Tagebuch von Wetti Teuschl (1870-1885)
 9783412212520, 9783412203207

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L’HOMME Archiv. Quellen zur Feministischen Geschichtswissenschaft Band 4 Herausgeberinnen: Caroline Arni, Basel; Gunda Barth-Scalmani, Innsbruck; Ingrid Bauer, Salzburg; Mineke Bosch, ­Groningen; ­Sibylle Brändli Blumenbach, Basel; Susanna Burghartz, Basel; Božena Chołuj, Warschau; Krassimira Daskalova, Sofia; Ute Gerhard, Frankfurt a. M.; Hanna Hacker, Wien; Christa Hämmerle, Wien; Hana Havelková, Prag; Ulrike Krampl, Tours; Margareth Lanzinger, Wien; Sandra Maß, Freiburg; Edith Saurer, Wien; Regina Schulte, Bochum; Gabriela Signori, Konstanz; Claudia Ulbrich, Berlin.

Nikola Langreiter (Hg.)

Tagebuch von Wetti Teuschl (1870–1885)

2010 Böhlau Verlag Köln · Weimar · Wien

Gedruckt mit Unterstützung durch das österreichische Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung, das Bundeskanzleramt, Fachreferat II, Frauenprojektförderung, die Universität Wien im Rahmen der Forschungsplattform „Neuverortung der Frauen- und Geschlechtergeschichte im veränderten europäischen Kontext“

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. Umschlagabbildung: Montage aus dem Schriftbild von Wetti Teuschls Tagebuch und ihrem Porträt

© 2010 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau.de Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Satz: Kniesche Mediendesign, Tönisvorst Druck und Bindung: Strauss GmbH, Mörlenbach Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-412-20320-7

Inhalt

1 Wetti Teuschls Tagebuch – einige Vorbemerkungen .................................

7

Zum Tagebuch als Objekt ......................................................................... 8 Zu dieser Edition........................................................................................ 13

2 Edition ............................................................................................................. 19 Das Tagebuch . ..................................................................................................... 19 Journalistische Texte ............................................................................................. 129 Über die Erholungsbedürftigkeit der Frau ................................................. 129 Ein Kapitel über Nervosität ....................................................................... 131 Offener Sprechsaal. Wie weit kann und soll die Mutter auf ihre erwachsenen Kinder Einfluß nehmen ........................................................ 132 Was versteht man heute unter standesgemäßer Lebensführung? . ............... 134 Das Gedenkblatt .................................................................................................. 136 3 Wetti Teuschl/Barbara Baumgartner/Betti Gerstl – Zeittafel . ................... 141 4 Nachbemerkungen – Wetti Teuschls Tagebuch als kulturwissenschaftliches und historisches Material .................................... 151

Eine Frau – drei Namen, drei Geschichten ................................................ 151 Schreiben mit (Hinter-)Grund .................................................................. 155 Mit der Krise wirtschaften ......................................................................... 168 „Heimath“ – Orte, Dinge und Beziehungen . ............................................ 173 Eine Liebesheirat ....................................................................................... 179 Ausgeschrieben? . ....................................................................................... 190

Anhang ............................................................................................................... 195

Transkript des Ehekontrakts zwischen Barbara Teuschl und Johann Baumgartner ................................................................................. 195 Abschrift des Testaments von Barbara Gerstl ............................................. 199 Literatur .................................................................................................... 201 Personenregister . ....................................................................................... 209 Ortsregister ............................................................................................... 216

Wetti Teuschls Tagebuch

1 Wetti Teuschls Tagebuch – einige Vorbemerkungen

„Mit Gott!“ So begann die Bürgerstochter Wetti (Barbara) Teuschl am 2. April 1870 ihr Tagebuch. Sie war zu diesem Zeitpunkt 18 Jahre alt und lebte mit ihren Eltern in Krems, einer kleinen, damals florierenden Handelsstadt nicht weit von Wien. Die Schreiberin sollte dieses Buch 15 Jahre benützen, ihm ihre Sehnsüchte und Hoffnungen anvertrauen, ihre Zukunftspläne festhalten, Stoßgebete gegen den Himmel schicken und mehr und mehr ihre Sorgen, Ängste und Nöte darin niederlegen. Die Aufzeichnungen erstrecken sich nur auf einige wenige Jahre eines langen Lebens – die Verfasserin wurde 92 Jahre alt. Dennoch überliefern sie eine vielfältige und dynamische Geschichte. Davon möchte ich hier inhaltlich möglichst wenig vorwegnehmen – deshalb nur so viel: Das erste Drittel des Buches dreht sich vor allem um Freud und Leid einer Liebesgeschichte mit Hindernissen. Wetti Teuschl begehrte einen ihr nicht standesgemäßen Mann; er war nicht gerade der Wunschkandidat ihrer Eltern, und auch der Geliebte selbst zeigte sich phasenweise widerborstig. Schließlich setzte die junge Frau sich durch und heiratete ihn. Während der auf diese Zeit bezogene Teil ihres Diariums als typisches Jung-Mädchen-Tagebuch bezeichnet werden kann, begleitete der zweite Abschnitt den rapiden finanziellen und sozialen Abstieg des Ehepaares im Zuge einer allgemeinen und massiven Wirtschaftskrise. Wetti Teuschl, jetzt Baumgartner, war ihrem Ehemann nach Wien gefolgt, wo dieser sich selbständig gemacht hatte. Das Tagebuch dokumentiert, wie vehement und unermüdlich die Frau bestrebt war, sich den Ereignissen entgegenzustellen – nicht ausschließlich mit Frauen zeitgenössisch zugedachten Mitteln und Strategien. Im Folgenden soll die Materialität des Tagebuchs möglichst plastisch werden, um jene zahlreichen Informationsverluste, die im Zuge einer Quellenedition unvermeidlich sind,1 ein wenig aufzufangen. Danach zielt ein ‚technischer Teil‘ darauf ab, die konkrete Vorgangsweise eben dieser Edition transparent und nachvollziehbar zu machen. Daran schließt die Edition an. Ein Kommentar – in dem ich einige exemplarische Analysen und Interpretationsansätze vorstelle – wird dieser nachgeordnet, um nicht schon von vornherein Lesarten nahe zu legen. Das ‚Nachwort‘ funktioniert aber auch als eigenständiger Text, ohne den Editionsteil.

1 Nicht zuletzt wegen dieser – nicht vermeidbaren – Vereinfachung und Verkürzung bezeichnet der Germanist Arno Dusini das Tagebuch nach Béatrice Didier als ‚verwundbarsten Text’; vgl. Arno Dusini, Tagebuch. Möglichkeiten einer Gattung, München 2005, 49. Zur Vernachlässigung formaler Aspekte im Zuge geschichtswissenschaftlicher Forschung vgl. Edith Saurer, Auf der Suche nach dem Kontext, in: Oswald Panagl u. Ruth Wodak, Text und Kontext. Theoriemodelle und methodische Verfahren im transdisziplinären Vergleich, Würzburg 2004, 219–233, 222.

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Wetti Teuschls Tagebuch

Zum Tagebuch als Objekt

Das kleine Buch, das die Schreiberin auf der allerersten Seite so dezidiert zu ihrem Tagebuch erklärte, ist ein sehr schlichtes und einfaches – kein typisches, aufwändiges (Mädchen-)Tagebuch, wie sie bis heute im Handel sind, mit Prägedruck, Goldschnitt und dem obligaten Schlösschen.2 Im Jahr 1998 wurde eine Kopie von Wetti Teuschls Tagebuch der Sammlung Frauennachlässe an der Universität Wien zur Archivierung überlassen. Das Original blieb im Besitz des Urenkels der Schreiberin, Helmut Hörner. Nachträglich wurde das Tagebuch mit einem Aufkleber versehen und beschriftet,3 ebenfalls nachträglich in die Buchinnenseite ein kleines Portraitfoto der Schreiberin geklebt, das sie als ältere Frau – wahrscheinlich in den späten 1930er Jahren4 – zeigt. 182 Seiten sind zwischen einen mit dunkel marmoriertem Papier bezogenen Pappeinband und einen braunen Buchrücken aus leinernem Klebeband mit Faden eingebunden. Die Kanten des Buches sind abgestoßen und das marmorierte Papier wirft Blasen, ist an einigen Stellen auch schon ein bisschen gesprungen. Die Blätter wurden mit Bleistift durchnummeriert – wahrscheinlich von der Autorin selbst, denn ab der Seite 104 (8. März 1877) sind die Seitenzahlen des Öfteren ein wenig mit Tinte überschrieben. Das Buch misst 12,2 x 19,3 cm und kommt – ein Aufkleber in der Einbandinnenseite gibt darüber Auskunft – aus der Papierhandlung des J. Sedlmayr & Saska aus Krems, der Heimatstadt Wetti Teuschls. Es hat 96 Kreuzer gekostet.5 Das sichtlich gealterte, gelbliche Papier ist von keiner besonders guten Qualität, dünn und transparent – die jeweils nächsten Seiten scheinen als schräge Schraffur durch. Die Schreiberin verwendete schwarze, seltener auch blaue Tinte6 und nahm meist eine sehr dünne Füllfeder. Das Papier ist überaus dicht beschriftet, es wurde so voll geschrieben wie nur möglich. Großzügiger gestaltet werden nur Gedichte oder Aufzählungen – etwa wenn die Diaristin zu bestimmten Anlässen Geschenke bekam und diese im Tagebuch auflistete oder die Speisenfolge eines Festessens notierte. Wetti 2 Zu dieser Mode, die im 19. Jh. an die Erfolge edierter „journale intime“ anschloss, vgl. Christa Hämmerle, Diaries, in: Benjamin Ziemann u. Miriam Dobson Hg., Reading Primary Sources. The Interpretation of Texts from 19th and 20th Century History, London 2008, 141–159, 144. 3 Die Beschriftung lautet: „Tagebuch meiner Urgrossmutter Betti Teuschl geb. 1851 gest. 1944 für die Jahre 1870–1885 Abgeschrieben v. Helmut Hörner im Jahre 1977.“ Helmut Hörner hat seine Abschrift lesefreundlich gestaltet, d. h., er hat die Rechtschreibung modernisiert, die Texte strukturiert, vor allem mit zusätzlichen Satzzeichen versehen, dort und da strich er Wiederholungen und formulierte etwas um. Für diese Edition und zur weiteren Bearbeitung dieser Quelle wurde deshalb ein neues, möglichst originalgetreues Transkript angefertigt. In der Sammlung Frauennachlässe am Institut für Geschichte, Universität Wien, befinden sich im Nachlass 13 (NL 13) Helmut Hörners Typoskript, eine Kopie des Tagebuchs sowie mehrere Fotografien. 4 An der rechten unteren Ecke des Fotos sind Teile eines NS-Stempels sichtbar. 5 Zum Vergleich: Ein Huhn kostete auf dem Kremser Markt 45–50 Kreuzer, ein Pfund (0,560 kg) Butter 50–58 Kreuzer, ein Pfund „Mundmehl“ 12 Kreuzer; vgl. Kremser Viktualienpreise, in: Kremser Wochenblatt, 15, 14, 2. 4. 1870, o. S. 6 In unterschiedlichen Farbtönen.





Einige Vorbemerkungen 9

Orientierungen – die ersten beiden Seiten von Wetti Teuschls Tagebuch

Das aufgeschlagene Tagebuch – ein ruhiges Buchstabenmeer (Seiten 13 und 14)

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Wetti Teuschls Tagebuch

Großzügiger gestaltet – die Aufzählung der vorbereiteten Kinderwäsche und der Eintrag zum Geburtstag des Sohnes (Seiten 53 und 54)

Das Seitenformat bestimmt den Umfang eines Eintrags mit – eine neue Seite wird erst für den nächsten Tag begonnen (Seiten 95 und 96)





Einige Vorbemerkungen 11

Teuschl ließ nur minimale Seitenränder, schrieb in kleinem, engem und sehr gleichmäßigem Kurrent. Wenn sie ausnahmsweise eine dickere Feder nahm, wurden Schrift und Zeilenabstände ein klein wenig größer. Beim schnellen Blick auf das an beliebiger Stelle aufgeschlagene Tagebuch liegt vor einem ein regelrechtes Buchstabenmeer. Die lange hinauf oder hinunter gezogenen Ober- und Unterlängen bestimmter Lettern sorgen für ein leichtes Kräuseln auf dieser ruhigen See. Das Schriftbild ist durchwegs gleichmäßig. Auch wenn im Innern der Schreiberin heftige Stürme tobten, ist das ihrer Schrift kaum anzusehen. Ihr Schreiben wirkt kontrolliert, wohlüberlegt – sie ‚patzte‘ fast nie und strich nur selten etwas wieder weg. Zugleich schien sie aber nicht langsam zu schreiben, sondern sehr flüssig und geschwind – sie verzichtete oft auf Satzzeichen, so als hätten diese ihre Gedanken unterbrochen oder den Lauf der geschilderten Ereignisse, der Emotionen ungebührlich gebremst. Die Notizen wurden in Krems begonnen, zwischen Juni 1872 und Jänner 1878 in Wien, Rudolfsheim und Krems fortgesetzt, danach ist wieder hauptsächlich die Heimatstadt Krems Ort des Geschehens. Ortsveränderungen – vorübergehende und längerfristige gleichermaßen – wurden am Beginn des Eintrags vor dem Datum angezeigt. Auf den wenigen kleinen Reisen, die die Schreiberin unternahm, führte sie das Tagebuch einmal mit, ein andermal trug sie die betreffenden Tage zu Hause nach.7 Jede Eintragung wurde mit einem Datum überschrieben – dieses deckte sich üblicherweise mit dem Tag des Einschreibens, nur selten übertitelt das Datum des im Folgenden zentralen Ereignisses den Text.8 Bisweilen sind diese Überschriften unterstrichen, dort und da besonders groß geschrieben. Die Schreibweise des Datums ist variantenreich – anfangs finden sich die Monatsnamen meist ausgeschrieben, später oft in Zahlen angegeben; Ortsangaben stehen vor oder nach dem Datum und fehlen zwischendurch. Orte und Jahreszahlen kürzte die Schreiberin mitunter ab, das Jahr ließ sie phasenweise und über längere Zeiträume auch ganz weg. Ort und Datum sind mit einem ‚am‘ verbunden oder auch mit einem ‚den‘, aber durchgehend ohne Komma aneinandergefügt.9 Auf diese Kopfzeile folgen weitgehend ungegliederte Fließtexte. Auch bei Themenwechseln fand die Diaristin keinen Zeilenneubeginn nötig; nur ganz selten fügte sie einen strukturierenden Absatz ein. Ein Eintrag – oder seltener auch eine ausführlichere Passage innerhalb eines Eintrags – endet vielfach mit einem oder mehreren Gedankenstrichen. Die Einträge sind unterschiedlich lang, tendenziell in der zweiten Hälfte des Tagebuches länger; die Textlänge steht in engem Verhältnis zur Dramatik der Ereignisse – je 7 Z. B. finden die Einträge Ende September/Anfang Oktober 1871 auf der Reise statt (Seite 40ff im Tagebuch; auch alle folgenden angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf das Original-Tagebuch); während von einer Fahrt nach Mariazell im Nachhinein erzählt wird (18. 8. 1870, 13f ). 8 Besonders deutlich etwa bei den Einträgen zum 3. Juni 1872 (47–50; der Eintrag, der den Hochzeitstag, aber auch die darauf folgenden Tage umfasst, ist mit dem Datum der Hochzeit versehen) oder zum 7. Juli 1873 (54; dem Geburtstag ihres Sohnes), wo ihr mitten im Geschehen wohl keine Zeit zum Schreiben geblieben war. 9 Dieser Variantenreichtum spricht dafür, dass es sich beim vorliegenden Buch – ungeachtet der ‚schönen‘ Form – nicht um eine später verfasste Reinschrift handelt.

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Wetti Teuschls Tagebuch

drastischer das Geschehen, desto länger der Eintrag. Wetti Teuschl schloss eine Tagebuchnotiz oft bündig mit einem Seitenende; auf vielen Seiten fanden auch mehrere kurze Einträge Platz. Begann sie für einen Tag10 eine zweite Seite, so befüllte sie diese meistens auch bis zum Ende. Dann scheint weniger der Inhalt den Umfang zu bestimmen, als das Format der Buchseiten. Zur Hervorhebung dienten ihr Unterstreichungen oder lateinische Buchstaben, selten rahmte sie einzelne Worte, Daten oder ganze Einträge ein. An zwei Stellen des Tagebuchs verwendete die Autorin eine Geheimschrift. Wenngleich sie kaum je etwas Geschriebenes wieder ausstrich, korrigierte sie doch immer wieder. Sie las wohl ihre Einträge nach dem Schreiben – und auch viel später – wiederholt durch. Auf diese Praxis deuten Ergänzungen und Kommentare hin, für die eine andere Tinte oder ein anderes Schreibwerkzeug benützt wurden und die manchmal inhaltlich eindeutig auf eine spätere Zeit verweisen. Mehrfach wurden Teile befüllter Seiten herausgeschnitten; ein Blatt11 wurde zur Gänze herausgerissen. Kern dieser Edition ist das Tagebuch, das sich wie erwähnt in zwei Teile gliedern lässt.12 Es umfasst das (Braut-)Tagebuch von Wetti Teuschl, das die Zeitspanne vom 2. April 1870 bis zum 3. Juni 1872 betrifft; dieses wird als „all purpose-diary“13 zwischen 20. November 1872 und Mai 1885 von der nunmehr verheirateten Barbara Baumgartner fortgeführt. Im Lauf dieser 15 Jahre änderte sich ihr Schreiben sehr – vor allem was den Rhythmus der Eintragungen angeht. Während Teil eins zwei Jahre und zwei Monate in 74 Einträgen auf 49 Seiten festhält, deckt der zweite Teil zwölfeinhalb Jahre auf vergleichsweise knappen 113 Seiten mit 69 Einträgen ab. Als junge, unverheiratete Frau und wenig später als Braut schrieb Wetti Teuschl phasenweise täglich, jedenfalls regelmäßig und sehr detailliert; nach ihrer Heirat trug sie nur noch sporadisch ein. Meist fertigte sie nun zusammenfassende Rückblicke an; Anlass dafür boten Namenstage oder andere Familienfeierlichkeiten und vor allem die Zeit um den Jahreswechsel, mit geradezu rituellen Schreibterminen rund um Weihnachten, Silvester und Neujahr. Zwar gibt es auch im zweiten Teil immer wieder Phasen, in denen sie besonders häufig und manchmal fast täglich schrieb – bei Sorgen und Problemen, die Gesundheit oder die finanzielle Lage betreffend, in der Ehe und/oder im Hinblick auf ihre Herkunftsfamilie. Doch tendenziell wurden die Einträge seltener, sie sind weniger unmittelbar, sondern eher aus zeitlicher Distanz verfasst, Barbara Baumgartner äußerte sich dann ausführlicher, und ihr Schreiben nahm stärker retrospektive und autobiographische Züge an.

10 Tag bezeichnet hier und im Folgenden die Texteinheit; vgl. Dusini, Tagebuch, 93. 11 Die Seiten 150 und 151 gegen Ende des Tagebuchs. 12 Diese Zweiteilung ist von der Schreiberin nicht kenntlich gemacht – sie ergibt sich aus mehreren inhaltlichen und formalen Elementen, die im Kommentar näher ausgeführt werden. 13 Philippe Lejeune, How do Diaries End?, in: Trev Lynn Broughton Hg., Autobiography. Critical Concepts in Literary and Cultural Studies, Bd. 4, London/New York 2007, 88–101 (Orig. 2001), 90.





Einige Vorbemerkungen 13

Zu dieser Edition

Editionen präsentieren in einem einheitlichen/vereinheitlichten Format, was ursprünglich so nicht verbunden war. Selten entsprechen die edierten Seiten in Größe und Gestaltung dem Original des Manuskripts. Die signifikanten Qualitäten einer Handschrift gehen verloren und die Spuren der verwendeten Schreibgeräte verschwinden, das Papier ist ein anderes etc. EditorInnen, stellt Arno Dusini fest und belegt seine Beobachtung mit mehreren drastischen Beispielen, greifen nicht nur unmittelbar in die vorliegenden Texte ein, sondern „über den Text in das Leben der Verfasser dieser Texte“.14 Ein ediertes Tagebuch kann seiner Vorlage nicht gleichkommen. Die Opposition zwischen Originaltagebuch und ediertem, damit in vielerlei Hinsicht übersetztem Text ist unüberwindbar; sie hat auch für diese Edition heuristische Konsequenzen: „Die Art und Weise, wie Tagebücher ediert werden, reguliert die Möglichkeiten dessen, was wir aus einem anderen Leben verstehen können.“15 Die Übersetzung des in einem konkreten Entstehungszusammenhang und zu einer bestimmten Zeit von einem Menschen von Hand Aufgeschriebenen in gedruckten Text führt unweigerlich zu Informations- und Komplexitätsreduktion. Es ist nicht zu verhindern, dass die Autorin in gewisser Weise aus dem Text verschwindet;16 sie soll jedenfalls im Folgenden nicht absichtlich zum Verschwinden gebracht werden. Die Transkription der vorliegenden Texte erfolgte buchstäblich, möglichst nahe am Original und mit dem Ziel, die charakteristische Schreibweise der Verfasserin wiederzugeben. Orthografie, zeitgenössische und/oder höchst individuelle Ausdrucksweise sowie grammatikalische Besonderheiten wurden übernommen; beibehalten wurden auch Kürzel beziehungsweise Wiederholungen. Denn Rechtschreibung, Grammatik und syntaktische Strukturen können für Interpretationsprozesse aufschlussreiche Elemente sein.17 Die Schreiberin ersetzt oftmals den Dativ durch den Akkusativ (z.  B. „so werd ich ihn antworten“ 17. 4. 1870, 3; „aus einen Dich treu liebenden Herzen“ 17. 5. 1870, 9; „zu den Glük“, 5. 10. 1870, 17), was in mündlicher Kommunikation im 19. Jahrhundert üblich war. Dieser Sprachgebrauch wurde im Schriftlichen gerne –

14 Dusini, Tagebuch, 48. Zu Dusinis Beispielen aus der Editionsgeschichte gehören etwa mehrere Versionen von Samuel Pepys Tagebuch, das von ihrem Witwer Léonard Woolf herausgegebene Journal von Virginia Woolf oder das Tagebuch von Sylvia Plath, an dessen Publikation sich neben diversen Herausgebern und der Übersetzerin sich gewissermaßen die ganze Familie beteiligte; vgl. ders., Die offene Wunde Tagebuch. Gendertheoretische Anmerkungen anhand der Tagebücher von Sylvia Plath, in: Renate Hof u. Susanne Rohr Hg., Inszenierte Erfahrung. Gender und Genre in Tagebuch, Autobiographie, Essay, Tübingen 2008, 25–38. 15 Dusini, Tagebuch, 49f. 16 Zu sämtlichen Fallen vgl. Dusini, Tagebuch, 49–54. 17 Vgl. Carolyn Steedman, The Radical Policeman’s Tale: Working-class Men and Writing in the 19th Century, in: dies., Past Tenses. Essays on Writing, Autobiography and History, London 1992, 142–155, 151.

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Wetti Teuschls Tagebuch

wenngleich zu Unrecht – „Frauenzimmern, Ungelehrten und Kindern“ zugeordnet.18 Welche Ausbildung Wetti Teuschl absolviert hatte, ist unbekannt. Wahrscheinlich hatte sie die fünfklassige Volksschule für Mädchen der Englischen Fräulein besucht, damals die einzige Mädchenschule in Krems.19 Sie war jedenfalls firm in bürgerlichem Hausfleiß, stickte und nähte und half ihrer Mutter im Haushalt.20 Sie las relativ viel, das legt ihr Sprachgebrauch im Tagebuch nahe, zumindest Teile der Wiener Tages- und die regionale Wochenpresse.21 Sie mochte französisches Vokabular und buchstabierte dieses – wie viele andere Begriffe und Namen – nach Gehör. Und die Worte hörten sich immer wieder unterschiedlich an, so existieren verschiedene Schreibweisen desselben Wortes parallel und finden sich textlich in unmittelbarer Nähe, was zeitgenössisch relativ üblich war. Ungewöhnlich ist, wie schon kurz angesprochen, ihre Interpunktion; oft reihte die Diaristin ohne Punkt und Komma zahlreich Sätze oder Satzteile aneinander. Schreibweise und Satzzeichensetzung, so Carolyn Steedman, mögen eine Rekonstruktion davon erlauben, wie Menschen in der Vergangenheit gesprochen haben und wie sie im Lesen unterrichtet worden waren. In Hinblick darauf ist etwa das beobachtbare ständige Wechseln zwischen einer Schriftsprache als niedergeschriebener Rede und einer Schriftsprache, die als eigenständiges linguistisches System – mit Regeln, die sich vom Mündlichen unterscheiden – aufgefasst wird, interessant.22 Nicht originalgetreu sind die Zeilenenden, die zugunsten eines ruhigeren Seitenspiegels aufgelöst wurden. Wenn die Schreiberin, was nur sehr selten vorkommt, innerhalb eines Eintrags einmal eine neue Zeile begann – etwa mit einem neuen Satz/einer

18 Vgl. Isa Schikorsky, Private Schriftlichkeit im 19. Jahrhundert. Untersuchungen zur Geschichte des alltäglichen Sprachverhaltens ‚kleiner Leute’, Tübingen 1990, 299f. 19 Eine ebenfalls private, säkulare „Höhere Töchterschule“ als Gegenstück zu jener des Ordens wurde erst 1868 eröffnet, bald darauf wieder geschlossen als auf Grundlage des Reichsvolksschulgesetzes von 1869 eine Mädchenbürgerschule eingerichtet worden war; vgl. Helmut Engelbrecht, Krems im 19. Jahrhundert – Weichen werden gestellt, in: Willibald Rosner Hg., 1000 Jahre Krems – am Fluß der Zeit. Die Vorträge des 15. Symposions des NÖ Instituts für Landeskunde 1996, St. Pölten 2001, 221–247, 235ff. Zur Situation der Mädchenbildung vgl. Margret Friedrich, „Ein Paradies ist uns verschlossen ...“. Zur Geschichte der schulischen Mädchenerziehung in Österreich im „langen“ 19. Jahrhundert, Wien u. a. 1999 (über den Stellenwert der Frauenorden vgl. 360–370). 20 Im späten 18. Jh. bestand das Unterrichtsprogramm der Englischen Fräulein, ähnlich wie in anderen Mädchenschulen, aus elementarem Unterricht (in den vier Grundrechnungsarten, im Lesen, Schreiben und in Religion) und „ausführlichem Arbeitsunterricht“ (Nähen, Stricken, häusliche weibliche Arbeiten), das blieb auch nach diversen Reformen des Volksschulwesens so, vgl. Friedrich, Paradies, 235, 238f. 21 Das schließe ich aus ihren Beschreibungen von offiziellen Ereignissen, über die auch in der Presse berichtet wurde. Ihre Tagebucheinträge ähneln mitunter im Wortlaut, jedenfalls in Aufbau und Klangfarbe den Zeitungsartikeln; vgl. etwa die Einträge 9. 2. 1871, 24; 9. 11. 1871, 42; 10. 1. 1872, 44. An einer Stelle erwähnte sie, gerade in einer sehr unglücklichen Lebenslage befindlich, dass das Lesen sie „doch einiger Maßen zerstreut“; 23. 10. 1876, 81. 22 Steedman, The Radical Policeman’s Tale, 150.





Einige Vorbemerkungen 15

neuen Sinneinheit – wurde auch im Transkript neu angesetzt. Gleichermaßen wurden Absätze, wie sie die Verfasserin nur in Ausnahmefällen einfügte, beibehalten.23 Es wurde also versucht, zumindest ansatzweise Besonderheiten der Textgestaltung in die Transkription ‚hinüberzuretten‘. Folgende gestalterische Elemente sind mittels typografischer Gestaltung in der Druckfassung sichtbar gemacht: – Streichungen – durchgestrichene Wörter oder Buchstaben; – Korrekturen – überschriebenes Wort durchgestrichen {Überschreibung in geschwungenen Klammern}; – Einfügungen der Schreiberin {eingefügte Buchstaben oder Wörter in geschwungenen Klammern}; – Hervorhebungen wurden möglichst so übernommen, wie sie im Original eingesetzt wurden; das betrifft vor allem Unterstreichungen, gesperrte Passagen und ähnliches. Wo im Tagebuch einzelne Worte mittels lateinischer Buchstaben herausgehoben wurden, ist dies durch Kursivsetzung gekennzeichnet. Manches Mal variiert die Verfasserin auch Schriftgrößen, besonders in den Datumsangaben und bei Überschriften, solche Eigenheiten wurde in Fußnoten angemerkt. – Einrückungen wurden als kleine und größere beibehalten. – Ausgelassene einzelne Buchstaben oder ganze Wörter wurden ergänzt, wenn deren Fehlen das Verständnis erheblich beeinträchtigen würde. Diese [editorischen Ergänzungen] stehen in eckigen Klammern. – Die Seiten im Tagebuch wurden in einem Zug – wahrscheinlich von der Schreiberin – mit Bleistift durchnummeriert, die Paginierung findet sich im Original am rechten oberen Seitenrand. In der hier folgenden Lesefassung stehen die Originalseitenzahlen jeweils am äußeren linken beziehungsweise rechten Rand am Beginn einer Tagebuchseite. Der ausführliche Anmerkungsapparat soll Grundlagen zur Einordnung und zum Verständnis der vorkommenden Ereignisse liefern sowie bei der Interpretation der Hintergründe, die die Schreiberin selbst anführt, und jener Deutungen unterstützen, die sie selbst vornimmt – oder auf die sie wenigstens anspielt. Die Fußnoten enthalten möglichst dichte Informationen zu den genannten Personen und allen im Tagebuch erwähnten Orten. Ist eine Person ohne Anmerkung geblieben, konnte zu ihrer Identität nichts Näheres eruiert werden.24 Im Anhang finden sich ein Personen- und ein Ortsregister zum Tagebuch und den anderen hier edierten Texten. Eine Zeittafel unmittelbar nach dem editorischen Teil soll einen raschen Überblick gewähren.

23 Aus druck-, vielmehr kostentechnischen Gründen konnte das Format der Originalseiten nicht eins zu eins in Druckseiten umgelegt werden. 24 Zur Recherche herangezogen wurden: die zeitgenössische Presse, Adressbücher, Häuserverzeichnisse, Schematismen, z. T. auch Kirchenbücher und Notariatsakten.

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Wetti Teuschls Tagebuch

Dem Transkript als Faksimile beigefügt wurden Zeitungsausschnitte, die im Tagebuch eingelegt waren. Von diesen Einlagen dürften einige im Lauf der Zeit verloren gegangen sein, an manchen Stellen des Buches haben Büroklammern und Stecknadeln Rostspuren hinterlassen, etwaig Angeheftetes fehlt aber.25 Derzeit liegen nur noch zwei lose Blätter im Buch – ein kleiner Zeitungsartikel über den Journalisten Max Falk und ein Inserat für das eigene Geschäft in der Kremser Herzogstraße Nr. 7. Unter dem Namen Betti Gerstl26 publizierte die Tagebuchschreiberin journalistische Texte, vier aus dem Jahr 1925 konnten aufgefunden werden.27 Da diese Beiträge sehr eng mit der Biografie – oder vielmehr mit den Biografien von Wetti Teuschl/ Barbara Baumgartner/Betti Gerstl – verbunden sind, werden auch sie hier mit abgedruckt. In ihren Zeitschriftenartikeln griff die Verfasserin einige der Themen und Problemstellungen, die auch im Tagebuch zentral sind, wieder auf. Ediert wird hier weiters ein „Gedenkblatt“ mit kurzen autobiografischen Notizen und Erinnerungen an ihren Vater, das die Schreiberin 1936 für ihre Enkelin angefertigt hatte. Die journalistischen Arbeiten folgen in der Edition auf das Tagebuch, die das Gedenkblatt beschließt – weniger um die Chronologie ihres Entstehens beizubehalten, vielmehr um nicht Assoziationen hinsichtlich einer wie auch immer gearteten Abstufung der Authentizität der Texte nahe zu legen. Der Edition vorausschicken möchte ich schließlich meinen Dank an all jene, die sie ermöglicht, unterstützt und begleitet haben: Ohne Helmut Hörner, der das Tagebuch und Fotos aus Familienbesitz für diese Edition zur Verfügung gestellt hat, hätte dieses Projekt nicht verwirklicht werden können. Zudem hat Helmut Hörner, leidenschaftlicher Familienforscher, meine Arbeit mit Interesse verfolgt, wenngleich sie in ganz andere Richtung führt. Eva Weidinger-Vols plagte sich mit der Handschrift Wetti Teuschls und verfasste das dieser Edition zugrunde liegende Transkript. Bei dessen Überarbeitung unterstützte mich Eva Wackerlig, die Abschrift und Original nochmals gegenlas und mir über bis dato nicht entzifferte Stellen half; traurig ist, dass sie die Veröffentlichung dieses Buch nicht mehr erlebt. Brigitte Rath danke ich sehr für ihre kritische Erstlektüre, ebenso Margareth Lanzinger, die mich auch mehrfach mit Informationen rund ums Heiraten und Vererben versorgte. Anna L. Staudacher gewährte mir Einblick in ihre Datenbank zu jüdischen KonvertitInnen,28 und Arno Dusini diskutierte mit mir die erste und die letzte Tagebuchseite von Wetti Teuschl/Barbara

25 Etwa auf den Tagebuchseiten 36, 114, 117. 26 Barbara Baumgartner hatte sich nach dem Tod ihres Ehemannes (1892) wiederverheiratet. 27 Deren Auffinden verdankt sich der frauenspezifischen Dokumentation Ariadne an der Österreichischen Nationalbibliothek . 28 Die Ergebnisse ihrer akribischen Recherche werden bald nachzulesen sein: Anna L. Staudacher, Jüdische Konvertiten in Wien 1868–1914: Die Übertritte zur katholischen Kirche, Frankfurt a. M. u. a. (in Vorbereitung). Bereits erschienen ist: dies., Jüdisch-protestantische Konvertiten in Wien 1782–1914, 2 Teile, Frankfurt a. M. u. a. 2004.





Einige Vorbemerkungen 17

Baumgartner sowie das Edieren von Tagebüchern allgemein. Christa Hämmerle und Edith Saurer ermöglichten im Rahmen der Forschungsplattform der Universität Wien Neuverortung der Frauen- und Geschlechtergeschichte im veränderten europäischen Kontext die Arbeit an dieser Edition; auch für die inhaltliche Begleitung möchte ich beiden und Mineke Bosch danken.

Die Seiten 2 und 3 von Wetti Teuschls Tagebuch

2 Edition

Das Tagebuch

Tagebuch für Wetti Teuschl1 Krems2 Den 1 ten April 1870. Mit Gott! 3 Krems den 2 April {1870}4 Ja mit Gott fange ich dieß Tagebuch an und mit Gott will ich daßelbe beenden, doch zwischen Anfang und Ende liegt eine Spanne Zeit und ich will zu Gott hofen daß ich größtentheils nur angenehmes einzutragen habe. Jetzt gegenwärtig bin ich freilich in einer traurigen Lage, mit den Geliebten entzweit und selbst wen ich auf eine Aussöhnung hofen dürfte, weiß ich nicht ob dieselbe zu wünschen ist, da ich nicht gesonen bin die alten Kämpfe wider aufzunehmen und des Vaters5 Sinn zu beugen, so will ich 1 Wetti Teuschl – eigentlich: Barbara (3. 12. 1851–10. 1. 1944); röm.-kath. Taufe in der Pfarrkirche Krems, 4. 12. 1851; vgl. Diözesanarchiv St. Pölten (DASP), Pfarramt (PfA) Krems St. Veit 1/18, Taufbuch 1841–1853, Fol. 471. 2 Krems – an der Donau in Niederösterreich hat sich aus der Doppelstadt Krems-Stein entwickelt. Von 1850 an bestanden zwei getrennte landesfürstliche Städte (bis 1938 Stein wieder eingemeindet wurde). Von 1753 an war Krems Sitz des Kreisamtes, nach 1868 Bezirkshauptstadt. Krems ist v. a. seit dem 19. Jh. eine bedeutende Schulstadt mit Gymnasium, Real- und Gewerbeschule sowie einer Lehrerbildungsanstalt. Laut Volkszählung von 1869 hatte sie 8.343 – inkl. der Auswärtigen – 23.700 EinwohnerInnen. In den 1870er Jahren war der Gemeinderat liberal dominiert; vgl. Niederösterreichischer Amtskalender (im Folgenden: NÖA), 7 (1871), 223 u. 11 (1876), 163. Da der Amtskalender in Aufbau und Struktur komplex ist, wird er hier genau zitiert; ergänzende Angaben zu Orten stammen aus den regionalen Dehio-Handbüchern (vgl. Bibliografie im Anhang). 3 In lateinischen Buchstaben und größerer Schrift. 4 Die Jahreszahl wurde im Nachhinein eingefügt; der 2. April war ein Samstag. 5 Vater – Anton Teuschl (13. 6. 1818–28. 12. 1878), geb. in Wösendorf, Niederösterreich (wenn nicht anders angegeben, befinden sich die im Folgenden genannten Orte in Niederösterreich); Posthalter, bürgerlicher Landkutscher und Hausbesitzer in Krems, seit 1857 unter der Kremser Adresse Herzogstraße 7 (parallel wurde die Konskriptionsnummer 70 verwendet); vgl. Verzeichnis der Häuser in der Stadt Krems mit Angabe der Gassen und Plätze nach den Orientirungs- und Conscriptions-Nummern und der Namen der Besitzer, Krems 1894, 4.

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den nicht am Anfang schon verzagen sondern geduldig und auf Gott vertrauend in die Zukunft sehen. Den 8ten April 1870 Gestern war ich im Theater da es für die Saison das letzte mal war, man wällte daß Stück „Klatschereien“6 es war auch ganz den Titel angemeßen, es war so fad daß es wenig gekostet hätte, so wäre es ausgepfiffen worden ich hielt gleich anfangs nicht viel von dem Stück doch da es das letztemal war und überdieß die Regimentsmusik7 spielte, und der Titel dieses Stüks eine so große Rolle in meinen gegenwärtigen Verhältnissen hatte so entschloß ich mich zu gehen. Hatte doch auch ich durch eine lere Klatscherei mein ganzes Liebesglük verloren, ein Satz vor allen wird mir von diesen Stük im Gedächtniß bleiben: Wer einen Mädchen daß gegebene Wort bricht ist ein Schurke; waß ist nun diese Person die durch ihre Lügereien und Aufhetzereien einen Mann dazu bewegt. Die ist jedenfals viel schlechter noch, den jeder Mensch hat Augenblicke in der er seiner Leidenschaft nicht Herr wird und wen nun ein solcher Augenblick von bösen Menschen benützt wird, so ist ein solcher Moment dann der Felsen an den daß Lebensglück so vieler Menschen schon gescheitert ist und noch scheitern wird. Den 9ten April 1870 Meinetwegen haben sich 2 gute Freunde zertragen, Hr. Johan Baumgartner8 mein gewesener Geliebter (das Wort will mir fast nicht aus der Feder) und Hr. Franz Haselgruber9 Commis10 bei Frau Vallaster.11 Sie lebten früher in sehr vertrauter Freundschaft, ich glaube daß sie nichts zu trennen vermocht hätte und ich oder vielmehr die Eifersucht rieß diese guten Freunde auseinander. Hr. Baumgartner stichelte ihm daß er in unserer

6 „Klatschereien“ – die Aufführung fand im Städtischen Theater in Krems statt; gegeben wurde ein „Benedir’sches Lustspiel“, ein Stück des zeitgenössischen Komödianten Roderich Benedir; vgl. Kremser Wochenblatt, 15, 14, 2. 4. 1870, o. S. Das „Kremser Wochenblatt“ (im Folgenden: KWB) war bis 1871 die einzige Zeitung in Krems. Sie erschien samstags (1856–1885), enthielt eine politische Rundschau, Berichte aus den umliegenden Orten, landwirtschaftliche Beiträge, Viktualienpreise und Annoncen. Sie fungierte, wie zeitweise im Untertitel zu lesen, als „Organ der liberalen Partei in dem Viertel O. M. B.“ (Viertel ober dem Mannhartsberg). Gründer und Herausgeber war Max Pammer (1825–1879), Druckereibesitzer, Gemeindepolitiker, später auch Leiter der Sparkasse; vgl. Marion Gäbler, Die Stadt Krems an der Donau im Liberalismus der Jahre 1848 bis 1885, Wien (Univ. Diss.) 1999, 210f, 237. 7 Regimentsmusik – das in der Garnisonsstadt Krems stationierte 32. k. k. Infanterie-Regiment war nach Franz Ferdinand Modena-Este (1863–1914), dem österreichischen Thronfolger, benannt. 8 Johan Baumgartner – später auch: B., Baumgt., Herr Baumgartner, Herr B., Joh. Baumgt., Johann (25. 4. 1844–7. 3. 1892); vgl. PfA Fallbach, Taufbuch F, 1842–1865, Fol. 14; DASP, PfA Krems St. Veit 3/17, Sterbebuch, Fol. 261, Nr. 106. Ich danke Johannes Cornaro sehr für den unbürokratischen Zugang zu den Pfarrbüchern von Fallbach. 9 Später auch: H., Haselg. 10 Commis – Gehilfe eines Handlungshauses; sämtliche weniger gängige Begriffe werden hier anhand zeitgenöss. Lexika geklärt. 11 Frau Vallaster – 1871 inserierte Katharina Vallaster ihr Geschäft zum Tiroler in Krems, Landstraße 313. Dort vertrieb sie Tisch- und Bettwäsche, auch Küchengeräte, Kochgeschirr, Werkzeuge, Messer und Scheren sowie Damen- und Kinderschuhe; KWB, 16, 26, 1. 7. 1871, Inserate.





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Gasse12 so viele Promenaden mache, die niemand andern gelten als wie mir, bin ich nicht zu beneiden – bin ich nicht glüklich –– Hr. Haselgruber ließ sich nichts sagen und er hat im Grunde recht, der Weg ist ja jederman frei und übrigens wo der Gegenstand der Sehnsucht ist, geht man noch viel lieber, daß weiß ich von mir selbst und Hr. B. sollte es von ihm wissen warum verargt er es dem H. Er hat ja auch ein Herz. Ostersontag den 17. April Vormittag. Gestern sprach ich mit Baumgt. er überhäufte mich mit Sticheleien und Vorwürfen daß ich mit einem Hr. in Krems korespondir, derselbe hätte ihm meine Schrift gezeigt er könne mirs schwarz auf weiß beweisen anfangs war ich außer mir ich konte nicht begreifen wer sich eine solche Niderträchtigkeit erlauben konnte. Baumgt. sagte mir nicht wer derselbe sei und da ich auf Niemanden eine Zeile schrieb so ist es leicht erklärlich daß ich in Zorn kam. Abends sprach ich mit H. welcher mir in dieser Sache Licht verschaffte, er hat nähmlich zu seinen Namenstag anoyme Billeten bekommen und kam damit zum Brütscher,13 dort hat im der Schober14 gefragt wo dieselben her wären und H. erwiderte daß er es nicht wisse, darauf hat sie der Schober angesehen und sagte diese Schrifft ist von der Wetti, daß hat B. aber nur gehört und nicht gesehen, da ich {er} wie ich bereits schrieb auf H. nichts spricht. Schober dagegen mein erklärter Feind ist so wird er nichts unterlassen haben in aufzureden was auch sehr gut gewirkt haben mußte wie ich aus den Reden des B. erfuhr. Übrigens sehe ich nicht ein, warum ich mir vom ihm Vorwürfe gefallen lassen soll, er geht mich ja im Grunde nichts mehr an und wen er mirs nocheinmal thut so werd ich ihn antworten daß ihm auf lange Zeit die Lust zum Sticheln vergeht, der Schober soll ihm ersetzen was er an mir verloren hat er ist ja sein guter Freund. Nachmittag denselben Datum Ich habe jetzt beinahe eine Stunde mit B. gesprochen er bot seine ganze Liebenswürdigkeit auf ich ließ es an Stichwörtern nicht fehlen und zahlte mit doppelten Zinsen was er mir gethan. Welch ein Resultat diese U{n}teredung haben wird weiß ich gegenwärtig noch nicht ich will gar nichts mehr unternehmen wen es ihm Ernst ist, soll er seinen Fehler bei meinen Eltern15 wider gut machen. Wie lange müßte ich wider kämpfen bis ich es auf den früheren Standpunkt brächte. Er selbst hat es so haben wollen die Folgen treffen ihn leider daß sie mich dazu treffen und verwunden. 12 in unserer Gasse – Herzogstraße; sie liegt im Zentrum von Krems und ist geschlossen verbaut – z. T. mit Gebäuden deren Kern aus dem 16. und 17. Jahrhundert stammt. 13 Brütscher – event. Alois Brutscher, der Kremser Arbeitgeber von Johann Baumgartner; vgl. Anm. 61. 14 Schober – Josef Schober (geb. 18. 1. 1844), Kaufmann in Krems; vgl. DASP, PfA Krems St. Veit 2/27, Trauungsbuch 1863–1878, Fol. 176, Nr. 69. 15 Eltern – Anna Maria Kaltenhuber (3. 2. 1826–5. 4. 1885), geb. in Paudorf, und Anton Teuschl (vgl. Anm. 5). Die beiden heirateten am 25. 11. 1850 in Göttweig.

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Den 21 April Ein bedeutungsvoller Tag ist vorüber der 20 April, Hr. Johan Repitsch Profesor an der Realschule in Krems hat um meine Hand angehalten ich wollte ihm schriftlich abweisen that es aber nicht sondern ließ ihm durch Frau Lantschik sagen daß ich noch zu jung sei er ließ mir sagen er wolle gerne warten ich mag aber nicht erstens weil ich B. noch immer liebe und zweitens weil ich ihm nicht gut sein könte, so ist diese Sache wider ins Reine gebracht. Den 19 April war große Blumenausstellung in Grafenegg16 das Glashaus ist in einen Feentempel umgewandelt und alle Besucher verlassen daßelbe nur mit Staunen und Bewunderung, man findet von der kleinsten bis zur größten Blume alles in und ausländischen Gewächse in der schönsten Schatirung vereint, in der Mitte dieses Glashauses sprudelt lustig eine Fontaine welche ihren Wasserstrahl hoch in die Luft schleudert um ihn dan plätschernd zu Boden fallen zu lassen daß gibt dem ganzen einen romantischen Reiz und ungern verließ man diesen schönen Ort. Den 22 April 1870 Bei unsren abendlichen Spaziergängen begegnen wir fast täglich Hrn. B. er hat aber nicht den Muth uns anzusprechen mir gibt es jedesmal einen Stich wen ich ihm sehe, o wen ich nur auf eine Zeit Krems verlassen könte dan möchte es vileicht anders werden aber ich als einziges Kind kann meine Eltern nicht verlassen. Den 26 April. Heute ist Hr. Kornteyer von hier abgereist er nahm sich den Ab Abschied von uns sehr zu Herzen, ich bin froh einen lästigen Verehrer losgeworden zu sein ohne dabei gegen die Artigkeit zu verstoßen, ich wünsch ihm eine glükliche Reise er ist nach Baden versetzt worden. Abend begleitete Hr. Gemel, Dini17 und mich in die Apotheke,18 da Hr. Gemel Baumgartners Feind ist und er ihn mit mir gehen sah wußte er nicht wie er mich kränken mußte und grüßte sehr vernehmlich Guten Abend Fräulein Dini! so daß wir deutlich sehen konnten, daß er uns nicht grüßen will daß ist viel. Mein Gott bin ich den zum Schweigen verdammt, sprich ich mit dem ists nicht recht, sprich ich mit einem andren ists auch nicht recht jetzt weiß ich wirklich nicht nicht mehr was ich thuen soll.

16 Das Schloss Grafenegg liegt 10 km östl. von Krems. Der historistische Bau ist von einem englischen Garten umgeben. Das Gebäude (urkundl. 1294) war erst von 1845 an zur romantischen Schlossanlage ausgebaut worden (diese Arbeiten wurden nach der Wirtschaftskrise 1873 unterbrochen). Im „Kremser Wochenblatt“ bewarb der Obergärtner Josef Hirsch die genannte „Blumen- und Gemüse-Ausstellung“, die während der Osterfeiertage im „neuen großen Glashause zu Grafenegg“ für ein Eintrittsgeld von 20 Kreuzer zu besichtigen war; vgl. KWB, 15, 9. 4. 1870, o. S. Die Stellfuhrinhaber [Carl] Christian und Anton Teuschl boten um 60 Kreuzer hin und retour Fahrten zur Blumenausstellung an; vgl. KWB, 15, 16, 16. 4. 1870, o. S; die Ausgabe Nr. 18 des „Kremser Wochenblatts“ (30. 4. 1870) brachte auf dem Titelblatt einen Bericht über die Ausstellung. 17 Dini – Leopoldine Pammer (geb. 30. 7. 1848), später auch: D; Tochter von Leopoldine und Max Pammer, Haus- und Buchdruckereibesitzer in Krems; DASP, PfA Krems St. Veit 2/27, Trauungsbuch 1863–1878, Fol. 293, Nr. 64. 18 Apotheke – in Krems existierten um 1870 zwei Apotheken; vgl. NÖA 1870, 197.





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Den 27 April. Heute Nachmittag erhielt ich von Baumgt. einen Brief folgenden Inhaltes: Geehrtes Fräulein! Unahngenehm dürfte Ihnen mein heutiges Schreiben sein aber doch kann ich es nicht unterlassen Sie zu ersuchen, mir diese Fortografie welche Sie in Ihren Medailion tragen nehmlich meine Wenigkeit zurück zu senden ich weiß daß Sie daran durchaus keine Freude nicht mehr finden können, der Platz {dessen} soll von einer andren Seite ausgefüllt werden ich hoffe selbes brieflich zu erhalten wofür sogleich das Ihrige folgt. Schenken Sie mir aber daß Vertrauen nicht so können Sie Ihren Briefträger den Auftrag geben daß er selbe mir gegen Revanche aus seinen Händen giebten darf. Bei dieser Gelegenheit gratulier ich zu Ihrer neuen Wahl obwohl es mich nichts mehr kümmert aber Sie wissen es ist mein bester Freund für diesen will ich auch ein gutes Wort geben, ich will ihm seine Freude gönnen ich bin aber überzeigt daß diese Liebe von der kleinsten Dauer sein wird. Wetti so viel Mühe wie ich mir gab werden Sie wohl nicht bald wider finden. Vergessen Sie nicht daß Sie der Anfangs Grund von unserer Trenung waren {von} unserer Liebe waren. Ich hoffe meiner Bitte zu entsprechen zeichne mich achtungsvoll Joh. Baumgt. baldige Antwort, daß ich nicht in die Hände eines solchen – . – fallen muß. So daß ist der Inhalt seines Briefes meine Antwort bekommt er morgen, da ich die Abschrift meines Brifes besitze so schreibe ich ihn gar nicht ein, daß alles kommt daher weil ich gestern Abend mit H. gegangen bin, aber seine andere Fortografie verlangt er nicht weil er mir dan Revanche geben muß, er hat sich aber getäuscht, er bekommt seine Fortografie nicht zurück dafür aber einen Brief was jetzt folgen wird, bin ich sehr begierig ob ich das nächstemal etwas freundliches einzutragen habe werde? Den 29 April Vormit. Den Brief habe ich gestern abgeschikt ich erwartete daß er recht böse sein wird weil ich ihm die Fortografie verweigerte, einestheils kan es ihm aber auch freuen, den wen ich ihm die Fortografie nicht schike so muß ich Interesse daran haben und so ist es auch ich kan und will mich nicht trennen. Gestern hat er den Brief bekommen er selbst ging im Laufe des Tages nicht vorüber dafür schikte er 3mal herunter wahrscheinlich ob niemand bei mir beim Fenster ist es war aber niemand da nicht einmal ich Abends ging er fortwährend promeniren alle Gassen hin und her, doch sein Warten war vergebens ich ließ mich nicht sehen so konnte Hr. Gemel welcher wider vorüber ging auch nicht mit mir sprechen, dafür sprach ich heute mit Hr. Baumgt. er war sehr freundlich es war in Gegenwart von Dini und so berührten wir unsere Briefe mit keinem Wort er versetzte mir einige Hiebe welche auf mich und Gemel gemüntzt waren, wahrlich diesen Vorwurf verdiene ich nicht ich werde mich nie mehr verlieben und in einen so flotten Burschen wie Gemel schon gar nicht. Haselgruber sieht man jetzt nur in Begleitung von B. was soll man sich da denken. Die noch vor kurzer auf Leben und Tod Feinde waren sind versöhnt und machen ihre Streitereien gemeinschaftlich natürlich werde ich bei Haselg. als Gemels

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Geliebte erklärt werden und das wird die Aussöhnung zwischen beiden herbeigeführt haben. [Die übrigen zwei Drittel der Seite wurden herausgeschnitten.] 7

B nicht aufgeben wird. Abends gingen ich und die Mutter in der Stadt spaziren weil man sagte es sei Streich19 da gesellte sich B und H. zu uns. B. schloß sich an mich an so blieb den andren nichts über als sich an die Mutter anzuschließen man konnte deutlich sehen daß er sich Mühe gab heiter zu scheinen, bald aber entfernte er sich unter einem geringfügigen Vorwand. B. begleitete uns nach Hause. Bedauernswerther Franz! Sontag den 1ten Mai {früh} Sei mir gegrüßt holder Mai, sei mir herzlich gegrüßt. Du wirst mir andere Tage bringen und die vergangenen vergessen lassen. Es ist heut herliches Wetter, die Sonne sendet ihre Strahlen und erwekt alle Herzen [nächster Zeilenanfang mit voriger Seite herausgeschnitten] Winterschlaf hatten [Die übrigen zwei Drittel der Seite wurden herausgeschnitten.]

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Den 11 Mai Jetzt habe ich nach langen unermüdlichen Bitten den Abschiedsbrief welchen ich ihm schikte zurückerhalten. Den 12ten Mai Ich habe auch den Ring zurükgenommen und den ander umgetauscht mögen die Zeiten besser werden wie früher. Den 13ten Mai Er war bei mir er hat mich an dem Platze besucht wo unser Bund geschlossen wurde auf in den Reichls Garten20 damals vor noch nicht ganz 2 Jahren standen eine Bank sammt Tisch unter schattigen Akazienbäumen da trafen wir uns zum erstenmalle diese ernste Angelegenheit zu verhandeln nähmlich unsre Liebe. Aufrichtig gesagt war mir Hr. B. damals ganz gleichgültig doch theilweise Trotz, Zorn, verletzter Stolz über Schmidt, dagegen B. feierliche Worte, sein Ernst und überhaupt sein mänlich schöner Charakter dem ich da begegnete ließ mich smein Wort verpfänden welches ich auch um keinen Preis wider zurükgenohme hätte, hätte er über Schmidt geschmäht so würde ich darin nur Eifersucht und Nebenbuhlerei gefunden haben, so aber nahm er beinahe noch seine Parthei und vertheidigte ihm, ich wollte ihm zeigen daß mir an Schmidt nichts liegt, da ich {B.} aber damals noch nicht liebte, so stellte ich ihn auf allerlei Proben, er bestand sie vortrefflich und so gewan ich ihm immer lieber bis er mir unentbehrlich wurde und sein mein Herz in seinen Besitzt kam, so geschah es und das war der Anfang unserer Liebe wo ich so viel zu leiden hatte aber auch so manche Freude genoß. 19 Streich – Signal, nach dem sich Soldaten abends nicht mehr außerhalb ihrer Quartiere aufhalten durften. Zu besonderen Anlässen wurde der sog. große Zapfenstreich von den Musikanten der Garnison gespielt, das Musikkorps zog dabei durch mehrere Straßen. 20 Reichls Garten – Josef Reichel errichtete 1860 eine Badeanstalt an der Donau; vgl. Gäbler, Die Stadt Krems, 178. Vielleicht trafen sich Wetti Teuschl und Johann Baumgartner dort.





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Krems den 17 Mai

Innigstgeliebter Johan! Tausend Grüsse jubelt Dir an dem heutigen Tage mein freudig bewegtes Herz entgegen um mit diesen die besten und aufrichtigsten Wünschen zu vereinen. Beste, dauernde Gesundheit, ein langes, zufriden und glükliches Leben und eine lächelnd rosige Zukunft dieß sind die Wünsche welche ich im heißen Gebete auch aufwärts sende und welche ich Dir an dem heutigen Tage zu Füßen lege, nimm sie auf sie kommen aus einen Dich treu liebenden Herzen, dessen einzige Bitte um treue Gegenliebe ist. Möchten sich Deine Gesinnungen nie ändern und möchte die Zeit wo ich jetzt so viel gelitten nie wider kehren. Halte mich Deiner Liebe werth wie bisher, entziehe mir dieselbe nie, nie mehr Du wirst zur Überzeigung kommen daß Du Deine Liebe keiner Unwürdigen geschenkt hast. Meiner Liebe und Treue kannst Du versichert sein wie bisher ich kenne ja nur einen Wunsch mit Dir vereint zu sein. Nimm diese kleinen Erinerungen freundlich auf und denke: Ists auch wenig so kommt es doch vom Herzen. Verzeihe daß ich meine Gratulation so spät erst abstatte und sei diskret gegen alle selbst gegen D! Die besten Wünsche von meiner lieben Mama, ich schließe mit herzlichen Lebewohl auf baldiges frohes Widersehen und zeichne ich Dich tausendmal grüßend und küßend Deine Dich ewig liebende W. T. –– Daß ist der Brief zum Namensfest die Erinnerungen bestehen in 6 Stük Saktücher mit eigenhändiger Stikerei eine Zigarrentasche und einiger Kleinigkeiten. Den 19 Mai Der Bau hat heute begonen21 und es ist ein Staub und Schutt daß man fast nicht bleiben kann und so sehr ich das Kochen lernen scheute, so froh bin ich daß ich bald hinaus komme und von dieser Unordnung nichts mehr sehe. Am 1ten Juni werde ich anfangen schwitzen kan ich mir genug, in den heißesten Monaten und in einer so großen Küche wo für so viele Personen gekocht wird. Den 31 Mai Das Monat ist zu Ende, möge das neue aber so gut verlaufen wie das jetzige meine Liebe hat ihren Fortgang herlich genommen und es ist uns sogar gelungen eine Anäherung mit den Vater herbeizuführen. Den 1ten Juni Bei unseren abendlichen Spaziergängen wo auch die Mutter mitgeht ist es sehr angenehm wir setzen uns auf eine Alleebank auf meiner linken Seite die Mutter auf der rechten B. er schlingt seinen Arm um meine Taile ich lehne den Kopf auf seine Achsel unsere Hände ruhen ineinander und unsre Augen tauschen Blike der innigsten Liebe. Heute gehe ich zum erstenmal zu den Piaristen22 meine Studien in der Kochkunst zu beginnen. 21 Wetti Teuschls Elternhaus wurde umgebaut. 22 Piaristen – die Piaristen traten 1776 in Krems an die Stelle des 1773 in den Habsburgischen Ländern aufgelösten Jesuitenordens und verpflichteten sich, für den Unterricht an Bürgerschule und Gymnasium zu sorgen. Ein neues Gesetz der liberalen Ära betonte die staatliche Schulaufsicht (anstatt der bislang

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Den 7ten Juni Die schöne Mölkerfahr ist vorüber, mein Wunsch betref B. Mitreise ging in Erfüllung auch meinen Vater hab ich ihm näher gebracht. Es waren über 500 Personen am Schiff die Unterhaltung wäre eine gewiß angenehme gewesen wen nicht der schon lang ersehnte Regen gerade am Tage unserer Reise gekommen wäre, die Farth nach Mölk23 verlief sehr angenehm weil da die Sonne oder vielmehr der Mond (wie meine Freundin sagte) herlich leuchtete, wir wurden in Mölk von vielen Menschen erwartet, ganz Melk war feierlichst dekorirt fast bei jeden Fenster konnte man Tepiche, Kränze, Inschriften finden, wo Tepiche mangelten wurden sie mit Kaffetüchern ersetzt, beinahe jedes Haus war mit Fahnen versehen. Zwei weiße Mädchen kammen dem Zuge entgegen wo eine dem Vorstande der Kremser Lidertafel24 einen Becher {silbernen Pokal} mit Wein kredenzte die andre einen Kranz für unsere Fahne trug nach gegenseitiger Begrüßung so ungefähr ½10 uhr Vormittags ging der Zug in das Stift, alles zeigt von imensen Werthe besonders ist die herliche Bibliothek hervorzuheben, als wir auf den Balkon treten wollten und die prächtige Aussicht zu genießen, begrüßte uns der Himmel mit den ersten Spritzer, doch das ging bald vorüber, und wie den Deutschen nichts schenirt waren diese Abkühlungstropfen nicht geeignet unsere heitere Laune zu zerstören wir besichtigten sodan den Park gingen speisen, dan setzten meine Freundin Dini und ich uns nochmals zur Parkpromenad in Bewegung wir langten dort jedoch noch nicht an, so fing es von neuen zu regnen [an], wir flüchteten uns in das Stift und hofften leider vergebens auf Regenstilstand. B. kam unterweges zu uns, der ging dan im größten Regen in den Markt zurück hollte uns Regenschirme wir kehrten dan ins Gasthaus zurük, dort wurde beschlossen den Ausflug nach Wachberg25 nicht zu unternehmen sondern in den Sälen zweier Gasthäuser zu tanzen, nur wollte man zuerst eine kleine Produktion im Kloster abhalten. Dini und ich wir flochten Eichenkränze wo wir uns und unsere Freunde bekräntzten es hatte zu regnen aufgehört die Sonne zeigte lächeln ihr Antlitz als man nach dem Stift aufbrach. es wurden daselbst nur 2 Lieder gesungen dan hieß es wir gehen nach Wachberg was auch wirklich geschah, unsere kirchlichen). Aus den Orden sollten nur noch „systemmäßig geprüfte Lehrkräfte“ zum Unterricht zugelassen werden. In Krems blieben nur fünf Stellen von Piaristen besetzt. Die Schule wurde 1871 vom Staat übernommen, das Konvikt 1873 aufgelassen (1898 wieder eröffnet); vgl. Lorenz Mikoletzky, Die Übernahme der Kremser Piaristenschule durch den Staat 1871, in: Hans Pichler Red., 200 Jahre Piaristen in Krems, Krems [1976], 45–53. Im Oktober 1871 eröffnete eine Mädchenbürgerschule, die ein Jahr später rund 100 Mädchen besuchten. Davor gab es für sie nur die Volksschule der Englischen Fräulein und eine fünfklassige ebenfalls private „Töchterschule“; vgl. Gäbler, Die Stadt Krems, 153, 156f. 23 Mölk – die Stadt Melk liegt an der Donau am Eingang zur Wachau (ca. 56 km von Krems entfernt); lt. Volkszählung (1869) hatte sie 1.664 EinwohnerInnen; vgl. NÖA 1871, 272. Die Angaben dieser Volkszählung beziehen sich auf die nach dem Heimatrecht ‚einheimische’ Bevölkerung (nicht auf die anwesende). Der Ausflug führte in das über der Stadt gelegene barocke Benediktinerstift Melk. 24 Kremser Lidertafel – 1850 verließen die Kremser Mitglieder die Steiner Liedertafel (gegr. 1847) und bildeten einen eigenen Männergesangsverein; vgl. Hans Frühwirth, Die Doppelstadt Krems-Stein. Ihre Geschichte von 1848–2000, Krems 2000, 58. 25 Wachberg – Hügel südl. von Melk.





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Kleider waren schon entsetzlich schmutzig, kaum dort angelangt zeigten sich schon drohende Wolken wir richteten uns zum Heimweg, doch waren wir nicht weit als es neuerdings sehr heftig zu regnen anfing und nicht mehr aufhörte zum Glük war das Schiff gedekt, durch B. Bemühungen erhielten wir einen guten Platz während der Farth bis Stein26 regnete es unausgesetzt. Das ist der Anfang und das Ende der denkwürdig verwaschenen Sängerfahrt am 5.ten Juni 1870. Den 14 Juni 1870 12 Jahre sind es heute daß unser Haus ein Raub der Flammen wurde. Damals es war im Jahre 1858 brach Abends ½ 7 uhr im Hause Nr 73 Feuer aus, welches bei der Dürre der Dächer blitzschnell weiter grief und im Nu 8 Häuser in Asche legte unser Haus war das letzte und da kamm erst die Kremser Feuerspritze wir hatten das Haus im July 1857 gekauft also waren wir noch kein ganzes Jahr Eigenthümer und es traf uns schon dieß Unglük.27 Ja meine Eltern hatten mit Kreuz und Unglücksfällen genug zu kämpfen und unsere Feinde mißgönnen uns unsere Existenz so sehr. Was wir sind und was wir haben, das haben sich meine Eltern mit ihrer Hände Arbeit erworben und sie haben gewiß viele Jahre rastlos thätig sein müßen bis sie das ereichten was sie sind. Den 24 Juni 1870 Den 22 Juni {war} großer Fakelzug28 wo sich alle Vereine von Krems und Stein betheiligten diese sind: die Vereine der Schützen, Liedertafel, Turn und Feuerwehr ferner 26 Stein – die schmale Fläche zwischen Donauufer und Fels führte zu einer extremen Längsausdehnung der Stadt. Seit 1850 gab es in Stein eine Tabakfabrik; seit 1852 ein Männer-Gefängnis (das 1839–1843 als Redemptoristinnenkloster erbaut und 1848 aufgehoben worden war). 1870 werden im Amtskalender für die Stadt 3.515 EinwohnerInnen angegeben; vgl. NÖA 1870, 204. 27 Der Pfarrer und Historiker Anton Kerschbaumer (1823–1909) schrieb über das Ereignis: „Am 14. Juni 1858 gegen 7 Uhr Abends brach im Hause Nr. 73 nächst dem Höllthore Feuer aus, das in Kürze 8 Häuser einäscherte. ... Der erhobene Schaden betrug 18.000 fl. Nach 8 Tagen war für die Abgebrannten bereits ein Betrag von 843 fl 56 kr. gesammelt.“ Anton Kerschbaumer, Die Geschichte der Stadt Krems, Krems 1885, 588. Unter dem Eindruck des Großbrandes wurde 1859 ein Verein zur Herstellung feuersicherer Bedachung in Krems gegründet; aus einem Fond wurde jährlich Geld verlost. Der Gewinner sollte sein Haus feuersicher decken lassen; vgl. Gäbler, Die Stadt Krems, 51, 37f. 1862 wurde eine Turnerfeuerwehr, zwei Jahre später eine städtische freiwillige Feuerwehr gegründet, die erstere dann ‚eingemeindete’; vgl. ebd., 41. Wetti Teuschls Vater Anton Teuschl war „Bespannungs-Commissär“ bei den Wasserzubringern; vgl. „Standes-Ausweis der vereinten städtischen und Turnerfeuerwehr“, in: KWB, 24. 12. 1864. 28 Fakelzug – am 22. Juni 1870 wurde in Krems ein Festzug zu Ehren der Wiederwahl des Bürgermeisters Ferdinand Dinstl jun. (1821–1885) in den Landtag abgehalten. Die lokale Presse berichtete von 300 Fackelträgern, die „unter dem Donner der Geschütze sich, vom herrlichsten Wetter begünstiget, in Bewegung setzte[n]“; vgl. KWB, 15, 26, 25. 6. 1870, o. S. Für ähnliche Festlichkeiten in Retz, Eggenburg und Horn – Krems vergleichbaren Kleinstädten, allerdings weniger ‚zentral’, nämlich im niederösterreichischen Waldviertel gelegen – vgl. Elisabeth Ulsperger, Modell und Wirklichkeit – Zur kulturellen und politischen Praxis in Kleinstädten, in: Hannes Stekl Hg., Kleinstadtbürgertum in Niederösterreich. Horn, Eggenburg und Retz um 1900, Wien 1994, 41–84. Ausführlich erklären das herrschende Dreiklassenwahlrecht Hans Heiss u. Hannes Stekl, Bürgertum und gesellschaftliche Modernisierung in Österreichs Kleinstädten 1850–1914, in: Clemens Zimmermann Hg., Kleinstadt in der Moderne, Ostfildern 2003, 87–118, 98ff. Wahlberechtigung in einer der vier Kurien, aus denen sich die Landtage zusammensetzten, war an hohe Steuerleistung gebunden, was weite Teile der Bevölkerung ausschloss;

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Casino, Gemüthlichkeit, Arbeiter, Fortschritsvereine29 alle 8 Gymnasialschüler und 6 Klassen der Realschulle nebst 2 Musikbanden, man kan sich denken was das für ein Zug von so vielen tausend Menschen und wie schön waren die Fahnen geschmükt der Samelort war am Pfarplatze [sie] zogen durch die ganze Stadt und über die Plätze, wobei den neugewählten Landtagsabgeordneten30 Anreden gehalten wurden und von der Liedertafel ein Ständchen gesungen wurde, am Pfarplatze trennte sich die Gesellschaft wider dieser Anblick war schön viele Fenster waren beleuchtet nur im Dechanthofe31 blieben die Fenster finster. –– –– –– Den 17 July. 2 Jahre sind im Strome der Zeit hinübergerauscht seit wir Baumgartner und ich den Bund der Liebe geschlossen, wie reich sind diese 2 Jahr an Ereigniße sowohl freudige als traurige ich mußte soviel leiden und dulden während dieser Zeit, soviel daß ich mich wundere wo ich dise Ausdauer hergenomen, jetzt ist die schwerste Zeit vorüber, meine Eltern sind ihm gewogen meine Liebe ist noch herzlicher wie früher. Schritt um Schritt mußte ich kämpfen bis ich mir seinen Besitzt erang. Den 18 August Gestern bin ich von einer 4tägigen Reise nach Maria Zell32 glüklich zurückgekehrt ich bin Sontag den 14 abgereist und Montag Mittag in Maria Zell angekommen die Witterung war abwechselnd schön und regnerisch, meine Gesundheit vortreflich. Der

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vgl. Vasilij Melik, Zusammensetzung und Wahlrecht der cisleithanischen Landtage, in: Helmut Rumpler u. Peter Urbanitsch Hg., Die Habsburgermonarchie 1848–1918, Bd. VII: Verfassung und Parlamentarismus, Teilbd. 2, Wien 2000, 1311–1352. Casino – katholischer Verein, der seit 1850 mittels Leseraum und Veranstaltungen Bildung und geselliges Leben fördern wollte. Er war eng mit der Kremser Garnison verbunden und gewährte keinen allgemeinen Zutritt, was sein Bestehen immer wieder in Frage stellte (1892 wurde er schließlich aufgelöst). Gemüthlichkeit – der Verein der Gemütlichkeit veranstaltete Gesellschaftsabende und Kränzchen, wurde 1871 in Bürgerverein umbenannt und sah fortan eine zusätzliche Aufgabe in der Verschönerung von Stadt und Umgebung. Fortschritsvereine – Constitutioneller Fortschritts-Verein in Krems, gegründet 1868/69, wollte der liberale Verein v. a. an der Definition der Staatsgrundgesetze mitarbeiten. Die Mitglieder befassten sich in Diskussionen und Vorträgen mit politischen, sozialen und volkswirtschaftlichen Angelegenheiten und formulierten Resolutionen, Petitionen etc.; vgl. Gäbler, Die Stadt Krems, 74f, 12f. Krems, Stein und Mautern bildeten für die Landtagswahlen einen Städtebezirk. Der schon erwähnte Kremser Bürgermeister Ferdinand Dinstl jun. wurde in den Landtag wiedergewählt, ebenso – als Vertreter der Landgemeinden im Bez. Krems – Franz Springer (geb. 1818) und der Steiner Bürgermeister Franz Paul Schürer (1822–1886). Geehrt wurde außerdem der k. k. Bezirkshauptmann Theodor Freiherr von Boulles-Roussig; vgl. KWB, 15, 26, 25. 6. 1870, o. S.; vgl. Frühwirth, Die Doppelstadt Krems-Stein, 22, 122. Dechanthofe – der Pfarrhof von Krems. Der Stadtpfarrer war zugleich „Dechant“, Leiter des Dekanats. Maria Zell – die Pfarr- und Wallfahrtskirche Mariä Geburt im steirischen Mariazell war das prominenteste Pilgerziel der Habsburger Monarchie. Nach einem Brand 1827 war die Kirche 1862–1865, also wenige Jahre vor Wetti Teuschls Besuch, renoviert worden; im Ort entstanden zu dieser Zeit viele Neubauten. Das Mariazeller Gnadenbild ist eine frühgotische Schnitzfigur der thronenden Maria mit Kind. Via Zeitung bewarb Anton Teuschl die Fahrt nach Mariazell. Der „Gesellschaftswagen“ fuhr am 14. 8. um 4.00 Uhr morgens ab und sollte am 17. 8. abends wieder in Krems eintreffen. Der Fahrpreis betrug hin und zurück 6 Gulden; vgl. KWB, 15, 32, 6. 8. 1870, Inserate.





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Ort Maria Zell ist nicht besonders schön so auch die Kirche nicht. Der Gnaden Altar ist ganz von Silber und das große Gitter ringsherum ebenfalls. Dieser Altar hat einen großen Werth ist aber auch das schönste, der Gnaden Altar ist in der Mitte der Kirche hinter dem Altar ist eine Säule die unbeflekte Empfängniß Marias vorstellend, vorne der Hochaltar an dem nichts besonderes ist. Das intresanteste ist die Schatzkammer in der ist an Werthgegenständen eine solche Masse daß man von bewundern gar nicht fertig wird. Mitten ist ein Altar ganz von Silber die Galerien sind dicht mit Votivbildern und Gedenktafeln bedekt wo man die staunenswertesten Wunder ließt. Ich besuchte auch den Thurm die große Gloke wiegt 103 Zt von diesen Thurm hat man eine sehr schöne Aussicht. Die ganze Reise ist reich an Abwechslungen besonders schön sind die da und dort zerstreut liegenden Fabriken mit dem Sommeraufenthalt des Besitzers bestehend aus einen Schweizerhaus im elegantesten Style, ein schöner Park mit lustig sprudelden Fontainen ferner sind wider zu sehen die herlichsten Wasserfälle eine Streke weiter trift man eine Köhlerhütte armselig mit ihren schlechten Bretterdach die vor Sturm und Wetter nur mühsam ihre dürftigen Einwohner schützen kann hier ist am schnellsten der Abstand zwischen Reichthum und Armuth zu sehen, man fährt auch strekenweise ohne etwas anderes als Berge und Wasser zu sehen.33 Dinstag Mittag sind wir von Maria Zell abgefahren {über} die Berge haben wir Blumen gepflügt welche ich am Wagen dan zu Kränzen wand und damit den Wagen mit Blumen dekorirte, von Eichenlaub machte ich kleine Kränze auf unsere Hüte welche ich mit Eicheln darauf befestigte. Zuhause angekommen erwartete mich eine große Freude, nach gegenseitiger Begrüßung stand plötzlich der Briefträger hinter mir und übereichte ein prachtvolles Bouquet von lebenden Blumen, es war von B. welcher mir diese große Überaschung bereitete. O wie viel hab ich für ihm und unsere Vereinigung gebetet. Wen Maria die hohe Himelskönigin meine Bitten erhört dan darf ich hofen einst an seiner Seite recht glüklich zu werden. Und warum sollte sie gerade mich verstoßen da ich mich so vertrauensvoll an sie wendete sie ist ja die Helferin der Kristenheit und die viellen Wunder beweisen es. Maria ich bin auch dein Kind hilf mir sei mir Mutter! –– –– Den 22 August. Ein Ereigniß stieß mir heute zu welches mir nicht nur unvergeßlich sein wird, sondern auch unter tausend wider einmal vorkommt. Es kam heute ein Hr mit Namens Alois David Privatir aus St. Pölten34 zu mir in die Piaristenküche und stellte mir den Antrag ob ich nicht einen Kaufman mit Namen Johan Baumgartner in Maria Zell heirathen wollte er sagte ich sei ihm rekomandirt worden und stellte mir die verlokendsten Aus33 Mariazell liegt ca. 115 km südl. von Krems. Die Fahrt im Pferdewagen führte über Mautern, St. Pölten und Wilhelmsburg, von dort der Traisen entlang nach Türnitz, über Annaberg und Josefsberg nach Mitterbach am Erlaufsee weiter nach Mariazell. Diese Route ist einer der klassischen „MariazellerWege“, die von PilgerInnen auch zu Fuß bewältigt werden. 34 St. Pölten – Stadt an der Traisen, 31 km südl. von Krems; v. a. nach dem Bau der Kaiserin-ElisabethBahn (Westbahn) 1856–58 ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt; um 1870 hatte die Stadt 7.755 EinwohnerInnen; vgl. NÖA 1870, 250.

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sichten er sagte das Vermögen belaufe sich auf 100.000 fl. Die Möbeln seien alle hier ich brauche keinen Kreuzer Geld. Dieser Betrefende ist 27 Jahre alt und hübsch das weis ich weil ich ihm bei meinen Aufenthalt in Maria Zell gesehen habe mich bewog daß dazu daß ich dieselbe Firma sah wie meines Geliebten Namen so sah ich einen diesen Mann schärfer an als einen andren ich konnte das jedoch nicht ahnen und kam auch mit ihm in keine Berührung. Dan dieser Zufall 8 Tage darauf kommt der um meine Hand anzuhalten für den, den ich kaum kenne. Die Frl. Toni35 protischirte mich und ihr allein hab ich das alles zu verdanken. Sonderbar ist daß der Betrefende Vor – Zunahme und Charakter gleich mit den meinen hat selbst Größe und Alter haben sie beinahe gleich nur daß der der eine brünet während der meine blond ist. Kaum daß ich es noch wußte, erfuhr es B. schon. B war in schrekliche Aufregung und wenig fehlte hätten wir uns zertragen, er behauptet ich müße mit denselben verkehrt haben anders könn es nicht sein. Aber Gott sei Dank ich weiß es daß ich unschuldig bin. Den 29 August. Heute war ich zum 2tenmal auf den Piaristenthürmen36 in Krems da sich von da eine bezaubernde Aussicht darbietet man findet {genießt} da eine Rundschau die man selten finden wird erstens liegt die Kirche und der Thurm auf einen hohen Berg 2tens muß man 160 Stufen ersteigen bis man ans Ziel kommt, da ist die Wohnung des Thurmwächters welcher die Feuersignale zu geben hat auch ist ein bescheidener Balkon von wo man eine schöne Aussicht hat, und herum sind 4 kl. Thürme von da zum sogenanten Breinglöklein37 sind noch 36 Stufen welche ich auch erstieg da ein heftiger Sturm tobte konnte man da oben nicht Stand halten. Die {große} Gloke hat 95 Zt währed die in Maria Zell 103 Zt wiegt auf dieser Gloke werden mittels eines Hamers die Feuersignale gegeben. Furchtbar muß es da oben bei einen Gewitter sein. Den 5 Oktober. Lange schon habe ich in mein Büchlein nichts eingetragen. Nun will ich wider fleißiger sein. Mein Austritt bei den Piaristen erfolgte am 31 August ich habe sehr gut geendet indem ich die Liebe und Achtung des Frl. Toni und die Freundschaft aller Mädchen mit mir nahm einigemale ließen sie mich schon zur Aushilfe holen auch war Frl. Toni 4 Tage vereist wo sie mir alles vertraute und ich Ihre Stelle vertreten mußte. Nun aber zu etwas andren zu den Glük des heutigen Tages. Meine Eltern Baumgt. und ich machten

35 Frl. Toni – Leiterin der Küche im Piaristenkloster Krems. 36 Piaristenthürmen – die Piaristenkirche Zu Unserer Lieben Frau steht auf einer Anhöhe über dem Stadtzentrum. Das Gebäude wurde 1616 dem Jesuitenorden übertragen, nach dessen Aufhebung übernahmen es die Piaristen (1776). Der West-Turm gehörte seit 1616 der Stadt. 37 Breinglöklein – nach Anton Kerschbaumer leitete sich die Bezeichnung Bräunglöckl von der PrimGlocke ab, die zur ersten Messe ruft. In Krems läutete diese Glocke täglich für 15 Minuten, sommers um 4.00, winters um 5.00 Uhr früh. Kerschbaumer verwarf die zeitgenössisch gängige Deutung, der Name der Glocke erinnere an die hohe Kindersterblichkeit – insbes. infolge einer gefürchteten Halsentzündung, der „Bräune“ (vgl. Anm. 193); vgl. Ant.[on] Kerschbaumer, Das Bräunglöckl in Krems, Krems o. J., 3ff.





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heute eine Partie nach Arnstorf38 pr. Wagen von da nach Langegg39 zu Fuß die Abfahrt war 7 uhr früh, der Tag prachtvoll die Sonne schien so hell und warm während ein leichtes Lüftchen die erhitzte Stirn wider kühlte. Schon die Fahrt nach Arnstorf war so schön und dan erst die Fußparthie nach Langegg. Der Weg führte durch Wälder und Wiesen und die Aussicht war wunderschön die Gegend schien sich an diesen Tage eigens geschmükt zu haben den die Wälder in ihrem gelb, roth und grünen Schattierung war herlich anzusehen dazu die Nähe meines Geliebten bald gingen wir Hand in Hand dan stall er sich schnell ein Küßchen ein Scherz wechselte mit dem andren so kamen wir in Langegg an. Dort gingen wir in die Kirche B. und ich betraten zuerst die Kirche meine Eltern und Karl40 folgten. Wir beide knieten am Speißgitter41 nieder während die andren sich hinter uns in eine Bank setzten. Meine Eltern betrachteten uns mit Rührung. Der Vater gab der Mutter ein Zeichen uns anzusehn wie gut wir zwei zusamenpassen es war gleichsam eine Parodie unserer Hochzeit. Viele Gedanken stürmten auf mich ein. Mit heißem Gebete legte ich der Muttergottes meine ganze Zukunft in die Hände sie möge wen wir einst als Braut und Bräutigam beisamen knien uns beide nicht verlassen und stets unsere Hoffnung und Zuversicht sein. Dan betrachteten wir uns die Kirche und gingen in den Gasthof zurück wo wir Kegelschieben und uns sehr gut unterhielten bis zum Speisen nach demselben traten wir den Rükweg an und gegen 6 uhr fuhren wir von Arnstorf nach Hause. Der Abend war ganz den Tag angemessen der Mond mit seinen Silberstrahlen beleichtete eine glükliche Gruppe, die glüklichste aber von allen werde wohl ich gewesen sein da ich das süße Bewußtsein hatte die Gesinungen meines Vaters geändert zu sehen da ich von ihm den größten Widerstand zu befürchten hatte diese Sorge ist jetzt leichter. Den 22 Novemb. Heute hat Hr. Schober seine Hochzeit gefeiert er hat die Lori Vogl von Weinzirl42 geheirathet wahrhaft bedauernswerth ist dieser Mann und so sehr wir Feinde waren, habe ich ihm jetzt alles verziehen ich habe zuviel Mitleid mit seiner erbärmlichen Lage als daß ich da noch auf Rache oder Haß denken sollte. Dieses Weib – und diese Schulden. –– 38 Arnstorf – Arnsdorf, Gemeinde im Bez. Mautern mit 360 EinwohnerInnen; vgl. NÖA 1870, 206. 39 Langegg – im Dunkelsteinerwald, Bez. Krems; seit dem 17. Jh. – wegen der Pfarr- und Wallfahrtskirche Mariae Geburt – Maria Langegg. 40 Karl – wahrscheinlich ist der Cousin Karl Rötzer gemeint, Sohn von Therese Rötzer, einer Tante Wetti Teuschls mütterlicherseits. 41 Speißgitter – das Speisegitter trennte, meist an einem kleinen Treppenabsatz angebracht, den Altarvom Kirchenraum. Der Priester verteilte durch das Gitter an die davor knienden Gläubigen die Hostie; später auch Bezeichnung der Kommunionbank; dieser und ähnliche alt-Wiener/alt-österreichische Begriffe ließen sich mit Maria Hornung u. Sigmar Grüner, Wörterbuch der Wiener Mundart, Wien 20022, klären. 42 Lori Vogl – Eleonora Vogl (geb. 12. 12. 1839), Tochter eines Gastwirtspaares, heiratete Josef Schober (vgl. Anm. 14); vgl. DASP, PfA Krems St. Veit 2/27, Trauungsbuch 1863–1878, Fol. 176, Nr. 69. Das Weinhauerdorf Weinzierl gehörte zum Stadterweiterungsgebiet östl. von Krems.

