmal wieder beschäftigte sich die »Times« mit der B.K. Der Bischof v. Durham »schrieb über d. Verhältnis zwischen England u. Deutschland einen Brief an den Herausgeber. Jede Übereinkunft müsse auf gegenseitiger Achtung gegründet sein. Diese Achtung könne nicht entstehen, solange Niemöller im Gefängnis sei …« usw. Darauf antwortet am 14.7. der Bischof von Gloucester auch in einem Brief an den Herausgeber. Er hat d. Brief des Bischofs v. Durham während eines 10-täg. Aufenthalts in Deutschland gelesen. Da ist er mit einer Auswahl von Geistlichen zus.gekommen, die ihm gesagt haben, Niemöller säße nur deshalb im Gefängnis, weil man ihn verhindern wolle, etwas gegen das Gesetz zu tun u.s.w. in dem Stil. Er hat alles geglaubt, was man ihm gesagt hat. Es ist rührend, wie harmlos er alles sieht. Eine Vorkriegs-Mentalität. Ob darauf eine Antwort kommt? Frau Bauer [K.] sagte mir am Sonntag, Niemöller sei seit 6–8 Wochen nicht mehr im Konzentrat.lager, sondern auf einer schlesischen Festung, wo er es besser hätte, vor allem, weil das ja keine schimpfliche Haft bedeute. Er dürfte wieder theologische Literatur lesen, aber nichts schreiben. Ob es wahr ist? Nach wie vor hört man Gerüchte über ihn, die offenkundig unwahr sind, aber geglaubt werden (von einfachen Leuten). So das Folgende: Niemöllers Vater [H.] sei beim Führer gewesen (der wird doch garnicht vorgelassen!) u. der Führer hätte ihm gesagt: »Nie!!« (d. heißt wohl, er gäbe ihn nie mehr frei). Darauf habe Niemöllers Vater zu anderen gesagt, wenn es jemals heißen sollte, sein Sohn habe sich in d. Zelle d. Leben genommen oder sei auf d. Flucht erschossen worden, so solle man das nicht glauben, das täte er nicht. Dieses Gerücht ist offenbar in kirchenfremden Kreisen entstanden, die nicht wissen, wie undenkbar es ist, daß ein Mann wie Niemöller, ein tief gläubiger Mensch, sich das Leben nimmt oder flieht. So etwas hält Niemöllers Vater auch garnicht nötig zu sagen. Aber bezeichnend, daß es erzählt wird u. von wem. Über den Stand von Ottos Sache konnte ich nichts erfahren. Ich habe wohl s.Zt. notiert, daß er die Leitung der Thür. Bek.gem. niedergelegt hat.232 Köhler-Hildburghausen hat sie jetzt.233 O. ist aber noch im Bruderrat. Kürzlich war er mehrmals verreist, es wurde nicht gesagt, wohin. Der Krach im L.K.R. wegen der Geldforderung zum Umbau des neugekauften Hauses wird bestätigt. Es scheinen sogar mehrere Kräche gewesen zu sein. Über Carlsson-Wiesenthal ist neulich in d. Sitzg. verhandelt worden. Leffler plant d. Herausgabe eines Buches, Bauer stellt es zusammen. Eine Affäre betr. 800 M u. Paulin-Weimar, über die Bauer [W.] u. Leffler einen Krach gehabt haben, scheint damit zusammen zu hängen. Bestätigt wurde von kompetenter Seite auch die »Pleite« der Sportpalastversammlung234 mit dem Zusatz: »Es war so furchtbar schade, es waren soviele Ausländer da!!!«

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Schreiben von Pfarrer Ernst Otto an den Rat der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands vom 23. Juni 1938, LKAE, LBG 88, 83. Zum Wechsel vgl. Helaseppä, Die Lutherische Bekenntnisgemeinschaft, 226–227. Vgl. Tgb. 7. Juni 1938.

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Sehr schlimme Nachrichten aus Sachsen, Quelle genannt, sehr gut. Von den etwa 340 Pfarrern, die dem aus Sachsen ausgewiesenen Hahn [H.] s.Zt. den Eid auf den Führer geleistet haben, haben etwa 240 sich geweigert, ihn vor Klotsche denselb. Eid abzulegen. Aus diesen 240 hat man jetzt einige herausgegriffen, sie ohne Gehalt amtsentsetzt u. ihnen u.a. befohlen, das Pfarrhaus binnen 24 Stunden zu räumen. So hätte man einen Pfr. Fischer [K.] (Dresden) mit 7 Kindern die Möbel einfach auf d. Straße gesetzt.235 Ich muß mich noch einmal erkundigen, ob es wirklich so ist. 20.7.38. [20. Juli 1938] Die kathol. Jugend hat am Trinitatissonntag ihren »Bekenntnistag« gefeiert (Blatt der Erzdiözese Köln), die Hitlerjugend macht zum Reichsparteitag ihren »BekenntnisMarsch« nach Nürnberg. Das Wort ist doch wohl wirkungskräftig. Von allen Seiten Kriegsprophezeiungen. Alle Verwaltungssonderzüge sind aus diesem Grunde abgesetzt. (Absage Tatsache), über 50 Jahre alte Maurer nach dem Westen zu Befestigungsarbeiten. Neues Gesetz, jedermann ist zu »Sachleistungen« f. d. Wehrmacht verpflichtet, das angeblich für Zwecke des 4-Jahresplans herausgekommene Gesetz, daß jeder zu jeder Arbeit, auch wenn er nicht will, herangezogen oder festgehalten werden kann, dient doch sicher auch Mehrzwecken. Sauckel soll »neulich« in Weimar zu Männern (oder Frauen) der Partei gesagt haben, im Kriegsfall kämen alle Kinder in Kinderheime u. alle jüngeren Frauen müßten in die Fabriken, die älteren müßten die Kinder hüten u. d. Haushalt führen u.s.w. Ich verstehe nur nicht, warum man nicht jetzt alle Kräfte zur Fertigstellg. der Reichsautobahnen einsetzt, statt Teile von Berlin niederzureißen pp. Freitag, d. 22.7. [22. Juli 1938] Ich hörte heute, Bauer [W.] sei dienstlich in Östreich gewesen, sei aber abgewiesen worden. Bauer [W.] u. Leutheuser seien jetzt privat – im Urlaub – in Kärnten! Die »Antwort« auf d. Brief des Bischofs v. Gloucester ist da – Martin Niemöllers Bruder hat sie gegeben, von d. Dahlemer Kanzel aus am letzten Sonntag. »Daily Mail« berichtet am 18.7., Wilh. Niemöller habe auf d. Kanzel gesagt, sein Bruder habe »niemals politische Ziele verfolgt u. niemals d. Kanzel zu politischen Zwecken benutzt.« Die D.C. veröffentlichen in ihren Zeitschriften u. der Thür. Heimatkorrespondenz den Brief des Bischofs von Gl. [Gloucester], aber bezeichnenderweise gekürzt, ohne die Stelle über Niemöller, die ihnen doch wohl auch zu naiv ist u. die sofort erkennen läßt, wie wenig dieser Mann die Sachlage durchschaut hat. Frl. Geibel erinnerte mich daran, daß Otto vor sr. Abreise davor gewarnt hatte, Gerüchten über Niemöller Glauben zu schenken. Es sei alles nicht wahr, auch sei er nicht auf Festung.

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Vgl. dazu die etwas andere Version bei Meier, Kirchenkampf III, 499–500. Die meisten Pfarrer haben sich schließlich doch zum zweiten Mal vereidigen lassen, allerdings nicht vor dem DC Klotsche. Die Dienstentlassung von Fischer u.a. wurde wieder aufgehoben. Beide Versionen müssen sich nicht widersprechen.

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Ernste Gefahr in Hannover: Der Leiter der Finanzabteilg. verweigert einem von Marahrens ordnungsmässig eingesetzten Pfarrer das Gehalt. Einer der schwersten Eingriffe, die sich denken lassen. Die ganze Entwickelung der Kirche überhaupt hängt daran – Weiter: Es wurde behauptet, für die Ausgaben von 14 000 M im Haushaltsplan fehlten die Belege. Über diese 14 000 M hat Marahrens frei zu verfügen u. hat darüber verfügt zugunsten des luth. Rates. Jetzt wird behauptet, die Belege seien nicht vorhanden. Sie sind aber vorhanden. Da behauptet man: »Das sind keine Belege«! Es wird befürchtet, man wolle daraus eine Affäre machen wie damals die Sache mit Wurm. Ausgerechnet mit Marahrens, dem Führer des Welt-Luthertums! Es ist so dumm, daß alles aufhört. Und die Finanzwirtschaft der Thür. ev. Kirche …! bleibt unangetastet. Oberheid war am Dienstag (19.7.) nach langer Zeit mal wieder zur Sitzung hier. »Der steckt sie ja alle in die Tasche«, sagt V. begeistert. Die Sigrune, das deutschvölkische Blatt (Nachfolge des verbotenen »Durchbruch«)236, hat sich schlimm über die »Thüringer« mokiert. Es hat das Glaubensbekenntnis besprochen, das 2 mecklenburgische Pastoren bei der Konfirmation verwendet haben. Sigrune nennt das einen Diebstahl völkischer Gedanken oder so – (im Sinne Rosenbergs-Verfälschg. der natsoz. Weltanschauung). Dagegen wendet sich »Deutsches Christentum« in sr. Nr. v. 24. Juli in einem Artikel: »Lehren nationalkirchliche Pastoren Deutschgläubigkeit?« Auch mit Herrn Rehm schlagen sie sich noch dauernd herum. Sonntag, d. 24. Juli 38. [24. Juli 1938] Neue niederträchtige Angriffe auf die B.K. in der »Nationalkirche« vom 17. Juli.237 Die bayrische Gruppe hat in derselb. Sache ein »Mitteilungsblatt« ausgegeben mit der Überschrift »Der neueste Hochverrat in der Bayerischen Kirche.«238 Es geht gegen Helmut Kern. Ob die Darstellg., wie sie gegeben wird, richtig ist, muß man bezweifeln.239 Ich kaufte mir gestern ein »Times« v. 22. Juli: Die vom Bischof von Durham u. dem von Gl. [Gloucester] angeregten Erörterungen gehen weiter. Eine gute Antwort an Gloucester kommt aus dem »Chansfield College, Oxford«, eine sehr typische, gänzlich

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Es kann sich nur um die »Sigrune. Blätter für nordische Art« handeln, die allerdings bereits seit 1933 herausgeben wurde. Ein deutsches Gericht bezeichnet das Verhalten eines führenden Bekenners als Entartungserscheinung!, NaKi 7 (1938), 289 und 298. Deutsche Christen. Nationalkirchliche Einung. Landesgemeinde Bayrische Ostmark (gez. Adolf Daum), Der neueste Hochverrat in der Bayrischen Kirche! [Flugblatt], Bayreuth 1938. In dem Flugblatt geht es um die Volksabstimmung zum Anschluss Österreichs.Kern und seine Familie hätten teils ungültig, teils mit nein gestimmt. Denunziert wurde damit zugleich Meiser. Man könne an solchen falschen Seelenführern sehen, »wie faul, morsch und entartet das ganze Kirchensystem der Bekenntnisfront« sei, während die Deutschen Christen treu im Volke dienen »an der Herzensgemeinschaft der Deutschen, als echte deutsche christliche Kirche der Nation.« Verbunden mit diesem Aufruf war eine »Beitrittserklärung« zu den Thüringer Deutschen Christen. Bemerkenswert ist außerdem die geforderte Versicherung, dass man arischer Abstammung sei. Vgl. NaKi 7 (1938), Nr. 29.

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weltfremde, aber sehr »britische« aus Bournemouth. Interessant, wie gering die Einfühlg. in das Wesen des Nationalsozialismus, trotz alles Bemühens. Und wie wenig wissen die Leute von dem, was hier eigentlich vorgeht. Ich hörte gestern, Sonnabend, noch: Pfr. Evertz in Zeulenroda soll abgesetzt werden.240 Es kämen viele Telegramme aus Z. Gestern »eine ganze Menge …« Gespräch zwischen einem Pfarrer (Lorbaß?241) [Roßbach] aus Gotha u. jemand, den er wohl für einen D.C. gehalten hat, der aber zu uns gehört: »Na, wie stehts denn in Gotha?« »Traurig, sehr traurig!« »Es sind wohl viele Kirchenaustritte?« »Ja. Der L.K.R. hat sich ja darin ganz klug benommen, aber unsere Leute …!! Oh!« (Damit sei z.B. Obpfr. Schöne gemeint, wurde mir erklärt). Volk ist sehr strahlend nach Berlin abgefahren, wo er Sasse, der auf Urlaub ist, in irgendeiner Verwaltungssache endlich einmal wieder vertreten kann. Ich vergaß: Der Bischof von Gloucester hat sich, vor dem vorhin erwähnten Antworten, noch einmal hören lassen u. behauptet nicht mehr u. nicht weniger, als daß auch die D.C. Thüringer Richtung [NkE), mit denen er gesprochen hat, orthodoxe evangelische Christen seien! Die Herren sollten nur mal Lehmanns Schriften242 lesen u. die Sportpalastrede von Leffler.243 Dann wüßten sie ja Bescheid. Gleichzeitig läßt sich ein schottischer Geistlicher sehr klar u. kurz vernehmen. Er nennt Niemöllers Fall den »test case«244. Interessant, wie klar in den verschiedenen Briefen die Charaktere hervortreten – oder sehen wir solche Dinge nur, weil wir in diesem Kampf so viel gelernt haben an Menschlichkeiten? Mittwoch, d. 31.8.38 [31. August 1938] Am Montag ging für mich der Dienst wieder an, nach 5-wöchigem Urlaub. Merkwürdig, wie wenig man im Leben außerhalb der Kirche von den kirchlichen Dingen spürt und weiß – auch bei interessierten Menschen. Das wissen wir ja das ganze Jahr über – aber mal wieder mitten drin zu sein in diesem anderen Leben ist doch noch eine besondere Sache. Ich sprach in Köthen mit dem dortigen Kreisoberpfarrer, der B.K. ist, lebenslängl. angestellt u. also unabsetzbar. Man versucht, ihn auf kalte Weise unschädlich zu machen. Auch Differenzen innerhalb der B.K., wie es scheint, mit NiemöllerLeuten (nur von ferne beurteilt). Im Großen u. Ganzen die Lage wie bei uns, da aber rechtlich die Dinge z.T. anders liegen auch in Einzelheiten andere Situation. In Gronenberg in der Familie. Die Erzieherin halte ich für so etwas wie eine verkappte Kommunistin, kann sie aber nicht durchschauen. Sie ist sicher voll Haß. Auswirkungen. Schwerer Kummer. Bremen. Im Dom spielt dauernd die Orgel. Eine Minute lang ist man entzückt, dann merkt man, es ist ein mechanisches Spielwerk u. möchte sich wehren. – Mumifizierte 240 241 242 243 244

Vgl. zum Fall Evertz Biogramme; vgl. auch das Biogramm »Heinrich«. Gemeint ist Pfr. Roßbach; s. Biogramme. Lehmann, Der Todeskampf der Christentümer. Leffler, Der Weg der Deutschen Christen, aus der Rede im Sportpalast zu Berlin, NaKi 7 (1938), 220–224. Deutsch: Testfall.

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Leichen in der Bleikammer werden gezeigt.245 Bedauere, daß nicht auch der Sarkophag eines schwedischen Adligen geöffnet u. gezeigt werden darf, da die Familie es nicht gestattet. (Die Familie hat Recht). Zurück nach Eisenach. Es wird viel vom Krieg gesprochen. In Gronenberg gab es nur die Ernter u. d. Familie, sonst nichts. Kaum sah einmal jemand in die Zeitung. Hitler u. Horthy waren in Kiel, die Pönitzer enttäuscht, daß im Extrazug sich Niemand am Fenster gezeigt hatte. Das war alles. Mäxchen: »Wenn es keinen Weihnachtsmann gibt, dann glaube ich nicht mehr an d. lieben Gott u. an den Hitler.« (Ruthi: »Der Pastor in der Religionsstunde redet so, als wenn er das alles glaubte …« u.s.w.) Es gibt keinen Zement mehr für den Bau von Silos – weil alles gebraucht wird, um im Westen die Mauer gegen den Kartoffelkäfer246 zu bauen. Das flüstert man sich zu. Hier weiß jedermann: Alle Postautos sind beschlagnahmt u. im Westen. Die Reichspostautolinien werden von Privatautobussen gefahren. Alle ungelernten Arbeiter sind im Saargebiet z. Befestigungsbau. In 4 Wochen soll alles fertig sein.247 usw. Otto betete gestern Abend (Einlad.abd.) für Erhaltung des Friedens, »wenn es möglich ist« u. für Niemöller. Die Rückkehr auf den Pflugensberg war sehr anders als in anderen Jahren. Alles schien friedlich, die Leute grüßten ganz nett. »Es ist, als ob alles schliefe«, wurde mir gesagt, »Totenruhe«. – »Nur die Reichstagung der D.C. kündigt sich an, es werden Quartiere gesucht.« Diesmal behauptet niemand, binnen wenigen Tagen würde die B.K. verboten. Der Reichsparteitag steht kurz bevor, aber niemand erzählt, der Führer würde die Nationalkirche proklamieren.248 Wo sind die Zeiten hin? Inzwischen haben wir allerdings auch gelernt, daß Ideen u. Gestalten wiederkommen. Doch mit dieser ists wohl endgültig aus. Das »Deutsche Christentum« hat in sr. Nr. 35 v. 28.8. einen Artikel aus d. Schw. Korps v. 18. d. Mts. abgedruckt, der so anfängt: »Den bekenntnistreuen und artverwandten Lügnern innerhalb u. außerhalb der Reichsgrenzen u. ihren katholischen u. bolschewistischen Schützenhelfern hat … in Bukarest der Landesbischof … Glondys eine weithin schallende Abfuhr erteilt …«249 In diesem Stile geht es weiter. Das ist überhaupt der stärkste Eindruck beim Durchfliegen der Kirchenzeitungen

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Bleikeller ist der umgangssprachliche Name der Ostkrypta des St. Petri-Doms in Bremen, in der 1698 zufällig einige Mumien gefunden wurden. Man ging lange davon aus, dass die Mumifizierung aufgrund von eingelagertem Blei erfolgt sei – daher der Name; sie kam aber auf natürliche Weise zustande. Offensichtlich Spottname für den Westwall, der zwischen Mai 1938 und September 1939 gebaut wurde (vgl. Enzyklopädie des Nationalsozialismus, 806). Zur Mobilmachung vgl. Domarus II/1, 906. Das war es, was die DC in Thüringen im Grunde erwarteten. Zu den Verhältnissen in Siebenbürgen vgl. Schmidtmann, Kirchenkampf in Siebenbürgen, in: Maser, Der Kirchenkampf im Deutschen Osten, 233–247.

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aller Richtungen: Die Gemeinheit, mit der die D.C. ihre Glaubensgenossen verleumden. Graf Reventlow dagegen ist es im Reichswart gelungen, auch B.K.-Leute zur Aussprache über Gemeinsamkeiten zu bringen. Der L.K.R. hat O. mitgeteilt, daß die im Mai verschobene Sitzg., bei der über Weitergabe seiner Dienststrafsache an das Dienstgericht250 beschlossen werden soll, im Oktober stattfinden wird.251 Das war alles, was ich über d. Lage erfahren konnte. Am Freitag ist B.K.-Mitglieder-Versammlg. Ein englischer Zeitungsausschnitt berichtet, die B.K.-Synode hätte nach längeren Verhandlungen mit den kirchlichen Autoritäten eine Mitteilung an ihre Anhänger ausgehen lassen, wonach jetzt auch die preußischen B.K.-Pfarrer den Treueid leisten würden.252 Otto bestätigte es. Auch das »Berner Tagblatt« v. 18.8. berichtet darüber u. warnt vor einer »Fiktion, die unabsehbare Folgen haben könnte.« Es schreibt, es sei in dem Beschluß der B.syn. v. 31.7. zur Frage des Treueides festgehalten, »daß dem Führer u. Kanzler Kenntnis gegeben werden müsse von der Tatsache, daß die eidfordernde Stelle die Eideserklärung des Bruderrates der Bekenntniskirche angenommen habe.253 In dieser Erklärung werde dem Eide selbstverständlich keine totalitäre Bedeutung beigemessen. Es wird nunalles darauf ankommen, ob der Führer von dieser Sachlage, d.h. von d. einschränkenden Bedeutg. der Eideserklärung des Bruderrates auch wirklich Kenntnis nimmt. Bevor Gewißheit besteht, daß d. Führer selbst, dem der Eid gilt, keinen anderen Eid fordert, als d. Pfr. nach der Eideserklärg. zu schwören in d. Lage sind, darf d. Eid nicht geleistet werden …« Ähnlich berichtet »Le Matin« vom 18.8. Am Freitag werden wir ja erfahren, was daran wahr ist. Sonnabd., d. 3. Sept. 38. [3. September 1938] Über d. Eid der preuß. Pfr. sprach O. gestern Abend allerdings garnicht. Es war etwas spät geworden, ehe er an d. Reihe kam, vor ihm hielt Brakhage d. Andacht u. sprach Mitzenheim über die nationalkirchl. Entwürfe zu »Gottesfeiern« (Abendmahl!).254 250

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Dienstvergehensverfahren konnten an das ›Dienstgericht‹ verwiesen werden (§ 18 Dienstvergehensgesetz). Nach § 19 dieses Gesetzes wurde es vom Landeskirchentag bestimmt und bestand aus sieben Mitgliedern. »Darunter müssen ein geistliches und ein weltliches Mitglied des Landeskirchenrats sowie zwei Pfarrer und drei Laienmitglieder der Thüringer evangelischen Kirche sein, die dem Landeskirchenrat nicht angehören.« Nähere Bestimmungen werden in §§ 20ff getroffen (Gesetz vom 7. Juli 1921 über Dienstvergehen, Thüringer Kirchenblatt 2 [1921], 89). Zum Fall Otto vgl. Biogramme. Vgl. zur Sache Gerlach, Kirche vor der Eidesleistung, 97–124. Vgl. ebenda, 136 (Erklärung vom 31. Juli 1938). »Die Thüringer Deutschen Christen verwirklichten seit 1937 eigene liturgische Vorstellungen, um ›Deutschland‹ und ›Christus‹ zum Ausdruck zu bringen. Die Idee für eine eigene Feierordnung entstand im Mai 1938 in einer Sitzung der Gemeindeleiter von Mecklenburg und Thüringen. Ein halbes Jahr später erschien eine nationalkirchliche Feierordnung im Gesangbuch-Anhang der Deutschen Christen. Sie wurde von den deutsch-christlichen Kirchenvertretungen als neue Gottesdienstordnung der Kirchengemeinden eingeführt« (Böhm, Politische Theologie und kirchliche Praxis, 112). – Von folgenreicher Bedeutung war dabei die begriffliche Ersetzung von »Gottesdienst« durch »Gottesfeier«. Sie diente der »Ausstoßung des jüdischen Geistes« aus dem kirchlichen Leben, die u.a. beinhaltet: »Alle jüdischen Bestandteile sind auszuschalten aus Brauchtum,

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Dann schilderte O. kurz d. Lage. B.K. belagerte Festg., um die sich der Ring immer fester schließt. Weg nach außen versperrt, Weg nach oben bleibt. Neue Verbote: Zeitschr. Licht u. Leben. Apologet. Zentrale liquidiert, alles beschlagnahmt, auch Bücherei (nachdem letztes Buch von Künneth, die Erwiderg. auf die »Rompilger«, dort gedruckt!).255 Die ganze ev. Studentenarbeit ist verboten worden (Erlaß v. 22.7. d.Js.), Deutsche christliche Studentenvereinigung (D.C.S.V.) aufgelöst,256 auch der Verband der älteren (Altfreunde)257, zu dem beide Ottos gehörten, aufgelöst, das Vermögen beschlagnahmt usw. Das sei ein sehr einschneidendes Verbot, O. nahm diese Arbeit sehr wichtig. Das Kirchenministerium ginge immer weiter in d. Einrichtung der Finanzabteilungen u. deren einheitlicher Einrichtung u. Zusammenfassung (bloß in Thür. haben wir keine!). Es würde immer klarer, daß hier ein Verwaltungsapparat geschaffen würde, den der Staat völlig in d. Hand habe. Diese Fin.abteilungen beschließen u.a. auch über die Besetzg. von Pfarrstellen, indem sie event. d. Gelder dafür nicht bewilligen. Kürzlich hat eine Fin.abtlg. (in Baden?) eine Kollekte einfach nicht ausgezahlt258 usw. (Ich schrieb wohl früher schon, daß in diesen Fin.abtlg. auch aus der Kirche ausgetretene Beamte sitzen – wenigstens in einem Fall. Wichtig der Grundsatz!) Es schiene, als versuche man jetzt vor allem gegen die lutherischen Bischöfe vorzugehen u. ihre Zuständigkeiten zu beschränken. Der Anfang würde, so schiene es, bei den auf B.K.-Seite stehenden Juristen gemacht (Hann. u. München?). Von da solle dann wohl d. ganze K.regierung aufgerollt werden. Alles in allem: trostlose Bilder. Lichtblicke in diesem Dunkel: Man arbeite wieder stärker am Zusammenschluß der verschiedenen Richtungen: Niemöller-Leute, luth. Rat u. Wittenberger Bund259; es fänden Verhandlungen statt u. hoffentlich hätten die nun Erfolg. (Wahrhaftig, das ist nun Zeit). Noch ein weiterer Schritt ist getan: Hannover hat ein Gesetz über ein Simultaneum erlassen, richtet also von sich aus, freiwillig, eine »geistliche Leitung« für die D.C.-

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Kultur, Lied- und Namensgut. Der in Form des jüdischen Jahwedienstes verlaufende Gottesdienst ist durch die Deutsche Gottesfeier zu ersetzen. Die Liturgie mit ihrem dem deutschen Seelentum und Sprachgebrauch in gleicher Weise fremden Bestandteilen ist in Wegfall zu bringen. Alles jüdisches Geistesgut oder jüdische Namen enthaltenden Lieder sind endgültig fallen zu lassen. Dem deutschen Volke kann auch nicht länger mehr die Geduldsprobe zugemutet werden, an Erholungsheime ›Zion‹, ›Bethesda‹ und ›Bethel‹ zu lesen« (Hempel, Entjudung, NaKi 7 [1938], 522–523). Vgl. Tgb. 18. Oktober und 17. November 1937. Die DCSV (= Deutsche Christliche Studentenvereinigung) wurde am 22. Juli 1938 verboten; vgl. Hans Gerhard Klatt, Art. Studentengemeinde, EKL³ 4 (1996), 522. Vgl. Albert Stein, Art. Akademikervereinigungen, christliche, TRE 2 (1978), 144. Zu den Einwirkungen des Kirchenministeriums und damit des Staates auf die Kirchenleitungen mittels Finanzabteilungen vgl. die einzelnen Berichte in: Meier, Kirchenkampf III, 181ff. In Baden wurde am 18. Mai 1938 eine Finanzabteilung eingerichtet (ebd., 435f.). Seit 1937 (22. Juni) Zusammenschluss der Pfarrer der Mitte in Thüringen. Sie standen in theologischer Hinsicht der LBG nahe, hatten aber ein eigenes Profil. Vgl. zu ihrer Theologie und Organisation Stegmann, 61–68.

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Pfarrer ein, dazu Schiedsgericht für Zweifelsfälle.260 O. bedauert nur, daß in diesem Gesetz noch eine Bestimmg. darüber fehlt, welches die Zuständigkeiten der »geistl. Leitg.« seien. Das solle eine weitere V.O. festlegen. Die sollte nicht nur zu reden, sondern auch etwas zu sagen haben! Vor allen Pfarrer einsetzen. Immerhin sei hier ein Anfang gemacht, ein erster Schritt zu einem Ziel, um das wir in Thür. seit 3 (?) Jahren kämpften (der erste derartige Vorschlag stammte von O., das sagte er aber nicht). Es wäre schön, wenn die Thüringer den 2. Schritt täten um sich nicht lumpen zu lassen (den 2. Schritt werden sie bestimmt nicht tun!). Es gibt noch einen Lichtblick: Der große Einfluß, den die Thüringer auf das K.min gehabt hätten, sei tatsächlich nicht mehr vorhanden. Das sei zuerst zum Ausdruck gekommen in einer Unterredg. des Kirchenministers mit dem Bischof von Gloucester, darin habe Kerrl sich sehr abfällig über die »Thüringer« ausgesprochen. Damit schiene die Beförderung der Herren Stahn u. Ruppel im K.min. zusammenzuhängen, die nach der Ernenng. von Muhs zunächst stark in d. Hintergrund getreten seien, da sie mehr nach Versöhng. strebten261 usw. Thüringen. Während der Sommermonate sei d. Dienststrafverfahren gegen Schultze-Röpsen durchgeführt worden (wegen des Falles, in dem er d. Pfr. Müller-Kaltenwestheim statt des Direktors Hohlwein predigen ließ). Erschütternd das Ergebnis: Entlassg. ohne Gehalt, u. erschütternd die Begründung: Der Pfr. habe eben, wie der Beamte, seiner vorgesetzten Behörde zu gehorchen. Es wird keine innere Berechtigung geprüft, die Bekenntnisverpflichtg., die vom Staat garantierte Verfassg. der Kirche ganz beiseite geschoben. Es sei eben so wie im Staat: So wie die Partei die Macht im Staat erkämpft habe, so hätten die DC in der Kirche, die NSDAP die Macht im Staate erkämpft habe, so hätten die D.C. in Thür. die Macht u. richteten nun ihre Gesetze auf.262 (Das ist einfach katholisch: Die Vorgesetzten befehlen u. d. Pfr. hat zu gehorchen. Und das im Lande Luthers). (Das hindert die DC aber nicht, gegen andere rechtmäßige Kirchenleitungen weiter zu wühlen. Hier ist noch nachzutragen: Der Zusammenschluß der rechtmäß. lutherischen Kirchen im luth. Rat wird vom Staat bekämpft, indem er verboten hat, Kirchengelder an den luth. Rat abzuführen. Die D.C. zahlen aber weiter an ihre DCVereinigung; in Thür. sind es bekanntlich 60 000 (od. 66 000) M, die nach Zehlendorf gehen). Das ist also das Dienstgericht. Das sind die Aussichten für Otto!

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Es handelt sich vermutlich um die »Verordnung über die innere Befriedigung der Landeskirche« vom 28. Juli 1938: »Sachlich wurde in ihr den Deutschen Christen eine eigene geistliche Leitung zugestanden und ein Mitbenutzungsrecht deutschchristlicher Minoritäten an Gotteshäusern eingeräumt. Auch paritätisch zusammengesetzte Schlichtungsausschüsse waren vorgesehen« (Meier, Kirchenkampf III, 404). Zur kirchenfreundlichen Politik Stahns und Ruppels (im Gegensatz zu Muhs) vgl. Kreutzer, Das Reichskirchenministerium, 146–148. 154–156; beide pflegten freundschaftlichen Umgang miteinander. Zum Fall Schultze vgl. Biogramme.

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Weiter: Bisher haben sich vier Gemeinden in Thür. der luth. Freikirche263 angeschlossen: Gotha, Neuhaus a.R., eine Gemeinde in Ilmenau u. eine in Zeulenroda.264 Der nächste Fall würde vielleicht Neuenhof sein, wo der Schulrat jetzt dem Vikar Pabst von der B.K. verboten hat, Konfirmandenunterricht zu erteilen mit der Begründung, das sei Privatunterricht, der nicht ohne Genehmigg. der Schulbehörde erteilt werden dürfe.265 Der Konfirmandenunterricht! Das ist das erste Mal, daß eine solche Behauptung aufgestellt wird. Es ist eben so: Sie wollen auf alle Fälle jede Betätigg. der BK abschnüren u. da werden alle Möglichkeiten, auch die fadenscheinigsten juristischen Mäntelchen, angewendet. Brakhage u. Mitzenheim wollen in dieser Angelegenheit am Dienstag mit Sasse sprechen. Sehr traurig der Fall Zeulenroda. Dorthin ist, mit Bewilligg. des L.K.R., Pfr. Heinrich (früher in Pößneck) versetzt worden nach Wahl durch die Gemeinde. Bedenken der polit. Gemeinde gegen ihn wurden von Lehmann beschwichtigt. Als die ev. Gemeinde feststellte, daß sie es mit einem Mann zu tun hat, der, obwohl B.K., dem LKR willfährig ist (er ist völlig zermürbt u. müde) hat sie sich gegen ihn gewendet. Der LKR hat nämlich, nachdem Heinrich dort eingesetzt ist, plötzlich erklärt, nun müsse der andere, dort tätige BK-Pfarrer fort, für dessen Versetzung gar kein Grund vorliegt u. kein Anlaß gegeben ist! Die BK hat Heinrich gebeten, in dieser Lage auf die Stelle in Z. zu verzichten u. er kann sich dazu nicht entschließen. Darauf hat die BKKirchenvertretung ihre Ämter niedergelegt, es ist eine neue gebildet worden, die zu ⅔ aus DC besteht usw. Völliges Durcheinander! Daher dort die Entwickelg. nach der Freikirche hin.266 (Die Freikirchen bleiben vom Staat – vorläufig – unbehelligt. Sie haben kein Vermögen, das man erfassen könnte). Bei alledem redeten die DC jetzt wieder versöhnlicher. Man müsse sich doch schließlich wieder näher kommen, hätten sie gesagt. Es gäbe sogar Leute, die davon gerührt wären! – Das hängt natürl. mit dem Schwinden ihres Einflusses in Berlin zusammen, der auf die Wirkung der Sportpalast-Versammlung auf die staatlichen Stellen zurückgeführt wird. Daß die Thür. die Maßen nicht haben packen können, daß die Anhänger schließlich vorzeitig fortgelaufen sind, schiene eben doch einen niederschmetternden Eindruck gemacht zu haben. (Merkwürdig, wie meine eigenen Eindrücke hier im Haus nach der Rückkehr vom Urlaub zu diesen Nachrichten passen). 263

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Zur »Evangelisch-lutherischen Freikirche« vgl. Tgb. 11. Mai, 3. und 9. Juni 1938. Zur Freikirchenproblematik vgl. einen Aktenvermerk von 1938 sowie einen Bericht Gerhard Bauers aus dem selben Jahr, LKAE, LBG 88, 109 und 110–112. »Die Eingliederung der Thüringer Gemeinden geschah wie folgt: Mai 1938 Gotha und Ilmenau, September 1938 Zeulenroda, November 1938 Neuhaus/Rennsteig Juni 1939 Arnstadt« (Helaseppä, Die Lutherische Bekenntnisgemeinschaft, 228. Vgl. zum Sachverhalt: (I) Schreiben von Walter Pabst an den Landesbruderrat der TheK in Gotha vom 29. Juli 1938, (II) Schreiben des Thüringischen Kreisamtes Eisenach an Walter Pabst vom ? sowie (III) Schreiben von Walter Pabst an das Kreisamt Eisenach vom 29. Juli 1938 [Sammlung Dokumente zum Kirchenkampf in Thüringen im LKAE]. Zum Fall Heinrich vgl. Biogramme. Zur »Evangelisch-lutherischen Freikirche« vgl. Tgb. 11. Mai, 3. und 9. Juni 1938.

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Im großen u. ganzen ist z.Zt. im Kirchenkampf wenig Bewegg. Man scheut tiefgreifende Entscheidungen – wohl auch im Blick auf die politische Lage. Die Anfang des Jahres in der Oberpfarrerversammlg. von Sasse so energisch verkündete neue DCOffensive (: Jetzt sei es Zeit, mit der BK in Thür. endgültig aufzuräumen. Man wolle nun endlich in Thür. die Nationalkirche schaffen, wie sie sein solle, u. damit in Deutschland ein Beispiel geben, das weiterwirke) sei steckengeblieben. Ihr Erfolg nur einige Opfer, darunter Otto selbst, so wie jede Offensive den Gegner einige Opfer koste. Über Niemöller wurde mitgeteilt, es sei in sr. Lage keine Änderung eingetreten, er sei immer noch im Konzentrationslager. Es sei ein höh. Marineoffizier bei ihm gewesen, der ihm gesagt habe, er könne wieder in die Marine eintreten wenn er darauf verzichten würde, als Pfarrer zu wirken u. sich schriftlich verpflichte, nie wieder eine Kanzel zu betreten. Niemöller hätte das abgelehnt. Privatim erzählte mir später jemand, was Auslandsdeutsche berichtet hatten: Deutschland u. alles Deutsche seien verhaßt, es sei kaum auszuhalten. U.a. würde man immer nach Niemöller gefragt – u. da müsse man eben schweigen. Vorgestern wurde mir hier im Haus beiläufig erzählt, Leutheuser wolle am Dienstag hier »eine sehr wichtige Rede« halten, die er nicht hätte im Konzept festhalten könne u. wünschte, sie stenographisch festgehalten zu haben. Im Betrieb hat sich zu diesem Zweck kein Stenograph gefunden. Die Ausreden waren alle vollkommen stichhaltig – aber wie weit ist man doch entfernt von der Beflissenheit von 1933. Ein weiteres Beispiel der allgemeinen Gleichgültigkeit scheinen mir die bürokratischen Hemmungen bei der Ausfolgerung des neuen »Thür. Kirchenrechts« zu sein. Ich selbst habe z.Zt. kaum etwas zu tun – ich übersetze u. ordne Presseausschnitte. Lotz, den ich um Arbeit bat, antwortete mit schöner Offenheit, er müßte z.Zt. seine eigene Arbeit strecken u. könnte also für mich kaum welche beschaffen. In der Pfründe sprach einer vom »Zeit totschlagen«, selbst Stenotypistinnen sagten, sie hätten nicht viel zu tun. Allgemeine Lähmung. Daher Kriegsgerüchte. Aber wie völlig anders ist die Stimmung als 1914. Niemand wird jubeln, wenn es losgeht – auch im Ausland nicht. Dafür ein Beweis in d. Buch von Gibbs »England spricht«267, das mich sehr beeindruckte. Eben lese ich im »Protestantenblatt« (Nr. 36, 4.9.): »Grundmanns Grundhaltung«: »… Der Nationalkirchlichen Einung ist durch Bürckels Referenten Pischtiak in der Wiener ›Reichspost‹ (vgl. uns. Nr. 32) in Übereinstimmung mit Alfred Rosenbergs Ausfüh-rungen in den ›Schulungsbriefen‹ 47 ihr Gegensatz gegen die Partei klargemacht worden; das hat offenbar die seelische – und geistige Grundhaltung ihrer Theologen erschüttert …«268 Donnerstag, d. 8. Sept. [8. September 1938] Vorgestern Gemeinschaftsempfang der Proklamation des Führers aus Nürnberg. D.h., wer Rundfunk zu Hause hatte, durfte diesmal nach Hause gehen, mußte dafür früher wiederkommen. – Die Proklamation war bedeutend ruhiger als sonst, nicht soviele Anklagen gegen die ehemal. Gegner, kein Wort über Kirche u. Religion, nichts über die 267 268

Philip Gibbs, England spricht (Ordeal in England, Deutsch), Berlin 1937 [weitere Auflagen 1937 und 1938]. Wilhelm Schubring, Grundmanns Grundhaltung, Protestantenblatt 71 (1938), 563.

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Tschecho-Slowakei, nur ein Wort über eine eventuelle Blockade, nämlich, daß sie wirkungslos sein würde infolge der bereits vorliegenden Ergebnisse des 4-Jahres-Plans. Abends die Rede des Führers auf der Kulturtagung. Und da habe ich doch gestaunt, daß das Wort gesagt wurde, die NSDAP sei völkisch-politisch, der Kultus dagegen sei »Sache der Kirche«. – Welche Wandlung! Es wird nicht mehr lange dauern, dann wird jeder eingesteckt, der behauptet, die Partei habe jemals versucht, einen Kult zu schaffen. Der Führer hat freilich stets eindeutig abgelehnt, Religionsersatz bieten zu wollen. Desto energischer haben es andere versucht. Auf den Kirchenkampf wird es natürl. keinen Einfluß haben – wenn nicht den, eine Absage an die D.C. noch klarer zu begründen. Nach diesen Worten kann es keine Staatskirche mehr geben. Möglich ist auch eine Klärung durch Austausch mit Mussolini. Der nimmt ja jetzt die Rassenpolitik auf, lehnt aber die »Weltanschauung« ab. Italien soll ein Bollwerk des Christentums bleiben. Übrigens sind neben Vertretern des Faschismus auch Vertreter der spanischen »Falange«269 beim Reichsparteitag.270 Das nationale Spanien schafft jetzt die Ziviltrauung ab und führt das kathol. Kirchenrecht wieder ein. Es würde zur inneren Festigg. der neugeschaffenen außenpolit. Bindungen beitragen, wenn der Kampf gegen das Christentum, wenigstens soweit er öffentlich sichtbar wird, eingestellt würde. Das wirkt sich freilich zunächst nur auf die Katholiken aus. Die »Fuldaer Bischofskonferenz« hat ohne die östreichischen Bischöfe getagt. Das bedeutet nun auch innere Kämpfe in d. kathol. Kirche. Gerüchte, Innitzer wolle zurücktreten, der Papst genehmige es aber nicht. Es fiel mir auf, daß der Führer in d. Kulturrede so oft gegen »Mystik« sprach. Die Kirche redet von Wirklichkeiten, nicht von Mystik. An ein Abrücken vom »Mythos« kann man doch wohl nicht denken? Später: Nein, das beweist die Eröffnungsansprache Rosenbergs in der Kulturtagung, die ich eben erst las. Der Papst wird angegriffen, vor allen wegen seiner Stellung zur Rassenfrage. Er wird aber nicht genannt, auch nicht die röm-kathol. Kirche, sondern es heißt: »… daß ein zusammengefaßter Ansturm gegen die weltanschauliche Kernstellung des Nationalsozialismus eröffnet worden ist. Von hohen u. höchsten Stellen weltanschaulich-politischer Institutionen … »alterschwache Polemik. Man glaubt jedoch, durch die Härte der Worte u. durch die Häufigkeit von Ansprachen u. Rundfunksendungen über die immer offensichtlicher werdende Brüchigkeit der geistigen Stellung hinwegtäuschen zu können …« Der Führer betonte in sr. Rede die Einheit der mittelalterlichen Kultur, als deren Ausdruck er auch die deutschen Dome nannte. In manchen nat.soz. Aufsätzen würde bisher im Gegensatz dazu d. Ansicht vertreten, in diesen Domen spreche sich nur germanisches Lebensgefühl aus wie in d. gesamten Kunst des Mittelalters, es sei eine 269 270

Vgl. Kerrl, Reichstagung in Nürnberg 1938. Der Parteitag Großdeutschlands, Berlin 1938, 26. 43. Reichsparteitag in Nürnberg 1938, der nach der Angliederung Österreichs unter dem Motto stand: »Reichsparteitag Großdeutschlands« (Enzyklopädie des Nationalsozialismus, 687). Vgl. auch die vorige Anm.

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»Frechheit« zu behaupten, das sei christliche Kunst … u. damit wird ja eigentlich die ganze deutsche Kunst als Halbheit, als verdeckte Lüge hingestellt. Manchmal kann man derartiges kaum noch lesen vor Wut. Hierher gehört auch Deutelmoser, der Luther als Nichtchristen darstellt.271 Da müßte er ein Hornochse gewesen sein, wenn er das selbst nicht gemerkt hätte. Alarmiert ist mit solchen Ausdeutungen rasseloser Forscher lediglich das Deutschtum. Solchen Unverträglichkeiten ist nun hoffentlich eine Grenze gesetzt. nachmittags Die Verhandlungen zwischen Tschechen u. Sudetendeutschen sind abgebrochen worden. Btz. behauptet, das sei eine entscheidende Krise u. jetzt müßten wir losschlagen. Ich sehe es eigentlich nicht so an. Viell. will man Zeit gewinnen oder überhaupt sich mehr Respekt verschaffen. Die Tschechen haben die Taktik der deutschen Christen: Immer versöhnlich tun, »Friedenshand ausstrecken« und immer gemein handeln. Nun habe ich auch einiges über die Besprechg. Mitzenheim-Brakhage mit Sasse erfahren. Ich war am Dienstag etwa 10 Uhr 45 einen Augenblick in d. großen Halle u. hörte Mitzenh. brüllen: »Kann in der Thür. ev. Kirche jeder reden, wie er will?« Darauf Sasse etwas kleinlaut: »Nein«. »Aber Kirchenrat Lehmann hat das immerzu gesagt …!« Ich ging dann fort, damit nicht jemand hätte sagen können, ich wollte horchen. Mitzenh. u. Brakh. scheinen mit d. Erfolg ihrer Unterredg. zufrieden zu sein. Im Fall Neuenhof hat Sasse Mitzenheim angeboten, selbst den Konfirmandenunterricht dort zu geben!! Nachdem man auch den Pfarrer Mau abgelehnt hatte!!! In jedem Punkt der Beschwerde – die sich nicht nur auf Oberhof (?), sondern auch auf andere Fälle erstreckte – hätte Sasse zum Schluß so ungefähr gesagt: »Ja, allerdings, das u. jenes kann ich auch nicht billigen … aber der Referent ist anderer Meinung … das ist während meines Urlaubs geschehen …« usw. Spigaht hätte dabei gesessen u. d. ganze Zeit gegrinst. (Ich kann mir schon denken, daß der mit Lehmann zusammen tatsächlich die Dinge auf d. Kopf gestellt hat!) Zum Schluß hätte Sasse so etwas gesagt, wie: »Nun ja, nächstens kommt ja auch ein Gesetz, das den Bekenntnispfarrern eigene Verwaltg. gibt …« oder so. Aus der Anschriftenliste der deutsch. Christen ist – Wolf Meyer-Erlach gestrichen worden! Vielleicht hat er als Universitätslehrer austreten müssen? Mitzenh. hat Sasse auch gefragt, ob er aufrechte Männer unter s. Pfarrern wollte oder Kreaturen. »Aufrechte Männer natürlich«, hat er gesagt. »Warum verfolgen Sie denn die Bekenntnispfarrer?« Hoffentlich kommt das Simultaneum bald. Eine Dame erzählte aus Sachsen, ein Superintendent hätte von d. Kanzel herunter abgekündigt, in Sachsen seien 38 Superintendenten und 142 (oder so) Pfarrer kürzlich abgesetzt worden. 9. Sept., Freitag. [9. September 1938] Heute höre ich: Sasse hat nicht von einem Simultaneum272 gesprochen, sondern davon, daß bald ein Gesetz herauskäme, nach dem die B.K. in Neuenhof (u. anderwärts?) alle 271 272

Zu der etwas wirren Lutherdeutung Deutelmosers vgl. Bornkamm, Luther im Spiegel der deutschen Geistesgeschichte, 172–176. Vgl. Tgb. 3. September 1938.

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vier Wochen einen eigenen Gottesdienst halten dürfe!! Vielleicht haben auch nur die Übertritte zur luth. Freikirche dieses magere u. völlig ungenügende Zugeständnis erzwungen – oder ist das die vom Kirchenminister erdachte allgemeine Regelung? Den 11. Sept. 38. [11. September 1938] Die ganze Welt wartet auf die Führerrede morgen Abend. Ich kaufte mir heute einen Matin. Da bekommt man den Eindruck, daß die Kriegsgefahr noch viel ernster ist, als wir hier glauben. Göring warnte am Sonnabend sehr deutlich u. sprach von den Befestigungen im Westen. Es sollen wieder zahllose Privatautos u. Pferde beschlagnahmt worden sein.273 Am Freitag soll eine Division hier durchgekommen und nach dem Westen gekommen sein. Ameli W.s Schwiegersohn ist eingezogen worden, Panzer. Es hieß, sie kämen an die tschechische Grenze. Soviel steht fest: Ein Krieg heute geht schneller los als 1914. Es wird wohl eine große Chance in der Überrumpelung des Gegners gleich zu Anfang liegen. Frankreich feierte das Gedächtnis der Marneschlacht 1914. Heute vormittag Gottesdienst von Mitzenheim, der sehr mutig sprach. Die Nikolaikirche war sehr voll. Ich sah einen Mann hereinkommen, sich sehr genau umsehen u. wieder hinausgehen. Heute bekam ich eine Einladg. der D.C. zu einer geschloss. Versammlung, bei der ein ehemal. katholischer Pfarrer spricht. Mit dem machen sie jetzt eine sehr geschmacklose Reklame. – (Mit diesen Einladungen wird das »Versammlungsverbot« umgangen). Die Reichstagg. der D.C. findet diesmal nicht in der »Milchkammer« sondern auf einem sehr viel weniger schönen Gelände am Grabental (?) statt. Frl. v. R. behauptete, Sasse hätte bei der letzten Unterredg. mit Mitzenh.-Brackhage Verhandlungen zwischen Fritz als Vertreter des LKR u. B.K.-Leuten vorgeschlagen!!! Montag, d. 12. Sept. 38. [12. September 1938] Heute früh Morgenandacht von Le Seur [?] mit einem D.C.-Lied: »Das sind die Stillen im Lande, die Schar der gesammelten Glut …«274 Er sprach über den Unfrieden in d. Kirche, daß keine Brüderlichkeit mehr da sei u. keine Liebe …! Und daß nur der den Frieden bringen könnte, der Liebe hätte usw. Von den Chefs sind Tegetmeyer, Sasse u. Stüber da. (Vor 8 Tagen hielt Stüber d. Andacht, der nicht kirchenpoltisch u. auch nicht politisch sprach – merkwürdigerweise. Vor 14 Tagen redete Jansa u.a. von »schweren Zeiten«). Später. Eben erfahre ich: Oberländer u. noch ein anderer Beamter sind nicht zum Dienst erschienen: Plötzlich eingezogen. Sonnabd. wußten sie noch nichts davon. 273 274

Zur Mobilmachung vgl. Domarus II/1, 906. »Das sind die Stillen im Lande, die Schar der gesammelten Glut. Sie hegen das heilige Feuer mit ihrer Hände Hut.« Das Lied von Paul Schwadtke und Friederich Lehnhart steht unter der Rubrik »Choräle für den Gemeindegesang«, in: Lieder für Gottesfeiern, Verlag Deutsche Christen, Weimar 1938, Nr. 806. Einen christlichen Bezug weisen auch die anderen Strophen dieses sog. »Chorals« nicht auf.

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Gerücht im Haus, d. Reichstag würde zum Mittwoch einberufen. »Bis zum 29.9. spätestens würden Jugendliche, die aus Nürnberg zurückkommen (tief beeindruckt) erzählen, alle Züge seien voll von Militär gewesen, alle Dörfer belegt usw. Dienstag, d. 13.9.38 [13. September 1938] Die Führerrede gestern Abend. Wir hörten sie Abends bei Otto,275 der zu s. Geburtstag einen kl. Freundeskreis zusammengebeten hatte. Sehr starker Eindruck. »Er wird es schaffen, das sind neue Methoden.« Es ist klar, die kriegerische Auseinandersetzung wird riskiert. Ich kann mir nicht denken, daß Frankreich u. England für das Kriegsziel Erhaltg. einer unmögl. Schöpfg. des Versailler Vertrags, den Kampf wagen.276 Heute hier im Haus bei Beamten die Überzeugg.: Es gibt Krieg, fragt sich nur wann. In Kreisen der Kirchenräte die Überzeugg: Es gibt keinen Krieg. (Oberländer, Franz u. Osswald, die sich gestern als »eingezogen« gemeldet hatten, tun wieder Dienst). Nach dieser Rede muß binnen Kurzem eine Entscheidg. fallen, es ist nicht anders möglich. Reichstagseinberufg. bestätigt sich nicht. Viell. wollte der Führer die gestrige Rede ursprüngl. im Reichstag halten? Donnerstag, d. 15.9. [15. September 1938] Gestern Abd. um 10 Uhr wurde durchgegeben: Der engl. Premiermin. Neville Chamberlain hat d. Führer telegraphiert, er hielte angesichts der Lage eine sofortige Unterredg. für notwendig u. bäte um Mitteilg., wann u. wo er empfangen werden könnte. Führer telegraphiert zurück: Sehr gern sofort. Heute Nachm. wird Chamb. auf d. Obersalzberg erwartet! Auch das sind – neben den deutschen – neue Methoden. Es sieht gut u. beruhigend aus, zeigt aber auch die Riesengefahr dieses Augenblicks. Hoffentlich kommt etwas dabei heraus.277 Am Dienstag nachm. hatte Henlein dem tschech. Staatspräs. ein Ultimatum gestellt auf Aufhebg. des Standrechts. D. Ultimatum, das Dienstag Abd. 11 Uhr ablief, blieb unbeantwortet. Darauf wurden d. Verhandlungen abgebrochen. Sudetendeutsche erhalten massenhaft Einberufungen zum tschech. Heeresdienst, denen sie nicht Folge leisten.

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Hitler hielt am 12. September 1938 zwei Reden. Zunächst wandte er sich kurz an die Soldaten (in: Domarus I/2, 896–897); ausführlicher war dann seine Rede zum Schlußkongreß des Parteitages (ebd. 897–906). In letzterer wurde mehr als angedeutet, dass Hitler Krieg plante. »Dies ging nicht nur aus dem Wortlaut seiner Rede hervor, sondern dies war in eindruckvoller Weise auf den deutschen Straßen zu beobachten. Obwohl offiziell keine Mobilmachung verkündet worden war, liefen die militärischen Vorbereitungen auf Hochtouren …« (ebd. 906). Davon berichtet die Tagebuchschreiberin in verschiedenen Eintragungen des Jg. 1938 bis zu diesem Zeitpunkt. Gemeint ist, dass England und Frankreich keinen Krieg riskieren würden, um Deutschland zur Einhaltung des Versailler Vertrages zu zwingen. N. Chamberlain, Premierminister seit 1937, suchte den steigenden Ansprüchen der deutschen Macht durch eine Politik des Appeasement zu begegnen und den Frieden Europas in der Tschechenkrise 1938 durch die Verhandlungen von Berchtesgaden, Godesberg und München (Münchner Abkommen) zu retten. Er musste im Mai 1940 zurücktreten.

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Von O. erfuhr ich übrigens, was es mit d. Unterredg. Fritz-Mitzenh. auf sich hat. Sie war ganz privat, nicht im Auftrag des LKR., (der wahrscheinl. garnichts davon weiß). Mitzenheim hat den Auftrag, den Konfirmandenunterricht in Neuenhof zu übernehmen, angenommen, beauftragt damit einen Vikar! Der LKR hat behauptet, man habe Mau nur wegen sr. Krankheit den Unterricht untersagt … Das ist unwahr, Schilderung des Gesprächs Lehmann-Mau.278 An O.s Geburtstag, Montag d. 12., erschien übrigens wieder einmal die Polizei bei ihm u. beschlagnahmte die Akten u. das Vermögen des verbotenen »Altfreunde«-Verbandes, dessen Vorsitzender in Thür. O. war (Evangelium unter Akademikern.279 Es soll offenbar nichts mehr erlaubt werden als d. Predigt in der Kirche – möglichst deutschchristlich). Zu solchen überflüssigen Aktionen ist noch Zeit – trotz Kriegsgefahr! Daß Jansa – als Nichttheologe – Pfarrer werden soll, wurde mir gestern als großes Geheimnis erzählt. Später. Von der Verwirrung, die in kirchenrätlichen Köpfen herrscht, bekam ich einen Bericht. Frau Volk [H.]: »Die Kulturrede des Führers – wer zwischen den Zeilen lesen kann – Christentum u. Kirche hat jetzt gar keine Bedeutung mehr, Ist ja auch ganz richtig. Was jetzt vorgeht, ist ja soviel wichtiger …usw.« Labi – sieht sehr schwarz. Ganz schwarz. Lehmann sieht alles rosig. »Chamberlain – ganz große Sache! Letzte Führerrede: Alles nur Taktik. In Wirklichkeit ist d. Führer längst einig mit Frankreich und England. Daladier hat ja überhaupt erst d. Anregg. zu dem Besuch von Chamberlain gegeben …« usw. Labi erzählt den Reinmachefrauen in Stübers Zimmer, Stüber käme heute nachm. bereits von sr. Berliner Reise zurück, die Besprechung, zu der er nach dort berufen worden sei, wär abgesagt. Lehmann findet das »Günstig, seeehr günstig!« In welchem Sinne wissen wir nicht. Nach Äußerungen von Spt. hatte die Besprechg. etwas mit d. Pfarrerschaft u. dem Militär zu tun. Später. Nachrichten aus der Stadt: Seit Montag Abend in d. Tschechoslowakei 200 Tote auf beiden Seiten! Bisher 3000 Flüchtlinge auf deutschem Boden eingetroffen. Eine Ortschaft gänzlich eingeschlossen von Panzerwagen; was dort vorgeht, weiß man nicht. Ein Abgeordneter vor dem Standgericht usw. Höchste Eile für Chamberlain geboten. Hier kann sichs nur noch um Stunden handeln. Vielleicht hatte er eine derartige Nachricht von Ru[n]ciman. – Nach den Zeitungsberichten werden Runciman u. sein Mitarbeiter Major SuttanPratt von den Sudetendeutschen stürmisch gefeiert. Nachrichten über die Reise Stübers: Es handele sich um eine Rücksprache über »Militärseelsorge« auf dem »Reichskirchenbundesamt«. So hat sich Böttcher ausgedrückt. Näher befragt hat er sich auf »Bundeskanzlei« beschränkt. – Nun gibt es aber 278 279

Vorgang nicht rekonstruierbar. Vgl. Tgb. 3. September 1938.

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nur die »Kirchenkanzlei« u. den »Bund für deutsches Christentum« in Zehlendorf-Berlin. Frau Volk hat gestern Btz. ganz verzweifelt gebeten, ihr eine Postanweisg. an ihre Tochter in Leipzig einzuzahlen. »Wenn der Mann nun eingezogen wird, dann kann ja d. arme Kind garnicht zurück! Ich muß ihr doch Geld schicken …!« Aus Kreisen der Angestellten wird erklärt, es sei eine Schande jetzt bei der Behörde, es täte überhaupt keiner mehr was. »Und das nennt sich Kirchenregierung!« Von sehr gut unterrichteter Seite ( )b höre ich: Vor einem Jahr sei die Geschäftsverteilg. im Hinblick auf die in Aussicht stehende Finanzabteilg. gänzl. umgebaut worden. Alles wichtige, alle finanziellen Angelegenheiten habe Tegetm. an sich gerissen mit d. Hinweis darauf, das würde bei der Einrichtg. der Finanzabteilg. doch an diese gehen u. man wolle dann schon »etwas fertiges« übergeben … »vielleicht auch aus Ehrgeiz!« … Franz habe zugestimmt; das sei damals gewesen, als er nach Berlin berufen wurde, u. da hätte er wohl gedacht, er würde gleich übernommen. »Das geht aber wohl nicht so schnell« u. nun käme er zurück u. hätte nichts zu tun, da die neugegründeten Kreiskirchenämter sehr viel Arbeit übernommen hätten. Ausspruch von Volk: »Tegetm. scheint ja jetzt einzusehen, daß er mit d. Einrichtung der Kreiskirchenämter eine Dummheit gemacht hat …« 3 Uhr nachm. Um 2 Uhr hörte ich die Rundfunknachrichten.12½ Uhr ist Chamberlain auf d. Flugplatz München angekommen u. mit d. Sonderzug nach Berchtesgaden weitergefahren. 8 Uhr 35 in London (Heston) aufgestiegen. Also ich saß schon 1½ Stunde auf d. Pflugensberg, als er in England abfuhr u. als ich Mittags halb 1 nach Hause ging, war er schon in München. Es ist sein erster Flug schreiben die Zeitungen. Und was für ein Flug! Welche Bedeutung! Er ist 69 Jahr alt. Ich freue mich, daß er nicht heruntergefallen ist. Im Sudetenland geht es inzwischen drunter u. drüber. Mussolini veröffentlicht einen offenen Brief an Ru[n]ciman, Japan erklärt sich für Deutschland, Rumänien verweigert fremden Truppen Durchmarsch, Paris einverstanden mit Chamberlains Fahrt. Aller Augen sehen auf Hitler. Welcher Wandel seit 1933, als man in ihm im Ausland nur den zweifelhaften Parteiführer sah, dessen Herrschaft bald beendet sein würde. Montag, d. 20.9.38. [20. September 1938] Gestern Abend um 8 Uhr Rundfunkmeldung: Am Sonntag Morgen sind die Franzosen (Daladier u. Bonnet) zur Besprechg. in London eingetroffen. Um 10 Uhr abends: Die Verhandlungen in London dauern noch an u. können sich bis in die Morgenstunden hinziehen. – Im Sudetenland ist ein Freikorps gebildet worden, dem bereits 40 000 Mann angehören sollen. Meldungen in den deutschen Flüchtlingslagern an der Grenze. Aufruf Henleins. Heute Abend Kundgebung der Sd.P [Sudetendeutsche Partei] in Dresden. Das ist m. Meing. nach Krieg. In diesem Freikorps werden Deutsche mitkämpfen. Dort beginnt d. Krieg von Europäern gegen Europäer. – Aber dies ist wohl für Frankreich noch kein »Bündnisfall«. b

Strichzeichnung Männerkopf mit Hakenkreuz, steht für Otto Fritz, vgl. Übers. Strichzeichnungen.

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Planung u. Regie auf deutscher Seite sind gut. – (Etwas zu früh kam vielleicht die vorletzte Proklamation Henleins »Heim ins Reich«. Einige Tage später lagen die Wurzel der Ereignisse und das Zwangsläufige daran noch klarer). Heute früh sprach Sasse selbst in d. Andacht. Text aus d. Epheserbrief »Leget an d. Harnisch Gottes …(?)«280 Dazu wurde ein D.C. Lied gesungen: »Kamerad, wer Ehre im Blut hat.«281 Er erzählte u.a., wie er gestern Frauen getröstet hätte, die um ihre Söhne u. Männer »zitterten« (das wäre 1914 nicht so gesagt worden). Gestern nachm. Frau K. gesprochen. Der Sohn sei vorgestern mit s. Erfurter Regiment »ausgerückt«. Wohin darf nicht gesagt werden. Ein Reserveoffizier dieses Regiments sagt: »Es sieht mulmig aus.« Frau K. wußte bereits, daß die Franzosen seit Sonntag früh in London verhandeln u. daß Chamberlain am Dienstag bereits in Godesberg aufs neue mit d. Führer zusammentreffen soll. Mussolini hält eine eindeutige Rede aus der man schließen muß, daß Italien im Ernstfall an d. Seite Deutschlands kämpfen wird. In weiten Teilen des Volkes glaubt man nicht an Krieg. Mir erscheint die Freikorps-Nachricht entscheidend. Aber natürlich: In dieser Form verpflichtet der Krieg das Deutsche Reich noch zu nichts, hier kann noch gestoppt werden. Es ist aber ein entscheidender Grund für Franzosen u. Engländer, sich zu beeilen. Die englische Presse soll sich gestern einstimmig für Abstimmung im Sudetenland entschieden haben unter internationalem Polizeischutz (wie im Saargebiet). So ungefähr hatte ich mir die Sache auch vorgestellt. Chamberlain hat tatsächlich den letzten Moment erfaßt, in dem ihm noch eine freie Initiative möglich war, ehe die Ereignisse eindeutig zwingend wurden.282 Mitzenh. sprach gestern in der Marktkirche. Es wurde zum erstenmal für die Sudetendeutschen gebetet. (Für d. Erhaltung des Friedens wird schon länger gebetet). Am Sonnabend sah ich den neuen Zeppelin bei der Wartburg. Es fällt auf, daß er so lautlos fährt. Man überlegt sich sofort, daß ihn das für Kriegszwecke geeignet macht. Jemand sagte: »Das ist wohl nicht umsonst, daß der gerade jetzt seine erste Fahrt macht.« Bis gestern Abend 10 Uhr über 80 000 sudetendeutsche Flüchtlinge in Deutschland, ohne die an den »Auffangslagern« unmittelbar an der Grenze. Wächtler inspiziert alle Einrichtungen. – Irgendetwas schmerzt, wenn man hört, das macht alles »die Partei«. Freilich, dann klappt es besser. Aber man hat so das Gefühl nicht mehr, daß das, was getan wird, direkt aus dem Volke kommt. Die »Partei« – das ist doch immer »oben«, ist »Befehl«. – Ich muß im Gegensatz dazu immer an die Spende des dtsch. Volkes für Zeppelin nach der Katastrophe bei Echterdingen denken – u. an so manche Kriegsarbeit. Ob unsereiner im Ernstfall wirklich mithelfen darf? 280 281

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»11. Ziehet an den Harnisch Gottes, daß ihr bestehen könnet gegen die listigen Anläufe des Teufels. 12. … 13. Um deswillen ergreifet den Harnisch Gottes … (Eph 5,11–13). »Kamerad! Wer Ehre im Blute hat … , in: Aufwärts zu klingenden Weiten! Liederbuch für die deutsche Jugend in Kirche – Schule – Haus, zusammengestellt von Max May, Weimar 1936, 18 = Kirchenbewegung Deutsche Christen, Liedblatt Nr. 6. Zu den Vorgängen in der Tschechoslowakei 1938 und den Bemühungen Chamberlains vgl. Miroslav Kárný, Art. Tschechoslowakei, in: Enzyklopädie des Nationalsozialismus, 766–768.

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10 Uhr. Eben in d. Kantine. Dort ist eigentl. eine im Untergrund freudige Stimmung. Die Franzosen seien aus England abgereist. Daladier gibt Journalisten keine Auskunft, aber von irgendwo ertönt die Losung: Frankreich u. England sind vollkommen einig, d.h.: Für Volksabstimmg. der Sud.deutschen. Henlein hätte schon mehr Leute im Freikorps, als er einstellen könnte, die Kämpfenden würden von außen unterstützt. Jemand flüstert mir zu: »Die SA muß alle ihre Ausrüstungsgegenstände an d. Freikorps abgeben!« Die Polen, Ungarn, Slowaken in der Tschechoslowakei sollen auch abstimmen. Dann also gibt es keinen Krieg. – Wenn es so ist dann hat entschieden: Der überzeugende Ernst der Führerrede vor 8 Tagen u. das Verständnis Chamberlains, der begriff: Hier wird nicht geblufft u. der den Mut zu einer neuen Entscheidung fand. Entsetzliche Berichte im Völk. Beob.: Blut, Quälereien Terror der Tschechen. Nachmittags (20.9.38). [20. September 1938]283 Während der Mittagspause daheim in d. Marienstraße – Soldaten über Soldaten! Pioniere, motorisierte Truppen, Tanks, Gulaschkanonen, Fliegerabwehr, Flieger. Mindestens eine Stunde lang donnerte Wagen auf Wagen bei uns vorbei. Auf einem Wagen glaubte ich stehend den Pfr. Hof[f]mann aus Mihla zu sehen. Heute Morgen war er hier im Haus u. ließ sich bei Sasse melden. »Da gibts Krach«, hat einer gesagt. Es soll aber ganz still gewesen sein. Sasse u. Bauer [W.] gehen – 14 Tage nach Ungarn! Nächsten Dienstag sollen die Warte- u. Ruheständler unter den Pfarrern den »Treueid« leisten. Ob auch Otto? An den Führer haben unsere DC schon längst telegraphiert, »sämtliche« thür. Pfarrer hätten den Eid geleistet – dabei war es garnicht wahr! So u. soviele waren garnicht zum Eid zugelassen! Dienstag, d. 20.9. [20. September 1938]284 Gestern Abend sudetendeutsche Kudgebg. aus Dresden. Sehr eindrucksvoll. Ganz vorzüglich der erste Redner: Sedekowski (?). Mit Nachdruck wurde auf das Freikorps hingewiesen u. den Daheimgebliebenen Befreiung in wenigen Tagen zugesagt. – Bei den »Abendnachrichten« hatte ich den Eindruck einer leichten Besserung der Situation. Interviev des Führers an Word Price: Er wird nicht ohne die Überzeugg., daß es vielleicht noch etwas helfen könnte, z.B. von Sympathien Deutschlands für Frankreich gesprochen haben. Schrecklich, wenn solche Dinge in die Sprache des Alltags übersetzt werden: Darstellg. aus d. Mund von Angestellten auf dem Weg zum Dienst! Irgendein Sender (Luxembg.) hat verbreitet, die 2. Besprechung Hitler-Chamberlain würde heute in Godesberg stattfinden. Nun sind die Leute ganz entsetzt, daß das noch nicht angekündigt ist. Später: Die fremden Sender sollen die Unterredg. Hitler-Chamberlain für morgen prophezeit haben. Der tschechische Gesandte in Paris sei bei Daladier gewesen u. habe ihn »mit 283 284

Unter diesem Datum findet sich eine weitere Eintragung. Unter diesem Datum findet sich eine weitere Eintragung.

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bestürztem Gesicht« verlassen. – Ein Angestellter aus d. K.steuerabteilg., der sein Fliegerexamen gemacht hat u. zum Nachrichtentrupp gehört, hat gestern Nacht um 12 Sommer angerufen, es sei ein Wagen aus Nordhausen (?) da, um ihn abzuholen, er müßte sofort weg, sei eingezogen, Sommer möchte es der Behörde melden. So schnell geht das. Gestern hörte ich in einem Geschäft: »So viele von unseren Arbeitern haben Gestellungsbefehl bekommen, u. deshalb …« Eben wird erzählt: Die deutschen Sender haben durchgegeben, Frankreich u. England hätten in Prag ein Memorandum überreicht: Prag müsse Sudetenland abtreten, sonst »würde der Staat vernichtet«. Es herrsche Bestürzung in Prag. – Hoffentlich stimmt das. Privatim wird mir erzählt: Kolossale Truppenmassen würden aus dem Westen abtransportiert u. – ja wohin geworfen, das wußten sie nicht. Was plant Rußland? Im Interviev mit Word Price war schon angedeutet, daß die neuen Befestigungsanlagen eine rein defensive Haltung im Westen ermöglichen. Viell. ist d. Zurückziehg. der Truppen im Westen auch Bedingg. für französ. Nachgeben? Das sudetendeutsche Freikorps ermöglicht natürlich ein getarntes deutsches Eingreifen, ohne daß für Frankreich der Bündnisfall eintritt. Aber Frankreich kann die Tschechoslowakei natürl. auch mit Material u. »Freiwilligen« unterstützen. Das wäre dann ein »lokalisierter« Konflikt (was tut Rußland?) u. doch in Wirklichkeit ein europäischer Krieg, ein zweites Spanien u. eine ewige Gefahrenquelle. Das kann wohl nicht das Ziel der Bemühungen Chamberlains sein. Es sind noch andere junge Männer aus d. Betrieb eingezogen, die großen Maulhelden aber noch nicht. Niemand hat davon gehört, daß Leutheuser oder Leffler sich jetzt zu den Waffen drängten. Hoffmann-Mihla hat eine Frau u. 3 unversorgte Kinder. Wenn die Behörde was fürs Vaterland tun wollte, müßten sie solchen Männern jetzt wenigstens Pensionen für ihre Witwen u. Waisen zugestehen. Wenn d. Rundfunk Nachrichten gibt, dann kommen jedesmal detaillierte Schilderungen tschechischer Grausamkeiten. Ich habe Frauen sagen hören: »Ich hänge ab, ich kann das nicht mehr hören.« Was die Tschechen sagen, das errät man aus manchen deutschen Betonungen. Einiges, was ich auf diese Weise erraten hatte, wurde mir durch die gestrige sudetendeutsche Kundgebg. bestätigt. 12½ Uhr. Nachrichten durcheilen das Haus: Es steht sehr günstig, die Besprechg. Hitler-Chamb. hat bereits stattgefunden, sehr günstig … usw. Tegetmeyer soll das verkündet haben. Aus d. Kreis der Stenotypistinnen: »Im Horoskop hat gestanden, Deutschland ginge im Sept. hart an einem Krieg vorbei!« Eben kommt nochmal jemand gelaufen: »Frankreich hat sein Bündnis mit d. Tschechoslowakei gelöst, Amputation des sudetendeutschen Teiles bewilligt, Rumpfstaat unter dem Schutz von Frankr. u. Engl.!« Im Zimmer Sasse sitzen Brakhage u. Mitzenheim u. verhandeln mit d. Labi, der unvermeidliche Spigaht ist dabei.

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Donnerstag, d. 22.9. [22. September 1938] Am Dienstag meldete Reuter Frankr. u. Engld. hätten von der Tschechoslowakei die Abtretg. des sudetendeutschen Gebietes verlangt. Gestern Abend 8 Uhr hörte ich am Rundfunk: Prag nimmt die engl.-französischen Forderungen an, nachdem Frankreich u. England »kategorisch« erklärt haben, daß sie keinen Krieg führen könnten. Die Regierung wird mit allen Kräften den Staat innerhalb seiner neuen Grenzen behaupten (oder so). Die Bevölkerung wird aufgefordert, die Ruhe zu bewahren, sie schädigte »sonst« den Staat. Nun werden hoffentlich die entsetzlichen Greueltaten aufhören. Im Anschluß an diese Mitteilung wurde berichtet, daß in Eger sämtliche tschechische Behörden abgezogen sind, die Stadt sei aber von Militär garniert u. man befürchte Beschießung. Heute, Donnerstag, 10 Uhr 43, fliegt Chamberlain aus Henston ab, um den Führer in Godesberg zu treffen. – Vor Tagen schon wurde gerüchtweise erzählt, Godesberg sei schon in größter Aufregung, alles mit englischen u. deutschen Fahnen geschmückt. Es ist ein ungeheurer Sieg des Führers u. auch Chamberlains. Aber vor 8 Tagen, nach dem Telegramm Chamberlains, war das Gefühl des Aufatmens noch stärker. Auch aus den Weltmeldungen konnte man entnehmen, daß schlagartig damals die Einsicht allen aufgegangen war, daß eine solche Besprechung zu zweit den Frieden bringen müsse. Aber wir waren nahe an der Katastrophe – das wird besonders auch deutlich aus einer Friedensbotschaft des Erzbischofs von Paris, Kardinal Verdier, in »La Croix« v. 17.9. (Sonnabd.), in der geschildert wird, wie das ganze französische Volk sich zum Kampf vorbereitet. Ich habe es eben übersetzt. Auch der »Figaro« bringt einen Aufsatz über eine Mahnung des Kardinals Gerlier zur Ruhe, z. Vertrauen u. zum Gebet. Man kann daraus erkennen, daß die Erregung in Frankreich wohl noch stärker war als bei uns. Hier haben nicht mal alle Leute ganz deutlich gemerkt, was los war. Z.B. in Mihla, wo man noch mit d. Ernte zu tun hatte. Onkel Georg sagte gestern am Telephon: »Es ist wohl allerlei los in d. Tschechoslowakei?« Btz. sagt mir eben, die großen roten Postautobusse kämen zurück, ziemlich verbeult u. mitgenommen. In d. Nähe sr. Wohnung parken welche aus Schlesien. – Gestern sah ich zum erstenmal Militärkraftfahrzeuge, die in d. Richtung nach Norden durch die Stadt fuhren. Dem V.B. entnehme ich, daß die Reise Chamberlains nach Godesberg tatsächl. für Mittwoch geplant war u. am Dienstg. Abend verschoben wurde. Ich habe aber nicht alle Rundfunknachrichten hören können. Unterredungen zwischen Hitler u. ungar. Ministern u. zwischen Göring u. Horthy in Ostpreußen sind über alle anderen Nachrichten garnicht beachtet worden, sind aber auch im Hinblick auf die Tschechoslowakei wichtig. Hier sollen 1000 sudetendeutsche Flüchtlinge sein. Überall wird gesammelt: Betriebsappell um 12 Uhr. nachmittags. Beim Betriebsappell zur Sammlung f. d. Sudetendeutschen hielt Sasse selbst die Büchse. Vorher eine merkwürdige Ansprache. Erst sehr nett, er sei nach 1918, da er dem ängstlichen, glaubenslosen Konsistorium in Preußen nicht habe dienen können (er

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selbst hatte aber die Hoffng. auf die Zukunft Deutschlands aufgegeben), nach Sudetenland in eine evang. Gemeinde gegangen. Da habe er den Glauben in dem Glauben der deutschen Bauern an Deutschland wiedergefunden. – Er habe der NSV das Predigerseminar u. Haus Reinhardsberg für die Sudetendeutschen zur Verfügg. gestellt. Dann aber: Eigentl. täten ihm – die Tschechen leid! Die Franzosen u. Engländer, die die eigentlichen Schuldigen seien, hätten ihnen ihr Wort nicht gehalten, hätten ihnen – die Treue gebrochen …! Das schöne Wort Treue mißbraucht dieser Mann für eine solche Beziehung. Und überhaupt!!! Die Rundfunknachrichten, die mir mitgeteilt werden, lauten dahin, daß Chamberlain in Köln angekommen, überall mit Jubel begrüßt worden sei. Sasse hätte dazu fortgesetzt den Kopf geschüttelt. Er sähe nach wie vor schwarz. Die Tschechen zünden die Wälder an. Die Reichstagg. der deutschen Christen 4.–10.10. sei abgeblasen. Dagegen habe ich nichts – aber warum erst heute? (Das große Zelt der DC im Palmental wurde von d. Militärbehörde beschlagnahmt). Gestern bei O.s. Er erzählte u.a., Hoffmann-Mihla habe Sasse gefragt, was aus sr. Frau u. s. 3 Kindern werden solle, wenn er im Krieg fiele. »Das wäre Ehrensache für den L.K.R.,« hat Sasse gesagt, »da seien Sie ganz ruhig.« Warum geschieht dann nichts in dieser Hinsicht? Im weiteren Verlauf des Gesprächs habe sich herausgestellt, daß Hoffmann u. Sasse verwandten (nicht denselben) Studentenverbindungen angehört hätten. Darauf hätte Sasse Hoffmann das »Du« angeboten! – Hoffmann hätte dann noch ausgepackt. Nicht einmal rein menschlich könnte man noch Vertrauen zum L.K.R. haben, nachdem Lehmann u. Fries-Bischofroda ihn, Hoffmann, wegen einer Behauptung, an der kein wahres Wort sei, bei der Gestapo denunziert hätten (Volksgemeinschaft – leeres Wort!)! Sasse hätte das »ganz unerhört« gefunden.285 – (Ich selbst habe doch Briefe von Sasse gelesen, in denen er die Gestapo auf die Pfarrerschaft hetzte. Gelegentlich haben sich Beamte der Gestapo Pfarrern gegenüber selbst auf einen Brief Sasses bezogen. (Dazu Brief Sasses an Sauckel über die Delegation anläßlich der Absetzg. von Otto beim L.K.R., Absetzg. von Direktor Schönefeld286, Versetzg. von Frl. Helmbold287). – Augenscheinl. hat Sasse dem Lehmann eine Scene gemacht, denn mir wurde berichtet: »Großer Krach Sasse-Lehmann. Lehmann ist sooo klein!« Sasse ist eben labil, halb unzurechnungsfähig. Mir wird auch erzählt, er liefe wieder so ziellos im ganzen Haus herum sodaß sich »die Neuen« wundern. Besprechg. Mitzenheim-Brakhage mit Sasse sei Fortsetzung des Gesprächs wegen Neuenhof, in dem noch andere Forderungen der B.K. berührt worden seien. Sasse hätte zu den verschiedenen Forderungen u. dem Hinweis auf das Vorgehen von Marahrens, der den DC eigene geistliche Leitung gesichert hat, gesagt: »Sie können ganz beruhigt sein. Wir haben dem Minister viel weitergehende Vorschläge gemacht, als das Vorgehen von Marahrens bedeutet …!« 285 286 287

Zum Fall Hoffmann vgl. Biogramme. Tgb. 21. April 1938. Tgb. 19. April 1938.

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Der Minister wird sich wohl einigermaßen wundern – nachdem diese Leute erst alle seine dahingehenden Absichten durchkreuzt haben. Freitag, d. 23. Sept. [23. September 1938] Heute früh im »Deutschen Christentum« v. 25.9. Stellungnahme gegen Marahrens' Simultaneum.288 Man hat sich förmlich gewunden um eine Begründg. für diese Ablehnung zu finden. Es zerrisse die eben langsam sich befestigende kirchliche Einheit …! Aber immerhin sei es erfreulich, daß dieses bekenntniskirchliche Konsistorium endlich einsähe, daß Glaubenszwang unmöglich sei usw. Gestern von O. erfahren: Bei der Kirchensammlg. vom vorigen Sonntag für I.M. sind in Eisenach im Ganzen 235 M eingekommen. Davon – 10 M in allen den 3 Kirchen, in denen Deutsche Christen predigten. Die übrigen 225 M stammen aus den Kollekten der 3 Bekenntnispfarrer (der 3. wohl ein neutraler)! Das ist ein Bild der Lage. In Godesberg wurde gestern von 4–7½ verhandelt. Heute soll es weitergehen. Verwirrte Berichte über die Lage von gebildeten u. ungebildeten Frauen. Der Reichspropagandaminister soll sich nur nicht einbilden, daß der Rundfunk das Volk mit Sicherheit aufkläre. Es versteht offenbar manchmal nicht den 10. Teil u. gibt den Rest als vollkommen falsches Alarmgerücht weiter. D. 23.9. nachts 11 Uhr. Es sieht in der Politik furchtbar aus. Den ganzen Tag schon sind Militärautos dch. die Karthäuserstr. gefahren, nach Süden. Eben fängt es draußen wieder an zu rasseln u. zu dröhnen: Tanks. Es ist so, daß einem das Herz zu klopfen beginnt. Sonnabd., d. 24.9.38. [24. September 1938] Nachrichten, denen man erst kaum Glauben schenken konnte, bestätigte gestern Abend 6 Uhr der Rundfunk: In d. befreite Sudetenland sind wieder tschechische Truppen eingerückt, terrorisieren und morden. – Die Regierg. Hodscha [Hodža] ist am Mittwoch (Abend?) zurückgetreten. Donnerstag vormittag Jubel im Sudetenland. Nachmittags 3 Uhr bricht der Schrecken herein. Eine neue Regierung ist in Prag gebildet worden, an der Spitze ein kommunistischer General. Der hält sich nicht an die Bedingungen, zu denen sich Beneš-Hodscha verpflichtet haben. Es ist klar, daß dahinter Moskau steckt. Moskau richtet eine Note an Polen wegen des in Polen aufgestellten polnisch-tschechischen Freikorps (auch Ungarn hat Freikorps aufgestellt). Polen antwortet fest. Es ist klar, daß das nach Krieg im Osten aussieht. Welche erneute Bedeutung gewinnen jetzt die Besprechungen in Godesberg. Wir haben noch keine weitere Nachricht über ihren Verlauf. Es bestätigt sich, daß die Reichstagung der D.,C. abgesagt ist u. zwar deshalb, weil die Eisenbahnen jetzt nicht übermäßig für Privatzwecke in Anspruch genommen werden sollen. Die DC hatten Extrazüge beansprucht. 288

Heinrich Overheid, Um die Toleranz. Zur »Befriedungsordnung« der hannoverschen Kirchenregierung, Deutsches Christentum vom 25. September 1938, S. 2; vgl. auch Tgb. 3. September 1938.

