Tagebuch
 9004054499, 9789004054493

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Ignaz Goldziher Tagebuch

Ignaz Goldziher

Ignaz

Goldziher Tagebuch €RAUSGEGEBEN VON

ALEXANDER SCHEIBER

LEID EN - E. J. B R IL L - 1978

ISBN 9004 05449 9

© A lexander Scheiber, B udapest 1977 P rinted in H ungary

Dem Andenken meines Meisters Bernhard Heller, des treuesten Goldziher-Schülers

In h a lt

V o r w o r t.............................................................................................. Tagebuch

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22. Juni 1890 ..............................................................................

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1850-1866 ..................................................................................

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1 8 6 6 -6 8 ......................................................................................

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1 8 6 8-73 ......................................................................................

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1873/4 ..........................................................................................

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K a i r o ............................................................................................... 65 1875 ..............................................................................................

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1876-1883 ..................................................................................

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1883-1889 ..................................................................................

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1883 ..............................................................................................

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1885 ...............................................................................................

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1889 ..............................................................................................

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1890 ..............................................................................................

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1890-1891 .................................................................................. 124 1892 ............................................................................................... 133 1893 ............................................................................................... 157 1894 ............................................................................................... 168 1895 ............................................................................................... 188 1896 ............................................................................................... 198 1897 ............................................................................................... 209 1898 ............................................................................................... 218 1899 ............................................................................................... 220 1900 ............................................................................................... 225 1901 ............................................................................................... 230 1902 ............................................................................................... 231 1903 ............................................................................................... 233 1904 ............................................................................................... 234 1905 ............................................................................................... 240 1906 ............................................................................................... 248 1907 ............................................................................................... 256

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1 9 0 « .................................................................................................. 258 1909 ................................................................................................ 262 1 9 1 0 .................................................................................................264 1 9 1 1 .................................................................................................26« 1 9 1 2 .................................................................................................272 1 9 1 3 .................................................................................................273 1 9 1 4 ................................................................................................. 281 1 9 1 5 .................................................................................................283 1 9 1 6 .................................................................................................289 1 9 1 7 ................................................................................................. 295 1 9 1 8 ................................................................................................. 304 1 9 1 9 ................................................................................................. 312 A nm erkungen

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B ibliographie der Berichte Ober I. G oldziher, die in den W erken der im Tagebuch erw fthnten Personen enthalten sind . . 329 Ergänzungen zur B ibliographie I. G oldzihers

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N am en v erzeich n is.................................................................................. 335 Illu stratio n en

V orw ort

Ignaz Goldzihers jüngster Sohn, der Mathematiker Prof. Karl Goldziher, starb am 6. November 1955. Bei seiner Bestattung hielt ich die Grabrede. Testamentarisch hinterliess er mir das Tagebuch seines Vaters, das zu dessen Lebzeiten nur' er und seine Mutter kannten. Die bis dahin veröffentlichten Zitate daraus - wie einige Angaben in Sändor Büchlers Arbeit über die Familie Goldziher' oder die Charakteristik Moritz Kärmäns bei Jözsef Waldapfel12- erhielten sie in der von Karl Goldziher stammenden Kopie. Die Mahnung seines Vaters befolgend, gab er das Tagebuch niemals aus der Hand. Später hütete er es mit erhöhter Sorgfalt, denn es war das einzige, das 1944 überstand. Alles übrige - die Handexemplare der Werke seines Vaters, mit den zu neuer Herausgabe vorbereiteten Ergänzungen - ging verloren. Am 22. Juni 1890 - an seinem 40. Geburtstag - begann Goldziher, sein Tagebuch zu schreiben. Er fasste jedoch darin sein bisheriges Leben zusammen. Er benutzte dabei das Tagebuch seiner Orientreise in seiner Jugend. Die Originalhandschrift dieses Tagebuches ist ebenfalls in meinem Besitz. Goldzihers Biographie ist noch nicht geschrieben. Die wichtigste Quelle dazu ist das Tagebuch. Es ist sehr lehrreich, das äussere und innere Leben eines der grössten Geister der Jahrhundertwende kennenzulemen. Seine Enttäuschungen, seine Benachteiligungen - erst mit 55 Jahren erhielt er ein Katheder - teilte er unverzüglich seinem einzigen Vertrauten, dem Tagebuch, mit. Daher die Hochgespanntheit seiner Gefühle. Damit erklärt sich sein leidenschaftliches und oft maliziöses Urteil über die Menschen wie z. B. über W. Bacher, D. Kaufmann, S. Kohn, I. Löw, B. Munkäcsi. Besonders beachtenswert ist seine Jugendfreundschaft mit Bacher, deren beredte Beweise die an ihn gerichteten Briefe sind, die sich jetzt im Archiv der Landesrabbinerschule befinden. Ihren Bruch erzählt er in seinem Tagebuch. Seine späteren Äusserungen über Bacher sind nicht objektiv. Bacher war nicht nur die grösste Autorität der jüdischen Wissenschaft zu seiner Zeit, sondern 1 A. Bitchier, Mult és Jövö (Vergangenheit und Zukunft). XXVIII. 1938. pp. 18-20, 51-52, 82-83. 113-114, 152-153, 184-185. 2 J. Waldapfel, Semitic Studies in Memory of Immanuel Löw. Budapest 1947. pp. 175-176.

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auch als Mensch unanfechtbar. Es ist bedauernswert, dass diese zwei grossen Repräsentanten der orientalischen Wissenschaften in einer Stadt lebten, ohne persönlich miteinander zu verkehren. Goldzihers kritische Bemerkungen betreffs der Budapester Landesrabbi­ nerschule finden ihre Begründung darin, dass er zweimal hoffte, hier eine ordentliche Professur zu erhalten: bei der Eröffnung 1877 und nach D. Kaufmanns Tod 1899. Bei beiden Gelegenheiten wurde seine Ernennung verhindert. Er beklagt es, dass seine grossen Erfolge und die Anerkennung im Ausland im Institut keinen Widerhall fanden. Die glänzendsten Seiten des Tagebuches sind die Eintragungen über seine Schwiegertochter Maria Freudenberg. Sie war auffallend schön, ein hervorra­ gender Geist und eine begabte Ägyptologin.' Goldziher war 63 Jahre alt. als er sie 1913 kennenlernte und sie wurde seine Muse. Er verjüngte sich, seine Arbeitslust wuchs. Nachträglich und endlich findet sich eine Erklärung, warum er den ehrenvollen Rufen ins Ausland nicht folgte. Er musste hier bleiben - fühlte er - , um sie kennenzulernen. Als sie am 4. Dezember 1918. 28 Jahre alt, von der spanischen Seuche hinweggerafft wurde, schrieb er. dass sein Leben jeden weiteren Sinn verloren hat. Er vergisst, dass er sein Tagebuch in deutscher Sprache schreibt, in seiner Verzweiflung schreibt er ungarisch die Zeilen: „Die Krone ist mir vom Haupte gefallen. Meine Mariska ist das Opfer der spanischen Seuche geworden. Meine Seele ist in tausend Stücke gebrochen. Oh, mein lieber Karl!“ Ihrem Andenken widmet er sein letztes Buch: „Dem teuern Andenken meiner, ihren Lieben früh entrissenen Schwiegertochter Marie Goldziher geb. Freudenberg (st. 4. Dezember 1918) wehmutvoll geweiht.“4 Seitdem nahm er sein Tagebuch kaum mehr zur Hand. Seine letzte Eintragung datiert vom 1. September 1919. Wir lesen seine stolze und selbstbewusste Antwort auf die antisemitischen Ausfälle des Geologen Lajos Löczy in der Sitzung der Ungarischen Akademie der Wissenschaften am 18. August. Kurz danach dankte er als Präsident der I. Klasse ab. Vom wissenschaftsgeschichtlichen Aspekt ist das Tagebuch von überaus grosser Bedeutung. Wir lernen alle namhaften Islamwissenschaftler des Zeitalters kennen. Der Verfasser erzählt von seinen Beziehungen zu ihnen, von seinen Reisen, seiner Materialsammlung, den Vorbereitungsarbeiten zu seinen Werken, ihrem Widerhall.

’ Ein Teil des Nachlasses von Maria Freudenberg wurde von B. Heller herausgegeben: Ô-egyiptomi mesék (Allägyptische Märchen). Budapest 1928. * Die Richtungen der islamischen Koranauslegung. Leiden 1920. p. V.

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Das Buch bietet reichlichen Stoff zur ungarischen Wissenschaftspolitik und zum Leben der ungarischen Juden. Es wird ein historisches Quellenwerk werden. In der vorliegenden Ausgabe wurde die Originalorthographie im deutschen Text und die nicht immer konsequente Transliteration der arabischen Wörter beibehalten. Für die Anfertigung des Index sprechen wir dem ausgezeichneten Arabisten. Herrn Dr. A. Fodor. unseren Dank aus. Alexander Scheiber

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Tagebuch

B u d a p est 22. Juni 1890 an m e in e m 4üten G e b u rtsta g e.

Ich beginne heute aus älteren Aufzeichnungen und aus meiner Erinnerung einen Abriss meines Lebenslaufes zu entwerfen. Derselbe ist für meine Frau, meine Kinder und die allernächsten Glieder meines engem Freundeskreises bestimmt. Allen anderen, muss diese Skizze, so lange ich lebe, unzugänglich bleiben. Sollte dieselbe jemandem durch unberechenbaren Zufall zur Kenntnis kommen, so ersuche ich ihn auf seine Ehre, den Inhalt der folgenden Blätter, sowie die Kunde von Vohrhandensein derselben als Geheimnis zu bewahren. Mein Leben war von früher Jugend an durch zwei Wahlsprüche geleitet: Der eine ist der Prophetenspruch, den ich mir an meinem Confirmationstage in die Seele geprägt:' „Er hat Dir verkündet o Mensch, was gut sei, und was Jahve von Dir fordert: Nur dies: Gerechtigkeit üben. Barmherzigkeit bieten und in Bescheidenheit wandeln vor Deinem G ott.“ Der andere ist der Koran-Spruch: fa-sabrun gamîlun wa-llâhu-l-musta‘ ânu d.h. „Ausdauer ist gut: und Gott ist der, zu dem man um Hilfe aufblicken muss.“

1850- 1866. Die ältesten urkundlichen Nachrichten über Träger meines Familien-Namens reichen bis an den Anfang des XVII. Jahrhundertes. Die freie Stadt Hamburg, in der es auch heute eine in grossem Wohlstand lebende Familie meines Namens giebt, ist der nachweisbar älteste Wohnsitz meiner väterlichen Vorfahren. Eine Seitenlinie meiner in Ungarn ansässigen Familie führt als Andenken an ihre Einwanderung aus Hamburg den Namen „Hamburger“ . Das Archiv der dortigen jüdischen Gemeinde, in deren Diensten Moses Abrahamsohn G. und Gottschalk G. im XVII. Jahrhundert standen, bewahrt eine Menge Dokumente mit der Unterschrift dieser „Beglaubigten“ . Mein IS

Urgrossvater, der sich nach Kittsee im Wieselburger Comitate verheirathete, wird in dem ihm im Jahre 5522 mundi ( 1762 gew. Z.) vom Rabbiner in Kittsee verliehenen Chaber-Dokumente „der Bräutigam Jom-tob (d.h. Lippmann) Moses-sohn Hamburg“ genannt.-' Er war der erste in Ungarn auftauchende Mann meines Geschlechtes. Auch sein Sohn, mein Grossvater Vitus (Phoe­ bus, Scheraga), der im Leben den Namen Goldziher trägt, wird auf seinem (1817) von Rabbi Hirsch Broda, dem Grossvater Adolf Jellineks. ihm verliehenen Morenu-Act als „Scheraga Jom-tob-sohn Hamburg“ bezeichnet. Letzterer wanderte nach der Eheschliessung meiner Eltern. 1842. nach Stuhlweissenburg, wo er 1844 starb. Nach den Schilderungen, die mir alte Herren boten, die meinen Grossvater inseinen Blüthejahren kannten, muss er ein wackerer, tugendhafter, in seinen Gesinnungen strenger Mann gewesen sein. Für den Reichthum seiner Kenntnisse in der jüdischen religiösen Literatur habe ich selbst manches Zeugnis in Händen. Der Grundstock meiner jüdischen Bibliothek hat bereits auf dem Bücherbrett meines Grossvaters, eines einfachen Handelsmannes gestanden. Meine Eltern hiengen mit seltener Pietät an seinem Andenken. Bis an ihr Lebensende gedachte meine Mutter Tag für Tag ihres biederen Schwiegervaters und seiner menschlichen Tugenden, des Schutzes, den ihr sein gerechter Sinn in der Fremde gewährte. Für meinen Vater war das Andenken seiner Eltern Gegenstand eines wahrhaft religiösen Kultus. Als ich auf meiner ersten Studienreise im Oktober 1869 in Berlin anlangend, meine Schreibmappe öffnete, fand ich in derselben einen in hebräischer Sprache abgefassten Wunsch meines Vaters, solange ich lebe, an den Sterbetagen seiner Eltern „für ihr Seelenheil zu lernen und zu beten“ , ein frommer Wille, dem ich bis zum heutigen Tage unverbrüchlich nachgekom­ men bin und den ich bis zu meinem Lebensende heilig halten werde. Ein vor meiner Geburt im Alter von 4 Jahren verstorbener Bruder, der im Todesjahre meines Grossvaters zur Welt kam, sollte den Namen des letzteren „aufrecht­ erhalten“ . Ich selbst erhielt den Namen des mütterlichen Grossvaters, Isak Berger, eines in Raggendorf (Rajka) lebenden Mannes, der bei seinem kaufmännischen Berufe Tag und Nacht dem jüdischen Studium oblag und so wie mein väterlicher Grossvater zu den grossen Gelehrten in freundschaftli­ cher Beziehung stand, welche die Rabbinatssitze des Pressburger und Wieselburger Komitats schmückten. Wenn ich von diesem Namensahn die ihm nachgerühmte Gefühllosigkeit für alle praktischen Lebensinteressen, seine Liebe für das Studium des jüdischen Gesetzes geerbt habe, so ist auf mich einer seiner grossen Vorzüge nicht übergegangen: seine herrliche Kalligraphie, die weit und breit in den „sieben Gemeinden“ berühmt war und deren Proben ich unter den Denkwürdigkeiten meiner Vorfahren bewahre.

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Eine Krankheit führte ihn zu seinem Bruder nach Tétény, wo er [.. ,]3starb und begraben wurde. Bin ich nun väterlicherseits ein „Hamburger“ , so ragen die Wipfel meines mütterlichen Stammbaumes nach Mähren hinüber. Meine mütterliche Gross­ m utter stammte aus Triesch, wo ihr Vater Bezalel Weinmayer, eine hochgeachtete Stellung in der autonomen Regierung der mährischen Juden­ schaft einnahm. Er rühmte sich der Freundschaft des Landesrabbiners Mordechai Benet, dessen Tochter, nach Stuhlweissenburg an den ersten jüdischen Ansiedler dieses Städtchens Chajim Weissenburg (Stern) verheirathet. eine gute Freundin meiner, in unserem Hause lebenden, Grossmutter blieb. Diese, eine kluge, für meine Jugenderziehung bedeutsame alte Frau, konnte mir manches interessantes Detail aus den Bestrebungen der mähri­ schen Judenheit vom Anfänge unseres Jahrhundertes erzählen, sowie sie meine Phantasie mit Erzählungen aus dem „französischen Kriege“ anregte, dessen kleinere Episoden bis ins Posthaus von Raggendorf, in dem sie als junge Frau lebte, reichten. Sie sah Napolen I., der im Posthaus des kleinen O rtes Pferde wechselte und konnte viel von den „drei Alliierten“ erzählen. Meine Kindesjahre sind übrigens arm an fröhlichen, überaus reich an erbaulichen Erinnerungen. Das Andenken an den Gang meiner Kindheit erfüllt meine Seele mit weihevollem Inhalt, es allein bestimmt bis zum heutigen Tage mein Wollen und Thun und bietet die Richtschnur für meine Gesinnung. Beides, der tugendhafte, unbeugsame, puritanisch strenge Charakter meines Vaters, sowie die milde, duldsame, nachsichtige Sinnesart meiner M utter, haben meine Seele erzogen zu Gerechtigkeit und Barmherzigkeit. Meine Erinnerung reicht bis zu meinem vierten Lebensjahre zurück. Lebhaft steht vor meiner Seele, wie mein Vater auf einem Spaziergange durch die „A llé“ , den noch kaum dem Alter des Lailens entwachsenen kleinen Knaben den Hass gegen Verstellung und Heuchelei predigt, die asketisch strenge Beurtheilung seiner eigenen Handlungen und Gedanken zu oberster Pflicht macht, ihm vom Elend der leidenden Mitmenschen spricht und ihn durch Beispiele aufopfernder Thätigkeit im Dienste der Humanität und des Martyriums für die Überzeugung zu Thränen rührt. Dies war die erste Belehrung, deren ich mich erinnere. Mit schwerem Herzen kehrte ich von dem Spaziergange nach Hause. Die darauf folgende Nacht soll ich unaufhörlich bittere Thränen geweint und darüber gejammert haben, dass ich mich zu schwach fühle, die Pflichten zu erfüllen, die mir mein Vater als unerlässliche Bedingungen des rechtschaffenen Lebens vorzeichnete. Wenig fruchteten die beruhigenden Worte der milden Mutter, der Zuspruch der Grossmutter, die auf das Jammern des kleinen Enkels aus ihrem Kämmerlein herbeigeeilt kam. 2

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Egoismus war in unserem Hause verachtet und die extremste Bekundigung der Barmherzigkeit regierte in der Sitte unseres Familienlebens. Arme Reisige waren fast täglich unsere Tischgenossen und reiche Segenssprüche lohnten meinen Eltern den letzten Händedruck, den sie zum Abschied den „G ästen" (Orechim) spendeten. Dabei herrschte ein peinliches Beobachten des jüdischen Ritualgesetzes und der kleinlichsten Gewohnheiten der alten jüdischen Lebensführung. Aber auch dabei war alle Hypokrisis verpönt und geächtet. Es wurde mir eingeschärft, dass ich alle Gesetze üben, allen Enthaltungen mich unterziehen müsse, aber das Glänzen mit dieser Anhäng­ lichkeit an die Überlieferungen meiner Religion vermeiden und verabscheuen müsse. Mein Vater übersah es leicht, wenn ich an öffentlichen Bethätigungen des religiösen Lebens nicht theilnahm, aber Übungen, bei welchen die Menschen nicht Zeugen waren, mussten umso strenger eingehalten werden. Kasteiung und Entsagung sollten den Mittelpunkt bilden, die Schaustellung aber vermieden werden. Dabei wurde mir von frühester Kindheit auch der Geist der Toleranz gegen Andersgläubige und die Achtung vor ihren religiösen Gefühlen eingeprägt. Mit meinen sonstigen Gespielen und Nach­ barkindern konnte ich, so oft ich nur Lust hatte, die Kirchen besuchen. Dadurch wurde ich früh zu vergleichenden Religionsbetrachtungen angeregt, die mir die Gedanken meines Glaubens immer theurer und ehrwürdiger machten. Das bewusste Erkennen derselben dämmerte in meiner Seele in den frühesten Jahren der Kindheit auf. Denn zum religiösen Leben gehörte in unserer Familie in erster Reihe das Studium der jüdischen Religionsliteratur, dem auch mein Vater in den von seinem Handelsberufe erübrigten Stunden nachhieng. Er schärfte mir unaufhörlich ein, dass meine Sittlichkeit und mein Leben im Sinne und Geiste des Gesetzes Resultat meiner immer zunehmen­ den Vertiefung in die Literatur sein müsse, die diese Moral den Menschen, dies Gesetz unserem Stamme brachte. Zu fünf Jahren war ich bereits hinter dem ernsten Studium des Urtextes der Bibel, zu acht wurde ich in den Talmud eingeführt, zu zwölf Jahren las ich die „Herzenspflichten der Bechaj“ , „das Chasarenbuch“ , um ein Jahr später auch an den „Moreh Nebuchim“ heranzutreten, aus welchem ich mir Auszüge machte, die ich noch jetzt unter meinen Arbeiten bewahre. Mit grosser Leidenschaft und Liebe gab ich mich diesem jüdischen Studium hin. Meinem kindlichen Sinne gieng aus denselben das Ideal der Selbstentsagung auf, das ich in den profanen Literaturen, deren Studium ich neben jener anstrengen­ den Beschäftigung betrieb, nicht erfinden konnte. Aus den Irrgängen der talmudischen Dialektik leuchtete mir die edle Anstrengung, das Gesetz Israels zu begründen, entgegen, die Agadah umstrickte mich mit ihren Reizen und nahm mein ganzes Herz gefangen. Nächte hindurch vertiefte ich mich in das 18

Studium des En Jakob und des Midrasch. Mein Vater erweiterte von Zeit zu Zeit meine Bibliothek. Nie kehrte er von seinen Reisen nach der Prager Messe zurück ohne mir wertvolle jüdische Bücher mitzubringen. Meine Mutter erzählte mir noch in späteren Jahren, dass ich einmal als achtjähriger Knabe um Mitternacht dabei ertappt wurde, wie ich einige, mir aus Pest mitgebrachte Folianten wie geliebte Wesen herzte und küsste. Schon auf der Elementarschule musste ich einen erweiterten Unterricht in hebräischer Sprache geniessen. Zu vier Jahren kannte ich die Buchstaben, zu fünf hatte ich das erste Buch Mosis beendet. Der mir unvergessliche Rabbi Dr. Zipser4 versah meinen Vater mit Rathschlägen und eiferte ihn im Erwerben von Büchern für mich an. Als ich 1859 die Elementarschule verliess, wurde beschlossen, mir behufs Ermöglichung eingehender jüdischer Studien, die neben den Schuistudien parallel laufen sollten, die drei ersten Gymnasialklas­ sen zu Hause privatim beibringen zu lassen. In der Ausschau nach einem geeigneten Lehrer fiel die Wahl zunächst auf Herrn Leo Frank, der seither Sekretär der jüd. Gemeinde in Ofen wurde. Es wurde für mich und meinen Mitschüler, Schlesinger, ein eigenes Unterrichtslokal gemietet, neben wel­ chem F. freie Wohnung genoss. Obwohl F. den besten Willen zu unserer Unterweisung mitbrachte und alle Anstalten dazu getroffen waren, uns mit grosser Anstrengung zu beschäftigen, will ich diese Unterrichtszeit nicht fruchtbringend nennen. Unserm Lehrer fehlte der höhere Gesichtspunkt für seine Aufgabe. Obwohl ich manches lernte und geistigerwarb, sind die beiden Jahre ohne Andenken für meine Seelenbildung geblieben. Was ich aus dem Talmud lernte und wie es mir beigebracht wurde, konnte nur als Fortsetzung der bisherigen Versuche gelten, mich in dies schwere Studium einzuführen. Denn schon zu acht Jahren gab mir ein alter Herr, Marcus Zipser (Bruder des Rabbi) wöchentlich einige Talmudstunden - das erste Stück, das mir beigebracht wurde, war B. M. 1 la , der „zerbrochene Hirsch“ wurde oft zum Gegenstand des Humors im Kreise meiner Familie, - die ich dann bei Herrn Guggenheimer,unter Vorbereitung durch Herrn Moriz Dessauer5, fortsetzte. D er Blick meines für meine Erziehung opferfreudigen Vaters fiel nun 1861 auf einen alten Privatlehrer Namens Moses Wolf Freudenberg. Derselbe galt in unserer Gegend als grosser Hebraist; auf autodidaktischem Wege hatte er viel weltliche Kenntnisse zusammengerafft. Sein ganzes Leben war seit seiner frühen Jugend mit Unterricht ausgefüllt. Nach dem Tode Benzew’s war er Anton Schmid als Corrector vorgeschlagen, ich weiss nicht warum er die Anstellung nicht erhielt. Sein Element war die Bibel und hebr. Grammatik; darum galt er auch den Fanatikern als rationalistisch angesäuert. Seinen idealen Charakter sollte ich nun durch vier Jahre kennen und achten lernen.

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Er gab meinem Denken die höchsten Ziele, meiner Seele die edelsten Vorsätze. Es sind Gefühle dauernder Dankbarkeit, welche ich diesem würdigen Greise bewahre. Die unter seiner Leitung verbrachten Jahre waren fruchtbar für mein ganzes Leben. Obwohl ich mit den Grundsätzen, die mir F. durch vier Jahre Tag für Tag einimpfte und zum Prinzipe meiner Weltanschauung gestaltete, im Leben nicht weit gekommen bin, obwohl die schroffe Einhaltung derselben die Ursache des Schiffbruches ist, den ich in meiner Laufbahn erlitten, werde ich den Namen F. so lange ich lebe, dankbar und voll Pietät in meinem Herzen tragen und die Grundsätze, die ich unter seinem Einflüsse mir eingeprägt, meinen Kindern als ethische Erbschaft hinterlassen. Der Alte hat dieselben selbst durch ein Menschenalter bethätigt und es musste dem Knaben imponieren, ein harmonisches Zusammenstimmen zwischen Lehre und Leben bewundern zu können, wie er sie seither nur selten gefunden. Diese Grundsätze können in meinem kurzen Lebensabriss nicht entwickelt werden. Blicket auf mein eigenes Leben und ihr werdet das System des alten Freudenberg begreifen! Folgendes war unser Beschäftigungsschema. Um 9 Uhr erschien der Lehrer in meiner Stube. Ungefähr eine halbe Stunde lasen wir in den ..Herzenspflichten“ - diese leiteten den Unterricht des Tages regelmässig ein; auf die Lektüre folgte die praktische Erörterung meines Lehrers. Nach dieser Einleitung wurde 2 Stunden der Talmud vorgenommen, den wir wohl nach alter Weise betrieben, aber mit Vermeidung aller Verstandes- und geschmackswidrigen Nebensachen. Während der vier Jahre die ich unter F.'s Leitung stand, sollen wir - wie mir F. in späteren Jahren erzählte - ungefähr 60 Blatt durchgenommen haben, dabei den grössten Theil des En Jakob ( Aggada). Den Vormittag beschloss Bibelstudium (wir haben in vier Jahren die Propheten, Job, Psalmen durchgenommen), wobei ich täglich den am vorhergegangenen Tage studierten Theil auswendig vortragen und alle zur Geltung kommenden grammatischen Erscheinungen recapitulieren muss­ te. Der Nachmittag war den Gymnasialstudien gewidmet; um 5 Uhr erschien wieder F. auf dem Schauplatz; ich hatte mir nun wieder die „profanen“ Studien aus dem Kopfe zu schlagen und meinen Sinn auf Midrasch, jüdische Philosophen und Bibellektüre (Pentateuch mit Ibn Esra) zu concentrieren. Jede Woche zweimal musste ich jüdische Stilübungen, Briefe und schrifterklä­ rende Versuche vorlegen. Nach 7 Uhr unterbrach das Abendessen nur ganz flüchtig meine Studien, die wieder auf die Gymnasialgegenstände übergingen. Erst nach Mitternacht kam ich zu Bette, zwischen 4-5 Uhr früh erschien mein Vater, mich zu wecken, im Winter heizte er selbst, der ältliche, kranke Mann, die Studienstube und kochte mir Thee oder Kaffee. Wenig Unterschied machte es, dass ich während zwei dieser vier Jahre das Gymnasium öffentlich 20

besuchte. Nur die Stundeneintheilung änderte sich, die den religiösen Studien gewidmete Zeit wurde eher erweitert, als vermindert. Solange ich die Gymnasialstudien zu Hause unter Leitung hingebender Studenten (zuerst Somogyi - damals Karpeles - jetzt Advocat in Budapest, später Emanuel Fischer - jetzt Advocat in Veszprém) betrieb, erschien ich halbjährlich zur Prüfung im Cistercienser Kloster. Ich soll, wie auch meine Zeugnisse aus jener Zeit dartun, die „profanen Gegenstände“ in ganz ausgezeichneter Weise bewältigt, namentlich die alten Sprachen und Geschichte des Alterthums soll ich in staunenerregender Weise beherrscht haben, dabei erregte meine Literaturkenntnis, die ich mir in unablässiger Privatlektüre erworben hatte, allgemeines Verwundern, das sich noch auffallender an mich herandrängte, als mich der öffentliche Schulbesuch in täglichen Verkehr mit dem Direktor (Pater Gerlach) und den Professoren brachte. Ich wurde als „W underkind“ betrachtet und in öffentlichen Versammlungen wurde auf mich, als dereinstigen Stolz des Gymnasiums hingewiesen. Wenn auch diese Urtheile übertrie­ ben sein mochten, so kann ich bei nüchterner Beurteilung meiner damaligen Kenntnisse die Meinung aussprechen, dass ich ganz ungewöhnliche Massen von Literatur beherrschte, über das geistig Angeeignete mich mündlich und schriftlich in klarer Weise aussprechen konnte. Mein Vater achtete darauf, dass ich nur mit reifen Menschen verkehre, und dieser Verkehr bot mir Gelegenheit zu neuem Ideenaustausch, welche Kinder von 10-14 Jahren nur selten geniessen. Unser Hausgenosse und treuer Hausarzt. Dr. Voytits, der unablässig darauf achtete, dass meine geistige Anstrengung die Integrität meines Körpers nicht beeinträchtige, unterhielt sich oft durch viele Stunden mit mir über religiöse und philosophische Fragen und bestrebte sich mir geeignete Lectüre aus seiner reichen Bibliothek anzuweisen. Einige Erinnerungen möchte ich hier aus diesen inhaltsvollen Kinderjah­ ren besonders hervorheben. Im Jahre 1856/7 schloss sich ein Kreis von Knaben behufs gottesdienstlicher Übungen zusammen. Wir betrieben Bibel­ studium und hielten allwöchentlich Sonntags einen Gottesdienst ab. Allwö­ chentlich hielt ich meinen Kameraden eine religiöse Rede in ungarischer Sprache. Mein siebenter Geburtstag fiel in diese Zeit. In den Jahren 61-62 entspann sich eine lebhafte Correspondenz zwischen mir und meinem Cousin, dem jetzigen hauptstädtischen Augenarzt Dr. Wilhelm G.'’ über den Wert der jüdischen Tradition; die gleichzeitige Hirsch-Frankel’sche Fehde, die ja aus Stuhlweissenburg ausgegangen war, erregte ein Nebengefecht zwischen dem kleinen Gymnasiasten in Stuhlweissenb. und seinem in Wien studierenden gräulich rationalistischen Vetter. Ich vertrat die äusserste Orthodoxie und war nicht geneigt, ein Tüpfelchen meines vielgeliebten Talmud zu opfern. In langen Briefen, welche die Eltern von 21

beiden Seiten mit Stolz lasen, wurde der Federkrieg beharrlich geführt, bis derselbe in Unhöflichkeiten ausartete, welche nach zwei Jahren die Einstel­ lung der diplomatischen Beziehungen zur Folge hatten. Inzwischen war ein gewaltiger Kirchenstreit in der jüdischen Gemeinde meiner Heimath entbrannt, den die Annalen der Judenheit in Ungarn mit Beschämung verzeichnen. Läppische Ritualien veranlassten den vom Ausland eingewanderten Dr. Guggenheimer7die kleine Gemeinde, die sein Vorgän­ ger Dr. Zipser so idealisch eingerichtet hatte, in zwei zu spalten. Mein Vater hielt es mit dem „Fortschritt“ , zu dessen bewährtesten Säulen er gehörte, nicht aus Abneigung gegen den Fanatiker, sondern aus unbedingter Hingebung für Zipser, dessen Freund und Vertrauter er immerfort geblieben. Ich selbst wurde von Freudenberg, der zur orthodoxen Partei hielt, zur gleichmässigen Verachtung beider Richtungen erzogen und was wir in der Stille unseres Studierzimmers cultivierten, war der durch das Martyrium unserer Confession genährter asketischer Idealismus, der sich wenig um die tollen Schlagworte der Parteien kümmerte. So besuchte mein Lehrer und mein Vater zwei kriegfüh­ rende Tempel und lebten dabei in verständnisvoller Freundschaft, deren Bindemittel meine Erziehung bildete. Diese war in diesen Jahren für die Verabscheuung der bestehenden Bestrebungen vorgebildet und drehte sich um andere Mittelpunkte. In den Ferien 1862 verbrachte ich einige Wochen bei meinen Verwandten in Pest; mit mir nahm ich ein Manuskript, betitelt „Sichath Jizchak, Abhandlungen über die Gebete“ ,' welche ich (zwölfjährig) bei Johann Herz drucken Hess, um mit dem fertig gedruckten Opus nach Hause zu kehren. Dies Opus ist der erste Grundstein zu meinem bösen Ruf als „Freigeist“ . Die Weissenburger Juden waren entrüstet und nannten mich einen „Spinozisten“ ; mein F. empfing das Opus mit lebhafter Neugierde und sagte mir am folgenden Tag: „In zehn Jahren wirst Du beim Anblick dieser Frucht deines Ehrgeizes erröthen; aber vergiss nicht im Jahre 1887 dein fünfundzwanzigjähriges Schriftstellerjubileum zu feiern; bis dahin wirst Du noch mit Gottes Willen Grosses in Israel leisten.“ Im Gymnasium nannte mich der Professor der Klasse, in die ich im October eintrat, „Ignatius autorculus“ - aber die Schreibfeder blieb mir nun wirklich in der Hand kleben. Es sollte aber noch etwas Grösseres kommen. Mein Barmizwahtag nahte heran. Ich entschloss mich, mein Glaubensbekenntnis in Begleitung einer förmlichen Predigt von der Kanzel unseres Tempels vorzutragen. Keine Widerrede half und bis zum Mai 1863 hatte ich es bei den jüdischen Behörden durch meinen, anfänglich widerstrebenden Vater durchsetzen lassen, dass ich am Sabbath Balak, 3. Juli 1863 die Kanzel zu meiner Predigt betrete.** D er Tag nahte heran. Dem Ereignisse wurde mit Spannung entgegengesehen. Wenn ich bedenke, in welche Aufregung mich heute eine so exceptionelle 22

Berührung mit der Öffentlichkeit versetzen würde, muss ich über die Kaltblütigkeit staunen, mit welcher das Kind dem grossen Ereignisse entgegenging. Ruhig disponierte ich meine Rede, und memorierte sie nicht wie eine Schullection, sondern wie eine Enuntiation, die ich dazu bestimmte, mein Leben innerhalb der Gesellschaft einzuleiten. Meine Stimmung war ja seit Jahren ununterbrochen weihevoll und andächtig. Der 3. Juli sollte nur ein hervortretendes Moment dieser Stimmung sein. Ohne Unterschied der Konfession strömten die Bewohner unseres Ortes in die Synagoge. Zur Thora unter Freudengesängen des Tempelchores gerufen, that ich das stille Gelübde, mein Leben dem Dienste der Wahrheit zu weihen, dasselbe wiederholte ich in meinem einstündigen Vortrag, dem die Menge mit verhaltenem Athem lauschte. Nie werde ich dieses Tages, dieser Stunde vergessen. Die Erinnerung an dieselben ist der Leuchtthurm geblieben meines Lebens. Bei guten und bösen Zwischenfällen meines Lebens, zu Hause und auf Reisen hat sie mich keinen Augenblick verlassen. Auf der Spitze der Cheopspyramide, am Sarge meiner Eltern, und auf der Tribüne der Stockholmer Orientalistenversamm­ lung, schwebte mir der dreizehnjährige Knabe vor, wie er vor seinen Eltern und Stadtgenossen das feierliche Gelübde ablegt, dass der Mann den Idealen des Knaben treu bleiben wolle. Am Nachmittage desselben Tages trug ich zu Hause eine talmudische Dissertation vor und bei meinem Gastmahle hielt ich einen Toast an meine Lehrer und Jugendfreunde, den ich nicht zu Ende sprechen konnte, weil meine Thränen als redestörendes Element dazwischen­ traten. So endete dieser weihevolle Tag; mit ihm meine erste Kindheit, die ich nur in Anbetracht der Lebensjahre mit diesem Namen bezeichnen kann. Es war keine Kindheit, es war eine Zeit ernster Vorbereitung und Stärkung für das Leben das nun folgen sollte. Noch zwei Jahre verblieben wir in Stuhlweissenburg. Mit Beendigung der 5. Klasse veranlasste die böse Wendung ihrer geschäftlichen Verhältnisse meine Eltern nach Pest zu übersiedeln.

1866- 6 8 . Mein Lebelang wird mein Gemüth verdüstert durch die Erinnerung an die letzten Zeiten, die ich mit meinen Eltern in Stuhlweissenburg zubrachte. Die geschäftlichen Verhältnisse meines Vaters, welcher in der alten Schule von Geschäftsleuten emporgewachsen und der neuen Art jener Concurrenten, die seit einigen Jahren sich in unserem Orte angesiedelt, nicht gleichen Schritt halten konnte, verschlimmerten sich zusehends. Tausende von Gulden hatte mein Vater den Industriellen an Waren verborgt, die Schuldner wendeten sich 23

nun an die concurrierenden Firmen und verweigerten meinem Vater die Bezahlung ihrer Schuldsummen. Als fünfzehnjähriger Knabe hatte ich meinen Vater auf Mahnwegen zu den rohen Csizmenmachern zu begleiten und von diesen die rohesten Angriffe gegen meinen Vater anzuhören. Der eine ergriff das auf seinem Arbeitspulte liegende Messer gegen meinen Vater. Von Ausgleichung der Schulden wollten diese ehrlosen Barbaren nichts wissen. Dies waren die Eindrücke der letzten Wochen in Stuhlweissenburg. Ich hörte meinen Vater die Nächte mit Weinen und Stöhnen zubringen und dabei hörte er nicht auf, wenn er mich wachend wähnte, mich zum Gottvertrauen zu ermahnen. Die Wissenschaft werde mich solcher Prüfungen entheben, werde mir solche Demüthigungen ersparen. Mein durch angestrengtes Studium überreiztes Gehirn vertrug die Erfahrungen dieser Wochen nicht. Ich verfiel in eine schleichende Krankheit, über deren Charakter ich heute nichts mehr sagen kann, die sich, soviel ich mich erinnere, in peinigendem Hustenreiz, schlechtem Aussehen, Entfärbung, äusserte. Mein Arzt, der die wirklichen Ursachen meines krankhaften Zustandes nicht kannte, verordnete meinem Vater, dass ich in Pest, wohin wir bald nachher übersiedelten, mich durch ein ganzes Jahr jedes ernsten Studiums enthalten und dass ich namentlich vom Schulbesuch ferngehalten werden müsse. Im September 1865 wurde mit den übrigen Habseligkeitcn auch meine Bibliothek, die damals an 600 Bände zählte, gepackt und aus den freien Räumen des Hauses (Schulgasse 44). in welchen ich das Licht der Welt erblickte und den Grund zu wissenschaftlicher und moralischer Bildung legte, zogen wir in einige finstere Hofzimmer des Hauses ein. an dessen Stelle sich jetzt das stolze Palais der Vaterländischen Sparkasse erhebt. Im selben Hause richtete mein Vater seinen kleinen Lederhandel ein, der sich früher als man denken konnte als völlig verfehlter Versuch der Änderung unserer Verhältnisse zeigte. Es ging von da ab immer abwärts mit den materiellen Bedingungen unseres Aufrechtbleibens, bis dass das Jahr 1874 vollends zur Katastrophe führte. Es waren neun Jahre harter Prüfung. Alle arbeiteten wir mit an dem Erwerb - meine Mutter hetzte sich in W etteifer mit ihrem Gatten im unmittelbaren Ladendienst, meine gute Schwester, damals 13 Jahre alt, half mit der Nähmaschine nach und legte den Grund zu ihrer späteren Erkrankung. Ich suchte und fand Unterrichtsstunden für geringe Entlohnung. Dies waren die äusseren Umstände meines Lebens in diesen Jahren. Ich sollte ein Jahr lang mit meinen Studien aussetzen. Dies war bei der Entwickelung, die ich zurückgelegt, für mich undenkbar. Die Wissenschaft - so sagte mein Vater in jenen trüben stuhlweissenburger Nächten - werde mich von dem Schicksale erlösen, welches das Los seiner alten Tage war. Solche Lehre bereitete mich schlecht vor für die geplante Suspendierung 24

meiner Arbeiten. In die Schule wurde ich zwar nicht eingeschrieben, aber mit dem Studieren gieng es ganz andere Wege. Unser Wohnhaus stiess an das Gebäude der Universitätsbibliothek. Diese Entdeckung entschied die Zeiteintheilung die ich mir entwarf. Dann wurde ich darauf aufmerksam gemacht, dass die Universität auch durch ausserordentliche Hörer frequentiert werden könne. Darin war der Schlüssel gefunden zur Lösung des Problems, wie ich ohne das Gymnasium zu besuchen - dazu konnte sich mein Vater nicht verstehen - meine Studien fortsetzen könne. Noch für das Wintersemester 1865/66 liess ich mich als „ausserordentl. Hörer“ inscribieren und belegte philosophische, classisch-philologische, allgemeine sprachwissenschaftliche und orientalische Kollegia. Télfy'. Horvath Cyrill"’, Riedl" und Vâmbéry1-' wurden meine Lehrer. Vâmbéry hatte sich soeben nach seiner Rückkehr von seiner Derwischreise als Lektor an der Universität niedergelassen, soeben war sein erstes Opus unter grosser Reklame erschienen1', alle Zeitungen posaun­ ten Dichtung und Wahrheit über ihn. die Mauern der Hauptstadt waren mit grossen Plakaten, die das Bild des edlen Judenderwisch in der Mitte, das Buch anpriesen. Einen grösseren Mann gab es in meinen Augen nicht; ich entschloss mich zu den Füssen dieses Kolosses zu sitzen. Ich war der erste Hörer, der sich zu seinen Vorlesungen meldete. Unter den Büchern, die ich während meiner Studentenzeit in der Heimath durch die Fürsorge meines Vaters zur Verfügung hatte, fand sich auch das hebräische Handwörterbuch von Gesenius. Die für alle Zeiten grundlegende Einleitung und die im Werke selbst immer wiederkehrenden Vergleichungen mit anderen orientalischen Sprachen, zogen mich gewaltig an und im Sommer 1865 dürstete ich nach Gelegenheit, mich in die Kenntnis des Orients und seiner Sprachen einzuweihen. Die syrischen Buchstaben und einige aus dem Gesenius zusammengelesenen Kenntnisse waren meine Vorbereitung, die ich nach Pest mitbrachte. Die Sehnsucht, mich nun gründlich in diesen Studien auszubilden, liess mich mit Heisshunger die Gelegenheit ergreifen, zu Füssen des berühmten Vämb. zu sitzen. Ich stellte mich ihm an einem Octobertage 1865 mit meinem Collegienbogen vor und als erster inscribierter Hörer wurde der junge Knabe mit grosser Freude begrüsst. Es meldeten sich noch zwei Hörer, die das Studium nicht ernst, sondern als Curiosum auf ihren Index nahmen. Der Professor wendete mir besondere Sorgfalt zu, fast täglich gab er mir in seiner Privatwohnung Unterricht, weihte mich in seine engere literarische Thätigkeit ein, bei welcher er mich als Abschreiber, Übersetzer aus dem Deutschen ins Ungarische verwendete. Er umgab mich mit grosser Liebe und da ich in der kürzesten Zeit - seiner Aussage nach - auffallende Fortschritte machte, trug er in seiner Weise den Ruf meines Fleisses und meiner Fähigkeiten in alle Kreise, in denen er verkehrte. Türkisch und 25