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Die Aktien meiner Liebe stehen gut. B. kommt täglich wen er nicht auf Reisen ist und wir unterhalten uns recht gut entweder wir vertreiben uns die Zeit mit plaudern oder wir spielen Karten auch der Vater spielt sehr oft mit uns. [Das letzte Drittel der Seite wurde herausgeschnitten.] 19

ein Postament43 Glaube, Hoffnung und Liebe vorstellend, dan von meiner Firmpathe Therese Rötzer44 einen hübschen Nähpolster, auch erhielt ich einige Briefe und ziemlich viele Billeten, ein Brief besonders überaschte mich ungemein, da ich von dieser Seite wahrhaft nichts erwartete natürlich von Hrn Eduard Korntheyer k. k. Bezirks Schätzungs Adjunkt in Baden er schrieb einen sehr freundlichen Brief aus welchen besonders eine tiefe Achtung spricht, ich muß ihm artigkeitshalber antworten, obwohl ich es ungern thue, weil es mir unangenehm wäre, wen eine Corespondenz daraus entstehen würde, B. hat seinen Brief gelesen und obwohl er denselben die Achtung die er mir zollt nicht absprechen kann so müßte es ihm doch peinlich sein, soviel ich bemerkte, ich werde meinen Brief derartig abfassen, daß ich dabei nicht unhöflich erscheine und doch für B ein Beruhigungsmittel sei. –– ––45 Neunzehn Jahre welche Zahl scheint es einen zu sein und doch vergeht die Zeit so schnell einen kurzen Lebensabriß möchte ich so gerne geben doch ich vermag [Die erste Hälfte der Zeile wurde weggeschnitten] kann ich nicht schreiben [Das letzte Drittel der Seite wurde herausgeschnitten.]

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Den 8. Dezember Ich will mir den Brief K an Kortheyer hier kopiren ich könte dieselbe brauchen um sie B. lesen zu laßen wen er das Original nicht sieht derselbe lautet: Sehr geehrter Herr! Empfangen Sie meinen wärmsten Dank für Ihre ebenso herzliche als freundschaftliche Erinerung zum Namenstage, nebst der aufrichtigen Versicherung daß ich gewiß freudig überascht war über den Beweis daß Sie daß einfache Bürgersmädchen aus Krems noch nicht ganz vergessen haben, gewiß habe ich daß der schönen blauen Donau zu danken, daß Sie sich zuweilen auch meiner Wenigkeit erinnern.

43 Postament – Unterbau, Sockel einer Säule oder Statue. Der nicht mehr vorhandene Eintrag scheint sich auf ihren Geburtstag (3. 12.) bezogen zu haben. Auffällig ist die terminliche Nähe von Geburtsund Namenstag, dem Tag der hl. Barbara. Zur Rolle von Heiligen für die Vornamenkultur im 18. und 19. Jh. vgl. Margareth Lanzinger, „Meine Mutter wollte für ihre Tochter etwas Besonderes, Modernes ...“. Namenkultur im Wandel, in: dies. u. Nikola Langreiter Hg., Kontinuität : Wandel. Kulturwissenschaftliche Versuche über ein schwieriges Verhältnis, Wien 2002, 84–112, bes. 90–98. Interessant ist dieser Text auch hinsichtlich der Vornamenvergabe in der Familie Baumgartner, vgl. Anm. 49. 44 Therese Rötzer – Tante Wetti Teuschls mütterlicherseits; sie war ihre Taufpatin, als Firmpatin fungierte Elisabeth Pimeskern; vgl. DASP, PfA Krems St. Veit 1/18, Taufbuch 1841–1853, Fol. 471 u. 4/1, Firmungs-Buch 1857–1882, o. S. 45 Folgendes mit anderer, dünnerer Feder.





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Wenn Ihnen wider Gelegenheit geboten wäre nach Krems zurückzukehren so würden Sie manche Veränderung finden vor allen die Gasbeleichtung, deren leuchtende Strahlen wir zwar noch immer nicht sehen, dafür aber schon lange erwarten, wie man hört soll sie am 15. d. M. Krems mit ihren Licht erfreuen; 2tens die neue Renovirung des Theaters welche man der Wahrheit gemäß einfach aber hübsch nenen muß; 3tens ist unser Haus auch ein bischen modernisirt worden wir haben nähmlich jetzt gerade Fronte[n] und dadurch gewint es an Aussicht und Einkommen. Frau v. Zelenka hat ihre Wohnung mit einer Gassenwohnung vertauscht. Nicht unintersant dürfte Ihnen [sein,] daß Frl. Johana Zelenka nach Polla46 abgereist ist, wohin sie eine kaiserliche Anstellung berufen hat. Ja’ so manches würden Sie verändert finden aber unverändert ist noch – daß gute Pflaster. – Über Zilli Wurm kann ich Ihnen nichts berichten als daß sie in Wien ist und sehr stark Plätze wechselt, über ihre moralische Auführung kann ich nur vermuthen nicht behaupten wie es mit ihr ist. Vielen Dank von den Damen Zelenka. Daselbe nebst vielen Grüssen von meinen Eltern und meiner Freundin Leopoldine Pammer. Leben Sie wohl und denken Sie zuweilen an die Sie herzlich grüßende, wen auch etwas muthwillige Kremserin Wetti Teuschl Dieser Brief ist in etwas heiteren Style gehalten und ich that es darum weil ich auf diese Weise mir weder eine Blöße geben noch Veranlasung zu einem Unfrieden werden kann wen B. ihn ließt wird er dem Brief freundliche Heiterkeit nicht absprechen können, während ich damit Korntheyer selbst keine Gelegenheit zur Vortsetzung einer mir gewiß lästig fallenden Corespondenz gebe. Den 28 Dezember Die Weinachtfeiertage sind vorüber und für mich auch eine Zeit der Langweile und der Entsagung. B. war nähmlich nicht hier sondern ist zuhause bei seinen Eltern er wird glüklich sein sich von seinen Strapatzen etwas erholen zu können seine Theuren wider zu sehen ihnen alles sagen zu können was ihm am Herzen liegt, ich vergönne ihm das Glük von ganzen Herzen obwohl ich dafür wider 8 Tage Strohwitwe bin, doch das wird vorüber gehen und ich bin dan wider ganz allein in seinen Besitz glüklich, seinen dringenden Bitten zufolge schreibe ich ihm noch am Tage seiner Abreise einen Brief den ich dan folgen lasse. Ich weiß nicht was er mit diesen Brief eigentlich beabsichtigt jedenfals thut es ihm freuen wen er von mir einen Brief bekommt auch glaube ich daß er ihn seinen Eltern47 lesen lassen wird, er hat mir versprochen sogleich nach Empfang 46 Polla – wahrscheinlich ist das istrische Pola (Pula, Kroatien) gemeint. Die Stadt liegt an der südl. Spitze der istrischen Halbinsel. Pola war der Kriegshafen und zentrale Punkt der österreichisch-ungarischen Kriegsmarine; eine Eisenbahnlinie verband die Stadt mit Triest und dem Binnenland. 47 Eltern – Sebastian Baumgartner (18. 12. 1804–11. 11. 1877), Kleinhäusler, Weinhauer, Fallbach Nr. 22, und Elisabeth Kraft (21. 2. 1813–1. 3. 1883), Fallbach Nr. 51, Kleinhäuslerstochter; vgl. PfA Fallbach, Taufbuch D, Fol. 35 u. 104 bzw. Sterbebuch E, 1835–1886, Fol. 107 u. 120. Die beiden heirateten am 12. 4. 1831, vgl. ebd., Trauungs-Protokoll D, 1785–1849, Fol. 54.

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meines Briefes retour zu schreiben, da aber ein Brief nach Falbach48 3 Tage geht so hab ich erst morgen Antwort zu hoffen jetzt folgt mein Brief an ihn er lautet Theuerster Johan! Den 24/12 1870, 12uhr Nachts Ich hoffe daß Du {glüklich} zu Hause angekommen bist und auch alle deine Angehörigen gesund und wohl gefunden hast. Ich muß gestehen daß ich eine rechte Angst um Dich habe in dieser fürchterlichen Kälte reisen, wie leicht köntest Du krank werden! Freilich wird es Dir minder kalt scheinen wen Du denkst daß Du zu Deinen Eltern fährst, den welches Kind sollte sich nicht freuen seine Eltern zu sehen und Du warst schon so lange nicht bei ihnen. Bruder und Schwesterliebe ist mir fremd vileicht werden Deine Geschwister49 einst auch die meinen sein. Ich wünsche Dir recht glükliche Feiertage obwohl ich nicht weiß ob mein Brief noch zur rechten Zeit eintreffen wird. Ich werde recht langweilige Feiertage [haben] da ich auf Deinen lieben Besuch verzichten muß, umso öfter werde ich dein liebes Bild betrachten, da ich der Freude es selb Dich selbst zu sehen beraubt. Du wirst staunen daß ich so spät in der Nacht noch schreibe aber es ist ja heilige Nacht und da bleibt man immer länger als gewöhnlich auf. Vor einer Stunde war noch Dini hier wir spielten und bedauerten nur daß Du nicht auch bei uns bist. Sie bat mich an Dich viele Grüsse zu schreiben. Ich war heute Nachmittag und Abends so mit Geschäften überhäuft daß ich keinen Augenblik frei hatte um Dir zu schreiben so schrieb ich den in der Nacht wenigstens stört mich niemand in meinen Gedanken. Deinen Versprechen gemäß hoffe ich auf eine recht baldige Antwort, schreibe mir wie es Dir und Deinen Angehörigen geht und ob Deine Reise von keinen unahngenehmen Vorfall unterbrochen wurde. Entrichte mir an Deine Eltern und Geschwister viele, viele Grüsse, sowohl von mir als auch von meinen Eltern dasselbe von meinen Eltern an Dich. Und jetzt leb wohl sei tausendmal gegrüßt und geküßt von Deiner Dich aufrichtig und treu liebenden W. T. P. S. Verzeihe meine schlechte Schrift. Die Nacht ist schon so weit vorgerükt daß mein Auge trübe und meine Hand schwach ist. Ich kann die Feiertage nichts thun, als immer an Dich denken und für Dein Glük beten, ja beten will ich daß Dich der liebe Gott gesund und glüklich in meine Arme 48 Falbach – die Gemeinde Fallbach gehört zum Bez. Mistelbach und liegt ca. 93 km nordöstl. von Krems. Der Ort besteht aus wenigen Straßenzügen um einen Anger, an den Ortsrändern gibt es drei Kellergassen (Weinbau). Für 1869 werden 378 EinwohnerInnen angegeben; vgl. NÖA 1871, 240. 49 Geschwister – Johann Baumgartner war das sechste von zwölf Kindern und hatte neben den hier später erwähnten – (Anna) Maria, Magdalena/Leni und Sebastian – noch acht weitere Geschwister, von denen vier als Säuglinge oder Kleinkinder gestorben waren (Martin, 30. 5. 1832/Fol. 87; Sebastian, 12. 3. 1835/Fol. 101; Anna Maria, 16. 4. 1837/Fol. 113; Elisabeth, 2. 9. 1839/Fol. 126; Lambert, 16. 6. 1842/Fol. 3; Joseph, 13. 1. 1847–30. 1. 1847/Fol. 29; Joseph, 24. 2. 1848–17. 2. 1849/Fol. 34; Magdalena, 10. 2. 1850/Fol. 43; Matthäus, 13. 9. 1851–1851 [wahrscheinl. am selben Tag verstorben]/Fol. 53; ein weiteres Mädchen starb am Tag der Geburt [27. 1. 1853]/Fol. 58; Theresia, 21. 8. 1855/Fol. 70; vgl. PfA Fallbach, Taufbuch E, 1814–1841, Fol. 87, 101, 113, 126, u. Taufbuch F, 1842–1865, Fol. 3, 29, 34, 43, 53, 58, 70. Als PatInnen aller Kinder sind Martin Uhl, Bauer in Fallbach Nr. 75, und seine Ehefrau Anna Maria Uhl eingetragen.





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zurükführen möge. Ich weiß nicht wie das kommt ich kann nicht enden und doch muß es sein. Also nochmal viele Grüsse und Küße von der Obigen. _____________ . _____________ Ich bin wirklich neugierig ob ich auf diesen Brief morgen auch wirklich Antwort erhalte. Sehr freue ich mich auf seine Ankunft. Den 29 Dezember. Einen Brief habe ich heute wirklich von B. erhalten aber einen der mich eher niederschmetterte statt mich aufzurichten er schreibt mir nehmlich lieb aber er fragt mich warum ich ihm trotz meinen Versprechen nicht schreibe, also hat er meinen Brief gar nicht erhalten ich glaube daß ich er jetzt den Brief schon hat und daß nur durch eine Nachlässigkeit der Post eine Verspätung meines Briefs die Folge war, ich habe heute Mittag seinen Brief erhalten und antwortete ihm augenbliklich {aus} meinem Brief an ihn spricht eine rechte Desparation,50 er wird jedoch meinen Brief auch erst in 3 Tagen erhalten deshalb hab ich ihm jetzt schnell telegrafirt mein Telegram lautet also: Herzliche Wünsche zum neuen Jahr, hoffe meinen ersten Brief bereitzt in Deinen HänWetti den, Antwort auf Dein Schreiben schon abgesendet. Meinen Brief an ihn kann ich nicht kopiren da ich zu verwirt war um mir zu merken was ich schrieb soeben bekomme ich meinen Aufsatz zum Telegrafiren zurük da wie die Beamten sagen dafür keine Telegrafenstation geht.51 Also wider eine Hoffnung vernichtet o es ist furchtbar was ich heute wider ausstehe villeicht erhält er doch meinen ersten Brief und schreibt mir gleich damit ich beruhigt bin. Den 1 Jänner 187152 Gott sei Dank für alles was ich im vergangenen Jahr von ihm erhalten habe. Es scheint gut anfangen zu wollen wen ich meiner heutigen Laune nach das ganze Jahr beurtheilen darf, sogar über B. Abwesenheit ist mir leichter, hab ich doch gestern von ihm einen herzlichen lieben Brief bekommen, der mein Herz wider ganz beruhigt hat, er hat nähmlich meinen ersten Brief erhalten, und sieht das die Verspätung nicht meine Schuld war. Er bat mich ihm nach Wien zu schreiben wo er sich einige Tage aufhaltet was ich auch noch gestern that. Auf seinen Brief hin bin ich deshalb heute sorgenfrei und heiter. Ach wie freue ich mich auf seine Ankunft.

50 Desparation – Desperation: Verzweiflung. 51 In Krems eröffnete 1869 ein Post- und Telegrafenamt; vgl. Helmut Engelbrecht, Krems im 19. Jahrhundert – Weichen werden gestellt, in: Willibald Rosner Hg., 1000 Jahre Krems – am Fluß der Zeit. Die Vorträge des 15. Symposions des NÖ Instituts für Landeskunde 1996, St. Pölten 2001, 221–247, 234. 52 Dreifach unterstrichen, mit Kreuzchen und Ws verziert.

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Den 9ten Februar 1871. Über ein Monat ist es schon das ich gar nichts in mein liebes Büchlein eingetragen habe, es ist eben nichts besonderes vorgefallen. Aber gestern war ein Tag, der es verdint einer näheren Aufmerksamkeit gewidmet zu werden. Gestern war Bürgerball53 der schönste welcher bisher noch da war, die Räume waren überfüllt von allen Ständen waren vertreten und Einigkeit und Gemüthlichkeit herschte im allgemeinen. Der große Sall war zum Tanze für die Jugend bestimmt während im kleinen Saale die Nichttanzenden sich bei einem Conzerte der Regimentsmusik Ferd. d Este recht heiter amüsirten. Der große Saal war sehr geschmakvoll und mühsam dekorirt was den Arangeren alle Ehre macht; die Wände waren mit Tarletan54 überzogen Epheu umrangte in zirlichen Windungen dieselben und kleine versetzte Blumen-bouquetches vervollständigten das ganze zu einer zarten sinigen Ausstattung welche dem Auge des Eintretenden die erste Überraschung bereitete. Ein überaus glüklicher Gedanke war es den terassenförmig abgeschlossenen Raum auf den umgeben von grünenden Gebüsch ein Wässerchen sprang zu schaffen, welcher jednen Damen die sich ferne vom Tanz hielten eine ruhige Stätte bot und dem Auge einen Überblik des ganzen Ballsaales gestatete. Am Eingang zu diesen Raum entfaltete sich oberhalb die Bürgerfahne der Stadt Krems – an den Pfeilern die Fahne des Turn = Schützen = Gesang = und Gemüthlichkeitsvereines simbolisch andeutend den Schutz welchen sich diese Vereine unter dem Banner der Stadt Krems und ihrer Bürger erfreuen sollen. Ich muß gestehen das ich nicht so viel erwartete, ja daß sogar die Erwartungen aller weit übertroffen wurde[n]. Ich habe die ganze Woche zuvor an meiner Toilette gearbeitet mußte mir aber mit Genugthuung sagen, daß sich meine Mühe gelohnt. Noch eine große Überaschung war mir vorbehalten nach der ersten Tour welche ich mit B. tanzte überreichte er mir ein prachtvolles Blumenbouquet welches mir wider ein Beweis seiner aufopfernden Liebe ist. Ich habe bis 5 uhr früh getanzt es war der erste und letzte Ball im heurigen Fasching aber er wird mir unvergeßlich bleiben. Andren auch? Den 19 Februar Trozdem daß ich glaubte keine Unterhaltung mehr zu besuchen ging ich denoch auf das Gemüthlichkeitskränzchen55 wo ich mich so amüsirte daß beinahe noch der Bürgerball 53 Bürgerball – „Es war ein Fest würdig der Bürgerschaft die durch diese That den Bürgersinn der Stadt Krems wieder einmal glänzend bewährt hat. Mit Freude bemerkten wir, die fröhliche Theilnahme aller Stände an diesem heiteren Feste, von dem Niemand ausgeschloßen war. Vor Allem sei nun der lieblichen Frauen- und Mädchengestalten gedacht, welche zahlreich erschienen, des Balles schönste Zierde waren ...“ KWB, 16, 6, 11. 2. 1871, Titelblatt u. f. 54 Tarletan – Tarlatan: feiner, glatter, baumwollener Stoff, der zu Ballkleidern und zu Schmuckelementen verarbeitet wurde. 55 Gemüthlichkeitskränzchen – „Am 18. d. M. hat der Verein ‚Gemüthlichkeit’ in Herndl’s Lokalitäten ein Tanzkränzchen abgehalten, welches zu den belebtesten Unterhaltungen des Faschings zählt. Der Frohsinn hatte hier sein Lager aufgeschlagen und es konnte auch nichts als Frohsinn herrschen, wo die Elite der Schönheiten von Krems versammelt war.“ KWB, 16, 8, 25. 2. 1871, o. S. Ende Jänner wurde für die in den „gänzlich neu renovirten Herndl’schen Lokalitäten“ Faschingsbälle geworben; vgl. KWB, 16, 3, 21. 1. 1871 u. 16, 4, 28. 1. 1871, o. S.





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in den Hintergrund treten muß. Hauptsächlich waren es die Herren Baumgartner, Haselgruber, Meier und Steiner welche mir diesen Abend zu einen unvergeßlichen werden ließen. Haselgrubers Schwermuth hat mich wen auch nur flüchtig doch schmerzlich berührt, er hat den vorigsjährigen Narrenabend* (da wars als ich mit Giardi tanzte)56 nicht vergessen können. Steiner beurtheilt seine Stimung derartig als ob seine Schwermuth mir gelte und die Folgen des Naarenabends waren. Seine Aufmerksamkeit für Dini ist nur ein Vorwand um seine Colegen von der richtigen Spur abzulenken, dieser Meinung ist auch Steiner welcher Zeuge seiner aufkeimenden Liebe am Naarenabend und Begleiter bei den unzähligen Promenaden bei meinen Fenster war. Doch zurük zum Ball ich habe soviel getanzt daß sich sogar einige an meine Eltern gewant haben um sie aufmerksam zu machen daß ich soviel tanze und oft ganz erschöpft bin, welch zarte Aufmerksamkeit als ob mich meine Eltern nicht ohnehin gesehen hätten. Baumgartner war in einer so lustigen Stimmung wie ich ihn noch selten gesehen, ich gefiel ihm ihn meiner Toilette noch besser als am Bürgerball und er bewies mir im Beisein vieler Colegen daß er mich liebt. Meine Quadrillen57 hatte ich sogleich nach dem Eintritt alle vergeben und Baumgartner ärgerte sich fürchterlich daß er sich anfangs nur auf 2 vorgemerkt hatte, er klagte immer darüber doch das Glük war ihm günstig es wurde um eins mehr getanzt als auf der Tanzordnung angezeigt waren und so war er doch einigermaßen beruhigt wir gingen um ¾ 4 uhr nach Hause und durchlebten im Traume noch einmal den ganzen, schönen und unvergeßlichen Abend. Den 23 April Schon so weit ist die Zeit vorgerükt daß wir April schreiben und ich war so lau mit dem Einschreiben, doch es ist auch nichts absonderliches vorgefallen daß der Aufzeichnung werth gewesen wäre. Über ein Jahr schon führe ich dieses Tagebuch und habe zu meinen Vergnügen mehr Freudiges als trauriges einzutragen gehabt möchte es immer so sein. Hr. Baumgartner sucht schon Existenz er will selbstständig werden,58 zu diesen Zweck besuchte er am Ostersontag Rafelsbach59 da doch ein Haus mit vermischter 56 Mit Sternchenverweis am Seitenende hinzugefügt. Eventuell tanzte Wetti Teuschl mit dem – später berühmten – Schauspieler Alexander Girardi (1850–1918). Er war 1869/70 am Kremser Stadttheater engagiert. Giarardi wurde wenige Jahre später in Wien zum erfolgreichen Theater- und dann auch Filmschauspieler; vgl. Felix Czeike, Historisches Lexikon Wien in 5 Bdn., Bd. 2, Wien 1992, 544f. 57 Quadrille – Gesellschaftstanz im 3/8 oder 2/4 Takt, vollführt von je vier Personen im Karree. 58 Seit 1859 war die Gewerbeordnung sehr liberal; zur Eröffnung eines Betriebes brauchte es keinen Befähigungsnachweis (ausgenommen waren nur einige wenige konzessionierte Gewerbe). Auch der Zunftzwang war gelockert, und Frauen konnten als Selbständige jedes Gewerbe betreiben. Diese Liberalisierungen gerieten bald in Diskussion und wurden von 1883 an sukzessive zurückgenommen; vgl. Helene Herda, Der Zugang von Frauen zum Gewerbe. Eine Analyse der rechtlichen Rahmenbedingungen von 1859 bis heute, in: Irene Bandhauer-Schöffmann u. Regine Bendl Hg., Unternehmerinnen. Geschichte und Gegenwart selbständiger Erwerbstätigkeit von Frauen, Frankfurt a. M. u. a. 2000, 135–159, 136f. 59 Rafelsbach – Ravelsbach ist ein Markt im westl. Weinviertel. Charakteristisch für den Ort sind mehrere Presshäuser (für Wein) aus den Jahren um 1800. Zusammengenommen zählte man 1869 in Oberund Unter-Ravelsbach 732 EinwohnerInnen. In den 1870er Jahren gab es in Unter-Ravelsbach – dem größeren der beiden Orte – Post, Schule und Pfarre; vgl. NÖA 1871, 195. Im Juni und Juli wird im „Kremser Wochenblatt“ mehrfach die Versteigerung des Hauses samt Warenlager und Gewölbeeinrich-

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Warenhandlung zu verkaufen ist, doch ist ihm dieß {zu} kleinlich, er spekulirt auf eine Tuchhandlung und zwar in Zwettl,60 mein Wunsch ist dieß schon lange, wird er wohl in Erfüllung gehen selbst wen er sich nicht erfüllen wird, ich werde ihm nie hemend entgegen treten, sein Wunsch sei berüksichtigt u nicht der meine. Seine wahre innige Liebe zu mir wird mir die Trennung vom Elternhause einst leichter machen ebenso wie sie jetzt mein Melancholie verbant und meine zum Schwärmen geneigte Natur aufheitert und belebt. Und doch gibt es Tage wo mich nichts nicht einmal seine {Liebe} aufzuheitern vermag, solche Tage bringen mir namenlose Qualen von denen niemand weis und die ich niemand klage aber so Gott will wird dieß alles anders. Den 17 Juni 1871 Kaum weiß ich was ich schreiben soll so häufen sich meine Gedanken und leider sind es keine freudigen Gedanken die mir im Kopfe wirbeln und mir das Leben im Krems verbittern ich bin das Tagesgespräch. Durch einen Menschen den Gott verzeihen möge ich kan es nicht ich kenne viele Ränke und Bosheiten welche der Haß erzeugt daß aber persönliche Abneigung so weit gehe könne war mir früher fremd. E[in] Hr Brutscher61 einer der mißerabelsten Geschöpfe die auf Erden wohnen ist derjenige dem ich so viel Schmerz und Ärger verdanke, schon früher setzte er alles daran mich in Bs Augen zu verdächtigen aber jedesmal stelte sich meine Unschuld und seine Niederträchtigkeit an den Tag und nie gelang es ihm uns ganz auseinander zu reißen, jetzt aber da er sieht daß B Ernst macht eine eigene Existenz zu gründen und daß Ende vom Lied eine Heirath mit mir wäre, jetzt weiß sein Geist nicht mehr was er für Ränke und Lügen ersinen soll um mich der Öfentlichkeit preiszugeben und dem Gelächter des Volkes preiszugeben. Er streut überall daß Gerücht aus daß B heirathet, dichtet auch eine höchst Aber alberne Fabel dazu und die Menge glaubt es, natürlich es muß doch wahr sein wen es sein Chef selbst sagt. Zu B. sagt er er solle was imer für eine heirathen nur mich nicht, eine andere Äußerung lautet er möchte mich marsakeriren wen er könte. Dieser fromme Wunsch soll dir zum wenigsten {nicht} in Erfüllung gehen. Doch man wird sagen ja warum thut er dieß alles er muß doch einen Grund haben vieleicht hat sie ihn beleidigt, ich aber antworte nein und hundertmal nein er hat keinen Grund keine Veranlassung er thut dieß alles aus persönlicher Abneigung. tung aus der Konkursmasse von Julius und Magdalena Steininger, Ravelsbach Nr. 24, angekündigt (10. 7. 1871); vgl. z. B. KWB, 16, 23, 10. 6. 1871, o. S. Die Daten legen nahe, dass sich Johann Baumgartner für dieses Angebot interessiert hatte. 60 Zwettl – die Stadt war ein bedeutendes Handelszentrum mit Verbindungen nach Böhmen; die Weberei – lange wichtig in der Region – hatte im späten 19. Jh. schon an Bedeutung verloren. 1869 ergab die Volkszählung 2.918 EinwohnerInnen; vgl. NÖA 1871, 316; Josef Traxler, Heimatkunde des polit. Bezirkes Zwettl, Zwettl 1888, 203. Die Stadt ist 50 km von Krems entfernt. 61 Hr Brutscher – Alois Brutscher (geb. 20. 6. 1840), Inhaber der Tuchhandlung zur goldenen Krone, Dachsberggasse 3. Später betrieb er auch ein Möbelgeschäft; beide Unternehmen wurden 1877 aufgegeben. Brutscher war Sohn eines ehemaligen Kremser Gastwirts; 1867 hatte er Maria Mayer, eine Wirtstochter aus dem nahen Loiben geheiratet; vgl. KWB, 15, 19, 7. 5. 1870, Inserat; DASP, PfA Krems St. Veit 2a/11, Trauungs-Rapular 1865–1870, Fol. 109, Nr. 80, 18. 11. 1867.





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Ich habe ihm früher nie gekant erst seit [er] das Geschäft hat,62 habe auch seit dieser Zeit nie mit ihm verkehrt und doch haßt er mich so sehr, befaßt sich mit den abgefeimtesten Lügen die einen Geschäftsman und Familienvater nur in der Achtung der ganzen Menge heruntersetzen kann. Er besitzt keine Ehre und keine Scham er hat auch die Achtung der Bürger und aller die ihn kennen längst verloren aber denoch glauben ihm die Leute den was ist ihr größtest Vergnügen als tratschen und Neuigkeiten auskramen. Mein einziger Trost ist in der schweren Situation, das Bewußtsein mir in keiner Weise etwas vorwerfen zu können B. kennt und liebt mich und alle die mich kennen, gut kennen, nähmlich achten und schätzen mich. Gott gib mir Geduld! Den 27 Juni 1871. Noch kein Jahr haben wir so viele Ausflüge gemacht wie heuer, erstens ist heute das Verhältniß zu B schon ganz offen und meine Eltern lieben ihn sehr; 2tens geschieht es auch der Milli zu lieb daß man ihr Zerstreuung und Freude schaft, und drittens die neue Bekantschaft mit den Herren Roßkopf63 welche im{m}er sehr animirn, so kommt es auch daß die Gesellschaft immer sehr groß ist und da wir alle gemüthlich sind kann es an einer herzlichen Unterhaltung nicht fehlen. Ausflüge haben wir schon gemacht nach Rosenhügel,64 Alaunenthal, ferner nach Waldhof65 und Rechberg.66 Vorgestern waren wir im Keller.67 Vater, Mutter, Milli, Her Baumg. Herr Maier und ich wir unterhielten uns recht gut. Besonders ist jetzt die Jahreszeit schön und man [hat] recht Gelegenheit die Güte Gottes zu bewundern und zu preisen, die Früchte der Felder stehen heuer wunderschön so auch die Weingärten und wen uns der liebe Gott seinen Segen gibt könen wir auf ein sehr gutes Jahr hoffen. Jede Jahreszeit entwikelt vor unseren Augen ein neues Panorama und jede Jahreszeit gibt uns aufsneue Gelegenheit dem Herrn zu danken, aber eben deshalb weil jede derselben uns so viel zu betrachten und zu lieben gibt soll man auch nicht eine der andren vorziehen, sehr war spricht sich da

62 Die Dachsberggasse stößt (mit Haus Nr. 13) auf der Höhe von Wetti Teuschls Elternhaus auf die Herzogstraße. 63 Herren Roßkopf – Georg Rosskopf (geb. 26. 11. 1847; Ingenieur) und Josef Rosskopf (Gemeindebeamter der Stadt Krems), Söhne von Anna und Georg Rosskopf, Weinhauer in Krems; vgl. DASP, PfA Krems St. Veit 2/27, Trauungsbuch 1863–1878, Fol. 193, Nr. 44. Anton Teuschl hatte bei der Hochzeit Georg Rosskopfs (13. 6. 1871) als Trauzeuge fungiert. 64 Rosenhügel – diesen Flurnamen konnte ich nicht eruieren; in der Nähe der genannten Orte gibt es einen Rosengrund. 65 Alaunenthal – der Taleingang liegt unmittelbar nordwestl. von Krems; im Frauenbachtal, ebenfalls nordwestl. der Stadt, befindet sich das Forsthaus Waldhof. 66 Rechberg, auch Rehberg, ist ein Weiler nordwestl. von Krems (1938 der Stadt eingemeindet). Vorwiegend lebten die BewohnerInnen – 673 laut Volkszählung 1869 – von Weinbau; zwischen 1636–1866 befand sich im Ort ein Hammerwerk. Über dem Ort steht auf einem Bergrücken eine Burg, die seit den 1820er Jahren verfiel; vgl. NÖA 1871, 224. 67 Keller – Weinkeller.

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Pater Abraham a Sankta Clara68 er sagt Man muß sie immer lieben nur jede Jahreszeit auf andere Weise imer aber so wie man eben ein Weib lieben kann: Im Frühjahr muß man sie lieben, wie man, wenn man selbst noch jung ist, ein junges Mädchen liebt, man entdekt täglich neue Reize in ihr das Herz wird von einer unendlichen Sehnsucht gequält erfüllt, man beklagt jede Minute die man nicht in ihrer Nähe zubringen kann, man sieht die schwellenden Knospen und denoch hält den besseren Menschen eine heilige Scheu zurük sie zu brechen, sie gewährt noch nichts als ihren Anblik, aber dieser beseligt schon! – – im Sommer – – Da liebt man sie wie eine schöne üppige Frau, die alle Reize vor uns entfaltet hat, manchmal macht sie einem wohl ein bischen warm, aber sie trägt die Frucht bereits auf ihren Armen und um derentwillen erhält die Dankbarkeit die Liebe. Im Herbste liebt man sie, wie man eine Mutter liebt, die ihre letzte Habe ihren Kindern spendet man geizt nach den Augenbliken {in} welcher man ihrer froh werden kann den ach! wer weiß wie lange sie noch lebt? Und im Winter? ––– im Winter? Im Winter lieb ich sie, wie man eine theure Todte liebt, über ihr einst so holdes Antlitz ist das weiße Bahrtuch ausgebreitet, und der Schmerz um sie würde uns das Herz zereißen, wen nicht der Glaube als Tröster uns zur Seite stünde und uns zuflüsterte: Klaget nicht, es gibt ein Auferstehen – gibt ein Wiedersehen! –– –– –– –– Ja wie war und inhaltschwer diese Worte sind fühlt man erst dann wen man sie öfters gelesen und beherziget hat. Heute hat mir B eine Schachtel mit Erdbeeren gebracht, da sie noch sehr selten sind war ich freudig überascht, wahrscheindlich dachte er da wir Waschtag hatten, ich bedürfe einer Erfrischung, da sie von ihm waren haben sie auch das Ziel nicht verfehlt. Sehr neugierig bin ich was ich Dinstag den 11 erfahren werde. Montag ist nähmlich in Rafelsbach Lizitation69 des Steiningerischen Hauses und Geschäftes wen es nicht höher als 4000 fl geht will es B kaufen, ich bin daher sehr neugierig was mir dieser Tag bringen wird, ich fühle noch durchaus keine Lust zum heirathen, möchte aber doch sehr gern wissen wo ich hin kome. In Zwettl stehen die Aktien sehr schlecht, und ich habe keine Hoffnung mehr in betref der Erfüllung meines Wunsches. Lober verkauft vorderhand nicht und das andere Haus wäre unter so schlechten Verhältnissen zu verkaufen, die man nicht eingehen kann. Also Zwettl ingnorirt, zu meinen Bedauern. Auch mit einen Kaufman in St. Leonhard in Hornerwald70 ist er ihm Kauf der einzige Grund St. L. zu verlassen wäre die Kränk68 Abraham a Sancta Clara – Johann Ulrich Megerle (1644–1709), einflussreicher Prediger und populärer Schriftsteller. Er trat 1662 in Wien in den Orden der Augustiner-Barfüßer ein; 1666 zum Priester geweiht, wirkte er als Prediger in Oberbayern, in Graz und dann in Wien, wo er kaiserlicher Hofprediger wurde. Seine Kanzelreden fanden massenhaften Zulauf und kursierten als Flugschriften. 69 Lizitation – Versteigerung. 70 St. Leonhard im Hornerwald – Weiler im Bez. Krems. Erst ab Mitte des 18. Jh. war das Gebiet gerodet und besiedelt worden. Für 1876 werden 1.068 EinwohnerInnen angegeben. Im Ort gab es zu dieser Zeit neben einer Pfarre auch Post und Schule; vgl. NÖA 1871, 218. Auch hierzu findet sich im „Krem-





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lichkeit seiner Frau. Da es aber auf einen Ernst kam besann er sich wider anders und wird das Geschäft welches das einzige in der ganzen Umgebung ist daher gut, wahrscheinlich gar nicht mehr her geben. Um dieses Geschäft ist B. sehr leid es wäre dieß noch einer jener wenigen Plätze wo keine Konkurenz daher Geld zu verdinen wäre. Der Preis wäre höher als in Rafelsbach, ich hoffe bis 11 auch in dieser Angelegenheit etwas bestimmtes, wo ich dann nicht säumen werde es schnellstens einzutragen. Den 2ten Juli 1871 [Die zweite Hälfte der Seite wurde herausgeschnitten.] ins Reine zu kommen. Brutscher bott ihm den Wagen an indem er sagte er fahre nicht mit, sonst wäre B mit seinen Wagen nicht gefahren während B zu mir ging um mich zu verständigen, schmugelte sich Brutscher in den Wagen und als B kam sagte er fahr nur bis Gföhl71 mit, als sie in Geföhl waren fuhr aber doch mit versprach aber nicht zu Droschler72 zu gehen, kaum war B mit Droschler im Gespräch als Brutscher schon mit einen Rausch daherkam und Droschler beredete er solle nur das nicht thun und das Geschäft nicht verkaufen, durch das ließ Droschler wider nicht loß endlich war B wider mit D. allein sie waren schon so weit daß B die Darangabe schon vorlegte da kam Brutscher wider um das beinahe fertige Werk zu zerstören, Droschler schlug nicht loß und behielt sich 5 Tage Bedenkzeit. Nach allen den sagte B den Brutscher so viel als man einen schlechten Menschen eben sagen kann fuhr auch nicht mit ihm zurük sondern {ging} durch den Wald in der Nacht nach Hause wo er um 3 uhr morgens total erschöpft ankam. [Die zweite Hälfte der Seite wurde herausgeschnitten.]

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Den 3ten Juli 1871 Gott sei Dank, der Sturm in meinen Innern hat sich gelegt und ich blike ruhiger in die Zukunft. Gestern waren wir in Göttweih.73 Vater, Mutter, Milli und ich dort ist es sehr schön und es verlohnt sich gewiß der Mühe hinauf zu gehen die Aussicht ist entzükend schön. Sehr schön ist die Kirche und sehr werthvoll die sogenante Prälatensakristei wo auch die Gebeine des Stifters Altman in Silber gefaßt in einem Glaskasten ausgestellt

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ser Wochenblatt“ eine passende Anzeige (16, 26, 1. 7. 1871, o. S.), die aber bis auf eine verlockende Beschreibung des Hauses samt Vermischtwaren-Handlung und der vagen Ortsbezeichnung („in einer prachtvollen Gegend, zwei Stunden von der Franz-Josefs-Bahn entfernt“) sowie dem Hinweis „wird nur aus Familienrücksichten um mäßigen Preis verkauft“ keine genaueren Angaben enthält. 71 Gföhl – Markt am Südwest-Rand des Gföhler Waldes, Bez. Krems. Die Siedlung liegt am Kreuzungspunkt wichtiger Straßen nach Zwettl, Krems, Langelois und Gars; ab dem späten 19. Jh. war sie Standort diverser Industriebetriebe. Um 1876 hatte die Gemeinde 944 EinwohnerInnen, eine Post sowie Pfarre und Schule; vgl. NÖA 1871, 218. 72 Droschler – Kaufmann in St. Leonhard. 73 Göttweih – Stift Göttweig in der Gemeinde Furth steht auf einem Plateau südl. von Krems. Wetti Teuschls Schreibweise spielt auf die landläufige Erklärung des Namens an: „von den Göttern geweiht“.

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werden.74 Nach beendeten Segen gingen wir in die Gruft wo an den Altare daselbst meine Eltern vor beinahe 21 Jahren getraut worden sind.75 Dort vor dem Bilde der schmerzhaften Mutter Gottes warf ich mich auf die Knie und empfahl zuerst meine Eltern und B dem Schutze Mariens dan erst legte ich mein zerisenes Herz zu ihren Füßen und flehte um Kraft und Ruhe und siehe wer auf Maria vertraut, der hat fest gebaut ich erhielt um was ich bat und eine heilige Ruhe zog ein in mein Herz, die Zukunft kommt mir nicht mehr so düster vor den der Trost das Marias Hand mein Schiksal leitet, erhebt und stärket mich. Ich war zwar auf dem Weg nach Furth76 noch sehr mißgestimmt, was {man} aber auch auf Rechnung meiner schmerzenden Füße schreiben kann. In Furth erwartete uns B. wir spielten Karten schoben Kegel und unterhielten uns recht gut, sodann fuhren wir nach Hause. Meine Eltern sind nicht viel weniger empört über Brutschers, erbärmlichen Carakter als ich und B. Diese Woche muß es sich noch entscheiden ob B als Kaufman nach St. Leonhard oder als Commis nach Wien kommt. Noch gestern bebte ich vor den Gedanken zurük B in Wien wissen zu sollen, heute ertrage ich ihn ruhiger. Wollte Gott daß ich für immer die heutige Resignation und Ruhe bannen könnte. Den 4ten Juli 1871. Gestern hat B von Frau Droschler aus St. Leonhard einen Brief bekommen wo sie ihm bittet gleich nach Empfang des Briefes hinein zu kommen, er würde gewiß nicht mehr ohne Resultat von dort wegehen. B will aber nicht recht sondern will ihm eine Weile trotzen lassen den 6000 fl sind viel Geld, 5000 fl wäre das Haus sammt Geschäftseinrichtung schon werth aber für die andren 1000 fl müßten wir uns halt ein Jahr umsonst plagen. Nur ein Wort von mir und B wäre heute schon hingefahren aber ich will in dieser Sache keinen Ausschlag geben, damit ich nicht wen die Spekulation mißlingen sollte, die Schuld trage. Beinahe jeder Tag bringt andere Neuigkeiten. Denselben Datum Abends Heute hat B von seinen Vater einen Brief bekommen wo er ihm schreibt daß er bis 9ten sein Geld bekomt und auf diese Nachricht hin schikte B. gleich 40 fl Darangabe nach Leonhard, vileicht ist es aber Droschler schon wider anders eingefallen und er schikt die Angabe zurük. Dan kann {uns} Droschler und St. Leonhard gern haben. Begirig bin ich die Gegend dort kennen zu lernen Gott gebe daß es mir gefällt, es ist schreklich in einer Stadt wie Krems geboren und aufgewachsen zu sein, und dan sich in eine Einsamkeit ziehen müssen, wo es nicht einmal Leute gibt d mit denen man verkehren könte, meine 74 In der Altmannikrypta (1638) der Göttweiger Stiftskirche Maiae Himmelfahrt befindet sich der Altmanni-Reliquienschrein (1689), auf diesem zeigen sechs Emailmedaillons Szenen aus dem Leben des hl. Altmann. 75 Wetti Teuschls Eltern hatten 1850 in Göttweig geheiratet. 76 Furth – Gemeinde ca. 5 km von Krems, am Fuß des Göttweiger Stiftshügels und an der ehemaligen Römerstraße nach St. Pölten gelegen. Bis in das 19. Jh. führten Holz- und Weintransport über den Göttweiger Berg, es gab deshalb zahlreiche Unterkünfte für Fuhrwerke. Um 1870 wurden für den Ort 487 EinwohnerInnen verzeichnet, neben einer eigenen Pfarre hatte er auch Post und Schule; vgl. NÖA 1871, 227.





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Antipathie muß weichen den ich liebe B. und hier zeugt sich wider einmal so recht die Macht der Liebe, niemand würde mich anderenfals bewegen können dazu. Die Gegend soll wie mir B. und Vater sagen sehr schön und romantisch sein, auch das Haus und der Garten recht nett, so werd ich mich einzig auf mein Häusliches und auf die Schönheiten der Natur beschränken und alles übrige verpönnen77 wen ich auch 20 Jahre alt bin. Wen ich glüklich werde so verzichte ich ja so gerne auf die geräuschvollen Unterhaltungen und sollte ich unglüklich werden so würde ich schon gar nicht daran denken mich auf diese Weise zu zerstreuen. Den 7ten Juli. Wie ich geahnt, so ist es geschehen Droschler hat sich nichts pasendes gefunden, daher die Angabe heute durch einen eigenen Boten zurükgesendet. Also adee St. Leonhard, wer weiß zu waß es gut ist daß es {so} kommt. Daß mir der Trost B selbständig zu wissen, verloren geht, schadet ja nichts, mein Weg durchs Leben ist mit verlornen Hofnungen, Entäuschungen und Kämpfen gepflastert und dieß ist also nur ein Stein dazu mehr. Wann werd ich den diesen schwierigen Weg beenden wan wird dieß gequälte Herz endlich Ruhe finden, vieleicht nie auf Erden. –––– Den 9ten Juli. Gestern war Volksfest in der Turnhalle,78 bestehend aus Konzert, Theater und Tanzvergnügen ich habe mich so unterhalten wie ich mich bei meiner jetzigen Stimung unterhalten konnte. Getanzt hab ich sehr viel hauptsächlich mit B es wurde auf 2 Tanzpläzen getanzt in der Halle und im Freien 2 Musikapellen spielten abwechselnd die beliebetesten Weisen. Heute fühle ich mich phisisch und moralisch so angegrifen, daß ich wen {ich} krank zu werden wünschte die beste Hoffnung dazu haben darf. B sieht daß ich mich kränke, und sucht mir Trost einzusprechen und mich aufzuheitern, ich bins zum Schein, und werde versuchen recht heiter zu werden, (wen ich es nur vermag) um alle, alle zu täuschen selbst B. wer braucht zu wissen wie es in meinen innern aussieht, und reibt mich der innere verborgene Schmerz auf, nun so hab ich Hoffnung auf ein ungestörtes Wiedersehen im Jenseits. –– –– Den 20 Juli 1871. Auch heuer ging mein Wunsch betref einer gemeinsamen Partie nach Langegg in Erfüllung wir fuhren um 8 uhr früh von Krems weg kammen um 11 uhr nach Langegg gingen in die Kirche und beteten mit Inbrunst und Andacht. B. gab schwur mir dort ewige Liebe und Treue, dieses Versprechen ist mir mehr Trost als alles was mir die Welt bieten könte, wir gingen dan in den Wald von dort ins Gasthaus wo wir speisten, dan wurde das Kegelscheiben begonnen, wo ich aber so miserabel schieb daß sich niemand genug wundern konnte was ich den hätte ich war sonst eine gute Kegelscheiberin und diesesmal war ich so schwach, niemand wußte es, dafür weis ich es besser, woher den 77 verpönnen – verpönen. 78 Volksfest in der Turnhalle – veranstaltet vom Verein Gemüthlichkeit am 8. und 9. 7. 1871, bot es „einem sehr großen Theile der Bewohner der Stadt die angenehmste und solideste Unterhaltung“; KWB, 16, 28, 15. 7. 1871, o. S.

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Kräfte nehmen wen man sich heimlich krängt wie blind die Welt doch ist sie urtheilt nur nach dem äußern, zeigt man ihr ein lächeln, so behauptet sie es müsse einen gut gehen, o ich hab es schon sehr weit gebracht ich weiß mich ganz gut zu fassen und der Welt meinen Schmerz zu verbergen, alle täusche ich durch mein heiteres Wesen durch mein Scherzen und Lächeln, alle selbst die mir am nächsten stehen bemerken nicht daß es Verstellung ist, doch ich weiche zu sehr ab von meiner Angelegenheit die ich eigentlich eintragen wollte; um 6 uhr Abends fuhren wir von Langegg weg in die Carthausen nach Aggspach79 und Aggstein80 bis Arnstorf dort machten wir Halt labten uns und fuhren dan begünstigt von den herchlichsten {Wetter} am Donauufer nach Hause. Immer näher und näher rükt die Zeit heran wo die Trennung von ihm in Aussicht steht, am 14ten das nächste Monat ist der so schwere Tag für mich o könte ich auch diese Resignation bewahren welcher ich mich jetzt erfreue, könte ich auch dan mit Ruhe in sein blaues Auge sehen und ihm xxx81 zeigen daß auch ein Mädchenherz stark und mänlich den Schiksalsschlag zu ertragen versteht aber die Liebe lässt sich nicht bezwingen und das Übermaß des Schmerzes wird mich zu Boden drüken. Würde ich nicht die ganze Zeit täglich mit ihm Stunden des Glükes genossen haben, so würde ich es leichter ertragen, aber nachdem ich so lange und mühsam gekämpft bis ich erungen und jetzt wo wir so Viel Vergnügen ungestörtes Beisamensein mit ihm, offene und nicht mehr verstekte, heimliche Liebe gewärt wurde jetzt muß ich entsagen jetzt muß ich verliren. Muth mein Herz es wird doch wider alles recht werden. Das ist meine Hoffnung. Den 23ten Juli. Schlag auf Schlag. Heute ist Hr Baumgartner mit dem Dampfschif abgereist also nicht erst am 14 August um 3 Wochen früher schon mußten wir uns trennen. Gestern hat B. mit Brutscher einen Streit gehabt welcher 5 Stunden dauerte und dessen Ursache wider ich war er nahm zum Vorwande die Langegger Partie B. sollte nicht mit uns gefahren sein. Die gab wider Anstoß und zwar so heftigen daß B. augenbliklich das Geschäft verließ. B sollte mich laßen dieß ist Brutschers Verlangen und weil B dieß durchaus nicht tuth, so kam es so weit. Wir fürchterlich mich diese Nachricht gestern überaschte kann nur derjenige begreifen der es selber schon gefühlt, ich war momentan so fassungslos das ich die Thränen nicht zurükzuhalten vermochte, erst als B mich um Gotteswillen bat ihm den Abschied nicht noch schwerer zu machen, da erhielt ich meine Fassung wider und wahr sogar im Stande ihm ein Lächeln zu zeigen, obwohl mein Herz zerspringen wollte vor unsäglichen Weh, aber nicht allein in seiner Gegenwart bezwang ich mich sondern auch mir selbst gegenüber, keine Thräne netzte mein Auge mehr ich drängte sie alle zurük. Heute zitterte ich vor der verhängnißvollen Stunde die uns trennen sollte und sie schlug; er kam [nun] in Eile und fast gezwungen einige Bisse zu essen dann fuhren wir zum Schif an Brutschers Geschäft vorüber, der Verräther Meier stand 79 Aggspach – Aggsbach, Gemeinde im Bez. Melk mit 598 EinwohnerInnen; vgl. NÖA 1871, 271. Carthausen – der Kartäuser-Orden hatte in Aggsbach eine Niederlassung. 80 Aggstein – Dorf, das zur Gemeinde Aggsbach gehörte. 81 Mehrfach ausgestrichenes, unleserliches Wort.





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verborgen hinter der Thür er hatte nicht mehr den Muth uns ins Gesicht zu sehen, denn der ist ja die Hauptursache dieser Katastrophe er dem man Vertrauen schenkte, mißbrauchte dasselbe, und offerirte seinem Chef alles was ihm von uns bekant war wahrscheinlich will er sich damit ein Bild einlegen um sobald als möglich erster zu werden und einen Zeugen seines miserablen Charakter aus dem Wege zu räumen, nun die Zeit seines Hierbleibens wäre ja so schon die kürzeste gewesen wozu also alles dieses, ich möchte mir wünschen mit Meier nur noch ein einzig mal reden zu können, um ihm zu sagen was für ein erbärmlicher Mensch er ist, doch zurük zu eigentlichen Sache, als wir in Stein ankamen war das Schif noch nicht hier mit Thränen in den Augen bat mich B. ihm treu zu bleiben, ich blieb so stark als es mir möglich war. So schwer die heutige Trenung auch war so ist sie doch noch leicht im Vergleiche mit der die So nächstens folgen soll. B. kommt nähmlich unter 8 Tagen wider nach Krems und bleibt einen Tag hier, jetzt freuen wir uns beide auf diesen Tag, auf was können wir uns dann freuen wen er in 8 Tagen abreist? auf eine immerwährende Vereinigung, o Gott wie ferne ist dieß noch und wie führchte ich mich darauf. Ein Abschieds Gedicht habe ich ihm gedichtet und geschrieben erlaubte ihm selbes aber erst am Schif zu öffnen, selbes lautet: Abschieds-Gedicht gewidmet in aufrichtiger Liebe Hrn Johann Baumgartner Heut schlug die schwere Abschiedsstunde Die längst mein Herz erzittern macht Vorbei war es mit meiner Ruhe Wenn ich an diese Stund gedacht. Jetzt da ich alles mir errungen Da jede Freiheit mir gewährt, Jetzt hat das Wort nichts dauert ewig Glänzend sich bewährt. Und trennt uns auch des Schiksals Tüke Die wahr Liebe hemmt es nicht, Und Lüge ists wer sagt das Abschied Treuer Liebe Bande bricht. Drum sei getrost und bange nicht Du arg bedrängtes Herz, Die Zeit die alles heilen kann Sie lindert Deinen Schmerz. So ruf ich selber Trost mir zu Mit festen Gottvertrauen,

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Kann ich doch troz der Trennung heut Auf Deine Treue bauen. Wenn öfters unter fremden Menschen Dein Herz manch schweren Kummer trägt Dann mag das eine Dich erheitern Daß Dir ein treues Herze schlägt. Und noch um eines möcht ich bitten Entzieh mir dein Vertrauen nicht, Glaub meinen einfach wahren Worten Aber glaub dem Argwohn nicht. Laß nie Dein Herz von Zweifeln martern Und Eifersucht sei fern verbannt, Sei überzeigt von meiner Treue Auch Du gabst mir Dein Wort zum Pfand. Lies öfters diese schlichten Verse Gedenke meiner viel und oft, Dann weiß ich daß ich nicht vergebens Auf Deine Lieb und Treu gehofft. Und jetzt leb wohl mein lieber Johann Leb wohl und finde dort das Glük, daß wir in Krems vergeblich suchten Dort treibt dies ja kein Chef zurük. Nim nochmals Grüß und Küß von mir Doch nicht den letzten Blik, Den Du das hoffe ich von Dir Kerst bald zu mir zurük. _____________ . _____________

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Wenn er diese Verse am Schif liest wird es ihm freuen, ich bin so ruhig und gefaßt nach außen aber in meinen Innern tobt und schmerzt es als ob das arme Herz brechen wollte, wenn ich nur auf eine Zeit meine Gedanken bannen könnte, damit nicht das Bewußtsein ihn nicht sehen nicht sprechen zu können gar so martervoll wäre. Ich fühle mich so unglüklich, und doch wer weiß, ob es nicht so gut ist, nehmen wir es als eine Fügung Gottes und Gott lenkt ja alles zum Besten, er wird auch mein armes Herz mit Trost erfüllen und die Verzweiflung wird weichen, der ich mich verfallen fülle. Den 31 Juli 1871. Traurige Tage habe ich diese Woche viele Thränen und grenzenloses Weh. Niemand konte mit mir etwas anfangen und aller Trost von Seite der Eltern wie von anderen berührte mich fast nicht. Seine lieben herzigen Briefe die er mit einer Zärtlichlichkeit schreibt die mich tief rührt, sind die ganzen Sonnenstrahlen in meinen traurigen Dasein. Ja jetzt seit er fort ist sehe ich erst was ich an ihm verloren habe.





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Den 5ten August 1871 Den 2. 3. 4[.] August o welch glükliche Tage wie so ganz das Gegentheil von der vergangenen Woche B. war hier auf Besuch er schrieb mir daß er auf 1 Tag auf Besuch kommen wird und dann aber konnte er nicht fort und wir hielten ihn so gerne zurük, ach und welch selige Tage waren daß in ungestörten Glük konnten wir sie genießen den 1ten Tag fuhren wir nach Rositz82 wo wir Kegelschoben den 2ten Tag nach Grafenegg und den 3ten Tag blieben wir zu Haus. Dieser Wonne und das Glük zu beschreiben was wir diese Woche {Tage} genoßen wäre schwer zu beschreiben es würden mir die Worte hierzu fehlen. Beim Ausfahren ku kutschirte ich jedesmal B xxx saß bei mir und die Eltern im Wagen. Der Abschied wurde mir zwar sehr schwer aber das genoßene Glük hält meine Sinne noch so befangen daß ich für trübe Gedanken gar keine Zeit habe. Für seine Zukunft ist mir jetzt auch nicht mehr so bange er hat eine Platz in einen Schnitt und Damenkonfektionsgeschäft in Mariahilf83 bekommt monatlich 36 fl und alles im Hause, freilich muß er erst abwarten wie es ist aber das muß er überall, jetzt war {er} in Wien bei seiner Schwester84 und von mir reiste er jetzt nach Haus zu seinen Eltern. Gebe Gott daß er bald sein Eigenes findet und nicht mehr lange Diener sein darf. Unsere Korrespondenz schreibe ich nicht ein da ich seine Briefe aufbewahre und die meinen kopire.85 Er versprach das Geld was ihm die Wiener Vergnügungen kosteten dazu zu verwenden mich recht oft so oft als er kan zu besuchen. Den 5ten September. Ein Monat ist um, und im Strome der Zeit, sind schwere Tage für mich vorübergerauscht, ich wollte nichts eintragen sonst wäre ich gezwungen gewesen eine Widerholung der Leidensschilderungen zu geben. Heute erhebe ich mich vom Krankenlager daß mich einige Tage gefangen hielt, ich fühle mich zwar besser, aber nicht gesund, daß Fieber hat mir meine Kräfte geraubt und ich bin so matt daß mich die Füße fast nicht tragen. B weiß nichts von meiner Krankheit, er würde sich ängstigen und dieß will ich nicht. Meiner Trostlosigkeit ist eine Abspanung und Resignation gefolgt die mich für alles abgestumpft und gleichgiltig gemacht hat, die zärtlichste Aufmerksamkeit kann mir nur eine momentane Freude abgewinen, für Leiden bin ich noch empfänglicher, den meine täglichen Gesellschafter kan ich nicht so schnell verabschieden. Meine Korrespondenz mit B. nimmt ihren regelmäßigen Verlauf. –

82 Rositz – Rossatz, Ort an der Donau, einige Kilometer westl. von Krems. 83 Mariahilf – die westl. Vorstädte Mariahilf und Neubau waren Zentrum der Bekleidungsindustrie; vgl. Gerhard Meißl, Im Spannungsfeld von Kundenhandwerk, Verlagswesen und Fabrik. Die Herausbildung der industriellen Marktproduktion und deren Standortbedingungen in Wien vom Vormärz bis zum Ersten Weltkrieg, in: ders. u. Renate Banik-Schweitzer, Industriestadt Wien. Die Durchsetzung der industriellen Massenproduktion in der Habsburgerresidenz, Wien 1983, 99–151. 84 Schwester – [Anna] Maria Stawinoha (16. 4. 1837). Wahrscheinlich hat die sieben Jahre ältere Schwester Johann Baumgartners am 30. 6. 1863 geheiratet, wie ein Vermerk bei ihrem Eintrag im Taufbuch nahelegt; vgl. PfA Fallbach, Taufbuch E, 1814–181, Fol. 113. 85 Diese Briefe sind nicht mehr vorhanden.

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Unter Dürnbach86 den 28/10 1871.87 Bin gestern von Krems abgereißt um auf 8 Tage fern von Krems und im Kreise einer lieben Familie mich von meinen Grillen zu zerstreuen und eine kleine Abwechslung in meinen ab{ein}förmigen Leben zu haben. Hr. Fr Withofner88 sammt Milli geben sich alle Mühe mir recht vergnügte Stunden zu bereiten. Unter Dürnbach den 29/10 1871.89 90 Heute 9 uhr früh gingen wir nach Limberg fuhren mit der Bahn nach Zierstorf91 wo wir dan 1 Stunde Fußpartie nach Wetzstorf92 und von dort am Heldenberg93 gingen, ich war überascht von dem Anblik der sich meinen Augen darbot, die ganzen Büsten des regierenden Kaiserhauses Östereichs, sowie auch alle Helden die sich um das Vaterland verdint gemacht, darunter auch Monumente in Lebensgröße alles aus Gußeisen gegoßen, bemerkenswerth ist auch der Park, welcher aber etwas vernachläsigt ist, die Gruft worin Radetzki,94 Wimpfen,95 und Bachfrieder96 ruhen, konnten wir innen nicht sehen. Der letztere dieser 3 ist nicht zu den Helden zu rechnen, er war Besitzer des Heldenbergs, jetzt ist derselbe Eigenthum des Kaisers. Sehr schön ist es auch im Schloss Wetzstorf besonders angezeigt für Liebende wären die schattigen Gänge dieses Irrgartens wo einem aus allen Eken Büsten der berühmtesten Künstler entgegenbliken, sehenswerth auch der englische Garten. Wir blieben 86 Unter Dürnbach – 1869 wurden für Unterdürnbach (Bez. Hollabrunn) 365 EinwohnerInnen angegeben. Im Ort steht ein barockisiertes Schloss aus der Spätrenaissance; vgl. NÖA 1871, 194. 87 Das richtige Datum ist wahrscheinl. der 28. 9. 1871, da Wetti Teuschl den übernächsten Eintrag wieder mit September datiert. 88 Hr. Fr Withofner – Franz Withofner war Lehrer in der einklassigen Volksschule in Unterdürnbach; vgl. NÖA 1871, 194. 89 Wahrscheinlich: 29. 9. 1871; vgl. Anm. 87. 90 Limberg – ein Grabendorf im Schleinzbachtal ca. 58 km von Krems. Das Dorf besteht aus Höfen, Kellergassen und einem spätgotischen Schloss. Limberg hatte rund 470 EinwohnerInnen; vgl. NÖA 1871, 194. 91 Ziersdorf – Gemeinde westl. von Hollabrunn mit 776 EinwohnerInnen; vgl. NÖA 1871, 196. 92 Wetzdorf – zur Zeit von Wetti Teuschls Besuch bestanden die Gemeinden Groß- und Kleinwetzdorf (mit ca. 331 bzw. 241 EinwohnerInnen); vgl. NÖA 1871, 195f. 93 Heldenberg – liegt im Gutsweiler Kleinwetzdorf (heute Gem. Heldenberg) südwestl. von Hollabrunn. Das Schloss Wetzdorf wurde mehrfach umgestaltet; z. B. 1833–1841 nach dem Kauf durch den Armeelieferanten Joseph Gottfried Pargfrieder zu einem biedermeierlichen Landschloss in einem Landschaftspark. Der Heldenberg wurde 1849 als Gruftstätte für Pargfrieder und als Ehrenhain für die österreichische Armee angelegt – mit einem Mausoleum und 142 Büsten und Figuren. 94 Radetzki – Johann Josef Wenzel Graf Radetzky von Radetz (1766–1858), der Feldmarschall war ein populärer Heerführer. Pargfrieder erließ Radetzky Schulden, nachdem jener testamentarisch festgelegt hatte, sich am Heldenberg bestatten zu lassen; vgl. Friedrich Hebbel, Tagebücher, 5 Bde., Bd. 3: 1848–1863, München 1984, 343f. 95 Wimpfen – k. k. Feldmarschall Maximilian Freiherr von Wimpffen (1770–1854); vgl. Constant von Wurzbach, Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich ... 60 Bde., Bd. 56, Wien 1856–1891, 252. 96 Bachfrieder – Gottfried Joseph Ritter von Pargfrieder (auch Pargfrider/Parkfrieder) (1775–1863); vgl. Wurzbach, Biographisches Lexikon, Bd. 21, 304; vgl. Anm. 93.





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dort bis 2 uhr Nachmittag hielten uns auch in Zierstorf beim Schullehrer97 einige Stunden auf um dan denselben Weg zurükzumachen. Abends Conzert im Familienkreise. Die Gegend im allgemeinen ist schön. Herr Steininger früher Kaufman in Rafelsbach, jetzt Restaurateur bei der Bahn in Zierstorf, ich hatte die Ehre die Frau kennenzulernen. Unter Dürnbach Samstag den 30/9 1871. War heute den ganzen Tag zu Hause. Unter Dürnbach Sonntag den 1/10 1871. 98 Partie nach Eggenburg einige Stunden aufgehalten, habe auch mit Herrn Carl Na Maier gesprochen. Abends mit der Bahn wider nach Hause gefahren. Sollten zwar dort bleiben aber wir wollten nicht. Unter Dürnbach Montag den 2/10 Milli und ich sind heute 5 uhr früh per Wagen nach 3 Eichen99 gefahren. Die Gegend dort ist wirklich schön, war in der Kirche, die Kirche gefällt mir nicht. Auch St. Leonhard sah ich von dort sehr schön liegen. Die Aussicht ist prachtvoll. Hab mir auch die Graselshölle100 angesehen. Hätte auch nach Sitzendorf101 gehen können war aber zu müd dazu. Das Wetter ist kalt und unfreundlich. Unter Dürnbach Dinstag den 3/10 Milli und ich wollten heute nach Rafelsbach gehen, aber die Witterung ist so kalt und außerdem hatten wir beide eine nothwendige Arbeit. Habe heute von meinen Eltern einen Brief bekommen der mir viele Freude machte. Sie sehen zuhause daß es mir gut geht weil ich so übermüthig nach Hause geschrieben habe. Dini hat mir eine Karte geschikt, einen Brief erhielt ich schon früher von ihr, nachholen muß ich noch daß ich bei meiner Ankunft in Dürnbach schon einen Brief von B. erhielt, bei unseren abendlichen

97 Schullehrer – einzige Lehrperson in Ziersdorf war der Volksschuloberlehrer Joseph Edlhofer; vgl. NÖA 1871, 196. 98 Eggenburg – Stadt an der Grenze von Wein- und Waldviertel im Bez. Horn. Der Markt- und Handelsplatz wurde 1869 an die Franz Josphs-Bahn angeschlossen; die Volkszählung 1869 ergab 1.585 EinwohnerInnen; vgl. NÖA 1871, 199. 99 3 Eichen – Dreieichen liegt am Schnittpunkt mehrerer Wallfahrtswege im Bez. Horn. Neben der Wallfahrtskirche prägen das Dorf eine Zeile von Gastbetrieben und gegenüber Devotionalien-Stände, die sich bis ins 18. Jh. nachweisen lassen. Die Volkszählung 1869 ergab für Dreieichen (mit der Gemeinde Mold) 527 EinwohnerInnen; vgl. NÖA 1871, 206. 100 Graselhölle – der Räuber Johann Georg Grasel (1790–1818), der im Raum Südböhmen, Südmähren sowie im Wald- und Weinviertel agierte, schlüpfte immer wieder in einer Höhle nahe Dreieichen unter. Grasel war schon zu Lebzeiten zu einer „volkstümlichen Figur“ geworden – im Jänner 1818 wurde er in Wien hingerichtet; Margot Schindler, „Er spricht geschwinde deutsch, auch böhmisch ...“ Johann Georg Grasel und die Volksüberlieferung über die Räuber, in: Harald Hitz Hg., Johann Georg Grasel. Räuber ohne Grenzen, Horn/Waidhofen a. T. 1992, 93–104, 96. In der Umgebung gibt es weitere „Graselhöhlen“ bei Rosenburg und bei Piesling an der Thaya; vgl. Erich Rabl, Die Grasel-Sammlung im Horner Hörbarthmuseum und das Fortleben der Erinnerung an Grasel, in: ebd., 109–134. 101 Sitzendorf – in der näheren Umgebung gibt es zwei Orte diesen Namens; vgl. NÖA 1871, 192 bzw. 205.

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Plauderstündchen unterhalten wir uns recht gut. Man liebt mich sehr und sucht mich länger aufzuhalten. Die Familie trägt mich so zu sagen auf den Händen. Unter Dürnbach {Mitwoch }den 4/10 1871. Waren heute in Rafelsbach gefällt mir sehr gut war auch im Geschäft vom Lembacher und Reuter. Steiningers Haus102 ist ganz verbaut. Die Lage des Marktes ist hübsch. Als wir Mittags nach Hause kamen brachte mir Fr. Withofner oder meine Tante wie ich sie scherzweise imer nante eine Rolle entgegen ich erkante B. Schrift öffne sie und fand Musikalien im Werthe von 5 fl ich war sehr überascht auch einen liebes Briefchen lag bei, wie er doch stets trachtet mir Freude zu machen. Die Stüke sind sehr gut gewählt, ja man muß sagen er hat Geschmak der Text der Lieder ist weich und liebevoll. Die Namen der betrefende Stüke sind: I Ob ich dich liebe – Lied II Du siehst mich an – “ “ O du mein Mond – III Mondnacht auf der Alpe – Phantasiestük IV Neu-Wien – Walzer V Mit der Feder – Polka Mazur VI Shawl Polka – Francaise VII Wiener Bitz – Polka schnell Lauter Sensationstüke die das etwas schwirige Studium glänzend lohnen. Krems den 5/10 1871. Glüklich in Krems angekommen, obwohl ich mich gar nicht zurükgesehnt habe, die ländliche Ruhe hat mir so wohl gethan, daß ich von den Treiben der Kremser gar nichts mehr zu wissen verlangte. Krems den 9/11 1871. Heute sah die Stadt Krems den ersten Eisenbahnzug in ihren Burgfrieden. Von der Station Absdorf103 her brachte die Lokomotive No 101. mit Fahnen, Gewinden aus Tannenreisig und Blumen geschmükt, bejubelt von der freudig harrenden Bevölkerung – einen Train, welcher aus einen Personenwagen dann aus 25 mit Eisenschienen beladenen Lastwagen bestand. – Die Herren Bausektionsvorstände Ing. Bayerl und Holy, dan der Bauunthernehmer Herr Haudak begleiteten den Zug. Es war eine Probefahrt welche zeigen sollte ob die Bahn und die Brüken solid und fest gebaut sind. Diese Probe ergab ein glänzendes Resultat nirgends zeigt sich, ungeachtet der gewaltigen Last, eine Senkung oder Abweichung. – So haben den die Kremser erreicht was sie schon so 102 Geschäfte, für die Johann Baumgartner sich interessiert hatte; vgl. Anm. 59. 103 Absdorf – Gemeinde ca. 30 km östl. von Krems. Als von dort der erste Eisenbahnzug nach Krems abfuhr hatte der Ort 869 EinwohnerInnen; vgl. NÖA 1871, 220. – Der Feuilletonist des „Kremser Wochenblattes“ jubelte: „... lief am Bahnhofe in Krems, 40 Minuten nach Mittag die erste Lokomotive ein, mit Fahnen geschmückt, mit Blumen bekränzt. ... Welch’ eine schöne Zukunft ist unserer Stadt nun erschlossen! ... [D]ie erste Lokomotive, welche Krems in Verbindung mit dem geflügelten Weltverkehr setzte, sie hat unseren Wohnort erst zur Stadt im wahren Sinne des Wortes erhoben ...“; KWB, 16, 45, 11. 11. 1871, Titelblatt.





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lange sehnlichst wünschten, wir werden ja schon sehen welchen Nutzen es der Stadt Krems bringen wird.104 Th Tiphus und Blattern105 grasiren in Krems sehr stark und haben schon ziemliche Opfer gefordert. Männer in die 60 bleiben nicht ei[n]mal verschont. Mutter war auch 3 Wochen krank, wir fürchteten Tiphus welcher aber Gott sei Dank nicht eingetroffen ist. Den 20 Dezember 1871. Das 20zigste Lebensjahr ist {war} volendet, und ein neuer Abschnitt begint, aber wie? Mit Sorgen, Kummer, Schmerz, wie das andere geendet 4 Wochen sind es bereits daß Vater ans Bett gefeßelt ist, und noch ist nicht die entfernteste Hoffnung auf Beßerung nachdem er eine Entzündung um die andere überstanden, selbst die Masern von denen Doktor behauptete es wären die Blattern, wo er sich aber groß irte, bekam {er} eine Iritis106 der Regenbogenhaut im Auge, diese ist die längste und schmerzlichste Augenkrankheit, er darf daß Bett nicht verlassen das Zimmer muß beständig in nächtliche Finsternis gehüllt bleiben, so hat es den Anschein als ob man in ein Grab eintrete, dazu das Jamern des Kranken, es muß das stärkste Herz verzagt machen, dan keine Aussicht auf Änderung, diese Krankheit kan Monate währen, es ist daher kein Wunder daß jede Lebensfreude für mich verloren ist, Frohsinn und Heiterkeit kenne ich nur mehr dem Namen nach, o es können schöne Weinachtsfeiertage werden und und ich hatte mirs doch so schön geträumt, noch schöner hätten sie schon dadurch sein können da am 24. Bahneröfnung ist, so daß es B. leicht gewesen wäre zu kommen, statt seiner bekome ich aber vor einigen Tagen den Brief eines seiner Colegen in dem dieser Herr mir anzeigt daß B. schon seit 10 Tagen bei seiner Schwester krank liegt, also ist jede Hofnung zertrümert, und von diesen Trümern kan ich mir das Gebäude meines Elends schaffen. Ist das ein beneidenswerthes Leben. – So war es auch mit meinem Namenstag es war der 20 aber noch hatte ich keinen der dem heurigen an Kränkung gleich gewesen wäre. Wohl werde ich viel bedacht, sowohl an Erinnerungsbeweisen, als auch an werthvollen Präsenten und doch konte nichts, nichts mich zufrieden stellen. Vater war ja krank, und dieß sagt alles. Von B. erhielt ich ein fertiges Kleid, schön und geschmakvoll gewählt genau passend, selbes ist Braun mit schwarzen Sammt und Fransen geputzt nach der neuesten Faśon gearbeitet, unter andren Umständen würde ich im jugendlichen Übermuthe vieleicht meiner Freude durchaus keinen Zügel angelegt haben, so aber drükte 104 Die Kremser Kaufmannschaft sowie Industrie und Handel (auch in Wien) drängten lange auf diesen Bahnanschluss. Krems war nicht nur wichtiger Handelsplatz, sondern auch Schulstadt und Sitz der Kreisämter – mit entsprechendem Personenverkehr. Ab Mai 1872 fuhren täglich drei Züge von Krems nach Wien und retour; vgl. Gäbler, Die Stadt Krems, 189, 193. 105 Blattern – Pocken. Die Krankheit breitete sich im Zuge des deutsch-französischen Krieges pandemisch aus; vgl. Andreas Weigl, Demographischer Wandel und Modernisierung in Wien, Wien 2000, 232. 106 Iritis – Entzündung der Regenbogenhaut; eine für das Auge sehr bedrohliche Erkrankung, die, um bleibende Schäden oder die Erblindung zu verhindern, rasch und intensiv behandelt werden muss. Sie wird durch Gewalteinwirkung von außen (Traumen) oder entzündliche Prozesse hervorgerufen.

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mich das heurige Mißgeschik nur zu tief nieder. Von meinen Eltern erhielt ich Stoff auf ein Kleid, von meiner lieben Milli ein Carneol107 Ar[m]band in Talmiogold108 gefaßt, von Dini Ärmel samt Chamisol,109 nebst zahlreichen Erinerungen meiner Freundinnen und Bekanten. – – So langsam und monoton schleichen die Tage dahin und keiner bringt Hilfe, jeden Abend wen ich mein schwergeprüftes, müdes Haupt zu Ruhe lege, tröste ich mich mit der Hoffnung auf Morgen, und der Morgen fängt an wie der Abend geendet. Herr gib uns Geduld und Ausdauer. Den 9ten Jänner 1872. Das erste Mal daß ich im neuen Jahre etwas aufzeichne, wollte Gott dieses Jahr erfüllte alle Hofnungen die an dasselbe gestellt werden. Heute erhielt ich von B. einen Brief worin er mir anzeigt, daß er heute ein Geschäft in der Josefsstadt110 gekauft und daßelbe mit 1ten Februar antrit, glükt es ihm so wird die Zeit sehr nahe sein um meine Hand anzuhalten (so schreibt er) ob ich diese Zeit herbeiwünsche? Bei einen so wichtigen Schritt des Lebens würde wohl jedes Herz bangen. –– –– Den 10 Jänner 1872. Heute wurde die Flügelbahn Krems – Absdorf111 eröfnet der erste Zug kam um ½ 10 uhr Vormittags an, und wurde von der harrenden Menge mit Jubel empfangen, die Musik spielte den „Hohen Peter“ was die Bahngesellschaft jedenfalls auf die Fahrpreise bezog, und diese ziemlich hochschraubte.112 den 13 Jänner 1872 Heute Nacht trat bei Vater die Krisis113 ein, wir mußten um Mitternacht den Doktor hollen, es ging glüklich vorüber, und von Stunde an wird es besser, nicht so geht es mir ich hatte ein schrekliches Zahnleiden mußte gestern liegen. Das Fieber zwang mich dazu, dan heute Nacht diese Aufregung diese Angst, mir ging alle Augenblike eine 107 Carneol – Karneol ein durchscheinender roter Quarz; der Halbedelstein wird zu Ring- und Siegelsteinen und anderen Schmuck- und Gebrauchsgegenständen verarbeitet. 108 Talmiogold – Talmigold bezeichnet eine Kupferzinklegierung, die als Blech oder Draht dünn mit Gold plattiert wird. 109 Chamisol – Camisole, ein Unterhemd mit schmalen Trägern und eingearbeitetem Büstenteil. 110 Josefsstadt – die Josefstadt ist seit der ersten Stadterweiterung 1850 Wien eingemeindet (VIII. Bez.). 111 Flügelbahn Krems–Absdorf – die Hauptstrecke der Franz Josefs-Bahn führte von Wien über Eggenburg nach Gmünd, von dort nach Pilsen/Plzeň (zu den Škoda-Werken, den Waffenschmieden der Monarchie, und zu den Bierbrauereien) sowie zu den westböhmischen Bädern oder weiter nach Prag; vgl. Beppo Beyerl, Die Eisenbahn. Historische Weichenstellungen entlang des österreichischen Schienennetzes, Wien 2004, 40f. 112 Vgl. den Wortlaut im Zeitungsbericht: „Wohl an 1000 Menschen begrüßten den rauchenden Schlott, zahlreiche Hochrufe ertönten ... Damit es aber auch diesem Ereignisse nicht an der erforderlichen Weihe fehle, intonirte die Musikkapelle den ‚Höher Peter’, was die Bahndirektion jedoch als einen Fingerzeig für die künfigten Ansätze der Fahrpreise betrachtet haben soll. Krems war einmal außer Rand und Band ...“; KWB, 17, 2, 13. 1. 1872, Titelblatt. 113 Krisis – „[M]an versteht gegenwärtig unter K. nur das plötzliche, meist unter reichlichem Schweiß erfolgende Aufhören des Fiebers, welches dann alle andern Erscheinungen hinreichend erklärt, und mit welchem auch die größte Gefahr beseitigt zu sein pflegt.“ Meyers 4, Bd. 10, 228.





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Ohnmacht zu, heute wollte ich mir den Zahn nehmen lassen. Der Zahnartzt sprengte mir denselben aber 2mal ab so daß ich fürchterlich litt, ich mußte mich 2mal douchiren114 lassen um den wahnsinnigen Schmerz zu dämpfen. Den 26 Jänner 1872. Vatter darf seit jener Krisis das Bett verlassen jedoch noch nicht das Zimmer, das Auge hat zwar die Entzündung verloren ist jedoch sehr schwach, auch darf er daselbe nicht im geringsten anstrengen. Der heurige Fasching geht für mich öde und freudlos vorüber, ich besuche gar keine Unterhaltungen, meine Zerstreuung ist arbeiten und wider arbeiten, am liebsten ist es mir am Abend weil da Geist und Körper ruhen können. – den 9ten Februar 1872 Heute115 hat Hr. Baumgartner daß Geschäft angetreten es ist dieß in der Josefstadt, Florianigasse Ek der Schlösslgasse, betitelt sich zum goldenen Schlössl116 und ist eine Spezerei, Schnitwaren, Farb und Marterialwarenhandlung und hieß vormals Emler,117 der Zins war früher 700 wurde aber jetzt auf 1000 fl gesteigert wohl ist eine schöne Wohnung dabei, welche B. um 450 fl vermithet hat, er hat einen Commis und einen Jung. Das Geschäft hat er um 2000 fl gekauft. Vater ist schon beinahe ganz wohl. Den 27 Februar 1872. Wir waren ganz glüklich daß Vater schon ausgehen konte und ganz wohl war, da plötzlich fängt der Schmerz aufs neue [an] und wir sehen leider das das Übel rezitiv geworden ist, Gott wird uns gnädig sein, daß das es dießmal nicht wider 11 Wochen dauert. B. schreibt, daß das Geschäft recht gut geht, aber noch besser werden muß, der vorige Besitzer hat alles in verluderten Zustande zurükgelassen, die nothdürftigste Einrichtung hat Lher {B} auch manche Unannehmlichkeit bereitet, seine gute Schwester stand ihm aber bei allen treflich zur Seite.

114 douchiren – bei einer Douche wird Flüssigkeit oder Gas mit gewissem Druck auf Teile des Körpers geleitet. 115 Im Original in größerer (lateinischer) Schrift. 116 zum goldenen Schlössl – das Geschäft, das Johann Baumgartner kaufte, befand sich an der Ecke Florianigasse 8/Schlösselgasse 6. Der Hausname Zum goldenen Schlössel bezog sich auf das Schild eines schon 1694 erwähnten Wirtshauses, dessen Besitzer Schlössel hieß. 1863 erwarb Erhard Hammerand das Haus samt Lokal, das seine Erben als Gaststätte und nach Neubau des Hauses 1870 als Hotel weiterführten; vgl. Czeike, Historisches Lexikon Wien, Bd. 5, 101. In einem Häuserverzeichnis von 1875 wird als Baujahr 1871 angegeben, als Besitzerin des dreistöckigen Hauses mit 20 Wohnungen ist hier Josefa Hamerand genannt; vgl. Joseph Schlessinger Hg., Der Cataster. Handbuch für Ämter, Architekten, Baumeister, Capitalisten, Hausbesitzer etc., etc. über sämmtliche Häuser der K. K. Reichshaupt- und Residenzstadt Wien, Wien 1875, 224. 117 Im zeitgenössisch wichtigsten Wiener Adressbuch findet sich folgender Eintrag: „Joh. Nep. Emler, Kaufmann, VIII., Schlösselgasse 5“; vgl. Lehmann’s Allgemeiner Wohnungs-Anzeiger nebst Handelsund Gewerbe-Adreßbuch für die k. k. Reichshaupt- und Residenzstadt Wien und Umgebung (im Folgenden: Lehmann), 8 (1870), 124.