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Die neuesten Rundfunknachrichten (der Apparat steht im Baubüro) werden mir eben gebracht. Ziemlich verworren. Besprechg. Hitler-Chamb. mit befriedigendem Ergebnis beendet. Fremde Sender hatten gestern gemeldet »unbefriedigend«, weil Hitler verlangt hätte, daß England die Tschechoslowakei besetzen solle. Straßbg. hätte gemeldet, der Beginn der Unterredg. gestern früh hätte sich verzögert, weil Chamb. dauernd an der Strippe mit seiner Regierung. Später. Ganz verworrene Meldungen. Gedruckt stünde angeschlagen, Chamb. hätte sich gestern Abend vom Führer verabschiedet, der ihm ein Memorandum für die Tschechoslow. mitgegeben habe, das Chamb. überreichen wolle. (Ich schließe daraus, daß Chamb. das mem. billigt). Irgendwo anders heißt es, sie hätten sich Freitag morgens getrennt. Im Haus Befürchtungen. Dr. Volk spricht nur von Plänen für die Neuverteilung der Arbeiten, wenn die Gestellungspflichtigen alle eingezogen würden. (Ich würde lieber Kriegsarbeit tun als Verwaltungsarbeit289). M. Freund Bernewitz trennt sich von mir mit der Frage: »Was werden wir für Nachrichten haben, wenn wir am Montag wieder zusammen kommen?« Und ich antworte: »Da sitzen wir vielleicht schon tief drin.« (Im Krieg). Die Feiern auf d. Bückeberg sind auch abgesagt.290 Alles schimpft, weil der Rundfunk nichts über die Unterredg. Chamb.-Hitler sagt. Das ist ja nun zu dumm. Es ist überhaupt trostlos, was die Pgs. hier im Haus für eine Politik machen. Denen muß erst einer sagen, was sie zu denken haben. Sie schimpfen auf Chamberlain. Der wollte uns nur hereinlegen. Die Truppen, die gestern durchkamen, sollen aus Stettin gewesen sein: schwere Artillerie. Sie hätten von 2 Uhr mittags bis nachts nichts Warmes gegessen – schadet auch nichts. Beneš organisiert irgendetwas in Tschechien – das ist eine gemeine Schiebung. Sasse kam auf seinen ziellosen Wanderungen soeben bis in mein Zimmer; ich hatte gerade die Gasmaske auf, er prallte entsetzt zurück. – Er fährt nun wahrhaftig mit Bauer nach Ungarn, hat sich eben die Devisen holen lassen. Bauer geht ungern u. hat Angst, es könnte »was passieren«. Sonntag Abend. Nachdem ich die »Frankfurter Zeitung« u. das »Berliner Tageblatt« gelesen habe, wird mir alles klar. Die Nachfahren werden sich ja kaum vorstellen können, wie wir trotz 289

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Die Tagebuchschreiberin war davon überzeugt, dass über kurz oder lang auch die Frauen zu den Waffen gerufen würden (Tgb. 12. Oktober 1944). Sie hatte schon als Kind den Wunsch gehabt, Soldatin zu werden (Tgb. 20. Oktober 1944). »Der Reichsbauerntag auf dem Bückeberg bei Hameln fand 1933–1937 am Erntedanktag unter Beteiligung von jeweils rund 1 Millionen Bauern statt. Zentrale symbolische Akte waren die Übergabe der Erntekrone durch eine Abordnung der Bauernschaft und die Reden Hitlers und des Reichsbauernführers. Ab 1935 nahm auch die Wehrmacht mit Gefechtsübungen am Reichsbauerntag teil. 1937 fand der Reichsbauerntag – mit der Schenkung des Bückebergs an Hitler – zum letztenmal statt, da er nach der Absage wegen der Sudetenkrise 1938 nicht mehr gefeiert wurde. Der Reichsbauerntag sollte die Verbundenheit des Regimes mit der Landbevölkerung im Sinne der Blut-und-Boden-Ideologie ausdrücken und damit eine seiner Hauptstützen propagandistisch erfassen« (Enzyklopädie des Nationalsozialismus, 666).

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Rundfunk im Dunkeln tappen. Klar ist, daß immer Nachrichten ausländ. Sender das Bild verwirren. Manche Leute geben sie, da sie deutsch mitgeteilt werden, in gutem Glauben weiter. So hat die Nachricht des Prager Senders vom Freitag Abend 10 Uhr, die Verhandlungen Hitler-Chamb. seien ohne Ergebnis abgebrochen, weitergewirkt. Verschiedentlich trat mir auch die Behauptung entgegen, die Sender hätten mitgeteilt, der französische Vertrag mit der Tschechoslowakei sei am Freitag Abend abgelaufen. Was hinter dieser Mitteilung steckt, habe ich noch nicht ergründet. Als ich Freitag nachts um 11 auf meinem Bettrand saß und Bleistiftnotizen niederschrieb, draußen schwere Artillerie vorüberdonnerte u. mich plötzlich eine Angst packte, wie ich sie noch nie in dieser ganzen kritischen Zeit gefühlt habe, da hat mich doch ein Ahnen des Schicksals gestreift, das in dieser Nacht über der Welt lag. Den ganzen Tag über hatten Chamb. u. Hitler nur Noten miteinander gewechselt. Das sah nicht gut aus u. die Stimmung in London war ernst. In d. Nacht hat man in Paris Plakate zur Einberug. von Reservisten an d. Mauern geklebt. Prag gab den Mobilmachungsbefehl u. sein Sender verkündete den Abbruch der Godesberger Besprechungen. Zur gleichen Stunde – so schreibt die Frankfurter – trafen Hitler u. Chamb. wieder zusammen zur letzten Besprechung. Man hat das Gefühl, als ob die Sache doch ziemlich am Kippen gewesen ist. Inzwischen hat sich in England u. Frankreich eine starke Opposition gegen Chamb. erhoben. 10 000 Demonstranten am Freitag in London mit dem Ruf: »Helft den Tschechen!« Man kann nicht alles aufzeichnen, was geschieht. Mussolini hält eine Rede nach der anderen u. erklärt unmißverständlich, daß Italien mit Deutschland zusammen kämpfen wird. Die Slowaken wollen zu Ungarn – u. man kann sich nun denken, was Horthy u. s. Minister in Deutschland zu suchen hatten. Im deutschen Memorandum – dessen Inhalt nicht bekannt ist – läßt Deutschland der Tschechei Zeit bis zum 1.Oktober. In diesen Tagen wird sich also das Schicksal Europas entscheiden. Tausende von sudetendeutsch. Flüchtlingen sind schon im Kreis Eisenach. Mihla allein hat 50. Montag, d. 26.9.38. [26. September 1938] Der Rundfk. kündigte gestern Abd. für heute Abend 8 Uhr eine Führerrede an. Im Dienstgebäude fiel heute die übliche Montagsandacht aus. Ein Mann namens Dittmann sollte sie halten u. war nicht da. Da hätte Bauer [W.] d. Ausfall der Andacht verfügt. Angestellte brummten, Bauer hätte jawohl etwas aus d. Bibel vorlesen u. ein Gebet sprechen können. Alle SA-Männer aus d. Betrieb sind an d. Bahnhof geschickt worden zur Hilfeleistung, es kommen wieder Flüchtlinge. 3000 sollen schon hier sein. Buchhändler Klante ist ab heute auch eingezogen zu einer 8-wöchigen Übung. 41 Jahre alt, Weltkrieg mitgemacht. 10½. Die Parteigenossin Frl. L. kommt wieder mit den sonderbarsten Nachrichten. Die Unterredg. Chamb.-Hitler sei doch ohne Ergebnis geblieben. Der Straßburger Sender hätte das gestern Abend u. heute früh durchgegeben. Grund genug offenbar für viele brave

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Leute hier im Haus, es zu glauben. Bonnet u. Daladier seien gestern in London gewesen. England u. Frankreich würden der Tschechei beistehen, wenn es zum Kampf käme! Ich bin zwar B.K., also politisch verdächtig, aber ich glaube an den deutschen Sender u. richte die gedrückten Gemüter wieder auf. Sie bedankt sich bei mir als sie weggeht u. sagt noch, St. hätte gesagt, diesmal sei es doch nicht wie 1914, diesmal gäbe es in Deutschland viele Kriegsgegner. Ich sage, das solle man nicht so schwer nehmen. Wenn das Vaterland in Gefahr sei, wenn marschiert würde, würden alle marschieren, ohne ein Wort, das sei ganz selbstverständlich. Man solle doch nicht vergessen, daß 1914 auch die Sozis die Kriegskredite bewilligt hätten. Das größte Verbrechen sei jetzt das gegenseitige Mißtrauen, das Verleumden anständiger Volksgenossen, wobei ich an die B.K. denke. Das ist mein Ernst. Sie entfernt sich nachdenklich. Volk sei in Friedrichroda zu einer Kreiskirchenamtstagg. Franz kommt in Uniform in den weißen Saal u. spottet: »So – Tagungen – als ob nichts los wäre. Hier weiß man wohl nicht, wie ernst die Dinge stehen.« 5–6 Tage also sollen wir so herumgeschüttelt werden bis zur Gewißheit. Ich fürchte, am Ende dieser Woche werden sehr viele Leute den Verstand verloren haben. Dienstag, d. 27.9. [27. September 1938] Gestern Abd., 8 Uhr, Führerrede.291 Mein Eindruck: nicht für uns, sondern für d. Ausland gehalten. Mehr überzeugend als hinreißend, aber eben doch: sehr gut. – Für uns Ältere ist immer wieder der Gedanke neu u. seltsam, daß wir mit der ganzen Welt gleichgültig am Radio sitzen. Nachmittags war ich in Gotha. Die Stadt war aufgewühlt, aus einem Rathausfenster bellte der Lautsprecher. Eisenach war an diesem Abend wie eine südliche Stadt. Alle Menschen auf den Straßen, überall kleine Gruppen. In Gotha ein Militärzug. Junge Soldaten im Viehwagen, singend, wie 1914. (26 Militärzüge sollen gestern dch. Eisenach gekommen sein, meist nachts.) Danach war ich überzeugt, daß d. Führer abends die Mobilisierg. aussprechen würde. Aber es ist klar, es wird längst mobilisiert. Auch die Arbeitsdienstlager Eisenach u. Lauterbach sind schon fort. Irgendwie war d. Ton des Führers gemäßigter. In d. letzt. Rede wurde noch d. ganze tschechische Rasse beschimpft. Diesmal nichts davon, bekämpft wurde Beneš persönlich. Sehr merkwürdig war, daß mitten in dieser Rede, zu dieser Stunde, in der das Schicksal Europas auf dem Spiele stand, ein Hieb auf Niemöller kam. Er verglich die Gleichgültigkeit Englands u. Amerikas gegenüber den Leiden von 3 Mill. Sudetendeutschen mit der Teilnahme an d. Geschick eines Pfarrers, der »auf d. Kanzel gegen den Staat gehetzt hat u. deshalb in Sicherheitsverwahrg. genommen wurde!«292 Der allgemeine Eindruck ist heute, daß Chamberlain von Niemöller gesprochen hat! Es läßt tief 291 292

Vgl. Rede Hitlers vom 26. September 1938, in: Domarus I/2, 924–932. »Ja, wenn irgendwo ein Landesverräter nur eingesperrt wird, wenn ein Mann, der meinetwegen von der Kanzel herunterschimpft, in Sicherheit genommen wird – dann gibt es Aufregung in England und Empörung in Amerika. Wenn aber hunderttausende von Menschen vertrieben werden, wenn Zehntausende ins Gefängnis kommen und Tausende niedergemetzelt werden [gemeint sind die Sudentendeutschen], dann rührt das diese Patentweltdemokraten nicht im geringsten … Wir empfinden tiefe Verachtung für sie« (Domarus I/2, 929).

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blicken. Unverständl. ist die Empfindlichkeit des Führers in diesem Punkt. Er selbst gibt der Sache Niemöllers dadurch, daß er sie in diesem Augenblick betont, weltgeschichtliche Bedeutung, nachdem man mit all. Mitteln versucht hat, sie in Deutschland totzuschweigen. Nicht nur ich, auch andere, haben daran gedacht, daß wohl die Gefangenen in den Konzentrationslagern, unter ihnen Niemöller, auch am Lautsprecher gesessen haben. Dienstag Abend. Im Laufe des Nachmittags u. Abends werden die Eindrücke nicht beruhigender. Aus d. Rundfunk tönen Männerstimmen in allen Sprachen, viel slawisch. Dazwischen immer wieder die Stimme Hitlers, dessen gestrige Rede von Schallplatte wiederholt wird. Ich höre eine französische Sendg. teilweise. Roosevelt scheint sich an Hitler, Mussolini, die Westmächte u. Beneš mit einer Friedensmahng. gewandt zu haben. Sie haben ihm geantwortet. Chamberlain hat zum englischen Volk am Rundfunk gesprochen. Er betonte293, daß Hitler nach Bereinigg. des sudetendeutschen Problems keine territorialen Forderungen mehr in Europa hätte.294 Er betonte auch die Herzlichkeit, mit der er, Chamb., in Deutschland empfangen worden sei. Er würde auch noch ein 3. Mal hinüberfliegen, wenn er glaubte, damit dem Frieden zu dienen. Er sähe jetzt aber dazu keine Möglichkeit. Soviel ich verstand, fand er es »pas raisonable«295, daß Hitler jetzt sofort sudetendeutsches Gebiet militärisch besetzen wolle. Zum Schluß forderte er auf, zu beten. Und alle Engländer sollten sich zum Dienst mit d. Waffe melden. Außerdem sei der Luftschutz verbesserungsbedürftig. Alles gänzlich unrethorisch. Übrigens hat Chamb. gestern nach einer Unterredg. mit Daladier, noch vor der Führerrede s. Begleiter Wilson mit einer Botschaft an Hitler geschickt. Chamb. erzählte am Rundfunk (französ. Übersetzg.!) noch, daß er unzählige Briefe aus allen Ländern bekommen hätte, die ihm für seine Bemühungen um den Frieden dankten. Die Westmächte haben sich in den letzten Jahren wahrhaftig in alle gegebenen Tatsachen gefunden – siehe Abessinien! Und Japan-China. Also warum sollte gerade die militär. Besetzg. des Sudetenlandes ein unübersteigliches Hindernis für sie sein? Soviel ist klar: Wenn wir loslegen, dann wird der Einsatz ungeheuer u. alles wird überrannt. Dann wird man ja sehen. Bernewitz glaubt, daß wir Sonntags schon in Prag sind. Auf d. Pflugensberg sind jetzt sehr viele Angestellte eingezogen, junge Mädchen im Flugzeugmeldedienst in der Post. Es ist übrigens doch so, daß es bei d. Fall Niemöller nicht darum geht, daß ein Mann leidet. Sondern d. Ausland tadelt das System, in dem ein Mann sein Recht nicht bekommen kann. Mittwoch, d. 28.9.38. [28. September 1938] Heute hörte ich: Scheinwerfer u. Flugabwehrgeschütze auf der Fahrzeugfabrik. 293 294 295

Rundfunkansprache Chamberlains am 27. September 1938 abends (Domarus II/1, 938 [Ausschnitte]). Hitler hatte in der Rede vom 26. September u.a. erklärt: »Es ist die letzte territoriale Forderung, die ich in Europa zu stellen habe« (ebd. 927). Deutsch: ganz vernünftig.

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Gestern Abend bekam ich noch einmal den Prager Sender, der dem deutschen Rundfunk Lügen vorwarf. Meldungen über Zwischenfälle an der Grenze, Beschießg. eines deutsch. Zollhauses, Flucht von etwa 200 000 Sudetendeutschen sollte unwahr sein. »Die angekündigte deutsche Teilmobilisierung« sei nicht eingetreten! – Na, ich danke! Die Mihlaer haben auch 3 Sudetendeutsche, Männer, die sehr nett sein sollen. Frauen u. Kinder werden jetzt in Heime der NSV gebracht. Einen engl. Satz hörte ich deutlich aus d. Rundfunk: »England condemns Herrn Hitlers discourse especially its tone.«296 Ja – aber Brüning u. Papen haben mit dem vornehmen Ton nichts erreicht. Hitler hat seit 20 Jahren Glück mit sr. Tonart. Kein Wunder, daß er sie beibehält. Später. Neben mir brüllen sich Haugk u. Lämmerhirt wieder einmal an – es ist schrecklich. Im Hintergrund steht bei den beiden immer die Politik u. die Kirchenpolitik. In der Kantine wird auf Tod u. Leben Politik gemacht. Frau Sommer hat d. Rede Chamberlains von Toulouse aus auf deutsch gehört. Er hätte kein Wort von den Sudetendeutschen, ihrer Verfolgung u. ihren Leiden gesagt. Hitler hätte – in welcher Äußerung? – vorgeschlagen, eine englische Kommission sollte herüberkommen u. die Sache feststellen. Ein kleineres Land würde von seinem Gegner bedroht – sagt Chamberlain. – Roosevelt hätte auch an Hitler telegraphiert, Hitler hätte geantwortet, d. Entscheidg. läge jetzt in Prag. Ich verstehe nicht – wenn Hodscha den Befehl zum Rückzug der Truppen aus sudetendeutschem Gebiet vor seinem Rücktritt geben konnte – warum können das seine Nachfolger nicht? Ich glaube: Wir rücken ein u. dann findet sich alles mit den Tatsachen ab. Chamb. hätte gesagt, bei s. zweiten Besuch in Deutschld. hätte er eine völlig veränderte Lage vorgefunden, plötzl. sei die Bedingung des sofortigen Einmarsches aufgetaucht. Ich glaube, sie bluffen. Die friedlichsten Leute werden wild. Sommer sagt: »Hitler soll einfach jeden von den Kerlen (Chamberlain usw.) aufhängen, wenn einer rein kommt. Dann werden sie schon draußen bleiben.« 10 Uhr. Eben war wieder jemand bei mir. Nichts wie Politik. Alle jungen Männer können »jede Stunde« abberufen werden. Volk hat gestern in einer Sitzung der Kreiskirchenämter gesagt: »Wenn der Landesbischof eingezogen wird, dann wird ja meine Stellung hier oben eine ganz andere!!« Da hört einfach alles auf. Daran denkt dieser Mensch jetzt. Carlsson297 war gestern hier bei Lehmann u. hätte furchtbar gebrüllt. Er – Lehmann angebrüllt. Er hat anderen erzählt, er käme wieder ins Amt. – Wirkungen des Krieges. Nachricht von neulich: Die Disziplinarverfahren gegen Otto, Groß, Bauer, Hertel (u. Amme?) werden vorbereitet. Volk u. Spt. beratschlagen, daß man jeden allein heraufbestellen wolle, damit sie nicht aneinander eine Stütze hätten. Was wohl daraus wird, wenn es Krieg gibt? 296 297

»England verurteilt die Rede Hitlers, besonders ihren Ton«. Zum Fall Carlsson vgl. Biogramme.

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Heute die ganze Nacht sind wieder Flüchtlinge gekommen, Lehmann war nachts von 1–6 am Bahnhof. Eben ist wieder die ganze SA von hier oben an den Bahnhof kommandiert worden – von Sasse. Mittwoch Abend. Heute Abend war eine Kundgebung auf dem Markt, die dem Ausland zeigen sollte, daß Deutschland geschlossen hinter d. Führer stünde. Kreisleiter Köhler sagte etwas von einer Zusammenkunft in München, was ich nicht verstand; später hörte ich das Nähere im Rundfunk. (Die Auslandssender müssen verstärkt sein; ich habe sie noch nie so deutlich gehört. Plötzlich brüllen sie wie wahnsinnig.) Paris teilt mit, die Ereignisse hätten sich heute derartig überstürzt, daß die Zeitungen nicht hätten folgen können u. nur Extrablätter mit Nachrichten ohne Kommentar ausgegeben hätten. Sehr eindrucksvoller Appell der »Frontkameraden«, zu denen Daladier gehört, an ihn, die die Juden der Kriegshetze bezichtigen! Nachmittag Sitzg. im Unterhaus. Chamb. schildert, wie er Hitler nochmals angeboten hätte, nach Berlin zu kommen u. mit Vertretern der Tschechosl., Italiens, Frankreichs u. ihm zu verhandeln u. Druck auszuüben. Mitten in sr. Rede erhält Chamb. Nachricht von Einladg. Hitlers an ihn, Mussolini u. Daladier. Er bricht s. Rede ab u. macht d. Unterhs. Mitteilg. Das Unterhaus erhebt sich. Stürmischer Beifall für Chamb. Vor d. Parlament erwarten ihn Tausende, denen er strahlend zuruft: »Diesmal wird es gut gehen.« Daladier verzichtet auf eine Rundfunkrede an die Franzosen wegen der Vierer-Konferenz, spricht nur einige Worte. Das Ausland ist vollkommen erschüttert von der Größe des Augenblicks. Ich hoffe, daß nun wirklich kein Krieg kommt – heute, im Laufe des Tages war ich überzeugt worden, daß er unvermeidlich sei. Die Stimmung ist sehr ernst überall. Otto ist zum Montag auf den Pflugensberg zur Verhandlung geladen. Es scheint, daß er hingeht. ½11. Bauer [G.] um 9. Chamb. hätte auch noch gesagt, Hitler hätte in sr. letzten Unterredung auch auf die Kolonialfrage hingewiesen, aber gesagt, das sei kein Kriegsgrund. Man stelle sich das vor: Daladier, Chamberlain u. Mussolini kommen zur Konferenz nach München. Ein Beweis für die veränderte Stellung Deutschlands in der Welt. Der Franzose! Man faßt es kaum. Das Ausland behauptet, für heute Mittag 2 Uhr, sei die deutsche Mobilmachung angesetzt gewesen, die durch Chamb. Intervention aufgeschoben worden sei! Mussolini u. Hitler sind schon nach München abgereist, Daladier u. Chamberlain reisen morgen früh ab. Merkwürdig gutes Wetter hat Chamb. bisher für alle seine Flüge gehabt. Den 29.9.38, nachm. [29. September 1938] Vorhin hörte ich (von Schallplatten!) am Rundfunk die Ankunft Chamberlains in München. Stürmische Begrüßg. durch das Publikum. Jetzt erzählt schon einer hier oben: Die Auslandssender haben mitgeteilt, es seien neue schwere Forderungen gestellt worden! (Chamb. kam ¾12 an, was ich nicht gewußt hatte!) Die Auslandssender sind auch nicht zuverlässig. Matin beklagt sich, daß der ganze französ. Rundfunk die Schlußsätze der Rundfunkrede Chamberlains unterschlagen

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hätte. Deshalb kam d. Rede so wenig rethorisch. Dann habe ich gehört, wie ein ausländ. Sender behauptete, die Friedensvermittlg. Roosevelts sei dem dtsch. Volk nicht bekannt gegeben worden. Das stimmt nicht. Gestern erschienen alle diesbezügl. Dokumente im Wortlaut in der dtsch. Presse – allerdings wohl einen Tag verspätet. Die Kirchenräte taumeln vor Glück: »Es gibt keinen Krieg, es gibt keinen Krieg!« Volk tut schauderhaft wichtig als Luftschutzkommandant. Dauernd berät er mit s. Generalstab, 4 od. 5 Männerchen, im weißen Saal, in d. Hand ein Aktenstück. Der müßte bloß mal für 3 Stunden in einen Schützengraben. Vertrauliche u. beschränkt öffentliche kirchliche Korrespondenzen stellen fest, daß die kirchl. Fronten erstarrt sind u. man neue Wege gehen müßte – wachsende Einsicht im Stil Marahrens Simultaneum.298 Ähnlich schwierig wie der 1. Schritt Chamberlains auf Hitler zu. So etwas muß freiwillig sein, sonst ist es demütigend, wenn aber die Geste im richtigen Augenblick u. mit Leichtigkeit geschieht, wirkt sie überlegen. So auch Marahrens. Ein Pressemann sagte mir, er sei nur zu 80% optimistisch in Bezug auf die Münchner Besprechungen. So gehts mir auch. Zuviel Rückschläge – wie bisher – sind ungesund. Unsere Aufwartefrau hält den Krieg für nötig. »Ein alter Sudeter hat gesagt, wenn es jetzt keinen Krieg gäbe, wäre alles Lüge gewesen.« Deshalb. Aber Hitler wird so etwas auch spüren. Deshalb. 5½ Uhr nachm. Es fängt an, bei uns unheimlich zu werden. Die Telephonzentrale ist mit Altpapier splittersicher verpackt, im Stadtwald sind Flak-Geschütze aufgestellt, Soldaten aus Rendsburg, einquartiert in d. Nähe im Bürgerquartier. – Unsere Sanitäter richten eine Luftschutz-Apotheke ein. – Ich habe mich zu einem roten +-Kursus [Roter-Kreuz-Kursus] gemeldet u. werde nicht angenommen, da ich im Luftschutz bin. Freitag, d. 30. Sept. 38. [30. September 1938] Was für ein glücklicher Tag! Und dazu das schönste Sommerwetter, wie während der ganzen Krise. Gestern Abd. hörte ich bis 10¾ Uhr Rundfunk. Über den Inhalt der Münchner Besprechungen nichts, nur d. Mitteilung, daß die 4 Männer um 10 Uhr nachts ihre Besprechungen wieder begonnen hätten. Nachts 2 Uhr soll dann der Rundfunk das Ergebnis mitgeteilt haben. Ich wurde heute früh durch die Aufwartefrau geweckt: »Es gibt keinen Krieg, und der Chamberlain soll abgestürzt sein!« (Wunschtraum eines tschechischen Senders). Chamb. scheint aber ganz u. heil geblieben zu sein. Es wäre auch schade um ihn. Zwischen 10 u. 11 Uhr hörte man hier oben die Militärmusik herrliche Choräle blasen: Ständchen zum Geburtstag des 90-jährigen Obersten Perlet (Der Fahnenträger von Wörth!) »Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre.« Man sang es im Stillen mit. Inzwischen ist den Kirchenräten schon wieder der Kamm geschwollen. Sie hätten in ekelhafter Weise geschimpft u. getobt über einen Gebetsgottesdienst, den die vorläufige Kirchenleitung angeordnet gehabt hätte. Näheres weiß ich nicht. 298

Vgl. Tgb. 3. September 1938 und weitere Eintragungen.

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Später. Sasse sei »unbeschreiblich« gewesen. Volk hätte die BK-Pfarrer in Schutz genommen u. geltend gemacht, man könne sie nicht moralisch beschimpfen, bloß, weil sie in politischen u. theologischen Irrtümern befangen wären. Es seien Namen genannt worden: Bauer [G.], Otto, Köhler-Hildburghausen. Mein Gewährsmann fügte hinzu: »Wann wird es herauskommen, daß unser Landesbischof irrsinnig ist?« Ich sagte: »Vielleicht weiß es der Kreisleiter schon.« Frau Kirchenrat Bauer [W.] hat erzählt: Eigentl. dürfte sie es ja nicht erzählen, aber – sie hätte einen Verwandten im Kriegsministerium u. der hätte gesagt, mit unseren Vorbereitungen sei es garnicht so glänzend, wie der Führer gesagt hätte. Die Zahlen, die er gegeben hätte, stimmten nicht!!! Das hätte sich in der letzten Woche gezeigt! (Und das sagt sie zu einem anderen Kirchenrat! Das ist doch nun wirklich D.C.- u. Pg.Hochverrat!) Aus Baden haben Reisende erzählt, dort sei der ganze Grenzbezirk geräumt, wie auch auf französischer Seite d. Grenzgebiete geräumt seien. (Davon hat man hier garnichts erfahren). In Mihla sind im Grauen Schloß u. auf d. Sand 2 oder 3 Sudetendeutsche, Männer, die überall mit Hand anlegen. Man reißt sich um sie. Sie seien auch sehr nett. Interessant, wie verschieden die Haltung des englischen u. des deutschen Volkes. In England ruft d. Publikum dem Ministerpräsidenten zu: »Guter alter Neville!« Ganz unmöglich, das zu einem »alten Kämpfer« in Berlin zu sagen. Sie nennen zwar Hermann Göring beim Vornamen, aber es ist doch noch anders (u. kommt mir etwas gemacht vor). Dienstag, d. 4. Okt. 38. [4. Oktober 1938] Man muß rasch nachtragen, sonst kommt man nicht hinter den Ereignissen her. Am Freitag Mittag ging ich über d. Karlsplatz u. fand ein Extrablatt angeschlagen, das das Abkommen der 4 Staatsmänner, die an der Münchener Besprechg. teilgenommen hatten, bekannt gab.299 Und ein paar Schritte weiter ein anderes, eben erst herausgekommenes Blatt mit dem Text des Abkommens zwischen Chamberlain u. Hitler : »Nie wieder Krieg mit England!« Das letzte war wie ein Licht und wie ein richtiges, persönliches Glück! Nichts konnte an diesem Tag dieses Glücksgefühl zerstören (am Nachmittag kam Frau Schwartze u. d. Theater um Tante Lina begann). Jetzt, 21,15 Uhr, abends, am Dienstag, sitze ich hier u. höre, während ich schreibe, eine Wiederholg. der Rundfunkübertragg. vom Einzug des Führers in Karlsbad mit an. »Der Führer zu seinen Karlsbadern …!«, wie das klingt! So geht es überhaupt seit Tagen: Wenn man den Rundfunk anstellt: Heilrufe, leidenschaftliches »Sieg-Heil« u. Sprechchöre u. dann die dunkle Stimme des Führers: Einzug im sudetendeutschen Gebiet. Gestern Mittag, 2 Uhr, Übertragg. des Einzugs in Eger. Mitten in d. Führerrede riß die Übertraggg. ab: Walzer! Auch der Walzer riß ab, wieder der Führer. Dann wieder: tiefe Stille – u. mitten in die Stille hinein der laute Ruf: »Ist da jemand?« Pause. Dann 299

Zum sog. »Münchener Abkommen« vom 30. September 1938, durch das das Sudetenland mit Billigung Englands, Frankreichs und Italiens an Deutschland abgetreten werden musste, vgl. Enzyklopädie des Nationalsozialismus, 590.

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wieder der Führer. Zum Schluß sagte eine ernste u. würdige Stimme: »… große technische Schwierigkeiten, da hier kein Sender ist …. deshalb mehrmals Unterbrechung.« Beim Burschenhaus standen tagelang 2 Flak-Batterien, ich habe sie leider nicht gesehen, aber ich bin geneigt, den Luftschutz auf d. Pflugensberg doch ernster zu nehmen als bisher. Wir wären Etappe (1. Gefahrenzone) geworden.Sehr interessant in diesen Tagen die ausländ. Zeitungen. Jubelsturm um die Männer der Münchner Konferenz. Welches Aufatmen, besond. in England. Das Menschliche wird in so rührender Weise klargelegt. Es ist tatsächlich ein politisches Wunder, was sich vollzieht. Wer hätte vor 20 Jahren geglaubt, daß sich eine solche Entwicklung vollenden könnte? Es ist, als würde einen Augenblick lang Urgründe bloßgelegt, die man sonst nicht zu sehen bekommt: das Herz der Völker. Aus der leidenschaftlichen Freude um die Erhaltung des Friedens im Ausland klang – für mich wenigstens – immer die Stimme von Eltern u. Frauen, die zitterten um einen, den sie lieb hatten. Hier in Deutschland hat man das nicht so gespürt, da war das Menschliche stiller, nur Jubel um den Führer. Plötzlich wird auch das Gesicht der Menschen deutlich, die wirklich den Krieg wollten: auch das am deutlichsten in England. Der Marineminister Duff Cooper ist zurückgetreten, weil er Chamberlains Politik mißbilligte. Die Namen Anthony Eden, Nicolson u. Churchill werden noch genannt. – In Frankreich sind es die Kommunisten. In diesen Tagen erfuhren wir auch noch nachträglich, daß Deutschland am vergangenen Mittwoch (28.9.), Mittags, 2 Uhr, mobilisieren wollte. Nicht ganz 4 Stunden vorher hat Chamberlain um 24 Stunden Aufschub für diese Maßnahmen gebeten u. die Münchner Besprechg. angeregt! – Und England hatte seine Flotte bereits mobilisiert. Das las ich zu m. größtem Erstaunen nachträglich in der »Times«. Kirchlich: Gestern, Montag, den 3.10., fand die Sitzg. des Landeskirchenrates statt in der der Beschluß zu fassen war, ob die Angelegenheit Otto u. Bauer [G.] an d. Dienstgericht weiter gegeben werden sollte. Bauer war um 9 Uhr früh bestellt, Otto halb 11. Ich begrüßte beide als sie kamen. Bauer [G.]. war nach 12 Uhr erst fertig, Otto wartete 2 Stunden u. kam um 12½ Uhr dran. (3 Uhr war er zu Hause). Bauer flüsterte mir auf meine Frage: »Wie wars?« um 12 Uhr zu: »Großartig. Und Sasse hat gekniffen.« Otto erzählte mir abends: »Es war ganz ruhig. Sasse nicht da. Ich habe etwa 1½ Stundenlang ungehindert gesprochen. Volk leitete – in anständigem Ton. Als ich fertig war, hatte ich den Eindruck, daß er bewegt war – er sprach dann eigentlich – »gütig«. Nur Lehmann versuchte immer wieder, niederträchtige Fragen zu stellen, deren Beantwortung mich politisch kompromittieren sollte. Leutheuser war dabei u. sagte die ganze Zeit kein Wort.« Über Sasses Fernbleiben war Volk wütend gewesen u. hatte geäußert: »Er bleibt immer fort, wenn ihm etwas unangenehm ist.« Sasse hat sein Fernbleiben damit begründet, daß er sich nicht beherrschen könnte. »Ich würde hochgehen …« Bis heute ist der fragliche Beschluß vom LKR noch nicht gefaßt worden. Otto u. Bauer [G.] haben keinen Zweifel daran, daß die Sache an das Dienstgericht abgegeben werden wird. Aus Mihla erfuhr ich Näheres über die letzte Unterredg. Sasse-Hoffmann-Mihla, die entgegen den Erwartungen der Angestellten ruhig verlief.300 Es habe sich während 300

Zum Fall Hoffman vgl. Biogramme.

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der Unterredung herausgestellt, daß Hoffmann einer Studentenverbindung angehört habe, die mit der, zu der Sasse gehört hätte, verwandt gewesen sei, es war aber nicht dieselbe. Darauf hätte Sasse Hoffmann das »Du« angeboten u. verlangt, beide sollten die Brüderschaft begießen. Als Hoffmann abwehrt mit d. Hinweis, daß der letzte Zug nach Mihla 7½ Uhr abginge, sagt Sasse: »Ich fahre Dich mit m. Auto hinaus.« Und so geschah’s. Sasse brachte Hoffmann an diesem Abend in s. Auto nach Mihla. Über Hoffmanns Erzählungen von der Tätigkeit Lehmanns usw. sei er in die Worte ausgebrochen: »Mir sind ja lauter Lügen erzählt worden.« (Daraus zieht er aber keine Folgerungen). Pfr.-Diakon Fries aus Bischofroda ist nach Arnstadt versetzt worden. Wenn ein D.C. sich irgendwo unmöglich gemacht hat, dann fällt er immer die Treppe rauf. Mittwoch, d. 5.10.38. [5. Oktober 1938] Die Masch.gewehre u. d. Posten auf d. flachen Dach der BMW sind heute nicht mehr da, die Flakbatterie unter d. Burschenhaus im Wald ist abgebaut. Unsere Angestellten, die bei der »Fluho« [?] eingezogen waren, sind wieder im Büro. Wer Duff Cooper ist weiß heute in Dtschld wohl fast jedes Kind. Gestern hatte Chamberlain im Unterhs. mit ihm seine große Auseinandersetzg. Es gibt auch bei uns Leute, die grundsätzlich mißtrauisch sind gegenüber allen Versuchen einer Verständigg. mit dem Ausland. Donnerstg., d. 6.10.38. [6. Oktober 1938] Beschlüsse sind in d. Sache Bauer [G.]-Otto noch nicht gefaßt worden. Volk hat Bauer »manchmal etwas suffisant« genannt, von Otto dagegen mit Respekt geredet. »Seine hohe Geistigkeit – Klarheit – Führernatur – die anderen B.K.-Pfr. können ihm ja alle nicht das Wasser reichen …« usw. Am Montag ist wieder Sitzg., als 1. Punkt der Tagesordng. sind allerdings Haushaltsangelegenheiten im Pred.sem. genannt. Heute vor 8 Tagen wurde die Viererzusammenkunft in München vereinbart. Damals war das Wetter herrlich – heute stürmt u. donnert es. Wer weiß, ob bei solchem Wetter Chamb. seine Flüge hätte machen können. Auch für all das sudetendeutsche Flüchtlingselend war das herrliche Wetter dieses denkwürdigen Monats September eine Gnade. Gestern sprach d. Führer zur Eröffnung des Winterhilfswerkes im Sportpalast. Ich konnte es nicht hören. Er soll ruhiger gesprochen haben als sonst. Montag, d. 10.10.38, 9 Uhr abends. [10. Oktober 1938] Beneš ist vor einigen Tagen zurückgetreten. Heute nacht 12 Uhr – also in 3 Stunden – wird das besetzte Sudetenland deutsch! Eine begeisterte französische Stimme proklamierte um 8 Uhr am Radio Toulouse den Gedanken einer Wirtschaftskonferenz zwischen Frankreich, England, Vereinigte Staaten, Deutschland, Italien, den Niederlanden u. Luxemburg. Die Sender sind heute sehr aufgeregt u. bellen mit verstärkten Stimmen ins Zimmer. Gestern, Sonntag, hielt d. Führer eine Rede in Saarbrücken.301 Aus der Begrüßungsansprache Bürckels merkte ich mir den Satz: »Mit diesem Gau, mein Führer, können Sie Pferde stehlen.« 301

Rede Hitlers am 9. Oktober 1938 in Saarbrücken; vgl. Domarus I/2, 954–956.

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D. Führer warnte vor Optimismus in Bezug auf die Weltlage. Man war etwas erschrocken. (Ein Beispiel der Wirkg. dieser Rede auf die Masse zeigte sich heute auf d. Pflugensberg). – Den Männern, die in München mit verhandelt hätten, müsse man es glauben, daß sie den Frieden wollten, aber ihre Länder seien innerlich so konstruiert, daß diese Männer jeden Tag abberufen werden könnten. Sollte z.B. an der Stelle von Chamberlain ein Duff Cooper, ein Eden, ein Churchill stehen, dann würden sie einen Weltkrieg vorbereiten usw. Die Befestigungen im Westen werden weiter ausgebaut, die Reservisten aber in d. nächst. Tagen entlassen. Es ist der Augenblick, wo dieser gigantische Mensch, dessen Ausmaß sich erst schattenhaft im Nebel abzeichnet, über die deutschen Grenzen hinaus in den europäischen Raum schreitet. Wie werden die Wirkungen sein? Ich habe jetzt manchmal den Eindruck, als ob er neue Räume aufschlösse. Noch eine Stelle der gestrigen Rede fiel mir besonders auf. Er sprach von »gouvernantenhafter Bevormundung«, die wir nicht mehr ertragen. »Erkundigungen britischer Politiker über das Schicksal von Deutschen oder von Reichsangehörigen innerhalb der Grenzen des Reichs sind nicht mehr am Platze. Wir kümmern uns auch nicht um ähnliche Dinge in England …« Kein Zweifel, daß er damit Niemöller meinte. Er beherrschte sich diesmal soweit, daß er ihn nicht näher bezeichnete. Was diese Sache für ihn bedeutet, ist rätselhaft. – Diese Schwierigkeiten hat man sich doch wahrhaftig künstlich selbst geschaffen. Die Angelegenheit Bauer [G.]-Otto soll morgen in einer LKR-Sitzg. entschieden werden. In d. Kantine hörte ich heute folgende Sätze: »… Landeskirchenrat … u. dann hat ihn d. Partei rausgeschmissen.« »Wenn er kein Pfarrer wäre, hätten sie ihn nicht rausgeschmissen.« Mir fiel Rodenberg plötzl. ein.302 Auf d. Pflugensberg Gerüchte über den Wiener Kardinal Innitzer. Ein ausländ. Sender scheint Schauermärchen erzählt zu haben: Demonstrationszüge für u. gegen ihn, Menschenmengen in sein Palais eingedrungen, Wache davor gestellt. Was sich das Ausland so vorstellt! Für und gegen! Dienstg., d. 11.10.38. [11. Oktober 1938] Eben V.B. gelesen. Die Stelle über »gouvernantenhafte Bevormundung« aus der Saarbrücker Rede wird in Schlagzeilen hervorgehoben u. betont, daß die Londoner Presse diese Stelle besonders beachtet habe. Sie scheint der dtsch. Regierung besonders wichtig zu sein. Man begreift es einfach nicht. Vor Monaten schon hieß es einmal, »Er verträgt überhaupt nicht mehr, wenn der Name ›Niemöller‹ fällt u. schmeißt jeden raus, der ihm damit kommt.« Jetzt glaube ich das.303 Gestern Abend erfaßte ich im französ. Rundfunk noch d. Wort »Innitzer«, konnte sonst aber nichts verstehen. 10½. Ein ernster Mann aus d. Betrieb wollte von mir wissen, was mit Innitzer los sei. Ich konnte es ihm nicht sagen. Ich werde jeden Tag auf d. Straße nach d. Entscheidg. in d. 302 303

Zum Fall Rodenberg vgl. Biogramme und weitere Eintragungen. Vgl. z.B. auch Tgb. 11. Mai 1938.

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Sache Otto gefragt. An d. Sitzg. morgen nehmen auch Franz, Sasse u. Meyer-Erlach teil. Auch das »Positive Christentum«, das Blatt der Berliner D.C., hat sich gegen das Simultaneum304 ausgesprochen 12 Uhr. In d. Stadt stehen überall wartend die Sudetendeutschen. Heute Abend 11 Uhr geht ihr erster Zug in d. Heimat (Wernsdorf) ab. Wegen dem Wiederabtransport der Frauen u. Kinder hatte es in d. ersten Tagen ein ziemliches Durcheinander gegeben, weil unser Gebiet plötzl. wieder freigemacht werden sollte für die im Kriegsfall nachrückenden Truppen. SA sammelt Alteisen. Gitter werden abgenommen, Tore ausgehängt usw. Mittwoch d. 12.10.38. [12. Oktober 1938] Beschluß in Sachen Bauer: Verweis u. Geldstrafe.305 Donnerstag, d. 13.10.38. [13. Oktober 1938] Entscheidung des LKR in Sachen Otto: Verweis u. Geldstrafe. Wartestand.306 Könne in Thüringen kein Pfarramt wieder bekommen, gerade seine Verteidigg. am 3.10. hätte das bewiesen! Die »Nationalkirche« erscheint mit folgender Schlagzeile auf der 1. Seite: »Thüringen, das Land der Gewissensfreiheit.«307 Die Frechheit dieser Lüge ist wirklich unglaublich. Es gibt ja nun keinen Krieg. Sie können wieder Schindluder mit uns spielen. 13.10., Abends. In der Dienstag-Sitzg., in der über die Fälle Otto, Bauer u. Groß entschieden wurde, soll Leutheuser308 so geschrieen haben, »daß man (draußen!) kein Wort verstehen konnte.« Und Meyer-Erlach hätte »gebrüllt vor Lachen«. Folg. Satz von Leutheuser wurde weitergegeben: »Wenn wir nicht s.Zt. Reichardt soweit gebracht hätten, daß D. Otto [R.] u. Herrmann gehen mußten309, wären wir ja überhaupt nicht hier u. hätten unsere nationalkirchlichen Ideale nicht verwirklichen können.« D. Otto [R.] hat damals versagt. Von Reichardt hatte man nichts erwartet. Die Beamten sind wieder einmal wütend u. aufgebracht gegen die D.C., weil die befördert werden, während andererseits den Beamten alte Wünsche nicht erfüllt werden. Einer der Regierungsräte droht, er wolle alles mögliche »zur Sprache bringen«. Stüber ist in Berlin zu einer Rückspr. mit »Dohrmann« (Wehrmacht).(!?) Die Rede des Führers in Saarbrücken hat nicht nur im Inland Besorgnisse erweckt. Frankreich u. England rüsten auf. Überall werden Lücken im Luftschutz verbessert, auch bei uns. Wieder hat man das Gefühl drohender Katastrophen. 304 305 306 307 308 309

Tgb. 3. September 1938 und weitere Eintragungen. Zu Gerhard Bauer und Erwin Groß vgl. Biogramme. Zum Fall Ernst Otto vgl. Biogramme Rudolf Heubel, Thüringen, das Land der Gewissensfreiheit!, NaKi 7 (1938), 397–398. Protokoll der Sitzung des LKR der TheK vom 11. Oktober 1938, LKAE, A 122, 259. Beide wurden im Sept. 1933 in den Wartestand versetzt; vgl. Wiegand, Kleine Geschichte, 56.

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In Schleswig-Holstein scheint man von d. ganzen Getümmel nichts gemerkt zu haben u. noch heute daran zu glauben, daß wir haarscharf an einem Krieg vorbeigerutscht sind. Tausende von Sudetendeutschen sind noch hier. Wir hatten im Kreis 5000. Aus 4 verschiedenen Quellen wurde mir berichtet, daß Hitlers Zug vor oder nach der Saarbrücker Rede nachts in Wartha gestanden hätte. Abends, 10 Uhr. Sondermeldg. Im Rundfunk: Der internationale Ausschuß, der über die neuen Grenzen der Tschecho-Slowakei zu beschließen hat, erkennt die jetzt von den deutsch. Truppen erreichte Linie als Grenze an, sodaß eine Abstimmung sich erübrigt. Die »british Legion« kann zu Hause bleiben. Um 9 Uhr drehte ich ohne bestimmten Zweck am Rundfunk u. erwischte eine nat.soz. Kundgebg. mit einem sehr leidenschaftl. Redner. Es war Bürckel in Wien in einer Kundgebg. gegen Innitzer.310 Ich konnte nicht alles hören, was ich auffing, war erschütternd. Es muß furchtbar zugehen, wenn man am Rundfunk vor aller Welt soviel zugesteht. Das geschieht doch sonst nicht! Es ist offenbar tatsächlich am vorigen Freitag (7.10.) in Wien zu Kundgebungen für u. gegen Innitzer gekommen an denen, wie der Redner sagte, hauptsächl. Tschechen u. Juden teilgenommen hätten. Es wurde u.a. Folgendes gesagt: »Was hier in d. letzten 3 Monaten alles vorgekommen ist, hat ja der Führer garnicht gewollt …wir wollten Volksgemeinschaft, aber sie wollten nicht … sie hetzen in ihren Priesterkonferenzen … »unser Führer ist Christus!« Das soll so klingen, als ob die Frage gestellt wäre: »Hitler oder Christus!« So heißt es aber nicht, sondern: »Hitler oder der jüdisch-klerikale Machtklüngel! … Wenn Christus heute wiederkäme, ich glaube, sie würden ihn einsperren … Wer nicht für uns ist, der ist wider uns. Wenn sie diese harte Sprache nicht verstehen …« (Er merkte nicht, daß er ein Bibelwort abwandelte)311. Es wurde dann den östr. Priestern die Mit-Schuld am Tode der gehenkten National-Sozialisten zugeschrieben. Wenn die Frauen der Verurteilten sie gebeten hätten, Begnadigung zu erwirken, sei geantwortet worden, man wolle der irdischen Gerechtigkeit nicht in den Arm fallen. Dann wurden Briefe des Kardinals an Juden verlesen mit anti-nat.soz. Äußerungen. Nach dem 12. März sei Innitzer zum Führer gekommen. »Wir hatten ihn nicht gerufen. Wir wußten damals schon, daß er unaufrichtig war …« (Furchtbar war das, Innitzer stand wie ein Hund da – aber er hat es verdient. Und die Lehre war gut für diejenigen, die vielleicht gedacht haben, die protest. Kirche hätte Anfang 1933 mit den 150prozentigen gehen sollen). Die Nationalsozialisten mischten sich nicht in religiöse Dinge. Das wurde immer wiederholt, mit einer Nuance von Geringschätzung, die vielleicht nicht beabsichtigt war. »Aber wir knien lieber vor dem Altar des Vaterlandes u. danken Gott dafür, daß er uns den Führer gegeben hat.« Einmal wurden biblische Forderungen zitiert u. dagegen gestellt, was die Priester stattdessen getan hätten. 310 311

Zur Sache vgl. im einzelnen Liebmann, Theodor Innitzer und der Anschluß, 1988. Röm 8,31.

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Es war alles furchtbar leidenschaftlich gesagt. Viel brausender Beifall. Manchmal auch plötzlich hörbare Stille, z.B. als zum erstenmal der Name »Christus« fiel. Dann kündigte Bürckel Strafmaßnahmen an. Tschechische Juden u. Tschechen, die irgendwie belastet seien, sollten aus Wien ausgewiesen werden. Keine politische Amnestie, keine Freilassung Schuschniggs, Schließung aller katholischen Knabenseminare. Charaktere wie Innitzer kennen wir ja alle aus unserem Alltag seit 1933. Aber ein solcher Jesuit an solcher Stelle, in solcher politischen Lage – das ist schon ein Thema für Shakespeare. Nachgetragen am 24.10. [24. Oktober 1938] Inzwischen sind allerlei Auslandsnachrichten, englische u. französische Presseartikel, über die Wiener Angelegenheit eingegangen. Es kann sich trotzdem niemand ein rechtes Bild machen. Am eingehendsten schilderte ein in deutscher Sprache geschriebenes Blatt aus Metz. Danach hätten »halbwüchsige Burschen« (HJ?) das Mobilar aus dem Bischofspalais geschleppt, auf dem Platz vor d. Stephansdom aufgeschichtet u. verbrannt. Den Kardinal habe man stundenlang gesucht u. schon gefürchtet, daß er getötet worden sei usw. Der Berliner Nuntius hat Protest erhoben, das auswärtige Amt sein Bedauern ausgesprochen u. strengste Bestrafung der Schuldigen zugesagt. Offiziell kein Versuch, Innitzer selbst Schuld zu geben, wie es Bürckel tat. Die Zeitungsartikel klingen alle so ruhig, garnicht so sensationell wie die Rede Bürckels am Rundfunk. Montag, d. 19.10.38. [19. Oktober 1938] Vorgestern, Montag Mittag, rückten unsere »Panzer« wieder ein, die Wagen mit Zweigen u. Blumen geschmückt. In Briefen u. Erzählungen bekommen wir Schilderungen des unbeschreiblichen Jubels im Sudetenland. D. Leute hätten ihr letztes Essen den Soldaten gegeben, ihre Betten, ihnen Zigaretten in d. Hand gedrückt. Niemand könnte sich diesen Jubelsturm vorstellen! Aus Mihla wird berichtet: Die Flüchtlinge sind nun fort. Es waren alles sehr nette Menschen, wir hätten sie gern länger behalten – viel netter wie die Östreicher! Otto, Bauer [G.] u. Groß haben immer noch keinen Bescheid. Der Entwurf des Beschlusses wird inzwischen mit Franz u. Sasse beraten. Inzwischen entrüsten sich die Eisenacher, daß d. Bescheid so lange auf sich warten läßt. In der Sache Hertel-Themar erfuhr ich etwas Merkwürdiges §§.312 Das K.min hätte Vergleichsverhandlungen vorgeschlagen u. selbst dazu einen Vertreter schicken [sic!]. Der LKR hätte darauf in sr. Sitzg. vom 10.10. abgelehnt, sich noch in Vergleichsverhandlungen einzulassen. Es scheint, daß dieser Bescheid nach Berlin gegeben u. Sasse selbst darauf nach Berlin zitiert worden ist. Jedenfalls hat Lehman sich vorgestern (?) folgendermaßen ausgelassen: Sasse sei in Berlin »umgefallen« u. hätte zugestanden, daß Hertel wieder angestellt würde u. Wartestandsgehalt nachgezahlt bekäme. – Ein merkwürdiger Fall – es liegt doch eine Entscheidung der Beschlußstelle vor? – Inzwischen hörte ich von andere Seite, daß Hertel einen Zivilprozeß gegen den LKR ange312

Zum Fall Hertel vgl. Biogramme.

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strengt hätte, Rechtsanwalt Lotz, hier, vertritt ihn. Wenn man aber Hertel wiederanstellt, (man will ihm Großneuhausen anbieten) wie kann man dann Otto ablehnen, der nur eine Ordnungsstrafe bekommt? Lehmann hätte »vor Wut geschäumt«. Er sei es, der Hertel zur Strecke gebracht hat. Weiter hörte ich von einer »Toleranzverordnung«, die in Berlin mit den »Kirchenleitern« beraten werden soll. – (Vor einem Jahr fast hat Kerrl Derartiges – bei Erlaß der 17. Durchführungsverordnung – bereits versprochen u. bisher nicht gehalten, u. damit den DC die Möglichkeit gegeben, noch ein ganzes Jahr lang BK-Pfarrer abzusetzen.) Rodenberg313 ist nicht mehr in Thür. Er hat irgendeinen »Prozeß« gehabt. Die Geldangelegenheit, von der einmal d. Rede war, hat ihm also doch den Oberpfarrerposten in Gehren gekostet, er scheint aber noch mit einem blauen Auge davon gekommen zu sein, denn er ist Pfarrer in einem anderen Kirchengebiet – wie verschwiegen etwas Derartiges behandelt wird, wenn es sich um DC handelt. – Der bleibt also Pfarrer – Otto soll unmöglich sein! Ich lese eben im »Angriff« Nr. 250 v. 19.10. einen Artikel: »Gefahren des Siegens.« Tagungsbericht »Reichsleiter Rosenberg … es gibt auch Gefahren des Siegens … Die Durcharbeitung eines einzelnen Fachgebietes lehrt für alle Gebiete die Vorsicht vor zu früh gefällten Urteilen …« Donnerstag, d. 20. Okt. 38. [20. Oktober 1938] Von Otto hörte ich, daß Hertel-Themar für heute nach Berlin ins K.min eingeladen worden sei zu Vergleichsverhandlungen mit dem LKR!314 Hier im LKR hat sich heute früh Folgendes abgespielt: Spigaht wird plötzlich vom Labi beauftragt, den LKR bei diesen Verhandlungen zu vertreten. Sasse selbst wollte offenbar nicht fahren. Volk, der die Angelegenheit »eigentlich« bearbeitet (»eigentl.« macht aber Spigaht die Arbeit), war nicht da, hatte d. Gelegenheit benutzt, um im Dienstauto in Privatangelegenheiten nach Weimar u. Jena mitzufahren, wie er das so gerne tut.Spigaht also freut sich ein Bein aus, bringt 2 Etagen in Aufruhr mit Aktensuche u. Reisekostenvorschuß, ruft Lehmann an, der müde abwehrt: Er hätte doch mit der Sache kaum zu tun gehabt! Lehmann merkte nicht, daß eine Reise nach Berlin auf dem Spiele stand. Als Lehmann endlich im Büro auftaucht, findet er Spigaht fast fertig zum Start. Kaum hat Lehmann erfaßt, was los ist, so stürzt er zu Sasse. Dieses Gespräch hatte teilweise einen Zeugen, der Folgendes mitanhörte: »Sasse, ach Sasse, laß mich doch fahren! Bitte!« Sasse wütend: Nein, auf keinen Fall! Spigaht fährt, er hat doch diese Sache bearbeitet. Immer seid Ihr nicht da, Volk nicht, Stüber nicht, Du nicht! Nun fährt Spigaht!« »Sasse, ach, Sasse, laß mich doch fahren! Laß mich doch fahren! Bitte!« Sasse wütend: »Nein, auf keinen Fall! Spigaht fährt, er hat diese Sache bearbeitet. Immer seid Ihr nicht da, Volk nicht, Stüber nicht, Du nicht! Nun fährt Spigaht!« »Sasse, ach, Sasse…!Sei doch nicht so! Laß mich doch fahren! Nie hast Du mir das gegeben!! Ich darf nie mit, immer die andern! Ich möchte die Herren im Kirchenministerium, von denen sie immer alle sprechen, doch auch mal kennen lernen! Bitte, Sasse!« Mehr ward nicht gehört, aber es genügt ja auch. 313 314

Zum Fall Rodenberg vgl. Biogramme. Wie Anm. 312.

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Das Ende vom Liede war, daß Sasse wieder in d. großen Halle erschien u. dort auf Spigaht stieß, der, die Akten unter dem Arm, gestiefelt u. gespornt, noch einmal sichtbar wurde. »Ach, da ist er ja!«, quäkt Lehmann. »Sie können mir d. Akten gleich geben! Natürlich fahre ich selbst, natürlich!« Dann verabschiedet er sich von Stüber u. der sagt zu ihm: »Ich beneide Dich nicht um diese Aufgabe!« Spigaht schäumt vor Wut u. ich kann es begreifen. »Der erpurrt doch nur alles! Hoffentlich versäumt er den Zug!« – Er hat ihn aber nicht versäumt. Es ist ja sehr bezeichnend, daß man Lehmann in Berlin noch nicht gezeigt hat. Hoffentl. sehen ihn dort die richtigen Leute. Freitag, d. 21. Okt. 38. [21. Oktober 1938] In der Stadt wird von den Verhandlungen zwischen Marahrens, Wurm u. einem Juristen der B.K. sowie Oberheid, Kinder u. Franz mit Präs. Werner – Kirchenkanzlei über das Simultaneum315 geredet. D. Nachricht stammt allerdings von einem bescheidenen Geist, der mancherlei mißversteht. Nach einem Bericht des Angriff über Schulungen auf d. Ordensburg Krössinsee wurde in Vorträgen dort wieder gegen die Kirchen gehetzt. Freitag nachm. Lehmann ist heute halb 10 Uhr früh wieder erschienen u. hat stürmisch nach Sasse verlangt, der nicht gleich zu sprechen war wegen Deputationen. Es heißt, Lehmann hätte keinen sieghaften Eindruck gemacht, eigentlich sei er gedrückt gewesen. Volk war vorgestern in Huflar, um mit K.Rat D. [Karl] König die letzte Fassg. des Beschlusses u. des Begleitschreibens an Otto durchzusprechen!316 Er sei sehr begeistert über Königs Beitrag zurückgekommen. Von Hertel hat er gesagt, »dieser Kerl« hätte in Berlin gesagt, er wolle den Landeskirchenrat »nach Berlin zitieren lassen!« Wenn er, Volk, gestern auf d. Pflugensberg gewesen wäre, dann hätte er verhindert, daß überhaupt jemand nach Berlin fuhr!!!317 Einer der bescheidenen Geister kündete eine wirre Sache: Kerrl hätte am Rundfunk gesagt, die Pfarrer sollten sich »nicht von ihrer Kanzel entfernen«, sie bekämen sonst kein Gehalt ??? Keine Ahnung, was das bedeuten soll. Niemand weiß etwas davon. Sonnabd., d. 22.10. [22. Oktober 1938] Es soll eine Sitzg. stattfinden wegen »Obpfr. Schuster, Kassel, Wehrkreis.« Niemand kennt die Angelegenheit, nicht einmal Zenker oder Böttger. Nur ein kleiner Lehrling wußte Bescheid. Das Wesen des Landesbischofs irritiert seine Umgebung mehr und mehr. Sein ruheloses Wandern von Zimmer zu Zimmer, das in sr. Wohnung endet u. nach kurzer Zeit wieder beginnt, wird mir immer wieder geschildert. Er hält Selbstgespräche u. merkt nicht, daß man ihm zuhört. Die Stenotypistinnen fragen sich, ob denn die Kirchenräte, »die noch vernünftig sind«, davon nichts merken? 315 316

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Zum Simultaneum vgl. Tgb. 3. September 1938 und weitere Eintragungen. Das Schreiben war nicht auffindbar; vgl. aber »Auszug aus zwei Schreiben des Landeskirchenrates der Thüringer evangelischen Kirche vom 11. Oktober 1938 an Pfarrer Ernst Otto-Eisenach« [in der Sammlung der Dokumente zum Kirchenkampf in Thüringen im LKAE]. Zum Fall Hertel vgl. Biogramme.

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Stüber ist eben von Bremen zurückgekommen (Tagung des Protestantenvereins?) und reist um 11 Uhr nach Godesberg ab (zu Oberheid?) Sasse hat für neun Uhr eine Sitzg. angesetzt u. schmeißt sie im letzten Augenblick um. Telephonieren nach allen Richtungen. Sasse will im Auto nach Gotha fahren zum Wehrkreispfarrer (?) u. Volk will natürlich gleich mit. Er nimmt sich Zeit u. läßt Sasse warten. Der schwört, er führe ohne Volk ab. Verzweifelte Bemühungen der Stenotypistinnen, die Volk schließlich von der Toilette holen! Als die Vorgesetzen abgefahren sind, sieht sich alles stumm an. Sonntag, d. 23.10. [23. Oktober 1938] Briefe der sudetendeutschen Flüchtlinge! Alles nimmt teil. Ich möchte noch einen Eindruck festhalten, den ich in den Tagen der Krise mit vielen Menschen, die den Weltkrieg erlebt haben, gemeinsam hatte. Es ist die so ganz andere Einstellung der heutigen Jugend zum Krieg! Es war für uns bestürzend, wie das Mitansehen einer Revolution. Ich brauchte Tage, bis ich mich in dieser Sachlage zurechtfand. Diese Jugend, die den Krieg garnicht kennt, von der wir geglaubt hatten, sie brenne vor Tatendurst, war froh, als sie zu Hause bleiben konnte! Es handelt sich hier nicht um Einzelerlebnisse, sondern auch um Berichte aus Hitlerjugendlagern und die Erzählungen der entlassenen Reservisten. Die Jugend von 1914 hatte noch nach Monaten, während ihrer Ausbildung, Angst, zum Krieg nicht mehr rechtzeitig ins Feld zu kommen. Denen hätte man zumuten sollen, wieder umzukehren! – Hat die Kriegsliteratur so gewirkt? Nach den Auslandsberichten muß man annehmen, daß die Engländer, besonders London, Sorgen vor Luftangriffen hatten. Davor können sich große Städte doch nur unzulänglich schützen – eigentlich weiß man überhaupt nicht wie. Das geht uns auch so. Gleich nach der Krise haben hier Luftschutzschulungskurse für jedermann eingesetzt. Die Aufforderg. kommt von der Polizei u. es geht haus- u. straßenweise. Auch ich machte einen durch, obwohl ich ja vor 3 Jahren bereits in einem längeren Kursus geschult bin. Der abgekürzte genügte übrigens durchaus. Ein Redner gab als Zweck der Kurse an, es sollte in erster Linie psychologisch vorgebaut werden, um im Ernstfall Panik zu verhindern. – Als er ins Einzelne ging, sah man erst alle Probleme. Da ist wirklich nicht viel zu machen. Könnte es nicht sein, daß gerade die Furchtbarkeit der modernen Kriegsmittel künftige Kriege verhindert? Mittwoch, d. 26.10.38. [26. Oktober 1938] Brakhage u. Mitzenheim sind heute wieder bei Sasse u. danach bei Volk gewesen. Freitag, d. 28.10.38. [28. Oktober 1938] Gestern abd. bei Otto »Einladungsabd.318« Er sagte uns, daß er die Entscheidg. des LKR jetzt bekommen hätte. 2 Briefe 319: In d. einen Beendigg. des Dienststrafverfahrens dch. den LKR: Verweis u. Geldstrafe. Also Ordnungsstrafe, keine Schwerststrafe, die ursprünglich als Ziel des Dienststrafverfahrens gedacht war. Und dann das 2. Schreiben, 318

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Bezeichnung, die hier zum ersten Mal auftaucht; sie sollte offensichtlich deutlich machen, dass Otto nach seiner Wartestandsversetzung offiziell auch keine Veranstaltung in der LBG mehr durchführte, um diese nicht zu belasten. Zum Fall Ernst Otto vgl. Biogramme.

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das O. in den Wartestand ab 1. Nov. versetzt, außer Zus.hang mit dem Dienststrafverfahren. Ganz allgemein: O. sei unmöglich als Pfr. der Thür. Kirche, gerade seine Verteidigg. habe das bewiesen. Das ist das Ende seines Pfarramts in Eisenach. Als er uns die Briefe gestern Abd. teilweise vorlas u. die Entwicklg. schilderte, ging es uns allen doch mächtig nahe. – Es sagt sich so leicht. Was das alles bedeutet für die Einzelnen, wird einem erst klar, wenn mans erlebt. Genau vor 6 Jahren schied O. aus dem VD. Am Reformationsfest feierten wir damals seinen Abschied. Heute entlassen sie ihn an demselben Tag als Pfr. der Thür. Kirche u. am gleichen Tag soll Jansa in Bischofroda Pfarrer werden, u. Spigaht hat O.s Dienststrafsache bearbeitet! Wenn man sich vorstellt, heute vor 6 Jahren hätte uns das einer gesagt! Wir hätten ihn für irrsinnig gehalten. Aber das ist ja überhaupt die Erfahrg. der letzten Jahre, auch des Kirchenkampfes, daß Gott andere Wege geht, als wir sie sehen. Es ist auch ein Trost in Augenblicken, in denen wir keinen Ausweg sehen und keine Hoffnung für die Zukunft. Wir sagten nicht viel mehr gestern. O. sprach über Jes. 6. Mittwoch, d. 2. Nov. 38. [2. November 1938] Am Sonntag Abd. Luthergesellschaft320 bei Menzels. O. kam später, von außerhalb im Auto. Schien uns innerlich sehr fröhlich. Er war in einem Kreis sehr geplagter u. verängsteter Leute gewesen. Ich erfuhr: Im Juli hat d. Partei eine Verordng. herausgegeben, die nicht bekannt gemacht worden ist, über den Eid der Pfarrer. Die Partei lege gar keinen Wert darauf u. dürfe nicht danach fragen. Wenn die Pfarrer 5 Jahre lang d. Eid nicht hätten leisten können, brauchten sie ihn nun auch nicht zu leisten. – Es ist eine Ohrfeige für unsere D.C. Und diese triumphierenden Telegramme an den Führer – als hätten sie Gott weiß welche Heldentat vollbracht. Über die Ereignisse in Wien haben englische Blätter berichtet: Man hat verschiedene Leute aus d. Fenster werfen wollen. Der Sekretär von Innitzer hat sich festgehalten u. dabei d. Hände zerschnitten. Einen Geistlichen haben sie rausgeworfen, der hat beide Beine u. wohl noch mehr gebrochen. Ich übersetzte gestern aus d. »Osservatore Romano«, daß eine Versammlg. in Salzburg gegen den dortigen Erzbischof stattgefunden hätte, wobei gesagt worden wäre, wenn ähnliche Scenen sich ereignen würden, wie in Wien, dann würde das die Schuld katholischer Provokateure sein. Gestern wurde mir im Ernst Folgendes erzählt: Sasse hat dem jungen Wohlfahrt mitgeteilt, die Tochter Edda Hermann Görings würde getauft werden, u. zwar vom – Reichsbischof, u. der Führer würde Pate sein! Ich habe geantwortet, das glaube ich nicht. Aber Sasse glaubts. Offenbar hat Volk es auch geglaubt. Sasse hat gestern einen Gottesdienst in Rostock gehalten, ist heute mit Leffler u. Franz zu Kerrl beschieden. Was da los ist, erfahren wir natürlich nicht. 320

Zu den Zielen der »Luthergesellschaft« vgl. Hans Otte, Art. Luthervereine, EKL³ 3 (1992), 229; Theodor Knolle, Art. Luther-Gesellschaft, RGG² 3 (1929), 1778.

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O. hatte vor 10 Tagen einen Brief von Marahrens, aus dem hervorging, daß vorbereitende Besprechungen der Kirchenführer mit Präs. Werner stattgefunden haben, eine gemeinsame Besprechung mit den DC aber offenbar noch nicht. Der Leiter der österreichischen Kirche, Dr. Eder, alter u. verdienter Nationalsozialist, verhandelt gemeinsam mit Marahrens u. Wurm mit Werner als Gegenüber, also nicht mit den D.C. Das freut uns sehr. Marahrens betonte in diesem Schreiben verschiedene Selbstverständlichkeiten, so z.B., daß die Diffamierungen aufhören müßten (der »SA-Mann«, neueste Nr., hat gerade wieder in dieser Beziehg. etwas geleistet), daß keine plötzlichen, überraschenden Verordnungen erscheinen dürften usw. 2 Tage später wurde mir ein Schreiben der DC an ihre Leute bekannt, Nr. 4/38, in dem im aufgeregten Ton von »Gerüchten« u. Telephonanrufen aus allen Teilen des Reichs bei der DC-Oberleitung die Rede war, des Inhalts, in bekenntniskirchlichen Kreisen wäre das Gerücht verbreitet, die Finanzabteilungen würden abgebaut. Mit Beschimpfungen gegen die B.K. – natürlich. So wird gearbeitet. Am Reformationsfest hat Lehmann in d. Georgenkirche »gepredigt« – im DC-Stil. »Pflüget ein Neues«.321 Auch die alten Stoppeln müßten noch umgepflügt werden, nachdem die Ernte geborgen sei. Die Ernte – das ist Östreich u. Sudetenland. In Nordamerika hat sich etwas sehr Charakteristisches ereignet. Vorgestern, glaube ich. Eine Rundfunkgesellschaft hat ein Hörspiel gesendet, das nicht als Hörspiel, sondern als echte Mitteilung aufgemacht war, in dem das Publikum benachrichtigt wurde, es seien soeben Luftschiffe vom Mars in 5 amerikanischen Städten gelandet, die Besatzung sei mit »Todesstrahlen« ausgerüstet u. griffe die Amerikaner an pp. Darauf ist eine Panik ausgebrochen; die Menschen sind auf die Straße gestürzt, in die Kirchen, in die Autos, in die Wälder, in die Keller. Nicht nur die Negerbevölkerung, auch die Weißen sind von der Panik erfaßt worden. Die Ausfallstraßen der Städte waren verstopft. Viele Menschen haben sich in den Zeitungsredaktionen gemeldet, die die Landung der Marsbewohner mitangesehen haben wollen. Wahr, kein Quatsch! Abgesehen von allem anderen zeigt dieses Ereignis aber auch die unheimlichen Möglichkeiten des Rundfunks. Man sollte die Sender alle militärisch bewachen lassen. Riesenbrand in Marseille. Die Feuerwehr versagt gänzlich. Auch dieses Ereignis gab viel zu denken. Es tagte gerade der radikalsozialistische Kongreß, es waren antikommunistische Entschließungen am Freitag vorher gefaßt worden. Im ersten Schreck hatte man die Kommunisten der Brandstiftung beschuldigt, wohl zu Unrecht, wie es scheint. Aber man fragt sich, was bei einem Luftangriff geschehen wäre! Hitlers Wirkungen zeigen sich bereits. Frankreich macht Miene, mit sr. bisherigen Politik zu brechen, im Inneren mit den Kommunisten aufzuräumen, im Äußeren auf Manches zu verzichten u. Frieden mit Deutschland u. Italien zu suchen. – Die Opposition in Frankreich wie in England redet von einer Niederlage dieser Mächte in München. Unser Einfluß im Südwesten wächst, man merkt es an den Plänen für die Wirtschaft. – Im Memelgebiet wirds unruhig, die litauische Regierung wird vorsichtig u. nachgiebiger. 321

»Pflüget ein Neues und säet nicht unter die Hecken« (Jer 4,3).

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Kein Zweifel, daß wir unsere Kolonien wieder kriegen, die englische Öffentlichkeit wird schon durch manche Wendung schonend vorbereitet.322 Ein junger DC-Pfr. aus Gotha, Lerbaß [Roßbach] oder so, hat Jemandem aus der Behörde sein Herz ausgeschüttet. Er könnte nicht in Gotha bleiben, es sei furchtbar, auch keine Kameradschaft. Er ginge nach Westfalen u. bliebe nicht mehr DC. Aus d. Haus höre ich: Der LKR hat einen früheren. Hilfspfr. verklagt, weil er gesagt hätte: »Die Herren auf d. L.K.R. sind Lumpen.« Über Lehmanns Rede beim Reformationsfest seien die DC selbst entsetzt. (Wahrscheinl. nur, weil sie ihnen schaden könnte – nicht, daß sie nicht unverstanden seien). Das Simultaneum323 sei ihnen sehr unangenehm – nun das wissen wir schon. Guida Diehl nimmt in der neuesten Nummer ihres Blattes übrigens auch Stellg. dagegen. 5. Nov., Sonnabd. [5. November 1938] Eben höre ich, gestern Abd. 8 Uhr sei im Rundfunk gesagt worden, Görings Töchterchen sei gestern Abd. in Karinhall324 getauft worden, Hitler sei Pate. Also doch, aber nicht der Reichsbischof. Doch wohl ein Wehrkreispfr. oder Dohrmann? Es ist nett von Göring, daß er Christ bleibt. Gestern Abd. Bekenntnisgemeinschaft. O. sprach über »Bekehrg. u. Heiligg.«. Hinterher las er die Briefe des LKR an ihn vor u. einen Protest 325, den er verfaßt hat. Natürlich denkt niemand daran, daß der noch nützen wird, aber ausgesprochen muß er werden. Er war sehr eindrucksvoll. 6. Nov., Sonntag. [6. November 1938] Es war doch der Reichsbischof, der Edda Göring getauft hat. Es stand gestern in allen Zeitungen. Man steht vor einem Rätsel. Wir machten gestern einen sehr schönen Spaziergang nach der Weinstraße, von da auf einen Grasweg zum gehauenen Stein.Wir waren fröhlich u. ahnungslos. Heute Mittag war ich beim alten Reibi [sic!] D. Reichardt. Schon nach den ersten Sätzen wurde mir klar, daß ich mit meiner Bitte, sich für O. einzusetzen, vergeblich kam. Wie ist es möglich, daß dieser Mann Kirchenführer war. Es muß an der Generation liegen. (Aber sie waren sehr liebenswürdig). Das war nicht schlimm. Aber am Nachmittag. Ich war bei O. um ihm eine Zeitschrift zu bringen. Er erzählte mir, er hätte einen Brief von Gollwitzer (VKL) bekommen mit entsetzlichen Nachrichten: Ich habe nicht aufgezeichnet, daß vor etwa 14 Tagen des Schwarze Korps im Rahmen eines Angriffs auf die katholische Kirche auch die »Bekenntnisfront« angriff wegen eines Gebetes, das in einem Dahlem-Gottesdienst Ende September gesprochen war. Es sprach von der »Sünde des Volks« in Wendungen, in denen unzweifelhaft in d. ganzen Welt gebetet wird. Es war ein Bruchstück u. daraus »Vaterlandsverrat« zu konstruieren, schien mir 322

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Das »Kolonialpolitische Amt der NSDAP« (Enzyklopädie des Nationalsozialismus, 547), gegründet am 5.5.1934 unter Franz Xaver Ritter von Epp, forderte die Rückgabe der ehemaligen deutschen Kolonien. England galt als der Hauptgegner solchen Verlangens. Zum Simultaneum vgl. Tgb. 3. September 1938 und weitere Eintragungen. Landsitz von Göring in der Schorfheide nördlich von Berlin, benannt nach seiner ersten Frau (Enzyklopädie des Nationalsozialismus, 541). Vgl. Tgb. 28. Oktober 1938 u. Schreiben von Pfarrer i.W. Ernst Otto an den LKR der TheK vom 4. November 1938, LKAE, LBG 88, 460.

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bei ruhigem Nachdenken hinterher als unmöglich. Aber im Rahmen des Artikels war die ganze Gegensätzlichkeit zur nat.soz. Anschauung im ersten Augenblick schlagend. Der ganze Begriff »Sünde« ist den Männern um Rosenberg eben rotes Tuch. Daß es sich um »Sünde vor Gott« handelt, nach den Lehren Christi (Erzählung von der Ehebrecherin326), versteht eben nur ein Christ. Babylonische Sprachverwirrung. In anderen Blättern wurde diese Sache nicht aufgegriffen, ich las wenigstens nichts darüber. Nun erscheint die neueste Nr. der »Nat.kirche« v. 6. Nov. in der dies alles ins schlimmste Licht gestellt327 u. hinausgeschrien wird: »Volksverrat, Landesverrat«. Gollwitzer schickt eine Abschrift der Liturgie des fraglichen Gottesdienstes u. fragt Otto um seine Ansicht. »Die Bischöfe«, also offenbar Marahrens u. Wurm, hätten ein Schriftstück unterzeichnet, in dem die Liturgie vom christlichen Standpunkt aus verurteilt wird … Ich erinnere mich des Wortlauts nicht mehr genau. Es war ein Brief, der einem das Herz zerreißen konnte. O. sagte dazu ungefähr: Die Liturgie sei bemerkenswert durch das, was nicht darinstünde. Z.B. sei mit keinem Wort der Sudetendeutschen gedacht, nicht ihrer Not u. nicht unserer Hoffnung, sie wieder im Reich zu haben – und Anderes mehr, was fehle. Von hier aus, von diesem Mangel aus beurteile der Nationalsozialist die Liturgie. – Wir waren uns beide einig, daß auch für unser Gefühl die Liturgie nicht zum Ausdruck bringe, was deutsche Menschen in den schicksalsvollen Tagen der politischen Krise gefühlt haben. Aber sicher schien uns, daß von Volk- u. Vaterlandsverrat keine Rede sein könne, daß man bestimmt in den kritischen Tagen in England genau so gebetet habe. Ein starker und selbstbewußter Staat … ich kann dies alles nicht in klaren Sätzen formulieren. Angesichts der jetzt schwebenden Verhandlungen wird einem klar, daß der Versuch gemacht werden wird, aus diesem Anlaß einen Keil in die BK zu treiben, womöglich die ganze preußische BK zu isolieren u. preiszugeben, vielleicht überhaupt die ganze BK. In Sachsen sei das Vermögen der BK bereits beschlagnahmt, schrieb Gollwitzer, Sie müssen auf alles gefaßt sein. Daß die Verhandlungen über das Simultaneum328 jetzt hoffnungslos sind, ist mir sicher. Mit den Dahlemern zu brechen, um sich mit den Thüringern zu vereinigen – daran ist natürlich nicht zu denken. Ich mußte an die Anfänge des Kirchenkampfes 1933 denken. Wie leichtsinnig haben die Menschen diesen Kampf vom Zaun gebrochen. Wie gutwillig waren alle noch, auch Niemöller. Das ist noch in den ersten Nummern der J.K. zu erkennen. Wie sind sie mit Füßen getreten worden. Und dann, als das Unrecht des Reichsbischofs anerkannt war – hat man es wohl um der Volksgemeinschaft, der vielberufenen, oder um des Auslands willen fertig gebracht, das offen u. ehrlich zu sagen? Alles wäre gut gewesen. Es ist, als hätten die Unruhstifter dies alles gewollt. Daß der Führer diesen Kampf nicht wollte, hat seine angeblich treuesten Gefolgsleute nicht zum kleinsten Opfer, nicht mal zu dem bißchen Mut, das damals zur Wahrhaftigkeit gehörte, befähigt.Ich will nicht weiterschreiben, es ist alles so schwer u. traurig wie nur jemals.

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Joh 8,1–11. Heinz Dungs, Schluß mit dem religiösen Volksverrat!, NaKi 7 (1938), 488–489. Zum Simultaneum vgl. Tgb. 3. September 1938 und weitere Eintragungen.