Persisch »aren die Gegenstände des Unterrichtes, Fächer die wohl nicht den Zielen entsprachen, die ich mir selbst gesetzt hatte, die aber gewaltig dazu beitrugen, mich in der Kenntnis des Orients zu fördern. Im Laufe des Winters 66 hatte ich grosse Stücke aus verschiedenen türkischen Chrestomathien durchgenommen, mich in die Schwierigkeiten der feinen türkischen Prosa eingelebt und einige Bücher aus Sa'di's Gülistan gelesen. Molla Ishak, der Kungrater 7 atar. den V. aus Centralasien mitbrachte und zu jener Zeit sein Hausdiener war. diente mir als Orakel in meinen Präparationen. Ein gut Theil Arabisch konnte mit grossem Vortheil auf dem Wege dieser Lektüre angeeignet werden. Vämb.'s Unterrichtsmethode war vollends aufs Prakti­ sche gerichtet. ..Copia verborum“ war das Schlagwort. In Realien bekam ich, wie ich spater einsah. ganz falsche Aufschlüsse, historische Kenntnisse, die ich aufnahm, laborierten an geradezu schädlicher Dilettantenhaftigkeit, die ich schon damals durch Lectüre von Reisewerken und besonders Muradgea d'Ohsson corrigirte. Den Standpunkt meines Lehrers in Bezug auf Realkenntnissc und geschichtliche Dinge charakterisiert der Umstand, dass der alte D'Herbelot als Hilfsbuch benutzt wurde. Grammatische und syntaktische Erscheinungen wurden nicht beobachtet und die türkischen Verwickelungen der Syntax mehr dem Instinkt, als theoretischer Schulung überantwortet. Dabei wurde fortwährend in empörender Allgemeinheit gegen „deutsche Gelehrte“ geschimpft, ich hatte keine Gelegenheit, die vernichtenden Urtheile meines Lehrers zu controlieren. Selbstruhm, Aufschneiderei, über­ hebende Würdigung der eigenen Leistungen begleitete von allem Anfang den emsigen Unterricht. Dass die Derwisch-Reise die grossartigste Leistung wissenschaftl. Touristik war, dass mein Lehrer der erste Orientalist aller Welten sei, hörte ich tagtäglich. Ich glaubte daran fest und wie hätte ich es nicht mögen? Vämb. liess mir väterliche Liebe angedeihen, ich verdanke ihm bedeutende Kenntnisse auf dem Gebiet der türkischen und persischen Sprache. Ich wurde von Tag zu Tag mit mehr Liebe, Dankbarkeit und Bewunderung für ihn erfüllt. Meinen Fleiss begleitete seine von persönlichem Interesse für mein Gedeihen eingegebene Hingebung an meine Vervoll­ kommnung in den Studien, in denen er mich leitete. Ich wäre eine gemeine Seele, könnte ich ihm dies je vergessen, oder verläugnen wollen, dass ich Vämb. die aufrechte Liebe für die orientalischen Studien verdanke. Aber noch eines muss ich hervorheben. Weit und breit trieb mein Lehrer auch Aufschneiderei mit meinen Leistungen. Er pries mich allenthalben als Wunderknaben, als orientalisches Sprachgenie an. Bald wurde ich auch in die Schriftstellerei hineingetrieben und der Grund zu verfrühter Publicität meiner Studien gelegt, die ich späterhin bitter bereute. Im Juni 1866 schickt Vémbéry in Begleitung horrender Anpreisung einige Märchenübersetzungen, die ich 26

aus einer türkischen Chrestomathie anfertigte an den Rédacteur des „Hazänk es a Külföld” ein.u Der Preisebrief und die Übersetzung wurden abgedruckt; auch in der Vasärnapi Ujsäg paradierten meine schülerhaften Versuche im selben Jahre1', ja selbst in der Akademie wurden Übersetzungen aus türkischen Historikern über türk, ungarische Geschichte hineinposaunr. Im Jahre 1867 erschien V. mit meinen Petschewi-übersetzungen am Vorlesetisch der Akademie und begleitete die Vorlage derselben mit solchen rühmenden Tiraden, dass ich selbst, im Publikum sitzend, erröthen, jeder vernünftige Gelehrte aber mit Abscheu erfüllt werden musste. Vâmbéry’s Feinde, deren er unter den ernsten ungarischen Sprachgelehrten (Hunfalvy'\ Budenz17 u. A.) eine Menge zählte, übertrugen ihre Gegnerschaft auf mich; ich war der Leibschüler des grossen „Schwindlers“ , als solchen betrachteten Viele den Lehrer - also ein Candidat des Schwindels und der unwissenschaftlichen Sprachparlirkunst. Für dieses Misstrauen sollte der Beifall jener Kreise entschädigen, in welchem V. selbst wohlgelitten war. Es waren dies vornehmlich die Kalviner, deren Kirche der jüdische Derwisch sich zugesellt hatte. In diesen Kreis wurde ich eingeführt. Der Superintendent PaulTörök1*, ein wahrer evangelischer Charakter, zeigte mir seine Sympathie, Wohlwollen bewies mir auch der damalige Gymnasialdirektor, später Ministerialrath und Staatssekretär Paul Gönczy'* und der ganze Stab der Professoren des reformierten Gymnasiums. In ein näheres Verhältnis trat ich zu Moriz Ballagi*1, der die Fittige seiner Protektion über mich breitete. Ballagi zeichnete sich durch das löbliche Bestreben aus, jedes jüdische Talent nach Kräften zu fördern; damit glich er seinen Abfall vom Judenthume aus. Seine reiche Bibliothek, die er mir zur Verfügung stellte, eröffnete mir eine Quelle neuer Belehrung, namentlich in Bezug auf biblische Literatur und Theologie. Der persönliche Verkehr mit ihm selbst, den ich pflegen durfte, so oft ich nur wollte, erschloss mir zu allererst die in der biblischen Literaturgeschichte obschwebenden Fragen. Nie werde ich vergessen, welchen Eindruck er auf mich machte, als ich die Worte Elohist und Jahowist etc. zu allererst aus Büchern erfuhr, die mir der schon damals als „alter Ballagi“ bezeichnete Protector lieh. Der Verkehr mit den reformierten Professoren führte es mir nahe,dass ich ein Unrecht begienge,wenn ich meine Gymnasialstudien erst in privater Weise fortsetzte, um dann am Schlüsse des Jahres am Gymnasium mich einer Privatprüfung zu unterziehen. Neben den Universitätsstudien sowie vielseitiger Lectüre über Philosophie, Sprachwissenschaft - es war gerade die Zeit, da Max Müllers Vorlesungen ihren Weltweg machten - Bibelkunde (Ewald’s Geschichte), deren ich tagtäglich in der Universitätsbi­ bliothek in den Nachmittagsstunden mich hingab, trieb ich zeitlich morgens die Gymnasialfächer ohne jede Beihilfe, nach Anweisung einiger Schüler des 27

Gymnasiums. Im Lateinischen und Griechischen hatte ich ja schon in Stuhlweissenburg das Niveau der sechsten Klasse überschritten, Geschichte und Literatur machten mir nicht viel Schwierigkeiten, Mathematik und Physik half mir mein starker Wille autodidaktisch anzueignen. Ein junger Jurist. Nathanael Grünhut, der eben aus Paks kommend, die Universität bezog - jetzt als römischer Christ und Tolnai Antal, Richter in Fiume - half mir in den mathematischen Studien nach. Dabei gab ich selbst Privatunterricht, um mir einige Gulden monatlich zu erwerben, und setzte mit allem Eifer die Studien fort, die meiner Seele am nächsten lagen, die jüdischen. Um meinen lieben Talmud fortsetzen zu können, suchte ich noch vor unserer definitiven Übersiedlung (ich brachte einen Teil der Gymnasialferien 65 in Pest zu) den Rabbinatsassessor Samuel Löw Brill*'1auf und bat ihn, mich an seinem Schiur theilnehmen zu lassen. Die Bitte wurde bewilligt und so frequentierte ich denn von nun ab und während meiner gesamten Studienzeit in Pest dies Collegium talmudicum, das nicht wenig fruchtbar für die Vertiefung meiner jüdischen Kenntnisse wurde. Brill hatte die richtige Methode, das Blatt, auf welchem unser Studium wochenlang haftete, als Mittelpunkt zu betrachten, um vom selben aus immer wieder in dasselbe zurückkehrend, weite Gebiete zu durchstreifen. Geistvolle Gespräche knüpften sich an die Unterrichtszeit; der Rabbi eröffnete uns da den unerschöpflichen Born seiner staunenswerthen Gelehrsamkeit in der jüdischen Literatur, welche nür unter so rohen Leuten, wie es das Pester Judenvolk ist, unter dem Scheffel verborgen bleiben konnte. Diese Gelehrsamkeit erstreckte sich nicht nur auf die talmudische Literatur in ihrem ganzen grossen Umfange, sondern schloss auch die neueren literari­ schen Strebungen der jüdischen Wissenschaft ein und wurde durch immense Belesenheit in der deutschen klassischen Literatur ergänzt. Eine für die ärmlichen Verhältnisse des Herrn Brill erstaunlich reichhaltige Bibliothek, reich an editiones principes und seltenen Büchern und Ausgaben, sich über das Gesammtgebiet jüdischer Gelehrsamkeit erstreckend, unterstützte die Streifzüge, die Brill in zwangloser Causerie auf diesen Gebieten mit uns unternahm. Es war hier vorzügliche Gelegenheit geboten, sich in die jüdische Literaturgeschichte einzuführen. Ich lernte in Br.'s Bibliothek die wichtigsten Lehrbücher und Hilfsquellen, sowie die bedeutendsten Denkmäler derselben kennen. Aus denselben las ich zu allererst die Bücher von Zunz und Geiger und erfuhr von den wissenschaftlichen und religiösen Bestrebungen der letzten Jahrzehnte. Es geschah also ein gewaltiger Fortschritt über Freuden­ berg hinaus. Aber dennoch! - Während der Unterricht Fr.'s nicht blos die Erweiterung der Kenntnisse sondern die Bildung edler Gesinnung zum Ziele hatte, war dem Brill’schen Studienverkehre diese ethische Seite völlig fremd. Mein neuer Lehrer mit seiner skeptischen, sarkastischen Anlage bot mir nicht 28

das Bild abgeklärter sittlicher Gesinnung. Seine Lehre und sein Thun stellten das altorthodoxe Judenthum dar. Aber er war niemals frei von lächelnden Bemerkungen, welche dem jungen Menschen leicht Misstrauen gegen den Werth der Untersuchungsstoffe und der Methode der Behandlung einflössen konnte. Ich habe nun einen Begriff von der vielseitigen Beschäftigung gegeben, der ich mich in diesem der Rast gewidmeten Jahre 1865/66 unterzog. Der Erfolg derselben lohnte meinen Fleiss. Als ich am Ende des Schuljahres, welches wegen des östcrr. preussischen Krieges beschleunigt wurde.meinen verdienten Ferienausflug nach Veszprém und Balaton Füred unternahm, hatte ich ein ausgezeichnetes Gymnasialzeugnis, anerkennende Colloquienzeugnisse von den Universitätsprofessoren und eine Reihe von türkischen Büchern als Reiselektüre mit. die ich nun mit Leichtigkeit ohne Hilfe eines Wörterbuches lesen konnte. Ich durfte sagen, dass ich in meiner Studienlaufbahn gut vorwärtsgekommen, ein angesehener Orientalist und jüdischer Theologe geworden war. die Liebe und Achtung namhafter Menschen erworben hatte. So setzte sich mein Lebenslauf auch im folgenden Jahre fort. Die orientalischen Studien wurden auf einer breiteren Basis verfolgt, die türkischen gewannen, nachdem die allgemeine sprachliche Vorbereitung beendet war. ein objectives Ziel. Sie richteten sich immer mehr auf die ungarischen Beziehungen der türkischen Geschichtsschreiber, von diesem Gesichtspunkte wurde Petschewi’s Geschichte aus der Handschrift der ung. Akademie gelesen, Feriduns Sammlung von Bulletins u. Erlassen der sieghaften Sultane, das Mohatsch-name kennen gelernt. Ich fand mich bereits im 2. Jahre nicht nur in den Irrgängen türkischer Kanzleistilistik zurecht, sondern überwand die paläographischen Schwierigkeiten der Dîwâni-schrift. Vâmbéry und Ballagi schleppten meine Abhandlungen und Ausarbeitungen vor die Akademie, was mehr meinem Vater und meinen Verwandten als mir selbst Freude bereitete. Das Verhältnis zu beiden Herrn festigte sich von Tag zu Tag immer mehr. Vâmbéry opferte mir noch mehr Zeit und Sorgfalt als früher; mit offenerem Blick für die Dinge der Welt hätte ich weniger Naivität einigen Eigenthümlichkeiten dieses Mannes entgegengebracht, deren Wesen mir erst manches Jahr später aufgieng. Einige Worte darüber. 1° ich hatte selbst als 15-16 jähriger junger Mensch die völlige Unzuverlässigkeit und Verlogenheit dieses Mannes erkennen müssen. Jedes Wort eine Lüge. Er schilderte mir seine Vergangenheit, seinen Lebenslauf in ebenso lügenhafter Weise, wie er mir die empörendsten Lügen über die Chancen meiner Zukunft und den Einfluss, den er auf deren günstige Gestaltung zu üben berufen sein wird, vorspiegelte. Er werde mich zum Mitglied der deutschen morgen). Gesellschaft (!) ernennen lassen, auf sein Wort werde ich unter die genres de 29

langues in Paris aufgenommen werden. Er posaunte über seine Verbindungen, über wissenschaftliche Erfolge die er erzielte. Aufträge, die er erhielt. Dinge in die Welt der Journalisten, um diese lügenhaften Nachrichten indie Zeitungen zu bringen, die alle Tage mit solchen Münchhausiaden erfüllt wurden. Bald bekam er den Auftrag für die Bibelgesellschaft, die Bibel ins Tatarische zu übersetzen, bald hatte er politische Missionen von England, vom Sultan etc. Er gab vor. Dinge zu wissen, von denen er keine Ahnung hatte. Er sprach nur davon, dass er als Pilger in Mekka gewesen sei. gab vor Arabist und Mongolist zu sein etc. 2'' ich hätte mit Abscheu bemerken müssen, wie das ganze Dichten und Trachten dieses Menschen auf Gelderwerb gerichtet sei. welch schmutzi­ ger Geiz ihn charakterisierte, wie schnöde er seine nächststehenden Anver­ wandten. Schwester. Neffen u.s. w. abwies, wie er in verächtlichem Tone von seinen Eltern sprach. Auf die Erzählung, dass ihm einst als er Lehrer in Kecskemet war. seine Mutter Geld aus der Tasche gestohlen habe, hätte ich einen solchen Abscheu vor diesem Menschen empfinden müssen, dass ich ihn wie seine ganze Gelehrsamkeit und seine Zukunftsfaseleien wie ein schmutzi­ ges Hemd hätte von mir werfen müssen. V cs hätte mir nicht entgehen dürfen, mit welchem Spott er über seine eigene Jugend sprach, wie er an dem Glauben seiner Väter tagtäglich verhöhnte, mit welchem Unwillen ihn meine Anhänglichkeit an meine Religion erfüllte, welche Ausdrücke gemeinster, obseönster Art er allen Äusserungen des Idealismus (auch auf ausserreligiösem Gebiete) widmete. Nur Geiz. Schmutz. Gemeinheit hätte ich bemerkt, wenn ich diesen Charakter an meinen Grundsätzen gemessen hätte. Ich unterliess es und habe dafür mit Recht gebüsst. Wenn ich heute an den intimen Umgang mit jenem Manne zurückdenke, auf den Glauben, den ich in ihn setzte, auf die Autorität, mit der er mir imponierte, so muss ich unbescheiden feststellen, dass meiner Seele ein ausserordentlicher, bösen Angriffen Trotz bietender Kern von guten Anlagen innewohnen musste; sonst hätte ja mein ganzer Charakter unter dem dominierenden Einflüsse des Derwisches in den Grund corrumpiert werden müssen. Das Jahr 1867 - bis Ostern 1868 war ausserdem mit dem Beschluss der Gymnasialstudien ausgefüllt. Juli 1867 war ich zum Abiturienexamen so gut wie bereit. Da kam eine Gehirnentzündung, die mich zwang, einige Tage vor dem Termin zurückzutreten und das Examen zu Ostern 68 abzulegen. Max Nordau” war unter meinen Mitschülern. Die Prüfung gelang über alle Erwartung; selbst in den mathematischen Fächern legte ich Beweise guter Kenntnisse an den Tag; mein nachmaliger Schwager Glück ergänzte durch seinen eifrigen Wiederholungsunterricht die Lücken meiner auf Humaniora gerichteten wissenschaftlichen Fähigkeiten. Im Ganzen hatte ich die drei 30

letzten Klassen autodidaktisch zurückgelegt, in kürzerer Zeit als mir dies bei fortgesetztem öffentlichen Schulbesuch gelungen wäre. Inzwischen wurde auch Gelderwerb betrieben; ich hatte Privatstunden; unter anderem unterrichtete ich im Winter 1867 einen Herrn Valentin Onody, den späteren Melonenforscher Turkestans, im Türkischen, einen Herrn Csanädy aus Nagykäroly bereitete ich über Empfehlung des Superintendenten Török zur Maturitätsprüfung vor. - Die Reconvaleszenz nach überstandener Gehirnentzündung verbrachte ich in Miskolcz. wo ich sechs Wochen bei meinen Verwandten zubrachte. Während dieser Zeit begeisterte ich die dortige jüdische Jugend zur Gründung eines nationalen Kulturvereins, dessen Gründung ich durch hochtönende, mit grossem Beifall aufgenommene Reden initiirte. Der Verein bestand nicht lange, nach einjährigem Leben gieng er an der Wahl der Functionäre zu Grunde. Im darauffolgenden Winter meldeten sich bei mir die Herren Josef Weisz-” (der eben vom Weszprimer Gymnasium nach Pest kam) und Bernhard A lexander4über Empfehlung des Rabbiners Hochmuth” mit folgender Bitte. Weisz, ein Zögling Hochmuths, sollte den rabbinischen Beruf erwählen. Alexandern gefiel dieser Entschluss so gut, dass er ihn auch für seine Person fasste. Ich wurde nun vom genannten Rabbi dazu ausersehen, den jungen Leuten (beide um '/: Jahr an Alter mir zuvor) jüdischen, speciell Talmudunter­ richt zu ertheilen. Mit Freuden ergriff ich diese Gelegenheit und so hielt ich denn allabendlich in meiner kleinen Jeschiwah Vorträge über Talmud Chullin. Ich fühlte mich dabei im Dienste eines erhabenen Berufes, die mir liebgewordene Literatur so gebildeten Zöglingen zu unterrichten. Meine gute Mutter lieferte den jungen Leuten, die in weltlichen Dingen nicht sehr gut bestellt waren, die allabendliche Atzung, die nach vollbrachtem Talmudstu­ dium gut am Platze war. So förderte mich nun dieser Unterricht auch selbst während des Jahres 67/68. Meine Schüler sind seither bedeutende Männer geworden. Josef Weisz ist zu Josef Bänöczi geworden. Ob mein Unterricht ein bleibendes Element in ihrer geistigen Laufbahn war? Dies könnte man nur von ihnen selbst erfahren. Das Abiturienexamen bildete keine Epoche in meinem Leben. War ich ja bereits vorher Universitätshörer und hatte ja das höhere Studium auch bisher meine Tage und Nächte ausgefüllt. Aber dass ich nun den Mittelschulplunder officiell aus meinem Pensum entfernen konnte, wurde zu grosser Erleichte­ rung für den Gang meiner Studien. Ich konnte nun meine Weiterreise unternehmen, ohne zu dem grossen Gepäck noch allerlei störendes Beiwerk mitnehmen zu müssen. Ich trat freilich in das dritte Jahr; von den 2'h ausserordentlichen Jahren wurde mir das eine in mein Triennium eingerech­ net, so dass ich nun als zweitjähriger Philosoph gelten konnte. Mittlerweile 31

hafte ich Mich specieFle ungarische Philologie in mein Studiengebiet anfgewxwneft rj/td erfreute rmch der Gunst des L ehren dieses Faches. Prof. Franz Tolrty ' Meine Colloquien begleitete er stets mit Ausdrücken des Beifalls und der Zufriedenheit Es galt zumeist die Analyse der Halocn bcszéd nach Révay sehen Grundsätzen. Im Allgemeinen durfte ich mit dem Verhältnis zu allen L'nrscrsrtatsprrrfesAoren. die ich hörte, zufrieden sein. Alle waren des Is4>es voll über Vämhery's kleinen Schüler. Zweimal wurde mir der damals übliche Prêts pro diligentia fszorgalmi dij >von je SO fl. zugesprochen, zu nicht geringem Arger einiger Mitschüler, unter welchen mir der jetzige Realschulprofessor Gorog noch in Erinnerung ist. [ b i fahr 1867/8 brachte mir einen guten Freund. Am Anfang des Semesters lernte ich im Talmudcollegium Brills einen Jüngling kennen, der vieben vom Lyceum in Pressburg abgieng, um in der Hauptstadt die Universität zu beziehen. Es war Wilhelm Bacher17. Der sittliche Ernst, die bescheidene Anspruchslosigkeit dieses jungen Mannes fesselte mich umso­ mehr. ak sein Umgang grosse jüdische und klassische Kenntnisse und ganz ungewöhnliche allgemeine Bildung verrieth. Wir schlossen uns aneinander an. verabredeten und vollführten gemeinsame Studien, welche die Midraschlite­ ratur zum Gegenstände hatten. Ich führte B. in die persische Sprache ein und wir lasen dann gemeinschaftlich Sa'dis Werke. Arabisch und Syrisch lernten wir so wie es gieng autodidaktisch. Wenig förderte uns der Unterricht des alten Professor Ruzsicska1*. den wir an der theologischen Fakultät hörten, das erste Beispiel, dass Hörer anderer Facultäten in diese verdorrten Kreise zugelassen wurden. Ich kann es heute, da ich mein Verhältnis zu diesem Freund nach mehr als zwanzigjährigem Bestände lockern musste, aussprechen, dass mir der immer engere Verkehr mit B. die prächtigen Seelengaben und Charaktervor­ züge dieses Jünglings offenbarte. Ich konnte in ihm die Ergänzung meiner selbst erblicken. Poetische Erregtheit paarte sich in ihm mit nüchterner Beurtheilung der Lebensverhältnisse. Er hieng stets am Gegebenen, Concre­ te n; nie hatte er Lust, sich gegen bestehende Verhältnisse aufzulehnen. Den Beruf, ernst in die Schäden unseres confessionellen Lebens bessernd einzugreifen, ein Beruf, den ich um diese Zeit in mir lebendig fühlte, lehnteer entschieden ab; er wollte stets mit den Besseren halten, aber zum thätigen Eingriff fühlte er keine Lust. Er gehörte schon als junger Student zu den Leuten, welche nur die Wahrheit mögen, aber - in aller Bequemlichkeit und ohne mit dem Reich-der Lüge in Conflict zu geraten. Ich muss bemerken, dass diese Richtung seines Sinnes nicht etwa einer schmutzigen Falte seiner Seele, einer auf die Pfaffheit gerichteten Tendenz seines Gedankens angehörte: sie gehörte mit in das System der ungekünstelten Bescheidenheit meines Freundes. Sie ist ihm freilich zu Gute gekommen. Denn ohne unehrenhaft zu 32

sein, konnte er seinen Geist den herrschenden Strömungen adaptiren. deren Factor er mit der Zeit wurde. B. zeigte sich überhaupt von allem Anfang an als Gelehrter. Ihm war das Judenthum eine literarische Thatsache; für mich war es bereits anno 1867 der Pulsschlag meines Lebens. Aus dem Studium der Literatur holte ich Stärkung für mein Judenthum als Interesse des Lebens. So hatte mich schon Freudenberg erzogen; jetzt wurde ich aus den Offenbarun­ gen. die ich aus Geigers Schriften schöpfte, zu dieser Denkungsart discipli­ niez. Freudenberg hatte mich für Geiger vorgebildet. Ganz anders arbeitete es in Bachers Gehirn. Und so wie ich als junger Mensch von 17 Jahren für den Protest gegen die Corruption der Gesinnung im heutigen ungarischen Judenthum unabänderlich geformt war, so war B. schon zu jener Zeit zum Träger der stillschweigenden Billigung dieser Verderbnis ausgebildet. Wie mir aber der Lebensberuf vorschwebte, dereinst als Kämpfer für Gott und seine Lehre einzutreten, so war ich auch entschlossen, B. dessen Biederkeit und dessen tüchtiger Charakter ihn zum Diener der Wahrheit zu bestimmen schienen, zu mir herüberzuziehen, ihn zu begeistern, aus der theoretischen Lethargie herauszuheben, mit ihm vereint zu kämpfen und mit Gleichgesinn­ ten eine Armee der Wahrheit zu organisiren. Im Herbste 1868/69 trennten wir uns und pflegten einen ständigen Briefwechsel; B. bewahrte meine Briefe und da werden sich meine Alarmrufe an ihn finden. In meiner Briefmappe finden sich die ablehnenden, alle Action von sich weisenden Äusserungen des Schülers des Breslauer Rabbinerseminars. Mein Freund hat Wort gehalten. Ich musste für meine Denkungsweise ein jüdisches Martyrium erleiden und meinen Cultus der Gotteswahrheit unter unnennbarer Verkennung und Verlästerung, die zu meiner völligen Isolierung führte, auf den Kreis meiner kleinen Kinder beschränken. Während der zwanzig Jahre, die zwischen dieser Entwicklung liegen, verband mich die engste Freundschaft mit B. Nie war dieselbe getrübt bis 1888, ich hatte die Hoffnung nie aufgegeben, in meinem besten Freunde denn doch zum Schluss meinen Mitarbeiter zu gewinnen. Dazu benutzte ich jedes Moment in B.'s glücklichem Lebenslaufe, aber stets vergeblich, den Menschen interessierte nur der todte Buchstabe, unterdessen Priestern er eine mit Recht ausgezeichnete Stellung erwarb. Der Buchstabe, der ja tödten soll, gab ihm ein recht behagliches, bequemes Leben, aus dem sich herauszustören nicht jedermanns Sache ist. In diese Zeit fiel eines der bedeutendsten Weltereignisse unseres Jahrhun­ derts. 1867. Die Wiederherstellung der ungarischen Verfassung-’''. Sie war nicht ohne Einfluss auf die fernere Entwickelung meines Lebensganges. Der ungarische Unterrichtsminister Josef v. Eötvös'" Hess sich seitens der Universität Studenten proponieren, welche er behufs höherer Ausbildung für Universitätsprofessoren mit Reisestipendien nach ausländischen Universitä3

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ten sandte. Vâmbéry und Ballagi sprachen von mir so rühmend zu Eötvös, mit dem sie Verbindungen hatten, dass er mich auffordern Hess, mich ihm vorzustellen. Ich erschien denn auch an einem Sonnabendnachmittag des Monats April 1868 - kaum nach Beendigung meines Abiturienexamens, im Audienzzimmer des grossen Menschen und schied mit einer Bereicherung meiner Seele, welche in den Tagen der Drangsal stets meines Trostes und meiner Erhebung Quelle war. Eötvös Hess sich von mir ein Programm meines beabsichtigten Studienganges entwerfen. Ich war auf diese Aufforderung nicht vorbereitet, hatte aber die Geistesgegenwart, mein damaliges Ideal orientalischer Studien vor dem bedeutenden Mann zu improvisiren. Ich entwickelte die Wichtigkeit der Erforschung der Institutionen der Menschheit in ihrer geschichtlichen Entwickelung im religiösen und politischen Leben. Dies gedachte ich. falls ich Gelegenheit fände, auf dem Gebiet des Semitismus zum Gegenstand meiner Studien zu machen. Eötvös erwiderte, dass ich mit solchen Studien die ungarische Wissenschaftlichkeit (tudomänyossäg war sein Wort) ergänzen könnte und lud mich ein, ihn in nächster Zeit zeitlich morgens in seiner Privatwohnung aufzusuchen. Ich Hess eine Woche verstreichen und folgte am Montag der nächsten Woche dieser auszeichnenden Einladung. Mittlerweile hörte ich. dass Eö. sich in der lobendsten Weise über mich ausgesprochen habe. „D er Judenknabe gefällt mir“ (Tetszik nekem ezazsidö fiu). soll er gesagt haben und versicherte meine Protektoren, dass ich mit Reisestipendium nach Deutschland gesendet werde mit der Aufgabe, mich für eine zu creirende Professur der semitischen Literatur zu qualifiziren. Unter den ermuthigendsten Worten gab er mir selbst diese seine Absicht an jenem Montag-morgen zu kund und zu wissen. In der eingehendsten Weise Hess er sich von mir die Verhältnisse meiner Familie, meinen bisherigen Studiengang erörtern, und als ich ihm umunwunden darlegte, dass ich ein armer Student sei, entliess er mich mit den tröstenden Worten, dass ich Isten segedelmével31eine Stütze meiner alten Eltern sein werde. Im Juni wurde ich wieder zum Minister beschieden. Der einzige Mann empfing mich mit einem entzückenden „Na. Goldziher - rendben vagyunk“ und erklärte mir. dass ich mich als beauftragt betrachten möge, im nächsten Semester nach Berlin zu reisen und meine Studien nach dem von mir selbst entwickelten Plane zu beginnen. Er reise in den nächsten Tagen nach Karlsbad, habe aber seinem Referenten die nöthige Weisung ertheilt. Pro forma musste der letztere noch die Vorlage des Universitätssenates, in welchem ich behufs Entsendung ins Ausland vorge­ schlagen wurde, abwarten. Diese Vorlage steckte damals in der Kanzlei des Rektors. Diese Würde bekleidete in jenem Jahre der Domherr Alois Roder'-’, Professor der höheren Pädagogik, ein beschränkter, dummer Pfaffe, der es als eine Beleidigung des marianischen Charakters des neuen ungarischen Staates 34

betrachtete, wenn einem Judenjungen ein Staatsstipendium behufs Erlangung einer Universitätsprofessur ertheilt würde. Er Hess den Act in seiner Tasche liegen und wollte Zeit gewinnen. Ich begab mich persönlich zu Magnifico um die Absendung der Vorlage zu urgieren. Er entwickelte mir seine Ansicht, dass er nichts dagegen habe, wenn ich ein Stipendium aus den jüdischen Fonds erhalte und sagte es mir gerade heraus, dass ich bei ihm nichts zu urgiren habe. Auf meinen bescheidenen Einwand wendete er mir den Rücken christlicher Liebe zu mit den wüthenden Worten „Glauben Sie denn einen rabbinus vor sich zu haben"? Damit Hess er mich inmitten seiner Kanzleischreiber stehen und ich konnte nun Reflexionen über das historische Factum anstellen, dass zur Zeit Eötvös's die Regierung der Universität in die Hand eines so dummen Pfaffen gelegt werden konnte. Sr. Hochwürden reiste einen Tag nach diesem Zwiegespräch zur Kur nach Koritnyicza, nicht ohne den mir so wichtigen Act in seiner Lade versperrt zu haben, so dass nun diese Urkunde absolut nicht an das Ministerium expedirt werden konnte. Aber ich verlor den Muth nicht. Ich sah mich nun vor einem gewaltigen Unrecht; ich sollte das Opfer der Schlechtigkeit und Dummheit dieses Pfaffen sein. Als fünfjähriges Kind prophezeite mir eine in Stuhlw'eissenburg vagabundirende Zigeunerin, die vor unserer Ladenthüre bettelte, dass „dieses Kind durch einen Pfaffen in grosses Unglück fallen werde". Ich sah die Prophezeiung nun erfüllt. Nichts destoweniger wollte ich nicht die Ungerechtigkeit triumphiren lassen, ohne meinerseits gegen dieselbe angekämpft zu haben. Ich fasste Muth und wandte mich in einein Briefe nach Karlsbad an den Minister, citirte einen Satz aus seinen GONDOLATOK, aus welchem ich meinen Ausgang nehme, um ihm nahezulegen, dass es nicht mit seinen Intentionen übereinstimmen könne, dass seine Pläne durch alberne Vorurtheile vereitelt werden. Einige Tage nach Absendung dieses Briefes, wurde ich durch Sektionschef Meszäros ins Ministerium beschieden und mir mitgetheilt, dass mein Stipendium angewie­ sen sei. Welchen Eindruck mein Brief machte, ist nicht nur aus dieser Verfügung ersichtlich, sondern aus einem Briefe Eötvös' an den Staatssekre­ tär Tanärky’4 (d.d. Karlsbad), der jetzt in der Gedächtnisrede Lorenz Töth’s über letzteren abgedruckt ist." Nach der Rückkehr des edlen Mannes konnte ich mich ihm noch einmal vorstellen, um ihm für die Nachsicht zu danken, mit der er meinen kühnen Schritt aufnahm. Er entliess mich in wahrhaft väterlicher Weise, trug mir Grüsse an meine Eltern auf und machte es mir zur Pflicht, ihm von Berlin aus zweimonatlich Berichte über meinen Studiengang einzusenden. Er versah mich noch mit einem persönlichen Empfehlungsschreiben an den Grafen Wimpffen, dem österr. ungar. Gesandten in Berlin. So endete meine Studienzeit in Pest. Ich sah den Anbruch der Morgenröthe meines Lebens. 3•

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Frohen Muthes begann ich nun in die Zukunft zu blicken. Während der Busstage und hohen Feiertage, welche diesen erhebenden Tagen folgten, betete ich inbrüstig an der Seite meines Vaters in der alten Synagoge für das Wohlergehen Eötvös' und erneuerte mein Gelübde, dem Glauben meiner Vorväter unter allen guten und bösen Umständen meines Lebens anzuhängen.

1868- 73. Die ersten Tage, die ich in Berlin verlebte, trugen nicht viel dazu bei. den frohen Blick in die Zukunft für die Dauer zu erhalten. Ein junger Mensch von achtzehn Jahren, bisher immer gepflegt und umgeben von einer liebevollen Mutter und einer hingebungsvollen Grossmutter, nun in die grosse fremde Stadt versetzt. Ich hatte eine Anzahl von Empfehlungsschreiben, die ich den gcmüthlosen Leuten überreichte, an welche sie adressirt waren. Damit verlor ich sehr viel Zeit, ohne mir eine rechte Familienverbindung in Berlin gründen zu können. Nur bei einer Familie Klausner fand ich gemüthvolle Aufnahme. Herr Klausner, ein alter Schriftgelehrter (Vater des nachmaligen Eigenthümers des Klausner'schen Correspondenz-bureau) war der einzige, der mich in seine Familie aufnahm und in dessen Hause ich sehr herzliche Freitag-abende verleben konnte. Einen merkwürdigen Effekt brachte das Empfehlungs­ schreiben Eötvös' an den Gesandten Wimpffen hervor. Dasselbe wurde von einem uniformirten Lakaien auf silberner Tasse (zu allererst im Leben sah ich diese Ceremonie) in den Salon des Grafen hineingetragen und ich selbst bald darauf zu letzterem beschieden. Der Brief musste viel Schmeichelhaftes über mich enthalten, da Wimpffen mich mit ausnehmender Freundlichkeit empfing und mir freistellte, mich an ihm zu wenden, wenn ich seiner bedürfte. Gleichzeitig empfahl er mir, mich in seinem Namen dem Gesandschaftskanz1er Grafen Zaluski vorzustellen, der mir wohl die ungarischen Translator- und Dolmetschgeschäftc der Gesandschaft anvertrauen könnte. Ich wand mich nun durch das Labyrinth des Gesandschaftsgebäudes. um in die Bureaux des Grafen Zal. zu gelangen. Nachdem ich mich gemeldet hatte, erschien ein junger, grossgewachsener Herr mit röthlichem Bart an der Thüre und herrschte mich mit den Worten an: Was wollen Sie wieder? Habe ich Ihnen nicht schon gesagt, dass ich keine Unterstützung für Sie habe? u.s. w. Ich war wie betäubt, taumelte die Treppen herab, und war glücklich, wieder die Wilhelmstrasse erreicht zu haben. Der Graf hatte mich mit einem Bettler verwechselt. Meine einsame Wohnung, Oranienburgerstrasse Nr. 8. hörte mich weinen und wimmern wegen dieser Schätzung meiner Person. Hinausge­ schmissen als Bettler! Dies war mein stetiger Gedanke. Die Fenster meines 36

Zimmers boten den Ausblick auf den alten jüdischen Friedhof, in welchem die Reste Moses Mendelssohns ruhen. Da starrte ich in die Welt von Grabsteinen hinaus und beneidete manchen Abend, den ich mit solchem Anblick zubrachte, die wackeren Männer, die in der Oranienburgerstrasse ein so ruhiges Leben führen und es nicht nöthig haben, sich vom Grafen Zal. die Treppe herunter complimentiren zu lassen. Geschieht dir Recht! dachte ich eines Abends, als der herbstliche Sternenhimmel auf die düster emporstarren­ den Grabsteine herablächelt. Mendelssohn hat aber auch nicht Gesandschaftspalais aufgesucht, darum hat man ihn nicht als Bettler abgewiesen! Eines Nachmittags besuchte mich ein Hörer der evangel. Theologie, der das mir benachbarte Zimmer bewohnte, um mich nach dem Grunde meines nächtlichen Weinens und meiner Selbstgespräche zu befragen und mir einiges Tröstende zu sagen. Während wir bei einander sassen, tritt in meine Stube ein Herr, der mir im Aufträge des Grafen Zaluski Worte der Entschuldigung wegen des unliebsamen Missverständnisses übertrug. Der Graf habe mich mit einem Menschen verwechselt, der in den letzten Tagen sein Bureau belästigt, und bedauert es sehr, so voreilig gewesen zu sein. Es wird ihm sehr angenehm sein, wenn ich ihn so bald als möglich aufsuche. Dieser Einladung bin ich nun nicht gefolgt und habe überhaupt die Lust verloren, die Corridore von Palästen zu beschreiten und die Gunst grosser Herren zu suchen. Auch meinen zukünftigen Lehrern stellte ich mich vor. Zumeist begegneten sie mir mit merklichem Sarkasmus. Österreichische Wissenschaft war zu jener Zeit in Norddeutschland ein humoristischer Begriff, hinsichtlich meines Fachstu­ diums wurde dieselbe mit Hammer-Purgstall'" identifizirt; zumal Ungarn galt als völlig barbarisches Land und es kam den Herren spassig vor, dass von da her irgend jemand die Aspiration mitbrächte, ein Gelehrter zu werden. Ein ungarischer Sprachmeister, Namens Julius Dallos, ein Schwindler und Ignorant, spielte sich in Berlin zu jener Zeit auf den Orientalisten heraus und dies mochte nicht wenig auf das Misstrauen eingewirkt haben, welches mir die Professoren entgegenbrachten. Inzwischen begannen die Collégien. Ausser einigen philosophischen und allgemeinen Vorlesungen hörte ich Bibel, Arabisch und Syrisch bei Rödiger’7, Dieterici’", Haarbrücker”' und Wetz­ stein4". Nur bei letzterem, der als Konsul a.D. in der Eigenschaft eines Privatdozenten Vorlesungen über Beduinen, Sprache und Sitten derselben hielt, wurde ich angeregt. Rödiger's alttestamentliche Vorlesungen hätte man aus den Büchern ebenso studiren können; seine arabischen Stunden waren ganz schülerhaft. Seine grosse Erudition wirkte auf den Schüler nicht. Sein Unterricht hatte nicht den Charakter des Unmittelbaren, Sprudelnden. Ohne eigene Präparation konnte er dem Schüler nichts bieten, nur die Sicherheit der grammatischen Formen, also die ersten Elemente, konnte sich der Anfänger 37

und der Autodidakt (dies war ich in semiticis) durch seinen U nterricht aneignen. Tieferes Eindringen in die Literatur oder zumal in die Institutionen des Islam fehlte allen diesen Vorlesungen: Rödigers literaturgeschichtliche Excurse. auf die er es zumeist in der allwöchentlich einmal in seiner W ohnung abgehaltenen „arabischen Gesellschaft“ absah. waren eigentlich nichts anderes, als bibliographische Erörterungen. Aber diese letzteren waren m ir allerdings sehr nützlich, da sie mir das erstemal einen Einblick in das M aterial vergönnten, mit welchem ich mein Leben lang zu arbeiten haben sollte. Viel förderlicher waren mir noch die Vorträge Steinschneiders*1* in d e r Veitel-Heine'schen Lehranstalt über jüdische Philosophie und jüdisch-arabi­ sche Literatur. Der als Bibliograph verschrieene Steinschneider führte mich in das wahre Wesen dieser Literatur ein und ich wurde durch diese Vorlesungen angeregt, meinen häuslichen Fleiss fast ausschliesslich der jüdisch arabischen Literatur zuzuwenden. Ich vertiefte mich in die Grammatiker und Philoso­ phen dieser Literatur. Chajjug. Gannach. Maimonides wurde gründlich durchstudirt und der Grund zu meiner Inauguraldissertation über Tanchum Jeruschalmi41 gelegt. Dabei frequentirte ich Talmudstudien bei Herrn L. Zomber im Beth-hammidrasch (Rosenstrasse). Die Liebe des Talmud begleitete mich auch in dies theilnahmslose Land. Ich begnügte mich auch mit dem Schiur des Herrn Zomber nicht, der eine Verquickung des alten „Lernens“ mit einer Art kleinlicher Textkritik darstellte, sondern trieb dies wonnige Studium auch zu Hause in meiner Wohnung. Dafür stand mir eine reichhaltige jüdische Bibliothek in meinem Zimmer zu freier Verfügung. Und dies war also gekommen. Unter meinen Berliner Bekannten muss ich den feinsinnigen Talmudkritiker Lebrecht4*'nennen, einen alten Gelehrten, der die Früchte des Hörsaales von Moses Sofer mit denen Gesenius' pietätsvoll in sich vereinigte. In den ersten Tagen meines Aufenthaltes in Berlin kam ich oft zu ihm. er war Leiter der Veitel-Heine'schen Anstalt und wohnte auch im Institut. Der kindliche Greis interessirte sich für meine Privatangelegenheiten aufs innigste und meine Klage über meine verlassene Lebensweise, über den Ekel, den ich vor dem Gasthausleben, vor der Gesellschaft mit der ich da verkehre, empfinde, über das einsame Leben unter theilnahmslosem Schuster­ volke. bei denen ich W'ohnung fand, erregte sein Mitgefühl. Er versprach mir. mich in einer guten Familie unterzubringen und Tags darauf stellte er mich Herrn Adolf Berliner vor. mit dessen Gattin ich noch am selben Tage wegen der Bedingungen meiner Hausgenossenschaft in Ordnung kam. So konnte ich denn in eine mir sympathische Familie einziehen, von der ich gesellschaftli­ chen und moralischen Halt inmitten der Gräuel der Grosstadt fand. Vater und Mutter waren mir Berliner und Frau. Ich verdanke es ihnen einzig, dass ich mich moralisch aufrecht erhielt und nicht in den Pfuhl der Sünde gerieth. Wie

das eigene Kind, so wurde ich im Hause behandelt und noch obendrein bewohnte ich das Bibliothekszimmer meines gelehrten Wirthes, mit dem ich gemeinsame Studien trieb. Unter so gemüthvollen Verhältnissen war mir die Lernlust zugeflogen; die jüdischen und orientalischen Studien hielten mich bis in die späte Nacht am Tische. Ich empfand den tiefsten Schmerz als ich endlich, zumeist erst gegen 2 Uhr Morgens meine Lampe abdrehte um erst gegen 6 -7 Uhr wieder an den Studientisch zu gehen. Es war ein überaus fleissig ausgenütztes Jahr, dem ich vieles verdanke, wovon meine zu jener Zeit gesammelten Notizen zeugen. Zu allem, was ich seither getrieben, legte ich in diesem Jahre den Grund, zum wenigsten in den Universitätsvorlesungen, zum meisten in meinen Privatstudien. Im Sommer nahm ich bei Rödiger Privatissimum zusammen mit Gustav Jahn4', der wegen seines Conflictes mit der Kirchenbehörde, den theologischen Arbeiten den Rücken kehrte und begann, sich zum Orientalisten zu bilden. Jahns Umgang regte mich vielfach an. er führte mich in die Hegel'sche Philosophie und in die Tübingische Theologie ein. deren Opfer und Märtyrer er damals war. In weiten Spaziergängen hielt mir Jahn Vorträge über Neues Testament, das wir auch zusammen lasen und ich begann Geiger erst recht zu begreifen, nachdem ich Strauss und Baur kennen lernte. Diese Kenntnisse unterstützte Jahn aus seiner reichhaltigen theologischen Bibliothek. Ich zahlte ihm mit Unterricht in Rabbinen und Persisch. Das Privatissimum war auf Handschriftenkunde gerichtet und hatte zumeist bedenkliche Manuscripte der Kgl. Bibliothek, die Rödiger katalogisieren sollte - es waren zumeist persische - zum Gegenstän­ de. Dabei bot uns Rödiger das Maximum dessen, worüber er als Lehrer verfügte. Dies hatte ich aber nun weidlich ausgenützt. Ich dürstete nach reichlicheren Quellen. Die Losung: Auf zu Fleischer44! drängte sich mir immer lauter auf. Rödiger selbst rieth mir nicht ab. So nahm ich denn im August 1868 Abschied von Berlin, bereichert mit einer grossen Summe neuerworbener Kenntnisse. Meine Arbeit „Studien über Tanchum Jeruschalmi“ befand sich so viel wie fertig in meinem Reisekoffer. Meine Heimreise nahm ich über Breslau, wo ich Bachern abholte und ich brachte einen grossen Theil der Ferien in Köröshegy bei der uns eng befreundeter Familie Löwentritt zu, wo ich auch früher zur Erholung von anstrengendem Studium für einige Zeit einzukehren pflegte. Das kleine Dörfchen am Plattensee barg eine ganz besondere Anziehungskraft für mich. Charlotte, die Tochter des Hauses Ltritt, eine Schulfreundin meiner Schwester, welcher ich seit mehreren Jahren schon ein vertrauter Freund geworden, ein Mädchen, das man wohl nicht schön nennen konnte, deren offener, heller Geist mich jedoch zur Sympathie aufforderte, wurde mir immer mehr verwandt. Die freundschaftliche Neigung des Knaben, genährt durch regelmässigen Briefwechsel, steigerte sich zum 39