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den 22 April 1872. War heute mit Vater in Wien, da das Augenübel troz 4 Kremser Doktoren sich nicht heben will, wendete sich Vater an Prof. Arlt118 welcher ihn seinem Asistenten Herrn Dokt. Otto Bergmeister119 zur Behandlung übergab, er wohnt bei Herrn Baumgartner, hoffen wir das Beste. den 10 Mai 1872. Vater ist schon bedeutend besser, und auch mein Geschik ist beschlossen, Bs Vater war he in Wien, und da wurde die Angelegenheit ins Reine gebracht am 3 Juni d. J. soll unsre Hochzeit [sein], mein Gott ists den möglich, ja, ja ich darf nicht zweifeln mein Herz sagt es mir weil es gar so heftig pocht und hämert, eine Frist von 4 Wochen hat man mir gegeben, mich zu sameln und vorzubereiten, und ich kann es noch immer nicht glauben, der Tag der mich auf ewig bindet er sollte schon so nahe sein, o Maria steh Du mir rathend und helfend zur Seite wen Angst und Zaghaftigkeit mir den Muth rauben wollen, verlaß du mich nicht wen die Stürme des Lebens auch die Grundfesten unserer Ehe erschüttern, gib daß Liebe und Vertrauen unsre steten Begleiter sind, dan mag kommen was da will ich werde allen die Stirne bieten. Ich will und werde meine Hochzeit in Krems feiern, warum? ich weiß es nicht vieleicht ist es die letzte Mädchenlaune. Gott gib mir Muth zu den ernstesten Schritt meines Lebens und mildere den schmerzlichen Abschied vom Vaterhause. den 20 April {Mai} 1872. Gestern Abends ist Vater und B in Krems angekommen. Vater bleibt nun wider in Krems er ist ohne Gefar entlassen worden, doch ist er sehr matt und schwach, B. hielt sich nur gestern heute hier auf wir mußten zum Hochw. Herrn Probst120 gehen wo er seine sämmtlichen Dokumente zur Durchsicht abgeben mußte, ich mußte mir meinen Taufschein lösen, worauf mein Verkündschein121 ausgefolgt wurde, sämmtliche Papiere 118 Prof. Arlt – Ferdinand Ritter von Arlt sen. (1812–1887) war Augenarzt und Chirurg; 1856–1883 Ordinarius für Augenheilkunde an der Universität Wien. In den frühen 1870er Jahren unterhielt er außerdem eine Ordination in Wien I; vgl. Lehmann, 1870, 558; Czeike, Historisches Lexikon Wien, Bd. 1, 156f. 119 Otto Bergmeister – aufzufinden als „graduierter Arzt“, I, Schottenring 2/2–4; vgl. Christian Ludwig Praetorius Hg., Oesterreichischer Medicinal-Schematismus für 1885, Wien 1884, 29. 120 Hochw. Herrn Probst – Sebastian Liebhart (1808–1880), Propst von Ardagger, Ehren-Domherr von St. Pölten, bischöflicher Rat und bischöflicher Consistorialrat Beisitz, Stadtpfarrer und Dechant des Kremser Dekanats; kurz gehörte er auch dem Gemeinderat an; vgl. NÖA 1876, 233. Ein Propst ist der erste geistliche Würdenträger nach dem Bischof an Kathedralkirchen. 121 Verkündschein – Teil der Eheakten. Es handelt sich um eine pfarramtliche Bestätigung, dass kein Ehehindernis besteht (anderweitige Verlobung oder Verheiratung, Verwandtschaft, Gewalt und Zwang, fehlendes Alter u. ä.). Das Dokument enthält neben den Daten der Brautleute auch jene der Elternpaare (Tauf- und Familiennamen, Ort und Pfarre, manchmal auch Dienstverhältnisse etc.). Die Bestätigungen wurden in den Pfarren in sog. Verkündbüchern festgehalten. In Österreich war das „Aufgebot“, die öffentliche Ankündigung der beabsichtigen Ehe staatlich verordnet. 1872 wurden für einen Verkündschein 50 Kreuzer verlangt; für den Vermählungsschein nochmals 50 Kreuzer; vgl. NÖA 1872, 526. Der Verkündschein wurde von der Pfarre Alservorstadt ausgestellt (2. 6. 1872); vgl. DASP, PfA Krems St. Veit 2/27, Trauungsbuch 1863–1878, Fol. 223, Nr. 49. Zum seit den Josephinischen





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mußte B. nach Wien mitnehmen da wir an beiden Orten verkündet werden müssen, selbe erfolgt am 26 und 30 d. M. (am Frohmleichnamstage) und am 2 Juni d. J. Die Trauung wird am 3 Juni 1872 nachmittag 5 uhr stattfinden. Zur Brautlehre122 muß ich Sontag um 11 uhr kommen. Es wäre unmöglich meine Gefühle zu schildern, ich bin ungeheuer aufgeregt und fühle mich wie im Fieber. Den 2ten Juni 1872. Am Vorabend meiner Hochzeit.123 Der Tag ist da an dem ich meinen Stand verändern soll, mit zitternden Herzen sehe ich der entscheidenden Stunde entgegen, mein Gott, mein Gott, verlasse mich nicht, ich fürchte daß ich schwach sein werde, morgen schon ein Weib welch ein Eindruk, welch ein Gefühl durchbebt mich dabei, er liebt mich liebt mich warm und innig, – wird es immer so bleiben? werde ich die Zufriedenheit erlangen nach deren ich mich sehne, morgen mit den Mittagzuge kommen die Hochzeitsgäste an. Die Trauung ist Abends ½ 6 uhr, nach der Trauung Diner beim Gold. Stern,124 und dann, dann ist der schönste Tag vorüber, ich bin verheirathet, 2 Kranzeljungfern Dini und Milli werden dem Feste beiwohnen, ich kann nicht mehr weiterschreiben ich bin zu aufgeregt und kann nichts sagen als Maria hilf mir. – 3 Juni 1872. Mein Hochzeitstag125 Diesen Tag will ich so beschreiben als es mir nur möglich ist, Vormittag hatte ich noch viel vorzurichten, um ½ 11 uhr waren Vater und ich auf der Bahn um die Gäste zu erwarten, bestehend in: Herrn Johann Baumgartner, Bräutigam “ Sebastian “ , SchwigerVater “ Alois Schönman, Brautführer “ Wilhelm Lobkowits, Junggeselle “ Wenzel Stawinoha,126 Schwager Frau Elisabeth Baumgartner, Schwiegermutter “ Maria Stawinoha, Schwägerin Frl. Maria Stawinoha,127 Nichte

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Reformen (1873) umstrittenen österreichischen Eherecht vgl. Ulrike Harmat, Ehe auf Widerruf? Der Konflikt um das Eherecht in Österreich 1918–1938, Frankfurt a. M. 1999, v. a. 1–65. Am 22. 5. 1877 legte Wetti Teusch das sog. Brautexamen ab – dies wurde im Verkündbuch samt Namen des prüfenden Priesters eingetragen und von der Braut sowie Zeugen unterschrieben; vgl. DASP, PfA Krems St. Veit 2a/12, Trauungs-Rapular 1871–1881, Fol. 57, Nr. 54. Zeugenunterschriften fehlen hier. Im Original beide Zeilen in doppelter Schriftgröße. Gold. Stern – Zum Goldenen Stern, Gasthof in Krems, Göglstraße 16. Im Original beide Zeilen in nahezu doppelter Schriftgröße. Wenzel Stawinoha – Ehemann von Johann Baumgartners Schwester Maria. Stawinoha war Friseur mit eigenem Geschäft in Wien III, Rennweg 63; vgl. Lehmann 1875, 521. Maria Stawinoha – Tochter von Maria und Wenzel Stawinoha.

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Von der Bahn fuhren wir mittelst Wägen heim, gingen dan zu Notar Bindl128 um den Heiratskontrakt129 zu unterfertigen, dan fuhren mein Johan und ich zum Dampfschif um den Schwager130 aus Salzburg zu erwarten, dan zurük wo die Gesellschaft zum Stern speisen fuhr, von dort fuhren sämmtliche Herren im Keller wärend sich die Damen an die Toilette machten. Mein Anzug bestand aus einen weißen Torletankleid131 mit Schleppe und Überschoß, einen großen Brautschleier mit schönen Mirthenkranz, (zu der Stunde mein größter Stolz) die Haare waren in Loken frisirt, und weiße Atlasstiefeln132 volendeten das Ganze, separat hatte ich noch ein prachtvolles Mirthenbouquett von meinem Bräutigam erhalten, um ½5 uhr war ich fertig, wo wir zu Peierl133 fortografiren fuhren, die Stimmung war eine ungemein gedrükte und unter dem frisiren weinte ich bitterlich, meine Trauer stimte auch Johan traurig, als wir vom Fotografen zurükkamen, war bereits die ganze werthe Gesellschaft versamelt, nun wurde zur Kirche gefahren zahlreiche Neugierige machten sowohl in der Stadt als auch in der Kirche spalier, meine Stimmung während des fahrens war derart, daß ich weder sah noch hörte was um mich herum vorging, der Gang von der Kirchenthüre bis zum Hochaltar war mir schreklich, ich weiß nicht wie ich am Arme meines Brautführers eigentlich hingekomen bin, es schwindelte mir vor den Augen und das Herz wollte mir zerspringen, bei dem Altare wechselten wir beide Johan und ich widerhollt die Farbe, so daß man von mir eine Ohnmacht befürchtete, die Trauung nahm Herr Sebastian Liebhart Probst von Ardagger in eigener Person vor und gab uns nicht nur eine schöne Lehre, er bettete auch lange Lateinisch, es hat mich aufrichtig gefreut, daß er mir diesen Vorzug gab, als das Jawort gesprochen, die Ringe gewechselt und mit einen Wort der Trauungsakt vorüber war, war mir leichter, nach den üblichen Einschreiben134 fuhren wir wir weg und in den Gasthof zum Gold. Stern wo das Diner bestelt war, dort angekommen nahmen wir sämmtliche Glükwünsche entgegen, und ich glaube, daß dießmal vieleicht doch niemand dabei war dem es nicht von Herzen gegangen wäre, hier folgt das Speißzettel: 128 Notar Bindl – Jacob Bindl, k. k. Notar, Hoher Markt 261, Krems; vgl. NÖA 1872, 290. 129 Heiratskontrakt – Niederösterreichisches Landesarchiv (NÖLA), Notariatsarchiv Krems, Notar Bindl, G. Z. 851, Ehepacte, 3. 6. 1872 (siehe Transkript im Anhang). Als Zeuge hatte Max Pammer (vgl. Anm. 6) neben Wetti Teuschls Eltern und Wenzl Stawinoha, Johann Baumgartners Schwager, den Vertrag mitunterschrieben. 130 Schwager – Sebastian Baumgartner war der zweitälteste Bruder des Bräutigams; vgl. Anm. 49. Er gehörte dem Militär an – als er 1875 heiratete, wurde er als „pens. Tit.[ular] Wachtmeister des IV. Dragoner Regiments“ geführt; vgl. PfA Fallbach, Verkünd-Buch für Brautleute bei der Pfarre Fallbach vom Jahre 1832 angefangen, o. S. „Titular“ bedeutet, dass Baumgartner wohl den Titel, nicht aber die Gage eines Wachtmeisters bekam. 131 Torletankleid – vgl. Anm. 54. 132 Atlasstiefel – Stiefel aus Seide. 133 Peierl – 1871 eröffnete im April die „fotografisch artistische Anstalt des Adolf Peierl in Krems“, Badgasse 142; vgl. KWB, 16, 14, 8. 4. 1871, Inserate, o. S. 134 Vgl. DASP, PfA Krems St. Veit 2/27, Trauungsbuch 1863–1878, Fol. 223, Nr. 49; Trauzeugen waren Max Pammer, Vater der Brautjungfer Leopoldine/Dini Pammer, und Wenzel Stawinoha, Schwager des Bräutigams.





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Ogliosuppe135 Gesülztes Spanferkerkl Bakhühner mit Zukererbsen Mandelbuding mit Chaeteau Gansl mit Salat und Compot Dessert Gefrornes. Caffee. Gemüthlich plaudern blieben wir beisamen bis 11 uhr sodan wurde nach Hause gefahren, die Kleider gewechselt und zum Aufbruch gerüstet, da sämmtlich Gäste noch dieselbe Nacht nach Wien abreisten, ich und meine beiden Kranzeljungfern begleiteteten die Gesellschaft bis St. Pölten, mein armes Mannerl mußte abreisen und sein Weibchen zurüklassen, mir war recht sonderbar zumuthe, oft war es mir als ob irgend ein frohes Familienfest gefeiert worden wäre, wen ich aber dan den Goldreif an meinem Finger sah, wurde ich stets von einen eigenthümlichen Gefühl durchzukt, nicht daß ich mich vor etwas gefürchtet hätte, daß nicht, aber es war mir doch recht sonderbar zumuthe, daß nachdem der Zug den Theuren, wie alle andren werthen Gäste entführt, gingen wir in St. Pölten eine Stunde spaziren, da mittlerweile die Pferde gefüttert wurden, dan reisten wir in einer höchst deranschirten Toilette, und mit schläfrigen Augen auf Krems zurück, noch 2 Tage hielt ich mich daselbst auf da ich sehr viel zu paken hatte, am 2ten Tage reiste ich begleitet von meiner lieben Mutter in meine neue Heimath ab,136 Milli begleitete mich bis Absdorf vom Hause weg wurde mir der Abschied um so schwerer, weil alle Bekanten mit Thränen in den Augen kammen um mir Lebewohl zu sagen. Auf der Reise war ich so gefaßt als möglich gab aber der mitreisenden Gesellschaft welche für die junge Frau wie man mich nante sehr viel Simpatie hatten, oft sehr zerstreute Antworten. Am Bahnhofe in Wien erwartete mich mein liebes Mannerl und führte mich zu Hause, wo seine Schwester Marie die honeurs machte. Die Mutter blieb noch bis Samstag bei mir und reißte Abends nach Hause, damals wohnten wir Wikenburggasse No 3.137 135 Ogliosuppe – die spanische „olla podrida“ wurde am Wiener Hof zur „Olio-Suppe“. In den Fond aus Rindsknochen und -innereien, Hühner-, Enten- und Gänseklein, Schweins- und Kalbsfuß, Kalbskopf, Knochen von Lamm und Wild kamen Wild, Geflügel sowie Lamm- und Rindfleisch als Einlage. Gewürzt wurde die kräftige Suppe mit Cognac und Portwein. 136 Wien ist ca. 80 km von Krems entfernt. 137 Wikenburggasse – die Wickenburggasse liegt im VIII. Bez., direkt hinter der Schlösselgasse, in die das Ehepaar Baumgartner wenig später zog, und wo sich das Geschäft Johann Baumgartners befand. Die Josefstadt zählte zu den sog. inneren Vorstädten. Jedem Bezirk war ein spezifisches Wohnklientel zuzuordnen: Dem alten Hochadel und der neureichen Bourgeoisie ‚gehörte’ der erste Bez., dem Kleinadel der Bez. Wieden (IV), den Kaufleuten, den Kleinbürgern und der mittleren Beamtenschaft die Bez. V bis VIII, den Ärzten und Universitätslehrern die der Ringstraße nahen Teile des IX. Bez. Noch nicht eingemeindet waren die proletarischen Vorstädte (Favoriten, Floridsdorf, Simmering, Ottakring, Brigittenau usw.); vgl. Wolfgang Maderthaner u. Lutz Musner, Die Anarchie der Vorstadt. Das andere Wien um 1900, Frankfurt a. M./New York 20002, 68, 71; der Statistiker Gustav Adolf Schimmer

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eine kurze Zeit nach den vorgefallenen eingetragen.

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Den 20 November 1872. Fast 6 Monate sind vergangen seit ich das letzte eingetragen, folglich bin ich auch schon so lange verheirathet und mit Recht kann ich sagen glüklich verheiratet, ich und mein Mannerl wir haben uns unendlich gerne. Dieß ist der Hauptgrund unseres Glükes, ferner ist mir Wien bereits eine liebe Heimath geworden, besonders an den Sontagen im Sommer hatte ich Gelegenheit so manche Schönheits Wiens zu sehen, wie die neue Welt,138 den Stadtpark,139 den Volksgarten,140 den Park in Dornbach141 etz. an Winterlokalen kenne ich bis jetzt nur Schwender142 und Dianasäle,143 an Theatern

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bezeichnet den ersten Bez. als reichsten, findet „mittleren Wohlstand“ in Wien II, III, IV und VIII, die Bez. VI und VII nennt er „Fabriks-Rayon“, V und IX die „ärmsten Stadttheile“; vgl. Die Bevölkerung von Wien und seiner Umgebung nach dem Berufe und der Beschäftigung, Wien 1874, 32. Wien stieß wiederholt an seine Grenzen, was mehrfach zu Verdrängungswettbewerben führte – von der inneren Stadt in die Vorstädte, von dort in die Vororte, wo Lebenshaltungskosten niedriger waren als im Zentrum und in den Vorstädten. Restriktive Bauordnungen und eine Verzehrsteuer innerhalb der Linien dirigierten diese Wanderbewegung zudem; vgl. Weigl, Demographischer Wandel, 147. Zu Form und Prozess der Wiener Stadterweiterung vgl. auch Peter Eigner, Mechanismen urbaner Expansion: Am Beispiel der Wiener Stadtentwicklung 1740–1938, in: ders., Günther Chaloupek u. Michael Wagner Hg., Wien. Wirtschaftsgeschichte 1740–1938, Teil 2: Dienstleistungen, Wien 1991, 623–756, bes. 633ff, 641. neue Welt – der Kaffeesieder Carl Schwender (1809–1866) hatte zu Beginn der 1860er Jahre einen alten Herrschaftsbesitz in Hietzing (heute Wien XIII) erworben. Er gestaltete das Areal zu einem „Sommervergnügungsetablissement“ – mit Park, Blumenbeeten, einer Terrasse mit Kaffeehausbetrieb, Restaurant und Orchesterpavillons. Nach dem Tod Schwenders wurde das Grundstück verkauft, 1883 parzelliert und mit Villen verbaut; vgl. Czeike, Historisches Lexikon Wien, Bd. 4, 376f. Stadtpark – der größte Park der Inneren Stadt; im Zuge des Baus der Ringstraße als erster kommunaler Park Wiens angelegt. Volksgarten – eine Grünfläche zwischen Ringstraße, Heldenplatz und Burgtheater im I. Wiener Gemeindebezirk. Die spätklassizistische, geometrisch strukturierte Anlage war ursprünglich als Privatgarten für die Erzherzöge gedacht und wurde (unter Kaiser Franz I.) zum ersten öffentlich zugänglichen Park Wiens. Park in Dornbach – der Schwarzenbergpark (Dornbacher Park) ist eine ausgedehnte Anlage, die in die umliegenden Wälder übergeht. Er ist der älteste nach englischem Vorbild gestaltete Landschaftsgarten Österreichs; von 1801 an war er im Besitz der Familie Schwarzenberg. Schwender – der schon erwähnte Carl Schwender betrieb auch das Vergnügungsetablissement am Braunhirschengrund (meist Schwenders Casino oder Kolosseum genannt). Auf einem von der berühmten Wiener Familie Arnstein erworbenen Grundstück zwischen Mariahilfer Straße und Reindorfgasse (heute Wien XV) errichtete der Cafetier in einem ehemaligen Kuhstall ein Kaffeehaus. Das Lokal wurde gut besucht und deshalb mehrfach erweitert. Hinzu kamen eine Bierhalle und ein Theater, Tanzsäle etc. Nach dem Tod von Carl Schwender jun. (1876) ging das Unternehmen zugrunde; die Gebäude wurden 1898 abgerissen und machten einem Wohnviertel Platz (Schwendergasse). Braunhirschen gehörte seit 1864 zur Vorstadt Rudolfsheim; vgl. Czeike, Historisches Lexikon Wien, Bd. 5, 184f. Dianasäle – das Dianabad im II. Bez. war Europas erste gedeckte Schwimmhalle. Da der Badebetrieb im Winter nicht wirtschaftlich war, wurde die Halle saisonal zum Ball- und Konzertsaal und für einige Zeit zu den „fashionabelsten Wiens“. Sie wurde 1965/66 abgerissen; Wilhelm Kisch, Die alten Strassen u. Plätze von Wien’s Vorstädten und ihre historisch interessanten Häuser, Wien (1884), 203, vgl. 200–203; Czeike, Historisches Lexikon Wien, Bd. 2, 29.





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das Josefstädter144 das Strampfer145 und das Theater an der Wien,146 die Wintersontage sind öder weil das Geschäft offen bleibt. In das Geschäft bin ich so ziemlich gebrauchbar mein Mannerl sagt wohl ich sei brav, aber ich selber kann da kein Urtheil fehlen, nur weis ich daß ich Anfangs schwere Noth hatte, den erstens hatte ich von dem Geschäft keinen Begriff und zweitens war ich ganz fremd, jetzt ists um so viel leichter, ich kenne viele und obwohl mir schon so manche Frau ihre Freundschaft angetragen kann ich mich doch nicht entschließen, jetzt habe ich meine Milli wider in Wien, leider daß ich so weit von ihr weg bin, sie ist in Fünfhaus147 verheiratet, am 13 Oktober hatte sie ihre Hochzeit,148 und es geht ihr sehr gut, sie ist mir schnell nachgefolgt obwohl sie damals noch keine Ahnung hatte, daß sie ihren Stand so schnell verändertn wird. Ich war seit meiner Hochzeit schon 2mal in Krems und eregte jedesmall großes Aufsehen, natürlich man konte es nicht glauben, daß ich auch einmal ans Ziel kommen werde daß ich auch glüklich werden könne, nun jetzt sehen sie es alle meine Feinde, und das ist der größte Triumph den ich feiern kann. Meine Eltern welche anfangs sich nicht daran zu gewöhnen glaubten, allein sein zu müssen, sehen mich glüklich und sind es deshalb auch, ihre größtes Vergnügen ist uns Freude zu machen sie haben uns schon mehrere Malle besucht, und leben gleichsam neu auf in dem Glük ihrer Kinder gebe Gott daß sie uns noch recht lange erhalten bleiben. Auch in Falbach bei den Schwiegereltern war ich schon es war Kirchtag149 und ich konte bei dieser Gelegenheit die ganze Freundschaft kennenlernen wir wurden sehr gut aufgenomen und die Schwiegereltern hatten eine rechte Freude das wir kommen wir besuchten auch den Keller und die Weingärten wo mir besonders überall die größte Genauigkeit und Ordnung aufiel, wir konten jedoch nicht lange bleiben da wir zuhause das Geschäft hatten. Meine Schwiegereltern habe ich recht herzlich lieb gewonnen. Dini kann mich schwer entberen da ich ihr wohl die beste Freundin war die ich {sie} je besessen. Jetzt habe ich eine {Wohnung} beim Geschäfte,150 und kann so zugleich im Geschäft und zuhause sein. Meine Wohnung 144 das Josefstädter – K. K. priv. Theater in der Josefstadt, Wien VIII, Josefstädterstraße 26. Am teuersten war ein Logenplatz um 12 Gulden, am günstigsten der Eintritt in die „3. Gallerie“ (20 Kreuzer), durchschnittliche Karten kosteten 1 bis 1,20 Gulden; vgl. NÖA 1872, 583. 145 das Stramfper – Friedrich Strampfer (1823–1890) gründete 1870 das Theater unter den Tuchlauben (auch Strampfer-Theater), Wien I, Tuchlauben 16. 1872 kosteten die teuersten Karten dort 12 Gulden, am billigsten saß man in der Galerie um 40 Kreuzer; durchschnittliche Karten bekam man um 1 bis 2 Gulden; vgl. NÖA 1872, 582. 146 Theater an der Wien, Wien VI. Eine Loge im 1. Rang oder im Parterre kostete 12 Gulden, die billigsten Plätze in der 4. Galerie kosteten 30 Kreuzer; vgl. NÖA 1872, 582. 147 Fünfhaus – die Stadt Wien kaufte 1872 ein großes Areal von der Gemeinde Fünfhaus, außerhalb des Linienwalls der Vorstadt Mariahilf gelegen. Bis 1890 war die „Spekulationsverbauung“ dieses Gebiets abgeschlossen; v. a. kleine Handwerksbetriebe siedelten sich an. Nach der Eingemeindung der Vororte (1890/92) wurde dieser neue Wiener Bezirk (XV) Fünfhaus genannt (heute Rudolfsheim-Fünfhaus); vgl. Maderthaner/Musner, Die Anarchie der Vorstadt, 123. 148 13. 10. 1872 Hochzeit Milli – im Verkündbuch der Kremser Stadtpfarre fand sich kein entsprechender Eintrag. 149 Kirchtag – Kirchweih. 150 Wohnung beim Geschäfte – in Wien VIII, Ecke Florianigasse/Schlösselgasse; vgl. Anm. 117.

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{besteht} zuerst in einen Zimmer wo unsere Leute schlafen dann das Speisezimmer ferner ein Salon und Schlafzimmer nebst einer sehr geräumigen Küche. Soeben schaut mir mein Mannerl über die Achsel und sagt ich soll auch einschreiben wie wir die Abende zubringen, und daß wir beide oft sehr schlimm, aber dies hieße aus der Schule schwätzen und das darf man nicht. Den 7 April 1873 Als ich das letztemal in mein Tagebuch einschrieb ahnte ich noch nicht wie groß mein Glük ist und daß der heißeste Wunsch eines neuvermälten Paares schon damals in Erfüllung, ich fühle mich nähmlich schon im 6ten Monat Mutter oh welch ein herlicher, erhebender Gedanken sich Mutter zu wissen. Anfangs August habe ich die Katastrophe zu erwarten, aber ich habe keine Angst davor, ich kenne nur den Wunsch in den lieben Augen meines Mannes das Glük der Erfüllung seines Wunsches zu lesen, o möchte Gott unseren Wunsch erhören. Wie glüklich mich das Gefühl macht ein lebendes Wesen in mir zu hegen, wie gerne leidet man nicht da all die Schmerzen die da kommen. Und wie herzig ist nicht die Wäsche welche man den geliebten Wesen richtet, wie sint und denkt d man da nicht um ja alles recht lieb zu richten, d und das größte Glük dabei ist, wen der so herzlich geliebte Mann dabei steht einen bei der Arbeit glüklich lächelnd zusieht und dan mit heißen Küßen dafür lohnt. – O es gibt kein größeres Glük für eine Frau die mit ihren Manne recht zufriden lebt, als sich Mutter zu fühlen, wie muß es erst dan sein wenn das Kind glüklich zur Welt gekommen ist und auch die Mutter sich wohl befindet? Ich habe nur mehr ein paar Monate darauf und ich weiß auch dieß. Mein erstes wird dan sein meinen Gefühlen Ausdruk zu geben und wieder in das Tagebuch einzutragen, was mir beschieden war, es enthält schon so sonderbare Ereignisse die bedeutensten meines Lebens, das größte kommt aber doch erst und das wird mir gewiß unvergeßlich bleiben, soll aber denoch auch hier zu den wichtigsten Momenten eingereiht werden. Den 20 Juni 1873 Bald werde ich die Stunde herannahen fühlen welche eine große Veränderung in meinem Leben bringen wird, ich erwarte es ruhig und Gottvertrauend, mein Mannerl und meine lieben Eltern erwarten es mit Angst und Freude. Fast die ganze kleine Wäsche erhielt ich von der guten Mutter nur einige Sachen richtete ich selbst auch von Freunden erhielt ich Präsente für das kleine Wesen welches bald das Licht der Welt erbliken soll z.  B. von Kerbler Emilie151 ein Jäkchen und Häubchen ferner {von} den Pertzlschwestern152 das Taufhemdchen und ein Häubchen, ich will jetzt ein Verzeichnis der ganzen kleinen Wäsche geben was für mich eine schöne Erinnerung sein wird, und auch sonst für alle Fälle gut ist.

151 Kerbler Emilie – (geb. 27. 9. 1851) Tochter des k. k. Kerkermeisters zu Krems Georg Kerbler u. seiner Frau Anna Cäcilia; vgl. DASP, PfA Krems St. Veit 2/27, Trauungsbuch 1863–1878, Fol. 312, Nr. 32. 152 Pertzlschwestern – die Schwestern betrieben in Barbara Baumgartners Kremser Elternhaus ein Handarbeitsgeschäft.





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Verzeichnis der Kinder Wäsche (neu) welche ich für mein erstes Kind in Bereitschaft {hatte} 1 Taufanzug bestehen aus Deke, Häubchen Jäkchen und Hemd 3 Pique Deken 1 Deke weis abgenäht 3 Deken färbig detto 2 Unterlagen fein 6 St. Wikelbänder 1 Dutz Hemden größere 1 Dutz detto kleinere 14 St. Halstücherl 18 St. Leiwandbartel153 6 St. Barterl gehäkelt 6 „ detto Pique geschlungen 12 „ Jäkchen 14 „ Häubchen 4 Parr Handrosetten 2 St Fatschenbänder breit 2 „ detto schmal 6 St. Flanelwindel 37 „ Windel weis 30 „ Suzelfleke154 2 „ Kautschukunterlagen Ältere Wäsche wie ich sie noch als Andenken an meine verstorbenen Geschwister155 hatte sind 4 Hemdchen, 2 Jäkchen, 3 Häubchen156 und 1 Paar Strümpfe. 153 Leinwandbartel – leinernes Lätzchen. 154 Suzelfleke – Tücher (Schnullerersatz). 155 Wetti Teuschls Mutter, Anna Maria Teuschl, hatte noch zwei weitere Kinder geboren – einen Knaben (Anton, 10. 5. 1853–8. 9. 1853) und ein Mädchen (Anna, 9. 7. 1854–28. 3. 1855); vgl. DASP, PfA Krems St. Veit 1/18, Taufbuch 1841–1853, Fol. 551; 1/19, Geburtsbuch 3. 8. 1853–29. 12. 1860, Fol. 48. Lohnkutscher und Fiaker gehörten wie Baumeister und Gastwirte zu jenen Gewerben die Mitte des 19. Jh. außerhalb der Zünfte standen und bereits eine längere Tradition von Lohnarbeit aufwiesen. Sie zählten zugleich zu den wohlhabenderen Gewerben mit guten ökonomischen Bedingungen und kleinen Familien. Der Wirtschafts- und Sozialhistoriker Josef Ehmer beschreibt, dass hier möglicherweise die Geburtenrate weniger vom Bedarf an Arbeitskräften aus der Familie geprägt wurde, vielmehr Geburtenkontrolle beim sozialen Aufstieg (durch Bildung etc.) unterstützen sollte; vgl. Josef Ehmer, The Artisan Family in Nineteenth-Century Austria: Embourgeoisement of the Petite Bourgeoisie?, in: Geoffrey Crossick u. Heinz-Gerhard Haupt Hg., Shopkeepers and Master Artisans in Nineteenth-Century Europe, London/New York 1984, 195–218, 206f; vgl. auch Heidi Rosenbaum, Formen der Familie. Untersuchungen zum Zusammenhang von Familienverhältnissen, Sozialstruktur und sozialem Wandel in der deutschen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts, Frankfurt a. M. 1982, 352f. 156 Mit Schrägstrichen durchgestrichen.

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den 7. Juli157 {Montags} 1 uhr Morgens wurde unser erstes Kind, ein Knabe glüklich geboren in der {hl}Taufe, welche am Sontag den 13 Juli stattfand erhielt er den Namen Johann Anton. Sein Pathe ist zugleich sein Großvatter, geboren ist er im Zeichen des Schützen.158

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Den 7 Jänner 1874. Sechs Monate sind im Strome der Zeit vorübergerauscht, folglich ist auch mein geliebtes Kind schon ½ Jahr alt, schwer wäre es zu beschreiben, welche Freude wir an den herzigen Knaben haben der sich zusehend entwikelt, seine schönen blauen Augen sehen so herzlich lachend in die Welt hinein, und sein überaus freundlich offenes Gesichtchen macht auf alle Menschen die ihn sehen den besten Eindruck, ebenso wie sein Lachen, mit dem er gar nicht geizt jederman gewinnnt {entzükt}. Es wurde auch seinetwegen ein schöner Cristbaum gezirt, an dem aber jedenfals wir und meine guten Eltern die größte Freude hatte[n], da er ja noch zu jung ist, um für so liebevolle Überaschungen Verständnis zu haben, im ganzen genommen kann man ihn als brav bezeichnen da er uns noch wenige Nächte geraubt hat, wen er auch bei Tag stetzs Unterhaltung verlangt, nur 4 Monate hatte er die Mutterbrust da ich durch eine eintretende Krankheit {mit} welcher ich 2 Monate herumzog und wo die Doktors einstimig die Absetzung des Kindes forderten endlich nachgeben mußte, seitdem ist seine einzige Nahrung Milch mit Gaugau159 wo er sich sehr wohl dabei befindet, und recht gut beleibt ist. Eines großen Unglüks welches sich aber mit Gottes Hilfe {zimlich} glüklich abgelaufen ist, darf ich nicht unerwähnt lassen, da wir dadurch beinahe das Leben unseres so heiß geliebten Kindes verloren hätten, es war am 6 September 1873 daß ich mit dem damals 2 monat alten Kind nach Krems fuhr um meine Eltern zu überaschen das dort die Freude keine kleine war läßt sich denken, am achten holte mich mein Mann ab und wir fuhren Abends nach Hause, da der Zug Verspätung hatte kamen wir erst um ½ 11 uhr nach Hause und waren froh unsere müden geräderten Glieder zur Ruhe legen zu können, Gott wir ahnten nicht wie schreklich das erwachen sein sollte, um ½ 3 uhr Morgens wekte uns beide zu gleich ein Knall wir fuhren auf und sahen zu unseren Entsetzen des Kindes und mein Bett in Flammen, zur Erklärung dessen muß ich sagen, daß zwischen diesen beiden Betten ein Sessel und darauf das Nachtlicht sowie meine Sakuhr, Stupp,160 etz. war um es in der Nacht immer gleich zur Hand zu haben, aus einer uns bis heute noch nicht bekanten ursache sprang plötzlich das Glas des nachtlichtes und durch das auseinander spritzende Öhl 157 In lateinischen Buchstaben und doppelter Schriftgröße. 158 Dieser Eintrag ist vom vorigen und dem nachfolgenden durch wellige Linien getrennt; vgl. Abb. der Seiten 53 und 54 in den Vorbemerkungen; Johann Anton Baumgartner (7. 7. 1873–29. 11. 1950), später auch: Hansi, Hans, Kind. 159 Gaugau – Kakao. 160 Stupp – Puder zur Körperpflege (Schdup).





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fing[en] beide Betten zu gleicher Zeit ins brennen an. Schneller als dieß gesagt werden kann sprangen wir zu gleicher Zeit aus den Betten, mein Mann riß das noch immer schlafende Kind aus den Feuer wobei er sich die rechte Hand schreklich verbrante, da der Polster bereits rechts und links brante {und} das Kind nur durch ein Wunder Gottes unversehrt blieb, während ich um Wasser eilte und das Kinderbett schon ganz gedämpft hatte, bis uns unsere Leute die doch im anstoßenden Zimmer schliefen zu Hilfe kamen, dan riß ich die Fenster auf um den erstikenden Rauch hinauszulassen, und eilte dan meinen Mann zu Hilfe der in Folge seiner brandwunden jämerlich klagte, erst nachdem seine Hand in Öhl und Salz gebadet waren, und ich ihm die nöthigen Kleider angezogen hatte, dachte erst ich daran auch etwas anzuziehen, da ich während der ganzen geschilderten Ereignisse im Hemd bei offenen Fenstern in einer kalten Septembernacht herumgelaufen war, dieß und die ausgestandene Angst könnte bei einer stillenden Mutter nicht ohne Folgen bleiben, so sagte mir jederman und es war auch so schon tags darauf stellte sich Fieber und Appetitlosigkeit ein, was ich anfangs nicht beachtete und zu übergehen suchte, später aber nahm es solche Dimensionen an daß ich bettliegend wurde und einen Doktor und 2 Profesoren hatte, erst der 2 Hrr. Profesor Gustav Braun161 stellte mich wider her, aber ich mußte leider mein liebes Kind absetzen.162 Ich bin nun wieder recht gesund und Gott gebe daß wir alle es im Jahre 1874 auch bleiben und recht glüklich sind, denn das Jahr 1873 das denkwürdige der Wiener Weltausstellung163 hat uns als Freude einzig die Geburt unseres Kindes gebracht, während es im ganzen schlechten Geschäftsgang, Theuerung und Krankheit als Gaben ausstreute. Über die Weltausstellung eine Aufzeichnung zu geben, fühle ich mich durchaus nicht

161 Gustav Braun (1829–1911) – Ordinarius der Geburtshilflichen Klinik für Hebammen der Universität Wien (1873–1901); vgl. Czeike, Historisches Lexikon Wien, Bd. 1, 446f. Laut Amtskalender von 1876 unterhielt er auch eine Ordination in Wien I; vgl. NÖA 1876, 431. 162 Kind absetzen – abstillen. 163 Mit der „Wiener Weltausstellung“ wollte die k. u. k. Reichshaupt- und Residenzstadt sich in einer gigantischen – wirtschaftlichen und kulturellen – Leistungsschau einem internationalen Publikum präsentieren. Wie nahe die Idee von der prosperierenden Stadt und wirtschaftliches Chaos beieinander lagen, zeigt, dass nur einige Tage nach der Ausstellungseröffnung die Wiener Börse ‚krachte‘ (am 9. 5. 1873). Zur Ausstellung kamen weit weniger BesucherInnen als erwartet, v. a. wegen einer Choleraepidemie (von Juli bis Okt., die Schau lief von 1. Mai bis 2. Nov.) und überteuerten Hotelpreisen; vgl. Jutta Pemsel, Die Wiener Weltausstellung von 1873, in: Günter Düriegl u. a. Ltg., Traum und Wirklichkeit – Wien 1870–1930. Sonderausstellung des Historischen Museums der Stadt Wien, Wien 1985, 62–67. Vielfach galt die Weltausstellung als Grund für die folgende massive und lange Krise; der Wirtschafts- und Sozialhistoriker Roman Sandgruber korrigiert, dass die Ausstellung den Ausbruch der Krise eher verzögert hatte. Deren Ursachen sieht er in Überkapazität und mangelnder Konkurrenzfähigkeit der Industrie, in mehreren Missernten, in allgemeiner Überteuerung und im Ausfall von Konsumkraft; vgl. Roman Sandgruber, Der große Krach, in: ebd., 68–75, v. a. 70f.

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berechtigt, erstens habe ich dazu viel zu wenig gesehen (ich war nur 3mal, und da nur einige Stunden)164 und 2tens haben sich viel gewandtere Federn damit beschäftigt was der Nachwelt nie verloren gehen kann. Am Cristabend war ich mit der Mutter zum ersten Mal im Opernhause wo die Oper „Oberon der König der Elfen“165 gegeben wurde, über dieses Stük eine Kritik zu fällen ist auch hier nicht der richtige Platz dazu, ich sage nur niemand soll sich den Genuß einen Abend im Opernhause zuzubringen entgehen lassen, will er sich eine schöne Erinnerung behalten. Ich komme so selten dazu in mein mir liebes Tagebuch etwas einzutragen da das Kind meine ganze Zeit in Anspruch nimmt er ist sehr früh auf und geht vor der 10ten Stunde Abends nie zu Bett, die Zeit was er Tagsüber zu schlafen pflegt ist fast gar nicht zu rechnen. Den 6 August 1874. Welch stürmische Ereigniße haben sich zugetragen, seit ich das letztemal hier meine Erinnerungen niederschrieb, die geschäftliche Krisis hat immer mehr zugenomen worunter [wir] auch sehr bedeutend gelitten haben,166 unser Geschäft was, wie wir leider zu spät erfahren haben noch nie etwas werth war, litt umso mehr darunter, als auch noch Camalitäten167 vom Haushern {da}zu kamen und unsere Lage zu Unerträglichkeit steigerten, wir wollten es verkaufen aber lange Zeit fand sich kein Käufer, und uns wurde mit der Kündigung gedroht, endlich fand sich Hr. Kastner168 der das Geschäft im {April} mit 1800 fl kaufte also zu denselben Preis von mit den es von uns gekauft wurde, da mußten wir uns da wir ohne Geschäft waren eine Wohnung nehmen und hatten selbe Währingerstrasse 46,169 im 4ten Stok um den Zins von 5.13 fl, wir kündeten selbe jedoch im Mai wider und ziehen jetzt den 12 August 164 Die Eintrittspreise betrugen an Sonn- und Feiertagen 50 Kreuzer, ansonsten 1 Gulden (am Eröffnungstag 25 Gulden). Eine Saisonkarte machte 100 Gulden für Männer aus und halb so viel für Frauen; allerdings erhielten diese Saisonkarten nur unter bestimmtem Umstand: „Karten für Damen werden jedoch nur an solche Herren ausgefolgt, welche mit einer Saisonkarte bereits versehen sind.“ Wegweiser durch Wien und die Weltausstellung, Wien 1873, 24. 165 „Oberon der König der Elfen“ – romantisch-komische Oper von Paul Wranitzky (1789 in Wien uraufgeführt); vgl. Elisabeth Schmierer Hg., Lexikon der Oper, 2 Bde., Bd. 2, Laaber 2002, 263. 166 Auf die sog. erste Gründerzeit von 1850–1860 folgte eine Stagnation; auf diese zwischen 1867 und 1873 eine zweite Gründerzeit. Am Höhepunkt des Wirtschaftsliberalismus wurden zahlreich und oft überstürzt Betriebe gegründet. Nach dem vorhin erwähnten Börsenkrach gingen v. a. kleinere und mittlere Betriebe ein, Großbetriebe drosselten ihre Produktion und entließen Personal. Die Depression dauerte bis etwa 1896; vgl. Hirt’s Geschichte Österreichs in Stichworten, Teil IV: von 1815 bis 1918, Wien 1976, 144. 167 Camalitäten – Kalamität, eine schlimme Verlegenheit, missliche Lage. 168 Hr. Kastner – im Adressbuch ist eingetragen: Michael Kastner, Gemischtwarenhändler, allerdings Florianigasse 9, vgl. Lehmann 1875, 272. 169 Währingerstrasse 46 – die Währinger Straße ist eine der ältesten und längsten Ausfallstraßen Wiens (führt heute durch die Bez. IX und XVIII). 1850/62 wurden die Häuser im stadtnahen Bereich nummeriert. Zu Zeiten Barbara Baumgartners ersten Jahren in Wien und bis 1890/92 war der Vorort Währing noch eigenständige Gemeinde; vgl. Czeike, Historisches Lexikon Wien, Bd. 5, 575. Das Haus Nr. 46 ist ein späthistoristisches Wohn- und Zinshaus.





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aus, mein Mann miethete sich in Währing Schulgasse170 41 ein Magazin wo er kleinere Geschäfte machte, ich mit den Kind und den Dienstmädel ging Ende Mai nach Krems zu den Eltern wo ich so lange seit 2 Jahren meine glüklichste Zeit verlebte, ich wurde aber krank und mußte 3 Wochen das Bett hüten, Ende Juli bin ich wider in Wien angekommen. Heute Seit April suchen wir unausgesetzt uns ein passendes Geschäft zu finden, jedoch vergebens, heute aber wird so Gott will, endlich eines zum Abschluß kommen, es ist ein Spezerei & Delikatessengeschäft in der Stadt am tiefen Graben,171 kostet 1200 fl Zins ist 1200 fl die Wohnung im 3ten Stok kostet 600 fl alles ohne allen also 2000 fl Zins das ist bitter, aber das Geschäft soll gut sein, das wird einen von allen Seiten versichert, wenn nicht müssen wir es verkaufen, wir müssen uns auf alles gefaßt machen denn wir haben bis jetzt noch kein Glük gehabt, die ersten 2 Jahre unsrer Ehe haben abgewechselt mit Krankheit, Verlusten, Camalitäten aller Art, kurz nichts wie Leiden und Entäuschungen, und dieß war der Lohn für eine unermüdliche Tätigkeit, für ein sparsames, anspruchslosel Häuslichkeit. Unsere ganze Freude, unser Trost in jeden Kummer ist unser geliebtes Kind, er ist brav, schon recht verständig und lieb, wenn man noch so betrübt ist, sein Lächeln oder sein abherzen zaubert jeden Kummer weg, und doch hat er uns ohne es zu wollen schon arge Sorgen gemacht, es bildete sich nämlich am Rüken eine kleine Erhöhung, längere Zeit ging der Doktor ins Haus ohne das es sich änderte wir gingen auch mit ihm zum Profesor der empfahl uns hauptsächlich aufs Land zu gehen, deshalb waren wir in Krems, es geht jetzt besser und erfahrene Leute sagen, daß wen er laufen wird, sich das alles ändern wird, er läßt sich jetzt auch mit aller Gewalt auf die Füße was uns recht Freude macht. In Krems hat er auch 6 Zahnerl bekomen ohne daß seine Gesundheit viel Schaden gelitten hätte, ja ohne das er viel streitig gewesen wäre. Schluß für heute. Wien am 1 Jänner 1875 Mit den Beginn eines neuen Jahres muß ich auch wider meinen Herzen wider einmal Luft machen, da es ohnehin schon eine geraume Zeit ist daß ich nichts eingeschrieben habe, obwohl sich seit der Zeit vieles verändert hat. Mein liebes Kind Hansi läuft nun schon, er hat mit 16 Monaten angefangen hat schon 10 Zähne und plauscht alles nach, vieles sehr schön aussprechend, Das Kind ist unsere ganze Freude, mein größtes Glük, Gott erhalte mir das theure Wesen, es ist ja alles, was ich habe. – Ich bin wider gesund, das Bauchleiden was ich von der Kollik in der ich in Krems vorigen Sommer erkrankte erhilt scheint sich gänzlich zu verlieren, denoch kann ich das gute Aussehen daß mich früher erfreute nicht mehr erlangen, daran mag einzig der Kummer schuld sein, der mich fort und fort drükt, und der auch Schuld ist an meines Mannes veränderung, die mich so schmerzt, er ist zerstreut, launenhaft, gereizt und wie abgestorben, er hat an nichts mehr Freude, intresirt sich für nichts und lebt nur für sein Geschäft, auf die formlosesten Fragen bekome ich rauhe Worte, er ist wohl manchmal 170 Währing Schulgasse – nach den in der Gasse befindlichen drei Schulen benannt (heute Wien XVIII); vgl. Czeike, Historisches Lexikon Wien, Bd. 5, 159. 171 tiefen Graben – der Tiefe Graben ist eine Geschäftsgasse im I. Wiener Bez.

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freundlich aber das ist so selten und so schnell vorübergehend wie ein Sonnenstrahl im Winter, kein Wunder daher daß ich mich gekränkt fühle, daß es Zeiten gibt wo freventliche Gedanken mein Gehirn durchkreuzen ob es nicht besser wäre gar nicht da zu sein, aber solche Gedanken sind nur momentan, wenn ich mein geliebtes Kind betrachte, so halte ich mich wider für sehr glüklich, auch schmeichle ich mir wider mit der Hoffnung daß die trübe Stimung meines Mannes wider in Liebe und Freundlichkeit sich ändern wird. Wir haben halt in dem Geschäft in der Josefstadt beinahe die Hälfte unseres Vermögens eingebüßt, theils durch schlechten Geschäftsgang, dann durch die lange Hinauszieherei des Verkaufes, durch die Inventur beim Verkaufe und meistens durch uneinbringliche Forderungen, dann waren wir längere Zeit ohne Geschäft, da wir uns nichts ordentliches fanden, bis wir im Monate Nov September in der Leopoldstadt, Taborstrasse 36172 Ek der Konradgasse ein neues Geschäft erichteten, was wir sehr schön herichten ließen, (es ist ein Spezerei und Delikatessengeschäft)173 und was auch viel Geld gekostet hat wir haben es am 16 September 1874 eröfnet, Anfangs mußten wir oft mit Schaden verkaufen, vom Verdienen war gar keine Rede, dazmit man sich Kunden samelte was nicht leicht war da es eine große Conkurenz gibt,174 obwohl es eine Hauptstrasse ist und besonders viel ziehendes Landvolk gibt, jetzt freilich haben wir schon viele und schöne Kunden aber verdienen läßt sich denoch nicht mehr viel weil eines das andere an billigen Preisen überbietet, so ka das alles zusamen mit unseren früheren großen Verlusten vereinbart, bringt oft recht arge Geldklemen mit sich, was dann freilich oft kein Wunder ist wen man nicht weis wo einen der Kopf steht, ich fühle und trage das aber eben so schwer wie mein Mann und soll ich dann auch noch sehen und leiden wie mein Mann durch das wird, so dünkt mir manchmal die Bürde zu schwer, die mir zu tragen bestimmt ist. Darum ist zu solchen Stunden mein größter und einziger Trost mein süßes Kind. O möchte ihm einst der dornenvolle Pfad eines Geschäftsmanns erspart sein. Es ist heute der Begin eines neues Jahres was wird uns dasselbe bringen, wie gut hat doch der liebe Gott alles eingetheilt im Leben, das man nicht weis was in der Zukunft verborgen liegt, so gibt man sich wider trügerischer Hofnungen hin, und dadurch wird das Leben einigermaßen erträglich. Ich habe {aber} hebe meine Hände flehentlich zum Himmel um Erhörung folgender Bitten: Gedeihung und 172 Taborstrasse 36 – ursprünglich war die Taborstraße (früher Kremser Straße) die Hauptausfallsstraße nach Norden. Nr. 36 ist heute ein Bau aus 1912–1915. Mit den anderen an solchen Straßen gelegenen Vorstädten (Landstraße u. Wieden) hat die Leopoldstadt den Großteil der zuwandernden Bevölkerung aufgenommen; 1890 zählte man in diesem Bez. 117.232 ‚Fremde’ und 30.582 ‚Einheimische’. V. a. auch jüdische EinwandererInnen ließen sich im II. nieder. 1880 betrug der Anteil der ‚Fremden’ an der Wiener Zivilbevölkerung 64,8 %; vgl. Eigner, Mechanismen urbaner Expansion, 745, 660. 173 Spezerei und Delikatessengeschäft – im Branchenverzeichnis ist die Vermischtwaren-Handlung Franz Széth unter dieser Anschrift eingetragen; vgl. Lehmann 1875, 907. 174 In „Lehmann’s Adreßbuch“ sind 1875 allein für die Taborstraße 18 „Vermischtwaren-Handlungen“ verzeichnet; für den II. Bez. sind es ingesamt 83 (jene mit genauerer Spezifizierung nicht mitgezählt), viele davon in Seiten- oder Parallelgassen der Taborstraße und damit in unmittelbarer Nähe.





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Gesundheit für unser Kind, lan ein liebevolles Gemüth meinen Mann, langes Leben für meine Eltern, mir aber mein Gott recht viel Geduld und Liebe Amen. Am 23/ Juni 1875. Wider ist ein Blatt in unserer Geschichte umgeschlagen und wider zeugt es nicht erfreuliches im Gegentheil es scheint als solle sich der Fluch erfüllen den unser alter Feind Hr Brutscher ausgesprochen, das neue Geschäft versprach viel und es wäre auch gut geworden wen nicht eben wider eine neues Übel gekomen wäre, es wurde ein paar Häuser von uns ein Consumverein175 eröfnet für die Bediensteten der Nordwestbahn,176 wir aber haten die meisten Beamten das Dienstpersonal und viele Strekenbeamte zu bedinen, die uns plötzlich alle weggenohmen wurden dazu die Geschäftskrisis die unzählige ruinirt, die den ganzen Kredit raubt so daß man für alles das Geld im vorhinein niederlegen muß, so kam es daß wir unseren Zahlungen nicht nachkommen konten und wurden von 9 Seiten meist Wechselforderungen die mein Mann auf 4 Wochen ausstellte um den Skonto zu verdienen eingeklagt,177 nun steht mir wohl laut unseres Ehekontraktes178 mein Geld insoferne gesichert daß ich erste Gläubigerin bin und alle

175 Consumverein – als neue Art des Detailhandels entwickelten sich die Konsumgenossenschaften nach englischem Vorbild. Offene und freiwillige Mitgliedschaft, politische und konfessionelle Neutralität sowie demokratische Verwaltung kennzeichneten diese Vereine. Die meisten wurden von ArbeiterInnen gegründet, daneben gab es kleine bürgerliche Beamten-Konsumvereine (so gründete 1862 der Generalinspektor der Südbahn den Ersten Wiener Konsumverein); vgl. Czeike, Historisches Lexikon Wien, Bd. 3, 570f. 176 Nordwestbahn – zwischen 1870 und 1873 wurde in Wien II (seit 1900: XX), nördl. der Taborstraße, der Nordwestbahnhof errichtet. Die neue Bahn stellte eine wichtige neue Handelsverbindung zwischen Ostsee, Berlin, Dresden und Wien her und diente vorwiegend dem Güterverkehr; vgl. Beyerl, Die Eisenbahn, 40. 177 Johann Baumgartner hat offensichtlich, wenn er nicht gleich bar bezahlen konnte, sog. Solawechsel ausgestellt, d. h. ein Bezahlungsversprechen gegeben. Bei einem Zahlungsversprechen binnen vier Wochen wurde demnach noch der gleiche Preisnachlass gewährt wie bei Barzahlung. 178 Das „Allgemeine bürgerlichen Gesetzbuch für die gesammten Deutschen Erbländer der Oesterreichischen Monarchie“ (ABGB, 1811/13) sah als ehelichen Besitzstand die Gütertrennung vor; eine Gütergemeinschaft bedurfte eines Vertrags. Auch im Fall einer Gütertrennung war selbstverständlich, dass die Ehefrau die Verwaltung ihres Vermögens „desto gemeiner“ an den Ehemann übertrage. Ein etwaiges Heiratsgut wurde dem Ehemann „zur Erleichterung des mit der ehelichen Gesellschaft verbundenen Aufwandes übergeben oder zugesichert“; vgl. Margret Friedrich, Zur Genese der Stellung der Ehefrau im österreichischen Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuch, in: L’HOMME. Europäische Zeitschrift für Feministische Geschichtswissenschaft, 14, 1 (2003), 97–109, 106f. Das Paar Teuschl/ Baumgartner hatte vertraglich eine teilweise Gütergemeinschaft vereinbart: Heiratsgut und Widerlage blieben davon ausgenommen; das Heiratsgut musste gleichwohl dem Bräutigam übergeben werden (zur Verwaltung und Nutznießung). Die Widerlage war eine Gegengabe zum Heiratsgut, die der Bräutigam seiner zukünftigen Ehefrau für den Fall seines Todes zusätzlich versprach. Abbildung und Abschrift des Ehevertrags zwischen Wetti Teuschl und Johann Baumgartner finden sich im Anhang. Der „Notariatszwang“ für einen solchen „Ehepakt“ bestand erst seit 25. 7. 1871; vgl. Ellinor Forster, Handlungsspielräume von Frauen und Männern im österreichischen Erbrecht. Geschlechterverhältnisse im 19. Jahrhundert zwischen Rechtsnorm und Rechtspraxis, Innsbruck (Univ. Diss.) 2007, 96, 104.

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andern warten müssen was übrig bleibt,179 darauf aber wollten wir es nicht ankomen lassen wir wollten auch fortan nicht als ehrliche Kaufleute am Platze stehen, wollten unseren geliebten Eltern den Kummer ersparen und nur die Heimat nicht entfremden so kämpfen wir uns durch und in kurzer Zeit werden wir sämmtliche Kläger vom Rüken haben, was wir aber die ganze Zeit litten ohne uns nur an jemand zu verathen, wie wir uns kränkten gemeinschaftlich kränkten, den mein Mann ist wider gut und freundlich seitdem ich ihm von den Eltern 300 fl verschaffte und ihm damit überaschte, seitdem er gesehen wie ich alles mit ihm trage hauptsächlich aber seit er wider zu Hause bleibt und nicht mehr in Gesellschaften kommt die ihm seiner Familie entfremdet hätten, wir litten zusammen es ist keine Kleinigkeit sich so zu wehren und zu sträuben um oben zu bleiben wo sich so viel Hände vereinnen um uns unter zu tauchen, wir mußten den Zuker hutweise zusamen schleppen den Kaffe pfundweise, wir entbehrten das allernöthigste ja versetzten sogar unser werthvollste[s] um uns den Klauen dieser Raubthiere die sich Doktors der Rechte nennen zu retten, daß wir ein paar hundert Gulden Spesen zahlen ist selbstverständlich, wem Gott verlassen will den darf er nur in solche Hände gerathen lassen, möchten wir einmal von diesem traurigen Kampf erlöst sein damit wir wider freier aufwachen, und möge der liebe Gott die schadenfrohen Leute verstummen machen die unseren Untergang profezeihen, wir arbeiten allein nur mit einen Jung sind unermüdlich und gönnen uns selten ein warmes Nachtessen, so weit ist es schon solls noch weiter gehen, soll das Schiksalsrath was uns so unbarmherzig herumschleidert nie stehen bleiben oder sich zum bessren wenden, womit haben wir so ein dornenvolles leben verdint, war unsere Liebe nicht voll Bitterkeiten sollen wir im Leben keine glüklichen Stunden haben, doch halt wir haben trozdem glükliche Stunden, wenn wir unser Kind ansehen und er plauscht so lieb mit uns zerstreut er doch wider alle Sorgen. Wann wird die Zeit kommen daß ich in dieß Buche welches schon so viel Sorgen Kumer und Schmerz in sich schließt endlich auch Freude, finanziele Sorglosigkeit und Ruhe eingeschrieben werden kann ich habe fast keine Hoffnung mehr s daß sich unser düsteres Geschik ändern soll, wenn nicht ein Wunder geschieht, gewis nicht mehr. –– –– Den 17 August 1875 Kein Wunder ist bis dato noch nicht geschehen, im gegentheil es scheint daß ein Unglük dem andren die Hand reicht, und daß daß Buch nur traurige Geschichten in sich enthalten soll, der Kampf mit den Raubthiren geht noch fort, obwohl sich die Zahlen vermindern, dafür hat {uns} unser Hausherr, ein elender gewissensloser Hund (Jud)180 179 Bezüglich der Sicherstellung ihres Heiratsguts hatte sich Barbara Baumgartner geirrt; vgl. Eintrag vom 29. 9. 1875, 70; vgl. Kap. 4, Anm. 79. 180 Auf 1848 folgte die bürgerliche Emanzipation der jüdischen WienerInnen und eine „materielle wie kulturelle Blüte“; vor 1848 lebten in Wien 6.000 bis 7.000 Jüdinnen und Juden, 1869 waren es 40.000. Nach 1867 (dem „Ausgleich“ zwischen den österreichischen und ungarischen Reichshälften, der die zentralistische Staatsverfassung durch eine staatsrechtliche Gemeinschaft ersetzte) wanderten verstärkt jüdische Menschen aus Galizien zu – sie bildeten in den folgenden Jahrzehnten „einen gro-





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gekündet, wo wir so viel hineingestekt haben und wir Bettler sind wenn wir ausziehen müssen, aber nicht uns allein sondern noch 2 mit Gewölben sammt Wohnung und einer Patei im ersten Stok, dan sind im ganzen noch 2 Parteien in dem großen 4stökigen Hause, das thut ein 3facher Milionär, ist das nicht schändlich, aber so schlau er uns daran kriegen wollte, er ließ in aller Gottes Früh auf jedes Gewölbe einen Zettel kleben, daß es zu vermiethen ist, so haben wir ihm denoch schön herumgekrigt, unsere Ausziehzeit fiele im November, nun aber hatte mein Mannerl einen herlichen Gedanken, wir sind nämlich mit den Ehel[e]uten Bear181 recht gut, sogar du (seit 16 d.) nun ist Herr Bear zum Haushern182 gegangen und hat das Gewölbe, sammt Wohnung vom November an gemiethet und 30 fl Darangabe gegeben, so haben wir dadurch 6 Monathe Zeit gewonen und können nun andere Maßregeln trefen, entweder wir müssen das Geschäft verkaufen wenn es künftig sein kann, oder wir müssen uns auf andere Art retten, aber eine gewaltige Überaschung wird es für Alle sein, wen der November kommt, und wir ziehen nicht aus, den Miether kent niemand da er zufällig immer Falk genant wird, was der Name seiner Frau ledig war und das Pfaidlergeschäft183 was sie hat, hatte sie schon ledig und ist die Firma noch dieselbe so glaubt man allgemein, er heißt Falk. Diese Umstände sind günstig, weil ihn dadurch niemand kennt. Ich will erst gar nicht schreiben was wir unter solchen Verhältnissen mitmachen, was wir uns kränken, daß was unseren Kumer ertäglich macht, ist unser gutes eheliches Leben was wir jetzt wider führen, und unser liebes Kind der so brav, klug, und herzig ist. am 6ten August ist er geimpft worden von Doktor Sueß184 Josefstadt Lochgasse empfohlen durch Fr. Finzl, der Stoff ist von einen lieben 13 Monate alten Buben, unser Kleiner war 2 Jahre ein Monat alt,

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ßen, kulturprägenden und öffentlich sichtbaren Anteil der Wiener jüdischen Gemeinde.“ Der Börsenkrach von 1873 und die Rezession danach gelten als eine Grundlage für den modernen Antisemitismus, der Juden u. a. mit den Übeln des ‚Manchesterkapitalismus‘ identifizierte; Maderthaner/Musner, Die Anarchie der Vorstadt, 205, vgl. 206; Hans Tietze, Die Juden Wiens, Wien 2007 (Orig. 1933), 199f, der zusätzlich mit der „behauptete[n] Verjudung des politischen Liberalismus“ argumentiert; vgl. ebd. 201. Ehel[e]uten Bear – Christof Beer (1822/23–2. 3. 1881), Magistratsbeamter der Stadt Wien, und Henriette Beer (geb. Falk, 1838–?); vgl. Wiener Stadt- und Landesarchiv (WStLA), Hauptregistratur, K 11, 1880, A46, Ktn 038, Z 1160372, zit. lt. Konvertiten-Datenbank Anna L. Staudacher; WStLA, Totenbeschaubuch, Z 807343, Bd. 360, 1881, A–E. Christof Beer konnte ich zwar in der Hauptregistratur, Department A, Dienstsachen, der Gemeinde Wien finden (WStLA), doch die dazugehörigen Akten sind nicht erhalten. Hausherr – das Gebäude Taborstraße Nr. 36 gehörte Joseph Bosch und Miteigentümern. In dem zweistöckigen Haus (erb. 1822) befanden sich elf Wohnungen; vgl. Schlessinger, Cataster, 78. Pfaidlergeschäft – Henriette Beer besaß eine „Leinwäschehandlung“ in Wien II, Czerningasse 1; vgl. Lehmann, 1875, 153, 844; das Geschäft lief auf ihren Namen; vgl. WStLA, Erwerbsteuer-Index, 1.1.4.K1 (der betreffende Steuerbogen ist nicht erhalten). Pfaidler/Pfaidmacher bezeichnete ursprüngl. Hemdenmacher; vgl. Rudi Palla, Das Lexikon der untergegangenen Berufe. Von Abdecker bis Zokelmacher, Frankfurt a. M. 1998, 249. Doktor Sueß – wahrscheinlich besuchte Barbara Baumgartner mit ihrem Sohn den Arzt und Chirurgen Sigismund Süsz in der Kochgasse 29, im VIII. Bez. (Josefstadt); vgl. NÖA 1876, 438.

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auf jeden Arm 3mal, sah er bei den 3 ersten ruhig zu, beim 4ten seufzte er und erst beim 5ten und 6ten Mal fing er zu weinen an, der Doktor verwunderte sich sehr darüber, zahlen mußte ich dem Doktor 5 fl dem Kind gab ich 1 fl der Madame die mit war, auch 1 fl. Den 13 August bekam er sein Impfungszeugniß, die Blattern haben alle gezogen, es ging gut vorüber und ohne daß er im mindesten streitig gewesen wäre.185 Er wird von Tag zu Tag herziger und ist unsere ganze Freude. Am 15 August war {Schwägerin} Leni[s]186 Hochzeit mit einem gewissen Leopold Feigl, sie kauften ein Brandweingeschäft, in Hernals Antonsgasse,187 wir waren bei der Hochzeit, mein Mann als Beistand, auch Familie Stawinoha welche sich sehr libenswürdig zeugten. Nächstens wider etwas. – Den 29 September 1875. Die traurigen Verhältnisse wachsen uns über den Kopf zusammen, und haben wir uns bisher mit der Hoffnung getragen aus dieser Schlamastik hinaus zu komen, so müssen wir diese Gedanken jetzt aufgeben es wird uns kein anderer Ausweg bleiben als Konkurs zu machen, es ist mir schreklich nur das Wort auszusprechen, o meine armen Eltern, daß haben Sie nicht um uns verdient, aber auch für uns ist [es] keine Kleinigkeit wenn unser Name ausposaunt wird durch die Zeitungen, und man dadurch auf unschuldige Weise gebrandmarkt ist, und doch wird uns nichts anderes übrigbleiben, wir haben gar keinen Kredit, jedes Stük Waren müssen wir gleich bezahlen, und außerdem sind wir schon so schlecht gemacht daß Leute denen wir 10 fl schulden uns einklagen, statt fertig zu werden, kommen uns immer mehr auf den Hals, und wie sie Blut saugen diese Doktor beweise nur der eine Fall daß wir für eine Schuld mit 37 fl schon 72 fl zahlen müssen, und für eine Schuld mit 300 fl müßten wir 72 fl Spesen zahlen und wie viel solcher Hände liegen wir, der eine kommt um Konkurseröfnung an, der andere droht mit Strafanzeige, als ob wir jemanden betrogen hätten, wir haben ehrlich gezalt aber wir können nicht mehr weil wir nahezu Bettler sind, hätten wir damals gleich wie diese Geschichten anfingen Konkurs gemacht, hätten wir heute Geld, aber das Ehrliche Gefühl in unserer Brust lies dies nicht zu, andere machen sich weit weniger Gewissen daraus uns zu ruiniren, heute sind wir ruinirt. 185 Seit dem Beginn des 19. Jh. war bekannt, dass eine Infektion mit den relativ harmlosen Kuhpocken vor den Blattern schützte. Solange diese Kuhpocken von Arm zu Arm eingeimpft wurden, kam der Impfstoff von Säuglingen und Kleinkindern; Verena Pawlowsky beschrieb die wichtige Rolle der Findelhäuser in diesem Zusammenhang. Dennoch blieben die Blattern bis ins Ende des Jahrhunderts eine Bedrohung; 1877–1900 erkrankten in Wien 20.000 Menschen an den Pocken, ein Viertel starb daran; vgl. Verena Pawlowsky, Mutter ledig – Vater Staat. Das Gebär- und Findelhaus in Wien 1784– 1910, Innsbruck u. a. 2001, 142–145; Weigl, Demographischer Wandel, 232. 186 Schwägerin Leni – Leni Feigl (geb. Baumgartner), die zweitjüngste Schwester Johann Baumgartners; vgl. Anm. 49. 187 Antonsgasse – lag im Vorort Hernals (heute XVII. Bez., Antonigasse); vgl. Peter Autengruber, Lexikon der Wiener Straßennamen. Bedeutung, Herkunft, frühere Bezeichnungen, Wien 20045, 27. Zum Geschäft konnte ich nichts weiter eruieren, ebensowenig nähere Informationen zur Eheschließung.





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Unser Geschäft geht sehr schlecht, man ist nicht mehr sortirt, es fehlt schon vieles, dann ist das Gerücht daß wir ausziehen müssen auch schon zu stark ausgestreut, so daß wir troz unseren Anocirens das Geschäft nicht verkaufen können. Außerdem hat sich für mich noch herausgestellt, daß mir der Heirathskontrakt mein Geld durchaus nicht sichert, so habe ich heute so viel wie mein Mann. Mein Mann sucht nun eine Stelle für sich, und wir würden dan für mich ein kleines Geschäftchen erichten, das wäre noch das beste für uns was wir thun könten. Ich aber sage offen mir bangt sehr vor der Zukunft, ich habe keinen Muth und keine Entschlosenheit mehr, und bin vollkomen rathlos, wenn ich nicht in der Liebe zu meinen Kinde aufleben würde, müßte ich zu Grunde gehen. Mein Mann sucht sich zu zerstreuen indem er öfter als es gut ist ins Gasthaus geht, und oft spielt, de zu hause aber mürrisch und verdrossen ist, ein Schmerz mehr noch für mich. Was würden meine Eltern sagen wenn sie das alles wüßten, und ich fürchte die Zeit wird kommen wo ich Ihnen nicht nur alles sagen werden müsse und vieleicht gar um Heimath bitten muß Gott steh mir bei. am 1/1 1876. Die Verhältnisse haben sich bedeutend geändert, seit ich das letzte mal ins Tagebuch eintrug wir wußten uns nichts mehr zu retten, und ein guter Rath half uns wenigstens vor dem ärgsten, Herr Kornfeld gab uns den Rath das Geschäft auf meinen Namen zu übertragen wir thaten dies, die Eltern gaben mir 200 fl auf den Novemberzins ich suchte um den Steuerbogen an wurde mir bewilligt und so war ich vom 26 Oktober an Eigenthümerin des Geschäftes,188 und somit hatte[n] alle diese Dränger das Recht verloren im Geschäft etwas zu pfänden, feilzubieten, oder Speren anzulegen, und da das Urtheil wegen meiner Möbel auch heraussen war, das der Prozeß gewonnen, folglich auch in der Wohnung kein Recht mehr, bis auf einen Dr. Bloch, der noch einen von gerirten Wechsel hat189 dem ich aber alle Woche etwas zahle, und {mit} ihm auf diese Art auch fertig werde. Dann anoncirt[en] wir fest, gaben das Geschäft allen Agenten zu verkaufen, bis es endlich Dokt. Ungar190 zu stande brachte und einen gewissen Etine Krez ins Netz brachte den wir es um den Spottpreis von 900 fl gaben nur um loszuha188 Für österreichische Geschäftsfrauen waren drei Gesetzeswerke bedeutend: das ABGB von 1811/13, die Gewerbeordnung von 1859 und das Handelsgesetz. Anders als in vielen Gewerben, bestanden im Handel für unverheiratete Frauen keine Hindernisse, selbständig zu werden. Wie im ABGB war auch im Art. 7 des Handelsgesetzes von 1862 allerdings formuliert, dass eine Ehefrau nur mit Zustimmung des Ehemanns Händlerin sein durfte; vgl. Irene Bandhauer-Schöffmann, Wiener Geschäftsfrauen um die Jahrhundertwende, in: dies. Hg., Auf dem Weg zu Beletage. Frauen in der Wirtschaft. Dokumentation des 2. Absolventinnen-Tages an der Johann Kepler Universität Linz, Wien 1997, 145–178, 146. Barbara Baumgartner findet sich im Erwerbsteuer-Index (Kataster-Nr. 70175); vgl. WStLA, 1.1.4.K1. Ihr Steuerbogen ist nicht erhalten. 189 Hier fehlt, wer den Wechsel ausgestellt hatte; wahrscheinlich geht es um ein fällig gewordenes Wertpapier Johann Baumgartners. 190 In der Großen Mohrengasse 31 (Wien II) arbeitete 1875 ein Agent namens Adolf Ungar; vgl. Lehmann, 1875, 556.

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ben, da es der einzige Käufer war, der Ernst machte und uns der Februarzins wider auf den Hals gekomen wäre, hauptsächlich aber um den großen Kumer loszuhaben. Davon zallten wir dan den restlichen Zins, schikten den Eltern dan die zuletzt geschikten 200 fl zurük, kauften uns Holz, zalten Raten von den betrefenden Wechsel mußten 200 fl Provision den Verkäufer auszahlen u.s.w. So sind wir heute ziemlich blank an Geld, etwas Waare haben wir noch die wir zu Geld machen konten, dan die Forderungen. Jetzt heist es suchen um den Plan auszuführen, für mich ein kleines Geschäftchen, für meinen Mann eine Stelle. Zum Überflusse bekam Hansi noch die Lungenentzündung war aber in einigen Tagen wider gesund sein, Dr. Weintraub191 Komödiengasse 1 wohnhaft behandelte ihn, er ist ein sehr geschikter Arzt. Am 9 März 1876. Kaum daß sich unser liebes Kind von seiner Lungenentzündung erholt hatte, bekam [es] einmal Abends die Breun,192 es war die höchste Zeit, daß wir den Doktor holten den wir kanten die Gefahr nicht, Gott erhielt uns ihn aber, der Doktor Weintraub rettete ihn obwohl wir die ganze Woche Todesangst ausstanden, so ging alles wider vorüber, und heute ist er Gott sei dank recht gesund und sieht sehr gut aus. Am 9ten Februar zogen wir in die Springergasse No 9 wo wir einen Gassenladen Zimmer, Kabinet und Küche haben und 452 fl Zins zahlen ich habe am 2. d. M. hier eine Zwirn u Wollgeschäft eröfnet193 wozu mir die Eltern 60 fl geschenkt und 40 fl geborgt haben, das war auch unser alles den was wir von Waare hatten und die Forderung gingen auf für die 3 Monate Leben und 113 fl Zins im vorhinein, nächste Woche werden wir Kabinet und Küche vermithen um uns den Zins zu erleichtern das Mädchen kommt weg ich verseh das Geschäft und das häu[s]liche allein, jetzt ist die hauptsorge einen Verdinst für meinen Mann, sonst wird aus unseren höchst anspruchslosen Leben, noch ein Nothleben daraus. Jetzt reicht mein Mann ein Gesuch beim Magistrat194 ein um eine Stelle, in der neuen Markthalle,195 vieleicht wird es ihm verliehen, ich würde Gott tausendmall 191 Dr. Weintraub – Marcus Weintraub, „Patron der Chirurgie und Geburts-Arzt“, Wien II, Komödiengasse 1. Seit 1873 waren „Patrone der Chirurgie“ per Gesetz auch zur „Ausübung der medicinischen Praxis“ berechtigt; vgl. NÖA 1876, 439. 192 Breun – Bräune ist eine veraltete Bezeichnung für Entzündungen im Hals- und Rachen (wie Angina, Diphtheritis). 193 Springergasse No 9, Zwirn- und Wollgeschäft – 1875 sind für den II. Bez. 30 einschlägige Geschäfte verzeichnet, immerhin keines davon in der Springergasse; vgl. Lehmann, 1875, 929f. Die Gasse entstand erst um 1872; die Adresse ist in einem Häuser-Verzeichnis von 1875 noch als Baustelle vermerkt; vgl. Schlessinger, Cataster, 76. 194 Magistrat – 1783 als bürgerliche Behörde zur Stadtverwaltung installiert. Die Geschäfte wurden von Magistratsräten (als Referenten) geführt; vgl. Czeike, Historisches Lexikon Wien, Bd. 4, 126f (Autorin des Beitrags: Brigitte Rigele). 195 neuen Markthalle – diese erste Wiener Markthalle wurde nach Pariser Vorbild als Eisen-Glas-Konstruktion errichtet. Die sog. Detailmarkthalle im I. Bez. wurde durch die Gemeinde Wien erbaut und im August 1871 eröffnet. Später (1879/80) folgten vier weitere Hallen nach ähnlichen Plänen; vgl. Czeike, Historisches Lexikon Wien, Bd. 2, 18.





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dafür danken, wenn nur einmal ein Augenblik des Glükes für uns auch wäre wir hätten doch schon genug mitgemacht, diese wenigen Blätter enthalten schon Schiksalschläge genug, und was ist der todte Buchstabe gegen den lebendigen Gedächtniße. Zu allen kam noch daß mein Mann sich mit aller macht dem Wirtshausleben und Spiel ergab, mit mir aber abstoßend und fast roh wurde, lange litt ich schweigend, endlich schrieb ich den Eltern ihm an seine Pflichten zu erinnern, dan brach das Gewitter los, aber es war wohlthuender Natur, den es hat die Luft von den schädlichen Dünsten gereinigt, und die Liebe kräftigt sich dadurch. Krems am 23 Oktober 1876 Eine lange Zeit liegt zwischen dem vorigen Blatt und diesen aber was alles hat sich während dieser Zeit ereignet, es sind fürchterliche Dinge vorgefallen, die ich mir in den ärgsten Befürchtungen nicht vorgestellt hätte, Dinge die wenn man mir einst gesagt hätte, daß sie mich träfen, ich nicht geglaubt hätte, daß ich sie überleben werde. Ich will beginnen: Ich trieb mein Zwirn und Wollgeschäft mit allen Eifer hatte Vordrukerei und Wäsche Putzerei dabei, und besonders im letzteren samelte ich mir bis 27 Mai d. J. wo ich nach Krems reiste schon bei 200 Kunden, doch dies alles reichte nicht aus Leben Zins und andere Spesen zu deken, trozdem ich mein häusliches und Geschäft machte Arbeiten annahm und ausführte, sogar Wäsche wusch, konte ich nur das Leben verdienen, alles andere mußte man so wegnehmen, Waare konnte ich keine mehr nachkaufen, und besonders der Zins blieb hängen. Ende Mai ging ich mit Hansi nach Krems, und mein Mann sollte das Geschäft fortführen, weil er sich keinen Verdinst fand, dann vermithete er das Geschäft und retete auf diese Weise 30 fl Kabinet und Küche waren auch vermithet. Doch es wurde August der Zins noch restlich, keine andere Hofnung, und keinen Verdinst. Nachdem wir die Geschäftseinrichtung um 35 fl verkauften und noch etwas zahlten ließ man uns ausziehen ich nahm in der Springergasse No 14 im 1ten Stok Thür 7 ein Kabinet.196 Monatlich um 8 fl und bezogen es am 12 August, es sollte dazu dinen, die Möbel beisamen gesichert zu haben, und meinen Mann zugleich Wohnung zu sein. Noch immer hatte mein Mann keinen Verdinst, mußte also immer von unseren Sachen nehmen, versetzen, das er etwas zum Leben hatte. Ich blieb 14 Tage bei ihm und ging dann wider nach Krems, blieb wider bis Ende September, mittlerweile fand Johann einen Posten als Bücherverschleißer197 denn er mit Leistung einer Kaution die ihm Vater vorstrekte annahm, er verdinte sich per Tag 1 fl bis 1 fl 40 x Ich fuhr Ende September zu ihm, er hatte einen wehen Fuß und konte bereits 8 Tage nicht verdinen, da trug ihm die Manz’sche Hofbuchhandlung198 an auf eigene Faust zu arbeiten was er auch sogleich that, und nun sollte eine bessere Zeit kommen, aber der Mensch denkt und Gott lenkt, er hatte 5 Tage gearbeitet und jeden Tag 3 fl verdint, als 196 Auch diese Adresse ist 1875 noch als Baustelle verzeichnet; vgl. Schlessinger, Cataster, 76. 197 Bücherverschleißer – als Verschleißer wurde ein Kaufmann im Kleinhandel bezeichnet (im österreichischen Amtsdeutsch). 198 Manz’sche Hofbuchhandlung – Wien I, Kohlmarkt 7; vgl. Lehmann, 1875, 733.

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am 12 Oktober 9 uhr Vormittag er zu der Verhandlung gehen sollte, die er wegen seiner Gläubiger hatte, er ging ganz ruhig dahin, den tags zuvor war er bei Dokt. Rodler,199 dieser sagte ihm, er solle nur ganz beruhigt sein es könne ihm nichts geschehen da man ihm keinen Betrug und keine leichtsinige Krida nicht nachweisen kann.200 Wir dachten in unserer Unschuld nichts arges und er ging hin, nahm meine Uhr mit um ja die Stunde der Verhandlung nicht zu versäumen. Es wurde Mittag ich hollte nichts zu essen den ich wartete auf ihn, aber es wurde Jause und Abend und noch immer kam er nicht es wurde 8 uhr Abends er war noch nicht da ruhelos irte ich den ganz[en] Abend Straße auf, Straße ab doch ich sah ihm nicht. Ich ging zu Gastwirth Mandl201 vis a vis von uns und schaute ob er dort nicht ist, auch da nicht, man redete mir zu ins Landesgerichte zu gehen und ihm nachzufragen, wir fürchteten daß er bei der Verhandlung etwa vorlaut war und deshalb eine kleine Strafe erhielt. Ich zog mich an und lief um 8 uhr Abends von der Springergasse bis in das Landesgericht in der Josefstadt, als ich dort erschöpft, athemlos und mit Schweiß bedekt ankam und nach Johann Baumgartner fragte, hörte ich zu meinem Entsetzen das er eingespert sei, aber keine Strafe, sondern in Untersuchungshaft; er wollte mich verständigen durfte aber nicht, wie mußte ihm gewesen sein als man ihn ganz unvorbereitet ins Gefängniß abführte? Armer Mann! Aber wie war mir als ich mit diesen fürchterlichen Gewißheit spät Abends allein durch die nebeligen Straßen ging, keine 3 Schritte vor mir sehend, so kam ich um ½ 10 uhr nach Hause warf mich auf das Bett, der ganze Körper fiberte jeder Nerv tobte ich war unfähig zu weinen ich starte vor mich hin meine Gedanken verwirten sich, die ganze Nachte verbrachte ich in diesem Zustand von Zeit zu Zeit auffahrend und horchend auf seine Schritte ob ich ihn nicht kommen höre, endlich wurde es Morgen ich stand auf kleidete mich an und ging fort, zuerst zu Frau Mandl ihr das Ergebniß meines nächtlichen Ganges mitheilend, sie zeigte mir die Zeitung in der folgender Artikel stand Gerichtssaal Vom Landesgericht: (Avancement im Verbrechen) Unter der Anklage der schuldbaren Krida erschien gestern der ehemals in der Leopoldstadt etablirte Gemischtwarenhändler Johann Baumgartner vor einem Senate des 199 Dokt. Rodler – wahrscheinlich konsultierte Johann Baumgartner Wilhelm Rodler, Wien I, Hoher Markt, 11; vgl. NÖA 1876, 339. 200 Laut § 486, österr. Strafgesetzbuch 1852 war prinzipiell jede Krida strafbar; dem Angeschuldigten oblag es, seine Insolvenz als unverschuldete zu rechtfertigen. „Einfach fortlaufend schlechte Geschäfte ließen die Richter, auch wenn den Falliten nicht das geringste Verschulden traf, … nicht mehr als Grund zur Freisprechung gelten“, kritisierte der Kaufmann und Stadtpolitiker Sigmund Mayer (in Bezug auf die Jahre 1873ff) und bemerkte weiters, dass die Chance auf Freispruch mit der Höhe der Passiva stieg und hohe Strafen v. a. die „ärmsten Teufel unter den Geschäftsleuten“ trafen; Sigmund Mayer, Ein jüdischer Kaufmann 1831 bis 1911. Lebenserinnerungen, Berlin/Wien 19262, 266, 268. 201 Gastwirth Mandl – event. Marie Mandl, Springergasse 16; vgl. Lehmann, 1883, 1554; 1876 findet sich im Adressverzeichnis kein Eintrag; dann ist J. Mandl, Springergasse 13, genannt; vgl. Lehmann, 1877, 1361.