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Montag, d. 7.11.38. [7. November 1938] Ich bin noch ganz kaputt u. fast unfähig zu arbeiten. Eben wurde mir erzählt, daß Jemand aus dem Haus, der sehr eng mit Lehmann zus.arbeitet, erzählt hat, er hätte sich vor einem Jahr (oder vor 2 Jahren?), als die Sache Hertel-Themar329 spielte, vorgenommen, nie im Leben in einen Gottesdienst, den Lehmann hielte, zu gehen. So entsetzt sei er nach dem Studium der Akten gewesen. Der Betreffende schwärmte gleichzeitig von Sasse. Also ein ganz unverdächtiger Zeuge. In Weimar ist DC-Tagung im Anschluß an den Gautag. Was werden sie dort wieder aushecken! Reichardt [E.] sagte gestern: »Die Stellung der DC ist ja so stark. Nun ist Sasse doch wieder in Weimar mit dem Führer zusammen! Er ist gestern abgefahren.« Ich war so überrascht, daß ich zunächst nichts antworteten u. mich erst einmal überzeugen wollte. Heute wird mir bestätigt, daß Sasse natürlich nicht von Sauckel eingeladen war, sondern lediglich mit d. Tornister auf d. Rücken am Führer vorbei marschiert ist. Es ist ja bitter für ihn. Man kann sich seine Seelenverfassung vorstellen. Volk nennt das »en caneille-Behandlung.« Den Zorn darüber müssen die BK-Pfarrer ausbaden. Jedermann schüttelt den Kopf über die Wiederkehr des »Reibi«. »Aber jeder Gymnasiast lacht doch, wenn er »Reichsbischof« hört«, sagte Jemand. Ob es ein Versuchsballon ist u. ob man wirklich daran denkt, diesen Mann noch einmal in sein Amt einzusetzen? Nachgerade muß man alles für möglich halten. Rosenberg soll in Weimar über »Machenschaften der Kirche« gesprochen haben – Pressebericht. Was mag er gesagt haben? v. Jüchen u. Kleinschmidt in Mecklenburg sind immer noch im Amt, trotzdem sie tolle Briefe an Landesbischof Schultz (aus Anlaß der Sportpalasttagung der D.C.) geschrieben haben sollen.330 Es wurde neulich erwähnt, daß Jüchen auch an Leutheuser einen Brief geschrieben u. ihn einen »ganz gemeinen Lügner« genannt habe. Der Brief schließt »mit einem ehrlichen Pfui Teufel …« Bisher sei nichts erfolgt. Dahinter müssen eben doch Dinge stecken, deren Aufrollen gescheut wird. O. erzählte von Niemöller u. warnte wieder vor Gerüchten. Wahr sei, daß er jetzt wieder mehr Besuch bekommen dürfte. Sein Bruder [Niemöller W.] sei bei ihm gewesen u. sein Vater [Niemöller H.]. Den Bruder habe er gebeten, den Gerüchten entgegenzutreten, nach denen ihm Schriftstücke zur Unterschrift vorgelegt worden seien. Es sei ihm nie etwas zur Unterschrift vorgelegt worden. – O. meinte, die Form der Haft, in der Niemöller gehalten würde, sei offenbar eine gemilderte. Im Konzentrationslager mit allen anderen zusammen, nie allein, allen Rohheiten ausgesetzt sein, müsse eben doch noch schlimmer sein. Er hat eine mit Blättern durchschossene Bibel, mit der er also arbeiten kann. D. 10. Nov. 38. [10. November 1938] Merkwürdige Dinge gibt es jetzt in d. Politik. Der Führer sprach in Weimar am Sonntag gg. die Opposition in Engld.331: Churchill. Churchill antwortete in der »Times« vom 329 330 331

Zum Fall Hertel vgl. Biogramme. Zum Bericht von Kleinschmidt vgl. Tgb. 7. Juni 1938. Rede Hitlers auf dem Gautag der Thüringischen Nationalsozialisten in Weimar am 6. November 1938 (Domarus I/2, 963). »Diese Veranstaltung bot ihm Gelegenheit, seine Attacken gegen die

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Montag, die ich mir am Dienstag hier kaufte. Abends hörte ich schon wieder am Rundfunk die Antwort des Führers auf den Churchill-Artikel in d. Rede des Führers aus dem Bürger-Bräu-Keller.332 Ein Jude schoß am Montag auf den dtsch. Legationssekr. vom Rath, der gestern, am 9.11., nachm., starb.333 Heute früh ist das allgemeine Gespräch im Haus die Zerstörungen in Judengeschäften und -wohnungen, Zerstörung u. in der Synagoge hier in Eisenach.334 Ich komme eben aus der Kantine, wo diese Dinge besprochen wurden. Ich hörte einen erzählen, er hätte neulich in d. Karolinenstr. eine Jüdin gesehen, »direkt prima angezogen, einfach eine Provokation. Ich hätts ihr am Liebsten vom Wanst gerissen.« Andere sprachen dagegen, so der Obmann der Angestellten, Bischoff. Das seien keine Heldentaten, damit lieferten wir dem Ausland nur Stoff gegen Deutschland. Aus d. »Schwarzen Korps« ein Angriff gegen den Direktor des ev. Preßverbandes in Essen, Seiler, weil er eine Stelle aus Matthäus (?) zitiert hat. Das evang. Sonntagsblatt wird ein »Schmutzblatt« genannt, es wird von einem »angeblichen« Gotteswort gesprochen pp. Dabei mehren sich die Anzeichen, daß d. Blatt vor einer Verhöhnung Christi selbst nicht mehr zurückschrecken wird (»Christus ist unser Führer!« »Wir wollen unsern Führer sehen!« Photographie eines Kruzifixes mit zugebund. Kopf pp.) Rußland. Volk ist von der Tagung der »Pfarrergemeinde« in Weimar sehr schlechter Laune zurückgekehrt. Gefragt, ob es jetzt nicht Zeit wäre, D.C. zu werden, antwortet er: »Ich halte meine Zeit noch nicht für gekommen. Vielleicht werde ichs überhaupt nicht.« Gespräch mit Bauer [W.]. Oberheid hat irgendeinen Entwurf mit 5 Punkten gemacht, die Bauer für einen »genialen Beschiß« erklärt.335 Als Sinn wurde verstanden: Müller-Dahlem hätte irgendetwas veröffentlicht (Die Liturgie?), worüber auch Meiser, Marahrens pp. außer sich wären. Das soll benutzt werden, um auf Grund des Entwurfes von Oberheid zu einer Einigung der BK mit der DC kommen, die dann benutzt werden soll, um die BK »zu erledigen«. Davon, daß schon seit Jahren Spannungen in der BK vorhanden sind, daß z.B. die Thür. BK keine Weisungen von der VKL erhält u. annimmt, wußte Volk nicht. Die anderen viell. auch nicht. Denn immer wieder machen sie Jagd auf angebliche Weisungen der VKL – in Thüringen natürl. vergebens.

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englischen Staatsmänner fortzusetzen … Hitler griff in dieser Rede aber nicht nur wie bisher Eden, Duff Cooper und Churchill an, sondern in versteckter Weise auch Chamberlain« (ebd.); ausdrücklich attackierte er die englischen Oppositionspolitiker. Rede Hitlers im Münchener Bürgerbräukeller am 8. November 1938 (Domarus I/2, 966–969). »Am 7. November 1938 hatte der emigrierte deutsche Jude Herschel Grünspan in der Deutschen Botschaft in Paris ein Revolverattentat auf den Gesandtschaftsrat I. Klasse Ernst Eduard vom Rath unternommen, der dabei schwer verletzt wurde … am Nachmittag des 9. November um 16.30 Uhr erlag … [er] in einer Pariser Klinik seinen Verletzungen« (Domarus I/2, 970). Zur sog. »Reichskristallnacht« am 9./10. November 1938 vgl. Enzyklopädie des Nationalsozialismus, 679–680. Erklärung der nationalkirchlichen Einung Deutsche Christen anläßlich der Arbeitstagung deutscher Pfarrer und Kirchenvertreter am 7. und 8. November 1938 in Weimar, Deutsches Christentum 47/1938 [20. November 1938], 1. Ob Oberheid den Text verfasst hat, ist nicht klar. Aber er hat ihn auf der Arbeitstagung namens der DC verlesen, unterbrochen von »stärkstem Beifall« (ebd. S. 2).

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Ob.pfr. Schöne-Gotha u. ein Pfarrer Benser werden heute hier erwartet. Sie wollen geg. das milde Urteil geg. Bauer-Gotha, Groß (u. wohl auch Otto) protestieren. Bestellte Arbeit? Das will man dann wohl an das K.min. schicken. Sasse hat (am Montag?) in Weimar gepredigt. Kritik, der sich K.Rat Bauer anschließt: »Uns wird immer gesagt, wir sollten die Pfarrer anhalten, von Christus zu sprechen u. der Landesbischof erwähnt ihn überhaupt nicht.« Neue Nr. von »Deutsches Christentum«. Darin wird mitgeteilt, daß – der Reibi samt Arthur Bonus u. D. Schöttler – Ehrenmitglied der Thür. Nationalkirchlichen »Einung« geworden336 ist!!!! Es ist offenbar ein Gesetz, daß solche abgeschiedenen Gespenster alle paar Jahre wieder auferstehen. Fett gedruckt, in einprägsamster Form natürlich die Nachricht, daß Edda Göring von Ludwig Müller getauft worden ist. Ebenfalls fettgedruckt, aus der Feder einer Dame, dann eine Würdigg. des Wollens des Reichsbischofs. Es ist so unglaublich, daß einem die Worte fehlen. Aufregen kann man sich nicht darüber. Es ist ein Zeichen für den Wahnsinn des Kirchenministeriums: Offenbar hat man Ludwig Müller wieder eine Stelle zugedacht. Später. Hier im Haus scheint die Parole ausgegeb. worden zu sein, die Ausschreitungen gegen die Juden zu mißbilligen. Mir wird dazu angedeutet: – Sasse – der Kreisleiter! Die Synagoge, deren Fenster gestern früh eingeschlagen waren, ist in d. Nacht angesteckt worden. Es sollen nur noch die Mauern stehen. Die Thora sei im Garten ausgebreitet worden, ein großes Buch ins Wasser geworfen, Kronleuchter u. Stühle zerschlagen, die Hüte der Juden – sie brauchten hohe Hüte für ihren Gottesdienst – schwämmen im Wasser oder lägen herum. Bei einzelnen Juden sei auch geplündert worden, die Polizei holte das Gestohlene wieder zusammen. Vor den zerschlag. Schaufensterscheiben steht Arb.dienst u. H.J. Wache. Man flüstert sich hier im Haus zu, diese Sache würde hoffentlich dem Kreisleiter den Hals brechen: Wunschtraum von Sasse. Die SA hätte gestern Abd. »Befehl bekommen, sich umzuziehen«. Möglichst »Räuberzivil«. Das würde heißen, daß die Ausschreitungen sanktioniert u. dafür gesorgt worden sei, daß die SA solche Taten nicht im Braunhemd vollbrächte. Seit Weimar gibt es übrigens alle möglichen unerfreulichen Gerüchte: Spannungen zwischen SA u. SS, Goebbels wolle sich von sr. Frau scheiden lassen, lebte wüst herum usw. Die Organisation, Verpflegung der SA u. so in Weimar habe nicht geklappt, darob große Unzufriedenheit. Himmler hätte General werden sollen u. die Offiziere oben an der Spitze hätten sich widersetzt. (??) nachmittags. Heute Mittag sah ich mir die zerstörten Judengeschäfte an, auch die Synagoge. Es war eine Völkerwanderg. u. ein Vergnügen für die Schuljugend. Traf Ameli Zinkeisen, sie war heute früh erst ins Bett gekommen. Die Familie Blüth unter ihnen ist heute nacht verhaftet worden (Die Frauen durften nach 1 Stunde wieder nach Hause gehen). Die Inneneinrichtg. wurde zerschlagen pp. Eben ist die SA wieder alarmiert worden. Was mag los sein? 336

Reichsbischof Müller, Arthur Bonus und D. Schöttler, Ehrenmitglieder der Nationalkirchlichen Einung, Deutsches Christentum 46/1938 [13. November].

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In der Luftschutzsanitätsstunde sagte Eckert, er hätte gestern Abd. den Moskauer Sender gehört, der wilde Drohungen ausgestoßen hätte. Wir müßten auf alles gefaßt sein. Wir werden uns wohl an ein Leben auf d. Vulkan gewöhnen müssen. Folgendes ist vom Landesbischof heute 2 auswärtigen Pfarrern u. einem Laien erzählt worden: Bei der Taufe von Edda Göring hätten sich d. Führer u. Göring mit dem Reibi unterhalten u. ihn nach der evang. Kirche gefragt. Müller hätte geantwortet, er wüßte nicht, wie es stünde. Darauf seien Beide erstaunt gewesen: »Wieso denn, Sie stehen doch an der Spitze!« Sie hätten beide nicht gewußt, daß der Reichsbischof keine Funktionen mehr hätte! Nun sollte er rehabilitiert werden !!!! Soll man wirklich glauben, daß d. Führer u. Göring nichts davon gewußt haben, daß d. Reibi abgesetzt ist? D.h. ob er wirklich abgesetzt ist, weiß ja eben kein Mensch. Wissen sie überhaupt, wie sehr dieser Mann belastet ist? Es scheint, nicht. Sasse glaubt offenbar dieser Darstellung. Vielleicht hat er sogar Recht. Ich halte es auch für möglich. Volk hat es nicht geglaubt. Was Pfr. Benser, Ob.pfr. Schöne u. Rechtsanwalt Lochmann, alle 3 aus Gotha, zu Protokoll gegeben haben, scheint jeder Beschreibung zu spotten. Nichts als Aussprüche verschiedener, mit Namen genannter Damen, die aber keine Ahnung davon haben, daß ihre Bemerkungen, die die betr. Pfarrer wieder aus 3. Hand erfahren haben, hier zu Protokoll gegeben werden. Das Ganze wird natürl. auch noch als »ganz vertraulich« bezeichnet. Es soll geradezu unglaublich sein. Nichts als übelster Klatsch, durch dritte berichtet. Freitag, d. 11.11.38. [11. November 1938]337 Gestern im Rdfk. u. heute in den Zeitungen Bekanntgabe von Goebbels des Inhalts: Der berechtigte Volkszorn habe sich gegen die Juden in vielen Orten darin Luft gemacht, daß Geschäfte gestürmt, Schaufenster eingeschlagen u. Synagogen angezündet wurden. Diese Demonstrationen hätten nunmehr aufzuhören. Die Bestrafung der Juden würde dch. Gesetzgebung erfolgen. (Warum gibt das Goebbels bekannt? Warum nicht Frick oder Himmler?) Nach Äußerungen unserer Beamten u. Angestellten ist die Aktion auf Befehl erfolgt (Hoßfeld, SS u. andere). 2 unserer weiblichen Angestellten, z.B. Frl. Haugk338 u. Frl. Zimmermann, beide sehr jung, sind »die ganze Nacht mitgewesen, wie sie die Juden rausgeholt haben.« Nicht in BDM-Kluft. Wie mir versichert wird, halten sie die Aktion für heldisch. – Diese Jugend weiß nicht mehr, daß zum Kampf Gefahr gehört. – Ausspruch von Hoßfeld: »Wenn ich von einem höre, der meint, das wäre nicht in Ordnung gewesen, den bringe ich ins Konzentrationslager.« Daß geplündert worden ist, wird mir verschiedentlich bestätigt. Sowohl der Kreisleiter als die Polizei haben dem Einhalt geboten, da waren aber Viele schon mit ihrer Beute fortgelaufen. Gestern Abd. Gemeindeabend in d. Georgenkirche zur Feier des Geburtstags Martin Luthers. Köhler-Hildburghausen sprach sehr gut über »Die böhmischen Brüder«. Er ist in der Krisenzeit eingezogen gewesen u. hat den Einmarsch ins Sudetenland mitgemacht. Er berichtete begeistert davon. Und das ist ein Bekenntnispfarrer. Man hätte die 337 338

Unter diesem Datum findet sich eine weitere Eintragung. In der Handschrift steht »Hauck«. Dieser Name ist aber in keinem Verzeichnis zu finden. Vermutlich ist M. Haugk gemeint.

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ganze Gemeinde samt allen DC in die Kirche gewünscht. Schiff u. 1. Empore waren besetzt. Jungmädchenchor u. Posaunenchor sehr gut. Heute »Vertiefungsvortrag« in der Bek.gem. Brakhage spricht.339 Die Stadt ist aufgewühlt durch den Judensturm. Mir kommt es so vor, als ob gestern mit Absicht nicht aufgeräumt worden wäre.10 Uhr nachts lagen noch die Scherben vor den zertrümmerten Scheiben auf der Straße. Man dachte an alles andere als an Luther u. ich mußte erst heftig nachdenken, ehe mir klar wurde, warum über der brodelnden Stadt das Christenkreuz auf der Wartburg in den Himmel leuchtete. – Wenig »Märzemännchen«.340 Verschiedentlich tritt mir d. Frage entgegen, ob die ganze Aktion eigentlich der deutschen »Disziplin« entspräche. Ob so etwas hätte geschehen können ohne Befehl von oben? Götze (Kirchenvertretung) ist auch »mit« gewesen, hat aber erzählt, er hätte nicht zuschlagen können. Er habe versucht, eine große Kristallvase zu retten u. hätte sie in eine Ecke gestellt. Das hätten »sie« aber übel genommen. Sofort hätte sich einer draufgestürzt. Die alten männl. Juden über 60 ? sind gestern wieder zurückgekommen. nachmittags. Eine Ladenbesitzerin erzählt, daß viele Leute ihr Besorgnisse ausgedrückt haben, nach der Zerstörung der Synagoge kämen nun wohl die christlichen Kirchen dran! Die »Berliner Illustr. Ztg.« veröffentlicht Bilder von der Göringschen »Taufe«. Heute unter den »Depeschen« die Nachricht, daß »das Fest der Namensgebung« des Sohnes des Stellvertreters des Führers im Beisein des Führers stattgefunden habe. Hier »Taufe« dort »Namensgebung«, bei Görings ist der Führer »Pate«, bei Heß ist er »anwesend«. Also eine neue »Glaubensspaltung«, u. zwar in d. Partei. Eine unserer Angestellten ist mit einem SS-Mann verlobt u. erzählt, sie »dürfte« sich nicht kirchlich trauen lassen, das wäre in der Einheit, in der ihr Verlobter wäre, nicht erlaubt. Es wäre in den verschiedenen Stürmen verschieden! abends. Eine Nachricht von größter Wichtigkeit ist eben eingegangen. Der Weimarer Ob.pfr. hat telephonisch mitgeteilt, daß die Leitung des NS-Lehrerbundes (Wächtler, der ehemal. Thür. D.C.) alle Lehrer aufgefordert habe, sich zu weigern, Religionsunterricht zu geben!341 Die Lehrer fürchten bei Weigerg. für ihr Amt u. seien in großer Erregung. 339 340

341

Zu den sog. Vertiefungsabenden vgl. Schreiben von Brakhage, Mitzenheim und Ernst Otto an die Mitglieder der LBG in Eisenach vom 28. Oktober 1938. »Eine Besonderheit gibt es in Eisenach: Hier findet am Martinstag ein Heischegang statt. Kinder verkleiden sich als Märzemännchen und ziehen von Haus zu Haus. Mit gereimten Sprüchen bitten sie um Gaben, die sie meist in Form von Süßigkeiten erhalten. Der Brauch ist auf die Schulzeit Martin Luthers in Eisenach zurückzuführen. Der Lateinschüler zog als Kurrendesänger durch die Straßen, um mit Ständchen um Spenden zu bitten. Damit bezahlte er seine Gasteltern. « (www.evangelischejugend.de/news/document.html?id=3431; eingesehen 25. August 2015). Die folgende interne Anweisung erging am 14. November 1938 an alle Lehrer: »Aufgrund der Vorfälle der letzten Nacht fordert die Reichswaltung des NSLB alle Mitglieder auf, den RU mit sofortiger Wirkung niederzulegen, da wir eine Verherrlichung des jüdischen Verbrechervolkes nicht länger dulden können« (Eilers, Die nationalsozialistische Schulpolitik, 26.

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Antwort des LKR: Er könne nichts tun, ehe ihm nicht Wortlaut vorläge. Wenn diese Anordng. f. d. ganze Reichsgebiet getroffen sei, würde das K.min. u. die Reichskirchenkanzlei befaßt werden. Freitag, d. 11. Nov. 38. [11. November 1938]342 Aus »Angriff« v. 12. Nov. 38: »Kirchenleitg. wird diszipliniert. Scharfes Urteil gegen Hetzer«, Berlin, 11. Nov. D. Tage höchster außenpolit. Spanng. haben in der evang. Kirche gewisse religiös fanatisierte Kreise benutzt, um unter d. Vorwand von Bittgottesdiensten ihrer staatsfeindl. Gesinng. Ausdruck zu geben u. zu versuchen, die Geschlossenheit der deutsch. Volksgemeinschaft zu zerstören. Die sogen. »Vorläuf. Leitg. der deutsch. ev. Kirche«, eine kirchen- u. staatsrechtlich völlig illegale Organisation, hatte zum 30. Sept. »eine Bittgottesdienstordnung f. alle Kirchenregierungen und Bruderräte« empfohlen, die allerdings gegenstandslos wurde, weil an diesem Tage die Einigung von München bereits erfolgt war. In einmüt. Geschlossenheit haben sämtl. evangel. Kirchenregierungen Deutschlands, von den »dtsch. Christen« bis zu d. Landesbischöfen Marahrens, Meiser, Wurm u. Kühlewein dem Reichskirchenminister mit ihrer Unterschrift versichert, daß sie »das Rundschr. aus religiösen u. vaterländ. Gründen mißbilligen, die darin zum Ausdruck gekommene Haltung auf das schärfste verurteilen und daß sie sich von den für diese Kundgebung verantwortlichen Persönlichkeiten trennen.« Der Reichsmin. f. d. kirchl. Angelegenheiten hat sofort unter Sperrg. des gesamten Gehaltes ein Disziplinarverfahren mit dem Ziele der Dienstentlassung gegen die Mitglieder der sogenannten »Vorläufigen Leitung der deutschen Evangelischen Kirche« veranlaßt. In d. »Märk. Volksztg.« (kathol.) steht dazu noch der Satz »Diese Maßnahme ist später auf die Personen ausgedehnt worden, die als verantwortlich für die sogen. Bruderräte verschiedener Landeskirchen zeichnen u. sich in dieser Sache hinter die sogen. »Vorl. Kirchenleitung gestellt hatten.«343 Im heutigen »Völk. Beobachter« ist ein Artikel von Goebbels »Der Fall Grünspan«. Darin wird u.a. von der Hetze des Auslandes wegen der Aktion gegen die Juden gesprochen. Es würde behauptet, organisierte Truppen hätten die Verwüstungen angerichtet. Wie wenig kennten diese Leute Deutschland! Wenn das organisiert gewesen wäre, dann wäre das ja noch ganz anders ausgefallen usw. Es seien ja überhaupt nur »ein paar Schaufensterscheiben«eingeschlagen worden! Montag, d. 14.11.38. [14. November 1938] Dieser Artikel wird überall mit der größten Aufregung besprochen. Das sei doch glatt gelogen! Hier sähe man es ja … usw. Dazu Einzelheiten von Zerstörungen hier in Eisenach: Eine kostbare Porzellansammlg. zerschlagen, Lederstühle aufgeschlitzt, ein

342 343

Unter diesem Datum findet sich eine weitere Eintragung. Die Gebetsliturgie ist abgedruckt in: KJ 1933–1944, 256–257; zu den Vorgängen vgl. auch die der Liturgievorlage folgenden kirchenpolitische Stellungnahmen (ebd., 257–266) sowie Meier, Kirchenkampf III, 54–60. Da mit dem Münchener Abkommen die Kriegsgefahr gebannt war, wurde nach der Gebetsliturgie nirgendwo ein Gottesdienst gestaltet. Das Schwarze Korps nutzte die Gelegenheit, nicht nur seine Bedenken gegen die Liturgie zum Ausdruck zu bringen, sondern auch zu einer scharfen Stellungnahme gegen die VKL und die BK.

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Flügel zerschlagen, die Betten aufgeschnitten, Ölgemälde mit d. Dolch durchstoßen u. weitere Einzelheiten. Es ist nicht die ganze SA dabei gewesen. Eine Dame erzählte mir, ihr Mann, SAMann, ebenso ein anderer, dessen Name genannt wird, hätten den Befehl, nach d. Feier vom 9.11. noch auf d. Markt anzutreten, nicht bekommen (auf d. Markt haben die Angetretenen dann den Befehl bekommen, sich umzuziehen usw.) Von dreien unserer Leute wird mir gesagt, sie hätten »den Braten gerochen u. sich gedrückt«. Unten in d. Kantine saß vorhin Hoßfeld u. schilderte seine Heldentaten. Er soll die ganze Aktion geleitet haben u. war persönlich offenbar beim Rabbiner Wiesen. Er schilderte, wie dessen Sohn (einer scheint blöd zu sein) sich noch bedankt hätte, als er gesagt hätte, er sollte sich aber s. Mantel anziehen, es sei kalt draußen – man hat ihn offenbar auch fortgebracht. »Jetzt gehts ins Krankenhaus«, hätte man ihm gesagt. Da hätte er sich gefreut. Die Zuhörerinnen quietschten vor Vergnügen. Das Krankenhaus war wohl das Konzentrationslager. Der Angestellte Ludwig, SA-Mann, hat erzählt: »3 Nächte habe ich nicht geschlafen. Eine Nacht haben wir rote Zettel an d. Judenhäuser geklebt, eine Nacht waren wir bei den Juden u. die 3. Nacht haben wir Wache gestanden.« Und dann lesen die Leute in der Zeitg., daß der Minister behauptet, das sei »das Volk« gewesen, keine organisierten Gruppen.344 Auf eine Bemerkung einer Angestellten sagt Spigaht: »Sie sind wohl keine Nationalsozialistin? Ich u. andere, die wir wirklich Nationalsozialisten sind, halten alles für richtig, was die Regierung tut!« usw. Inzwischen ist die gesetzliche »Bestrafung« der Juden erfolgt. Eine Milliarde Mark muß gezahlt werden. Jeder Jude muß die Wiederherstellungsarbeiten in seinem Geschäft selbst bezahlen; soweit der Schaden durch Versicherungen gedeckt ist, wird d. Geld für das Reich beschlagnahmt.345 Die Kirchenräte scheinen verschiedener Meinung zu sein. Sasse u. Lehmann seien am Sonntag furchtbar aneinandergeraten, weil Lehmann alles für richtig erklärte, was irgendwo geschehen ist. Sasse hat händereibend zu meinem Gewährsmann gesagt: »Na, ich freue mich bloß, nun ist doch durch die Beschlagnahme von Geschäftsbüchern in den Judengeschäften in Berlin auch herausgekommen, wieviele prominente Parteigenossen noch bei Juden gekauft haben!« Volk ist gegen die Zerstörungen, das sagt er aber nur vertraulich im Familienkreis. Bei einer derartigen Unterhaltung hat er wieder versichert, aufs neue wäre ihnen gesagt worden, es sei richtig, daß Hitler nichts davon gewußt hätte, daß der Reichsbischof keine Funktion mehr hätte. Der Reichsbischof hat scheinbar noch weitere Einzelheiten aus d. Gespräch erzählt, von denen ich wieder nur Bruchstücke vernahm. Danach scheint es, daß der Reibi seine Kaltstellg. damit motiviert hat, daß man ihm seinen Geldverbrauch vorgeworfen hätte. Darauf hätte der Führer erwidert: »Wenn ich Ihnen das erlaube, dann können Sie … (die doppelte Summe) verbrauchen.« 344 345

Vgl. Enzyklopädie des Nationalsozialismus, 679–680. Vgl. Enzyklopädie des Nationalsozialismus, 679–680.

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Als Summe der Eindrücke hat einer unserer Kirchenfürsten festgehalten, der Führer erführe eben nur das, was seine Umgebung ihm zuleitete, das, »was zu seinen Reden paßt.« Nachdem am Freitag die Nachricht von der Aufforderg. an die Lehrer, sich in d. Frage »Religionsunterricht« zu entscheiden, gekommen war,346 wurden die Kirchenräte telephonisch von Leffler gebeten, sich mit ihm am Sonnabend früh in Erfurt zu treffen. Da haben sie dann im Kossenhaschen347 im Keller gesessen u. getagt. Es scheint sich um einen Aufruf der Thür. ev. Kirche zum Bußtag gehandelt zu haben, der im Sinne des »Ich danke Dir, Gott, daß ich nicht bin wie andere Menschen« gehalten ist. Der ist dann hier noch x-mal geändert worden.348 Über die Lehrerfrage hat man wohl auch gesprochen. Franz, der nicht dabei war, hat später bei einer anderen Unterredung die Bemerkung gemacht: »Die Sache mit dem Religionsunterricht der Lehrer? Das ist ja schon wieder geändert.«349 Das hat Volk, der alle Sitzungen über diese Sache mitgemacht hat, gestern, Sonntag, noch nicht gewußt. Das ist also eine Berliner Regelung. Inzwischen hat diese Sache weiter Wellen geschlagen. Ein Philologe namens Hartan hat am Sonnabd. Vormittag eine entsprechende Rede an die Lehrer gehalten. Es bestünde nach wie vor Gewissensfreiheit für die Lehrer, dabei bliebe es, auch wenn jetzt eine »Kampfaktion« beginnen würde. Auch die »Deutschen Christen« fänden »bei der Partei keine Gegenliebe«. In diesem Augenblick sei der Direktor des Lyzeums herein gekommen, der Thür. D.C. ist (u. das s.Zt. folgendermaßen motiviert hat: »Na ja, das muß ich doch, ich bin doch mit Leffler u. Leutheuser in der Kampfzeit immer zusammen gewesen!«) (Also nicht aus Überzeugg.) Es ist noch mehr geschehen. Am Sonnabd. wurde mir die neueste Nr. der »Heimatkorrespondenz, wie üblich, übergeben. Darin fand ich eine »Erklärung« der DC-Pfarrertagung in 5 Punkten:350 der »geniale Beschiß« Oberheids. Ein Betrug war es wirklich. Im Siegeston wurde mitgeteilt, daß sich sämtliche Kirchenregierungen mit den D.C. geeinigt hätten auf Grund des bekannten Briefes des Theologieprofessors Karl Barth u. des Rundschreibens der vorl. Kirchenleitung in den Tagen drohender Kriegsgefahr. Folgenden Ausspruch hat sich Lehmann am Sonnabend geleistet: »Schrecklich, schrecklich, wer schafft denn hier überhaupt etwas! Doch nur ich! Die anderen Herren sind doch immer alle fort! – Wenn man von Anfang an getan hätte, was ich wollte: Paff, paff, und Schluß – (d.h. alle Bekenntnispfarrer k. H. rausschmeißen) dann wäre jetzt nicht so ein Gezerre!« Er hat Recht – es wäre besser gewesen. Man hat aber gerissenere Methoden angewendet. 346 347 348 349

350

Vgl. Tgb. 11. November 1938. Bekanntes Hotel am Erfurter Bahnhof. Vgl. Tgb. 18. November 1938. Die Anweisung Wächtlers an die Lehrer, den Religionsunterricht niederzulegen (s.o. Tgb. 11. November 1938) hatte erhebliche Unruhe hervorgerufen und mußte deshalb vom NSLB zurückgenommen werden (vgl. Eilers, Die nationalsozialistische Schulpolitik, 26). Die Erklärung findet sich nicht in der ThHtK, wohl aber in der NaKi: Ein Ansatz zur Überwindung des Kirchenstreites!, NaKi 7 (1938), 493: Erklärung anläßlich der Arbeitstagung deutscher Pfarrer und Kirchenvertreter am 7. und 8. November 1938 in Weimar.

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Gestern Abd. las ich im Lokal-Anzeiger ein Interview mit Lettow-Vorbeck, der über den Kriegsschluß in Ostafrika berichtete. Bezeichnend war, daß der offenbar bedeutend jüngere Reporter seine Schilderung 2x unterbrach mit der verwunderten Feststellung: »Weiter sagt der General nichts. Es ist merkwürdig!« D.h. Lettow-Vorbeck gab einen rein sachlichen Bericht ohne die leiseste Phrase – Gott sei Dank! Das fiel mir wieder bei der heutigen »Andacht« ein, die ein »Neuer« namens Hoffmann »aus der Luisenstraße« hielt. Man stelle sich Lettow-Vorbeck vor, wenn er z.B. Folgendes sagen sollte: »Sturmleute auf! … Die Herzen brennen für Volk u. Land! … Jauchzender Gottesbrand! … Worte wie Blitz u. Pfeile, Worte wie Feuerbrand! Reißet die Glockenseile … Die Herzen schmiedet der heilige Gott!« usw.351 Und: »Kamerad! Wer Ehre im Blute hat … Kamerad! Und stürzten wir in das Grab und bliesen alle Teufel Sturm …!«352 Ich möchte das Gesicht von Lettow-Vorbeck sehen! Was ist es nur, das uns von diesen Phrasendreschern trennt? Sie sind doch aufrichtig, daran zweifle ich nicht. Aber sie können einem das tägliche Brot verekeln. Zum 17., Donnerstag nach Bußtag, ist – piff paff – eine Oberpfarrerkonferenz einberufen. In d. neuesten Nr. der »Nationalkirche« wird die »Erklärung« der Pfarrertagg. abgedruckt mit der Überschrift: »Ein Ansatzpunkt zur Überwindung des Kirchenstreites«!!!353 Durch die Presse geht die Notiz, daß die Kirchenaustritte in Thüringen u. Sachsen sich gegen 1936 im Jahre 1937 vervierfacht hätten. Ich höre eben: Alle Kirchenräte haben sehr schlechte Laune. Am Sonnabend hätte Leutheuser Lehmann wahnsinnig angeschrien, Lehmann habe nachher ganz verbockt dagesessen. Am Sonntag Krach Lehmann-Sasse, wie schon erwähnt. Heute früh hätte die Sitzung um 8 Uhr damit angefangen, daß Bauer [W.] Stüber angebrüllt hätte wegen irgendeiner Sache in Arnstadt u. zwar folgendermaßen: »Das lasse ich mir nicht gefallen, das geht gegen meine Ehre!« Volk bläst seine Leute an u. so ist alles wütend, verbissen u. schlechter Laune. Hohlwein ist hier u. hat erzählt, in Berlin sähe es schrecklich aus. In d. Friedrichstraße seien ja manchmal 4 jüdische Geschäfte nebeneinander gewesen, es sei auch geplündert worden. Leute, die mit Juden im Haus wohnen, machen entsetzliche Beschreibungen von dem Schreien der Kinder u. Frauen. Abends. Franz hat einen Protest des LKR an das Kirchenministerium wegen der geplanten Entfernung des Religionsunterrichtes aus den Schulen entworfen u. wird ihn unterzeichnen. Die Reinschrift ist eben fertig geworden.

351

352 353

In: Aufwärts zu klingenden Weiten! Liederbuch für die deutsche Jugend in Kirche – Schule – Haus, zusammengestellt von Max May, Weimar 71940, Nr. 154. Zitat nach dem Originaltext geringfügig korrigiert. Ebenda, Nr. 17 = Kirchenbewegung Deutsche Christen, Liedblatt Nr. 6. Zitat nach dem Originaltext geringfügig korrigiert. Vgl. Anm. 350.

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Ich muß daran denken, wie seinerzeit die christl. Jugendverbünde mit Hilfe des Reichsbischofs u. der D.C. aufgelöst wurden354 u. wie die D.C. den anderen Pfarrern vorhielten, es wäre doch viel besser, wenn sie, die Pfarrer, nun innerhalb der H.J. an der gesamten Jugend arbeiten könnten! Mit aller Liebedienerei u. Kriecherei habe sie nur immer mehr verloren u. sind betrogen worden. Vielleicht fangen sie langsam an, es einzusehen. Mittwoch, d. 16.11. Bußtag. [16. November 1938] Vorgestern Abd. Beamtenversammlg. im Fürstenhof, ein Redner aus Berlin: Schinke. Ich kam etwas zu spät. Der Redner war mitten in einem Angriff gegen die »Gegner der völkischen Weltanschauung«, als die er bezeichnete: Judentum, Bolschewismus u. die Kirchen. Er gab eine angeblich geschichtliche Schau, die höchst mangelhaft war. Die Tötung Siegfrieds im Nibelungenlied u. den Verrat an Hermann dem Cherusker z.B. kann man unmöglich einer der genannten Mächte in d. Schuhe schieben. Die Gedankenfolge ist mir nicht mehr erinnerlich. Ich entsinne mich nur noch folgender Einzelheiten. »Wir haben an den Himmel u. an die Hölle geglaubt – an die Teufel haben ja selbst die nicht geglaubt, die ihn gepredigt haben! Wir haben sogar unsere Feinde geliebt – die größte Narretei der Weltgeschichte! Man hat uns weis gemacht, die Erde sei ein Jammertal! Was für ein jammervolles Gejammer…! Ernste u. komische Bibelforscher, Heils-u. Unheilsarmeen … Baptisten, Methodisten, Christian science … Gott ist brutal. Das sieht man in der Natur, in der er waltet … Die Hexenprozesse … Nach dem Krieg waren die Kirchen reich …usw.« Der ganze Vortrag gehörte offenbar in die den Lehrern angekündigte Kampfaktion. Man würde den genannten Feinden der völk. Weltanschauung »keine Ruhe mehr« lassen. Die besten, vornehmsten, anständigsten, opferfreudigsten Menschen seien die Nationalsozialisten usw. Zu sr. historischen Schau fiel mir u.a. ein: Während des ganzen christlichen Mittelalters saßen die Juden im Ghetto. Befreit wurden sie durch die Ideen der französ. Revolution, die die Religion bekämpfte. Wenn man wirklich die Gefahr für das Abendland im Judentum sieht, dann hat das Christentum überhaupt das Abendland u. damit die germanische Welt gerettet, denn allein diese Religion enthielt den Gedanken der Abwehr des Judentums: Die Juden hatten Christus gekreuzigt. Was hätte das Germanentum ihnen entgegenzusetzen gehabt außer der instinktiven Abwehr, die wahrscheinl. damals ebensowenig genützt hätte, wie sie offenbar heute genügen würde? Von dem Mißverstehen der christlichen Gedanken, so vor allem der Feindesliebe, garnicht zu reden. Der Eindruck unter den kirchlichen Beamten war nach meinen Erkundigungen dieser: »Die Synagogen haben gebrannt, jetzt kommen die christlichen Kirchen dran.« Viele Pointen des Redners, auf Beifall berechnet, verpufften, ohne daß sich eine Hand rührte. Stellenweise Beifall, viell. von ⅓ bis ½ der Zuhörer. Ungeteilter Beifall natürlich am Schluß, beim Hoch auf den Führer.

354

Vgl. Tgb. 29. Dezember 1933.

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Donnerstag, d. 17.11.38. [17. November 1938] Gestern Abd. bei Mitzenheim in d. Kirche (Bußtag). Er u. Brakhage haben den Aufruf des LKR zum Bußtag verlesen, da er Amtspflicht war. Heute wird mir von 3 jungen Lehrerinnen, Sölter, erzählt (Schwestern), die den Brief Wächtlers an die Lehrer, ein Formular, unterzeichnet u. damit den Religionsunterricht abgelehnt haben. Sie seien »außer sich«, sie seien innerlich ja »ganz anderer Ansicht«, aber sie hätten nicht gewußt, was aus ihnen würde, wenn sie nicht unterzeichneten! Sie hätten eine Stunde Zeit gehabt, sichs zu überlegen. Aber: Es gibt keinen Gewissenszwang. Das jedenfalls war keiner. Heute neue Nummer des SA-Mann v. 18. Nov. »Kirchenmusiker ohne Weltanschauung?« Darin der Satz: »Jedenfalls kann keinem Lehrer gestattet werden, daß er in der Schule durch Einbläuen bekenntnistreuer Lieder der Kirche bei den Schülern einen Gewissenszwang ausübt, wogegen vielleicht viele Eltern nicht einmal zu protestieren wagen, weil sie befürchten, ihr Kind sei dann bei diesem Lehrer »unten durch«. Das also ist Gewissenszwang. In dem Brief Wächtlers an die Lehrer soll stehen, es könne keinem Lehrer zugemutet werden, eine Religion zu lehren, die das Judentum verherrliche.355 – Insofern hängt also der Bußtagsaufruf des LKR doch mit dem Wächtlerbrief zusammen: Der LKR verwahrt sich dagegen, daß seine Religion jemals »das Judentum verherrlicht« hätte. Daß man diese Behauptung, das Christentum hätte das Judentum je verherrlicht, überhaupt ernst nehmen muß! Es sollte leicht sein, darauf zu antworten – wenn das Antworten möglich wäre. Mitzenheim u. Brakhage sollen in dieser Angelegenheit dieser Tage beim LKR gewesen sein u. hätten den Bescheid bekommen, es sei nichts zu machen. Das ist wirklich ein Beweis, daß unsere Kirchenfürsten nur um ihre Stellungen zittern. Denn sie werden ja nur deshalb beschützt, weil man ihrer sicher ist. Vor solchem »Christentum« können alte nat.soz. Kämpfer allerdings keine Achtung haben. Wir auch nicht. Mir fällt ein, wie Bauer [W.] mir 1933 erzählte: »Wächtler hat Schwierigkeiten in Berlin, weil er Christ bleiben will. Der gibt nicht nach!« Unten im Haus beginnt um 11 Uhr die Oberpfarrerkonferenz. – Ich war eben unten (12 Uhr 10) u. hörte Sasse furchtbar brüllen: »Der Nationalsozialismus ist eben eine so große, weltumfassende Bewegung, der die Klärung für die Kirchen eben neu heraufgeführt hat!« Nach außen sind unsere Kirchenfürsten immer die starken Männer. Wenn sie unter sich sind, bebbern sie. – Ich möchte nur wissen, ob von ihnen die Einigung mit den anderen Kirchen verlangt wird? Scheinbar doch. Alleine haben sie wohl deshalb keine Chance weil sie zu wenig sind. Dem Namen nach müssen d. anderen eben noch dabei sein. Und man versucht nun aber, die ganze preußische BK abzutrennen, um den großen Block zu schwächen. – Ach, warum können die Dahlemer nicht vernünftig sein! Als sie jubelten, als Marahrens die Leitung der VKL niederlegen mußte, haben sie ihren Untergang – und unseren mit – bejubelt.

355

Vgl. Tgb. 11.11.38.

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Freitag, d. 18.11.38. [18. November 1938] Gestern Abend bei O. »Einladungsabend«.356 Er teilte mit, aus der beabsichtigten Abendmahlsfeier in der Clemenskapelle könne nichts werden. Stier hätte selbst keine Bedenken, da nach d. Gesetz die Lage klar sei, wollte aber doch den L.K.R. fragen. Der hätte entschieden, es müßten die Kirchenvertreter gefragt werden, da es Sache der Gemeinde sei. (es handelte sich um eine Abendmahlsfeier im geschlossenen, geladenen Kreis). Da dieser Bescheid erst am Dienstag kam, war eine K.vertr.sitzg. nicht mehr möglich. Die Sache wird weiter aber verfolgt. Die Ob.pfr.konferenz gestern hat mit einer gemeinsamen Entschliessg. geendet, die auch Reuter-Greiz mit unterschrieben hat. Wir nehmen an, daß sie benutzt werden wird, um in Berlin durchzusetzen, daß Thüringen keine 2., bekenntnismäßige geistliche Leitung bekommt. Diese Teufel haben sie so verlogen abgefaßt, daß sie als Hüter des Väterglaubens auftreten! 357 Und nun noch etwas, das einem in der Seele weh tut. O. verlas die Bußtagserklärung des L.K.R. Dadurch ging mir deren Bedeutung erst auf.358 Am Dienstag seien Mitzenheim u. Hertzsch auf d. LKR gewesen und hätten gebeten, sie von der Verlesung zu befreien, sie »könnten« das nicht verlesen. Darauf hat man ihnen geantwortet, sie müßten das verlesen, könnten nicht befreit werden. Sie haben es verlesen aber im Tonfall so, daß wohl niemand alle Zusammenhänge erfaßt hat. Sie haben gesagt, sie hätten es um der Gemeinde willen getan, die nicht noch mehr Pfarrer verlieren sollte. Es ist aber doch eine klägliche Sache. Sie haben es aus Angst getan. O. sagte, diesen Grund, die Gemeinde, hätte man auch ihm immer wieder vorgehalten, damals bei der Abkündigg. der Kollekte im Dezember. Er wolle nicht richten. Es sei immer etwas anderes, ob man sich theoretisch äußerte oder ob man im konkreten Fall drinsteckte. Er bäte auch, sein Urteil nicht weiter zu tragen. Aber er bedauerte es sehr, daß die 3 Pfarrer, auch Brakhage, die Erklärung verlesen hätten. Er würde es nicht getan haben. Er fürchtete, es würde entscheidend werden für die Zukunft der BK in Thüringen. Im entscheidenden Augenblick noch versagen sie. Es ist furchtbar. Volk ist natürlich tief befriedigt von d. Verlauf der Oberpfr.konferenz gestern. Es sei die erfreulichste gewesen seit 1933. Die DC werden ja wissen, warum sie die gemeins. Erklärung jetzt noch veranlaßt haben. Gestern Abend wurde noch erzählt: Die Lehrerschaft der Charlottenschule hier hätte sich übertölpeln lassen. Auch ihnen hat man gesagt, sie müßten sich »in einer Stunde entscheiden«. Einer hätte nicht unterschrieben, die anderen alle. Aber die Lehrerschaft aller anderen Schulen hier hätte geantwortet: Über ihre Stellung zum Religionsunterricht hätte das Ministerium zu entscheiden, nicht der N.S.Lehrerbund.359 356 357 358 359

Zum Begriff vgl. Tgb. 28. Oktober 1938. Vgl. Tgb. 14. November 1938; Erklärung der Oberpfarrer vom 17. November 1938, in: LKAE, A 122 (Protokoll der Sitzung des LKR der TheK vom 17. November 1938), 312. Aufruf des LKR der TheK vom 12. November 1938, ThHtK 25 (1938), Nr. 43 (vom 17. November 1938), 3–4. Vgl. Tgb. 10. und 14. November 1938.

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Heute kommt von Rust eine Mitteilung, übermittelt dch. das K.min., glaube ich – in welcher Form ist mir nicht bekannt – des Inhalts: Die Lehrer seien vollständig frei in ihrer Entschlußfassg. Niemandem dürfe aus seiner Entscheidung ein Nachteil entstehen.360 Natürlich ist es möglich, sogar vorauszusehen, daß ihm der Nachteil auf eine Art u. Weise zugefügt wird, daß man ihn nicht so leicht auf die Ursache zurückführen kann. Aber die, die Wächtlers Formular unterschrieben haben, können nun nicht mehr zurück. Man wird sagen, es sei eine Beleidigg. der Lehrerschaft, anzunehmen, daß sie dem Druck nachgegeben hätten. Der Minister hat mit seinem Erlaß auch alles getan, was er konnte u. so ist alles in Butter – für Staat u. Partei. Aber: Auf d. Entscheidungen der Schwächlinge sollte ein nationalsozialistischer Staat keine Entschließungen aufbauen. Die Mitteilg. des K.min. wurde telephonisch an Leffler weitergegeben. Im Haus ist immer noch große Aufregg. über die Beamtenversammlung im Fürstenhof, zu der Volk viel zu spät gekommen ist. Nun fordert er schriftliche Berichte der Beamten an. Ich hatte gestern Abend im Archivpackraum eine seltsame Besprechung mit Eckardt, der für den Sanitätsschrank Listen anfertigte. – Er fragte mich nach Auslandsnachrichten, ob die Auslandszeitungen irgendetwas darüber brächten, daß Deutschland wegen des Judensturms seine Kolonien nicht zurückerhalten sollte. Ich erzählte ihm, was die »Times«, die ich am selben Tag gekauft hatte, über das Thema brachte. Er ging sehr aus sich heraus. Er könne das Vorgefallene nicht billigen, es schlüge auf Deutschland zurück. Es sei doch ganz furchtbar gewesen. Man hätte auch hier in Eisenach die verhafteten Juden extra an der brennenden Synagoge vorbeigeführt (Times hatte aus Freibg. i.B. gemeldet, man hätte dort den Rabbi vorbeigeführt.) Es sei doch auch unmöglich, daß Goebbels behaupte, nichtorganisierte »Horden« (?) hätten die Wohnungen demoliert … Hier in Thüringen ist es Befehl von »oben gewesen, das wissen wir doch ganz genau. Das ist m. Meing. nach der schlimmste Schlag, der die Partei getroffen hat seit der Röhm-Affäre. – Das hat der Führer nicht gewollt, das hat einer ohne s. Willen getan. Ich begreife nur nicht – er braucht doch nur am Radio ein Wort zu sagen« usw. Ich glaube nicht, daß Eckardt wagen würde, so zu reden, wenn nicht einer der Vorgesetzten, der mehr weiß, diesen Ton angegeben hätte. Da, wo Hoßfeld gearbeitet hat, soll es am Schlimmsten gewesen sein, vor allem in einem Haus, das der Wehrmacht gehört. Die Wehrmacht hätte Klage eingereicht gegen 360

Vermutlich bezog sich die Mitteilung Rusts auf die Anweisung Wächtlers an die Lehrer, den Religionsunterricht niederzulegen: »Auch das Reichserziehungsministerium wandte sich gegen diese Aktion des NSLB. In seinem Bemühen, den lehrplanmäßigen Unterricht aufrechtzuerhalten, ordnete es wiederholt die Überprüfung aller Niederlegungen an. Rust wurde hierbei vom Stellvertreter des Führers gestützt, der die Anweisung ausgab, weder das Erteilen noch die Niederlegung des Religionsunterrichts sei als Zeichen einer bestimmten politischen Entscheidung anzusehen« (Eilers, Die nationalsozialistische Schulpolitik, 26–27); vgl. auch Tgb. 10. und 14. November 1938. Vgl. auch JK 6 (1938), 1054: Rust habe in einem Erlass ausdrücklich festgestellt, »daß es der Gewissensentscheidung jedes Lehrers überlassen sei, ob er Religionsunterricht erteilen wolle oder sich hierzu außerstande fühle. Aus dem Grundsatz der Gewissensfreiheit ergebe sich, daß dem Lehrer weder aus der Erteilung noch aus der Niederlegung des Religionsunterrichtes Nachteile erwachsen dürften.«

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die SA u. SS. Alle seien auf der Polizei vernommen worden. Diese letzte Nachricht kommt aus dem Lager der DC, ganz direkt. Von da auch folgende Mitteilung: Die heute gemeldete Auskunft von Reichsmin. Rust, den Lehrern, die sich für Religionsunterricht entschieden, dürfte kein Nachteil erwachsen, müßte geheim bleiben!! Aus derselben Quelle stammt folgende Geschichte, die K.R. Bauer erzählt hat: Am 10.11., am Tag nach dem Judensturm also, bringt Leutheuser im Auto Oberheid u. Dungs in Weimar zur Bahn u. grüßt sie im abfahrenden Zug. Darauf hätte man ihn auf d. Bahnsteig fast verprügelt, weil man geglaubt hätte, er hätte in s. Auto Juden fortgebracht. Wenn nicht noch Jemand vom LKR dabeigewesen wäre …! Oberheid sieht ja tatsächl. furchtbar aus! Otto fährt morgen nach Danzig. Er hat dort eine Bibelwoche zu halten, von Sonntag bis Sonntag. Jeden Abend 2 Veranstaltungen, um 6 u. um 8 Uhr. Er freut sich sehr darauf. Die Bibelwoche wird von der BK im ganzen Reich gehalten. In Eisenach spricht Jentzsch-Erfurt von Montg. bis Freitag. O. hat die Kirchenpolitik furchtbar satt. Es sei so unfruchtbar, man solle stattdessen aufbauen. Ich hörte noch: Bauer [W.] soll hauptamtl. Mitglied des LKR werden u. an allen Sitzungen teilnehmen. Auch Rönck-Weimar soll zu den Sitzungen kommen. V. sagt dazu: »Ein Beweis dafür, daß Stüber u. Lehmann in ihrem Arbeitsgebiet versagt haben.« Sonnabd. d. 19.11. [19. November 1938] In der Zeitschrift »Gesetz u. Literatur«361 Oktober 38 finde ich einen Artikel »Prof. Koellreuter« aus München, aus dem man Einblicke bekommt in die Heftigkeit der Kämpfe die jetzt um das neue Strafrecht ausgefochten werden u. um die Tendenzen , die da eine Rolle spielen. Man fängt an zu begreifen, warum auch mancher kirchl. Prozeß anders entschieden wird als noch vor einigen Jahren. – Im neuesten Heft des »D. Thür. Erzieher«Vorstoß gg. die B.K. Montag, d. 21.11.38. [21. November 1938] Heute im Betrieb Morgenandacht des früheren kathol. Pfrs. Kapferer, der jetzt bei den DC wirkt. Ein schmaler, hübscher, aber nicht sympathisch aussehender Mensch. Lauter DC-Lieder.362 Die »1. Lesung« drei Nietzsche-Worte. Die Ansprache flach. Er begann mit d. Schilderg. der täglichen vorgeschriebenen Andachtsübungen der kathol. Geistlichen u. Ordensmitglieder. Etwas ähnliches habe er zu seinem Erstaunen (!) bei d. Thür. Kirchenregierung vorgefunden, die Wochenandachten am Montag früh, die eigentl. wertvoller seien als die tägl. Andachten der Katholiken, weil sie »gemeinsame« Feiern seien. Er wolle über eine Grabinschrift sprechen: »Ich bin ein Mensch gewesen, deshalb war ich ein Kämpfer.« (Am Schluß der Andacht drehte er dieses Wort um: »Ich bin ein

361 362

Zeitschrift mit diesem Titel war nicht nachweisbar. Meistens entnommen den folgenden Liederbüchern (1) Unsere Kampflieder, hg.v. Nationalsozialistischen Pfarrer- und Lehrerkreis des Wieratales, Weimar 1933), (2) Aufwärts zu klingenden Weiten! Liederbuch für die deutsche Jugend in Kirche – Schule – Haus, zusammengestellt von Max May, Weimar 71940, (3) Lieder für Gottesfeiern, hg.v. Paul Schwadke, Weimar 1938, (4) Liedblätter Nr. 1–14 [Stand: 1938].

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Kämpfer gewesen, desh. war ich ein Mensch.« Ob diese Umdrehung versehentlich geschah?) Er meinte offenbar das Zitat: »Denn ich bin ein Mensch gewesen, u. das heißt ein Kämpfer sein.« Er kannte das Wort aber nicht. Zweimal wollte er Bibelworte zitieren, kannte sie aber nicht auswendig u. wendete außerdem eine uns unbekannte Übersetzg. an. So sagte er: »Das Himmelreich kommt nur zu denen, die es mit Gewalt holen.« Dann ein Pauluswort: »Paulus sagt einmal irgendwo … ich bringe es jetzt nicht zusammen … ich bin ein guter Kämpfer gewesen … deshalb wird mir Gott die Krone der ewigen Gerechtigkeit zulegen …« (»Ich habe einen guten Kampf gekämpft…« usw.!)363 Er warnte bei dieser Gelegenheit, nicht an die »Belohnung« zu denken. Mehrmals brachte er zum Ausdruck, daß der das Ganze für eine reine DC-Feier hielt, was es auch war. Neu war, daß er das Wollen der DC als Kampf gegen den Katholizismus hinstellte. Davon haben die DC bisher nicht gesprochen, aber es ist offenbar die neueste Wendung angesichts der Angriffe der Partei gegen den Katholizismus. Zum Schluß: »Wir schließen mit dem Siegheil für d. Führer u. für uns.« Damit hob er d. Arm zum deutschen Gruß. Niemand aus der Gefolgschaft tat desgleichen. Sie drehten sich um u. wanderten ab. Es war eine der sonderbarsten Morgenfeiern, die wir gehabt haben. Lehrer Thieme aus dem V.D. hat sich also vernehmen lassen: »Die Sache mit d. Religionsunterricht ist schon wieder abgeändert. Es bleibt alles, wie es war. – Das war ja auch ein Schlag gegen die Partei!« Das ist immer ihr Argument, obwohl sie es selbst nicht glauben. Andere Argumente für ihre Haltung, wie z.B. Verteidigg. des Christentums oder Treue gegen den Glauben oder etwas derartiges kommen für diese Herren garnicht in Frage. Franz hat auf Befragen die Wendung der Dinge bestätigt. Die Oberpfarrerkonferenz hätte sie allerdings nicht herbeigeführt, sondern eine »andere Stelle«. Donnerstag, d. 24.11.38. [24. November 1938] Ich las eben einen larmoyanten Brief des Ob.pfrs Kade, Weimar, an Sasse. Daraus geht hervor, daß Kade »ungewollt« starken Anteil an der »Erklärung« der Oberpfarrerkonferenz hat, die mir beim zweiten Durchlesen doch nichts weniger als harmlos vorkam. (Das kommt davon, wenn man die Sachen zunächst bloß überfliegt). Es ist doch interessant, einmal in das Wesen einer »neutralen« Seele so hineinzusehen, wie das in diesem Briefe möglich war. Es ist kein Wunder, wenn niemand mit derartigen Leuten rechnet. Man merkte deutlich, daß er Seelenqualen litt u. gelitten hatte, daß er aber nur ganz schüchtern u. ängstlich u. unter Versicherungen des festen Vertrauens zum Herrn Landesbischof wagte, ein bißchen von seinen Bedenken zum Ausdruck zu bringen. Dabei ging aus dem Brief hervor, daß eine ganze Menge Oberpfarrer – u. Obpfr. sind doch jetzt nur solche, deren der LKR sicher ist – die größte Sorge hatten, die »Erklärung« könne mißbraucht werden. Kade machte also darauf aufmerksam, daß der LKR nun auch andere als nur DCPfarrer zur Mitarbeit heranziehen müßte, es müßte auf breiter Basis gearbeitet werden 363

Bezug genommen wird auf II Tim 4,7 und 4,8.

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– er sei allerdings fest überzeugt, daß Sasse sowieso die Absicht gehabt habe, das zu tun! Er hätte das schon bei der Oberpfarrer-Konferenz sagen wollen, hätte es aber schließlich doch nicht getan, damit es nicht so aussehen sollte, als wollte er sich selbst zur Mitarbeit anbieten (!) und (irgendeine Wendung wie:) um des Ganzen willen. Auch sei die jetzige Praxis der Pfarrerwahl oder Pfarrstellenbesetzung nicht geeignet, in den Gemeinden Vertrauen zu wecken (in Frageform!). Auch dürften die DC da, wo sie die Mehrheit in den Kirchenvertretungen hätten, das nicht mißbrauchen, um einfach diktatorisch aufzutreten. Das alles aber sanft u. säuselnd, sodaß jeder sich beim ersten Lesen dieses Schreibens sagt, solchen Leuten kann man mit einigen liebenswürdigen Wendungen schon genug tun, ohne daß sich in der Sache selbst etwas zu ändern braucht. Unter d. Schreiben hat Bauer [W.] mit Bleistift vermerkt, er habe über den Inhalt des Schreibens mit Kade am 21. gesprochen, Kade würde als Vortragender zu den (nicht recht leserlich:) »Fortbildungskursen« (?) für Pfarrer herangezogen! Na also, da ist ja alles in schönster Butter! Wie tolerant ist unsere Kirchenleitung! O. ist z.Zt. in Danzig-Langfuhr u. hält da eine Bibelwoche. Ich sprach gestern seine Frau. Sie zeigte mir eingegangene Briefe, die aus Altenburg berichten, Wilhelm Bauer habe an Kohlmeyer geschrieben u. die BK-Mitglieder der dortigen Kirchenvertretung aufgefordert, doch in irgendeiner losen Form wieder mitzuarbeiten, selbst wenn sie nicht d. Absicht hätten, in die K.vertretung zurückzukommen. Rückhaltlose, vertrauensvolle Aussprache pp. Ob er bei diesen Aussprachen dabei sein will, weiß ich nicht. Die Altenburger wollen Bedingungen stellen, u.a.:Anständige Behandlung der Pfarrer, keine politische Diffamierung mehr, Bereinigung der Angelegenheit Bauer [G.]Gotha u. Otto-Eisenach usw. Meiner Meinung nach müßten sie auch eine absolut anständige Haltung der DCPresse gegenüber der BK fordern, überhaupt keine Diziplinierg. von BK-Pfarrern usw. Es scheint nur so, als sei Bauer [W.], der ja jetzt hauptamtliches Mitglied des LKR wird, ausersehen, neue Fäden zur BK zu spinnen. Daß er es geschickter anfangen wird als Stüber und Lehmann ist mir sicher. Er genießt im Lande wohl auch etwas mehr persönliches Ansehen als diese beiden. Sein Brief an Kohlmeyer war (absichtlich wahrscheinlich) ganz ungezwungen u. kollegial, nicht im entferntesten amtlich. Schlußwendung: »Was sagen Sie zu den neuesten Erlassen des NSLB?« Aus dem allen ersieht man, daß der LKR bestrebt ist, Material zu sichern, um dem Kirchenministerium gegenüber behaupten zu können, eine »geistliche Leitung« für die BK sei in Thüringen nicht nötig.364 Wird eine solche eingerichtet, dann wird sie sich ganz von selbst die Pfarrerschaft erobern. O. hatte aus Danzig ganz befriedigt berichtet: Am 1. Abend in Langfuhr etwa 150, in Danzig 5 – 600 Zuhörer. Hoffentlich geht es gut weiter. – Der hiesige 2. Bibelabend von Jentzsch soll noch besser besucht gewesen sein wie der erste war.

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Es ging immer noch um die Frage des sogenannten Simultaneums, die in einer Eintragung vom 3. September dieses Jahrgangs zum erstenmal angesprochen wurde und in weiteren Eintragungen immer wieder einmal begegnet.

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Ich kaufte mir gestern eine »Times«. Noch immer alles voll vom Judensturm vom 9.11. Nach 14 Tagen! Man kann sich danach vorstellen, wie es am Anfang gewesen ist. – In d. Stadt ist es immer noch Tagesgespräch. Es wird behauptet, SA u. SS hätten Befehl, jeden namhaft zu machen, der etwas dagegen sagt. Typisch ist die Haltung der Presse. Aber man kann das ja nicht alles festhalten. Nur: Ich habe den Eindruck, als sei der außenpolitische Rückschlag kolossal. Wir waren so nahe daran, die Kolonien zu bekommen!365 Jetzt hat Chamberlain in dieser Frage mit einer Opposition zu rechnen, die ihn stürzen kann. Und erst Daladier! Es wird in der Presse so hingestellt, als ob jeder, der gegen die Ereignisse vom 9./10.11. sei, prosemitisch wäre. Das ist nicht der Fall. Das Volk sagt: »Sie konnten den Juden ja noch mehr wegnehmen, aber doch nicht so! Und die Sachbeschädigungen! Können wir uns das leisten, soviel Werte zu vernichten?« Manche haben ausgesprochen, sie würden sich von jetzt an bei den Sammlungen zurückhalten. Heute früh wurde mir erzählt, die letzte »Eintopf-Sammlung« habe viel weniger erbracht als die vorhergehende.366 Der Kreisleiter sei »außer sich«. Jemand anders erzählte, der Kreisleiter selbst hätte die Werkzeuge, Äxte u. Sägen, mit denen in den jüdischen Wohnungen die Möbel zerschlagen wurden, zur Verfügg. gestellt. Ein hies. christl. Arzt ist von Juden angerufen u. um s. Besuch gebeten worden. (Die jüd. Männer u. also auch die Ärzte sind im Konzertlager). Der Arzt hat d. Kreisleitg. angerufen u. gefragt, ob er dahin gehen dürfte, ohne in den »Stürmer« zu kommen. Antwort zunächst: »Augenblick, wir wollen fragen.« Dann die Auskunft: »Sie dürfen nicht nur, Sie müssen hingehen.« »Na, erlauben Sie mal, ich »muß« doch schließlich nicht, das ist doch wohl noch meine Sache!« Darauf die Antwort: »Nein, Sie müssen. Denn wenn einem Juden ärztliche Hilfe verweigert wird, bekommen wir außenpolitische Schwierigkeiten!« Der Arzt hat sich den Bescheid schriftlich ausgebeten u. zugesagt bekommen. Man faßt sich an den Kopf! Man versucht, außenpolitische Schwierigkeiten zu vermeiden!!! In der neuesten Nr. der Dtsch.-ev. Korrespondenz wird der berüchtigte Brief Karl Barths an den tschechischen Prof. Hromádka v. 19.Sept. d.Js. im Wortlaut abgedruckt, anschließend weitere Äußerungen deutscher evangelischer Stellen dazu,367 auch einer der »Vorläufigen Kirchenleitung« in einem Rundschreiben. Allerdings in dem bekannten, kühlen, streng theologischen – »reformierten« Stil der VKL.

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367

Vgl. Tgb. 2. November 1938. »Am 13.9.1933 verpflichtete die Reichsregierung alle deutschen Familien und Restaurants, jeweils am ersten Sonntag der Monate Oktober bis März nur ein Eintopfgericht zu verzehren bzw. anzubieten, das pro Kopf bis zu 0,50 RM kosten sollte. Der Differenzbetrag zum gewohnten Sonntagsgericht sollte dem Winterhilfswerk zugute kommen. Mit propagandistischem Aufwand, der auch der Stärkung der Idee der völkischen Solidargemeinschaft diente, zeigten sich Prominente wie Hitler und Goebbels beim öffentlichen Eintopfessen« (Enzyklopädie des Nationalsozialismus, 443). Schreiben Karl Barths an Hromádka vom 19. September 1938, in: Hermelink, Kirche im Kampf, 453–454.

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Gerücht aus BK-Kreisen: Kerrl hätte August Winnig die Leitung der künftigen National-Synode angetragen. Winnig hätte angenommen nach Rücksprache mit Humburg.368 Winnig ist keine schlechte Idee. Freitag, d. 25.11.38. [25. November 1938] Gestern Abd. wieder Bibelvortrag von Jentzsch, sehr gut besucht. Frau O. [M.] erzählte, daß O. auch sehr befriedigt aus D. berichtet, der Besuch hätte sich noch gehoben. Heute früh empfing mich ( )c mit einem beängstigenden Gerücht: Niemöller sei tot! Er hätte operiert werden sollen u. hätte die Operation nicht im Konz.lager machen lassen wollen! Die Quelle für dieses Gerücht war gut. Ich hoffe, es ist trotzdem nicht wahr. O. sagte neulich erst, man dürfte Gerüchten über Niemöller nicht glauben; sie seien alle falsch. Eben kommt d. Ev.luth. Kirchenzeitg. vom 25.11. Reichsgerichtsrat Flor ist gestorben, der in der 1. »Vorl. Leitung« Mitglied war. Es stellt sich heraus daß er »seit Langem« Parteimitglied war.369 In d. Sache des Religionsunterrichts scheint es durcheinander zu gehen.370 Während Franz u. Thieme behaupten, alles bliebe wie seither u. die Aktion sei abgeblasen, meldet der Gau Franken, Pressedienst des NSLB: »Die Lehrerschaft des Kreises Nürnberg legt den Religionsunterricht nieder … eine Unmöglichkeit … im Religionsunterricht den Juden als Vorbild vor Kindern hinzustellen … daß diesen Schritt nicht nur d. Lehrer in uns. Kreis, sondern im ganzen Gau, ja darüber hinaus in ganz Deutschld. vollzogen haben.« Weiter wird aus Erfurt mitgeteilt, daß den dortigen Lehrern u. Lehrerinnen eine »Erklärung« zur Unterschrift vorgelegt worden ist, nach der der Betreffende es »freudig begrüßt, wenn mit sofort. Wirkg. an Stelle des konfess. Religionsunterrichts in d. Schule die Grundgedanken nat.soz. Weltanschauung gelehrt werden.« Aus einer Stadt am Nordharz bekam ich die Abschrift eines Schreibens an d. Lehrer, das wieder etwas anders, noch schärfer, lautete. Also – was ist nun eigentlich los? In den Tageszeitungen steht nichts davon. Im Publikum erzählt man sichs flüsternd, die DC-Zeitungen bringen nichts. In der Außenpolitik gehts wieder durcheinander. Chamberlain u. Halifax sind in Paris. Die Errungenschaften der Münchener Konferenz sind zum Teil kaputt. – Wir tappen im Dunkeln.

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Vgl. dazu: »Mit dem früheren preußischen Regierungspräsidenten August Winnig hatte Kerrl selbst am 6. November eine Unterredung gehabt. Winnig antwortete jedoch am 22. November, er möchte ungern in die Synode, da die Richtlinien des Ministers doch in einer Richtung lägen, die seiner eigenen Sicht der Dinge, Selbstverwaltung der Kirche unter Staatsaufsicht, nicht entsprächen« (Meier, Kirchenkampf III, 66). Strichzeichn. Frauenkopf mit Locken, steht für Hanna Linde, vgl. Übersicht Strichzeichnungen. AELKZ 71 (1938), 1038–1039. »Seine Arbeit galt der Herstellung eines dauernden Einvernehmens zwischen dem wirklichen Nationalsozialismus, dem er als Parteigenosse seit langem verbunden war, und dem ganzen, vollen Evangelium, das er bewußt vertrat« (ebd., 1039). Vgl. Tgb. 10., 14. und 18. November 1938.

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Sonnabend, d. 26.11. [26. November 1938] Das Rätsel der Meldg. von Niemöllers Tod ist aufgeklärt! Eine Verwechselung mit Riethmüller,371 von dem der primitive Hörer nichts wußte! So entstehen Gerüchte. Donnerstag, d. 1.12.38. [1. Dezember 1938] Es wurde mir heute mitgeteilt: Sasse u. Tegetmeyer seien seit gestern in Berlin wegen der »Judengesetze« der Kirche. Sie würden morgen, Freitg. Mittag, zurückerwartet. Was es mit den »Judengesetzen der Kirche« auf sich hat, weiß ich nicht. Bezeichnend ist jedenfalls, daß diese Dinge offenbar alle mit den Thür. DC. vorberaten werden, den andern werden sie dann zur »bedingungslosen Annahme« vorgesetzt. Heute Abd. Einladungsabend372 bei O., der gestern von Danzig-Berlin zurückgekommen sein muß. Morgen 3. »Vertiefungsabend«373 in der BK. Eine Veröffentlichung in der heutigen Dtsch. evgl. Korrespondenz zur Frage des Religionsunterrichts. Es heißt jetzt offenbar, die Walter u. Walterinnen des NSLB – oder wie die Vertrauensleute heißen mögen – hätten sich geweigert, Rel.unterricht zu erteilen, da sie nicht mehr imstande seien, eine Religion zu lehren, die das Judentum verherrliche!374 ( – Tatsächlich. Die Schlagworte werden genommen, wie man sie braucht, Rücksichtnahme ist nicht mehr nötig. Daß man von da aus die christlichen Kirchen verbrennen muß, ist doch eigentlich selbstverständlich). Die D.E.K. antwortet sehr gut darauf. Lehrer, die so wenig wüßten, was Christentum sei, daß sie glaubten, es sei eine Verherrlichung des jüdischen Volkes, seien allerdings denkbar ungeeignet, Religionsunterricht zu erteilen. Im übrigen verbitte man sich die unerhörte Beleidigung … usw. In d. gestrigen »Times« las ich, in Württemberg sei ein Mann in Haft genommen worden, der im Privatgespräch gesagt habe, in spätestens 2 Jahren würden die christlichen Kirchen in Deutschld. brennen. Der Mann hat ausgesprochen, was von Mund zu Mund geht. – Und »was soll dies nur alles werden?« ist der Schluß vieler Gespräche. Ich bin z.Zt. damit beschäftigt, das Pressearchiv des VD., das auf meine Anregg. hin beim Umzug des V.D. ins »Gärtnerhaus« gerettet wurde, zu ordnen. Da steigt die Zeit von 1921–33 vor mir wieder auf, wo wir auch so ratlos waren u. den Bolschewismus herannahen fühlten. Und dann ist alles so ganz anders geworden, als ein Mensch sich vorstellen konnte. Werden wir in 10 Jahren auch wieder wissen, wohin wir steuern? – Otto sagte damals oft: »Wir heutigen Pfarrer werden einmal an der Laterne sterben.« Vielleicht behält er in anderer Weise Recht, als er damals geglaubt hat. In der gleichen Nr. der D.E.K. wird ein Plan Kerrls zur Befriedung der Kirchen veröffentlicht, der von den lutherischen Bischöfen (wie gleichzeitig mitgeteilt wird) abgelehnt sein soll. Der Plan ist offenbar das Resultat der sogenannten Simultaneumsverhandlungen375 gewesen, die damit erledigt sind. Manches darin klingt ganz gut. Aber dann sind 2–3 Sätze da, die klar erkennen lassen, wie die Sache gemeint ist. Nämlich 371 372 373 374 375

Otto Riethmüller war am 16. November in Berlin gestorben. Zum Begriff vgl. Tgb. 28. Oktober und 18. November 1938. Zu den Vertiefungsabenden vgl. Tgb. 10. November 1938. Zum Religionsunterricht vgl. Tgb. 10., 14., 18. und 25. November 1938. Wie Anm. 364.

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so, daß Gewissensfreiheit nicht existiert, daß ein überzeugter u. aufrechter Pfarrer rechtlos sein u. die Gruppe der DC. in der Kirche herrschen soll – obwohl das Gegenteil all dieser Sätze ausdrücklich versichert wird. Das kann niemand unterschreiben, der ehrlicher Christ u. Staatsbürger ist. – Kerrl tut seine Absicht kund, die Regelung in denjenigen Gebieten durchzuführen, in denen s.Zt. die Zoellnerschen Kirchenausschüsse gewirkt haben u. zurückgetreten sind. Da könnte die Sache ja praktisch erprobt werden, die Landeskirchen könnten sich anschließen. Also Thüringen ist darin nicht inbegriffen. Ich sehe keine Hilfe für unsere tapferen Gemeinden. Wie trostlos ist dieser Kampf. Und das Schlimmste immer wieder: Keine Mittel, sich gegen die Lüge zu wehren. Von einer erregten Auseinandersetzg., die Volk mit Thieme gehabt haben soll, wurde vor 2–3 Tagen mehrfach berichtet. Aber Volk ist ja so völlig belanglos. Beim Durchlesen der alten Pressesachen ist es immer wieder überwältigend zu sehen, wie der heutige Kampf gegen das Christentum mit denselben Mitteln geführt wird wie der vor 10 Jahren. Es sind diesselben Gedankengänge, diesselben Schlagworte. Man könnte meinen, es seien diesselben Menschen, die jetzt einem Haß Luft machen dürfen, der vor 10 Jahren nicht zum Ziele kam. Mir, die ich nicht planmäßig danach geforscht habe, sind sogar Fälle bekannt, in denen Kirchengegner, die vor 10 Jahren im bolschewist. Lager standen, heute in d. Öffentlichkeit ihre Stimme erheben durften: s. Gottschling (»Hinter Klostermauern«, Literaturpreis der Stadt Jena!)376 und d. ehemal. Jug.pfr. Weicker (1919 bei den Unabhäng. Soz.dem. u.1933/34 Redner bei der deutschen Glaubensbewegung). Freitag, d. 2.12.38. [2. Dezember 1938] Aus: Ev.-luth. Kirchenzeitg. Nr. 48 v. 2.12. »Das Reichsgericht zur Anwendg. des Kanzelparagraphen«: »… Die Verlesung der Liste mit dem kritischen Zusatz ›in Schutzhaft, obwohl das gerichtliche Verfahren eingestellt ist‹, [die Betonung bei Nennung der Namen der Verhafteten] konnten d. Zuhörer und andere zu der Meinung bringen, der Staat handle nicht nach Recht und Gesetz sondern nach Willkür. § 130a setzt nicht die nahe Möglichkeit der Verletzg. des öff. Friedens voraus, vielmehr genügt schon das Herbeiführen einer entfernten Möglichkeit der Verletzung des öffentlichen Friedens« (Aus der Begründg. eines Urteils gegen einen Pfarrer, der die Liste der Gefangenen im Fürbittgebet verlesen hatte).377 Mittwoch, d. 7.12.38. [7. Dezember 1938] Augenblicklich sind Prüfungen oben auf d. Pflugensberg, an denen Lehmann nicht teilnimmt. Er soll irgendetwas übel genommen haben u. zwar seit den LKR-Sitzungen, in denen es sich um die künftige Mitarbeit von Bauer [W.] u. Rönck im L.K.R. drehte. Rahlwes-Meiningen, der alte Mann, sei beteiligt u. König.

376 377

Erich Gottschling, Zwei Jahre hinter Klostermauern. Aus den Aufzeichnungen eines ehemaligen Dominikaners, Leipzig 1935. AELKZ 71 (1938), 1059–1060. Hintergrund dieses Textes waren die sogenannten Fürbittenlisten der BK für ihre gefangen gesetzten, ausgewiesenen, in ihrer Amtsführung behinderten oder mit Redeverbot belegten Mitglieder, die in den sonntäglichen Gottesdiensten verlesen wurden. Zum Sachverhalt vgl. Grünzinger/Walter, Fürbitte.

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Oberländer ist von einem 14-tägigen Urlaub zurückgekommen u. hat seinen Vertrauten als frischen Eindruck bei der Rückkehr mitgeteilt, die Herren seien allesamt verstimmt. Das stimmt mit Nachrichten überein, die ich aus Berlin habe. Danach sollen die »Thüringer« bei Kerrl mehr u. mehr abwirtschaften. Er hätte gesagt, sie hätten auch nur »Machtstreben«, genau wie die Bischöfe der Bekenntnisfront(!). – Weiter wird erzählt: Die Thüringer [NkE] hätten einige »Empfänge« im Berliner Kaiserhof gegeben, um wichtige Leute mit ihren Ideen bekannt zu machen. Diese Zusammenkünfte hätten, wie man sich denken kann, in Saufereien geendet. Dabei habe sich Oberheid ziemlich betrunken u. in diesem Zustand zu Kerrl gesagt, er, Kerrl, sei schließlich doch auch nur »der junge Mann von Bormann«. (Bormann ist Mitarbeiter von Rosenberg). Man kann sich die Wirkung auf Kerrl vorstellen. Kerrl soll tatsächlich gezwungen sein, über jeden Schritt, den er tut, im »Braunen Haus«378 anzufragen. Er plane jetzt eine Synode,379 wie sie in der Verfassg. von 1933 vorgesehen ist. Zuerst sei das nicht erlaubt worden (im Braunen Haus), jetzt aber hätte er die Erlaubnis erhalten!! Die »Thüringer« [NkE] hätten versucht, sämtliche Gauleiter gegen Kerrl aufzuhetzen. Das scheint ihnen nicht gelungen zu sein. Was würde man wohl zu sehen bekommen, wenn dies ganze Intrigenspiel einmal klar gelegt würde? Ich möchte bloß wissen, wie die Vorgänge um die »Kirchenwahl« von 1937380 sich eigentlich abgespielt haben. Inzwischen wird die Feindschaft gegen die Kirche in der Öffentlichkeit geschürt. Am vorigen Freitag, d. 2.12., sprach Mitzenheim in der Bek.gem. über das Abendmahl. Er las vor – nicht sehr eindrucksvoll. Otto sprach hinterher kurz von s. Danziger Eindrücken, von der Aktion gegen den Religionsunterricht unter der Lehrerschaft381 u. von der Stellungnahme der Kirchenführer zu dem bekannten Dahlemer Bittgottesdienst-Entwurf.382 Danzig: Manches ähnlich wie bei uns. Der Bischof D.C. Thür. Richtung, mit ihm d. Hälfte des Konsistoriums, die andere Hälfte Mitte. Im ganzen Danziger Gebiet etwa 12 D.C. Thür. Richtg., 12 B.K. Dahlemer Richtg. u. 50 Pfr. Mitte. Sehr schwer fällt ins Gewicht, daß die »Dahlemer« dort sich nicht mit der Mitte vertragen. Es sei schrecklich. Otto evangelisierte für die B.K., die Gemeinde ähnlich zusammengesetzt wie bei uns, viele Frauen, viele ältere Menschen. Die Mitte hält eine besondere Evangelisation mit Paul Le Seur, der ja auch nichts anderes verkündigt wie E. Otto. Nur daß er nicht organisiert B.K. ist. – Otto stellt bei dieser Schilderung wieder einmal die Frage, ob Gott vorhabe, seine Kirche gründlich zu zerstören, sodaß kein Stein auf dem anderen bliebe. Es kommt uns so vor u. wir sehen keinen Ausweg. Aber Jeder kann ja nur das tun, wovon er überzeugt ist, daß es das Rechte ist. 378

379 380 381 382

»Ab 1.1.1931 Sitz der Reichsleitung der NSDAP in München, Brienner Str. 45 … Mit den am Königsplatz errichteten ›Ehrentempeln‹ für die Toten vom 9.11.1923 wurde das Braune Haus und seine Umgebung eine Art Kultstätte der nationalsozialistischen Bewegung« (Enzyklopädie des Nationalsozialismus, 403). Dazu vgl. Meier, Kirchenkampf III, 62–86. Vgl. Tgb. 16. Februar 1937; die »Kirchenwahlen« waren das beherrschende Thema in den weiteren Tagebucheintragungen des Jahres 1937. Zum Religionsunterricht vgl. Tgb. 10., 14., 18., 25. November und 1. Dezember 1938. Vgl. Tgb. 10. November 1938.

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Angesichts dieser ausweglosen Lage u. dieser völligen Unmöglichkeit zu kämpfen – denn alle Wege sind abgeschnitten – denkt man an den 14-jährigen Kampf des Führers, der doch kämpfen durfte u. von Erfolg zu Erfolg eilte. Wie schwer ist dagegen, dieses langsame, gewaltsame Ersticken mit durchzuleben. Otto schilderte auch die vielen alten Kirchen in Danzig; auf je 10 000 Einwohner kommt eine, die nie ganz gefüllt sind. In der Mitte der riesigen Hallen ist ein Raum abgegrenzt zur ständigen Benutzung für die Gemeinde. Es fehlen auch die Mittel, um die Kirchen baulich so zu erhalten u. zu restaurieren, wie es eigentlich sein müßte. – Bei diesen Zuständen ist es wohl nur eine Frage der Zeit, bis der Staat dort anfängt, Kirchen zu beschlagnahmen. Die Rundfrage des NS Lehrerbundes wegen des Religionsunterrichtes sei etwa von d. Hälfte der Lehrerschaft zustimmend beantwortet worden. Die Frage sei übrigens nicht einheitlich, sondern unterschiedlich gestellt worden.383 Von 2 verschiedenen Seiten wurde mir gesagt, daß Wächtler, Leiter des NS Lehrerbundes, u. Rust, der Reichserziehungsminister, sich sehr schlecht stünden. Über die ganze Aktion soll gestern der Straßburger Sender ganz genau, ohne Kommentar, berichtet haben. Gestern wurde in Paris von Ribbentrop u. Bonnet ein französisch-deutsches Abkommen unterzeichnet. Ein sehr wichtiger außenpolitischer Erfolg, nur überschattet von einer neuen italienisch-französischen Spanng. wegen Tunis u. Korsika. Immer wieder staunt man, wenn man bedenkt, wie sich die Lage gewandelt hat seit 1918. Es ist nur schade, daß Clemenceau das nicht mehr erlebt hat, »le tigre«384. Dem würde man es gönnen zu sehen, was aus seinem Werk geworden ist. Bei seinem Bericht gab Otto über die Stellung zu den Dahlemer BK noch Folgendes an: Müller [F.]-Dahlem ist für den beanstandeten Entwurf, der bekanntlich nirgends wirklich ausgeführt wurde, verantwortlich. Vollständig unverständlich, wie so Manches, ist auch Folgendes: Er hat den Entwurf mit der Bitte verschickt, ihn möglichst ohne Änderung auszuführen. Als dann aber aus dem Bittgottesdienst infolge des Tages von München ein Dankgottesdienst geworden war hat er selbst Wesentliches abgeändert, hat die Fürbitte für den Führer u. das Gedenken an die Sudetendeutschen, das wir in s. Entwurf vermißten, gebracht! Er muß beim Versand des Entwurfs ganz kopflos gewesen sein. Man steht einfach vor einem Rätsel. Wie es scheint, bestehen neue Pläne u. Absichten zu einer Befriedung der Kirche. Darüber wollte O. übermorgen in der Bek.gemeinschaft berichten. Übrigens wurde mir auf d. Pflugensberg auch gesagt, Franz hätte neuerdings wieder einmal mitgeteilt, er käme nun endgültig von Berlin nach hier zurück. Am Sonnabd., d. 3.12., war auf d. Pflugensberg eine Adventsfeier, bei der Sasse eine theologisch merkwürdige Rede hielt. Am gleichen Tage wurde zu einem kirchl. Gebäude in Weimar der Richtschmaus gefeiert. Volk kam von dieser Feier um 4 Uhr zurück u. auf d. Pflugensberg an (als d. Adv.feier zu Ende sein sollte!) u. veranlaßte die noch Anwesenden, noch weiter zu feiern bis 10 Uhr. Es ist dann noch getanzt worden, 383 384

Wie Anm. 381. Deutsch: Der Tiger.