Gefühl der Liehe für das Mädchen, das so grossen Antheil an meinen geistigen Bestrebungen nahm und meine Studien in ganz ausserordentlicher Weise zu würdigen verstand. Ich verlebte gerne einige Wochen in dem gastlichen H ause der Lbwentritts und schätzte mich glücklich in der Nähe Charlottens zu sein, in gemeinsamer Lectüre ihr geistiges Leben zu fördern und sie zur Mitwisserin meiner Bestrebungen zu machen. Sie horchte mit der Begierde einer verehrungsvollen Schülerin meinen Auseinandersetzungen und unsere Bezie­ hungen wurden nur befestigt durch den idealen Charakter, den unsere Besprechungen trugen. Nichts Profanes mengte sich in unseren Verkehr. H ier arbeitete ich auch meinen Tanchum druckfertig und die bis zum Jahre 1872 erschienenen Abhandlungen reiften allesammt während der Ferienwochen, die ich von Jahr zu Jahr in Köröshegy zubrachte. Dies Verhältnis, welches meiner Seele nicht wenig moralische Stärkung verlieh, dauerte ungetrübt fast bis Charlotte im Jahre 1873 an einen Ochsenhändler in Téténv verheirathet wurde. Während der Ferienzeit hatte ich auch mehrere male Gelegenheit mich dem Minister vorzustellen, der sich über meine zweimonatlichen Berichte befriedigt äusserte und meinen Entschluss, meine Studien in Leipzig fortzusetzen, nach Auseinandersetzung der Gründe, die meinen Entschluss rechtfertigte, vollauf billigte. Meine Subvention wurde erhöht und allerorten konnte ich hören, dass Eötvös unter allen nach dem Ausland entsendeten Candidaten mit mir am meisten zufrieden sei. Er gab dieser Überzeugung einigen Candidaten gegenüber offenen Ausdruck. Die erste Frage, die er an mich richtete, als ich mich ihm nach meiner Rückkehr aus Berlin vorstellte, war die. wie ich meine Eltern gefunden habe? Es lässt sich denken, wie tief sich die Verehrung und Liebe für einen solchen Menschen in das Herz eines Jünglings einbohrte. Auch die Abschiedsworte Eötvös* bei meiner Abreise nach Leipzig bleiben mir unvergesslich. Es wurde mir zur Pflicht gemacht, das Doctorat der Philosophie noch im Laufe des Schuljahrs 1869/70 zu erledigen und dann unverzüglich für die Habilitation an der Universität Pest einzu­ schreiten. Auf meine Einrede, dass es wohl verfrüht sein dürfte, wenn ich ein Jüngling von 20 Jahren mich um die Würde eines akademischen Lehrers bewerben wollte, bedeutete mir der Minister: Es kommt nicht auf das Alter an. die Berichte, die ich über Sie erhalte, sind derart, dass ich Sie zur Habilitation reif halte. Dann müssen Sie je eher ihre feste Stellung haben. Urlaub zur Weiterbildung und Arbeit auf Bibliotheken werden Sie ja bekommen. Aber nur eines merken Sie sich: Arbeiten Sie nicht zuviel, damit Sie Ihre Gesundheit erhalten, auch nicht zu vielerlei, wie ich das aus Ihren Berichten ersehe. (Auf Grund meiner Aufzeichnung, die ich eine halbe

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Stunde nach dieser Unterredung machte). So bekümmerte diesen grossen Mann jedes Detail meiner Entwickelung. Einige Tage nach diesem erhebenden Abschied folgte der Empfang bei Prof. Fleischer in Leipzig. Eine gute Empfehlung gieng derselben Seitens Rödigers voraus. Er schrieb Fleischer (wie mir dieser mittheilte) unter anderem: „Sie erhalten in Goldziher einen wirklichen Murid (ergebenen Schüler) der das Zeug nicht hat ein Märid (Widersetzlicher) zu sein". Fl. zeichnete mir. nachdem ich ihm die Richtung meiner Studien entwarf, gleich einen Plan für private Studien vor. er bepackte mich mit Büchern aus seiner Bibliothek, die ich lesen möge, stellte mich seiner Familie vor. lud mich ein. ihn des Abends zu besuchen, so oft ich will, und mich in allen wissenschaftli­ chen und weltlichen Dingen frei an ihn zu wenden. Ich belegte sämmtliche Vorlesungen Fleischers über arabische, persische und türkische Literatur u. Sprache, hörte dabei noch Krehl’s45 syrische und arabische Collegia. Brock­ haus'4" Sanskritgrammatik, Drobisch’s47 psychologisches Collegium u.a.m. Obwohl Fleischers Vorträge zumeist auf tiefes Eindringen in den Bau der Sprachen und den Geist ihres Ausdruckes gerichtet waren, wurde ich durch den Besuch seiner Collegia und dem privaten Umgang mit ihm. gleich in der ersten Zeit zum besonderen Interesse für Geschichte und Institutionen des Islam angeregt und schon im ersten Leipziger Semester begann ich. mich im „mohammedanischen Recht" umzusehen. Meine Stellung unter Fleischers damaligen Schülern wurde bald eine sehr günstige. Die guten Antworten die ich auf alle, während der Vorlesung gestellten Fragen zu geben wusste, machten mich bald zum Mittelpunkte des Collegiums. Die Mitschüler nannten mich den „kleinen Scheich“ , Fleischer hiess ja stets der „grosse Scheich". Rosen4". Stade4v. Almkvist5", Buonazia51, Baudissin'-', Orelli5', Tischendorf'4 bildeten die Säulen des Collegiums. Auch der Finne Eneberg'', der Amerika­ ner Wiekes5" gehörten dazu. Kautzsch57, der schon damals Gymnasiallehrer u. Dozent war. schloss sich uns an. Ich war Gegenstand der Anhänglichkeit und Liebe bei allen diesen Commilitonen; auf meiner Stube hielt ich vorbereitende Studien fürs Colleg, in Kautzsch’ gastlichem Hause wurde jeden Mittwoch der Baidäwi für die ganze Woche präpariert; da hatte ich das grosse Wort und K. erkannte sich, in schriftlichen Enunziationen, mir dankbar für den wissen­ schaftlichen Nutzen, den ich ihm gebracht. Uber alles aber muss das Leben und Lernen in Fleischers Hörsaal meine schönste Erinnerung an diese Zeit bleiben. Von Tag zu Tag konnte ich es immer erfahren, wie hoch mich Fl. stellte und dies sprach er in collegialen Kreisen häufig unverhohlen aus. Mein Reiss stellte mich um diese Zeit selbst zufrieden. Und ich hatte ja so vielerlei zu treiben. Es konnte im Winter 1869/70 von einer Concentration auf bestimmte Fachstudien nicht die Rede sein, obwohl ich ja die Universitätsbi­ 41

bliothek völlig ausplünderte und in den Handschriften der Rafa'ijja ganze Nächte lang wühlte. Aber wie ein Bleigewicht hing an mir die von Eötvös mir auferlegte Pflicht des Doctorexamens. Meine Dissertation hatte ich fertig mitgebracht. Aber ich musste zwei Nebengegenstände, u.z. aus eigener Wahl: alte Geschichte und Philosophie studieren. Diese Pflicht hatte die gute Seite, mich vor Einseitigkeit zu bewahren und meiner allgemeinen Bildung förderlich zu sein. In diesen Studien, namentlich dem der Philosophie, wurde ich durch den Umgang mit einem Freunde unterstützt, dessen Namen ich schon früher hätte nennen und anerkennen müssen. Derselbe griff in die Ausbildung meiner Seele ganz mächtig ein. Ich meine Moriz Kleinmann (Karman)". Im Sommer 1868 machte mich Bacher mit K. bekannt, der damals als junger Doctor nach Pest kam, um die jüdischen Schüler der Handelsakademie und einiger Gymnasien in Religion zu unterrichten. Dabei wurde ihm die Redaction des officiellen Blattes der jüdischen Fortschrittspartei anvertraut (Izraelita Közlöny), als dessen Rédacteur Adolf Fenyvessy” zeichnete, der sich aber aus Mangel an Verständniss um diese Dinge nicht kümmern konnte. K. war Leopold Löw’sM > Schüler und Liebling. Dieser bestimmte ihn zur jüdisch-theologischen Laufbahn, auf welcher er die grössten Hoffnungen in ihn setzte. Schon beim ersten Besuch, den ich diesem bedeutenden jungen Gelehrten machte, musste mir sein hoher sittlicher Emst, die Entschiedenheit der Grundsätze, die er uns hören liess, seine vornehme Gesinnung und seine geradezu erstaunliche Vielseitigkeit in allen Geisteswissenschaften imponie­ ren. Ich beschloss in mir, diesem Manne nahe zu kommen und ihm nahe zu bleiben, mich zu bestreben, seiner würdig zu werden. Wir sprachen über jüdische Religionsgeschichte. Wie zermalmt stand ich mit meinen einseitigen, beschränkten Begriffen vor diesem Menschen, der mich in flüchtigem Gespräche Wahrheiten hören liess, die mir wie eine andere Offenbarung klangen, ihm selbst aber wie selbstverständlich schienen. Gedanken und Gedanken sprudelten von seinen beredten Lippen. So schroff er mir, den er wohl mit Recht für einen geistigen Knirps halten mochte, gegenüber trat, so war es mir klar, dass die Bekanntschaft mit ihm für mein eigenes geistiges Wesen so viel, wie eine providentielle Begegnung, die den Keim dauernder Beziehungen in sich schloss, gelten müsse. Die wiederholten Besuche bei K. brachten mich ihm nicht näher, ich aber war stets erfüllt von Bewunderung für den Genius, der in diesem seltenen Menschen waltete. Zu allererst, seit dem alten Freudenberg, lernte ich einen Menschen kennen, in dessen Seele die errungenen Wahrheiten volle Herrschaft übten, einen abgeklärten, harmoni­ schen Charakter, edel, hochgesinnt, dessen Grundsätze das Resultat tiefen Denkens und bewusster Begeisterung sind. Kein Conflict der Seele, kein 42

Widerspruch zwischen Gedanke, Wort und Leben. Nachdem ihm das hässliche Getriebe der offiziellen jüdischen Journalistik zuwider geworden, übertrug mir Fenyvessy als seine Erbschaft die factische Redaction des Izraelita Közlöny, die ich drei Monate hindurch führte. Es war die Zeit des sich vorbereitenden Kongresses. Auch die Erfahrungen sollte ich machen, die bei solcher offizieller jüdischer Journalistik tagtäglich zu machen waren. Meine Abreise nach Berlin schnitt mich aus diesem Kreise ab, obwohl ich auch fürder ein fleissigerer Mitarbeiter des Blättchens blieb, als ich es bei meinen Bestrebungen hätte sein dürfen. Die Versuche von Berlin aus, mit K. zu korrespondiren, gelangen mir nicht. Wie glücklich war ich aber, als ich während der Ferien von ihm erfuhr, dass er, gesättigt durch die trüben Erfahrungen, die er als Religionslehrer machte, dem theologischen Beruf vorläufig den Rücken kehrt, um im Aufträge Eötvös' sich im Auslande der Pädagogik und dem Schulwesen zu widmen. Er war für eine pädagogische Professur ausersehen. Wir sollten nun in einer ausländischen Stadt zusammen leben. Davon versprach ich mir viel. In Leipzig angekommen rastete ich nicht, bis wir Freunde wurden. Wir wohnten einander nahe und da machten wir gemeinsame Spaziergänge und allwöchentlich pflegten wir mehrere Stunden philosophische Gespräche, die mich zunächst fürs Examen vorbereiten halfen. Auf unseren Promenaden entwickelte mir K. seine festen Überzeugungen über viele Dinge, die mich tief interessierten. Zu meinen späteren Forschun­ gen auf dem Gebiet der Urgeschichte der Religionsentwickelung, der vergleichenden Mythologie, wurde ich zu allererst durch diese Gespräche angeregt; mein Studium der biblischen Literaturgeschichte erhielt in ihnen ihre erste Nahrung. Kuenen. Graf und Vatke sowie die ganze Methode der neueren Bibelforschung lernte ich durch K. Mittheilungen erst recht kennen und würdigen; er war es auch, der mir stillschweigend auf die Widersprüche meiner eigenen Seele wies, und mich zum schmerzvollen Nachdenken darüber zwang, wie ich mich selbst zu harmonischer Weltanschauung emporkämpfen könnte. Zu meinen Fachstudien hatte er selbst mehr als oberflächliche Beziehungen aus den Studien seiner früheren Jugend. Auch in diesen Studien konnte der grosse Schwung seines vielumfassenden Geistes mich emporhe­ ben. Noch heute denke ich oft mit grossem Danke an die Anregungen, die mir seine Fragen, die durch ihn in mir erweckten, wissenschaftlichen Probleme boten und wie sie mich zum Erforschen von Details erweckten, über die er als Allgemeinheiten von hohen Gesichtspunkten, in grossen Zusammenhängen urtheilte. Er liebte es, nach grossen Zwecken zu generalisiren und zu construiren; ich gieng dann den Details nach, ohne dass er es wusste, oder merkte mir seine Gesammturtheile, um sie als zusammenfassende Formeln bei meinen Bücherkrämereien vor Augen zu haben. Nur diesem Umgänge 43

verdanke ich es. dass ich bei meinen kleinlichen Studien nicht in Details versunken, nicht in Notizenkram untergegangen bin. und ich habe nichts geschrieben, wovor ich nicht K.'s Lehre zu Nutze gemacht hätte. So viel verdanke ich diesem Freund. Nur mit ihm konnte ich die Gelehrsamkeit Fleischers erst nützlich für mein wissenschaftliches Leben gestalten. Zu einer Gestaltung meiner Kenntnisse wäre es ohne K. niemals gekommen. Er mochte es fühlen, wie dankbar ich ihm bin und wie nützlich er mir sei. und er liesssich herab, mein Freund zu werden. Seine Belehrung kam mir auch beim Doctorexamen sehr zu statten. Ende Dezember 1 8 legte ich am selben Tage mit Baudissin das mündliche Examen ab. bekleidet in einem von Theodor Rudslob erborgten Frack. Diesem hatte ich zusammen mit Stade und Rosen Stunden aus Raschi. und Efodi gegeben. Dafür promovirte ich in seinem Frack. Das Examen war ein glänzendes. Fleischer. Brockhaus und Drobisch waren meine Examinatoren. Alle waren des Ruhmes voll über meine Leistungen. Drobisch erklärte Fleischer gegenüber, der mir dies brühwarm mitteilte, dass er noch keinen Examinirenden. der Philosophie als Nebenge­ genstand trieb, besser über philosophische Fragen reden gehört habe. Ich hatte über Aristoteles' Ethik, über Kants praktische Vernunft und über Schopenhauers ethische Preisarbeit zu sprechen. Meine Vorbereitung hatte sich zumeist um Herbarts System bewegt. So war ich denn mit dem neuen Jahre 1870 Doctor, muss aber hinzufügen, dass ich die rechte Lust an diesem Titel auch in den Flitterwochen nicht verspürte. Er machte mehr meiner Wirthin Freude und Spass. als mir. Der alte Professor Fürst"’* gab mir den Doctorschmaus. an welchem eine Torte mit einer auf mich bezüglichen Aufschrift als Aufmerksamkeit der Frau Professo­ rin paradierte. Livius Fürst, der poetische Arzt, ein Carmen zu meinen Ehren recitirte, das im Schlussatze culminirte: So ziehe Gold und ziehe Talmi Es lebe Tanchum Jeruschalmi mit Bezug auf meine Inauguraldissertation. Der alte Fürstaber Hess einen gewaltigen Champagnertoast auf den jungen Doctor der Weltweisheit vom Stapel laufen. Der neue Titel änderte an meinem Studiengange nichts. Ich studirte weiter fort mit verdoppeltem, durch Examenssorgen nicht mehr abgezogenem Eifer, ich erwarb mir eine ganz beträchtliche Kenntnis in der Literatur meiner Wissenschaft, alle Zeitschriften, deutsche, französische und englische stöberte ich durch, machte Excerpte aus den Leipziger Handschriften und gewann einen weiteren Überblick über die Leistungen der uns vorangegangenen Gelehrtcngcnerationen. Durch Fleischers Richtung gefesselt, zog mich um 44

diese Zeit zumeist das Gebiet der Sprachgelehrsamkeit an, gewann aber mehr der geschichtlichen, als der positiv grammatischen Seite Geschmack ab. Auch in theologischer Literatur habe ich mich in umfassender Weise umgesehen und lernte auch die Vorlesungen der bedeutenden Vermittlungstheologen kennen, die damals auf Leipziger Kathedern glänzten. Unter diesen genoss ich des freundschaftlichen Umganges von Franz Delitzsch*'1, der mich an sich heranzog und mich zu fleissigen Besuchen in seiner Studierstube ermuthigte. Wir hatten stundenlange Gespräche über Talmud und jüdisch philosophische Bestrebungen, die sich während meines ganzen Aufenthaltes in Leipzig fortsetzten. „Geliebter“ Freund - dies war die Ansprache, der mich der süssliche Mann würdigte, dessen Gelehrsamkeit und Redlichkeit ich stets bewundern musste, dessen asiatischer Mysticismus. transcendentale Liebha­ bereien mich aber immer wie etwas Krankhaftes abstiessen. Zu jener Verhimmelung des Missionsfanatikers, zu welchem sich orthodoxe Juden erniedrigten, konnte ich mich schon als junger Mensch dem eisgrauen Gelehrten gegenüber nicht hergeben. Von Ofen aus drängte man mich aber nun zur Habilitation. Mit schwerem Herzen sandte ich mein Gesuch am Ende des Semesters an die Facultät. Bald musste ich aber erfahren, welche Böswilligkeit mich in dieser Körperschaft erwartete, auf welche meine ganze Zukunftshoffnung gestellt war. Ich wäre der erste jüdische Dozent an dieser Facultät gewesen. Dies veranlasste die Judenfresser zu heftiger Opposition, andere, die den Schüler Vâmbéry's als Schwindler betrachteten, und deren Vertreter der damalige Dozent Budenz war. protestirten dagegen, Collegen eines Kindes zu sein. Diesem Protest parallel lief ein durch Hunfalvy’s Schreibrohr Lindner"-' verfasster hämischer Zeitungsbericht über einen Aufsatz, zu dessen Einsendung an die Akademie ich durch Vâmbéry veranlasst wurde. Der alte Ballagi las denselben vor und musste sich nun mit mir in den Spott des Journalisten theilen. Meine Habilitationsangelegenheit veranlasste eine Polemik im Pesti Naplö zwischen Budenz und Aladär Molnär*', dem Vertrauten Eötvös', der in des letzteren Auftrag meine Sache zum Gegenstände eines harten Angriffes auf die Zustände an der Universität machte. Es wurde nun in der Facultät beschlossen, mein Habilitationsgesuch unerledigt zu lassen, bis ich von meinen Studienreise)! heimkehren würde. Im Sommer 1870 war ich mit der Catalogisirung der Nagy'sehen Bibliothek von Büchern und Handschriften beschäftigt, welche die Buchhandlung List und Franke erwarb um dieselbe dem British Museum zu verkaufen. Diese mühsamen Allotria, welche ich trotz meines Stipendiums auf Erwerb angewiesen - die Verhältnisse in meiner Familie zwangen mich zum Stundengeben und der Übernahme solcher Arbeiten - zogen mich zwar von meiner Wissenschaft ab, erhielten mich aber im Zusammenhänge mit 45

ungarischer Literatur und Geschichte. Die Beendigung derselben wares nicht allein, die meinen Aufenthalt in Leipzig über den Beginn der Ferien h inaus verlängerten. Zu diesem Hindernisse kam noch die durch den französischen Krieg eingetretene Verkehrsstörung hinzu; erst nach Sedan konnte ich in Begleitung Bachers, der am Ende des Semesters in Leipzig seine Prom otion durchsetzte, in die Heimath zurückkehren. Das Manuscript des 1. Heftes meiner „Beiträge zur Geschichte d e r Sprachgelehrsamkeit bei den A rabern“ führte ich in meinem Reisekoffer“ . E s wurde so wie das in Vorbereitung befindliche 2. Heft in Köröshegy druckfertig gemacht"'. Es waren die ersten Arbeiten die von 1870 ab von mir in den Sitzungsberichten der Wiener Akademie erschienen sind. Die meiner Habilitation entgegengestellten Schwierigkeiten und Hinder­ nisse gaben meiner Familie auch viel zu denken. Mein Vater, der von allem Anfang seinen Zweifeln besorgten Ausdruck gab, darüber ob ich auf dem eingeschlagenen Wege mir eine feste Stellung als Jude werde begründen können, der stets von dem Gespenste zitterte, dass mich dieser frivole Vàmbéry einfach vor das Taufbecken führen wolle, dass den Professur-versprechungen die stillschweigende Voraussetzung meines Abfalles vom Judenthume hinzuzudenken sei. mein Vater, der dies alles besorgte und befürchtete, legte mir jetzt, angesichts der trotz des ausgesprochenen Willens des Ministers erhobenen Schwierigkeiten, seine ernsten Bedenken immer mehr an den Tag. Es war mir für den ärgsten Fall die Fortdauer meines Stipendiums ( 1200 fl) für Jahre hinaus zugesichert. Aber meine Eltern, die meine Fähigkeiten freilich überschätzten, meinen aufgewendeten Fleiss höher taxirten, als dass er zu einem jahrelangen Almosenleben führen sollte, zweifelten immer mehr und ernstlicher an der Realität des Katheders, welchen Eötvös mir in Aussicht stellte. Die Bedenken der Leute, die mir es doch unter allen Menschen am besten meinten, fand ich nicht unbegründet. Im Umgänge mit den Menschen musste ich ja die Überzeugung gewinnen, dass Eötvös einen aus dem Meere von Beschränktheit und Schlechtigkeit herausragenden Felsblock bedeutet, einen Leuchtturm, eine hohe Warte, eine Oase inmitten der Wüstenei von mittelalterlicher Barbarei und geschmückter Rohheit. Auch mit diesen meinen Besorgnissen wollte ich erst hinter dem Berge halten. Ich glaubte, es wagen zu dürfen, einem Gönner wie Eötvös mein Herz zu eröffnen. Und so that ich es auch. Im September musste ich in Assentirungsangelegenheiten nach meiner Heimath. Im October erschien ich - ehe ich wieder nach Leipzig reiste, um noch ein Semester hindurch an Fleischers Tische zu sitzen - zur Abschiedsaudienz. Wieder der herzlichste Empfang, wieder die schmeichel­ haftesten Worte der Zufriedenheit, denen sich der Ausdruck des Unwillens anschloss über das Vorgehen der Facultät und Worte der Ermuthigung. mein 46

Streben demgegenüber nicht erschlaffen zu lassen. „Wenn Sie die Facultät nicht annimmt, werde ich Sie zum Dozenten ernennen“ . Ich hatte die Kühnheit zu bemerken, dass mich ein solches Octroi für alle Zukunft in die schiefste Stellung zur Facultät bringen würde und fügte nun hinzu, dass meine Familie und ich die tiefste Besorgnis darüber hegten, ob ich nicht einem Phantome nachjage, ob denn überhaupt ein Jude als Universitätsprofessor würde zugelassen werden? Ich muss als Stütze meiner alten Eltern immer daran denken, einen bescheidenen Wirkungskreis zu erreichen, der mir die Erfüllung meiner Familienpflichten möglich machen werde. - Der Minister liess mich nicht weiter reden. E r hatte mich stehend, ein Bein auf den vor ihm stehenden Sessel gestützt, angehört. Nun schnellte er wie von einer Viper gestochen empor und fuhr mich mit bitteren Vorwürfen darüber an, ob wir denn nicht wissen, dass wir in einem freien Staate leben, in welchem alle Bürger gleiche Rechte haben, ob wir Juden denn mit aller Gewalt uns vom Mittelalter umgeben denken wollen, ob ich denn glaube, dass er gewillt sei, das Geld des Landés unnütz für individuelle Liebhabereien ohne Nutzen für die Zukunft des gelehrten Unterrichtes in Ungarn beim Fenster hinauszuwerfen? Ich möge doch, so setzte er sanft und begütigend hinzu, nicht trüben Phantasien nachhängen; er werde für mein Schicksal sorgen und meine wissenschaftliche Anstrengung werde ihre Belohnung finden. „Seien Sie unbesorgt, sagen Sie Ihren Eltern, dass sie mit vollem Recht die besten Hoffnungen in Ihre Zukunft setzen können.“ Damit durfte ich Abschied von ihm nehmen. Ich sah den guten edeln Mann das letzte mal. Mein Februar-bericht kam nicht mehr in seine Hände; ich hatte ihn noch unter seinem gesegneten Namen abgesendet. Noch ein Semester war ich in Leipzig. Während desselben arbeitete ich in gewohnter Weise fleissig fort, sammelte von allen Seiten meinen Arbeitsstoff und disponirte auch einige Abhandlungen, die in den nächsten beiden Jahren erschienen. In diesem Jahre trat ich zu allererst unter die Mitarbeiter der deutsch-morgenl. Zeitschrift, wo meine Thätigkeit im 24. Bande beginnt**. Zu meinen Studien trat noch die Ägyptologie hinzu. Ebers*7war von Jena nach Leipzig versetzt worden; ich wollte die Gelegenheit nicht vorüber gehen lassen, ohne von diesem geistvollen Manne zu profitiren. Er nahm mich voller Freundschaft auf und gab sich viel Mühe, mich in ägyptischen Dingen vorwärts zu bringen. Die Mühe war nicht vergeblich. Ich arbeitete mich rasch in die Hieroglyfik ein und fand überaus viel Freude in der Besiegung der paläographischen Schwierigkeiten des Hieratischen und an der Erweiterung meines kulturgeschichtlichen Horizontes. Meinen Fleiss lohnte Ebers mit auszeichnender Freundschaft; Papa** Fleischer, der von meinen pharaonischen Heldenleistungen hörte, nannte mich schmunzelnd den ’Aziz Missr (so 47

heisst der Pharao des Joseph im Koran). Der Alte hatte Allotria nicht gerne. Mann sollte voll und ganz „den Hauptsprachen des Islam“ - wie er sie nannte - angehören. Die Trauemachricht vom Tode Eötvös’ (Februar 1871) verursachte mir trübe Tage und Nächte. Kleinmann, den die Nachricht ebenso hart betraf, versuchte es, sich und mich in einen Optimismus hineinzuhoffen. Die Folge zeigte, wie berechtigt mein Pessimismus gewesen. Im wahren Sinne des Wortes war es ein gelehrtes geistvolles Werk, das mich in dieser Zeit aufrichtete und tröstete. Ich lernte gerade um diese Zeit das Muzhir kennen und sass Tag und Nacht darüber. So fesselte es mich. Gott segne den alten Sujüti dafür. Drum ist mein Muzhir-exemplar ein denkwürdiges Stück meiner Bibliothek. Es verkörpert mir den Seelenschmerz unter welchem ich mich in das Studium desselben versenkte. Es war schon im Herbste - unter Eötvös' Billigung - vorhergesehen, dass ich im Frühling Deutschland verlasse, um nach Holland zu gehen und die Gelehrsamkeit der Leydener Schule unmittelbar auf mich wirken zu lassen, in den Schätzen des Warnerianum zu graben. Jetzt liess auch der Zustand meines Gemüthes Reise und Veränderung vortheilhaft erscheinen. Nach herzlichem rührendem Abschied von meinen mir so lieb gewordenen Elster-athen, von dem theuren guten Fleischer, den Freunden und Mitschülern, reiste ich im März 1871 von Leipzig ab, um. auf grossen Umwegen, auf welchen ich zunächst in Berlin die Sederabende bei Berliners feiernd, auf grossen Umwegen durch eine grosse Anzahl deutscher Städte kam. um gegen 10. April in Amsterdam anzulangen. Holländisch hatte ich bereits in Leipzig unter Leitung meines damaligen Mitschülers, SpiroM, jetzt Professor in Tunis, einem reformirten Theologen von holländisch-jüdischer Abstammung, ge­ trieben. In Amsterdam acclimatisirte ich mich durch acht Tage an holländi­ sches Wesen, machte die Bekanntschaft Lands"". Dünners71, Kraft's7-' u. anderer und übergab mit wahrer Sehnsucht in Leiden meine Empfehlungs­ schreiben an De Goeje” , u. Dozy74(von Fleischer) an Pleyte7' (von Ebers). Die Gelehrten Leidens nahmen sich meiner mit überaus grosser Wärme an. Freilich hat mich meine streng-ritualgerechte Lebensweise verhindert. Dozy gesellschaftlich nahe zu treten. Er hatte mich einige Tage nach meiner Ankunft feierlich zu einem Diner uitgenoodigd, ich entschuldigte die Ablehnung dieser Einladung mit Hinweis auf meine uralten rituellen Gewohnheiten. Dies nahm mir D. der bereits bei meinem Antrittsbesuche bemerkt haben mochte, dass ich in biblischen Dingen einer rücksichtslos kritischen Richtung huldige, sehr übel und bei meinem Entschuldigungsbesu­ che constatirte er mit Bitterkeit, dass ich seinen Tisch für eine to'ébhâ betrachte. Es war schwer, dem Vorwurf mit Vernunft entgegenzutreten. Die 48

Übrigen nahmen es nachsichtiger mit dieser Schwierigkeit. Bei De Goeje verkehrte ich viel und freundschaftlich trotz meiner unbequemen Velleitäten. Die in Leiden zugebrachten Monate trugen viel zur Erweiterung meines wissenschaftlichen Blickes bei. Ich war als einjähriger Doctor nicht in die Universität inscribirt. aber ich hospitirte vielen Vorlesungen. Besonders zogen mich die Theologen an. Kuenen7", Schölten’7, u. a. der Philolog Cobet”*. Meine Lectüre nahm in theologischen Dingen einen breiten Umfang an. Ich wollte die ganze holländische Theologenschule umfassend kennen lernen und ich war in grosser Gefahr, mich viel zu tief in dieses mir, meinem doch fremde Literaturgebiet einzulassen. Mit Pleyte kroch ich in den ägyptischen Sarko­ phagen des „Rijksmuseums van Oudheden" herum. Neben diesen Allotriis war aber meine Zeit zumeist den Handschriften und orientalischen Druckwer­ ken der Bibliothek gewidmet. Ich setzte meine Studien der Geschichte der Sprachgelehrsamkeit fort und erschöpfte den ganzen Handschriften-apparat der Bibliothek. Ibn Hazm. der eben die Belagerung von Paris bei Dupert durchgemacht hatte, lernte ich hier zuerst kennen, und kam durch ihn auf die polemische Literatur, deren Leidener Apparat ich mir ohne Mangel zu eigen machte. Meine Liebhaberei für Sùjûti liess mich alle Sûjùtica der Bibliothek durchstudiren. excerpiren. collationiren: die ganze synonymische Literatur schrieb ich ab. zunächst collationirte ich für eine mir von Fleischer aufgetragene Edition des Fikh al-luga alle damit zusammenhängenden Leidener Handschriften: copirte den ganzen Ibn al-Sikkit und noch einige seitdem bereits im Orient gedruckte Schriften, wie z. B. Al-Hamadânî etc. Dabei heimste ich alle arabischen Judaica der Bibliothek in meine Mappe ein und alles, was an Bulakern dort zu finden war. las und excerpirte ich. Hier wurde der grösste Theil dessen, was man später die ..staunenswerteBelesenheit Goldzihers“ nannte in einem halben Jahre erworben. Freilich las ich oft bis 3 Uhr früh bei meinem Tische und nahm an keiner Zerstreuung theil. sondern steckte Tag und Nacht in Büchern, Handschriften und Sarkophagen. Nur das Hospitiren bei Vorlesungen und hin und wieder ein Sonntagsausflug nach Haag und Scheveningen bildeten die alleinige Ab­ wechslung. Ich soll aber auch, nach späterer Aussage Frau De G oeje’s so fahl wie ein Leichnam ausgesehen haben. In meinen Studien wurde ich vom Bibliothekar De Goeje aufs Zuvorkommendste unterstützt. Alle Bücher und Codices, die ich nur verlangte, konnte ich in meiner Stube benützen; zuweilen brachte mir De Goeje selbst ein Halbdutzend von Handschriften und Büchern eigenhändig in meine Wohnung. Seine Schüler Rittershausen (seitdem verkommen nach kurzer Thätigkeit als Gesandschaftskanzler in Stambul) und der seither berühmt gewordene Houtsma7" (jetzt Professor in Utrecht) schlossen sich mir an und ich hielt denselben Privatcollegia aus Bejdâwî, aus 4

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dem ich in Pietät für Fleischer's Colleg zur selben Zeit, als die S tu n d e in Leipzig abgehalten wurde, mein Pensum las. Dies habe ich jahrelang noch fortgesetzt. Meine Leidener Studien haben den Islam in seinem weitesten U m fange zum Centrum meiner wissenschaftlichen Arbeit gemacht, alles Theologische und Religionsgeschichtliche war eine Schule, wie mohammedanische D in g e in kritischem Sinne Gegenstand der Untersuchung sein sollen. Der Umgang m it den Leidener Gelehrten, wo die philologischen Traditionen Hollands d ie Übertragung der kritischen Methode auf mohammedanische D okum ente in ganz anderem Sinne möglich machten, als dies dem bald leichtgläubig, b a ld nihilistisch einseitigen Mommsen möglich war. wirkte kräftig und vielfach grundlegend für den Weg. den ich später eingeschlagen. Meine Arbeiten ü b e r mohammedanische Fragen haben auch immer bei den Holländern die m e iste Würdigung gefunden; Dozy hat sich, wie mir De Goeje mittheilte, noch in seinen letzten Tagen mit grossem Lobe über dieselben geäussert. Ich h a b e mich in meinen Leidener Studien bestrebt, volle Klarheit über G rundbegriffe des Islam, über Institutionen und historische Entwickelung aus den ältesten Documenten zu erlangen. Auch die polemischen Schriften zeigten mir d u rc h die in ihnen zutage tretenden scharfen Gegensätze das innere Wesen d e s bewussten Islam. Hadith habe ich in Leiden zu treiben begonnen, nachdem ich den Bûhârî aufmerksam zu Ende las und dahin gehöriges Material aus anderen Schriften scharf zu beobachten begann. Man sieht, mein Leidener H albjahr war gut verwendet. Wie Leipzig auf Berlin, so wirkte es ergänzend auf d ie Leipziger Errungenschaften. So machte es mir eine Freude und Genugthuung, einen Fortschritt in meinem Wissen zu constatiren und die fremden Elem ente, die ich neben meinen Fachkenntnissen betrieb, fruchtbar wirken zu sehen au f die Ausgestaltung meiner wissenschaftlichen Individualität. Nach Hause gekehrt, erfuhr ich dass nun auch meine Habilitationsangele­ genheit in bestem Zuge sei. Ich denke, die Gegner in der Fakultät mochten ihren Widerstand gegen den Willen meines verewigten Protectors nach seinem Tode nicht fortsetzen. Ich wurde zum Probevortrag geladen, den ich im September „über die Entwickelung der historischen Literatur bei den A rabern" hielt. Derselbe erschien im selben Jahre in Ballagi's Protestäns Szemle abgedruckt7*. Über den Eindruck, den auf mich der Empfangssaal Eötvös* machte, als ich mich seinem mesquinen Nachfolger, Pauler*0, vorzustellen hatte, kann ich heute, fast zwanzig Jahre später, nicht ohne Erregung sprechen. Es würde mir mein Stipendium weiter belassen, um an der Bibliothek in Wien meine Forschungen fortzusetzen. Aber kein Wort der Ermuthigung und Aneiferung. Mit kalter Seele verliess ich das Haus, das mich vorher so häufig glücklich und 50

gehoben sah. Wie trugen mich Eötvös' Abschiedsworte, wie zerdrückte mein Gemüth der eisig kalte Odem aus dem Munde dieses wandelnden Paragra­ phenwerkes. das in dieser irdischen Welt den Namen Pauler führte! Muthlos reiste ich im October nach Wien aber mit dem Vorsätze, die Handschriften der Hofbibliothek fleissig auszunützen. Dies befolgte ich auch trotz des hinderli­ chen Zopfwesens der am Josephsplatze bibliothekarisch amtswaltenden Bureaukratie. Noch im Jahre 1871 erhielt ich mein Dozentendekret. Sachau"1 war zu jener Zeit orientalischer Professor an der Universität. Trotz häufiger Begegnung konnte ich auch damals in kein warmes Verhältnis mit dem aufgeblasenen Hochmüthling treten. Für eine ihm besorgte Collation seines Bîrûni zahlte er mir trotz aller Ablehnung in klingender Münze. Er wollte mir nicht verpflichtet sein. D .H . Müller*2 war zu jener Zeit noch Student bei Sachau und blickte mit Ehrerbietung auf mich, den bereits selbständig arbeitenden Menschen. Wie ist dies alles anders geworden? Wie gross ist alle Welt gewachsen und wie zwerghaft bin ich ihnen geworden, nachdem ihr Streberthum sie von Erfolg zu Erfolg geleitete, mich aber widrige Verhältnis­ se. welchen mich zu acclimatisiren ich zu anständig war. in den Hintergrund drängten. Während meines Aufenthaltes in Wien erfolgte die Verlobung meiner Schwester mit meinem braven Jugendfreunde Glück, damals Ingenieur bei der K. Baudirektion. Es war eine glückliche Episode meines Lebens, meine vom Unglück verfolgten Eltern wenigstens diese Genugthuung erleben zu sehen. Am 25. Februar 1872 erfolgte die Vermählung des Paares. Dies war nun die Grenze meines Wiener Aufenthaltes, der mir wohl die Vermehrung meiner Sammlungen und Materialien, kaum aber in n en n en sw erter Weise inneres Wachsthum und förderliche Anregung verschaffte. Nicht viel ist über die ersten Monate des Pester Aufenthaltes zu sagen; eine langweilige literarische Arbeit machte mich missmuthig, die für den Buch­ händler Petrik hergestellte vollständige Umarbeitung der hebräischen Gram­ matik von Ballagi (Budapest 1872), deren Vorrede ich am Geburtstage meiner Schwester datirte"'. Ich begann mit dem Ostersemester meine Vorlesungen an der Universität. Nur sehr wenig Hörer meldeten sich und diese wenigen lernten nichts. Die Armseligkeit des wissenschaftlichen Lebens in Pest war deprimirend nach dem reichen geistigen Verkehr der letzten vier Jahre. Das gesellschaftliche Leben hatte kein Moment, dem ich mich hätte anschliessen können. Das Cliquenwesen war in vollem Schwünge. Den herrschenden Kreisen trat damals eine Garde von Modernen entgegen, welche den wirtschaftlichen Zopf und der gemüthlichen Unwissenheit gegenüber, oft mit ebenso krasser aber weniger ernsthafter Unwissenheit „europäische" Ideen entgegenstellten, ein munteres Strebervolk, welches nur 4*

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von dem negativen Factum lebte, dass die Alten Trottel sind. Der einzige wirklich kräftige Mensch dieser Vereinigung war Kärmän, ihr wirkliches Oberhaupt Gustav Heinrich*1, ein hohlköpfiger, unwissender, aber höchst pfiffiger, zu allen Perfidien fähiger Schwabe. Dieser dominirte mit dem P ester Lloyd, dessen Mitarbeiter er in Unterrichts- und Literaturangelegenheiten war. Die öffentliche Meinung, mit der von ihm gegründeten M onatsschrift Magyar Tanügy, dessen Mitarbeiter aber die Mitglieder der jungen C liq u e waren, terrorisirte er das Professorenvolk. Da wurde alles, was ausserhalb dieses Kreises entstand, heruntergerissen. Heinrich selbst hatte keine L eistu n ­ gen aufzuweisen; nichts destoweniger spielte er sich als Autorität auf. E r bahnte sich den Weg zu einflussreichen Männern des öffentlichen Lebens, d ie gerne ihre Hand zu ernster Verbesserung der herrschenden G eistesarm ut!! ihre Hand boten (Csengery*’) und fand auch bald das O hr des Ministers u n d seiner Räthe. Nach kurzer Pauler’schen Herrschaft war Anfangs 1 8 7 2 Trefort“ in den Stuhl Eötvös’ gefolgt, ein confuser quasi-Europäer, der m it seiner Belesenheit in Revue-artikeln das geistige Leben Ungarns reform iren zu können glaubte, im Grunde genommen aber nur der grossmäuligen Oberflächlichkeit und fadenscheinigen Unverschämtheit Vorschub leistete. Mit seiner leichtsinnigen Verlogenheit hat er in Ungarn Schule gemacht, e in Charakter wie der des Heinrich rankte an solcher Stütze empor. Es gehörten auch ernste junge Gelehrte zur Heinrich'sehen Clique, unter ihnen verdient der Archäologe Robert Fröhlich*7 genannt zu werden. Die hier erw ähnte Strömung war nicht die herrschende, sie galt als Opposition gegen d a s Bestehende und wollte die Zukunft für sich werben. Mehr in der Gegenwart fusste eine andere Clique; man nannte sie die Pulszky’sche. Während d ie junge Vereinigung eine aus freier Wahlverwandtschaft zusammengetretene Gesellschaft von Stürmern und Drängern darstellte, übten die Pulszky’s - u . z. der alte Franz*1, der damals noch ein Krösus war, sein Sohn August**, genannt der kleine Pulszky - grossmächtige Protection über Leute ihrer Gunst. Diese wurde nach der Laune der Familie Würdigen und Unwürdigen zugewendet. Die Gunst dieser Familie zu besitzen war zu jener Zeit von hohem Werthe fü r jeden jungen Menschen, der Carrière machen wollte. Die Professuren d e r Universität wurden zumeist mit Pulszkyanem besetzt. Bei den im Jahre 1871 errichteten Klausenburger Universität creirten Professuren bewährte sich d er dominirende Einfluss der Familie. Auch die damals 15 jährige Polyxena, welche recht gerne die jungen Gelehrten beschützte, war ein Factor in der Bestimmung der in der Familie und ihrem Anhang dominirenden Gunstver­ hältnisse. Mein Charakter verbot es mir, mich einer Clique zu verschreiben. Mein Verhältnis zu Kärmän brachte mich in enge Verbindung mit den Jungen, ich arbeitete mit am Tanügy - aber es gehörte nicht viel dazu, die Nullität 52