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Landesgerichts. Die Verhandlung währte nicht lange, als sich schon nach dem eigenen Geständnisse des Angeklagten herausstellte, daß derselbe gepfändete Objekte weiter verkauft, somit das Verbrechen der Veruntreuung begangen habe. Hiezu kam noch die Aussage eines Zeugen, welche den Kridatar, dessen Defizit ungefähr 2300 fl beträgt, geradezu des Betruges beschuldigte, und Staatsanwalt von Soos202 sah sich demnach veranlaßt, eine neuerliche Untersuchung und die allsogleiche Verhaftung des Angeklagten zu beantragen. Beiden Anträgen wurde von Seite des Gerichtshofes statt[ge]geben und Baumgartner sofort in das Gefniß Gefängniß abgeführt.203 – Meine Gefühle bei Lesung dieser Zeilen zu beschreiben wäre eine Unmöglichkeit, so war unser Name denn gebrandmarkt ohne Verurtheilung, ohne daß man überhaupt wüßte ob man Johann auch alles daß nachweisen könnte, was man ihm zur Last legte, ich ging mir selbst eine Zeitung zu kaufen und ging darauf wider ins Landesgericht ins Einreichungsprotokol im 1ten Stok ließ mir aufschlagen welcher Rath die Sache meines Mannes führe, man wis mich im 2ten Stok Thür No 5, nach dem ich eine Weile gewartet bis der Rath kam, bat ich ihm ob ich meinen Mann nicht sprechen dürfte er verweigerte es mir indem die Akten erst an den Untersuchungsrichter abgetreten so werden müßten, ich sagte ihm ich könne nicht in Wien bleiben, ich sei jeder Mittel zum Leben entblößt, so sagte er ich soll morgen kommen vieleicht ist es ihm dann möglich. Wie ich diesen Freitag verlebte – Gott weis es und erst die Nacht, Samstag nahm ich ihm in einer Schachtel 5 Hemden 2 Gatin204 3 P. Soken 3 Saktücher, 3 Virginier Briefpapier und Couverts mit eine Bleifeder und das Bild unseres Kindes, schrieb im für den Fall daß ich ihn wider nicht sollte sprechen können einen Brief und begab mich wider ins Landesgericht im 2ten Stok zum Rath, derselbe verwis mich nach dem 3ten Stok Zimmer 26 zum Adjunkt Schneider,205 diesen bat ich nun ob ich meinen Mann sprechen dürfte er sagte ja, ich gab an Wäsche für ihn gebracht zu haben, worauf man mir einen Erlaubnißschein ausstellte, mich ihn die Verwaltung zu ebener Erde wies, wo ich die Sachen abgab, dann ging ich wider im 3ten Stok zum Untersuchungsrichter und bat nun mit ihm reden zu dürfen, man hieß mich im Gange draußen warten, ich setzte mich und wartete wohl eine Stunde als ich meinen armen Mann in Begleitung eines Gerichtsdiners komen sah, wie er mich anblikte, wie traurig und wie freudig zugleich, ich wurde in die Kanzlei hineingerufen, und nun durften wir mitsamen sprechen, aber was ich ihm alles sagen wollte, es fiel mir in dem Augenblike den ich so heiß ersehnte fast nichts ein, ich sagte ihm daß ich Sonntag früh 202 Staatsanwalt von Soos – Julius von Soos fungierte als Staatsanwalts-Substitut; vgl. NÖA 1876, 316; im Orig. des zitierten Artikels nur: „v. Soos“. 203 Der Bericht stammte aus: Neues Wiener Tagblatt, 10, 283, 13. 10. 1876, 6. Der Akt über das Strafverfahren gegen Johann Baumgartner wurde skartiert. Ich danke Shoshana Duizend-Jensen und Brigitte Rigele vom WStLA für ihre Recherchen dazu. 204 Gatin – (alt-)Wienerisch für Unterhosen: Gattinga oder auch Gatjehose (ursprünglich eine lange, weiße leinerne Herrenunterhose ‚ungarischer Art’). 205 Adjunkt Schneider – Carl Schneider arbeitete als „Gerichts-Adjunct“ an der Abteilung Strafsachen am Wiener Landesgericht; vgl. NÖA 1876, 315.

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wegfahre, Johann glaubte ich solle noch eine Woche bleiben, aber ich stellte ihm vor erstens wovon leben, dann verlor ich meine Retourkarte, und schließlich, ich mußte ja verzweifeln wenn ich so ganz allein mit meinen Jammer war ohne eine theilnehmende Seele mit der ich mich aussprechen hätte können, ich sagte ihm auch daß ich Freitag noch bei Dokt. Rodler war und ihm die Sache sagte, Dokt. Rodler sagte mir, es ist wirklich großartig was über sie alles kommt, andere machen solche Lumpereien und es geschieht ihnen nichts und ihren Mann der nur die Schuld hat, daß ihm das Verhängniß verfolgt, und er ein Geschäft hatte welches viel zu hoch im Zins, und der Geschäftsgang schlecht war daß er seine Zahlungen nicht einhalten konnte macht man solche Sachen. Er versprach mir Alles was in seinen Kräften steht zu thun und ihm wenigstens auf freien Fuß zu bringen, damit er doch seinen Verdinst nicht verliere. Dieß sagte ich Johann, welcher sagte daß Dewald206 (der eine Zeuge) beeidet daß er Johan Warren verschlept haben soll, und auf Grund dieser Aussage und wegen Fluchtverdacht wurde er festgehalten, der Adjunkt Schneider versprach auch die Sache schnell zu beenden, ob ers aber auch thun wird? Mit schweren Herzen und bitterlich weinend nahm ich Abschied von Johann dem auch die Augen naß waren, darauf wurde er durch den Gefangenaufseher wider abgeführt ich deponirte noch 1 fl 10 x da ich nicht mehr hatte und empfal mich da fiel mir draußen noch meine Uhr ein, ich ging noch einmal zurük und bat ob ich meine Uhr nicht herausbekomen könnte, es wurde mir bewilligt, doch sollte ich warten, ich wartete wider vieleicht eine Stunde, da sah ich zu meinen nicht geringen Staunen noch einmal mein armes Mannerl in Begleitungs des Gefangenwärters kommen, auch er war erstaunt mich zu noch da zu sehen, ich ging auch hinein und da mußte wir beide den Empfang meiner Uhr bestätigen, mein Mannerl sagte mir noch schnel, daß ich nochmal zu Dokt. Rodler gehen sollte und ihm denselben hinein schiken sollte, auch versprach er mir sogleich zu schreiben nach Krems und sagte mir ich solle mich nicht so kränken, wir durften nicht viel sprechen und er wurde wider abgeführt, als {er} den langen Gang hinab schritt, schaute er sich öfters um, und winkte mir mit den Augen, was er mir wohl noch sagen wollte? Ich wartete sodan auf den Gerichtsdiner der mich ins Depositenamt zu ebener207 Erde führte wo ich dann gegen eine neuerliche Bestätigung meine Uhr erhielt, dann ging ich fort, gleich heraus dem Landesgericht begegnete ich Hrn Kornfeld, welchem ich weinend die Sache erzälte er tröstete mich und sagte, er sei doch unser größter Gläubiger und müßte doch auch ein Wort mitzureden haben er könne uns durchaus nichts nachtheiliges sagen, und was Dewald aussage ist nicht war, ich lief dann in die Stadt zu Dokt. Rodler denn ich nicht mehr traf ihm aber die Post zurüklies noch an denselben Tag zu Johan zu gehen. Darauf sprach ich mit seinen Solizitator208 der mir auch Trost machte und sagte es sei nicht so einfach etwas schlechtes auszusagen und zu beeiden, es muß auch 206 Dewald – event. Vincenz Dewald, Handelsmann, Wien I, Franziskanerplatz 5; Lehmann, 1875, 130. 207 ebener – im Original: ebeder. 208 Solizitator – Gehilfe eines Rechtsanwalts.





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bewisen werden, dieß könne nicht sein, den wir verschlepten keine Waare und daß wir im Geschäft verkauften geschah mit Zustimung aller Gläubiger, dies sagte auch Doktor Rodler zu mir als er las daß Johan gepfändete Objekte verkaufte. Todtmüde kam ich nach Hause ich hatte seit Dinstag außer meinen Kaffe keinen Bissen gegessen, aß aber auch Samstag nichts. Nachmittags pakte ich alles und reinigte das Kabinet räumte alles auf und bereitete mich zur Abreise mich vor. Abends nahm ich mir einen Wagen auf und nachdem ich die 3te schlaflose Nacht verbrachte, stand ich auf kleidete mich an um ½ 6 uhr früh war ich bereit, auch der Kutscher war pünktlich und so fuhr ich weg, um ½ 7 uhr ging das Dampfschiff ab, ich fuhr mit thränenden Auge ab, kein Abschiedsblik begleitete mich, allein von Gott und der Welt verlassen fuhr ich ab meinen Mann im Landesgericht auch allein und verzweifelt zurüklassend. Jeder Mensch kann sich denken was ich litt, o selbst meinen größten Feinde sollte ich erbarmen. Lange quallvollen Stunden verlebte ich bis ich um 3 uhr Nachmittag endlich in Krems ankam, die Eltern und besonders Hansi freuten sich sehr als ich kam, Hansi küßte und herzte mich mit unendlicher Liebe, daß war mir Balsam in mein blutendes Herz. Die Eltern wußten noch nichts, ich hatte noch die traurige Aufgabe den Eltern alles zu sagen, ich erhielt nur Mitgefühl und Erbarmen auch war ich wider bei meinen Kind, dieß alles beruhigte einiger Maßen meine aufgeregte Natur, und an diesen Tage aß ich auch wider etwas, das Fieber verlor sich allmälig, ich fing ruhiger über unser Schiksal nachzudenken an. Kaum war ich ein paar Stunden in Krems als ein Brief mit der Adreße an den Vater ankam, worin die ein der betrefende Zeitungsausschnitt darinen lag mit einen geschriebenen Zettel angespendelt worauf stand: Dieser schlechte Mensch der da zu lesen ist, kann doch unmöglich ihr Schwigersohn sein? Gratulire. Zum großen Glük war Vater nicht zuhause, daher der Brief nicht an die bestimmte Adreße gelangte, Vater weis nichts von der Veröfentlichung unserer Schmach, und soll auch so Gott will nichts davon erfahren, denn er ist ohnehin stets in gereitzter, aufgeregter Stimung, und das würde die Lage gewiß nicht bessern, darin es ist so weit gekomen daß ich hier meine Elter Heimath suchen muß, schmerzvoll verlebte ich die Tage bis ich Mitwoch einen Strafbrief von Johan erhielt, den er schon Samstag geschrieben und den ich durch wessen Schuld weis ich nicht erst Mitwoch erhielt, was er mir schrieb, ist so zimlich daßselbe was wir Samstag sprachen, er sucht mir Trost zuzusprechen und bedarf dessen soviel wie ich, ich schrieb ihm Donerstag zurük einen 4seitigen Brief schikte ihm auch 2 fl er hofft recht bald herauszukomen, nun ist heute schon der 23 und ich weiß seitdem nichts mehr, täglich, stündlich warte ich auf Nachricht, in aufgeregtester Weise, keine Minute vergeht an dem ich nicht an ihn denke und mich in Gedanken in seine trostlose Lage versetze, was waren alle unsere Schiksalsschläge gegen diesen Einen, wodurch Ehre, Glük, Verdinst, alles verloren wurde, und am meisten schmerzt der Verlust des ehrlichen Namen ohnehin nur mehr das was wir {geretet} hatten. Hier verlebe ich nun meine Tage in düsteren Hinbrüten, suche so wenig wie möglich fortzugehen damit ich den schadenfrohen Bliken der Neugirigen nicht aus-

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gesetzt bin, beschäftige mich mit Häuslichen, wasche bügele und größtentheils mit Handarbeiten, wo ich jetzt unter einer kurzen Zeit {Stikerei für} 1 Notizbuch, detto für eine Zündholzschachtel für einen Brustwärmer für meinen Mann, dan eine gehäkelte Tischdeke, ein paar Schutzdeken, ferner einen schönen Zwirneinsatz fertigte, jetzt habe ich wider zu nähen Hemdchen für Hansi und Barchenthosen auch Bettwäsche für die Mutter, so finde ich stets Beschäftigung, die übrige Zeit bringe ich mit Hansi oder Lesen zu was mich doch einiger Maßen zerstreut. Ich hasse alle Menschen besonders aber die Kremser die mir schon mehrere Male die Beweise lieferten wie abscheulich die Welt ist, Leute die sich früher Mühe gaben artig und zuvorkomend zu sein, sehen jetzt zur Seite wenn sie mich begegnen, um die gebrandmarkte, zugrunde gegangene Frau nicht grüssen zu dürfen, jetzt schmerzt mich überhaupt jeder scheele Blik, jedes Wort, im Unglük fin wird man empfindlich und gereitzt, und unverzeihlich werden alle Kränkungen. Noch habe ich zu bemerken daß die {dem} Gesuche meines Mannes vom Magistrat nicht Folge gegeben wurde trozdem er sich auf Baron Werthheim209 berufen durfte und die Fürsprache des Rath Wenzl210 genoß, beide habe ich durch Briefe und persönliche Bitte uns geneigt gemacht, auch vertröstete uns Rath Wenzl wenn im Lagerhause nichts sein sollte Johan anderweitigen Posten zu verschaffen, aber lauter Versprechungen und kein Erfüllen, Leute die im Glüke sind vergessen der Armen. Auch Schwager Sebastian fing uns zu schikaniren an und mehre Briefe mit Drohungen und Verwünschungen kamen, sie kosteten mich viele Thränen, endlich gelang es uns ihn zu beschwichtigen. Ich trage mich ernstlich mit der Idee Hebame zu werden und auf diese Art für mein weiteres Fortkomen zu sorgen, die Eltern geben mir ihre zustimung dazu, ich werde daher so bald ich jetzt wider nach Wien fahre alle nöthigen Erkundigungen einziehen und dann dem nächsten Curs das ist Anfangs März 1877 mit Gottes Hilfe beginnen, vieleicht bin ich dan im Stande, leichter unser Brod zu verdinen, obwohl ich mir nicht verhelen darf welch eine Verantwortung ich auf mich lade, wie viel schlaflose Nächte es mich kosten wird, und wie beschwerlich dieser verdinst ist, aber ich möchte beitragen zum Leben und mit der Zeit im Stande sein, vieleicht wider ein ruhigeres Leben führen zu können, auch rüken die Schuljahre unseres Kindes heran, und er soll einst nicht so mit Noth und Sorgen zu kämpfen haben wie seine unglüklichen Eltern, daher es unsere heilige Pflicht ist für Hansi zu sorgen, und von seinen Leben abzuwenden was wir vermögen. Johan will zwar nicht einwilligen in meinen Plan aber er muß.211 Ich werde es mit Gottes Hilfe vollbringen. 209 Baron Werthheim – Franz Freiherr von Wertheim war „Kaiserlicher Rath“ und Handelsgerichts-Beisitzer; vgl. NÖA 1876, 319. 210 Rath Wenzl – Franz Wenzel, Ritter des Franz Joseph-Ordnens und des herzoglich-sächsischen Ernestinischen Haus-Ordens, Magistrats-Rath, I. Magistrat, Wien I, Wipplingerstraße 8; vgl. NÖA 1876, 155. 211 Das ABGB schrieb den Ehemann als „Haupt der Familie“ fest. Die Ehefrau sei „verbunden“, die von ihm getroffenen Maßregeln „sowohl selbst zu befolgen, als befolgen zu machen“. Zwar hatte nach





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Krems am 25/ Oktober 1876 8 Tage sind es heute daß ich Johan seinen Brif erhielt, und noch bin ich ohne jede Nachricht, hoffe auf heute, Gott steh uns bei, eine kommt und daß sie ihm Freiheit bedeute. Krems am 29 Oktober 1876 In unbeschreiblicher Aufregung warte ich noch immer auf einen Brief, Gott im Himmel was soll ich nur denken, ist er krank, kann er nicht schreiben, oder werden die Briefe nicht an die Adreße befördert, oder was sonst ist geschehen, Ich bin rath und hilflos, könnte ich über Geld verfügen, würde ich sogleich hinunterfahren, mich von allem selbst zu überzeugen, so aber kann ich das nicht und habe niemand der für mich diesen Gang machen würde, ich fühle mich krank, ich leide entsetzlich, wen doch Gott im Himmel einmal Erbarmen mit mir hätte, und mein Leiden vermindern würde, was habe ich den gethan, daß ein Schlag nach dem andern mich trifft, selbst die Liebe zu meinem Kind ist nicht kräftig genug, diesen Kumer zu verscheichen, ich bin verzweifelt, ich fühle alles ist verloren. Wien am 4 November 1876 Gestern erhielt ich endlich einen Brief von Johann, meinen hatte er erst am 25 erhalten er schreibt ganz verzagt und desperat bittet mich an Rodler zu schreiben, da er noch nichts von sich hören und sehen ließ, heute ist es 3 Wochen daß ich mit Johann sprach, und noch nicht einmal wurde er gerufen und verhört. Vater sagte daß ich heute sogleich herab fahren soll, wo er meinen Wünschen sehr zuvorkam, ich fuhr heute mit den ersten Zug traf aber weder den Doktor noch konnte ich mit Johann sprechen muß bis Montag warten, also 2 ganz unnütze Tage muß ich hier verbringen, hier das fühle ich würde ich bald wider krank sein, mein Apetit ist schon wider verloren. Krems am 14 November 1876 Heute bin ich doch [froh] schon wider so viel auf sein zu können, aber mein Aussehen ist erbärmlich meine Augen liegen tief in den Höhlen die Wangen sind bleich und eingefallen, breite Ringe laufen um die Augen, ich habe durch 8 Tage viel gelitten, und will jetzt nachtragen was seit dem letzten Datum vorgefallen ist. Samstag den 4ten habe ich bereits geschildert, ich schlief die ganze Nacht recht gut und blieb Sonntag bis gegen elf uhr liegen da ich nichts rechtes thun konnte und es überdieß in unseren ungeheizten Kabinet recht bitterkalt ist, Mittag holte ich mein essen, wurde dabei gestört und da es mir ohnehin nicht schmekte ließ ich [es] einfach stehen. Nachmittag fuhr ich mit der Tramwai nach Rudolfsheim212 und besuchte meine Freundin Falk, blieb auch lange dort weil ich mich bei ihnen wohllte fühlte und kam Abends 9 uhr nach Hause, diese ABGB die Ehefrau ihren Ehemann „in der Haushaltung und Erwerbung“ zu unterstützen, doch damit waren v. a. die ‚Frauenarbeiten’ des Hauswesens gemeint; Friedrich, Zur Genese der Stellung, 102. 212 Rudolfsheim – Wiener Vorort nahe der Westbahn. Die Eisenbahn ließ die Gemeinden Braunhirschengrund, Reindorf und Rustendorf wachsen. Um die nötige Infrastruktur einzurichten, schlossen sie sich 1863 zur Gemeinde Rudolfsheim zusammen. Diese wurde 1890/92 zu einem Teil des XIV. Bez. (heute XV); vgl. Czeike, Historisches Wien Lexikon, Bd. 5, 8f.

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Nacht konte ich nicht mehr schlafen. Montag den 6 ging ich zuerst zu Doktor Rodler der mir versprach noch an demselben Tage wo möglich, den nächsten aber gewiß zu Johann zu gehen, er sagte daß er darum nichts thun konnte weil er verreist war, mein Gott ich muß es halt glauben. Dann ging ich ins Landesgericht, bat Adjunkt Schneider daß ich mit Johann reden durfte, ich durfte auch nicht lange warten so wurde er schon hereingeführt, er war vor Freude fast sprachlos, und entsetzte mich in seinen Aussehen er ist sehr blaß ich sagte wie geht es Dir, o mein Gott war seine Antwort ich sagte ihm rasch alles was mir einfiel den kaum 5 Minuten ließ man uns reden. Dann führte man ihn schon wider weg, bevor er ging küßte er mich ab seine Hände und Lippen waren eisig kalt. Ich fragte den Untersuchungsrichter noch schnell in Johans Gegenwart wie lange es noch dauern wird, er sagte daß die Akten schon abgeschlossen und der Statsanwaltschaft zugewiesen sind. Hoffen wir daß endlich einmal zum Abschluß kommt, ich erhielt einen Zettel zur Abgabe der Wäsche, und deponirte noch Geld was ihm Vater geschikt dann ging ich in die Verwaltung gab die Sachen ab, und ging wider recht traurig fort, ohnehin war ich wie zerschlagen jeder Schritt schmerzte mich ich ging in die Teinfaltstrasse und kaufte mir einen Winterhut213 um der billig und doch hübsch war. Dann ging ich in die Herrengasse ins Handelsgericht214 weil ich eine Zustellung erhalten, die schon vorüber war wegen Protogolirung meiner Firma. Der Herr Rath glaubte meinen Worten nicht daß die Steuern schon zurükgelegt,215 und verlangte vom Magistrat216 eine schriftliche Bestätigung, dazu hatte ich keine Zeit mehr ich eilte in das Versatzamt217 wo ich bis 1 uhr war erst dann hatte ich alles und konte wider weiter ich lief in die Kärntnerstrasse zu Doktor Schmidt218 zahlte dort den rest von 15 fl, 1 fl ließ er mir doch darein – damit ich meine schriftliche Verpflichtung bekam, und dan ging ich noch ins Magistrat und wollte mir die vom Rath verlangte Bestätigung geben lassen, 213 1875 fand sich in der Teinfaltstraße 13 ein Hutgeschäft, eingetragen unter den Namen Johann Kraforst und P. Püschner; vgl. Lehmann, 1875, 791. 214 Handelsgericht – Wien I, Herrengasse 23; vgl. NÖA 1876, 319. Das Handelsgericht ist ein Gerichtshof der ersten Instanz; in seiner Zuständigkeit lagen u. a. die Handelsregister, das Verhandeln von Konkursen dort eingetragener Firmen sowie die Verhandlung und Entscheidung strittiger Handelssachen; vgl. Dominik Ullmann, Handelsregister, in: Ernst Mischler u. Josef Ulbrich Hg., Oesterreichisches Staatswörterbuch. Handbuch des gesammten österreichischen öffentlichen Rechtes, 2. Bde in 3 Teilen, Bd. 2, 1. Hälfte, Wien 1896, 3f. 215 Barbara Baumgartner wurde erst mit Jänner 1877 aus dem Erwerbsteuer-Index gestrichen; vgl. WStLA, 1.1.4.K1, Kataster-Nr. 70175. 216 Magistrat – hier das I. Magistrat, Wien I, Wipplingerstraße 8; vgl. NÖA 1876, 155. Die Stadtverwaltung war die Steuerbehörde erster Instanz; vgl. Ferdinand Wimmer, Steuerexecution, in: Mischler/ Ulbrich, Oesterreichisches Staatswörterbuch, Bd. 2, 2. Hälfte, 1151–1158, 1151. 217 Versatzamt – ein Pfandhaus der öffentlichen Verwaltung. Diese Einrichtung, in der man auf Pfänder Geld leihen konnte, sollte vor wucherischer Ausbeutung durch private Pfandleihanstalten schützen. Das K. K. Versatzamt befand sich in der Spiegelgasse 16/Dorotheergasse 17, Wien I; vgl. NÖA 1877, 149. 218 Doktor Schmidt – wahrscheinlich wandte sich Barbara Baumgartner an den Anwalt Alfred Schmidt, Wien I, Kärntnerstraße 14; vgl. NÖA 1876, 338.





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hörte aber zu meinen nicht geringen Staunen daß der Steuerbogen nicht zurükgelegt ist. Ich ging todtmüde nach Hause, kaufte mir unterwegs noch warme Schuhe. Als ich nach Hause kam in das kalte Kabinet mit meinen fast nüchternen Magen machte ich mir etwas Kaffe dann ging ich noch auf die Landstrasse, Erdbergerstrasse zu Fr. Schneider219 mich betref meines Plans noch mit ihr mich zu besprechen, auf dem Rükwege wußte ich vor Müdigkeit nicht wie ich nach Hause kam als ich bei der Thür hineinging wurde mir todtenübel, die Nacht war mir sehr schlecht.

Die Seiten 85 und 86 des Tagebuchs

Dinstag den 7ten war viel Schnee, ich fürchtete mich vor dem Ausgehen aber es mußte sein, zuerst pakte ich meinen Koffer, dann machte ich Ordnung im Kabinete, dann ging ich fort, zuerst zum Magistrat (Wipplingerstrasse) zu Rath Bugofski,220 dem ich sagte daß ich keinen Steuerbogen finden kann, zeugte ihm aber den Rekurs gegen 219 Fr. Schneider – womögl. traf sich Barbara Baumgartner mit der Hebamme Appolonia Schneider, um sich bei ihr über die geplante Ausbildung in diesem Beruf zu beraten. Die Hebamme wohnte in Wien III, Landstraßer Hauptstraße 58; vgl. Lehmann, 1875, 483. 220 Rath Bugofski – Anton Bukowsky war „Magistrats-Rath“ in der Gemeinde-Verwaltung im I. Magistrat; vgl. NÖA 1876, 155.

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meine Steuer welche schon am 19 Juni angemeldet wurde gab den Gewerbeschein zurük und ersuchte um Löschung der Steuer vom 1 Jänner was er mir auch bereitwilligst that auch eine schriftliche Bestätigung für Rath Wagner gab, ferner den Rath in die Steuer Administration221 zu gehn und mir nachschlagen zu lassen, es müsse schon längst erledigt, und der Steuerbogen sei dazu deponirt worden. Ich ging dahin und als ich eine Weile in dem alten Hause am Fleischmarkt herumgeirt war kam ich ins Einreichungs Protokoll, nach langen Suchen sagte man mir dasselbe sei mir zugeschikt, ich aber nicht gefunden worden daher es an das Magistrat abgeliefert wurde. Ich ging zuerst in das Handelsgericht zu Wagner222 dort mußte ich aber bis 1 uhr warten weil Sitzung war, während der Zeit des Wartens sprach ich mit Huber,223 und fragte ihm ob er schon Zeugenschaft abgelegt wider meinen Mann, er sagte daß er schon vorgeladen war, er habe ihm nichts nachtheiliges ausgesagt, auch das, das Geschäft offen war Johann daher verkaufen mußte. Wie könte er etwas von Waaren Verschleppung sagen, wenn es nicht wahr sei, Dewald könne sagen was er wolle er hätte nur die Wahrheit gesagt und Johann nicht geschadet. Ich war über seine Worte sehr beruhigt, es wird sich zeugen ob es auch die Wahrheit war, einige Tage [zuvor] ist ihm seine 12 jahr alte Tochter aus dem 3ten Stoke hinunter gestürtzt und war todt,224 ich glaube daher daß er Angesichts eines solchen Unglükes, doch nicht schlecht genug gewesen sein wird eine Lüge zu sagen. Ich sprach daselbst mit Hahnlhofer225 meinen Verwandten auch, endlich nach 1 uhr konte ich meine Bestätigung v. Mgst. abgeben und war in Gnaden entlassen, von da ging ich wider ins Mgst. zu Rath Hablicek226 und wollte die Erledigung gegen die Steuer haben, da schikte man mich in den Steuerkataster227 um eine Nummer, die erhielt ich und ging wider zu R. Habl. da schikte man mich g in das Einreichungsprotokol wider um eine Nummer, dann wider zu R. H. von da in eine zweite Kanzlei aber troz allen Suchen fand man nichts, und man bat mich in 8 Tagen wider zu kommen, was ich verweigerte, da ich nicht in Wien 221 Steuer Administration – die K. K. Steueradministration befand sich in Wien I, Fleischmarkt 19; vgl. NÖA 1876, 344. 222 Wagner – Carl Wagner fungierte als Vizepräsident des Wiener Handelsgerichts; vgl. NÖA 1876, 318. 223 Huber – Peter Huber war Amtsdiener am Handelsgericht, Wien I, Herrengasse 23; vgl. NÖA 1876, 319. 224 „(Unglücksfälle) Die 11jährige Amtsdienerstochter Magdalena Huber fiel gestern vom dritten Stockwerke des Hauses Nr. 39 in der oberen Donaustraße über das Geländer in das Stiegenhaus und blieb mit zerschmetterten Gliedern am Platze.“ Illustriertes Wiener Extrablatt, Abend-Ausgabe, 5, 282, 12. 10. 1876, 2. 225 Hahnlhofer – Franz Handlhofer war als „Dienersgehilfe“ (des Amtsdieners) am Wiener Handelsgericht tätig; vgl. NÖA 1876, 319. 226 Rath Hablicek – August Hawliczek, Ritter des Franz Joseph-Ordens, I. Magistrat, Wien I, Wipplingerstraße 8; vgl. NÖA 1876, 155. 227 Steuerkataster – Kataster ist ein amtliches Verzeichnis der Steuersubjekte und -objekte sowie der ihnen auferlegten Steuerpflichten, meist eine genaue tabellarische Beschreibung z. B. von Grundstücken oder Gebäuden, auch für andere Realsteuern (z. B. Kopfsteuerliste).





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bin sondern sobald ich nach Wien kome wolle ich wider nachsehen. Dann schwankte ich nach Hause denn gehen konnte man es nicht heißen, zuhause trank ich etwas Kaffe, schrieb einen Brief an Johan und einen an Falk und zog mich vollends an versperte alles gab dem Schlüssel dem Hausmeister und schlepte meinen Koffer auf die Tramwai von da auf die Bahn, und als endlich die Bahn fuhr, dankte ich meinen Gott, daß ich wider in meine Heimath komme, Vater erwarte mich auf Bahn, die Eltern waren wider froh daß ich hier war, und Hansi am nächsten Morgen große Freude, Mitwoch den 8ten fühlte ich mich noch recht unwohl blieb aber auf. Donerstag den 9ten lag ich zu Bett. Freitag den 10ten war ich auf, Samstag den 11ten, Sonntag den 12, Montag den 13. War ich bettliegend, heute bin ich wohl wider auf aber ob ich auch je wider ganz gesund werde daß ist die Frage, ich hatte recht Fieber, und Apetitlosikheit, am Meisten aber Kopfschmerz Tag und Nacht ohne Aufhören und am heftigsten am Hinterkopfe. Ich nahm blos zu {etwas} Hausmitteln meine Zuflucht, die Eltern wollten einen Doktor nehmen, aber mir kann kein Doktor helfen, der Sitz meiner Krankheit ist im Herzen, der Doktor dazu im Landesgerichte. Krems. Am 16 November 1876. Noch bis heute bin ich ohne Antwort auf meinen Brief, wie kann ich wohl gesund werden, ich habe ja keine Minute von der ich sagen könnte, mir ist wohl, Falk bewunderte schon lange meine gute Natur, jetzt hat sie auch ihre Rechte gefordert ich sehe gerade aus wie ein Leichnam und brauche nur die Augen zu schließen so kann ich für todt beerdigt werden. Aber jetzt obwohl ich glaube nicht gar zu schwer zu sterben braucht mich doch, wenn auch Hansi in guten Händen ist, zu nothwendig mein Mann, wer sollte diese Marterwege machen und ihm trösten; und wenn auch, die kleinsten Freuden bereiten? Wer Anders als ich? Daher wird mich der liebe Gott meinen Lieben noch eine Zeit erhalten wenn es sein Wille ist. Jetzt aber wäre ich troz meiner al aufopfernden Liebe für Johan nicht in der Lage zu ihm zu fahren, den man würde mich sicherlich todtkrank nach Hause bringen. Ich bereite meinen guten Eltern viel Kumer, aber ich kann nichts dafür, und am meisten leide ich dabei. Ich habe jetzt für Näherinen schon einige Male Vorgedrukt, und nehme auch zu striken an, für die Abendstunden, da ich unter Tages für das häusliche zu Nähen habe um mir wenigstens ein bischen was zu verdinen, wenig genug ist es ohnehin, aber ich muß für alles Geringe noch Gott danken, und ihm bitten mich nur gesund sein {werden} zu lassen, da ich wenn ich krank, Johann ganz verlassen wäre und stürbe ich würde ich Johann nicht einmal mehr sehen, so wenig er mich zum Grabe begleiten könnte. Krems am 17/ten November 1876. Heute von Johann Brief bekommen, er ist sehr desperat, glaubt Hansi habe ihm schon ganz vergessen, bedauert mich in meiner Krankheit, möchte mir gerne schreiben wie es ihm geht, aber er darf nicht. Doktor Rodler war noch nicht bei ihm, es ist gerade als ob er lebendig eingemauert wäre daß kein Mensch sich um ihm kümert, Vater wollte nach

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Wien fahren aber allein kent er sich zuwenig aus und ich bin jetzt nicht im Stande zu reisen, denn mir ist noch gar nicht besser, eher schlechter, die Eltern wollen durchaus einen Doktor, aber ich habe zu keinen Vertrauen, und glaube daß mir so lange ich mich so kränke kein Doktor helfen kann. Auf Johans Verlangen schrieb ich gleich an Doktor Rodler, erwarte stündlich Antwort auch an Falk schrieb ich, ich möchte unsere Briefe durch ihre Hand gehen lassen. Krems den 19 November. Erhielt heute von Dokt. Rodler folgendes Schreiben Euer Wohlgeboren! Ich habe heute Ihren Mann besucht und auch mit seinen Untersuchungsrichter gesprochen, um die Angelegenheit zu beschleunigen und womöglich seine Versetzung auf freien Fuß zu bewirken. Die gegen ihn gerichtete Beschuldigung geht dahin, daß Ihr Mann Waaren verkauft haben soll, welche von Dewald mit Pfandrecht belegt waren, während Ihr Mann sich darauf beruft, daß Dewald bei seiner Pfändungsvornahme nichts pfändbares vorgefunden habe und lediglich auf ein altes Pfändungsprotokol eine Supverpfändung228 auf Waaren vornehmen ließ, die längst nicht mehr vorhanden waren. Die Angelegenheit war bei der Statsanwaltschaft schon zur Antragstellung, von dieser wurde jedoch verlangt, daß der Mann welcher das Geschäft gekauft hatte, vernommen werde, und hierin liegt eben die Verzögerung weil dieser Mann in Berlin sein soll. Demungeachtet dürfte diese Angelegenheit bald zu Ende geführt werden. Seine Haft wurde aus dem Grunde verfügt, weil er bei der Schlußverhandlung angab ohne Beschäftigung zu sein, und so die Vermuthung entstand, daß er Wien verlassen und fliehen könte, seine Entlassung könte nur gegen Caution erfolgen, was in Anbetracht des Umstandes, daß ja doch in kurzer Zeit die Entscheidung erfließen muß, vieleicht zu umständlich wäre. Ich habe auch mit Ihren Mann gesprochen, und ihm gerathen, daß er, wenn es zur Verhandlung kommen sollte, einen ex offo Vertreter229 begehren solle, weil ich mit den besten Willen ihm zu helfen, durch Sitzungen verhindert bin die Vertheidigung zu führen. Ihr Mann wird Ihnen übrigens hierüber selbst schreiben und ich wünsche nun, daß der Ausgang ein günstiger sein möge, wozu nach meiner Anschauung wohl Hoffnung vorhanden ist. Mit aller Achtung Dr. Rodler Wien den 18 November 1876. Auch erhielt ich von Henriette einen Brief worin sie mit Freuden einwiligt in den Vorschlag. 228 Supverpfändung – Sub-/Unterverpfändung. 229 ex offo Vertreter – ex officio, von Amts wegen/amtlich.





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Am 20. November 1876 Sendete heute bereits unter Falks Adreße an Johan einen Brief, den sie unten weiter befördert. Bin froh wenigstens eine Freundin in Wien zu haben, die sich in etwas unserer Sache annimmt. Bin noch immer sehr krank, und werde wenn es nicht bald anders wird, doch einen Doktor rufen müssen, das Fieber läßt nicht nach, kein Apetit, heftiges Kopfweh, Brustbeklemungen, und Schmerz im Bauch, mit einem Wort sehr krank. Krems am 25/11 1876. 230 Soeben war Dokt. Radeiski hier, da mir heute noch schlechter als gewöhnlich war, er machte eine bedenkliche Mine, verschrieb mir Pulver die ich erst morgen nehmen darf eins um 6 und eins um 10 uhr früh, er hat mich untersucht, und wunderte sich daß ich mich auferhalte, morgen aber muß ich schon ins Bett wer weiß auf wie lange – Ich weiß nicht ob daß Maß meines Leidens bald voll sein wird, aber daß weis ich daß {ich} es nicht mehr lange ertragen kann. Krems am 25/12 1876. Ein Monat ist bereits wider um aber Gott sei gedankt ich bin jetzt wider gesund. 3 lange Wochen mußte ich zu Bett liegen, und hab viel gelitten, erst diese Woche bin ich wider auf, erhole mich jedoch schneller als ich erwartet, da ich vorzüglich viel Appetit habe. Leider daß mein armer Mann noch immer seiner Freiheit beraubt ist, so fest glaubten wir auch er daß wir die Weihnachtsfeiertage gemeinschaftlich verleben werden aber wir haben uns alle getäuscht, sein letzter Brief von 16 d. M. zeigt mir an daß die Vernehmung Kretz endlich angelangt ist und daß es nun endlich zu zu Ende ist mit der Untersuchung, jetzt kommt es zur Verhandlung wollte Gott daß es noch dieses Jahr geschehe und daß er früh einen Doktor bekommt der sich seiner annimt, ich schrieb ihm über unsere Zahlungen die bereits geleistet Notizen und Verhaltungsmaßregeln. Der heil. Abend war für Hansi ein großer Freudentag ich that mein Möglichstes den Christbaum schön zu schmüken die Eltern hatten ihm verschiedenes gekauft, und der Jubel unseres Kindes hätte in unseren Herzen widergehalt wenn der Gatte der Vater nicht gefällt hätte, aber der Gedanke daß er zwischen düsteren Gefängnißmauern sitzt und traurig an uns und die Zukunft denkt daß raubte mir alles, alles. Ich hatte stets nur einen Gedanken den: daß das die traurigsten Weihnachtsfeiertage meines Lebens sind, und doch muß ich noch froh sein daß ich wenigstens wider gesund bin, die Krankheit kostete wider viel Geld und dabei hatte ich doch nur Leiden. Jetzt setze ich meine Hoffnung wider auf Neujahr daß er da schon frei und bei uns sein wird, vieleicht täusche ich mich wider. Ungeheuer peinlich berührte mich auch der Gedanke daß Johann unter einen Dache mit den berüchtigten Raubmörder Heinrich 230 Dokt. Radeiski – Vincenz Podhaisky (geb. 26. 3. 1837) war Regimentsarzt im K. k. Truppen-Spital zu Krems; er scheint in einem Häuserverzeichnis von 1894 als Eigentümer zweier Gebäude in Krems auf. 1871 hatte er Anna Schmitt, Tochter eines Rechberger Lederfabrikanten, geheiratet; vgl. Verzeichnis der Häuser, 24; DASP, PfA Krems St. Veit 2a/12, Trauungs-Rapular 1871–1881, Fol. 5, Nr. 46, 22. 5. 1871.

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Franzeskani231 war und Gefangener im selben Hause ist, in dem letzteren sein Leben am Galgen endete. Peinlich ist es auch nicht wenig den Hausbewohnern die schon mit Spanung warteten, ob den die 3 Tage umfasenden Feiertage noch immer mein Mann nicht komme, eine Nothlüge sagen zu müssen. Einzig entschädiget mich für die Leiden die ich habe, mein einzig geliebtes Kind, er ist so brav, so klug und hat mich so lieb, und wie mitleidig er während meines Krankseins war, ich liebe ihn so unendlich daß ich es nicht sagen kann. Ich ließ ihm vormerken in den Kindergarten damit er nicht nur schön {Deutsch} sprechen lernt sondern auch damit er sich spielend verschiedenes aneigne und anderes – vergesse. Am Silvesterabend 1876.232 Nehmen wir Abschied von dem für mich so leidensvollen Jahr 1876 die Stunden wo ich mich in diesen Jahre glüklich fühlte, könte ich leicht zählen, ich habe Furchtbares gelitten Gott wird wissen ob nun bald ein Ende ist. Und noch war alles erträglich da ich doch eine vorläufige Heimath bei den Eltern fand, was wäre geschehen wenn ich das nicht gehabt hätte wenn ich ohne Eltern und Heimath der bittersten Noth preisgegeben gewesen wäre, dann hätte mir vieleicht der Muth gefehlt ein solch jammervolles Dasein weiter zu schleppen und hätte das Ende des Jahres 1876 schwerlich erlebt. Das Ende des Jahres ist erreicht aber nicht das Ende des Leidens. Vergebens warte ich schon seit 11 Tagen [auf ] einen Brief von Johann, ich glaubte er würde zum Neujahr doch sicher schon bei uns sein aber nein, ich weis auch nicht ob schon die Verhandlung war oder nicht und muß mit den peinlichsten Gefühlen schweigend abwarten. Wäre doch einmal eine Wendung unseres Schiksals, würde doch für unsere Zeit auch eine Zeit kommen wo wir nicht lauter Sorgen, Schmerz, Schande und Kumer hätten. Sind wir den verflucht daß alles bittere uns trifft, unsere jungen Jahre dahin fliehen und nichts von frohen Erinerungen zurükbringt, selbst die Ruhe de Schlafes wird durch böse Träume gestört, und jeden Abend gehe ich mit Angst schlafend zitternd vor dem, was der nächste Tag mir wider neues bitteres bringt. Seit 4 Jahren ist es nur eine Kette von Leiden, und ich gebe mich nicht der Täuschung hin daß das nächste Jahr ein besseres ist, ich hoffe nur schwach. Soeben erhielt ich einen Brief von Johann am 2ten Jänner 1877 soll er die Verhandlung haben, er ist ängstlich, denn wenn er nicht einen guten Vertheidiger hat und so gewichtige Feinde kann es schlecht ablaufen, obwohl es nun fast 3 Monate sind daß er gefangen ist und ich täglich wünschte es möchte zur Verhandlung kommen so zittere ich doch sehr ich habe gestern viel geweint, dazu sind ich und Mutter allein Hans schläft, ein recht stiller trauriger Silvesterabend ich habe ihm sogleich zurükgeschrieben und ihm Muth und Faßung anempfolen obwohl ich sie selbst nicht habe, ich bin verzagt und traurig Gott schütze ihm und uns ich kann nur ihm um Hilfe biten. 231 Heinrich Franzeskani – Heinrich Edler von Francesconi aus Klagenfurt, „Kompetoirist, Kommis, Dilettant und Tanzschulbesucher“, ermordete in Wien am 18. 10. 1876 einen Geldbriefträger; vgl. Neuigkeits-Welt-Blatt, 243, 21. 10. 1876, Titelblatt u. o. S. [Bogen 2]. Später wird Francesconi als Italiener bezeichnet und Enrico genannt; vgl. ebd., 254, 3. 11. 1876, o. S. [Bogen 2]. 232 Sehr groß geschrieben.





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Am 1 Jänner 1877. Krems. Mit denselben Gefühlen mit denen gestern diese Zeilen schloßen, beginne ich heute wider mein Herz ist unendlich schwer, Morgen schon ist der entscheidende Tag Gott was wird er uns bringen? Ich zittere vor Angst. – Mein Gott wie fängt doch das neue Jahr traurig an und wie ist mir wenn die Leute mir Gutes wünschen, wüßten sie wie trostlos es in meinen Innern aussieht sie würden mich alle nur tief bedauern. Ich muß mir Mühe geben die Thränen zurükzuhalten die sich immer wider und wider ins Auge drängen. Hans hat seinen Großeltern einen Wunsch gesagt, er war lieb zum Küssen wie immer sein Vater schreibt auch gib ihm recht viele Bußerln für mich vieleicht werde ich ihm doch bald wider sehen, ich glaube daß seine Sehnsucht groß ist, ist es doch schon 6 Monate daß er sein Kind nicht gesehen ich weis nicht ob ich so stark wäre und es so lange aushielte. Krems am 3 Jänner 1877. Erhielt heute einen Brief denn Johann schon am 30 v. M. geschrieben, und worin er mich bittet an Dokt. Plapart,233 Tuchlauben 11 einen recht freundlichen Brief zu schreiben und um seine Verwendung als Vertreter zu bitten, leider trifft dieser Brif zu spät ein da schon am 2. d. M. die Verhandlung war und ich erst am 3ten den Brief erhalte, man hat ihm erst den 2ten aufgegeben. Ich kaufte auch heute das Extrablatt234 fand aber nicht von ihm, das Tagblatt235 konnte ich nicht erhalten. Den 2ten habe ich in der größten Aufregung verlebt, betend und weinend. Jetzt warte ich mit größter Angst und Spanung auf Nachricht. Krems am 5 Jänner 1877. An H H Anton Teuschl Obere Herzogsstrasse 70 in Krems Liebe Frau Baumgarttner Wir grüssen ihnen vielmahl und machen ihnen bekannt Das sie das Kabinet bis 12 räumen das Kabinet ist ser nas, es muß geheitz werden sonst wird ihnen so wie uns alles hin. mit Achtung Frau Schwendewein236 233 Dokt. Plapart – der Advokat Alexander Freiherr von Plappart-Leenheer; Tuchlauben – Geschäftsstraße im I. Bez.; vgl. NÖA 1877, 347. 234 Extrablatt – „Das Illustrierte Wiener Extrablatt“ (1872–1928) hatte als Sensations- und Lokalblatt eine große LeserInnenschaft; vgl. Czeike, Historisches Wien Lexikon, 239. 235 Tagblatt – „Neues Wiener Tagblatt“, erschien erstmals am 10. 3. 1867; die politische Grundhaltung der Redaktion war deutschliberal, bürgerlich-demokratisch und antimarxistisch; vgl. Czeike, Historisches Wien Lexikon, Bd. 4, 376. 236 Frau Schwendewein – Vermieterin des Kabinetts in der Springergasse, 14. Sie ist in „Lehmann’s Adressanzeiger“ nicht als (Haupt-)Mieterin verzeichnet.

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So lautet wortgetreu der Brief den ich heute von dieser gewissenlosen Person erhielt die auf jedenfals nur Presion üben will, den der Vorwand ist Lüge, sie weiß ich bin krank, mein Mann seiner Freiheit beraubt und noch überdieß ist sie boshaft weil ich ihr das verlangte Darlehen nicht gegeben, ich war ganz rathlos und verzagt, da ich auch von Johann noch nicht das geringste weis, nach langen Berathen mit den Eltern kamen wir dahin diesen der nicht rekommandirt237 ist, todtzuschweigen und ihr sobald ich Nachricht von meinem M. habe den Zins schiken und kündigt sie mir, was sie gesetzlich auf 14 Tage thun muß, mit ihr unterhandeln wenigstens bis Johann frei ist Gott wie schwer wird mir das Leben. K. am 7 Jänner 1877 Noch immer bin ich ohne die geringste Nachricht von J. ich {bin} rath und trostlos in schreklicher Aufregung ich quäle mich mit möglichen und unmöglichen Gedanken ab und weine mir die Augen wund, ohne daß ich es ändern kann, auch fürchte ich mich wider krank zu werden, denn ich habe oft so ein Gefühl als ob ich mit lauter Nadeln über den Rüken gestochen würde, Blutaufwallungen, Schwindel, und dabei thut mir jedes Glied weh daß ich fast nicht gehen, stehen, sitzen oder liegen kann. Ich martere mich schreklich zusamen. Den Entschluß mit Anfangs März d. J. den Hebamen Curs anzufangen habe ich ernstlich gefaßt, auch die Eltern stimen mir ganz bei, ich muß an meine Zukunft denken, daß ich mich für mein Kind sorgen kann, denn mein Unglük und die Gedanken die da über mich kommen die bringen mir auch ins Gedächtniß, was geschehen würde, wenn ich meine gute für alles sorgende Mutter verlire, dann wäre ich in einer noch schreklicheren Lage als ich jetzt bin, den Vater ist nur zu leichtgläubig und fremden Einflüssen zugänglich, als daß ich darauf rechnen dürfte, daß meine Zukunft durch ihn gesichert würde, wer weiß was mich dann alles erwarten würde, könte ich mich nicht auf mich selbst stützen, und müßte das bittere Brod der Abhängigkeit als Nothwendigkeit eßen. Jetzt bin ich noch jung, und habe Talent ich werde alles überwinden wenn ich die Möglichkeit habe, einst mir mein Brod als Frau verdinen zu können meinen geliebten Kind eine Erziehung zu geben die ihm einst leichter sein Brod verdinen läßt; und auch für meine alten Tage zu sorgen daß ich in Wien oder Krems meine Zuständigkeit habe, denn Falbach238 wünsche ich mit keinem Auge widerzusehen viel weniger einst vieleicht gezwungen sein, mir einst dort mein Brod im Gemeindehause zu essen. Man wird vieleicht einst nach meinen Tode (wenn 237 nicht rekommandirt – ein nicht-rekommandierter Brief war nicht eingeschrieben und damit nicht registriert. 238 Falbach – Fallbach ist der Herkunfts- und Heimatort Johann Baumgartners. Dem Gemeindegesetz von 1849 zufolge erwarben „Frauenspersonen durch die Verehelichung mit einem Gemeindemitgliede“ die sog. Zuständigkeit ihres Ehemannes. Barbara Baumgartner hätte nur in Fallbach ein „Heimatrecht“ und damit verbunden ein Anrecht auf Armenunterstützung gehabt. Auch eine gerichtliche Scheidung oder Trennung hätte am Heimatrecht nichts geändert; vgl. Hermann Blodig jun., Heimatsrecht, in: Mischler/Ulbrich, Oesterreichisches Staatswörterbuch, Bd. 2, 1. Hälfte, 71–78, 72f; Harald Wendelin, Schub und Heimatrecht, in: Waltraud Heindl u. Edith Saurer Hg., Grenze und Staat, Wien u. a. 2000, 175–343, v. a. 203, 216–222.





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dieses Buch überhaupt jemanden in die Hände kommt.) diese Gedanken kindisch finden, aber da das Unlük ja meine stete Begleiterin ist, wäre eine solche Möglichkeit auch noch vorhanden, obwohl ich das alles glaube ich, doch nicht überleben würde. Ich habe aber schon so viel gelitten und bin nicht daran gestorben. K. am 14 Jänner 1877. Am 11 erhielt ich einen am 10 aufgegebenen Brief den Johan heimlich nähmlich schwarz schikte und worin ich er mir so recht sein Leiden schilderte sogar voll Ungeziefer ist er was doch noch das schreklichste ist, und worin er mir auch schrieb daß Dewald und Fanto mit ihrer Betrugsanklage die sogar von Dewald beschworen wurde nicht stand halten konten, da ihnen vom Amtsdiener Huber alles widersprochen wurde der streng ehrlich aussagte was nur gut für Johann ist jetzt beschuldigt man ihn der Veruntreuung was er mit dem {Geld vom} Geschäftsverkauf gemacht, auch das kann er nachweisen daß damit der Hausherr bezalt wurde, was ja auch wahr ist weil man ihm also nirgends recht an kann bringt man die Beschuldigung vor er sei von mir geschieden und habe keine Heimath daher unterstandslos es ist merkwürdig wie man bemüht ist gegen ihn Schuldbeweise zu sameln die gar nicht existiren und das ist unsere vielgeprisene Gerechtigkeit in Österreich, wo ist selbe? Scheint es doch ob alle Beamten bestochen wären um Bosheiten auszuüben während man wirkliche Verbrecher mit aller Milde und Rüksicht behandelt, er schrieb in diesem Brief auch daß er den vorhergehenden Tag einen Brief an mich geschrieben der durch den Rath geht (jetzt gehen die Briefe an Rath von Atzwenger239 Bureau No 5) das war also am 9ten diesen Brief erhielt ich am 13ten den schwarzen der am 10ten geschrieben aber schon am 11ten. Er reichte ein an das Oberlandesgericht sowie an den Präsidenten gegen diese neuerliche Verhaftung und wurde daher vorgeruffen und zu Protokoll genommen auch wurde ihm der Rath ertheilt mir zu schreiben daß ich ein Zeugniß schike das vom Vater und der Gemeinde Krems bestätiget ist und folgender maßen von mir geschrieben wurde: Zeugniß Mit welchen ich Unterzeichneter bestätige, daß sich meine verheirathete Tochter sammt Kinde Betti Baumgartner geb. Teuschl sammt ihrem Kinde bei mir befindet, ferner daß sie mit ihren Mann Gatten im besten Einvernehmen lebt und daß ich meinem Schwigersohn Johann Baumgartner jederzeit wenn er dessen bedarf, die nöthige Substitenz verabreiche und unterstütze. Dieß bestätige ich mit meiner eigenhändigen Unterschrift und Sigl Gemeinde Sigl Anton Teuschl und Bestätigung Bürger und Hauseigenthümer in Krems240 der Gemeinde 239 Rath von Atzwenger – ich konnte keinen Beamten dieses Namens eruieren. Eventuell lief die Post über Anton Azwanger, er war einem Sprengel des Wiener Ober-Landesgerichts, nämlich dem Kreisgericht Wiener Neustadt zugeordnet; vgl. NÖA 1876, 331. 240 Darunter ein kleiner Kreis mit unleserlichen Buchstaben für das Siegel. Beim Dechiffrieren des Vertrages halfen mir Martin Scheutz und Jakob Wührer.

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Gebe Gott daß ihm dieses Zeugniß die gewünschte Freiheit bringt. Morgen kann ich es erst fortschiken da der Bürgermeister241 heute abwesend ist. Man kann sich denken was ich unter diesen Verhältnissen sch leide ich sehe neuerdings schlecht aus mein Apetit nimt sehr ab ich weine immehrwährend und habe schon die ganze Woche schlaflose Nächte, dabei auch noch immer Zustände die von anderer Seite einwirken, so daß ich kraftlos und verzweifelt bin, Gott nur einmal ein Ende sei es schon wie immer dieses Leben ist unerträglich. Johan schreibt: verzeihe mir liebes Weiberl ich werde Dir alles tausendfach vergelten, jetzt sehe ich es erst ein was Liebe und Häuslichkeit gib ist. Gott gebe es wenn er dieß einsehen und schätzen lernte dann hat dieße schrekliche Zeit doch wenigstens ein gutes und damit wäre viel erreicht es berechtigte zu Hoffnungen auf ein einstiges Glük es wäre eine wenn auch schwache Entschädigung für so viele viele Thränen, verlorene Jugend, phisische und moralische Leiden, gebrochenen Muth und Plage, Sorgen, Kumer und schlaflose Nächte. K. am 16/Jänner 1877. Heute erhielt ich Brief v. Johan die Adreße zeigte seine Hand der Brief war in einen Couvert zum ersten Mal seit langer Zeit der Aufgabsort Leopoldstadt, mit zitternder Hand öffnete ich, und laß daß er frei ist, die Statsanwaltschaft sah endlich ein, daß er unschuldig verfolgt wurde und ließ ihn auf freien Fuß gehen, er schreibt daß er fast nicht nach Hause kam so schwach war er als er die frische Luft athmete, er ist zu Bett um sich recht auszuruhen damit er dann mit Gottes Hilfe sein Geschäft wider aufnehmen kann. Er verspricht heute mehr zu schreiben. Räthselhaft ist jedenfals daß man ihn noch ohne [daß] das Zeugniß in Wien ankam frei ließ und doch legte man zuerst soviel Gewicht darauf. Er war gerade 3 Monate und 3 Tage gefangen. Zum ersten Mal im Kindergarten den 25 Jänner 1877. Mein lieber Hans ist zum ersten Male in der Schule, es ist dies ein Kindergarten nach Fröbels System.242 Es kostete Kampf und Thränen aber hofentlich wird er sich bald 241 Bürgermeister von Krems war 1877 Dr. Ferdinand Dinstl jun.; der Rechtsanwalt bekleidete dieses Amt von 1861 an 24 Jahre. Er war außerdem 17 Jahre lang liberaler Abgeordneter im Landtag und zehn Jahre im Reichsrat; vgl. Anm. 28 u. 30. In seine Amtszeit fielen der Beginn der Donauregulierung, der Neubau der Wasserleitung, der Bau der Eisenbahn nach Krems sowie eine massive Stadterweiterung mit dem Bahnhofsbau, einem neuen Krankenhaus und Parkanlagen. Zahlreich wurden Schulen gegründet – Oberrealschule, Knabenvolks-, Mädchenbürger-, Weinbau-, Handelsschule sowie eine Lehrerbildungsanstalt; vgl. Gäbler, Die Stadt Krems, 232f. 242 Kindergarten nach Fröbels System – Friedrich Fröbel (1782–1852) wurde nach mathematischen und naturwissenschaftlichen Studien Pädagoge. Auf Heinrich Pestalozzis Grundlagen entwarf er ein ‚pädagogisches System’, v. a. für die Erziehung von Vorschulkindern. 1840 gründete er in Deutschland einen ersten Kindergarten. Dort sollten Kinder ihrem Alter entsprechend durch planvolles Spielen in Gruppen, durch Bewegung und viel Kontakt mit der Natur „allseitig angeregt und angeleitet“ werden. In Österreich wurde durch einen ministeriellen Erlass 1872 die Gründung von Kindergärten und die Ausbildung von Kindergärtnerinnen amtlich geregelt. In Krems gab es seit 1856 eine spendenfinanzierte private Kleinkinderbewahrungsanstalt. Ein öffentlicher Kindergarten wurde 1876 gegründet; vgl. Gäber, Die Stadt Krems, 166f.





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heimisch fühlen, es sind 40 Kinder aus lauter guten Häusern er wird da spielend lernen, und schön sprechen lernen, und ich kann ruhig mein Ziel verfolgen denn ich weis ihn gut aufgehoben, ich hoffe er wird die Schule und die kleine Gesellschaft bald lieb gewinen im Anfang ist es darum schwer, weil er ein einziges Kind, daher keine Gesellschaft gewohnt etwas scheu ist, und noch zu jung um vernünftiges Zureden zu würdigen. Aber es muß sein und sogar ein Kind muß sich schon dem unerbittlichen Muß fügen, es ist sein erster Kampf im Leben möchte er nie einen größeren zu bestehen haben, möchte dieser Schmerz sein größter sein. [Von] Johan erwarte ich einen Brief von 22 d. M. zur folge jeden Tag. Wie ich mich darauf freue brauche ich nicht erst zu sagen. Krems am 1 Februar 1877. Meine Augen sind wund vom weinen, im letzten Brief zeugte er mir an, daß Schneider die Polizei auf ihn hetzte, er soll sein Geschäft nicht ausführen, die Bewilligung wurde damals [auf ] Grund seiner Verhaftung nicht herausgegeben, er schreibt daß er Dinstag betref dessen noch zu thun hat, Mitwoch aber kommen werde, Gestern war Mitwoch, ich wartete ihn sehnlichst, die Eltern besuchten den Kasinoball ich wartete fiebern[d] auf die Ankunft des Zuges, mithin auch auf seine Ankunft, er aber kam nicht. Ich war allein mit meinem Schmerz und den ärgsten Befürchtungen, was Wunder wenn ich heute wider ganz krank bin. Ich fürchte man hat ihn am Ende neuerdings verhaftet, ich halte alles für möglich, ich warte auf heute, kommt er heute wider nicht so sehe ich meine Befürchtung bestätigt, ich bin entsetzlich gequält von Angst und Sorge. Hansi geht schon recht gerne in die Schule, und alle haben ihn recht lieb, weil er so {ein} gutes Kind ist. K. am 5 Februar 1877. Johan mein süßes Mannerl war hier glükiche Stunden habe ich an seiner Seite verlebt, denn er liebt mich wahrhaft und innig und ich ihn nicht weniger sein Aussehen war besser als ich vermuthete und alles übertrefend seine Zärtlichkeit, oh ich werde noch lange in der Erinnerung daran schwelgen, wie aber bei uns keine Stunde des Glüks vergeht ohne daß sie getrübt wird so war es auch dießmal Samstag den 3 d. M. erhielt ich einen Zahlungsbefehl über 288 fl Steuerrükstand, diese Sache muß auf einen unglükseligen Irthum beruhen den meine Steuer wurde erst im Oktober 1875 angemeldet wo die Quittung über die vorausbezahlte Steuer von 16 fl vorliegt, weiters wurde sie ja zurükgelegt vom 1 Jänner 1876 und auch der Rekurs darüber angemeldet wie ich schon Seite 85 schrieb, ich kann mir daher diesen ganzen Irthum nicht erklären ich ging sogleich zum Hr. Gemeinde Sekretär243 hier und auch mein Mann mit mir wir erzählten ihm alles und er rieth mir meinen Mann zu bevollmächtigen die Angelegenheit für mich zu ordnen, was ich auch that und ich hofe daß

243 Hr. Gemeinde Sekretär – August Kosarz, k. k. Hauptmann Auditor und „Gemeinde Secretär“ in Krems; vgl. NÖA 1876, 233. Ein Auditor leitete bei Untersuchungen an Militärgerichten die technischen Angelegenheiten des Rechtsgangs, hatte aber keine richterlichen oder anwaltliche Befugnisse.

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ich bald Nachricht über diese leidige Sache bekomme.244 Vater war wie gewöhnlich sehr aufgeregt und ließ viele bittere Worte falen. Sonntag aber kam es zu einer sehr peinlichen Szene, Vater in seiner Aufgeregtheit die jetzt leider vorherschender Natur ist, legte seine Worte wahrlich nicht auf die Wage, es handelte sich darum unsere Sachen die wir noch besitzen uns und Vater zu schützen wo ich daher einen Wechsel auf 1500 fl ausstelte dieser wird am 1 März d. J. fällig, da man unmöglich ruhig mit Vater einen solchen Gegenstand behandelt und er auf jedes meiner Worte aufbrauste so sprang ich weinend auf und schleuderte die Feder weg, darüber aber sagte er mir Worte die ich fast nicht schreiben kann, er werde mir die Thüre weisen und ich könne seinetwegen auf der Gasse liegen ihn werde es nicht kümern u.s.w. was Wunder daß ich bitterlich weinte und mich ihm immer mehr entfremde, die Worte der Mutter und du solltest ihn doch schon kennen und nicht alles so nehmen pralten wirkungslos ab ich – nichts weiter darüber – – Johan besä{n}ftigte ihn und mich und war dann wider gut, besser als früher, offenbar reute ihn sein Benehmen, Johan aber gewährte er einen Einblik den ich ihm lieber erspart hätte. Mein Entschluß ist aber dadurch wo möglich noch fester geworden, obwohl Johann es versuchte ihn zu erschüttern, er ist eifersüchtig und fürchtet daß ich in dieser Lebensspähre verdorben werde, er sagte: siehst Du wir haben nur mehr das eine unsere Liebe und das Glük der Häuslichkeit wenn ich nach Hause komme soll mir das auch noch genomen werden, wer weiß ob dir dann nicht ein anderer besser gefällt als ich? Ich sagte ihm ob er mich noch nicht so weit kenne, ob ich noch größere Beweise meiner Liebe geben kann als ich gegeben habe? Und ob es den ein Spaß sei was ich unternehme? Ob ich es {zum} Vergnügen thue? Oder für wem ich es thue? Er sieht alles ein, und würdigt es, aber fürchtet die anderen werden suchen mich zu verderben. Da irt er gewaltig mein Charakter ist zu felsenfest hab ich zur Zeit meiner Liebe nicht eine Minute vergessen meine Ehre zu wahren, werde ich es dann als Gattin und Mutter weniger thun? Das wird Johann nie erleben von mir, alles andere eherh. Ich will ihm eine Stütze sein ich möchte mir die Lage verschafen für mein Kind zu sorgen, eine geregelte glükliche Häuslichkeit schafen und mich vor jeder Art Abhängigkeit zu verwahren,245 dieß sind die Absichten die ich erreichen will und mit Gottes Hilfe werde, gewiß nur ehrliche und von der reinsten Liebe begründete Absichten. Ich vehrhehle mir dabei keineswegs die Gefahren und Aufopferungen dennen ich entgegen gehe, die mich umgeben werden, aber ich werde muthig und pflichtgetreu meinen 244 Die Eile war geboten, denn eine Steuerschuld wurde vier Wochen nach dem Einzahlungstermin exekutionsfähig. Einsprüche gegen die Steuervorschreibung hatten keine aufschiebende Wirkung; vgl. Wimmer, Steuerexecution, 1151. 245 Über die schwierigen Arbeitsbedingungen und die schlechte Entlohnung von (Land-)Hebammen im 19. Jh. berichtet ausführlich Eva Labouvie, Beistand in Kindsnöten. Hebammen und weibliche Kultur auf dem Land (1550–1910), Frankfurt a. M./New York 1997, v. a. Kap. V.2. Die soziale Herkunft der Hebammenschülerinnen bezeichnet sie als breiter gefächert als vordem; noch im 18. Jh. überwogen „ehrbare Handwerkerfamilien“; vgl. ebd. 36f.





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Weg gehen und mich durch nichts beirren lassen, meine Gründe sind stärker als meine Befürchtungen. Hansi machte Johann große Freude seine Klugheit überraschte ihn sehr er vergöttert sein Kind aber auch Hansi zeugte ihm seine Liebe rührend, welch ein glükliches Familien Bild könte es abgeben, wenn eben der Hintergrund (die Vergangenheit) nicht wäre, welcher eben das ganze Bild verdunkelt, vieleicht wird es doch bald anders, Gott gebe es. Er erzählte viel von dem grauen Haus246 vieleicht werde ich darüber noch einmal näheres eintragen. Wir waren einigemale spaziren miteinander wo uns wenigstens die Leute [x] sahen, damit sie nicht sagen dürfen ich sei von ihm verlassen. K. den 11/2 1877. Ein Brief meines lieben Mannes zeigt mir an daß ihm unsere Quartirfrau gekündet hat, daß er aber hofft wider bleiben zu können da sie sehr geldbedürftig ist, für uns wäre es wohl sehr unangenehm wider ausziehen zu müssen aber im Hause ist Zimmer und Küche zu vermithen zur Noth könten wir es nehmen jetzt ists mir nicht mehr so fürchterlich, da Johan frei ist und die Sache arangiren kann. In der Steuerangelegenheit wurde er bis Freitag vertagt und wird mir daher erst im nächsten Brief das Resultat mitheilen können. Vater sucht durch große Güte wider gut zu machen, was er mir gethan er erlaubte mir aus eigenem mir ein paar Stiferl machen zu lassen. Nächstens mehr. Krems am 25/2 1877. Nur noch 3 Tage und dann Ade Krems, eine andere Zeit erwartet mich, Bittere Stunden werden es sein, Nächte heißt es opfern, fleißig Lernen und Entbehren. Viele Enttäuschungen werde ich erfahren und der Erfahrungen werden nicht wenig sein. Am schwersten kommt mich die Trennung von meinem lieben Kinde an, schwer werde ich es überwinden, auch die geregelte Häuslichkeit werde ich schwer entbehren. Hans war die vergangene Woche unwohl ich hatte schon große Angst um ihn, jetzt ist er Gott lob wider wohl und geht fleißig aber nicht zu freudig in die Schule. Die Steuer Angelegenheit harrt meiner Person um erledigt zu werden. Johan hat die Wohnung gewehselht, er wohnt Rueppgasse 24 P. 19.247 Ich bin darauf begirig. Er hat das Kabinet vermithet an einen Herr von der Bahn. Auf der Küche hat er einen Bettgeher,248 das Zimmer werden wir bewohnen. Durch Zufall kommt mein Cousin Karl Rötzer auch jetzt nach Wien, ich nehme ihn in unsere Wohnung. Johann freut sich schon 246 grauen Haus – seiner Fassade wegen lautet der Spitzname für das Polizeigefängnis des Wiener Landesgerichts „Graues Haus“. 247 Rueppgasse – Wien II; die Gasse, sie liegt nächst der Springergasse, wurde erst 1870 benannt (nach dem Bezirksvorsteher Anton Ruepp [1792–1868]); vgl. Czeike, Historisches Lexikon Wien, Bd. 5, 11. 248 Aufgrund der Einkommensentwicklung vermieteten viele MieterInnen unter und nahmen BettgeherInnen auf. Wohnraum war knapp (v. a. was kleinere, billigere Wohnungen betraf ) und teuer. „Buchstäblich alles, was nur irgendwie Schutz bot, wurde für Wohnungen verwendet.“ Roman Sandgruber, Die Anfänge der Konsumgesellschaft. Konsumgüterverbrauch, Lebensstandard und Alltagskultur in Österreich im 18. und 19. Jahrhundert, Wien 1982, 354.

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sehr auf mein Komen. Ich werde nächstens das Resultat meines ersten Ganges ins Gebärhauses249 mittheilen. Wien am 8/März 1877 Schon seit 28 v. M. bin ich in Wien, die Wohnung die Johan nahm widerte mich schon beim Eintrite so an daß ich am liebsten gleich wider zurükgefahren, aber ich muß meinen Zweck verfolgen mag es mich kosten was es wolle. Der Steuerrekurs wurde mir ungünstig abgelehnt und die Steuer aufrechterhalten. Für diesen Fall gibt es nur einen Ausweg, den ich auch sogleich in Anwendung brachte, ich gab (auf Rath des Beamten) zu Protokoll daß ich sowie mein Mann völlig mittelos und nicht im Stande sind auch nur die kleinste Rate zu zahlen, daß ich in Rudolfsheim Neugasse No 36250 bei [einer] Freundin zu Bett bin und nichts mir gehört ich wohne nun in Wirklichkeit seit 2 d. M. hier und wenn der Steuerkomissär kommt findet er das die Protokolsaussage stimmt und wird relationiren251 und die Steuer wird mir abgeschrieben werden. Wegen Vater wird ein Kaufvertrag abgeschloßen zu diesem Zweck müßte ich ein Vergleichniß machen wo dann diese darauf bezeichneten Gegenstände für die Summe von 1000 fl welche ich von den Eltern erhalten habe verkauft habe daß aber diese Gegenstände uns zur Benutzung überlassen wurden. Mit einer Wechselklage würde nur das erste Pfandrecht erreicht, doch könte auch ein anderer Gläubiger feibithen,252 daß wird durch den Kaufvertrag verhüthet denn da kann Vater jederzeit exendiren253 und niemand kann uns schaden. Schrekliche Laufereien hatten wir wegen des Sittenzeugnisses zu meinem Beruf, weil ich jetzt nicht in Wien war, endlich am 6ten wurde ich eingeschrieben, und gestern war die Aufnahmsprüfung, 23 waren uns an der Zahl 11 sind glüklich durchgekommen, darunter zum Glük auch ich, 12 sind gleich geworfen worden, der Profesor Dokt. Gustav Braun ist ein äußerst strenger Mann, und es wurde einem gestern recht klar welcher Aufgabe man sich hingibt. Morgen 9 uhr Vormittags müssen wir drinnen sein.254 249 Gebärhaus – Die Hebammenausbildung fand in der Geburtshilflichen Klinik für Hebammen im Allgemeinen Krankenhaus (Wien IX) statt; vgl. Isidor Fischer, Geschichte der Geburtshilfe in Wien, Leipzig 1908, 344. 250 Rudolfsheim Neugasse No 36 – (Rustendorfer) Neue Gasse (heute Wien XV, Reichsapfelgasse); vgl. Autengruber, Lexikon Wiener Straßennamen, 203. Die Familie Beer dürfte gerade erst umgezogen sein (von der Taborstraße 60); vgl. Lehmann 1876, 109, u. 1877, 158. 251 relationiren – relationieren, abwägen. 252 feibithen – feilbieten, versteigern. 253 exendiren – Wird bei einer Exekution oder Pfändung in die Rechte eines Dritten vollstreckt, kann dieser sich mittels Exszindierung (Drittwiderspruchsklage) wehren und ein veräußerungshinderndes Recht an einem Gegenstand geltend machen, den ein Gläubiger vom Schuldner beansprucht. 254 Gustav Braun stand der Geburtshilflichen Klinik für Hebammen vor; vgl. Fischer, Geschichte der Geburtshilfe, 344f. Zum Unterricht zugelassen wurden Frauen, die das 24. Lebensjahr vollendet und das 45. noch nicht überschritten hatten. Sie hatten bei ihrer Aufnahme „körperliche und geistige Befähigung und ihre Unbescholtenheit auszuweisen“. In der Aufnahmeprüfung wurden Lese-, Schreibund Rechenkenntnisse festgestellt. Die Schülerinnen mussten Tauf- oder Geburtsschein vorlegen, den Trauungsschein und ein „von der Behörde ausgestelltes Moralitätszeugnis“. Der Kurs dauerte fünf Monate; die Schülerinnen mussten zeitweise in der Gebäranstalt wohnen und arbeiten. Die Ausbildung endete mit einem Diplom nach der „strengen Prüfung“ (lt. Erlass des Ministeriums für Unter-





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Vielleicht ist das Glük uns doch einmal günstig. Durch Zufall hörte ich daß bei der Tramwai Plätze frei sind, ich verständigte sogleich meinen Mann, der zum Ober Inspektor ging dieser sagte ihm er solle sogleich ein Gesuch schreiben, sowie Dokumente beilegen er werde sich für ihn verwenden. Das that mein Mann auch gestern und dürfte bis in 8 Tagen entschieden sein, die Condukteure haben wohl einen sehr schweren Dienst, aber Johann würde es gerne thun, denn mit dem jetzigen Geschäft verdint er nicht einmal das Brot, der Lohn wäre p. Tg 1 fl 40255 dann wäre unsre Sorge eine Wohnung zu finden denn in der jetzigen kann ich nicht existiren Johann sollte schon 3 mal ins Landesgericht Aussage zu machen wurde aber jedesmal vertagt. Die Woche vergeht mit lauter Herumlaufen ohne Resultat abends hat man müde Füsse, Geld ausgegeben aber keines verdint. Ein Brief von Mutter zeigt mir an daß Hansi recht brav ist, das ist mein Trost und Freude. Für heute genug, morgen oder nächstens mehr. _______ Noch heute etwas soeben erhielt ich einen Brief von zuhause, inliegend einen von Sebastian er spielt den freundlichen, und wünscht Aufklärung über den Aufenthalt Johans, von mir wird er sie gewiß nicht erhalten, da ich durch fremde Leute weis, daß seine Angehörigen längst alles wußten, im Unglüke hat uns kein Mensch gefragt, was wir machen ob wir leben, oder wie wir leben, wir hätten zu Grunde gehen können, ohne daß sich eine Hand von seinen Angehörigen gerührt hätte, und es sind doch seine Eltern und Geschwister, aber meine Eltern mußten sorgen daß wir nicht verhungerten, so lange wir etwas hatten, suchten sie zu ziehen, und als Leni heirathete wir aber selbst schon mit Noth und Sorgen zu kämpfen hatten, preßten sie uns noch 50 fl in Barem und extra Waren heraus, heute noch haben wir sie nicht darum gefordert obwohl wir manchen Tag nicht wissen wovon leben? Auch kann und werde ich nie vergessen die Briefe von Sebastian. W. am 9./3 1877. Heute war der erste Vortrag, Samstag und Sontag sind freie Tage. Es wurden Vorgelesen die Bestimungen der Stadthalterei und die Hausordnung. Jeden Tag ausgenomen Samstag und Sontag ist von 9 uhr an Schule, alle Montag komt eine Gruppe von 24 Schülerinen in den Dinst, diese dürfen durch 8 Tage nicht aus der Anstalt und müssen sich selbst die Beleuchtung und Verpflegung bestreiten, ohne Meldung darf keine die Anstalt verlassen. Die Vorlesungskurse kosten einer 5 fl das Diplom 28 fl 18 x und 1 fl Stempel, 5 Monate dauert der Curs und ist alle Monate eine Prüfung wo man ein Zeugniß bekommt, nur welche gute Zeugniße vorweisen können werden zum Rigorosum (strenge Prüfung) zugelassen, nach denselben werden 5 Zahlfrauen gewählt welche 2 Monate bleiben und 22 fl a. Monat erhalten, diese haben die ganze Zeit in der Anstalt zu verbleiben. richt und Cultus, 1874); Franz Ritter von Haberler, Hebammenwesen, in: Mischler/Ulbrich, Oesterreichisches Staatswörterbuch, Bd. 2, 1. Hälfte, Wien 1896, 21–25, 21f. 255 Für den Zeitraum 1871–1880 gibt Roman Sandgruber für Arbeiter in Wien einen Durchschnittstageslohn von 61,2 Kreuzern an; vgl. Sandgruber, Die Anfänge der Konsumgesellschaft, 115.

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Wien am 18 März 1877. Eine große Freude wurde mir geraubt ich hofte bestimt die Osterfeiertage frei zu sein und sie im Kreise meiner Lieben, meines theuren Kindes zu verleben, nun bin ich wider enttäuscht, ich habe gerade die Charwoche Dinst, und muß daher auf alles verzichten. Wir haben sehr viel zu lernen, und mir ist nicht wenig bange, wenn ich nicht meinen Kopf so voll Kumer und Sorgen hätte, wäre es leichter, von der Tramwai ist noch keine Antwort zurük daß macht mich sehr unruhig, Johann verdint nichts mit was sollen wir leben und Zins zahlen ich werde auch viel Geld brauchen, und mir ist bange wo hernehmen. Auch noch anderen schweren Kumer habe ich zu tragen, und nicht zum ersten Male, vieleicht läuft einmal der Mund über wenn das Herz mir zu voll wird, daß ich darüber etwas schreibe, nur daß äußerste kann mich dazu bringen. Noch bin ich bei Hr. Beer in Rudolfsheim vieleicht noch eine Woche. Der Kaufvertrag ist fertig ich bin sehr froh. Nächstens wider mehr. Rudolfsheim 6 April 1877. Alles aus und vorbei, was ist in dieser kurzen Zeit alles vorgefallen, mein Plan vernichtet aus mit dem ganzen Curs, mit den Worten: Johann hat die Blattern bekommen, glaube ich, ist schon genug gesagt, Johann ist unwohl geworden ich blieb in der Wohnung plötzlich brachen die Blattern aus, nachdem er ein paar Tage vorher fantasirte und schreklich über Kopfweh klagte, und wie sah er dan aus, der Kopf war noch einmal so groß ganz aufgeschwolen daß man kein Auge sah und im Gesichte und den ganzen Körper dicht bedekt mit Blattern ich mußte den Doktor rufen brauchte Geld für die Apotheke und sollte 14 Tage Dinst machen,256 die ersten Tage lief ich athemlos in die Schule und zurük zum schwer erkrankten Mann, als mich aber das Loos traf 14 Tage Dinst mußte ich abmelden, erstens konnte ich Johann nicht 14 Tage und Nächte allein lassen, dann fehlten mir auch alle weiteren Mittel, so ist dieser Plan gescheitert (aber ich gebe trozdem diesen Gedanken nicht auf, ab nur werde ich nicht eher mehr anfangen bis ich das Geld dessen ich dazu bedarf voll in der Hand halte oder sicher darauf rechnen darf.) Johann verbrachte die 9 Tage aufnehmen in einen traurigen Zustand und ich nicht minder hätten die Eltern uns nicht unterstützt weis ich nicht was aus uns geworden wäre, dazu kam noch eine schrekliche Entdekung die ich neuerdings machte und die Zahlungsauflage von der Hausfrau, statt 15 p. Monat mußten wir das ganze Virtel bis 12 Mai zahlen und zwar 3’5 fl und 1 f[l] 86 x Spesen, die guten Eltern zahlten uns das, aber verlangtern daß wir die Möbel hinaufschiken, was ich auch that ich nahm den Möbel Transporteur Hr. Dötz und behandelte mit ihm 50 fl den ganzen Transport, und gestern den 5 Aprill 1877 gingen die Möbel nach Krems zu den Eltern, so schwer es mich ankam denn nun hab ich in Wien gar keine Heimath mehr so froh bin ich einesteils daß wenigstens vor den Hausherrn die Sachen sicher sind, und daß wir nicht diese bitteren Sorgen für den hohen Zins haben, Johann hat glüklich diese schrekliche und abscheu256 1872 starben über 3.300 Menschen in Wien an den Blattern, bes. in den ärmeren Bezirken mit schlechten sanitären Verhältnissen; vgl. Eigner, Mechanismen urbaner Expansion, 651.