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man hat auf den Adventskranz nicht aufgepaßt u. der ist dann in Flammen aufgegangen u. mußte mit d. Minimax gelöscht werden. Die Kirchenräte sollten nur einmal hören, in welcher Weise die Beamten u. Angestellten von solchen Dingen reden. Freitag, d. 9. Dez. 38. [9. Dezember 1938] Folgende Angelegenheit wird im Betrieb lebhaft besprochen:385 Oskar Schill, Organist in Hörschel u. rechte Hand von Mauersberger, hat eine sehr unangenehme Ehesache. Seine Frau ist beim Labi gewesen, der Schill furchtbar angebrüllt hat. Schill ist eine deutschchristliche Säule u. der Haupthetzer in d. Gemeinde Neuenhof. Er hat schon gegen d. alten Pfr. Thieme gehetzt. Jetzt werden Schauergeschichten über ihn erzählt. Er hätte seine Frau, die ein Kindchen erwartet, mit d. Mistgabel vom Hof gejagt. Die Frau hat beim Staatsanwalt Anzeige gegen ihn erstattet – was auch nicht schön ist – weil er ihr gegenüber herabsetzende Bemerkungen über den Führer gemacht hat – der sei »ein hergelaufener Polack!!!« u. so. Im Betrieb gebärdet Schill sich 150-prozentig. – Das sind die Leute, die B.K.-Pfarrer verfolgen. – Frau Schill hat in der gestrigen Nr. der Gauzeitg. eine Anzeige, in der sie warnt, ihr Übles nachzusagen, sie würde dagegen gerichtlich vorgehen. Diese Nummer geht jetzt hier im Dienstgebäude von Hand zu Hand. D. 9. Dez. 38, abds. Ich komme eben von der Beerdigung der alten Frau Aug. Sommer. Es war eine der schönsten Stunden, die ich je erlebt habe. Seltsam – Frau Otto [M.] sprach nachher den gleichen Gedanken aus. Woran es lag? Es war alles voll Ruhe u. Harmonie, derartig stark, daß man es fühlen mußte. Ein Verwandter sprach über die Losung des heut. Tages aus dem A.T.: »Ihr sollt in Freuden ausziehen u. in Frieden heimkehren.«386 Einen Schlag gab es mir, als Walter Sommer eintrat, im Talar, mit einer kleinen »hochstehen den weißen Halskrause«387. Wie hat den der Kirchenkampf mitgenommen. Ich sah ihn zuletzt vor 7 oder 8 Jahren bei einer Pressetagung im Januar in Bad Sachsa. Da war er noch ein frischer, kräftiger Mann. Jetzt steht er am Rande des Grabes. Frau Otto [M.] sagte, er hätte auch im Gefängnis gesessen, etwa 1934, mit vielen anderen. Als sie herausgekommen seien, hätten die Glocken geläutet – das war damals. Unvergeßlich war diese heutige Stunde. Ein gesegnetes, tapferes, wenn auch schweres Leben. 4 sehr begabte, prachtvolle Söhne, ebenso die Enkel, die Mädel wie die Jungen. Und wie einfach, schlicht, selbstverständlich war die Rede u. alles andere. Niemand vergoß eine Träne, kein Taschentuch wurde sichtbar. Walter Sommer sprach dann den Segen am Grab. Flüchtig kam mir der Gedanke, daß die Leute das »Amen« jüdisch nennen. Seit 1000 Jahren haben es unsere Väter gesprochen. Jüdisch? Man kann nur »Pfui Teufel« sagen zu allen Versuchen, uns das zu nehmen. Als ich wieder ins Büro kam, lag die »Nationalkirche« auf dem Tisch. Ich blätterte darin. Was für ein Dreck u. Gift. Ich war nicht fähig, es zu lesen. 385 386 387

Vgl. Biogramm Oskar Schill. »Denn ihr sollt in Freuden ausziehen und im Frieden geleitet werden« (Jes 55,12). Wird in einigen Landeskirchen statt des allgemein üblichen Beffchens zum Talar getragen, wie z.B. in Hamburg und Lübeck; vgl. Ernst Hofhansl, Art. Gewänder, Liturgische, in: TRE 13 (1984), 164–166.

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Ich möchte den heutigen Eindruck festhalten, weil es so stärkend u. beglückend war, wieder einmal zu erleben, daß das alte Evangelium mit seinen Orgeltönen über das Tagesgeschrei triumphiert. Sonntag, d. 11. Dez. 38. [11. Dezember 1938] Am 9. Abends war noch Bek.gemeinsch. »hinter der Mauer«388. Otto sprach über »protestantische Beichte« – etwas zu wissenschaftlich, fand ich. Später berichtete er dann noch über Berliner Entwicklungen. Zunächst die früher schon erwähnten, fehlgeschlagenen Pläne Kerrls. Die beiden Sätze aus dessen Entwurf, in denen ausgedrückt wird, daß den Pfarrern Gewissensfreiheit garantiert sei, daß er sich aber bei Verstößen gegen d. Disziplin nicht auf sein Gewissen berufen könne, kann man natürlich nicht annehmen. Es ist auch nicht möglich, von einem vernünftigen Menschen zu glauben, daß er nicht merkte, daß in dem Vorbehalt die Vernichtung der protestantischen Kirche beschlossen liegt. Garnicht zu reden von den Erfahrungen der letzten 5 Jahre. Wollten die Bischöfe dem zustimmen, so hätte Luther umsonst gelebt. Geht die Kirche zu Grunde, dann soll sie wenigstens protestantisch zu Grunde gehen – finde ich. Gut ist, daß die Bischöfe in ihrer Antwort an Kerrl festgenagelt haben, daß mit seinem Vorschlag die protestantische Kirche im Gegensatz zur katholischen unter ein Ausnahmegesetz gestellt würde. Kerrl will also nun seinen Plan389 durchführen in der altpreuß. Union, Nassau-Hessen, Sachsen u. Schleswig-Holstein.390 Die anderen Kirchen könnten dann ja zusehen, wie sich die Sache in der Praxis auswirke. Otto war sehr ernst u. sprach aus, daß die Kirche endgültig verloren sei, wenn nicht bald eine Einigung käme. Kerrl hätte zum Ausdruck gebracht, daß er für die Existenz der Kirche schwere Kämpfe in der Partei zu führen hätte. (Das ist gewiß so). Er hat das in einer Rede gesagt, die er auf einer von ihm persönlich einberufenen Versammlg. gehalten hat, zu der er etwa 40 Einladungen hat ergehen lassen.391 24 Leute waren gekommen, darunter etwa 5 Pfarrer. Alle Anwesenden gehörten keiner Gruppe an. Weder B.K. noch Thüringer D.C. waren eingeladen (das erklärt die gedrückte Stimmg. unserer Herren). Kerrl möchte diese Versammlg., die nach seiner Rede noch etwa 1½ Stunden lang zusammengeblieben ist, als Synode betrachten, es ist aber keine. Wie es weiter gehen wird, weiß man nicht, Ellwein soll eine Rolle spielen. Plötzlich ist wieder die Rede von einer »volkskirchlichen Arbeitsgemeinschaft«, die noch von D. Zoellner gegründet worden ist. Die verschickt jetzt Rundbriefe. Es ist wohl die organisierte »Mitte«. Es heißt abwarten. 388 389

390 391

Versammlungsraum der Stiftsgemeinde und der LBG. Kerrl wollte in seinem sog. Oktoberprogramm die Trennung von weltlichen und geistlichen Angelegenheiten durchsetzen; aber auch dieses Programm, für dessen Durchsetzung Arbeitskreise aus Männern der »Mitte« berufen wurden, lehnte der Stellvertreter des Führers ab (vgl. Dokumente zur Kirchenpolitik IV, 300). Vgl. auch Meier, Kirchenkampf III, 62ff. Vgl. Schreiben des Reichskirchenministers an den Chef der Reichkanzlei vom 2. Dezember 1938 (Dokumente zur Kirchenpolitik IV, 300–301). Vgl. zum Folgenden die Darstellung in: Meier, Kirchenkampf III, 65ff., die eine genaue und etwas abweichende Vorstellung der Vorgänge vermittelt.

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Vor etwa 10 Tagen brachte O. aus Berlin mit: Es bestünde der Plan, die Ukraine selbständig zu machen. Rußland sei aus verschiedenen Völkern zusammengebaut. Diese Völker sollten revolutioniert u. so nach u. nach ganz Rußland aufgerollt werden. Ich hielt ihm entgegen, daß ich den Eindruck hätte, es ginge jetzt zunächst im Memel los. Neulich hieß es bereits in der Presse: »Wie lange noch …?« Gestern waren wir uns klar darüber, daß wir beide recht gehabt hatten. Er hatte dieser Tage die Nachricht von einer in der Ukraine entstandenen Unabhängigkeitsbewegg. gelesen. Und heute ist in Memel gewählt worden392 u. die Parole heißt: »Zurück zum Reich.« Es geht schwindelnd schnell. Ribbentrop u. Bonnet haben am 6.12. in Paris einen Pakt unterzeichnet, in dem Frankreich u. Deutschland sich gegenseitig die jetzige Grenze garantieren usw. Zwischen Italien u. Frankreich ist die Stimmung freilich schwül geworden. Wenn man 20 Jahre zurückdenkt u. überlegt, was nach unserer Niederlage 1918 aus den Siegern geworden ist, dann ist es immer noch unfaßbar. O. sagte gestern: »Wenn die Westmächte nicht zu autoritärer Führung übergehen, sind sie verloren.« Wir dachten an die letzten Jahre im »Volksdienst« u. stellten fest, daß wir das richtige Gefühl für die Bedeutg. des Nat.sozialismus gehabt hatten. Und für den Bolschewismus auch. Dieses Gespräch führten wir gestern auf einem herrlichen Spaziergang, den wir zu viert (noch Frau O. [M.] u. Frl. Liebmann) über die Eselsstation, Zeisiggrund, Teufelskanzel, Sängerwiese, Mariental machten. Diese Wanderungen im dem menschenleeren Winterwald bis zur Dämmerung sind die erfrischenden u. fröhlichen Höhepunkte der Woche. Mittwoch [Dienstag!], d. 13.12.38. [13. Dezember 1938] Gestern Abend lutherische Arbeitsgemeinschaft393 bei Menzels. Wir kamen auf Luthers Stellg. zum Staat zu sprechen. Ich sagte etwa Folgendes: Ich hätte die scharfe Trenng. Luthers zwischen weltlichem u. geistlichem Regiment nie anders verstehen können, als daß Luther dem Staat Eigengesetzlichkeit zubillige, z.B. da, wo er der Gewalt das Wort rede. Er sage das mit einer Schärfe, wie Bismark es wohl nicht gesagt haben würde. Ich dächte z.B. an das, was Luther im Bauernkrieg geschrieben hätte. Da sei er erbarmungslos – auch in dem, was er gegen die Juden sage. Ich verstünde es so: Luther gibt dem Staat das Recht, Unrecht zu tun. – Otto griff sofort ein und gab mir in jedem Punkt Recht u. führte alles noch weiter aus. Ich war sehr stolz darauf. Otto machte im Laufe des Abends noch längere u. sehr klärende Ausführungen über die ganze Frage. Wie das Papsttum das Recht der Kirche, den Staat zu beherrschen u. zu kontrollieren entwickelt habe. Wie Karl Barth eine merkwürdige Entwicklung zu einem ähnlichen Standpunkt durchgemacht habe, einem Standpunkt, der in seinem bekannten Brief an den Professor Hromádka in Prag von Ende September zum Durchbruch komme.394 392

393 394

»Bei den Landtagswahlen (Dezember 1938) gewannen die Nationalsozialisten beherrschenden Einfluß in Landtag und Direktorium, so daß bis auf den litauischen Gouvereur die gesamte Selbstverwaltung in ihren Händen lag« (Enzyklopädie des Nationalsozialismus, 582). Vgl. dazu Anm. 320. Vgl. dazu Anm. 367.

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Für Barth sei an Stelle des Papsttums die Bibel getreten. Er fordere, daß alle Handlungen des Staates mit der Bibel übereinstimmten. Genüge der Staat dieser Forderung nicht, dann hätten – nach Barth – alle anderen Staaten das Recht, dagegen aufzutreten. Von da aus sei Barth zu der Wendung gekommen, daß jeder tschechische Soldat, der gegen Deutschland kämpfe, damit für die Kirche Jesu Christi stritte. – O. betonte in diesem Zusammenhang, daß die ganze deutsche evangelische Kirche, auch die »vorläufige Kirchenleitung«, eindeutig u. offiziell von dieser unmöglichen Stellungnahme Barths abgerückt sei. Es bliebe natürlich bestehen, daß Karl Barth der deutschen Theologie viele bedeutende Anregungen gegeben hätte. – Aber man müsse auch zugeben, daß von den Ansätzen, die zu der Fehlentwicklung Barths geführt hätten, noch manches in der deutschen Theologie drinstecke. Er sprach dann über das Verhältnis zwischen Kirche u. Staat, wie es nach Luther sein solle: wie eine Ehe, beide ganz verschieden aber gegenseitig aufeinander einwirkend. In einem anderen Zusammenhang sprach Menzel dann von Niemöller. Er dächte immer, ob nicht alles besser gegangen wäre, wenn Niemöller nicht so scharf kritisiert hätte u.s.w. Auch Schönefeld sagte dazu noch etwas. Ich sagte: Wenn das Bild der Ehe für das Verhältnis zwischen Staat u. Kirche gelten sollte, dann müßte auch damit gerechnet werden, daß einer einmal Unrecht hätte. Gesetzt also den Fall, Niemöller hätte wirklich zuviel gesagt, so sollte er was auf den Kopf bekommen. Aber das dürfte doch nicht zur Vernichtung führen. – Auch hier griff Otto ein u. führte sehr einleuchtend alles näher aus. Auch Staatsmänner machten manchmal Dummheiten, warum sollte nicht auch ein Pfarrer einmal etwas falsch machen. Natürlich hätte der Staat dann das Recht, ihn nach seinen Gesetzen zu bestrafen. Das alles sei in Ordnung. Wenn der Pfarrer aber nach den Gesetzen des Staates freigeworden wäre, dann müßte er diese Freiheit auch bekommen. Bei den Fragen, die jetzt durchzukämpfen seien, Christentum u. Nationalsozialismus, handele es sich um ein geistiges Ringen u. das deutsche Volk müsse die Möglichkeit haben u. hätte das Recht, diese Dinge offen durchzukämpfen usw. (das ist nur andeutend u. unvollkommen wiedergegeben, es war im Ganzen außerordentlich wertvoll). O. erzählte noch, er hätte einen Brief v. Frl. Helmbold.395 Sie würde zu Ostern wieder strafversetzt u. hätte es nur einem Herrn namens Döbling (wer das ist, weiß ich nicht) zu verdanken, daß sie nicht zwangsweise pensioniert würde. Man würfe ihr vor, daß sie sich in d. Bekenntnisgemeinschaft zu sehr betätigt u. daß sie im Religionsunterricht das Alte Testament behandelt hätte, was bekanntlich in Thüringen verboten ist. (M.W. wurde Frau Pfr. Fischer s.Zt. polizeilich verwarnt, weil sie im Frauenverein mitgeteilt hatte, daß das A.T. im Thüringer Religionsunterricht nicht mehr behandelt werden dürfte.396 395 396

Vgl. Tgb. 19. April 1938. »In Thüringen liegt eine an die staatlichen und privaten Mittel- und höheren Schulen gerichtete Verordnung des thüringischen Ministers für Volksbildung vor, die folgenden Wortlaut hat: ›Im

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Freitag, d. 16.12.38. [16. Dezember 1938] Gestern hörte ich hier im Haus verschiedene Geschichten. Ein Pfr. aus d. Thür. Wald, aus … hat die vom LKR übersandte gold. Hochzeitsbibel zurückgeschickt u. mitgeteilt, eine Bibel mit dem Alten Testament würde heute auch von den alten Leuten abgelehnt. Pfr. Pflänzel in Kaltenwestheim hätte an s. Oberpfarrer (Göpfert in Dermbach) als Antwort auf irgendeine Sparmaßnahme von Göpfert auf eine offene Postkarte geschrieben: »Wenn so gespart werden muß, dann können Sie ja die Synagoge gleich anzünden.« Mit Synagoge ist die christl. Kirche gemeint. Dazu paßt folgendes, was ich (aus Jena) gestern hörte. Es entwickele sich innerhalb der »Thür.« Richtung [NkE] jetzt eine noch radikalere, denen die jetzigen Machthaber zu sanft u. zu christlich wären. 3 Pfarrer stünden an der Spitze, führend sei Scheibe-Arnstadt. Der solle an Stelle von Sasse Landesbischof werden!!! Diese 3 Pfr. hätten an d. and. DC-Pfr. geschrieben, sie sollten die neue, vom LKR vorgeschlagene od. vorgeschriebene Perikopenreihe ablehnen. Also »Meuterei«. – Vielleicht sind solche Strömungen auch der Grund, warum ich im Laufe der letzten 14 Tage mehrmals hier oben gefragt wurde: »Na, was wird denn nun aus der Kirche?« Ich sagte, ich wüßte es nicht, u. der andere wollte auch nichts sagen. Heute werden im Gesetzblatt der Deutsch. ev. Kirche die kirchl. »Arbeitskreise« (neuer Name für Ausschüsse) für die Preuß. Union, Sachsen, Schleswig-Holstein u. Nassau-Hessen bekannt gegeben.397 Winnig ist nicht dabei.398 Bei den meisten Namen kann ich mir nichts denken, nur der Name Prof. Ellwein ist mir bekannt. In der neuesten Nr. der »Nationalkirche« wird er bereits angegriffen.399 Im »Posit. Chr.tum« wird darauf aufmerksam gemacht, daß diese neuen »Kreise« nicht zu verwechseln seien mit einer alten D.C.-Gründung ähnlichen Namens! D. Keim der Verwirrung ist bereits sichtbar. Irgendwo steht gedruckt, daß die neuen Leute Rundbriefe verschicken.

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Religionsunterricht der Mittel- und höheren Schulen, besonders der unteren Klassen werden, wie mir berichtet wurde, immer noch die biblischen Geschichten des Alten Testaments, die israelitisch-jüdische Religionsschichte und andere alttestamentliche Stoffe behandelt. Ich ordne an, daß dies künftig allgemein zu unterlassen ist. Die Lehrpläne haben die Anstalten selbständig entsprechend umzugestalten‹« (JK 4 [1936], 1157). In Hildburghausen verbot der Schulrat des Kreisamtes als Konsequenz aus der Einführung des Religionsrahmenplans die Vermittlung des Alten Testaments auch in Volksschulen; vgl. JK 4 (1936), 1111. GDEK 1938, 115; gebildet wurden: (1) Arbeitskreis für die Neuordnung der Bearbeitung der weltlichen und geistlichen Angelegenheiten, (2) Arbeitskreis für Vor- und Fortbildung der Geistlichen, (3) Arbeitskreis für volkskirchliche Arbeit . Vgl. Tgb. 11. Dezember 1938. Eine zünftige Beurteilung. So sieht Prof. Ellweins »Laiendogmatik« aus, NaKi 7 (1938), 548. Hingewiesen wurde auf die kritische Einschätzung der 3. Auflage von Ellweins Buch: Evangelische Lehre, eine Laiendogmatik, von Barnikol. Die Redaktion der Nationalkirche schloss sich dieser Kritik an und resümierte abschließend: »Wir brauchen diesen theologischen Gutachten über einen Mann, der seiner Zeit von dem Ketzergutachten des Reichskirchenausschusses gegen uns ›Thüringer‹ Deutsche Christen abgerückt ist, nichts hinzuzufügen« (ebd.).

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Hier im Haus gestern noch eine furchtbare Erzählg.: Die Pfarrfrau aus Leutenberg sei hier gewesen, früher Elfriede Schmidt aus d. V.D. (DC).400 Sie hätte erzählt, in Leutenberg sei im vorigen Karneval eine Feier in der Frauenschaft gewesen, bei der Christus aufgetreten sei, im Nachthemd, das man mit Senf beschmiert hätte, die Dornenkrone auf d. Kopf, in der Hand das Schild I.N.R.I. Und dann noch etwas, das könne sie nicht erzählen, das könnte nur ihr Mann Männern mitteilen. Sie u. ihr Mann müßten schweigen, sonst würfe man ihnen die Fenster ein u. plünderte. Wenn Vertreter des Christentums so feige sind, dann kann man sich freilich über nichts mehr wundern. Hier marschiert der Nationalsozialismus in einer Front mit Moskau, das sieht man auch klar aus den alten Presseakten, die ich immer noch studiere. Der Eindruck, den ich beim Rückblick immer wieder habe, ist der, daß seit 10 Jahren nicht etwa eine innere Veränderung der geistigen Strömungen selbst stattgefunden hat, sondern daß nur strategische Errungenschaften zu verzeichnen sind. Auf den verschiedensten Gebieten ist vor 10 Jahren genau dasselbe gesagt worden, wie heute; nur hat es den Anschein, als hätten die Träger dieser Meinungen die Firma gewechselt. – Da ist auch ein Bericht aus d. Frankf. Ztg. v. 26.3.28 (Abendblatt), eine »Revue der Gespenster u. Menschen«, Bilder von d. Tagg. des Reichsaussch. der dtsch. Jugendverbände, der zwar kein restloses Beispiel zu dem eben Gesagten ist, aber sehr klar d. Entwicklung in d. Kirche zeigt: »… Geist u. Energie irrlichterten getrennt. Da gibt es Pfarrer der vierten Generation (der Jug.bewegg., die von den Soz. verspottet werden), die das Dogma ohne jede Prüfung akzeptieren, von der Angst vor dem Auflösenden des Geistes getrieben, mit einem harten Glanz in den Augen, der aber sauber ist, und ein wenig ältere, die immer krampfhaft die Hand hinzustrecken scheinen … Man darf nicht mit Vorstellungen des vorigen Jahrhunderts an diese Dinge herangehen, in dem es zeitweise zwei ähnliche Lager gab … die Gegner von heute hetzen sich noch ganz anders …« Das war vor 10, beinah 11 Jahren. Inzwischen ist es ein Kampf auf Leben u. Tod geworden. Gestern Abd. »Einladungsabend« bei O. Er fuhr fort, über Jesaja zu sprechen. Er gibt vor allem auch das Geschichtliche, das Politische jener Zeit. Mitten drin klingelt es, Frl. K. [Koeppen] ging hinaus u. man hörte Männerstimmen. Frl. K. verhandelte mit ihnen, es ging immer hin u. her. Ich dachte sofort: »Polizei«. Otto sprach fließend weiter, nur seine Blickrichtg. veränderte sich, er sah an die Decke u. sein Gesicht wurde hell. – Plötzl. kam Frl. K. herein u. holte Dr. Geibel heraus. Frau Koske u. Frau H., die auch hatten kommen wollen, lagen, von einem Auto angefahren, in der Karthäuserstraße! Es sei aber nicht schlimm sagte uns hinterher Frl. Dr. Hackmack, die auch da gewesen war. Frl. Liebmann u. ich saßen, als alle anderen weg waren, noch bis ½12 mit Ottos zu einer kl. Geburtstagsfeier für Frl. Koeppen zus. u. es stellte sich heraus, daß auch Otto sofort an die Polizei gedacht hatte. Die anderen nicht. Ich war übrigens auch innerlich ganz ruhig geblieben. In allen Kreisen wird noch der Judensturm vom 10.11. besprochen.

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Sie war Ehefrau des Pfarrers K. H. Seeschaf in Leutenberg.

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Man hört nichts anderes, als daß er uns außenpolitisch furchtbar geschadet u. die Hoffnung auf baldige Rückgabe der Kolonien zerstört habe. Hier im Haus heißt es: »D. Krieg war nur verschoben. Im Frühjahr gehts los.« Die beiden Baudert-Jungens schreiben, daß sie in Holland furchtbar auszustehen hätten, weil sie Reichsdeutsche seien. Sonnabd., d. 17.12.38. [17. Dezember 1938] Der Luxemburger Sender soll gesagt haben, es stünde wieder eine »Säuberung« der Partei bevor. Himmler, Goebbels u. Rosenberg stünden gegen Göring. Ich kann es nicht denken, was das bedeuten soll. Der Sender kommentiert d. Nachricht nicht. Ein Mitglied der hiesigen BK-Gemeinde erzählte, sie hätten plötzlich einen Brief der Bekenntnisgemeinde aus … (Süddeutschland) bekommen. (Sie hätten noch nie eine Zuschrift der BK bekommen). Andere, so auch ich, haben ihn nicht bekommen. Sie hatte mir den Brief heute früh in m. Briefkasten gesteckt. Es ist d. Bußtagspredigt, die ein Pfarrer v. Jan-Oberlenningen über Jer 22,29 am 16.11. gehalten hat. In dieser Predigt heißt es u.a.: »Wo ist d. Mann, der im Namen Gottes u. der Gerechtigkeit ruft, wie Jeremia gerufen hat: Haltet Recht u. Gerechtigkeit, errettet den Beraubten von des Frevlers Hand! Schindet nicht die Fremdlinge, Witwen u. Waisen, u. tut niemand Gewalt, u. vergießt nicht unschuldig Blut? – Gott hat uns solche Männer gesandt. Sie sind heute entweder im Konzentrat.lager oder mundtot gemacht. Die aber, die in der Fürsten Häuser kommen u. dort noch heilige Handlungen vollziehen können, sind Lügenprediger wie die nationalem Schwärmer zu Jeremias Zeiten u. können nur Heil u. Sieg rufen, aber nicht des Herrn Wort verkündigen. Die Männer der vorl. Kirchenleitung … (Was er über diese Männer sagt, sehe ich allerdings anders). »Wenn die einen schweigen müssen u. die anderen nicht reden wollen, dann haben wir heute wahrhaftig allen Grund, einen Bußtag zu halten, einen Tag der Trauer über unsere u. unseres Volkes Sünden. Ein Verbrechen ist geschehen in Paris. Der Mörder wird seine gerechte Strafe empfangen, weil er d. göttl. Gesetz übertreten hat. Wir trauern mit unserem Volk über das Opfer dieser verbrecherischen Tat. Aber wer hätte gedacht, daß dieses eine Verbrechen in Paris bei uns in Deutschland so viele Verbrechen zur Folge haben könnte? Hier haben wir d. Quittg. bekommen auf d. großen Abfall von Gott u. Christus, auf das organisierte Antichristentum. Die Leidenschaften sind entfesselt, d. Gebote Gottes mißachtet, Gotteshäuser, die anderen heilig waren, sind ungestraft niedergebrannt worden, das Eigentum der Fremden geraubt u. zerstört. Männer, die unserem deutschen Volk treu gedient haben u. ihre Pflicht gewissenhaft erfüllt haben, wurden ins KZ geworfen, bloß weil sie einer anderen Rasse angehörten!« (Hier möchte ich auch einiges einwenden). »Mag das Unrecht auch von Oben nicht zugegeben werden – das gesunde Volksempfinden fühlt es deutlich, auch, wo man nicht darüber zu sprechen wagt. Und wir als Christen sehen, wie dieses Unrecht unser Volk vor Gott belastet u. seine Strafen über Deutschland herbeiziehen muß. Denn es steht geschrieben: Irret Euch nicht! Gott läßt sich nicht spotten. Was der Mensch säet, das wird er ernten! Ja, es ist

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eine entsetzliche Saat des Hasses, die jetzt wieder ausgesät worden ist. Welche entsetzliche Ernte wird daraus erwachsen, wenn Gott unserm Volk u. uns nicht Gnade schenkt zu aufrichtiger Buße.« … »Doch wollen wir z. Schluß nicht vergessen, daß für uns Christen des Herrn Wort noch deutlicher u. köstlicher ist, als für einen Jeremia. Denn es ist erfüllt in Christus, unserm Herrn, der gesagt hat: Tut Buße, das Himmelreich ist nahe herbeigekommen. Durch ihn wird uns der Bußtag auch ein Tag des Dankes. D. Welt spottet so gern über die Buße, weil sie keine Ahnung hat, daß die wahre Buße das Tor zum glücklichen Leben wird, u. zwar nicht erst im Jenseits sondern schon hier auf Erden … »… so ist dies Bekennen der Schuld, von der man nicht sprechen zu dürfen glaubte, wenigstens für mich auch heute gewesen wie das Abwerfen einer großen Last. Gott Lob! Es ist herausgesprochen vor Gott u. in Gottes Namen. Nun mag d. Welt mit uns tun, was sie will. Wir stehen in unseres Herren Hand. Gott ist getreu. Du aber, o Land, Land, Land, höre des Herrn Wort! Amen.«401 Es folgt eine »Kundgebung schwäbischer Amtsbrüder», in der es heißt: »Pfr. Julius v. Jan aus Oberlenningen ist am 23. Nov., abends um halb 10 Uhr, von einem johlenden Volkshaufen überfallen und schwer mißhandelt worden. Er befindet sich nunmehr in Schutzhaft.402 Der Grund zu diesem Vorgehen ist in der Bußtagspredigt v. Jans zu sehen, in der in großer Ruhe u. Sachlichkeit, aber in Gottes Kraft u. in d. Vollmacht des Heil. Geistes ein klares, biblisches Zeugnis auch gegen die Ausschreitungen, wie sie am 10. Nov. gegen die Juden u. ihr Eigentum geschehen, vor seiner Gemeinde ablegte. ›Schäme Dich nicht des Zeugnisses unseres Herrn noch meiner, der ich sein Gebundener bin.‹ So lautete der Predigttext v. 13. November [1938] … Offen stehen wir zu unserem Bruder u. zu seinem Zeugnis … Fürbitte … Wir befehlen ihn u. besonders seine Frau u. sein Kind dem Schutz u. der Gnade Gottes …«403 Daneben Pfr. Seeschaf in Leutenberg.404 Wirklich, es ist, als seien Schleier weggezogen u. man sieht, wie es um die Menschen wirklich steht. Montag, d. 19.12.38. [19. Dezember 1938] Heute früh wurde mir gesagt, der LKR bereite eine verpflichtende amtliche Verfügg. vor, nach der die Pfr. nur noch über Texte aus dem NT predigen dürften. Also Kapitulation vor Scheibe, Rönck u. Heubel. Einige Väter aus der S[tifts]gemeinde haben ihre Kinder vom Kindergottesdienst abgemeldet, weil dort das Lied gesungen wird »Tochter Zion, freue dich«.405 401 402 403

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Die ganze Predigt ist abgedruckt in: Dipper, Evangelische Bekenntnisgemeinschaft, 263–265. Zu dem brutalen Überfall vgl. Dipper, Evangelische Bekenntnisgemeinschaft, 265–266. Der Abdruck dieser verhältnismäßig langen Texte ist wohl auch so zu verstehen, daß M. Begas sich mit der Position des Pfarrer von Jan identifizierte – eine Stellungnahme zur Reichskristallnacht, die sie in den bisherigen Eintragungen vom 10. November an immer vermieden hatte. Sie machte allerdings zur den klaren Ausführungen über die Zerstörung eine bemerkenswerte Einschränkung »Hier möchte ich auch einiges einwenden«, erfuhr darüber auch nichts Genaueres. Vgl. Tgb. 16. Dezember 1938. Vgl. Evangelisches Gesangbuch Nr. 13.

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Der »SA Mann« Nr. 50 behauptet: »….d. Pastoren einer gewissen kirchl. Richtung in Deutschld. dürfen es sich z. Ehre anrechnen, den Juden Vorspanndienste geleistet zu haben. Man wird das natürlich weit, sehr weit von sich weisen. Aber wo es schwarz auf weiß geschrieben steht, ist jede Heuchelei u. jede Entrüstg. zwecklos. Wenn d. Pastoren einer gewissen Richtung das nicht wahrhaben wollen, dann erklären wir uns gern bereit, die Liturgien u. d. kirchl. Liedertexte daraufhin durchsehen zu wollen, daß d. Nachkommen Jehovas u. Israels, die heute d. Welt gegen das Reich aufhetzen, darin eine geradezu würdelose Verhimmelung erfahren …« usw. Alles wegen solcher Worte wie Jehova, Zion, Jerusalem, Israel« usw. Aber das ist etwas, was in kirchl. Kreisen nicht so großes Aufsehen erregt wie eine Rede des Führers anläßl. der Eröffnung der Architekturausstellung, in der er folgendermaßen über den Berliner Dom geredet hat:406 »In Dtschld. gibt es etwa 40 Mill. Protestanten. Dieser Bekenntnisprotestantismus hat sich in Berlin einen Dom gebaut, der als Zentralkirche der Hauptstadt des deutsch. Reiches für die dort lebenden 3½ Mill. Protestanten dient. Der Fassungsraum dieses Domes beträgt 2 450 Sitzplätze, die nummeriert sind u. in denen also die hervorragendsten protestantischen Familien des Reichs ihr Unterkommen finden sollen. Meine Volksgenossen! Das geschieht in einem Zeitalter der sogenannten demokratischen Entwickelung. Dabei sollten d. Kirchen selber am meisten demokratisch sein, denn sie haben ja mit Seelen zu tun u. nicht mit Berufsständen oder gar mit Klassen! Es ist nun schwer einzusehen, wie in einer solchen Zentralkirche von 2 450 Sitzplätzen der Seelennot von ungefähr 3½ Mill. Menschen abgeholfen werden soll. Die Dimensionen dieses Baues, meine Volksgenossen, sind aber keineswegs technisch konstruktiv bedingt, sondern es ist das Ergebnis einer ebenso kleinlichen wie gedankenlosen Baugesinnung. In Wirklichkeit müßte dieser Dom 100 000 Menschen fassen. Man wird mir freilich sagen: Glauben Sie, daß da 100 000 Menschen hingehen?! Das zu beantworten, ist nicht meine Sache, sondern wäre Sache der Kirche!« Dazu schreibt d. Blatt, daß d. Dom für d. kaiserliche Hofgemeinde bestimmt war, es sei keine Kirche für Massengottesdienste kathol. Art … usw. Massenversammlungen wie Wallfahrten, Messen, bei denen nur d. Monstranz gezeigt zu werden braucht, damit alle des Segens teilhaftig werden, eucharistische Kongresse pp. gibts bei uns in der protest. Kirche überhaupt nicht! Die nummerierten Kirchensitze sind aus d. Notwendigkeit, bei Kirchenkonzerten numerierte Plätze zu haben, entstanden, aber nicht für »die hervorragendsten protestantischen Familien« bestimmt usw. Berlin wird so etwa 100 protest. Kirchen haben. Eigentlich kann man nur verstummen angesichts dieser Äußerung. Ich halte jetzt wirklich die Behauptg. des Reichsbischofs für zutreffend, daß weder der Führer noch Göring überhaupt wüßten, was in der protest. Kirche vorging. Angesichts dieser Tatsachen versteht man Manches u. muß auf alles gefaßt sein. – Wie ist es nur möglich!!!

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Rede Hitlers zur Eröffnung der 2. Deutschen Architektur- und Kunsthandwerkerausstellung im Haus der Deutschen Kunst in München, Domarus I/2, 983–984.

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Die neueste Nr. des SA-Mann 52 liegt vor mir. Da wird d. Hetze gegen die BK mit denselben Mitteln fortgesetzt. Ein BK-Pfr. in Wurzen hätte gefangene Juden seelsorgerl. betreuen wollen. Wahrscheinl. waren es der Rasse nach Juden, die zur evang. Kirche näml. zur eigenen Gde dieses Pfrs gehörten. Bei den Sudetendeutschen hätte er sich nicht blicken lassen! Die waren wahrscheinl. katholisch oder hatten andere Seelsorger zur Betreuung. Der SA-Mann will »abwarten«, ob die Gegenseite »den Mut aufbringt«, uns wieder einmal subjektive Einseitigkeit vorzuwerfen, wie das schon oft genug geschehen ist. Wenn es schon so oft geschehen ist, dann steht der Mut wohl nicht mehr in Frage. Das Volk … sei »der Meinung … daß d. Christentum der Tat überzeugender wirkt als das, was auf d. Papier geschrieben steht u. das offenbar nur in Erscheinung tritt, wenn es sich um Juden handelt, aus denen uns nach d. Meinung der Bekenntnisfront das Heil kommen soll.« Also – was soll nun eigentlich auf d. Papier stehen? Eins ist klar: Das christliche Pogrom ist fällig. Der Artikel beginnt übrigens damit, daß d. Verfasser sachlich feststellt, es wäre »durchaus denkbar u. auch nichts weniger als gerecht gewesen, wenn sich an den Rassegenossen Herschel Grünspans der Grundsatz des jüd. Moralkodex bewahrheitet hätte, der da lautet: Auge um Auge, Zahn um Zahn! Daß dies nicht geschehen ist, verdanken auch die Juden von Wurzen unserer Geduld u. unserer – manchmal unverständlichen – Langmut.« 20. Dez. 38, Dienstag. [20. Dezember 1938] In einer Berner Ztg., ich glaube vom 8., stand, der 89-jährige Mackensen hätte Hitler gebeten, Niemöller zu Weihnachten frei zu lassen. Er hätte das nicht tun sollen, denn es handelt sich ja garnicht um d. Schicksal eines Einzelnen, sondern um ein Prinzip. – Gestern soll ein ausländ. Sender, ich glaube, Straßburg, von Niemöller gesprochen haben. Seine Gemeinde sei in Sorge gewesen, weil sie so lange nichts von ihm gehört hätte. Inzwischen sei aber d. Nachricht gekommen, daß er wohlauf sei. – Diese vollkommen belanglose Mitteilg. ist viell. nur ein Wink an das deutsche ausw. Amt um zu zeigen, daß d. Angelegenheit nicht aus den Augen gelassen wird. Eine furchtbare Auswirkg. der Aktion gg. die Juden vom 10.11. ist auch die, daß es Deutsche gibt, die sagen: »Ich habe die Nachrichten über die dtsch. Kriegsgreuel nie geglaubt. Jetzt halte ich sie für möglich.« Wenn so in Deutschld. gesprochen wird, was werden sie dann erst im Ausland sagen. nachm. Morgen, Mittwoch, soll hier im Haus eine sehr wichtige Sitzg. sein, Leffler wird dabei sein. König scheint schon seit ein paar Tagen in Eisenach zu sein. 2 Angestellte haben miteinander geflüstert: Das Schlußwort war: »Es stehen große Veränderungen bevor.« Erfreulich für die D.C. scheint es nicht zu sein. Die Respektlosigkeit der Beamten u. Angestellten vor den obersten Würdenträgern unserer Thür. Kirche wird immer größer. Der Kassierer hat neulich vor den 4 od. 5 Angestellten in d. Kasse von Lehmann als einem »großen Rindvieh« gesprochen. – Folgendes hat sich d. Frau vom Labi geleistet. Sie steht in d. Zentrale, jemand kommt

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herein u. fragt nach Volk u. d. Auskunft lautet: »Er ist krank, zu Hause, hat Ischias.« Worauf Frau Sasse laut sagt: »Soll herkommen u. arbeiten!« Mittwoch, d. 21.12.38. [21. Dezember 1939] Vor einer halben Stunde hat die Sitzg. begonnen. Aus der Tagesordnung ist zu ersehen, daß Rönck »Kirchenrat« geworden ist! Ein Wissender hat gesagt, das sei »nur eine Dienstbezeichnung«. (Meines Wissens sind alle Titel von Beamten Dienstbezeichnungen)! Heubel wäre Oberpfarrer geworden.407 Scheibe wartet wohl noch auf seine Gelegenheit. Donnerstag, 22. Dez. 38. [22. Dezember 1938] Heute immer noch Sitzg. im LKR. Einer erzählte mir: Kürzlich ist hier ein SASturmführer Schramm als Angestellter eingestellt worden. Den hat ein and. SA-Mann (Schäfer), der dies m. Gewährsmann erzählte, daraufhin angeredet, daß er, Schramm, doch die Absicht gehabt hätte, seinen ganzen Sturm geschlossen aus d. Kirche heraus zu führen. Schramm habe darauf wortlos abgewinkt u. d. Gebärde des Geldzählens gemacht. Gestern Abend am Rund.fk. hörte ich plötzlich »O Du fröhliche …« u. traute meinen Ohren nicht. Sie sangen wirklich: »Freue Dich, o Christenheit!« Dann die Ansprache einer harten Kommandostimme: »… wir Soldaten … wir feiern das Weihnachtsfest so, wie wir es immer getan haben, wie wir es von Kindheit an gewohnt sind … wir haben ein Recht darauf …« usw. In den Nachrichten 3 Minuten später die Mitteilg., daß Himmler die »Sonnwendfeier«408 irgendwo mitgemacht hätte. In m. alten Pressesachen habe ich gerade nachgelesen, daß auch die Kommunisten zu Weihnachten »Sonnwend« feierten. Sie hatten am Christentum tatsächlich dasselbe zu bemängeln wie die völkischen Bewegungen. Wieder einmal gibt es Leute, die sich der Hoffng. hingeben, »bald« käme – in Bezug auf d. Kirche – alles »ganz anders.« Freitag, d. 23.12.38. [23. Dezember 1938] Gestern Abd. war unsere409 Abendmahlsfeier in d. Clemenskapelle. Es ist ein weiter Weg da hinaus. Das kleine Kapellchen reichte eben. Frau Pfeiffer war da mit dreien ihrer prachtvollen Söhne, Frau Müller auch mit einigen, außerdem noch ein paar ältere Männer, Menzel mit E.K.I Außerdem Frauen, meist ältere. Otto sprach über die Weissagg. des Jes. : »Und dem Volk, das im Finstern wandelt, scheinet ein großes Licht «410 usw.

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Hier liegt ein Irrtum der Tagebuchschreiberin vor. Im Protokoll der Sitzung des LKR der TheK vom 21. und 22. Dezember 1938 ist die Anwesenheit von Kirchenrat Rönck, Pfarrer Heubel und Oberpfarrer Scheibe dokumentiert (LKAE, A 122, 346). Heubel wurde erst 1940 Oberpfarrer. Rönck wurde am 8. Dezember 1938 das neugebildete selbständige Sachgebiet »Religiöse Betreuung der Jugend« übertragen. Zugleich wurde er zum Kirchenrat ernannt. Nationalsozialistische Veranstaltung, die jeweils am 23. Juni und am 21. Dezember gefeiert wurde. Sie sollte das christliche Weihnachtsfest ersetzen, fand allerdings nur wenig Verbreitung (Enzyklopädie des Nationalsozialismus, 737). Bezieht sich auf die Eisenacher LBG. Jes. 9,1.

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Er sprach sehr einfach u. kraftvoll. Voll Dank auch gg. Gott dafür, daß er nach noch nicht einem Jahr wieder in einer Eisenacher Kirche predigen dürfe. Hinter mir ging Frau H. zum Altar, deren Mann noch im Konz.lager ist. Sie zitterte u. schluchzte in sich hinein. Als sie auf ihren Sitz zurück kam, fing sie hemmungslos an zu weinen. Dann war d. Feier bald zu Ende, die ersten gingen aus der Tür, nachdem Otto vorgetreten war u. ihnen die Hand geschüttelt hatte. Plötzlich kam er heran u. gab Frau H. einen kl. Zettel, aus einem Notizbuch gerissen. Die las ihn u. gab ihn mir. Er lautete: »Lieber Herr Pfr. Otto! Gott hat uns nicht verlassen. Unser lieber Vater ist eben hierher zurückgekommen. Paul H.« Den Zettel hatte der Kirchendiener von einem Boten bekommen u. eben hereingereicht. Die Freude dieser Frau zu sehen, war rührend. Wie ein Kind sah sie strahlend rundum u. sagte immer wieder: »Unser Vater. Unser Vater ist wieder da!« Die Wenigsten wußten, was da los war. Als wir zu viert, mit Frau H. vor d. Altar standen, sagte Otto nach dem Austeilen von Brot u. Wein: … Sonnabd., d. 24. Dez. 38. [24. Dezember 1938] Gestern Abd. d. Weihnachtsfeier des Betriebs. Die Weihnachtslieder wurden frisch gesungen. Sasse las dann d. Weihnachtsgeschichte aus dem Heliand vor. Danach sprach er – und gut. Diese Ansprache stand aber völlig beziehungslos neben seiner Theologie. Ich sah keinen Punkt, wo er da hätte anknüpfen können. Ich konnte es nicht anders verstehen, als daß er von der Geburt des geschichtlichen Jesus sprach – um den die D.C. sich doch nicht mehr kümmern wollen wie ich vor ein paar Tagen in einem DCBlatt las. Er wünschte sich einmal ein deutsches Weihnachten, bei dem wir uns nichts mehr schenken könnten, damit wir d. Bedeutung dieses Festes wieder recht begriffen. Er sprach den bemerkenswerten Satz, daß die Deutschen in allen Schrecken des 30jährigen Krieges das Weihnachtsfest innerlicher u. beglückender erlebt hätten als wir. (Als er das entdeckte, muß ihm doch bewußt geworden sein, daß man damals eben den Heiland der Bibel hatte, nicht den deutschchristlichen) usw. Es geht sehr durcheinander in der Seele dieses Mannes. Von den Aussichten der Kirche im Kampf mit dem Neuheidentum sprach er um mehrere Schattierungen resignierter als im vorigen Jahr. Das Ganze interessierte mich sehr. Die Stimmung im Betrieb ist wieder einmal scheußlich. Der Austräger der »Nationalkirche«, d. Angestellte Ludwig (nicht der Bayreuther) erzählt wütend, daß ihm die DC zum Weihnachtsgeschenk die gedruckte Rede Lefflers aus dem Sportpalast in d. Hand gedrückt haben, die für 10 Pfg. zu haben ist. Lehrer Thieme aus dem V.D. dagegen hat eine Beihilfe von 300 M zu Weihnachten bekommen. Im übrigen werden als Weihnachtsgratifikation bis zum Kirchenamtmann je Kind 5 M gezahlt. Die Kinderlosen bekommen nichts. Ich kam dazu, als man in der Zentrale zunächst in dunklen Andeutungen von den Beziehungen zwischen männl. u. weibl. Angestellten bzw. Beamten im Betrieb sprach. Das sei ja hier d. reine Heiratsvermittlung (das schadet ja nichts). Aber: Nun wurden Namen genannt – Beziehungen zwischen einem jungen Mädchen u. einem verheirateten Mann. Vor allen anderen hielten sie sich bei d. Händen, wenn er hinaus ginge, ginge sie hinterher usw.

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Es soll Tatsache sein, daß Franz ab 1.1. wieder hier arbeitet u. seine Berliner Tätigkeit aufgibt. Die Zuschüsse an den »Verband« (D.C.)411 betrügen in Wirklichkeit weit mehr als offiziell zugegeben würde. Mit allen »Nachschüssen« u. versteckten Zahlungen etwa 100 000 M. Sasse soll übrigens wütend darüber sein, daß bei d. Adventsfeier getanzt worden sei u. hätte gesagt, es sollte künftig hier oben überhpt. nicht mehr getanzt werden (das wird nicht durchgeführt werden). Später. Einem guten Freund von mir (Verbindg. mit d. Berliner Quelle!) hat der Chauffeur von Leffler erzählt, Heubel hätte gesagt, der LKR hätte ihnen garnichts mehr zu sagen! Sie bekämen ihre Weisungen vom Gau (der D.C.?). Bei der letzten »wichtigen« Sitzg. sei außer Scheibe u. »Kirchenrat« Rönck auch Heubel dagewesen. Unsere LKR-Mitgl. seien »aufgeregt u. verstimmt« gewesen u. hätten »sofort zu sprechen aufgehört«, als mein Gewährsmann ins Zimmer gekommen sei.. Poppe sei übrigens noch nicht weg, sondern säße nach wie vor in Stettin auf einem Posten, den keiner kontrolliere. So Ulrich in Hannover! Poppe soll Tausende an »Darlehn« bekommen haben.412 »Ach, wenn mal jemand hinter diese Finanzwirtschaft kommt«!, sagte heute wieder einmal ein spöttisch lachend. Mann! Ein anderer, ein Finanzbeamter, ein ruhiger anständ. Mann sagt: »Wenn uns der »Herold« nicht mehr stundet, können wir im Februar nicht mehr zahlen.« »Richtige Weihnachtsstimmung ist heute hier im Hause«, sagt ein Dritter. Im Zimmer von Purfürst wird so gebrüllt, daß d. Angestellten auf d. Korridor zusammenlaufen. Es geht um die »Neuordnung der Rechtsabteilung.«

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Gemeint ist wohl der »BfDC«. Zu Poppe vgl. Tgb. 11. Februar und 11. Mai 1938 sowie Biogramme.

3. Anhang

3.1. Biogramme 1933–1938* ACHTERBERG, Eberhard * 9. Januar 1910 Oliva † 11.August 1983 Neumünster Religionswissenschaftler, Publizist (Germanische Religion im Streit der Gegenwart, 1935), Funktionär im Amt Rosenberg. 1930 Mitgl. NSDAP. [J.M.] ADLER, Bruno * 4. Januar 1896 Itzehoe † 18. November 1945 Minden 1914–1919 Kriegsdienst; 1925 Pfarrverweser Werne a.d. Lippe; Pfr. Weslarn; 24.6.1933 Bevollmächtigter von Staatskommissar Jäger für die Kirchenprovinz Westfalen; 5.10.1933[–1.7.1939] Bischof der Provinzialkirche Westfalen; bereits 1936 durch den Provinzialkirchenausschuss entmachtet; 1939–1940 komm. Pfarrverwalter Brandenburg / Havel (Dom); seit Oktober 1939 Kriegsdienst; 1946 Versetzung i.R. – Dezember 1932 Mitbegründer und Leiter GDC Westfalen bis zur Sportpalastkundgebung (November 1933) – 1933 Mitgl. Kuratorium Theol. Schule Bethel – 1922 Mitgl. NSDAP.

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Für die Erstellung der Biogramme wurden die folgenden Veröffentlichungen genutzt (genaue bibliographische Angaben finden sich im Literaturverzeichnis): Arbeiten zur Kirchlichen Zeitgeschichte, einzelne Bände dieser Reihe; Benz u.a., Enzyklopädie des Nationalsozialismus; Bookhagen Die evangelische Kinderpflege; Braun / Grünzinger, Personenlexikon; Dokumente zur Kirchenpolitik des Dritten Reiches, Bde. I–IV; Enzyklopädie des Nationalsozialismus (s. Benz); Klee, Personenlexikon; Klee, Kulturlexikon; Kreutzer, Reichskirchenministerium; Meier, Der evangelische Kirchenkampf I– III; Norden, van, Kirchenkampf im Rheinland; Norden, van, Politischer Kirchenkampf; Seidel, Thüringer Gratwanderungen; Seidel, Im Übergang der Diktaturen; Siekmann, Die evangelische Jugendarbeit; Stegmann, Der Kirchenkampf in der Thüringer evangelischen Kirche. Einzelne Artikel aus Wikipedia und anderen Datenbanken. Auskünfte aus Landeskirchlichen Archiven, aus dem Thüringischen Hauptstaatsarchiv Weimar und aus dem Stadtarchiv Eisenach; Thüringer Pfarrerkartei im LKAE. Die Abkürzungen erschließen sich im Wesentlichen selbst. Im Zweifel gilt das Abkürzungsverzeichnis des Tagebuchs sowie das bei Braun / Grünzinger, Personenlexikon zum deutschen Protestantismus 1919–1949, 285–288. Die Bezeichnungen »1933 Wittenberg« und »1934 Berlin« beziehen sich auf die beiden deutschen Nationalsynoden, »1934 Barmen«, »1934 Dahlem«, »1935 Augsburg« und »1936 Bad Oeynhausen« auf die vier Reichsbekenntnissynoden.

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AHME, Karl *10. August 1893 Bielefeld 1929 Pfr. Teichel; 1938 entlassen; wechselt nach Zossen (Berlin-Brandenburg). ALBERTZ, Martin, D. theol. * 7. Mai 1883 Halle † 29. Dezember 1956 Berlin 1931–1935 Pfr. und Superintendent Berlin-Spandau; 1935 Dozent (NT) KiHo Berlin; 1945 Prof. KiHo Berlin – Mitgl. BK: 1934 Provinzialbruderrat Berlin-Brandenburg (1935 Berlin); 1935 Amtsenthebung aus kirchenpolitischen Gründen und bis 1941 Leiter des Theol. Prüfungsamtes der BK Berlin-Brandenburg; 1936–1946 Mitgl. VKL II; 1937 Haft; 1938 Disziplinarverfahren und Entziehung der Rechte des geistlichen Standes; 1941/42 bzw. 1944/45 Haft wegen illegaler Prüfungen für die BK – Teiln.: 1934 Barmen, Berlin-Dahlem, 1935 Augsburg, 1936 Bad Oeynhausen. ALBINUS, NN. Frau; geb. Albinus (23. Nov. 1935) ALTHAUS, Paul, Dr. theol. D. theol., Dr. jur. h.c. (Alths.) * 4. Februar 1888 Obershagen b. Celle † 18. Mai 1966 Erlangen 1914–1918 Kriegsdienst; 1919 oProf. für ST Rostock, 1925–1956 für ST und NT Erlangen – 1926–1964 Präsident Luther-Gesellschaft; 1934/35 Mitgl. Arbeitsausschuss Luth. Rat; 1936 Mitgl. Theol. Kammer der DEK – Teiln. 1934 Dahlem, 1935 Dt. Luth. Tag Hannover. AMANN, Max * 24. November 1891 München † 30. März 1957 München Kaufmann; 1921 erster Geschäftsführer NSDAP; Mitgl. NSDAP (Nr. 3); 1922 Direktor des Zentralverlags der NSDAP; Verleger von Mein Kampf, Völkischer Beobachter u.a.; Reichsleiter für die Presse der NSDAP; 1933 Präsident Reichspressekammer; 1941 SS-Obergruppenführer; 8. September 1948 zehn Jahre Arbeitslager. AMME, Otto * 10. Januar 1893 Rötgesbüttel † 20. Oktober 1978 Berlin 1932 Pfr. Schönau. ANDERNACHT, Karl, Dr. phil. * 25. September 1884 Bad Sassendorf † 19. März 1939 Eisenach 1923 Realschule Leutenberg, 1924 dort Studierat; 1931 Studienrat Reformrealgymnasium Meiningen; 1934 Direktor Ernst-Abbe-Schule Eisenach. – Mitgl. DC; 1926 NSDAP, 1927–1931 Kreisleiter Saalfeld-Rudolstadt. [J.M.] ANDRES, Albert * 1887 † 1977 Schumacher; 1922 Hilfskraft LKR der TheK; 1924 Büroangestellter.

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ANHALT, Wilhelm * 16. Juni 1878 Ifta † 16. Mai 1949 Berlin 1924 Pfr. Meuselwitz; zugleich Oberpfr. ANNEMARIE s. Große-Brauckmann, Annemarie (Brauckmann A.) ARNIM-KRÖCHLENDORFF, Detlev Graf von * 15. September 1878 Berlin † 1. Februar 1947 Berlin Offizier; Gutsbesitzer Kröchlendorff (Mark) – 1930–1933 Mitgl. Christlich-Dt. Bewegung; Mitgl. BK: 1934 Provinzialbruderrat Berlin-Brandenburg; Bruderrat Ev. Kirche der APU; Reichsbruderrat – 1934 Mitgl. Luth. Rat, 1936 Rat der DEK; 1936 Vors. luth. Konvent der Bekenntnissynode der DEK – Teiln. 1934 Barmen, Dahlem, 1935 Augsburg, 1936 Bad Oeynhausen. ARMIN-LÜTZLOW, Wilhelm von * 27. Februar 1879 Gut Züsedom Kr. Angermünde † 23. November 1943 Berlin (Luftangriff) Rittergutsbesitzer Lützlow (Uckermark) / Berlin – Mitgl. BK: 1934 Provinzialbruderrat Berlin-Brandenburg; Bruderrat Ev. Kirche der APU; Mitgl. Landesbruderräte seit der Gründung – Teiln. 1934 Barmen, Dahlem, 1935 Augsburg, 1936 Bad Oeynhausen. ARNOLD, Wilhelm * 8. Mai 1902 Eisenach Tischler; Hausmeister LKR der TheK; 1930 Aushilfe im Predigerseminar; 1934 Kraftwagenführer; 1946 Entlassung aufgrund des Reinigungsgesetzes. ARPER, Karl, Dr. theol. * 22. Dezember 1864 Lobeda † 31. Oktober 1936 Lobeda 1890 Pfr. Thalbürgel, 1918 Weimar, 1919–1932 Oberpfr. Eisenach. – Mitgl. 1. und 3. LKT; Thür. Pfarrerverein, 1925–1936 dessen Vors. ARPER, Grete Ehefrau von Karl Arper. ASMUSSEN, Hans, D. theol. * 21. August 1898 Flensburg † 30. Dezember 1968 Speyer 1923 Pfr. Diakonissenanstalt Flensburg, 1925 Albersdorf, 1932–1933 Altona (Amtsenthebung); 1934 Ruhestandsversetzung; 1934 Leiter theol. Abteilung im Präsidium der Bekenntnissynode Bad Oeynhausen; 1935/6 Dozent (PT und AT) KiHo Berlin, 1937–1941 deren erster Leiter; 1941 mehrfach Haft; 1936–1941 Reichsredeverbot; 1942 Aushilfspfr. Württemberg; 1945–1948 Präsident Kirchenkanzlei der EKD in Schwäbisch Gmünd – bis 1938 Mitgl. Bruderrat der Ev. Kirche der APU, 1940 Provinzialbruderrat Berlin-Brandenburg, Mitgl. Reichsbruderrat, Rat der DEK. – Teiln. 1934 Barmen, Dahlem, 1935 Augsburg, 1936 Bad Oeynhausen.

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ASTEL, Karl, Dr. med. * 26. Februar 1898 Schweinfurt † 4. April 1945 Jena (Selbstmord) Mediziner; 1933 Präsident Thüringisches Landesamt für Rassewesen Weimar; Richter Erbgesundheitsgericht Jena; 1934 Prof. für Menschliche Züchtungslehre und Vererbungsforschung an der Universität Jena; 1939–1945 Rektor Friedrich-Schiller-Universität Jena – 1930 Mitgl. NSDAP; 1939 Leiter Gauamtsstelle des Rassepolitischen Amtes der NSDAP; SS-Hauptsturmführer. AUERBACH, Berthold, Dr. theol. h.c. * 29. Mai 1862 † 25. Februar 1940 Eisenach 1909 Kirchenrat Gera; 1921 Vors. LKR des Fürstentums Reuß Jüngere Linie – 1926 Mitgl. LKR der TheK in Eisenach; 1930 Pfr. mit besonderem gesamtkirchl. Auftrag. AUERBACH, Johanna (J.) Ehefrau von Berthold Auerbach. BACH, Johann Sebastian * 21. März 1685 Eisenach † 28. Juli 1750 Leipzig Kantor, Komponist. BAER, Karl Heinz * 26. Mai 1906 Bayreuth † 9. Oktober 1960 Erfurt 1935 Pfr. Kranichfeld; 1946 Entlassung auf Grund des Reinigungsgesetzes; später Weiterbeschäftigung in Ingersleben. BÄRBCHEN s. Große-Brauckmann, Barbara (Brauckmann B.) * 10. März 1935 Mihla † 21. Juli 1942 Mihla BALZER, Erwin * 15. März 1901 Berlin † 5. März 1975 Hamburg-Bergstedt 1929 Pfr. Helgoland, 1933 Othmarschen b. Altona; 1933 Hamburg; 1934 Landesbischof Lübeck; 1945 Amtsenthebung und Aberkennung der geistlichen Rechte; 1955 Wiedererlangung; 1956 Ruhestand – Landesleiter DC; 1939 Vertreter der LK Lübeck für das Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das kirchliche Leben – 1931 Mitgl. NSDAP. BARTH, Karl, D. theol. * 10. Mai 1886 Basel † 10. Dezember 1968 Basel 1921 HonProf. für Reformierte Theologie an der Universität Göttingen; 1925 oProf. für ST Münster, 1930 Bonn, 1935 (nach Suspendierung und Ausweisung aus Deutschland) Basel; Januar 1934 Bevollmächtigter des Reformierten Bundes; 1934 Mitgl. Reichsbruderrat und Rat der DEK – Teiln. 1934 Barmen, Dahlem.

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BASEDOW, Armin Mitarbeiter im VD der TheK. BATTEFELD, Heinrich Willy Adelhard * 15. Dezember 1898 Lengelmühle / Hessen † 15. Dezember 1963 Eisenach Kirchenverwaltungsamtmann; Angestellter Versorgungsamt Eisenach; 1922 Übernahme in den Dienst der TheK; 1923 Beamter; 1939–1940 Soldat; Leiter Versorgungsabteilung LKR der TheK (Personal- und Behördenleitung) – Mitgl. DVP. BAUDERT, Dietrich (Baudert D.) Wohl Sohn von Lotte und Walter Baudert. BAUDERT, Lotte (Baudert L.) Ehefrau von Walter Baudert. BAUDERT, Roland (Baudert R.) Wohl Sohn von Lotte und Walter Baudert. BAUDERT‚ Walter (Bdt.) * 1. Januar 1888 Zeist / Niederlande † 25. Dezember 1952 1918 Pfarrer Schlettwein / Thür; 1925 Jugendpfr. TheK; 1933 Einziehung der Stelle eines Landesjugendpfr., 1933 Entlassung; wechselte am 1. Oktober 1933 als Pfr. nach Lüdenscheid. Das Ehepaar Baudert war des öfteren besuchsweise in Eisenach, wo es auch zu Begegnungen mit der Tagebuchschreiberin kam, auf die sie immer wieder einmal Bezug nimmt; 1937 Missionstätigkeit in Surinam; 1938 Rückkehr von Frau Baudert mit zwei Söhnen. W. B. war 1939 einer von drei Direktoren der Evangelischen Brüder-Unität Herrnhut / Sachsen. BAUER, Carl Schreibmaschinenhändler in Eisenach. BAUER, Friedrich Hermann Johannes (Bauer J.) * 10. Juni 1904 Unterkatz † 19. März 1973 Eisenach 1928 Pfr. Lehesten; 1943–1945 Soldat; 1946 Pfr. Eisenach; 1970 Ruhestand. BAUER‚ Gerhard (Bauer G.) * 25. Juni 1896 Ilmenau † 28. November 1958 Zeitz 1923 Pfr. Gotha; 1938 Wartestand und Entlassung; 1939 Religionslehrer Coburg; 1943 Pfr. in Stargard (Pommern); 1945 Superintendent Stadtroda; 1949 Mitgl. des LKR der Ev.-Luth. Kirche in Thüringen – 1933 PNB – Mitgl. 4. LKT – Teiln. 1936 Bad Oeynhausen.

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Ab Februar / März 1938 lief ein Verfahren gegen Bauer (LKAE, LBG 86). Im Oktober 1938 wurde der Fall vom LKR verhandelt (Protokolle LKAE, A 122). Bauer erhielt eine Geldstrafe, verbunden mit einem Verweis. Wann er in den Wartestand versetzt wurde, geht aus den Thüringer Restakten nicht hervor, da die Personalakte 1943 nach Stettin abgeben worden ist. Bauer war damals Pfarrer in Stargard / Pommern. Er soll laut Literatur 1938 entlassen worden sein. BAUER, Karl (Bauer K.) * 7. März 1907 Unterkatz †15. Januar 1943 (gefallen in Rußland) 1932 Pfr. Lichtentanne. Juli 1937 Haft wegen Vergehens gegen das Heimtückegesetz (LKAE, G 1408 und LKAE A 122, 61). Im Dezember 1937 Bemühen von Bürgermeister und Kirchenvertretung um Rückkehr von B. nach Lichtentanne (LKAE G 1408). BAUER, Katharina (Bauer K.) Ehefrau von Gerhard Bauer (Gotha). BAUER, Wilhelm, Dr. phil. (Bauer W.) * 1. Dezember 1889 Kahla † 3. März 1969 Kempfenhausen / Starnberger See Studienrat Altenburg/Thür. für Altphilologie, Deutsch und Philosophie. 1933 LKR der TheK, zuständig für Presse, aber auch für Schulangelegenheiten, Konfirmandenunterricht, Feiergestaltung und Liturgie, Weiterbildung der Kandidaten;1935 Kirchenrat; 1937 Stellv. Leiter des Predigerseminars; 1939 weltliches Mitgl. LKR der TheK; 1942 Landeskirchenrat. 1945 aufgrund des Reinigungsgesetzes ohne Anrecht auf Versorgungsbezüge aus dem Dienstverhältnis zur TheK entlassen – Mitgl. Nationalsozialistischer Pfarrer- und Lehrerkreis des Wieratales, der Keimzelle der späteren KDC; Mitgl. KDC; 1933 Mitgl. 3. und 4. LKT; 1938 Reichsleiter Dt. Pfarrergemeinde; 1939 Mitarbeiter am Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüd. Einflusses auf das kirchliche Leben – 1931 Mitgl. NSDAP; Mitgl. NSLB. Bdt. s. Baudert BECKER, Willy Gauwalter der Dt. Arbeitsfront. Beckmann, NN. Wohl Pfarrer, verhaftet im Juni 1937. BEDBUR, Gisela Frl.; Angestellte im DC-Zeitungsladen in der Karthäuser-Straße in Eisenach. BEERMANN, Johannes * 4. April 1878 Oberpahlen (Livland) † 23. Januar 1958 Göttingen 1906 Lehrer St. Petersburg, 1919 Reval; 1934 Bischof Danzig (seit 1939 Danzig-Westpreußen); 1945 Amtsniederlegung beim Einmarsch der russischen Truppen.

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BEGEMANN, Augusta * 13. Dezember 1890 Bückeburg † 30. Dezember 1973 Bückeburg Volksschullehrerin und Theologin; 1924 Erzieherin Hamburger Waisenhaus; 1925 Pfarrgehilfin Gotha; 1926 Anstaltsgeistliche Frauengefängnis Gräfentonna; 1935 Fürsorgerin Frauengefängnis Hohenleuben; 1940 komm. Leiterin Jugendgefängnis Hohenleuben; 1946 Reisesekretärin Ev. Frauenhilfe; 1947 Pfarrvikarin Gera. BEHR‚ Friedrich * 15. Juli 1898 Lobenstein † 4. August 1958 Arnstadt Pfr.; 1930 Leiter Marienstift Arnstadt, einer kirchl. Einrichtung zur Rehabilitation Körperbehinderter. BEINHORN, Elly * 30. Mai 1907 Hannover † 28. November 2007 Ottobrunn Fliegerin und Schriftstellerin; verheiratet mit dem Rennfahrer Bernd Rosemeyer. BELL, George * 4. Februar 1883 Hayling Island † 3. Oktober 1958 Canterbury Anglikanischer Theologe, 1925–1929, Dekan von Canterbury, 1929 Bischof von Chichester. Unterstützer der BK, befreundet mit Dietrich Bonhoeffer; Gründer eines Komitees für deutsche Flüchtlinge (insbesondere jüdische Christen). Im 2. Weltkrieg Gegner der Flächenbombardements. [J.M.] BENEŠ, Eduard * 28. Mai 1884 Kožlany (Böhmen) † 3. September 1948 Sezimovo Ústi (Böhmen) 1919 Mitbegründer der Tschechoslowakei; 1918–1935 Außenminister; 1935 Staatspräsident; im Herbst 1938 nach dem Münchner Abkommen und der Abtretung des Sudetenlands zurückgetreten; Chef der tschechoslowakischen Exilregierung; 1945 wieder Staatspräsident. BENNER, Yvan * 30. März 1893 Budapest † 9. Juli 1969 Apolda 1929 Pfr. Apolda. BENSCH, Heinrich * 19. Mai 1883 Berlin 1911 Schlossprediger Schwarzburg; 1926 Pfr. Eisenberg; wechselte 1935 nach Hannover. BENSER, Bernhard * 30. April 1907 Hochheim Pfr.; 1938 Ausbildung im Kirchensteueramt Weimar; 1939 aus dem kirchlichen Dienst entlassen (oder ausgeschieden?).

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BERGMANN, Ernst, Dr. phil. * 7. August 1881 Colditz † 16. April 1945 Naumburg 1916 Prof. für Philosophie Leipzig; Begründer der »Deutschreligion«; 1935 Mitgl. Führerrat DGB; Hg. Zeitschrift Deutsches Wesen; 1933 Autor: Deutschland, das Bildungsland der neuen Menschheit – Mitgl. NSDAP. BERLIN, Bischof von, s. Preysing, Konrad Graf von BERNEWITZ, Friedrich (Btz.; Butz.) * 3. September 1879 Nurmhusen † 15. März 1947 Eisenach Tätigkeit Kurland; 1918 Flucht vor den Bolschewisten; 1926 Mitarb. im VD der TheK; 1945 Dolmetscher für Russisch im LKR der TheK. BERNEWITZ, Hans (Bernewitz, Sohn) Sohn von Friedrich Bernewitz. BERNEWITZ, Sophie (Bernewitz, Frau) Ehefrau von Friedrich Bernewitz. BERTRAM, Adolf * 14. März 1859 Hildesheim † 6. Juli 1945 Schloss Johannesberg bei Jauernig Katholischer Theologe. 1881 Priester, 1894 Domkapitular in Hildesheim, 1906 Bischof von Hildesheim, 1914 Bischof von Breslau (1930 Erzbischof); 1916 / 1919 Kardinal; 1919–1945 Vorsitzender der Fuldaer Bischofskonferenz. [J.M.] BESSER, Ernst * 6. April 1886 Altenburg † 1. Mai 1973 Trockenborn 1931 Pfr. Stünzhain. BEST, A. BK-Pfarrer (Mai 1938). BESTE, Niklot, D. theol. * 30. Juni 1901 Ilow Kr. Wismar † 24. Mai 1987 Gießen (Unfall) 1929 Pfr. Benthen Kr. Parchim, 1932 für Volksmission Schwerin, 1933, Neubukow Kr. Bad Doberan; 1946 Landesbischof Mecklenburg – 1933 Mitgl. Bund Dt. Lutheraner; Mitgl. Christl.-Dt. Bewegung – Mitgl. BK: Mitgl. und Geschäftsführer PNB; 1934 Vors. Landesbruderrat Mecklenburg, 1936 Mitgl. Reichsbruderrat – Teiln. 1935 Augsburg, 1936 Bad Oeynhausen. BEYER, Hermann Wolfgang, Dr. phil., Lic. theol., D. theol. * 12. September 1898 Annarode Kr. Mansfeld † 25. Dezember 1942 Don-Gebiet (Sowjetunion) (gefallen)

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1926 oProf. für KG und christliche Archäologie Greifswald, 1936 KG Leipzig; Kriegsdienst; Geistlicher (unierter) Kirchenminister in der Reichskirchenregierung vom 2. Dezember 1933 bis zum 5.(6.) Januar 1934; dann komm. Weiterführung des Amtes bis 21. Januar 1934 – Teiln. Wittenberg und Berlin – Mitgl. Christl.-dt. Bewegung; 1933 Präsidium Ev. Bund, Gustav-Adolf-Verein – Anhänger GDC bis zur Sportpalastkundgebung November 1933. Biberstein s. Szymanowski BIRNBAUM, Walter * 6. April 1893 Coswig/Sachsen † 24. Januar 1987 München Evang. Theologe; 1914 Pfr. Radeberg, Herbst 1933 DC, 1935 Prof. PT in Göttingen, ab 1939 Mitarbeiter am Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben; 1945 entlassen, 1951 wieder zugelassen, 1965 emeritiert; Mitglied NSDAP. Zahlreiche Veröffentlichungen. [J.M.] BISCHOF, NN. SA-Mann, heiratet im Dezember 1935 in Kaltenwestheim. BISCHOF, NN. Mitarbeiter LKR, wohl identisch mit W. Bischoff. BISCHOFF, Walter * 1. November 1907 Eisenach Angestellter und Obmann der Angestellten im LKR der TheK; 1945 entlassen. BLECHSCHMIDT, Friedrich * 10. Januar 1879 Gößnitz † 23. März 1962 Gößnitz Chemiefabrikant in Gössnitz b. Altenburg; Mitgl. des Ortsbruderrats der LBG; nach einer Denunziation im Mai 1936 angeklagt wegen Vergehens gegen § 4 der VO des Reichspräsidenten zum Schutze von Volk und Staat sowie wegen Verstoßes gegen das Versammlungsverbot der LBG (vgl. die Akte seines Rechtsanwalts Dr. Prehn, LKAE, LBG 180, III). Das Verfahren wurde am 12. August 1937 eingestellt. [J.M.] BLOMBERG, Werner von * 2. September 1878 Stargard (Pommern) † 14. März 1946 Nürnberg (in US-Haft, an Krankheit) 1933 Reichswehrminister; 1935 Reichskriegsminister und Oberbefehlshaber der Wehrmacht (Umbenennung); 1936 Generalfeldmarschall; 1938 Abdankung wegen eines (vermutlich hochgespielten) Sexskandals; 1938 Ruhestand – Mitgl. NSDAP; Goldenes Parteiabzeichen. BLÜCHER, Wassilij Konstantinowitsch * 19. November 1889 † 9. November 1938 (hingerichtet)

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Bljucher, eigentlich Gurow, Marschall der Sowjetunion; 1927–1937 Oberbefehlshaber der »Besonderen Fernostarmee«; bei den stalinistischen Säuberungen erschossen; 1956 rehabilitiert. BLÜTH, Julius, Dr. jur. * 15. September 1879 Wasungen gest. 1959 Santiago de Chile 1900 Abitur in Eisenach, nach Studium dort 1909 Rechtsanwalt und Notar; aktiv in der jüdischen Gemeinde; 1939 Emigration nach Chile. BLUM, Günther * 8. Juli 1905 Krefeld Jurist; 1930 Mitgl. NSDAP; verschiedene HJ-Führungspositionen; 1933 Gebietsführer des HJ-Gebietes 17 (Thüringen) mit Amtssitz Weimar; gleichzeitig: Vors. des Landesausschusses Thüringen der deutschen Jugendverbände; 1939 HJ-Gebietsführer Krakau. BLUM, Léon * 9. April 1872 Paris † 30. März 1950 Jouy-en-Josas Versailles 1902 zusammen mit J. Jaurès Gründer der Sozialistischen Partei Frankreichs, seit 1919 deren Führer; 1936/37 und 1938 Ministerpräsident der Volksfrontregierung, 1940 von der Vichy-Regierung verhaftet; 1943–1945 in Deutschland interniert; 1946 nochmals Ministerpräsident; Vertreter eines humanistischen Sozialismus. BLUME, NN. Schulrat und Oberregierungsrat, SA-Obersturmführer Hannover. BLUMRÖDER, Anneliese von * 24. August 1913 Eisenach 1935 Mitarbeiterin von Ernst Otto. BOCK, Paul * 2. August 1885 Auma † 2. August 1976 Eisenach Registrator;1921 Anstellung als Revisor LKR der TheK; 1922 Beamter; 1926 Kirchenamtmann; 1927 Kirchenoberamtmann; 1942 Kirchenverwaltungsamtmann; 1947 Kirchenverwaltungsrat. BODELSCHWINGH, Friedrich von, D. theol. (Bodelschw.) * 14. August 1877 Bethel † 4. Januar 1946 Bethel 1910–1946 Leiter der Bodelschwinghschen Anstalten Bethel; Mitgl. Central-Ausschuss für die Innere Mission; 27. Mai bis 24. Juni 1933 (designierter) Reichsbischof DEK – Mitgl. BK: 1934 Mitbegründer Bruderrat der Arbeitsgemeinschaft missionarische und diakonische Verbände DEK (zusammen mit Knak und Lüttichau) – Teiln. 1934 Barmen, Dahlem.

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BÖTTGER, NN. (richtig: Böttcher?) „Rechte Hand“ von M. Sasse, September 1936. BÖTTCHER, Otto Angestellter der Geschäftsstelle des LKR der TheK. BOHN, Hans * 4. März 1886 Crivitz † 26. März 1975 Heidelberg 1934 Pfr. Obermaßfeld. BOHNE, Gerhard * 2. April 1895 Zeutsch (Thüringen) † 11. Juni 1977 Kiel 1920 Studienrat Altenburg und Jena; 1930 Dozent und Prof. für Ev. Religion an der Pädagog. Akademie Frankfurt / O., 1932 Elbing, 1933 Kiel, 1946 Flensburg, 1948 Kiel. BOHNSACK, Franz * 30. Juli 1877 Gotha † 8. Oktober 1950 Tabarz 1926 Oberpfr. Kirchenkreis Gotha-Land; 1929 nebenamtliches Mitgl. LKR der TheK; Kirchenrat; 1934 als Nicht-DC ausgeschieden; 1935 aus dem Oberpfarramt entlassen. BOINEBURG, Burkard Freiherr von * 28. August 1890 Weimar, lebt noch 1979 Privatforstmeister in Weilar; Mitgl. LKT seit 1933. BONIFATIUS, eigentlich Winfried * 672/75 Crediton (England) † 5. Juni 754 Dokkum (Friesland) Angelsächsischer Benediktinermönch und Missionar, tätig auf dem Gebiet des späteren Deutschland, organisierte im Auftrag des Papstes die dt. Kirche; 722 Bischof; 732 Erzbischof; 754 erneuter Versuch der Bekehrung der Friesen; erlitt dabei den Märtyrertod. BONNET , Georges * 23. Juli 1889 Bassilac (Dordogne) † 18. Juni 1973 Paris Französischer Politiker; Außenminister 10. April 1938 bis 13. September 1939. [J.M.] BONUS, Arthur * 21. Januar 1864 Rittergut Neu-Prussi (Westpreußen) † 9. April 1941 Bischofstein b. Lengenfeld unterm Stein (Eichsfeld) Ev. Pfr. und Schriftsteller; forderte seit 1880 eine »Germanisierung« des Christentums; deutschgläubig orientiert – vermutlich Ehrenmitgl. NkE. BORMANN, Martin * 17. Juni 1900 Halberstadt † 2. Mai 1945 Berlin 1927 NSDAP und SA; 1933 Stabsleiter von Heß, praktisch Chef des Parteibüros; 1941 Leiter der Parteikanzlei; 1943 Sekretär des Führers.

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BORNGRÄBER, NN. Bürgermeister von Kaltenwestheim, November 1935. BOSE, Irene Gräfin, geb. Gräfin zu Dohna * 25. November 1874 Potsdam † 21. Juni 1962 Bonn Weimar; Vors. Landesverband der Jugendgerichtshilfe für Thüringen. [J.M.] BOYNEBURG, NN., von Gutsbesitzer zu Dobberpfuhl / Dobropole, November 1937 [möglich: Erwin von B. * 13. Mai 1886 Kralowitz; J.M.] BRAKHAGE‚ Johannes (Brakh.) * 6. Oktober 1895 Hamburg † 26. November 1981 Eisenach 1931 Stiftsprediger Eisenach; 1946 Superintendent Greiz. BRANDT, Lotte beteiligt an der Entwicklung kirchl. Frauenvereine in Thüringen. BRANDENBURG, NN. Vikar bei Pfr. Pecina in Seelow (Brandenburg). BRAUCKMANN, Annemarie (Brauckmann A.) geborene Freiin von Harstall; Tochter von Georg von Harstall eigentlich Große-Brauckmann, Annemarie, Ehefrau von Hans Große-Brauckmann (Mihla); Cousine der Tagebuchschreiberin. BRAUCKMANN, Barbara (Brauckmann B.), * 10. März 1935 Mihla † 21. Juli 1942 Mihla eigentlich Große-Brauckmann, genannt Bärbchen; Tochter von Annemarie und Hans Große-Brauckmann. BRAUCKMANN, Dorothee eigentlich Große-Brauckmann, Dorothee; Verwandte der Tagebuchschreiberin. BRAUCKMANN, Hans (Brauckmann H.) Tod durch Autounfall im April 1935. eigentl. Große-Brauckmann, Hans; verheiratet mit Annemarie Freiin von Harstall (Cousine der Tagebuchschreiberin); Ortsbauernführer Mihla. BRAUER, Erwin, Dr. phil. * 29. Oktober 1896 Plauen / Dresden † Dezember 1946 (im sowjetischen Speziallager Buchenwald) 1922 Pfr. Nerkewitz; 1925 Hilfsreferent LKR der TheK »für die vermögensrechtliche Auseinandersetzung zwischen Kirche und Schule«; 1933 Sachbearbeiter Volksdienst

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der TheK; 1934 Kirchenrat; 1943 Mitgl. Landeskirchenrat der TheK; Oberlandeskirchenrat; 1945 Entlassung auf Grund des Reinigungsgesetzes – Mitgl. 4. LKT; Vors. Kirchenvorstand Eisenach. Mitgl. KDC; Mitarb. Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben – 1929 Mitgl. NSDAP. BREIT, Thomas, D. theol. * 16. März 1880 Ansbach † 20. November 1966 Augsburg 1903–1945 Pfr. Bayern (verschiedene Stellen); 1933–1945 OKR Landeskirchenrat München, davon 1934–1936 beurlaubt zur Dienstleistung als Mitgl. der VKL und 1936–1938 als Vors. des Rat der Ev.-Luth. Kirche Deutschlands (Lutherrat) im Sekretariat Berlin – Mitgl. BK: 1934–1936 Mitgl. Reichsbruderrat und Rat der DEK – Teiln. 1934 Barmen, Dahlem, 1935 Augsburg, 1936 Bad Oeynhausen. BREITHAUPT, Felix Stadtkirchner (Küster) Georgenkirche Eisenach. BRESLAU, Erzbischof von, s. Bertram, Adolf BRÜNING, Heinrich * 26. November 1885 Münster † 30. März 1970 Norwich, Vermont (USA) Aus der christlichen Gewerkschaftsbewegung hervorgegangen, 1924 MdR (Zentrum); 1929 Fraktionsvorsitzender; 1930–1932 Reichskanzler; 1932 von Hindenburg entlassen; 1934 Emigration; seit 1935 Prof. (Harvard-Universität); 1951–1955 Köln. BRUNOTTE, Hanns * 10. November 1910 Greiz † 27. April 1991 Cand. theol.; Unterzeichner der Erklärung der LBG vom 10. Juli 1935, daher nicht in den Dienst der TheK übernommen; (illegaler) Vikar LBG in Sonneberg und Neuhaus a.R.; wechselt später nach Bayern. BRUNOTTE, Heinz, D. theol. (Brunotte H.) * 11. Juni 1896 Hannover † 2. Februar 1984 Hannover 1925 Pfr. Münchehagen, 1927 Hoyershausen Kr. Alfeld; 1936 Oberkonsistorialrat Kirchenkanzlei der DEK; 1944 faktisch Leiter DEK; 1949 Präsident EKD – Mitgl. BK: JRB; 1933 PNB; 1933–1936 Bruderrat Hannover. BRUNSTÄD, Friedrich, Dr. phil. * 22. Juli 1883 Hannover † 2. November 1944 Willershagen b. Gelbensande (Mecklenburg) 1925 oProf. für ST Rostock; zugleich 1922–1934 Leiter der Ev.-Sozialen Schule Spandau – Mitgl. BK: 1933 JRB; 1934/35 Luth. Rat; 1936 Theol. Kammer der DEK – Teiln. 1935 Bekenntnissynode Mecklenburg.