Heinrichs zu durchschauen. Auch den P. s bin ich näher getreten. D er alte P. gab zu jener Zeit während der Herbst- und Wintersaison jeden Samstag Abends eine Soirée, bei welcher sich alle Sommitäten unserer Wissenschaft und Literatur einfanden und auch junge Gelehrte und Literaten zugezogen wurden. Nach meiner Rückkehr aus dem Auslande wurde auch ich zugezogen, und durch die Gnade des alten P. und der Polyxena ausgezeichnet. Auch dem Trefort wurde ich gelegentlich eines solchen Abends zuerst vorgestellt. Da lernte ich der Reihe nach alle Capacitäten des ungarischen politischen und literarischen Lebens kennen und machte Studien über die A rt und Weise wie sich die Jungen an den Alten reiben um durch ihre Gunst emporgetragen zu werden. Hier machten Manche ihre Carrière. Julius König40 war einer derjenigen, dem dies gelang, die intime Freundschaft August Pulszky’s konnte ihm damals noch alle Thore öffnen. Ich war wohlgelitten in diesem Kreise, hatte aber nicht das Zeug, mich in die Gunst der „H erren der Zeit“ einzuscherwänzeln. Sie blieben daher kalt gegen mich, obwohl sie mich allerorten lobten und rühmten. Einen wirklichen Halt hatte ich also an keinem Puncte der den ungarischen Globus dirigirenden Mächte. Ich fühlte mich stark durch meine vergangenen Beziehungen zu dem verstorbenen Gönner, dessen Schwager der jetzige Minister war.41 Es war vorauszusetzen, dass dieser die Erbschaft seines Schwagers anzutreten habe. Der aber verwaltete nur seinen eigenen Lügenschatz. Aus dieser Zeit, in welcher ich eine Reihe von Abhandlungen (Geschichte der Sprachgelehrsamkeit 2 -3 42, Linguistisches aus der Lit. der Mystik ZdMG 264\ ’Omar al-Magribi 28 ibid.44, Sujûti, Akademie, Wien 1871” , und eine Reihe ungarischer Abhandlungen, sowie Aufsätze in Tagesblättern) verfasste und die gesammelten Materialien zu verarbeiten begann, habe ich noch das merkwürdige Factum zu erwähnen, dass mir durch Superintendent Török der hebräische und biblische Unterricht des ersten Curses des reform, theolog. Collegiums übertragen wurde. Zwei Semester habe ich denn auch meine Universitätsvorlesungen mit diesem Unterricht combinirt. Der reformirte Superintendent hielt mich also nicht so gemeingefährlich für angehende Pfaffen, wie mich später der jüdische Advocat Dr. Simon44erachtete und aller Welt verkündete. Diese B eru fstätig ­ keit, welche ich durch meine Reise nach dem Orient 1873 Sommer aufgeben musste, brachte mich in Berührung mit den theologischen Bestrebungen der Reformirten in Ungarn. Ich konnte sehen und erfahren, wie diese Confession in Ungarn das Fundament, auf welches sie in der Weltgeschichte aufgebaut ist, das Studium der Bibel vernachlässigt. Mit ihrer neutestamentlichen Wissen­ schaft sollen sie auf ebenso primitivem Niveau stehen. Im Allgemeinen kennzeichnet ihre intellectuelle Stufe in der neuesten Zeit einen beschämen­ den Rückgang gegen den wissenschaftlichen Aufschwung, den sie (zumal in 53

Siebenbürgen l im X M und W H Jahrhunderte nahmen. Eine protest, theo­ logische Literatur, «eiche dieses Namens « e n h «are. ob nus û ein Zeugnis selbständiger wissenschaftlicher Thäugkeit oder auch su r ais lebendige Reproduction der wissenschaftlichen Resultate des Auslandes, e e b t es h ier in Ungarn nicht. Von der katholischen sog Theologie unterscheidet s*e n u r die Disciplinlosigkeit der wenigen elementaren Kenntnisse ihrer Theologen i dies ist die Freiheit der Forschung ». Ich habe einen reformirten Theologen «ährend eines Badeaufenthaltes in Lucsisna gesehen, der nicht mehr die griechischen Buchstaben kannte. Deren wird es wohl siele geben. Wie forschen die nun in der Bibel Neuen Testamentes? Noch unter dem Ministerium Pauler hatten in Folge parlamentarischer Interpellationen und Anträge, weiche von dem Abgeordneten der Unabhängigkeitsparthei. n a ­ mentlich Ignaz Helfy’ . ausgiengen. Berathungen hinsichtlich der Errichtung einer separaten orientalischen Akademie in Ungarn begonnen. Knapp nach meiner Rückkehr aus Wien erhielt ich von Pauler eine Aufforderung, ein Gutachten über ein zu errichtendes Institut zur Pflege der orientalischen Sprachen abzugeben. Ich benützte die Gelegenheit, eine eingehende Studie über den Stand und die historische Entwickelung dieser Angelegenheit in sämmtlichen europäischen Staaten zu liefern und meine Ansicht über die Organisation und den Lehrgang einer solchen Schule in Ungarn weitläufig darzulegen. Mittlerweile trat Pauler an die Spitze eines anderen Ressortes und der gute Trefort wurde sein Nachfolger. Im Frühling 1873 schien es. dass d e r neue Kultusminister die Angelegenheit der Errichtung einer orient. A kade­ mie in Form eines neben der Universität zu errichtenden orientalischen Seminares wieder aufgegriffen habe; wenigstens schwefelte Vémbéry. d er schon von der Amtswohnung und dem glänzenden Nebensolde des Directors dieser neuen Schule träumte, sehr viel über Unterredungen mit Tr. in dieser Frage. Dichtung und Wahrheit. Denn ein Kern Wahrheit war ja in diesen Übertreibungen vorhanden. Bald nachher wurde ich zu Trefort beschieden und mir mitgetheilt, dass ich eventuell eine Mission nach Syrien und Ägypten erhalten werde, um die vulgäre Umgangssprache dieser Länder perfect anzueignen und mir in den Consulaten die Kenntnis des arabischen Amtsstiles zu eigen zu machen. Im Juni erhielt ich denn auch meine Aussendung dotirt mit einem neuerlichen Reisestipendium von 1000 fl neben welchem meine Docenturenremuneration von 1200 fl, die mir immer provisorisch für ein Jahr aus dem betreffenden Landesfond votiert wurde, weiter floss. In der Audienz, in welcher ich mich Tref. vorstellte, um diese Mission entgegenzunehmen, war der damalige theolog. Professor Hatala9* mein Vordermann. Er verliess den Audienzsaal und ich trat ein. Es wird sich zeigen, welcher Zusammenhang zwischen beiden Audienzen obwaltete. Ich machte in den Sommermonaten 54

noch eine schwere Krankheit durch, deren Fieberanfälle die Möglichkeit meiner Orientreise einige Zeit in Frage stellte. Nach einigen Wochen folgte die Erholung; ich konnte noch für 8 Tage in Gemeinschaft mit Vâmbéry die Wiener Weltausstellung besuchen und im ägyptischen Pavillon derselben die ersten Proben praktischer orientalischer Kenntnisse ablegen. Ich fand mich sehr bald zurecht im Umgang mit Orientalen zu welchem ich für längere Zeit hier zu allererst Gelegenheit hatte. Selbst mit dem Parlieren gieng es ganz geläufig. Von der Ausstellung wieder nach Hause zurückgekehrt, nahm ich im August Abschied von den lieben Eltern, von meiner Grossmutter, von Schwester und Schwager, um einem fremden Welttheil zuzueilen.

1873/ 4 . Dies Jahr verdiente ein besonderes Buch in der Beschreibung meines Lebenslaufes. Es ist mein orientalisches, mein muhammedanisches Jahr. Es aus meiner Erinnerung, aus meinem Sinne zu reissen ist weder der Schlechtigkeit jener, die über meine Zukunft zu verfügen hatten, gelungen, noch haben es die Pester Juden zustande gebracht, mich auf jene Stufe des geistigen Elends herabzudrücken, dass ich dieses Jahr voll Ehre, voll Glanz, voll Licht vergessen könnte. Details habe ich in meinem Special-tagebuche niedergelegt, das zur Ergänzung dieser Skizze dienen kann. Ich werde mich darauf beschränken, meinen Kindern, für welche diese Blätter bestimmt sind, in grossen Zügen jene Momente zu zeichnen, welche auf meinen geistigen Entwickelungsgang Einfluss geübt, und auf die Gestaltung meiner Individualität bestimmend eingewirkt haben. Aber ich getraue es mir nicht zu, dass ich über minder Bedeutsames, das sich mir aus dieser freudvollen Vergangenheit wieder belebt vor den Sinn drängt, mit Stillschweigen werde vorübergehen können. In Begleitung von Gustav Heinrich und Ladislaus Arany9* trat ich mit dem Dampfboot der Donaudampfschiffahrtsgesellschaft meine Reise nach Kon­ stantinopel an. Herrlich und genussreich war diese zweitägige Donaureise bis Rustschuk, wo uns die türkische Behörde zur Abhaltung einer 14 tägigen Quarantaine verhielt, die ich aber auch in Konstantinopel abbüssen konnte. Darauf folgte Übernachtung in Giurgievo, verstimmende Erfahrung mit der rumänischen Behörde, Rückkehr nach Rustschuk, Eisenbahnfahrt nach Varna unterbrochen von einem Eisenbahnunfall bei Schumla-Road, Über­ fahrt auf dem Schwarzen Meere von Varna nach Stambul. Am asiatischen Ufer des Bosporus, auf der Halbinsel Kawak, 14 tägige Quarantaine in 55

Gesellschaft von türkischen Hadschis (beschrieben in meinem Feuille tonartikel des P. LI. O ktober 1873 ) '■’ endlich Jom Kippur in Konstantinopel. E s war nicht die von Europäern überfluthete Eisenbahnstation Konstantinopel, sondern die Hauptstadt des Chalifates. dessen Moscheen und Bazare einen grossmächtigen Eindruck machten. Achttägiger Aufenthalt daselbst, der durch die Freundlichkeit meines Landsmannes Daniel Szilägyi '". der m ir alles Merkwürdige zeigte, sehr lehrreich wurde. Fahrt nach Beirut mit A ufenthalt in Smyrna, Dardanellen. Cypem. In Beirut, wo ich eine Em pfehlung Fleischers an Van Dyk übergab, intimer Umgang mit den G elehrten der amerikanisch-syrischen Gemeinde. Triumph meiner arabischen Sprachfertig­ keit in ihrem Kreise, Verkehr mit Botrus al Bistânî. Als ich in Beirut lan d ete, machte ich die überraschende Entdeckung, dass ich ganz fertig arabisch sprechen konnte. Die gelehrte Welt daselbst fêtirte mich wegen d ie se r Kenntnisse. Das Wesen der syrischen Protestanten mit ihrer süsslichen Christelei widerte mich an. Wie kann man diesen Semiten, welche nicht einm al die Überlieferungen ihres Urheidentums überwunden haben, dieses germ ani­ sche Nationalgericht, die Lehre Luthers in anglo-saxonischer Z ubereitung auftischen? Mehr Geschmack fand ich an den Marroniten und dem geistrei­ chen Dichter u. Journalisten Chalil al-Chüri, der in seinem Diwan englische Lady’s im Stile des Imrü’l Kajs besang und für den Statthalter eine naive amtliche Zeitung (Hadikat al achbär) redigirte. - Beirut war eine g u te Vorbereitung für Damaskus. Mit der französischen Diligence machte ich die köstliche Fahrt über die Ghuta und Coelesyrien nach der alten Chalifenstadt. Die Ansicht ist recht o ft beschrieben worden und darum will ich mich dabei nicht aufhalten. Das D iner in Stera bei einer Ansarierfamilie hat mir nicht geschadet. Den auf allen Speisen herumlagemden Schmeissfliegen merkte man die Incamationsmysterien nicht an, durch welche die Seele der Halbheiden, die mir mein Mittagessen tischten, erzogen wird. In Damaskus erwartete mich bereits m ein von Beirut her bekannter Landsmann Dr. Schwarz (später Rothschild’scher Arzt in Jerusalem), Militärarzt in türkischen Diensten, der mir auch m ein Q uartier bei dem schweizerischen Griechen Rauch besorgt hatte. Nach meiner Ankunft in der reizenden Stadt der umaj jadischen Chalifen säumte ich nicht lange, meinen Zwecken entgegenzusteuem. Obzwar officiell entsendet, um mich zu einer Parliermaschine à la Vâmbéry herauszubilden, konnte m ir diese Aufgabe nicht wichtig genug erscheinen, um mich auf eine solche Spielerei zu concentrieren. Ich selbst stellte mir höhere Zwecke, dieselben, die sich 12 Jahre später Snouck101*in Mekka stellte. Ich setzte mir vor, mich in den Islam und seine Wissenschaft einzuleben, selbst ein Glied der muhammedanischen Gelehrtenrepublik zu sein, die Triebfedern kennen zu lernen, die im S6

Laufe der Jahrhunderte aus dem judaisirten mekkanischem Cultus die gewaltige Weltreligion des Islam bildete. Dann wollte ich auch den Einfluss dieses Systems auf die Gesellschaft und ihre Moral studiren. Dieses Doppelziel konnte nur erreicht werden durch den Umgang mit Gelehrten und mit Leuten aus dem Volke, in Moscheen, in Bazaren und in Spelunken. Überall war ich ein gern gesehener, täglicher Gast. Ich entsagte auch dem Lieblingssport der orientreisenden Gelehrten, nach Handschriften zu fahn­ den. Dafür hatte ich kein Geld zur Verfügung. Die Menschen, Ideen und Einrichtungen wollte ich belauschen, nicht vergilbte Papiere erjagen. In der Verfolgung meiner Studien waren mir zwei Bekanntschaften, die ich auf der Seereise von Konstantinopel nach Beirut machte, förderlicher als das offene Empfehlungschreiben, in welchem unser Minister des Auswärtigen mich den Gesandschaften und Consulaten in Syrien und Ägypten aufs Wärmste empfahl. Die Protection unserer diplomatischen Autoritäten hat mich immer Geld gekostet, ohne mich auch im Mindesten wissenschaftlich vorwärts zu helfen. Wichtiger waren für mich die Anhaltspunkte, die ich selbst mir unter den Eingeborenen verschaffte. Auf demselben Schiffe, auf welchem ich nach Beirut dampfte (Vulcan trug uns), befand sich auch der neuemannte Militärgouvemeur von Damaskus Izzet Pascha mit seinem Stab. Ich erregte durch meine fortwährende Koranlectüre - denn das heilige Buch wollte ich auswendig wissen, ehe ich in die Chalifenstadt einziehe - und meinen Tschibuk die Aufmerksamkeit des türkischen Generalstabes. Izzet lud mich zu sich und durch ganze acht Tage genoss ich den vorbereitenden Verkehr dieser Herren, der mir in Damaskus, wo sie die Grossmächtigen waren, von grossem Nutzen wurde. Diese Auszeichnung verlockte einen Herrn Scheich Moham­ med al-Dahabi aus Damaskus, der aus Konstantinopel kam, yro er in Handelsinteressen war - Dahabi hatte ein Dukkän in der Sûk al-bûzûrijja in Damask - meine Bekanntschaft zu suchen, und sich mit mir zu befreunden. Dies machte ich ihm natürlich nicht schwer. In einigen Stunden war ich mit dem gelehrten Gewürzhändler um so lieber befreundet, als ich von seiner grossen Gelehrsamkeit in theologischen Dingen bald überzeugt wurde und als er mir von seinen Beziehungen mit gelehrten Kreisen sprach. Er selbst entstammte einer Gelehrtenfamilie, sein Bruder war Prediger (Chatib) in einer Vorstadt Damask’s - wenn auch nicht in der Sälihijja. Dahabi versprach mir, in Damask mich seinen Freunden vorzustellen und allen Wünschen, die ich an ihn stellen werde, nachzukommen. Er betrachtete mich als seinen Dschär und dies erst recht, nachdem ich ihm sagte, dass wir Namensgenossen seien. Darum musste ich nun in allen damascener Kreisen den Namen Dsahabi führen. Mohammed hat sein Versprechen treu gehalten. Sein Dukkän war mein vorzüglichstes Hauptquartier in den Bazaren der Stadt, wo ich allen 57

Vorübergehenden als europäischer Fakih vorgestellt wurde. Von d er S ü k al'hûzûrijja aus verbreitete sich mein Ruf als Liebhaber und- Freund, a b e r auch als gründlicher Kenner der muhammed. Literatur in ganz D am askus. Auf den Flügeln der mythenbildenden Volksphantasie drang mein Ruf in a ile Schichten. Nirgends kam ich hin. wo man mich nicht sehnlich zu s e h e n wünschte. Einen zweiten Standplatz gewann ich indem Bücherbazare v o rd e m südlichen Thor der Otnaijademoschee. Da nistete ich mich bei e in e m Buchhändler Häschim ein, dessen Laden der Sammelplatz der Schöngeister Damaskus* war. Hier fand ich mich alle Nachmittage für 2-3 Stunden ein u n d in den besprächen, die ich hier mit gelehrten Mohammedanern hatte, w elch e ihrerseits den Ruhm meiner arabischen Gelehrsamkeit (!) in alle V o rstäd te und Moscheen trugen, lernte ich die Literatur in ihrem lebendigen Einfluss a u f die Bildung der Leute kennen, sah Bücher und Manuscripte, b lätterte, excerpirte, fragte, antwortete, regte an und wurde angeregt. Es w aren fruchtreiche Stunden. Der Ramadhän fiel in diese Zeit. Von den n e u e n Bekannten hatte ich für jeden Abend irgend eine Einladung zum Abendessen, bei den Taräwih-gebeten war ich im Statthahereipalast anwesend, wo ich auch off zur Abendgesellschaft (if(är) anwesend war. Auch der Pascha sam m elte Gelehrte und fromme Theologen um sich und die Mahlzeiten waren durch gelehrte Gespräche belebt, an denen ich theibfahm. Auch in der in d en Ramadhännächten merkwürdig belebten Strassen streifte ich oft bis zwei Stunden nach Mitternacht herum, begleitet von Freunden aus den gebildete­ ren Ständen (Sälih Schähbender, SAIih al Gazzi), die mich indie Kaffeehäuser führten, wo ich Märchenerzählern, und in Derwischstätten, wo ich Dsikrs mit anhören konnte. Wenn ich die Bücher ansehe, die mir diese Freunde als Andenken in die Heimath mitgaben, belebt sich vor meiner Seele diese herrliche Damascener Zeit, die schönste meines Lebens. Meine Ausgänge begann ich zeitlich morgens mit dem Besuch eines gelehrten Freigeistes, Mustapha Beg S b i‘t, der ein sehr einflussreicher Mensch in Syrien war. Trotz «eines Freidenkerthums, aus der er kein Hehl machte, war er Inspector der frommen Fundationcn für Mekka und Medina und genoss grossen Ansehens In der gelehrten und gebildeten Gesellschaft. Seine reichhaltige Bibliothek, Bücher und Manuscripte standen mir zu freier Verfügung und in einigen Puhlicationen konnte ich mich auf Exemplare beziehen, die ich seiner Bibliothek verdankte. Der Empfangssaal des Sbä‘f verschaffte mir eine Un/ahl von Freunden aus den gebildeten Kreisen. Auch der grosse Scheich Al-M ejdint war mein Freund. Ihm stellte mich der junge maghrebinische Theologe vor (sein Vater war mit Abdelkader ausgewandert) und in seiner Bibliothek entdeckte ich die Fikh al-luga des Ibn Färis von dem ich in meinem Sendschreiben an Fleischer den Fachgenossen Kunde gab.1“ D er junge 38

Maghrebiner und seine Freunde, Professoren an der Bibarsmoschee waren meine Altersgenossen und als solche trat ich zu ihnen in ein vertraulicheres Verhältnis als zu den Graubärten, deren Achtung und Liebe mir nicht versagt war. Mit den beiden Brüdern Munejjir, jungen theologischen Schriftstellern, verplauderte ich manche Stunde über theoretische Fragen. Aus einem solchen Gespräche drang in alle Zirkel der Stadt die Nachricht, dass der junge europ. Fakih die These verteidigte, dass auch jemand, der aus Nothwehr einen ihn anfallenden Mörder tödtet, sich des Mordes schuldig macht. Es wurde infolge meiner These viel darüber disputirt, ob diese Lehre sich mit den Kanonischen Lehren ve~einigen lasse. Dass ich den Löwen des Damascener Islam Abdelkader und seinen Sohn Mohammed al-Sejdî kennen lernte, ist wohl selbstverständlich. Sâlih al Gazzî führte mich ein und gar mancher Beifallsäu­ sserung des Emir wurde ich gewürdigt darüber, dass ich mich im mälekitischen Gesetz so unterrichtet zeigte. Leider konnte ich diese Bekanntschaft erst gegen Ende meines Aufenthaltes in D. machen, da der Emir während des Ramadhän von aller Welt abgeschlossen und niemandem zugänglich sein i‘tikäf zu halten pflegte. Auf mich machte er den Eindruck eines Menschen, der das volle Bewusstsein dessen hatte, dass er eine Sehenswürdigkeit, the greatest attraction von Dam. sei. Seinen Sohn Mohammed, denselben der während des französ. deutschen Krieges die Algierer zu revoltiren versuchte, lernte ich an einem Ramadhänabend im Kreise seiner burnusbedeckten Landsleute kennen. Man redete bei dieser Gelegenheit nicht viel Theologie, der Hausherr, übrigens ein europäisch halbgebildeter Herr, Meister der Freimaurerloge, stellte Vergleichungen zwischen den europäischen Städten, die er gesehen, und Damaskus an, und urtheilte zu Gunsten dieser Pforte des Paradieses. Bei diesem regen Verkehr mit den Mohammedanern hatte ich niemals das Gefühl des Fremdlings; trotz meiner fremdartigen Kleidung (ich trug Atilla und Fess) und meiner Religionsverschiedenheit wurde ich als einer der ihrigen behandelt, vom fanatischesten Scheich bis herab zum Buden­ schwengel verletzte mich niemals ein herabsetzendes Wort, eine ablehnende Handlung. Ich lebte mich denn auch während dieser Wochen so sehr in den mohammedanischen Geist ein, dass ich zuletzt innerlich überzeugt wurde, ich sei selbst Mohammedaner und klug herausfand, dass dies die einzige Religion sei, welche selbst in ihrer doktrinär-offiziellen Gestaltung und Formulirung philosophische Köpfe befriedigen könne. Mein Ideal war es, das Judenthum zu ähnlicher rationeller Stufe zu erheben. D er Islam, so lehrte mich meine Erfahrung, sei die einzige Religion, in welcher Aberglaube und heidnische Rudimente nicht durch den Rationalismus, sondern durch die orthodoxe Lehre verpönt werden.

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Jedoch auch mit christlichen Kreisen unterhielt ich regen Zusammenhang. Unser Consul Bertrand, ein Levantiner, stellte mich dem Erzbischof der Unierten, Makkarius. einem fanatischen, aber sehr gelehrten Greis, der aus einem Kloster des Libanon auf den Prälatenstuhl erhoben wurde, vor. Ich pflegte wöchentlich 2-3 mal den Hof des Maträn zu besuchen und war dort Zeuge vieler Verhandlungen in Ehe- und Erbschaftssachen. Mein Erzbischof hatte die Marotte, mit mir nur klassisch sprechen zu wollen und begriff es nicht, dass ich aus dem Patois ein besonderes Studium mache. Mein Umgang mit Mohammedanern befremdete ihn zwar, er gab sich aber mit meinen wissenschaftlichen Argumenten zufrieden. In der Kä'a des Erzbischofs habe ich mehr Liebe für den Islam gewonnen, als unter den Mohammedanern selbst. Über dem Katheder des Kirchenfürsten hiengen drei Bilder. Das eine stellte Pius IX. dar. das andere war ein Marienbild mit der Signatur Umm alläh, „die Mutter Gottes“ , das dritte ein Jesusbild mit der Unterschrift „Ibn alläh“ . „Sohn Gottes“ . Obzwar an diese heidnische Terminologie in Europa gewöhnt, war ich tagelang innerlich aufgeregt über diese Worte in semitischer Sprache, in welcher Juden und Mohammedaner die energischesten Proteste gegen das Heidenthum, gegen solche Blasphemie aller Welt verkündet hatte. Wäre es nicht ein Segen gewesen, wenn sich die Ahnen dieses Erzbischofs unter den Koran gebeugt hätten, um das Heidenthum zu überwinden? Soweit wurde mir im Umgang mit der syrisch-griechischen Klerisei täglich klarer, dass der Islam einen mächtigen Fortschritt gegen das Christentum bezeichnet hat. Unter den christlichen Gelehrten, die ich jenseits desThomas-Thores (Bäb Tüma, christliches Viertel) aufzusuchen pflegte, nenne ich besonders noch den maronitischen Pfarrer Abûnâ Mûsâ, einen im mohammedanischen kanoni­ schen Rechte sehr gelehrten Mann. Er ist es. dessen Umgänge ich ein tieferes Verständnis für die Unterscheidungslehren der mohammedanischen Riten verdanke. Den Mîzân al-Scha'rânî habe ich im Leben zuerst aus dem Exemplar des Abûnâ Mûsâ gelesen. Es fehlte nicht an Gegenbesuchen in meiner Wohnung seitens meiner vielen Freunde; die jüngeren Mohammedaner kamen fast täglich nach 6 Uhr (Mittag nach unserer Zeit), wenn ich bei einer Nargileh meine Siesta hielt, um dann gemeinsam mit mir zu Häschim zu gehen. Sba'i. der Erzheuchler, assbei mir am Ramadhän bei geschlossenen Thüren; auch der Consul pflegte zu kommen. Am meisten hoben aber meine Autorität im Hause Rauch die Besuche des Erzbischofs und seiner Diakone. Einmal ritt ich gemeinschaftlich mit Makkarius zur Eliasgrotte nach Göbar. Die Strassen waren völlig in Aufregung versetzt beim Anblick des jungen Dahabi, der neben dem Erzbischof, gefolgt von zwei Diakonen einherritt. Auch das Judenviertel pflegte ich zu besuchen. Bald nach meiner Ankunft stellte mir Bertrand seinen 60

Schutzbefohlenen Farchi vor, in dessen Beth hammidrasch ich auch eine arabische Geschichte der jüdischen Gemeinden Syriens, von welcher mir Wetzstein berichtet hatte, kennen lernen wollte. Farchi führte mich in sein Haus ein, weil durch den Consul hierzu gezwungen, - das Buch zeigte er mir nicht, es soll bei Judenmassacren ein Opfer der Plünderung gewesen sein. Hingegen sah ich daselbst eine merkwürdig omamentirte Bibelhandschrift, die ich in Berliner’s Magazin 1874 beschrieb. Grosses Misstrauen wurde mir im Judenviertel stets entgegengebracht. Die Leute hielten mich für einen Missionär, obwohl ich im Beth hammidrasch Farchi’s mein Bekenntnis zum Judenthume klar ablegte. Ich zeigte den Rabbinern meine Kenntnisse im Talmud, mit dem sie eben bei meinem Eintritt beschäftigt waren, aber gerade das bestärkte sie darin, dass ich Missionär jüdischer Abkunft sei. Ich nahm mehreremal Antheil am Gottesdienste und bei Farchi zum Essen eingeladen - alles nur dem Consul zu gefallen - recitirte ich mit lauter Stimme das Tischgebet. Nichts half. Sie sahen mich mit dem Erzbischof freundschaftlich verkehren und da konnte ich nur Missionär sein. Sie haben alle Ursache, beim Worte „Missionär“ mit Hass und Grauen erfüllt zu werden. In dieser abscheulichen Religion, welche die elende Christenblutaffaire ersonnen, welche ihre besten auf die Folterbank spannen Hess, will man die Bekenner des einig einzigen Jehova anlocken - in muhammedanischen Ländern. Es ist dies eine Frechheit, deren nur die abscheulichste aller Religionen, das Christen­ thum, fähig ist. Es hat keine Stirne, sich der Frechheit bewusst zu werden, welche ihren historischen Charakter bildet. Die Stirn einer Hure, dies ist die Stirn des Christenthums. Arme damascener Juden! Hasset nur dieses freche Gesindel, wenn der Druck, der auf euch lastet, euch der Energie des Hasses noch fähig macht! Und euere hässlichen Commis voyageurs, das elende Geschmeis euerer Missionäre! Da haben sie während der hohen jüdischen Feiertage, die soeben vorübergegangen waren, die Mauern des Judenviertels und selbst die Synagogen mit jüdischen Plakaten beklebt, in welchen die Bekenner Jehova’s angelockt werden sich zur Religion des widerlichsten Hasses und der ekligsten Sittenlosigkeit, dem Christenthume, zu bekennen. Solche Plakate in hebräischer Sprache müssen die armseligen Juden dulden; wehe ihnen, wenn sie diese blöden Wische herabreissen wollten. Die ganze europäische Diplomatie würde den Sultan belangen darüber, dass er eine solche Verletzung der „infame“ in seinen Landen duldet. Ich verzeihe es den braven Juden in Damaskus, dass sie mich ablehnten im Verdacht, dass ich Missionär sei. Und dennoch hatte ich eine romantische Beziehung in den schmutzigen Judenstrassen. Das Kapitel müsste „H ajja“ überschrieben werden. Im Chân Assad Bascha, einem der grössten Fondaco’s in Damaskus, pflegte ich bei einem arabischen Kaufherrn, Chalil, auf eine Tasse Kaffee 61

einzukehren. Für seine Rechenarbeiten verwendete er einen jüdischen Jüngling, Namens Lêwî, der aus der ungeschickten Schule der Alliance israelite hervorgegangen war. Dieser Lêwî bezog einen Tagessold von einem Franc bei Chalil, und als er einmal Muth fasste um die Erhöhung dieses Tageslohnes auf 1' i Frcs seinen Brodherm anzugehen, wies dieser ihm d ie Thüre und entliess den Jahûdî aus seinem Dienste. Der arme Junge v o n 15-16 Jahren hatte mit seinem Erwerb seine armen Eltern zu unterstützen, deren Existenz nun durch die Entlassung ihres Sohnes völlig untergraben w ar. In dieser Noth wendete sich dieser an mich, denn er sah, dass sein H err mir viel Sympathie zuwendet. Ich intervenirte bei Chalil mit allen erdenklichen Sentenzen aus Koran und Sunna und G ott segnete meinen Schritt. Ich setzte durch, dass Lêwî mit der von ihm erbetenen höheren Gage wieder sein Schreibpult im Chân Assad einnehmen konnte. Ich hatte eine Familie glücklich gemacht und Lêwî bot sich unter Thränen die Gunst aus, dass ich seine Familie besuchen möge. Durch ihn in die bescheidene, reinliche Wohnung geleitet, hatte ich nun eine ziemliche Rührscene mitzumachen, Vater, Mutter, Geschwister, feierten mich unter Freudenthränen als R etter der Familie. Ich konnte mich überzeugen, dass ich arbeitsamen, braven Leuten, die einst bessere Tage gesehen, einen Dienst erwiesen. U nter den Familienmitgliedern, die solange ich da war, alles redete und weinte und dankte, benahm sich nur die Schwester meines Schützlings, H ajja, gemessen und würdevoll. Auch sie dankte mir, küsste meine Hände, aber sie enthielt sich der orientalisch überschwenglichen Freudenausbrüche ihrer Eltern und Geschwister. In vornehmer Haltung kredenzte sie mir den mir angebotenen Kaffee und fragte mich, ob ich zuhause eine Schwester habe und wie sie heisse. Als ich „Mirjam Deborah“ nannte, begann sie in hebräischer Sprache die Anfänge des Mirjam und Deborahliedes zu recitiren und sagte, dass diese beiden die schönsten jüdischen Namen seien, die Namen zweier Dichterinnen, Prophetinnen, Fürstinnen. Jetzt giebt es nur jüdische Fürstinnen - meinte sie, vielleicht mit Bezug auf die stolzen Töchter der reichen Juden - aber nicht mehr Prophetinnen. Ich gestehe, ich hätte meine Besuche in diesem armseligen Hause nicht wiederholt, wenn mich nicht Hajja, das tieffühlende Judenmädchen, welches sich nach meiner Schwester erkundigte, interessiert hätte. Wir hatten lange Gespräche, denen ich die Kenntnis der jüdischen Verhältnisse in Dam. verdanke. Ich lernte in Hajja ein denkendes, tieffühlendes Mädchen kennen, das für meine Bemerkungen über religiöse und sociale Dinge mehr Verständ­ nis hatte, als ich je von einem Judenmädchen in Syrien vermuthet hatte. Auch arabische Dichter las sie, aber nur solche, welche in Beiruter Büchern zu finden waren. Ich machte sie mit den echten Beduinen bekannt. Unsere 62

Beziehungen steigerten sich zu intimer Freundschaft; Hajja hat sich völlig würdig gezeigt der Freundschaft eines Europäers, den sie hoch erhaben über sich dachte. Seit meiner Abreise aus Damaskus habe ich gehört, dass H. an einen kleinen Handelsmann in Alexandrien verheirathet wurde und an den Folgen einer schweren Entbindung starb. G ott habe es selig, das süsse, brave Judenmädchen von Damask. Noch eine Damascener Begegnung muss ich hier besonders verzeichnen. Ich hatte meinen Mittagstisch in Gesellschaft mehrerer europäischer Ärzte und zweier Kaufleute aus der Schweiz im Hause Rauch’s. Eines Tages führte uns einer der Tischgenossen, H err Hummel, einen aus Italien kommenden jungen schwedischen Gelehrten vor, dessen Karte die Worte sehen liess „Carlo Landberg104, Chevalier, chargé d ’une mission scientifique” . Also ein europäischer Fachgenosse. Derselbe trat wohl etwas zu gelehrt auf, aber als er in einem Gespräch mit mir merkte, dass ich ihm wohl einigermassen überlegen war, mässigte er den Ton, ja war aufrichtig genug, mich zu ersuchen, ihm Unterrichtsstunden zu erteilen. Darauf gieng ich in meinem Lehrfanatismus gerne ein und so habe ich denn Landbergen in sehr elementaren arabistischen Dingen Unterricht erteilt (belâé); ich führte ihn hin und wieder mit mir, wann ich arabische Besuche machte und da konnte er nicht genug darüber staunen, wie flüssig ich mit den Leuten in ihrer Sprache reden könne. Wie er mir gestand, war der Traum seines Lebens nun der, es so weit zu bringen, wie ich es gebracht habe. Eine Erkrankung nötigte ihn, das herbstliche Damaskus zu verlassen und nach Beirut zu übersiedeln. Das war mein erster Verkehr mit dem Grafen Landberg, der mir 18 Jahre später soviel Dankbarkeit erwies für die paar arabischen Stunden, die ich ihm in Damaskus ertheilte. Unvergessli­ ches Barrada-thal! Wie könnte ich nun nach achtzehn Jahren die wonnevollen Stunden schildern, die ich mit herrlichen Freunden in deren grünen Auen und goldenen Gärten verlebte! Man lese eine beliebige Schilderung der unver­ gleichlichen Umgebung des uralten Damask, und denke sich dabei: dies alles hat der nachmals völlig abgestumpfte Goldziher mit offenen Augen eingeso­ gen, mit frischem Sinne genossen, umgeben von arabischen Freunden, die es glücklich machte, ihn glücklich zu sehen. Da lustwandelten wir in den Sommersitzen meiner Mohammedaner und besprachen die Fragen der Dogmatik, der Gesetzwissenschaft, der Poesie und Syntax in ihrer ganzen Tiefe und Breite. Wie bin ich doch in diesem Kreise sittlich und intellektuell gewachsen und gediehen! A ber auch die entfernteren Sehenswürdigkeiten drängte es mich zu sehen. Ich ergriff gerne die Gelegenheit, welche mir der Marsch einer militärischen Division von Damaskus nach Hama bot, um mich in Begleitung von Dr. Schwarz anzuschliessen und das merkwürdige Baalbeck zu besuchen. Diese Reise habe ich gleich nach meiner Rückkehr in Damaskus 63

in zwei Feuilletonartikeln des P. Naplö beschrieben. ' Dieselben können zur Ergänzung dieser Blätter dienen. In Damaskus angekommen, beschloss ich mit Dr. Lederer, einem Militärarzt aus Baja. die Reise nach Jerusalem, über den Hauran und das Ostjordanland zu machen. Vom Pascha war uns zu diesem Zwecke militärische Escorte zugesichert. Der Plan gieng in die Brüche. Lederer wurde nach schwerer Krankheit ein Opfer der zu jener Zeit in Damask, herrschenden Typhusepidemie. Ich war an seinem Sterbebette anwesend. Lästige Verhandlungen mit dem Rabbiner wegen eines anständi­ gen Begräbnisses dieses den pharisäischen Gesetzen nicht huldigenden Glaubensgenossen verbitterten mir das Bewusstsein der confessionellen Gemeinschaft. Auch der Typhus machte mir Angst. Plötzlich entschloss ich mich das glänzende Damaskus zu verlassen. Die Freunde gaben mir das Geleite zum südlichen Stadtthor. Thränen wurden mir nachgeweint. Auch ich konnte mich der Rührung nicht erwehren. So gute Tage, wie ich hier genoss, sollten nimmer wiederkehren. Mein Reiseziel war Jerusalem. Mit gemietheten Schindmähren schleppte ich mich auf dem Landwege bis nach Kaipha. von wo ich den Karmel und die Eliasorte besuchte. Mit den schönsten muhammedanischen Erinnerungen in der Seele widerte mich dieses ewige Klosterleben, mit allen möglichen neutestamentarischen Stätten an. nicht weniger aber der Gräbercultus in Safed und Tiberias mit ihren unreinen ungezieferreichen jüdischen Schlafstät­ ten und Tannaitengräbern. Die Landreise wurde wegen der schwellenden Bäche ungemütlich. Auf dem Wege schloss sich mir ein amerikanischer Arzt Dr. Sherffy aus Brooklyn an, ein drolliger Kerl, den ich nun bis Kairo als Reisegesellschaft hinnehmen musste. Der war entzückt von allen heiligen Orten, und quälte meine alt- und neutestamentliche Belesenheit mit der Erklärung dieser Erinnerungsorte. In Kaifa entschlossen wir uns, die Reise zu Schiffe fortzusetzen, wir benutzten den nächsten Dampfer, es war ein russischer, der uns bei stürmischer See nach Jafa brachte. Die Debarkirung gieng unter sehr peinlichen Umständen vor sich, unter fortwährenden Protesten der Brandung gegen unsere Annäherung ans Festland. Aber nach dreiviertelstündigem Kampfe gegen das wüthende Element konnten wir den Continent betreten. Ich war von Beirut aus an einen reichen maronitischen Kaufherrn in Jafa, Bschära Sephtr empfohlen. In seinem Hause verlebte ich zwei Tage, die ich zur Besichtigung der Umgegend benutzte, zu welcher auch die jüdische Ackerbaucolonie Pethach tikwa gehörte. Einige Stunden vor unserer Abreise nach Jerusalem konnten wir in den berühmten Orangengär­ ten meines Wirthes (1000 Orangenbäume), in welchen Orangen von der Grösse einer kleinen Zuckermelone nicht zu den Ausnahmen gehörten, lustwandeln. Dahin waren unsere Pferde bestellt, mit denen wir am selben 64

Tage Ramleh erreichten, um uns im Franziskanerkloster daselbst gastlich niederzulassen. Am 1. Dezember zog ich in Jerusalem ein, am 2. wohnte ich der Hochmesse in der heil. Grabeskirche, gelegentlich des 25. Regierungsjubiläums Sr. Majestät bei. Consul Graf Caboga geleitete mich nach der Messe in die Grabeskrypta. Ich stand vor dem Grabe dessen, der in gutem Glauben der bösen Welt Erlösung bringen wollte, an dessen Namen sich aber das System des Menschenhasses, odium generis humani, haftete. Ich besah noch am selben Tage - alles unter Consularschutze - den Haramplatz und die Moscheen; machte in den nächsten Tagen Ausflüge nach Jericho, Todtem Meere, Hebron, setzte über den Jordan, um auch auf moabitischem Gebiete gewesen zu sein, wo eben damals unter Schapiras"* Leitung nach Altherthümem gegraben wurde. Zehn Tage nahmen diese Touren in Anspruch und manches neckische Erlebnis wäre aus diesen Tagen zu verzeichnen, aber ich führe Jerusalem als eine der unangenehmsten Erinnerungen meines Lebens in meiner Seele; man muss allen Idealismus verlieren, wenn man das Treiben in dieser Stadt des religiösen Gewerbes mit unverdorbenen Augen betrachtet. Ich war froh, als ich vor der Klagemauer vorüber wieder in das von hohen Bergen umschlossene Thal hinausritt, welches der Ausgang aus der heiligen Stadt gewährt. In Ramleh vergönnte ich mir, in einem weltlichen Logirhause zu rasten, wo ich bei würtemberger Bier, einem lutherischen Pfaffen, der das Seelenheil der schwäbischen Templercolonie besorgt, die Lücken seiner Kenntnisse der beiruter Kirchenlieder ergänzen konnte. In Jafa trafen wir pünktlich den nach Port Said abgehenden Lloyddampfer. Port Said; Suezka­ nal; Eisenbahn nach Kairo.