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liche Krankheit überstanden und ging vorgestern zum erstenmal aus er ist wenigstens um 10 Jahre gealtert und ganz gebrochen, vergebens würde man in ihm denjenigen wiedererkenen den ich vor 5 Jahren heiratete, vileicht erholt er sich doch bald wider es ist ja jetzt die schönste Zeit, der er war wird er nicht mehr. So oft ein schwerer Schlag uns trift frage ich kann noch ärgeres kommen? Unmöglich, aber immer kommen neue Leiden neues Elend, ich hofe jetzt auf keine Änderung mehr, als bis der Tod ein Ende macht, ich bin bestimmt seit meiner Verheirathung Unglük auf Unglük zu tragen, ich werde es tragen, bis ich unter der Last zusamenbreche. Was soll jetzt aus uns werden? Johan hat noch keinen anderen Verdinst als das Kolportiren kaum geeignet sich selbst zu ernähren, ich kann wider den Eltern zur Last fahlen, ich schmide viele Pläne welchen ich auch ausführe keiner bringt gutes, entweder ich vergehe zu Hause vor Kumer, Schande und Sorgen oder es wird ein verlorenes Leben. Mein süßes Kind ist ist mein einziger Halt, wird der mir geraubt dann Ade Treue Ehrlichkeit und Rechtschafenheit. Ich glaube an keine solche Tugend mehr, ich hab diesen Glauben verloren, die Hofnung bitet mir nur mehr schwache Anhaltspunkte und die Liebe die ist nur dann so schön, wenn sie nicht so viele und schwere Opfer fordert wenn sie nicht zur Last wird, der man schließlich unterliegt. Johann schläft also {seit} gestern wider mit den Zimmerherrn allein in der Wohnung weil sie doch bis Mai gezalt ist, das nothwendigste hat er, ich bleibe noch bis 9ten hier bei Hr. Beer weil die Steuerangelegenheit nicht beendet ist wurde wider vernomen und jetzt soll erst die Ex[ek]ution durchgeführt werden, von der Tramwai haben wir noch kein Resultat. Ich komme jetzt vorläufig wider nach Krems freue mich auf mein Kind und meine Eltern auch auf eine die geregelte Lebensweise, die ich seit meiner Abreise entberte, werde mich erholen dessen ich sehr bedarf habe starken Husten und Brustschmerzen, werde alle meine Sachen putzen und reinigen, aber ich fürchte Vorwürfe und bittere Worte von den Eltern und die bösen schadenfrohen Leuten, jetzt ist sie hier mit Sak und Pak wird es heißen und zeuge ich mich wird man mich unverschämt anstarren, ob ich es ertrage? Trene mich dießmal schwer von Wien wer weis ob und wie ich es widersehe schwerlich wird es je noch meine Heimath werden, trozdem ich hier keine gut Stunde hate und mich die schwersten Unglüke meines Lebens trafen gehe ich doch ungern fort. Ich bin 25 Jahre alt und meine Zukunft liegt rabenschwarz vor mir, kein Lichtpunkt winkt mir alles ist düster und öde wahrha[f ]t ein zerstörtes vernichtetes Leben. Krems am 6/Mai 1877 Schwer entschloß ich mich, zum Schreiben, weil es mir schwer geworden wäre meinen Empfindungen Ausdruk zu geben, ich war so abgestumpft, gleichgültig, feindlich gegen alles ohne Glauben ohne Hoffnung und abgestumpft für die Liebe, ich vermag den Zustand in dem ich mich die ganze Zeit über hier befand. Etwas ruhiger wurde ich erst als ich Johans Brief erhielt und hörte das er seit 18 April bei der Tramwai als Condukteur bedinstet ist wurden aus 115 Vorgestelten wurden 18 aufgenommen er schreibt daß sein Dinst sehr strenge ist, täglich von 6 uhr früh bis 12 od. 1 uhr Nachts die Controle sehr streng, er will daß ich zu ihm kommen soll aber jetzt kommt

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es mich schwer an und ich habe ihms auch geschrieben daß er sich bei ordentlichen Leuten ein Quartier suchen soll, und vorerst sorgen daß er in der Kleidung nachschaft und verschiedenes anderes besorgt. – – Bei meinen Scheiden von Wien wäre ich jedem dankbar gewesen wenn ich die Möglichkeit gehabt hätte unten zu bleiben, nein ich mußte fort, jetzt daß ich nach schweren ringen hier angewöhnt mich fest und einzig an mein theures Kind angeschlossen soll ich wieder fort, nirgends ist mein Bleiben herumgeworfen von einen Ort zum andern nirgend eine bleibende Stätte, eine Heimath. Er sagt er bedürfe der Ordnung, welche kann ich ihm bieten in fremder Wohnung in allem beschränkt und essen muß er doch im Gasthaus um Mitternach[t] kann man weder kochen noch essen, er hat wenig gehalt und gehe ich zu ihm hat er noch mehr Sorgen, dies will ich ihm erleichtern wie lange ich es so trage Gott weis es.257 Bevor ich diesen Brief erhielt ging ich zu den hochwürdigen Her Kinzl258 ihn um seine Verwendung für meinen Mann, da wurde mir zur Antwort daß Johan wohl solange er in Krems war sehr thätig und brav war aber von Wien hätte er keinen guten Ruf, er gelte als leichtsinnig und soll gerne größere Vergnügungslokale besuchen, diese Demüthigungen muß man sich alle gefallen lassen ich habe mich bei diesen liebenswürdigen Herrn für alles recht sehr bedanken lassen. Nachtragen muß ich noch daß Hansi während Johann in Wien die Blattern hatte, hier die Feuchtblattern hatte wo er 2 Narben an der rechten Schläfe behielt. Ich arbeite jetzt verschiedenen aber es ist nur Nadelgeld259 mehr läßt sich nicht machen. Ich warte bereits mit Spanung auf einen Brief. Er erhielt die Streke Döbling.260 257 „Der Mann ist das Haupt der Familie. In dieser Eigenschaft steht ihm vorzüglich das Recht zu, das Hauswesen zu leiten, es liegt ihm aber auch die Verbindlichkeit ob, der Ehegattin nach seinem Vermögen den anständigen Unterhalt zu verschaffen und sie in allen Vorfällen zu vertreten. ... Die Gattin erhält den Nahmen des Mannes und genießt die Rechte seines Standes. Sie ist verbunden, dem Manne in seinen Wohnsitz zu folgen, in der Haushaltung und Erwerbung nach Kräften beizustehen ...“ ABGB, 1. Teil, § 91 u. 92; vgl. auch Anm. 211 u. Ursula Floßmann, Geschlechterdifferenz und persönliche Ehewirkungen in historischer Perspektive, in: dies. u. a. Hg., Wahnsinnsweiber? Weiberwahnsinn? Wer braucht Feminismus? Erweitere Dokumentation des 6. Linzer AbsolventInnentages, Linz 2000, 147–197, 148. Sie erläutert die juristischen Diskurszusammenhänge der Zurücksetzung von Frauen im bürgerlichen Recht, v. a. im Ehe- und Familienrecht des ABGB. 258 Her Kinzl – Josef Kinzl (1829–1897), Konsistorialrat, „Stadtcooperator“ in Krems und k. k. Strafhaus-Superior (Gefangenenseelsorger) in Stein und Abgeordneter im Niederösterreichischen Landtag (1870–1871); vgl. Gäbler, Die Stadt Krems, 213; Frühwirth, Die Doppelstadt Krems-Stein, 112. Kinzl verlegte das „Kremser Volksblatt. Organ für katholisch-patriotische Interessen“ (seit 1870) und betrieb eine Druckerei in der Herzogstraße 9. 259 Nadelgeld – Taschengeld für Frauen (sie sollen ursprünglich davon Nadeln kaufen). 260 Folglich arbeitete Johann Baumgartner bei der Ersten Wiener Tramway-Gesellschaft. Daneben gab es die Neue Wiener Tramway-Gesellschaft (gegründet 1872). Die Pferdestraßenbahnen verkehrten von 6.30 Uhr früh bis 10.00 Uhr abends. Eine Fahrt von Döbling (heute Wien XIX) bis zur „NußdorferLinie“, die weiter in die Innenstadt führte, kostete 6 Kreuzer, die Weiterfahrt 10 (1 kg Brot kostete ebenfalls ca. 10 Kreuzer, der Stundenlohn eines Arbeiters belief sich auf ca. 6 Kreuzer); vgl. NÖA 1876, 653; Helmut Angelmahr, Transport: Die Überwindung wachsender Distanzen, in: Chaloupek/ Eigner/Wagner, Wien. Wirtschaftsgeschichte 1740–1938, 847–908, 873, 855f. Am 4. Nov. 1865 fuhr der erste Pferdetramway-Wagen durch Wien, genauer: auf der Strecke Dornbach–Schottenring (Dornbach liegt heute im XVII. Bez., der Schottenring bildet ein Stück Grenze des I. Bez.). 1868





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Krems am 21 Mai 1877. Johann macht mir Mangel an Liebe zu ihm in seinen Briefen zum Vorwurfe, weil ich mich so schwer entschließe hinunter zu kommen vielleicht nächstes Monat, er schreibt daß die meisten verheirathet sind und leben warum nicht auch wir, er hat 1 fl 40 x täglich und es trägt ihm 30, 40 x auch mehr Trinkgeld alle Woche hat er einen freien Tag. Die Anklage wider Johann kam wider zur Verhandlung und er wurde zu 3 Tagen Arrestes verurtheilt es bleibt für die unschuldige erlittene Untersuchung nur der Regreß daß es eine Übereilung des Statsanwaltes war und eine Klage wider Dewald wegen Meineid, daß ist die Gerechtigkeit in Österreich. Über die Steuer Angelegenheit erhielt ich von Henriette befriedigende Nachricht, der Schätzmeister und Gerichtsdiner suchten mich in der gemeldeten Wohnung und wollten pfänden H. F.261 schilderte meine Lage mit grellen Farben worauf man für den Schätzmeister 1 f[l] 50 x verlangte und der Gerichtsdiner sagte er werde melden uneinbringlich wegen Mangel an Dekung, noch schike ich übrigens auch den 1 fl 50 x nicht, ich denke daß auch daß einschläft. Wir sind nun heute schon 14 Tage in der großen Hofwohnung weil die Wohnung der Eltern gemalen und der Fußboden mit Öhlfarbe gestrichen wurde, diese Woche werden wir wider zurük gehen. Gestern wurde die Partere Wohnung für den jährlichen Mithzins für 140 fl und Zinskreuzer einschließlich dem Magazin vermithet und darauf eine Handlung errichtet der Schwigersohn des Hr Csabek262 aus Wien wird dieselbe übernehmen, vielleicht ist das für uns ein günstiges Omen. Hansi ist seit ein paar Tagen wider unwohl Husten, Heiserkeit und Schnupfen. Donerstag machten wir eine Parthie nach Grafenegg, der schöne Park ist heuer etwas vernachläsigt aber das Glashaus prachtvoll. Krems am 31/July 1877. Heute übernimmt Johann wider ein Geschäft Rennweg No 80 ein Friseur Geschäft263 es wurde ihm von seiner Schwester verschaft welche sich jetzt da seiner Noth am höchsten waren die für den Personenverkehr wichtigsten Straßen Wiens mit Schienen versehen. Die Arbeitsbedingungen bei der Tramway wurden zeitgenössisch heftig diskutiert: Kutscher und Kondukteure arbeiteten im Durchschnitt 17 Stunden täglich, bei einem freien Tage pro Woche. Bei Verspätungen wurden „Straftouren“ verhängt, so dass oft auch an freien Tagen Dienst zu tun war; vgl. Maderthaner/ Musner, Die Anarchie der Vorstadt, 168f. 261 H. F. – Henriette Falk (Beer). 262 Schwigersohn des Hr Csabek – Karl/Carl Reisenhofer (geb. 13. 8. 1854); vgl. DASP, PfA Krems St. Veit 2/27, Trauungsbuch 1863–1878, Fol. 349, Nr. 64. 263 Von dieser Übernahme des Friseursalons waren keine amtlichen Spuren zu finden. Laut Branchenverzeichnis liefen 1877 und ’78 zwei Geschäfte auf Wenzel Stawinoha – neben jenem am Rennweg 63 ein weiteres an der Landstraßer Hauptstraße 113; 1879 waren beide Geschäfte auf Marie Stawinoha eingetragen und dazu noch eines am Rennweg 80. Im Jahr darauf führte sie – jedenfalls laut Adressbuch – nach wie vor drei Salons, nur statt Rennweg 63 nun Rennweg 77 (daneben noch jenen auf Nr. 80); das blieb bis 1887 so, in diesem Jahr ließ sich auch Wenzel Stawinoha wieder eintragen – mit einem Friseursalon am Rennweg 68; vgl. Lehmann der genannten Jahre. Der Rennweg ist eine der größten Straßen im III. Bez. Im Zuge der ersten Stadterweiterung wurden die Vorstädte Erdberg, Landstraße und Weißgerber 1850 zum Bezirk Landstraße zusammengefasst und in den beiden darauffolgenden Jahrzehnten großstädtisch ausgebaut; vgl. Czeike, Historisches Lexikon Wien, Bd. 3, 675f.

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war seiner annahmen er ließ mich 3 volle Wochen ohne jede Nachricht Ursache war daß er seit 29 Juni von der Tramwai wider weg ist, das Landesgericht ließ ihm wegen der 3 Tage Arrest polizeilich verfolgen und er bekam deshalb seine Entlassung, er hatte nicht den Muth uns dieses neue Mißgeschik mitzutheilen und wendete sich an seine Schwester die sich nun seiner annahm hätten sie das früher gethan wäre es vieleicht nicht so weit gekommen, jetzt hat Johann Hoffnung sich wider zu erholen, heute also fängt ein neuer Abschnit unsres viegeprüften Lebens an wie werden die Fortsetzungen sein und wird ein guter Schluß in Aussicht stehen ich hab gar nicht viel Hoffnung ich bin zu oft getäuscht. Johann wird mich bald besuchen, da werde ich näheres darüber schreiben. 28 d. M. habe ich mir eine Nähmaschiene zu 50 fl gekauft Viktoria Original ich habe recht große Freude daran, und werde mir manchmal verdinen damit. Ich arbeitete auch bis jetzt was ich erhielt um etwas zu verdinen. Im übrigen verläuft mein Leben so ruhig als möglich unsere Erholung und Vergnügen ist Kegelschieben auf der in unseren Garten errichteten Kegelbahn. Hansi geht heute zum letzten Mal in [den] Kindergarten dann hat er 1 Monat Ferien, er ist recht brav lernt gut und ist meine ganze Freude, ausgehen thun wir wenig, auf 2 Tage waren wir in Senftenberg264 wo es in den Wäldern prachtvoll ist. Mein Schiksal ertrage ich jetzt mit stoischer Ruhe, fast möchte ich sagen mit Gleichgiltigkeit, Weit gebracht. Krems am 8 August 1877 Mein Mann zeigt mir im letzten Brief an daß das Geschäft 350 fl gekostet hat der Zins ist ¼ jährlich 72 fl 35 x es ist ein Zimmer und Küche dabei das Geschäft soll nett eingerichtet [sein] er hat 2 Gehilfen und Johann ist Lehrjunge er drängt mich zu einen Entschluß, ich kann keinen fassen, ich fürchte mich es ist ein Geschäft welches einen Mann viel zu viel freie Zeit läßt was der Anfang anderer Übel sein kann, ferner fürchte ich den Einfluß seiner Schwester Maria, schon als wir noch in Josefstadt waren, stiftete sie vielen Verdruß, und da waren wir doch vollkommen unabhängig von ihr, wie jetzt wenn wir durch Dankbarkeit gezwungen sind uns vieles gefalen zu lassen man wird mich wohl nicht aufalend insultiren, aber es gibt Nadelstiche die einen Menschen tödten können und, sie ist eine geübte Nöhterin, auch hat sie ja umsomehr Groll auf mich da der Briefwechsel mit Sebastian und jetzt mein Schweigen auf seine Briefe, außerdem noch daß ich Leni forderte, im Hintergrunde sind, ich vergesse wider daß nicht was sie schon Schuld hatte an anderen, und kann auch nicht begreifen wie Johann alles vergessen haben kann denn sie hat ihm doch schon arg mitgespielt, freilich im blieb keine Wahl als die nächste beste Hand zu ergreifen die sich ihm entgegenstrekte aber ich fürchte es wird keine guten Folgen haben möchte ich mich täuschen. Auch ist es kein Spaß jetzt hat der Transport der Möbel hieher soviel Geld gekostet und jetzt soll ich alles wider hinunter transportiren wer soll es zahlen, und wird es von Dauer sein 264 Senftenberg – Markt nordwestl. von Krems; der Ort verzeichnete 710 EinwohnerInnen. Auf einem Felskegel über Senftenberg steht eine Burgruine (Ruine seit 1645); vgl. NÖA 1876, 233f.





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werde ich nicht am Ende alles verlieren nachdem ich es so mühsam gerettet. Ich habe große Angst. Krems am 18 August 1877 Glükliche 3 Tage seit 15 ist Johann hier, heute wider abgereist, o wie lieb hatte er mich, Verstellung wäre undenkbar, seit langer, langer Zeit war ich nicht mehr so glüklich, gestern waren wir in Langegg o so froh und zufrieden, er ist voll Hoffnung das Geschäft geht gut und soll noch besser werden wie sehnt er sich nach mir ich soll nur bald kommen. Schwägerin Maria soll ganz verändert sein auch das nähen aufgegeben – haben. Es wurde beschlossen daß ich Anfangs September mit den nöthigsten versehen nach Wien kommen solle, die Eltern befürworten es, Hansi beibt hier. Meine Aufgabe ist das Häusliche und wenn ich Zeit habe im Geschäfte helfen auch werde ich bei Maria das Damenfrisiren lernen. Er hat 2 Gehilfen einen Ungarn mit 25 fl Salair und einen Serben mit 16 fl und Frühstük und Mittagmahl, weiter gar nichts im Haus. Also heißt es ein neues Leben beginen, ich habe Hoffnung und bin resignirt vieleicht geht es damit besser. Krems am 25 August 1877. Ein Brief wie Johann sich freut nach mir und drängt daß ich möglichst bald kommen soll ich werde es thun, diese Woche werde ich die nothwendigsten Sachen aufgeben, 3ten oder 4ten abreisen, Anfangs wird es es mir schwer werden anzugewöhnen da ich hier alles wieder zurüklassen muß aber Johann verspricht ja so viel, vieleicht werde ich doch noch glüklich. Wien am 5 November 1877. Heute sind es 2 Monate daß ich hier bin und schon wider scheint ein Wendepunkt eintreten zu wollen, Vater kam dieser Tage am 2 d. M. und stellte uns frei ob wir das Geschäft im Vaterhause übernehmen wollen oder nicht, es ist dieß das Spezerei Geschäft von welchen ich Seite 111 geschrieben habe durch die Streitigkeiten in dieser Familie ist das Geschäft gestört und sogar gerichtlich gespert worden und jetzt wäre daher die Möglichkeit dieses Geschäft unter günstigen Bedingungen zu erhalten, und die Eltern möchten uns es daher verschaffen, Vater wollte alles kaufen und wir müßten ihm dan die Interessen265 bezahlen, es sollte heute den 5ten 1 Fei[l]biethung266 sein, da aber kein Telegram Johann dazu berief so wird die Feilbiethung sistirt267 sein, dieß muß uns erst brieflich bekannt gegeben werden, mein Mann entschloß sich gleich es anzunehmen obwohl uns um unser Geschäft hier auch sehr leid ist, es ist kein glänzendes Einkommen wo sich ein Vermögen verdinen läßt, dafür aber eine ruhige und denoch sorgenfreie Existenz, wir haben fast ausschließlich mit feinen Leuten zu thun, ich habe schon mehrer Lektionen genomen im Damenfrisiren um auch zu verdinen und hab auch schon durch Lokenschignon268 brennen etwas verdint, die Haararbeiten 265 266 267 268

Interessen – Zinsen. Feilbiethung – Versteigerung. sistirt – sistiert, unterbrochen, vorläufig eingestellt. Lokenschignon – Lockenschignon, ein in Locken gelegtes Haarteil.

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fangen auch an zu gehen denn unser Vorfahrer hat keine gemacht und außerdem hat Johann wider angefangen zu kolportiren wo er auch schon einige Gulden verdinte, dieß alles sichert uns ein ruhiges Leben, nur leiden wir durch die Abhängigkeit von Maria weil wir dadurch gezwungen sind ihre Launen geduldig zu tragen dieß aber wäre bald überstanden weil uns Vater in Falle wir das Geschäft in Krems nicht übernehmen wollten das Geschäft hier auszahlen würden.Von diesen Standpunkt aus trennen wir uns hier schwer, auch Wien an und für sich ist mir unersetzlich, anderseits aber ist das bei den Eltern sein sehr viel Werth im Vaterhause sein ohne Steigerung oder Kündigung befürchten zu müssen zu den billigen Zins, dabei in jeder Art Hilfe und Stütze von den Eltern zu haben, auch so werde ich wohl im Geschäft thätig sein müssen, aber mehr in dem Häuslichen pousiren,269 dann dahs Johann wider in seinen Elemente ist er ist wieder Chef wider Kaufmann und hier muß er von den Leuten abhängen. Dafür fürchte ich wider ob nicht zwischen Johann und Vater Mißheligkeiten eintreten, die dem Leben das angenehme entziehen, das muß ich eben abwarten dagegen läßt sich nichts machen, es ist übrigens noch nicht so bestimmt da heute die Feilbiethung jedenfals sistirt wurde, so ist alles noch sehr unbestimmt, dieses Geschäft wird Maria zurüknehmen und es selbst nebst den Ihrigem behalten, sie thut es anstandslos, und gibt Johann Recht wenn er es übernimmt, die 2 Gehilfen welcher jeder pr. Monat 22 fl hat außerdem Frühstük, und Mittagkost, Sontag Braten und Biergeld, sind beide Serben und anständige junge Leute, denen gewiß leid sein würde den Maria ist bei den Leuten nicht beliebt. – Über Hans muß ich noch schreiben, daß ich ihn Mitte September von Krems holte daß er sich hier schnell heimisch fühlte und gerne hier ist, überdies wird er jetzt sehr schlimm. Das Reden der Leute in Krems fürchte ich schon wider den sie sind gar so böse, am Ende heißt es wir sind schon wider fertig und müssen froh sein oben sein zu dürfen, dieß wäre bitter, daß die Kremser uns alles gerne in die Schuhe schieben zeigt dieß das die ganzen Streitigkeiten zwischen Reisenhofer270 und Csabek271 auf Johann und Vater kamen, sodas letzterer gezwun gezwungen wurde eine öfentliche Erklärung in die Blätter zu geben, (welche beiliegt).

269 pousiren – poussieren bedeutet vorwärts treiben, fördern (auch: eine Frau hofieren). 270 Reisenhofer – Karl Reisenhofer hatte im Haus Anton Teuschls, erst im Juni 1877 eine „Specerei-, Colonial-, Material-, Farb- und Kurzwaren-Handlung“ eröffnet. Schon im November desselben Jahres wurde ein „gänzlicher Ausverkauf von gut sortierten Spezerei-Waaren, sowie kleinen Gewölbseinrichtungsstücken unter dem Einkaufspreise“ inseriert; vgl. KWB, 22, 24, 16. 6. 1877, 8 u. 22, 45, 10. 11. 1877, 11. 271 Csabek – Joseph Cžapek; seine Tochter Maria Cžapek (geb. 31. 1. 1855) hatte am 10. 9. 1876 den aus Wien Leopoldstadt kommenden Kaufmann Karl Reisenhofer geheiratet; vgl. DASP, PfA Krems St. Veit 2/27, Trauungsbuch 1863–1878, Fol. 349, Nr. 64.





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[Erklärung!] Entgegen den verschiedenen böswilligen Gerüchten, als hätte ich meinen Herrn Schwiegersohn thätlich mißhandelt, [u.] muß ich hiemit entschieden erklären, daß ich mit den leider in meinem Hause vorkommenden Streitigkeiten in gar keiner Beziehung stehe. Streitigkeiten mit meinem Schwiegersohn in meinem Hause können überhaupt nicht vorfallen, da derselbe in Wien stabil ist. Die vorkommenden Streitigkeiten in meinem Hause finden nicht in meiner Familie, sondern bei einer anderen Parthei statt. Anton Teuschl Hausbesitzer Krems, ob. Herzogsstraße 70.272 Entgegen den verschiedenen böswilligen Gerüchten, als hätte ich meinen Herrn Schwiegersohn thätlich mißhandelt, muß ich hiemit entschieden erklären, daß ich mit den leider in meinem Hause vorkommenden Streitigkeiten in gar keiner Verbindung stehe, da mein Hr. Schwiegersohn in Wien stabil ist, und erkläre hiemit öffentlich, daß die Szenen nicht in meiner Familie sondern zwischen Hrn. C z a p e k und seinem Schwiegersohne R e i s e n h o f e r , welche in meinem Hause wohnen, vorgekommen sind. Anton Teuschl Hausbesitzer in Krems, 70.273 Jetzt heißt es abwarten dann werde ich näheres einschreiben. Mit Johann lebe ich recht glüklich, er ist brav, sparsam und herzlich gut, und ich mache daher meine ganze Arbeit obwohl allein denoch gerne, lästig ist nur alle Wochen die viele Wäsche. Dinstag Am 6 November 1877 Wien Ein Brief von den Eltern zeigt uns an daß gestern Lizitation war, und daß Csabek alles um den Schätzungswerth erstanden hat, Johan soll gleich hinauf fahren damit er Mitwoch den ganzen Tag Zeit hat alles durchzusehen und die Preise abzuschließen. Johann ist mit dem Abendzug abgereist und erwarte daher Näheres. Wien 7 November 1877 Heute ließ ich mir Karten legen, daß erste war daß eine große Veränderung ganz gewiß bevorsteht, daß wir ein Geschäft allein haben werden daß mein Mann treu und 272 Diese Anzeige erschien im „Kremser Wochenblatt“; in eckigen Klammern dem Original entsprechende Ergänzungen; vgl. KWB, 22, 40, 6. 10. 1877, 9. Derartige Inserate waren keine Seltenheit: So wurde vor BetrügerInnen und eigenen Söhnen oder Müttern gewarnt, für deren Schulden die Inserierenden nicht aufkommen würden, peinliche Aussagen wurden widerrufen und – wie im Fall Anton Teuschls – kursierenden Gerüchten widersprochen. 273 Die Zeitungsausschnitte befinden sich nicht mehr im Tagebuch; Helmut Hörners Transkript aus 1977 liegen sie in Kopie bei.

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liebevoll gegen mich ist, daß ich 3 Kinder bekommen werde 1 und 2. Knaben 3 ein Mädchen, daß wir traurige Zeiten durchgemacht haben daß wir aber alles überwunden haben (und sonderbar daß ich alles verziehen habe) daß uns jetzt eine glükliche Zukunft bevorsteht und meine Wünsche in Erfüllung gehen, daß wir beide alt werden und so leben bis unsere Kinder versorgt sein werden, daß Unglük weicht von uns auch die Krankheit naht uns nicht, alles andere habe ich mir nicht gemerkt, ich glaube nicht an derlei Sachen, nur deß Spaßes wegen habe ichs gethan. Vor kurzen kam eine Zigeunerin ins Geschäft sie wollte sich schröpfen lassen, da daß nicht sein konnte, also durchaus wahrsagen, sie las aus den Linien meiner Hand: daß ich schon sehr unglüklich war, und mein Leben lang nicht vollständig glüklich sein werde, daß ich 2 Feinde habe, und daß wir beide alt werden 90 Jahre daß sowohl ich als Johan sehr aufgeregt aber gleich wider gut sind, daß ich nicht viele Kinder bekomme, dann sagte sie wider 5, ich konnte überhaupt aus ihren Kauderwelsch nicht klug werden, obwohl sie in einen fort sagte, versteh sie mich, ich sagte ja und war froh sie los zu werden, mir wurde fast unheimlich, Johan und Wasa wehrten sie ab. Wien am 8/11 1877 Johann kehrte unverrichteter Sache heim, er konnte kein Geschäft machen, Csabek fordert den doppelten Preis darauf ging Johann nicht ein, so wurde es nichts. Am 9/11 1877. Ein Brief der Eltern zeigt uns an daß sie Csabek gekündet haben, und daß sie die Gewölbseinrichtung sammt Thür und Fensterbalken um 150 fl gekauft haben, ferner daß Csabek Ausverkauf macht und daß die Eltern nicht glauben das Csabek die 3 Monate aushalten wird Außerdem schreiben sie daß sie sich schon sehr freuen wenn wir alle beisamen sein werden, sie sagen wir werden uns nicht mehr nach Wien verlangen. 12 November 77 Traurige Nachricht, Schwigervatter ist gestern Abend gestorben,274 Morgen Vormittag ist die Leiche, Johann und Schwägerin Maria sind heute mit den Abendzug abgereist. Friede seiner Asche er war ein braver Mann. Wien 4 Dezember 1877. Mein heuriger Namenstag war ungleich freudiger wie der letzte, an Präsenten erhielt ich von den Eltern eine Kiste verschiedener Eßgegenstände, wie eine Änte, eine Henne, Butter, Birnen & Äpfel und Selchfleisch, von Friedrich Marie ein gestiktes Serviettenband, von Schw. Maria eine Torte, Briefe: von den Eltern, Karten: Perzl Frl, Friedrich s. Fr., Friedrich Marie, Hr. Fr. Christian,275 detto Hofer, detto Beer, Fr. Habersohn,276 274 Sebastian Baumgartner ist 74-jährig an einer Lungenentzündung gestorben; vgl. PfA Fallbach, SterbeProtokoll E, 1835–1886, Fol. 107. 275 Hr. Fr. Christian – wahrscheinl. sind Katharina und Johann Christian, „gewesener Hausbesitzer u. Landkutscher“, aus Krems gemeint. Barbara Baumgartners Jugendfreundin Leopoldine Pammer hatte am 22. 9. 1874 deren Sohn Johann Christian (geb. 17. 1. 1843), Magistratsbeamter in Wien, geheiratet; vgl. DASP, PfA Krems St. Veit 2/27, Trauungsbuch 1863–1878, Fol. 293, Nr. 64. 276 Fr. Habersohn – Emilie Haberson; Emilie Kerbler (vgl. Anm. 152) heiratete am 18. 5. 1875 Emil v. Haberson (geb. 9. 2. 1845), k. k. Oberleutnant aus Wien, Josefstadt. Es könnte auch dessen Mutter,





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Christian Leopoldine & Rosalie, und mündliche Glükwünsche, Abends ging ich ins Josefstädter Theater. Wien am 25 Jänner Tödtliche Feindschaft herscht jetzt zwischen mir und Fr. Stawinoha, die langst vorausgesehene Krise trat ein, die Saiten waren schon zu straff sie mußten brechen, wir hatten uns die Sache überlegt daß wir nach Krems gehen war bestimmt wir wollten jedoch dieses Geschäft behalten und für die schlechte Saison regresiren, daher verpachten und von diesem Geld in Krems die Interessen an Vater bezahlen es waren auch 13 Pächter hier die das Geschäft durchaus wollten, an Fr. St. hatte Vatter das Geld gezalt und wurde ein Kontrakt abgeschlossen, jetzt erfuhr sie daß wir solche Pläne haben und kam wie eine Furie zu uns ich war krank und kaum aus dem Bett sie fing mit mir heftig zu streiten an, ich hatte schon zu viel von ihr ertragen und zalte ihr mit gleicher Münze, ich sagte ihr daß das ihr Groll sei weil sie unser friedliches Leben nicht sehen könne, weil sie mit ihren Mann nicht lebe, warf ihr, ihr karakterloses Vorleben for, sie wollte eine Schrift worin ihr das Geschäft zurükfällt, ich sagte ihr das hätte sie in den Kontrakt setzen sollen da nante sie mich schlecht spukte 3 mal vor mir aus und flog zur Thüre hinaus ich rief ihr nach sie solle schauen daß sie hinaus komme sonst werfe ich sie hinaus, worauf sie zurük wollte ich warf ihr jedoch die Thüre vor der Nase zu, nachmittag kam sie nochmals und wollte abermals anfangen, ich sagte jedoch mit eisiger Ruhe, mit ihnen habe ich gar nichts mehr zu sprechen und schloß die Zimmerthür worauf sie wüthend fortging dies waren die letzten Worte welche wir wechselten, und wahrscheinlich fürs Leben, wir überlegten wie es am besten sei und da wir von den Hausherrn keinen Kontrakt erhalten konnten so fürchteten wir da sie alle Hebel in Bewegung setzte um das Geschäft zu bekommen sie könte vieleicht den Inspektor spiken277 und wir die wir nicht in Wien sind eines Tages die Kündigung erhalten, dann hätten wir dieses Geld abermals verloren, wir waren ihr noch 120 fl schuldig für das 1te Zinsviertel das andere was sie Johann gegeben, ich sagte ihm wenn sie diese Schuld quittiert das andere aber baar bezalt soll sie das Geschäft haben, sie ging darauf ein, da {sie} das Geld jedoch nicht hatte stellte sie Vater einen Wechsel aus. Sie ließ die Schuld aber in ihren Buch eintragen u nach ihrem Tod mußten wir alles nochmals bezahlen.278 Krems am 7 Februar 1878 Heute Abend sind wir mit Sak und Pak in Krems angekommen, der liebe Gott segne unser Vorhaben, damit wir nicht nochmals vom Unglük verfolgt werden.

Josepha v. Haberson, Ehefrau eines k. k. Majors in Krems, gemeint sein; vgl. DASP, PfA Krems St. Veit 2/27, Trauungsbuch 1863–1878, Fol. 312, Nr. 32. 277 spiken – spicken, durch Geschenke parteiisch machen, bestechen. 278 Der letzte Satz wurde mit Bleistift in den freien Raum zwischen letzter Zeile und der nächsten Datumsangabe eingefügt.

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Krems am 18 Februar 1878. Heute haben wir das Geschäft erröfnet 10 volle Tage mußten wir fleißig arbeiten bis alles fertig war, es ist aber jetzt recht nett, Johann hat Freude am Geschäft und wir hoffen auf ein Gelingen.279 Krems am 26 Februar 1878. 3 Wochen sind wir schon hier recht gut angewöhnt das Geschäft geht für den Anfang nicht schlecht. Die Wohnung ist freundlich wir sind jetzt in denselben Räumen wider in denen wir {ich} wohnte mit den Eltern als Mädchen wo ich Johann kennen lernt und wo ich schon so viel Freud und Leid erlebte was in diesen Buche getreu geschrieben ist, daß ich ja hier begonen habe und wenn der liebe Gott will auch hier beenden möchte, Hans ist am glüklichsten, er hat jetzt alle seine Lieben beisammen, auch wir sind so weit glüklich bis auf den Verdruß den Fr. St. uns noch fortwährend bereitet. Vater will sein Geld statt dem schikt sie grobe Briefe, dieser Tage schikte sie an mich einen unfrankirten welchen ich aber schönstens mit ihrer Adreße versehen uneröfnet zurükschikte, soll ich vieleicht für Grobheiten noch zahlen? Ich werde mir die frankirten nicht länger gefallen lassen. Johann ist heute nach Wien gefahren, er wird versuchen das Geld auf guten Wege zu erhalten wenn nicht muß sie geklakt werden, das letztere zieht sich aber wider eine Zeit lang hinaus, und Vater dringt schon darauf, er bereitet uns böse Stunden den an allen haben doch bekantlich wir die Schuld obwohl er wie er handeln hätte sollen weder geredet noch etwas gethan hat, er läßt eben stets andere handeln um billig Vorwürfe machen zu können. Vom ersten März an haben wir uns geeinigt zahlen wir für Zins und Interessen 17 f 10 x für Frühstük zahlen wir auch, Mittagessen zahlen die Eltern und 80 p.T. die Spezereisachen auf Buch wird dann pr Monat von unsern Zahlungen abgerechnet, dinstbare Geister haben wir bis jetzt noch nicht, später werde [ich] mir ein billiges Mädl nehmen. Wir waren schon auf einen Ball hier und gehen diese Woche noch einmal für diesen Fasching jetzt bin ich auch wider gesund. Krems. 18 November 1878 Diesen Datum starb Tante Dambök 78 Jahre alt an Altersschwäche. 20. d. M. war die Leiche. Anwesend war Vater Mutter, ich und Hans, Vater hat an ihr seine Lieblingsschwester verloren, auch wir hatten sie sehr lieb gehabt. Krems 28 Dezember 1878280 Unser guter Vater ist todt. Entsetzliches Unglük daß uns betrofen. Sontag den 22 Abend ging er wie gewöhnlich ins Gasthaus meistens kam er um ½ 8 uhr nach Hause um mit 279 Per Inserat suchte Baumgartner einen Lehrling: „Als Lehrjung wird ein Knabe aus einem ordentlichen Haus vom Lande aufgenommen bei Johann Baumgartner, Kaufmann, obere Herzogstraße Nr. 70 in Krems.“ KWB, 23, 7, 16. 2. 1878, 7, und bewarb das Geschäft: „Eröffnungs-Anzeige. Ich erlaube mir, dem P. T. Publikum die ergebenste Anzeige zu machen, daß ich das Specerei-, Material- & Farbwaaren-Geschäft vormals Reisenhofer im Hause des Anton Teuschl, obere Herzogstraße Nr. 70, seit 18. d. M. wieder eröffne und strengstens Sorge tragen werde, alle P. T. Kunden mit guter und billiger Ware zu bedienen. Um recht zahlreichen Zuspruch bittet Hochachtungsvoll J. Baumgartner“; ebd., 11. 280 Das Datum ist in doppelter Schriftgröße geschrieben.





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uns zu Nacht zu essen und dan wurde Karten gespielt oft bis 10 o ½ 11 uhr. Johan und Mutter mit ihm, während ich und Hans schlafen gingen daß geschah fast täglich, diesen Tag jedoch verzichtete er auf das Nachtessen weil er sich so gut unterhielt um ¼ 11 Abends ging er nach Hause am Ek des Salzburgerhofes281 als er um die Eke gehen wollte rutschte er aus, fiel und es gab ihm beim Knöchel einen Brener glaubend er habe sich den Fuß überstaucht richtete er selbst sich denselben gleich und versuchte aufzustehen der Fuß kipte um und er stü{r}tzte neuerdings und rief um Hilfe darauf wurde er durch 3 Männer nach Hause getragen unser Schreken läßt sich nicht beschreiben, als die Mutter von ihrer Wohnung in die unsere Leutete flog ich nur mit den Hemd bekleidet hinauf, Johan zog ihm den Stifleten (er hatte sie zum ersten mal an) aus, gleich darauf kam Doktor Duschek,282 versuchte unterstützt von 2 Männern den Fuß einzurichten fand aber es unmöglich da die Capsel sowie Bänder zerissen waren. Darauf hollte er den Doktor Sauer,283 worauf beide zusamen einen Verband anlegten und erklärten den nächsten Tag abzuwarten. Montag früh kamen beide Dokt. wider und sagten daß die Amputation unumgänglich nothwendig sei, und gaben sich die Stunde derselben ½ 4 uhr nachmittag! Vater litt schreklich und sagte wenn er in Wien wäre würde ihm gewiß der Fuß nicht abgenomen werden und er würde geheilt, denn auch im Jahre 70–71 wo er mit seiner Augenkrankheit 4 Doktor consultirte wurde ihm nicht geholfen und Prof. Arlt reps. Asistent Bergmeister Otto, heiltem ihn in 4 Wochen, so war es kein Wunder daß er in dieser schreklichen Lage sein ganzes Vertrauen auf einen Wiener Profesor setzte, auch uns war der Gedanke einer Amputation schreklich und um ihm den Fuß zu retten uns selbst aber keine Vorwürfe zu machen beriefen wir telegrafisch Prof. Dumreicher,284 Doktor Saurer welcher das telegrafieren übernahm, berief im Verhinderungsfalle Prof. Dumreichers, Profesor Mosetig Ritter von Moorhof285 nach Krems, mit schmerzlichen Zagen erwarteten {wir} die Rükantwort dieselbe kam erst Abends zirka 4 uhr und lautete Prof. Dumreicher verhindert, komme mit den Abendzug Mosetig von Morhof. Doktor Sauer richtete nun für alle Fälle auf 3 Tischen sämmtliche Besteke und möchte sagen Mordinstrumente her 5 Flaschen Cloroform, für 3 fl Schwäme, zahlose Hand und andere Tücher etz. Der arme Vater mußte dieses

281 Salzburgerhof – Gebäude des Stiftes St. Peter in der Hohensteinstraße 31. 282 Doktor Duschek – Johann Tuschik, Wundarzt in Krems; vgl. NÖA 1876, 228. 283 Doktor Sauer – Johann(es) Bapt. Sauer (1848–1934), Schüler des berühmten Arztes Theodor Billroth (vgl. Anm. 338), wurde 1876 aus Wien nach Krems berufen, um die chirurgische Abteilung des Krankenhauses zu leiten; vgl. Frühwirth, Die Doppelstadt Krems-Stein, 200f. Sauer war auch k. k. Gefangenenhausarzt; vgl. Praetorius, Österreichischer Medicinal-Schematismus, 59. 284 Prof. Dumreicher – Johann Heinrich Dumreicher Freiherr von Oesterreicher war Doktor der Medizin, Chirurg und „diplomirter Zögling des Operateur-Instituts“; er betrieb eine Ordination in Wien I; vgl. NÖA 1876, 431. 285 Profesor Mosetig Ritter von Moorhof – Albert Mosetig Ritter von Moorhof war ebenfalls Chirurg, auch Operateur und Geburtsarzt. Er praktizierte in Wien I und war Primar im K. K. Krankenhaus Wieden in Wien IV, dort leitete er die Chirurgie; vgl. NÖA 1876, 425, 435.

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alles mit ansehen und mußte diese Ansicht und Aussicht bis Mitternacht ertragen, wir zitterten und fieberten vor Angst, wie mag erst den armen Mann zu Muthe gewesen sein, um ¼ 10 kommt der Zug Dokt. Sauer hollte ihn mittelst Wagen von der Bahn ab und führte ihn in seine Wohnung wo sie gemüthlich punschirten als ob es keinen schwerkranken der Angstschweiß schwitzte gar nicht gebe, Dokt. Tuschik286 wartete schon eine Stunde als mein Mann zu Sauer lief und dringend bat, dan ließen sich die Herren endlich herbei zu kommen, der Prof. Mosetig hatte weder freundliche noch liebe noch tröstende Worte, weder für den Patienten noch für die Familie er ist ein äußerst verschlosener mürischer Carakter, er unterzog den Kranken auch durchaus keiner genauen Untersuchung, sondern schien sich im Voraus mit Sauer geeinigt zu haben daß das beschlosene Sache sei, nach langen herumschiken und besprechen nichtiger Dinge, und unter Beiziehung Dokt. Ott287 wurde endlich nach Mitternacht die Stunde weiß ich nicht genau mit der Amputation begonen, Doktor Ott narkotisirte Vater und dann began die Blutarbeit, wir waren alle im 2ten Zimmer ich stand bei der Glasthüre und sah den ganzen Vorgang, zuerst wurde der ganze Fuß fest gefascht um das Blut zu entfernen dan fest abgebunden und die Fatschte entfer{n}t dan wurde die Haut rund heraus geschniten am selben Waden zuletzt durchgeschnitten was ich nicht so gut sehen konte dan das Bein durchgesägt, während all diesen war Vater sehr unruhig und sprach laut und viel, oft so viel daß er unverständlich wurde, man konte hören daß der Schmerz aus ihm sprach obwohl er kein Wort davon erwähnte. Sein Reden war schreklich zum anhören nicht die Worte, aber der Ton. Dieß alles leitete Dokt. Sauer, erst das Unterbinden sämmtlicher Adern machte Mosetig während dieser Prozedur lag Vater in ruhigem Schlaf beim Vernähen der Wunde sowie der Anlegung des antiseptischen Verbandes war er wach äußerte jedoch keinen Schmerz er wollte {bei} der Amputation keinen Schmerz gefühlt haben, nahm dan etwas russischen Thee, und schlumerte weiter, alle 3 Stunden bekam er Pulver betäubende so lag er fortwährend schlumernd, zeitweise fantasirend aber auch wider für kurze Augenblike ganz bei sich besonders wenn man ihn ansprach. Da bis Dokt. Sauer verlangte für Mosetig eine Sume von 250 fl und als wir erklärten nicht so viel im Hause zu haben, bestand er wir sollen es uns verschaffen gleich viel woher, Mutter hielt sich auf sagte daß sei nicht möhglich für ein paar Stunden soviel Geld, und doch keinen Fuß u. s. w. war er sehr grob, sagte Mutter solle ruhig sein und kein Wort mehr reden nante uns verükte Greteln u.s.w. wir gaben ihm 50 fl und 100 fl den andern Tag, um ½ 3 uhr Morgens gingen die Doktoren fort, früh kamen Sauer und Tuschik sein Zustand am Morgen war gleich und zwar befriedigend, Nachmittag klagte er wider über starke Schmerzen, Sauer brachte den Fuß in eine andere Lage worauf die Schmerzen nachließen, nachträglich zeigte 286 Dokt. Tuschik – vgl. Anm. 282. 287 Dokt. Ott – der Chirurg Anton Ott war der Kremser Stadtphysicus. Er erfüllte damit Funktionen der späteren Gesundheitsämter sowie gerichtsmedizinische Aufgaben und überwachte außerdem die Kremser Hebammen; vgl. NÖA 1876, 228.





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sich auf den Verband ein Blutflek & Dokt. Duschik welcher nach Sauer Visite machte, fand diesen Flek nicht aufällig, im Laufe der Nacht vergrößerte sich der Flek und als am Morgen Mitwoch des 25ten seit Abend {Cristtag} Dokt. Sauer den Flek sah erschrak [er] beorderte Duschik um ½ 12 Mittags wo sie dann den Verband welcher wenn die Blutung nicht eingetreten wäre 8 Tage unberührt geblieben wäre, löstten und sogar sämtliche Häfte wieder aufschnitten das Blut war tintenartig und roch penetrant am Waden zeigten sich Brandfleken, die Gefahr sehr groß die Hoffnung nur mehr wenig, das Versehen wurde angeordnet,288 Direktor Kinzl besuchte ihm und brachte es Vater bei er erwachte nur für kurze Augenblike aus seinen Schlumer, es war ihm recht, Abends ½ 6 uhr reichte ihm Hochwürden Hr Walzer289 die heil. Sakramente und letzte Ölung welche er alle bei vollen Bewußtsein empfing, nachdem alles vorüber schlief er wider ein. Donerstag den 26 war sein Zustand ziemlich gleich nur war ein Verfall der Kräfte zu bemerken. Freitag Vormittag war er eine halbe Stunde bei ganz klarer Vernunft sprach mit uns fragte wie lange die gefährlichen Tage des Wundfiebers dauern, fragte ob ihm nicht die Doktors schon aufgegeben haben, lobte Hansi daß er so brav sei, der ihm sein Flechtblatt290 zeigte, klagte aber auch über heftige Schmerzen, darauf verfiel er wider in Fantasien, welche durchwegs angenehmer Natur waren, er rauchte, spielte Karten, pfiff und machte Witzte, oder er war bei seinem Geschäft im Weingarten oder im Garten, unangenehm hatte er gar nicht außer bei der Operation. er sprach in einer Tour und gestikulirte dabei wie es auch früher seine Gewohnheit war. Diese Nacht schlief ich ein par Stunden da ich die übrige Nächte nur in {der} Frühe ein par Stunden schlief Mutter, Rötzer Resi u Johan waren bei ihm da wurde seine Stimme immer schwächer seine Zunge immer schwerer, Zuk[er] Limonade und Pulver spukte er aus, sprach aber noch immer doch schon unverständlich, da sagte er plö[z] tlich mit einen eigenen Ausdruk Meine Kinder, worauf sie mich riefen ich sprang auf um ½ 1 uhr, wir beteten, doch versagte uns oft die Stimme dan riefen wir die Perzl Bebi er machte einige tiefe Seifzer verzog zweimal schmerzlich das Gesicht und alles war vorüber um ½ 2 uhr früh den 28 Dezember Samstag war er verschieden. Gott sei ihm gnädig er hatte Fehler aber kein Mensch ist frei davon. Er war ein braver Mann. Fr. Winkler und ihr Sohn zogen ihm an sein abgeschnitener Fuß welchen sich Dokt. Sauer im Krankenhaus abzeichnete wurde ihm beigelegt. Samstag früh wurde ihm das Zügenglöklein geläutet, Vormittag wurde er aufgebahrt, Abends 10 uhr mußte jedoch der Sarg geschlossen werden, da bei Nase und Mund sowie aus der Wunde starkriechende Flüssigkeit austrat [welches] weßhalb auch schon Sontag den 29 die Leiche

288 Versehen – das Versehen mit der „Letzten Ölung“, dem Sterbesakrament. 289 Hr Walzer – Joseph Walzer, Cooperator in Krems; vgl. NÖA 1876, 233. 290 Flechtblatt – eine Bastelarbeit aus in Streifen gestanztem buntem Papier. Bauspiele und Basteln (Flechten, Falten, Ausschneiden, Zeichnen etc.) sollten in den Kindergärten nach Fröbel (vgl. Anm. 242) den „Übergang vom Spiel zu ernsterer Beschäftigung“ anbahnen.

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war. Er hatte halb Condukt291 und der hochwürdige Hr. Probst selbst, (welcher seines hohen Alters wegen sonst keine Leiche einsegnet) verichtete ihm die letzte Ehre unter Assistenz 2 Geistlicher auch die Musik begleitete ihn wir kauften ein Grab im alten Friedhof für 50 f.292 Die Leiche fand unter nicht dagewesener Betheiligung statt, sowie auf den ganzen Weg zahlose Menschen Spalier bildeten 2 prachtvolle frische Kränze mit Camelien zirten den wunderschönen Metalsarg die Schleife aus weißer Seide mit Schrift lautete Dem ewig unvergeßlichen Von der trauernden Familie, Abend ½ 5 uhr war die Leiche, in der Kirche wurde ein Todtenlied gesungen. Montag 10 uhr war das feierliche Requiem mit Libero welcher Mutter ich Hans und Resi beiwohnten. Durch 8 Tage schlief Mutter und Resi bei uns jetzt schlafen sie wider in der Wohnung. Die Theilnahme während seiner kurzen schmerzvollen Krankheit während war großartig so ein Fall ist da gar nicht denkbar daher auch eine Aufregung in der ganzen Stadt und auch weit und breit, sogar Wiener Blätter veröffentlichten den Fall. Wir haben auch alles gethan was wir thun konten und unsere Auslagen werden 1000 fl erreichen Prof Mosetig 150 fl Doktor Sauer 77 fl Doktor Duschik 39 fl Doktor Ott 20 fl Leiche inclusive Grab 258 f 67 x Musik 30 fl diverse Auslagen 30 fl Apotheke fl x293 für mich und Johan ist es besser das das Unglük welches uns getrofen nicht die Mutter wegrafte, Vater hätte sicher wider geheirathet lebenslustig wie er war, Mutter thut dieß nicht weßhalb auch Notar Bindl bevollmächtigt ist keine Inventur vorzunehmen das das nicht auch noch viel kostet, und mir nur ein Pflichttheil zufällt, weil Mutter laut ihres Heirathskontraktes Universalerbin ist. Mit Schwager Sebastian haben wir ausgeglichen in baar 700 fl gegeben worauf er den Schuldschein zurükgab, das Geschäft wird auf Mutter übertragen und wir führen es fort wie bisher. Hier folgt das Partezettl, unter die Verstorbenen heißt es 28 Dezemb. Anton Teuschl 60 jahre alt Haus N°. 70 an Piämie (das ist Blutzersetzung) 291 halb Condukt – die Bezeichnung „Halb Conduct“ stammt aus der Zeit Joseph II. Die „Conducts- und Stolordnung für alle Dioecesen im ganzen Lande Oesterreichs unter der Enns“ (1781) sah für die Bestattung mehrere Klassen vor – Erste Klasse/ein ganzer Conduct, Anderte Klasse/ein halber Conduct u. Dritte Klasse/ein Viertel-Conduct oder ordinari Leiche, daneben noch gesonderte Bestimmungen für Begräbnisse von Kindern und Jugendlichen. Der Unterschied zwischen ganzem und halbem Conduct lag v. a. im betriebenen Aufwand – z. B. Anzahl der in Betrieb genommenen Glocken, Ausstaffieren der Bahre, Anzahl der Träger, Windlichter und Musikstücke etc. Ich danke Ilona Gälzer, Archivarin der Bestattung Wien, für diese Informationen. Die Begräbniszeremonie fiel demnach nicht pompös aus (etwa verglichen mit Beispielen aus den nahen Städte Retz, Horn und Eggenburg angeführt in: Hannes Stekl, Vermögen und Lebensstil – Mangel, Solidität, Repräsentation, in: ders. Hg., Kleinstadtbürgertum in Niederösterreich. Horn, Eggenburg und Retz um 1900, Wien 1994, 117–146, 144ff). 292 im alten Friedhof – dieser war 1859 aufgelassen worden, nur noch Verstorbene mit Familiengruft konnten dort beigesetzt werden; vgl. Kerschbaumer, Die Geschichte der Stadt Krems, 190ff. Der Friedhof existiert heute nicht mehr. 293 Die fehlenden Beträge wurden hier nie in die dafür freigelassenen Lücken gefüllt.





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Die Gefertigten geben hiermit allen Freunden und Bekannten Nachricht von dem sie höchstbetrübenden Hinscheiden ihres innigstgeliebten Gatten, resp. Vaters, Schwieger und Großvaters des Herrn Anton Teuschl Bürgers und Hausbesitzers, welcher nach kurzen und schmerzlichen Leidens und Empfang der h Sterbsakramente Freitag den 27. d. M. um 12 uhr Nachts, im 61 Lebensjahre selig im Hern entschlafen ist. Die irdische Hülle des theuren Verblichenen wird Sonntag den 29 d. M. um 4 ½ Uhr Nachmittags im Trauerhause (obere Herzogsstrasse N°. 70) gehoben und nach kirchlicher Einsegnung im alten Friedhofe im eigenen Grabe zur Ruhe bestattet. Das h. Seelenamt mit Libera wird Montag den 30 d. M. um 10 Uhr, in der hiesigen Pfarrkirche abgehalten werden. Krems, am 28 Dezember 1878. Anna Teuschl, geb. Kaltenhuber Johann Baumgartner {Kaufm.} als Gattin. als Schwigersohn Betti Baumgartner geb. Teuschl, Johann Baumgartner, als Tochter. als Enkel. Druck von J. Kinzl Krems.294 Das Kremser Wochenblatt295 von 28 Dezember schreibt: Unglüksfall:Vorigen Sonntag den 22. Abends ging der Hausbesitzer A. Teuschl über das glatte Trottoir des Dreifaltigkeitsplatzes und fiel dort, wollte aufstehen und fiel wider. Nachdem er zu Hause geschaft wurde, konstatirten die zu Hilfe gerufenen Herren Ärtzte Dr. Sauer und Magister Tuschik, daß das linke Wadenbein 3 Finger oberm Knöchel gebrochen, die Haut an der inneren Seite des Sprunggelenkes sowie der dortige Theil des Band und Kapselapparates des Sprunggelenkes durchrissen, und daselbst das untere Schienbeinende herausgetreten war. Letztere Verletzung kam offenbar durch den Versuch des Wiederaufstehens zu Stande, nachdem beim ersten Falle das Wadenbein gebrochen, und die Bänder des Sprunggelenkes an der Innenseite gerissen waren. Die Ärzte erklärten die Absetzung im Unterschenkel für unumgänglich nothwendig und bestimmten den Nachmittag des 23 Dezember zur Amputation. Im Laufe des Vormittags verlangte jedoch die Familie die Berufung eines {Wiener}Universitätsprofessors für Chirurgie und erbot sich Hr. Dr. Sauer die nöthigen Schritte zu thun. Am Abend des 23. kam H. Prof. Mosetig von Moorhof (Primarartzt des Wiedner Krankenhauses, Ritter des Ordens der eisernen Krone III. Cl, des Franz Josef Ordens und der franz. Ehrenlegion) einer der besten aus Dumreichers Schule, welcher gleichfalls nur in der 294 Der Geistliche, Landtagsabgeordnete und Zeitungsmacher Josef Kinzl betrieb auch eine Druckerei; vgl. Anm. 258. 295 Die betreffende Ausgabe der Wochenzeitung war nicht verfügbar; in der darauffolgenden Nummer bedankt sich die Familie mit einem Inserat für die Anteilnahme; vgl. KWB, 24, 1, 4. 1. 1879, 8.

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Absetzung die einzige Rettung sah und die Ausführung der Operation H. Dok. Sauer übertrug. Hierauf wurde unter Einwilligung des Verletzten unter Narkose welche H. Dokt. Ott besorgte unter der Assistenz des Hrn. Prof. Mosetig und Mag. Tuschik am Unterschenkel 3 Finger unter Knie die Amputation ausgeführt und nach sorgfältiger Blutstillung von P. Mosetig ein antiseptischer Verband angelegt. Der Verlauf blieb bis zum 24 Nachts zufriedenstellend. Am 25 Morgens wurde wegen einer Nachblutung aus einer Saugader der Verband geöfnet, wobei sich bedauerlicher Weise herausstellte, daß in der Wunde und längst des Stumpfes sich Brand entwikle ; es war sonach bei den gesunkenen Kräften des Verletzten kein günstiger Verlauf mehr zu hoffen, und ist derselbe heute Nachts seinem Leiden erlegen. Das Kremser Volksblatt von 28 Dez. schreibt:296 Das Welt Blatt von 1 und 2 Jänner 1879 schreibt Ein Opfer des Glatteises In Krems bildet der so unerwartet eingetretene Tod des Haus in weitesten Kreisen bekanten Hausbesitzer und Stellfuhrinhabers Herrn A. Teuschl noch immer das Tagesgespräch. Herr Teuschl ging am Abend des 22 Dezembers über das glatte und nicht bestreute Trottoir des Dreifaltigkeitsplatzes fiel dort und brach das linke Wadenbein oberm Knöchel, so daß das untere Schienbeinende heraustrat. Der aus Wien berufene Primararzt Prof. Mosetig amputirte am 23 Dez. den Fuß, doch trat leider am 25 Dez. der Brand ein, der den Tod herbeiführte. Die Leichenfeier Teuschls gestaltete sich in großartiger Weise unter Theilnahme von zahlreichen Personen aus nah und fern.297 (Volksblat) Danksagung. (Wochenblatt.) Für die so inige und herzliche Theilnahme während der Krankheit, sowie für die zahlreiche und ehrenvolle Begleitung bei dem Leichenbegängnisse unseres unvergeßlichen Gatten, Vaters, Schwieger und Großvaters des Herrn Anton Teuschl Bürger und Hausbesitzers spricht hiemit Allen den tiefgefühlten Dank aus die trauernde Familie. Mai 1879. Der Grabstein ist gesetzt das Grab ist großartig mit Steindekel und Einfassung die Aufschrift Oben Unvergeßlich ferner hier ruht Herr Anton Teuschl Bürger und Hausbesitzer geboren am 13 Juni 1818 gestorben am 28 Dezember 1878. Noch weiter unten dessen Kinder {Anton} geboren am 10 Mai 1853 gestorben am 8 September 1853. Anna geboren am 9 Juli 1854, gestorben 28 März 1855. Ruhet sanft. Das ganze Grab 296 Hier wurde Platz gelassen, aber nicht eingetragen, was in der Zeitung gestanden hatte. Das „Kremser Volksblatt“ erschien seit Juli 1870. Der vorhin erwähnte Josef Kinzl gab diese katholisch-konservative Wochenzeitung als Gegengewicht zum „Wochenblatt“ heraus, beide Zeitschriften erschienen jeweils samstags; vgl. Kerschbaumer, Die Geschichte der Stadt Krems, 124; Gäbler, Die Stadt Krems, 213. 297 Wortwörtliche Abschrift (abgesehen von der Orthografie) aus: Neuigkeits-Welt-Blatt, 1./2. 1. 1879, 2. Bogen.





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kostete 200 fl. Einen prachtvollen Kranz kaufte ich bei Huterstraßer aus Kaktusblüthen für 3 fl 80 x Eine Grablaterne 4 f 40 x298 Die Abhandlung299 ist auch beendent Juni 1879 ich leistete zu Gunsten der Mutter auf das ganze Erbe verzicht weil ich wir nur viel Zahlungen hätten Mutter erläßt uns dafür Zins und Interessen. Für Abhandlungsgebühren zalte Mutter Steueramt einmal 10 f ein[m]al 125 f Expensen Notar Bindl 25 f 67x ferner 3 f und da sind noch keine Anschreibegebühren dabei, die Gesammtspesen gehen über 1000 fl hinaus. Unser Geschäft verbessert sich sehr wir machen schon Durchnitslosungen von über 30 fl gegen anfangs 20 fl machen uns alles allein Pepi300 ist über Somer zuhause, essen thun wir vom Gasthaus um es der Mutter zu erleichtern. Habe heuer noch im 28 Jahr neuen Zähn{e}301 bekommen. Wir haben jetzt viel Arbeit besonders seit wir Viktualien dem Geschäfte beigeben aber es wird mehr verdint und vieleicht gibt es für uns auch noch gute Zeiten. Unser Leben ist wider friedlicher Johan ist brav. Am 1 Jänner 1880. Ein Jahrzehnt ist im Strome der Zeit dahin gerauscht, die siebziger Jahre sind zu Ende! Was haben sie mir gebracht? Gutes wenig Böses übergenug, man lese dieses Buch welches im Jahre 1870 begonen wurde und vergleiche die guten und bösen Tage und man wird sehen, daß sich die ersteren auf ein Minimum beschränken, soll ich hoffen daß uns die 80ger Jahre mehr Glük bringen ich kann es kaum glauben den es steht ein gewaltiger Koloß ein Eisstoß {welcher} von Semlin302 bis Marbach303 sich erstrekt, vor unseren Thoren und droht mit Überschwemung. Noch vor ein paar Wochen am 18 November 79 frafte der Tod einen Familien Vater Herr Rötzer304 in Fuhrt hinweg, der einzige Lichtpunkt in den 70ger Jahren ist die Geburt meines Kindes, alles andere möchte ich lieber ungeschehen wissen. Hans hat am 16 September 1879 zum ersten Male die Übungsschule besucht, er ist in der Schule sehr brav und wird von seinen Lehrern geliebt, sein 4teljähriges Zeugniß lautet sehr gut. Zum Schluß des Jahres erkrankte 298 Huterstraßer – ein „Blumenfabrikant“ namens Carl Hutterstrasser (aus Wien) scheint als Trauzeuge von Leopoldine Pammer und Johann Christian auf; vgl. DASP, PfA Krems St. Veit 2/27, Trauungsbuch 1863–1878, Fol. 293, Nr. 64. Dessen Ehefrau, Maria Hutterstrasser, Blumenfabrikantin, Wien Neubau, war Firmpatin von Leopoldine Christian, Johann Christians Schwester; vgl. DASP, PfA Krems St. Veit 4/1, Firmungs-Buch 1857–1882, o. S., 26. 5. 1863; vgl. Anm. 275. 299 Der Verlassenschaftsakt ist nicht erhalten; übrig blieb lediglich der Registereintrag; vgl. NÖLA, Bezirksgericht (BG) Krems, Verlassenschafts-Register, 432, IV 1879/18. Ich danke Gerald Krautsieder vom Niederösterreichischen Landesarchiv sehr für seine Unterstützung. 300 Pepi – die Dienstbotin. 301 Mit Bleistift ausgebessert. 302 Semlin – liegt direkt gegenüber der Stadt Belgrad an der Donau; Semlin/Zemun war Grenzort und Zollstation der Donaumonarchie. 303 Marbach – niederösterreichischer Ort an der Donau, einige wenige Kilometer westl. von Melk. 304 Herr Rötzer – wahrscheinlich Barbara Baumgartners angeheirateter Onkel, der Ehemann von Therese Rötzer.

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er an den Masern. Am 13 Dezember 1879 starb Hr. Franz Frithum305 Hausbesitzer und Bürger aus Wien der beste Freund meines verstorbenen Vaters, sein letzter Wunsch war daß mein Mann der Vormund306 seines einzigen Sohnes würde und bei uns erzogen würde, auch daß er die Administration des auf den Sohn vererbten Hauses am Dreifaltigkeitsplatze sei er wollte ihm seine letzte Bitte nicht abschlagen und so haben wir einen Jungen für dessen Erziehung Kost und Pflege wir monatlich 25 fl erhalten, als Zuwachs bekommen. Rudolf Frithum307 ist am 28 Dezember 1868 in der Josefstadt Wien geboren und mithin jetzt 11 Jahre alt, er ist wohl von seinen Eltern verzogen, aber vieleicht wird besseres aus ihm als man glaubt, wenigstens ists ein H1us6geuz.308 Seine Vater starb leichter als er mich und Mutter an seinen Bette sah, ich betete ihm die Sterbegebette während er in Zügen war bis er verschied. Seine Mutter309 ist vor 3 Jahren in Krems geschieden sie hatte hier privatisirt, ihre Gräber sind im alten Friedhofe in der Nähe Vaters. Mir sind noch 2 Zähne gewachsen daher in meinem 28 Jahre 3 Stokzähne. Seit Monat Juli bin ich Mitarbeiterin oder vielmehr Zeitungs Reporterin für das Neuigkeits Welt Blatt Wien Kaiserstrasse 10310 ich bekome pr. Monat 6 fl. Hansi ist brav doch hat er ganz dem Eigensin seines Vaters sonst ist er ein schönes talentirtes liebes Kind. Das Geschäft geht gut wir haben sehr viel zu thun und mußte ich ein Mädchen nehmen da wir die Arbeit nicht mehr zwingen konten. Schließlich bemerke [ich] noch daß

305 Franz Frithum – unter „Verstorbene“ im „Kremser Wochenblatt“ vermerkt: „12. Dez. Franz Frithum, Hausbesitzer, 75 Jahre alt, Dreifaltigkeitsplatz Nr. 5 an Altersschwäche.“ KWB, 24, 51, 20. 12. 1879, 4; vgl. DASP, PfA Krems St. Veit 3/16, Sterbebuch 10. 12. 1873–31. 12. 1885, Fol. 235, Nr. 437. Hier ist noch vermerkt, dass Frithum aus Absdorf stammte. Im Trauungsbuch-Eintrag anlässlich der Hochzeit seines Sohnes Rudolf wird er als „Milchmaier in Wien“ bezeichnet. 306 Ein Vater konnte testamentarisch (auch am Willen der Mutter vorbei), den Vormund seiner Kinder bestimmen; vgl. Friedrich, Zur Genese der Stellung, 103. Im Testament vom Jänner 1879 wurde „Wenzl Berner [?] Trödler auf der Favorittenstraßen Nr. 48“ (Favoritenstraße, Wien IV) zum Vormund bestimmt, Johann Baumgartner hatte lediglich als Zeuge unterschrieben; vgl. NÖLA, Notariatsarchiv Krems, Notar Bindl, G. Z. 3758, Letzwillige Anordnung, 10. 1. 1879. 307 Rudolf Frithum – (geb. 28. 12. 1868), in einem Kremser Häuserverzeichnis von 1894 ist er als Besitzer des Hauses Dreifaltigkeitsplatz 5 und dreier Keller geführt; vgl. Verzeichnis der Häuser, 10. Im Wiener Knaben-Neugeborenenverzeichnis ist er mit dem Geburtsdatum 30. 12. 1868 eingetragen; vgl. WStLA, Wiener Geburtsverzeichnis, Bd. 21 (290), 1868, A–L (1. Teil). Am 25. 9. 1892 verheiratete er sich als „angehender Wirth“ mit Josefa Steiner, Tochter eines Kremser Zimmermeisters; vgl. DASP, PfA Krems St. Veit 2/28, Trauungsbuch 1878–1893, Fol. 435, Nr. 48. Dort wird sein Geburtsdatum mit 30. 12. 1868 angegeben. 308 Hlus6geuz – Hauskreuz (?); vgl. Eintrag vom 1. 3. 1880, 140. 309 seine Mutter – Maria Frithum (gest. 15. 5. 1877), 38 Jahre, Hausbesitzersgattin, Nr. 79, starb an „Darmeinklemmung“; vgl. DASP, PfA Krems St. Veit 3/16, Sterbebuch 10. 4. 1873–31. 12. 1885, Fol. 138, Nr. 153. In der Zeitung danken die Hinterbliebenen für die erwiesene Anteilnahme; vgl. KWB, 22, 20, 19. 5. 1877, 4, 7. 310 Neuigkeits-Welt-Blatt – Blatt der katholischen Lokalpresse (1874–1943), es erschien täglich in zwei Ausgaben mit ausführlichem Nachrichten-, Wirtschafts- und Lokalteil; vgl. Czeike, Historisches Lexikon Wien, Bd. 4, 380.





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mir im vergangenen Jahre das Vergnügen gegönt war dem Weltbekanten Festzug311 von einer Tribüne aus zu sehen alles zu bewundern, was gewiß eine der schönsten Erinerungen meines Lebens bleiben wird, dieses Vergnügen verdanken [wir] Hauptsächlich meiner Freundin Beer mit Gemahl, welche auch eine Woche im Sommer bei uns verlebten. Am 10. Jänner 1880. Die Befürchtungen sind schreklicher eingetrofen als sichs jemand dachte. Um ½ 12 uhr Nachts des 1 Jänner 1880 schrekten uns Pöllerschüße aus dem Schlafe, wir kanten diese Signale es waren Signale der Gefahr das erste was wir thaten war sämmtliche Parteien erweken ich nahm Hans in die Duchent und trug ihm zur Großmutter, dann lief ich fortwährend Stiege auf und ab alles was ich ertragen konte hinaufschleppend, Grosmutter und Pepi (das Dinstmädl ) arbeiteten im Keller die Erdäpfel Eier etz. Das Jagen und Rennen ging fort bis zum Morgen wo die angrenzenden Gassen schon unter Wasser waren, Vormittags ließ ich auch die leeren Möbel noch transportiren, im Geschäfte stellten wir alles möglich auf den die höchsten Stellagen und auf die Budel, Johan glaubte durchaus nicht an einen so hohen Wasserstand, alle Parteien ebenerdig wohnend wurden in höheren Stokwerken untergebracht, im Geschäfte auszuräumen widersetzte sich Johan mit aller Kraft, selbst das Räumen der Wohnung that ich wider seinen Willen er war so b36qun63n und 4986.312 Mittag hatten wir schon im Hause aus den Kanälen Wasser und auf der Gasse drang es bis zum Thor vor, Johan hatte die Gewölbthür innen mit Lumpen verstopft an der Wohnungsthür ein Bret mit Mist verschlagen lassen ferner hat er die Fässer nach langem Zureden verbeult und wir waren noch beschäftigt auf die Fässer schweres Holz zu laden um ein Heben zu verhindern, als das Wasser mit solcher Gewalt eindrang daß mich Johan schon hinaus tragen mußte, das Steigen ging rapid vorwärts, die Nacht brach an, an kein Schlafen war zu denken. In der ganzen Herzogsstrasse Göglstraße, Dachsberggasse fuhr man mit Gondeln wie in Venedig nur nicht so schön, sondern schauerlich. Die Gas313 brante nicht, die Fenster mußten beleuchtet werden, die Feuerwehr hatte Pechfakeln, dort und da wurden Personen aus den Fenstern in die Schiffe mittelst Leitern gerettet, hauptsächlich betheiligte sich das Militär welche ununterbrochen mit ihren Schiffen Gasse auf und ab fuhren. Schlecht würde es um uns bestelt

311 Weltbekanten Festzug – zum 25. Hochzeitstag von Kaiser Franz Joseph I. und Kaiserin Elisabeth fand am 27. 4. 1879 ein „Patriotisches Fest“ auf der neuen Ringstraße statt. Die Obrigkeit wollte zu diesem Jubiläum „die Verdienste kaiserlicher Förderung zum Wohle eines modernen Staatswesens dargestellt ... wissen“. In einem aufwändigen Umzug – im Stil der „deutschen Renaissance“, konzipiert vom Maler Hans Makart – wurde dem Herrscherhaus, den Wissenschaften und Künsten, der Bodenkultur und dem Bergbau sowie sämtlichen Zweigen von Gewerbe und Industrie gehuldigt, auch das bürgerliche Selbstverständnis sollte zum Ausdruck kommen; vgl. Renata Kassal-Mikula, Der Festzug, in: Düriegl, Traum und Wirklichkeit, 40–49, 42f. 312 b36qun63n und 4986 – der Urenkel der Schreiberin, Helmut Hörner, vermutet, dass die Auflösung dieser Codierung „betrunken und grob“ lauten könnte. 313 Die Gas – die Straßenbeleuchtung.

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gewesen sein, hätten sich nicht die Soldaten des 2ten Genie Regiments314 so tapfer und ofpferwillig betragen, die Einwohner der Stadt werden dieß auch nie vergeßen; um Mitternacht fiel das Wasser plötzlich um 1 Schuh315 und jedes Herz wurde leichter man hofte wider, da drang umso schmerzlicher der Ruf: das Wasser steigt; an unsere Ohren und es stieg auch wirklich um 2 Schuh, auf welcher Höhe es sich bis zum Morgen hielt, des Morgens mußten uns Lebensmittel und Wasser zugeführt werden und wurde an Striken aufgezogen, langsam fing316 dann das Wasser zu fallen an. Doch verkündeten Telegrame aus Linz Passau317 etz. ein Steigen der Gefahr sämtliche Nebenflüsse der Donau, der Inn, die Traun, die Enns u. a. waren ausgetreten und noch war der Innstoß zu erwarten, Alles war in solcher Angst und Aufregung wider sollte die höchste Gefahr in der Nacht eintreten wir wollten nicht auf das äußerste warten den schon die vorige Nacht hatte uns fieberfrost geschüttelt ob der Angst und des Jammers, wir ließen uns Abends ausschiffen und gingen am hohenmark318 zu unserer Milchfrau Fr. Preuß welche uns gastfreundlichst ein Obdach gewährte denn in den sicher gelegeneren Gasthäusern war kein Zimmer mehr zu haben. Wir hatten nur 2 Betten zur Verfügung obwohl uns 7 Personen waren die Mutter, ich, Hans, Rudolf, Pepi, Fr. v. Seidl und ihre Nichte Marie. Abends spät ging ich noch zum Haus und sprach mit Johan von weitem ein Telegram von Melk zeigte an daß der Stoß Melk passirte und dort 5 Meter hoch Wasser sei ich mußte wohl oder übel zu den Meinen zurükkehren während Johan bis zur Äußersten Noth dort bleiben wollte, nach Mitternacht zeigten 12 Pöllerschüsse die höchste Gefahr in den inundirten319 Stadttheilen wollte selbst in den Stokwerken niemand mehr bleiben aus allen Häusern bei allen Fenstern wurden Weiber Kinder Kranke mittelst Leitern in die Schiffe gebracht, das Wasser stieg wider rasch aber erreichte nicht einmal die Höhe der letzten Nacht, nächsten Morgen den 4/1. fiel das Wasser wider langsam zurük, Mittags schon rasch und schon um 2 uhr wurde überal ausgeschöpft unser Hof, Garten und erst das Geschäft sah furchtbar verwüstet aus, händeringend verzweifelt sahen wir was geschehen und mit Schiller konte man sagen „hier steh ich auf den Trümern meiner Habe“, jetzt sah auch Johann wie viel gerettet hätte werden können wen er – – wir hatten im Zimmer & Geschäft 134 C. hoch Wasser, 4 Männer arbeiteten das Geschäft aufzuräumen 3 Frauen rieben und putzten tagelang um etwas Ordnung herzustellen und es zu ermöglichen das Geschäft zu öffnen, 14 Tage Arbeit ermöglich[t]en Ordnung, doch diese nicht vollständig, meine Betten sind bei Mutter, 314 2ten Genie Regiments – ein Genie-Regiment umfasst Offiziere und Truppen, die für militärischbautechnische Arbeiten zuständig sind. 315 1 Schuh – ein von der Länge eines Mannesfußes entlehntes Längenmaß. 1 Schuh/Fuß = 0,32 m. 316 fing – im Original: fiel. 317 Linz – Hauptstadt Oberösterreichs, liegt an der Donau ebenso wie das bayerische Passau. 318 hohenmark – der Hohe Markt ist ein leicht ansteigender Platz. Er war vor Mitte des 11. Jh. als Marktplatz zwischen der Burg und der ehemaligen Pfarrkirche entstanden und bis zum 14./15. Jh. der Mittelpunkt der Stadt. 319 inundirten – Inundation, völlige Überflutung des Landes.





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3 Kästen bei Hr. Emeri Partei, dann habe [ich] ein Zimmer von Fr. v. Seidl gemiehtet um die Möbel unterzubringen so sieht die Ordnung aus in der wir leben. Das Geschäft geht jetzt bedeutend schwächer da sich Kunden theils verlaufen, theils glauben sie bekomen genäßte Waare. Außerdem erleiden wir empfindlichen Schaden durch {die} Überschwemung. Bemerkenswerth sind die Daten daß der Winter zu Leopoldi320 seinen Anfang nahm ohne mehr sich zu lindern vom 22 Dezember 1879 baute sich der Eisstoß bei Krems auf am 29 d. M. kam Hochwind und am 5 Jänner 1880 setzte sich der Stoß von Krems in Bewegung, furchtbar sind die Verwüstungen auf der Insel und Au die Gemeinde erleidet einen Schaden von 50.000 fl.321 Der höchste Stand des Wassers reichte Hafnerplatz bis zum hinteren Thor der Rose, Dachsbergasse bis zum – „ – des Bürgerspitals, Dreifaltigkeitsplatz bis zur Eke des Salzburgerhofes, 18 Grade Kälte war das höchste gewöhnlich war 10 bis 12 Grade.322 7. Jänner 1880 Heute starb der hochwürdige Herr Sebastian Liebhart infulierter Probst323 von Ardagger nach langer schmerzvoller Leiden er war im wahren Sinne des Vaters Priester und ein gerechtes Andenken wird ihm bleiben. Er war der Priester welcher mich getraut, und welcher beim Tode meines Vaters den Condukt geführt hat, obwohl er selbst schon leidend und keine kirchlichen Dinste mehr verichtete. Möge ihm die Erde leicht sein. Am 20 Jänner 1880 Seit 12 Tagen herscht wider strenge Kälte schon zeigt das Thermometer abermals 10 Grade324 neue Besorgnisse einer Überschwemung werden rege, was um so leichter wäre da der Wasserstand klein, und so riesige Eißmaßen am Ufer lagern die allein einen Eißstoß machen, Gott schütze uns und verschone uns vor einer zweiten solchen Gefahr, es wäre zu schreklich. Am 1 Februar 1880 Wohl selten vieleicht alle Jahrhunderte einal mag es sich ereignen daß sich 2 Eißstöße in {einem Winter} einer so riesigen Streke weit vorbauen können. Die Kälte hat abermals so lange angehalten bis sich der Stoß von Preßburg325 wo der erste immer noch steht wieder bis Hollenburg326 heraufgebaut, zum Glük trat Umschlag des Wetters 320 zu Leopoldi – am 15. November; der hl. Leopold (Leopold III. [1073–15. 11. 1136], Markgraf von Ostarrichi) ist der niederösterreichische Landespatron. 321 Der Eisstoß vernichtete u. a. einen Großteil der Maulbeerbaumkultur in Krems. Die Seidenraupenzucht wurde für die Zeit nach diesem Unglück (in der Literatur) nicht mehr erwähnt; vgl. Gäbler, Die Stadt Krems, 171. Über den Eisstoß berichten auch Anton Kerschbaumer in seiner „Geschichte der Stadt Krems“ 1885, 585f, u. Helmut Hörner, Kremser Erinnerungen, in: Das Waldviertel, 46, 1 (1997), 45–58. 322 Die Angaben beziehen sich auf Grad Reaumur und entsprechen -22,5 °C bzw. -12,5 °C bis -15 °C. 323 infulierter Probst – zum Tragen der Inful oder Mitra, der Bischofsmütze, berechtigt. 324 Entspicht -12,5 °C. 325 Pressburg – Bratislava, slowakische Hauptstadt an der Donau, 60 km westl. von Wien. 326 Hollenburg – Ort an der Donau, ca. 4 km östl. von Krems.

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ein, Regen und langsames Thauwetter nicht Hochwind wie das erstemal so daß ohne alle Gefahr der unliebsame Gast entfernt wurde. Gott sei Dank ist nun alle Gefahr vorüber. Krems am 1 März 1880 Ich irrte nicht als ich befürchtete mit den Jungen Rudolf ein Hauskreuz zu erhalten, ich wußte daß er verzogen war wußte ich, nicht aber wie faul und unordentlich sowohl in der Schule als zu Hause und in der Schule erhält er die schlechtesten Klassen und Zeugnisse während Hans durchwegs sehr gut hat, im lesen und schreiben ist Hans mit ½ jährigen Schulbesuche so weit wie er mit den 5ten Jahr. Außerdem hat Johan so viel zu thun mit den Haus und Keller daß er fast nicht mehr im Geschäfte ist, und daß herumlaufen sich angewöhnt so daß es ihm zuhause gar nicht leidet, dabei trinkt er fleißig und dann doch nein ich schweige ist besser so. Krems am 8 August 1880327 Am 6ten Juli hatte ich die Freude meiner lieben Freundin Henriette Falk als Tauf Pathin zur Seite zu stehen, die Feier [fand]328 in der St. Johanns Kirche Praterstraße329 in Wien statt, die Cerimonien waren fast dieselben wie bei der Taufe eines Kindes nur erhielt sie zugleich die heil. Communion wir fuhren im Fiaker hin und zurük, hernach zogen wir uns um und fuhren mit denselben Wagen zuerst in die Votivkirche330 wo wir die Messe hörten dann nach Sievering331 wo wir Gabel frühstükten dann weiter nach Weidling am Bach332 wo wir bis Abend blieben es war eine prächtige Patie, Henriette jetzt eben Betti ist mir obwohl sie {an} Jahren bedeutend älter ist wie ich doch die liebste meiner Freundinnen nur mit ihr kann ich sprechen von allen sprechen was ich nicht einmal der Mutter sagen und klagen könte sag ich ihr wir allein verstehen uns sie kennt alle unsere Verhältnisse, sowie ich die ihrigen. Sie ist die Schwester des Dr. Max Falk333 des Chef Redakteur des Pester Loyd. 327 Datum in doppelter Schriftgröße. 328 [fand] – im Original: wurde. 329 St. Johanns Kirche Praterstraße – Johann-Nepomuk-Kirche, Pfarrkirche, Praterstraße bei Nr. 45, Wien II; lt. Austrittserklärung verließ Henriette Beer am 3. 7. 1880 die Israelitische Kultusgemeinde (nachdem sie 1875 ihren Austritt wiederrufen hatte); vgl. WStLA, Hauptregistratur, K11 1880, A46 Ktn 038 – Z1160372. Katholisch Taufen ließ sich Henriette Beer am 5. 7. 1880; vgl. Pfarre St. Johann Nepomuk, Taufmatriken, 1880, Fol. 349. 330 Votivkirche – Propsteikirche zum Göttlichen Heiland, Wien IX, neogotische Basilika in unmittelbarer Nähe der Universität, erbaut 1856ff. 331 Sievering – Wiener Vorort im Nordwesten am Wienerwald; 1890/92 eingemeindet und seither Teil des XIX. Bez. (Döbling). 332 Weidling am Bach – Weidlingbach liegt wenige Kilometer nordwestl. Wiens. Bis ins 19. Jh. war der Ort eine Holzfällersiedlung. 333 Max Falk – (7. 10. 1828–10. 9. 1908) war ab 1867 und bis 1905 Chefredakteur einer (deutschsprachigen) Budapester Zeitung. Von 1875 ging er als Abgeordneter der konservativ-liberalen DeákPartei ins Oberhaus. Seine journalistische Arbeit wurde als kaisertreu kritisiert, als zu wenig ungarisch, während er von österreichischer Seite bespitzelt wurde; vgl. Pester Lloyd, 39, 24. 9. 2008, Feuilleton; ; Wurzbach, Biographisches Lexikon, Bd. 4, 137.





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Ins Tagebuch eingelegter Zeitungsausschnitt334

Krems am 15 Juli 1880335 Hans ist erster Schüler der ersten Klasse geworden, sein Zeugniß zeigt lauter Sehr gut er durfte bei der Schlußfeier ein Gedicht Der kleine Schüler aufsagen, was ihm sehr gut gelang. Dafür darf er eine Ferien Reise nach Wien machen. Rudolf dagegen steigt nicht auf und muß repitiren, welche Schande für ihm, er macht sich jedoch gar nichts daraus, es fehlt ihm an Ehh{r}gefühl. Am 20 April 1881. Ehrgefühl war das letzte Wort meiner letzten Notiz, und der Mangel davon ist meines Lebens steter Kumer ja es mangelt Johan sonst würde er nicht daß thun was des Weibes tiefste Kränkung tiefster Schmerz sons schon seit Jahresfrist trage ich nun diesen 334 „... Der Kopf in der Mitte stellt den Chef des ‚Pester Lloyd‘, Herrn Max Falk, vor. Er ist im ungarischen Streichorchester die erste Geige. Die Minister von Cis und Trans kennen seinen Schritt. Ein gesunder, klarer Geist wohnt in diesem Kopfe. Falk ist als Journalist ein Mann, ‚der seinen Beruf verfehlt hat‘, denn er hätte Beamter der Wiener Sparkassa bleiben können und er ist hervorragender politischer Schriftsteller und ungarischer Gesetzgeber geworden“. 335 Das Datum springt von August wieder auf den Juli – es handelt sich vermutl. um einen Nachtrag.