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Btz. s. Bernewitz BÜCHNER, Wilhelm * 4. Juni 1894 Meiningen † 4. Februar 1987 Eisenach 1919 Pfr. Wallendorf, 1921 Meiningen, 1929 Jena; 1943 Oberpfr. Eisenach und (nebenamtl.) Mitgl. LKR der TheK; 1944 Superintendent Eisenach und Propst Meiningen; 1945 hauptamtl. Mitgl. LKR, KR; Wartestand; Pfr. Eisenach; 1946 Entlassung als Superintendent und Propst – Mitgl. KDC; Mitarb. Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben. BÜHRLEN, Gerhard * 16. Januar 1910 Dünsbach † 16. Juli 1977 Bad Dürrheim Pfr.; 1935 Dienst in der TheK; 1936 Vikar Bürden; 1939 dort Pfr.; 1947 Entlassung aus der TheK, Rückkehr in die württembergische Kirche, Pfr. Hohebach bei Künzelsau. BÜRCKEL, Joseph * 30. März 1895 Lingenfeld / Pfalz † 28. September 1944 Neustadt / Weinstraße (Selbstmord) 1921 NSDAP; 1926 Gauleiter Rheinpfalz; 1930 MdR; 1934 Saarbevollmächtigter Hitlers; 1935 Reichskommissar für die Rückgliederung des Saargebiets; 1938 Reichskommissar für den Anschluss Österreichs an das Dt. Reich; 1939/40 Reichsstatthalter Ostmark; 1940 Chef der Zivilverwaltung im besetzten Lothringen, das dem Parteigau angegliedert wird (»Westmark« mit Pfalz, Saargebiet und Lothringen). BÜSING, Otto, Dr. med. * 16. Dezember 1880 Berlin-Wilmersdorf † 28. März 1946 Eisenach Augenarzt in Eisenach; Ornithologe. BURGEMEISTER, Frieda * 9. August 1911 Tochter von Hausmeister Samuel Sommer. BURGHART, Georg, D. theol. * 21. Oktober 1865 Berlin † 3. März 1954 Berlin 1927 Geistl. Vizepräsident EOK Berlin und Oberdomprediger; 1933 Ruhestand – 1936 Mitgl. Verfassungskammer VKL. BURKHARDT, Grete Frau in Berlin BURSCHE, Julius / Juliusz * 19. September 1862 Kalisch / Kalisz † 20. Februar 1942 (Gestapo-Krankenhaus)

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1905 Generalsuperintendent und 1937 Bischof der Ev. Augsburgischen Kirche in Polen; 1940 KZ Sachsenhausen – Kämpfer für einen eigenständigen polnischen Protestantismus. BUSCH, NN. aus Essen, wohl Pfarrer, Juni 1937 BUTTMANN, Rudolf, Dr. jur. * 4. Juli 1885 Markbreit am Main † 25. Dezember 1947 Stockdorf b. München Bibliothekar; 1924–1933 Vorsitzender der bayerischen Landtagsfraktion der NSDAP; 1933–1935 Ministerialdirektor und Leiter kulturpolitische Abteilung im Reichsinnenministerium; 1935 Generaldirektor Bayerische Staatsbibliothek – 1925 Mitgl. NSDAP; 1933–1935 MdR; 1936 Beirat der Forschungsabteilung Judenfrage im Reichsinstitut für Geschichte des neuen Deutschland. BUTZ. s. Bernewitz. CANTERBURY, Erzbischof von, s. Lang, Cosmo Gordon CARLSSON, Hjalmar * 24. Mai 1896 Lowel (USA) † 25. März 1943 Bad Sulza 1927 Pfr. Wiesenthal; 1938 zwangsversetzt nach Gebstedt. Ab August 1937 Verfahren »wegen Vergehens gegen das Heimtückegesetz wegen Kanzelmißbrauchs und öffentlicher Aufforderung zum Ungehorsam gegen Gesetze«; mehrfach in Haft; vorläufige Dienstenthebung; Dezember 1937 Einstellung des Verfahrens; Zwangsversetzung nach Gebstedt (LKAE, G 1225). CARUS, NN. Leiterin des Theologischen Konvikts Jena, Mai 1938. CÉSAR, August * 21. Juli 1863 Apolda † 4. Dezember 1959 Jena 1912 Pfr. Jena; 1913 Schriftleiter der Zeitschrift »Die freie Volkskirche. Blatt für Gegenwartschristentum« seit deren ersten Erscheinen; 1928 Ruhestand; 1931–1936 Pfarrverwalter Leutentag, Tautenburg, Steuditz, 1939–1940 Pößneck – Mitgl. 1., 2. 3. LKT (Thüringen). CHAMBERLAIN, Arthur Neville (Chamb.) * 18. März 1869 Edgbaston b. Birmingham † 9. November 1940 Heckfield Britischer Politiker (konservativ); 1937 Premierminister; unterzeichnete das Abkommen in München 1938; 1940 Rücktritt.

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CHAMBERLAIN, Houston Stewart * 9. September 1855 in Portsmouth (England) † 9. Januar 1927 Bayreuth Schriftsteller, verheiratet mit Eva, Tochter von Richard und Cosima Wagner; Verfasser von Werken mit pangermanischer und antisemitischer Einstellung. [J.M.] CHICHESTER, Bischof von, s. Bell, George CHRISTIANSEN, Nikolaus * 18. November 1891 Flensburg † 19. September 1973 Kiel 1921 Pfr. Holtenau b. Kiel; 1925 Konsistorialrat Landeskirchenamt Kiel; 1933 Vizepräsident Landeskirchenamt Kiel, 1933–34 Mitgl. Reichskirchenregierung Berlin; 1934 OKR Berlin (Leiter des neuen Referats Presse und Öffentlichkeit in der Dt. Ev. Kirchenkanzlei); 1935 i.R als Vizepräsident; 1936–1956 Pfr. Büsum – 1933 Mitgl. Landessynode LK Schleswig-Hostein; Landeskirchenausschuß Kiel – Mitgl. NSDAP. CHURCHILL, Winston Leonard Spencer-Ch. * 30. November 1874 Blenheim Palace bei Woodstock (England) † 24. Januar 1965 London Englischer Politiker (konservativ, zeitweise liberal); mehrfach Minister; erbitterter Gegner der Appeasementpolitik Chamberlains; 1940 Premierminister. CLEMENCEAU, George * 28. September 1840 Mouilleron-en-Pareds, Vendée † 24. November 1939 Paris Journalist, Politiker, Staatsmann; radikaler Sozialist; verschiedene politische Ämter, u.a. 1906–1909 Ministerpräsident, 1917–1920 Ministerpräsident und Kriegsminister; entschiedener Gegner Deutschlands bei den Verhandlungen in Versailles, mit dem Ziel der größtmöglichen Schwächung Deutschlands, eine politische Position, die er später aufgab; 1920 Rückzug aus der Politik. COCH, Friedrich * 11. Dezember 1887 Eisenach † 9. September 1945 Hersbruck / Bayern 1921 Pfr. Freiberg; 1927 Landespfr. für Innere Mission und Leiter des Ev. Pressverbandes Sachsens; 1933 sächsischer Landesbischof; 1945 Internierungslager Hersbruck – Mitgl. DC – 1931 Mitgl. NSDAP – Teiln. 1933 Wittenberg, 1934 Berlin. COOPER, (Alfred) Duff [1952: Vicount Norwich] * 22. Februar 1890 London † 1. Januar 1954 b. Vigo / Spanien Englischer Historiker und Politiker; 1935–1937 Kriegsminister; 1937–1938 Erster Lord der Admiralität; 1940–1941 Informationsminister; 1943–1944 Botschafter beim französischen Befreiungskommitee, 1944–1947 Botschafter in Frankreich. COYM, Gustav * 12. Juni 1909 Hamburg † 12. April 1979 Malente Hilfspfr. Unterkatz; 1946 Sup. Meiningen; 1962 Propst Naumburg.

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CRAMER, Karl, D., Dr. theol. * 27. Mai 1882 Novo Usensk † 1. September 1974 Erlangen 1919 Pfr. Altenbergen, 1923 Gotha (Pfr. der »Mitte«); 1938 auf eigenen Antrag in den Wartestand versetzt. CREUTZBURG, Curt (Creuzbg.) * 10. September 1877 Meiningen † 22. Januar 1958 Meiningen 1915 Pfr. Queienfeld; 1937 Wartestand, 1945 Ruhestand. Verhaftung (»Schutzhaft«) am 4. September 1937 wegen abträglicher Äußerungen über Staat und Partei; vorläufige Dienstenthebung; 1. Oktober Einweisung in das KZ Buchenwald, daraufhin Versetzung in den Wartestand durch den LKR (LKAE, G 155). DAITZ, Werner * 15. Oktober 1884 Lübeck † 5. Mai 1945 Timmendorfer Strand Chemiker und Unternehmer. Mitglied der Reichsleitung der NSDAP. Mitgl. des Großen Rates der »Nordischen Gesellschaft«, hielt in dieser Funktion im November 1937 einen Vortrag in Eisenach. [J.M.] DALADIER, Édouard * 18. Juni 1884 Carpentras Département Vaucluse † 10. Oktober 1970 Paris Radikalsozialistischer Abgeordneter, seit 1924 verschiedene Ministerposten, 1933 / 1934 und 1938–1940 Ministerpräsident; unterzeichnete das Abkommen in München 1938 und die Kriegserklärung an Deutschland 1939; von der Vichy-Regierung verhaftet, an Deutschland ausgeliefert und 1943–1945 interniert; 1957/58 Parteivorsitzender der Radikalsozialisten. DALHOFF, Dr. jur. Rechtsassessor Magdeburg; Aushilfe 1936 Pfründenabteilung des LKR. [vermutlich handelt es sich um Erich Dalhoff * 1908 † 1982. J.M.] DAMM, Frau v. Reichsrednerin der NSDAP, besuchte im Februar 1938 die Mutter der Tagebuchschreiberin. [In Frage kommen mehrere Damen aus dieser Familie: Charlotte geb. Leuga * 1909 † 1973; Emily geb. Sievers * 1892 † 1988; Frida geb. Willecke * 1888 † 1952; Christel geb. v. Damm, * 1908 † 1986, war seit 1935 mit dem SA-Sturmführer Dr. Kurt Stahn verheiratet]. [J.M.] DANIEL, [vermutlich] Hermann Bücherrevisor und Kirchenvertreter (DC) Eisenach. DARRÉ, Richard Walter * 14. Juli 1895 Buenos Aires † 5. September 1953 München 1933 Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft.

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DAUM, Adolf * 4. Mai 1906 Heiligenstadt (Oberfranken) † 21. November 1955 Blexen (Oldenburg) Studium der Theologie und Musik; 1933 Pfr. Niederwiera (Thüringen), Kreisgemeindeleiter KDC in Altenburg; 1937 Entsendung als Landesleiter der Landesgemeinde Bayerische Ostmark der KDC (NkE); 1942 Pfr. Oberlödla (Thüringen); 1943–45 Kriegsdienst; 1946 Entlassung aufgrund des Reinigungsgesetzes – Mitgl. NSDAP; seit 1930 NS-Gauredner; 1933 Landesleiter NS-Ev. Pfarrerbund Bayern – Komponist von 20 Liedern des DC-Gesangbuches Großer Gott wir loben dich! DEMMER, Bernhard, Dr. Ing. * 11. Juni 1876 Wien † 5. April 1949 Eisenach Generaldirektor der Demmer-Werke 1902–1946 (Enteignung); Gründungsmitglied und Präsident im Verein „Freunde der Wartburg“; Präsident der Wartburgstiftung; Ehrenbürger der Wartburg und der Friedrich-Schiller-Universität Jena. [J.M.] DENCKER, Gerhard * 8. Mai 1913 Berlin † 13. Januar 1942 an einer Verwundung im Feldlazarett (Rußland) 1937 Hilfsprediger Apolda; beurlaubt zum Dienst beim Bund für Deutsches Christentum. DERICHSWEILER, Albert, Dr. jur. * 6. Juli 1909 Bad Niederbronn / Elsaß † 6. Januar 1997 München 1933 Redner bei der Bücherverbrennung Münster; 1934–1936 Reichsstudentenbundführer; 1936 MdR, Reichsredner; 1939 Gauamtsleiter Dt. Arbeitsfront im Wartheland; 1943 Präsident Gauarbeitskammer Warthegau; 1944 SA-Oberscharführer – 1933 Mitgl. NSDAP. DETTEN, Hermann von * 30. Mai 1879 Hamm † 19. Januar 1954 Natingen (Westfalen) 1934 Berufung zum Leiter »Abteilung für den kulturellen Frieden« (im Stabe des Stellvertreters des Führers) in der Reichsleitung der NSDAP; 1935 Stellv. Minister Reichsministerium für die kirchl. Angelegenheiten; 1936 (1. April) dort Ministerialdirigent; 1937 (1. April) Versetzung in den Wartestand; 1942 (1. April) Ruhestand. – 1933 Mitgl. NSDAP. DEUTELMOSER, Arno * 1907 † Februar 1983 Hamburg Nationalrevolutionärer Aktivist in der Endphase der Weimarer Republik. Im März 1933 verhaftet. Autor: Luther, Staat und Glaube, 1937. [J.M.] DIBELIUS, Otto, Dr. phil., Lic. theol., D. (Dib.) * 15. Mai 1880 Berlin † 31. Januar 1967 Berlin 1910 Pfr. Danzig, 1911 Lauenburg (Pommern) 1915 Berlin; 1921 Mitgl. EOK Berlin im Nebenamt; 1925 Generalsuperintendent Kurmark bis zur Zwangpensionierung

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durch Staatskommissar Jäger 1933; 1946–1966 berlin-brandenburgischer Bischof – BK: 1934 ständiger Mitarb. im berlin-brandenburgischen Bruderrat; 1937 Verhaftung; 1937 Mitgl. Rat Ev. Kirche der APU; 1941 Mitgl. Beirat des Kirchl. Einigungswerkes von Landesbischof Theophil Wurm; 1942 Teiln. »Freiburger Geheimtagung« – Teiln. 1933 Wittenberg 1936 Bad Oeynhausen. DIECKMANN, Karl Werkmeister; religiöser Sozialist; kandidierte für die Gruppe der Religiösen Sozialisten für den Thüringer LKT. DIECKMANN, Ernst Sohn von Karl Dieckmann; Ortsgruppenführer der Hitlerjugend in Eisenach; Pressewart Oberbann Thüringen Nord-West, DIEHL‚ Guida * 17. / 29. Juli 1868 Schischkin b. Hoffnungstal (Südrußland) † 4. September 1961 Laurenburg / Lahn Lehrerin; 1916 Gründerin Neulandbund mit Stammsitz Eisenach und Gründerin Zeitschrift Neuland; 1920 Leiterin Neulandhaus und Neulandverlag in Eisenach; 1926 erste Mütterschule; 1927 Eröffnung Gemeindehelferinnenseminar (bis 1938); 1932 Sachbearbeiterin für Kultur- und Erziehungsaufgaben in der Reichleitung der NSDAP; erste Kulturreferentin NS-Frauenschaft; 1933 Reichssachbearbeiterin GDC für Frauenfragen; 1940 Ausschluss aus der Reichsschrifttumskammer – 1930 Mitgl. NSDAP – Verfasserin frauenpolitischer und religiöser Schriften. DIEHL, Ludwig (Diehl L.) * 17. Januar 1894 Weilerbach † 15. Oktober 1982 Zweibrücken 1924 Pfr. Mackenbach; 1934–1945 Landesbischof LK Pfalz; 1940 kirchl. Zuständigkeit für die ref. und protestantischen Kirchengemeinden Lothringens; 1945–1963 erneut Pfr. Mackenbach – 1933 Vors. Pfarrerverein; Oktober 1935 bis Februar 1937 Mitgl. RKA (Referat Jugendarbeit) – Mai 1933 Landesleiter DC; Mitgl. Arbeitsgemeinschaft DC-Kirchenleiter; 1939 Vertreter seiner LK für das Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben Eisenach – 1925 bzw. 1927 Mitgl. NSDAP; NSDAP-Gauredner; inoffizieller stellv. Kreisleiter; Träger des Goldenen Parteiabzeichens (1934) – Teiln. Wittenberg. DIETRICH, Ernst Ludwig, Dr. phil. * 28. Januar 1897 Groß-Umstadt † 20. Januar 1974 Wiesbaden 1923 Pfr. Wackernheim b. Mainz, 1927 Hamburg-Barmbek, 1929 Wiesbaden; 1934– 1945 Landesbischof LK Nassau-Hessen; 1936 staatl. Amtsverbot als Landesbischof; Pfarrverweser Wiesbaden; 1947–1968 Pfr. und Krankenhausseelsorger Wiesbaden – 1935 Mitunterzeichner »Wort dt. Theologen an die theol. Fakultäten Deutschlands«.

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DILSCHNEIDER, Otto, Dr. theol. * 24. Januar 1904 Berlin † 30. März 1991 Berlin 1937 illegaler BK-Studentenpfr. Jena; 1938/39 komm. Studiendirektor Predigerseminare Rastenburg und Düsseldorf; 1939 Ordination und Pfr. Kemberg (Prov. Sachsen), 1941–1960 Berlin-Zehlendorf; mehrfach verhaftet; 1945 Mitgl. Kirchenleitung der Ev. Kirche der APU. DINTER, Artur, Dr. phil., Dr. rer.nat. * 27. Juni 1876 Mülhausen (Elsaß) † 21. Mai 1948 Offenburg (Baden) Lehrer, (völkischer) Schriftsteller, Politiker; Studium der Ingenieur- und Naturwissenschaften und der Philosophie; verschiedene Berufstätigkeiten; 1924 MdL Thüringen; 1927 Gründer Dt. Volkskirche e.V. und 1928 dessen Organ (Monatssschrift) Das Geistchristentum; 1927 Gründer Geistchristliche Religionsgemeinschaft e.V.; 1934 Autor: Die Dt. Volkskirche als Dienerin des nationalsozialistischen Volksstaates. – 1925 Mitgl. NSDAP; 1924–1927 NS-Gauleiter Thüringen; 1927 Absetzung als Gauleiter; 1928 Ausschluss NSDAP; 1936 Verbot von Zeitschrift und Religionsgemeinschaft; 1939 Ausschluss Reichsschrifttumskammer. DIRKSEN, Herbert von * 2. April 1882 Berlin † 19. Dezember 1955 München Jurist, 1918 Eintritt in den diplomatischen Dienst. Dt. Botschafter in Moskau, Tokio (1933) und London (1938); 1939 Ausscheiden aus dem diplomat. Dienst. [J.M.] DITTMANN, NN. Soll im September 1938 im LKR eine Andacht halten. DITTMAR, Elisabeth (Kosename Lilli); Stenotypistin; Sekretärin beim VD der TheK. DOBENECKER, Johannes * 19. Februar 1895 Ronneburg † 4. Mai 1947 1934 Pfr. Sonneberg; 1934 als bisheriger Statistik-Pfr. wegen Mitgliedschaft in der LBG abgelöst; stirbt 1947 an einer Kriegsverletzung in russischer Kriegsgefangenschaft. DOBRUCKY, Theodor * 7. Oktober 1893 Hoyerswerda (Sterbedatum nicht ermittelbar) 1917–1924 Pfarrvikar, dann Pfr. Kleinbautzen; 1924 auf Antrag aus der sächs. Landeskirche entlassen; 1925 Hilfspfr. und Pfr. Heldburg, 1930 Pfr. Windischleuba, Kreis Altenburg; 1934 Anzeige durch die Gestapo; 1935 aus der TheK entlassen, Wechsel nach Sachsen. DÖBLING, NN. Herr D. (Dezember 1938); für Eisenach nicht nachweisbar.

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DOEHRING, Bruno, D. * 3. Februar 1879 Mohrungen (Ostpreußen) † 16. April 1961 Berlin 1914–1960 Hof- und Domprediger Berlin; 1923–1940 Privatdoz. Berlin; bis 1953 aplProf. mit Lehrauftrag (PT) ebd. – 1930–1933 MdR. DOERNE, Martin, Dr. phil., Lic. theol. * 20. März 1900 Schönbach Kr. Löbau (Sachsen) † 2. September 1970 Göttingen 1925 Pfr. Löbau; 1927 Gründer und Studiendirektor Predigerseminar Lückendorf Kr. Zittau; 1934 oProf. für PT Leipzig, 1947 für ST Rostock, 1952 für ST Halle; 1954 für PT Göttingen – 1933 Mitgl. JRB; 1936 Mitgl. Kammer für ev. Erziehungsarbeit der DEK. DOHRMANN, Franz, D. theol. * 4. Oktober 1881 Großlübbichow b. Frankfurt a.O. † 19. April 1969 München 1908–1919 Pfr. und Militärseelsorger Potsdam, Bromberg und an der Front; 1920 Wehrkreispfr. Stettin; 1927 Konsistorialrat Stettin; 1934–1945 Ev. Feldbischof Wehrmacht; 1945 Internierung Benediktinerkloster Niederaltaich; 1946 Pfr. München. DORPMÜLLER, Julius * 24. Juli 1869 Elberfeld † 5. Juli 1945 Malente Seit 1926 Generaldirektor der Reichsbahn, Januar 1936 Reichsverkehrsminister. [J.M.] DRESCHER, Gottfried, Dr. phil. Berufsschullehrer in Eisenach. DÜLL, Gottlieb * 26. Januar 1881 Nürnberg † 13. Juli 1942 Jena 1936 Pfr. Haselbach. DÜRR, NN. Mitarb. im Reichspropagandaministerium, Juli 1937. DÜRER, Albrecht * 1471 † 1528 Deutscher Maler und Grafiker. DUNGS, Heinrich (Heinz) * 21. Dezember 1898 Sterkrade † 8. Januar 1949 (sowjetische Gefangenschaft) 1925 Pfr. Kleinich / Hunsrück, 1929 Krefeld, 1934 Mülheim/Ruhr; 1937 Pfr. TheK mit gesamtkirchl. Auftrag; 1938 Pressepfr. TheK; 1943 Oberpfr. Blankenhain, Kirchenrat; 1945 Pfarrverwalter Troistedt; 1946 entlassen aufgrund des Reinigungsgesetzes; Verhaftung durch die sowjetische Militäradministration (in Thüringen) – Mitgl. KDC. DURHAM, Bischof von, s. Henson, Herbert Hensley

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DUSKE, NN. Jurist im Reichskirchenministerium, Berlin, Oktober 1937. EBERBACH, Max * 26. Dezember 1886 Vorbachzimmern † 20. Februar 1975 Leonberg 1928 Pfr. Lobenstein. Auf Bitten von S. Leffler im Dezember 1934 von der Gestapo beobachtet. Vom entsprechenden Schreiben Lefflers an den LKR der TheK (LKAE, G 181) hat die Tagebuchschreiberin wohl über ihre Informanten Kenntnis erhalten. Später änderte E. seine Haltung: nach Aussprache mit Sasse und Stüber zog er seine Unterschrift unter die entscheidende Erklärung der LBG und des Bruderrates vom 10. Juli 1935 (Ablehnung des LKR als geistliche Leitung) zurück (LKAE, G 181). EBERT, Herta Angestellte in der Pfründenabteilung beim LKR der TheK. ECKARDT, Alfred (auch falsch Eckhardt) * 15. September 1899 Oesterbehringen Angestellter in der Pfründenabteilung des LKR; 1942 Entlassung aus dem kirchl. Dienst. ECKARDT, NN. Ortsgruppenleiter Melborn; Gemeindeleiter KDC. ECKERLIN, Walter * 24. März 1900 Karlsruhe † 25. Juli 1989 Söneck OT Kilianstädten 1923 Pfr. Karlsruhe-Mühlberg; 1926–1931 Pfr. Witzleben / Thür., 1931–1934 Pfr. Dankmarshausen; 1934 von dort durch die Kirchenleitung vertrieben, Wechsel nach Hessen; 1934 Pfr. Bosserode u. Kleinensee; 1950–1969 Pfr. Wachenbuchen b. Hanau; 1969 Ruhestand. ECKERT, NN. Im November 1938 zuständig für den Luftschutz in Eisenach. ECKERT, Erwin *16. Juni 1893 Zaisenhausen Amt Bretten † 20. Dezember 1972 Großsachsen (Baden) 1911 Mitgl. SPD; 1922 Pfr. Meersburg / Bodensee, 1927 Mannheim; Mitbegründer Bund religiöser Sozialisten; Konflikte mit der Kirchenleitung Landeskirche Baden; 1931 vorläufige Amtsenthebung und Dienstrafverfahren; Ausschluss SPD; Eintritt KPD; Verlust des kirchlichen Amts; Redakteur Berlin, Düsseldorf, Inhaftierung Freiendiez, Ludwigsburg. ECKHARDT, Alfred (richtig: Eckardt).

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EDEN, Anthony * 12. Juni 1897 Windlestone Hall † 14. Januar 1977 bei Salisbury (Wiltshire) Britischer konservativer Politiker; 1935–1938 Außenminister; 1940 Kriegsminister; 1940–1945 und 1951–1955 Außenminister unter Churchill. Premierminister 1955– 1957. EDER, Hans, Dr. theol., D. theol. * 29. März 1890 Buch (Oberösterreich) † 25. Februar 1944 Gosau 1917–1944 Pfr. Gosau; 1938 Abordnung an der OKR Wien; 1940 erster Bischof Ev. Kirche Österreich. EGER, Johannes, D. theol. * 6. Dezember 1873 Hackpfüffel Kr. Sangerhausen † 11. Dezember 1954 Enger (Westfalen) 1925 Pfr. Berlin-Dahlem; 1929–1934 Generalsuperintendent Kirchenprovinz Sachsen (Südwestsprengel); Vors. Ev. Konsistorium Magdeburg; Prof. Geh. Konsistorialrat; 1934 Versetzung i.R. – 1935–1937 Mitgl. RKA (Referat Frauenarbeit) und Vors. Provinzialkirchenausschuss Sachsen – 1933 Mitgl. PNB. EHLERS, Hermann, Dr. jur., D. theol. * 1. Oktober 1904 (Berlin-) Schöneberg † 29. Oktober 1954 Oldenburg Jurist; 1933/34 Kommunalverwaltung Berlin (-Steglitz); 1934 entlassen; 1935 Mitgl. und Justitiar Bruderrat Ev. Kirche der APU; nach 1936 staatl. Justizdienst; 1937 Haft, Richter Berlin; 1939 entlassen wegen seiner Tätigkeit für die BK; dann Anwaltsvertreter Berlin; 1940 Kriegsdienst; 1945 OKR Oldenburg (Oldb); 1950 Präsident Dt. Bundestag – 1930–1933 Mitgl. Reichsleitung Bund dt. Bibelkreise; 1937 Mitgl. Kreissynode Kölln-Land; (»Evangelium und Kirche«) – Teiln. 1935 Augsburg, 1936 Bad Oeynhausen. EHRLICH, Erna Stenotypistin, Angestellte beim LKR der TheK. EIBERT, Anne Zuschneiderin in Eisenach. EICHEL-STREIBER‚ Friedrich Georg von, Dr. jur. (Eichel) * 31. Dezember 1876 Eisenach † 20. April 1943 Eisenach Rittergutsbesitzer, Jurist und Politiker; 1914–1943 Vors. Verwaltungsrat der Eisenacher Diakonissenhausstiftung; MdL Thüringen (DNVP; Fraktionsvors.) – Mitgl. 1., 2. 3. und 4. LKT (Thüringen); 1925–1935 Präsident 2., 3. und 4. LKT; Mitgl. Thüringer Kirchl. Konferenz; 1934 Mitgl. LBG. EICHEL, Hermann von (Eichel H.) * 25. August 1856 Mittelhof † 1. Mai 1934 Marisfeld

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Kammerherr und Gutsbesitzer Marisfeld. [J.M.] EISNER, Kurt * 14. Mai 1867 Berlin † 21. Februar 1919 München (ermordet) 1893–1898 Journalist Marburg; 1898 SPD; 1917 Vors. USPD in Bayern; 1918 proklamiert er den »Freistaat Bayern«; im bayerischen Landtag, Vors. eines Arbeiter-, Bauern- und Soldatenrats; Ministerpräsident und Außenminister; 1919 Rücktritt nach katastrophaler Niederlage der USPD. EITNER, Adelheid * 1886 Alt-Colziglow / Pommern † 2. März 1949 Marksuhl (verunglückt) Fürsorgerin; 1929 Angestellte VD und Leiterin Frauendienst der TheK; 1933 Trennung des Frauendienstes von der Administration der DC; Anschluss an die gesamtdt. ev. Frauenhilfe und deren Geschäftsführerin für Thüringen; 1941 Auflösung der Thüringer Frauenhilfe durch die Gestapo; 1945 zusammen mit Hedwig Pfeiffer Neuaufbau und Leitung der Thüringer Frauenhilfe; beide Frauen kommen 1949 bei einem Eisenbahnunglück ums Leben. ELCHIN, Reinh. Kanadischer oder amerikanischer Journalist, Oktober 1935. ELERT, Werner, Lic. theol. D. theol. * 19. August 1885 Heldrungen (Provinz Sachsen) † 21. November 1954 Erlangen 1923 oProf. für KG, Dogmengeschichte, Symbolistik, Erlangen, 1932 für ST ebd. – September 1933 Unterzeichner des Erlanger Universitätsgutachtens zum kirchl. Arierparagraphen; Juni 1934 Kritiker der Barmer Theologischen Erklärung im sog. Ansbacher Anschlag – 1934/35 Mitgl. Luth. Rat; 1936 Theol. Kammer der DEK; stellv. Leiter Martin-Luther-Bund Erlangen; Vorstandsmitgl. Luth. Einigungswerk – Mitgl. NSLB, Hochschulverband. ELLE, Heinrich * 8. Juni 1883 Kerpsleben † 12. Juli 1967 Jena 1929 Pfr. Jena; 1946 Superintendent Jena. ELLWEIN, Theodor, Dr. theol. * 18. Mai 1897 Madras (Indien) † 22. Februar 1962 München 1924 Religionslehrer (Studienrat) Hof, 1930 Augsburg; 1934 Prof. Hochschule für Lehrerbildung Weilburg / Lahn; 1936 Oberkonsistorialrat (theol. Referent) Kirchenkanzlei der DEK Berlin; 1936 Leiter Volkskirchl. Arbeitsgemeinschaft der DEK mit dem Ziel einen kirchl. Mittelblock zu schaffen; 1939–1945 Kriegsdienst; bis Ende 1949 russische Kriegsgefangenschaft. ELSE Frl.; tätig in der Kantine des LKR der TheK.

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ELSE schreibt im April 1937 aus Hannover und Kiel an die Tagebuchschreiberin. ENGELHARDT, Emil * 10. April 1887 Neudorf † 10. November 1961 Dötlingen 1927 Pfr. Altenbergen; 1946 Entlassung auf Grund des Reinigungsgesetzes. ENGELKE, Fritz, D. theol. * 24. Februar 1878 Osnabrück † 5. Mai 1956 Schwerin 1913 Pfr. Altona; 1925 Direktor Rauhes Haus Hamburg-Horn; 1934 Geistlicher (luth.) Minister Reichskirchenregierung; 1934–1936 »Vikar der Dt. Ev. Kirche«; 1934/35 Doz. (AT) Universität Hamburg (Religionslehrerausbildung); 1937/38 Lehrstuhlvertretung (PT) Rostock; 1939 Hilfeleistung und Amtsvertretung LK Mecklenburg; nach 1951 komm. Pfr. Schwerin. EPP, Franz Xaver Ritter von * 16. Oktober 1868 München † 31. Dezember 1946 (US-Internierung) München Berufsoffizier; 1928 MdR; 1933 SA-Obergruppenführer und Reichskommissar für Bayern; 1933 Reichsstatthalter Bayern; Reichsleiter NSDAP (Amtsleiter Wehrpolitisches Amt der Reichsleitung); 1935 Ernennung zum General der Infanterie; 1936 Führer neugegründeter Reichskolonialbund – 1928 Mitgl. NSDAP. Erika, s. Senffleben, Erika ESCHE, Johann * 6. Januar 1897 Braunschweig † 29. Januar 1955 Eisenach 1931 Pfr. Marksuhl. ESTORFF, Hedwig von (Est.) * 5. Juni 1870 Rosenkranz † 27. November 1941 Celle geb. von der Decken, Ehefrau des Ernst von E.; Lehrerin in Eisenach. [J.M.] EUBEL, NN. (wohl = Eybel) EVERS, Erich * 6. März 1903 Großbardau (Sterbedatum nicht ermittelbar) 1927 Vikar Ebersdorf; 1928 Hilfspfr. / Pfr. Langenleuben; 1932 Pfr. Schlotheim; 1942 Pfr. Graitschen, 1948 auf eigenen Wunsch entlassen; 1950 Pfr. Altentreptow / Stralsund. EVERSMANN, NN. Kandidat der Theologie, Juli 1936. EVERTZ, Alexander * 13. November 1906 Solingen (Sterbedatum nicht ermittelbar)

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1931 Vikar Neusitz; 1932 Vikar Großneuhausen; 1936 Vikar Zeulenroda; 1938 entlassen; 1938 Pfr. Moringen; 1945 Kriegsdienst; 1955 Pfr. Dortmund; 1977 Ruhestand. Evertz hatte die Erklärung des Vertrauensrates vom 26. August 1936 (vgl. Tgb. 28. August 1936) unterschrieben und lehnte es deshalb ab, im LKR der TheK weiterhin seine geistliche Leitung zu sehen (LKAE, G 1400, 32). Im November 1936 geriet er in das Blickfeld der Gestapo (LKAE, G 1400, 36–38) und 1938, inzwischen Hilfspfarrer in Zeulenroda, in das der Kriminalpolizei (LKAE, G 1400, 100). Daher war seine Bewerbung um die Pfarrstelle in Zeulenroda nicht erfolgreich. EYBEL, Otto Kaufmann in Eisenach, Oktober 1935. FAEHLING, Martin * 21. Juni 1905 † 4. März 1980 Hamburg 1933 Pfr. Süsel / Holstein; 1954 Pfr. Garstedt. Zuständig für den Wohnort der Tochter der Tagebuchschreiberin. FASCHER, Erich, Lic. theol., Dr. theol. habil., D. * 14. Dezember 1897 Göttingen † 23. Juli 1978 Berlin 1923 Universitätsassistent Göttingen; 1926–1930 Assistent und Privatdoz. für NT Marburg; 1930 o.Prof. für NT Jena; 1937 zwangsversetzt (wegen Kritik an Rosenberg); 1938–1945 oProf. Halle; 1950 zwangsversetzt (aus politischen Gründen) oProf. Greifswald – Mitgl. KDC; 1936 Austritt aus der KDC. Fascher, zunächst aktives Mitglied der KDC, hatte noch im Mai 1936 deren Anliegen zusammen mit Leutheuser in einer gemeinsamen Schrift gegen Althaus verteidigt (vgl. Tgb. 8. Mai 1936). Nachdem er sich mit Leutheuser überworfen hatte, trat er am 15. Juni 1936 aus der Bewegung aus (LKAE, DC Bd. II). Am 11. Juli 1936 stellte der LKR der TheK Strafantrag gegen F. »wegen Beleidigung, übler Nachrede und Verleumdung« (LKAE, A 875, Bd. II). Das Gerichtsverfahren wurde allerdings eingestellt. F. wurde 1937 an die Universität Halle versetzt; vgl. Schüfer, Theologische Fakultät Jena. FAULHABER, Michael von (Faulh.) * 5. März 1869 Klosterheidenfeld (Unterfranken) † 12. Juni 1952 München 1892 Priesterweihe; 1898 Privatdoz. für alttestamentliche Exegese; 1903 Prof. Straßburg; 1911 Bischof Speyer; 1914 stellv. Feldpropst; 1917–1952 Erzbischof von München und Freising; 1921 Kardinal. FEDER, Gottfried * 27. Januar 1883 Würzburg † 24. September 1941 Murnau Zeitweise führender (antikapitalistischer) Wirtschaftspolitiker der NSDAP. 1933 Staatssekretär im Reichswirtschaftsministerium. [J.M.] FEHRENBACH, NN. Major, erwähnt im Februar 1938; vermutlich nicht aus Eisenach.

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FEODORA s. Sachsen-Weimar-Eisenach, Großherzogin von. FEZER, Karl, Dr. theol., D. theol. * 18. April 1891 Geislingen (Steige) † 13. Januar 1960 Stuttgart 1930–1956 Prof. für PT Tübingen und Ephorus Ev. Stift Tübingen – April bis Juni 1933 Vertrauensmann Ev. Fakultätentag für Verhandlungen über die Reichskirchenverfassung; 20. Juli bis 27. September 1933 Mitgl. Einstweilige Leitung der DEK – 16. Mai 1933 bis zum 21. November 1933 Mitgl. GDC – Teiln. 1933 Wittenberg – 1933 Mitgl. NSDAP. FIEDLER, Eberhard, Dr. jur. * 19. Januar 1898 Köstritz † 29. Mai 1947 Ronneburg 1924 Rechtsanwalt Reichsgericht Leipzig; 1935 hauptamtl. Rechtsberater Präsidium der Bekenntnissynode der DEK; Leiter jur. Abteilung des Präsidiums der Bekenntnissynode Bad Oeynhausen; 1936 Amtsniederlegung wegen Krankheit; 1945 Oberlandesgericht Gera – BK: 1933 Rechtsberater PNB; 1934 Mitgl. Bruderrat LK Sachsen und Reichsbruderrat, Rat der DEK; jur. Mitgl. und Leiter Kirchenkanzlei VKL I – 1934 Teiln. Barmen, Dahlem, 1935 Augsburg; 1936 Bad Oeynhausen. FISCHER, Ella (E.) Ehefrau von Pfr. Rudolf Fischer, Saalfeld. FISCHER, Gerhard * 16. Juni 1901 Wurzen † 24. Februar 1987 Bis 1934 Pfr. Elgersburg, 1934 Unterwellenborn; 1940 Berliner Stadtmission. FISCHER, Karl (Fischer K.) * 22. März 1896 † 15. September 1941 Dresden 1922 Pfr. Lauenstein b. Dippoldiswalde; 1923 Pfr. Liebenau; 1929 Pfr. Dresden. FISCHER, Rudolf * 9. Januar 1899 Feste Coburg † 28. Juni 1976 Freudenstadt 1931 Pfr. Saalfeld. 1937 verhaftet wegen Vergehens gegen das Heimtückegesetz (Äußerungen in einer Predigt bzw. in den Gebeten eines Gottesdienstes). Sein Einspruch gegen den Haftbefehl wurde am 23. Juli 1937 zurückgewiesen (LKAE, LBG 81). FLINTE, Heinrich * 14. Juni 1877 Varlosen † 11. Oktober 1945 Eisenach Hotelier in Eisenach (Hotel Burghof, Karlsplatz). [J.M.] FLÖL, Otto * 1887 Weimar

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Jurist; 1922–1924 Amtsgericht Kaltennordheim; 1925 ff. Staatsanwalt in Weimar und Greiz; 1931–1933 Erster Staatsanwalt Gera; ab 1933 Oberstaatsanwalt in Eisenach; 1. Oktober 1937 Präsident des Landgerichts in Prenzlau. [J.M.] FLOR, Wilhelm * 23. Mai 1882 Oldenburg (Oldb) † 19. November 1938 Leipzig 1923–1933 Oberlandesgerichtsrat; 1931 abgeordnet an das Reichsgericht Leipzig; 1933 Reichsgerichtsrat ebd. – Mitgl. BK: Kreisbruderrat Leipzig; 1934 Landesbruderrat Sachsen, Reichsbruderrat, VKL I; Mitgl. Kammer für Rechtsfragen der DEK; 1937 Leiter Bekenntnissynode Sachsen – Teiln. 1934 Barmen, Dahlem, 1935 Augsburg, 1936 Bad Oeynhausen –1933 Mitgl. NSDAP. FLOTTWELL, Ida von Angestellte beim LKR der TheK FÖRTSCH, Hermann * 25. Mai 1907 Azmannsdorf † 2. Oktober 1999 Niederorschel 1935 Pfr. Mittelhausen. FONTIUS, Hans Georg * 16. Juli 1902 Jägersdorf † 19. April 1993 Eisenberg 1931 Hilfspfr., später Pfr. Ottendorf. Im Dez. 1933 verhört wegen eines an seinen Freund César in Jena geschriebenen Briefes, der geöffnet worden war. Strafverfahren wegen Vergehens gegen das Gesetz zum Schutze von Volk und Staat. Beurlaubung, obwohl Gemeinde und Kirchenvertretung von Ottendorf sich eindeutig für ihn aussprachen; im Febr. 1934 aufgehoben. Eingaben und diffamierende Berichte von DC-Seite. Nach Unterschrift unter die Erklärung der LBG vom 10. Juli 1935 wurde F. wie alle Unterzeichner disziplinarisch belangt. Auch in den folgenden Jahren Verweise und Verfahren. Eine Zwangsversetzung oder Amtsenthebung erfolgte jedoch nicht (LKAE, G 1395, Beiakte 1933–1938). FORCK, Bernhard-Heinrich * 28. August 1893 Seehausen b. Bremen † 27. März 1963 Luckenwalde (Brandenburg) 1926 Pfr. Hamburg-Hamm und Horn, 1950 Luckenwalde; 1945–1948 Vizepräses Synode LK Hamburg – Mitgl. BK: Bruderrat Hamburg; 1936 VKL II – Teiln. 1934 Barmen, Dahlem, 1935 Augsburg, 1936 Bad Oeynhausen; 2.–5. Juli 1935 Teiln. Dt. Luth. Tag Hannover. FORELL, Birger * 27. September 1893 Söderhamn / Schweden † 4. Juli 1958 Boras / Schweden Schwede, 1929–1942 Gesandtschaftspfarrer in Berlin, Unterstützer der BK und anderer Verfolgter des Nationalsozialismus. [J.M.] FORSTHOFF, Heinrich, Dr. phil., Lic. theol. D. theol. * 1. Februar 1871 Gruiten (Rheinland) † 17. Juni 1942 Düsseldorf

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1901 Pfr. Laar b. Duisburg, 1906–1934 Mülheim / Ruhr; 1933 Leiter Ev. Akademie Bonn; 1934–1936 Propst (stellv. Bischof bzw. Landespfr. des neu gegr. Bistums KölnAachen); 1934 Geistl. Minister in der Reichskirchenregierung; 1934 Präses Provinzialsynode Rheinland – DC. FRAEDRICH, Wolfgang * 6. Februar 1909 Friedrichroda 1933 Pfr. Großkröbitz, 1935 durch LKR entlassen; später Pfr. Lietzen. Denkschriften zum Fall Fraedrich vgl. LKAE, LBG 241 und WB 131. FRANÇOIS-PONCET, André * 13. Juni 1878 Provins † 8. Januar 1978 Französischer Germanist, Politiker und Diplomat. [J.M.] FRANK, Hans, Dr. jur. * 23. Mai 1900 Karlsruhe † 16. Oktober 1946 Nürnberg (hingerichtet) 1926 Rechtsanwalt München; Rechtsbeistand für Hitler und Reichsleiter NSDAP; 1928 Reichsrechtsführer; Gründer NS-Rechtswahrerbund und »Akademie für Dt. Recht«; 1929 Leiter Rechtsabteilung in der Reichsleitung der NSDAP; 1933 bayerischer Justizminister, Reichsjustizkommissar und Reichsminister ohne Geschäftsbereich; 1933– 1942 Reichsleiter Rechtsamt der NSDAP und Präsident der von ihm gegründeten »Akademie für Dt. Recht«; 1939–1945 Generalgouverneur in Polen; 1940 Präsident Internationale Rechtskammer; 1943 SA-Obergruppenführer. FRANZ, NN. (Frau F.) Ehefrau von Volkmar Franz FRANZ, Volkmar (Frz.) * 8. März 1893 † 30. März 1960 Eisenach 1923 juristischer Referent LKR der TheK; Kirchenregierungsrat; 1926 Mitgl. LKR der TheK, Kirchenrat; 1937/38 Beurlaubung; Mitarb. Reichskirchenministerium und Kirchenkanzlei der DEK Berlin; 1943 Oberlandeskirchenrat und Vizepräsident TheK; 1945 Wartestand bei Weiterbeschäftigung als juristischer Mitarb.; 1946–1960 jur. und wiss. Mitarb. LKA der Ev.-Luth. Kirche in Thüringen in Eisenach – Mitgl. KDC – Mitgl. NSDAP. FRENSSEN, Gustav, D. theol. * 19. Oktober 1863 Barlt (Holstein) † 11. April 1945 Barlt (Holstein) Dt. Schriftsteller; zuerst Pfr.; Vertreter eines völkischen Schicksalsglaubens (1936 »Glauben der Nordmark«); Romane: Jörn Uhl 1901; Hilligenlei 1905; Meino der Prahler u.v.a. – NS-Anhänger. FRICK, Wilhelm, Dr. jur. * 12. März 1877 Alsenz (Pfalz) † 16. Oktober 1946 Nürnberg (hingerichtet)

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Jurist; Politiker; 1925 MdR, Vorsitzender der NS-Reichstagsfraktion; 1930–1931 thüringischer Innen- und Volksbildungsminister; 1933–1942 Reichsinnenminister; 1943 Reichsprotektor von Böhmen und Mähren. – 1925 Mitgl. NSDAP. FRICKE, Otto, Lic. Dr. theol. DD. (im Text auch: Frick) * 28. Februar 1902 † 8. März 1954 Frankfurt am Main 1927 ff. Pfr. Frankfurt / M. (verschiedene Gemeinden); 1936 Mitgl. VKL II; 1945 Stadtpfr. Frankfurt / M. FRIEDERICH, Paul * 2. September 1908 Prassen / Ermland † 13. Februar 2011 (102 Jahre alt) 1932 Hilfsprediger Neuhaus / Rennweg; 1936 Hilfspfr. Zeulenroda; 1937 entlassen; wechselt nach Bayern. Im Herbst 1935 auf Bitten der Gauleitung Thüringen aus Neuhaus versetzt (LKAE, G 1349). Wahl zum Pfarrer durch die Gemeinde in Zeulenroda (wohin er bald versetzt worden war) im Sommer 1936 vom LKR der TheK nicht bestätigt (LKAE, LBG 44). Im Juli 1937 Beschwerde des Bürgermeisters von Neuhaus, da F. immer wieder nach Neuhaus komme, um Abende der evangelischen Jungschar zu leiten oder bei Beerdigungen von Mitgliedern der Bekenntnisfront die Gedenkrede zu halten (LKAE, LBG 44). Wenig später im Visier der Gestapo wegen Vergehens gegen das »Heimtückegesetz in Tateinheit mit Kanzelmißbrauch«, Untersuchungshaft (LKAE, G 1349). Im Februar 1938 wurde F. von der Bayerischen Landeskirche übernommen (LKAE, G 1349). FRIES, Wilhelm * 30. Dezember 1901 Hersdorf 1927 Diakonenexamen Koblenz; 1928 Diakon Bochum, Neuwied; 1935 Diakon Bischofroda und zugleich Hilfsarbeiter VD der TheK; 1936 Ordination Bischofroda; 1938 Pfarrverweser bzw. Pfr. Arnstadt; 1941 Kriegsdienst; 1942 Kriegsvertretung Arnstadt; 1945 Diakon Sonneberg; 1946 entlassen aufgrund des Reinigungsgesetzes; Aberkennung der Amtsbezeichnung »Pfr.«. FRITSCH, Werner Freiherr von * 4. August 1880 Benrath † 22. September 1939 vor Warschau 1934 Chef der Heeresleitung; 1935 Oberbefehlshaber des Heeres; 1936 Generaloberst: 1938 von Hitler entlassen aufgrund einer Intrige (Vorwurf der Homosexualität); 1938 rehabilitiert durch das Reichskriegsgericht, aber nicht mehr in sein Amt eingesetzt. FRITZ, Otto Alfred (Fr.) * 25. Mai 1900 Heustreu † 28. August 1984 Meiningen Jurist; 1931 Anstellung VD der TheK als Kirchenregierungsrat; 1942 Kreiskirchenrat und Vorstand Kreiskirchenamt Meiningen; betätigte sich auch als Orgelspieler. FRÖR, Kurt, Lic. theol. * 10. Oktober 1905 Rothenburg o.T. † 16. Februar 1980 Erlangen

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1936 Pfr. München; 1948 Beauftragter für kirchl. Unterweisung in der Ev.-Luth. Kirche Bayern (Rummelsburg); 1952 oProf. für PT Erlangen. FROMM, Erich * 31. Dezember 1892 Posen † 1944 (vermisst in Rußland) 1933 Pfr. Kaltennordheim; 1937 Pfr. und Oberpfr. Altenburg. Frz. s. Franz, Volkmar. FÜLLKRUG, Gerhard, Lic. theol., D. theol. * 6. Juli 1870 Krotoschin (Provinz Posen) † 11. November 1948 Neinstedt (Harz) 1916–1932 Geschäftsführender Sekretär C.A. für die Innere Mission und Leiter Komitee für Seemannsmission Berlin-Dahlem – Mitgl. Dt. Ev. Kirchenausschuss – Unterzeichner des »Aufrufs zur Sammlung« der Gruppe D. Burghart und Präses Zimmermann in der APU mit dem Ziel, alle diejenigen zusammenzuführen, die Art. 1 der Verfassung der DEK bejahen, aber nicht zur BK gefunden haben. FÜRLE, Günther, Dr. jur. * 26. Juli 1899 Breslau † 17. Januar 1978 Memmingen Konsistorialrat Breslau; 1929 komm. weltlicher Hilfsreferent EOK Berlin; 1933 Oberkirchenrat und Dirigent ebd.; 1933 komm. weltl. Vizepräsident Konsistorium Breslau; 1935 betraut mit der komm. Wahrnehmung des Amtes des Konsistorialpräsidenten ebd.; 1936 Leiter Oberrechnungsamt der DEK Berlin; 1938 stellv. Vors. der dortigen Finanzabteilung; Direktor Kirchenkanzlei der DEK; 22. Febuar 1945 Amtsenthebung durch H. Muhs, Staatsekretär im Reichskirchenministerium; 1946 i.R. – DC. GABELENTZ, Hans Albrecht von der, Dr. * 10. April 1872 Münchenbernsdorf † 8. Februar 1946 Eisenach Kunsthistoriker; 1910 Leiter der Kunstsammlungen und Museen in Weimar, 1930 Burghauptmann der Wartburg. [J.M.] GALLE, Hilde 1935 Angestellte der LBG (Büro Ernst Otto) in Eisenach. GANZERT, Margarete Angestellte beim LKR der TheK. GARRNIS, NN. Ehemaliger Missionar aus Amerika; Pfr. (?) in Nürnberg; der Fall wurde im »SAMann« publiziert (Juli 1937). GASPER, Erich Angestellter beim LKR der TheK.

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GAUGER, Martin, Dr. jur. * 4. August 1905 Elberfeld † 13. Juli 1943 Sonnenstein b. Pirna Jurist; 1934 Entlassung aus dem Staatsdienst wegen Verweigerung des Eides auf Hitler; 1935 Mitarb. VKL I; 1936 Justitiar Sekretariat des Lutherrates (Berlin); seit 1939 Kontakt zum Widerstand, Beteiligung an der Gründung des Kreisauer Kreises; 1940 Kriegsdienstverweigerung; mißglückter Fluchtversuch; 1941 KZ Buchenwald, Verlegung in die Tötungsanstalt Sonnenstein. GEBHARDT, NN. Regierungsrat im Thür. Volksbildungsministerium, Jan. 1938. GEBHARDT, Karl * 12. Juni 1893 Gotha † 20. April 1966 Braunfels 1928 Pfr. Sundhausen. GEDAT, Gustav Adolf * 10. Februar 1903 Potsdam † 6. April 1971 Bad Liebenzell Schriftsteller; 1918 ehren- und hauptamtliche Jugendarbeit (Freideutsche Jugend, christliche Jugendbewegung); Mitgl. Reichsjugendkammer; nach 1945 ehrenamtlicher Bundessekretär des Ev. Jungmännerbundes. GEHRT, NN., Frl. Wohl persönliche Bekannte, Juli 1935. GEIBEL, Marianne * 13. März 1881 Unterrohn † 25. Februar 1971 Eisenach Lehrerin am Lyceum in Eisenach. [J.M.] GEORG bzw. Onkel Georg s. Harstall, G. Freiherr von GEORGE, Stefan * 12. Juli 1868 Büdesheim b. Bingen † 4. Dezember 1933 Minusio b. Locarno Deutscher Dichter, gründete in dichterischem Sendungsbewußtsein die »Blätter für die Kunst« (1892–1919) und wurde zum Künder einer neuantiken Weltschau; um ihn sammelte sich ein Kreis von Künstlern und Gelehrten. GERAU, Willy Buchhändler in Eisenach; Mitarbeiter beim VD der TheK. GERHOLD, Gerhard * 3. Januar 1910 Langenwetzendorf (Sterbedatum nicht ermittelbar)

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1933–1934 Hilfsprediger Jena; 1934–1936 Hilfsprediger Linda b. Schmölln; 1936 entlassen zur Äußeren Mission Leipzig; während des Krieges Leitung ev. Schülerheim Würzburg; 1941 luth. Gemeide Linz / Donau, nach dem Krieg in Thening / Österreich. GERLACH, NN. Ministerialrat im Thür. Wirtschaftsministerium, Juni 1936. GERLIER, Pierre-Marie * 14. Januar 1880 Versailles † 17. Januar 1956 Lyon 1937 Erzbischof von Lyon und Kardinal; bemüht, im Dritten Reich Juden vor der Verfolgung zu schützen. GERSTENHAUER, Max Robert (Gerstenh.) * 30. September 1873 Barchfeld a. d. Ilm † 18. August 1940 Weimar Studienrat Weimar; Ministerialdirigent und Geheimer Rat Weimar – Mitbegründer der DNVP in Thüringen; 1924 Austritt DNVP – 1921 Hauptinitiator des »Bundes für dt. Kirche«; 1927–1932 Mitgl. 2. LKT der TheK (als Vertreter der Deutschkirche); Mitgl. KDC; 1933 Mitgl., Präsident 4. LKT. – Mitgl. Deutschvölkischer Schutz- und Trutzbund; 1921–1940 »Bundesgroßmeister« des Deutschbundes. GEYER, Johannes * 5. März 1907 Dobitschen † 23. Juni 1939 Freiburg 1933 Verwaltung (als Vikar) Pfarrstelle Heygendorf; 1937 beurlaubt für ein Medizinstudium in Jena. GIESEN, Heinrich * 19. Juli 1897 Meiderich † 9. Juli 1991 Mettmann 1922–1949 Pfr. Urdenbach b. Düsseldorf; 1949–1963 Pfr. Düsseldorf-Holthausen. GIESEMANN, Kurt, Dr. med. * 1. Juni 1890 Berlin Praktischer Arzt in Eisenach; 1956 nach Tabarz verzogen. [J.M.] GIMPEL, Valentin Angestellter (Finanzabteilung) beim LKR der TheK; arbeitete zeitweise (1934–1935) infolge Abordnung im Hainsteinwerk. GIRKON, NN. Frl., erwähnt Februar 1938. GISEVIUS, Johannes, Dr. jur. * 25. August 1880 Colochau † 7. Januar 1955 Berlin Theologe und Jurist; 1925 Oberkonsistorialrat Ev. OKR Berlin; 1925 Übertritt Kirchenbundesamt; 1934 vorläufige Ruhestandsversetzung; 1935–1946 Wiederaufnahme

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des Dienstes; während des Krieges praktisch Leiter der Kirchenkanzlei der DEK; 1945 OKR Kirchenkanzlei EKD. GLÄSER, Margarete (Gläser M.) Mitgl. des (ev.) Frauenvereins von Kaltenwestheim. GLAUE, Helene (Glaue H.). Mitarbeiterin im Landesausschuss für Wohlfahrtspflege, Jena. GLAUE, Paul, Lic. theol. D. (Glaue P.). * 5. Oktober 1872 Berlin † 24. Dezember 1944 Überlingen / Bodensee 1899 Religionslehrer in Berlin; 1903 Pfr. Elgersburg/Thür.; 1911 apl. ao. Prof. für PT Gießen, 1911 Jena; daneben 1913 Pfr. Jena: 1938 em. (als Prof.), 1942 als Pfr. GLONDYS, Viktor, Dr. theol., D. theol. * 7. Dezember 1882 in Bielitz-Biala (Schlesien) † 28. Oktober 1949 Hermannsstadt (Siebenbürgen) 1922 Stadtpfr. Kronstadt; 1930 Bischofsvikar und 1932 Bischof der ev. Landeskirchen Augsburgischen Bekenntnisses in Rumänien; 1941 Versetzung i.R.; 1944 Rückkehr ins Bischofsamt; 1945 Ruhestand. GLOUCESTER, Bischof von, s. Headlam, Arthur Cayley GOEBBELS, Joseph, Dr. phil. * 29. Oktober 1897 Rheydt (Mönchengladbach-) † 1. Mai 1945 Berlin (Selbstmord). 1933–1945 Reichspropagandaminister. GÖBEL, Friedrich * 13. August 1894 Gebhardshain † 18. November 1968 Altenroda 1926 Pfr. Bischofroda; 1936 Entlassung; Pfr. Kirchenkreis Torgau. GÖPFERT, Reinhold * 1. Juni 1878 Eisenach † 19. April 1960 Dermbach 1919 Pfr. und Oberpfr. (Superintendent) Dermbach; 1947 Kirchenrat. GÖPPINGER, NN. Senior des Jenaer theol. Konvikts (August 1937). GÖRING, Edda (Göring E.) * 2. Juni 1938 Tochter von Hermann Göring GÖRING, Hermann

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* 12. Januar 1893 Rosenheim (Oberbayern) † 15. Oktober 1946 Nürnberg (Selbstmord) 1933–1945 Ministerpräsident von Preußen; Mai 1935 Reichsminister für Luftfahrt und Oberbefehlshaber der Luftwaffe; 1940 Reichsmarschall des Großdeutschen Reiches und designierter Nachfolger Hitlers. GOETZE, Fritz, Dr. jur. * 21. Mai 1903 Stadtroda † 6. August 1976 Weimar Rechtsanwalt und Notar; 1938 LKR der TheK; Kreiskirchenrat und Vorstand des Kreiskirchenamtes Weimar; 1945 Amtsenthebung aufgrund des Reinigungsgesetzes; 1951 reaktiviert zum Vorstand des Kreiskirchenamtes Gotha. GÖTZE (Götze Sohn) Sohn des Kirchenamtmanns W. Götze. GÖTZE, Walter Kirchenamtmann; Kirchenvertreter. GOGARTEN, Friedrich, Dr. theol. D. * 13. Januar 1887 Dortmund † 16. Oktober 1967 Göttingen 1931 oProf. für ST Breslau, 1935–1955 Göttingen – 1936 Mitgl. Theol. Kammer der DEK – anfangs Mitgl. JRB; vorübergehend GDC (bis zur Sportpalastkundgebung November 1933). GOLL, Werner * 8. Mai 1911 Gera † 11. Mai 2003 Saarbrücken Vikar LBG Altenburg; 1936 Vikar Mellenbach, 1937 Metzels – Unterzeichner der Erklärung der LBG vom 10. Juli 1935; aus diesem Grund keine Übernahme in den Dienst der TheK; Kriegsdienst; 1945 Hilfsprediger Koblenz; 1947 Pfr. Saarbrücken. GOLLWITZER, Hans * 1896 † 1979 1931 Pfr. Mühldorf; 1935 entlassen; 1935 Mitarb. in der NSDAP-Kreisleitung; 1937 Bürgermeister Mühldorf; 1939 Kirchenaustritt; 1945–1948 Internierungslager Moosdorf; 1952 Bürgermeister – 1929 NSDAP. GOLLWITZER, Helmut, Lic. theol. D. (Helmut) * 29. November 1908 Pappenheim (Bayern) † 17. Oktober 1993 Berlin 1933 Schlossprediger und Prinzenerzieher (Prinz Reuß) Ernstbrunn / Wien; 1935 Referent Bruderrat der LBG in Thüringen und Altpreußen; Ausweisung aus Thüringen durch die Gestapo; Referent Bruderrat der BK in Preußen; 1938 Pfr. Berlin-Dahlem; 1940 Reichsredeverbot; Ausweisung aus Berlin; 1940–1945 Soldat; 1945–1949 russische Kriegsgefangenschaft; 1949 oProf. für ST Bonn, 1957 Berlin.

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GOMMLICH, Hellmuth * 11. Juli 1891 Dresden † 3. April 1945 Meiningen (Selbstmord) Seit 1926 im thür. Polizeidienst; November 1934 Mitarbeiter im Thüringischen Innenministerium, 1935 Leiter der Polizeiabteilung; 1938–1945 Landrat in Meiningen. [J.M.] GORSCHBOTH, Walter Polizeiobermeister; Kriminalpolizist in Eisenach, Mai 1937. GOßLER, Julie von * 6. Juni 1879 Berlin Frl., Diplomgewerbelehrerin in Eisenach. [J.M.] GOTTSCHLING, Erich, Dr. * 1886 † 1960 Zunächst Dominikaner; Verfasser des Buches »Zwei Jahre hinter Klostermauern« und anderer kirchenkritischer Schriften zwischen 1914 und 1939 – Ludendorffianer. GRABERT, Herbert * 17. Juli 1901 Lichtenberg b. Berlin † 2. August 1978 Tübingen Mitarb. von Hauer; mindestens seit 1932 Redakteur Christliche Welt; 1934 Redakteur Dt. Glaube; 1936 als Schriftleiter abgesetzt; 1936 Mitbegründer DGB; 1936 (Oktober) zusammen mit Hans Kurth Begründer der Deutschgläubigen Bewegung; 1938 Autor: »Die völkische Aufgabe der Religionswissenschaft«; 1941 Dozent für Weltanschauungskunde Würzburg; 1951 Vors. Verband der nichtamtierenden (amtsverdrängten) Hochschullehrer. GRAEF, Otto * 18. Februar 1883 Köln-Kalk † 27. März 1956 Eisenach Angestellter beim LKR der TheK (Kirchensteuerabteilung); 1946 Entlassung auf Grund des Reinigungsgesetzes; daraufhin Austritt aus der Kirche. GREGORI, NN. Prof. für ev. Theologie (November 1937). GRÖBE, Johannes * 14. September 1890 Kunitz b. Jena 1914 Vikr Taubach; 1927 Pfr. Nazza; wechselte 1935 nach Niedersachsen. GRÖBEN, Emmy von der Rentnerin in Eisenach. GRONE, Agnes von, geb. von Hammerstein * 10. Juli 1889 Schwerin † 27. Juni 1980 Gut Westerbrak Kr. Holzminden

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1925–1961 Vors. Landesverband der Ev. Frauenhilfe Braunschweig; 1933 Vors. Frauenwerk der DEK (Reichsführerin) bis zur Abberufung durch Reichsbischof Müller (1935) – 1933 NSDAP; 1936 Parteiausschluss NSDAP. GROß, Erwin * 20. August 1901 Katlaken / Riga † 31. Januar 1975 Aarau (Schweiz) 1934 Pfr. Rüdersdorf / Gera – Mitgl. Bruderrat der LBG (radikaler Flügel; Dahlemit); 1938 Versetzung i.W; 1940 Pfr. (komm.); 1944 Pfarrvertreter; 1948 Pfarrer und Krankenhausseelsorger Hamburg. Nach Kriegsende bemühte sich Groß um Rückkehr nach Thüringen, da immer noch im Wartestand. Weil Eisenach abriet, erbat er sich »eine Art kirchlichen Leumundszeugnisses«, das die in seiner Personalakte enthaltenen deutschchristlichen Beurteilungen eindeutig widerlege. Im daraufhin von Mitzenheim erstellten Gutachten heißt es: »Erwin Groß gehörte zu den jüngeren Pfarrern in der Thüringer evangelischen Kirche, die durch ihr offenes, tapferes Eintreten für Evangelium und Bekenntnis in schärfstem Gegensatz gerieten zur damaligen deutschchristlichen Kirchenleitung. Er ist allezeit geraden Weg gegangen und hat sich nicht gescheut, um des Evangelium willen Anfechtungen auf sich zu nehmen, Schädigungen und Verfolgungen zu erleiden und sich schließlich absetzen zu lassen« ((LKAE, R 310 = G 1378). GROßE, NN. Angestellter beim LKR der TheK. GROßE-Brauckmann (vollständiger Name, im Tagebuch stets: Brauckmann). Verwandte der Tagebuchschreiberin. GROT, Elisabeth von Königsberg; Sekretärin der ostpreußischen BK; 1937 Schutzhaft. GRÜNAGEL, Philipp Friedrich, Dr. theol. * 30. April 1901 Zweibrücken † 13. April 1983 1927 Pfr. Theisbergstegen, 1929 Böbingen, 1932–1946 Aachen; 1935–1937 komm. theol. Referent Kirchenkanzlei der DEK; 1951 Pfr. Duisburg – Reichsredner der DC; Mitgl. theol. Amt der RDC. GRÜNSPAN, Herschel s. Grynszpan, Herszel GRUNDMANN, Walter, Dr. theol. * 21. Oktober 1906 Chemnitz † 30. August 1976 Eisenach 1932 Pfr. Oberlichtenau Kr. Kamenz (Sachsen); 1933 wiss. Hilfsarb. (OKR) Landeskirchenamt Dresden; 1936 Lehrbeauftr. für »Völkische Theologie« Jena, 1938 oProf. für NT ebd.; 1943 Soldat;1945 Entlassung aus dem Universitätsdienst; 1946 Hilfsarb. Hilfswerk der Ev.-Luth. Kirche in Thüringen – Führender DC; 1935 Leiter Volksmissionarische Bewegung der DC in Sachsen; 1939 Mitgründer und Wiss. Leiter Institut

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zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben – 1930 Mitgl. NSDAP; Fachberater für Kirchenfragen bei der NS-Gauleitung Thüringen. GRUNZ, Alfred, Lic. theol. * 9. Mai 1895 Berlin 1934 Pfr. Greiz; 1939 amtsenthoben, weil er im Kindergottesdienst ein Büchlein mit Lebensbildern aus dem »jüdischen« AT verteilt hatte; 1941 Pfr. Berlin-Karlshorst. GRYNSZPAN, Herszel * 28. März 1921 Hannover Verübte am 7. November 1938 ein Attentat auf den Legationssekretär der Dt. Botschaft in Paris, Ernst vom Rath, wegen Ausweisung seiner Familie als polnische Juden nach Polen; 1940 Auslieferung an Deutschland; 1941 KZ Sachsenhausen und Gestapo-Gefängnis Moabit; Geständnis einer homosexuellen Beziehung zu vom Rath; Verschiebung eines geplanten Verhandlungstermins; weiteres Schicksal nicht geklärt. GÜNTHER, Hans Friedrich Karl, Dr. phil. * 16. Februar 1891 Freiburg i.Br. † 25. September 1968 Freiburg i.Br. Biologe; Rassentheoretiker (»Rassen-Günther«); 1930 oProf. für Rassenkunde Jena, 1935 Berlin; Direktor der Anstalt für Rassenkunde, Völkerbiologie und ländliche Soziologie in Berlin-Dahlem; oProf. 1939 Freiburg i.Br.; 1945 entlassen; 1945–1948 Internierung; freischaffender Publizist – 1932 NSDAP; goldenes Parteiabzeichen. GÜNTHER, Karl * 6. Dezember 1870 Lumpzig † 31. Mai 1939 Jena 1917 Kirchenrat und Superintendent Ronneburg; 1932 (nebenamtl.) Mitgl. des erweiterten LKR der TheK; 1934 Rücktritt als Mitgl. LKR. GUGEL, Rudi Gebietsführer der HJ Franken. GUMLICH, Walter * 4. August 1891 Charlottenburg † 12. April 1984 Berlin 1928 Pfr. Weida. GUSTAVUS, Walther, Dr. jur. * 1. Dezember 1892 Vietz (Ostbahn) / Brandenburg † 18. Mai 1945 Landsberg / Warthe 1928 Oberkonsistorialrat Dt. Ev. Kirchenbundesamt Berlin; Juni 1934 Versetzung durch Staatskommissar Jäger an das Konsistorium Berlin (Dezember 1934 durch die DEK rückgängig gemacht), November 1934 Einberufung zu einer komm. Dienstleistung bei der DEK; 1935/36 Vors. Finanzabteilung bei der Dt. Ev. Kirchenkanzlei; 1938

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Oberkonsistorialrat ebd.; 1940 deren Vertreter im Vorstand des C.A. für Innere Mission; Kriegsdienst; Wehrmachtsrichter – Mitgl. NS-Rechtswahrerbund und Reichsbund der dt. Beamten sowie NS-Kriegerbund – 1933 Mitgl. NSDAP. GUSTLOFF, Wilhelm * 30. Januar 1895 Schwerin † 4. Februar 1936 Davos / Schweiz 1921 Mitgl. Deutschvölkischer Schutz-und Trutzbund; 1929 Mitglied NSDAP. Am 4. Februar 1936 erschossen von dem jüdischen Medizinstudenten David Frankfurter; dadurch wurde er zum »Blutzeugen der Bewegung« und Bestandteil nationalsozialistischer Propaganda; ein KdF-Schiff wurde nach ihm benannt. HAAKE, NN. Angestellter LKR der TheK (Kanzlei). HAAS, Friedrich Prokurist; Bruderrat der LBG in Eisenach (Februar 1938). HACKMACK, Dora, Dr. med. * 29. September 1895 Mexico-Stadt † 12. Januar 1960 Eisenach (Autounfall) Seit 1923 Kinderärztin in Eisenach. [J.M.] HÄNN s. Trautvetter, Hans (Trautvetter H.) HAG, richtig: Haugk HAGENOW, NN. Privatsekretär von Minister Alfred Rosenberg (August 1936). HAHN, Gerhard (Hahn G.) * 1. August 1901 Großenrode b. Göttingen † 7. Juli 1943 Jelabuga (Sowjetunion) 1928 Pfr. Elmlohe; 1933–1935 Präsident Landeskirchentag Hannover und zugleich Vizepräsident Landeskirchenamt Hannover; 1936 Pfr. Friemar (Thüringen); 1938 beurlaubt zur Dienstleistung Bund für Dt. Christentum Berlin – 1932 Landesleiter DC Hannover; 1933 Unterkommissar für Hannover; später Führer DC-Fraktion (bis November 1934) – 1930 Mitgl. NSDAP; 1932 Gaufachberater NSDAP in Kirchenfragen; seit 1932 MdL Preußen. HAHN, Hugo, D. (Hahn H.) * 22. September 1886 Reval † 5. November 1957 Dresden Bruder von Traugott Hahn; 1910 Pfr. Estland, 1919 Worbis (Provinz Sachsen), 1927 Leipzig; 1930 Dresden; zugleich Superintendent Dresden-Land; 1934 kurzzeitige Verhaftung; Suspendierung durch die DC-Kirchenregierung; 1937 Beurlaubung und Einleitung eines Dienststrafverfahrens; Ruhestandsversetzung; 1938 Ausweisung aus

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Sachsen; 1939 Pfarrverweser und Pfr. Stuttgart; 1947–1953 sächsischer Landesbischof – Mitgl. BK: 1933 unter seiner Führung Aufbau PNB; Vors. Bruderrat Sachsen; 1934 Mitgl. Reichsbruderrat; 1934/35 Luth. Rat; 1936 Gründungsmitgl. Lutherrat – Teiln. 1934 Barmen, Dahlem; 1935 Augsburg; 1936 Bad Oeynhausen. HAHN, Traugott, Mag. theol. (Hahn, T.) * 1. Februar 1875 Rauge (Estland) † 14. Januar 1919 Dorpat (Estland) 1902 ev. Pfr. Universitätsgemeinde Dorpat; 1908 Prof. für PT Dorpat; 1918 Ausweisung, der er nicht nachkam; 1919 von bolschewistischen Truppen erschossen. HAIN, NN. Lehrerin (aus Eisenach?), Mai 1936. HAKE, NN. Tätig beim LKR der TheK in Eisenach (März 1938). HALIFAX, Edward Frederick Lindley Wood, Viscount H. * 16. April 1881 Powderham Castle Devon † 23. Dezember 1959 Garrowby Hall b. York Britischer Politiker (konservativ); 1926–1931 Vizekönig Indien; 1935 Kriegsminister; 1935–1938 und 1940 Lordsiegelbewahrer; 1938–1940 Außenminister. 1944 Earl of H. HAMANN, Hans Julius * 19. März 1902 Chemnitz † 30. Dezember 1970 Altenburg 1928 Pfr. Altenburg; 1952 Superintendent Altenburg. HANS s. Trautvetter, Hans Georg HANS / HÄNN, s. Trautvetter H. HANSTEIN, Adalbert von, Dr. jur. * 11. Januar 1908 Spandau, lebt noch 1984. Mitarbeiter im Reichskirchenministerium. HARSTALL, Georg Freiherr von † 28. Februar 1945 Mihla »Onkel Georg«; Bruder der Helene Trautvetter, geb. Freiin von Harstall, somit Onkel der Tagebuchschreiberin. HARSTALL, H. W. von Erwähnt im Juli 1938. HARTAN, NN. Philologe, als Redner erwähnt im November 1938.

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HARTMANN, Alfred * 13. Februar 1890 Köckritz † 23. Dezember 1971 Sulz / Neckar Finanzassessor; 1923 Angestellter beim VD der TheK als Kirchenregierungsrat; 1942 Beamter auf Lebenszeit; 1943 Kirchenrat – 1934–1945 Mitglied DC. HARTZ, Dorothea (Hartz D.) Ehefrau von Pfr. Friedrich Hartz. HARTZ, Friedrich * 15. Dezember 1897 Neuenhof † 3. Mai 1949 Sondershausen 1928 Pfr. und Oberpfr. Kirchenkreis Sondershausen. HASELWANDER, NN. Mitglied der NSDAP, erwähnt im Dezember 1937. HASERT, Ida Angestellte beim LKR der TheK (Geschäftsstelle). HASSELL, Ulrich von * 12. November 1881 Anklam † 8. September 1944 Berlin-Plötzensee (hingerichtet) 1932–1938 Botschafter in Rom; 1933 Mitgl. NSDAP; 1938 Botschafter z.V. HAUCK, richtig: Haugk HAUER, Jakob Wilhelm, Dr. phil. * 4. April 1881 Ditzingen (Württemberg) † 18. Februar 1962 Tübingen 1925 Prof. für Indologie und Religionswissenschaft Marburg, 1927–1949 Tübingen; 1935 Mitbegründer und Leiter der »Dt. Glaubensbewegung« (DGB); 1936 Amtsniederlegung – 1937 Mitgl. NSDAP; 1941 Hauptsturmführer SS; Mitgl. verschiedener NS-Organisationen HAUGG, Werner * 1908 1934 Gerichtsassesor beim Landgericht Berlin; 1935 Reichskirchenministerium; 1937 Landgerichtsrat; zuständig für drei Referate in der Zentralabteilung sowie für verschiedene Bereiche in der ev. Abteilung – 1933 Mitgl. NSDAP. HAUGK, Erich * 29. September 1893 Ruhla † 2. November 1981 Bad Salzungen Kartolithograph; 1924 Kanzleiangestellter beim VD der TheK; 1934 Kirchenassistent; 1936 Kirchensekretär; 1942 Kirchenverwaltungsobersekretär; 1945 Kirchenverwaltungsinspektor; 1945 Entlassung aufgrund des Reinigungsgesetzes; Revision 1946; 1946 Wiedereinstellung als Kanzleivorsteher.

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HAUGK, Martha (falsch: Hag, Hauck) Angestellte beim VD der TheK, ausgeschieden 1936. HEADLAM, Arthur Cayley * 2. August 1862 Whorlton, Grafschaft Durham † 17. Januar 1947 Anglikanischer Theologe, 1923–1945 Bischof von Gloucester, Kritiker der BK. [J.M.] HECHT, NN. Person aus Rüdersdorf (Juli 1936). HECKEL, Theodor, D. theol., Dr. jur. h.c. * 15. April 1894 Kammerstein (Mittelfranken) † 24. Juni 1967 München 1922 Pfr.; 1928 Oberkonsistorialrat des Dt. Ev. Kirchenbundesamtes Berlin; 1934– 1945 Leiter des Kirchlichen Außenamts der DEK; Bischof dt. Auslandsgemeinden; 1939 Gründer und Leiter ev. Hilfswerk für Internierte und Krieggefangene. HEDEMANN, Justus W. * 24. April 1878 Brieg † 13. März 1963 Berlin Jurist; 1909 Oberlandesgerichtsrat in Jena; 1936 Prof. in Berlin; in der Akademie für Deutsches Recht Mitglied einer Arbeitsgruppe zur Schaffung eines neuen (NS-) Rechtes; 1946 emeritiert. [J.M.] HEIDER, Otto * 26. Mai 1896 Bremerhaven † 13. Mai 1960 Aerzen-Groß Berkel 1925 Mitglied NSDAP; 1933 Senator in Bremen, 1933 Präsident der Landeskirche; 1934–1937 Bürgermeister; 1942–1945 im Rasse- und Siedlungshaupamt der SS [J.M.] HEINRICH, Fritz * 7. Dezember 1891 Erfurt † 29. Juni 1983 Zeulenroda 1927 Pfr. Pößneck; 1938 Zeulenroda. 1934 in Pößneck Ziel einer vom DC-Hilfsprediger Pfeiffer betriebenen Verleumdungskampagne (LKAE, LBG 266, 59–60). 1935 verschärfte die NSDAP ihren Kampf gegen ihn. Ende 1936 kam es zu einer förmlichen Beschwerde beim LKR, am 21. März 1937 erging Haftbefehl wegen Vergehens nach dem Heimtückegesetz. Daraufhin wurde er seitens des LKR der TheK vorläufig seines Dienstes enthoben; am 13. August Verhaftung, bereits am 16. August Entlassung aus der Haft. Ein Strafverfahren wurde gegen ihn nicht eingeleitet (LKAE, G 378). Am 10. Januar 1938 wurde Heinrich als Pfarrer von Zeulenroda gewählt. Die vom Bürgermeister erhobenen Einwendungen wurden von der Gestapo Weimar und vom Thüringischen Ministerium für Volksbildung (d.h. Siegfried Leffler) unterstützt. Der LKR beugte sich den staatlichen Wünschen. Der weitere Verlauf des Falles Heinrich ist nicht durchschaubar. Offensichtlich ging Heinrich einen Handel mit dem deutschchristlichen KR Lehmann ein, demzufolge Pfarrer Evertz (s. Biogramme) mit sofortiger Wirkung versetzt wurde und die Amtsgeschäfte an Heinrich übergab, der von Lehmann in sein

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Amt eingeführt wurde. Beim Landesbruderrat erwuchs der Verdacht, als habe hier ein Bekenntnispfarrer mit Unterstützung des LKR einen anderen Bekenntnispfarrer verdrängt. Ernst Otto riet Heinrich im August 1938, die Stelle in Zeulenroda nicht anzutreten und sich außerhalb Thüringens eine neue Stelle zu suchen; für die LBG sei er ohnehin bereits verloren. Zu vertrauenselig habe er sich vom häretischen LKR mißbrauchen lassen (LKAE, G 378). HEINRICH IV. * 11. November 1056 [vermutlich] Goslar † 7. August 1106 Lüttich Dt. König; 1084 Kaiser; Konflikt mit dem Papst wegen des Rechtes zur Besetzung der Bistümer (Investiturstreit); 1077 Gang nach Canossa zur Aufhebung des päpstlichen Banns (Gregor VII.); 1105 Abdankung unter Zwang. HEINSE, NN. Zellenleiter der NSDAP in Eisenach. HEINTZ , NN. Berufsschullehrerin (in Rudolstadt?). HEINZELMANN, Johannes * 15. April 1873 Halberstadt † 14. Januar 1946 Linz 1902 Pfr Villach (Kärnten); 1928 Superintendent der Diözese Wien, 1934–1938 Vertrauensmann der Superintendenten der Ev. Kirche Österreichs, Notbischof; nach Kritik an der NS-Weltanschauung im Januar 1938 Rücktritt. [J.M.] HELFERICH, Heinrich, Dr. * 4. Mai 1851 Tübingen † 18. Dezember 1945 Eisenach Mediziner. Professor in München (1879), Greifswald (1885) und Kiel (1898–1907); 1907 Entlassung, lebte seit 1908 in Eisenach. [J.M.] HELMBOLD‚ Marie Luise * 1895 † 1988 1926 Studienrätin; 1929 Gymnasiallehrerin Eisenach für Deutsch, Geschichte und Religion; Mitgl. JRB, LBG, Ortsbruderrat und Kirchenvertretung Eisenach; 1938 Strafversetzung nach Steinach wegen Eintretens für Pfr. Ernst Otto, der vom LKR der TheK in den Wartestand versetzt worden war. HELMRICH, Kurt * 31. Juli 1883 Neustadt /O. † 18. März 1957 Eisenach Obersteuerinspektor; 1923 Angestellter VD der TheK als Kirchenregierungsrat. HEMMANN, Walter * 27. Januar 1900 Gera-Untermhaus Angestellter beim LKR der TheK; DC.; ausgeschieden 1942.