K a ir o Ich hatte die Absicht, mein Leben in Kairo auf dieselbe Weise einzurichten, wie ich es in Damaskus hatte. Der Aufenthalt in der Residenz der Mamluken sollte eine Fortsetzung der geistigen Genüsse des Aufenthaltes in der O m ajjadenstadt bieten. Die ersten Kairoer Tage schienen ein lautes Veto dagegen zu bedeuten. Mit der Eisenbahn in Kairo angekommen, führte mich die mit Gasflammen hellerleuchtete Eisenbahnstrasse in ein europäisches H otel, vorbei vor dem Opernhause, wo mit italienischen Sängerinnen und Ballerinen die europäische Civilisation dem mohammedanischen Staate aufgekleistert werden sollte. Es war das Kairo Isma'iJ Pascha’s. Die ersten Eindrücke schlugen all mein Sehnen nach ungetrübtem mohammedanischem W esen zu Boden. Ich glaubte, davon verzweifeln zu müssen, hier in den Islam 5

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tiefer einzudnngen In Darasskw rsatie e r eœ = «neefesebea A r a c - t ä * : händler aus Kairo. Herrz Pasa>:Uuui mul ein anständiges Milieu für meine Arbeiten hatte, und x. Mc I list bekam, mich in den Kairiner Islam zu mengen. In den aim ich auch hier gute Bekannte, zumal ich auch für mich, und gute Freunde in Europa Bücher kaufte. A ber an den , u tu un Bazar von Damaskus war hier nicht zu denken. In , erwerben, selbstlose Freundschaft hat hier der

europäische Schacher- und Wuchergeist verdrängt. Nichts destoweniger verkehrte ich alle Nachmittage sehr eifrig mit den Eingeborenen. Hasanein verschaffte mir obendrein die Bekanntschaft einiger Ulemä und sonstiger Notabilitäten der mohammedanischen Welt, in der Bibliothek lernte ich sehr verständige mohammedanische Gelehrte und Schöngeister kennen, deren Verkehr mich sehr erheblich gefördert hat. Am fleissigsten besuchte ich zwei hervorragende Gestalten des mohammedanischen Lebens. Sejjid Sälih Bey al-Magdi früherer Staatssekretär im Unterrichtsministerium gehörte jener Strömung der ägyptischen mohammed. Intelligenz an, welche das intellektu­ elle und staatliche Leben nicht als reformbedürftig erkannte, aber die Umbildung der Verhältnisse auf national-arabischer und mohammedanischer Basis anstrebte und das durch Dick und Dünn Europäisiren verpönte. Die Anhänger dieser Strömung mussten seit einiger Zeit den europäischen Reform-schwindlern weichen, die ohne Verständnis für die Überlieferungen des Volkes, die fremde Cultur gegen hohen Sold zu importiren sich anheischig machten. Sälih musste eines Tages seinen Schreibtisch dem Schweizer Dor bey überlassen, der nun im Unterrichtsressort den Minister Riäz Pascha bevor­ mundete. In Sälih’s Hause pflegten sich die Unzufriedenen zu versammeln und bei meinen häufigen Besuchen konnte ich nun die hervorragendsten Gelehrten der nationalen Partei kennen lernen. Ich gehörte selbst zu ihnen und machte es mir als Pflicht, zu ihren Überzeugungen mein Schärflein beizutragen. Auch in den Bazaren eiferte ich im Sinne der nationalen Kultur und hatte einmal einen nicht geringen Schrecken darüber auszustehen. Auch Ali Bascha Mübarek, den Minister Sälih’s lernte ich in seinem Hause kennen, der eben war zu jener Zeit mit Bauarbeiten beschäftigt und nahm wenig Interesse an mir. Sehr viel trieb ich mich im Hause des Abd al-Chäbik Scheich al-Sâdât, einem der reichsten Magnaten Kairos herum, einem directen Abkömmling der Fätima und General der Scherifenfamilie, ein Amt das mit riesigen Donationen verbunden ist. Der Scheich, ein Lebemann durch und durch, sah mich sehr gerne, und es gelang mir bald, ihn zur Wissbegierde anzufeuem. Kaum hatte ich ihm drei Besuche gemacht, da Hess er sich bereits aus seiner riesigen Bibliothek historische Werke herunterbringen, in deren eifriges Studium er sich gerne versenkte. In der Grabeskapelle seiner Familie, in der Karäfa, die er mich einmal in seiner Begleitung besuchen Hess, zeigte er mir seinen bis auf Fätima zurückreichenden Stammbaum. Das Portrait dieses Freundes ziert die Wand meines Studirzimmers. Ich betrachte es stets als freundliche Erinnerung an diesen grossen Herrn, der sich geistig von mir beeinflussen Hess und stets werde ich mit Freude an das glänzende Haus mit seinen Fontänen und luxuriösen Mosaikwänden, die mit aller orientalischer Pracht ausgestatteten Empfangssäle zurückdenken, in denen ich mich als 5

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vertrauter Hausfreund bewegte. Zu den originellsten Figuren unter meinen Freunden gehörte ein Mann, der seither viel von sich reden machte, als antienglischer Agitator. Verbannter. Journalist und Polemiker gegen Renan. Es war der Afghane Abd-al-Dschakäl. Die Begegnung mit ihm traf sich eines Abends in einem Kaffeehause der Abdinstrasse. wo unser Afghane allabend­ lich einer Gesellschaft von jungen Azharschülem präsidierte und ihnen alles mögliche freisinnige Zeug vormachte. An einem Tische des Kaffeehauses ein Nargiieh schlürfend, wurde ich zur Gesellschaft geladen und befand mich da so wohl, dass ich nun allabendlich für eine Stunde unter diese Ketzer gieng. Unter den merkwürdigsten Verhältnissen konnte ich dem Freund im Jahre 1883 wieder in Paris begegnen, wo er mit meiner Frau philosophische Gespräche führte und sich von ihr über europäische Kultur belehren liess. Ich setze mir vor, der Geschichte meiner Begegnungen mit dem Afghanen einst bei günstiger Musse ein besonderes Kapitel zu widmen. Nach dreiwöchentlichem Aufenthalte in Kairo sollte nun ein Ereignis für mich eintreten, welches für mein ganzes wissenschaftliches Leben von epochemachender Bedeutung war. Stem machte mich mit Dor. dem damals allgewaltigen Leiter des Unterrichtswesens bekannt, dieser nahm mich einmal als Curiosum (ein Europäer der sich so tief in den Islam eingelassen, musste dem Kulturschweizer ganz bärenmässig merkwürdig Vorkommen) zu seinem Vortrag bei dem Unterrichtsminister Riäz Bascha mit. Dieser wollte mit mir französisch sprechen; ich aber erlaubte mir zu bitten, dass ich lieber in seiner Muttersprache sprechen dürfte. Dies und die Gewandtheit, mit der ich mich auszudrücken verstand, entzückte den Bascha und er lud mich ein, ihn wöchentlich mehreremal zu besuchen. Da das Ministerialpalais in unmittelba­ rer Nähe der Bibliothek steht, pflegte ich vor oder nach den Bibliothekstudien dem Pascha meine Aufwartung und im Angesichte aller im Saale ringsherum­ sitzender Männer aus dem Volke auf seinem Sopha Platz zu nehmen. Unsere Gespräche drehten sich stets um Fragen der Literatur und des Adab. Einmal brachte ich den Druck des Sibaweihi in Bülak in Anregung; meine Motivirung gefiel dem Pascha so sehr, dass er sich hierüber (aber wie der Erfolg zeigte ohne Frucht) eine Notiz machte. Er redete mir zu, in Ägypten zu bleiben und ein einflussreiches Amt im Unterrichtsressort anzunehmen. Ich lehnte, mit Hinweis auf meine daheim befindlichen alten Eltern, ab. Bald forderte er mich auf, mir denn doch etwas von ihm auszubetteln. Ich zauderte nicht lange und bat mir folgende Gnade aus: der Pascha möge es durchsetzen, dass ich am Studium der Azhar-moschee theilnehmen dürfe. Sonst verlange ich nichts von ihm, denn nur danach hängt mein Herz. Der Pascha stellte mir vor, wie schwer dies gienge und dass noch nie ein Nichtmuhammedaner an der Azhar studirt habe. Ich wich nicht und erklärte, dass ich nichts anderes von ihm verlangen

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könne, dass er mich wegen meiner Liebe zum Studium des Islam als einen der ihrigen betrachten lassen möge. „A ber der Mufti wird es nicht wollen und ich kann ihm deine Aufnahme nicht aufdrängen“ . „Empfiehl mich dem Mufti und ich will dann meine Bitte ihm vortragen“ . Darauf Hess der Minister ein warmes Empfehlungsschreiben für mich an den Mufti aufsetzen, in welchem er dringend ersucht wurde, mit mir über muhammedanische Wissenschaft zu sprechen und sich zu überzeugen, dass ich würdig sei, den Hörern der Azhar-moschee eingereiht zu werden. Mit diesem Brief in der Hand ritt ich hoch zu Esel (ich hatte für jeden Tag in Kairo meinen eigenen Esel gemiethet) an das Palais des Mufti Abbässt al-Mahdi, dessen Vater ein zum Islam übertrctener Rabbiner war. Nach langweiligem Antichambriren wurde ich endlich vorgelassen, nachdem ich meine Beschuhung vor der Thüre des Audienzsaales abgelegt hatte. Der Mufti sass an der Spitze eines Dutzend von Ulemä und verhandelte eben eine Erbschaftsangelegenheit. Ich hörte der Verhandlung mit ruhiger Aufmerksamkeit zu, bis mich endlich der Grosse zu sich herbeiwinkte. Er fragte mich, ob ich der Empfohlene seines Freundes, des Ministers sei? und welche Religion ich bekenne? „Auf mich hat der glückselige Riäz Bascha das Auge seiner Gunst geworfen, ich heisse Ignaz al Madschari, bin unter dem Ahl al Kitäb geboren und glaube mit den Einheitsbekennem auferweckt zu werden“ ; diese Antwort hatte ich mir während des Eintrittes bereits zurechtgelegt. Der Mufti fragte mich dann, ob ich von der gesetzlichen Verhandlung etwas verstanden habe? Darauf konnte ich aus meiner Tasche eine die Erbschaftgesetze darstellende Tabelle hervorziehen, aus welcher ich den obschwebenden Fall demonstrirte. Daraus ergab sich eine indirecte Prüfung aus der mohammedanischen Disciplin, bei welcher ich mich bestrebte, so viel ich nur konnte, aus Koran und Sunna zu zitiren. Verwunderung malte sich auf den Gesichtern der herumsitzenden Ulemä. Abbässt fragte mich auf das Gewissen eines Einheitsbekenners, ob ich nicht istihzä (Spott) mit den Erlebnissen in den Moscheen zu treiben gesonnen bin. Nachdem ich auf den Glauben an den Einzigen versicherte, dass ein Traum meiner Jugend mich unter die Scheiche treibt, und nachdem die Ulemä die Bedenken des zögernden Mufti zerstreuten, rief dieser seinen Schreiber und Hess folgenden Erlass ausfertigen: „An die Schejche, Schüler, Pförtner und Diener der blühenden Moschee Al-Azhar“ . „Es meldete sich bei uns in Begleitung eines warmen Empfeh­ lungsschreibens unseres mächtigen Freundes Riäz Bascha, der ungarische Tälib (Suchende) Ignaz, ein Mensch von der Ahl al-Kitäb, mit der Darlegung seiner Sehnsucht, sich in die Wissenschaften des Islam unter den Augen der weisen und gelehrten Schejche der Moschee zu vertiefen. Allah hat ihm bereits viele Kenntnisse in unseren Wissenschaften gnädig geschenkt. E r ist 69

voller Sehnsucht sich in das Meer zu tauchen, von dem er einen salzigen I ropfen gekostet hat. Er hat mir beschworen, dass ihn nur Sehnsucht, nicht Neugierde antreibt, unter Euch zu wandeln. Er erklärt, weit entfernt von aller Spottsucht zu sein. So ist die Bestimmung Gottes, dass dieser Jüngling der Nachbar unserer blühenden Moschee werde und die Bestimmung Gottes möge man nicht aufhalten. Ignaz ist meinem Schutze empfohlen, solange er dessen würdig ist. Er wird sich zunächst dem Scheich Aschmuni vorstellen. 1‘riedc und Gottes Barmherzigkeit." Al-Abbâssî Scheich der Dschäm i' ai-A/har. Mil pochendem Herzen übernahm ich diese Zeilen des strengen M ufti. Ich k ussie ihm die Hand und gab ihm und mir das heilige Versprechen mit seinem Vertrauen keinen Missbrauch zu treiben. Unwillkürlich kommen mir die Hin* und Herluufercidn und Schwierigkeiten aller Art in Erinnerung, die ich 1868 zu liekämpfen hatte, um die Vorlesungen des Pfaffen Ruzsicska an der P ester kath Theologie zu hören. Wie leicht gieng es doch hier mit dem B ekenner Allah’s und Mohammeds! Sobald als möglich meldete ich mich an den Pforten des Azhar. D er Pförtner des „Barbierthores" führte mich zu Aschmuni. Dem übergab ich den Erlass des Mufti. Der alte Fanatiker las ihn mit Befremden. „Du bist der erste Nichimohammedaner, dem es erlaubt wurde, sich in unseren Z irkeln mcdci/iilassen. Der Mufti ist weise. Aber du Frangi, willst ja doch nur eine Keiselrcschreibung (rihla) verfassen und die Scheiche der Azhar in den Journalen abzeichnen". „G ott verzeihe mir jeden bösen Gedanken, sagte ich, abei die Absicht habe ich nicht. Die Wissenschaft des Islam ist m eine Sehnsucht und die Azhar ist der Sitz derselben. Den Durst will ich an d er $/ ) besichtigteich gründlich. Im Verkehr mit Robertson Smith kam auch cfriedigt. Sie sind empört über „Titel und Charakter“ . Was ist das für ein „< harakter“ ohne „Bezahlung“ ? Dadurch wird ein wirklicher Mensch nur entwürdigt. II. Juli. Nichts kömmt über die Bescheidenheit! Heute hatte ich in wahrer höllischer Gluthitze die Aufgabe als Begleiter des Rabbiners Kohn den Minister des Inneren Hieronymi141 aufzusuchen und eine gute Stunde antichambrirend Audienz zu schwitzen - um einem armen Verfolgten Recht zu schaffen?? Lächerlich, nein! wer wird sich in unserer verfeinerten Zeit der Verfolgten annehmen? Jeder Verfolgte ist ja ein Lump! eo ipso ein Taugenichts; denn nur die Verfolger haben Recht. Also nein! Wir hatten die Aufgabe zu betreiben, dass ein durch seine Bescheidenheit hervorragender Philanthrop einen - Orden bekomme. Der Minister fragte uns: ob er nicht um Himmels Willen ein Wucherer ist? (ipsissima verba!). Bei Himmel und Hölle, niemals ein Wucherer gewesen, sondern ein bescheidener Philanthrop, dem ein Orden wohl thäte. Aber ja kein Verdienstkreuz! Ein solches bekommt ja ein jeder miserabler Wicht von Schuldirektor. Es soll ein wirklicher „Orden“ sein, der der Bescheidenheit wohl thut. Ich schwitze noch jetzt spät am Abend von dieser säubern Excursion, dem Verdienste*seine Krone zu verschaffen! 17. Juli. Noch vor meiner Abreise zwei ungarische Artikel geschrieben: den einen für Nyetvtudomänyi Közlemenyek24-': einen Essay über ..Muhammedanische Propaganda in Amerika“ für Budapesti Szemle*“. wo derselbe im Octoberheft erscheinen soll. Also den 19. geht es gen München. Meine Frau ist mit meiner Nichte am 15. d. M. nach Karlsbrunn, meine Buben schwelgen am Strande der Ostsee in Colberg. München, den 21. Juli 1894. .Am 19. d. M. veriiess ich meine Heimathsstadt und wahrlich nicht mit schwerem Herzen. Ich rastete einige Stunden in Wien, und kam gestern Früh hier an. Mein hiesiger Fachgenosse. Hommel, empfing mich sehr freudvoll und machte sich gleich daran, mich für alle möglichen Dinge auszupressen. Dafür ass ich aber auch einige Mahlzeiten in seinem Hause, wo ich auch den Oymnasiaiprofessor aus Koiin Prazak *'. einen tüchtigen Fachmann für alte Geschichte (der im Hause Hommels wohnt und bei ihm Ketlschnft-wissenschaft lernt, und im Aufträge der cechtscheu Akademie eine Geschichte des .Altertums in cechischer Sprache schreibt;, und einen Gi usinen - ich glaube

Kochamof heisst er - Professor an der Universität Moskau, kennen. An solchen Begegnungen kann man erst recht erfahren, welches Nest unsere Halbmillionen-Stadt ist. Wem wird es beikommen, nach Budapest zu kommen, um geistig reicher zu werden? Wir können ihm nur mit Orpheen und Blauen Katzen aufwarten. Heute früh, als am Sabbath Balak, habe ich auch die Synagoge besucht und christliche Mädchen die Keddusa singen hören. Ich besichtigte sodann die Jahresausstellung. Unsere moderne Kunst bietet kein packendes Motiv, das sich in die Seele einprägt. Porträts mit gelben Schuhen und Cigaretten, Bismarck-Büsten mit weissem Hut etc. Aber um Gottes Willen, hat denn die Kunst aufgehört, den Beruf zu haben, die Seele zu erheben, ihr Feiertagskleider anzuthun? Sollen die Orgelpfeifen eines gothischen Domes Gassenhauer ertönen lassen? Nichts, was die Seele fühlt, ihr die Ahnung des Ideellen anharnischt; grosse historische Thaten und religiöse Erhabenheit - Helden, Heilige, Märtyrer, meinetwegen Götter, und was sie thaten und schufen, wirkten und litten, sind nicht mehr Stoffe der Kunst. Nur der Werkeltag, das Wartezimmer eines Zahnarztes u. dgl. wird uns zugemuthet für den Moment, die kurze Weile, in der wir die Sehnsucht nach Ergänzung unseres Seins befriedigen möchten. Und wie arg verballhornt erscheint das Historische und Religiöse in dieser „modernen“ Kunst. Jesus theilt das Abendmahl wie ein Messner aus, stehend aus einem Teller, den einzeln herankommenden Schülern. Mittags war ich Gast des Byzantiners Prof. Krumbacher24*, der mich, da er unbeweibt ist, in einem Hotel königlich bewirthete. Jetzt kömmt der Abend heran; den bringe ich wohl recht einsam zu. Schloss Tutzing, 10. August. Am 22. Juli bin ich in Schloss Tutzing eingezogen. Graf Landberg erwartete mich bei der Eisenbahn mit seinem Wagen und livrirten Dienern und geleitete mich in das prachtvolle, glänzende Heim, das ihm das Schicksal beschert hat. Zwei bequem eingerichtete Zimmer wurden mir angewiesen, in welchen ich in den Stunden, in welchen mir Einsamkeit erwünscht, der Ruhe pflegen könne: Doch bald stellte sich heraus, dass ich ausser diesen Zimmern besonders noch auf ein verlockendes Appartement rechnen könne: die Bibliothek. Von derselben will ich später reden, sobald ich in aller Ordnung im Schlosse einstallirt bin. Bereits zum five o’clock tea, der auf einer, in den Starnberger hineinragenden wundervollen Terrasse eingenommen wird, wurde ich dem vornehmen Volke im Schlosse vorgestellt. Ausser der Gräfin befanden sich da, ein Herr v. Lewetzow und Frau, Premierleutnant, Leute von sehr hohem Adel, die auch einige Zeit im Orient gelebt hatten. Der älteste nachweisbare Ahn des Herrn v. L., der einer der ältesten Edelfamilien 175

v. tuz/uge im heil. Land. Seine . _ t >chem Adelsgeschlecht ent- v ...*ag mit tiefen Gefühlen und von . r>. habe den Namen vergessen 'a> Tagebuch ihrer Orientreise . -nter ihren Freunden vertheilt. - . . Übersetzung von Landberg’s im 'U«.ne ..Durch Wüsten und unter çenug, ihr Manuscript mir zur .'ÇMache und des deutschen Styls zu v iit der Umstand, dass sie mich . .xmwester denken lässt. Sie ist im Erregung lässt sie Kenner die v.: \n d ere Gäste des Hauses sind: a .-mes Fürsten Liechtenstein aus . i ii und Damen, die auf kurze Zeit . ii. ln demselben benscht stets der ' -scheinen bei den Mahlzeiten die ' . .. die in der Nähe »-eilen, zu Gaste, i E'degenheiten lernte ich - von den uiieln, will ich nicht reden - Hans h of essor Keller aus Karlsruhe, den -ü b e n , den militärischen Schriftstel. gewesenen Generalintendanten des xx Breslauer archaeolog. Museums, . >tuk. Sohn des berühmten Physiolo. vx vPohl) ein Millionenschloss in echt . ' «tele andere. Meine Stellung ist in x' X Landberg hat alles gethan, um zu x x.oxh wert big mit jenen Grafen und x. .uvwxcs gehören. Die Gräfin war eine ' 1 . .1 kenntnis an Oberflächlichkeit der . .u l Luxus und Sport aufgeht und ihr x.1 findet, und auch ihre Nebenmen..■> bcurtheilt, scheint mit mir eine . mxcnutisch durchdrungen, giebt sie \ u ui Plat/ am Tische ist neben ihr, um NWli auszuzeichnen. Wenn ich bei v.'.iuiu’, bittet sie mich neben sich im „ . i \ l ewotzow mit seinem achthun-

dertjährigen Adel bequemt sich gerne „vis-à-vis“ zu sitzen. Auch solche Kleinigkeiten, ja gerade solche, beweisen zur Genüge, welche Stellung der jüdische Gelehrte, den der Graf ostentativ seinen „besten Freund“ nennt, auf Schloss Tutzing einninunt. Graf Landberg selbst hat sich in den 22 Jahren unserer Bekanntschaft total verändert. Und zu seinem Vortheil. Die 5 Millionen über die er verfügt, haben ihn zu einem bescheidenen, allem Egoismus und aller Flunkerei entfremdeten Menschen gemacht. Man kann sagen, dass er durch die an Ort und Stelle gemachten Studien zu einem der tüchtigsten Arabisten unserer Zeit geworden ist; er arbeitet jetzt an seinen über die Sprache der Beduinen aufgehäuften immensen Materialien. Leider lässt ihn aber die Verwaltung seiner fünf Millionen und darüber repräsentirenden grossen Güterkomplexe und Latifundien nicht so viel Zeit für wissen­ schaftliche Arbeiten, wie im Interesse unseres Faches erwünscht wäre. An Treuherzigkeit gegen mich kommen ihm wenige gleich. Er hat mir die glänzendsten Tage meines Lebens, die skandinavischen, bereitet; die Starnbergischen sind ein würdiger Nachklang zu denselben. Alles, was man hier an Naturgenuss und edler Freude haben kann, bereitet mir mein Freund. Im Schloss selbst hat er mir ein königliches Leben eingerichtet; er führt mich mit seinen Prachtgespannen in die schöne Welt der Starnberger Ufer, unzählig sind die Ausflüge, die ich mit ihm unternehme, so oft es das Wetter, das heuer hier sehr ungünstig ist, gestattet. Das Köstlichste aber, was ich hier gemessen kann, ist die fabelhaft reichhaltige orientalische Fachbibliothek meines Freundes. An 1000 Stück seltener Handschriften und eine in solcher Vollständigkeit wohl selten vorkommende Sammlung der gedruckten Litera­ tur steht zu meiner freien Verfügung. Sobald ich den Frühstückstisch verlasse, begebe ich mich in den Bibliotheksaal, wühle und excerpire, schwelge und geniesse inmitten dieses immensen Schatzes, nehme auch das eine oder andere Stück auf meine Zimmer, um auch Nachmittags und Abends, in meiner Klause oder in der lauschigen Stille des Parkes angesichts der den See umrahmenden herrlichen Berge die Bücher auszunutzen. Ich habe da eine ganze Menge neuer, mir bislang unbekannter Dinge sehen und lernen, verwenden und meinen Materialien einverleiben können. Was ich aus den Handschriften benütze, trägt in meinen Arbeiten die Chiffre „LH“ (d. h. Landberg-Hallber­ ger). So kann ich denn auf Schloss Tutzing ein wahrhaft schönes, nützliches Leben führen, das in keinem Verhältnis steht zu dem ordinären Schundleben, das ich sonst führen muss; geehrt und geachtet, ausgezeichnet und geschätzt von Männern und Frauen, die wohl keinem jener Lumpen wohl eines Blickes würdigen möchten, die die letzten 18 Jahre meines Lebens zu einer Summe von Schmach und Elend machten.

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Unbequem sind mir freilich die Mahlzeiten, zu denen wir in Salontoilette erscheinen müssen, und bei denen alle Formen des vornehmen Lebens unerlässlich herrschen. Aber es ist eine vorteilhafte Ergänzung meiner regelmässigen Lebensweise, einen Monat hindurch auch diese Art des Lebens von der Nähe kennen zu lernen und zu üben. Man muss nicht immer schmierig sein, um bequem zu leben. Die Comtessen und Baronessen, die ich zu Tische führe, sind ja trotzdem Menschen. Es kann nicht jeder ein Schnorrersein, oder ein jüdischer Vorsteher; es muss auch andere Leute geben, und da sie zur Welt gehören, ist es für den Proletarier instructiv, für längere Zeit in ihre ..Gesellschaft” versetzt zu sein. Und, bei Alläh, sie haben mir, dem Juden-Schammes - sie wissen alle, dass ich’s bin - alle Ehre und Rücksicht erwiesen, die er bei den Geldprotzen unter seinen Glaubensgenossen niemals hat finden können. Ich habe hier ein prächtiges, ungetrübtes Leben und gedenke es noch bis über die Mitte dieses Monates so fortzuführen. Freilich, und das ist die böse Kehrseite, bin ich von Weib und Kindern getrennt. Meine Frau ist mit meiner Nichte in Karlsbrunn, meine Jungen auf einer Reise durch Deutschland, gegenwärtig in Colberg mit Frl. Silbermann. Häufige Berichte erfreuen mich von beiden Seiten. Aber oft geht es mir nahe, ob nicht meine Stelle eher bei meinen Kindern wäre, als bei den Herren und Damen der vornehmen Gesellschaft? Gott weiss es am besten. 10. August. Zu den lichtesten Momenten meines hiesigen Aufenthaltes gehört mein Verkehr mit Ebers, diesem ehrfurchtgebietenden Manne, der mit seiner grossen Seele das Elend des Körpers besiegt und in seinem Wirken den Triumph des Willens über Lähmungen und Gebrechen des Cadavers darstellt: ein Beispiel für alle Menschen, denen das Leben Widerwärtigkeiten bringt, die den Aufschwung des Geistes bedrohen. In einem reizenden Schreiben lud mich Ebers zu der heute vollzogenen kirchlichen Trauung und zu dem Hochzeitmahle seiner Tochter, eines duftigen Wesens, das die liebliche Rose in diesem schönen Familienkranze ist. Der Papa hielt beim Mahle eine schöne Rede, der Geistliche war langweilig, auch andere redeten emst und humorvoll; ich überwand mich. Als Fremder wollte ich meine Eloquenz nicht aufdrängen. Unter den Gästen war auch der grosse Maler Alma-Tadema:‘\ der eigens aus London zu dem Feste seines Freundes kam. Tutzing, d. 14. Es wäre rein wunderlich, wenn sich nicht germanische Kraft und germanischer Rassendünkel endlich Bahn bräche. Mehr als drei Wochen sitze 178

ich hier in idealster Ruhe. Kein Wort von Judenthum ist während der vielen Unterredungen gefallen, die wir bis in die späte Nacht hinein zu pflegen gewohnt waren. Es schien, dass der Duft allgemeiner, unbeengter Humanität sich über dies schöne Schloss verbreite. Heute Abends endlich kams heraus, mässig zwar und ohne Leidenschaft, aber genug deutlich. Eine ägyptische Excellenz hier zu Gast, Tigrene Pascha, gewesener Minister des Auswärtigen in Kairo. Nach dem Abendessen kam ganz zufällig der Begriff des „Juif“ in die französische Conversation hineingeschneit. Die Juden beschäftigen sich zumeist mit Handel. Dies war die These. „Es können ja nicht alle Orientalisten sein“ - so dachte ich witzig antworten zu sollen. Darauf nun Herr v. Lewetzow: die Weltherrschaft Rothschilds, die socialen demokratischen Neigungen, die Vaterlandslosigkeit der Juden, ihre aufdringliche Manier; in Deutschland sind alle Richter Juden, er könnte keinen Eid in die Hand eines Nichtchristen leisten (dies fordere - so sprach er - das N.T.). „Aber Herr v. Lewetzow, das N.T. muss ich nun entschieden in Schutz nehmen gegen solche Zumuthungen. Dann wollen Sie doch nicht übersehen, dass den Gott, auf dessen Namen »Sie schwören, die Juden zuerst erkannt und der Welt gelehrt haben. Ist es ein anderer, auf den Sie schwören, dann bitte ich Sie, denselben nicht in die Hand von meinesgleichen abzulegen“ . Die Moral der Juden sei von der aller Welt verschieden, u.a.m . Der Pascha und die Gräfin hatten mittlerweile die Gesellschaft verlassen, das Gespräch war ja zu langweilig; aber auch die Gräfin hatte früher schon Beitrag zur Charakteristik der jüdischen Rasse geliefert: keiner von ihnen könne deutsch, auch Ebers’ Schriften werden von Guthe in Leipzig corrigirt, man erkenne am Stil gleich, dass der Verf. Jude ist. Dabei allerseits masslose Glorifizirung des Christen­ thums, das nach Herrn v. Lewetzow von den jüdischen Schriftstellern verhöhnt und verspottet wird. Ich konnte mich nicht enthalten, dem mecklenburger Junker zu bemerken, dass sein berühmter Landsmann Freiherr v. Schack (ein Mecklenburger), bei Leibe kein Jude, dem heutigen Christenthume wol viel ärger an den Leib gehe, als es je irgend ein Jude that; in so scharfer Weise, dass ich das Christenthum gegen die Angriffe des edlen Jesusjüngers in Schutz nehmen möchte. Ich hatte dabei die Stelle in Pandora S. 172. im Sinne, in welcher nach einer argen Abläugnung der Trinität, der Menschwerdung stellvertretenden Sühne (durch welche Lehren „Derjenige, der in Wahrheit nur nicht in jenem rohen Sinne, ein Sohn Gottes genannt werden darf, in einen bösen Dämon umgewandelt wurde, welchem, wie jener indischen Göttin Kali, Menschenle­ ben in Hekatomben zum Opfer fielen“) noch folgendes gesagt wird: „Es ist ein empörender, nicht länger zu duldender Missbrauch, einer Religion, welche die furchtbarste Entstellung des Evangeliums ist, den Namen Christenthum zu 12*

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geben... Auch ist es nicht die sogenannte christliche Kirche, welcher es verdankt wird, dass endlich bessere Zeiten gekommen sind; denn sie hat das Evangelium nicht in seiner Lauterkeit, sondern in der Trübung, mit welcher Trug und Irrwahn es früher umsponnen haben, aufbewahrt. Erst der durch das Wiederaufleben der Literatur geweckte Geist der Wissenschaft hat nach und nach die Hülle weggezogen, so dass die reine Lehre hervorbrach; und die grossen Männer der Griechen und Römer, ein Plato, ein Marc Aurel halfen mächtig mit bei diesem Werke.“ 15. August. Ich hatte mich bestrebt gestern Abends dem unwissenden Angriffe des mecklenburger Junkers auf meine Religion und meinen Stamm massvoll und ohne Leidenschaft zu begegnen. Dies ist ja die einzige Art, mit der man in solchen hässlichen Disputen Erfolg erzielen kann. Man muss dem rohen Mittelalter den gebildeten Menschen entgegenstellen. Aber in meine Stube zurückgekehrt, musste ich doch für mich darauf zurückkommen. Erst jetzt wurde in mir inne, dass ich vielleicht eines zu thun unterlassen habe, einen scharfen Protest gegen die Ausnahmestellung, die die Antisemiten im Schlosse meiner Person zuweisen: „Sie sind natürlich nicht gemeint. Sie bilden eine Ausnahme; vor Ihnen haben wir die höchste Achtung und nichts, was wir sagen, kann Sie mit einbeziehen“ . Vor einigen Tagen sagte mir ein christlicher Gelehrter, ihn halte von dem Antisemitismus hauptsächlich der Umstand zurück, dass er Goldziher kenne. Ich habe zwar diese Ausnahmestellung zurückgewiesen und wiederholt erklärt, dass ich an allen Vorzügen und Fehlern der Juden theilhabe und ihre Verunglimpfung als die meinige betrachte, aber das Bestreben, die Debatten vor dem Stadium der Ausartung zu bewahren, Hess mich mässige Worte wählen. Die Nacht habe ich völlig schlaflos zugebracht. In aller Frühe macht mir v. Lewetzow auf meiner Stube einen fast vollständigen Besuch. Es sollte darin wohl eine Entschuldigung für den vorhergehenden Abend Hegen. Nachmittags. Nach dem Diner machte ich mit dem Pascha eine kurze Promenade im Schlosspark. Wir sprachen über aegyptische... Angelegenheiten, über Riaz, Dor, AH Mubärek und andere Herren der Reformaera von 1873. Zum Schlüsse hatte ich dem Pascha eine Antwort auf folgende Frage zu geben: „Est-ce que les Juifs regardent Jésus-Christ comme imposteur, comme nous regardons Mahomet?“ Ich habe der afrikanischen Excellenz einen religionsgeschichtlichen Vortrag über diese lakonische Frage gehalten. 180

Doppelt liebenswürdig - wenn anders eine Steigerung überhaupt möglich will sich mir nach jenem Intermezzo vom 14. alles gegen mich bethätigen. Es kömmt mir vor, als ob jenes Abendgespräch in allen das Gefühl tiefer Reue erzeugt habe, und als ob sie dasselbe als unwUlkürlichen Misston in der Harmonie unseres bisherigen Verhältnisses betrachteten. Es wird nicht darauf zurückgekommen. Das ist niemand angenehmer, als mir. Alles bestrebt sich ehrlich zu thun, was die Erinnerung an jene halbe Stunde verwischen könnte. Ich bin es, der dabei gewinnt. Die Annehmlichkeit des hiesigen Aufenthaltes kann dabei nur erhöht werden. 77. August. Am 15. machten wir in Gesellschaft des Pascha einen Ausflug nach dem lieblichen Thal, in welchem die Osterseen liegen. Tags darauf verliess uns der Pascha und Lewetzow’s. Dafür zog eine neue Excellenz ins Schloss. Frau Baronin von Liebenau, Gattin des Hofmarschalls und Erziehers des jetzigen deutschen Kaisers, eine schöne Dame, von Scheitel bis zur Zehe Hofdame, die auch ihre Nascha, ein anmuthiges Töchterlein mitgebracht hat, aus deren Feder ich ein nettes Versehen im Fremdenbuch des Schlosses vom Jahre 1893 lesen konnte. Die Excellenz ist nun meine Tischnachbarin und sie ist sowohl beim Mahle, als auch im Salon recht freundlich und - es ist unrecht das Wort zu gebrauchen - herablassend gegen mich. 18. August. Alles redet mir zum Herzen, dass ich noch bliebe. Graf, Gräfin, Baronin Liebenau und Töchterlein. Aber ich reise unwiderruflich morgen Früh. Ich habe bereits mein Abschiedswort ins Fremdenbuch geschrieben; nach dem Souper machte es heute die Runde im Salon und fand ungetheilten Beifall. Die Baronin machte mir schmeichelhafte Complimente über die paar Zeilen, in denen ich das ehrliche Gefühl zu verdolmetschen suchte, das beim Abschied von dem edlen schönen Kreise, in welchem ich mich so glücklich fühlen durfte, meine Seele anregt. Und in der That, ich bin innerlich erregt darüber, was ich hier genoss, und was ich fortan entbehren muss. Der letzte Abend war durch interessante Gespräche im Salon der Gräfin belebt, an denen das geistvolle Liebenau’sche Excellenztöchterlein den lebhaftesten Antheil nahm. Lindau, 20. August. Die letzte Nacht in Tutzing verlief schlaflos. Noch in den letzten Stunden excerpirte ich aus Landberg’s Büchern, von denen ich so schweren Abschied nahm. Am 19. Früh 7 Uhr hatte Fräulein Schaup (sie verdiente ein besonderes 181

Kapitel in meinen Tutzinger Annalen) mein letztes Frühstück vorbereitet. Carlo begleitete mich zur Eisenbahn. Um 10 Uhr erwartete mich Hommel am Münchner Bahnhof und verplauderte mit mir die Zeit bis zur Abreise nach Lindau. In meinem Coupé sass ein Kairoite, mit dem ich arabisch reden konnte, und der in meinem Hotel abstieg. Heute Ausflug nach Bregenz, von wo ich den Pfänder bestieg. Das Bergsteigen macht mir bereits harte Mühe und ermüdet meine Beine. Ich bin ja nicht mehr jung. Wie munter kletterte ich noch in den ersten achtziger Jahren in den Reichenhaller Alpen herum. Bereite Dich nun vor, ein Jubelgreis zu sein, wenn Dich nun schon ein zweistündiges Bergsteigen so arg müde macht. 21. August. Konstanz. Nach einer Umschau in Stadt Lindau, um ihre alterthümlichen Gebäude, Kirchen- und Thürmereihe, bin ich um 10 Uhr bei sehr schönem Himmel mit dem Bodenseedampfer nach Konstanz gereist. Das erste, was ich auf der Post hier vorfand, war ein Telegramm aus Budapest, worin mir angezeigt wird, dass meine Titularemennung zum ordentlichen Universitätsprofessor am Geburts­ tage Sr. Majestät 18. d. M. im Amtsblatte publicirt war. Wie ich aus gleichzeitig übernommener brieflicher Mittheilung ersehe, ist das allerhöchste Hand­ schreiben vom 1. August, Ischl, datirt. Es scheint nicht unbeabsichtigt, dass der Sohn des verew. Josef Eötvös24* das Decret am 18. publiciren liess. Also Professor Ignaz Goldziher von heute ab! Der erste jüdische ordentliche (wenn auch Titular- oder Honorar) Professor an der Budapester Universität. Er war auch s.Z. 1872 der erste jüdische Dozent an der philosophischen Facultät, früher 1869 der erste jüdische Staatsstipendiat, und später 1892 das erste ordentliche Mitglied der ung. Akademie. Diese grosse Gefahr des ungarischen Judenthums! Jawohl! „das bischen Kowed hat man nur beim Goj!“ 22. August. Besichtigung der mir von 1884 her wohl bekannten Sehenswürdigkeiten der Stadt. Münster Conciliensaal. Der Jakob. - Heute Fusstour nach Mainau-Insel über Allmannsdorf und Aussichtsthurm. 23. August. Insel Reichenau mit seinen kirchlichen Alterthümem. - Arenaberg, Napoleonische Sehenswürdigkeit. 24. August. Singen. - Hoher Twiel. - Hoher Krähen. 182

25. August. Schaffhausen. Ich war schrecklich ermüdet und entschloss mich, anderen Tages nach Säckingen zu reisen und dort zwei Tage ein ruhiges, beschauliches Leben zu führen, sowie auch meine Correspondenz zu erledigen und die Lectüre von Dingen nachzuholen, zu der ich auf den Wanderungen der letzten Woche keine Zeit fand. Ich sandte von hier noch ein langes, aber würdiges Schreiben an Baron Eötvös. Saeckingen, 27. August. Vor einem Theile des oberen Rhein vorüber kam ich Nachmittags in der Stadt des „Trompeters“ an. Auf die in der Nähe meines Hotels befindliche Kneipe „Der schwarze Wallfisch“ besonders aufmerksam gemacht, suchte ich dieselbe nach dem Abendessen auf und wurde alsbald mit dem Wirth, Herrn Brogli, einem alten einäugigen Herrn bekannt, der sich rühmt, ein Freund Victor Scheffels gewesen zu sein. In seinem Hause befindet sich der Zusammenkunftsort der „Walfischia“, einer muntern Gesellschaft von gebildeten Zechbrüdern, die unter den Auspicien des feuchten Andenkens von Scheffel, in lebhafter Fühlung mit ähnlichen süddeutschen Genossen­ schaften, ihrer muntern Sache hingegeben sind. Es ist interessant, den Humor, der sich in der äusseren Einrichtung der Walfischia-Kneipe kundgiebt, zu studieren. An ihrer Spitze steht der „Oberwal“ . Die Pokale zeigen Reliefdar­ stellungen des Gedichtes „Der schwarze Walfisch“ . An den Wänden hängen die Embleme und Botschaften der verwandten Gesellschaften, auf dem Tisch sind Gesangs- und Gaudeamusbücher aufgehäuft etc. Herr Brogli macht mit den Cicerone im lieblichen Orte und wies mich mit fachmännischer Gründlichkeit auf alle topografischen Details hin, durch welche einige Stellen des „Trompeters“ erst recht verständlich werden. So weht im ganzen Ort der Geist Scheffels. Es herrscht da ein wahrhaft epikuraischer Ton, ein weinseliger Geist. Eigenthümlich wirkte auf mich der Umstand, dass Niemand im Orte, auch herr Brogli nicht, mich über die Legende des Patrons des Ortes, des hl. Fridolin, dessen Geschichte den Gegenstand der Fresken des prächtigen Münsters bildet, aufklären konnte, während alles eitel Scheffel und Trompeter ist. Jawohl die Zeit der Patrone scheint aus zu sein; ihre Legende ist die Wissenschaft der Messner und der Glöckner. Die moderne Zeit erbaut sich an weinseligen Dichtem. Mit wahrer Pietät zeigt man die Stellen, wo Scheffel gekneipt (der „Knopf“ ), niemand kümmert sich um die Stätten, wo der Heil. Fridolin gewandelt und geträumt. Den Rest des Tages brachte ich mit meinen Schreibereien und Lectüre zu. In der Frankfurter Zeitung vom 25.d.M. finde ich eine Budapester Correspondenz (Gr.), in welcher ausschliesslich von der hohen kirchenpolitisehen 183

Bedeutung meiner Ernennung zum ord. Professor gehandelt wird, und die Klugheit Eötvös’ gerühmt, die neue Aera gerade mit mir inaugurirt zu haben, dem gegenüber auch „Magyar Ällam“ ruhig schweigen muss. Abends noch eine lohnende Fusstour über die Rheinbrücke nach dem schweizerischen Dorfe Stein, von dort nach Obermumpk und unter vielem Schwitzen hinauf nach der „Fluh“ , von wo ich prächtige Aussicht auf das Rheinthal und die Waldstadt geniesse. 28. August. Morgens. Schon um 6 Uhr gieng ich nach dem Bergsee, den Scheffel in seinem Trompeter so einzig und unübertrefflich geschildert. Hier opfere ich den Manen des Dichters ein „Viertele“ und lese bis 8 Uhr in seinem „Trompeter“ , den ich nun durch mannigfache örtliche Erfahrungen bereichert mit topogra­ phischer Gründlichkeit geniesse. - Briefe an die Heimath geschrieben. Die Sehnsucht nach Nachrichten, die ich auf Post Basel erwarte, drängt mich heute Nachmittag weiterzureisen. Ach Herzje! Das leidige Packen! Basel, 29. August. Gestern Abends bin ich in Basel angekommen und ein glücklicher Zufall fügte es, dass einige Stunden nach meiner Ankunft Max Nordau mit seiner Mutter aus dem schweizerischen Badeort Baden kommend, im selben Hotel abstieg. Wir verbrachten einige sehr anregende Abendstunden mit einander. Tags darauf hörte ich mich nach sechswöchentlicher Entbehrung wieder einmal in klarem und deutlichem Jargon anreden.30 30. August. Ich habe die Merkwürdigkeiten der schönen Rheinstadt der Reihe nach besichtigt. Höchst überraschend ist der hebräische Eindruck des Rathhauses der Stadt der Buxtorfe. Da sind mehrere Fresken mit langen hebräischen Inschriften. Gleich am Portal links die Zehngebote in hebr. Original an einem verblassenden Fresko. In dem Thorflur rechts das Tableau: König Salomo unter seinem Volke, wo hinter dem König ein Judenjunge mit einem „Schiffhut“ steht und eine Thorarolle emporhält, welche auf den Text '131 *1*7 jnn D'IDIOT D'ODl® geöffnet ist, deren Fundort desgleichen in hebrä­ ischer Sprache angegeben ist: T ' D nat. Am Nachmittag fand ich Zeit einige Zusendungen, die ich poste re­ stante antraf, zu beantworten, darunter Harkavy’s249 Ausgabe eines Trac­ tates von Kirkisânî; ich sandte Hark, von hier aus einige Correcturen zu seiner Ausgabe. Auch Gratulationsbriefe in Menge: Nöldeke, Fri. v. Torma etc. 184