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Stachel mit mir herum trübt mir meine so karg zugemessene Freude vergällt mir mein ganzes Dasein o meine Mutter und mein Kind wenn ihr nicht wäret, vieleicht lebte ich längst nicht mehr oder hätte schon längst andere Schritte unternomen, euch zu Liebe dulde ich, lebe ich weiter trage ein Leben mit mir herum daß keines ist, Tage gibt es Tage bitterster Verzweiflung heute ist ein solcher ich möchte mich tief in die Erde verbergen um nichts zu sehen nichts zu hören, heuer im Fasching hat ein Sonnenblik mein Leben verschönert aber eine Wolke eine unbarmherzige Wolke hat alles verdunkelt, gestern sah ich eine Hochzeit dieß war die Veranlassung welche mein ganzen Sinne in so große Aufregung versetzte ich dachte eben wider einmal an alles wie ich um dieselbe Stunde am Altar stand das Herz voll banger Hoffnung und an der Seite des mühsam erkämpften Geliebten wo wir uns den Eid der Treue leisteten (O Treue du Phantom wo bist du?) und was seitdem alles über mich hereingebrochen meine Hofnungen in Täuschungen mein Leben in eine stete Qual verwandelt hat, was ich für den Mann geopfert und gelitten und was mein Loos dafür war und ist, was ich in Wien war gewiß fürchterlich drei Menschenleben reichten hier um das zu leiden und ich litt es in wenigen Jahren in meinen schönsten Jahren denn meine Jugend war es welche ich mit opferte und jetzt in Krems die paar Jahre ist zu wenig über uns gekomen warum mußte das letzte Band der Achtung Liebe und des Vertrauens reißen? Mein Gott warum, was that ich? Wie soll ich mein Leben eintheilen um nicht zu verzweifeln und um meine tief beleidigte Ehre zu retten, meine einzige Zuflucht zum Gebet zu nehmen, dazu fehlt mir die kindlich reine Unschuld, der feste Glaube der in der Religion stets seinen Trost findet, soll ich ihm verlassen weit fort gehen wo niemand mich kent ich würde mich überall fortbringen aber mein Kind meine Mutter kann ich die im Stiche lassen, oder soll ich mich durch eine Scheidung für immer von ihm trennen, dieß scheue ich noch mehr um den Gerede willen was doch wider auf meine Theuren zurükfallen würde, oder soll ich gar mich von denen trösten lassen die mich so gerne lieben und trösten würden, bin ich ihm denn noch Liebe und Treue schuldig hat er sich dessen nicht längst auf die gemeinste Weise entledigt, seine niederen Begierden und der Wein verflucht sollt ihr sein in alle Ewigkeit hab ich einmal verziehen um immer zu verzeihen hat nicht alles seine Grenzen, wer würde mich verdamen wenn ich ein Herz annehmen um der Liebe des Verstehens wegen nicht in niederer Begierde denn die hasse ich, aber nein noch nicht noch kämpft die weibliche Ehre in mir und was ich als Mädchen so unendlich hoch hilt werde ich als Frau nicht minder hoch halten und kämpfen und ringen um Geduld und Ausdauer ob ich es vermag Gott wird es wissen und mir beistehen. Mein Kind ist in der Schule so brav hat auch so ein gutes Herz nur hat er den Eigensinn und die Launen seines Vaters welches dieser natürlich für schön findet und ihnen nicht entgegentritt dieß fürchte ich wird einmal kein gutes Ende finden, mein guter armer Freund Beer ist todt am Fasching Samstag traf ihn der Schlag am Aschermitwoch verschied er336 ohne 336 In der „Wiener Zeitung“, 56, 9. 3. 1881, 7, wird Christof Beer unter den am 2. 3. Verstorbenen angeführt. Er starb 59-jährig an „Gehirnschlagfluß“ (Gehirnschlag) und wohnte zuletzt in der Fran-





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voher mer das Bewußtsein zu erhalten so gehen alle Lieben fort und lassen uns traurig nachsehen, die arme Betti mit 4 kleinen Kindern steht hilflos da ich fühle das innigste Mitleid mit ihr, ihr aber als beste Freundin Gutes zu thun ist in den Augen meines Mannes das größte Verbrechen wenn aber er – doch nein genug für heute ich kann nicht mehr, mein Leib und meine Seele sind krank am 4 Dezember 1883 Seit nahezu 3 Jahren habe ich nichts in dieses Buch eingetragen theils weil ich nicht dazu kam theils weil es Dinge gibt die am sichersten und unauslöschlichsten im Herzen geschrieben sind, der letzte Artikel handelte von den Tode Freund Beers, wer hätte gedacht daß Betti sich so schnell trösten und seine Stelle so schnell wider besetzt würde, Also Betti hat sich heuer wider vermählt und zwar sehr gut für Ihre Verhältnisse, er ist ein gebildeter liebenswürdiger Mann, ihr ein guter aufmerksamer Gatte den Kindern ein braver Vater obwohl noch sehr jung gegen ihr, Kriechhamer ist ein gelernter Goldarbeiter bekleidete zuletzt die Stelle eines Sekretärs des Tagblattes, jetzt ist er ohne Stelle. Sie erhielt monatlich 75 fl von ihren Brüdern nebst Zins und vielem anderen, sie ist sehr glüklich. Ich habe im heurigen Sommer eine lange Cur durchmachen müssen Prof. Braun behandelte mich wie im Jahre 73 mit günstigstem Erfolge ich hatte eine übergangene Bauchfellentzündung in Folge dessen ein Exudat337 am Kreuzbein welches alles in 4 Wochen vollständig kurirt war, dann zeigte sich in der rechten Brust ein kleiner Knoten, ich mußte nahezu 3 Monate mediziniren ohne Erfolg, Prof. Billroth338 welchen ich auch zu rathe zog, fand wie Braun es vorderhand nicht bedenklich sollte es sich vergrößern müßte es operirt werden, jetzt habe ich ein Pflaster von Fr. Groiß bisher noch wenig anders. Aber gleichsam als sollte ein Übel dem andern die Hand reichen wie es bei uns immer ist, mußte auch Mutter eines Frauenleidens wegen, welches sie schon seit den Kindern hatte und nie etwas dafür that, und sich jetzt verschlimmerte den P. Braun339 zu Rathe ziehen, diese Diagnose war sehr traurig, er erklärte es ziehe sich in der Gebärmutter etwas zusammen sie müsse operirt werden und entweder gleich in Wien bleiben oder in ein paar Tagen dahin kommen und zwar in eine Privatheilanstalt, da habe sie pr. Tag 7 fl zu zahlen seine Operation koste 150 fl etz. Ist es den unser Schiksal daß Vater, Mutter und ich unter den Messern dieser Grausamen zu grunde gehen sollen? Mutter war außer sich, ich nicht weniger desparat, da wurde zensbrückenstraße 24, Wien II; vgl. WStLA, Totenbeschaubuch, Z 807343, Bd. 360, 1881, A–E; die Verlassenschaftsabhandlung ist nicht erhalten (aber registriert). 337 Exudat – Exsudat („das Ausgeschwitzte“) bezeichnet Substanzen, die bei einer Entzündung aus den Blutgefäßen des Erkrankungsherdes treten. 338 Prof. Billroth – Theodor Billroth (1829–1894), studierte in Greifswald, Göttingen u. Berlin; leitete von 1867–94 die II. Chirurgische Universitäts-Klinik in Wien; vgl. Czeike, Historisches Lexikon, Bd. 1, 352f. 339 Wahrscheinlich ist auch hier wieder Gustav Braun gemeint (vgl. Anm. 161), obwohl auch sein Bruder, Karl Rudolf Braun (Ritter von Fernwald), Professor für Geburtshilfe und Gynäkologie war; vgl. Fischer, Geschichte der Geburtshilfe, 309ff.

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uns eine Fr Namens Groiß in Simmering340 angerathen wir fuhren zu ihr und sie erklärte aufs bestimteste, Mutter werde gesund, lasse sie sich aber operiren so sterbe sie an der Wassersucht, sie gab ihr Salbe und Thee außerdem Waschungen und Mutter befindet sich nach 3 Monaten viel wohler während Braun sagte wenn {sie} sich nicht operiren lasse ist es in 14 Tagen zu spät. Gott gebe uns daß die Besserung fortschreite, und meine gute Mutter mir erhalten bleibe, muß eines sterben dan nehme Gott mein Leben für das ihre. Hans geht seit 15 September ins Gymnasium341 auch hat er ein Klavier für 60 fl bekommen und nimmt seit September bei Lehrer Schmidt Lektionen pr. Lekt. 50 x.342 Mein Mann ist nun wider lieber und beßer und hat sich bei der heuer für mich so traurigen Tragödie sehr taktvoll benohmen, was mir ihm werther gemacht auch läßt er im trinken nach, obwohl ich unter seinen Launen und seiner Eifersucht noch immer sehr leide. Über die oben erwähnte Tragödie {Eigentlich wars Komödie.}343 welche tief in mein Innerstes eingegriefen will ich weiter keine Worte verlieren, eingeweihte wissen was ich meine, Gott weis wie rein mein Herz, daß ich nie auch nur in Gedanken mich so tief erniedrigt habe, als dieses närische Weib oder mein Gatte glaubten und daß ich es auch nie thun würde, wenn auch das Benehmen meines Gatten mich scheinbar dazu berechtigten, mein Stolz, wenn sonst nichts würde mich vor einer sinnlichen Erniedrigung bewahren. Unser Geschäft geht gut und unserem gemeinschaftlichen Bemühen wird es gelingen bald ganz schuldenfrei zu werden, ich habe meiner Verdrukerei,344 und der Corespondenz fürs Weltblatt noch eine Anahmsstelle für Färberei beigelegt welche auch einiges zu verdinen gibt. Am 1 März ist Johann seine Mutter gestorben, noch weiß ich bis heute nicht wie hoch sein Erbteil ausfällt, bin auch sehr begirig und fürchte sehr es könte hier wider eine Falschheit steken, umsomehr als sich Fr. Stahinowa wider rührte und uns mit skandalösen Briefen förmlich bombardirte bis ich ihr tüchtig zurückschrieb und von ihr keine weiteren Briefe annahm. Das ist vorderhand die hauptsächlichste Darstellung aller nennenswerthen Begebenheit bis zum meinen 32 Geburtstagsfeste. Was wird die Zukunft bringen?

340 Simmering war derzeit ein Vorort von Wien (heute XI. Bez.). 341 Hans Baumgartner besuchte das Piaristengymnasium in Krems, das seit 1871 ein k. k. Staatsgymnasium war; er maturierte 1891, vgl. Dokumentation lebensgeschichtlicher Aufzeichnungen, Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Univ. Wien, Datenblatt zu Hans Baumgartner; vgl. Kap. 4, Anm. 135. 342 Lehrer Schmidt – Ignaz Schmidt ist als Lehrer der Volksschule Loiben verzeichnet; vgl. Niederösterreichischer Landes-Lehrerverein Hg., Niederösterreichischer Lehrer-Kalender sammt Lehrer-Schematismus. Für das Schuljahr 1874–75, Wien o. J., 182. 343 Im Original am Seitenende eingefügt, mit einem Kreuzchen versehen und mit Bleistift dazugeschrieben. 344 Verdrukerei – an dieser Stelle ist im Tagebuch eine Zeitungs-Annonce eingelegt, die Betti Baumgartners Vordruckerei bewirbt. Als das Tagebuch 1998 für die Sammlung Frauennachlässe kopiert wurde, lagen noch zwei weitere Zeitungsausschnitte mit Inseraten bei, die heute fehlen. In einer Vordruckerei konnte man Stickmuster/-vorlagen auf Stoffe drucken lassen.





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Ins Tagebuch eingelegte Anzeigen für Barbara Baumgartners Vordruckerei

Am 1 Jänner 1885 Was die Zukunft brachte war nur die Fortsetzung der Schiksalsschläge welche in meinem Lebensbuche verzeichnet sein müssen, und welche Schlag auf Schlag erfolgen einige Wochen danach hatte ich wie jetzt immer im Herbst und Winter mit Schmalzauslassen zu thun, als mir {von} dem Sieb der Boden durchbrach und das siedende Schmalz über die linke Hand den halben Arm das Gesicht und den Hals verbrante mit einem Schmerzensschrei sprang ich zur Thür und fuhr mir mit der Schürze über die Hand, so daß sogleich die Haut herunterhing, da es am [Herd]345 brante so hatte ich noch die Geistesgegenwart das volle Schmalzhäfen346 wegzutragen, dann fuhr ich in den Öhlständer, bis ein heftiges Wundfieber mir das Aufbleiben nicht mehr gestattete, der Schmerz war haarsträubend und vorzüglich die Hand so daß ich Anfangs vom Gesicht und Hals fast nichts spürte bis nicht die vielen Blasen mich belehrten daß ich auch hier verbrant sei im Spigel besehen entsetzte ich mich, ich glaubte mich nie mehr unter Menschen zeigen zu können. Die vorzügliche Brandsalbe des Apothekers Böttcher347 in Stein heilte mich in 14 Tagen vollständig, obwohl die Hand länger schwach blieb, gelitten habe ich mir genug, die Mutter welche durch Monate die Cur von Fr. Groiß mitmachte verschlimmerte sich auch fortwährend und hatte sie das Verlangen den Arzt Kratochwill in Steitzendorf348 zu konsultiren, wir fuhren obwohl ich noch nicht ganz fest war hinaus, er lachte als er uns sah und sagte beide Frauen sehen blühend aus da wird nicht viel fehlen als er Mutter untersucht hatte lachte er nicht mehr, und widerholte die Worte Prof. Braun sie müße sich operiren lassen und zwar gleich, ich wurde 345 [Herd] – im Original: Herz. 346 Schmalzhäfen – Schmalztopf. 347 Apothekers Böttcher – Moriz Böttcher besaß die Apotheke in Stein; in Krems (und damit näher) gab es 1885 zwei Apotheken; vgl. NÖA 1885, 267. 348 Arzt Kratochwill in Steitzendorf – Conrad Kartochwilla wird unter den „graduierten Ärzten“ des Gerichtsbezirks Eggenburg, Bezirkshauptmannschaft Horn, geführt; vgl. Praetorius, Österreichischer Medicinal Schematismus 1885, 57.

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ohnmächtig und er mußte mich mit Riechesig zu mir bringen (früher lachte ich über Ohnmachten jetzt sehe ich daß alles was schon auf mich eingestürmt doch meine Nerven nicht stärker machte) Dann untersuchte er mich wegen des Knotens in meiner Brust welcher noch immer gleich ist und schüttelte auch hier den Kopf, er verordnete mir eine Salbe und sagte ich möge sie 2 bis 3 Monate gebrauchen sollte sie nicht helfen – so möge ich gar nichts mehr thun – ich könne dieß 10 Jahre haben (und dann?) sollte es einmal anfangen heftig zu stechen so daß es unerträglich wird, dann müsse ich mich auch einer Operation unterziehen. (Niemals) Als wir uns von ihm verabschiedeten sagte er wer hätte daß gedacht, ich glaubte es könne ihnen nicht viel fehlen, und indessen tragen beide Frauen so schwere Leiden in sich – Auf der Rükfahrt war uns beklomen genug zu Muthe. Mutter entschloß sich zur Fahrt nach Wien ich mit, wir gingen wie angewiesen in Dokt. Eders Heilanstalt,349 sie liegt in nächster Nähe des Geschäftes wo ich darauf heirathete, täglich ging ich damals vorüber nicht ahnend daß einst meine gute Mutter in diesem Hause leiden soll, wir wurden natürlich auf das Freundlichste aufgenomen sie erhielt ein hübsches Zimmer, ich blieb den Tag über bei ihr es kam Prof. Braun Dokt. Eder die Asistenzärzte machten ihr Aufwartung aber so süß ihre Worte waren doch die bitteren Pillen nicht zu verbergen nur Braun vermochte mir etwas Trost zu bieten als er mir Hand und Ehrenwort gab meiner Mutter werde bei der Operation nichts geschehen am 2ten Tage Mittags wurde die Operation vorgenomen in kaum 10 Minuten mich deuchten sie eine Ewigkeit war alles vorüber es wurde mit Glühdraht die angegrifene Stelle abgebrant, die Operation war nur einen Moment schmerzvoll viel mehr war die Angst vor dem unbewusten, Braun streichelte mir die Wangen und sagte jetzt gehen sie zu ihrem Mutterl sie lacht schon, sie {war} auch in der That heiter, war es doch nun vorüber woran sie nur mit Angst und Schaudern denken konte. Abends fuhr ich zu hause. 15 Tage mußte sie unten bleiben ich fuhr sie 2mal besuchen hinunter ebenso Johann sie hatte feine Kost aber keine theilnehmend Personen um sich, Kriechhamer besuchte sie täglich und schrieb mir täglich, am 1 März holte ich [sie] ab und bezahlte über 300 fl. Die Sume wäre mir gewiß nicht leid wenn der Erfolg ein anderer Wwäre. Der frühere psysische Schmerz die Angst der Kumer um die Mutter [alles]350 dieß aber hatte bereits in mir dem Keim zu einer Krankheit gelegt, die nun bald darauf ausbrach, ich bekam den schleichenden Typhus, der mich 4 Wochen festhielt und auch nachträglich wollte ich nicht recht fest werden, ich glaube mir ist nie die Natur so schön so herlich vorgekomen als damals als ich zum ersten Male ins Freie kam ich wurde nicht müde die sich erst entwikelnden Blätter und Blüthen zu bewundern, jeder Grashalm kam mir grüner und saftiger vor, {als} in all den vielen Jahren da ich dem Frühling entstehen 349 Dokt. Eders Heilanstalt – privates Krankenhaus in Wien VIII, Lange Gasse 53/8–12, gegründet 1865. Das Spital war auf Chirurgie spezialisiert und verfügte über 24 Betten; Inhaber und Direktor war der Mediziner Albin Eder, Dr. der Chirurgie, Mag. der Geburtshilfe und Augenheilkunde; vgl. NÖA 1876, 425; Lehmann, 1885, 1247. 350 [alles] – im Original: als.





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sah, lange dauerte auch dießmal meine Freude nicht, Mutter hat sich während meiner Krankheit mehr anstrengen müssen auch die Angst um mich war sehr groß da Dokt. Podhaiski351 ihnen keineswegs die Gefahr verhehlte in der ich schwebte, dieß alles trug dazu bei, daß sie neuerdings bettliegend wurde und ebenfalls 4 Wochen krank war, den Rest des Sommers brachte ich damit zu sie an schönen Tagen ins Freie zu führen wo sich aber täglich mehr erkennen ließ daß ein etwas an ihr nicht richtig sei, Kriechhamer hatte mir freilich gebeichtet daß Fr Groiß ihr sagte {für} Mutter gäbe es keine Hilfe sie hat den Gebärmutterkrebs, für mich vieleicht aber zweifelhaft, ich ließ Podhaiski rufen, er untersuchte sie genau und sagte mir daßelbe, es gäbe keine Rettung für sie, ich möge mich in das Unabänderliche ergeben und mich mit viel Fassung und Muth wappnen es werde eine schmerzvolle Aufgabe für mich werden. Ich schrieb darauf sogleich ohne ihr Wissen an Prof. Braun sagte ihm die Diagnose Podhaiskys forderte von ihm Wahrheit, fragte wozu die Operation war und forderte Hilfe so weit sie in seiner Kraft stand, er schrieb einen liebevollen Brief daß er Podhaiskys Worte nicht entkräften könne daß es sich thatsächlich um diese fürchterliche Krankheit handle, vor der sie selbst hilflos dastehen, daß die Operation eine Zerstörung der bereits angegrifenen Theile war und daß manchmal darauf ein jahrelanger Stillstand eintrete, er verordnete ihr verschiedenes und stellte sich bereitwilligst zu meinen ferner Dinsten Februar 1885. So kurirt sie nun fort und fort und wird von Tag zu Tag schlechter ihre Kräfte verfallen zuseh[ends]. Dabei diese Zustände welche diese Krankheit mit sich bringt, wochenlang verstopfung dann wider Diarhöe nicht zu stillen, der Urin fließt fortwährend und muß ich {wie} für ein kleines Kind Windel waschen nur mit dem Unterschied daß es gefährlich und ekelhaft ist, denn niemand weihe ich in dieß schrekliche Geheimniß [ein] mache mir alles selbst und würde es stets ohne Klage thun wüßte ich nur daß sie mir erhalten bliebe so aber diese trostlose Aussicht vor Augen, ihr Trost zu sprechen ohne selbst welchen zu haben, ihr Hoffnungen machen und selbst an keine glauben, dieser Dunst, diese erstikende Atmosphäre die sie nicht empfindet und von der andere empfinden es nicht sagen dürfen. Wahrlich solche Schmerzen solchen Jamer verdint doch nur ein Mensch welcher sich unverzeihlich gegen Gott und gegen die Menschen vergangen hat und sie war stets rein und gut ein tugendhaftes Mädchen eine Muster Gattin an Treue und Geduld ein Vorbild der Sitte und Moral eine einzige Mutter, wahrlich wenn uns Tugend und ein Sittenreines Leben so gelohnt wird dann lebe der Leichtsinn die Frivolität, oder ist es so daß Gott die Gerechten prüfet und gerade die Gerechtesten am schwersten dann gebe er uns einen felsenfesten Glauben eine unerschüterliche Hoffnung auf eine Vergeltung im Jenseits, denn wir sind nur schwache Menschen und der Verzweiflung zugänglicher als der göttlichen Vollkomenheit. So stehe ich da zerfallen mit allem zweifelnd an allem, die Zukunft so sehr traurig, die Vergangenheit voll Täuschungen kämpfend mit dem Herzen voll begehrender Liebe und entsagender 351 Dokt. Podhaiski – Vincenz Podhaisky, vgl. Anm. 230.

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Pflicht, ein armes blutendes zerissenes Menschenherz, beneidet um das Leben von den kurzsichtigen Menschen. Mai 1885352 Ich habe keine Mutter mehr – Nach langen schmerzhaften Leiden hat der Tod sie am 5 April am Ostersonntag erlöst.353 Vor ihren letzten Athemzuge rann eine Träne über ihre Wange es war die letzte einer Dulderin, einer edlen guten Seele. Wenn es eine Vergeltung gibt, dann möge ihr vergolten werden was sie auf Erden Gutes getan. Die lange aufopfer[n]de Pflege brachte mir als Alles vorüber [war] ein Nervenfieber daß mich 4 Wochen aufs Krankenlager warf. Nun bin ich wider so weit, um den Kampf mit dem Schiksal neuerdings aufzunehmen. Die Liebe zu meinen braven guten Kinde erhält. Was wird jetzt kommen? Hans 10 Jahre nach seiner Heimkehr Heute sind es 10 Jahre, daß {Du mir von} Gott dich mir zum 2tmal geschenkt worden bist. Möchten die schweren Jahre der Gefangenschaft der Vergessenheit anheim gegeben sein und Du noch viele Jahre ungetrübtes Glük in Deiner Familie genießen. Das wünscht Dir in innigster Liebe Dein Mütterlein.354

352 Auf die Seite 149 folgt 152 – ein Blatt, Reste davon sind im Bundsteg noch sichtbar, wurde herausgerissen. 353 Auch nach dem Begräbnis der Anna Teuschl bedankte sich die Familie per Inserat für die Anteilnahme; vgl. KWB, 30, 15, 11. 4. 1885, 10. Der Verlassenschaftsakt von Anna Maria Teuschl ist nicht erhalten geblieben; vgl. vgl. NÖLA, Bezirksgericht (BG) Krems, Verlassenschafts-Register, o. S., IV 1885/123. 354 Dieser allerletzte Eintrag ist auf anderem Papier geschrieben und in das Tagebuch eingeklebt worden. Die restlichen Seiten 153–179 sind nummeriert aber leer.





Die letzte Seite von Wetti Teuschls/Barbara Baumgartners Tagebuch

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Ueber die Erholungsbedürftigkeit der Frau.355

Die beispiellos harte und lange Kriegszeit und ebenso die darauffolgende Periode sozialer und wirtschaftlicher Wirren hatte uns alle ganz willenlos und förmlich automatisch gezwungen, unsere Wünsche und Bedürfnisse körperlicher und geistig-seelischer Art auf ein Mindestmaß herabzusetzen, das wohl kaum mehr gesteigert werden konnte. Jeder Tag brachte neue, schwer zu lösende Probleme, jede Stunde setzte uns vor neue, ungeahnte Aufgaben. Die Hausfrau wurde zur erwerbenden Frau, die erwerbende mußte infolge Mangels an Personal auch die Hausfrauentätigkeit mitübernehmen, ja, sogar vieles, was bis dahin ausschließlich Männersache gewesen war, ging in Frauenhände über, da die Männer vieler, ja, der meisten Familien im Felde dienten oder zu Kriegsdienstleistungen einberufen worden waren, die sie so vollständig in Anspruch nahmen, daß für Haus und Hof, für Heim und Familie weder Zeit noch Kraft übrigblieb. Es mußte Raubbau am Körper und Geist getrieben werden, ohne daß auch nur eine geringe Pause der Muße und Sammlung eingeschaltet werden konnte. In den Aemtern und bei Privatunternehmungen wurden die Urlaube eingestellt und an ihrer Stelle Doppelschichten und Ueberstunden eingeführt. Man hetzte und jagte und konnte niemals zu Atem kommen. Die wenigen Stunden der Erholung, die einer Frau, sei es der erwerbenden, sei es der im Haushalt tätigen, früher gegönnt waren, gingen dadurch verloren, daß man sich stundenlang anstellen mußte, um nur die allernotwendigsten Nahrungsmittel aufzutreiben; daß man selbst den von der Natur als unumgänglich notwendig verlangten Schlaf häufig opfern mußte. Es entstand eine Uebermüdung, ein übergroßes Anspannen der Kräfte gerade bei der Frau, das endlich einen Zustand der Mattigkeit, der Verdrossenheit hervorrief, den wir häufig noch bei so vielen Frauen und Müttern wahrnehmen können, und der seine 355 Orig. in: Rohö-Flugblatt. Mitteilungen über alle Aktionen der Reichsorganisation der Hausfrauen Österreichs, 5, 8, 15. 4. 1925, 4. Die Rohö – Reichsorganisation der Hausfrauen Österreichs – wollte sämtliche Gesetze und Verwaltungsmaßnahmen beeinflussen die hauswirtschaftliche Interessen berührten. Hausfrauen sollten in alle einschlägigen Beratungen und Entscheidungen aktiv einbezogen werden. Auch eine offizielle Wertung der Hausfrauenarbeit gehörte zu den Zielen des Vereins. Das Jahr der Gründung ist unklar – 1902 oder 1909; zu den Protagonistinnen gehörten Fanny FreundMarcus (Präsidentin), Else Beer-Angerer oder Adele Hirschenhauser. Das „Rohö-Frauenblatt – für die wirtschaftlichen und kulturellen Interessen der Frau in Staat, Gemeinde und Einzelhaushalt“ erschien von 1921 bis 1927, ab Jg. 2, Nr. 4 als „Rohö-Flugblatt. Mitteilungen über alle Aktionen der Rohö“, ab Jg. 5, Nr. 17 unter dem Titel „Die Hausfrau. Offizielles Organ der Reichsorganisation der Hausfrauen Österreichs.“ Vgl. Ariadne, Frauen in Bewegung, Frauenvereine, ; Zugriff: 23. 5. 2008.

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Ursache nur darin hat, daß dem allzu übermäßigen Verbrauch an Kräften keine ausgleichende Erholungsmöglichkeit gegenüberstand und -steht. Wir leben im Zeitalter der gewollten und mit allerlei Mitteln angestrebten Sanierung. Leise Anzeichen deuten darauf hin, daß wir uns auf dem Wege befinden, normalem Vorkriegsmäßigen näherzukommen, und wir wollen es nicht unterlassen, zu betonen und laut und deutlich auszusprechen, daß wir es nicht nur für wichtig, sondern für unerläßlich halten, daß auch wir in der Tätigkeit als Frauen und Mütter dahin streben müssen und werden, daß dem Uebermaß an Pflichten, die wir bisher als nötig und unvermeidlich trugen, in Zukunft auch wieder jene Rechte und Möglichkeiten gegenübergestellt werden, die wir teils schon besaßen, teils noch erringen und erkämpfen wollen. Und hieher gehört als eines der ersten das Recht auf Erholung – Erholung, das ist ein Ausruhen und Entspannen –, das ist für jeden Menschen, daher auch für die Frau ein Bedürfnis, das sie auf die Dauer nicht unterdrücken darf und kann, ohne sich Gesundheit und Lebensglück zu untergraben und zu vernichten. Während beim Manne in Amt und Fabrik, in Werkstätten und Bureau sogar vom Gesetze durch Höchstleistung geregelte Urlaubserteilungsnotwendigkeit schon anerkannt und zumeist auch durchgeführt ist, leidet gerade die im Haushalt beschäftigte Frau noch immer unter einem Mangel an Erholung, wogegen die selbständig im Beruf tätige Frau es verstanden hat, gerade in den letzten Jahren dem Manne näherzukommen und Vorteile sich zu erringen, die es ihr bei ihrer finanziellen und auch von der Hausarbeit unabhängiger gewordenen Lage ermöglichen, einen regelrechten Erholungsurlaub zu beanspruchen und zu erhalten. Am schwierigsten und härtesten liegen diese Dinge noch immer bei der Hausfrau und Mutter, die unbegrenzte Arbeitszeit hat, Tag und Nacht zur Stelle sein muß, um ihren tausendfachen Verpflichtungen gerecht zu werden. Als Erste des Morgens am Werk, geht sie als Letzte zu Bett, stets hilfsbereit, emsig besorgt, daß vom Frühstück bis zum Abendessen alles recht und ordentlich vor sich gehe. Wenn der Mann seine Arbeitsstunden hinter sich hat, sucht er, und mit Recht, zu Hause ein behagliches Heim, eine gut und schmackhaft zubereitete Mahlzeit und dann ein paar Stunden –  E r h o l u n g  – Ruhe. Die Frau hingegen, die die ganze Zeit, während der Mann außer Haus gearbeitet hat, damit zugebracht hat, die Wohnung aufzuräumen, einzukaufen und zu kochen, sieht sich nun erst recht genötigt, alle Kräfte anzuspannen, sie muß das Gesicht in freundliche Falten legen, um dem heimgekommenen Manne die begehrte und gesuchte Bequemlichkeit zu bieten. Sie muß ihm aufmerksam entgegenkommen, ihm alles handgerecht darbieten, freundlich und gefällig auf seine Unterhaltung als gute Kameradin eingehen, und wenn er der Ruhe pflegt, einen Spaziergang macht oder sich einer anregenden Lektüre hingibt, schon wieder die nötigen Vorbereitungen und Arbeiten für den Abend treffen. Und selbst wenn es ihr bei großem Fleiß und Geschicklichkeit gelingt, ein oder zwei Stunden sich frei von Beschäftigung zu halten, ist sie dann so müde und abgespannt, daß ihr auch eine kleine





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Zerstreuung in Gesellschaft des Mannes oder sonstiger Nahestehender schon mehr als Pflicht erscheint denn als Vergnügen. Und eine Mutter –? Sie ist ein wahres Wunder der Schöpfung. Was sie leistet und vollbringt, kann wohl niemals richtig eingeschätzt und geschildert werden. Sie ist unerschöpflich und unermüdlich in der Sorge um ihre Kinder, sie versagt sich selber das Beste, um es ihren Kindern darzubieten, und ist mit tausend Fäden an Heim und Familie gebunden. Leistet dabei eine Arbeit, für die es wohl kaum einen Maßstab gibt, die aufreibt und zur Selbstaufopferung wird, wenn der Segen Gottes sich einigemal wiederholt. Sie verausgabt Jugend und Kraft, Gesundheit und Freiheit in unbeschränktem Maße, und findet selbst des Nachts nicht Ruhe. Es wäre endlos, dieses Heldentum zu schildern und auszumalen, und es wäre unmenschlich, solchen Leistungen nicht wenigstens jene Entschädigung zu bieten, die nötig ist, um Gesundheit und Lebensenergie zu erhalten, eine Gesundheit, die von höchster Bedeutung ist für den physischen Zustand auch der nächsten Generation. Wenn zu all dem nur kurz Skizzierten noch der Zwang tritt – und es ist gerade heute häufig der Fall –, mitzuverdienen, dann kann man nicht mehr von einem Recht auf Erholung sprechen, nicht mehr von einem Erholungsbedürfnis, sondern von einer Pflicht zur Erholung, die, zu gewähren und zu ermöglichen, nicht allein Sache der einzelnen Familien, sondern gewissermaßen als soziale Frage Sache der Allgemeinheit sein wird und muß. Betti Gerstl. Ein Kapitel über Nervosität.356

Jüngst hörte ich einen Vortrag: „Der Mensch soll zur Ausspannung seiner Nerven alle zwei Stunden ruhen!“ Dies ist dasselbe Rezept, wie wenn der Arzt dem Kranken, Unterernährten kräftige Kost, Rotwein usw. empfiehlt. Der Rat ist unstreitig gut, aber die Ausführung? Wer verschafft dem Unterernährten oder Kranken die Mittel, den Rat zu befolgen? Wo kann der geistige oder manuelle Arbeiter oder Arbeiterin sich alle zwei Stunden Ruhe gönnen? Oft muß es ihm genügen, nur auf ein paar Minuten die Augen zu schließen. Wo findet die geplagte Hausfrau die oftmaligen Ruhepausen, da ihr doch manchen Tag keine einzige gegönnt ist? Wenn es die Möglichkeit gäbe, alle diese Ratschläge, welche in Vorträgen, Abhandlungen, Büchern usw. gegeben werden, zu befolgen, gebe es überhaupt keine Nervösen und einen sehr geminderten Stand kranker Menschen. Wir leben ja im Zeitalter der Nervosität, es ist dies vielfach ein Zeichen der Zeit. Aber was vielfach als Nervosität gedeutet wird, ist nicht[s] als die allgemeine Unzufriedenheit, die Sucht zu genießen und es besser Gestellten gleichzutun und der Mangel an Mitteln dazu. Die Frau wünscht sich dies und das, der Mann kann es nicht bieten, 356 Orig. in: Rohö-Flugblatt, 5, 10, 15. 5. 1925, 6.

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die Frau wird gereizt, sie wird aber den wahren Grund nicht zugeben, sie wird einfach sagen, ich bin nervös. Der Mann geht verbittert aus dem Haus, trifft im Amt oder Geschäft Unannehmlichkeiten, ist ebenfalls gereizt; es wird dann gesagt, der Chef ist heute wieder nervös! Und doch wäre hier wie dort ein volles Portemonnaie die sofortige Heilmthode [sic] für derlei Nervositäten. Dasselbe sieht man schon an den Kindern. Es wird ihnen zuerst in allem nachgegeben, alle ihre Wünsche gewährt. Mit den Jahren steigen die Wünsche, können nicht mehr so leicht oder gar nicht befriedigt werden. Die Kinder wolle es erzwingen; die Eltern wollen nicht zugeben, daß ihre Erziehungsmethode daran schuld ist, sondern werden sich sagen: Gott, wie heutzutage die Kinder schon nervös sind! So ist in vielen, ja sehr vielen Fällen Nervosität als Entschuldigungsgrund für Unarten, Unzufriedenheit und Familienzwistigkeiten, ja sogar Ehescheidungen und Selbstmorde. Würden wir dies richtig und rechtzeitig erkennen und das Uebel an der Wurzel erfassen, dann wäre manches besser und das Zusammenleben der Menschen ungleich glücklicher und frei von jenem bitteren Zusatze der Aufgeregtheit, Gereiztheit und dem Unbehagen der „Nervosität“, die es heute vergiftet. Pflanzet in die Herzen eurer Kinder jene Genügsamkeit und anspruchslose Bescheidenheit, aus der allein das seelische Gleichgewicht und jene wohltuende Ruhe und Gelassenheit entsteht, die wir heute mehr denn je brauchen, um wieder lebensfrohe und glückliche Menschen zu werden. Euch Müttern obliegt in erster Linie diese unerläßliche Aufgabe und ihr werdet damit euren Kindern einen wertvollen Besitz schaffen und mitgeben ins Leben! Betti Gerstl. Offener Sprechsaal. Wie weit kann und soll die Mutter auf ihre erwachsenen Kinder Einfluß nehmen.357

Um diese Frage richtig zu beantworten, ist es vor allem nötig, den Begriff „Erwachsene“ möglichst genau zu erfassen. Ich glaube Kinder sind dann erwachsen, wenn sie aus dem schulpflichtigen Alter, aus der Zeit der reinen Nachahmung herausgekommen sind und mit den ihnen innewohnenden und in Schule und Elternhaus entwickelten Fähigkeiten beginnen, selbständig ihrem Erwerb und daraus Lebensweg zu suchen. Bei vielen ist diese Zeit tatsächlich die des selbständigen Verdienens, da ihnen Geld oder Gelegenheit, manchmal auch beides fehlt, um ihren Bildungsgrad und ihre Kenntnisse zu erweitern. Sie treten in die Lehre, verlassen häufig das Elternhaus oder ziehen in die weite Welt. Bis zu dem Augenblick waren sie nebst dem Lehrer ganz und gar den Eltern, hauptsächlich der Mutter, unterstanden, die es, je nach Klugheit und 357 Orig. in: Rohö-Flugblatt, 5, 12, 15. 6. 1925, 8.





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Intelligenz, verstanden hatte, das junge Menschlein zu leiten und in jene Bahnen zu führen, die ihr als die besten erschienen für die Zukunft ihres Kindes. Daß es in erster Linie die Mutter war, ist allbekannt und scheint schon von der Natur gewollt zu sein, und darum ist es nicht nur begreiflich, sondern sogar selbstverständlich, daß die Kinder auch späterhin das Bedürfnis nach diesem wohltätigen Einfluß haben, dem sie so lange unterstanden. War der Einfluß der Mutter bis dahin ein unbegrenzter, so hat von dieser Stunde an ein Wandel in der Richtung einzutreten, daß sie die Selbständigkeit und die Notwendigkeit eigenen Handelns und Denkens bei dem erwachsenen Kinde nicht hindert. Es ist auch zu unterscheiden, ob das Kind männlichen oder weiblichen Geschlechtes ist, da die Mädchen längere Zeit hindurch oft bis zu Verheiratung wenn sie frühzeitig erfolgte, an der Mutter hängen und ihrer Hilfe in Rat und Tat bedürfen, während die Knaben infolge ihrer Naturanlage und anders eingestellter Erziehung früher auf eigene Füße sich stellen. Diese Kinder erscheinen nun in ihrer Weltunerfahrenheit Theoretiker, die zum erstenmal vor die Aufgabe gestellt sind, die Theorien und angelernten Grundsätze in die Wirklichkeit umzusetzen. Sie werden hiebei auf Hindernisse und Schwierigkeiten stoßen, und was ist näherliegend, als daß sie auch in dieser Zeit noch zur Mutter flüchten, der sie unbegrenztes Vertrauen entgegenbringen und die ihnen hilft, die heikelsten und verworrensten Probleme des Lebens zu lösen. Und für mich unterliegt es nicht dem geringsten Zweifel, daß jede gute Mutter es auch dann noch nicht für ihr Recht, sondern geradezu für ihre Pflicht hält, auch dem Erwachsenen jederzeit hilfreich an die Hand zu gehen und wie die Wirklichkeit zeigt, oft auch unter Einsetzung und Aufopferung des eigenen Ich. Die Schwierigkeit liegt nur darin, es so zu tun, daß das Selbständigkeitsgefühl, das Selbstvertrauen des Erwachsenen hiedurch nicht beeinträchtigt oder gar erschüttert wird, da sonst unselbständige, lebensuntüchtige Menschen herangezogen würden, die, wenn sie des Einflusses aus irgend einem Grunde dann entbehren müssen, hilflos scheitern und unglücklich werden. Also nicht mehr „bemuttern“, sondern sonst und möglichst unmerklich beeinflussen, durch die Autorität der Stellung, des Alters und der Tüchtigkeit, wohl auch einer reicheren Lebenserfahrung, dies ist das Rezept, Kindern [sic], die einem schon über den Kopf gewachsen zu sein scheinen, dennoch in der Hand zu haben und dem gewünschten glücklichen Leben entgegenzuführen. Es ist dies wie bei einem guten Gärtner, der sich nicht damit begnügt, ein Bäumchen aus einem Samen zu ziehen, sondern der diesen Baum auch dann noch liebevoll im Auge behält und nach Tunlichkeit hegt, wenn er schon großgeworden ist und selber Früchte trägt. Dies erfordert natürlich Selbstzucht, Selbstbeschränkung und Vermeiden alles dessen, was ein Kind an der Ueberlegenheit der Mutter zweifeln ließe. Daß ein solcher fortdauernder, stiller Einfluß notwendig ist, beweist am besten der Umstand, daß gar viele, schon hochbejahrte Menschen es erst fühlten und verstanden

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was ihnen die Mutter bis zur letzten Stunde war, wenn sie dieselbe endgültig verloren hatten – und ihnen nichts mehr übrig blieb als ein nie endender Dank. Betti Gerstl. Was versteht man heute unter standesgemäßer Lebensführung?358

Standesgemäß zu leben ist ein Recht und eine Pflicht zugleich. Die eingehende und, soweit es in diesem Rahmen möglich ist, – erschöpfende Beantwortung der Frage, was man heute unter standesgemäßer Lebensführung versteht, setzt eine Zweiteilung voraus. Jeder von uns ist infolge seiner Beschäftigung, seines Berufes usw. aber auch infolge seiner Intelligenz und seines Bildungsgrades in eine bestimmte Schichte unserer Gesellschaft hineingewachsen, in der er sich im allgemeinen bewegt und deren Lebensführung er angenommen hat und teilt. Die oberen Zehntausend, der Mittelstand und das Proletariat bestehen immer noch, wenn auch heiße soziale Kämpfe und mächtige Verschiebungen die Zahl und Grenzen immerfort ändern und jeder von uns lebt – oft uneingestanden und unbewußt in dem einer solchen Schichte oder ihrer Unterteilung entsprechenden Aufwande, sucht sich seinen Verkehr mit Vorliebe in dem gleichen Kreise, kurzum, lebt einem bestimmten Stande gemäß. Da einem bestimmten Stande auch durchschnittlich ein bestimmtes Einkommen entspricht, so soll man, um als ehrenhafter Mensch zu gelten, seine Ausgaben und seine Lebenshaltung diesem Verhältnisse anpassen, das heißt, er darf nur so viel ausgeben, als er einnimmt, als seiner Klasse sozusagen erlaubt ist, will er nicht in Schulden kommen oder sein Leben finanziell so zerrütten, daß er den Boden verliert und in eine tiefere Schicht hinabsinkt. Seine Lebensgewohnheiten, seine Kleidung, seine gesamten Bedürfnisse überhaupt müssen bei standesgemäßer Lebensführung mit seiner Stellung übereinstimmen. Geht er darüber hinaus, verliert er materiell den Boden unter den Füßen, geht er darunter, wird er sich nicht wohl fühlen und häufige Unannehmlichkeiten und Anfechtungen seiner Mitmenschen ausgesetzt sein. Gleichzeitig mit diesem ersten, dem materiellen Teile, gibt es auch einen zweiten, den kulturellen oder ethischen Teil, der ihn verpflichtet und zwingt, in seinem Betragen und in der Art seines Zusammenlebens mit den anderen Menschen jederzeit jenes Maß von Herzens- und Geistesbildung aufzuwenden, das seinem Stande und seiner Erziehung entspricht. Daß wir von einem Professor in dieser Hinsicht mehr zu verlangen berechtigt sind als von einem bescheidenen Hilfsarbeiter, wird wohl jedem einleuchten und in dieser Hinsicht standesgemäß zu leben mag vielleicht noch nötiger und wichtiger sein, als in materieller. Wenn jemand durch unvernünftiges Leben sich 358 Orig. in: Rohö-Flugblatt, 5, 14, 1. 8. 1925, 2.





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selbst deklassiert, so ist es seine eigene Sache, wenn er durch sein schlechtes Beispiel seinen Stand herabsetzt und andere unter sich stehende, die ihm gerne nachzuahmen suchen, mit sich reißt und moralisch verschlechtert, hat er eine schwere Schuld auf sich geladen und nicht nur sich, sondern auch andere geschädigt. Richtig bilanzieren, ehrlich bezahlen, nicht mehr ausgeben, als man auf redliche Weise in der Tätigkeit seines Standes verdienen kann und geistig und kulturell niemals unter seinen eigenen Stand herabzusinken, das heißt in meinen Augen standesgemäß leben. Womit aber durchaus nicht ein gegenseitiges Absondern und die Pflege des so häßlichen anmaßenden Klassengeist verbunden sein soll. Jedes darüber und darunter macht lächerlich und stiftet Schaden und Unheil! Betti Gerstl.

Das Gedenkblatt

Gedenkblatt.

1. Mein Vater Anton Teuschl ist geboren am 13 Juni 1818 als Sohn eines Haus und Wirthschaftsbesitzers in Wösendorf a/D. Wachau.359 Er hatte 2 Brüder und 4 Schwestern. Er starb 28 Dez. 1878 im 61 Jahre in Folge eines Unfalles. Er stürzte auf Glatteis, brach den Fuß und rieß sich die Sehne. Der Fuß mußte abgenommen werden, es kamm der Brand dazu. So starb ein lebensfrischer, gesunder Mensch. Seine Eltern kannte ich nie. – Meine Mutter Anna Maria Kaltenhuber. Geboren am 3 Februar 1826. Die Eltern waren Wirthschaftsbesitzer in Paudorf360 bei Göttweig. Von ihren Eltern361 kannte ich nur den Vater welcher 1868 in Furth bei Tante Rötzer starb. Im 82 Jahre. Sie hatte nur 2 Schwestern. Eine seelengute Frau, die beste Stütze für ihren Gatten, die beste liebende Mutter für ihr Kind. – 2 Kinder, einen Knaben und ein Mädchen starben mit 1 ½ und ¾ Jahren. – Hilfreich und gut mußte sie leider schon im 58 Jahre nach schwerem Leiden sterben. [2.] Sowie es heute Überlandautos gibt, so gab es damals Gesellschaftwagen, sogenannte Stellwagen für 12 bis 16 Personen mit Pferdebetrieb. Krems hatte mit Wien nur die Verbindung über St. Pölten zur Westbahn welche ab Wien nach Ob. Österreich verkehrte. Weiters per Wagen nach Stokerau,362 wo ein Flügel der Nordbahn nach Wien fuhr. – Unsere Stellwägen verkehrten daher täglich nach St. Pölten und Stokerau. Ausserdem aber noch nach Langenlois,363 Gföhl, und

359 Wösendorf – Markt am Donauufer südwestl. von Krems (ca. 15 km). 360 Paudorf – Straßendorf im Bez. Krems, ca. 8 km südl. der Stadt. 361 Josefa Kaltenhuber, geb. Maurer, (18. 4. 1792–14. 5. 1854) und Josef Kaltenhuber (1786–23. 2. 1868), Weinhauer und Wirtschaftsbesitzer. Beide sind auch in Paudorf geboren. 362 Stokerau – Stockerau, ca. 21 km nordwestl. von Wien an einer wichtige Verkehrsgabelung gelegen. Im 19. Jh. war die Stadt zum zentralen Schul- und Industrieort des Weinviertels geworden – v. a. durch den Bahnbau (Nord- bzw. Nordwest-Bahn). 363 Langenlois – Weinhauerstadt, ca. 5 km nordöstl. von Krems.





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Kirchberg,364 Zwettl, Gars365 und Horn366 {Maria Zell}.367 Teilweise führten sie auch die Post mit. – Es gab auch viele Privatfuhren, da wir die Probstei, Bezirkshauptmanschaft und sämmtliche Doktoren der Rechten und Linken zu Kunden hatten. Bei besonderen Anlässen waren die Kutscher in Draglivre368 mit silbernen Knöpfen. Mein Vater war bevor er sich selbstständig machte Postillon und Staffetenreiter wo er im Jahre 1848 wichtige Depeschen zu überbringen hatte, besonders als der Kaiser auf der Flucht war, welche Route auch über Mautern ging, ob auch über Krems weiß ich nicht mehr. Solche Ritte waren sehr gefährlich, aber auch ehrenvoll 3. weil sie nur vertrauenswürdigen übertragen wurden. Es gab auch reichliche Trinkgelder, ganze Hände voll alte Silberzwanziger. Sie wurden der Grundstok seiner künftigen Existenz. – Mein Vater war kaum 1 Jahr Besitzer des Hauses als im {14.} Juni 1858 (?) ein großer Brand im Hause Herzogstrasse 1. ausbrach. – 7 Häuser fielen den Brand zum Opfer, wovon unseres das letzte war. – Da kam erst die Feuerwehr. – Es war zwar schon Militär requirirt, welche aber mehr schadeten als nützten. – Das Haus war ehemals ein Färberhaus, daher sehr viel Holz auf den Trokenböden was reichlich dem Feuer nahrung bot. Auf den Hausböden war sehr viel Hafer, Heu etz. eingelagert. Der Schade[n] war sehr groß. – Die Mutter übergab mich einer Partei bei der ich bleiben sollte. – Ich sah von der Tür die rot glühende Eisenbodentür und erschrak derart, daß ich davonlief mich durch das Militär durchdrängte und schreiend durch die Gassen lief. Fremde Menschen hielten mich auf, man brachte mich in ein fremdes Haus. – Dadurch machte ich meinen Eltern welche reteten was zu reten war, grossen Kumer, da sie mich überall suchten, bis die Leute die mich aufgehalten, es den Eltern sagten. 4. Ich schlief auch bei den fremden Leuten wo mich Vater um ½ 3 Uhr früh besuchte und beruhigte, weil erst da das Feuer welches sich wiederholt frisch entzündete gänzlich erloschen war. – Das ganz Haus wurde teils neu, teils umgebaut, daß es vom ursprünlichen gar nichts mehr hatte. – 364 Kirchberg – hier kommen zwei Orte in Frage: der Markt Kirchberg am Wagram im Bez. Tulln, etwa 25 km östl. von Krems, und Kirchberg am Walde im Oberen Waldviertel im Bez. Gmünd, ca. 65 km nordwestl. 365 Gars – Markt im Bez. Horn, ca. 33 km nördl. von Krems. Ab dem 19. Jh. eine beliebter Sommerfrische mit villenartige Verbauung. 366 Horn – Stadt im östl. Waldviertel, ca. 45 km nördl. von Krems. 367 Am rechten Seitenrand hinzugefügt. 368 Draglivre – Livrée: uniformierte Kleidung der Dienerschaft, also auch der Kutscher. Möglicherweise kombiniert der Begriff Dragoner (Reitertruppen) und Livrée.

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Es trat einmal eine Seuche bei Pferden auf. Die sogenannte Rotzkrankheit. Die Komission konstatirte daß auch unser Stall verseucht sei, und es wurden die vorgefundenen Pferde sofort weggeführt und wahrscheinlich getödtet. Mein Vater war aber rechtzeitig gewarndt worden, er verkaufte wohl einige ins Waldviertel, während er die wertvollsten nach Furth zu den Verwandten brachte, wo sie verstekt blieben. – Bis wieder seuchenfrei erklärt wurde. – Natürlich mußte er frische Pferde kaufen und die verstekten kammen wieder nach Hause. – Da weder die verkauften noch die verstekten erkrankten, so ist wohl anzunehmen, daß auch die sechs konfiszirten, gar nicht krank waren. – 5[.] Episoden mit den Kutschern: Eines Nachts kamm ein Kutscher nach Hause, sein Wagen hatte nur 3 Räder, doch er sowie sein Fahrgast ein Gendarm, wußten nichts davon. Er hatte eine Fuhr nach St. Pölten. Zur Rückfahrt den erwähnten Fahrgast. Beide hatten so über den Durst getrunken daß sie es gar nicht merkten, daß sie im Meidlingertal369 ein Rad verloren hatten und von dort bis ins Haus in Krems mit 3 Rädern fuhren. Die Axe war wie ein Radschuh geschliffen. – Ein Kutscher ein Ungar erhielt einen Verweis, aus Rache, stach er unseren Leibpferd ein Messer in den Bauch. Das Pferd wurde aber zum Glück geretet. – Es gab da ein paar alte verheiratete Kutscher welche zu widerholten malen bei uns bedienstet waren. Eine Zeit lang hielten sie sich brav. Dann wurden sie wieder nachlässig und faul. Da flogen sie hinaus. – Wenn es ihnen wieder recht schlecht ging, schlichen sie immer ums Haus herum und warteten ab. War dann einmal ein Dinstwechsel dann kammen sie bitten und Vater sagte: No so komm herein, wennst aber wieder kein Gut tutst, so kommst mir nimmer herein. Dann kleidete er sie vom Fuß bis zum Kopf mit eigenen Kleidern, da waren sie dankbar und brav, bis es ihnen wieder zu gut ging. Das wiederhollte sich öfters. – 6. Obwohl Vater keine Note kannte, blies er nicht nur das Posthorn, spielte sehr gut Zither und Klavier nach dem Gehör auch noch nach späteren Jahren. Hörte er bei einer Militärdefilierung einen feschen Marsch, kamm er nach Hause und spielte am Klavier den Marsch möglichst genau nach. In seiner Jugend hatte eine Schwester Hochzeit. Zum Tanz spielte er ihnen auf der Zither auf. Nach und nach als schon alle Saiten bis auf eine gerissen waren, spielte er nur {auf } der letzten, pfiff dazu und gab mit dem Fuß den Takt, und alle tanzten dabei. Da bewahrheitete sich das Sprichwort: Wer gerne tanzt, dem ist leicht gepfiffen.

369 Meidlingertal – in der Nähe des oben erwähnten Ortes Paudorf; dort waren bereits gut zwei Drittel der Strecke St. Pölten – Krems bewältigt.





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Er machte auch gerne Stegreif Gstanzeln370 welche sehr gelungen waren. – Schmeichler konnte er aber nie leiden. Sein Prinzip war: Der mir schmeichelt hat mich schon betrogen, oder er will mich betrügen. – Etwas sehr schönes waren im Winter die Schlittagen, wo 30 bis 40 Schlitten mit Musik entweder dekorirt oder maskirt, eine Schlittage mit dem Ziel, Furth – Langenlois – Königsalm371 machten. Dort war dann Unterhaltung und Tanz. – Wenn ich kutschierte nahm ich mir eine Freundin als Gast mit, Vater besorgte rükwärts am kleinen Sitz das Peitschenknallen. 7. Einmal war eine maskirte Fahrt. Der Vater hatte damals einen Schimmel als Leibpferd. Er selbst war maskirt und damit ihm ja niemand erkannte, wurde der Schimmel am ganzen Körper bemahlen, war sehr originell, wirklich schön. Bei der Desmaskirung natürlich ein großes Haloh. Den Schimmel aber wieder weiß zu waschen, keine Kleinigkeit. Leider waren diese Schlittagen sehr selten, da zu den Vorbereitungen doch Zeit nötig war, empfahl sich öfter der Schnee zu früh und einmal fuhren wir mehr im Wasser als im Schnee da gerade Tauwetter einbrach. Lustig war‘s doch. – In dem unseligen Jahr 1866 wo der Krieg mit Preußen war, gab es viel Leid und Drangsalierungen. Als unsere Truppen requirirten, setzte ein Soldat meiner Mutter das Bajonett an die Brust drohte sie niederzustechen wenn sie nicht sagt wo der Vater ist. – Sie nahmen Pferde und Wägen wo sie, sie fanden, aber mit den versprochenen Bezahlungen konnte man auf die Suche gehen. – Später wurden Stein und Krems vom Militär ganz emblößt, während in Palt und Furth 100 bis 120 Mann in jeden Haus einquatirt waren. Das das Strafhaus in Stein ohne Bewachung war, so mußten die Bürger hauptsächlich der Schützenverein die Bewachung übernehmen. 8. So mußte der gute Vater dort wie ein Soldat auf Wache stehen. – Mich und ein zweites Mädchen wollte man nach Mariazell schiken wir gingen aber nicht. Übrigens hatte Krems die Preußen gar nicht zu sehen bekommen ausser einigen preußischen Offizieren die sich die Stadt besichtigten, den weiter als bis Gars und Horn sind sie nicht gekommen. Darum war auch das Abbrenen der Steiner Donaubrüke {eines} der dümsten Stüke in diesem Krieg. Bei diesem traurigen Schauspiel als Stük um Stük der brennenden Brüke ins Wasser stürtzte bei Nacht ein schauerliches unvergeßliches Bild, blieb kein Auge troken. – Und wie weit weg war der Feind. – Die fehlende Brüke mußte 370 Gstanzeln – populäre satirische Vierzeiler, oft improvisiert gesungen. 371 Königsalm – Ausflugsziel 13 km nordwestl. von Krems; zu Alm und Wirtshaus führt eine kurvenreiche Strecke durch das Kremstal.

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durch Verkehr mit Schiffen, sogenannten Plätten ersetzt werden. – Das war keine Kleinigkeit, da die Verbindung zur Westbahn mit unseren Gesellschaftswägen auf diese Art nur schwer möglich gewesen wäre, mußten wir die Wägen und einen Teil der Pferde ständig in Mautern haben und daß war ein ständig hin und her, eine große Mühsal. – Unser liebes Hunderl „Schnapsel“, begleitete den Vater nach Stein, trozdem er ihm wiederholt zurück jagte wich er nicht. Als Vater das Schiff bestieg, dachte er nun wird [er] schon nach Hause laufen. Als das Schiff vom Ufer abstieß, sprang der Hund ins Wasser und ging unter. Getreu bis in den Tod, wurde der kleine liebe Kerl auch ein Opfer des Krieges. – – – Am 15 März 1936 schrieb ich diese Zeilen {meiner Enkelin}372 als Erinnerung aus ihres Urgroßvaters Leben. Betti Gerstl, verw. Baumgartner, geb. Teuschl, im 85 Lebensjahre.

372 Antonie Baumgartner (12. 2. 1902–25. 8. 1992).

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Auf Basis eines Tagebuchs – auch wenn es ein ganzes Leben umfassen sollte und nicht nur 15 Jahre wie hier – eine Biografie zu erstellen, wäre in mehrerlei Hinsicht problematisch. Ein Tagebuch enthält nur Facetten eines ‚ganzen‘ Lebens – Schreiben ist eine Aktivität unter vielen –, es bietet Momentaufnahmen, ist stets ausschnitthaft, inhomogen und in Gestaltung.1 Die Einträge lassen die Komplexität einer Lebensgeschichte meist nur erahnen – eine solche will hier nicht erzählt werden. Vielmehr soll eine Zeittafel einen Überblick zu jenen Ereignissen bieten, die Wetti Teuschl und später Barbara Baumgartner im Tagebuch als wichtig anführt – das Fragmentarische, Ungewichtete der edierten Quellen soll damit erhalten bleiben beziehungsweise sich in dieser Zeittafel abbilden. Die persönlichen Daten werden mit ausgewählten allgemeinen Ereignissen in Relation gesetzt, insbesondere mit solchen, die von Bedeutung für das Leben der Tagebuchschreiberin waren oder sein hätten können. 1851 Am 3. Dezember wurde Barbara Teuschl in Krems als Tochter von Anna Maria und Anton Teuschl geboren. Der Vater Wetti Teuschls war Fuhrwerksunternehmer, Bürger und Hausbesitzer. Am 31. Dezember führte das „Sylvesterpatent“ Kaiser Franz Josephs I. die absolute Monarchie wieder ein; Pressefreiheit, öffentliche Gerichtsverfahren, Gemeindeverfassungen und andere Errungenschaften der 1848er Revolution wurden abgeschafft.2 1853 Am 10. Mai wurde Wetti Teuschls Bruder Anton geboren; er starb am 8. September desselben Jahres. 1854 Am 24. April heiratete Kaiser Franz Joseph I. Prinzessin Elisabeth von Österreich. Am 9. Juli wurde Wetti Teuschls Schwester Anna geboren. 1855 Am 28. März starb diese Schwester, nur neun Monate alt. 1857 Am 20. Dezember verfügte Franz Joseph I. die Schleifung der Wiener Stadtbefestigung; so entstand Platz für die Stadterweiterung und die Ringstraße. 1858 Am 14. Juni brannte Wetti Teuschls Elternhaus in Krems im Zuge eines Großbrandes, der acht Häuser vernichtete, ab. Laut Grundbuch befand sich das Haus Herzogstraße Nr. 7 erst seit März im Besitz der Familie.3 Nach dem Brand 1 Ich komme darauf in den Nachbemerkungen zurück. 2 Die hier genannten Ereignisse der ‚offiziellen‘ Geschichte sind großteils Walter Kleindel, Österreich. Daten zur Geschichte und Kultur, Wien 1995, entnommen. 3 Vgl. Grundbuch Krems, Bd. III, Fol. 110, B, Eintrag 1, Z 556, 23. 3. 1858. Wohn- und Wirtschaftsgebäude samt Hof sowie Garten gehörten jeweils zur Hälfte Anton und Anna Teuschl.

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wurde es wieder aufgebaut und teilweise vermietet (einige wenige Wohnparteien und drei Geschäftslokale im Erdgeschoß). Am 15. Dezember eröffnete die Kaiserin-Elisabeth-Westbahn mit der Strecke Wien – Linz. Beginn des Krieges mit Frankreich (unter Kaiser Napoleon III.); mehrere Schlachten und Niederlagen österreichischer Truppen. Im November trat Österreich die Lombardei ab. Beginn des Krieges gegen Preußen und Italien. Im August bzw. Oktober zwischen Österreich und Preußen und Italien; Venetien wurde an Italien abgetreten. Baubeginn der Kaiser-Franz-Josephs-Bahn von Wien nach Prag (1874 fertig gestellt). Ausgleich mit Ungarn (ab 1868 ist die Bezeichnung „österreichisch-ungarische Monarchie“ offiziell). Sanktionierung dreier Kirchengesetze: Die Ehegerichtsbarkeit wurde weltlichen Gerichten unterstellt/Ende des Konkordats, die Leitung über Unterrichts- und Erziehungswesen dem Staat übertragen und die Wahl des Religionsbekenntnisses wurde jedem Staatsbürger ab dem 14. Lebensjahr freigestellt. Einführung der allgemeinen Wehrpflicht. Am 17. Juli hatten Wetti Teuschl und Johann Baumgartner „den Bund der Liebe“ geschlossen, wie die Schreiberin 1870 im Tagebuch vermerkte. Das „Reichsvolksschulgesetz“ führte zur allgemeinen Schulpflicht in Österreich und Ungarn. Am 2. April begann Wetti Teuschl ihr Tagebuch. Am 20. April hielt Johann Repitsch, Professor an der Realschule in Krems, um Wetti Teuschls Hand an. Sie ließ ihm durch eine Mittelsperson ausrichten, dass sie noch zu jung zum Heiraten sei. Sein Angebot, auf sie zu warten, schlug sie aus – denn sie liebe doch, wie sie notierte, Johann Baumgartner. Zu einem Zeitpunkt vor dem ersten Eintrag ins Tagebuch musste sie sich mit diesem, Angestellter in der „Tuchhandlung zur goldenen Krone“ in Krems, zerstritten haben. Anfang Mai versöhnte sich Wetti Teuschl mit ihrem Freund Johann Baumgartner. Im Mai begannen die Arbeiten an der Donauregulierung; vorerst wurde das Wiener Donaubett reguliert. Ab 1. Juni arbeitete Wetti Teuschl für drei Monate in der Küche des Kremser Piaristen Klosters, um kochen zu lernen. Am 14. August fuhr Wetti Teuschl in den steirischen Wallfahrtsort Mariazell und verbrachte vier Tage dort. Am 22. August überbrachte Alois David aus St. Pölten Wetti Teuschl einen Heiratsantrag von Johann Baumgartner, Kaufmann in Mariazell.





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1871 Von April bis Juni versuchte Johann Baumgartner, sich als Kaufmann selbständig zu machen. Er verhandelte mit mehreren Geschäftsleuten in der näheren und ferneren Umgebung von Krems, jedoch zerschlugen sich alle diese Versuche, einen Betrieb zu erwerben. Am 23. Juli nahm Johann Baumgartner eine Stelle in einem Schnitt- und Damenkonfektionsgeschäft in Wien-Mariahilf (VI. Bezirk) an. Nach einem Streit mit seinem Kremser Chef Alois Brutscher, reiste er früher als geplant nach Wien ab. Am 23. Juli wurden per Gesetz Metermaß und Kilogramm eingeführt. Am 27. September wurde Wetti Teuschl, die sehr unter der Trennung von Baumgartner litt, mit einer Freundin zur Erholung nach Unter-Dürnbach geschickt. Der Ort liegt nicht weit von Krems, aber sozusagen völlig ‚auf dem Land‘. Die beiden verbrachten acht Tage dort. Im November erkrankte Anton Teuschl, Wettis Teuschls Vater, an diversen Entzündungen. Er sollte sich erst Monate später, im Mai 1872, wieder vollständig erholen, nachdem er sich in Wien behandeln hatte lassen. 1872 Am 9. Jänner kaufte Johann Baumgartner eine „Vermischtwarenhandlung“ in der Josefstadt (VIII. Bezirk). Zu diesem Geschäft im Haus „Zum goldenen Schlössl“, Florianigasse 8/Schlösselgasse 6 gehörte eine Wohnung, die Baumgartner vermietete. Er beschäftigte einen Commis und einen „Jung“ (als Gehilfen). Diese Warenhandlung führte er bis April 1874. Am 10. Mai trafen sich die Väter Wetti Teuschls und Johann Baumgartners bei Baumgartner in Wien und verhandelten/vereinbarten die Hochzeit ihrer Kinder. Am 3. Juni heiratete Wetti Teuschl in Krems Johann Baumgartner. Am 5. Juni zog Wetti Teuschl, nunmehr Barbara Baumgartner, nach Wien um; das Paar wohnte in der Wickenburggasse 3, Josefstadt (Wien VIII). Die Ehefrau arbeitete im Geschäft ihres Mannes mit. Ab November wohnte das Ehepaar Baumgartner samt Personal im selben Haus, in dem sie die Gemischtwarenhandlung betrieben. Der Zeitpunkt des Umzugs geht aus dem Tagebuch nicht hervor. Die Wohnung bestand aus Speisezimmer, Salon, Schlafzimmer, Personalzimmer und Küche. Das Paar blieb bis April 1874 in dieser Wohnung. 1873 Am 1. Mai eröffnete die „Wiener Weltausstellung“. Am 9. Mai Börsenkrach, der eine langjährige Wirtschaftskrise einleitete. Der Tag wurde auch „Schwarzer Freitag“ genannt. Die neue Strafprozessordnung vom 23. Mai garantierte das mündliche und öffentliche Verfahren. Am 7. Juli brachte Barbara Baumgartner ihren Sohn Johann Anton – Hans – zur Welt.

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Im September besuchte die Familie Baumgartner die Großeltern Teuschl in Krems; eines Nachts brach ein Zimmerbrand aus. Johann Baumgartner verbrannte sich an den Händen und Barbara Baumgartner zog sich – wie sie meinte – infolge dieses Ereignisses eine achtwöchige Krankheit zu. Nachdem die Geschäfte immer schlechter gingen und Johann Baumgartner in Zahlungsnot geriet, fand sich im April endlich ein Käufer für den Laden in der Schlösselgasse. Die Familie nahm eine Wohnung in der Währinger Straße 46/4 (Wien IX), blieb dort aber nur bis 12. August 1874. Johann Baumgartner mietete ein Magazin in der Schulgasse im Vorort Währing und betrieb dort „kleinere Geschäfte“, während er ein passendes Lokal für einen Neuanfang suchte. Die Monate Juni und Juli verbrachte Barbara Baumgartner mit Sohn und Dienstmädchen in Krems bei ihren Eltern, nachdem die Ärzte dem Buben einen Landaufenthalt empfohlen hatten. Sie bezeichnete diese Zeit als glücklichste seit zwei Jahren, obwohl sie dort drei Wochen krank war. Von dieser Erkrankung blieb ein „Bauchleiden“ zurück, von dem sie sich erst Anfang 1875 erholte. Am 16. September eröffnete Johann Baumgartner ein Spezerei- und Delikatessengeschäft in einem Gewölbe im Haus Taborstraße 36, Leopoldstadt (Wien II). Er hatte das Geschäft aufwändig renovieren lassen und betrieb es unter Mitarbeit von Barbara Baumgartner bis Jänner 1876. Die Familie bewohnte mit der schon erwähnten Dienstbotin im selben Haus eine Wohnung (bis Februar 1876). Das Geschäft entwickelte sich, obwohl die Konkurrenz auf der Taborstraße groß war. Als aber der Consumverein in unmittelbarer Nähe ein Geschäft eröffnete, brachen Baumgartners Umsätze ein. Am 1. Jänner beklagte sich Barbara Baumgartner im Tagebuch erstmals über ihren Mann. Er sei „zerstreut, launenhaft, gereizt und wie abgestorben“. Im August kündigte der Hausbesitzer dem Paar überraschend das Mietverhältnis. Christof Beer, Freund des Ehepaars, mietete Gewölbe und Wohnung, damit ein Nachfolger für das Geschäft gefunden werden konnte (der die Einrichtung etc. ablösen würde). Am 26. Oktober wurde das Geschäft auf Barbara Baumgartner überschrieben, nachdem Johann Baumgartner Wechsel, Kredite und offene Rechnungen nicht mehr begleichen konnte. Diese Strategie sollte vor Pfändungen und Ähnlichem schützen. Barbara Baumgartners Eltern schenkten und liehen ihnen wiederholt größere Geldsummen. Im Jänner vermittelte ein Agent schließlich einen Käufer für das Geschäft in der Taborstraße.





















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Im Winter bekam der Sohn Hans zuerst eine Lungenentzündung und kurz darauf eine bedrohliche Angina (die sogenannte Bräune). Am 9. Februar zog die Familie in die Springergasse 9 (ebenfalls Leopoldstadt, Wien II), wo sie neben Zimmer, Küche und Kabinett einen Gassenladen mietete. In dieser Wohnung blieben sie bis August 1876. Am 2. März eröffnete Barbara Baumgartner ein Zwirn- und Wollgeschäft, für das ihr die Eltern abermals Geld schenkten und liehen. Das Ehepaar entließ das Dienstmädchen; ab Mitte März wurden Kabinett und Küche vermietet. Johann Baumgartner suchte seit Längerem erfolglos eine Stelle. Barbara Baumgartner klagte erstmals ihren Eltern über die häufigen Wirtshausbesuche und die Spiellust ihres Mannes und über dessen zunehmende Rohheit ihr gegenüber. Die Eltern erinnerten ihn an seine Pflichten. Vom 27. Mai an sollte Johann Baumgartner das Zwirn- und Wollgeschäft weiterführen, während seine Frau mit dem Sohn zu ihren Eltern nach Krems fuhr. Er vermietete das Geschäft und versetzte wiederholt Gegenstände für seinen Unterhalt. Im August wurden Geschäft und Wohnung in der Springergasse 9 aufgegeben, da die Miete nicht mehr bezahlt werden konnte. Barbara Baumgartner kam wieder nach Wien und mietete ab 12. August ein Kabinett in der Springergasse 14. Johann Baumgartner zog ein; alle verbliebenen Möbel wurden dort untergestellt. Nach zwei Wochen fuhr Barbara Baumgartner wieder nach Krems. Im September begann Johann Baumgartner als Bücherverschleißer für die Manz’sche Hofbuchhandlung zu arbeiten; die dafür nötige Kaution hatte ihm sein Schwiegervater vorgestreckt. Nachdem er krankheitshalber seinen Dienst länger nicht hatte versehen können, arbeitete er ebendort auf eigene Rechnung. Ende September kam Barbara Baumgartner wieder nach Wien, der Sohn blieb wie schon im August bei seinen Großeltern. Nach einer Anzeige durch Gläubiger musste Johann Baumgartner am 12. Oktober zu einer Gerichtsverhandlung. Überraschend wurde er – wegen Verdacht auf Betrug und Veruntreuung – in Untersuchungshaft genommen. Barbara Baumgartner suchte ihn in den Wirtshäusern der Umgebung, ging schließlich zum Wiener Landesgericht und erfuhr, was geschehen war. Am 15. Oktober flüchtete sich Barbara Baumgartner nach Krems. Im Lauf des Monats fasste sie den Entschluss, eine Hebammen-Ausbildung in Wien zu beginnen. Am 4. November fuhr Barbara Baumgartner nach Wien, um Steuerangelegenheiten zu erledigen, vielmehr sich gegen ungerechtfertigt scheinende Forderungen zu wehren. Sie konnte auch ihren Ehemann im Gefängnis besuchen und traf sich mit seinem Anwalt. Am 7. November kehrte sie völlig erschöpft nach Krems zurück. Anschließend war Barbara Baumgartner bis Weihnachten krank.

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1877 Am 15. Jänner wurde Johann Baumgartner aus der Untersuchungshaft entlassen. Der 25. Jänner war Hans Baumgartners erster Tag im Kindergarten (in Krems). Anfang Februar besuchte Johann Baumgartner seine Familie in Krems; sechs Monate hatte er sein Kind nicht gesehen. Zwischen Barbara Baumgartner und ihrem Vater kam zu einem heftigen Streit wegen finanzieller Angelegenheiten. Mitte Februar zog Johann Baumgartner wieder um und nahm eine Wohnung in der Rueppgasse 24 (II. Bez.). Er vermietete das Kabinett und nahm einen Bettgeher in die Küche. Im Zimmer wollte Johann Baumgartner mit seiner Frau wohnen. Barbara Baumgartners Cousin, eben nach Wien gezogen, wurde ebenfalls in dieser Zimmer-Küche-Kabinett-Wohnung untergebracht. Am 28. Februar kam Barbara Baumgartner wieder nach Wien – sie musste sich abermals um die verworrene Steuersache kümmern, und die Aufnahmeprüfung für die Hebammenschule stand kurz bevor. Die neue Wohnung war ihr ein Gräuel. Der Sohn blieb bei den Großeltern in Krems. Um den Steuerbehörden zu entkommen und zu beweisen, dass bei ihr nichts zu holen sei, wohnte Barbara Baumgartner ab 2. März als Bettgeherin bei ihrer Freundin Henriette Beer (Falk) und deren Mann in Rudolfsheim (einem Vorort von Wien, heute XV. Bez.), Neugasse 36. Barbara Baumgartner wurde in den Hebammenlehrgang aufgenommen und begann – gegen den Willen ihres Ehemannes – am 7. März mit dieser Ausbildung. Im Lauf des Monats erkrankte Johann Baumgartner an den Pocken und Barbara Baumgartner musste ihre Ausbildung abbrechen. Am 5. April schickte Barbara Baumgartner auf Verlangen der Eltern ihre Möbel per Spedition nach Krems. Vordem hatte sie mit ihrem Vater – eigentlich pro forma – einen Kaufvertrag über dieses Mobiliar abgeschlossen, um es vor Pfändung zu schützen. Nachdem ihr Mann genesen war, fuhr Barbara Baumgartner am 9. April wieder nach Krems. Am 18. April fand Johann Baumgartner eine Anstellung als Schaffner bei der Pferdetramway. Die Anklage gegen Johann Baumgartner wurde im Mai abermals verhandelt; der Prozess endete mit einer Verurteilung zu drei Tagen Arrest. Baumgartner nahm seiner Frau zusehends übel, dass sie in Krems blieb, anstatt mit ihm zu leben. Am 29. Juni entließ die Tramway-Gesellschaft Johann Baumgartner, nachdem er wegen seiner noch offenen Haftstrafe polizeilich gesucht worden war. Am 31. Juli kaufte Johann Baumgartner seiner Schwester Maria Stawinoha ein Friseurgeschäft am Rennweg 80 (Wien III) ab, abermals mit Unterstützung seines Schwiegervaters. Er betrieb den Salon mit zwei Gehilfen und lernte von diesen das Handwerk. Mit dem Geschäft hatte er auch Zimmer und Küche





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gemietet und drängte Barbara Baumgartner nun umso mehr, wieder nach Wien zu kommen. Anfang September ging Barbara Baumgartner wieder nach Wien, versorgte ihrem Mann den Haushalt und half im Geschäft mit; sie erlernte von ihrer Schwägerin das Damenfrisieren. Mitte September holte das Ehepaar auch das Kind Hans wieder zu sich. Am 11. November starb der Vater Johann Baumgartners, Sebastian Baumgartner. 1878 Im Jänner wurde ein Geschäftslokal in Anton Teuschls Haus in Krems frei. Barbara und Johann Baumgartner nahmen das Angebot an, dieses zu übernehmen. Den Friseursalon in Wien wollten sie als Absicherung behalten und verpachten. Über diesen Plan gerieten sie mit Baumgartners Schwester in Streit; sie wollte das Geschäft wieder zurück – letztlich wurde es ihr überlassen. Am 7. Februar übersiedelte Barbara Baumgartner mit Familie definitiv nach Krems. Am 18. Februar wurde das „Specerei-, Material- & Farbwaaren-Geschäft“ in der Herzogstraße 7 eröffnet. Die Schwägerin Barbara Baumgartners, die das Friseurgeschäft wieder zurückgekauft hatte, bezahlte ihre Schulden bei Anton Teuschl nicht. Darüber entstanden wieder Unstimmigkeiten zwischen Barbara Baumgartner und ihrem Vater. Am 29. Juli begann die Besetzung Bosniens und der Herzegowina durch österreichisch-ungarische Truppen. Am 28. Dezember starb Anton Teuschl an den Folgen eines Sehnenrisses im Bein. Ein großes Aufgebot an Ärzten konnte ihm nicht helfen. 11. Juli mit Rücktritten in der Regierung ging die (deutsch-)liberale Ära 1879 zu Ende; das neue Kabinett war feudal-konservativ. Am 16. September wurde Hans Baumgartner eingeschult. Am 13. Dezember verstarb Franz Frithum der beste Freund Anton Teuschls. Johann Baumgartner übernahm die Vormundschaft für den elfjährigen Sohn Rudolf. Nachdem dessen Mutter schon drei Jahre zuvor gestorben war, bekam Barbara Baumgartner ein Pflegekind. Am 27. April besuchte Barbara Baumgartner mit Wiener Freunden, dem Ehepaar Henriette und Christof Beer, den Festzug zum 25. Hochzeitstag des Kaiserpaares in Wien. Im Juli begann Barbara Baumgartner als Reporterin für das Wiener „NeuigkeitsWelt-Blatt“ zu arbeiten. Johann und Barbara Baumgartner nahmen „ein Mädchen“ als Unterstützung im Geschäft auf. Sie boten nun auch Lebensmittel an. Im Sommer kam das befreundete Ehepaar Beer aus Wien für eine Woche zu Besuch. 1880 Anfang Jänner verursachte ein Eisstoß eine Überschwemmung in Krems; auch im Baumgartnerschen Geschäft entstand großer Schaden.

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Barbara Baumgartner beklagte sich im Tagebuch, dass ihr Mann wenig zu Hause sei und viel trinke. Am 6. Juli fungierte sie in der St. Johann von Nepomuk-Kirche in der Praterstraße in Wien II als Taufpatin ihrer konvertierten Freundin Henriette Beer (Falk), nunmehr Betti. 1881 Am 2. März starb Christof Beer nach einem Schlaganfall. Betti Beer blieb mit vier Kindern zurück – Barbara Baumgartner wollte die Freundin unterstützen, doch ihr Ehemann ließ das nicht zu. Barbara Baumgartner deutete im Tagebuch an, dass ihr Mann sie seit Längerem betrüge. 1883 Betti Beer verheiratete sich wieder. Barbara Baumgartner litt an den Folgen einer übergangenen Bauchfellentzündung und hatte einen Knoten in der Brust, der behandelt wurde. Am 1. März verstarb Johann Baumgartners Mutter Elisabeth. Ab 15. September ging Hans Baumgartner ins Gymnasium und bekam Unterricht auf dem eigenen Klavier. 1884 Im Februar musste Anna Maria Teuschl, Barbara Baumgartners Mutter, wegen eines „Frauenleidens“ in einer Wiener Privatheilanstalt operiert werden. Die Beziehung zwischen den Eheleuten Baumgartner besserte sich. Im Frühling erkrankte Barbara Baumgartner an „schleichendem Typhus“. Infolge ging es auch der Mutter wieder schlechter, kaum war ihre Tochter nach vier Wochen wieder auf den Beinen, konnte sie vier Wochen lang nicht aufstehen. Die Ärzte diagnostizierten „Gebärmutterkrebs“. Im Herbst/Winter zog sich Barbara Baumgartner beim Schmalzauslassen Verbrennungen im Gesicht, am Hals und an den Händen zu. 1885 Barbara Baumgartner musste ihre Mutter mittlerweile pflegen. Sie schrieb im Tagebuch über die damit verbundenen Mühen und Plagen. Am 5. April starb Anna Maria Teuschl. Im Mai berichtete Barbara Baumgartner über den Tod ihrer Mutter, und dass sie gleich darauf selbst nochmals vier Wochen krank lag. Hier endet das Tagebuch – mit dem Satz „Was wird jetzt kommen?“ Nachträge (nicht im Tagebuch enthaltener Daten und Ereignisse)4

1886 Am 28. Jänner trat Barbara Baumgartner die Hälfte ihres Eigentums Herzogstraße 7 an ihren Ehemann ab.5 4 Die Informationen stammen z. T. aus dem Nachwort Helmut Hörners zu seinem Transkript des Tagebuchs aus 1977; vgl. SFN, NL 13. 5 Vgl. Grundbuch Krems, Bd. III, EZ 324, Fol. 110, Eintrag 4, Z 309, 30. 1. 1886.





Zeittafel 149

Am 18. Mai kaufte das Ehepaar Baumgartner das Wohnhaus Krems Nr. 41; es gehörte den beiden jeweils zur Hälfte.6 1892 Am 7. März starb Barbara Baumgartners Ehemann Johann im Alter von 47 Jahren an „Wassersucht“.7 Die beiden Hausanteile vererbte er seiner Witwe.8 Die Krone ersetzte den Gulden als Goldwährung; ein Gulden österreichischer Währung wurde in 2 Kronen umgerechnet. Im mehrjährigen Übergangszeitraum waren beide Währungen nebeneinander in Gebrauch, obligatorisch wurde die Krone erst 1900. 1894 Am 3. Juli verkaufte Barbara Baumgartner die Geschäftseinrichtung in der Herzogstraße um 1.800 Kronen; die Miete für die Geschäftsräume wurde mit 160 Kronen im Jahr festgesetzt. Sie selbst betrieb im Haus noch eine Vordruckerei. Barbara Baumgartner befreundete sich mit dem in ihrem Haus zur Untermiete wohnenden Studenten Karl Gerstl (geb. 18. 5. 1871). Die beiden übersiedelten nach Wien XX. 1898 Nachdem Karl Gerstl eine Anstellung bei der Eisenbahn erhalten hatte, heiratete das Paar am 16. September.9 Sohn Hans Baumgartner wurde Post- und Telegrafeninspektor in Wien; 1901 heiratete er Antonie Waldstein und bekam im Jahr darauf eine Tochter. 1908 baute er ein Haus in Sievering (seit 1890 Wien XIX). Nach dem Ersten Weltkrieg blieb Hans Baumgartner bis 1921 in russischer Kriegsgefangenschaft. 1925 wurde er im Zuge eines Beamtenabbaus in den Ruhestand versetzt. Er setzte sich öffentlich für die Kriegsgefangenen ein und wurde 1934 mit dem „Österreichischen Goldenen Verdienstzeichen“ ausgezeichnet. Baumgartner starb am 29. November 1950. 1925 Betti Gerstl schrieb Beiträge für das „Rohö-Flugblatt. Mitteilungen über alle Aktionen der Rohö“, die Zeitschrift der Reichsorganisation der Hausfrauen Österreichs. 1931 Betti Gerstl verkaufte ihr Haus Krems Nr. 41.10 1939 verkaufte sie das Haus Herzogstraße 7 in Krems.11 1944 Am 10. Jänner starb Betti Gerstl, ledige Teuschl, verwitwete Baumgartner, in Wien an Altersschwäche. Ihr 18 Jahre jüngerer Ehemann Karl Gerstl verstarb nur vier Monate später am 18. Mai.

6 Vgl. Grundbuch Krems, Bd. III, EZ 332, Fol. 127, Eintrag 4, Z 1585, 21. 5. 1886. 7 Vgl. Diözesanarchiv St. Pölten (DASP), Pfarramt (PfA) Krems St. Veit 3/17, Sterbebuch, Fol. 261, Nr. 106. 8 Vgl. Grundbuch Krems, Bd. III, EZ 324, Fol. 110, Eintrag 5, Z 3141, 27. 9. 1892. 9 Vgl. Grundbuch Krems, Bd. III, EZ 324, Fol. 110, Eintrag 6, Z 55, 5. 2. 1901, Namensänderung der Besitzerin wird angemerkt (gemäß Trauschein). 10 Vgl. Grundbuch Krems, Bd. III, EZ 332, Fol. 127, Eintrag 7, Z 896, 6. 12. 1931. 111 Vgl. Grundbuch Krems, Bd. III, EZ 324, Fol. 110, Eintrag 7, Z 95, 7. 3. 1939.