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HENLEIN, Konrad * 6. Mai 1898 Maffersdorf in Böhmen † 10. Mai 1945 Pilsen (Selbstmord) 1933 Gründer und Führer Sudetendeutsche Heimatfront (1935 umbenannt in Sudetendeutsche Partei); Oktober 1939 – Mitgl. NSDAP, NSDAP-Gauleiter und Reichsstatthalter Sudetenland – 1943 SS-Obergruppenführer. HENNEBERGER, Otto * 25. Oktober 1892 Herpf † 6. Juni 1981 Braunschweig 1930 Pfr. Jena; wechselte 1934 nach Braunschweig, dort Pfr. St. Pauli; 1934 ff. stellv. Gauobmann, dann Gauobmann DC; 1942 Kirchenrat; 1962 Ruhestand. HENSE, Max * 28. 12. 1862 Erfurt † 3. Januar 1918 Eisenach 1886 Gründer eines lithographischen Betriebs in Eisenach, später Buchdruckerei und Verlag. [J.M.] HENSON, Herbert Hensley * 8. November 1863 † 27. September 1947 Anglikanischer Theologe, Bischof von Hereford (1918–1920) und Durham (1920– 1939). Früher Kritiker der Entwicklungen in Deutschland. [J.M.] HERBENER, Friedrich * 8. April 1911 Kirchhain † 4. April 1991 1938 Hilfsprediger Eisenach; 1939 Dienstleistung Bund für Dt. Christentum; 1946 entlassen aus dem Dienst der TheK aufgrund des Reinigungsgesetzes, wurde aber kommissarisch weiterbeschäftigt. HERMENAU, Hans, D. theol. * 17. Juli 1894 Pr. Stargard † 19. März 1981 Wiesbaden 1918 Pfr. Hermannsruhe, 1919 Creutzberg; April 1932 bis März 1934 Geschäftsführer Reichsfrauenhilfe; Januar 1935 bis 13. November 1935 komm. Bevollmächtigter für alle Frauenverbände der DEK; 1934 bis 1945 Pfr. Potsdam; 1934–1935 Theologischer Referent der Dt. Ev. Kirchenkanzlei Berlin; April 1935–1945 Leiter Frauendienst der DEK; 1947/48 Vikarsdienst Oberroßbach und Idstein; dann Pfr. Idstein, 1957–1964 Wiesbaden-Biebrich – 1933 Mitgl. DC; 1936 Übertritt von der RDC zur KDC – Teiln. 1933 Wittenberg 1934 Berlin– 1933 Mitgl. NSDAP. HERRMANN, Emma Braut des Pfarrers Pflänzel; Mitarbeiterin im LKR der TheK. HERRMANN‚ Rudolf, D. theol. * 23. Juli 1875 Ruppersdorf † 11. Juni 1952 Weimar

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1906 Diakonus Neustadt / Orla;1932 Kirchenrat; Mitgl. VD der TheK; Visitator; 1933 Wartestandsversetzung; 1938–1946 Kirchenarchivwart für Thüringen; Verfasser einer Thüringer Kirchengeschichte. HERTEL, Johannes * 5. Juli 1899 Neunhofen † 19. August 1975 Säckingen 1932 Pfr. Themar; 1937 Versetzung in den Wartestand, 1940 Heeresdienst; 1942 Pfarrervertretung an dienstfreien Sonntagen; 1945 (nach Kriegsende) Tätigkeit als Lagerpfr. Italien; 1946 Pfr. Jena-Lobeda. J. Hertel hat die Auseinandersetzung mit Partei, Gestapo und LKR 1965 dokumentiert: »Mein Anteil am Kirchenkampf 1933–1945« (LKAE, A 783). Die Personalakte Hertel wurde am 8. März 1958 an das Ev. Konsistorium Magdeburg abgegeben (LKAE, Beiakte zu G 404). Aus einer Beiakte zu LKAE, G 404, betreffend den Zeitraum 1937– 1975, ergibt sich das folgende Bild: Hertel geriet bereits 1933 in Konflikt mit der Kirchenleitung und der NSDAP. Die Partei fasste ihre Vorwürfe im Januar 1937 zusammen. Mit Wirkung vom 15. September 1937 versetzte der LKR der TheK Hertel in den Wartestand. Am 16. Dezember 1938 wurde ihm die vikarische Verwaltung der Pfarrstelle in Kleinneuhausen übertragen, die ihm dann aber aufgrund eines Einspruchs des dortigen Vorsitzenden des Kirchenvorstands und gleichzeitigen Ortsgruppenleiters der NSDAP am 27. Januar 1938 wieder entzogen wurde. Verschiedene Anträge des LKR der TheK (1937 und 1938) sowie der Gestapo Weimar (1937) auf Ausweisung aus Thüringen ohne Folgen. 1939 wurde Hertel aufgrund einer Denunziation, in der ihm antinationalsozialistische Bemerkungen unterstellt wurden, zu zwei Monaten Gefängnis verurteilt. Wegen Vergehen gegen das Heimtückegesetz folgte ein Jahr später eine Verurteilung zu neun Monaten Haft. Die Strafe wurde allerdings ausgesetzt, weil Hertel zwischenzeitlich zum Militärdienst eingezogen wurde (auf eigenen Antrag?). Hertel war ein exponierter Vertreter der BK, ohne dort ein Amt zu bekleiden, aber auch ein für die Landeskirche unbequemer Pfarrer, der sich nicht davon abhalten ließ, sein Recht mit Eingaben an die Kirchenleitung, das Reichskirchenministerium, aber auch vor Gerichten einzuklagen. HERTZSCH, Erich, Dr. theol. * 31. März 1902 Unterbodnitz † 28. Oktober 1995 Hamburg Bruder von Gerhard Hertzsch; 1926 Pfr. Hartroda, 1930 Bucha b. Jena, 1931 Eisenach; 1945 Mitgl. neugebildeter VD der TheK; 1946 Oberkirchenrat; 1948–1967 Prof. für PT Jena – 1931/32 Mitgl. 3. LKT (Thüringen) – Mitgl., 1932 Vorsitzender religiöse Sozialisten. HERTZSCH, Gerhard (Hertzsch G.) * 12. März 1906 Unterbodnitz † 14. Mai 1984 Bruder von Erich Hertzsch; 1930/31 Vikar in Kärnten; 1931–1935 Hilfsprediger Judenbach u. Melborn / Thür; Verweigerung der Anstellung durch den LKR der TheK wegen Mitgliedschaft in der LBG; 1935 Entlassung aus der TheK; 1935 ff. Pfr. Immenstadt / Allgäu.

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HEß, Hermann * 15. März 1891 Sonnefeld † 26. Dezember 1971 Tübingen 1931 Pfr. Weida; 1934 i.W.; 1934 Pfr. Lumpzig; 1935 KZ Bad Sulza; anschließend Verwaltung der Pfarrstelle Kalbsrieth; 1938 i.W.; wechselt nach Württemberg. Heß, vom LKR der TheK wegen Nachlässigkeiten in der pfarramtlichen Verwaltung und wegen seiner oppositionellen Haltung wiederholt gerügt, kam alsbald auch ins Visier der Gestapo. Man unterstellte ihm eine negative Einstellung zum Nationalsozialismus und sammelte belastendes Material. Am 27. Februar 1935 wurde er verhaftet und in das KZ Bad Sulza verbracht. Die DC vor Ort sowie der Oberpfarrer baten den LKR, ihn nach seiner Entlassung nicht wieder in Lumpzig anzustellen. Am 24. April 1935 entlassen, wurde er vom Oberpfarrer beurlaubt. In einem Schreiben an den LKR beklagte er sich über die völlige Teilnahmslosigkeit an seinem Schicksal von Seiten des LKR, der Bekenntniskirche und des Pfarrernotbundes. Im Februar 1938 erneute Anklage, weil er die Kanzelabkündigung des Kasseler Gremiums vom 29. August 1937 verlesen hatte. Das Ermittlungsverfahren wurde jedoch eingestellt. H. war bereit, den Eid auf den Führer zu leisten, doch verzichtete der LKR auf seine Vereidigung und versetzte ihn 1938 abermals in den Wartestand. Heß wechselte daraufhin zunächst nach Bayern, später nach Württemberg (LKAE, G 414). HEß, Rudolf * 26. April 1894 Alexandria (Ägypten) † 17. August 1987 Berlin (Selbstmord) »Stellvertreter des Führers« und Reichsminister ohne Geschäftsbereich mit Sitz im Braunen Haus München – 1920 Mitgl. NSDAP. HEßLER, NN. Im Juli 1936 Zeuge betr. Rechtmäßigkeit der TheK. HESSE, Hermann Albert, Lic theol., DD * 22. April 1877 Weener (Ostfriesland), † 26. Juli 1957 Wuppertal Pfr.; 1918–1929 Schriftleiter Reformierte Kirchenzeitung und 1929 Studiendirektor Ref. Predigerseminar und Doz. Theol. Schule Elberfeld; April-Juli 1933 ref. Bevollmächtigter Dt. Ev. Kirchenbund (Kapler-Ausschuss); 1934–1946 Moderator Reformierter Bund; 1934–1936 Stellv. Vors. Reformierter Kirchenausschuss; wegen BKEngagement zwischen 1937 und 1940 mehrmals Maßregelungen; 1943–1945 KZ Dachau. – Mitgl. Generalsynode Ev. Kirche der APU; Mitgl. BK: 1934 Bruderrat Rheinland, Bruderrat Ev. Kirche der APU, Reichsbruderrat – Teiln. 1934 Barmen, Berlin, Dahlem, 1935 Augsburg, 1936 Bad Oeynhausen, 1948 Eisenach. HEUBEL, Rudolf * 10. August 1900 Buchfart † 29. Dezember 1994 Kirchen (Sieg) 1933–1945 Pfr. Bad Berka – 1939–1945 Soldat; 1940 Oberpfarrer Kirchenkreis Blankenhain; 1944 Superintendent; 1946 Entlassung aufgrund des Reinigungsgesetzes; 1946–1950 Internierung im sowjetischen Speziallager Nr. 2 Buchenwald – Mitgl. KDC; Leiter Dt. Pfarrergemeinde; Mitgl. 3. und 4. LKT. – Mitgl. NSDAP.

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HEUSSI, Karl, Dr. phil., Lic. theol., D. theol. * 16. Juni 1877 Leipzig † 25. Januar 1961 Jena 1924–1953 oProf. für KG in Jena. HEYDER, Paul * 25. Januar 1907 Göttingen (Sterbedatum nicht ermittelbar) 1930 Pfr. Milbitz; 1947 Oberpfr. Arnstadt; wechselte 1954 nach Westfalen. HEYL, Ernst * 4. Juni 1885 Hildburghausen † 19. April 1946 Rudolstadt 1934 Pfr. Rudolstadt; Oberpfr. des Kirchenkreises. HEYN, Hans * 2. November 1889 Gamstädt † 14. Februar 1967 Hattingen 1927 Pfr. Meiningen; 1954 Oberpfr. (Stellvertreter des Superintendenten) Meiningen. HILDEBRANDT, Franz, Lic. theol., Dr. phil., D. theol. * 20. Februar 1909 Berlin † 25. November 1985 Edinburgh 1933 Pfr. deutschsprachige Gemeinde London; 1934 Pfr. und Geschäftsführer PNB; 1935 Doz. Kiho Berlin; 1936 Mitarb. Denkschrift der VKL II an Hitler; 1937 Verhaftung, Emigration nach Großbritannien, Hilfspfr. London. HILGENFELDT, Erich * 2. Juli 1890 Heinitz † 25. April 1945 Berlin (Selbstmord mit Ehefrau und Kindern) NS-Funktionär; Reichsleiter; 1929 NSDAP; 1933 Gauinspektor von Groß-Berlin; MdR; Reichsbeauftragter für das Winterhilfswerk; verantwortlich für die Gleichschaltung der Wohlfahrtsverbände; 1934 zusätzlich Leiter des Hauptamts der NSFrauenschaft, der NS-Schwesternschaft sowie des Reichbunds der freien Schwestern; Leiter des Hauptamts der NS-Volkswohlfahrt. HIMMLER, Heinrich * 7. Oktober 1900 München † 23. Mai 1945 Lüneburg (Selbstmord) 1925 NSDAP; 1929 Reichsführer SS; 1934 stellv. preußischer Gestapo-Chef; 1936 als Reichsführer SS (RFSS; Titel) Chef der dt. Polizei; 1939 zugleich Reichskommissar für die Festigung dt. Volkstums; 1943 Reichinnenminister; 1944 Befehl über das Ersatzheer. HINDENBURG, Paul von * 2. Oktober 1847 Posen † 2. August 1934 Gut Neudeck b. Freystadt (Westpreußen) 1914 Generalfeldmarschall; 1916 Oberste Heeresleitung; 1925–1934 Reichspräsident; ernannte am 30. Januar 1933 Hitler zum Reichskanzler. HINDERER, August Hermann * 8. August 1877 Weilheim / Teck † 27. Oktober 1945 Kirchheim / Teck

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Pfr.; 1908 Schriftleitung Ev. Gemeindeblatt für Württemberg; 1911 Mitbegründer, ab 1916 Leiter Ev. Pressverband für Württemberg; 1918–1945 geschäftsführender Vors. und Direktor Ev. Pressverband für Deutschland; Schriftleiter verschiedener ev. Zeitungen und Zeitschriften, u.a 1934–1945 Das ev. Deutschland; Leiter Reichsverband ev. Presse in der Reichspressekammer in der Zeit des Nationalsozialismus. HINTZENSTERN, Herbert von, Dr. theol. * 24. Oktober 1916 Magdeburg † 22. Januar 1996 Weimar Pfr.; 1940 Ordination Jena; 1943 Hilfsprediger Eisenach; Mitarb. Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben; 1945 Hilfsprediger; 1952 Landesjugendpfarrer; 1956 Leiter der Pressestelle der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen. HITLER, Adolf * 20. April 1889 Braunau (Österreich) † 30. April 1945 Berlin 1920 Führer der NSDAP; 1925–1926 Verfasser Mein Kampf; 1933–1945 Reichskanzler. HITLER, Paula * 21. Januar 1896 Hafeld † 1. Juni 1960 Berchtesgarden Schwester von Adolf Hitler; aufgezwungener Name seit 1936: Paula Wolf (»Sie sollte nach dem Willen des übermächtigen Bruders eine Unbekannte sein«). H. L. (vermutlich Linde, Hanna) HODŽA, Milan, Dr. (im Text: Hodscha) * 1. Februar 1878 Sučany (damals Ungarn) † 27. Juni 1944 Clearwater (USA) Slowakischer Politiker, 1935–1938 Ministerpräsident der Tschechoslowakei. [J.M.] HÖGG, Emil, Dr. Ing., D.theol. * 5. Juli 1867 Heilbronn † 27. Dezember 1954 Radebeul Architekt; 1911 Prof. TH Dresden; 1926 Kirchenbaurat TheK; 1937 ausgeschieden. HOFFMANN, Karl * 6. September 1907 Engerda † 8. April 1970 Neustadt / Orla 1932 Pfr. Mihla; 1948 Superintendent Neustadt / Orla. HOFFMANN, Paul * 2. September 1892 Loslau / Oberschlesien 1927 Pfr. in Arnstadt, später Oberpfr.; wechselte 1937 nach Berlin-Niederschöneweide. HOFFMANN, NN. Kreisleiter (vermutlich der NSDAP) in Eisenach (Dezember 1936).

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HOFFMANN, NN. »aus der Luisenstraße« (Sitz der DC Eisenach); wohl Angestellter beim LKR der TheK (November 1938). HOHLWEIN, Hans Arthur, Dr. phil., Lic. theol. (Hohlw.) * 23. November 1902 Danzig 1927 Hilfspfarrer Jena; 1929 Pfr. Eilenburg; 1934 Direktor Predigerseminar Eisenach und Leiter »Dt. Pfarrergemeinde« [KDC]; 1937 Hilfsreferent EOK Berlin; 1939 Oberkonsistorialrat Kirchenkanzlei der DEK Berlin; 1939 Oberstudienrat Solingen; Mitarb. Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben. HOHLWEIN (Hohlwein Frau) Ehefrau von H. A. Hohlwein HOHMANN, NN. Pfr. Tambach, Mai 1934. [Im Dienst der TheK mehrere Träger dieses Namens, keiner Pfarrer von Tambach] HOLZ, Karl * 27. Dezember 1895 Nürnberg † 20. April 1945 Nürnberg 1922 Mitgl. NSDAP/SA; 1927 Redakteur bei Julius Streichers Der Stürmer; 1942 beauftragt mit der Führung des Gaus Franken; 1944 Gauleiter Franken. HORMEß, Friedrich * 1. Januar 1898 München † 5. März 1945 (gefallen bei Dormagen) 1936 Hilfspfr. Serba. HORTHY, Miklós *18. Juni 1868 Kenderes † 9. Februar 1957 Estoril. Ungarischer Politiker; 1919 Kriegsminister, Oberbefehlshaber der gegenrevolutionären Nationalarmee; Reichsverweser 1920–1944 (Oktober); in Deutschland interniert; 1948 Portugal. HOSEMANN, Johannes, D. theol. * 3. Juni 1881 Malchow b. Berlin † 1. September 1947 Karlsruhe Jurist; 1916 Konsistorialrat, 1924 Oberkonsistorialrat EOK Berlin; 1924 Direktor Kirchenbundesamt; 1933 Leiter Verfassungs- und Rechtsabteilung der Kirchenkanzlei der DEK Berlin; 1935 Beauftragter kirchl. Archiv- und Kirchenbuchwesen und Leiter Archivamt der Kirchenkanzlei der DEK; 1935/36 (?) Versetzung in den einstweiligen Ruhestand; rückgängig gemacht; 1936 Präsident Ev. Konsistorium der Kirchenprovinz Schlesien in Breslau; 1946 Ruhestand.

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HOSSENFELDER, Joachim * 29. April 1899 Cottbus (Brandenburg) † 28. Juni 1976 Lübeck 1925 Pfr. Simmenau / Oberschlesien, 1927 Alt-Reichenau, 1931 Berlin; 1933 Geistlicher Vizepräsident des EOK Berlin; Bischof Bistum Brandenburg und ständiger Vertreter des altpreußischen Landesbischofs; 27. September bis 29. November1933 Geistlicher (unierter) Minister Reichskirchenregierung; Dezember 1933 Enthebung von allen Ämtern und Wartestandsversetzung; 1939–1945 Pfr. Potsdam; 1945 i.W.; Krankenhausgeistlicher; komm. Verwalter von Pfarrstellen; 1953 Ruhestandsversetzung; 1954–1969 Pfr. Ratekau – 1932 Mitbegründer und erster Reichsleiter Glaubensbewegung Deutsche Christen (GDC) bis Dezember 1933; ab Mai 1935: Reichsleiter Kampfund Glaubensbewegung DC (Hossenfelder-Bewegung) – 1929 Mitgl. NSDAP, Kirchenfachberater NSDAP-Reichsleitung. HOßFELD, Walter Verwaltungsangestellter beim VD der TheK (Kanzlei). HOßFELD, NN. Frl., aus Eisenach (Juni 1938). HROMÁDKA, Josef * 8. Juni 1889 Hodslavice (Mähren) † 26. Dezember 1969. Pfr. Böhmische Brüder; 1920 Prof. für ST Prag, 1939 Princeton (USA), 1947 Prag; 1948 Mitgl. des Zentralausschusses des Ökumenischen Rates, 1954 Mitgl. Exekutivausschuß; 1958 Präsident Christliche Friedenskonferenz in Prag. HÜTHER, NN. Referent bei der Beamtenversammlung in der Erholung (Eisenach) am 16. November 1937. HÜTZEN, Wilhelm * 16. April 1872 Odenkirchen (Sterbedatum nicht ermittelbar) 1911 Pfr. Duisburg; 1934 Leiter Jugendarbeitsschule auf dem Hainstein; 1935–1947 Pfr. Lübeck. HUMBURG, Paul, D. theol. * 22. April 1878 Mülheim / Ruhr † 21. Mai 1945 Detmold 1929–1934 Pfr. Barmen-Gemarke; Mitgl. rheinische Bruderschaft; 1934–1942 Präses rheinische Bekenntnissynode; November 1934 bis 14. Januar 1936 Mitgl. VKL I; 1936 Mitgl. Reichsbruderrat – Teiln. 1934 Barmen, Dahlem, 1935 Augsburg, 1936 Bad Oeynhausen. HUNDT, Ernst, D. theol. * 10. September 1877 Calbe / Saale † 27. April 1945 Berlin (Selbstmord)

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1929 (jur.) Vizepräsident EOK Berlin; September 1933 Antrag auf Beurlaubung; November 1933 bis März 1934 Stellvertretender Leiter Kirchenkanzlei der DEK – 1936 Domherr zu Merseburg und Naumburg; 1939 Geschäftsführer Geistlicher Vertrauensrat DEK. IMMISCH, Johannes * 19. November 1871 Korbußen † 15. November 1944 Stadtroda 1906 Pfr. Gröben. INNITZER, Theodor * 25. Dezember 1875 Neugeschrei-Weipert † 9. Oktober 1955 Wien 1928/29 Rektor der Universität Wien; 1929/39 Sozialminister; 1932 Erzbischof von Wien; 1933 Kardinal; begrüßte 1938 den Anschluß Österreichs an das Dritte Reich; 1952 Ernennung zum Päpstlichen Legaten. IWAND, Hans-Joachim, Dr. theol. * 11. Juli 1899 Schreibendorf (Schlesien) † 2. Mai 1960 Bonn 1923 Studieninspektor Lutherheim Königsberg; 1934 Prof. für NT Herder-Institut Riga; 1935 Entzug der venia legendi; 1936 »Reichsredeverbot«; Leiter illegales Predigerseminars der BK Bloestau (Ostpreußen); Ausweisung aus Ostpreußen; 1938 Fortführung BK-Predigerseminar Jordan (Brandenburg), Predigerseminar Dortmund; Pfr. Dortmund; 1945 Prof. für ST Göttingen, 1952 Bonn – 1934 Mitgl. Reichsbruderrat – Teiln. 1936 Oeynhausen. JACOBI, Gerhard, D. theol. * 25. November 1891 Bremen † 12. Juli 1971 Oldenburg 1927 Domprediger Magdeburg, Generalsuperintendent Magdeburg; 1930–1954 Pfr. Berlin; 1945 Superintendent Berlin Kirchenkreis Charlottenburg – Mitgl. BK: JRB; Mitgl. Bruderrat des PNB, Rat der Ev. Kirche der APU; 1933–1939 Präses BK Berlin; 1934 Mitgl. Reichsbruderrat; Präses Bekenntnissynode Berlin-Brandenburg; Dez 1935 Vors. Bruderrat Berlin – Teiln. 1934 Barmen, Dahlem, 1935 Augsburg. JÄGER, August, Dr. jur. * 21. August 1887 Diez an der Lahn † 17. Juni 1949 Posen (hingerichtet) Juni 1933 Leiter Kirchenabteilung im preußischen Kultusministerium; 1. Juli 1933 Ministerialdirektor; 24. Juni bis 14. Juli 1933 Staatskommissar für den Bereich sämtlicher ev. Landeskirchen Preußens; 12. April bis 26. Oktober 1934 rechtskundiges Mitgl. Geistliches Ministerium der Reichskirchenregierung mit dem Titel »Rechtswalter«; 1934 Rücktritt; 1936 Senatspräsident Kammergericht (OLG) Berlin; 1937 Kirchenaustritt; 1939 Stellvertreter des Reichsstatthalters in Posen (Warthegau) – 1933 NSDAP; 1933 Amtswalter für ev. Angelegenheiten in der Reichsleitung der NSDAP – Teiln. Wittenberg 1933.

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JAGOW, Marie von * 16. August 1869 Bedra † um 1946 Eisenach Mitarb. von Pfr. Phieler in der Bahnhofsmission Eisenach. [J.M.] JAHN, NN. Angestellte beim LKR der TheK (Kirchgemeindeabteilung). JAHN, NN. (richtig wohl: Jan) Pfarrer (September 1935). JAN, Julius von * 17. April 1897 Schweindorf b. Neresheim † 21. September 1964 Korntal b. Stuttgart 1928 Pfr. Brettach, 1935 Oberlenningen; 1939 verurteilt zu 16 Monaten Gefängnis wegen Vergehens gegen das Heimtückegesetz und gegen den »Kanzelparagraph« ; 1939 Ausweisung aus Württemberg und Hohenzollern; 1940 Redeverbot; Mai 1940 Entlassung; 1939–1945 Pfarrer Ortenburg b. Passau, 1945 Oberlenningen – Mitgl. BK. JANSA, Bernhard * 17. Mai Leipzig 1901 † 1967 Schönebeck Buchhändler; 1926 Anstellung VD der TheK (Buchwart, Vortragstätigkeit); 1936 Ausbildung als Pfarrverweser; 1938 Ordination und Anstellung Bischofroda; 1942 Pfr.; 1946 Entlassung auf Grund des Reinigungsgesetzes mit Möglichkeit der komm. Weiterbeschäftigung; 1949 Pfarrvikar Sonneberg; wechselt 1957 nach Sachsen-Anhalt. JANSON, Friedrich, Dr. jur. * 29. März 1885 Langula † 26. Mai 1946 Höngeda Jurist; 1919–1937 Oberbürgermeister von Eisenach. [J.M.] JAUERNIG, Reinhold, Dr. jur.; Dr. theol. h.c. * 1. Januar 1893 Nickelsdorf / Bielitz † 27. Dezember 1966 Neu-Isenburg 1929 Pfr. Gera; 1938 Beurlaubung, Tätigkeit im Landeskirchenarchiv Eisenach; 1940 Pfr. für gesamtkirchl. Aufgaben beim Kirchenarchivrat der TheK; 1946–1959 Kirchenarchivrat der Ev.-Luth. Kirche in Thüringen. JEEP, Walter, D. theol. * 13. April 1878 Bad Harzburg † 5. Februar 1964 Bremen Juni / Juli 1934 vorübergehend Leitender Direktor C.A. für die Innere Mission Berlin; 1934 Pfr. Bremen – Gastteilnehmer 1933 Wittenberg o. 1934 Berlin o. beide; 1934 Mitgl. Landesbruderrat Bremen – Mitgl. PNB – 1933 Mitgl. NSDAP Jentzsch, Martin * 12. November 1879 † 5. März 1967 Erfurt 1930 Pfr. Erfurt.

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JESSEN, Emil * 4. Dezember 1876 Baltimore † 28. Februar 1944 Naitschau 1920 Pfr. Naitschau b. Greiz. JOHNSEN, Helmuth, Dr. phil. * 29. November 1891 Neustadt b. Coburg † 2. September 1947 Zrenjanin / Jugoslawien (erschossen) 1920 Pfr. Gauerstadt b. Coburg; 1929 Hauptpastor Lübeck; 1934–1946 Bischof LK Braunschweig – 1924–1928 MdL (Bayern) Völkischer Block; 1929 Mitgl. NSDAP – Gauobmann der DC Braunschweig bis zu seinem Austritt 1935; 1936 Leiter (Reichsobmann) Dt. Ev. Männerwerk. JÜCHEN, Aurel von * 20. Mai 1902 Gelsenkirchen † 11. Januar 1991 Berlin 1929 Pfr. Möhrenbach (Thüringen); religiöser Sozialist; 1932 Wartestand (wegen Mitgliedschaft bei den religiösen Sozialisten); 1935 Pfr. Gehren, 1937 Rossow / Neuruppin, 1946 Schwerin – Mitgl. 3. LKT (Thüringen) – Mitgl. BK JUNGHERR, Vinka Ehefrau / Witwe des Hals-, Nasen- und Ohrenarztes Ernst Jungherr in Eisenach. KADE, Richard, * 17. Juni 1879 Römhild † 18. Februar 1950 Weimar 1928 Pfr. Weimar; 1929 Oberpfr. Kirchenkreis Weimar; 1944 Superintendent und Propst Weimar. KAHLE, Heinrich * 2. September 1832 Weimar † 10. Februar 1902 Eisenach Gründer einer Druckerei in Eisenach (1867), dort erscheint die Eisenacher Tageszeitung, später Eisenacher Zeitung. [J.M.] KALLMANN oder Kallmeyer, NN. Prozessgegner des LKR im Oktober 1936. KAPFERER, Friedrich (Fritz) * 29. August 1891 Ettenheim / Baden (Sterbedatum nicht ermittelbar) 1915–1938 Katholischer Priester der Erzdiözese Freiburg; konvertierte; 1938 Mitarb. VD der TheK; 1942 Ordination Schmölln, dort Hilfsprediger; 1943–1948 Pfr. Herda – Mitarbeiter Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben; 1948–1950 außer Dienst; 1950–1956 Pfarrverwalter Riethnordhausen / Sangerhausen, 1956 Pfr. Schönwalde b. Nauen; lebte zuletzt in Hamburg.

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KAPLER, Hermann, Dr. jur. D. theol. * 2. Dezember 1867 Oels (Schlesien) † 2. Mai 1941 Berlin 1925–1933 Präsident EOK Berlin und damit zugleich Präsident Dt. Ev. Kirchenausschuss; April bis Juni 1933 Bevollmächtigter des Dt. Ev. Kirchenbundes (»Drei-Männer-Kollegium«), (gescheiteter) Versuch des sog. Kaplerausschusses der Einigung der ev. Landeskirchen unter einem Reichsbischof F. von Bodelschwingh. KARL der Große * 2. April 747/8 † 28. Januar 814 Aachen 768 König der Franken; 800 römischer Kaiser. KAUFFBERG, Alexander von * 1863 † 1945 Generalmajor a.D., verkehrte im April 1938 bei E. Otto. KEIL, Karl (K.) * 24. Juli 1899 Alzey † 4. Januar 1966 Wiesbaden 1935 Pfr. Untermaßfeld; Kreisleiter DC; 1946 Entlassung aus dem Dienst der TheK auf Grund des Reinigungsgesetzes; 1948 Pfr. der Christengemeinschaft Hessen. KEIL, Erich, Dr.phil. (E.) Mitarbeiter in der Bibliothek des LKR der TheK. KELLER, Friedrich Wilhelm Graf von * 11. März 1849 Potsdam † 26. November 1932 Stedten Besitzer von Schloss und Rittergut Stedten bei Erfurt. KELLER, Charlotte Gräfin von, geb. Freiin von Brandenstein * 7. September 1863 Ludwigslust † 12. Februar 1944 Bischleben Ehefrau des Vorigen. KELLER, Charlotte Gräfin von * 8. April 1885 Potsdam † 30 April 1978 Tochter der Vorigen, Kosename Lollo. KERN, NN. (vermutlich Helmut K.) * 25. November 1892 Nördlingen † 16. Dezember 1941 Bukarest 1933–1935 Pfr. Augsburg-Göggingen; 1933 Sonderbeauftragter Volksmission in Bayern; 1934–1939 Vor. Arbeitsgemeinschaft Dt. Volksmissionare; 1935 Leiter Amt für Volksmission in Nürnberg; 1937 Reichsredeverbot; 1939 Dekan Nördlingen; 1939/40 Wehrmachtspfarrer (freiwillig) – 1932 Mitgl. Christl.-Dt. Bewegung; Mitgl. GDC bis Sportpalastkundgebung Berlin 1933 – Mitbegründer volksmissionarische Kammer der BK Berlin.

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KERRL, Hanns * 11. Dezember 1887 Fallersleben † 14. Dezember 1941 Paris 1932 MdL (Preußen) und Präsident preußischer Landtag; 1933 MdR bzw. Vizepräsident Reichstag; 1933 Reichskommissar preußische Justizverwaltung; 1933–1934 Preußischer Justizminister; Reichsminister ohne Geschäftsbereich; 1935 Reichs- und Preußischer Minister für die kirchl. Angelegenheiten – 1925 Mitgl. NSDAP. KIEL, Erich (Kiel E.) * 4. Juli 1897 Buttstädt † 12. August 1988 1930–1933 Pfr. Neuroda; 1933–1934 Pfr. Schmölnn; 1935 Pfr. Eisenach; 1944 Oberpfr. Eisenach; 1946 Entlassung auf Grund des Reinigungsgesetzes. KINDER, Christian, Dr. jur. * 29. Mai 1897 Plön (Schleswig-Holstein) † 30. April 1972 Hamburg 1933 juristischer Vizepräsident Landeskirchenamt Kiel, 1936 komm. Präsident; 1938– 1945 Präsident – 1933 Mitgl. GDC; 21. Dezember 1933 bis September 1935 Reichsleiter GDC / RDC – Teiln. 1933 Wittenberg. KIRCHNER, Al. aus Mupperg, Oktober 1936. KISTER, Wolfgang * 1. April 1910 Ifta † 1944 (vermisst) 1936 Hilfspfr. Sättelstädt. KITTELMANN, Erich * 1. August 1887 Wunscha † 8. August 1977 Balingen 1928 Pfr. Weimar. KLAGES, Ludwig * 10. Dezember 1872 Hannover † 29. Juli 1956 Kilchberg (Schweiz) Dt. Psychologe und Philosoph, kam über die Graphologie, die er wissenschaftlich begründete, zur Neubegründung der Charakterkunde. K. war einer der Hauptvertreter der irrationalistischen Lebensphilosophie (»biozentrische« Weltanschauung im Gegensatz zur »logozentrischen«). KLANTE, Wilhelm * 14. September 1897 Eisenach † 25. Juli 1983 Eisenach Geschäftsführer der Buchhandlung Stümeier in Eisenach, Obere Querstraße. [J.M.] KLEINSTEUBER, Hildegard (Kleinst.) Sekretärin von Kirchenrat Paul Lehmann beim LKR der TheK.

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KLEINSCHMIDT, Karl (Kleinschm.) * 26. April 1902 Hannover † 13. August 1978 Schwerin 1930 Pfr. Eisenberg; 1927 Religiöser Sozialist; 1931 Vors. Bund Religiöse Sozialisten Thüringen; 1933 als solcher amtsenthoben und nach Prozeß entlassen; 1934 Pfr. Schwerin – Mitgl. BK Schwerin – 1932 Abgeordneter LKT für die Religiösen Sozialisten – 1928–1933 und 1945 Mitgl. SPD, seit 1946 SED. Wegen parteipolitischer Aktivitäten 1930 Dienststrafverfahren. Aufgrund des Gesetzes vom 5. Mai 1933 betr. den Marxismus in der Kirche Amtsenthebung. Vgl. Restakte Kleinschmidt (LKAE, F 310, Bd. 5); die eigentliche Personalakte wurde nach Schwerin abgegeben. KLINCKHARDT, Theodor * 6. November 1897 Nazza b. Eisenach 1928 ff. Gerichtsassessor an verschiedenen Gerichten; 1930 Hilfsrichter in Eisenach; 1933 Staatsanwaltschaftsrat in Eisenach, 1937 Staatsanwalt; 1944 zeitweise abgeordnet; August 1946 entlassen. [J.M.] KLINGLER, Friedrich * 23. Dezember 1882 Schaffhausen † 6. März 1951 Nürnberg 1915 Pfr. Kammerstein, 1926 Nürnberg-Wöhrd; 1935 Kirchenrat ‒ 1931 Vors. Pfarrerverein LK Bayern; 1933 und 1946 Vizepräsident Landessynode Bayern; 1934 stellv. Vors. Reichsbund dt. Ev. Pfarrervereine ‒ Teiln. 1935 Augsburg, 1936 Bad Oeynhausen. KLIPP, NN., Dr. Leiter des Roten Kreuzes Weimar. KLOPPENBURG, Ferdinand Otto (genannt Heinz) (Kloppenbg.) * 10. Mai 1903 Elsfleth (Wesermarsch) † 18. Februar 1986 Bremen 1932 Pfr. Rüstringen-Heppens; 1937 Versetzung in den einstweiligen Ruhestand; bis 1940 Reichsredeverbot; 1945 Oberkirchenrat und hauptamtliches Mitgl. Ev.-Luth. Oberkirchenrats Oldenburg – 1933 Begründer und Leiter PNB in Oldenburg (Oldb); 1934 Mitgl. Reichsbruderrat; 1935–1937 Vors. Bekenntnissynode in Oldenburg; Mitgl. VKL II; 1940 Vors. Konferenz der Landesbruderräte – Teiln. 1934 Barmen, 1935 Augsburg, 1936 Bad Oeynhausen. KLOTSCHE, Johannes * 11. Mai 1895 Leipzig † 24. Februar 1965 Stadt Wehlen / Elbe 1925 Oberjustizsekretär Amtsgericht Dresden; 1933 »Adjutant« von Landesbischof Coch Dresden; Oberkirchenrat; 1937 Leiter des Landeskirchenamts; 1938–1945 Präsident (Rücktritt vor Verhaftung); 1945 Hilfsarbeiter, dann Gemeinschaftsprediger in Mecklenburg – 1925 Mitgl. der NSDAP; seit 1939 Vertreter der LK für das Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben.

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KNAK, Siegfried, D. theol. * 12. Mai 1875 Zedlitz (Schlesien) † 22. Mai 1955 Berlin 1915–1918 Divisionspfr.; 1921–1949 (Rücktritt) Direktor Berliner Missionsgesellschaft; Prof. KiHo Berlin (Missionswissenschaftler); Gastprofessor Universität Halle und Burckhardthaus – Mitgl. BK; 1935 Bruderrat Berlin; 1934 zusammen mit Friedrich von Bodelschwingh und Siegfried von Lüttichau Gründer Bruderrat der Arbeitsgemeinschaft missionarischer und diakonischer Verbände – Teiln. 1935 Augsburg, 1936 Bad Oeynhausen – Mitgl. Dt. Ev. Missionsausschuß; 1933 Dt. Ev. Missionsrat. KNAUTH, Albert * 26. September 1879 Orlamünde † 14. Mai 1968 Reinstädt 1914 Pfr. Reinstädt. KOCH, Erich * 19. Juni 1896 Elberfeld (Wuppertal) † 12. November 1986 Barczewo (Polen) (im Gefängnis) 1922 NSDAP; 1928 NS-Gauleiter Gau Ostpreußen Königsberg; 1930 MdR; 1933 Preußischer Staatsrat; 1933 Oberpräsident Ostpreußen; 1939 Reichverteidigungskommissar für den Wehrkreis I; 1941–1944 Reichskommissar für die Ukraine; 1959 zum Tode verurteilt; Aussetzung des Urteils wegen Unzurechnungsfähigkeit. KOCH, Karl, D. theol. * 6. Oktober 1876 Witten † 28. Oktober 1951 Bielefeld 1916–1949 Pfr. Bad Oeynhausen; 1927–1948 Superintendent Vlotho; 1927–1945 Präses westfälische Provinzialsynode; 1934 Versetzung in den Ruhestand aus kirchenpolitischen Gründen; 1935 wieder Bestätigung durch das Konsistorium als Pfarrer – Mitgl. BK: 1934–1939 Vors. Bruderrat Westfalen; 1934–1936 Bruderrat und Rat der Ev. Kirche der APU; seit Mai 1934 Mitgl. Rat der DEK; Präses Bekenntnisynode der DEK und Leiter ihres Büros; Präses der ersten vier Bekenntnissynoden der Ev. Kirche der APU; Mitgl. VKL I – 1919–1933 MdL Preußen (DNVP); 1930–1932 MdR – Teiln. 1934 Barmen, Dahlem, 1935 Augsburg, 1936 Bad Oeynhausen. KOCH, Wilhelm * 3. September1899 Berstadt † 9. April 1986 1926 Pfr. Apolda; 1938 Pfarrverw. Adelshofen; 1940 auf Antrag entlassen; wechselt nach Baden; 1950 Pfr. Bammenthal; 1958 Pfr. Bargen; 1965 Ruhestand. Zunächst Konflikt um die Eingliederung der von K. gegründeten Frauenhilfe in die NSFrauenschaft. Gegner war W. Lindner, Lehrer und Organist in Herressen, dann Ortsgruppenleiter und Gemeindeleiter der örtlichen KDC, der 1936 vom Kirchenvorstand als Organist entlassen wurde. Daraufhin häuften sich die Schikanen gegen Koch. Zum Eklat kam es durch seine Weigerung, die Kirche in Sulzbach für eine deutschchristliche Gottesfeier zur Verfügung zu stellen, obwohl die Mehrheit der Kirchenvertreter für eine Genehmigung eintrat. Selbst der Bruderrat der LBG erkannte die mit Mehrheit gefassten Beschlüsse an, auch wenn er inhaltlich auf der Seite Kochs stand. Anfang Juli wurde

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Anklage wegen Vergehen nach dem Heimtückegesetz erhoben, am 13. August 1937 folgte die Verhaftung. Der LKR der TheK untersagte daraufhin Koch die weitere Ausübung des Amtes und ließ dieses Verbot auch bestehen, nachdem Koch am 10. September 1937 aus der Haft entlassen worden war. Das Verfahren gegen Koch wurde gar nicht erst eröffnet, vielmehr wurde er am 7. Dezember 1937 des Landes verwiesen. K. fand in der Badischen Kirche eine neue Anstellung. Seine Aufzeichnungen, Der Kirchenkampf in Thüringen, wie wir ihn erlebten (1933–1938), hg. unter dem Titel »... aber hinten stechen die Bienen. Wilhelm Koch – Der Bekenntnispfarrer von Sulzbach bei Apolda und sein ›blaues Wunder‹«; wurden 1993 dem LKAE übergeben. KÖBERLE, Adolf, Dr. theol., D. theol. * 3. Juli 1898 (Bad) Berneck (Oberfranken) † 23. März 1990 München 1926 Leiter des Ev.-luth. Missionsseminars Leipzig; 1930 aoProf. für ST Basel, 1939– 1965 Tübingen. KOECHLIN, Alphons * 6. Januar 1885 Basel † 8. Mai 1965 Basel Pfr.; 1933–1954 Kirchenratspräsident in Basel, Unterstützer der BK. [J.M.] KÖHLER, Ernst * 12. Mai 1899 Saalfeld † 17. November 1970 Untermaßfeld 1924 Pfr. Lauscha; 1924 Vors. Thüringer ev. Jungmädchenbund; 1930 Pfr. Hildburghausen; 1938 Leiter LBG; 1945 Mitgl. Im neugebildeten LKR der TheK; 1946 Oberkirchenrat; 1951 Visitator für Südthüringen. KÖHLER, Hermann * 25. Januar 1899 Oberlind † 14. Dezember 1960 Frechen b. Köln Ingenieur, bis 1934 tätig in Oberlind und Sonneberg; 1934 NSDAP-Kreisleiter Eisenach; 1945–1948 Internierungslager Ludwigsburg. [J.M.] KOEHN, Werner * 12. Oktober 1893 Aurich † 31. Mai 1988 1930–1937 Pfr. Dienstedt; 1937 auf Antrag entlassen wegen Ernennung zum Heerespfarrer; 1945 Pfr. Eversten (Oldenburg). KOELLREUTER, Otto, Prof. Dr. * 26. November 1883 Freiburg i.Br. † 23. Februar 1972 Freiburg i.Br. Jurist; 1921 Prof. in Jena, Richter am Oberverwaltungsgericht; seit 1930 Sympatisant der NSDAP, 1933 Mitglied; 1933 Prof. für Strafrecht München; 1945 amtsenthoben, 1952 emeritiert. [J.M.] KÖNIG, Karl, D. theol. * 23. Mai 1868 Langensalza † 28. Mai 1948 Huflar / Rhön

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1918 Pfr. Urspringen; 1918 Mitgl. Vorsynode; 1920 nebenamtliches Mitgl. des erweiterten Landeskirchenrats; 1921 Mitarb. an der Verfassung; 1927 Versetzung in den Wartestand aus gesundheitlichen Gründen; 1927–1932 Mitgl. LKT (Thüringen); 1934 Ruhestand. KÖNITZER, Adolf, Dr. med. * 24. September 1871 Jena † 21. Juni 1950 Eisenach 1916 Arzt, 1926 Chefarzt am katholischen Elisabeth-Krankenhaus in Eisenach. [J.M.] KOEPPEN, Maria 1935 Geschäftsführerin der LBG (Büro Ernst Otto) in Eisenach. KÖTH, NN. Angestellter beim LKR der TheK (Pfründenrechnungsstelle). KÖTSCHAU, Anne oder Anna genannt »Annchen«, aus Eisenach, Januar und Mai 1938. KOHLMEYER, NN. Altenburg; BK-Kirchenvertretung, November 1938 KOLBE, NN. Ehepaar aus Eisenach, März 1937 und Januar 1938. KOOPMANN, Otto * 19. August 1878 Suurhusen † 27. März 1951 Aurich Jurist; 1925–1937 Präsident Landeskirchenrat Aurich (reformierte LK der Provinz Hannover); 1933 Mitgl. Einstweilige Leitung der DEK und gleichzeitig deren Kanzleileiter; 1935–1937 Mitgl. RKA; 1936 Vors. Kammer für Rechtsfragen der DEK – 1934 Mitgl. Moderamen Reformierter Bund – Teiln. 1933 Wittenberg, 1934 Berlin. KORTH, Walter * 9. Juli 1896 Schedlisken † 24. März 1945 Niederhonnefeld (gefallen) 1927 Pfr. Probstzella; 1934 Wartestand. KOSCHEL, Werner Bundeswart Ev. Jungmännerwerk mit Sitz in Erfurt. KOSKE, Therese Teilnehmerin an den Einladungsabenden von Pfarrer Ernst Otto nach dessen Versetzung in den Wartestand. KRAUSE, NN. Lehrling beim LKR der TheK, Dezember 1935.

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KRAUSE, Reinhold, Dr. phil. * 22. Oktober 1893 Berlin † 24. April 1980 Konstanz Studienrat; 1934–1945 Studiendirektor Berlin – 1921 Mitgl. Bund für dt. Kirche (Pressechef); 1932/33 Obmann GDC Gau Groß-Berlin; 1933 Gründung Glaubenbewegung Dt. Volkskirche; 1933 NSDAP-Gauhauptstellenleiter und Gauredner für ev.-kirchenpolitische Fragen Berlin; nach der »Sportpalastkundgebung« (Nov. 1933) Enthebung von allen kirchl. Ämtern – 1932 Mitgl. NSDAP. KROPATSCHEK, Gerhard, Dr. phil., D. theol. (Kropatsch.) * 5. August 1882 † 29. Juni 1955 Eisenach Pädagoge und Theologe; 1911 Hauptschriftleiter von »Der Reichsbote« Berlin; 1913 Leiter ev. Schulverein Dresden; 1935 Vikar LBG Elgersburg; 1935 Mitherausgeber Monatsschrift »Ev. Schulblatt«. KROSIGK, s. Schwerin von Krosigk KUBE, Wilhelm * 13. November 1887 Glogau † 22. September 1943 Minsk (Weißrußland) 1928 NSDAP-Gauleiter Gau Ostmark, 1933–1936 Oberpräsident Brandenburg, Berlin und Grenzmark Posen-Westpreußen; 1933 NS-Gauleiter Gau Kurmark; Preußischer Staatsrat;1933 MdR; 1936 Amtsenthebung als Gauleiter und Oberpräsident zur Disposition; 1941 Generalkommissar für Weißruthenien in Minsk – 1932 Mitbegründer GDC – Teiln. 1933 Wittenberg – 1927 Mitgl. NSDAP; 1933–1936 Mitgl. SS. KÜHL, Axel Werner * 2. Mai 1893 † 6. Juni 1944 1928 Pfr. Lübeck; Vors. Landesbruderrat in Lübeck; am 1. Januar 1937 aus Lübeck ausgewiesen. KÜHLEMUND (vermutlich Kühnemund) s. unten. KÜHLEWEIN, Julius, D. theol. * 18. Januar 1873 Neunstetten (Baden) † 2. August 1948 Karlsruhe 1909 Pfr. Karlsruhe, 1921 Freiburg i.Br.; 1921 Landessynode Baden, Mitgl. badische Kirchenregierung; 1924 Prälat Karlsruhe; 1933–1945 Landesbischof Baden. KÜHN, Elisabeth (Kühn E.) Ehefrau von Pfr. Gerhard Kühn. KÜHN, Gerhard * 3. Oktober 1895 Sundremda † 1. Januar 1978 Sindelfingen 1930 Pfr. Eisenach; 1945 Oberpfr. Eisenach.

ANHANG

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KÜHNEMUND, Wilhelm * 11. Februar 1869 Eisenach † 24. Juni 1955 Hildburghausen Inhaber einer Töpferei in Eisenach, Schmelzerstraße. [J.M.] KÜHNEMUND, NN. geb. Sommer, Ehefrau von W. Kühnemund, Eisenach, kirchl. Helferin KÜNNETH, Walter, D. theol., Dr. phil., D. theol. DD * 1. Januar 1901 Etzelwang (Oberpfalz) † 26. Oktober 1997 Erlangen 1927 Tätigkeit bei der Apologetischen Centrale im C.A. für die Innere Mission Berlin; 1930 Privatdoz. für ST in Berlin; 1932–1937 Leiter Apologetische Centrale; 1935 Entzug der Lehrbefugnis aus politischen Gründen; 1935 Redeverbot; 1938 Pfr. Starnberg (Oberbayern); 1944 Dekan Erlangen; 1946 Honorarprofessor Erlangen; 1953–1969 oProf. für ST Erlangen. KÜNTZEL, Siegfried * 8. November 1906 Hannover † 14. Januar 1993 Bad Harzburg 1935 Vikar Gräfenthal; 1937 entlassen; wechselt nach Braunschweig, dort 1938 Pfr. Bündheim b. Bad Harzburg; 1941–1945 Wehrdienst, danach Kriegsgefangenschaft; 1963 stellv. Propst Vienenburg, später Bad Harzburg; 1971 Ruhestand. 1937 wegen Vergehens gegen das Heimtückegesetz inhaftiert, Antrag auf Haftentlassung im Oktober 1937 abgelehnt, daher entlassen (LKAE, LBG 82). KUESSNER, Theodor * 19. Dezember 1896 Schaaken Kr. Königsberg † 29. Dezember 1984 Quakenbrück Pfr.; 1925 Doz. für KG Theologische Hochschule Bethel; 1931–1961 Vorsteher Diakonissenmutterhauses Bethanien Lötzen (Ostpreußen); 1939–1943 Kriegsdienst – Mitgl. BK: 1934 Bruderrat und Rat Ev. Kirche der APU; bis 1935 Präses Bekenntnissynode Ostpreußen – 1935–1937 Mitgl. Reichskirchenausschuss und Landeskirchenauschuss Ev. Kirche der APU – Teiln. 1934 Dahlem, 1935 Augsburg. KUHLES, Willy * 7. August 1897 Vieselbach † 9. November 1945 Eisenach Finanzsekretär; 1923 Kirchensekretär VD der TheK; 1923 Kirchenobersekretär und Kassenverwalter; 1929 Kirchenamtmann; 1942 Kirchenverwaltungsamtmann; 1944 aus dem Dienst der TheK entlassen. KUHLO, Johannes * 8. Oktober 1856 Gohfeld (Westfalen) † 16. Mai 1941 Bethel Pfr. Bethel; 1892 Leiter Diakonenhaus Nazareth; bleibende Bedeutung durch den Ausbau des christlichen Bläserwesens, dessen Leitung er von seinem Vater Eduard übernahm, dem Gründer der sog. »Posaunenchöre« – Mai 1933 Mitgl. NSDAP; 29. August 1933 Besuch bei Hitler auf dem Obersalzberg mit Huldigungsständchen; 1935 Komposition Geburtstag des Führers Adolf Hitler nach Psalm 21.

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KUMMER, Gotthelf * 28. September 1877 Geschwenda † 14. Mai 1945 Arnstadt 1918–1940 Pfr. Arnstadt. L. (in der Regel: Linde, Hanna) LACKNER, Gebrüder Konditorei und Cafe Eisenach LÄMMERHIRT, NN. Angestellte beim LKR der TheK (es gab zwei dieses Namens!) LAGARDE, Paul de * 2. November 1827 Berlin † 22. Dezember 1891 Göttingen Orientalist und Kulturkritiker; 1869 Prof. für orientalische Sprachen Göttingen – Vertreter eines religiös-völkischen Antisemitismus mit den Juden als Hauptfeinden des »dt. Volkskörpers«. LAMBERT, Victor * 28. Juni 1899 Düsseldorf 1932 Pfr. Pferdsdorf; 1935 Meiningen; 1956 aus dem Dienst der TheK entlassen unter Verlust der Rechte des geistlichen Standes. LAMPRECHT (richtig: Lambert) LANDMANN, NN. Mitglied der NSDAP, Oktober 1934. LANG, Cosmo Gordon * 31. Oktober 1864 Fyvie / Schottland † 5. Dezember 1945 London Anglikanischer Theologe; 1908–1928 Erzbischof von York; 1928–1942 Erzbischof von Canterbury, Unterstützer von G. Bell, Bischof von Chichester. [J.M.] LANG, (vermutlich) Heinrich Kaufmann; Familie mit Tochter Betty, Eisenach, Karlstraße. LANGNER, Erwin, Dr. theol., Dr. phil. * 15. März 1921 Breslau † 25. Januar 1962 Jena 1933 Pfr. Jena.; 1941 stellvertr. Präsident des Landeskirchentages. LAUE, Paul * 13. April 1897 Apolda † 12. Oktober 1970 Eisenach

ANHANG

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Motorenschlosser; 1928 Kraftwagenführer LKR der TheK; 1933 Beamter; 1934 Fahrmeister; 1943 Kirchenverwaltungsassistent; 1945 Entlassung auf Grund des Reinigungsgesetzes. LAUE, Senta 1937 Fürsorgerin in Berlin, 1938 in Nowawes; 1937 und 1938 KZ. LAUERER, Hans, Lic. theol., D. theol. * 25. Mai 1884 Regensburg † 20. Januar 1953 Neuendettelsau 1918–1953 Rektor Diakonissenmutterhaus und Anstalten Neuendettelsau; 1936 Titel »Kirchenrat«; 2. Dezember 1933 ernannt zum Geistlichen (luth.) Minister der Reichskirchenregierung; Amt nicht angetreten – Teiln. 1933 Wittenberg – Mitgl. NSV. LAUKAMM, Siegfried * 18. Juli 1894 Zschaitz † 18. Oktober 1955 Kiel 1925 Pfr. Neustadt / Orla; wechselt 1928 nach Sachsen. LEDEBUR, Leopold Freiherr von * 18. Mai 1876 Berlin † 22. August 1955 Gut Bockhorn bei Wankendorf Charakterdarsteller am Staatlichen Schauspielhaus Berlin. LEFFERS, Wilhelm * 26. März 1871 † 25. April 1952 Katholischer Priester; 1902–1941 Pfarrer in Rostock; als Gegner des Nationalsozialismus mehrfach im Zuchthaus. [J.M.] LEFFLER, Elisabeth (Leffler E.) Ehefrau von Siegfried Leffler LEFFLER, Siegfried (Leff; Leff.; Leffl.; Leffr.) * 21. November 1900 Azendorf (Oberfranken) † 10. November 1983 Hengersberg (Bayern) Pfr.; wechselte 1928 von Bayern nach Ostthüringen (Gemeinde Niederwiera / Wieratal) – mit Julius Leutheuser und anderen Gründer des Nationalsozialistischen Pfarrer- und Lehrerkreises des Wieratales; Mitbegründer KDC; 1933 Regierungsrat / Oberregierungsrat Thüringer Volksbildungsministerium (Weimar) als Verbindungsmann zwischen Landesregierung (Partei) und LK; 1945 verhaftet; 1947 Schuldbekenntnis; 1947 Entlassung aus dem Thüringer Kirchendienst; 1949 Pfr. der bayerischen LK (verschiedene Gemeinden, zuletzt 1959 Hengersberg); 1970 Ruhestand – 1934 Mitgl. Landessynode; 1937 Reichsleiter KDC; 1939 Leiter Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben; 1944 Präsident LKT – 1929 Mitgl. NSDAP; Gründung der NSDAP-Ortsgruppe Niederwiera (zusammen mit Julius Leutheuser).

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LEHMANN, Heinz-Dieter Sohn von Paul Lehmann LEHMANN, Paul (Lehm.) * 5. August 1884 Celle † 22. Januar 1960 Jena 1923–1933 Pfr. Tambach-Dietharz; 1933 Kirchenrat, Mitgl. LKR der TheK; 1943 Wartestandsversetzung; 1945 Amtsenthebung auf Grund des Reinigungsgesetzes; außerkirchl. Tätigkeit – Mitgl. NSDAP, KDC, 3. LKT – trat 1942 aus der NkE aus. LEHMUT, Christian Landwirt in Metzels; Mitglied im Ortsbruderrat Metzels der LBG. LEHNERT, Oskar * 16. November 1887 Mitau † 28. Juli 1967 Wardenburg 1932 Pfr. Frankenhain; 1934 und 1937 beurlaubt zur Dienstleistung Bund für Dt. Christentum; 1946 Entlassung aufgrund des Reinigungsgesetzes. LEICHTE, Ferdinand * 21. Juni 1889 Fürstenhagen (Sterbedatum nicht ermittelbar) 1917–1921 Pfr. Jagow / Uckermark; 1921–1937 Pfr. Gotha Schlosskirche; 1934 Mitgl. Landessynode; wechselte 1937 nach Kurhessen-Waldeck; 1937–1949 Pfr. Kloster Haina; 1949–1954 Pfr. Michelbach b. Marburg; 1954 Ruhestand. LEIDENFROST, Adolf Hermann * 20. Januar 1882 Vogelsberg † 13. April 1961 Jena 1923 Pfr. Jena; 1929 Oberpfr. Kirchenkreis Jena-Stadt; 1944 Superintendent Jena; 1945 Ruhestand; Pfarrverwalter Lobeda; 1946 Entlassung aufgrund des Reinigungsgesetzes; 1949–1955 Pfarrverwalter in Bucha. LE SEUR, Eduard (Le Seur E.) * 13. Januar 1873 Berlin † 15. Februar 1956 Stuttgart 1931 Pfr. Weida; 1934 Oberpfr. Weida; 1937 Pfr. für besondere gesamtkirchl. Aufgaben im Bund für Dt. Christentum in Eisenach; 1940 Beurlaubung, Dienstleistung Bund für Dt. Christentum; 1941 Wartestand; 1945 Ruhestand; 1946 Entlassung auf Grund des Reinigungsgesetzes. LE SEUR, Paul * 18. Juli 1877 Berlin † 13. März 1963 Potsdam Pfr.; Evangelist; 1909–1925 Leiter Berliner Stadtmission; 1925–1933 Leiter Jugendhochschule auf dem Hainstein b. Eisenach; 1933 freier Evangelist Potsdam. LETTOW-VORBECK, Paul von * 20. März 1870 † 9. März 1964 Hamburg

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Dt. Generalmajor; 1914 Kommandeur der dt. Schutztruppe in Deutsch-Ostafrika; schlug 1919 als Reichswehr-General den Hamburger Kommunisten-Aufstand nieder. LEUCKFELD, Gottfried * 18. September 1906 Breklum (Sterbedatum nicht ermittelbar) 1933 Pfr. Schmölln; 1937–1938 Pfr. Friedrichswerth; 1946 Entlassung aufgrund des Reinigungsgesetzes. LEUTBECHER, NN. Kirchenvorsteher in Mittelsdorf, Okt. 1936. LEUTHEUSER‚ Julius (Leu.; Leuth.; Leutheuser) * 9. Dezember 1900 Bayreuth † 24. November 1942 Rußland (gefallen) Pfr.; wechselte 1928 von Bayern nach Ostthüringen (Gemeinde Flemmingen /Wieratal); 1933 Kirchenrat; Mitgl. LKR der TheK und Leiter Volksdienst; auch Landesjugendpfarrer; 1939 Soldat; gefallen als Oberleutnant vor Stalingrad – Mitbegründer (mit Siegfried Leffler u.a.) Nationalsozialistischer Pfarrer- und Lehrerkreis des Wieratales; Mitbegründer KDC – 1929 Mitgl. NSDAP. LEUTHEUßER, Richard * 16. Juli 1867 Coburg † 12. April 1945 Weimar Jurist, tätig in Coburg und Gotha; 1919–1933 MdL (DVP) in Thüringen; 1924–1928 Vorsitzender des Staatsministeriums, Minister für Volksbildung und Justiz. [J.M.] LEVIEN, Gertraud 1935 Angestellte der LBG (Büro Ernst Otto) in Eisenach. LEY, Robert * 15. Februar 1890 Niederbreidenbach † 25. Oktober 1945 Nürnberg (Selbstmord) 1923 Mitglied NSDAP; 1932 Reichsorganisationsleiter NSDAP; 1933 Leiter Dt. Arbeitsfront (DAF) und deren Freizeitorganisation Kraft durch Freude (KdF). LIEBE, Arno * 30. November 1882 Marksuhl † 16. Mai 1962 Apolda 1930 Pfr. Ebeleben, 1935 Mattstedt. LIEBMANN, Gertrud * 27. März 1889 Heldburg † 22. Dezember 1980 Eisenach Studienrätin in Eisenach. [J.M.] LIETZMANN, Hans, Prof. Dr. * 2. März 1875 Düsseldorf † 25. Juni 1942 Locarno Ev. Theologe; Studium in Jena und Bonn; 1905 Prof. KG in Jena, 1923 in Berlin; Mitglied der Preuß. Akademie der Wissenschaften. [J.M.]

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LILJE, Hanns, Dr. theol., D. theol., DD * 20. August 1899 Hannover † 6. Januar 1977 Hannover 1925 Studentenpfr. TU Hannover; 1927–1935 Generalsekretär der Dt. Christl. Studentenvereinigung (DCSV); 1932–1935 Vizepräsident der World Student Christian Federation; 1936–1945 Generalsekretär des Luth. Weltkonvents; 1945 Landesbischof Hannover – 1933 Mitbegründer PNB; 1935 Mitarb. VKL I; 1934 Mitgl. Lutherischer Rat; 1936 Geschäftsführer Lutherrat Berlin (Sekretariat). LINA, s. Trautvetter, Lina LINDE, Hanna * 29. August 1883 Sekretärin von Kirchenrat Dr. Otto Volk; Juni 1943 Eintritt in die NkE. LOCHER, Fritz * 11. März 1881 Hof † 28. Dezember 1965 1930–1946 Pfr. Ebersdorf b. Coburg. LOCHMANN, NN. Rechtsanwalt in Gotha, November 1938. LÖNNIES, Klara 1919 Examen als Wohlfahrtspflegerin; 1929 Gründerin des Reichsmütterdienstes der DEK – Mitgl. NSDAP; 1934 Austritt aus der Partei. LOOß, Helmut * 31. Mai 1910 Eisenach Sohn von Rudolf Looß; SS-Sturmscharführer; cand. phil.; 1944 SS-Obersturmbannführer; 1945 Lehrer in Bremen. LOOß, Rudolf (R.) Glasermeister in Eisenach. LOUIS FERDINAND, s. Preußen, L. F. Prinz von LOTZ, Gerhard; Dr. jur. h.c. * 22. April 1911 Altenburg † 10. Dezember 1981 Eisenach 1938 Anstellung als Assessor beim LKR der TheK; 1942 Kirchenrechtsrat; 1945 weltliches Mitgl. LKR; 1946 Kirchenrat / Oberkirchenrat und Leiter der Rechtsabteilung. LOTZ, Rudolf, Dr. jur. * 16. August 1901 Meiningen † 28. Oktober 1973 Eisenach

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Jurist; 1926 Rechtsanwalt in Eisenach, 1932 Notar; Oberbürgermeister im April / Mai 1945, übergab die Stadt an die US-Armee; 1954–1972 Präsident der Synode der Ev.Luth. Kirche in Thüringen.[J.M.] LUDENDORFF, Erich (Ludendorff E.) * 9. April 1865 Kruszewnia Provinz Posen † 20. Dezember 1937 München General; im Ersten Weltkrieg Generalquartiermeister und Stellvertreter von Hindenburg; 1923 Beteiligung am Hitlerputsch; 1928 Abkehr vom Nationalsozialismus; geriet zunehmend unter den sektiererischen Einfluß seiner Frau Mathilde. LUDENDORFF, Mathilde, Dr. med. (Ludendorff M.) * 4. Oktober 1877 Wiesbaden † 12. Mai 1976 Tutzing Geb. Spieß; Ärztin und Schriftstellerin; Ehefrau von Erich Ludendorff; Gründerin der Bewegung »Dt. Gotterkenntnis« (Haus Ludendorff); 1945 Wiederbegründung eines »Bundes für Gotterkenntnis«. LUDWIG, Kurt * 30. April 1904 Teutleben † 22. März 1962 Eisenach Bankbeamter; 1925 VD der TheK; 1935 VD und Gemeindeleiter DC; 1946 Entlassung auf Grund des Reinigungsgesetzes; später als Stundenlohnempfänger weiterbeschäftigt in der Steuerverwaltung. LÜDECKE, Gerhard * 31. Oktober 1901 Schmölln † 15. Mai 1978 1927 Pfr. Hohenkirchen, 1929 Römhild; 1933 Oberpfr. Kirchenkreis Römhild; 1934 Oberpfr. Kirchenkreis Sonneberg; 1934–1945 Pfarrer Sonneberg; 1944 Superintendent Kirchenkreis Sonneberg; 1946 Entlassung auf Grund des Reinigungsgesetzes; Titel »Superintendent« aberkannt; 1950 komm. Weiterbeschäftigung als Pfr. in Heubach und Ohrdruf. LÜTTICH, Kurt * 3. April 1896 Skurz † 5. Dezember 1973 Königswinter 1927 Pfr. Obermehler. LÜTTICHAU, Siegfried Graf von * 10. Juni 1877 Matzdorf (Schlesien) † 9. Dezember 1965 Düsseldorf-Kaiserswerth Pfr.; 1925–1949 Pfarrer und Vors. Kaiserswerther Verband; 1932–1952 Präsident Kaiserswerther Generalkonferenz; Mitgl. CA für Innere Mission – Mitbegründer (zus. m. Siegfried Knak und Friedrich von Bodelschwingh) Arbeitsgemeinschaft missionarische und diakonische Werke und Verbände; Mitgl. Bruderrat ders. LUNDSTRÖM, NN. Amerikanischer Pfr., Juni 1936.

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LUTHER, Heinrich (Luther H.) * 12. April 1895 Wolfsburg-Unkeroda † 18. Januar 1979 Leonberg Finanzsekretär; 1923 Anstellung VD der TheK; 1925 Kirchenobersekretär; 1929 Kirchenamtmann; 1942 Kirchenverwaltungsamtmann; 1946 Entlassung auf Grund des Reinigungsgesetzes; später Weiterbeschäftigung Hilfswerk der EKD Eisenach. LUTHER, Martin * 10. November 1483 Eisleben † 18. Februar 1546 Eisleben. LUX, NN Angestellter beim LKR der TheK (Steuerabteilung), Juni 1936. MACFARLAND, Charles Stedman * 1866 † 1956 kongregationalistischer Pfr. USA; 1911–1930 Generalsekretär des Federal Council of the Churches of Christ in America; 1914 beteiligt an der Weltallianz zur Herbeiführung internationaler Freundschaft, 1916 an der Friedenbewegung; besuchte die großen Weltkirchenkonferenzen in Genf 1920 und Stockholm 1925. MACHOLZ‚ Waldemar, Lic. theol., D. * 3. Mai 1876 Danzig † 1. Mai 1950 Jena Pfr., 1924 Direktor Predigerseminar Wittenberg; 1927–1933 oProf. für PT Jena, 1933– 1938 oProf. für Konfessionskunde Jena; 1945 reaktiviert oProf. für PT Jena; 1948 Ruhestand. MACKENSEN, August von * 6. Dezember 1849 Wittenberg † 8. November 1945 Burghorn b. Celle 1915 Generalfeldmarschall; im Ersten Weltkrieg Oberbefehlshaber der Armee in Polen; 1915 Leiter Feldzug gegen Serbien, 1916 gegen Rumänien; 1916/17 Militärgouverneur Rumänien; nach Hindenburgs Tod letzter lebender Generalfeldmarschall; als solcher im Mittelpunkt der NS-Propaganda; erhielt 1935 von Hitler das 1250 ha große Gut Brüssow in der Uckermark. MÄLZER, Gerhard * 18. September 1894 Zürchau † 31. Januar 1982 Schleusingen 1924 Pfr. Ronneburg. MÄNNEL, Alfred * 19. Februar 1901 Altenburg † 16. Mai 1950 Fallingbostel / Hannover 1923 Lehrer und Kantor Gröba; Mitgl. des Nationalsozialistischen Pfarrer- und Lehrerkreises des Wieratales; 1930 Mitgl. NSDAP; 1933 Mitgl. 4. LKT; 1934 Mitarb. VD der TheK; 1935 Angestellter für Presse- und Schulungsarbeit; Mitarb. Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben;

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1940 Pfarramtsverwalter Großobringen; 1942 Ordination Großobringen; 1943 Pfr. Heichelheim; 1946 Entlassung auf Grund des Reinigungsgesetzes. MÄSCHER, Adolf Angestellter beim LKR der TheK (Steuerabteilung). MÄXCHEN, s. Ohrtmann, Max MAGER, NN. Aus Mihla. MAHRENHOLZ, Christhard, Dr. phil., D. * 11. August 1900 Adelebsen Kr. Nordheim † 15. März 1980 Hannover 1925 Pfr. Göttingen, 1926 Groß-Lengden; 1931 Landeskirchenrat Hannover; 1933 Oberlandeskirchenrat Hannover; 1934 Reichsobmann Verband ev. Kirchenchöre; Oktober 1935 bis Februar 1937 Mitgl. und stellvertretender Vors. RKA; 1936 Mitgl. Kammer für Verfassungsangelegenheiten der DEK – Mitgliedschaft in verschiedensten musikbezogenen Gremien (betr. Chorwesen, Orgel, Glocken, Liturgie). MAIER, Rudolf geb. 26. Januar 1892 Triberg † 4. Dezember 1960 Pferdsdorf Kath. Ordenspriester; 1926 konvertiert; 1934 Pfr. Wasungen. MARAHRENS, August, D. theol. * 11. Oktober 1875 Hannover † 3. Mai 1950 Loccum Landesbischof Hannover 1925–1947; April bis Juli 1933 Luth. Bevollmächtigter Dt. Ev. Kirchenbund (»Drei-Männer-Kollegium«); Juni 1933 Vors. Dt. Ev. Kirchenbundesrat; 1934–1936 Vors. VKL I; 1934/35 Mitgl. Lutherischer Rat; 1936 Gründungsmitgl. Rat der Ev.-Luth. Kirche Deutschlands (Lutherrat); 1937 Vors. Kirchenführerkonferenz; 1939 Mitgl. Geistlicher Vertrauensrat der DEK – Teiln. 1933 Wittenberg – Teiln. verschiedener Bekenntnissynoden – 1929 Mitgl., 1933 stellv. Präsident, 1935– 1945 Präsident Exekutivkomitee des Luth. Weltkonvents. MARG, Gerhard * 28. Juni 1902 Arnswalde (Sterbedatum nicht ermittelbar) 1936 Pfr. Danzig; wechselt 1945 nach Mecklenburg; 1948 Pfr. Grabow; 1957 Wechsel nach Berlin. MARIA Tante der Tagebuchschreiberin, wohnhaft in Lübeck. MARSCHLER, Willi * 12. August 1893 Liegnitz † 8. November 1955 Karlsruhe

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Kaufmann und Politiker; 1924–1933 MdL Thüringen; Mitgl. NSDAP; 1930–1931 Staatsrat; 1931–1932 Bürgermeister Ohrdruf; 1932–1945 Finanz- und Wirtschaftsminister Thüringen; 1933–1945 Ministerpräsident; MdR. MARTIN, Ernst * 3. März 1885 Schraplau † 12. November 1974 Bad Münstereifel 1918–1957 Domprediger Magdeburg; 1935–1937 Vors. Provinzialkirchenausschuss Sachsen und Mitgl. Landeskirchenausschuss Preußen – 1933 Mitgl. DC, 1937 BK – 1924–1928 MdR – 1933 Mitgl. NSDAP. MAU, Heinrich * 1. Februar 1900 Leutenberg † 3. Januar 1940 Oberellen 1928 Pfr. Oberellen. MAUERSBERGER, Else Ehefrau von E. Mauerberger MAUERSBERGER, Erhard * 29. Dezember 1903 Mauersberg / Erzgebirge † 11. Dezember 1982 Leipzig Organist und Chorleiter; 1930 Kirchenmusikwart TheK und Kantor Eisenach, Kirchenmusikdirektor; 1935 Kirchenrat; 1942 Landeskirchenmusikdirektor; daneben seit 1932 Doz. für Chorleitung Musikhochschule Weimar; 1946 Prof. ebd.; 1950 Leiter der Kirchenmusikschule auf dem Hainstein Eisenach; 1961 Thomaskantor Leipzig – Mitarb. Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben. MEIER, Max Erwähnt Juli 1936. MEISER, Hans, D. theol. * 16. Februar 1881 Nürnberg † 8. Juni 1956 München 1933–1955 Landesbischof Bayern; 1937 Redeverbot – Mitgl. BK: 1934–1936 Mitgl. Reichsbruderrat; 1936 Mitbegründer Lutherrat, 1938 dessen Vors. – 1945 Mitgl. Vorl. Rat und 1949–1954 Rat EKD – 1933 Mitgl. Exekutivkomitee Luth. Weltkonvent – Teiln. 1934 Barmen, Dahlem, 1935 Augsburg, 1936 Bad Oeynhausen. MELLE, Otto, D. theol. * 16. August 1875 Liebengrün (Thüringen) † 26. März 1947 Berlin 1920 Direktor und Doz. Predigerseminar der Bischöflichen Methodistenkirche; 1936– 1946 deren Bischof; 1922–1947 Vorstandsmitgl. Ev. Allianzhaus Blankenburg (Thüringen); 1931–1947 Vors. Blankenburger Allianzkonferenz; Präsident Vereingung ev. Freikirchen – 1937 Oxford.

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MENG, Arthur * 27. September 1880 Tambach-Dietharz † 8. Dezember 1945 Friedrichroda 1907 Pfr. Großfahner. MENZEL, NN., Dr. jur. Amtsgerichtsdirektor i.R. in Eisenach; Mitgl. Luthergesellschaft sowie seit 1938 Ortsbruderrat der LBG Eisenach. MERGENTHALER, Christian * 8. November 1884 Waiblingen † 11. September 1980 Dürrheim Studienprofessor für Mathematik und Physik; 1922 (bzw. 1927) Mitgl. NSDAP und SA; 1924 MdR; 1924–1928 und 1929–1933 MdL; 1928 Gauleiter des Gaues Württemberg; 1932–1933 Landtagspräsident; 15.3.-12.5.1933 württembergischer Kult- und Justizminister; bis April 1945 württembergischer Ministerpräsident und Kultminister. METZ, Heinrich * 7. Oktober 1891 Leipzig † gefallen 28. Januar 1945 bei Ratibor 1932 Pfr. Sonneberg. METZNER Familie in Weimar, von M. Begas besucht im Januar 1937. METZNER, Freny Erwähnt im März 1937. MEY, Erich Bankdirektor; SA-Führer in Eisenach. MEYER, NN. Pfr. der LK Hannover, Oktober 1936. MEYER, NN. Reformierter Pfr., Propst in Aurich, Februar 1937. MEYER-ERLACH, Wolf (Erlach) * 21. September 1891 Kitzingen † 15. November 1982 Idstein Pfr.; 1931–1932 ständiger Rundfunkprediger Ev.-Luth. Kirche Bayern; 1933–1945 (ohne akademische Qualifikationen) oProf. für PT Jena und Universitätsprediger bis 1939; 1934 Dekan Theologische Fakultät Jena; 1935 Rektor Universität Jena (als solcher 1937 amtsenthoben durch Gauleiter Fritz Sauckel); 1945 Verlust Ordinariat; 1951–1963 Pfr. Wörsdorf b. Idstein – 1933 Mitgl. KDC; Führer GDC; bis Ende 1934 Landesgemeindeleiter Kirchenbewegung KDC; Mitarb. Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben – 1933 Mitgl. NSDAP.

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MICHAELIS‚ Otto * 17. September 1875 Straßburg † 28. Oktober 1949 Erlangen Pfr.; 1919 Stiftsprediger Weimar; 1925 Pressepfr. und Geschäftsführer Ev. Pressverband Thüringen; 1934 Wartestand; 1945 Ruhestand Erlangen; 1948 Kirchenrat. Da M. nicht der kirchenpolitischen Linie des LKR entsprach, wurde 1934 als Pressepfarrer in den Wartestand versetzt; 1938 wurde ihm auf Betreiben des LKR der Lehrauftrag für Liturgie und Hymnologie an der Musikhochschule in Weimar entzogen (1938, LKAE, WB 8). Als er sich im Oktober 1940 um eine Pfarrstelle im Elsaß bemühte, holte der Chef der Zivilverwaltung für das Elsaß »Erkundigungen über die politische Zuverlässigkeit« ein. M. Sasse antwortete umgehend, »persönlich und eigenhändig«, er könne dem Pfarrrer keine politische Zuverlässigkeit bescheinigen. Er sei immer noch ein Demokrat, aber auch ein tüchtiger Pfarrer und ein »kluger Mensch« und für die in Aussicht genommene Tätigkeit im Elsaß geeignet (LKAE, G 731). MITZENHEIM, Ella (Mitzenheim E.) Ehefrau von Moritz Mitzenheim. MITZENHEIM, Hartmut (Mitzenheim H.) Sohn von Ella und Moritz Mitzenheim. MITZENHEIM‚ Moritz‚ D. theol. (Mitz.; Mitzenh.) * 17. August 1891 Hildburghausen † 4. August 1977 Eisenach 1929 Pfr. Eisenach; 1936 Mitgl., 1943 Vors. LBG; 1945 Landesoberpfr. und Vors. neugebildeter Landeskirchenrat der TheK; 1946 Bischofstitel; 1955 Mitgl. Rat der EKD; 1970 Ruhestand. MORCHUTT, Toni * 11. November 1871 Gotha † 5. Januar 1962 Eisenach 1902 ff. Richter; 1912 Landgerichtsrat in Gotha; 1928–1937 Landgerichtsdirektor in Eisenach; 1937 Ruhestand, 1940–1944 wieder aktiv; Okt. 1945 Landrichter in Eisenach, 1949 Amtsrichter in Eisenach. [J.M.] MÜLLER, NN. Teilnehmerin an einer Abendmahlsfeier in der Clemenskapelle am 23. Dezember 1938. MÜLLER, Christine (Müller C.) Mutter des Hilfspredigers Wilhelm Müller, Kaltenwestheim. MÜLLER, gen. Müller-Dahlem, Fritz (Müller F.) * 11. März 1889 Berlin † 20. September 1943 vor Leningrad (gefallen) 1924 Pfr. Lautawerk (Brandenburg), 1928 Berlin-Steglitz, 1933 Berlin-Dahlem; 1939 Amtsenthebung; Kriegsdienst; Herbst 1933 Mitbegründer PNB; 1935 Mitgl. Bruderrat und Rat der Ev. Kirche APU; Mitgl. Reichsbruderrat; 1936 Vors. VKL II – Teiln. 1934 Barmen, Dahlem, 1936 Bad Oeynhausen.

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MÜLLER, Herbert, Dr. (seit 1934: M.-BOWE) * 9. Juli 1896 Arolsen † 23. September 1979 Frankfurt a.M. Dipl.-Volkswirt, 1927–1937 in der Kommunalverwaltung in Hanau; 1937–1945 Oberbürgermeister von Eisenach. [J.M.] MÜLLER, Hugo (Müller H.) Leiter der Registratur im Landeskirchenamt der TheK. MÜLLER, Ludwig * 23. Juni 1883 Gütersloh † 31. Juli 1945 Berlin (Selbstmord) 1914–1933 Militärpfr.; 1933 Bevollmächtigter Hitlers für Fragen der ev. Kirche und ab 1933 Reichsbischof der DEK; in dieser Funktion verantwortlich für die Überführung der Ev. Jugend in die HJ im Dezember 1933; durch Gesetz vom 24. September 1935 faktisch entmachtet (»Entzug der Befugnisse ...«) – 1932 Mitbegründer GDC und Landesleiter Ostpreußen; 1933 Schirmherr DC – 1931 Mitgl. NSDAP MÜLLER, Wilhelm H. (Müller W.) * 1905 1931 Hilfspfr. Kaltenwestheim, Mittelsdorf und Reichenhausen, 1935 entlassen; Pfr. Gera (im Auftrag der LBG); wechselte nach Bayern. W. Müller, der zunächst als Hilfsprediger, dann Hilfspfarrer das Kirchspiel Kaltenwestheim verwaltet hatte, wurde am 17. Dezember 1934 trotz Widerstand der DC mit 31 von 40 Stimmen zum Pfarrer gewählt. Der LKR wies das Oberpfarramt an, das Wahlergebnis nicht bekannt zu machen, da eine Beschwerde eingegangen sei. Der Grund lag in der Mitgliedschaft Müllers in der LBG. Da keine Abkündigung der Wahl erfolgte, entstand in der Gemeinde erhebliche Unruhe. Zahlreiche Eingaben zugunsten Müllers gingen beim LKR in Eisenach ein, blieben aber unbeantwortet. Am 18. Februar 1935 entsandte der LKR Kirchenrat Leutheuser in die Kirchenvertretersitzung, der dort unmissverständlich zu verstehen gab, dass Mitglieder der LBG in Thüringen keine Anstellung erhalten würden, da sie »staatsfeindlich« predigten, auch wenn der Gemeinde dies nicht zu Bewusstsein käme. Das ließ sich Müller allerdings nicht nachsagen: er gehöre der SA an sowie weiteren Verbänden, deren positive nationalsozialistische Einstellung nicht abgestritten werden könne. Die Sache zog sich hin. Als Müller erklärte, dass er dem LKR »in geistlichen Dingen Vertrauen und Gefolgschaft« versagen müsse, wurde er am 1. August 1935 entlassen, die Dienstwohnung war »umgehend zu räumen«. Am 23. August 1935 wurde Müller in Schutzhaft genommen. Er saß zunächst im Amtsgerichtsgefängnis Kaltennordheim ein, seine Überführung in das Konzentrationslager in Bad Sulza wurde zum 17. September 1935 angeordnet. Am 23. Oktober 1935 wurde er entlassen, erhielt aber ein unbefristetes Aufenthaltsverbot für den Landkreis Meiningen und für Eisenach, das im Mai 1936 aufgehoben wurde. Am 24. Oktober 1935 dankte Müller Ernst Otto und anderen für die Sorgen, Mühen und Unkosten um seine Freilassung (LKAE, LBG 41; dort auch ein Bericht Müllers vom März 1935).

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MÜNCH, Gottfried Polizeikommissar in Eisenach, Mai 1938. MUHS, Hermann, Dr. jur. * 16. Mai 1894 Barlissen / Hannoversch-Münden † 13. April 1962 Göttingen 1927 Rechtsanwalt und (später) Notar in Göttingen; 1929 Mitgl. NSDAP; 1930/31 MdL (Preußen); 1931 Eintritt SS; 1932 Gauleiter Hannover; 1936 ständiger Vertreter von Reichskirchenminister Kerrl; 1937 Staatssekretär in derselben Funktion; 1942 (Tod von Kerrl) mit der Führung der Geschäfte des Ministers beauftragt; 1945 Internierung; 1952 Rechtsanwalt Göttingen. MUNDELEIN, George William * 2. Juli 1872 Manhattan / New York † 2. Oktober 1939 Mundelein Illinois Von Vaterseite deutscher Herkunft; 1895 kath. Priester; 1909 Weihbischof der Diözese Brooklyn; 1915 Erzbischof von Chicago, 1924 Kardinal. [J.M.] MUSSOLINI, Benito * 29. Juli 1883 Predappio † 28. April 1945 Giulino de Mezzegra (Como) (erschossen) Gründer und Führer des Faschismus in Italien; 1922 Ministerpräsident; September 1938 Vermittlungsbemühungen im Münchner Abkommen; 1940 Kriegseintritt an der Seite Hitlers; 1943 auf Befehl des Königs gefangen gesetzt; Befreiung durch dt. Fallschirmjäger; 1945 auf der Flucht verhaftet und von Partisanen erschossen. MUTSCHMANN, Martin * 9. März 1879 Hirschberg / Saale † 14. Februar 1947 Moskau Geschäftsführer und Unternehmer; 1925 Gauleiter Sachsen, 1930 MdR; 1933 Reichsstatthalter u. 1935–1945 Ministerpräsident Sachsen; 1937 SA-Obergruppen-führer. NAGEL, Gustav * 28. März 1874 Werben (Elbe) † 15. Februar 1952 Uchtspringe b. Stendal Wanderprediger, Verfasser einer ›Weltanschauungslehre‹. NAPOLÉON * 15. August 1769 Ajaccio (Korsika) † 5. Mai 1821 Longwood (St. Helena) Offizier und Politiker; 1799 Erster Konsul; 1804–1814 / 1815 Kaiser, 1805 König von (Ober-) Italien; ab 1815 im Exil auf St. Helena. NASO Wohl ein Spitzname, Februar 1938. NEBE, Erich * 15. Januar 1902 Oberroßbach 1929 Pfr. Solz; 1935 Meiningen; wechselt 1952 nach Nordrhein-Westfalen.