31. August, Fribourg. Gestern Nachmittags bin ich hier angekommen. Ich zog es vor, das kleine katholische Städtchen mit französicher Bevölkerung als letzte Etappe vor Genf zu wählen, als einer Einladung meines Landsmannes, Prof. L. Stein150, nach Bern zu folgen, das ich ja von früher her kenne. Ich hatte sehr angenehme Reisegesellschaft, darunter einen Mönch von dem Orden der Weissen Brüderschaft von Afrika, der über Genf nach Marseille reiste und der mit mir in maghrebinischem Arabisch conversirte; er hielt mich für einen Muhamme­ daner, weil ich ihm gegenüber den Islam in Schutz nahm und den Koran gegen seine falschen Citate durch correcte Anführungen vertheidigte, vielleicht auch wegen meiner arabischen Conversation. Eine Genfer Dame, die mitreiste, meinte, sie hätte mir bereits beim Einsteigen angemerkt, ich sei kein Europäer; es entgieng ihr nicht der „type orientale“ meiner Züge und meiner Bewegungen und sie konnte nicht genug staunen, dass ich mit dem Holländer holländisch, mit dem Schaffner deutsch, mit ihr selbst französisch und mit dem révérend p ire in meiner Muttersprache rede. „Est-ce-que vous parlez aussi l’anglais?“ „Qui, madame“ , „et outre cela, je parle ma belle langue maternelle“ . „Mais c’est l’arabe ou, le turque peut-être“ . Tableau: als ich mich nun als ungarischen Juden „zu erkennen gab“ . Der Ungar setzte die Dame in Erstaunen, der Jude war dem Pater ein Gegenstand apostolischen Schmerzes. Ich war noch genug früh angekommen, um die Umgebung des reizenden Städtchens, das eigentlich in drei Stockwerken aufgebaut ist, zu besehen. Über die beiden „hängenden Brücken“ gieng ich zur Loretto-Kapelle, wo ich eine junge Dame in Schwarz in heisser Andacht vor dem Refugium peccatorum knien sah. Was mag die angestellt haben? Ich streifte durch die „basse ville“ , ein schmutziges Gässchenconglomerat, in dem der deutsche Theil der Bevölkerung lebt, steige zur haute ville, der eigentlichen Stadt empor und in der Nähe meines Hotels bemerke ich noch ein Gässchen, durch welches etwa einhundert Stiegen zum ehemaligen Jesuitencollegium und dem cantonalen Museum emporführen. Nach 8 Uhr besuchte ich das Orgelconcert im Dom (täglich zweimal wird dies gewaltige Instrument, eine der mächtigsten Orgeln der Welt in dieser Weise zu öffentlichen Productionen verwendet). Marker­ schütternd schmetterten die Pfeifen die „Orage“ des Organisten Vogt durch die dunklen Räume. Im grossen Tempelraum brannten nur zwei Petroleum­ lampen, und gespenstisch hob sich die Gestalt des Gekreuzigten hinter der ewigen Lampe des Allerheiligsten ab. Das sind Ton- und Lichteffekte, welche die Sinne beherrschen - aber auch die Seele nicht unberührt lassen. Tags darauf besuchte ich alle kleinen und grossen Heiligthümer, und Abends genoss ich die Wonne des Sonnenunterganges bei dem Aussichts­ 185

punkt in Dombühl. Warum ist es gerade der Sonnenuntergang, den ich so gerne betrachte? Warum schwelge ich in der schönen Natur gerade im Anblick des verschwindenden Lichtquells? Am Strande, in der Ebene und in den Gebirgen waren es immer die schönsten Stunden, in denen ich die untergehen­ de Sonne bewunderte. Heute las in Kingsley’s Hypathia erhebende Gedanken über das Scheiden des Hellenismus, als ich die abschiednehmende Abendson­ ne in ihrem stufenweisen Versinken mit allen Sinnen begleitete. Genf, 1.-12. September. Von den unvergesslichen Tagen, die ich in dieser Stadt verbracht habe, konnte ich während der Tagung des Orientalistenkongresses in diesen Blättern kein Zeugnis geben. Es war ja kein Augenblick freier Zeit dafür zur Verfügung. Aber vor dem Abschied will ich noch dankbaren Herzens verzeichnen, wie rührend und innig sich die paar Tage mir ins Gemüt legten. Mit einigen Freunden und Genossen erfreute ich mich unter gemeinsamen Dache der unbeschreiblichen Gastfreundschaft der hiesigen Patrizierfamilie derer Van Berchem. Eine Colonie von studienverwandten Orientalisten aus allen Ländern wurde in den Häusern me des Granges 12 und 16 aufgenom­ men, mit aller Bequemlichkeit umgeben und Speis und Trank in Überfluss versorgt. Ich wohnte mit Landberg und Euting251, im anderen Hause waren De Goeje, Barbier de Meynard252, Houdas2” , Casanova254, Strzygowski255, G ott­ heil254 aus Newyork -(mit seiner arabisch redenden Frau, einer geborenen Beiruterin), lauter gute, zum Theil glänzende Namenträger unserer Wissen­ schaft. Gemeinsame Mahlzeiten, wahre Gelehrtensymposion vereinigten uns täglich 2-3 mal und im Rauchzimmer des schönen Hauses Nr. 16. sassen wir nach dem Abendessen allesammt unter anregenden Gesprächen bis spät nach Mitternacht zusammen. Eine Akademie en miniature. Wir arabisirten, islamisirten, ich erholte mich dabei von den Qualen meines trüben Lebens. Und meine Seele ist erfüllt von den Zeichen der Wertschätzung, die mir von alten und neuen Genossen zuteil wurden. Glänzend waren die Ausflüge, in die reichen Schlösser des Genfer Seeufers. Überall, in allen vornehmen und gelehrten Kreisen erfreute ich mich auszeichnender Aufmerksamkeit. Auch mein Kongressvortrag „Zur Urge­ schichte der arabischen Poesie“ (die Grundideen meines für die Presse vorbereiteten Kapitels über den Ursprung des Higä) wurde mit lautem Beifall aufgenommen257. Mit de Goeje und Sachau war ich Vizepräsident der islamitischen Section und wurde mit den Vorarbeiten einer Encydopädie des Islams betraut. Darüber soll ich 1897 dem nächsten Kongress in Paris Bericht erstatten. Gestern Nachts Abschied von den Freunden. Genug für heute. 186

Wien, 15. September. Am 12. Nachmittag habe ich von Genf aus noch die Fahrt auf San Salive unternommen und die Majestät des Mont-Blanc huldigend begrüsst. 1 Uhr Nachts nahm ich meinen Abschied von Genf und fuhr 2 Nächte und einen Tage ohne Unterbrechung über die Arlbergbahn bis hierher. Auf einem grossen Theil dieser Reise (von Zürich bis Insbruck) war ich in Gesellschaft Vâmbéry’s. Man kann sich vorstellen, wie viel Lügen ich an dem Tag gehört habe. Hier ruhe ich zwei Tage aus und reise heute Nachts gen Budapest. 22. Sept. Audienz bei dem Unterrichtsminister.35*Er theilte mir mit, dass er sich aus seiner Jugend noch lebhaft erinnere, wie oft sein Vater mit Befriedigung davon sprach, dass er mich entdeckt und sich in mir nicht getäuscht habe. Ich habe keine Ruhe von den gratulirenden Juden. Sie packen mich auf der Strasse an und molestiren mich in meiner Arbeitskanzlei, wo ich ihnen preisgegeben bin - ohne Erbarmen. Sie schinden mich in ihren Zeitungen und tödten mich mit ihrer Reclame. Sie verläugnen ihre Gemeinheit auch bei diesem Anlasse nicht. Sie gratuliren mir, aber immer mit dem Vorbehalte, dass „meine Ernennung leider keinen praktischen Werth hat!“ Wie über Verabre­ dung gebrauchen sie einstimmig dies wunderliche Wort: „praktischer Werth“ . Darin ist ihre ordinäre Denkungsweise mit ihrer unverhohlenen Missgunst organisch gemengt. Unter den fast zweihundert schriftlichen und telegraphi­ schen Gratulationen wird man keine einzige finden von Mitgliedern der jetzt noch zeitweilig grassirenden, von der sog. Landeskanzlei aus dirigirten, jüdischen Clique, von den Herren Simon, Bacher und Leuten ähnlichen Gelichters aus den „gelehrten“ und „ungelehrten“ Kreisen. Reizend treten mir die Universitätskreise entgegen, voller Zufriedenheit, Freundlichkeit und Anerkennung. Ihr persönliches Benehmen entschädigt auch für den „praktischen Werth“ meiner lieben Glaubensgenossen. 28. September. In der ersten Facultäts-Sitzung dieses Semesters hat mich der Dekan Beöthy feierlich begrüsst und im Sinne eines Ministerialsrescripts (das mir auch persönlich durch den Minister zugestellt wurde) als „vollberechtigtes Mitglied“ der Facultät declarirt. 8. October. Heute Abends las ich in der Akademie meinen Bericht über den Orientalisten-Congress (Genf) vor. Derselbe wird in der Dezembemummer des Akad. Értesitô erscheinen.25* 187

1895. 29. April 1895. Die seil meiner letzten Aufzeichnung verflossene Zeit war recht öde und wüst. Die inneren Verhältnisse haben sich in gar nichts geändert. Meine Tragkraft ist aber diesen Verhältnissen gegenüber immer bedeutender herabgemindert. Mehr als früher habe ich diesen Winter in der Seele gelitten von der Unverschämtheit jener Ignoranten, die mich als ihren Diener betrachten dürfen. Und da ich doch das Unglück habe, ihnen gesellschaftlich über zu sein, und in der Rangstufe menschlicher Ordnung ihnen weit vorzustehen, so scheinen sie wie in unbewusster Übereinstimmung das Ziel vor Augen zu haben, mich in jeder ihnen möglichen Weise zu demüthigen und thunlichst in kleinerer oder grösserer Öffentlichkeit als „Diener“ zu documentiren. Man sollte glauben, wer diesen Jammer 20 Jahre trägt, sollte dagegen unempfindlich geworden sein. Und wen ein so sicherer Schild, wie die Wissenschaft, umgiebt, der müsste undurchdringlich sein für die Pfeile, welche gemeine Roheit der Ignoranten gegen ihn beschiessen. Aber niemals hat mich mehr als in den letzten Monaten der Gewissensvorwurf gepeinigt, dass ich doch durch das jahrzehntelange Verharren in dieser Lage die Wissenschaft profanirt und entwürdigt habe, dass ich sie in einer Kloake wälze, durch mein Sein und Leben die Herrschaft des Pöbels über das ideale Streben rechtfertige. Ich bin nicht so günstig geartet, die Leute die ganze Verachtung fühlen zu lassen, die Gemeinheit und Niedrigkeit in meinem inneren Wesen erregt. Reflexionen, die sammt und sonders diesem Kreise angehörten und welche immer kräftige Nahrung erhielten aus dem fortgesetzt unreinen Benehmen der bisherigen jüdischen „Gelehrtenwelt“ gegen mich, haben Unmuth und Schwunglosigkeit zur dominirenden Stimmung dieser Tage gemacht. Das Präsidium der Akademie hat mir die Ehre angewiesen, mich aufzufordem in der festlichen Jahresversammlung (Mai d.J.) eine wissen­ schaftliche Vorlesung zu halten. Ich hatte mich aufgerafft der ehrenhaften Aufgabe gerecht zu werden, und eine nicht übel gerathene Abhandlung zu diesem Zwecke auszuarbeiten. Nachdem ich nun dies Resultat nächtlicher Mühe fertig vor mir sah und die Genugthuung hatte, mir selbst genügt zu haben, zwangen mich Bedenken, wie ich sie soeben geschildert, den Generalsekretär zu bitten mich von dem übernommenen Auftrag zu dispensiren. Ich gab Gründe an, die ja allesammt der Wahrheit entsprachen; die Grundquelle aller jener reichlich fliessenden Gründe verschwieg ich. Ich bin dessen nicht sicher, dass mir am Vortragstische nicht der Gedanke in die Quere käme, dass ich als eine Person, die es erträgt, einem unwissenden Schneider als Diener sich unterzuordnen, unwürdig sei, vor die Blüthe der 188

intelligenten Gesellschaft unseres Landes als Festredner zu treten. Es wäre um den ganzen Vortrag geschehen, wenn mir dieser Gedanke unterliefe und ich bat dringend um Erlass der vor Wochen freudig und mit berechtigter Genugthuung übernommenen Aufgabe. Die Abhandlung selbst soll vor weniger vornehmer Öffentlichkeit und bei weniger festlicher Gelegenheit angebracht werden. An einem Dezembertage erschien ich vor Sr. Majestät dem König, um meinen Dank für den „Titel und Charakter** vorzubringen. Der König richtete einige angenehme Worte an mich über die Wichtigkeit der Wissenschaft, die ich pflege. Während ich da in der Antichambre inmitten goldstrotzender Uniformen - freilich nur kurze Zeit, denn ich rangire in der VI. Rangsklasse - den Augenblick des Einlasses abwartete, kam mir unwillkürlich der für immer denkwürdige Verkehr mit jenem Könige des Nordens vor die Seele, der das Jahr 1889 zu der schönsten Epoche meines Lebens machte. Um diese Zeit habe ich mein neues Opus für den Druck vollends fertig gemacht; es befindet sich in diesem Augenblick unter der Presse und wird den Titel „Abhandlungen zur arabischen Philologie**1*0 erhalten. Leider geht der Druck (Brill, Leiden) so langsam vorwärts, dass ich schier daran verzweifle, auf dem Titelblatt die Jahreszahl 1895 sehen zu können. Sehr schön spinnen sich die reizenden Begegnungen fort, die mir den letzten Sommer vergoldeten. Tutzing hat mich in guter Erinnerung bewahrt und mir diese Erfahrung durch manches schöne Zeichen bekundet. Unter den dortigen Freunden habe ich auch mit Frau v. Lewetzow in Darmstadt einige freundliche Briefe gewechselt. Ein seelenerhebender Verkehr über den Ocean hinüber giebt mir die Sicherheit, dass der Kreis meiner Freunde während der Genfer Tage an breitem Umfang gewachsen ist. Und Carlo!“ 1der einzige Carlo! Vor einigen Tagen hat mich die Gräfin in einer reizenden Zuschrift wieder als sicheren Sommergast im Tutzinger Schloss geladen. Durch meine für die Festversammlung der Akademie gearbeitete Abhand­ lungen welcher ich Entstehung und Entfaltung der historischen Literatur der Araber vollends unter persischen Einfluss stelle, bin ich angeregt worden, dem Problem der persischen Beeinflussung des Islam näher zu treten. Es sind mir beim Studium der sasanidischen Literatur (leider nur aus Übersetzungen; warum habe ich nicht rechtzeitig Pehlewi getrieben?) die merkwürdigsten Lichter aufgegangen. Der im Träk sich ausbildende (man dürfte kühn sagen „entstehende**) Islam hat viel mehr persische Einflüsse an seiner Wiege erfahren, als man gemeiniglich annehmen möchte. Das Institut des Chalifates wie es sich unter den 'Abbäsiden erst herausformte, mit seinem Legitimitätsprincip, seinem Gottesgnaden-Charakter (bäghi) und seiner „Majestät“ ist ja sasanidisch. Die Verachtung des Hundes als „unreinen“ Thieres ist aus 189

Opposition gegen die grosse Wertschätzung des Hundes als eine Art heiligen Thieres bei den Mazdayasniern, hervorgerufen worden. Und die vielen Kleinigkeiten! Der Zahnstocher, als religiös-geheiligtes Werkzeug ist aus dem Parsismus in den Islam herübergekommen. Und die grossen Dinge: Die Fünfzahl der Gebete (5 gäh). Wirksamkeit von heiligen Texten. Einmal werde ich wohl diese Erscheinungen gründlich durchdenken müssen!2*2 Auch einige kleinere Abhandlungen habe ich zustande gebracht. Im letzten Sommer habe ich einen jüdisch-mohammedanischen Konvertiten entdeckt, der ein apologetisches Buch für den Islam geschrieben hat. Darüber habe ich einen Aufsatz für die Revue des Ét. Juives zurecht gemacht (Said b. Hasan al-Iskander)2M. in welchem ich wieder auf die interkonfessionellen Gesetze und Beziehungen im Islam eingegangen bin. Meine Mitarbeit an der ZDMG dauert ununterbrochen fort. Für sie habe ich einen Essay über „Umschreiben­ den Zahlenausdruck im Arabischen" hervorgebracht'“ und eine Kritik über ein Van den Berg'sches Pfuschwerk geschrieben.*'''' Eine grosse Menge Literatur consumirt. Das Schönste, was ich in der letzten Zeit gelesen, ist Castelars Buch über Italien mit seinem erhabenen Kapitel über den hl. Francisais von Assisi. Ein neues Element in meinen Bestrebungen fügte in den letzten Wochen der mir durch das Ministerium gewordene Auftrag eine Studienreise von ungarischen Mittelprofessoren nach Aegypten zu organisiren und anzuführen. Ich werde nun nochmals im Leben die Thore der Azhar überschreiten. Nach 22 Jahren, mit grauen Haaren, als Vater von zwei Buben und als 20-jähriger Bediensteter der jüdischen Gemeinde in Sodom. Vielleicht wird diese Reise den 7 Winterwochen von 1895/96 einige Weihe und Inhalt geben. Für jetzt hat sie mir bereits einen unschätzbaren Gewinn gebracht. Ein Spielgenosse meiner Kindheit, der jetzige Oberdirector Dr. Bonifacius Platz2“ , den ich seit 30 Jahren nicht gesehen habe, ist als Mitleiter der Reise mir beigegeben. Daraus hat sich nun die Wiederanknüpfung der alten Beziehungen mit dem Jugendgespielen ergeben, der nun ein guter Freund meines Hauses geworden ist. Vor einigen Tagen konnte ich den weihevollen Anblick geniessen, wie der fromme Cisterziensermönch die Hände faltete, bei dem Tischgebet meines Erstgeborenen. Fürwahr, es ist doch in der Welt herrlich eingerichtet. Das officielle Judenthum bemüht sich seit zwanzig Jahren, mich als Atheisten und Gottesverächter zu verschreien; aber an meinem Tische faltet der Mönch die Hände, wenn mein Sohn den Arbeitstag beschliesst mit der andächtigen Anrufung Jehova’s, unseres Gottes und Felses. unserer Zuflucht vor der Bosheit der Menschen, unseres Herrn und Vaters heute und in alle Ewigkeit, Amen! Mit dieser ausgleichenden Betrachtung bin ich glücklich, diese Tagebuchnotiz heute am 30. April 2 Uhr Morgens abschliessen zu können. 190

28. Juni. Seit mehreren Wochen leben wir wieder in der peinlichsten Aufregung. Böse Verhältnisse in Füzes Gyarmat hängen sich an das anspruchlose Glück meines Familienlebens. Wie ein Unstern schweben über unserem Haupte die Folgen der Unthaten der koketten Wittwe meines sei. Schwagers, die mein ganzes Leben corrumpirt und vergiftet hat. Gott ist ein gerechter Richter; das Unheil wird auf das Haupt der Übelthäter zurückfallen. Aber auch ein kleiner Achtungserfolg. Mit Übergehung aller Wiener Autoritäten und auch der hiesigen Wohlbestallten, hat der k. u. k. gemeinsame Finanzminister bei mir amtlich anfragen lassen, ob und wann ich die Prüfung eines bosnischen Mohammedaners Hifzallah Efendi Muftiè, der sich am Gymnasium von Sarajewo als Professor der altarabischen Philologie anstellen lassen will, vornehmen möchte. In dieser amtlichen, an den ung. Unterrichts­ minister gerichteten Wiener Anfrage fielen auch einige Epitheta omantia auf das Haupt des „Universitätsdozenten I.G .“ in Budapest. 4. Juli. Es sollte mir vielleicht leid thun, einen Schritt unternommen zu haben, zu dem ich bloss das Bewusstsein der Pflicht, bei Gott! kein egoistisches Interesse antrieb. Und es thut mir in der That leid, auf meinen heutigen Vormittag, als auf ein Gefäss thörichter Naivität zurückblicken zu müssen. Seit Jahren sitzt mir die Marotte im Kopf, dass an unserer hiesigen Universität schon mit Rücksicht auf die 506.000 muhammedanischen Unterthanen unserer Monarchie, deren Institutionen und Bildungsmomente doch ein jeder gebildete Unterthan des Königs von Ungarn kennen müsste, eine systematische Vorlesung über „die Institutionen des Islam“ Platz finden müsste. Ich selbst habe in den 24 Jahren meiner Universitätslaufbahn das Colleg von Zeit zu Zeit, im Ganzen etwa viermal gelesen, mit mässigem Erfolg; ohne sichtbaren Nutzen für die Sache. Es hat sich in mir die Überzeugung befestigt, dass ein solches Colleg durch die Institution des Ministeriums amtlich eingerichtet werden müsste, um unter unseren Verhält­ nissen von dem beabsichtigten Erfolg begleitet zu sein. Da wir jetzt einen juristischen Unterrichtsminister haben167, erachtete ich die Zeit für gekom­ men, meine Idee demselben persönlich vorzutragen. Ich war so dumm, vorauszusetzen, bei diesem Herrn Verständnis für die Absicht, die mich leitet, zu finden und Begeisterung für den Zweck, den die etwaige Ausführung desselben anstrebt. Jawohl, einstens empfieng im Salon dieses Staatsamtesein „Philosoph-Minister“ , der hätte wohl die Idee mit mehr Beifall aufgenom­ men, als der „Barbier-Minister“ der einige hochnäsige Bemerkungen dafür hatte und mir auftrug, meine Idee, in ein Memorandum gefasst, Sr. Excellenz 191

vorzulegen. Das werde ich wohl bleiben lassen. Ich setze mich nicht ein zweitesmal dem Verdachte aus, eine Sache pro domo anregen zu wollen und schreibe kein Memorandum, dass ich in den Augen dieser Leute wie eine maskirte Petition würde angesehen werden. Hätte ich nur früher daran gedacht, dass in dem Stuhle eines Josef Eötvös jetzt ein Gesinnungsgenosse und Specialfreund der Pauer24* und Heinrich sitzt; ich hätte mir das Schwitzbad in der Mondgasse füglich geschenkt; ich wäre um eine Idee reicher und um eine Enttäuschung ärmer. 5. Juli. Noch heute geht mir das unverschämte Gesicht dieses Affen von Minister nach, der gestern nur Hohn und Spott entgegenzustellen hatte den heilsamen Vorschlägen, deren Befolgung ihm vielleicht Lob und Anerkennung in Europa eingebracht hätte. Man soll einem solchen Ministerzimmer nur meilenweit aus dem Wege gehen. So hielt ich es durch 22 Jahre und ich bedauere es tief, diesem Grundsatz in naiver Gutgläubigkeit so urplötzlich untreu geworden zu sein. Aber es kommen ja jetzt bald bessere Tage für mich. Ich rüste zur Tutzinger Reise, die ich am 9. anzutreten gedenke. 8. Juli. Heute Nachmittag geht die Reise über Wien und München nach Tutzing. Wie glücklich bin-ich, dass ich diesen Düngerhaufen für einige Wochen verlassen darf! Einen grossen Strich über die allerjüngste Vergangenheit! Tutzing, 18. August. Noch kein Wort habe ich zur Erinnerung an meinen Sommeraufenthalt an diesem schönen Orte geschrieben. Nach mannichfaltigen Sorgen und Qualen, die uns der Sommer brachte (Verhältnisse ganz böser Art in Füzes Gyarmath) sind wir in unsere Sommerfrische gezogen. Meine Familie nach Kaltenleutgeben bei Wien; ich der Einladung der Landbergs folgend, nach Tutzing, wo ich bereits im vorigen Jahre so herrliche, erinnerungsreiche Wochen verlebt habe. Am 8. zogen wir von Budapest aus, 9-10. Juli München mit Hommel, Kuhn**, Glaser270, Krumbacher, am 11. Einzug in Tutzing. Die ersten Tage wurden durch die Nervosität der Hausherren getrübt. Es ist nicht eben das Ideal des Lebens, über Millionen zu gebieten. Das wahre Glück liegt näher und dennoch ist es noch schwerer zu finden als es die Millionen reicher Gräfinnen sind. Bald wurde es jedoch gemüthlicher. Ich vertiefte mich in die grossen Schätze der Bibliothek und habe in den fast 6 Wochen ruhigen Aufenthaltes manchen Edelstein gehoben aus den grossen handschriftlichen Klumpen, die hier aufgehäuft sind. Das Zeichen LH wird durch die heutige Ausbeute wieder 192

recht häufig werden in meinen Arbeitsmaterialien. Der Graf war mir wieder die ganze Zeit hindurch ein hingebungsvoller Freund und Gönner, auch die kalte Gräfin gewöhnte sich rasch an meine Art, an meine Bücherleidenschaft und an meine Gleichgültigkeit gegen Hunde und Hühner. Ich habe Alles in Allem wieder wundervolle Wochen hier verlebt und wieder mich in jenem vornehmen aristokratischen Kreise gefunden, in welchem ich mich vor einem Jahr zu bewegen hatte. Die letzten Tage verschönte mir die Anwesenheit Euting’s, dieses kerngesunden Charakters, dem näher gekommen zu sein, ein Gewinn für mein Leben ist. Hier konnte ich auch die bereits gedruckten Theile seines prächtigen Reisewerkes in den Aushängebogen lesen. Einen ganz besonderen Reiz erhielt der Tutzinger Sommer durch die Anwesenheit der zwei Hadhramiten Sa'îd und Mansür, die Lbg. für seine Studien hierher brachte; der unausgesetzte tägliche Umgang mit ihnen, das lebendige Eindringen in ihre Sprache, ihre Gesänge, ihre Ideenwelt wiegt mir gut eine Reise nach dem südlichen Arabien auf. So bequem wie ich es hier damit hatte, könnte ich es an Ort und Stelle kaum haben. So hat mir denn der heurige Sommer eine ganze Menge von Kcfjiiora geboten. Was ich in wissenschaftli­ cher Beziehung profitirt habe, liesse sich kaum leicht aufzählen. Für alle meine wissenschaftlichen Interessen habe ich neue Materialien eingeheimst; an handschriftlichen Werken, deren Studien ich mich besonders hingab und die mich längere Zeit aufhielten, nenne ich blos den completten Abû Nuwäs als Recension Hamzat Isfahani, die beiden Bände des Ibn 'Asâkîr (Biographie des Tabari, Buhârî, Sâftf etc.) ein ganz merkwürdiges, bisher völlig unbekanntes Werk über Genealogie der Aliden, die prachtvollen Ibn Hazm-Handschriften und noch vieles andere. Die Abende lang konnte ich auch diesmal in Freundschaft mit den aristokratischen Kreisen verkehren und scherzen, die hier im Schlosse im vorigen Jahre versammelt waren; Excellenz Baronin Liebenau und Tochter, Baron v. Lewetzow - leider ohne seine liebwerthe Frau. Freilich gebe ich alles Aristokratische für den einen lieben Euting hin, der mir für vier Tage vergönnt war. Viel angenehme Stunden verplauderte ich auf Villa Ebers mit dem bewunderungswürdigen Dulder. Besonders häufig gestaltete sich der briefl. Verkehr mit Nöldeke. Schöne Briefe erhielt ich fast täglich von Weib und Kindern. Letztere wurden herrlich angeregt durch einen Berliner Freund, der unser Gast in Kaltenleutgeben war und dem sie einen verständnisvollen Genuss der Wiener Sammlungen verdanken. Dankbar gedenke ich der guten Stunden, die mir heuer der Genuss der herrlichen Oberbayerischen Natur gebracht. Er wurde gekrönt durch einen Tagesausflug, von dem wir soeben zurückkehren. Der Graf lud uns, Euting und mich zu einem Ausfluge nach Garmisch Partenkirchen, von wo wir dann zum Bader See und Eylen-See wanderten und die in der Sommersonne mit 13

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reichlichem Schneeschmuck erglänzende Zugspitze begrüssten. Es ist gut, dass ich mit diesem mächtigen Natureindruck in der Seele nun dem hässlichen Leben in meinem alltäglichen Berufsheime entgegeneile. Bald bewege ich mich wieder im Bereiche des inneren Schmutzes und der schnöden Niedrig­ keit, und dann Adieu vornehme Welt, Adieu ideales Dichten und Trachten. Von den in den reinen Himmel ragenden Alpen in den Unflath der „hohen Pforte“ . Aber dieser Salto soll erst gegen den 26. d. M. erfolgen. Vorerst noch einige schöne Tage mit meiner Familie in Wien. In der letzten Juli Woche habe ich von hier wegen der Ermöglichung der Vorarbeiten zur muhammedanischen Real-Encyklopaedie einen schriftlichen Antrag an die Deutsche morgenländische Gesellschaft abgesendet.

Jyil In Tutzing war mir’s schier zum Rythmisch-Werden Wo hadhramautischer Sang den Sinn erfüllet Drum wagt sich heut’ als Barde zu gebärden Der sich sonst scheu in tiefe Prosa hüllet. Doch auch in Versen lässt er sich’s nicht nehmen Den Schritt nach Asiens Wüsten hin zu lenken Mit Worten des Propheten der Moslemen Der gold’nen Tag’ von Tutzing zu gedenken. Muhammed spricht (mög’ Allah’s Gnad’ ihm glänzen!): „Der Wandersmann mag Eure Liebe künden; „Ihr habet ihn und lasset ihm kredenzen, „Und seinen Strick an Euren Eimer binden.“ „Doch strebt Ihr nach der hellsten Strahlenkrone, „So lasst’s bei einemmale nicht bewenden; „Ihr müsst das Wohlthun an dem Wüstensohne, „Durch wiederholte Gastlichkeit vollenden.“ Arabiens Prophet von Gottes Gnaden Hat nirgend besser eine Schul’ errichtet Als an das Starnberger Sees Gestaden Wo diese Verslein hat - o weh! - gedichtet Ein Tälib aus dem fernen Ungarlande Dem Ihr ein Leben voller Freude schüfet Der hier der Güte Becher bis zum Rande Geleert und nun aus vollem Herzen rufet: Vergelt’s Gott. 194

20. August. Unter den gemüthlichsten Äusserungen des Wohlwollens meiner Tutzinger Gastfreunde und Mitgäste wurde ich 19. Vormittags vom Schauplatz glücklicher Tage entlassen. Die Gräfin hat zugleich eine Einladung für nächstes Jahr daran geknüpft. Nachmittag in München mit Hommel und Glaser verlebt, die mich glücklich zur Eisenbahn brachten, um 9 Uhr Nachts gen Wien zu streben, wo ich heute Früh mit meiner Frau und den Kindern zusammentraf. Während des gemeinsamen Abendschmauses in München konnte ich durch Glaser rührende Züge aus dem Intriganten-Leben meines Wiener polnisch-jüdischen Collegen erfahren. Ist nur die Hälfte wahr, so ist der eklige Schmierfink dasselbe, wofür ich ihn schon längst halte und worüber in diesen Blättern noch manches zu lesen war. Noch heute Nachmittags ziehe ich mit meiner Familie nach Kaltenleutgeben, wo ich 2-3 Tage zu verweilen gedenke um die Ruhezeit zweien Dingen zu widmen: dem Umgang mit meinen Knaben und der Ordnung meiner in Tutzinger Handschriften gesammelten Materialien. Dann muss ich wieder in Budapest einrücken. Wie werde ich nach den verlebten idealen Wochen mich wieder in den Wust von Niedrigkeit und Verwerflichkeit einleben? Ich werde mich wohl lange Zeit unglücklich, den Zustand, in den ich wieder eingefügt werde, schier unerträglich fühlen. Aber so viel ist sicher: die Gemeinheit wird mich auch in den folgenden Monaten nicht zu bändigen vermögen. 24. August. Nach einigen sehr vergnügten Tagen in Kaltenleutgeben mit meiner Familie bin ich behufs Rückreise nach Budapest gestern Abends hier eingetroffen. Schrieb einen Brief an die Gräfin nach Tutzing und redigirte einige Beiträge zu meiner Abhandlung über die muhammedanischen Eulogien, welche ich im Sommer noch in Budapest geschrieben hatte. Heute Vormittags stattete ich dem Rev. Hechler seinen mir gestern gemachten Besuch zurück und Hess mir seine sehr bemerkenswerthen Sammlungen (Bibel-Museum nennt er sie selbst) vorzeigen. 17. September. Während einer schlaflos durchleideten Nacht hat sich ungerufen ein schweres Thema durch mein Gehirn gewälzt: das Thema des „Undankes“ . Noch selten habe ich es mir einfallen lassen, daran zu denken, dass einzelne Menschen auf dieser Erdoberfläche wimmeln, die es ehrlicher Weise anerkennen müssen, dass ich grossen Einfluss auf die Gestaltung ihrer 13*

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glücklichen Laufbahn geübt habe. Die meisten von diesen Menschen haben mir mit schwarzem Undank gelohnt, viele haben sich in das Lager meiner Feinde gestellt und selbst feindselige Schritte gegen mich unternommen. Es mag wohl ein Dutzend von Menschen sein, die ich als Beweise dieser Thatsache anführen könnte. Aber einen will ich hier festnageln: den hohen Reverend Wilhelm Bacher. Wenn der sich überlegt, was ich ihm geleistet, wie er in den schwersten Tagen seines Lebens bei mir und in meinem Hause Zuflucht gefunden, wenn es ihm in den Sinn kömmt, was ich seinem Vater geleistet... und alles dies mit seinem Verhalten gegen mich zusammenhält: dann kann ich ihm nur den Rath geben, sich Visitenkarten in möglichst grossem Format anfertigen zu lassen und alle Titel und jüdische Würden die er besitzt aufzuzählen, hinter allen diesen Herrlichkeiten aber mit möglichst grossen Lettern die Worte zu setzen: perfider Schlowak etc. etc.

12. November. Mit den Resultaten meiner Arbeit seit meiner Rückkehr aus Tutzing kann ich zufrieden sein. Für die Wiener Zeitschrift habe ich einen Beitrag zur Kenntnis der Biographie und Bibliographie Tabari’s geliefert auf Grund des Ibn ‘Asäkir271, in dem ich in Tutzing einen guten Artikél über den grossen Historiker entdeckt habe. Der D. morgenländischen habe ich meine Studie über Eulogien der Muhammedaner gesendet.172 Die Deutsche Literaturzeitung scheint in mir jetzt einen ständigen Recensenten für mein Fach zu erblicken. Nach einer Recension über Rülings eschatologische Arbeit, die ich im Juli lieferte271, habe ich vor einigen Tagen Jacobs Beduinenleben zu recensieren bekommen.274Mein Greifswalder Freund mag zufrieden sein trotz seiner Ausfälle gegen Socin. Am 4. Juli habe ich unserer Akademie meine ungar. Studie über die Entwickelung der historischen Literatur unter den Arabern vorgelesen.271 Mit Landberg en compagnie veröffentliche ich binnen kurzem eine gemeinsame Studie, die ein kleines Denkmal unserer unvergessli­ chen hadramautischen Tage bilden wird: Die Legende des Mönches Barçîsâ.27* Die Arbeit ist so viel wie druckfertig. Mein lieber Bevan sendet mir aus London die Photogtaphie des Cambridger Codex von Abu H&tim’s Kitäb al-mu‘ammarin. So oft eine Serie von photographischen Blättern kömmt, gehe ich an die Copie derselben und mache Anfänge für die Bearbeitung dieser zur Edition bestimmten Denkmale aus Al-AsmaTs Schule. Mehr als mir lieb war, musste ich Zeit und Kraft der Vorbereitung des ägyptischen Reiseprojectes widmen. Inzwischen kamen Choleranachrichten 196

aus Ägypten und ich hatte Mühe dem indolenten Ministerialrath die Erkundigungen abzuzwingen, die er doch pflichtgemäss in dieser Angelegen­ heit einziehen muss. Alles ist stinkfaul in diesen ministeriellen Schreibstuben. Die Bürokratie verwässert und verdünnt das bischen Gehirn, das sie möglicherweise in dies Amt mitbrachten, in dessen Atmosphären man Streberei und Unwissenheit, Indolenz und Trottelhaftigkeit athmet. Der grösste „Streber“ des Landes ist ihr Minister; die ärgsten Trotteln des Landes sind seine Beamten. Am 1 l.d.M . kam es endlich zu einer Conferenz, deren Resultat der vorläufige Aufschub des Projectes war, dessen duldendes Subject ich allein bin, mit allen Mühen, Plagen, Sorgen und Aufregungen, die man an meinen Hals gehängt um rabulistisch verkünden zu können: Ministerialrath so und so, Oberdirector so und so haben das Unternehmen organisirt. Und da rufe dann der anständige Mensch sein Quos ego in den Schwindel hinein! Der polnische Jude von der Wiener Universität hat unter grossem Tam-Tam, Trommelgewirbel und Posaunenschall ein grosses Buch über den Strophenbau der biblischen Propheten, des Korans und der Keilschriften veröffentlicht und mir ein „Recensionsexemplar“ gesendet. Gleichzeitig forderte mich Nöldeke auf, ihm meine Meinung über die Sache zu sagen. Das that ich denn lieber, als mich in einer öffentlichen Recension des Schwindelbu­ ches des schmierigen Polak, seine Rache auf mich zu ziehen. Der Kerl stellt sich das Prophezeien, wie das Stiefelsohlen vor. Da er nun auch aus der Religion Banknoten macht, so denkt er sich, die Propheten müssen auch so feine, berechnende Leute gewesen sein, die sich alles fein ausklügelten, ehe sie’s vorlasen. Schade, dass er nicht auch in einer „schlaflosen Decembernacht“ Offenbarungen über die Strophen-Honorare von Jesaias und Muhammed sich hat künden lassen. Er würde einen Schreck kriegen, wenn er erführe, wie Nöldeke über seinen Strophen-Betrug denkt. Nächstens soll ich einen Beitrag für eine Jubelschrift liefern, die man Steinschneider zu seinem 80“" Geburtstage widmen will. Da kann ich ja wirklich nicht Zurückbleiben. Ich denke einen kleinen Beitrag zur Literatur des Sacd b. Mançûr zu geben277, eine Entdeckung - natürlich aus der Bibliothek Landberg-Hallberger-die in allen meinen neueren Publikationen eine ständige Ehrenstelle hat. Auch die jüd.-ung. Literaturclique ist wieder an mich herangetreten. Ich möge doch in den Schweinestall eintreten; vielleicht auch ein Profitchen machen - wie der Reverend Bacher. Es wird gereinigt und epurirt werden. Diese Lasterbande!

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1896. Den an meine Frau gerichteten Reisebriefen ist noch einiges anzufügen. Vom 10.-14. Feber rüsteten wir in Kairo zur Rückreise. Ich benützte diese Zeit zur Erledigung einiger persönlicher Angelegenheiten. Sehr erfreulich war mir die Begegnung mit Emin Fikri, der seitdem ich in Stockholm und Christiania sein Kongresskollege war, ein grosser Pascha und Gouverneur von Alexandrien geworden. Er lud mich in seinen Palast von Kubbe tav Materij ja, wo er sich an der Seite seines Schwiegervaters Sijufi Pascha, des reichsten Privatmannes von Kairo angebaut. Er empfing mich mit grosser Auszeichnung und stellte mich seinen Gästen als arabischen Klassiker vor. Denselben Abend verbrachte ich mit Völlers auf seiner Wohnung in dem ein paar Minuten von Kubba entfernten Zejtun. Tags darauf zog es mich in die Azhar. Ich hatte meine liebe Hochschule während der ersten Tage unseres Aufenthaltes in Kairo in Gesellschaft einer Truppe am Leitseil des Dragomans Habuba besucht. Dieser Besuch konnte mir nicht als würdiges Wiedersehen gelten. Es zog mich, die Stätte, die so bedeutungsvoll für meine ganze geistige Entwickelung wurde, als alter mugäwir wieder zu besuchen. In Begleitung eines harmlosen Talib brachte ich denn den Vormittag des 10. Februar in der geweihten Stätte zu und horchte in der letzten Reihe des Halbkreises bei zwei Scheichchen, deren Namen mir leider entgangen, da es nicht angieng, mein Notizbuch hervorzuholen. Es wurde mir nun erst recht klar, wie mir dies ganze Studienwesen seit 23 Jahren in die Sphäre des Objectes gerückt ward. Als jüngerer Mensch war ich subjectiv mit betheiligt an allen wissenschaftlichen Wesen, das im Azhar vorgieng. Aber unendlich wohlthun wird es mir für den ganzen Rest meines Lebens, dass ich wieder dasass in den weihevollen Räumen und einen schönen Theil meines Jugendlebens in meiner Seele reproduciren durfte. Den Nachmittag desselben Tages widmete mir Max Herz27*, indem er uns in die hervorragendsten Baudenkmäler, Moscheen und Gräber geleitete und uns die Merkwürdigkeit derselben kunstgeschichtlich nahe führte. Von Ismailia aus hatte ich mich an Jakoub Artin Pascha brieflich um die Erlaubnis gewendet, mit meiner Truppe das Dâr el-ulüm und andere moderne Schulen Kairos kepnen lernen zu dürfen. Bei meiner Rückkehr nach Kairo wurde mir die Erlaubnis dazu durch Völlers übermittelt. So fuhren wir denn am 11. Februar zeitlich früh nach Darb el gamâmîs, wo uns im Namen des Pascha der Pole Walberg Bey Dzierdzenowsky empfieng. Der Rector des Dâr el-ulûm, Emin Bey Sâmî führte uns dann von Saal zu Saal, gewährte uns einen Einblick in das ganze Mischgetriebe dieser École normale, die man vergeblich mit dem Azhar wird concurriren lassen wollen. Wir begannen mit einer Vorlesung über 198

Fikh (die muhammedanische Form muss ja gewahrt bleiben) und schritten dann langsam und langsam in den Modemismus hinein. Erschütternd ist es zu sehen, wie diese neumuhammedanischen Schulmänner, deren zweites Wort stets „Pädagogik“ ist, den Gesichtspunkt übersehen, dass die modernen Kenntnisse mit ihrer eigenen Geschichte verknüpft werden sollten. Daran denken diese Artin’schen Pädagogen nicht, dass sie in der Geographie die Grenzen des Chalifates ausstecken würden. Die Geographie Spaniens behandeln sie ganz genau so, wie man dieselbe etwa in einer rumänischen Schule behandelt etc. Ihre Karten hatten vor 23 Jahren noch arabischenText; diese Lehrmittel haben sie jetzt mit französischen und englischen ersetzt. Ein neuer Lehrgegenstand ist das Englische, das sie mit Ach und Krach einbläuen lassen. Aber mit Rührung stand ich in der Aula dieser Schule vor dem Porträt ihres ersten Stifters, meines Freundes Ali Bascha Mubarek. Vom Dâr el-ulüm führte uns Sami in die Nässirijja-Schule, eine Elementarschule für die vornehmen Klassen, ein Internat, den modernsten Ansprüchen genügend, das Eton-College Kairo’s, wo der Aegypter für 23 ägypt. Pfund (jährlich) seinem Jungen eine wirklich vornehme und gediegene Erziehung verschaffen kann. Die bequemsten Einrichtungen und vortrefflicher, wenn auch geschniegelter Lehrgang. Überraschend war mir ein neuer Unterrichtsgegenstand, „el-dijäne“ , katechetischer Religionsunterricht, ganz im Geiste der Fortschrittsjuden. Dieselben Gesichtspunkte, dieselben Zwecke, ich fürchte, auch dieselben Resultate. Nachmittags besuchte mich Gaillardot-Bey, der Rédacteur der Revue d'Egypte, Sohn jenes Gaillardot-Bey, der uns aus Renan's Mission de Phénicie bekannt ist. Er überbrachte mir eine Menge von Separatabdrucken aus seiner Revue und ich versprach ihm dieses, wie es scheint durch Artin bevormundetes Unternehmen in Europa zu protegiren. Am vorletzten Tage unseres Aufenthaltes in Kairo besuchten wir in corpore die Mughäwire-Derwische in Mokattam, schweigsame Amauten, deren Tekkija die Heiterkeit abgeklärter Weltanschauung widerspiegelt und die sich für alles Weh der Welt einen bleibenden Ort des Trostes schufen - eine grosse Gräberhöhle, in ungetrennter Nachbarschaft ihrer Klausen. So haben sie das Ende stets vor Augen und es ist leicht begreiflich, dass sie der Umgang mit dem Orte der Erlösung über alles Weh und Leid dieser Erde erheben muss. Ein Wort war aus ihnen (es sind ihrer 7) nicht herauszubringen; aber sie Hessen uns ungestört in ihrer Behausung wandeln. Mit einem Blick von der Terrasse des Klosters, von dem man eine liebliche Aussicht auf die Stadt geniesst, schieden wir von den glücklichen Schweigemännem. Am 14. verliessen wir Kairo; brachten den 15. bis Nachmittag in Alexandrien zu, wo ich einige Stunden im Palast Emin Pascha’s weilte und das letzte mal mich unter muhammedanischen Leuten 199

wohl fühlen durfte; nachmittag schifften wir uns auf Bord „Semiramis“ ein und langten am 19. im Hafen von Triest an. Am 20. Mittags sah ich nach fast siebenwöchentlicher Abwesenheit Weib und Kinder wieder. In den auf unsere Rückkehr folgenden Tagen bestrebte ich mich allç Formalitäten, die mit meiner Führerrolle zusammenhiengen, zu erledigen. Ich reichte unverzüglich eine Abrechnung über die mir anvertrauten Gelder ein (von der mir übergebenen Reisekasse von 1000 fl brachte ich 728 Gulden zurück), besuchte in Gesellschaft der übrigen Führer Platz und Beöthy - den Wlassics und Klamarik2” , um mündlichen Rapport über das tadellose Gelingen des Unternehmens abzustatten, schluckte die Lügenredame eines jüdischen Blattes, dessen Rédacteur es verstanden hat, mir die erste europäische Woche durch die Atmosphäre von Ubelgeruch, die er um mich webte, zu verderben, ruhig herunter. Ein Diner bei Beöthy, ein Revanche* souper bei mir. Damit endete meine „Führermission“ . Für alle Plage, die mir die Organisation dieses Unternehmens bereitete, für alle Sorge, die ich mir während der Ausführung derselben auferlegte, für Alles, was ich zur Vervollkommnung desselben leistete, hat sich wenig Anerkennung gezeigt. Ich hatte „Führercollegen“ . Meine Politik musste dahin gerichtet sein, immerfort so zu baiandren, dass ich ja nicht als der Oberführer, der ich ja amtlich war, erscheine. Nur so konnte ja das ungetrübte, intime und herzliche Verhältnis, das unserem vielwöchentlichen Miteinanderleben herrschte, aufrechterhalten werden. Den Oberführer brachte ich zur Geltung, wo zu denken und zu arbeiten gab, wo persönliches Eintreten und persönliche Verbindungen zum Nutzen der Expedition zu verwenden waren. Wenn ich der Gesellschaft durch das Konsulat in Kairo Geldersparungen erwirkte, wenn ich ihr durch lange Korrespondenzen mit Max Herz dessen Mitwirkung erlangte, wenn ich ihr durch meine Beziehungen zu Naville diesen berühmten Gelehrten als Cicerone für De'ir al Bahari verschaffte, durch meine schriftliche Verwendung bei der Zolldirektion in Triest die Zolluntersuchung ersparte etc. etc., so hiess es, die „vezetôség“”0 habe dies und das durchgesetzt und mein Freund B.MI hat es gerne über sich ergehen lassen, in dem Licht zu erscheinen, als hätte er den Löwenantheil an Leistungen, zu denen er nicht ein Jota beigetragen. Wo es galt, sich persönlichen Unannehmlichkeiten auszusetzen, da wurde ich gerne als der „fôintézô“ 2*1vorgeschoben. Ich gedenke nicht, die daran hängenden Details zu verewigen. Die Freuden dieser Reise wogen die wenigen Bitternisse auf, die sie mir hin und wieder bereitete. Und ich betrachtete dieselben als eine der angenehmsten Erinnerungen meines Lebens.