Barbara Baumgartner

4 Nachbemerkungen – Wetti Teuschls Tagebuch als kulturwissenschaftliches und historisches Material

Eine Frau – drei Namen, drei Geschichten

Die hier edierten Dokumente beziehen sich auf das Leben einer Frau im letzten Drittel des 19. und im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts – vielmehr auf die drei Lebensgeschichten dieser Frau, für die auch ihre drei Namen stehen: Wetti Teuschl für die Geschichte der jungen Frau bis zur Heirat, Barbara Baumgartner für die Zeit als Ehefrau und Betti Gerstl für den Lebensabschnitt als wiederverheiratete Witwe. Zwei dieser Lebensphasen sind im Tagebuch repräsentiert, zur dritten liefern das „Gedenkblatt“ und die journalistischen Texte Anhaltspunkte, indem die Autorin hier mit einem anderen Namen unterzeichnete. Das Tagebuch von Wetti Teuschl/Barbara Baumgartner kann deutlich machen, dass Tagebücher niemals ein Leben zur Gänze erfassen. Nicht nur weil sich dieses Journal1 bloß über einen verhältnismäßig kurzen Zeitraum der Lebenszeit der Verfasserin erstreckt – die Schreiberin lebte von 1851 bis 1944, führte aber nur zwischen 1870 und 1885 (dieses) Tagebuch. Für jene 15 Jahre, die das Buch begleitete, enthält es nur Fragmente zum Leben der Schreiberin, zeigt nur einige Facetten ihrer Welt und ihrer Persönlichkeit.2 Die Versuchung, auf Basis eines Tagebuchs eine ‚komplette‘ Biografie erzählen zu wollen, ist im konkreten Fall weniger groß als bei Tagebüchern, die auf tausenden losen Blättern, in vielen Heften oder Büchern ein ganzes Leben hindurch 1 Mitunter wird „Journal“ für eher dokumentierende Diaristik verwendet und vom ‚intimen‘, reflektierenden „Tagebuch“ abgehoben; vgl. Christa Hämmerle, Diaries, in: Benjamin Ziemann u. Miriam Dobson Hg., Reading Primary Sources. The Interpretation of Texts from 19th and 20th Century History, London 2008, 141–159, 156, Anm. 16 u. die dort angegebene Literatur. Ich folge dieser Unterscheidung nicht, sondern verwende die Begriffe synonym. In den meisten Quellen verschwimmen die Textsorten; vgl. Christa Hämmerle, Nebenpfade? Populare Selbstzeugnisse des 19. und 20. Jahrhunderts in geschlechtervergleichender Perspektive, in: Thomas Winkelbauer Hg., Vom Lebenslauf zur Biographie. Geschichte, Quellen und Probleme der historischen Biographik und Autobiographik, Krems 2000, 135–167, 157. 2 Das gilt für jeden Eintrag und die Einträge insgesamt. Wir, schreibt etwa Alois Hahn, „sind immer auch, was wir nicht sind, nämlich was wir waren oder was wir sein werden“. Der Mensch kann „nie alles, was er ist, gleichzeitig sein ... und über das, was er gleichzeitig ist, doch nur sukzessiv reden“. Alois Hahn, Konstruktionen des Selbst, der Welt und der Geschichte. Aufsätze zur Kultursoziologie, Frankfurt a. M. 2000, 97, vgl. 106. Gabriele Jancke und Claudia Ulbrich wollen ohne den Ballast der Begriffe Individuum, Selbst und Subjekt forschen und nutzen in Zusammenhang mit Selbstzeugnissen den „relativ unbelasteten Begriff der Person“. Sie schlagen vor, Selbstzeugnisse „in ihren eigenen Kontexten zu erschließen“ und dazu den „Blick vom Individuum auf die Beziehungen zu verlagern“; Gabriele Jancke u. Claudia Ulbrich, Vom Individuum zur Person, in: dies. Hg., Vom Individuum zur Person. Neue Konzepte im Spannungsfeld von Autobiographietheorie und Selbstzeugnisforschung, Querelles. Jahrbuch für Frauen- und Geschlechterforschung, 10 (2005), 7–27, 16f, 24.

152 Nachbemerkungen

geführt worden sind.3 Die ungeahnte Wendung, die das Leben der Schreiberin ein paar Jahre nach Beendigung des Tagebuchs genommen hat, mag zudem als Warnung vor Fehlkonstruktionen und Fehlinterpretationen dienen, sofern man auf Basis ihres Tagebuchs, des „Gedenkblatts“ und auch der aufgefundenen journalistischen Texte ihre Lebensgeschichte im Sinn einer kohärenten Biografie rekonstruieren wollte.4 Mit einer Skizze der dritten Geschichte, jener der Betti Gerstl, soll hier begonnen werden; von ihr finden sich in den Schriftstücken, die die Schreiberin hinterlassen hat, kaum Spuren. Ich möchte diese dritte Geschichte dennoch aufgreifen – nicht zuletzt, weil sie eine glückliche Wendung im Leben der Verfasserin sichtbar macht. 1892, sieben Jahre nach der letzten Aufzeichnung im Tagebuch starb Barbara Baumgartners Ehemann Johann Baumgartner mit nur 47 Jahren an „Wassersucht“.5 Zwei Jahre später, 1894, gab die Witwe das Geschäft in ihrem Haus in der Kremser Herzogstraße auf, vermietete das Lokal und verkaufte dem nachfolgenden Kaufmann die Ladeneinrichtung. Außerdem ging Barbara Baumgartner eine neue Beziehung ein: Sie verliebte sich in Karl Gerstl, der in ihrem Haus zur Untermiete wohnte. Mit diesem Mann, der nur vier Jahre älter war als ihr Sohn Hans und 18 Jahre jünger als sie selbst, zog sie nach Wien, wo sie ja schon mit ihrem ersten Mann einige Jahre (1872–1878) gelebt hatte.6 Nachdem Karl Gerstl einen Beamtenposten bei der Eisenbahn erhalten hatte, heirateten die beiden. Zahlreich vorhandene Fotos7 zeigen das Paar bei Ausflügen rund um Wien oder auf Reisen, oft zusammen mit FreundInnen oder Betti Gerstls Sohn Hans und Antonie Waldstein, dessen Verlobten und späteren Ehefrau. Hans Baumgartner hatte übrigens auch, wie seine Mutter immer sehr für ihn gehofft hatte, eine Beamtenlaufbahn eingeschlagen – er war in den Dienst der Post getreten. So war nicht nur Betti Gerstl mit ihrer zweiten Ehe endlich von den Unsicherheiten und Belastungen des Selbständigen-Daseins befreit, sondern auch ihr Sohn. Um 1925 nahm Betti Gerstl ihre journalistische Tätigkeit wieder auf, nachdem sie schon in den 1880er Jahren in Krems – unter dem Namen Barbara Baumgartner – als Korrespondentin für die Wie3 In der Sammlung Frauennachlässe, in der eine Kopie des Tagebuchs von Wetti Teuschl archiviert ist, finden sich einige solcher umfassender Tagebuchserien; vgl. Li Gerhalter Red., Sammlung Frauennachlässe Institut für Geschichte an der Universität Wien. Bestandsverzeichnis, Wien 2008. Mit einigen dieser Tagebücher hat Christa Hämmerle wiederholt gearbeitet, vgl. z. B. „Und etwas von mir wird bleiben …“ Von Frauennachlässen und ihrer historischen (Nicht)Überlieferung, in: Montfort, 55, 2 (2003), 154–174; dies., Nebenpfade; in diesem Aufsatz wird auch erstmals der Nachlass von Wetti Teuschl vorgestellt (136f ). 4 Das gilt auch, wenn man Biografie insgesamt als ein „paradoxes Genre“ auffasst, „das vorgibt, vom Leben zu erzählen, obgleich jedes seiner Ereignisse unter dem Gesetz des Imaginären steht“ und womöglich die Fiktion „die Substanz des Lebens schlechthin ausmacht“; Peter-André Alt, Mode ohne Methode? Überlegungen zu einer Theorie der literaturwissenschaftlichen Biographik, in: Christian Klein Hg., Grundlagen der Biographik. Theorie und Praxis des biographischen Schreibens, Stuttgart 2002, 23–39, 24. 5 Vgl. Diözesanarchiv St. Pölten (DASP), PfA Krems St. Veit 3/17, Sterbebuch, Fol. 261, Nr. 106. 6 V. a. um dem Kremser Getratsche zu entgehen, wie in der Familie überliefert wird; vgl. Gespräch mit Helmut Hörner, 29. 2. 2008. 7 Diese Fotografien befinden sich im Besitz des Urenkels Helmut Hörner.

Wetti Teuschls Tagebuch als kulturwissenschaftliches und historisches Material 153

ner Tageszeitung „Neuigkeits Welt-Blatt“8 gearbeitet hatte. Sie schrieb die hier edierten Beiträge für die Reichsorganisation der Hausfrauen Österreichs (Rohö) beziehungsweise deren „Rohö-Flugblatt“; ob ihre Publikationstätigkeit über diese vier Texte und die Rohö hinausgegangen war, ist unklar. Wie sich aus Verlassenschaftsakten eruieren lässt, bewohnte das Ehepaar Gerstl eine gutbürgerlich eingerichtete Zweizimmerwohnung in der Brigittenau (Wien XX).9 Im Haus ihres Sohnes in Sievering (Wien IXX) gehörte Betti Gerstl eine Sommerwohnung – mehrere Familienfotos zeigen sie als ältere Dame im Garten dieses Hauses. Sie verstarb 93-jährig in Wien; ihr zweiter Ehemann starb nur vier Monate später.

Betti Gerstl (um 1910)

8 Vgl. Kap. 2 (Editionsteil), Anm. 310. 9 Brigittenauer Lände 40/1/9; vgl. Wiener Stadt- und Landesarchiv (WStLA), G 306-1/29: A4/15/9, Amtsgericht Wien, Todfallsaufnahme, GZ 15A A 30/44.

154 Nachbemerkungen

Betti Gerstl (ganz rechts) im Kreis von ‚Rohö-Frauen’

Die drei Lebens(abschnitts-)geschichten ließen sich schließlich nach ergänzenden Recherchen doch als Geschichte eines Lebens (re-)konstruieren: die Geschichte einer in finanzielle, soziale und persönliche Nöte geratenen Bürgerstochter, die versuchte, sich dem ökonomischen und sozialen Abstieg entgegen zu stellen. Sie versuchte dies vor dem Hintergrund einer allgemeinen Wirtschaftskrise (1873 und folgende Jahre), mit prekärer Situation auf dem Arbeitsmarkt und im Kleingewerbe. Und sie handelte – mehr oder weniger – auf Basis der zeitgenössischen Rolle der Bürgerstochter und der (klein-)bürgerlichen Ehefrau/Mutter. Die Geschichten der Wetti Teuschl, der Barbara Baumgartner und der Betti Gerstl werden als Geschichte einer couragierten, beharrlichen und initiativen Frau erkennbar. Diese sprengte nicht die Rahmen, die ihr gesellschaftlich gesetzt waren, aber sie wusste – immer wieder – Handlungsräume zu nutzen und auszudehnen. Im Folgenden werde ich auf einige Facetten des Tagebuchs von Wetti Teuschl/Barbara Baumgartner hinweisen, sie auffächern und exemplarisch analysieren. Ich greife einige Themenbereich heraus, die mich besonders beeindruckten: der formale und inhaltliche Wandel des Tagebuchs mit der Verehelichung der Schreiberin, die ökonomischen Hintergründe des Ehepaars und das Thema ‚Heimat‘ sowie die sich im Tagebuch abzeichnenden (Geschlechter-)Beziehungen und -verhältnisse in den Familien Teuschl

Wetti Teuschls Tagebuch als kulturwissenschaftliches und historisches Material 155

und Baumgartner. Dabei werde ich immer wieder ausloten, welche Funktionen dem Schreiben jeweils zukommen und wie die Schreiberin in ihren Texten jeweils präsent ist. Auf Basis dieses Dokuments oder wenigstens ausgehend davon könnte man genauso zum Umgang mit Krankheit/Gesundheit forschen oder zum Verhältnis zu Behörden und anderen Autoritäten. Das Tagebuch enthält außerdem Hinweise auf eine enge und aufgeladene Mutter-Tochter-Beziehung und ähnlich auf die Bedeutung von Mutterschaft für die Schreiberin. Auch Verwandtschaftsbeziehungen darüber hinaus, etwa die heikle Balance zwischen Verbundenheit und Abhängigkeit oder die Problematik der ‚angeheirateten‘ Familie, böten sich zum genaueren Studium an, ebenso wie Freundschaft oder Netzwerke allgemeiner, vor allem auch in Zusammenhang mit Migration von der Provinz ins Zentrum. Damit sind nur einige Möglichkeiten benannt. Schreiben mit (Hinter-)Grund

Wetti Teuschl eröffnete ihr Tagebuch am 2. April 1870. Der Tag schien kein besonderer gewesen zu sein – ein Samstag – unklar bleibt, warum sie genau an diesem Tag mit dem Schreiben anfing. Sie begann mit einer Art Bekenntnis: „Mit Gott! Ja mit Gott fange ich dieß Tagebuch an und mit Gott will ich daßelbe beenden, doch zwischen Anfang und Ende liegt eine Spanne Zeit und ich will zu Gott hofen daß ich größtentheils nur angenehmes einzutragen habe.“10 Ein solch expliziter Beginn gilt als genretypisch: „The beginning of a diary is almost always indicated: it is rare to begin one without saying so.“11 Auf die eine oder andere Weise „markieren AutorInnen dieses neue Territorium des Schreibens“ – am Anfang halten sie ihren Namen fest, oder einen Titel, ein Epigraph, ein Versprechen oder eine Selbstbeschreibung.12 Im Anschluss an die Präambel legte Wetti Teuschl ihre Situation dar: Sie deutete an, sich von ihrem Freund Johann Baumgartner getrennt zu haben, der für ihre Eltern ohnehin nicht der bevorzugte Heiratskandidat für ihre Tochter gewesen sei. Selbst wenn es eine Chance auf Versöhnung gäbe, resümierte die Schreiberin, würde sie ihren Vater von einer solchen Versöhnung am Ende nicht überzeugen können. Sie schloss ihre Präambel mit einer Selbstmotivation: „so will ich den nicht am Anfang 10 Tagebuch Wetti Teuschl, Sammlung Frauennachlässe, Institut für Geschichte, Universität Wien, NL 13, Manuskript, 2. 4. 1870, 1 (im Folgenden nur mit Datumsangabe u. Seite zitiert). Vgl. dazu das Testament (im Anhang); auch dieses beginnt in Gottes Namen und weicht dennoch ein wenig vom Standard ab, indem die übliche Formel mit einer Begründung versehen wird: „In Gottes Namen und dessen heiligsten Willen indem ich stets Alles begonnen, will ich auch meinen letzten Willen niederschreiben.“ Verlassenschaftsakte von Barbara Gerstl; WStLA, G 306-1/29: A4/15/9, Amtsgericht Wien, Kundmachung, GZ 15A A 30/44. 11 Philippe Lejeune, How do Diaries End?, in: Trev Lynn Broughton Hg., Autobiography. Critical Concepts in Literary and Cultural Studies, Bd. 4, London/New York 2007, 88–101 (Orig. 2001), 88. 12 Vgl. Lejeune, How do Diaries End, 88.

156 Nachbemerkungen

schon verzagen sondern geduldig und auf Gott vertrauend in die Zukunft sehen.“13 Gerade so wie in dieser Vorrede, geriet das kleine Tagebuch sehr oft zum ‚Cheerleader’ der Schreiberin, zu ihrem Gewissen und ihrem (Ab-)Rechnungsbuch. Was lässt sich außerdem aus diesen wenigen ersten Zeilen herauslesen? Die Tagebuchschreiberin hielt ihre individuellen Erfahrungen für bedeutend genug, um sie zu verschriftlichen und damit zu bewahren.14 Das Buch als Begleitung bis zu einer Heirat zu verwenden, wäre eine ganz übliche Nutzungsform für ein Jungmädchentagebuch gewesen, verbunden auch mit charakteristischen Funktionen, die die Schreiberin im Vorwort teils direkt, teils implizit anriss: Von Beginn an dachte sie an das Ende, sie stellte sich diesen Zeitpunkt und die dazwischen liegende Zeit vor und hatte Hoffnungen, Wünsche und auch Sorgen in Bezug auf diese Periode. Sie legte im Tagebuch selbst nahe, dass sie entlang des bevorstehenden Weges immer wieder zurückschauen und dann das Journal zur Hand haben würde, um ihre Erinnerung zu unterstützen. Von Anfang an programmierte sie also das (Wieder-)Lesen ihrer Aufzeichnungen.15 An dieser Stelle schien sie das Tagebuch zu verwenden, wie von Erziehern, Eltern und Klerus vorgesehen. Sie vertraute sich Gott an, gerade so wie es junge Frauen tun sollten.16 Aber sogleich tritt Subversives zutage und verweist darauf, dass mit Rollenmodellen und mit den Instrumenten zu deren Einübung durchaus eigensinnig umgegangen wurde. Wetti Teuschl haderte mit ihrem Vater, sie beschwerte sich und sie wusste, dass sie kämpfen würde müssen, wenn sie ihre Wünsche durchsetzen und eigene Entscheidungen treffen wollte. Und mehr noch: Sie fragte sich, ob der Geliebte, von dem sie gerade getrennt war, es überhaupt wert sei, für ihn zu kämpfen. Dabei sollte sich eine zukünftige Braut, nicht zuletzt mit Unterstützung eines Tagebuchs, in die Rolle der bescheidenen, selbstlosen und sich unterordnenden Ehefrau und Mutter einüben.17 Die dem Mädchentagebuch zeitgenössisch zugedachte disziplinierende 13 2. 4. 1870, 1. 14 Vor allem nachdem es sich bei Wetti Teuschls Diarium nicht um ein vorgefertigtes Tagebuch (mit Prägedruck, Goldschnitt, Schlösschen) handelt, wie es tausende Mädchen geschenkt bekamen, sondern um ein schlichtes Notizbuch. 15 Vielleicht auch das lebenslange Aufheben des Buches und dessen Vererben an den Sohn bzw. die Enkelin. 16 Christa Hämmerle zeigt an mehreren Beispielen aus Österreich, dass Tagebuchschreiben seine traditionell religiöse Funktion mitunter bis weit in das 20. Jahrhundert bewahrten; vgl. Christa Hämmerle, Ein Ort für Geheimnisse? Jugendtagebücher im 19. und 20. Jahrhundert, in: dies., Peter Eigner u. Günter Müller Hg., Briefe – Tagebücher – Autobiographien. Studien und Quellen für den Unterricht, Wien 2006, 28–45, 31f. Das Tagebuch von Wetti Teuschl entspricht dieser Tendenz nur ansatzweise. 17 Von ihrer Bestimmung her standen diese sog. „Warte-Hefte“ in der Tradition der pietistischen Tagebücher aus dem 18. Jahrhundert, die auf Gewissenserforschung und Selbstbeobachtung auf dem Weg zum gottgefälligen Leben ausgerichtet waren. Dennoch wurden solche Tagebücher auch subversiv genutzt, vgl. Hämmerle, Ein Ort für Geheimnisse, 30f; Rebecca Rogers, Schools, Discipline and Community. Diary-Writing and Schoolgirl Culture in Late Nineteenth-Century France, in: Women’s History Review, 4 (1995), 525–554.

Wetti Teuschls Tagebuch als kulturwissenschaftliches und historisches Material 157

Funktion spielte für die junge Schreiberin keine Rolle; die Selbstbeobachtung in Hinblick auf die Bestärkung/Perfektionierung der eigenen Tugend und Moral sollte erst viel später, für die (unglücklich) verheiratete Frau und Mutter, relevant werden. Die sprachliche Formelhaftigkeit mag für eine Präambel nichts Besonderes sein, aber eine vergleichbare Art des Formulierens kehrt im Tagebuch immer wieder. In der ersten Hälfte beziehen sich solche Passagen vor allem auf Gott und auch auf die Jungfrau Maria. Sie haben damit, der Vorrede ähnlich, den Charakter eines Gebetes. So schrieb Wetti Teuschl etwa am 1. Jänner 1871 – sie hatte sich inzwischen wieder mit Johann Baumgartner versöhnt – : „Gott sei Dank für alles was ich im vergangenen Jahr von ihm erhalten habe. Es scheint gut anfangen zu wollen wen ich meiner heutigen Laune nach das ganze Jahr beurtheilen darf ...“18 Verwendete sie Formeln und feststehende Wendungen dieserart, etwa um kleine Stoßgebete zum Himmel zu schicken, brach sie oft unmittelbar danach mit dieser Form, wechselte das Thema oder auch die emotionale Lage. Das wird in einer Passage besonders deutlich, in der im Juli 1871 die verunsicherte Braut einen Besuch im Stift Göttweig beschrieb, vielmehr schilderte, wie sie die Gelegenheit nutzte, um an diesem Ort für die Zukunft zu beten und zu bitten. Wetti Teuschl zeichnete sich in diesen Tagen als sehr angespannt und gereizt, weil sie beobachten musste, wie erfolglos ihr Auserwählter versuchte, sich selbständig zu machen, sich eine – für seine Braut und deren Familie standesgemäße – Existenz aufzubauen. Die fromme Schilderung nimmt eine ironische Wende. Die Schreiberin überlegte, ob ihr Missmut nicht eher mit wehen Füßen, denn mit bangem Herz in Verbindung zu bringen sei und endet mit einer beschwingten Kurzbeschreibung eines Familienausflugs: Dort vor dem Bilde der schmerzhaften Mutter Gottes warf ich mich auf die Knie und empfahl zuerst meine Eltern und B dem Schutze Mariens dan erst legte ich mein zerisenes Herz zu ihren Füßen und flehte um Kraft und Ruhe und siehe wer auf Maria vertraut, der hat fest gebaut ich erhielt um was ich bat und eine heilige Ruhe zog in mein Herz, die Zukunft kommt mir nicht mehr so düster vor den der Trost das Marias Hand mein Schiksal leitet, erhebt und stärket mich. Ich war zwar auf dem Weg nach Furth noch sehr mißgestimmt, was {man} aber auch auf Rechnung meiner schmerzenden Füße schreiben kann. In Furth erwartete uns B. wir spielten Karten schoben Kegel und unterhielten uns recht gut, sodann fuhren wir nach Hause.19

Später nützte sie formelhaften Schreibstil weiterhin zur Anrufung der Gottesmutter, von Gott und anderen überirdischen HelferInnen, aber auch um im Tagebuch ihr Mutterglück festzuhalten. Auf diese Glücksbezeugungen folgen keine (emotionalen) Ausbrüche in freien Worten mehr – ich komme noch darauf zurück. Jedenfalls vermögen schon diese ersten kurzen Ausschnitte zu zeigen, dass ein Tagebuch „simultaneously

18 1. 1. 1871, 23. 19 3. 7. 1871, 32.

158 Nachbemerkungen

preserving and evaluating, makes meaning inherent in the choice of words, the sequence of phrases, and the assignment of dialogue to self or other“.20 Dass die Schreiberin schon auf den ersten Seiten Selbstmitleid und Egoismus nicht unterdrückte, legt nahe, dass sie ihr Tagebuch nicht als Familienlektüre verfasst, sondern es für sich ganz allein geschrieben hat. Aber an dieser Stelle wurde die Leserin/der Leser noch nicht mit ihrer rigiden Selbstzensur konfrontiert, auf die man ein paar Seiten später stößt. Dort (im November 1870) hatte Wetti Teuschl augenscheinlich über Konflikte mit ihrem Zukünftigen geschrieben und später resolut drei Viertel der Seite herausgeschnitten. Dieser Umstand macht darauf aufmerksam, dass das im Tagebuch Niedergeschriebene stets offen für Reinterpretationen ist. Im Wiederlesen treten SchreiberInnen in einen „Dialog mit Aspekten des Selbst“, manche SchreiberInnen kommentieren frühere Einträge, verbessern sie, schreiben sie nochmals ab und um, manche bringen Teile zum Verschwinden. Die Selbstkonstruktionen und -rekonstruktionen werden komplex, vielschichtig und widersprüchlich.21 Die Erfahrungen vieler DiaristInnen bei der Re-Lektüre widerlegen die, Tagebüchern oft zugeschriebene, besondere Authentizität, konterkarieren die Auffassung, dass in so einem Buch die „ganze Wahrheit zu finden sei, dass man nur genau genug lesen müsse, um hier Antworten auf die noch offenen Fragen zum Leben seines Autors oder seiner Autorin zu bekommen“.22 In der ersten Hälfte des Buches, die die Jahre von 1870 bis 1872 abdeckt, die Zeit vor ihrer Heirat, griff höchstwahrscheinlich Wetti Teuschl selbst wiederholt zur Schere, um unliebsame Passagen los zu werden.23 Von da an und bis zum Ende des Tagebuchs 1885 setzte sie den Schnitt gewissermaßen schon vor dem Schreiben an – Probleme wie Ehestreitigkeiten, Untreue ihres Mannes, seine Trink- und Spielfreudigkeit oder Rohheit ihr gegenüber deutete sie an, schrieb aber nicht wirklich darüber. Nun schienen viele Dinge zu infam, sie waren nicht in Worte zu fassen. Andeutungen mussten genügen, um Erleichterung und Trost zu verschaffen. Diese Praxis, die in bestimmten Themenbereichen konsequente und schon im Kopf ansetzende Selbstzensur, stärkt die These, dass die Autorin im ersten Teil des Buches missliebige Abschnitte eigenhändig entfernt hat. Am Beginn der Beziehung zu ihrem späteren Ehemann nehmen Gefühle im Tagebuch breiten Raum ein. Wetti Teuschl schrieb pathetisch und sentimental, überschwänglich, flehend und eindringlich. Später kehrt dieser Diskurs über die eigenen 20 Felicity A. Nussbaum, Toward Conceptualizing Diary, in: Trev Lynn Broughton Hg., Autobiography. Critical Concepts in Literary and Cultural Studies, Bd. 4, London/New York 2007, 3–13 (Orig. 1988), 10. 21 Vgl. Margo Culley, Introduction to A Day at a Time: Diary Literature of American Women, from 1764 to 1985, in: Sidonie Smith u. Julia Watson Hg., Women, Autobiography, Theory. A Reader, Wisconsin 1998, 217–221, 219. 22 Nicole Seifert, Tagebuchschreiben als Praxis, in: Renate Hof u. Susanne Rohr Hg., Inszenierte Erfahrung. Gender und Genre in Tagebuch, Autobiographie, Essay, Tübingen 2008, 39–59, 39. 23 Es ist freilich nicht mit Sicherheit zu sagen, ob die Schreiberin selbst oder jemand anderer diese Einträge zerstört hat.

Wetti Teuschls Tagebuch als kulturwissenschaftliches und historisches Material 159

Emotionen nach Krisen und Konflikten ähnlich wieder, verstummt aber im Lauf der (Tagebuch-)Jahre ganz. Nur vereinzelt äußerte sich die Autorin über Sexualität und wenn, immer sehr verklausuliert – zu den deutlichsten Ausführungen der nun schon Verheirateten gehört: „Soeben schaut mir mein Mannerl über die Achsel und sagt ich soll auch einschreiben wie wir die Abende zubringen, und daß wir beide oft sehr schlimm, aber dies hieße aus der Schule schwätzen und das darf man nicht.“24 Aus seiner Auseinandersetzung mit historischen französischen Mädchentagebüchern folgerte Philippe Lejeune, dass die meisten der Mädchen nicht über Körperlichkeit oder Sexualität schrieben. Ihre Gefühle und Wünsche in Bezug auf Männer drückten sie für gewöhnlich extrem reserviert aus – mittels indirekter Erwähnungen, allgemeiner Aussagen oder vager lyrischer Ausbrüche.25 Das lässt sich durchaus auf die erwachsene Schreiberin des vorliegenden Tagebuchs übertragen. Was Sprache jeweils unterdrückt ist dennoch präsent, bedarf der Dekodierung, eines Lesens zwischen den Zeilen – mit dem Freilegen der sprachlichen Unterdrückungs- und Verdrängungsmechanismen und deren ideologischen Grundlagen werden Selbstkonstruktionen der SchreiberInnen erkennbar.26 Während Wetti Teuschl, nunmehr Barbara Baumgartner, am Ende ihres Tagebuchs verhältnismäßig detailliert Plage und Ekel beschrieb, die ihr die Pflege ihrer kranken Mutter verursachten,27 äußerte sie kaum je klar über die harten Zeiten, die ihr der Ehemann offensichtlich wiederholt bereitet hatte. War das eigene Innerste letztlich der Schreiberin zu gefährlich, um ohne Umwege offen gelegt zu werden? Tagebuchschreiben involviert in komplexe psychische Prozesse: Oft möchte eine Autorin/ein Autor schreibend ein kontinuierliches und kontingentes Selbst herstellen und das multiple, widersprüchliche Ich ‚bändigen‘. Für das Schreiben über sich tritt das Selbst in Distanz zu sich – oder: macht das Subjekt zum Objekt, wie Margo Culley diesen Prozess der Selbstbeobachtung beschreibt.28 DiaristInnen kennen das Selbst von innen und sie imaginieren die Einstellung der Anderen zu diesem Ich, Wetti Teuschl/ 24 20. 11. 1872, 51. 25 Philippe Lejeune, The „Journal de Jeune Fille“ in Nineteenth-Century France, in: Suzanne L. Bunkers u. Cynthia A. Huff Hg., Inscribing the Daily. Critical Essays on Women’s Diaries, Amherst 1996, 107–122, 111; vgl. dazu auch Ulrike Moser, Herzensbildung. Ausbildung, Moral und Sexualität in den Tagebüchern junger bürgerlicher Frauen um 1900, Wien (Univ. Diss.) 2006. 26 Helen M. Buss, A Feminist Revision of New Historicism to Give Fuller Readings of Women’s Private Writing, in: Trev Lynn Broughton Hg., Autobiography. Critical Concepts in Literary and Cultural Studies, Bd. 4, London/New York 2007 (Orig. 1996), 14–31, 29, 26ff. 27 Vgl. Februar 1885, 149. Hier muss allerdings angemerkt werden, dass im Kontext der Beschreibung der Pflege ihrer sterbenden Mutter eine ganze Seite herausgerissen wurde (die einzige im Tagebuch). Aber wiederum: auch eine andere Leserin/ein anderer Leser könnte die Seite entfernt haben. Nur ein späterer Leser hat eine identifizierbare Spur hinterlassen: Wie in den Vorbemerkungen erwähnt, erhielt das Tagebuch durch den Urenkel der Autorin ein Etikett mit Beschriftung. 28 Culley, Introduction to A Day, 216; vgl. Esther Baur, Das Ich im Text: „Wie ich immer war und seyn werde“. Lektüren eines Tagebuchs, in: Manfred Hettling u. Stefan-Ludwig Hoffmann Hg., Der bürgerliche Wertehimmel. Innenansichten des 19. Jahrhunderts, Göttingen 2000, 105–128, 107, 123f.

160 Nachbemerkungen

Barbara Baumgartner geht es da nicht anders. Ein simplerer Grund für die (Selbst-) Zensur könnte in der Befürchtung gelegen haben, dass jemand das Tagebuch liest. Was mittlerweile vielfach und in unterschiedlichsten Kontexten geschehen ist. Aber die Wünsche der Schreiberin sind in dieser Hinsicht ambivalent: Wie erwähnt, hat sie sich im Tagebuch mancherorts direkt auf spätere LeserInnen bezogen, hat dieses Publikum mit erklärenden Bemerkungen bedacht.29 Sie hat ihr Tagebuch nicht bei Zeiten selbst vernichtet, sondern es aufbewahrt, es vererbt und bei diesem Überlassen auch ganz dezidiert die Verantwortung für das Schriftstück übertragen. Auch dieser Umgang mit dem eigenen, „alten Tagebuch“ mag die spezifische Dynamik von Tagebüchern verdeutlichen, die sich aus dem kontinuierlichen Wandel ihrer Gegenwart ergibt. Von Eintrag zu Eintrag inkorporiert der Text seine Zukunft und rekonstruiert zugleich seine Vergangenheit; seine Existenz in verrinnender Zeit erzeugt im Tagebuch „formale Spannungen und Ironien“.30 Ambiguität und Ambivalenz ersetzten hier jegliche Sicherheit, schreibt die britische Literaturwissenschaftlerin Felicity Nussbaum und meint weiter, dass Wandel möglicherweise die einzige Konstante diaristischer Selbstdarstellung sei.31 Sie nennt das Tagebuch eine „liminale Form“, positioniert zwischen Vergangenheit und Zukunft, dem Selbst und den Anderen, zwischen öffentlich und privat, universell und besonders.32 Sarah Edwards argumentiert, dass jegliches Schreiben ein Publikum voraussetze.33 Und dieses – imaginiert oder wirklich – hat immer Einfluss darauf, was geschrieben wird und wie. Ob Gott, die Mutter, die beste Freundin oder der beste Freund, der Bräutigam oder ein künftiges Selbst – sie formieren sich zu einem mächtigen ‚du‘.34 Sie bestimmen die Auswahl und Detailliertheit des Erzählten und prägen die Selbstkonstruktion, die SchreiberInnen im Tagebuch präsentieren.

29 Z. B. 22. 11. 1870, 19; 5. 8. 1871, 39; 20. 11. 1872, 51; 7. 1. 1874, 58; vgl. Edith Saurer, Auf der Suche nach dem Kontext, in: Oswald Panagl u. Ruth Wodak, Text und Kontext. Theoriemodelle und methodische Verfahren im transdisziplinären Vergleich, Würzburg 2004, 219–233, 225, zur Überschneidung von „privat und öffentlich“ durch Antizipieren dritter LeserInnen in persönlichen Briefen. 30 Culley, Introduction to A Day, 220, vgl. 221. 31 Vgl. Nussbaum, Toward Conceptualizing Diary, 8. 32 Nussbaum, Toward Conceptualizing Diary, 9. 33 Vgl. Sarah M. Edwards, Women’s Diaries and Journals, in: Margaretta Jolly Hg., Encyclopedia of Life Writing. Autobiographical and Biographical Forms, London 2001, 950–952, 951. 34 Culley, Introduction to A Day, 218.

Wetti Teuschls Tagebuch als kulturwissenschaftliches und historisches Material 161

(Selbst-)Zensur (Seiten 6 und 18)

162 Nachbemerkungen

Wetti Teuschl war Zensorin und Kritikerin ihrer (verschriftlichten) Gedanken und ihrer eigenen Erinnerung. Und mit Hilfe des Tagebuchs mochte sie auch ihr Vergessen reguliert haben. Die zerstörten Seiten lenken die Aufmerksamkeit auf ihre persönliche Art, das Tagebuch zu gebrauchen. Die Schreiberin hat die Eintragungen immer wieder gelesen, darauf lassen – wie eingangs erwähnt – nachträgliche Korrekturen und Einfügungen schließen. Mit diesen Re-Lektüren in die Vergangenheit zurückgehend, fühlte sie sich offensichtlich manchmal irritiert; manches Geschriebene schien nicht mehr passend und musste entfernt werden. Beobachtungen wie diese belegen den konstruktiven Charakter des Tagebuchs, verdeutlichen seine Prozesshaftigkeit und seine Gegenwärtigkeit. Auf den Tagebuchseiten wurden Selbstdarstellungen und Selbstbilder zeitlich und räumlich fixiert, und in dieser Fixierung waren und sind sie später zugänglich. Tagebücher können gelesen und wieder gelesen werden, und ihre VerfasserInnen werden den Herausforderungen der Begegnung mit vergangenen Ichs gewahr. Das hier edierte Tagebuch zeigt außerdem, wie sich Themen und Schreibmotivation einer Autorin während ihres Schreibens ändern können. Obwohl die Aufzeichnungen insgesamt nur über 15 Jahre geführt wurden, machen sie Verschiebungen der äußeren Lebensumstände nachvollziehbar und deuten Veränderungen in den subjektiven Befindlichkeiten an; sie zeigen, wie sich Beziehungen fortwährend veränderten und Kommunikationsformen wandelten. Und damit sowie mit den alltäglichen Lebensvollzügen veränderten sich die Funktionen dieses Schreibens fortlaufend. Bevor sie heiratete, schrieb Wetti Teuschl häufig über gesellschaftliche Ereignisse – sie besuchte Bälle, ging ins Theater, sah zu, wie 1871 der erste Eisenbahnzug in Krems ankam, und sie erzählte über zahlreiche Ausflüge mit Freunden und Familie. Und am ausführlichsten schrieb sie über Glück und Verzweiflung ihrer Liebesgeschichte mit Johann Baumgartner. Als der Geliebte in Richtung Wien aufbrach, weil er in Krems und Umgebung keine adäquate berufliche Position finden konnte, war die Zurückgelassene über Monate hinweg trostlos und legte ihre Verzweiflung im Tagebuch nieder. Sie schrieb zwar nicht täglich, aber doch recht oft und regelmäßig. Manches Mal kopierte sie Briefe in das Tagebuch; und zu besonderen Daten – an Jahrestagen, an ihrem Namenstag und am Jahresende35 – schrieb sie für gewöhnlich besonders ausführlich und unternahm dann einen Rückblick auf das vergangene Jahr oder die Monate seit dem letzten ‚rituellen Eintrag‘ bei ähnlicher Gelegenheit. Diese Gewohnheit, im Tagebuch zwischendurch und geradezu regelmäßig immer wieder autobiografisch zu schreiben, deutet an, wie problematisch klar gezogene Genregrenzen sind. Wie in anderen

35 Diese Schreibanlässe fallen also mit ‚klassischen’ Terminen der Selbstreflexion zusammen; zu „saisongerechtem Verhalten“ bzw. ritualisierten Aktionen zu den wichtigen Übergängen im Jahreslauf vgl. Christoph Köck, Intra-Links und Extra-Links. Übergänge und Übergangsrituale als Verbindungen zwischen Ordnungen und Ordnungssystemen, in: Schweizerisches Archiv für Volkskunde, 97 (2001), 253–265.

Wetti Teuschls Tagebuch als kulturwissenschaftliches und historisches Material 163

Wetti Teuschl und Johann Baumgartner

164 Nachbemerkungen

Formen ‚privaten‘ Schreibens, verwischen sich auch im Tagebuch Darstellungsabsichten und Stileigenschaften.36 Darüber hinaus sagen ihre Einträge nichts über konkrete Schreibgewohnheiten und lassen keine Rückschlüsse darauf zu – die Orte und Tageszeiten des Schreibens bleiben verborgen. Und es scheint, dass diese Aktivität keine fixe oder klare Rolle im Alltag einnahm. Der Tag bezieht sich im Tagebuch der Wetti Teuschl/Barbara Baumgartner auf den Prozess des Schreibens. Das heißt, die Einträge sind mit dem Tag, an dem die Ereignisse aufgezeichnet wurden, überschrieben. Nur in seltenen Fällen – an höchst außergewöhnlichen Tagen, wie beispielsweise ihrem Hochzeitstag – bezeichnet die Datierung den Tag des Geschehens und nicht jenen des Aufschreibens.37 Die Texteinheit Tag fällt durchaus und oft mit einer Erzähleinheit über mehrere Tage, später sogar Monate und Jahre, zusammen.38 Die einzelnen Einträge sind chronologisch organisiert, folgen zugleich aber den Assoziationen der Schreiberin. Struktur und Rhythmus des Tagebuchs ändern sich mit Wetti Teuschls Heirat völlig. Die zweite Hälfte des Tagebuchs, über die Jahre von 1872 bis 1885, wurde von der Kaufmannsgattin Barbara Baumgartner geschrieben.39 Sie unterscheidet sich vom ersten Teil der Aufzeichnungen hinsichtlich Schreibhäufigkeit, der in einem Eintrag behandelten Zeitspanne, der Schreibanlässe und der aufgegriffenen Themen; auch die Orte des Schreibens waren andere wie die Lebenssituation der Schreiberin eine andere war und sich zudem laufend wandelte. Für Gewöhnlich trug sie jetzt nur dann und wann in das Tagebuch ein, regelmäßig nur zu Weihnachten oder Neujahr. Im Durchschnitt verfasste sie nur ungefähr zwei bis drei Einträge pro Jahr.40 Dann formulierte sie: „Fast 6 Monate sind vergangen seit ich das letzte eingetragen, folglich bin ich auch schon so lange verheirathet ...“41 Oder: „Sechs Monate sind im Strome der Zeit vorübergerauscht, folglich ist auch mein geliebtes Kind schon ½ Jahr alt ...“42

36 Früh festgestellt von Bernd Jürgen Warneken, Populare Autobiographik. Empirische Studien zu einer Quellengattung der Alltagsgeschichtsforschung, Tübingen 1985, 49. 37 Vgl. dazu Anm. 8 in den Vorbemerkungen. 38 Vgl. Arno Dusini, Tagebuch. Möglichkeiten einer Gattung, München 2005, 93. 39 Außer ihrem Nachnamen hat sie auch ihren Kosenamen Wetti eingebüßt. Er taucht erst in der Verlassenschaftsakte wieder auf; eines der vorhandenen Sparbücher lautete auf Wetti Gerstl; vgl. WStLA, G 306-1/29: A4/15/9, Amtsgericht Wien, Todfallsaufnahme, GZ 15A A 30/44. 40 Vgl. Vorbemerkungen, S. 113. 41 20. 11. 1872, 51. 42 7. 1. 1874, 54.

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Telegramm mit dem Johann Baumgartner seinen Schwiegereltern die Geburt ihres Enkels Hans bekannt gab43

Die folgenden Einträge handeln vor allem von Unfällen und Krankheiten, seltener von außergewöhnlichen, schönen Erlebnissen, wie Barbara Baumgartners erstem Opernbesuch zusammen mit ihrer Mutter, auch von großen (nationalen) Ereignissen, wie der „Wiener Weltausstellung“ 1873. Aber da vermerkte sie nur lakonisch: „Über die Weltausstellung eine Aufzeichnung zu geben, fühle ich mich durchaus nicht berechtigt, erstens habe ich dazu viel zu wenig gesehen (ich war nur 3mal, und da nur einige Stunden) und 2tens haben sich viel gewandtere Federn damit beschäftigt was der Nachwelt 43 Der Text lautet: „Herrn A. Teuschl Krems Heute Nacht erhielten wir einen Buben bitte recht bald zu kommen J. Baumgartner“.

166 Nachbemerkungen

nie verloren gehen kann.“44 Und hinsichtlich der Oper meinte sie: „[Ü]ber dieses Stük eine Kritik zu fällen ist auch hier nicht der richtige Platz dazu, ich sage nur niemand soll sich den Genuß einen Abend im Opernhause zuzubringen entgehen lassen, will er sich eine schöne Erinnerung behalten.“45 Schließlich erklärte sie, warum sie kaum noch dazu gekommen war, in ihr „liebes Tagebuch“ einzutragen – das Kind nähme all ihre Zeit in Anspruch, es wache früh auf und gehe nicht vor der „10ten Stunde“ ins Bett; die Zeit, die es untertags schlafe sei „fast gar nicht zu rechnen“.46 Nur solche mittelbare Klagen geben eine Ahnung über die Gewohnheiten des Schreibens, über die ehedem – vor der Mutterschaft – für das persönliche Schreiben aufgewandte und verfügbare Zeit und Energie. Die Dichte der Einträge stimmt nicht mit der Dichte des Geschehens überein. Während der nächsten Jahre hielt Barbara Baumgartner vor allem Krankheiten, das schwierige Geschäftsleben, Umzüge, Neuanfänge fest und berichtete von ihrem Kind. Kaum je erzählte sie, vielmehr verzeichnete sie in knapper Form – sie wurde zur prosaischen Chronistin. Das Kind schien der einzige Lichtblick ihrer Alltage gewesen zu sein – aber sogar dieses Kind wurde im Tagebuch eher verzeichnet denn beschrieben. Die kurzen Statements über den Sohn enden wiederholt mit einem kleinen Gebet, wie im Eintrag vom 1. Jänner 1875: Mit den Beginn eines neuen Jahres muß ich auch wider meinen Herzen wider einmal Luft machen, da es ohnehin schon eine geraume Zeit ist daß ich nichts eingeschrieben habe, obwohl sich seit der Zeit vieles verändert hat. Mein liebes Kind Hansi läuft nun schon, er hat mit 16 Monaten angefangen hat schon 10 Zähne und plauscht alles nach, vieles sehr schön aussprechend, Das Kind ist unsere ganze Freude, mein größtes Glük, Gott erhalte mir das theure Wesen, es ist ja alles, was ich habe.47

Am Beispiel von Schriftstellerinnen zeigt Elizabeth Podnieks, dass Tagebuchschreiberinnen die Freuden dieser Aktivität vielfach verschleiern und das Schreiben in eine Pflicht verwandeln, in eine Aufgabe, die erfüllt werden muss.48 Für das Anlegen eines Journals, für eine penible Registratur der Alltagserlebnisse reichte Barbara Baumgartners Motivation nicht. An keiner Stelle fasste sie das Schreiben als Pflicht auf – wenn sie Einschreiben „musste“, folgte sie dabei ausschließlich einem Bedürfnis. Sie machte sich das Schreiben nicht zur Arbeit, eher lässt sich vermuten, dass es ihr Vergnügen bereitete oder zumindest für eine ‚Auszeit‘ sorgte, Gelegenheit zur Besinnung bot. Und so beginnt der eben zitierte Eintrag mit einer dreifachen Rechtfertigung, die vielleicht vom schlechten Gewissen, mit dem Tagebuch Zeit allein für sich und mit sich zu verbringen, 44 45 46 47 48

7. 1. 1874, 57f. 7. 1. 1874, 58. 7. 1. 1874, 58. 1. 1. 1875, 61. Vgl. Elizabeth Podnieks, Daily Modernism. The Literary Diaries of Virginia Woof, Antonia White, Elizabeth Smart, and Anaïs Nin, Montreal u. a. 2000, 65.

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befreien sollte: Schon lange wurde nichts mehr eingeschrieben, zu Jahresbeginn schien ein Eintrag angebracht und darzulegende Sorgen und Probleme waren außerdem etliche und vielfältig. Die Frequenz der Einträge ist konstant. Nur wenn ein Unglück geschah, mehrten sich die Einträge, etwa als 1876 das Geschäft komplett und definitiv zusammenbrach, als das Paar sich keine eigene Wohnung mehr leisten konnte und der Ehemann auch noch wegen Verdachts auf Betrug und fahrlässige Krida in Untersuchungshaft genommen wurde. In solchen Phasen schrieb Barbara Baumgartner wieder oft und viel, sporadisch sogar fast täglich. Das Tagebuch war nun ihre Klagemauer: Eine lange Zeit liegt zwischen dem vorigen Blatt und diesen aber was alles hat sich während dieser Zeit ereignet, es sind fürchterliche Dinge vorgefallen, die ich mir in den ärgsten Befürchtungen nicht vorgestellt hätte, Dinge die wenn man mir einst gesagt hätte, daß sie mich träfen, ich nicht geglaubt hätte, daß ich sie überleben werde. Ich will beginnen: …49

Und bei ihrem – in diesen Jahren geradezu rituellen – Eintrag am Silvester-Abend schrieb sie: Nehmen wir Abschied von dem für mich so leidensvollen Jahr 1876 die Stunden wo ich mich in diesen Jahre glüklich fühlte, könte ich leicht zählen, ich habe Furchtbares gelitten Gott wird wissen ob nun bald ein Ende ist. Und noch war alles erträglich da ich doch eine vorläufige Heimath bei den Eltern fand, was wäre geschehen wenn ich das nicht gehabt hätte wenn ich ohne Eltern und Heimath der bittersten Noth preisgegeben gewesen wäre, dann hätte mir vieleicht der Muth gefehlt ein solch jammervolles Dasein weiter zu schleppen und hätte das Ende des Jahres 1876 schwerlich erlebt. Das Ende des Jahres ist erreicht aber nicht das Ende des Leidens. … [J]eden Abend gehe ich mit Angst schlafend zitternd vor dem, was der nächste Tag mir wider neues bitteres bringt. Seit 4 Jahren ist es nur eine Kette von Leiden, und ich gebe mich nicht der Täuschung hin daß das nächste Jahr ein besseres ist, ich hoffe nur schwach.50

Barbara Baumgartners „Verbuchung von Zeit“51 geriet immer mehr zur Addition der Defizite. Manchmal wirkt die Ahnung vom Vergehen der Zeit wie der einzige verbliebene Hoffnungsschimmer. Was etwa Susanne zur Nieden für die Zeit des Zweiten Weltkriegs beobachtet, gilt auch hier: Krisen – ob gesellschaftliche oder ganz individuell erlebte – forcieren das Tagebuchschreiben. Auch Barbara Baumgartner griff besonders dann auf das Tagebuch zurück, wenn die befreiende und Angst bindende Wirkung des Schreibens gefragt war.52 Das Tagebuch fungierte immer wieder als virtueller Erholungs-/Entlastungsort; es erlaubte Rückzug und womöglich auch, sich von dem 49 50 51 52

23. 10. 1876, 74. 31. 12. 1876, 93. Dusini, Tagebuch, 74. Vgl. Susanne zur Nieden, Tagebücher von Frauen im zerstörten Deutschland 1943 bis 1945, in: Michaela Holdenried Hg., Geschriebenes Leben. Autobiographik von Frauen, Berlin 1995, 287–298, 290.

168 Nachbemerkungen

unmittelbar Bedrückenden durch Distanzierung per Reflexion etwas zu erleichtern. Daneben blieb nach wie vor Raum für die unterschiedlichsten prosaischen Erinnerungsvermerke. Wenn es um eigentlich Unfassbares und Unerträgliches ging, mussten Klischees, Redensarten und konventionelle standardisierte Ausdrucksweisen gegen die Wirklichkeit abschirmen. „Je stereotyper die Rede“, meint die Historikerin Susanne zur Nieden, „um so wirksamer scheint sie weiteres Nachdenken verhindern zu können.“53 Das Tagebuch soll trösten und beruhigen, ein aus der Fassung gebrachtes Selbst wieder stabilisieren. Auch Philippe Lejeune umreißt die spezifischen Funktionen eines Tagebuchs und spezifiziert dabei den Wert „sich auszudrücken“ in „zu kommunizieren“ und „loszuwerden“. Das Gewicht der Emotionen und Gedanken würde abgeladen, indem man sie aufs Papier bringe. Dieser Impuls könne mit Bewahrung assoziiert werden, schreibt er, habe aber größere Affinitäten zum Zerstören. „Putting something down on paper means separating it from yourself, purifying and cleansing yourself. You can also push purification to its limits and get rid of the paper.“54 Damit weist Lejeune auf eine Strategie hin, die Barbara Baumgartner wiederholt anwandte. Die vorhin zitierte Passage – „Seit 4 Jahren ist es nur eine Kette von Leiden ...“ – blieb als Ganze erhalten, sie wurde nicht zensuriert. Einerseits mag die Schreiberin sich erleichtert gefühlt haben, nachdem sie sich im Tagebuch über das schreckliche letzte Jahr und die Situation insgesamt beschwert hatte. Andererseits mag sie einen gewissen Erinnerungswert ganz bewusst erzeugt haben. Sie empfand Dankbarkeit gegenüber ihren Eltern, die ihr und ihrem Sohn ‚Heimat gegeben’ hatten, und sie schrieb das in ihrem Journal fest – vielleicht auch für andere (künftige) LeserInnen neben ihr selbst. In ein und demselben Eintrag, nach nur wenigen Sätzen, kann sich der Widerspruch von Vergessen/Hinter sich lassen und Dokumentieren/in Erinnerung behalten auftun. Mit der Krise wirtschaften

Als Wetti Teuschl mit dem Tagebuchschreiben begann, war sie 18 Jahre alt und verlebte in ihrem Elternhaus in Krems verhältnismäßig sorglose, nicht untypische Tage für eine mittelständische Bürgerstochter in einer europäischen Kleinstadt der damaligen Zeit. Ihre Familie war gesellschaftlich integriert und angesehen, die Eltern lebten durch und durch standesgemäß. Sie besaßen zwei Häuser, der Vater hatte ein Stellwagen- und Fuhrwerkunternehmen, in dem er mehrere Kutscher beschäftigte, er vermietete Wohnungen und Geschäftslokale und nahm am örtlichen Honoratiorentisch Platz.55 Die Mutter leitete, unterstützt von einer Dienstbotin, das Hauswesen. Nach 53 Zur Nieden, Tagebücher von Frauen, 298. 54 Lejeune, How Do Diaries End, 95. Er bezeichnet die Zerstörung eines Tagebuchs als „kleinen Selbstmord“. 55 Wie ein Foto belegt, das Anton Teuschl im Kreis stattlicher Kremser zeigt.

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der Hochzeit im Juni 1872 zog Barbara Baumgartner zu ihrem Mann nach Wien. Jener wurde, nach kurzer Tätigkeit in einem Bekleidungsgeschäft, Kaufmann in der eigenen Gemischtwarenhandlung. Die junge Ehefrau unterstützte ihren Mann beim Aufbau seines Geschäfts und war zufrieden in einer eigenen Wohnung mit Salon und Dienstbotenzimmer, einem ‚Mädchen‘, das ihr im Haushalt half, sowie einem Commis und einem Burschen, die – wie sie selbst auch – im Laden arbeiteten. Als mithelfende Familienangehörige nahm Barbara Baumgartner eine (nicht nur) zeitgenössisch typische Position ein; die Zahl der mitarbeitenden erwachsenen Frauen übertraf im damaligen Österreich den Anteil der Selbständigen (Männer und Frauen) um ein Mehrfaches.56 Bald (am 7. Juli 1873) wurde sie Mutter und beschrieb sich daraufhin als angestrengt aber stolz und glücklich mit dem Kind. Mit seinen ökonomischen Aktivitäten war das Paar in den Wiener Jahren nicht erfolgreich. Die allgemeine und massive Wirtschaftskrise57 wirkte sich unmittelbar auf den Einzelhandel aus, das bekamen die beiden arg zu spüren: Das erste Unternehmen in der Josefstadt (VIII. Bez.) musste bald aufgegeben werden – mit großem Verlust wurden Geschäftseinrichtung und Lagerbestände verkauft. Mit dem restlichen Kapital unternahm Johann Baumgartner weitere Versuche der Existenzgründung, die allesamt scheiterten. Nach einigem Hin und Her gelang es ihm im September 1874 nochmals, sich als Kaufmann zu etablieren: wieder mit einer Gemischtwarenhandlung. Die Geldsorgen wurden indes nicht kleiner und als in unmittelbarer Nähe zum neuen Geschäft in der Leopoldstädter Taborstraße (II. Bez.) ein weiterer Konkurrent eröffnete, verschlimmerte die ökonomische Lage des Ehepaars sich dramatisch. Mit ihren Geschäftsideen entschieden sich Johann und Barbara Baumgartner geradezu zwangsläufig immer wieder für Bereiche, in denen wenig Kapital und Fachkenntnis nötig und daher Konkurrenz besonders groß war – wie im Gemischtwarenhandel. Er hatte sich wohl als Mitarbeiter in einem Kremser Textilgeschäft kaufmännisches Wissen angeeignet, fundiert war seine Ausbildung wahrscheinlich nicht. Barbara Baumgartner, in einem gewerblichen Haushalt aufgewachsen, hätte eine einschlägige Sozialisation mitbringen können. Das väterliche Fuhrwerksunternehmen war in der Familie offenbar aber männlich konnotiert. Als sie ins ‚heiratsfähige Alter‘ kam, schickte man die Tochter in die Küche des örtlichen Piaristenklosters, damit sie sich dort mit den Grundzügen des Kochens vertraut mache. Und sie ehelichte eben nicht 56 Vgl. (für 1890) Michael Pammer, Entwicklung und Ungleichheit. Österreich im 19. Jahrhundert, Stuttgart 2002, 86. 57 Die staatliche Emission von Geld und eine Rekordernte von Getreide 1867 führten zu einem „Gründungsfieber“ im Eisenbahnbau, der Basis für eine breite konjunkturelle Aufwärtsbewegung wurde. Doch schon 1871/72 – der Hochzeit von Produktion, Handel und Spekulation – zeigten sich erste Einbrüche. Zudem hatten sich bereits in den ersten Jahren der Aufstiegsperiode Kapital- und Lebenskosten verteuert. Löhne und Gehälter passten sich nur allmählich an; die allgemeine Preissteigerung wiederum verstärkte die Tendenz zur Überproduktion. Für neue Impulse sorgten, wie erwähnt (vgl. Kap. 2, Anm. 163), die Vorbereitungen für die Weltausstellung, die aber weitere Teuerung brachten und zur überstürzten Gründung von Banken und Baugesellschaften führten; vgl. Eduard März, Österreichische Industrie- und Bankpolitik in der Zeit Franz Josephs I., Wien u. a. 1968, 139f, 172f.

170 Nachbemerkungen

einen der beiden Söhne des zweiten Fuhrwerkers in Krems sondern einen Commis; die im Elternhaus befindlichen Geschäftslokale waren zur Zeit der Eheschließung gut verpachtet. Auf die klassische Hausfrauenrolle vorbereitet, brauchte Barbara Baumgartner als Ehefrau dann allerdings ganz andere, weitergehende Kompetenzen. Die große Mobilität des jungen Ehepaares innerhalb Wiens, die Kurzfristigkeit, mit der sie sich zu einem Geschäft entschlossen, es übernahmen und die meist überaus kurze Zeitspanne, nach der sie es wieder aufgeben mussten, hatten vermutlich mit individuellem Mangel an kaufmännischem Geschick zu tun, war aber gleichzeitig eine strukturelle Eigenschaft der „Welt des Kleinbetriebs“.58 Die Finanzierung dieser kleinen Läden, stellen Heinz-Gerhard Haupt und Geoffrey Crossick fest, geschah in ganz Europa auf ähnliche Weise, mit ähnlichen Folgen. Die Geschäfte wurden auf Basis einer Mischung aus persönlichen Ersparnissen, Familienkrediten, Mitgift und Großhandelskredit eröffnet. Der Kapitalmangel führte unmittelbar in die Abhängigkeit von Großhändlern und Lieferanten, ohne deren kurzfristige Kredite die Läden gar nicht offen halten hätten können. Außerdem war die Abhängigkeit von lokalen Kunden groß – zum einen musste auf deren Geldknappheit infolge instabiler Einkommensverhältnisse Rücksicht genommen werden, zum anderen führten nicht oder zu spät eingetriebene Schulden oft zum Bankrott der Kleinhändler.59 Die Konsumvereine räumten keine Kredite ein, so blieben den Kleinbetrieben oft jene KundInnen, die nur unregelmäßig und letztlich oft gar nicht bezahlen konnten.60 Zwischen 1871 und 1880 hatte die Bevölkerung Wiens um 70.000 Menschen zugenommen, zugleich stagnierte der Konsum der wichtigsten Lebensmittel oder nahm sogar ab.61 Die Zuwandernden kamen aus den südböhmischen und südmährischen Gebieten, aus Polen, Galizien, der Bukowina und vor allem auch aus dem Umland Wiens. Im Zuge der Industrialisierung migrierten insbesondere viele NiederösterreicherInnen in die Hauptstadt.62 1876 war die Depression, die im Mai 1873 eingesetzt hatte, an ih58 Vgl. Heinz-Gerhard Haupt u. Geoffrey Crossick, Die Kleinbürger. Eine europäische Sozialgeschichte des 19. Jahrhunderts, München 1998, 90f. 59 Vgl. Haupt/Crossick, Die Kleinbürger, 96f; vgl. auch Heinz-Gerhard Haupt, Die Enge des Kleinbürgertums. Bemerkungen zu seiner Geschichte im 19. Jahrhundert, in: Thomas Althaus Hg., Kleinbürger. Zur Kulturgeschichte des begrenzten Bewußtseins, Tübingen 2001, 21–33, v. a. 25–29. 60 Vgl. Haupt/Crossick, Die Kleinbürger, 75. 61 „Der Weinverbrauch ist per Kopf um 2 Liter per Jahr zurückgegangen, der Bierkonsum um 8 Liter per Kopf, der des Schnapses ist allerdings gestiegen; in 7 Jahren sind 353 neue Branntweinbrennereien, Händler und Schänker zugewachsen. Der Mehlverbrauch ist um mehr als 12 kg per Kopf gefallen, der Fleischverbrauch ist allerdings ungefähr stationär geblieben, charakteristisch aber ist, daß, während der Verbrauch an Geflügel und feinen Fleischsorten stark abgenommen hat, nur der von den minderen Rindfleischgattungen gestiegen ist.“ Aus der Studie „Der Konsum Wiens in den Jahren 1871–1880, in: Der Volkswirt, 17. 9. 1881, zit. lt. März, Österreichische Industrie- und Bankpolitik, 192f. 62 Vgl. Andreas Weigl, Demographischer Wandel und Modernisierung in Wien (= Kommentare zum Historischen Atlas von Wien; 1), Wien 2000, 28. Im Verhältnis zur Population der Herkunftsorte wanderten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts 30 % und mehr der Bevölkerung des niederösterreichischen Raums nördlich der Donau nach Wien ab; vgl. ebd.

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rem Tiefpunkt angelangt und führte zu breiter Arbeitslosigkeit und allgemeinem Rückgang des Lebensstandards, ruinierte zahlreich geschäftliche Existenzen.63 Mit den ökonomischen Problemen wurde die Beziehung des Paares zusehends schwieriger und Barbara Baumgartner bat ihre Eltern mehrfach um Unterstützung – finanziell und moralisch. Neben den Eltern standen ihr wiederholt und viele Jahre hindurch ihre Wiener Freundin Henriette Falk und deren Ehemann Christof Beer zur Seite. Aus dem Tagebuch geht nicht hervor, wie die beiden Paare einander kennen gelernt haben – Henriette Falk führte ein Leinenwarengeschäft im zweiten Bezirk, unweit einer der Geschäftsadressen der Baumgartners. Die Jungunternehmer berieten sich mit dem etablierteren und etwas älteren Ehepaar Falk-Beer und wurden tatkräftig unterstützt: Nach plötzlicher und kurzfristiger Aufkündigung des Mietverhältnisses in der Taborstraße sprang der Magistratsbeamte Christof Beer, der in der Umgebung offenbar nur unter dem Namen seiner Frau – Falk – bekannt war, als Mieter ein und Barbara und Johann Baumgartner gewannen Zeit, ein neues Lokal, eine Wohnung sowie einen Käufer für die Ladeneinrichtung zu suchen.64 Von diesen beiden (privaten) Ankerpunkten abgesehen,65 schienen die wirtschaftlichen Verbindungen der Baumgartners überwiegend negativ konnotiert – sie verstrickten sich immer fester in ein Netz aus Gläubigern: Lieferanten, Kreditgeber, Pfandleiher, Anwälte, Vermittler und Agenten, Hausbesitzer, Vermieterinnen. Auf das endgültige Scheitern Johann Baumgartners als Kaufmann im Frühjahr 1876 folgten weitere Umzüge der Familie – immer weiter hinaus an den Stadtrand, in immer kleinere Wohnungen, mit immer bescheideneren Verhältnissen. Waren sie schon zuvor vom gut-mittelständischen VIII. Bezirk in den weit weniger angesehenen, von Durchzugsverkehr und Zuwanderung geprägten II. Bezirk übersiedelt, mussten sie nun die große Geschäftsstraße dort verlassen und sich billigere und zusehends kleinere Quartiere am Rand dieses Bezirks suchen. Das zeitgenössische Feuilleton und die Sozialreporter hießen das Viertel, das rund um den Nordbahnhof aus dem Boden gestampft wurde, den „jämmerlichsten aller Wiener Stadtteile“ und beschrieben ihn als „paradigmatischen Ort ... des sozialen Elends“.66 Bis zur Einführung eines gesetzlichen 63 Vgl. März, Österreichische Industrie- und Bankpolitik, 176. 64 17. 8. 1875, 67f. 65 Die Herkunftsfamilie Johann Baumgartners schaltete sich erst sehr spät – im Juli 1877 – ein; Maria Stawinoha, die mit ihrem Mann in Wien mehrere Friseursalons betrieb, verkaufte ihrem Bruder eines der Geschäfte (das dieser wiederum nur mit Finanzhilfe seines Schwiegervaters bezahlen konnte). Die fehlende Unterstützung ihrer Schwiegerfamilie bzw. deren Erwartungen in Hinblick auf Geldflüsse aus Johann Baumgartners Geschäften veranlasste Barbara Baumgartner mehrfach zu bitteren Bemerkungen; etwa beklagte sie im Nachhinein ein größeres Geldgeschenk, das zur Hochzeit der jüngeren Schwester Johann Baumgartners zu machen war; vgl. 8. 3. 1877, 105. 66 Wolfgang Maderthaner, Anspruchsvolle Schäbigkeit. Zur Wiener Unterschicht um 1900, in: Rolf Lindner u. Lutz Musner Hg., Unterschicht. Kulturwissenschaftliche Erkundungen der „Armen“ in Geschichte und Gegenwart, Wien 2008, 123–141, 129. Wien habe sich, so Maderthaner, von anderen europäischen Metropolen markant unterschieden, indem das Vorstadtelend hier hinter Fassaden verborgen war, die sich an der pompösen Ringstraßenarchitektur orientierten; vgl. ebd. 126f.

172 Nachbemerkungen

Mieterschutzes (1917) war die innerstädtische Binnenwanderung enorm; noch um die Jahrhundertwende betrug die Mietdauer in rund 30 Prozent der Wiener Wohnungen weniger als ein Jahr. In den ArbeiterInnen- und MigrantInnenbezirken war die Mobilitätsrate am höchsten, der Wohnungswechsel innerhalb der engsten Wohnumgebung überwog.67 Über eine eigene Wohnung, über einen eigenen Haushalt zu verfügen, beschreibt Josef Ehmer bei den „in der Tradition der ständischen Gesellschaft stehenden“ Gewerbetreibenden als „unbedingte Voraussetzung einer selbständigen Arbeits- und Lebensweise“. Wo weiterhin eine Einheit von Arbeitplatz und Familienwohnstätte bestanden blieb, wenn Dienstboten, Lehrlinge und Gesellen in diesen aufgenommen wurden, war ein eigenes Haus, zumindest eine eigene Wohnung nötig. Im Kleinhandel und in der gewerblichen Produktion, wo sich „an den Rändern des alten Mittelstandes Formen einer ‚prekären Selbständigkeit’“ ausbreiteten, wohnten auch formell Selbständige als Untermieter oder Bettgeher.68 Die Aufzeichnungen Barbara Baumgartners belegen die Auswirkungen des ökonomischen Scheiterns in punkto Wohnen: Während die Familie anfangs in relativ großzügigen Verhältnissen lebte, musste sich das Paar mehr und mehr bescheiden, auf MitarbeiterInnen verzichten, Untermieter und Bettgeher aufnehmen, um die Miete kontinuierlich bezahlen zu können. Zwischendurch wohnten sie selbst in einem Kabinett zur Untermiete69 beziehungsweise kamen wiederholt bei Freunden und Verwandten unter. Nachdem sie die Situation in Wien als unerträglich empfand, begann Barbara Baumgartner mit dem kleinen Sohn zwischen Wien und ihrem Elternhaus in Krems zu pendeln.70 Zeitweise wurde das Kind bei den Großeltern zurückgelassen. Nachdem sie hart in den diversen Geschäften ihres Mannes (mit-)gearbeitet hatte und binnen weniger als vier Jahren in Wien vier Mal umgezogen war (fünf weitere Umzüge sollten bis Ende Jänner 1878 folgen), nachdem sie die letzte seiner Gemischtwarenhandlungen schließlich für einige Monate übernommen hatte,71 um die Geschäftseinrichtung und restlichen Waren vor Pfändung zu bewahren, eröffnete Barbara Baumgartner im März 1876 ein eigenes kleines Zwirn- und Wollgeschäft, in dem sie auch Kleider- und Wäschereinigung anbot. Ihr großes Engagement zeitigte Erfolg, in 67 Vgl. Weigl, Demographischer Wandel, 148f. 68 Josef Ehmer, Soziale Traditionen in Zeiten des Wandels. Arbeiter und Handwerker im 19. Jahrhundert, Frankfurt a. M./New York 1994, 67. 69 „Ein Bettgeher brachte etwa ein Viertel der Miete für eine Zimmer-Küche-Wohnung ein.“ Ehmer, Soziale Traditionen, 90. Einer ebendort zitierten Studie über die Lebensverhältnisse von Arbeiterinnen in der Wäscheindustrie zufolge bezahlten diese Frauen 1907 in Wien für eine Schlafstelle ca. 15 % ihres Gehalts, für ein unmöbliertes Kabinett 25 %, ein möbliertes Kabinett kostete bis zu 40 % des Monatslohnes; vgl. ebd., 94. 70 Eine erste Flucht nach Krems unternahm sie im Sommer 1874 nach dem Scheitern des ersten Geschäfts in der Josefstadt. Ab 1876 wohnte sie abwechselnd in Wien und Krems. 71 Als Spätfolge dieser Strategie bekam sie Probleme mit der Steuerbehörde; vgl. 14. 11. 1876, 85ff; 5. 2. 1877, 100; 25. 2. 1877, 103; 8. 3. 1877, 104 u. 21. 5. 1877, 110.

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nur drei Monaten erwarb sie sich 200 regelmäßige KundInnen, wie sie stolz im Tagebuch festhielt, dennoch scheiterte sie letztlich auch mit diesem Unternehmen. Nach wenigen Wochen konnte sie abermals die Miete und die anderen Ausgaben des täglichen Lebens nicht mehr bezahlen. Um erhalten zu werden und sich zu erholen, ging sie mit ihrem kleinen Sohn zurück zu den Eltern nach Niederösterreich und kehrte erst im Spätsommer und ohne das Kind nach Wien zurück. Im Oktober des selben Jahres 1876 wurde Johann Baumgartner wegen des Verdachts auf fahrlässige Krida und Betrug mit der (im Jänner aufgegebenen) Gemischtwarenhandlung in der Taborstraße in Untersuchungshaft genommen. Er blieb daraufhin über drei Monate im Wiener Landesgericht eingesperrt. Barbara Baumgartner flüchtete nach der Inhaftierung ihres Mannes abermals nach Krems und kam erst im drauffolgenden Frühling wieder nach Wien, um dort eine Ausbildung als Hebamme zu beginnen. Sie schaffte die Aufnahmeprüfung und freute sich auf den Kurs sowie eine berufliche Selbstständigkeit in naher Zukunft. Doch bereits nach wenigen Wochen musste sie abbrechen, da ihr Ehemann an den Blattern/Pocken erkrankte und der Pflege bedurfte. Karin Hausen schreibt, dass Menschen zwar stets als Subjekte ihres Wirtschaftens agierten, es ihnen dabei aber kaum gelinge, „die gleichzeitig angestrebten, häufig konkurrierenden und sehr verschiedene Zwecke und Ziele überhaupt eindeutig zu definieren und mit Priorität auszustatten“. Denn es entscheide immer eine in diverse soziale Zusammenhänge und Beziehungen integrierte, verwickelte Person, die zwischen Verbindlichkeiten, Rücksichtnahmen und unterschiedlichsten, auch widersprüchlichen Interessen abwägen muss.72 „Heimath“ – Orte, Dinge und Beziehungen

‚Heimat‘ bezeichnet in den Aufzeichnungen Barbara Baumgartners Vielfaches – von einer Gefühlslage über Orte und soziale Beziehungen bis hin zum Gebrauch des Wortes als rechtlichen Terminus.73 Zwei Tage nach ihrer Hochzeit reiste sie aufgeregt, voller Erwartungen und ein bisschen wehmütig in Begleitung ihrer Mutter nach Wien in ihre „neue Heimath“, wo sie von ihrem Ehemann schon am Bahnhof erwartet wurde.74 Ein paar Monate später bezeichnete sie sich im Tagebuch als glücklich, weil die Ehe funktio-

72 Karin Hausen, Altbewährt und zählebig. Wirtschaften mit der Geschlechterordnung, in: Eva Labouvie u. Katharina Bunzmann Hg., Ökonomien des Lebens. Zum Wirtschaften der Geschlechter in Geschichte und Gegenwart (= Geschlecht – Kultur – Gesellschaft; 15), Münster 2004, 13–32, 17. 73 Zu „Heimat“ als Metapher und Orientierungsfigur des kleinbürgerlichen Mittelstands im 19. und frühen 20. Jh. vgl. Hans Heiss, Heimat und Kleinbürgertum. Zum stillen Einklang zweier Begriff, Thomas Althaus Hg., Kleinbürger. Zur Kulturgeschichte des begrenzten Bewußtseins, Tübingen 2001, 151–173. 74 3. 6. 1872, 49.

174 Nachbemerkungen

niere und ihr zudem Wien „bereits eine liebe Heimath geworden“ sei.75 Wobei sie hier nur sehr wenig über das Fuß fassen in der neuen Umgebung schrieb und nichts über das Zurechtfinden in der Metropole; nur an einer Stelle erwähnte sie, welche Parkanlagen und Theater sie bereits besucht hatte.76 Über soziale Kontakte und Beziehungen ist nur zu erfahren, dass mehrere Frauen ihr Freundschaft angetragen hätten, sie sich aber nicht entscheiden konnte, diese Angebote anzunehmen. Ihre Kremser Jugendfreundin Milli hatte sich inzwischen auch nach Wien verheiratet – dies wurde erfreut vermerkt,77 schien aber keine intensive Verbindung der beiden zur Folge gehabt zu haben. Offensichtlich wurden ihr weniger die Stadt selbst oder die sie umgebenden Menschen zur ‚Heimat’, denn der Laden in der Josefstadt, für den sie schon nach wenigen Monaten „so ziemlich gebrauchbar“78 war. Nicht einmal drei Jahre darauf war Barbara Baumgartner ernüchtert: Die Geschäfte gingen sehr schlecht und zudem hatte sich herausgestellt, dass der Ehevertrag ihr persönliches Vermögen nicht schützen konnte.79 Zu den ökonomischen Schwierigkeiten kamen familiäre – der Mann ging „öfter als es gut ist“ ins Gasthaus und spielte, zu Hause war er „mürrisch und verdrossen“. Sie ahnte, dass sie Mutter und Vater bald ins Vertrauen ziehen und um Hilfe bitten würde müssen: „Was würden meine Eltern sagen wenn sie das alles wüßten, und ich fürchte die Zeit wird kommen wo ich Ihnen nicht nur alles sagen werden müsse und vieleicht gar um Heimath bitten muß. Gott steh mir bei.“80 Die Eltern nahmen, wie erwähnt, Tochter und Enkel nach diesem ersten wirtschaftlichen Zusammenbruch bei sich auf. Als sich Barbara Baumgartner nach der Inhaftierung ihres Mannes nach Krems zurückzog, halfen wieder insbesondere Mutter und Vater. Sie wartete in ihrem Elternhaus auf Nachrichten von oder über Johann Baumgartner, sandte Briefe an seinen Anwalt, an Freunde, die sie um Hilfe bat, schickte Bittbriefe an Priester und andere Honoratioren in Krems und Wien. Um ein bisschen Geld zu verdienen, übernahm sie Näh- und Strickarbeiten,81 und versteckte sich ansonsten vor der Öffentlichkeit. In der Großstadt 75 76 77 78 79

20. 11. 1872, 50. 20. 11. 1872, 50. 20. 11. 1872, 50. 20. 11. 1872, 50. Laut ABGB waren Heiratsgut und Widerlage im Fall eines Konkurses prinzipiell sichergestellt; diese Sicherung wurde aber erst mit dem Tod des Ehemannes wirksam. Wurden die Heiratsgaben nicht dezidiert abgesichert, etwa durch eine Eintragung auf eine Immobilie im Grundbuch, schreibt Ellinor Forster, „waren die Unabwägbarkeiten sehr groß“. Konkrete Fälle zeigen, dass Frauen oftmals erfolglos auf Anerkennung ihres Rechts klagten; Ellinor Forster, Handlungsspielräume von Frauen und Männern im österreichischen Erbrecht. Geschlechterverhältnisse im 19. Jahrhundert zwischen Rechtsnorm und Rechtspraxis, Innsbruck (Univ. Diss.) 2007, 241, vgl. 240–255; vgl. Kap. 2, Anm. 178. 80 29. 9. 1875, 70. 81 In der Krisensituation wandelte sich die zeitgemäße „Luxusarbeit ... der Frauenhand“ zur einzigen Möglichkeit, Geld zu verdienen, auch wenn nur ein „Nadelgeld“ zu machen war, wie Barbara Baumgartner im Tagebuch klagt; vgl. Konstanze Mitterndorfer, Die ganz andere, die häusliche Hälfte: Wi(e) der die Domestizierung der Biedermeierin, in: Mazohl-Wallnig, Bürgerliche Frauenkultur, 27–80, 37;

Wetti Teuschls Tagebuch als kulturwissenschaftliches und historisches Material 175

Anna Maria Teuschl, Wetti Teuschls Mutter

vgl. auch Rebekka Habermas, Bürgerliche Kleinfamilie – Liebesheirat, in: Richard van Dülmen Hg., Entdeckung des Ich. Die Geschichte der Individualisierung vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Köln u. a. 2001, 287–309, 295ff, im Tagebuch: 6. 5. 1877, 110; 23. 10. 1876, 81.

176 Nachbemerkungen

Anton Teuschl, Wetti Teuschls Vater

Wetti Teuschls Tagebuch als kulturwissenschaftliches und historisches Material 177

war ihre unangenehme Situation wenigstens, abgesehen von den formalisierten Wegen, auf denen sie ins bürokratische System eingespeist wurde, ‚privat‘ geblieben. Hier in Krems, in der kleinstädtischen Gesellschaft, drohte die Misere ständig öffentlich zu werden – eine willkommene Bereichung von Tratsch und Klatsch. Diese Vorstellung bereitete Barbara Baumgartner regelrechten Horror. Die zunehmend angespannte Lebenssituation verursachte Verzweiflungsanfälle, Erschöpfungszustände und viele Krankheiten. In ihr Tagebuch, das sie nun wieder fast täglich benützte, schrieb sie: „Heute bin ich doch [froh] schon wider so viel auf sein zu können, aber mein Aussehen ist erbärmlich meine Augen liegen tief in den Höhlen die Wangen sind bleich und eingefallen, breite Ringe laufen um die Augen …“82 Krems, hielt Barbara Baumgartner fest, konnte ihr nur eine „vorläufige“ Heimat sein. Dennoch, als sie von einem Kurzbesuch in Wien zurückkehrte, wo sie ihren Mann im Gefängnis besucht und mehrere Amtswege erledigt hatte, hielt sie fest: „[U]nd als endlich die Bahn fuhr, dankte ich meinen Gott, daß ich wider in meine Heimath komme“, wo sie von ihrem Vater schon am Bahnhof erwartet worden war.83 Dieses Heimatgefühl war jedoch ein prinzipiell bedrohtes. Wann immer sie bei ihren Eltern Asyl genommen hatte, konnte sie sich dort zwar erholen und Kräfte sammeln, wusste sich und das Kind versorgt, aber sie fühlte sich dessen nicht sicher und das hatte vor allem mit ihrem Vater Anton Teuschl zu tun: Kaum war ich ein paar Stunden in Krems als ein Brief mit der Adreße an den Vater ankam, worin die ein der betrefende Zeitungsausschnitt darinen lag mit einen geschriebenen Zettel angespendelt worauf stand: Dieser schlechte Mensch der da zu lesen ist, kann doch unmöglich ihr Schwigersohn sein? Gratulire. Zum großen Glük war Vater nicht zuhause, daher der Brief nicht an die bestimmte Adreße gelangte, Vater weis nichts von der Veröfentlichung unserer Schmach, und soll auch so Gott will nichts davon erfahren, denn er ist ohnehin stets in gereizter, aufgeregter Stimung, und das würde die Lage gewiß nicht bessern, darin es ist so weit gekomen daß ich hier meine Elter Heimath suchen muß.84

So ein kleiner niederträchtiger Brief hätte offenbar das Ende der väterlichen Geduld bedeuten können; das Schreiben samt Zeitungsartikel musste verheimlicht werden, um die Stimmung Anton Teuschls nicht noch weiter zu verschlechtern und damit zugleich die Lage seiner hilfsbedürftig zurückgekehrten Tochter. Der Vater hatte sie zwar bislang immer wieder aufgenommen, doch wollte sich Barbara Baumgartner nach mehreren Auseinandersetzungen um Finanzielles nicht mehr auf sein Wohlwollen verlassen: „wenn ich meine gute für alles sorgende Mutter verlire, dann wäre ich in einer noch 82 14. 11. 1876, 84. 83 14. 11. 1876, 87. 84 23. 10. 1876, 80.

178 Nachbemerkungen

schreklicheren Lage als ich jetzt bin, den Vater ist nur zu leichtgläubig und fremden Einflüssen zugänglich, als daß ich darauf rechnen dürfte, daß meine Zukunft durch ihn gesichert würde“.85 Diese Unsicherheit gründete nicht nur in der Person des Vaters, sondern hatte auch mit der „Dichte“ des Kremser „Kleinstadtmilieus“ zu tun. Hans Heiss und Hannes Stekl beschreiben, dass sich unter der Stagnation – sie bezeichnen die Jahre ab 1870 als „Jahrzehnt der Desillusionierung“ – das kleinstädtische Bürgertum verfestigte: „Familie, Verwandtschaftsbeziehungen, Freundeskreise, das Vereinswesen und die Kommunalpolitik verknüpften sich zu einem dichten, hochgradig personalisierten Netz, das zwar immer wieder für kurzfristige Reibung sorgte, insgesamt aber Konsens produzierte.“86 Barbara Baumgartner, nicht mehr verlässlich in diesem „Kleinstadtmilieu“ verankert und zwischen Herkunfts- und eigener Familie hin- und hergerissen, wurde immer klarer, dass sie sich auf sich „selbst stützen“ und nicht das „bittere Brod der Abhängigkeit“ essen wolle. Sie wollte sich ihr „Brod als Frau verdinen ... können“,87 auch um ihrem Sohn eine Ausbildung zu ermöglichen, die ihn später leichteren Verdienst finden ließe. Und sie wollte sicher stellen, dass sie in Wien oder Krems ihre ‚Zuständigkeit‘ hatte und nicht – wie gesetzlich vorgesehen – in der Herkunfts- und deshalb Heimatgemeinde ihres Ehemannes. Dort, im niederösterreichischen Fallbach (Bez. Mistelbach), mochte sie nicht einmal im äußersten Notfall versorgt werden.88 Barbara Baumgartners Aufzeichnungen vermitteln, dass sie sich auf den Vater nicht verlassen konnte, nie absehen konnte, wie er reagieren würde, wie sehr er sich mit Bedacht auf seinen guten Ruf vom Gerede in Krems beeinflussen lassen würde; und sie ängstigte sich vor seiner Entscheidungsgewalt. Er war in emotionaler und materieller Hinsicht eine Bedrohung; desgleichen galt für die eindeutige Gesetzeslage. Gefühle und Materielles mischten sich im Topos ‚Heimat‘ auch, als es darum ging, dass die Eltern, als sie einmal mehr finanziell unterstützten, im Gegenzug verlangten, Barbara Baumgartner solle ihre verbliebenen Möbel von Wien nach Krems schicken. Dieses Mobiliar hatte der Vater eine Zeit vorher – eigentlich pro forma – gekauft, um deren Pfändung zu verhindern. Barbara Baumgartners Barvermögen war durch ihren Heiratsvertrag nicht so gut geschützt, wie sie angenommen hatte. Als mit dem sukzessiven Verkauf von Möbeln offenbar Teile der 85 7. 1. 1877, 96. 86 Hans Heiss u. Hannes Stekl, Bürgertum und gesellschaftliche Modernisierung in Österreichs Kleinstädten 1850–1914, in: Clemens Zimmermann Hg., Kleinstadt in der Moderne, Ostfildern 2003, 87–118, 103. 87 7. 1. 1877, 96. 88 7. 1. 1877, 96; vgl. Kap. 2, Anm. 238. Es ist anzunehmen, dass Johann Baumgartner spätestens als Haus(mit-)besitzer in Krems das Heimatrecht erworben hatte; laut Grundbuch hatte seine Ehefrau ihm die Hälfte des von ihrer Mutter geerbten Hauses im Jänner 1886 überschrieben; vgl. Grundbuch Krems, Bd. III, EZ 324, Fol. 110, B, Eintrag 4, Z 309, 30. 1. 1886. In einer Wiener Liste der neugeborenen Knaben (einem Instrument zur späteren Einberufung in das Militär) bestätigt ein Zusatz zum Eintrag der Geburt von Johann Baumgartner jun. (7. 7. 1873), dass er am 8. 11. 1892, etwas über ein Jahr nach seiner Matura, das Heimatrecht in Krems erworben hatte; vgl. WStLA, Wiener MatrikenVerzeichnis der im Jahre 1873 geborenen Jünglinge, Bd. 31 (300), A–L.