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NELLESSEN, Otto Regierungs- und Baurat, Eisenach. NELLESSEN, NN. Ehefrau von Otto Nellessen. NEURATH, Konstantin Freiherr von * 2. Februar 1873 Kleinglattbach (Württemberg) † 14. August 1956 Enzweihingen (Württemberg) 1932–1938 Reichsaußenminister; 1938 Entlassung; Minister ohne Geschäftsbereich; 1939–1941 Reichsprotektor von Böhmen und Mähren NICKEL, NN. Frau, Januar 1938. NICOLSON, Harold George * 21. November 1886 Teheran / Iran † 1. Mai. 1968 Sissinghurst Castle, Kent Britischer Diplomat (1909–1929) und Politiker. [J.M.] NIEMÖLLER, Else (Niemöller E.) Ehefrau von Martin Niemöller. NIEMÖLLER, Heinrich (Niemöller H.) Vater von Martin Niemöller. NIEMÖLLER, Martin, D. theol. DD * 14. Januar Lippstadt 1892 † 6. März 1983 Wiesbaden 1931 Pfr. Berlin-Dahlem; 1933 führendes Mitgl. JRB sowie Gründer und Leiter PNB; 1934 Redeverbot; 1934 (nebenamtliches) Mitgl. Rat Ev. Kirche der APU; seit Mai 1934 Mitgl. Bruderrat APU; Reichsbruderrat; seit Oktober 1934 Mitgl. Rat der DEK; 1937 verhaftet wegen »Kanzelmißbrauch und Widerstand gegen die Staatsgewalt«; 1945– 1956 Leiter Kirchl. Außenamt und Mitgl. Rat der EKD; 1947–1964 Präsident hessischnassauische Kirche – Teiln. 1933 Barmen, Dahlem, 1935 Augsburg, 1936 Bad Oeynhausen. NIEMÖLLER, Wilhelm, D. theol. (Niemöller W.). * 7. April 1898 Lippstadt † 13. Oktober 1983 Bielefeld Ev. Pfarrer und Kirchenhistoriker; Bruder von Martin Niemöller. [J.M.] NIESEL, Wilhelm, Lic. theol. * 7. Januar 1903 Berlin † 13. März 1988 Frankfurt a.M. 1930–1934 Pfr. ref. Gemeinde Elberfeld und Studieninspektor Predigerseminar Elberfeld; 1935 Doz. für ST KiHo Berlin; 1934–1945 Mitgl. Rat und Bruderrat Ev. Kirche

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der APU; 1938 Aufenthaltsverbot für Berlin; 1940 aus Berlin ausgewiesen; Reichsredeverbot; 1946 Pfr. Schöller (Rheinland); 1946–1968 Doz. KiHo Wuppertal; 1946 Moderator und Präses Reformierter Bund – Teiln. 1934 Dahlem. NITZSCH, Rudolf von * 12. Oktober 1882 Strasburg / Uckermark † 5. Dezember 1952 Eisenach 1925 Pfr. Eisenach; 1952 Ruhestand. NOACK, Bruno * 20. Januar 1875 Fürstenberg † 28. September 1960 Balingen 1929 Oberpfr. Gera. NOACK, NN. Prof. in Halle, Nov. 1934. NOÄ, Friedrich Lehrer, Walterdorf b. Neumühle; Kreisleiter NSDAP; Kreisleiter DC; Abgeordneter LKT (Thüringen) nach der Wahl vom 23. Juli 1933. NOLD, Hubert, D. theol. * 5. September 1861 Wetzlar † 16. Mai 1935 Saarbrücken 1889–1935 Pfr. Malstatt-Burbach; 1913–1935 Superintendent Saarbrücken; 1929– 1933 Mitgl. und stellv. Vors. Provinzialkirchenrat. NOTHNAGEL, Werner * 4. Oktober 1898 Strausberg 1935 Pfr. Ostheim / Rhön und zugleich Oberpfr. Kirchenkreis Ostheim; 1938 als Oberpfr. entlassen wegen Gegnerschaft zu DC; wechselt 1943 nach Nürnberg. OBERHEID, Heinrich, Dr. phil. * 7. Februar 1895 Mülheim / Ruhr † 17. November 1977 Düsseldorf 1933 Pfr. Asbach-Kircheib (Westerwald); 1933 Bischof (»Landespfr.«) Bistum Aachen-Köln; November 1933 engster Mitarb. von Reichsbischof Müller Berlin, 1934 mit dem Titel »Chef des Stabes«; Vikar DEK; 1934 Beurlaubung aus beiden Ämtern; 1937–1945 Dienstverhältnis als Pfr. für gesamtkirchl. Aufgaben ohne Wohnsitz im Gebiet der thüringischen LK; 1939–1945 Kriegsdienst und Gefangenschaft; 1946 Entlassung aus dem kirchl. Dienst – führender DC; 1932 Mitgl. GDC; Obmann Gau KoblenzTrier; Anfang 1935–1945 Mitgl. KDC; Leiter Geschäftsstelle West der KDC und des Bundes für Dt. Christentum Bonn Bad-Godesberg – 1928–1932 Mitgl. NSDAP (Streichung von der Mitgliederliste wegen unregelmäßiger Zahlungen; 1933 Wiederanmeldung; 1934 Ablehnung); 1929–1934 Mitgl. SA (Sturmführer).

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OBERLÄNDER, Karl (Oberl.) * 12. Oktober 1890 Bedheim † 5. Oktober 1960 Eisenach 1923 Pfr. für besondere Aufgaben LKR der TheK; 1924 Kirchenregierungsrat; 1943 Kirchenrat. ODLON, NN. Amerikanischer Pfr., Juni 1936. OETTLING, NN. Angestellter beim LKR der TheK (Kanzlei). OHLAND, Hermann * 3. Mai 1888 Untermaßfeld † 16. Dezember 1953 Friedelshausen 1908–1937 Lehrer Friedelshausen u.a.; 1937 Mitarb. VD der TheK; 1942 Ordination; Pfr. Cobstädt u.a.; 1946 Entlassung aufgrund des Reinigungsgesetzes; Pfarrverwalter, 1948 Pfarrvikar Behrungen; 1952 Pfarrvikar Friedelshausen – Dichter von Liedern im Sinne KDC; Mitarb. Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf auf das deutsche kirchliche Leben – 1933 Mitgl. NSDAP; NSLB, KDC. OHLEMÜLLER, Gerhard * 23. Februar 1877 Schleiden † 1941 1903 katholischer Priester; 1915 Mitarb. wissenschaftliche Abteilung des Ev. Bundes; 1922 Austritt aus der katholischen und Übertritt zur ev. Kirche; 1923 auch Generalsekretär des Internationalen Verbandes zur Verteidigung und Förderung des Protestantismus; 1939 Mitgl. Zentralvorstand des Ev. Bundes. OHRTMANN, Max Sohn von Ruth Ohrtmann; genannt Mäxchen. OHRTMANN, Ruth Geb. Wagner; Tochter der Tagebuchschreiberin, wohnhaft in Gronenberg / SchleswigHolstein. OHRTMANN, Ruthi Tochter von Ruth Ohrtmann. ORTLEPP, Walter * 9. Juli 1900 Gotha † 23. Oktober 1971 Aschaffenburg Jurist; 1923 NSDAP; 1933–1936 Polizeipräsident in Weimar; 1936–1945 Staatssekretär und Leiter des Thür. Ministeriums des Innern. [J.M.] OSSWALD, Hertha (Osswald H.) Ehefrau von OKR Johannes Osswald.

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OSSWALD, Johannes * 17. September 1898 Görkwitz Jurist; 1926 Kirchenregierungsrat LKR der TheK; 1931 Leiter Pfründenabteilung; 1945 Leiter Finanzabteilung; 1947 Oberkirchenrat; 1953 Erkrankung in Westberlin; kehrt nicht zurück. OSTERBERG, Friedrich Angestellter in der Geschäftsstelle des LKR der TheK. OTTO, Ernst (O.; E. O.; Otto; Ernst Otto; Ottos, O.s bzw. O’s) * 12. September 1891 Schmölln † 17. Februar 1941 »Hohe Grete« (Westerwald) 1920 Pfr. Altenburg; 1927 Mitarb. VD der TheK; 1929 Leiter VD der TheK; 1932 Pfr. Eisenach; 1933 Mitgl. 3. und 4. LKT (Thüringen); 1934 Gründer und Leiter Lutherische Bekenntnisgemeinschaft (LBG); 1938 Wartestandsversetzung; 1939 Leiter des ev. Heimes »Hohe Grete« b. Au / Sieg. Gegen E. Otto wurde im Frühjahr 1938 ein Dienststrafverfahren eingeleitet (LKAE, LBG 198). Vorgeworfen wurden ihm (1) »die Anweisung an 40 Thüringer Pfarrer, eine Kanzelabkündigung zu verlesen, vom 13./14. Januar 1934«, (2) »die Absage der geistlichen Leitung an Landesbischof und Landeskirchenrat vom 10. Juli 1935«, (3) »die Anstiftung thüringischer Pfarrer, Kollekten nicht für Zwecke zu erheben, für die sie vom LKR bestimmt waren (7. April 1936, Hainsteinkollekte)«, (4) »die Ordination von 4 Kandidaten am 29. September 1936 in Milbitz«, (5) »die Ablehnung, Schreiben des Landeskirchenrates zu beantworten, vom 24. Oktober 1936«, (6) »die Anweisung an Hilfspfarrer, dem Landeskirchenrat Auskunft zu verweigern«, (7) »die Eingriffe in das Kollektenrecht des Landeskirchenrates vom 13. Dezember 1936«. Man beabsichtige, Otto in den Wartestand zu versetzen. Die Anhörung vor dem LKR mit Dr. Volk als Vorsitzendem fand am 3. Oktober 1938 statt. Volk und die Kirchenräte Tegetmeyer, Leutheuser, Lehmann und Stüber fassten folgenden Beschluss: »I. Gegen Pfarrer Otto wird eine Geldstrafe in geringerer Höhe als im Falle Bauer und Groß, verbunden mit Verweis, ausgesprochen. II. Auf Grund von § 46 der Verfassung wird Pfarrer Ernst Otto in den Wartestand versetzt, da bei den vielfachen Vorbestrafungen wegen Unbotmäßigkeit ein Verbleiben in seiner bisherigen Pfarrstelle, aber auch eine Versetzung in eine andere Stelle ausgeschlossen ist«. (LKAE, A 122; G 809 Bd. III). OTTO, Hanne (Otto H.) Gestorben im November 1935, wohl Verwandte von Ernst Otto. OTTO, Martha (Otto M. oder O. M.) † März 1941 Marburg (Luftangriff) Ehefrau von Ernst Otto. OTTO, Pauline (Otto P.) † 11. Dezember 1941 Schmölln. Mutter von Ernst Otto

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OTTO, Richard, D. theol. (Otto R.) * 16. Juni 1876 Edwahlen / Kurland † 29. August 1967 Leipzig 1916–1931 Stiftsprediger Eisenach; 1931 Kirchenrat und Mitgl. LKR der TheK; 1933 Wartestand; 1937 Doz. NT und PT Missionsseminar Leipzig; 1945 Ruhestand – Mitgl. 1. und 2. LKT (Thüringen). OTTO, Ursel (Otto U.) † März 1941 Marburg (Luftangriff) Tochter von Ernst und Martha Otto. PABST, Walter * 19. September 1912 Oppurg † 12. Januar 1999 Berlin 1936 Vikar Altenburg; 1936 Predigerseminar Eisenach; 1937 Entlassung aus dem Vorbereitungsdienst TheK; 1937 Ordination Michelau (Oberfranken); 1937–1940 (illegal) Hilfspfr. Neuenhof b. Eisenach; 1940 Pfr. Herleshausen / Werra; 1941 Hilfspfr., Amtierungsverbot; 1943 Pfr. Kleinalmerode / Witzenhausen; 1948–1953 Studentenpfr. Jena. PACELLI s. Pius XII., Papst PAETZ, Reinhold * 1. Januar 1872 Tanna † 30. Oktober 1959 Gera 1931 Pfr. Gera. PAIRA, Carl, Lic. theol., * 2. Mai 1873 Markirch † 27. Mai 1945 Stadtroda 1907 Prof. Kiel; 1923 Oberpfr. Stadtroda. PANKOW, Lotte Aus Ostpreußen, Oktober 1935. PAPEN, Franz von * 29. Oktober 1879 Werl (Westfalen) † 2. Mai 1969 Obersasbach (Baden) 1933 Vizekanzler im Kabinett Hitler; 1934–1938 Gesandter, später Botschafter in Wien; bis August 1944 Botschafter in Ankara. PAPENBROOCK, Paul (im Text: Papenbrook) * 31. März 1894 Görslow † 31. Dezember 1945 Lehrer; 1923 NSDAP; 1929–1933 MdL Thüringen; 1933 Regierungsrat im Volksbildungsministerium; 1936–1945 MdR, 1936 thür. Staatsrat. Hg. Thüringer Erzieher. Trat im Mai 1938 in Eisenach auf. [J.M.]

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PAPPMEIER, Horst Angestellter beim LKR der TheK (Kanzlei). PAUL s. Trautvetter, Paul jüngerer Bruder der Tagebuchschreiberin PAULI, Ernst * 12. Februar 1884 Deiningen † 30. August 1980 Neu-Ulm Pfr. Meiningen. PAULIN, Hans * 1910 † 1944 Mitarbeiter Verlag DC, Weimar, und Jungmännerwerk Weimar; früherer HJ-Führer. PAULS, Ernst Aus Eisenacher Familie; Konfirmand von Pfr. Ernst Otto. PAULSEN, Adalbert * 5. Mai Kropp 1889 † 9. Januar 1974 Hamburg 1917 Pfr. Krummendiek, 1923 Kiel; 1933–1945 schleswig-holsteinischer Landesbischof; 1945–1959 Pfr. Hamburg-Lohbrügge; 1933 Mitgl. Landeskirchenausschuss Schleswig-Holstein – bis zum Austritt am Bußtag 1934 DC. PAULSSEN, Johanna (Paulssen J.) Mutter von Therese Paulssen, fälschlicherweise an deren Stelle genannt. Johanna P. aber war zu diesem Zeitpunkt bereits Rentnerin. PAULSSEN, Therese † 1942 Angestellte in der Pfründenverwaltung beim LKR der TheK. PECINA, NN. Pfr. Seelow (Brandenburg), Mai 1936. PERLET, Heinrich * 30. September 1848 † 3. März 1940 Eisenach Oberst a.D., hatte seine Laufbahn beim Infanterieregiment Nr. 94 in Eisenach begonnen, lebte seit 1918 in Eisenach; Fahnenträger in der Schlacht bei Wörth 1870. [J.M.] PETER, Friedrich * 4. Oktober 1892 Merseburg † 17. April Gronau 1960 1933 Oberkonsistorialrat EOK Berlin und Bischof Magdeburg-Halberstadt und Vors. Konsistorium; November 1933 Verwaltung Bistum Merseburg-Naumburg; 1936–1948

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Pfr. Berlin; 1948 Entlassung aus dem Kirchendienst – 1932 Mitbegründer GDC; 1933 Reichssachbearbeiter Jugend der GDC – 1933 Mitgl. NSDAP. PEUCKERT, NN. Aus Weimar, Mai 1935. PFEIFER, Alice Lehrling beim LKR der TheK. PFEIFFER, Dieter (Pfeiffer D.) * 1920 † 1942 (gefallen) Gymnasiast; zweiter Sohn des 1926 verstorbenen Kirchenrates Dr. jur. Pfeiffer und Ehefrau Hedwig, Eisenach. PFEIFFER, Hedwig (Pfeiff.) * 1890 † 2. März 1949 Marksuhl (Eisenbahnunglück) Witwe von Kirchenrat Dr. jur. Pfeiffer; 1925 ff. ehrenamtliche Tätigkeit für die Ev. Frauenhilfe bzw. Frauenarbeit Thüringen; 1934 Mitgl. LBG; 1935 Vors. Ev. Frauenhilfe Thüringen; 1945 Neuaufbau und Leitung Ev. Frauenhilfe zusammen mit Adelheid Eitner; 1946 Mitgl. Thüringer Vorsynode; 1947 Mitgl. Erste Synode der Ev.-Luth. Kirche in Thüringen. PFEIFFER, Helmut (Pfeiffer Helm.) † 1942 (gefallen) Sohn von Hedwig Pfeiffer. PFEIFFER, Kurt (Pfeiffer K.) * 16. Juni 1909 Heichelheim † 14. Oktober 1939 Leipzig 1934 Hilfspfr. Pößneck; 1938 Entlassung TheK; Pfr. Leipzig. PFLÄNZEL, Erich * 11. Oktober 1909 Naumburg; seit 12. August 1941 vermisst, später für tot erklärt. 1935 Vikar / Hilfspfr. Kaltenwestheim; 1940 Pfr. Walldorf (Werra). PFUNDTNER, Hans / Johannes * 15. Juli 1881 Gumbinnen † 25. April 1945 Berlin (Selbstmord) 1925 Rechtsanwalt und Notar; 1933 Staatssekretär Reichsinnenministerium; 1935 Geheimer Regierungsrat (beteiligt an Gesundheitsgesetzgebung und an der Formulierung der Rassegesetze); 1936 Präsident Prüfungskommission für höhere Verwaltungsbeamte; 1943 Ruhestand. PHIELER, Gerhard * 21. Oktober 1891 Oberweimar † 20. Dezember 1963 Eisenach

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1927 2. Vereinsgeistlicher Thüringer Landesverband für Innere Mission Eisenach; Jan. 1933 bis Sept. 1933 Mitgl. 3. LKT (Thüringen); 1934 Leiter Thüringer Landesverband für Innere Mission; 1942 Austritt NkE; 1945 Mitgl. neugebildeter Landeskirchenrat Eisenach; 1946 Oberkirchenrat; 1948 Landesleiter Innere Mission und Hilfswerk Thüringen; 1963 Ruhestand. PIEPER, NN. Frau aus Hamburg, Juli 1935. PINN, Theodor * 11. Oktober 1898 Flensburg † 23. Dezember 1989 Glücksburg 1925 Pfr. Sandesneben II, 1931 Flemhude; 1937–1945 der Provinz Schleswig-Holstein verwiesen; 1937 Tätigkeit im Büro der VKL Berlin; 1938 einstweiliger Ruhestand; 1938 Tirol; ingesamt siebenmal in Haft; 1945 Pfr. Flemhude; 1964 i.R. PISCHTIAK, Karl * 20. Juli 1906 Wien † 30. August 1944 in Frankreich Referent von J. Bürckel, Reichskommissar für den Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich, für die Fragen des religiösen Friedens. [J.M.] PIUS XII., ursprünglich Eugenio Pacelli * 2. März 1876 Rom † 9. Oktober 1958 Castel Gandolfo 1899 Priester; 1920–1929 Nuntius in Berlin; 1930 Kardinalstaatsekretär; 1933 Befürworter Konkordat mit dem Dt. Reich; 1939 Papst; Kontakte zum dt. Widerstand und zur britischen Regierung wegen eines Friedensschlusses; aber kein offener Protest gegen Völkermord und Endlösung. PLATZER, NN. (vermutlich) Kritiker der Gauzeitung Thüringen, Oktober 1937. PONCET, s. François-Poncet POPPE, Heinz * 18. März 1908 Zwickau 1928 Volksschullehrer; Universität Leipzig; 1931 Staatsexamen; 1933 Wissenschaftlicher Hilfsarbeiter Pädagogisch-psychologisches Institut der Universität Leipzig; 1933 Sachbearbeiter (für Erziehung, Schule und Unterricht) Landeskirchenamt Dresden; 1935 Schulungsleiter VD der TheK; 1937 beurlaubt zur Dienstleistung Bund für Dt. Christentum nach Stettin; 1938/9 (September) Militärdienst; 1940 Dienstbezeichnung »Pfr.«; 1942 Pfr. volkskirchl. Aufbau; 1944 Pfr. Seega. 22. Juli 1945 Ordination Bad Frankenhausen; 1946 entlassen Dienst der TheK (aufgrund des Reinigungsgesetzes) und Aberkennung der Amtsbezeichnung »Pfr.«.

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PRAMER, Ida Angestellte beim LKR der TheK (Kirchensteuerabteilung). PREHN, Thomas, Dr. jur. utr. * 20. September 1887 Tannroda (Thüringen) † 16. Juli 1964 Ansprung (Sachsen) Rechtsanwalt; Kirchenältester Sonneberg; 1934 Mitgl. Bruderrat der LBG und Verteidiger von BK-Pfarrern gegen den LKR der TheK; 1945 Mitgl. erweiteter LKR und bis 1959 Landessynode Thüringen, Generalsynode VELKD – Teiln 1936 Bad Oeynhausen. PRESSEL, Wilhelm * 22. Januar 1895 Creglingen / Tauber † 24. Mai 1986 Tübingen 1929 Studentenpfr. Tübingen; 1933–1945 OKR und Mitgl. OKR Stuttgart – Mitgl. Christl.-Dt. Bewegung; 1936 Lutherrat (ständiger Stellvertreter von Bischof Wurm) – Mitgl. Reichsbruderrat – 1935 Ausschluss NSDAP wegen Kritik an Führer, Partei und Reichskirche; 1934 Ablehnung Diensteid für Geistliche auf der Dt. Ev. Nationalsynode – Teiln. 1934 Barmen, Dahlem, 1935 Augsburg, 1936 Bad Oeynhausen. PREUSSEN, Louis Ferdinand Prinz von * 9. November 1907 † 25. September 1994 Bremen Enkel von Kaiser Wilhelm II., zweiter Sohn des Kronprinzen Wilhelm; 1951–1994 Chef des Hauses Hohenzollern. [J.M.] PREYSING, Konrad Graf von * 30. August 1880 Schloss Krowinkl bei Landshut † 21. Dezember 1950 Berlin Zunächst Jurist, dann Theologe; 1912 Priester; 1932–1935 Bischof von Eichstätt; 1935–1950 Bischof von Berlin; Gegner des Nationalsozialismus; 1946 Kardinal. [J.M.] PRITTWITZ UND GAFFRON, Heinrich von * 4. September 1889 Gut Sitzmannsdorf bei Ohlau / Schlesien † 10. April 1941 bei Tobruk (gefallen) Ab 1935 Kommandeur des Panzerregiments in Eisenach. [J.M.] PRITTWITZ UND GAFFRON, Renata, geb. von Zastrow * 14. Januar 1894 Gut Schadewelde bei Lauban / Niederschlesien † 31. Dezember 1974 Düsseldorf Seit 1915 Ehefrau von Heinrich von Prittwitz und Gaffron. [J.M.] PROBST, Georg * 7. Dezember 1885 München † 16. Oktober 1962 Bamberg 1925 Vereinsgeistlicher Innere Mission Frankfurt a.M.; 1939/40 Gestapohaft; 1945– 1955 Pfr. im Wartestand; 1940–1945 Pfr.-Stellv. Weinsberg (Heilbronn) – Gauobmann GDC Nassau-Hessen bis 1934 (Rücktritt); 1933 Reichsleiter GDC und Landesleiter im Bereich der LK Hessen und des Organisationskreises Großhessen, Thüringen und Sachsen.

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PROPP, Herbert * 11. Mai 1899 † 24. April 1945 Berlin (gefallen) 1927 Pressepfr. Schwerin; 1934 Landessuperintendent Neustrelitz; März 1935 Leiter Abteilung »Information« im Sekretariat des Reichsbischofs; September bis November 1935 (Entlassung durch den Reichskirchenausschuss) »Beauftragter des Reichsbischofs für Pressearbeit und Öffentlichkeitsarbeit der DEK«, 1936 Geschäftsführer des Bundes für Dt. Christentum Berlin. PURFÜRST, Fritz * 10. Juli 1887 Neustadt / Orla † Januar 1946 im Lager Buchenwald Finanzobersekretär; 1923 Angestellter beim LKR der TheK als Kirchenfinanzrevisor; 1925 Kirchenamtmann; 1942 Kirchenverwaltungsamtmann; 1946 verhaftet, Lager Buchenwald. PUTZ, Eduard * 9. Januar 1907 Altenschönbach (Unterfranken) † 22. September 1990 Erlangen 1933–1935 theologischer Hilfsreferent LKR München; 1934 zur vorübergehenden Dienstleistung bei der VKL I nach Berlin abgestellt; 1935–1947 Pfr. Fürth-St. Michael II; 1936 zur vorübergehenden Dienstleistung an den Rat der Ev.-Luth. Kirche in Deutschland (Lutherrat) abgestellt; 1937 Haft; 1947–1953 Pfr. Fürth-St. Michael I. – 1927 Mitgl. NSDAP; 1927/28 Mitbegründer NS-Studentenbund Tübingen und Erlangen; 1934 Träger des Goldenen Parteiabzeichens – Teiln. 1934 Barmen, Dahlem, 1935 Augsburg, 1936 Bad Oeynhausen. QUAMBUSCH, Cläre Angestellte beim VD der TheK; Fachgebiet Frauenarbeit. RABE, Johannes * 4. Dezember 1903 Mühlhausen † 12. Januar 1971 Ingenheim 1929 Pfr. Melborn, 1934 Friedrichroda; 1940 Dienstleistung Bund für Dt. Christentum Nürnberg; 1943 Pfr. Jena; 1946 Entlassung aufgrund des Reinigungsgesetzes; komm. Weiterbeschäftigung; 1947 Pfr. Gerstungen. RABENAU, Eitel-Fritz von, Dr. phil. * 13. Januar 1884 Schweidnitz (Schlesien) † 5. Oktober 1959 Berlin 1923 Pfr. Berlin-Schöneberg (1934 und 1938 Disziplinarverfahren, Suspendierung); ständiger Vertreter von Präses Gerhard Jacobi auf der Konferenz der Landesbruderräte; 1937 Haft und danach mehrmals Maßregelungen, u.a. 1939 wegen »Gebetsliturgie«; Leiter katechetische Ausbildungskurse der Schulkammer der VKL II; Einsatz für »nichtarische« Christen; 1945 Doz. KiHo Berlin – Mitglied BK: JRB, Mitbegründer

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PNB und BK Berlin; 1934 Mitgl. Bruderrat Berlin-Brandenburg (1935 Berlin); Bruderrat Ev. Kirche der APU; 1936 Mitarb. VKL II – Teiln. 1934 Barmen, Dahlem, 1935 Augsburg, 1936 Bad Oeynhausen. RAD, Gerhard von, Lic. theol., D. theol. * 21. Oktober 1901 Nürnberg † 31. Oktober 1971 Heidelberg 1930–1934 Privatdoz. für AT; 1934 Prof. Jena, 1945 Göttingen, 1949 Heidelberg; 1967 emeritiert. – Mitgl. BK. RADE, Kurt * 23. April 1889 Berlin † 2. Mai 1978 Kassel Dipl.-Ing. und Architekt; Tätigkeit Wartburgstiftung; 1926 Kirchbaumeister TheK; 1928 Kirchenbaurat; 1935 Mitgl. der Reichskammer bildende Künste; 1942 Oberbaurat; 1945 Entlassung auf Grund des Reinigungsgesetzes. RADEK, NN. Angestellte/r beim LKR / VD, Januar 1938. RAHLWES, Ferdinand, D. theol. * 19. Oktober 1864 Mettlach † 15. Juni 1947 Meiningen 1916 Oberhofprediger und 1918 Geh. Kirchenrat Meiningen; 1920 Propst und Geh. Konsistorialrat Berlin. RAMIN, Ulla Informantin der Tagebuchschreiberin aus Dresden, April 1935. RANKE, Hansjürg / Hans Georg (Ranke H.) * 9. Juni 1904 Arosa (Schweiz) † 3. Februar 1987 Berlin-West 1930 jur. Hilfsreferent LKR München, 1932 Dt. Ev. Kirchenbundesamt; 1933 Konsistorialassesor DEK (Kirchenkanzlei); 1935–1937 persönlicher Referent des Reichskirchenausschuss-Vorsitzenden Zoellner; 1936 Konsistorialrat; Kriegsdienst und Gefangenschaft; bis Dezember 1946 Doz. für Kirchenrecht und Geschäftsführer der Theologischen Schule (Fakultät) für Kriegsgefangene Norton Camp (Großbritannien); 1946 Sachbearbeiter Kirchenkanzlei der EKiD Schwäbisch-Gmünd; 1950 Oberkirchenrat Außenstelle Bonn – Mitgl. NSDAP. Vetter von Ruth von Ranke. RANKE, Ruth von * 30. Juni 1888 Berlin † 1974 Weimar Enkelin des Historikers Leopold von Ranke; 1928 Englischlehrerin und Erzieherin im Magdalenenstift Altenburg; 1930 »Hausdame« Thüringer Predigerseminar Eisenach; 1938 Entlassung wegen Teilnahme am Protest gegen die Amtsenthebung von Pfr. Ernst Otto; 1946 Lehrerin Steinbach.

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RATH, Ernst vom * 3. Juni 1909 Frankfurt a.M. † 7. November 1938 Paris (Opfer eines Attentats) Diplomat; 1936 Legationsrat an der dt. Botschaft in Paris. RAUSCH, NN. Mitarbeiter der Gestapo Eisenach, Mai 1936. REHM, Wilhelm * 8. Dezember 1900 Saulgau (Württemberg) † 13. Februar 1948 Ansbach 1923 Ordination; 1926 Pfr. Simmersfeld (Württemberg); 1934 Studienrat (Theologie, Geschichte) Stuttgart; 1941 Beurlaubung durch Ministerpräsident Mergenthaler als Presse- und Propagandareferent im Stab der obersten SA-Führung München – 1933– 1943 Mitgl. Ständiger Ausschuß des LKT – 1933 württembergischer Landesleiter DC; September 1935 bis Oktober 1938 Reichsleiter RDC – 1922 und erneut 1931 Mitgl. NSDAP; Mitarb. Gauleitung, u.a. Gaukirchenfachberater; 1938 Mitgl. NSLB; 1922 bzw. 1933 Mitgl. SA.; 1941 Hauptsturmführer; 1943 Sturmbannführer. REICHARDT‚ Erich‚ Dr. jur., Dr. rer. pol. (Reichardt E.) * 1899 † 1982 1926 Tätigkeit beim LKR der TheK; 1934 Beamter; 1945 vorläufig entlassen auf Grund des Reinigungsgesetzes; später weiterbeschäftigt in der Bücherei des Landeskirchenamts. Sohn von Landesoberpfr. Wilhelm Reichardt. REICHARDT, Theophil (Reichardt T.) * 30. März 1910 Friedelshausen † 25. Juli 1990 Bamberg 1934 Kandidat Predigerseminar Eisenach; 1935 Geschäftsführer LBG Eisenach; 1936 »Illegaler Vikar« LBG; wechselte 1937 nach Bayern: Privatvikar in Bayreuth, Hilfsgeistlicher Hermannfeld, Pfarrverwalter Sennfeld; 1938 Pfr. Rappershausen / Mellrichstadt. REICHARDT, Wilhelm, D. theol. (Reichardt W.) * 21. Mai 1871 Ronneburg † 18. November 1941 Eisenach 1918 Oberhofprediger; 1919 Generalsuperintendent Altenburg; 1920 Landesoberpfr. TheK; 1933 Verleihung Bischofstitel; 1934 Ruhestand. RENDTORFF, Heinrich, Lic. theol., D. theol. * 9. April 1888 Westerland auf Sylt † 18. April 1960 Kiel 1924 Studiendirektor Predigerseminar Preetz; 1926 oProf. für PT und NT Kiel; 1930– 1933 Landesbischof Mecklenburg-Schwerin; 1934 Amtsniederlegung wegen Differenzen mit DC; Pfr. Stettin-Braunsfelde (Pommern); BK-Mitgl., Provinzialbruderrat Pommern; 1945 Flucht in den Westen; Mitgl. Vorläufige Kirchenleitung Schleswig-Holstein; 1945–1956 erneut oProf. Kiel – Teiln. 1935 Augsburg.

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REUTER, Titus, D. theol. * 9. Januar 1879 Elterlein (Sachsen) † 20. Oktober 1944 Dresden 1931 Pfr. und OKR Greiz; 1931–1933 Vors. Konsistorium Greiz; 1934 Oberpfr. des der LK Thüringen eingegliederten Kirchenkreises Greiz; 1939 Absetzung Oberpfr.; 1940 Ruhestand – 1934/35 Mitgl. Dt. Ev. Kirchenbundesrat – Mitgl. 1934/35 Lutherischer Rat – 1933 Wittenberg. REVENTLOW, Ernst Graf zu * 18. August 1869 Husum † 21. November 1943 München Seit 1920 Hg. Wochenzeitschrift »Der Reichswart«; Mitbegründer Deutsch-völkische Freiheitspartei; 1927 Mitgl. NSDAP, MdR; 1934–1936 (Austritt) Mitgl. und stellv. Führer der »Deutschen Glaubensbewegung« (DGB); 1937 Beirat »Forschungsabteilung Judenfrage« in Walter Franks »Reichsinstitut für Geschichte des neuen Deutschland«. RIBBENTROP, Joachim von * 30. April 1893 Wesel † 16. Oktober 1946 Nürnberg (hingerichtet) 1932 Mitgl. NSDAP; Außenpolitischer Berater Hitlers; 1936–1938 Botschafter London; 1938 Außenminister. RICHTER, Ludwig * 28. September 1803 Dresden † 19. Juni 1885 Dresden. Dt. Maler und Grafiker. RIEGER, Paul, Dr. jur. can. * 12. November 1879 Niklasdorf † 3. Dezember 1953 Jena 1908 kath. Priester; 1912 Dr. jur. can. (Rom); 1919 konvertiert; 1929 ev. Pfr. Jena; 1935 Austritt DC. RIEHMANN, O. Aus Mupperg, Oktober 1936. RIENÄCKER, Paul * 9. Januar 1883 Benndorf † 9. November 1967 Gotha Buchhalter; 1921 Finanzrevisor VD der TheK; 1926 Kirchenamtmann; 1945 Kirchenverwaltungsamtmann; 1950 Kirchenverwaltungsrat. RIETHMÜLLER, Otto * 26. Februar 1889 Cannstadt † 19. November 1938 Berlin 1919 Pfr. Esslingen; 1928 Vorsteher Burckhardthaus Berlin; Direktor Ev. Reichsverband weibliche Jugend; Mitgl. Reichsführerrat; Mitgl. Ring der Ämter; Mitgl. Reichsjugendkammer; 1934 Vors. Reichsverband der Ev. Jugend – 1933 Mitgl. JRB; 1934

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Vertrauensmann bzw. Beauftragter für Jugendarbeit der BK; 1935 Leiter Reichsjugendkammer der VKL I, Mitgl. Reichsbruderrat – Teiln. 1934 Barmen, 1935 Augsburg, 1936 Bad Oeynhausen – Liederdichter. RITTWEGER, Paul * 20. Januar 1911 Eisenach † 25. September 1941 Krim (gefallen) 1936 Hilfsprediger Themar; 1938 beurlaubt zur Dienstleistung beim Bund für Deutsches Christentum. RODECK, NN. Mitarbeiter beim VD der TheK, Mai 1938. RODENBERG, Ludwig * 5. Januar 1890 Lübeck † 27. April 1969 Kartlow 1928 Sozialpfr. und Geschäftsführer Soziale Arbeitsgemeinschaft ev. Männer und Frauen Thüringens; 1934 1. Vors. Werknotgemeinschaft; 1935 Pfr. Heubach; 1938 Wechsel nach Pommern. Rodenberg, Mitgl. der NSDAP und DC, war seitens der NSDAP, Kreisleitung Hildburghausen, der Untreue bezichtigt worden, was sich bei der Übernahme der »Wernofeh« (»Werkgemeinschaften ...« [soziale Einrichtung zur Beschaffung von Arbeit]) durch die Kreisleitung der NSDAP gezeigt habe. Die Vorwürfe konnten nicht bestätigt werden. Der LKR der TheK hob daher die vorläufige Suspendierung Rodenbergs wieder auf (LKAE, G 879). RODHE, Alvar Elis (Allan) * 11. Mai 1882 Karlshamn † 30. November 1964 Saltsjöbaden Schwedischer Jurist; 1934–1935 Kommissar des Völkerbundes für die Volksabstimmung im Saargebiet. [J.M.] RÖHM, Ernst * 28. November 1887 München † 1. Juli 1934 München 1930 Stabschef SA; 1933 Reichsminister ohne Geschäftsbereich – Mitgl. NSDAP – ermordet im Zuge des sogenannten »Röhmputsches«. RÖNCK, Hugo * 12. April 1908 Altenburg † 8. Februar 1990 Eutin 1932 Pfr. Denstedt; 1936 Landesjugendpfr. TheK; 1939–1943 Soldat; 1943 Präsident LKR; März 1945 Selbst-Annahme der Bezeichnung »Landesbischof«; Ende April 1945 Verhaftung und Internierung durch die amerikanische Besatzungsmacht; 1945–1946 Pfr. Urspringen / Rhön; 10. August 1945 Entlassung aus dem kirchl. Dienst aufgrund des Reinigungsgesetzes; 1947 Pfr. Eutin – führendes Mitgl. KDC – 1928 Mitgl. NSDAP (Mitgliednummer 94508, also unter 100 000, damit Träger des Goldenen Parteiabzeichens); 1944 Ausschluss aus der NSDAP.

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RÖVER, Carl * 12. Februar 1889 Lemwerder (Oldenburg) † 15. Mai 1942 Berlin 1918 Kaufmann Oldenburg (Oldb); 1923 Mitgl. NSDAP; 1928 Gauleiter Gau WeserEms; 1930 MdR; 1932 Ministerpräsident Oldenburg; 1933 Reichsstatthalter Oldenburg und Bremen; 1939 Beauftragter des Reichsverteidigungskommissars; SA-Obergruppenführer. ROMMEL, NN: Parkschließer in Eisenach, feiert im Oktober 1937 goldene Hochzeit. ROOSEVELT; Franklin Delano * 30. Januar 1882 Hyde Park (N.Y.) † 12. April 1945 Warm Springs (Georgia) Politiker; 1932–1945 (32.) Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika. ROSE, Werner * 4. März 1897 Dietendorf † 17. Juli 1963 Bad Godesberg 1933 Pfr. Angelhausen-Oberndorf und Dornheim; 1945 Superintendent Arnstadt. Rose hatte sich dem Landesbruderrat der LBG als der für ihn zuständigen Kirchenleitung unterstellt, dort im Mai 1937 Urlaub beantragt und das dem Oberpfarramt Arnstadt mitgeteilt. Der Oberpfarrer leitete dies weiter an den LKR. Der bat daraufhin um Feststellung, ob Rose seinen Dienstsitz verlassen habe, und setzte die weitere Zahlung der Bezüge aus. Dass Rose wie geplant in Urlaub fuhr, betrachtete der LKR als »unerlaubte Entfernung aus dem Amt«. Trete er nicht spätestens zum 1. Juni seinen Dienst wieder an, werde dies verstanden als Antrag auf Entlassung aus dem Dienst der TheK. Rose brach seinen Urlaub ab und nahm seinen Dienst am 1. Juni wieder auf. Nach einer Unterredung mit Dr. Volk und Spigath am 3. Juni 1937 musste er hinnehmen, dass sein Gehalt für die Zeit vom 24. Mai bis zum 1. Juni gekürzt wurde (LKAE G 888, Beiakte). ROSEMEYER, Bernd * 28. Januar 1909 Lingen / Ems † 28. Januar 1938 Mörfelden-Walldorf Dt. Rennfahrer; bei einem Rekordversuch auf der Autobahn bei Frankfurt verunglückt; 1936 Sieger Großer Preis von Deutschland, Italien und der Schweiz; verheiratet mit der dt. Fliegerin Elly Beinhorn – 1933 (spätestens) Mitgl. SS. ROSENBERG, Alfred (Rosenbg.) * 12. Januar 1893 Reval † 16. Oktober 1946 Nürnberg (hingerichtet) 1919 Mitgl. NSDAP; 1921 Schriftleiter Völkischer Beobachter; 1930 Schriftleiter und Herausgeber NS-Monatshefte; 1930 MdR; 1933 Reichsleiter Außenpolitisches Amt der NSDAP; 1934 Beauftragter des Führers für die Überwachung der gesamten

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geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP; 1941–1945 Reichsminister für die besetzten Ostgebiete – Verfasser „Der Mythus des 20. Jahrhunderts“. ROSENBROCK, Rolf * 16. Juli 1910 Wiesbaden † 18. September 1944 Rußland (gefallen) 1935 Vikar und 1938 Pfr. Mengersgereuth-Hämmern. ROSS, Colin * 4. Juni 1885 Wien † 29. April 1945 Urfeld am Walchensee Österreichischer Journalist und Reiseschriftsteller mit rassistischem Weltbild. [J.M.] ROßBACH, Karl * 26. Mai Coburg † 8. Juli 1966 Offenbach 1922 Pfr. Tüttleben, Gotha-Land. ROßNER, Hans Stadtkirchner in Jena; Kreisgemeindeleiter KDC; 1933–1935 Mitglied des Landeskirchentages. ROTENHAN, Hermann Freiherr von * 14. Mai 1911 Darmstadt † 9. Januar 1942 Kondrowo (Lazarett) Kirchenpatron der Pfarrstelle Neuenhof b. Eisenach. [J.M.] RUFF, Walter * 12. April 1893 Wittenfelde † 27. März 1953 1918–1920 Vikar Kaltenwestheim, 1920–1930 Pfr. Kaltenwestheim; 1930 auf Antrag entlassen; 1930–1945 3. Domprediger Magdeburg, 1945 Direktor Predigerseminar Wittenberg. RUNCIMAN, Walter * 19. November 1870 † 14. November 1949 Britischer Diplomat; Verfasser des sog. Runciman-Reports (16. September 1938) für Chamberlain über die Lage der Sudetendeutschen; 1937 Viscount R. [J.M.] RUPPEL, Erich, Dr. jur. * 25. Januar 1903 Wuppertal-Elberfeld † 7. Juli 1975 Hannover 1931 juristischer Hilfsreferent Konsistorien Münster und Magdeburg; Konsistorialrat Kirchenbundesamt; 1934 Kirchenkanzlei der DEK; 1935 Geistliche Abteilung des Reichs- und Preußischen Erziehungsministeriums bzw. Ministerialrat Reichskirchenministerium; 1939 Kriegsdienst; 1947 Leiter Kanzlei des hannoverschen Landesbischofs.

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RUPPRECHT, NN. Angestellter in der Geschäftsstelle des VD der TheK. RUST, Bernhard * 30. September 1883 Hannover † 8. Mai 1945 Berne / Oldenburg (Selbstmord) 1925 Mitgl. NSDAP; 1930 MdR; 1925–1940 NSDAP-Gauleiter Hannover-Nord bzw. Süd-Hannover-Braunschweig; 1933 Preußischer Minister (ab April 1934 auch Reichsminister) für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung. RUTH s. Trautvetter, Ruth RUTH, s. Ohrtmann, Ruth Tochter der Tagebuchschreiberin. RUTH, s. Volk, Ruth Tochter von Dr. Volk. S. (in der Regel: Sommer oder Sasse) SACHSEN-WEIMAR-EISENACH, Feodora Großherzogin von, geb. Prinzessin von Sachsen-Meiningen * 29. Mai 1890 Hannover † 12. März 1972 Freiburg i.Br. Seit 1910 verheiratet mit Großherzog Wilhelm Ernst von Sachsen-Weimar-Eisenach († 1923). [J.M.] SAELTZER, Otto * 11. Januar 1898 Weimar † 31. Juli 1977 Jena Obersteuersekretär; 1922 TheK; Beamter; 1926 Kirchenamtmann; zuletzt Oberamtmann. SÄUBERLICH, Gerhard * 5. Juni 1901 Mulango / Ostafrika † 15. Januar 1959 Eisenach 1930 Pfr. Mengersgereuth; 1935 Etzdorf (zwangsversetzt); Gründungsmitgl. LBG und ab 1939 deren Leiter; 1945 Kirchenrat, Mitgl. LKR der TheK; 1946 Oberkirchenrat und Visitator; 1949 hauptamtliches geistliches Mitgl. LKR und Leiter Abteilung Gemeindedienst. SAMMETREUTHER, Julius * 1895 † 1939 1927 Pfr. Schweinfurt, 1926 München St. Matthäus; 1935–1939 Oberkirchenrat München.

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SASSE, Hermann, Lic. theol., D. theol., DD. * 17. Juli 1895 Sonnewalde (Brandenburg) † 8. August 1976 North Adelaide (Südaustralien) 1928 Pfr. Berlin; 1933 aoProf. für KG, Dogmengeschichte und Symbolik Erlangen; 1948 Austritt aus der bayerischen LK und Anschluß an die altluth. Freikirche Frankfurt a.M.; 1949 Prof. in Prospect North Adelaide (Australien) – Teiln. 1934 Barmen; wegen Bedenken gegen die Barmer Erklärung vor Endabstimmung abgereist; 1934 Dahlem, 1935 Augsburg. SASSE, Käthe (Sasse K.) Ehefrau von Martin Sasse. SASSE, Martin * 15. August 1890 Groß Drenzig (Brandenburg) † 28. August 1942 Eisenach 1920 Pfr. Haber (Tschechoslowakei), 1923 Rothenburg / Oberlausitz; 1930 Oberpfr. Lauscha / Thüringen; 1933 Kirchenrat im Nebenamt und Mitgl. LKR der TheK; 1934 Landesbischof TheK – Mitgl. 3. LKT (Thüringen) – führendes Mitglied KDC – seit 1939 Vertreter seiner LK für das Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben –1930 Mitgl. NSDAP. SASSE, Robert (R.) Vater von Martin Sasse. SAUCKEL, Fritz * 27. Oktober 1894 Haßfurt (Unterfranken) † 16. Oktober 1946 Nürnberg (hingerichtet) 1922 Mitgl. SA, 1923 NSDAP; 1927–1945 Gauleiter von Thüringen; 1929/39 MdL Thüringen; 1932 Vorsitzender des Staatsministeriums und Minister für Inneres Thüringen; 1933–1945 Reichsstatthalter in Thüringen, 1935–1937 auch in Anhalt und Braunschweig; 1942 Generalbevollmächtigter für den Arbeitseinsatz – 1934 Mitgl. SS. SAUERBRUCH, Ernst Ferdinand * 3. Juli 1875 Barmen † 2. Juli 1951 Berlin Dt. Chirurg, Begründer der Lungenchirurgie im Druckdifferenzverfahren (Sauerbruch'sche Kammer); Erfinder des Sauerbruch-Arms, einer Prothese, die eine Bewegung der Finger durch eigene Muskelleistung ermöglicht. SAUPE, Martin, Dr. theol. * 28. April 1867 Kahla † 5. August 1962 Hannover 1922 Studiendirektor Predigerseminar Eisenach und Pfr. Eisenach; 1934 Wartestand; 1935 Ruhestand. SCHABERT, Oskar, D. theol. * 27. November 1866 Grobin (Kurland) † 7. Januar 1936 Bad Nauheim Pfr. Riga u.a.; 1926 Herausgeber Baltisches Märtyrerbuch.

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SCHACHT, Hjalmar * 21. Januar 1877 Tinglev (Nordschleswig) † 3. Juni 1970 München 1933–1939 Reichsbankpräsident; 1935–1937 Reichswirtschaftsminister und Generalbevollmächtigter für die Kriegswirtschaft; bis 1943 Minister ohne Geschäftsbereich. 1944 Inhaftierung; 1946 verurteilt zu acht Jahren Arbeitslager; 1950 Freispruch und Beraterkarriere in Entwicklungsländern. SCHADE, NN. Sekretärin von Kirchenrat Lehmann. SCHÄFER, NN. SA-Mann, Dezember 1938. SCHÄFER, Friedrich, Dr. jur. * 12. Februar 1893 Berka / Werra † 18. Juli 1960 Eisenach Kirchenarchivrat; 1929 Leiter Landeskirchenarchiv Eisenach; 1939–1945 Soldat; 1946 Vorsitzender der Spruchstelle. SCHÄFER, Gertrud * 24. Juli 1897 Stadtroda † 20. Juni 1987 Jena Pastorin; 1921 Pfarrhelferin; 1928 Ordination; Tätigkeit in der Frauen- und Mädchenarbeit; Religionslehrerin; Krankenhaus- und Strafgefangenenseelsorgerin Jena; Mitgl. LBG; 1938 Wechsel nach Erfurt; 1940 Vikarin Kreissynodenvorstand; 1945 Krankenhaus- und Strafgefangenenseelsorgerin, Mitarb. in der Leitung der Frauenarbeit; 1949 Pfarrvikarin Jena; 1965 Übertragung der Amtsbezeichnung »Pastorin«. SCHÄFER, Ludwig * 15. August 1907 † 8. Dezember 1941 1933 Pfarrverwalter Langen; 1933–1936 Pfarrassistent Buchschlag und Frankfurt-Niederrad; 1936–1940 Pfarrverw. / Pfr. Cleeberg. SCHAIRER, Immanuel, Dr. phil. * 30. Dezember 1885 † 23. Februar 1963 1930 Pfr. Stuttgart; Herausgeber des DC-Blattes »Deutscher Sonntag«; bildet zusammen mit Pfr. Georg Schneider eine stark deutschkirchl. und völkisch-rassistisch geprägte Gruppe innerhalb der DC. SCHANZE, Wolfgang, Dr. phil., D. theol. h.c. * 28. Mai 1897 Leipzig † 2. August 1972 Weimar 1928–1945 Pfr. Weimar; 1945 Kirchenrat; Mitgl. LKR der TheK; 1946 Oberkirchenrat und Visitator – Mitgl. BK: 1934 Gründungsmitgl. und Mitgl. Bruderrat der LBG – Mitgl. Lutherrat; langjähriges Mitgl. Exekutivkomitee Luth. Weltbund – Teiln. 1935 Augsburg.

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SCHARF, Kurt, D. theol. * 21. Oktober 1902 Landsberg / Warthe † 28. März 1990 Berlin 1933 Pfr. Sachsenhausen b. Oranienburg; 1945 Leiter Abteilung Brandenburg im Ev. Konsistorium Berlin-Brandenburg mit dem Titel »Präses« – Mitgl. BK: 1933 Vertrauensmann JRB und PNB; 1935 Vors. Provinzialbruderrat Brandenburg; 1938 Vors. Konferenz der Landesbruderräte als Präses der Bekenntnissynode Brandenburg – Teiln. 1934 Barmen, Dahlem, 1935 Augsburg, 1936 Bad Oeynhausen. SCHARFE, Rudolf Friedrich Siegfried, D. Dr. * 23. Januar 1902 Klein-Lübars † 30. Oktober 1976 Halle 1929–1938 Hauptschriftleiter des Ev.-Soz. Pressverbandes Prov. Sachsen; 1938–1953 Pfr. Biederitz; 1953–1969 Pfr. Halle. SCHARNHORST, Gerhard Johann David * 12. November 1755 Bordenau † 28. Juni 1813 Prag Preußischer Generalstabschef. SCHAUMBURG, Otto (Schaumbg.) * 25. Januar 1891 Sonnefeld † 30. Januar 1957 Ritschenhausen 1923 Pfr. Ritschenhausen; 1933 Oberpfr. Meiningen. SCHEIBE, Hans * 7. April 1893 Gera † 28. Dezember 1969 Neu-Isenburg 1930 Pfr. Jena; 1937 Oberpfr. Arnstadt;1944 Superintendent Arnstadt; 1945 Wartestand; verhaftet; später komm. weiterbeschäftigt. SCHEDA, Susanne Angestellte in der Geschäftsstelle des LKR der TheK. SCHEER, Reinhard * 30. September 1863 Obernkirchen † 26. November 1928 Marktredwitz 1879 Eintritt in die kaiserliche Marine; 1910 Konteradmiral; Kommandeur der Hochseeflotte in der Skagerrakschlacht; 1916 Admiral; 1918 Ruhestand. [J.M.] SCHEIDERBAUER, Anton * 25. Januar 1893 Wels † 25. Mai 1955 Braunau 1932 Pfr. Köppelsdorf; 1939 Wartestand. Österreicher; Mitglied der NSDAP, aber auch der LBG. 1935 Konflike mit dem zuständigen Oberpfarrer Lüdecke und der Kirchenvertretung seiner Gemeinde. Lüdecke verhängte im April 1936 eine Ordnungsstrafe, der Kirchenvorstand beantragte hinter seinem Rücken die Abmeldung des Diensttelefons. 1937 wurde S. verdächtigt, »in einer Predigt oder sonstwo gegen Staat und Partei Stellung genommen« zu haben. Mit der Begründung, er sei nicht in der Lage, in seiner Gemeinde mit den zuständigen Kör-

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perschaften gedeihlich zusammenzuarbeiten, wurde er zum 1. April 1939 in den Wartestand versetzt (LKAE, G 1357 u. Beiakte). Scheiderbauer fand weitere Verwendung als Pfarrer in Österreich. SCHEIN, Carl * 3. August 1877 Sonnefeld b. Coburg 1906 Gerichtsassessor; 1911–1919 Staatsanwalt in Eisenach, danach Amtsgerichtsrat; 1937 Ruhestand; Nov. 1946 Übertragung der Dienstgeschäfte des Oberstaatsanwalts in Eisenach. SCHELLHORN, Ernst * 2. Mai 1903 Berlin † 3. Februar 1981 1928–1929 Hilfsprediger Pölzig; 1929–1948 Pfr. Rudolstadt; 1948 auf eigenen Antrag entlassen; 1948–1969 Pfr. Halle. Schellhorn geriet im Dezember 1933 in Konflikt mit Günther Blum, Gebietsführer der HJ in Thüringen. Der hatte über die Thüringer Staatszeitung vom 14. Dezember 1933 verbreiten lassen, Schellhorn habe sich geweigert, den Großvater eines Parteigenossen zu beerdigen, weil dieser die Kirchensteuern nicht bezahlt habe. Gegenüber dem LKR wies Schellhorn darauf hin, dass der Verstorbene bereits 1930 aus der Kirche ausgetreten sei. Der Landesbischof nahm sich der Sache persönlich an, es entwickelte sich ein Briefwechsel mit Blum und Ministerpräsident Wächtler, mit dem Sasse auch persönlich verhandelte. Von Wächtler offenbar massiv unter Druck gesetzt, musste Blum die gewünschte »Erklärung« zugunsten von Schellhorn abgeben (veröffentlicht in: ThKBl B 1934, 140). Sasse übermittelte sie an alle Pfarrer Thüringens. (LKAE A 720 Bd. 3; Thüringer Pfarrerblatt 25 [1934], Nr. 4, 18–19). SCHEMM, Hans * 6. Oktober 1891 Bayreuth † 5. März 1935 (Flugzeugunfall) 1922/25 Mitgl. NSDAP; 1928 Gauleiter Gau Oberfranken (bzw. 1933 Bayerische Ostmark), MdL; 1928 Gründer und 1929 Leiter NSLB; 1930 MdR, 1933 bayerischer Kultusminister; 1934 Berufung in die Hochschulkommission der NSDAP. SCHENK, Ewald, Dr.jur. * 23. Juli 1904 Eisenach † 1957 Jurist; 1933 LKR der TheK; 1935 Kirchenregierungsrat; 1938 Kreiskirchenrat und Vorstand Kreiskirchenamt Jena; 1945 Entlassung auf Grund des Reinigungsgesetzes; 1948 Weiterbeschäftigung als Sachbearbeiter im Kreiskirchenamt Weimar; 1952 Flucht nach Westberlin. SCHILL, Oskar * 6. März 1906 Hörschel † 25. Juni 1976 Eisenach Angestellter in der Musikabteilung des LKR der TheK. Der LKR der TheK beschloss am 10. Januar 1939, das Dienstverhältnis zu lösen, vermutlich wegen einer Eheangelegenheit (LKAE, L 3128). Pfarrer Seidler (Neuenhof)

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berichtete am LKR im Apiil 1939, Schills Verhalten sowie das seines Bruders, der in Neuenhof den Organistendienst versähe, sei »ausgesprochen feindselig zu nennen gegen unsere Sache und gegen den Neuaufbau der Gemeinden«. Die Schwägerin der beiden Brüder besuche nicht mehr wie vordem in seinen Gottesdienst, sondern den des Hilfspredigers Pabst, Mitglied der LBG und von 1937–1940 (illegaler) Hilfspfarrer in Neuenhof/Eisenach. Möglicherweise war O. Schill im Laufe des Jahres 1938 vom »Haupthetzer« und einer »deutschchristlichen Säule« (Tgb. Marie Begas 9. Dezember 1938) zu einem Kritiker der Thüringer DC mutiert. Ob O. Schill entlassen worden ist, geht aus den Akten nicht hervor. 1945/1946 war er jedenfalls Angestellter der LK und hatte wie alle Beamten und Angestellten einen Fragebogen zu seiner politischen Stellung im Dritten Reich auszufüllen. Daraus geht hervor, dass er seit 1936 Mitgl. der DC und seit dem 1. Mai 1937 Mitgl. der NSDAP war. Ämter hatte er weder bei den DC noch in der NSDAP innegehabt. Auf seiner Sitzung vom 5./6. Februar 1947 stellte der LKR fest, dass Schill »hinsichtlich seines politischen und kirchenpolitischen Verhaltens von der Spruchstelle nicht zu überprüfen ist« (LKAE, L 3128). SCHILLING, Erich * 15. Dezember 1892 Meiningen † 18. Dezember 1950 Berlin Steuerinspektor; 1922 Finanzrat VD der TheK; 1923 Kirchenregierungsrat; 1945 Dienststrafverfahren; 1950 Kündigung des Dienstverhältnisses VD der TheK. SCHIMMEL, NN. Frl.; Angestellte im VD der TheK. SCHINKE, NN. Völkischer Redner aus Berlin, November 1938. SCHIRACH, Baldur von * 9. Mai 1907 Berlin † 8. August 1974 Kröv / Mosel 1925 Mitgl. NSDAP; 1928 Leiter NS-Studentenbund und Mitgl. Reichsleitung NSDAP; 1931 Reichsjugendführer NSDAP im Stab der obersten SA-Führung; 1932 MdR; Reichsleiter NSDAP für die Jugenderziehung; 1933–1940 Jugendführer des Dt. Reiches; 1940 Reichsstatthalter und NS-Gauleiter Wien, weiterhin Reichsleiter für die Jugenderziehung der NSDAP und beauftragt mit der Inspektion der gesamten Hitlerjugend; Reichsverteidigungskommissar; 1941 SA-Obergruppenführer; 1946 verurteilt zu 20 Jahren Haft; 1966 Entlassung. SCHMIDT, NN. Frl.; »kleine Gemeindehelferin« aus Eisenach. SCHMIDT, NN. »von der Kirchensteuer«, April 1937.

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SCHMIDT, Elfriede Jugendpflegerin beim VD der TheK, später Ehefrau von Pfr. Seeschaf, Leutenberg. SCHMIDT, Karl * 30. Oktober 1887 Schwallungen † 12. Dezember 1949 Bad Liebenstein 1930 Oberpfr. Gera; 1944 Superintendent Greiz; 1946 Entlassung auf Grund des Reinigungsgesetzes mit der Möglichkeit der Wiederanstellung nach einem Jahr. SCHMIDT, Wilhelm Tätig beim VD der TheK, Mai 1938. SCHMIDT, Wilhelm Ferdinand Mitarbeiter der VKL. SCHMIDT zur Nedden, Hermann, Dr. jur. * 29. Januar 1893 Schwerin † 23. November 1973 Lübeck 1933 OKR Ev.-Luth. Kirche Mecklenburgs (Schwerin), 1934 Präsident, 1945 ausgeschieden – 1936 einer der drei Leiter des »Bundes für Dt. Christentum«. SCHMUTZLER, Robert * 29. September Kahla † 6. März 1947 Altenburg 1900 Diakonus, 1916 Stiftsprediger, 1919 Oberpfr. und Konsistorialrat Altenburg SCHNEIDER, NN. Parteigenosse; Referent auf dem Beamtentag in München 1937. SCHNEIDER, Erna (Schneider E.) Mörderin aus Herda (früher Heerda); 1936 zum Tode verurteilt. SCHNEIDER, Georg * 5. Januar 1902 † 6. November 1986 Pfr. Stuttgart, beurlaubt. Gauleiter DC Württemberg; publizistisch für die DC tätig. SCHNITTGER, Friedrich * 13. Januar 1902 Detmold † 28. Fenruar 1992 1927–1928 Lehrvikar, 1929–1946 u. 1947–1948 Pfr. Neuhaus-Schierschnitz; Mitglied Bruderrat BK; 1948–1972 Referent für Kirche u. Schule in Detmold; 1972 Ruhestand. SCHNÜRPEL, Ilse Angestellte beim LKR der TheK. SCHOELL, Jakob * 1866 † 1950 Prälat / Generalsuperintendent in Reutlingen 1918–1933. [J.M.]

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SCHÖN, Wilhelm * 11. August 1909 (Sterbedatum nicht ermittelbar) 1934 Hilfspfr. Schlossvippach; wechselte 1937 nach Berlin; 1977 wohnhaft in Buenos Aires. SCHÖNE, Alfred, Lic. theol. * 25. Juni 1894 Leipzig † 21. Juli 1941 (gefallen in Russland) 1937 Pfr. Gotha und Oberpfr. Kirchenkreis Gotha-Stadt. SCHÖNEFELD, Johannes, Dr. * 27. April 1876 Meuselwitz † 27. Februar 1952 Eisenach Nach Studium in Leipzig und Jena Gymnasiallehrer; 1920 Direktor Oberschule / Oberrealschule Altenburg; 1931 Direktor Karl-Friedrich-Gymnasium Eisenach; 1939 Ruhestand; Mitglied LBG. [J.M.] SCHÖNEWALD, Lisa Frl.; Mitarbeiterin beim VD der TheK. SCHOLTZ-KLINCK, Gertrud * 9. Februar 1902 Adelsheim † 24. März 1999 Brackenheim (Württemberg) 1928 Mitgl. NSDAP; 1930 Leiterin NS-Frauenschaft; 1934 Leiterin weiblicher Arbeitsdienst und Reichsführerin NSF und Dt. Frauenwerk; 1934 Titel »Reichsfrauenführerin« und Leiterin Dt. Frauenwerk sowie weitere frauenbezogene Funktionen; 1935 Mitgl. Sachverständigenbeirat für Bevölkerungs- und Rassenpolitik und weitere NSTätigkeiten; 1950 im Spruchkammerverfahren als Hauptbelastete eingestuft mit Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte. SCHOTT, Georg, Dr. phil. * 2. März 1882 Landshut † 5. September 1962 München Ehemals ev. Pfr.; Freund Hitlers in der sog. »Kampfzeit«; 1920 Mitgl. NSDAP; 1924 Autor: »Das Volksbuch vom Hitler«; Privatgelehrter; freier Schriftsteller München. SCHÖTTLER, Johannes (Hans), D. Theol. * 22. Februar 1961 Gütersloh † 17. Juli 1945 Buchschlag Kr. Offenbach 1917–1931 Generalsuperintendent Magdeburg; 1924 HonProf. Halle SCHRAMM, NN. SA-Sturmführer; Dezember 1938 vorübergehend Angestellter beim LKR der TheK. SCHREINER, Helmuth, Dr. phil., Lic. theol., D. * 2. März 1893 Dillenburg (Nassau) † 28. April 1962 Münster 1931 oProf. für PT Rostock; Universitätsprediger; Mitunterzeichner von zwei Rücktrittsforderungen der Rostocker Fakultät an Reichsbischof L. Müller; 1937 Ruhestandsversetzung wegen staatskritischer Haltung; 1938–1952 Vorsteher Diakonissenhaus

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Münster; 1946 Dekan Theologische Fakultät Münster – Mai 1933 Mitbegründer JRB; BK-Engagement seit den Anfängen, 1936 auf dem gemäßigten luth. Flügel. SCHROTH, Hansgeorg, Dr. Verfasser des Buches: Der Weg der deutschen Nationalkirche (Stoffsammlung für Schulungsarbeit Nr. 34 [2. Reihe Nr. 3]; hg. von der Apologetischen Zentrale BerlinSpandau), Berlin 1935; kritische Einschätzung der KDC. SCHUBRING, Wilhelm Herausgeber Protestantenblatt, September 1936. SCHÜLER, Gerhard * 7. November 1909 Jena † 12. April 1990 Berlin / West 1935 Vikar LBG; 1936 durch Pfr. Ernst Otto »illegal« ordiniert; 1937 Studentenpfr. Jena; 1948 Amtieren durch den LKR der TheK untersagt und entlassen; 1949 Pfr. Karchow / Mecklenburg; 1957 Pfr. Wesenberg; 1965 emeritiert. SCHÜTZ, H. Landwirt aus Mihla. SCHULENBURG, Friedrich Werner Graf von der * 20. November 1875 Kemberg (Prov. Sachsen) † 10. November 1944 Berlin (hingerichtet) 1923 Gesandter Teheran, 1931 Bukarest; 1934 Mitgl. NSDAP und dt. Botschafter Moskau; 1941 Leiter Auslandsreferat im Außenministerium; wegen seiner Beteiligung am Hitler-Attentat 1944 hingerichtet. SCHULTE, Theo Oberbannführer, ab Februar 1938 Gebietsführer der HJ in Weimar. SCHULTZ, Hermann Kaufmann; früherer Oberbürgermeister von Ilmenau, April 1935. SCHULTZ, Johannes * 5. Mai 1893 Frankenheim † 7. Februar 1944 Seega 1918 Pfr. Oberweid, 1927 Pfr. Niedersynderstedt; August 1935 Wartestand; Juli 1937 beurlaubt nach Dienststrafverfahren; 1938 Pfr. Seega (Thür.). SCHULTZ, Walther * 20. August 1900 Hof Tressow b. Grevesmühlen (Mecklenburg) † 26. Juni 1957 Schnackenburg / Elbe 1928 Pfr. Badendiek b. Güstrow; 1933–1945 mecklenburgischer »Landeskirchenführer« bzw. Landesbischof Mecklenburg; 1945 Entlassung aus dem Kirchendienst; 1950 pfarramtliche Hilfeleistung in der hannoverschen LK Fallingbostel; 1952 Versehung

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der Pfarrstelle Schnackenburg; 1956 Pfr. ebd.; 1939–1945 Mitgl. Geistlicher Vertrauenrat der DEK; 1933 Führer nationalsozialistischer Pastorenbund Mecklenburg; Mitgl. DC; 1934 Führer DC Mecklenburg. – 1931 Mitgl. NSDAP. SCHULTZE, Volkmar * 27. Januar 1904 Coburg † 3. Mai 1984 1933 Pfr. Röpsen, 1936 Dienstverbot; 1937 Ausweisung aus Thüringen; 1938 Entlassung TheK; 1940 Entfernung aus dem Amt durch den Disziplinarhof der DEK; 1946 Pfr. Röpsen; 1948 Oberpfr.; 1954 Superintendent Gera-Land. Schultze, gewählter und fest angestellter Pfarrer in Röpsen, hatte sich durch Unterschrift unter die Erklärung vom 10. Juli 1935 der LBG und nicht weiter der geistlichen Leitung der TheK unterstellt. Daraufhin erhielt er einen Verweis und eine Geldstrafe. Nachdem sich Schultze während einer Krankheit mehrfach vom Pfarrer Wilhelm Müller (Kaltenwestheim) hatte vertreten lassen, der, wie ihm bekannt, wegen Unbotmäßigkeit aus dem Dienst der TheK entlassen worden war, wurde er am 16. März 1936 vorläufig seines Dienstes enthoben. Schultze amtierte weiter, als sei nichts geschehen. Er war sich keines Dienstvergehens bewusst und berief sich auf seinen geistlichen Auftrag. Ein Dienststrafverfahren gegen Schultze endete am 16. Juni 1936 mit seiner Entlassung aus dem Dienst der TheK unter gleichzeitigem Wegfall seiner Bezüge (LKAE, LBG 233). SCHULZ, Georg * 13. Februar 1889 Nauen (Brandenburg) † 5. November 1954 Hamm (Westfalen) 1931 Pfr. Wuppertal-Unterbarmen, 1936–1944/45 Falkenhagen (Pommern); 1946– 1951 Religionslehrer Hilchenbach (Westfalen) – Mitgl. BK: 1933 JRB, PNB, Bruderrat Rheinland, Beirat Pfarrerbruderschaft Rheinland – 1922 Begründer und Leiter Sydower Pfarrerbruderschaft 1934 – Teiln. 1934 Barmen, Dahlem. SCHUMANN, Friedrich Karl, Dr. phil., Dr. theol., D. * 15. Juni 1886 Meßkirch (Baden) † 21. Mai 1960 Münster Prof. für PT, ST, Kirchenrecht; 1929 oProf. Gießen, 1932–1945 Halle – Juli bis September 1933 Mitgl. einstweilige Leitung der DEK; Berater des Reichsbischofs; DCAnhänger bis November 1933 (Sportpalastkundgebung) – 1933 NSDAP – 1939 Präsidium Ev. Bund. SCHUSCHNIGG, Kurt Edler von * 14. Dezember 1897 Riva / Gardasee † 18. November 1977 Mutters (Österreich) 1934 österreichischer Bundeskanzler, zeitweise Außen- und Verteidigungsminister; 1938, nach dem Einmarsch der dt. Truppen, verhaftet; 1941–1945 KZ-Haft. SCHUSTER, NN. Obpfr. in Kassel, Oktober 1938

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SCHWADTKE, Fritz Organist in Meißen; 1936 Dresden; wurde nicht in den Dienst der TheK übernommen. SCHWARTZE, NN. Frau, im September 1938 zu Besuch bei M. Begas. SCHWENDEL, Paul * 9. Januar 1881 Großfurra † 31. Januar 1945 Zoppoten 1935 Oberpfr. Kirchenkreis Gehren. SCHWERIN von Krosigk, Lutz Graf * 22. August 1887 Rathmannsdorf / Anhalt † 4. März 1977 Essen 1932–1945 Reichsfinanzminister; Mai 1945 Vors. geschäftsführende Reichsregierung unter Dönitz; 1949 Verurteilung zu 10 Jahren Gefängnis; 1951 begnadigt. SCHWIND, Moritz von * 21. Januar 1804 Wien † 8. Februar 1871 Niederpöcking Maler und Grafiker. SCRIBA, Hermann * 15. Januar 1888 Remptendorf † 12. Oktober 1976 Eisenach 1922 Pfr.; Rektor Ev.-Luth. Diakonissenmutterhaus in Eisenach; 1952 Kirchenrat. SEESCHAF, Karl Heinrich * 15. Mai 1909 Osterholz 1936 Hilfspfr. Gotha; Pfr. Leutenberg. SEIDEL, Martin * 16. August 1898 Neuhof-Heringsdorf / Usedom † 2. Mai 1945 Bad Tölz (Selbstmord) NSDAP 1929; 1929 Ortsgruppenleiter Eisenach, 1930 Kreisleiter; 1934 Reichshauptamtsleiter im Stab des Stellv. des Führers; 1934 MdR. [J.M.] SEILER, Ludwig, Lic. theol. * 25. November 1888 † 1977 Essen Pfarrer und Direktor ev. Pressverband Essen. SELBMANN, Käte Zeitweise Mitarbeiterin beim VD der TheK; wurde auf Beschluss des LKR der TheK vom 7./8. Oktober 1945 nicht weiter beschäftigt. SELDTE, Franz * 29. Juni 1882 Magdeburg † 1. April 1947 Fürth 1933 Mitgl. NSDAP; 1935 SA-Obergruppenführer; 1933–1945 Reichsarbeitsminister; 1934 Wirtschaftsminister Preußen.

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SENFFLEBEN, Elsbeth (Senffleben, E.) Ehefrau von Otto Senffleben. SENFFLEBEN, Erika (Senffleben, Erika) Tochter von Elsbeth und Otto Senffleben. SENFFLEBEN, Otto * 6. Januar 1867 Ingersleben † 31. Januar 1936 Eisenach 1895 Pfr. Sonneborn; später Landesoberpfr. Herzogtum Sachsen-Gotha; 1921 Mitgl. LKR der TheK; Kirchenrat; 1922 Begründer VD der TheK und dessen Leiter bis 1929. SEYß-INQUART, Artur * 22. Juni 1892 Stannern b. Iglau (Mähren) † 16. Oktober 1946 Nürnberg (hingerichtet) 1921 Rechtsanwalt Wien; 1931 Mitgl. NSDAP; 1936 Staatsrat; 1938 Bundesminister für Inneres und Sicherheitswesen in Österreich; 1938 Bundeskanzler; bis 1939 Reichsstatthalter der Ostmark; 1939–1945 Minister ohne Geschäftsbereich; 1939 Höherer SSund Polizeiführer in Krakau und Stellvertreter des Generalgouverneurs Franks; 1940 Reichskommissar (Chef der Zivilverwaltung) Niederlande; dort verantwortlich für Judendeportationen. SIEBERT, NN. Frau; aus Feldis in Graubünden / Schweiz, Oktober 1937. SIMON, NN. Engländer, zu Besuch in Eisenach März 1935. SÖDERBLOM, Nathan * 15. Januar 1866 Trönö † 12. Juli 1931 Uppsala Schwede; 1914 Erzbischof; 1925 Organisation der (ökumenischen) Allgemeinen Konferenz der Kirche Christi für Praktisches Christentum in Stockholm; 1930 Friedensnobelpreis. SÖLTER Familienname von drei Religionsunterricht erteilenden Lehrerinnen (Schwestern) aus Eisenach (wohl Töchter von Wilhelm Sölter, Gärtnereibesitzer), November 1938. SOMMER, Auguste Gestorben im Dezember 1938. Witwe aus Eisenach; Mutter von Walter Sommer. SOMMER, Frieda Angestellte beim LKR der TheK (Zentrale für Telefonate und Postverteilung).

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SOMMER, Samuel * 18. Januar 1887 Gr. Steinort † 21. Dezember 1970 Eisenach 1911 Diener für Haus und Park »Schloss Pflugensberg«; 1921 Angestellter LKR der TheK. (Hausinspektor des Dienstgebäudes). SOMMER, Walter (Sommer W.) Sohn von Auguste Sommer, Dezember 1938. SOMMERLATH, Ernst, Lic. theol, D. * 23. Januar 1889 Hannover † 4. März 1983 Leipzig 1919 Pfr. Hannover; 1921 Privatdoz. für ST; 1924 aoProf., 1926 oProf. Leipzig; Universitätsprediger; 1958 Ruhestand – 1934 Mitgl. Luth. Rat. SORGE, Otto * 19. Februar 1899 Wasungen Finanzsekretär; 1923 Kirchensekretär beim LKR der TheK; 1925 Kirchenobersekretär; 1931 Kirchenamtmann; 1935 Mitgl. 4. LKT (Thüringen); 1938 Dienstleistung Bund für Dt. Christentum; 1939 Verwaltungsbeamter VD der TheK; 1942 Kirchenverwaltungsoberinspektor; gleichzeitig Antrag auf Entlassung. SPELGE, Hildegard Ehefrau von Wilhelm Spelge. SPELGE, Wilhelm * 15. Februar 1895 Straßburg † 6. Dezember 1967 1933 Pfr. Fischbach; 1938 Schutzhaft und Wartestandsversetzung; Pfr. Tann / Rhön u. Herleshausen; 1942 Pfr. Dossenheim / Elsass; 1948 Pfr. Görsdorf / Elsass; 1950 aus dem Elsass ausgewiesen; 1952 Übernahme in die badische Landeskirche; Pfr. Laufen. 1938 Untersuchungshaft wegen Vergehens gegen das Heimtückegesetz, Ermittlungsverfahren beim Sondergericht in Weimar. Daraufhin versetzte der LKR der TheK ihn in den Warte- und Ruhestand mit folgender Begründung: »Nach der heute allgemein herrschenden Ansicht bedeutet die Beschuldigung, sich gegen das Gesetz gegen heimtückische Angriffe auf Staat und Partei vergangen zu haben, für jeden Staatsbürger den schweren Vorwurf, in ehrenrühriger Weise sich staatsfeindlich vergangen zu haben. Derjenige aber, der zu diesem Vorwurf Anlaß gibt, setzt sich der Mißachtung seiner Mitbürger aus und verliert deren Vertrauen. Noch viel mehr ist das der Fall, wenn ein solcher Vorwurf gegen einen Pfarrer erhoben wird und er aus diesem Grunde in Haft genommen wird. Der Pfarrer nimmt im Leben der Gemeinde eine führende Rolle ein. Er kann sein Amt als Seelsorger nur dann erfolgreich ausüben, wenn er von dem Vertrauen und der Achtung seiner Gemeinde getragen wird. Die Stellungnahme der Kirchenvertretung beweist aber, daß Sie die Achtung und das Vertrauen ihres Kirchspiels verloren haben« (LKAE, F 310, Bd. 41). Ein Einspruch Spelges blieb ohne Erfolg.

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SPIGAHT, Paul, Dr. jur. (Spt.) * 15. Februar 1898 Döllnitz † gefallen April 1945 in der Rhön 1926 Verwaltungsangestellter LKR der TheK; ab 1930 VD; 1938 Beamter; 1940 Soldat, 1942 Kirchenverwaltungsrat. SPRAINYS, Gustav * 11. Juli 1890 Alt-Lubönen † 9. Oktober 1976 Eisenach Buchhalter; schwerkriegsbeschädigt; 1927 Buchwart Bibliothek des Predigerseminars in Eisenach; 1946 Steuererheber für das Kreiskirchenamt Eisenach. SPRENGER, Jacob * 24. Juli 1884 Oberhausen † 7. Mai 1945 Kössen / Tirol (Selbstmord) NS-Reichsstatthalter Nassau-Hessen; 1935 Leiter der Landesregierung; 1939 Reichsverteidigungskommissar; 1944 Oberpräsident der Preußischen Provinz Nassau. STAHN, Julius, Dr. jur. * 11. November 1898 Berlin † 26. Mai 1945 Landsberg / Warthe (sowjet. Gefangenenlager) 1928 Konsistorialassesor Berlin und Stettin; 1929 Magdeburg; 1930 Konsistorialrat EOK Berlin; 1935 Reichskirchenministerium, 1939 Ministerialdirigent, Vertreter des Staatssekretärs bei Abwesenheit Kerrls – 1933 Mitgl. NSDAP. STALIN, Josef * 21. Dezember 1879 Gori / Georgien † 5. März 1953 Moskau Sowjetischer Diktator. STANGE, Carl, Dr. theol.; Dr. phil. h.c., D. * 7. März 1870 Hamburg † 5. Dezember 1959 Göttingen 1912 Prof. für ST Göttingen; Universitätsprediger; 1935 emeritiert; Abt Bursfelde; hielt auf der Tagung des Apologetischen Seminars vom 4. bis 9. Oktober 1937 in Sondershausen ein Referat zum Thema »Das Bekenntnis Luthers zu Schmalkalden«. STAPEL, Wilhelm, Dr. phil. * 27 Oktober 1882 Calbe † 1. Juni 1954 Hamburg Nationalsozialistischer Publizist; Literaturhistoriker; 1918–1938 Herausgeber Monatsschrift »Dt. Volkstum«, Hamburg; publiziert 1934 »Die literarische Vorherrschaft der Juden in Deutschland von 1918–1933«; Mitgl. »Forschungsabteilung Judenfrage des Reichsinstituts für Geschichte des neuen Deutschland.« STARKE, Karl Angestellter beim LKR der TheK, April 1936. STECK, NN. Im Oktober 1937 beim LKR.