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2. M an. Quos ego! Es musste natürlich am Tage meiner Ankunft auch der feierliche Einzug in mein „Amt“ celebrirt werden. Alles fand, dass ich recht wohl aussehe und wünschte, dass dies gute Aussehen von Dauer sei. Eine allgemeine Beobach* tung der Keneseth Israel war, dass ich „recht abgebrannt“ aussehe. Diese Beobachtung hatte ich tagsüber dutzendmale anzuhören. Die wirkliche Amtsführung hob mit der Auflehnung des Schulinspectors Bernhard Munkàcsi gegen meine Autorität an. Man würde doch voraussetzen, dass in diesem meinen Falle ich doch als Sieger aus dem Konflikte hervorgehen müsste, denn 1) muss ja männiglich wissen, wer der Schöpfer des heutigen Schulwesens der jüd. Gemeinde in Pest ist, 2) hat ja dieser Lump von Inspektor die Pflicht tiefster Dankbarkeit gegen mich für alle Wohlthaten, die ich ihm innerhalb und ausserhalb seines Amtskreises seit seiner Studienzeit geleistet, (worüber man ja das Nähere in seinem Fascikel finden kann). Nichtsdestoweniger hat er Recht gegen mich behalten. So ist denn im Laufe des einundzwanzigsten Jahres meines Elends die ästhetische Abrundung meiner Erlebnisse während dieses Zeitraumes vollendet. Man hat einen perfiden Rebellen, wie es jetzt klar ist, dadurch aufgemuntert, sich zum Organ meiner Demüthigung auf einem Gebiete zu machen, auf welchem allein ein solches Ereignis für a priori undenkbar erachtet werden könnte. Dass mir dies auf dem Gebiete des Unterrichtswesens der jüd. Gemeinde passiren könnte, hielt ich selbst für unmöglich. Auch dies ist eingetreten. Es herrscht wirklich bewunderungswürdige Harmonie auf diesem jüdischen Globus. Nun ist mein Leben in diesem Kreise in die Sphäre des Vollendeten, tadellos Abgerundeten eingetreten. Es ist an Ordinärheit nichts mehr zu wünschen übrig. 10. M an. Sehr lebhaft beschäftigt jetzt meine Freunde eine dumme Streitschrift die Sawas Pascha gegen meine vor 3 Jahren in der „Byzantinische Zeitschrift“ erschienene Recension seines Droit musulman2*1 vom Stapel gelassen. Der alte Türke vertheidigt sich so trottelhaft, dass ich weder gegen den wissenschaftlichen, noch gegen den persönlichen Theil seiner Polemik repliciren werde. Spassig ist es, dass er mich einen Orientalen nennt, dessen turanische Abstammung durch den germanisirten Namen, den ich führe, nicht verdeckt wird. Mongolisches Blut soll in meinen Venen circuliren und dies erklärt die hardiesse meiner Kritik gegen sein Opus. Sawas hat übrigens entdeckt, dass ich das droit musulman niemals studirt habe und keine Ahnung 201

davon habe, was man unter Usül verstehe. Da der Verf. dafür gesorgt hat, dass ich 2 Exemplare seiner Streitschrift erhalte, war ich in der Lage, das eine an Snouck nach Batavia zu senden. /. October. Sieben Monate sind ins Land gegangen, seitdem ich dies Heft nicht berührt habe. Es ist nicht gar viel des Aufzeichnens Würdiges während dieser langen Zeit mit mir geschehen. Aber doch wohl. Ich habe die ganze Zeit über eine Menge Derbheiten und niederträchtige Grobheiten von den Leuten einverlei­ ben müssen, in deren Mitte ich mein Märtyrerleben friste. In meinen Vormundschaftspflichten sind recht arge Dinge in die Quere gekommen. Mein Neffe hat sich in den vielen Buden, wo zu Ehren des tausendjährigen Bestehens unseres Reiches die ärgste Lotterei etablirt ist, sich dem Lumpenle­ ben ergeben und daraus ist mir Kummer und Seelenqual entstanden, die hart auf mein Leben drückte. Auch sonst ist dieser Kreis meines Lebens nicht frei gewesen von Sorgen und Bitternissen. Dies ist nun einmal der Kelch, den ich bis zur Neige leeren muss, das Bleigewicht, das an meine Füsse gehängt ist. Gearbeitet habe ich dennoch wieder. Neue Materialien zur Litteratur des Überlieferungswesens bei den Muhammedanern für die ZDMG2*4, „Über Kannibalismus aus orientalischen Quellen“ für den „Globus“ .2*’ Die Urlaubs­ zeit kam schleichend herangezogen. Ich entschloss mich, dieselbe mit meiner Frau und den Kindern in Bad Borosznö zuzubringen. Wir weilten da vom 7. Juli bis 25. August. Ich hatte die Freude in unmittelbarem Kontakt mit meinen guten Kindern zu bleiben und wieder einmal in intensiver Weise an ihrer Erziehung zu arbeiten und ihre Studien, denen sie auf diesem Ferienaufent­ halte wacker oblagen, zu leiten. Den Mittelpunkt bildete der Unterricht in der Bibel, aus der wir einige der schönsten Psalmen behandelten. Diese Vorträge bereiteten mit mehr Genugthuung, als mir der allerberühmteste Katheder der beiden Hemisphären bereiten könnte. Ich lebte in B. in Gesellschaft Kärmän’s2“ und seiner Familie und hatte den Genuss, mich am Verkehre mit diesem Heiligen zu erbauen und zu stärken. Im August kam Eugen Péterfy2*7 hinzu, ein wahres Glück für meine Kinder, denen der herrliche Mann seine beste Zeit widmete. Da sass er tagtäglich inmitten des Knabencollegiums und begeisterte sie für Homer, dessen Schönheiten er den empfänglichen Buben an mehreren Gesängen der Odyssee erschloss. Auch Musik betrieb er mit ihnen und Hess sich von diesen gelehrigen Schülern auch gern auf seinen Ausflügen in der schönen Wald- und Gebirgsumgebung begleiten. Auch mich förderte der Umgang mit diesem hochgebildeten Manne in überaus erfreuli­ chem Masse. So bin ich denn Péterfy zu Dank verpflichtet für die Freundschaft, die er mir selbst erwiesen und das Interesse, das er an meinen 202

Kindern bethätigte.2“ Die Vormittage arbeitete ich recht hurtig an einem Essay für Bpesti Szemle „über die Bewegung im Reiche des Mahdi“2**und an einer Abhandlung über „muhammedanischen Heiligencultus in Aegypten“2*0, dies letztere eigentlich eine Frucht meiner aegyptischen Reise. Dabei las ich wieder eine Menge von englischen Sachen und unterhielt eine anregende Wissenschaft!. Korrespondenz mit Dr. Kaufmann nach Karlsbad und Herings­ dorf. Die Borosznöer Tage wären auch für meine und meiner Frau Gesundheit recht förderlich gewesen, wenn nicht bald nach unserer Rückkehr uns unser Neffe so viel Kummer in die Seele geschüttet hätte.

27.-30. September brachte ich in Wien zu, um einige Lücken meines literarischen Apparates in der Hofbibliothek auszufülllen. Da verkehrte ich auch mit D. H. Müller, der es mir nicht verzeihen kann, dass ich mich im Dezember v.J. über Anfrage Nöldeke’s seiner tollen Strophik nicht rückhaltslos anschliessen wollte. Der polnische Streber wittert Coulissenintriguen bei anständigen Menschen, an deren Gesinnung er unmöglich hinanreichen kann. Er scheint untröstlich zu sein über das Fehlschlagen seiner Geldspeculation, denn damit war ja nach Aussage seines besten Freundes dieser ganze Strophenrummel verbunden. Nach Hause zurückgekehrt fand ich bald Herrn Dr. Chester2*1aus Boston vor, einen jungen Fellow der Harvard-University, der nach einem einjährigen Aufenthalt in Syrien, woher er sich brieflich an mich wandte, trotz meiner Abmahnung hieher nach Budapest kam, um mehrere Monate lang meinen Unterricht zu gemessen. Die „Muhammed. Studien“ hatten ihn zu meinem Schüler gemacht. Also aus Amerika kömmt man direkt zu mir herüber, um von mir zu profitiren. Es muss also doch nicht so arg um meinen wissenschaftlichen Werth stehen, wie meine Glaubensgenossen allenthalben verkünden. Es lässt sich doch bei mir etwas holen, bei dem unbesoldeten Honorarprofessor der Universität des Milleniumreiches! Aber ich bin darauf gefasst, die glaubensgenössischen Gelehrten von Budapest die Mähr verbrei­ ten zu hören, dass dieser Dr. Chester gar kein Amerikaner, sondern ein polnischer Jude aus der Mohrengasse sei, den ich dazu angestiftet, sich für einen amerikanischen Gelehrten auszugeben, der übers grosse Wasser herüberkam, um meinen Unterricht zu gemessen! Inzwischen sind auch meine „Abhandlungen“ Th.I. endlich erschienen. Die Urtheilsberechtigten, allen voran Nöldeke, schreiben mir lobende Briefe darüber. De Goeje hat eine anerkennende Recension im Joum. asiat. abgegeben. Guidi einige wohlwollende Worte darüber in La Cultura gesagt. Immerfort schreibe ich selbst Recensionen für die „Deutsche Literaturztg.“ 203

Dies Geschäft macht mir wenig Freude, der Ernst, mit dem ich es betreibe, die Mühe, die mir die Besorgung desselben macht, steht nicht im Verhältnis zu dem geringen Nutzen, den ich dadurch der Wissenschaft leisten kann. 4. October. Es giebt doch nichts über einen jüdischen Präsidenten! Da hört einmal! Ich habe ein grosses Memorandum über die Eingabe einiger gemeiner Kerle ausgearbeitet, die aus betrügerischen Gründen hier eine neue jüdische Gemeinde etabiiren wollen und gestützt auf das Gesetz über Religionsfreiheit die Anerkennung ihres Schismas vom Ministerium erbitten. Trotzdem dies ja nicht meines Amtes ist (bin ich ja Schreiber und nicht Theologe) habe ich mich freiwillig dieser nicht unschweren Arbeit unterzogen. Nun mäkelt ein gewöhnlicher WoUhändler an meinen theologischen Thesen; er könne sich nicht zu den religiösen Grundsätzen bekennen, die ich darin kundgebe. In demselben Sinne äusserten sich auch die anderen Wucherer, die als Vorstände der Gemeinde dieser „Sitzung“ assistirten. Es waren im ganzen ihrer sechs. Sie allesammt haben mich für nicht kompetent in diesen Dingen erklärt. Etwas witzigeres kömmt wohl in diesen Heften nicht vor. Aber noch herrlicher klingt wohl die Bemerkung des Vorsitzenden Geldjuden, dass er an mir (nämlich dem Goldziher) „Autoreneitelkeit“ bemerke. Es ist doch wahr, dass man in gewissen Situationen voller Flöhe aufstehen müsste. Es ist ein wahres Glück, dass diese putzigen Dinge vor den Antisemiten ein Geheimnis bleiben. 10. October. So ganz allein auf sich gestellt sein inmitten dieses Pfuhles von Egoismus und Streberei! Habe ich Verwandte? Mein armer Vater hat den Kultus der Selbstaufopferung für seine Geschwister und Verwandten geübt und auch ich habe ja genug geopfert, Geld und Worte und habe auch manches Glück begründet und gefördert. Alles was versorgt ist, sagt sich von mir los. In Freud’ und Leid keine einzige mitfühlende Seele unter diesen Blutsverwandten. Ja wenn es nur so weit gienge. Aber schädliche Feinde an jenen zu haben, denen man Gutes erwiesen hat: das ist eine Erfahrung, die man machen muss, um die ganze Niedrigkeit dieser Leute als niederschmetternde Gewissheit all den Kenntnissen hinzuzufügen, die man über die Gemeinheit der Menschen gesammelt hat. 15. October. „Was um mich ist erräth mich nicht Und drängt und drückt mich nieder“ 204

Platen, der dies gesagt hat, konnte Trost suchen im „Gedicht“ , in dem er sich ganz wieder fand. Auch ich bin nicht ganz vereinsamt. Inmitten des Pfuh­ les, in den hinein ich gestellt bin, bewährt sich mir vonTagzuTagdie Wissen­ schaft und das Martyrium der Pflicht als rettender Balsam. Ja nur darum musste ich mich in der Jugend der Wissenschaft widmen, damit ich im Alter einen Lebensbaum habe an dem ich mich festhalten kann. Nicht Brod hat mir die Wissenschaft ins Haus gebracht, sondern Trost in die Seele. 20. October. Es ist nun endlich heraus! Woher kommt es doch wirklich, dass die Machthaber der jüdischen Gemeinde seit einiger Zeit mit unnennbarer Verachtung auf mich herabsehen, mir mit arrogantem Spott und mit einem sarcasme hautain begegnen, den man nur dann verstehen könnte, wenn diesen Zeilen eine Federzeichnung dieser durchgeistigten Physiognomien beigege­ ben wäre. Es ist nun endlich heraus! Diese Individuen verkehren jetzt mit Ministern und Ministerialräthen, mit Baronen und Parteipräsidenten. Es tobt im Lande die parlamentarische Wahlbewegung, die das herrschende Regime mit den Geldern der Juden leitet und zu diesem Zwecke werden nun auch meine Gemeindepaschas herbeigerufen und an hoher Stelle um „Unterstüt­ zung“ der liberalen Sache angegangen. Der Ministerpräsident2*1 hat unseren Suffeten K.” 3 persönlich um diese „Unterstützung“ ersucht und soll ihn bei dieser Gelegenheit „kedves barätom“ 2*4genannt haben. Einen Orden hat er kurz zuvor erhalten. Der Buchhalter dieser Religionsgemeinde hat bald darauf in der allerdiscretesten Weise ein Verzeichnis der „allerreichsten“ Juden im Aufträge seines Präsidenten angefertigt. Und in der Verblendung, die auch diese Verrohung bereitet, wollt ihr nicht sehen, welche Verachtung euerer Moral der Voraussetzung zugrunde liegt, dass ihr als die willigsten Werkzeuge der allgemeinen Corruption am leichtesten zu haben seid! Ich schäme mich in den Grund meiner Seele hinein. Aber, en fin, es ist nun endlich heraus! Darum begegnen sie mir mit so viel Spott und Verachtung. Sie reden mit Ministern und Baronen und tragen die Geldbeutel herbei und die Schreiber reden sie als „nagysägos ur“ 2*5 an. Sie verachten und verspotten mich mit gutem Recht. Der eine nennt mich nun niemals anders als „Sie, professeur! schreiben Sie da ein schehnes Concept, schwungvoll, wissen Sie“ ! Der andere sagt mir gestern, ich sei ein „Idealist“ - dies ist ein Schimpfwort im Geiste des „vorstehenden“ Schneiders, der mir denselben ins Gesicht schleuderte. Einer der hier erwähnten Geldprotzen entblödet sich nicht, mir „Eitelkeit“ vorzuwerfen (!). Soeben erhalte ich den Befehl folgendes unsterbliche Werk auszuarbeiten: „Organisation der Koscherfleischbänke“ . Vor 18 Jahren habe ich bereits ein 205

solches Opus in die Welt gesetzt. Der mit dem Franz-Josefsorden II. Klasse dekorierte Wahlgelderherbeischaffer näselte mir bei dieser Gelegenheit entgegen: „Aber nicht so lang, wie Sie pflegen“ . Dies bezieht sich auf meinen allbekannten schlechten Amtsstyl. O holder König Oskar! Inzwischen habe ich die Genugtuung, dass mein amerikanischer Schüler Dr. Chester nun wirklich Befriedigung darüber äussert, dass er über den Ocean herüber gekommen, um zu „meinen Füssen“ zu sitzen. Aus den Kreisen, die meiner spotten und deren Mitglieder meine Demüthigung als gutes Werk betrachten, pflegt man aus anderen Gründen „nach Amerika“ zu segeln. Seit vierzehn Tagen tractire ich mit Chester den Buhari mit Kastallani wöchentlich an drei Abenden. Die Behandlung der kritischen Fragen bildet den Mittelpunkt meiner Auseinandersetzungen. Einen wissenschaftlich ge­ rechteren Schüler hat wohl in diesem Augenblick kein Professor in Europa. Wenn nun diese ordinären Geldprotzen und Wahlgelderlieferanten nun das erst wüssten! Denn ich rede ja darüber nicht; ich betrachte den Dr. Chester wie einen Abgesandten der Vorsehung, der mich in den Tagen unerhörter Erniedrigung zu trösten hierher gesendet wurde. 2. November. O gütiger Oskar! Wie ist mir die Reihe von Tagen, an denen ich für mein gedehmütigtes Gemüth Erhebung und frische Kraft aus der Ermuthigung schöpfen konnte, die du mir liehest, wie sind mir die unvergesslichen Augenblicke immer gegenwärtig, wenn man rings um mich her mit Schwert und Hammer, mit Verläumdung und Ehrabschneiden an meinem Ruin arbeitet. Und wie leicht ist mir doch der Kampf mit der Frage: Und warum sitzest Du denn eigentlich hier im Sumpfe und verschmähst die frische Luft, die sich dir aufgethan; warum kauerst du im dumpfen Kerker, wenn sich dir die Thore der Befreiung immer wieder und wieder öffnen? Es muss sein, es muss sein, ich muss bleiben und sollte ich daran zu Grunde gehen. Ich bin erschaffen worden, um nach meinem Tode vorbildlich zu werden für ein Martyrium, für ein Zeugnis, das der rechtschaffene Mensch darzustellen hat im Dienste unfruchtbarer Pflichterfüllung. Ein sonderbarer Märtyrer, der mit seinem Blute keine Unze Nutzen stiftet. Denn dass ich mich ganz nutzlos aufgeopfert habe, macht die Tragik dieses Lebenslaufes noch endlos trauriger! 6. November. Sehr viel Freude bereitet mir mein amerikanischer Hörer. Wir sind nun seit Wochen in das Studium des Muslim vertieft, wöchentlich an drei Abenden, 206

wobei sich die Lehrstunde zumeist auf über zwei Stunden ausdehnt. Dabei wird das Feld muhammedanischer Religionsliteratur »einer ganzen Breite und Tiefe nach durchstreift. An Zeichen des Behagens von Seiten meines Schülers fehlt es dabei nicht. Der Vortrag und Verkehr verlaufen in französischer Sprache und auch dies bietet mir nun wieder eine individuelle Kraftprobe. Mittlerweile ist auch von Baron v. Rosen eine ganz originelle Bitte an mich gelangt. Man möge seinen Brief vom 16/28 October lesen um sich zu überzeugen, dass er mich ersucht, Herrn v. Schmidt2**, der in Petersburg zum Professor der Islamkunde designirt ist, zu erlauben, nach Budapest zu kommen, um einige Zeit „zu meinen Füssen zu sitzen“ und sich durch meinen Unterricht für seinen Katheder zu vervollkommnen. So steht es also. Aus fremden Ländern, aus Russland und von jenseits des Oceans pilgern sie zu dem verachteten jüdischen Gemeindeschreiber, um sich ein Licht der Wissenschaft aufstecken zu lassen. Hier haben sie mich bei der Hand und kümmern sich nicht um mich. Und weil ich mich nicht ihrer Gemeinheit assimiliren mag, möchten sie mich in den Schlamm zerren und sie fletschen ihre Giftzähne nach mir, um mich zu verderben. Es ist eine Schmach, dass das Subject des letzten Satzes meine Glaubensgenossen sind. Vor einigen Tagen traf einer jener Schmutzfinke mit mir auf der Strasse zusammen. Flugs entwich er nach der anderen Seite, eine grosse Pfütze breitete sich zwischen den beiden Trottoirs aus. Die trennt mich ja von diesem niederen Gesindel. Ich habe wieder ein halb Dutzend „Konzepte“ gemacht, aber „schehn“ und doch fand man Fehler darin. Ich danke dir demüthig, mein lieber Gott, dass es nur solche ordinäre Kannibalen sind, die mein Leben verunziren. Wie schauerlich wäre es, von diesen Gesellen hochgeachtet und von jenen geringgeschätzt zu sein, deren Anerkennung mich glücklich machen darf! Die ganze Zeit her arbeitete ich während der Nächte an dem Text des Abü Hâtim al-Sidshistânî, Kitâb al-mucammarin. Vielleicht kann ich ihn bis zur Editionsfähigkeit herstellen und mit einigen Beigaben ausrüsten. 15. November. Es ist unmöglich hierher zu schreiben, was mir heute dieser Bacher zugefügt hat. 4. Dezember. Jetzt correspondis mit mir Dr. Achelis2*4*7 aus Bremen über meine erwünschte Theilnahme- an seiner neubegründeten Zeitschrift für Ethnologie und vergleichende Religionswissenschaft.2** Mit frischer Kraft hätte ich vor 18-20 Jahren mit grosser Begeisterung dabei mitthun mögen. Auch jetzt werde ich mich nicht entziehen, aber mit welchem Gemüthe trete ich jetzt in 207

die reinen Hallen der Wissenschaft! Der Redakteur der D. Literaturzeitung schreibt mir, dass meine Artikel in den Fachkreisen „die grösste Aufmerksam­ keit und grossen Beifall gemessen“ .2** Also doch! 6. Dezember. Heute Morgens haben sie die neue jüdische Schule eingeweiht, d.h. sie haben an die fünf Reden geschwatzt. Der Wollhändler Schweiger340hat sogar aus den Propheten citirt. Mein Freund Kohn hat uns die Vorzüge des Patriotismus auseinandergesetzt (es waren ja Christen anwesend!), aber keine Silbe über die religiösen Aufgaben einer jüdischen Schule verschwendet, dann sprach noch Direktor Stern301 eine wohlgesetzte Rede, dann salbaderte noch der Oberbürgermeister und der kön. Schulinspektor einiges. Den Kern der ganzen rhetorischen Campagne bildeten die grossen unsterblichen Verdienste des Moses Wahrmann um das Schulwesen dieser Gemeinde. Ich habe in diesen Kreisen mich ans • ügenhören gewöhnt. Auch an die Zeichen der Verachtung habe ich mich gewöhnt, die mir allseits auch bei dieser Gelegenheit zutheil wurden. Im Schulgebäude der israelitischen Religionsge­ meinde - mir! Éljen. A propos! Vorgestern hat man mich wegen eines Conceptes belobt. „Das ist endlich grossartig geschrieben“ . 17. Dezember. In dem viertel Jahrhundert meiner wissenschaftlichen Laufbahn habe ich gar manchmal meine Fachgenossen aus Verlegenheiten geholfen, sie vor kleinen und grossen Fehlem geschützt. Den Dank habe ich mir stets verbeten. Die Wissenschaft ist Gemeingut. Was der eine weiss, damit ist er den anderen verpflichtet. Nur drei Leute haben mir meine Mittheilungen öffentlich quittirt. Zuerst der grosse und ehrliche Nöldeke. Der hats nicht nötig sich mit fremden Federn zu schmücken. So oft er etwas ex meis benützt, that er’s unter ganz ungewöhnlichen Zeichen der Anerkennung für mich. Man sehe nur seinen „Doktor und Garkoch!“ .302 Dann der gute Van Berchem.303 Der hat meiner Mitarbeit an der Textrevision seines Corpus Inscriptionum eine nette Anerkennung am Schluss des zweiten ’{heiles gewidmet! Heute hat sich der Dritte dazu bekannt (Seybold303*aus Tübingen). Trotzdem er es ja genug klar aus meinen Äusserungen entnehmen konnte, dass ich für meine „Winke“ auf keinen Dank reflektire, hat er die Textrevision seiner Ausg. des Kitäb al-mura$$ac von Ibn al-Athir, wodurch ich ihm freilich manche Blamage, mindestens aber manches Kopfzerbrechen ersparte, dankend anerkannt und obendrein das Opus neben De Goeje, Guidi und Nöldeke auch mir, allen insgesammt als den „Meistern des klassischen Arabisch“ gewidmet. Die 208

Gesellschaft ist wahrlich schön, in die er mich gestellt hat. Darob wird sich nun mancher ärgern. Die Leute sind erbärmlich klein! Die letzten Tage beschäftigte ich mich mit einer kleinen „Esquisse“ „Über die Diwäne der arabischen Stämme“ .’04 Der Versuch, in welchem ich ein verlorenes Stück altarabischer Literatur zu rekonstruiren wage, ist für das Journal of RAS. als etwas verspäteter Dank für meine Wahl zum Ehrenmit­ glied bestimmt. Dr. Chester ist so gut, die englische Übersetzung des Aufsatzes zu besorgen. Ebers hat mir seinen neuesten Roman „Barbara Blomberg“ geschickt. Der Mann erhält mir seine freundliche Zuneigung durch alle Lagen des Lebens.

1897. 20. Januar. Das Jahr begann mit einer Menge „Concepte-Machen“ , nicht immer zur Zufriedenheit meiner Vorgesetzten. Man will die Erfahrung gemacht haben, dass ich zu „trocken“ schreibe; ich treffe die nassen Gedanken dieser Geldprotzen nicht. Das ist mein stilistisches Ende mit Beginn des 22“*Jahres meiner Schreiberthätigkeit. Zehn Jahre früher fand man mich floskelhaft und schwätzig. Deren Geschmack habe ich nie getroffen. Gott sei Dank! 22. Januar. Heute ist Herr v. Schmidt aus St. Petersburg bei mir eingetroffen, um bei mir muhammedanische Gelehrsamkeit zu treiben. Nur dies ist der Zweck seiner Reise hierher. Also eine Kibla bin ich geworden für muhammedanische Kenntnisse. Es liegen ja - sagt meine gute Frau - soviel Universitäten zwischen Budapest und Petersburg! Es muss doch etwas an mir sein trotz aller Glaubensgenossen, die mich schwelgend verkleinern. 26. Januar. Am 23. starb mein Neffe Imre in Arad. Ich, der einzige Bruder seiner Mutter, reiste nach Arad, um die Bahre des armen guten Jungen an seine letzte Ruhestätte zu geleiten. Zwei Tage verweilte ich bei den Verwandten meiner Frau. Fürwahr nicht eben zur Zerstreuung bei so tragischem Anlass. 5. Februar. Zwischen „Concepten-Machen“ und dem Unterricht meiner beiden fremdländischen Jünger vergehen die Tage. Es ist ein wahres Glück für mich, dass die beiden Jungen, der Amerikaner und der Russe, zu meinen Füssen 14

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sitzen. Dies giebt mir doch einiges Gefühl meiner selbst. Und wie sie mir .an den Mund“ sehen! Ich widme ihnen drei Abende der Woche, immer zumindest zwei Stunden. Da wird nun Buchäri und Schaiini getrieben. Wenn mir ein solcher Unterricht vor 20 Jahren möglich gewesen wäre, als ich demselben noch ganz anders gewachsen war! Ich fühle jetzt erst dass mir die mnhammeHanwdiwi Dinge durch ein Jahrzehnt Dschähilijja etwas fremdartig geworden sind. An Stelle der Casuisten sind ja seither die heidnischen Recken getreten. Beduinenhelden an Stelle der Pfaffen. Aber es ist ja gut, dass ich Gelegenheit habe, die letzteren wieder etwas in mein Gehirn einnisten zu lassen. Ich trete ihnen ja jetzt auch mit reiferen Praeoccupationen gegenüber, als anno Azhar. als ich selbst eher ein mohammedanischer Casuist, denn ein occidentalischer Jünger der Wissenschaft gewesen. 9. Februar. Gestern habe ich mich einmal verlocken lassen, meinen Principien untreu zu werden, „in den Rath der Frevler zu gehen, auf dem Weg der Sünder zu stehen und auf der Bank der Spötter zu sitzen.“ *“* Seit etwa 15 Jahren mied ich die Zusammenkünfte der sog. Commission des hiesigen Rabbinersemi­ nars. Es ist dies eine aus 24 Mitgliedern bestehende Körperschaft, welche die Pflicht hat, diese hochwichtige Anstalt, welche den jüdischen Gemeinden ihre Geistlichen vorbereitet, zu überwachen. An ihrer Spitze stehen die Herren M. Schweiger und Dr. Simon, man sollte meinen, die in theologischen Unter­ richtsfragen competentesten Leute, die das ung. Judenthum aufweisen kann. Die Sitzungen, die diese Körperschaft seit vielen Jahren halt, sind ganz formelle Zusammenkünfte von 2-3 Leuten, denen in der Regel kein meritorischer Behandlungsgegenstand vorgelegt werden kann. Eingestandènermassen hat die Unterrichtscommission dieser Körperschaft volle 15 Jahre nicht eine einzige Berathung gehalten. Bis zum Jahre 1882 war ich das einzige arbeitende Mitglied derselben, und habe viel Zeit und Mühe geopfert, um die verrosteten Zustande an der Rabbinerschule zu bessern - vergeblich! Die Ranke und Verlaumdungen der Bösen machten es mir unmöglich, dabei mit/uthun Nun ist der moralische Krach in dieser Anstalt ausgebrochen. Die (.ehrer haben dies in einer oberflächlichen Denkschrift angekündigt. Die rommission wurde von ihrem Oberhaupt, Herrn Schweiger, zusammenbenifcn. um dir Mittel zur Abhilfe auszudenken. Ich liess mich verleiten, die Sitzung zu besuchen. I s war m nnr Pflicht, die Gelegenheit zu benützen, um auf die haltlosen Unterrichts und I .i Ziehungsverhältnisse an dieser Anstalt unverhüllt hinzu­ weisen In einer längeren Rede entwickelte ich meine - ich denke jedes 210

ehrlichen Juden - Überzeugung hinsichtlich der Anforderungen, die an eine Anstalt gestellt werden müssen, welche den Beruf hat, die Führer des religiösen Lebens der ungarischen Judenheit heranzubilden. Es gieng ohne einige bittere Wahrheiten nicht ab, bei deren Enuntiation -Herr Professor Bacher in der ungezogensten Weise dazwischenrülpste, als handelte es sich um die Entziehung einiger Groschen seiner Einnahmen. Viel Erfolg hat das öffentliche Wohl auch diesem meinem Auftreten nicht zu verdanken. Die paar reichen Kaufleute, unwissende Rabbiner und gewissenlose Lehrer, denen meine Predigt galt, haben mir alle mögliche dumme, unwissende und zum Theil auch soweit es die Lehrer und Rabbiner angeht, niederträchtige Einwürfe gemacht. Alle waren der Überzeugung, dass dem Übelstande des Seminars nur dadurch abgeholfen werden kann, wenn man die Zöglinge mit Geldunterstützungen versieht, die ihnen das Studium begehrenswerth ma­ chen. In einem Schlusswort, in welchem ich diese Auffassung zurückzuweisen bestrebt war, habe ich meine Mitwirkung an dieser Sache mit folgenden Worten abgeschlossen: In demselben biblischen Buche, aus dem das geflügelte Wort entnommen ist, das ich zu meiner Beruhigung anführen darf, dixi et salvavi animam meam, wird auch von falschen Propheten gesprochen, die der Noth ihres Vaterlandes die beschwichtigenden Versicherungen entgegenstellen und die verdorbenen Grundfesten mit kleinlichen Mittelchen verkleistern zu können glaubten. Wie der Prophet diesem seinem Gegner, so darf ich auch Ihnen die Worte zurufen: 305 owiD i m rron jtk dd-Vk m i r tfi7n *vpn nm Zu Beginn der Sitzung ereignete sich folgendes, hier für alle Zeiten festzunagelndes Factum: Bacher, der ziemlich in die Enge getrieben ward, gestand, dass er sich vor so viel Jahren an I. L.m versündigt hatte, als er ihn in der niederträchtigsten Weise als Plagiator verfolgte. Der biedere Mann denuncirte sich selbst, als elenden Verläumder und Ehrenabschneider. Es handelte sich darum, den I. L. als Mitglied dieser Commission zu erwählen. Ich frage, wie es denn mit der moralischen Compatibilität dieses Mannes stehe. Darauf erfolgte in gereiztem Tone die Erklärung des Schlowaken, dass diese Sache durch ihn bereits in Ordnung gebracht sei: er habe mit dem vor 7 Jahren als gemeinen Dieb verläumdeten Menschen seither intime Freundschaft geschlossen. Wenn dies kein Jämmerling ist, so ist die Terminologie der rabbinerischen Ethik überhaupt zu verschieben. 3. März. Uti supra. Sie haben heute Nachmittag wieder eine Sitzung gehalten. Ich war genöthigt, dahin zu gehen, und meinen Standpunkt nochmals im Angesicht der Tartuffe und Wollhändler zu entwickeln. Infolge davon grosser 14*

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Frömmigkeitsausbruch von Seiten Kaufmanns. „Ihr (d.h. mein) Judenthum haben Sie in Spiritus, ich (d. h. Kaufmann) lebe darin“ . Als ob nun jemand wirklich auf die Flüssigkeit begierig wäre, in der jeder von uns seine Religion conservirt. In dem Tone gieng’s weiter; meine Tendenzen wurden mit denen Steinthal’s identifiait, ich arbeite auf Atheismus, Nihilismus .. .n .. .ismus hin etc. etc. Mit einem Proteste gegen alle diese Zumuthungen zog ich meine Anträge zurück. Dies ist keine Gesellschaft für mich redlichen Menschen. Die müssen wirklich untereinander bleiben, wie die Aussätzigen, ausserhalb des reinen Lagers und mit einem weithin hörbaren „la misäs“ alle ehrlichen Menschen vor ihrer Berührung warnen.

5. März. Der Dekan der Facultät fragt bei mir im Auftrag des Unterrichtsministers an, ob ich geneigt wäre, die Regierung und die Universität beim Orientalistencongress in Paris zu vertreten. Natürlich, ja. Man muss ja auch einmal in anständige Gesellschaft kommen, nicht immer den wüsten, rohen, ordinären Lärm der Cultusgemeinde- und Rabbinerseminar-Stübchen auf sich wirken lassen. Noch immer rumort in meinen Ohren der gemeine Lärm der gelehrten Lehrer dieses Rabbinerseminars. Dies sind Leute, denen ich nun zwei Fähigkeiten entschieden absprechen muss. Bona fides und die Eignung, Lehrer einer theologischen Schule zu sein. Solche Leute, die weder die Ehrlichkeit, noch auch die wissenschaftliche Fähigkeit besitzen, junge unbefangene Menschen für das wichtige Amt vorzubereiten, im empfängli­ chen Volke das Bewusstsein des Berufes des Judenthumes zu beleben und lebendig zu erhalten, ist die Mission aufgetragen, dem verfallenden Juden­ thum in Ungarn die Rabbiner zu präpariren. Wenn ich ihnen bona fides abspreche, so thue ich es mit vollem Bewusstsein meiner Verantwortlichkeit für eine solche Behauptung und wenn sie auch nur dem tiefen Geheimnis dieser Blätter anvertraut wird. Der eine der Herren leistete folgendes Jesuitenstück. In meiner Rede warf ich klipp und klar die Frage auf: die Herren Lehrer mögen sich nun äussem, ob sie selbst mit dem Unterrichtsgan­ ge der Anstalt zufrieden seien. Der eine - nennen wir ihn Kaufmann - rief ein helles: „Ja“ mit der Opferfreudigkeit eines den Scheiterhaufen besteigenden Märtyrers. Nach der Sitzung gestand er mir unter Vorwürfen darüber, dass ich eine solche „Gewissensfrage“ in offener Sitzung aufgeworfen habe, dass er mir „unter vier Augen“ mit „Nein“ geantwortet hätte und war entrüstet darüber, dass sich die beiden mitanwesenden Collegen in tiefes Schweigen hüllten. 212

8. März. Schon wieder Sitzungen des „Vorstandes". Die heutige dauerte von 3 -7 ','j Uhr Nachmittags. Also den fünften Theil des Tages diesen Jargon zu hören. Und was mir wieder für „Concepte“ aufgetragen worden sind! Noch um Mittemacht suchte ich Erholung in einem kleinen Aufsatze über „die Hamäsa des Buhturi“ , die ich für die Wiener Zschrift für Kunde des Morgenlandes abfasste.307 In solcher Atmosphäre werden ja alle meine Arbeiten geboren. Freilich geht es diesen Winter recht spärlich. 11. März. Soeben ist wieder eine „Sitzung“ zu Ende, die von 4 Uhr Nachmittags bis 'U 8 Abends dauerte. Welche Fülle der Gemeinheit, der Rohheit schlägt da an meine Ohren, an meine Seele, der ich da stumm wie ein Fisch dabei zu sitzen habe als „Schreiber“ , um alle gemeinen Lappalien und Eitelkeiten dieser kleinen und grossen Geldprotzen zu „protokolliren“ . Und welche Demüthigungen im Detail! Wie haben die Leute heute wieder mit mir gesprochen? Welche Befehle musste ich von ihnen entgegennehmen! Ich muss ihnen gehorchen, sonst droht mir noch der Verlust des mir kärglich zugemessenen „Brodes“ . Da muss ich noch heute Nachts (denn „morgen in aller Früh muss die Sache fix und fertig sein“ ) einen Grabstein mit einer Ruhmrede über einen reichen Juden schreiben „denn - so sagt der Präsident - man muss der Eitelkeit der Menschen Rechnung tragen“ , und morgen in aller Früh einen „Gang“ machen. Und was ich da noch mittendrin für „Concepte“ machen muss, um meinen Styl der Beurtheilung dieser hohlen Ignoranten auszulie­ fern, die mir dann die beleidigendsten Bemerkungen machen. „Das da wem Sie verändern müssen, es ist nicht genug schwungvoll“ . Was wird, gütiger Gott, das Ende dieses Zustandes sein? mit grauen Haaren muss ich diese Behandlung und diesen Umgang über mich ergehen lassen. Und in Europa wird mein Name mit Achtung genannt, und Jünger aus den fernsten Landen kommen, um meine Lehre aufzunehmen, in der unmittelbarsten Nachbar­ schaft eines Hauses, in dem mir meine Glaubensgenossen nur Demüthigungen zu bereiten wissen. 20. März. Seit einiger Zeit greift in meiner Pfeifergassen-Residenz die Lust um sich, mich bei jeder Gelegenheit als „Idealisten“ zu stigmatisiren. Die Wucherer und Schneider, die mir zu befehlen haben, zu befehlen unter Last des Weggejagtwerdens in casu der leisesten Widersetzlichkeit, werfen fast wie eine Reflexbewegung auf jede meiner schüchternen Amtsbemerkungen in unnachahmbar höhnischem Tone und in Begleitung einer völkerpsycholo­ 213

gisch merkwürdigen Geberde den Ausruf von sich: Aber Sie verstehen das nicht, Sie sind doch ein „ Idealist‘7 Wenn ich jemanden einen Gauner nenne, mache ich nicht die grimmige Geberde, mit der dies Gesindel den höhnischen Zuruf begleitet, ich sei „e Idealist“ . Es ist ewig jammerschade, dass ich nicht zugegen bin, wenn man (wann denn schon endlich!) diese Zeilen liest. Auch den „Jahresbericht 1896“ habe ich fertig gemacht. Da hat man mir wieder hochpolitische und stilistische „Verbesserungen“ in den elenden Quark hineinapplicirt. Dies alles muss ich nach Anordnung dieser Bagage selbst „verbessern“ . Sonst würde ich davongejagt werden. 4. April. Immer schmählicher. Jetzt beginnen die Wollhändler bereits mein „Unga­ risch“ etwas armselig zu finden. Ihre Eitelkeit und Knopflochkrankheit hat jetzt ein neues Mittel gefunden. Das Kinderspital, das sie mit Pomp, unter Anwesenheit von „einige Minister“ einweihen wollen. Nun geht die Schreibe­ rei für mich an. Das schriftliche Schweifwedeln der Geldprotzen geht durch meine Feder. Arme Feder! Aber in Voraussetzung dass ich keine „Autorenei­ telkeit“ besitze, lassen sie meine „Concepte“ durch ihre „Gelehrten“ pathetischer und dem feierlichen Anlasse würdiger gestalten. Diese kraftvolle Umarbeitung wird dann behufs Wegbesserung grammatischer und orthogra­ phischer Schnitzer mir überbracht. „Für die „Eröffnung“ müssen Sie mir eine Red’ machen; ich habe wenig Zeit“ . Also soll ich mich auch dazu hergeben müssen! Ich muss es thun. Sonst werde ich einfach davongejagt. Als Instruktion gab er mir für dies rhetorische Werk zwei Punkte. 1.) müssen die Minister grossartig begrüsst und behuldigt werden. 2.) muss der Brody Zsiga10* sehr gelobt sein. Nebenbei hat man mir befohlen, dass am Schluss etwas „Schwungvolles“ über die „Menschenliebe“ gesagt sein soll. Mit so erhabenen Gesichtspunkten will ich heute Nachts an die Arbeit gehen. 11. April. Heute haben wir meinen alten Lehrer Brill zu Grabe getragen. Seit 1865 stand ich zu ihm im ununterbrochenen Verhältnis des Schülers und Freundes. Freudenberg, Brill, Fleischer! Nun seid ihr alle im kühlen Grabe. Ich immer mehr verwaist und vereinsamt. Ich kann unter dem trüben Eindrücke des Trauerfalles kein Wort mehr sagen. 12. April. Black aus London hat mich aufgefordert, einige Artikel Robertson Smith’ für eine unter Leitung Cheyne’s erscheinende Biblische Encyclopaedic zu 214

bearbeiten und ein riesiges Honorar (2 Guinea für die Seite) beantragt. Ich kann jetzt, da mich der Islam vollends beansprucht, auf diesen Antrag nicht eingehen. Denn die mir übrigbleibende Zeit muss ich auf das Schreiben von Reden für adel- und knopflochsüchtige Suffeten verwenden. 13. April. Ich musste mich überwinden, für ein jüdisches Blatt „A jövö“ einen Nekrolog über den sei. Brill zu versprechen.M*Da ich meinen Namen nicht in dieser Literatur prostituiren will, andererseits der mir entgegengestellten moralischen Pression nicht dauernd widerstehen konnte, habe ich zugesagt unter dem Pseudonym Keleti I. einige Spalten zu füllen. Der Vorwurf ist weihevoll, das Milieu ekelt mich. Ich habe seit Jahren diese Blätter nicht berührt, und nun schreibe ich wieder in eines derselben. Heute Nachts will ich das Ding in einem Zuge beendigen. Es soll meine Gedanken über den guten alten Lehrer enthalten und in dieser Art diesen Blättern beigelegt werden. 30. April. Um Gottes Willen! Heute hatte ich beim Dekan zu thun, traf ihn jedoch nicht in seinem Bureau an. Als ich mich hinsetze, um einige Zeilen über den Zweck meines Besuches aufzuschreiben, erblicke ich auf seinem Tische offen ein Geschäftsstück überschrieben: „Antrag des Prof. Vâmbéry in Sachen der Remuneration (jutalom) desordentl. Honorarprofessors I.G .“ Also dahin ist es mit mir gekommen am Beginne des 26. Jahres meiner Wirksamkeit an hiesiger Hochschole? Offene Bettelei! statt regelrichtiger Anerkennung! Und obendrein das Fiasko, das bevorsteht. Das wird der Lügenderwisch prachtvoll inscenirt haben zu meiner grösseren Ehre. Ich bin wahrhaftig zu Tode erschrocken beim Anblick des fatalen Schriftstückes, das so für die Blicke aller. Studenten und Amtsdiener frei herumlagert. Nun wollen wir doch Zusehen, was sie damit machen und wie lange sie es sich überlegen. 1. Mai. In einem Traditionssatze, den Jaküt unter Hamma citirt, sagt der Prophet: Der Gelehrte ist wie eine Therme, von weiter Feme sucht man sie auf, die Nahen beachten sie nicht. Sie sprudelt aber W asser hervor. Die einen machen „es sich zu Nutze, andere werden es bitter bereuen (dass sie den Sprudel nicht benutzten)“ . Das ist ja ganz mein Fall! 2. Mai. Ich war bei dem grossen Lügenderwisch und habe von ihm so niederträchti­ ge Dinge über seine Art die unter dem 30. April erwähnte Angelegenheit 215

autzufassen, angehört, dass ich mich gezwungen fühlte, ihn brieflich (das Concept ist in seinem Correspondenzfasdkel aufzufinden) ihn unverweilt aufzufordem, seinen ohne mein Wissen bei der Facultät eingereichten perfiden Antrag zurückzuziehen. 4. Mai. Nachdem ich den gestrigen durch Aufregungen gestörten Tag damit zubringen musste, in grosser Eile und Dringlichkeit eine lange Bettelepistel an die Baronin Hirsch zu schreiben, in welcher die arme Gemeinde, die ihr Geld für Eitelkeiten verwendet, um eine Kleinigkeit für diese mit Humanität vergleisste Eitelkeit flennt, brachte mir heute früh der Präsident das am Schlüsse meiner Aufzeichnung vom 4. April verewigte „Concept“ der durch ihn zu haltenden Rede behufs „Verbesserung“ mit. Ich musste ihm noch einige Tellerleckereien für alle möglichen Staatssekretäre und Bürgermeister „hineinmachen“ . Er könnte - so sagte er - diese ganze Rede allein verfertigen, denn „an Worten fehlt e ihm nicht“ , aber er hat keine Zeit. Der „Galdzieher“ muss Zeit haben dafür, sonst wird er ja einfach fortgejagt. Inzwischen habe ich auch im Grossen und Ganzen den Rapport fertiggeschrieben, den ich gesonnen bin, im September dem Orientalistencongress in Paris in Angele­ genheit der Encyklopädie des Islam vorzutragen. 5. Mai. Ich schreibe eine Recension über das bibliographische Buch von Edward van Dyck’10, dem Sohn des Cornelius v. D., den ich eben vor 24 Jahren in Beirut kennen gelernt habe u. in dessen Hause ich verkehrte. Leider kann ich dem Sohn die Freundlichkeit des Vaters nicht vergelten. 6. Mai. Der Antrag Vémbéry war richtig auf die Tagesordnung der heutigen Facultätssitzung angesetzt, ist aber vor der Sitzung zurückgezogen worden. Näheres sagt sein Brief an mich vom heutigen Tage; der saubere Antrag liegt bei. Der Mann hat sich in den 32 Jahren, seitdem ich ihn kenne, nicht geändert!1 1. Juni. Von überall her sehr schmeichelhafte Äusserungen über meinen Heiligencultus im „Globus“3" und die Tribal-Dîwâns.312 Besonders Karabacek313 ist unter meine „Bewunderer“ gegangen. Es hätte nicht viel gefehlt, dass man mich ab aüsswärtiges Mitglied der Wiener Akademie gewählt hätte; es war 216

keine solche Stelle erledigt, v. Schmidt ist abgereist und damit ist die wunderbare Episode meiner Docentenlaufbahn, dass ich dies Jahr Schüler aus dem fernen Auslande hatte, zum Abschluss gekommen. Herrn Vâmbéry imponirt dies nicht. Es ist ja keine Lüge. Aber ein merkwürdiges Zeugnis war es dafür, was ich an einer anständigen Universität hätte leisten können! 3. Juni. „D er Docter Galdzieher mit seinen nerwehsen Karakter“ - dies Signale­ ment gab von mir heute der grosse Oberpräsident der hiesigen Juden, der seit seiner grossen Kinderspitalsrede sich für einen gewaltigen Gelehrten hält. 15. Juni. Die Firma Black in London dringt immer mehr in mich die neue Auflage von Robertson Smith’ Kinship zu besorgen. Ich werde mich wohl dazu verstehen, da ich jede Gelegenheit ergreifen muss, um mit anständigen Dingen in Zusammenhang zu bleiben. Dann freut es mich, einen Tribut der Pietät zu zollen dem Namen des heiligen Robertson Smith.114 24. Juni.