Wetti Teuschls Tagebuch als kulturwissenschaftliches und historisches Material 179

Aussteuer angetastet wurden, griff Anton Teuschl ein.89 „[G]estern den 5 Aprill 1877 gingen die Möbel nach Krems zu den Eltern, so schwer es mich ankam denn nun hab ich in Wien gar keine Heimath mehr so froh bin ich einesteils daß wenigstens vor den Hausherrn die Sachen sicher sind“.90 Eine Liebesheirat

In Krems war die junge Wetti Teuschl zusammen mit ihren Freundinnen Milli und Dini offenbar von zahlreichen Verehrern umgeben gewesen. Als sie ihr Tagebuch begann, hatte sie sich aber im Grunde schon für Johann Baumgartner, Verkäufer in einem Kremser Herrenbekleidungsgeschäft nicht weit von ihrem Elternhaus entfernt, entschieden. Diese Liebesgeschichte war voller Hindernisse, wurde immer wieder durch Zerwürfnisse und Enttäuschungen unterbrochen. Während sie die anderen Verehrer offenbar stets selbstbewusst zurückwies, konnte Johann Baumgartner sie immer wieder verunsichern und aus der Fassung bringen. Nach außen hin die Contenance zu bewahren, war ihr enorm wichtig und verursachte immer wieder einigen Aufwand und kostete Kraft. Die Diaristin nahm regen Anteil am Gerede der Leute in Krems und litt zugleich darunter; wiederholt fühlte sie sich als Opfer von Intrigen – besonders im Zusammenhang mit ihrer Beziehung zu Johann Baumgartner. Diese Beziehungen und Erlebnisse, Sorgen und auf eine nahe Zukunft bezogene Hoffnungen und Sehnsüchte schlugen sich im Tagebuch nieder. Im Hinblick darauf ist es also ein recht typisches „journal intime“ einer jungen, bürgerlichen Frau dieser Zeit.91 Nach ersten Existenzsorgen – es blieb lange unklar, ob der ins Auge gefasste Bräutigam es schaffen würde, sich beruflich zu etablieren – und großem Liebeskummer als derselbe Krems verlassen hatte, um in Wien als Kaufmann selbständig zu werden, kam diese Geschichte vorläufig mit der Hochzeit im Juni 1872 zu einem ‚glücklichen Ende‘.

89 Vgl. 29. 9. 1875, 70. Die Aussteuer bzw. die Möbelstücke, die die Braut in den neuen Haushalt einbrachte, wurden im Heiratsvertrag nicht erwähnt; vgl. das Transkript des Ehevertrags im Anhang. 90 6. 4. 1877, 107. 91 Vgl. die Beispiele bei Lejeune, Journal de Jeune Fille; Moser, Herzensbildung.

180 Nachbemerkungen

Wetti Teuschl

Wetti Teuschls Tagebuch als kulturwissenschaftliches und historisches Material 181

Johann Baumgartner

182 Nachbemerkungen

Wetti Teuschls Partnerwahl lässt eine Rebellion gegen eine Versorgungsehe vermuten. Gegen die Vernunft der Eltern, die wahrscheinlich auch etwas mit den bescheidenen Verhältnissen des künftigen Schwiegersohns zu tun hatte, beharrte sie auf Johann Baumgartner und auf einer ‚Liebesehe‘.92 Dieses Konzept setzte sie selbst moralisch und den Auserwählten – vorerst vor allem materiell – enorm unter Druck, zumal es nicht zugleich jegliche Ansprüche an einen (potenziellen) Ehemann als Versorger ausschloss. Johann Baumgartner war angehalten, vor der Ehe zumindest eine halbwegs adäquate berufliche Position zu erreichen; er sollte vom Commis, dem ‚kleinen‘ Angestellten, zum selbständigen Kaufmann aufsteigen.93 Das schaffte er, wie es aussieht, nur mit Ach und Krach – mit der Mitgift seiner Braut, als Basis seines eigenen Unternehmens.94 Der im Tagebuch als emotional überaus ambivalent geschilderte Hochzeitstag mutet wie eine böse Vorahnung an, dass Barbara Baumgartner ihren Konventionsbruch würde büßen müssen. Nach eineinhalb Jahren Eheleben und immer schwieriger werdendem Wirtschaften in Wien fühlte sie sich erschöpft und sehr oft krank; und sehr oft berichtete sie im Tagebuch von ihrem Gesundheitszustand. Einmal etwa schilderte sie die Genesung von einer langwierigen Bauchkolik, fügte aber hinzu, dass sie das gute Aussehen, dessen sie sich früher erfreute, nicht mehr wieder erlangen könne: „[D]aran mag einzig der Kummer schuld sein, der mich fort und fort drükt“.95 Und der Kummer rührte von den schmerzlichen Veränderungen ihres Mannes her: [E]r ist zerstreut, launenhaft, gereizt und wie abgestorben, er hat an nichts mehr Freude, intresirt sich für nichts und lebt nur für sein Geschäft, auf die formlosesten Fragen bekome ich rauhe 92 Reinhard Sieder schreibt über das in der zweiten Hälfte des 18. Jh. neue Ideal der ehelichen Liebe, dass dieses Konzept „vielfach in Widerspruch geriet zu den Bemühungen bürgerlicher Eltern, ihre Kinder nach Kriterien des gesellschaftlichen Aufstiegs oder zumindest der Wahrung der erworbenen wirtschaftlichen und sozialen Standards – auch gegen deren Neigung und Willen – zu verheiraten.“ Reinhard Sieder, Sozialgeschichte der Familie, Frankfurt a. M. 1987, 131. Emotionale und materielle Interessen sind nicht prinzipiell dichotom, sie konnten sich auch verbinden; vgl. David Warren Sabean u. Simon Teuscher, Kinship in Europe. A New Approach to Long-Term Development, in: dies. u. Jon Mathieu Hg., Kinship in Europe. Approaches to Long-Term Development (1300–1900), New York/ Oxford 2007, 1–32, 22, u. Elisabeth Joris, Kinship and Gender. Property, Enterprise, and Politics, ebd., 231–257, v. a. 244f. Dass Wetti Teuschls Partnerwahl, bezogen auf das nähere Umfeld, außergewöhnlich war, unterstreicht das Kremser Trauungsbuch. Ihre im Tagebuch genannten Freundinnen verheirateten sich mit Hausbesitzern, Magistratsbeamten und Oberleutnanten; vgl. DASP, PfA Krems St. Veit 2/27, Trauungsbuch 1863–1878. 93 Möglicherweise sollte/wollte er sich über diese Selbständigkeit auch einem Bürgerstatus annähern; zu Selbständigkeit in ihren verschiedenen Dimensionen (ökonomisch, politisch, geistig-moralisch) als zentralem Wert des Bürgertums vgl. Manfred Hettling, Die persönliche Selbständigkeit. Der archimedische Punkt bürgerlicher Lebensführung, in: ders./Hoffmann, Der bürgerliche Wertehimmel, 57–78. 94 Das Heiratsgut wurde üblicherweise als langfristiger und kostenloser Kredit betrachtet; vgl. Joris, Kinship and Gender, 247; dass auch die Höhe der zu erwartenden Widerlage ehestiftend sein konnte, zeigt Edith Saurer am Beispiel der erzwungenen Verbindung zwischen einer Kremser Kaufmannstochter und einem vermögenden Wiener Textilhändler im späten 18. Jh.; vgl. Edith Saurer, Liebe, Geschlechterbeziehungen und Feminismus, in: L’HOMME. Zeitschrift für Feministische Geschichtswissenschaft, 8, 1 (1997), 6–20, 17ff. 95 1. 1. 1875, 61.

Wetti Teuschls Tagebuch als kulturwissenschaftliches und historisches Material 183

Worte, er ist wohl manchmal freundlich aber das ist so selten und so schnell vorübergehend wie ein Sonnenstrahl im Winter, kein Wunder daher daß ich mich gekränkt fühle, daß es Zeiten gibt wo freventliche Gedanken mein Gehirn durchkreuzen ob es nicht besser wäre gar nicht da zu sein, aber solche Gedanken sind nur momentan, wenn ich mein geliebtes Kind betrachte, so halte ich mich wider für sehr glüklich, auch schmeichle ich mir wider mit der Hoffnung daß die trübe Stimung meines Mannes wider in Liebe und Freundlichkeit sich ändern wird.96

Die Veränderungen des Mannes, seine „trübe Stimmung“ und seinen Unmut ihr gegenüber führte Barbara Baumgartner auf die geschäftlichen Schwierigkeiten zurück. Sie definierte, erklärte (sich) und legitimierte die Aggressionen ihres Liebsten, die sich an ihr entluden. Sie war gekränkt, sah aber Motive für seine Handlungen. Doch sollten die Hoffnungen, die sie hegte, bald nachlassen, ebenso wie ihr Verständnis für die Zustände Johann Baumgartners. Als die Geschäfte noch vielversprechender aussahen, lobte die Ehefrau seinen Fleiß und vergaß nicht zu erwähnen, dass sie bestrebt war, das ihre dazu beizutragen. Nun schien sie sich zurückgesetzt und vernachlässigt zu fühlen und beklagte im Tagebuch, dass der Mann nur noch für das Geschäft lebe. Damit gilt Barbara Baumgartner schon, was Caroline Arni als typisch für die Ehe um 1900 beschreibt: Liebe und materielle Fürsorge fielen zusammen. Fürsorglichkeit bedeutete damit „nicht nur Auslegen“, sondern auch da zu sein, Zeit und Raum zu teilen.97 Ihr Ehemann scheiterte mehrfach und schließlich definitiv als Geschäftsinhaber und verkaufte dann Bücher auf der Straße, wurde Straßenbahnschaffner, Friseur und dann doch wieder Kaufmann – mit wiederholter und großer finanzieller Unterstützung seines Schwiegervaters in mehreren dieser Etappen. Er war vielleicht in mehrerlei Hinsicht ungeschickt, hatte womöglich aber auch Pech: Zwei Mal kaufte er ein Geschäft, das er nur mit großen Verlusten wieder los wurde, als es für ihn nicht mehr zu halten war. Arbeitete er als mobiler Buchhändler, bekam er ein wehes Bein, so dass er dieser seiner Tätigkeit kaum mehr nachkommen konnte. Unmittelbar nachdem er im Mai 1877 als Schaffner bei der Tramway begonnen hatte, spürte ihn dort die Polizei auf, denn er hatte in Zusammenhang mit der im Geschäft in der Taborstraße begangenen Straftat noch drei Tage Arrest abzusitzen. Von der Straßenbahngesellschaft wurde er daraufhin sofort entlassen. Und später in Krems ließ er bei drohendem Hochwasser – gegen den Willen seiner Ehefrau – die Waren im Geschäft stehen und hatte dann großen Schaden zu beklagen. Johann Baumgartner schien immer ‚trotziger‘ und unzugänglicher zu werden – zumindest für seine Ehefrau. Das Schreiben musste ihr Ersatz für verfehlte oder als unmöglich erachtete Kommunikation bieten. Und das Tagebuch wurde, vor allem in Bezug auf die krisenhaften Beziehung zu ihrem Ehemann, wahrlich zum Medium der

96 1. 1. 1875, 61f. 97 Caroline Arni, Entzweiungen. Die Krise der Ehe um 1900, Köln u. a. 2004, 173.

184 Nachbemerkungen

„Ich-Konturierung“.98 Die Schreiberin versicherte sich immer wieder ihrer Identität und ihrer Integrität – sozial, als Frau, moralisch, seelisch/psychisch. Trotz der äußeren Lebensumstände, der ökonomischen und familiären Schwierigkeiten, verlagerten sich ihre Deutungs- und Werthorizonte nicht; jedenfalls nicht im Tagebuch beobachtbar. Sie hielt an ihrem Konzept der Liebesheirat mit Johann Baumgartner fest, auch wenn dieser es längst und wiederholt verraten hatte. So notierte sie am 18. März 1877: „Auch noch anderen schweren Kumer habe ich zu tragen, und nicht zum ersten Male, vieleicht läuft einmal der Mund über wenn das Herz mir zu voll wird, daß ich darüber etwas schreibe, nur daß äußerste kann mich dazu bringen.“99 Oder ungefähr drei Jahre später (wieder in Krems): „Außerdem hat Johan so viel zu thun mit den Haus und Keller daß er fast nicht mehr im Geschäfte ist, und daß herumlaufen sich angewöhnt so daß es ihm zuhause gar nicht leidet, dabei trinkt er fleißig und dann doch nein ich schweige ist besser so.“100 In Krems hatten sich die ökonomischen Verhältnisse wieder stabilisiert; die Ehe der beiden erholte sich jedoch nicht mehr: Das Paar schien eher nebeneinander her zu leben, jeder mit seinen Geschäften befasst; Nähe entstand nur vorübergehend, meist in Konfliktfällen. Barbara Baumgartner konzentrierte sich auf ihren Sohn und ihre Mutter, besonders nachdem ihr Vater – noch im selben Jahr, in dem das Ehepaar das Geschäft im Haus übernommen hatte – an den Folgen eines Unfalls starb (am 28. Dezember 1878). Hinsichtlich Leistungsbereitschaft, Arbeitsethos und damit verbundenen moralischen Vorstellungen ging sie mit anderen so streng ins Gericht wie mit sich selbst. Im Juli 1880 befand sie etwa über ihren Pflegesohn Rudolf, dessen schulische Leistungen enttäuschten: „[W]elche Schande für ihm, er macht sich jedoch gar nichts daraus, es fehlt ihm an Ehh{r}gefühl.“101 Dieses Waisenkind, für das Johann Baumgartner die Vormundschaft übernommen hatte, war der Sohn eines Freundes von Anton Teuschl. Das Kind lebte seit 1879 in Barbara Baumgartners Haushalt – in den Tagebüchern kommt es erstaunlich selten vor. Rudolf Frithum fand entweder nur ‚als auch dabei gewesen’ Erwähnung oder, wenn ein Satz über ihn geschrieben wurde, ausschließlich mit negativen Bewertungen versehen.102 Während Irritation und Ärger über das Pflegekind relativ rasch Eingang ins Tagebuch fanden, waren Wut und Enttäuschung rund um ihren Ehemann erst nach mehreren, über Jahre verstreute Andeutungen so enorm, dass sie ausgeschrieben werden mussten: Ehrgefühl war das letzte Wort meiner letzten Notiz, und der Mangel davon ist meines Lebens steter Kumer ja es mangelt Johan sonst würde er nicht daß thun was des Weibes tiefste Kränkung tiefster Schmerz sons schon seit Jahresfrist trage ich nun diesen Stachel mit mir herum trübt mir 98 Susanne zur Nieden, Alltag im Ausnahmezustand. Frauentagebücher im zerstörten Deutschland 1943–1945, Berlin 1993, 27, vgl. 28. 99 18. 3. 1877, 106. 100 1. 3. 1880, 140. 101 15. 7. 1880, 141. 102 Der Bub wird viermal erwähnt (ausschließlich im Jahr 1880).

Wetti Teuschls Tagebuch als kulturwissenschaftliches und historisches Material 185

meine so karg zugemessene Freude vergällt mir mein ganzes Dasein o meine Mutter und mein Kind wenn ihr nicht wäret, vieleicht lebte ich längst nicht mehr oder hätte schon längst andere Schritte unternomen, euch zu Liebe dulde ich, lebe ich weiter trage ein Leben mit mir herum daß keines ist, Tage gibt es Tage bitterster Verzweiflung heute ist ein solcher ich möchte mich tief in die Erde verbergen um nichts zu sehen nichts zu hören ...103

Der Leidensdruck war stark genug, um über die „subjektiv empfundene Grenze des Verschweigens“ zu führen.104 Nun brach die Schreiberin mit der Praxis des Verschweigens; lange verbot das mit einem solchen Eingeständnis verbundene Wiederaufflammen von Schmerz und/oder Scham das Schreiben über „des Weibes tiefste Kränkung“, die nicht weiter auszubuchstabieren war.105 Sie wollte sich „tief in die Erde verbergen um nichts zu sehen nichts zu hören“ und auch um nicht gesehen zu werden.106 Ein einschlägiger Tagebucheintrag drohte schon den gesellschaftlich Schein, den die Ehefrau unter allen Umständen wahren wollte, ihre diesbezügliche Integrität, zu gefährden. Bereits ein für sich Niederschreiben schien Gerüchten Nahrung zu geben. Im März 1880107 hatte Barbara Baumgartner noch Gründe für das Verhalten ihres Mannes angeführt – er habe (zu) viel zu tun in Haus und Keller, er könne nicht ruhig zu Hause bleiben, sondern liefe nervös herum und: er trinke zu viel. Mit beiden Motiven bemühte sie Deutungen, die sich ZeitgenossInnen aufdrängten. Alkohol galt als Verursacher für ‚abweichendes‘ Verhalten, auf mehreren Ebenen wurde ihm zerstörerisches Potential zugeschrieben, auch auf jener der familialen und sozialen Ordnung.108 Wenngleich „Trinkerfrauen“ vielfach die Schuld am übermäßigen Alkoholkonsum ihrer Männer zugesprochen wurde.109 Auch war es ein Topos der bürgerlichen Gesellschaft, dass der von der harten, feindlichen Arbeitswelt geplagte Mann Erholung und Erlösung in der von der Hausfrau sorgfältig ausbalancierten Atmosphäre des Heims hätte finden können und sollen. Ungefähr ein Jahr später empfand Barbara Baumgartner die Ausfälle ihres Ehemannes als dermaßen krass, dass dafür keine Erklärungen mehr gesucht/gefunden werden konnten. Wenn, wie Caroline Arni schreibt, die Liebe in ihrer 103 20. 4. 1881, 141. 104 Arni, Entzweiungen, 144. Allerdings: „Werden die zuletzt verfassten Einträge vor der Niederschrift eines neuen noch einmal gelesen, wird der neue Text nahtloser an den vorigen anschliessen, als es der Fall gewesen wäre, wenn der Eintrag ausschließlich aus dem jeweiligen Moment heraus entstanden wäre.“ Seifert, Tagebuchschreiben als Praxis, 45. 105 Vgl. dazu auch Hämmerle, Nebenpfade, 161. 106 Christoph Demmerling und Hilge Landweer beschreiben Scham als „zentripetal und nach unten gerichtet“, Scham führe zu „massiver Engung“. Christoph Demmerling u. Hilge Landweer, Philosophie der Gefühle. Von Achtung bis Zorn, Stuttgart 2007, 221. 107 Vgl. 1. 3. 1880, 140. 108 Vgl. Arni, Entzweiungen, 151 über den Stellenwert von „Trunkstörungen“ in Schweizer Scheidungsprozessen um 1900; auch Sabine Schaller, Familie – Geschlecht – Alkoholismus. Geschlechtsspezifische Ausdeutungen und der Blick auf die Familie (1880–1930), in: Eva Labouvie u. Ramona Myrrhe Hg., Familienbande – Familienschande. Geschlechterverhältnisse in Familie und Verwandtschaft, Köln u. a. 2007, 213–238, 223. 109 Vgl. Schaller, Familie – Geschlecht – Alkoholismus, 228, 232f.

186 Nachbemerkungen

modernen Codierung ein Gefühl bezeichnet, „das auf die Individualität des Gegenübers und auf die Exklusivität des Verhältnisses abstellt“, und die Ehe in der Moderne „zumindest auch als Liebesbeziehung entworfen und als allerpersönlichstes Verhältnis gedacht wird“,110 ist nachvollziehbar, dass die Schreiberin nun in ihren Grundfesten erschüttert war. Die dem Ehemann vage zugeschriebene Untreue bedeutete der sich betrogen fühlenden Frau die denkbar schlimmsten Beleidigung ihrer ‚weiblichen‘ Ehre, die als sexuelle konzipiert war. Wenngleich der männliche Ehebruch für die Ehebrecher selbst nicht als ehrverletzend galt, wie Ute Frevert erläutert,111 wurde der Mann hier hinsichtlich seiner sexuellen Treue als Ehrenmann in die Pflicht genommen112 – letzten Endes jedoch war dennoch vor allem die Ehre der Frau beschädigt. In ständischen und „sehr kleinen“ Gesellschaften, so Demmerling und Landweer, versinke der Beschämte, „nicht nur in bodenloser Scham, sondern auch in gesellschaftlicher Schande“.113 Vordem, in den wirtschaftlich so erfolglosen Wiener Jahren, wird sich womöglich Johann Baumgartner in seiner geschlechtsspezifischen Ehre massiv bedroht gefühlt haben, wenn er vorgeführt bekam, dass er die ökonomische Verantwortung für seine Familie nicht tragen konnte, sondern von seiner Frau beziehungsweise deren Vater abhängig war. Blieb Barbara Baumgartner aufgrund der prekären Lage bei ihren Eltern in Krems, bombardierte er sie mit Bitten, sie möge doch nach Wien zurückkehren und sich von ihm erhalten lassen beziehungsweise ihren ehelichen Pflichten entsprechend für ihn sorgen.114 Wie schon zu Beginn in Bezug auf das junge Paar erwähnt, hat vor allem das Kremser nähere und weitere gesellschaftliche Umfeld nie an Bedeutung verloren. Dessen Gerede und potentielle Bewertung fürchteten Johann wie Barbara Baumgartner. So erinnerte er sie in einem Brief, dass viele seiner Kollegen bei der Tramway nicht mehr verdienten als er selbst, aber dennoch über eine ihnen treu zur Verfügung stehende Frau verfügten, während ihn seine Angetraute in Wien alleine ließe.115 Und Barbara Baumgartner hielt nach einem Kurzbesuch ihres Mannes in Krems im Tagebuch fest, dass sie einige Male zusammen spazieren gegangen waren „miteinander wo uns wenigstens die Leute sahen, damit sie nicht sagen dürfen ich sei von ihm verlassen“.116 Und einige 110 Arni, Entzweiungen, 8. 111 Ute Frevert, „Mann und Weib, und Weib und Mann“. Geschlechterdifferenzen in der Moderne, München 1995, 182ff. 112 Und nicht nur hier, wie mehrere Beispiele aus Caroline Arnis Arbeit mit Berner Gerichtsakten zu Ehescheidungen um 1900 belegen; vgl. Arni, Entzweiungen. 113 Demmerling/Landweer, Philosophie der Gefühle, 235. Sie definieren die Ehre als soziale Institution, „welche die bohrende Macht der Scham durch die sozial geforderte Umkehr der leiblichen Richtungen, nämlich durch den für den Vergeltungsakt nötigen Zorn auf den Ehrverletzer abwehrt.“ Ebd. 114 Vgl. 6. 5. 1877, 109f; 25. 8. 1877, 114. Trotz andernorts (‚schon früher’) beobachteter vielschichtiger Geschlechterbeziehungen; vgl. Anne-Charlotte Trepp, Sanfte Männlichkeit und selbständige Weiblichkeit. Frauen und Männer im Hamburger Bürgertum zwischen 1770 und 1840, Göttingen 1996, bes. 15ff. 115 Vgl. 21. 5. 1877, 111. 116 5. 2. 1877, 102.

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Monate früher schrieb sie in einem über acht Seiten führenden Eintrag anlässlich der Inhaftierung ihres Mannes: Ich hasse alle Menschen besonders aber die Kremser die mir schon mehrere Male die Beweise lieferten wie abscheulich die Welt ist, Leute die sich früher Mühe gaben artig und zuvorkomend zu sein, sehen jetzt zur Seite wenn sie mich begegnen, um die gebrandmarkte, zugrunde gegangene Frau nicht grüssen zu dürfen, jetzt schmerzt mich überhaupt jeder scheele Blik, jedes Wort, im Unglük fin wird man empfindlich und gereitzt ...117

In Verbindung mit massiven Kränkungen und prinzipiellen Infragestellungen ist Barbara Baumgartners Tagebuch eine „Technik der Sorge um sich“ – ein kulturell überliefertes Mittel zur Lebensbewältigung, auch im Sinne einer Subjektivitätspraktik und gegen das Gefühl des völligen Verlorenseins.118 Doch die Schreiberin selbst hegte zusehends Zweifel an der Wirksamkeit dieses Instruments, 1883 an ihrem Namenstag – einem für sie typischen Schreibtermin – resümierte sie: „Seit nahezu 3 Jahren habe ich nichts in dieses Buch eingetragen theils weil ich nicht dazu kam theils weil es Dinge gibt die am sichersten und unauslöschlichsten im Herzen geschrieben sind“.119 Als Barbara Baumgartner wiederholte Male längere Zeit bei ihren Eltern in Krems blieb – ich gehe damit in der Zeit noch einmal ein paar Jahre zurück – forderte Johann Baumgartner immer wieder die Rückkehr ‚seiner’ Frau. Sie machte ihren Aufenthaltsort immer stärker vom dort Gebotenen abhängig. Im Frühling 1877 etwa kehrte sie nach fünf Monaten im Elternhaus erneut nach Wien zurück, aber weniger um wieder mit ihrem Ehemann zu leben, der nach seiner Untersuchungshaft seit Jänner auf freiem Fuß war. Vielmehr verließ sie Krems, um eine Ausbildung zur Hebamme zu beginnen. Nach all den Erfahrungen und Erlebnissen der ersten Ehejahre, wollte sie sich – wie vorhin angeschnitten – unbedingt ein eigenes sicheres Einkommen und damit, entgegen ihrem Wunsch nach der bürgerlich idealen Hausfrauenehe,120 eine zumindest ökonomisch unabhängige Existenz schaffen. In Relation zur mehrfach geäußerten Sehnsucht, sich auf das Häusliche zurückziehen zu können, ging Barbara Baumgartner ziemlich offensiv vor, was vielleicht wiederum mit der Durchsetzung ihres Heiratswunsches zu

117 23. 10. 1876, 81f. 118 Zur Nieden, Alltag im Ausnahmezustand, 13; vgl. Brigitte Schnegg, Tagebuchschreiben als Technik des Selbst. Das „Journal de mes actions“ der Bernerin Henriette Stettler-Herport (1738–1805), in: Daniela Hacke Hg., Frauen in der Stadt. Selbstzeugnisse des 16.–18. Jahrhunderts, Ostfildern 2004, 103–130. Beide beziehen sich auf Michel Foucault: „Technologies of the self permit individuals to effect by their own means or with the help of others a certain number of operations on their own bodies and souls, thoughts, conduct, and the way of being, so as to transform themselves in order to attain a certain state of happiness, purity, wisdom, perfection, or morality.“ Michel Foucault, Technologies of the Self. in: Luther H. Martin, Huck Gutman u. Patrick H. Hutton Hg., Technologies of the Self. A Seminar with Michel Foucault, London 1988, 18. 119 4. 12. 1883, 143. 120 Vgl. dazu etwa den Tagebucheintrag vom 5. 11. 1877, 115.

188 Nachbemerkungen

tun hatte. Dem Ehemann missfielen ihre Pläne,121 aber die Eltern unterstützen Barbara Baumgartners Idee. Ihr Mann hatte offensichtlich viel an Macht und Einfluss eingebüßt, sie trieb ihren Plan gegen seinen Willen voran: „Johann will zwar nicht einwilligen ... aber er muß“.122 Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang auch, wie so oft in diesem und jedem Tagebuch, ein Blick auf die Formulierung, die Wortwahl im Detail und die damit konnotierbaren Bedeutungen: Schrieb sie am 23. Oktober 1876 noch, „vieleicht bin ich dan im Stande, leichter unser Brod zu verdinen“,123 klang sie zum selben Thema Anfang Jänner 1877 schon ganz anders: „Den Entschluß mit Anfangs März d. J. den Hebamen Curs anzufangen habe ich ernstlich gefaßt, ... ich muß an meine Zukunft denken, daß ich mich für mein Kind sorgen kann“.124 Aus dem vagen Plan wurde ein fester Entschluss; und war erst das Ich willens und vielleicht im Stande, mitzuhelfen, „unser Brod“ zu verdienen, dachte das Ich wenig später an seine eigene Zukunft und an jene des Kindes, das eheliche Wir war verschwunden. Das Tagebuch ist in dieser Phase wieder sehr dicht; Barbara Baumgartner fertigte eine Notiz über die Aufnahmeprüfung für den Hebammenkurs an, beschrieb den Stundenplan, die täglichen Abläufe an der Ausbildungsstätte und so weiter. Sie schien glücklich und wieder voller Perspektiven, nicht ahnend, dass ihre Initiative keine Chance haben würde: Sie musste – wie schon erwähnt – den Kurs nach kurzer Zeit wegen einer Krankheit ihres Mannes abbrechen In Bezug auf Strategien von Frauen in einem patriarchalen System, das sie vornehmlich zu unterdrücken scheint, ist das Tagebuch eine vielsagende Quelle. Denn wie Caroline Arni formuliert hat: „Legt zwar das Eherecht ein asymmetrisches Machtverhältnis zugunsten des Ehemannes fest, so kann diese in der Praxis doch immer nur prekär sein. Und je mehr sich die männliche Vormachtstellung aus ökonomischer Verantwortlichkeit ableitet, desto prekärer wird das Machtverhältnis wenn der Ehemann diese Verantwortung nicht tragen kann.“125 Anton Teuschl, Barbara Baumgartners Vater, war in vielen Zügen ein althergebrachter pater familias, der konservativ-patriarchalisch Autorität ausübte. Eine solche Vorherrschaft galt „der Frau gegenüber während der ganzen Dauer der Ehe, den Kindern gegenüber nicht nur bis zur Erreichung eines gewissen Alters, sondern grundsätzlich bis zum Ausscheiden aus dem väterlichen Hause ..., in vielen Fällen also bis zum Tode des Vaters“.126 Anton Teuschls Machtbereich umfasste 121 Belege ehemännlicher Skepsis gegenüber einer Berufstätigkeit der Ehefrau als Hebamme finden sich auch bei Eva Labouvie, Beistand in Kindsnöten. Hebammen und weibliche Kultur auf dem Land (1550–1910), Frankfurt a. M./New York 1997, vgl. 57f oder auch 316: Caroline Krämer aus St. Johann (Deutschland) hatte ihr gesamtes Mobiliar veräußert, um sich die Hebammenausbildung zu finanzieren, der von ihr weggezogene Mann hatte bei seiner Verhörung wegen verweigerter Unterhaltszahlungen gemeint, die Frau habe diese Ausbildung angestrebt, um ihn zu verlassen „sie bauche mich dann nicht mehr, sie könne dann leben.“ 122 23. 10. 1876, 82. 123 23. 10. 1876, 82. 124 7. 1. 1877, 96. 125 Arni, Entzweiungen, 168; vgl. 176. 126 Ernst Schachtel, Das Recht der Gegenwart und die Autorität in der Familie, in: Studien über Autorität und Familie. Forschungsberichte aus dem Institut für Sozialforschung, Lüneburg 1987 (Orig. Paris

Wetti Teuschls Tagebuch als kulturwissenschaftliches und historisches Material 189

„prinzipiell alle Fragen des Lebens, die persönlichen Rechtsbeziehungen der Familienmitglieder ebenso wie ihre wirtschaftlichen“.127 Als der Ehemann seine Rolle als Versorger nicht erfüllte, traten wieder die Eltern an diesen Platz – vor allem der Vater Anton Teuschl. Er übernahm die Verantwortung für Barbara Baumgartner und auch die Führung – er sorgte für das Materielle genauso wie für die Ehre seiner Tochter und den guten Ruf der ganzen Familie. Ihr Ausgeliefertsein wird an manchen Stellen des Tagebuchs geradezu sinnbildlich. Nach einem für die Tochter besonders verletzenden Streit um Geldangelegenheiten setzte das Familienoberhaupt auf eben der materiellen Ebene eine versöhnliche Geste: „Vater sucht durch große Güte wider gut zu machen, was er mir gethan er erlaubte mir aus eigenem mir ein paar Stiferl machen zu lassen. Nächstens mehr.“128 So kam sie wenigstens zu neuen Stiefeln – und es war ihr in diesem Rahmen immerhin möglich, Pläne zu entwickeln, wie sie sich unabhängig machen könnte, diese zu verhandeln und ihre Herkunftsfamilie davon zu überzeugen. Nach all diesen schwierigen Jahren ging das Ehepaar samt Sohn letztlich Anfang 1878 nach Krems zurück und übernahm eine Gemischtwarenhandlung in Barbara Baumgartners Elternhaus. Kurz zuvor, Ende Juli 1877, hatte Johann Baumgartner seiner Schwester einen Friseursalon abgekauft, in dem er mit ihr, zwei Gehilfen und – ab September auch mit seiner wieder aus Krems nach Wien übersiedelten Ehefrau („ich habe schon mehrere Lektionen genomen im Damenfrisiren um auch zu verdinen“129) werkte. Mitte September wurde auch Sohn Hans wieder nach Wien geholt. Zum Salon gehörte eine Zimmer-Küche-Wohnung, in der die Kleinfamilie unterkam. Die zwei Mitarbeiter wohnten nicht im Haushalt, bekamen aber zu ihrem Lohn „außerdem Frühstük, und Mittagkost, Sontag Braten und Biergeld“.130 Johann Baumgartner verkaufte nebenbei auch wieder Bücher. Obwohl sich die ökonomische und familiäre Situation in Wien gerade wieder etwas eingependelt hatte, ging Johann Baumgartner auf das Angebot seines Schwiegervaters, nach Krems zu kommen, ein. Im Februar 1878 übernahm er ein Geschäft, wiederum eine Gemischtwarenhandlung, in Barbara Baumgartners Elternhaus.

127 128 129 130

1936), 586–654, 630. Schachtel findet diesen Typus in kleinen und mittelbäuerlichen Betrieben und im Kleingewerbe und ordnet ihnen die ökonomische Struktur der geschlossenen Hauswirtschaft und der feudalen Wirtschaft zu, die aber noch 1936 „starke Spuren“ zeigt, ebd. Aussagekräftig sind diesbezüglich auch die Erinnerungen Betty Gerstls an den Umgang ihres Vaters mit den bei ihm arbeitenden Kutschern (vgl. „Gedenkblatt“ im Editionsteil) sowie ein Eintrag im Kremser Trauungsbuch: Der Kutscher Karl Jacksch (geb. 28. 3. 1835) aus Böhmen wohnte unter Anton Teuschls Adresse; als er die „Handarbeiterin“ Anna Wally (geb. 8. 10. 1837) heiratete (sie wohnte im Nachbarhaus), fungierte Anton Teuschl als Trauzeuge; vgl. DASP, PfA Krems St. Veit 2/27, Trauungsbuch F, 1863–1870, Fol. 147, Nr. 79, 26. 10. 1869. Schachtel, Das Recht der Gegenwart, 630. 11. 2. 1877, 103. 5 11. 1877, 115. 5. 11. 1877, 115.

190 Nachbemerkungen

[M]ein Mann entschloß sich gleich es anzunehmen obwohl uns um unser Geschäft hier auch sehr leid ist, es ist kein glänzendes Einkommen wo sich ein Vermögen verdinen läßt, dafür aber eine ruhige und denoch sorgenfreie Existenz, wir haben fast ausschließlich mit feinen Leuten zu thun ... Von diesen Standpunkt aus trennen wir uns hier schwer, auch Wien an und für sich ist mir unersetzlich, anderseits aber ist das bei den Eltern sein sehr viel Werth im Vaterhause sein ohne Steigerung oder Kündigung befürchten zu müssen zu den billigen Zins, dabei in jeder Art Hilfe und Stütze von den Eltern zu haben, auch so werde ich wohl im Geschäft thätig sein müssen, aber mehr in dem Häuslichen pousiren, dann dahs Johann wider in seinen Elemente ist er ist wieder Chef wider Kaufmann und hier muß er von den Leuten abhängen.131

Ausgeschrieben?

In Krems wurden die Tagebucheinträge wieder selten. Barbara Baumgartner notierte Todesfälle in der Verwandtschaft, Schulresultate ihres Sohnes und hielt besondere Ereignisse fest: etwa Wetterkapriolen, die bereits erwähnte Übernahme der Vormundschaft für ein Waisenkind durch ihren Ehemann oder wenn die Ehe gerade wieder einmal besonders unerträglich war. Im Mai 1885, einen Monat nach dem Tod ihrer Mutter, endet das Tagebuch: Die lange aufopfer[n]de Pflege brachte mir als Alles vorüber [war] ein Nervenfieber daß mich 4 Wochen aufs Krankenlager warf. Nun bin ich wider so weit, um den Kampf mit dem Schiksal neuerdings aufzunehmen. Die Liebe zu meinen braven guten Kinde erhält. Was wird jetzt kommen?132

Das Tagebuch endet zwar an dieser Stelle, dennoch ist auch die letzte Eintragung eine ganz gewöhnliche im Sinn eines Schreibens ohne Ende. Der letzte Satz eröffnet explizit einen „Erwartungshorizont“133 – wenngleich Barbara Baumgartners Blick in die Zukunft ein skeptischer war, geprägt von ängstlicher und besorgter Erwartung. Wetti Teuschl hatte ihr Tagebuch als eine Art „Warte-Heft“ begonnen – ein Format, das meist mit der Hochzeit seinen Abschluss fand. Barbara Baumgartner ignorierte dieses vorbestimmte Ende, schrieb weiter und machte aus dem Buch ein „all purposediary“.134 Sie dehnte die ursprünglichen, die vorgesehenen Limits ihres Tagebuchs hinsichtlich Zeitspanne, Thema und Funktionen. Nach ihrer Eheschließung waren die Einträge nicht mehr einer speziellen Phase (der Brautzeit) gewidmet, sie bezogen sich nicht mehr auf einen besonderen Erfahrungsbereich (wie werde ich eine gute, gottesfürchtige Hausfrau und Mutter), sondern auf ‚das Leben’. Aber auch zu Zeiten in de131 132 133 134

5. 11. 1877, 115f. Mai 1885, 152. Lejeune, How Do Diaries End, 89. Lejeune, How Do Diaries End, 94.

Wetti Teuschls Tagebuch als kulturwissenschaftliches und historisches Material 191

nen Wetti Teuschl/Barbara Baumgartner viel geschrieben hatte, korrespondierte dieses Tagebuchschreiben nicht mit allen Aktivitäten in ihrem Leben; das Schreiben erfüllte limitierte Funktionen und hatte begrenzte Bedeutung. Steht das Ende des Tagebuchs mit dem Ende einer Lebensphase in Zusammenhang? Markiert es das Ende eines Reigens von Ereignissen, die einen Zusammenhang bildeten? Hatte Barbara Baumgartner nach dem Tod ihrer Mutter resigniert? Das Tagebuch mag den Bedürfnissen der Schreiberin nicht mehr entsprochen haben. Dass sie um 1931 unter den letzten Eintrag eine kleine Notiz hinzufügte, auf einem anderen Papier geschrieben und in das Tagebuch eingeklebt, die den zehnten Jahrestag der Rückkehr ihres Sohnes Hans aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft nach dem Ersten Weltkrieg erinnert, lässt vermuten, dass sie nicht nur dieses Tagebuch im Mai 1885 beendet hatte, sondern das Tagebuchschreiben überhaupt. Mit dem Schreiben hörte sie jedoch nicht auf, wie ihre journalistischen Arbeiten aus der Mitte der 1920er Jahre und auch das 1931 für ihre Enkelin Antonie Baumgartner verfasste „Gedenkblatt“ zeigen.135 Aber das Tagebuch endete und über das Warum lässt sich nur spekulieren. Man ist einmal mehr daran erinnert, dass das Tagebuch erzählt, zugleich jedoch Erwartungen an die Erzählung enttäuscht, zur Schau stellt und verbirgt.136

135 Und vielleicht hat sie eine Familientradition begründet, denn ihr Tagebuch ist nicht das einzige Selbstzeugnis der Familie geblieben. In der Dokumentation lebensgeschichtlicher Aufzeichnungen am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Wien wurden folgende Texte der Familie in Kopie archiviert: „Eine Weltreise wider Willen 1915–1921 von Hans Baumgartner“, aus Tagebüchern, Manuskripten und Briefen Hans Baumgartners von seinem Enkel Helmut Hörner 1978 zusammengestellt und mit Illustrationen versehen; Helmut Hörner hat außerdem 1994 aus zwei Tagebüchern „Erinnerungen 1902–1992 von Antonie Hörner“ übertragen und 1993 zwei kommentierte Abschriften „Aufzeichnungen meines Vaters Viktor Hörner über die Zeit 1922–1927“ und „Briefe an mich von meinem Vater Viktor Hörner 1929–1935“ verfasst. Außerdem hat er selbst autobiografisch geschrieben: „Wie wir das Kriegsende erlebten“, 1985 (ergänzt 1994), und 1994 „Mein technischer Werdegang in der Zeit 1933–1994“. 136 Vgl. Nussbaum, Toward Conceptualizing Diary, 11.

192 Nachbemerkungen

Wetti Teuschl mit ihren Eltern (Gemälde von Johann Kranzl, Krems um 1858)

Wetti Teuschls Tagebuch als kulturwissenschaftliches und historisches Material 193

Barbara, Johann und Hans Baumgartner (um 1885)

194 Nachbemerkungen

Barbara Baumgartners Haus in Krems, Herzogstraße 7 (1901)137

137 Drei Geschäftslokale waren im Erdgeschoß des Gebäudes untergebracht: die Spezerei- u. Materialwarenhandlung von Anton Frankwitz, die Werkstatt des Schuhmachers Franz Smolik und Betti Baumgartners Vordruckerei; vgl. Österreichischer Zentralkataster sämtlicher Handels-, Industrie- und Gewerbebetriebe, Bd. 2: Die Betriebe von Niederösterreich, Wien 1903, 268f.

Anhang

Transkript des Ehekontrakts zwischen Barbara Teuschl und Johann Baumgartner

G. Z. 851 Pag. 1

Die authentische Ausfertigung am dritten Juni 1872 für den Bräutigam J. N. Baumgartner erfolgt. Der Frau Ehegattin Betti Baumgartner detto authentische Ausfertigung am 30 Oktober 1872 erfolgt. J Bindl Notariatsact

Vor mir Jakob Bindl k. k. Notar in Krems sind erschienen die mir persönlich und namentlich wohlbekannten Parteien: Herr Johann Baumgartner Kaufmann in Wien Josefstadt Schlößlgasse No. 9/5 als Bräutigam einerseits, dann Fräulein Barbara Teuschl laut Bescheid des k. k. städt. delog. Bezirksgerichtes dt: 31ten Mai 1872 Z. 3914 für großjährig und eigenberechtigt erklärt, derzeit bei ihren Aeltern, als Braut anderseits in Beisein der Eltern des Frl. Braut Herrn Anton Teuschl, Hausbesitzer No. 78 in Krems, Anna dessen Ehegattin und haben dieselben nachfolgenden Ehepacte errichtet und abgeschlossen. Erstens. Versprechen sich beide künftige Ehegatten eheliche Liebe und Treue. Zweitens. Bringt das Fräulein Braut Barbara Teuschl ihrem künftigen Ehegatten und Bräutigam Herrn Johann Baumgartner ein bares Heiratsgut in dem Betrage von 3000f oe. W. sage Drei Tausend Gulden österreichischer Währung, welche dieselbe gegen künftige mütterliche und väterliche Erbschaftsanrechnung von ihren Eltern Anton und Anna Teischl erhalten hat, zu, und es bestätigt der Bräutigam, diesen Betrag per Dreitausend Gulden österreichischer Währung am heutigen Tage als dem Trauungstag bar und richtig von den Brautältern

196 Anhang

Faksimile der ersten Seite des Ehekontrakts zwischen Wetti Teuschl und Johann Baumgartner





Transkript des Ehevertrags 197

beziehungsweise Frl. Braut erhalten zu haben. Drittens Widerlegt der Bräutigam Herr Johann Baumgartner zur Vermehrung des Heiratsgutes im falle seines Versterbens mit dem Betrage per 3000 f O. W. sage Drei Tausend Gulden oest. Währung welcher Betrag derzeit durch das ihm eigentümliche Warenlager vollkommen gedeckt erscheint. Viertens. Heiratsgut und Widerlage soll auf Uiberleben bedunggen sein. Fünftens Errichten beide künftige Ehegatten, jedoch mit Ausschluß des bedungenen Heiratsgutes und dem Widerlage, über alles, was sie gegenwärtig besitzen, in Zukunft erwerben, ererben oder sonst auf eine rechtliche Art an sich bringen, einer allgemeinen Gütergemeinschaft. Sechstens. Für den Todesfall eines der beiden künftigen Ehegatten wird zwischen beiden erbvertragsmäßig festgesetzt, daß, wenn von dem früher verstorbenen Eheteil Ein oder Zwei Kinder vorhanden sind, das Drittl, wenn mehr Kinder vorhanden sind die Hälfte des reinem gemeinschaftlichen Vermögens nach dem gerichtlichen Schätzungswerthe von dem überlebenden Eheteil als Erbteil hinaus gezalt werden soll, und der Letztgenannte berechtiget ist, in beiden Fällen den ganzen Nachlaß als Miteigenthümer, beziehungsweise auch als Erbe und diesen Schätzungswerth zu übernehmen. Für den Fall, als keine Kinder vorhanden wären, hat diese vertragsmäßige Erbseinsetzung unter gegenseitiger Zustimmung und Annahme sich auf den ganzen Nachlaß dergestalt zu beziehen, daß beide künftige Ehegatten sich auch rücksichtlich des nach §. 125 3 der freien Verfügung vorbehalten ein Viertel des reinen Nachlaßes wechselseitig zu Universalerben einsetzen, daher in diesem Falle von dem überlebenden Ehegatten an die nächsten Verwandten des verstorbenen Ehegatten keine Hinauszahlung zu leisten ist. Siebtens. Werden gegenwärtige Ehepakte zur Eintragung in das Handelsregister dem k. k. Handelsgerichte Wien vorgelegt. Hierüber wurde dieser Notariatsakt aufgenommen, den Parteien in Gegenwart der mir persönlich bekannten Aktszeugen Herrn Max Pammer Hausbesitzer und Buchdrucker in Krems No. 39 und Herr Wenzl Stawinoha Raseur und Friseur in Wien Landstrasse Rennweg No. 67 vorgelesen, von den Parteien genehmiget, und von diesen und den Zeugen vor mir unterschrieben. Krems am dritten Juni Eintausendachthundert Siebzig und zwei

198 Anhang

J N Baumgartner Gebühren. 5 f 50 x Barbara Teuschl Schreibgeb. – 60 x Anton Teuschl Stämpl 11 f 50 x Anna Teuschl 17 f 60 x Max Pammer Summe als Zeuge des Vertrages und des Testamentes Wenzl Stawinoha als Zeuge des Vertrages und Thestamentes Zl. 97{6}9 Kundgemacht zur Todfallsaufnahme nach Johann Baumgartner. kk. Bezirksgericht Krems am 21. März 1892 Gerborck

Jakob Bindl kk Notar





Abschrift des Testaments 199

Abschrift des Testaments von Barbara Gerstl1

Mein letzter Wille! In Gottes Namen und dessen heiligsten Willen indem ich stets Alles begonnen, will ich auch meinen letzten Willen niederschreiben. Möge derselbe von meinem Gatten und Sohn respektiert und befolgt werden. Beide in denselben fügen, möge es ihnen zu Glück und Segen gereichen. Mein letzter Gedanke wird ja ein Segenswunsch für Beide sein. Mein geliebter Gatte! Dir danke ich viele der schönsten Jahre meines Lebens, durch Deine Liebe, Deine zärtliche Fürsorge, hast Du mir auch mein Alter verschönt. Gott lohne es Dir! Mein lieber Sohn! Auch Dir danke ich für Deine Liebe. Du warst von jeher mein Glück und meine Freude, daß ich Dich innigst bliebte und nur stets Dein Bestes wollte brauche ich nicht erst zu sagen. Behaltet Euch Beide lieb, ehret mein Andenken indem Ihr treue Freunde in jeder Lage und in der Not verbleibet. Sprechet mit meiner Enkelin öfter von mir, daß sie mich nicht ganz vergißt. Gott segne sie in Allem. Ich bestimme hiemit folgendes: Das Elternhaus in Krems Herzogstrasse 7, vermache ich meinem Sohn Hans Baumgartner Beamter in R. in Wien XX Bz. Flemmingasse 13.2 Das meinem Gatten zugedachte wurde schon bei meinen Lebzeiten geordnet. Und gemeinsam im Laufe der Jahre verbraucht. Innig will ich noch meinen Gatten und Sohn danken für Alle Eure Liebe und Güte. Ihr Beide ward mein Glück und meine Freude. Möge Gott es Euch lohnen. Dieß meine eigene Unterschrift Barbar Gerstl verw. Baumgartner geb. Teuschl e. h. Die Investitions Renten 14 Stück wurden für sage 18. S. gegen eine Trefferanleihe3 zu 98 S. mit 80 S. Aufzahlung eingetauscht. Ein etwaiger Treffer gehört zu gleichen Teilen Karl & Hans. Die Möbel gehören meinen Gatten, doch soll sich mein Sohn wenn Er will den Altertumskasten nehmen wenn er will desgleichen gehört ihm die alte Stehuhr welche sich meine Eltern anschafften als sie heirateten, dagegen gehört die Uhr unter dem Glassturz meinen Gatten. 1 Dieses Testament ist in maschinschriftlicher Fassung (Abschrift des Notars) Teil der Verlassenschaftsakte von Barbara Gerstl; WStLA, G 306-1/29: A4/15/9, Amtsgericht Wien, Kundmachung, GZ 15A A 30/44. 2 Die Flemminggasse liegt im IXX. Bez. Das Haus war 1938 verkauft worden. 3 Dieser Absatz des Transkripts wurde mit Bleistift durchgestrichen. Trefferanleihe – diese Losanleihe wurde im Oktober 1933 vom österr. Bund zur Zeichnung aufgelegt (die Laufzeit war bis 1983 anberaumt). Um 98,- Schilling gab es Fünftel-Los. Prinzipiell betrug die Verzinsung 4 %, dazu wurden zweimal jährlich ‚Treffer’ verlost vgl. Compass. Finanzielles Jahrbuch 71 (1938), Wien 1938, 202f. Im Grunde kann nur ein Los vermacht werden, nicht jedoch ein Treffer – womöglich ist die Passage deshalb durchgestrichen.

200 Anhang

Der Glaskasten samt Inhalt gehört Tonerl, ausgenommen die darin befindlichen Sachen welche meines Mannes Eigentum oder dessen was er sich behalten will, auch was für Andere als Andenken bestimmt wurde. Auch der Nähtisch gehört Tonerl, denselben erhielt ich von meiner Firmpatin deren Namen darauf ist. (Elisabeth Pimesbern).4 Das Pianino soll verkauft und zu den Leichenkosten verwendet werden. Die Noten gehören (zwei unles. Worte gestrichen) Helmut. Sämtliche Amtliche Papiere sollen durchgesehen und geordnet werden. Briefe und Einschreibbücher verbrennt werden. Mein altes Tagebuch soll mein Sohn lesen dann verbrennen. Es bleibt seinen Ermessen vorbehalten (1 Wort gestrichen)/ob er es auch Tonerl lesen lassen will, aber sonst Niemand. Bett Tisch und Hauswäsche was sonst zum Haushalt gehört meinem Mann. Leibwäsche, Kleider, Schuhe und sonstiges gehören Tonerl. Was sie nicht braucht od. wünscht, soll mein Mann nach seinem Ermessen an (folgt gestrichenes Wort) verteilen. Mein schwarzer Pelzmantel v. Karl gekauft gehört Tonerl. Die geschriebenen Kochbücher kann sich Tonerl nehmen legt sie keinen Wert darauf soll Zehethofer für ihre Tochter haben desgleichen den Carton mit den Vordruckmodellen.“5

4 Elisabeth Pimesbern – Elisabeth Pimeskern, „bürgerliche Tischlers Ehegattin“ in Krems; Barbara Teuschl wurde am 29. 7. 1862 im Alter von zehn Jahren gefirmt; vgl. DASP, PfA Krems St. Veit 4/1, Firmungs-Buch 1857–1882, o. S. 5 Die beiden Blätter wurden mit je 0,68 RM vergebührt.

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204 Anhang

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206 Anhang

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Web-Seiten Medizinische Universität Graz, Augenheilkunde

Ariadne an der Österreichischen Nationalbibliothek

Ariadne, Frauen in Bewegung, Frauenvereine

Pester Lloyd, 39, 24. 9. 2008, Feuilleton;





Literatur 209

Personenregister

Hier werden sämtliche Namen aufgelistet, die im Tagebuch, im Gedenkblatt oder im Anmerkungsapparat erwähnt werden. Auch Umschreibungen wie – ‚meine Mutter’, ‚mein Kind‘, ‚seine Schwester‘ etc. werden angeführt (nicht jedoch: ‚Eltern‘, ‚Geschwister‘). In runden Klammern sind alternative Schreibweisen angegeben, wie sie im Tagebuch vorkommen. In eckigen Klammern finden sich korrigierte beziehungsweise komplettierte Namen. Personen, deren Namen nicht genau eruiert werden konnten, sind mit einem Fragezeichen versehen. Zum Auffinden der Namen sind die Daten ihrer Nennung aus dem Tagebuch angegeben sowie – nach dem Schrägstrich – die betreffenden Seiten im Tagebuch (verzeichnet ist dabei jeweils nur die erste Nennung unter einem Datum). Wurde auf Personen nur in den Anmerkungen Bezug genommen, ist dies durch den Zusatz ‚Anm.‘ deutlich gemacht. Im Gedenkblatt genannte Namen sind mit dem Kürzel GB versehen. Das Register bezieht sich nur auf den Editionsteil; AutorInnen von in den Fußnoten zitierter Literatur etc. wurden hier nicht aufgenommen (vgl. Literaturverzeichnis).

Abraham a San[c]ta Clara– 27. 6. 1871/28 Arlt, Prof. [Ferdinand Ritter v. Arlt sen. ] – 22. 4. 1872/45; 28. 12. 1878/123 Atzwenger, Rath von [Anton Azwanger?] – 14. 1. 1877/97 B. – siehe Baumgartner, Johann Baumgartner, Barbara – siehe Teuschl, Wetti Baumgartner, Elisabeth (Schwiegermutter, Mutter)– 3. 6. 1872/47; 4. 12. 1883/145 Baumgartner, Johann (B., Baumgartner, Baumgt., Joh. Baumgt., Johan Baumgartner, Mannerl, Mann) – 9. 4. 1870/2; 17. 4. 1870/2; 21. 4. 1870/3; 22. 4. 1870/4; 26. 4. 1870/4; 27. 4. 1870/4; 29. 4. 1870/5; 29. 4. 1870/6; 13. 5. 1870/8; 17. 5. 1870/8; 1. 6. 1870/10; 7. 7. 1870/10; 17. 7. 1870/13; 18. 8. 1870/14; 22. 8. 1870/15; 5. 10. 1870/16; 22. 11. 1870/18; 8. 12. 1870/20; 28. 12. 1870/21; 29. 12. 1870/23; 1. 1. 1871/23; 9. 2. 1871/24; 19. 2. 1871/25; 23. 4. 1871/26; 17. 6. 1871/27; 27. 6. 1871/30; 2. 7. 1871/31; 3. 7. 1871/32; 4. 7. 1871/33; 9. 7. 1871/34; 20. 7. 1871/35; 23. 7. 1871/36; 23. 7. 1871/37; 3. 6. 1871/47; 5. 8. 1871/39; 5. 9. 1871/40; 30. 9. 1871/41; 4. 10. 1871/42; 20. 12. 1871/43; 9. 1. 1872/44; 9. 2. 1872/45; 27. 2. 1872/45; 22. 4. 1872/45; 20. 5. 1872/46; 3. 6. 1872/47; 20. 11. 1872/50; 7. 4. 1873/52; 20. 6. 1873/53; 7. 1. 1874/54; 6. 8. 1874/59; 1. 1. 1875/61; 23. 6. 1875/64; 17. 8. 1875/67; 29. 9. 1875/70; 23. 10. 1876/74; 25. 10. 1876/83; 4. 11. 1876/83; 14. 11. 1876/84; 16. 11. 1876/88; 17. 11. 1876/89; 20. 11. 1876/90; 25. 12. 1876/91; 31. 12. 1876/93; 3. 1. 1877/95; 5. 1. 1877/95; 14. 1. 1877/97; 16. 1. 1877/99; 25. 1. 1877/99; 5. 2. 1877/100; 11. 2. 1877/103; 25. 2. 1877/103; 8. 3. 1877/104; 18. 3. 1877/106; 6. 4. 1877/107;

6. 5. 1877/109; 21. 5. 1877/111; 31. 7. 1877/112; 8. 8. 1877/113; 18. 8. 1877/114; 25. 8. 1877/114; 5. 11. 1877/115; 6. 11. 1877/117; 7. 11. 1877/117; 8. 11. 1877/118; 12. 11. 1877/118; 18. 2. 1878/120; 25. 11. 1878/120; 26. 2. 1878/121; 28. 12. 1878/122; 6. 1879/132; 10. 1. 1880/135; 1. 3. 1880/135; 20. 4. 1881/140; 4. 12. 1883/145; 1. 1. 1885/147 Baumgartner, Johan[n] [2.] – 22. 8. 1870/15 Baumgartner, Johann Anton (Hansi, Hans, Kind) – 20. 6. 1873/53; 7. 7. 1873/53; 7. 1. 1874/54; 6. 8. 1874/59; 1. 1. 1875/61; 23. 6. 1875/66; 17. 8. 1875/68; 29. 9. 1875/70; 1. 1. 1876/72; 9. 3. 1876/72; 23. 10. 1876/74; 25. 10. 1876/83; 14. 11. 1876/87; 16. 11. 1876/88; 17. 11. 1876/89; 25. 12. 1876/91; 31. 12. 1876/94; 1. 1. 1877/94; 7. 1. 1877/96; 14. 1. 1877/98; 25. 1. 1877/99; 1. 2. 1877/100; 5. 2. 1877/102; 25. 2. 1877/103; 8. 3. 1877/105; 18. 3. 1877/106; 6. 4. 1877/108; 6. 5. 1877/110; 21. 5. 1877/112; 31. 7. 1877/112; 18. 8. 1877/114; 5. 11. 1877/116; 7. 11. 1877/117; 26. 2. 1878/121; 18. 11. 1878/122; 28. 12. 1878/122; 1. 1. 1880/133; 10. 1. 1880/135; 1. 3. 1880/140; 20. 4. 1881/141; 15. 7. 1880/141; 20. 4. 1881/142; 4. 12. 1883/145; Mai 1885/152; undat. /152 Baumgartner, Leni – siehe Feigl, Leni Baumgartner, Maria – siehe Stawinoha, Maria Baumgartner, Sebastian (Bs Vater, Schwigervatter) – 9. 4. 1870/2; 10. 5. 1872/45; 3. 6. 1872/47; 2. 11. 1877/118 Baumgartner, Sebastian [2] (Schwager, Schwager Sebastian, Sebastian) – 3. 7. 1873/47; 23. 10. 1876/82; 8. 3. 1877/105; 8. 8. 1877/113; 28. 12. 1878/129 Baumgt. Joh. – siehe Baumgartner, Johann Bayerl, Ing. – 9. 11. 1871/42 Bear – siehe Beer, Henriette; Beer, Christof Beer, Henriette (Bear, Betti, Falk, Henriette, Henriette Falk, H. F., Betti Kriechhammer, Kriechhamer, Kriechhamer seiner Frau) – 17. 8. 1875/67; 17. 8. 1875/68; 14. 11. 1876/84; 16. 11. 1876/88; 17. 11. 1876/89; 20. 11. 1876/90; 21. 5. 1877, 111; 4. 12. 1877/118; 1. 1. 1880/134; 8. 8. 1880/140; 20. 4. 1881/143; 4. 12. 1883/ 143; 1. 1. 1885/147 Beer (Bear, Falk, Gemahl) – 17. 8. 1875/67; 6. 4. 1877/109; 4. 12. 1877/118; 1. 1. 1880/134; 20. 4. 1881/143; 4. 12. 1883/143 Bergmeister, Otto – 22. 4. 1872/45; 28. 12. 1878/123 Betti – siehe Beer, Henriette Billroth, Prof. [Theodor Billroth] – 4. 12. 1883/144 Bindl, Notar [Jacob Bindl] – 3. 6. 1872/47; 28. 12. 1878/128; 6. 1879/132 Bloch, Dr. [Heinrich Bloch?] – 1. 1. 1876/71 Böttcher [Moriz] – 1. 1. 1885/146 Braun, Gustav (Prof. Braun) – 7. 1. 1874/57; 8. 3. 1877/104; 4. 12. 1883/144; 1. 1. 1885/147





Personenregister 211

Brutscher (Chef ) [Alois Brutscher] – 17. 4. 1870/3 (?); 17. 6. 1871/26; 2. 7. 1871/31; 3. 7. 1871/32; 23. 7. 1871/36; 23. 6. 1875/64 Bs Vater – siehe Baumgartner, Sebastian Bugofski, Rath [Anton Bukowsky] – 14. 11. 1876/85 Bürgermeister [Dinstl] – 24. 6. 1870/12, Anm. 28; 14. 1. 1877/98 Chef – siehe Brutscher Christian, Hr., Fr. [Johann, Katharina?] – 4. 12. 1877/118, Anm. 275 Christian, Johann – 4. 12. 1877/118, Anm. 275 Christian, Leopoldine – siehe Pammer, Leopoldine Christian, Rosalie – 4. 12. 1877/118 Csabek [Joseph Cžapek] – 21. 5. 1877/111; 5. 11. 1877/116; 8. 11. 1877/118, 9. 11. 1877/118 D. – siehe Pammer, Leopoldine D. – siehe Droschler, Kaufmann Dambök, Tante – 18. 11. 1878/122 David, Alois – 22. 8. 1870/15 Dewald [Vincenz Dewald?] – 23. 10. 1876/78; 19. 11. 1876/89; 14. 1. 1877/97; 21. 5. 1877/111 Dini – siehe Pammer, Leopoldine Dötz – 6. 4. 1877/17 Droschler, Frau – 4. 7. 1871/33 Droschler, Kaufmann (D.) – 2. 7. 1871/31; 4. 7. 1871/33; 7. 7. 1871/34 Dumreicher, Prof. [Johann Heinrich Dumreicher v. Oesterreicher, Frh. ] – 28. 12. 1878/123 Duschek, Doktor (Dokt. Tuschik; Duschik) [Johann Tuschik] – 28. 12. 1878/122; 28. 12. 1878/124 Duschik – siehe Duschek Eder, Dr. [Albin Eder] – 1. 1. 1885/147 Falk, Henriette – siehe Beer, Henriette Falk, Brüder [Max Falk] – 4. 12. 1883/143 Falk, Max – 8. 8. 1880/140 Fanto [Adolf Fanto] – 14. 1. 1877/97 [Feigl], Leni [geb. Baumgartner] – 17. 8. 1875/68; 8. 3. 1877/105; 8. 8. 1877/113 Feigl, Leopold – 17. 8. 1875/68 Fr. St. – siehe Stawinoha, Maria Franz – siehe Haselgruber, Franz Franzeskani, Heinrich [Enrico Francesconi, Heinrich Edler v. Francesconi] – 25. 12. 1876/92, Anm. 231 Friedrich, Marie – 4. 12. 1877/118 Friedrich, Fr. – 4. 12. 1877/118 Frithum, Franz – 1. 1. 1880/133

212 Anhang

Frithum, Rudolf (Rudolf ) – 1. 1. 1880/134; 10. 1. 1880/137; 1. 3. 1880/140; 15. 7. 1880/141 Fröbel [Friedrich] – 25. 1. 1877/99 Gemeinde Sekretär, Hr. [August Kosarz] – 5. 2. 1877/100 Gemel – 26. 4. 1870/4; 29. 4. 1870/5 Gerstl, Betti – siehe Teuschl, Wetti Giardi [Alexander Girardi] – 19. 2. 1871/25 Groiß, Frau – 4. 12. 1883/144 Großmutter – siehe Teuschl, Anna Maria H. – siehe Haselgruber, Franz Habersohn, Fr. [Emilie Haberson?; Josepha v. Haberson?] – siehe Kerbler, Emilie Haberson, Emil v. – 4. 12. 1877/118, Anm. 276 Hablicek, Rath (Rath H.) [August Hawliczek] – 14. 11. 1876/86 Hahnlhofer [Franz Handlhofer] – 14. 11. 1876/86 Hans – siehe Baumgartner, Johann Anton Hansi – siehe Baumgartner, Johann Anton Haselg. – siehe Haselgruber, Franz Haselgruber, Franz (Franz, H., Haselg.) – 9. 4. 1870/2; 17. 4. 1870/2; 27. 4. 1870/5; 29. 4. 1870/6; 19. 2. 1871/25 Haudak – 9. 11. 1871/42 Hofer – 4. 12. 1877/118 Holy, Ing. – 9. 11. 1871/42 Huber, Amtsdiener [Peter Huber] – 14. 11. 1876/86; 14. 1. 1877/97 Kaltenhuber, Anna Maria – siehe Teuschl, Anna Maria Karl – siehe Rötzer, Karl Kastner – 6. 8. 1874/59 Kerbler, Emilie – 20. 6. 1873/53; 4. 12. 1877/118 Kind – siehe Baumgartner, Johann Anton Kinzl (Direktor Kinzl) [Josef Kinzl] – 6. 5. 1877/110; 28. 12. 1878/126 Kornfeld – 1. 1. 1876/71; 23. 10. 1876/79 Kornteyer, Eduard (Korntheyer) – 26. 4. 1870/4; 26. 4. 1870/19; 8. 12. 1870/21 Kratochwill [Conrad Kartochwilla] – 1. 1. 1885/146 Krez, Etine (Kretz) – 1. 1. 1876/71; 25. 12. 1876/91 Kriechhamer, seine Frau – siehe Beer, Henriette Kriechhammer (Kriechhamer) – 4. 12. 1883/143 Kriechhammer, Betti – siehe Beer, Henriette Lantschik, Frau – 21. 4. 1870/3 Lembacher – 4. 10. 1871/41 Liebhart, Sebastian (Probst) – 20. 5. 1872/46; 3. 6. 1872/47; 28. 12. 1878 Lober, Tuchhändler – 27. 6. 1871/30 Lobkowits, Wilhelm – 3. 6. 1872/47





Personenregister 213

Maier, Carl – 27. 6. 1871/28; 1. 10. 1871/41 Mann – siehe Baumgartner, Johann Mannerl – siehe Baumgartner, Johann Maria – siehe Stawinoha, Maria Marie – siehe Stawinoha, Maria Marie (Nichte Frau v. Seidls) – 10. 1. 1880/137 Meier – 19. 2. 1871/25; 27. 6. 1871/28; 23. 7. 1871/36 Milli – 27. 6. 1871/28; 28. 9. 1871/40; 2. 10. 1871/41; 3. 10. 1871/41; 20. 12. 1871/43; 2. 6. 1872/47; 3. 6. 1872/49; 20. 11. 1872/50 Mondl, Frau – 23. 10. 1876/76 Mosetig, Ritter von Morhof [Albert Mosetig Ritter v. Moorhof ] – 28. 12. 1878/123 Mutter – siehe Teuschl, Anna Maria Mutter, seine [Maria Frithum] – 1. 1. 1880/134 Ott, Dokt. [Anton Ott] – 28. 12. 1878/124 Pammer, Leopoldine (Dini, D, Leopoldine Christian) – 26. 4. 1870/4; 8. 12. 1870/20; 24. 12. 1870/22; 19. 2. 1871/25; 2. 7. 1871/31; 3. 10. 1871/41; 20. 12. 1871/43; 4. 12. 1877/118 Pammer, Max – 8. 4. 1870/1, Anm 6; 3. 6. 1872/47, Anm. 129, Anm. 134 Peierl [Adolf ] – 3. 6. 1872/47 Pepi (Dienstmädchen) – 28. 12. 1878/128; 6. 1879/132; 10. 10. 1880/135; 10. 1. 1880/137 Pertzlschwestern – siehe Perzl, Bebi Perzl, Bebi (Pertzlschwestern) – 20. 6. 1873/53; 4. 12. 1877/118; 28. 12. 1878/127 Pestalozzi, Heinrich – 25. 1. 1877/99, Anm. 242 Plapart, Dokt. [Alexander Freih. Plappart-Leenheer] – 3. 1. 1877/95 Podhaiski (Radeiski) [Vincenz Podhajsky] – 29. 9. 1871/40; 1. 1. 1885/148 Preuß, Fr. – 10. 1. 1880/137 Probst – siehe Liebhart, Sebastian Radeiski – siehe Podhaiski Radetzki [Johann Josef Wenzel Graf Radetzky v. Radetz] – 29. 9. 1871/40 Reichl, Josef – 13. 5. 1870/8, Anm. 20 Reisenhofer (Schwigersohn des Hr Csabek) [Karl/Carl Reisenhofer] – 21. 5. 1877/111; 5. 11. 1877/116 Repitsch, Johan[n] – 21. 4. 1870/3 Reuter – 4. 10. 1871/41 Rodler, Dokt. [Wilhelm Rodler] – 23. 10. 1876/75; 4. 11. 1876/83; 14. 11. 1876/84; 17. 11. 1876/89;19. 11. 1876/89 Roßkopf, Herren [Georg Rosskopf, Joseph Rosskopf ] – 27. 6. 1871/28 Rötzer, Karl (Karl) – 5. 10. 1870/17; 25. 2. 1877/13 Rötzer, Herr – 1. 1. 1880/133 Rötzer, Resi – siehe Rötzer, Therese

214 Anhang

Rötzer, Therese (Rötzer Resi, Tante Rötzer) – 5. 10. 1870/17, Anm. 40; 22. 11. 1870/19; 28. 12. 1878/127; GB/1 Rudolf – Frithum, Rudolf Sauer, Doktor [Johannes Sauer] – 28. 12. 1878/123 Schmidt, Lehrer – 4. 12. 1883/145 Schmidt – 13. 5. 1870/8 Schmidt, Dr. [Alfred Schmidt] – 14. 11. 1876/85 Schneider – 1. 2. 1877/100 Schneider, Adjunkt (Schreiber) [Carl Schneider] – 23. 10. 1876/78; 14. 11. 1876/84 Schneider, Fr. [Appolonia Schneider?] – 14. 11. 1876/85 Schober – 17. 4. 1870/2; 22. 11. 1870/18 Schönman, Alois – 3. 6. 1872/47 Schreiber – siehe Schneider, Adjunkt Schwager – siehe Baumgartner, Sebastian [2] Schwendewein, Frau – 5. 1. 1877/95 Schwester – siehe Stawinoha, Maria Schwigersohn des Hr Csabek – siehe Reisenhofer Schwigervatter – siehe Baumgartner, Sebastian Sebastian – siehe Baumgartner, Sebastian [2] Seidl, Fr. v. – 10. 1. 1880/137 Soos, Staatsanwalt von [Julius von Soos] – 23. 10. 1876/76 Stawinoha, Maria (Fr. St., Schwester, Maria, Marie) – 5. 8. 1871/39; 20. 12. 1871/43; 27. 2. 1872/45; 3. 6. 1872/47; 31. 7. 1877/112; 8. 8. 1877/113; 18. 8. 1877/114; 5. 11. 1877/115; 12. 11. 1877/118; 4. 12. 1877/118; 25. 1. 1878/119 Stawinoha, Maria Frl. – 3. 6. 1872/47 Stawinoha, Wenzel – 3. 6. 1872/47 Steiner – 19. 2. 1871/25 Steininger, Frau [Magdalena Steininger] – 29. 9. 1871/41 Steininger [Julius Steininger] – 29. 9. 1871/41 Sueß, Doktor [Sigismund Süsz] – 17. 8. 1875/68 Tante – siehe Withofner, Frau Tante Rötzer – siehe Rötzer, Therese Teuschl, Anna Maria (Anna Maria Kaltenhuber, Mutter, Großmutter) – 17. 4. 1870/3; 29. 4. 1870/7; 1. 6. 1870/10; 5. 10. 1870/17; 27. 6. 1871/28; 3. 7. 1871/32; 20. 6. 1873/53, Anm. 155; 9. 11. 1871/43; 3. 6. 1872/49; 20. 6. 1873/53; 7. 1. 1874/58; 23. 10. 1876/81; 31. 12. 1876/94; 7. 1. 1877/96; 5. 2. 1877/101; 8. 3. 1877/105; 18. 11. 1878/122; 28. 12. 1878/122; 5. 1879/132; 1. 1. 1880/134; 10. 1. 1880/135; 8. 8. 1880/140; 20. 4. 1881/141; 4. 12. 1883/144; 1. 1. 1885/146; 2. 1885/149; 5. 1885/152; GB/1; GB/3; GB/7 Teuschl, Anton (Vater) – 2. 4. 1870/1; 8. 4. 1870/1; 17. 4. 1870/3; 19. 5. 1870/9; 7. 6. 1870/10; 5. 10. 1870/17; 22. 11. 1870/18; 27. 6. 1871/28; 3. 7. 1871/32;





Personenregister 215

4. 7. 1871/33; 29. 9. 1871/40; 20. 12. 1871/43; 13. 1. 1872/44; 9. 2. 1872/45; 27. 2. 1872/45; 22. 4. 18727/45; 10. 5. 1872/45; 20. 5. 1872/46; 3. 6. 1872/47; 23. 10. 1876/74; 4. 11. 1876/83; 14. 11. 1876/84; 17. 11. 1876/89; 7. 1. 1877/96; 14. 1. 1877/97; 5. 2. 1877/101; 11. 2. 1877/103; 8. 3. 1877/104; 5. 11. 1877/114; 25. 1. 1878/119; 26. 2. 1878/121; 18. 11. 1878/122; 28. 12. 1878/122; 1. 1. 1880/133; 7. 1. 1880/139; 4. 12. 1883/144; GB/1; GB/2; GB/3; GB/6; GB/7; GB/8 Teuschl, Anton [jun.] – 20. 6. 1873/54, Anm. 155; 5. 1879/132 Toni, Frl. – 22. 8. 1870/15; 5. 10. 1870/16 Tuschik – siehe Duschek Ungar, Dr. – 1. 1. 1876/71 Vallaster, Frau [Katharina Vallaster] – 9. 4. 1870/2 Vater – Teuschl, Anton Vogl, Lori – 22. 11. 1870/18 Wagner, Rath [Carl Wagner] – 14. 11. 1876/86 Walzer, Hochwürden [Joseph Walzer] – 28. 12. 1878/126 Weintraub, Dr. [Marcus Weintraub] – 1. 1. 1876/72 Wenzl, Rath [Franz Wenzel?] – 23. 10. 1876/82 Werthheim, Baron [Franz Freiherr v. Wertheim] – 23. 10. 1876/82 Wimpfen [Maximilian Freiherr von Wimpffen] – 29. 9. 1871/40 Winkler, Frau und ihr Sohn – 28. 12. 1878/126 Withofner, Frau (Tante) – 28. 9. 1871/40; 4. 10. 1871/41 Withofner, Hr. – 28. 9. 1871/40 Wurm, Zilli – 8. 12. 1870/20 Zelenka, Frau v. – 8. 12. 1870/20 Zelenka, Johan[n]a – 8. 12. 1870/20

216 Anhang

Ortsregister

Hier werden nur jene Orte, Straßennamen und Plätze aufgelistet, die Wetti Teuschl selbst in den hier edierten Texten nannte. In runden Klammern stehen alternative Schreibweisen aus dem Tagebuch bzw. dem Gedenkblatt, in eckiger Klammer etwaige korrigierte/modernisierte Bezeichnungen. Zum Auffinden der Orte sind die Daten aus dem Tagebuch angegeben sowie – nach dem Schrägstrich – die betreffenden Seiten im Tagebuch. Ortsnamen aus dem Gedenkblatt Betti Gerstls sind durch das beigefügte Kürzel GB spezifiziert. 3 Eichen [Dreieichen] – 2. 10. 1871/41 Absdorf – 9. 11. 1871/42; 10. 1. 1872/44; 3. 6. 1872/49 Aggspach [Aggsbach-Dorf ] – 20. 7. 1871/34 Aggstein – 20. 7. 1871/34 Alaunenthal – 27. 6. 1871/28 Antonsgasse – 17. 8. 1875/68 Arnstorf [Arnsdorf?, Arndorf?] – 5. 10. 1870/16 Döbling –6. 5. 1877/110 Dreifaltigkeitsplatz – 28. 12. 1878/130; 1. 1. 1880/133; 10. 10. 1880/138 Eggenburg – 1. 10. 1871/41 Erdbergerstrasse – 14. 11. 1876/85 Falbach [Fallbach] – 28. 12. 1870/21; 20. 11. 1872/51; 7. 1. 1877/96 Florianigasse – 20. 11. 1872/51 Fünfhaus – 20. 11. 1872/50 Furth – 20. 7. 1871/32; GB/4; GB/6 Gars – GB/2; GB/7; GB/8 Gföhl – 27. 6. 1871/31; GB/2 Göttweig (Göttweih) – 3. 7. 1871/32; GB/1 Grafenegg – 21. 4. 1870/3; 15. 8. 1871/39; 21. 5. 1877/11Heldenberg – 29. 9. 1871/40 Hernals – 17. 8. 1875/68 Herzogstraße (unsere Gasse; Herzogstrasse, Obere Herzogstraße, Herzogsstrasse) – 9. 4. 1870/2; 5. 1. 1877/95; 5. 11. 1877/116; 28. 12. 1878/129; 10. 1. 1880/136; GB/3 Hietzing – 20. 11. 1872/50, Anm. 138 [H]ohenmark [Hoher Markt] – 10. 1. 1880/137 Hollenburg – 1. 2. 1880/139 Horn – GB/2; GB/8 Huterstraßer – 5. 1879/132 Josefstadt (Josefsstadt) – 9. 1. 1872/44; 9. 2. 1872/45; 20. 11. 1872/51; 1. 1. 1875/62; 17. 8. 1875/68; 23. 10. 1876/75; 8. 8. 1877/113; 1. 1. 1880/134 Kaiserstrasse – 1. 1. 1880/134





Ortsregister 217

Kirchberg – GB/2 Königsalm – GB/6 Konradgasse – 1. 1. 1875/62 Landstrasse – 14. 11. 1876/85 Langegg [Maria Langegg] – 5. 10. 1870/16; 20. 7. 1871/34; 23. 7. 1871/36; 18. 8. 1877/114 Langenlois – GB/2; GB/6 Leopoldstadt – 1. 1. 1875/62; 23. 10. 1876/76; 16. 1. 1877/99 Limberg – 29. 9. 1871/40 Linz – 10. 1. 1880/136 Marbach – 1. 1. 1880/133 Mariahilf – 5. 8. 1871/39 Mariazell (Maria Zell) – 18. 8. 1870/13; 22. 8. 1870/15; 29. 8. 1870/16; GB/2; GB/8 Mautern – GB/2; GB/8 Meidlingertal – GB/5 Melk (Mölk) – 7. 6. 1870/10; 10. 1. 1880/137 Neugasse – 8. 3. 1877/104; 6. 4. 1877/19 Palt – GB/7 Park in Dornbach [Schwarzenbergpark, Dornbacher Park] – 20. 11. 1872/50 Passau – 10. 1. 1880/136 Polla [Pola/Pula] – 8. 12. 1870/20 Pressburg – 1. 2. 1880/139 Rafelsbach [Ravelsbach] – 23. 4. 1871/26; 3. 10. 1871/41 Rechberg [auch Rehberg] – 27. 6. 1871/28 Rennweg – 31. 7. 1877/112 Rosenhügel [Rosengrund?] – 27. 6. 1871/28 Rositz [Rossatz?] – 5. 8. 1871/39 Rudolfsheim – 14. 11. 1876/84; 8. 3. 1877/104; 18. 3. 1877/106; 6. 4. 1877/17 Rueppgasse – 25. 2. 1877/13 Schlösselgasse (Schlösslgasse) – 9. 2. 1872/45; 20. 11. 1872/51, Anm. 150 Schulgasse – 6. 8. 1874/59 Semlin – 1. 1. 1880/133 Senftenberg – 31. 7. 1877/112 Sievering – 8. 8. 1880/140 Sitzendorf – 2. 10. 1871/41 Springergasse – 9. 3. 1876/72; 23. 10. 1876/74; 5. 1. 1877/95, Anm. 236 St. Leonhard/Hornerwald – 27. 6. 1871/30; 2. 10. 1871/41 St. Pölten – 22. 8. 1870/15; GB/2; GB/5 Stein – 7. 6. 1870/11; GB/7; GB/8 Steitzendorf – 1. 1. 1885/146 Stokerau [Stockerau] – GB/2

218 Anhang

Taborstrasse – 1. 1. 1875/62 Teinfaltstrasse – 14. 11. 1876/85 [T]iefer Graben – 6. 8. 1874/59 Unter Dürnbach [Unter-Dürnbach] – 28. 9. 1871 40 Wachberg – 7. 6. 1870/11 Währing – 6. 8. 1874/59 Währingerstrasse [Währinger Straße] – 6. 8. 1874/59 Waldhof – 27. 6. 1871/28 Waldviertel – GB/4 Weidling am Bach – 8. 8. 1880/140 Weinzirl [Weinzierl] – 22. 11. 1870/18 Wetzstorf [Kleinwetzdorf ] – 29. 9. 1871/40 Wikenburggasse [Wickenburggasse] – 3. 6. 1872/49 Wipplingerstrasse – 14. 11. 1876/85 Zierstorf – 29. 9. 1871/40 Zwettl – 23. 4. 1871/26; GB/2