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STEGMANN, Erich * 1. Oktober 1906 Straßburg † 30. März 1994 Falken / Werra 1930 Hilfsprediger und Hilfspfr. Renthendorf; Mitgl. PNB und LBG; 1939 Redeverbot und Amtsenthebung; 1940–1945 Soldat; 1945 Pfr. Sarstedt / Hildburghausen; 1947 Pfr. und Superintendent Pößneck; 1960 Pfr. und Superintendent Kahla; 1967 Mitgl. LKR; 1976 Ruhestand. STEINBACH, Max * 22. Mai 1890 Hohleborn † 27. Dezember 1976 Eisenach 1922 Verwaltungsangestellter beim LKR der TheK; 1923 Beamter; 1926 Archivvorsteher; 1931 Kirchenamtmann; 1942 Kirchenverwaltungsoberinspektor. STETEFELD, Lothar * 16. September 1902 Frankenhain 1925 Verwaltungsangestellter beim LKR der TheK; 1934 Beamter VD; 1945 Entlassung auf Grund des Reinigungsgesetzes wegen Mitgliedschaft bei den DC, in der SA und in der SS. STIEB, Lisbeth Ehefrau von Robert Stieb. STIEB, Robert * 17. Mai 1880 Kassel † 14. April 1972 Augsburg 1921 Pfr. in Ottmannshausen; 1939 wechselt in die hannoversche LK. Am 27. Dezember 1934 Schutzhaft, da er zur Sammlung am Tage der nationalen Einheit gegenüber dem Bürgermeister geäußert hatte: »Nur insofern hielt mich mein Stolz von einer Sammlung mit der Büchse ab, als ich mich nicht lächerlich machen wollte.« »Das Sammeln mit der Büchse wirkt mir zu katholisch, und das wird ja nur darum getan, weil Dr. Goebbels katholisch ist; Hitler ist ja auch katholisch, da hat er den germanischen Gedanken noch nicht erfaßt«. Da Stieb nachweisen konnte, dass er nicht im Dissens zum nationalsozialistischen Staat stand, wurde er am 17. Januar 1935 wieder entlassen (LKAE, G 1063). STIEFEL, NN. Angestellter beim LKR der TheK, März 1936. STIER, Karl * 20. September 1875 Allstedt † 25. April 1958 Weimar 1907 »Diakonus« Eisenach; 1932 Oberpfr. Kirchenkreises Eisenach-Stadt. STOCK, Heinrich * 23. Dezember 1891 Blankenburg † 1. November 1976 Eisenach

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1923 Kirchensekretär LKR der TheK; 1926 Kirchenobersekretär; 1931 Kirchenamtmann; 1942 Kirchenverwaltungsoberinspektor; 1946 Entlassung auf Grund des Reinigungsgesetzes. STOCKMANN, Stoekmann oder Stoeckmann Redner aus Hannover, März 1937. STOECKER, Adolf * 11. Dezember 1835 Halberstadt † 2. Februar 1909 Gries b. Bozen 1874 Hof- und Domprediger Berlin; 1878 Gründer Christlich-Soziale Arbeiterpartei (seit 1881 Christlich-soziale Partei) mit starken antisemitischen Zügen; 1896 Gründer Freie kirchl.-soziale Konferenz. STÖßNER, Siegfried * 20. Mai 1899 Ilmenau † 23. Mai 1961 Greiz 1934 Pfr. Neustadt / Orla und Oberpfr. Kirchenkreis Neustadt / Orla; 1948 Pfr. Sophienkrankenhaus (mit Schwesternausbildung) Weimar. STOLL, Christian Pfr. aus München, Juni 1936. STOLTENHOFF, Ernst, D. theol. * 17. Januar 1879 Odenkirchen (Rheinland) † 27. April 1953 Wittlaer 1928–1949 Generalsuperintendent Rheinprovinz der APU Koblenz / Düsseldorf; 1934–1936 zwangsweise Versetzung in den Ruhestand; Juni 1933 vorübergehend komm. Präsident EOK Berlin; 1945 Kirchenleitung LK Rheinland. STOPFEL, Ludwig Bauer aus Kaltenwestheim; Kirchenvertreter Kaltenwestheim; engagiert im Fall des Pfr. Wilhelm Müller. STOPFEL, NN. Ehefrau von L. Stopfel; Bäuerin Kaltenwestheim; engagiert im Fall des Pfr. Wilhelm Müller. STRACK, NN. Aus Mihla. STRECK, NN. Orts- bzw. Stützpunktleiter der NSDAP in Mihla; DC. STREICHER, Julius * 12. Januar 1885 Fleinhausen b. Augsburg † 16. Oktober 1946 Nürnberg (hingerichtet)

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1923 Begründung des antisemitischen Hetzblattes Der Stürmer; 1928 Gauleiter Franken; 1933 Leiter »Zentralkommitee zur Abwehr der jüdischen Greuel- und Boykotthetze«; maßgebliche Mitarb. an den Nürnberger Gesetzen; 1940 aller Parteiämter enthoben (nach Vorwurf der Korruption). STREITBERG, Karl * 17. September 1893 Ziegelrode † 28. April 1966 Eisenach 1923 Angestellter beim LKR der TheK; 1924 Kirchenassistent; 1928 Kirchensekretär; 1931 Kirchenobersekretär; 1936 Kirchenamtmann; 1942 Kirchenverwaltungsoberinspektor. STUCKART, Wilhelm Dr. jur. * 16. November 1902 Wiesbaden † 15. November 1953 b. Hannover (verunglückt) 1926–1931 Rechtsberater NSDAP; Mai 1933 Ministerialdirektor preußisches Kultusministerium Berlin; Juli 1934 Staatssekretär Reichskultusministerium; März 1935 Übernahme der Abteilung I (Verfassung und Gesetzgebung) im Reichsinnenministerium – 1922 Mitgl. NSDAP, Gauführer Pommern des NS-Juristenbundes; 1932 Mitgl. SA, 1936 SS und verschied. weiterer NS-Organisationen. STÜBER‚ Hugo * 12. August 1887 Wöhlsdorf / Auma † 8. Juni 1950 Schmalkalden 1920 Superintendent Ostheim v.d. Rhön; 1932 Kirchenrat; 1934 hauptamtliches Mitgl. LKR der TheK; 1946 Entlassung auf Grund des Reinigungsgesetzes – Mitgl. NSDAP und KDC. STÜNZNER, Ewald von * 17. August 1873 Liegnitz Oberstleutnant a.D., Eisenach. SUTTAN-PRATT, NN Major; Mitarbeiter von Runciman [vermutlich Reginald Sutton-Pratt; * 23. April 1898 † 1. Dezember 1962; Militärattaché in Schweden 1939–1947; 1945 Brigadier] [J.M.] SWEERS, Berthold * 16. Dezember 1904 Oldersum † 26. April 1967 Pinneberg 1931 Hilfsgeistlicher Eisfeld; 1934 Pfr. Siebleben; 1939 entlassen; danach Pfr. in Schlamersdorf / Schleswig-Holstein; 1944 Pastor Warder; 1949 Pastor Henstedt / Neumünster. SYLTEN, Werner * 9. August 1893 Hergeswyl / Schweiz † 26. August 1942 Hartheim / Linz (ermordet) Pfr. W. Sylten hatte 1925 die Leitung des Frauenasyls in Bad Köstritz / »Thüringer Mädchenheim« übernommen. 1933 schloss er sich dem PNB, 1934 der LBG an. Ein

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Passus im von Sylten herausgegebenen Monatsblatt »Grüße aus dem Thüringer Mädchenheim«: »Der Gott, von dem wir dort (im Alten Testament) lesen, Jahwe, der Gott des Volkes Israel – das ist eben der wahre Gott, der sich diesem Volk kundtut, um durch das Zeugnis dieses Volkes den anderen Völkern und Rassen bekannt zu werden.« wurde von einem anonymen Verfasser im Völkischen Beobachter vom 20. September 1935 diffamierend kommentiert. Daraufhin »… wurde Sylten durch ein infames Zusammenspiel von Innenministerium und Kirchenleitung sowie dem Landesführer der Inneren Mission, Gerhard Phieler, aus seinem Amt gedrängt« (Thierfelder, Wermer Sylten, 143). Er bemühte sich daher sich um eine Pfarrstelle in der TheK – erfolglos, zumal er selbst bekannte »Halbarier« zu sein. Seine Bewerbungen wurden im LKR von Phieler hintertrieben. Auch die württembergische und die bayerische Kirche lehnten eine Übernahme wegen seiner rassischen Belastung ab. Am 1. April 1936 wurde er durch das Thüringische Innenministerium mit verkürzten Bezügen in den Wartestand versetzt. Sylten wurde dann durch Intervention Ernst Ottos hauptamtlicher Geschäftsführer der LBG mit Sitz in Gotha. Nach knapp zweijähriger Tätigkeit wurde er mit Redeverbot in Thüringen belegt und im März 1938 aus Thüringen ausgewiesen. Arbeit fand er im Büro Grüber (Berlin), wo er bei der Auswanderung von Juden tätig wurde. Ein von Bischof Bell / Chichester angebotenes Visum zur Ausreise lehnte er ab, da es dringendere Fälle als ihn gäbe. Anfang 1941 wurde das Büro Grüber geschlossen. Sylten wurde am 27. Februar 1941 von der Gestapo verhaftet und in das KZ Dachau eingeliefert. Als Kranker wurde er im Rahmen der berüchtigten Invalidentransporte nach Hartheim verbracht und dort vergast. (Vgl. auch LKAE, LBG 30). SZYMANOWSKI, Ernst (änderte seinen Namen 1941 in Biberstein) * 15. Februar 1899 Hilchenbach / Siegen † 8. Dezember 1986 Neumünster 1924 Pfr. Kating (Schleswig-Holstein), 1927 Kaltenkirchen; 1933 Propst Bad Segeberg und Kreisschulungsleiter NSDAP; 1935 Referent Reichskirchenministerium für das Referat X. Kirchl. und religiöses Leben, Oberregierungsrat. 1940 Kriegsdienst und Chef der Gestapo Oppeln; 1942–1943 Leiter Einsatzkommando 6 bei der Einsatzgruppe C in Südrußland; 1944–1945 Tätigkeit in der dt. Wirtschaftsverwaltung in Triest; 1948 zum Tode verurteilt; 1951 umgewandelt in lebenlängliche Haft; 1958 vorzeitig aus der Haft entlassen; 1966 wohnhaft Neumünster – Mitgl. NSDAP, 1936 SS; 1939 SS-Obersturmbannführer. TAUSCH, Friedrich * 18. Januar 1892 Schönsee Kr. Briesen (Westpreußen) † 1. März 1958 Holzminden 1929–1949 Pfr. Berlin-Tempelhof – November 1933 GDC-Gauobmann Großberlin; 1936 Mitgl. erweiterter Führerkreis, des sog. Führerrings, der DC; 1936 einer der drei Leiter des »Bundes für Dt. Christentum«.

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TEGETMEYER, Robert (Tegetm.; Tegetmr.; Tgt.; Tgm.) * 12. November 1880 Kranichborn / Sömmerda † 6. Oktober 1960 Eisenach Kaufmännische Ausbildung mit Spezialkursen in Finanzwirtschaft; 1921 Angestellter beim LKR der TheK, Leiter Finanzabteilung; Kirchenrat; 1943 Oberlandeskirchenrat; 1945 Mitgl. neugebildeter LKR der TheK; 1946 auf Grund des Reinigungsgesetzes entlassen; 1950 Ruhestand unter Aufhebung des Urteils der Spruchstelle – 1937 Mitgl. und Finanzchef KDC. THADDEN-TRIEGLAF, Reinhold von, D., Dr. jur., DD * 13. August 1891 Mohrungen (Ostpreußen) † 10. Oktober 1976 Fulda 1921–1945 Rittergutsbesitzer auf Vahnerow und Trieglaff (Pommern) – 1925–1934 Mitgl. pommersche Provinzialsynode, seit 1929 deren erster Vizepräses; auch Mitgl. altpreußische Generalsynode – Mitgl. BK: 1934–1938 Präses Bekenntnissynode und Bruderrat Pommern; Reichsbruderrat; 1936 Mitgl. Rat der DEK – 1929–1949 Mitarb., ab 1938 Vizepräsident Christl. Studentenweltbund – bis 1933 MdL (Preußen) der DNVP – Teiln. 1934 Barmen, Dahlem, 1935 Augsburg, 1936 Bad Oeynhausen. TH . Gast aus Berlin, 3. Juni 1937. TH., s. Paulssen, Therese. THAUER, Heinrich * 4. November 1910 Geroldsgrün † 1945 1934 Hilfspfr. Unterbodnitz; 1937 Verwalter Pfarrstelle Remda, 2. Februar 1945 letztes Lebenszeichen; vermisst. THERESE, s. Paulssen, Therese. THEYS, Karl * 19. Juni 1881 Bielefeld † 6. Mai 1957 Kassel Fälschlicherweise im Text oft Theiss oder Theiß; Hilfspfr. 1911–1912 Kassel-Wehlheiden, 1912–1915 Kassel-Wilhelmshöhe; Pfr. 1915–1952 Kassel-Oberneustadt; 1952 Ruhestand; Juni 1934 bis 20./29. Dezember 1934 Landesbischof Kurhessen-Waldeck; 1. Oktober 1934 Oberhofprediger Kassel-Hofgemeinde. THIEM, Hermann Ernst * 27. April 1892 Altenfeld † 22. Mai 1958 Zella-Mehlis 1929 Pfr. und Superintendent Zella-Mehlis; 1946 Entlassung auf Grund des Reinigungsgesetzes; Aberkennung der Dienstbezeichnung »Superintendent« und »Konsistorialrat«; 1947 Wiedereinsetzung als Pfr.; 1954 Kirchenrat. THIEM, Werner Verwaltungsangestellter im VD der TheK.

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THIEME, Kurt * 31. August 1899 Leipzig † 5. Oktober 1971 1920–1933 Lehrer Thräna / Regis; 1934 Angestellter VD der TheK; 1935 Schulungsleiter / Landesschulungsleiter; 1940 Dienstbezeichnung »Pfr.«; 1942 Pfr. für volkskirchl. Aufbau; 1943 Ordination u. Pfr. Farnroda; 1945 beurlaubt; 1946 Entlassung auf Grund des Reinigungsgesetzes; 1946 Pfr. Freystadt, Schlesien (Notdienst); ca. 1951 Pfr. Neulewin, Oderbruch – Mitgl. KDC; ca. 1928 Mitgl. Nationalsozialistischer Pfarrer- und Lehrerkreis des Wieratales; Verfasser von: Aus dem Wieratal ins Reich! Ursprung und Aufbruch dt. Christentums, Weimar 1939; Mitarb. Institut für die Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben. THIEME, Oskar (Thieme O.) *30. Juni 1868 Zillbach † 28. September 1943 Ilmenau 1914 Pfr. Neuenhof bei Eisenach; 1937 i.R. THOMAS, Karl * 27. Juni 1884 Gönnern † 23. März 1944 Weimar NSV-Gauleiter Gau Thüringen; 1934 Bürgermeister Weimar – 1933 Mitgl. NSDAP THOMAS‚ Lothar * 23. Mai 1900 Steinbach, Krs. Sonneberg 1926 Pfr. Bobeck; 1932 Leiter VD der TheK; 1933 Pfr. Oberhof; 1936 Pfr. dt. ev. Gemeinde Lissabon. THORMANN, NN. Mitarbeiter der Kirchenkanzlei in Berlin, Dezember 1937. TIEBEL, Gustav Landwirtschaftsrat in Stadtroda; Mitgl. 2. und 3. LKT (Thüringen) für die LBG; Laienmitglied im Bruderrat der LBG, seit Gründung. TILING, Magdalene von, D. theol. *19. Mai 1877 Riga † 28. Februar 1974 München 1934 Studienrätin Berlin; 1933 Mitgl. JRB; 1936 Mitgl. Kammer für ev. Erziehungsarbeit der DEK; 1921–1930 MdL Preußen; 1930–1933 MdR; 1917–1939 Vors. Verband ev. Religionslehrerinnen (später Verband für ev. Religionsunterricht und Pädagogik); 1923–1933 Vors. Vereinigung dt. ev. Frauenverbände Deutschlands. TITTELBACH-HELMRICH, Walter * 4. November 1893 Krefeld † 3. Juli 1974 Arnstadt 1934 Hilfspfr. Jena; 1937 Pfr., Klinikpfr. Jena. TRAUTVETTER, Dorothea (Trautvetter D.) Ehefrau des Bruders Paul der Tagebuchschreiberin.

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TRAUTVETTER, Hans (Trautvetter H. / Hänn) † 22. November 1944 Posen (infolge einer Kriegsverletzung) Sohn von Paul Trautvetter, dem Bruder der Tagebuchschreiberin. TRAUTVETTER, Hans Georg * 13. Februar 1879 † 18. Mai 1916 (gefallen) Älterer Bruder der Tagebuchschreiberin. TRAUTVETTER, Helene Dorothea, geb. Freiin von Harstall † 28. März 1943 Eisenach Schwester von Georg von Harstall, Mihla; Ehefrau von Paul Trautvetter; Mutter der Tagebuchschreiberin. TRAUTVETTER, Lina (Trautvetter L.) Schwester des Vaters der Tagebuchschreiberin (Tante Lina). TRAUTVETTER, Paul (Trautvetter P.) Jüngerer Bruder der Tagebuchschreiberin; Opernsänger in Weimar. TRAUTVETTER, Paul (Trautvetter) Vater der Tagebuchschreiberin,Weimar. TRENDELENBURG, Friedrich, Dr. jur. * 1878 † 1962 Ministerialdirektor im Reichsinnenministerium Berlin; Abteilungsleiter Kirchenabteilung bis Juni 1933; 1935–1939 Preußische Rechnungskammer Potsdam. TRENKMANN, NN. Bauer aus Hinteruhlmannsdorf, April 1936 (Ort in Deutschland unbekannt). TROOST (vermutlich gemeint: Trost, Georg) * 14. Januar 1893 Sondershausen Landwirt; 1933–1935 Kirchensteueramt Sondershausen. TSCHIANGKAISCHEK * 31. Oktober 1887 Feng Hwa (China) † 5. April 1975 Taipeh (Taiwan) Chinesischer Politiker der Kuomintang und Marschall; nach der Niederlage im Bürgerkrieg gegen die Kommunisten (Mao Tse Tung) Rückzug 1949 mit den Resten seiner Armee nach Taiwan; dort Staatspräsident einer provisorischen Regierung mit dem Anspruch für ganz China. TÜGEL, Franz * 16. Juli 1888 Hamburg † 15. Dezember 1946 Hamburg

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1916–1933 Pfr. Hamburg; 1933 Oberkirchenrat Hamburg; 1934 Bischof Hamburg – 1933–1935 (Austritt) Gauobmann GDC (Gau Hamburg) – 1931 Mitgl. NSDAP (1932 Gauredner, 1933 Kirchenfachberater); Parteiausschlussverfahren; 1937 Aufhebung und allmähliche Abwendung von der NSDAP. ULFILAS vgl. Wulfila ULMER, Friedrich, Dr. phil. D. theol. * 15. März 1877 München † 18. August 1946 Erlangen 1924 oProf. für PT Erlangen; 1932 Universitätsprediger; 1937 zwangspensioniert; 1946 Wiedereinsetzung als Prof. – 1928–1939 Bundesleiter Martin-Luther-Bund Erlangen; 1934 Gründer Rußlanddeutsches Hilfswerk und anderer ähnlicher Hilfswerke. ULRICH, Joachim, Dr. * 13. 6. 1912 Raguhn 1935 Hilfsarbeiter im VD der TheK; Schulungsleiter; 1938 Dienst beim Bund für DC Hannover; 1940 Dienstbezeichnung »Pfarrer«; 1945 Hannover. UNBEHAUN, NN. Lehrer aus Rudolstadt, Oktober 1936. UNBEHAUN, NN. Ehefrau des Lehrers Unbehaun. UNGER, Hermann Oberstudiendirektor Schleiz; Mitgl. LKT (Thüringen) 1/1933 bis 9/1933 und ab 6./7. September 1933. UNGERN-STERNBERG, Arthur, Freiherr von, Dr. theol. * 19. März 1885 Korast / Livland † 11. Juli 1949 Gera 1914 Privatdozent KG Dorpat; 1933 Oberpfr. Kirchenkreis Gräfentonna; 1946 Entlassung aufgrund des Reinigungsgesetzes, jedoch komm. Weiterbeschäftigung. UNREIN, NN. Frau aus Jena, Mai 1934. URBAN, Erich (Dr. ?) * 2. Mai 1885 Frankfurt a.O. † 9. Juni 1965 Bremen 1914 Pfr. Spandau, 1919–1955 Bremen URSEL s. Otto, Ursel.

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VAHLBRUCH, Dr. (auch: Wahlbruch) Aus Flensburg bzw. Gronenberg; Bekannter von Ruth Ohrtmann, der Tochter der Tagebuchschreiberin. VEIDT, Karl * 20. Februar 1879 Dörnberg / Unterlahn † 9. August 1946 Wiesbaden-Biebrich 1918–1944 Pfr. Frankfurt a.M.; 1944–1946 Beauftragung mit der Verwaltung einer Pfarrstelle Wiesbaden – Mitgl. BK: 1933–1934 Leiter Bruderrat PNB Frankfurt a.M.; 1934/35 Vors. Landesbruderrat Nassau-Hessen; Mitgl. Reichsbruderrat; 1935 Redeverbot; 1938/1939 Mitarb. Kirchl. Einigungswerk von Landesbischof Wurm. VEIGEL, Friedrich * 4. Mai 1908 Heilbronn † 1942 (gefallen in Rußland) Pfarrverweser Wildberg; 1935 außer Verwendung bzw. beurlaubt; 1935 Mitarb. im VD der TheK; 1936 Pfr. Eisfeld; 1939 im Wartestand. VEIL, Wolfgang Heinrich * 16. November 1884 † 2. August 1946 (auch: 1947) Besitzer einer Privatklinik in Jena; Autor: Goethe als Patient, 1926. [J.M.] VEIT, Friedrich * 18. Mai 1861 Augsburg † 18. Dezember 1948 Bayrischzell 1921 1. Kirchenpräsident LK Bayern, 11. April 1933 Rücktritt aus kirchenpolitischen Gründen; nach 1945 Seelsorge an Flüchtlingen. VERDIER, Jean * 19. Februar 1864 La-Croix-Barres (Frankreich) † 9. April 1940 Paris 1929 Erzbischof von Paris; 1929 Kardinal. VINKA, s. Jungherr VOGELSANG, NN., Dr. Mitgl. NSV und ThGG. VOLK, Helene (Volk H.) Ehefrau von Otto Volk VOLK, Otto, Dr. jur. (Volk; V.) * 5. April 1877 Kaltennordheim / Rhön † 23. Oktober 1974 Weimar Jurist; 1920–1943 Mitgl. LKR der TheK, Leiter Rechtsabteilung; Kirchenrat; Vizepräsident TheK; 1943 Wartestand; 1945 Ruhestand; 1945 Staatsdienst Weimar; Tätigkeit in der Fürsorge für entlassene Strafgefangene; Vors. Thüringer Gefängnisgesellschaft.

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VOLK, Ruth (Volk R.) Tochter des Ehepaars Helene und Otto Volk. WÄCHTLER, Fritz (Wächtl.) * 7. Januar 1891 Triebes (Thüringen) † 9. April 1945 (wegen Feigheit vor dem Feind erschossen) Volksschullehrer; 1926 Mitgl. NSDAP; 1929 Gauorganisationsleiter und stellvertr. Gauleiter; 1932 Thüringischer Volksbildungsminister; 1933 zugleich Innenminister; 1933 MdR; 1934 Mitgl. SS; 1935 NS-Gauleiter Gau Bayerische Ostmark, gleichzeitig Leiter Hauptamt für Erziehung und komm. Leiter NS-Lehrerbund; 1936 Sachbearbeiter für alle Schulfragen beim Stellvertreter des Führers; 1937 Preußischer Staatsrat; 1944 SS-Obergruppenführer. WAGNER, Adolf * 1. Oktober 1880 Algringen / Lothringen † 12. April 1944 Bad Reichenhall Tätig im Bergbau, dann Verleger; 1923 NSDAP, 1930 Gauleiterr München-Oberbayern; 1933 komm. Innenminister und stellv. bayer. Ministerpräsident. [J.M.] WAGNER, Winifred, geb. Williams * 23. Juni 1897 Hastings (England) † 5. März 1980 Überlingen Ehefrau von Siegfried Wagner (1869–1930), Sohn Richard Wagners; 1930–1945 Leiterin der Bayreuther Festspiele; 1945 Leitung im Zuge der Entnazifizierung übergeben an ihre Söhne Wieland und Wolfgang. WAHLBRUCH, richtig wohl Vahlbruch Bekannter von Ruth Ohrtmann, der Tochter der Tagebuchschreiberin. WALTER, Gertrud Angestellte beim LKR der TheK (Kirchgemeinde- und Rechts-Abteilung). WEBER, Bruno Apotheker in Kranichfeld. WEBER, Otto * 26. Juni 1894 Siegen † 2. April 1973 Hannover Jurist; 1931 NSDAP; 1932–1933 Staatsrat, beauftragt mit der Leitung des thür. Justizministeriums, 1933–1935 Justizminister; 1934–1935 NSDAP-Kreisleiter Weimar Stadt; 1935–1945 Regierungspräsident Erfurt. 1945–1948 interniert. [J.M.] WEBER, Otto, D. theol. * 4. Juni 1902 Köln † 19. Oktober 1966 St. Moritz (Schweiz) 1934 aoProf. und bis 1945 oProf. für Reformierte Theologie Göttingen; 27. September 1933 bis zum 25. November 1933 und vom 2. bis zum 22. Dezember 1933 (Rücktritt)

ANHANG

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Geistlicher (reformierter) Minister Reichskirchenregierung; komm. Verwaltung des Amtes bis zum 23. Februar 1934. WEDEMEYER, Elisabeth von * 4. April 1891 Hohen-Wartenberg † 24. Juli 1942 Erfurt Krankenschwester in Eisenach. [J.M.] WEDEMEYER, Georg von * 13. Januar 1855 Schönrade † 28. März 1941 Eisenach Rentner in Eisenach. [J.M.] WEGELEBEN, Siegfried * 3. April 1898 Dresden † 1980 1924 Bundeswart Thüringer Ev. Jungmännerbund mit Sitz Erfurt; 1933 Mitgl. NSDAP; Pfr. Berlin; Mitgl. Reichsjugendkammer; 1935–1939 Direktor Rauhes Haus Hamburg, danach Pfr. in Hamburg; 1943 Pfr in Berlin; 1968 emeritiert. WEHLING, Friedrich, Dr. jur. Beerdigung im Januar 1938. Rechtsanwalt in Eisenach; Führer der DC in der Kirchenvertretung WEICKER Johannes *11. Oktober 1870 Chemnitz (Sterbedatum nicht ermittelbar) 1902 Vikar Dresden; 1917 Archidiakonus Altenburg; 15. Oktober 1921 auf Antrag entlassen, dann Pfr. Stetten / Baden. WEIDEMANN, Heinrich, Lic. theol., Dr. phil. * 1. März 1885 Hannover † 8. März 1976 München 1925 Pfr. Bremke, 1926 Bremen; 1934 bremischer Landesbischof und stellv. Landeskirchenführer; 1941 vorläufige Dienstenthebung und Suspendierung; 1943 Einweisung in die Charité; 1944 Versetzung in den Ruhestand; Aberkennung der Rechte des geistlichen Standes durch das Landgericht Hamburg, Zuchthausstrafe und Ehrverlust – 1934 DC-Gauleiter Bremen; 1935 Austritt RDC; 1935 Hinwendung KDC – 1933 Mitgl. NSDAP, 1938 Ausschluss, Aufhebung, 1943 endgültiger Ausschluss – Teiln. 1933 Wittenberg, 1934 Berlin. WEINECK, Rudolf * 11. Juni 1885 Unterwellenborn † 22. Juli 1960 Eisenach 1929 Pfr. Großschwabhausen; zugleich Oberpfr. Kirchenkreis Jena-Land; 1952 i. R. WEINEL, Heinrich, D. theol. * 29. April 1874 Vonhausen (Hessen) † 29. September 1936 Jena 1907 oProf. für NT Jena, 1925 ST ebd.

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MARIE BEGAS

WEISSDE, NN. Gutsbesitzer aus Lauchröden, Februar 1938. WEIßLER, Friedrich, Dr. jur. * 28. April 1891 Königshütte (Oberschlesien) † 19. Februar 1937 KZ Sachsenhausen (ermordet) 1925 »Hilfsrichter« Landgericht Halle; 1932 Landgerichtsdirektor Magdeburg; 1933 Entlassung nach dem Arierparagraphen; 1935 Bürochef Kanzlei der VKL II; Mitarb. Denkschrift der VKL II an Hitler; 1936 verhaftet wegen Mitautorschaft an der Denkschrift; 1937 KZ Sachsenhausen. WERNER, Friedrich, Dr. jur. * 3. September 1897 Danzig-Oliva † 30. November 1955 Düsseldorf 1933 komm. Präsident EOK Berlin, Präsident ebd. und zugleich Präsident altpreußische Generalsynode und Präsident altpreußischer Kirchensenat; rechtskundiges Mitgl. Geistliches Ministerium der DEK vom 27. September bis zum 29. November und von 2. Dezember bis vor Weihnachten 1933 – 1933 Teiln. Wittenberg, 1934 Berlin – 1937 Leiter Ev. Kirche der APU und Kirchenkanzlei der DEK; 1945 Entlassung – Gründungsmitgl. GDC; 1933 Reichssachbearbeiter für Kirchenrecht; Leiter Arbeitsgemeinschaft DC-Regierungen; seit 1939 Vertreter Ev. Kirche der APU für das Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben – 1930 Mitgl. NSDAP; Mitgl. NS-Juristenbund. WERNER, Friedrich Herbert, Prof. Dr. theol. * 24 März 1902 Birkenfeld † 16. Mai 1992 1934 Pfr. Kosma; 1938 i.R.; 1941 Pfr. Zuffenhausen (Württemberg). WESSINGER, Julius * 14. April 1895 Stettin † Februar 1965 Jena 1932 Pfr. Saalfeld; 1939 Wehrmachtspfr.; 1947 Pfr. und Superintendent Eisenberg. WIEGAND, NN. Angestellter beim LKR der TheK (Pfründenrechnungsstelle). WIEGAND (Frau) Ehefrau des Angestellten Wiegand. WIELAND, Otto * 2. Oktober 1895 Aachen Stadtkirchner in Eisenach; 1937 strafversetzt zum Kirchensteueramt Greiz; 1939 ausgeschieden auf eigenen Wunsch. WIESEN, Joseph, Dr. * 25. Februar 1865 Ittebe (Österreich-Ungarn) gest. 15. November 1942 Theresienstadt

ANHANG

1055

Nach Studium und Promotion 1898 Landesrabbiner für Sachsen-Weimar-Eisenach mit Sitz in Stadtlengsfeld, ab 1911 in Eisenach; 1918 Pension, Betreuung der jüd. Gemeinde; September 1942 Deportation nach Theresienstadt. WILDE, Gerhard * 30 Juni 1889 † nach dem 90. Geburtstag 1979 1920 Hilfsprediger Niedersalzbrunn; 1921–1927 Pfarrer Schönwaldau / Liegnitz; 1927–1931 Pfr. Gustow / Rügen; 1931–1940 Pfarrer Stolzenhagen; 1940–1959 Pfarrer Schillersdorf; 1959 Ruhestand; Mitgl. Sydower Bruderschaft; Vors. des Pommerschen Provinzialverbandes der Berliner Missionsgesellschaft; 1946 Vertreter der Berliner Missionsgesellschaft in den Westzonen. WILM, Walter * 1893 † 1957 Pfr. verschiedene Pfarrstellen; Oktober 1935 bis Februar 1937 Mitgl. RKA (Referat Kirchenpolitik, Männerarbeit; Öffentlichkeitsarbeit). WILMS, Bernhard Vermutlich aus Eisenach; Angestellter der ThGG bis 1935. WILSON, NN. Begleiter Chamberlains im September 1938. WINKLER, Walther * 21. Juni 1878 Langenleuba-Niederhain † 22. August 1944 Altenburg 1930 Pfr. Altenburg-Rasephas; Vors. Ev. Bund. WINNIG, August * 31. März 1878 Blankenburg / Harz † 3. November 1956 Bad Nauheim Gewerkschafter und Politiker; 1919–1920 Oberpräsident von Ostpreußen; 1920 amtsenthoben, aus SPD und Gewerkschaft ausgeschlossen; 1944 Nähe zu Widerständlern. [J.M.] WISCHMEYER, NN. Frl., aus Brachrede, Oktober 1935. WITTE, NN. Missionsdirektor, Dezember 1936 [Ein Missionsdirektor Prof. Dr. J. Witte war in den 1920er Jahren Hg. des Ostasienjahrbuchs]. [J.M.] WOHLFAHRT, Dietrich, Dr. Ing. * 9. April 1910 Sagan † 2. Juli 2005 Böhl-Iggelheim

1056

MARIE BEGAS

1935 Angestellter LKR der TheK (Baustube); 1941 Regierungsbaurat; 1950 Bausachverständiger Ev.-Luth. Kirche in Thüringen; 1955 Dr. Ing. TH Dresden; 1977 Kirchenoberbaurat. WOLF, Wilhelm * 21. März 1909 † 27 März 1944 (gefallen in Rußland) 1933 Hilfspfr. Metzels; 1935 wegen Mitgliedschaft in der LBG aus dem Dienst der TheK entlassen; 1937 Ausweisung aus Thüringen und Wechsel nach Sachsen; 1938 Pfr. Dittersdorf. W. hatte die Erklärung der LBG vom 10. Juli 1935 unterzeichnet und im Gottesdienst verlesen. Nach Anhörung durch den LKR der TheK wurde er am 26. August 1935 entlassen. Er blieb in Metzels und amtierte weiter im Auftrag der LBG. Am 2. Februar 1937 verhängte die Gestapo ein Aufenthaltsverbot für Thüringen und den Kreis Herrschaft Schmakalden. Wolf beantragte beim Reichskirchenausschuss die Wiedereinsetzung in sein Amt in Metzels. Dabei berief er sich auf die Unterstützung durch die Gemeinde: bis zum Aufenthaltsverbot habe er sonntäglich zwei Andachten (statt der Gottesdienste, die abzuhalten ihm verboten seien) in Privathauszimmern »mit reichlich 100 Personen« gehalten und Kasualien durchgeführt. Nur zu Beerdigungen sei ein Bekenntnispfarrer von außerhalb gekommen, da ihm das Betreten des Friedhofs von Vorsitzenden des Kirchenvorstands versagt worden sei (LKAE, LBG 40; F 310, PA 1491). WOLFF, NN. kleines Fräulein, Mitarbeiterin beim LKR (Kasse), Januar 1936. WORBES, Justus * 20. August 1897 Nöschenroda b. Wernigerode † 8. Februar 1981 Weimar 1928 Pfr. Teichwitz; 1942 Pfr. Müchenbernsdorf, im gleichen Jahr Verbot der Amtstätigkeit; 1943 Versetzung in den Wartestand; 1946 Pfr. Moßbach (Schleiz) und Jena. W. hatte gegen Äußerungen von Reichinnenminister Frick vom 7. Dez. 1934 (Tgb. 9. Dez. 1934) öffentlich protestiert, da er die »Ehre des Pfarrerstandes« verunglimpft sah, insbesondere durch den Vorwurf der »Heuchelei«, der »Staatsfeindschaft« und des »Landesverrats«. Den Protest hatte er am 4. Advent 1934 im Gottesdienst verlesen und auch Frick direkt zugesandt, sich überdies bei der örtlichen Polizei selbst angezeigt. Am 5. Jan. 1935 zog er jedoch den Protest und auch den Vorwurf zurück, der Landesbischof Sasse sei bei seinen Ausführungen in Weida »vom Bekenntnis der Kirche abgeglitten«. Ungeachtet dessen wurde W. auf Intervention des Innenministers Wächtler in das KZ Bad Sulza überführt, aber am 25. Januar er entlassen. Ein vom LKR eingeleitestes Dienststrafverfahren endete mit einem Verweis (LKAE G 1199). 1942 wurde er erneut verhaftet, weil er einen als Meuterer erschossenen Soldaten, dessen Leiche zur Beerdigung freigegeben war, mit allen Ehren beigesetzt hatte (Tgb. 11. Nov. 1942). WULFILA * um 311 † 383 Arianischer Bischof der Westgoten; übersetzte die Bibel ins Gotische.

ANHANG

1057

WURM, Theophil, D. theol. * 7. Dezember 1868 Basel † 28. Januar 1953 Stuttgart Pfr.; 1929–1949 württembergischer Kirchenpräsident (ab 1933 mit dem Titel »Landesbischof« der Ev.-Luth. Kirche in Württemberg); 1934 vorübergehend beurlaubt und pensioniert; 1937 Redeverbot; 1941 Gründer Kirchl. Einigungswerk; Protest gegen Euthanasiemaßnahmen, 1943 gegen Vernichtung der Juden; 1945–1949 Vors. des Rates der EKD – Mitgl. BK: 1934 Reichsbruderrat – 1934/35 Lutherischer Rat; 1936 Lutherrat – Teiln. 1934 Barmen, 1935 Augsburg. WURMSTICH, Werner, Dr. * 14. Januar 1888 Schleiz 1921 Staatsanwalt; 1924 Erster Staatsanwalt in der Generalstaatsanwaltschaft; 1928 Oberstaatsanwalt; 1. Mai 1929 Generalstaatsanwalt; Mitgl. der ThGG. [J.M.] ZAHN, Karl Friedrich * 30. Dezember 1900 Viersen (Rheinland) † 19. April 1943 (gefallen) 1931–1934 Pfr. Aachen; 1933–1937 Reichsjugendpfr.; 1934 Oberkirchenrat – 1933 Mitgl. der SA; 1934 Ausschluss aus der SA. ZÄNKER, Otto, D. theol. * 29. Juni 1876 Herzkamp (Westfalen) † 30. Januar 1960 Bielefeld 1924 Pfr. Münster; 1925 Generalsuperintendent Schlesien; 1933 Bischof Breslau; 1941 Amtsenthebung wegen Mitgliedschaft in der BK; 1945 Ausweisung aus Schlesien durch den Gauleiter – Mitgl. Lutherischer Rat – Teiln. 1934 Barmen, 1935 Augsburg. ZENKER, Friedrich * 12. Mai 1884 Ellrich † 1. Februar 1958 Eisenach 1921 Verwaltungsangestellter LKR der TheK (Registrator); 1923 Amtmann; 1925 Kirchenoberamtmann; 1944 Kirchenverwaltungsrat. ZIEGLER, Hans * 8. Juni 1904 München † 12. November 1967 Worms 1928–1929 Stadtvikar Weiden / Opf.; 1929 gewählt Bremen St. Remberti; 1930–1943 und 1945–1946 Pfr. Nobitz b. Altenburg; 1943–1944 Angestellter Kirchensteueramt Augsburg; i.W. Nach Flucht in die BRD am 10. Okt. 1952 entlassen; 1953–1955 Pfarrverw. Hofheim / Nassau-Hessen. Einer der wenigen Pfr., die in Thüringen Schwierigkeiten wegen ihrer jüdischen Abkunft hatten. ZIEGNER, Oskar * 13. Dezember 1892 Querfurt † 15 Mai 1963 Berlin-Weißensee 1934 Pfr. Warza; Geschäftsführer Finsterbergener Arbeitskreises; 1937 Vors. WB (Thüringen); 1945 Mitgl. neugebildeter LKR, Kirchenrat; 1946 Oberkirchenrat und Visitator des Aufsichtsbezirkes West; 1948 Dezernent für Katechetik.

1058

MARIE BEGAS

ZIERFUß, NN., Dr. Redner auf einem Schulungskurs der NSDAP vom 14.–27. Juli 1935 in der Staatsschule Bad Berka. ZIMMERMANN, Walter * 14. April 1902 Essen-Rüttenscheid † 15. März 1972 Berlin 1927 Stiftsprediger Altenburg; 1934 Gründungsmitgl. LBG (Bruderrat); 1945 Kirchenrat, Mitgl. Landeskirchenrat der TheK; 1946 Oberkirchenrat; 1949 Vizepräsident des Luth. Kirchenamts Berlin. ZIMMERMANN, NN. Adjudant des Gebietsführers der HJ Thüringen Günther Blum. ZIMMERMANN, NN. Frau; Angestellte beim LKR der TheK. ZINKEISEN, Amelie Aus Eisenach, November 1938. ZOELLNER, Wilhelm (Zoelln.), D. theol. * 30. Januar 1860 Minden † 16. Juli 1937 Düsseldorf-Oberkassel 1897 Leiter Diakonissenanstalt Kaiserswerth; 1905–1930 Generalsuperintendent Westfalen; Oktober 1935 bis Februar 1937 Vors. RKA; 1934/35 Mitgl. Lutherischer Rat; 1936 Vors. Theologische Kammer der DEK. ZORN, Kurt * 22. Dezember 1888 Wolfersdorf † 18. März 1972 Wolfersdorf 1915 Vikar; 1917 Pfr. Frießnitz; 1922 Regierungsrat LKR Eisenach; 1928 Pfr. Clingen; 1934 Pfr. Jena; 1941 beurlaubt, 1942 i.R.. ZUNKEL, Gustav Dr. * 19. November 1886 Ollendorf † 8. Dezember 1934 Weimar (Verkehrsunfall) Bruder von H. Zunkel. Nach Studium und Promotion Gymnasiallehrer; 1928 NSDAP; MdR 1930–1933; 1932–1933 Gruppenführer SA Thüringen; 1933 Abteilungsleiter für Unterricht und Erziehung im Preuß. Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung; 1933–1934 Staatsrat in der thür. Landesregierung. ZUNKEL, Hermann * 2. August 1893 Vieselbach † 29. Mai 1975 Altenburg Bruder von G. Zunkel; 1921 Pfr. Vieselbach; 1937 Oberpfr. Kirchenkreis Vieselbach; 1954 Superintendent Vieselbach, 1964 i.R.

ANHANG

1059

3.2. Übersicht Strichzeichnungen

(a) Männerkopf – Friedrich Bernewitz

(b) Männerkopf mit Hakenkreuz – Otto Fritz

(c) Frauenkopf mit Locken – Hanna Linde

(d) nicht identifizierte Zeichnungen

(e) Hakenkreuz nicht identifiziert

(f) Zwei Frauenköpfe – nicht identifiziert

(g) Mütze/Hut mit Hakenkreuz – vermutlich Gerhard Phieler

(h) Frauenkopf mit Zöpfen – nicht identifiziert

(i) Frauenkopf mit Hakenkreuz – Gertrud Walter

MARIE BEGAS

1060

3.3. Ortsbezeichnungen und eigentümliche Begriffe im Tagebuch Annenkirche

Kirche für den Sprengel Eisenach-Mitte

Argus

ARGUS Nachrichten-Bureau G.m.b.H., Wilhelmstr. 30–31, Berlin SW. Zeitschriftenausschnittsdienst

Baustube

Abteilung des LKR, befasst mit Bauangelegenheiten der Landeskirche

Betrieb

Jargon für den Pflugensberg in Eisenach, Dienststelle der Kirchenleitung und der zentralen Verwaltung der TheK

Bismarck

Denkmal in Eisenach

Bruns

Zigarrenfabrik in Eisenach (Rennbahn), gegründet 1837

Bücherei

Abteilung der LKR, Bibliothek

Clemda

Restaurant der Eisenacher Aktienbrauerei

Clemenskapelle

eine der ältesten Kirchen in Eisenach-Ost (13. Jahrh.)

Deutsches Haus

Gaststätte im Zentrum von Eisenach

Einladungsabend

Private Zusammenkunft von Mitgliedern der LBG in Eisenach, zu der Ernst Otto persönlich einlud, nachdem er 1938 in den Wartestand versetzt worden war, also nicht mehr offizielle Gemeindeveranstaltungen durchführen durfte.

Elgersburg

bei Ilmenau, Tagungsort u.a. von Gruppen der TheK

Elisabethenruhe

Gaststätte im Mariental bei Eisenach

Erholung

Gaststätte mit Saal im Zentrum von Eisenach

Familienabend

wohl Gruppe Vertrauter um E. Otto, mit der er kirchenpolitische Fragen besprach

ANHANG

1061

Friedrichroda (Haus Reinhardsberg)

Tagungsstätte der TheK

Fürstenhof Georgenkirche

Kurhaus-Hotel in Eisenach (s.u.) Hauptkirche der TheK; ständige Predigtstelle des Bischofs bzw. Präsidenten

Geschäftsstelle

Abteilung des LKR, befasst mit Ein- und Ausgängen

Große Halle

Saal in Schloss Pflugensberg, in dem u.a. auch die Landeskirchentage (Synoden) der TheK stattfanden

Hainstein

Tagungshaus oberhalb der Stadt Eisenach

Hinter der Mauer

Gemeindehaus der Stiftsgemeinde Eisenach (s.u.)

Hospiz

Christliches Hospiz Eisenach (Hotel)

Kahle

Druckerei und Verlag (u.a. Eisenacher Zeitung)

Karthausgarten

Parkanlage im Zentrum von Eisenach

Klante

Buchhandlung Stümeier in Eisenach (Obere Querstraße) Geschäftsführer: Wilhelm Klante

Kirchmeister

Küster; Kirchendiener

Kreuzkirche

bis 1967 Kirche der Gemeinde Eisenach-West; danach Sitz des Landeskirchenarchivs

Kurhaus-Hotel

Hotel mit Saal im Zentrum von Eisenach (Fürstenhof)

Lackner

Café und Konditorei in Eisenach, Inhaber Gebr. Lackner

Landeskirchenrat (LKR) Leitende Behörde der TheK auf dem Pflugensberg, bis 1945 auch Bezeichnung für die Verwaltung der Kirchenleitung (später: Landeskirchenamt) Landeskirchentag (LKT) mit Gründung der TheK 1921 eingeführte Bezeichnung für die Landessynode

MARIE BEGAS

1062 Landesoberpfarrer

mit Gründung der TheK 1921 eingeführte Bezeichnung für Präsident, Präses oder Bischof der Landeskirche

Leuchtenburg

bei Kahla, beliebter Feier- und Tagungsort, besonders für Jugendverbände

Luisenstraße 12

Sitz der Thüringer DC, ab 1938 auch Reichsgeschäftsstelle der Nationalkirchlichen Einung

Lutherdenkmal Marienstraße 17

auf dem Karlsplatz im Zentrum von Eisenach gemeinsame Wohnung der Tagebuchschreiberin und ihrer Mutter

Matheus

Geschäft für Bürobedarf in Eisenach, Inhaber Georg Matheus

Milchkammer

Festplatz im Stadtwald von Eisenach

Neudietendorf

Sitz der Brüdergemeine, kirchliches Tagungshaus

Neulandhaus

Tagungshaus der von Guida Diehl gegründeten sogenannten »Neulandbewegung«

Nikolaikirche

alte Kirche (13. Jahrh.) für den Sprengel Eisenach-Ost

Pflugensberg

Landhaus / Schloss; Sitz der Kirchenleitung u. der zentralen Verwaltung (ab 1945: Landeskirchenamt) der TheK

Prellerstraße 9

Wohnung der Familie Ernst Otto, Sitz und Büro der LBG bis 1936; dann nach Gotha zu Gerhard Bauer verlegt

Rautenkranz

Hotel in Eisenach

Roter Saal

Saal im Nebengebäude von Schloss Pflugensberg (früher VD)

Schmelzerhof

Gaststätte mit Saal im Zentrum von Eisenach

Sophienhaus

Diakonieverband Weimar; Krankenhaus und Ausbildungsstätte von Schwestern

ANHANG

1063

Sophienhof

Hotel in Eisenach

Stadtkirchner

Küster; Kirchendiener

Stedten

bei Erfurt, Schloss des Grafen v. Keller; Versammlungsort von Pfarrern der LBG

Stiftsgemeinde

mit Stiftung des Diakonissenhauses enstandene Gemeinde

Stümeier

Buchhandlung (Obere Querstraße)

Süße Ecke

Café im Zentrum von Eisenach

Thüringer Kirchliche Konferenz Zusammenschluss von lutherischen Pfarrern seit 1848; jährlich im Herbst mehrtätige Konferenz in Neudietendorf; Mitglied der Allgemeinen Evangelisch-Lutherischen Konferenz Volksdienst

Besonderheit der TheK seit 1921; eigene Institution für volksmissionarische Tätigkeit (Presse-, Jugend- und Frauenarbeit, gemeindedienstliche Belange; ab Herbst 1933 Propagandazentrale der DC in Thüringen. Die Geschäftsstelle befand sich in einem Nebengebäude

Weißer Saal

Saal im Schloss Pflugensberg

Zentrale

Telefonzentrale und Poststelle auf dem Pflugensberg

Zimmermann

Restaurant und Hotel im Zentrum von Eisenach

MARIE BEGAS

1064

3.4. Abkürzungsverzeichnis AELKZ aoProf. aplProf. APU Argus / ARGUS AT/A.T. atl. BBKL BDM/B.D.M. BfDC BK/B.K. B.M.W. BNSDJ BrDC CA C.A. ChW C.V.J.M. D. DAF DC/D.C. DCSV DD. DEK/D.E.K. DGB DNVP Doz. DtC Dt., dt. DtF DVP ebd. EdR EKiD EKL em. EOK ev. EZA

Allgemeine Evangelisch-Lutherische Kirchenzeitung außerordentlicher Professor außerplanmäßiger Professor Altpreußische Union ARGUS Nachrichten-Bureau G.m.b.H., Berlin Altes Testament alttestamentlich Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon Bund Deutscher Mädel in der HJ Bund für Deutsches Christentum Bekennende Kirche Bayerische Motorenwerke (mit Werk in Eisenach) Bund Nationalsozialistischer Deutscher Juristen Briefe an deutsche Christen; ab Januar 1937: »Die Nationalkirche. Briefe an deutsche Christen« Confessio Augustana Centralausschuß für die Innere Mission Christliches Wort Christlicher Verein Junger Männer Doktor der Theologie ehrenhalber Deutsche Arbeitsfront Deutsche Christen Deutsche Christliche Studentenvereinigung Doctor of Divinity Deutsche Evangelische Kirche Deutsche Glaubensbewegung Deutschnationale Volkspartei Dozent Deutsches Christentum Deutsch, deutsch(e/r) Deutsche Frömmigkeit Deutsche Volkspartei ebenda Evangelium im Dritten Reich Evangelische Kirche in Deutschland Evangelisches Kirchenlexikon emeritiert Evangelischer Oberkirchenrat der Altpreußischen Union evangelisch Evangelisches Zentralarchiv (in Berlin)

ANHANG

GAV GAW GDC GDEK geistl. Gestapo GuH Hg. hg.v. HJ/H.J. HonProf. I.M. i.R. i.W. JRB JK jur. KA kath. KDC

K.d.F. KG KiHo kirchl. KJ KMD komm. KR/K.R./Krat KZ Labi LAG LBG Lic. theol. LK LKA

1065 Evangelischer Verein der Gustav-Adolf-Stiftung Gustav-Adolf-Werk Glaubensbewegung Deutsche Christen [1932– 1933] Gesetzblatt der Deutschen Evangelischen Kirche geistlich Geheime Staatspolizei Glaube und Heimat (Evangelisches Sonntagsblatt für Thüringen) Herausgeber/in herausgegeben von Hitlerjugend Honorarprofessor/in Innere Mission im Ruhestand im Wartestand Jungreformatorische Bewegung Junge Kirche juristisch Kirchenausschuss katholisch Kirchenbewegung »Deutsche Christen«: 1927 Anfänge; 1931 »Deutsche Christen«; 1932 Kirchenbewegung »Deutsche Christen«; 1933 Kirchenbewegung »Deutsche Christen« (Nationalkirchliche Bewegung); 1938 »Deutsche Christen« Nationalkirchliche Einung Kraft durch Freude Kirchengeschichte Kirchliche Hochschule kirchlich Kirchliches Jahrbuch für die evangelische Kirche in Deutschland Kirchenmusikdirektor komissarisch Kirchenrat Konzentrationslager Landesbischof Lutherische Arbeitsgemeinschaft Lutherische Bekenntnisgemeinschaft (in Thüringen) Licentiat der Theologie Landeskirche Landeskirchenamt

1066 LKAE

LKK LKR/L.K.R LKT/L.K.T. L.O.Pfr. luth. Lutherrat MDEK MdL MdR Mitarb. Mitgl. NaKi NkE ns NS/N.S. NSBO NSDAP/N.S.D.A.P. NSDStB NSF NSLB NSRWB NSV NT/N.T. ntl. OKR/O.K.R. o.J. o.O. oProf.

MARIE BEGAS

Landeskirchenarchiv der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen in Eisenach Zitiert werden folgende Aktenbestände: A – Allgemeine Verwaltungsakten Teil 2 DC – Deutsche Christen G – Geistliche (Teil des Bestandes PA) K – Kirchengemeindeakten Allgemeines LBG – Lutherische Bekenntnisgemeinschaft L – Landeskirchenamt Personal (Teil des Bestandes PA) MM – Nachlass Moritz Mitzenheim PA – Personalakten R – Landeskirchenamt Rechtsabteilung WB – Wittenberger Bund Landeskirchenkanzlei Landeskirchenrat Landeskirchentag Landesoberpfarrer lutherisch(e/r) Rat der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands Mitteilungsblatt der Deutschen Evangelischen Kirche Mitglied des Landtags Mitglied des Reichstags Mitarbeit, Mitarbeiter/in Mitglied Die Nationalkirche. Briefe an deutsche Christen Nationalkirchliche Einung Deutsche Christen nationalsozialistisch Nationalsozialismus Nationalsozialistische Betriebszellenorgaisation Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Nationalsozialistischer Deutscher Stundentenbund Nationalsozialistische Frauenschaft Nationalsozialistischer Lehrerbund Nationalsozialistischer Rechtswahrerbund Nationalsozialistische Volkswohlfahrt Neues Testament neutestamentlich Oberkirchenrat ohne Jahr ohne Ort ordentlicher Professor

ANHANG

Pfr. Pg. PK PNB Privatdoz. Prof. prot. PT R.B. RDC Reibi RGG RKA/R.K.A. RKM/R.K.M. RKZ RU SA/S.A. SPD SS/S.S. ST Stellvertr. Teiln. Tgb. TheK theol. Th.G.G. ThHtK ThKbl/A ThKbl/B ThVBM TRE u.a. USPD V.D.A. VB/V.B. VD/V.D. VDSt

1067 Pfarrer Parteigenosse Propagandakompanie Pfarrernotbund Privatdozent Professor protestantisch Praktische Theologie Reichsbischof Reichsbewegung Deutsche Christen 1934; 1938 Luther-Deutsche Reichsbischof Religion in Geschichte und Gegenwart Reichskirchenausschuß Reichkirchenministerium Reichskirchenzeitung Religionsunterricht Sturmabteilung Sozialdemokratische Partei Deutschlands Schutzstaffel Systematische Theologie Stellverteter/in, stellvertretend Teilnehmer/in Tagebuch Thüringer evangelische Kirche theologisch(e/r) Thüringer Gefängnisgesellschaft Thüringer Heimatkorrespondenz Thüringer Kirchenblatt und Kirchlicher Anzeiger. Gesetz- und Nachrichtenblatt der Thüringer evangelischen Kirche A. Gesetze und Verordnungen Thüringer Kirchenblatt und Kirchlicher Anzeiger. Gesetz- und Nachrichtenblatt der Thüringer evangelischen Kirche B. Kirchliche Anzeigen Thüringer Volksbildungsministerium Theologische Realenzyklopädie unter anderem Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands Volksdienst Volksbund für das Deutschtum im Ausland Völkischer Beobachter Volksdienst Verein Deutscher Studenten

1068 VELKD VKL II [Zweite] VKL VO Vors. WB WHW

MARIE BEGAS

Vereinigte Ev.-Lutherische Kirche Deutschlands Vorläufige Kirchenleitung [ab 12. März 1936] [Erste] Vorläufige Kirchenleitung Verordnung Vorsitz, Vorsitzende/r Wittenberger Bund Winterhilfswerk

ANHANG

1069

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Für Ergänzungen (insbesondere der nach 2010 erschienenen Literatur) ist Herrn Prof. Dr. Gunther Mai (Erfurt / Meiningen) zu danken.

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EICHEL-STREIBER, FRIEDRICH VON: ([Zweite] Rede am 9. Januar 1934), in: 2. Tagung des Vierten Thüringer Landeskirchentages am 9. Januar 1934. Im Verlag des Landeskirchenrats der Thüringer evangelischen Kirche in Eisenach [gedruckt in Gotha], Eisenach 1934, 32–34. EILERS, Rolf: Die nationalsozialistische Schulpolitik. Eine Studie zur Funktion der Erziehung im totalitären Staat, Köln 1963. EIN WORT DES LUTHERISCHEN RATES AN DIE GEMEINDEN, JK 4 (1936), 383–384. ENZYKLOPÄDIE DES NATIONALSOZIALISMUS, s. Benz u.a. FASCHER, Erich: Die theologische Grundhaltung der Kirchenbewegung Deutsche Christen, BrDC 4 (1935), 147–148. 161–163. 175–176. FASCHER, Erich: Ketzerrichterei oder Toleranz. Ein Bremer Vortrag (»Die Christus bekennende Reichskirche«. Eine Schriftenreihe 2), Bremen 1935. FASCHER, Erich und LEUTHEUSER, Julius: Ein theologisches Mißverständnis. Unsere Antwort an Paul Althaus, Weimar o.J. [1935]. FASCHER, Erich: »Volksgemeinschaft und Christusglaube«. Die theologischen Grundlinien der Kirchenbewegung »Deutsche Christen«, Weimar 1935 o. 1936. FAULENBACH, Heiner: Ein Weg durch die Kirche. Heinrich Josef Oberheid (Schriften des Vereins für Rheinische Kirchengeschichte 105), Köln 1992. FISCHER, Joachim: Die sächsische Landeskirche im Kirchenkampf 1933–1937 (Arbeiten zur Geschichte des Kirchenkampfs Ergänzungsreihe 8), Göttingen 1972. FLEISCHMANN-BIESTEN, Walter: Der Evangelische Bund in der Weimarer Republik und im sogenannten Dritten Reich (Europäische Hochschulschriften T 23), Frankfurt a.M. u.a. 1989. FÜRBITTE. Die Listen der Bekennenden Kirche 1935–1944, s. GRÜNZINGER / WALTER. GAILUS, Manfred: Protestantismus und Nationalsozialismus. Studien zur nationalsozialistischen Durchdringung des protestatischen Sozialmilieus in Berlin (Industrielle Welt 61), Köln u.a. 2001. GEDAT, Gustav Adolf: Ein Christ erlebt die Probleme der Welt. Versuch einer volkstümlichen Einführung in das Weltgeschehen unserer Tage, Stuttgart 271936. GERLACH-PRAETORIUS, Angelika: Die Kirche vor der Eidesfrage. Die Diskussion um den Pfarrereid im Dritten Reich (Arbeiten zur Geschichte des Kirchenkampfs 18), Göttingen 1967. GERSTENHAUER, Max Robert: Die religiöse Bewegung und der Deutschbund, Deutschbund-Blätter 41 (1936), 17–26. GEUDER, Karl: Im Kampf um den Glauben. Wie ich Bekennende Kirche erlebte (Erinnerungen und Dokumente aus der Zeit des »Dritten Reichs«), Schweinfurt 1982. GIBBS, Philip: England spricht (Ordeal in England, Deutsch), Berlin 1937. GÖRNER, Rüdiger: Das Tagebuch. Eine Einführung (Artemis Einführungen 26), München / Zürich 1986. GOETZ, Wolfgang: »Größenwahn« bei Pschorr und anderswo. Erinnerungen an Berliner Stammtische, Berlin 1936, 29–37. GOLD, Helmut u.a. (Hg.): @bsolut privat!? Vom Tagebuch zum Weblog (Kataloge der Museumsstiftung Post und Telekommunikation 26), Frankfurt 2008 (Ausstellungskatalog). GOLLWITZER, Helmut: Die Thüringer Deutschen Christen und die evangelische Kirche, JK 4 (1936), 833–845.

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KÜHL-FREUDENSTEIN, Olaf: Evangelische Religionspädagogik und völkische Ideologie. Studien zum Bund für deutsche Kirche und der Glaubensbewegung Deutsche Christen (Forum zur Pädagogik und Didaktik der Religion. N.F. 1.2), Würzburg 2003. KÜHNL, Reinhard: Der deutsche Faschismus in Quellen und Dokumenten (Kleine Bibliothek 62), Köln 1975. KÜNNETH, Walter: Antwort auf den Mythus. Die Entscheidung zwischen dem nordischen Mythus und dem biblischen Christus, Berlin 1–31935; 41936. KÜNNETH, Walter: Lutherische Neubesinnung!, JK 4 (1936), 369–375. KÜNNETH, Walter: Evangelische Wahrheit! Ein Wort zu Alfred Rosenbergs Schrift »Protestantische Rompilger«, Berlin 1937. KUESSNER, Dietrich und SAUL, Norbert: Die ev.-luth. Landeskirche in Braunschweig und der Nationalsozialismus. Materialsammlung zur Ausstellung, Braunschweig 1982. KUNDGEBUNG DES PREUßISCHEN LANDESKIRCHENAUSSCHUSSES am Reformationstag in Wittenberg vom 31. Oktober 1935, Deutsch-Evangelische Korrespondenz 34 (1935), Nr. 45 vom 6. November 1935, 1. KUNISCH, Johannes: Friedrich der Große. Der König und seine Zeit, München 42005. KUNZE, Gerhard: Zum Fest der deutschen Kirchenmusik. 7. bis 13. Oktober in Berlin, JK 6 (1937), 857–862. KUPISCH, Karl: Kirchengeschichte 5. Das Zeitalter der Revolutionen und Weltkriege, Stuttgart 21986. KUPISCH, Karl (Hg.): Quellen zur Geschichte des deutschen Protestantismus 1871 bis 1945 (Siebenstern Taschenbuch 41/42), München 1965. KUROPKA, Joachim (Hg.): Zur Sache – Das Kreuz. Untersuchungen zur Geschichte des Konflikts um Kreuz und Lutherbild in den Schulen Oldenburgs, zur Wirkungsgeschichte eines Massenprotests und zum Problem nationalsozialistischer Herrschaft in einer agrarisch-katholischen Region, Vechta 1987. KUROPKA, Joachim: »Das Volk steht auf«. Zur Geschichte, Einordnung und Bewertung des Kreuzkampfes in Oldenburg im Jahre 1936, in: KUROPKA (Hg.), Zur Sache – Das Kreuz, 11–55. LAIBLE, Wilhelm: Eine Wendung im deutschen Volk, AELKZ 68 (1935), 1022–1023. LAIBLE, Wilhelm: Politisches Christentum, AELKZ 68 (1935), 1210–1215. LAIBLE, Wilhelm: Ein großer Tag in Sachsen [Redaktionsartikel], AELKZ 69 (1936), 534– 542. LAIBLE, Wilhelm: Sind die Thüringer »Deutschen Christen« Irrlehrer?, AELKZ 69 (1936), 943–948. LANDESGEMEINDE THÜRINGEN DER DEUTSCHEN CHRISTEN: Die Deutschen Christen trennen sich von der Reichsleitung Hossenfelders. Authentische Erklärungen zur Lage, Thüringer Heimatkorrespondenz 18 (1933), Nr. 104 (27. November 1933), 1. [DER] LANDESKIRCHENRAT der Thüringer evangelischen Kirche [Druckschrift ohne Titel, aber mit dem Vermerk »vertraulich«]: Eisenach, im August 1935 [24 Seiten; LKAE, LBG 241, 1]. [DER] LANDESKIRCHENRAT der Thüringer evangelischen Kirche (Hg.): Der Landeskirchenrat der Thüringer evangelischen Kirche und die Bekenntnisfront. Zum Kampf um die Autorität der Kirche, Jena 1935.

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LANDESKIRCHENRAT der Thüringer evangelischen Kirche (Hg.): Antwort des Thüringer Landeskirchenrats auf das »Theologische Gutachten über die Thüringer Richtung der Deutschen Christen«, ThKbl/B 1926, 73–78. LANDESKIRCHENRAT der Thüringer evangelischen Kirche (Hg.): »Zur gegenwärtigen Lage«, ThKbl/B 1926, 78–80. LANDESKIRCHENRAT der Thüringer evangelischen Kirche (Hg.): Zur kirchlichen Lage in Thüringen, Thüringer Heimatkorrespondenz 21 (1936), Nr. 37, 1–2. LANDESKIRCHENRAT der Thüringer evangelischen Kirche (Hg.): Der »Lutherische Rat« erläutert den Brief des Reichsminister für die kirchlichen Angelegenheiten, ThKbl/B 1936, 99–100. LANDESKIRCHENRAT der Thüringer evangelischen Kirche (Hg.): Die Stellung des Thüringer Landeskirchenrats zur deutschen Erziehungs- und Schulfrage, ThKbl/B 1936, 81– 87. LANGNER, Erwin: Das kommende Glaubensgespräch, Die Christliche Welt 52 (1938), Nr. 1, 25–28. LEFFLER, Siegfried: [Rede am 9. Januar 1934], in: 2. Tagung des Vierten Thüringer Landeskirchentages am 9. Januar 1934. Im Verlag des Landeskirchenrats der Thüringer evangelischen Kirche in Eisenach, Eisenach 1934, 30–32. LEFFLER, Siegfried: Christus im Dritten Reich der Deutschen. Wesen, Weg und Ziel der Kirchenbewegung »Deutsche Christen«, Weimar 1935; 21937. LEFFLER, Siegfried: Der Weg der Kirchenbewegung der »Deutschen Christen«, BrDC 3 (1934), 193–198. LEFFLER, Siegfried: Die deutsche evangelische Kirche und ihre Totengräber (Zur kirchlichen Lage), BrDC 3 (1934), 208–209. LEFFLER, Siegfried: Rede zur zweiten Reichstagung der Kirchenbewegung »Deutsche Christen«, BrDC 4 (1935), 257–261. LEFFLER, Siegfried: Die Kirchenbewegung Deutsche Christen, ihre Stellung zur Kirche und den religiösen Bewegungen der Gegenwart. Rede des Reichsgemeindeleiters auf der Arbeitstagung in Weimar am 5. Mai 1935, BrDC 4 (1935), 129–130, 134–137. LEFFLER, Siegfried: Der Weg der Deutschen Christen. Kirchenpolitischer Verein oder geistige Bewegung. Der endgültige Bruch mit den Deutschen Christen Berliner Richtung, BrDC 4 (1935), 210–210b. LEFFLER, Siegfried: Die kirchliche Lage, BrDC 4 (1935), 227–229. LEFFLER, Siegfried: Scheidung der Geister, BrDC 5 (1936), 152–153. LEFFLER, Siegfried: Jahreswende – Zeitenwende, NaKi 6 (1937), 1–2. LEFFLER, Siegfried: Unser Weg. Rede im Sportpalast in Berlin, 28. Mai 1938, Weimar 1938. LEFFLER, Siegfried: Der Weg der Deutschen Christen von Siegfried Leffler aus der Rede im Sportpalast zu Berlin, NaKi 7 (1938), 220–224 (Auszug aus der vorstehenden Publikation »Unser Weg«). LEHMANN, Paul: Der Todeskampf der Christentümer und die gegenwärtige Wiedergeburt des Urchristentums im Deutschen Volk. Gegen die Lüge vom Neuheidentum. H. 1: Entartung kirchlicher Bekenntnispraxis und Wiedergeburt der ursprünglichen Gesetze religiöser Formgestaltung der arischen Christenheit, Stuttgart 1937, H. 2: Wiedergeburt christlicher Kerngedanken. 1. Seitheriger Verfall urchristlichen Seelentums. 2. Wiedergeburt des christlichen Glaubens an Gottmenschentum, Stuttgart 1937.

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LE SEUR, Eduard: Evangelischer Gottesdienst oder deutsche Gottesfeier? [ca. 1938]. LEUTHEUSER, Julius: Luther in Worms und Hitler am 12. November, GuH [Monatsausgabe] 10 (1933), Nr. 11, Titelblatt, im November. – Der Text ist ebenfalls abgedruckt in: BrDC 2 (1933), 169. LEUTHEUSER, Julius: Rede auf der Haupttagung, BrDC 3 (1934), 199. LEUTHEUSER, Julius: Die deutsche Christusgemeinde. Der Weg zur deutschen Nationalkirche, Weimar o.J. [1934]. LEUTHEUSER, Julius: Die deutsche Christusgemeinde und ihre Gegner. Eine Antwort an Herrn Pfarrer Ernst Otto und die lutherische Bekenntnisgemeinschaft in Thüringen, Weimar o.J. [1933 o. 1934]. LEUTHEUSER, Julius: Die Nationalkirche, NaKi 6 (1937), 3–4. LEUTHEUSER, Julius: Judenkirche oder Christuskirche der Deutschen, NaKi 6 (1937), 25– 26. LIEBMANN, Maximilian: Theodor Innitzer und der Anschluß. Österreichs Kirche 1938 (Grazer Beiträge zur Theologiegeschichte und kirchlichen Zeitgeschichte 3), Graz u.a. 1988. LIEDER FÜR GOTTESFEIERN, hg. v. Paul Schwadtke, Verlag Deutsche Christen Weimar 1938. LILJE, Hanns: Gottes Hand über der Kirche, JK 3 (1935), 2–3. LOOSS, Helmut: Offener Brief an Herrn Pastor Ernst Otto, als Manuskript gedruckt, o.O. o.J. [Eisenach 1936]. MÄNNEL, Alfred: So verlief das Arbeitstreffen!, NaKi 6 (1937), 191–192. MASER, Peter (Hg.): Der Kirchenkampf im Deutschen Osten und in den deutschsprachigen Kirchen Osteuropas (Kirche im Osten - Monographienreihe 22), Göttingen 1992. MAURICIO, Amalia dos Santos: Wie ist dieVersammlung in der Münsterlandhalle am 25. November 1936 wirklich verlaufen?, in: KUROPKA (Hg.), Zur Sache – Das Kreuz, 357– 365. MEIER, Kurt: Die Deutschen Christen. Das Bild einer Bewegung im Kirchenkampf des Dritten Reichs, Göttingen 31967. [Meier, Die Deutschen Christen] MEIER, Kurt: Der evangelische Kirchenkampf. Bd. 1: Der Kampf um die »Reichskirche«. Bd. 2: Gescheiterte Neuordnungsversuche im Zeichen staatlicher »Rechtshilfe«. Bd. 3: Im Zeichen des zweiten Weltkrieges, Göttingen 21984. [Meier, Kirchenkampf I–III] MEIER, Kurt: Kreuz und Hakenkreuz. Die evangelische Kirche im Dritten Reich (dtv 4590), München 1992. [Meier, Kreuz] MEIER, Kurt: Kreuz und Hakenkreuz. Die evangelische Kirche im Dritten Reich (dtv 30810). Neuausgabe, München 2001. [Meier, Kreuz und Hakenkreuz] MEYER-ERLACH, Wolf: Das neue Deutschland und die christliche Verkündigung, Weimar 1934. MEYER-ERLACH, Wolf: Kirche oder Sekte. Offener Brief an Herrn Landesbischof D. Meiser, München u. Weimar 1934. MEYER-ERLACH, Wolf: Kirchenpolitischer Leichtsinn oder christliche Verantwortung?, BrDC 5 (1936), 189–192. MEYER-ERLACH, Wolf: Verrat an Luther, 2. Aufl., 4. u. 5. Tausend, Weimar o.J. [1936].

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SCHREIER, Beate: Die Gründung der Thüringer evangelischen Kirche und ihr Weg während der Weimarer Republik, in: SEIDEL, Thüringer Gratwanderungen, 16–32. SCHROTH, Hansgeorg: Der Weg der deutschen Nationalkirche (Stoffsammlung für Schulungsarbeit Nr. 34 [2. Reihe Nr. 3]; hg. von der Apologetischen Zentrale Berlin-Spandau), Berlin 1935. SCHUBRING, Wilhelm: Jahreswende – Kirchenwende?, Protestantenblatt 68 (1935), 818– 821. SCHUBRING, Wilhelm: Grundmanns Grundhaltung, Protestantenblatt 71 (1938), 563. SCHUCHARDT, Günter: Die Wartburg. Ein nationales Denkmal unter dem Hakenkreuz, in: HEIDEN / MAI, Nationalsozialismus in Thüringen, 374–398. SCHÜFER, Tobias: Die Theologische Fakultät Jena und die Landeskirche im Nationalsozialismus, in: SEIDEL, Thüringer Gratwanderungen, 94–110. SEIDEL, Thomas A. (Hg.): Thüringer Gratwanderungen. Beiträge zur fünfundsiebzigjährigen Geschichte der evangelischen Landeskirche Thüringens (Herbergen der Christenheit Sonderbd. 3), Berlin 1998. SEIDEL, Thomas A.: Im Übergang der Diktaturen. Eine Untersuchung zur kirchlichen Neuordnung in Thüringen 1945–1951, Stuttgart 2003. SIEKMANN, Birgit: Die evangelische Jugendarbeit im Rheinland und das Evangelische Jugendwerk Deutschlands. Strukturprobleme evangelischer Jugendverbände unter den Machtansprüchen des nationalsozialistischen Staates und der deutschchristlichen Reichskirche, Frankfurt a.M. 1997. SMELSER, Roland: Robert Ley – Der braune Kollektivist, in: SMELSER / ZITELMANN (Hg.), Die braune Elite. Bd. I, 1989, 173–187. SMELSER, Roland und ZITELMANN, Rainer (Hg.): Die braune Elite. Bd. I. 22 biographische Skizzen, Darmstadt 1989 (3. unveränderte Aufl. 1993). SONNE, Hans-Joachim: Die politische Theologie der Deutschen Christen. Einheit und Vielfalt deutschchristlichen Denkens, dargestellt anhand des Bundes für deutsche Kirche, der Thüringer Kirchenbewegung „Deutsche Christen“ und der Christlich-deutschen Bewegung (Göttinger Theologische Arbeiten 21), Göttingen 1982. [STAPELFELDT, Kurt]: Verantwortung ist Kampf, Evangelium im Dritten Reich (Reichsausgabe) 3 (1934), 543–544. 549 [S. war verantwortlicher Schriftleiter; der Artikel ist nicht namentlich gezeichnet]. STASIEWSKI, Bernhard (Bearb.): Akten deutscher Bischöfe über die Lage der Kirche 1933– 1945. Bd. II: 1934–1935 (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte bei der katholischen Akademie in Bayern – Quellen 20), Mainz 1976. Bd. III: 1935–1936 (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte bei der katholischen Akademie in Bayern – Quellen 25), Mainz 1979. [Stasiewski II-III] STEGMANN, Erich: Der Kirchenkampf in der Thüringer Evangelischen Kirche 1933–1945. Ein Kapitel Thüringer Kirchengeschichte, Berlin 1984. [Stegmann] STENGEL-V. RUTKOWSKI, L.: Rasse oder Bolschewismus als Wertmaßstab in der deutschen Kunst, Deutscher Glaube 4 (1937), 552–554. STOEVESANDT, Hinrich: Von der Kirchenpolitik zur Kirche. Zur Entstehungsgeschichte von Karl Barths Schrift »Theologische Existenz heute!«, Zeitschrift für Theologi und Kirche 76 (1979), 118–138. STRATZ, Rudolph: Sturm des Herrn, Berlin 1934.

ANHANG

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THIEME, Kurt: Aus dem Wieratal ins Reich! Ursprung und Aufbruch deutschen Christentums, Weimar 1939. THIERFELDER, Jörg: Die Auseinandersetzungen um Schulform und Religionsunterricht im Dritten Reich zwischen Staat und evangelischer Kirche in Württemberg, in: HEINEMANN, Manfred (Hg.): Erziehung und Schulung im Dritten Reich. Teil 1: Kindergarten, Schule, Jugend, Berufserziehung (Veröffentlichungen der Historischen Kommission der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft 4,1), Stuttgart 1980, 230–250. THIERFELDER, Jörg: Werner Sylten (1893–1942), in: HUMMEL Karl-Joseph, und STROHM, Christoph (Hg.): Zeugen einer besseren Welt. Christliche Märtyrer des 20. Jahrhunderts, Leipzig 2000, 137–157. THÜRINGER EVANGELISCHE KIRCHE. Verzeichnis der Behörden und Pfarrstellen (Beilage zum »Thüringer Kirchenblatt und Kirchlicher Anzeiger«), Sonderdruck, Eisenach o.J. [nach März 1943]. TIESLER Karl: Weltreich und Weltkirche. Die ökumenische Frage als Entscheidungsfrage für den deutschen Protestantismus, Deutsche Frömmigkeit 4 (1937), 2–5. TÜGEL, Franz: Mein Weg 1888–1946. Erinnerungen eines Hamburger Bischofs, hg. v. Carsten Nicolaisen (Arbeiten zur Kirchengeschichte Hamburgs 11), Hamburg, 1972. UNSERE KAMPFLIEDER, hg. vom Pfarrer- und Lehrerkreis des Wieratales, Verlag Deutsche Christen Weimar 1933. UNSERE REICHSTAGUNG IN EISENACH vom 26.-28. Oktober 1935, BrDC 4 (1935), 254. VEHSE, Joachim G: Leben und Wirken des ersten Reichsleiters der Deutschen Christen, Joachim Hossenfelder, in: Schriften des Vereins für Schleswig-Holsteinische Kirchengeschichte. II. Reihe (Beiträge und Mitteilungen) 38 (1982), Neumünster 1982, 73–123. VIERTE TAGUNG DES VIERTEN THÜRINGER LANDESKIRCHENTAGES am 24. und 25. September 1935. Im Verlag des Landeskirchenrats der Thüringer Evangelischen Kirche in Eisenach, Eisenach, 1935. VOGELSANG, Claus: Das Tagebuch, in: WEISSENBERGER, Klaus (Hg.): Prosakunst ohne Erzählen. Die Gattungen der nicht-fiktionalen Kunstprosa, Tübingen 1985, 185–202. WÄCHTLER, Fritz: [Rede am 9. Januar 1934], in: 2. Tagung des Vierten Thüringer Landeskirchentages am 9. Januar 1934. Im Verlag des Landeskirchenrats der Thüringer evangelischen Kirche in Eisenach, Eisenach 1934, 34–35. WARTBURGMAIENTAGE IM ZEICHEN MARTIN LUTHERS UND JOH. SEB. BACHS. Wegweisende Worte von Staatsminister Wächtler und Landesbischof Sasse, BrDC 4 (1935) 138–140. WEBER, Werner (Hg.): Die deutschen Konkordate und Kirchenverträge der Gegenwart, Göttingen 1967. WEISSENBERGER, Klaus (Hg.): Prosakunst ohne Erzählen. Die Gattungen der nicht-fiktionalen Kunstprosa, Tübingen 1985. WEITENHAGEN, Holger: Evangelisch und deutsch. Heinz Dungs und die Pressepolitik der Deutschen Christen (Schriften des Vereins für Rheinische Kirchengeschichte 146), Köln 2001. [Weitenhagen, Evangelisch und deutsch].

1086

MARIE BEGAS

WENSCHKEWITZ, Leonore: Politische Versuche einer Ordnung der Deutschen Evangelischen Kirche durch den Reichskirchenminister 1937–1939, in: BRUNOTTE, Heinz / WOLF, Ernst (Hg.), Zur Geschichte des Kirchenkampfes. Gesammelte Aufsätze 2 (Arbeiten zur Geschichte des Kirchenkampfes 26), Göttingen 1971, 121–138. WENSCHKEWITZ, Leonore: Zur Geschichte des Reichskirchenministeriums und seines Ministers, in: Kirche und Nationalsozialismus. Zur Geschichte des Kirchenkampfes (Tutzinger Texte, Sonderband 1), München 1969, 185–206. WERNER, Gottfried: Friedrich Ulmer – Vater des Martin-Luther-Bundes und seiner Werke, in: Jahrbuch des Martin-Luther-Bundes 32 (1985), 188–202. WIEGAND, Dietmar: Kleine Geschichte der Thüringer Landeskirche. In: HÜBNER / SCHMIDT, Landhaus und Landeskirche, 39–76. WITTMANN, Reinhard: Geschichte des deutschen Buchhandels, München 1999. ZEHRER, Karl: Evangelische Freikirchen und das »Dritte Reich«, Berlin, 1986. ZIMMERMANN, Bernhard Hans: Wittenberg und Canterbury, Deutsche Frömmigkeit 4 (1937), 10–17. ZIPFEL, Friedrich: Kirchenkampf in Deutschland 1933–1945. Religionsverfolgung und Selbstbehauptung der Kirchen in nationalsozialistischer Zeit, Berlin 1965. ZOELLNER, Wilhelm: Bekenntnis und Verfassung der evangelisch-lutherischen Kirche, AELKZ 68 (1935), 602–614. ZOELLNER, Wilhelm: Entscheidungen und Scheidungen. Vortrag gehalten auf einer Versammlung »Deutscher Christen« in Stuttgart am 14. Juli 1936, AELKZ 69 (1936), 703– 711. ZWEI WICHTIGE ENTSCHEIDUNGEN. Zur Anbahnung des kirchlichen Friedens, Das Evangelische Deutschland 12 (1935), 391–392.

ANHANG

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Nach Abschluss des Manuskriptes sind erschienen: ARNHOLD, Oliver: „Entjudung“ – Kirche im Abgrund. Bd. I: Die Thüringer Kirchenbewegung Deutsche Christen 1928–1939. Bd. II: Das „Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche christliche Leben“ 1939–1945. (Studien zu Kirche und Israel 25/1 u. 25/2), Berlin 2010. BUSS, Hansjörg: Das Reichskirchenministerium unter Hanns Kerrl und Hermann Muhs, in: Täter und Komplizen in Theologie und Kirchen 1933–1945, hg. von Manfred GAILUS, Göttingen 2015, 140–170. HESCHEL, Susannah: The Aryan Jesus. Christian Theologians und the Bible in Nazi Germany, Princeton 2010. HESCHEL, Susannah: Die zwei Karrieren des Theologen Walter Grundmann. Der Neutestamentler als Nazi-Propagandist und Stasi-Informant, in: Täter und Komplizen in Theologie und Kirchen 1933–1945, hg. von Manfred GAILUS, Göttingen 2015, 171–196. LINDEMANN, Gerhard: Walter Grundmann. „Chefideologe“ der sächsischen Deutschen Christen, in: Braune Karrieren. Dresdner Täter und Akteure im Natinlsozialismus, hg. von Christine PIEPER u.a., Dresden 2012, 214–219. MAI, Gunther: Christenkreuz und Hakenkreuz. Die Kirchenbewegung Deutsche Christen in Südthüringen 1933–1937, in: KÖTZING, Andreas / WEIL, Francisca / SCHMEITZNER, Mike / SCHULTE, Jan Erik: Vergleich als Herausforderung. Festschrift für Günther Heydemann zum 65. Geburtstag (Schriften des Hannah Arendt Instituts für Totalitarismusforschung 57), Göttingen 2015, 101–119. MÜLLEJANS-DICKMANN, Rita / CORTJAENS, Wolfgang (Hrsg.): Begas-Haus Heinsberg. Die Sammlung Begas (Begas-Haus Heinsberg 2), Köln 2013.

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MARIE BEGAS

3.6. Register Das Tagebuch war als Gedankenstütze für Marie Begas selbst und wenige Vertraute gedacht, eine Veröffentlichung in dieser Form nicht vorgesehen. Dementsprechend ist die Form des Textes durch eine Vielzahl verschiedener Abkürzungen für Orte, Personen und Funktionsträger ebenso geprägt wie durch das Weglassen oder Andeuten von Selbstverständlichkeiten. Die Bedeutung vieler Abkürzungen und Andeutungen wäre, wenn überhaupt, lediglich mit erheblichem Arbeitsaufwand zu klären. Aus diesem Grund sind im Register nur solche Personen, Orte und Regionen ausgewiesen, die sicher zu identifizieren waren. Nicht aufgenommen wurden Funktionsbezeichnungen (Reichsbischof, Landesbischof etc.), Literaturtitel sowie einige sehr häufig vorkommende Stichworte: - Personen: Volkmar Franz; Adolf Hitler; Hanns Kerrl; Siegfried Leffler; Paul Lehmann; Julius Leutheuser; Hanna Linde; Martin Niemöller; Ernst Otto; Martin Sasse - Regionen: Thüringen - Orte: Berlin; Eisenach; Weimar Ferner sei angemerkt, dass Provinzen o. ä. Verwaltungseinheiten (z.B. Hamburg, Lübeck, Bremen), die zugleich die Namen von Städten tragen, nur im Ortsregister aufgenommen wurden und bei Pfarrern häufig anstatt des Personennamens der Pfarrort genannt ist. .