Ich habe ein „Concept“ machen müssen; eine Eingabe an die Stadtbehörde um Vermehrung der Subvention der jüdischen Gemeinde. Da man mir keine Vernunft zutraut, hat man das „Concept“ dem grössten Philosophen der Gemeindevorsteher des Namens Martin Schweiger zur Prüfung übergeben. Er möge mein „Concept“ einigen Handlungscommis und Buchhaltern zeigen, ob sie nichts dagegen einzuwenden haben. 25. Juni. Heute brachte mir der Philosoph Schw. mein „Concept“ damit zurück, dass er es nicht lesen könne. Meine Schrift habe sich noch nicht gebessert. Ich musste ihm daher das Werk vorlesen. Nach Ausbesserung einiger Fehler hat er es dann approbirt. 12. Juli. Mit meiner ganzen Familie Budapest verlassen um die Sommerferien in Aflenz (Steiermark) zuzubringen, wo wir bis zum 25. August verbleiben. Hier war ich unmittelbarer Augenzeuge der Kärmän-Tragödie, die zu den ergreifendsten Erfahrungen meines Lebens gehört. Einleitung zu Abû Hätim geschrieben1'5; einen ungarischen Essay über Gunkel’s Schöpfung und Chaos für Bpesti Szemle.11* Am 25. August über 217

Zürich (wo ich übernachtete) und Delle nach Paris, wo ich am 28. Früh eintraf und von den Freunden Kautzsch und Budde117 erwartet wurde. In ihrer Gesellschaft besichtigte ich nach 13 Jahren wiedereinmal die Sehenswürdig* keiten der Seinestadt, Sammlungen und Kirchen. Wir lebten in grosser Gemüthlichkeit im Hotel du Montblanc, wo auch andere Freunde, Pischel,11* Novack11*, Brönnle110, Holzinger321 u. A. eintrafen. Auch Frau Nehama war in Paris eingetroffen und erneuerte ihre Freundschaft. Am S. begann der Orientalistencongress und setzte die Ernennung einer internationalen Com­ mission durch, in deren Mitte ich mit dem Amt eines directeur général ausgezeichnet wurde. Der werthvollste Ertrag dieses Congresses war für mich die Begegnung mit alten Freunden und die Bekanntschaft mit Genossen, die ich bisher persönlich nicht gekannt hatte. Ich durfte an der Auszeichnung und den Beweisen warmer Freundschaft und Werthschätzung, die mir von den besten Männern unserer Wissenschaft zutheil wurde, wieder zum Bewusstsein dessen kommen, dass ich im Grunde nicht mit dem Zollstock der Pester „Vorsteher“ zu messen sei. Am 13. September Abends verliess ich Paris in Gesellschaft von Budde und Holzinger und brachte den 14. Sept, in Strassburg zu, wo mich die Freundschaft Nöldekes, mit dem ich fast den vollen Tag zubrachte, glücklich machte. Nach kurzem Aufenthalt in Wien bin ich am 17. Sept, in Budapest wieder angekommen.

1898. 17. April. Fast ein volles Jahr haben diese Aufzeichnungen ungestörter Ruhe gepflegt. Es ist mir unwillkürlich der Gedanke gekommen, dass die Weiterfüh­ rung derselben nunmehr keinen Zweck habe. Meine Kinder haben ja die geistige Reife erlangt, um die Ereignisse meines Lebens selbständig beobach­ ten und beurtheilen zu können. Diese Blätter sind aber zunächst für sie geschrieben, mit der Absicht, sie über meine Bestrebungen und Kämpfe zu belehren, ihnen ein unverfälschtes Bild von den Freuden und Leiden, den inneren und äusseren Krisen ihres Vaters zu bieten. Die Freude gjebt mir wieder die Feder in die Hand. Heute hat die Feier der Verlobung meiner Nichte Aranka mit dem würdigen jungen Gelehrten Dr. Alexander Büchler1” , Rabbiner in Keszthely, Bewegung und Festesstimmung in unser Haus gebracht. Es ist ein Ereignis, dessen wir uns glücklich schätzen und uns Ersatz bietet für manches Leid und manche Betrübnis. Das abgelaufene Jahr verfloss im Stile aller vorhergehenden. Viel Ehre, viel Verdruss. Erstere kam von aussen, letzterer von dorther, was ich als „von 218

innen“ bezeichnen muss. Ich gehe über das letztere nun mit Stillschweigen hinweg, soweit es die Einzelheiten betrifft. Nur ganz allgemein will ich eine Schlusssumme dessen was sich aus den Einzelheiten ergiebt als „bulletin d’année“ hierhersetzen. Niederträchtigkeiten von Seiten der „Führer der Landesjudenheit“ . „Gemeinheiten von Seiten der Suffeten dieser engeren Gemeinde“ , deren alleroberstes Oberhaupt sich erst vor ein paar Tagen in Anwesenheit des Immanuel Löw, gegenüber einer das Judenthum betreffen­ den bescheidenen Bemerkung zu der von einer unnachahmlichen Grimasse begleiteten Sentenz verstieg: „Was hab’ ich davon, was Sie sagen!“ Das „Sie“ bin nämlich „ich". Aber warum mache ich auch „bescheidene Bemer­ kungen“ ? Ein Wort, das ich vor einigen Tagen in ein Stammbuch schrieb, ist aus der durch solche Gemeinheit erzeugten Stimmung hervorgetreten: „Man kann uns demüthigen, aber man kann uns nicht erniedrigen“ . Apage! Die Sommerferien in Aflenz mit meiner Familie und dem bitterkranken Kärmän. Ende August Reise nach Paris zum Orientalistenkongress, wo ich himmlische Tage mit Kautzsch, Budde, Holzinger, de Goeje, Bevan, Browne, Nowack, Barbier de Meynard u. A. m. verlebte. Von allen Seiten rührende Beweise zärtlicher Freundschaft und aufrichtiger Achtung. Auf der Rückreise ein herrlicher Tag in Strassburg bei Nöldeke. Darüber müsste ich viele Bogen vollschreiben, wenn ich die empfangenen Eindrücke und genossenen Erfah­ rungen hier festhalten wollte. In meiner Seele wird alles in unvergänglicher Frische leben und nachwirken. Den bösen Winter unterbrach am 26. Dezember ein Telegramm Br. v. Ro­ sen’s aus St. Petersburg, welches mir die Nachricht brachte, dass mich die kais. Akademie der Wissenschaften in St. P. einstimmig zum auswärtigen Mitglied erwählte. W er’s nicht glauben will, kann das prachtvolle Diplom beschauen, das mir die Akademie vor einigen Tagen erst über diese Wahl zusandte. Diese hohe Auszeichnung und Anerkennung hat mir von allen Seiten Beglückwünschungen verursacht. Meine Freunde hier haben das „Ereignis“ mit einem mir zu Ehren veranstalteten Bankett gefeiert. Nur von meinen Glaubensgenossen wurde ich in ostentaviver Weise mit beredten „Achselzucken“ ausgezeichnet. „Was hab’ ich davon, was ... die ausländi­ schen hohen Körperschaften von Ihnen denken, von der Achtung, die sie Ihnen beweisen, der Anerkennung, die sie Ihnen zollen, ... so lange der 219

„Tenczer“ es nicht mitunterschieibt, ist alles dies eine Schuhwichse werth.“ Und der „Tenczer“ hat es wirklich nicht mitunterschrieben. Der „Tenczer“ verachtet eine Körperschaft, die den Goldziher anerkennt und rümpft die Nase über ein Diplom, das der russische Grossfürst Konstantin unterschrie­ ben. Als Patriot und Demokrat muss er dies thun. Wo keine „Provisionen“ zu holen sind,' ist allen diesen Leuten verächtliches Zeug: Hoch mögen sie leben! Inzwischen ist auch „Abhandlungen II.“ unter die Presse gekommen.}U Die ung. Akademie hat eine Subvention von 300 fl. bewilligt. Die bereits längst fertige Einleitung wird inzwischen durch neue Materialien immerfort ergänzt. Ein anderes litterarisches Unternehmen, dem ich näher treten musste, ist die Allgemeine Litteraturgeschichte der Franldin-Gesellschaft'. Ich habe die Redaktion des orientalischen Theiles übernommen; die Arabische Litteratur mache ich selbst”4und denke dieselbe im Sommer fertig zu bringen. Aufforderung von Reuther in Berlin, mich an einer geplanten Arab. Littera­ turgeschichte zu betheiligen. Vorläufig ablehnende Antwort.

1899. 10. September. Eines der sonderbarsten Begegnisse erheischt es, den ununterbrochenen Faden dieser Aufzeichnungen wieder aufzunehmen. Am ung. Rabbinersemi­ nare finden jetzt Verhandlungen über die Ersetzung des im Sommer verstorbenen David Kaufmann statt. Fast selbstverständlich ist es, dass der Lehrkörper dieser Tugendstätte keinen anderen Vorschlag machen werde, als dass das „Geld", das K. für sein Lehramt bezog, jetzt zwischen den Puritanern Bacher und Blau1” aufgetheilt werde. Blau solle Homiletik und Religionsphi­ losophie vortragen. Ich bekomme als Mitglied des leitenden Comités stets Einladungen zu den Sitzungen in welchen die Vorschläge des wackern Rebach (Anagramm von „Bacher“ ) Ritter sanktionirt werden sollten. Um nun in keiner Weise Mitthäter an diesen säubern Machenschaften zu sein, habe ich die Einladungen von seiten des Präsidiums nicht eröffnet; meine unwillkür­ liche Kenntnis von ihrem Inhalte gründet sich auf mündliche von mir nicht hervorgerufene Mittheilungen. Auch dies weiss ich nicht, wer es war, der die Ignoranten vom leitenden Comité auf die skandalöse Natur der Vorlage aufmerksam machte, zu dessen Sanktionirung sie die Mitglieder für den 11. zu einer Sitzung einberufen haben. Genug, vor Thorsperre scheint sich doch etwas in ihrem Gewissen geregt zu haben. Denn hört und staunet, sperrt den Mund weit auf und habet nicht den Muth, euch vor lauter Verwunderung zu 220

fassen! Heute Mittag sucht mich Dr. Kayserling12* auf und theilt mir mit, er habe die Mission vom Präsidium übernommen, mich zu bewegen, „einige Stunden im Seminar zu übernehmen“ im Interesse der „Sache“ . (D.h. das Seminar ist auf dem Hund, nun kriecht man vor dir zu Kreuz.) Er sprach auch vom „Glanz“ , den mein Name der Anstalt verleihen würde (!), sowie auch davon, dass es der Wunsch des greisen ehrwürdigen M. Bloch127sei, dass ich an dem Unterrichtswerk der Anstalt theilnehme. Nach 22 Jahren Verhöhnung, Verläumdung, Verlästerung, gemeinen Niederträchtigkeiten, die man gegen mich ins Werk gesetzt. Mit dem Namen, der trotz ihrer Gemeinheiten nicht verdüstert werden konnte, wollen sie jetzt Parade machen. Nach 22-jähriger Beschimpfung haben sie endlich jetzt, nachdem sie nicht umhin können, ihre Bettelarmseligkeit einzugestehen, sich auf mich als - Paradepferd besonnen. Anfangs erschien es mir unmöglich, auf die Sache auch nur im Prinzip einzugehen. Dr. Kayserlings Hinweis darauf, dass ich es der Konfession schulde, die Sache jetzt nicht im Stiche zu lassen und eine weitere Erwägung, stimmten mich um. Ich habe durch mehr als zwei Jahrzehnte auf den bösen Geist hingewiesen, den gewissenlose Leute in dieser heiligen Angelegenheit heimisch gemacht haben. Nun will man mir ein Eckchen bieten, an welchem ich thätig eingreifen könnte. Statt hoffnungsloser Opposition von aussen, könnte man an den Aufbau von innen schreiten, den frivolen Geist der Rebach (Anagramm)-Leute besiegen. Und die Jugend ist ja nicht mitschuldig an der Verderbnis der Verhältnisse. Das wuchernde Cliquenwesen könnte ja vielleicht gesprengt werden durch die Dazwischenkunft eines Menschen, dessen Abscheu vor dieser Wirtschaft vielleicht vorbildlich würde für andere? Nach mannigfachem Zaudern habe ich denn den Dr. K. ermächtigt, in meinem Namen zu erklären, dass ich im Prinzip nicht abgeneigt bin, nach Massgabe meiner verfügbaren Zeit mitzuthun, aber nur unter der Bedingung, dass der Lehrkörper beim Comité darum ansuche, dass man mit mir in Unterhandlung trete und dass eine an mich zu richtende Aufforderung auf Grundlage dieses Ansuchens des Lehrkörpers erlassen werde. So steht die Sache von meiner Seite. Am Ende erlebe ich es noch, jüdisch theologischer Lehrer zu werden in meinem 49. Lebensjahre, mit grauen Haaren. NU admirari! 18. September. Ich habe eben heute erfahren, dass der „Lehrkörper“ nicht eingewilligt hat; sie wollen das „Geld“ unter einander auftheilen. „Rebach“ und Blau erklärten, keinen anderen Modus als zweckdienlich anzuerkennen, als wenn 221

sie beide sich in die „dépouilles“ des armen Kaufmann theilen. Die „Kommission“ hat dies mit Akklamation angenommen. Das „Präsidium“ hat sich damit einverstanden erklärt. 19. September. Als ich heute über Andrängen christlicher Freunde das gemeine Oberhaupt meiner Confession wegen seines perfiden Vorgehens zur Rechenschaft zog, verwickelte er sich in ein Labyrint von Lügen und Niederträchtigkeiten. Er gieng so weit, zu behaupten, er habe dem Dr. K. gar keinen Auftrag zur Unterhandlung mit mir gegeben, eine Behauptung, von der ich noch am selben Tage feststellen konnte, dass sie eine gemeine Lüge sei. 24. September. Ich habe nun immer mehr Beweise von der ruchlosen Verlogenheit der Subjecte erhalten, die an der Spitze der jüdischen Atheistensekte stehen, die hier in Ungarn das moderne Judenthum (!) darstellen wollen. Pfui über die Verbrecherbrut! Morgen 25. um 7 Uhr früh trete ich in Begleitung meines Weibes unsere italienische Reise an. Am 26. Mittag athmen wir unter römischem Himmel. Auf klassischem Boden werde ich doch die Niederträchtigkeiten vergessen, die in den letzten Tagen gegen mich gespielt haben. 3. November. Zwischen meiner letzten Aufzeichnung und dem heutigen Tage liegt unsere Reise nach Italien (25. September-24. October). Der Orientalistencongress, wo ich die Regierung, Universität und Akademie zu vertreten hatte, war ein guter Vorwand in ein Seelenbad zu tauchen und einen alten Wunsch, mit meiner Frau das sonnige Land zu sehen, endlich zu erfüllen. Es war ein herrlicher Monat, den ich im Verein mit meinen besten Freunden in Rom (hier allein drei volle Wochen), Florenz, Bologna, Venedig verlebte. Auch der Ehren kam mir die Fülle ungesucht entgegen. Meine Frau konnte mit Freuden sehen, wie werth ich den besten Männern aller Länder bin und wie ich allenthalben geehrt und gefeiert ward. Gott sei Dank dafür, dass die Gemeinheit wenigstens in diese Beziehungen meines Lebens ihren Schat­ ten nicht geworfen. Ewig denkwürdig bleibt die freundschaftliche Gemein­ schaft mit Kautzsch, Budde, Nowack, Kuhn, Holzinger u. Anderen in der lieblichen Deutschen Privatwohnung in Rom, Via Sistina 42. Tag für Tag waren es Feste der Freundschaft und Achtung, die wir erlebten. Und gerade zeitgerecht für diese Epoche meines Lebens. Denn ich läugne es nicht, auf meinen Gängen durch alle hehre Denkmale der Kunst, in Museen und 222

erhabenen Kirchen, immer gieng mir das, was ich in den letzten Tagen von meinen Glaubensgenossen in Budapest erlebt habe, auf den Fersen nach. Ich kam darauf, die Schlussbilanz zu ziehen meiner Stellung unter ihnen während langer 25 Jahre und des Verfahrens, das sie mir gegenüber eingeschlagen haben. Hätte ich meiner Confession die grösste Schande gebracht, dies Verfahren wäre auch in diesem Falle die erbärmlichste Schamlosigkeit. Sie haben gestrebt mich zu verdrängen, zu verkleinern, und als dies trotz meines passiven, bei Gott! doch nicht reklamatorischen Benehmens nicht gelang, begaben sie sich auf das Gebiet der Verdächtigung und Verläumdung - und alles dies nur deshalb, weil ich mich nicht vor den Wagen einer Sekte spannen wollte, deren Gottlosigkeit und Niederträchtigkeit ich erkennen musste, sobald ich nur die ersten Tage in ihrem Dunstkreis trat. Sie hätten mir Geld und Ehren gegeben, wenn ich mich nicht für zu gut gehalten hätte, ihretwegen meinem Bar-Mizwah-Tage untreu zu werden. Darum verhöhnen sie mich seit einem viertel Jahrhundert und suchen mich mit Hülfe ihrer erbärmlichen Schergen in den Staub zu zerren. Und jetzt haben sie mich, der ich ihnen einen Rest von gutem Glauben zumuthete, in eine Falle gelockt, um meine arge Täuschung für ihr Verläumderhandwerk auszubeuten. Sr. Ehrwürden Herr Doctor Samuel Kohn wird diese Rotte natürlich bis zum letzten Athemzuge vertheidigen; er ist ja der geistliche Beschwichtigungsrath dieser gottverwor­ fenen Secte - und Reverend Rebach, der hat nur den einen Lebenszweck, schriftstellerisch zu diarrhoeiren und Geld in die Taschen zu stecken, viel skribeln und viel Qeld machen. Der ist ihr Idealist! Dies alles wäre ja gut und gleichgültig, wenn mir die Dinge nicht eben jetzt, wo die Schändlichkeiten dieser Secte gegen mich ihr 25-jähriges Jubileum begehen, mich so viel denken liessen. Es ist nicht zu läugnen, nicht der allerletzte Fall, sondern die Nöthigung, die besten Jahre meines Lebens bei diesem Anlasse zu überblikken, hat meiner Seele einen wirklichen Schock versetzt. Meine Seele ist gelähmt, ich kann seither meine lieben Arbeiten nicht wieder aufnehmen. Was wird aber aus mir, wenn mir diese Quelle des Trostes versiegt? Aus ihr habe ich getrunken, und mich gestärkt die ganzen 25 Jahre, indem ich der Niederträchtigkeiten dieser Leute mit Verachtung begegnete. Nun fürchte ich, sie haben ihren Zweck erreicht. Sie haben mich besiegt! Péterfy Jenô hat sich auf dem Wege von Fiume nach Karlsstadt in einem Eisenbahncoupé erschossen! Gestern sind seine Freunde und ich mit ihnen nach dem Schreckensorte geeilt, heute Früh haben wir den unglücklichen Freund zur Ruhe gebettet. Ich musste bei offenem Grabe ihren Schmerz zum Ausdruck bringen. Der arme brave Mann! Er hat den Widerspruch seines reinen Wesens gegen die rauhe trübe Welt in dieser brüsken Weise gelöst. Der erste Schmerz, 223

den mir dieser wahre Mensch verursacht hat. Nun bin ich wieder um einen Schatz ärmer. Innerhalb eines halben Jahres Kaufmann dahin, Péterfy dahin. Und Kärmän! Führwahr ich werde bald zum Bettler! Ich bin es schon. In fernen Ländern sind, die mich lieben. Alles umher hasst mich und auch ich hasse das Gezücht, das mich umgiebt. Die Wahren sterben, die Lügenleute bleiben hier. Es giebt nur noch eines für mich: in der Familie alles suchen, was noch Glück und Befriedigung gewährt, und sich am Andenken hingeraffter Freunde laben. 8. November. Heute hat mich Dr. Eduard Neumann32* aus N. Kanizsa besucht, der hier eine Vorlesung in dem sogen. Jüd. Litteraturverein gehalten hat. Er erzählte mir, dass er den Arrangeuren dieser Farce eine Vorlesung über Abraham Geiger und eine andere über Nietzsche angeboten habe. Die Arrangeure der Farce lehnten die Geigervorlesung ab und entschieden sich für Nietzsche. Eine saubere Jüd. Litteraturgesellschaft! Sylvesterabend 1899. Der Abend lädt zu Betrachtungen über das abgelaufene Jahr ein. Es sollte nicht schliessen, ohne mir eine werthvolle Anerkennung zu bringen. Theodor Mommsen22* schickte mir in der Weihnachtswoche sein neues Werk, „Römi­ sches Strafrecht“ , mit einem sehr schmeichelhaften Briefe, in dem er mich ersucht, die muslimischen Daten zu einer vergleichenden Betrachtung der hauptsächlichsten Gesichtspunkte des Strafrechtes zu liefern. Ich habe in diesem Augenblick diese Arbeit auch bereits zu Ende geführt. Also Theodor Mommsen pro ... Martin Schweiger contra! Dies die moralische Bilanz des Jahres 1899. Meine Frau und ich haben Italien gesehen und genossen. Dies als KriÜpa 9 */

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Meine Abhandlungen II sind erschienen und wurden allenthalben, bisher öffentlich von Barbier de Meynard (Revue Critique), de Goeje (dasbst.), Nöldeke (WZKM), Hartmann (OLZ) sehr gütig beurtheilt worden. Auch andere kleine Dinge sind in diesem Jahre veröffentlicht, andere geschrieben worden. Alte Freundschaftsverhältnisse sind befestigt worden, die Achtung der Menschen ist mir, wie ich es in Rom gesehen und erfahren, in grossem Masse erhalten geblieben. Aber das Verhängnis hat mir auch harte Verluste beschieden: Kaufmann, Péterfy! Die beiden Namen wühlen in meiner Seele. Ihr seid mir unersetzlich! Nun vorwärts ewiger Jude ins neue Jahrhundert! Mit Gott! Theodor Mommsen - pro; Martin Schweiger - contra! El-hamdu lillih! 224

1900. 21. Januar. Wieder unter vielen Menschen etwas von den Eitelkeiten der grossen Erdensöhne gesehen. Heute Abends erschien ich infolge einer europäisch gearteten Einladung bei einer vom Buchhändler Rêvai110 veranstalteten Soirée. Es waren auch einige Excellenzen da. Kegyelmes uram” ' - rechts. Kegyelmes uram, links: welches Glück für eine jüdische Hausfrau. Ein armer Teufel, wie ich wird eingeladen, um für diese hohe Auszeichnung der jüdischen Hausfrau einer von hundert lebendigen Zeugen zu sein. 25. Januar. Herr Kunos”1 und Munkäcsi (!!) sind in Begleitung einer klingenden Subvention vom Ministerium beauftragt, eine „Orientalische ZeitschriftAber was scheren mich ihre Götter! Es sind gute gasttreue Leute. Die „Rabbinerin“ hat mich besonders ins Herz geschlossen. Sie machte mit mir heute eine Runde 254

durch Aberdeen, zeigte mir den ganz einzigen Fish-market, geleitete mich zum Vice-Chancellor, dem ich mich vorstellte und mündete mit mir endlich bei den Golf-Plätzen aus, wo ich dies edle Spiel mitmachen musste. Welch göttlicher Blick auf die See! Abends dinierte ich bei dem Professor der Anatomie, Dr. Reid in Gesellschaft eines Sir... Evans, Director des Ashmolean Museums, des Vaters des berühmten Kreta-Erforschers. Die Leute interessieren sich sehr für mich und ich bin bald der redende Mittelpunkt der Gesellschaft. 25. Nun sind die Festlichkeiten, kirchlich und akademisch angegangen. Alles Nähere in meinem Aberdeen-Fascikel. Dr. Kiss hat eine sehr beifällig aufgenommene lateinische Rede gehalten. Ihr Interesse lag lediglich in der Sprache; der Inhalt war flach-pfäffisch. Unsere Budapester Universität - sagt er - hat dasselbe Ziel, wie die Aberdonensis. Initium sapientiae timor Domini.410Vereinigung von Religion und Wissenschaft. Beide sind katholisch­ päpstliche Gründungen u.dgl. mehr. Es war fatal, dass wir unter den Klängen des „Gott erhalte“ zugleich mit den Oesterreichem auf die Tribüne traten. Was habe ich alles darüber korrespondiert, dass wir von Oesterreich getrennt auftreten! Das Resultat war ein „and“ zwischen Austria und Hungary. Aber Dr. Kiss hatte noch andere Schmerzen. Der päpstliche Vertreter figuriert unter Italy. Überall Verletzung des Staats- und Kirchenrechts. 26. Feierliche Promotion des Judenjungen aus Stuhlwb. zum L.L.D . Alle Details dieser und der andern Festlichkeiten in meinem Aberdeen-Fascikel. Wie wohlig ist mir, in dem gown mit dem hoot und dem cap durch die Strassen zu schlendern, und in diesem Aufzug die offiziellen functions (auch eine Menge Bankette) durchzumachen! 28. Freitag habe ich Aberdeen verlassen, zur Eisenbahn gebracht durch alle McClymonts und die Edinburgher Petersons, die meine Mitgäste im Hause waren. Ich bin hierher nach Edinburgh gekommen, um den Jomkippur hier nach meiner Art zu weihen; ich schreibe am Ausgang des schweren Tages. Bereits am Abend ging ich nach der Graham-Street-Synagoge zum Kol-Nidre und auch während des Vormittags nahm ich an dem lärmenden, profanen Treiben, das ihnen den Opferdienst des Hohenpriesters darstellen soll, soviel Antheil, als mir meine Seele erlaubte. Die Zwischenstunden füllte ich mit der Besichtigung der herrlichen Stadt aus, widmete ich in meinem Kämmerchen 255

beschaulicher Andacht, bis ich am Abend des Leibes Notdurft stillen durfte, was ich in Gemeinschaft des minder hungrigen Prof. Deissmann that.

1907. Februar 3. Durch sehr ernste Erfahrungen mit den Schülern der Rabbinerschule veranlasst, schrieb ich mit einiger Selbstüberwindung an Rebach und ersuchte ihn um eine Zusammenkunft zur Besprechung der obwaltenden übelstände. Dieser antwortet mir in Schröder Weise, dass er jede Begegnung mit mir ablehnt. Der ist an andern Verkehr gewöhnt. Sein Wahlspruch ist: Heil dem Manne der nicht geht in den Rath der Gerechten und nur im Weg der Frevler steht. Habeat sjbi. April 8. Die Erfüllung meiner Klassenpräsidentsfunktion in der Akademie legt mir doch eine ernstliche Betrachtung nahe. Ich war heute in der Lage, dem reformierten Superintendenten Baksay*" alsord. Mitglied die Bcgrüssungsansprache zu halten. Der Judenjunge aus Stuhlweissenburg. der noch kaum den Kohner'schen Sklavenrock abgelegt und „Concepte “für diese Rotte gemacht - den Bischof der reformierten Kirche aus der akademischen Taufe gehoben. April 30. Bei Gelegenheit der Jahresversammlung unserer Akademie hat mich die erste Klasse einstimmig für den folgenden dreijährigen Cyklus wieder zum Präsidenten gewählt. Mai 5. In der feierlichen Jahressitzung hielt ich heute Mittags vor besonders vornehmem Publikum (auch ein erzherzögliches Paar war anwesend) meine Denkrede über meinen verewigten Freund Graf Géza Kuun.4U Ich hatte den Eindruck, dass die Rede allgemeinen Beifall fand. Mai 8. Ich erhalte herzerhebende Briefe von der verwittweten Gräfin Kuun und anderen Mitgliedern der Familie, in welchen mir unter Ausdrücken der Rührung und Erbauung für meine Rede gedankt wird. Es gereicht mir zur Befriedigung und Genugthuung, dass kompetente Leute, die nun diese Arbeit im Druck lesen konnten, voller Liebe sich über dieselbe aussprechen. 256

Mai 27.—Juni 2. war ich in Wien als Delegierter der Akademie zu der III. Generalversamm­ lung der Association des Académies. September 8. Wir rüsten uns zu der Neujahrsfeier; damit sind auch die Sommerferien so gut wie abgeschlossen. Wir hatten sie in unserer Villagiatur im Auwinkel zugebracht. Dankenden Sinnes erhebe ich mein Auge zu dem Schenker aller Kraft des Körpers und Geistes, dass er wieder Arbeitsmuth in meine Seele geträufelt. Ich habe im Sommer wieder arbeiten können. Am 22. Juni konnte ich meine American Lectures bis zum letzten Schlusspunkt abschliessen: sechs inhaltsreiche Kapitel, in denen ich die Entwicklungsgeschichte des Islam erschöpfend behandelt habe.411 Dann wandte ich mich zu anderen Produktio­ nen, die in der nächsten Zeit in den Fachjoumalen erscheinen werden. Dabei erledigte ich einige Restanzen meiner Lektüre. Und dass ich wieder arbeiten konnte, dafür danke ich Dir, mein lieber Gott. Aber auch einige trübe Gewissheiten sind mir während dieses Sommers geworden. Durch einen ausländischen Besucher konnte ich in Erfahrung bringen, dass die Bacher’sche Bande alle Ghettos der Welt mit der Verunglimpfung meiner Ehre, mit Verläumdungen und niedrigen Lügen speist, wodurch ich mindestens in den Augen der Glaubensgenossen zum Gegenstand der Verachtung werden möge. Die niederträchtigste Lüge, dass ich in der Akademie gegen den Talmud gesprochen habe (um dem Rev. Bacher die Erwählung zu vereiteln), wird in alle Weltgegenden propagiert. Dann: ich habe einen Direktor, den die Regierung wegen antisemitischen Verhaltens von seinem Amte abgesetzt habe, in unserem Hause mit einem Gastmahle fêtiertü! Selbst die unter Februar 3. d. J. erzählte Thatsache wird zu meinem Nachtheil in verlogener Weise verdreht und durch männliche und weibliche Schnorrer werden wahre Räubergeschichten über mich in die Welt gesandt. Sie kommen über Berlin und Paris an meine Ohren zurück. Inzwischen ist mein Ma'äni al-nafs im Juli erschienen. Die Cambridger Universitätsautoritäten erwidern in herzlichen Zuschriften die in der Dedica­ tion kundgegebene Erinnerung an Cambridge und die glorreichen Tage, Mai 1904. 7. Dezember. Heute haben meine Budapester G laubensgen o ssen ihren Repräsentan­ tenkörper gewählt. In den Wählerlisten lassen sie mich mit dem Attribut „pens. Gemeindesekretär” figurieren. Dies soll eine Art „Hepp-Hepp!“ sein, das sie mir nachrufen. Unter allen meinen Titeln giebt es nur diesen einen, der 17

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widerlich und hässlich ist, ein Inbegriff aller bösen Erinnerungen meines Lebens. Diesen Titel geben sie mir in ihren offiziellen Listen. Für ihr Niveau giebt es wohl nichts bezeichnenderes als die Thatsache, dass sie bei der Wahl ihrer Krethies und Plethies auf die dreissigjährigen Erfahrungen ihres ehemaligen Stiefelknechtes nicht reflektieren. 9. Dezember. Heute geht die Botschaft vom Tode König Oskars von Schweden durch die Zeitungen. Dahin ist nun die eherne Schlange, auf die ich durch viele Jahre geblickt, wenn mich die Bisse der Bösen verwunden und vergiften wollten. Ich habe meine Seele genährt von dem Andenken an den huldvollen Blick, dessen mich diese edle Majestät einst gewürdigt hatte. Und wie in einer Quelle des Trostes badete ich meinen Geist in dieser Erinnerung. Was hat mir dieser Gedanke in den letzten 19 Jahren wohlgethan! Jetzt ist die Eiche gefällt, aber das Andenken des grossen und edeln Fürsten wird mich bis zu meinem letzten Athemzug erfüllen. 13. Dezember. Nach vorangehendem Briefwechsel mit Krcsmarik414 in Sarajevo hatte ich heute eine Besprechung mit Thallöczy413, Sektionschef im gemeinsamen Finanzministerium, in der mir der formelle Antrag gestellt wurde, für die zwei Oberklassen der Gymnasien in Bosnien ein Lehrbuch der Arabischen Litteraturgeschichte, circa 10-12 Druckbogen zu schreiben.414 Ich halte den Antrag, der mir im Namen des Ministers v. Bunan (meines Jugendfreundes) gestellt wurde, für sehr ehrenhaft, und habe ihn angenommen.

1908. 2. April. Successive erhalte ich die englischen Übersetzungen meiner Lectures. Elende Arbeit, besonders die ich durch Vermittlung Yahudas aus Berlin erhalten habe. Überdies bin ich ja wieder ernstlich krank und ich kann mich Aufregungen und Anstrengungen nicht aussetzen, sondern in meinem gewöhnlichen Gleise arbeiten. Ich erwäge nun, ob es nicht im Interesse meiner Gesundheit läge, den Amerika-Plan nun gleichsam in letzter Stunde noch abzusagen. Die Vergleichung der englischen Pfuscharbeit mit meinem, sowohl an Form als auch an Inhalt wohlgelungenem Original macht mir entsetzliche Aufregung, die ich stabilisiere, wenn ich in dieser Collationierung fortfahre. 258

Dazu fehlt mir jetzt die Kraft. Es thut mir das Herz weh, wenn ich die Verhunzung meiner schönen Arbeit so von Zeile zu Zeile konstatiere. Wie kann ich nun dies in Ordnung bringen? 6.-7. April. Besuch von Bezold aus Heidelberg mit Frau bei uns. 23. April. Eine ganze Woche war ich ins Bett geworfen durch schwere Krankheit. So brachte ich die jüdischen Osterfeiertage zu. Heute hat meine Frau nach Amerika meine definitive Absage mitgetheilt. Besuch meines Freundes Karl Budde bei uns, dem ich die Schönheiten unserer Stadt und die Spitzen unserer Wissenschaft zeigte. Er hat am Montag Abend mit mir an unserem akademischen Abendessen theilgenommen. 10. Mai. Seit 6. d. M. haben wir die Sommerfrische im Auwinkel bezogen. Gleich in den ersten Tagen erhielt ich die Verständigung der Amsterdamer K. Akade­ mie der Wissenschaften, dass mich diese gelehrte Körperschaft in ihrer Generalversammlung vom 13. April zum Mitglied erwählt hat. Nach gesche­ hener Bestätigung durch die Königin ist mir ein förmliches Diplom zugestellt worden. 15. Juni. Heute habe ich in Stellvertretung Sr. Excellenz v. Berzeviczy der Gesammtsitzung der Akademie präsidiert. 20. Juni. Während ich in unserer Sommerfrische meinen Studien ruhig nachhänge, wird mir wieder von unseren theueren neologen Glaubensgenossen eine Ohrfeige versetzt. Ich hatte um Dispens von meinen Seminarvorträgen für die Dauer meiner Abwesenheit in Amerika angesucht. Dies alles geht durchs Ministerium. Dem hat nun der „Lehrkörper“ den Vorschlag gemacht, dass - ohne mein Wissen und Befragen - für die Monate September-Januar (einschliesslich) ein Stellvertreter in Person des Neupester Rabbi Dr. Venetianer417 bestellt werde, dass ferner meine Bezüge für diese Zeit eingestellt und dem genannten stellvertretenden Herrn zugeführt werden. Davon ist auch bereits das Zahlamt verständigt worden - alles durch das Ministerium. Das saubere „Lehrerkollegium“, Rev. Rebach an der Spitze, 17*

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wollte durch diesen Akt meine Aequivalenz mit einem beliebigen Käs-Rabbiner dokumentieren. Niemand, der das betreffende Schriftstück gelesen, hat ihm eine andere Censur als das Attribut der Niederträchtigkeit zugebilligt. Wenn ich nun unter solchen Umständen dennoch an jener Stelle verbleibe, so geschieht dies aus dem einzigen Grunde, weil mir meine Freunde rathen. mich durch Intrigen nicht aus einem Wirkungskreis drängen zu lassen, in dem ich grossen Nutzen stifte und einiges vom Schaden paralysiere, den das neologe Gesindel anstiftet. Ich möge warten, bis es offen meine Entfernung betreiben wird, dann aber zum Heil der Gesammtheit in einer offiziellen Darlegung die Zustände rückhaltslos kennzeichnen und zur Kenntnis des Publikums" bringen. Ob ich dies letztere je thun werde? Inzwischen habe ich trübe und kranke Tage verlebt, durch Zustände in meiner Keszthelyer Familie, die meine ganze Thatkraft lähmen und mein Gemüth verdüstern. Wieder hat sich mir mein Bruder Dr. Kohn als der mir von Gott gesandte Schutzengel bewährt. Er hat das Verdienst »m uns. eine Katastrophe hintangehalten zu haben. .’ V. Juli.

Vorbereitungen für den Orientalistenkongress in Kopenhagen, an dem ich als Delegierter unserer Akademie erscheine. Für eine Sektionsvoriesung habe ich eine Abhandlung ..Neuplatonische und gnostische Elemente im alten Hadith"41* ausgearbeitet. In den letzten Wochen habe ich die .Anmerkungen zum deutschen Text der ..Lectures“ ausgearbeitet für den Fall, dass sie ..ungehalten“ im Druck erscheinen sollten. M). Juli.

Heute Abends hatten wir den Besuch des Max Herz-Be y aus Kairo. Wahrend einer Woche des zu Ende gehenden Monates hatte ich wieder Korrespondenz mit dem grossen polnischen Hofrath Radham.“* Der hat nun seine Gegner, den todten Glaser und den lebendigen Horamel. als reuige Sünder zu seinen Füssen. Indem er mir ein darauf bezügliches Schriftstück übersendet, wirft er mir vor. dass ich mich häufig ..an die Seite seiner G egner“ gestellt habe und in einer späteren Mittheilung erklärt er diese Lüge dahin, dass ich die Stellungnahme „in Gedanken“ vollzogen habe. Der Inschnftenund Gedankenleser. Thatsache ist. dass ich seine „Gegner“ zuweilen beschwichtigt und gedämpft habe. Aber den eitlen Polak ärgert, dass ich nicht in die Ruhmesposaune gestossen habe, wenn er seine weiterschutternden Strophen- und Hammurabi-Entdeckungen in die Welt setzte und mich seinen Entdeckungen auch nicht einmal angeschlossen habe. Zugleich denunziert mich der /

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6. Brief von Goldziher an Bacher (Seite 1)

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